Presse und Sprache im 19. Jahrhundert: Eine Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses 9783050058986, 9783050057057

"Oh dieses Zeitungsdeutsch! Dieses unselige Zeitungsdeutsch" ist seit den Anfängen des deutschen Zeitungswesen

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German Pages 375 [376] Year 2012

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert
II. Terminologie und Methode
III. Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert
IV. Das Korpus zum Diskurs
V. Die Metaphorik des Diskurses
VI. Bezeichnungen im Diskurs
VII. Argumentationen im Diskurs
VIII. Positionen und Konfliktlinien des Diskurses
IX. Zusammenfassung
X. Anhang
XI. Index und Verzeichnisse
Dank
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Presse und Sprache im 19. Jahrhundert: Eine Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses
 9783050058986, 9783050057057

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Presse und Sprache im 19. Jahrhundert

Lingua Historica Germanica Studien und Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Band 2 Herausgegeben von Stephan Müller, Jörg Riecke, Claudia Wich-Reif und Arne Ziegler

Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte e.V.

Tina Theobald

Presse und Sprache im 19. Jahrhundert Eine Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses

Akademie Verlag

Heidelberg, Univ., Neuphil. Fak., Diss., 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: hauser lacour Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Buchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN eISBN

978-3-05-005705-7 978-3-05-005898-6

Inhaltsverzeichnis

I.

Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert ............................................

9

1. Emil Löbl: Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch ............................................................

9

2. Die Problemstellung ........................................................................................................... 13 3. Zu Forschung und Vorgehen .............................................................................................. 19 II.

Terminologie und Methode ..................................................................................................... 23 1. Vorüberlegungen: Sprache als Medium und Gegenstand gesellschaftlicher Gespräche .... 23 2. Zum Diskursbegriff ............................................................................................................ 26 3. Kollektives Denken, Wissen und Handeln ......................................................................... 3.1 Mentalität .................................................................................................................... 3.2 Identität ....................................................................................................................... 3.3 Spracheinstellung ........................................................................................................ 3.4 Sprachbewusstsein ......................................................................................................

31 31 32 34 36

4. Die Analyse des Diskurses ................................................................................................. 38 5. Zusammenfassung: Der methodische Zugang zum zentralen Fragenkomplex ................... 41 III.

Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert ........................................ 43 1. Überlegungen zur Bedeutung des Jahrhunderts .................................................................. 43 2. Der gesellschaftspolitische Wandel .................................................................................... 2.1 Die industrielle Revolution und ihre demographischen Folgen .................................. 2.2 Die gesellschaftliche Neuordnung .............................................................................. 2.3 Das Entstehen einer Bildungs- und Kulturnation ........................................................ 2.4 Das (bürgerliche) Streben nach nationaler Einheit ...................................................... 2.5 Historische Periodisierung des 19. Jahrhunderts .........................................................

44 44 46 49 50 51

3. Sprachliche Entwicklungen im 19. Jahrhundert ................................................................ 3.1 Die Sprachsituation um die Jahrhundertwende ........................................................... 3.2 Der Wandel der kommunikativen Bedingungen und seine Folgen für die Sprache .... 3.3 Die Durchsetzung der Standardsprache im 19. Jahrhundert ........................................ 3.4 Die sprachliche Periodisierung ...................................................................................

53 53 54 56 61

4. Die Zeitung – Entstehung eines Massenmediums .............................................................. 62 4.1 Die historische Entwicklung der Zeitung zum Massenmedium .................................. 62 4.2 Die Veränderungen im inhaltlichen und sprachlichen Gebrauch der Zeitung ............. 69

6

Inhaltsverzeichnis 4.3 Die Zeitung als Verbreiterin sprachlicher Formen ...................................................... 92 4.4 Die Entstehung eines neuen Berufes ........................................................................... 94 4.5 Von der Exklusivität zur Massenwirksamkeit der Zeitung – Eine periodische Einordnung der medialen Entwicklungen ................................................................... 97 5. Zusammenfassung: Historie, Sprache und Medien des 19. Jahrhunderts ........................... 5.1 Ein wechselseitig wirkendes Verhältnis? ..................................................................... 5.2 Die kritische Betrachtung der Medien – Medien-, Gesellschafts- oder Sprachkritik? 5.3 Periodische Einordnung von Löbls Erzählung .............................................................

IV.

99 99 102 103

Das Korpus zum Diskurs ......................................................................................................... 105 1. Vorüberlegungen ................................................................................................................ 105 2. Die Recherche .................................................................................................................... 105 3. Die Gesamtbeschreibung des Korpus ................................................................................. 3.1 Die zeitliche Gliederung – Untersuchungszeiträume .................................................. 3.2 Die thematische Gliederung – Diskursüberlagerungen ............................................... 3.3 Die Texte und ihre Autoren ........................................................................................ 3.4 Die Einstellungen der Diskursteilnehmer ...................................................................

108 110 112 115 118

4. Das Korpus zum Diskurs – Ein erster Überblick ................................................................ 121 V.

Die Metaphorik des Diskurses ................................................................................................. 124 1. Methodische Überlegungen ................................................................................................ 124 2. Metaphern im Diskurs ........................................................................................................ 2.1 Die Sprache als lebendiger Organismus ...................................................................... 2.2 Die Artifizierung der Sprache ..................................................................................... 2.3 Die sprachliche Substanz ............................................................................................ 2.4 Der Dualismus von Gut und Böse – Von der schöpferischen Macht der Sprache und der dämonischen Kraft der Presse ...............................................................................

126 126 141 143 146

3. Zusammenfassung: Der Dualismus zwischen Presse und Sprache ..................................... 148 VI.

Bezeichnungen im Diskurs ...................................................................................................... 153 1. Einige Vorüberlegungen ..................................................................................................... 153 2. Schweine-Deutsch! - Verzeihung Zeitungs-Deutsch .......................................................... 153 3. Die Journalisten als Verursacher des Zeitungsdeutsch ....................................................... 157 4. Zusammenfassung: Die ‚Lohnarbeit‘ und der ‚Lumpen-Jargon‘ der Presse ....................... 159

VII. Argumentationen im Diskurs .................................................................................................. 161 1. Methodisches Vorgehen ..................................................................................................... 161 2. Die Definition der Topoi .................................................................................................... 2.1 Das Sprachverständnis der Kritiker ............................................................................ 2.2 Die zeitgenössische Sprachverwendung ..................................................................... 2.3 Die Presse im Kontext des Sprach- und Gesellschaftsverständnisses ......................... 2.4 Zusammenfassung: Die Verteilung der Topoi im Diskurs ..........................................

164 164 170 179 201

Inhaltsverzeichnis

7

3. Zusammenfassung: Die dominanten Topoi des Diskurses ................................................. 216 VIII. Positionen und Konfliktlinien des Diskurses ........................................................................... 219 1. Die Presse im Spannungsfeld nationaler Bestrebungen (1800–1849) ................................ 1.1 Sprache und Nation ..................................................................................................... 1.2 Sprache und Denken ................................................................................................... 1.3 Presse und Öffentlichkeit ............................................................................................ 1.4 Zusammenfassung: Die Presse – Bildungsmedium der Masse ...................................

219 219 224 232 236

2. Die Presse – Industrialisierung von Sprache und Literatur (1850–1869) ........................... 2.1 Sprache und Denken ................................................................................................... 2.2 Sprache und Interaktion .............................................................................................. 2.3 Presse und Gesellschaft – „Die Presse, ein Stück moderner Versimpelung“ .............. 2.4 Die Besonderheit des medialen Sprachgebrauchs ....................................................... 2.5 Zusammenfassung: Die Presse – Sinnbild gesellschaftlicher Entwicklungen .............

240 240 248 254 259 262

3. Die Presse – Quelle der Sprachverwilderung oder Begründerin der Öffentlichkeitssprache? (ab 1870) ...................................................................................... 3.1 Der „Niedergang der Sprache“ und der Sieg des „großen Papiernen“ ........................ 3.2 Die Verwilderung der Sprache und des Geistes .......................................................... 3.3 Der Wandel der Sprache ............................................................................................. 3.4 Presse- und Öffentlichkeitssprache .............................................................................

269 269 272 286 291

4. Zusammenfassung: Die Zeitungen – Zeugnis und „Maßstab für den augenblicklichen Stand unseres [Sprach- und] Geisteslebens“ ...................................................................... 4.1 Sprach- und Bildungsverfall ....................................................................................... 4.2 Das wissenschaftlich reflexive Verständnis vom Wandel der Sprache ....................... 4.3 Die Entstehung der Medienwissenschaft .................................................................... 4.4 „Oh, dieses Zeitungsdeutsch“ als Spiegel der zentralen Positionen des Diskurses .....

303 304 312 314 316

IX.

Zusammenfassung ................................................................................................................... 318

X.

Anhang .................................................................................................................................... 332 1. Tabellarische Darstellung des ersten Teilkorpus (1800–1849) ........................................... 332 2. Tabellarische Darstellung des zweiten Teilkorpus (1850–1869) ......................................... 336 3. Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870) ................................................ 340

XI.

Index und Verzeichnisse ......................................................................................................... 353 1. Literatur .............................................................................................................................. 1.1 Quellen ........................................................................................................................ 1.2 Zeitungen .................................................................................................................... 1.3 Sekundärliteratur .........................................................................................................

353 353 359 360

2. Tabellen .............................................................................................................................. 369 3. Abbildungen ....................................................................................................................... 371 4. Personen ............................................................................................................................. 372 Dank ................................................................................................................................................. 375

I. Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

1. Emil Löbl: Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch

1

[1] Es goss in Strömen. See, Berge und Himmel verschwammen in einem einzigen, monotonen, unterschiedslosen Grau. Wir fühlten mit Schrecken, wie die dunklen Fittige der Langeweile ob unseren Häupten sich herniedersenkten, und um der bösen Gefahr, gemeinsam zu begegnen, hatten wir, Männlein und Weiblein, uns auf der großen Villenterasse unseres Freundes, eines Wiener Advokaten, versammelt, während rückwärts im Salon die Frau des Hauses mit mehreren anderen Damen eine Partie „Angehen“ entrierte. Wie unter solchen Umständen begreiflich, sprachen wir von Lenz und Liebe, d.h. vom Lenz, der dieses Jahr so verregnet war, und von der Liebe der Frau X zu dem Oberleutnant Z. Dieser letztere Gegenstand bildete zwar seit drei Wochen den hervorragendsten Gesprächsstoff in unserer Sommerfrische, und ich hatte gemeint, derselbe sei so ziemlich von allen Seiten zur Genüge beleuchtet worden. Allein die Damen unserer Gesellschaft verstanden es, die Angelegenheit stets von neuen Gesichtspunkten zu betrachten. Heute erörterten sie mit diabolischem Scharfsinn die Frage, ob es Absicht oder Zufall sei, dass der soeben aus Wien eingelangte neue Hut der Frau X Bänder aufweise, deren Farbe völlig identisch sei mit jener der Aufschläge am Waffenrocke des Oberleutnants. Die Diskussion war so anregend, dass ich langsam, aber sicher in ein angenehmes Schläfchen hinüberzu„dumpern“ drohte, als urplötzlich ein jäher Aufschrei die Diskussion und mein beginnendes Schläfchen entzweischnitt. [2] Einer aus unserer Gesellschaft, ein Gymnasiallehrer, der etwas abseits in der Veranda-Ecke eine Zeitung gelesen hatte, sprang nämlich mit wildem Satze auf und stieß einen unartikulierten Schrei der Verzweiflung aus, indem er gleichzeitig mit allen Anzeichen des Entsetzens das Journal auf den Tisch warf.

1

Die 1892 in der Zeitschrift für deutsche Sprache erschienene Erzählung Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch des Journalisten Emil Löbl wird in gekürzter Fassung zu Beginn der Untersuchung aufgeführt, da sie die Grundlage derselben bildet. In ihrer Besonderheit, gleichzeitig Teil und Spiegel des zu analysierenden Diskurses zu sein, wird sie in den einzelnen Analyseschritten beispielhaft zur Veranschaulichung des Vorgehens herangezogen. Werden Zitate aus Löbls Erzählung aufgeführt, finden sich neben den Seitenangaben des Originaltextes auch Angaben zu der hier vorgenommenen Einteilung in Abschnitte, die durch eckige Klammern gekennzeichnet sind. Nicht allein Zitate Löbls, sondern auch Aussagen anderer Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts werden von Beginn an in die vorliegende Untersuchung eingebunden.

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert Eine Menge fragender Blicke, die auf den Unglücklichen eindrang, belehrte ihn, dass wir uns über die Gründe seiner Emotion nicht ganz klar waren. Er wies nun auf eine bestimmte Stelle des Blattes, zog an derselben mit dem Nagel des rechten Daumens einen tiefen Strich und rief mit gen Himmel gewendeten Augen: [3] „Oh, dieses Zeitungsdeutsch! Dieses unselige Zeitungsdeutsch!“ [3.1] Jetzt verstanden wir. Der Professor war „geprüft für Deutsch und Geschichte“ und es war nicht schwer, zu vermuthen, dass irgend eine missrathene Zeitungsphrase, irgend ein Schlingel von einem schiefgewickelten Satzbau dem Ärmsten empfindlich auf seine philologischen Hühneraugen getreten war. [3.2] Wir nahmen den Missethäter in Augenschein. Da, links unten, Spalte 1, Zeile 7, fanden wir ihn in seiner ganzen Niedertracht, schwarz auf Weiß. Es hieß dort: „Der Selbstmörder hatte sich mit einem einzigen, wohlgezielten, Schusse durch die Schläfe getödtet und eilte sofort in Folge der Detonation das Stubenmädchen herbei, welches jedoch nur mehr eine Leiche antraf.“ [3.3] Die Anwesenden waren tief entrüstet, fast noch tiefer als über das Hutband der Frau X. Ja, noch mehr, man hatte in Folge des aufregenden Zwischenfalls an das Hutband ganz vergessen. [3.4] „Also ist Das nicht unerhört?“ rief der Professor. Der Selbstmörder hatte sich zuerst getödtet und eilte dann sofort ...“ „Aber Das war ja das Stubenmädchen und nicht der Selbstmörder“, warf schüchtern Hans, der vierzehnjährige Sohn des Hausherrn, ein. „Geh‘, Du Kreuzköpfel“, erwiderte der Professor erregt, „so meint es ja auch der Zeitungsschreiber, der Das geleistet hat. Aber da sich bei diesen Herren die verruchte Unart herausgebildet hat, nach jedem „und“ Subjekt und Prädikat umzustellen, so kommt ein solches Kauderwälsch heraus, bei dessen Anblick einem die Haare zu Berge stehen. ...“ [3.5] „Ja wohl“, bemerkte eine junge Schriftstellerin, welche für eine Hausfrauen-Zeitung Kochrecepte und Rebus-Auflösungen verfasst; „ja wohl, es ist unverantwortlich, wie die Tageblätter unsere schöne Sprache korrumpieren“, und der vierzehnjährige Hans warf mit accentuiertem Stolze ein: „Ich stelle niemals Subjekt und Prädikat um“. [3.6] Das Fehmgericht über das schlechte Zeitungsdeutsch nahm seinen Fortgang; auch die neujährige Haustochter nahm bereits an dem Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil der Journale Theil, und weiß der Himmel, wie lange noch die Sache fortgegangen wäre, wenn nicht plötzlich der Hausherr, der bislang schweigend zugehört, mit einer kühlen Douche gekommen wäre. [4] „Es wird angezeigt sein“, bemerkte er, „sich etwas zurückhaltender zu äußern, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir“ – hiebei deutete er lächelnd auf mich – „einen Zeitungsmann in unserer Mitte haben“. Augenblicklich trat verlegenes Schweigen ein; die frühere laute Entrüstung wich peinlicher Stille. [5] Der beste Ausweg war, wenn ich selbst das Wort ergriff. [5.1] „Sie würden gerechter urtheilen“, sagte ich, „wenn Sie die thatsächlichen Verhältnisse besser kennten. Ich gebe ohne weiters zu, dass wir in vielen Tagesblättern von Zeit zu Zeit bösartige Verstöße gegen oft ganz elementare Regeln unserer Sprache finden. Aber nachdem

Emil Löbl: Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch Sie mit so blindem Eifer gegen die Zeitungen losgegangen sind, werden Sie gestatten, dass ich auf mildernde Umstände plädiere. [5.2] Bedenken Sie, dass ein erheblicher Theil des Textes jeder Zeitungsnummer in hastiger Eile, im Drange des Augenblicks hergestellt werden muss, dass der Leiter der Setzerei oft Blatt für Blatt das Manuscript dem Schreibenden aus den Händen reißt, so dass der letztere nicht einmal Zeit findet, das Geschriebene auch nur einmal durchzusehen. Dass hiebei Entgleisungen der Feder vorkommen, ist begreiflich und entschuldbar, wenn man es nicht geradezu gerechtfertigt findet. [5.3] Man hat sich aber gewöhnt, mit den Zeitungen besonders strenge ins Gericht zu gehen und sie als Träger der Sprachkorruption hinzustellen. [5.4] Ihr Urtheil würde milder ausfallen, wenn Sie gewohnt wären, alle übrigen Druckwerke, die Sie lesen, mit strengen Argusaugen auf die sprachliche Korrektheit hin zu prüfen. ...“ [6] „Thatsachen!“ rief der noch immer ergrimmte Gymnasiallehrer. „Bringen Sie Thatsachen!“ „Gut, ich kann auch mit solchen dienen. Ich will eine der auffallendsten Ihnen demonstrieren, weil wir zufällig im Hause eines Advokaten sind und ich somit Gelegenheit habe, sie Ihnen schwarz auf Weiß vorzuführen. Sehen Sie dort rückwärts im Salon die vier Damen am Spieltisch?“ [...] „Es wird Ihnen vielleicht nicht Allen bekannt sein, dass das „Angehen“ ein verbotenes Hazardspiel ist und unter die Strafbestimmung des § 522 des österreichischen Strafgesetzbuches fällt. ...“ [...] „Aber was hat § 522 mit der deutschen Sprache zu tun?“ „Ja, richtig!“ besann ich mich. „Herr Doctor, darf ich um Ihr Strafgesetzbuch bitten?“ [7] Der Advokat reichte mir das Verlangte und ich schlug den Paragraphen auf, den ich zur Verlesung brachte: [7.1] „Das Spiel aller Hazardspiele“, heißt es dort, „unterwirft alle Spielenden der Strafe von 10 bis 900 Gulden, wovon das eingebrachte Drittheil dem Anzeiger zufällt, und, wäre er selbst im Falle der Strafe, auch diese ganz nachgesehen wird“. [7.2] Kaum war ich mit der Verlesung zu Ende, stieß der Professor ein empörtes „Brrr!!“ aus. „Sie finden diese Strafbestimmung sehr barbarisch?“ fragte ich. „Die Fassung des Satzes ist noch barbarischer“, entgegnete er. „Schauderhaft! Wie kann man nur so ein Scheusal konstruieren! Das „wovon“ bezieht sich doch auf die 10 bis 900 Gulden, und nun sagt das Gesetz, dass von diesen so und so viel Gulden „auch diese“, d.h. die Strafe, ganz nachgesehen wird. Das ist ja eine ganz verdrehte und windschiefe Satzbildung!“ [7.3] „Na, sehen Sie? Und Das ist keine flüchtig hingeworfene Zeitungsnotiz, kein in drängender Hast geschriebener Artikel, sondern ein Gesetz, an dessen Fertigstellung Wochen, Monate, Jahre gearbeitet worden, gearbeitet von Gelehrten, die auf der Höhe der Bildung ihrer Zeit standen, ein Gesetz, welches bis zu seinem Perfektwerden der prüfenden Kritik Hunderter von Männern unterzogen wurde, denen man die Fähigkeit zutrauen sollte, grobe sprachliche Verstöße zu erkennen ... Doch ich hatte nicht die Absicht, Ihnen das Strafgesetz als corpus delicti vorzuführen; nur der Zufall, dass mein Auge die Angehpartie dort rückwärts entdeckte, veranlasste mich, dieses Beispiel zu wählen. Ich wollte drastischere Fälle zeigen. Unter allen Gesetzen stehen an einschneidender Bedeutung die Verfassungsgesetze am höchsten. Sie bilden das Fundament der staatlichen Ordnung und des öffentlichen Lebens, sie sind bestimmt, auf lange Jahre hinaus in Geltung zu bleiben, von ihnen kann man also berechtigterweise verlangen, dass

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert sie in sprachlicher Hinsicht absolute Tadellosigkeit und vollendetste Korrektheit aufweisen. Zudem sollten der komplicierte parlamentarische Apparat, den ein Gesetz zu passieren hat, und die weitreichende Öffentlichkeit der Behandlung wie ein Sieb wirken, in welchem schließlich nur etwas wenigstens formell und stilistisch Unanfechtbares zurückbleibt. Schon der Entwurf wird sorgfältig ausgearbeitet, er gelangt zur Kenntnis des ganzen Volkes, wird öffentlich erörtert, jeder Satz, jede Zeile, jedes Wort wird in den Kommissionen und den Volksversammlungen der Häuser des Parlaments eingehend geprüft, ein Areopag aus der Blüthe der Intelligenz der Nation sitzt darüber zu Gericht – und das Ergebnis? Ein Werk, das gleichfalls über Anfechtungen nicht erhaben ist. ...“ [8] Diese Bemerkungen wurden nicht ohne Kopfschütteln aufgenommen. Die Gesellschaft wollte Beweise. Ich langte aus der Büchersammlung des Advokaten einen Band hervor, betitelt: „Die Staatsgrundgesetze. Reichsverfassung und Landesverfassungen“, und brachte Folgendes zur Verlesung: [8.1] „Gesetz vom 21. December 1867, Nr. 146 R.G.B., betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung. § 36: „Die Vereinbarung in Betreff jener Gegenstände, welche ... nach gemeinsamen Grundsätzen geregelt werden sollen, erfolgt ... dadurch, dass die beiden Vertretungskörper jeder aus seiner Mitte eine gleich große Deputation wählen, welche ... einen Vorschlag ausarbeiten, welcher Vorschlag dann jedem Vertretungskörper jeder mitgeteilt, von denselben ordnungsmäßig behandelt und die übereinstimmenden Beschlüsse beider Vertretungen dem Kaiser zur Sanction unterbreitet werden.“ [8.2] Der Professor sprang auf, wie von einer Tarantel gestochen. „Das steht in einem Gesetze?!“ rief er. „Wie Sie sehen, sogar in einem Verfassungsgesetze“. „Aber wie kann man denn“, fuhr er wehklagend fort, „in einen Relativsatz, der schon ein Subjekt hat, nämlich „welcher Vorschlag“, urplötzlich ein zweites Subjekt, die „übereinstimmenden Beschlüsse“, hineinschmuggeln? Wenn mir das einer meiner Quartaner anstellt, kriegt er einen Sechser. ...“ [8.3] „Nicht zu vergessen“, ergänzte ich, „dass derselbe Satz einen zweiten sprachlichen Fehler aufweist. „Welcher Vorschlag“ ist undeutsch. Wir sagen: „Ein Vorschlag, welcher“. Das Erstere ist ein Latinismus. Die Römer würden sagen: Quae conditio, und dieser Verstoß erklärt sich eben daher, dass unsere Gesetzgeber großentheils humanistische Bildung genossen haben und mit lateinischen Redewendungen ganz durchtränkt sind. ... Aber setzen wir unsere Blumenlese fort. [...] [8.4] „Sie sehen“, bemerkte ich, „Das ist beinahe so arg wie Zeitungsdeutsch. [...] [9] In diesem Augenblicke drangen vom See-Ufer herauf Damenstimmen. „Die Sonne ist da! Auf zum Rudern!“ Jetzt erst bemerkten wir, dass die Terrasse leer war, dass die Damen, gelangweilt durch unsere linguistischen Untersuchungen, eine nach der andern sich weggestohlen und uns mitsammt unserer philologischen Vernichtungsarbeit allein gelassen hatten. Wir erhoben uns und schritten gleichfalls zum See hinab. Auf dem Wege noch sagte ich zum Professor:

Die Problemstellung

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[10] „Die sprachlichen Entgleisungen, deren einige wir heute in unseren Gesetzen aufgestöbert haben, finden Sie eben so und noch zahlreicher in den Gesetzbüchern des deutschen Reiches. Man hat also wenig Ursache, just nur immer über die armen Zeitungen ein Scherbengericht zu halten. [10.1] Die Wahrheit ist, dass im deutschen Schriftthum überhaupt, in Buch und Zeitung, in der wissenschaftlichen und belletristischen Litteratur immer mehr die feine Empfindung für sprachliche Korrektheit und stilistische Formenschönheit dahinschwindet, die Sorglosigkeit und Verschlampung immer mehr zunimmt. Da dürfen wir uns Alle an der Nase fassen. Unser Aller Schuld ist die gleiche. [10.2] Die Sprache ist uns zumeist gerade nur gut genug, um recht und schlecht unsere Gedanken oder auch Gedankenlosigkeiten zum Ausdruck zu bringen, die Wenigsten aber denken heute noch daran, die Sprache als den reichen Schatz formaler Schönheiten zu ehren und zu pflegen, die Handhabung der Sprache als Kunst zu üben. Wir müssen endlich in uns gehen und so rasch als möglich Wandel schaffen. [10.3] Der schlechteste Weg aber hiezu ist es, die armen Zeitungen zum Sündenbock zu machen und mit pharisäischem Augenaufschlag zu rufen: „Herr, ich danke, dir, dass ich nicht bin wie Jene. [11] Der Professor schwieg.2

2. Die Problemstellung „Oh dieses Zeitungsdeutsch! Dieses unselige Zeitungsdeutsch!“ (Löbl 1892: 334) Dieser empörte Ausruf eines Zeitung lesenden Gymnasiallehrers durchbricht die eintönig trist anmutende Ruhe in einer Gesellschaft, die sich zum nachmittäglichen gemeinsamen Zeitvertreib zusammengefunden hat. Er bietet den Anwesenden einen anscheinend willkommenen Anlass, ihre oberflächlichen Gespräche über „Lenz und Liebe“ (Löbl 1892: 333) zugunsten einer kontroversen Diskussion über den Sprachgebrauch der Zeitung und ihres Einflusses auf die deutsche Sprachentwicklung zu beenden. In der Wahl der an der Diskussion beteiligten Personen, ihrer Positionen und Argumentationen zeichnet Emil Löbl in seinem 1892 erschienenen Text ‚Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch‘ erzählerisch das gesellschaftliche Denken seiner Zeit über die Zeitung, ihre Sprache, den Zustand und die Entwicklung des Deutschen nach. Entstanden ist Löbls Erzählung in jenem Zeitraum deutscher (Sprach-)Geschichte, in welchem sich infolge sozioökonomischer Prozesse wie der Industrialisierung, Modernisierung und Urbanisierung die Sozialstruktur in Deutschland grundlegend veränderte; in einem Jahrhundert des politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und soziokommunikativen Wandels, in dem die Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache (Cherubim/Mattheier 1989) geschaffen wurden und die Sprachgeschichtliche[n] Wurzeln 2

Sofern Wörter oder Wortgruppen aus den zitierten Quellentexten ausgelassen oder hinzugefügt werden, wird dies durch eckige Klammern ([…] oder [Wort/Wortgruppe]) gekennzeichnet. Kursivierungen oder Sperrungen sind, sofern nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, Eigenarten der Quellentexte. Diese werden in ihrer originalen Form zitiert, d.h. auch eventuelle Abweichungen von den aktuell gültigen Regeln der Rechtschreibung und Grammatik werden nicht korrigiert.

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

des heutigen Deutsch (Wimmer 1991) zu finden sind. Der notwendigen sozialen Anpassung an die sich wandelnde Gesellschaft entsprach eine sprachliche Anpassung, die sich unter anderem in der Ausbildung von Fach- und Gruppensprachen, der Entstehung von Umgangs- und Regionalsprachen, in der Zurückdrängung der Mundarten zugunsten gemeinsprachlicher Formen und in der Herausbildung einer Öffentlichkeitssprache zeigte. Träger dieser Entwicklung[en] war zu einem erheblichen Teil die Zeitung, die im 19. Jahrhundert von einem Medium, das schon zu Jahrhundertbeginn erstaunlich weit verbreitet war, zum Massenmedium avancierte. (Püschel 1998: 360)

In der heutigen Sprachgeschichtsforschung wird der Presse eine hohe Bedeutung beigemessen als einem Medium, welches nicht nur zuvor auf einen engen Kreis an Eingeweihten beschränkte Sprachformen verbreitet, sondern auch eigene sprachliche Besonderheiten schafft, kurzum, zur Verbreitung und Veränderung sprachlicher Normen, „zumindest seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur Verbreitung und Stabilisierung der geschriebenen Sprache beiträgt“ (Püschel 1998: 362).3 Möchte man die sprachhistorische Wichtigkeit der Zeitung als einen Baustein schriftsprachlicher Standardisierungsprozesse umfassend darstellen, so ist nicht allein zu fragen, wie sie sich in wechselseitig wirkender Beeinflussung mit den gesellschaftspolitischen und soziokommunikativen Wandelprozessen entwickelte oder wie sie inhaltlich und sprachlich gestaltet war, um Einfluss auf den Sprachgebrauch ihrer stetig zunehmenden Leserschaft zu nehmen. Von Interesse ist auch und vor allem die zeitgenössische Wahrnehmung und Beurteilung des Mediums, welches als „Indikator und Katalysator sprachlicher und kultureller Entwicklungen“ (Dahmen 2006: VII) gilt und wegen der Aktualität im Zeitkontext, [der] lexikalische[n] Kreativität und [der] relative[n] Nähe zur gesprochenen Sprache [...] eine ausgezeichnete Grundlage für sprach-, kultur- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen [bietet]. (ebd.)

Die folgende Untersuchung trägt der Frage nach dem Sprachgebrauch der Zeitung und ihrem Einfluss auf (standard-)sprachliche Entwicklungen insofern Rechnung, als sie das zeitgenössische Denken über die Zeitung in jenem Zeitraum der Sprachgeschichte in den Blick nimmt, in welchem „täglich neue Dinge [entstehen] und mit denselben neue Wörter, und wo man nicht flugs das neue Wort findet, da prägt man ein altes zu neuem Werte um“ (Riehl 1848: 394). Im Mittelpunkt des Interesses der folgenden Untersuchung steht folglich das Thema der Wechselwirkung zwischen dem Sprachgebrauch der Presse und der (Standard-) Sprachentwicklung im 19. Jahrhundert, das verfolgt wird, indem das zeitgenössische Denken, der gesellschaftliche Diskurs über jene Wechselwirkung rekonstruiert wird. Den Forschungsgegenstand konstituiert folglich der zeitgenössische Diskurs über die Wechselwirkung zwischen der Pressesprache und der (Standard-)Sprachentwicklung, 3

Eine ausführliche Darstellung der Wechselwirkung von Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklung findet sich in Kapitel III.

Die Problemstellung

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wobei nicht allein sprachkundlich fundierte Äußerungen von Interesse sind, sondern auch und vor allem subjektiv ideell geprägte Aussagen. Dass die kritischen Betrachtungen des Sprachgebrauchs der Zeitung im 19. Jahrhundert nicht allein darauf abzielen, die kommunikative Funktionalität der Presse innerhalb des deutschen Sprachsystems zu hinterfragen, zeigt die Erzählung Löbls. Während der die Diskussion eröffnende Gymnasiallehrer zunächst die Syntax der Zeitung an einem konkreten Beispiel kritisiert, die wegen ihrer vermeintlich fehlerhaften Konstruktion das Verständnis des Textes erschwere4, stimmen bald die anderen Anwesenden in diesen „Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil der Journale“ (Löbl 1892: 335) ein. Ist die Position des Lehrers in der Löbelschen Erzählung, der sich aufgrund seines Berufes täglich mit der Sprache und ihren Gesetzen auseinandersetzt, noch am ehesten durch eine grammatikalische Bestimmung, eine sprachkundlich fundierte Kritik des medialen Sprachgebrauchs geprägt, so wertet die Schriftstellerin mit ihrem ideell aufgeladenen, pauschalen Einwurf, dass „die Tageblätter unsere schöne Sprache korrumpieren“ (Löbl 1892: 335), die Zeitung zu einem Sündenbock ab, der Schuld an einem vermeintlichen Sprachverfall sei. Auf eine weitere Position innerhalb der Diskussion über das ‚Zeitungsdeutsch‘, die wegen der regen Beteiligung aller als gewohnter Zeitvertreib erscheint, leitet schließlich der Hausherr über. Er erscheint, indem er auf die journalistische Position hinweist, als Vermittler, der auch im privaten Rahmen seinem beruflichen Amt als Anwalt gerecht wird, vor der Verurteilung eines Angeklagten den Tatbestand detailliert und reflektiert zu begutachten (vgl. Löbl 1892: 335, [4]). Eine eher reflektierte Sichtweise vertritt schließlich auch der Journalist, der sich der Fehlerhaftigkeit der Zeitung durchaus bewusst ist, aber versucht, deren Ursachen ebenso zu ergründen wie die Frage zu beantworten, weshalb die Zeitung zum Sündenbock jeglicher Sprachfragen wird (vgl. Löbl 1892: 335, [5]). Seine Beweisführung lässt schließlich erahnen, dass die Zeitung zumeist nicht Quelle sprachlicher Unstimmigkeiten ist, sondern dass sich syntaktische oder lexikalische Besonderheiten, für die die Presse verantwortlich gemacht wird, beispielsweise in Fachsprachen wie der der Juristen finden. Diese sind der Öffentlichkeit aber nicht bekannt, da sie nur einer kleinen Zahl an Eingeweihten zugänglich sind. Der in der Öffentlichkeit stehenden Zeitung werden hingegen zahlreiche Konstruktionen als ihr spezifisch bzw. ursprünglich zugeschrieben, obwohl sie anderen sprachlichen Existenzformen entnommen sind (vgl. Löbl 1892: 336, [7f.]). Löbls Erzählung, die der Gesellschaft seiner Zeit in der kontroversen Behandlung der Frage nach der sprachlichen Gestaltung und dem Einfluss der Zeitung einen Spiegel vorzuhalten scheint, ist für die vorliegende Untersuchung von doppeltem Interesse. Einerseits ist Löbls Text Teil des Diskurses, insofern er die Position eines Autors im Gesamtdiskurs darstellt und sich an ihm nach differenzierter Analyse Rückschlüsse auf 4

Zu den von den Diskursteilnehmern subjektiv wahrgenommenen Fehlern der Zeitung vgl. Kapitel VIII.

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

die Einstellung, Argumentation und Motivation seines Autors Emil Löbl ziehen lassen. Dass dieser in seinem Text das gesellschaftliche Denken seiner Zeit über die Zeitung, ihre Sprache, den Zustand und die Entwicklung des Deutschen nachzeichnet, indem er die Diskussion in privatem Kreise als routinierten Zeitvertreib darstellt, scheint ein Indiz für die Aktualität der Debatte im sozialhistorischen Zeitraum des 19. Jahrhunderts zu sein. Andererseits reflektiert er den zeitgenössischen Diskurs erzählerisch.5 Die auftretenden Personen, ihre Positionen und Argumentationen innerhalb der privaten Diskussion werden deshalb immer wieder beispielhaft für den zu untersuchenden Diskurs herangezogen. So stellt sich nach dieser ersten kurzen Betrachtung der Erzählung die Frage, welche Personen oder Gruppen an dem Diskurs über die Presse und ihren Einfluss beteiligt sind und welche linguistischen, pragmatischen oder ideellen Kritikpunkte sie im Rahmen des Diskurses vorbringen. Dass Löbl einen Gymnasiallehrer und einen Journalisten als „Haupt“-Diskussionsteilnehmer wählt, lässt vermuten, dass diese beiden Berufsgruppen im Diskurs am ehesten vertreten sind. Ihre potentielle Dominanz im Diskurs, ihre berufliche Gruppenzugehörigkeit ebenso wie ihre unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung des medialen Sprachgebrauchs lassen sich auf einen intensiven, aber sehr unterschiedlichen täglichen Umgang mit Sprache zurückführen. Diskutiert werden soll folglich nicht allein, welche Positionen und Gegenpositionen sich in dem Diskurs herauskristallisieren, sondern auch, welchen sozialen Gruppen diese zuzuordnen sind. Davon ausgehend, dass das Denken über die Sprache ein soziales Konstrukt ist, welches von den sozialen Kontexten – wie beispielsweise der sozialen Stellung oder dem Beruf der Diskursteilnehmer – determiniert wird, liegt dieser Frage folgende Hypothese zugrunde: 1. Vor allem wegen des unterschiedlichen Umgangs mit Sprache in Alltag und Beruf konzentrieren sich die Diskursteilnehmer auf unterschiedliche Kritikpunkte und nehmen unterschiedliche Positionen in der Beurteilung der Presse und ihres Einflusses ein. Da für die Prägung der Positionen auch der historische Kontext, in welchem sich die Diskursteilnehmer über Presse und Sprache äußern, entscheidend sein kann, ist für die Untersuchung eine zweite Hypothese von Interesse: 2. In unterschiedlichen historischen Kontexten konzentrieren sich die Diskursteilnehmer auf unterschiedliche Kritikpunkte und nehmen unterschiedliche Positionen in der Beurteilung der Presse und ihres Einflusses ein. Wie bereits erwähnt wurde, gilt das 19. Jahrhundert aus gesellschaftspolitischer, sprachlicher und medialer Sicht als Jahrhundert des Umbruchs und des Wandels. Vor allem Umbruchperioden sind dadurch geprägt, dass bisher gültige Konventionen – seien es sprachliche, soziale, kulturelle oder politische – nicht mehr eingehalten werden können,

5

Zur Bestimmung des Terminus ‚Diskurs‘ vgl. Kapitel II.

Die Problemstellung

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während neue Konventionen noch nicht formuliert und etabliert sind. Oftmals wird „die Differenz zwischen früher einmal gesetzter und jetzt nicht mehr erfüllbarer Norm als Verlust bewertet“ (Koopmann 1991: 307), eng nebeneinander stehen die Ideen des Niedergangs und des Fortschritts. Der Zwiespalt und die Unsicherheit der Zeitgenossen, einerseits am gewohnten Alten festhalten zu wollen, andererseits fortschrittliches Neues zu schaffen, kann schließlich in einem Gefühl der Handlungs- und Sprachunfähigkeit münden. Wird die soziokulturelle Identität in Zeiten des Umbruchs in Frage gestellt, so gerät auch ihr Ausdrucksmittel und Symbol, die Sprache, in einen fragwürdigen Zustand.6 Das sprachliche Unvermögen und das damit einhergehende Gefühl eines sprachlichen Verfalls werden auch in Löbls Text von dem Journalisten kommuniziert, der seine die Zeitung verteidigende Beweisführung mit den Worten schließt: Die Wahrheit ist, dass im deutschen Schriftthum überhaupt, in Buch und Zeitung, in der wissenschaftlichen und belletristischen Litteratur immer mehr die feine Empfindung für sprachliche Korrektheit und stilistische Formenschönheit dahinschwindet, die Sorglosigkeit und Verschlampung immer mehr zunimmt. [...] Die Sprache ist uns zumeist gerade nur gut genug, um recht und schlecht unsere Gedanken oder auch Gedankenlosigkeiten zum Ausdruck zu bringen, die Wenigsten aber denken heute noch daran, die Sprache als den reichen Schatz formaler Schönheiten zu ehren und zu pflegen, die Handhabung der Sprache als Kunst zu üben. (Löbl 1892: 339)

Eng verknüpft mit dem Denken über die Sprache ist folglich das Denken über andere kulturelle und gesellschaftliche Phänomene. Um zu ergründen, welche Rolle den Medien in diesem sprach- wie kulturkritischen Diskurs – eventuell als „Sündenbock“ (Löbl 1892: 339, [10.3]) – zugesprochen wird, und um die Inhalte des Denkens über die Zeitung und ihre Sprache zu rekonstruieren, ist es daher erforderlich, die historischen, kulturellen und sozialen Kontexte der Kritik in ihrem Zusammenspiel mit den medialen Entwicklungen zu betrachten.7 Da sich historische Aussagen nicht auf Basis unseres heutigen Gesellschafts-, Medien- und/oder Sprachverständnisses analysieren lassen, gilt es, den Untersuchungszeitraum des 19. Jahrhunderts als historische Epoche, als soziohistorischen Rahmen des Diskurses genau zu erfassen, um einen Zusammenhang zwischen Sprach-, Kultur- und Medienkritik nachvollziehen zu können. Auf Grundlage der Kenntnis des soziohistorischen Rahmens lässt sich schließlich die Frage nach den Ursachen, Motivationen, Zielen und Funktionen der Kritik stellen. Aus dem Wissen, dass sich die Zeitung im 19. Jahrhundert zu einem massenwirksamen Medium entwickelte, lassen sich gleich drei Hypothesen bezüglich der Motivation der Kritik an der Zeitung und ihres Zusammenhanges mit einer Sprach- und Kulturkritik ableiten. Gilt die Zeitung als „Indikator und Katalysator sprachlicher und kultureller Entwicklungen“ (Dahmen 2006: VII), so bedeutet dies, dass sie – spätestens seit ihrer Massenwirksamkeit – den historischen Fortschritt und Wandel nicht nur wider6

7

Inwiefern die Sprache als Identität stiftendes Mittel verstanden werden kann, wird in Kapitel II erörtert. Eine derartige Betrachtung des soziohistorischen Rahmens des Diskurses erfolgt in Kapitel III.

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

spiegelt, sondern diesen vor allem beschleunigt und beeinflusst. In ihrer Außenwirkung kann sie aufgrund dieser Funktion, Spiegel und Motor gesellschaftlicher Entwicklungen zu sein, als Inbegriff jeglicher Veränderungen erscheinen. Als Folge wird die Kritik an den historischen Entwicklungen auf die Zeitung als vermeintliche Quelle des Wandels projiziert: 3. Hinter der kritischen Betrachtung der (sprachlichen) Gestalt der Zeitung verbirgt sich oftmals eine kulturhistorisch motivierte Kritik an den Zeitverhältnissen. Die Zeitung wird hierbei oft auf die Funktion reduziert, Quelle des Wandels zu sein und nicht Spiegel oder Motor der kultur- und sprachhistorischen Veränderungen. Eine weitere Besonderheit des Denkens über Sprache und Medien könnte sich im 19. Jahrhundert daraus ergeben, dass die Zeitung erstmals einen Massenkommunikationsprozess anregt und steuert. Sie verbreitet nicht allein massenhaft Kulturprodukte, die zuvor nur einem kleinen Kreis an Eingeweihten zugänglich waren, sondern vermittelt und prägt gleichzeitig Einstellungen und Verhaltensweisen (vgl. Koszyk 1981: 177): 4. Die kritische Betrachtung der Zeitung resultiert aus dem elitären (Kulturund Sprach-)Denken, die zur Massenkommunikation auffordernde Zeitung trage dazu bei, die zuvor faktisch nur Eliten zugängliche Kultur und Sprache durch den Zugriff der Masse und des Kommerzes zu profanisieren und trivialisieren (vgl. Schmitz 1987: 823). Ebenfalls aus der im 19. Jahrhundert neu gewonnenen kommunikativen Funktion der Zeitung als Massenmedium ergibt sich eine letzte Hypothese. Diese wird zum einen gestützt durch die Beweisführung des Journalisten (vgl. Löbl 1892: 335, [5f.]), dass sich gewisse sprachliche Besonderheiten nicht allein in der Zeitung, sondern auch und vor allem in Fachsprachen fänden, zum anderen durch die Aussage der Schriftstellerin (vgl. Löbl 1892: 335, [3.5]), dass die Sprache einzig durch die Zeitung korrumpiert werde. 5. Die Zeitung als Massenkommunikationsmedium erschließt einer breiten Öffentlichkeit nicht allein die zuvor nur Eingeweihten zugänglichen Bereiche, sondern auch deren (gruppen- oder fach-)spezifische Sprachformen. Bei den Zeitgenossen, die vor den Möglichkeiten der Massenkommunikation als Außenstehende nicht mit diesen sprachlichen Existenzformen in Kontakt kamen, wird so der Anschein geweckt, dass diese Sprachformen zeitungsspezifische Innovationen seien. Der Zeitung, die spätestens seit ihrer Entwicklung zum Massenmedium im 19. Jahrhundert Mittlerin zwischen vorab privaten Bereichen und der neu entstehenden Öffentlichkeit ist, wird deswegen fälschlicherweise die Rolle als Trägerin oder Quelle einer vermeintlichen Sprachkorruption zugeschrieben. Wie die aufgeworfenen Fragen und daraus abgeleiteten Hypothesen zeigen, ist für die vorliegende Untersuchung die Problemstellung leitend, den Diskurs über die Zeitung

Zu Forschung und Vorgehen

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und ihren Sprachgebrauch im 19. Jahrhundert zu rekonstruieren, indem er in den Kontext des Denkens über kulturelle, sprachliche und gesellschaftliche Phänomene gestellt wird. Erkenntnisleitend ist nicht allein die Frage danach, was gedacht oder kritisiert wird, sondern folgender, die bisherigen Überlegungen zusammenfassender Fragenkomplex: Warum denkt und äußert sich wer in dem historisch-sozialen Zeitraum des 19. Jahrhunderts in welcher Weise über die Zeitung, ihre Sprache und ihren Einfluss?8 Stellt die Arbeit die Frage, warum die am Pressediskurs beteiligten Gruppen in dem historisch-sozialen Zeitraum des 19. Jahrhunderts in ihrer spezifischen Weise über die Zeitung und ihre Sprache dachten, so trägt sie in der Beantwortung dieser Frage nicht nur dazu bei, die vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen über die sprachliche Entwicklung unter Einfluss der Zeitung, sondern auch das Denken über die soziale Ordnung, über die soziale Wirklichkeit zu rekonstruieren.

3. Zu Forschung und Vorgehen Zumeist wird das Denken über die Presse und ihre Sprache in Arbeiten, die sich mit den thematischen und problematischen Bereichen der Zeitungskommunikation, ihrer formalen und sprachlichen Gestaltung beschäftigen, nur peripher behandelt. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen wiederholt Kritiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; eine Genese des Denkens in Abhängigkeit von bestimmten historischen Kontexten wird kaum zu rekonstruieren versucht. Textdokumentationen wie jene von Walther Dieckmann (1989) oder Blühm/Engelsing (1967) bieten einen ersten Überblick über vorhandene Materialien zur Geschichte der Sprach- und Zeitungskritik und suchen so „die Untersuchung der Geschichte des Sprachbewusstseins [zu] unterstützen“ (Dieckmann 1989: V). Unter dem Titel Zeitungsdeutsch = Schlechtes Deutsch. Bemerkungen zur Sprache der Presse befasst sich Gerhard Müller (1991) in seinem Aufsatz mit der im 19. Jahrhundert beginnenden und bis zum heutigen Zeitpunkt andauernden Kritik am Sprachgebrauch der Zeitung, indem er typische bekannte Aussagen über die Presse und ihre Sprache – wie beispielsweise jene von Schopenhauer, Nietzsche oder Kraus – aufführt. Auch Dieter Fischer (1983) widmet sich in einem Aufsatz diesen Kritikern und ihren Auseinandersetzungen um die Zeitung und ihre Sprache und verdeutlicht anhand der Stellungnahmen Von Börne bis Kraus, mit welcher Heftigkeit die Diskussion um eine vermeintliche Zeitungssprache 8

Der für die Arbeit zentrale Fragenkomplex orientiert sich an der 1965 von Joshua Fishman formulierten Kernfrage der Soziolinguistik: Who speaks what language to whom and when? (vgl. Fishman 1965).

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

im 19. Jahrhundert geführt wurde. Während sich die Aufsätze Müllers (1991) und Fischers (1983) primär darauf konzentrieren, das Denken einiger weniger Kritiker zu beschreiben, befasst sich Wilke (2003) mit der „historischen Bedingtheit“ (Wilke 2003: 35) der „Debatte über journalistische Qualität“ (ebd.), der Abhängigkeit des Denkens über die Presse von den (medien-)historischen Entwicklungen. Wie Die Presse und ihre Leute im Spiegel der Dichtung in unterschiedlichen historischen Kontexten beurteilt wurden, fragt Karl D’Ester (1941), um zu zeigen, „wie der Dichter die Presse sah, zu der er irgendwie ein Verhältnis gewinnen muss“ (D’Ester 1941: VII). Wie Wilke erkennt er eine Abhängigkeit des – in diesem Falle literarischen – Denkens über die Presse von den historischen (Lebens-)Umständen, denn „auch bei der dichterischen Schilderung einzelner Typen des Journalismus üben der Zeitgeist und die Beziehung der Presse zu den verschiedenen Mächten ihrer Zeit eine entscheidende Wirkung aus“ (D’Ester 1941: VIII). Ebenfalls mit literarischen Werken ausgewählter Autoren über die Presse – in einem kürzeren Untersuchungszeitraum – befasst sich Johanna Bertsch (2000). Mit dem Ziel aufzuzeigen, in wie vielen Varianten Sprachkritik, im Besonderen Pressekritik, in literarischen Texten erscheinen kann, untersucht sie vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus literarische Äußerungen Wider die Journaille, um die wichtigsten Aspekte der Verbindung von Sprach- und Pressekritik in der deutschsprachigen Literatur seit der Mitte des 19. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Im Rahmen einer Einführung in thematische und problematische Bereiche der Zeitungskommunikation widmet auch Erich Straßner (1997), der sich in einigen Arbeiten mit der formalen und sprachlichen Gestaltung der Zeitung befasst, ein Kapitel der Kritik an der Zeitung. In Peter von Polenz‘ (1999) Deutsche[r] Sprachgeschichte findet die Zeitungskritik in Zusammenhang mit der Entwicklung und der Sprache der Massenmedien ebenfalls Erwähnung, da „seit dem frühen 19. Jahrhundert die modernen Kommunikationsmittel eine hervorragende Bedeutung als Medien der Ausbreitung“ (von Polenz 1999: 137) bestehender und neuer Sprachformen haben und man bereits früh „die Wirksamkeit der Zeitung als neues sprachliches Vorbild“ (von Polenz 1999: 504) erkannte. Zwar zeigt der kurze Abriss der Forschungslage, dass die Diskussion um die Zeitung und ihre Sprache in den meisten sich mit der Presseentwicklung und -sprache auseinandersetzenden Untersuchungen Interesse findet, bei den genannten Autoren stehen aber größtenteils Presse- und Stilkritiker im Mittelpunkt, die Pauschalurteile fällen über die „Fehlerhaftigkeit des Stils“ (Börne 1826: 593), den „schlechten Stile“ (ebd.) oder den „schändlichen [Zeitungs-]Jargon“ (Schopenhauer 1856–60: 478). Es handelt sich bei diesen Betrachtungen eher um eine Aufzählung oder Sammlung einiger weniger Stimmen des 19. Jahrhunderts, die eine negative Wirksamkeit der Zeitung als sprachliches Vorbild erkannten und „elitär-emotional erklärten“ (von Polenz 1999: 504), als um eine Untersuchung und Analyse des Denkens über die Wechselwirkung zwischen dem medialen Sprachgebrauch und der Entwicklung der (Standard-)Sprache.

Zu Forschung und Vorgehen

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Da die vorliegende Untersuchung die bisherigen Forschungen um eine ausführliche Rekonstruktion dieses Denkens erweitern möchte, gilt es in einem ersten Schritt, die notwendigen methodischen und terminologischen Grundlagen zu erarbeiten und einzuführen. Reflektiert Löbl erzählerisch das gesellschaftliche Denken seiner Zeit über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss, indem er die Äußerungen einzelner Personen zum Thema in einem privaten (Streit-)Gespräch verknüpft, so lässt dies – wie bereits vermerkt wurde – Rückschlüsse zu, dass ein solches „Gespräch“ auch in einem weiteren Rahmen geführt wurde. Inwiefern sich der Terminus ‚Diskurs‘ anbietet, um ein solches „Gespräch“ terminologisch zu erfassen, soll in dem Abschnitt zur Terminologie und Methode (II) ebenso diskutiert werden wie die Möglichkeiten diskursgeschichtlicher Analyse und ihrer Verfahrensschritte. Von Interesse ist zudem die Einführung einiger Begriffe – wie beispielsweise ‚Mentalität‘, ‚Identität‘ oder ‚Sprachbewusstsein‘, insofern angenommen wird, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen über die sprachliche Entwicklung unter Einfluss der Zeitung eng eingebettet sind in die soziale Wirklichkeit, in die soziale Ordnung. Ob dieser Annahme, dass sprachreflexive wie medienkritische Äußerungen durch den sozialhistorischen Kontext, durch die Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit geprägt und/oder motiviert sind, wird in einem dritten Abschnitt Der soziohistorische Rahmen des Diskurses (III) betrachtet. Hier soll untersucht werden, in welchem Wechselverhältnis die gesellschaftspolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche, die lebenspraktischen Umstellungen des 19. Jahrhunderts mit den medialen, kulturellen und soziokommunikativen Veränderungen stehen. Der Untersuchung des historischen Zeitraums und seiner zentralen medialen, sprachlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen, folgt eine ausführliche Analyse des Diskurses. Zunächst soll hier Das Korpus (IV) als Grundlage der Diskursanalyse vorgestellt werden. Dieser Abschnitt verspricht erste Hinweise darauf, wer sich an dem Diskurs über die Presse und ihren Einfluss beteiligt, welche Einstellungen die Diskursteilnehmer vertreten und wie die Bedeutung der Presse in ihrer wechselseitigen Beziehung zu anderen Themen- und Gesellschaftsbereichen von den Zeitgenossen wahrgenommen wird. Die bildhafte Umsetzung des Denkens über Presse und Sprache steht im Mittelpunkt des Interesses des folgenden Abschnitts. Da Metaphern als „Bausteine unserer Weltsicht“ (Pielenz 1993: 103) die Funktion haben, „den in den Blick genommenen Weltausschnitt kategorisieren zu können“ (ebd.), verspricht die Analyse der Metaphorik des Diskurses (V) weitere Aufschlüsse über den soziokulturellen Erfahrungshintergrund der Diskursteilnehmer, über ihre Einstellung und Standpunkte, über ihr sprachliches Wissen. Da komplexe Vorstellungen und Wertemuster in Schlagwörtern verdichtet werden, diese folglich wie die Metaphern Einstellungen transportieren, werden in einem nächsten Schritt die zentralen Bezeichnungen im Diskurs (VI) genauer betrachtet.

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Die Kritik an den Medien und ihrer Sprache im 19. Jahrhundert

In einem letzten Schritt sollen die zentralen Argumentationen im Diskurs (VII) rekonstruiert, systematisiert und in ihrer diachronen Verteilung und Ausprägung verglichen werden. Die in der Argumentationsanalyse herausgearbeiteten Positionen und Konfliktlinien des Diskurses (VIII) sollen schließlich nochmals an den Texten einiger Diskursteilnehmer beispielhaft zusammengefasst, in ihrer diachronen Entwicklung betrachtet und im Hinblick auf die Hypothesen und den erkenntnisleitenden Fragenkomplex diskutiert werden. Abschließend werden die Ergebnisse und Antworten auf die eingangs gestellten Fragen nochmals in einer Zusammenfassung (IX) vorgestellt.

II.

Terminologie und Methode

1. Vorüberlegungen: Sprache als Medium und Gegenstand gesellschaftlicher Gespräche Besteht das Interesse der vorliegenden Untersuchung darin, Antworten zu finden auf den eingangs erarbeiteten Fragenkomplex, Warum denkt und äußert sich wer in dem historisch-sozialen Zeitraum des 19. Jahrhunderts in welcher Weise über die Zeitung, ihre Sprache und ihren Einfluss, so müssen zunächst geeignete terminologische Präzisierungen und methodologische Herangehensweisen erarbeitet und geprüft werden. Einen ersten Zugang zu Terminologie und Methodik bietet die Betrachtung der eingangs zitierten Erzählung Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch (Löbl 1892: 333), anhand derer die zentralen Fragestellungen und Thesen der Arbeit entwickelt wurden. Reflektiert Löbl – ähnlich dem Interesse der vorliegenden Arbeit – erzählerisch das gesellschaftliche Denken seiner Zeit über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss, so stellt sich hinsichtlich des geeigneten terminologischen und methodologischen Rahmens die Frage, welche Mittel er hierzu einsetzt. Verschiedene zeitgenössische Vorstellungen über Sprache und Presse bringt Löbl zum Ausdruck, indem er in der Schilderung eines sonntäglichen Beisammenseins einer privaten Gesellschaft verschiedene Personen in einer Diskussion über das Thema zu Wort kommen lässt. Der zentralen dialogischen Auseinandersetzung zwischen dem Lehrer und dem Journalisten sind weitere Äußerungen dritter Personen beigereiht, die die zentralen Positionen stützen oder erweitern. So kulminiert beispielsweise die Feststellung des Gymnasiallehrers, dieses „unselige Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 334, [3]) sei fehlerhaft, in der Äußerung der jungen Schriftstellerin, dass diese Fehlerhaftigkeiten sich auf die Qualität der Sprache auswirken, dass „die Tageblätter unsere schöne Sprache korrumpieren“ (Löbl 1903: 335, [3.5]). Der Journalist knüpft zwar an diese Vorstellung an, dass „wir in vielen Tageblättern von Zeit zu Zeit bösartige Verstöße gegen oft ganz elementare Regeln unserer Sprache finden“ (Löbl 1892: 335, [4.1]), relativiert aber die von der Schriftstellerin prognostizierten Folgen für die deutsche Sprache, indem er sich auf die Betrachtung der Zeitung als Ganzes konzentriert, folglich ihre

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Terminologie und Methode

Funktions-, Produktions- und Rezeptionsweise beschreibt. Seine Betrachtungsweise korrespondiert mit der des juristisch gebildeten Hausherrn, der eine objektivere Auseinandersetzung mit dem Thema fordert. Der Einwurf des „schüchternen Hans“, „aber das war ja das Stubenmädchen und nicht der Selbstmörder“ (Löbl 1892: 334, [3.4]) verdeutlicht – eher im Sinne der Beweisführung des Journalisten –, dass die von dem Gymnasiallehrer kritisierte Umstellung von Subjekt und Prädikat zwar unschön sei und er „niemals Subjekt und Prädikat um[stelle]“ (Löbl 1892: 334, [3.5]), die inhaltliche Verständlichkeit aber trotzdem gewahrt bleibe. Dieses Gespräch in einer kleinen privaten Gesellschaft, das durch die Verknüpfung einzelner Äußerungen zum gleichen Thema charakterisiert ist, kann – in einem größeren Kommunikationsrahmen verstanden als ‚Gesellschaftsgespräch‘ – im weitesten Sinne nach Wichter (1999: 274) terminologisch als Diskurs präzisiert werden.9 Wird Diskurs also zunächst als „Menge aller Äußerungen zum gleichen Thema aufgefasst“ (Jung/Wengeler 1999: 143), so sind diese „für die Forschung in reflektiert zusammengestellten Textkorpora zugänglich zu machen“ (ebd.). Den geeigneten methodischen Rahmen, um derartige Äußerungen korpusbasiert zu kategorisieren, um Gesellschaftsgespräche im Hinblick auf den zentralen Fragenkomplex zu erfassen und herauszufinden, inwiefern sich eine Gesellschaft oder eine bestimmte gesellschaftliche Gruppierung über das Thema Presse und Sprache definiert und positioniert, bietet die diskursgeschichtliche Analyse. Zur genaueren Bestimmung des der Arbeit zugrunde liegenden Diskursbegriffes, zur Korpuserstellung und anschließenden Analyse des Diskurses müssen in dem vorliegenden Abschnitt zunächst die in der Linguistik zentralen Diskursbegriffe und Spielarten untersucht und überprüft werden. Ebenfalls bedarf es einer Einführung der Termini Mentalität und Wissen, insofern das Ziel diskursgeschichtlicher Analyse darin besteht, die Denkweisen, das soziale Wissen und die Mentalität von sozialen Gruppen bezüglich eines Themas zu rekonstruieren (vgl. Wengeler 2007: 365f.). Im zentralen Fragenkomplex ist diese Vorstellung, die vorherrschenden gesellschaftlichen Ansichten über die sprachliche Entwicklung unter Einfluss der Zeitung seien eng eingebettet in die soziale Ordnung, in die soziale Wirklichkeit, impliziert in der Teilfrage nach dem Warum. Mittels eines korpusbasierten diskursanalytischen Instrumentariums, eines „regelgeleitete[n] Verfahren[s] zur Erschließung von Diskursen“ (Gardt 2007: 30) ist ein geeigneter Zugang zur Beantwortung der Teilkomponente wer des zentralen Fragenkomplexes gefunden. Um methodisch auf die Teilfrage in welcher Weise zugreifen zu können, bedarf es einzelner Verfahrensschritte der Diskursanalyse.10 Zielt diese Teilfrage 9

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Es ist festzuhalten, dass Diskurs und Gespräch unterschiedliche Kommunikationsarten sind, die allerdings, sofern man Gespräch als ‚Mikrogespräch‘ und Diskurs als ‚Gesellschaftsgespräch‘ auffasst, eine Reihe von Analogien aufweisen (vgl. hierzu Wichter 1999: 274f.). Inwiefern bzw. ob Äußerungen wirklich diskurskonstituierend sind, wird im Rahmen der näheren Bestimmung des der Arbeit zugrunde liegenden Diskursbegriffes erörtert. Diskursanalyse wird in der vorliegenden Arbeit als Methode verstanden, die mittels unterschiedlicher Analyseverfahren einen Zugang zu dem Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Ein-

Vorüberlegungen: Sprache als Medium und Gegenstand gesellschaftlicher Gespräche

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vor allem darauf ab, welche Positionen und Gegenpositionen sich in dem Diskurs herauskristallisieren, so ist festzustellen, bezieht man abermals Löbls Text in die Überlegung ein, dass sich auf der Ebene der Sprach- und Satzstruktur (vgl. Gardt 2007: 31) Positionen aufgrund unterschiedlicher Aussagen, Metaphern und Leitbegriffe oder metasprachlicher Bezeichnungen voneinander abgrenzen lassen. So erscheint beispielsweise das von dem Gymnasiallehrer kritisierte „unselige Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 334, [3]) als zentrale metasprachliche Bezeichnung, als für den Text signifikante Leitvokabel. (Rechts- und kriegs-)metaphorisch untermalt wird diese Position oder werden vielmehr die Beiträge des Lehrers und der Schriftstellerin durch die Schilderung des Erzählers, dass das „Fehmgericht über das schlechte Zeitungsdeutsch [...] seinen Fortgang [nahm]“ (Löbl 1892: 335, [3.6]) und selbst „die neunjährige Haustochter [...] an dem Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil der Journale theil[nahm]“ (ebd.). Geeignete analytische Zugriffsobjekte auf den Diskurs und somit auf den zentralen Fragenkomplex sind neben Aussagen, Leitvokabeln, metasprachlichen Begriffen und Metaphern auf der transphrasischen Ebene Argumentationsmuster oder -topoi, die in den eben aufgeführten Einheiten implizit vorausgesetzt oder explizit ausgedrückt werden. Während die meisten Diskursanalysen „sprachliche Aspekte der politischen Diskussion“ (Jung/Wengeler 1999: 145) dahingehend untersuchen, wie sich gesellschaftliche Wertvorstellungen in Bezeichnungen, Begriffen oder Metaphern sprachlich manifestieren, sich folglich auf die Sprache als Medium konzentrieren, das gesellschaftliche Reflexion und Formation ermöglicht und über welches zeittypische Wissensformationen und -prozesse vermittelt werden (vgl. Warnke 2004: 312), beschäftigt sich die vorliegende Arbeit zudem mit dem über Sprachreflexionen transportierten Verhältnis der Sprecher zur Sprache, demnach mit der Sprache als Gegenstand der Reflexion. Derartige diskursanalytisch zu erfassende sprachreflexive Äußerungen lassen, indem sie Einstellungen zur zeitgenössischen Sprachentwicklung in Wechselwirkung mit der Presse(sprach-)entwicklung wiedergeben, auf das Sprachbewusstsein11 des 19. Jahrhunderts bzw. von sozialen Gruppen des genannten Zeitraums schließen. Nicht zuletzt kann das Sprachbewusstsein eine Rolle bei der Wahl bestimmter Sprachgebrauchsmuster spielen und so ein wesentlicher Faktor des Sprachwandels sein (vgl. Ziegler 1999: 80). Machen Diskursteilnehmer die Sprache wie den medialen Sprachgebrauch selbst zum Gegenstand diskursiver Auseinandersetzung, kann dies auch etwas über die Bedeutung der

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fluss bietet. Inwiefern die Diskursanalyse als „Methode [zu] beschreiben [ist], die aus verschiedenen Einzelschritten besteht“ (Gardt 2007: 39) oder als „Theorie, der bestimmte Methoden zugeordnet sind“ (Gardt 2007: 39), bespricht Gardt (2007). Mattheier (1995: 14f.) betrachtet die Sprachbewusstseinsgeschichte als einen bedeutenden Teilbereich der historischen Soziolinguistik, da die Favorisierung oder auch die Pejorisierung bestimmter Sprachformen durch bestimmte Sprecher zu einem wesentlichen Faktor des Sprachwandels werden können. Inwiefern die Begriffe ‚Sprachbewusstsein‘ und ‚Mentalität‘ qualitativ unterschieden werden, soll im Verlauf des vorliegenden Kapitels erarbeitet werden.

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Terminologie und Methode

Presse für die Sprachentwicklung aussagen, wobei metasprachliche Bewertungen nicht zwingend der Sprachwirklichkeit entsprechen müssen (vgl. Wengeler 1996: 413), so dass der jeweils kritisierte Sprachgebrauch – in diesem Fall jener der Zeitung des 19. Jahrhunderts – unabhängig von den Urteilen der Zeitgenossen untersucht werden sollte. Das Denken der Diskursteilnehmer über mediale, sprachliche und gesellschaftliche Phänomene wird somit gleichermaßen über die Sprache als Medium und als Gegenstand der diskursiven Auseinandersetzung transportiert. Um dieses Denken mittels des zentralen Fragenkomplexes zu rekonstruieren, sollen im Folgenden die Termini Diskurs, Mentalität, Wissen, Sprachbewusstsein, Spracheinstellung und die diskursanalytischen Zugriffsmöglichkeiten wie Bezeichnungen, Metaphern, Aussagen, Argumente geprüft und für die Analyse operationalisiert werden.

2. Zum Diskursbegriff Wurde das von Löbl erzählerisch dargestellte Gespräch im Rahmen einer privaten Gesellschaft stellvertretend für das Gesellschaftsgespräch im 19. Jahrhundert über die Presse und ihren (sprachlichen) Einfluss mit Wichter (1999: 274)12 als Diskurs bezeichnet, so soll nun dieser Begriff in Auseinandersetzung mit den zentralen diskursanalytischen Ansätzen der ‚Heidelberger/Mannheimer Gruppe‘13 und der ‚Düsseldorfer Schule‘14 für die Untersuchung präzisiert werden.15

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Wichter bietet später eine präzisere Begriffsbestimmung, insofern er den Diskurs, der „linguistisch auffassbar [ist] als das Korpus der zugehörigen Gespräche und Teilgespräche sowie der zugehörigen Textkommunikation und Teiltextkommunikationen samt Fragmenten“ (Wichter 2003: 89), als die „Kommunikation über ein Thema in einer Gesellschaft“ (Wichter 2003: 88) versteht. Als wichtigste Vertreter dieser der historischen Semantik verpflichteten Diskursanalyse sind hier Fritz Hermanns, Dietrich Busse und Wolfgang Teubert zu nennen. Der Mitte der achtziger Jahre von Georg Stötzel begründeten ‚Düsseldorfer Schule‘ gehören u.a. Matthias Jung, Karin Böke und Martin Wengeler an. Neben den linguistischen diskursanalytischen Ansätzen der ‚Mannheimer/Heidelberger Gruppe‘ und der ‚Düsseldorfer Schule‘ ist hier kurz die sprach- und machkritisch argumentierende ‚Kritische Diskursanalyse‘ um Siegfried Jäger zu erwähnen. Während die begriffliche Bestimmung des Diskurses den hier vorzustellenden Ansätzen ähnelt, insofern sie „die Annahme [teilt], dass gesprochene wie geschriebene Texte aufgespannt sind in einem sowohl synchron als auch diachron konstituierten Bezugsnetz thematisch verwandter Texte“ (Bluhm u.a. 2000: 4), unterscheidet sie sich von ihnen durch ihr vermeintlich kritisches Forschungsinteresse. Da die vorliegende Untersuchung einen historischen Diskurs rekonstruieren, d.h. so objektiv wie möglich beschreiben möchte, erscheint eine Orientierung an der Kritischen Diskursanalyse wenig sinnvoll, da sie „zum einen […] verdeckte, diskursiv verfestigte Formen der Machtausübung, sprachliche Manipulations- und Ausschließungsstrategien sichtbar machen und zum anderen im Bemühen um einen nicht-arbiträren ethisch-moralischen Standpunkt explizit Stellung gegenüber den analysierten Praxen beziehen [will]“ (Bluhm u.a. 2000: 4). Die Zielsetzung der Kritischen Diskursanalyse, die sich primär auf

Zum Diskursbegriff

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Ein wichtiger Orientierungspunkt ist der stark korpuslinguistisch ausgerichtete Diskursbegriff Busses und Teuberts (1994:14f.), die unter Diskurs im forschungspraktischen Sinn virtuelle Textkorpora [verstehen], deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird. Zum Diskurs gehören also Texte, die (1) sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, (2) untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen, (3) den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen (4) und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden. (Busse/Teubert 1994: 14)

Busse/Teubert (1994) verstehen unter einem Diskurs folglich ein Textkorpus, d.h. eine Menge an inhaltlich zusammengehörigen Texten, die gemeinsam einen Wissensbereich beziehungsweise ein gemeinsames Thema differenzieren (1). Die auf einen bestimmten Zeitraum, ein Areal, einen Gesellschaftsausschnitt oder Kommunikationsbereich eingegrenzten Texte (3) sind dabei verknüpft durch explizite oder implizite Verweisungen (4), thematische und/oder begriffliche Beziehungen, durch gemeinsame oder kontroverse Zielsetzungen (2). Dieser terminologischen Bestimmung des Diskurses als ein Textkorpus „mit dem definitorischen Element des ‚gemeinsamen Themas‘ bzw. ‚Konzeptes‘“ (Jung 2001: 34) widerspricht Jung unter Rückgriff auf den sozialphilosophischen Diskursbegriff Foucaults, der losgelöst von der Einheit Text Diskurs als eine „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem angehören“ (Foucault 1981: 151), definiert. Problematisch erscheint Jung das „definitorische Element des gemeinsamen Themas“ (Jung 2001: 34), da auch in thematisch einschlägigen Texten […] Inhalte [vorkommen], die man nicht zum gleichen Diskurs rechnen möchte, weil offensichtlich zwischenzeitlich das Thema wechselt, d.h. an anderen Diskursen weitergesponnen wird [(a)]. Umgekehrt gibt es zahlreiche Äußerungen zu einem Gegenstand [oder Thema] außerhalb thematisch einschlägiger Texte [b]. (Jung 2001: 36)

Aus dieser Argumentation Jungs folgt, dass sich „kein Text […] durch seine Zugehörigkeit zu einem Diskurs vollständig erfassen [lässt]“ (Jung 2001: 36), sondern sich vielmehr thematisch definierte Diskurse innerhalb von Texten überlagern, „weil offensichtlich zwischenzeitlich das Thema wechselt“ (Jung 2001: 36). Betrachtet man beispielsweise Löbls Text, der der Überschrift Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch zufolge den Bereich aktueller politischer Diskurse fokussiert, unterscheidet sich folglich grundlegend von jener der vorliegenden Untersuchung.

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Terminologie und Methode

eindeutig dem hier zu untersuchenden Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss zuzuordnen ist, bestätigen sich Jungs Überlegungen, da die Ausführungen des Journalisten über das „Gelehrtendeutsch“ auch einem Diskurs über Fach- und Gruppensprachen zugehörig sein können (a). Die Überschrift Kampf gegen die Sprachverwilderung des Textes von August Schmits (21901) hingegen lässt auf ein sprachpflegerisches Thema schließen und weniger darauf, dass sich hier zahlreiche Äußerungen zum Thema ‚Presse und Sprache‘ finden (b). Äußerungen über den sprachlichen Einfluss der Presse können demnach den thematischen Rahmen (a) eines Textes bilden oder sich als Binnendiskurs (b) innerhalb eines anderen thematischen Rahmens entfalten. Finden sich Äußerungen über Presse und Sprache auch außerhalb thematisch einschlägiger Texte, so haben diese nicht vorhersehbaren Aussagen […] eine eigene Signifikanz: Zum einen machen sie die ‚interdiskursiven Bezüge, d.h. die Querverbindungen verschiedener Diskurse deutlich, zum anderen zeigt die Häufigkeit ihres Auftauchens, wie gesellschaftlich dominant ein bestimmter Diskurs ist (Jung 2001: 36),

bzw. für welche gesellschaftlichen Bereiche und/oder Gruppen ein Thema von Interesse ist. Derartige Diskursüberlagerungen in Texten können also ein Indiz dafür sein, dass der Zeitung eine hohe Wirkung innerhalb der unterschiedlichen Themen- und Lebensbereiche zugesprochen wird. Aus diesen Überlegungen kann man mit Jung schließen, dass die eindeutige thematische Zuordnung von Texten als Ganzes zu einem Diskurs schwierig erscheint. Es sind weniger ganze Texte, die ein gemeinsames Thema differenzieren (1) und dabei verknüpft sind durch explizite oder implizite Verweisungen (4), durch thematische und/oder begriffliche Beziehungen, durch gemeinsame oder kontroverse Zielsetzungen (2), als vielmehr „Aussagen, Behauptungen, Topoi“ (Jung 2001: 36). Jung verschiebt also die diskursgeschichtliche Definition Busses/Teuberts von Texten hin zu Aussagen, d.h. zu „bestimmten thematisch definierten Behauptungen“ (Jung 2001: 38). Wie Abb. 1 zeigt, definiert er Diskurs als ein in Texten realisiertes Aussagenkorpus (vgl. Jung 2001: 38f.) bzw. als „Gesamtheit der Beziehungen zwischen thematisch verknüpften Aussagenkomplexen“ (Jung 1996: 463): Modellhaft sähe das z.B. so aus: Ein Diskurs D1 besteht aus einer Menge aller Aussagen A1 bis An. Realisiert werden sie im Rahmen von Texten T1 bis Tn, die allerdings teilweise auch anderen Diskursen D2 bis Dn, bestehend aus den Aussagen B1 bis Bn, C1 bis Cn, etc. angehören. Diese Aussagen werden in den zeitlich späteren Texten T1‘ bis Tn‘ etc. als A1‘ bis A2‘ etc. wieder aufgenommen. (Jung 2001: 38)

Dass „Diskurs im Sinne Foucaults daher nicht in erster Linie ein Textkorpus [ist], sondern Beziehungen zwischen einzelnen Aussagen oder Aussageelementen [...] quer durch eine Vielzahl einzelner Textexemplare“ (Busse/Teubert: 1994: 15), erkennen – wie Jung – auch bereits Busse/Teubert und begründen ihren korpusbasierten Diskursbegriff damit, „[…] daß jeder Versuch einer linguistischen Konkretisierung des Diskurs-

Zum Diskursbegriff

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begriffs letztlich auf das Problem der Zusammenstellung von Textkorpora verwiesen bleibt“ (Busse/Teubert 1994: 15). Text1‘ B1 Text1

B2

B1

B1‘‘

C2‘ G1‘

C2‘‘ B2‘‘

C1

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C2

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An‘‘ An E3 Textn

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F2‘‘ C2‘‘ E2‘ E4‘

F2

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An‘ B3‘‘

Textn‘‘

F2 Textn‘

Abb. 1: Diskurs als in Texten realisiertes Aussagenkorpus A1 – An nach Jung (2001: 37)

Verzichtet man bei der Beschreibung eines Diskurses gänzlich auf die Konstituente Text, so würde dies bedeuten, dass alle Äußerungen und die dahinter stehenden Aussagen zu einem Thema innerhalb eines bestimmten Untersuchungszeitraums erfasst und analysiert werden müssten, was forschungspraktisch kaum zu realisieren wäre. Da jede themenbezogene Aussage aber „in ihrer typischen Äußerungsform zwangsläufig im Zusammenhang eines Textes“ (Jung/Wengeler 1999: 146) steht und „ihr Auftreten in bestimmten Texten erwartbar ist“ (Jung 2001: 40), orientiert sich die vorliegende Arbeit – v.a. im Hinblick auf die Korpuserstellung – zunächst an dem von Busse/Teubert (1994: 14f.) definierten Diskursbegriff als Textkorpus. Dieser Diskursbegriff wird erweitert durch Jungs Verständnis von Diskurs als Aussagengeflecht, da festgestellt wurde, dass Aussagen, „doch gleichzeitig immer über die Grenzen des einzelnen Textes

30

Terminologie und Methode

hinaus Bezug nehmen auf andere Äußerungen zum gleichen Thema“ (Jung/Wengeler 1999: 146). Der Definition Jungs folgend, möchte ich den hier zu untersuchenden Diskurs im weiteren Sinne definieren als die Gesamtheit aller Aussagen zum Thema ‚Presse und Sprache‘, die in Texten realisiert sind. Dem korpusbasierten Diskursverständnis Busse/Teuberts schließe ich mich im engeren, forschungspraktischen Sinne an und definiere Diskurs als die Menge aller Texte, die (1) sich mit dem Thema ‚Presse und Sprache‘ wenigstens partiell befassen, d.h. in denen Aussagen zum Thema ‚Presse und Sprache‘ realisiert sind, (2) untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen können, (3) in dem die Arbeit interessierenden Untersuchungszeitraum des langen 19. Jahrhunderts entstanden sind, (4) durch explizite oder implizite Verweisungen aufeinander Bezug nehmen können. Semantische Beziehungen (2) und explizite oder implizite Verweise (4) sollen keine ausschlaggebenden Kriterien der Zuordnung eines Textes zum Diskurs sein, da – abermals in Orientierung an Jung (2001: 33f.) – davon auszugehen ist, dass alle Texte, in denen Äußerungen bzw. Aussagen zu einem Thema realisiert sind, aufeinander beruhen. Auch brächte die Beschränkung auf ausdrückliche gegenseitige Text-Referenzen dagegen […] eine Korpusbeschränkung mit sich, die man im Interesse der Sache nur ungern hinnehmen wollte. Sie erscheint schon deshalb wenig sinnvoll, weil im „Zeitgespräch“ (Hermanns 1994a: 50) zumindest prominente Vorgänger-Texte den Diskursakteuren so präsent sind, dass explizite Verweise unnötig sind oder pedantisch wirken würden […]. (Jung 2001: 33)

Ganz soll auf diese definitorischen Elemente jedoch nicht verzichtet werden, da sie bei der Korpuserstellung durchaus hilfreich sein können, insofern sich durch sie dem Diskurs zugehörige Texte auffinden lassen.16

16

Vgl. Kapitel IV.

Kollektives Denken, Wissen und Handeln

31

3. Kollektives Denken, Wissen und Handeln 3.1 Mentalität Wurde in der näheren Bestimmung des Terminus Diskurs in Orientierung an Busse/Teubert (1994) als ein wichtiges Kriterium die zeitliche Bindung (3) der Aussagen zu einem Thema (1) – in diesem Fall zum Thema ‚Presse und Sprache‘ – erachtet, so lässt dies vermuten, dass sich Diskurse immer im Rahmen bestimmter (sozio-)historischer Gegebenheiten abspielen. Impliziert ist diese Vorstellung, das Denken über die wechselwirkende Entwicklung von ‚Presse und Sprache‘ sei eng verwoben mit dem zeitspezifischen Denken über die zeitgenössische Ordnung und Wirklichkeit, in der Teilfrage Warum des zentralen Fragekomplexes. Begrifflich lässt sich der Gedanke, dass sich Diskurse allein im Rahmen der gegebenen historischen Möglichkeiten menschlichen Denkens – und Handelns – entfalten können, in dem geschichtswissenschaftlich geprägten Terminus Mentalität erfassen, den Peter Dinzelbacher umreißt als das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen. (Dinzelbacher 1993: XXI)

Entgegen dem alltagssprachlichen Verständnisses von Mentalität umfasst der Begriff hier nicht die „besondere Art des Denkens und Fühlen“ (Duden: 86817), sondern ist im Gegenteil definiert durch „die Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens in sozialen Gruppen“ (Hermanns 1995: 77/, Hermanns 2002: 80). Ist das Denken, Fühlen, Wollen und/oder Sollen in sozialen Gruppen gewohnheitsmäßig verankert, so folgt daraus, dass es von ihnen nicht reflektiert bzw. hinterfragt wird, sondern Grundlage ihres alltäglichen Wissens und Verständnisses ist, „kraft dessen sich jedermann in der Gesellschaft verhält“ (Sellin 1985: 579). Ein weiteres wichtiges definitorisches Element ist das der Kollektivität. Je nachdem, wie weit die Grenzen der sozialen Gruppen reichen, die die gleichen Wissensbestände teilen, lassen sich Mentalitäten nach Kuhlemann (1996: 193f.) bestimmen als − Totalmentalitäten, die die epochalen, von allen Mitgliedern einer Kultur geteilten „Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens“ umfassen (Hermanns 1995: 77); − Makromentalitäten, die die Einstellungen von sozialen Gruppen innerhalb einer Kultur differenzieren; − Mikromentalitäten, die Unterschiede innerhalb dieser Gruppen bezeichnen (vgl. Kuhlemann 1996: 193f.). 17

Duden. Das große Fremdwörterbuch. Mannheim u.a. 42007.

32

Terminologie und Methode

Versteht man Mentalitäten als Orientierungsrahmen, die das Denken von mehr oder weniger großen „Kollektiven“ (Dinzelbacher 1993) bzw. „sozialen Gruppen“ (Hermanns 1995) disponieren, sich in ihrem Handeln manifestieren (vgl. Dinzelbacher 1993: XXV) und somit das Denkbare und den Wissensbestand determinieren, so können kommunikative Konflikte zwischen den Trägern unterschiedlicher Total-, Makrooder Mikromentalitäten entstehen, da diese auf je verschiedene Wissensbestände zurückgreifen, die sich dem Verständnis des jeweiligen Gegenübers entziehen, insofern sie außerhalb seines Orientierungsrahmens, außerhalb des für ihn Denkbaren liegen (vgl. Graus 1987: 16f.). Indem die zentrale Fragestellung nach dem Grund, nach der Ursache des Denkens und Äußerns (Warum) – der unterschiedlichen Diskursteilnehmer (Wer) fragt, geht sie zunächst davon aus, dass das unterschiedliche Denken über ‚Sprache und Presse‘ (Wie) auf unterschiedlichen Makro- oder Mikromentalitäten basiert und versucht, die jeweiligen Makro- oder Mikromentalitäten freizulegen, die den Diskurs im Laufe des 19. Jahrhunderts disponieren. „Als Instrument menschlicher Verständigung, [das] den Charakter gemeinschaftlicher Weltdeutung [...] in sich [trägt]“ (Busse 1987: 28f.) vermittelt die Sprache „das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist“ (Dinzelbacher 1993: XXI). Sind folglich Denken und Sprechen mentalitätsgebunden, so gilt die Sprache gleichzeitig als „Indikator und Faktor [nicht allein] eines kollektiven Bewusstseins“ (Böke 1996: 439), sondern vielmehr von Mentalitäten innerhalb einer Sprachgemeinschaft.

3.2 Identität Werden sich soziale Gruppen ihrer spezifischen „Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens“ (Hermanns 1995: 77) bewusst und leiten daraus bestimmte Werte und Eigenschaften ab, die ihnen gemeinsam sind (1) und die sie gleichzeitig von anderen Gruppen unterscheiden (2), so konstituieren sie eine ihre Gruppe bestimmende Identität. In diesem Sinne ist Identität als reflexiv gewordene Mentalität zu verstehen, als eine Sache des Bewusstseins, d.h. des Reflexivwerdens eines unbewussten Selbstbildes. Das gilt im individuellen wie im kollektiven Leben. Person bin ich nur in dem Maße, wie ich mich als Person weiß und ebenso ist eine Gruppe „Stamm“, „Volk“, „Nation“ nur in dem Maße, wie sie sich im Rahmen solcher Begriffe versteht, vorstellt und darstellt. (Assmann 2007: 130)

Ein geeignetes Mittel, um Identität herzustellen und eine Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren, ist die Sprache, da das Bewusstsein sozialer Zugehörigkeit, dass wir „kollektive Identität“ nennen, [...] auf der Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und einem gemeinsamen Gedächtnis [beruht], die durch das Sprechen einer gemeinsamen Sprache [...] vermittelt wird. (Assmann 2007: 139)

Kollektives Denken, Wissen und Handeln

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Da die Herstellung kollektiver Identitäten mittels Sprache über eine gesteuerte Sprachverwendung oder die Auferlegung bestimmter Richtlinien – folglich integrierend (1) über die mit anderen Individuen gemeinsame Beachtung bestimmter Sprachgebrauchsnormen – erfolgen kann, ist die Sprache somit nicht allein „Indikator und Faktor“ (Böke 1996: 439) von Mentalitäten, sondern auch von Identitäten. Andererseits wird die kollektive Identität gesichert durch die Kritik am Sprachgebrauch anderer – folglich ausgrenzend (2) und sich distanzierend durch die Ablehnung von Sprachgebrauchsformen anderer Gruppen. Neben der Mentalitätsgebundenheit der Sprache ist auch ihre identitätsstiftende Funktion in die Betrachtung des vorliegenden Diskurses einzubeziehen. Angenommen wird, dass vor allem dann die Werte und Eigenschaften anderer Kollektive abgelehnt werden, wenn die eigene Identität durch die fremde in ihrer Stabilität bedroht zu sein scheint.18 So sieht die junge Schriftstellerin aus Löbls Erzählung „unsere schöne Sprache“ (Löbl 1892: 335, [3.5]) durch die Tageblätter bedroht, die sie „korrumpieren“ (ebd.). Eine solche Bedrohung kann beispielsweise in der Übernahme der eigenen identitätsstiftenden Mittel durch andere oder auch in ihrer Infragestellung durch eigene Mitglieder bestehen, denn das Verhalten des Abweichlers bedroht die gesellschaftliche Wirklichkeit als solche fundamental, indem es die Gewissheit ihrer kognitiven und normativen Verfahrensweisen in Frage stellt. (Berger/Luckmann 2003: 121)

Da vor allem die Sprache die „Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen“ (Assmann 2007: 139) vermittelt, auf der die „kollektive Identität beruht“ (ebd.), ist zu vermuten, dass sich hinter der Kritik bzw. hinter der Ablehnung bestimmter Sprachgebrauchsformen anderer Personen, Gruppen oder Institutionen eine außersprachliche Kritik und/oder eine Ablehnung dieser Gruppenmitglieder wie ihres „gemeinsamen Wissens“ (ebd.) und Handelns verbirgt. In einem solchen sprachkritischen Diskurs kämen folglich zeitgenössische gesellschaftliche Konflikte zum Ausdruck (vgl. Spitzmüller 2005: 67).

18

Diese Feststellung ist v.a. im Hinblick auf die in der Einleitung aufgestellten Thesen 3 und 5 von Interesse. Verbirgt sich hinter der gesteigerten Kritik an den Sprachverwendungsweisen anderer Kollektive zu bestimmten Zeiten das Gefühl der Bedrohung der eigenen Identität, so ist anzunehmen, dass diese vor allem in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels geäußert wird und sich dahinter eigentlich Kritiken an den sich ändernden gesellschaftlichen Ordnungen verbergen. Diese Zeiten sind durch eine starke Unsicherheit geprägt, durch das Hin- und Hergerissensein zwischen Altem und Neuem, durch Auflösung der alten Ordnungen und Entstehung neuer Ordnungen und Werte. Eine solche „Reorganisation“ der Gesellschaft hinterfragt und gefährdet die bestehenden Identitäten.

34

Terminologie und Methode

3.3 Spracheinstellung Aus diesen Überlegungen zur Konstituierung von Identität mittels sprachlicher Integration und Aus- bzw. Abgrenzung geht hervor, dass diese eng gebunden ist an die Einstellung gegenüber der Sprache, ihrer Verwendung und ihrer Sprecher. Der aus der Sozialpsychologie hergeleitete Begriff Einstellung „als eine gelernte Bereitschaft zu einer bestimmten Reaktion auf etwas“ (Hermanns 2002: 70) lässt sich somit auf die Einstellungen gegenüber Sprache übertragend präzisieren „als Bündel von kognitiv, affektiv-evaluativ sowie prä- und proskriptiv ausgerichteten Meinungen über Sprache, Sprachverwendung und die Benutzer von Sprache zugleich“ (Portz 1982: 93). Für die Definition von (Sprach-)Einstellungen, die letztlich (sprachliches) Verhalten determinieren, ist folglich die Kombination von drei Komponenten – zusammengefasst in dem ‚Drei-Komponenten-Modell‘ von Rosenberg/Hovland (1960) – entscheidend: (1) Die kognitive Reaktion auf ein bestimmtes Objekt – in diesem Fall auf die „Sprache, Sprachverwendung und die Benutzer von Sprache“ (Portz 1982: 93) – bezieht sich auf geäußerte Überzeugungen bzw. klassifizierende Vorstellungen oder Konzepte über das Einstellungsobjekt ‚Sprachverhalten‘. (2) Die affektive Komponente umfasst die Gefühle, die den Einstellungsträger bei der Reaktion auf ein Einstellungsobjekt leiten. (3) Die konative Komponente bezieht sich auf die Handlungsbereitschaft oder -absicht des Einstellungsträgers, „wie z.B. die Übernahme oder Ablehnung von Sprechweisen, die Kontaktsuche oder Kontaktvermeidung von Sprechern (Neuland 1993: 728).19 Insofern sich Einstellungen über die Komponenten des Wissens oder Denkens (Kognition), des Fühlens oder Empfindens (Affekt) und Handelns (Konotation) definieren lassen, weisen sie in eine ähnliche Richtung wie Mentalitäten, sind jedoch nicht synonym. Mentalitäten sind umfassender, Einstellungen sind gewissermaßen in ihnen eingebettet und Teil von ihnen (auch wenn es sich um individuelle Einstellungen handelt). Gleichzeitig können über Einstellungen Mentalitäten vermittelt werden. (Spitzmüller 2005: 69f.)

Diese enge Verbindung von Einstellung und Mentalität veranlasst Fritz Hermanns zu der Überlegung, dass sich seine oben aufgeführte Definition des Mentalitätsbegriffs „bei Zuhilfenahme des Begriffs ‚Einstellung‘ [...] verkürzen [lässt] zu der Formulie-

19

Diesem ‚Drei-Komponenten-Modell‘ (vgl. Neuland 1993: 727f.), das in der Soziolinguistik zumeist verwendet wird, um sprachliches Verhalten, d.h. Varietätengebrauch und Sprachwandel zu erläutern, steht ein ‚Eindimensionales Einstellungsmodell‘ gegenüber, das Einstellungen über die Gefühle definiert, die durch ein Einstellungsobjekt hervorgerufen werden (vgl. Fischer/ Wiswede 1997: 221f.).

Kollektives Denken, Wissen und Handeln

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rung: Eine Mentalität ist die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe“ (Hermanns 2002: 81). Ähnlich eng ist das Verhältnis von (Sprach-)Einstellungen und Identitäten – v.a. wenn diese als reflexiv gewordene Mentalitäten verstanden werden, insofern „Spracheinstellungen ein Teil individueller und kollektiver Sinnstiftung sind“ (Spitzmüller 2005: 19), sich (Sprecher-)Gruppen folglich über gemeinsame (Sprach-)Einstellungen definieren und von anderen (Sprecher-)Gruppen distanzieren. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass den unterschiedlichen Einstellungen gegenüber ‚Presse und Sprache‘ unterschiedliche Mentalitäten und Identitäten zugrunde liegen. Anzunehmen ist, dass die Diskursteilnehmer unterschiedliche Einstellungen aufgrund unterschiedlicher lebensweltlicher Wirklichkeiten und Entwürfe oder Interessen vertreten.20 Aufgrund dieser terminologischen Einbettung von ‚(Sprach-)Einstellung‘ in ‚Mentalität‘ und ‚Identität‘ erweist sich die nähere Betrachtung des Denkens über die Sprache im Sinne einer Spracheinstellungsmessung gegenüber Sprachgebrauchsformen als nützlich, um Mentalitäten und Identitäten in einem bestimmten historischen Kontext zu erschließen und der zentralen Fragestellung der Arbeit nachzugehen, wie das Denken und Sprechen über ‚Presse und Sprache‘ im 19. Jahrhundert motiviert ist. Vor allem aber steuert die Pejorisierung oder Favorisierung bestimmter Sprachgebrauchsformen soziale Wahrnehmungs- und Kategorisierungsprozesse im Sinne einer „individuellen oder kollektiven Sinnstiftung“ (Spitzmüller 2005: 19) das Sprachhandeln von Individuen oder Kollektiven insofern, als bestimmte Varietäten bevorzugt werden, so dass sie in der Soziolinguistik als ein wesentlicher Faktor des Sprachwandels betrachtet werden und somit zur Erklärung von Verhalten dienen (vgl. Neuland 1993: 733). Für die vorliegende Untersuchung ist weniger das aus den (Sprach-)Einstellungen resultierende tatsächliche Sprachverhalten der Diskursteilnehmer von Interesse als vielmehr die bewussten und unbewussten Inhalte des Denkens über ‚Sprache und Presse‘. Der Terminus der (Sprach-)Einstellung dient zunächst der Kategorisierung der unterschiedlichen Äußerungen und Aussagen.

20

Da die lebensweltliche Einbettung von Einstellungen gegenüber Sprache bei der Untersuchung immer mitberücksichtigt werden muss, darf seitens des Untersuchenden keine bewertende Differenzierung in ‚unreflektierte‘ bzw. ‚reflektierte‘ Einstellungen vorgenommen werden, die den Blick auf etwaige bewusste oder unbewusste Motivationen der Einstellungen verengen würde. Vielmehr soll so objektiv wie möglich betrachtet werden, wie die Wechselwirkung zwischen Sprachentwicklung und Presse beurteilt wird und letztlich motiviert ist – d.h. wird sie als tendenziell negativ, positiv oder abwägend erachtet – und wie sich die jeweilige Einstellung begründen lässt (vgl. Kapitel IV).

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Terminologie und Methode

3.4 Sprachbewusstsein Um die bewussten und unbewussten Inhalte des Denkens über ‚Sprache und Presse‘ des 19. Jahrhunderts zu erfassen und zu erfahren, ob und wie diese in andere Wissens- und Wertesysteme eingebettet bzw. soziokulturell bedingt sind, bietet sich der Terminus des Sprachbewusstseins an, bei dem es um das systematische und das unsystematische Sprachwissen und die unterschiedlichen Handlungs- und Urteilsmotivationen [geht], die bei einem Sprachgemeinschaftsmitglied bzw. in einer Sprachgemeinschaft verbreitet sind. Hierzu sollen alle Formen der geistigen Auseinandersetzung mit der eigenen und anderen Sprachlichkeit gezählt werden, also das relativ unreflektierte Alltagswissen über Richtigkeit und Angemessenheit von Sprachhandlungsmustern ebenso wie die differenzierte Auseinandersetzung mit der Sprache. (Mattheier 1995: 16)

Der Begriff des Sprachbewusstseins dient demzufolge der Beschreibung des „relativ unreflektierten“ (ebd.) wie „differenzierten“ (ebd.) Wissens eines Sprechers oder einer Gruppe von Sprechern um seine bzw. ihre Sprache (vgl. Schlieben-Lange 1975: 193). In Orientierung an Schlieben-Lange (1975) differenziert Neuland (1993: 734f.) verschiedene Arten und Ebenen dieses Wissens um Sprache, deren Betrachtung v.a. von Interesse ist, um im Verlaufe der vorliegenden Untersuchung die metasprachlichen bzw. sprachreflexiven Äußerungen der Diskursteilnehmer zu kategorisieren und hinsichtlich ihrer Motivation zu ergründen. Neuland charakterisiert in Anlehnung an die von Leibniz eingeführte Theorie der Erkenntnisstufen zwei Arten von Sprachbewusstsein, die sich weiter differenzieren lassen: (1) Eine Erkenntnisstufe ist die der cognitio clara confusa, die „nach Leibniz eine sichere, aber nicht begründbare Erkenntnis [ist], wie sie z.B. ästhetischen Urteilen zugrundeliegen mag“ (Neuland 1993: 734). Wenn eine Sache unter anderen zwar wiedererkannt werden kann, nicht aber gesagt werden kann, „worin ihre Unterschiede oder Eigenschaften bestehen, so ist eine Erkenntnis verworren“ (Leibniz 1996, I: 125). Neuland schließt daraus, dass es sich vor allem um eine gefühlsgesteuerte Erkenntnis handelt, insofern sie „das Sprachgefühl und zumindest die affektive Komponente von Spracheinstellungen als eine cognitio clara confusa“ (Neuland 1993: 734) bestimmt. (2) Als weitere Erkenntnisstufe führt Neuland die zu differenzierende cognitio clara distincta an, eine Erkenntnis, die Leibniz deutlich nennt, „wenn [man] aber die Merkmale erkennen kann, über die [man] verfügt“ (Leibniz 1996, I: 127). Diese lässt sich unterscheiden in ein „Alltagswissen, als ein praktisches Betriebswissen für alltägliche Angelegenheiten“ (Hofer 2002: 216), und ein „wissenschaftliches Wissen“ (ebd.) a. Ist „die Begründung wissenschaftlich unangemessen, aber praktisch nützlich“ (Neuland 1993: 734), so handelt es sich um eine cognitio clara distincta inadaequata. Als Beispiel führt Neuland später die Wertung der

Kollektives Denken, Wissen und Handeln

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„Sprachentwicklung im Rahmen einer Dekadenztheorie als Sprachverfall“ (Neuland 1993: 737) an oder die Vergegenständlichung der Sprache „als ein ‚Haus‘ oder ‚Gebäude‘, das ohne pflegendes und reinigendes Bemühen verkomme und verwildere“ (ebd.). Dieser Art des Sprachbewusstseins ordnet Neuland das durchaus fehlbare „alltägliche Sprachbewusstsein und die kognitive Komponente von Spracheinstellungen“ (Neuland 1993: 737) zu. b. Ist die Begründung „reflexiv und wissenschaftlich“, liegt eine cognitio clara distincta adaequata vor (vgl. Neuland 1993: 437f.). Den drei Arten sprachlichen Wissens ordnet Neuland drei Ebenen oder Gegenstandsbereiche zu: (1) Die Ebene der Unterscheidung von sprachlichen Einheiten umfasst „ein systematisches Wissen, wie es auch den Theoriebildungen der Sprachwissenschaft und der Grammatikbeschreibung zugrundeliegt“ (Neuland 1993: 735), während (2) sich die Ebene der Kommunikation im Vollzug primär auf Sprachverwendungsweisen oder -variation bezieht. (3) Die Ebene der Konstitution von Identitäten umfasst „die sozialsymbolische Funktion von Sprache als Mittel sozialer Abgrenzung und Identifikation von Sprachgemeinschaften“ (Neuland 1993: 736). Die Ausführungen Neulands verweisen auf eine enge Verbindung des Wissens um Sprache und der Einstellung gegenüber Sprache, denn als Wissens- und Wertesystem, das eingebunden ist in ein bestimmtes soziokulturelles Umfeld, steuert das Sprachbewusstsein „die Selektion und allgemeine Übernahme bestimmter Sprachmuster über den Faktor Sprachprestige und damit [über] die Spracheinstellungsebene“ (Ziegler 1999: 80). Das Wissen um Sprache spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung sprachlicher Merkmale oder Sprachverhaltensweisen und deren Ablehnung bzw. Befürwortung für das eigene Handeln. Das Wissen um Sprache hat folglich eine wichtige Orientierungsfunktion für den jeweiligen Sprecher bzw. für die jeweilige Gruppe von Sprechern, insofern es ihm bzw. ihr hilft, die (sprachliche) Umwelt (bspw. Personen, Gruppen, Situationen) zu kategorisieren, das eigene Verhalten zu legitimieren und sich als Teil einer Gemeinschaft zu identifizieren (vgl. Scherfer 1983: 40f.). Wenn es zutrifft, dass Sprache das effektivste Zeichensystem ist, um eine kulturelle Umwelt zu schaffen und funktionsfähig zu halten, dann ist Sprachbewusstsein eine elementare Funktion der Identität. Das Sprachbewusstsein vermittelt dem Individuum die erforderliche Motivation, Sprache als Instrument des Kulturschaffens im Prozess der Identitätsfindung einzusetzen. (Haarmann 1999: 91)

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Terminologie und Methode

Anzunehmen ist, dass sich die unterschiedlichen Arten des Wissens um Sprache aus den je unterschiedlichen zeitgenössischen Vorstellungen und Wahrnehmungen von sozialen Ordnungen ergeben, folglich in das Wissen und Denken über außersprachliche Phänomene eingebettet sind. Das individuelle wie kollektive Sprachbewusstsein entfaltet sich demnach auf Basis von Mentalitäten als der „Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens in sozialen Gruppen“ (Hermanns 1995: 77/Hermanns 2002: 80), oder des in einer Gruppe als richtig geltenden Wissens. Mentalitäten, die oben als das Denken von mehr oder weniger großen Kollektiven disponierende Orientierungs- und Handlungsrahmen verstanden wurden, manifestieren sich wiederum in Diskursen und determinieren diese, insofern sie „das zu Sagen Mögliche beschränken oder steuern“ (Busse 1987: 222f.), (vgl. Dinzelbacher 1993: XXV).

4. Die Analyse des Diskurses „Ein planmäßiges, d.h. regelgeleitetes Verfahren zur Erschließung von Diskursen“ (Gardt 2007: 30) als die ‚Gesamtheit aller Aussagen zu einem Thema‘, deren quantitative wie qualitative Ausprägung durch die sich dahinter verbergenden Mentalität(en) der Diskursteilnehmer begrenzt ist, bildet die Diskursanalyse. Diese geht sowohl davon aus, dass sprachlich Handelnde Bedeutungen, gesellschaftliches Wissen mit ihren einzelnen individuellen Handlungen konstituieren und in jeder einzelnen Sprechhandlung auch minimal verändern, als auch davon, dass sie dies nur im Rahmen des geschichtlich, sozial, diskursiv im Moment der Sprachhandlung Denk- und Sagbaren tun. (Wengeler 2007: 168)

Sie erscheint als geeignetes methodisches Instrumentarium, um die Vielzahl der Äußerungen über ‚Presse und Sprache‘ systematisch zu erfassen, die kohärenten Auffassungen und Einstellungen der Diskursteilnehmer zu rekonstruieren und die sich dahinter verbergenden sprachlichen wie außersprachlichen Verstehens- und Wissensstrukturen, v.a. im Hinblick auf die Motivation der Diskursteilnehmer, herauszufiltern. Die Systematisierung des Analyseverfahrens erfolgt in Orientierung an den zentralen diskursanalytischen Ansätzen von Warnke/Spitzmüller (2008)21 und Busse (1987)22. 21

Warnke/ Spitzmüller (2008: 24f.) schlagen in einem komplexen ‚Diskurslinguistischen Mehrebenenmodell (DIMEAN)‘ zunächst eine ‚Erstlektüre‘ (1) „nach dem Konzept des ‚naiven Lesers (Fix et al. 2003: 50)“ (Warnke/ Spitzmüller 2008: 24f.) vor, bei der „sprachliche Formen [als markiert angesehen werden], die eine Bedeutungsrelevanz für den Leser besitzen“ (ebd.). In einem zweiten Schritt erfolgt eine ‚Intratextuelle Ebenenzuordnung‘ (2) der als markiert bestimmten Formen, die eine ‚Wortorientierte Analyse‘ (a), eine ‚Propositionsorientierte Analyse‘ (b) und eine ‚Textorientierte Analyse‘ (c) umfasst. In der folgenden ‚Analyse der Diskurshandlungen‘ (3) schlagen Warnke/ Spitzmüller (2008: 32) als Minimalkategorien ‚Interaktionsrollen‘ (a), ‚Diskursposi-

Die Analyse des Diskurses

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Beiden Forschungsansätzen lässt sich nicht Schritt für Schritt folgen, sofern größere Korpora einer Analyse unterzogen werden sollen. Vielmehr bedarf es aus forschungspraktischen Gründen einer „gewichtete[n] Auswahl der für das diskurslinguistische Untersuchungsziel maßgeblichen Einheiten“ (Warnke/Spitzmüller 2008: 31f.), Stufen oder Ebenen. Wird Diskurs als die Gesamtheit aller Aussagen zum Thema ‚Presse und Sprache verstanden, so müssten in einem ersten Schritt alle Äußerungen zu dem genannten Thema gesammelt und für die folgende Analyse begründet werden. Da dies – ob der Vielzahl der potenziellen Äußerungen – kaum zu realisieren ist, die Äußerungen aber „in ihrer typischen Äußerungsform zwangsläufig im Zusammenhang eines Textes“ (Jung/Wengeler 1999: 146) stehen, bietet sich in der Forschungspraxis der Bezug auf das korpusbasierte Diskursverständnis Busses/Teuberts an, die unter Diskursen „virtuelle Textkorpora [verstehen], deren Zusammenhang durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird“ (Busse/Teubert 1994: 14). Grundlage der Diskursanalyse ist folglich die Erstellung, Begründung und Gliederung eines Korpus (0)23 an Texten, in denen Aussagen zum Thema ‚Presse und Sprache‘ realisiert sind. Einen geeigneten analytischen Zugang zum Diskurs bietet der Verfahrensschritt der Metaphernanalyse (1)24, da dieser auf die Betrachtung der Metapher in ihrer besonderen wahrnehmungsreflektierenden Funktion gerichtet [ist], als Indikator und Faktor soziokultureller Bedingungen, Betrachtungsweisen und Entwicklungen, kurz: politischer Geschichte und gesellschaftlicher Mentalität. (Böke 1996: 448) Vor allem komplexe und abstrakte Phänomene, Sachverhalte und Begriffe können über den Weg der metaphorischen Konkretisierung anschaulich und plausibel gemacht werden. So besteht die sozial-integrative Leistung der Metapher darin, gemeinsame Denkhorizonte für Spezialisten und Laien im Hinblick auf spezielle Wissensgebiete zu schaffen. (Böke 1996: 442)

Mittels Metaphern bringen Kollektive folglich ihren soziokulturellen Erfahrungshintergrund, ihre Vorstellungen, ihr Wissen und ihre Bewertungsmöglichkeiten zum Ausdruck (vgl. Pielenz 1993: 171), so dass eine Analyse der Metaphorik des Diskurses über ‚Presse und Sprache‘ geeignet erscheint, um Antworten auf die eingangs erarbeiteten

22

23 24

tionen‘ (b) und ‚Medialität‘ (c) vor. Kategorien der letzten, der ‚Transtextuellen Ebene‘ (4) – unter der Warnke/ Spitzmüller „eine Strukturmanifestation von Sprache [verstehen], deren Konstituenten singuläre Texte, verstreute Aussagen, Gespräche und nicht-sprachliche Zeichenträger sind“ Warnke/ Spitzmüller (2008: 39) – sind schließlich ‚Intertextualität‘, ‚Topoi‘ oder ‚Sozialsymbolik‘. Busse (1987: 261) bestimmt vier diskursanalytische Ebenen, die ‚Ebene der einzelnen kommunikativen Akte‘ (1), die ‚Ebene des einzelnen Textes‘ (2), die ‚Ebene der thematischen Tiefenstruktur, die die kommunikativen Akte und die einzelnen Texte durchzieht‘ (3) und das ‚Paradigma einer Epoche‘ (4). Grundlagen der Diskursanalyse sind die wortsemantische Analyse, die Analyse der Beziehungen von Begriffen und Aussagen und die textanalytische Erschließung des Sinns dieser Aussagen (vgl. Busse/ Teubert 1994: 18f.). Vgl. Kapitel IV. Vgl. Kapitel V.

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Terminologie und Methode

zentralen Fragestellungen zu finden. Von Interesse ist hierbei die Frage, welche Metaphern im Diskurs dominieren und ob sich diese unter diachronischer Perspektive verändern. Die Bedeutung der Metaphorik zeigt sich beispielsweise in den Äußerungen des Erzählers aus Löbls Text, der die Diskussion über den Sprachgebrauch der Presse und ihren Einfluss als „Fehmgericht über das schlechte Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 335, [3.6]) und als „Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil“ (Löbl 1892: 335, [3.6]) über den Bereich des Rechts und des Krieges wahrnimmt und diese Wahrnehmung auf den Leser überträgt. Der Metaphorik der Moral hingegen ist die Äußerung der jungen Schriftstellerin zuzuordnen, dass „die Tageblätter unsere schöne Sprache korrumpieren“ (Löbl 1903: 335, [3.5]), die Presse folglich eine moralische Verderbnis der Sprache fördere. Diese bildliche Verschmelzung von Sprache und Moral dient nicht allein dem Zweck, die durch die Presse vermeintlich hervorgerufenen Veränderungen als illegitim darzustellen, sondern auch, sich von ihrer moralischen Gesinnung – bzw. der ihrer Verfasser – zu distanzieren. Derartige „Metaphern [wie beispielsweise ‚Sprachkorruption‘] können in einem Diskurs zu ‚Schlag-‘, ‚Leit-‘ oder ‚Schlüsselwörtern‘ avancieren“ (Böke 1996: 438), so dass neben der propositionsorientierten Analyse auch eine wortorientierte Analyse (2)25 von Interesse ist, da „gerade die Idiomizität von [Ein- und Mehrworteinheiten] als Ausdruck sprachlicher Routine ein salienter Hinweis auf spezifische Handlungsmuster“ (Warnke/Spitzmüller 2008: 25) ist und Wörter als „Vehikel von Gedanken“ (Hermanns 1995: 82) Hinweise auf das kollektive Verständnis von Sprache und Sprachgebrauch, von Personen, Gegenständen oder Sachverhalten liefern (vgl. Hermanns 1994a: 19f.). Auf der Wortebene sollen vor allem die Ausdrücke betrachtet werden, die die deutsche Sprache, die Sprache der Presse, die Presse als Massenmedium und die Verfasser der Presse thematisieren. So soll letztlich herausgefunden werden, ob Wörter und Wortverbindungen – wie beispielsweise das von dem Lehrer kritisierte ‚Zeitungsdeutsch‘, das auf den ersten Blick auf das Verständnis eines homogenen Sprachsystems verweist – in bestimmten Kontexten dominant oder charakteristisch für bestimmte Diskursteilnehmer sind. Wörter allgemein und Schlüsselwörter […] im besonderen [funktionieren] nur innerhalb argumentativer Zusammenhänge. Diese bilden in einem thematischen Diskurs ein begrenztes Inventar von Argumentationsmustern. Durch die qualitativ und quantitativ verfahrende Analyse von Argumentationstopoi bzw. -mustern lassen sich öffentliche Auseinandersetzungen zu einem Thema in verschiedenen Zeiträumen auf ihre dominanten „Denkfiguren“ hin untersuchen. (Jung/Wengeler 1999: 156)

Kann der Gebrauch von Metaphern und Wörtern nach den Überlegungen Jungs/ Wengelers (1999) nur im Rahmen von Argumentationen untersucht und gedeutet werden, so ist die Analyse von Argumentationsmustern (3)26 ein weiteres geeignetes Zu25 26

Vgl. Kapitel VI. Vgl. Kapitel VII.

Zusammenfassung: Der methodische Zugang zum zentralen Fragenkomplex

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griffsobjekt auf den Diskurs, mittels derer sich übergreifende und sich wiederholende Argumentationsmuster und Aussagen auffinden, rekonstruieren, systematisieren und vergleichen lassen, die der – vermeintlich unendlichen – Menge an Äußerungen über ‚Presse und Sprache‘ zugrundeliegen. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass nicht ganze Texte analysiert werden müssen, sondern thematisch einschlägige Texte auf bestimmte Argumentationsmuster hin ausgewertet und interpretiert werden, so dass größere Textmengen zu bewältigen sind. Die in den jeweiligen Texten dominanten Argumentationsmuster können dann bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zugeordnet und als repräsentativ für das Denken dieser gedeutet werden. Um wiederkehrende Aussagen und Argumentationen in einem großen Textkorpus zu erfassen, zu beschreiben und im Hinblick auf ihre gruppenspezifische Verteilung zu analysieren, schlägt Wengeler (vgl. Wengeler 2003: S. 175f.) vor, nach einer ersten Lektüre einer Vielzahl von Texten zum jeweils gestellten Thema, kontextspezifische Argumentationstopoi27 interpretativ zu erschließen und letztlich zu definieren. Diese kontextspezifischen Topoi sollen dann in weiteren Texten aufgesucht und zahlenmäßig erfasst werden (vgl. Wengeler 2000: S. 60, Jung/Wengeler 1999: 154). Ihr Vorkommen kann zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen nationalen Kommunikationskontexten verglichen werden, und es lassen sich damit Aussagen über Kontinuitäten und Veränderungen der Denk- und Argumentationsweisen über [ein] Thema […] machen. (Wengeler 2008: 219)

Durch die Analyse der Argumentationsmuster, die zunächst vor allem darin besteht, Argumentationen überhaupt aufzufinden und zu formulieren, lassen sich Ergebnisse darüber erzielen, welche Denkweisen in bestimmten Zeiträumen für welche Gruppen charakteristisch sind (vgl. Wengeler 1997: 125, Wengeler 2008: 218).

5. Zusammenfassung: Der methodische Zugang zum zentralen Fragenkomplex Im Hinblick auf den eingangs erarbeiteten zentralen Fragenkomplex bieten die drei diskursanalytischen Verfahrensschritte der Metaphern- (1), Wort- (2) und Argumentationsanalyse (3) das geeignete Instrumentarium, um die Teilfrage zu beantworten, in welcher Weise sich die Diskursteilnehmer über das Thema ‚Presse und Sprache‘ äußern. Um die einzelnen Äußerungen und Aussagen überhaupt systematisieren, Positionen und Gegenpositionen voneinander abgrenzen zu können, vor allem aber um zu erfahren, wer sich an dem Diskurs beteiligte, bietet es sich zunächst an, ein Textkorpus‘ (0) zu erstellen. Die Motivation, das Warum der Äußerungen, lässt sich ebenfalls durch die korpusbasierten Analyseschritte erschließen, da Wörter oder Metaphern Gedanken transportie27

Eine Präzisierung der Termini ‚Argument‘ und ‚Topos‘ erfolgt unten in Kapitel VII.

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Terminologie und Methode

ren, die ihren expliziten Ausdruck bzw. ihre konkrete sprachliche Realisierung letztlich in den zu definierenden Topoi finden (vgl. Wengeler 2008: 231). Die Analyseschritte können folglich nicht gänzlich unabhängig voneinander durchgeführt werden, da Wörter, Metaphern und Argumentationsmuster zusammenwirken, sich gegenseitig bedingen (können) und „häufig schon mit der Verwendung bestimmter, oft programmatischer Vokabeln eine bestimmte Argumentationsweise verbunden ist oder evoziert wird“ (Wengeler 2008: 231). Die sich hinter den Äußerungen, Argumentationen und Einstellungen der Diskursteilnehmer verbergenden sprachlichen wie außersprachlichen Denk-, Verstehens- und Wissensstrukturen sind eng eingebunden und begrenzt durch die jeweils gültigen sozialhistorischen Gegebenheiten und spezifischen Lebenswelten (vgl. Spitzmüller 2008: 3). Um zu verstehen, wer sich aus welcher Motivation heraus in welcher Weise am Diskurs beteiligt, ist es deshalb für die vorliegende sprachhistorische Untersuchung von Interesse, vor der Analyse des Diskurses mittels der drei Verfahrensschritte die Gesellschaftsund Mediengeschichte des zu untersuchenden Zeitraums zu betrachten und den Diskurs dann in ihr zu positionieren.

III. Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

1. Überlegungen zur Bedeutung des Jahrhunderts Das 19. Jahrhundert ist von tiefen Umbrüchen und beschleunigenden – für die Zeitgenossen oftmals beunruhigenden – Veränderungen geprägt, deren Einfluss auf die Sprache der konservative Zeitkritiker Wilhelm Riehl zu Beginn seiner Volksrede aus dem Jahre 1848 mit folgenden Worten beschreibt: „In dieser erweckten Zeit entstehen täglich neue Dinge und mit denselben neue Wörter, und wo man nicht flugs das neue Wort findet, da prägt man ein altes zu neuem Werte um“ (Riehl 1848: 394). Aus der Entwicklung der soziohistorischen Lebensbedingungen und -umstände einer Sprachgemeinschaft ergeben sich – wie Riehls Beobachtung zeigt – oftmals Veränderungen in den kommunikativen Ansprüchen und Bedürfnissen der Sprachteilnehmer, die wiederum einen Wandel oder vielmehr eine Anpassung des Sprachgebrauchs, der Sprache an die gesellschaftliche Realität zur Folge haben. Auf diese Weise ist z.B. das [von Riehl beobachtete] Aufkommen neuer Existenzformen von Sprache, die Zu- bzw. Abnahme der Bedeutung schon vorhandender Existenzformen für die gesellschaftliche Kommunikation erklärbar, ferner der Wandel im Bereich der Semantik, vor allem der Lexik [...]. (Schildt 1983: 32)28

Die gesellschaftlichen Umbrüche bedingen allerdings nicht nur einen Wandel der soziokommunikativen Verhältnisse, sondern waren – wie an Riehls Worten deutlich zu erkennen ist – immer auch Gegenstände zeitgenössischer Kommunikation. Der gesellschaftliche Charakter der Sprache zeichnet sich folglich nicht allein durch einen engen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen aus, sondern auch durch eine Verknüpfung der gesellschaftlichen und sprachlichen Wandelprozesse mit deren zeitgenössischer Wahrnehmung und versuchter Steuerung. Es ist also weniger von einer einseitigen Einflussnahme der soziohistorischen Lebensbedingungen auf die Sprache als vielmehr von einer Wechselwirkung zwischen soziohistorischen und -kommunikativen Entwicklungen sowie sprach- und gesellschaftsreflexiven Äußerungen auszugehen. In diesem Sinne erkannte Theodor Matthias bereits 1896,

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Vgl. zu den Zusammenhängen zwischen gesellschaftlicher und sprachlicher Entwicklung im 19. Jahrhundert auch Cherubim (1983b), Mattheier (1983), von Polenz (1989).

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert daß in der Hauptsache ein vielfaches Verhältnis zwischen Sprache und Geschichte besteht, indem Sprachinhalt wie Sprachform gleich gut der Grund, als die Folge der geschichtlichen Entwicklung sein kann. (Matthias, Th. 1896b: 88)

Auch die Rekonstruktion des Diskurses über den sprachlichen Einfluss der Presse im 19. Jahrhundert ist eng gebunden an die Frage nach den zeitgenössischen Sprachgebrauchsformen und ihrer Entwicklung in Interaktion mit den soziohistorischen Wandelprozessen, denn die Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft funktionieren als öffentliche Kommunikationspraxis; es müssen also „Vermittlungsinstanzen“, „vermittelnde Glieder wie Kommunikationsbeziehungen, Kommunikationsbedürfnisse“ und „soziokulturelle Faktoren“ berücksichtigt werden. (von Polenz 1989: 12)

Bevor die sprachreflexiven und -bewertenden Äußerungen über die Zeitung im Hinblick auf den zentralen Fragenkomplex29 eingehend analysiert und Rückschlüsse auf die Motivation der Diskursteilnehmer gezogen werden können, gilt es, die Veränderungen des Sprachlebens im 19. Jahrhundert aufzuzeigen, die prägenden Einfluss auf das Sprachbewusstsein der Zeitgenossen hatten. Zunächst wird also der soziohistorische Kontext des Diskurses untersucht, d.h. aufgezeigt, in welchem Wechselverhältnis die gesellschaftspolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche, die lebenspraktischen Umstellungen des 19. Jahrhunderts mit den medialen, kulturellen und soziokommunikativen Veränderungen stehen.

2. Der gesellschaftspolitische Wandel 2.1 Die industrielle Revolution und ihre demographischen Folgen Die grundlegenden ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Änderungen, die eine Auflösung und Neuordnung jeglicher gesellschaftlicher Strukturen und Werte, eine Modernisierung zur Folge hatten, resultierten aus dem sozialökonomischen Prozess der Industrialisierung, dessen Ursprung und Bedeutung Friedrich Engels Mitte des 19. Jahrhunderts wie folgt beschreibt: Die Geschichte der arbeitenden Klasse in England beginnt mit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Maschinen zur Verarbeitung der Baumwolle. Diese Erfindungen gaben bekanntlich den Anstoß zu einer industriellen Revolution, einer Revolution, die zugleich die ganze bürgerliche Gesellschaft umwandelte und deren weltgeschichtliche Bedeutung erst jetzt anfängt erkannt zu werden. England ist der klassische Boden dieser Umwälzung, die um so gewaltiger war, je geräuschloser sie vor sich ging [...]. (Engels 1845: 11)

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Vgl. Kapitel I.

Der gesellschaftspolitische Wandel

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„Anstoß zu einer industriellen Revolution“ (ebd.) mit „weltgeschichtlicher Bedeutung“ (ebd.) gaben im deutschsprachigen Raum – wenn auch später als in England – die Erfindung und Verbreitung der Maschinen. Vor allem im textilverarbeitenden Gewerbe entstanden bereits Ende des 18. Jahrhunderts moderne Fabriken, die ihre Produktion durch den Einsatz mechanischer Spinnmaschinen und Webstühle steigerten. Diese frühen Industrialisierungsansätze blieben bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts aber weitestgehend auf die heimgewerbliche Herstellung einfacher Konsumgüter und die Verbreitung von Agrarprodukten – wie Leinen oder Wolle – begrenzt. Erst mit dem beginnenden Eisenbahnausbau in den dreißiger Jahren wurden die Grundlagen der einige Jahre später erfolgenden industriellen Expansion geschaffen. Die durch den Eisenbahnbau ausgelöste Nachfrage nach Schienen und Lokomotiven wirkte sich nicht allein förderlich auf die bereits seit Beginn des Jahrhunderts verdichteten Zentren der Eisen- Messing-, Zink- und Bleiverarbeitung aus, sondern auch auf die traditionell dem Bergbau verpflichteten Gegenden (vgl. Hahn 2005: 4f.). Während bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts das industrielle Wachstum nur langsam voranschritt, das Gewerbe noch zu großen Teilen handwerklich und heimgewerblich organisiert war (vgl. Kocka 2001: 50), waren die fünfziger und sechziger Jahre von einer starken industriellen Expansion geprägt. Motor dieser Expansion blieb die Eisenbahn, denn der wachsende Transportbedarf aufgrund der gesteigerten Produktion führte zu einem gesteigerten Ausbau des Schienennetzes, dies wiederum verstärkte die Nachfrage nach Eisen und Stahl, nach neuen Maschinen aber auch nach Energiestoffen wie beispielsweise Kohle. Der stetig steigende Bedarf an Rohstoffen, an metallverarbeitenden Fabriken und Maschinenbaubetrieben hatte nicht allein ein Wachstum traditioneller, sondern auch die Entstehung neuer industrieller Wirtschaftszentren zur Folge, die wiederum einen gesteigerten Bedarf an Arbeitskräften hatten (vgl. Pierenkemper 1994: 58f.). Nachdem bereits zu Beginn des Jahrhunderts zahlreiche Menschen aus ländlichen Gebieten in den wenigen, sich allmählich industrialisierenden Textilgewerbezentren Arbeit gesucht hatten, führte der Ausbau der Industriezentren zu einer massenhaften Binnenwanderung vom Land in die wachsenden und neu entstehenden Städte in den fünfziger Jahren, die bis zum Ersten Weltkrieg kaum abbrach. Durch die zunehmende Verstädterung als Konsequenz der industriellen Modernisierung wurde die Enge des herkömmlichen „familiären“ Lebensumfeldes durchbrochen, Menschen verschiedenster sozialer und lokaler Herkunft lebten in den Städten neben- und miteinander. Hinzu kamen die zahlreichen Pendler, die täglich den Weg aus dem weiteren ländlichen Umfeld in die Städte fanden (vgl. Kocka 2001: 75f.). Mit der Industrialisierung und der Entstehung großer Fabriken wurde „die (an sich viel ältere) Lohnarbeit zum dauerhaften Massenphänomen, und erst mit [der Fabrik] etablierte sich die räumliche Trennung von Haushalt und Erwerbsarbeit als Regel“ (Kocka 2001: 47).

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

Mit dem zunehmenden Ausbau der industriellen Wirtschaftszentren wurde auch die Infrastruktur, das Nah- und Fernverkehrssystem verbessert, das nicht allein Produktion und Handel, folglich der flächendeckenden Erschließung der Wirtschaftsräume diente, sondern auch die täglichen arbeitsbedingten Pendelbewegungen erleichterte sowie zahlreiche neue Freizeitmöglichkeiten außerhalb der Industriestädte zugänglich machte (vgl. Reulecke 1989: 50f.). Der verbesserten Infrastruktur, die die Mobilität der Menschen und den Abbau lokaler sowie sozialer Grenzen förderte, entsprach eine Verbesserung der Informations- und Kommunikationsstruktur. Durch die Erfindung des Telegraphen im Jahre 1837 konnte beispielsweise das Sammeln und Verbreiten von Weltnachrichten30 sowie die Kommunikation zwischen den Wirtschaftszentren erleichtert und beschleunigt werden.31

2.2 Die gesellschaftliche Neuordnung Ähnlich wie im wirtschaftlichen Bereich bereits in der ersten Jahrhunderthälfte moderne industrielle Fabriken neben ältere Gewerbeformen traten und diese allmählich ablösten, mischten sich vor allem in den sich formierenden städtischen Zentren zunehmend ältere, traditionelle mit neueren, modernen Lebensweisen. So wie sich das industrielle Wachstum in der ersten Jahrhunderthälfte zunächst langsam vollzog, löste sich auch die ständische Gliederung – in die frühneuzeitlichen gesellschaftlichen Großgruppen des Adels, Klerus‘, Stadtbürgertums, der Bauern – allmählich in der ersten Jahrhunderthälfte auf. Diese Auflösung der traditionellen ständischen Bindungen resultierte nicht zuletzt aus der bereits beschriebenen räumlichen und sozialen Mobilität wie aus der Durchmischung der Menschen in den wirtschaftlich-städtischen Zentren. Mit der industriellen Expansion ab den fünfziger Jahren des 19. Jahrhundert wurden die Stände schließlich endgültig durch die sich bereits vor 1848 abzeichnende Klassenbildung abgelöst32, die ihre stärkste Ausbildung im späten Kaiserreich fand (vgl. Kocka 2001: 98f.).33 Ende des 19. Jahrhundert unterscheidet Max Weber die sozialen Klassen in die Arbeiterschaft als Ganzes, je automatisierter der Arbeitsprozess wird, das Kleinbürgertum und die besitzlose Intelligenz und Fachgeschultheit (Techniker, kommerzielle und andere 30

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Zu den telekommunikativen Neuerungen und ihren Auswirkung auf die Medienkommunikation im 19. Jahrhundert vgl. von Polenz (1999: 82f.). Eine ausführliche Darstellung der Industriellen Revolution und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen findet sich bei Hahn (2005), Fremdling (1975), Kocka (2001), Pierenkemper (1994). Im Gegensatz zu rechtlich gleichgestellten Klassen, deren Angehörige die gleiche ökonomische Stellung und sich daraus ergebend ähnliche Interessen teilen, stellen Stände soziale Großgruppen einer Gesellschaft dar, die sich voneinander durch selbstdefinierte politisch-rechtliche, soziale und kulturelle Normen und Werte abgrenzen (vgl. Kocka 2001: 98). Zu der Auflösung der Stände und der gesellschaftlichen Neuordnung in Klassen vgl. Reulecke (1989).

Der gesellschaftspolitische Wandel

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„Angestellte“), das Beamtentum, untereinander eventuell sozial sehr geschieden, je nach den Schulungskosten, die Klassen der Besitzenden und durch Bildung Privilegierten. (Weber 5 2002: 179)

Während in den Städten diese vier von Weber beschriebenen sozialen Klassen aufeinandertrafen, traten in der Fabrik die Klasse der „Arbeiterschaft“ (ebd.) und „die Klassen der Besitzenden“ (ebd.) in engen Kontakt miteinander. „Die Fabrik wurde zum ‚locus classicus‘ des Klassenverhältnisses“ (Kocka 2001: 102), zu einem „Ort der direkten Erfahrbarkeit sozialer Ungleichheit“(ebd.). Bereits in den vierziger Jahren – man denke hier an das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 unter dem Motto Proletarier aller Länder vereinigt euch! – begannen deshalb die Arbeiter in revolutionären Bewegungen, sich für ihre politische Gleichberechtigung, ihre ökonomische und soziale Besserstellung einzusetzen (vgl. Kocka 2001: 103f.).34 Anstoß für diese gesellschaftliche Reorganisation und Klassenbildung gab die seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einsetzende Neuordnung des Bürgertums. Das ständische Stadtbürgertum löste sich in rechtlicher Hinsicht allmählich auf zugunsten eines „heterogenen“ Bürgertums, das sich durch kulturelle Werte und Normen, geistige Einstellungen und Ideale als zusammengehörig definierte. Der Staatsrechtler Bluntschli beschreibt 1858 die Zusammensetzung der differenzierten Gruppierung des Bürgertums bzw. des „Dritten Standes“: Der dritte Stand, wie er gegenwärtig überall auf dem Kontinent besteht, aber vorzüglich in Deutschland wie in Frankreich große Ausbildung erlangt hat, zeichnet sich vor den unteren Schichten des vierten Standes (Kleinbürgern, Bauern, Arbeitern) vorzüglich durch zwei Dinge aus, für’s erste durch seine höhere Bildung, sodann durch seine liberalen Berufsarten. Die oberen Klassen des dritten Standes, Beamte, Geistliche, Gelehrte, Advokaten, Aerzte, Doktoren aller Fakultäten haben sogar eine strenge wissenschaftliche Erziehung erhalten und sind [...] in das Heiligthum wissenschaftlicher Forschung und Geistesfreiheit eingeweiht worden. Ihnen nahe kommen diejenigen Klassen, welche zwar weniger eine antik-klassische, aber statt derselben eine modern wissenschaftliche Bildung empfangen haben [...] wie die Offiziere der stehenden Armee, die Ingenieure, viele höhere Techniker, Lehrer, Schriftsteller. (Bluntschli/Brater 1858: 178)

Neben Bildungsbürgertum, welches einen Großteil der bürokratischen und juristischen Funktionselite stellte und politisch wie kulturell die einflussreichste bürgerliche Teilgruppe bildete, erlebte auch das Wirtschafts- oder Besitzbürgertum durch die Industrialisierung einen rasanten gesellschaftlichen Aufstieg: Aber es umfasst der dritte Stand überdem auch die Kaufleute, die Fabrikanten, die Künstler, und künstlerischen Handwerker und eine Masse von mittleren Landwirthen, welche durch ihre Bildung und Lebensart von den eigentlichen Bauern sich unterscheiden und doch nicht zu der wirklichen Aristokratie zählen. In diesen Klassen wirkt besonders die städtische Kultur und die feinere gesellschaftliche Erziehung fort. Fehlt es auch an einer sorgfältigeren wissenschaftlichen Bildung, so finden dieselben in der Kenntniß fremder Sprachen, oder doch in der Ver34

Ausführliche Darstellungen der Arbeiterbewegungen finden sich u.a. auch in Grebing (2007) und Kocka (1990).

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert trautheit mit der nationalen Literatur, in der Theilnahme an den geselligen Kreisen und Genüssen der gebildeten Welt, in der mannigfaltigen Begegnung mit fremden und neuen Erscheinungen, einen gewissen Ersatz. (Bluntschli/Brater 1858: 179)

Während Besitz- und Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert den Bürgerbegriff prägten, kam dem Kleinbürgertum – Selbstständige in Handel und Gewerbe, Handwerker, Kleinhändler und Gastwirte, mittlere und kleinere Angestellte – in der gesellschaftlichen Positionierung eine geringe Bedeutung zu. Ihr Bestreben lag darin, wegen ihres Angestelltenstatus nicht der (Lohn-)Arbeiterschaft zugerechnet zu werden, sondern als „neuer Mittelstand“ (Kocka 2001: 115), der sich in „Selbstverständnis, Ansehen und Lebensstil auf der Seite des Bürgertums“ (ebd.) fühlte, anerkannt zu werden.35 Letztlich positionierte sich das stark differenzierte Bürgertum durch eine gemeinsame Kultur und Lebensführung: Alle diese Klassen haben heutzutage ziemlich dieselbe sociale Bildung und daher auch ähnliche Bedürfnisse. Wie verschieden sie auch im Uebrigen denken und arbeiten mögen, eine genossenschaftliche und ständische Verwandtschaft besteht doch unter ihnen. Sie verstehen sich wechselseitig leicht, finden sich gesellschaftlich bequem zusammen, zeigen gemeinsame Charakterzüge, haben gemeinsame Grundanschauungen, sie haben auch starke gemeinsame Interessen der Kultur und der Politik. (Bluntschli/Brater 1858: 179)

Ursache für die Herausbildung und spätere Etablierung der bildungs- und besitzbürgerlichen Schichten war der zunehmende Bedarf an (aus-)gebildeten Beamten und akademisch Gebildeten im spätabsolutistischen Verwaltungsstaat und den neu entstehenden Gewerbezentren des frühen 19. Jahrhunderts. Vor allem das sich durch Bildungsprivilegien nach unten und oben abgrenzende Bildungsbürgertum wurde schließlich zum Kulturproduzenten und -träger der zuvor betrachteten zentralen Ereignisse, das 19. Jahrhundert zu einem bürgerlichen Jahrhundert, denn es waren bürgerlicher Geist und bürgerliches Personal, die den grandiosen Aufstieg der Wissenschaften zu Wege brachten. Diese revolutionierten die Technik, Produktion und am Ende auch die Organisation der Großwirtschaft; sie begannen, den Alltag der Menschen zu verändern, man denke an Verkehr, Nachrichten, Nahrungsmittel und Unterhaltungsindustrie. Über Bildung und Publizistik drangen sie überdies in die soziale und kulturelle Lebenswelt ein, veränderten sie und halfen mit, traditionelle Deutungsmuster zu delegitimieren, neue Weltdeutungen hervorzubringen und die Fortschrittserwartungen der Menschen nicht nur zu steigern, sondern auch zu beglaubigen. (Kocka 2001: 120)

Dass der wissenschaftliche, technische, produktive, ökonomische und gesellschaftliche Fortschritt des 19. Jahrhunderts – wie Kocka vermerkt – zu einem Großteil vom Bürgertum getragen wurde, bestätigen auch die zeitgenössischen Juristen Bluntschli und Brater 1858: Der dritte Stand ist der natürliche Vertreter der Interessen der Kultur und der Civilisation. Die Barbarei erschreckt, die Rohheit ärgert ihn. Er ist der beweglichste Theil der Nation, der viel35

Zur Formierung und Positionierung des Bürgertums im 19. Jahrhundert vgl. auch Kocka (1988), (1987), Mattheier (1991), Wehler (1995).

