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German Pages 336 [325] Year 2007
Peter Reichling | Daniela Bietke | Antje Henne Praxishandbuch Risikomanagement und Rating
Peter Reichling | Daniela Bietke | Antje Henne
Praxishandbuch Risikomanagement und Rating Ein Leitfaden 2., überarbeitete und erweiterte Auflage
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter der Fördernummer 01RU0001.
1. Auflage 2000 1. Auflage 2003 2., überarb. u. erw. Aufl. 2007 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Ulrike M. Vetter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0332-7
Vorwort zur zweiten Auflage Spätestens mit der Umsetzung des zweiten Basler Akkords in deutsches Recht durch das Inkrafttreten der neuen Solvabilitätsverordnung zu Beginn des Jahres 2007 ist Basel II bei den Unternehmen angekommen. Das Kreditrisiko findet bei Banken aufgrund gestiegener Insolvenzzahlen und gesunkener Margen stärkere Beachtung als noch vor einigen Jahren und drückt sich als Bonitätsaufschlag in den Kreditkonditionen aus. Diese bonitätsabhängigen Zinszahlungen stellen aus unternehmerischer Sicht Kapitalkosten dar. Unternehmer interessieren sich deshalb besonders für die Bonitätseinstufung, d. h. das Rating, ihres Unternehmens durch die kreditgewährende Bank. Die Kenntnis der Ratingnote allein reicht jedoch kaum aus, den Bonitätsaufschlag im Kreditzinssatz in die gewünschte Richtung zu beeinflussen. Dazu ist vielmehr ein umfassendes unternehmerisches Risikomanagementsystem erforderlich. Die Komponenten eines Risikomanagementsystems entsprechen dabei gleichzeitig den Elementen eines Ratings, gleich ob es durch eine externe Ratingagentur erstellt oder mithilfe eines bankinternen Ratingansatzes ermittelt wird. Die Kenntnis der Verfahren und Abläufe des Ratingprozesses, der Methoden zur Beurteilung von Ratingsystemen sowie der Anwendungen im Kreditmanagement ist deshalb hilfreich, um das unternehmensinterne Risikomanagement auf die Bedürfnisse der am Ratingprozess Beteiligten auszurichten. Dabei treten keineswegs nur Banken als Fremdkapitalgeber auf. Auch Lieferanten, Leasing- und Factoringgesellschaften oder Einkaufsund Finanzierungsverbünde finden sich in dieser Rolle und übernehmen die Techniken und Modelle aus dem Kreditrisikocontrolling der Banken. Ein Buch über Risikomanagement und Rating sollte deshalb nach unserer Auffassung die institutionellen Rahmenbedingungen für Ratings sowie den State of the Art der Ratingsysteme darstellen. Zu Rating und Kreditrisikomanagement gehören grundlegend die Kreditbewertung sowie die Bestimmung kreditnehmerspezifischer Konditionen. Beim Risikomanagement auf Unternehmensseite geht es zudem um die Beurteilung weicher Erfolgsfaktoren, den Vergleich mit der Branche und die Beurteilung von Risikoeinflüssen. Mit dieser dreigliedrigen Struktur ist ein solches Buch für den praktischen Einsatz im Kreditrisikomanagement ebenso wie für Studierende an Hochschulen geeignet. Teil I widmet sich dem Rating und steckt zunächst den institutionellen Rahmen auf Bankenseite ab. Im Anschluss wird das Rating mit seinen unterschiedlichen Facetten beleuchtet. Hierzu gehören die Ratingagenturen sowie die internen und externen Ratingverfahren. Das bilanzbasierte Rating stellt dabei einen wichtigen Bestandteil der jahresabschlussorientierten Bonitätsprüfung dar. Zudem stellt sich die Frage, welches von alternativ zur Verfügung stehenden Ratingsystemen eine treffsicherere Bonitätseinschätzung liefert. Hier kommen die Methoden zur Beurteilung der Güte von Ratings zum Einsatz.
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Vorwort zur zweiten Auflage
In Teil II steht das Kreditrisikomanagement im Fokus. Das Kreditrisiko ergibt sich dabei aus veränderten Kreditwerten. Deshalb stellt die Kreditbewertung den notwendigen ersten Schritt für das Kreditrisikomanagement dar. Im Umkehrschluss ergeben sich bei gegebenem Kreditvolumen aus dem Kreditwert die bonitätsabhängigen Konditionen. Letztere entsprechen auf Unternehmensseite gerade den Fremdkapitalkosten bei Ausfallrisiko, die zudem bei der Unternehmensbewertung eine Rolle spielen. Das Risikomanagement auf Unternehmensebene erfasst, beurteilt und steuert insbesondere die Risiken aus der Geschäftstätigkeit. Teil III behandelt die dazu geeigneten Controllinginstrumente. Diese Werkzeuge unterscheiden sich jeweils mit Blick auf Risikound Erfolgsfaktoren des Unternehmens. In Hinsicht auf die Wettbewerbssituation des Unternehmens erfolgt dabei in aller Regel ein Vergleich mit der Branche. Diese Buchteile bedürfen eines gewissen formalen Verständnisses von Rendite und Risiko. Der nicht mit solchen Techniken vertraute Leser findet deshalb im Anhang hierzu die Grundlagen wie statistische Parameter der Rendite oder in Banken und Unternehmen verwendete Risikomaße. Der vorliegende Band stellt eine vollständige Überarbeitung und Erweiterung der ersten Auflage dar. Dies betrifft nicht allein die Aktualisierung der institutionellen Vorgaben, sondern drückt sich in der stärkeren Ausrichtung auf das Kreditrisikomanagement aus. Im Unterschied zur ersten Auflage wurden mit Teil I die Grundlagen an die aktuelle Entwicklung angepasst und ausgebaut. Das Kreditrisikomanagement im engeren Sinne (Teil II) wurde neu aufgenommen. Die praktische Umsetzung im Unternehmen findet sich im Vergleich zur ersten Auflage komprimiert in Teil III wieder. Auch dieser Band war nicht ohne Hilfe möglich: Wir danken Frau ULRIKE M. VETTER vom Gabler-Verlag für ihre erneute Unterstützung. DENNY DREHER, CHRISTOPH GAU und SEBASTIAN OSTROWSKI haben das Manuskript kritisch durchgesehen. MAREN BARTSCH hat wieder ihre hohe Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft beim Erstellen der Druckvorlage bewiesen.