Der gesellschaftspolitische Wandel

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geschäftigste, gewandteste. Die administrativen, technischen und industriellen Talente sind voraus bei ihm zu finden. Jede Kunst und jede Wissenschaft hat in ihm ihre Meister und Schüler, Kenner und Liebhaber. [...] Er nimmt lebhaften Theil an allen Fortschritten der Gesellschaft. Sein Einfluss ist allenthalben mächtig. (Bluntschli/Brater 1858: 180)

Diese einflussreiche gesellschaftliche Stellung des Bürgertums hatte eine hohe Ausstrahlungskraft und Vorbildlichkeit weit über die eigene Gruppe hinaus. Auch andere soziale Klassen – nicht allein das oben betrachtete Kleinbürgertum – orientierten sich spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an den zentralen Elementen bürgerlicher Kultur und Lebensweise und versuchten bürgerliche Geselligkeitsformen wie den Verein, bürgerliche Bildungsideale oder bürgerliche Reinlichkeit zu adaptieren (vgl. Kocka 2001: 121).

2.3 Das Entstehen einer Bildungs- und Kulturnation Nicht allein die Orientierung an der vorbildlichen bürgerlichen Kultur und Lebenswiese, sondern auch die eigenen Lebensumstände und die komplexer werdende Lebenswelt in den industriellen Zentren förderten ein zunehmendes Bildungsstreben breiter Bevölkerungsschichten. Seit der Jahrhundertmitte benötigten die industriellen Wirtschaftszentren qualifizierte, (aus-)gebildete Arbeitskräfte, so dass auch die Industriearbeiter, wollten sie im Berufsleben erfolgreich sein, grundlegende Zivilisationstechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschen mussten. Mit der Verstädterung in den fünfziger Jahren korrelierte deshalb eine schnelle Alphabetisierung. Die in weiten Teilen des deutschsprachigen Raumes bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehende Schulpflicht wurde nun zur Selbstverständlichkeit (vgl. Reulecke 1989: S. 47f.). Die Leseund Schreibfähigkeit der Gesamtbevölkerung stieg stetig an, die Analphabetenrate sank bereits zwischen 1800 und 1848 kontinuierlich bis sie in der Jahrhundertmitte vielerorts nur mehr 30%, um 1900 nur 1% der erwachsenen Bevölkerung umfasste. Bald verfügte fast jeder, der auch in seinem beruflichen Umfeld zum Lesen und Schreiben gezwungen war, über die Fähigkeit, einfache Texte zu lesen und auch zu verfassen (vgl. von Polenz 1999: 51f.). Da „das Schwergewicht der Elementarschulbildung [...] bei rezeptiven Fähigkeiten: Vorlesen, Abschreiben, Diktatschreiben“ (von Polenz 1999: 53) und die Aufsatzübungen der Volksschule in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts [...] im Wesentlichen auf Standardbriefe, Geschäftsbriefe, allenfalls Erörterungen über Nützlichkeit und Moralisches beschränkt (ebd.)

blieben, ist davon auszugehen, dass das Bildungsbestreben weiter Kreise der Bevölkerung sich zwar an dem bürgerlichen Bildungs- und Kulturstatus, an bürgerlicher Lebensführung orientierte, nicht aber mit ihm konkurrieren konnte. Seitens des Bürgertums wurde „neben Musik und bildender Kunst vor allem der [klassischen] Literatur [...]“ (Engelhardt 1989: 67) und der Sprache als vereinendes Band „ein erheblicher In-

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

strumentalwert für den zusammenfassenden Abschluss der nationalen Bildung [...] zugesprochen“ (ebd.).36 Die Bedeutung des Bürgertums für die kulturelle Bildung der Gesellschaft, aber auch die Konzentration derselben auf die bürgerlichen Schichten veranschaulichen Bluntschli/Brater 1858: Unsere Literatur ist größtenteils wie aus dem dritten Stand erwachsen, so auch vorzugsweise für denselben bestimmt, sowohl die gelehrte und wissenschaftliche als auch die schöngeistige Litteratur. Wie die Franzosen ihn politisch mit dem Volke verwechselt haben, so sind wir nicht sicher, ihn literarisch mit der Nation zu verwechseln. Wie unsere Schulbildung und sogar eine gelehrte Bildung weit verbreitet und vorgeschritten und eine gewisse mittlere Ausstattung in Vermögen und Erwerb sehr allgemein ist, so erscheint der so ausgedehnte und mit den untern Massen vielfach verwachsene dritte Stand so groß und so überall, daß man leicht über ihm die Massen vergisst, die noch hinter ihm stehen. (Bluntschli/Brater 1858: 179)

2.4 Das (bürgerliche) Streben nach nationaler Einheit Diese von Bluntschli/Brater mehrfach hervorgehobene soziale und kulturelle Vormachtstellung des Bürgertums im 19. Jahrhundert wird noch erweitert und verstärkt durch das politische Engagement bürgerlicher Gesellschaftsschichten. Dieses konnte von Zeitgenossen wie Bluntschli/Brater nicht durchweg positiv beurteilt werden, da es – ob des Wissens der eigenen gesellschaftlichen Bedeutung – die eigenen Wünsche und Bedürfnisse vor denen anderer gesellschaftlicher Gruppierungen bevorzuge: Der dritte Stand hat gegenwärtig ein sehr lebhaftes Selbstgefühl, er fühlt sich nicht blos als Träger der nationalen Kultur, sondern ebenso als das natürliche Organ der politischen Einsicht der Nation. Er hat ein gewisses Verständnis für die Bedürfnisse und Wünsche der Zeit, und weiß dieselben auszusprechen und die Mittel zu ihrer Befriedigung zu erwägen. [...] In den Kammern, voraus in den Deputirtenkammern, sitzt und spricht er fast allein. Auch in der Nationalversammlung in Frankfurt war er in ungeheurer Majorität vertreten. [...] Er hat sich selber mit der Nation identificiert und eine Verfassung gemacht, welche sowohl den höheren Stand der deutschen Fürsten als auch den untern Stand der arbeitenden Klassen völlig ignorierte. (Bluntschli/Brater 1858: 179)

Bluntschli/Brater deuteten vor allem auf die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche hin, in der 1848 die primär vertretene Schicht des Bürgertums die nationale Einheit vorbereite und eine gesamtdeutsche Reichsverfassung erarbeiten sollte. Da die Abgeordneten in ihren Forderungen und Zielsetzungen weit voneinander abwichen, wurden die Verhandlungen immer wieder gelähmt und die Paulskirchenverfassung, die eine konstitutionelle Monarchie mit Erbkaisertum vorsah, erst 1849 verabschiedet. Letztlich scheiterte die Frankfurter Nationalversammlung und mit ihr die Deutsche Revolution, da der preußische König Wilhelm IV. die ihm angetragene Kaiserwürde 36

Ausführlichere Untersuchungen zu Bildungsgütern und Bildungswissen des Bürgertums im 19. Jahrhundert finden sich in Koselleck (1990).

Der gesellschaftspolitische Wandel

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ablehnte. Einige Teilerfolge und Fortschritte konnten dennoch erzielt werden, so die endgültige Abschaffung der feudalen Ordnung, die Lockerung der Pressezensur oder das Einrichten von Schwurgerichten. Die Forderung nach nationaler Einigung und demokratischen Bürgerrechten wurde lange vor der gescheiterten Märzrevolution von 1848/49 laut. Die erste Jahrhunderthälfte war durchweg geprägt von liberal-nationalen Bewegungen, die die Errichtung eines deutschen Nationalstaates mit liberaler Verfassung zwar vorsahen. Diese wurden jedoch durch verschiedenste restaurative Maßnahmen niedergeschlagen. So wurde bereits auf dem Wiener Kongress von 1815 beschlossen, die politischen Machtverhältnisse des Ancien Régime in Europa weitestgehend wiederherzustellen, jegliche revolutionären, freiheitlichen oder nationalen Bewegungen zu bremsen. Auch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 sahen strenge Maßnahmen zur Überwachung nationaler und liberaler Kräfte vor. Neben der Exekutionsordnung, dem Universitätsgesetz und dem Untersuchungsgesetz behinderte vor allem das Pressegesetz – die strenge Zensur der Presse – die Verbreitung von revolutionärem Gedankengut, die öffentliche Meinungsfreiheit. Letztlich konnte die bereits seit dem Vormärz – vor allem seitens der Burschenschaften – geforderte nationale Einigung erst 1871 nach Preußens Sieg über Versaille und der Krönung Wilhelms I. zum ersten deutschen Kaiser realisiert werden (vgl. Wehler 1995: 196f.). Das 19. Jahrhundert war folglich nicht allein geprägt durch fundamentale ökonomische und soziale Strukturwandelprozesse, sondern auch durch liberale und nationalstaatliche sowie dem entgegenstehende restaurative Bestrebungen.

2.5 Historische Periodisierung des 19. Jahrhunderts Die bisherigen historischen Betrachtungen zeigen, dass der Untersuchungszeitraum, in den der Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss eingebettet ist, durch innere Zusammenhänge, durch weitreichende ökonomische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen gekennzeichnet ist, die sich in ihrer Intensität, in ihrer Kraft und ihren langfristigen Auswirkungen von den vorhergehenden und nachfolgenden Zeitabschnitten unterscheiden. Das 19. Jahrhundert ist wegen dieser inhaltlichen Bestimmung nach Kocka (2001: 138) als Zeitraum zu betrachten, der von „epochemachenden“ Ereignissen eingefasst und durch „epochemachende“ Entwicklungen bestimmt ist. Ob dieser inhaltlich-zeitlichen Bestimmung als Epoche beginnt das 19. Jahrhundert nicht mit dem Jahrhundertwechsel, sondern mit der Französischen Revolution, der tiefgreifende gesellschaftspolitische Veränderungen und Neuordnungen nicht nur im deutschsprachigen, sondern im gesamten europäischen Raum folgten. Das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmt der Erste Weltkrieg, in dessen Gefolge sich neue politische Umbrüche ergaben (vgl. Kocka 2001: 138f.). Das den Weg in die Moderne bereitende 19. Jahrhundert gilt als Epoche der Industrialisierung, der Urbanisie-

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rung, der technischen Errungenschaften, der gesellschaftlichen Neuordnung unter bürgerlicher Vormachtstellung und der Bildung europäischer Nationen. Da der Untersuchungszeitraum des langen 19. Jahrhunderts also fast 125 Jahre umfasst, in denen sich eine Vielzahl von Veränderungen ergaben, bietet sich eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Gliederung der Epoche in drei Phasen an. Neben entscheidenden politischen Daten, die als Zäsuren der drei Zeitabschnitte dienen, stellt vor allem die Industrialisierung – als „fundamentalster Wachstums- und Strukturwandelprozess“ (Kocka 2001: 44), als eine „im Kern sozialökonomische Entwicklung, die aber in so gut wie alle Lebensbereiche ausstrahlte und in begrenzter Zeit die Welt drastisch veränderte“ (ebd.) – einen bedeutenden Orientierungspunkt in der zeitlichen Strukturierung der Epoche des langen 19. Jahrhunderts dar: (1) Die Vorbereitungsphase der Industrialisierung – auch als Phase der Voroder Frühindustrialisierung bezeichnet – begann mit den durch die Französische Revolution angestoßenen Modernisierungsreformen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte bis in die vierziger Jahre an. Diese erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von einem langsamen industriellen Wachstum, von einem zunächst handwerklich organisierten Gewerbe, welches sich allmählich der technischen Neuerungen zur Mechanisierung der Produktion bediente. Durch die beginnenden Wanderungen in die Gewerbezentren, durch die zunehmende Forderung nach akademisch Gebildeten infolge der angehenden Technisierung veränderte sich auch die Gesellschaftsstruktur, die alten Stände lösten sich langsam auf. Auch die Forderung nach einer politischen Neuordnung des deutschsprachigen Raumes wurde immer lauter, eine nationale Einigung konnte aber wegen starker restaurativer Gegeninitiativen nicht realisiert werden. (2) In der Durchbruchsphase der Industrialisierung zwischen den vierziger und siebziger Jahren mündeten die vorbereitenden Ereignisse der ersten Jahrhunderthälfte in eine Industrielle Revolution, die einen grundlegenden demographischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel zur Folge hatte. Diese Phase war geprägt von massenhaften Wanderungen, vom Ausbau der Wirtschaftszentren und der Infrastruktur, von einem enormen Bevölkerungswachstum und zunehmendem Wohlstand. Die komplexer werdende Lebenswelt, aber auch die Vormachtstellung des Bürgertums förderten die kulturelle und nationale Mobilisierung der Gesellschaft. Die in der Vorbereitungsphase noch wenig erfolgreichen nationalen Bestrebungen konnten während der Durchbruchsphase der Industrialisierung erste Ergebnisse in der Märzrevolution von 1848/49 erzielen und 1871 das nationalstaatliche Prinzip durchsetzen. (3) Die mit der Reichsgründung beginnende Phase der Hochindustrialisierung war geprägt von einem weiteren industriellen und sozialen Ausbau des Natio-

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nalstaates, in dem nicht mehr Stände, sondern soziale Klassen das gesellschaftliche Bild prägten (vgl. Kocka 2001: 50f.).37 Die bisher betrachteten ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen des 19. Jahrhunderts spielten, da sie Einfluss auf die kommunikativen Bedürfnisse und Anforderungen hatten, auch für den sprachlichen Wandel eine entscheidende Rolle. Konzentrieren sich die erwähnten Veränderungen in unterschiedlichen Zeiträumen, so ist anzunehmen, dass auch sprachliche Entwicklungen innerhalb dieser Phasen mit den außersprachlichen Veränderungen korrespondieren (vgl. Schild 1989: 33).

3. Sprachliche Entwicklungen im 19. Jahrhundert Funktionieren „die Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft [...] als öffentliche Kommunikationspraxis“ (von Polenz 1989: 12), so entwickeln sich mit dem grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Realität, der soziohistorischen Lebensumstände und -bedingungen neue kommunikative Ansprüche und Bedürfnisse der Sprachteilnehmer, mit denen Veränderungen in den Existenzformen der Sprache einhergehen, die in ihrer wechselwirkenden Abhängigkeit von den soziohistorischen Entwicklungen im Folgenden betrachtet und periodisiert werden.

3.1 Die Sprachsituation um die Jahrhundertwende Wie in den vorhergehenden Überlegungen bereits mehrfach angeklungen ist, dominierte im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert noch die primär heimgewerblich und handwerklich organisierte Arbeit, so dass eine strikte Trennung von Arbeitsplatz und Familie nur selten der Fall war. Breite Bevölkerungsgruppen, vor allem in bäuerlich-ländlichen Gebieten, bewegten sich hauptsächlich in den kleinräumigen, vertrauten Verhältnissen der Familie, der Dorfgemeinschaft oder des Handwerkbetriebs, folglich in homogenen Sprachgemeinschaften. Diese kleinräumigen und privaten Kommunikationssituationen ließen sich mit den tiefen Ortsdialekten problemlos meistern. Auch in den städtischen Gebieten war die gesprochene Sprache höherer Gesellschaftsschichten dialektal geprägt. Diese städtischen Dialekte unterschieden sich von den derben und meist stigmatisierten Orts- oder Bauerndialekten und entwickelten sich später unter Einfluss der gesprochenen Form des Standarddeutschen zu regionalen Umgangssprachen. Neben den Dialekten, die die Grundschicht der gesprochenen Sprache bildeten, nahm bereits im 18. Jahrhundert die Zahl der Fachsprachen zu, die sich zunächst aber noch an den 37

Zu den gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb der drei Phasen vgl. auch Mattheier (1991: 45f.).

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alten Handwerker- und Wissenschaftssprachen orientierten und sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts infolge der Industrialisierung, Technisierung und Professionalisierung des Alltags- und Berufslebens voll entfalteten. Im Bereich der Schriftsprache hatte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine durch Grammatiken und die Schriftlichkeit von Sprachautoritäten relativ einheitlich geprägte Norm der Standardvarietät durchgesetzt, die „in den Schulen vermittelt und im Geschäftsleben und in der Verwaltung erwartet und gefordert“ (Mattheier 1991: 44) wurde. Verwendung fand die Standardvarietät um die Jahrhundertwende zunächst in der sich neu formierenden sozialen Gruppe des Bürgertums, die als Voraussetzung für ihre Beherrschung ein hohes Maß an Schulbildung vorweisen konnte. Es ist anzunehmen, dass die Standardsprache auch in dieser sozialen Sprachgemeinschaft vorwiegend schriftsprachlich realisiert, sprechsprachlich aber noch vom jeweiligen Dialekt beeinflusst war. Um die Jahrhundertwende hatte die Standardvarietät folglich eine noch geringe (sozio-)linguistische Realität, insofern sie primär auf den schriftsprachlichen und literarischen Gebrauch einer ausgewählten sozialen Sprachgemeinschaft begrenzt war. Nicht zuletzt durch diese aus der soziolinguistischen Perspektive stark eingeschränkte Verwendung gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Standardvarietät zum Symbol für die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppierung des Bildungsbürgertums.38

3.2 Der Wandel der kommunikativen Bedingungen und seine Folgen für die Sprache Die sprachlichen Verhältnisse der Jahrhundertwende setzten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwar noch fort, wurden aber bald entscheidend zugunsten allgemeinsprachlicher Varietäten verändert. Vor allem die in der ersten Jahrhunderthälfte durch die zunehmende Technisierung und Industrialisierung ausgelösten Veränderungen in den Arbeits- und Lebensverhältnissen wandelten die kommunikativen Anforderungen an die deutsche Sprachgemeinschaft erheblich. Die Bedeutung der Städte für den Wandel der kommunikativen Bedingungen und sprachlichen Entwicklungen hebt Heinrich Rückert (1864) hervor: Es sei uns gestattet, einen Blick auf den Einfluß der großen Städte für die allgemeine Verbreitung der Schriftsprache zu thun, weil unter all den verschiedenen Kräften, die unwillkürlich dafür thätig sind, keine wirksamer ist als diese [...] Die immense Steigerung des Verkehrs und der gewerblichen Thätigkeit und Concurrenz hat die meisten unserer großen Städte eben zu großen Städten gemacht. Dazu kommt die örtliche Berührung der verschiedensten Gesellschaftskreise und Stände. (Rückert 1864: 116f.)

38

Einen kurzen Überblick über die Sprachsituation der Jahrhundertwende als Grundlage der sprachlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts bieten auch Cherubim (1983b: 402f.), Mattheier (1991: 43f.), (2000: 1951f.) und Schildt (1989:33f.).

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In den neu entstehenden und expandierenden industriellen Zentren, in denen wegen des steigenden Arbeitskräftebedarfs und der daraus resultierenden zunehmenden Binnenwanderung Menschen verschiedener sozialer und regionaler Herkunft – folglich mit unterschiedlichen sprachlichen Grundlagen – zusammentrafen, ergaben sich neue kommunikative Anforderungen an die Bewohner. Der tiefe Ortsdialekt, der in ländlichen Gegenden für die überwiegend kleinräumige, vertraut private Kommunikation angemessen war, konnte den großräumigen, unpersönlichen und rasch wechselnden städtischen Kommunikationssituationen nicht gerecht werden. In den Fabriken gestalteten sich die kommunikativen Verhältnisse ähnlich. Arbeiter aus unterschiedlichen Regionen trafen hier aufeinander und kamen zudem in Kontakt mit – bürgerlichen – Vorgesetzten, die weniger im tiefen Ortsdialekt als vielmehr in den städtischen Dialekten oder der gesprochenen Form der Standardsprache sozialisiert waren. Um miteinander im Alltags- und Berufsleben kommunizieren zu können, waren die sprachlich heterogenen Gruppen in den städtischen Zentren zu kommunikativer Anpassung gezwungen, was bedeutete, dass sie zunächst den tiefen Ortsdialekt „ablegen“ mussten und sich an dem allgemein verständlicheren städtischen Dialekt und der gesprochenen Form der Standardsprache zu orientieren versuchten. Rückert äußert sich zu diesem Bedeutungsverlust der Dialekte und der zunehmenden Ausprägung überregional gültiger Sprachformen folgendermaßen: Unsere Städte sind durch eigenthümliche Verhältnisse der allgemeinen Volkswirthschaft in einer ganz unverhältnißmäßigen Proportion an Bevölkerung seit dem letzten Menschenalter gewachsen. Die Zunahme ist nicht erfolgt durch Überschuß an Geburten, sondern durch immer massenhaftere Einwanderung vom Lande und den verhältnißmäßig verödeten kleineren Städten. Die neuen Einwanderer bringen, falls sie sich nicht schon ihres heimischen Dialekts entwöhnt haben, diesen nur mit, um ihn sobald als möglich abzulegen. Aber sie vertauschen ihn nicht mit dem neuen Lokaldialekt, denn dieser ist selbst schon so weit zurückgedrängt, daß er keine Eroberungen mehr machen kann. Sie gewöhnen sich mehr oder minder an die allgemeine Durchschnittssprache der Gebildeten und pflanzen diese in ihre Kreise fort. Von dem Lokaldialekt bleibt unter einer Bevölkerung, die großentheils selbst eingewandert ist, deren Väter und Großväter fast alle fremde gewesen sind, nichts mehr übrig, als höchstens einige besondere Wörter und Wendungen eine lokale Aussprache der allgemein deutschen Sprache [...] In der Substanz ist die Sprache des Volkes hier wie dort schon wesentlich dieselbe und wird es jeden Tag mehr. (Rückert 1864: 117)

Auf Basis der städtischen Dialekte und in Orientierung an standardsprachlichen Formen bildeten sich im 19. Jahrhundert regionale Umgangssprachen – nach Rückert „allgemeine Durchschnittssprachen“ mit „lokaler Aussprache“ – heraus. Vor allem durch die Pendler, die durch ihre Arbeit in der Stadt und ihr privates Leben auf dem Land zwei Kommunikationsgemeinschaften angehörten, gewann die Umgangssprache zunehmend auch außerhalb der wirtschaftlichen Zentren an Bedeutung und löste die Dialekte als sprachliche Grundschicht ab. Auch durch den zunehmenden Ausbau des Verkehrswesens, der Post und der Medien, durch die steigende räumliche und soziale Mobilität in der Freizeit erweiterten sich die Kommunikationsräume, so dass die täglich neuen In-

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halte der komplexer werdenden und sich schnell wandelnden Realität nur durch weiträumigere Sprachformen – wie den regionalen Umgangssprachen – kommunikativ bewältigt werden konnten. „Neben diesen Ausgleichs-, Mischungs- und Standardisierungsprozessen finden sich Differenzierung und Spezialisierung“ (Cherubim 1983b: 404), denn durch die zunehmende Professionalisierung und Technisierung des (Berufs-)Alltags, durch verstärkt einsetzende Entwicklungen in Wissenschaft, Handel, Politik und Kultur entstanden moderne politische, fach- und gruppensprachliche Kommunikationsformen. Um die zahlreichen neuen Inhalte und Entwicklungen kommunikativ verarbeiten zu können, erweiterte und veränderte sich vor allem der Wortschatz stetig. Fehlte eine deutsche Bezeichnung, griff man – wie Rückert bemerkt – oftmals auf fremde Sprachen zurück: Die Gegenwart hat durch das massenhafte Einströmen neuer technischer Erfindungen, das Bekanntwerden unzähliger neuer Stoffe und die Einzelausarbeitung der Naturkenntnisse geradezu die Nothwendigkeit, diese Menge fremdartiger Gegenstände auch mit den fremden Namen zu bezeichnen. (Rückert 1864: 123)

Die weitreichenden modernisierenden Entwicklungen des 19. Jahrhunderts infolge des zentralen Prozesses der Industrialisierung hatten folglich einen grundlegenden Wandel der kommunikativen Bedingungen und somit eine „Umschichtung und Neukonstruktion verschiedener Sprachformen“ (Cherubim 1983b: 404), vor allem aber eine Verbreitung standardnaher Sprachformen zur Folge.39

3.3 Die Durchsetzung der Standardsprache im 19. Jahrhundert Durch die beschriebenen Veränderungen im alltäglichen Dasein breiter Bevölkerungsschichten, die einen Wandel der Kommunikationsbedürfnisse und -bedingungen zur Folge hatten, stieg der Stellenwert der (Standard-)Sprache im 19. Jahrhundert stetig an, da die sprachliche Kenntnis und Kompetenz durchaus entscheidend für den beruflichen Erfolg und die Teilhabe am öffentlichen Leben wurde. Nicht allein die betrachteten sozioökonomischen und demographischen Veränderungen begünstigten diesen Wandelprozess, sondern auch und vor allem soziologische Faktoren waren ausschlaggebend dafür, dass lokal begrenzte Varietäten durch weiträumig gültige, standardnahe Sprachformen in ihrer Bedeutung für die Kommunikation abgelöst wurden. Der Sprachwandel des 19. Jahrhunderts, für den die Verbreitung standardnaher und die Zurückdrängung lokaler Varietäten konstituierend ist, resultierte letztlich aus dem Zusammenspiel von Notwendigkeit und Vorbildlichkeit – folglich aus der Wechselwirkung zwischen den neuen kommunikativen Bedürfnissen der Bevölkerung und dem Vorhandensein einer gesellschaftlich wie sprachlich vorbildlichen sozialen Gruppierung. 39

Den Wandel der kommunikativen Bedingungen und seine Folgen für die deutsche Sprache betrachten ausführlich Schild (1989: 33f.) und Cherubim (1983b: 403f.).

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a. Die Standardsprache als Sozialsymbol Diese sprachlich vorbildliche soziale Gruppierung ist das seit Ende des 18. Jahrhunderts stetig an gesellschaftspolitischer Bedeutung gewinnende (Bildungs-)Bürgertum, welches durch seine höhere Bildung gegenüber anderen sozialen Formationen – nach oben gegen den etablierten Stand des Adels, nach unten gegen Kleinbürgertum und Proletariat – seinen Gruppencharakter dokumentierte und symbolisierte. Zeichen höherer „bürgerlicher“ Bildung, „das zentrale Formelement bürgerlicher Kultur“ (Linke 1991: 258) war die deutsche Hochsprache, deren Kenntnis und aktive Kompetenz durch gymnasiale Aufsatz- und Lektüreübungen, vor allem aber durch die Orientierung an Sprachtraditionen und -vorbildern der klassischen Literaturperiode erworben werden konnte. Unter „spezifisch bürgerlich“ (Cherubim 1983b: 406) ist – wegen der Heterogenität des sozialen Standes und der kommunikativen Auseinandersetzung mit anderen sozialen Gruppierungen – weniger eine homogene Sprache als vielmehr eine gemeinsame Sprachkultur zu verstehen, die sich durch spezifische Normen und Ideale sprachlichen Verhaltens definierte und in diesem Sinne beispielsweise das „Klassiker-Deutsch als Orientierungsgröße für angemessene Sprachverwendung“ (Mattheier 1991: 52) erachtete. Das spezifisch Bürgerliche ist also weniger in spezifischen Sprachmitteln als im Sprachgestus zu suchen, d.h. in den Formen des Bewusstseins und Verhaltens gegenüber tradierter, umgebildeter, heterogener Sprachmittel [...] Bürgerliche Sprache wäre über Konnotationen (Sprachgefühl, Spracheinstellungen, Sprachwertmuster usw.) organisierte Zuordnung bestimmter Sprachmittel und Sprachverhaltensweisen zu verschiedenen Sprachhandlungssituationen. (Cherubim 1983b: 406)

Die Standardsprache, die ihren Ausdruck in der klassischen deutschen Literatur fand, erlangte somit zunächst als kollektive bürgerliche Leitnorm für sprachliches Verhalten gesellschaftliche Relevanz, indem sie „sozialsymbolische Aufgaben zur Formierung von gesellschaftlichen Beziehungen“ (Mattheier 1991: 41), vor allem zur inneren Konsolidierung und äußeren Abgrenzung der sozialen Gruppierung des Bürgertums übernahm. Die Fähigkeit, sich der Standardsprache sowohl schriftlich als auch mündlich zu bedienen, wurde zum Symbol für Zugehörigkeit zu der gesellschaftlichen Formation des Bürgertums.40 Da das Bürgertum seit der Jahrhundertwende zu einer treibenden Kraft der ökonomischen, politischen und sozialen Veränderungen wurde, seine wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftspolitische Bedeutung mehr und mehr zunahm, wurden typisch bürgerliche Identifikationselemente zunehmend erstrebenswert für breite Bevölkerungsschichten. Vor allem bürgerliche Bildung und Lebensformen wurden zum Maßstab angemessenen gesellschaftlichen Verhaltens und Erfolgs. „Das Streben nach dem Firniß

40

Eine genaue Untersuchung des bürgerlichen Sprachgebrauchs und -verhaltens findet sich bei Linke (1991). Zusammenfassende Darstellungen bieten Cherubim (1983), Mattheier (1991) und (2000).

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der Bildung ist jedem Kinde unserer Zeit gleichsam eingeboren; weil jedem der schrankenlose Gleichsinn eingeboren ist, aus dem jenes stammt“ (Rückert 1864: 114). Als Zeichen – oder vielmehr Sozialsymbol – bürgerlicher Bildung galt, wie Rückert bemerkte, die Kenntnis und richtige Verwendung der Standardsprache: Der Begriff der gleichmäßigen Bildung ist eine unwiderstehliche Macht geworden [...] wer gebildet sein will, und das will jetzt jedermann, sucht sich so vollständig als möglich der Norm der höheren Sprache zu bequemen. (Rückert 1864: 129)

Die Orientierung breiter Bevölkerungsschichten an bürgerlicher Bildung und Lebensweise war laut Rückert eng verbunden mit der gesteigerten Notwendigkeit, der an Komplexität zunehmenden Lebenswelt und den neuen kommunikativen Anforderungen sprachlich gerecht zu werden: Das wachsende Bedürfniß nach einem möglichst correcten schriftlichen Ausdruck, der schon als fast unerläßliche Vorbedingung für jeden Geschäftsmann gilt, ist auch eine moderne Erscheinung. Da sich alle Erwerbs- und Berufsverhältnisse, selbst die elementarsten, wie der Betrieb der bäuerlichen Wirthschaft, mehr und mehr zu einem Geschäfte im specifischen Sinne des Wortes umgestaltet haben oder umzugestalten beginnen, so öffnet sich mit dieser durchgreifenden Metamorphose, welche Millionen von Individuen erfahren, ein ergiebiges Feld für unsere an sich schon üppig wuchernde Schreibseligkeit. (Rückert 1864: 115)

Das (Bildungs-)Bürgertum als Träger und Beschleuniger der außersprachlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts erlangte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch eine sprachliche Vorbildfunktion für weite Bevölkerungskreise, da es den neuen soziokommunikativen Bedingungen, den weiträumigen und überregionalen Kommunikationssituationen durch seinen Bildungshintergrund und seine (Standard-)Sprachkompetenz gerecht werden konnte.

b. Die Popularisierung und Pädagogisierung der Standardvarietät Die Folge dieser bürgerlichen Vorbildlichkeit lag in der bereits erwähnten Übernahme bildungsbürgerlicher Ausdrucks- und Lebensweisen durch andere Schichten der Bevölkerung. In der ersten Jahrhunderthälfte orientierten sich zunächst das Besitzbürgertum und der Adel an den bildungsbürgerlichen Leitbildern. Spätestens ab der zweiten Jahrhunderthälfte, in der durch Industrialisierung und Modernisierung die Lebenswelt und ihre Kommunikationsbedingungen zunehmend komplexer wurden, begannen sich die bildungsbürgerlichen Lebensweisen und Sozialsymbole zunehmend auch unter der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung und der Arbeiterschaft zu verbreiten. Diese „Entkonturierung des Bildungsbürgertums“ (Mattheier 1991: 49) – der Verlust der scharfen sozialen Konturen, indem zunächst Teilgruppen des Bürgertums, dann nichtbürgerliche Schichten „die kulturellen Ausdrucksformen übernehmen oder sie zumindest als Leitund Orientierungsnormen anerkennen“ (Mattheier 1991: 48) – und ihre sprachlichen Folgen beobachtete in den sechziger Jahren auch Rückert:

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Denn neben dem Bürgerthum in seiner engeren Begrenzung rühren sich überall auch die eigentlichen Massen, deren Dasein vorher kaum beachtet wurde. Die städtische Bevölkerung derjenigen socialen Stufe, die wir jetzt als städtisches Proletariat zu bezeichnen gewohnt sind, greift überall in das Leben und den Verkehr der eigentlichen Bürger ein. Hinter den einen wie den anderen steht auch das Landvolk. Alle zusammen aber sind damals sprachbildende Faktoren geworden. (Rückert 1864: 128)

Mit der Entkonturierung des Bildungsbürgertums im Laufe des 19. Jahrhunderts geht nicht allein der Prozess der Popularisierung – folglich der Ausweitung der Trägerschaft – der Standardvarietät einher, sondern auch der damit eng verbundene Vorgang der Pädagogisierung – d.h. die pädagogische Aufbereitung der Standardsprache als Gegenstand des Unterrichts und als zentrales Lehr- und Lernziel (vgl. Mattheier 1991: 50f.). Neben dieser linguistischen Perspektive des Pädagogisierungsprozesses führt Mattheier (1991: 62) zwei soziolinguistische Aspekte an. Einerseits wurden – durch die Aufwertung und Verbreitung der Standardvarietät im Rahmen des Schulunterrichts – dialektal geprägte Varietäten nicht nur verdrängt, sondern auch innerhalb schulischer und öffentlicher Umgebungen immer weniger toleriert. Andererseits wurden durch die unterschiedliche Gestaltung des Deutschunterrichts in Gymnasien und Volksschulen soziale Gegensätze stabilisiert. Während höhere, vor allem bürgerliche Gesellschaftsschichten den mündlichen und schriftlichen Gebrauch der deutschen Standardsprache durch das selbstständige Verfassen von Texten im Rahmen von gymnasialen Aufsatz- und Stilübungen erlernten, wurden Bauern oder Arbeiterschaft, deren Deutschunterricht sich zumeist auf das Abschreiben von Texten beschränkte, lediglich passive Sprachkenntnisse in Volksschulen vermittelt. Texte unterer sozialer Schichten entsprachen selten den grammatischen Normen, sondern waren von dialektalen und sprechsprachigen Elementen durchzogen. Mattheier bezeichnet diese vor allem von Arbeitern und Bauern (schriftlich) verwendete Varietät, „in welcher Sprechsprachlichkeit, Dialektalität und unvollständiger Sprachnormerwerb ihre Spuren hinterlassen“ (Mattheier 2000: 1956f.) als „Protostandard“ (ebd.), der erst im 20. Jahrhundert verdrängt wurde. Dass „die Sprachlichkeit und das Verfügen über die Standardsprache zu einer erkennbaren Markierung für die soziale Herkunft“ (Mattheier 1991: 66) – aufgrund unterschiedlicher Unterrichtsmethoden von Gymnasium und Volksschule – wurde, bestätigt der Zeitgenosse Rückert: Der Contrast der tölpelhaften Volksthümlichkeit mit der höheren Bildung wird durch die Sprache deutlich symbolisiert. Es ist also dieselbe Anschauungsweise, die das Volk gegenwärtig von seinen Dialekten hat, ohne es zu wissen. Wer in der Volkssprache redet, macht sich lächerlich, weil er in der Sprache der Bildungslosigkeit redet. (Rückert 1864: 131).

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c. Die Standardsprache – Vom Sozial- zum Nationalsymbol Da die Verwendung der sogenannten Volkssprache in der sich modernisierenden und professionalisierenden Lebenswelt des 19. Jahrhunderts zunehmend mit – wie Rückert bemerkt – „Bildungslosigkeit“ (Rückert 1864: 131) gleichgesetzt wird, nehmen die Bestrebungen unterer Bevölkerungsschichten, sich der bürgerlichen Prestigevarietät – vor allem gegenüber ihren Vorgesetzten – zu bemächtigen, immer mehr zu. Nicht allein innerhalb der schriftsprachlichen Kommunikation, die vor allem in den unteren Schichten ohnehin auf Briefe und Bittschriften reduziert war, sondern auch in der mündlichen Kommunikation nahm die Bedeutung der Standardsprache, der Versuch nach der Schrift zu sprechen, im 19. Jahrhundert zu. Die soziolinguistische Dominanz der Standardvarietät und die verstärkte Stigmatisierung des Dialekts als Zeichen von „Bildungslosigkeit“ (ebd.) wie die Herausbildung einer immer überregional und dialektfreier werdenden Standardsprache [...] in enger Wechselwirkung mit der Herausbildung von gesellschaftlichen Institutionen und Anlässen, in denen die Annäherung an die Standardsprache erforderlich war (Mattheier 1991: 55),

folglich die Verbreitung einer nichtdialektalen Sprechweise aufgrund sich wandelnder Kommunikationsbedürfnisse bedingten sich hierbei gegenseitig. Das stetige Wachstum der Trägerschaft der geschriebenen und gesprochenen Standardvarietät im 19. Jahrhundert, die zunehmende Orientierung aller gesellschaftlichen Gruppen an bürgerlichen Lebens- und Kommunikationsweisen hatte schließlich zur Folge, dass die Standardvarietät ihren Charakter als gruppenspezifisches Sozialsymbol verlor und zu dem Symbol für die deutsche Nation wurde, welches bereits seit der Jahrhundertwende verstärkt gefordert wurde (vgl. Mattheier 2000: 1957). Zwar galt die Standardsprache gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr als Sozialsymbol einer gesellschaftlichen Gruppierung, sondern als einendes Symbol einer Nation, ihren Charakter als Statussymbol hatte sie jedoch nicht gänzlich abgelegt, insofern ihre aktive oder passive Kompetenz noch immer auf den Bildungshintergrund des Sprechers schließen ließ. Da das Bildungsbürgertum durch diesen Statuswechsel sein entscheidendes Abgrenzungsmittel gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen verlor, sich seine festen sozialen Konturen langsam auflösten, versuchte es seit der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend, sein soziales Prestige, seinen gesellschaftlichen Status zu sichern. In sprachkritischen und -pflegerischen Werken suchte es, den eigenen Sprachgebrauch durch die Orientierung an den Klassikern als den Sprachautoritäten zu legitimieren und gegenüber standardsprachlichen Versuchen anderer gesellschaftlicher Gruppen als überlegen darzustellen. Indem es die Definitionsmacht über richtiges, schönes und gutes Deutsch für sich beanspruchte, konnte es seinen sozialen Status vor anderen Sprachgruppen sichern, die lediglich versuchen konnten, dieses nachzuahmen (vgl. Polenz 1999: 298f.).

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3.4 Die sprachliche Periodisierung Da die sprachlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, die sich in einer „Umschichtung und Neukonstruktion verschiedener Sprachformen“ (Cherubim 1983b: 404) manifestieren, eng an die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Veränderungen gebunden sind, bietet sich der Versuch einer sprachlichen Periodisierung aufgrund des Sprachwandels anhand der bereits vorgenommenen dreigeteilten Strukturierung dieser langen (sprach-)historischen Epoche an. (1) Die bis in die vierziger Jahre andauernde Vorbereitungsphase der Industrialisierung war sprachhistorisch bzw. -soziologisch geprägt durch die Ausbildung des Bildungsbürgertums als erste Trägerschicht der Standardvarietät. Durch die zunehmende gesellschaftliche Vormachtstellung dieser sozialen Gruppierung, die die sozioökonomischen Entwicklungen anregte und steuerte, gewannen auch ihre Sprach- und Lebensweisen zunehmend an Prestige und Vorbildhaftigkeit für andere soziale Formationen. (2) Spätestens in der Durchbruchsphase der Industrialisierung zwischen den vierziger und siebziger Jahren weitete sich der Geltungsbereich der Standardvarietät aus. Um den weiträumigeren Kommunikationssituationen in der sich schnell wandelnden Lebens- und Arbeitswelt gerecht zu werden, versuchten auch andere gesellschaftliche Gruppen sich weiträumig gültiger Sprachformen zu bemächtigen. Auch für die gesprochene Sprache gewann der Standard zunehmend an Bedeutung. Vor allem in den expandierenden Wirtschaftszentren verbreiteten sich regionale Umgangssprachen, die die zunehmend stigmatisierten Dialekte als sprachliche Grundschicht allmählich ablösten. Durch das zunehmende Wachstum der Trägerschicht standardnaher Varietäten verlor die Standardsprache ihren Status als bürgerliches Sozialsymbol und wurde zum Symbol einer Nation, um (3) in der mit der Reichsgründung beginnenden Phase der Hochindustrialisierung schließlich zum Staatssymbol mit amtlichem Charakter als Verwaltungs- und Rechtssprache zu avancieren. Spätestens in diesem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erfasste die Standardisierung auch die untersten sozialen Bevölkerungsschichten. Die soziolinguistische Dominanz der Standardvarietät in der gesamten Sprachgemeinschaft führte nicht allein zu einer Stigmatisierung der Dialekte und ihrer Sprecher, sondern auch zu sprachkritischen und -pflegerischen Bestrebungen des Bildungsbürgertums, welches seinen – von Sprach- und Bildungswissen abhängigen – sozialen Status so zu sichern glaubte (vgl. Mattheier 2000: 1953f.). Sprachhistorisch war das 19. Jahrhundert letztlich primär durch die Durchsetzung der Standardvarietät im mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch der deutschen Ge-

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sellschaft geprägt. Eng mit diesem Prozess der Popularisierung der Standardsprache verbunden waren die Entstehung regionaler Umgangssprachen und die daraus resultierende Verdrängung lokaler Varietäten. Die Ursachen dieser Entwicklungen sind einerseits in der sozialen Vormachtstellung, in der gesellschaftlichen Vorbildlichkeit des Bürgertums zu sehen, welches sich zunächst durch die Beherrschung der Standardsprache von anderen sozialen Gruppierungen abgrenzte, andererseits in der zunehmenden Notwendigkeit der weiträumigen Kommunikation. Diesen Tendenzen der sprachlichen Verallgemeinerung standen jene der Spezifizierung gegenüber, die sich – resultierend aus der Professionalisierung und Modernisierung der Lebens- und vor allem Arbeitswelt – in neuen Gruppen- und Fachsprachen äußerten.

4. Die Zeitung – Entstehung eines Massenmediums Einfluss auf diesen entscheidenden Sprachwandel des 19. Jahrhundert nahmen aber nicht allein die bereits beschriebenen Entwicklungen, sondern auch und vor allem die Zeitungen, die das gesteigerte Bildungsstreben weiter Bevölkerungskreise zu befriedigen suchten, so dass laut Ferdinand Kürnberger der „moderne Massenbildungsgang vom Buch zum Journal unaufhaltsam“ (Kürnberger 1866: 29)41 wurde. Spricht Kürnberger von einem von der Zeitung initiierten „Massenbildungsgang“ (ebd.), so ist anzunehmen, dass dieser in zweierlei Hinsicht erfolgte. Zum einen konnten Wissensbestände durch die Massenpresse in eine breitere Öffentlichkeit vordringen, zum anderen aber auch (standard-)sprachliche Formen dieser Wissensbereiche. Welche Entwicklungen und Veränderungen die Zeitung im 19. Jahrhundert durchlief, wie sie thematisch und inhaltlich gestaltet sein musste, um einem „Massenbildungsgang“ (ebd.) gerecht zu werden, wird im Folgenden betrachtet. Von Interesse ist hierbei das Verhältnis zwischen historischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen, die sich weniger in einer einseitigen Einflussnahme als vielmehr in einem gegenseitigen Wechselverhältnis bedingten.

4.1 Die historische Entwicklung der Zeitung zum Massenmedium a. Die Presseexpansion im 19. Jahrhundert Zwar hatte bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts die Zahl der Zeitungen stetig zugenommen, so dass man Ende des Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum bereits über 41

Im Rahmen dieses Kapitels werden bereits erste kritische Stimmen – so auch Kürnbergers Kritik – angeführt, die in der detaillierten Untersuchung des Diskurses im Hinblick auf den zentralen Fragenkomplex analysiert werden.

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200 Zeitungen zählte, eine regelrechte Expansion des deutschen Pressewesens – als Grundlage des von Kürnberger geschilderten „Massenbildungsgangs“ (Kürnberger 1866: 29) – vollzog sich aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während in der ersten Jahrhunderthälfte die Zahl der Zeitungen bereits bei etwa 1000 lag, etablierten sich vor allem in den sechziger und siebziger Jahren neue Zeitungen, so dass es 1862 etwa 1300 Zeitungen gab. 1881 wurden 2437, im Jahre 1891 insgesamt 3005 und 1897 schließlich 3405 Zeitungen gezählt. Auch lokal dehnte sich das Pressewesen zunehmend aus, die Zahl der Verlagsorte stieg von 150 Ende des 18. Jahrhunderts auf 1884 im Jahre 1897 (vgl. Wilke 1991: 77f., Burger 32005: 37f., von Polenz 1999: 87, Püschel 1996: 332). Ein deutliches Zeichen für die Ausdehnung des Pressewesens ist zudem in der Auflagenstärke der Zeitungen zu sehen. Während im ausgehenden 18. Jahrhundert die Gesamtauflage der deutschen Tagespresse bei 300.000 Exemplaren lag, wurde 1897 die Gesamtauflage der gezählten Zeitungen auf 12,2 Millionen geschätzt. Diese Produktionssteigerung geht mit der Vergrößerung der Leserschaft einher, es ist anzunehmen, dass 1895 mehr als die Hälfte der 50 Millionen Einwohner regelmäßig Zeitung gelesen hat. Allein diese hohe Zahl der Leser zeigt, dass das Medium Zeitung im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Bestandteil der menschlichen Lebenswelt avancierte (vgl. von Polenz 1999:82f.). 42 Diese Expansion des deutschen Pressewesens ist in keinem Fall als linearer, kontinuierlicher Prozess zu betrachten (vgl. Burger 32005: 32), sondern erfolgte, wie die Anzahl der Zeitungen in den verschiedenen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zeigt, abhängig von bestimmten wirtschaftlichen, politischen, technischen und sozialen Entwicklungen, in mehreren Schüben. Auch ist es ein Zusammenspiel, eine Art wechselseitiger Kreislauf der Veränderungen in den genannten Bereichen, welcher einen grundlegenden Wandel der Presse und ihre Entwicklung zur modernen Massenpresse bewirkte (vgl. von Polenz 1999: 77f., Püschel 1998: 365f.). 42

Während man sich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch in Salons oder Wirtshäusern traf, um sich der gemeinsamen Zeitungslektüre zu widmen, ging man mit der zunehmenden Expansion des Pressewesens zur Einzellektüre über. Ein Grund für diesen Wandel der Rezeptionsform ist darin zu sehen, dass sich die Zeitung thematisch und inhaltlich stetig ausweitete und immer breitere, differenziertere Leserkreise ansprach. Solange sie thematisch einheitlich oder vielmehr eingeschränkt war und aufgrund der Zensur vor allem auf Kommentierungen, Kritiken und Meinungsbeiträge verzichtete, lag es nahe, sie in der Gruppe zu rezipieren, in welcher die Möglichkeit gegeben war, sich mit dem vorgelesenen Thema kritisch auseinanderzusetzen. Nachdem sich die Zeitung aber zu einem multifunktionalen Medium entwickelt hatte, welches die verschiedensten Interessen verschiedenster Leser zu stillen versuchte, war es schwer, sich in einer Gruppe zusammenzufinden, die sich für ein und dasselbe Thema interessierte. Jeder Leser widmete sich folglich den Artikeln, die sein persönliches Interesse erweckten. Diese These, dass eine thematische Einheitlichkeit die Gruppenrezeption fördert, während die thematische Komplexität zur Einzelrezeption führt, sei nur als ein möglicher Ansatz zu betrachten, den Wandel der Zeitungsrezeption zu deuten (vgl. von Polenz 1999: 87f., Püschel 1991: 438f., Wilke 1991: 83f.).

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b. Die Unterdrückung der Presse in der ersten Jahrhunderthälfte Vor allem in der ersten Jahrhunderthälfte war die Entwicklungsgeschichte der Presse durchweg geprägt von Versuchen, sie einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Diese resultierten aus der Annahme, dass die Presse über eine gewisse Macht verfüge, ihr Publikum in politischem Sinne zu beeinflussen und es zur Meinungsbildung anzuregen. Da bereits im 18. Jahrhundert infolge der Volksaufklärung eine ‚Leserevolution‘, d.h. eine Popularisierung der Lesekultur, breite Teile der Bevölkerung erfasste, stieg die Zahl der Zeitungen und ihrer Leser an (vgl. von Polenz 1989: 18f., von Polenz 1999:79f.). Joachim von Schwarzkopf bemerkte bereits 1795, dass immer mehr Bevölkerungsschichten politische Aufklärung und Teilhabe durch das Lesen der Zeitungen erfuhren: Eine Folge der neuesten Aufklärung ist dagegen die Allgemeinheit des Zeitungslesens unter denjenigen Ständen, welche wenig oder gar keine wissenschaftliche Kultur haben. In den Dorfschenken und Werkstätten, in der Säbeltasche des Kammerhusaren und in dem Reifrocke der Zofen findet man Zeitungen. Zu Spatens Zeiten mochte es wahr sein, daß der Avisenbecher seine Zeitung nicht um des Köhlers im Walde, noch um des Bergmanns in den Schächten willen drucken lasse. Jetzt hat der Hufschmied, den uns Hogarth mit dem ‚Daily Advertiser‘ in der Hand zeichnet, in Deutschland das Bürgerrecht erhalten [...] Sie [die Zeitungslektüre] setzt alles in Spannung über das beschränkte Interesse der Gegenwart und führt so den Dämon der Staatskritik in die vertraulichsten Kreise. (Schwarzkopf 1795: 75f.)

Da durch die Zeitungen bereits vor und während der Französischen Revolution der „Dämon der Staatskritik in die vertraulichsten Kreise“ (ebd.) geführt wurde, d.h. die kritische Meinungsbildung angefacht wurde, stellte sie eine Gefahr für die politische Obrigkeit dar, die ihre Herrschaft nicht zuletzt durch die Dienstbarkeit der Bevölkerung sichern konnte. Das herrschaftliche Bestreben, die Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entwicklungen und jegliche revolutionäre Bewegungen zu unterbinden, gipfelte im August 1819 schließlich in der Erlassung der Karlsbader Beschlüsse. Da die Presse „eine Gewalt ist […] und […] Gewalten, sollten sie nicht gefährlich sein, stets geregelt sein müssen“ (Klemens Wenzel Fürst von Metternich 1842, zitiert nach Wilke 1991: S. 73), war eine der während der Karlsbader Konferenz beschlossenen Maßnahmen zur Unterdrückung demagogischer Umtriebe die Pressezensur, die der Presse wenig Entfaltungs- und Bewegungsspielraum ließ, so dass sich die Zahl der Zeitungen in der ersten Jahrhunderthälfte konstant bei 1000 bewegte. Dass womöglich das politische System durch die Presse, durch geheime, verleumderische und aufwiegelnde Aktivitäten gefährdet werden könnte, bestätigte auch Napoleon in seiner Aussage, „ Que quatre gazettes hostiles faisaient plus mal, que cent milles hommes en plate campagne“ (Zitiert nach Wilke 1991: 73). Die während der Karlsbader Konferenz beschlossenen Maßnahmen gegen liberale und nationale Kräfte, gegen den kritischen Journalismus, den man nicht nur mittels der Pressezensur, sondern auch durch Zeitungskonfiszierungen, Berufsverbote und Verhaf-

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tungen zu unterbinden versuchte, blieben – trotz der Lockerung der Zensurgesetzgebung vom 24.12.1841 – bis zur Märzrevolution 1848 in Kraft.

c. Die Märzrevolution und die Entstehung der Parteipresse Neben der Herstellung der deutschen Einheit und der Einführung einer liberalen Verfassung bestand ein primäres Ziel der März-Revolution in der Abschaffung der Zensur. Da die Pressefreiheit eng verbunden mit der Gedanken- und Meinungsfreiheit als Menschenrecht betrachtet wurde, verkündete man sie als Grundrecht in der Paulskirchenverfassung von 1848. Als Folge der Pressefreiheit wurden zahlreiche neue Zeitungen gegründet, auch entstand zu dieser Zeit einhergehend mit dem Parlamentarismus und der Neugründung erster Parteien die auf nicht unabhängige Meinungsbildung abzielende Partei- oder Meinungspresse. Derartige Zeitungen vertraten öffentlich die jeweiligen politischen und weltanschaulichen Positionen ihrer leitenden Parteien. Eine der führenden konservativen Zeitungen war die unter anderem von Bismarck gegründete Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung; als liberale Tageszeitung ist die in Berlin gegründete National Zeitung zu betrachten. Ab 1864 erschien unter Mitarbeit von Karl Marx und Karl Liebknecht die Parteizeitung der Arbeiter, der Sozialdemokrat. Da derartige Blätter das Ziel verfolgten, sich für soziale und politische Reformen einzusetzen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche oder eben politische Probleme zu lenken, versuchte man 1854 abermals durch restriktive „Bundesbestimmungen, die Verhältnisse des Missbrauchs der Presse betreffend“ (Dussel 2004: 52) die Gründung weiterer Presseorgane zu unterbinden. Zudem wurde die positive Entwicklung zur Pressefreiheit durch verschiedene Landesgesetze gehemmt (vgl. Wilke 1991: 79, von Polenz 1999: S. 85f., Püschel 1991b: 432f.). Erst drei Jahre nach der Reichsgründung erfolgte die endgültige Gewährleistung der Pressefreiheit im Jahre 1874 infolge des Reichspressegesetzes43, welches eine neue Welle der Presseexpansion einleitete (vgl. von Polenz 1999: S. 85f.).

d. Die Entwicklung des Anzeigenwesens und die Entstehung des Generalanzeigers Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der politische Kampf um Presse- und Meinungsfreiheit und gegen die staatliche Zensur dominierte und 1848 formal, 1874 schließlich endgültig zugunsten der Presse entschieden wurde, trat nach 1870 eine Kommerzialisierung der Zeitung ein, die langsam ihren Weg zur Massenpresse ebnete (vgl. Wilke 1991: 81f., von Polenz 1999: 88f.).

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Allein dieses auf Reichsebene erlassene Gesetz zeigt den immensen politischen und gesellschaftlichen Fortschritt, aber auch den Fortschritt der Presse. Während zuvor Gesetze bezüglich der Rechte und Pflichten der Presse fast ausschließlich auf Landesebene erlassen wurden, erwies sich dieses Gesetz erstmals im gesamten Reich als gültig.

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Nachdem das deutsche Zeitungswesen von Beginn an privatwirtschaftlich organisiert gewesen war, die Zeitungen folglich primär aus dem Bezugspreis finanziert worden waren, öffnete sich nach der Aufhebung des ‚Staatlichen Anzeigenmonopols‘44 in Preußen am 1. Januar 1850 eine neue Finanzierungsquelle, das Anzeigenwesen. Erstmals durften Werbeanzeigen zahlender Inserenten auch in privaten Zeitungen aufgenommen werden. Waren Zeitungen aufgrund der alleinigen Finanzierung durch den Bezugspreis zuvor teuer und somit nicht für jeden zugänglich, veränderten sich nun die verlegerischen Kalkulationsgrundlagen, der Bezugspreis konnte durch den Anzeigenerlös gesenkt werden, Zeitungen wurden günstiger und für eine breitere Bevölkerungsmasse zugänglich (vgl. Wilke 1991: 81f., von Polenz 1999: 88f.). Von nun an gingen die Interessen der Verleger – ein breiter Leserkreis und hohe Auflagen – mit denen der Wirtschaft – Produktwerbung und Steigerung der Verkaufszahlen – einher, so dass Karl Bücher zu der Aussage ermutigt wurde, die Zeitung als ‚Kuppelprodukt‘ zu bezeichnen, welches Anzeigenraum als Ware produziert, der nur durch den redaktionellen Teil absetzbar wurde (vgl. Koszyk 1966: 271). Infolge der zunehmenden Marktfunktion des Zeitungswesens seit der Gründerzeit erfolgte schließlich ein typologischer Wandel im Pressewesen. Die Meinungs- und Parteipresse, die seit der Jahrhundertmitte die Verleger zu Händlern öffentlicher Meinung umfunktionierte, wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch die nicht mehr auf öffentliche politische Auseinandersetzung, sondern auf Profit abzielende Geschäfts- und Generalanzeigerpresse abgelöst. Dieser Zeitungstyp nach amerikanischem Vorbild, der zuerst von Josef La Ruelle, dem Verleger des 1871 gegründeten Aachener Anzeigers, in Deutschland etabliert wurde, war gänzlich auf die Nutzung des Anzeigenwesens ausgelegt. Neben dem charakteristischen Anzeigenteil umfasste der ‚Generalanzeiger‘ einen kleinen redaktionellen Teil, der politisch wenig informativ, aber durchaus unterhaltsam war. Eine möglichst große Leserschaft sowie eine hohe Zahl an potentiellen Kunden für die Inserenten der Anzeigen konnte nur erreicht werden, indem man auf politische oder weltanschauliche Positionen vertretende Inhalte verzichtete. Mittel der Leserbindung waren folglich nicht mehr allein gemeinsame politische Anschauungen und Interessen, sondern die Unterhaltung (vgl. von Polenz 1999: 88, 507f., Püschel 1996: 330f.). Mit diesem Konzept erzielte das Zeitungswesen erstmals wirkliche Massenauflagen. Dieser Erfolg ging jedoch einher mit der Existenzbedrohung der überwiegend auflagenschwachen Parteipresse. Diese hatte aufgrund mangelnder Anzeigen und fehlender 44

Unter dem Staatlichen Anzeigenmonopol oder Intelligenzmonopol ist ein ‚Intelligenzzwang‘ zu verstehen, der besagt, dass jegliches Inserat zuerst den bevorrechteten ‚Intelligenzblättern‘ anzubieten und dort zu drucken sei. Derartige Intelligenzblätter dienten der obrigkeitlichen Propaganda sowie der Kontrolle und Ankurbelung des heimischen Wirtschaftmarktes. Die regional begrenzten Intelligenzblätter, in denen politische Meinungsäußerungen untersagt waren, waren an ein Zwangsabonnement für bestimmte Personenkreise gebunden, die amtliche Bekanntmachungen, Gelehrtenartikel und Anzeigen erhielten (Wilke 2008: 211f.).

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Inserenten bald mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, ließ sich aber zum Teil durch neu entstehende Aktiengesellschaften aufrechterhalten (vgl. Püschel 2005: 13f., von Polenz 1999: 88, 507f.). Eine weitere Folge der marktwirtschaftlichen Funktionalisierung des Anzeigenwesens war, dass die in der ersten Jahrhunderthälfte noch eher publizistisch an der politischen Botschaft interessierten Verleger nun selbst kommerziell interessierte Unternehmer wurden. Gustav Wustmann beklagte, dass „die Herstellung einer Zeitung, die früher eine literarische Leistung war, zu einem Gewerbe abgesunken“ (Wustmann 1891: 15) sei aufgrund der Ereignisse des 19. Jahrhunderts, die eine gesteigerte Kommerzialisierung und Ausbreitung des Zeitungswesens zur Folge hatten.45

e. Technische Grundlagen der Massenpresse Derartige Massenauflagen, wie sie mit dem ‚Generalanzeiger‘ erzielt wurden, konnten nicht nur aufgrund politischer und wirtschaftlicher Veränderungen, sondern auch und vor allem aufgrund technischer Neuerungen realisiert werden, die das Tempo der Textübermittlung, der Textproduktion und -verbreitung beschleunigten und die billige Massenverbreitung steigerten. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1811, erfand Friedrich Koenig eine Schnellpresse, die er dann als Zylinderdruckpresse weiterentwickelte, welche das Papier mit Hilfe eines sich drehenden Zylinders an eine flache Druckform presst. Erstmals wurde diese Presse 1814 im Druck der Londoner Times eingesetzt, in Deutschland wurde sie erst 1823 von den Berlinischen Zeitungen, dann 1833 von der Koelnischen Zeitung übernommen. In nur zwei Stunden druckte die Schnellpresse 3300 Exemplare der Koelnischen Zeitung, somit fast das Zehnfache der herkömmlichen Pressen. Eine noch höhere Druckleistung erbrachte die in den sechziger Jahren erfundene Rotationspresse, mittels derer sich Druckauflagen von 150.000, wie jene des Berliner Lokalanzeigers, problemlos realisieren ließen (vgl. von Polenz 1999: 88f.). Der Produktionsablauf konnte nicht nur hinsichtlich der Drucktechnik rationalisiert werden, sondern auch bezüglich des Materials. Während Papier zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch aus Lumpen, Hanf, Leinen und Baumwolle handgeschöpft wurde, konnte seit 1844 mit der Erfindung einer leistungsfähigen Holzschleifmaschine Holz entsprechend fein zerkleinert werden, so dass es als günstiger Rohstoff für eine schnellere Papierherstellung diente. Sind diese Neuerungen vor allem für eine raschere und kostengünstigere Produktion von Nutzen, so wurde durch die Erfindung des Telegraphen im Jahre 1837 das schnelle Sammeln und Verbreiten von Weltnachrichten erleichtert. Der Telegraph, der ebenfalls der staatlichen Verwendung vorbehalten war, wurde im Jahre 1849 für den öffentlich-privaten Verkehr freigegeben. Schon wenige Tage nach Freigabe dieses Telegraphen beförderte Bernhard Wolff, seit 1848 Geschäftsführer der Ber45

Mit der Massenpresse entstanden schließlich große Pressekonzerne, so die Berliner Zeitungshäuser Mosse, Ullstein und Scherl (vgl. Koszyk 1966: 267f., von Polenz 1999: 88f.).

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liner National-Zeitung, Kurszettel auf telegraphischem Wege aus Frankfurt nach London und trug mit der Gründung der ersten deutschen Nachrichtenagentur ‚Wolffs Telegraphisches Korrespondenzbureau‘ zur Beschleunigung und Vergrößerung der Nachrichtenflut bei; er machte Nachrichten zur Ware. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde zudem der überregionale Vertrieb der Zeitungen durch Nacht-Schnellzüge der Eisenbahn beschleunigt. Dieser enorme Fortschritt der Technik im 19. Jahrhundert spiegelte sich seit den dreißiger Jahren in Zeitungstiteln wie Telegraph, Lokomotive oder Dampfboot wieder (vgl. von Polenz 1999: 88f., Koszyk 1966: 210f., Driessen 1999: 27).

f. Soziokulturelle Hintergründe der Presseexpansion Nicht nur die beschriebenen schnellen Veränderungen in der Produktionstechnik, sondern auch jene in der Gesellschaft waren entscheidende Faktoren, die die Expansion des Zeitungswesens unterstützten. Letztlich waren die Veränderungen im Pressewesen bestimmt durch Angebot und Nachfrage, d.h. dem neuen – durch politische und technische Entwicklungen möglich gewordenen – Medienangebot musste auch ein gewisser Informationsbedarf, eine Nachfrage seitens der Bevölkerung gegenüberstehen. Vor allem das Bildungsstreben breiter Bevölkerungskreise, das aufgrund der komplexer werdenden Lebenswelt in den entstehenden industriellen Großstädten zunahm, konnte die Zeitung stillen. Durch die im 19. Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit werdende Schulpflicht stieg die Lese- und Schreibfähigkeit der Gesamtbevölkerung stetig an, die Analphabetenrate sank zwischen 1800 und 1848 kontinuierlich, bis sie vielerorts nur mehr 20% der älteren Bevölkerung umfasste. Bald verfügte fast jeder, der auch in seinem beruflichen Umfeld zum Lesen und Schreiben gezwungen war, über die Fähigkeit, die Tageszeitung zu lesen. Die Nachfrage nach Information und Kommunikation nahm aufgrund der größeren Chancen in der Berufs- und Lebenswelt stetig zu, so dass die Presse bald Massenauflagen erzielen konnte. Ende des 19. Jahrhunderts las fast jeder Bürger, ob Handwerker, Arbeiter oder Kleinbauer täglich die Zeitung, während dies vor 1848 nur ein Viertel der Bevölkerung tat (von Polenz 1999: 51f., 87f.). Der Grund für die zunehmende Bereitschaft, Zeitung zu lesen, ist jedoch nicht allein in der breiteren öffentlichen Bildung der Bevölkerung und ihrem Bildungsstreben zu sehen, sondern auch durch das wirtschaftliche Wohlergehen eines jeden einzelnen zu begründen. Der bereits in den dreißiger Jahren ansteigende Lebensstandard, vor allem aber der wirtschaftliche Aufschwung nach 1871 wirkten sich förderlich auf die Käuferschichten aus. Immer mehr Menschen verfügten über die finanziellen Mittel, um sich täglich oder wenigstens wöchentlich eine Zeitung leisten zu können (vgl. von Polenz 1999: S. 87f.).

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4.2 Die Veränderungen im inhaltlichen und sprachlichen Gebrauch der Zeitung Infolge der zunehmenden Nachfrage nach Information und Unterhaltung seitens der Bevölkerung sowie der kostengünstigeren Produktion und Finanzierung durch das Anzeigenwesen weitete die Zeitung ihren Umfang zunehmend aus, veränderte dabei auch ihren Inhalt und differenzierte ihn vor allem sprachstilistisch, aber auch formal im Hinblick auf die verschiedenen lesenden Bevölkerungsgruppen. Da sich „die publizistische Wirkung nun aus der Aktualität des Inhalts und der sprachlichen Form zusammensetzt[e]“ (D’Ester 1962: 601), bestand die Notwendigkeit, die inhaltliche Komplexität der Zeitung in Zusammenhang mit ihrer formalen und sprachlichen Gestaltung zu betrachten (vgl. Püschel 1998: 366f.). Während bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen eine Nachrichtenpresse Bestand hatte, deren journalistisches Grundprinzip in der unparteiisch politisch-militärischen Berichterstattung lag und die auf Meinungsbeiträge wegen der Pressezensur weitestgehend verzichtete, gewannen die Zeitungsinhalte nach der März-Revolution von 1848 nicht nur an Publikumsnähe, sondern wurden erstmals auch zum Sprachrohr der öffentlichen Meinung und Kritik (vgl. Püschel 1998: 366f., Püschel 2005: 8f.). Mit dem Wachsen der thematischen Vielfalt entwickelten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts drei funktionale Stilarten der Zeitung. Neben dem tatsachenorientierten Stil in Nachrichten, Berichten und Reportagen, welche nicht mehr nur ausschließlich Höfisches und Militärisches behandelten, sondern zunehmend Handel, Wirtschaft, Recht, Soziales und Kulturelles betrachteten, fand der meinungsorientierte Stil Ausdruck in kommentierenden Textsorten wie ‚Leitartikeln‘ oder ‚Leserbriefen‘. Vor allem nach 1870, in Zusammenhang mit der Gründung der ‚Generalanzeigerpresse‘, dominierte der phantasiebetonte, erzählende und literarische Stil in Unterhaltungsbeilagen. Unterhaltungsbeiträge wie Fortsetzungsromane, Reiseskizzen, Kurzgeschichten und feuilletonistische Rubriken waren bei der Leserschaft durchaus beliebt (vgl. Püschel 1998: 366f., von Polenz 1999: 876).

a. Die formalen und textlichen Strukturen der Zeitung a.1 Formale Gliederungsmittel der Zeitung Nachdem sich die Zeitung vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr ausschließlich auf eine unparteiisch politisch-militärische Berichterstattung und somit auf die Interessen einer kleinen, ausgewählten Leserschaft konzentrierte, sondern mit ihren sich stetig ausweitenden Berichtsgegenständen zunehmend breitere, unterschiedlichste Bevölkerungsschichten ansprach, bestand die Notwendigkeit, sie für den einzelnen Leser übersichtlicher zu gestalten. Im Hinblick auf die zunehmende Themenvielfalt und Interessen der diversen Leserschichten erfolgte so eine Unterteilung der

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Zeitungsinhalte nach Sachgebieten, auch Ressorts genannt.46 Neben dem bereits bestehenden Politikteil fanden sich nun auch Zeitungssparten, in denen Meldungen über wirtschaftliche, lokale, regionale und kulturelle Ereignisse gesammelt waren. Derartige Themenbereiche gelten als entscheidende Faktoren für die Herausbildung neuer oder die medienspezifische Modifizierung bestehender Textsorten (vgl. Püschel 2005: 17ff.).47 Jede der einzelnen Sparten zeichnete sich aufgrund ihrer thematischen Schwerpunkte durch einen mehr oder weniger eng begrenzten Leserkreis aus. So richtete sich der Kulturteil – in einigen Blättern wie beispielsweise der Frankfurter Zeitung oder der Allgemeinen Zeitung auch ‚Feuilleton‘ genannt –, der neben literarischen Beiträgen wie Kurzgeschichten oder Romanen auch kulturelle Nachrichten sowie Theaterkritiken enthielt, an ein bestimmtes, an Kunst, Literatur und Theater interessiertes Publikum. Auch der Wirtschaftsteil, der in der Frankfurter Zeitung mit der Überschrift Frankfurter Handelsblatt, in der Karlsruher Zeitung mit Handel und Verkehr und in der Koelnischen Zeitung mit Handel, Gewerbe und Verkehr eingeleitet wurde, wurde meist nur von wenigen Interessierten gelesen und sowohl thematisch als auch sprachlich verstanden. Rubriken hingegen, die Meldungen über aktuelle Ereignisse aus Nah und Fern, Aus Stadt und Land oder Lokale Nachrichten48 enthielten, folglich einen breiteren Themenkreis abdeckten, erweckten auch das Interesse einer breiteren, vielschichtigeren Leserschaft. Die bei den meisten Lesern wohl beliebteste Sparte war jedoch die der Vermischten Nachrichten – oft nur mit Vermischtes (Heidelberger Zeitung), Verschie-

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Die formale Gliederung der Zeitung war seit ihrem ersten Erscheinen Anfang des 17. Jahrhunderts durch externe Bedingungen bestimmt. Die Zeitungen erhielten ihre Informationen in Form von Korrespondenzen lange Zeit nicht von hauptberuflichen Journalisten, sondern von in unterschiedlichen Orten ansässigen Kaufleuten, Kanzleischreibern, Politikern oder Geistlichen, die wichtige Neuigkeiten aus ihren Lebens- und Arbeitsbereichen sammelten. Da weder die Themen – politische, militärische und höfische Themen dominierten – noch der Rezipientenkreis derart differenziert und vielfältig waren wie im späten 19. Jahrhundert, wurden diese Korrespondenzen nach ihrem Eintreffen am Publikationsort und ihrem Herkunftsort in den Zeitungen aufgelistet. „Der Ort, von dem aus berichtet wurde, bestimmte die Makroeinheiten der Zeitung [...] Das wichtigste Ordnungsprinzip blieb die Herkunft der Texte“, die „allenfalls grob [...] nach Inland/ Ausland“ (Burger 3 2005: 39f.) geordnet wurden. Zur Geschichte der Zeitung vor ihrer Expansion zu einem Massenmedium, welches sich durch eine rezipientenorientierte Themenvielfalt auszeichnet(e) (vgl. Burger 3 2005: 39f., Wilke 1984: 235f., Püschel 1999: 868). Entsprechend der beruflichen Orientierung und Vorbildung der Journalisten orientierten sie sich in ihrer Darstellung der Ereignisse immer an bereits existierenden Textsorten, die sie gemäß der sich wandelnden Anforderungen an ein zunehmend öffentlichen (Massen-)Mediums modifizierten (vgl. Püschel 1998: 868f., Burger 32005: 49f.). Unter der Überschrift Aus Nah und Fern finden sich sowohl in der Bürger-Zeitung als auch in der Heidelberger Zeitung regionale Nachrichten über Verbrechen, politische Entscheidungen sowie Gerichtsverhandlungen als auch Immobilienverkäufe. Während sich in der Heidelberger Zeitung unter der Rubrik Aus Stadt und Land auch lokale Nachrichten finden, wird der Lokalteil der Bürger-Zeitung gesondert durch die Rubrik Lokale Nachrichten gekennzeichnet.

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denes (Allgemeine Zeitung) oder Allerlei (Bürger-Zeitung) überschrieben –, da sie mit ihren Berichten über Verbrechen, Skandale und Unfälle nicht nur die Sensationsgier der breiten Massen erfüllte, sondern vor allem Gesprächsstoff bot. Eine Rubrik sei hier nur am Rande erwähnt, da sie sich erst Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte und folglich nur vereinzelt in wenigen Zeitungen, wie beispielsweise der Frankfurter Zeitung und da auch nur unregelmäßig, auftauchte: die des Sports (vgl. von Polenz 2005: 88, Püschel 2005: 18f.). 49 Zwar fanden sich diese Ressorts zumindest in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in nahezu allen Zeitungen, jedoch unterschieden sie sich von Zeitung zu Zeitung hinsichtlich ihres Umfanges, da jedes Blatt im Hinblick auf bestimmte lesende Zielgruppen gestaltet war. In den Generalanzeigern wie der Bürger-Zeitung oder dem Heidelberger Tageblatt fanden sich mehr Meldungen in den Sparten Lokale Nachrichten, Aus Nah und Fern oder Allerlei. Die Schwerpunkte der Allgemeinen Zeitung, Frankfurter Zeitung oder Koelnischen Zeitung lagen hingegen im Wirtschafts-, Politik- und Kulturteil. Folglich ermöglicht die Betrachtung der dominierenden Ressorts Rückschlüsse auf die individuellen Leserkreise der einzelnen Zeitungen. Blätter wie die Generalanzeiger, deren Mittel der Leserbindung weniger in der politischen oder wirtschaftlichen Information als in der Unterhaltung zu sehen ist, werden eher die breite Masse der Bevölkerung angesprochen haben als die Tageszeitungen, die sich primär auf die politische, wirtschaftliche und kulturelle Berichterstattung und somit auf bestimmte Bevölkerungsgruppen als Zielpublikum konzentrierten. Festzuhalten ist, dass die Zeitung des 19. Jahrhunderts nicht mehr auf einen homogenen Leserkreis zugeschnitten war, sondern in ihrer thematischen Vielfalt den Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden versuchte, wobei jedoch eine Tendenz zu einem bestimmten Zielpublikum nicht zu verkennen ist. a.2 Die neue Multifunktionalität und der Wandel der textlichen Strukturen Die zunehmende inhaltliche Komplexität und thematische Differenzierung innerhalb der neu herausgebildeten Zeitungssparten ist eng gebunden an die Erweiterung des Aufgabenbereiches der Zeitung, der noch bis zur Märzrevolution im Jahre 1848 auf die bereits mehrfach erwähnte politisch-militärische Berichterstattung konzentriert war. 49

In der Frankfurter Zeitung vom 01.11.1892 finden sich beispielsweise zwei kurze Sportmeldungen im Telegrammstil, in denen lediglich die ersten drei Sieger eines Rennens mitgeteilt werden. Die Sportberichterstattung in heutigem Sinne wurde erst ab der Jahrhundertwende, mehr noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rubrik der Zeitung, nämlich als sich einzelne Sportarten zum Massensport entwickelten und sich das Interesse der Leser am Sport erhöhte. Da sich auch die Textsorte des ‚Sportberichts‘ erst später entwickelte, im 19. Jahrhundert wenn überhaupt nur kurz die Ergebnisse oder ausführlich die Begleitumstände, selten aber der eigentliche Wettkampf dargestellt wurden, wird sie in die folgende Betrachtung der Funktionen und Textsorten der Zeitung nicht aufgenommen (vgl. Püschel 1991b: 428f.).

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Wie bereits in der Betrachtung der formalen Gliederungsmittel angeklungen ist, gewann die Zeitung im 19. Jahrhundert zunehmend die Funktion der kritischen Auseinandersetzung mit den berichteten Ereignissen sowie der Unterhaltung des lesenden Publikums (vgl. Püschel 1991b: 428f.). Diese inhaltlichen und funktionalen Neuerungen und Erweiterungen, denen die Zeitung sprachlich in zunehmendem Maße entsprechen musste, hatten schließlich auch strukturelle Wandlungen zur Folge, so vor allem die medienspezifische Veränderung bereits bestehender berichtender Textsorten und die Etablierung neuer Textsorten (vgl. Püschel 1991b: 428f.).50 a.2.1 Die informierende Funktion Die primäre Funktion, die der Zeitung seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert zukam, bestand darin, so sachlich und knapp wie möglich über aktuelle Ereignisse oder wichtige öffentliche Belange zu berichten oder zu informieren, denn „man lieset die Zeitungen darüm nicht, daß man daraus gelehrt und in beurtheilung der Sachen geschickt werde / sondern daß man allein wissen wolle / was sich hier und dar begiebet“ (Stiehler 1695: S. 27). Eine ausführliche Hintergrundsberichterstattung oder gar die kritische Auseinandersetzung mit den berichteten Ereignissen und ihren Ursachen waren dabei lange Zeit aufgrund politisch-sozialer Rahmenbedingungen wie der preußischen Zensur undenkbar. Folglich konzentrierte sich die Zeitung als Medium der Verbreitung von Nachrichten bis Mitte des 19. Jahrhunderts darauf, in kurzen, zumeist nur aus einem Satz bestehenden Meldungen auf resultatbezogene Weise zu berichten, dass sich etwas ereignet hat. Derartig nüchterne Nachrichtenmeldungen werden im Gegensatz zu den später zu beschreibenden unterhaltenden ‚soft news‘ als ‚hard news‘ bezeichnet (vgl. Püschel 1999: 871, Püschel 2005: 3f.). Berlin, 1. Febr. [1] Der „Neumärkischen Zeitung“ zufolge sind [2] von dem Reichstagswahlvorstande [3] in der Ortschaft Bohrbeck (Wahlkreis Friedeberg-Arnswalde) [4] in der letzten Woche [5] 4 Mitglieder [6] wegen Wahlverfälschung, [7] begangen bei der letzten Reichstagswahl, [8] zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, und zwar von zwei Wochen bis zu drei Monaten. (Karlsruher Zeitung, 03.02.1891)

Wie das Beispiel aus der Karlsruher Zeitung vom 03.02.1891 zeigt, bot auch noch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die für die Presse wohl typischste Textsorte der Meldung Antworten auf die ein Ereignis betreffenden w-Fragen, also dem Wer, Was, Wann, Wo, Weshalb und Woher eines Ereignisses. In kürzester Form wird über die in der vo50

Texte können nach textinternen und textexternen Faktoren klassifiziert werden, eine einheitliche und allgemein gebräuchliche Klassifizierung fehlt jedoch. Daher werden die verschiedenen Textsorten meist nach ihrer sprachlichen Funktion eingeteilt, zeitweise ist aber auch eine themen- beziehungsweise inhaltlich gesteuerte Klassifizierung möglich. Bei der Betrachtung der Zeitung, die im 19. Jahrhundert zu einem multifunktionalen Medium avancierte, erweist sich die Einteilung nach der sprachlichen Funktion als vorteilhaft.

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rangegangenen Woche erfolgte Verurteilung von vier Mitgliedern des Reichstags durch den Reichstagswahlvorstand in Bohrbeck informiert, was sich zugetragen hat [8], wann [4] und wo [3] es geschehen ist und wer an dem Ereignis beteiligt war [5], [2]. Auch wird in dieser Meldung der Grund der Verurteilung erwähnt, nämlich die Wahlverfälschung, und damit die Frage nach dem weshalb [6] beantwortet. Die Betrachtung der Hintergründe eines Ereignisses innerhalb einer Zeitungsmeldung ist im 19. Jahrhundert nicht die Regel, sondern stellt hier eher eine Ausnahme dar (vgl. Püschel 1999: 866, Püschel 2005: 6f). Ebenfalls typisch für die Textsorte der Zeitungsmeldung sind die Quellenangaben [1], an die sich die eigentlichen Informationen anschließen. Für die Angaben stehen stereotype sprachliche Muster zur Verfügung, so beispielsweise die Artikulation der Quelle mittels eines Präpositionaladverbs wie in der oben aufgeführten Meldung [1], durch einen Adverbialsatz mit wie oder so – „wie ein Telegramm der ‚Frankfurter Zeitung meldet […]“ (Allgemeine Zeitung, 03.02.1891) oder mittels eines Satzes, in den die Prädikation als Nominalgruppe eingebettet ist (vgl. Haß-Zumkehr 1998: 112f.) – „Die amtliche Meldung des Dresdener Journals über den Ministerwandel lautet: […]“ (Allgemeine Zeitung, 03.02.1891). Neben derartig kurzen Meldungen finden sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch umfangreichere Formen des Berichtens, die neben der Beantwortung der w-Fragen in chronologischer Abfolge auch umfassender darüber informierten, wie ein Ereignis verlaufen war und welche Folgen es hatte (vgl. Püschel 1991b: 435). Diese als Vorform der Nachricht geltenden Ereignisberichte sind entsprechend der ‚Inverted Pyramide‘ in ‚Lead‘, den Vorspann, und ‚Body‘, den Hauptteil, gegliedert (vgl. Püschel 1991a: 32f., Püschel 1999: 867, Püschel 2005: 4f.). [1] Die seit vorgestern zur Wiedereröffnung der Schiffahrt vorgenommenen Sprengungen an der vor dem Kieler Hafen liegenden Eisbarre sind bis jetzt von sehr gutem Erfolge begleitet worden. [2] So wurde gestern eine 250 Meter lange Rinne gesprengt, zu welcher 14 Minen verbraucht worden sind. [3] Die Versuche werden heute und morgen fortgesetzt, und man hofft, die Arbeit morgen zu beenden. [4] Die losgesprengten Eisstücke werden von bereit liegenden Dampfern seewärts geschleppt. [5] Die Länge der Eisbarre wird auf 500 Meter geschätzt; ihre Dicke beträgt, wie schon früher erwähnt, 16 Fuß. [6] Die Sprengungen werden unter Leitung des Corvettencapitäns Balster von Mannschaften der I. Matrosen-Artillerie und I. Torpedo-Abteilung ausgeführt. (Allgemeine Zeitung, 03.02.1891)

Wie der Bericht der Allgemeinen Zeitung vom 03.02.1891 zeigt, wird in dem ‚Lead‘, Satz [1], ähnlich der kurzen Meldung resultatbezogen das Wichtigste und Interessanteste des Textes als Kurzinformation zusammengefasst, folglich die Fragen nach dem was, wo, wann, wieso des Ereignisses beantwortet. In dem sich daran anschließenden ‚Body‘, den Sätzen [2] bis [5], steht dann der chronologische Verlauf des Ereignisses im Vordergrund der Berichterstattung. Eine thematische Überschrift wie beispielsweise „Sprengung einer Eisbarre am Kieler Hafen“, die dem Leser erste Hinweise auf den Berichtsgegenstand gibt und so die ‚Inverted Pyramide‘ komplettiert, fehlte den Ereignisberichten des 19. Jahrhunderts zumeist noch.

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a.2.2 Die auffordernde, meinungsbildende Funktion Während sich die Zeitung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts primär auf die nüchterne Nachrichtenvermittlung konzentrierte, gewann sie erstmals nach der Lockerung der Zensur im Jahre 1841, mehr noch nach der März-Revolution von 1848 mittels des Räsonnements die Möglichkeit, sich kritisch mit den zuvor nur sachlich berichteten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Geschehnissen auseinanderzusetzen. Mit der Entwicklung der Zeitung zum Sprachrohr der Gesellschaft, welches die öffentliche Meinung verkündete und mitgestaltete, ging jedoch keinesfalls der Wegfall der bisher üblichen konzentrierten Berichterstattung einher. Vielmehr wurden ausgewählte öffentliche Angelegenheiten in Kommentaren und Leitartikeln artikuliert, diskutiert sowie kommentiert, so dass eine Aufforderung zur Meinungsbildung erfolgte. Der Unterschied zwischen diesen beiden, im 19. Jahrhundert wichtigsten kommentierenden Textsorten ist nicht nur in ihrem unterschiedlichen Umfang zu sehen, sondern auch in den behandelten Themen (vgl. Püschel 1999: 869 f., Püschel 2005: 8f., Püschel 1996: 330, Burger 32005: 45f.).51 Während sich der umfangreichere, bis zu einer Seite einnehmende Leitartikel nicht unbedingt auf tagesaktuelle Themen beschränkte, sondern oft wie in der Frankfurter Zeitung oder Kölner Zeitung auf der Titelseite als „Aufmacher“ die leitende beziehungsweise den Leser anleitende Meinung der ganzen Redaktion widerspiegelte, bot der kürzer gehaltene Kommentar dem einzelnen Journalisten die Möglichkeit, die in den Meldungen und Berichten thematisierten aktuellen Ereignisse aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisch zu beleuchten und schließlich zu bewerten. Bei der Verfassung von Kommentaren, vor allem aber von Leitartikeln orientierten sich die Journalisten, die zumeist durch das Gymnasium mit der Schulrhetorik vertraut waren, an der Elocutio-Lehre52, die als Bestandteil der Rhetorik in Exordium, Narratio, Argumentatio, also die Beweisführung, und Peroratio, die Schlussrede, gegliedert ist. Dieses rhetorische Redeschema wurde insofern zeitungsspezifisch modifiziert, als das Exordium, also die kunstgerechte Einleitung, aus Gründen des Zeit- und Platzmangels laut Püschel (1999: 869f.) zumeist entfiel oder durch eine einleitende rhetorische Frage ersetzt wurde. Auch die Narratio, der eigentliche Bericht über den zu diskutierenden Gegenstand, fiel zeitweilen kürzer aus, da er zum einen nur als Aufhänger für die weiteren Ausführungen diente und zum anderen davon ausgegangen wurde, dass der Leser 51

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Die kommentierende beziehungsweise zur Meinungsbildung auffordernde Funktion der Zeitung wird mittels der Textsorten des Leitartikels und des Kommentars erfüllt. Unterscheiden sich die beiden Textsorten hinsichtlich der behandelten Themen, so zeigt sich in diesem Fall neben der funktionalen eine themen- beziehungsweise inhaltsgesteuerte Definition von Textsorten (vgl. Püschel 1999: 869 f., Püschel 2005: 8f., Burger 32005: 45f.). Unter der Elocutio-Lehre versteht man die Lehre von der sprachlichen Formulierung und stilistischen Gestaltung. Die Elocutio ist neben der Inventio, der Dispositio, der Memoria und der Pronuntatio eine der fünf Phasen der Redevorbereitung (vgl. Püschel 1999: 869 f., Püschel 2005: 8f., Burger 32005: 45f.).

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über das besprochene Thema informiert sei (vgl. Püschel 1991b: 439f., Püschel 1999: 869 f., Püschel 2005: 8f., Burger 32005: 45f.). [0] Eine neue Partei? [1] Es ist nicht zu verkennen, daß die Unsicherheit, Unruhe und Verkennung, welche manche Kreise unseres Erwerbslebens ergriffen hat, ihre Spitze vielfach gegen das herrschende Parteiwesen bedrohlich, wenn auch nicht mit einer besonderen und gewollten Absichtlichkeit, gegen die nationalliberale Partei richtet. [2] Man werde lediglich die Politik des Vogels Strauß treiben, würde man die Augen vor dieser Erscheinung verschließen. [3] Man begegnet in Gegenden der Industrie und der Landwirtschaft immer häufiger Klageliedern über die „wirtschaftliche Unzuverlässigkeit“ der Nationalliberalen. [4] Sucht man diesen oft recht gereizten Beschwerden auf den Grund zu kommen, so trifft man auf die Anschauung, die nationalliberale Partei mache dem sozialpolitischen Übereifer zu tiefe Zugeständnisse und sie vermeide nicht sorgfältig genug den Schein, als begünstigte sie den lärmenden agitatorischen Ansturm des Radikalismus gegen unser Wirtschaftssystem. [5] Prüfen wir diese Klage unbefangen auf ihre Berechtigung, so dürfen wir ihre Entstehungsursache in folgenden Erwägungen wohl zutreffend kennzeichnen. [6] Jede gute und volksfreundliche Politik muß sich von dem Streben leiten lassen, die Lage der Waffen nach jeder Richtung thunlichst zu heben, möglichst viele Bürger in einen möglichst ruhigen und angenehmen Zustand zu bringen. [7] Die empfehlenswerte Seite des allgemeinen und gleichen Wahlrechts liegt darin, daß es diesem berechtigten Streben in dem Stimmzettel des gewöhnlichen Mannes einen starken Rückhalt verleiht; gegen jede gewollte oder ungewollte Abirrung von dem pflichtgemäßen Streben würden aus der Wahlurne die Löcher entstehen. [8] Der Übelstand der Einrichtung liegt jedoch darin, daß sie oft auf lange Zeit die Einsicht durch die Leidenschaft vergewaltigt, bis schmerzliche Erfahrungen die majorisirte Vernunft zu neuen Siegen führen. [9] Es muß uns bedünken, daß wie im Begriff stehen, diesen Ersuchungssatz an unserem Wirtschaftskörper zu erleben. [10] Es herrscht nun Streit darüber, daß man die Verhältnisse der Massen durch drei Dinge ausbessert: indem man ihre Arbeitszeit verkürzt, ihren Lohn erhöht, ihre Bedürfnisartikel verbilligt. [11] Diejenigen Parteien, welche am lautesten zu schreien pflegen, wollen den Menschen diese drei Dinge auf höchst einfachem Wege mechanisch verschaffen und sie finden bei ihrem Hausirgewerbe vielen Zulauf. [12] Diese weisen Männer verkündigen folgende frohe Botschaft: ordnen wir die Arbeitsbedingungen durch eine sozialpolitische Zwangsgesetzgebung in der freigiebigen Weise und verbilligen wir zugleich die Bedürfnisartikel, indem wir die Schutz und Erziehungszölle abschaffen und unsere Grenzen den vortrefflichen Erzeugnissen jener Länder öffnen, welche unter günstigen Bedingungen produzieren als wir. […] [13] Diese Heilslehre ist für die meisten Menschen sehr einleuchtend; denn jeder hat den natürlichen Wunsch, seine Bedürfnisse auf die bequemste und billigste Weise zu befriedigen. [14] Also fort mit der selbstsüchtigen Interessenwirthschaft, fort mit der Politik der Privilegirung ganzer Klassen auf Kosten des Konsumenten. [15] In der That, man lasse unsern Volksbeglückern freie Bahn, und jedermann wird sich alsbald paradiesisch wohl fühlen. [16] Nur eine kleine Bedingung muß allerdings erfüllt werden, nämlich daß jeder auch die Möglichkeit findet, seine Arbeitskraft zu verwerten. [17] Schwindet die lohnende Arbeitsgelegenheit, so kann der Arbeiter selbst das billigste Brot nicht bezahlen und dann bricht die ganze Herrlichkeit wie ein luftiges Kartenhaus zusammen. [18] Nun fragt sich aber doch der einsichtige Volkswirt, wohin sollen wir denn geraten, wenn wir Landwirtschaft und Industrie ohne Rücksicht auf ihre Wettbewerbsfähigkeit immerzu sozialpolitisch belasten, wenn wir ferner Landwirtschaft und Industrie durch Niederreißung der Zollschranken schutzlos einem Wettbewerb preisgeben, wenn wir endlich den ungeheuren Ausfall an Zöllen durch unerschwingliche directe Steuern ersetzen. [19] Und die Antwort geht dahin, daß die Massen unter den stürzenden

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert Trümmern der wichtigsten Produktivstände erschlagen würden. [20] Wenn in dem wirtschaftlichen Körper das kräftige Lebensblut versiegt, so verkümmern alle Organe; wenn die Kaufkraft der größten Bevölkerungsgruppen erlahmt, so verkommt Handel und Wandel. […] [21] Man wird nicht geneigt sein, die Aussichten auf die Verwirklichung dieses Planes inmitten unserer politischen und confessionellen Gegensätze zu überschätzen. [22] Man vergegenwärtige sich nur, daß eine große Partei mit rücksichtsloser Energie und unterstützt von der lieben […] und radicalen Einfalt dem Ziele zustrebt, das freie deutsche Volk unter das harte Joch eines bildungsfeindlichen Clericalismus zu beugen und Deutschland zur Vormacht des Ultramontalismus zu machen, der die Vorsehung den phantastischen Beruf zugewiesen habe, den Kirchenstaat wiederherzustellen, wo nicht, gar in Kreuzzügen die Ungläubigen aus dem heiligen Lande zu vertreiben. [23] Immerhin werden die wirtschaftlichen Gegensätze stärker in den Vordergrund rücken und gewiß werden alle Leute, die es angeht, wohl daran thun, die Stimmung zu beachten, deren Niederschlage wir in dem Gründungsplane vor uns sehen. [24] In diesem Sinne, als Wetterzeichen, als eine bemerkenswerte Regung verdient die Angelegenheit die ernste Beachtung des Politikers. (Koelnische Zeitung, 03.02.1891)

In dem vorliegenden Leitartikel der Koelnischen Zeitung wird dem die Sätze [1] bis [3] umfassenden ‚Exordium‘ eine Überschrift [0] beigefügt, die in Form einer rhetorischen Frage in die Thematik einführt, nämlich in die Diskussion, ob aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit, deren Ursache von einigen in der Politik der Nationalliberalen gesehen wird, ein Wechsel der führenden Partei anzustreben sei. Die sich mit Satz [4] an das Exordium anschließende Narratio fällt entgegen der Feststellung Püschels in ihrer erörternden Darstellung der Ursachen dieser Unsicherheit sowie der Reflexion über die richtige Politik recht lang aus. In der mit Satz [13] beginnenden Argumentatio zeigt sich schließlich der nationalliberale Standpunkt der Redaktion zu dem zuvor erörterten Thema. Die Sätze [21] bis [24] bilden schließlich die Peroratio, in der nochmals die Wichtigkeit der Thematik betont und angedeutet wird, dass ein Ende der Diskussion noch nicht in Sicht ist. Dass sich die Zeitung in ihrer neu erworbenen Funktion als kritische Betrachterin aktueller Geschehnisse nicht ausschließlich an antiken rhetorischen Mustern orientierte, zeigt ein Kommentar des Berliner Tageblattes. [1] In Nordschleswig hat die Ausweisungspolitik zu einem recht niedlichen Handelgeschäft geführt, über das uns ein Freund unseres Blattes schreibt: [2] Der vor einiger Zeit aus Hadersleben ausgewiesene dänische Unterthan Kornhändler N. Ontzen hat einen Schwiegersohn, den Kaufman Schröder in Christiansfeld bei Hadersleben. [3] Herr N. Ontzen, der noch sein Geschäft in Hadersleben hat, fragte vor Kurzem beim dortigen Landrath an, ob er nicht auf drei Tage zur Ordnung geschäftlicher Angelegenheiten nach Hadersleben kommen dürfe, und erhielt den Bescheid, daß dem nichts im Wege steht, wenn sein Schwiegersohn Schröder aus dem dänischen Verein „Frei“ seines Wohnortes auszutreten bereit sei. [4] Der Austritt erfolgte, und Herr Ontzen war vorige Woche in Hadersleben anwesend. [5] Wenn aber der Kaufmann Schröder in den dänischen Verein wieder eintritt? (‚Berliner Tageblatt’, Abendausgabe, 27.03.1899, zitiert nach Püschel 2005: 12f.)

Nicht nur, dass der vorliegende Artikel den Unterschied hinsichtlich des Umfangs zwischen dem ausführlicheren Leitartikel, der die Meinung einer ganzen Redaktion vertritt, und dem kürzeren Kommentar eines Journalisten zeigt, auch ist deutlich zu erkennen,

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dass der Kommentar zumeist eng an eine aktuelle Berichterstattung geknüpft ist. Die eigentliche Meldung – Sätze [2] bis [4] – ist hier in eine Kommentierung – die Sätze [1] und [5] – geradezu eingebettet. Das rhetorische Redeschema, nach welchem Leitartikel zumeist aufgebaut sind, ist in diesem kurzen Kommentar nur bedingt ersichtlich. Zwar ist Satz [1] mit dem ‚Exordium‘, also der kunstgerechten Einleitung vergleichbar, dem die Narratio, der eigentliche Bericht in den Sätzen [2] bis [4] folgt, eine Argumentatio entfällt jedoch, wohingegen die Peroratio, Satz [5], aus einer einzigen rhetorische Frage besteht. Diese Zuspitzung am Schluss in Frageform, welche aus dem Arsenal der Rhetorik stammt, zeigt, dass der Journalist durchaus Kenntnis von höheren sprachstilistischen Mitteln hatte, auch wenn saloppe Bewertungen wie niedlich eher an die Umgangssprache erinnern. Derartige Formulierungen scheinen jedoch bewusst und nicht aus Unwissenheit heraus gewählt worden zu sein, denn sie dienten der Ironie des Kommentars. Oftmals wurden derartig saloppe Bewertungen aber auch aus Rücksicht auf ein breites Publikum gewählt, welches, da es nicht der kleinen gebildeten Oberschicht angehörte, eher mit umgangssprachlichen Formen vertraut war. In diesem Fall unterstützt die Sprachwahl jedoch gänzlich den ironischen Charakter des Kommentars (vgl. Püschel 2005: 12f., Püschel 1991b: 434f.). a.2.3 Die neue Unterhaltsamkeit Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gewann die Zeitung neben ihrer Funktion als informierendes und kommentierendes Medium mehr und mehr an Bedeutung als Unterhaltungsmedium. Die Ursachen der Forcierung von Unterhaltsamkeit sind vor allem in nichtsprachlichen Faktoren wie dem steigenden Profitstreben der Verleger und der zunehmenden Konkurrenz im Anzeigengeschäft zu sehen. Zunächst war es die allein auf den kommerziellen Gewinn ausgerichtete Generalanzeigerpresse, die mit sensationellen ‚Human-Interest-Themen‘ wie Unfällen, Verbrechen und Klatsch das Interesse eines breiten Lesepublikums befriedigte, welches nicht oder nicht ausschließlich an harten Fakten oder tiefgründigen kritischen Auseinandersetzungen interessiert war. Auf eher kulturelle Unterhaltsamkeit konzentrierte sich hingegen der Kulturteil der Zeitung, das Feuilleton, welches erstmals 1831 im Nürnberger Correspondenten erschienen war und um 1840 durch Dichter des Jungen Deutschlands wie Heinrich Heine und Ludwig Börne zu seiner ersten Blüte gelang. In ihm fanden sich Kommentare aus dem Kulturund Geistesleben, Theater-, Buch- und Musikkritiken, vor allem aber literarische Beiträge wie Erzählungen, Novellen, Gedichte und Fortsetzungsromane. Die Publikumswirksamkeit derartiger Unterhaltungsbeiträge, vor allem der ‚Human-Interest-Themen‘, die sich an den hohen Verkaufszahlen der Generalanzeigerpresse zeigte, veranlasste bald auch die täglich erscheinenden Blätter, der Unterhaltung einen festen Platz einzuräumen. So fanden sich „Unter dem Strich“ zumeist die literarischen und kulturellen Beiträge, in den Sparten Literarisches und Musikalisches Buchbesprechungen und Konzertaktivitäten, in den Rubriken Vermischtes, Lokales und Regionales ‚Human-

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Interest-Themen‘, die neben ihrem Unterhaltungswert auch einen gewissen Nachrichtenwert hatten und somit als ‚soft news‘53 zu bezeichnen sind (vgl. Püschel 1996: 339f., Püschel 1999: 871f., Püschel 2005: 13f.). Allein die enorme Bandbreite an Unterhaltungsthemen, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herausbildete, lässt erahnen, dass auch die textlichen Strukturen in diesem funktionalen Bereich vielfältig waren. Dennoch entstanden einhergehend mit dem Funktionswandel der Zeitung nur bedingt neue Textsorten, denn man griff in der Regel auf bereits etablierte publizistische Formen des Berichtens und Kommentierens oder aber auch auf literarische Strukturen zurück (vgl. Püschel 1996: 339f., Püschel 2005: 13f.). Vermischtes [1] Rösen, 30. Dezember. Bei den Au fr ä u mu n g s a r b e i t e n an einem durch die H o c h fl u t h zusammengestürzten Gebäude, wurden in einem von Trümmern des Hauses bedeckten Kasten drei Hühner vorgefunden, von denen noch zwei am Leben waren, trotzdem die Thiere 16 Tage ohne Nahrung waren. [2] Raumburg, 30. Dezember. Bei einer F e u e r s b r u n s t in Schlösen, die am 27. d. M. das Grundstück der Wittwe Kunze einäscherte, kamen die beiden 14 bez. 20 Jahre alten Söhne des Schuhmachermeisters Schütze, die auf dem Boden schliefen, im Rauche um. [3] London, 29. Dezember. In […] starb jüngst eine Frau Billard im Alter von 108 Jahren. Sie war geistig noch ganz rüstig, war aber schon seit Jahren erblindet und bettlägerig und wurde von ihrer 80jährigen Tochter bis an ihr Lebensende gepflegt. In […] starb vor einigen Tagen im Alter von 102 Jahren der Farmer Josef Duck, dessen Geburtsschein vor Kurzem in London gefunden wurde. [4] Catania (Sizilien), 27. Dezember. [4.1] Ein 18jähriges Mädchen, Claudia Banni, hatte vor einigen Monaten, nachdem sie Mutter geworden, auf ihren Verführer, den Kavalier M., geschossen, der sich weigerte, sein gegebenes Versprechen der Ehe einzulösen. [4.2] M. war schwer verwundet worden, allein die Geschworenen sprachen die Thäterin frei. [4.3] Vor einigen Wochen erneuerte Claudia den Mordversuch, allein der Schuß ging fehl, worauf M. erbittert das Mädchen mit einem Messer verwundete. [4.4] Bei der Gerichtsverhandlung wurde Claudia abermals freigesprochen, M. zu 28 Tagen Arrest verurtheilt. [4.5] Nach der Verlesung des Urtheils näherte sich Claudia dem M. mit der Frage, ob er sie nach Abbüßung der Strafe heirathen werde. [4.6] Als er entschieden verneinte, stich sie ihm ein großes Messer ins Herz. M. war sofort eine Leiche. [4.7] Die Mörderin wurde verhaftet. (Preußische Kreuzzeitung, 01.01.1891)

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Es sei an dieser Stelle zu erwähnen, dass diese Unterhaltsamkeit keineswegs eine Innovation der Generalanzeigerpresse war, sondern bereits Anfang des 19. Jahrhunderts für kurze Zeit in den Berliner Abendblättern Heinrich von Kleists Bestand hatte. Dieser veröffentlichte in den Jahren 1810/11 neben Meldungen im Sinne der ‚soft news‘ mit ‚Human-Interest-Themen‘ vor allem Theaterkritiken, Gedichte, Abhandlungen und Anekdoten. Von Kleist musste sein publizistisches Wirken aber bald aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten einstellen (vgl. Püschel 2001: 42, Püschel 1991b: 433).

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Ein Blick auf die Sparte Vermischtes der Preußischen Kreuzzeitung zeigt, dass die weniger der Information als der Unterhaltung dienenden, vor allem aber Gesprächsstoff zum „Small-talk“ bietenden ‚Human-Interest-Themen‘, die ‚soft news‘, mittels der berichtenden Textsorten der Meldung, [1]–[3], und des chronologisch gebauten Ereignisberichts, [4], präsentiert werden. Auffällig bei diesem letzten Ereignisbericht ist, dass der ‚Lead‘ fehlt und sofort in chronologischer Reihenfolge über ein Geschehen berichtet wird, welches in den letzten beiden Sätzen seinen Höhepunkt erreicht. Dies sei ein Beweis dafür, dass im Gegensatz zu den ‚hard news‘ diese ‚soft news‘ persönlicher und weniger starr konstruiert sind, auch die Darstellung weniger nüchtern und tatsachenorientiert, sondern oftmals auf Spannung ausgelegt ist.54 Häufig fanden sich in derartigen Texten sprechsprachliche Wendungen wie „sie war geistig noch ganz rüstig“ (Meldung [3]) oder „trotzdem die Thiere“ (Meldung [1]); auch erinnern die zumeist kurzen Sätze an Muster der täglichen Umgangssprache. Das Feuilleton hingegen bediente sich neben den berichtenden Textsorten zur Meldung kultureller Anlässe der kommentierenden Textsorten zur kritischen Auseinandersetzung mit kulturellen Veranstaltungen, Büchern oder Musikstücken, vor allem aber literarischer Textsorten wie der Erzählung oder der Novelle. Wie das Beispiel eines Feuilletons aus der Trierischen Zeitung zeigt, zeichneten sich derartige Texte durch ihre narrative Struktur aus, in welcher lange Sätze, Satzgefüge und der Verbalstil dominieren (vgl. Püschel 1996, Püschel 1999: 876, Püschel 2005: 13f.). (E i n S c h ö n h e i t s k ü n s t l e r ) Der Manicure, zu deutsch Hautpfleger, reinigt den Leuten, die für diese Leistung 2 M. auszugeben gewillt sind, die Fingernägel. Daraus, daß sie das Nägelputzen so bezahlen, sieht man, daß es Leute sind, die Zeit hätten, es selbst zu thun. Uebrigens ist das Nägelreinigen des Manicure ganz verschieden von dem, was man sonst darunter versteht, nimmt gewöhnlich eine halbe Stunde beide Teile in Anspruch und erfordert vonseiten des Putzenden viel Uebung, vonseiten der Dame, denn vorwiegend Damen sind Kundschaften des Manicure, – viel Geduld; besonders dann, wenn der Handpfleger weder amüsante Geschichten, noch Stadtklatsch, der beinahe für die 2 M. mitgefordert wird, zu berichten weiß. Der Manicure setzt sich an ein Tischchen, auf dem ein kleines Kissen liegt, die Dame nimmt ihm gegenüber Platz, stützt den Unterarm darauf und die Vorarbeit beginnt. Zuerst wird der Nagel und die umgebende Hautpartie leicht mit verdünntem Alkohol gereinigt, hierauf beginnt

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Auch in den Meldungen und Ereignisberichten der ‚soft-news‘ werden wie in denen der ‚hard news‘ Antworten auf die wichtigsten w-Fragen gegeben. Ihnen kommt jedoch neben der informierenden noch eine unterhaltende Funktion zu. Diese Funktionserweiterung infolge der behandelten lebensnäheren Thematiken der ‚soft news‘ führt, wie angenommen, zu sprachlichen Unterschieden. Um diese genau zu definieren und zu fundieren, wären jedoch eingehendere Untersuchungen von Nöten. Um den sprachlichen Unterschied zu definieren, müsste ein Korpus mit ‚hard-news‘ und eines mit ‚soft news‘ erstellt und dann unabhängig voneinander auf sprachliche Besonderheiten vor allem im Bereich der Syntax und der Lexik untersucht werden, um zu einer Beschreibung der Sprache dieser informierenden und informierend-unterhaltenden Nachrichten zu gelangen. Die erzielten Ergebnisse müssten dann miteinander verglichen werden. Auf diese Weise könnte herausgefunden werden, inwieweit sich die Sprache innerhalb einer Textsorte, hier der Meldung oder des Ereignisberichtes, je nach behandeltem Thema und Adressat unterscheidet.

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert das Abkratzen der oberen Hornpartien, das Zurückschieben der Haut, falls welche über den Nagel hereingewachsen sein sollte. Dann wird ihm je nach Wunsch eine ovale oder beliebige andere Form gegeben. Nun beginnt die künstlerische Arbeit. Ein weißes Putzpulver wird über den Nagel gestrichen und mit einem Lederläppchen so lange verrieben, bis dieser blitzblank erscheint, hierauf nimmt der Manicure aus einem kleinen Tiegelchen ein wenig von einer roten Masse, färbt damit den Nagel der Dame rosenrot, glättet noch ein wenig mit einem Elfenbeinstäbchen, erzählt noch ein kleines Geschichtchen und hat seine Schuldigkeit gethan. Diese Pflege der Hand ist übrigens keine moderne „Errungenschaft“: schon im Altertum ließen sich die Frauen die Füße vergolden. (Trierische Zeitung, 08.01.1898, zitiert nach Püschel 2005: 15f.)

Wie auch dieses Beispiel zeigt, unterhielt die Zeitung ihre Leser in verschiedenster Weise, zum einen mit kulturellen Beiträgen, zum anderen mit skandalbeladenen ‚Human-Interest-Themen‘. Es lässt sich also feststellen, dass die Unterhaltungsfunktion der Zeitung geteilt war in eine eher informierend-unterhaltende – so die Berichte über ‚Human-Interest-Themen‘ –, eine auffordernd-beziehungsweise kommentierend-unterhaltende – beispielsweise Theaterkritiken – und eine poetisch-unterhaltende Funktion – so narrative Texte wie Fortsetzungsromane (vgl. Püschel 2005: 15f.).

b. Der Sprachgebrauch der Zeitungen des 19. Jahrhunderts b.1 Die ‚Zeitungssprache‘ – ein ‚Mixtum Compositum‘ Der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogene Wandel der Zeitung von einer reinen Nachrichtenpresse zu einem multifunktionalen Medium, welches sowohl eine nüchterne, tatsachenorientierte Berichterstattung, als auch eine rhetorisch geprägte, meinungsorientierte Kommentierung, vor allem aber eine teils literarisch-kulturelle, teils sensationsgeladene Unterhaltsamkeit präsentierte, lässt bereits erahnen, dass sich auch in der Ausdrucksweise der Zeitung nicht nur Änderungen, sondern vor allem Differenzierungen ergaben. Zunächst ist zu bemerken, dass die Zeitung einhergehend mit der Erweiterung ihres Funktionsbereiches auch ihr Themenspektrum ausdehnte, folglich die verschiedensten Interessen eines breiten Publikums befriedigen konnte und musste. Während die frühe Zeitung von Hofleuten, Diplomaten und Gelehrten, also von und für ein gebildetes Publikum gestaltet war, erweiterte sich mit dem Beginn der Massenpresse der Käufer- und Leserkreis auch auf weniger Gebildete und Informierte. Bereits die der Übersichtlichkeit dienende Einteilung der Themenkomplexe in Ressorts zeigt, dass sich die Zeitung zunehmend auf einen differenzierten Leserkreis, von den Arbeiterschichten bis zu den Bildungsbürgern, einstellen musste (vgl. Straßner 1980: 329). In Anbetracht der differenzierten Leserschaft einer jeden Zeitung und der thematischen Komplexität kann von einer homogenen Zeitungssprache55 nicht gesprochen 55

Auch in den Anfängen des Zeitungswesens war das sprachliche Gesamtbild der Zeitung nicht durch Homogenität geprägt. Zwar waren der Leserkreis und die behandelten Themenbereiche wesentlich weniger differenziert als im 19. Jahrhundert, dennoch zeichneten sie sich durch einen eigenen

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werden, denn die Zeitung, deren primärer Anspruch seit ihrem Bestehen darin lag, lesbar und verständlich zu sein, musste, um ihre Verkaufszahlen zu sichern, nicht allein mit der Wahl ihrer Inhalte auf ein differenziertes Publikum eingehen, sondern auch dessen individuelle Sprache sowie die der behandelten Gegenstandsbereiche berücksichtigen. Folglich ist das sprachliche Gesamtbild der Zeitung nicht einheitlich, sondern die Zeitung als ein Mixtum Compositum – als eine ‚Mixtur von Sprach- und Stilformen‘56 – zu betrachten, welches abhängig ist von der publizistischen Absicht beziehungsweise dem Funktionsbereich, dem Publikum, der Thematik, aber auch dem einzelnen Journalisten (vgl. Müller 1991: 232, Nail 1985: 1665, Straßner 1980: S. 331). Diese sprachstilistische Bandbreite ist zum einen zeitungsübergreifend zu beobachten, eine täglich erscheinende seriöse Abonnementzeitung wie beispielsweise die Frankfurter Zeitung konzentriert sich nicht nur auf andere inhaltliche Schwerpunkte und einen anderen Leserkreis als ein Generalanzeiger wie die Bürgerzeitung, sondern weist auch andere Sprachstile auf (vgl. Püschel 1998: 364f.). Den einzelnen Zeitungen sind nicht nur regional abgegrenzte, sondern auch sozial gekennzeichnete Lesergruppen zuzuordnen. Die Zuordnung erfolgt durch die Wahl der thematischen Schwerpunkte, durch das Niveau der Probleme und die sprachliche Darstellung. Bis zu einem gewissen Grade kann die Zeitung-Leser-Zuordnung oder die Zeitungslesegewohnheit als soziales Gruppenmerkmal dienen. (Löffler 2005: 111)57

Die Sprachstile unterscheiden sich nicht allein zeitungsextern, sondern auch zeitungsintern, also in den unterschiedlichen thematisch konstituierten Sparten, die „die potentielle Leserschaft nach Interessen- oder Berufsgruppen selektieren“ (Löffler

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Gruppen- oder Fachwortschatz aus. Auch der Kreis der Nachrichtenschreiber oder Korrespondenten, der sich zusammensetzte aus Verwaltungsleuten, Kaufleuten, Politikern oder Geistlichen, war äußerst heterogen. Je nach Berufsfeld orientierten sie sich an unterschiedlichen sprachlichen und textlichen Vorbildern, die in einem langen Prozess an das Medium Zeitung und seine spezifischen Produktions- und Rezeptionsformen angepasst wurden. Dass die Zeitung kein homogenes Sprachbild vorweist, man also nicht von einer Zeitungssprache sprechen kann, wird für die folgende Analyse des Diskurses von Interesse sein, in welchem mehrfach die einen homogenen Sprachgebrauch implizierende Bezeichnung Zeitungsdeutsch auftritt (vgl. Kapitel VI). Die auch von Löffler getätigte Annahme, dass sich verschiedene Zeitungen je nach ihrem primären Leserkreis sprachlich unterscheiden, ist an dieser Stelle nicht durch eine eingehendere Untersuchung zu untermauern, da ein derartiger Vergleich in seinem Umfang Thema einer eigenen Arbeit wäre. Eine derartige Untersuchung, sollte sie repräsentativ sein, wäre von besonders großem Umfang, da zunächst für die verschiedenen Zeitungstypen, also Generalanzeiger, Parteizeitung, Tageszeitung und Wirtschaftszeitung, bestimmte Zeitungen exemplarisch herausgegriffen werden müssten. Nicht zuletzt im Hinblick auf die publizistische Intention sollte dann eine Analyse der sprachlichen und textlichen Gestalt eines jeden Blattes über einen festgelegten Erscheinungszeitraum hinweg vorgenommen werden. So könnte nicht nur die Sprache im Allgemeinen verglichen werden, sondern auch die sprachlichen Entwicklungen näher beschrieben werden, die sich möglicherweise parallel aufgrund außersprachlicher Entwicklungen in verschiedenen Zeitungen zeigen.

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2005:111), und selbst Textsorten58 einer Zeitung. Dass der Sprachgebrauch innerhalb der einzelnen Zeitung differenziert ist, ist bereits bei der vorherigen Betrachtung der verschiedenen Funktionsbereiche und der ihnen zugewiesenen Textsorten angeklungen. Von Sparte zu Sparte wechselt der sprachliche Stil, so dass sich die Sprache und textliche Gestalt des Politikteils von dem des Wirtschaftsteils und dieser wiederum von dem des Unterhaltungs- und Kulturteils unterscheidet. Neben dem nüchternen Nachrichtenstil findet sich auch der rhetorisch geprägte Meinungsstil im Politikteil, im Unterhaltungsteil stehen literarisch ambitionierte Texte neben sensationsgeladenen im Stil der Umgangssprache. Auch syntaktisch und lexikalisch lassen sich innerhalb einer Zeitung signifikante Unterschiede vermerken. So dominiert beispielsweise in gewissen unterhaltenden Texten der Verbalstil, während in politischen Meldungen der Nominalstil vorherrscht. Neben dem häufig im Politik- oder Wirtschaftsteil auftretenden Fremd- und Fachwortschatz finden sich im Unterhaltungsteil eher die Umgangssprache oder auch Modewörter. Die einfachere sprachliche Gestaltung des unterhaltsamen Teils der Zeitung lässt sich dadurch erklären, dass vor allem die breite Masse nicht immer mit der Schriftsprache in dem Maße vertraut war wie beispielsweise gebildetere Bevölkerungsschichten. Der Politik- und Wirtschaftsteil hingegen erweckte wohl eher das Interesse einer kleineren Zahl an „Eingeweihten“ und wurde sowohl inhaltlich als auch sprachlich von diesen verstanden. Auch die rhetorisch geprägten Leitartikel wandten sich möglicherweise an eine gebildetere Leserschaft, die durch ihre Schulbildung mit den Mitteln der Rhetorik vertraut war (vgl. Püschel 1998: 366f.). 59 Es zeigt sich also, dass man, will man die Sprache der Zeitung untersuchen, die einzelne Zeitung immer in ihrer ganzen Breite unter Einbeziehung der informations-, meinungs- und unterhaltungsbetonten Texte betrachten muss. Um den Sprachgebrauch der Zeitung des 19. Jahrhunderts genau zu definieren, sofern dies überhaupt möglich ist, müsste folglich herausgefunden werden, welche sprachlichen Erscheinungen wann in welcher Zeitung und hier wiederum in welcher Rubrik und Textsorte auftraten. An dieser Stelle sollen jedoch unter dem Wissen der sprachlichen Spannweite der Zeitung, die sich aus ihrem Streben nach Universalität des Inhalts und aus der Vielschichtigkeit der Zwecke und Funktionen ergibt, typische sprachliche und syntaktische Veränderungen und Entwicklungen der Zeitung des 19. Jahrhunderts aufgeführt wer58

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Man denke hierbei an die informierenden Textsorten der Meldung oder des Berichts, die im Unterhaltungsteil sprachlich anders realisiert sind als im Politikteil, da sie hier neben ihrer informierenden Funktion auch eine unterhaltende aufgrund der berichteten Thematik erlangen. Diese Aussage könnte gegebenenfalls durch eine eingehendere Betrachtung der Sprache und Rhetorik der Parteizeitungen für Arbeiter wie dem Sozialdemokrat, herausgegeben von Karl Marx und Karl Liebknecht, relativiert werden. Eine nähere Untersuchung dieser Parteizeitung wäre von daher interessant, da sie sich mit politischen, zur Meinungsbildung auffordernden, kommentierenden Texten an die Arbeiterschaft, ein weniger gebildetes Publikum, richtete, welche im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann. Somit ist anzunehmen, dass sich deren Sprache aufgrund ihres Leserkreises von jener anderer Partei- oder auch Tageszeitungen in ihrer textlichen und sprachlichen Struktur unterscheidet.

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den, die sich meist zeitungs- und spartenübergreifend zeigen. Dabei ist es vor allem interessant zu betrachten, inwiefern der publizistische Sprachgebrauch von anderen Bereichen des täglichen Lebens beeinflusst wurde. b.2 Das syntaktische Streben nach kurzem Ausdruck Vor allem in der Zeitungssyntax lassen sich im 19. Jahrhundert spezifische Kennzeichen und Entwicklungstendenzen der Zeitung verzeichnen, die primär aus der immer schneller werdenden Pressekultur und der zunehmenden inhaltlichen Komplexität resultierten. Nicht nur der zeitungsspezifische Anspruch der Aktualität, welcher eng an den zeitlichen Druck der Journalisten und Redakteure gebunden ist, sondern auch der zunehmende Umfang der Zeitung erforderten eine komprimierende Sprachökonomie, die es vermochte, in aller Kürze eine Breite an Themen und Inhalten zu realisieren. Zudem lag der sprachliche Anspruch der Zeitung während und nach ihrer Entwicklung zum Massenmedium darin, ein möglichst breites Publikum anzusprechen, welchem keine besonderen Verständnisschwierigkeiten durch komplexe syntaktische Konstruktionen bereitet werden sollten. In der Zeitungssyntax nahm folglich das Bemühen im Sinne einer pragmatischen Zweckausrichtung zu, mit einfachen kommunikativen Mitteln dem durchschnittlich gebildeten Leser ein Ereignis klar, übersichtlich und in geringem Umfang vorzustellen. Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Abschluss der Periode der klassischen deutschen Dichtung und dem Ende der Romantik neu beginnende Abschnitt in der Geschichte des deutschen Satzbaus (vgl. Michel 2001: 224), welcher erste Entwicklungstendenzen zu heute gängigen syntaktischen Gewohnheiten zeigte, wurde nicht zuletzt durch die Zeitung eingeleitet und mitbestimmt. Die Notwendigkeit einer kürzeren komprimierteren Informationsgebung führte dazu, dass der komprimierte, beziehungsweise verkürzte Satzbau, der oftmals mit einem Rückgang der Satzgefüge und einer vergleichsweise starken Zunahme von Einfachsätzen einherging, in den Zeitungen im Laufe des 19. Jahrhunderts zunahm. In einer Studie über die Zeitungssyntax60 stellte Michel (2001) fest, dass der Gebrauch von Einfachsätzen in der ersten Jahrhunderthälfte wesentlich geringer ist, als der in der zweiten Hälfte 60

Ausgehend davon, dass im 19. Jahrhundert bereits alle syntaktischen Varianten des heutigen Deutsch vorhanden waren, ihr quantitatives Vorkommen aber unterschiedlich war, untersuchte Dirk Michel (2001) in seinem Aufsatz Zeitungssyntax – Sprachwandel im 19. Jahrhundert die Syntax informierender Zeitungstexte des 19. Jahrhunderts. Um die Entwicklungstendenzen des Satzbaus in Zeitungen zu bestimmen und so zur Erforschung der historischen Syntax der deutschen Sprache beizutragen, wählte Michel sechs überregionale Tageszeitungen aus verschiedenen Regionen des deutschsprachigen Raumes nach gleichmäßigen Zeiträumen in quantitativ gleicher Auswahl – 1800, 1820, 1840, 1860, 1880 und 1900 – aus. Aufgrund der Fülle syntaktischer Erscheinungen konzentrierte er sein Interesse auf die Entwicklung der Hypo- beziehungsweise Parataxe, der Komplexität und des Umfangs, um nicht zuletzt der Frage nachzugehen, ob der Zeitungssprache des 19. Jahrhunderts auch im syntaktischen Bereich die behauptete Rolle bei der Veränderung sprachlicher Normen zukam.

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des 19. Jahrhunderts. Während der durchschnittliche Anteil der Einfachsätze bis 1840 weitgehend konstant blieb, sich zwischen 24% und 25% bewegte, lag der Anteil der Einfachsätze in den sechziger Jahren bei 31%, bis er im Jahre 1900 mit 36% seinen Höhepunkt erreichte (vgl. Michel 2001: 230f.). Diese Ergebnisse Michels korrespondieren mit denen Nails (1988), der ebenfalls einen durchschnittlichen Anteil an Einfachsätzen von 36,67% in dem Zeitraum 1866 bis 1909 vermerkt (vgl. Nail 1988: 126f.). Die Zunahme des komprimierten Satzbaus in der zweiten Jahrhunderthälfte liegt darin begründet, dass nach der Aufhebung der Zensur im Jahre 1848 die Informationsflut stetig anstieg, so dass ökonomischere Ausdrucksweisen gefunden werden mussten, um diese zu bewältigen. Die Studien Michels (2001) und Nails (1988) betrachten primär die Syntax informationsbetonter Texte beziehungsweise die der Textsorte ‚Nachricht‘ nicht zuletzt aus dem Grund, da der größte Teil einer Zeitung aus derartigen Informationen und Berichten bestand und besteht. Inwiefern sich der komprimierte Satzbau auch in meinungsund phantasiebetonten Zeitungstexten entwickelte oder durchsetzte, ist meines Wissens bisher wissenschaftlich nicht belegt. Da diese Texte aber, wie bereits zuvor dargelegt wurde, andere Ziele verfolgten als die auf resultatbezogene, sachliche Weise berichtenden Informationstexte, sich zudem des eher langatmigen rhetorischen und narrativen Stils bedienten, ist anzunehmen, dass hier keine derart signifikante Entwicklung zum komprimierten Satzbau stattfand. Eine derartige Vermutung ist derzeit zwar nicht durch eine wissenschaftliche Studie zu untermauern, die wenigen im vorhergehenden Abschnitt exemplarisch vorgestellten kommentierenden und phantasiebetonten Texte sprechen jedoch für sie. Unterhaltende Texte wie die der ‚soft news‘ hingegen, die auf ein breites, oft weniger gebildetes Publikum ausgerichtet sind, tendierten weniger zu Satzgefügen als zu Einfachsätzen, auf die in der mündlichen Kommunikation sicherlich schon immer zurückgegriffen wurde. Die Verkürzung der Satzlänge – und somit eine kürzere, komprimiertere Information – war vor allem dadurch möglich, dass der zentrale Gehalt der Aussage auf das Substantiv verlagert wurde, so dass dieses in den Einfachsätzen eine überragende Stellung einnahm. Bei der Bildung kurzer Sätze, in denen der Nominalstil dominierte, orientierte sich die Zeitung höchstwahrscheinlich an der Amts- und Behördensprache (vgl. Mackensen 1971: 105f., 152f.). Darmstadt, 22. Dec. [1] Wie verschiedene Blätter berichten, hat die Regierung [2] gegenüber einer an die Zweite Kammer gebrachten Petition [3] wegen [3.1] der Aufhebung des Ordensgesetzes und der Revision des Volksschulgesetzes [4] erklärt, daß es zur Zeit nicht [5] in ihrer Absicht liege, [6] eine Durchsicht dieser Gesetze vorzunehmen. (Frankfurter Zeitung, Abendblatt, 30. 12.1892)

Wie diese Meldung zeigt, konnten die Journalisten im Gegensatz zu dem in der ersten Jahrhunderthälfte vorherrschenden Verbalstil mittels des Nominalstils möglichst viele, aber auch präzise Informationen knapp wiedergeben. Dies erfolgte zum einen in Gestalt nominaler Blockbildungen, zum anderen in Form verbaler Streckformen und Univerbie-

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rungen. Für ersteres ist die Bildung von Genitivketten signifikant, die in dem vorliegenden Text in [3.1], der Aufhebung des Ordensgesetzes, zwar ersichtlich, jedoch noch wesentlich ausgeprägter sein können, so beispielsweise „aufgrund der politischen Bedeutung einer Zusammenkunft der Präsidenten der beiden großen nordamerikanischen Republiken“ (Karlsruher Zeitung, 19.04.1891). Des Weiteren gehen Nebensätze wie in [3] oft als präpositionale Fügungen in den übergeordneten Satz ein. Vor allem Präpositionen wie hier wegen, aber auch infolge, anlässlich, aufgrund, durch oder trotz sind dafür geeignet, syntaktisch-semantische Beziehungen in Präpositionalsyntagma zu überführen. Derartige Reduktionen von ganzen Sätzen zu Satzgliedern ermöglichen zwar eine komprimiertere Informationsgebung, sind aber oft, vor allem für ungeübte Leser, schwerer verständlich als verbale Ausdrucksweisen, da nicht zuletzt die Gefahr gegeben ist, dass die Tempuszuordnung, der Modus und Genus des Nebensatzverbs verschwimmen. Versucht man diese im Nominalstil verfasste Meldung ohne jegliches Hintergrundwissen in eine verbale Ausdrucksweise zu transformieren, stellt sich beispielsweise die Frage, wie das Präpositionalsyntagma [3.1] wegen der Aufhebung des Ordensgesetzes und der Revision des Volksschulgesetzes aufgelöst werden könnte. Eine Möglichkeit wäre folgende: Verschiedene Blätter berichten, dass, nachdem an die zweite Kammer eine Petition gebracht worden war, weil das Ordensgesetz aufgehoben und das Volkshochschulgesetz revidiert werden solle, daraufhin die Regierung erklärte, dass sie zurzeit nicht beabsichtige, diese Gesetze durchzusehen.

Bei einer derartigen Transformation wird nicht nur deutlich, dass ungeübte Leser oder solche mit wenig Hintergrundwissen durch den Ersatz der verbalen Ausdrucksweise möglicherweise mit Verständnisschwierigkeiten zu kämpfen hatten, sondern auch, dass die Verben wie bereits in der Behörden- und Amtssprache durch die zunehmende Verwendung von analytischen Verbverbindungen an Bedeutung verlieren (vgl. Mackensen 1971: 105, 144f.). Das so genannte Funktionsverbgefüge eine Durchsicht vornehmen, welches aus einem Verb und einem Substantiv besteht, ist semantisch nicht identisch mit durchsehen, sondern wesentlich punktueller auf den konkreten Akt bezogen. Durch derartige verbale Streckformen wie eine Durchsicht vornehmen, einen Besuch abstatten, einen Versuch unternehmen oder eine Einigung erzielen, in denen die Substantive die Hauptsinnträger sind, gewinnt die Zeitung, abermals in Orientierung an der Amtsund Behördensprache, an zahlreichen neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die nur noch bedingt durch einen Verlauf beschreibende Vollverben ersetzt werden können (vgl. Nail 1988: 130f.). Zwar ist die Kürzung der Satzlänge zumeist eng an den Gebrauch des Nominalstils gebunden, es finden sich jedoch auch häufig kurze Sätze, die weniger Nominalgruppen aufweisen als das zuvor aufgeführte Beispiel einer politischen Meldung. Berlin, 1. Febr. [1] Am gestrigen Morgen arbeitete Seine Majestät der Kaiser zunächst allein und unternahm dann eine Spazierfahrt und eine Promenade im Thiergarten. [2] Später arbeitete Allerhöchstderselbe mit dem Reichskanzler im Reichskanzlerpalais. [3] Nach der Rückkehr in

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert das Schloß empfing der Kaiser den evangelischen Feldprobst D. Richter zu längerem Vortrage. [4] Hierauf arbeitete der Kaiser noch mit dem Chef des Generalstabs und dem Chef des Militärkabinets. [5] Am Nachmittage um 1¼ Uhr nahm Seine Majestät militärische Meldungen entgegen. (Karlsruher Zeitung, 03.02.1891)

Dieser Ereignisbericht beispielsweise, der über den Tagesablauf des Kaisers informiert, weist zwar auch präpositionale Fügungen wie in [3], nach der Rückkehr, oder verbale Streckformen wie in [1], unternahm dann eine Spazierfahrt und eine Promenade, auf, jedoch nimmt das Substantiv hier keine solch überragende Stellung ein, wie in dem vorhergehenden Beispiel. Die recht kurzen, aber weniger komprimierten Sätze erinnern eher an die Umgangssprache, denn nacheinander werden in kurzen Sätzen nach dem Schema ‚Subjekt, Prädikat, Objekt‘ die verschiedenen Unternehmungen des Kaisers aufgeführt, ohne jedoch auf komplizierte syntaktische Strukturen zurückzugreifen. Dass dieser Bericht einen weniger komplexen und komprimierten Satzbau aufweist, ist sicherlich auf seine Thematik zurückzuführen. Während die politische Meldung einen kleineren, ausgewählten Leserkreis anspricht, der in politischen Fragen firm ist und auch mit deren Sprache vertraut ist, wird dieser Bericht über den Tagesablauf des Kaisers das Interesse oder vielmehr die Neugier einer breiteren differenzierteren Leserschaft erweckt haben, die sprachlich nicht unbedingt sehr versiert sein musste, so dass auch auf einfachere, allgemein verständlichere und der Umgangssprache nähere Satzstrukturen zurückgegriffen wurde. Zudem ist zu vermerken, dass es sich bei dem ersten Beispiel um eine Meldung und dem zweiten um einen Bericht handelt, also um zwei unterschiedliche Textsorten, die primär nur ihre berichtende oder besser informierende Funktion gemeinsam haben, sich jedoch thematisch und in ihrem Adressatenbezug unterscheiden. b.2.1 Die Syntax der Überschrift Auch und vor allem in der Entwicklung der Schlagzeile hatten die Journalisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts linguistische Grundtatsachen verstärkt genutzt wie die, dass der sprachliche ‚Satz‘ nicht an eine bestimmte Satzform wie den vollständigen Verbalsatz gebunden sein muss, und dass Wort- wie Satzbedeutungen aus dem Kontext zu erschließen sind. Da dem Leser in Form der Überschrift oder Schlagzeile eine kurze Information über das Thema und den etwaigen Inhalt des Artikels gegeben, vor allem aber sein Interesse geweckt werden sollte, wurde zunächst in Nominal-Kurzsätzen (Rückkehr des Kaisers), dann in Verbal-Kurzsätzen auf die Thematik des vorliegenden Artikels verwiesen. In diesen Verbal-Kurzsätzen wurde entweder das finite Verb des mehrgliedrigen Prädikats erspart (Holländischer Dampfer auf Mine gelaufen), das Verbum des Sagens durch Doppelpunkt ersetzt (Seebohm: Stauungen nicht zu vermeiden) oder das Subjekt im Restprädikat impliziert (An Kreuzung zusammengestoßen) (vgl. von Polenz 1999: 507 f., Sandig 1971: 147f.).

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b.2.2 Exkurs: Kleine Geschichte der Überschrift Die neue thematische Vielfalt aber auch der anwachsende Zeitungsumfang verlangten vom Leser, sein Leseverhalten zu ändern, indem er von der Ganzlektüre zur selektiven Lektüre überging. Um ihm die Selektion innerhalb der Themenvielfalt zu erleichtern, wurden die verschiedenen Artikel mit Überschriften versehen, die sich im Laufe des ausgehenden 19. Jahrhunderts von bloßen Quellenangaben über Themenüberschriften zu Inhaltsüberschriften und Schlagzeilen mit eigenen syntaktischen Strukturen entwickelten und einen gewissen Leseanreiz boten (vgl. Püschel 1991b: 438f.Püschel 2001: 39, Püschel 2005: 17f., Wilke 1991: 83f., von Polenz 2005: 506). Bis Ende des 18. Jahrhunderts, teilweise aber auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wurden die verschiedenen Zeitungsmeldungen Absatz für Absatz unter der Überschrift des Korrespondenzortes oder -landes zusammengefasst, so dass sich eine selektive Lektüre nicht nur aufgrund mangelnder Überschriften als unmöglich erwies, sondern auch weil nicht immer klar ersichtlich war, wo die Grenzen zwischen den einzelnen Meldungen verlaufen. Erst mit der Ausbildung der Zeitungssparten infolge der zunehmenden Themenfülle erfolgte eine Ersetzung der bloßen Quellenangaben durch Rubriküberschriften wie Vermischte Nachrichten, Deutsches Reich, Aus Italien oder Handel und Verkehr, die zwar keinen wirklichen Leseanreiz boten, den Leser aber über die globale Thematik der unter dieser Überschrift aufgeführten Meldungen und Berichte informierten. War der Leser primär an den so genannten ‚soft news‘ interessiert, wusste er derartige Meldungen unter der Überschrift der Vermischten Nachrichten, der Lokalen oder Regionalen Nachrichten zu finden, wollte er sich hingegen dem wirtschaftlichen Bereich widmen, betrachtete er die unter Handel und Verkehr aufgeführten Texte. Innerhalb dieser Rubriken erregten g e s p e r r t e oder fett gedruckte Wortgruppen zu Beginn oder in der Mitte des Textes die Aufmerksamkeit des Lesers.61 Derartige Sperrungen gelten als die eigentlichen Vorläufer der Schlagzeilen, die als Leseanreiz und Gliederungsmittel vermehrt erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auftraten (vgl. Nail 1988: 123). Mit dem stetigen Anwachsen des Zeitungsumfangs fanden sich vor allem seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter den Rubrikenüberschriften außer der Angabe des Korrespondenzortes und des Datums eingeklammerte Überschriften mit Schlagzeilencharakter. So erscheinen beispielsweise in der Bürger-Zeitung vom 06.01.1893 unter der Rubrik Allerlei unterhaltsame Texte mit den Interesse erweckenden eingeklammerten Überschriften Eine Hochzeit mit Hindernissen, Eine eigenthümliche Predigt oder Liebe kennt kein Gesetz. Schlagzeilencharakter hatten aber auch häufig die den Leitartikeln der Tageszeitungen vorangestellten Überschriften wie Eine neue Partei? (Koelnische Zeitung, 03.02.1891), Deutschland am Scheidewege (Bürger-Zeitung, 06.01.1893) oder Crispis Sturz (Heidelberger Zeitung, 03.02.1891). An derartigen 61

Derartig gesperrte oder fett gedruckte Wortgruppen finden sich beispielsweise in den Meldungen der Sparte Deutsches Reich in der Bürger-Zeitung vom 06.01.1893 oder dem Feuilleton der Trierischen Zeitung auf Seite 79 sowie den ‚soft news‘ auf Seite 78f.

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Überschriften, die sich auf der ersten Seite der Tageszeitung fanden, lässt sich unschwer erkennen, dass der Schlagzeile eine ganz wesentliche wirtschaftliche Bedeutung zukam, da sie Einfluss auf den Absatz der Zeitung hat, indem sie die Neugier des Lesers erweckt und ihn so zum Kauf bewegt (vgl. von Polenz 1999: 506f., Püschel 1999: 869, Püschel 2001: 39, Püschel 2005: 17f., Wilke 1991: 83f.). Ende des Diskurses b.3 Formen der Wortbildung Neben den syntaktischen Entwicklungen in der Zeitung des 19. Jahrhunderts lässt sich auch im Wortgebrauch und der Wortbildung eine zunehmende Tendenz zur Kürze vermerken. Vor allem für wortreichere Fügungen eintretende Komposita entstehen in allen Lebensbereichen als Reaktion auf neue gesellschaftliche Sachverhalte und verbinden die Vermittlung neuer Gegenstandsbereiche mit dem Streben nach kurzem Ausdruck. Dieser Prozess der Kompositabildung, folglich der sprachökonomischen Kürzung, bei der eine Wortgruppe zu einem Wort konzentriert wird, gilt als eine der Haupttendenzen der deutschen Wortbildung, findet aber seit dem 19. Jahrhundert in der Zeitung seine besondere Ausprägung. Zumeist handelt es sich hierbei um so genannte Augenblickskomposita, die nicht zuletzt dadurch entstehen, dass auf bestimmte Nominalgruppen, wie auf die Forderung des Ministers, im nachfolgenden Abschnitt nur noch mit einem verkürzten Kompositum, meist einem Bindestrichkompositum wie Minister-Forderung, Bezug genommen wird. Zu derartigen Komposita ist die in der Frankfurter Zeitung erwähnte Matrosen-Artillerie oder auch Torpedo-Abteilung zu zählen62. Die Mehrzahl solcher Univerbierungen gehen auf ein aus Substantiv und Präpositional- beziehungsweise Genitivgruppe bestehendes Syntagma zurück, so beispielsweise sind die Armengesetze Gesetze für die Armen, das Volksschulgesetz ein Gesetz bezüglich des Besuches der Volksschule. Dieses pragmatische Prinzip der Sprachökonomie der Zeitung kann sich jedoch auch nachteilig auswirken, insofern als durch immer längere Komposita wie beispielsweise Volksschulunterhaltungsgesetzesentwurf die Verständnisschwierigkeit erhöht wird. Bei derartigen Komposita besteht zudem die Gefahr, dass die Art der Relationen nicht sofort fassbar oder wie bei Italien-Reise mehrdeutig sind, handelt es sich um eine Reise in Italien oder nach Italien (vgl. Nail 1988: 134). Neben den Komposita, die nicht unbedingt von der Zeitung, sondern in allen Bereichen neu gebildet, von der Presse aber sofort aufgenommen wurden, sind auch zahlreiche Nomina actionis auf -ung wie Modernisierung, Versorgung, Aufteilung, Flüssigmachung, Verfügung, Einschränkung oder Durchquerung an die Stelle von wortreicheren verbalen Ausdrucksweisen getreten. Derartige Substantivierungen dienen nicht nur dem zeitungsspezifischen Streben nach Kürze, sondern bringen auch „den Aspekt des Gewordenen, des Zustands einer Handlung, und damit wiederum den Aspekt des Faktischen“ (Nail 1988: 134) in den Satz ein, „wohingegen Sätze, die sich vom Verb 62

Vgl. hierzu den Artikel der Allgemeinen Zeitung, 03.02.1891, S. 73.

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aus semantisch entwickeln, den Vorgangsaspekt einer Handlung betonen“ (ebd.: 134f). Derartige Bildungen auf -ung, aber auch auf -keit und -heit entspringen zumeist dem Amtsstil, der nicht zuletzt auf derartige Abstraktbildungen zurückgriff, um eine gewisse Unverbindlichkeit auszudrücken, zu der er sich verpflichtet fühlte. Zudem hatten diese Nomina Actionis den, wie die Betrachtung der Zeitungssyntax zeigte, Vorteil, dass sie sich leicht mit Präpositionen zu Präpositionalsyntagmen verbinden ließen und so Nebensätze ersparten (vgl. Mackensen 1971: 107f.). Weitere Neuheiten in der Zeitungssprache, die teilweise der Alltagssprache, teilweise der Behördensprache entsprangen, sind die Verdrängung des Genitivs durch analytische Formen mit von und Adverbialbildungen auf -weise. Adjektivgraduierungen auf hochwie hochinteressant (vgl. Nail 1985: 1665f.), die ihren Ursprung in der Wirtschaftsbeziehungsweise Werbesprache hatten, dienten der Zeitung zum einen in ihrem Bemühen, das Interesse eines breiten Publikums zu erwecken und zu steigern, zum anderen dazu, der Aussage eine enorme Wichtigkeit zuzuschreiben (vgl. Mackensen 1971: 124f.). b.4 Der publizistische Wortschatz Spezifische Kennzeichen im Wortschatz der Zeitungen sind im Gegensatz zu den syntaktischen und morphologischen Entwicklungstendenzen wesentlich schwerer zu fassen, da nahezu jede Rubrik der Zeitung gemäß ihrer Thematik und ihrer Adressaten auch über einen spezifischen Wortschatz verfügt. Eine allgemeine Tendenz bezüglich der Lexik der Zeitung lässt sich folglich nur dahingehend ziehen, als sich diese durch den Wandel sozialer, wissenschaftlicher und technischer Verhältnisse sowie durch die Aufnahme neuer Wissensbestände stetig veränderte und erweiterte.63 Häufig tauchen in der Zeitung erstmals neue Bezeichnungen auf, die zu diesem Zeitpunkt in den gängigen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts noch nicht verzeichnet waren, so dass die Zeitung die Rolle der Verbreiterin von Fremd- und Fachwörtern, von regionalen und dialektalen Wörtern und Ausdrücken übernahm. Nicht zuletzt durch sie wurde folglich der passive und aktive Wortschatz breiter Bevölkerungsteile erweitert (vgl. Brogsten 1968: 33f.). Zum einen war die Zeitungssprache, obschon sich die Korrespondenten und Zeitungsschreiber weitestgehend der Standardsprache bedienten, durch die Übernahme von Wörtern und Ausdrucksweisen der gesprochenen Alltagssprache geprägt, auch flossen immer wieder lokale und regionale Sprachformen unterschiedlicher Landschaften in den Sprachgebrauch der Presse ein, so dass – vor allem durch den zunehmenden Vertrieb überregionaler Periodika – Regionalismen im gesamten deutschen Sprachraum verbreitet wurden. Aus der Sphäre der gesprochenen Sprache dürfte beispielsweise die 63

Die nähere Betrachtung und Erforschung des Sprachgebrauchs des multifunktionalen und -lingualen Alltagsmediums Zeitung lässt somit Rückschlüsse auf die vorhandenen Existenzformen von Sprache in bestimmten historischen Zeiträumen zu, in denen noch keine Tonaufzeichnungen möglich waren.

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bereits erwähnte Verwendung trotzdem als Einleitung im Konzessivsatz sein, von denen noch zwei am Leben waren, trotzdem die Thiere 16 Tage ohne Nahrung waren.64 In gewissen neuen Zeitungssparten entschied man sich jedoch auch bewusst für die Verwendung des Dialektes. In diesem Sinne erschienen im Lokalteil der Tageszeitungen oder in Feuilletons bald Glossen, Satiren, Nachrichten, Anekdoten, Besprechungen und Kulturberichte in dialektaler Sprache, so dass die Zeitung an Nähe zum vorwiegend Mundart sprechenden Publikum gewann.65 Die Heidelberger Bürger- Zeitung widmete beispielsweise jeden Sonntag eine Seite dem Deutschen Michel, der in dialektaler Sprache der Region politische Ereignisse der aktuellen Woche folgendermaßen kommentiert. Pingschte! Wem geht dann do’s Herz nit uff, wann’r deß Wort Pingschte hört un ganz besonders in ere Zeit wie die gegewärtig is, wo d’r Wahlkampf towe dhut un d’r politische Himmel so trübselig aussieht, daß eem gar nit so recht wohl zu Muth is. Ja, do kummt eem das scheene Pingschte mit seiner bliehende Natur, seim helle friedliche Glockegsang vor wie’n friedlicher Sunneschtrahl. No, un wir wolle ach hoffe, daß es nun owe erträglich is, dann wer däglich im Kampf mit’m Lewe schteht, der will aach emol widder e kleeni Erholung hawe. Wann also zum scheene Pingschtfescht was zu wünsche is, so wünscht Eich recht viel Vergniege un Solche, wo Pingschtausflüg zu unnernemme gedenke, ’n große - Geldbeitel. Eier getreier Michel. (Bürger-Zeitung, 21.05.1893)

Neben Ausdrücken und Wörtern umgangssprachlicher oder dialektaler Herkunft fanden vor allem immer mehr fach- und gruppensprachliche Jargonismen Eingang in die an Umfang und Komplexität zunehmende Zeitung. Man orientierte sich sprachlich an öffentlichen Vorbildern wie der Parlamentsrede, dem Amts- und Gelehrtendeutsch. Vor allem in den Rubriken ‚Wirtschaft‘, ‚Recht‘, ‚Technik‘ und ‚Politik‘ lässt sich, wie der Ausschnitt aus der Sparte ‚Frankfurter Handelsblatt‘ der ‚Frankfurter Zeitung‘ exemplarisch zeigt, ein themenspezifischer Wortschatz mit zahlreichen fachsprachlichen Ausdrücken nachweisen (vgl. Püschel 1999: 866). Wir erfahren hierzu weiter, daß es sich dabei hauptsächlich um eine Kreditgewährung an die Aktiengesellschaft für Schmirgelfabrikation vorm. J. Schönberg & Co. in Bockenheim handelte. Dieses Unternehmen wurde, anscheinend um die Flüssigmachung von Forderungen und die Beschaffung von Betriebsmitteln zu erleichtern, im Herbst 1891 zu einer Aktiengesellschaft mit M 323,000 Kapital umgewandelt und vermochte für das erste, am 31. März d. J. abgeschlossene Betriebsjahr 6 ½ pCt. Dividende zu vertheilen. Die Verbindlichkeiten bestanden

64 65

Vgl. hierzu den Artikel in der Preußischen Kreuzzeitung, 01.01.1891, S. 78. Zwar erhöhte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit, lokale Varietäten zugunsten weiträumig gültiger Sprachformen abzulegen, ein Großteil der Menschen war aber auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Dialekt sozialisiert, der eine gewisse Sicherheit privater Nähekommunikation versprach.

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aus M 150,000 Hypotheken und M 275,000 Accept- und Buchschulden. […] die Waren figurirten mit M 142,000, Debitoren mit M 163,000 […] (Frankfurter Zeitung, 30.12.1892) 66.

Allein dieser kurze Ausschnitt enthält zahlreiche Fach- und Fremdwörter aus dem Bank- und Wirtschaftswesen, die für viele Leser, die sich nicht eingehend mit der Thematik beschäftigten, weitestgehend unbekannt und somit nur bedingt verständlich gewesen sein dürften. Die zunehmende Verbreitung weiter Wissensbestände in Bereichen der Wirtschaft, der Technik, Politik oder Medizin durch die Zeitung, die zuvor nur einem ausgewählten Publikum zugänglich waren und sich durch die Verwendung eines spezifischen Fachvokabulars auszeichneten, führte dazu, dass breite Teile der Bevölkerung, die allmählich lernten, derartige Fachwörter zu verstehen, diese in ihren passiven Wortschatz aufnahmen, wobei dies jedoch die Gefahr in sich barg, dass sie gegebenenfalls aktiv ungenau oder falsch verwendet wurden. Ebenfalls durch die Zeitung fanden neue, im Umkreis der bürgerlichen Revolution von 1848 entstandene sozialpolitisch zentrale Wortschatzteile wie Volk, Nation, Klasse, Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Lohnarbeiter ihre Verbreitung in der zunehmend politisch interessierten breiten Öffentlichkeit (vgl. Püschel 1998: 361).67 Eng mit dem Fachwortschatz der einzelnen Gebiete verbunden ist der Fremdwortschatz, da der Zuwachs an Wissen aus allen Bereichen vor allem über diesen vermittelt wurde. Wie das Beispiel der ‚Frankfurter Zeitung‘ zeigt, finden sich die meisten Fachund Fremdwörter in den Sparten, die auf einen speziellen, in diesem Gebiet bewanderten Leserkreis zugeschnitten waren. Doch auch in die auf ein breiteres Publikum zugeschnittenen Texte flossen zunehmend Wörter wie figuriren, fixiren, triumphiren, konstatiren, Arrest, Artillerie, Petition, Revision, aquatisch oder equipiren ein (vgl. Nail 1988: 138). b.5 Die graphische Vielfalt Dass die alle Lebensbereiche des Menschen beleuchtende Massenpresse über keine einheitliche „Berufssprache“ verfügen kann, da sie in ihrem Adressatenbezug und Inhalt niemals homogen ist, wurde bereits ausführlich dargelegt. Die sprachliche Vielfalt der Zeitung des 19. Jahrhunderts wie die noch bestehende Unsicherheit im Umgang mit der Schriftsprache zeigt sich jedoch auch in der nicht einheitlich gestalteten Graphie, die erst im Jahre 1901 während der nach Berlin einberufenen zweiten staatlichen Rechtschreibekonferenz insofern geregelt wurde, als die Richtlinien des Dudens für verbindlich erklärt wurden. So wurden beispielsweise die durch Wortzusammenrückung entstandenen Komposita teils mit, teils ohne Bindestrich realisiert, wie bei Italien=Reise, Rein=Einkommen, Ober=Rechnungskammer,. Auch war man sich in der Verwendung 66

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Die Unterstreichungen sind nicht eine Eigenart des Originaltextes, sondern wurden vorgenommen, um die darin enthaltenen Fach- und Fremdwörter hervorzuheben. Als ein Beweis für ihre Etablierung ist jedoch ihre Aufführung in einschlägigen zeitgenössischen Nachschlagewerken zu nennen, aber auch ihr Gebrauch in privaten Briefen.

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adverbial gebrauchter Zeitangaben wie tags vorher, vormittags oder abends unsicher, so dass diese ihrer Herkunft entsprechend zur Klasse der Substantive gezählt und bis Anfang des 20. Jahrhunderts zeitweise groß, zeitweise klein geschrieben wurden. Wie vor allem das Feuilleton der ‚Trierischen Zeitung‘ auf Seite 79 zeigt, bestanden auch Zweifel in der Schreibung des t-Lautes, neben Altertum findet sich hier thun und gethan, zumeist wurde er jedoch mit h geschrieben wie in Unterthan, Urtheil oder Landrath. Schwierigkeiten ergaben sich auch in der Behandlung der Vokalqualitäten in den Fremdwörtern, so dass das entlehnte Verbsuffix -ieren in figuriren, majorisiren, passiren oder interessiren keine Längenbezeichnung enthielt. Ebenso war bei Fremdwörtern ein anlautendes k oder z oftmals durch ein c repräsentiert wie bei Corvettencapitän68, Candidatur oder Centralstelle (vgl. Nail 1988: 124f.). Derartige graphische Variationen finden sich in allen Rubriken und Zeitungen, wobei sie nicht allein daraus resultierten, dass die Normbildung für das Deutsche noch nicht gänzlich abgeschlossen war, sondern auch darin zu begründen sind, dass mit der zunehmenden Nachrichtenfülle und dem Anspruch an Aktualität des Stoffes nicht immer Wert auf die Überarbeitung der eingehenden Beiträge gelegt werden konnte. Auch die nach 1849 entstehenden Nachrichtenagenturen wie ‚Wolffs Telegraphisches Korrespondenzbureau‘, die eine Zwischenstation zwischen Informanten, Korrespondenten am Ereignisort und der Zeitungsredaktion bildeten und bei der Selektion eingehender Materialien auch zunehmend die sprachliche Überarbeitung übernahmen, konnten die Fülle an graphischen Varianten nicht gänzlich mindern.69

4.3 Die Zeitung als Verbreiterin sprachlicher Formen Durch ihre Entwicklung zum Massenmedium, welches einen Großteil der deutschen Bevölkerung täglich erreicht, wird der Presse ein hoher Einfluss auf die allgemeine Sprachentwicklung und folglich große Macht zugeschrieben. Diese Macht liegt zum einen darin, dass die Presse Informationen und Kritik massenhaft verbreiten sowie die Meinungsbildung beeinflussen kann, zum anderen ist sie sprachlich bedingt, da die Zeitung Einfluss auf den täglichen schriftlichen und mündlichen Sprachgebrauch ihrer Leser nimmt. Durch die Presseexpansion nahm die alltägliche gesellschaftliche Sprachproduktion und -verarbeitung zu, so dass Ende des 19. Jahrhunderts allein mehr als die Hälfte der 50 Millionen Einwohner Deutschlands täglich Zeitung gelesen haben dürfte 68 69

Vgl. hierzu den Artikel der Allgemeinen Zeitung, 03.02.1891, S. 73. Vielmehr ergaben sich durch die in der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmende Steuerung der Nachrichtenvermittlung durch Nachrichtenagenturen weitere Schwierigkeiten, die Einfluss auf die sprachliche Gestalt der Zeitungen nahmen. Da der Nachrichtenfluss so nicht allein beschleunigt, sondern auch verstärkt wurde, mussten die Nachrichten ökonomisch konzentriert werden, d.h. die Information punktuell und auf das jeweils Neueste kurz ausgerichtet sein. Durch die zunehmende syntaktische und lexikalische Kürze der Darstellung wurde das „Begreifen von übergreifenden Zusammenhängen, von Kausalbeziehungen zwischen den Ereignissen“ (Burger 32005: 55) erschwert.

Die Zeitung – Entstehung eines Massenmediums

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(vgl. Wilke 1991: 77), wobei für die überwiegende Zahl dieser Menschen die Zeitung wohl das einzige Medium darstellte, um mit der geschriebenen Sprache in Kontakt zu kommen. Folglich ist anzunehmen, dass vor allem die Zeitung und nicht die großen Schriftsteller, deren Lektüre nur einer kleinen Gruppe von Gebildeten vorbehalten war70, dazu beitrug, dass sich die Schriftsprache mehr und mehr stabilisierte und etablierte, ein Prozess, der als „Demokratisierung der Schriftsprache“ (Eggers 1986: 361)71 zu bezeichnen ist. Durch den täglichen Kontakt mit der geschriebenen Sprache nahmen die Leser nicht nur die mitgeteilten Informationen auf, sondern auch, ob bewusst oder unbewusst, manches von den sprachlichen Formen an. So bereicherte und formte die Zeitung, die nahezu alle Lebensbereiche abbildete und sich derer spezifischen Sprachformen bediente, den aktiven und passiven Wortschatz der Leser vor allem bezüglich wirtschaftlicher, technischer, politischer und rechtlicher Ausdrücke, bildete neue Sprachformen aus und verbreitete diese, aber auch jene, die unabhängig von ihr in Gebrauch waren. Die Zeitung erschloss dem Leser also nicht nur neue Gebiete, sondern vor allem den Sprachgebrauch jener Gebiete.72 So verbreitete und verstärkte die Zeitung, die „zur Pflegestätte sprachlicher Bildungsweisen wurde“ (Mackensen 1971: 167), zum einen die zuvor vor allem der Amts- und Behördensprache vorbehaltene Neigung, Substantive aus den verschiedensten Verben zu bilden, zum anderen die Bevorzugung des Nominalstils in der geschriebenen Sprache, oder auch die der Werbe- und Wirtschaftssprache entnommene Tendenz zur Adjektivgraduierung. Da durch die häufige Verwendung des Fach- und Fremdwortschatzes in der Zeitung gewisse Sprachbestände in eine breitere Öffentlichkeit vordrangen und sich schließlich in der Standardsprache einbürgerten, war Otto Schröders Feststellung, dass „manches Wortgut den Weg aus der Amtsstube durch die Zeitung in die Literatur gemacht“ (Schröder 1888: 70)73 hat, nicht unberechtigt.

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Wie in oben bereits ausführlich dargestellt wurde, galt das „Klassiker-Deutsch“ der gesellschaftspolitisch einflussreichen Gruppierung des Bildungsbürgertums „als Orientierungsgröße für angemessene Sprachverwendung“ (Mattheier 1991: 52), durch welche sie sich von anderen sozialen Gruppen abzugrenzen versuchte. In der späteren Analyse des zeitgenössischen Diskurses über die Zeitung und ihren sprachlichen Einfluss wird näher auf den Prozess der „Demokratisierung der Standardsprache“ (Rückert 1864: 114) einzugehen sein, da dieser nicht erst in der Forschung des 20. Jahrhunderts, sondern bereits von Zeitgenossen wie beispielsweise Rückert benannt und beschrieben wurde. Sprachliche Einflüsse von der Kanzlei-, Juristen-, Handels- oder Literatursprache ergaben sich nicht allein durch die behandelten Themen, sondern auch durch den ursprünglich studierten und ausgeübten Berufs der Journalisten. Da bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts viele der Journalisten nur nebenberuflich für Zeitungen schrieben, im Hauptberuf aber als Juristen oder auch Händler tätig waren, kam oftmals der sprachliche Bereich besonders zur Geltung, der auch im beruflichen Alltag von Wichtigkeit war. In der folgenden Diskursanalyse werden derartige Urteile wie das von Schröder (1888:70) in ihrem historischen und literarischen Kontext genauer betrachtet und im Hinblick auf den anfangs aufgestellten Fragenkomplex analysiert.

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

Die Zeitung ist folglich nicht nur Sprachmittlerin oder -verbreiterin, sondern in gewissem Sinne auch Ausdruck der sprachlichen Realität ihrer Zeit. Jean Paul bezeichnete die Zeitungen als „Sprachwerkzeuge der Stunde oder als Mikroskope und folglich als Brenngläser der nähern Zeit“ (Paul 1829: 68), die „unmittelbarer den Sprachzustand [der] Zeit“ (Eggers 1977: 130) widerspiegeln „als es jedes andere gedruckte Medium vermag“ (ebd.), da sie die verschiedensten Sprachformen, die zu einem gewissen Zeitpunkt in Umlauf sind, in sich vereinen. Sofern die Zeitung die immer komplexer werdende Lebenswelt und mit ihr nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens abbildete, diese ihrem sich zahlenmäßig stetig vergrößernden sowie sozial erweiternden Publikum näherbrachte und dessen Wissenshorizont erheblich erweiterte, kommt ihr die zentrale forschungspraktische Funktion zu, Spiegel ihrer Zeit zu sein. Da sie sich in dieser Behandlung der verschiedensten kulturellen Lebensbereiche des Menschen auch sprachlich an diesen orientierte und sich der spezifischen Sprachformen bediente, übernimmt sie zugleich die sprachhistorisch entscheidende Rolle als Spiegel „der pluralen Sprachwirklichkeit“ (Burger 32005: 190) ihrer Zeit, aber auch als Motor der sprachlichen Realität, insofern sie diese Sprachformen unter ihrer großen Leserschaft verbreitete. Spricht Kürnberger also von einem von der Zeitung initiierten Massenbildungsgang (vgl. Kürnberger 1866: 29), so erfolgte dieser in zweierlei Hinsicht, zum einen drangen Wissensbestände durch die Massenpresse in eine breitere Öffentlichkeit vor, zum anderen aber auch (standard-)sprachliche Formen dieser Wissensbereiche.

4.4 Die Entstehung eines neuen Berufes Mit der Ausdehnung des Pressewesens, der Entwicklung der Zeitung von einem weitgehend exklusiven Informationsmedium zu einem multifunktionalen, gesellschaftspolitisch und sprachlich wirksamen Massenmedium war auch ein Wandel der journalistischen Berufsstrukturen verbunden. Die Geschichte des deutschen Journalismus von seinen Anfängen im 15. Jahrhundert bis zum Ende des langen 19. Jahrhunderts lässt sich nach Baumert (1928: 18ff) in vier Phasen einteilen, wobei der zu untersuchende Zeitraum durch den Übergang von einer Phase zur anderen geprägt ist. (1) Bereits seit Beginn des 16. Jahrhunderts wurden wichtige Informationen in Form von mündlichen Bekanntmachungen, Briefkorrespondenzen, Flugblättern und -schriften durch Boten oder auch umherziehende Spielleute einem interessierten Publikum übermittelt. Während die Nachrichtenübermittlung durch „wandernde Journalisten“ (D’Ester 1962: 14) in dieser präjournalistischen Phase weder institutionalisiert war noch regelmäßig erfolgte, (2) bildeten sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts erste regelmäßige Strukturen der Nachrichtenverbreitung und Berichterstattung heraus. In der Phase des korrespondierenden Journalismus sammelten an Höfen, Handelshäusern und

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-städten ansässige Kaufleute, Kanzleischreiber, Politiker oder Geistliche wichtige Neuigkeiten aus ihren Lebens- und Arbeitsbereichen und übermittelten sie über den sich etablierenden Postweg in Form von Korrespondenzen an Drucker, Buchhändler oder Postmeister, die sie ohne weitere redaktionelle Bearbeitung nach ihrem Herkunftsort und dem Eintreffen am Publikationsort zusammenstellten und abdruckten. (3) Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wandelte sich der bisher durch nebenberufliche Nachrichtensammlung und -übermittlung geprägte Journalismus zu einer schriftstellerisch-journalistischen Tätigkeit, die das Lebensauskommen finanziell sichern konnte. In eigenen Zeitungen und Zeitschriften74 begannen Schriftsteller den Versuch, die zu berichtenden Ereignisse, nicht zuletzt durch Kundgabe ihrer eigenen Meinung und Bewertung, für ihre Leser einzuordnen. Da die bis Mitte des 19. Jahrhunderts andauernde Periode des schriftstellerischen Journalismus durch die Zensur, den stetigen Kampf um Meinungs- und Pressefreiheit geprägt war, zeichneten sich diese räsonierenden Schriftsteller- oder Herausgeberzeitungen meist durch eine kurze Lebensdauer aus. Das Scheitern der schriftstellerischen Zeitungsunternehmungen ist aber nicht allein auf die Konflikte mit amtlichen Autoritäten, auf zensorische Maßnahmen zurückzuführen, sondern auch auf das Fehlen einer ökonomischen Basis. Einige der freien Schriftsteller umgingen diese finanziellen Schwierigkeiten seit der Jahrhundertwende, indem sie für Verlegerzeitungen schrieben, die „in den Händen derselben Verlegerfamilie blieben, deren primäres Interesse der geschäftliche Erfolg und der damit verbundene Erhalt der Zeitung war“ (Requate 1995: 119f.). (4) Diese Form journalistischer Anstellung etablierte sich mit der massenwirksamen Entwicklung der Presse seit der Jahrhundertmitte. Das gesteigerte Informationsbedürfnis, die zunehmende Nachrichtenflut und die funktionale Erweiterung der Zeitung erhöhten den Bedarf an hauptberuflich tätigen Journalisten, so dass die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts andauernde, durch Professionalisierung und Spezialisierung geprägte Periode von Baumert als redaktioneller Journalismus gekennzeichnet wurde. Folge der zunehmenden Professionalisierung des Journalistenstandes war die Verdrängung der mit dem Namen ihrer Gründer eng verbundenen Herausgeberzeitungen bzw. deren zunehmende charakterliche Verwandlung in Zeitschriften.75 74

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Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Bezeichnungen Journal, Zeitung und Zeitschrift oftmals synonym verwendet. Ausführlich wird die historische Entwicklung des journalistischen Berufes dargestellt von Baumert (1928) und Requate (1995). Eine Zusammenfassung bieten Pürer/ Raabe (21996), Lieske (2008) und Burger (32005). Pürer/ Raabe (21996: 371) erweiterten die vier Perioden journalistischer Entwicklung von Baumert um die fünfte Phase des redaktionstechnischen Journalismus. Da die jour-

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert ist somit gekennzeichnet durch einen Übergang von der Periode des schriftstellerischen Journalismus, in welcher erste – wegen zensorischer Gegenaktivitäten zumeist wenig erfolgreiche – Versuche unternommen wurden, auf die Meinungsbildung der Leser Einfluss zu nehmen, zur Phase des redaktionellen Journalismus, die durch die Etablierung des – bereits in der ersten Jahrhunderthälfte aufkeimenden76 – redaktionell gebundenen Berufsjournalismus geprägt war. Dass hauptberuflich tätige Journalisten seit der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend die nebenberuflichen ablösten, war mit ausschlaggebend für die bereits betrachteten Veränderungen im sprachstilistischen Bereich. Waren in den ersten Phasen der journalistischen Entwicklung die Verfasser der Zeitungsartikel beeinflusst von den sprachlichen und textlichen Vorbildern ihrer Hauptberufe – in der Phase des schriftstellerischen Journalismus dominierten beispielsweise belletristische Vorbilder –, so hatte die ausnahmslose Konzentration auf die journalistische Tätigkeit zur Folge, dass sich spezifische sprachliche und textliche Gestaltungsmöglichkeiten herausbilden konnten, der Umgang mit den zu veröffentlichenden Informationen medienspezifisch optimiert werden konnte. Zwar hatten die hauptberuflichen Redakteure und Korrespondenten des 19. Jahrhunderts keine berufsspezifische Aus- oder Weiterbildung genossen, aber doch zumeist ein Studium absolviert. Laut Requate (1995: 144f.) lag der Anteil der Akademiker unter den Journalisten über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg zwischen 78% und 88 %, von denen wiederum zwischen 51% und 59% promoviert waren. Während die akademisch gebildeten Journalisten meist für Politik und Feuilleton schrieben, konzentrierten sich die wenigen Nichtakademiker auf Ressorts, die mit ihrem ursprünglich erlernten Beruf verbunden waren – Unternehmer und Kaufleute widmeten sich so beispielsweise den Rubriken Wirtschaft oder Handel (vgl. Requate 1995: 149). Wie die Vorbildung der Journalisten war auch die soziale Herkunft recht homogen, die meisten stammten aus bildungs- und besitzbürgerlichen Schichten, nur ein Bruchteil aus dem Kleinbürgertum (vgl. Requate 1995: 139).77 Die mit der funktionalen Erweiterung des Pressewesens und dem redaktionellen Journalismus zunehmende Komplexität publizistischer Arbeit ließ die Forderung nach journalistischen Ausbildungsmöglichkeiten zur Besserung der Qua-

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77

nalistischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts für die vorliegende Fragestellung weniger von Interesse sind, werden sie an dieser Stelle nicht eingehender betrachtet. Als Wegbereiter des redaktionellen berufsmäßigen Journalismus führt Requate (1995: 128f.) die von Friedrich Cotta 1798 gegründete Allgemeine Zeitung an, die bereits früh mit fest angestellten Redakteuren arbeitete. Ein Grund für die Dominanz bürgerlicher Schichten im journalistischen Berufsfeld ist in der noch sehr differenzierten Schulbildung zu suchen. Während nicht- bzw. unterbürgerliche Schichten meist nur die Volksschule besuchten und dort höchstens eine passive Sprachkompetenz vermittelt bekamen, genossen vor allem bildungs- und besitzbürgerliche Schichten eine breite gymnasiale Bildung in Sprache, Literatur und Kultur.

Die Zeitung – Entstehung eines Massenmediums

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lität der Presseerzeugnisse immer lauter werden.78 Kennzeichnend für die Phase des redaktionellen Journalismus wurde schließlich nicht allein die Etablierung eines journalistischen Hauptberufes, sondern auch das zunehmende Bemühen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Journalisten zu schaffen. Neu gegründete Berufsverbände boten den Journalisten Möglichkeiten des fachlichen Austauschs, Handbücher der Journalistik – wie die Wehles (1883) oder Wredes (1902) – suchten die organisatorische, technische und redaktionelle Herstellung einer Zeitung zu beschreiben, Handlungsregeln zu vermitteln, Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der Zeitung und der sie bestimmenden Faktoren zu verschaffen. (Wilke 2003: 48).

Seit dem Sommersemester 1895 versuchte der Historiker Adolf Koch mit „Praktischen Übungen zur Einführung in die Journalistik“ und Vorlesungen zur „Geschichte der Presse und des Journalismus“ journalistische Ausbildungsmöglichkeiten an der Universität Heidelberg zu etablieren. Weitere journalistische Ausbildungsmöglichkeiten wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Gründung privater und staatlicher Journalistenschulen geschaffen und institutionalisiert (vgl. Wilke 2003: 46f., D’Ester 1957: 8f., 20f.).

4.5 Von der Exklusivität zur Massenwirksamkeit der Zeitung – Eine periodische Einordnung der medialen Entwicklungen Wie die bisherige Betrachtung der (berufs-)journalistischen, medienhistorischen- und sprachlichen Entwicklungen zeigt, war die Zeitung des 19. Jahrhunderts einem grundlegenden Wandel unterworfen. Innerhalb weniger Jahrzehnte avancierte sie von einem exklusiven Informations- und Nachrichtenmedium, welches seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert eine wenig differenzierte, zahlenmäßig geringe Leserschaft vorweisen konnte, zu einem multifunktionalen, massenwirksamen Medium. Eng verknüpft mit den politischen, technischen und sozialen Veränderungen lassen sich besondere Entwicklungsschübe innerhalb des medialen Wandelprozesses ausmachen, die eine periodische Einordnung der Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts – als Grundlage der folgenden Diskursanalyse – erlauben. (1) Eingeleitet wird die Epoche des medialen Wandels noch vor der Französischen Revolution. Bereits seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts waren Schriftsteller in Zeitungen und Zeitschriften um eine räsonierende Einordnung der behandelnden Themen bemüht. Diesen revolutionären Versuchen des schriftstellerischen Journalismus, die primäre Informationsfunktion der Zeitung um die der Aufforderung und Meinungsbildung zu erweitern, wurde 78

Die Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit den Journalisten und ihrer beruflichen Qualifikation sowie ihre sozialer Stellung in der Gesellschaft werden in der folgenden Analyse des Diskurses näher in Augenschein genommen.

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

von staatlicher Seite vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Pressezensur entgegengewirkt. Da diese Vorbereitungs- oder Retardierungsphase (vgl. von Polenz 1989: 18, Püschel 1991b: 432) der massenmedialen Entwicklung durch revolutionäre Kämpfe um Presse- und Meinungsfreiheit einerseits und staatliche Kontrollversuche andererseits geprägt war, konnte sich die Zeitung weder quantitativ noch qualitativ entscheidend verändern. (2) Einen entscheidenden Entwicklungsschub erfuhr die deutsche Medienlandschaft erst ab der Jahrhundertmitte. Verantwortlich für die zahlenmäßige und inhaltlich-funktionale Expansion waren mehrere ineinandergreifende Faktoren. Neben technisch-strukturellen Fortschritten, die eine kostengünstigere und schnellere Nachrichtenübermittlung und -produktion ermöglichten79, stieg infolge des durch die Industrialisierung angefachten gesellschaftlichen Wandels die Nachfrage nach Information und Bildung stetig an. Dieser zunehmenden Nachfrage konnte nicht allein durch eine gesteigerte Zahl an Zeitungen entgegengekommen werden, sondern vor allem durch eine inhaltlich-funktionale Erweiterung des Zeitungsmarktes: durch die Lockerung der Zensur infolge der Beschlüsse der Paulskirchenversammlung etablierte sich die auf Meinungsbildung abzielende Parteipresse. Da sich nach den Konflikten der Vorbereitungsphase das Verhältnis zwischen medialem Angebot und gesellschaftlicher Nachfrage zunehmend zu stabilisieren schien, sich eine weiten Kreisen zugängliche, funktional erweiterte Presse etablierte, sind die Jahrzehnte nach 1850 als Etablierungsphase zu bezeichnen. Kennzeichnend für diese Phase ist auf Produzentenseite der Übergang zum redaktionellen oder beruflichen Journalismus, auf Seite der Rezipienten der Übergang von der Ganzlektüre zum selektiven Lesen. (3) Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts dehnte die Zeitung ihren Wirkungskreis weiter aus. Die endgültige Aufhebung des staatlichen Anzeigenmonopols 1850 und der Zensur 1874 zeigten ihre Wirkung in der Gründung neuer Zeitungen und der funktional-inhaltlichen Ausrichtung der Presse. Primär der Unterhaltsamkeit dienende, durch Anzeigen finanzierte Zeitungen entstanden und verdrängten die ausschließlich auf Meinungsbildung abzielende Parteipresse. Neben diesen funktional eindeutig voneinander abgrenzbaren Zeitungen gab es auch jene, die informierende, unterhaltende und persuasive Teile in sich vereinten. Dieser neuen Multifunktionalität des Pressewesens entsprach eine sprachliche Vielfalt innerhalb einzelner Periodika, die die Bedürfnisse unterschiedlichster Leserkreise zu befriedigen vermochten. In 79

Zu denken sei hier beispielsweise an den Telegraphen, die Druckerpresse oder Dampfmaschinen, vor allem aber auch an die Gründung von Nachrichtenagenturen, die einer Kommerzialisierung der Nachrichtenzulieferung entgegenkam.

Zusammenfassung: Historie, Sprache und Medien des 19. Jahrhunderts

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dieser Konsolidierungsphase der multifunktionalen und massenwirksamen Presse konnte das Gleichgewicht zwischen der Nachfrage seitens der differenzierten Leserschaft nach Unterhaltung, Information und Persuasion und dem medialen Angebot hergestellt werden. Der sich erst einige Jahre zuvor etablierte redaktionelle Journalismus reagierte auf die zunehmende Komplexität des Pressewesens mit der Herausbildung spezifischer Produktionsformen wie mit Versuchen der Spezialisierung und Professionalisierung in Journalistenverbänden oder -schulen.80 Die Betrachtung der historischen Entwicklung der Zeitung und ihres Sprachgebrauches ergab, dass sie im 19. Jahrhundert einhergehend mit den außersprachlichen politischen, technischen und sozialen Veränderungen einem entscheidenden drei Phasen umfassenden Wandel zum multifunktionalen und -lingualen Massenmedium unterworfen war. Von einer Zeitungssprache im Sinne eines spezifisch homogenen Sprachgebrauchs lässt sich wegen der „Mixtur von Sprach- und Stilformen“ (vgl. Straßner 1980: S. 331) nicht sprechen, wohl aber von zeitungstypischen Merkmalen, Funktionen, Produktions- und Rezeptionsweisen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbildeten und weiterentwickelten.

5. Zusammenfassung: Historie, Sprache und Medien des 19. Jahrhunderts 5.1 Ein wechselseitig wirkendes Verhältnis? Die eingehende Betrachtung des soziohistorischen Rahmens des Diskurses ergab, dass sich das 19. Jahrhundert hinsichtlich der historischen, sprachlichen und medienhistorischen Veränderungen in drei entscheidende Phasen einteilen lässt. Da sich die Zäsuren der Periodisierungsversuche hinsichtlich der Sprache, Gesellschafts- und Mediengeschichte nahezu überschneiden, ist davon auszugehen, dass sich diese drei Bereiche in ihrer (Weiter-)Entwicklung wechselseitig beeinflussen. (1) In die Vorbereitungsphase der Industrialisierung, die mit der Französischen Revolution begann und bis in die vierziger Jahre andauerte, fällt auch die mediale Vorbereitungs- oder Retardierungsphase. Dieser lange historische Zeitraum ist geprägt von Konflikten zwischen revolutionären Forderungen nach politischen und medialen Neuordnungen, die langsam eine moderne Massengesellschaft vorbereiten, und restaurativen (staatlichen) Gegeninitiativen. Die die bevorstehenden Umbrüche anregende und tragende soziale Formierung 80

Zur Periodisierung vgl. von Polenz (1989).

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

des Bürgertums ist Trägerschicht der Standardvarietät, die notwendige Grundlage wird, den entscheidenden Wandel des 19. Jahrhunderts zu kommunizieren. (2) Nach den vierziger Jahren beginnt mit dem Durchbruch der Industrialisierung auch die Etablierung der Massenpresse und die Ausweitung des Geltungsbereiches der Standardvarietät. Die infolge der Industriellen Revolution komplexer werdende Lebenswelt, die Ausweitung der Kommunikation über lokale Grenzen hinweg, lassen die Nachfrage nach Information und Bildung weiter steigen und fordern gleichzeitig die Kenntnis weiträumig gültiger Sprachformen. Durch das erweiterte Medienangebot kann nicht allein das gesteigerte Informations- und Bildungsbedürfnis gestillt werden, sondern auch die Teilhabe der sich vergrößernden Leserschaft an gesellschaftspolitischen Themen, vor allem aber die – wenigstens passive – Kompetenz der Standardsprache erhöht werden. (3) In der in den siebziger Jahren beginnenden Phase der Hochindustrialisierung, in welcher der industrielle und soziale Ausbau des Nationalstaats vorangetrieben wird, gewinnt die Standardvarietät amtlichen Charakter als Verwaltungs- und Rechtssprache. Der gesellschaftlichen Komplexität entspricht die sich in der Konsolidierungsphase befindende Medienlandschaft mit der funktionalen Erweiterung um Unterhaltung, die ihre Leserschaft und somit ihren gesellschaftlichen und sprachlichen Wirkungskreis nochmals wachsen lässt. Das wechselseitig wirkende Verhältnis zwischen gesellschaftshistorischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen im 19. Jahrhundert veranschaulicht Abb. 2. Direkten Einfluss auf die „Sprache“ nehmen die gesellschaftshistorischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts („Gesellschaft“), die primär auf den zentralen Prozess der Industriellen Revolution zurückzuführen sind. Der mit den gesellschaftshistorischen Veränderungen verbundene Wandel der kommunikativen Bedürfnisse hat entscheidende Verschiebungen in den sprachlichen Existenzformen zur Folge. Dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die lokalen Dialekte zunehmend zugunsten weiträumig gültiger regionaler und standardnaher Varietäten zurückgedrängt werden, wirkt wiederum auf gesellschaftshistorische Entwicklungsprozesse zurück, denn die steigende kommunikative, (standard-) sprachliche Kompetenz bietet weiten Bevölkerungskreisen – auch unteren sozialen Schichten – die Möglichkeit, an gesellschaftspolitischen Entscheidungen teilzuhaben und diese zu beeinflussen. Eine entscheidende Funktion innerhalb dieses Prozesses gesellschaftlicher Emanzipation haben vor allem die Medien, da sie die Entwicklungen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Lebensbereichen ihrer Leserschaft vermitteln. Durch die Mitte des 19. Jahrhunderts neu gewonnene Funktion der Meinungsbildung ist es ihnen zudem möglich, kommentierend und kontrollierend Einfluss auf die gesellschaftspolitischen Entwicklungen („Gesellschaft“) zu nehmen.

Zusammenfassung: Historie, Sprache und Medien des 19. Jahrhunderts

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Gesellschaft

Medien

Kritik/ Diskurs

Sprache

Abb. 2: Das wechselwirkende Verhältnis zwischen gesellschaftshistorischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen und ihrer kritischen Betrachtung.

Eine ähnlich wechselseitig wirkende Beziehung, welche in Abb. 3 graphisch veranschaulicht wird, besteht auch zwischen den Medien und der Sprache, da sie sich in der Darstellung der gesellschaftshistorischen Entwicklungen und Lebensbereiche an den in ihnen jeweils gültigen Existenzformen von Sprache orientieren.

Fremdsprachen

Standardsprache

Gruppensprachen

Fachsprachen

Zeitung

Dialekte

Spezifika

Allgemeiner Sprachgebrauch

Abb. 3: Das wechselwirkende Verhältnis zwischen dem Sprachgebrauch der Zeitung und der allgemeinen Sprachentwicklung.

Die Zeitung fungiert als Trichter, durch den die in der Gesellschaft vorhandenen sprachlichen Existenzformen – beispielsweise dialektale, standardsprachliche, fremd-,

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Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

gruppen- oder fachsprachliche Elemente – je nach behandeltem Themenbereich gefiltert in den allgemeinen Sprachgebrauch der Leserschaft einfließen, diesen rückwirkend erweitern und verändern. Gleichzeitig bildet die Zeitung, deren Sprachgebrauch sich aufgrund ihrer Multifunktionalität als multilingual definieren lässt, sprachstilistische und textliche Medienspezifika heraus. Letztlich hat dieses wechselwirkende Verhältnis zwischen „Medien“ und „Sprache“ wieder Auswirkungen auf die Beziehung zwischen „Sprache“ und „Gesellschaftshistorie und -politik“ („Gesellschaft“), so dass von einer Wechselwirkung zwischen „Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklungen“ (vgl. Abb. 2) auszugehen ist.

5.2 Die kritische Betrachtung der Medien – Medien-, Gesellschafts- oder Sprachkritik? Dieser Kreislauf zwischen „Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklungen“ führt nicht nur zu einem soziokommunikativen Wandel, zur Ausprägung „industriegesellschaftlicher Sprachmittel“ (von Polenz 1989: 18), sondern wird in seiner zeitgenössischen kritischen Betrachtung auch zum Gegenstand von Kommunikation. Da die Kommunikation über die wahrgenommenen gesellschaftlichen, sprachlichen und medialen Entwicklungen in der Regel nicht allein eine Beschreibung der beobachteten Prozesse vorsieht, sondern gewisse Steuerungsstrategien entwickelt, aus denen sich wiederum ein entsprechendes (Sprach-)Handeln der kommunikativ beteiligten gesellschaftlichen Gruppen ableitet, ist sie eng in den beschriebenen Kreislauf eingebunden und mit den Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklungen verknüpft (vgl. Abb. 2). Kurz: die zeitgenössische Wahrnehmung der gesellschaftlichen, sprachlichen und medialen Veränderungen und deren kommunikativ-kritische Reflexion können auf dieselben steuernd und normierend zurückwirken. Im Gegenzug prägen die durch Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklungen hervorgerufenen Veränderungen des Sprachlebens das Sprachbewusstsein, woraus sich wiederum veränderte Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen ergeben können. Für die vorliegende Untersuchung, deren Interesse in der Rekonstruktion des Diskurses über die Wechselwirkung zwischen Medien- und Sprachentwicklung besteht, bedeutet dies, dass nicht die Medien- oder Sprachentwicklung allein, sondern das wechselseitige Zusammenspiel von Medien-, Sprach- und Gesellschaftswandel prägenden Einfluss auf das (Sprach-)Bewusstsein der Diskursteilnehmer hat und Gegenstand der Kommunikation wird. Zugleich ist anzunehmen, dass die Kommunikation über die medialen (Sprach-)Entwicklungen nicht auf eine kritische Betrachtung der Medien und ihres Sprachgebrauches begrenzt ist, sondern – wenn auch implizit – meist jene über Sprache und Gesellschaft(-spolitik) enthält (vgl. Abb. 2). Hieraus ließe sich schließen, dass die Kommunikation über ein Medium, welchem die forschungspraktische Funktion zugeschrieben wird, „Spiegel seiner Zeit“ bzw. „der pluralen Sprachwirklichkeit seiner

Zusammenfassung: Historie, Sprache und Medien des 19. Jahrhunderts

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Zeit“ (Burger 32005: 190) zu sein, immer auch eine Kritik an den gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen in sich birgt (vgl. Hypothese 3, S. 18).

5.3 Periodische Einordnung von Löbls Erzählung Vor dem Hintergrund der betrachteten gesellschaftshistorischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts lässt sich an dieser Stelle ein erster Versuch unternehmen, die eingangs zitierte Erzählung Emil Löbls, die nicht nur Teil, sondern auch Reflexion des zu analysierenden Diskurses ist81, innerhalb eines soziohistorischen Rahmens einzuordnen. In welchem Jahr genau die Erzählung spielt, ist wegen fehlender Hinweise im Text nicht genau zu bestimmen. Das Veröffentlichungsdatum von 1892 lässt aber vermuten, dass sie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts situiert ist. Die Diskussion um die Sprache der Presse, ihren Einfluss und eventuelle Wechselwirkungen mit anderen sprachlichen Existenzformen entfacht im privaten Bereich, „auf der großen Villenterasse unseres Freundes, eines Wiener Advokaten“ (Löbl 1892: 333, [1]) zur Zeit der Hochindustrialisierung. Historisch war dieser Zeitraum durch den industriellen und sozialen Ausbau des Nationalstaates geprägt, in welchem gerade das Bildungsbürgertum seine Vormachtstellung in der Gesellschaft durch die zunehmende Entkonturierung verlor; sprachhistorisch ist diese Phase gekennzeichnet durch die soziolinguistische Dominanz der Standardvarietät in der gesamten Sprachgemeinschaft, durch die fortschreitende Standardisierung auch unterer sozialer Schichten. Gestützt und gefördert wurde diese Entwicklung durch die medialen Veränderungen, denn die sich in der Konsolidierungsphase befindende Presse begünstigte durch ihre Massenwirksamkeit die Verbreitung der – passiven – Standardsprachkompetenz unter ihrer Leserschaft. Dass die Standardsprache ihren Charakter als Nationalsymbol in dieser letzten Phase sicherte, führte zunehmend zu sprachkritischen und -pflegerischen Bestrebungen des Bildungsbürgertums, da es nicht zuletzt durch den Wandel der Standardsprache vom Sozial- zum Nationalsymbol seinen gesellschaftlichen Status in Gefahr sah, der primär auf Sprach- und Bildungswissen basierte. Dieser im 19. Jahrhundert gesellschaftlich bedeutenden und einflussreichen sozialen Formation des Bildungsbürgertums sind die Protagonisten aus Löbls Erzählung aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten zuzuordnen. Der die Diskussion um das „Zeitungsdeutsch“ anregende Gymnasiallehrer wie auch der juristisch tätige Gastgeber sind als „Repräsentanten der mehr oder minder traditionsreichen ‚gelehrten‘ Professionen“ 81

Wie bereits eingangs erwähnt wurde ist die 1892 erschienene Erzählung Löbls in zweierlei Hinsicht für die vorliegende Untersuchung von Interesse. Zum einen ist Löbls Text Teil des Diskurses, des Untersuchungskorpusʼ, insofern er die Position eines Teilnehmers des Gesamtdiskurses darstellt. Zum anderen wird er als beispielhaft für den Diskurs herangezogen, da er diesen erzählerisch nachbildet, indem er verschiedene Positionen innerhalb des zu untersuchenden Diskurses aufführt.

104

Der soziohistorische Rahmen des Diskurses – Das 19. Jahrhundert

(Engelhardt 1989: S. 59) der bildungsbürgerlichen Kerngruppe zugehörig. Aufgrund der höheren gymnasialen und akademischen Bildung wird aber auch die im 19. Jahrhundert wachsende Berufsgruppe der Journalisten zum Bildungsbürgertum gezählt. Indem Löbl eine im privaten Kreis geführte Diskussion über Richtigkeit, Ursachen und Konsequenzen des medialen Sprachgebrauchs zum zentralen Gegenstand seiner Erzählung erhebt, bietet er – durch die Wahl der Diskussionsteilnehmer – einen Querschnitt durch den Sprachgebrauch der sozialen Schicht des Bildungsbürgertums. Zwar ist aufgrund der bisherigen Betrachtungen anzunehmen, dass die Akteure der Erzählung aufgrund ihrer sozialen Herkunft über eine ähnlich hohe Standardsprachkompetenz verfügen, innerhalb ihres beruflichen Umfelds konzentrieren sie sich aber auf sehr unterschiedliche Existenzformen von Sprache. Während der zunächst als Diskussionsmittler auftretende (vgl. Löbl 1892: 335, [3.6], [4]), dann als Beispiel dienende Jurist (vgl. Löbl 1892: 335f., [6f.]) vor allem fachsprachlich geschult ist, agieren der Gymnasiallehrer im engeren, der Journalist im weiteren Sinn als Sprachvermittler. So besteht die tägliche Aufgabe des Lehrers darin, seinen Schülern die Regelhaftigkeit und Richtigkeit der deutschen Standardsprache nahe zu bringen. Dem Journalisten dient die Sprache in seinem Arbeitsumfeld hingegen als Mittel zu dem Zweck, die verschiedensten behandelten Themenbereiche seiner differenzierten Leserschaft verständlich zu vermitteln. Er unterrichtet seine Leser so indirekt in den unterschiedlichen – den behandelten Themenbereichen eigenen – Existenzformen der Sprache. Gemäß dem beruflich-spezifischen Umgangs mit Sprache konzentrieren sich der Gymnasiallehrer und der Journalist auf jeweils unterschiedliche Aspekte des Sprachgebrauchs der Zeitung. Während der Gymnasiallehrer seine Argumentation auf die vermeintliche sprachliche Fehlerhaftigkeit und mangelnde Regelbeachtung der Zeitung stützt (vgl. Löbl 1892: 334f., [3]), hebt der Journalist die Rolle der Zeitung als Sprachmittlerin und -verbreiterin hervor, die vorhandene sprachliche Existenzformen aufnimmt und an ihre Leserschaft weitergibt (vgl. Löbl 1892: 335f., [5f.]). Die unterschiedliche kritische Betrachtung und Bewertung des Sprachgebrauchs der Zeitung zweier Angehöriger derselben sozialen Formation lässt vermuten, dass nicht primär die soziale Herkunft, sondern der tägliche – berufliche – Umgang mit Sprache und ihren Erscheinungsformen das Sprachverständnis prägt (vgl. Hypothese 1, S. 16). In der Analyse der unterschiedlichen Positionen und Argumentationen des Diskurses wird deshalb deren Abhängigkeit von der sozialen Herkunft und von dem beruflichen Umfeld der Diskursteilnehmer zu prüfen sein. Bevor die in Löbls Erzählung geführte Diskussion, die beispielhaft für den Diskurs über die Wechselwirkung zwischen dem Sprachgebrauch der Zeitung und der Sprachentwicklung steht, eingehend analysiert werden kann, müssen in einem nächsten Schritt die der Analyse zugrundeliegenden Daten erfasst, die eingangs vorgestellten terminologischen und methodologischen Ansätze spezifiziert und ihre Anwendbarkeit für den der Arbeit zugrundeliegenden zentralen Fragenkomplex geprüft werden.

IV. Das Korpus zum Diskurs

1. Vorüberlegungen Verstehen Busse/Teubert unter Diskursen „virtuelle Textkorpora, deren Zusammenhang durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird“ (Busse/Teubert 1994: 14), so sind zu Beginn einer empirischen Arbeit aus dem ‚virtuellen Korpus‘ als Gesamtheit aller thematisch verknüpften Texte, diejenigen auszuwählen und in einem ‚konkreten Korpus‘ zusammenzustellen, die sich – wenigstens partiell – mit dem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen [...]. Bei der Auswahl stehen praktische Gesichtspunkte wie Verfügbarkeit der Quellen neben inhaltlich begründbaren Relevanzkriterien im Vordergrund. (Busse/Teubert 1994: 14).82

Das einer Untersuchung zugrundeliegende ‚konkrete Korpus‘ wird folglich vom Analysierenden seinem Forschungsinteresse und -ziel entsprechend thematisch-inhaltlich erstellt, die Korpusbildung setzt also nicht allein die Kenntnis und das Verstehen der Texte voraus (vgl. Busse/Teubert 1994: 16), sondern begrenzt gewissermaßen auch die zu erwartenden Analyseergebnisse.83

2. Die Recherche Ein erster Schritt, um dem Forschungsziel der vorliegenden Arbeit – der Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss – näher zu kommen, bestand darin, die dem Diskurs thematisch potentiell zugehörigen Dokumente durch bestimmte Rechercheschritte und -strategien aufzufinden, zu sichten und zu einem Korpus zusammenzustellen.84

82 83

84

Vgl. hierzu den der Arbeit zugrundeliegenden Diskursbegriff in Kapitel II. Eine tabellarische Darstellung der das Korpus konstituierenden Elemente findet sich im Anhang der vorliegenden Untersuchung. Nach Möglichkeit wurde für die Analyse und Rekonstruktion des Diskurses die Erstauflage herangezogen.

106

Das Korpus zum Diskurs

Zunächst wurden hierzu die wiederholt in der Sekundärliteratur zitierten Dokumente des 19. Jahrhunderts gesammelt, die sich entfernt mit dem Thema ‚Presse und Sprache‘ befassten. In einer ersten Lektüre dieser Texte galt es, die für die weitere Suche geeigneten und für den Diskurs repräsentativen Lemmata zu markieren. Da bei der Korpuserstellung die Intertextualität über den thematischen Zusammenhang hinaus zur Einheit des Diskurses beiträgt (vgl. Busse/Teubert 1994: 14), wurden zugleich erste explizite Verweise zu zeitgenössischen Autoren und ihren Werken erfasst. Implizite Bezüge wie Anspielungen, die variierende Übernahme von Argumentationsmustern oder Metaphern konnten erst nach besserer Kenntnis der Dokumente markiert werden. Auch im weiteren Prozess der Korpuskonstituierung und -erweiterung wurde dieses Verfahren der Markierung diskursspezifischer Lemmata und der Erfassung intertextueller Bezüge immer wieder angewandt. Während der Erstlektüre sollte ebenfalls festgehalten werden, in welchem thematischen Rahmen – sofern die Presse diesen nicht selbst bildete – Aussagen über die Zeitung und ihre (sprachliche) Wirkung getroffen wurden. Die hermeneutische Erweiterung des Korpus, die im Laufe der Untersuchung immer wieder vorgenommen wurde, erfolgte somit anhand folgender zentraler Recherchestrategien: (1) Die Markierung und Auswahl für den Diskurs repräsentativer Lemmata, (2) die Aufnahme intertextueller Verweise auf Autoren und Werke und (3) die Erfassung des thematischen Rahmens der die Zeitung und ihren Einfluss wenigstens partiell betrachtenden Quellen. Basierend auf diesen drei Recherchestrategien fanden Suchen nach weiteren dem Diskurs potentiell zugehörigen Werken und Aufsätzen in Bibliothekskatalogen und -archiven, in Datenbanken und digital vorliegenden Medien85 des Untersuchungszeitraums statt. Für die Stichwortsuche wurde eine Gliederung in pressespezifische und den metasprachlichen Rahmen betreffende allgemeine Lemmata vorgenommen. Es erfolgte eine Verknüpfung durch ODER-Operatoren, so dass Dokumente gefunden werden konnten, in denen die Lemmata einzeln oder in Kombination miteinander auftraten. Der ‚Stern‘-Operator (*) erlaubte zudem die Suche nach Wortteilen innerhalb der Titel oder digital zur Verfügung stehenden Werke und verminderte so die Möglichkeit, Dokumente zu übersehen. Tab. 1 zeigt, dass die Abkürzung zeitungs* sowohl Zeitungswesen als auch Zeitungssprache findet. Kombiniert man nun zeitungs* durch ODER-Operatoren mit sprach* aus Tab. 2, so finden sich dem Diskurs zugehörige Titel wie ‚Zur 85

Im virtuellen Zeitschriftenlesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek ‚Anno‘ (27.01.2012: http://anno.onb.ac.at/) oder im ‚Zentralen Verzeichnis digitalisierter Drucke‘ (27.01.2012: http://www.zvdd.de/index.html) lassen sich beispielsweise bereits digitalisierte Zeitungen, Zeitschriften und Bücher einsehen. Zum Teil ist innerhalb dieser digitalen Medien die Stichwortsuche mittels der ausgewählten Lemmata oder eine Inhaltssuche möglich, so dass einige wenige potentielle Quellen aufgefunden werden konnten.

Die Recherche

107

Sprachreinigung im Zeitungswesen‘ von Linhoff (1888) oder ‚Die Sprachreinigung und die Zeitungen‘ von Schmieden (1888). Suchbegriffe

Spezifische Lemmata

Presse*/Preße*/Press*/Preß*

blatt; blätter; -deutsch; -literatur/-litteratur; schriftsteller; -schrifttum/-schriftthum; -scribent/-skribent; -stil/-styl; wesen

Zeitung(s)*

blatt; blätter; -deutsch; -literatur/-litteratur; schriftsteller; -schrifttum/-schriftthum; -scribent/-skribent; -stil/-styl; wesen

Journal*

blatt; blätter; -deutsch; -literatur/-litteratur; schriftsteller; -schrifttum/-schriftthum; -scribent/-skribent; -stil/-styl; wesen

Tages*

blatt; blätter; -literatur/-litteratur; schriftsteller; schrifttum/-schriftthum; -scribent/-skribent; -wesen

Tab. 1:

Der Korpusrecherche zugrundeliegende Suchbegriffe und spezifische Lemmata.

Suchbegriffe

Allgemeine Lemmata

Sprachver*

-armung; -derbnis/-derb/-derber; -fall; -hunzung; -rohung; -stand; -wilderung; -wirrung; etc.

Sprach*

-dummheiten; -gebrauch; -grobheiten; -gefühl; -leben; reinigung; richtigkeit; -schäden; -sünden; -verstand; enverwirrung; etc.

Stilver*/Stylver*

-armung; -derbnis/-derb/-derber; -fall; -hunzung; -rohung; -stand; -wilderung; -wirrung; etc.

Stil*/Styl*

-gefühl; -schäden; -sünden; etc.

Sünd*

-bock/-enböcke; -e/-en; etc.

Deutsch*

-e/en; -tum/-thum/-tümelei; etc.

Tab. 2:

Der Korpusrecherche zugrundeliegende Suchbegriffe und allgemeine Lemmata.

Die Korpusrecherche gliedert sich in zwei zentrale Rechercheschritte, die während der Korpuserweiterung mehrfach wiederholt wurden und auf den drei genannten Recherchestrategien basieren: (1) Lektüre der bekannten Quellentexte, (2) Suche weiterer dem Diskurs potentiell zugehöriger Werke in Bibliothekskatalogen, -archiven und digitalen Medienbeständen. Im Laufe der Untersuchung mussten während der kontinuierlichen Erweiterung des Korpus einige Schwierigkeiten überwunden werden. So galt es bei der Markierung der Lemmata und ihrer anschließenden Funktionalisierung als Suchbegriffe zu beachten, dass die Rechtschreibung für den deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert noch nicht

108

Das Korpus zum Diskurs

einheitlich und verbindlich geregelt war, dass neben Formen wie stil* auch die orthographische Variante styl*, neben presse* auch preße* und prese* in die Suche eingeschlossen werden mussten (Tab. 1 und Tab. 2). Auch verfügen die Werke des 19. Jahrhunderts – deren Zugänglichkeit wegen des hohen Alters oftmals begrenzt ist – nur selten über ein Inhaltsverzeichnis mit den dazugehörigen Überschriften oder über ein Stichwortregister. Da die meisten Dokumente auch digital nicht vorliegen, es meines Wissens (noch) keine vollständigen digitalen Korpora metasprachlicher Texte des 19. Jahrhunderts gibt, gestaltete sich die Recherche mittels der ausgewählten Lemmata als schwierig.86 Zumeist konnte eine thematische Zugehörigkeit zum Diskurs – sofern sie sich nicht bereits durch den Titel abzeichnete – erst durch eine kursorische Lektüre herausgefunden werden. Das konkrete Korpus zum Diskurs über die Presse und ihren (sprachlichen) Einfluss im 19. Jahrhundert ist wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit potentieller Quellen mit 111 Dokumenten im Vergleich zu anderen empirischen Arbeiten dieser Art weniger umfangreich. Da aber alle Möglichkeiten der Recherche genutzt wurden, um den Diskurs bestmöglich zu rekonstruieren, ist es als repräsentativ für das virtuelle Korpus und somit den Diskurs zu erachten.

3. Die Gesamtbeschreibung des Korpus Nicht in allen 111 Dokumenten des Korpus entfaltet sich der Diskurs über den sprachlichen Einfluss der Presse im 19. Jahrhundert in gleicher Intensität. Wie in Tab. 3 ersichtlich ist, wird das Korpus deshalb in zwei Subkorpora gegliedert. Ein Subkorpus enthält Dokumente, in denen der Diskurs den thematischen Rahmen des Textes bildet (28 Dokumente), der Leser folglich nach der Lektüre des Titels bereits eine Darstellung der sprachlichen Gestalt und des Einflusses der Zeitungen erwarten kann. Im zweiten Subkorpus entfaltet sich der Diskurs über den sprachlichen Einfluss der Presse als Binnendiskurs innerhalb eines anderen thematischen Rahmens (83 Dokumente). Der Diskurs entfaltet sich also primär innerhalb anderer Rahmenthemen als Binnendiskurs und bildet nur in 25,2% der Dokumente den eigentlichen Rahmen.87 Betrachtet man die diachrone Verteilung der Dokumente im gesamten Untersuchungszeitraum, so zeigt sich (vgl. Tab. 3 und Abb. 4), dass die Zahl der diskurskonstituierenden Texte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu gleich bleibt und erst 86

87

Als hilfreich bei der Korpuserweiterung und -prüfung erwies sich die Buchsuche des USamerikanischen Unternehmens ‚Google‘. In Kooperation mit US-amerikanischen Universitätsbibliotheken stellt Google hier bereits digitalisierte historische Bestände deutschsprachiger Literatur online zur Verfügung. Da die digitalisierten Dokumente mit einer Optischen Zeichenerkennung (OCR) versehen sind, ist die Volltextsuche auch innerhalb einiger Texte des 19. Jahrhunderts möglich gewesen (27.01.2012: http://books.google.de/books). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass der Zeitung eine hohe Wirkung innerhalb der unterschiedlichen Themen- und Lebensbereiche zugesprochen wird.

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

109

in den sechziger und siebziger Jahren leicht steigt. Etwas mehr als die Hälfte der Dokumente entstand in den achtziger und neunziger Jahren des Untersuchungszeitraums, was auf einen Höhepunkt des Diskurses in diesen Jahrzehnten schließen lässt. Zeitraum

als Rahmendiskurs

als Binnendiskurs

Gesamt

1800–1809

0

1

1

1810–1819

0

6

6

1820–1829

1

3

4

1830–1839

0

3

3

1840–1849

0

6

6

1850–1859

0

6

6

1860–1869

1

8

9

1870–1879

1

8

9

1880–1889

6

12

18

1890–1899

18

25

43

ab 1900

1

5

6

Gesamt

28

83

111

Tab. 3:

Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung im gesamten Untersuchungszeitraum (vgl. Abb. 4).

Abb. 4: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung im gesamten Untersuchungszeitraum (vgl. Tab. 3).

110

Das Korpus zum Diskurs

3.1 Die zeitliche Gliederung – Untersuchungszeiträume Um derartige zeitpolitische Tendenzen – wie etwaige Höhe- oder Tiefpunkte eines Diskurses – herausfiltern, im weiteren Verlauf der Untersuchung gewichten und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmen zu können, empfiehlt sich eine zeitliche Gliederung in Teildiskurse, die sich wiederum in zwei thematisch bestimmte Subkorpora – der Diskurs zu Wirkung und Einfluss der Zeitung als Rahmen- bzw. als Binnendiskurs – aufteilen lassen. Da die Zeitung ein Produkt unterschiedlicher, parallel verlaufender gesellschaftspolitischer, soziokultureller, technischer und auch sprachlicher Entwicklungen ist, liegt die Vermutung nahe, dass auch die – metasprachliche – Reflexion über die Zeitung nicht zufällig, sondern – wie in Hypothese 2 (vgl. S. 16) angenommen – abhängig von diesen Prozessen verläuft und ggf. durch die (Un-)Zufriedenheit mit diesen motiviert ist (vgl. Hypothese 3, S. 18). Um die Entwicklung des Diskurses über die Zeitung zu rekonstruieren und Ergebnisse über den Einfluss der Presse zu erzielen, bietet es sich an, die Gliederung der zeitlich bestimmten Teilkorpora anhand einschlägiger Daten vorzunehmen, die einen Wandel der gesellschaftspolitischen, soziokulturellen, sprachlichen und medialen Verhältnisse zur Folge hatten. Eine einfache Gliederung in die beiden Jahrhunderthälften hätte den Vorteil, dass die beiden Untersuchungszeiträume in ihrem zeitlichen Umfang homogen sind, auch wäre die Märzrevolution von 1848/49 ein geeignetes Datum, um zwei unterschiedliche Entwicklungsphasen voneinander abzugrenzen. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fortwährenden Bestrebungen um Presse- und Meinungsfreiheit, um Bildungsmöglichkeiten für alle und eine einheitliche Nation führten aber – wie oben dargestellt – auch durch die Revolution von 1848/49 nicht zu dem gewünschten Ergebnis, da nur ein Bruchteil der Forderungen erfüllt werden konnte. Ein grundlegender Wandel der medialen und gesellschaftspolitischen Verhältnisse konnte erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit der Reichsgründung von 1871 und dem Reichspressegesetz von 1874 erfolgen. Der Untersuchung werden in Anlehnung an die in der Betrachtung des soziohistorischen Diskursrahmens erzielten Ergebnisse88 drei Teilkorpora bzw. zeitliche Phasen zugrunde gelegt: (1) Vorbereitungsphase (ca. 1800–1848/49) einer freien, allen zugänglichen Presse (2) Etablierungsphase (ca. 1850–1869) einer allen zugänglichen Presse (3) Konsolidierungsphase (ab ca. 1870) der massenwirksamen, freien Presse.89

88 89

Vgl. Kapitel III. Eine tabellarische Darstellung der die drei Teilkorpora konstituierenden Elemente findet sich im Anhang der vorliegenden Untersuchung.

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

111

Das Teilkorpus zur Vorbereitungsphase, den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, ist mit 20 Texten und einem Anteil von 18% am Gesamtkorpus recht klein (vgl. Tab. 4). Der Anteil der Dokumente im zweiten Untersuchungszeitraum – der Etablierungsphase – am Gesamtkorpus beträgt zwar nur 13,5%, hierbei ist aber zu beachten, dass diese Phase im Gegensatz zu der ersten nur zwei Jahrzehnte umfasst. Berechnet man hingegen, wie viele Texte durchschnittlich pro Jahrzehnt vorliegen, so zeigt sich, dass sich die Zahl der Dokumente in der zweiten Phase mit 7,5 pro Jahrzehnt gegenüber 4 Dokumenten pro Jahrzehnt in der ersten Phase fast verdoppelt hat (vgl. Tab. 5). Den größten prozentualen Anteil am Gesamtkorpus hat schließlich das dritte Teilkorpus mit 68,5% und durchschnittlich 19 Dokumenten pro Jahrzehnt (vgl. Tab. 6). Zeitraum

als Rahmendiskurs

als Binnendiskurs

Gesamt

1800 – 1809

0

1

1

1810 – 1819

0

6

6

1820 – 1829

1

3

4

1830 – 1839

0

3

3

1840 – 1849

0

6

6

Gesamt

1

19

20

Tab. 4:

Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Vorbereitungsphase (1800–1848/49).

Zeitraum

als Rahmendiskurs

als Binnendiskurs

Gesamt

1850 – 1859

0

6

6

1860 – 1869

1

8

9

Gesamt

1

14

15

Tab. 5:

Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Etablierungsphase (1850–1871).

Zeitraum

als Rahmendiskurs

als Binnendiskurs

1870 – 1879

1

8

9

1880 – 1889

6

12

18

1890 – 1899

18

25

43

ab 1900

1

5

6

Gesamt

26

50

76

Tab. 6:

Gesamt

Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Konsolidierungsphase (ab 1871).

Abb. 4, S. 109 – in der die drei Phasen durch vertikale Linien kenntlich gemacht wurden – verbildlicht den langsamen Anstieg der Dokumente in der Zeit nach der Märzre-

112

Das Korpus zum Diskurs

volution von 1848/49 und die explosionsartige Zunahme der den Diskurs konstituierenden Texte nach 1871. Analog zu der Expansion der Presse und ihrer funktionalen Erweiterung steigen folglich auch jene Schriften an, die sich kritisch mit der Presse und ihrem (sprachlichen) Einfluss beschäftigen, was die oben getätigte Annahme bestätigt, dass nicht allein die gesellschaftshistorischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen, sondern auch ihre kritische Betrachtung in einem wechselwirkenden Verhältnis stehen.90 Auffällig ist auch, dass sowohl in der Vorbereitungs- als auch in der Etablierungsphase der Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss nur jeweils in einem Dokument Rahmendiskurs ist (5% bzw. 6%), in der Konsolidierungsphase in immerhin einem Drittel dieses Teilkorpus den thematischen Rahmen der Texte bildet. Auch im dritten Teilkorpus überwiegen folglich die Dokumente, in denen der Diskurs als Binnendiskurs erscheint.

3.2 Die thematische Gliederung – Diskursüberlagerungen Da der Diskurs über Einfluss und Wirkung der Zeitung in allen drei Teilkorpora überwiegend als Binnendiskurs präsent ist, sich also in ¾ der Dokumente des Gesamtkorpus mit anderen Diskursen überlagert, ist anzunehmen, dass sich die gesellschaftliche Relevanz der Presse aus ihrer wechselseitigen Beziehung zu anderen Themen- und Gesellschaftsbereichen ergibt. Da die Zusammenhänge und Wechselwirkungen, die die Diskursteilnehmer zwischen den Subdiskursen herstellen, für die weitere Untersuchung – vor allem im Hinblick auf die in Hypothese 3 (vgl. S. 18) implizierte Frage, ob bzw. inwiefern der Diskurs kulturhistorisch motiviert ist – von Interesse sind, werden die 83 Dokumente des Gesamtkorpus, in denen der Diskurs über den (sprachlichen) Einfluss der Presse als Binnendiskurs erscheint, nach ihrem thematischen Rahmen im weitesten Sinne differenziert in Rahmendiskurse über: (1) die deutsche Sprache, (2) Presse und Pressewesen, (3) Sprache und Gesellschaft, (4) Sprache und Kunst.91

90 91

Vgl. Kapitel III. Diese Rahmendiskurse stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern überlagern sich. So sind beispielsweise vier nach 1870 erschienene Dokumente Nietzsches dem Rahmendiskurs „Sprache und Kunst“ zugeordnet worden, da eine wichtige inhaltliche Komponente dieser Texte die kulturelle, philosophische Dimension der Sprache ist. Sie versuchen nicht zuletzt den Zusammenhang zwischen Sprache, Bewusstsein und Realität zu ergründen, die Sprache nicht allein als Medium

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

113

Wenig überraschend ist die quantitativ mit 50 Dokumenten am stärksten ausgeprägte Überlagerung mit dem Subdiskurs zur deutschen Sprache, da auf diese bei der Korpuserstellung der Schwerpunkt gelegt wurde. Zum Rahmendiskurs über die deutsche Sprache werden die Texte gezählt, die sich mit der Beschreibung der Entwicklung und/oder des Zustandes der deutschen Sprache beschäftigen. Eine mit insgesamt 19 Dokumenten ebenfalls hohe Priorität hat der Diskurs über Presse und Pressewesen. Den thematischen Rahmen dieser Texte bilden die historische Entwicklung der Presse und ihre gesellschaftliche Bedeutung. Quantitativ weniger stark ausgeprägt sind Überlagerungen mit den Diskursen Sprache und Gesellschaft (5 Dokumente) und Sprache und Kunst (9 Dokumente). Unter dem Rahmendiskurs Sprache und Gesellschaft sind jene Dokumente zusammengefasst, die sich im weitesten Sinne mit der Bedeutung der Sprache für gesellschaftspolitische Zusammenhänge beschäftigen, also auch Texte, die Fragen zu Volksbildung und Gesellschaftswandel betrachten. Den thematischen Schwerpunkt des Diskurses Sprache und Kunst bildet die Betrachtung der deutschen Sprache als Grundlage des Denkens, des kulturellen Gedankenguts und als Medium des künstlerisch-literarischen Ausdrucks. Wie sich diese Rahmendiskurse quantitativ innerhalb der drei Untersuchungszeiträume verteilen, zeigt Tab. 7: Zeitraum

Die deutsche Sprache

Presse und Pressewesen

Sprache und Gesellschaft

Sprache und Kunst

1800 – 1849

4

7

5

3

1850 – 1869

8

4

0

2

Ab 1870

38

8

0

4

Gesamt

50

19

5

9

Tab. 7:

Quantitative Verteilung der Rahmendiskurse, in die der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung eingebettet ist (vgl. Abb. 5).

Betrachtet man Abb. 5, so wird deutlich, dass der prozentuale Anteil der Diskurse über die deutsche Sprache mit 60% im gesamten Untersuchungszeitraum zwar am höchsten ist, sich dieses Ergebnis aber (noch) nicht in der Vorbereitungsphase widerspiegelt. Hier scheint der Wechselwirkung zwischen Sprache und Presse weniger Bedeutung beigemessen zu werden als der gesellschaftspolitischen Dimension von Sprache, die in 26% der zwischen 1800 und 1848 erschienenen Dokumente thematisiert wird, und dem Pressewesen, das in 37% der Dokumente des Zeitraums den Rahmendiskurs bildet. In nur 16% der Texte des ersten Teilkorpus, deren Rahmendiskurs nicht die Presse und ihr oder Werkzeug des öffentlichen Verkehrs zu betrachten, sondern als Grundlage des Gedankens und Denkens. Sie beschäftigen sich aber auch eingehend mit dem Zusammenhang zwischen Bildung und Gesellschaftsentwicklung, der Diskurs „Sprache und Kunst“ überlagert sich somit nicht allein mit dem über Wirkung und Einfluss der Presse, sondern auch mit dem als „Sprache und Gesellschaft“ überschriebenen Diskurs.

114

Das Korpus zum Diskurs

Einfluss ist, wird die Sprache als Medium des künstlerisch-schriftstellerischen Ausdrucks thematisiert. Mit dem Wachstum der Presselandschaft nach der Revolution von 1848/49 nehmen die Dokumente zu, deren Rahmendiskurs die deutsche Sprache ist. Mit der Expansion der Presse in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem Massenprodukt steigt offenbar auch die Sensibilität für die deutsche Sprache und das Bedürfnis, die Bedeutung der Presse für die deutsche Sprache zu kommentieren.

Abb. 5: Prozentuale Verteilung der Rahmendiskurse, in denen sich der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung entfaltet (vgl. Tab. 7).

Aufgrund der prozentualen Dominanz des Rahmendiskurses über die deutsche Sprache im gesamten Untersuchungszeitraum ist anzunehmen, dass der Presse ein hoher Einfluss auf die deutsche Sprachentwicklung zugeschrieben bzw. eine Wechselwirkung zwischen Presse- und Sprachentwicklung erkannt wird. Auch auf die Sprache als Medium des künstlerisch-literarischen Ausdrucks scheint die Presse einzuwirken, da sie in den ersten beiden Teilkorpora innerhalb des Rahmens Sprache und Kunst thematisiert wird. Die starke Präsenz der Rahmendiskurse Sprache und Gesellschaft sowie Presse und Pressewesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutet – im Hinblick auf die oben bereits besprochenen gesellschaftspolitischen und medialen Entwicklungen des Zeitraums – darauf hin, dass weniger die Bedeutung der Presse für die Sprache als vielmehr ihre Relevanz für die Öffentlichkeit von Interesse war. In der zeitgenössischen Forderung, Bildung und Teilhabe aller an politischen Themen zu gewähren, gilt die Presse als geeignetes Mittel, eine politische Öffentlichkeit herzustellen. Wie dies geschehen könnte und welche Rolle die Sprache der Presse hierbei spielt, wird in den

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

115

Texten zu Presse und Pressewesen diskutiert und kommentiert. Diese möglichen Zusammenhänge zwischen historischen Entwicklungstendenzen und metasprachlichen Äußerungen gilt es im Laufe der weiteren qualitativen Analysen zu prüfen und zu spezifizieren.

3.3 Die Texte und ihre Autoren Da jede Äußerung bezüglich der Presse und ihrer Sprache für die Rekonstruktion des Diskurses von Interesse ist, erschien die Beschränkung auf eine Textsorte bei der Korpuserstellung aufgrund des Anspruches der Vollständigkeit und Repräsentativität als wenig sinnvoll. Wie bisher hervorgehoben wurde, ist das wichtigste Kriterium für die Zugehörigkeit eines Textes zum Diskurs ein – wenigstens partiell – gemeinsames Thema. Eine thematische Gliederung der Texte, innerhalb derer der Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss als Binnendiskurs erscheint, wurde oben bereits vorgenommen. Insgesamt setzt sich das Korpus wie folgt zusammen: (1) Die sprachtheoretischen/(sprach-)philosophischen Schriften entsprechen den Texten, die im vorhergehenden Abschnitt unter dem Titel Sprache und Kunst zusammengefasst wurden. In ihnen findet die Presse und ihr sprachlicher Einfluss im Zusammenhang mit Sprache, Bewusstsein und Realität Erwähnung. (2) Zu den medientheoretischen/-kritischen Schriften zählen jene, die dem Rahmendiskurs Presse und Pressewesen angehören, und jene, in denen sich der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung als Hauptdiskurs entfaltet. Unter diesen Schriften finden sich primär (Zeitschriften-)Aufsätze (30 Dokumente), 7 Feuilletons, 2 Flugschriften, 4 Monographien, 2 Fehlersammlungen sowie ein Gedicht und ein Wörterbuch. (3) Innerhalb der (sprach- und gesellschafts-)politischen Schriften – zwei Aufsätzen und drei Monographien – werden die Presse und ihr sprachlicher Einfluss vor allem in Zusammenhang mit der gesellschaftspolitischen Dimension von Sprache thematisiert. (4) Die Dokumente, in denen der Diskurs über die deutsche Sprache Rahmendiskurs ist, lassen sich nach ihrer funktionalen Ausrichtung zudem unterscheiden in sprachpflegerische/sprachkritische Schriften wie beispielsweise Fehlersammlungen (23 Dokumente), zahlreiche Zeitschriftenaufsätze oder Streitschriften (5 Dokumente) und (5) sprachbeschreibende/sprachhistorische Schriften, so beispielsweise Grammatiken (6 Dokumente) oder Stilistiken (2 Dokumente).

116

Das Korpus zum Diskurs

Die quantitative Verteilung dieser Schriften auf den gesamten Untersuchungszeitraum und die drei Untersuchungsabschnitte zeigt Tab. 8: Zeitraum

Sprachtheo./ (sprach-)phil. Schriften

Medientheo./ -kritische Schriften

(sprach- und Sprachpfleg./ gesellschafts-) sprachkrit. polit. Schriften Schriften

Sprachbeschreib./ sprachhist. Schriften

1800 – 1849

3

8

5

1

3

1850 – 1871

2

5

0

6

2

Ab 1871

4

34

0

30

8

Gesamt

9

47

5

37

13

Tab. 8:

Verteilung der das Korpus konstituierenden Texte (vgl. Abb. 6).

Dass im gesamten Untersuchungszeitraum die medientheoretischen/-kritischen Schriften und die im engeren Sinne metasprachlichen Schriften – sprachbeschreibende/sprachhistorische und sprachpflegerische/sprachkritische – prozentual gleich stark vertreten sind, veranschaulicht Abb. 6. Während in den beiden späteren Untersuchungsabschnitten die prozentuale Verteilung der Schriften weitestgehend der des gesamten Untersuchungszeitraums gleicht, weicht sie im ersten Untersuchungsabschnitt – der Vorbereitungsphase – ab. Hier überwiegen – wie oben bereits vermerkt – mit 25% die Dokumente, die die gesellschaftspolitische Dimension von Sprache und Presse thematisieren, über den im engeren Sinn metasprachlichen Texten.

Abb. 6: Prozentuale Verteilung der das Korpus konstituierenden Texte (vgl. Tab. 8).

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

117

Die 111 Schriften des Korpus können insgesamt höchstens 91 Diskursteilnehmern zugeordnet werden, da acht Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften anonym veröffentlicht wurden. Um der anfangs geäußerten forschungsleitenden (Teil-)Frage nachzugehen, wer sich über die Presse und ihre Sprache äußerte, ist es von Interesse, den Berufs- und Bildungshintergrund der Diskursteilnehmer zu ergründen. Die Einteilung der Autoren in Berufsgruppen verspricht, im späteren Verlauf der Untersuchung verschiedene Positionen des Diskurses herauszufiltern und die Motivation der Kritik zu rekonstruieren. Wie in Hypothese 1 (vgl. S. 16) impliziert, ist zu erwarten, dass bestimmte Bewertungen der Zeitung und ihrer Sprache nicht zuletzt aus dem beruflich unterschiedlichen Umgang, den täglichen Erfahrungen mit Sprache und Presse resultieren, dass eine soziale Bewertung der Sprache stattfindet. Welchen beruflichen Tätigkeiten die Diskursteilnehmer nachgingen, wurde anhand der Angaben der Alten Deutschen Biographie (ADB), der Neuen Deutschen Biographie (NDB) und der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) rekonstruiert.92 Bei 20 Diskursteilnehmern wurden weder in den genannten Biographien und Katalogen noch in den Werken selbst Hinweise auf den Bildungs- oder Berufshintergrund gefunden. Da die Lebensläufe der Diskursteilnehmer zumeist nicht geradlinig verliefen, gestaltete sich die eindeutige Zuordnung zu einer Berufsgruppe oftmals als schwierig. Einige Schriftsteller waren beispielsweise auch als Theologen oder Journalisten tätig, wurden aber als Schriftsteller eingeordnet, da dies – laut der Angaben der ADB und NDB im Vergleich mit jenen der DNB – ihre hauptsächlich ausgeübte berufliche Beschäftigung war. Zeitraum

Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

1800 – 1849 1850 – 1869 Ab 1870

8 2

Gesamt Tab. 9:

92

Lehrende Tätigkeit

Sonstige

Keine Angaben

Schule

Hochschule

4

4

0

1

0

2

2

5

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12

17

15

5

20

Die beruflichen Tätigkeiten der Diskursteilnehmer.

Im Folgenden werden die in Klammern aufgeführten Abkürzungen ADB, NDB und DNB verwendet. Alle Bände der ADB sowie die ersten 22 Bände der NDB sind online verfügbar und in ihrer digitalen Form direkt einsehbar (27.01.2012: http://www.deutsche-biographie.de/). Auch innerhalb des Onlinekatalogs der Deutschen Nationalbibliothek ist eine Suche nach Autoren möglich, zumeist sind die Informationen über die beruflichen Tätigkeiten und den Bildungshintergrund wenig ausführlich dargestellt (27.01.2012: https://portal.d-nb.de/).

118

Das Korpus zum Diskurs

Wie Tab. 9 zeigt, finden sich unter den Autoren zweiundzwanzig Schriftsteller und zwölf Journalisten sowie siebzehn Lehrer und fünfzehn Hochschullehrer. Etwa die Hälfte der Diskursteilnehmer, deren Berufe rekonstruiert werden konnten, übt folglich eine „schreibende Tätigkeit" aus, die andere Hälfte eine „lehrende Tätigkeit“. Zu den „sonstigen“ Berufen zählen drei Philosophen und zwei Politiker.

3.4 Die Einstellungen der Diskursteilnehmer Um die Einstellungen der Diskursteilnehmer gegenüber dem Sprachgebrauch der Zeitungen quantitativ messen zu können, müssen sprachliche Äußerungen und Bewertungen durch ein vorab festgelegtes Raster begrifflich präzisiert werden. Die Einordnung der Einstellungen historischer Diskurse in dieses Raster wird aus den Aussagen, den Argumentationen und den Metaphern interpretiert. Für die Bewertung des Sprachgebrauchs der Zeitungen und ihres Einflusses auf die deutsche Sprachentwicklung wurden zunächst drei Parameter angenommen: (1) Als tendenziell negativ sollten die Dokumente eingestuft werden, die den Einfluss der Zeitung auf die deutsche Sprachentwicklung als kritisch betrachteten und einen Wandel der Sprache zum Schlechteren prognostizierten. (2) Die Texte, die das neue Massenmedium Zeitung als bereichernd für den allgemeinen Sprachgebrauch einschätzten, sollten dem Parameter tendenziell positiv zugeordnet werden. (3) Standen innerhalb der Dokumente positive und negative Äußerungen gleichberechtigt gegenüber, wurden also Vor- und Nachteile der Zeitungen für die deutsche Sprache gegeneinander abgewogen, so sollten sie als abwägend gekennzeichnet werden.93 Wie Tab. 10 zu entnehmen ist, finden sich im Korpus letztlich keine Texte, die die Presse und ihren Einfluss als tendenziell positiv für die deutsche Sprachentwicklung bewerten. In nur 37 Dokumenten des Korpus werden Vorteile für die Sprache prognostiziert, diese aber gegen die negativen Auswirkungen abgewogen. In 74 Texten werden die Presse und ihr Einfluss als tendenziell negativ eingeschätzt.

93

Zwar wurde bereits während der Korpuserstellung versucht, die Dokumente anhand dieser Parameter zu ordnen, eine genaue quantitative Auswertung der Einstellungen zur Zeitung war allerdings erst nach der qualitativen Analyse – folglich nach der Untersuchung der Argumentationen und Metaphern – möglich.

Die Gesamtbeschreibung des Korpus

119

Zeitraum

abwägend

tendenziell negativ

1800 – 1849

10

10

1850 – 1871

2

13

Ab 1871

25

51

Gesamt

37

74

Tab. 10: Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse (vgl. Abb. 7).

Abb. 7 veranschaulicht, dass außer im ersten Untersuchungszeitraum, in der sich negative und abwägende Aussagen die Waage halten, die negative Bewertung der Wirkung und des Einflusses der Presse in den nach 1848/49 erschienenen Dokumenten eindeutig überwiegt. Ob und inwiefern diese quantitative Messung der Einstellungen innerhalb der einzelnen Untersuchungszeiträume die Hypothesen 2 und 3 (vgl. S. 16ff.) bestätigen, lässt sich erst nach einer quantitativen wie qualitativen Betrachtung der die Einstellungen stützenden Argumentationen feststellen.

Abb. 7: Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse (vgl. Tab. 10).

Innerhalb der sprachbeschreibenden/sprachhistorischen Schriften scheinen die Vor- und Nachteile der Presse für den Sprachwandel eher gegeneinander abgewogen zu werden, hier äußern sich nur 38% der Dokumente tendenziell negativ über den Sprachgebrauch der Presse. Vor allem innerhalb sprachtheoretischer/sprachphilosophischer Schriften und sprachpflegerischer/sprachkritischer Schriften wird die Presse aber kritisch be-

120

Das Korpus zum Diskurs

trachtet und ein negativer Einfluss auf die Sprachentwicklung prognostiziert. Auch in fast zwei Dritteln der sprach- und gesellschaftspolitischen (60%) sowie medientheoretischen/-kritischen Dokumente (62%) findet eine negative Einschätzung des sprachlichen Einflusses der Zeitungen statt. Letztere lassen sich nochmals differenzieren in Texte, in denen der Diskurs über die Presse und ihren sprachlichen Einfluss Binnendiskurs oder Rahmendiskurs ist. Vor allem die Texte, die Wirkung und Einfluss der Zeitung als Binnendiskurs thematisieren, beurteilen sie als negativ (16 Dokumente, also 34% der Schriften), nur wenige stehen ihr abwägend gegenüber (3 Dokumente, also 6% der Schriften). Ein größerer Teil der Texte hingegen, in denen der Diskurs gleichzeitig Rahmendiskurs ist, wägt Vor- und Nachteile der Presse gegeneinander ab (15 Dokumente, also 32% der Schriften), etwas weniger prognostizieren einen negativen Einfluss (vgl. Abb. 8). Innerhalb der medientheoretischen/-kritischen Dokumente mit dem Sprachgebrauch der Zeitung als Binnendiskurs überwiegen eindeutig die, die der Presse gegenüber tendenziell negativ eingestellt sind. Als Hauptdiskurs hingegen halten sich Texte mit abwägender Betrachtung und solche mit tendenziell negativer Einstellung etwa die Waage.

Abb. 8: Quantitative/Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse innerhalb der das Korpus konstituierenden Texte.

Betrachtet man nicht allein die Verteilung der Einstellungen innerhalb der das Korpus konstituierenden Texte, sondern auch die ihrer Verfasser, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Bei Journalisten und Hochschullehrern stehen negative und abwägende Bewertungen der Zeitung und ihres Einflusses nahezu gleichberechtigt gegenüber, während bei Lehrern und Schriftstellern sowie bei den sonstigen Berufsgruppen die tendenziell negative Einschätzung gegenüber der abwägenden dominiert (vgl. Abb. 9).

Das Korpus zum Diskurs – Ein erster Überblick

121

Abb. 9: Quantitative/Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse innerhalb der Berufsgruppen.

Dass sich die Journalisten weniger häufig negativ über die Presse und ihre Sprache äußerten als andere Berufsgruppen, war zu erwarten, da eine schlechte Einschätzung des Sprachgebrauchs der Zeitung im weiteren Sinne auch eine Kritik an den eigenen journalistischen Fähigkeiten, an dem eigenen Berufsbild bedeutet. Auch das wissenschaftliche Tätigkeitsfeld der Universitätsprofessoren spricht für eine eher abwägende, weniger wertende Beschäftigung mit einem Thema. Dennoch betrachten immerhin die Hälfte der Diskursteilnehmer beider Berufsgruppen die Wirkung der Presse auf Sprachentwicklung und -gebrauch als tendenziell negativ. Nach der quantitativen Erfassung der Einstellungen innerhalb der Berufsgruppen kann Hypothese 1 (vgl. S. 16) nur bedingt zugestimmt werden, da sich nur Tendenzen einer berufsspezifisch motivierten Einschätzung der Presse abzeichnen und keine eindeutige Gewichtung stattfindet. Erst eine qualitative Analyse der Argumentationen kann Aufschluss darüber geben, warum die negativen Einschätzungen der Presse in allen Gruppen stark verbreitet sind und inwiefern sie sich eventuell gruppenspezifisch voneinander unterscheiden lassen.

4. Das Korpus zum Diskurs – Ein erster Überblick Das Korpus zum Diskurs über den sprachlichen Einfluss der Presse ist primär thematisch-inhaltlich bestimmt (vgl. Busse/Teubert 1994: 14), wobei auf eine mögliche textsortenspezifische Beschränkung bei der Korpuserstellung aufgrund des Anspruches der Vollständigkeit und Repräsentativität verzichtet wurde. Nach einer ausführlichen Recherche der das Korpus konstituierenden Dokumente erfolgte eine Gliederung in drei

122

Das Korpus zum Diskurs

zeitlich bestimmte Teilkorpora, die sich wiederum in thematisch bestimmte Subkorpora aufteilen lassen. Je nach Forschungsinteresse ließen sich weitere Gliederungen in Subkorpora vornehmen. Für das Korpus ergibt sich somit folgendes Bild: Das Gesamtkorpus zum Diskurs

Teilkorpus (1800-1849)

Teilkorpus (1850-1869)

Teilkorpus (ab 1870) Binnendiskurs

Rahmendiskurs

Binnendiskurs

Rahmendiskurs

Binnendiskurs

Rahmendiskurs

Abb. 10: Das Korpus zum Diskurs über den Sprachgebrauch der Presse und ihren Einfluss auf die deutsche Sprachentwicklung.

Die quantitative Analyse der drei zeitlich bestimmten Teilkorpora ergab, dass die Zahl der pressekritischen Dokumente kontinuierlich zunimmt. Diese Zunahme der Texte, die sich – sei es partiell, sei es ganz – mit der Zeitung und ihrem sprachlichen Einfluss beschäftigen, fällt zeitlich eng mit den Veränderungen im Pressewesen – der Zunahme der Zeitungszahl und -auflagen, des Umfangs und der Leserzahl – zusammen. Mit der Medienpräsenz scheinen folglich das Gefühl der sprachlichen Beeinflussung und das Bedürfnis, diese zu kommentieren, zu steigen. Auffällig ist, dass sich dieses Bedürfnis nicht dadurch ausdrückt, dass mehr Schriften erscheinen, die sich primär mit dem Einfluss der Medien beschäftigen. Vielmehr überwiegen im gesamten Untersuchungszeitraum die Dokumente, in denen der Diskurs Binnendiskurs ist, also sich innerhalb anderer Rahmenthemen entfaltet. Die Überlagerungen mit anderen Diskursen veranschaulicht, dass die Presse für sich alleinstehend weniger Bedeutung zu haben scheint, sondern erst in Wechselwirkung mit anderen gesellschaftsrelevanten Entwicklungen, Strömungen, Themen und Bereichen an Kraft und Einfluss gewinnt, was wiederum zu der in Hypothese 3 (vgl. S. 18) zusammengefassten Annahme führt, dass die kritische Betrachtung der Presse kulturhistorisch motiviert ist.94 So ließe sich auch erklären, dass in den drei Untersuchungsabschnitten Überlagerungen mit jeweils anderen Diskursen dominant sind. Die in der Vorberei94

Wie sich in Kapitel III bereits zeigte, sind die Entwicklungen und Veränderungen des 19. Jahrhunderts immer in Abhängigkeit voneinander zu betrachten. So ist auch die Presse als Massenmedium Produkt und Motor der gesellschaftlichen Fortschritte zugleich.

Das Korpus zum Diskurs – Ein erster Überblick

123

tungsphase (1800–1849) dominanten Überlagerungen mit den Diskursen Sprache und Gesellschaft und Presse und Pressewesen zeigen beispielsweise, dass in diesem Zeitraum die Zeitung und ihre Sprache in Wechselwirkung mit gesellschaftspolitischen Bestrebungen an Bedeutung gewinnt. Da sie die zeitgenössische Tendenz des politischen Engagements widerspiegeln, die Bemühungen um Meinungs- und Pressefreiheit, um die Möglichkeit der Bildung und Teilhabe am öffentlichen Leben für alle Bevölkerungsgruppen, ist zu vermuten, dass im Laufe der qualitativen Untersuchung Hypothese 2 (vgl. S. 16) ihre Bestätigung findet. Bereits nach der Märzrevolution, mit dem langsamen Wachsen des Pressewesens und dem Wandel der Gesellschaft ändert sich das Bild. Einhergehend mit der Lese- und Bildungszunahme gewinnt die Presse und ihr Einfluss mehr und mehr an Interesse im Rahmen sprachlicher und bildungspolitischer Fragen, so dass eine verstärkte Überlagerung mit dem Diskurs über die deutsche Sprache wenig verwunderlich ist. Für die weitere quantitative Analyse von besonderem Interesse ist die Einteilung der Diskursteilnehmer – der Verfasser der das Korpus konstituierenden Texte – in Berufsgruppen, da davon auszugehen ist, dass die tägliche Beschäftigung mit der Sprache innerhalb eines bestimmten beruflichen Umfeldes auch das Denken über die Sprache der Presse und die Bewertung derselben bedingen. Es wird deshalb zwischen „schreibenden“ – Journalisten und Schriftsteller – und „lehrenden“ Tätigkeitsfeldern – Lehrer und Universitätsprofessoren sowie „Sonstigen“ unterschieden. Wie die Messung der Einstellungen zur Presse und ihrer Sprache ergaben, schätzt vor allem ein Großteil der Lehrer und Schriftsteller die Wirkung der Zeitung auf die deutsche Sprachentwicklung tendenziell negativ ein, wohingegen tendenziell negative und abwägende Bewertungen bei Universitätsprofessoren und Journalisten prozentual gleichwertig verteilt sind. Inwiefern sich für diese Verteilung eine Erklärung finden lässt und ob sich die bisher nur tendenziell zu bestätigende Hypothese 1 (vgl. S. 16) als zutreffend erweist, wird im Laufe der qualitativen Analyse zu prüfen sein. Auch dass die Zahl der tendenziell negativen Bewertungen erst nach 1848/49 – also in der Etablierungsphase – erheblich ansteigt, gilt es in der weiteren Untersuchung zu betrachten und in Zusammenhang mit den historischen Rahmenbedingungen zu erklären. Um die Einstellungen, Positionen, vor allem aber das sprachliche Wissen der Diskursteilnehmer genauer herauszuarbeiten und die Gültigkeit der z.T. bereits tendenziell bestätigten Hypothesen zu prüfen, widmet sich der nächste Abschnitt der Metaphorik des Diskurses.

V. Die Metaphorik des Diskurses

1. Methodische Überlegungen Spätestens seit dem Erscheinen des Werks „Metaphors we live by“ von Georg Lakoff und Mark Johnson95 in den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts werden Metaphern nicht mehr verstanden „als rhetorisch-stilistisches Ornat [im Sinne Aristoteles], die zwar zur Erbauung dem Dichter, zur Überredung dem Politiker zwecken, als Mittel objektiver wissenschaftlicher Beschreibung jedoch untauglich sind“ (Pielenz 1993: 59f.), sondern als das Ergebnis eines kognitiven Prozesses, als das „Resultat mentaler Konstruktion“ (Pielenz 1993: 59). Metaphern sind […] die Bausteine unserer Weltsicht, sie verdingen sich als die Konstituenten unserer vielfältigen sozialen Wirklichkeiten. Sie verkörpern kognitive Strukturen, deren Funktion darin besteht, den in den Blick genommenen Weltausschnitt kategorisieren zu können. (Pielenz 1993: 103)

Der Metapher kommt folglich – laut Pielenz (1993: 58) – eine entscheidende soziokulturelle Bedeutung für die Ordnung, Kategorisierung und Konstruktion der menschlichen Lebenswelt zu, da das Repertoire an Metaphern, ihre Verwendung und ihr Verstehen von den Erfahrungen, Vorstellungen und dem Wissen der jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe geprägt sind, diese aber auch gleichermaßen prägen. Jede konzeptuelle Metapher artikuliert einen Erfahrungsausschnitt einer Kulturgemeinschaft; jede besitzt einen individuellen ideengeschichtlichen Hintergrund, der, wird er aufgedeckt, die soziokulturelle Abhängigkeit einer jeden Metapher zeigt. (Pielenz 1993: 87)

Mittels Metaphern ist es möglich, schwer fassbare Sachverhalte und Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen, indem diese vertrauten, grundlegenden Konzepten untergeordnet werden, d.h. auf einen Zielbereich – in der vorliegenden Untersuchung umfasst dieser primär die Sprache und die Presse – werden die Schemata eines dem Kollektiv vertrauten und dem Zielbereich in Teilen ähnlichen oder analogen Herkunftsbereichs übertragen (vgl. Pielenz 1993: 81; Böke 1996: 442). Löbl verdeutlicht beispielsweise die Heftigkeit der von ihm in seiner Erzählung geschilderten privaten Diskussion um das „Zeitungsdeutsch“, indem er sie den Leser als „Fehmgericht über das schlechte Zei95

Die konstruktivistische Metapherntheorie Lakoff/ Johnsons führt den von Max Black 1962 eingeleiteten kognitiven Metaphernbegriff fort (vgl. Pielenz 1993: 57).

Methodische Überlegungen

125

tungsdeutsch“ (Löbl 1892: 335, [3.6]) und als „Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil“ (Löbl 1892: 335, [3.6]) über den Bereich des Rechts und des Krieges wahrnehmen lässt. Werden in den Metaphern auf diese Weise bestimmte Eigenschaften hervorgehoben, andere ignoriert, transportieren sie folglich die Einstellungen und Standpunkte der Diskursteilnehmer, vor allem aber ihr sprachliches Wissen. Als ordnende „Bausteine unserer Weltsicht“, die die „vielfältigen sozialen Wirklichkeiten“ (Pielenz 1993: 103) konstruieren und konstituieren, verweisen Metaphern somit auf Mentalitäten, sie transportieren folglich das Wissen, die Vorstellungen, Erfahrungshintergründe und Bewertungsmöglichkeiten von Kollektiven, so dass deren Analyse wichtige Aufschlüsse über die unterschiedlichen Standpunkte im Diskurs und deren Motivation bieten kann. Hierzu wird die Metaphorik in jenen Textausschnitten des Korpus untersucht, die sich in engerem oder weiterem Sinne mit der Wechselwirkung von Presse und Sprache beschäftigen. (1) Im Mittelpunkt des Interesses steht zunächst die bildhafte Umsetzung des Denkens über die Presse und über die Sprache, es werden aber auch die Verfasser der Zeitungen und die Diskursteilnehmer selbst – sofern die kritische Betrachtung der Wechselwirkung von Presse und Sprache in den Texten Beachtung findet – als Zielbereiche in den Blick genommen. Aufgeführt werden nur dominante Metaphern, d.h. jene, die sich durch ihr quantitatives Vorkommen und ihre Prägnanz im Diskurs auszeichnen. (2) Anhand konzeptuell-semantischer Ähnlichkeiten werden die Metaphern gemäß ihrer Herkunftsbereiche gruppiert, subkategorisiert und untersucht, welche Funktion sie innerhalb des Diskurses einnehmen. Von Interesse ist hier vor allem, inwiefern sich Vernetzungen zwischen den Metaphernbereichen ergeben, da auch dies Aufschlüsse über die Wertvorstellungen der Diskursteilnehmer verspricht. (3) Ihrer zentralen Charakteristika gemäß lassen sich diese Metaphernbereiche klassifizieren in Organismus- und Substanzmetaphern wie in mystifizierende und artifizierende Metaphern. Gemeinsam ist diesen Metaphernklassen, dass sie eine sprachliche Einheit prognostizieren, die durch den Einfluss der Presse gefördert oder gefährdet werden kann (vgl. Pielenz 1993: 85f.).

126

Die Metaphorik des Diskurses

2. Metaphern im Diskurs 2.1 Die Sprache als lebendiger Organismus Oft ist die Sprache mit dem lebendigen Organismus verglichen worden, und dieser Vergleich trifft wunderbar zu auf die Entstehung, das Wachsthum, die Reife und leider auch auf den Verfall. Die Sprache wächst an Worten, kommt ins schönste Mannesalter und wird mit den Jahren schwach. (Brunner 1895: 9)

Wie Brunner beschreibt, ist die Vorstellung von der Sprache als einem lebendigen Organismus im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Tab. 12 zeigt, dass in mehr als der Hälfte aller betrachteten Dokumente (in 56,3%96) organische Bilder auf sprachliche und mediale Phänomene übertragen werden, wobei v.a. im ersten und zweiten Untersuchungszeitraum die Sprache mit einer lebendigen – ob menschlichen oder pflanzlichen – Gestalt verglichen wird. Diese Vorstellung von einer Entwicklung der Sprache, die „in ihren Fortschritten […] einen Gang [nimmt], der ebenso auf- und abgestuft ist wie die leiblich-geistige Entwicklung des Menschen“ (Wackernagel 1866: 14), hat ihren Ursprung in der Sprachkonzeption Herders, der in seinem Aufsatz Von den Lebensaltern der Sprache (vgl. Herder 1805: 115f.) ihre Entwicklung von der Kindheit über die Jugend und das Mannesalter zum Greisenalter nachzeichnet. Diese Einsicht in den unaufhaltsamen Wandel der Sprache von einem wilden Kind zu einem vergeistigten Greis wird auch von zahlreichen Diskursteilnehmern geteilt: Überall in der Sprache dasselbe allmähliche Zurückweichen der leiblichen, sinnlichen, bloss materiellen und dasselbe stets breitere Vordringen der geistigen Kraft, das wir nach der Jugend am Mannes- und Greisenalter gewahren; wie hier so dort ein Umschlag aus der zuerst gleichmässigen Wechselwirkung beider in ein Wirken fast nur von der einen, der geistigen Seite her. (Wackernagel 1866: 14)

Der lebendige Organismus der Sprache spalte sich in einen äußeren Teil, den dem Wandel unterworfenen und gelenkigen Sprachkörper oder -leib, und einen inneren Identitätskern, die Sprachseele und den Sprachgeist.

a. Die Gesundheit des sprachlichen Organismus a.1 Krankheit und Tod der Sprache Solange Sprachkörper und Sprachseele ein Gleichgewicht bilden, sei der sprachliche Organismus gesund, wird aber in den natürlichen Wandel der Sprache im Sinne ihrer

96

Da pro Untersuchungszeitraum eine unterschiedliche Anzahl an Dokumenten betrachtet wurde, empfiehlt sich – um die quantitative Verteilung der Metaphern in den drei Zeiträumen vergleichen zu können – eine Verteilung der Metaphorik in Prozent.

Metaphern im Diskurs

127

Lebensalter von außen eingegriffen, bestehe die Gefahr, dass der Leib und mit ihm die Seele der Sprache erkranken und letztlich sterben: Der Fall beleuchtet nur, grell, wie mit elektrischem Lichte, eine Gegend unseres Sprachlebens, also auch unseres Begriffs- und Geisteslebens, wo jetzt für Gesundheit eine Zersetzung eingetreten ist, die aus bloßer Störung des gesunden Blutumlaufs schon in eine Fäulnis übergeht; unser Sprachkörper zeigt sich hier und da schon voller Eiterbeulen, die denn auch den Sprachgeist und die Sprachseele mit ihrem Gift angreifen müssen. (Hildebrand 1867: 118)

Krankheit und Tod der Sprache können aber nicht allein durch äußere Einflüsse herbeigeführt werden, sondern seien in ihr als lebendiger Organismus angelegt. Besonders „der Uebergang in dieses Greisenalter mit seiner Dürftigkeit und Erstarrung in leiblichen, seinem Reichthum und seiner Beweglichkeit in geistigen Dingen“ (Wackernagel 1866: 35), in dem die Sprache an Vielfalt, Schönheit und Leben verliere, „kann, wie im Leben des einzelnen Menschen, so in dem der Sprache eine schwere Krankheit […] anmuthen“ (Wackernagel 1866: 35). Vor allem eine zunehmende Regelhaftigkeit und die Verbreitung der künstlich geschriebenen, starren, oftmals durch Phrasen geprägten Sprache auch im Gesprochenen wird als Gefahr für das Leben der Sprache erachtet, die ihren Tod schnell herbeiführen könne: Die Literatursprache nimmt nicht alles auf, was gesprochen wird; wo sie aber neuert, da geschieht es im Geiste der mündlichen Sprache. Die papierne erfindet und verbindet Worte, nicht nur wie sie nie und nirgend gesprochen werden, nein, wie man sie von frischen Leuten gesprochen sich auch nicht vorstellen kann. Jene ist künstlich, diese künstlich. Jene bedeutet ein höheres Leben der Sprache, diese ihren Tod. (Schröder 1888: 12)

a.2 Die Ursachen und Heilmittel der Krankheit Die von Schröder gepriesene Literatursprache, die „im Geiste der mündlichen Sprache“ (ebd.), also der lebendigen, vielfältigen Sprache agiere, werde – ebenso wie die gesprochene Sprache – vor allem durch die Presse, dem Sitz der Krankheit, angesteckt und dem Tode näher gebracht. Indem der Presse ein schweres Krebsleiden bzw. ein Krebsschaden, nämlich die „immer mehr überhand nehmende Stylverschlechterung“ (Lukas 1867: 123) prognostiziert und eine Ansteckungsgefahr für die Sprache angenommen wird, entwerfen einige Diskursteilnehmer ein existenzielles Bedrohungsszenarium für den Organismus der deutschen Sprache. Der Krebsschaden des Zeitungswesens, seine Krankheit liegt für die Diskursteilnehmer zunächst in der Organisation der journalistischen Arbeit begründet, denn der Journalist, der seine Karriere jung antritt, bringt nur halbe Kenntnisse mit, noch ist er nicht dazu gelangt, eigene Forschungen anzustellen, und doch verlangt man von ihm Schnelligkeit im Denken und Schreiben. Hier sitzt der Krebsschaden unseres Zeitungswesens, und aus diesem Hasten und Jagen entspringen Fehler, die unserem Zeitungswesen und dem Journalistenstande anhaften. Verlangte man weniger Schnelligkeit als Gründlichkeit, weniger Äußerlichkeit als Innerlichkeit. (Sabin 1893: 16)

128

Die Metaphorik des Diskurses

Hand in Hand gehen folglich die mangelnde journalistische Bildung und die durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Presse begründete Schnelligkeit und Oberflächlichkeit des Schreibens, die sich schließlich auf die Qualität der journalistischen Sprache auswirke. Weil die Unsitte der Raschschreiberei ansteckend wirkt und dabei alle Scheu und Hochachtung vor dem Genius und vor der Würde ihrer grammatischen und ästhetischen Gesetze verloren geht, daher diese Unreinlichkeit der Sprache und der beklagenswerthe Zustand. (Lukas 1867: 123)

Aus der mangelnden journalistischen (Aus-)Bildung und dem Zeitdruck ergebe sich eine weitere Ansteckungsgefahr für die Sprache, insofern die Krankheit der würdelosen Hast maskirt werden soll. Denn so hängt jene modische Gier nach der "schönen Form", wie es heisst, mit dem hässlichen Inhalt des jetzigen Menschen zusammen: jene soll verstecken, dieser soll versteckt werden. "Gebildet sein" heisst nun: sich nicht merken lassen, wie elend und schlecht man ist. (Nietzsche 1870–74: 334)

Die Presse sei nicht allein prunk- und neuerungssüchtig, möchte nicht allein „durch ungewöhnliche Formen der Rede einen vornehmen Schein […] geben“ (Lübben 1852: 347f.), sondern versuche in ihrer Sucht, möglichst viele Gedanken auf möglichst kleinem Raum auszudrücken, alles, „was sich als ein sich entwickelnder Vorgang, als ein Gedanke in einen Satz gehört, in ein Substantiv zusammenzupressen“ (Matthias, Th. 1892: 13). Die Krankheit der Presse wirke vor allem deswegen derart ansteckend auf die deutsche Sprache, so dass das „das Gute und Richtige wie verschüttet und begraben“ (Wustmann 1889: 419) sei, da „die Deutschen […] Lesen und Schreiben zu ihrer vornehmsten Beschäftigung […] machen […] und […] die Lese- und Schreibelust eine mit den Jahren zunehmende Krankheit“ (Walther1888: 330) sei, sich die Leser also unweigerlich an der krankhaften Sprache der Presse orientierten. Krankheits- und Todesmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

6/10 (60%)

3/10 (30%)

8/13 (61,54%)

2/2 (100%)

20/51 (39,22%)

8/25 (32%)

34/74 (45,95%)

13/37 (35,14%)

9/20 (45%)

10/15 (66,6%)

28/76 (36,84%)

47/103 (45,63%)

Tab. 11: Die Krankheits- und Todesmetaphorik im Diskurs.

Wie Tab. 11 zeigt, findet sich die Krankheits- und Todesmetaphorik in 45,6%, also fast der Hälfte der Dokumente des Diskurses, und dominiert in den die Presse überwiegend negativ einschätzenden Texten. Auch wenige der der Presse abwägend gegenüber stehenden Texte erkennen einen Krankheitszustand der Presse und der Sprache, betrachten diesen aber häufig weniger als Bedrohung denn vielmehr als Teil des natürlichen

Metaphern im Diskurs

129

Sprachwandels und widerlegen die von einem Großteil der Diskursteilnehmer geteilte Vorstellung von der Zeitung als Krankheitserreger oder Sitz der Krankheit. Diese weite Verbreitung der Krankheits- und Todesmetaphorik im Diskurs, die grundsätzlich eine für die Sprache ansteckende Krankheit der Presse diagnostiziert, verweist auf die Toleranz der Diskursteilnehmer gegenüber der Presse und ihre Einschätzung als ein für die Sprache schädlich wirkendes Element. Während Krebs ein Krankheitsbild mit zumeist tödlichem Verlauf ist, signalisiert jenes der Presse als Seuche, dass, um die Bedrohung abzuschwächen, ein gewisser Sicherheitsabstand einzuhalten sei. Auch wird das durch die Presse provozierte Leiden der Sprache durch die Mutationsmetaphorik als Subkategorie der Krankheits- und Todesmetaphorik als besonders schwer dargestellt. Das Einwirken der Presse bzw. ihre Ansteckungskraft und der dadurch bewirkte Sprachwandel werden gleichgesetzt mit Missbildung, Verstümmelung, Lähmung, Entstellung, Verunstaltung, Entartung oder auch Verrenkung. Ob dieses schweren Krankheitsbildes bedürfe es der Pflege der kranken Sprache durch Ärzte, die sie mit geeigneten Gegen- oder Heilmitteln – beispielsweise der Vermittlung der Notwendigkeit des Lesens von Büchern oder der stärkeren Förderung des Deutschunterrichts in der Schule – kurieren. Die beispielhaft aufgeführten, die Sprache ansteckenden Krankheiten der Presse – wie die zunehmenden Substantivierungen oder Phrasen, die aus dem Streben nach Kürze und vornehmem Schein entstehen, oder die vermeintlichen Fehlerhaftigkeiten, Neubildungen und Oberflächlichkeiten – tragen in den Augen der Diskursteilnehmer letztlich dazu bei, dass die Sprache schneller in die für das Greisenalter typische Erstarrung und Künstlichkeit verfalle. Das von der Presse herbeigeführte körperliche Leiden der Sprache bewirke ein früheres und schnelleres Altern, welches – ob der Schwere der Krankheitsbilder Krebs oder Seuche – schnell zum Tode führen könne.

b. Die Botanik der Sprache und Presse b.1 Der ‚Sprachgarten‘ Die Sprache wird im Diskurs nicht allein mit einem menschlichen oder tierischen Organismus verglichen, der sich an der Presse anstecken, durch sie erkranken oder sterben kann, sondern die Vorstellung von der Lebendigkeit der Sprache spiegelt sich auch in einer reichen botanischen Metaphorik wider. Die Sprache ist oft mit dem Pflanzenwuchs verglichen worden, und es ist das in der That der treffendste Vergleich. Dann ist der Sprachlehrer der Gärtner mit Bast und Schere, Rechen und Kanne. Unsre heutige Sprache aber macht täuschend den Eindruck eines Gartens, um den sich jahrelang kein Gärtner gekümmert hat. Die Beete sind zertreten, auf den Wegen wächst Gras,

130

Die Metaphorik des Diskurses

an Bäumen und Sträuchern wuchern zahllose wilde Schößlinge, schöne Blumen sind entartet, edle Fruchtbäume verkommen.97 (Wustmann 1891: 13)

Betrachtet man Wustmanns Vorstellung von der Sprache als einem Garten, so wird deutlich, dass sich dieser nicht gänzlich frei entfalten dürfe, sondern der (Sprach-)Pflege eines (sprachkritischen) Gärtners bedürfe, da natürliche Vorgänge seiner Schönheit Schaden zufügen könnten. Die Sprache als Garten erscheint somit gleichermaßen als Natur- wie Kunstprodukt. Das Naturprodukt, das durch natürliche Vorgänge – so das Wachsen des Grases oder das Wuchern wilder Schößlinge – oder künstliche Eingriffe – wie das Zertreten der Beete – bedroht werde, bedürfe der Kultivierung eines Gärtners, der gegen das wuchernde Unkraut vorgehe und so dem Naturprodukt Sprache zu seiner Vervollkommnung und vollen Entfaltung verhelfe. b.2 Von Schößlingen und Wucherpflanzen im Sprachgarten Als natürlicher Schädling, der im Garten der Sprache wuchere, wird von zahlreichen Diskursteilnehmern der Journalismus bezeichnet. Er sei wie eine Schling- und Wucherpflanze, die nicht allein die Sprache, sondern „unsre ganze, herrliche Literatur zu ersticken droht“ (Meinhold 1848: 51) und bald als alleiniges Bildungsmittel des Volkes diene. Ersticke der Journalismus „unsre ganze, herrliche Literatur“ (ebd.), so ersticke er jenes Element, das „ein höheres Leben der Sprache“ im Sinne Schröders (1888:12) fördert. Gerade die Sprache der Literatur könne – das Sprachverständnis Schröders vorausgesetzt – mit dem natürlichen Garten der Sprache, der einer künstlichen Pflege bedürfe, verglichen werden, insofern auch sie gleichermaßen Natur- und Kunstprodukt sei, sie trotz ihrer Künstlichkeit „im Geiste der [natürlichen] mündlichen Sprache“ (ebd.) agiere. Die bildliche Darstellung der Presse als eine Schling-, Wucher- oder auch Schmarotzerpflanze, deren Same im gesamten Sprachgarten aufblühe oder die überall üppige und geile Schößlinge werfe, verdeutlicht die immense Kraft, die in den Augen der Diskursteilnehmer auf die Sprache wirkt. Diese Kraft ergebe sich aus der weiten Verbreitung und Dominanz des Zeitungswesens, die letztlich Auswirkungen auf die gesamte Sprache und ihre Vielfalt habe, insofern die Pflanze des Journalismus den ganzen Sprachgarten überwuchere. Andere Pflanzen wie beispielsweise die Literatursprache verlieren durch die Presse ihre Lebenskraft, da „der fruchtbare Same des Unsinns auch bald in den Styl unserer besten Schriftsteller hinüber getragen [wird], und dort wirklich schon in einzelnen Exemplaren bedrohlich auf[blüht]“ (von Wolzogen 1880: 33). Die Folge sei, dass der Sprachgarten zunehmend verfalle, verwildere und verrotte, aber auch verarme, da er durch die Dominanz der medialen Wucherpflanze seiner blühenden Pflanzenvielfalt beraubt werde. Die Presse erscheint im Diskurs aber nicht allein als Pflanze im Garten der Sprache, sondern auch selbst als Garten bzw. als ein Beet innerhalb des Sprachgartens mit seiner 97

Kursive Hervorhebungen sind nicht Eigenart des Textes Wustmanns, sondern Hervorhebungen der Verfasserin der vorliegenden Untersuchung.

Metaphern im Diskurs

131

„groteske[n] Flora der Zeitungsblumen“ (Kürnberger 1876: 9), auf dem „unglückliche Redensart[en] […] bereits auf das Ueppigste wucher[n]“ (von Wolzogen 1880: 33) und deren Samen dann in den weiten Garten der Sprache hinübergetragen werden: Aus dem Garten oder Beet der Presse käme immer „wieder ein neues Ungeziefer ausgekrochen“ (Kürnberger 1866: 31), in ihm schieße das Unkraut – beispielsweise „Und-Fehler“ (Lehmann 1878: 98) oder „unkonstruierbare Partizipien“ (Matthias, Th. 1892: 345) – in die Höhe, „unter dessen Weiterwuchern unser Satzbau geradezu zu verwildern droht“ (ebd.). Eine Maßnahme, um das Übergreifen des Unkrauts auf dem Beet der Presse auf den restlichen Sprachgarten zu vermeiden sei es, das „üppig ausschießende Unkraut auszujäten“ (ebd.) und derartige „Auswüchse des Sprachlebens zu beschneiden“ (Dunger1893: 129) In wenigen Dokumenten erscheint die Presse auch als Gewalt, die von außen auf den Garten der Sprache eindringe, Schädlinge – wie beispielsweise Fremdwörter – einschleppe oder die in ihrem Streben nach Kürze „die deutschen Wörter von allen Seiten“ (Schopenhauer 1851a: 578) beschneide und so überall Verwüstung anrichte, die schnell zum Verfall führen könne.

c. Die Gefährdung des sprachlichen Organismus Die vorangehenden Betrachtungen haben ergeben, dass die Diskursteilnehmer vor allem einen Einfluss der Presse auf die deutsche Sprachentwicklung bemerken, der – sofern der Sprache Eigenschaften eines pflanzlichen oder menschlichen Organismus zugeschrieben werden – überwiegend negativ markiert ist. Die Presse selbst sei von schweren Krankheiten gezeichnet, die höchst ansteckend für den sprachlichen Organismus seien und sich wie eine Seuche schnell verbreiteten, oder sie wird mit einer schnell und überall wuchernden Pflanze verglichen. Beiden Konzepten ist gemein, dass sie einen großen Einfluss der Presse beschreiben, der in ihrer weiten und schnellen Verbreitung begründet ist. Als die Sprache ansteckend oder überwuchernd werden das Streben nach Kürze, die Sucht, mehr Schein als Sein ausdrücken zu wollen oder die sprachliche Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit empfunden, die aus den spezifischen Produktionsbedingungen hergeleitet werden – in kürzester Zeit mit den geringsten Mitteln auf engstem Raum die größtmögliche Wirkung und den höchstmöglichen finanziellen Gewinn zu erzielen. Nicht der Sprachwandel an sich wird hier als bedrohlich empfunden – denn dieser sei Teil des Lebens der Sprache und durch pflegerische Maßnahmen ggf. zu beschränken – sondern die Schnelligkeit, mit der sich die Sprache unter Einwirkung der Presse verändere. Diese Schnelligkeit – der kaum ein Arzt oder Gärtner gewachsen sei – ist es, die zu einer nicht heilbaren Erkrankung der Sprache, zu ihrem frühzeitigen Altern, ihrer Erstickung oder ihrem Verfall führe. Dass jegliche Veränderungen als besonders bedrohlich für das Leben der Sprache eingestuft werden, ließe sich durch die Funktion der Sprache als Identitätssymbol bzw. Identifikationsmoment erklären. Eine Bedrohung des Lebens der Sprache führt folglich

132

Die Metaphorik des Diskurses

eine Bedrohung des eigenen Lebens mit sich. Vor allem die Organismusmetaphorik lässt demnach auf eine enge emotionale Bindung der Diskursteilnehmer mit ihrer Sprache schließen. Anders als die Krankheits- und Todesmetaphorik ist die Organismusmetaphorik, da sie diese existenzielle Bedeutung der Sprache für das menschliche Leben suggeriert, unabhängig von den Einstellungen gegenüber der Presse im Diskurs verbreitet (vgl. Tab. 12). Organismusmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

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neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

5/10 (50%)

7/10 (70%)

9/13 (69,23%)

2/2 (100%)

23/51 (45,09%)

12/25 (48%)

37/74 (50%)

21/37 (56,76%)

12/20 (60%)

11/15 (73,33%)

35/76 (46,05%)

58/103 (56,31%)

Tab. 12: Die Organismusmetaphorik im Diskurs.

d. Die Militarisierung des Sprachwandels Dass das Lebewesen Sprache durch verschiedene Einflüsse, v.a. durch die Presse, bedroht sei, dass sie verhunzt98 werde, zeigt die im Diskurs stark ausgeprägte Kriegs- und Gewaltmetaphorik (vgl. Tab. 13), die oftmals gemeinsam mit der Krankheits- und Todesmetaphorik Verwendung findet, insofern Sprachkörper, -geist und -seele beispielsweise von Krankheiten angegriffen würden (vgl. Hildebrand 1867: 118) oder die Sprachentwicklung als ein „fortwährender Kampf […] zwischen dem schöpferischen Naturtrieb der Sprache selbst und – dem Unterricht“ (Wustmann 1891: 11) erscheine. Diese Überblendung der beiden Metaphernbereiche verstärkt die Wahrnehmung des durch äußere Einflüsse beschleunigten Sprachwandels als etwas Gefährliches oder Bedrohliches. Kriegs- und Gewaltmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

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6/10 (60%)

6/10 (60%)

9/13 (69,23%)

2/2 (100%)

22/51 (43,14%)

13/25 (52%)

37/74 (50%)

21/37 (56,76%)

12/20 (60%)

11/15 (73,3%)

35/76 (46,05%)

58/103 (56,31%)

Tab. 13: Die Kriegs- und Gewaltmetaphorik im Diskurs.

98

Da verhunzen, das „neuhochdeutsch zu Hund gebildet [wird] wie entsprechendes schwäb. (ver)hundaasen zu Hunde-Aas […], ‚mißhandeln, verächtlich behandeln‘, eigentlich ‚behandeln wie einen Hund‘“ (Kluge 2002: 427) bedeutet, wurde es der Gewaltmetaphorik zugeordnet.

Metaphern im Diskurs

133

Die Presse erscheint den Diskursteilnehmern als eine mächtige Armee mit einer zerstörenden Kraft, die in immer weitere Kreise vordringe, die Sprache mit ihrer Zerstörungswut bedrohe, verletze und misshandele. Oder sie wird gleichgesetzt mit einem Heer der Tageschreiber, die in hastiger Zeilenarbeit aus französischen und englischen Zeitungen, Romanen und Dramen massenhaften Lesestoff täglich in Haus und Hütte auswerfen, der fremde und schlechte Wörter, grammatische Fehler, krüppelhafte Nachbildungen fremder Satzformen, halb oder gar nicht gegorene Gedanken wie eine Zuchtbrut von Bacillen in die Flüsse und Bäche des deutschen Lebens verbreitet. Das Sprachgefühl ist in traurigster Art selbst bei vielen Gebildeten verloren gegangen, wie die Unsicherheit über den richtigen Sprachgebrauch, der wir so häufig begegnen, und die greulichen Fehler, die unsere Zeitungen ausspeichern, beweisen. (Heintze 1900:1)

Dieses von Heintze beschriebene „Heer der Tagesschreiber“ dringe gewaltsam in den Sprachgarten ein, vernichte alles Schöne, Blühende und erobere ihn mit seinen „fremde[n] und schlechte[n]] Wörter[n], grammatische[n] Fehler[n], krüppelhafte[n] Nachbildungen fremder Satzformen, halb oder gar nicht gegorene[n] Gedanken“ (ebd.). Auch wird die Presse mit einer Waffe des „zeitgenössischen Fortschritts“ verglichen, die alles niederschmettern könne und Lesen wie Schreiben zwar quantitativ, nicht aber qualitativ gesteigert habe: Tiefer blickende Geister haben in der That schon vor Menschenaltern die zweischneidige Natur der Hauptwaffe zeitgenössischen Fortschrittes erkannt. Länger als ein Jahrhundert ist es her, dass Justus Möser die Deutschen davor warnte, Lesen und Schreiben zu ihrer vornehmsten Beschäftigung zu machen, und daß er die Schreibelust eine mit den Jahren zunehmende Krankheit nannte. Mit direkter Beziehung auf das, was er selbst gesehen und gehört, führte um die Wende des Jahrhunderts Goethe „das Allerschlimmste“ auf das „Lesen der Journale“ zurück. (Walther 1888:330)

Da „in der zu riesigem Umfang angeschwollenen Tagespresse für unsere Sprache eine Gefahr erwachsen“ (Wustmann 1891: 23) und mit der Sprache als Symbol der nationalen Identität auch die Nation gefährdet sei, so ist jedes Volk noch eigens verpflichtet, seines Nationalgeistes bewußt zu bleiben, den besten bei ihm vorhandenen Mustern sich anzuschließen, der Verunreinigung seiner Sprache zu wehren, die Veredlung derselben zu fördern. (Keller 1879: 8)

Während in der ersten Jahrhunderthälfte noch beklagt wird, dass „unter den namhaften und wohldenkenden Männern der Gegenwart so wenige unserm literarischen Pöbel kühn entgegentreten, sondern feige vor der Schand- und Lügenpresse des Tages das Gewehr strecken und verstummen“ (Meinhold 1848: 5), wird spätestens im letzten Untersuchungszeitraum größtenteils „der Kampf gegen jenen Unfug […] zugleich [als] der Kampf für die Schönheit unsrer Sprache selbst“ (Riegel 21888: 1) empfunden und die Sprache von Rittern wie beispielsweise Gustav Wustmann verteidigt: Unsere hehre Muttersprache wird einen Trost über den Verlust eines ihrer treuesten Ritter in dem kampffrohen Nachfolger finden, der jetzt mit blanker Rüstung ins Blachfeld reitet, um

134

Die Metaphorik des Diskurses

ihre Feinde niederzuwettern und manch eklen Lindwurm, der sich geisternd gegen sie aufbäumt, mit den Hufen seines Rosses zu zerstampfen. (Schmits 21901: 5)

Nur wenige der Presse überwiegend abwägend eingestellte Texte bedienen sich der Kriegs- und Gewaltmetaphorik, um den Einfluss der Presse auf den Sprachwandel positiv zu zeichnen und den Angriff der Sprachreiniger auf die Zeitungen als Hauptdeutschverderber als ungerechten Vernichtungskrieg abzuwehren. In diesen wenigen Fällen wird das Vordringen der Presse in weite Volkskreise vor allem als förderlich für die Verbreitung einer allen verständlichen Sprache erachtet, als bereichernd für den Garten der Sprache: So dringt der schriftmäßige Ausdruck durch tausend und aber tausend Adern in Theile des Volkes hinein, die sonst keine Bücher, als höchstens die Bibel zu sehen bekommen. Diese wurde höchstens alle Sonntage mal aufgeschlagen und dann mehr andächtig beschaut als gelesen; die Zeitung liest man alle Tage, oder wenigstens die Woche einige Male, und schon ist überall dahin gekommen, daß nicht mehr eine Zeitung einem Orte genügt, sondern es werden selbst in den kleinsten Dörfern mehrere gehalten, die dann auch in ganz natürlicher Folge allmählig eine neben der andern von denselben Leuten gelesen werden, die ohne sie wahrscheinlich schon lange vergessen hätten, daß sie einmal in der Schule lesen gelernt haben sollten. (Rückert 1864: 111)

e. Die Presse als Nahrungsmittel Ein Metaphernkonzept, das weniger auf die Wechselwirkung zwischen Sprache und Presse als vielmehr auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Presse Bezug nimmt, ist das vor allem im zweiten Untersuchungszeitraum weit verbreitete der Nahrungsmetaphorik (vgl. Tab. 14). Nahrungsmittel Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

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negativ

neutral

negativ

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negativ

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2/10 (20%)

6/10 (20%)

7/13 (53,85%)

/

9/51 (17,65%)

1/25 (4%)

18/74 (24,32%)

7/37 (18,92%)

8/20 (40%)

7/15 (46,66%)

10/76 (13,16%)

25/103 (24,27%)

Tab. 14: Die Nahrungsmetaphorik im Diskurs.