Magdeburg, im April 2007
PETER REICHLING DANIELA BIETKE ANTJE HENNE
Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................ 5 Teil I Rating 1.
Institutionelle Grundlage: Basel II .......................................................................... 15 1.1 Historie zur Eigenkapitalunterlegungspflicht.................................................. 15 1.1.1 Eigenkapitalunterlegungspflicht in Deutschland................................ 15 1.1.2 Internationale Harmonisierung der Eigenkapitalunterlegungspflicht. 16 1.1.3 Umsetzung von Basel II in europäisches Recht ................................. 20 1.1.4 Umsetzung von Basel II in deutsches Recht....................................... 21 1.2 Die neuen Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung ..................................... 21 1.2.1 Regulatorisches Eigenkapital ............................................................. 23 1.2.2 Risikogewichtete Aktiva .................................................................... 26 1.2.3 Eigenkapitalunterlegung des Kreditrisikos......................................... 28 1.2.4 Eigenkapitalunterlegung des Marktrisikos ......................................... 35 1.2.5 Eigenkapitalunterlegung des operationellen Risikos.......................... 37 1.3 Auswirkungen auf die Kreditkonditionen ....................................................... 39
2.
Gegenstand und Methoden des Ratings .................................................................. 44 2.1 Der Ratingbegriff ............................................................................................ 45 2.2 Methoden der Bonitätsbeurteilung .................................................................. 46 2.2.1 Heuristische Methoden....................................................................... 46 2.2.2 Statistische Modelle ........................................................................... 52 2.2.3 Kausalanalytische Modelle................................................................. 53 2.2.4 Mischformen ...................................................................................... 55 2.2.5 Anforderungen an Bonitätsbeurteilungsmethoden ............................. 56
3.
Externes Rating....................................................................................................... 58 3.1 Externe Ratingverfahren ................................................................................. 58 3.1.1 Externe Ratings und Basel II.............................................................. 59 3.1.2 Ablauf eines externen Ratings............................................................ 59 3.2 Internationale Ratingagenturen ....................................................................... 62 3.3 Deutsche Ratingagenturen .............................................................................. 69
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Inhaltsverzeichnis 3.4 Regulierung von Ratingagenturen................................................................... 75 3.5 Ratingklassen und Ausfallwahrscheinlichkeit................................................. 77 3.5.1 Ausfallquote und -wahrscheinlichkeit ................................................ 77 3.5.2 Kumulierte Ausfallquoten und -wahrscheinlichkeiten ....................... 78 3.5.3 Ratings im Zeitablauf ......................................................................... 80
4.
Bankinternes Rating................................................................................................ 83 4.1 Voraussetzungen für den IRB-Ansatz............................................................. 83 4.2 Bestandteile interner Ratingsysteme ............................................................... 85 4.3 Ausgestaltung interner Ratingsysteme ............................................................ 87 4.4 Vergleich externer und interner Ratings ......................................................... 94 4.5 Aktuelle Entwicklungen.................................................................................. 95
5.
Bilanzrating............................................................................................................. 97 5.1 Die Altman’schen Insolvenzprognosemodelle................................................ 98 5.1.1 Der Z-Score ........................................................................................ 98 5.1.2 Der ZetaTM-Score ............................................................................. 100 5.1.3 Der Z’’-Score ................................................................................... 102 5.1.4 Anwendungshürden für das Z’’-Modell ........................................... 105 5.2 Logit-Regressionsanalysen ........................................................................... 106
6.
Ratingvalidierung.................................................................................................. 110 6.1 Rating Accuracy............................................................................................ 111 6.2 Messung der Trennschärfe von Ratingfunktionen ........................................ 113 6.2.1 Die Kontingenztabelle...................................................................... 113 6.2.2 Receiver Operating Characteristic und Area under Curve ............... 117 6.2.3 Cumulative Accuracy Profile und Accuracy Ratio........................... 118 6.2.4 Die stochastische Tendenz ............................................................... 121 6.3 Die Trennschärfe der Ratings von Standard & Poor’s .................................. 123
Literaturhinweise zum Rating....................................................................................... 132
Inhaltsverzeichnis
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Teil II Kreditrisikomanagement 7.
Kreditbewertung ................................................................................................... 139 7.1 Der optionspreistheoretische Ansatz............................................................. 140 7.1.1 Das Grundmodell ............................................................................. 140 7.1.2 Erweiterungen des Grundmodells .................................................... 150 7.2 Der ratingbasierte Ansatz.............................................................................. 159 7.2.1 Das Grundmodell ............................................................................. 161 7.2.2 Diskussion und Erweiterungen des Grundmodells........................... 165 7.3 Vergleich der beiden Ansätze ....................................................................... 174
8.