Indem vertraute Konzepte der Nahrung bzw. der Nahrungsaufnahme auf den Zielbereich Presse übertragen werden, veranschaulichen die Diskursteilnehmer, wie sie die Wirkung der Presse einschätzen. Wird die Presse als heilloses Naschwerk bezeichnet, das den Durst des Augenblicks stille und durch das sich die Menschen vergiften „anstatt [ihren] unsterblichen Geist zu speisen“ (Meinhold 1848: 52), verbildlichen die Diskursteilnehmer, welch betörende, abhängig machende Wirkung die Zeitung in ihren Augen auf ihre Leser ausübt. Obwohl Nahrung eigentlich grundlegend ist, um einen Organismus aufzubauen und am Leben zu erhalten, erscheint die Presse als giftiges Nahrungs-

Metaphern im Diskurs

135

mittel, das dem Leben eher schadet als nutzt, sofern es alleiniges Sättigungsmittel ist. Als problematisch erachten die Diskursteilnehmer, „daß diese hastig bereitete und hastig verschlungene Speise zum geistigen Hauptnahrungsmittel der Menschen wird“ (Walther 1888: 329), denn „schlecht verdaut, vermag auch der gesundeste Nahrungsstoff seinen Zweck nicht zu erfüllen“ (Walther 1888:334). Unverdaut sei auch ihr Sprachgebrauch, der „eine unvermittelte Mischung von unverdauten Resten des volksmäßigen Deutsch und unverdauten Bruchstücken höhern Stils in Syntax und Wortvorrat“ (Hildebrand 1867:70) zeige und einem einfachen Rezept folge: „Das neue Rezept lautet so: Nimm eine ganze Phrase, bilde daraus ein Verbum, setzte die Endung -ung an und das schönste Abstraktum der Welt ist fertig“ (Lübben 1852: 343). Auch vermitteln die Diskursteilnehmer mittels der Nahrungsmetaphorik den Eindruck, dass sich die Presse aufgrund der spezifischen Produktionsbedingungen nur oberflächlich ihrer sprachlichen und inhaltlichen Gestaltung widmen könne und ihnen der einfachen Rezepten folgende Sprachgebrauch der Zeitung als unverdaut erscheint. Da sie den Durst des Augenblicks zu stillen vermöge, folglich den Anforderungen ihrer Leser nach schneller wie aktueller Information und Unterhaltung gerecht werde, sei sie zum dominanten Bildungs- oder Nahrungsmittel geworden, das zunehmend andere verdränge. Als gefährlich erachten die Diskursteilnehmer für die sprachliche und geistige Bildung, dass ein Naschwerk, welches man gelegentlich genießen könne, zu einer nur hastig verschlungenen und schlecht verdauten, d.h. oberflächlich rezipierten Hauptspeise werde, wodurch der nicht mehr mit allen notwendigen Nährstoffen versorgte Organismus an Körper und Geist kranke.

f. Die sprachliche ‚Einkleidung‘ Dieser durch die Nahrungsmetaphorik zum Ausdruck gebrachte Eindruck der Diskursteilnehmer von einem zunehmenden Verlust der Sprachvielfalt und -qualität, dem jener des Denkvermögens, d.h. der geistigen Kraft folge und der sich letztlich auf die Stärke der Nation auswirke, wird in einigen Texten (vgl. Tab. 15) auch durch die Kleidermetaphorik veranschaulicht. Kleidermetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

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3/10 (30%)

3/10 (30%)

7/13 (53,85%)

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4/25 (16%)

18/74 (24,32%)

8/37 (21,62%)

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8/15 (53,33%)

12/76 (15,79%)

26/103 (25,24%)

Tab. 15: Die Kleidermetaphorik im Diskurs.

Auch wird die bereits oben betrachtete Auffassung von einem lebendigen Organismus, dessen konstantes Inneres und wandelbares Äußeres ein Gleichgewicht bilden sollten,

136

Die Metaphorik des Diskurses

durch die bildliche Übertragung von typischen Eigenarten der Kleidung auf Sprache und Presse verdeutlicht. So sollten der innere, konstante Identitätskern und das dem Wandel wie der Mode unterworfene äußere Gewand der Sprache in Einklang miteinander stehen. In diesem Konzept kommt auch die Vorstellung zum Tragen, dass Denken – als innerer Vorgang – und Sprechen – gleichermaßen als Träger und Ausdruck des Denkens – einander entsprechen sollten, dass das Denken eine passende sprachliche Einkleidung finden solle, das ihm gut stehe. Ein zerrissenes Denken könne so zu Rissen im Kleide der Sprache führen, die – sofern sie nicht mehr zu flicken seien – sich wiederum auf das Denken auswirkten, das noch löchriger werde. Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher als die des Leibes. Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen. […] Wer etwas Sagenswerthes zu sagen hat braucht es nicht in preziöse Ausdrücke, schwierige Phrasen und dunkle Allusionen zu verhüllen. (Schopenhauer 1851a: 561f.)

Diese wechselseitige Einflussnahme des Denkens und Sprechens, die als steter Kreislauf zu verstehen ist, habe letztlich nicht allein Auswirkungen auf die Identität und geistige Stärke des Einzelnen, sondern auf die der gesamten Nation, denn das spezifisch nationale Gedankengut bedürfe einer Einkleidung, die den Eigenarten des Volkes entspreche, insofern „die unzerstörbare Einheit des deutschen Wesens, der innerste Kern seiner unendlichen äußeren Mannigfaltigkeit in [der Sprache] seinen nächsten und deutlichsten Ausdruck gefunden [hat]“ (Rückert 1864: 92). Der Mensch offenbart das innere Leben seiner Seele dem Menschen, und nichts ist mehr als die Sprache ein Band der Gemeinschaft, mag diese in engeren oder weiteren Kreisen gedacht werden [...] die Einheit des Volkes hat ihren vornehmlichsten Ausdruck in der Sprache. (Wiese 1859: 10)

In diesem Sinne habe „jede Sprache […] ihre Eigenthümlichkeiten, die durch die Übertragung in eine andere verloren gehen, und die beste Übersetzung gleicht einem gewendeten Kleide, dem das Feine, Glänzende und Weiche der andern Seite fehlt“ (von Steigentesch 1812: 197). Die Vielfalt des menschlichen Lebens und Denkens erfordere aber auch ein Umkleiden der Sprache, insofern sie sich den neuen kommunikativen Anforderungen ihrer Sprecher anpassen müsse: Mag eine Sprache noch so reich an Wörtern sein, diese genügen bei weitem nicht, die ganz unendliche Masse von Vorstellungen, von Anschauungen, deren der Mensch fähig ist, vollgültig auszusprechen. Diese Mängel sind es, nach deren Beseitigung die sprechende Menschheit unablässig ringt. Neues wird zum erstenmale mit sprachlichem Gewande begabt, alte Begriffe werden von einer neuen Seite beleuchtet, allgemeine Ausdrücke erfahren nähere Bestimmung, Undeutliches wird deutlicher bezeichnet. (Behaghel 1894: 21)

Trotz dieser Einsicht, dass sich die Sprache ein neues Gewand anlegen müsse, d.h. wandelbar sein müsse, wird vor allem die Bedeutung der Presse für das Kleid der Sprache sehr kritisch betrachtet, da in ihr „unsere deutsche Sprache oft geradezu einem bunten Bettlermantel gleicht“ (Becker 1848: 153). Dieser bunte Bettlermantel der Sprache in der Presse, der in „Farbe, Form, Einkleidung, Redeweise unendlich variiert“

Metaphern im Diskurs

137

(Lukas 1867: 9), sei zusammengeflickt aus „unverdauten Resten des volksmäßigen Deutsch und unverdauten Bruchstücken höhern Stils in Syntax und Wortvorrat“ (Hildebrand 1867: 70). Auch wird der Presse vorgeworfen, dass ihr äußeres sprachliches Kleid nicht dem inneren Gehalt entspreche, sondern dass sie vielmehr durch die „Gewöhnung, die Gedanken oder die Gedankenlosigkeit zu maskieren, […] eine immer mehr um sich greifende stylistische Manier begünstigt“ (von Wolzogen 1880:9), nämlich „die natürlichen Haare wie eine Perücke aufzustutzen, das Alltägliche in hohe Redensarten einzumummen, von denen man nicht lassen zu können glaubt und ohne welche allerdings, die Blößen sich schneller kundgeben würden“ (Auerbach 1846: 217). Als Ursachen dieser Entwicklung werden der Autoritätsglauben des lesenden Publikums an die Presse wie die oberflächliche Rezeptions- und Produktionsweise der Zeitung genannt, die weitreichende Folgen für die sprachliche und geistige Einkleidung hätten: Um an dieser Stelle einen Sprung zu den Zeitungs-Lesern hinüber zu thun, sei bemerkt, wie man schablonenmäßig schreiben, man auch schablonenmäßig lesen kann. Und so geschieht es – wenigstens bei uns zu Lande. Man hört nicht mehr das Aechzen der deutschen Sprache, die in den spanischen Stiefeln eines grausamen Stils kläglich dahinhumpelt, man fühlt nicht mehr, daß man fortwährend vor falsch gebrauchte Wort-Bilder gestellt, mit unklar gesehenen Anschauungen irregeleitet wird, man begnügt sich mit dem wohligen Bewusstsein, daß man „seine Zeitung“ versteht. (Wildenbruch in Bulthaupt 1891: 46)

Mittels der Kleidermetaphorik gelingt es den Diskursteilnehmern zu veranschaulichen, wie die Presse in ihren Augen in den Kreislauf von Denken und Sprechen hineingreift. Insofern das Denken der Presse, ihr Gehalt zwar vielfältig, aber oberflächlich sei, erscheint ihre Sprache in einem bunten Bettlermantel, der den Eindruck von einer quantitativen statt qualitativen Sprache impliziert. Gleichzeitig würden die natürlichen Haare wie eine Perücke aufgestutzt, um die Nichtigkeit der Inhalte durch eine elegante Sprache zu maskieren. Denken und Sprechen stünden somit nicht mehr in Einklang zueinander. Das Publikum werde sich, da es die Zeitung ebenfalls nur oberflächlich rezipiere, dieser mehr Schein als Sein vortäuschenden Eigenart der Zeitung nicht bewusst, sondern orientiere sich an der Zeitung: Der stereotype Gedankengang, dem die Masse des Publikums dabei gehorcht, ist, da er aus der geruckten Weisheit der Zeitung stammt, gleichfalls schriftdeutsch vorgezeichnet und läßt sich nicht mehr, am wenigsten von der Masse des Publikums, dieses seines Gewandes entkleiden. (Rückert 1864: 112)

Der Sprachgebrauch der Zeitungen hinterlasse auf diese Weise nicht allein Flecken auf dem Gewand der Sprache, sondern wirke sich gleichermaßen auf das Denkvermögen aus, das Risse bekomme.

g. Die ‚Knechtung‘ der Sprache Wie die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, sind der metaphorische Vergleich der Sprache mit einem lebendigen Organismus, der vor allem die enge – auf einer Identifi-

138

Die Metaphorik des Diskurses

kation mit und über Sprache beruhende – emotionale Bindung der Sprecher bzw. Diskursteilnehmer zur Sprache zum Ausdruck bringt, und die Kriegs- wie Krankheitsmetaphorik geeignete Mittel, um eine vermeintlich große Bedrohung der Sprache durch einen zu schnellen Wandel zu veranschaulichen. Besonders hervorgehoben werden diese Bedeutung der Sprache und ihres Wandels für das menschliche Leben und das als Hierarchie zwischen Sprache und Presse verstandene (Wechsel-)Verhältnis auch durch die sich in ca. 30% der Dokumente explizit findende Knechtschaftsmetaphorik (vgl. Tab. 16). Knechtschaftsmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

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4/10 (40%)

4/10 (40%)

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2/2 (100%)

12/51 (23,53%)

5/25 (20%)

20/74 (27,03%)

11/37 (29,73%)

8/20 (40%)

6/15 (40%)

17/76 (22,37%)

31/103 (30,1%)

Tab. 16: Die Knechtschaftsmetaphorik im Diskurs.

Die Sprache wird einerseits „unter allen irdischen Mächten“ (Rückert 1864: 91) als „die umfassendste und kräftigste, die eigentliche Gebieterin des ganzen menschlichen Daseyns“ (ebd.) verstanden, die „um so mächtiger [wirkt], je weniger sich das Individuum von selbst bewußt wird, daß es in fortwährender Dienstbarkeit ihren Geboten hingegeben ist“ (ebd.). In diesem Verständnis bildet sie die Grundlage für das menschliche Leben, da allein durch sie das Leben wahrgenommen und im geistigen Austausch verarbeitet werden könne. „In so eminentem Sinne [ist sie] die Schöpferin und Beherrscherin der geistigen Lebensthätigkeit des Einzelnen und des Ganzen, das sich aus Einzelnem zusammensetzt“ (Rückert 1864: 92) und alles zusammenhält. Mehrfach wird im Diskurs diese Herrschaft der Sprache, die schöpferisch wirke und das Individuum dienstbar mache, als ursprüngliches Ideal betrachtet, das durch moderne Entwicklungen verloren gegangen sei. Die Sprache werde im Zeitalter der Industrialisierung nicht mehr als schöpferisches Kunstwerk betrachtet, das seinen Zweck in sich selbst trägt, sondern unseren mehresten Deutschen, ist sie blos ein nüzliches und nuzbares Werkzeug [um] Gedanken und Empfindungen auszusprechen. Sie sehen in ihr nur eine dienstbare Magd des Verstandes und der Gelehrsamkeit, die sich blindlings dem Willen und der Laune des Schreibenden und Sprechenden bequemen mus. (Kolbe 1823: 203)

Die Sprache werde folglich zunehmend dem Verstand des Schreibenden und Sprechenden unterknechtet, werde nun selbst dienstbar zum bloßen Gedankenausdruck bzw. leiste ihre Dienste als bequeme[s] Verkehrsmittel des modernen, materialistischen Alltagstreibens […] dem Reporterwesen unserer Journale, der widerwärtigen Börsenmaklerei, der formlosen parlamentari-

Metaphern im Diskurs

139

schen Diskussion und jener hohlen Phraseologie der undeutschen Geselligkeit des Salons. (von Wolzogen 1880: 69).

Durch diese Unterknechtung unter das schnelllebige Industrialisierungszeitalter werde die Sprache Mittel zum Zweck, verliere ihren Selbstzweck und die Fähigkeit, „dem dichterischen Empfinden, Denken und Schauen die entsprechende, natürlich gewachsene Form zu geben“ (von Wolzogen 1880: 69). Das Nebeneinander von Knechtschaftsmetaphorik – die Sprache als dienstbare Magd – und artifizierender Metaphorik – die Sprache als Werkzeug –, das den zunehmenden Verlust des Lebens und der Freiheit der Sprache bis zu ihrer endgültigen Erstarrung und Artifizierung bildlich umsetzt, gibt Aufschluss darüber, dass sich die Diskursteilnehmer nicht allein eines Sprachwandels, sondern auch eines sich ändernden Verständnisses von Sprache gewahr wurden und – wenigstens teilweise – einen Verlust der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten befürchteten. An Lebenskraft und Selbstbestimmung verliere die Sprache zunehmend durch die Herrschaft der Feder, der im gesamten Leben mehr und mehr Platz eingeräumt werde. Schuld an der gesteigerten Schrift- und Sprachproduktion, unter der die Qualität der Sprache leide, da sie an Vielfalt verliere, an Oberflächlichkeit aber gewinne, seien unter anderem die Journalisten als Sklaven des Tages, die an die Kette des Augenblicks gebunden seien: In der Journalistik nämlich fließen die beiden Richtungen zusammen: Erweiterung und Verminderung der Bildung reichen sich hier die Hand; das Journal tritt an die Stelle der Bildung [...] Im Journal kulminiert die eigenthümliche Bildungsabsicht der Gegenwart: wie ebenso der Journalist, der Diener des Augenblicks, an die Stelle des großen Genius, des Führers für alle Zeiten, des Erlösers vom Augenblick, getreten ist. (Nietzsche 1872: 194)

Die Vorherrschaft schlechten sprachlichen Geschmacks und oberflächlicher Scheinbildung – wie sie Nietzsche kritisiert – habe ihre eigentliche Ursache in der Knechtschaft des Massenwesens, denn „immer größer wird der Einfluss der Massentriebe, der Massenintelligenz, der Massengeschicke auf das Leben des Einzelnen“ (Löbl 1903: 22). Die Tagespresse sei lediglich Werkzeug dieses modernen Massenwesen, die aber Sprache und Intelligenz der Massen tyrannisiere. Vor allem mittels der Knechtschaftsmetaphorik wird die sich veränderte Stellung der deutschen Sprache zum Ausdruck gebracht, die durch die Dominanz der Presse von der Gebieterin des Lebens zu dessen Dienerin degradiert werde, wodurch sie an Lebendigkeit, Selbstbestimmung und Vielfalt verliere. Diese Entwicklung lasse sich durch den zunehmenden „Einfluss der Massentriebe“ erklären, in welchem der Einzelne Diener aller werde, bzw. das Subjekt dem Objekt diene. Die Presse selbst sei Handlangerin des modernen Massenwesens, trage aber durch ihre Herrschaft der Feder entscheidend dazu bei, die Sprache zu unterknechten.

140

Die Metaphorik des Diskurses

h. Die ‚Ahndung‘ der ‚Verstöße‘ der Presse Mit der Rechtsmetaphorik bietet sich den Diskursteilnehmern ein geeignetes Mittel, um die Wirkungen der Presse als legitim oder illegitim darstellen und ihre Akzeptanz zum Ausdruck bringen zu können. Zwar ist dieser Metaphernbereich im Diskurs weit verbreitet, bezüglich der Wechselwirkung von Presse und Sprache finden sich aber nur einige wenige, dafür sehr dominante Metaphern (vgl. Tab. 17). Rechtsmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

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2/10 (20%)

4/13 (30,77%)

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7/25 (28%)

16/74 (21,62%)

9/37 (24,32%)

2/20 (10%)

4/15 (26,7%)

19/76 (25%)

25/103 (24,3%)

Tab. 17: Die Rechtsmetaphorik im Diskurs.

Wie die Betrachtung der unterschiedlichen Metaphernbereiche ergeben hat, wird die Presse zumeist als für die Sprache bedrohliches Medium empfunden, dessen Vergehen nicht ungeahndet bleiben dürfe. Angeklagt werden solle die Presse vor allem wegen ihrer zahlreichen Verstöße gegen die Regeln und Gesetze der deutschen Sprache. Sprachanwälte wie der häufig zitierte Gustav Wustmann klagen, dass seit mehr als einem Menschenalter […] in unserer Sprache eine Macht am Werke [ist], die schon unsäglichen Schaden angerichtet hat und auch ferner anrichten wird: Die Tagespresse. Die Hauptursache der Verwilderung unserer Sprache, der eigentliche Herd und die Brutstätte dieser Verwilderung sind die Zeitungen, ist die Tagespresse in der Gestalt, die sie seit Einführung der Preßfreiheit hat. (Wustmann 1891: 14)

Hauptangeklagte seien nicht allein die Zeitungen, sondern auch ihre Verfasser, die u.a. der Sprachkorruption bezichtigt werden und bestraft werden sollten. Auch die Rechtsmetaphorik verdeutlicht, dass die Toleranz gegenüber der Presse nicht sonderlich groß ist. Nur wenige Diskursteilnehmer verteidigen die Zeitung als ein typisches Medium der modernen schnelllebigen Zeit, die deren Entwicklungen widerspiegelt und aufgrund besonderer Produktionsbedingungen auch sprachliche Spezifika entwickelt. Als Spiegel ihrer Zeit verstehen sie das Fehmgericht über die Zeitungen als falsche Schuldzuweisung, die die Zeitung zu Unrecht zu einem Sündenbock für alle Missstände der Gesellschaft und Sprache mache: [10.2] Die Sprache ist uns zumeist gerade nur gut genug, um recht und schlecht unsere Gedanken oder auch Gedankenlosigkeiten zum Ausdruck zu bringen, die Wenigsten aber denken heute noch daran, die Sprache als den reichen Schatz formaler Schönheiten zu ehren und zu pflegen, die Handhabung der Sprache als Kunst zu üben. Wir müssen endlich in uns gehen und so rasch als möglich Wandel schaffen. [10.3] Der schlechteste Weg aber hiezu ist es, die armen Zeitungen zum Sündenbock zu machen und mit pharisäischem Augenaufschlag zu rufen: „Herr, ich danke, dir, dass ich nicht bin wie Jene.“ (Löbl 1892: 339, [10.3])

Metaphern im Diskurs

141

2.2 Die Artifizierung der Sprache Während mittels der Organismusmetaphorik die Sprache bildlich als ein – bis zu einem gewissen Grade – selbstständig agierendes Lebewesen bzw. als ein eigenständig wachsender pflanzlicher Organismus umgesetzt wird, wird die Sprache durch die Übertragung artifizierender Bilder (vgl. Tab. 18) als ein von außen konstruiertes System dargestellt. Gemein ist beiden Metaphernbereichen, dass die Sprache als ein in sich geschlossenes, einheitliches System verstanden wird, das einen idealen Zustand erreichen kann und anfällig auf äußere Einflüsse und Entwicklungen reagiert. Artifizierende Metaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

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7/10 (70%)

2/10 (20%)

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1/2 (50%)

15/51 (29,41%)

8/25 (32%)

32/74 (43,24%)

11/37 (29,73%)

9/20 (45%)

11/15 (73,3%)

23/76 (30,26%)

43/103 (41,75%)

Tab. 18: Verteilung der artifizierenden Metaphorik im Diskurs.

a. Der ‚Sprachschatz‘ Dass die Sprache in ihrer Wechselwirkung mit der Presse als ein künstliches Gebilde in positivem Sinne konzipiert wird, ist im zu untersuchenden Diskurs äußerst selten. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass die Vorstellung von der Sprache als einem reichen Schatz formaler Schönheiten und „die Handhabung der Sprache als Kunst zu üben“ (Löbl 1892: 339, [10.2]) in Vergessenheit geraten und sie lediglich Mittel und Werkzeug geworden sei, „um recht und schlecht unsere Gedanken oder auch Gedankenlosigkeiten zum Ausdruck zu bringen“ (Löbl 1892: 339, [10.2]). Werde die Sprache nicht mehr als Kunst geübt, gehe ihr Reichtum allmählich verloren, was schließlich zu ihrer Verarmung führe. Vor allem durch die Zeitungen, die – wie bereits mehrfach angeklungen ist – die Schrift- und Sprachproduktion steigern, werde der Sprachschatz vermehrt, nicht aber bereichert, da sie ihre Gedanken lediglich für den Augenblick in einer oberflächlichen Sprache zum Ausdruck bringen, und der hastige Leser oder der noch im Glauben an die Sprach- und Denkklarheit unsrer Zeitungen, das verwaschene Wort in seinen Sprach- und Begriffsschatz ungefähr mit dem dunklen Gedanken [übernahm]: es wird wohl was neues sein, oder auch was altes, das du noch nicht kennst, merk dies, daß du dir nicht einmal eine Bildungsblöße gibst. (Hildebrand 1867: 116)

Die Presse trage somit gleichermaßen zu einer Erweiterung wie Minderung des Sprachschatzes bei.

142

Die Metaphorik des Diskurses

b. Die ‚Industrialisierung‘ der Sprache Die Presse gilt den Diskursteilnehmern aber nicht allein als Faktor, der zu einer Erweiterung und Minderung des Sprachschatzes beiträgt. Vielmehr fördere das Maschinenwesen der Journalistik, das seinen Gang maschinenmäßig fortschleudert, eine zunehmende Mechanisierung des lebendigen Organismus Sprache zu einem Werkzeug, das den kommunikativen Anforderungen des schnelllebigen Massenwesens gerecht werde, sein Eigenleben aber verloren habe. Die Sprache als Werkzeug werde gefertigt von der Maschine der Presse, diese wiederum werde bedient von Journalisten, die somit am „sausenden stil- und sprachbildenden Webstuhl der Zeit sitzen“ (Matthias, A. 1892: 567). Die Sprache werde von der Presse zu einem Werkzeug zum schnellen Ausdruck oberflächlicher Gedanken instrumentalisiert, wodurch sie ihren eigenen, lebendigen Charakter und ihre Individualität verliere. Ihr gehen also jene Elemente verloren, deren es bedürfe, um tiefgreifende Gedanken zu schaffen und zum Ausdruck zu bringen. Mit der zunehmenden Mechanisierung oder auch Industrialisierung der Sprache – der Dominanz des Objekts über das lebendige Subjekt – verbinden die Diskursteilnehmer einen Verlust des Identifikationsmoments, das den Bezug zu Geist und Seele sichert. Und das ist die Signatur unseres Zeitalters. Eine rapide Folge großer Erfindungen hat die Generation so überrascht und trunken gemacht, daß sie in Anstaunen ihrer eigenen Werke nach Art der Wilden ihre Gebilde für göttlicher hält als sich selbst. Sie nennt ihr Zeitalter das Jahrhundert des Dampfes, während man im vorigen Jahrhundert von einem Zeitalter Rousseaus und Friedrichs des Großen sprach. Für diese Denkungsart ist der Ausdruck „vertreten“ wie geschaffen. Er verleiht der Sache den ersten, der Person den zweiten Rang. Er kehrt das natürliche Verhältnis vom Subjekt und Objekt um und stellt den Gesichtspunkt so, als ob die Dinge nicht durch den Menschen da wären, sondern ganz abstrakt durch sich selbst, und der Mensch nur angestellt wäre, sie zu vertreten. Kurz, der Sturz des Idealismus! Aber noch leben Idealisten, Leute, welche den guten Willen haben, gut zu sprechen und zu schreiben. Diese machen wir aufmerksam, wie sehr sie ihren Stil verunzieren, wenn sie dem Journalismus solche Barbarismen nachschreiben. (Kürnberger 1866: 23)

„Die Tagespresse […] ist das angemessene Werkzeug des modernen Massenwesens“ (Löbl 1903: 25), sie sei Zeichen ihrer Zeit und Ausdruck des Leichten, Oberflächlichen, Sinnbild der modernen Schnelllebigkeit: Die Gegenwart liebt das Leichte, Oberflächliche, und huscht leichtsinnig mit ihrer Dampfkraft so gerne über den Ernst und die Würde der Sprache hinweg, wobei sie denn nicht selten entgleist und Schiffbruch leidet. (Lehmann 1878: 120)

Das Nebeneinander von Knechtschaftsmetaphorik und artifizierender Metaphorik – die Sprache erscheint als menschlicher Organismus mit Würde einerseits, als künstliches Gebilde, das entgleist andererseits – verdeutlicht, dass sich die Diskursteilnehmer nicht allein eines Sprachwandels, sondern auch eines sich ändernden Umganges mit Sprache gewahr wurden.

Metaphern im Diskurs

143

2.3 Die sprachliche Substanz Vor allem in den ersten beiden Zeiträumen weit verbreitet (vgl. Tab. 19) ist die Metaphorik, die die Qualität der sprachlichen Substanz und ihre Gefährdung durch Vermischungen, Verdünnungen oder Auflösung, aber auch ihre Optimierung durch Reinigung oder Veredelung beschreibt. Wie in den anderen Metaphernkonzepten auch steht die Einheit und Ganzheit der Sprache – die in diesem Konzept vor allem als flüssige, feste oder gasförmige Substanz bildlich umgesetzt wird – im Vordergrund, deren primäre Grundlage hier die sprachliche Reinheit und Klarheit bildet. Substanzmetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

Neutral

negativ

neutral

Negativ

neutral

negativ

neutral

10/10 (100%)

2/10 (20%)

8/13 (61,54%)

2/2 (100%)

17/51 (33,33%)

7/25 (28%)

35/74 (47,3%)

11/37 (29,73%)

12/20 (60%)

10/15 (66,6%)

24/76 (31,58%)

46/103 (44,66%)

Tab. 19: Verteilung der Substanzmetaphorik im Diskurs.

a. Die ‚Verunreinigung‘ der Sprache durch ‚Sprachmenger‘ und ‚Sudler‘ Die Reinheit und Klarheit der Sprache gilt vielen Diskursteilnehmern als die Grundlage einer gemeinsamen Nation, denn nur diese vermöge es, das gegenseitige Verständnis und den geistigen Austausch eines Volkes zu gewährleisten, das spezifisch deutsche Gedankengut zum Ausdruck zu bringen, und „wer auf Reinheit seiner Sprache nichts hält, der hält auch auf seine Nation nichts, die, in der Mitte Europas stehend, so vielseitig angenagt wird“ (Vernaleken 1900: 23). Das Volk will Gutdeutsch und stark, klar, wahr, lauter, rein. So hat es seine Muttersprache in Luthers Bibel, in den Kirchengesängen und Gebeten, in weltlichen Liedern, Sprichwörtern, Sagen und Geschichten, in tausend Gleichnissen, Mähren, Witzspielen, Räthseln und Reimen. Zeitung-Geträtsch, Zeitschriften-Geschwätz, Thegewäsch ist ihm eine fremde Welt, und den Schrannenmischmasch kann es kaum zusammenstaben, aber nie spitzkriegen. (Jahn 1833: 225)

Verunreinigt werde die deutsche Sprache vor allem durch Unflat und Unrat, durch schmutzige (Bei-)Mischungen, fremde Brocken und Bruchstücke verschiedener Stile. Vor allem die Zeitungsschreiber wurden gleichgiltig gegen die Reinheit und Schönheit der Muttersprache und thaten ihr Möglichstes, sich gegenseitig im Gebrauch fremder Brocken zu überbieten und prickelnde Begebenheiten in gespreizter, unnatürlicher Sprache darzustellen. (Weise 1895: 33)

Es sei folglich „das verbreitetste Literatur-Element, die Journalistik, [die] eine so unreine Sprache bei uns in die Phantasie und auf die Zunge gelegt“ (Kürnberger 1876: 17) habe. Diese unreine Sprache der Zeitungen resultiere aus der „Vermengung der

144

Die Metaphorik des Diskurses

Schreibarten in ein chaotisches Gewirr“ (Grube 1876: 32) und wird u.a. beschrieben als bildreiches, „schwülstiges, aber kraftloses Gemisch“ (von Wolzogen 1880: 10) aus fremden Brocken, „Fehler[n], Unbeholfenheiten, Breite, Schwulst, Modewörter[n] und Modephrasen, Tintendeutsch, papierner Stil, Kanzleistil, Zeitungsstil“ (Wustmann 1889: 420) oder als unvermittelte Mischung von unverdauten Resten des volksmäßigen Deutsch und unverdauten Bruchstücken höhern Stils in Syntax und Wortvorrat, die auf jene oben draufgeklebt, nicht damit verwachsen sind. (Hildebrand 1867: 70)

Wie weit der Einfluss der Zeitung reicht, wird von den Diskursteilnehmern verbildlicht, indem sie die Presse einerseits mit Gas, andererseits mit Sauerstoff vergleichen. Beiden Substanzen ist gemein, dass sie den verfügbaren Raum gleichmäßig und vollständig ausfüllen und eine essenzielle Wirkung auf Sprache, Mensch und Nation haben. Der Presse – als „eine neue Art von Gas, [das] sich ungefähr so beschreiben lassen[würde]: Auf Treue und Glauben annehmen das, was eigentlich erlebt und erschaut werden muß“ (Immermann 1840: 127) – wird in ihrer gasförmigen Konsistenz eine ihr Publikum berauschende und erstickende Wirkung zugeschrieben, die mithin tödlich für Geist und Seele sein könne. „Wie der Sauerstoff in der Luft“ erscheint sie hingegen zunächst als lebenswichtig, wirke aber in zu hoher Konzentration – wie auch als Gas – giftig und „dringt […] zerstörend, zersetzend, auflösend und freilich auch neubildend auf das feste Gebilde der Büchersprache ein“ (Kürnberger 1866: 19). Diese Ambivalenz von Gas und Sauerstoff als gleichermaßen lebensnotwendige wie -bedrohliche Elemente verdeutlich die Macht der Presse, die in einem gewissen Rahmen ein für Sprache und Gesellschaft nützliches Mittel, in zu hoher Konzentration den Diskursteilnehmern aber gefährlich erscheint. Die Zeitungen als „der eigentliche Hort der Sprachsudelei“ (Riegel 2 1888: 18) können letztlich nicht allein eine Zersetzung oder Zerstückelung der reinen Sprache bewirken, sondern damit einhergehend „eine Zersetzung der Grundlagen geistiger Einheit des Volkslebens“ (Wiese 1859: 15). Insofern die Reinheit der Sprache als „Grundlage der geistiger Einheit des Volkslebens“ betrachtet wird, so ist jedes Volk noch eigens verpflichtet, seines Nationalgeistes bewußt zu bleiben, den besten bei ihm vorhandenen Mustern sich anzuschließen, der Verunreinigung seiner Sprache zu wehren, die Veredlung derselben zu fördern. (Keller1879: 8)

Die Veredlung der Sprache sei folglich nur durch ihre Reinigung möglich. Diese Reinigungswut der Sprachreiniger wird von einigen wenigen Diskursteilnehmern als Sprachverrohung, als Bedrohung für die Entwicklungsfähigkeit und den Reichtum der Sprache abgewehrt: Aus Liebe und Streben, die Wahrheit an das Licht zu stellen, der deutschen Sprache und Litteratur Schönheit, Klarheit, angemessene Abwechslung des Ausdrucks zu erhalten, Geschmacklosigkeit, Willkür und Selbstüberhebung unberufener Sprachreinigung oder besser Sprachverrohung abzuwehren, werden die Sätze der Öffentlichkeit übergeben. Mögen sie auf verbohrte Deutschtümler keinen Eindruck machen, Jeder, dem der Sinn für sprachliche Schön-

Metaphern im Diskurs

145

heit nicht abhanden gekommen ist, wird begreifen, daß es Zeit ist Front zu machen gegen ein aus überspanntem Nationalgefühl und persönlicher Eitelkeit und Anmaßung hervorgegangenes Treiben, daß unsere Sprache, namentlich ihren Reichthum mit schwerer Schädigung droht. (Friedrich 1889: 3)

Einige wenige Diskursteilnehmer widersprechen den Sprachreinigungseiferern in ihrer Ansicht, die Presse sei der „eigentliche Hort der Sprachsudelei“ (Riegel 21888: 18), und betrachten ihre Wirkung gar als sprachreinigend, denn „da sie gezwungen war, zum deutschen Volke deutlich zu reden, durfte sie nur in beschränkter Anzahl Fremdwörter anwenden, und wirklich thut sie es heute auch nur in geringem Maße“ (Sabin 1893: 33).

b. Sprache und Presse als Wasser Wurde bereits die Ambivalenz von Sauerstoff und Gas als gleichermaßen lebenswichtige wie -bedrohliche Elemente dargestellt und auf den Zielbereich Presse und Sprache übertragen, so wird diese Ambivalenz im Diskurs auch durch die in der Bibel ihren Ursprung habende Wassermetaphorik zum Ausdruck gebracht. Wasser ist einerseits bedrohliches Sinnbild für die Sintflut in Gen 6.1–9.29, andererseits erhält es in der Offenbarung des Johannes (Off 21,6 und 22,1) eine heils- und lebensbringende Funktion. Wassermetaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

Neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

4/10 (40%)

4/10 (40%)

5/13 (38,46%)

2/2 (100%)

16/51 (31,37%)

6/25 (24%)

25/74 (33,78%)

12/37 (32,43%)

8/20 (40%)

7/15 (46,66%)

22/76 (28,95%)

37/103 (35,92%)

Tab. 20: Die Wassermetaphorik im Diskurs.

Die Funktion des Wassers als Lebenselixier wird primär auf den Zielbereich Sprache übertragen, die als eine Wunderquelle für die Einheit und Festigkeit der Nation erscheint, aus der vor allem die Schriftsteller für ihre kunstvolle Arbeit schöpfen können, wobei deren „Ringen […] dem Gehalt wiederum zu Gute [kommt], und den Brunnen der Sprachkraft im Fluss [erhält]“ (Schröder 1888: 92f.). Der Brunnen der Sprachkraft wie die Quelle der Sprache können in ihrer Reinheit durch Zuflüsse aus Mundarten oder fremden Sprachen getrübt oder gar überflutet werden. Ist die Sprache als Quellpunkt nationaler Identität gefährdet, so sind auch deutsch denken, deutsch sprechen, deutsch schreiben […] durch eine leider unter uns verbreitete Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit gefährdet, dazu durch das Heer der Tageschreiber, die in hastiger Zeilenarbeit aus französischen und englischen Zeitungen, Romanen und Dramen massenhaften Lesestoff täglich in Haus und Hütte auswerfen, der fremde und schlechte Wörter, grammatische Fehler, krüppelhafte Nachbildungen fremder Satzformen, halb oder gar nicht gegorene Gedanken wie eine Zuchtbrut von Bacillen in die Flüsse und Bäche des deutschen Lebens verbreitet. Das Sprachgefühl ist in traurigster Art selbst bei vielen Gebildeten

146

Die Metaphorik des Diskurses

verloren gegangen, wie die Unsicherheit über den richtigen Sprachgebrauch, der wir so häufig begegnen, und die greulichen Fehler, die unsere Zeitungen ausspeichern, beweisen. (Heintze 1900: 1)

Als ursächlich für die Trübung des Sprachbrunnens und der Sprachquelle erachten einige Diskursteilnehmer folglich die durch die fehlerhafte Zeitung quantitativ gesteigerte Sprach- und Schriftproduktion, den Fluß der Schriften und Werke gedankenloser Skribenten, [der] gar schnell zum Riesenmeer [anschwillt]“ (Lehmann 1878: 180), die Fluten der Journalistik, die „im Schriftthume Europas überfluthet und vielfach […] die Buchlitteratur in den Hintergrund“ (Wuttke 21875: 15) schiebe. Die Sprache werde schließlich stromweise von Fehlern aus der Zeitung überschwemmt, sei dem Untergang geweiht und drohe zu versinken, wenn der Presse kein kräftiger Damm entgegengesetzt werde. Auf die Presse wird hier i.G. zur Sprache in ihrer Darstellung als Flut, als überflutendes Element oder als Riesenmeer eine bedrohliche, lebensvernichtende Funktion projiziert.

2.4 Der Dualismus von Gut und Böse – Von der schöpferischen Macht der Sprache und der dämonischen Kraft der Presse Wird im Diskurs stellenweise das Verhältnis von Sprache und Presse mittels der Wassermetaphorik als Gegenüber zweier Naturgewalten – einer das Leben bedrohenden Flut und einer heils- und lebensbringenden Quelle – beschrieben, so wird diese dualistische Vorstellung noch deutlicher durch die Übertragung religiöser Bilder auf die beiden zentralen Zielbereiche zum Ausdruck gebracht. Auch wenn sich sakral-biblische und dämonisierend-mystifizierende Metaphern in nur wenigen Texten des Diskurses finden (vgl. Tab. 21, Tab. 22), so erweisen sie sich doch als besonders ergiebig, um das Verständnis der Diskursteilnehmer von der sprachlich-medialen Wechselwirkung zu rekonstruieren, da sie noch eindrücklicher als die Wassermetaphorik das Verhältnis von Presse und Sprache als einen Dualismus zweier überweltlicher Kräfte – einer guten, Leben schaffenden und einer schlechten, alles zerstörenden – Kraft beschreiben. Sakral-biblische Metaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

1/10 (10%)

2/10 (20%)

4/13 (30,77%)

1/2 (50%)

14/51 (27,45%)

6/25 (24%)

19/74 (25,68%)

9/37 (24,32%)

3/20 (15%)

5/15 (33,3%)

20/76 (26,32%)

28/103 (27,18%)

Tab. 21: Sakral-biblische Metaphorik.

Vor allem in der bereits mehrfach angesprochenen sprachideologischen Vorstellung von einem wechselseitigen Verhältnis von Sprache und Denken wird auf die Sprache das

Metaphern im Diskurs

147

Bild der Schöpferin „der geistigen Lebensthätigkeit des Einzelnen und des Ganzen, das sich aus Einzelnem zusammensetzt“ (Rückert 1864: 92,) übertragen und somit zur Grundlage des intellektuellen Lebens, zur Grundinstanz der geistigen Entfaltung des Menschen erhoben. Dämonisierend-mystifizierende Metaphorik Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

negativ

Neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

negativ

neutral

5/10 50%

2/10 20%

3/13 23,08%

/

4/51 8%

1/25 4%

12/74 16,22%

3/37 8,12%

7/20 (35%)

3/15 (20%)

5/76 (6,58%)

15/103 (14,56%)

Tab. 22: Dämonisierend-mystifizierende Metaphorik im Diskurs.

Im Gegensatz zur Sprache – deren Wort Zauberkraft besitze, da es die Sache hervorbringe (vgl. Wiese 1859: 4) – sei die Presse „kein schöpferisches und selbständiges Wesen, [sondern] sie ist eine unter anderen Organisationsformen des geistigen Verkehrs“ (Hänel in Bulthaupt 1891: 18). Nur wenige Stimmen finden sich im Diskurs, die der Presse als ein solches Instrument eine nur annähernd positive Wirkung für den geistigen Austausch zusprechen. Auch wird diese von den Diskursteilnehmern nur angenommen, wirklich erscheinen ihnen – vor allem in der ersten Jahrhunderthälfte – jegliche Versuche eines solchen durch die Presse angeregten potenziellen geistigen Austauschs nur klingendes Erz und tönende Schelle zu sein. Diese „wohlthätige Wirkung“ (Wuttke 21875: 148) der Presse werde durch ihre dämonische Kraft, ihre Möglichkeit, die Menschen zu verführen und ihr Denkvermögen zu manipulieren, geschmälert: Wir alle lesen Tag für Tag eine, Viele lesen mehrere Zeitungen. Die tägliche Kost, welche uns die Zeitungen darreichen, macht einen großen Theil unserer geistigen Nahrung aus. Für Unzählige ist sie beinahe das einzige! „Ein schlechter Geist der Zeitungen, sagt Robert Mohl, verdirbt allmählig große Klassen des Volkes sittlich und staatlich, steckt an und erzieht das Publikum zu negativ und positiv falscher Auffassung von Dingen und Menschen. Nur allzu viele Menschen sind selbst urtheilslos und lasen sich daher nur durch eine keck auftretende und täglich wiederholte Ansicht bestimmen, namentlich wenn dieselbe mit der Autorität des Druckes auftritt. Überhaupt verdirbt auch eine schriftliche schlechte Gesellschaft den Ton und die Gesinnung. (ebd.)

Die Zeitung wird versinnbildlicht als eine Macht der Hölle, die nicht allein den Geist der Menschen verführe, sondern durch ihr Höllengebräu auf die Sprache einwirke. Das „Höllengebräu des modernen Zeitungsstils“ (Schumann 1893: 36), das täglich neue „fürchterliche Wortungeheuer […] wie Inangriffnahme, Inbetriebsetzung“ (Wustmann 1889: 416), Satzungeheuer braue und Finsternis verbreite, wird von vielen Diskursteilnehmern auf die mangelnde Bildung der Journalisten zurückgeführt, die „geradezu verworfene Geschöpf[e sind] und zu dem untersten Pfuhl der sprachlichen Hölle [gehören]“ (Behaghel 1894: 16) und deren Arbeit sündiger Teufelsdienst ist.

148

Die Metaphorik des Diskurses

Abhilfe könne die Literatur schaffen, die es vermöge, „ein höheres Leben der Sprache“ im Sinne Schröders (1888: 12) und somit eine Steigerung des geistigen Lebens zu fördern. Erwartet wird ein Literat als Erlöser vom Augenblick, der den Gegenpol zum Journalisten als Diener des Augenblicks (vgl. Nietzsche 1872: 194) darstelle und im Gegensatz zu diesem keine flüchtigen aktuellen Interessen behandele, sondern sich mit den grundlegenden Fragen des Lebens in eingehender Sprach- und Gedankenarbeit beschäftige: Der Erlöser der deutschen Sprache, dessen ich harre, wird ein grosser Dichter sein, der Gott und Welt in seiner Brust vereinigt, und wird mit dem Könige gehen und dem Arbeiter. Und wird in die Tiefen des deutschen Volksgeistes und der Geschichte hinabsteigen und zu den Höhen reiner, ewiger Formen hinaufstreben. Er wird uns den Glauben an unsere Muttersprache, der uns im Jahrhundert nach Luther fast verloren ging, und der trotz Goethes und der Brüder Grimm noch nicht Gemeingut aller deutsch fühlenden ward, lebendig machen, wie nie zuvor. Seine Worte werden Thaten sein, und vor dem Athem seines Mundes wird der ganze papierne Schwarm entflattern. (Schröder 1888:93)

Nur wenige der Diskursteilnehmer widersprechen der Erlöservorstellung und der ihr zugrunde liegenden weit verbreiteten Angst, die dämonische Macht der Presse könne über die schöpferische Kraft der Sprache dominieren und hierdurch die Denkfähigkeit der Nation beeinträchtigen. Sie glauben, dass in allen Werken und Fachbereichen gesündigt werde, die Presse aber fälschlicherweise für jegliche sprachliche und gesellschaftliche Defizite verantwortlich gemacht werden würde, da diese in ihr als öffentlichem Medium stärker ins Auge fallen. In ihren Augen blicken die Kritiker der Presse „allzu pharisäisch auf diese Sünder“ (Matthias, A. 1892: 568) und bemerken nur „den Splitter im Auge der Pressemänner, nicht aber den Balken der Fachgenossen“ (Engel 1911: 13).

3. Zusammenfassung: Der Dualismus zwischen Presse und Sprache Wie die Betrachtung der dominanten Metaphern im Diskurs gezeigt hat, ist das Verständnis der Diskursteilnehmer von dem Verhältnis zwischen Sprache und Presse geprägt von Gegensätzen. Auf den Zielbereich der Sprache werden hierbei vornehmlich positive Eigenschaften des jeweiligen Herkunftsbereichs übertragen: (1) Allen Metaphernbereichen ist gemein, dass sie einen optimalen Zustand der Sprache als oberstes Ziel propagieren, der sich über Gesundheit, blühende Fülle, Glanz, Reichtum und/oder Schöpfungskraft definiert. (2) Auch werden auf die Sprache vornehmlich Bilder übertragen, die eine Dynamik und somit die Möglichkeit des Wandels suggerieren. Als menschlicher

Zusammenfassung: Der Dualismus zwischen Presse und Sprache

149

Organismus könne sie beispielsweise altern, als pflanzlicher wachsen, als Sprachschatz könne sie reicher werden, als Quelle rein fließen oder als überweltliche Macht Neues schöpfen. (3) Vor allem mittels der sakral-biblischen Metaphorik, die die Sprache zur Schöpferin „der geistigen Lebensthätigkeit des Einzelnen und des Ganzen“ (Rückert 1864: 92) erhebt und ihr so eine für das Leben ursprüngliche Bedeutung beimisst, bringen die Diskursteilnehmer ihre sprachideologische Vorstellung von einem wechselseitigen Verhältnis von Sprache und Denken zum Ausdruck. Insofern dieses auch durch die Kleidermetaphorik veranschaulicht wird, erscheint die Sprache nicht allein als Schöpferin des Denkens, sondern gleichermaßen als dessen Einkleidung. (4) Der Sprache wird so die Funktion zugeschrieben, gleichermaßen Trägerin – Schöpferin – und Ausdruck – Einkleidung – der geistigen Entwicklung des Einzelnen und des Kollektivs zu sein. In diesem Sinne fungiert sie schließlich als Trägerin und Ausdruck geistiger, d.h. kultureller Identität und wird zum Symbol einer ganzen Nation erhoben. (5) Mit dieser Nation sei die Sprache historisch gewachsen und vermöge es deshalb, das spezifisch nationale Gedankengut zum Ausdruck zu bringen. Eine entscheidende Rolle spielt für die Diskursteilnehmer hierbei die Literatur, in der sich die geistige Stärke und die Sprache einer Nation vereinige, so dass sie die sprachlichen wie kulturellen Eigenarten eines Volkes filtere, transportiere, fördere und sichere. Im Gegensatz zur Sprache wird die Presse im Diskurs zumeist mit negativen – oder wenigstens ambivalenten – Attribuierungen versehen: (1) Gemein ist allen Metaphernbereichen, dass der Presse vornehmlich Eigenschaften zugeschrieben werden, die einem optimalen Zustand entgegenstehen. So leide die Presse an schweren Krankheiten, die zum Tode führen oder von denen eine hohe Ansteckungsgefahr ausgehe. Als Garten oder Beet sei die Presse von Unkraut übersät, als heilloses Naschwerk sei sie giftig und nur nach einfachen Rezepten gefertigt. Ihr bunter Bettlermantel entspreche nicht im geringsten dem schönen, glänzenden Gewand der Sprache, ihre Substanz sei trübe, ihre Sprache Höllengebräu. (2) Auch ihr wird eine Dynamik zugeschrieben, die sich jedoch grundlegend von der natürlichen, Ausgleich schaffenden der Sprache unterscheidet. Ihre Darstellung als pflanzlicher Organismus, der nicht wachse, sondern wuchere, versinnbildlicht beispielsweise die unaufhaltsame und grenzenlose Schnelligkeit ihrer Entwicklung und Wirkung. Als Maschine schleudere sie ihren Gang gewohnheitsmäßig fort, als Wasser schwelle sie zu einem tosenden, alles überflutenden Riesenmeer an. Die ihr zugeschriebene Dynamik zeichnet sich

150

Die Metaphorik des Diskurses

durch eine Schnelligkeit aus, die den Wandel der Dinge derart rasant herbeiführe, dass die im gewohnten Alten zu findende Sicherheit ob des stetig Neuen verloren geht. Oftmals veranschaulichen die auf sie übertragenen Bilder eine Ambivalenz zwischen lebensnotwendiger und lebensbedrohlicher Wirkung. So impliziert beispielsweise die Presse als Wasser durchaus eine für das Leben wichtige Funktion. Das Wasser als überflutendes Meer hebt allerdings jene bedrohliche Funktion der Presse hervor. (3) Der Forderung, dass Denken und Sprechen in Einklang miteinander stehen sollten, dass die Sprache Trägerin und Ausdruck des Denkens ist, komme die Presse nicht nach. Vielmehr entspreche ihr äußeres sprachliches Kleid nicht dem inneren Gehalt, sie stutze ihre natürlichen Haare wie eine Perücke auf und mumme das Alltägliche in hohe Redensarten. Diese gedankliche Oberflächlichkeit der Presse, die durch schöne Worte maskiert werde, führe nicht zu einer geistigen Stärkung, sondern vielmehr zu einer Schwächung. Ihre Befürchtung, dass sich die Presse negativ auf das Denkvermögen auswirken könne, verdeutlichen die Diskursteilnehmer auch durch die Nahrungsmittelmetaphorik. Als geistiges, nach einfachen Rezepten bereitetes Hauptnahrungsmittel, das eigentlich nur gelegentlich genascht werden sollte, erfülle die Presse nicht ihren Zweck der Bildung, da sie nur hastig bereitet und verschlungen, d.h. nur oberflächlich produziert und rezipiert werde. Die auf die Presse übertragenen Bilder verweisen zumeist auf eine ambivalente Wirkung der Zeitung, insofern sie durchaus ihre Bedeutung für das gesellschaftliche und auch sprachliche Leben implizieren, im Hinblick auf die dominante Stellung der Presse als schnelllebiges Massenmedium jedoch ihre negativen Eigenschaften explizieren. Durch die Metaphorik wird von den Diskursteilnehmern ein Dualismus zwischen der „guten“ Sprache und der „schlechten“ Presse versinnbildlicht, wobei das dualistische Verhältnis von Presse und Sprache selten als Wechselwirkung oder gegenseitige Beeinflussung dargestellt wird, sondern vielmehr als einseitige bedrohliche Einwirkung der Presse auf die Sprachentwicklung: (1) Da sich die Presse ob ihrer Krankheiten, ihres Bettlermantels, ihrer Rezepte oder ihrer trüben Substanz in einem schlechten Zustand befinde, werde die Ausprägung des gewünschten optimalen Zustandes der Sprache verhindert. Dass die Presse überhaupt eine derartige Macht auf die Sprache auszuüben vermag, erklären die Diskursteilnehmer durch ihr breites Publikum, das in der Presse eine Autorität sehe und „im Glauben an die Sprach- und Denkklarheit unsrer Zeitungen“ (Hildebrand 1867: 116) weder ihre Inhalte noch ihre Gestalt hinterfrage, sondern sich an dieser orientiere. (2) Da die Presse i. G. zur Literatur sich mit tagesaktuellen und nur selten mit grundlegenden Fragen beschäftige, die sie für ihr breites Publikum in kürzes-

Zusammenfassung: Der Dualismus zwischen Presse und Sprache

151

ter Zeit auf engstem Raum besprechen müsse, greife sie auf bestimmte syntaktische und lexikalische Muster zurück, bilde neue Wörter oder gestalte ihre Ausdrucksweise nur oberflächlich, um den an sie gestellten Forderungen gerecht zu werden. Aufgrund ihrer weiten Verbreitung und Anerkennung in der Gesellschaft erscheinen den Diskursteilnehmern die Krankheiten der Presse als höchst ansteckend für die deutsche Sprache, die durch diesen Einfluss frühzeitig altere. Es ist vor allem der Eindruck einer übereilten Schnelligkeit des sprachlichen Wandels durch die Presse, der von den Diskursteilnehmers metaphorisch transportiert wird. (3) Das durch die Schnelllebigkeit der Presse herbeigeführte vorzeitige Altern der Sprache, ihre Unterknechtung oder Trübung berauben die Sprache ihrer eigenen Dynamik, ihres Lebens und führen sie in einen Zustand der Erstarrung, der letztlich in ihre Mechanisierung münde. Als „bequeme[s] Verkehrsmittel des modernen, materialistischen Alltagstreibens […]“ (von Wolzogen 1880: 69) oder „dienstbare Magd des Verstandes“ (Kolbe 1823: 203) verliere die Sprache ihren Selbstzweck, ihren Status als Schöpferin „der geistigen Lebensthätigkeit des Einzelnen und des Ganzen“ (Rückert 1864: 92) und sei nur noch Mittel zum Zweck. Der Inhalt bestimmt den Stil. Dies ist der theoretische Auftakt des feuilletonistischen Zeitalters, die Rechtfertigung einer Sprache, die ausschließlich der Forderung des Tages dienen, Fragen und Nöte der Gegenwart aufnehmen und widerspiegeln will. (Langen 1957: 1398)

Im sprachideologischen Verständnis der Diskursteilnehmer ist mit einem solchen Verfall der Sprache von einem Subjekt zum bloßen Objekt ein Verlust des Denkvermögens verbunden, der mittels der verschiedenen Metaphernbereiche zum Ausdruck gebracht wird. (4) Auch gehe mit dem Verlust der dynamischen Lebens- und Schöpfungskraft der Sprache ein Verlust der Individualität und Identität einher, das gemeinsame Band der Nation werde geschwächt, ebenso wie ihre geistige Stärke. Diese Vorstellung von der zunehmenden Technisierung der Sprache, dieser Eindruck von der Dominanz der Maschine über das Leben lassen vermuten, dass sich hinter der Sprach- und Pressekritik der Diskursteilnehmer, die in einem Jahrhundert des Wandels und der Unsicherheit lebten, eine Gesellschaftskritik verbirgt. Diese Vermutung, die nicht zuletzt der anfangs aufgestellten Hypothese 3 (vgl. S. 18) zugrunde liegt, findet ihre Bestätigung in der Aussage des zeitgenössischen Kritikers Wiese, denn In solchen Wahrnehmungen auf dem Gebiet der Sprache sind immer Symptome tiefer liegender sittlicher Uebel enthalten, die auf vorhergehende andere als sprachliche Versäumnis schließen lassen. (Wiese 1859: 31)

152

Die Metaphorik des Diskurses

Denn vor allem in Umbruchs- und Krisenzeiten ist die Forderung nach einem gemeinsamen konstanten Bezugspunkt – in diesem Fall die gemeinsame deutsche Sprache als Grundlage einer einheitlichen Nation – evident. Die Erfahrung des durch die Industrialisierung hervorgebrachten „rasanten schwindelerregenden Wandels, der Beschleunigung der Zeit und der Schrumpfung des Raumes“ (Kocka 2001: 55) wurden verarbeitet, indem sie der Presse als Motor und gleichzeitig als Spiegel der für die Zeitgenossen beunruhigenden Entwicklungen zu Lasten gelegt wurden, die Unsicherheit auf sie projiziert wurde. Die Presse als öffentliches Medium erscheint folglich als geeignetes Objekt, um vermeintliche sprachliche und gesellschaftliche Defizite aufzuzeigen und – im Hinblick auf die Sicherung der eigenen Lebenswelt – zu katalysieren. (5) Die sprachliche wie geistige Bedrohung durch den Journalismus greife auch auf die Literatur über. Das eigentliche Naschmittel, das nur gelegentlich genossen werden sollte, werde zum Hauptnahrungsmittel, zu einer Schling- und Wucherpflanze, die „unsre ganze, herrliche Literatur zu ersticken droht“ (Meinhold 1848: 51). Das Element, in welchem die geistige und sprachliche Stärke einer Nation vereinigt sei, werde von einem Medium verdrängt, welches nur den Durst des Augenblicks stille. In den Augen der Diskursteilnehmer tritt somit Oberflächlichkeit an die Stelle der Tiefgründigkeit. Diese durch die Metaphorik transportierten Vorstellungen von Sprache, Presse und ihrem dualistischen Verhältnis, die auf ein komplexes Wissen von Sprache verweisen, sollen in den weiteren Analyseschritten – der Wort- und Argumentationsanalyse – überprüft, erweitert und präzisiert werden.

VI. Bezeichnungen im Diskurs

1. Einige Vorüberlegungen Hat die Metaphernanalyse bereits ergeben, dass die Presse überwiegend als bedrohliches Medium verstanden wird, so verspricht die nähere Betrachtung der im Diskurs zentralen Bezeichnungen und Begriffe, weitere Hinweise auf das kollektive Verständnis der Wechselwirkung zwischen Sprache und Presse zu finden (vgl. Hermanns 1994a: 19f.). Diese meisten betrachteten Bezeichnungen und Begriffe sind im Sinne Hermanns (1994a: 12) als Schlagwörter zu verstehen, wenn sie „die Funktion [haben], auf die öffentliche Meinungsbildung (inklusive Willensbildung) einzuwirken“. In ihrer Funktion „zu Zustimmung oder Ablehnung bzw. entsprechenden Handlungen“ (Burkhardt 1998: 101) aufzufordern, transportieren Schlagwörter immer Bewertungen – ob positive als Affirmationswörter oder negative als Stigmawörter (vgl. Hermanns 1994a: 49) –, und bringen so die Einstellungen ihrer Sprecherinnen und Sprecher zum Ausdruck. Ähnlich wie in Metaphern werden in Schlagwörtern komplexe Vorstellungen und Wertemuster verdichtet, so dass sie einem Kollektiv als gemeinsamer Bezugspunkt dienen und eine identitäts- und gruppenbildende Wirkung entfalten können. Um letztlich herauszufinden, ob Wörter und Wortverbindungen in bestimmten – ob negativen oder positiven – Kontexten dominant oder charakteristisch für bestimmte Diskursteilnehmer sind, sollen vor allem die Bezeichnungen betrachtet werden, die die deutsche Sprache, die Sprache der Presse, die Presse als Massenmedium und die Verfasser der Presse thematisieren.

2. Schweine-Deutsch! – Verzeihung Zeitungs-Deutsch „Von den Schlagwörtern unserer Zeit ist […] Zeitungsdeutsch durch Schopenhauer“ (Behaghel 1886: 164) geprägt, der dazu aufruft, dass man den schändlichen Jargon, in welchem meistens die Deutschen Zeitungen geschrieben sind, öffentlich stigmatisieren [sollte] als „Zeitungsdeutsch“, mit Verwarnung der Jugend, daß sie nicht Grammatik und Orthographie aus diesen Publikationen erlerne, vielmehr daraus ersehe, wie man nicht schreiben soll. (Schopenhauer 1856–60: 478)

154

Bezeichnungen im Diskurs

Während Schopenhauer Zeitungsdeutsch als einen schändlichen Jargon betrachtet, der grammatikalisch und orthografisch derart fehlerhaft erscheint, dass das Publikum davor gewarnt werden müsse, definiert das Grimmsche Wörterbuch Zeitungsdeutsch weniger scharf als „gemeinhin lässiges deutsch“ (Grimm 1956: Sp. 595). Wuttke beklagt ebenfalls bitter die Stylverschlechterung, welche durch die Journale bewirkt wird. Das Zeitungsdeutsch, sagt er, übt eine sehr nachhaltige Einwirkung auf den Gang der deutschen Sprache aus. Von den Schriftstellern leiden die meisten an Vernachlässigung des Ausdrucks. (Lukas 1867: 125)

Dass das Zeitungsdeutsch „eine nachhaltige Einwirkung auf den Gang der deutschen Sprache [ausübt], erklären die Diskursteilnehmer dadurch, dass es von „Ungeheuerlichkeiten wimmelt“ (Demmin 1893: 3) und laut Nietzsche gar mit einem Schweinedeutsch (zitiert nach D’Ester 1962: 1297) gleichzusetzen ist. Impliziert wird durch diese Bezeichnung und ihre pejorative Akzentuierung, dass es sich bei dem Zeitungsdeutsch um ein homogenes Sprachsystem handele, welches sich auszeichne durch unberechtigte, grammatisch und logisch verunklarende Kürzungen an Wörtern und Silben, das Weglassen notwendiger Präfixe und Affixe, das Fehlen der Flexion bei Eigennamen, das Vermeiden oder Verkürzen der ausführlichen Formen der Relativ- und Demonstrativpronomina (welcher, dieser, jener) nur wegen der „niederträchtigen Buchstabenzählerei“, das Verwischen des Unterschieds zwischen Adjektiv und Adverb, das Zusammenziehen von zwei Worten in eines (Dunkelzimmer, Schillerhaus, Hochschule), die unscharfe Anwendung der Präpositionen, das Einsparen logisch notwendiger Konjunktionen und Partikeln, die Scheu vor dem Gebrauch des Perfekts oder Plusquamperfekts, die durch das Imperfekt nur ungenau ersetzt werden, […] die Weglassung der Hilfsverben, der Hang zu Parenthesen und Gedankenstrichen, die logisch Unklarheit verraten, [...] modische „Unworte“. (Langen 1957: 1420f.)

Aufgrund dieser Verdichtung bzw. Hervorhebung negativer Eigenschaften des medialen Sprachgebrauchs ist Zeitungsdeutsch als Stigmawort für den Diskurs über Presse und Sprache zu kennzeichnen, mit dem die Funktion der „Verwarnung der Jugend“ verbunden ist, „daß sie nicht Grammatik und Orthographie aus diesen Publikationen erlerne, vielmehr daraus ersehe, wie man nicht schreiben soll“ (Schopenhauer 1856–60: 478). Indem die Diskursteilnehmer durch das Stigmawort Zeitungsdeutsch ihre Vorstellung von einem homogenen Sprachsystem der Presse, das sich nahezu ausschließlich durch eine für Sprache und Bildung schädliche Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit auszeichne, zum Ausdruck bringen, schaffen sie eine geeignete Grundlage, um ihrer Warnung, sich anderer Bildungsmittel zu bedienen, Gewicht zu verleihen. Ein weiteres Schlagwort, das ähnlich weit und vorwiegend in Kontexten Verwendung findet, in denen die Presse negativ beurteilt wird (vgl. Tab. 23), ist der widerwärtige Zeitungsstil (Polle/Weise 1904: 1). Auch hier wird keine – von der publizistischen Absicht, dem Publikum, der Thematik oder dem einzelnen Journalisten abhängige – Heterogenität99 der Zeitung angenommen, sondern ebenfalls eine negativ besetzte

99

Vgl. Kapitel III.

Schweine-Deutsch! – Verzeihung Zeitungs-Deutsch

155

Homogenität hervorgehoben, die keine Zweifel an der bedrohlichen Wirkung der Zeitung für Sprache und Stil aufkommen lässt. Bezeichnung

Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

Dritter Zeitraum

Gesamt

neg.

neg.

neg.

abwäg.

neg.

abwäg.

abwäg.

abwäg.

Zeitungsdeutsch

2

13

4

15

4

Zeitungsstil

3

10

3

13

3

Zeitungsjargon

1

2

3

1

1

Schweinesprache Galgensprache

1

1

Henkersprache

1

1

Pöbelsprache

1

1

Lohnsudlerjargon

1

1

Schlangensprache

1

1

Journalistische Sprachfabrik

1

Lumpenjargon

1

Schablonensprache

1

2

1

1

Tab. 23: Bezeichnungen für den Sprachgebrauch der Zeitungen im Diskurs.

Verstärkt wird die Wirkung dieser beiden im Diskurs dominanten Stigmawörter durch die Verwendung von Synonymen, die Ursachen und Wirkung von Zeitungsstil und Zeitungsdeutsch genauer definieren. Während Nietzsche mit seinem Schweinedeutsch (zitiert nach D’Ester 1962: 1297) auf die Unsauberkeit, Unreinlichkeit des medialen Sprachgebrauchs verweist, impliziert Schopenhauer, indem er vom Zeitungsdeutsch als Lohnsudlerjargon spricht, dass die finanzielle Abhängigkeit der Journalisten eine Ursache des ‚Zeitungsdeutsch‘ mit seiner „Silbenknickerei und Buchstabenzählerei“ (Schopenhauer 1856–60: 457) sei. Da diese ihr „tägliches Brod durch ihr tägliches Schreiben verdienen“ (Schopenhauer 1856–60: 473) und nicht des Gedankens, der Kunst wegen schreiben, handhaben sie die Sprache als Werkzeug, betrachten sie nicht aber als eigene Kunst. Vielmehr richten sie ihren Sprachgebrauch allein nach den besonderen Anforderungen des Mediums, in kürzester Zeit, auf kleinstem Raum eine größtmögliche Wirkung bei ihrem Publikum zu erzielen, nicht aber nach ästhetischen Grundsätzen. Da werden, wenn es gilt, 2 Worte zu ersparen, die verschränktesten, verrenktesten, peinlichsten und unverständlichsten Perioden zusammengesetzt, über deren Sinn nochmals der Leser

156

Bezeichnungen im Diskurs

brüten mag [….]Jeder geringste Skribler und Sudler hält sich berufen, die Sprache zu verbessern und zu bereichern [...] Das litterarische Gesindel will originell seyn, und kennt keinen andern Weg, als Worte in unerhörtem Sinn zu gebrauchen, oder sie zu verhunzen, oder neue einzuführen. (Schopenhauer 1856–60: 473)

Die Wirkung dieses Lohnsudlerjargons, des Zeitungsdeutsch auf die deutsche Sprache sei schwerwiegend, insofern sich diese unter Einfluss der Presse zu einem Lumpen-Jargon entwickle. Wenn dies so seinen Fortgang hat; so wird man Ao 1900 die deutschen Klassiker nicht mehr recht verstehn, indem man keine andre Sprache mehr kennen wird, als den Lumpen-Jargon nobler „Jetztzeit“, – deren Grund-Charakterzug Impotenz ist. Weil sie nichts anderes können, wollen sie die Sprache verhunzen. (Schopenhauer 1856–60: 486)

Wie die Metaphernanalyse bereits gezeigt hat, veranschaulicht die Kleidermetaphorik die Vorstellung von einem engen Zusammenhang zwischen der Denk- und Sprachfähigkeit eines Menschen bzw. einer ganzen Nation100. Auch für Schopenhauer besteht die Vollkommenheit einer Sprache […] darin, daß in ihr jeder Gedanke genau und deutlich, mit allen seinen Nüancen und Modifikationen, sowohl auf grammatischem, als lexikalischem Wege, ausgedrückt werden kann. Diese Vollkommenheit der Deutschen Sprache zu rauben ist die Legion unsrer hirn- und geschmacklosen Verballhorner. (Schopenhauer 1856–60: 487)

Entwickelt sich die deutsche Sprache aus Sicht Schopenhauers durch den Einfluss des Lohnsudlerjargons bzw. des Zeitungsdeutsch zu einem Lumpen-Jargon, so überträgt er die Zerrissenheit und Abnutzung, die Lumpen eigen sind, auf den Zielbereich der Sprache und implizit auch auf den des Denkens. Die aus einer Metapher avancierende Bezeichnung Lumpen-Jargon versinnbildlicht folglich gleichermaßen die Wertemuster wie die komplexe Vorstellung Schopenhauers von dem Zustand bzw. der Entwicklung der Sprache unter Einfluss der Zeitung. Die Vorstellung Schopenhauers, dass die Presse die Sprache als notwendiges Werkzeug für ihre Zwecke behandle, vertritt auch Kürnberger, wenn er von der journalistischen Sprachfabrik spricht, die mit ihren „gedankentötende[n] Phrasen […] die Umgangssprache [verdirbt], sie mach[t] sie fauler, monotoner, langweiliger“ (Kürnberger 1866: 24). Impliziert ist hier vor allem die Schnelligkeit und Monotonie, mit der die Sprache vom Journalismus in monoton geregelten Arbeitsvorgängen produziert und letztlich auch verändert werde. Dass das Zeitungsdeutsch der journalistischen Sprachfabrik einem niedrigen soziokulturellen Niveau entspreche, verdeutlicht Kürnberger durch die Bezeichnung Pöbelsprache. Zwar sei die Sprache des Pöbels „stark und nachdrücklich“ (Kürnberger 1876: 17) – und entspreche somit den kommunikativen Anforderungen und Bedürfnissen des Massenmediums Zeitung –, sie sei aber vor allem wenig zivilisiert, ebenso geschmacklos wie gedankenlos. Da „das verbreitetste Literatur-Element, die Journalistik, eine so unreine Sprache bei uns in die Phantasie und auf die Zunge gelegt“ (ebd.) habe, trägt die Zeitung durch die Verbreitung des Zei100

Vgl. Kapitel V.

Die Journalisten als Verursacher des Zeitungsdeutsch

157

tungsdeutsch als Pöbelsprache in den Augen Kürnbergers entscheidend zu einem soziokulturellen Verfall der Sprache und ihrer Sprecher bei.

3. Die Journalisten als Verursacher des Zeitungsdeutsch Deutet die von Schopenhauer gewählte Bezeichnung Lohnsudlerjargon, die die Ursache und Wirkung des Zeitungsdeutsch spezifiziert, bereits an, dass vor allem die Verfasser der Zeitungen von ihren kritischen Zeitgenossen für den medialen Sprachgebrauch verantwortlich gemacht wurden, so finden sich im Diskurs zahlreiche Bezeichnungen für Journalisten (vgl. Tab. 24), die diese Annahme bestätigen. Analog zu dem von ihm kritisierten Lohnsudler-Jargon bezeichnet Schopenhauer auch die Verfasser der Zeitungen als Lohnschreiber oder Brot-Skribenten, während Nietzsche von Lohnarbeitern spricht. Diese negativ konnotierten Bezeichnungen verweisen auf ein idealistisches Verständnis der Diskursteilnehmer von Bildung, Kultur und Sprache. Denn i.G. zum Schriftsteller, der als Erlöser vom Augenblick (Nietzsche 1872: 194) aus einer idealistischen Motivation heraus schreibt, gelten ihnen Journalisten als „höchst gewöhnliche Köpfe, die bloß des Geldes wegen schreiben“ (Schopenhauer 1851b: 616) und keine eigene Gedankenarbeit leisten, da sie ihre Inhalte nach den Bedürfnissen ihrer Geldgeber richten, ihren Geist prostituieren (vgl. Nietzsche 1882: 62). Der Journalist erscheint somit nicht als eigenständig denkendes und handelndes Subjekt, sondern als Handlanger oder Knecht des ökonomischen Zeitungsunternehmens. In der Maschinerie oder dem Industriezweig des Zeitungswesens werde er selbst zur Maschine, zum Zeitungsfabrikarbeiter, der fabrikmäßig schmieren müsse, um den Anforderungen des Mediums gerecht und letztlich entlohnt zu werden. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit der Journalisten, die von ihnen verlange, wie in einer Fabrik nach streng geregelten Arbeitsabläufen zu schreiben, habe letztlich Auswirkungen auf die Qualität ihrer „schriftstellerischen“ Arbeit. Die Oberflächlichkeit, mit der Journalisten die ihnen vorgegebenen Gedanken „versprachlichen“, wird durch die Bezeichnungen Pfuscher, Sudler, Schmierer oder Tintenklexer ausgedrückt. Implizieren all diese Bezeichnungen – da sie negative Bewertungen transportieren und dazu auffordern, die Journalisten nicht als literarische Autoritäten anzuerkennen – ein niedriges Sozialprestige des Berufes, so wird dieses durch Assoziationen der Journalisten mit literarischem Pöbel oder Gesindel expliziert.

158

Bezeichnung

Bezeichnungen im Diskurs Erster Zeitraum

Zweiter Zeitraum

neg.

neg.

Tagesskribent

abwäg.

Gesamt

neg.

abwäg.

neg.

abwäg.

1

6

2

7

2

1

1

2

1

4

1

1

2

Tagesschriftsteller/ Tagesschriftstellerei

abwäg.

Dritter Zeitraum

Tagesgröße

1

1

10

13

Modeschriftsteller

1

1

(Zeitungs-) Fabrikant/ (Zeitungs-) Fabrikarbeiter

4

4

Tagesliteratur

1

Fabrikmäßiges Schmieren/ Fabrikarbeit

1

1

1

3

Zeitungsindustrie/ Industriearbeiter/ Industriearbeit

3

1

2

6

Lohnarbeiter/ -schreiber

1

2

3

Brot-Skribent/ Brotschreiber

1

Zeitungsknechte

1

1

2

(Zeitungs-)Sklave/ (Zeitung-)Sklaverei

1

1

2

3

3

Handlanger/ Handlangerdienst Maschinerie/ Maschinenwesen

2

Pfuscher

1

Schmierer/ Schmierakus

1

Tintenklexer/ Tintenklexerei

1

1 3

Sudler/ Sudelei

1

1

2

1

4

1

4

4

4

1

6

3

1

4

Gesindel

1

1

1

3

(Tages-)Pöbel

1

2

3

6

Tab. 24: Bezeichnungen für Journalisten und ihre Tätigkeit im Diskurs.

Zusammenfassung: Die ‚Lohnarbeit‘ und der ‚Lumpen-Jargon‘ der Presse

159

4. Zusammenfassung: Die ‚Lohnarbeit‘ und der ‚LumpenJargon‘ der Presse Die kurze Betrachtung der zentralen Bezeichnungen, die primär die Sprache der Presse und die Verfasser der Presse thematisieren – implizit aber auch deren Wirkung auf die deutsche Sprachentwicklung –, stützt die Ergebnisse der Metaphernanalyse, denn (1) diese oftmals metaphorischen Bezeichnungen für Journalisten und ihren „beruflichen“ Sprachgebrauch lassen auf einen gewissen Kultur- oder Gesellschaftspessimismus bei einigen Diskursteilnehmern schließen, der auf dem Gefühl der Unsicherheit und des Verlustes traditioneller Werte beruht. Wie die Überlegungen in Kapitel III ergeben haben, wurde nicht allein Arbeit im Leben der Einzelnen und im Zusammenhang der Gesellschaft im 19. Jahrhundert neu definiert, sondern es fand infolge der Industrialisierung eine „kulturelle Umwälzung sondergleichen“ (Kocka 2001: 55) statt, mit der „die Lockerung herkömmlicher Bindungen […] und die Infragestellung eingewurzelter Gewohnheiten verbunden“ (ebd.) war. Vor allem dem gebildeten Teil der Bevölkerung musste es fremd erscheinen, dass nun für Lohn und nicht mehr für „praktische“ Erträge gearbeitet oder der Kunst wegen geschrieben wurde. Das in Zeiten des Wandels notwendige Gefühl der Sicherheit bietet den Zeitgenossen hier das Festhalten an bewährten alten Traditionen und die Abwertung des Neuen. (2) Dieses „Neue“ bestehe darin, dass nicht mehr die schriftstellerische Tätigkeit als Kunst verstanden werde, sondern dem Gelderwerb diene, woraus Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit resultieren, die nicht nur Eigenart der Presse seien, sondern sich – ob der schnellen und massenhaften Verbreitung der Zeitung – auch auf die deutsche Sprache auswirken, die zu einem Lumpen-Jargon werde, der seinen Selbstzweck verloren habe und nur noch Mittel zum Zweck sei. (3) Die Folge sei nicht allein ein Sprachverfall, sondern – wegen der Wechselwirkung von Sprache und Denken – auch ein zunehmender Verlust des Denkvermögens. (4) Impliziert wird dieser vermeintliche Verlust des Denkvermögens auch durch die Bezeichnungen für Journalisten, die als Fabrik- oder Industriearbeiter keine eigene Gedankenarbeit leisten, sondern im Sinne ihrer Finanzierer fabrikmäßig schmieren. Im Gegensatz zum Schriftsteller, der die Sprache als Kunst übe, gelte sie den Journalisten als Werkzeug, wobei sie selbst nur Maschinen in der Maschinerie des Pressewesens seien. Wie die Sprache werden sie durch die Pressearbeit von einem selbstständig handelnden und denkenden Subjekt zu einem Objekt des sie finanzierenden Unternehmens.

160

Bezeichnungen im Diskurs

(5) Diese Überlegungen lassen abermals vermuten, dass die Presse, die gleichermaßen als Motor wie Spiegel des „neuen“, des unbekannten Zeitalters gilt, ein geeignetes Objekt ist, auf welches die Diskursteilnehmer ihre Unsicherheit durch die Anschuldigung, verantwortlich für einen Sprach- und Gesellschafts- oder Kulturverfall zu sein, projizieren und diese katalysieren können. Haben die Analyse der Metaphorik und der Bezeichnungen im Diskurs bereits erste Aufschlüsse über die zentralen Inhalte oder Denkmuster des Diskurses und deren Motivation gegeben, so sollen diese in der folgenden Betrachtung der Argumentationen im Diskurs überprüft, ggf. erweitert und spezifiziert werden.

VII. Argumentationen im Diskurs

1. Methodisches Vorgehen Nachdem die Metaphern- und Wortanalyse bereits erste Hinweise auf das kollektive Verständnis bzw. das Wissen von Sprache und Sprachgebrauch in Wechselwirkung mit der Presse geboten haben, erfolgt nun auf der dritte[n] Analyseebene […] die Untersuchung von Argumentationsmustern, die Aufschluss über gängige Denkmuster in der untersuchten Debatte liefern soll. Sie nimmt zum einen auch nicht explizite, nur angedeutete, implikatierte oder präsupponierte Argumentationen in den Blick. (Wengeler 2008: 218)

Von Interesse ist es folglich, die im 19. Jahrhundert üblichen Argumentationsstrategien – die Topoi, Argumente und Beweisführungen – der Diskursteilnehmer zum Thema ‚Sprache und Presse‘ freizulegen und zu analysieren, um der Frage nach den Positionen des Diskurses und ihrer unterschiedlichen Motivation nachzugehen, folglich das ihnen zugrunde liegende sprachliche wie gesellschaftliche Wissen zu rekonstruieren. Im Rahmen dieses Interesses ist es die topische Ebene von Argumentationen bzw. die Topik als eine Disziplin der Rhetorik bzw. der Argumentationstheorie, die dafür sinnvolle Anregungen liefert. Die Namen der einzelnen Argumentationsmuster bzw. der in ihnen sich äußernden Denkfiguren, Denkschemata werden deshalb mit „Topos“ bezeichnet. (Wengeler 2008: 218)

Topoi sind somit als Gemeinplätze kollektiver Gewissheiten zu verstehen101, die als Teil des kollektiven Wissens vorausgesetzt sind und in Texten nicht zwingend expliziert 101

Da der Topos-Begriff je nach Wissenschaft und Gebrauchskontext sehr unterschiedliche Definitionen erfährt und eine detaillierte Auseinandersetzung für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung zu weit führen würde, orientiere ich mich primär an den terminologischen Überlegungen, die Wengeler im Rahmen linguistischer Analysen von Diskursen getroffen hat. Dass sich der ToposBegriff für diskurslinguistische Untersuchungen mit der Zielsetzung, „in einer Zeit verbreitetes kollektives, gesellschaftliches Wissen zu erfassen, besonders gut eignet“, begründet Wengeler (2007:167) anhand der „von Bornscheuer (1976) vom Aristotelischen Topos-Begriff hergeleiteten vier Strukturmerkmale des Topos: Ein Topos ist habituell, d.h. gewohnheitsmäßig und kollektiv verbreitet und abrufbar [1]. Sein Potenzialitätsmerkmal [2] begründet die relative Abstraktheit der Topoi: Sie können als Denk- und Argumentationsmuster jeweils für und gegen die in Frage stehenden Positionen eingesetzt werden. Das Intentionalitätsmerkmal [3] betont, dass die sprechenden Individuen mit ihren Interessen und Intentionen die vorhandenen Denkmuster, Topoi, Bedeutungen

162

Argumentationen im Diskurs

und begründet werden müssen (vgl. Wengeler 1997: 124, Wengeler 2007: 165), so dass ihre Analyse ein „interpretativer Akt“ (Wengeler 1997: 124) ist, insofern sie „aus dem Geäußerten erschlossen werden müssen“ (ebd.). Laut Wengeler können Topoi als Schlussregeln im Sinne Toulmins (1975: 89) aufgefasst werden, die der Überzeugungskraft der Argumente zugrunde liegen: Eine strittige Aussage (die Konklusion) wird dadurch glaubhaft, überzeugend gemacht, dass ein Argument, eine unstrittige Aussage vorgebracht wird. Deren Überzeugungskraft für die Plausibilität der die Konklusion bildenden Aussage wird garantiert durch das, was seit Toulmin Schlussregel heißt. (Wengeler 2003: 179), (vgl. auch Wengeler 1996: 417, Wengeler 2007: 168).

Diese Schlussregeln oder Topoi lassen sich als „inhaltliche Relationen, die in einer Argumentation jeweils den Übergang vom Argument zur Konklusion legitimieren bzw. plausibel machen“ (Wengeler 1996: 417), gemäß ihrer Kontextbindung nach der aristotelischen Rhetorik in allgemeine/gemeinsame und besondere/spezifische Topoi (vgl. Wengeler 2003: 181f.), nach Kienpointner (vgl. Kienpointner 1992: 179) in kontextabstrakte und kontextspezifische Topoi differenzieren. Während die allgemeinen oder kontextabstrakten Topoi nicht inhaltlich bestimmt sind, sondern „zum ‚kollektiven‘ Wissen einer Sprachgemeinschaft gehören[d]“ (Kienpointer 1982: 181) jeder Argumentation zugrunde liegen (können), sind die kontextspezifischen Topoi „als inhaltlich spezifizierte Schlussregeln“ (Wengeler 2007: 168) und „Teil des sozialen Wissens öffentlich handelnder Gruppen“ (Wengeler 2007: 170) an einen bestimmten Diskurs, an einen bestimmten Themenbereich und einen bestimmten Zeitraum gebunden. Um wiederkehrende Aussagen und Argumentationen über ‚Presse und Sprache‘ zu erfassen, zu beschreiben und im Hinblick auf ihre gruppenspezifische Verteilung zu analysieren, müssen nach der ersten Lektüre einer Vielzahl von Texten zum gestellten Thema kontextspezifische Topoi interpretativ erschlossen, definiert und katalogisiert werden, wobei es darauf ankommt, „sie so zu formulieren, dass sie eine überschaubar große Zahl bilden und dabei doch den Großteil der vorkommenden Realisierungen abdecken“ (Wengeler 1996: 417). Diese kontextspezifischen Topoi werden dann in weiteren Texten aufgesucht, gegebenenfalls modifiziert und zahlenmäßig erfasst. Schließlich können anhand einer solchen quantitativen Auswertung Aussagen darüber getroffen werden, welche Argumentationsmuster typisch oder dominant für den Diskurs und charakteristisch für das Denken und Wahrnehmen der – in der Korpuserstellung als bedeutend erachteten102 – sozialen Gruppen und historischen Zeiträume sind. Von Interesse ist es demnach zu erfassen, wie verbreitet die Topoi im Diskurs sind und wie häufig sie von welchen Gruppen in welchem Zeitausschnitt mit Argumenten für oder wider die Presse und ihre Sprache belegt werden (vgl. Wengeler 2007: 170f., Wengeler 1996: 416). Anzwar auch perpetuieren (Habitualistätsmerkmal [1]), sie aber gleichzeitig mit jeder sprachlichen Handlung modifizieren. Das Symbolizitätsmerkmal [4] hebt darauf ab, dass Topoi in verschiedener Weise sprachlich/ symbolisch realisiert werden können“ (Wengeler 2007: 167). 102 Vgl. Kapitel IV.

Methodisches Vorgehen

163

gestrebt wird auf Basis der quantitativen Auswertung ein strukturierter Überblick über die – explizierten oder implizierten – dominanten Topoi und die sie stützenden oder widerlegenden gängigsten Argumente (vgl. Kienpointner 1992: 17). Die zunächst notwendige Formulierung der einzelnen Topoi kann nach dem oben bereits dargestellten Dreischnitt des Toulminschen Argumentationsschemas (vgl. Toulmin 1975: 95) in Schlussregel, Argument und Konklusion erfolgen. Für den sich in allen Texten des Korpus findenden ‚Bildungs-Topos‘ – der den thematischen Zusammenhang des Textkorpus im Sinne Busses/Teuberts (1994)103 insofern sichert, als er auf den sprachlich und gesellschaftlich bildenden Einfluss der Presse rekurriert – ergäbe sich folgende Formulierung: (1) Schlussregel: Wenn die Zeitungen einem in gesellschaftlicher Stellung und Bildung differenzierten Massenpublikum als alleiniges Bildungsmedium dienen und somit erheblichen Einfluss auf dessen sprachliche wie inhaltliche Bildung und letztlich auf die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung im Ganzen nehmen, sollten sie großen Wert auf Richtigkeit und Verständlichkeit ihrer inhaltlichen wie sprachlichen Gestaltung legen. (2) Argument: Zeitungen sind weit verbreitet und dienen den meisten Menschen als alleiniges Bildungsmittel, d.h. sie nehmen erheblichen Einfluss auf die sprachliche und inhaltliche Bildung ihrer Leser und somit auf die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung im Ganzen. (3) Konklusion: Als einflussreiches, weit verbreitetes (sprachliches) Bildungsmittel sollte die Zeitung inhaltlich wie sprachlich richtig und verständlich gestaltet sein, um die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung nicht zu gefährden, sondern zu fördern. Da mit Wengeler festgestellt wurde, dass Topoi mit den Schlussregeln gleichgesetzt werden können, ist es für die Definition der Topoi ausreichend, die Schlussregel (1) zu nennen und in einen kausalen Zusammenhang zu stellen, woraus sich folgende Formulierung für den ‚Bildungs-Topos‘ ergibt: Da die Zeitungen – im Gegensatz zu Büchern – (wegen ihres weiten Verbreitungsradius) von einem in gesellschaftlicher Stellung und Bildung differenzierten Massenpublikum täglich gelesen werden, dem sie als (oftmals einziges) Bildungsmittel dienen und somit erheblichen Einfluss auf dessen sprachliche wie inhaltliche Bildung und letztlich auf die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung im Ganzen nehmen, sollten sie großen Wert auf Richtigkeit und Verständlichkeit ihrer inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung legen. Neben diesem und anderen normativ argumentierenden Topoi finden sich auch deskriptive im Diskurs, die der Argumentation der Diskursteilnehmer einen solch absolu103

Vgl. Kapitel II.

164

Argumentationen im Diskurs

ten Wahrheitsgehalt beimessen, dass etwaigen Zweifeln oder Einwänden von vorneherein ihre Gültigkeit abgesprochen wird (vgl. Kienpointner 1992: 16f.). Erfasst und geordnet werden die Topoi schließlich anhand verschiedener Fragestellungen nach bestimmten Themenbereichen: (1) Zunächst wird nach dem Sprachverständnis der Diskursteilnehmer gefragt, welches ausschlaggebend für die Beurteilung der Presse und ihrer Sprache bzw. ihres Einflusses sein kann. (2) Ebenfalls von Interesse ist die Einschätzung der zeitgenössischen Sprachsituation bzw. -entwicklung. Hier werden Topoi erfasst, in denen der jeweilige Autor die zeitgenössische Sprachsituation beschreibt, sein Verständnis von „richtiger“ oder „falscher“ Sprachverwendung zum Ausdruck bringt oder Mittel und Wege sucht, die aktuelle Situation zu verbessern. (3) Letztlich wird die Funktion oder Rolle der Presse innerhalb des zeitgenössischen Sprach- und Gesellschaftsverständnisses untersucht, indem Topoi zusammengetragen werden, die Antworten auf die Fragen geben: − Welchen Einfluss übt die Presse auf die Sprachverwendung/-situation/-entwicklung und die Gesellschaft aus bzw. welche Wirkung hat die Presse? − Wie ist die Presse sprachlich und inhaltlich gestaltet? − Welche Pflichten übernimmt die Presse? − Welche Rolle spielt die Presse innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse? Um also herauszufinden, welche Funktion die Presse im Rahmen sprachlicher Überlegungen und Entwicklungen in den Augen der Diskursteilnehmer einnimmt, werden die sich auf die Presse beziehenden Argumentationsmuster in den Kontext des jeweiligen Sprachverständnisses gestellt.

2. Die Definition der Topoi 2.1 Das Sprachverständnis der Kritiker a. Die Abhängigkeit von Denk- und Ausdrucksfähigkeit Um über den Werth der Geistesprodukte eines Schriftstellers eine vorläufige Schätzung anzustellen, ist es nicht gerade nothwendig, zu wissen, worüber, oder was er gedacht habe [...] sondern zunächst ist es hinreichend, zu wissen, wie er gedacht habe. Von diesem Wie des Denkens nun, von dieser wesentlichen Beschaffenheit und durchgängigen Qualität desselben, ist ein genauer Abdruck sein Stil. Dieser zeigt nämlich die formelle Beschaffenheit aller Gedanken des Menschen, welche sich stets gleich bleiben muß; was und worüber er auch denken

Die Definition der Topoi

165

möge. […]Der Stil erhält die Schönheit der Gedanken [...] Ist doch der Stil der bloße Schattenriß des Gedankens: undeutlich, oder schlecht schreiben, heißt dumpf, oder konfus denken. (Schopenhauer 1951a: 561f.)

Ist für Schopenhauer „der Stil ein bloßer Schattenriß des Gedankens“ (ebd.), der „die Beschaffenheit der Gedanken“ (ebd.), die geistigen Fähigkeiten des Schreibenden oder auch Sprechenden wiedergibt, so verweist er auf einen engen Zusammenhang von Denken und Sprechen, in welchem er der Sprache die Funktion zuspricht, Instrument zum Aussprechen des Gedankens zu sein. „Die Macht der Sprache reicht [folglich nur] soweit wie die Macht des Denkens, und was durch das sprachliche nicht ausgedrückt werden kann, ist nicht eigentlich gedacht“ (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: IV)104, so dass „Dunkelheit und Undeutlichkeit des Ausdrucks […] allemal ein sehr schlimmes Zeichen“ (Schopenhauer 1951a: 569) für die „Undeutlichkeit des Gedankens“ (ebd.) seien. Da die Sprache nicht allein Instrument zum Aussprechen von Gedanken sei, sondern gleichermaßen Mittel zum Erzeugen von Gedanken – sich Denkvermögen und Ausdrucksfähigkeit demnach wechselseitig beeinflussen –, wirken sich sprachliche Veränderungen auf das Denken aus und umgekehrt (a). Gefördert werde das Denkvermögen und somit auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit durch Bildung (b), so dass die Sprache [als] Werkzeug und Trägerin der höheren Bildung [erscheint], – nicht blos des Verstandes, sondern auch des Gefühls. Entstellt und entwürdigt ihr jene, so lähmt und verkrüppelt ihr auch diese, die fest an die Sprache gebunden ist und mit der Sprache steht und fällt. (Kolbe 1823: 162)

Diese im Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung zusammengefassten Vorstellungen können folglich deskriptiven Charakters (a) sein, insofern sie lediglich die Auswirkungen sprachlicher Veränderungen beschreiben, oder normativen Charakters (b), insofern sie die beschriebenen Auswirkungen voraussetzen und der mutmaßlichen Entwicklung gegensteuernde Maßnahmen fordern: Da eine enge Abhängigkeit zwischen der Qualität eines Gedankens und seines sprachlich-stilistischen Ausdrucks, d.h. eine Wechselwirkung zwischen der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit eines Volkes und seiner geistigen Stärke besteht, (a) haben sprachliche Veränderungen Auswirkungen auf das Denkvermögen, auf die geistige Stärke eines Volkes (deskriptiv, vgl. Tab. 26),

104

Schopenhauers Denken über die Abhängigkeit der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit von der gedanklichen Stärke korrespondiert mit der Müllers (1812), die der Herausgeber Arthur Salz im Vorwort zu den ‚Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland‘ in obigem Zitat zusammengefasst hat.

166

Argumentationen im Diskurs

(b) sollten (bildende) Maßnahmen ergriffen werden, die gleichermaßen der Denk- und Ausdrucksfähigkeit gerecht werden und die gedankliche wie sprachliche Vielfalt ausbilden (normativ, Tab. 27). Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung (gesamt) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

2

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit

1

/

/

/

/

1

Lehrende Tätigkeit

Schule

1

3

/

2

/

6

Hochschule

/

/

/

4

/

1

Sonstige

/

1

/

1

/

2

Keine Angaben

/

/

/

1

3

4

2

6

/

8

3

15

Gesamt

8/17 (47,06%)

8/13 (61,54%)

18/61 (29,51%)

34/91 (37,4%) Tab. 25: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (gesamt).

Die Vorstellung der Abhängigkeit oder Wechselwirkung von Sprechen und Denken, die in der Berufsgruppe der Lehrer am weitesten verbreitet ist und mittels der sakral-biblischen und der Kleider-, Knechtschafts- und Substanzmetaphorik zum Ausdruck gebracht wird, vertreten im gesamten Untersuchungszeitraum 37,4% der Autoren im Kontext der Frage nach dem Einfluss der Presse. Zwar erhöht sich die Zahl der Autoren, in deren Texten der ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ impliziert ist, in allen drei Untersuchungszeiträumen in etwa gleich, betrachtet man aber die prozentuale Verteilung innerhalb der einzelnen Untersuchungszeiträume, so wird deutlich, dass im dritten Untersuchungszeitraum die Vorstellung der Abhängigkeit oder Wechselwirkung von Sprechen und Denken von deutlich weniger Diskursteilnehmern (im Verhältnis zur höheren Gesamtzahl der sich äußernden Autoren des Zeitraums) impliziert wird (vgl. Tab. 25). Während die meisten der Presse abwägend gegenüberstehenden Diskursteilnehmer darauf verweisen, dass das Sprachvermögen durch eine höhere Bildung gestärkt werden und somit auf das Denkvermögen rückwirken könne, weisen jene Autoren, die den medialen Einfluss negativ einschätzen, verstärkt auf die Gefahr hin, dass mit der Sprache auch das Denkvermögen Schaden nehmen könne, denn „die Journale entheben das Publikum des Selbstdenkens und streichen ihm die Gedanken wie Biscuit in den Mund“

Die Definition der Topoi

167

(Lukas 1867: 164). Einige wenige (7,7%) fordern einer vermeintlichen Schädigung der Sprache und des Denkens entgegensteuernde Maßnahmen (vgl. Tab. 27), wie beispielsweise eine stärkere Konzentration auf die sprachliche Bildung in der Schule oder die Regelung der Sprache durch Sprachgesetze (vgl. ‚Topos der Autorität der Sprachgesetze‘, S. 174f.). (a) Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung (deskriptiv) Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

2

/

/

/

/

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

/

/

Lehrende Tätigkeit

Schule

1

1

/

2

/

6

Hochschule

/

/

/

3

/

1

/

1

/

1

/

1

Sonstige Keine Angaben Gesamt

/

/

/

1

3

4

1

4

/

7

3

8

5/17 (29,41%)

7/13 (53,85%)

15/61 (24,59%)

27/91 (29,67%) Tab. 26: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (deskriptiv). (b) Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung (normativ) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

/

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

Schule Hochschule

1

/

/

/

/

1

/

2

/

/

/

/

/

/

/

1

/

/

Sonstige

/

/

/

/

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

/

/

1

2

/

1

/

3

Gesamt

3/17 (17,65%)

1/13 (7,7%)

3/61 (4,92%)

7/91 (7,69%) Tab. 27: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (normativ).

168

Argumentationen im Diskurs

b. Sprache und Interaktion Dem im ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ zusammengefassten Verständnis von Sprache als Mittel zum Erzeugen und Ausdrücken von Gedanken widersprechen einige wenige Diskursteilnehmer (vgl. Tab. 28), denn Denken und Sprechen verhalten sich nicht so wie Ursache und Wirkung. Die Sprache als Ganzes ist nicht um des Denkens willen allein da, sondern um des Gedankenaustausches willen; mit dem reinen Denken, das im Stillen der Seele vor sich geht, haben die Sprachformen an und für sich nichts zu thun; sie setzen stets einen Hörenden voraus, der etwas auffassen soll, und geben dem Gedanken diejenige Form, durch welche ihm die Auffassung des Zusammenhanges möglich wird. (Götzinger 1836/39: 18)

Vielmehr verstehen sie die Sprache als Mittel der zwischenmenschlichen Interaktion. Die wechselseitige Einflussnahme des Denkvermögens und der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit werde demnach erst durch den Gedankenaustausch ermöglicht: Je mehr nämlich der Vorrath an Vorstellungen und Gedanken sich mehrt, desto reicher wird auch der Vorrath an Worten werden, und je schärfer und klarer die Vorstellungen sich im denkenden Geiste scheiden, desto strenger und klarer wird auch die Andeutung der Worte vor die Seele treten. (Götzinger 1836/39: 19)

Als Mittel des Gedankenaustauschs gehe „die gute, klare Darstellung durch Sprache […] also keineswegs mit der Uebung im Denken Hand in Hand“ (Götzinger 1936/39), sondern sie sei vielmehr abhängig von der Fähigkeit der Sprache, sich den jeweiligen geistigen, kulturellen und kommunikativen Anforderungen gemäß anzupassen. Aus diesen Überlegungen lässt sich der Topos der Interaktion formulieren, der in engem Zusammenhang mit dem sich auf die Beschreibung der sprachlichen Entwicklung beziehenden ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ (vgl. S. 175) steht: Da die Sprache wichtigstes (Verkehrs-)Mittel des Gedankenaustauschs und somit der zwischenmenschlichen Interaktion ist, sollte sie so beschaffen sein, dass sie den geistigen, kulturellen und kommunikativen Anforderungen der jeweiligen menschlichen Umwelt (Ort, Situation, Adressat etc.) gerecht wird, d.h. anpassbar bzw. wandelbar ist. Der interaktive Charakter der Sprache wird von lediglich 17,6% der Diskursteilnehmer des gesamten Untersuchungszeitraums betont und hier vor allem von jenen, die eine lehrende Tätigkeit ausüben. Zwar steigt die Zahl derer, die die Sprache als wandelbares Mittel des Gedankenaustauschs betrachten im letzten Untersuchungszeitraum an, im prozentualen Verhältnis zu der Gesamtzahl der Diskursteilnehmer dieses letzten Jahrhundertdrittels, explizieren deutlich weniger Autoren diese Sprachvorstellung als in den beiden vorangehenden Zeiträumen (vgl. Tab. 28).

Die Definition der Topoi

169

Topos der Interaktion Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

2

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

/

/

Schule

/

2

/

1

/

3

Hochschule

/

/

1

1

1

2

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

1

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

1

/

/

4

1

3

2

6

Gesamt

4/17 (23,53%)

4/13 (30,77%)

8/61 (13,11%)

16/91 (17,58%) Tab. 28: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Interaktion‘.

c. Sprache und Nation In seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk. In der Sprache Schatz ist die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt, hier waltet im Einzelnen, das Sinnliche, Geistige, Sittliche. Ein Volk, das seine eigene Sprache verlernt, giebt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprachen begreifen, und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dolmetscher taugen, es ist kein Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen. (Jahn 1810: 211)

Wie für Jahn übernimmt die Sprache für 29,7% Diskursteilnehmer (vgl. Tab. 29) des gesamten Untersuchungszeitraums eine entscheidende Funktion bei der Konstruktion nationaler Identität, in ihr, „die mit der Nation selbst und ihrem höheren Leben wächst […] lebt und ist die Nation unmittelbar gegeben“ (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: X)105. Die deutsche Sprache wird über die Jahrhunderte hinweg der Formierung und Steigerung nationaler Identität dienstbar gemacht – man könnte auch sagen: ethnogenetisch funktionalisiert. Sie wird als das gemeinschaftsstiftende Kennzeichen par excellence gegenüber anderen möglichen (Geschichte, Religion, Sitten und Gebräuche, Geographie, Staat und Verfassung) hervorgehoben und zum Definiens der Nation erklärt. (Stukenbrock 2005: 3)

Da „in der Sprache Schatz […] die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt“ (Jahn 1810: 211) sei, die Sprache somit nicht allein als Mittel des Ausdrucks des spezifisch nationalen Gedankenguts, sondern auch und vor allem als Trägerin desselben 105

Schopenhauers Vorstellung über die Abhängigkeit der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit von der gedanklichen Stärke korrespondiert mit der Müllers (1812), die der Herausgeber Arthur Salz im Vorwort zu den ‚Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland‘ in obigem Zitat zusammengefasst hat.

170

Argumentationen im Diskurs

verstanden wird, sind mit diesem (national-)sprachideologischen Bewusstsein zumeist bestimmte Forderungen und Bemühungen verbunden, die den Schutz der Sprache als Trägerin und Ausdrucksmittel nationaler Identität gewähren sollen, so dass sich folgender normativer Topos der nationalen Identität definieren lässt: Da die Sprache Mittel zum Denken und Ausdruck des spezifischen Gedankenguts einer Nation/Kultur ist – Symbol der nationalen Identität – müssen Maßnahmen getroffen werden, ihre Reinheit und Richtigkeit zu bewahren und die Sprachkompetenz der Menschen zu stärken. Topos der nationalen Identität Berufliche Tätigkeit

1. ZR abwägend

2. ZR tend. Negativ

abwägend

3. ZR tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

2

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

/

/

Schule

1

1

/

2

/

6

Hochschule

/

/

2

2

/

2

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

1

/

/

Keine Angaben

/

/

/

1

3

2

1

4

2

7

3

11

Gesamt

5/17 (29,41%)

8/13 (61,54%)

14/61 (22,95%)

27/91 (29,67%) Tab. 29: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der nationalen Identität‘.

2.2 Die zeitgenössische Sprachverwendung a. Die Autorität sprachlicher Existenzformen Ein wichtiges Mittel im Rahmen der Argumentation über die zeitgenössische Sprachverwendung ist der Verweis auf Autoritäten. Vor allem Lehrer bringen folgende im Autoritäts-Topos – der im gesamten Untersuchungszeitraum bei 36,4% der Diskursteilnehmer zu finden ist – zusammengefasste Vorstellung zum Ausdruck (vgl. Tab. 30): Da gewisse Personen/Institutionen/sprachliche Existenzformen als sprachliche und kulturelle Autoritäten ausgewiesen sind, sollte deren beispielhafter Sprachgebrauch übernommen werden.

Die Definition der Topoi

171

Autoritäts-Topos Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

2

1

/

/

/

2

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

1

/

/

Schule

1

1

/

3

1

6

Hochschule

/

/

1

2

3

4

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

1

/

1

Keine Angaben

/

/

/

1

/

1

3

3

1

8

4

14

Gesamt

6/17 (35,3%)

9/13 (69,23%)

18/61 (29,5%)

33/91 (36,36%) Tab. 30: Die quantitative Verteilung des ‚Autoritäts-Topos‘.

a.1 Die Literatursprache 17,58% der Diskursteilnehmer verweisen – vor allem im Rahmen eines nationalideologischen Sprachverständnisses – auf die Literatursprache bzw. die Schriftsteller der klassischen Literaturperiode als geeignete Autoritäten in sprachlichen Fragen. Da die Geisteswerke der Sprach- und Dichtkunst das spezifisch deutsche Gedankengut enthalten, bewahren und vermitteln, seien sie „das Gemeingut aller zu werden fähig“ und in der Lage, „den Verfall des reinen Sprachgefühls noch eine Weile aufzuhalten“ (Kürnberger 1876: 17), denn die Deutschen haben, nachdem schon im Hohenstaufen-Zeitalter ein Dichterfrühling dagewesen, eine zweite Blütezeit der Nationalliteratur vor hundert Jahren erlebt, in welcher die Klassiker hervorgetreten sind, deren Sprache für die Gegenwart großentheils noch mustergiltig ist. (Keller 1878: 5)

Ihre Formulierung findet die Forderung, sich an der sprachlichen Vorbildlichkeit der Klassiker zu orientieren, im Topos der Autorität der Klassiker: Da sich Autoren der klassischen Literaturperiode durch ihre Werke als sprachliche und kulturelle Autoritäten ausgewiesen haben, sollte deren Sprachgebrauch als Orientierungsgröße gelten. Zwar finden sich im letzten Jahrhundertdrittel deutlich mehr Diskursteilnehmer, die die Autoren der klassischen Literaturperiode als sprachliche und kulturelle Autoritäten ausweisen, im Verhältnis zu der Gesamtzahl der sich in diesem Zeitraum äußernden Autoren ist der Topos deutlich weniger verbreitet als in den beiden ersten Untersuchungszeiträumen (vgl. Tab. 31).

172

Argumentationen im Diskurs

Topos der Autorität der Klassiker Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

1

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

1

/

/

Lehrende Tätigkeit

Schule

1

/

/

2

/

3

Hochschule

/

/

/

/

2

1

Sonstige

/

1

/

1

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

/

/

2

2

/

4

2

6

Gesamt

4/17 (23,53%)

4/13 (30,77%)

8/61 (13,11%)

16/91 (17,58%) Tab. 31: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Klassiker‘.

a.2 Der Sprachgebrauch Dem Verweis auf die Vertreter der klassischen Literaturperiode als Autoritäten in sprachlichen Fragen wird gelegentlich mit dem Argument widersprochen, dass deren Sprache künstlerisch gestaltet sei, nicht aber den kommunikativen Forderungen des Alltags gerecht werden könne. Topos der Autorität des Sprachgebrauchs Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

1

/

/

/

/

/

/

/

/

/

/

/

Schule

/

/

/

/

1

2

Hochschule

/

/

1

/

1

1

Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

1

/

1

1

/

1

1

2

4

Gesamt

1/17 (5,88%)

2/13 (15,38%)

6/61 (9,83%)

9/91 (9,9%) Tab. 32: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität des Sprachgebrauchs‘.

Vielmehr wird von einigen wenigen Diskursteilnehmern (9,9%), deren Zahl im zweiten Untersuchungszeitraum deutlich ansteigt (vgl. Tab. 32), der allgemeine Sprachge-

Die Definition der Topoi

173

brauch, der auf die kommunikativen Bedürfnissen einer Sprechergemeinschaft abgestimmt und in einer beschreibenden, nicht gesetzgebenden Grammatik niederzulegen sei, als Autorität betrachtet, denn „ein unlogischer Sprachgebrauch [ist] immer noch zehnmal mehr werth, als eine logische Verletzung des Sprachgebrauchs. Usus est tyrannus“ (O.V. 1863: 162). Der Topos der Autorität des Sprachgebrauchs lautet: Da der allgemeine Sprachgebrauch den kommunikativen Anforderungen einer Sprachgemeinschaft gerecht wird, weist er sich als sprachliche Autorität aus und ist – in Form einer beschreibenden Grammatik – als geltende Norm zu beachten. a.3 Die Sprachgesetze Wornach soll man sich bei der Beurtheilung der sprachlichen Form, bei der Entscheidung über die Richtigkeit einer Fügung, eines Ausdruckes u.s.w. richten? Weder Schriftsteller, noch der „Gebrauch“ können hier entscheiden; die Schriftsteller nicht, weil wir durchaus keine Gewähr dafür haben, dass sie immer richtig sprechen; der Gebrauch nicht, weil wir nicht zugeben können, dass sich die Sprache unbewusst, gedankenlos, eigentlich unlogisch, denkwidrig weiterbilde. Wir werden vielmehr bei der Beurtheilung einzelner Fälle immer fragen müssen, ob sie dem Geistes des Sprachgesetzes entsprechen oder widersprechen. (Halatschka 1883: 3f.)

Wie Halatschka erachten einige wenige Diskursteilnehmer die Vertreter der klassischen Literaturperiode und den allgemeinen Sprachgebrauch als ungeeignete Autoritäten. 8,8% der Autoren des gesamten Untersuchungszeitraums verweisen vielmehr auf die gesetzgebende Grammatik bzw. die Sprachgesetze als verbindliche Normen (vgl. Tab. 33). Topos der Autorität der Sprachgesetze Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

/

/

/

/

/

1

/

/

/

/

/

/

Schule

/

1

/

1

/

1

Hochschule

/

/

/

2

/

2

/

/

/

/

/

/

Sonstige Keine Angaben Gesamt

1. ZR

/

/

/

/

/

/

/

1

/

3

/

/

1/17 (5,88%)

3/13 (23,08%)

4/61 (6,56%)

8/91 (8,8%) Tab. 33: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Sprachgesetze‘.

174

Argumentationen im Diskurs

Eine dritte Möglichkeit der Spezifizierung des Autoritäts-Topos findet sich folglich im Topos der Autorität der Sprachgesetze: Da die grammatischen Sprachgesetze als Autoritäten gelten, indem sie den richtigen Sprachgebrauch beschreiben und regeln, sollten sie vermehrt vermittelt und von den Sprachteilnehmern beachtet werden.

b. Die Sprache und ihre Entwicklung Aber es droht ein schweres Uebel: die Welt hat sich weiter aufgethan, als je zuvor; die wunderbaren Verkehrsmittel, der lebhafte literarische Austausch, und eben so die gegenseitige Mittheilung der Formen des politischen und ganzen öffentlichen Lebens mischen die Völker auf friedlichen Wegen unter einander, wie es nie zuvor geschehen ist. Die Gefahr, die Heimath in der festen Einheit des Volksbewußtseins zu verlieren, trifft dabei besonders die Sprache. (Wiese 1859: 27)

Im Diskurs wird die sprachliche Entwicklung häufig in Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet. Eine Folge dessen, dass sich „die Welt weiter aufgethan [hat], als je zuvor“ (ebd.), dass sich die Gesellschaft mehr und mehr mobilisiere, sei ein Wandel der kommunikativen Anforderungen, mit dem ein Wandel der Sprache als eines der „wunderbaren Verkehrsmittel“ einhergehe. Dass die Sprache in der zunehmend schnelllebigen Zeit primär als Verkehrsmittel zum schnellen Gedankenaustausch diene, erweckt bei einigen Diskursteilnehmern den Eindruck, dass der Sinn oder vielmehr das Bewusstsein für sprachliche Schönheit und Kunst aufgrund der mangelnden intensiven Beschäftigung mit sprachlichen Fragen verloren gehen könne, dass mit dem Wandel der kommunikativen Bedingungen folglich auch ein Wandel des Sprachverständnisses eingesetzt hätte. So führt der Journalist in Löbls Erzählung sprachliche Fehler auf eine zunehmende Unachtsamkeit in allen Bereichen des menschlichen Lebens zurück, die aus der gesteigerten Schnelllebigkeit der modernen Zeit resultiere: Die Wahrheit ist, dass im deutschen Schriftthum überhaupt, in Buch und Zeitung, in der wissenschaftlichen und belletristischen Litteratur immer mehr die feine Empfindung für sprachliche Korrektheit und stilistische Formenschönheit dahinschwindet, die Sorglosigkeit und Verschlampung immer mehr zunimmt. Da dürfen wir uns Alle an der Nase fassen. Unser Aller Schuld ist die gleiche. Die Sprache ist uns zumeist gerade nur gut genug, um recht und schlecht unsere Gedanken oder auch Gedankenlosigkeiten zum Ausdruck zu bringen, die Wenigsten aber denken heute noch daran, die Sprache als den reichen Schatz formaler Schönheiten zu ehren und zu pflegen, die Handhabung der Sprache als Kunst zu üben. Wir müssen endlich in uns gehen und so rasch als möglich Wandel schaffen. (Löbl 1892: 339, [10.1f.])

Als Folge des gesellschaftlichen Wandels wird von den Zeitgenossen aber nicht allein ein vermeintlicher Verlust des Sprachbewusstseins und eine daraus resultierende sprachliche Oberflächlichkeit und/oder Fehlerhaftigkeit aufgeführt, sondern auch eine zunehmende Vereinheitlichung der Sprache:

Die Definition der Topoi

175

Das unbedingte Streben nach einer Ausgleichung der von der früheren Geschichte geschaffenen Unterschiede, nach einer Niederlegung der Schranken, die Oberes und Unteres, Höheres und Niederes sonst trennen, gibt der ganzen politischen und socialen Arbeit der Neuzeit ihr eigentliches Lebensprinzip. Der Staat auf breitester Grundlage und die Gesellschaft auf ebenso breiter bleibt das Ideal, dem diese Zeit nachstrebt, mag sie es auch noch so dürftig fassen und noch so schwerfällig und albern sich in ihrem Ringen darnach anstellen. Wie aber Staat und Gesellschaft alle Prärogative zu Gunsten Aller oder des abstrakten Volkes fallen lassen müssen, so auch die Sprache. Auch diese demokratisiert sich, aber so, daß sie vornehmer wird. (Rückert 1864: 114)

Wie Rückert (1864) anmerkt, zeige sich der Wandel der Sprache in einer zunehmenden Standardisierung und Demokratisierung der Sprache, die dem zunehmenden Bestreben entgegenkomme, auch über lokale oder regionale und soziale Grenzen hinweg kommunizieren zu können. Während die der Presse abwägend gegenüberstehenden Autoren – wie beispielsweise Rückert – eine natürliche Notwendigkeit der zunehmenden Vereinheitlichung der Sprache betonen, die aus der über lokale Grenzen hinweg ausweitenden Sprach- und Schriftproduktion hervorgehe, konzentrieren sich die der Presse negativ gegenüberstehenden Autoren auf die Betonung der zunehmenden Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit. Vor allem aber befürchten sie, dass die Sprache durch die zunehmende Vereinheitlichung auch im Gesprochenen an Lebendigkeit und Vielfalt verliere, dass sich das Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache verschiebe und „unser liebes Deutsch ein Dintendeutsch“ (Wackernagel 1867: 29) werde: Ja, im 19. Jahrhundert hat man das Hochdeutsch wirklich zu einer bloßen Schriftsprache gemacht, zu einem Dintendeutsch, und ist im Begriffe es zu einer toten Sprache zu machen in noch ganz andrem Sinne als ausgestorbene Sprachen tote heißen: sie soll bei lebendigem Leibe tot gemacht werden. Denn das ist klar, wer wie jetzt Zeichen, die nur gesehen, nicht gesprochen werden können, also sprachlich nichts sind, als wesentlich zur Sprache gehörend behandelt, und vollends diesen Zeichen Einfluß auf die Fortbildung der Sprache einräumt, der macht die Muttersprache zu einer toten Sprache, soviel an ihm liegt. (Hildebrand 1867: 37f.)

Diese Beispiele für die Betrachtung der sprachlichen Entwicklung finden eine ihnen gemeinsame Formulierung im Topos der kommunikativen Anforderungen: Da sich aufgrund des Gesellschaftswandels die kommunikativen Anforderungen und das Verständnis von Sprache verändern, ergeben sich Veränderungen im Sprachgebrauch/in den sprachlichen Existenzformen. Dieser ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ findet sich bei 35,2% der Diskursteilnehmer des gesamten Untersuchungszeitraums, wobei die Zahl derer, die einen Zusammenhang zwischen den sprachlichen Veränderungen, dem Verständnis von Sprache und den kommunikativen Anforderungen konstatieren, im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte stark ansteigt (vgl. Tab. 34).

176

Argumentationen im Diskurs

Topos der kommunikativen Anforderungen Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

2

1

/

/

/

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

1

1

2

Schule

/

/

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2

1

6

Hochschule

/

/

2

1

2

1

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

4

5

2

1

2

4

8

15

Gesamt

3/17 (17,65%)

6/13 (46,15%)

23/61 (37,7%)

32/91 (35,16%) Tab. 34: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘.

Die im ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ vorausgesetzte Möglichkeit der Sprache, sich je nach den Bedürfnissen ihrer Sprecher zu verändern, wird auch im Topos der sprachlichen Einschränkung impliziert, denn da regulative Bestrebungen die Sprache in ihrer freien Entwicklung einschränken, sind Folgen für die Sprach- und Geistesentwicklung eines Volkes zu erwarten. Ihm liegt das Verständnis zugrunde, dass sich eine Sprache nur frei entfalten könne, wenn sie keinen strengen Regeln oder künstlich auferlegten Sprachgesetzen unterworfen sei, die „der Sprache zu weilen Steifheit und Härte […] einen Anstrich von Geziertheit“ (von Steigentesch 1812: 198) verleihen. Nun sie Schriftsprache ist, sind ihre Flügel beschnitten, und sie ist von den Buchstaben und von den Regeln der Grammatiker, die sie rings umgeben, wie von Zaubercharacteren und Zauberformeln festgebannt. (Wackernagel 1866: 34)

Im Gegensatz zum ‚Topos der Sprachgesetze‘ wird hier eine freie Entwicklung der Sprache als Voraussetzung für eine freie Geistesentwicklung propagiert. Wie aus Tab. 35 hervorgeht, empfinden deutlich mehr Diskursteilnehmer (15,4%) regulative Bestrebungen schädigend als sinnvoll für die Entwicklungsfähigkeit der Sprache und der Gesellschaft (vgl. Tab. 33, S. 173). Vor allem im letzten Jahrhundertdrittel nimmt die Zahl der Autoren entscheidend zu, die sich gegen eine starre Regelung der Sprache durch künstlich auferlegte Sprachgesetze aussprechen (vgl. Tab. 35).

Die Definition der Topoi

177

Topos der sprachlichen Einschränkung Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

1

/

/

/

/

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

1

/

Schule

/

/

/

/

1

1

Hochschule

/

/

1

/

1

2

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

3

2

1

1

1

/

6

5

Gesamt

2/17 (11,76%)

1/13 (7,69%)

11/61 (18,03%)

14/91 (15,38%) Tab. 35: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlichen Einschränkung‘.

c. Die Sprache und ihr Ansehen 17,6% der Diskursteilnehmer thematisieren auch das Ansehen der Sprache in der Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Folgen für die Wahl bestimmter sprachlicher Existenzformen (vgl. Tab. 36). Verwiesen wird hier unter anderem darauf, dass die – zumeist schriftlich realisierte – einheitliche Sprache, deren primär Gebildete oder Gelehrte mächtig seien, in einer Zeit des zunehmenden Bildungsstrebens und der sich ausweitenden Kommunikation aller Bevölkerungsschichten zum prestigereichen Symbol der Bildung und somit eines hohen gesellschaftlichen Status avanciere, so dass jedermann den Unterschied der Bildung [...] unwillkürlich dadurch auszugleichen [sucht], daß er sich, so gut es eben gehen will, dem offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung, der höheren Sprache nähert (Rückert 1864: 114),

Diese Orientierung an „dem offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung, der höheren Sprache“ (ebd.) habe Verschiebungen in den sprachlichen Existenzformen zur Folge, so beispielsweise die Zurückdrängung lokaler Dialekte zugunsten weiträumig gültiger regionaler und standardnaher Varietäten. Auch ändere sich die Beurteilung der „höheren“ Sprache, die durch den erweiterten Sprecherkreis nicht mehr Sozialsymbol, sondern vielmehr Symbol einer nationalen Gemeinschaft werde. Einige Diskursteilnehmer sehen in dem Bestreben, mittels der Sprachwahl die „offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung“ (ebd.) zu demonstrieren, die Gefahr, dass der Ausdruck schöner und geistreicher gestaltet werde, als der Gedanke wirklich sei. Dieses Bestreben nach mehr Schein als Sein, der Versuch, „die natürlichen Haare wie eine Perücke aufzustutzen, das Alltägliche in hohe Redensarten einzumummen, von denen man nicht lassen zu können glaubt“ (Auerbach 1846: 217), widerspricht der oftmals propagierten Einheit von Sprechen und

178

Argumentationen im Diskurs

Denken (vgl. ‚Topos der sprachlich gedanklichen Wechselwirkung‘) und führt in den Augen einiger Diskursteilnehmer zu einer gedanklichen wie sprachlichen Oberflächlichkeit. Aus den Betrachtungen einer Vielzahl von Texten konnte folgender Sozialsymbol-Topos formuliert werden, der – wie Auerbachs (1846: 217) Zitat zeigt – vor allem durch die metaphorische Übertragung der Eigenschaften von Kleidung auf die Sprache106 zum Ausdruck gebracht wird: Da die Sprache den Bildungsstand und den sozialen Status ihrer Sprecher zum Ausdruck bringt, d.h. die Funktion erfüllt, gesellschaftliche Gruppierungen voneinander abzugrenzen, ist es für alle Personen/Gruppen/Institutionen zunehmend von Interesse, durch ihre Sprachwahl gebildet zu erscheinen und sich vermeintlich prestigeträchtiger Varietäten/Sprachformen zu bedienen, was Verschiebungen in den sprachlichen Existenzformen und der Beurteilung derselben zur Folge hat, sich aber auch gleichzeitig auf das Verhältnis von Denken/Bildung wie Sprechen und somit auf die Sprach- und Denkfähigkeit auswirkt . Sozialsymbol-Topos Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

1

1

/

1

/

/

1

1

/

/

1

/

Schule

/

/

/

2

/

2

Hochschule

/

/

1

2

/

/

Sonstige

/

/

/

/

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

/

2

2

2

1

5

1

5

Gesamt

4/17 (23,53%)

6/13 (46,15%)

6/61 (9,84%)

16/91 (17,58%) Tab. 36: Die quantitative Verteilung des ‚Sozialsymbol-Topos‘.

d. Sprache und Kritik Dieser mehrfach festgestellte schnelle Wandel der Sprache hat in den Augen zahlreicher Diskursteilnehmer zur Folge, dass die kritische Beschäftigung mit der Sprache zunimmt: Die Gelehrten sind weniger schonend, als sonst, gegen Sprachnachlässigkeiten ihrer Zeitgenossen. Zu verschiedenen gelehrten Gesellschaften vereinigt, wachen sie in allerlei wissen-

106

Vgl. Kapitel V.

Die Definition der Topoi

179

schaftlichen Zeitschriften und gelehrten Zeitungen die Berichtigung und Veredlung des Geschmacks in der Sprache, so wie in den Wissenschaften überhaupt. (Heyse 21827: 89)

Hieraus lässt sich folgender Topos der Sprachkritik ableiten: Da die Sprache wie die Gesellschaft in einem Wandelprozess begriffen ist, nimmt die kritische Betrachtung des Sprachgebrauchs zu. Dieser ‚Topos der Sprachkritik‘ ist bei nur 12,1% aller Autoren des Diskurses zu finden. Verbreitet ist die Vorstellung, dass Sprach- und Gesellschaftswandel und Sprachkritik in engem Zusammenhang zueinander stehen, vor allem im letzten Untersuchungszeitraum (vgl. Tab. 37). Topos der Sprachkritik Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

/

/

/

/

1

/

/

/

/

/

1

/

Schule

1

/

/

/

/

2

Hochschule

/

/

/

/

2

1

Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

3

/

1

/

/

/

7

3

1/17 (5,8%)

/

Gesamt

10/61 (16,39%)

11/91 (12,09%) Tab. 37: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Sprachkritik‘.

2.3 Die Presse im Kontext des Sprach- und Gesellschaftsverständnisses a. Die Bildungsfunktion der Zeitung Das „verbindende Element“ des Diskurses, das den thematischen Zusammenhang des Textkorpus im Sinne Busses/Teuberts (1994)107 sichert, indem es in jedem Text impliziert ist, ist der Bildungs-Topos, der auf den hohen sprachlichen und gesellschaftlichen Einfluss der Presse rekurriert. „Wer liest heute keine Zeitung? Und wer ist imstande, dem Einfluss zu entgehen, den das, was er liest, nicht nur seinem Inhalte, sondern auch seiner Form nach auf ihn ausübt?“ (Halatschka 1883: 5).Halatschkas Feststellung, dass man sich dem Einfluss der Zeitung nicht entziehen könne, sondern sich – ob bewusst 107

Vgl. Kapitel II und IV.

180

Argumentationen im Diskurs

oder unbewusst – unwillkürlich an ihr orientieren müsse, liegt folgender allgemeiner Topos zugrunde: Da die Zeitungen – im Gegensatz zu Büchern – (wegen ihres weiten Verbreitungsradius) von einem in gesellschaftlicher Stellung und Bildung differenzierten Massenpublikum täglich gelesen werden, dem sie als (oftmals einziges) Bildungsmittel dienen und somit erheblichen Einfluss auf dessen sprachliche und inhaltliche Bildung und letztlich auf die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung im Ganzen nehmen, sollten sie großen Wert auf Richtigkeit und Verständlichkeit ihrer inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung legen. Der Bildungs-Topos Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

3

5

/

2

3

9

Journalistische Tätigkeit

3

1

/

2

3

3

Schule

1

3

/

2

2

9

Hochschule

/

/

2

3

5

5

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

1

/

3

Keine Angaben

/

/

/

1

7

12

Gesamt

7/17 (41%)

10/17 (59%)

2/13 (15%)

11/13 (85%)

20/61 (33%)

41/61 (67%)

Tab. 38: Die quantitative Verteilung des ‚Bildungs-Topos‘.

Der ‚Bildungs-Topos‘, der durch die weiteren die Presse betrachtenden Topoi präzisiert und gestützt wird, ist nicht allein grundlegend für die Zuordnung der untersuchten Texte zum Diskurs, sondern auch für die Erfassung der Einstellungen der Diskursteilnehmer gegenüber der Presse. Die Mehrheit der Diskursteilnehmer schätzt den bildenden Einfluss der Zeitung auf die Sprach- und Gesellschaftsentwicklung tendenziell negativ ein, empfindet ihn – ähnlich wie Halatschka – als gefährlich für die deutsche Sprachentwicklung, denn „trotz der Anerkennung all der unbestreitbaren Verdienste, die sich die Tagesliteratur um uns erwirbt, wird jeder zugeben müssen, dass sie auf unsere Sprache verderbenbringend wirkt“ (Halatschka 1883: 5). Sofern die Diskursteilnehmer eine Wechselwirkung zwischen Denken und Sprechen (vgl. ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘) annehmen, folgt aus einer vermeintlichen Schädigung der deutschen Sprache durch den Einfluss der Presse auch jene des Denkens des Einzelnen, die wiederum Auswirkungen auf die geistige Stärke und somit die Einheit der Nation haben kann (vgl. ‚Topos der nationalen Identität‘). Nur wenige Diskursteilnehmer (32%) des

Die Definition der Topoi

181

gesamten Untersuchungszeitraums wägen die Vor- und Nachteile des medialen Einflusses ab und verweisen wie beispielsweise Börne darauf, dass ein vermeintlich schädlicher Einfluss der Presse durch geeignete Maßnahmen gemindert werden könne: Zeitschriften aber, aus welchen ein großer Teil des Volks seine Bildung schöpft, schaden ungemein, wenn sie in einem schlechten Stile geschrieben werden. Die wenigsten deutschen Zeitschriften verdienen in Beziehung auf die Sprache gelobt zu werden. Es ist aber nicht leicht, an ihnen zu gewahren, daß die Fehlerhaftigkeit des Stils von solcher Art ist, daß sie hätte vermieden werden können, wenn deren Herausgeber und Mitarbeiter mit derjenigen Achtsamkeit geschrieben hätten, die zu befolgen Pflicht ist, sobald man vor dreißig Millionen Menschen spricht. (Börne 1826: 593f.)

Während in den letzten beiden Untersuchungszeiträumen die negativen Stimmen eindeutig überwiegen, stehen im ersten Untersuchungszeitraum immerhin 41% der Diskursteilnehmer dem bildenden Einfluss der Presse abwägend gegenüber. Ein ähnliches Bild bietet die Betrachtung der Berufsgruppen: Lediglich in den Berufsgruppen der Universitätsprofessoren und Journalisten sind tendenziell negative und abwägende Einschätzungen der Bildungsfunktion der Zeitung prozentual gleichwertig verteilt (vgl. Tab. 38).108 a.1 Die Autorität der Zeitung In engem kausalem Zusammenhang mit dem ‚Bildungs-Topos‘ steht auch der Topos der Autorität der Zeitung, der sich durch seinen deskriptiven Charakter von den bereits aufgeführten normativen ‚Autoritäts-Topoi‘ unterscheidet. Der bleibendste Nachtheil der Zeitungen scheint mir der, daß sie Geschichtsfacta nicht bloß bejubeln und entstellen wie Hapyen, sondern der Geschichte, wie Henker, Hals, Arme und Beine knebeln, abschneiden, ansetzen und Clio zum wahren Scortum tribolare machen, die an der Straße sitzt und sich dem Ersten Besten für ein Stück Brod an den Hals wirft. Die Leser bilden ihre politischen Ansichten nach diesen Orakeln und gleichen den Lesern der Tausend und eine Nacht, die solche wie Geschichte ansehen und glauben daran, wie der Bauer an Gedrucktes! Es stand ja in der Zeitung! (Weber 1843: 388)

Wie dieses Zitat Webers zeigt, wird beim Topos der Autorität der Zeitung der bildende Einfluss der Medien weniger auf eine unbewusste Orientierung der Leser an Inhalt und Sprache der Presse zurückgeführt, als vielmehr auf einen bewussten Glauben des lesenden Publikums an die Autorität und Wissensallmacht der Presse. Dass die „Leser ihre politischen Ansichten nach diesen Orakeln“ (ebd.) bilden und sich auch an deren Sprache orientieren, dass sie daran glauben „wie der Bauer an Gedrucktes“ (ebd.), denn „es stand ja in der Zeitung“ (ebd.), hat in den Augen der Diskursteilnehmer schließlich Auswirkungen auf das Denk- und Sprachvermögen der Zeitungsleser, insofern als 108

Um eine Erklärung für diese Verteilung innerhalb der Berufsgruppen und Zeiträume in Zusammenhang mit den soziohistorischen Rahmenbedingungen finden zu können, sollen zunächst weitere dominante Argumentationsmuster definiert, quantitativ erfasst und ausgewertet werden.

182

Argumentationen im Diskurs

„auch den Besseren von Tage zu Tage immer mehr Sand in die Augen gestreut und die allgemeine Blindheit immer allgemeiner wird“ (Meinhold 1848: 6). Seine Definition findet der Topos der Autorität der Zeitung wie folgt: Da die Zeitung wegen ihrer dominanten Präsenz als allwissende Autorität in inhaltlichen wie sprachlichen Fragen gilt, so dass von ihrem Publikum Inhalte und Sprache unreflektiert als normgebend erachtet werden, ergeben sich Folgen für das allgemeine Denk- und Sprachvermögen. In dem vermeintlichen Glauben an die bildende Autorität, an die Allwissenheit der Zeitung, in ihrer Akzeptanz als leitendes Bildungsmedium sehen 25,3% der Diskursteilnehmer folglich eine Grundlage dafür, dass die Zeitung überhaupt einen entscheidenden Einfluss auf die sprachliche wie inhaltliche Bildung ihrer Leserschaft ausüben kann. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg erhöht sich die Zahl derer, die den Einfluss der Presse auf die deutsche Sprache auf den Autoritätsglauben der Zeitungsleser zurückführen, wobei die Vorstellung von der Autorität der Zeitung in allen Berufsgruppen ähnlich weit verbreitet ist (vgl. Tab. 39). Topos der Autorität der Zeitung Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

/

2

/

1

/

2

1

/

/

1

1

/

Schule

/

/

/

/

/

3

Hochschule

/

/

1

2

1

1

Sonstige

/

1

/

1

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

/

4

1

3

1

5

2

11

Gesamt

4/17 (23,53%)

6/13 (46,15%)

13/61 (21,31%)

23/91 (25,27%) Tab. 39: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Zeitung‘.

a.2 Die Presse und die allgemeine Sprachverwendung In engem Zusammenhang mit dem ‚Bildungs-Topos‘ steht auch der Topos der quantitativen Steigerung, der den Einfluss der Presse auf die sprachliche und inhaltliche Bildung näher differenziert: Da durch die Zeitung die Sprach- und Bildungsproduktion wie -rezeption quantitativ gesteigert werden, ergeben sich Konsequenzen für die qualitative Entwicklung und für das Verständnis von Sprache und Bildung.