Kreditkonditionen ................................................................................................. 175 8.1 Komponenten des Kreditzinssatzes............................................................... 176 8.2 Berechnung der einzelnen Komponenten ..................................................... 178 8.3 Kalkulation des Kreditzinssatzes .................................................................. 181
9.
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko............................................................................. 185 9.1 Klassische Unternehmensbewertung............................................................. 186 9.1.1 Von der Investitionsrechnung zur Unternehmensbewertung............ 186 9.1.2 Berechnung risikoangemessener Eigenkapitalkosten....................... 189 9.2 Berücksichtigung des Ausfallrisikos in den Kapitalkosten ........................... 193 9.2.1 Optionscharakter von Eigen- und Fremdkapital............................... 194 9.2.2 Ausfallrisikoangemessene Kapitalkosten ......................................... 197 9.2.3 Verlauf der ausfallrisikoangemessenen Kapitalkosten ..................... 198
Literaturhinweise zum Kreditrisikomanagement .......................................................... 203
Teil III Risikomanagement im Unternehmen 10. Grundlagen des Risikomanagements .................................................................... 209 10.1 Risikomanagement und KonTraG................................................................. 209 10.2 Das Risikomanagementsystem...................................................................... 212 10.2.1 Anforderungen an ein Risikomanagementsystem ............................ 213 10.2.2 Der Risikomanagementprozess ........................................................ 214 10.2.3 Elemente eines Risikomanagementsystems ..................................... 217
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Inhaltsverzeichnis
11. Risikoinventar und Risk Map................................................................................ 218 11.1 Aufbau und Inhalt eines Risikoinventars ...................................................... 219 11.2 Risikobereiche der Unternehmung................................................................ 219 11.3 Bestimmung der Risikorelevanz ................................................................... 231 11.3.1 Das Absicherungsprofil.................................................................... 231 11.3.2 Die Risk Map ................................................................................... 232 11.3.3 Die Risikobewertung........................................................................ 234 11.3.4 Die Risikoaggregation...................................................................... 235 11.4 Risikoberichterstattung ................................................................................. 238 12. Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem ................................................... 240 12.1 Benchmarking ............................................................................................... 241 12.1.1 Unternehmensindikatoren ................................................................ 241 12.1.2 Aufbau eines Indikatorensystems..................................................... 242 12.2 Indikatorenkatalog und Indikatorenbenchmarking ....................................... 244 12.2.1 Die Wertschöpfungskette ................................................................. 244 12.2.2 Auswahl der Indikatoren .................................................................. 246 12.2.3 Auswertung des Indikatorenbenchmarkings .................................... 248 12.2.4 Unternehmensindikatoren zum Benchmarking ................................ 250 12.3 Indikatorengestütztes Frühwarnsystem ......................................................... 253 12.3.1 Arten von Frühwarnsystemen........................................................... 254 12.3.2 Indikatorengestützte Früherkennung ................................................ 255 13. Soft Facts Scoring ................................................................................................. 258 13.1 Erfolgsfaktorenforschung.............................................................................. 258 13.1.1 Empirische Ermittlung der relevanten Erfolgsfaktoren .................... 258 13.1.2 Theoriebasierte Vorgehensweise...................................................... 259 13.2 Erhebung der Soft Facts im Unternehmen .................................................... 260 13.2.1 Der Binnenbereich............................................................................ 260 13.2.2 Die Rahmenbedingungen ................................................................. 265 13.3 Beurteilung von Soft Facts............................................................................ 266 13.3.1 Das Scoringmodell ........................................................................... 267 13.3.2 Beispiele für die Kriterienhinterlegung von Soft Facts .................... 271 13.4 Integration in die Risikoberichterstattung ..................................................... 276 Literaturhinweise zum Risikomanagement im Unternehmen ....................................... 279
Inhaltsverzeichnis
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Anhang 14. Rendite und Risiko................................................................................................ 283 14.1 Renditen und Wertpapierkurse als Zufallsgrößen ......................................... 283 14.1.1 Ex-post- versus Ex-ante-Renditen.................................................... 284 14.1.2 Die Rendite als diskrete Zufallsgröße .............................................. 284 14.1.3 Renditen und Wertpapierkurse als stetige Zufallsgrößen ................. 289 14.1.4 Ausfallorientierte Risikomaße.......................................................... 294 14.2 Die Volatilität................................................................................................ 294 14.2.1 Unterjährige und kontinuierliche Verzinsung .................................. 294 14.2.2 Diskret versus kontinuierlich berechnete Renditen .......................... 295 14.2.3 Berechnung der Volatilität an Wertpapierbörsen ............................. 297 14.3 Der Betakoeffizient ....................................................................................... 301 14.3.1 Lineare Kleinste-Quadrate-Regression............................................. 301 14.3.2 Berechnung des Betakoeffizienten an Wertpapierbörsen................. 303 14.3.3 Der Korrelationskoeffizient.............................................................. 305 14.4 Der Value at Risk.......................................................................................... 308 14.4.1 Definition ......................................................................................... 308 14.4.2 Berechnung über Parameter des Unternehmenserfolgs .................... 309 14.4.3 Berechnung über Parameter der Eigenkapitalrendite ....................... 309 14.5 Die Ausfallwahrscheinlichkeit ...................................................................... 310 14.5.1 Berechnung....................................................................................... 311 14.5.2 Einflussgrößen.................................................................................. 311 14.6 Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Risikomaßen ....................... 313 Literaturhinweise zum Anhang..................................................................................... 314 Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 315 Abkürzungsverzeichnis................................................................................................. 325 Die Autoren................................................................................................................... 327 Stichwortverzeichnis..................................................................................................... 329
Teil I
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1.