Die Definition der Topoi

183

Topos der quantitativen Steigerung Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

5

/

1

1

4

Journalistische Tätigkeit

1

/

/

2

3

1

Lehrende Tätigkeit

Schule

/

/

/

1

/

6

Hochschule

/

/

/

2

1

/

Sonstige

/

/

/

1

/

2

Keine Angaben

/

/

/

1

2

5

2

5

/

8

7

18

Gesamt

7/17 (41,17%)

8/13 (61,54%)

25/61 (40,98%)

40/91 (43,96%) Tab. 40: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der quantitativen Steigerung‘.

Wie aus Tab. 40 hervorgeht, werden aus der durch die Zeitung beeinflussten Zunahme der Sprach- und Bildungsproduktion zumeist die Presse negativ beurteilende Schlüsse gezogen. Während einige der Diskursteilnehmer kritisieren, dass durch die medial gesteigerte Sprachproduktion der geschriebenen Sprache mehr Raum gewährt werde und diese künstliche Sprache letztlich die lebendige, natürliche Sprache verdränge (vgl. ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘), verweisen andere pauschal auf einen sprachlichen Qualitätsverlust. Auch vertreten fast die Hälfte der Diskursteilnehmer (44%) die Ansicht, dass sich durch den Einfluss der Presse das Verständnis von Sprache ändere. Diese existiere nicht mehr aus einem Selbstzweck heraus (vgl. ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘), sondern werde – wie bereits die Betrachtung der Metaphorik, v.a. der Substanz-, Knechtschaft-, Todes- und Krankheitsmetaphorik, zeigte109 – durch ihre gesteigerte Verwendung ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug zum Ausdruck der Gedanken, das sich den kommunikativen Bedürfnissen ihrer Sprecher und Schreiber zu beugen habe (vgl. ‚Topos der Interaktion‘), denn jedes Leben reibt sich selber auf; und so verbraucht sich auch die Sprache, indem der Mensch sie mehr und mehr gebraucht […]. Je mehr eine Sprache sich derart abgenutzt hat, um so gefügiger wird sie den wachsenden Anforderungen an ihren Gebrauch. Man denkt gar nicht mehr durch die und in der Sprache; die Sprache spricht nicht mehr, sie verdolmetscht nur noch die Gedanken. (Von Wolzogen 1880: 2).

Die Gedanken wiederum seien zwar vielfältig, aber ebenfalls nicht tiefgreifend, sondern nur oberflächlicher Art, das erworbene Wissen nicht tiefgründig, sondern ein oberflächliches Scheinwissen. Die selbstständige Auseinandersetzung mit den Gegenständen gehe durch die Rezeption der Zeitungen verloren, denn 109

Vgl. Kapitel V.

184

Argumentationen im Diskurs

[…] sie verwandelten das ernstere Studium der Wissenschaften in leichte Journalleserei, woraus Seichtigkeit und Vielwisserei hervorging; ja die große Welt beschränkt sich fast allein darauf, wenn sie anders lesen mag, da sie wenig Zeit für Bücher übrig hat – viele Tausend lesen keine Bücher mehr, von denen man doch sprechen will – man hält sich an Journale, die wohlfeiler kommen, Recensionen ersparen die Zeit, das Buch selbst zu lesen, und sogar das Denken […], und doch spricht man, als ob man das Buch selbst studiert hätte. (Weber 1843: 379f.)

Die wenigen der Presse abwägend gegenüberstehenden Stimmen (vgl. Tab. 40) nehmen in dem Glauben daran, dass die sich wandelnde Gesellschaft zur schnellen Verbreitung von Ideen einer Vereinheitlichung der Sprache bedarf, die vermeintliche Gefahr einer qualitativen Minderung der Geistesprodukte durch die gesteigerte Sprach-/Schrift- und Bildungsproduktion in Kauf: Der Messias der neuen Literatur kann nur die Zeit selbst sein, in deren Dienst und für deren Ideen zu arbeiten sich alle einzelnen Kräfte bestimmt halten, für ihren schönsten Beruf und einzigen Ruhm dies achtend, für die Sache da zu sein. Diese Literatur der großen Sache […] hat etwas Demokratisches in ihrem Charakter, das schon längst sich unter uns angekündigt hat. Zugleich mit dem massenhaften Anschießen einer wuchernden Vegetation, die im Allgemeinen keineswegs von natürlicher Fruchtbarkeit zeugt, hat sich der literarische Industrialismus, den übrigen industriellen Vervollkommnungen und Tendenzen nachfolgend, zu einer noch in keiner Zeit ähnlich vorhandenen Höhe und Ausdehnung gesteigert. Neben der Gefahr, daß dabei das Geistige allmählig zu einem Artikel der Technik werden kann, wird jedoch von der anderen Seite eine schnelle und wohlfeile Verbreitung der Ideen und des Materials dadurch bewirkt, die an das Erstaunenswürdige grenzt. (Mundt 1834: 5)

Aufgegriffen und nach ihrem Bezug näher differenziert wird diese vor allem von den Schriftstellern des Diskurses aufgestellte Problematik (vgl. Tab. 40), dass die Qualität zugunsten der Quantität gemindert werde, im ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘ und im ‚Topos der mechanischen Rezeption‘(vgl. 186). a.3 Die Presse als Bindeglied zwischen den Wissensbereichen Expliziert wird der ‚Bildungs-Topos‘ zudem durch den Bindeglieds-Topos, in welchem das Verständnis von den Printmedien als Vermittler oder Bindeglied zwischen den Wissens- und Lebensbereichen formuliert ist, die „den Wechselverkehr zwischen Lehre und Ausübung [unterhalten]“ und „die Wissenschaft ins Leben ein und das Leben zur Wissenschaft zurück[führen]“ (Börne 1818a: 669): Da die Zeitung in ihrer Multifunktionalität und Themenvielfalt als Bindeglied zwischen unterschiedlichen Wissens- oder Fachbereichen und der Alltagswelt fungiert und deren Inhalte und Sprache einer differenzierten Leserschaft vermittelt, trägt sie nicht nur zu einer inhaltlichen und sprachlichen Bildung ihres Publikums bei, sondern fördert gleichzeitig Veränderungen/Verschiebungen in den sprachlichen Existenzformen. So ist es in den Augen einiger Diskursteilnehmer beispielsweise ein Verdienst der allen zugänglichen Zeitungen, dass die zuvor nur einem exklusiven Kreis zugängliche

Die Definition der Topoi

185

Schriftsprache demokratisiert werde, „der schriftmäßige Ausdruck durch tausend und aber tausend Adern in Theile des Volkes hinein[dringt], die sonst keine Bücher, als höchstens die Bibel zu sehen bekommen“ (Rückert 1864: 110f.). Vor allem die der Presse abwägend gegenüberstehenden Diskursteilnehmer heben ihren Vorzug hervor, eine allgemein verständliche, einheitliche Sprache zu verbreiten und so den neuen kommunikativen Bedürfnissen der Sprecherinnen und Sprecher entgegenzukommen, auch über lokale wie soziale Grenzen hinweg kommunizieren zu können (vgl. ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘). Laut jener der Presse negativ gegenüberstehenden Autoren des Diskurses fördere die Presse als Bindeglied zwischen den Wissensbereichen hingegen eine Verfremdung der deutschen Sprache, da sie beispielsweise den wenig lebendigen Fachwortschatz ehemals exklusiver Bereiche, der zudem vorwiegend aus Fremdwörtern bestehe, weiter verbreite. Auch wird – wie bereits durch den ‚Topos der quantitativen Steigerung‘ – impliziert, dass die Merkmale geschriebener Sprache durch diese Mittlerfunktion zunehmend Verbreitung finden und die der gesprochenen Sprache dominieren und letztlich verdrängen. Der vor allem durch die Nahrungs-, Kleider- und Substanzmetaphorik110 implizierte ‚Bindeglieds-Topos‘ ist über den gesamten Untersuchungszeitraum und in allen Berufsgruppen weit verbreitet, wobei negative und abwägende Einschätzungen ähnlich verteilt sind (vgl. Tab. 41). Bindeglieds-Topos Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

3

1

/

1

2

2

Journalistische Tätigkeit

2

1

/

1

3

2

Schule

1

2

/

/

1

5

Hochschule

/

/

1

3

3

2

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

/

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

5

5

6

5

1

5

14

17

Gesamt

11/17 (64,71%)

6/13 (46,15%)

48/91 (52,75%) Tab. 41: Die quantitative Verteilung des ‚Bindeglieds-Topos‘.

110

Vgl. Kapitel V.

31/61 (50,82%)

186

Argumentationen im Diskurs

a.4 Die Rezeption der Zeitung Als bedeutend für die Qualität der sprachlichen, kulturellen und politischen Bildung – auch und vor allem im Sinne der von Rückert (1864: 110f.) propagierten Demokratisierung der (einheitlichen Schrift-)Sprache durch die Zeitung – wird von zahlreichen Diskursteilnehmern die Rezeptionsweise der Zeitung erachtet, die oftmals eine[m] hastige[n] Lesen bei den Zeitungslesern [entspricht], bei beiden aber herrscht ein hastiges Denken, mit dem man die Vorkommnisse meist in Eile über gewisse Gedankenleisten schlägt […] Unser gutes Deutsch und unser klares Denken mit ihm, beide leiden unter dem jetzigen Stand der Dinge gar schwer, Kräfte der Verwüstung und Verwirrung sind da zur Zeit in Wirksamkeit, denen ein kräftiger Damm entgegenzusetzen wäre. (Hildebrand 1867: 115)

Das „hastige Lesen“ in Verbindung mit dem Glauben an die Allwissenheit der Zeitung verhindere eine notwendige Auseinandersetzung mit den Inhalten und ihrer sprachlichen Gestaltung, wodurch schließlich das Denkvermögen der Leser und die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft beeinflusst würden. „Das bloße Nachsprechen gebildeter stilisierter Phrasen“ (Rückert 1864: 112), „der stereotype Gedankengang, dem die Masse des Publikums dabei gehorcht, […] da er aus der geruckten Weisheit der Zeitung stammt“ (ebd.), gefährde folglich nicht allein „unser gutes Deutsch“ (Hildebrand 1867: 115), sondern auch „unser klares Denken“ (ebd.). Der bildende Einfluss der Zeitung wird demnach auch auf den Umgang der Leser mit der Presse zurückgeführt, der im ‚Topos der Autorität der Zeitung‘ und im hier aufgeführten Topos der mechanischen Rezeption von Bedeutung ist: Da die Zeitungsrezeption auf einer mechanischen Aufnahme des Lesestoffs und nicht auf einer gedanklichen Auseinandersetzung mit den Gegenständen im Eigenstudium beruht, sind Folgen für das Denkvermögen und die sprachliche wie kulturelle Entwicklung zu erwarten. Topos der mechanischen Rezeption 1. ZR Berufliche Tätigkeit

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

3

/

/

1

3

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

2

1

1

Schule

/

/

/

1

/

2

Hochschule

/

/

1

2

/

/

/

/

/

1

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige

Keine Angaben Gesamt

/

/

/

/

1

2

1

3

1

6

3

8

4/17 (23,53%)

7/13 (53,85%)

23/91 (25,27%) Tab. 42: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der mechanischen Rezeption‘.

12/61 (19,67%)

Die Definition der Topoi

187

Wie in Tab. 42 ersichtlich ist, findet sich der ‚Topos der mechanischen Rezeption‘ bei etwa einem Viertel aller Diskursteilnehmer, wobei die Zahl derer, die die Oberflächlichkeit der Zeitungsrezeption betonen und daraus Folgen für Bildung und Sprache erwarten, über die Zeiträume hinweg stetig zunimmt. Verbreitet ist diese Vorstellung vor allem bei den Autoren, die eine schriftstellerische Tätigkeit ausüben (vgl. Tab. 42).

b. Die Gestalt der Presse b.1 Die Produktionsweise der Zeitung Dem von Hildebrand kritisierten „hastige[n] Lesen bei den Zeitungslesern“ (Hildebrand 1867: 115) entspreche ein „ hastige[s] Arbeiten in den Zeitungsredaktionen“ (ebd.), das Auswirkungen auf die inhaltliche wie sprachliche Genauigkeit der Zeitung und schließlich auch auf die Bildung der Leser habe. Die Schreiberei der Alltagsköpfe ist wie mit Schablonen aufgetragen, besteht nämlich aus lauter fertigen Redensarten und Phrasen, wie sie eben im Schwange und Mode sind, und die sie hinsetzen, ohne selbst etwas zu denken. Der überlegene Kopf macht jede Phrase eigens für den speciellen, gegenwärtigen Fall. (Schopenhauer 1951a: 567)

Aus zeitlichen Gründen – die nicht zuletzt durch die wirtschaftliche Abhängigkeit und die Notwendigkeit des finanziellen Verdienstes begründet werden – zeichne sich die Zeitung durch eine sprachliche und inhaltliche Oberflächlichkeit aus, die von den Lesern übernommen werde, da diese in dem Glauben an die Autorität der Presse weder Sprache noch Inhalte der Presse hinterfragen, sondern sie oberflächlich rezipieren. Folge sei in diesem Falle der bereits mehrfach erwähnte allmähliche Verlust des Sprach- und Denkvermögens. Der Journalist, der seine Karriere jung antritt, bringt nur halbe Kenntnisse mit, noch ist er nicht dazu gelangt, eigene Forschungen anzustellen, und doch verlangt man von ihm Schnelligkeit im Denken und Schreiben. Hier sitzt der Krebsschaden unseres Zeitungswesens, und aus diesem Hasten und Jagen entspringen Fehler, die unserem Zeitungswesen und dem Journalistenstande anhaften. Verlangte man weniger Schnelligkeit als Gründlichkeit, weniger Äußerlichkeit als Innerlichkeit, es würden sich nicht so viele unreife Elemente dazu drängen, die den ganzen an sich gewiß ehrenwerten Stand blamieren. (Sabin 1893: 15f.)

In einem wechselwirkenden Verhältnis mit dem „Topos der quantitativen Steigerung‘, dem ‚Topos der Autorität der Zeitung‘ und dem ‚Topos der mechanischen Rezeption‘ steht folglich der Topos der oberflächlich-medialen Produktion: Da die Presse Nachrichten ohne tiefgehende Gedankenarbeit und sprachliche Achtsamkeit unter Zeitdruck produziert, sind Folgen für die sprachliche und inhaltliche Genauigkeit der Zeitungen und schließlich für den Leser und seinen Sprachgebrauch zu erwarten. Wie bereits der ‚Topos der mechanischen Rezeption‘ findet sich auch der im gesamten Untersuchungszeitraum mit 57,14% weit verbreitete ‚Topos der oberflächlich-medialen

188

Argumentationen im Diskurs

Produktion‘ vor allem bei den am Diskurs teilnehmenden Schriftstellern. Auffallend ist, dass die oftmals als Krankheit metaphorisierte Oberflächlichkeit, die aus den medialen Produktionsbedingungen hergeleitet wird und als ansteckend für Sprache und Bildung der Zeitungsleser empfunden wird111, in der ersten Jahrhunderthälfte deutlich weniger betont wird als im letzten Jahrhundertdrittel (vgl. Tab. 43). Topos der oberflächlich-medialen Produktion 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

3

/

2

1

7

Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit Sonstige Keine Angaben Gesamt

/

/

/

2

2

2

Schule

/

2

/

2

/

6

Hochschule

/

/

/

2

1

3

/

/

/

1

0

2

/

/

/

1

3

10

/

5

/

10

7

30

5/17 (29,41%)

10/13 (76,92%)

37/61 (60,66%)

52/91 (57,14%) Tab. 43: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘.

Eng mit dem ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘ verbunden ist der Topos der mediensprachlichen Spezifik, der neben den Produktionsbedingungen weitere funktionale Eigenschaften der Presse und deren Auswirkung auf ihre sprachliche Gestaltung betrachtet wie beispielsweise die kommunikativen Anforderungen oder die Rezeptionsbedingungen: Da die Presse ihren funktionalen Eigenschaften gerecht werden muss, d.h. mit aktuellen, in regelmäßigen Abständen erscheinenden Nachrichten über alle Wissensbereiche des menschlichen Lebens eine größtmögliche Wirkung bei einem differenzierten Publikum erreichen muss, bildet sie eigene sprachliche Regeln und Besonderheiten heraus/ greift sie auf bestehende Sprachformen und -konstruktionen zurück, die den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. In den ersten beiden Untersuchungszeiträumen implizieren nur wenige Diskursteilnehmer, dass die Zeitung ihre[r] eigene[n] Redeweise [bedarf]; wir gestehen ihr das zu. Stets neu, stets interessant, stets wachsam, wichtig und alarmierend, wie sie ist, sein muß und sein will, spricht sie die Sprache der Aufregung. Stets fatiguiert, stets enttäuscht, stets zum Erfolge und Ziele, ja oft 111

Vgl. Krankheits- und Todesmetaphorik, Kapitel V.

Die Definition der Topoi

189

ums Dasein betrogen, stets sklavisch im Joche, mit Schnellpressen und Setzmaschinen, mit Posten und Telegraphen stets im Wettrennen, spricht sie aber auch die Sprache der Abspannung. Drittens spricht die Zeitung, die mit der ganzen Mitwelt mitleben, und um Einfluß zu haben, auf gutem Fuß mit ihr stehen muß … die Sprache der Schonung, der Höflichkeit. Auf dieses dreiteilige Schema ungefähr wird sich alles zurückführen lassen, was von neuerungssüchtiger Eigentümlichkeit den Zeitungsstil kennzeichnet, was seine Phraseologie motiviert. (Kürnberger 1866: 28)

Im letzten Untersuchungszeitraum hingegen steigt die Zahl derer stark an, die die sprachlichen Besonderheiten der Zeitungen auf die produktiven und rezeptiven Bedingungen zurückführen (vgl. Tab. 44). Vor allem Lehrer und Journalisten versuchen, Erklärungen für eventuelle sprachliche Spezifika der Zeitung zu finden und gelangen zu der Einsicht, „daß sie die Sprache nicht lassen kann, so wie sie ist. Journale müssen nun einmal anders sprechen als Bücher, und unaufhaltsam ist der moderne Massen-Bildungsgang vom Buch zum Journal“ (Kürnberger 1866: 29). Topos der mediensprachlichen Spezifik Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

/

/

/

/

1

1

2

/

/

/

2

2

Schule

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/

/

2

3

2

Hochschule

/

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/

1

2

Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

3

3

2

/

/

2

10

10

Gesamt

2/17 (11,76%)

2/13 (15,38%)

20/61 (32,79%)

24/91 (26,37%) Tab. 44: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘.

b.2 Die wirtschaftliche Lage Nicht allein der Zeitdruck – hervorgerufen durch die Notwendigkeit, in kürzester Zeit einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen – gilt den Diskursteilnehmern als prägend für die inhaltliche und sprachliche Gestaltung der Zeitung. Vielmehr trage auch die wirtschaftliche Abhängigkeit von den zahlenden Mächten zu dem Zeitdruck der Journalisten bei, führe aber vor allem zu einer geistigen Abhängigkeit der Verfasser und letztlich auch der Leser. Als „Schriftsteller von Profession, welche ihr tägliches Brod durch ihr tägliches Schreiben verdienen“ (Schopenhauer 1856–60: 473), seien Journalisten weder in ihrer Themen- noch in ihrer Sprachwahl frei, sie können keine eigenen Ge-

190

Argumentationen im Diskurs

danken entwickeln, sondern lediglich die der zahlenden Mächte für ihre Leserschaft reproduzieren. Folglich setze die Geldmacht […] ein mechanisches Besorgen an die Stelle des geistigen Schaffens, die Staatsmacht zwingt den Geist in Bahnen, welche die Willkür verzeichnet: das eigentliche Schaffenden und Belebende, die schriftstellerische Kraft, ist zurückgeschoben, untergeordnet oder verdrängt. (Wuttke 21875: 143)

Diese wirtschaftliche wie geistige Abhängigkeit berge letztlich die Gefahr der Manipulation. Der diesen Überlegungen zugrundeliegende Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit besagt: Da die Zeitung ein kommerzielles Unternehmen ist, welches abhängig von seinen finanziellen Förderern agiert, sind ihre Verfasser weder in ihrer gedanklichen Tätigkeit, noch in ihrer Themen- und Sprachwahl oder -ausgestaltung frei, so dass Folgen für eine freie geistige und sprachliche Entwicklung der Verfasser und ihrer Leser zu erwarten sind, aber auch die Gefahr der Manipulation besteht. Kritisiert wird die wirtschaftliche Abhängigkeit, die im gesamten Untersuchungszeitraum 24,2% der Diskursteilnehmer als Ursache einer Knechtung der geistigen und sprachlichen Entwicklung betrachten112, vor allem von den Schriftstellern des Diskurses, aber auch die Zahl der Vertreter anderer Berufsgruppen steigt spätestens im zweiten Untersuchungszeitraum an (vgl. Tab. 45). Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

2

/

2

/

3

Journalistische Tätigkeit

1

/

/

/

2

/

Lehrende Tätigkeit

Schule

/

/

/

/

/

3

Hochschule

/

/

/

2

/

/

Sonstige

/

/

/

1

/

2

Keine Angaben

/

/

/

/

1

3

1

2

/

5

3

11

Gesamt

3/17 (17,65%)

5/13 (38,46%)

14/61 (22,95%)

22/91 (24,18%) Tab. 45: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘.

112

Vgl. Knechtschaftsmetaphorik, Kapitel V.

Die Definition der Topoi

191

b.3 Die Verfasser Die Gefahren und Vorzüge der Journalistik sind aber auch für den Charakter der Zeitungsschreiber vorhanden. Und Zeitungsschreiber wird heutzutage gelegentlich einmal jedermann (Mauthner in Bulthaupt 1891: 12).

Als bedeutend für die Gestalt und den Einfluss der Presse wird neben den Produktionsbedingungen und der wirtschaftlichen Lage auch die (Aus-)Bildung der Journalisten erachtet. Dass „jedermann“ (ebd.) journalistisch tätig werden kann, ohne in einer journalistischen Ausbildung die spezifischen Produktions- wie Rezeptionsbedingungen des Zeitungswesens und die sprachlichen Möglichkeiten des Verfassens von Zeitungen kennenzulernen, wird häufig als Ursache der durch die Presse vermeintlich hervorgerufenen Missstände erachtet. Topos der journalistischen Bildung (gesamt) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

4

/

1

1

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

2

1

Schule

/

/

/

/

/

4

Hochschule

/

/

/

1

0

1

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

1

0

1

Keine Angaben

/

/

/

/

1

5

/

5

/

3

4

13

Gesamt

5/17 (29,41%)

3/13 (23,08%)

17/61 (27,87%)

25/91 (27,47%) Tab. 46: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (gesamt).

Aus den Überlegungen, dass die Qualität der Presseerzeugnisse von der Bildung der Journalisten abhängig sei, ergibt sich häufig die Forderung nach neuen Ausbildungsmöglichkeiten für Zeitungsschreiber: Der Gedanke, die Ausübung des publizistischen Berufes von einem vorgezeichneten Bildungsgange abhängig zu machen, ist nicht neu. Er ergab sich als ein natürlicher Rückschlag gegen das Übel des journalistischen Proletariates. (Löbl 1903: 203)

Diese im Topos der journalistischen Bildung zusammengefassten Vorstellungen können deskriptiven Charakters (a) sein, insofern sie lediglich die Auswirkungen der fehlenden journalistischen Bildung beschreiben, oder normativen Charakters (b), insofern sie die beschriebenen Auswirkungen voraussetzen und der mutmaßlichen Entwicklung gegensteuernde Maßnahmen fordern:

192

Argumentationen im Diskurs

Da Journalisten aus den unterschiedlichsten Bereichen und mit unterschiedlicher (akademischer) Vorbildung in den Redaktionen zusammentreffen und sie mit ihrer Arbeit großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, a) ergeben sich Folgen für die Qualität der Presseerzeugnisse. (deskriptiv) b) sollten Möglichkeiten einer spezifisch journalistischen Ausbildung geboten werden. (normativ) (a) Topos der journalistischen Bildung (deskriptiv) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

4

/

1

1

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

1

1

Schule

/

/

/

/

/

4

Hochschule

/

/

/

/

0

1

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

1

/

1

0

1

Keine Angaben

/

/

/

/

/

3

/

5

/

2

2

11

Gesamt

5/17 (29,41%)

2/13 (15,38%)

13/61 (21,31%)

20/91 (21,98%) Tab. 47: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (deskriptiv). (b) Topos der journalistischen Bildung (normativ) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

/

/

/

/

/

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

1

/

Schule

/

/

/

/

/

/

Hochschule

/

/

/

1

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

1

2

/

/

/

/

2

2

Gesamt

/

1/13 (7,69%)

4/61 (6,56%)

5/91 (5,49%) Tab. 48: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (normativ).

Die Definition der Topoi

193

Etwa ein Viertel aller Diskursteilnehmer führt die sprachlichen Missstände des Pressewesens auf die mangelnde (Aus-)Bildung der Journalisten zurück (vgl. Tab. 46), wobei es sich hierbei zumeist um eine pauschale Verurteilung des Journalistenstandes handelt, an die keinerlei Forderungen oder Vorschläge gebunden sind, wie diese vermeintlich schlechte Situation gebessert werden könne (vgl. Tab. 47). Nur 5,5% der Autoren des Diskurses, die sich vornehmlich im letzten Untersuchungszeitraum äußern, schlagen zur Besserung der Situation die Schaffung journalistischer Aus- und Weiterbildungsbildungsmöglichkeiten vor (vgl. Tab. 48).

c. Die Verpflichtungen der Presse Neben der Forderung berufsspezifischer Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeiten für Journalisten appellieren 27,9% der Diskursteilnehmer an ihr Verantwortungsbewusstsein (vgl. Tab. 49), dem sie sich in ihrer wichtigen Bildungsfunktion verpflichtet fühlen sollten: Wir haben den Journalismus in seiner korrosiven Einwirkung auf die Sprache mit dem Sauerstoff in der Luft verglichen. Aber ein Unterschied ist es doch. Der Sauerstoff ist eine blinde Naturkraft und Journale werden von bewussten Vernunftswesen geschrieben. Sie können aufmerken auf das, was sie tun, sie können zerstören und aufbauen nach freier Wahl. Mög’ euch denn das Bewusstsein eurer Mission – einer wirklichen Mission! – keinen Augenblick verlassen, Hüter der Sprache, Schreiber der Sprache. (Kürnberger 1866: 30) Topos der moralischen Verpflichtung Berufliche Tätigkeit

Schriftstellerische Tätigkeit Journalistische Tätigkeit Lehrende Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

/

/

/

/

1

1

1

/

/

1

/

1

Schule

/

/

/

/

/

2

Hochschule

/

/

/

2

/

/

Sonstige

/

1

/

1

/

1

Keine Angaben

/

/

/

/

1

4

1

1

/

4

2

9

Gesamt

2/17 (11,76%)

4/13 (30,77%)

11/61 (18,03%)

17/91 (27,87%) Tab. 49: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der moralischen Verpflichtung‘.

Aus der Feststellung, daß die Fehlerhaftigkeit des Stils von solcher Art ist, daß sie hätte vermieden werden können, wenn deren Herausgeber und Mitarbeiter mit derjenigen Achtsamkeit geschrieben hätten, die

194

Argumentationen im Diskurs

zu befolgen Pflicht ist, sobald man vor dreißig Millionen Menschen spricht. (Börne 1826: 594),

lässt sich folgender Topos der moralischen Verpflichtung herleiten: Da die Zeitung wegen ihres bildenden Einflusses eine hohe Verantwortung für ihre Leserschaft trägt, sollten Maßnahmen getroffen werden, die die Verfasser moralisch dazu verpflichten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und großen Wert auf Richtigkeit und Verständlichkeit ihrer inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung zu legen.

d. Die gesellschaftspolitische Dimension der Presse d.1 Die öffentlichkeitsstiftende Funktion der Presse und ihre Einschränkung Große Bedeutung wird der Presse – ob in positivem oder negativem Sinne – für die kulturelle wie politische Positionierung der deutschen Gesellschaft als einer Nation beigemessen, die nicht zuletzt über die Ausprägung einer einheitlichen, allen verständlichen Sprache als gemeinsamer Kommunikationsgrundlage – wie im ‚Topos der nationalen Identität‘ impliziert – verläuft: Die öffentliche Meinung ist ein See, der, wenn man ihn dämmt und aufhält, so lange steigt, bis er schäumend über seine Schranken stürzt, das Land überschwemmt und alles mit sich fortreißt. Wo immer aber ein ungehinderter Lauf gegeben ist, da teilt er sich in tausend Bäche mannigfaltiger Rede und Schrift, die, friedlich durch das Land strömend, es bewässern und befruchten. Die Regierungen, welche die Freiheit der Rede unterdrücken, weil die Wahrheiten, die sie verbreiten, ihnen lästig sind, machen es wie die Kinder, welche die Augen zuschließen, um nicht gesehen zu werden. […] Der freie Strom der öffentlichen Meinung, dessen Wellen die Tagesschriften sind, ist der deutsche Rubikon, an welchem die Herrschsucht weilen und sinnen mag, ob sie ihn überschreiten und das teure Vaterland und mit ihm die Welt in blutige Verwirrung bringen, oder ob sie sich selbst besiegen und abstehen soll. (Börne 1818b: 824f.)

Häufig wird als Grundlage dessen, dass die Presse die Ausprägung einer allen gemeinsamen Sprache und das geistige Wachstum der Nation durch den öffentlichen Austausch befördern könne, die Notwendigkeit der freien, unzensierten Rede erachtet. Der hier zugrundeliegende Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe findet sich im Korpus in deskriptiver Ausprägung (a) – sofern allein die Funktion der Presse für die Ausprägung einer allen verständlichen Sprache als Grundlage einer einheitlichen Nation impliziert ist – und in normativer (b) – sofern die Möglichkeit einer unzensierten Redefreiheit gefordert wird, um dieser Funktion gerecht zu werden: Da die Zeitung ihre Leser durch ihre inhaltliche und sprachliche Gestaltung an allen Interessensbereichen des menschlichen Lebens/der Öffentlichkeit teilhaben lässt,

Die Definition der Topoi

195

a) nimmt sie Einfluss auf die einheitliche Ausprägung der deutschen Sprache und die kulturelle wie politische Positionierung der deutschen Nation. (deskriptiv) b) sollten Maßnahmen getroffen werden, die die freie Meinungsäußerung, die unzensierte Redefreiheit anregen und befördern, um das geistige Wachstum des Volkes durch den öffentlichen Austausch zu ermöglichen. (normativ) (a) Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe (deskriptiv) 1. ZR Berufliche Tätigkeit

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

3

/

1

/

/

Journalistische Tätigkeit

1

1

/

1

2

1

Schule

/

/

/

/

/

1

Hochschule

/

/

1

1

1

/

/

/

/

/

/

1

Lehrende Tätigkeit Sonstige Keine Angaben Gesamt

/

1

/

/

2

2

1

5

1

3

5

5

6/17 (35,29%)

4/13 (30,77%)

10/61 (16,39%)

20/91 (21,98%) Tab. 50: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ (deskriptiv). (b) Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe (normativ) 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. Negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

2

/

/

/

/

/

Journalistische Tätigkeit

2

/

/

/

/

/

Schule

2

/

/

/

/

/

Hochschule

/

/

/

/

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

/

/

6

/

/

/

/

/

Gesamt

6/17 (35,39%)

/

/

6/91 (6,59%) Tab. 51: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ (normativ).

196

Argumentationen im Diskurs

Während die Bedeutung der Presse für die kulturelle und sprachliche Positionierung in allen drei Untersuchungszeiträumen unabhängig von der beruflichen Tätigkeit der Diskursteilnehmer betont wird (vgl. Tab. 50), wird die unzensierte Redefreiheit als Grundlage einer geistig gewachsenen Nation nur von Autoren des ersten Untersuchungszeitraums gefordert. Diese messen der Presse als Mittel der Verbreitung einer allen gemeinsamen nationalen Sprache und als Medium des öffentlichen Austauschs eine grundlegend positive Bedeutung bei der Bildung einer deutschen Nation bei (vgl. Tab. 51). Dem ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ sehr ähnlich und wie der normative ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ ebenfalls nur im ersten Untersuchungszeitraum verbreitet (vgl. Tab. 52) ist der Verhinderungs-Topos, der sich auf die Folgen der Pressezensur für Sprache und Bildung konzentriert: Da die Pressezensur den freien Ausdruck und Austausch von Gedanken verhindert, werden hohe Anforderungen an Sprache und Stil gestellt/ hat sie Auswirkungen auf die Sprach- und Geistesentwicklung. Verhinderungs-Topos 1. ZR Berufliche Tätigkeit

abwägend

2. ZR

3. ZR

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

2

1

/

/

/

/

Journalistische Tätigkeit

2

/

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/

/

/

Schule

1

/

/

/

/

/

Hochschule

/

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/

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/

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/

/

/

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige Keine Angaben Gesamt

/

/

/

/

/

/

5

1

/

/

/

/

6/17 (35,39%)

/

/

6/91 (6,59%) Tab. 52: Die quantitative Verteilung des ‚Verhinderungs-Topos‘.

Beispielsweise erachtet Auerbach die Zensur als „das wesentliche Hinderniß einer volksthümlichen Sprache“ (Auerbach 1846: 223): Der körnige Ausdruck, der den Gegenstand rund heraus packt, das Ding beim rechten Namen nennt, wird durch die Censur verdrängt. Das Starke, Feste muß abgeschwächt und verdünnt, die frische Blüte des Lebens zu einem verkochten Sud verwandelt, das Handfeste breiig gemacht werden. Man darf keinen wirklichen Gegenstand, keine Thatsache, keinen Charakter frisch herausgreifen, und was auf ein bestimmtes Einzelnes gemünzt ist, was ein kenntlich bezeichnendes Gepräge haben sollte, muß zum Allgemeinsatze eingeschmolzen werden. Einem Allgemeinsatze stellt man viel weniger nach, als wenn man dem wirklichen Leben geradezu auf den Leib geht. Das Wesen des Volksthümlichen, des individuell durchgearbeiteten und

Die Definition der Topoi

197

Neugewonnenen ist aber, vom Einzelnen, Bestimmten, zum Allgemeinen aufzusteigen, während wir es jetzt meist den Lesern überlassen müssen, die allgemeinen Recepte auf ihre besonderen Zustände anzuwenden und solche allein zu erkennen. (ebd.)

Da zum Verstehen der zensierten Presse eine Bildung notwendig ist, „wie sie noch auf keine Weise vorausgesetzt werden kann“ (Auerbach 1846: 223), könne sich auch der nationale Geist nicht frei entfalten. Die Feststellung Auerbachs, „daß wir die volksthümliche Schrift und Sprache erst mit und in der Freiheit gewinnen werden“ (Auerbach 1846: 225), rekurriert in ihrer implizierten Forderung, die Zensur abzuschaffen, wiederum auf den ‚Topos der national-öffentlichen Teilhabe‘. d.2 Die medialen Folgen des gesellschaftlichen Wandels Fast die Hälfte der Kritiker – vor allem jene, die schriftstellerisch tätig sind – verweist auf einen Zusammenhang zwischen dem Wandel der Bildung vermittelnden Medien und dem der Gesellschaft (vgl. Tab. 53). Topos der gesellschaftlichen Anforderungen 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

abwägend

tend. Negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

4

/

2

2

3

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

2

/

/

Schule

/

/

/

/

/

2

Hochschule

/

/

1

1

1

1

Sonstige

1

/

/

1

1

/

Keine Angaben

/

/

/

/

2

5

2

4

1

6

6

11

Gesamt

6/17 (35,29%)

Lehrende Tätigkeit

7/13 (53,85%)

17/61 (22,95%)

30/61 (49,18%) Tab. 53: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘.

So werde das Buch als bisher bedeutendstes Bildungsmedium zunehmend von der Zeitung verdrängt, „denn unaufhaltsam ist der moderne Massen-Bildungsgang vom Buch zum Journal“ (Kürnberger 1866: 29), da die Presse in ihrer spezifischen Produktionsund Rezeptionsweise eher den Anforderungen der schnelllebigen Zeit gerecht werde. Auch die zunehmende sprachliche Bildung durch die Zeitung entspreche den sich wandelnden kommunikativen Bedürfnissen der Zeitgenossen nach einer weiträumig gültigeren Sprache: Was Volksschule und Tagespresse sammt dem regsameren Leben für die Verbreitung der schriftgemäßen oder höheren Sprachweise leisten, ist doch nur zuletzt der Ausdruck eines tie-

198

Argumentationen im Diskurs

fer liegenden Grundzuges der Zeit. Das unbedingte Streben nach einer Ausgleichung der von der früheren Geschichte geschaffenen Unterschiede, nach einer Niederlegung der Schranken, die Oberes und Unteres, Höheres und Niederes sonst trennen, gibt der ganzen politischen und socialen Arbeit der Neuzeit ihr eigentliches Lebensprinzip. Der Staat auf breitester Grundlage und die Gesellschaft auf ebenso breiter bleibt das Ideal, dem diese Zeit nachstrebt, mag sie es auch noch so dürftig fassen und noch so schwerfällig und albern sich in ihrem Ringen darnach anstellen. Wie aber Staat und Gesellschaft alle Prärogative zu Gunsten Aller oder des abstrakten Volkes fallen lassen müssen, so auch die Sprache. Auch diese demokratisiert sich, aber so, daß sie vornehmer wird. Jedermann sucht den Unterschied der Bildung [...] unwillkürlich dadurch auszugleichen, daß er sich, so gut es eben gehen will, dem offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung, der höheren Sprache nähert. (Rückert 1864:114f)

Aus diesen Überlegungen lässt sich folgender Topos der gesellschaftlichen Anforderungen herleiten: Da sich aufgrund des Gesellschaftswandels, der sich in einer Mobilisierung der Bevölkerung und einem zunehmenden Bildungsstreben zeigt, die Kommunikations- und Bildungsanforderungen verändern, findet ein Wandel der Bildung vermittelnden und Kommunikation anregenden Medien und ihrer Sprache statt. In dem obigen Zitat Rückerts erscheint die Zeitung nicht allein als „Motor“ ihrer Zeit, insofern sie die Verbreitung von Bildung und allgemein verständlichen Sprachformen befördert, sondern gleichzeitig auch als Ausdruck bzw. „Spiegel“ ihrer Zeit und deren Anforderungen. Eng verbunden mit dem ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘ ist folglich jener vor allem im letzten Untersuchungszeitraum und ebenfalls unter den Schriftstellern dominante Topos der kulturellen Wechselwirkungen (vgl. Tab. 54), in welchem die Funktion der Presse als Kulturträgerin impliziert ist: Da die Zeitungen in einem wechselwirkenden Verhältnis gleichzeitig die Menschen an öffentlichen Themen teilhaben lassen und die Öffentlichkeit durch die Wahl ihrer Inhalte bestimmen, sind sie als wichtige Kulturträger sowohl Ausdruck als auch Motor ihrer Zeit. Dieses Verständnis der Zeitung als Trägerin und Ausdrucksmittel der Zeit ist nicht allein eine Eigenart der Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts, sondern findet sich auch bei späteren Autoren, wie beispielsweise das 1931 veröffentlichte Zitat Karl Jaspers zeigt: Die technische Überwindung von Zeit und Raum durch die tägliche Mitteilung der Zeitung, das Reisen, die Mannigfaltigkeit des Abbildens und Reproduzierens durch Kino und Radio hat eine Berührung aller mit allem ermöglicht. Nichts ist fern, nichts geheim, wunderbar. Die Zeitung ist das geistige Dasein unseres Zeitalters, das Bewußtsein, wie es in den Massen sich verwirklicht. Das Entstehen eines Standes mit eigenem Ethos, der faktisch die geistige Weltherrschaft ausübt, ist das Kennzeichen unseres Jahrhunderts. Sein Schicksal ist mit der Welt eines, der Journalist kann eine Idee des modernen universalen Menschen verwirklichen, sein Schicksal verflicht er bewußt mit dem der Zeit. (Karl Jaspers 51999: 42)

Die Definition der Topoi

199

Topos der kulturellen Wechselwirkung 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Berufliche Tätigkeit

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

2

3

/

1

2

4

Journalistische Tätigkeit

1

/

/

2

2

2

Schule

/

/

/

/

/

4

Hochschule

/

/

/

/

1

1

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

1

/

Keine Angaben

/

/

/

/

2

7

3

3

/

3

8

18

Gesamt

6/17 (35,29%)

3/13 (23,08%)

26/61 (42,62%)

35/91 (38,46%) Tab. 54: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘.

d.3 Die Presse als Spiegel und Motor ihrer Zeit in der Kritik Dass die Zeitung, da sie in einem derartigen wechselwirkenden Verhältnis mit den zeitgenössischen sprachlichen, soziokulturellen und politischen Entwicklungen steht, oftmals für jegliche Veränderungen der zeitgenössischen Lebenswelt verantwortlich gemacht wird, erklärt der Journalist in Löbls Erzählung und impliziert die Forderung nach einer differenzierteren Betrachtungsweise der Wechselwirkung von Medien-, Gesellschafts- und Sprachentwicklung: Man hat sich aber gewöhnt, mit den Zeitungen besonders strenge ins Gericht zu gehen und sie als Träger der Sprachkorruption hinzustellen. Ihr Urtheil würde milder ausfallen, wenn Sie gewohnt wären, alle übrigen Druckwerke, die Sie lesen, mit strengen Argusaugen auf die sprachliche Korrektheit hin zu prüfen. (Löbl 1892: 335[5.3f.])

Hier lässt sich folgender – nur im dritten Untersuchungszeitraum implizierter – Sündenbock-Topos (vgl. Tab. 55) als Folge des ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘ und des ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘ ableiten: Da die Presse als einflussreiches öffentliches Medium unter stärkerer Beobachtung steht als private, einem exklusiven Leserkreis zugängliche Schriftstücke, sie fälschlicherweise als Trägerin bzw. Quelle der vermeintlichen Sprachund Bildungskorruption betrachtet und deshalb zum Sündenbock jeglicher sprachlicher und gesellschaftspolitischer Defizite erhoben wird, müssen aufklärende Maßnahmen getroffen werden, die Zeitung (wissenschaftlich) differenziert zu beschreiben.

200

Argumentationen im Diskurs

Sündenbock-Topos Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

/

/

/

/

1

1

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

2

/

Schule

/

/

/

/

/

/

Hochschule

/

/

/

/

2

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

Keine Angaben

/

/

/

/

Gesamt

/

/

/

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/

/

4

1

/

9

2

/

11/61 (18,03%)

11/91 (12,09%%) Tab. 55: Die quantitative Verteilung des ‚Sündenbock-Topos‘. Spiegel-Topos Berufliche Tätigkeit

1. ZR

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Schriftstellerische Tätigkeit

1

1

/

/

1

/

Journalistische Tätigkeit

/

/

/

/

1

/

Schule

/

/

/

/

/

2

Hochschule

/

/

/

1

/

/

Lehrende Tätigkeit Sonstige

/

/

/

/

1

1

Keine Angaben

/

/

/

/

2

/

1

1

/

1

5

3

Gesamt

2/17 (11,76%)

1/13 (7,69%)

8/61 (13,11%)

11/91 (12,08%) Tab. 56: Die quantitative Verteilung des ‚Spiegel-Topos‘.

Dem ‚Sündenbock-Topos‘ sehr ähnlich ist der sich nur bei 12,08% der Diskursteilnehmer findende Spiegel-Topos (vgl. Tab. 56), insofern auch hier das Verständnis der Zeitung im Rahmen bzw. in ihrer Wechselwirkung mit dem zeitgenössischen gesellschaftlichen, politischen und sprachlichen Wandel dominiert. Im Mittelpunkt stehen hier aber weniger jener der Zeitung zugesprochene Status als Sündenbock oder jene diesen Status verändernden notwendigen (wissenschaftlich beschreibenden) Maßnahmen, sondern vielmehr die Notwendigkeit, dass die Zeitung einer eingehenden (zumeist negativen) Kritik unterzogen werden solle:

Die Definition der Topoi

201

Da die Zeitung die gesellschaftlichen Veränderungen sowohl in ihrer Produktions- als auch Rezeptionsweise widerspiegelt und antreibt, sollte sie – stellvertretend für den Gesellschaftswandel – zunehmend zum Mittelpunkt sprach- und gesellschaftskritischer Betrachtungen werden.

2.4 Zusammenfassung: Die Verteilung der Topoi im Diskurs a. Die das Sprachverständnis der Diskursteilnehmer beschreibenden Topoi Im Kontext der Frage nach dem Einfluss der Presse auf die deutsche Sprachentwicklung dominiert in allen drei Untersuchungszeiträumen die im ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ implizierte Vorstellung von einer Wechselwirkung zwischen Denken und Sprechen bzw. zwischen Denk- und Sprachfähigkeit in engerem oder zwischen Sprache und Bildung in weiterem Sinne. Die Zahl der Autoren, die dieses sprachideologische Verständnis in ihren Texten zum Ausdruck bringen, steigt zwar über den gesamten Untersuchungszeitraum kontinuierlich an, dieser Anstieg steht aber – wie v.a. der prozentuale Anteil der Autoren des dritten Untersuchungszeitraums zeigt – in keinem Verhältnis zu der steigenden Zahl der sich äußernden Autoren. Dass im letzten Untersuchungsdrittel nur 29,5% der Diskursteilnehmer die Vorstellung vertreten, dass Sprechen und Denken einen wechselseitigen Einfluss aufeinander nehmen, im ersten Untersuchungszeitraum immerhin 47,1% und im zweiten sogar 61,5% (vgl. Tab. 57), lässt allerdings nicht zwingend auf einen Wandel des Sprachverständnisses schließen. Vielmehr finden sich im ersten und dritten Untersuchungszeitraum deutlich mehr medientheoretische/-kritische Schriften (vgl. Tab. 8, S. 116), innerhalb derer das Sprachverständnis der Autoren nur selten durchscheint, da sie sich primär mit der historischen Entwicklung der Presse und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung auseinandersetzen.113 Der prozentuale Vergleich der Verteilung der Topoi bei den Diskursteilnehmern bietet sich folglich nicht an, sofern die drei Zeiträume miteinander verglichen werden sollen, sondern nur innerhalb eines Zeitraums, da die Rahmendiskurse, in die er als Binnendiskurs zumeist eingeordnet ist, in den einzelnen zeitlichen Teilkorpora unterschiedlich ausgeprägt sind. So finden sich im ersten Untersuchungszeitraum im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Schriften dieses Teilkorpus deutlich mehr sprachtheoretische/-kritische Schriften, in denen die Presse in Zusammenhang mit Sprache, Bewusstsein und Realität Erwähnung findet, als im zweiten oder dritten Teilkorpus. Im dritten Teilkorpus hingegen dominieren i.G. zu den ersten beiden Teilkorpora die medientheoretischen/-kritischen und sprachpflegerischen/sprachkritischen Schriften (vgl. Tab. 8, S. 116 und Abb. 6, S. 116). Interessant ist die prozentuale Verteilung der Topoi hingegen, um Vergleiche darüber anzustellen, welche Topoi innerhalb der einzelnen Teilkorpora dominant sind und wie sich diese Dominanz begründen lässt. 113

Vgl. Kapitel IV.

202

Argumentationen im Diskurs 1. ZR

Topos

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (gesamt)

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

2

6

/

8

abwägend

tend. negativ

3

15

8/17 (47,1%)

8/13 (61,5%)

18/61 (29,5%)

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (deskriptiv)

1

/

3

5/17 (29,41%)

7/13 (53,85%)

15/61 (24,59%)

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (normativ)

1

/

/

Topos der Interaktion Topos der nationalen Identität

4

2

3/17 (17,65%)

1/13 (7,7%)

/

1

4

7

1

8

3

3/61 (4,92%) 3

2

6

4/17 (23,53%)

4/13 (30,77%)

8/61 (13,11%)

1

2

3

4

5/17 (29,41%)

7

8/13 (61,54%)

11

14/61 (22,95%)

Tab. 57: Die Verteilung der das Sprachverständnis der Kritiker betreffenden Topoi.

Ähnlich verhält es sich bei der Verbreitung des ‚Topos der nationalen Identität‘, der insofern in engem Zusammenhang zum ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ steht, als er die Vorstellung impliziert, dass die Sprache gleichermaßen Trägerin und Ausdrucksmittel des spezifisch deutschen Gedankenguts und somit der nationalen Identität sei. Die Dominanz dieses Topos im Diskurs ist vor allem vor dem Hintergrund der politischen und sprachlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts zu verstehen, denn v.a. in den ersten beiden zeitlichen Phasen wurde nicht allein die Forderung nach einer politischen Neuordnung des deutschsprachigen Raumes immer lauter, die zu Beginn des letzten Untersuchungszeitraums ihre Erfüllung in der Gründung eines deutschen Nationalstaates fand, auch weiteten sich der Geltungsbereich und die Trägerschicht der Standardvarietät derart aus, dass diese nicht mehr als bürgerliches Statusoder Sozialsymbol, sondern als einheitsstiftendes Nationalsymbol fungierte.114 Dieser (sprach-)historischen Entwicklung von einem Sozial- zum einem Nationalsymbol scheint ein sich marginal wandelndes Verständnis der Diskursteilnehmer zu entsprechen. Während die Diskursteilnehmer der ersten beiden zeitlichen Teilkorpora in ihrem (national-)sprachideologischen Verständnis Maßnahmen forderten, das Sprachverständnis der Menschen dahingehend zu stärken, dass sie eine gemeinsame „reine und reiche“ Sprache als Grundlage einer nationalen Gemeinschaft sprechen, konzentrieren sich die Autoren des letzten Untersuchungszeitraumes auf die Forderung, das Nationalsymbol 114

Vgl. Kapitel III.

Die Definition der Topoi

203

Sprache durch richtigkeits- und reinheitsfördernde Maßnahmen zu stabilisieren und zu wahren. Deutlich weniger verbreitet als der ‚Topos der nationalen Identität‘ oder der ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ ist mit nur 17,6% (vgl. Tab. 28, S. 169) der den interaktiven Charakter von Sprache betonende ‚Topos der Interaktion‘. Diese nur geringe Verbreitung des Verständnisses von der Sprache als (Verkehrs-)Mittel des Gedankenaustauschs, das wandelbar sein müsse, insofern es beispielsweise unterschiedlichen Kommunikationssituationen und -bereichen gerecht werden oder verschiedene Funktionen erfüllen müsse, verdeutlicht, dass – wenigstens im vorliegenden Diskurs – das ideologische Verständnis von Sprache über jenem pragmatischen dominiert. Schriftstellerische Tätigkeit (22)

Journalistische Tätigkeit (12)

Lehrende Tätigkeit

Schule (17)

Hochschule (15)

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (gesamt)

3/22 (13,63%)

2/12 (16,7%)

12/17 (70,6%)

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (deskriptiv)

2/22 (9,1%)

/

Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung (normativ)

1/22 (4,5%)

Topos der Interaktion Topos der nationalen Identität

Topos

Sonstige (5)

Keine Angaben (20)

5/15 (33,3%)

4

8

10/17 (45,5%)

4/15 (26,7%)

3

8

2/12 (16,7%)

2/17 (11,8%)

1/15 (6,7%)

1

/

3/22 (13,63%)

/

6/17 (27,3%)

5/15 (33,3%)

1

1

3/22 (13,63%)

/

10/17 (45,5%)

6/15 (40%)

2

6

Tab. 58: Die Verteilung der das Sprachverständnis der Kritiker betreffenden Topoi.

Wie Tab. 58 zeigt, reflektieren vor allem jene Diskursteilnehmer über den Sinn und die Bedeutung der Sprache, die eine lehrende Tätigkeit ausüben. Dies mag vor allem dadurch zu erklären sein, dass sie sich täglich mit der Vermittlung von Wissensinhalten und den Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks beschäftigen. Grundlage für eine solche Wissens- und Sprachvermittlung ist die Reflexion und Sicherung des eigenen (Sprach-)Verständnisses, aber auch das Wissen um die eigene Funktion innerhalb des (Sprach-)Bildungsprozesses, insofern

204

Argumentationen im Diskurs

der deutsche Unterricht der wichtigste ist, und da diese Wichtigkeit, wie groß oder klein sie auch einer ansetzen mag, unzweifelhaft mit der höchsten Aufgabe der deutschen Schule als deutscher zusammenhängt, mit der rechten Pflege des Deutschtums. (Hildebrand 1867: 1)

b. Die die Sprachverwendung beschreibenden Topoi b.1 Die im Diskurs propagierten Autoritäten Mehr als ein Drittel der Diskursteilnehmer (vgl. Tab. 30, S. 171) verweist im Rahmen seiner Argumentation über die zeitgenössische Sprachverwendung auf Autoritäten, wobei in allen drei Untersuchungszeiträumen vor allem die Schriftsteller der klassischen Literaturperiode als verbindliche sprachliche Vorbilder propagiert, als „Maßstab für die Beurteilung der zeitgenössischen sprachlichen Verhältnisse“ (Henne 1965: 176), (vgl. Tab. 59) betrachtet werden. Dass die Zahl der Autoren, die sich auf Autoritäten berufen, über die drei Untersuchungszeiträume konstant zunimmt, lässt sich dadurch erklären, dass sich die Trägerschicht standardnaher Varietäten seit der Durchbruchsphase der Industrialisierung115 stetig vergrößert und letztlich zum Symbol einer deutschen Nation wird. Durch die Entstehung regionaler Umgangssprachen oder die Verbreitung fachsprachlicher Elemente durch die Massenpresse erweitert sich nicht allein die Varietätenvielfalt, sondern auch die Frage danach, was richtiges Deutsch – v.a. im Hinblick auf dessen identitätsstiftende Funktion – ist. Da sich v.a. das Bildungsbürgertum den spezifischen Stiltraditionen der klassischen deutschen Literatur verpflichtet fühlte (vgl. Dieckmann 1991: 362), d.h. sich „sprachlich an den Klassikern, vor allem an Schiller und Goethe, orientiert und seine Bildung durch einen charakteristischen Sprachgebrauch zu zeigen pflegte“ (Sandig 2007: 157), liegt es nahe, dass die Autoritäten dieser im 19. Jahrhundert gesellschaftlich wie sprachlich führenden sozialen Gruppierung für alle Deutschsprechenden verbindlich propagiert werden. Dieser konservative Rückverweis auf die Sprache der Klassiker als verbindliche Norm, die Besinnung auf das bewährte „Alte“, das konsequente Festhalten an einer alltagsfernen Literatursprache, die – wenigstens in der ersten Jahrhunderthälfte – Status- und Sozialsymbol einer sozialen Gruppierung ist, stellt für die Kritiker die letzte Sicherheit in einer sich wandelnden und neu formierenden Gesellschaft dar und ist zudem ein geeignetes Mittel, um den von Sprach- und Bildungswissen abhängigen sozialen Status zu sichern (vgl. von Polenz 1999: 59). Während der ‚Topos der Autorität der Klassiker‘ auf ein statisches Sprachverständnis verweist, impliziert der ‚Topos der Autorität des Sprachgebrauchs‘ die sprachdynamische Vorstellung von einer Wandelbarkeit und Entwicklungsfähigkeit der Sprache. Zwar steigt im Laufe des 19. Jahrhunderts die Zahl der Autoren an, die diese Vorstellung vertreten, dass allein der sich gemäß der kommunikativen Anforderungen wandelnde Sprachgebrauch normgebend sein dürfe, der ‚Topos der Autorität des Sprachge-

115

Vgl. Kapitel III.

Die Definition der Topoi

205

brauchs‘ ist aber wie der ‚Topos der Autorität der Sprachgesetze‘ im Diskurs nur marginal vertreten (vgl. Tab. 59; Tab. 32, S. 172; Tab. 33; S. 173). 1. ZR Topos

Autoritäts-Topos

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

3

3

1

8

6/17 (35,3%)

9/13 (69,23%)

2

/

abwägend

tend. negativ

4

14

18/61 (29,5%)

Topos der Autorität der Klassiker

2

4/17 (23,53%)

4/13 (30,77%)

8/61 (13,11%)

Topos der Autorität des Sprachgebrauchs

1

1

2

1/17 (5,88%)

2/13 (15,38%)

6/61 (9,83%)

Topos der Autorität der Sprachgesetze

/

/

/

/ 1

1/17 (5,88%)

4

2

1 3

3/13 (23,08%)

6 4 /

4/61 (6,56%)

Tab. 59: Die Verteilung der Autoritäts-Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume.

Topos

Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

Lehrende Tätigkeit Schule

Sonstige

Keine Angaben

Hochschule

Autoritäts-Topos

5

1

12

10

3

2

Topos der Autorität der Klassiker

3

1

6

3

3

/

Topos der Autorität des Sprachgebrauchs

1

/

3

3

/

2

Topos der Autorität der Sprachgesetze

1

/

3

4

/

/

Tab. 60: Die Verteilung der Autoritäts-Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

Dass vor allem die Diskursteilnehmer auf Sprachautoritäten verweisen, die eine lehrende Tätigkeit ausüben (vgl. Tab. 60), ist bedingt durch die besonderen beruflichen Anforderungen. Die Aufgabe des Lehrers besteht vor allem darin, (Sprach-)Wissen zu vermitteln, den Schülern Regeln zu bieten, nach denen sie verfahren können, und Fehlerhaftigkeiten in Orientierung an einem festen Regelkatalog streng zu korrigieren. Hieraus folgt, dass sie sich – aufgrund dieses täglichen Umgangs mit der Vermittlung der Sprache – nicht allein auf die Korrektur vermeintlicher Sprachfehler konzentrieren, sondern vor allem auf die Frage, welche Regeln bzw. Autoritäten angeführt werden können, um Fehler und Unsicherheiten im Sprachgebrauch zu vermeiden.

206

Argumentationen im Diskurs

b.2 Die Wandlungsfähigkeit und das Ansehen der Sprache Die Vorstellung von der Wandlungsfähigkeit und -notwendigkeit der Sprache aufgrund der sich verändernden kommunikativen Anforderungen, der jene Diskursteilnehmer widersprechen, die die Autorität der Klassiker propagieren und somit ein statisches Sprachverständnis implizieren, ist im ersten Teilkorpus kaum verbreitet. Nur drei Diskursteilnehmer (17,7%) des Zeitraumes sehen einen Zusammenhang zwischen dem Wandel der kommunikativen Anforderungen und jenem der Sprache. Spätestens ab der Jahrhundertmitte steigt aber die Zahl der Autoren deutlich an, in deren Texten sich der ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ findet und somit die Vorstellung von der Wandelbarkeit der Sprache impliziert wird (vgl. Tab. 61). 1. ZR

2. ZR

Topos

abwägend

tend. negativ

Topos der kommunikativen Anforderungen

2

1

Topos der sprachlichen Einschränkung

1

3/17 (17,65%) 1

2/17 (11,76%)

3. ZR

abwägend

tend. Negativ

2

4

6/13 (46,15%) 1

/

1/13 (7,69%)

abwägend

tend. negativ

8

15

23/61 (37,7%) 6

5

11/61 (18,03%)

Tab. 61: Die Verteilung der die Wandlungsfähigkeit der Sprache betreffenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume.

Einige wenige Autoren, die die sprachdynamische Vorstellung vom Wandel der Sprache vertreten, sprechen sich gegen regulative Bestrebungen und somit gegen die oben beschriebene Berufung auf sprachliche Autoritäten aus, da diese zu einer Einschränkung der freien Entwicklung und des notwendigen kommunikativen Wandels der Sprache führen. Während die Zahl der Autoren, in deren Texten dieser die Wandlungsfähigkeit der Sprache voraussetzende ‚Topos der sprachlichen Einschränkung‘ zu finden ist, in den ersten beiden Teilkorpora mit 11,8% und 7,7% äußerst gering ist, steigt sie spätestens im letzten Jahrhundertdrittel deutlich an (vgl. Tab. 61). Dass sich die Vorstellung von der Wandlungsfähigkeit der Sprache im Laufe des Untersuchungszeitraums deutlich verbreitet, ließe sich dadurch erklären, dass sich die „Umschichtung und Neukonstruktion verschiedener Sprachformen“ (Cherubim 1983b: 404) in Abhängigkeit von den rasanten gesellschaftspolitischen, ökonomischen und medialen Entwicklungen in einer ungeahnten Schnelligkeit vollzieht. Daraus ergibt sich, dass sich die Zeitgenossen – vor allem die sich täglich mit der Sprache, ihrer Entwicklung und Regelhaftigkeit beschäftigenden Lehrer (vgl. Tab. 62) – des sprachlichen Wandels direkt gewahr werden, dass sie ihn aktiv miterleben und sich das Verständnis von der Wandelbarkeit der Sprache langsam manifestieren kann. Diese Entwicklung führt bei den Diskursteilnehmern – abhängig von Gefühlslage und Lebenseinstellung – dazu, den Sprachwandel entweder als natürlich und notwendig anzunehmen und regu-

Die Definition der Topoi

207

lative Bemühungen als Einschränkung der sprachlichen Entwicklung zu verstehen oder ihn als Gefahr für Sprache und Gesellschaft zu empfinden, die beispielsweise durch die Berufung auf Autoritäten gebannt werden kann. Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

Lehrende Tätigkeit Schule

Hochschule

Topos der kommunikativen Anforderungen

4

4

9

Topos der sprachlichen Einschränkung

2

1

2

Topos

Sonstige

Keine Angaben

6

/

9

4

/

5

Tab. 62: Die Verteilung der die Wandlungsfähigkeit der Sprache betreffenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

Einige der zeitgenössischen Autoren, die die Vorstellung von dem Wandel der Sprache aufgrund der sich ändernden kommunikativen Anforderungen vertreten, vermerken schließlich auch, dass gerade bei den Diskursteilnehmern die kritische Beschäftigung mit der Sprache zunimmt, die den Wandel nicht als natürlich, sondern als gefährlich wahrnehmen. Dieser ‚Topos der Sprachkritik‘, der den engen Zusammenhang zwischen Sprach- und Gesellschaftswandel wie Sprachkritik impliziert, findet sich nur marginal bei den Autoren der ersten beiden Untersuchungszeiträume des Diskurses, immerhin aber bei 18% der des letzten Teilkorpus. Dass dieser Topos im Vergleich der drei Teilkorpora v.a. im dritten Untersuchungszeitraum dominant ist (vgl. Tab. 63), ließe ebenfalls im Hinblick auf die „Umschichtung und Neukonstruktion verschiedener Sprachformen“ (Cherubim 1983b: 404) vermuten, dass die Zeitgenossen des sprachlichen Wandels zunehmend gewahr werden und ihn zumeist als Bedrohung empfinden. Denn spätestens in diesem Zeitraum beginnen auch die unteren – sprachlich und kulturell weniger gebildeten – sozialen Gesellschaftsschichten, sich standardnaher bzw. weiträumig gültiger Varietäten zu Ungunsten der lokalen Dialekte zu bedienen und gefährden in den Augen des Bildungsbürgertums durch ihre sprachliche wie kulturelle Unkenntnis nicht allein die Sprache, sondern auch ihren eigenen von einem vorab exklusiven Sprach- und Bildungswissen abhängigen sozialen Status.116 Impliziert ist diese Vorstellung von der sozialsymbolischen Funktion der Sprache, die zu einem Wandel oder – mit Cherubim – auch zu einer Umschichtung der sprachlichen Existenzformen führen könne, bei nur 17,8% der Autoren des Diskurses (vgl. Tab. 36, S. 178), wobei die Zahl der Autoren, in deren Texten sich der ‚Sozialsymbol-Topos‘ findet, über die drei Teilkorpora (vgl. Tab. 63) und innerhalb der Berufsgruppen (vgl. 116

Vgl. Kapitel III.

208

Argumentationen im Diskurs

Tab. 64) hinweg relativ konstant bleibt. Dass er im Verhältnis am weitesten im zweiten Teilkorpus verbreitet ist, ließe sich dadurch erklären, dass sich in der Durchbruchsphase der Industrialisierung der Geltungsbereich der Standardvarietät auszubreiten und das Bürgertum sein Sozialsymbol zu verlieren beginnt.117 1. ZR Topos

Sozialsymbol-Topos Topos der Sprachkritik

2. ZR

3. ZR

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. Negativ

2

2

1

5

1

5

4/17 (23,53%)

6/13 (46,15%)

6/61 (9,84%)

1

/

7

/

1/17 (5,8%)

/

/

3

10/61 (16,39%)

Tab. 63: Die Verteilung der das Ansehen der Sprache beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume. Journalistische Tätigkeit

Lehrende Tätigkeit

Topos

Schriftstellerische Tätigkeit

Sonstige

Schule

Hochschule

Keine Angaben

Sozialsymbol-Topos

3

3

4

3

1

2

Topos der Sprachkritik

1

1

3

3

/

3

Tab. 64: Die Verteilung der das Ansehen der Sprache beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

c. Die Bildungsfunktion der Zeitung beschreibende Topoi Abgesehen vom ‚Bindeglieds-Topos‘, der in den Texten der Diskursteilnehmer des zweiten Teilkorpus deutlich weniger verbreitet ist als in denen des ersten und dritten Teilkorpus, steigt die Zahl der Autoren des Diskurses, bei denen sich die den Einfluss der Zeitung spezifizierenden Topoi finden, im Laufe des Untersuchungszeitraums kontinuierlich an (vgl. Tab. 65). Im ersten und dritten Untersuchungszeitraum dominiert die Vorstellung, dass die Zeitung die Funktion inne hat, Bindeglied zwischen den gesellschaftlichen Wissensbereichen zu sein und als solches gleichermaßen zur inhaltlichen wie sprachlichen Bildung ihres Publikums beitrage. Ähnlich weit verbreitet ist der ‚Topos der quantitativen Steigerung‘ bei 43,96% aller Diskursteilnehmer (vgl. Tab. 40, S. 183), der impliziert, dass die durch die Presse gesteigerte Sprach- und Bildungsproduktion – vornehmlich negative – Auswirkungen auf die qualitative Entwicklung der Sprache habe. Auch die Vorstellung, dass der bildende Einfluss der Zeitung weniger auf eine unbewusste Ori117

Vgl. Kapitel III.

Die Definition der Topoi

209

entierung des lesenden Publikums als vielmehr auf einen bewussten Glauben der Leser an die Autorität und Wissensallmacht der Presse zurückzuführen sei (vgl. ‚Topos der Autorität der Zeitung‘), ebenso wie die Erkenntnis, dass die aus dem Autoritätsglauben und der mangelnden Zeit resultierende mechanische Aufnahme des Lesestoffs Auswirkungen auf Sprach- und Denkvermögen habe, findet sich bei etwa einem Viertel aller Autoren des Diskurses (vgl. ‚Topos der mechanischen Rezeption‘). 1. ZR

2. ZR

Topos

abwägend

tend. Negativ

Topos der Autorität der Zeitung

1

3

Topos der quantitativen Steigerung

2

Bindeglieds-Topos Topos der mechanischen Rezeption

4/17 (23,53%) 5

3. ZR

abwägend

tend. negativ

1

5

6/13 (46,15%) /

8

abwägend

tend. negativ

2

11

13/61 (21,31%) 7

18

7/17 (41,17%)

8/13 (61,54%)

25/61 (40,98%)

6

1

14

5

5

17

11/17 (64,71%)

6/13 (46,15%)

31/61 (50,82%)

1

1

3

3

4/17 (23,53%)

6

7/13 (53,85%)

8

12/61 (19,67%)

Tab. 65: Verteilung der die Bildungsfunktion der Zeitung beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume. Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

Lehrende Tätigkeit Schule

Hochschule

Topos der Autorität der Zeitung

5

3

3

Topos der quantitativen Steigerung

12

7

Bindeglieds-Topos

9

Topos der mechanischen Rezeption

8

Topos

Sonstige

Keine Angaben

5

3

4

7

3

3

8

9

9

9

2

10

4

3

3

1

3

Tab. 66: Verteilung der die Bildungsfunktion der Zeitung beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

Dass die Verteilung der die Bildungsfunktion der Zeitung spezifizierenden Topoi über die Untersuchungszeiträume hinweg zunimmt, korreliert mit dem zunehmenden Bildungsbestreben der Menschen in der neu entstehenden Industriegesellschaft und der Ausweitung des Wirkungskreises der Presse, der im ersten Teilkorpus noch stark eingeschränkt ist, ab der Jahrhundertmitte dann aber einen entscheidenden Entwicklungs-

210

Argumentationen im Diskurs

schub erfährt.118 Während der erste Untersuchungszeitraum eher geprägt ist von „vorbereitenden“ Forderungen und Bemühungen, die reine Informationsaufgabe der Zeitung um eine auffordernde zu erweitern, kann sich die Presse ab der Jahrhundertmitte durch ihre Funktionserweiterung zur Parteipresse als einflussreiches Medium „etablieren“ und im letzten Drittel schließlich als multifunktionales Massenmedium „konsolidieren“.

d. Die die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi In der Betrachtung der inhaltlichen und sprachlichen Gestalt der Presse konzentrieren sich mehr als die Hälfte der Diskursteilnehmer der drei Untersuchungszeiträume (vgl. Tab. 43, S. 188) auf die Umstände der Zeitungsproduktion, die wegen des Zeitdrucks, unter dem die Journalisten arbeiten, zu einer Oberflächlichkeit der Zeitung führe. Die Zahl der Diskursteilnehmer, die daraus Rückschlüsse auf die sprachliche wie geistige Bildung der Zeitungsleser zieht, verdoppelt sich im zweiten Untersuchungszeitraum und versiebenfacht sich im dritten Teilkorpus gegenüber der ersten Jahrhunderthälfte (vgl. Tab. 67). 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Topos

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

abwägend

tend. negativ

Topos der oberflächlich-medialen Produktion

/

5

/

10

7

30

5/17 (29,41%)

10/13 (76,92%)

37/61 (60,66%)

Topos der mediensprachlichen Spezifik

2

/

10

2/17 (11,76%)

2/13 (15,38%)

20/61 (32,79%)

Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit

1

/

3

Topos der journalistischen Bildung (gesamt)

/

Topos der journalistischen Bildung (deskriptiv)

/

5/17 (29,41%)

2/13 (15,38%)

Topos der journalistischen Bildung (normativ)

/

/

/

2

3/17 (17,65%) 5

5/17 (29,41%)

/

5

/

2

5

5/13 (38,46%) /

3

3/13 (23,08%) /

2

/

1/13 (7,69%)

10

11

14/61 (22,95%) 4

13

17/61 (27,87%) 2

11

13/61 (21,31%) 2

2

4/61 (6,56%)

Tab. 67: Die Verteilung der die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume. 118

Vgl. Kapitel III.

Die Definition der Topoi

211

Diese deutliche Steigerung geht einher mit der inhaltlichen Entwicklung der Presse, die im ersten Zeitraum noch weitestgehend auf die traditionelle Informationsvermittlung beschränkt war, im zweiten Zeitraum erweitert wurde durch die meinungsbildende Funktion und im Zeitraum schließlich Information, Meinungsbildung und Unterhaltung in sich vereinte.119 Mit der zunehmenden Multifunktionalität der Zeitung, die spätestens im letzten Jahrhundertdrittel alle Lebensbereiche und -interessen abdeckt, wächst folglich bei den Diskursteilnehmern der Eindruck, die Presse könne durch ihre inhaltliche Ausweitung ihre Themen nicht (mehr) in der angemessenen Tiefe behandeln, sondern sei zunehmend durch Oberflächlichkeit geprägt. Immerhin ein Viertel der Autoren des gesamten Diskurses (Tab. 45, S. 190) verweist auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Journalisten, auf die zunehmende Kommerzialisierung des Pressewesens als Ursache sprachlicher Veränderungen. Dass sich im letzten Untersuchungszeitraum bei deutlich mehr Diskursteilnehmern der ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘ findet, ist wie beim ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘ durch die medialen Entwicklungen bedingt, denn vor allem im letzten Drittel tritt eine Kommerzialisierung des Pressewesens ein, derer die Zeitgenossen gewahr zu werden scheinen und die sie überwiegend negativ beurteilen (vgl. Tab. 67). Die Ursache hierfür liegt einerseits in dem grundlegenden Wandel der Gesellschaft und ihrer Arbeitswelt begründet, andererseits in dem damit einhergehenden Wandel des Dichterbegriffs. Dass „die (an sich viel ältere) Lohnarbeit“ (Kocka 2001: 47) im Laufe des 19. Jahrhunderts „zum dauerhaften Massenphänomen“ wird, muss vor allem den gesellschaftlichen Gruppierungen fremd erscheinen, die sich durch Bildungsprivilegien von anderen Gesellschaftsschichten abzugrenzen versuchen. Denn weil in der sich grundlegend wandelnden Gesellschaft nicht mehr die geistige und auch sprachliche Bildung um ihrer selbst willen bedeutend erscheint, sondern lediglich der finanzielle Ertrag derselben, werden jene Ideale, auf denen ihre gesellschaftliche Existenz und Stellung aufgebaut war, grundlegend in Frage gestellt. Diese Existenzangst, das zunehmende Gefühl der Unsicherheit und des Verlustes traditioneller, gruppenspezifischer Werte erklärt auch die Tendenz der Diskursteilnehmer, die Journalisten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und ihrer vermeintlichen Unbildung als verantwortlich für den (negativen) Wandel von Sprache und Bildung zu bezeichnen. Diese Lohnarbeiter120, die zumeist aus den eigenen gesellschaftlichen Reihen kommen, schreiben nicht – wie gewünscht – aus idealistischen Gründen, sondern tragen zu einem weiteren Verlust der traditionellen gruppenspezifischen Werte bei, indem sie die Meinungen ihrer Geldgeber veröffentlichen, d.h. nicht im Dienste der Bildung, sondern des Kommerzes agieren. Eng verbunden mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit erachten etwas mehr als ein Viertel der Diskursteilnehmer folglich die (Vor-)Bildung (vgl. ‚Topos der journalistischen Bildung‘) der Journalisten als entscheidendes Kriterium für die inhaltli119 120

Vgl. Kapitel III. Vgl. hierzu die Bezeichnungen im Diskurs in Kapitel VI.

212

Argumentationen im Diskurs

che wie sprachliche Gestalt der Presseerzeugnisse (vgl. Tab. 46, S. 191). Dass v.a. die Zahl derer im letzten Jahrhundertdrittel steigt, die journalistische Ausbildungsmöglichkeiten fordern, lässt sich erklären durch die gesteigerten Anforderungen an die zunehmend hauptberuflich tätigen Journalisten, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit unter großem Zeitdruck der thematischen Vielfalt gerecht werden müssen (vgl. Tab. 68). Ebenfalls ein Viertel der Diskursteilnehmer betrachtet das Pressewesen (vgl. Tab. 44, S. 189) als Ganzes mit eigenen Produktions-, Rezeptionsbedingungen und Funktionen, aus denen sich inhaltliche wie sprachliche Besonderheiten ergeben, die als notwendiges Übel gedeutet werden, das es in der vorgegebenen Form nicht zwingend zu akzeptieren gilt. Dass der ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘ in den ersten beiden Teilkorpora deutlich weniger verbreitet ist als im letzten Untersuchungszeitraum, zeigt, dass mit dem steigenden sprachlichen wie gesellschaftlichen Einfluss der Presse im letzten Jahrhundertdrittel zunehmend auch ihre – z.T. objektiv-wissenschaftliche – Betrachtung und Beschreibung als Ganzes von Interesse ist. Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

Topos der oberflächlichmedialen Produktion

13

Topos der mediensprachlichen Spezifik

Topos

Lehrende Tätigkeit

Sonstige

Keine Angaben

Schule

Hochschule

6

10

6

3

13

2

6

7

3

/

6

Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit

7

3

3

2

3

4

Topos der journalistischen Bildung (gesamt)

7

3

4

2

3

6

Topos der journalistischen Bildung (deskriptiv)

7

2

4

1

3

3

Topos der journalistischen Bildung (normativ)

/

1

/

1

/

3

Tab. 68: Die Verteilung der die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

Dass sich die Topoi, die die Eindrücke der Diskursteilnehmer von der Gestalt der Presse und ihrer Bildungsfunktion beschreiben (vgl. Tab. 66, S. 209 und Tab. 68), vornehmlich in den Texten der Diskursteilnehmer finden, die schriftstellerisch tätig sind, lässt sich ebenfalls durch den zunehmenden Verlust traditioneller Werte und einer daraus resultierenden Existenzangst deuten. Gilt nicht mehr der idealistische Poet als anerkannte sprachlich wie kulturell bildende Autorität (vgl. ‚Topos der Autorität der Zeitung‘), sondern der Tagesschriftsteller (vgl. Langen 1957: 1396f.), verdrängt die Presse zu-

Die Definition der Topoi

213

nehmend die Literatur als primäres Bildungsmedium (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘) und setzen sich die Leser nicht mehr in ausführlicher Gedankenarbeit mit den Inhalten auseinander (vgl. ‚Topos der mechanischen Rezeption‘), so erscheint den Schriftstellern ihre gesellschaftliche Position zunehmend bedroht. Zur Sicherung der eigenen Existenzgrundlage grenzen sie sich entscheidend von dem „jungen“ Berufsstand der Journalisten ab. Eine Aufwertung des eigenen durch gedankliche Tiefe und Idealismus geprägten Schaffens versuchen sie zu erzielen, indem sie jenes der Presse und ihrer Verfasser als oberflächlich, ungebildet oder ertragsorientiert abwerten (vgl. ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘, ‚Topos der journalistischen Bildung‘, ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘). Im Gegenzug versuchen vor allem die Journalisten den medialen Sprachgebrauch und somit ihre Art zu schreiben zu rechtfertigen, indem sie auf die besonderen Rahmenbedingungen, die mediale Spezifik ihres Berufes verweisen (vgl. Tab. 68).

e. Die Verteilung der die gesellschaftliche Dimension der Presse beschreibenden Topoi im Diskurs Während in den bisher zusammenfassend betrachteten Bereichen die Gewichtung der Topoi innerhalb eines jeweiligen Teilkorpus im Vergleich zum gesamten Untersuchungszeitraum zumeist ähnlich war – beispielsweise ist der ‚Topos der oberflächlichmedialen Produktion‘ innerhalb der Gruppe der die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi in allen drei Teilkorpora dominant –, finden sich innerhalb der die gesellschaftliche Dimension der Presse implizierenden Topoi größere Unterschiede zwischen den einzelnen Untersuchungszeiträumen. So ist der ‚Verhinderungs-Topos‘ nur bei Diskursteilnehmern des ersten Teilkorpus präsent, da die Problematik der freien sprachlichen wie inhaltlichen Gestaltung der Zeitung, die durch die Pressezensur eingeschränkt wird, infolge der Märzrevolution von 1848/49 immerhin gelockert wird. Aus diesem Grund findet sich auch der normative ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘, der Maßnahmen zur freien Meinungsäußerung fordert, nur im ersten Untersuchungszeitraum, der Vorbereitungsphase der Massenpresse.121 Dass sich der deskriptive ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ auch bei Autoren des zweiten und dritten Teilkorpus findet (vgl. Tab. 69), verdeutlicht, von welch großer Bedeutung die Bemühungen um eine einheitliche Nation im gesamten Untersuchungszeitraum sind und dass die Presse eine nicht unbedeutende Rolle im Prozess der Nationalstaatenbildung und -erhaltung spielt, insofern sie als neues Massenmedium die Verbreitung einer einheitlichen Sprache und weiten Bildung befördern kann. Vornehmlich sind es die Journalisten selbst, die die Bedeutung der Presse für den nationalen geistigen Austausch und die Formierung wie Stabilisierung einer Nation hervorheben und somit gleichzeitig die gesellschaftspolitische Bedeutung ihres Schaffens unterstreichen (vgl. Tab. 70).

121

Zur Periodisierung der Medienentwicklungen vgl. Kapitel III.

214

Argumentationen im Diskurs 1. ZR

2. ZR

3. ZR

Topos

abwägend

tend. negativ

Topos der öffentlichnationalen Teilhabe (deskriptiv)

1

5

6/17 (35,29%)

4/13 (30,77%)

10/61 (16,39%)

Topos der öffentlichnationalen Teilhabe (normativ)

6

/

/

Verhinderungs-Topos

/

abwägend

tend. negativ

1

3

6/17 (35,39%)

/

5

/

1

/

abwägend

tend. negativ

5

5

/

/ /

/

/

6/17 (35,39%)

/

Topos der gesellschaftlichen Anforderungen

2

1

6/17 (35,29%)

7/13 (53,85%)

17/61 (22,95%)

Topos der kulturellen Wechselwirkung

3

/

8

Sündenbock-Topos Spiegel-Topos

4 3

/ 6 3

6

11 18

6/17 (35,29%)

3/13 (23,08%)

26/61 (42,62%)

/

/

9

/

/ 1

/

/ 1

2/17 (11,76%)

/

2

11/61 (18,03%) 1

1/13 (7,69%)

5

3

8/61 (13,11%)

Tab. 69: Die Verteilung der die gesellschaftliche Dimension der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume.

Mit der zunehmenden Entwicklung der Zeitung zum multifunktionalen Massenmedium wächst die Zahl der Diskursteilnehmer, die sich eines Wandels der Bildung vermittelnden Medien gewahr werden. Vor allem die der Schriftsteller sehen in ihrer subjektiven Wahrnehmung ihren eigenen literarischen Schaffenskreis durch die Presse bedroht (vgl. Tab. 70). Während in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen nur wenige Autoren des Diskurses die Zeitung als Mittel beschreiben, das dem steigenden Bildungsbedürfnis der Massen und somit den neuen gesellschaftlichen Anforderungen entgegenkommt und dadurch die Bedeutung des Buches bzw. der Literatur für die Bildung verdrängt, sind es im letzten Untersuchungszeitraum – der Konsolidierungsphase der Massenpresse – deutlich mehr Diskursteilnehmer (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘), die dem gesellschaftlich bedingten Medienwandel auch einen Sprachwandel beiordnen: Die Ausdrucksform der „Jetztzeit“ ist nicht mehr der Vers, sondern die Prosa […] Die moderne Prosa ist Ausdruck des Zeitgeistes, in ihr prägen sich die tragenden Ideen der Gegenwart aus. (Langen 1957: 1397f.)

Die Definition der Topoi

Topos

215 Schriftstellerische Tätigkeit

Journalistische Tätigkeit

Lehrende Tätigkeit Schule

Hochschule

Sonstige

Keine Angaben

Topos der öffentlichnationalen Teilhabe (deskriptiv)

4

6

1

3

1

5

Topos der öffentlichnationalen Teilhabe (normativ)

2

2

2

/

/

/

Verhinderungs-Topos

3

2

1

/

/

/

Topos der gesellschaftlichen Anforderungen

12

2

2

4

2

7

Topos der kulturellen Wechselwirkung

12

7

4

2

1

9

Sündenbock-Topos

2

2

/

2

/

5

Spiegel-Topos

3

1

2

1

2

2

Tab. 70: Die Verteilung der die gesellschaftliche Dimension der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen.

Dass die Presse in ihrer Bildungsfunktion als wichtige Kulturträgerin fungiere, die gleichermaßen den gesellschaftlichen Entwicklungen unterworfen sei, diese aber vor allem anrege und zum Ausdruck bringe, mutmaßen bereits einige wenige Diskursteilnehmer in den ersten beiden Teilkorpora. Dominant ist dieser ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘ aber erst bei den Autoren des dritten Untersuchungszeitraums, in dem die nun freie und multifunktionale Presse eine deutlich höhere Wirkung erzielen kann (vgl. Tab. 69, S. 214). Dass die Presse als Spiegel der gesellschaftlichen wie sprachlichen Entwicklungen stellvertretend für diese zum Mittelpunkt der Kritik werde, vermerken nur sehr wenige Diskursteilnehmer. Dass sie letztlich zum Sündenbock für diese Veränderungen gemacht werde und es aufklärender Maßnahmen bedürfe, vermitteln lediglich einige wenige Diskursteilnehmer des dritten Untersuchungszeitraums (vgl. Tab. 69). Zu erklären ist diese Verteilung des ‚Spiegel-Topos‘ und des ‚Sündenbock-Topos‘ als Reaktion auf die Zunahme der kritischen Betrachtung der Presse im letzten Teilkorpus, die i.G. zu den – oftmals (sprach-)politisch motivierten – Betrachtungen der ersten beiden Untersuchungszeiträume wenig differenziert wird.

216

Argumentationen im Diskurs

3. Zusammenfassung: Die dominanten Topoi des Diskurses Wie die eingehende Betrachtung der Topoi des Diskurses und ihrer Verteilung innerhalb der einzelnen Teilkorpora und des Gesamtkorpus ergeben hat, ist die kritische Betrachtung der Presse und ihres sprachlich bildenden Einflusses eng gebunden an die politischen, kulturellen, sprachlichen und medialen Veränderungen des 19. Jahrhunderts. So finden sich der normative ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ oder der ‚Verhinderungs-Topos‘ nur bei Autoren des ersten Untersuchungszeitraums, der geprägt war von Versuchen, die Pressezensur abzuschaffen, um einen freien geistigen Austausch aller als Grundlage einer deutschen Nation befördern zu können. Der ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘ ist hingegen im letzten Untersuchungszeitraum deutlich weiter verbreitet als in den ersten beiden Teilkorpora, da sich die Presse spätestens im letzten Jahrhundertdrittel zum multifunktionalen Massenmedium entwickelte, sich ihr sprachlicher wie gesellschaftlicher Einfluss deutlich steigerte und hieraus das Bedürfnis vieler Zeitgenossen erwuchs, sich der Presse als Ganzes – unter Einbezug ihrer Funktionen wie ihrer Produktions- und Rezeptionsbedingungen – weitestgehend objektiv beschreibend zu widmen. Nicht allein, dass diese Topoi an einen bestimmten historischen Kontext, an gewisse Entwicklungen gebunden sind – was die eingangs aufgestellte Hypothese 2 (vgl. S. 16) bestätigt –, lässt vermuten, dass ein enger Zusammenhang zwischen der kritischen Betrachtung der Presse, ihrer Sprache und der Historie besteht. Auch einige wenige Diskursteilnehmer selbst implizieren eine enge Verbindung von Presse-, Sprach- und Gesellschaftskritik wie von Presse-, Sprach- und Gesellschaftswandel. Sie bestätigen somit die Hypothesen 3 und 5 (vgl. S. 18), insofern sie darauf verweisen, dass die Presse als öffentliches Medium, das als wichtige Kulturträgerin gleichermaßen Ausdruck und Motor ihrer Zeit ist, unter strenger Beobachtung stehe und zum Sündenbock jeglicher sprachlicher wie gesellschaftspolitischer Defizite erhoben werde. Dass der Einfluss der Presse auf die Sprachentwicklung als derart bedeutend empfunden wurde, lässt sich aus dem vorherrschenden Sprachverständnis erklären. Dass in den Augen der Mehrzahl der Diskursteilnehmer die Sprache in einem wechselwirkenden Verhältnis zur geistigen Stärke steht (vgl. ‚Topos der sprachlichgedanklichen Wechselwirkung‘) und als Ausdrucksmittel des spezifischen Gedankenguts einer Nation zum Symbol nationaler Identität erhoben wird (vgl. ‚Topos der nationalen Identität‘), erweitert den Wirkungsbereich der Presse enorm. In diesem Sinne beeinflusst sie in der subjektiven Wahrnehmung der Diskursteilnehmer gleichermaßen die Entwicklung der Sprache, der Bildung und der nationalen Gemeinschaft. Festzuhalten ist folglich, (1) dass die kritische Betrachtung der Presse und ihrer Sprache durch verschiedenste gesellschaftliche Veränderungen motiviert ist (vgl. Hypothese 2, S. 16),

Zusammenfassung: Die dominanten Topoi des Diskurses

217

(2) dass sich – wie in Hypothese 3 (vgl. S. 18) eingangs angenommen – deshalb hinter der Kritik an Presse und Sprache eine Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen verbirgt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Presse als öffentliches Medium diese unterschiedlichen Veränderungen widerspiegelt und verstärkt, (3) dass – sofern Presse-, Sprach- und Gesellschaftskritik wie Presse-, Sprachund Gesellschaftswandel in einem wechselwirkenden Verhältnis stehen – die kritische Betrachtung durch eine zunehmende Unsicherheit der Zeitgenossen motiviert ist, die in einer Zeit des Wandels den Verlust traditioneller Konstanten als Gefährdung ihrer Lebenswelt verstehen und für die Verarbeitung des ungewissen Neuen die Presse als Katalysator nutzen. Nicht allein hinsichtlich der Motivation des Diskurses decken sich die Ergebnisse der Argumentationsanalyse weitestgehend mit denen der Metaphern- und Wortanalyse, sondern auch hinsichtlich der sprachlichen Gestalt und Wirkung der Presse, insofern (1) in allen drei Untersuchungszeiträumen – sofern das Sprachverständnis des Autors in den Texten zu erkennen ist – der ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ dominant ist, d.h. die Vorstellung einer wechselseitigen Beziehung von Sprechen und Denken. Folglich werden Urteile über sprachliche Richtigkeit […] abgeleitet aus einer spezifischen Auffassung über die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit. […] Untersucht man, worauf das Sprachgefühl ablehnend reagiert, so scheint ein ganz zentraler, auf allen Ebenen der Sprache anwendbarer Maßstab die Kongruenz zwischen Wörtern, Gedanken und Dingen zu sein, die in der Auffassung der Sprachkritiker eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Form und Inhalt bzw. Funktion erfordert. (Dieckmann 1991: 365)

Dieses Sprachverständnis wird zumeist begleitet von einem – im ‚Topos der nationalen Identität‘ seine Definition findenden – kollektiven Wissen um die nationalsymbolische Kraft der Sprache, die gleichermaßen als Ausdrucksmittel und Trägerin des spezifisch nationalen Gedankenguts verstanden wird. Zentral ist demnach die „Betonung der Funktionen der Sprache, die die nationale, kulturelle, literarische und […] auch ideologische Einheit konstituieren sollen“ (Neumann 1989: 266). (2) Da in der Wahrnehmung zahlreicher Diskursteilnehmer des gesamten Untersuchungszeitraums die Sprache und das Sprachverständnis einem entscheidenden Wandel unterworfen ist, der durch die gesellschaftlichen Entwicklungen und sich ändernden kommunikativen Anforderungen bedingt ist, verweisen die Diskursteilnehmer auf sprachliche Autoritäten. Vornehmlich sind es die Autoren der Weimarer Klassik (vgl. ‚Topos der Autorität der Klassiker‘), deren Geisteswerke in den Augen der Diskursteilnehmer das spezifisch deutsche Gedankengut enthalten, bewahren und vermitteln und somit

218

Argumentationen im Diskurs

geeignete Bezugsgrößen sind, um der Sprache, dem Denken und der Nation in den Zeiten des Umbruchs eine Sicherheit zu bieten. (3) Bewirkt oder wenigstens beschleunigt werde dieser Wandel durch die Presse. Im Rahmen dieses (national-)sprachideologischen Verständnisses einer Beziehung zwischen Sprechen, Denken und politischer Positionierung wird der Presse folglich nicht allein eine – ob positive oder negative – Wirkung auf die Sprache zugeschrieben, sondern damit einhergehend auf das Denken und die politische wie kulturelle Positionierung der Nation. Dominante Topoi, die den – ob sprachlich, gedanklich oder politisch – bildenden Einfluss der Presse beschreiben, sind über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg der ‚Topos der quantitativen Steigerung‘, der ‚Bindeglieds-Topos‘ und der ‚Topos der Autorität der Zeitung‘. Eine Vielzahl der Diskursteilnehmer versteht die Presse folglich als Vermittlerin zwischen den Wissensbereichen, die die Bildungs- und Sprachrezeption deutlich steigere, hierbei allerdings die Qualität der Sprache und des Denkens beeinflusse. Der Vielzahl der (Bildungs-)Inhalte und der Sprachformen folge in der subjektiven Wahrnehmung eine Abnahme der Qualität von Bildung und Sprache. Eine derartige Wirkung könne die Presse aber nur erzielen, weil ihr Publikum in ihr eine Autorität sehe, deren Inhalte und Sprache es nicht hinterfrage, was ebenfalls Auswirkungen auf die Denk- wie Urteilsfähigkeit und somit auf die Sprache und die politische wie kulturelle Positionierung der Nation habe. (4) Als vorwiegend negativ für die Sprach- und Denkfähigkeit der Nation wird von vielen der Autoren des Diskurses die durch Oberflächlichkeit gekennzeichnete Produktionsweise der Zeitung und die wirtschaftliche Abhängigkeit der Journalisten erachtet, die im ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘ und im ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘ ihre Definition erfahren. (5) Die negativen Auswirkungen der Gestalt der Zeitung werden von vielen Diskursteilnehmern vor allem deshalb betont, da sie die Presse als ein derart mächtiges Medium betrachten, das die Literatur, die im optimalen Falle das spezifisch deutsche Gedankengut enthalten, bewahren und vermitteln soll, allmählich als primäres Bildungsmedium verdränge (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘) und zum wichtigsten Kulturträger avanciere, der die zeitgenössischen Entwicklungen gleichermaßen zum Ausdruck bringe wie anrege (vgl. ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘). Inwiefern diese über den gesamten Untersuchungszeitraum dominanten Topoi ebenso wie die übrigen oben definierten Topoi in den einzelnen Teilkorpora unterschiedliche Ausprägungen erfahren, da sie in unterschiedliche historische Hintergründe eingebettet sind, soll in einer abschließenden qualitativen Betrachtung der drei Teilkorpora des Diskurses betrachtet werden.

VIII. Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

1. Die Presse im Spannungsfeld nationaler Bestrebungen (1800–1849) 1.1 Sprache und Nation Wie die quantitative Auswertung der Topoi des Diskurses ergeben hat, erscheint vielen Diskursteilnehmern des ersten Teilkorpus die Sprache als geeignetes Mittel, ihre Zugehörigkeit zu einer im Entstehen begriffenen deutschen Nation zu demonstrieren, denn „in seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk. In der Sprache Schatz ist die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt, hier waltet im Einzelnen, das Sinnliche, Geistige, Sittliche“ (Jahn 1810: 211). Da in der Sprache „die Urkunde [der] Bildungsgeschichte“ (ebd.) eines Volkes, mit Assmanns (2007: 139) Worten, sein gemeinsames Wissen und gemeinsames Gedächtnis niedergelegt ist, fördert die Kenntnis und das Sprechen dieser Sprache die Teilhabe an eben dieser gemeinsamen Bildungsgeschichte, dem gemeinsamen Wissen und dem gemeinsamen Gedächtnis. Hierdurch wiederum wird das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem Volk, das in Anlehnung an Assmann (2007:139 als nationale Identität verstanden werden soll, gestärkt und gefördert.122 Während Jahn im Rahmen seiner nationalen Bemühungen die integrative Funktion der Sprache betont, konzentriert sich von Steigentesch (1812) auf ihren andere Nationen ausgrenzenden Charakter und bestätigt nochmals, dass allein die Kenntnis und das Sprechen einer Sprache und keineswegs ihre Übersetzung die Teilhabe am Wissen und Gedächtnis eines Volkes fördere: Der Deutsche beklagt sich oft über das Urtheil des Auslandes, das zuweilen, ohne seine Sprache, seine Litteratur zu kennen, über beyde zu urtheilen wagt […] jede Sprache hat ihre Eigenthümlichkeiten, die durch die Übertragung in eine andere verloren gehen, und die beste Übersetzung gleicht einem gewendeten Kleide, dem das Feine, Glänzende und Weiche der andern Seite fehlt. (von Steigentesch 1812: 197)

Verstehen Jahn und von Steigentesch wie viele ihrer Zeitgenossen die Sprache als Mittel und Ausdruck des spezifischen Gedankenguts eines Volkes, das eine entscheidende Rolle bei der Steigerung des nationalen Gemeinschaftsgefühls, bei der „Formierung und 122

Vgl. Kapitel II.

220

Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Steigerung nationaler Identität“ (Stukenbrock 2005: 3) und der Positionierung der Nation spielt, so scheinen jegliche Veränderungen der Sprache Auswirkungen auf die nationale Identität und die Stellung des Volkes zu haben: Ein Volk, das seine eigene Sprache verlernt, giebt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprachen begreifen, und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dolmetscher taugen, es ist kein Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen. (Jahn 1810: 211)

„Verlernt“ (ebd.) ein Volk seine eigene Sprache durch „fremde Kunstausdrücke […] in Benennung von Personen, Würden, Ämtern, Handlungen und volksthümlichen Gegenständen“ (Jahn 1810: 374) oder neugebildeten Wörtern, so verliere es gleichermaßen den Bezug zu seiner gemeinsamen Bildungsgeschichte, seinem gemeinsamen Wissen und seinem gemeinsamen Gedächtnis. Kurz: mit der zunehmenden „Verfremdung“ der Sprache geht laut Jahn ein Verlust des Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem Volk, der nationalen Identität einher, der letztlich in einem Niedergang des Volkes und seiner Bildungsgeschichte selbst münde. Um derartigen Gefahren vorzubeugen und das Ziel eines einheitlichen Großdeutschlands verfolgen zu können, müsse die „Achtung der Volkssprache, [die] Sieger und Herrscher gemacht [hat]“ (Jahn 1810: 371), grundlegend sein und „fremde Kunstausdrücke […] vermieden werden“ (ebd.). Während auch Heyse in seiner Grammatik unter Zitierung Jahns den nationale Identität stiftenden Charakter der Sprache betont und dafür plädiert, „unsre edle Sprache nicht wieder von der Höhe, zu der sie sich gezwungen hat, herabsinken“ zu lassen, sondern „die schon vorhandenen unsterblichen Geisteswerke des Vaterlandes […], […] solche Meisterwerke der Sprache und Dichtkunst“ (Heyse 21827: 92) zu ehren, konzentriert sich von Steigentesch darauf, die mangelnde Regelhaftigkeit der Sprache in ihrer Abhängigkeit von den politischen Entwicklungen, dem Fehlen einer deutschen Nation herzuleiten: Die Verfassung Deutschlands, die es in zwey- oder dry hundert kleine Teile zerschnitt, erlaubte es den Deutschen nie ein Volk zu bilden, und selbst die Ausbildung der Sprache dehnte sich nie über die Gränzen aus, die einen deutschen Völkerstamm von dem andern trennten […] In einem engen Raum von zwanzig Jahren, von 1740 bis 1760 liegt das große Werk ihrer Entwicklung, und nur die deutsche Verfassung macht es möglich, zu erklären, warum ihre Regeln noch so unbestimmt und unsicher sind, und warum es jedem nur halb berühmten Nahmen erlaubt scheint, Eingriffe in ihre Rechte und Bestimmungen zu wagen. (von Steigentesch 1812: 202)

Letztlich stimmen beide, Heyse und von Steigentesch, darin überein, „dass nur durch die wahre Größe einer Nation auch ihre Litteratur gedeihen kann“ (Heyse 21827: 92) und die „Bühne eines Volks […] gewöhnlich der Maßstab seiner Bildung und seines Geschmacks [ist]“ (von Steigentesch 1812: 213). Eine entscheidende Rolle bei der Stiftung nationaler Identität im Zuge der Bestrebungen um eine politische Neuordnung des deutschsprachigen Raumes spielt folglich nicht allein die Sprache, sondern auch die Literatur, in der sich die geistige Stärke und die Sprache einer Nation vereinige, so dass

Die Presse im Spannungsfeld nationaler Bestrebungen (1800–1849)

221

sie die sprachlichen wie kulturellen Eigenarten eines Volkes filtern, transportieren, fördern und sichern könne.

a. Die Demokratisierung von Sprache und Bildung Um die Reinheit und Vielfalt der deutschen Sprache als Ausdrucksmittel des deutschen Kultur- und Gedankenguts zu wahren, schlagen Diskursteilnehmer wie beispielsweise Heyse nicht nur vor, die Geisteswerke der Sprach- und Dichtkunst, die wiederum die Gedanken eines Volkes beschreiben, zu ehren, zu bewahren und zu vermitteln. Weitere entscheidende Mittel, um die nationale Identität als Grundlage der Entstehung einer deutschen Nation zu formieren und zu steigern, seien die Beteiligung aller an öffentlichrelevanten Themen, der geistige Austausch und die daraus resultierende geistige wie sprachliche Entfaltung. Oberstes Ziel vieler Diskursteilnehmer ist folglich die Abschaffung der Zensur, durch die es dem Volk möglich werde, gedanklich und sprachlich frei zu agieren. „Damit solche Meisterwerke der Sprache und Dichtkunst, auch in Zukunft noch entstehen können, durch keinen Preßzwang den frei aufstrebenden Volksgeist verderbliche Fesseln anlegen!“ (Heyse 21827: 92). Die geistige Stärke eines Volkes sei – nach Jahn – die Grundlage seiner politischen Position in der Welt. Nach Heyse sind es vor allem die Zeitungen, „die auf die Erhöhung der allgemeinen Bildung den bedeutendsten Einfluss ausübten und dadurch auch das Fortschreiten der Sprache und Literatur begünstigten“ (Heyse 21827: 45). Großen Einfluss üben sie „ferner […] auf die Bildung und Verbreitung der deutschen Sprache“ (Heyse 21827: 45), da sie in immer weiteren Kreisen Verbreitung finden. Mit dieser Anerkennung, die Zeitung trage entscheidend zu einer Verbreitung der deutschen Sprache als Grundlage einer deutschen Nation bei, verbinden Autoren wie Heyse zumeist einen Appell an die Journalisten, sich ihres Einflusses und der daraus folgenden Verantwortung für die deutsche Sprachentwicklung bewusst zu werden: Möchten doch unsere Tageblätter und Zeitungen es nicht mehr wagen dürfen, den Vortrag so arg zu vernachlässigen, wie noch immer die meisten thun, obwohl einzelne schon seit längerer Zeit in dieser Hinsicht mit einem guten Beispiel rühmlich vorangehen! Möchte bald keine mehr aufkommen oder sich halten können, welche die Achtung gegen ihre Leserwelt durch eine barbarisch-gemengte, unrichtige Sprache verletzt, um so weniger, da jetzt schon viele Schriftsteller fürs Volk auf diesen Punkt die nöthige Aufmerksamkeit richten. […] Vergleicht man das vorige Zeitalter mit dem unsrigen nun vollends in Hinsicht der Sprache des Umgangs, der geselligen Mittheilung in Rede und Schrift – wie erfreulich, zu jeder Hoffnung berechtigend erscheint da das Jahr 1834, gehalten neben 1734! (Heyse 21827: 91)

Die bemerkte Besserung des allgemeinen Sprachgebrauchs im Vergleich zu 1734 scheint Heyse in der 4. Ausgabe seiner Grammatik auch für die Presse festzustellen, denn nun „möchten unsere Tageblätter und Zeitungen es nicht mehr [nur] wagen dürfen, den Vortrag so arg zu vernachlässigen“ (Heyse 21827: 91), sondern sie dürfen es nicht mehr:

222

Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Ja unsere Tageblätter und Zeitungen dürfen es schon nicht mehr wagen, den Vortrag, so arg, wie zeither, zu vernachlässigen. Bald wird keine mehr aufkommen oder sich halten können, welche die Achtung gegen ihre Leserwelt durch eine barbarisch-gemengte, unrichtige Sprache verletzt, um so weniger, da jetzt schon viele Schriftsteller fürs Volk auf diesen Punkt die nöthige Aufmerksamkeit richten. (Heyse 41838:77)

Zwar kritisiert Heyse die „barbarisch-gemengte, unrichtige Sprache der Zeitungen“ (Heyse 21827: 91), misst ihr aber insgesamt eine weitgehend positive Rolle bei der Verbreitung einer allgemein verständlichen Sprache bei, die wiederum das geistige Wachstum des Volkes und das Bewusstsein nationaler Zugehörigkeit steigere. Wie Heyse betont auch Auerbach die Bedeutung der Presse für die Verbreitung einer allen verständlichen Sprache, die wiederum Grundlage des geistigen Austauschs und der Formierung einer Nation sei. So geht es beispielsweise Auerbach um die Entwicklung einer Volkssprache, die, nicht dialektal, aber orientiert an den Strukturen dialektaler Kommunikation und an den Formen gesprochener Sprache, eine umfassende Teilhabe der unteren Schichten am sprachlichen, literarischen, kulturellen und politischen Leben der Nation ermöglicht. (Dieckmann 1989: 194).

Laut Auerbach wirke sich vor allem die „Mode […], die natürlichen Haare wie eine Perücke aufzustutzen, das Alltägliche in hohe Redensarten einzumummen“ (Auerbach 1846: 217) negativ auf die Entwicklung „einer volksthümlichen Sprache“ aus. Diese resultiere einerseits aus der Annahme, dass durch eine gehobene Sprache Gelehrtheit ausgedrückt werden und auf diese Weise soziales Prestige erworben werden könne, andererseits aus besonderen kommunikativen Anforderungen, die die Zensur an öffentliche Schriften stelle. Durch die Pressezensur wird „der körnige Ausdruck, der den Gegenstand rund heraus packt, das Ding beim rechten Namen nennt, verdrängt“ (Auerbach 1846: 223). Mit Heyse stimmt Auerbach darin überein, „daß die erste Bedingung einer volksthümlichen Sprache ihre Reinigung von Fremdwörtern und Kunstausdrücken“ (Auerbach 1846: 218) sei und stellt ebenso fest, dass „die Zeitungspresse […] hier und dort mit gewissenhafter Strenge Gutes zu wirken begonnen [hat]“ (Auerbach 1846: 222). Dass die Presse noch immer nicht gänzlich auf Fremdwörter verzichte, führt er nicht auf die „Gesinnung“ der Journalisten zurück oder ihren Zeitdruck, sondern vielmehr darauf, dass sie wegen der ihr auferlegten Zensur kaum über inländische Themen berichten dürfe. So lange unsere deutschen Zeitungen wesentlich ausländische sein müssen, indem man über die inneren Angelegenheiten des Vaterlandes kein rechtes Wort sagen darf, so lange werden sich’s die Übersetzer leicht machen und manches frische und freie Wort muß zurückgehalten werden, weil es sich der Bevormundung entzieht. (Auerbach 1846: 222)

In den Augen Auerbachs kann also vor allem die Presse zu einer Vermeidung von Fremdwörtern und somit zu einer „reinen“ Sprache als gemeinsame nationale Identifikationsgrundlage beitragen, da sie als volkstümliche Schrift ihre Inhalte in einer allen verständlichen Sprache vermittle. „Das wesentlichste Hinderniß einer volksthümlichen

Die Presse im Spannungsfeld nationaler Bestrebungen (1800–1849)

223

Sprache“ (Auerbach 1846: 223) und einer Presse, die ihre Inhalte sprachlich punktuell behandelt, ist „die Censur“ (ebd.), wegen der das Starke, Feste […] abgeschwächt und verdünnt, die frische Blüte des Lebens zu einem verkochten Sud verwandelt, das Handfeste breiig gemacht werden [muß]. […] Das Wesen des Volksthümlichen, des individuell durchgearbeiteten und Neugewonnenen ist aber, vom Einzelnen, Bestimmten, zum Allgemeinen aufzusteigen, während wir es jetzt meist den Lesern überlassen müssen, die allgemeinen Recepte auf ihre besonderen Zustände anzuwenden und solche allein zu erkennen. Das erheischt aber eine Bildung, wie sie noch auf keine Weise vorausgesetzt werden kann. (ebd.)

Als Grundlage „einer volksthümlichen Sprache“ (Auerbach 1846: 218) gilt ihm zunächst die Abschaffung der Zensur, so dass die Presse ihrer Funktion nachkommen könne, in einer allen verständlichen Sprache ihre Inhalte zu vermitteln und den öffentlichen Austausch anzuregen, denn wäre das Wahlfeld offen und frei, wären den Bekämpften nicht die Hände gebunden, wir würden in offener Sprache den offenen Sinn des Volkes gegen sie aufrufen. […] Ein lebendiges volksthümliches Geistesleben und eine volksthümliche Sprache ist nur in der ungehinderten Oeffentlichkeit und Freiheit möglich, dort allein kann sich zeigen, wer den Geist des Volkes kennt und die Sprache seines Geistes spricht. (Auerbach 1846: 227)

b. Die Verunreinigung der Sprache und die politische Manipulation Während Heyse oder Auerbach der Presse abwägend gegenüberstehen, betonen Diskursteilnehmer wie Jahn den negativen Charakter der Presse, der sich gleichermaßen negativ auf Bildung, Sprache und Politik des Volkes auswirke. Als problematisch erachtet er, dass literarische Werke in den Augen vieler Zeitgenossen für die Bildung an Bedeutung verloren hätten, nicht zeitgemäß erscheinen, dass […] die Weisheitskauze der heutigen Verkehrtheit [meinen]: jene Bücher und Werke möchten recht gut seyn; sie redeten aber vom Sonst, nicht vom Jetzt und Dereinst, und wären also nicht zeitgemäß, ja wohl gar zeitwidrig. (Jahn 1833: XII)

Wesentlich größeren Glauben schenken sie der Presse. In den Augen Jahns vermag es diese durchaus, die Reflexion gewisser Themen anzuregen und die Teilhabe des Volkes an öffentlichen Themen zu fördern. Eine nachhaltige Bildung als Grundlage der geistigkulturellen Positionierung der Nation in der Welt sei aber nur möglich, wenn eine Vertiefung der durch die Presse angeregten Gedanken durch die Lektüre von Büchern stattfinde: Es ist freilich löblich und recht, auch ganz in der Ordnung, daß die junge wehrbare Mannschaft zuerst ins Feld rückt, dann die reife Entwicklung der Manneskraft als Landwehr ersten Aufgebots nachfolgt und zuletzt das grünende Alter als Rückhalt sich aufstellt. Grade so ist es mit den Büchern und Schriften. Zeitungsblätter eröffnen das zerstreute Gefecht, von den leichten Truppen der Flugschriften gedeckt, hinter denen aber das vaterländische Buchheer zur Schlacht sich ordnen muß, soll der Kampf Entscheidung und der Krieg Sieg gewähren. (Jahn 1833: XIII)

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Ihrer potenziell positiven Aufgabe, das „zerstreute Gefecht“ zu eröffnen, die Reflexion über öffentliche Themen anzuregen, kommt die Presse laut Jahn allerdings nicht nach. Vielmehr verweist er auf die mangelnde Bildung der Journalisten, die sich, da sie durch ihr anonymes Auftreten nicht persönlich für ihre veröffentlichten Gedanken einstehen müssen, nicht der Wahrheit verpflichtet fühlen. Ihre nur oberflächlich behandelten Themen präsentieren sie ihrem autoritätsgläubigen Publikum schließlich als wahres Wissen. Und das Federvieh der Zeitungsschreiber und Zeitschriftler nährt sich von Belgiens Balgerek und Gallischer Galle. Es spukt nämlich ein beschreibfedertes Zwerggesindel, was überall Klatschbuben aufschlägt und auf dem Trödelmarkte schmutzige Lumpfen feil bietet. Dieses lustige, lose Gelichter, weicht, wenn man vordringt, und flattert nicht, wenn man aus dem Wege gehen will. Mit lautem Geschrei bekennt sich die namenlose vermummte Schreiberschaft zur Öffentlichkeit und Preßfreiheit und spielt heimlich und unvermerkt ein falsch Wort nach dem andern, giebt Ungeschehens als Thatsache, und als Begebniß, was sich niemahls ereignet. (Jahn 1833: XV)

Diese von der Presse vermeintlich provozierte Verfälschung der Geschehnisse wie die zunehmende Verunreinigung der Sprache durch die Verbreitung von Fremdwörtern und Neubildungen habe letztlich zur Folge, dass die sprachliche wie kulturell-politische Bildung der Nation abnehme: Wohl aber zu keiner Zeit hat der Deutsche weniger gewußt als jetzt, nach der großen Pariser Hundswoche, das Eine, was Noth thut. Vor lauter Empfindseeligkeit überfließt sein fremdbürgerliches Herz, er pfeift, er singt, er spielt in den Mißtönen aller Nachbarvölker; er schwatzt, redet und schreibt wie die Sachwalter seiner Erbfeinde. (Jahn 1833: XIV)

Durch den Glauben an die Wissensallmacht der Presse und die Verdrängung der Bücher als Bildungsmedien, bestehe letztlich die Gefahr des zunehmenden Verlustes der Sprach-, Denk- und Urteilsfähigkeit, die von Diskursteilnehmern wie Jahn als Grundfeste nationaler Identität verstanden werden. Die Presse trage folglich zu einer Gefährdung der Nation, der nationalen Identität und der geistigen Stärke eines Volkes bei, solange sie sich an fremden Völkern und Sprachen orientiere und so eine Verunreinigung der deutschen Sprache provoziere oder ihre nur oberflächlich produzierten Inhalte dem Publikum als Tatsachen präsentiere.

1.2 Sprache und Denken a. Die Sprache als Abbild der gedanklichen Qualität Für dieses nationalideologische Denken der Diskursteilnehmer, die Sprache sei Mittel und Ausdruck des spezifischen Gedankenguts eines Volkes, das als solches eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der nationalen Identität spiele, ist die Vorstellung von einem Zusammenhang von Denken und Sprechen grundlegend.

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Denn in der Sprache lebt und ist die Nation unmittelbar gegeben; freilich nicht in der Sprache der Amtstuben und des Geschäftsverkehrs [...], sondern in der Sprache oder in dem Gespräch, das Geist und Seele ist und worin eine Nation ihren Beitrag zu den Menschheitsgedanken leistet, in der Sprache, die mit der Nation selbst ihrem höheren Leben wächst. (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: IX)

In diesem Sinne wird die Sprache oftmals nicht verstanden als „eine von Bedürfnissen des äußeren Lebens hervorgerufene Erfindung“ (Becker 1848: 6), sondern als „eine organische Verrichtung und die Rede [als] der organische Ausdruck des Gedankens“ (Becker 1848: 7), wobei das, was „durch das sprachliche nicht ausgedrückt werden kann, […] eigentlich nicht gedacht [ist]“ (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: VI). Verstanden wird die Sprache, deren „Macht […] so weit [reicht] wie die Macht des Denkens“ (ebd.), als „Werkzeug und Trägerin der höheren Bildung, nicht blos des Verstandes“ (Kolbe 1823: 162), als Ausdrucksmittel der geistigen Stärke ihres Sprechers, Schreibers oder einer ganzen Nation. a.1 Die Verunreinigung der Sprache Als besondere Gefahr für die deutsche Sprache erachten die Diskursteilnehmer, die sich eines engen Zusammenhangs von Sprechen und Denken gewahr werden, den Einfluss fremder Sprachen. Problematisch erscheint ihnen, dass „die eingeschlepten Fremdheiten für die unteren Klassen, also überwiegend grösseren Teil der Nation, inhaltslos und todt“ (Kolbe 1823: 154f.) seien. Dennoch werden sie von eben diesen „unteren Klassen“ (ebd.), die glauben, Fremdwörter seien Ausdruck höherer Bildung, in den deutschen Wortschatz übernommen und z.T. falsch verwendet. Auch kritisiert wird, „wenn aber in der Gegenwart neue Zusammensetzungen ohne alle Rücksicht auf Wohlklang und Schönheit […] gebildet werden“ (Becker 1848: 89), da die Verbreitung derartiger Unklarheiten entscheidende Rückwirkungen auf die Sprach- und Geistesentwicklung habe. Als Folge verliere die deutsche Sprache nicht allein an Reinheit und Ganzheitlichkeit, sondern vor allem ihre entscheidende Funktion, das spezifisch deutsche Gedankengut zum Ausdruck zu bringen: Denn wie verderben Sprachen? Erst werden ausländische Wörter von den oberen Klassen, die der spendenden Grundsprachen kundig sind, mit keinen oder geringen Abänderungen aufgenommen und unter ihresgleichen in Umlauf gebracht. Almälig gehen sie auf das Volk über, das sie aus Unkunde eben dieser Grundsprachen in den Bedeutungen verwirrt, in der Form verscheuslicht, […] und so, Heimisches und Abheimisches unordentlich durcheinander rührend, aus dem wilden Gemengsel ein neues Ganzes roh zusammenstoppelt, das erst nach Jahrhunderten Gestalt und Bildung wieder annehmen kann. Es ist unumstösliche Wahrheit: der Untergang der Sprache ist entschieden, sobald dem Volke die derselben unnatürlich aufgedrängten Allgemeinbegriffe des Auslands erst geläufig werden. (Kolbe 1823: 154f.)

Weite Verbreitung finden Zusammensetzungen und Fremdwörter durch die Zeitungen, die mit den behandelten Inhalten auch deren Sprachgebrauch übernimmt. So werden beispielsweise politische Schlagwörter wie „legitim, Legitimität, legitimiren, etc. kurz

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nach dem Pariser Frieden in Frankreich aufgenommen [und] überschwemmen seitdem stromweise alle unsere Zeitungen und politischen Schriften“ (Kolbe 1823: 190). Auch „spukt es jetzt von Productionen! Productiv, Productivität ...; Lieblingswörter unserer Zeitungen“ (Kolbe 1823: 71f.) vor allem deshalb, weil die Journalisten innerhalb kürzester Zeit ihre Artikel fertig stellen müssen und wenig Acht auf die Übersetzung fremder Wörter geben können, sich aber dennoch ihres (sprach-)bildenden Einflusses bewusst werden sollten: Nun ist zwar der Schriftsteller, welcher für eine Zeitung arbeitet, noch am ehesten zu entschuldigen; denn diese Hast, mit der er arbeiten muß, läßt ihm nicht die Zeit, nach einem geeigneten Ersatzworte für das fremde Wort zu suchen, aber es darf nicht verkannt werden, daß gerade die Zeitungen auf die Entwicklung unserer Sprache in der Gegenwart einen ganz gewaltigen Einfluß ausüben, weil jeder sie täglich liest und weil unmerklich Ausdrücke und Wendungen aus der Sprache der Zeitungen in die Umgangssprache jedes Zeitungslesers übergehen. (Becker 1848: 153)

Kritisiert wird, dass die Sprache sich diesen besonderen kommunikativen Anforderungen an das Medium und seine Verfasser beugen und fremde Wörter aufnehmen müsse, dass sie unseren mehresten Deutschen, […] blos ein nüzliches und nuzbares Werkzeug [ist] Gedanken und Empfindungen auszusprechen. Sie sehen in ihr nur eine dienstbare Magd des Verstandes und der Gelehrsamkeit, die sich blindlings dem Willen und der Laune des Schreibenden und Sprechenden bequemen mus. (Kolbe 1823: 203)

Als ein solches Mittel der Interaktion, das sich je nach den kommunikativen Anforderungen ihrer Sprecher und Schreiber wandelt, drohe der Sprache eine immer schnellere Veränderung und der Verlust ihres ganzheitlichen, eigenständigen Charakters als Abbild des Gedankens und als Mittel des Denkens. Diese – nicht zuletzt durch die Arbeitsweise und Wirksamkeit der Presse beförderte – zunehmende Instrumentalisierung der Sprache zu „ein[em] nüzliche[n] und nuzbare[n] Werkzeug Gedanken und Empfindungen auszusprechen“ (ebd.) sei Zeichen eines sich wandelnden Verständnisses von Sprache, die nicht mehr vielen für eine Selbstständigkeit [gilt], die als ein in sich beschlossenes Ganzes ihre bestimten, eigenthümlichen Teile und ihre feststehenden Grenzen hat; für ein Kunstwerk, dem als solchem Einheit und Übereinstimmung mit sich selbst eben so unentbehrlich sind als dem Menschen Luft und Nahrung. (ebd.)

a.2 Der Verlust der sprachlichen Qualität Während Kolbe die Wirkung der Presse auf die deutsche Sprache als negativ erachtet, da sie die Sprache für ihre Zwecke instrumentalisiere und sie so ihrer – nicht zuletzt durch die Übernahme und Verbreitung von Fremdwörtern – unentbehrlichen Einheit und Übereinstimmung mit sich selbst“ (Kolbe 1823: 203) und somit ihrer Funktion als „Trägerin der höheren Bildung [und] des Verstandes“ (Kolbe 1823: 162) beraube, konzentriert sich Müller (1812) auf die kritische Betrachtung der durch die Zeitung

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gesteigerten Schriftproduktion und ihrer Folgen für die Sprach- und Denkfähigkeit der Nation. Dass „insbesondere die Deutschen der Herrschaft der Feder am meisten eingeräumt“ (Müller 1812: 149) haben, widerspricht Müllers geistige[r] Grundidee, [die] in einer erhabenen, überschwenglichen Zuversicht zur Macht der lebendigen Rede, in einem grandiosen Glauben an die Zauberwirkung der Sprache [liegt]. Das gesprochene Wort wirkt Wunder, die Sprache bezaubert und meistert alles. (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: VI)

Als problematisch für die natürliche, lebendige Rede erachtet er, dass „die in unseren Tagen am weitesten verbreitete Anwendung der Redekunst […] die Schriftstellerei“ (Müller 1812: 197) ist. Inbegriff der modernen Schriftstellerei ist für Müller die Presse, wobei es ihm fraglich erscheint, ob „ein so leichtes […], feiges Mittel, als die Presse, allgemeine Wirkungen auf den Gang des menschlichen Geistes äußern, die Geister regieren, antreiben, entzünden“ (Müller 1812: 200) sollte. Kritikwürdig erscheint ihm wie auch zahlreichen anderen Schriftstellern der ersten Jahrhunderthälfte nicht allein die Sprache der Presse, sondern vor allem ihre geistige Wirkung, die sie nicht zuletzt durch ihren Sprachgebrauch erziele. Laut Müller „fliegen“ (ebd.) Gedanken, die „praktisch in allerhand lebendigen Stoff auszudrücken, oder doch ihn durch die lebendige Rede mitzuteilen“ (ebd.) seien, in „körperlos flachen Blättern [umher]“ (ebd.). Diese von der Presse veröffentlichten Gedanken können nicht mehr an der notwendigen Tiefe gewinnen oder „eine gewisse innre Reife erlang[en]“ (ebd.), da sie zu schnell von der breiten Masse im Glauben an die Wissensallmacht der Zeitung als wertvolle, ausgereifte Gedanken akzeptiert und als wahres Wissen übernommen werden. Diese Wirkung auf „die kurzsichtigen Zeitgenossen, [die] diese papierne[n] Taten mit den wirklichen Thaten in eine Reihe [setzen]“ (Müller 1812: 201), erziele die Presse nicht zuletzt durch ihre Sprache, die durch „äußeren Glanz und Schein“ (Müller 1812: 200) den nichtigen, unreifen Gehalt des Gedankens zu verdunkeln vermöge. Das entstehende Ungleichgewicht zwischen der Qualität eines Gedankens – oder des Denkens – und seines sprachlichen Ausdrucks, dessen die autoritätsgläubige und urteilsunfähige Masse nicht gewahr werde, sondern sich durch „äußeren Glanz und Schein“ (ebd.) blenden lasse, gefährde letztlich das öffentliche Leben, die Meinungsbildung und Stärke der Nation, denn der Sporn der Taten, der Stachel eines gerechten Hasses stumpft sich ab, und in den besseren Seelen bleibt eine Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Leben überhaupt zurück, weil ein einziges Gewerbe über Verdienst und ohne Mühe öffentlich ist, und alle anderen Wege in den Gang des öffentlichen Lebens einzugreifen mit Beschwerden und Mühseligkeiten überladen ist. (Müller 1812: 201)

Während Müllers Denken insofern dem Kolbes ähnelt, als auch er vermerkt, dass die Sprache von der Presse instrumentalisiert werde, um ihrem eigenen Zweck, eine möglichst hohe Wirkung auf ihr Publikum zu erzielen, gerecht zu werden, und hierdurch das – für eine starke Nation grundlegende – Gleichgewicht von Sprache und Denken gestört werde, nähert er sich hinsichtlich des Verständnisses der öffentlichen Wirkung der Presse dem Jahns an. Wie dieser stellt Müller fest, dass die in die unzensierte Presse

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gesetzte Hoffnung, „das Zeitalter […] in Bewegung zu setzen“ (Müller 1812: 207), die Teilhabe aller am öffentlichen Leben und somit die Stärkung der Nation zu fördern, unter den gegebenen Umständen keine Erfüllung finden könne, sondern vielmehr ins Gegenteil umschlage. Denn die Presse vermöge es zwar, die Schriftproduktion und -rezeption, nicht aber die geistige Stärke der Nation zu steigern, sondern vielmehr sie zu schwächen, da sich die vermittelten Gedanken nur durch Quantität, nicht aber durch Qualität auszeichnen: Jeder einzelne hat sich die Kraft zugetraut für die Presse zu schreiben, und das Zeitalter auf seine Weise in Bewegung zu setzen, und in dem Maße, als sich die Anzahl der Schreibenden der Anzahl der Lesenden nähert, oder als jene diese übertrifft, legt sich das Schreiben von selbst, und der vermeintlich so mächtige Hebel der Geister, die Buchdruckerkunst, der so töricht gepriesen als gefürchtet worden ist, tritt zuletzt in die Reihe der gewöhnlichen Kopiermaschinen zurück, und dient nur noch für die Zeitungen, Gelegenheitsschriften und Affichen des Tages fort, wo er allerdings unter der übrigen Maschinerie unsres heutigen Lebens ehrenvolle Auszeichnung verdient. (ebd.)

Allein wenn Denken und Sprechen ein Gleichgewicht bilden, wenn nicht „äußerer Schein und Glanz“ (ebd.) den inneren Gehalt verdunkeln, könne die Presse dazu beitragen, die Denk- und Urteilsfähigkeit einer Nation zu fördern und zu stärken: Die Buchdruckerkunst bleibt: kein Mächtiger der Erde darf es vergessen; in kleinen Händen ist sie nichts, aber in den Händen der ganz Tüchtigen, derer, die das Leben selbst geschmiedet, und das Leben demnach selbst schon in sich tragen, denen deshalb auch der Buchstabe gehorcht, ist sie furchtbarer als je […] nur wer schon die Ohren eines Volkes bereit findet, weil es ihn kennt, seine Persönlichkeit, seine Taten oder doch seine Gesinnung, wird durch die Presse reden dürfen. (Müller 1812: 211)

b. Die Sprache als Schöpferin des Gedankens Eine exponierte Stellung im Diskurs bezüglich der Vorstellung von einer Wechselwirkung des Denkens und Sprechens nimmt der Journalist Ludwig Börne ein, denn in seinen Überlegungen, „was heißt also Stil?“ (Börne 1826: 591), kommt er zu dem Schluss, „der Ausdruck schafft den Gedanken“ (Börne 1826: 592). Börne, der der Ansicht ist, die deutsche Sprache habe keinen eigenen Stil, „sondern alle mögliche Freiheit“ (Börne 1826: 592), beklagt im gänzlichen Gegensatz zu Müller, dass „es so wenige deutsche Schriftsteller [gibt], die das schöne Recht, jede eigentümliche Denkart auch auf eigentümliche Weise darzustellen, zu ihrem Vorteile benutzen“ (ebd.). Während Müller kritisiert, dass vor allem in der Presse der Gedanke „vielmehr durch äußeren Glanz und Schein als durch seinen Gehalt wirkt“ (Müller 1812: 200), begründet Börne die „schlechte Schreibart, die man bei vielen deutschen Schriftstellern findet“ (Börne 1826: 593) gerade damit, dass sie sich keine Mühe [geben], weil sie, als Deutsche treu und ehrlich sich mehr an die Sache und die Wahrheit haltend, es für eine Art Koketterie ansehen, den Ausdruck schöner zu machen, als der Gedanke ist. Entspringt die Vernachlässigung des Stils aus dieser Quelle, so ist zwar die gute Gesinnung zu loben; doch ist die Sittlichkeit, von der man sich dabei leiten lässt,

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eine falsche. Wie man sagt: der Gedanke schafft den Ausdruck, kann man auch sagen: der Ausdruck schafft den Gedanken. (Börne 1826: 592)

Oftmals wird der Stil, dessen Eigentümlichkeit „nicht im Kolorit, in der größeren oder kleineren Lebhaftigkeit der Farben, sondern in der Zeichnung, Stellung und Gruppierung der Gedanken liegt“ (Börne 1826: 591), in den Augen Börnes gerade deshalb vernachlässigt, weil der Schreibende nicht mehr Schein als Sein walten lassen wolle, sondern versuche, sich seinem deutschen Charakter gemäß „mehr an die Sache und die Wahrheit“ (Börne 1826: 592) zu halten, den Ausdruck nicht schöner als den Gedanken zu gestalten. Obwohl Börne selbst journalistisch tätig ist, stellt er fest, dass vor allem ein schlechter Stil in Zeitschriften und Zeitungen „etwas sehr Verderbliches“ sei, da sie wegen ihrer großen Leserschaft einen deutlich weiteren Wirkungskreis haben als Bücher, die von einem exklusiven Publikum rezipiert werden, welches es wegen seiner höheren Bildung zudem vermöge, den „Kunstmangel“ (ebd.) durch die inhaltliche Qualität zu ersetzen. Zeitschriften aber, aus welchen ein großer Teil des Volks seine Bildung schöpft, schaden ungemein, wenn sie in einem schlechten Stile geschrieben werden. Die wenigsten deutschen Zeitschriften verdienen in Beziehung auf die Sprache gelobt zu werden. Es ist aber nicht leicht, an ihnen zu gewahren, daß die Fehlerhaftigkeit des Stils von solcher Art ist, daß sie hätte vermieden werden können, wenn deren Herausgeber und Mitarbeiter mit derjenigen Achtsamkeit geschrieben hätten, die zu befolgen Pflicht ist, sobald man vor dreißig Millionen Menschen spricht. (Börne 1826: 593)

Nur wenn sich die Presse verpflichtet fühle, in einem allen verständlichen Stil zu schreiben, d.h. ihre Gedanken richtig zu stellen, zu zeichnen und zu gruppieren (vgl. Börne 1826: 591), könne sie ihrer Funktion gerecht werden, alle an öffentlich relevanten Themen teilhaben zu lassen, den geistigen Austausch und die Weiterentwicklung der Nation zu befördern. Im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen ist Börnes Kritik an der „Fehlerhaftigkeit des Stils“ (Börne 1826: 593f.) der Zeitung nicht durch eine generelle Ablehnung des Mediums Zeitung charakterisiert. Vielmehr strebt er in dem Glauben an den gesellschaftlichen Nutzen der Presse ihre Besserung an, so dass sie ihrer grundlegenden Funktion, die Menschen durch die Teilhabe an öffentlichen Themen, durch den geistigen Austausch bewegen und bilden zu können, besser gerecht werden könne: Die Zeitschriften sind es, welche die Münzen bilden; von der Ausbeute der Erkenntnis geprägt, unterhalten sie den Wechselverkehr zwischen Lehre und Ausübung. Nur sie führen die Wissenschaft ins Leben ein und das Leben zur Wissenschaft zurück. (Börne 1818a: 669)

Trotz aller stilistischen Mängel ist ihm so vieles daran gelegen, daß die Zeitschriften sich vermehren; ja, oft wäre zu wünschen, daß die Tagesblätter in Stundenblätter auseinandergingen, damit nichts überhört werde und verloren gehe. (Börne 1818a: 670f.)

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Damit nichts „überhört werde und verloren gehe“ (ebd.), müsse die Zeitung in einer nachdrücklichen Sprache sprechen, über ihren starken Ausdruck Gedanken schaffen und ihr Publikum bewegen. Dieses Denken Börnes verdeutlicht, dass er sich als Journalist der besonderen Funktionen und Bedingungen im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen bewusst wird und der Presse einen eigenen Stil zugesteht, ihn sogar fordert. Denn selbst der Zensur kann er etwas Positives abgewinnen, insofern sie die sprachliche Kreativität des Journalisten zu befördern vermöge: Mehrere deutsche Journalisten werden es einst bereuen, daß sie die gegenwärtige vorteilhafte Zeit nicht zur Verbesserung ihres Stils benutzt haben […] unsere Zeit auch verstattet nicht, alles frei herauszusagen, und durch diesen Zwang befördert sie sehr den guten Stil. Man möchte von Konstitution, von Spanien, von Italien sprechen, aber es ist verboten. Was tut ein erfinderischer Kopf? Statt Konstitution sagt er „Leibesbeschaffenheit“, statt Spanien „Iberien“, statt Italien „das Land, wo im dunklen Hain die Goldorangen glühen“, und gebraucht für diesen und jenen Gedanken diesen und jenen dichterischen Ausdruck, den der gemeine Mann nicht versteht. (Börne 1826: 594f.)

c. Die Sprache als Realisierung des Gedankens Während sich Börne darauf konzentriert, das zumeist propagierte Verhältnis von Sprechen und Denken im Hinblick auf die funktionale Beschaffenheit der Presse umzukehren, erweitern einige andere Diskursteilnehmer die „traditionelle“ Vorstellung, dass „die Macht der Sprache so weit wie die Macht des Denkens“ (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: VI) reiche und dass das, was „durch das sprachliche nicht ausgedrückt werden kann, […] eigentlich nicht gedacht [ist]“ (ebd.), um die Komponente des Gedankenaustauschs. So nimmt beispielsweise Götzinger (1836/39) keine Entsprechung von Sprach- und Denkformen an, da die Sprache als Kommunikationsmittel immer auch einen Kommunikationspartner voraussetze. Erst durch diese sprachliche Interaktion, d.h. erst durch das Sprechen über die Gedanken, können diese an Form und Kontur gewinnen. Die Sprache gilt ihm demnach nicht allein als Mittel des Denkens oder des gedanklichen Ausdrucks, sondern vielmehr als notwendiges Mittel eines Gedankenaustauschs, durch den die Gedanken erst an Form, Spezifizierung und Realisierung gewinnen: Denken und Sprechen verhalten sich nicht so wie Ursache und Wirkung. Die Sprache als Ganzes ist nicht um des Denkens willen allein da, sondern um des Gedankenaustausches willen; mit dem reinen Denken, das im Stillen der Seele vor sich geht, haben die Sprachformen an und für sich nichts zu thun; sie setzen stets einen Hörenden voraus, der etwas auffassen soll, und geben dem Gedanken diejenige Form, durch welche ihm die Auffassung des Zusammenhanges möglich wird. (Götzinger 1836/39: 18)

Während Kolbe es verurteilt, „dass unseren mehresten Deutschen [die Sprache] blos ein nüzliches und nuzbares Werkzeug [ist] Gedanken und Empfindungen auszusprechen“ (Kolbe 1823: 203), zieht Götzinger einen Gewinn aus dem Sprechen über Gedanken und Empfindungen, sofern ein geistig-kommunikativer Austausch stattfindet, denn

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je mehr nämlich der Vorrath an Vorstellungen und Gedanken sich mehrt, desto reicher wird auch der Vorrath an Worten werden, und je schärfer und klarer die Vorstellungen sich im denkenden Geiste scheiden, desto strenger und klarer wird auch die Andeutung der Worte vor die Seele treten. (Götzinger 1836/39: 19)

Diese von Götzinger angenommene wechselseitige Bereicherung des Denkens und Sprechens habe letztlich auch Auswirkungen auf die geistige Entwicklung und Positionierung der Nation. Der Wortvorrath, so wie die scharfe Unterscheidung der einzelnen Wörter, wird freilich immer gesteigert, je mehr ein Volk im Denken und Wissen vorwärts schreitet; der freie, schöne Gebrauch der Sprache im Ganzen wird aber erst dann allgemeiner, wenn das öffentliche Leben ins Volk tritt und die Rede etwas gilt, und auch hier läßt sich der Satz anwenden: Leben zündet sich nur am Leben an. (Götzinger 1836/39: 20)

In den Augen Götzingers gehen folglich das geistige, politische und sprachliche Wachstum eines Volkes zirkulierend Hand in Hand. Nur wenn ein Volk am öffentlichen Leben, am geistigen Austausch teilhaben dürfe, können sein Geist und seine Sprache bereichert werden. Wie bereits Jahn und Müller impliziert auch Götzinger, dass es vor allem im Vermögen der Presse als einem öffentlichen, allen zugänglichen Medium läge, die Teilhabe breiter Schichten am öffentlichen Leben und so den geistigen Austausch zu befördern, der letztlich zu einer Stärkung der geistigen wie sprachlichen Entwicklung eines Volkes beitragen könne. Grundlage hierfür sei wiederum eine deutliche, allen verständliche Sprache, die durch die geistige Stärkung der Nation präzisiert und bereichert werden könne. Mit Jahn und Müller stimmt Götzinger aber auch darin überein, dass die Presse in ihrer hohen Massenwirksamkeit das genaue Gegenteil erziele, sich eher negativ auf die Sprach- und Geistesentwicklung der Nation auswirke, da gerade da, wo der deutlichste, übersichtlichste Styl herrschen sollte, sehr oft eine verschrobene Darstellung sich breit macht, eine wahre Verrenkung aller Glieder der Sätze und Perioden, eine Durcheinandermengung der verschiedensten Construktionen, ein verworrenes Gewühl ungefügter Redensarten und Wortreihen: dies ist eine ausgemachte Thatsache, zugleich aber eine sehr beklagenswerthe Erscheinung. Ich meine unsre Zeitungen und Zeitschriften, in welchen Behörden dem Publikum etwas bekannt machen wollen. In diesem Kreise macht sich nun auch die eben berührte Einschachtelungsmethode geltend; in diesem Kreise finden wir auch eine andre noch verwerflichere, nähmlich die immer neue Einschachtelung eines Wortes in das andre, wobei dann die leidige Partizipialkonstruktion auch eine bedeutende Rolle spielt. (Götzinger 1836: 487)

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1.3 Presse und Öffentlichkeit a. Die Presse – ein öffentlichkeitsbildendes Mittel als Grundlage der nationalen Einheit Die in den aufgeführten sprachpolitischen, -kritischen und -beschreibenden Schriften implizierte Möglichkeit der Presse, den geistigen Austausch des Volkes und somit die Grundfeste der angestrebten Nation zu fördern, wird im ersten Teilkorpus vor allem von Verfassern medientheoretischer Schriften näher differenziert. Ausgehend davon, dass sich die Gesellschaft in einer Umbruchphase befindet, in der die bisher gültige Ordnung zugunsten einer neuen, noch nicht vollständig definierten aufgegeben wird, betrachten Diskursteilnehmer wie Börne (1818b) die Presse als Trägerin und Ausdruck einer neu entstehenden Gesellschaftsordnung, in der das gesamte Volk an Entscheidungen des öffentlichen Lebens teilhaben könne. Die Zeitung, die eine freie Bildung für alle ermögliche, sei das Produkt der vielfältigen Bestrebungen der Zeit: Was die Dampfmaschinen und Eisenbahnen für den äußern und commerciellen Verkehr, sind die Journale bereits im Reiche des Gedankens und für den geistigen Umsatz geworden, und diese geistig-industrielle Bedeutung des Journalismus, welche nur in den Pfennigmagazinen eine dem gesammten Staatshaushalte der Literatur verderbliche, jedoch vorübergehende Ausartung gefunden, ist für die allgemeine Volksbildung der zukünftigen Kulturperiode, wie sie sich entwickeln wird, als wesentlich vorbereitend und förderlich anzusehen. (Mundt 1834: 5)

Zwar stellen auch die Befürworter der Presse – ähnlich wie Müller oder Kolbe – fest, dass durch die steigende Bildungsproduktion die Gefahr bestehe, dass durch die Vielfalt der Ideen und Inhalte weniger Wert auf deren Ausarbeitung gelegt werde. Aber „die Eile des Daseins, dieser verzehrende Drang nach immer Neuem liegt in dem Charakter jeder Uebergangsperiode“ (Mundt 1834: 6), die allein durch die schnelle Verbreitung von Ideen an Gestalt gewinnen könne. Auch sei das Medium Zeitung Inbegriff der zeitgenössischen Forderung nach einer demokratischen Nation, in der jeder am öffentlichen und kulturellen Leben teilzuhaben vermag: Auch in der beispiellosen Wohlfeilheit dieser Bildungsmittel drückt sich etwas entschieden Demokratisches und Volksthümliches aus, und so erstaunlich gering sind die Unkosten geworden, sich zu bilden, daß jeder noch etwas zu essen oder zu trinken dazu bekommt, wenn er für einige Groschen bei einem Konditor aus den Zeitungen aller Sprache die Ereignisse der ganzen Welt, den Entwicklungsgang der Völker stündlich belauschen und an Stoff jeder Art zu seinem eigenen Nachdenken sich bereichern will. (Mundt 1834: 5)

Nicht allein auf die Weiterentwicklung der politischen Öffentlichkeit verweisen die Diskursteilnehmer, sondern auch darauf, dass die nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens abbildende Presse den geistigen Fortschritt der Wissenschaften wie den Austausch zwischen Wissenschaft und Leben fördere, so dass selbst die ernste Wissenschaft es jetzt nicht mehr unter ihrer Würden [hält] das Maschinenwesen der Journalistik zur Förderung ihrer Arbeiten anzuwenden [...] Manche, wie die Naturwis-

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senschaften, können kaum mehr ohne Journale bestehen, da sie dieses Mittel nothwendig bedürfen, einen schnellen Austausch ihrer Erfahrungen und Entdeckungen in der ganzen Welt zu bewerkstelligen. (Mundt 1834: 6)

Die Zeitungen und ihre Verfasser gelten Diskursteilnehmern wie Börne oder Mundt als Bindeglied zwischen Leben und Wissenschaft, zwei bisher scharf getrennten Bereichen des menschlichen Lebens, in dem „die Wissenschaft sich vom Leben schied und man eine doppelte Sprache für beide Welten erlernte und gebrauchte; da man in Büchern anders redete als mit dem Munde“ (Börne 1819: 780). Da Zeitungen alle Wissensbereiche in ihren Kanon aufnehmen und versuchen, sie in einer allen verständlichen Sprache zu vermitteln, tragen sie nicht allein zu einer Verschiebung in den sprachlichen Existenzformen bei, zu einer Annäherung von geschriebener und gesprochener Sprache, sondern vor allem auch zu einer Weiterentwicklung des geistigen Potenzials der Gesellschaft, denn der Journalist reicht uns das Gefäß, das unentbehrlich ist, um an der Quelle der Wahrheit für den Durst des Augenblicks zu schöpfen […] Die Zeitschriften sind es, welche die Münzen bilden; von der Ausbeute der Erkenntnis geprägt, unterhalten sie den Wechselverkehr zwischen Lehre und Ausübung. Nur sie führen die Wissenschaft ins Leben ein und das Leben zur Wissenschaft zurück […] oft wäre zu wünschen, daß die Tagesblätter in Stundenblätter auseinandergingen, damit nichts überhört werde und verloren gehe. (Börne 1818a: 668f.)

Ihre gesellschaftliche Wirkung könne die Zeitung aber nur „durch die Gewährung der Redefreiheit, der mündlichen in volksvertretenden Versammlungen und der schriftlichen in der Presse“ (Börne 1818b: 823f.) entfalten. Daran werde sie aber durch die Pressezensur gehindert, die der herrschenden Macht als letztes Mittel gelte, den Wandel aufzuhalten und den eigenen Status zu schützen: Der freie Strom der öffentlichen Meinung, dessen Wellen die Tagesschriften sind, ist der deutsche Rubikon, an welchem die Herrschsucht weilen und sinnen mag, ob sie ihn überschreiten und das teure Vaterland und mit ihm die Welt in blutige Verwirrung bringen, oder ob sie sich selbst besiegen und abstehen soll. (Börne 1818b: 824f)

Derartige Bemühungen, mittels der Zensur „die ausübende Gewalt in den Händen eines alleinigen Herrschers […] zu sichern“ (Börne 1818b: 822), erscheinen den Diskursteilnehmern der ersten Jahrhunderthälfte ob der revolutionären Grundstimmung ihrer Zeit als „fruchtloses Bemühen“, das die Revolution nur weiter vorantreibt, denn die öffentliche Meinung ist ein See, der, wenn man ihn dämmt und aufhält, so lange steigt, bis er schäumend über seine Schranken stürzt, das Land überschwemmt und alles mit sich fortreißt. Wo immer aber ein ungehinderter Lauf gegeben ist, da teilt er sich in tausend Bäche mannigfaltiger Rede und Schrift, die, friedlich durch das Land strömend, es bewässern und befruchten. Die Regierungen, welche die Freiheit der Rede unterdrücken, weil die Wahrheiten, die sie verbreiten, ihnen lästig sind, machen es wie die Kinder, welche die Augen zuschließen, um nicht gesehen zu werden. Fruchtloses Bemühen! Wo das lebendige Wort gefürchtet wird, da bringt auch dessen Tod der unruhigen Seele keinen Frieden. Die Geister der ermordeten Gedanken ängstigen den argwöhnischen Verfolger, der sie erschlug, nicht minder, als diese selbst es im Leben getan. (Börne 1818b: 824)

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

b. Presse und öffentliche Massenbildung Während Börne oder Mundt zu den Zeitgenossen gehören, die in den Augen Webers (1843) glauben, die „Journale haben offenbar Kultur verbreitet, nützliche Kenntnisse in Umlauf gebracht, den öffentlichen Geist erweckt“ (Weber 1843: 379), spricht dieser der Presse das vermeintlich hohe Potenzial ab, Bildung und Kultur in einer Gesellschaft zu verbreiten, indem sie das Volk an allen Wissensbereichen und dem öffentlichen Leben teilhaben lässt. Vielmehr habe sie „doch mehr geschadet als genützt; denn sie verbreitete[t] auch oft irrige, [380] selbst gefährliche Meinungen, ja Verleumdungen und Pasquille“ (Weber 1843: 379) und lenke von einer eingehenden Beschäftigung mit den Wissensbereichen ab. So kommt es den, daß durch den Kukuksruf und das Krähengekrächze der Zeitungen durch die leitende Artikel- und Eingesandt-Philosophie des ephemeren Preßbengels, wie endlich durch das, von jeder Niederträchtigkeit strotzende Schandblatt des ehrgeizigen Demagogen, auch den Besseren von Tage zu Tage immer mehr Sand in die Augen gestreut und die allgemeine Blindheit immer allgemeiner wird. (Meinhold 1848: 6)

Dass die Zeitungen „fähig [sind] eine ganze Nation zu schlagen mit Blindheit“ (Weber 1843: 381), also eher zu einer Minderung, denn zu einer Steigerung der Bildung beitragen, sehen Diskursteilnehmer wie Meinhold oder Weber in der Produktionsweise der Presse, der Rezeptionsweise des lesenden Publikums und der Bildung der Journalisten bergründet. Als problematisch erachten sie ähnlich wie Jahn, dass die Zeitungen, „dieser Hauptzeitvertreib von Millionen“ (Weber 1843: 380), ihre nur oberflächlich recherchierten Inhalte ihrem Publikum als eigene Verdienste, als Werke des Wissens präsentieren. Zumeist seien Zeitungen aber nicht die Geistesprodukte ihrer Verfasser, sondern vielmehr aus unterschiedlichen Quellen reproduziert, denn viele Zeitungen werden gar nicht einmal geschrieben, sondern in Duzend andere bloße Eselsohren und Röthelstriche gemacht, allenfalls numerirt, und so nach der Druckerei geschickt. „Ich schreibe meine Zeitung über Tische – in einer halben Stunde,“ rühmte mir selbst ein beliebter Zeitungsschreiber. Man sollte daher bestimmter nicht Zeitungsschreiber sagen, sondern Zeitungsmacher. (Weber 1843: 386)

Begründen lasse sich diese journalistische Arbeitsweise einerseits durch die Bildung oder den Intellekt des Zeitungsschreibers, der „ein Mensch ohne Talent“ (Weber 1843: 388) sei. Andererseits dadurch, dass sich hinter seiner Tätigkeit keine ideologische Motivation verbirgt, sich mit gesellschaftsrelevanten Themen auseinanderzusetzen, um die geistig-kulturelle Entwicklung voranzutreiben, sondern ein wirtschaftliches Interesse, nämlich „zu lügen für seinen eigenen Beutel“ (Weber 1843: 388). Da die Zeitungsschreiber, die „auf den Flügeln der Zeit und von der Zeit“ leben, “in den Augen des gemeinen Mannes [dennoch für Politiker] gelten“ (ebd.), bilden [die Leser] ihre politischen Ansichten nach diesen Orakeln und gleichen den Lesern der Tausend und eine Nacht, die solche wie Geschichte ansehen und glauben daran, wie der Bauer an Gedrucktes! Es stand ja in der Zeitung! (ebd.)

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Die Gefahr sehen die Diskursteilnehmer folglich vor allem in dem Glauben des lesenden Publikums an die Wissensallmacht der Presse, deren Inhalte – nicht zuletzt wegen der fehlenden Zeit – kaum in Frage gestellt werden. Ähnlich oberflächlich wie die Zeitungen produziert werden, werden sie auch rezipiert, so dass eine Auseinandersetzung mit den Themen nicht stattfinden könne. Die Folge dieser „leichten Journalleserei“ (ebd.), die das „ernstere Studium der Wissenschaften“ (ebd.) ersetze, sei offenbar Vielwisserei und Vielschreiberei, woraus das de omnibus aliquad, de toto nihil folgt. Man verschlingt das schlechte Neue, und versäumt oder vergißt darüber das gute Alte; gehaltreiche, ernste Werke erfordern zu viel Kopfzerbrechens, man blättert lieber in Flug- und Tagschriften und schöngeisterischem Plunder. (Weber 1843: 406)

Diese Verschiebungen im Leseverhalten der Menschen lassen sich auf die zeitgenössischen Veränderungen in der Gesellschaft zurückführen, die zunehmend durch Schnelllebigkeit geprägt sei. Die moderne Zeit fordere von jedem eine Vielfalt an Bildung und Wissen, das der Journalismus zu befriedigen vermag, biete aber nicht mehr Zeit und Raum, sich in einem ausführlichen Studium gedanklich mit den Themen auseinanderzusetzen. Das Bedürfniß universeller Scheinbildung, hervorgegangen aus dem Gähren und Arbeiten der Zeit, befriedigen nun die Journale. Es läßt sich der Beweis führen, daß ein sogenannter gebildeter Mann der Gegenwart die Mehrzahl der Dinge, über welche er sich unterrichtet anstellt, nur aus Journalen, oder aus dem, was ihm Andere aus Journalen erzählten, hat und haben kann. (Immermann 1840: 128)

Die Folge sei, dass der unglückliche Journalismus wie eine Schling- und Wucherpflanze unsre ganze, herrliche Literatur zu ersticken gedroht; seit der französischen Februar-Revolution jedoch, wirft er aller Orten und Enden, und selbst in dem elendsten Krähwinkel, so üppige und geile Schößlinge, daß wir, wenn es so bleibt, auch der Barbarei in Kunst und Wissenschaft mit Riesenschritten wieder zueilen werden. Dieser stinkende Pfuhl jeder geistigen Gemeinheit ist das rechte Fahrwasser unserer radikalen Tageshelden, die wohl wissen, daß sie auf der klaren, hohen, herrlichen See des Gedankens rettungslos zu Grunde gehen. (Meinhold 1848: 51)

Die Zeitungen drohen also nicht allein „unsre ganze, herrliche Literatur zu ersticken“ (ebd.), sondern tragen zunehmend zu einem Verlust der Urteilskraft, des Denkvermögens der autoritätsgläubigen Zeitungsleser bei, die sich dessen nicht bewusst seien, dass die Zeitungen „immer nur Surrogate der Wahrheit, des Erkennens, Erfahrens [bringen]“ (Immermann 1840: 129). Auch verstärken sie die zeitgenössische Tendenz, dass nicht mehr die Qualität, sondern die Quantität der Bildung von Bedeutung sei, und wirken sich durch ihre vielfältige, aber oberflächliche „Scheinbildung“ negativ auf die geistige Entwicklung der Gesellschaft aus, denn kein strebender Mensch (denn die ganz seichten Köpfe lasse ich aus der Rechnung hinweg) [fühlt sich ] dauernd von Schemen und Klängen befriedigt, oder von Resultaten angesprochen, zu denen ihm die Vordersätze fehlen. Es ist ein unabweisliches Verlangen seiner Natur, den Dingen selbst in das Antlitz zu schauen, Ordnung und Zusammenhang in seinen Vorstellungen

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

zu stiften. […] Jenes Nachsprechen auf Treue und Glauben ermüdet ihn bald, ekelt ihn nachher an. (Immermann 1840: 129f.)

Dass einige Diskursteilnehmer den Einfluss der Presse als ursächlich für einen vermeintlichen Verlust an Bildung und Urteilskraft betrachten, relativiert Menzel, obwohl auch er „neben vielem Guten auch manches Verwerfliche in unserm Journalismus gefunden“ (Menzel 1839: 1) hat. Da die Aufgabe der Presse vor allem darin bestehe, „alles, was irgend Bedeutendes gethan oder gedacht wird, zur Uebersicht zu bringen“ (Menzel 1839: 2), werden ihr vermeintliche gesellschaftliche Defizite zu Lasten gelegt. Viele Diskursteilnehmer verkennen laut Menzel, dass die Presse nicht Trägerin oder Quelle diverser gesellschaftlicher Missstände sei, sondern lediglich Ausdruck derselben, denn so lehrt doch ein Blick in den Entwicklungsgang der deutschen Bildung, daß Alles ungefähr so hat werden müssen, wie es geworden ist, daß der Journalismus beständig von der großen Bewegung oder Stagnation im öffentlichen Leben, in der Wissenschaft und Kunst abhing, und daß eben deshalb den einzelnen Journalen nicht zugerechnet werden kann, was ein Vorzug oder Mangel des öffentlichen Zustandes überhaupt ist. (Menzel 1839: 1)

1.4 Zusammenfassung: Die Presse – Bildungsmedium der Masse Allen Texten des ersten Teilkorpus ist gemeinsam, dass sie der Sprache und/oder der Presse eine entscheidende Funktion im Rahmen der zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Bestrebungen zuschreiben, wobei immer die sprachliche, politische und/oder kulturelle Bildung als Grundlage(n) der Formierung und Positionierung der deutschen Nation hervorgehoben werden, insofern diese das Bewusstsein stärke, Teil einer Sprach- und Kulturgemeinschaft zu sein. Die Sprache wie die Presse werden hierbei von den Diskursteilnehmern im Sinne der eigenen sprach- und gesellschaftspolitischen Position zu Mitteln funktionalisiert, die für sich oder auch in einer wechselwirkenden Beziehung direkten oder indirekten Einfluss auf die gesellschaftliche Bildung und Entwicklung ausüben. Unterscheiden lassen sich die Positionen und Gegenpositionen des im ersten Untersuchungszeitraum stark gesellschaftspolitisch motivierten Diskurses je nachdem, ob die Diskursteilnehmer die Sprache oder die Presse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen: (1) Etwa ein Drittel aller Autoren des ersten Teilkorpus (vgl. Tab. 29, S. 170) betrachtet die Sprache als grundlegend für die Ausbildung des Bewusstseins, einer (nationalen) Gemeinschaft anzugehören, da in ihr die gemeinsamen kulturellen Werte verankert seien. Die Sprache wird hier funktionalisiert, um die Zugehörigkeit zu einer im Entstehen begriffenen deutschen Nation zu demonstrieren, vor allem aber, um diese zunächst zu formieren und zu positionieren (vgl. ‚Topos der nationalen Identität‘, S. 170). Um dieser Funktion gerecht zu werden, müsse die Sprache in Einklang mit dem Denken oder viel-

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mehr ein Abbild des Gedankens, des deutschen Gedankenguts sein (vgl. ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘, S. 165). Einfluss auf die Sprache als Identitätssymbol einer nationalen Gemeinschaft übe vor allem die Presse aus, da „aus [ihr] ein großer Teil des Volks seine Bildung schöpft“ (Börne 1826: 593f.). a. Betont wird zumeist, dass „die mit griechischen, lateinischen, französischen Vokabeln gespickte Narrensprache der modernen Presse“ (Meinhold 1848: 6) eine Veränderung der Sprache bewirke, die nicht als notwendiger Wandel aufgrund sich ändernder Kommunikationsbedingungen oder -anforderungen, sondern als Verunreinigung oder Verfremdung interpretiert wird. Da in der Sprache das deutsche Kultur- und Gedankengut, „die Urkunde [der] Bildungsgeschichte“ (Jahn 1810: 211) eines Volkes niedergelegt sei, gehe mit der sprachlichen Verfremdung oder Verunreinigung auch eine geistige einher, so dass unter dem Einfluss der Presse nicht allein das Symbol der nationalen Gemeinschaft, sondern die Nation selbst geschwächt werde. b. Während die einen Diskursteilnehmer im Rahmen ihres nationalideologischen Sprachverständnisses eine Verfremdung der deutschen Sprache als nationales Kulturgut befürchten, meinen einige andere, die Presse fördere eine Vereinheitlichung der Sprache. In ihren Augen trägt die Presse, die ihre vielfältigen Inhalte einer differenzierten Leserschaft verständlich vermitteln müsse, zu einer Verständigung aller bei. In diesem Sinne könne die Presse eine gemeinsame sprachliche Basis und somit den geistigen Austausch fördern. Beides stärke letztlich das Bewusstsein, einer nationalen Gemeinschaft anzugehören. Charakteristisch für diese Position im ersten Untersuchungszeitraum ist die Forderung der Abschaffung der Zensur, die die Presse in ihrem Vermögen einschränke, eine allen verständliche Sprache zu „sprechen“. (2) Zwei Drittel der Diskursteilnehmer stellen die Presse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und schreiben ihr die Funktion zu, als öffentliches (Bildungs-) Medium die Teilhabe aller an öffentlichen bzw. gesellschaftsrelevanten Themen fördern zu können. Durch diese Teilhabe könne das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer auf gemeinsamen Werten und Bildungsinhalten basierenden Gemeinschaft und somit die Nation gestärkt werden. Um dieser Funktion gerecht zu werden, bedürfe es einer allen verständlichen Sprache. a. Der Presse wird hierbei zumeist ein vermeintlich hohes geistiges Potenzial zugeschrieben, sofern sie Bildung und Kultur in einer Gemeinschaft zu verbreiten vermag. In den Augen der meisten Autoren des ersten Teilkorpus haben die „Journale [aber nur] offenbar Kultur verbreitet, nützliche

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Kenntnisse in Umlauf gebracht, den öffentlichen Geist erweckt“ (Weber 1843: 379), letztlich „aber doch mehr geschadet als genützt“ (ebd.). Betont wird zumeist, dass die Presse ihrer potenziell positiven Funktion nicht nachkommen könne, da sie – ob ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit – ihre vielfältigen Inhalte nur oberflächlich, teilweise sogar fehlerhaft recherchiere. Vielmehr wirke sich die Zeitung negativ auf die Bildung und Bildungsfähigkeit des Volkes aus, da das autoritätsgläubige Publikum die Produkte der Presse nicht kritisch reflektiere, sondern als Wissen annehme. Nicht allein die inhaltliche Gestaltung der Zeitung hat laut der Diskursteilnehmer einen negativen Einfluss auf die geistige (Weiter-)Entwicklung der Gesellschaft, sondern auch und vor allem ihr Sprachgebrauch, der sich ebenfalls durch Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit auszeichne. Problematisch erscheint es ihnen, dass die Sprache der Presse durch ihre öffentlichkeitswirksame Funktion zur Gemeinsprache, zu einer „Öffentlichkeitssprache“ werde. b. Nur wenige Diskursteilnehmer widersprechen der weit verbreiteten Vorstellung eines Verlustes des Denk- und Sprachvermögens, der die Nation gefährde, und verweisen auf eine positive Wirkung der Presse. Da die Presse als Bindeglied zwischen den verschiedensten Wissensbereichen des menschlichen Lebens fungiere, müsse sie eine einheitliche Sprache sprechen, um ihrem differenzierten Publikum verständlich zu sein. Sie fördere somit nicht allein eine Verschiebung der sprachlichen Existenzformen, sondern vor allem die Möglichkeit, dass jeder an den Wissensbereichen, den Geistesprodukten der Gesellschaft teilhaben könne. Als problematisch erachten diese Diskursteilnehmer, dass die Pressezensur die geistige wie sprachliche Wirkungskraft der Zeitung hemme, da sie „de[n] körnige[n] Ausdruck, der den Gegenstand rund heraus packt, der das Ding beim rechten Namen nennt, verdrängt“ (Auerbach 1846: 223). Da im ersten Teilkorpus Äußerungen über die Bedeutung von Presse und Sprache nahezu immer in Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Überlegungen zur geistigen wie politischen Formierung und Positionierung der Nation getroffen werden, ist zu vermuten, dass die Argumentation motiviert ist durch gesellschaftliche Konflikte oder Unsicherheiten, und sich hinter der Kritik an der Presse eine Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen verbirgt. Diese Vermutung wird durch die Aussage des Zeitgenossen Menzel bestätigt, der betont, dass die Presse nicht – wie ihr häufig vorgeworfen wird – Trägerin oder Quelle diverser gesellschaftlicher Missstände sei, sondern dass sie als öffentliches Medium „alles, was irgend Bedeutendes gethan oder gedacht wird, zur Uebersicht zu bringen“ (Menzel 1839: 2) habe. Die Presse sei lediglich Spiegel, nicht aber unbedingt Auslöser der gesellschaftlichen Entwicklungen, so „daß eben deshalb den einzelnen Journalen nicht zugerechnet werden kann, was ein Vorzug oder Mangel

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des öffentlichen Zustandes überhaupt ist“ (Menzel 1839: 1). Diesem „Mangel des öffentlichen Zustandes“ (ebd.), dieser Unsicherheit in einer Umbruchzeit, die geprägt ist von Forderungen nach einer gesellschaftspolitischen Neuordnung und von restaurativen Gegenbewegungen, wirken die Diskursteilnehmer entgegen, indem sie verstärkt nach Identifikationsmomenten suchen, die die eigene Existenz in einer sich auflösenden und neu formierenden Gemeinschaft zu sichern versprechen. Hierzu wird ein enger Zusammenhang zwischen Sprache und (nationaler) Identität hergestellt, auf den vor allem die Presse – als ein Medium, das diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen abbildet – großen Einfluss ausübt. Nur wenige Diskursteilnehmer vertreten die Vorstellung, dass die Presse zu einer Verbreitung einer allen verständlichen, einheitlichen Sprache beitragen und hierdurch das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem Volk und die einheitliche Nation selbst stärken könne. Deutlich mehr Diskursteilnehmer implizieren, dass die Presse, da sie die Qualität von Sprache und Bildung mindere, eine Identitätsstörung befördere und somit die Stärke der im Entstehen begriffenen Nation herabsetze. Dass im ersten Teilkorpus der Zusammenhang von Sprache, Presse und Identität eine derart zentrale Stellung einnimmt, ist ein deutliches Zeichen der in dem Zeitraum herrschenden gesellschaftlichen Verunsicherung angesichts des sich bereits andeutenden Wandels. Auf die Presse werden nicht zuletzt deshalb jegliche Defizite und Unsicherheiten von den Zeitgenossen projiziert, weil ihre zentrale Funktion, Spiegel bzw. Ausdrucksmittel der gesellschaftspolitischen wie sprachlichen Entwicklungen zu sein, verkannt und sie vielmehr als Quelle dieser Veränderungen gesehen wird. Dass die Kritik an der Presse weniger sprachlich als gesellschaftspolitisch motiviert ist – was zu einer Bestätigung der Hypothese 3 (vgl. S. 18) führt – wird auch deutlich, wenn man sich den sprachlichen Erscheinungen der Zeitung zuwendet, die von den Diskursteilnehmern des ersten Untersuchungszeitraums kritisiert werden. Zentral ist zwar die Klage über die häufige Verwendung von Fremdwörtern, über Neubildungen und Zusammensetzungen, kaum einer der Diskursteilnehmer konkretisiert aber den vermeintlich negativen Einfluss des Sprachgebrauchs der Presse auf die deutsche Sprache. Vielmehr bestünde die „Fehlerhaftigkeit des Stils“ (Börne 1826: 593) darin, dass sehr oft eine verschrobene Darstellung sich breit macht, eine wahre Verrenkung aller Glieder der Sätze und Perioden, eine Durcheinandermengung der verschiedensten Construktionen, ein verworrenes Gewühl ungefügter Redensarten und Wortreihen. (Götzinger 1836:20).

Auch werden der armen Sprache alle Gliedmaßen verstümmelt oder aus ihren Fugen gereckt […], um sie bald in dictatorischer Kürze aufstampfen und bald in unterthäniger Breite hinkriechen zu lassen, während Sinn und Klang in beiden Fällen zu Grunde gehen. (Jochmann 1828: 158)

Diese wenig differenziert vorgebrachten Erscheinungen lassen sich konkretisieren als Kritik an Sprachhandlungsmustern, ihren entsprechenden Ausdrucksformen und an Phänomenen sprachlicher Verdichtung (vgl. Cherubim 1989: 143f.), die die Presse aufgrund der speziellen an sie gestellten kommunikativen Anforderungen in „Prozessen

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

der Ökonomisierung und Schematisierung“ wie „durch Prozesse der Spezialisierung und Professionalisierung“ (Cherubim 1989: 143) herausgebildet hat: (1) Termini, (2) verstärkte Nutzung von Wortbildungsmitteln, (3) morphologische, syntaktische Verkürzungen, (4) Phrasen. Wie in der obigen Betrachtung der Veränderungen im inhaltlichen wie sprachlichen Gebrauch der Zeitung festgestellt wurde, war die Presse aber weniger Quelle dieser den Diskursteilnehmern neu erscheinenden Ausdrucksformen, sondern bildete sie vielmehr in Orientierung an der Amts- und Behördensprache, der Fach- oder Alltagssprache (her-)aus.123 Die meisten vermeintlich zeitungssprachlichen Erscheinungen sind weniger auf die häufig kritisierte Nachlässigkeit oder Innovationslust der Journalisten zurückzuführen als vielmehr darauf, dass sie den in der ersten Jahrhunderthälfte langsam wachsenden kommunikativen Anforderungen gerecht werden musste. Sie machte sich folglich jene Möglichkeiten bestehender sprachlicher Existenzformen – wie beispielsweise die Kompositabildung oder Substantivierung als Mittel sprachlicher Ökonomisierung – zu Nutze, die ihren Funktionen und Zielen, den medienkommunikativen Bedingungen entgegenkamen. Da sich die meisten Diskursteilnehmer dieser „Prozesse der Ökonomisierung und Schematisierung […], der Spezialisierung und Professionalisierung“ zumeist nicht gewahr werden, die Presse nicht als Spiegel der „pluralen Sprachwirklichkeit“ (Burger 32005: 190) ihrer Zeit, sondern als Quelle der Veränderung betrachten, findet die eingangs aufgestellte Hypothese 5 (vgl. S. 18) ihre Bestätigung. Zwar vereint die Presse zumeist nur jene Sprachformen in sich, die zu ihrer Zeit in Umlauf sind, und präsentiert sie einer breiteren Öffentlichkeit, den Zeitgenossen erscheinen sie aber oftmals als zeitungsspezifische Innovationen, da sie vorab nur einer kleinen, exklusiven Sprachgemeinschaft eigen und zugänglich waren.

2. Die Presse – Industrialisierung von Sprache und Literatur (1850–1869) 2.1 Sprache und Denken a. Sprechen als organische Verrichtung des (nationalen) Geistes Das im ersten Teilkorpus weit verbreitete Verständnis von Sprache in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit vom Denken findet sich auch im zweiten Untersuchungszeitraum. 123

Vgl. Kapitel III.

Die Presse – Industrialisierung von Sprache und Literatur (1850–1869)

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So gilt einem Großteil der Diskursteilnehmer des zweiten Teilkorpus der Stil als „der bloße Schattenriß des Gedankens: undeutlich, oder schlecht schreiben, heißt dumpf, oder konfus denken“ (Schopenhauer 1851a: 564). „Wer nachlässig, schreibt legt zunächst Bekenntniß ab, daß er selbst auf seinen Gedanken keinen großen Werth legt“ (ebd.), dass der Gedanke in seiner „formellen Beschaffenheit“ (ebd.) durch Oberflächlichkeit gekennzeichnet sei, wohingegen wir jeden Denker bemüht [sehen], seine Gedanken so rein, deutlich, sicher und kurz, wie nur möglich, auszusprechen. Demgemäß ist Simplicität stets ein Merkmal, nicht allein der Wahrheit, sondern auch des Genies gewesen. (ebd.)

Verweist der sprachliche Ausdruck auf die Deutlichkeit, d.h. auf „die formelle Beschaffenheit aller Gedanken des Menschen“ (ebd.), so stehen Denken – als innerer Vorgang – und Sprechen – gleichermaßen als Träger und Ausdruck des inneren Denkens – in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Gelten den Diskursteilnehmern „Sprechen und Denken in tiefstem Sinne [als] dasselbe“ (Lübben 1852: 354), so bedürfe es der Sprache nicht allein zum Ausdruck, sondern auch und vor allem zur Entwicklung, zum Denken des Gedankens. In diesem Verständnis übe die Sprache, die je nach „formelle[r] Beschaffenheit aller Gedanken des Menschen“ (Schopenhauer 1851a: 561) an „Bestimmtheit und Klarheit des Ausdrucks“, an „Reinheit und Schönheit“ (Brinkmann 1861: 3) verlieren oder gewinnen könne, wiederum Einfluss auf den Vorgang des Denkens und die Entwicklung des Gedankens aus. Folglich erscheint Diskursteilnehmern wie Schopenhauer eine eingerissene Verhunzung der Sprache [als] ein chronisches Uebel, welches nachher sehr schwer zu kuriren ist; wird es aber nicht kurirt, so findet der später kommende, wirklich denkende Schriftsteller das Material zum Ausdruck seiner Gedanken verdorben vor. (Schopenhauer 1856–60: 470)

Davon ausgehend, dass „Sprechen und Denken in tiefstem Sinne dasselbe ist; […] Sprechen […] darum eine organische Verrichtung des Geistes wie das Gehen eine organische Verrichtung des Leibes ist“ (Lübben 1852: 354), gilt den Autoren des zweiten Untersuchungszeitraums die Dunkelheit und Undeutlichkeit des Ausdrucks […] allemal [als] ein sehr schlimmes Zeichen. Denn in 99 Fällen unter 100 rührt sie her von der Undeutlichkeit des Gedankens, welche selbst wiederum fast immer aus einem ursprünglichen Mißverständnis, Inkonsistenz und also Richtigkeit desselben entspringt. (Schopenhauer 1851a: 569)

Diese wechselseitige Einflussnahme von Denken und Sprechen, die als steter Kreislauf zu verstehen ist, betrachten die Zeitgenossen des zweiten Untersuchungszeitraums – wie jene des ersten – nicht allein im Hinblick auf die Identität und geistige Stärke des Einzelnen. Ähnlich der Autoren des ersten Teilkorpus erachten die Diskursteilnehmer des zweiten Zeitraums, in welchem die politischen Bestrebungen um eine einheitliche Nation ihren Fortgang finden, „die Sprache, in welcher man schreibt, [als] Nationalphysiognomie“ (Schopenhauer 1851a: 561). Da in ihren Augen die „Einheit des Volkes

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

ihren vornehmlichsten Ausdruck in der Sprache [hat]“ (Wiese 1859: 10), fordern auch sie, dass es aber billigerweise die Aufgabe eines jeden deutschen Schriftstellers sein [sollte], so rein wie es nur immer möglich ist, zu schreiben, um auch seinerseits die so vielfach bedrohte Ehre und Unabhängigkeit seines theuren Vaterlandes zu wahren. (Lübben 1852: 360).

Diese Forderung resultiert aus dem Verständnis von Sprache als einem nationalen Gut „volkstümlicher Sitte, Gesinnung und Denkart“ (Wiese 1859:11), einem „Band der Gemeinschaft“ (Wiese 1859: 10), das in der Vermittlung einer gemeinsamen Weltsicht das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft sichere. Vor allem gegenwärtig, wo wir Deutschen, von dem Gefühl ihrer Würde neu belebt, in ihrer mächtigen Gesammtheit sich enger zu verbinden streben, um den ehrgeizigen Gelüsten benachbarter Feinde Trotz zu bieten, ist die Nothwendigkeit nicht länger zu verkennen, das Edelste in der geistigen Anlage des Menschen, seine angeborne Sprache, von Ausländerei zu säubern und zur ursprünglichen Reinheit zurückzuführen. (Brinkmann 1861: 15)

b. Mehr Schein als Sein Grundlegend für diese Forderung der Diskursteilnehmer, die „angeborne Sprache von Ausländerei zu säubern und zur ursprünglichen Reinheit zurückzuführen“ (Brinkmann 1861: 15), ist ihr Eindruck, „daß unsere Schriftsteller im Gebrauche der Deutschen Zunge nicht selten auf Abwege gerathen, die geradezu auf eine Misbildung und Verhunzung hinleiten“ (Brinkmann 1861: 4). Eine derartige „Misbildung und Verhunzung“ (ebd.) der Sprache habe letztlich – insofern „der Stil die Physiognomie des Geistes [ist]“ (Schopenhauer 1851a: 561) – auch Auswirkungen auf die Denkfähigkeit des Einzelnen und des Kollektivs, denn die sittlichen Uebel, welche sich an die Entwerthung der Sprache knüpfen, gehen tiefer als es scheinen mag; vor allem wird dabei die Rückwirkung des Worts auf den Willen geschwächt; dies ist immer der Fall wo die Phrase herrscht. (Wiese 1859: 18).

Zeichen der zunehmenden „Misbildung und Verhunzung“ (Brinkmann 1861: 4) seien nicht allein die häufig kritisierten „Fremdwörter und ausländische Redensarten“ (Brinkmann 1861: 4), wodurch „der ächte deutsche Ton […] wohl gar manchmal ganz verloren“ (Lübben 1852: 360) gehe, sondern vor allem die Mode […], einer sprachlichen Schwelgerei sich zu ergeben und sich der gezierten, geschmückten und glänzenden Rede selbst in solchen Fällen zu bedienen, wo ein einfacher, ungeschminkter Ausdruck am rechten Platze gewesen wäre, […] es ist auch das Streben unverkennbar, durch neue Wörter und neue Redensarten und Wendungen sich hervorzutun. (Brinkmann 1861: 3)

Während nur wenige Diskursteilnehmer des ersten Untersuchungszeitraums sich dieser vermeintlich neuen Mode bewusst werden, den Ausdruck schöner zu gestalten als der Gedanke eigentlich ist, ist bei den Zeitgenossen des zweiten Untersuchungszeitraums der Eindruck weit verbreitet, dass die „natürliche Schönheit [der Sprache] oft durch

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überladenen Putz entstellt wird“ und „sich einfache Wahrheiten durch Redeprunk empfehlen“ (Wiese 1859: 17). Dieses „sichtbare Bestreben, mehr Geist zeigen zu wollen“ (Schopenhauer 1851a: 564), durch „die stark aufgetragenen Farben“ (Wiese 1859: 29) geistreicher erscheinen zu wollen als man eigentlich ist, habe zur Folge, dass „der Satzbau […] im allgemeinen phrasenhafter geworden [ist], oberflächlicher und voll Spuren eintretender Verarmung“ (ebd.).

c. Die Instrumentalisierung der Sprache und des Geistes Befördert werde diese zunehmende Phrasenhaftigkeit, durch die „die Sprache innerlich leer und eitel“ (Wiese 1859: 17) werde, so dass „der später kommende, wirklich denkende Schriftsteller das Material zum Ausdruck seiner Gedanken verdorben“ (Schopenhauer 1856–60: 470) vorfinde, dadurch, dass uns Männer vorgekommen [sind], die bei all ihrer Bildung und bei all ihrem Stolz auf dieselbe doch nichts auf die Veredlung und Würde ihrer Muttersprache geben. Sie behandeln dieselbe als ein gemeines Werkzeug, sich verständlich zu machen, unbekümmert, woher sie den Ausdruck nehmen und in welchem Gepräge sie ihre Gedanken vortragen. (Brinkmann 1861: 3)

Hat in der ersten Jahrhunderthälfte vor allem Kolbe bemängelt, dass die Sprache ihren eigenständigen Charakter als Abbild des Gedankens und Mittel des Denkens verliere, so finden sich nur wenige Jahre später deutlich mehr Zeitgenossen, die die Ursache der „eintretenden Verarmung“ (Wiese 1859: 29) darin begründet sehen, dass die Sprache „unter der Verwendung für das praktische Bedürfnis […] ihres pulsierenden Lebens“ (Wiese 1859: 23) beraubt werde. Mit der Sprache, die zunehmend als Mittel zum Zweck dient, die von einem selbstbestimmten Subjekt zum nützlichen Werkzeug oder Objekt materialisiert oder „industrialisiert“ werde, werden in der Folge auch dem Denken, der Denkfähigkeit, dem Geist des Einzelnen wie des Volkes engere Grenzen gesetzt. Nicht allein die Sprache, sondern auch ihre Sprecher verlieren letztlich ihre gedankliche Freiheit, ihre Selbstbestimmung, ihren Selbstzweck und werden von eigenständig handelnden Subjekten zu abhängigen Objekten instrumentalisiert. Zeiten solcher Begriffs- und Sprachverwirrung, einer Zersetzung der Grundlagen geistiger Einheit des Volkslebens, büßen die rechte Freiheit ein, indem einerseits haltlose Willkür dafür angesehen wird, andererseits der Einzelne unvermerkt in willenlose Abhängigkeit von herrschender Meinung und Gewohnheit geräth, und damit auch in den Bann, unter welchem die Sprache nur wie eine Sammlung conventioneller Zeichen gebraucht wird, nicht allein für alltägliche Dinge, was zu allen Zeiten geschieht, sondern für den Ausdruck des sittlichen Lebens überhaupt. (Wiese 1859: 15)

Dass sich in den Augen der Diskursteilnehmer das Verständnis von Sprache zunehmend verändert, dass diese nicht mehr als selbstbestimmtes Subjekt mit „pulsierendem Leben“ (Wiese 1859: 23), sondern als „gemeines Werkzeug“ (Brinkmann 1861: 3) für das praktische Bedürfnis, als Objekt wahrgenommen werde, sei nicht zuletzt auf die Presse

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

und ihren Umgang mit Sprache zurückzuführen. Vor allem durch die modernen „Vielschreiber“ (Schopenhauer 1851b: 616) der Presse werde das Wort […] immer mehr vom Wesen der Sache gelöst, und dadurch schwach und der Willkür preisgegeben. Die Geschichte lehrt deutlich, daß dieser desorganisirte Zustand der Sprache immer auch ein Symptom des inneren Verfalls eines Volkes ist. (Wiese 1859: 14)

Der „desorganisirte Zustand der Sprache“ (ebd.) sei aber nicht allein „Symptom des inneren Verfalls eines Volkes“ (ebd.), sondern zugleich ein entscheidender Faktor, der diesen vermeintlichen Verfall bewirke, denn in solchen Wahrnehmungen auf dem Gebiet der Sprache sind immer Symptome tiefer liegender sittlicher Uebel enthalten, die auf vorhergehende andere als sprachliche Versäumnis schließen lassen. (Wiese 1859: 31)

c.1 Die Kommerzialisierung der Literatur In seinem Verständnis von Sprache in ihrer engen Wechselwirkung zum Denken und seinem Eindruck des zunehmenden Sprach- und Geistesverfalls durch den Einfluss der Presse ist es vor allem Arthur Schopenhauer, der für seine Zeitgenossen, aber auch für zahlreiche folgende Pressekritiker beispielgebend wirkt. Als wichtigste Ursache für die „Verarmung und Lähmung der Sprache“ (Schopenhauer 1856–60: 444) erachtet Schopenhauer, dass nicht mehr „ganz allein der Sache wegen“ (Schopenhauer 1851a: 545) geschrieben werde, sondern „daß die meisten Schriftsteller Litteraten, d.h. Schriftsteller von Profession sind, welche ihr tägliches Brod durch ihr tägliches Schreiben verdienen“ (Schopenhauer 1856–60: 473). Während „solche, die der Sache wegen schreiben“ (Schopenhauer 1851a: 545), einer idealistischen Motivation folgen und die Inhalte ihrer Werke in einem tiefgründigen gedanklichen Prozess entwickeln, leisten Journalisten kaum eigene Gedankenarbeit, sondern richten sich in der Wahl und Präsentation ihrer Themen nach den Bedürfnissen ihrer Geldgeber und ihres Publikums. Diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld [...] Man erkennt sie daran, daß sie ihre Gedanken möglichst lang ausspinnen und auch halbwahre, schiefe, forcirte und schwankende Gedanken ausführen, auch meisten das Helldunkel lieben, um zu scheinen, was sie nicht sind, weshalb ihrem Schreiben Bestimmtheit und volle Deutlichkeit abgeht. Man kann daher bald merken, daß sie um Papier zu füllen schreiben. (Schopenhauer 1851a: 545)

Da die Journalisten in ihrer finanziellen Abhängigkeit keine eigenen Gedanken entwickeln, sondern nur fremde oberflächlich reproduzieren, liege es – ob der von Schopenhauer und zahlreichen seiner Zeitgenossen angenommenen Wechselwirkung von Denken und Sprechen – auch nicht in ihrem Vermögen, einen klaren und deutlichen Stil zu finden. „Die sekundäre Folge […]“ dessen, „daß die Schriftstellerei ein Industriezweig geworden ist“ (ebd.), ist in den Augen Schopenhauers folglich „der Verderb der Sprache“ (ebd.). Denn „das litterarische Gesindel will originell seyn und kennt keinen anderen Weg, als Worte in unerhörtem Sinn zu gebrauchen, oder sie zu verhunzen, oder neue einzuführen“ (Schopenhauer 1856–60: 473), oder es suche der Nichtigkeit und

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Oberflächlichkeit „durch ungewöhnliche Formen der Rede einen vornehmen Schein zu geben“ (Lübben 1852: 347f.). Auch sei die Schreiberei der Alltagsköpfe […] wie mit Schablonen aufgetragen, [sie] besteht nämlich aus lauter fertigen Redenarten und Phrasen, wie sie eben im Schwange und Mode sind, und die sie hinsetzen, ohne selbst etwas zu denken. Der überlegene Kopf macht jede Phrase eigens für den speciellen, gegenwärtigen Fall. (Schopenhauer 1851a: 567)

Im Gegensatz. zu Schriftstellern, die – einer idealistischen Motivation folgend – ihre Gedanken und Erfahrungen während ihrer schriftstellerischen Tätigkeit weiterentwickeln und verarbeiten, sei das Denken der finanziell abhängigen Journalisten durch eine oberflächliche Beschäftigung mit fremden Gedanken geprägt. Dieser Mangel an eigenen tiefgründigen Gedanken, der seinen Ausdruck in einer oberflächlichen Schablonensprache finde, führe nicht allein zu einem Verlust der schriftstellerischen Individualität, sondern vor allem zu einer Abnahme der Denkfähigkeit, der geistigen Stärke, die sich wiederum auf die Leserschaft der Journalisten übertrage. Der Journalist erscheint zahlreichen Diskursteilnehmern des zweiten Teilkorpus folglich nicht als eigenständig denkendes und handelndes Subjekt, sondern als Werkzeug eines ökonomisch gesteuerten Pressemassenwesens. c.2 Die mediale Produktion von Sprache und Bildung Dass Schopenhauer die Journalisten mit einer derartigen Härte attackierte, ist dadurch zu begründen, dass er „der Presse den größten und gefährlichsten Einfluß auf die Sprache der Mehrheit des Volkes bei[maß]“ (Fischer 1983: 527). Dieser Einfluss resultiere vor allem daraus, dass die Zeitung den meisten als alleiniges Bildungsmittel diene, dessen Inhalte und Sprache kaum hinterfragt würden, da das lesende Publikum in der Presse eine allwissende Autorität sehe: Ganz ernstlich muß ich nun aber hier zu bedenken geben, daß gewiß mehr, als 9/10 der überhaupt lesenden Menschen nichts, als die Zeitungen, lesen, folglich fast unausbleiblich ihre Rechtschreibung, Grammatik und Stil nach diesen bilden, und sogar, in ihrer Einfalt, dergleichen Sprachverhunzungen für Kürze des Ausdrucks, elegante Leichtigkeit und scharfsinnige Sprachverbesserung halten, ja, überhaupt den jungen Leuten ungelehrter Stände die Zeitung, weil sie doch gedruckt ist, für eine Autorität gilt. (Schopenhauer 1851a: 578)

Nicht allein „den jungen Leuten ungelehrter Stände“ (ebd.) gelte die Zeitung, „weil sie doch gedruckt ist, für eine Autorität“ (ebd.), denn das Jahr 1848 mit seinem saubern Treiben hat einen Samen von Unwissenheit unter den Gelehrten ausgestreut nachdem die Hegelei den Boden dazu gepflügt hatte, und jetzt steht die Saat in Blüthe. Man merkt es in allen Ecken und Enden: daß Cigarren rauchen, politisiren und Eisenbahn fahren an die Stelle ernster Studien getreten ist: und die gelbgerauchten, langbärtigen Brillengesichter mit leeren Köpfen wagen es über die „Zopfzeit“ zu spotten, in der die größten Geister gewirkt haben und gründliche Kenntniß der alten Sprachen allgemein war. (Schopenhauer 1856–60: 479)

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Die Folge dessen, dass die „sogenannten Gelehrten, welche sich widersetzen sollten […] den Journal- und Zeitungslitteraten nach[eifern]“ (Schopenhauer 1851a: 581) statt sich des Einflusses der Presse zu wehren, sei, daß Es gegen solche Sprachverhunzungen, welche meistens vom niedrigsten Kreise der Litteratur ausgehn, in Deutschland keine Opposition giebt: meistens in den politischen Zeitungen geboren, gehen die verstümmelten oder frech mißbrauchten Wörter ungehindert und mit Ehren in die von Universität und Akademie ausgehenden gelehrten Zeitungen, ja, in alle Bücher über. Keiner widersteht, keiner fühlt sich aufgefordert, die Sprache zu schützen, sondern alle machen, um die Wette, die Narrheit mit. (Schopenhauer 1851a: 585)

Nicht allein im „schaafischen Nachahmungstrieb und urtheilsloser Bewunderung des Absurden“ (Schopenhauer 1856–60: 477) sei die Macht der Presse begründet, sondern auch und vor allem in dem sich verändernden Leseverhalten. Da ein „so großer Theil des Lebens mit Lesen zugebracht wird, und so oft mit passivem, abstumpfenden Aufnehmen einer Tagesliteratur, deren Aufgabe es ist, ihrer Tendenz mit Zuversicht Worte zu geben“ (Wiese 1859: 18), verbreiten sich nicht allein Inhalte und Sprache der massenwirksamen Presse in einer ungeahnten Schnelligkeit, sondern es nehme auch die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, zum Denken ab, denn wann wir lesen, denkt ein Anderer für uns: wir wiederholen bloß seinen mentalen Proceß. [...] Demnach ist beim Lesen die Arbeit des Denkens uns zum größten Theile abgenommen. [...] Daher kommt es. Daß wer sehr viel und fast den ganzen Tag liest, dazwischen aber sich in gedankenlosem Zeitvertreibe erholt, die Fähigkeit, selbst zu denken, allmälig verliert. (Schopenhauer 1851b: 612)

Als besonders gefährlich erscheint den Diskursteilnehmern des zweiten Teilkorpus das gesteigerte Leseverhalten vor allem deshalb, weil die Leserschaft die Zeitung nur oberflächlich rezipiere, weder Zeit noch Muße habe, die Inhalte kritisch zu hinterfragen, sondern sie in ihrer Autoritätsgläubigkeit als wahres Wissen annehme und sich „willig unter die Tyrannei der sogenannten öffentlichen Meinung begiebt“ (Wiese 1859: 18): Ein verschmitzter und schlimmer, aber erklecklicher Streich ist es, der den Litteraten, Brodschreibern und Vielschreibern gegen den guten Geschmack und die wahre Bildung des Zeitalters gelungen ist, daß sie es dahin gebracht haben, die gesamte elegante Welt am Leitseile zu führen, in der Art, daß diese abgerichtet worden, a tempo zu lesen, nämlich Alles stets das Selbe, nämlich das Neueste, um, in ihren Cirkeln einen Stoff zur Konversation zu haben [...] Was aber kann elender seyn, als das Schicksal eines solchen belletristischen Publikums, welches sich verpflichtet hält, allzeit das neueste Geschreibe höchst gewöhnlicher Köpfe, die bloß des Geldes wegen schreiben, daher eben stets zahlreich vorhanden sind, zu lesen, und dafür die Werke der seltenen und überlegenen Geister aller Zeiten und Länder bloß dem Namen nach zu kennen! – Besonders ist die belletristische Tagespresse ein schlau ersonnenes Mittel, dem ästhetischen Publiko die Zeit, die es den ächten Produktionen der Art, zum Heil seiner Bildung, zuwenden sollte, zu rauben, damit sie den täglichen Stümpereien der Alltagsköpfe zufalle. (Schopenhauer 1851b: 616)

Diskursteilnehmer wie Schopenhauer vermitteln folglich den Eindruck, dass nicht mehr die Qualität und Tiefgründigkeit der Bildung von Bedeutung sei, sondern vielmehr die

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Vielfältigkeit der Bildungsinhalte, die „einen Stoff zur Konversation“ (ebd.) bieten. Diese Vielfältigkeit erscheint den Autoren des zweiten Teilkorpus als typisches Kennzeichen des modernen Massenwesens, dessen Ausdruck und Träger die Presse sei. In diesem medial bestimmten Massenwesen werde die Bedeutung individuell denkender und handelnder Schriftsteller dadurch gemindert, dass das Publikum finanziell abhängigen Journalisten bzw. einer ökonomisierten Literatur mehr Glauben schenkte. Die Folgen dieses Autoritätsglaubens, dieses Verlustes der Individualität und Subjektivität im Denken zugunsten eines Massendenkens, seien vor allem an der Sprache zu erkennen, die in ihrer Abhängigkeit zur Qualität des Gedankens (vgl. ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘, S. 165) zu einem „wortarme[n] und grammatisch ungelenke[n] Jargon“ (Schopenhauer 1856–60: 487) verkomme. Die Entwicklung von Gedanken, ihr sprachlicher Ausdruck wie ihre Rezeption seien letztlich keine Tätigkeiten des Geistes mehr, sondern glichen einer industriellen Produktion, die – ob des vorhandenen finanziellen Budgets – mit den geringsten Mitteln einen größtmöglichen Nutzen erzielen müsse. c.3 Die rettenden Autoritäten Diese moderne „industrielle“ Sprach- und Bildungsproduktion durch die Presse, die die Qualität der Sprach- und Geistesentwicklung der Nation mindere, vergleichen die Diskursteilnehmer des zweiten Untersuchungszeitraums mit den ihnen als wahre Autoritäten geltenden Autoren und Werken der Weimarer Klassik und kommen zu dem Schluss, dass wenn wir den Stil sehr vieler neuerer Schriftsteller, ich will gar nicht sagen mit der reinen und kräftigen Sprache Luther’s, sondern mit unsern besten Prosaisten einer näheren Zeit, mit Lessing, Winckelmann, Göthe vergleichen, welch ein Unterschied! Im vorigen und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde durchschnittlich ein besseres Deutsch als jetzt geschrieben. (Wiese 1859: 28f.)

Diese Annahme, dass „noch zu Anfang dieses Jahrhunderts […] durchschnittlich ein besseres Deutsch als jetzt geschrieben [wurde]“ (ebd.), bewegt die Diskursteilnehmer letztlich zu der Forderung, dass die Journalisten „an Lessing’s und Göthe’s Prosa lernen [mögen], wie man deutlich zu schreiben hat, denn beide sind die bis jetzt noch unerreichten Meister prosaischen Styls“ (Lübben 1852: 347). Dass vor allem die Vertreter der Weimarer Klassik von den zitierten Diskursteilnehmern zu Autoritäten in jeglichen sprachlichen Fragen erhoben werden, ist nicht zuletzt durch ihr Verständnis von der sprachlich-gedanklichen Einheit zu begründen. In diesem Sinne verweise die „Reinheit und Schönheit“, die „Bestimmtheit und Klarheit des Ausdrucks“ (Brinkmann 1861: 3) der klassischen Werke auf die Tiefe, Bestimmtheit und Klarheit der Gedanken. Erweitert man dieses Verständnis um die nationalideologische Komponente, dass die Sprache ein nationales Gut „volkstümlicher Sitte, Gesinnung und Denkart“ sei (Wiese 1859: 11), so erscheinen die Geisteswerke der Weimarer Klassik

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als Inbegriff deutscher Kultur und deutschen Gedankenguts. Ist „Sprechen […] darum eine organische Verrichtung des Geistes wie das gehen eine organische Verrichtung des Leibes“ (Lübben 1852: 354), so suchen die Diskursteilnehmer in ihrem Bemühen, die von der Presse vermeintlich ausgehende Gefahr eines Sprach- und Bildungsverlustes aufzuhalten, Rückhalt und Sicherheit in jenen Schriftstellern, deren Werke und Sprache ihnen als „organische Verrichtung des [nationalen] Geistes“ (ebd.) erscheinen. Nicht allein dem lesenden Publikum, dem die Presse als oberste Autorität in Sprach- und Wissensfragen gelte, sollen mit Goethe, Lessing, Winckelmann oder Schiller „Alternativautoritäten“ geboten werden, so dass sie „nicht aber dem stupid ersonnenen Jargon heutiger Bettelliteraten [nacheifern]“ (Schopenhauer 1851a: 581), sondern auch dem Journalisten, der „schlechterdings keine andre Sprache schreiben [soll], als die von den klassischen Schriftstellern seiner Nation befolgte“ (Schopenhauer 1856–60: 482). Dieser Appell Schopenhauers verdeutlicht, dass er weder den kommunikativen Bedürfnissen der Presse noch ihren Zielsetzungen, Produktions- oder Rezeptionsbedingungen große Beachtung schenkte. Denn während die klassische Literatur Werke umfasste, die in mühevoller und langwieriger Arbeit sprachstilistisch geformt und überarbeitet wurden, ist die Zeitung ein zweckmäßiges Produkt des Augenblicks, welches für den einmaligen Gebrauch bestimmt ist und in seiner kurzen Produktionszeit einerseits eigene „ökonomische“ Satz- und Wortstrukturen ausbilden muss, andererseits mehr Gelegenheiten zu sprachlichen Mängeln gibt als ein literarisches Werk. Die neuartigen sprachlichen Anforderungen der Massenpresse lassen sich folglich nicht, wie u.a. von Schopenhauer gefordert, mit den Normen der klassischen Literatursprache erfüllen. Dieser Verweis auf literarische Autoritäten, die den zeitgenössischen kommunikativen Anforderungen nicht gerecht werden können, verdeutlicht den konservativ statischen Charakter des Sprachverständnisses der zitierten Diskursteilnehmer, die den fortschreitenden Wandel, den Verlust der traditionellen Werte durch den Rückgriff auf gesicherte Autoritäten zu kompensieren versuchen. Auf diese Weise ist es den Diskursteilnehmern vor allem möglich, ihren eigenen sozialen Status innerhalb der sich neu formierenden Gesellschaft zu sichern und sich von den nach oberflächlicher (Zeitungs-)Bildung und Sprache strebenden Massen zu distanzieren.

2.2 Sprache und Interaktion a. Die ‚Abnutzung‘ des sprachlichen Organismus Ähnlich wie bereits im ersten Untersuchungszeitraum Götzinger vermerkt, dass „die Sprache […] als Ganzes nicht um des Denkens willen allein da [ist], sondern um des Gedankenaustauschs willen“ (Götzinger 1836/39: 18), erweitern auch einige wenige Diskursteilnehmer des zweiten Teilkorpus die Vorstellung von der „Wechselbeziehung der Menschensprache zu dem Geiste des Menschen“ (Wackernagel 1866: 9) um die Komponente des Gedankenaustauschs. Zwar „wächst die Sprachfertigkeit mit dem

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Geiste und […] in unausbleiblicher Rückwirkung der Geist mit der Sprachfertigkeit“ (Wackernagel: 1866: 8), so dass „Denken und Sprechen […] hiemit zu einem und demselben [werden]“(ebd.), „wie aber immer ein Mensch auch sprechen möge […] immer hat er dabei den Zweck geselliger Mitteilung an einen anderen“ (Wackernagel 1866: 6). Diese „gesellige Mitteilung an einen anderen“ (ebd.), der geistige Austausch der Sprechenden und Schreibenden untereinander habe letztlich wiederum Auswirkungen auf die (Weiter-)Entwicklung des Geistes und somit auch auf jene der Sprache. Durch die Erweiterung der Wechselbeziehung von Denken und Sprechen um den geistigen Austausch gewinnt dieses Sprachverständnis einen deutlich dynamischeren Charakter als jenes, das sich auf die Einheit von Sprechen und Denken beschränkt, da es eine gewisse Wandlungsfähigkeit und -notwendigkeit der Sprache aufgrund äußerer Bedingungen bzw. sich ändernder kommunikativer Anforderungen an die jeweiligen Sprechenden und Schreibenden suggeriert. Die eigentliche Menschensprache jedoch, in der sich Begriffe hörbar verkörpern und die durch Lehren und Lernen sich fortpflanzt, die somit von Geist auf Geist gleichsam immer aufs neue geschaffen wird, sie schreitet fort, wie von Geschlecht zu Geschlecht der Geist fortschreitet; sie bewegt, sie entwickelt sich, wie der Geist des Einzelnen, des Volkes, der Menschheit in unablässiger Bewegung sich entwickelt. (Wackernagel 1866: 11)

Erfüllt die Sprache gleichermaßen den „Zweck geselliger Mitteilung an einen anderen“ (Wackernagel 1866: 6) und entwickelt sich in Abhängigkeit vom „Geist des Einzelnen, des Volkes, der Menschheit in unablässiger Bewegung“ (Wackernagel 1866: 11), so nimmt sie in ihren Fortschritten […] einen Gang, der ebenso auf- und abgestuft ist wie die leiblich-geistige Entwicklung des Menschen“ (Wackernagel, 1866: 14). Vom Jugend- über das Mannesalter gleitet die Sprache allgemach und unmerklich [...] auf die dritte und letzte Stufe, in das Greisenalter hinab, wo alles Sinnliche, alles Körperliche welkt, aber auch, wenn man will, hinauf in das Greisenalter mit seinen gehäuften Weisheitsschätzen, in die Zeit, wo der Geistesfunke vor dem letzten Erlöschen noch einmal am hellsten flammt und fast nur noch dieses geistige Element zu gewahren ist. (Wackernagel 1866: 30)

Dieses Altern der Sprache zeige sich in einer „durchgehende[n] Vergeistigung der Sprache“ (Wackernagel 1866: 33), die „die sichere Vorbotin ihres baldigen Absterbens sein [würde] […], wenn nicht eine Art Erstarrung, in welche sie gerade verfällt, sie bewahrte vor der Auflösung und Verwesung“ (ebd.). Grund dafür, dass die Sprache gerade in eine Art Erstarrung verfalle, „ihre Flügel beschnitten [sind]“ (Wackernagel 1866: 34) und sie zunehmend ihrer Freiheit und Lebendigkeit beraubt werde, sei, dass „unser liebes Deutsch ein Dintendeutsch geworden [ist]“ (Hildebrand 1867: 29), dass die geschriebene Sprache zunehmend über die gesprochene dominiere: Ja, im 19. Jahrhundert hat man das Hochdeutsch wirklich zu einer bloßen Schriftsprache gemacht, zu einem Dintendeutsch, und ist im Begriffe es zu einer toten Sprache zu machen in noch ganz andrem Sinne als ausgestorbene Sprachen tote heißen: sie soll bei lebendigem Leibe tot gemacht werden. Denn das ist klar, wer wie jetzt Zeichen, die nur gesehen, nicht gespro-

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chen werden können, also sprachlich nichts sind, als wesentlich zur Sprache gehörend behandelt, und vollends diesen Zeichen Einfluß auf die Fortbildung der Sprache einräumt, der macht die Muttersprache zu einer toten Sprache, soviel an ihm liegt. (Hildebrand 1867: 37f.)

Dass der von Wackernagel als natürlich empfundene Alterungsprozess der Sprache beschleunigt werde, sie vorzeitig in den Zustand der Erstarrung verfalle, sei folglich dadurch begründet, dass nicht mehr die lebendige Sprache dominiere, sondern die „bloße Schriftsprache“ (ebd.), so dass „die ganze Sprache nun wie gesättigt [ist] mit Tinte und mit der Schwärze des Bücher- und Zeitungsdruckes“ (Wackernagel 1866: 34). Durch die gesteigerte Schriftproduktion und -rezeption wie durch die Erweiterung des Kommunikationsrahmens und die Vervielfältigung der Kommunikationssituationen nutze sich demnach die Sprache zunehmend ab. Besonders „schlimmen Einfluss auf das Sprachbewußtsein und die Fortbildung der Sprache [üben] die Zeitungen [aus]“ (Hildebrand 1867: 114f.) und so bildet sich im 19. Jahrhundert unsere Sprache fort unter den Händen derer, die sich vor allen dazu berufen glauben und wirklich auch dazu berufen sind, da sie das in der Gewalt haben, woran sie sich in der Tat jetzt am raschesten fortentwickelt, die Zeitungen! (Hildebrand 1867: 35f.)

Wie die anderen Diskursteilnehmer des zweiten Untersuchungszeitraums führen auch jene, die die Wechselbeziehung zwischen Sprechen und Denken um den geistigen Austausch erweitern, den Einfluss der Zeitungen einerseits auf die Produktionsweise der Zeitungen selbst, andererseits auf das Rezeptions- und Bildungsverhalten wie die Autoritätsgläubigkeit der Zeitungsleser zurück. So erklären auch die Autoren des zweiten Teilkorpus die Proben halbwüchsigen Stils, die […] fast immer eine unvermittelte Mischung von unverdauten Resten des volksmäßigen Deutsch und unverdauten Bruchstücken höhern Stils in Syntax und Wortvorrat [zeigen], die auf jene oben draufgeklebt, nicht damit verwachsen sind (Hildebrand 1867: 70),

dadurch, dass „Mitarbeiter, Übersetzer, Redakteure, Korrektoren usw. gebunden an eine feste Zeit, an die Poststunde, […] oft genug in größter Hast arbeiten“ (Hildebrand 1867: 114). Nicht allein die Inhalte, sondern auch Sprache und Stil der Zeitung gewinnen so an Oberflächlichkeit. Hinzu komme die von Schopenhauer bereits angesprochene Motivation der Journalisten, nicht „der Sache wegen“ (Schopenhauer 1851a: 545) zu schreiben, sondern um „ihr tägliches Brod durch ihr tägliches Schreiben zu verdienen“ (Schopenhauer 1856–60: 473). Vor allem in der Sprache spiegle sich letztlich wieder, dass die Journalisten nicht wie „die einflußreichsten Schriftsteller […] womöglich für die Ewigkeit schreiben, […] für die ewigen Anliegen der Menschheit“ (Hildebrand 1867: 115), sondern „für Eintagsinteressen, in denen freilich jene ewigen Anliegen immer versteckt sind, wer sie darin zu sehen und hervorzuheben vermag“ (ebd.). Folglich schreiben sie alle mit dem Gefühl, daß das so Geschriebene […] morgen, übermorgen meistens ebenso rasch veraltet ist, von anderem verdrängt, das doch ebenso rasch von neuen Lebenswellen wieder

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verschlungen und größtenteils in die verächtliche Lage der Makulatur verwiesen wird, also nach kurzem, wichtigen Scheinleben dem ewigen Nichts verfallend, rechte Tagesblätter, Eintagsfliegen und so hauptsächlich bildet sich jetzt unsere gebildete Tagessprache weiter. (Hildebrand 1867: 114f.)

Dieses Wissen um die Kurzlebigkeit der Inhalte fördere letztlich die sprachliche wie inhaltliche Oberflächlichkeit. Da „dem hastigen Arbeiten in den Zeitungsredaktionen […] ein hastiges Lesen bei den Zeitungslesern [entspricht], bei beiden […] aber ein hastige Denken [herrscht]“ (Hildebrand 1867: 115), sei es dem Leser kaum möglich, die hinter den „Eintagsinteressen“ (ebd.) der Zeitungen evtl. versteckten „ewigen Anliegen der Menschheit“ (ebd.) zu sehen und hervorzuheben. Vielmehr führe der Glaube an die Wissensallmacht der Presse dazu, dass Sprache und Inhalte der Zeitungen unreflektiert übernommen würden: Der hastige Leser oder der noch im Glauben an die Sprach- und Denkklarheit unsrer Zeitungen, übernahm das verwaschene Wort in seinen Sprach- und Begriffsschatz ungefähr mit dem dunklen Gedanken: es wird wohl was neues sein, oder auch was altes, das du noch nicht kennst, merk dies, daß du dir nicht einmals eine Bildungsblöße gibst. (Hildebrand 1867: 116)

Die Folge dessen sei nicht allein ein vorzeitiges Altern der Sprache, sondern vor allem ein zunehmender Verlust des Denkvermögens und eine Beeinträchtigung des geistigen Austauschs. Tritt in der Wechselbeziehung zwischen Denken, Sprechen und Austausch bei einer der drei Komponenten „für Gesundheit eine Zersetzung ein, die aus bloßer Störung des gesunden Blutumlaufs schon in eine Fäulnis übergeht“ (Hildebrand 1867: 118), so werden auch die anderen Komponenten in ihrer Funktionalität beeinträchtigt. Unser gutes Deutsch und unser klares Denken mit ihm, beide leiden unter dem jetzigen Stand der Dinge gar schwer, Kräfte der Verwüstung und Verwirrung sind da zur Zeit in Wirksamkeit, denen ein kräftiger Damm entgegenzusetzen wäre. (Hildebrand 1867: 115)

b. Die Demokratisierung der (Schrift-)Sprache Den engen Zusammenhang zwischen Denken – als einem inneren Vorgang – und Sprechen – gleichermaßen als Träger und Ausdruck des Denkens – erkennt auch Rückert (1864) an. Ähnlich der Diskursteilnehmer des ersten Untersuchungszeitraums Auerbach und Heyse nimmt er aber – wie Dieckmann (1989: 271) vermerkt – eine gesonderte Stellung in der Betrachtung der Sprachentwicklung unter Einfluss der Massenpresse ein: Vom Standpunkt des heutigen sprachhistorisch interessierten Linguisten aus betrachtet, ist Rückerts Aufsatz, zumindest für den, der sich nicht nur mit den zeitgenössischen Reflexionen über die deutsche Sprache, sondern auch mit den Entwicklungen auf der Objektebene vertraut machen will, sicher der sachlich lobendste des Bandes. Streicht man die Hoffnung auf die deutschen Dialekte im Schlussteil, kürzt hier und da, modernisiert den sprachlichen Ausdruck und reichert man ihn, wenn es denn sein muss, mit etwas linguistischer Terminologie an. So ist nicht einmal der Gedanke ganz abwegig, dass man mit diesem Aufsatz auf einer Tagung heute

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noch einen diskutablen Beitrag zur Sprachgeschichte des 19. Jahrhunderts liefern könnte. (Dieckmann 1989: 271)

Rückert gilt die Sprache „unter allen irdischen Mächten [als] die umfassendste und kräftigste, [als] die eigentliche Gebieterin des ganzen menschlichen Daseyns“ (Rückert 1864: 91), die „das feinste und zugleich stärkste Band“ (Rückert 1864: 92) einer Gemeinschaft bilde, da sie die gemeinsame Weltsicht gleichermaßen tradiere wie konserviere. Ihre Funktion bestehe aber nicht allein darin, dass „die unzerstörbare Einheit des deutschen Wesens, der innerste Kern seiner unendlichen äußeren Mannigfaltigkeit […] in ihr seinen nächsten und deutlichsten Ausdruck“ (ebd.) finde, sondern vor allem darin, den Austausch zwischen den Schreibenden und Sprechenden zu ermöglichen. Als ein solches Mittel der gesellschaftlichen Kommunikation und Interaktion müsse sie die Fähigkeit zum Wandel besitzen, um sich den kommunikativen Bedürfnissen der Schreibenden und Sprechenden anpassen zu können. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen Schopenhauer, Wiese oder Lübben, die in ihrem konservativ statischen Sprachverständnis die kommunikativen Bedürfnisse von privat wie institutionell Sprechenden und Schreibenden übersehen und ihnen eine literarische Sprachnorm vorgeben wollen, vermerkt Rückert, dass die „Tatsache einer immer stärkeren Consolidierung und Ausgleichung wenigstens in einem Gebiete, dem der Sprache“ (Rückert 1864: 91) durch den „nach sprachlicher Einheit strebenden Instinkt des deutschen Volkes“ (Rückert 1864: 102) begründet sei. Für dieses ergebe sich die Notwendigkeit einer „gleichförmigen und gleichartigen“ (Rückert 1864: 92) Sprache aus den sich wandelnden kommunikativen Rahmenbedingungen. Denn durch den Einfluss der großen Städte, durch die Steigerung des Verkehrs und der gewerblichen Tätigkeit, durch die zunehmende Berührung der Gesellschaftskreise und Stände erweitere sich auch der Kommunikationsrahmen entscheidend (vgl. Rückert 1864: 116f.). Als weiteren Grund für das wachsende Bedürfnis nach einem allen verständlichen schriftlichen wie mündlichen Ausdruck verweist Rückert auf das Ansehen der Sprache in der Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Folgen für die Wahl bestimmter sprachlicher Existenzformen. Da „der Contrast der tölpelhaften Volksthümlichkeit mit der höheren Bildung […] durch die Sprache symbolisiert [wird]“ (Rückert 1864: 131) und sich niemand in einer Gesellschaft, in der Bildung einen immer höheren Stellenwert einnimmt, „lächerlich“ machen möchte, „weil er in der Sprache der Bildungslosigkeit redet“ (ebd.), sucht Jedermann […] den Unterschied der Bildung [...] unwillkürlich dadurch auszugleichen, daß er sich, so gut es eben gehen will, dem offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung, der höheren Sprache nähert. (Rückert 1864: 114)

Diese Orientierung an den „offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung“ (ebd.) führe letztlich zu einer Verdrängung lokaler Dialekte zugunsten weiträumig gültiger regionaler und standardnaher Varietäten. Rückert setzt diese Verdrängung allerdings nur bedingt mit einem Dialektschwund gleich, wie er im 20. Jahrhundert oftmals befürchtet wurde, sondern beschreibt neben der sozialen Dimension der Sprache vor allem auch ihre situative Einbettung, insofern „doch alles eine

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hochdeutsche Rede [versteht] und […] sie nicht mehr lächerlich oder verzirlich [findet]“ (Rückert 1864: 115). Jeder wisse, in welchen Situationen, welche Varietät als angemessen gelte, denn „die Männer und alle Jüngeren wissen sich nun vollends in ganz leidlichem Hochdeutsch gegen den Fremden zu expliciren, wenn sie auch unter sich noch ihrer heimischen ‚Sprache‘ treu bleiben“ (ebd.). In seinem „modernen“ Verständnis von der Sprache und ihrem Wandel steht Rückert auch der Presse deutlich objektiver und offener gegenüber als viele seiner Zeitgenossen. Zwar kritisiert auch er, dass „der größere Theil des hier gedruckten aus der Feder von Leuten stammt, deren Anspruch auf Bildung […] ziemlich zweifelhaft ist“ (Rückert 1864: 111), misst der Presse insgesamt aber eine hohe Bedeutung bei der Verbreitung der aufgrund des sich ausweitenden Kommunikationsrahmens immer notwendiger werdenden Standardsprache zu, vor allem deshalb, weil sie häufig das einzige und schnellste Bildungsmittel darstelle: Unsere eigene politische Tagespresse, auch die Blätter, die nicht bloß dem Namen, sondern auch der That nach, in die untersten Schichten des Volkes und gegenwärtig schon in die verstecktesten Winkel unserer Gebirgsthäler, Heiden und Mooreinöden dringen, schreiben alle das allgemeine Schriftdeutsch und thun sich etwas darauf zu gute, es in seiner vollen Reinheit zu schreiben. […] So dringt der schriftmäßige Ausdruck durch tausend und aber tausend Adern in Theile des Volkes hinein, die sonst keine Bücher, als höchstens die Bibel zu sehen bekommen. Diese wurde höchstens alle Sonntage mal aufgeschlagen und dann mehr andächtig beschaut als gelesen; die Zeitung liest man alle Tage, oder wenigstens die Woche einige Male. (ebd.)

In den Augen Rückerts ist es also vor allem die Presse, die dazu beiträgt, dass sich die „gebildete“ (Rückert 1864: 114) Sprache „demokratisiert“ (ebd.), dass die Wahl der Varietät nicht zwingend von dem sozialen Stand der Sprechenden oder Schreibenden abhängig ist, sondern vielmehr von der situativen Einbettung oder den Inhalten der Kommunikation (vgl. Rückert 1864: 114), so dass so lange geklatscht wird, Schnurren gerissen werden, […] der volksthümliche Ausdruck sein Recht [behauptet]: Sobald aber das Gespräch, wie es jetzt von Tag zu Tag mehr geschieht, sich auf die Politik wirft, tritt wenigstens eine schwache Annäherung an das ein, was man unter gebildetem Ausdruck versteht. Die Begriffe, mit denen hantiert wird, sind alle Hochdeutsch fixirt und lassen sich gar nicht anders als in diesem Gewande geben. (Rückert 1864: 112)

Ähnlich wie die meisten seiner Zeitgenossen kritisiert Rückert aber auch die Autoritätsgläubigkeit des lesenden Publikums, die zur Folge habe, dass Sprache und Inhalte von diesem unreflektiert als Wissen rezipiert und tradiert werden, so dass zunächst nicht viel für die Bildung und Moralität der untern Volksklassen dabei herauskommen [mag], wenn das, was die Zeitung eben gebracht hat, von einem Leser dem andern fast mit denselben Worten weitererzählt und mit einem Commentar versehen wird, der seine Gedanken aus dem schon überall eingebürgerten Leitartikel ausschließlich entnimmt (Rückert 1864: 110f.)

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Wenn Rückert die Versuche der „Kleinbürger und Bauern […], sich in reiner Sprache vernehmen zu lassen“ (Rückert 1864: 112) auch als „oft sehr ungeschickt“ (ebd.) beschreibt und bemerkt, dass sie sich oftmals nur einer annähernd gebildeten Sprache bedienen, da es nicht in ihrem geistigen Vermögen läge, den „stereotype[n] Gedankengang“ (ebd.) der Presse seines „schriftdeutsch vorgezeichnete[n] […] Gewandes zu entkleiden“ (ebd.), so betrachtet er diese Entwicklung doch als Notwendigkeit zu Zeiten des gesellschaftlichen wie sprachlichen Wandels. Denn in seinen Augen bedingen die gesellschaftspolitischen Entwicklungen die zunehmenden sprachlichen Einflussmöglichkeiten der Zeitung, die dem steigenden Bildungsstreben, dem Bedürfnis nach schneller und verständlicher Information wie der Forderung nach der Teilhabe an allen Lebensbereichen entgegenkomme. So werde die Schriftsprache „durch die Macht der Zeitverhältnisse, durch das Volk selbst ins Leben eingeführt“ (Rückert 1864: 114): Was Volksschule und Tagespresse sammt dem regsameren Leben für die Verbreitung der schriftgemäßen oder höheren Sprachweise leisten, ist doch nur zuletzt der Ausdruck eines tiefer liegenden Grundzuges der Zeit. Das unbedingte Streben nach einer Ausgleichung der von der früheren Geschichte geschaffenen Unterschiede, nach einer Niederlegung der Schranken, die Oberes und Unteres, Höheres und Niederes sonst trennen, gibt der ganzen politischen und socialen Arbeit der Neuzeit ihr eigentliches Lebensprinzip. Der Staat auf breitester Grundlage und die Gesellschaft auf ebenso breiter bleibt das Ideal, dem diese Zeit nachstrebt, mag sie es auch noch so dürftig fassen und noch so schwerfällig und albern sich in ihrem Ringen darnach anstellen. Wie aber Staat und Gesellschaft alle Prärogative zu Gunsten Aller oder des abstrakten Volkes fallen lassen müssen, so auch die Sprache. Auch diese demokratisiert sich, aber so, daß sie vornehmer wird. (ebd.)

Der Wandel der Sprache, der durch die Presse begünstigt werde, sei demnach – wie die Presse selbst – als Resultat der vielfältigen, einen grundlegenden Umbruch in den gesellschaftlichen Verhältnissen provozierenden Zeitgeschehnisse zu verstehen.

2.3 Presse und Gesellschaft – „Die Presse, ein Stück moderner Versimpelung“ Im Gegensatz zu Rückert, aber in Übereinstimmung mit einem Großteil der übrigen Diskursteilnehmer des zweiten Untersuchungszeitraums betrachten die sich primär mit ‚Presse und Pressewesen‘ beschäftigenden Diskursteilnehmer den Einfluss der Zeitung auf die zeitgenössische Sprach- und Gesellschaftsentwicklung wenig differenziert. Zwar greifen sie zu Beginn ihrer Ausführungen zentrale positive wie negative Aussagen über die Presse und ihren Einfluss auf, indem sie darauf verweisen, dass jene […] die Presse als einen gewaltigen Strom [betrachten], der Städte und Länder verbindet und die idealen Güter der Menschheit vermittelt; diese als ein großartiges Cloakensystem, welches den Leuten das Grundwasser verdirbt und die Cholera erzeugt. (Lukas 1867: 1)

Sie schließen sich aber im Laufe ihrer Betrachtungen den negativen Äußerungen an. Da „an der großen Gewalt der Presse […] durchaus nicht zu zweifeln [ist]; man […] sie

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sogar noch gemeinhin [unterschätzt]“ (Wuttke 21875: 14), sehen sie – vornehmlich Lukas und Wuttke – ihre Aufgabe darin, über die „vorhandenen Uebelstände“ (Wuttke 2 1875: 1) aufzuklären und so den Folgen für die Geistes- und Sprachentwicklung des Volkes vorzubeugen, denn ist jedoch das Zeitungswesen in einen verkehrten Zustand hineingerathen, so schlägt es vielmehr einem Volke zum Unheil aus, befördert Verkehrtes, unterdrückt heilsame Bestrebungen und zieht den Sinn der Nation in der schädlichsten Weise herab. (Wuttke 21875: 14)

Die Ursache der „dämonischen Kraft“ (Wuttke 21875: 148) der Presse, der wenigstens potenziell die Fähigkeit zugeschrieben wird, „zur Verbesserung und Restauration beitragen“ (Lukas 1867: 3) zu können, suchen Lukas und Wuttke wie die Mehrzahl ihrer Zeitgenossen vor allem darin, dass die Zeitungen einem Großteil der Bevölkerung als alleiniges Bildungsmittel dienen. Durch einen blinden Autoritätsglauben an die Wissensallmacht der Presse verliere dieser Teil des Volkes seine – sofern vorhandene – Reflexionskraft, so dass statt einer „geistigen Erhebung“ (Wuttke 21875: 14) eine „geistige Irreführung“ (Lukas 1867: 3) eintrete: Wir alle lesen Tag für Tag eine, Viele lesen mehrere Zeitungen. Die tägliche Kost, welche uns die Zeitungen darreichen, macht einen großen Theil unserer geistigen Nahrung aus. Für Unzählige ist sie beinahe das einzige! Ein schlechter Geist der Zeitungen, sagt Robert Mohl, verdirbt allmählig große Klassen des Volkes sittlich und staatlich, steckt an und erzieht das Publikum zu negativ und positiv falscher Auffassung von Dingen und Menschen. Nur allzu viele Menschen sind selbst urtheilslos und lassen sich daher nur durch eine keck auftretende und täglich wiederholte Ansicht bestimmen, namentlich wenn dieselbe mit der Autorität des Druckes auftritt. Überhaupt verdirbt auch eine schiftliche schlechte Gesellschaft den Ton und die Gesinnung. (Wuttke 21875: 148)

Dass die „geistige Nahrung“ (ebd.), die die Zeitung der ohnehin „urtheilslosen“ (ebd.) Masse darbiete, den Diskursteilnehmern Wuttke und Lukas aber wenig nahrhaft erscheint, begründen sie damit, dass die Presse ihrer eigentlichen Bildungsfunktion nicht gerecht werde. Denn statt die Vermittlung zwischen den in solchem Geiste zu Führern Berufenen und der Menge des Volkes zu übernehmen, ihr die erforderlichen Aufklärungen und das Verständnis zu verschaffen, kraft dessen sie selbstständig urtheilt […], machen sie die in dem Alltagsleben bestimmenden Auffassungen geläufig. (Wuttke 21875: 60).

Dies bedeutet, dass sich die Zeitungen, um dem „wilden Sinn“ (Lukas 1867: 4) und der „Schadenfreude“ (ebd.) der Menge zu „fröhnen“ (ebd.), zunehmend oberflächlichen Sensationsthemen zuwenden, das Heiligste am frechsten mit Unrath bewerfen, was hoch ist am tiefsten in den Koth herabziehen, am gewandtesten Verdächtigungen verbreiten, recht im Scandal herumwühlen, Klatschereien aller Art auftischen, gehässige Persönlichkeiten ersinnen, und dies alles um so lieber, je frecher es getrieben wird; das ergötzt, das belehrt, das verbreitet über Alles helles Licht, das klärt auf, benimmt Vorurtheile, erfüllt Freisinnigkeit. (ebd.)

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Da auch die „seriösen“ Inhalte der Zeitungen nur oberflächlich recherchiert und dargestellt seien, tragen sie zu „jener Überzahl Halbgebildeter und Halbwisser, welche zwischen dem gewöhnlichen Bauerstande und dem Herrenstande in der Mitte stehen“ (Lukas 1867: 5) bei, „entheben das Publikum des Selbstdenkens und streichen ihm die Gedanken wie Biscuit in den Mund“ (Lukas 1867: 164). Als Grund dafür, dass die Presse nicht ein „Volk von Gelehrten“ (Lukas 1867: 19) schaffe, sondern ein „Volk von Geistesproletariern heranzieht“ (ebd.), wird auch hier – wie bereits mehrfach erwähnt, festgestellt, dass „das Urtheil der Zeitung […] mithin durch den „Inseratenteil“ (Wuttke 21875: 15) bestimmt sei, d.h. dass sehr viele Beurtheilungen und Anpreisungen, die der arglose Leser als Aussprüche sachkundiger Richter hinnimmt, […] nichts weiter als Selbstlob, erkaufte oder bestellte Lobsprüche, also auf Täuschung berechnete Kunstgriffe der Spekulanten [sind]. (Wuttke 21875: 19)

Da „die Schriftstellerei unserer Zeit […] in das Kapital von Industrie und Handel [gehört]“ (Lukas 1867: 36), das „Geld eine die Schriftstellerei bestimmende Macht geworden ist“ (Wuttke 21875: 39) und immer „mehr Schriftsteller der Versuchung [unterliegen], mit ihrem Geschäfte, der Tagesschriftstellerei, Mißbrauch zu treiben, also den Gelderwerb sich leiten zu lassen“ (Wuttke 21875: 30), treten Inhalte wie Sprache der Zeitung deutlich in den Hintergrund. Die Geldmacht setzt ein mechanisches Besorgen an die Stelle des geistigen Schaffens, die Staatsmacht zwingt den Geist in Bahnen, welche die Willkür verzeichnet: das eigentliche Schaffenden und Belebende, die schriftstellerische Kraft, ist zurückgeschoben, untergeordnet oder verdrängt. (Wuttke 21875: 143)

Diese Dominanz des Geldes, die finanzielle Abhängigkeit der Journalisten führe also dazu, „daß, wer seine Berichte anbringen will, in der Regel hastig zu schreiben genöthigt ist“ (Wuttke 21875: 41) und hierdurch „leicht selber in Oberflächlichkeit [versinkt]“ (Wuttke 21875: 39). Vor allem aber bewirke die „Geldmacht“ (Wuttke 21875: 143) eine Veränderung des schriftstellerischen Verständnisses, wie es v.a. Schopenhauer bereits einige Jahre zuvor kritisierte, denn der innere Beruf des Schriftstellers, sein Wahrheitsdrang, seine Vaterlandsliebe, das Streben seinen Mitmenschen zu nutzen, zur fortschreitenden Entwicklung des Menschengeschlechts beizutragen, das was auch auf diesem besonderen Felde der Schriftstellerei die Seele ausmacht: das alles tritt gegenwärtig in den Hintergrund vor der Geldmacht und der Staatsgewalt, die sich in das Zeitungswesen teilen. (Wuttke 21875: 140)

So resultiere die zunehmende sprachliche wie inhaltliche Oberflächlichkeit und das sich daraus ergebende „Verweichlichen des Geistes“ (Lukas 1867: 121) nicht allein aus den besonderen Produktionsbedingungen, sondern auch aus diesem sich wandelnden schriftstellerischen Verständnis, da die Journalisten sich nicht aus eigener Motivation heraus mit gewissen Themen auseinandersetzen wollen, sondern „fremden Antrieben gehorsam zu folgen“ (Wuttke 21875: 141) gewohnt seien.

Die Presse – Industrialisierung von Sprache und Literatur (1850–1869)

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Neben dem Verständnis von Schriftstellerei werde auch das Bücherwesen entscheidend von den medialen Entwicklungen beeinflusst und „schon ist die Zeit da, in welcher sie im Schriftthume Europas überfluthet und vielfach wird von ihr die Buchlitteratur in den Hintergrund geschoben“ (Wuttke 21875: 15). Die ganze Literatur läuft Gefahr, von den Journalen verschlungen zu werden. In einer Zeit, die hauptsächlich nur im Augenblick und für den Augenblick lebt, haben sie den großen Vorzug, daß sie mit dem Augenblick leben und sterben. Die Stimmung, das Interesse und die Leidenschaft des Tages haben sie eingegeben, von ihnen werden sie aufgenommen und mit ihnen gehen sie unter. (Lukas 1867: 121)

Denn da die Zeitungen mit ihren vielfältigen Inhalten suggerieren, eine ebenso vielfältige Bildung in aller Kürze und Schnelligkeit zu vermitteln, kommen sie – i.G. zu Büchern, die zumeist nur ein Thema ausführlich behandeln – den Anforderungen der sich wandelnden „schnelllebigen“ Gesellschaft entgegen, in der „der Wissenschaftsdurst“ (Lukas 1867: 126), das Bildungsstreben breiter Bevölkerungsschichten entscheidend zunehme. Zwar findet sich bei vielen Diskursteilnehmern die Einsicht, dass „Zeitungen […] das Erzeugniß einer gesteigerten Bildung [sind]“, dass „der Bedarf […] sie hervor[ruft]“ (Wuttke 21875: 10), dies mindert aber nicht die Klage darüber, „daß die Bücher in neuester Zeit abnehmen“ (Lukas 1867: 119). Vielmehr bestätigt dies die Zeitgenossen in ihrer Erkenntnis, dass „unsere Gesellschaft […] dermaßen verdorben“ (Wuttke 21875: 33) und die Presse gleichermaßen Antrieb wie Ausdruck dieses gesellschaftlichen „Verderbens“ (ebd.) sei. Nicht nur, dass die Presse die Bücher zunehmend als Bildungsmittel verdränge, auch übe sie indirekt Einfluss auf ihre sprachliche Qualität aus, denn „täglich gelesen, gewöhnt ihre oberflächliche Ausdrucksform Laien wie Fachmännern einen untergeordneten Geschmack an“ (Lukas 1867: 123), so dass „niemals […] so viele Bücher mit einem flüchtigen, saloppen, ja ganz erbärmlichen Styl geschrieben [sind], als gerade jetzt“ (ebd.). Dieses Hineinschwellen des Zeitungsgeistes in die Bücher droht dem Genius unserer schönen Sprache gefährlich zu werden. Wir sehen eine allgemeine Stylverwilderung um sich greifen. (Lukas 1867: 122)

Für diese „überhand nehmende Stylverschlechterung“ (Lukas 1867: 123), dem „Krebsschaden unserer modernen Literatur“ (ebd.), führen die genannten Diskursteilnehmer vielfältig Gründe an, die sich aber alle auf eine Ursache zurückführen lassen: die am Kommerz orientierte Organisation des Pressewesens. Denn während „die alten Schriftsteller zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts […] noch weit besser geschrieben [haben]“ (Lukas 1867: 125), weil sie „der Sache wegen schrieben“ (Schopenhauer 1851a: 545) und sich deshalb „Mühe [gaben], feilten, gossen um und […] Werth auf Sauberkeit legten“ (Lukas 1867: 125), lassen sich die Journalisten – ob der mangelnden Identifikation mit den Inhalten und ob ihrer finanziellen Abhängigkeit – zu „eine[r] bedenkliche[n] Verlodderung in Ansehung des Styles hinreiß[en]“ (ebd.). Hinzu käme, dass

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

die Bildung vieler Autoren eine lückenhafte ist, weil eine Masse von talentlosen aus Eitelkeit sich zur Feder drängt, weil die Unsitte der Raschschreiberei ansteckend wirkt und dabei alle Scheu und Hochachtung vor dem Genius und vor der Würde ihrer grammatischen und ästhetischen Gesetze verloren geht, daher diese Unreinlichkeit der Sprache und der beklagenswerte Zustand. (Lukas 1867: 123)

Auch „leiden die meisten an Vernachlässigung des Ausdrucks“ (Lukas 1867: 125), da sie gezwungen seien, schnell zu schreiben, um in kürzester Zeit einen größtmöglichen Gewinn für ihren Arbeitgeber zu erzielen. Letztlich sei dies auch der Grund dafür, dass „Farbe, Form, Einkleidung, Redeweise unendlich variiert [wird]“ (Lukas 1867: 9), der Gedanke sprachlich schöner und geistreicher gestaltet werde als er wirklich sei, denn die „Magie der Worte“ (Wuttke 21875: 2) halte die ohnehin zumeist „urteilslosen“ Leser „in Täuschungen gefangen“ (ebd.), mache die Inhalte für sie interessant und befördere so einen erneuten Kauf der Zeitung. Eine Besserung des Einflusses der Zeitung sei nur möglich, wenn die Journalisten sich ihrer hohen Verantwortung bewusst würden und namentlich für ihre „Werke“ einstehen müssten. Auch müsse sich das schriftstellerische Verständnis grundlegend verändern, so dass die journalistische Tätigkeit nicht durch den Gelderwerb, sondern durch einen schriftstellerischen Schaffenstrieb motiviert sei: Die Zeitungsschreiber von Fach [...] müßten, wie es die Natur der Sache erfordert, in voller Selbstständigkeit dastehen und ihrer Ueberzeugung gewissenhaften Ausdruck zu geben im Stande sein. Als Nachrichtensammler sind sie Geschichtsschreiber, als Publicisten Volksredner […] In beiden Eigenschaften haben sie bestimmte Verpflichtungen, und sie können sich ihnen ohne Sünde nicht entziehen. Es steht nicht in ihrer Willkür, ob sie diese – nicht vertragsmäßigen, sondern sittlichen Pflichten auf sich nehmen wollen oder nicht. […] Was einer schreibt, dafür sollte ihm die Verantwortlichkeit, Ehre oder Schmach zufallen, damit er nicht leicht anders als wahrhaftig und ehrenwerth sich gebahren könne. (Wuttke 21875: 20f.)

Ein solcher Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Journalisten, die zu Trägern der Bildung einer gesamten Bevölkerung werden, resultiert letztlich aus der Einsicht, dass „der Bedarf“ (Wuttke 21875: 10) die Zeitungen hervorrufe, und sie in ihrer Gestaltung und Organisation das Ergebnis der zeitgenössischen – kaum beeinflussbaren – Entwicklungen seien. So treten diese Katastrophen in unserer Journalistik regelmäßig überall da ein, wo im Leben unserer Nation selbst eine neues Princip zum Ausdruck kommt, eine neue, höhere Phase sich eröffnet; wie jedes neue Geschlecht seine Dichter hervorbringt, gute oder schlimme, so will auch jene neue Richtung ihre neue Journalistik haben, eine Journalistik, welche die auseinanderfließende, zerstreute Masse unter dem neuen Princip zusammenfaßt eben dadurch den Durchbruch dieser neuen Richtung und ihre Ausbreitung über die gesammte Literatur, das gesammte Leben vorbereitet. (Prutz 1851: 339)

Die Presse wird von ihren Zeitgenossen aber nicht allein als Resultat oder Spiegel der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet, sondern gleichermaßen als ihr Antriebsmotor, so „daß unsere Zeit zum großen Theile gerade durch die Presse das geworden ist, was sie ist“ (Molitor 1866:9). In diesem Sinne seien die Zeitungen einer-

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seits „das Erzeugniß einer gesteigerten Bildung“ (Wuttke 21875: 10) oder vielmehr eines gesteigerten Bildungsstrebens, andererseits resultiere aus ihrer zunehmenden Machtstellung wiederum eine Veränderung der Gesellschaftsordnung, insofern die Zeitungen allen eine – wenn auch nur oberflächliche – Bildung ermögliche. Vor allem das durch die Presse zunehmende Bildungsstreben der unteren Gesellschaftsschichten, die auf eine vermeintliche Wissensallmacht der Presse vertrauen, bewirke, dass „die Bildung mit Hast in’s Breite“ (Lukas 1867: 138) getrieben werde, nicht aber in die Tiefe und dadurch „die Gesellschaft verdirbt“ (Lukas 1867: 139). Die Presse erscheint den zitierten Diskursteilnehmern in ihrer oberflächlichen Gestaltung und kurzlebigen Wirkung als ein für das zeitgenössische Geschehen sinnbildliches „Stück moderner Versimpelung“ (Lukas 1867).

2.4 Die Besonderheit des medialen Sprachgebrauchs Wird von den Diskursteilnehmern, die sich in ihren Texten primär mit Presse und Pressewesen124 beschäftigen und in diesem Rahmen auch die Wirkung des Massenmediums auf Sprach- und Gesellschaftsentwicklung abschätzen, bereits angedeutet, dass die sprachliche wie inhaltliche Gestaltung der Zeitung durch Organisation, Funktion und Ziele des Pressewesens bedingt sei, so wird diese Abhängigkeit von Kürnberger expliziert. Vor allem im Gegensatz zu Schopenhauer und ähnlich wie Rückert scheint er die besonderen kommunikativen Bedürfnisse von Individuen, Gruppen oder Institutionen, die je nach Kommunikationspartner, -situation oder -rahmen und -ziel die Wahl unterschiedlicher Varietäten erfordern können, in seine Überlegungen einzubeziehen, wenn er vermerkt, dass es innerhalb der Sprache der Allgemeinheit […] so viele besondere Sprachen [gibt], als es in Handel, Gewerbe, Handwerk, Kunst, Wissenschaft, als es in jeder Ausübung menschlicher Tätigkeit Fächer gibt […], in ihrer Fachtätigkeit sprechen sie ihre besondere Kunst- oder Fachsprache. (Kürnberger 1876: 8)

Eine solche Kunst- oder Fachsprache bestimmter sozialer und institutionell-beruflicher Gruppen zeichne sich – ob der „eigenen“ Kommunikationsinhalte – durch eine spezielle Terminologie aus, die Begriffe zu bezeichnen [hat], welche nur dem Fache eigentümlich, außerhalb desselben dem begriffsreichen Menschen unbekannt sind. Wenn der Weber sich nicht seinen Kunstausdruck oder Terminus bildet, so gibt ihm der Bauer, der Kaufmann, der Soldat, der Priester, so gibt ihm die gesamte bürgerliche Gesellschaft kein Weber-Wort, weil sie keinen Weber-Begriff hat […] In ihrer Begriffssprache entwickelt daher jede Fachtätigkeit auch eine Blumensprache, zur Terminologie die Phraseologie. Ja dies ist wahr und vollzieht sich mit solcher Notwendigkeit, daß Fachtätigkeiten, welche kaum eine Terminologie brauchen, doch eine Phraseologie ausbilden. (Kürnberger 1876: 8) 124

Zur thematischen Gliederung des Diskurses vgl. Kapitel IV.

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Dieses differenziert erscheinende Verständnis Kürnbergers von Sprache und ihren Verwendungsweisen lässt vermuten, dass er auch das „Zeitungsdeutsch“ als eigene Fachsprache anerkennt. Zwar vermerkt Kürnberger, dass „das Machen der Zeitung […] der Terminologie so ziemlich entbehren [kann]“ (Kürnberger 1876: 9). Er erkennt aber, dass das „Schreiben einer Zeitung“ (ebd.) hingegen – nicht zuletzt um mit den geringsten Mitteln, auf kleinstem Raum und in kürzester Zeit eine größtmögliche Wirkung auf das Publikum zu erzielen – dem unwiderstehlichen Gesetze der Fachtätigkeit, dem Zug vom Allgemeinen zum Besonderen, zur Bild- und Blumensprache, zu Redefiguren, die ihr eigentümlich, zu Ausdrücken, die ihr konventionell-geläufig, typisch und stereotypisch geworden, – zur Phraseologie [folgt]. (ebd.)

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, die kritisieren, dass die Presse durch „äußeren Glanz und Schein“ (Müller 1812: 200) ihre Leser über die Nichtigkeit ihrer Inhalte hinwegtäusche, erkennt Kürnberger folglich, dass ein „so wichtiges und unentbehrliches Lebensmöbel, wie es die Zeitung ist“ (Kürnberger 1876: 9), „ein natürliches Bedürfnis hat, eine starke und nachdrückliche Sprache zu sprechen“ (Kürnberger 1876: 16). Als einer der wenigen stellt Kürnberger zwar nicht die Notwendigkeit der Phraseologie der Zeitung in Frage, verweist aber wie zahlreiche andere Diskursteilnehmer darauf, dass sich Phrasen als spezifische Zeitungsphrasen eingebürgert [haben], welche dem feinfühligen Geschmacke mehr oder minder unangenehm schmecken, weil sie das Unpassendste, dem Geist und Sinn einer Zeitung Widersprechendste sind und verkehrter kaum noch gedacht werden könnten. (Kürnberger 1876: 9)

Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen kritisiert Kürnberger nicht, dass die Zeitung als eines der potenziell „wirksamsten Bildungsmittel“ (ebd.) eine eigene Phraseologie herausbilde, sondern wie diese gestaltet sei. In seinen Augen spricht die Presse statt einer „gebildeten nachdrücklichen“ (ebd.) Sprache „die Sprache des Pöbels“ (ebd.), passe sich folglich nicht ihrem gelehrten Publikum, sondern den untersten, bildungsfernen Schichten des Volkes an. Die Folge dessen, dass diese „Phraseologie unaufhaltsam ins Volk dringt“ (Kürnberger 1866: 24), sei, dass „solche gedankentötenden Phrasen […] die Umgangssprache […] fauler, monotoner, langweiliger [machen]“ (ebd.) und „verschwenderisch gewählte Ausdrücke […] die Rohheiten der Henkersprache noch eines Weiteren [kultivieren]“ (Kürnberger 1876: 15). Trotz dieser Kritik gesteht Kürnberger der Presse „ihre eigene Redeweise zu“ (Kürnberger 1866: 28), denn die Presse müsse als ein massenhaft verbreitetes Medium eigene Muster herausbilden, um ihren zentralen Funktionen der Information, Meinungsbildung und Unterhaltung gleichermaßen gerecht zu werden: Man missverstehe uns nicht. Das Prinzip, welches diesen Neuerungen zugrunde liegt, fechten wir keineswegs an. Die Zeitung bedarf ihre eigene Redeweise; wir gestehen ihr das zu. Stets neu, stets interessant, stets wachsam, wichtig und alarmierend, wie sie ist, sein muß und sein will, spricht sie die Sprache der Aufregung. Stets fatiguiert, stets enttäuscht, stets zum Erfolge

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und Ziele, ja oft ums Dasein betrogen, stets sklavisch im Joche, mit Schnellpressen und Setzmaschinen, mit Posten und Telegraphen stets im Wettrennen, spricht sie aber auch die Sprache der Abspannung. Drittens spricht die Zeitung, die mit der ganzen Mitwelt mitleben, und um Einfluß zu haben, auf gutem Fuß mit ihr stehen muß […] die Sprache der Schonung, der Höflichkeit. Auf dieses dreiteilige Schema ungefähr wird sich alles zurückführen lassen, was von neuerungssüchtiger Eigentümlichkeit den Zeitungsstil kennzeichnet, was seine Phraseologie motiviert. Wir haben nicht dagegen. (Kürnberger 1866: 28)

Grundlegend unterscheidet sich Kürnberger von seinen kritischen Zeitgenossen, als er eingesteht, dass „die Zeitung […] die Sprache nicht lassen kann, so wie sie ist“ (Kürnberger 1866: 29), da sie ihren spezifischen Zielsetzungen, Produktions- und Rezeptionsbedingungen gerecht werden müsse. Auch scheint er auf den ersten Blick dem oftmals getätigten Vorwurf, die Zeitung verdränge zunehmend die Bücher als Bildungsmittel, deutlich reflektierter gegenüberzustehen, wenn er vermerkt, dass „Journale […] nun einmal anders sprechen [müssen] als Bücher, und unaufhaltsam ist der moderne Massenbildungsgang vom Buch zum Journal. […] Sonst wuchsen Journale aus Büchern, heute wachsen Bücher aus Journalen“ (ebd.). Der Journalismus dringt, wie der Sauerstoff in der Luft, zerstörend, zersetzend, auflösend und freilich auch neubildend auf das feste Gebilde der Büchersprache ein, er allein reagiert tätiger auf sie als alle übrigen Sprach-Agenzien zusammengenommen. Neuerungen in einzelnen Wörtern und ganzen Redensarten, Neuerungen in Orthographie und Syntax, kurz Sprach-Neuerungen in allen Mustern kreiert der Journalismus fast ausschließlich. Was der gesamten Buchliteratur nicht gelingt, vollendet leicht und spielend die Blattliteratur. (Kürnberger 1866: 19)

Dass Kürnberger den Journalismus als „zerstörend[e], zersetzend[e], auflösend[e] und freilich auch neubildend[e]“ (ebd.) „blinde Naturkraft“ (Kürnberger 1866: 30) beschreibt, verdeutlicht, dass er diesem stetig steigenden Einfluss der Zeitung auf die Sprachentwicklung keinesfalls derart neutral reflektierend gegenübersteht, wie es bei Betrachtung einiger seiner Zitate zunächst den Anschein macht. Vielmehr stimmt er mit den meisten seiner Zeitgenossen darin überein, dass der Journalismus die eigentliche „Quelle“ des wahrgenommenen „Sprachverderbs“ (Kürnberger 1866: 19) sei, da er „den kolossalsten und überwiegendsten Sprachverbrauch an sich gerissen“ (ebd.) habe. Auch bei Kürnberger findet sich folglich der im Diskurs zentrale Topos, dass die Schrift- und Sprachproduktion durch die Presse zwar gesteigert werde, die Qualität der Sprache aber deutlich darunter leide, dass Produktion wie Rezeption der Zeitung durch Oberflächlichkeit und mangelnde Reflexionskraft geprägt seien (vgl. Kürnberger 1866: 28, Kürnberger 1876: 12). Auch ihm erscheint die Presse als Sinnbild für die sich wandelnde Gesellschaft, in der „das Setzen der Sache über die Person […] die Signatur unseres Zeitalters [ist]“ (Kürnberger 1866: 23). Vor allem in der „journalistischen Sprachfabrik“ (Kürnberger 1866: 28) werde die Sprache zu einem bequemen Verkehrsmittel, die ihre selbstbestimmende Kraft dadurch verliere, dass sie nur noch dem praktischen Bedürfnis diene. In diesem „Jahrhundert des Dampfes“ (Kürnberger 1866: 23), das durch Schnelllebigkeit und „Eintagsinteressen“ (Hildebrand 1867: 115) statt durch

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Dauer und Tiefgründigkeit geprägt sei, werde nicht allein die Welt industrialisiert, sondern mit ihr auch Sprache und Geist, was letztlich zum Verlust der personalen Identität führen könne. Auch die Dominanz des Journalismus über die Literatur sei ein Kennzeichen für den „Sturz des Idealismus“ (Kürnberger 1866: 23). Auch Kürnberger scheint seine innere Unsicherheit, die sich aus diesem sich wandelnden Sprach-, Gesellschaftsund Literaturverständnis ergibt, dadurch zu kompensieren, dass er Rückhalt in traditionellen bürgerlichen Werten, in der klassischen Literatur sucht. Trotz der Feststellung, dass „Journale […] nun einmal anders sprechen [müssen] als Bücher“ (Kürnberger 1866: 29), erachtet er „unsere Klassiker [als] Gegengift, […] um den Verfall des reinen Sprachgefühls noch eine Weile aufzuhalten“ (Kürnberger 1876: 17), und appelliert implizit an die Journalisten, sich der Sprache Lessings und Goethes zu bedienen: Die Zeitungssprache dagegen kann nicht heute für Klassiker und morgen für Barbaren schreiben. Sie muß Partei ergreifen. Und entscheidet sie sich für die Partei der Barbaren, so gibt es im Parteidienst bekanntlich keinen Stillstand und keine Mäßigung, sondern sie wird es in kurzem dahin gebracht haben, – daß das Deutsch Lessings und Goethes aufhört eine lebende Sprache zu sein. (Kürnberger 1866: 31)

2.5 Zusammenfassung: Die Presse – Sinnbild gesellschaftlicher Entwicklungen Wie die nähere Betrachtung der Positionen und Gegenpositionen im zweiten Teilkorpus ergeben hat, ähneln die Konfliktlinien stark denen des ersten Untersuchungszeitraums, wobei die Topoi allerdings zunehmend konkretisiert und in den Zusammenhang mit den Zeitgeschehnissen gestellt werden: (1) Auch im zweiten Untersuchungszeitraum ist so die Vorstellung zentral, dass Sprache und Denken eine Wechselbeziehung eingehen. Wie bereits im ersten Teilkorpus ist dieses Sprachverständnis stark nationalideologisch motiviert, insofern die „Einheit des Volkes ihren vornehmlichsten Ausdruck in der Sprache [hat]“ (Wiese 1859: 10). In der Ansicht, das dem Volk gemeinsame kulturelle Gedankengut sei in der Sprache verankert, wird der Sprache weiterhin die Funktion zugeschrieben, die Zugehörigkeit zu einer im Entstehen begriffenen deutschen Nation zu demonstrieren, vor allem aber, diese zunächst zu formieren und zu positionieren. a. Im Rahmen dieses Sprachverständnisses wird von den Diskursteilnehmern des zweiten Untersuchungszeitraums deutlich stärker darauf verwiesen, dass die Sprache durch Einfluss der Presse zunehmend zu einem dem praktischen Bedürfnis dienenden Verkehrsmittel instrumentalisiert werde. Die Sprache werde von einem selbstbestimmten Subjekt zu einem nützlichen Objekt ohne jeglichen Selbstzweck. Ohne ihren eigenen lebendigen Charakter und ihre Individualität sei die Sprache schließlich nicht mehr in

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der Lage, tiefgreifende Gedanken zu schaffen und zum Ausdruck zu bringen. Von dieser Instrumentalisierung oder auch Industrialisierung der Sprache sei schließlich auch das Denken, der Geist des Menschen betroffen, der letztlich auch zum Diener des praktischen Bedürfnisses werde. Gravierender als der Verlust der personalen Identität erscheint den Diskursteilnehmern der Verlust der nationalen Identität. Durch die von der Presse gesteigerte Schrift- und Sprachproduktion nehmen nämlich nicht allein die Phrasenhaftigkeit und Oberflächlichkeit im Sprechen oder die Schablonenhaftigkeit im Denken zu, sondern das deutsche Sprach- und Gedankengut werde zunehmend durch den Einfluss fremdsprachlicher Bestandteile in den Zeitungen verfremdet. So „[trifft] die Gefahr, die Heimath in der festen Einheit des Volksbewusstsein zu verlieren, […] besonders die Sprache“ (Wiese 1859: 27), da sich durch die Presse die Welt […] weiter aufgethan [hat] als je zuvor; die wunderbaren Verkehrsmittel, der lebhafte literarische Austausch, und eben so die gegenseitige Mittheilung der Formen des politischen und ganzen öffentlichen Lebens mischen die Völker auf friedlichen Wegen unter einander, wie es nie zuvor geschehen ist. (ebd.)

b. Dass die Diskursteilnehmer befürchten, durch den Einfluss der Presse werde die „Sache über die Person“ (Kürnberger 1866: 23) gesetzt, wird nicht allein dadurch deutlich, dass sie an der zunehmenden Instrumentalisierung oder Industrialisierung der Sprache und des Geistes Kritik üben. Auch werden sie sich einer Veränderung im schriftstellerischen Verständnis gewahr, denn nicht mehr der Schriftsteller, der „ganz allein der Sache wegen“ (Schopenhauer 1851a: 545) schreibe, gelte als Autorität, sondern der „gemeine Brod-Skribent“ (Schopenhauer 1856–60: 482). Dieser sei kein selbstbestimmter Schriftsteller, dessen Tätigkeit dadurch motiviert ist, sich mit den ewigen Anliegen der Menschheit“ (Hildebrand 1867: 115) auseinanderzusetzen, sondern begebe sich und seinen Geist in die finanzielle Abhängigkeit des Pressewesens. Folglich werden durch die Presse nicht allein die Sprache, sondern die Schriftsteller selbst zu nahezu leblosen Objekten instrumentalisiert, die praktischen, finanziellen Bedürfnissen dienen. c. Dass zunehmend die „Sache über der Person“ (Kürnberger 1866: 23), die Oberflächlichkeit über der Tiefgründigkeit, die Schnelllebigkeit über der Ewigkeit dominiere, sei ein Kennzeichen der sich grundlegend wandelnden Zeit, in der die alten Werte und Ordnungen beginnen sich aufzulösen. Um einem gänzlichen Verlust der Sprache und des Denkens wie seines schriftstellerischen Ausdrucksmittels – der Literatur – vorzubeugen, müssen der dem Volk als Autorität geltenden Presse alternative Autoritäten entgegengesetzt werden. Als besonders bewährt gelten den Diskursteil-

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nehmern hier die Vertreter der Weimarer Klassik und ihre literarischen Werke, da allein in ihnen der propagierte Einklang zwischen Sprache und Denken herrsche und das deutsche Kulturgut sprachlich wie inhaltlich angemessen tradiert werde. Vor allem dieser deutlich stärkere Verweis auf nicht zeitgenössische, sondern literarische Autoritäten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts lässt vermuten, dass mit der fortschreitenden gesellschaftspolitischen Neuordnung und der Industrialisierung die Unsicherheit der Zeitgenossen zunimmt und sie einerseits einen Katalysator für ihre Ängste, andererseits einen sicheren Rückzugspunkt suchen. Als Katalysator ihrer Ängste bietet sich ihnen die Presse als das öffentliche Medium, welches die Zeitgeschehnisse abbildet und befördert. Auf sie als vermeintliche Quelle aller Entwicklungen können die Diskursteilnehmer ihre Angst projizieren, dass nicht allein Wirtschaft industrialisiert werde, sondern auch Sprache und Geist den zeitgenössischen Entwicklungen unterworfen seien. Dem durch die Presse vermeintlich drohenden Verlust der Sprach- und Denkfähigkeit, der Selbstbestimmung, Individualität und Subjektivität in einer schnelllebigen Zeit wirken die Diskursteilnehmer entgegen, indem sie traditionelle Werte zu konservieren suchen. Auch versuchen sie sich durch den Verweis auf das „Klassiker-Deutsch als Orientierungsgröße für angemessene Sprachverwendung“ (Mattheier 1991: 52) von den aufstrebenden Massen abzugrenzen, um so ihren sozialen Status in der Gesellschaft zu sichern. Die Kritik der Diskursteilnehmer Schopenhauer, Brinkmann oder Wiese, die in der Presse eine Gefahr für die gesellschaftliche Denk- und Sprachfähigkeit sehen, scheint insgesamt durch die Angst motiviert zu sein, den auf gemeinsamen Bildungsprivilegien basierenden sozialen Halt in einer Gesellschaft zu verlieren, in der die Presse verändernd auf das Verständnis von Sprache, Bildung und Literatur einwirke. (2) Auch die Kritik jener Diskursteilnehmer, die das Wechselverhältnis von Sprache und Denken um die Komponente des geistigen Austauschs erweitern, ist stark gesellschaftspolitisch motiviert. a. So befürchten einige, dass die Sprache durch die von der Presse in allen sozialen Schichten gesteigerte Sprach- und Schriftproduktion an Lebendigkeit und Vielfalt verliere und letztlich zu einem starren Objekt werde. Auch hier verbirgt sich eine Kritik an dem zunehmenden Bildungsstreben breiter Bevölkerungsteile und die Angst, dass das Statussymbol der eigenen sozialen Gruppierung durch das Bestreben der Massen, dieses zu übernehmen, an Bedeutung verlieren könne. b. Allein Rückert beurteilt die Demokratisierung der Sprache und Bildung durch die Presse weniger negativ, sondern führt sie auf das gesteigerte Bedürfnis nach einer weiteren Bildung und großräumigeren Kommunikationsmöglichkeiten zurück. Dass sich die Sprache demokratisiere, sei letztlich auch eine notwendige Folge der gesellschaftlichen Bemühungen

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um eine einheitliche Nation, an der alle Schichten teilhaben können (vgl. Rückert 1864: 114). (3) Während Rückert die Presse und ihre Wirkung im Vergleich zu seinen Zeitgenossen äußerst reflektiert betrachtet, stimmen die medientheoretischen/-kritischen Schriften des zweiten Teilkorpus in den allgemeinen Tenor des Zeitraums ein, dass die Presse einen Sprach- und Geistesverfall der Gesellschaft gleichermaßen bewirke wie widerspiegele. Zwar habe die Presse die Möglichkeit, das Bildungsstreben der Bevölkerung zu befriedigen, sie vermittle aber lediglich eine Scheinbildung, da sie sich – nicht zuletzt ob der Vielfalt der Inhalte, die in kürzester Zeit recherchiert werden müssten – durch sprachliche wie inhaltliche Oberflächlichkeit auszeichne. Dass weite Teile der Bevölkerung der Presse unreflektiert Glauben schenken, sei ein Kennzeichen der sich wandelnden, zunehmend industrialisierten und kommerziell orientierten Gesellschaft, in der nicht mehr die Qualität der Bildung, sondern die Quantität zähle. Dass nicht mehr Tiefgründigkeit, sondern Schnelligkeit von Bedeutung sei, werde auch deutlich, wenn man das schriftstellerische Verständnis betrachte, denn an Stelle des literarischen Schaffensprozesses dominiere nun eine journalistische Produktion, die nicht den „ewigen Anliegen der Menschheit“ (Hildebrand 1867: 115), sondern „Eintagsinteressen“ (ebd.) und dem Kommerz diene, so dass eine geistige Weiterentwicklung kaum gegeben sei. Vielmehr sei die Dominanz der Presse über die Literatur ein Zeichen für den steten Verfall der Gesellschaft. (4) Ein ähnlich negatives Bild von der Presse zeichnet auch der einzige Text des Zeitraums, in dem die Presse und ihre sprachliche Wirkung als Rahmenthema präsent sind. Auch Kürnberger nimmt trotz seines modernen Ansatzes, der Presse aufgrund ihrer besonderen kommunikativen Anforderungen eine eigene (Fach-)Sprache zuzugestehen, an, dass die Schrift- und Sprachproduktion durch die Presse zwar gesteigert werde, die Qualität der Sprache aber deutlich darunter leide, dass Produktion wie Rezeption der Zeitung durch Oberflächlichkeit und mangelnde Reflexionskraft geprägt seien (vgl. Kürnberger 1866: 28, Kürnberger 1876: 12). Auch bei Kürnberger erscheint die Presse als Sinnbild für die sich wandelnde Gesellschaft, in der „das Setzen der Sache über die Person […] die Signatur unseres Zeitalters [ist]“ (Kürnberger 1866: 23). Als einziges Mittel, die deutsche Sprache und das deutsche Gedankengut zu wahren, gilt auch ihm der Verweis auf das „KlassikerDeutsch als Orientierungsgröße für angemessene Sprachverwendung“ (Mattheier 1991: 52). Vor allem Kürnbergers Ausführungen, die gleichermaßen das „Neue“ versuchen anzuerkennen wie das „Alte“ zu konservieren, lassen erahnen, dass sich die Diskursteilnehmer des zweiten Untersuchungszeitraums in einem deutlich stärkeren Zwiespalt befun-

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

den hatten als jene der ersten Jahrhunderthälfte. Während in der ersten Jahrhunderthälfte die „Vorbereitungen“ für eine politische wie wirtschaftliche Neuordnung der Gesellschaft getroffen wurden und die Presse – wenigstens von der Hälfte der Diskursteilnehmer – als geeignetes (Hilfs-)Mittel betrachtet wurde, die gewünschten Veränderungen herbeizuführen, ist der zweite Untersuchungszeitraum geprägt von der Auflösung der alten Gesellschaftsordnung, der aber – in den Augen der Zeitgenossen – noch keine neue zu folgen scheint. Die sich daraus ergebende Unsicherheit und Unzufriedenheit scheinen die Diskursteilnehmer auf jenes Medium zu projizieren, das diese öffentlichen Zeitgeschehnisse abbildet und – durch ihre ab der Jahrhundertmitte zunehmende Verbreitung – auch anregt, denn es finden sich deutlich mehr negative Betrachtungen der Presse als im ersten Untersuchungszeitraum. Dass sich hinter der Kritik an der Presse nicht allein – wie in der eingangs aufgestellten Hypothese 3 (vgl. S. 18) impliziert – eine Kritik des zeitgenössischen Wandels, eine gesellschaftspolitische Motivation, sondern vor allem das Gefühl der Bedrohung des eigenen Lebens verbirgt, wird dann deutlich, wenn man die zentralen Konfliktlinien oder Topoi, in Verbindung zu den gesellschaftspolitischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen des Zeitraums setzt. Zu beachten ist hierbei, dass alle Diskursteilnehmer – ob ihres beruflichen Umfeldes – der sozialen Schicht des Bildungsbürgertums zuzuordnen sind, das im zweiten Untersuchungszeitraum (noch) seine gesellschaftliche Vormachtstellung behauptete.125 (1) Da gerade diese soziale Gruppierung sich über ihr ausgeprägtes Sprach- und Bildungswissen identifiziert und sie nicht zuletzt durch die Kenntnis der Standardvarietät ihren sozialen Status sichert, muss ihr die zunehmende ‚Demokratisierung‘ der Standardsprache durch die Presse, auf die Rückert (1864) hinweist, als Bedrohung für ihre eigene gesellschaftliche Stellung erscheinen. Denn indem sich die Trägerschaft der Standardvarietät auch über soziale Grenzen hinweg ausweitet, verliert die Sprache ihre sozialsymbolische Funktion und das Bildungsbürgertum das Identifikationsmoment, das seinen sozialen Status legitimiert. Eine Verbreitung ihres Sozialsymbols musste in den Augen der Diskursteilnehmer folglich einer Auflösung ihrer gesellschaftlichen Stellung und Berechtigung gleichkommen. (2) Ein geeignetes Mittel, um einer solchen Gefahr des Identitätsverlustes vorzubeugen, ist es, die Glaubwürdigkeit und den Nutzen der Presse in Frage zu stellen.126 So versuchen die Diskursteilnehmer den sprachlich wie inhaltlich bildenden Nutzen der Presse zu widerlegen, indem sie darauf verweisen, dass die Presse keine „wahre“, sondern nur eine „Scheinbildung“ vermittle, der es zwar nicht an Vielfalt, aber an Tiefgründigkeit fehle. Dieser quantitativen „Scheinbildung“ durch die Presse setzen sie ihre eigenes Bildungswissen ver-

125 126

Vgl. Kapitel III. Vgl. Kapitel II.

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gleichend gegenüber, um sich als soziale Schicht von den Massen abzugrenzen und ihre gesellschaftliche Daseinsberechtigung zu legitimieren (vgl. Hypothese 4, S. 18). Denn nur, wenn einige wenige an einer tiefgründigen Bildung festhalten, könne einem generellen Geistesverfall der Gesellschaft vorgebeugt werden. (3) Auch hinter der Kritik, die Sprache werde durch die von der Presse gesteigerte Sprach- und Schriftproduktion zu einem bequemen Verkehrsmittel, scheint sich letztlich die Angst zu verbergen, die Vormachtstellung in der Gesellschaft zu verlieren, sich in der Masse aufzulösen und in eine Abhängigkeit der zunehmend industrialisierten Welt zu geraten, in der die „Sache über die Person“ (Kürnberger 1866: 23) gesetzt werde. Denn wird der in einer Wechselbeziehung zum Denken stehenden Sprache, die den Bezug zu Geist und Seele sichert, ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung genommen und wird sie zu einem Objekt des praktischen Bedürfnisses instrumentalisiert, so wird auch der Geist zu einem Verkehrsmittel instrumentalisiert. Dass diese Gefahr gegeben ist, zeigt sich den Diskursteilnehmern an dem sich wandelnden schriftstellerischen Verständnis. Denn die Journalisten schreiben nicht mehr für „die ewigen Anliegen der Menschheit“ (Hildebrand 1867: 115), sondern haben ihren Geist in die Abhängigkeit des kommerziell orientierten Pressewesens gegeben und schreiben im Sinne ihrer Geldgeber für „Eintagsinteressen“ (ebd.). (4) Wird die Presse deshalb hart kritisiert, weil sie von den Diskursteilnehmern als Inbegriff des industriellen Zeitalters gilt, in dem die „Sache über die Person“ (Kürnberger 1866: 23) gesetzt werde, in dem sich das Subjekt in der Massenhaftigkeit auflöse und zum nützlichen Objekt instrumentalisiert werde, so gilt ihnen im Gegenzug die Literatur der Weimarer Klassik als Inbegriff der traditionellen Werte ihres sozialen Standes. Um ihren eigenen sozialen Status zu sichern und der Gefahr entgegenzuwirken, in eine Abhängigkeit zu verfallen oder sich in der Masse aufzulösen, suchen die Diskursteilnehmer ihr Sprach- und Bildungswissen durch den Verweis auf bewährte literarische Autoritäten zu stärken und die Macht der Presse zu schwächen. Nicht allein die Kritik an der sprachlichen wie gesellschaftlichen Wirkung der Presse ist im zweiten Untersuchungszeitraum deutlich schärfer ausgeprägt, auch konkretisieren die Diskursteilnehmer die sprachliche Kritik an der Presse. Wie bereits im ersten Untersuchungszeitraum lassen sich diese Kritikpunkte als Kritik an Sprachhandlungsmustern, ihren entsprechenden Ausdrucksformen und an Phänomenen sprachlicher Verdichtung (vgl. Cherubim 1989: 143f.) fassen. Wie in Kapitel III untersucht und auch bereits von Zeitgenossen wie bspw. Kürnberger festgestellt wurde, „bedarf [die Presse] […] ihre eigene Redeweise“ (Kürnberger 1866: 28), die sie aufgrund der speziellen an sie gestellten kommunikativen Anforderungen in „Prozessen der Ökonomisierung und

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Schematisierung“ wie „durch Prozesse der Spezialisierung und Professionalisierung“ (Cherubim 1989: 143) herausgebildet hat. Neben dem in der ersten Jahrhunderthälfte häufig kritisierten Fremdwortgebrauch, ist noch immer die Klage über die Neubildungen und Komposita der Presse präsent, wobei auf die spezifischen Produktionsbedingungen der Zeitungen kaum eingegangen wird. Häufig wird die Zeitung als Quelle bestimmter sprachlicher Erscheinungen betrachtet – so beispielsweise der analytischen Funktionsverbgefüge –, die keine „Erfindungen“ der Presse sind, sondern vielmehr den – vorab nur einem exklusiven Fachpublikum zugängigen – Bereichen eigen sind, über deren Inhalte die Presse eine breitere Öffentlichkeit in Kenntnis setzt (vgl. Hypothese 5, S. 18). Letztlich werden die gleichen sprachlichen Erscheinungen als fehlerhaft empfunden wie im ersten Untersuchungszeitraum, so – „die Vorliebe der neueren Zeit, das Prädikat durch eine Phrase auszudrücken, statt durch das einfache Verbum“ (Lübben 1852: 347f.); – „die gezierte, geschmückte und glänzende Rede“ (Brinkmann 1861: 3); – Substantivierungen auf -ung; – Abstrakta auf -heit; – „das Ausmerzen aller doppelten Vokalen und tonverlängernden h, und das sehr ergiebige Wegknappen der Präfixa und Affixa der Worte“ (Schopenhauer 1856–60: 431); – „die Verbannung des Plusquamperfekti und Perfekti aus der Sprache, an deren Stelle überall das Imperfekt funktioniren muß: mag Sinn oder Unsinn dabei herauskommen!“ (ebd.); – „[ist] das Pronomen „welcher, welche, welches“ […], seiner ungebürlichen Länge wegen, bei unsern meisten Schreibern ganz verfehmt und wird durch der, die und das vertreten“ (ebd.). Wie bereits im ersten Untersuchungszeitraum bestätigen diese aufgeführten Kritikpunkte der Diskursteilnehmer, dass sich die sprachliche Gestalt der Zeitung mit der zunehmenden Erweiterung ihres Inhalts, ihrer Funktionen und ihres Umfangs veränderte.127 Nur wenige Diskursteilnehmer verweisen aber auf eine Notwendigkeit dieser Veränderung aufgrund der sich erweiternden kommunikativen Anforderungen an das wachsende Massenmedium und darauf, dass die Presse auf in anderen sprachlichen Existenzformen bestehende Mittel sprachlicher Ökonomisierung zurückgreift. Da die Presse folglich weniger als Spiegel der „pluralen Sprachwirklichkeit“ (Burger 32005: 190) ihrer Zeit betrachtet wird, sondern die Veränderungen vielmehr auf die mediale Nachlässigkeit und Neuerungssucht (vgl. Kürnberger 1866: 28) zurückgeführt werden, bestätigt sich abermals Hypothese 5 (vgl. S. 18). 127

Vgl. Kapitel III.

Die Presse (ab 1870)

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3. Die Presse – Quelle der Sprachverwilderung oder Begründerin der Öffentlichkeitssprache? (ab 1870) 3.1 Der „Niedergang der Sprache“128 und der Sieg des „großen Papiernen“129 Wurde in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen die Presse zumeist als eine Bedrohung für die Entwicklung der Sprache und des Geistes empfunden, so nimmt im letzten Teilkorpus vor allem die Zahl jener Schriften deutlich zu, die sich einer kritischen Betrachtung des Zustandes und der Entwicklung der Sprache wie ihrer Pflege widmen. Ein Großteil der Diskursteilnehmer des letzten Untersuchungszeitraums macht es sich nicht allein zur Aufgabe, die „sprachliche[n] Sünden der Gegenwart“ (Lehmann 1878) sammeln und mit der Suche nach geeigneten Sprachregeln einen „Beitrag zur deutschen Grammatik und Stilistik“ (ebd.) leisten zu wollen, sondern nimmt explizit Bezug auf die sprachlichen Betrachtungen seiner Zeitgenossen: Man hat in unsern Tagen vielfach und nicht ohne Grund Klage geführt, daß die deutsche Sprache im Niedergange sei, daß sie entarte und verwildere. […] Unsere Sprache […] geht, wenn sie auf dem jetzt betretenen Wege weiter wandelt, nicht nur einer Verschlechterung (denn diese ist gegen das vorige Jahrhundert schon vorhanden), sondern selbst der Zerrüttung unausbleiblich entgegen. (Heintze 1900: 1)

Diese sprachliche Verschlechterung zeige sich in der zunehmenden „Buntscheckigkeit ihres Wohlklangs“ (ebd.), darin, dass „ihre Bildungsfähigkeit […] bereits in hohem Maße beeinträchtigt“ (ebd.) sei und sich „das Gefühl für ihre künstlerische Seite“ (ebd.) vermindere. Diese u.a. von Heintze (1900: 1) befürchtete „Zerrüttung“ der Sprache sei darauf zurückzuführen, „daß wir […] ein papiernes Zeitalter aus Lumpen angetreten haben“ (Seidl in Bulthaupt 1891: 13), in welchem das „papierne Deutsch“ (Schröder 1888: 12) dominant sei. Geprägt von Schröder (1888), der sich in seinen Überlegungen an Hildebrand orientiert und dessen Gedanken über das Verhältnis zwischen „Dintendeutsch“ und „Hochdeutsch“ (Hildebrand 1867: 29) konkretisiert, ist der Begriff des „papiernen Deutsch“ (Schröder 1888: 12) nicht mit dem der Schriftsprache gleichzusetzen. Vielmehr „[scheint] zwischen der uralten Symbolik des Sprachlautes und der neuen des beschriebenen Papiers […] grade in der Mitte zu stehn die Schriftsprache“ (Schröder 1888: 11), die „von einer grossen Literatur und von einem bedeutenden öffentlichen Leben unzertrennlich [ist]“ (Schröder 1888: 12). Während sich der „papierne Stil“ (Schröder 1888: 32) u.a. durch Künstlichkeit, Regelhaftigkeit, Starrheit und Phrasenhaftigkeit auszeichne (vgl. Schröder 1888: 21f.), agiere die ebenfalls künstliche Schrift- oder Literatursprache „im Geiste der mündlichen Sprache“ (Schröder 1888:

128 129

Heintze (1900: 1). Schröder (1888: 11).