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Institutionelle Grundlage: Basel II
Kreditinstitute als Finanzintermediäre spielen eine besondere Rolle in modernen Volkswirtschaften. Einerseits sind sie Mittler zwischen Kreditnehmern und Einlegern und sorgen dabei für die Transformation und Bereitstellung finanzieller Mittel für Investitionsprojekte. Andererseits gehört der professionelle Umgang mit Kredit-, Markt- und Liquiditätsrisiken zu ihren wichtigen Leistungen. Solche Risiken können jedoch schnell zu Instabilitäten im Finanzsektor führen, die mit einem Vertrauensverlust der Kunden in die Banken bis hin zum Abzug von Einlagen und entsprechenden negativen Auswirkungen auf ganze Volkswirtschaften verbunden wären. Die Stabilität des Finanzsystems stellt deshalb ein Hauptziel der staatlichen Bankenaufsicht dar und eine gut funktionierende Bankenaufsicht gehört zu den Eckpfeilern jedes Finanzsystems. Die Aufsicht verlangt unter anderem von den Kreditinstituten eine entsprechende Risikovorsorge. Durch die Liberalisierung der Finanzmärkte ergeben sich ständig neue Geschäftsmöglichkeiten für Banken, die mit einer Erhöhung ihres Risikos verbunden sein können. Zur Vorbeugung von Bankinsolvenzen ist deshalb nicht nur die Schaffung, sondern auch eine ständige Weiterentwicklung der Bankenaufsicht insgesamt und der aufsichtsrechtlich vorgegebenen Regeln zur Risikovorsorge der Kreditinstitute erforderlich. Im Aufsichtsrecht nehmen dabei vor allem die Regeln zur Unterlegung von Risiken des Bankgeschäfts mit Eigenkapital als Haftungsbasis gegenüber den Einlegern eine herausragende Rolle ein.
1.1
Historie zur Eigenkapitalunterlegungspflicht
Dass Kreditinstitute – so wie es in § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) heißt – „im Interesse der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern, insbesondere zur Sicherung der ihnen anvertrauten Vermögenswerte, angemessene Eigenmittel haben“ müssen, ist nicht erst seit Basel II der Fall. Die Pflicht zur Unterlegung banktypischer Risiken mit Eigenkapital weist sowohl national als auch international bereits eine langjährige Geschichte auf.
1.1.1
Eigenkapitalunterlegungspflicht in Deutschland
Die rechtliche Grundlage für die Beaufsichtigung von Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen (Bankenaufsicht) in Deutschland bildet das KWG. Ziel dieses am 10. Juli 1961 erlassenen Gesetzes, mit dem gleichzeitig die Rechtsgrundlage für die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen geschaffen wurde, ist es, die Funktionsfähigkeit des besonders vertrauensempfindlichen Finanzsektors durch Gläubi-
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Institutionelle Grundlage: Basel II
gerschutz zu sichern. Durch das KWG wird zwar den Geschäftsleitern der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (Institute) die alleinige Verantwortung für ihre geschäftspolitischen Entscheidungen belassen. Es erfolgt also kein direkter Eingriff in einzelne Geschäfte der Institute durch die Bankenaufsicht. Die Tätigkeit der Institute wird jedoch indirekt durch qualitative und quantitative Rahmenbestimmungen und die Pflicht zur Offenlegung der Bücher gegenüber den Aufsichtsbehörden eingeschränkt. Nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Herstatt im Jahr 1974 bildete das Bundesministerium der Finanzen zur Vorbereitung einer umfassenden Überarbeitung des KWG die Studienkommission Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft. Das Gremium kam zu dem Ergebnis, dass das KWG an eine inzwischen veränderte Risikosituation der Kreditinstitute anzupassen war, die sich mit der Ausdehnung der Geschäftstätigkeit auch über die Landesgrenzen hinaus ergeben hatte. Dabei war sicherzustellen, dass sowohl Einzelinstitute als auch Institutsgruppen über ein angemessenes Eigenkapital verfügten. Doch erst die dritte KWG-Novelle vom 1. Januar 1985 führte neben der bestehenden Einzelaufsicht auch ein bankenaufsichtliches Zusammenfassungsverfahren (Konsolidierung) ein. Erst dadurch konnten die Kreditinstitute nun nicht mehr wie zuvor über Tochterinstitute ohne Erhöhung der beim Mutterinstitut vorhandenen Kapitalbasis Kreditpyramiden aufbauen und den an das Eigenkapital anknüpfenden Geschäftsbegrenzungsregeln ausweichen.