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

12), die ihm als „wirkliche […] Sprache des warmen thätigen Lebens“ (Schröder 1888: 32) gilt: Während nun diese Litteratursprache nach dem Satze verfährt: so sagt man wohl, doch so redet und kurz, so schreibt man nicht, heisst es beim papiernen Stil: so schreibt man, wenngleich man so weder singen noch reden, noch sagen darf. Die Literatursprache nimmt nicht alles auf, was gesprochen wird; wo sie aber neuer, da geschieht es im Geiste der mündlichen Sprache. Die papierne erfindet und verbindet Worte, nicht nur wie sie nie und nirgend gesprochen werden, nein, wie man sie von frischen Leuten gesprochen sich auch nicht vorstellen kann. Jene ist künstlich, diese künstlich. Jene bedeutet ein höheres Leben der Sprache, diese ihren Tod. (Schröder 1888: 12)

Schröder, der vielen seiner Zeitgenossen mit seiner Schrift „Vom papiernen Stil“ das geeignete Schlagwort – oder vielmehr Stigmawort – lieferte, um den Zustand der deutschen Sprache zu kennzeichnen, führt den vermeintlich drohenden „Tod“ (ebd.) der Sprache nicht grundlegend auf die Existenz des „papiernen Stils“ (ebd.) zurück, sondern gibt zu, dass es vielleicht neben der Volks- und der Litteratursprache eine subalterne geben [muss], in Verfügungen und Protokollen, in Zeitungsberichten und Katalogen. Meinetwegen. Wenn wir nur nicht soviel der Art lesen müssten und nun, ehe wirs uns versehen, in den papiernen Jargon verfielen. Wie manches Wort hat nicht den Weg aus der Amtsstube durch die Zeitung in die Litteratur gemacht. […] Was in der Gerichtsstube stilvoll sein mag, unter dem Vermischten der Zeitung nicht sonderlich auffällt, in der Novelle nimmt sichs, und das soll es doch wohl nicht, possierlich aus. […] Doch Akten- und Büchermenschen müssen sein. Warum sollen sie nicht am Ende ihren eigenen Stil haben? Aber herrschen sollen sie doch nicht, weder im Staat noch in der Kirche, und in der Wissenschaft so wenig, als in der Dichtung. (Schröder 1888: 70f.)

Gerade die Befürchtung, „Akten- und Büchermenschen“ (ebd.) mit ihrem „papiernen Stil“ (ebd.) könnten in der Dichtung „herrschen“ (ebd.) und das künstlerische Ringen „nach Gestaltung in technisch vollendeter Form“ (Schröder 1888: 92f.) zu Nichte machen, das „dem Gehalt wiederum zu Gute [kommt] und […] den Brunnen der Sprachkraft im Fluss [hält]“ (ebd.), motiviert Schröder die – nicht zuletzt durch die Zeitung beförderte – Verbreitung des papiernen Stils zu kritisieren. Denn diese habe nicht allein eine Veränderung der (Literatur-)Sprache und der literarischen Tätigkeit zur Folge, sondern vor allem eine des Denkens, denn wissen wir denn, was aus der Sprache, was aus dem Denken würde, wenn man die dichterischen Elemente herausnähme, herausnehmen könnte? Weit genug freilich haben wirs dahin gebracht. Unser Denken gestaltet sich immer katalog-, immer kompendienhafter. (Schröder 1888: 68)

Wie zahlreiche Diskursteilnehmer der ersten beiden Untersuchungszeiträume nimmt somit auch Schröder an, dass durch die Verbreitung der „papiernen Sprache“ (ebd.) nicht allein die Sprache dem Niedergang geweiht sei, sondern mit ihr das Denken, die geistige Stärke.

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Mit dem Begriff „papierne Sprache“ (ebd.) kennzeichnet Schröder jenen von vielen seiner Zeitgenossen wahrgenommenen Zustand der Sprache, in dem sie einzig ein Verkehrsmittel sei, das zwar den kommunikativen Anforderungen der „Akten- und Büchermenschen“ (Schröder 1888: 70f.) gerecht werde, nicht aber jenen der Literaten, da sie „nur noch die Gedanken [verdolmetscht]. In der Grammatik, wie sie nun sauber gedruckt vor uns liegt, lernen wir das Wort, welches wir gebrauchen, als so und so bestimmte Form auswendig“ (von Wolzogen 1880: 2). Dass „die Sprache ein Verkehrsmittel ist, wie das Geld, dass sie daher den Anforderungen entsprechen muss, die an dieses gestellt werden, d.h. bequem und praktisch sein soll“ (Halatschka 1883: 3f.) und „man […] gar nicht mehr durch die und in der Sprache [denkt], die Sprache […] nicht mehr [spricht]“ (ebd.), sei – wie auch von Schröder bereits angedeutet und von einigen Diskursteilnehmern der ersten beiden Untersuchungszeiträume angesprochen – in einer übermäßigen Schrift- und Sprachproduktion begründet. Wie alles, so wird auch die Sprache durch den Gebrauch abgenutzt. […] So entstehen Deklinationen und Konjugationen, die Wurzeln selbst werden zu Stämmen für Nomina und Verba, die Sprache hört auf nur andeutend schillernde Rede zu sein, sie gewinnt ihre eigene lebendige Grammatik, und mit deren Geburt beginnt auch erst wahrhaft das freie Leben im Geiste, welches dem menschlichen Geschlechte die höchsten Bekundungen seines idealen Wesens ermöglicht. Aber zugleich neigt sich die Sprache vom Gipfel ihrer formalen Entwicklung dem Verfalle zu. Jedes Leben reibt sich selber auf; und so verbraucht sich auch die Sprache, indem der Mensch sie mehr und mehr gebraucht. […]Je mehr eine Sprache sich derart abgenutzt hat, um so gefügiger wird sie den wachsenden Anforderungen an ihren Gebrauch. (von Wolzogen 1880: 2)

Dies sei auch der Grund dafür, dass die Sprache zu einer „papiernen Sprache“ werde und in weiten Kreisen […] nur vom Nützlichkeitsstandpunkt als notwendiges Verkehrsmittel unter den Volksgenossen auf[gefaßt] und […] daher gegen ihre Reinheit und ihren Adel stumpf geworden [ist], weil das Gefühl, daß sie die Grundbedingung unseres gesamten eigenartigen Daseins sei, nicht mehr aufkommt. (ebd.)

Trotzdem die Diskursteilnehmer den Entwicklungsgang der Sprache als weitgehend natürlich kennzeichnen und sich dessen gewahr werden, dass „eine lebendige Sprache […] beständig ihre Häutungen durch[macht], die […] beim Rückblick auf ein Jahrhundert […] unleugbar und augenfällig sind“ (Keller 1878: 7), befürchten sie einen Verfall der Sprache und suchen Möglichkeiten, sich für ihren Erhalt einzusetzen und stellen sich die Frage, „wornach soll man sich bei der Beurtheilung der sprachlichen Form, bei der Entscheidung über die Richtigkeit einer Fügung, eines Ausdruckes u.s.w. richten?“ (Quelle). Die Antworten sind vielfältig: Während Schröder in seiner Bekämpfung des „papiernen Stils“ sich an Hildebrand (1867: 29) orientiert und vorschlägt, dass „das Hauptgewicht (im deutschen Sprachunterricht nämlich) […] auf die gesprochene und gehörte Sprache gelegt werden [sollte], nicht auf die geschriebene und gesehene“

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

(Schröder 1888: 75), verweisen andere auf die Klassiker oder den Sprachgebrauch als Autoritäten in sprachlichen Fragen. Halatschka kommt zu dem Schluss, dass weder Schriftsteller, noch der „Gebrauch“ […] hier entscheiden [können]; die Schriftsteller nicht, weil wir durchaus keine Gewähr dafür haben, dass sie immer richtig sprechen; der Gebrauch nicht, weil wir nicht zugeben können, dass sich die Sprache unbewusst, gedankenlos, eigentlich unlogisch, denkwidrig weiterbilde. Wir werden vielmehr bei der Beurtheilung einzelner Fälle immer fragen müssen, ob sie dem Geistes des Sprachgesetzes entsprechen oder widersprechen. (Halatschka 1883: 3f.)

3.2 Die Verwilderung der Sprache und des Geistes Diese – im Gegensatz zu den vorherigen Untersuchungszeiträumen deutlich schärferen – Klagen über einen „Niedergang der Sprache“ (Heintze 1900: 1) durch eine vermeintlich zunehmende Verbreitung des „papiernen Stils“ und nahezu ausschließliche Behandlung der Sprache als bequemes Verkehrsmittel, kulminieren Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts in einem Werk, das eine hitzige Debatte um „Allerhand Sprachdummheiten“130 und deren Behebung entfachte. Dank seiner flotten, fesselnden Schreibweise drang sie [Wustmanns Schrift] auch in solche Kreise, die sich sonst mit sprachlichen Dingen nicht befassen, allenthalben fand sie begeisterte Zustimmung. Aber es erhoben sich auch tadelnde Stimmen [...] nicht weniger als 7 selbstständige Schriften [...] mehrere ausführliche Besprechungen in Zeitschriften [...] Bücher, die ausdrücklich auf Wustmann Bezug nehmen. (Dunger 1893: 128)131 Wustman hat kecken Muthes die Bahn gebrochen. Es ist ihm durch seine meisterhafte Behandlung des spröden Stoffes gelungen, was keiner seiner Vorgänger erreicht hat: er hat die Aufmerksamkeit der Gebildeten Deutschlands in weitestem Umfange auf diese Sprachschäden hingelenkt, er hat das Sprachgewissen unseres Volkes aufgerüttelt. (Dunger 1893: 140)

An Dungers Aussagen zeigt sich, dass es weniger die Inhalte von Wustmanns Werk sind, die sich von denen anderer Zeitgenossen unterscheiden, als vielmehr dessen polemisch provozierende Ausführung. Auch Wustmann folgt der „mit dem Erscheinen von Otto Schröders Schrift ‚Vom papiernen Stil‘ (Berlin 1889) [gewordenen] Mode, auf die papierne Sprache (Schröder 1888: 68), auf das Tintendeutsch zu schelten“ (Dunger 1893: 134). So gibt Wustmann zwar vor, dass der Wandel der Sprache etwas Natürliches sei, da „die Sprache etwas lebendiges ist, daß sie daher, wie alles lebendige, in fortwährender Veränderung begriffen ist“ (Wustmann 1891: 3) und deshalb „in hundert Jahren […] abermals ein andres Deutsch gesprochen und geschrieben werden [wird], 130

So der Titel von Gustav Wustmanns 1891 erstmals erschienenem Werk, das er in Teilen bereits in der Zeitschrift „Die Grenzboten“ veröffentlichte. 131 Dunger bespricht in seinem in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins 1893 erschienenen Aufsatz „Was heißt Sprachdummheiten“ den Diskurs über Wustmanns Schrift, wobei er vor allem die Stellungnahmen folgender Diskursteilnehmer diskutiert: Erbe, Schmits, Blümner, Gartner, Dr. X., Minor, Kaerger, Erdmann, Bechstein, Halatschka, Matthias, Faulde, Wunderlich.

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als heutzutage“ (ebd.: 4). Den zeitgenössischen Sprachwandel empfindet er aber nicht als natürliche Sprachentwicklung oder -veränderung, da „sich jetzt die Umbildung unsrer Sprache nicht nur mit einer Schnelligkeit vollzieht, die in aller Sprachgeschichte ihresgleichen hat“ (ebd.), sondern er hat in viel höherm Grade den Eindruck des Verfalls als den der Entwicklung. Richtiges wird durch falsches, schönes durch häßliches verdrängt; fast jeder Tag gebiert neues, was den Freund der Sprache mit Trauer, ja mit Zorn erfüllt. […] Wohin man blickt, sieht man jetzt Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit, Schwulst und Ziererei, und was das traurigste ist, eine immer ärger werdende grammatische Fehlerhaftigkeit. (Wustmann 1891: 4f.)

Diese Entwicklung führt Wustmann auf eine zunehmende Verbreitung der „unnatürlichen Schreibsprache“ (Wustmann 1891: 5) zurück, die er – wie bereits Schröder – deutlich von der lebendigen „Umgangssprache“ (ebd.) und der „Schriftsprache“ (ebd.) abgrenzt: In der Umgangssprache läßt man sich gehen, da bildet man vielfach keine wirklichen Sätze, man unterbricht sich, kehrt zurück, schiebt ein, braucht auch Wörter, die zu schreiben man Bedenken tragen würde – kurz, man bewegt sich da wie im bequemen Hauskleide. In der Schriftsprache nimmt man sich zusammen, da legt man sich das Straßen- oder Gesellschaftskleid an. Dennoch ist nichts in der guten Schriftsprache, was nicht in der lebendigen Sprache wäre. Wer in der Unterhaltung gute Schriftsprache spräche, würde nicht auffallen, höchstens angenehm auffallen. (ebd.)

Dieser lebendigen Umgangs- und Schriftsprache stellt Wustmann die „Schreibsprache, das Tintendeutsch, [den] papierne[n] Stil, wie man ihn neuerdings auch genannt hat“ (ebd.), gegenüber als jene wunderliche schriftliche Ausdrucksweise, die nie gesprochen, sondern immer nur geschrieben wird […] Die Schreibsprache hat sich eine Menge von Dingen zugelegt, die es in der lebendigen Sprache überhaupt nicht giebt; sie schreibt stets we l c h e r für d e r , i n w e l c h e m für wo r i n , d e r s e l b e für e r […], sie bringt die Gliedmaßen der Sprache in eine verzerrte und verkrampfte Stellung, schreibt: u n d h a t d a s D i r e k t o r i u m Nach reiflicher Erwägung s i c h e n t s c h l o s s e n – statt: u n d d a s D i r e k t o r i u m h a t s i c h nach reiflicher Erwägung entschlossen u.s.w. (ebd.)132

Neben den „Fesseln der Papiersprache“ (Wustmann 1891: 7), die die deutsche Sprache in ihrer Lebendigkeit und Vielfalt mehr und mehr „einschnüren“, sieht Wustmann weitere Gründe dafür, „daß sich unsre Sprache in einem Zustande der Verwilderung befindet“ (Wustmann 1891: 3), in der zunehmenden „Unsicherheit und Unwissenheit in grammatischen Dingen“ (Wustmann 1891: 7), in neuen „stammelnden Zusammensetzungen“ (Wustmann 1891: 8), in „unsrer Ausländerei“ (Wustmann 1891: 9), aber auch in den „Provinzialismen“ (ebd.).

132

Die Sperrungen des Textes sind aus Wustmanns Sprachdummheiten übernommen.

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

a. Die Presse – Quelle des Sprachverderbs und der Halbbildung Auf die Fragen, „was […] die Ursachen [sind], daß sich in wenigen Jahrzehnten solche Mißstände in unsrer Sprache haben bilden können“ (Wustmann 1891: 11) und weshalb sich „die Umbildung unsrer Sprache […] mit einer Schnelligkeit vollzieht, die in aller Sprachgeschichte ihresgleichen hat“ (Wustmann 1891: 4), findet Wustmann schnell und deutlich schärfer eine Antwort als viele seiner kritischen Vorgänger und Zeitgenossen: „Seit länger als einem Menschenalter ist in unsrer Sprache eine Macht am Werke, die schon unsäglichen Schaden angerichtet hat und noch anrichten wird: die Tagespresse“ (Wustmann 1891: 14). Dieser misst er nicht – wie beispielsweise Hildebrand – nur einen „schlimmen Einfluss auf das Sprachbewußtsein und die Fortbildung der Sprache“ (Hildebrand 1867: 114f.) bei, vielmehr betrachtet er sie als die Hauptursache der Verwilderung unsrer Sprache, der eigentliche Herd und die Brutstädte dieser Verwilderung […] in der Gestalt, die sie seit Einführung der Preßfreiheit (1848), noch mehr seit der Einführung der Gewerbefreiheit und vor allem seit der politischen Erregung der Kriegsjahre 1864, 1866, 1870 und der sozialen und wirtschaftlichen Erregung, die darauf folgte, angenommen hat. (Wustmann 1891: 14).

Bereits diese einführende Beschreibung der Presse als die eigentliche Quelle der vermeintlichen Sprachverderbnis lässt erahnen, dass Wustmann in seinen Ausführungen jene Argumentationen – vornehmlich gegen die Presse – aufgreift, die bereits in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen dominierten. So gehen in den Augen Wustmanns die Veränderungen im Zeitungswesen – d.h. der sich vervielfältigende Inhalt, das häufigere Erscheinen und die wirtschaftliche Abhängigkeit der Presse – Hand in Hand mit dem bereits von Schopenhauer kritisierten Wandel des schriftstellerischen Verständnisses und der Literatur, mit einer zunehmenden Oberflächlichkeit in der inhaltlichen wie sprachlichen Gestaltung, mit einer „Verwilderung der Sprache“ (Schmits 1901: 5) und schließlich des Denkens (vgl. Wustmann 1891: 14f.). Ausgehend davon, dass infolge der politischen Veränderungen wie der „Einführung der Preßfreiheit (1848), noch mehr seit der Einführung der Gewerbefreiheit“ (Wustmann 1891: 14) nicht allein „der Inhalt […] sich verhundertfacht [hat], alle nur erdenklichen Lebensgebiete […] in den Kreis der Betrachtung gezogen [werden]“ (Wustmann 1891: 15), sondern sich auch die Intention der Herausgeber und Verfasser geändert habe, kommt Wustmann zu dem Schluss, dass die inhaltliche wie sprachliche Qualität unter der neuen Vielfalt leide (vgl. Wustmann 1891: 15f.). Die Folge sei, dass so fehlerhaft, wie unsre Zeitungen jetzt schreiben, […] noch nie und nirgends in Deutschland geschrieben worden [ist]. […] Jeden Monat, jede Woche, ja jeden Tag wird man irgendwo durch neue Nachlässigkeiten, Willkürlichkeiten, Geschmacklosigkeiten überrascht, die man bisher noch nicht gelesen hatte; aber kaum aufgetaucht, haben sie sich auch schon verbreitet, sitzen fest, werden für Verschönerungen und Bereicherungen der Sprache gehalten, und das gute und richtige ist wie verschüttet und begraben. (Wustmann 1891: 17)

Wie viele andere vor ihm führt Wustmann – neben der weiten Verbreitung der Zeitung – die Autoritätsgläubigkeit eines breiten Publikums in die vermeintliche Wissensall-

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macht der Presse als einen Grund für den von ihm wahrgenommenen Sprachverfall an. Vor allem aber sucht er die Schuld bei den dem unmündigen Publikum häufig als Autorität geltenden schlecht (aus-)gebildeten Journalisten und ihren Arbeitsbedingungen, bei der „Masse oft nur halbgebildeter oder ganz ungebildeter Menschen“ (Wustmann 1891: 15). Während in den Augen Wustmanns Zeitungen vor der Einführung der Pressefreiheit „geschrieben […] und herausgegeben wurden […] von einem Litteraten, […] der ordentlich mit der Feder umzugehen wußte, dessen Handwerk es war, zu schreiben“ (Wustmann 1891: 15), seien die zeitgenössischen Journalisten meist Leute, die vorher schon alles Mögliche versucht hatten, bis sie endlich beim Zeitungsgewerbe hängen geblieben sind, verfehlte Existenzen aller Art. Zum Zeitungsgewerbe drängt sich alles, was anderwärts Schiffbruch gelitten hat. […] Verpfuschte Akademiker aller Fakultäten, […] fortgejagte Gymnasiasten, grüne Burschen, die nichts gelernt haben, am wenigsten eine Zeile anständiges Deutsch zu schreiben […]. (Wustmann 1891: 16)

Jene „gescheiterten Existenzen“ (ebd.) unterscheiden sich laut Wustmann aber nicht allein durch ihre Bildung von den ehemaligen „Litteraten“, sondern vor allem durch ihre Motivation und Arbeitsweise. Denn durch den „so verhundertfachten Inhalt der Zeitungen“ (Wustmann 1891: 15) seien die finanziell von ihren Verlegern abhängigen Journalisten gezwungen, dem Inhalt nur oberflächlich und „notdürftig die Form zu geben, die bei der Jagd und Hast, mit der das geschieht, gerade noch möglich ist“ (ebd.). Ähnlich wie Schopenhauer oder Kürnberger, die von „journalistischer Sprachfabrik“ (Kürnberger 1866: 28) oder von der „Schriftstellerei als Industriezweig“ (Schopenhauer 1851a: 606) sprechen, vermerkt auch Wustmann, dass „der Schade, […] sachlich dadurch angerichtet ist“ (Wustmann 1891: 15), dass das künstlerisch wertvolle literarische Schaffen des „Litteraten“ (Wustmann 1891: 16) industrialisiert werde zu einem journalistischen Gewerbe „gescheiterter Existenzen“ (ebd.): Die Herstellung einer Zeitung, die früher eine litterarische Leistung war, ist zu einem Gewerbe herabgesunken, und in keinem Gewerbe der Welt giebt es so viele Pfuscher, wie im Zeitungsgewerbe. Was die Berichterstatter der Tagesblätter leisten […], dabei kann schon längst nicht mehr von Handwerk, geschweige denn von Kunst die Rede sein, es ist nach Inhalt und Form nur noch Fabrikarbeit, und zwar meist herzlich schlechte Fabrikarbeit. (Wustmann 1891: 16)

In dieser „herzlich schlechte[n] Fabrikarbeit“ (ebd.) übernehmen die Journalisten auch die Sprache jener Bereiche, über die sie berichten, so dass die Politik und alles, was damit zusammenhängt, die Thätigkeit der Landtage und Parlamente, die Gesetzgebung, das Parteitreiben, das Vereins- und Versammlungswesen, […] seinen Niederschlag in den Zeitungen nur in jenem Papier- und Aktendeutsch finden [konnte]. (Wustmann 1891: 18)

Während beispielsweise Börne die Funktion der Presse anerkennt, als Bindeglied zwischen den verschiedenen – vorab nur einem kleinen Kreis an eingeweihten zugänglichen – Wissensbereichen und der breiten Masse zu fungieren, da so nicht allein eine allen verständliche Sprache entwickelt, sondern auch die Bildung breiter Schichten befördert werde, empfindet Wustmann diese Entwicklung als äußerst gefährlich für die

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

deutsche Sprache. Denn nicht allein dadurch, dass „Amts- und Zeitungsdeutsch […] so ziemlich dasselbe geworden [sind]“ (Wustmann 1891: 18), verliere die Sprache ihre Lebendigkeit zugunsten einer künstlichen Starre, sondern auch lokale wie fremde Sprachbestände, die durch die „Fabrikarbeit“ (Wustmann 1891: 16) der Presse zunehmend Verbreitung finden, gefährden ihre Reinheit und Klarheit: Von Provinzialismen wimmelt die landschaftliche und die Ortspresse, und durch tausende und abertausende von Zeitungsausschnitten, die die Tagespresse aller Gegenden Deutschlands täglich mit Schere und Kleister unter einander austauscht, werden sie herüber- und hinübergeschleppt. Die Gallicismen und Angliscismen stammen vor allem aus den ausländischen Zeitungen; sie geraten durch eiliges, gedankenloses, nachlässiges Übersetzen in unsere Sprache. (Wustmann 1891: 18)

Dass die Presse als – laut Wustmann negatives – Bindeglied zwischen den Wissensbereichen einen derart großen Einfluss auf die Sprache nehme, führt Wustmann darauf zurück, dass die Zeitung das Buch weitgehend als Bildungsmittel verdrängt habe und „der größte Teil des Volkes […] überhaupt nichts andres [liest], […] ein Buch kaum mehr in die Hand [nimmt], am wenigsten ein Buch aus einer Zeit wo unsre Sprache nicht so verkommen war“ (Wustmann 1891: 20). Dieser täglichen Einflussnahme durch die Presse können sich am wenigstens jene Ungebildeten entziehen, die die Zeitung unreflektiert rezipieren, aber auch gebildete Männer, Männer, die unzweifelhaft denken, auch Männer in reifen Jahren, selbst hochbejahrte Männer, von denen man meinen sollte, daß sie gegen allen neumodischen Sprachunrat gefeit seien, erweisen sich oft diesem Unrat gegenüber als völlig widerstandslos, auch in ihre Sprache sickert er hinein, ganz ohne daß sie es merken […] Die Zeitungssprache hat es allen angethan. (ebd.)

Wustmann kritisiert aber nicht nur, dass auf diese Weise „die Zeitungssprache bereits unsre gesamte Schriftsprache angesteckt“ (ebd.) habe, die allmählich „papierne Züge“ (ebd.) annehme, sondern vor allem, dass „die Zeitungssprache […] bereits gesprochen [wird]“ (Wustmann 1891: 21). Dass „die Papiersprache jetzt an[fängt], sogar die Umgangssprache zu ergreifen“ (ebd.), führt Wustmann auf das Bildungsstreben weiter Bevölkerungsschichten zurück, die sich – wie Rückert es bereits vermerkte – den „offenkundigsten und allgemein zugestandenen Kennzeichen der höheren Bildung, der höheren Sprache“ (Rückert 1864: 114) vor allem in öffentlichen Situationen versuchen zu nähern: Man höre nur, wie das Volk spricht. Solange sich der kleine Mann am Biertische mit seinesgleichen unterhält, redet er, wie ihm der Schnabel gewachsen ist; sowie ihn aber einer anspricht, den er für etwas höheres hält, sowie sich das Gespräch um einen anderen Stoff dreht, als um den, den im Glase haben, sowie der Mann ein bisschen „Bildung“ zeigen möchte, sofort verfällt er in die Zeitungssprache. (Wustmann 1891: 21)

Im Gegensatz zu Rückert, der diese Entwicklung als notwendig einschätzt, insofern sich die gesellschaftlichen wie kommunikativen Anforderungen an die Sprachteilnehmer im Zeitalter der Industrialisierung deutlich verändern, scheint es Wustmann gleichermaßen

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zu belustigen wie zu beunruhigen, dass für weite Kreise „das Zeitungsdeutsch […] der Inbegriff einer gebildeten Sprache [ist]“ (ebd.) und sie „keine Ahnung davon [haben]“ (Wustmann 1891: 22), dass sie „sich doch wirklich des unnatürlichen Papierdeutsch bedient haben“ (ebd.) und nicht der prestigeträchtigen an die Literatur gebundenen Schriftsprache. Sie haben keine Ahnung davon, und wollen gar keine haben, und das ist nun das traurigste dabei. Weit schlimmer als der Zustand selbst, worin sich unsere Sprache jetzt befindet, ist die fast allgemeine Urteilslosigkeit darüber und die stumpfe Gleichgiltigkeit bei denen, denen man noch Urteil und Gefühl in Sprachdingen zutrauen sollte. Wem eine unappetitliche Speise vorgesetzt wird, der schiebt sie zurück; aber den Sprachspülicht unsrer Zeitungen schlingen täglich Millionen mit Begierde hinab, und nicht bloß der große Haufe. (ebd.)

Einer vermeintlichen Achtlosigkeit, Oberflächlichkeit und Urteilslosigkeit wird Wustmann folglich nicht allein bei den Journalisten gewahr, sondern auch bei den Zeitungslesern, die „ihr bischen Weisheit täglich fix und fertig aus der Zeitung schöpfen [und] ihre ganze Bildung Zeitungsbildung ist“ (Wustmann 1891: 21), also eine oberflächliche Halb- oder Scheinbildung. Folglich habe ein sehr großer Teil der Änderungen, die mit der Sprache vorgenommen werden, […] seinen Grund nur in der Dummheit, der Unwissenheit und gegenwärtig namentlich in dem Halbwissen und dem Halbgeschmack, die unsre Zeit auszeichnen und auch auf so vielen andern Gebieten Schaden stiften. Je höher gebildet jemand ist, je gründlicher er die Sprache wirklich kennt, mehr er ihren Reichtum beherrscht, desto seltener wird er Anlaß haben, an der Sprach zu neuern. Das größte Unheil richten hier die Halbgebildeten an. (Wustmann 1891: 29)

Dass gerade die Sprachwissenschaft sich nicht verpflichtet fühle, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, sondern vielmehr „jeden Versuch, in die ‚natürliche‘ Entwicklung der Sprache einzugreifen für unberechtigt hält“ (Wustmann 1891: 28), da „es ein Richtig und ein Falsch in der Sprache überhaupt nicht gebe“ (ebd.), ist für den ehemaligen Gymnasiallehrer Wustmann kaum nachvollziehbar. Vielmehr solle man „den deutschen Unterricht zum Mittelpunkte unseres gesamten höhern Unterrichts […] machen“ (Wustmann 1891: 29), in welchem vor allem „die Grammatik […] zu zeigen [hat], nicht wie gesprochen wird, sondern wie gesprochen werden soll“ (ebd.), um „etwa in einem Menschenalter wieder auf eine Besserung unsrer Sprachzustände zu hoffen“ (ebd.). Wustmann selbst möchte mit seiner Grammatik einen Beitrag zu dieser erhofften „Besserung unsrer Sprachzustände“ (ebd.) leisten, indem er in seinem konservativen Sprachverständnis dafür plädiert, an traditionellen Normen und Werten festzuhalten, denn in rein grammatischen Fragen ist der einzig richtige Standpunkt der konservative, d.h. man muß das bisherige richtige zu verteidigen und zu retten suchen, wo und solange es eingedrungenem oder eindringendem neuem und falschem gegenüber irgend zu retten ist; auch in anscheinend verzweifelten Fällen darf man die Hoffnung nicht aufgeben, durch Klärung des getrübten Sprachbewußtseins oder durch Aufstachelung des trägen Sprachwissens das richtige noch zu erhalten. Nur in ganz aussichtslosen Fällen ist der Kampf aufzugeben und dem neuen, auch wenn es falsch ist, das Feld zu räumen. (Wustmann 1891: 31).

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Geleitet von diesem „konservativen“ (ebd.) oder konservatorischen Sprachverständnis widmet sich Wustmann vor allem den von der Presse begangenen ‚Allerhand Sprachdummheiten‘, wobei er die drei Fehlerbereiche ‚Formenlehre‘, ‚Fragen der Deklination und Konjugation betreffend‘, sowie ‚Wortbildungs- und Satzlehre‘ unterscheidet. Im Bereich der Wortbildung gründet sich seine Kritik vor allem auf den zunehmenden Gebrauch von Fremdwörtern und Modewörtern, außerdem meint er, dass man die „immer mehr um sich greifende garstige Gewohnheit“ (Wustmann 1891: 79) bekämpfen müsse, „die dazu verleitet, eine Menge wirklich hässlicher Wörter auf ‚-ung‘ zu bilden, darunter Ungetüme wie: Inbetriebsetzung, Außerachtlassung“ (ebd.). Als verderbliche Neuwörter werden in allen neun Auflagen seiner Grammatik belichten, Einakter, Jetztzeit oder Vorjahr aufgeführt, Wörter wie anpassungsfähig, Durchquerung in der ersten Auflage von 1891, erstrangig, kapitalfähig oder rückgängig in der 3. Auflage von 1903 bekämpft er nur einmalig. Dass diese Wörter in den späteren Grammatiken nicht mehr erscheinen, scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass Wustmanns punktuelle Sprachlenkung nicht zwingend von Erfolg geprägt war, sondern dass es einige in seinen Augen „aussichtlose Fälle“ (Wustmann 1891: 32) gab, die ihn zwangen, den „Kampf aufzugeben und dem neuen, auch wenn es falsch ist, das Feld zu räumen“ (ebd.).

b. Die Erweiterung und Verminderung der (Sprach-)Bildung durch die Presse Entfacht Wustmann gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine in ihrer Intensität nahezu einmalige Debatte über den Zustand der Sprache, ihren vermeintlichen Verfall, ihre mögliche „Errettung“ (von Wolzogen 1880) und die Rolle der Presse innerhalb dieser Entwicklung, so sind bereits kurz vor den „Sprachdummheiten“ Wustmanns nicht weniger polemische Werke erschienen. Während Wustmann als ehemaliger Gymnasiallehrer sich nach seiner barschen Journalisten- und Pressehetze darauf konzentriert, sich mit der Sprache und ihren Gesetzen auseinanderzusetzen, betrachtet beispielsweise Nietzsche die Sprache von einem philosophischen Standpunkt aus. Sich an Schopenhauers Ausführungen orientierend, betrachtet Nietzsche weniger grammatische Phänomene als vielmehr die Bedeutung der Presse für die geistige wie kulturelle Bildung des Menschen, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Sprache finde. Zentral erscheint ihm, dass „in der Journalistik nämlich […] die beiden Richtungen zusammen[fließen]: Erweiterung und Verminderung der Bildung reichen sich hier die Hand“ (Nietzsche 1872: 194), so dass keinesfalls von einem „Siege der deutschen Bildung und Kultur“ (Nietzsche 1873: 140) gesprochen werde könne, sondern vielmehr von einem sich wandelnden Verständnis von Kultur und Bildung, das in der Presse seinen Ausdruck finde (vgl. Nietzsche 1873: 140). Unter wahrer Bildung scheint er eine ganzheitliche Bildung zu verstehen, d.h. der Mensch müsse, um zu wahrer Bildung zu gelangen, sich mit sich, dem Leben und der (Um-)Welt auf tiefste auseinandersetzen. Der Weg zur wahren Bildung sei mit langem Suchen und Ringen verbunden, mit dem Auf- und Verwerfen von Ideen, mit Reflexio-

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nen und eingehenden Forschungen. Ein Bestandteil wahrer Bildung sei die Auseinandersetzung mit klassischer Literatur und Sprache, mit antiken Vorbildern, vor allem aber die Sprache, genauer die Muttersprache als „das allererste und nächste Objekt, an dem wahre Bildung beginnt“ (Nietzsche 1872: 206). Zu dieser müsse die Schule mit „einer strengen, künstlerisch sorgfältigen sprachlichen Zucht und Sitte“ (ebd.) beitragen, um „das richtige Gefühl für die Größe unserer Klassiker“ (ebd.) zu erhalten, d.h. um deren literarisches Schaffen, deren oftmals lange und beschwerliche Suche nach der richtigen sprachlichen Form zum Ausdruck tiefer Gedanken nachvollziehen zu können. Wie bereits für sein Vorbild Schopenhauer sind für Nietzsche Sprache und Denken aufs Engste miteinander verwoben. Der sprachliche Stil spiegle die Art des Denkens wieder, die Qualität der Gedanken eines Menschen. Erst wenn die Gedankengänge klar geordnet seien, sei es möglich diese verständlich zu Papier zu bringen. Die Sprache sei aber nicht nur nötig, um Gedanken schriftlich oder mündlich in Worte zu fassen, sondern bereits, um diese aufleben zu lassen, in mühevoller geistiger Arbeit zu ordnen, zu reflektieren. Die Macht wahrer Bildung bestehe folglich darin, seine eigenen, selbstständig ausgearbeiteten und wohl geordneten Gedanken klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Seinem eigenen Verständnis von Kultur als „[die] Einheit des künstlerischen Stiles in allen Lebensäußerungen eine Volkes“ (Nietzsche 1873: 140) und von Muttersprache als „das allererste und nächste Objekt, an dem wahre Bildung beginnt“ (Nietzsche 1872: 206), setzt Nietzsche das zeitgenössische Streben nach „viele[m] Wissen und Gelernthaben“ (Nietzsche 1873: 140) entgegen, das an eine ebenso sprachlich-stilistische Vielfalt gebunden sei. Zeitgenössische Bildung und Sprache scheint in den Augen Nietzsches nicht (mehr) durch Tiefe, sondern durch eine oberflächliche Vielfalt definiert zu sein, die nicht Mittel oder Zeichen der Kultur sei, sondern der „Barbarei, das heißt: der Stillosigkeit oder dem chaotischen Durcheinander aller Stile“ (ebd.). In dieser „Barbarei“ (ebd.) entsprechen sich – in den Augen Nietzsches – Denken und Sprechen, Inhalt und Form mithin nicht, vielmehr werde versucht, die oberflächliche Bildung mit ihren „Gedanken oder die Gedankenlosigkeit zu maskieren“, so von Wolzogen (1880: 9), der in den Tenor seines Zeitgenossen einstimmt. Denn für Nietzsche zeigt sich „die eigenthümliche Bildungsabsicht der Gegenwart“ (Nietzsche 1872: 194) in einer modische[n] Gier nach der schönen Form mit dem häßlichen Inhalt des jetzigen Menschen zusammen: jene soll verstecken, dieser soll versteckt werden. Gebildetsein heißt also: sich nicht merken lassen, wie elend und schlecht man ist, wie raubtierhaft im Streben, wie unersättlich im Sammeln, wie eigensüchtig und schamlos im Genießen. (Nietzsche 1873: 334)

Diese „eigenthümliche Bildungsabsicht der Gegenwart“ (Nietzsche 1872: 194), die mehr durch Schein als durch Sein wirke und die Nietzsches Vorstellung von der „wahren“ geistigen Bildung, dem selbständigen Denken und der klaren, in langwieriger Geistesarbeit geschaffenen Sprache grundlegend widerspricht, finde in der Zeitung gleichermaßen ihren Ausdruck wie ihre Quelle (vgl. Nietzsche 1872: 194). Denn es liege nicht im Vermögen der täglich erscheinenden Zeitungen, ihre vielfältigen Inhalte

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in der Genauigkeit zu recherchieren und zu reflektieren, wie es einem Schriftsteller oder auch Wissenschaftler vorbehalten sei, der sich nur mit einem Themenbereich tiefgründig auseinandersetzen könne. Da die Zeitungen an diese Produktionsbedingungen gebunden seien, diese Bindung nicht zuletzt von den „modernen Bildungsmenschen“ (Nietzsche 1872: 258) gefordert werde, da sie ihrem Bestreben entgegenkomme, sich in kürzester Zeit so breit wie möglich „bilden“ zu können, streben sie nach kräftiger, rascher Wirkung. Dazu gehören starke Mittel. So kommt es zur Pflege des Sensationellen […], zur Pflege der schillernden, glänzenden Einfälle, des Wortwitzes, der Geistspielerei, andrerseits der bloßen, hohlen Wortmacherei. (Leixner in Bulthaupt 1891: 15).

Im Sinne Nietzsches erweitere die Zeitung folglich die sprachliche wie geistige Bildung hinsichtlich ihrer Breite, ihrer Quantität, vermindere sie aber in ihrer Tiefe oder Qualität. Dieser Eindruck veranlasst auch Leixner einige Jahre später zu der Feststellung, dass so […] die meisten Zeitungen Halbbildung [verbreiten], die den Geist der Lüge in sich trägt und die selbstbewusste, hohle Verneinung alles Geistigen in reiche Halme schießen läßt […] Unter diesen Umständen kann die Tagespresse im Ganzen nicht als Lehrerin des Volks, nicht als dessen geistige Führerin dienen; sie ist meist Verführerin. (Leixner in Bulthaupt 1891: 16)

Ähnlich wie Leixner scheint sich auch Hartmann an den Ausführungen Nietzsches zu orientieren, wenn er vermerkt, dass die Zeitung zwar für ein Mittel zur Steigerung der Bildung gilt; was sie gibt, ist aber nur eine Scheinbildung und Halbbildung, und nur, weil sie der Eitelkeit und Faulheit der auf möglichst bequemen Wege nach Scheinbildung Haschenden dient, konnte sie zu einem so lukrativen Geschäftszweig werden […] In Wirklichkeit ist sie das schlimmste Hinderniß für den Erwerb ächter Bildung geworden, weil sie die Zeit verschlingt, welche dem strebsamen Menschen sein Beruf für allgemeine Bildungszwecke übrig läßt. (Hartmann in Bulthaupt 1891: 20)

Dass sich Leixner und Hartmann in ihren Überlegungen zum (sprach-)bildenden Einfluss der Zeitung an Nietzsche zu orientieren scheinen, wird deutlich, wenn man betrachtet, dass Nietzsche die Wirkung der Zeitung vor allem deshalb derart negativ einschätzt, weil er den Eindruck hat, dass „das Übergewicht nämlich bei dem, was der Deutsche jetzt jeden Tag liest, […] ohne Zweifel auf seiten der Zeitungen nebst dazugehörigen Zeitschriften [liegt]“ (Nietzsche 1873: 191). Weil die Presse, „jene klebrige verbindende Schicht, die sich jetzt zwischen die Wissenschaften gelegt hat“ (Nietzsche 1872: 194), als schnell zu rezipierendes, aber vielfältiges Medium es eher als wissenschaftliche oder literarische Werke vermöge, „sich der Muße- und Verdauungsstunden des modernen Menschen, das heißt seiner ‚Kulturmomente‘ zu bemächtigen“ (Nietzsche 1873: 138), wirke sie unweigerlich nicht allein inhaltlich, sondern auch sprachlich bildend, „und so wird die Zeitung zur Pflegerin der Oberflächlichkeit“ (Leixner in Bulthaupt 1891: 15). Das Deutsch der Zeitungen, das Nietzsche in seinen Notizen als „Schweinedeutsch“ stigmatisiert,

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prägt sich, in dem unaufhörlichen Tropfenfall gleicher Wendungen und gleicher Wörter, […] ein, und da er meist Stunden zu dieser Leserei benutzt, in denen sein ermüdeter Geist ohnehin zum Widerstehen nicht aufgelegt ist, so wird allmählich sein Sprachgehör in diesem AlltagsDeutsch heimisch und vermißt seine Abwesenheit nötigenfalls mit Schmerz. (Nietzsche 1873: 191)

Laut Nietzsche scheint aber nicht allein der Geist der Leser, die Inhalte und Sprache der Zeitung unreflektiert aufnehmen, „ermüdet“ zu sein, sondern auch und vor allem jener der Journalisten, die am allerstärksten an den Schleim dieser Zeitungs-Sprache gewöhnt [sind]: sie haben im eigentlichsten Sinne allen Geschmack verloren, und ihre Zunge empfindet höchstens das ganz und gar Korrupte und Willkürliche mit einer Art von Vergnügen. Daraus erklärt sich das tutti unisono, mit welchem, trotz jener allgemeinen Erschlaffung und Erkrankung, in jeden neu erfundenen Sprachschnitzer sofort eingestimmt wird: Man rächt sich mit solchen frechen Korruptionen an der Sprache wegen der unglaublichen Langeweile, die sie allmählich ihren Lohnarbeitern verursacht. (ebd.)

Dass auch der Geist der Journalisten „ermüdet“ (ebd.) sei, führt Nietzsche folglich – wie zahlreiche seiner Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger – vor allem darauf zurück, dass sie „Lohnarbeiter“ (ebd.) seien, die nicht der Sache, sondern des Geldes wegen schreiben (vgl. Schopenhauer 1851b: 616). Im Gegensatz zu Schriftstellern, die die Inhalte, mit denen sie sich literarisch auseinandersetzen, selbst wählen und um einen geeigneten sprachlichen Ausdruck ihrer Gedanken ringen, prostituiere der Journalist seinen Geist und gleichermaßen die Sprache. Da seine geistige Arbeit, seine Themenwahl abhängig sei von den Interessen des kommerziell orientierten Zeitungswesen und den an dieses geknüpften Produktionsbedingungen, mangle es ihm an der Motivation, sich mit den an „Eintagsinteressen“ (Hildebrand 1867: 115) gebundenen Inhalten identifizieren zu können, sie ausgiebig recherchieren, ordnen, reflektieren und verstehen zu wollen. Treten für den journalistischen „Lohnarbeiter“ (Nietzsche 1873: 191) die Gedanken in den Hintergrund, seine journalistische Pflicht, in aller Kürze eine größtmögliche Wirkung bei seinen Lesern zu erzielen, aber in den Vordergrund, so wirke sich dies auch auf die Sprache aus. Diese verliere ihre Bindung an den Gedanken, an das Denken und gewinne den Zweck, die Qualität des Gedankens oder des Denkens zu „maskieren“. In diesem Sinne diene die Sprache dem Journalisten als notwendiges („Verkehrs-“)Mittel zum Zweck, dieser wiederum diene dem ihn finanzierenden Zeitungswesen, welches wiederum – um einen höchstmöglichen Gewinn zu erzielen, den „Eintagsinteressen“ (Hildebrand 1867: 115) der Öffentlichkeit diene. Laut Nietzsche verändere sich somit nicht allein das Verständnis von Bildung und Kultur, sondern auch jenes von denjenigen, die Bildung und Kultur vermitteln und tradieren. Hat Hildebrand bereits unterschieden zwischen den Schriftstellern, die „womöglich für die Ewigkeit schreiben […] für die ewigen Anliegen der Menschheit“ (ebd.) und den Journalisten, die den „Eintagsinteressen“ (ebd.) gerecht werden, so greift auch Nietzsche diese Unterscheidung auf. Dass „der Journalist, der Diener des Augenblicks, an die Stelle des großen Genius, des Führers für alle Zeiten, des Erlösers vom Augenblick, getreten ist“

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(Nietzsche 1872: 194), erscheint ihm als Zeichen des geistigen Verfalls der Gesellschaft, die von „entarteten Bildungsmenschen“ (Nietzsche 1872: 258) dominiert werde. Und furchtbar berührt es uns, zu beobachten, dass unsere gesamte gelehrte und journalistische Öffentlichkeit das Zeichen dieser Entartung an sich trägt. Wie will man sonst unseren Gelehrten gerecht werden, wenn sie unverdrossen bei dem Werke der journalistischen Volksverführung zuschauen oder gar mithelfen, wie anders, wenn nicht durch die Annahme, dass ihre Gelehrsamkeit etwas ähnliches für sie sein möge, was für jene die Romanschreiberei, nämlich eine Flucht vor sich selbst, eine asketische Ertötung ihres Bildungstriebes, eine desperate Vernichtung des Individuums. […] die Erinnerung, durch ganze Berge darübergeschütteten gedruckten Papiers nicht erstickt, sagt doch von Zeit zu Zeit wieder: „Ein entarteter Bildungsmensch! Zur Bildung geboren und zur Unbildung erzogen! Hilfloser Barbar, Sklave des Tages, an die Kette des Augenblicks gelegt und hungernd – ewig hungernd! (Nietzsche 1872: 258)

Empfindet Nietzsche die Zeitung gleichermaßen als Quelle und Spiegel einer vermeintlichen „entarteten“ (ebd.) Bildungsgesellschaft, in der die Sprache nur noch dazu diene, mit „der schönen Form“ (Nietzsche 1873: 334) den „häßlichen Inhalt“ (ebd.) zu „verstecken“ (ebd.), und empfindet auch Wustmann die Zeitung als Quelle einer um sich greifenden Sprachverhunzung, so setzt sich diese Vorstellung auch gegen Ende des langen 19. Jahrhunderts fort. Ähnlich polemisch wie Nietzsche und Wustmann – deren Äußerungen über die Presse stellvertretend für zahlreiche ihrer Zeitgenossen aufgenommen wurden, da sie auf deren Schriften den größten Einfluss übten – äußert sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auch Karl Kraus über die Sprache und beruft sich auf jene Diskursteilnehmer des 19. Jahrhunderts, die im Verlauf der Untersuchung bereits Erwähnung fanden. So ist er der Ansicht, dass Schopenhauer […] die Kritik, die die ‚Fackel‘ auch an der sprachlichen Gemeinheit der Zeitungen übt, gewiß nicht kleinlich finden [würde]. Eher aussichtlos. Sprechen und Denken sind eins, und die Schmöcke sprechen so korrupt, wie sie denken. (Kraus 21954: 23)

Er konzentriert sich nicht allein auf die wechselseitige Beziehung von Denken und Sprechen und darauf, dass der Sprachgebrauch der Journalisten Aufschluss über die Qualität ihrer Gedanken gebe, sondern wird sich auch eines vermeintlichen Bildungsund Gesellschaftsverfalls gewahr, den er in der sprachlichen wie inhaltlichen Oberflächlichkeit begründet sieht: Alles Sprechen und Schreiben von heute, auch das der Fachmänner, hat als der Inbegriff leichtfertiger Entscheidung die Sprache zum Wegwurf einer Zeit gemacht, die ihr Geschehen und Erleben, ihr Sein und Gelten, der Zeitung abnimmt. Der Zweifel als die große moralische Gabe, die der Mensch der Sprache verdanken könnte und bis heute verschmäht hat, wäre die rettende Hemmung eines Fortschritts, der mit vollkommener Sicherheit zu dem Ende einer Zivilisation führt, der er zu dienen wähnt. (Kraus 21954: 436)

c. Die Verbreitung des Sprach- und Bildungsverfalls durch die Presse Neben jenen Autoren des dritten Zeitraums, die die Presse als Quelle eines vermeintlichen Sprach-, Bildungs- und/oder Gesellschaftsverfalls betrachten, finden sich zahlrei-

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che Diskursteilnehmer, die diesen in der Bewertung der Presse als gefährliches Medium zwar zustimmen, die Zeitung jedoch weniger als Quelle denn als Antriebskraft gewisser sprachlicher Entwicklungen erachten. Zwar empfinden diese Diskursteilnehmer, dass „man nämlich nicht wohl daran [thut], die Zeitungen fast allein als Stilverderber anzusehen und immer gerade ihre Sprachsünden an den Pranger der Öffentlichkeit zu stellen“ (Sosnosky 1894: VIII), stimmen aber jenen – wie beispielsweise Wustmann oder Nietzsche – zu, dass „sie in dieser Hinsicht nicht unschuldig seien […], daß sie, weil sie mehr gelesen werden als alles andere, viel zur allgemeinen Sprachverderbnis beitragen“ (Sosnosky 1894: VIII). Anders als jene Diskursteilnehmer, die die Presse als Quelle allen (sprachlichen) Übels sehen, greifen Autoren wie bspw. Sosnosky die Journalisten nicht wegen ihres vermeintlich geringen Bildungsstandes oder ihrer schriftstellerischen Motivation an, sondern scheinen sie vielmehr wegen ihrer Arbeitsumstände zu bedauern und zu verteidigen. Daraus, dass die Arbeit des Journalisten […] umfangreich und schwer [ist]“ (Wildenbruch in Bulthaupt 1891: 45), entstehe erst „die eintönige Gleichmäßigkeit im Denken, die noch schlimmere Uebereinstimmung im Ausdruck, der furchtbare Zeitungs-Stil, kurz, um es mit einem Worte zu bezeichnen, die Schablone“ (Wildenbruch in Bulthaupt 1891: 46). So werden die mehrfach erwähnten Produktionsbedingungen der Zeitung wie die Arbeitsweise der Journalisten, die sich nicht zuletzt daraus ergeben, dass die Presse ein kommerziell orientiertes Unternehmen ist, das innerhalb kürzester Zeit mit den geringsten Mitteln einen höchstmöglichen Gewinn erzielen muss, eher als Entschuldigung für einen vermeintlich schlechten „Zeitungsstil“ (Sosnosky 1894: 180) denn als Anklage aufgeführt: Aber man erwäge nun auch, mit welcher Hast sie geschrieben werden, geschrieben werden müssen; man sehe nur das Riesenformat an, das einigen Zeitungen eigen ist, […] und bedenke nun, daß diese wörterverschlingenden Spalten in wenigen Stunden gefüllt sein müssen, daß alles, was heute abend geschieht, morgen früh schon schwarz auf weiß, und wenn möglich, in allen Einzelheiten, dazustehen hat. Darf man unter diesen Umständen von einem Journalisten verlangen, daß er in seinen so zu sagen mit Dampf geschriebenen Artikeln die Worte wäge und den Stil feile? Ein guter Stil braucht Zeit, viel Zeit; die aber hat der Tagesschriftsteller nicht, und so darf man sich weder darüber wundern, noch ihm einen schweren Vorwurf machen, wenn er mitunter eine Sprachsünde begeht. (Sosnosky 1894: VIIIf.)

Hat bereits im zweiten Untersuchungszeitraum Kürnberger als einer der ersten Diskursteilnehmer erkannt, dass „Journale […] nun einmal anders sprechen [müssen] als Bücher“ (Kürnberger 1866: 29), da sie ihren spezifischen Zielsetzungen, Produktionsund Rezeptionsbedingungen gerecht werden müssen, so steigt die Zahl der Autoren, die diese Einsicht teilen im letzten Untersuchungszeitraum deutlich an. Nicht allein in Texten, in denen die Betrachtung und Beschreibung von ‚Presse und Pressewesen‘133 den Rahmen bildet, sondern auch in jenen, die die Bedeutung der Presse im Rahmen sprachpflegerischer/sprachkritischer oder sprachbeschreibender/sprachhistorischer Fragen betrachten, werden sprachliche Besonderheiten der Presse zunehmend auf die spe133

Vgl. Kapitel IV.

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zifischen Produktionsbedingungen des Massenmediums zurückgeführt. Diesen „Zeitungsstil“ (Sosnosky 1894: IX) heißen die meisten der Autoren zwar nicht gut, kommen aber zu dem Schluss, dass „man ihn […] entschuldigen [muß]“ (ebd.), denn infolge ihres großen Zeitmangels und wohl auch etwas aus Bequemlichkeit haben sich die Tageschriftsteller einen gewissen Vorrat an Wörtern, Wendungen und Phrasen aufgespeichert, um im Falle des Bedarfes das Nötige sofort zur Hand zu haben. Dieser Vorrat hat sich allmählich vergrößert und ist zum Gemeingute der ganzen deutsch schreibenden Journalistik geworden. Es ist der sogenannte Zeitungsstil. (ebd.)

Unter „Zeitungsstil“ (ebd.) fassen Diskursteilnehmer wie Sosnosky im dritten Untersuchungszeitraum nicht allein lexikalische und syntaktische Besonderheiten zusammen, die das Medium aufgrund der speziellen sprachlichen wie außersprachlichen Bedingungen herausgebildet hat, sondern auch vermeintliche Fehler oder „Unschönheiten“ (ebd.), die entweder in der Sprache angelegt sind oder anderen Wissensbereichen entstammen. So wird immer wieder „die Inversion nach ‚und‘ und die attributive Stellung des prädikativen Adjektivs“ (ebd.) beklagt, die durch hastige Arbeit nicht entschuldigt werden können und für den Zeitungsstil typisch sind“ (ebd.). Wie bereits in den vorherigen Jahrzehnten und Jahrhunderten wird der Zeitung auch große Schuld bei der Verbreitung von Fremdwörtern zugeschrieben, die von den Diskursteilnehmern gleichermaßen durch die Produktionsbedingungen wie durch die Orientierung an den jeweiligen behandelten Wissensbereichen erklärt wird (vgl. u.a. Riegel 1888; Schmieden 1888, Schwetschke 1888, Linhoff 1888 u.a.). Gleichzeitig räumen einige Zeitgenossen aber auch ein, dass sich die Zeitungen ihrer Sprache angenommen haben. Die Kritik am Sprachgebrauch der Zeitungen habe insofern Gutes bewirkt, als viele Zeitungen sich nun bemühen, ihren sprachlichen Ausdruck zu verbessern und von fremden Einflüssen frei zu halten (vgl. Linhoff 1888: 54f.). Auch üben einige der Diskursteilnehmer, die die Presse nicht mehr als Quelle, sondern als Verbreiterin von „sprachlichen Sünden“ (Lehmann 1878) betrachten, wenigstens zeitweise Selbstkritik. So verweisen sie nicht allein darauf, dass die Presse oftmals – auch von ihnen – zum Sündenbock der Sprach- und Gesellschaftsentwicklung gemacht werde, sondern dass die Veränderungen in der Sprache zu schnell pauschal als „Verfall“ (ebd.) abgewertet würden und die Notwendigkeit des sprachlichen Wandels aufgrund außersprachlicher Bedingungen übersehen werde: Vorgebildet durch die Klassiker des vorigen Jahrhunderts und durch sie verwöhnt, könnten wir leicht in die Versuchung kommen, zu vergessen, daß ein Jahrhundert auch in der Sprache Fortschritte machen muß und auch wirklich macht, und in diesem Vergessen leicht einen einseitigen oder zu strengen Maßstab legen. (Lehmann 1878: 65)

d. Die rettenden Autoritäten Diese Äußerung Lehmanns zeigt, dass die Frage, wie ein vermeintlicher – durch die Presse als Quelle oder Antrieb bedingter – Sprachverfall aufgehalten werden könne, nicht mehr allein durch den Verweis auf die Schriftsteller der Weimarer Klassik als

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einzig gültige Autoritäten beantwortet werden kann. Während Keller noch vermerkt, dass „deren Sprache für die Gegenwart großentheils noch mustergiltig ist“ (Keller 1878: 5), scheint Wustmann – ob der von ihm wahrgenommenen zunehmenden Verdrängung der Literatur durch die Presse – bereits resigniert zu haben, wenn er feststellt, daß noch einmal große Schriftsteller durch ihre Werke bildend auf die Sprache des Volkes einwirkten, wie zur Zeit unsrer Klassiker, ist völlig ausgeschlossen, nicht zuletzt deshalb, weil die Masse die Presse einem guten Buch vorzieht […] der erdrückenden Übermacht der Tagespresse gegenüber würde seine Macht verschwinden wie ein Tropfen im Meere, die Tagespresse macht alle Bücher tot. (Wustmann 1891: 30)

Auch die oben aufgeführte Äußerung Lehmanns impliziert, dass die Klassiker als Autoritäten in sprachlichen Fragen kaum mehr haltbar seien. Dies führt er aber nicht auf die „erdrückende Übermacht der Tagespresse“ (ebd.) zurück, sondern darauf, dass ihre literarisch geformte Sprache nicht den zeitgenössischen kommunikativen Anforderungen der Sprachteilnehmer gerecht werden könne. Gleichzeitig verteidigt er aber auch, dass „leicht ein einseitige[r] oder zu strenge[r] Maßstab“ (Lehmann 1878: 65) durch den Verweis auf die Klassiker gelegt werden könne, dass jegliche Sprachveränderung nur schwer als „Fortschritt“ (ebd.) oder Wandel verstanden werden könne – sei er auch noch so natürlich und notwendig –, da die Klassiker aus innigster deutscher Empfindung und mit treuem Beachten des noch lebendigen, wenn auch in Verkommenheit aller Art gerathenen Volkstones, eine wahrhaft deutsche Sprache von jugendlicher Frische und ursprünglicher Kraft [haben]. (von Wolzogen 1880: 71)

Dass Lehmann zugibt, er und seine Zeitgenossen seien durch die Klassiker „vorgebildet“ (Lehmann 1878: 65) und „verwöhnt“ (ebd.) und könnten nur deshalb schwer sprachliche Veränderungen als notwendig akzeptieren, scheint letztlich die im vorhergehenden Abschnitt getätigte Annahme zu bestätigen, dass sich hinter der Kritik an der Presse und dem durch sie angeregten Sprachwandel das Gefühl der Bedrohung der gesellschaftlichen Stellung und sozialen Daseinsberechtigung, der kollektiven Identität verbirgt. Ausgehend von der Idee, dass sich einzelne Individuen ebenso wie soziale Gruppierungen über gewisse Werte definieren und mit diesen identifizieren, ist anzunehmen, dass bei einem drohenden Ersatz dieser Werte durch andere ihrer Identität die Grundlage entzogen wird. Von demjenigen Medium, das eine Auflösung oder einen Ersatz der eigenen Werte provoziert, geht folglich für das betroffene Individuum/die betroffene Gruppe eine existenzielle Gefahr aus. Werden sich nun einige Diskursteilnehmer einer potenziellen Veränderung der Sprache, eines Wandels des literarischen, schriftstellerischen, kulturellen oder bildenden Verständnisses gewahr, wandeln sich demnach jene Werte, über die sie sich als Individuum oder soziale Gruppe definieren, suchen sie die Ursache dieser Entwicklung, da sie nur so die Möglichkeit haben, die drohende Gefahr eines Identitätsverlustes abzuwehren. Es ist anzunehmen, dass die sich im 19. Jahrhundert zu einem Massenmedium entwickelnde Presse – wie einige Zeitgenossen selbst zugeben – ein geeignetes Objekt darstellt, in welchem die Ursachen für die Entwicklungen zu suchen sind, da sie an ihm offensichtlich werden. Die Presse, die

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

immer mehr Lebens- und Wissensbereiche abbildet, deren Publikum sich stets vergrößert und die stetig an „Übermacht“ (Wustmann 1891: 30), Dominanz oder Autorität in allen Lebens-, Sprach- und Wissensbereichen gewinnt, erscheint den Zeitgenossen folglich als jenes Medium, das entweder Quelle oder Verbreiterin neuer Werte ist. Die Presse wird folglich als existenzielle Bedrohung für die eigene gesellschaftliche Stellung empfunden. Eine Möglichkeit, um diese Bedrohung abzuwehren und die kollektive Identität zu sichern, ist es, die neuen (Sprach- und Bildungs-)Werte gegenüber den alten abzuwerten, um deren Legitimation und somit die eigene Identität zu sichern.134

3.3 Der Wandel der Sprache a. Die Klassiker – zeitgemäße Autoritäten? Finden sich unter jenen Diskursteilnehmern, die die Presse als Quelle oder Verbreiterin eines vermeintlichen Sprach- und Bildungsverfalls betrachten, bereits einige wenige, die teils wehmütig, teils resigniert eingestehen, dass die Klassiker kaum mehr als Autoritäten in sprachlichen Fragen gelten können, so gibt es – laut Wustmann – „in neuerer Zeit eine Richtung, in der Sprachwissenschaft – man nennt sie wohl die naturwissenschaftliche –, die jeden Versuch, in die ‚natürliche Entwicklung der Sprache einzugreifen‘, für unberechtigt hält“ (Wustmann 1891: 28) und die Auferlegung einer an den klassischen Werken und Schriftstellern orientierten Norm begründet ablehnt. Dass „die grossen Männer der Vergangenheit […] in sprachlichen Einzelheiten für uns Nachlebende nicht mehr Vorbild sein [können]“ (Behaghel 1894: 26), begründen jene Diskursteilnehmer der von Wustmann eher negativ betrachteten „naturwissenschaftlichen“ (Wustmann 1891: 28) Sprachwissenschaft mit sich stetig wandelnden kommunikativen Anforderungen, denen eine Sprache des vergangenen Jahrhunderts nicht nachkommen könne: Es geht nicht an, dass wir nach Verordnungen des vorigen Jahrhunderts leben, uns nach dem Komplimentierbuch richten, das das Benehmen unserer Großväter geregelt hat. Der Lauf eines Jahrhunderts ist lange genug, um in der Sprache recht erhebliche Veränderungen hervorzurufen. Und so ist Lessings Sprache für uns geradezu veraltet. Man kann keine Seite bei ihm lesen, ohne auf ein Dutzend von Wörtern oder Wortfügungen zu stossen, die uns fremd geworden. (Behaghel 1894: 25)

Auch verweisen die Diskursteilnehmer darauf, dass es sich bei der Sprache der Weimarer Klassik um eine literarisch überformte Sprache handle, deren Satzbauten, wie sie Goethe’s und Schiller’s Genie nach alten Mustern in deutschem Stile schufen, […] nicht vom Durchschnittsdenker nachzuahmen [sind], das ist Arbeit der Könige und nicht der Kärrner. (Brunner 1895: 9)

134

Zur Identitätsstiftung durch Sprache vgl. Kapitel II.

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Neben dem Hinweis darauf, dass die Sprache der Klassiker einerseits wegen ihrer literarischen Überformung, andererseits wegen ihres „Alters“ den praktischen kommunikativen Bedürfnissen der Gegenwart nicht gerecht werden könne, suchen Diskursteilnehmer wie bspw. Behaghel oder Brunner auch, die Argumentation jener Zeitgenossen zu widerlegen, die die klassische Literatursprache als Inbegriff der Reinheit und Richtigkeit, den Sprachgebrauch der Zeitungen hingegen als Quelle der Fehlerhaftigkeit verstehen. So stellt bspw. Minor fest, dass vor allem bei den Zeitungen häufig an der sogenannten invertirten Wortstellung des typischen Satzes Anstoß genommen [wird]: „und wurde der Kranke (anstatt: „und der Kranke wurde“) mittelst Einspänners in das allgemeine Krankenhaus gebracht (Minor 1892: 13f.),

dabei aber gänzlich übersehen werde, dass sich diese „sprachliche Erscheinung […] hundertfach bei dem ersten Schriftsteller unserer National-Literatur belegen läßt“ (ebd.).

b. Der Sprachwandel und seine Kritik Jene Diskursteilnehmer, die den Vertretern der Weimarer Klassik grundsätzlich das Vermögen absprechen, als Autoritäten für den zeitgenössischen Sprachgebrauch gelten zu können, fordern – nicht zuletzt als Reaktion auf die polemisch pessimistische Darstellung Wustmanns – einen differenzierten, wissenschaftlichen Zugang zur Sprache und ihrem Wandel unter Einfluss der gesamtgesellschaftlichen und medialen Entwicklungen. Denn eine ganze Menge fleißig gearbeiteter, ehrlich geschriebener und verdienstvoll wirkender Bücher sind gegen Sprachverhunzung, Stilblüthen, Sprachunsinn, Sprachdummheiten u.s.w. bald grob, bald höflich aufgetreten, aber die Mehrzahl der Belehrungsbedürftigen geht Allem aus dem Wege, was das Stigma des Wissenschaftlichen trägt. (Brunner 1895: 3)

Dass sprachliche Fragen „oft mit einer Leidenschaftlichkeit behandelt [werden], wie sie sonst nur bei politischen und wirthschaftlichen Fragen üblich ist“ (Behaghel 1894: 16) führen diese Diskursteilnehmer nicht zuletzt darauf zurück, dass „die Ansichten über sprachliche Dinge geradezu mit der Verschiedenheit des politischen Standpunkts in Zusammenhang stehen“ (ebd.). In diesem Sinne scheint nicht allein in sprachlichen, sondern auch in politischen Fragen für Diskursteilnehmer wie Wustmann „der einzig richtige Standpunkt der konservative“ (Wustmann 1891: 31) zu sein. Die Aussage Behaghels, der zu vermuten scheint, dass sich hinter der kritischen Betrachtung des Sprachwandels eine (gesellschafts-)politische Motivation verberge, bekräftigt die mehrfach geäußerte Annahme, dass sich hinter der Befürchtung eines vermeintlich drohenden sprachlichen wie geistigen Verfalls die eigentliche Angst verbirgt, wegen der vielseitigen zeitgenössischen Umbrüche und dem Wandel der Werte, die Festigkeit der eigenen Identität, die soziale Daseinsberechtigung zu verlieren. Dem gleichermaßen konservativen wie konservierenden Sprachverständnis läge folglich eine ebenso konservative politische Einstellung zugrunde, die jeglichem Wandel abgeneigt ist und – aus

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dem Gefühl der Bedrohung der eigenen Identität und Daseinsberechtigung – das gewohnte Alte durch Ablehnung des unbekannten Neuen zu sichern sucht. Dass das sprachliche wie politische Verständnis nicht zuletzt von dem beruflichen Umgang mit Sprache abhängig ist, führt Behaghel wie folgt aus: Noch heute ist das ein weitverbreiteter Standpunkt namentlich des Schulmeisters, der von seiner festen lateinischen Regel oder von den einfachen Gesetzen des Französischen herkommt. Und das ist auch der Standpunkt des Mannes, der vor kurzem sich zum Gesetzgeber der Sprache aufgeworfen hat, von Wustmann in seinen Sprachdummheiten. Und hier kann man ganz deutlich sehen, wie die Beurteilung der Sprache mit dem politischen Standpunkt zusammenhängt, da der glaubt, was der Grossvater gethan und nicht gethan, besessen und nicht besessen, das sei stets das Bessere gegenüber dem, was die Gegenwart hervorgebracht. Heute wissen wir, dass diese Vorstellung vom Leben der Sprache eine durchaus verkehrte ist [...] hat man jetzt auch die Erkenntnis gewonnen, dass in alten Zeiten genau die gleichen Ursachen gewirkt, die gleichen Vorgänge sich abgespielt und die gleichen Wirkungen sich ergeben haben, wie diejenigen, die wir in den lebenden Sprachen unmittelbar beobachten können. (Behaghel 1894: 19)

Dieses gleichermaßen konservative wie pessimistische Sprachverständnis Wustmanns veranschaulicht Kaerger an einer kurzen Geschichte von einem „Biedermann“ (Kaerger 1892: 3), den er auf einem „Oceandampfer“ (Kaerger 1892: 3) kennengelernt habe und der Petroleum und Gas – das „Neue“ – in seinem Haus verteufelte, während er – nach Gewohnheit und Sicherheit suchend – an dem altbewährten Öl festhielt: An diesen braven Nachtlampenonkel muß ich immer denken, wenn ich die in der Neuzeit geradezu epidemisch gewordenen Wuthausbrüche der deutschen Schulmeister gegen die Neuerungen in unserer Sprache lese. Schröder mit seinem Kampf gegen den großen Papiernen machte den Anfang. Aber was er schimpfte, war nur ein leises Grollen gegenüber dem Donnerwetter, das Wustmann über die Sprachneuerungen, über all das wüste Unkraut von neuen Formen und neuen Wörtern hereinbrechen ließ. (ebd.)

Dass Wustmann ein derartiges „Donnerwetter […] über all das wüste Unkraut […] hereinbrechen ließ“ (ebd.), führt Minor (1892) – ähnlich wie Behaghel – auf Wustmanns Beruf als Lehrer zurück, der sich – ob der beruflichen Gewohnheit – nicht davon lösen könne, gegen die Missachtung sprachlicher Regeln streng vorzugehen: Seine Schulbuben sind die Erwachsenen; und wenn er einmal einem Schriftsteller ersten Ranges ein unnöthiges Fremdwort nachweisen kann, dann greift er auch gelegentlich wieder nach dem spanischen Rohr. (Minor 1892: 3)

„Dieser Versuch einer Unterknechtung der deutschen Sprache […] unter die starren Regeln einer todten Grammatik“ (Kaerger 1892: 4) ist in den Augen Kaergers, Behaghels oder Minors aber ein nutzloses Unterfangen, da die Veränderung der Sprache „eine durchaus naturgemäße und darum mit keinerlei Waffen erfolgreich zu bekämpfende Folge unserer geistigen Entwicklung überhaupt“ (Kaerger 1892: 7) sei. Die Vorstellung Wustmanns von einem potenziellen Leben der Sprache und ihrem vermeintlichen Verfall empfinden einige seiner Zeitgenossen folglich als „eine durchaus verkehrte“ (Behaghel 1894: 19). Vielmehr verweisen sie darauf, dass die Sprache

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als Kommunikationsmittel „für all die neuen Gedanken und Anschauungen, die der kulturelle Fortschritt immer von neuem erzeugt, eigene Formen finden muss“ (Kaerger 1892: 10), dass sie aufgrund der sich stetig verändernden kommunikativen Bedürfnisse ihrer Sprecher wandelbar sein muss, dass „ihre Entwicklung in keinem Augenblick stille steht“ (Behaghel 1894: 20). Eben diese Abhängigkeit von den außersprachlichen Entwicklungen, den kommunikativen Bedürfnissen und dem Wandel der Sprache sei auch ein Grund dafür, dass die v.a. von Schröder und Wustmann kritisierte „papierne Sprache“ (Schröder 1888: 68) sich notwendigerweise verbreite, denn „das Wort [erhält heute] nicht mehr im Munde des Volkes, sondern auf dem Papier, durch den Gebrauch der Schriftsteller seine Prägung […]“ (Minor 1892: 6). Wustmann verkenne wie viele andere nicht allein die Notwendigkeit der zunehmenden Dominanz der geschriebenen Sprache in einer Gesellschaft, in der sich der Kommunikationsrahmen zunehmend erweitere, sondern auch, dass „die Sprache der Dichtung ihre Blütezeit hinter sich hat, […] man in Betreff der Prosa ohne Bangen in die Zukunft blicken [darf] (ebd.: 17). Zwar teilen jene Diskursteilnehmer, die nicht von einem Sprachverfall, sondern von einem Sprachwandel ausgehen, nicht die sprachpessimistischen Vorstellungen Wustmanns, sie erachten aber derartige Äußerungen vor allem zu Zeiten des gesellschaftlichen wie sprachlichen Wandels als gänzlich natürlich, denn das Leben der Sprache ist ein ewiger Widerstreit zwischen den Forderungen der Vergangenheit und den Forderungen der Gegenwart; im großen und ganzen gehen alle Sprachveränderungen darauf aus, mit möglichster Kraftersparung möglichst vollkommen den Zweck der Sprache zu erreichen, nämlich die Verständigung zwischen den Menschen. So verwischen sich für die sprachliche Betrachtung die Grenzen zwischen dem, was sprachlich richtig, gebräuchlich, erlaubt, ungebräuchlich oder fehlerhaft genannt wird. Was früher unbedingt tadelnswert gewesen wäre, ist jetzt allgemein anerkannt; vieles, was heute als Sprachfehler erscheint, ist vor Zeiten das einzig Richtige gewesen. (Behaghel 1894: 22)

Vor allem in Zeiten des gesellschaftlichen und sprachlichen Umbruchs, in denen die Diskursteilnehmer leben, scheinen die „Grenzen zwischen dem, was sprachlich richtig, gebräuchlich, erlaubt, ungebräuchlich oder fehlerhaft genannt wird“ (ebd.), noch nicht klar herausgearbeitet zu sein, die Gültigkeit des Alten noch nicht gänzlich zugunsten des noch nicht eindeutig formulierten Neuen aufgehoben zu sein. Derartige Umbruchzeiten bergen folglich ein besonders hohes Potenzial für sprachkritische Betrachtungen in beide Richtungen. In dem Wissen, dass „ihre Wandlungen […] zu allen Zeiten von den Sittenpredigern bekämpft [sind], aber was heute Gegenstand des Spottes, wird morgen geduldet und ist bald gebieterischer Zwang“ (Behaghel 1894: 23), kann Behaghel derart negativen sprachkritischen Äußerungen sogar einen wissenschaftlichen Nutzen abgewinnen für den Forscher späterer Jahrhunderte, [der] weiss einen inneren Zusammenhang aufzuspüren zwischen der äußeren Erscheinung in irgend einer Zeit und den Anschauungen, von denen sie erfüllt war. (ebd.)

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

c. Die Sündenböcke Dass sprachpessimistische Autoren wie bspw. Wustmann vor allem die Zeitungen verantwortlich machen „für die schrecklich um sich greifende Sprachverderbnis“ (Brunner 1895: 5) und den Journalisten als „ein geradezu verworfenes Geschöpf [des] untersten Pfuhl[s] der sprachlichen Hölle“ betrachten (Behaghel 1894: 16), begründen jene Diskursteilnehmer, die von einem Wandel der Sprache ausgehen, damit, dass die Zeitungen Inbegriff des „schlechten“ Neuen seien, die Klassiker hingegen Sinnbild des „guten“ Alten. Die Presse erscheine ihnen somit notgedrungen als Quelle oder Verbreiterin jener neuen Werte, die die alten verdränge. Auch wenn Diskursteilnehmer wie Minor, Behaghel oder Brunner ebenfalls auf die Fehlerhaftigkeit der Presse hinweisen, so machen sie sie nicht für den Sprachwandel verantwortlich. Zwar geben sie zu, dass auf den ersten Blick die Masse der Gebilde, die bei diesen und anderen Sündern Anstoss erregen, […] schier unübersehbar [ist]; zahllos […] die Dornen, die Nesseln und Schmarotzerpflanzen [sind], die auf der Wortheide erwachsen. (Behaghel 1894: 17).

Die aufgeführten Fehler ließen sich aber für den Sprachwissenschaftler als „Botaniker“ (ebd.) „in wenig große Klassen“ (ebd.) zusammenfassen und darauf zurückführen, dass für diese „Wörter oder Wortformen oder Wortverbindungen, deren Anwendung zweifelhaft oder bestritten ist“ (ebd.), noch keine einheitliche Regelung gefunden werden konnte, da man sich in einer „Zwitterzeit“ (Börne 1819: 780) zwischen Altem und Neuem bewege. Im Ganzen aber sind auf diesem Gebiet die Zweifel und Verstösse im Verhältnis nicht sehr zahlreich; teilweise deshalb, weil auf solche ganz elementaren Dinge besonders leicht der Grammatiker sein Augenmerk richtet und allezeit nach Kräften hier feste Regeln zu schaffen versucht. (ebd.).

Nicht allein eine fehlende Norm führe zu häufigeren Fehlern in Zeitungen, sondern auch das „durch das Leben von heute und seine fieberhafte Eile hervorgerufene Streben, kurz, knapp, bezeichnend […] zu sein“ (Brunner 1895:5), das in dem wichtigen und schweren Beruf des Journalisten, „dem es im Drange des Augenblicks selten vergönnt ist, der Vollendung der Form sich zu widmen“ (Behaghel 1894: 27), seinen deutlichsten Ausdruck finde. Vor allem fordern die Diskursteilnehmer aber, deutlicher zwischen dem literarischen und dem journalistischen Schaffensprozess zu differenzieren und auch die unterschiedlichen Funktionen literarischer und journalistischer Arbeit in die Betrachtungen mit einzubeziehen, denn es scheint mir doch unbillig, an das, was nicht bloß von einem Tag auf den andern, sondern oft genug von einer Stunde auf die andre geschrieben wird, den strengen Maßstab anzulegen, der dort am Platz ist, wo nach Wustmann’s Rat das Geschriebene nach vierzehn Tagen wieder vornehmen kann. (Minor 1892: 16)

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Obwohl einige Diskursteilnehmer lobend bemerken, „dass in den leitenden Artikeln unserer grossen Zeitungen nicht selten ein mustergültiges Deutsch zu lesen steht“ (Behaghel 1894: 27), streben sie doch an, dass „auf unsere Schriftsprache hauptsächlich hervorragendes Schrifttum Einfluss üben muss“ (ebd.), das sich nicht durch Flüchtigkeit oder Fehlerhaftigkeit auszeichnen solle, sondern durch eine „künstlerische Gestaltung [des] Stoffes“ (ebd.).

3.4 Presse- und Öffentlichkeitssprache a. Die Presse – Das „Aschenbrödl“135 der Forschung Haben die bisherigen Betrachtungen des dritten Untersuchungszeitraums ergeben, dass jene Schriften deutlich zunehmen, die die Presse im Rahmen eines konservativ-pessimistischen Sprachverständnisses verantwortlich für einen vermeintlichen Sprachverfall machen, so finden sich analog zu dieser Zunahme der sprachkritischen Schriften auch deutlich mehr medientheoretische/-kritische Dokumente als in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen, die sich der objektiven Beschreibung des Pressewesens, seiner sprachlichen wie gesellschaftlichen Vorzüge und Nachteile widmen (vgl. Tab. 8, S. 116 und Abb. 6, S. 116). Diese entstehen – wie jene sprachbeschreibenden Schriften, in denen die Diskursteilnehmer die Bedeutung der Presse im Rahmen ihrer Überlegungen zum zeitgenössischen Sprachwandel besprechen – zumeist als Reaktion auf jene polemischen Kritiken der „Sprachpessimisten“ und suchen in ihrer differenziert wissenschaftlichen Betrachtungsweise durch „die objektive Feststellung von Tatsachen und Zusammenhängen“ (Löbl 1903: VI), die Presse und ihre Sprache in ihrer Wechselwirkung zu den gesamtgesellschaftlichen wie -sprachlichen Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Vor allem zwei Diskursteilnehmer – der Journalist Emil Löbl und der unter dem Pseudonym J. Sabin schreibende Josef Silbermann – beklagen, dass das „Zeitungswesen […] stets ein Aschenbrödl der Forschung [war] und […] nur wenige Schriftsteller zu locken gewußt [hat]“ (Löbl 1903: 1) und dies, obwohl die Zeitung geistige Macht allerersten Ranges [ist], die in einem kaum zu übersehenden Ausmasse das Denken und Empfinden, die Taten und die Geschicke der Völker beeinflusst[…]. Die Presse, dieses große Werkzeug intellektueller Bewegung, dieser Akkumulator aller geistigen Kräfte, dieser Führer und Verführer der Völker, der Segen und die Geisel unserer Zeit, ein Bannerträger der Wahrheit und ein Vorkämpfer der Lüge, ein Faktor sittlicher Erhebung und ein Stachel niedriger Triebe, – die Presse mit ihren tausendfältigen Funktionen und Einflüssen hat nur wenige Geschichtsschreiber, noch weniger Dogmatiker gefunden, die sich ihrem Studium gewidmet haben. (Löbl 1903: 1)

Vielmehr sei die Betrachtung der Presse geprägt durch eine „superiöse Verachtung“ (Löbl 1903: 5) der Gelehrtenwelt, bestünde in „eingewurzelten Vorurteilen, an denen

135

Vgl. Löbl (1903: 1).

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jede Argumentation zerschellt, und die Erörterung wird mit einer Leidenschaftlichkeit geführt, die keine mittlere Meinung, sondern nur Extreme kennt“ (Löbl 1903: 6). Diesen „Extremen“ (ebd.) möchten die Diskursteilnehmer, die an die Überlegungen der „Vorreiter“ pressewissenschaftlicher Betrachtungsweisen – Börne und Kürnberger – anknüpfen und diese weiter differenzieren, die fehlende „mittlere“ (Löbl 1903: V) Meinung hinzufügen und den „Versuch einer systematischen und kritischen Darstellung des modernen Zeitungswesens“ (ebd.) unternehmen. Um ihr Ziel, die „Stellung der Presse im Kulturleben der Gegenwart zu bestimmen und die zahllosen Ausstrahlungen ihrer Wirksamkeit zu verfolgen“ (ebd.), sollen die Argumente ihrer sprachpessimistischen „Kontrahenten“ aufgegriffen und widerlegt werden. Es sollte die parteimässige, oft pamphletistische Behandlung, die dem neuzeitlichen Presswesen vielfach zuteil wird und bei welcher gerade seine wichtigsten Seiten ausser acht bleiben, durch eine abstrakte, der Tendenz entrückte und leidenschaftslose Betrachtung ersetzt werden. (ebd.)

In ihrem Bestreben einer „entrückte[n] und leidenschaftslose[n] Betrachtung“ (ebd.) versuchen die Diskursteilnehmer auch, jene „parteimässige, oft pamphletische Behandlung“ (ebd.) des Pressewesens nachzuvollziehen. So scheint bspw. Löbl durchaus Verständnis für jene Überzahl der Diskursteilnehmer zu haben, die dem Pressewesen vorwirft, die Bildung der Menschen zwar hinsichtlich der Breite oder Quantität zu erweitern, sie hinsichtlich der Tiefe oder Qualität aber zu mindern. Dass „in manchem feineren Geiste eine bis zum Hass und Verachtung gesteigerte Abneigung gegen Journallektüre sich entwickelt hat“ (Löbl 1903: 56), führt Löbl auf ein elitäres Verständnis von Bildung zurück. In diesem Sinne hänge die geistige Stärke einer Gemeinschaft von der tiefgründigen Bildung einer kleinen Minderheit ab, die durch die Teilhabe der Massen am Bildungsbestreben an Qualität aber verliere. So empfindet Löbl den Vorwurf Eduard von Hartmanns (1885: 177) „eine Übertreibung“ (Löbl 1903: 56), dass die Presse einen Zeitdiebstahl […] an der Menschheit begehe, der proportionell dem Umfange der Blätter wachse und nachgerade bereits in bedenklicher Weise das Bildungsniveau der gebildeten Klassen herabzudrücken drohe, ohne das der niederen Klassen entsprechend zu heben (ebd.)

Dass aber „solche Anschauungen in weiten Kreisen der Intellektuellen verbreitet sind, gibt zu denken“ (ebd.) und verdeutlicht nur die Notwendigkeit, über das „neuzeitliche Pressewesen […] durch eine abstrakte, der Tendenz entrückte und leidenschaftslose Betrachtung“ (Löbl 1903: V) aufzuklären. a.1 Die Funktionen der Zeitung und ihre sprachliche Realisierung Um seinem Vorhaben einer wissenschaftlich „objektive[n] Feststellung von Tatsachen und Zusammenhängen“ (Löbl 1903: VI) gerecht zu werden, unternimmt Löbl zunächst einen Versuch, die Presse genauestens zu definieren und hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Funktionen zu betrachten. Auffällig ist hierbei, dass er die Presse eindeutig vom Buch abzugrenzen versucht.

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Während die Mehrzahl aller Diskursteilnehmer einen direkten Vergleich der Zeitung mit dem Buch vornimmt, der Zeitungsproduktion jene Regeln des literarischen Schaffensprozesses auferlegt, beachtet Löbl, dass sich Zeitung und Buch in ihren Funktionen und Zielsetzungen grundlegend unterscheiden und daher auch unterschiedlich untersucht und beurteilt werden müssen. Da Löbl darin, dass die Zeitung „mannigfaltige, verschiedenartige Objekte in den Kreis ihrer Betrachtung zieht […], das unterscheidende Merkmal gegenüber dem Buche“ (Löbl 1903: 19) sieht, kommt er nicht wie die meisten anderen Diskursteilnehmer zu dem Schluss, die Zeitung sei dem Buch in ihrer inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung nicht gewachsen, sondern impliziert vielmehr, dass sich beide Medien nicht miteinander vergleichen lassen. Im Gegensatz zum Buch versteht er die Zeitung als eine in regelmäßigen Zeitintervallen erscheinende, durch mechanische Vervielfältigung allgemein zugänglich gemachte Publikation von kollektivem, mannigfaltigem Inhalte, der durch Allgemeinheit des Interesses gekennzeichnet, sowie den Ereignissen und Zuständen der unmittelbaren Gegenwart geschöpft ist. (Löbl 1903: 21)

Aus diesen Überlegungen leitet Löbl drei zentrale Funktionen der Zeitung, nämlich die referierende, die Funktion der Nachrichtenvermittlung […], die räsonierende und propagandistische (Kritik, Meinung und Urteil) […], die Funktion der Publizitätsvermittlung (Inserate, Annoncen). (Löbl 1903: 44)

und fünf „begriffliche Merkmale der Zeitung“ (Löbl 1903: 104) ab, die Periodizität und Einheitlichkeit des Unternehmens […], Allgemeinheit des Interesses […], Aktualität […], Kollektivität des Inhaltes […], Absicht der Publizität und daher allgemeine Zugänglichkeit durch mechanische Vervielfältigung. (ebd.)

In dieser Definition erscheint die Zeitung gleichermaßen als Ausdruck wie als Ergebnis einer „eminent politische[n] und soziale[n]“ (Löbl 1903: 24) Zeit, in der jeder die Möglichkeit einfordert, am öffentlichen Leben teilzuhaben, gleichzeitig aber die „Gesamtinteressen vorwalten“ (Löbl 1903: 25). Immer tiefer versinkt die Menschheit in die Knechtschaft der „grossen Zahl“, die man öffentliches Leben nennt, immer größer wird der Einfluss der Massentriebe, der Massenintelligenz, der Massengeschicke auf das Leben des Einzelnen. Die Tagespresse aber ist das angemessene Werkzeug des modernen Massenwesens. (Löbl 1903: 25)

Jegliche Empörung einzelner Geister gegen dieses dumpfe Massenwesen […], Nietzsches Aufschrei […], jeder Versuch, der Persönlichkeit ihr Recht zu schaffen und den Weg zum Selbsttum, zu einem veredelten Egoismus zu finden (ebd.),

erscheinen Löbl als vergebens, da sich die Gesellschaft und ihre „Werkzeuge“ (ebd.) weiterentwickelt haben und jene Epochen, „in denen schöngeistige Interessen, die reinen Freuden der Form und des ästhetischen Genusses vorwalteten“ (Löbl 1903: 22) – wie sie beispielsweise Nietzsche einfordert – unwiderruflich der Vergangenheit angehö-

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

ren. Da sich die Zeitung in Wechselwirkung mit den soziopolitischen Veränderungen entwickle, sie „Werkzeug des modernen Massenwesen ist“ (Löbl 1903: 25), seien demnach jegliche Forderungen ihrer Kritiker unzeitgemäß, die auf Ideen und Ideologien vergangener Epochen beruhen. Verhaftet in den Ideen und Ideologien vergangener Epochen, müssen den Kritikern wie beispielsweise Nietzsche oder Schopenhauer die auf die Anforderungen einer politisch-sozialen Gesellschaft abgestimmten „begrifflichen Merkmale der Zeitung“ (Löbl 1903: 104) und die sich aus diesen ergebenden „elementaren Regeln der journalistischen Praxis“ (ebd.) fremd und somit kritikwürdig erscheinen. Dass sich die meisten Kritiker der Zeitung von nicht mehr zeitgemäßen Ideologien leiten lassen und Maßstäbe legen, die den Merkmalen und Funktionen der Presse nicht gerecht werden, verdeutlicht Löbl vor allem in der Betrachtung der Formgebung der Zeitung. Hier sieht er sich zunächst gezwungen, den vor allem von Schopenhauer geprägten Begriff ‚Zeitungsstil‘ zu besprechen. In seinen Überlegungen, „dass es im grossen und ganzen keinen besonderen journalistischen Stil gibt, sondern dass die journalistische Praxis den allgemeinen Regeln der schriftstellerischen Produktion unterworfen ist“ (Löbl 1903: 113), und dass das, „was verächtlich Zeitungsstil genannt wird, […] der schlechte Zeitungsstil [ist]“ (ebd.), stützt Löbl die oben aufgeführten Untersuchungen der zentralen Begrifflichkeiten im Diskurs. Diese zeigten nicht zuletzt, dass mittels der Stigmawörter „Zeitungsstil“ oder „Zeitungsdeutsch“ eine negativ besetzte Heterogenität hervorgehoben wird, die keine Zweifel an der bedrohlichen Wirkung der Zeitung für Sprache und Stil aufkommen lässt.136 Löbl kommt zu dem Schluss, dass dieser „schlechte Zeitungsstil […] nicht der Stil“ (Löbl 1903: 113) sei, der dem Begriffe der Zeitung naturnotwendig anhaftet. Grammatikalische und syntaktische Verstösse, saloppe Satzbildungen, gedankenlose Wortfügungen, übel angebrachtes Pathos, schlecht gewählte Bilder, Gewundenheit und Verdrehtheit des Ausdruckes – diese und andere Merkmale kommen freilich bei der Zeitung häufig vor, aber sie gehören nicht notwendig und wesentlich zum Journalismus. […] Das Wort Zeitungsstil, meist im verächtlichen Sinne gebraucht, kann man gerechterweise nur in einem Sinne gelten lassen: unter den verschiedenen Stilarten nämlich, die sich im Gebiete der allgemeinen Literatur finden, eignen sich einzelne ganz besonders für die Zwecke der Zeitung und werden deshalb von ihr mit Vorliebe benützt. (Löbl 1903: 113)

Besteht ein zentraler Zweck der Zeitung darin, ihre vielfältigen Inhalte einem differenzierten Publikum in kürzester Zeit zu vermitteln – muss sie also den Funktionen der Publizität, Universalität und Periodizität gerecht werden –, so müsse der Journalist vor allem „auf die berechtigten Bequemlichkeiten des Lesers Rücksicht nehmen“ (Löbl 1903: 115), aber auch die eigenen Produktionsbedingungen – den Zeitdruck – beachten. So bestehe die Aufgabe der Zeitung i.G. zum Buch nicht darin, wenige Themen ausführlich und tiefgründig zu bearbeiten, sondern sie

136

Vgl. Kapitel VI.

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schwimmt auf der Oberfläche des Lebens, schöpft nur den Schaum ab, hat nicht die Zeit, auch nicht die Aufgabe, in die Tiefe zu dringen, denn ihre Leser wollen nicht, können nicht morgens, mittags, abends in die Tiefe tauchen und darin verweilen. Daher die Flachheit der Zeitungssprache, ihre Vorliebe für die Begriffsschablone, die Ausdrucksformel. (Engel 1911: 444)

Hat Kürnberger im zweiten Untersuchungszeitraum bereits bemerkt, dass die Zeitung „stets neu, stets interessant, stets wachsam, wichtig und alarmierend, wie sie ist, sein muß und sein will, […] die Sprache der Aufregung [spricht]“ (Kürnberger 1866: 28), so verweist Löbl einige Jahrzehnte später darauf, dass dem Journalist nicht allein die Aufgabe zu Teil werde, „zum Volke in einer allgemein verständlichen Sprache zu sprechen“ (Löbl 1903: 121), sondern vor allem Interesse bei einem Leser zu wecken, der durch tausendfältige andere Interessen in Anspruch genommen ist und sich der Zeitungslektüre nur als flüchtige Aufmerksamkeit einer freien Stunde zuwendet. Darum muss beim Journalisten die Art zu schreiben auf ein rasches und leichtes Geniessen berechnet sein, er muss es verstehen, das Gebotene möglichst mundgerecht zu machen und alles zu vermeiden, was eine leichte, glatte, flüssige Lektüre behindert. (Löbl 1903: 115)

Auch Engel schließt sich dem an, wenn er vermerkt, dass, um das Interesse des viel beschäftigten Lesers zu erwecken, „der Zeitungsstil lebendiger, daher fesselnder ist“ (Engel 1911: 442), was „von den Schreibern des unlebendigen, daher langweilige Stils als Zeichen seiner Minderwertigkeit gedeutet“ werde (ebd.). Die Zeitung lebt vom Augenblick und für ihn, die Zeitung von gestern ist wie der Schnee vom vorigen Jahr. Der Zeitungsschreiber muß mit der Gegenwart geizen, auf die Gegenwart wirken, den Leser packen, – nicht für lange, nur für die paar Minuten des Lesens, mehr verlangt ja der Leser nicht. Dies erreicht er, da die Ergebnisse selbst nicht immer aufregend sind, vornehmlich durch den aufgeregten Stil. Die Zeitungssprache lebt vom Steigern, ja Übertreiben! (Engel 1911: 443)

Auch stimmt Löbl den Ausführungen Kürnbergers zu, dass die Zeitung, „die mit der ganzen Mitwelt mitleben, und um Einfluß zu haben, auf gutem Fuß mit ihr stehen muß […], die Sprache der Schonung, der Höflichkeit“ (Kürnberger 1866: 28) sprechen muss, und sich Ausfälle wie jene Schopenhauers nicht erlauben dürfe, denn aus dem Gebot sorgfältiger Toilette ergibt sich zunächst die grundsätzliche Ausschliessung alles Rohen und Pöbelhaften. Auch hier können wir abschreckende Beispiele aus unserer besten Buchliteratur sammeln. Man mag Schopenhauer als Gelehrten und Stilkünstler die gebührende Verehrung zollen; aber seine Polemiken, die von Ausdrücken wie Gauner, Lump und Hundsfott strotzen [...], werden in jedem feiner empfindenden Leser ein Gefühl tiefen Widerwillens hervorrufen. Was den großen Schopenhauer verunziert, ist dem Tagesschriftsteller um so strenger verwehrt. (Löbl 1903: 129)

a.2 Die Verantwortlichkeit für die Journalisten In den Augen Löbls verkennen die Kritiker der Presse nicht allein die Funktionen, Merkmale und Ziele der Zeitungen, von denen die sprachliche wie inhaltliche Gestal-

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

tung der Presse abhängig sei, sondern auch die journalistische Praxis, so dass „Zeitungswesen und Zeitungsleute inmitten eines tollen Wirbels parteimässiger und leidenschaftlicher Beurteilungen [stehen]“ (Löbl 1903: 173). Als Ursache der sozialen Abwertung des journalistischen Berufes erachtet Löbl „die Vergänglichkeit seiner Produktion […]. Seine Angehörigen arbeiten aus dem Tag für den Tag, seine Erzeugnisse vergehen und verwehen mit dem Tage“ (Löbl 1903: 183). „Hierin erblicken die Vertreter anderer geistiger Berufe“ (ebd.), die in einem idealistischen Verständnis von einem Schriftsteller verhaftet seien, der der Sache und keinesfalls des Geldes wegen schreibe (vgl. Schopenhauer 1851b: 616), sich in tiefgründigen Studien nicht „Eintagsinteressen“ (Hildebrand 1867: 115), sondern „den ewigen Anliegen der Menschheit“ (ebd.) widme, „den Rechtstitel, auf die publizistische Tätigkeit herabzublicken“ (Löbl 1903: 183). Um die gesellschaftliche Stellung des Journalisten zu bessern und auch dem Vorwurf entgegenzuwirken, dass sich „zum Zeitungsgewerbe […] alles [drängt], was anderwärts Schiffbruch gelitten hat“ (Wustmann 1891: 16), plädiert Löbl dafür, „die Ausübung des publizistischen Berufes von einem vorgezeichneten Bildungsgange abhängig zu machen“ (Löbl 1903: 203) und Vorbildern wie Professor A. Koch an der Heidelberger Universität zu folgen, „der zuerst Vorlesungen über Presswesen, dessen Geschichte und Entwicklung, Organisation und Praxis eröffnete und hiermit auch praktische Übungen verband“ (Löbl 1903: 208). Ein solcher Unterricht hätte nicht bloss unmittelbar praktischen, sondern auch einen ansehnlichen ideellen Wert. Das Studium der inhaltreichen Geschichte des europäischen Presswesens würde den angehenden Publizisten darüber aufklären, welche weithin ragende Stellung das Presswesen im Leben der modernen Völker einnimmt, würde ihm die Bedeutung, aber auch die hohe Verantwortung des publizistischen Amtes klarmachen. (Löbl 1903: 211)

a.3 Die geistige Wirkung der Presse Dass Löbl sich der ausführlichen Betrachtung des Pressewesens widmet und – um das gesellschaftliche Ansehen der Presse und ihrer Verfasser zu steigern – Ausbildungsmöglichkeiten für Journalisten fordert, begründet er selbst damit, dass er im Pressewesen „eines der wertvollsten Werkzeuge der Volkserziehung erblickt“ (Löbl 1903: 173). Im Gegensatz zu den meisten Diskursteilnehmern aller Untersuchungszeiträume spricht Löbl der Presse „unter allen Bedingungen des Fortschritts eine höchst markante Stellung“ (Löbl 1903: 215) zu, denn erst durch die Presse ist die gewaltsame Unterdrückung der Idee, dieses gefährlichste Hemmnis kulturellen Fortschrittes, dauernd unmöglich geworden. Die Presse ist das stärkste Bollwerk der Freiheit des Denkens, die Habeaskorpusakte des menschlichen Geistes. (ebd.: 216)

Ähnlich wie einige Kritiker des ersten Untersuchungszeitraums geht Löbl folglich davon aus, dass allein durch die Presse die Möglichkeit gegeben werde, den geistigen Austausch, die Teilhabe aller an öffentlichen Themen zu fördern. Gleichzeitig teilt er aber auch die Bedenken vieler Kritiker, dass

Die Presse (ab 1870)

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durch die Presse die Denkfähigkeit und Selbständigkeit der Leser beeinträchtigt wird […], als das Urteil der Tageszeitung bei der ausserordentlichen Raschheit, mit welcher es geschöpft und formuliert werden muss, naturgemäss nicht immer ein gründliches sein kann. (Löbl 1903: 219)

Wie ein Großteil der Diskursteilnehmer der drei Zeiträume beschäftigt sich auch Löbl mit dem Einfluss der Presse auf die „Volksbildung“ (Löbl 1903: 235) und das Buch als Bildungsmedium, unterscheidet hierbei aber zwischen ihrer Wirkung auf „gebildete Volksklassen“ (ebd.) und auf „die große Mehrheit der Bevölkerung“ (ebd.). Seines Erachtens ist der häufige Vorwurf der Zeitungskritiker, „dass die Zeitung dem Buche die Leser und die Leser dem Buche entfremdet, nur insoweit berechtigt, als man die gebildeten Volksklassen ins Auge fasst“ (ebd.). Allein auf ihre Bildung, könne „das Monopol der Zeitung in der Lektüre“ (ebd.) negativ wirken, insofern bei ihnen – wie Nietzsche bereits feststellte – die „Erweiterung und Verminderung der Bildung […] sich hier die Hand [reichen]“ (Nietzsche 1872: 194). Konzentrieren sich auch die „gebildeten Volksklassen“ (ebd.) nicht (mehr) auf das Studium der Bücher, die sich i.R. nur mit einem Thema tiefgreifend auseinandersetzen, so werde ihre bislang tiefgründige Bildung (mehr) durch die breite, oberflächliche Bildung aus der Zeitung ersetzt. Für „die breite Masse“ (ebd.) erachtet er die Zeitung aber als einen „Segen“ (ebd.), denn die große Mehrheit der Bevölkerung würde ohne Zeitung überhaupt nicht lesen, sie würde, sobald die Schuljahre zu Ende sind, jede weitere Fortbildung vernachlässigen und bestenfalls sich der niedrigsten Sorte von Romanliteratur hingeben, die weit schlimmer ist als gar keine Lektüre. […] Es ist gut, dass das Volk die Zeitung liest, nicht nur wegen der Zeitung, sondern wegen des Lesens. Würde es keine Zeitung lesen, so würde es zumeist das Lesen – verlernen. (Löbl 1903: 235f.)

Auch Weise schätzt in einem späten Werk die Zeitungen als „die wichtigsten Träger der neueren Kultur“ (Weise 1899: 89) ein, in der Bildung nicht mehr nur für eine Elite zugänglich sei, sondern von den breiten Massen angestrebt werde. In allen Familien trifft man sie an, ja sie bilden den oft einzigen Lesestoff, der neben Bibel, Gesangbuch und Kalender in den Wohnungen von Kleinbauern und Arbeitern vorhanden ist. Sie wirken daher aufklärend, verbreiten Wissen, indem sie die Ergebnisse der Denkarbeit führender Geister an die große Masse übermitteln, und helfen erziehen. Sie sind das öffentliche Gewissen, da sie menschliche Handlungen dem Urtheil der Gesamtheit unterbreiten. (ebd.)

Anzunehmen ist, dass andere Diskursteilnehmer wie bspw. Nietzsche, die einen Verlust der Bildung durch die Presse annehmen, sich allein auf die Qualität der Bildung gelehrter Kreise konzentrieren, wenn sie von einer gleichzeitigen Erweiterung und Minderung der Bildung sprechen und das Bildungsbestreben der breiten Masse, das nicht zuletzt die Expansion des Pressewesens beförderte, als dienlich für den – aus ihrer Sicht negativen – Wandel des Bildungsbegriffs betrachten. Löbl hingegen kommt zu dem deutlich differenzierten Schluss, dass der Einfluss des Presswesens auf das geistige Leben der breiten Masse zweifellos ein überwiegend günstiger ist, während die geistig höher stehenden Volksklassen in der Benüt-

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

zung der Presse gewisse Gefahren für ihre intellektuelle Verfassung zu befürchten und zu meiden haben. (Löbl 1903: 239)

b. Die Wechselwirkung zwischen Volks-, Gelehrten- und Zeitungssprache Zielen die zuletzt aufgeführten Überlegungen Löbls zu dem Einfluss der Presse auf die Bildung der Menschen letztlich darauf ab, dass sich die Bildungskluft zwischen der breiten Masse und den „geistig höher stehenden Volksklassen“ (ebd.) schmälert, so stimmt dem auch J. Sabin zu, der sich weniger allgemein – wie Löbl – der „abstrakte[n], der Tendenz entrückte[n] und leidenschaftslose[n] Betrachtung“ (Löbl 1903: V) als vielmehr der Frage widmet Hat die Presse die Sprache des Volkes und der Gelehrten beeinflusst? Oder hat die Sprache des Volkes und der Gelehrten die Sprache der Presse beeinflusst? Oder läßt sich eine Wechselwirkung zwischen diesen drei Elementen nachweisen? (Sabin 1893: 5)

Zur Beantwortung dieser Fragen beschäftigt er sich zunächst mit der Bildung der Journalisten, die er ihnen i.G. zu den meisten seiner Zeitgenossen und Vorgängern nicht abspricht, sie nicht stigmatisiert als „Lohnsudler“ (Schopenhauer 1856–60: 487), „gescheiterte Existenzen“ (Wustmann 1891: 16) oder „Lumpe“ (Schopenhauer 1856–60: 486), sondern vielmehr zu dem Schluss kommt, dass der Journalistenstand aus einer „ungemein großen Zahl studierter Leute“ (Sabin 1893: 5) bestehe, die „für den neuen Beruf einen gewissen Fonds äußerlicher Gelehrtenbildung mit[bringen], der sich hauptsächlich als Gelehrtensprache erweist“ (Sabin 1893: 6). Durch die zumeist akademische Bildung der Journalisten dringen laut Sabin Elemente der Gelehrtensprache in die Zeitung ein. So entspringe der häufig kritisierte Satzbau, „jener schwerfällige Periodenbau, jener abstrakte sprachliche Ausdruck“ (Sabin 1893: 6), weniger der „Halbbildung“ (Leixner in Bulthaupt 1891: 16) ihrer Schreiber, sondern er sei eher ihrer (Latein-)Bildung zu verdanken (vgl. Sabin 1893: 6). Auf die akademische Bildung der Journalisten führt Sabin auch die häufig kritisierte Verwendung von Fremdwörtern in den Zeitungen zurück, denn „unser Kanzlei-, Juristen- und Gelehrtendeutsch wies die meisten Fremdwörter auf zu einer Zeit, wo die Presse nicht siebente oder erste Großmacht war“ (Sabin 1893: 33). Seit die Presse aber ihren Leserkreis entscheidend erweitere, habe sie sogar sprachreinigend gewirkt. Da sie gezwungen war, zum deutschen Volke deutlich zu reden, durfte sie nur in beschränkter Anzahl Fremdwörter anwenden, und wirklich thut sie es heute auch nur in geringem Maße. (Sabin 1893: 33)

Sabin bejaht folglich nicht allein, dass die Sprache der Presse durch die gelehrte Bildung ihrer Schreiber beeinflusst sei, sondern auch, dass die Sprache des Volkes Einfluss auf die Presse nehme. Da die Presse „auf breitere Massen wirken, […] dem Volke Belehrung geben, […] es anspornen [will], für die Bestrebungen einer Partei zu wirken, […] es unterhalten [will]“ (Sabin 1893: 6), können die Journalisten ihre Artikel nicht in der ihr vertrauten Gelehrtensprache verfassen, sondern seien „gezwungen, um diese Wirkung ausüben zu können, die Sprache des Volkes zu reden“ (ebd.). Da der Journa-

Die Presse (ab 1870)

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list einen Mittelweg zwischen seiner akademisch geprägten Sprache und der Sprache des Volkes finden müsse, um seiner Aufgabe nachzukommen, eine in ihrer Bildung und ihrem sozialen Status differenzierte Leserschaft zu begeistern und zu mobilisieren, versteht Sabin ihn „als Mittel- und Bindeglied zwischen dem Gelehrtenstande und dem Volke“ (Sabin 1893: 6). Dass die Sprache der Zeitung gleichermaßen durch ihre Schreiber und ihre Leser von der Sprache der Gelehrten wie von der Sprache des Volkes beeinflusst sei, greift auch Engel in seiner Beschreibung des „Zeitungsstils“ (Engel 1911: 442) auf: Der Zeitungsstil, geschrieben von wissenschaftlich gebildeten Männern, hat sich aus dem Stil der Wissenschaft entwickelt, die meisten von dessen groben Lastern abgelegt oder abgeschwächt, dafür aber einige neuere Lästerchen von Berufswegen hinzuerworben. (ebd.)

Laut Sabin wirke aber gleichzeitig auch die Zeitung, dadurch dass sie täglich gelesen werde, auf die Sprache ihrer Leser zurück, jenes Deutsch, das aus dem Gelehrtendeutsch hervorgegangen, sich zu einem den breiten Schichten der Bevölkerung verständlichen Deutsch auswächst. Je allgemeiner das Lesen von Zeitungen wird, einen desto größeren Einfluß hat auch ihre Sprache auf die des Volkes, freilich mehr auf die unteren als die oberen Klassen, nach einer Generation ändert sich die Sprache des Volkes. (Sabin 1893: 6)

Sabins Erkenntnis, dass sich durch den Einfluss der Presse allmählich […] Gelehrten- und Volkssprache [annähern] und die Kluft, die […] zwischen zwei Klassen der Bevölkerung gerissen wird, […] wenigstens in der gemeinschaftlichen Sprache eine schmale Brücke [erhält]. (Sabin 1893: 6),

erinnert an Rückert (1864: 114), der bereits drei Jahrzehnte früher vermerkte, dass die Presse einen entscheidenden Beitrag dazu leiste, dass sich die Sprache demokratisiere, dass „der schriftmäßige Ausdruck durch tausend und aber tausend Adern in Theile des Volkes hinein[dringt], die sonst keine Bücher, als höchstens die Bibel zu sehen bekommen“ (Rückert 1864: 110f.). Ändere sich die Sprache des Volkes nach einer Generation durch den Einfluss der Presse, so werde diese, um weiterhin die gewünschte Wirkung bei ihren Lesern erzielen zu können, auf diese Veränderungen reagieren müssen. Sabin, der sich wie Löbl deutlich weniger polemisch als die meisten Diskursteilnehmer, sondern vielmehr objektiv beschreibend der Untersuchung der Presse und ihrer sprachlichen Wirkung widmet, weist letztlich also die angenommene „Wechselwirkung zwischen den drei Elementen“ (Sabin 1893: 5) nach, die in detaillierterer Form bereits oben137 erläutert und grafisch (vgl. Abb. 2, S. 101) dargestellt wurde. Dass sich Volks- Gelehrten- und Zeitungssprache wechselseitig beeinflussen, begründet Sabin aber nicht allein durch die Bildung der Journalisten und ihre Orientierung am Sprachgebrauch der Leser, sondern auch durch die inhaltliche Gestalt der Zeitung. 137

Vgl. Kapitel III.

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Da mit den Inhalten verschiedener Wissensbereiche auch deren – zuvor nur einem exklusiven Kreis an fachlich Eingeweihten – Sprachformen Eingang in die Zeitung finden, erscheint es Sabin nicht verwunderlich, „wenn die Presse, die sich vornehmlich mit der Kritik der politischen Gesetzgebung befasst, sich von der Sprache dieser Gesetzgebung selbst beeinflussen ließ“ (Sabin 1893: 30). Wie Börne bereits im ersten Untersuchungszeitraum feststellte, vermerkt auch Sabin, dass die Zeitung nicht allein „Bindeglied zwischen dem Gelehrtenstande und dem Volke“ (Sabin 1893: 6), sondern vor allem zwischen den Wissenschaften und der Alltagswelt sei. Denn die Presse, die sich einer allen verständlichen Sprache bediene, sei von einem beispielhaften Einfluss auf die Belehrung bringenden Männer der Wissenschaft gewesen. Mehr als je bemüht man sich heute gerade in wissenschaftlichen Kreisen „schön“ zu schreiben, um die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung einem größeren Publikum zugänglich zu machen. (Sabin 1893: 12)

Auch Mauthner gesteht, dass „die Wissenschaft […] dadurch erstarkt [ist], daß sie sich der verständlichen, realistischen Sprache des einfachen Reporters zu nähern gezwungen war“ (Mauthner in Bulthaupt 1891: 12). Das Verdienst der Zeitung liege demnach nicht allein darin, die Kluft zwischen den sozialen Klassen durch eine gemeinsame Sprache, sondern auch durch die Verbreitung von wissenschaftlichen Inhalten, von Bildung zu schmälern. Wie Löbl kommt aber auch er nicht umhin, diese Verbreitung von wissenschaftlichen Inhalten, die Erweiterung der Bildung kritisch zu betrachten. So hält er es ebenfalls für bedenklich, dass „in den Zeitungen […] sich eine „populäre“ Wissenschaft immer breiter [macht], die mit der wahren Wissenschaft nichts gemein hat (Sabin 1893: 16), der Laie aber glaube, alles Wissen aus der Zeitung übernehmen zu können, ohne weitergehende Informationen einholen zu müssen. Die Folge dieser quantitativen Erweiterung der Bildung, die schon mehrfach erwähnt wurde, sei eine Minderung der Qualität, der Tiefe der Bildung. Führt Sabin die Wechselwirkung zwischen Zeitungs-, Volks- und Gelehrtensprache, aber auch jene zwischen Zeitungs-, Volks- und Gelehrtenbildung, zunächst im weitesten Sinne darauf zurück, dass die Journalisten gleichermaßen ihrer akademischen Bildung, den zu vermittelnden Inhalten, der Sprache und der Bildung des Volkes gerecht werden müssen, so verweist er im Laufe seines Textes auch darauf, dass nicht zuletzt auch die Produktionsbedingungen, Funktionen und Ziele der Zeitungen zu einer solchen Wechselwirkung beitragen. Zwar vermerkt auch Sabin, dass „falsche Wortbilder, unlogische Satzverbindungen“ (Sabin 1893: 10) sich häufig in den Zeitungen finden und nur selten jene Durchsichtigkeit der Sprache, jene Klarheit des Satzbaus, jene Plastik in der Schilderung von Zuständen und Erscheinungen, die uns Lessing und Goethe in ihren Schriften als teueres Vermächtnis hinterlassen haben. (Sabin 1893: 10)

Er entschuldigt dies aber mit dem Zeitdruck, unter dem die Artikel der Zeitung verfasst werden müssen:

Die Presse (ab 1870)

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Wenn ein des Nachmittags erschienenes Telegramm über Vorgänge in Egypten schon an demselben Tage ein Leitartikel über das Verhältnis der europäischen zu den orientalischen Mächten geschrieben werden soll; wenn sofort nach der Veröffentlichung eines Gesetzentwurfs der Redakteur seinen Lesern in langer Auseinandersetzung klar machen soll, warum der Vorschlag der Regierung zu billigen oder zu missbilligen sei […], so muß die Gründlichkeit dabei einbüßen. (Sabin 1893: 9)

Um trotz des Zeitdrucks der Aufgabe gerecht werden zu können, „nicht blos sensationelle interessante Nachrichten zu bringen, sondern sie auch in sensationell interessante Form [zu] kleiden“ (Sabin 1893: 10), greife die Presse – wie bereits Löbl vermerkte – auf bestimmte Stilarten zurück, „die sich im Gebiete der allgemeinen Literatur finden [und] sich […] ganz besonders für die Zwecke der Zeitung“ (1903: 113) eignen. Da dem Journalisten häufig „die Zeit zum Nachdenken, zum Formen und Umformen fehlt“ (Sabin 1893: 10), er aber dennoch eine große Wirkung auf sein Publikum erzielen müsse, biete sich die Orientierung an einem Bereich an, dessen primäres Ziel ebenfalls in der Überzeugung eines weiten Publikums liege: dem Parlament. So greife der Journalist auf Schlagwörter und Phrasen zurück (vgl. Sabin 1893: 9) und „eignet sich gewisse Wort- und Satzwendungen, die in den Parlamentsreden fallen, gern an, sobald sie geeignet sind, eine Wirkung auf die Masse auszuüben“ (Sabin 1893: 34). Zeigt Sabin, dass sich die Presse in ihrer sprachlichen Gestaltung an anderen Lebensund Wissensbereichen orientiere, so widerlegt er – ähnlich wie Löbl – den häufig getätigten Vorwurf, die Presse sei Quelle eines sprachlichen Verfalls. Wie die Zeitung einige syntaktische oder lexikalische Besonderheiten von Fachbereichen öffentlich mache, sie in den Augen Sabins folglich eher als Spiegel denn als Quelle vermeintlicher Sprachfehler zu verstehen ist, erscheint sie ihm auch nicht als Quelle der „Tendenz […], den Gebrauch der Zeitwörter zu vermindern“ (Sabin 1893: 29), die „von der Sucht, möglichst viele Gedanken in möglichst wenigen Worten auszudrücken“ (ebd.) kommt. Vielmehr sei sie auch hier nur ein Spiegel ihrer schnelllebigen Zeit, deren Kennzeichen es sei, „die Arbeitsleistung möglichst intensiv [zu] gestalten […]. Der Journalist folgt also nur dem Zuge der Zeit“ (Sabin 1893: 29). Als einer der wenigen Diskursteilnehmer kommt Sabin durch seine objektiv beschreibende Betrachtungsweise zu dem Schluss, dass die Presse nicht nur an besondere produktionspraktische, funktionale und kommunikative Bedingungen gebunden sei, sondern sich auch in enger Wechselwirkung zu den gesamtgesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen verändere und diese in besonderem Maße als öffentliches Massenmedium widerspiegle. Obwohl er als einziger Diskursteilnehmer explizit auf eine Wechselwirkung von Zeitungs-, Volks- und Gelehrtensprache und nicht auf eine einseitige Einflussnahme der Presse verweist und sich einer – von Schreibern, Inhalten, Zielen, Funktionen und Lesern – abhängigen sprachlichen Heterogenität bewusst ist138, greift auch Sabin zwischenzeitlich die leidenschaftliche Polemik seiner Zeitgenossen

138

Vgl. Kapitel III.

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

auf. Der leidenschaftliche Ausbruch Sabins richtet sich aber weniger gegen die Presse und ihre Verfasser, sondern eher gegen ihre Kritiker, auf das satte bureaukratische Beamtentum, [das] mit seinem pensionsfähigen Stolze […] auf den jeden Tag neu um sein Brot ringenden Zeitungsschreiber verächtlich herabblicken [mag ] wie der wohlgenährte Rentier auf den schweißtriefenden Straßenkehrer, aber eines ernsten Mannes ist es nicht würdig, die Vertreter eines Berufes zu schmähen, der von der höchsten kulturellen Bedeutung ist. Man scheint sich von der ungeheuren Arbeitskraft und Arbeitslast des Journalisten eine ganz falsche Vorstellung zu machen. (Sabin 1893: 46)

Wegen dieser „höchsten kulturellen Bedeutung“ (ebd.) des journalistischen Berufes ist es ihm auch gelegen, den „Krebsschaden unseres Zeitungswesens“ (Sabin 1893: 16) zu nennen, nämlich das „Hasten und Jagen“ (ebd.), das eine „Schnelligkeit im Denken“ (ebd.) erfordere, der kaum einer gerecht werden könne. Die Ursache dieses „Krebsschadens“ (ebd.) sieht Sabin – hier stimmt er mit der Mehrheit aller Diskursteilnehmer überein – in der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Journalisten begründet, die sich wiederum negativ auf seine soziale Stellung auswirke. Nicht zuletzt da der Journalist gezwungen sei, seinen „Geist, den Verstand, in den Dienst des Kapitalisten zu stellen und die Gedanken ummodeln zu müssen nach der Laune und dem häufig plebejischen Geschmack des Brodgebers“ (Sabin 1893: 47) und er „aus dem Tag für den Tag [arbeitet], seine Erzeugnisse mit dem Tage [vergehen und verwehen], […] erblicken die Vertreter anderer geistiger Berufe den Rechtstitel, auf die publizistische Tätigkeit herabzublicken“ (Löbl 1903: 183). Um die Stellung des Journalisten zu bessern, aber auch um die Gefahr zu mindern, dass in den Zeitungen […] sich eine ‚populäre‘“ Wissenschaft immer breiter [macht], die mit der wahren Wissenschaft nichts gemein hat“ (Sabin 1893: 16), schlägt Sabin – anders als Löbl, der eine journalistische Ausbildung fordert – eine Neuorganisation des Pressewesens vor. So strebt er eine Trennung von Zeitung und Zeitschrift an, in der die Zeitungen […] zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurück[kehren]: sie registrieren nur Thatsachen, d.h. für die ist nur der Reporter und Redakteur thätig. Die Zeitschriften beleuchten viele Thatsachen nach allen Richtungen, und es würde der Sache keinen Eintrag thun, wenn diese Beleuchtung von einem bestimmten Parteistandpunkte vorgenommen würde. Was wäre die Folge einer solchen Teilung? Die Kritik gewänne an Gründlichkeit, und eine bessere Sprache wäre das notwendige Ergebnis. (Sabin 1893: 48)

Hat Sabin in seinen Ausführungen bereits darauf hingewiesen, dass Inhalt und Sprache in einem engen Zusammenhang stehen, so begründet er damit, dass „gerade in der Presse […] Inhalt und Sprache im engsten Zusammenhang [stehen]“ (Sabin 1893: 49), auch, weshalb eine Neuorganisation der Presse sich förderlich auf die Sprache auswirke. Letztlich rekurriert er hier auf die weit verbreitete Vorstellung von einer Wechselwirkung zwischen der gedanklichen und sprachlichen Qualität. Die Trennung von Zeitung und Zeitschrift hätte demnach zur Folge, dass den Journalisten die Zeit gegeben wäre, sich mit den Gegenständen deutlich tiefgründiger auseinanderzusetzen und um einen angemessenen Ausdruck ihrer Gedanken zu ringen. Der Journalist könnte so sei-

Zusammenfassung der Positionen

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nen Geist und seine Sprache deutlich freier entfalten und käme keiner „Maschine“ (Sabin 1893: 19) mehr gleich, da ihm Zeit zum „zum Nachdenken, zum Formen und Umformen“ (ebd.) gegeben wäre. Zwar spricht es Sabin nicht derart deutlich aus wie seine pessimistischen Zeitgenossen, er impliziert aber, dass dies wiederum positive Rückwirkungen auf das Ansehen des Journalismus und seiner Verfasser bei jenen Kritikern haben könne, die ein ideelles Verständnis von einem Schriftsteller haben, der seinen Geist nicht in den Dienst des Geldes oder der „Eintagsinteressen“ (Hildebrand 1867: 115) stellen, sondern sich zur ‚Erlösung vom Augenblick‘ (vgl. Nietzsche 1872: 194) mit den „ewigen Anliegen der Menschheit“ (Hildebrand 1867: 115) befassen solle. Dann werden sie die Macht, die ihnen die Entwicklung der Dinge in die Hand gegeben hat, mit Recht ausüben, und der Journalistenstand wird die Achtung genießen, die ihm nach Ausscheidung der unfähigen Elemente bei seiner geistigen Bedeutung zukommt. (Sabin 1893: 46)

4. Zusammenfassung: Die Zeitungen – Zeugnis und „Maßstab für den augenblicklichen Stand unseres [Sprach- und] Geisteslebens“ Deutlicher als in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen lassen sich im letzten Teilkorpus die Positionen und Gegenpositionen über die sprachliche wie „geistige Bedeutung“ (ebd.) der Presse voneinander abgrenzen, wobei sich weniger Unterschiede in den Kritikpunkten und Konfliktlinien als vielmehr weitere Differenzierungen in der Betrachtungs- und Herangehensweise der Diskursteilnehmer ergeben. Da die bisherige Betrachtung des Diskurses ergeben hat, dass im Verlauf des gesamten Untersuchungszeitraums nicht unbedingt neue Tendenzen in der Beurteilung der Presse und ihres (sprachlichen) Einflusses hinzukamen, sondern vielmehr bestehende sich verstärkten oder auch abschwächten, werden – nicht zuletzt um die diachrone Entwicklung des Diskurses nachzeichnen zu können – die Positionen und Konfliktlinien des dritten Untersuchungszeitraums im Vergleich zu jenen der ersten beiden zeitlichen Teilkorpora zusammengefasst. Nahezu allen Dokumenten des Zeitraums ist die Vorstellung gemein, dass „die Zeitungen […] einen sicheren Maßstab für den augenblicklichen Stand unseres Geisteslebens geben [könnten]“ (Werner in Bulthaupt 1891: 21), sie unterscheiden sich allerdings darin, wie sie den „Stand unseres Geisteslebens“ (ebd.) unter Einfluss der Presse einschätzen. Von einigen Diskursteilnehmern wird die Presse hier als passives Medium, als „eine unter anderen Organisationsformen des geistigen Verkehrs“ (Hänel in Bulthaupt 1891: 18) charakterisiert, das Maßstab bzw. Spiegel des „Stand[es] unseres Geisteslebens“ (Werner in Bulthaupt 1891: 21) sei. In den Augen anderer greift die Zeitung als Quelle oder Antrieb aktiv in die Zeitgeschehnisse ein.

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

4.1 Sprach- und Bildungsverfall Wurde bereits in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen impliziert, dass sich durch den Einfluss der Presse nicht allein die Qualität der Sprache, sondern auch jene der Bildung mindere, so steigt im letzten Teilkorpus die Zahl jener Diskursteilnehmer nochmals deutlich an, die die wechselseitige Entwicklung von Sprache, Denken und Bildung unter Einfluss der Presse im Rahmen einer Dekadenztheorie als Verfall deuten. Wegbereitend für den Diskurs wird hier vor allem Wustmann, der weniger wegen seiner Inhalte als vielmehr wegen seiner „flotten, fesselnden Schreibweise“ (Dunger 1893: 128) die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen erweckt. In dieser „flotten, fesselnden Schreibweise“ (ebd.) der Diskursteilnehmer liegt auch der größte Unterschied zu seinen Vorgängern. Während in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen – von der ausdrucksstarken Wortwahl Schopenhauers abgesehen – die Befürchtung, dass durch den Einfluss der Presse gleichermaßen die Sprache wie die geistige Stärke negativ beeinflusst seien, zumeist aus der Argumentation erschlossen werden musste, explizieren viele Diskursteilnehmer des dritten Teilkorpus, dass „die Hauptursache der Verwilderung unsrer Sprache, der eigentliche Herd und die Brutstädte dieser Verwilderung“ (Wustmann 1891: 14) die Zeitungen seien. Die Gründe dafür, dass die Zeitung als Quelle oder wenigstens als Verbreiterin eines vermeintlichen Sprach- und Bildungsverfalls betrachtet wird, gleichen denen der vorherigen Diskursteilnehmer: (1) So ist in allen drei Untersuchungszeiträumen der im ‚Topos der quantitativen Steigerung‘ (vgl. S. 182) zusammengefasste Vorwurf der Diskursteilnehmer zentral, dass durch die Presse zwar die Sprach- und Bildungsproduktion wie -rezeption gesteigert werde, sich hierdurch aber das Verständnis von Sprache und Bildung verändere und damit einhergehend ihre Qualität mindere. Bereits im ersten Untersuchungszeitraum beklagen Zeitgenossen wie beispielsweise Kolbe, dass die Sprache zunehmend den kommunikativen Anforderungen ihrer Sprecher und vor allem Schreiber gerecht werden müsse und kaum mehr als „ein in sich beschlossenes Ganzes […] für ein Kunstwerk“ (Kolbe 1823: 203) betrachtet werde, sondern nur noch als „ein nützliches und nutzbares Werkzeug, um Gedanken und Empfindungen auszusprechen“ (ebd.). Auch im zweiten Untersuchungszeitraum setzt sich die Vorstellung fort, dass die Sprache unter der Verwendung für das praktische Bedürfnis […] ihres pulsierenden Lebens“ (Wiese 1859: 23) beraubt werde und die sprachliche Vielfalt zunehmend durch ein Repertoire an Phrasen ersetzt werde, auf die – vor allem in der durch Zeitdruck geprägten journalistischen Arbeit – schnell zurückgegriffen werden könne. Die Sprache, die als „Werkzeug“ (Kolbe 1823: 203) oder „nur vom Nützlichkeitsstandpunkt als notwendiges Verkehrsmittel unter den Volksgenossen auf[gefaßt]“ (Heintze 1900: 1) werde, grenzt Schröder im letzten Untersuchungszeitraum – in Orientierung an die Gedanken Hildebrands und Wackernagels über das Verhältnis von „Dintendeutsch“ (Hilde-

Zusammenfassung der Positionen

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brand 1867: 37f.) und „Hochdeutsch“ (ebd.) – von der gesprochenen Sprache und der „im Geiste der mündlichen Sprache“ (Schröder 1888: 12) agierenden Schrift- oder Literatursprache als „papiernes Deutsch“ (ebd.) ab. Dieses „papierne Deutsch“ (ebd.) der „Akten- und Büchermenschen“ aus der „Amtsstube“ (Schröder 1888: 70f.) komme in seiner Künstlichkeit, Regelhaftigkeit, Starrheit und Phrasenhaftigkeit (vgl. Schröder 1888: 21f.) den an die Zeitung gestellten kommunikativen Anforderungen entgegen, in kürzester Zeit einen geeigneten sprachlichen Ausdruck zu finden, indem auf ein sprachliches Repertoire ohne das künstlerische „Ringen nach Gestaltung in technisch vollendeter Form“ (Schröder 1888: 92f.) zurückgegriffen werde. Wie bereits die Diskursteilnehmer des ersten und zweiten Teilkorpus befürchten auch Schröder und viele seiner Zeitgenossen, dass sich vor allem durch die Zeitung der aus der „Amtsstube“ (Schröder 1888: 70f.) kommende „papierne Stil“ (Schröder 1888: 12) verbreite. Da viele der Diskursteilnehmer des dritten Zeitraums die Vorstellung von einer Wechselwirkung zwischen Sprechen und Denken teilen, befürchten sie, dass mit der Sprache, in der „die dichterischen Elemente“ (Schröder 1888: 68) unter Einfluss der Presse zunehmend durch „papierne“ (ebd.), durch „die Schablone“ (ebd.) ersetzt werden, sich auch „unser Denken […] immer katalog-, immer kompendienhafter [gestaltet]“ (Schröder 1888: 68). Die Presse trage folglich – insofern sie die Schriftproduktion vervielfache – nicht allein zu einem Verlust der sprachlichen Qualität und einer Veränderung des Verständnisses von Sprache teil, sondern fördere durch die sprachliche Beeinflussung gleichzeitig eine Minderung des Denkvermögens. Einfluss auf das Denken, die geistige Stärke übe die Zeitung aber nicht allein wegen ihrer sprachlichen Gestalt, sondern auch wegen ihres Inhalt aus. Da sich dieser zwar durch Vielfalt, nicht aber durch eine tiefgründige Auseinandersetzung auszeichne, kommt u.a. Nietzsche zu dem Schluss, dass sich „Erweiterung und Verminderung der Bildung […] sich hier die Hand [reichen]“ (Nietzsche 1872: 194). (2) Den Wandel des Verständnisses von Sprache und Bildung, den viele Diskursteilnehmer als Verfall deklarieren, führen nicht alle auf die Presse als Quelle zurück. Vielmehr werde die Presse – wie im ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘ (vgl. S. 198) zusammengefasst – der „eigenthümlichen Bildungsabsicht der Gegenwart“ (Nietzsche 1873: 334) nach einer schnell zu konsumierenden breiten, nicht aber tiefgründigen Bildung zu streben, eher gerecht als das Buch. In den Augen vieler Diskursteilnehmer aller drei Untersuchungszeiträume verdrängt die Zeitung zunehmend das Buch als primäres Bildungsmedium, so dass „[…] der moderne Massen-Bildungsgang vom Buch zum Journal [unaufhaltsam ist]“ (Kürnberger 1866: 29).