1.1.2
Internationale Harmonisierung der Eigenkapitalunterlegungspflicht
Neben der Liberalisierung kennzeichnet die Finanzmärkte auch die fortschreitende Globalisierung. Als Reaktion auf mehrere ernsthafte Störungen an den internationalen Finanzmärkten, zu denen auch der oben erwähnte Zusammenbruch des Bankhauses Herstatt gehörte, wurde Ende 1974 der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee on Banking Supervision) von den Präsidenten der Zentralbanken der G10Staaten (Zehnergruppe bzw. Group of Ten) bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Bank for International Settlements – BIS) in Basel ins Leben gerufen. Der Ausschuss setzt sich derzeit aus Vertretern der Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden folgender 13 Länder zusammen: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Schweiz, Spanien, Großbritannien und USA. Der Basler Ausschuss tritt drei- bis viermal im Jahr zusammen. Sein erstes Treffen fand im Februar 1975 statt. Sein Hauptziel sieht der Basler Ausschuss in der weltweiten Verbesserung der Qualität der Bankenaufsicht durch die Entwicklung eines international einheitlichen Aufsichtsregelwerks und -netzwerks, das Mindeststandards setzt. Diese besitzen keinen rechtsverbindlichen Charakter. Vielmehr wird von einer entsprechenden Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht in den einzelnen Ländern – oder auch Staatengemeinschaften wie beispielsweise der Europäischen Union – ausgegangen, die die jeweiligen spezifi-
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schen Gegebenheiten berücksichtigt. Geringfügige Abweichungen der nationalen Rechtsvorschriften von den Richtlinien des Basler Ausschusses sind deshalb nicht ausgeschlossen. In Deutschland sind die Richtlinien des Basler Ausschusses zur Eigenkapitalunterlegungspflicht von Bankrisiken im KWG und ergänzend dazu in der Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und FinanzholdingGruppen (Solvabilitätsverordnung – SolvV) verankert. Letztere löst seit Beginn 2007 den bisherigen Grundsatz I über die Eigenmittel der Institute ab. Der Kapitaladäquanz hat der Basler Ausschuss in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit gewidmet. Unter Kapitaladäquanz versteht man die angemessene Ausstattung eines Kreditinstituts mit Eigenkapital, um die Gläubiger des Instituts gegen die Risiken abzusichern, die sich aus seiner Geschäftstätigkeit ergeben. In den frühen achtziger Jahren verschlechterte sich die Kapitalstruktur der wichtigen international tätigen Banken zusehends bis hin zu Bankenzusammenbrüchen in den USA und Japan, und das zu einer Zeit, in der internationale Risiken an Bedeutung gewannen. Dies veranlasste den Basler Ausschuss, eine größere internationale Konvergenz in der Messung der Kapitaladäquanz anzustreben, die mit einem breiten Konsens in Bezug auf die Risikomessung verbunden sein sollte. Nach der Veröffentlichung eines Konsultationspapiers im Dezember 1987 wurde im Juli 1988 der erste Basler Akkord (Basel I bzw. Basel Capital Accord) veröffentlicht, der bereits einen einfachen risikoorientierten Eigenkapitalansatz verfolgt. Bis Ende 1992 sollte eine Mindestquote von regulatorischem Eigenkapital zu risikogewichteten Aktiva von acht Prozent in den Banken erreicht werden. Bezüglich der risikogewichteten Aktiva fokussierte man dabei auf Kreditrisiken. Es wurden vier Kreditrisikoklassen mit Bonitätsgewichtungsprozentsätzen von null für Forderungen gegenüber staatlichen Schuldnern (OECD-Staaten), 20 Prozent für Forderungen gegenüber Kreditinstituten, 50 Prozent für grundpfandrechtlich gesicherte Realkredite und 100 Prozent für alle sonstigen Risikoaktiva, d. h. auch alle Kredite an Unternehmen, identifiziert. Beginnend noch im Jahr 1988 wurden die Richtlinien des ersten Basler Akkords nach und nach in nahezu allen Ländern mit international tätigen Banken umgesetzt. Im September 1993 erfüllten alle Banken der G10-Staaten mit wesentlichem internationalen Fokus die Mindestanforderungen von Basel I. Die Begriffe des regulatorischen Eigenkapitals und der risikogewichteten Aktiva wurden immer wieder modifiziert, um geänderte Gegebenheiten bezüglich der Geschäftstätigkeit von Banken zu berücksichtigen. Dies geschah beispielsweise im November 1991 mit der Berücksichtigung von Rückstellungen für Verluste aus Kreditgeschäften oder im April 1995 mit der Möglichkeit des Nettings von in derivativen Produkten enthaltenen Forderungen. Nach zwei Konsultationsprozessen gab es im Januar 1996 einen Nachtrag zu Basel I, der auf die Berücksichtigung von Marktrisiken – herrührend aus offenen Positionen in
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Institutionelle Grundlage: Basel II
Fremdwährungen, Anleihen, Aktien, Waren und Optionen – abzielte und bis Ende 1997 umgesetzt werden sollte. Ein wichtiger Aspekt dieses Nachtrags ist, dass er Banken gestattet, bei Erfüllung strenger qualitativer und quantitativer Standards alternativ zu Standardmessverfahren interne Value-at-Risk-Modelle zur Messung des Marktrisikos zu verwenden. Nach drei Konsultationspapieren (vom Juni 1999, Januar 2001 und Mai 2003) wurden am 26. Juni 2004 die neuen Eigenkapitalrichtlinien (Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen bzw. Basel II) veröffentlicht, die Basel I seit Beginn 2007 ersetzen und erweitern. Basel II besteht aus drei Säulen (vgl. Abbildung 1): Säule 1: Mindestkapitalanforderungen Die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen wird auch weiterhin anhand des so genannten Kapitalkoeffizienten gemessen, der mindestens acht Prozent betragen muss. Die bisherigen Risikoarten Kreditrisiko und Marktrisiko werden jedoch um das operationelle Risiko ergänzt, das explizit mit regulatorischem Eigenkapital (zur Definition vgl. Abschnitt 1.2.1) zu unterlegen ist. Die Messverfahren für das Kreditrisiko sind nun ausgefeilter als in Basel I. Darüber hinaus wird auch eine Messgröße für das operationelle Risiko vorgeschlagen. Die neuen Eigenkapitalanforderungen sollen nicht nur an die Marktentwicklungen angepasst werden, sondern auch den unterschiedlichen Stand des Risikomanagements in den einzelnen Banken berücksichtigen. So wie schon im Nachtrag zu Basel I zur Messung des Marktrisikos neben Standardmessverfahren auch anspruchsvollere interne Modelle zulässig waren, sind nun auch bezüglich des Kredit- und operationellen Risikos sowohl standardisierte Risikomessmethoden als auch verfeinerte Verfahren vorgesehen. Dabei ergibt sich beim Übergang zu den verfeinerten Verfahren im Allgemeinen eine moderate Verminderung der Eigenkapitalanforderungen. Dieser Anreiz zu einer methodischen Weiterentwicklung in der internen Steuerung soll unter den Banken wettbewerbsfördernd wirken. Säule 2: Aufsichtliches Überprüfungsverfahren Nicht nur die Eigenkapitalanforderungen an Banken, sondern auch die Aufsichtspraktiken sollen stärker harmonisiert werden, um vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für Banken verschiedener Länder zu schaffen. Die Aufsicht bezieht sich dabei auf die Bewertung der Fähigkeit der Banken, ihre eingegangenen Risiken zu identifizieren, zu messen, zu steuern und zu überwachen, beispielsweise durch die Überprüfung der Einhaltung der Mindestanforderungen zur Anwendung der verschiedenen Risikomessverfahren. Der dabei entstehende Dialog zwischen Banken und Aufsicht soll Letzterer eine Gesamtbankbeurteilung und eine ständige Weiterentwicklung der bankenaufsichtlichen Regelungen ermöglichen.
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Säule 3: Marktdisziplin Den erweiterten Offenlegungsvorschriften liegt die Erwartung zugrunde, dass gut informierte Marktteilnehmer eine risikobewusste Geschäftsführung und ein wirksames Risikomanagement von Banken bei ihren Anlage- und Kreditentscheidungen honorieren und umgekehrt ein risikoreicheres Verhalten sanktionieren. Daraus ergibt sich abermals ein Anreiz zur Risikokontrolle und -steuerung für Banken. Dabei sind die Kreditinstitute grundsätzlich flexibel hinsichtlich des Umfangs und der Häufigkeit der Offenlegung. Als Voraussetzung für die bankenaufsichtliche Anerkennung von eigenkapitalreduzierenden internen Verfahren und Instrumenten, wie beispielsweise der Nutzung eines internen Ratingverfahrens, der Verbriefung von Kreditforderungen oder der Berücksichtigung von Sicherheiten bei der Ermittlung des mit Eigenkapital zu unterlegenden Kreditrisikos, sind jedoch Transparenzanforderungen einzuhalten, um die öffentliche Kontrolle der damit verbundenen Ermessensspielräume eines Instituts zu gewährleisten. Diese Transparenzvorschriften beziehen sich auf die Anwendung der Eigenkapitalvorschriften, die Ausstattung mit Eigenkapital, die Struktur des Eigenkapitals sowie die quantitative und qualitative Darstellung des eingegangenen Risikos.
Stärkung der internationalen Finanzmärkte
Basel II
Säule 1
Säule 2
Säule 3
Mindestkapitalanforderungen
Aufsichtliches Überprüfungsverfahren
Marktdisziplin
Weltweite Verbesserung der Qualität der Bankenaufsicht durch die Entwicklung eines international einheitlichen Aufsichtsregelwerks sowie eines Aufsichtsnetzwerks mit jeweiligen Mindeststandards
Abbildung 1:
Die drei Säulen von Basel II
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Institutionelle Grundlage: Basel II
Parallel zur Konzeption der Rahmenvereinbarung hat der Basler Ausschuss mehrere freiwillige Auswirkungsstudien (Quantitative Impact Studies – QIS 1 bis 5) mit unterschiedlichem Fokus durchgeführt. Beispielsweise diente die QIS 4, die in Deutschland von Dezember 2004 bis Februar 2005 durchgeführt wurde, der Gewinnung verlässlicherer Daten zur Kalibrierung der Risikogewichte auf unerwartete Verluste, zu Verbriefungen und zum fortgeschrittenen Bemessungsansatz für das operationelle Risiko sowie der Berücksichtigung der neuen methodischen Anforderungen an die Schätzung der Verlustausfallquote. Nach intensiver Diskussion der Ergebnisse der QIS 5, die im Februar 2006 mit dem Ziel der Überprüfung der Kalibrierung der überarbeiteten Rahmenvereinbarung auf internationaler Ebene durchgeführt wurde, sowie möglicher zyklischer Effekte von Basel II hat der Basler Ausschuss einen Skalierungsfaktor von 1,06 für die risikogewichteten Aktiva aus dem Kreditgeschäft (vgl. hierzu Abschnitt 1.2.2) bestätigt, der bereits basierend auf den QIS 3-Daten vorgeschlagen wurde. Gemäß der QIS 5 würde es ohne diesen Faktor voraussichtlich zu einer Absenkung der Mindesteigenkapitalanforderungen im G10Durchschnitt kommen.