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

(3) Die Ursachen dafür, dass die Presse in ihrer Funktion als „neues“ Bildungsmedium statt der Vermittlung einer tiefgründigen sprachlichen wie inhaltlichen Bildung einen Verfall von Sprache, Bildung und Denkvermögen fördere, suchen die Diskursteilnehmer nicht allein bei den Verfassern der Zeitungen, sondern auch bei ihren Lesern. Zwar führen die Diskursteilnehmer aller Untersuchungszeiträume die von ihnen als oberflächlich wahrgenommene sprachliche wie inhaltliche Gestaltung primär darauf zurück, dass sich die Journalisten in ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit nur oberflächlich den ihnen vorgegebenen Themen und ihrer sprachlichen Gestaltung widmen (vgl. ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘, S. 187), dass die Zeitung aber einen derart negativen Einfluss auf die Sprach- und Bildungsentwicklung ausübe, begründen die Diskursteilnehmer nicht zuletzt durch das Rezeptionsverhalten der Zeitungleser. Wie im ‚Topos der Autorität der Zeitung‘ (vgl. S. 182) und im ‚Topos der mechanischen Rezeption‘ (vgl. S. 186) zusammengefasst, wird ihnen vor allem vorgeworfen, dass sie sich mit den in der Zeitung behandelten Inhalten und deren sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten nicht eingehend auseinandersetzen, sondern vielmehr – ob in einem blinden Glauben an die Wissensallmacht der Presse oder aus zeitlichen Gründen – Sprache und Inhalte unreflektiert als Wissen übernehmen. (4) Wird die Oberflächlichkeit dieses von der Zeitung vermittelten sprachlichen wie inhaltlichen Wissens nicht zuletzt darauf zurückgeführt, dass die Journalisten im Sinne ihrer zahlenden Vorgesetzten in kürzester Zeit mit den geringsten Mitteln einen größtmöglichen Gewinn erzielen müssen (vgl. ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘, S. 190), so ergibt sich aus dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit spätestens seit den Ausführungen Schopenhauers im zweiten Untersuchungszeitraum für die Diskursteilnehmer ein weiteres Problem. I.G. zu Schriftstellern, die – einer idealistischen Motivation folgend – ihre Gedanken und Erfahrungen während ihrer schriftstellerischen Tätigkeit weiterentwickeln und verarbeiten, sei das Denken der finanziell abhängigen Journalisten durch eine oberflächliche Beschäftigung mit fremden Gedanken geprägt. Dieser Mangel an eigenen tiefgründigen Gedanken, der seinen Ausdruck in einer oberflächlichen Schablonensprache finde, führe nicht allein zu einem Verlust der schriftstellerischen Individualität, sondern vor allem zu einer Abnahme der Denkfähigkeit, der geistigen Stärke, die sich wiederum auf die Leserschaft der Journalisten übertrage. (5) Um die wahrgenommene Bedrohung der Sprache, Bildung und des Denkens abzuwehren, suchen einige Diskursteilnehmer in allen drei Untersuchungszeiträumen der Macht der Presse andere Autoritäten gegenüberzustellen. Wenn auch nicht in vielen Texten eindeutig zu belegen, so wird auf die Werke und Vertreter der Weimarer Klassik als verbindliche Norm am aus-

Zusammenfassung der Positionen

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drucksstärksten verwiesen. Während vor allem im zweiten Untersuchungszeitraum der Sprachgebrauch der Klassiker als verbindliche Orientierungsgröße gefordert wird (vgl. ‚Topos der Autorität der Klassiker‘, S. 171), stellen im letzten Untersuchungszeitraum selbst konservative Kritiker wie Wustmann fest, dass die klassische Literatursprache kaum mehr als sprachliche Autorität haltbar sei, deuten aber auch dies zumeist als Indiz für den prognostizierten Sprach- und Geistesverfall. (6) Einige der Diskursteilnehmer des dritten Untersuchungszeitraums, die die wechselseitige Entwicklung von Sprache, Denken und Bildung unter Einfluss der Presse im Rahmen einer Dekadenztheorie als Verfall deuten, erachten zwar den Verweis auf klassische Autoritäten als nicht mehr zeitgemäß, suchen aber nach neuen Mitteln, um die vermeintliche Bedrohung durch die Presse aufzuhalten. Vor allem im letzten Untersuchungszeitraum wird mehr und mehr die Notwendigkeit bemerkt, durch ausführliche sprach- wie zeitungskritische Betrachtungen auf die Defizite der Presse öffentlich hinzuweisen (vgl. ‚Spiegel-Topos‘, S. 200). Vor allem die Versuche, dem vermeintlichen Sprach-, Geistes- und Bildungsverfall durch die Auferlegung sprachlicher Autoritäten oder durch (sprach-)kritische Maßnahmen entgegenzuwirken, aber auch der zentrale Hinweis darauf, dass die Qualität der Sprache unter der von der Presse verbreiteten sprachlichen Vielfalt leide, verweisen auf ein sehr konservativ-statisches und normatives Sprachverständnis. Dieses gründet in der Ablehnung einer Vielfalt der Sprachgebräuche und der Vorstellung, dass eine Sprache ihren optimalen Zustand erreicht habe, den es – durch strenge Regeln – zu wahren und gegenüber anderen Sprachgebräuchen zu verteidigen gelte. In der Ablehnung einer Vielfalt der Sprachgebräuche scheint ein Grund zu liegen, weshalb die Diskursteilnehmer die Presse und ihren Sprachgebrauch als besonders gefährlich für das einzig „gute“, „reine“ und „richtige“ Deutsch empfinden. Denn die Zeitung „mit ihrer Vermengung der Schreibarten in ein chaotisches Gewirr“ (Grube 1876: 32) vereint in sich eine Vielzahl der zeitgenössischen Sprachgebräuche – so beispielsweise „unverdaute Reste des volksmäßigen Deutsch und unverdaute Bruchstücken höhern Stils“ (Hildebrand 1867: 70) – und „transportiert“ sie an die Öffentlichkeit, so dass sie geballt auf die „gute“, „reine“ und „richtige“ Sprache wirken. Die Zeitung potenziert folglich die Gefahr der eigentlich abgelehnten Vielfalt der Sprachgebräuche, innerhalb derer die einzig „wahre“ Sprache unterzugehen bzw. zu verfallen drohe. Propagieren die Diskursteilnehmer, dass es nur eine „gute“, „reine“ und „richtige“ Sprache gebe, die es vor anderen zu schützen und zu bewahren gelte, und empfinden sie jegliche Veränderung als Verfall, so verweist dies auf ihre enge emotionale Bindung zu dieser Sprache, darauf, dass sie sich mit ihr und über sie identifizieren. Ist die Sprache – wie auch die Bildung – in diesem Sinne Mittel, um die Identität der die Dekadenztheorie vertretenden Diskursteilnehmer herzustellen, zu demonstrieren und zu sichern, so kommt ihr Verfall einem Identitätsverlust

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

dieser Diskursteilnehmer gleich. Die Presse stellt folglich nicht allein eine Bedrohung für die Sprache, die Bildung und das Denken, sondern – sofern dies identitätsstiftende Werte einer Person oder Gruppe sind – vor allem eine existenzielle Gefahr für die eigene Identität dar. Es ist demnach von einer sozialen Motivation der Pressekritik auszugehen, insofern die Diskursteilnehmer versuchen, einen gewissen sozialen (Gruppen-) Status, ihre Identität durch die Ablehnung bedrohlicher Werte zu sichern: (1) Vor allem im ersten, aber auch im zweiten Untersuchungszeitraum suchen die Zeitgenossen im Zuge ihrer Bemühungen um die politische Neuordnung des deutschsprachigen Raumes nach grundlegenden, allen gemeinsamen Werten, die das Bewusstsein der Menschen stärken, Teil einer Nation zu sein. Da in der Sprache das spezifisch deutsche Gedankengut niedergelegt sei und sich in der Literatur gleichermaßen die geistige Stärke der Nation und ihre Sprache vereinige, so dass sie die sprachlichen wie kulturellen Eigenarten eines Volkes filtern, transportieren, fördern und sichern könne, seien dies geeignete Werte, die allen Deutschen gemeinsam sind und in denen sich die Deutschen gleichzeitig vom Ausland unterscheiden. Eine entscheidenden Rolle bei der Stiftung nationaler Identität und bei der Formierung und Positionierung der Nation nehmen folglich die deutsche Sprache und Literatur ein. Der Presse wird in diesem Prozess der nationalen Identitäts- und Gemeinschaftsbildung von jenen die Dekadenztheorie vertretenden Diskursteilnehmern vorgeworfen, dass sie die im Entstehen begriffene Nation gefährde, indem sie durch ihre fremdsprachliche Vielfalt und ihre Oberflächlichkeit die Qualität der Sprache mindere und zudem die Literatur als primäres Bildungsmedium verdränge. Die Presse wird folglich als Element empfunden, dass die auferlegten Grundwerte der nationalen Gemeinschaft verändere und somit die nationale Identität störe, d.h. das Bewusstsein der Menschen schwäche, Teil einer Nation zu sein. (2) Dass die Diskursteilnehmer nicht allein die nationale Identität, sondern auch die soziale Identität des Bildungsbürgertums durch den Einfluss der Presse gefährdet sehen, lässt sich spätesten aus der Analyse des zweiten und dritten, aber auch aus der des ersten Teilkorpus erschließen. Grund zu dieser Annahme gibt die im gesamten Untersuchungszeitraum verbreitete Feststellung, dass die Zeitung nur „offenbar Kultur verbreitet“ (Weber 1843: 379) oder die Bildung erweitert habe, eigentlich „aber doch mehr geschadet als genützt“ (ebd.) habe, da sie in ihrer oberflächlichen Gestaltung nur eine sprachliche, literarische oder thematische Schein- bzw. Halbbildung vermittle, die mit wahrer Bildung kaum etwas gemein habe (vgl. Nietzsche 1872: 194). Dieser Schein- oder Halbbildung, die das Bildungsbestreben der breiten, autoritätsgläubigen Masse zu befriedigen vermöge und letztlich zu einem Sprach-, Bildungs- und Geistesverfall führen könne, setzen die Diskursteilnehmer ihr ei-

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genes literarisch fundiertes und qualitativ hochwertigeres Sprach- und Bildungswissen entgegen. Während noch im ersten Untersuchungszeitraum einige Diskursteilnehmer darauf verweisen, dass die Presse sprachlich wie inhaltlich positiv bildend wirken und durch den geförderten sprachlich-geistigen Austausch die geistige Stärke der Nation begünstigen könne, dominieren ab dem zweiten Untersuchungszeitraum jene Stimmen, die die Bildung durch die Presse als oberflächlich und schädlich einschätzen. Dies ist dadurch zu erklären, dass jene Werte, über die sich die Diskursteilnehmer als soziale Gruppierung identifizieren und über die sie ihren sozialen Status innerhalb der Gesellschaft sichern, spätestens gegen Ende des zweiten Untersuchungszeitraums – wie auch der Zeitgenosse Rückert vermerkt – zunehmend demokratisiert werden. Durch diese von der Presse beförderte zunehmende Demokratisierung von Sprache und Bildung besteht nicht allein die Gefahr, dass die soziale Schicht des Bildungsbürgertums jene Mittel verliert, durch die sie sich von anderen sozialen Gruppierungen unterscheidet, sondern vor allem, dass sich ihre festen sozialen Grenzen auflösen. Die Differenzierung zwischen der massenhaft verbreiteten Scheinbildung durch die Presse und der exklusiven Bildung durch Bücher dient folglich dazu, das eigene Sprach- und Bildungswissen von dem der breiten Masse als identitätsstiftenden Wert weiterhin abzugrenzen, um so einem vermeintlich drohenden Identitätsverlust vorzubeugen und die Daseinsberechtigung als soziale Gruppierung innerhalb der Gesellschaft zu legitimieren. Diese Überlegungen zeigen nicht allein, dass sich die Zeitgenossen der oben beschriebenen Entkonturierung des Bürgertums139 gewahr wurden, sondern auch, dass sie der Presse einen großen Einfluss bei der Umstrukturierung der Gesellschaftsordnung beimaßen und versuchten, Maßnahmen dagegen zu ergreifen, um ihre gesellschaftliche Stellung zu sichern. Die in Hypothese 4 (vgl. S. 18) angenommene elitäre Motivation der kritischen Pressebetrachtung ist folglich durch die soziale Komponente der Identitäts- und Statussicherung zu erweitern. Denn das „elitäre (Kulturund Sprach-)Denken“ (vgl. Hypothese 4, S. 18), die Presse profanisiere und trivialisiere Sprache und Bildung, resultiert letztlich aus dem Gefühl der Notwendigkeit, die Bedrohung der eigenen sozialen Identität abzuwehren, indem zwischen dem eigenen Sprach- und Bildungswissen und dem der durch die Zeitung gebildeten Masse qualitativ differenziert wird. (3) Auch hinter der im gesamten Untersuchungszeitraum geäußerten Kritik, die Sprache werde durch die gesteigerte Sprachproduktion zu einem bequemen Verkehrsmittel instrumentalisiert, scheint sich letztlich die Befürchtung der Diskursteilnehmer zu verbergen, die Vormachtstellung in der Gesellschaft zu verlieren, sich in der von der Presse beförderten Massenhaftigkeit aufzulösen 139

Vgl. Kapitel III.

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

und in Abhängigkeit einer zunehmend industrialisierten Welt zu geraten, in der die „Sache über die Person“ (Kürnberger 1866: 23) gesetzt werde. Wird der in einer Wechselbeziehung zum Denken stehenden Sprache, die den Bezug zu Geist und Seele sichere, ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung genommen, wird sie zu einem Objekt des praktischen Bedürfnisses instrumentalisiert, so wird auch der Geist zu einem Verkehrsmittel instrumentalisiert. Auch das sich wandelnde schriftstellerische Verständnis scheint den Diskursteilnehmern ein Zeichen dafür zu sein, dass – wie selbst ein objektiver Diskursteilnehmer wie Löbl bemerkt – „die Menschheit [immer tiefer] in die Knechtschaft der grossen Zahl [versinkt]“ (Löbl 1903: 25). Wie die Sprache bequemes Verkehrsmittel oder Werkzeug der Journalisten sei, so erscheinen den Diskursteilnehmern die Journalisten, die ihren Geist in die Abhängigkeit des kommerziell orientierten Pressewesens gegeben haben, als bequemes Werkzeug des Kapitals. Gleichzeitig werde die Literatur als Ausdruck des freien Geistes durch den Journalismus als Ausdruck der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Sprache und Geist verdrängt. Spätestens ab dem zweiten Untersuchungszeitraum wird mit Fortschreiten der Industrialisierung die „Industrialisierung“ bzw. Instrumentalisierung von Sprache und Geist durch den Einfluss der Presse deutlich stärker kommuniziert als in dem von nationalen Bestrebungen gekennzeichneten ersten Untersuchungszeitraum. Die Diskursteilnehmer scheinen folglich ihre Unsicherheiten, die aus dem grundlegenden Gesellschaftswandels resultieren, und ihre Ängste, dass nicht allein die Welt, sondern auch Sprache und Geist industrialisiert werden, sich die ‚personale Identität‘ und Individualität zugunsten „der Massentriebe, der Massenintelligenz, der Massengeschicke“ (Löbl 1903: 25) im Massenwesen auflöse, auf die Presse als vermeintliche Quelle dieser Gefahr zu projizieren. Diese Betrachtungen bestätigen nicht allein die anfangs aufgestellte Hypothese 3 (vgl. S. 18), dass sich hinter der kritischen Pressebetrachtung eine kulturhistorisch motivierte Kritik an den Zeitverhältnissen oder vielmehr eine steigende soziale Unsicherheit verbirgt, sondern auch Hypothese 2 (vgl. S. 16). Zwar unterscheiden sich die Kritikpunkte, auf die sich die Diskursteilnehmer in unterschiedlichen historischen Kontexten, d.h. in den drei Untersuchungszeiträumen konzentrieren, nicht zwingend voneinander. Sie werden aber in Abhängigkeit von den zentralen gesellschaftspolitischen Entwicklungen – den politischen Bestrebungen um eine deutsche Nation oder der fortschreitenden Industrialisierung und Neuordnung der Gesellschaft – unterschiedlich stark hervorgehoben. Die Vorstellung der Diskursteilnehmer von Sprache und Literatur als Mittel, eine personale, soziale oder nationale Identität herzustellen, und von der Presse, die störend auf die jeweilige Identitätsbildung wirke, da sie eine Veränderung dieser identitätsstiftenden Mittel befördere, kann somit als Folge der Verarbeitung der soziohistorischen Ver-

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änderungen betrachtet werden. Gerade die ersten beiden Untersuchungszeiträume sind geprägt von Forderungen nach einer gesellschaftlichen Neuordnung und von restaurativen Gegenbewegungen, von Hoffnungen auf Veränderungen und Rückschlägen, die in den Zeitgenossen kaum ein Gefühl der sozialen und vor allem nationalen Sicherheit erwecken kann. Spätestens im Laufe des zweiten Untersuchungszeitraums beginnt nicht zuletzt durch die fortschreitende Industrialisierung die bisher gültige Gesellschaftsordnung sich zugunsten einer Neuordnung der Lebenswelt aufzulösen. Das im zweiten Untersuchungszeitraum weit verbreitete Gefühl der Diskursteilnehmer, zwischen den Welten zu leben, zeigt sich vor allem darin, dass verstärkt Sicherheit durch den Rückbezug auf klassische Autoritäten gesucht wird. Da traditionelle Werte wie Sprache und Literatur in einer solchen Umbruchzeit, in der sich die bisherige Gesellschaftsordnung aufzulösen und die neue zu formieren beginnt, Sicherheit und Orientierung bieten, dürfen sie in den Augen der Zeitgenossen von dem – geforderten – Wandel nicht erfasst werden, sondern müssen als Grundfeste weiter bestehen, um die Identität zu wahren. Ihr Wandel, der sich in Wechselwirkung mit den soziohistorischen Veränderungen von Kommunikationsanforderungen und -gewohnheiten vollzieht (Abb. 2, S. 101), wird von diesen Zeitgenossen schließlich als Verfall wahrgenommen, der die Stabilität ihrer Identität bedroht. Um den vermeintlichen Verfall jener Werte aufzuhalten, über die sich die Diskursteilnehmer als Individuum, soziale oder nationale Gruppe definieren, und um einen Identitätsverlust abzuwehren, suchen sie die Ursache dieser Entwicklung. Da – wie in Kapitel III ausführlich dargestellt wurde – von einem Kreislauf zwischen Gesellschafts-, Medien- und Sprachentwicklung auszugehen ist, kann die Ursache des Wandels bzw. – in den Augen der Diskursteilnehmer – die Quelle des Verfalls objektiv kaum nachvollzogen werden. Die Presse hingegen bringt als öffentliches Medium „alles, was irgend Bedeutendes gethan oder gedacht wird, zur Uebersicht“ (Menzel 1839: 2), was bedeutet, dass sie die Folgen des Wandels regelmäßig abbildet. Da sie sich im 19. Jahrhundert einhergehend mit den soziohistorischen Entwicklungen ebenfalls grundlegend von einem Nachrichtenmedium mit exklusivem Leserkreis zu einem multifunktionalen Massenmedium entwickelt, also den Zeitgenossen in dieser Form „neu“ erscheint und die sprachlichen wie gesellschaftlichen Neuerungen offenbart, muss sie den Zeitgenossen fast notgedrungen als Quelle neuer Werte erscheinen. Sie ist folglich ein (an-)greifbareres Objekt als die Zeitgeschehnisse, das die Diskursteilnehmer als existenzielle Bedrohung empfinden und auf das sie ihre persönliche, soziale oder nationale Unsicherheit projizieren können. Um die bedrohten eigenen Werte zu legitimieren und aufzuwerten, um die eigene Identität zu sichern, distanzieren sie sich ablehnend und abwertend von den „neuen“ Werten, die in ihren Augen nicht Folge des Wandels, sondern von der Presse geschaffen sind. Dass auf die Presse als Sinnbild der „neuen“ Welt, der „neuen“ Gesellschaftsordnung jene Ängste und Unsicherheiten, die durch den grundlegenden Wandel hervorgerufen wurden, projiziert werden, bestätigt die anfangs in Hypothese 3 (vgl. S. 18) aufgestellte Vermutung, dass sich hinter der kritischen Be-

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trachtung der (sprachlichen) Gestalt der Presse eine kulturhistorisch motivierte Kritik an den Zeitverhältnissen verbirgt. Bei den Diskursteilnehmern, die sich des oben beschriebenen Wechselverhältnisses von Sprach-, Gesellschafts- und Medienwandels nicht gewahr werden, sondern die Presse – oftmals in polemischen Pauschalurteilen – auf die Funktion reduzieren, Quelle eines vermeintlichen Verfalls zu sein, ist davon auszugehen, dass sie über ein praktisches Alltagswissen verfügen, welches Neuland (1993) in Orientierung an Leibniz als ‚cognitio distincta inadaequata‘ bezeichnet.140 Zwar sind oftmals – so Minor oder Kaerger – „die lebendige Sprache, der gesunde Menschenverstand und das natürliche Sprachgefühl […] die einzigen Autoritäten“ (Minor 1892: 4), die jene die Dekadenztheorie vertretenden Diskursteilnehmer gelten lassen, dennoch erscheint ihr Wissen nicht als verworren, als eine ‚cognitio clara confusa‘, sondern – vor allem für die Konstitution von Identitäten – als praktisch nützlich.

4.2 Das wissenschaftlich reflexive Verständnis vom Wandel der Sprache Während die Mehrzahl der Diskursteilnehmer aller Untersuchungszeiträume über ein praktisches Alltagswissen zu verfügen scheint, finden sich in den ersten beiden Zeiträumen vereinzelt, im letzten Untersuchungszeitraum häufiger Autoren, die der Theorie des Sprachverfalls widersprechen und sich „reflexiv und wissenschaftlich“ der Frage nach der Entwicklung der Sprache unter Einfluss oder vielmehr in Wechselwirkung mit der Presse widmen. Dass sie über ein ‚wissenschaftliches Wissen‘ – nach Neuland über eine ‚cognitio clara distincta adaequata‘ – verfügen, sich ihr sprachliches Wissen folglich von dem der Diskursteilnehmer, die einen Sprachverfall prognostizieren, grundlegend unterscheidet, ist ein Zeichen dafür, dass sie sich von ihnen – wenigstens teilweise – auch in ihrem gewohnheitsmäßigen Denken, Fühlen, Wollen und/oder Sollen, d.h. in ihrer Mentalität unterscheiden.141 Da – wie bereits mehrfach festgestellt wurde – die Diskursteilnehmer einer sozialen Gruppierung – dem Bürgertum – angehören, sind hieraus verschiedene Mikromentalitäten im Diskurs abzuleiten. Wenn die Träger dieser Mikromentalitäten gewisse „Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens“ (Hermanns 18995: 77) teilen, insofern sie auf eine gemeinsame Makromentalität zurückgreifen, so unterscheiden sie sich in ihrem Verständnis und Wissen von Sprache und Presse doch so weit, dass das (sprachliche) Wissen der jeweils anderen außerhalb des für sie Denk- und Vorstellbaren liegt. Als Folge dessen kann – wenn sie auch versuchen, die Argumente des jeweiligen Gegenübers aufzugreifen, zu analysieren und zu widerlegen – in gewissen Punkten nur schwer eine Annäherung oder gar Übereinkunft erfolgen. So bedauert beispielsweise der einen Sprachverfall prognostizierende Gustav Wustmann, dass es 140 141

Vgl. Kapitel II. Vgl. Kapitel II.

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leider […] in neuerer Zeit eine Richtung, in der Sprachwissenschaft [giebt], man nennt sie wohl die naturwissenschaftliche –, die jeden Versuch, in die natürliche Entwicklung der Sprache einzugreifen, für unberechtigt hält. (Wustmann 1891: 28)

Zwar ist es Wustmann möglich, die Betrachtungsweise dieser „naturwissenschaftlichen“ (ebd.) Sprachwissenschaft zusammenzufassen, er kann sie aber nicht nachvollziehen und lehnt sie ab wegen ihrer – in seinen Augen – haltlosen Behauptungen, daß es ein Richtig und ein Falsch in der Sprache überhaupt nicht gebe. Alles, was die Sprache hervorbringe, sei eben deshalb gut, richtig und vernünftig. Nur von gebräuchlich und ungebräuchlich könne die Rede sein, und was die Mehrzahl brauche, müsse stets als der bessere Sprachgebrauch betrachtet werden. […] Die Behauptung, daß alle Eingriffe in die Sprachentwicklung vergeblich seien, wird durch die Sprachgeschichte zur Genüge widerlegt. (ebd.)

Im Gegenzug belächeln aber auch die Vertreter jener von Wustmann abgelehnten wissenschaftlichen Betrachtungsweise die Sprachverfallstheoretiker und decken mit Ironie die Widersprüche in ihrer Argumentation auf: Der heutige Schulmeister verachtet das Papier und er haßt nichts so sehr als die Zeitungen. Das hindert ihn aber nicht, beschriebenes Papier für die Nachwelt zu registriren und selber die „Schriftleitung“ von Zeitschriften zu besorgen. (Minor 1892: 3)

Jene Diskursteilnehmer, die ein wissenschaftlich reflexives Verständnis von Sprache vertreten, stehen den Sprachverfallstheoretikern demnach diametral gegenüber. Grundlegend für diese Position ist die (1) erstmals von Rückert im zweiten Untersuchungszeitraum explizierte Abhängigkeit der Sprachentwicklung von den kommunikativen Bedürfnissen ihrer Sprecher, die ihre Formulierung im ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ (vgl. S. 175) findet. Jegliche sprachliche Veränderungen werden nicht als Verfall sondern als natürlicher Sprachwandel aufgrund der sich ändernden außersprachlichen wie kommunikativen Anforderungen interpretiert. (2) Im Rahmen dieses Sprachverständnisses betrachten die Diskursteilnehmer die Entwicklung der Presse in ihrer Wechselwirkung mit der Sprach- und Gesellschaftsentwicklung. Sie gilt ihnen als „notwendiges Übel“ (Groth in Bulthaupt 1891: 34) der Zeit, welches dem gesteigerte Bedürfnis nach einer weiteren Bildung und großräumigeren Kommunikationsmöglichkeiten entgegenkomme (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘, S. 198). Bereits im zweiten Untersuchungszeitraum verweist Rückert darauf, dass die Presse entscheidend zu einer Demokratisierung von Sprache und Bildung beitrage und somit einen entscheidenden Beitrag zu den gesellschaftlichen Bemühungen um eine einheitliche Nation leiste. (3) Denn wie für die Diskursteilnehmer, die die Theorie von einem Sprachverfall vertreten, erachten jene, die sich der wissenschaftlich-reflexiven Sprachbetrachtung verschrieben haben, die Sprache als grundlegendes Mittel, um die

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Zugehörigkeit zu einer Nation zu demonstrieren und die nationale Identität zu konstituieren. Im Gegensatz zu jenen konservativen Kritikern treten sie aber nicht für die Bewahrung eines „reinen“, Sprachzustandes ein, sondern propagieren eine allen verständliche Sprache, die sich gemäß der an ihre Sprecher und Schreiber gestellten Anforderungen verändern müsse. Diese einheitliche Ausprägung der deutschen Sprache – nicht zuletzt als Basis für die kulturelle wie politische Positionierung der Nation – könne die Presse befördern, da sie ihre Leser durch ihre inhaltliche wie sprachliche Gestaltung an allen Interessenbereichen des menschlichen Lebens teilhaben lasse (vgl. ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘, S. 194). (4) Die Presse fungiere folglich als sprachliches wie inhaltliches ‚Bindeglied‘ zwischen den unterschiedlichen Wissensbereichen menschlichen Lebens. Als solches mache sie jene Sprach- und Wissensbestände für eine breitere Masse öffentlich, die zuvor nur einem exklusiven Kreis an fachlich Eingeweihten zugänglich waren. Insofern Diskursteilnehmer wie beispielsweise Rückert oder Minor, aber auch wie Börne im ersten Untersuchungszeitraum darauf verweisen, dass die Presse vor allem wegen dieser Bindeglieds- oder Vermittlerfunktion fälschlicherweise als Quelle von vermeintlichen Neuerungen oder Fehlern angesehen werde, findet sich die anfangs aufgestellte Hypothese 5 (vgl. S. 18) bestätigt. Dass sich die wissenschaftliche Betrachtungsweise, die eine Wechselwirkung von Sprach-, Medien- und Gesellschaftswandel annimmt und somit den Sprachverfallstheorien widerspricht, in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen nur vereinzelt findet und sich erst im letzten Zeitraum etabliert, scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass die Zeitgenossen zunehmend beginnen, sich an die neuen Lebensumstände zu „gewöhnen“. Während jene Diskursteilnehmer, die einen durch die Presse bedingten Sprach- und Bildungsverfall prognostizieren, ihre durch den grundlegenden Wandel bedingte Unsicherheit durch Ablehnung des Neuen versuchen zu kompensieren, scheinen sich andere Zeitgenossen mit den Veränderungen arrangieren zu können, indem sie sich – um sie verstehen und erfassen zu können – mit ihren Ursachen und Folgen reflexiv beschreibend auseinandersetzen, ohne diese auf- oder abzuwerten.

4.3 Die Entstehung der Medienwissenschaft Neben der wissenschaftlich-reflexiven Betrachtung der Sprachentwicklung in ihrer Wechselwirkung zu den gesellschaftlichen wie medialen Veränderungen finden sich im ersten Untersuchungszeitraum, in dem die Grundsteine für die spätere Expansion der Zeitung zum Massenmedium gelegt werden, bereits Tendenzen, das Pressewesen in seinem Aufbau, seinen Funktionen und seiner Wirkung zu beschreiben. Ähnlich den

Zusammenfassung der Positionen

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Vertretern der reflexiv-wissenschaftlichen Richtung, betrachten diese Diskursteilnehmer die Presse primär als (1) Bindeglied zwischen den gesellschaftlichen Sprach- und Wissensbereichen (vgl. ‚Bindeglieds-Topos‘, S. 184), (2) das eine Vormachtstellung als Bildungsmedium einnehme, da es dem gesteigerten Bedürfnis nach einer weiteren Bildung und großräumigeren Kommunikationsmöglichkeiten entgegenkomme (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘, S. 198), (3) das zu einer Demokratisierung von Bildung und Sprache beitragen könne und somit (4) entscheidend zur politischen wie kulturellen Formierung und Positionierung der Nation beitragen könne, da es den geistigen Austausch zu fördern vermöge (vgl. ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘, S. 194). Im Gegensatz zu jenen Diskursteilnehmern, die sich der Frage nach der Wechselwirkung von Presse-, Sprach- und Gesellschaftswandel wissenschaftlich nähern, versuchen andere Diskursteilnehmer, vor allem die besonderen kommunikativen Anforderungen an das Medium Zeitung zu erfassen und zu beschreiben. Als Vorläufer dieser medienwissenschaftlichen Betrachtungsweise, die sich nicht zuletzt als Reaktion auf die polemisch abwertende Kritik an der Presse und ihrem Einfluss im letzten Untersuchungszeitraum entwickelt, sind Börne und Kürnberger zu nennen, die im Gegensatz zu den meisten ihrer Zeitgenossen darauf verweisen, dass sich Bücher und Zeitungen nicht problemlos miteinander vergleichen lassen. Vor allem Löbl und Sabin explizieren schließlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dass sich die Presse in ihren Funktionen und Zielsetzungen grundlegend von denen des Buches unterscheide und aus diesen Gründen eine andere sprachliche Gestaltung erfahre. Hat Kürnberger nur wenige Jahre zuvor sich trotz seines wissenschaftlich-reflexiv anmutenden Versuchs, der Presse aufgrund ihrer besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen eine eigene (Fach-) Sprache zuzugestehen, letztlich doch die negative Wirkung der Presse für Sprache und Bildung hervorgehoben, so wägen die Diskursteilnehmer des letzten Untersuchungszeitraums die Vor- und Nachteile des Mediums gegeneinander ab, ohne sie zu beurteilen. Dass die Betrachtung der Presse zumeist geprägt sei durch „eingewurzelte Vorurteile, an denen jede Argumentation zerschellt“ (Löbl 1903: 6), dass ihre Verfasser wenig soziale Anerkennung finden, führen diese „Verteidiger“ der Presse auf die mangelnde „objektive Feststellung von Tatsachen und Zusammenhängen“ (Löbl 1903: VI) zurück. Vielmehr stehe die Presse als öffentliches Medium, das als wichtiger Kulturträger gleichermaßen Ausdruck und Motor seiner Zeit ist, unter strenger Beobachtung und werde zum Sündenbock jeglicher sprachlicher wie gesellschaftspolitischer Defizite erhoben. Um die Presse ihres ‚Sündenbockstatus‘ zu entheben, fordern die Diskursteilnehmer nicht allein Ausbildungsmöglichkeiten für Journalisten oder Umstrukturierungen im

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Positionen und Konfliktlinien des Diskurses

Pressewesen, sondern vor allem einen medienwissenschaftlichen Zugang, eine „abstrakte, der Tendenz entrückte und leidenschaftslose Betrachtung“ (Löbl 1903: V) der Presse in ihrer Wechselwirkung zu anderen gesellschaftlichen Sprach- und Wissensbereichen.

4.4 „Oh, dieses Zeitungsdeutsch“142 als Spiegel der zentralen Positionen des Diskurses Wurde in den Kapiteln zur Korpus- und Argumentationsanalyse143 vermerkt, dass sich aufgrund der quantitativen Auszählung der Einstellungen und der Argumentationen im Diskurs die Hypothese 1 (vgl. S. 16) nicht gänzlich bestätigen lässt, dass die berufliche Tätigkeit oder vielmehr der berufliche Umgang mit Sprache (und Presse) ausschlaggebend dafür ist, welche Positionen und Einstellungen die Diskursteilnehmer bezüglich der Einschätzung des Presseeinflusses einnehmen, so verstärken sich die bisher wahrgenommenen Tendenzen durch die qualitative Untersuchung der Positionen und Konfliktlinien des Diskurses. Eine nachträgliche Betrachtung der beruflichen Tätigkeit der beispielhaft aufgeführten Kritiker des dritten Zeitraums zeigt, dass die These vom Sprachverfall vor allem von Lehrern – wie Wustmann, Keller oder Lehmann – oder auch von Schriftstellern und Philosophen – so von Wolzogen und Nietzsche – vertreten wird, während eine wissenschaftliche Betrachtung der Sprache und ihres Wandels in Wechselwirkung mit der Presse vor allem durch Hochschulprofessoren – so Minor oder Behaghel erfolgt. Jene Diskursteilnehmer, die sich der Beschreibung der Presse in ihrer Wechselwirkung zur Sprach- und Gesellschaftsentwicklung unter Einbezug der an das Medium gestellten kommunikativen Anforderungen, der Funktionen und der Ziele widmen und als Vorgänger oder Wegbereiter der Medienwissenschaft einzuschätzen sind, sind – wie Börne, Kürnberger oder Löbl – selbst journalistisch tätig. Dass Kürnberger als Publizist und Feuilletonist die Wirkung der Presse tendenziell negativ einschätzt, zeigt, dass die berufliche Tätigkeit sich zwar nicht zwingend auf die Einstellung auswirkt, aber die Betrachtungsweise (mit-)bestimmt. So scheinen vor allem die Lehrer, die sich täglich mit der Sprache und ihren Gesetzen auseinandersetzen und Regeln des Sprachgebrauchs vermitteln, in einem konservativen Sprachverständnis verhaftet zu sein, das die „reine“, „gute“ und „richtige“ Sprache erhalten möchte, während die Professoren einen Wandel der Sprache propagieren und diesen objektiv und reflektiert versuchen zu beschreiben. Die Journalisten hingegen konzentrieren sich tendenziell darauf, die Umstände der Zeitungsproduktion und -rezeption, die kommunikativen Anforderungen an das Medium in ihre Untersuchungen einzubeziehen. In diesem Sinne erscheint die anfangs zitierte Erzählung Löbls und ihre Probanden durchaus beispielhaft für die drei zentralen Positionen des Diskurses zu sein. Während der Gym142 143

Vgl. Löbl (1892: 334, [3]). Vgl. Kapitel IV und VII.

Zusammenfassung der Positionen

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nasiallehrer und die Schriftstellerin auf jene Diskursteilnehmer verweisen, die die Theorie vom Sprachverfall vertreten und durch sprachliche Regeln oder den Verweis auf Autoritäten versuchen, diesen aufzuhalten, erscheint der eher passiv auftretende Herr des Hauses wegen seiner impliziten Forderung, den „Zeitungsmann“ (Löbl 1892: 335, [5.1]) zu Wort kommen zu lassen als Vertreter der wissenschaftlichen Perspektive. Die Argumentation dieses „Zeitungsmannes“ (ebd.) hingegen ist der gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich entwickelnden medienwissenschaftlichen Betrachtungsweise zuzuordnen, insofern er darauf verweist, „die thatsächlichen Verhältnisse besser“ (Löbl 1892: 335, [4]) kennen zu lernen, bevor pauschale Urteile gefällt werden. Auch hinsichtlich des sprachlichen Wissens lassen sich die Protagonisten Löbls beispielhaft für den Diskurs anführen. So verweisen die kurzen Einwürfe des „vierzehnjährigen Hans“ (Löbl 1892: 334, [3.4]) und der jungen Schriftstellerin auf eine eher verworrene Erkenntnis, eine ‚cognitio clara confusa“, die des Lehrers auf ein praktisches Alltagswissen, eine cognitio clara distincta inadaequata und jene des Journalisten auf eine cognitio clara distincta adaequata.144

144

Vgl. Kapitel II.

IX. Zusammenfassung

„Oh dieses Zeitungsdeutsch! Dieses unselige Zeitungsdeutsch!“ (Löbl 1892: 334, [3]) als „Träger der Sprachkorruption“ (Löbl 1892: 335, [5.3f.]) war von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung, die sich innerhalb dieses thematischen Rahmens vornehmlich dem „Fehmgericht über das schlechte Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 335, [3.6f.]), dem „Vernichtungskriege gegen den deutschen Stil der Journale“ (ebd.) widmete. Dass der – nicht immer derart subjektiv ideell geprägte – Diskurs über die Wechselwirkung zwischen der Pressesprache und der (Standard-)Sprachentwicklung in dem sich durch einen grundlegenden gesellschaftlichen, medialen und sprachlichen Wandel auszeichnenden soziohistorischen Zeitraum des 19. Jahrhunderts höchste Relevanz und Aktualität gewinnt, deutete bereits der eingangs zitierte und im Laufe der Untersuchung häufig beispielhaft angeführte Text Löbls Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch aus dem Jahre 1892 an. In der Schilderung einer kontroversen Diskussion im privaten Rahmen – entfacht durch die Empörung eines Gymnasiallehrers über „dieses unselige Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 334, [3]) – zeichnet Löbl erzählerisch das gesellschaftliche Denken seiner Zeit über die Zeitung, ihre Sprache, den Zustand und die Entwicklung des Deutschen nach. Angeregt durch den Text Löbls – von dem angenommen wurde, dass er der Gesellschaft seiner Zeit in der erzählerischen Behandlung der Frage nach der sprachlichen Gestaltung und dem Einfluss der Zeitung einen Spiegel habe vorhalten wollen – wurde die der Untersuchung zugrundeliegende Frage entwickelt, Warum denkt und äußert sich wer in dem historisch-sozialen Zeitraum des 19. Jahrhunderts in welcher Weise über die Zeitung, ihre Sprache und ihren Einfluss? Um sich diesem zentralen Fragenkomplex zu nähern, wurden in Kapitel II zunächst terminologische und methodische Zugriffsmöglichkeiten geprüft. Gesellschaftsgespräche wie das von Löbl erzählerisch dargestellte über Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch, die durch die Verknüpfung einzelner Äußerungen zum gleichen Thema charakterisiert sind, wurden mit Wichter (1999: 274) als Diskurse bezeichnet. Der hier untersuchte Diskurs konnte nach einer Betrachtung der in der Linguistik kursierenden Diskursbegriffe im weiteren Sinne definiert werden als die Gesamtheit aller Aussagen zum Thema Presse und Sprache, die in Texten realisiert sind. Neben dieser Orientierung an Jungs (2001: 38f.) Verständnis von Diskurs, bot sich der Rückgriff auf den

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korpusbasierten Diskursbegriff Busses und Teuberts (1994: 14) an, da das Erfassen und die Analyse aller Äußerungen und der dahinter stehenden Aussagen zu dem Thema Presse und Sprache kaum zu realisieren ist. Im engeren, forschungspraktischen Sinne – vor allem im Hinblick auf das zu erstellende Korpus – wurde Diskurs präzisiert als die Menge aller im Untersuchungszeitraum des 19. Jahrhunderts (4) entstandenen Texte, in denen Aussagen zum Thema Sprache und Presse realisiert sind (1) und die durch semantische Beziehungen (2) wie durch explizite oder implizite Verweise (4) miteinander verknüpft sein können. Vor allem an dem Kriterium der zeitlichen Bindung (3) konnte festgestellt werden, dass sich Diskurse im Rahmen bestimmter (sozio-)historischer Gegebenheiten abspielen, dass sie geprägt und determiniert sind durch die zu einer bestimmten Zeit gegebenen Möglichkeiten menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns. Deshalb wurden die Begriffe Mentalität, Identität und Sprachbewusstsein in Verbindung zu dem Terminus Diskurs gesetzt. Das Sprachbewusstsein bzw. das Wissen um Sprache, das sich auf Basis von (Total-, Makro- oder Mikro-)Mentalitäten als der „Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens in sozialen Gruppen“ (Hermanns 1995: 77, Hermanns 2002: 80) entfaltet, hat eine wichtige Orientierungsfunktion für einen Sprecher bzw. für eine Gruppe von Sprechern, insofern es ihm bzw. ihr hilft, die (sprachliche) Umwelt (bspw. Personen, Gruppen, Situationen) zu kategorisieren, das eigene Verhalten zu legitimieren und sich als Teil einer Gemeinschaft zu identifizieren (vgl. Scherfer 1983: 40f.). Auf Basis dieses Wissens um Sprache konstituieren soziale Gruppen folglich eine ihre Gruppe bestimmende Identität. Diese wurde als reflexiv gewordene Mentalität verstanden, insofern sich soziale Gruppen ihrer spezifischen „Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens“ (Hermanns 1995: 77, Hermanns 2002: 80) bewusst werden und daraus bestimmte Werte und Eigenschaften, wie beispielsweise bestimmte Sprachverwendungsweisen, Bildungs- oder Literaturwissen und Richtlinien ableiten, die ihnen gemeinsam sind und die sie gleichzeitig von anderen Gruppen unterscheiden. Die Befürwortung wie die Ablehnung bestimmter Sprachgebrauchsformen und -normen dient folglich dazu, die eigene Identität zu legitimieren und zu stabilisieren. Als Ergebnis der terminologischen Betrachtungen konnte festgehalten werden, dass den unterschiedlichen Positionen des Diskurses, den verschiedenen Äußerungen und dahinter stehenden Aussagen der Diskursteilnehmer unterschiedliche Arten des Wissens um Sprache und somit auch unterschiedliche Mentalitäten zugrundeliegen, die das Denkbare und den Wissensbestand determinieren. Motiviert können sie u.a. durch das Gefühl sein, die eigene Identität sei durch den Einfluss fremder Werte und Eigenschaften oder durch die Übernahme der eigenen identitätsstiftenden Mittel durch andere in ihrer Stabilität bedroht. Um weitere den Diskurs über Presse und Sprache kennzeichnende Motivationen, Positionen und Konfliktlinien herausarbeiten und folglich Antworten auf den zentralen Fragenkomplex durch die Rekonstruktion des Diskurses finden zu können, boten sich die diskursanalytischen Verfahrensschritte der Metaphern

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(V)-, Wort (VI)- und Argumentationsanalyse (VII) an. Da in Kapitel II festgestellt wurde, dass Diskurse in historische Realitäten eingebettet sind, dass sie geprägt und determiniert sind durch die zu einer bestimmten Zeit gegebenen Möglichkeiten menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns, sollte zunächst eine genaue Kenntnis des soziohistorischen Umfeldes des Diskurses, des historischen Erfahrungshintergrundes der Diskursteilnehmer gewonnen werden. Um die Äußerungen oder Aussagen der Diskursteilnehmer verstehen, die sich dahinter verbergenden Denk-, Verstehensund Wissensstrukturen freilegen und die Motivationen ergründen zu können, wurde vor der eigentlichen Diskursanalyse deshalb zunächst der soziohistorische Rahmen des Diskurses (III) – die Gesellschafts-, Sprach- und Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts – untersucht. Nach einer ausführlichen Betrachtung und Periodisierung der zentralen Sprach-, Gesellschafts- und Medienentwicklungen des 19. Jahrhunderts konnte festgestellt werden, dass sich der sprachliche, mediale und gesellschaftliche Wandel parallel vollzog, sich die Zäsuren der Periodisierungsversuche nahezu überschnitten. So entspricht die die erste Jahrhunderthälfte prägende Vorbereitungsphase der Industrialisierung der medialen Vorbereitungs- und Retardierungsphase (1), einem Zeitraum, in dem die Standardsprache noch Identifikationssymbol einer exklusiven Trägerschaft oder -schicht ist. Mit der sich in den fünfziger und sechziger Jahren vollziehenden Etablierung der Massenpresse und dem Durchbruch der Industrialisierung (2) weitet sich auch der Geltungsbereich der Standardvarietät aus, die schließlich im letzten Jahrhundertdrittel, der Phase der medialen Konsolidierung und Hochindustrialisierung (3) zum Symbol einer ganzen Nation wird. Der Zeitung kommt im Rahmen dieser Entwicklungen spätestens seit der Jahrhundertmitte die Funktion zu, gleichermaßen als Spiegel wie als Motor dieser Entwicklungen zu agieren, insofern sie einerseits über die soziohistorischen Entwicklungen informiert, sie andererseits – durch ihre Etablierung als Massenmedium (2) und ihre neu gewonnene Funktion der Meinungsbildung – kommentierend und kontrollierend auf den Wandel zurückwirken kann. Nicht allein inhaltlich, sondern auch sprachlich fungiert sie als Trichter, durch den die in der Gesellschaft vorhandenen – vorab z.T. nur exklusiven Kreisen eigenen – sprachlichen Existenzformen und Wissensbestände gefiltert in den allgemeinen Sprachgebrauch und den Wissensbestand der Leserschaft einfließen, diese erweitert und verändert. Eingebunden in diesen Kreislauf, in dieses wechselwirkende Verhältnis von Medien-, Sprach- und Gesellschaftsentwicklung ist auch die Kommunikation über den Wandel, die nicht allein eine Beschreibung der sich vollziehenden Prozesse, sondern auch eine Beurteilung vorsieht und Steuerungsstrategien entwickelt, aus denen sich wiederum ein entsprechendes Handeln der kommunikativ beteiligten Gruppen ableitet. Die zeitgenössische Wahrnehmung der gesellschaftlichen, sprachlichen und medialen Veränderungen wie deren kommunikativ-kritische Reflexion können auf dieselben steuernd und normierend zurückwirken. Im Gegenzug prägen die durch Gesellschafts-, Sprach- und Medienentwicklungen hervorgerufenen Veränderungen des Sprachlebens das Sprachbewusstsein, woraus sich wiederum veränderte Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen ergeben

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können. Nicht die Medien- oder Sprachentwicklung allein, sondern das Zusammenspiel, der Kreislauf von Medien-, Sprach- und Gesellschaftswandel prägt das (Sprach-)Bewusstsein der Diskursteilnehmer und wird Gegenstand der Kommunikation. Als Ergebnis der Betrachtung des soziohistorischen Rahmens des Diskurses konnte schließlich u.a. festgehalten werden, dass die zeitgenössische Kommunikation über Medien und ihren Sprachgebrauch – ob der festgestellten Wechselwirkung der Entwicklungen – von den sprachlichen und gesellschaftspolitischen Wandelprozessen nicht losgelöst sein kann, sondern vielmehr an die zeitgenössischen Kontexte gebunden (vgl. Hypothese 2, S. 16) und durch sie motiviert (vgl. Hypothese 3, S. 18) sein muss. Die Kommunikation über die medialen (Sprach-)Entwicklungen kann demnach nicht auf eine kritische Betrachtung der Medien und ihres Sprachgebrauches begrenzt sein, sondern enthält – wenn auch implizit – meist auch jene über Sprache und Gesellschaft(-spolitik), was zu einer ersten Bestätigung der eingangs aufgestellten Hypothesen 2 und 3 führt. Die vor allem in Hypothese 2 (vgl. S. 16) angenommene Einbindung der Kommunikation über die sprachliche Wirkung der Presse in die historischen Kontexte, die Lebenswelten der Diskursteilnehmer konnte auch durch die Analyse des Korpusʼ in Kapitel IV bestätigt werden. Da die Betrachtung des soziohistorischen Rahmens des Diskurses ergeben hat, dass die Kommunikation über die soziopolitischen, sprachlichen oder medialen Prozesse in den Kreislauf von Sprach-, Medien- und Gesellschaftsentwicklung eingebunden ist, konnten für die zeitliche Gliederung des 111 Dokumente umfassenden Korpusʼ die drei in Kapitel III erarbeiteten Phasen übernommen werden. Im quantitativen Vergleich der drei Phasen zeigte sich, dass die Zahl der den Diskurs konstituierenden Schriften analog zu der Expansion der Presse und ihrer funktionalen Erweiterung spätestens im letzten Jahrhundertdrittel drastisch anstieg, die medialen, sprachlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen folglich in einem engen wechselwirkenden Verhältnis zu ihrer kritischen Betrachtung stehen. Gestützt wird Hypothese 2 (vgl. S. 16) auch durch eines der Ergebnisse der quantitativen Korpusanalyse, dass sich der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung in allen drei zeitlichen Teilkorpora nicht primär als Rahmendiskurs, sondern zumeist als Binnendiskurs entfaltet. Daraus wurde gefolgert, dass der Presse nicht zwingend wegen ihrer selbst eine große Bedeutung beigemessen wird, sondern dass sich die gesellschaftliche Relevanz der Presse aus ihrer wechselseitigen Beziehung zu anderen Themen-, Wissens- und Gesellschaftsbereichen wie -entwicklungen ergibt. Auch bot die Analyse des Korpus erste Hinweise darauf, in welcher Weise sich die Diskursteilnehmer über die Presse und ihre Wirkung äußerten, insofern ihre Einstellungen gegenüber der Presse quantitativ über den gesamten Zeitraum hinweg und innerhalb der zeitlich definierten Teilkorpora gemessen wurden. In nahezu zwei Dritteln der Texte des gesamten Untersuchungszeitraums werden die Presse und ihre Wirkung tendenziell negativ eingeschätzt, in nur einem Drittel abwägend, tendenziell positive Bewertungen der Presse finden sich im Diskurs nicht. Außer im ersten Zeitraum, in dem sich tendenziell negative und neutrale Schriften die Waage halten, spiegelt sich die Verteilung der Einstellungen des Gesamt-

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korpus auch in den zeitlich definierten Teilkorpora wieder. Diese ersten Hinweise auf die unterschiedlichen Positionen im Diskurs konnten in den der Korpusanalyse folgenden Analysen der Metaphorik (V), der Bezeichnungen im Diskurs (VI) und der Argumentationen (VII) um die Konfliktlinien des Diskurses erweitert und abschließend in Kapitel VIII zusammenfassend hinsichtlich ihrer zeitlichen wie sozialen Bindung und ihrer Motivation untersucht werden. Als Ergebnis der diskursanalytischen Kapitel IV–VIII konnte festgehalten werden, dass jene der Presse tendenziell negativ gegenüberstehenden Diskursteilnehmer einen Dualismus zwischen der „guten“, existenzsichernden Sprache und der „bösen“, existenzbedrohenden Presse zeichnen, wobei sie das dualistische Verhältnis zwischen Presse und Sprache selten als Wechselwirkung, sondern vielmehr als einseitige bedrohliche Einwirkung der Presse auf die Sprache darstellen. Zumeist liegt dieser Vorstellung von einem Dualismus zwischen Sprache und Presse das im ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (vgl. S. 165) formulierte Verständnis der Diskursteilnehmer zugrunde, dass Denken – als innerer Vorgang – und Sprechen – gleichermaßen als Träger und Ausdruck des Denkens – einander entsprechen sollten, dass das Denken eine passende sprachliche Einkleidung finden solle, die ihm gut stehe. Noch deutlicher als durch diese bildliche Übertragung von typischen Eigenarten der Kleidung auf die Sprache veranschaulichen die Diskursteilnehmer die existenzielle Bedeutung der Sprache für Leben und Denken durch die Verwendung sakral-biblischer Metaphern. Indem sie sie als „Schöpferin der geistigen Lebensthätigkeit des Einzelnen und des Ganzen“ (Rückert 1864: 92) erachten, weisen sie ihr eine grundlegend existenzsichernde wie identitätsstiftende Funktion zu. Vor allem in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen ist diese Vorstellung von Sprache stark nationalideologisch motiviert, insofern „die Einheit des Volkes ihren vornehmlichsten Ausdruck in der Sprache“ (Wiese 1859: 10) habe. In der im ‚Topos der nationalen Identität‘ (vgl. 170) formulierten Ansicht, das dem Volk gemeinsame kulturelle Gedankengut sei in der Sprache verankert, wird die Sprache von einigen Diskursteilnehmern als zentraler Wert zur Konstitution einer nationalen Identität betrachtet. Dass ihr als Trägerin und Ausdruck der geistigen Stärke einer Nation die Funktion zugeschrieben wird, die Zugehörigkeit zu einer im Entstehen begriffenen deutschen Nation zu demonstrieren, verweist auf ein im gesamten Untersuchungszeitraum vorhandenes kollektives Wissen um die nationalsymbolische Kraft der Sprache. Da die Sprache der Mehrheit der Diskursteilnehmer gleichermaßen als Trägerin und Ausdruck der geistigen Stärke des Einzelnen und des Ganzen gilt, propagieren sie einen optimalen Zustand der Sprache, der sich durch „Reinheit“ und „Klarheit“ auszeichne. Der schöpferischen Macht der Sprache steht im Diskurs die zerstörerische Macht der Presse diametral gegenüber, wobei die Presse von den meisten Diskursteilnehmern nicht als ein von Grund auf „böses“ Medium empfunden wird. Diese in der Presse angelegte Ambivalenz veranschaulichen die Diskursteilnehmer beispielsweise durch die Übertragung von Eigenschaften des Wassers auf die Presse. Als solches wird ihr eine

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durchaus lebensbedeutende, anregende und dynamische Funktion zuerkannt, hervorgehoben wird allerdings ihre bedrohlich tödliche Wirkung als Meer, das alles überflute. Ihre potenziell positive Wirkung, den geistigen Austausch fördern, somit die Sprache als nationales Kulturgut verbreiten und sich förderlich auf die Formierung und Positionierung der Nation auswirken zu können (vgl. ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘, S. 194), könne die Presse wegen des Zusammenspiels diverser Faktoren nicht entfalten. Zwar zeichne sich die Presse, um den Interessen eines differenzierten Publikums entgegenzukommen, durch eine thematische Vielfalt aus, doch leide unter dieser Quantität ihre Qualität (vgl. ‚Topos der quantitativen Steigerung‘, S. 182). Da die Zeitung als zunehmend kommerziell orientiertes Unternehmen einen größtmöglichen Gewinn mit den geringsten Mitteln erzielen, d.h. in kürzester Zeit für die vielfältigsten Inhalte einen allen Lesern verständlichen und Interesse weckenden sprachlichen Ausdruck finden müsse, zeichne sich ihre inhaltliche wie sprachliche Gestaltung durch Oberflächlichkeit, Phrasenhaftigkeit und zumeist auch Fehlerhaftigkeit aus (vgl. ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘, S. 187). Problematisch erscheint den Diskursteilnehmern, dass die Presse trotz dieser vermeintlichen Mängel ihrem Publikum eine Wissensallmacht suggeriere, welches wiederum Inhalte und Sprache der Zeitung unreflektiert übernehme (vgl. ‚Topos der mechanischen Rezeption‘, S. 186), ohne sich mit ihnen im Selbststudium auseinanderzusetzen. Aus diesen Umständen der Zeitungsproduktion und -rezeption leitet die Mehrzahl der Diskursteilnehmer ab, dass die Sprache durch den steigenden Einfluss der Presse verfalle und sich eine Schablonensprache verbreite, die letztlich – ob der Wechselwirkung zwischen Sprechen und Denken – Auswirkung auf das Denkvermögen der Leser habe. Die Zeitung trage somit zwar zu einer Erweiterung der Bildung hinsichtlich der Breite bei, mindere aber gleichermaßen ihre Tiefe. Dies veranlasst die von einem dualistischen Verhältnis zwischen Presse und Sprache ausgehenden Diskursteilnehmer zu der Feststellung, dass sich das Verständnis von Sprache und Bildung unter Einfluss der Presse grundlegend wandle, dass sprachliche wie inhaltliche Tiefgründigkeit zugunsten einer breiten Oberflächlichkeit an Wert verlieren. Zeichen hierfür sei nicht zuletzt der Medienwandel, die zunehmende Verdrängung der sich mit ihren Inhalten und deren adäquatem Ausdruck tiefgründig auseinandersetzenden Literatur durch die oberflächliche Presse als primärem Bildungsmedium (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘, S. 198). Eng an diesen durch die Organisationsform der Presse provozierten Wandel des Medienund Bildungsverständnisses gebunden sei der Wandel des schriftstellerischen und sprachlichen Verständnisses. Nicht mehr der Schriftsteller, der „ganz allein der Sache wegen“ (Schopenhauer 1851a: 545) schreibe, der während seiner idealistisch motivierten schriftstellerischen Tätigkeit seine eigenen Gedanken und Erfahrungen weiterentwickle und verarbeite, gelte als Autorität. Größeren Einfluss übe der Journalist auf die Entwicklung der Sprache und des Geistes aus, der seinen Geist in die finanzielle Abhängigkeit des Pressewesens gebe und sich oberflächlich mit fremden Gedanken beschäftige. Während der Schriftsteller als selbstbestimmtes Subjekt die Sprache als

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Kunst übe, werde der Journalist seiner Selbstbestimmung nahezu enthoben und zu einem Objekt instrumentalisiert, zu einer Maschine innerhalb der Maschinerie des Pressewesens. Von dieser Instrumentalisierung oder Mechanisierung des schriftstellerischen Subjekts zum dienenden Objekt sei auch die Sprache betroffen, die den Journalisten als bequemes Verkehrsmittel diene, das dem praktischen Bedürfnisse – in kürzester Zeit die bestmögliche Wirkung und den größtmöglichen Gewinn zu erzielen – gerecht werden müsse. In den Augen der Diskursteilnehmer, die von einem dualistischen Verhältnis zwischen Presse und Sprache ausgehen, bewirkt die Presse in ihrer zeitgenössischen Form und Gestaltung nicht allein eine Auflösung der subjektiven Schöpfungskraft der Sprache, sondern auch eine Auflösung der schriftstellerisch-literarischen Schöpfungskraft in einer maschinell bestimmten Massenhaftigkeit. Nicht allein die Sprache, sondern auch der Geist diene folglich zunehmend dem praktischen Bedürfnis, was letztlich auch Auswirkungen auf die geistige Stärke der Nation habe, da ihre grundlegenden identitätsstiftenden Werte Sprache, Bildung und Literatur durch die Presse in ihrer Stabilität bedroht seien. Um diese Bedrohung der identitätsstiftenden Werte und somit der (nationalen) Identität abzuwehren, suchen die Diskursteilnehmer der dem Volk als Autorität geltenden Presse alternative Autoritäten entgegenzusetzen. Als besonders bewährt gelten dabei vor allem in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen die Vertreter der Weimarer Klassik und ihre literarischen Werke, da allein in ihnen der propagierte Einklang zwischen Sprache und Denken herrsche und das deutsche Kulturgut sprachlich wie inhaltlich angemessen tradiert werde. Dieser im Diskurs zentralen Vorstellung von einem Dualismus zwischen Presse und Sprache, die – sofern keine gegenwirkenden Maßnahmen ergriffen werden – letztlich einen Verfall der Sprache und des Geistes, eine Auflösung des Subjekts im durch die Presse beförderten Massenwesen prognostiziert und deshalb als dekadenztheoretische Betrachtungsweise bzw. Position betitelt wurde, steht die im Diskurs nur gering vertretene (medien-)wissenschaftliche Betrachtungsweise gegenüber. Im Gegensatz zu den Vertretern der dekadenztheoretischen Perspektive gehen diese wenigen Diskursteilnehmer nicht von einem durch die Presse bedrohten optimalen Zustand der Sprache aus. Vielmehr verweisen sie – wie im ‚Topos der Interaktion‘ (vgl. S. 168) formuliert – darauf, dass die Sprache als Mittel des Gedankenaustauschs den geistigen, kulturellen wie kommunikativen Bedürfnissen ihrer Sprecher gerecht werden müsse, was nur wegen ihrer Wandlungsfähigkeit möglich sei. Allein deshalb könne sie Trägerin und Ausdruck des sich ebenfalls wandelnden Denkens sein. Die zeitgenössischen Veränderungen der Sprache, der Bildung und des Verständnisses von Sprache und Bildung führen sie nicht auf die Presse als vermeintliche Quelle zurück, sondern auf den sich vollziehenden Gesellschaftswandel, in dessen Folge sich auch die Anforderungen an Sprache und Bildung und somit auch die Sprache und Bildung selbst verändern (vgl. ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘, S. 175). Im Rahmen dieses wechselwirkenden Verhältnisses von Gesellschafts-, Sprach- und Bildungswandel erachten die Diskursteilnehmer – ähnlich wie in Kapitel III beschrieben – die Presse als wesentlichen

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Bestandteil der Entwicklungen, insofern sie diese als öffentliches Medium gleichermaßen ausdrücke wie rückwirkend beschleunige (vgl. ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘, S. 198). Die Presse gilt ihnen als „notwendiges Übel“ (Groth in Bulthaupt 1891: 34) der Zeit, welches dem infolge der vielfältigen Entwicklungen im Zeitalter der Industrialisierung gesteigerten Bedürfnis nach einer weiteren, schnelleren Bildung und großräumigeren Kommunikationsmöglichkeiten eher entgegenkomme als das Buch, welches zumeist nur einem exklusiven Kreis Gebildeter, nicht aber der Masse zugänglich sei (vgl. ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘, S. 198). Deutlich objektiver als die Vertreter der dekadenztheoretischen Betrachtungsweise widmen sich jene wissenschaftlich arbeitenden Diskursteilnehmer auch der sprachlichen wie inhaltlichen Gestaltung der Zeitung. Diese betrachten sie nicht als primär fehlerhaft, sondern verweisen darauf, dass die Presse einerseits eigene sprachliche Regeln und Besonderheiten herausbilden, andererseits auf Sprachformen und -konstruktionen anderer – vorab exklusiver – Wissens- und Fachbereiche zurückgreifen müsse, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden zu können (vgl. ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘, S. 188). In diesem Sinne gilt ihnen die Presse als sprachliches wie inhaltliches ‚Bindeglied‘ zwischen den unterschiedlichen Wissensbereichen menschlichen Lebens (vgl. ‚Bindeglieds-Topos‘, S. 184). Als solches trage sie zu einer Demokratisierung von Sprache und Bildung als Grundlage der Formierung und Positionierung der deutschen Nation bei, da sie jene Sprach- und Wissensbestände für eine breitere Masse öffentlich zugänglich mache, die zuvor nur einem exklusiven Kreis an fachlich Eingeweihten zugänglich gewesen seien. Auf eben diese Bindeglieds- und Vermittlerfunktion der Presse im Rahmen des sich vollziehenden Gesellschafts-, Sprach- und Bildungswandels führen die Diskursteilnehmer die Position der Dekadenztheoretiker zurück, die Presse sei Quelle einer vermeintlichen Sprachkorruption, des sich verändernden Sprach- und Bildungsverständnisses. Sie bestätigen insofern die eingangs aufgestellte Hypothese 5 (vgl. S. 18), als sie darauf verweisen, dass sich jene, die die Presse nicht in ihrer Wechselwirkung zu den zeitgenössischen Wandelprozessen, sondern als deren Quelle betrachten, nicht eingehend mit den Ursachen bzw. Umständen ihrer Entwicklung auseinandersetzen, sondern nur deren an der Presse offensichtlich werdendes Ergebnis beurteilen. Aus dieser im ‚Sündenbock-Topos‘ (vgl. S. 199) formulierten Feststellung, dass die Presse zum Sündenbock jeglicher Veränderungen werde, die sie zwar nicht verursache, sondern nur widerspiegle, leiten einige wenige Diskursteilnehmer im dritten Untersuchungszeitraum eine Forderung nach aufklärenden Maßnahmen ab, die die Zeitung (wissenschaftlich) differenziert beschreiben sollen. Diese dritte Position im Diskurs, deren Wegbereiter Börne und Kürnberger bereits in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen zu finden sind, wurde als medienwissenschaftliche bezeichnet, insofern sie sich nicht allein der objektiven Beschreibung der Medienentwicklung in ihrem Zusammenspiel mit der Sprach- und Gesellschaftsentwicklung widmet, sondern auch Strategien entwickelt, die Organisation und Stellung des Pressewesens, u.a. durch journalistische Ausbildungsmöglichkeiten (vgl. ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (nor-

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mativ), S. 192), zu optimieren. Die drei zentralen Positionen des Diskurses unterscheiden sich einerseits folglich darin, dass sie sich einem anderen Sprachverständnis verpflichtet fühlen, d.h. während die dekadenztheoretische Betrachtungsweise von einem primär statischen, optimalen Zustand der Sprache ausgeht, propagiert die wissenschaftliche eine dynamische, wandelbare Sprache. Gemäß diesem unterschiedlichen Verständnis von Sprache finden sie andererseits unterschiedliche Zugänge zu Presse und Sprache. Jene Diskursteilnehmer, die die medienwissenschaftliche und die wissenschaftliche Position vertreten, suchen die Presse, ihre Sprache und ihre Entwicklung in ihrer Wechselwirkung zu den übrigen Wandelprozessen zu beschreiben, wobei sich erstere auf die Medien-, letztere auf die Sprachentwicklung konzentrieren. Die Dekadenztheoretiker hingegen beziehen die zentralen Merkmale und Funktionen der Zeitung, aus denen sich besondere kommunikative Anforderungen an das Medium ergeben, kaum in ihre an der Oberfläche bleibenden Betrachtungen ein, sondern konzentrieren sich lediglich auf die (negative) Beschreibung ihrer Sprache, so dass sie zu dem Schluss kommen, die Presse entwickle sich nicht in Wechselwirkung mit den übrigen Wandelprozessen, sondern sei Ursache derselben. Nicht allein Hypothese 5 (vgl. S. 18) fand somit nach einer eingehenden Analyse des Diskurses in den Kapiteln IV–VIII Bestätigung, sondern auch die in Hypothese 1 (vgl. S. 16) geäußerte Annahme, dass der berufliche Umgang mit Sprache die Wahrnehmung und Beurteilung der Presse, ihrer Sprache und ihrer Wirkung steuere, konnte tendenziell bestätigt werden. Festgehalten werden kann demnach, dass die Weise, in welcher Aussagen über Presse und Sprache getroffen werden, abhängig davon ist, wer sich äußert. Wie die Untersuchung ergeben hat, unterscheiden sich die im Diskurs primär vertretenen Berufsgruppen der Lehrer und Hochschullehrer wie der Journalisten und Schriftsteller weniger in der Einschätzung der Wirkung der Presse und ihrer Sprache als vielmehr durch ihre Herangehensweise. Während Hochschullehrer und Journalisten, bei denen negative und abwägende Beurteilungen nahezu gleichberechtigt gegenüber stehen, einen wissenschaftlichen oder medienwissenschaftlichen Zugang zum Thema suchen, dominieren unter den Schriftstellern und Lehrern nicht nur negative Urteile, sondern damit einhergehend eine sprachideologische bzw. dekadenztheoretische Betrachtungsweise. Dass Lehrer und Hochschullehrer einen derart unterschiedlichen Zugang suchen, obwohl beide eine lehrende Tätigkeit ausüben, liegt in ihrem beruflichen Umgang mit sprachlichen aber auch mit inhaltlichen Fragen begründet. Während die Tätigkeit des Lehrers eher dadurch geprägt ist, Ergebnisse zu beurteilen und Regeln zu lehren, durch die eine Verbesserung der Ergebnisse erzielt werden kann, ist die Tätigkeit der Hochschullehrer weniger normativ als deskriptiv ausgerichtet. Dass diese sich i.G. zu Lehrern nicht primär darauf konzentrieren, Ergebnisse nach ihrer Qualität gut oder schlecht, richtig oder falsch zu beurteilen, sondern vielmehr auf die Ergründung und Beschreibung ihrer potenziellen Ursachen, spiegelt sich auch in ihrer Betrachtungsweise der Presse wider. Ähnlich gestaltet sich die Verteilung bei den eine schriftstellerische Tätigkeit ausübenden Journalisten und Schriftstellern. Journalisten kommen

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deutlich seltener zu einer tendenziell negativen Einschätzung der Presse, da sie sich praktisch mit dieser auseinandersetzen, mit den Umständen der Zeitungsproduktion, den Rahmenbedingungen des journalistischen Schaffensprozesses vertraut sind. Auch käme eine schlechte Einschätzung der Zeitung, ihrer Sprache und Wirkung im weiteren Sinne einer Kritik an den eigenen journalistischen Fähigkeiten, des eigenen Berufsbildes gleich. Die Schriftsteller beziehen – ähnlich wie die Lehrer – die kommunikativen Anforderungen, Funktionen und Ziele des Mediums Zeitung kaum objektiv in ihre Überlegungen ein, sondern legen ihr die Maßstäbe und Werte der eigenen schriftstellerischliterarischen Tätigkeit zugrunde, so dass sie zumeist zu einem tendenziell negativen Urteil kommen. Wie die Diskursanalyse zeigte, ist die Frage, in welcher Weise sich die Diskursteilnehmer über Presse und Sprache äußerten, nicht allein abhängig von ihrem beruflichen Umgang mit Sprache, sondern davon, wann, d.h. vor welchem historischen Hintergrund Aussagen getroffen werden. Bereits in der Analyse des Korpus in Kapitel IV deutete die analog zur Expansion des Pressewesens steigende Zahl der Schriften, die sich – ob als Rahmen- oder Binnenthema – mit der Presse, ihrer Sprache und Wirkung auseinandersetzen, an, dass sich die in Hypothese 2 (vgl. S. 16) formulierte Annahme, der Diskurs sei eng an den historischen Kontext gebunden, im Laufe der weiteren Untersuchung bestätigen könnte. Vor allem die Untersuchung der Argumentationen des Diskurses in Kapitel VII zeigte, dass sich die Diskursteilnehmer in den drei zeitlichen Teilkorpora zwar nicht zwingend auf verschiedene Kritikpunkte konzentrieren oder grundlegend andere Positionen einnehmen, sondern dass sie in Abhängigkeit von den historischen Entwicklungen unterschiedliche Schwerpunkte setzen. So ist zwar in allen drei Zeiträumen die im Topos der sprachlich gedanklichen Wechselwirkung‘(vgl. S. 165) und im ‚Topos der nationalen Identität‘(vgl. S. 170) formulierte Vorstellung weit verbreitet, dass die Sprache als Trägerin und Ausdrucksmittel des spezifisch deutschen Gedankenguts ein zentraler Wert zur Stiftung nationaler Identität sei. Während die Diskursteilnehmer in den ersten beiden Zeiträumen, die geprägt waren durch Forderungen nach einer politischen Neuordnung des deutschsprachigen Raumes und restaurativen Gegenbewegungen, zumeist Maßnahmen forderten, das Sprachverständnis der Menschen dahingehend zu stärken, dass sie eine gemeinsame „reine und reiche“ Sprache als Grundlage einer nationalen Gemeinschaft sprechen, konzentrieren sich die Autoren des letzten Untersuchungszeitraumes auf die Forderung, das Nationalsymbol Sprache durch richtigkeits- und reinheitsfördernde Maßnahmen zu stabilisieren und zu wahren. Auch finden sich nur bei Autoren des ersten zeitlichen Teilkorpus – dem einzigen Zeitraum, in dem sich tendenziell negative und abwägende Einstellungen gegenüber der Presse gleichmäßig verteilten – die im normativen ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ (vgl. S. 194) oder im ‚Verhinderungs-Topos‘ (vgl. S. 196) formulierten Forderungen, die Pressezensur abzuschaffen, um einen freien geistigen Austausch aller als Grundlage einer deutschen Nation befördern zu können. Der ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘ (vgl. S. 188) ist hingegen im letzten Untersuchungszeitraum deutlich weiter ver-

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breitet als in den ersten beiden Teilkorpora, da sich die Presse spätestens im letzten Jahrhundertdrittel zum multifunktionalen Massenmedium entwickelte, sich ihr sprachlicher wie gesellschaftlicher Einfluss deutlich steigerte und hieraus das Bedürfnis vieler Zeitgenossen erwuchs, sich der Presse als Ganzes – unter Einbezug ihrer Funktionen wie ihrer Produktions- und Rezeptionsbedingungen – weitestgehend objektiv beschreibend zu widmen. Durch die Bestätigung der eingangs aufgestellten Hypothesen 1 und 2 kann festgehalten werden, dass der berufliche wie der historische Kontext, in dem sich die Diskursteilnehmer bewegen, nicht allein ihr Wissen um Sprache und Presse in ihrer – ob wechselwirkenden oder einseitigen – Beeinflussung determinieren, sondern auch die Möglichkeit, das Wissen der jeweils anderen nachvollziehen und akzeptieren zu können. Den drei unterschiedlichen Positionen des Diskurses liegen demnach unterschiedliche (Mikro-)Mentalitäten, unterschiedliche Welt- und Wertevorstellungen zugrunde, so dass das Wissen der jeweils anderen außerhalb des für sie Denk- und Vorstellbaren liegt. Motiviert ist der Diskurs im weitesten Sinne durch den sich vollziehenden grundlegenden Wandel von Sprache, Medien, Gesellschaft und Bildung, der letztlich auch auf „das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens“ (Dinzelbacher 1993: XXI), folglich auf die „für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend[en]“ (ebd.) und sich in Handlungen manifestierenden Mentalitäten verändernden Einfluss nimmt. Verändern sich die gesellschaftlichen „Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens“ (Hermanns 1995: 77, Hermanns 2002: 80), so verändern sich auch die aus ihnen abgeleiteten Werte und Eigenschaften, über die die gesamte Gesellschaft, einzelne soziale Gruppen oder Personen ihre Identität(en) konstituieren. Die Folge ist, dass die herkömmlichen Bindungen und Beziehungen gelockert, bislang gültige Wissensformen infrage gestellt oder zugunsten einer Neuordnung gar aufgehoben werden. Wie selbst einige der Diskursteilnehmer vermerken, stehen die unterschiedlichen Bewertungen dieser Veränderungen, „die Ansichten über sprachliche Dinge geradezu mit der Verschiedenheit des politischen Standpunkts in Zusammenhang“ (Behaghel 1894: 16). Vor allem für jene Diskursteilnehmer, für die „der einzig richtige Standpunkt der konservative“ (Wustmann 1891: 31) ist, d.h. die eine Notwendigkeit des sprachlichen Wandels negieren und einen als optimal erachteten Sprachzustand zu bewahren suchen, wächst aus dem Wandel der traditionellen identitätsstiftenden Werte Sprache und Bildung das Gefühl der sozialen Unsicherheit, der zunehmenden Instabilität der eigenen Identität. Im Zuge der diskursanalytischen Untersuchung in den Kapiteln IV–VIII konnte festgestellt werden, dass die von der Mehrzahl der Diskursteilnehmer vertretene dekadenztheoretische Betrachtungsweise aus dem Gefühl resultiert, die soziale Identität sei durch die Übernahme der eigenen identitätsstiftenden Werte durch die nach Bildung strebende Masse in ihrer Stabilität bedroht. Durch diese von der Presse beförderte zunehmende Demokratisierung von Sprache und Bildung besteht nicht allein die Gefahr, dass die soziale Schicht des Bürgertums jene Mittel verliert, durch die sie sich von anderen sozialen

Zusammenfassung

329

Gruppierungen unterscheidet, sondern vor allem, dass sich ihre festen sozialen Grenzen auflösen und sie ihren sozialen Status innerhalb der Gesellschaft verliert. Um einem Identitätsverlust vorzubeugen und die Daseinsberechtigung innerhalb der Gesellschaft zu legitimieren, grenzen die Diskursteilnehmer das eigene Sprach- und Bildungswissen von dem der breiten Masse als identitätsstiftenden Wert weiterhin ab und differenzieren zwischen der abzulehnenden massenhaft verbreiteten Scheinbildung der Presse und der vorbildlichen exklusiven Bildung durch Bücher. Diese Mittel der Distanzierung, Differenzierung und Stigmatisierung zur Sicherung der Identität zeigen sich auch in den Äußerungen der am Diskurs beteiligten Schriftsteller. Diese versuchen ihre gesellschaftliche Position, die ihnen dadurch bedroht scheint, dass nicht mehr der idealistische Poet als anerkannte, sprachlich wie kulturell bildende Autorität gilt, sondern der Tagesschriftsteller, zu sichern, indem sie sich bewusst von dem „jungen“ Berufsstand der Journalisten abgrenzen. Eine Aufwertung des eigenen Schaffens, das durch gedankliche Tiefe und Idealismus geprägt sei, versuchen sie zu erzielen, indem sie jenes der Presse und ihrer Verfasser als oberflächlich, ungebildet oder ertragsorientiert abwerten. Diese „Instrumentalisierung des Sprachwandelbewusstseins für bildungsorientierte Sozialdistanzierung und mittelständische Berufschancensicherung“ (von Polenz 1999: 4) lässt nicht allein eine Bestätigung der in Hypothese 4 (vgl. S. 18) angenommenen elitären Motivation der kritischen Pressebetrachtung zu, sondern fordert gleichzeitig ihre Erweiterung durch die soziale Komponente der Identitäts- und Statussicherung. Denn das „elitäre (Kultur- und Sprach-)Denken“ (vgl. Hypothese 4, S. 18), die Presse profanisiere und trivialisiere Sprache und Bildung, resultiert letztlich aus dem Gefühl der Notwendigkeit, die Bedrohung der eigenen sozialen Identität abzuwehren, indem zwischen dem eigenen Sprach- und Bildungswissen und dem der durch die Zeitung gebildeten Masse qualitativ differenziert wird. Auch lässt sich die Position der die Dekadenztheorie vertretenden Diskursteilnehmer im Rahmen des im 19. Jahrhunderts zentralen Prozesses der nationalen Identitäts- und Gemeinschaftsbildung auf eine Angst vor dem Verlust der nationalen Identität zurückführen. Diese zeigt sich vor allem in dem Vorwurf, dass die Presse die im Entstehen begriffene Nation gefährde, indem sie durch ihre fremdsprachliche Vielfalt und ihre Oberflächlichkeit die Qualität der Sprache mindere und zudem die Literatur als primäres Bildungsmedium verdränge, folglich die grundlegenden Werte verändere, die das Bewusstsein der Menschen stärken, Teil einer Nation zu sein. Diese Befürchtung der Diskursteilnehmer, die auf gemeinsamen Werten basierende Sicherheit nationaler und sozialer Grenzen durch einen vermeintlich von der Presse bewirkten sprachlichen wie geistigen Wandel zu verlieren, gründet letztlich in der Angst vor einer Auflösung der Person, der sozialen Gruppe oder der Nation im modernen Massenwesen. Die Sorge der Diskursteilnehmer, dass „die Menschheit [immer tiefer] in die Knechtschaft der großen Zahl“ (Löbl 1903: 25) versinke, dass zunehmend die „Sache über die Person“ (Kürnberger 1866: 23) dominiere und Sprache wie Geist durch die gesteigerte Sprach- und Bildungsproduktion der Presse zu bequemen Ver-

330

Zusammenfassung

kehrsmitteln instrumentalisiert werden, resultiert letztlich aus ihrer Erfahrung des durch die Industrialisierung hervorgebrachten „rasanten schwindelerregenden Wandels, der Beschleunigung der Zeit und der Schrumpfung des Raumes“ (Kocka 2001: 55). Da die von den Diskursteilnehmern wahrgenommenen Veränderungen – die zunehmende Instrumentalisierung von Sprache und Geist, das zunehmende Bildungsstreben der Bevölkerung, welches einen Wandel der Sprache und Bildung bzw. ihres Verständnisses bewirkt oder die Veränderungen in der Medienlandschaft – zurückzuführen sind auf den sich im 19. Jahrhundert vollziehenden grundlegenden Wandel infolge der Industrialisierung, lässt sich die eingangs in Hypothese 3 (vgl. S. 18) gehegte Annahme bestätigen, dass sich hinter der kritischen Pressebetrachtung zumeist eine kulturhistorisch motivierte Kritik verbirgt. Diese gründet in der steigenden sozialen Unsicherheit der Zeitgenossen, die einige wenige dadurch zu überwinden versuchen, dass sie ihre Ursachen ergründen, beschreiben und als natürlich akzeptieren. Die meisten Diskursteilnehmer suchen hingegen nach einer vermeintlichen Quelle der Veränderungen, die es ihnen erlaubt, ihre Unzufriedenheit, ihre Ängste und Unsicherheiten zu kompensieren, indem sie sie stigmatisieren, das aus ihr entsprungene Neue, Unbekannte abwerten, um im Gegenzug ihre eigenen – konservativ traditionellen – Werte, Eigenschaften und Ordnungen aufzuwerten und zu legitimieren. Zwar kann die Ursache der Veränderungen wegen der in Kapitel III festgestellten Wechselwirkung zwischen Gesellschafts-, Medien- und Sprachentwicklung – der sich auch einige wenige Diskursteilnehmer gewahr werden – objektiv kaum erschlossen werden, ein geeignetes Objekt, das leicht als Quelle des Wandels (miss-)verstanden werden kann, ist allerdings die Presse. Da sie sich im 19. Jahrhundert einhergehend mit den soziohistorischen Entwicklungen grundlegend von einem Nachrichtenmedium mit exklusivem Leserkreis zu einem multifunktionalen Massenmedium entwickelt, also den Zeitgenossen in dieser Form „neu“ erscheint und „alles, was irgend Bedeutendes gethan oder gedacht wird, zur Uebersicht“ (Menzel 1839: 2) bringt, ist sie ein (an-)greifbareres Objekt als die kaum fassbaren Zeitgeschehnisse. Auf dieses Sinnbild der „neuen“ Welt, der „neuen“ Gesellschaftsordnung können die Diskursteilnehmer ihre persönliche, soziale oder nationale Unsicherheit projizieren und letztlich auch relativieren, indem sie durch die Abwertung und Ablehnung des fremden „Neuen“ den Wert des eigenen „Alten“ zu steigern und seine Daseinsberechtigung zu legitimieren suchen. Der Presse wird folglich nicht allein – wie in Hypothese 5 (vgl. S. 18) eingangs angenommen – die Rolle als Trägerin einer vermeintlichen Sprachkorruption zugeschrieben, sondern sie gilt vielen Diskursteilnehmern als Quelle des Sprach-, Bildungs- und Gesellschaftswandels. Diese im 19. Jahrhundert zentrale Betrachtungsweise der Presse als Quelle des vermeintlichen Verfalls, der nur wenige Zeitgenossen in einer (medien-)wissenschaftlich reflektierten Weise widersprechen, verliert sich auch im 20. und 21. Jahrhundert mit der Etablierung weiterer massenwirksamer Medien nicht. Vielmehr bleiben diese ein Objekt, auf welches zeitgenössische Ängste, Unzufriedenheiten und Unsicherheiten projiziert werden. In ihrer zentralen Funktion, als Bindeglied und Vermittlerin zwischen den

Zusammenfassung

331

gesellschaftlichen Wissensbereichen zu fungieren, jegliche Entwicklungen öffentlich abzubilden, wird sie auch weiterhin häufig als Quelle diverser Veränderungen (miss-) verstanden. In Zeiten des Wandels wird ihr vermeintlich negativer Einfluss auf die Sprach- und Bildungsentwicklung hervorgehoben. Vor allem in Krisen- und Wandelzeiten wird verstärkt auf die Notwendigkeit des Schutzes der zentralen gesellschaftlichen Werte Sprache und Bildung hingewiesen, da sie – die die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gemeinschaft symbolisieren – Rückhalt und Stabilität in einer unsicheren Zeit bieten können. Auch hier wird weiterhin der Dualismus von der „guten“ existenz- und identitätssichernden Sprache und der „schlechten“ existenz- und identitätsbedrohenden Presse als Quelle des Verfalls gezeichnet. Die kritische Betrachtung der Medien, die im 19. Jahrhundert wegen der grundlegenden Veränderungen in ihrer Weite erstmals eine besondere Ausprägung erfährt, findet sich auch in früheren und späteren von Veränderungen geprägten Zeiträumen. Sie ist geprägt und motiviert durch den Wandel und den sich daraus ergebenden Versuch der Zeitgenossen, die aus den Veränderungen resultierende Unsicherheit durch die Kritik an dem den Wandel widerspiegelnden Medium zu kompensieren. Spätestens seit der im 20. Jahrhundert aufkommenden Medienvielfalt ist es nicht mehr primär „dieses unselige Zeitungsdeutsch“ (Löbl 1892: 334, [3]), sondern gleichermaßen der Sprachgebrauch des Radios, des Fernsehens und des Internets. Ähnlich wie die die Dekadenztheorie vertretenden Diskursteilnehmer des 19. Jahrhunderts hebt auch Wolf Schneider zu Beginn des 21. Jahrhunderts hervor, dass die deutsche Sprache zunehmend verfalle, die Literatur durch die Medien zunehmend verdrängt und die Sprache zum bequemen Verkehrsmittel funktionalisiert werde: Es geht bergab mit der Sprache, machen wir uns nichts vor. Die Fernsehschwätzer beherrschen die Szene, die Bücherleser sind eine bedrohte Gattung, die Grammatik ist unter jungen Leuten unpopulär, ihr Wortschatz schrumpft, und viele 17-Jährige betreiben das Sprechen […] wie ein Nebenprodukt des Gummikauens. (Schneider 2006: 183)

X. Anhang

1. Tabellarische Darstellung des ersten Teilkorpus (1800– 1849) Lfd. Nr. (D)

Kritiker

Beruf (Studium)147

Text

Rahmendiskurs

145

Lfd. Nr. (A)

146

1

1

Paul (1804)

Schriftsteller, Dichter149

(Sprach-) theoretische/ -philosophische Schriften, Vorlesung/ Vortrag

2

2

Jahn (1810)

Politiker; Turnvater (theologische und deutschkundliche Studien)150

(sprach- und gesellschafts-) politische Schriften, Monographie

Die Sprache – Medium des künstlerischliterarischen Ausdrucks (Sprache und Kunst) Die Sprache – Element der Identitäts- und Gemeinschaftsstiftung, der Nationenbildung (Sprache

145

Einstellung

148

abwägend (bis positiv)

tendenziell negativ

„D“ = Dokumente. „A“ = Autor/ Diskursteilnehmer. 147 Welchen beruflichen Tätigkeiten die Diskursteilnehmer nachgingen, wurde anhand der Angaben der Alten Deutschen Biographie (ADB), der Neuen Deutschen Biographie (NDB) und der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) rekonstruiert. Alle Bände der ADB sowie die ersten 22 Bände der NDB sind online verfügbar und in ihrer digitalen Form direkt einsehbar (27.01.2012: http://www.deutsche-biographie.de/). Auch innerhalb des Onlinekatalogs der Deutschen Nationalbibliothek ist eine Suche nach Autoren möglich, zumeist sind die Informationen über die beruflichen Tätigkeiten und den Bildungshintergrund wenig ausführlich dargestellt (27.01.2012: https://portal.d-nb.de/). 148 Vgl. Kapitel IV zur zeitlichen Gliederung des Korpus, zu den Texten und ihren Autoren, zur thematischen Gliederung und Einordnung der Texte wie zur Messung der in den Texten vertretenen Einstellungen der Autoren. 149 NDB, Bd. 10, S. 372–382. 150 NDB, Bd. 10, S. 301–303; ADB, Bd. 13, S. 662–664. 146

Tabellarische Darstellung des ersten Teilkorpus (1800–1849) Lfd. Nr. (D) 145

Lfd. Nr. (A)

Kritiker

Beruf (Studium)147

Text

333 Rahmendiskurs

Einstellung

148

146

und Gesellschaft)

3

3

Müller (1812)

4

4

von Steigentesch (1812)

5

5.1

Börne (1818a)

6

5.2

Börne (1818b)

7

5.3

Börne (1819)

151

Schriftsteller, Publizist, Staatstheoretiker (Studium der Rechtsund Staatswissenschaften)151 Dichter, Diplomat152

Publizist, Erzähler, Schriftsteller (Studium der Geistes- und Cameralwissenschaften)153 s.o.

s.o.

(Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften, Vorlesung/ Vortrag

Die Sprache – Medium des künstlerischliterarischen Ausdrucks (Sprache und Kunst)

tendenziell negativ

(Sprach-)theoretische/-philosophische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Die Sprache – Medium des künstlerischliterarischen Ausdrucks (Sprache und Kunst) Die Bedeutung der Presse für Bildung und Öffentlichkeit (Presse/ Pressewesen)

tendenziell negativ

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz

NDB, Bd. 18, S. 338–341; ADB, Bd. 22, S. 501–511. ADB, Bd. 35, S. 577–580. 153 NDB, Bd. 2, S. 404–406; ADB, Bd. 3, S. 164–173. 152

Die Bedeutung der Presse – Pressefreiheit und Öffentlichkeit (Presse/ Pressewesen) Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

abwägend

abwägend

abwägend

334

Anhang Kritiker

Beruf (Studium)147

Text

Rahmendiskurs

145

Lfd. Nr. (A)

146

8

5.4

Börne (1826)

s.o.

Sprache und Stil der Zeitungen

abwägend

9

6

Kolbe (1823)

Lehrer, Kupferstecher (Autodidakt)

Medientheoretische/ -kritische Schriften Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Die Gefährdung der deutschen Sprache durch fremde Einflüsse (Die deutsche Sprache) Beschreibung des Zustandes und der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Der Zustand der dt. Sprache in Zusammenhang mit den hist.-polit. Verhältnissen (Sprache und Gesellschaft) Volksbildung und Gesellschaftswandel ( Sprache und Gesellschaft)

tendenziell negativ

Lfd. Nr. (D)

154

10

7

Heyse (1827)

Philologe, Gymnasiallehrer (Studium der Theologie und Pädagogik)155

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Grammatik

11

8

Jochmann (1828)

Publizist, politischer Schriftsteller (Studium der Rechtswissenschaften)156

(sprach- und gesellschafts-) politische Schriften, Monographie

12

9

Mundt (1834)

Schriftsteller, Literaturkritik er, Publizist (Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie und Philologie)157

(sprach- und gesellschafts-) politische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

154

NDB, Bd. 12, S. 451f.; ADB, Bd. 16, S. 462–463. NDB, Bd. 9, S. 100; ADB, Bd. 12, S. 380. 156 NDB, Bd. 10, S. 448f.; ADB, Bd. 14, S. 105. 157 NDB, Bd. 18, S. 588–590; ADB, Bd. 23, S. 10–12. 155

Einstellung

148

abwägend

tendenziell negativ

abwägend

Tabellarische Darstellung des ersten Teilkorpus (1800–1849)

335

Kritiker

Beruf (Studium)147

Text

Rahmendiskurs

145

Lfd. Nr. (A)

146

13

10

Götzinger (1836/39)

Gymnasiallehrer (Studium der Theologie)158

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Grammatik

14

11

Menzel (1839)

politischer und literaturhistorischer Publizist, Schriftsteller (Studium der Geschichte und Philosophie)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Beschreibung des Zustandes und der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse für Bildung und Öffentlichkeit (Presse/ Pressewesen)

Schriftsteller, Dichter (Studium der Rechtswissenschaften)160 Schriftsteller Studium der Rechtswissenschaften)161

(sprach- und gesellschafts-) politische Schriften, Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Erzähler, Schriftsteller, Dichter, Journalist (Studium der Philosophie)

(sprach- und gesellschafts-) politische Schriften, Monographie

Lfd. Nr. (D)

Einstellung

148

tendenziell negativ

abwägend

159

15

12

Immermann (1840)

16

13

Weber (1843)

17

14

Auerbach (1846)

162

158

NDB, Bd. 6, S. 596; ADB, Bd. 9, S. 516–517. NDB, Bd. 17, S. 92–94; ADB, Bd. 21, S. 382–84. 160 NDB, Bd. 10, S. 159–163. 161 ADB, Bd. 41, S. 334–339. 162 NDB, Bd. 1, S. 434f.; ADB, Bd. 47, S. 412–419. 159

Volksbildung und Gesellschaftswandel ( Sprache und Gesellschaft) Die Bedeutung der Presse für Bildung und Öffentlichkeit (Presse/ Pressewesen) Sprache und LiteraturElement der Identitäts- und Gemeinschafts stiftung, der Nationenbildung (Sprache und Gesellschaft)

tendenziell negativ

tendenziell negativ

abwägend (bis positiv)

336

Anhang Kritiker

Beruf (Studium)147

Text

Rahmendiskurs

145

Lfd. Nr. (A)

146

18

15

Heinzen (1846)

Publizist (Studium der Medizin)163

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Flugschrift

abwägend

19

16

Meinhold (1848)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Flugschrift

20

17

Becker (1848)

Schriftsteller, Dichter, Theologe (Studium der Theologie, Philosophie und Philologie)164 Pädagoge/ Lehrer, Grammatiker (Studium der Medizin)165

Die Bedeutung der Presse – Pressefreiheit und Öffentlichkeit (Presse/ Pressewesen) Die Bedeutung der Presse – Pressefreiheit und Gesellschaft (Presse/ Pressewesen) Beschreibung des Zustandes und der deutschen Sprache und des deutschen Stils (Die deutsche Sprache)

tendenziell negativ

Lfd. Nr. (D)

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Stilistik

Einstellung

148

tendenziell negativ

2. Tabellarische Darstellung des zweiten Teilkorpus (1850– 1869) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

1

1

Prutz (1851)

Publizist, Schriftsteller, Dichter, Literaturhistoriker, Politiker (Studium der

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Die historische Entwicklung des Presse-/ Zeitschriftenwesens (Presse/

tendenziell negativ

163

NDB, Bd. 8, S. 452f.; ADB, Bd. 50, S. 157–158. NDB, Bd. 16, S. 671–673; ADB, Bd. 21, S. 235–237. 165 NDB, Bd. 1, S. 710f.; ADB, Bd. 2, S. 224–225. 164

Tabellarische Darstellung des zweiten Teilkorpus (1850–1869) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker

Beruf (Studium)

Text

klassischen Philologie)166

2

2.1

Schopenhauer (1851a)

Philosoph (Kaufmannslehre, Studium der Medizin und Philosophie)

(Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften

3

2.2

Schopenhauer (1851b)

s.o.

(Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften

4

2.3

Schopenhauer (1856– 60)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Aufsatz

5

3

Lübben (1852)

Gymnasiallehrer (Studium der Theologie und Philologie)168

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

6

4

Wiese (1859)

Pädagoge, Gymnasiallehrer (Studium der Theologie und Philologie)169

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

NDB, Bd. 20, S. 748f.; ADB, Bd. 26, S. 678–682. NDB, Bd. 23, S. 471–473; ADB, Bd. 32, S. 333–346. 168 ADB, Bd. 19, S. 813–815. 169 DNB (21.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117368210). 167

Rahmendiskurs

Einstellung

Pressewesen)

167

166

337

Die Sprache – Medium des schriftstelleris chen Ausdrucks (Sprache und Kunst) Die Sprache – Medium des schriftstellerischen Ausdrucks (Sprache und Kunst) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ der Verfall der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ der Verfall der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ der Verfall der deutschen

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

338 Lfd. Nr. (D)

Anhang Lfd. Nr. (A)

Kritiker

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

Sprache (Die deutsche Sprache) 7

5

Brinkmann (1861)

Professor der Rechte170

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

8

6

o.V. (1863)

keine Angaben

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

9

7

Rückert (1864)

Germanist, Professor für deutsche Philologie171

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

10

8

Wackernagel (1866)

Germanist, Professor für deutsche Sprache und Literatur172

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

11

9

Molitor (1866)

Schriftsteller, katholischer Theologe (Studium der Rechtswissen-

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

170

DNB (21.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116520337) . ADB, Bd. 29, S. 769–773. 172 ADB, Bd. 40, S. 460–465. 171

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigke it/ der Verfall der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ der Verfall der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache und ihrer Dialekte (Die deutsche Sprache) Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse – Pressefreiheit und Gesellschaft und

tendenziell negativ

tendenziell negativ

abwägend

abwägend

tendenziell negativ

Tabellarische Darstellung des zweiten Teilkorpus (1850–1869) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker

Beruf (Studium)

Text

schaften und Theologie)173

10

Kürnberger (1866)

Publizist, Schriftsteller, Feuilletonist174

13

11

Wuttke (1866/76)

Historiker, Hochschullehrer, Publizist (Studium der Geschichte)175

14

12

Hildebrand (1867)

Germanist, Professor für Neuere deutsche Sprache und Literatur176

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften mit pädagogischem Schwerpunkt, Monographie

15

13

Lukas (1867)

Schriftsteller, katholischer Theologe177

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Monographie

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, Monographie

ADB, Bd. 52, S. 438–440. NDB, Bd. 13, S. 232–234; ADB, Bd. 17, S. 412–416. 175 ADB Bd. 44, S. 569–572. 176 NDB, Bd. 9, S. 124–126; ADB, Bd. 50, S. 322–327. 177 ADB, Bd. 19, S. 631–632. 174

Rahmendiskurs

Einstellung

Kirche (Presse/ Pressewesen)

12

173

339

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Die Bedeutung und historische Entwicklung der Presse (Presse/ Pressewesen) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit der deutschen Sprache und die mögliche Abhilfe durch den Sprachunterricht (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

340

Anhang

3. Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

1

1.1

Nietzsche (1872)

Philosoph (Studium der Philologie)178

1.2

Nietzsche (1873)

s.o.

3

1.3

Nietzsche (1878)

s.o.

4

1.4

Nietzsche (1882)

s.o.

5

2.1

Andresen (1872)

Germanist, Professor (Studium der Philosophie)

Bildung und Gesellschaft (Sprache und Kunst) Bildung und Gesellschaft (Sprache und Kunst) Die Bedeutung der Sprache für Kultur und Gesellschaft (Sprache und Kunst) Bildung und Gesellschaft (Sprache und Kunst) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ der Gebrauch der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse (Presse/

tendenziell negativ

2

Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften

179

Sprach-)theoretische/ -philosophische Schriften Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

6

2.2

Andresen (1880/ 83)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

7

0.1

Kürnberger (1872)

Publizist, Schriftsteller, Feuilletonist180

Medientheoretische/ -kritische Schriften,

178

NDB, Bd. 19, S. 249–253. NDB, Bd. 1, S. 286. 180 NDB, Bd. 13, S. 232–234; ADB, Bd. 17, S. 412–416. 179

tendenziell negativ tendenziell negativ

tendenziell negativ tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Feuilleton (Zeitungsartikel)

Pressewesen)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Feuilleton (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Die Gefährdung und Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen

tendenziell negativ (bis abwägend)

8

0.2

Kürnberger (1876)

s.o.

9

3

Grube (1876)

pädagogischer Schriftsteller, Lehrer181

10

4

Lehmann (1878)

Germanist, Lehrer182

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

11

5

Keller (1879)

Gymnasiallehrer183

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

12

6.1

von Wolzogen (1880)

Schriftsteller, Literat, Redakteur184

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

181

ADB, Bd. 49, S. 575–577. DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/104270616). 183 Die Angaben wurden aus dem Quellentext rekonstruiert. 184 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/119498235). 182

341 Einstellung

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

342 Lfd. Nr. (D)

Anhang Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

Sprache (Die deutsche Sprache) 13

6.2

von Wolzogen (1886)

s.o.

14

7

Halatschka (1883)

Lehrer185

15

8.1

Behaghel (1886)

Germanist, Professor186

16

8.2

Behaghel (1894)

s.o.

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

17

9

Riegel (1888)

Kunsthistoriker, Professor187

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

18

10

Schröder (1888)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Monographie

185

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Fehlersammlung Medientheoretische/ -kritische Schriften, Fehlersammlung Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Monographie

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung der deutschen Sprache durch fremde Einflüsse (Die deutsche Sprache) Die geschriebene und gesprochene Sprache (Die deutsche

abwägend

abwägend

tendenziell negativ

tendenziell negativ

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/101494165). Die Angaben wurden zudem aus dem Quellentext rekonstruiert. 186 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/118657917). 187 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116538201).

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870) Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

343 Rahmendiskurs

Einstellung

Sprache)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, Gedicht

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

keine Angabe

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

tendenziell negativ

Schwetschke (1888)

Schriftsteller, Redakteur189

15

Linhoff (1888)

keine Angabe

16.1

Schmits (1888)

Redakteur, Journalist190

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Die Bedeutung und historische Entwicklung der Presse (Presse/ Pressewesen) Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

19

11

Schmieden (1888)

keine Angabe

20

12

Lehrer, Pfarrer (Studium der Theologie)188

21

13

Vulpinus (1888) [Pseudonym für Theodor Renaud] Walther (1888)

22

14

23

24

188

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/101257791). DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117423939). 190 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116799250). 189

tendenziell negativ

Sprache und sprachlicher Einfluss der Zeitungen

abwägend

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache)

abwägend

344

Anhang

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

25

16.2

Schmits (1892)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

abwägend

26

17

o.V. (1889a)

keine Angabe

27

18

o.V. (1889b)

keine Angabe

Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

tendenziell negativ

28

19

o.V. (1889c)

keine Angabe

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

tendenziell negativ

29

20.1

Wustmann (1889)

Gymnasiallehrer (Studium der klassischen Philologie)191

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

30

20.2

Wustmann (1891)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Die geschriebene und gesprochene Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache)

191

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117347159). Die Angaben wurden zudem aus dem Quellentext rekonstruiert.

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870)

345

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

31

21.1

Sosnosky (1890)

Schriftsteller, Historiker192

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

tendenziell negativ

32

21.2

Sosnosky (1894)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

33

22

Franke (1890)193

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

34

23

Leixner (1891)

35

24

Seidl (1891)

Schriftsteller, Historiker (Studium der Literaturgeschichte)194 Schriftsteller

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

36

25

Hartmann (1891)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-)

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Sprache und Einfluss der Zeitungen

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

192

195

Philosoph (Studium der Philosophie)196

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117483893). Die Autoren 22 bis 36 äußern sich in Bulthaupt (1891). 194 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/11689069X). 195 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117464260). 196 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/118546252). 193

tendenziell negativ

tendenziell negativ

tendenziell negativ

346 Lfd. Nr. (D)

Anhang Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

Aufsatz 37

26

Pröll (1891)

Schriftsteller, Redakteur197

38

27

Groth (1891)

Redakteur, Journalist, Schriftsteller 198

39

28

Wildenbruch (1891)

Schriftsteller (Studium der Rechtswissenschaften)199

40

29

Dernburg (1891)

41

30

Mauthner (1891)

Chefredakteur des Berliner Tageblattes und der Nationalzeitung, Schriftsteller, Politiker (Studium der Rechtswissenschaften)200 Schriftsteller, Philosoph, Publizist201

42

31

Hänel (1891)

197

Politiker und Jurist202

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116292350). NDB, Bd. 7, S. 166f.; ADB, Bd. 49, S. 562–575. 199 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/118771760). 200 NDB, Bd. 3, S. 607. 201 NDB, Bd. 16, S. 450–452. 202 NDB, Bd. 7, S. 441. 198

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870)

347

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

43

32

Schönbach (1891)

Germanist, Hochschullehrer203

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

44

33

Werner (1891)

Germanist, Professor Philologe204

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

45

34

Walcker (1891)

Nationalökonom, Privatdozent205

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

46

35

Telmann (1891)

Schriftsteller (Studium der Rechtswissenschaften)206

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

47

36

Bulthaupt (1891)

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

48

37

Jansen (1891)

Schriftsteller, Dramaturg (Studium der Rechtswissenschaften)207 keine Angabe

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

49

38

Kaerger (1892)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Streitschrift

Die Gefährdung und Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache)

abwägend

203

keine Angabe

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116859989). DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117303623). 205 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117116769). 206 ADB, Bd. 45, S. 361–368. 207 NDB, Bd. 3, S. 13. 204

348

Anhang

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

50

39

o.V. (1892)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz, Fehlersammlung

tendenziell negativ

51

40

Matthias, Th. (1892)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

52

41

Gartner (1892)

Professor, Romanist208

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

53

42

Schulze (1892)

Germanist, Oberlehrer209

54

43

Wunderlich (1892)

Germanist, Professor210

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Grammatik Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Grammatik

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Wustmann und seine Kritiker; Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Mhd. Grammatik (Die deutsche Sprache)

208

NDB, Bd. 6, S. 76f. DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117263141). 210 NDB, Bd. 23, S. 572. 209

Der deutsche Satzbau (Die deutsche Sprache)

tendenziell negativ

tendenziell negativ

abwägend

tendenziell negativ

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870)

349

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

55

44

Matthias, A. (1892)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften mit pädagogischem Schwerpunkt, (Zeitschriften-) Aufsatz

abwägend

56

45

Minor (1892)

Germanist, Literaturhistoriker, Professor211

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Streitschrift

57

46

Pöschel (1893)

keine Angabe

58

47

Schumann (1893)

Kunsthistoriker, Redakteur, Philologe, Schriftsteller

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz ) Grammatik Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit der deutschen Sprache und die mögliche Abhilfe durch den Sprachunterricht (Die deutsche Sprache) Die Gefährdung und Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Inversion nach "und" (Die deutsche Sprache)

212

59

48

o.V. (1893a)

keine Angabe

60

49

o.V. (1893b)

keine Angabe

211 212

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kriti-

NDB, Bd. 17, S. 543–545. DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117303321).

abwägend

abwägend

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

tendenziell negativ

Die Bedeutung der Presse

tendenziell negativ

tendenziell negativ

350 Lfd. Nr. (D)

Anhang Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

61

50

Dunger (1893)

Oberlehrer213

62

51

Sabin (1893)

keine Angabe

63

52

Demmin (1893)

Schriftsteller, Kaufmann214

64

53.1

Löbl (1893)

Redakteur, Journalist215

65

53.2

Löbl (1903)

s.o.

66

54.1

Heintze (1894)

Germanist, Oberlehrer, Professor216

213

Text

Rahmendiskurs

sche Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Streitschrift

(Presse/ Pressewesen)

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Medientheoretische/ -kritische Schriften, Wörterbuch Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Feuilleton Medientheoretische/ -kritische Schriften, Monographie Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Sprache und Einfluss der Zeitungen

Einstellung

abwägend

abwägend

Sprache und Einfluss der Zeitungen

tendenziell negativ

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

Sprache und Einfluss der Zeitungen

abwägend

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache)

tendenziell negativ

NDB, Bd. 4, S. 197. NDB, Bd. 3, S. 592. 215 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/121387356). Die Angaben wurden zudem aus dem Quellentext rekonstruiert. 216 DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/11667377X). 214

Tabellarische Darstellung des dritten Teilkorpus (ab 1870)

351

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

67

54.2

Heintze (1895)

s.o.

Die Inversion nach "und" (Die deutsche Sprache)

tendenziell negativ

68

54.3

Heintze (1900)

s.o.

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

tendenziell negativ

69

55

Brunner (1895)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Streitschrift

70

56.1

Weise (1895)

Gymnasiallehrer217

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Monographie

71

56.2

Weise (1899)

s.o.

Medientheoretische/ -kritische Schriften, Monographie

72

57

Friedrich (1899)

keine Angabe

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Aussagensammlung/ Streitschrift

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Kritik an der deutschen Sprachentwicklung (Die deutsche Sprache) Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Die Entwicklung des Schriftwesens (Presse und Pressewesen) Die Kritik an der deutschen Sprachentwicklung/ Fremdwortpur ismus (Die deutsche Sprache)

217

DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117277479).

abwägend

tendenziell negativ

tendenziell negativ

abwägend

352

Anhang

Lfd. Nr. (D)

Lfd. Nr. (A)

Kritiker (Beruf)

Beruf (Studium)

Text

Rahmendiskurs

Einstellung

73

58

Vernaleken (1900)

Germanist, Lehrer218

Sprachpflegerische/ sprachkritische Schriften, Fehlersammlung

tendenziell negativ

74

59

Polle/ Weise (1904)

Gymnasiallehrer219

75

60

Engel (1911)

Schriftsteller, Linguist220

Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Monographie Sprachbeschreibende/ sprachhistorische Schriften, Stilistik

76

61

Kraus (1903– 1927)

Schriftsteller, Publizist221

Die Gefährdung/ Fehlerhaftigkeit/ Entwicklung der deutschen Sprache (Die deutsche Sprache) Der Sprachgebrauch des Volkes (Die deutsche Sprache) Beschreibung der Entwicklung der deutschen Sprache und ihrer Dialekte (Die deutsche Sprache) Die Bedeutung der Presse (Presse/ Pressewesen)

218

Medientheoretische/ -kritische Schriften, (Zeitschriften-) Aufsatz

DNB(2.06.2009: http://d-nb.info/gnd/117389250). DNB (22.06.2009: http://d-nb.info/gnd/116264659). 220 NDB, Bd. 4, S. 499f. 221 NDB, Bd. 12, S. 694–696. 219

tendenziell negativ

abwägend (bis positiv)

tendenziell negativ

XI. Index und Verzeichnisse

1. Literatur 1.1 Quellen Andresen, Karl Gustav (1872), „Geläufige Fehler gegen den deutschen Stil“, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Berlin, 445–450. −

(1880/31883), Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen, Heilbronn.

Auerbach, Berthold (1846), Schrift und Volk. Grundzüge der volksthümlichen Literatur, angeschlossen an eine Charakteristik J. P. Hebel’s, Leipzig. Becker, Karl Ferdinand (1848), Der deutsche Stil, Frankfurt am Main. Behaghel, Otto (1886), Die deutsche Sprache (für Gebildete), Leipzig. −

(1894), „Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit“, in: Hermann Riegel (Hg.), Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins. Heft 6. Berlin, 16–30.

Bluntschli, Johann Caspar/Brater, Karl Ludwig Theodor (Hg.) (1858): Deutsches Staats-Wörterbuch. Bd. 3, Stuttgart. Börne, Ludwig (1964), Sämtliche Schriften, Bd. 1, hg. v. Inge und Peter Rippmann. Düsseldorf. −

(1818a), „Ankündigung der Wage“, in: Ders. (1964), 667–686.



(1818b), „Die Freiheit der Presse in Bayern“, in: Ders. (1964), 822–830.



(1819), „Ankündigung der Zeitschwingen“, in: Ders. (1964), 786–788.



(1826), „Bemerkungen über Sprache und Stil“, in: Ders. (1964), 589–596.

Brinkmann, Heinrich Rudolf (1861), Ueber Fortbildung und Misbildung der Deutschen Sprache, Kiel. Brunner, Armin (1895), Schlecht Deutsch. Eine lustige und lehrreiche Kritik unserer neuhochdeutschen Mundarten, Wien/Leipzig. Bulthaupt, Heinrich u.a. (1891), Ueber den Einfluß des Zeitungswesens auf Litteratur und Leben, Kiel und Leipzig. (=Deutsche Schriften für Litteratur und Kunst, 1. Reihe, Heft 3, hg. v. Eugen Wolff) Demmin, August (1893), Verschiedenes Zeitungs- und Landtags- wie Reichsdeutsch, Wiesbaden. Dr. X (1892), Allerhand Sprachverstand. Kleine deutsche Sprachlehre für alle, denen ihr deutsches Sprachgefühl am Herzen liegt, Bonn.

354

Index und Verzeichnisse

Dunger, Hermann (1893), „Was heißt Sprachdummheiten“, in: Hermann Riegel (Hg.), Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins. Bd. 8, Braunschweig, 129. −

(1910): Die Deutsche Sprachbewegung und der Allgemeine Deutsche Sprachverein 1885-1910, Berlin.

Engel, Eduard (1911), Deutsche Stilkunst, Wien. Engels, Friedrich (1845), Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen, Leipzig. Erbe, Karl (1892), Randbemerkungen zu Dr. Wustmanns Allerhand Sprachdummheiten. Untersuchungen über wichtige Gegenstände der deutschen Sprachlehre, Stuttgart. Franke, Carl (1890), Reinheit und Reichtum der deutschen Schriftsprache gefördert durch die Mundarten, Leipzig. Friedrich, Hermann (1889), 95 Thesen wider Sprachverrohung und Deutschtümelei, Waren. Gartner, Theodor (1892), Urtheile über Wustmann, Czernowitz. Goethe, Wolfgang v. (1811), „Brief an Boisserée“, In: Goethes Werke. IV. Abt., Bd. 22: Goethes Briefe. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar, 120–121. Görtz-Wrisberg, Moritz von (1835), Wörterbuch über die Schwierigkeiten der deutschen Sprache, Lichtenberg/Quedlinburg/Leipzig. Götzinger, Maximilian Wilhelm (1836/39), Die deutsche Sprache und ihre Literatur. Bd. 1, Teil 1 und 2, Stuttgart. Grimm, Jakob/Grimm, Wilhelm (1956), Deutsches Wörterbuch. Bd. 31: Z-Zmasche, Leipzig. Grube, August Wilhelm (1876), Streiflichter auf die Wandlungen und Schwankungen im neuhochdeutschen Sprachgebrauch, Leipzig. Halatschka, Raimund (1883), Zeitungsdeutsch, Wien. Hartmann, Eduard (1885), Das Judentum in Gegenwart und Zukunft, Leipzig. Heintze, Albert (31894), Gut Deutsch. Eine Anleitung zur Vermeidung der häufigsten Verstöße gegen den guten Sprachgebrauch und ein Ratgeber in Fällen schwankender Ausdrucksweise, Berlin. −

(1895), „Die Stellung des Zeitwortes nach ‚und‘“, in: Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins. Heft 9. Berlin, 144–152.



(1900), Deutscher Sprachhort. Ein Stilwörterbuch, Leipzig.

Heinzen, Karl (1846), Die Opposition, Mannheim. Herder, Johann Gottfried von (1805), „Von den Lebensaltern der Sprache“, in: Johann Gottfried von Herder’s sämmtliche Werke. Zur schönen Literatur und Kunst. Erster Theil, hg. von Georg J. Müller u.a., Tübingen, S. 115–218. Hesse, C. (1896), „Die Volksschule im Kampfe gegen Sprachsünden“, in: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung: zugleich Organ der allgemeinen deutschen Lehrerversammlungen. Jg. 48, Nr. 37, 369–371; Nr. 38, 379–380.

Literatur

355

Heyse, Johann Christian August (21827), J.C.A. Theoretisch-praktische Grammatik oder Lehrbuch der deutschen Sprache, nebst einer kurzen Geschichte derselben. Zunächst zum Gebrauch für Lehrer und zum Selbstunterricht. Bd. 1. Hannover. −

(41827), Theoretisch-praktische deutsche Grammatik oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Lesen, Sprechen und Schreiben der deutschen Sprache, nebst einer kurzen Geschichte und Verslehre derselben. Zunächst zum Gebrauch für Lehrer und zum Selbstunterricht, Hannover.

Hildebrand, Rudolf (1867, Jubelausgabe 141917), Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt. Mit einem Anhang über die Fremdwörter und einem über das Altdeutsche in der Schule, Leipzig. Immermann, Karl Leberecht (1840), Memorabilien. Teil 1, Hamburg. Jahn, Friedrich Ludwig (1806), Bereicherung des hochdeutschen Sprachschatzes versucht im Gebiethe der Sinnverwandtschaft, Ein Nachtrag zu Adelung’s und eine Nachlese zu Eberhard’s Wörterbuch, Leipzig. −

(1810), Deutsches Volkstum, Lübeck.



(1833), Merke zum Deutschen Volksthum, Hildburghausen.

Jansen, K. (1891), „Wieder einmal: Zeitungs-deutsch“, in: Hermann Riegel (Hg.), Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins. Jg. 6, Nr. 12, 1. Dezember 1891, Braunschweig, 179–180. Jaspers, Karl (51999), Die geistige Situation der Zeit. 9. Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage, Berlin/New York. Jochmann, Carl Gustav (1828), Über die Sprache. Heidelberg. Kaerger, Karl (1892), In tyrannunculus! Streitschrift zur Vertheidigung der deutschen Sprachfreiheit, Berlin. Keller, Karl Gustav (1879), Deutscher Antibarbarus. Beiträge zur Förderung des richtigen Gebrauchs der Muttersprache, Stuttgart. Kern, Hermann (1873), Grundriss von Pädagogik, Berlin. Kolbe, Karl Wilhelm (31823), Über Wortmengerei, Berlin/Leipzig. Körner, Christian Gottfried (1812), „Ueber die deutsche Litteratur. Aus einem Briefe an den Herausgeber des deutschen Museums (1812)/Friedrich Schlegel (1812): Antwort des Herausgebers“, in: Friedrich Schlegel (Hg.), Deutsches Museum, Bd. 2, Heft 9. Wien, 252–283. Kraus, Karl (21954), „Die Sprache“, in: Ders., Werke. Bd. 2, hg. v. Heinrich Fischer. München. −

(21955), „Beim Wort genommen“, in: Ders., Werke. Bd. 4, hg. v. Heinrich Fischer. München.

Kürnberger, Ferdinand (1911), Gesammelte Werke, Bd. 2: Literarische Herzenssachen. Reflexionen und Kritiken, hg. v. Otto Erich Deutsch. München/Leipzig. −

(1866), „Sprache und Zeitungen“, in: Ders. (1911), 18–32.



(1876), „Vorrede“, in: Ders. (1911), 3–7.



(1876), „Die Blumen des Zeitungsstils“, in: Ders. (1911), 8–17.



(1876), „Mündlich und Schriftlich“, in: Ders. (1911), 378–382.

356

Index und Verzeichnisse

Lehmann, August (21878), Sprachliche Sünden der Gegenwart. Braunschweig. Linhoff, Matthias (1988), „Zur Sprachreinigung im Zeitungswesen“, in: Hermann, Riegel (Hg.), Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins. Bd. 2, Jg. 3, Nr. 4 vom 03.04.1988, Braunschweig, 54–55. Löbl, Emil (1892), „Zeitungsdeutsch und Gelehrtendeutsch“, in: Daniel Sanders (Hg.), Zeitschrift für deutsche Sprache. Jg. 5, Paderborn, 333–339. −

(1903), Kultur und Presse, Leipzig.

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Index und Verzeichnisse

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Literatur −

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(2001), „Diskurshistorische Analyse – Eine linguistische Perspektive“, in: Reiner Keller/Andreas Hirsebland/Werner Schneider/Willy Viehöver (Hgg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1: Theorien und Methoden, Opladen, 29–52.

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Literatur −

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Literatur

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Tabellen

369

2. Tabellen Tab. 1: Der Korpusrecherche zugrundeliegende Suchbegriffe und spezifische Lemmata . ............ Tab. 2: Der Korpusrecherche zugrundeliegende Suchbegriffe und allgemeine Lemmata ............. . Tab. 3: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung im gesamten Untersuchungszeitraum (vgl. Abb. 4) ............................................................... . Tab. 4: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Vorbereitungsphase (1800–1848/49) ................................................................................ . Tab. 5: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Etablierungsphase (1850–1871) ........................................................................................ . Tab. 6: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung in der Konsolidierungsphase (ab 1871) ....................................................................................... . Tab. 7: Quantitative Verteilung der Rahmendiskurse, in die der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung eingebettet ist (vgl. Abb. 5) ............................................................. . Tab. 8: Verteilung der das Korpus konstituierenden Texte (vgl. Abb. 6) ..................................... . Tab. 9: Die beruflichen Tätigkeiten der Diskursteilnehmer .......................................................... . Tab. 10: Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse (vgl. Abb. 7) ...................................................................................................................... . Tab. 11: Die Krankheits- und Todesmetaphorik im Diskurs............................................................ . Tab. 12: Die Organismusmetaphorik im Diskurs ............................................................................ . Tab. 13: Die Kriegs- und Gewaltmetaphorik im Diskurs ................................................................ . Tab. 14: Die Nahrungsmetaphorik im Diskurs ............................................................................... . Tab. 15: Die Kleidermetaphorik im Diskurs ................................................................................... . Tab. 16: Die Knechtschaftsmetaphorik im Diskurs ........................................................................ . Tab. 17: Die Rechtsmetaphorik im Diskurs .................................................................................... . Tab. 18: Verteilung der artifizierenden Metaphorik im Diskurs ..................................................... . Tab. 19: Verteilung der Substanzmetaphorik im Diskurs ............................................................... . Tab. 20: Die Wassermetaphorik im Diskurs ................................................................................... . Tab. 21: Sakral-biblische Metaphorik ............................................................................................. . Tab. 22: Dämonisierend-mystifizierende Metaphorik im Diskurs .................................................. . Tab. 23: Bezeichnungen für den Sprachgebrauch der Zeitungen im Diskurs ................................. . Tab. 24: Bezeichnungen für Journalisten und ihre Tätigkeit im Diskurs ........................................ . Tab. 25: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (gesamt) ............................................................................................................................ . Tab. 26: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (deskriptiv) ....................................................................................................................... . Tab. 27: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlich-gedanklichen Wechselwirkung‘ (normativ) ......................................................................................................................... . Tab. 28: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Interaktion‘ ................................................... . Tab. 29: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der nationalen Identität‘ ..................................... . Tab. 30: Die quantitative Verteilung des ‚Autoritäts-Topos‘ .......................................................... . Tab. 31: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Klassiker‘ ................................ . Tab. 32: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität des Sprachgebrauchs‘ .................... . Tab. 33: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Sprachgesetze‘ ........................ .

107 107 109 111 111 111 113 116 117 119 128 132 132 134 135 138 140 141 143 145 146 147 155 158 166 167 167 169 170 171 172 172 173

370

Index und Verzeichnisse

Tab. 34: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der kommunikativen Anforderungen‘ ................ . 176 Tab. 35: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der sprachlichen Einschränkung‘ ....................... . 177 Tab. 36: Die quantitative Verteilung des ‚Sozialsymbol-Topos‘ .................................................... . 178 Tab. 37: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Sprachkritik‘ ................................................ . 179 Tab. 38: Die quantitative Verteilung des ‚Bildungs-Topos‘ ........................................................... . 180 Tab. 39: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der Autorität der Zeitung‘ .................................. . 182 Tab. 40: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der quantitativen Steigerung‘ ............................. . 183 Tab. 41: Die quantitative Verteilung des ‚Bindeglieds-Topos‘ ....................................................... . 185 Tab. 42: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der mechanischen Rezeption‘ ............................. . 186 Tab. 43: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der oberflächlich-medialen Produktion‘ ............. . 188 Tab. 44: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der mediensprachlichen Spezifik‘ ...................... . 189 Tab. 45: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der wirtschaftlichen Abhängigkeit‘ .................... . 190 Tab. 46: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (gesamt) .............. . 191 Tab. 47: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (deskriptiv) .......... . 192 Tab. 48: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der journalistischen Bildung‘ (normativ) ........... . 192 Tab. 49: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der moralischen Verpflichtung‘ .......................... . 193 Tab. 50: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ (deskriptiv) ....................................................................................................................... . 195 Tab. 51: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der öffentlich-nationalen Teilhabe‘ (normativ) ......................................................................................................................... . 195 Tab. 52: Die quantitative Verteilung des ‚Verhinderungs-Topos‘ .................................................. . 196 Tab. 53: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der gesellschaftlichen Anforderungen‘ ............... . 197 Tab. 54: Die quantitative Verteilung des ‚Topos der kulturellen Wechselwirkung‘ ....................... . 199 Tab. 55: Die quantitative Verteilung des ‚Sündenbock-Topos‘ ...................................................... . 200 Tab. 56: Die quantitative Verteilung des ‚Spiegel-Topos‘ .............................................................. . 200 Tab. 57: Die Verteilung der das Sprachverständnis der Kritiker betreffenden Topoi ..................... . 202 Tab. 58: Die Verteilung der das Sprachverständnis der Kritiker betreffenden Topoi ..................... . 203 Tab. 59: Die Verteilung der Autoritäts-Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ................... . 205 Tab. 60: Die Verteilung der Autoritäts-Topoi innerhalb der Berufsgruppen .................................. . 205 Tab. 61: Die Verteilung der die Wandlungsfähigkeit der Sprache betreffenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ................................................................................................... . 206 Tab. 62: Die Verteilung der die Wandlungsfähigkeit der Sprache betreffenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen .................................................................................................................. . 207 Tab. 63: Die Verteilung der das Ansehen der Sprache beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ................................................................................................... . 208 Tab. 64: Die Verteilung der das Ansehen der Sprache beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen .................................................................................................................. . 208 Tab. 65: Verteilung der die Bildungsfunktion der Zeitung beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ................................................................................................... . 209 Tab. 66: Verteilung der die Bildungsfunktion der Zeitung beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen .................................................................................................................. . 209 Tab. 67: Die Verteilung der die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ................................................................................................... . 210

Abbildungen

371

Tab. 68: Die Verteilung der die Gestalt der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen . .................................................................................................................. 212 Tab. 69: Die Verteilung der die gesellschaftliche Dimension der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Untersuchungszeiträume ............................................................................. . 214 Tab. 70: Die Verteilung der die gesellschaftliche Dimension der Presse beschreibenden Topoi innerhalb der Berufsgruppen ............................................................................................. . 215

3. Abbildungen Abb. 1: Diskurs als in Texten realisiertes Aussagenkorpus A1 – An nach Jung (2001: 37) ............ Abb. 2: Das wechselwirkende Verhältnis zwischen gesellschaftshistorischen, sprachlichen und medialen Entwicklungen und ihrer kritischen Betrachtung . .............................................. Abb. 3: Das wechselwirkende Verhältnis zwischen dem Sprachgebrauch der Zeitung und der allgemeinen Sprachentwicklung . ....................................................................................... Abb. 4: Diachrone Verteilung der Dokumente zu Wirkung und Einfluss der Zeitung im gesamten Untersuchungszeitraum (vgl. Tab. 3) . ................................................................ Abb. 5: Prozentuale Verteilung der Rahmendiskurse, in denen sich der Diskurs über Wirkung und Einfluss der Zeitung entfaltet (vgl. Tab. 7) . ................................................................ Abb. 6: Prozentuale Verteilung der das Korpus konstituierenden Texte (vgl. Tab. 8) .................... Abb. 7: Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse (vgl. Tab. 10) . ................................................................................................... Abb. 8: Quantitative/Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse innerhalb der das Korpus konstituierenden Texte . ....................... Abb. 9: Quantitative/Prozentuale Verteilung der Einstellungen zu (sprachlicher/m) Wirkung und Einfluss der Presse innerhalb der Berufsgruppen ........................................................ Abb. 10: Das Korpus zum Diskurs über den Sprachgebrauch der Presse und ihren Einfluss auf die deutsche Sprachentwicklung ........................................................................................

29 101 101 109 114 116 119 120 121 122

372

Index und Verzeichnisse

4. Personen Das Register führt die Personen auf, deren Werke im Rahmen der vorliegenden Untersuchung analysiert wurden. Die Seitenhinweise beziehen sich nicht ausschließlich auf den Haupttext, sondern auch auf Erwähnungen in Tabellen, Fußnoten und Literaturangaben (Seitenhinweise kursiv). Andresen, Karl Gustav 340, 353 Auerbach, Berthold 137, 177, 178, 196, 197, 222, 223, 238, 251, 335, 353 Becker, Karl Ferdinand 136, 225, 226, 336, 353 Behaghel, Otto 147, 153, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 316, 328, 342, 353 Bluntschli, Johann Caspar 47, 48, 49, 50, 353 Börne, Ludwig 20, 77, 181, 184, 194, 228, 229, 230, 232, 233, 234, 237, 239, 275, 290, 292, 300, 314, 315, 316, 325, 333, 334, 353 Brinkmann, Heinrich Rudolf 241, 242, 243, 247, 264, 268, 338, 353 Brunner, Armin 126, 286, 287, 290, 351, 353 Bulthaupt, Heinrich 137, 147, 191, 269, 280, 283, 298, 300, 303, 313, 325, 345, 347 Demmin, August 154, 350, 353 Dernburg, F. 346 Dr. X 272, 353 Dunger, Hermann 131, 272, 304, 350, 354 Engel, Eduard 148, 295, 299, 352, 354 Engels, Friedrich 44, 354 Erbe, Karl 272, 354 Franke, Carl 345, 354 Friedrich, Hermann 145, 351, 354 Gartner, Theodor 272, 348, 354 Goethe, Wolfgang v. 354 Görtz-Wrisberg, Moritz von 354 Götzinger, Maximilian Wilhelm 168, 230, 231, 239, 248, 335, 354 Grimm, Jakob und Wilhelm 154, 354 Groth, Klaus 313, 325, 346 Grube, August Wilhelm 144, 307, 341, 354 Halatschka, Raimund 173, 179, 180, 271, 272, 342, 354 Hänel, Albert 147, 303, 346 Hartmann, Eduard von 280, 292, 345, 354 Heintze, Albert 133, 146, 269, 272, 304, 350, 351, 354

Heinzen, Karl 336, 354 Herder, Johann Gottfried von 126, 354 Hesse, C. 354 Heyse, Johann Christian August 179, 220, 221, 222, 223, 251, 334, 355 Hildebrand, Rudolf 127, 132, 135, 137, 141, 144, 150, 175, 186, 187, 204, 249, 250, 251, 261, 263, 265, 267, 269, 271, 274, 281, 296, 303, 304, 305, 307, 339, 355 Immermann, Karl Leberecht 144, 235, 236, 335, 355 Jahn, Friedrich Ludwig 143, 169, 219, 220, 221, 223, 224, 227, 231, 234, 237, 332, 355 Jansen, K. 347, 355 Jaspers, Karl 198, 355 Jochmann, Carl Gustav 239, 334, 355 Kaerger, Karl 272, 288, 289, 312, 347, 355 Keller, Karl Gustav 133, 144, 171, 271, 285, 316, 341, 355 Kern, Hermann 355 Kolbe, Karl Wilhelm 138, 151, 165, 225, 226, 227, 230, 232, 243, 304, 334, 355 Körner, Christian Gottfried 355 Kraus, Karl 19, 282, 352, 355 Kürnberger, Ferdinand 62, 63, 94, 131, 142, 143, 144, 156, 157, 171, 189, 193, 197, 259, 260, 261, 262, 263, 265, 267, 268, 275, 283, 292, 295, 305, 310, 315, 316, 325, 329, 339, 340, 341, 355 Lehmann, August 131, 142, 146, 284, 285, 316, 341, 356 Leixner, Otto von 280, 298, 345 Linhoff, Matthias 107, 284, 343, 356 Löbl, Emil 9, 13, 15, 16, 17, 18, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 33, 40, 103, 104, 124, 125, 139, 140, 141, 142, 174, 191, 199, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 310, 315, 316, 317, 318, 329, 331, 350, 356

Personen Lübben, August 128, 135, 241, 242, 245, 247, 248, 252, 268, 337, 356 Lukas, Josef 127, 128, 137, 154, 167, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 339, 356 Matthias, Adolf 142, 148, 349, 356 Matthias, Theodor 44, 128, 131, 272, 348, 356 Mauthner, Fritz 191, 300, 346 Meinhold, Wilhelm 130, 133, 134, 152, 182, 234, 235, 237, 336, 356 Menzel, Wolfgang 236, 238, 239, 311, 330, 335, 356 Minor, Jakob 272, 287, 288, 289, 290, 312, 313, 314, 316, 349, 356 Molitor, Wilhelm 258, 338, 356 Müller, Adam 165, 169, 225, 226, 227, 228, 230, 231, 232, 260, 333, 356 Mundt, Theodor 184, 232, 233, 234, 334, 356 Nietzsche, Friedrich 19, 112, 128, 139, 148, 154, 155, 157, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 293, 294, 297, 303, 305, 308, 316, 340, 356 Paul, Jean 94, 332, 357 Polle, Friedrich 154, 352, 357 Pöschel, Johannes 349, 357 Pröll, Karl 346 Prutz, Robert 258, 336, 357 Riegel, Herman 133, 144, 145, 284, 342, 357 Riehl, Wilhelm Heinrich 14, 43, 357 Rückert, Heinrich 54, 55, 56, 58, 59, 60, 93, 134, 136, 137, 138, 147, 149, 151, 175, 177, 185, 186, 198, 251, 252, 253, 254, 259, 264, 265, 266, 276, 299, 309, 313, 314, 322, 338, 357 Sabin, J. [Silbermann, Josef] 127, 145, 187, 291, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 315, 350, 357 Schmieden, U.V. 107, 284, 343, 357 Schmits, August 28, 134, 272, 274, 343, 344, 357 Schönbach, Anton E. 347 Schopenhauer, Arthur 19, 20, 131, 136, 153, 154, 155, 156, 157, 165, 169, 187, 189, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 250, 252, 256, 257, 259, 263, 264, 268,

373 274, 275, 278, 279, 281, 294, 295, 296, 298, 304, 306, 323, 337, 357 Schröder, Otto 93, 127, 130, 145, 148, 269, 270, 271, 272, 273, 289, 304, 305, 342, 358 Schulze, Berthold 348, 358 Schumann, Paul 147, 349, 358 Schwarzkopf, Joachim von 64, 358 Schwetschke, Eugen 284, 343, 358 Seidl, Arthur 269, 345 Sosnosky, Theodor 283, 284, 345, 358 Steigentesch, August Ernst Freiherr von 136, 176, 219, 220, 333, 358 Stiehler, Kaspar 72, 358 Telmann, Konrad 347 Vernaleken, Theodor 143, 352, 358 Vulpinus, Theodor 343, 358 Wackernagel, Wilhelm 126, 127, 175, 176, 248, 249, 250, 304, 338, 358 Walcker, Karl 347 Walther, Franz 128, 133, 135, 343, 358 Weber, Karl Julius 181, 184, 234, 235, 238, 308, 335, 358 Weber, Max 46, 47, 358 Wehle, J.H. 97, 359 Weise, Oskar 143, 154, 297, 351, 352, 357, 359 Werner, Richard Maria 303, 347 Wiese, Ludwig 136, 144, 147, 151, 174, 242, 243, 244, 246, 247, 252, 262, 263, 264, 304, 322, 337, 359 Wildenbruch, Ernst von 137, 283, 346 Wolzogen, Hans von 130, 131, 137, 139, 144, 151, 183, 271, 278, 279, 285, 316, 341, 342, 359 Wrede, Richard 97, 359 Wunderlich, Hermann 272, 348, 359 Wustmann, Gustav 67, 128, 130, 132, 133, 140, 144, 147, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 282, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 296, 298, 304, 307, 312, 313, 316, 328, 344, 359 Wuttke, Heinrich 146, 147, 190, 255, 256, 257, 258, 259, 339, 359

Dank

Wie jede Arbeit konnte auch die vorliegende, die im Dezember 2010 unter dem Titel Presse und Sprache im 19. Jahrhundert. Eine Rekonstruktion des Diskurses über die Wechselwirkung zwischen dem Sprachgebrauch der Presse und der (Standard-)Sprachentwicklung als Dissertation bei der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg eingereicht wurde, nicht ohne die vielfältige Unterstützung anderer fertiggestellt werden. All jenen, die mich während dieser Forschungsarbeit unterstützend begleitet haben, möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen und mich gleichzeitig dafür entschuldigen, dass ich nur einige wenige Personen namentlich hervorhebe. Angeregt wurde die vorliegende Arbeit im Jahre 2006 von Herrn Prof. Dr. Dr. hc. Klaus J. Mattheier. Ihm danke ich nicht allein dafür, dass er mein Interesse für die germanistische Linguistik weckte, sondern vor allem für sein Vertrauen, sein Verständnis und seine Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. Jörg Riecke und Herrn Priv.-Doz. Dr. Jochen Bär, die den Fortgang meiner Arbeit begleiteten, hilfreiche Kritik äußerten und mich bei der Lösung von Schwierigkeiten nicht allein wissenschaftlicher Natur stets unterstützten. Danken möchte ich auch und vor allem meiner Familie: meinen Eltern Sabine und Wolfgang Leupold ebenso wie meiner Schwester Silvia, deren uneingeschränkter Unterstützung und ermutigendem Zuspruch ich mir zeitlebens gewiss sein konnte und kann; meinem Mann Florian Theobald, der stets ein offenes Ohr für meine Gedanken hatte, diese durch Kritik bereicherte und mein Vertrauen in meine wissenschaftlichen Fähigkeiten stärkte; unserem Sohn Samuel, der mein Leben ungemein bereichert(e), so dass ich endlich lernen konnte, guten Gewissens auch einmal Abstand von meiner Arbeit zu nehmen und die kürzer werdende Arbeitszeit effektiver zu nutzen. Nicht zuletzt seinen Omas, die ihn immer gern betreu(t)en, ist es zu verdanken, dass ich die Möglichkeit hatte, meine Arbeit fertig zu stellen. Dafür, dass die Zahl der Fehler deutlich minimiert werden konnte, danke ich Mareike Naumann, Wendula Theobald und meiner Schwester Silvia, die meine Arbeit nicht nur einmal Korrektur gelesen haben. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Familie, im Besonderen meinem Vater, der mir mit nur wenigen Worten Mut machen konnte, die Fertigstellung aber nicht mehr miterleben durfte. Heidelberg im Januar 2012