1.1.3
Umsetzung von Basel II in europäisches Recht
Die EU-Kommission zur Umsetzung der Basler Vorschläge in europäisches Recht hat am 14. Juli 2004 entsprechende Richtlinienvorschläge zur Beratung im Ecofin-Rat und im Europäischen Parlament vorgelegt. Am 30. Juni 2006 hat die Europäische Kommission die beiden Neufassungen der EU-Richtlinien, die die neuen Eigenmittelbestimmungen von Basel II in europäisches Recht umsetzen (Capital Requirements Directive – CRD), im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht: Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Bankenrichtlinie); Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Kapitaladäquanzrichtlinie). Der nächste bzw. bereits seit Vorlage der Richtlinienvorschläge im Juli 2004 parallel laufende Schritt bestand in der kohärenten Umsetzung dieser Rechtsvorschriften in der gesamten Europäischen Union. Die Richtlinien sind seit dem 1. Januar 2007 in den Mitgliedsstaaten anwendbar.
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1.1.4
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Umsetzung von Basel II in deutsches Recht
Zur Umsetzung von Basel II bzw. der entsprechenden EU-Richtlinien in deutsches Recht hatte die Bankenaufsicht den Arbeitskreis Umsetzung Basel II sowie nachgeordnete Fachgremien eingerichtet. Diese setzten sich aus Vertretern der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), der Deutschen Bundesbank, der Spitzenverbände des deutschen Kreditgewerbes sowie Bankpraktikern zusammen und widmeten sich folgenden Themen: 1.
interner Ratingansatz,
2.
operationelle Risiken,
3.
Kreditsicherungstechniken,
4.
Verbriefungen,
5.
aufsichtliches Überprüfungsverfahren und
6.
Offenlegungsanforderungen.
Im Juni 2005 hatte das Bundesministerium der Finanzen den Diskussionsentwurf zum Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (siebte KWG-Novelle bzw. CRD-Umsetzungsgesetz) veröffentlicht, mit dem die für die Umsetzung von Basel II notwendigen Änderungen in das KWG (und weitere Gesetze) eingefügt werden sollten. Nach einer Beratung mit der Kreditwirtschaft über den entsprechenden Referentenentwurf im Dezember 2005 wurde der überarbeitete Entwurf im Februar 2006 vom Bundeskabinett beschlossen und dem deutschen Bundestag und Bundesrat zur Beratung zugeleitet. Das Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie wurde am 22. November 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Der überwiegende Teil der Bestimmungen von Basel II bzw. der beiden neuen EURichtlinien wird nicht im KWG, sondern in der neuen Solvabilitätsverordnung umgesetzt. Nach Beratung des Entwurfs der neuen Solvabilitätsverordnung mit der Kreditwirtschaft wurde die endgültige Fassung am 20. Dezember 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und kommt seit dem 1. Januar 2007 zur Anwendung.
1.2
Die neuen Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung
Wir wollen uns hier auf diejenigen Ziele von Basel II konzentrieren, die sich in den Vorschriften der ersten Säule widerspiegeln. Diese lauten: Die Eigenkapitalanforderungen an Banken sind stärker als bisher vom eingegangenen Risiko abhängig zu machen;
22
Institutionelle Grundlage: Basel II
neuere Entwicklungen an den Finanzmärkten und im Risikomanagement der Institute sind zu berücksichtigen. Die quantitativen Eigenkapitalanforderungen, die sich dabei aus unterschiedlich komplexen Verfahren zur Messung der relevanten Risiken ergeben, können als Kern von Basel II angesehen werden. Zwei weitere Schwerpunkte von Basel II sind: Vorgabe von Grundprinzipien für die qualitative Bankenaufsicht (Säule 2, die institutionellen Vorgaben hierzu regeln in Deutschland die Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht); Erweiterung der Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin (Säule 3). Diese beiden Säulen sollen jedoch im weiteren Verlauf dieses Buchs nicht weiter betrachtet werden.
MaRisk Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) enthalten die Vorgaben der BaFin an die Ausgestaltung der Risikomanagementsysteme in Kreditinstituten. Die MaRisk fassen die bereits geltenden Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften (MaH), an die Ausgestaltung der internen Revision (MaIR) sowie an das Kreditgeschäft (MaK) zusammen und ergänzen diese Vorschriften. Die MaRisk stellen die Umsetzung des bankenaufsichtlichen Überprüfungsprozesses (Supervisory Review Process – SRP) der neuen Eigenkapitalunterlegungsvorschriften dar. So verlangt die zweite Säule von Basel II, dass jedes Kreditinstitut Prozesse einrichtet, die gewährleisten, das genügend Kapital zur Abdeckung aller wesentlichen Risiken vorhanden ist (Internal Capital Adequacy Assessment Process – ICAAP). Die MaRisk besitzen einen zweiteiligen Aufbau: Der allgemeine Teil besteht aus grundsätzlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Risikomanagements. Der besondere Teil enthält spezifische Anforderungen an die Prozesse für das Controlling von Kreditrisiken, Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationellen Risiken. In Basel I aus dem Jahr 1988 wurde nur das Kreditrisiko als Risikoart berücksichtigt. Im Nachtrag zu Basel I aus dem Jahr 1996 kam das Marktrisiko hinzu. Gemäß Basel II aus dem Jahr 2004 wird neben diesen beiden Risikoarten auch das operationelle Risiko einer Bank explizit mit Eigenkapital zu unterlegen sein. Dabei muss das Verhältnis von anrechenbarem (regulatorischem) Eigenkapital zur Summe aller risikogewichteten Aktiva wie schon in Basel I mindestens acht Prozent betragen. Die Definition des regulatori-
Rating
23
schen Eigenkapitals bleibt dabei im Vergleich zu den früheren Regelungen nahezu unverändert. Stark erweitert wurde jedoch der Begriff der risikogewichteten Aktiva.
1.2.1
Regulatorisches Eigenkapital
In Deutschland berechnen sich die anrechenbaren Eigenmittel gemäß § 10 KWG (Anforderungen an die Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen). Danach ergeben sich die anrechenbaren Eigenmittel aus dem haftenden Eigenkapital und den (gegebenenfalls erweiterten) anrechenbaren Drittrangmitteln, wobei das haftende Eigenkapital wiederum die Summe aus Kernkapital und berücksichtigtem Ergänzungskapital darstellt. Das Kernkapital Zur Charakterisierung des auch als Tier-1-Kapital bezeichneten Kernkapitals wollen wir uns auf den Fall von Aktiengesellschaften beschränken. Für diese gilt: Kernkapital =
Eingezahltes Stammkapital ohne Vorzugsaktien und Rücklagen
+
Sonderposten für allgemeine Bankrisiken nach § 340g Handelsgesetzbuch (HGB)
+
Vermögenseinlagen stiller Gesellschafter (vgl. § 10 Abs. 4 KWG)
+
Bilanzgewinn (soweit seine Zuweisung zum Geschäftskapital, zu den Rücklagen oder den Geschäftsguthaben beschlossen ist)
./.
Bilanzverlust
./.
Immaterielle Vermögensgegenstände
./.
Korrekturposten (vgl. § 10 Abs. 3b KWG)
./.
Kredite an Aktionäre (vgl. § 10 Abs. 2a Satz 2 Nr. 4 KWG)
./.
Kredite an stille Gesellschafter (vgl. § 10 Abs. 2a Satz 2 Nr. 4 sowie Abs. 4 KWG)
./.
50 Prozent der Beteiligungen, der Forderungen aus nachrangigen Verbindlichkeiten und aus Genussrechten sowie der Vermögenseinlagen als stiller Gesellschafter gemäß § 10 Abs. 6 Satz 1 KWG
24
Institutionelle Grundlage: Basel II
Das Ergänzungskapital Zur Charakterisierung des auch als Tier-2-Kapital bezeichneten Ergänzungskapitals wollen wir uns ebenfalls auf den Fall von Aktiengesellschaften beschränken. Für diese gilt: Ergänzungskapital =
Ungebundene Vorsorgereserven nach § 340f HGB
+
Vorzugsaktien
+
45 Prozent der Rücklagen nach § 6b Einkommensteuergesetz (soweit durch die Einstellung von Gewinnen aus der Veräußerung von Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten und Gebäuden entstanden)
+
Genussrechtsverbindlichkeiten (vgl. § 10 Abs. 5 KWG)
+
Längerfristige nachrangige Verbindlichkeiten (vgl. § 10 Abs. 5a KWG)
+
45 Prozent des Unterschiedsbetrags zwischen Buch- und Beleihungswert der im Anhang des letzten festgestellten Jahresabschlusses ausgewiesenen nicht realisierten Reserven bei Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten und Gebäuden (vgl. § 10 Abs. 4a und 4b KWG)
+
45 Prozent des Unterschiedsbetrags zwischen Buchwert zuzüglich Vorsorgereserven und Marktwert (genauer siehe § 10 Abs. 2b Satz 1 Nr. 7 KWG) der im Anhang des letzten festgestellten Jahresabschlusses ausgewiesenen nicht realisierten Reserven bei Anlagebuchpositionen (vgl. § 10 Abs. 4a und 4c KWG)
./.
50 Prozent der Beteiligungen, der Forderungen aus nachrangigen Verbindlichkeiten und aus Genussrechten sowie der Vermögenseinlagen als stiller Gesellschafter gemäß § 10 Abs. 6 Satz 1 KWG
Bei der Berechnung des haftenden Eigenkapitals kann Ergänzungskapital nur bis zur Höhe des Kernkapitals berücksichtigt werden. Dabei darf das berücksichtigte Ergänzungskapital nur bis zur Hälfte des Kernkapitals aus längerfristigen nachrangigen Verbindlichkeiten bestehen. Das haftende Eigenkapital Zur Berechnung des haftenden Eigenkapitals ist die Summe aus Kern- und berücksichtigtem Ergänzungskapital zu bilden: Haftendes Eigenkapital =
Kernkapital
+
Berücksichtigtes Ergänzungskapital
Rating
25
Die Drittrangmittel Für die auch als Tier-3-Kapital bezeichneten Drittrangmittel gilt: Drittrangmittel =
Nettogewinn
+
Kurzfristige nachrangige Verbindlichkeiten (vgl. § 10 Abs. 7 KWG)
+
Positionen, die allein wegen einer der beiden unter Ergänzungskapital erwähnten Kappungen nicht als Ergänzungskapital berücksichtigt werden können
Drittrangmittel sind dabei nur bis zu einem Betrag anrechenbar, der zusammen mit dem freien Ergänzungskapital das Zweieinhalbfache des freien Kernkapitals nicht übersteigt (anrechenbare Drittmittel). Das freie Ergänzungskapital ist dabei der Teil des Ergänzungskapitals, der nicht zur Unterlegung der Risiken aus dem Anlagebuch gemäß KWG benötigt wird. Das freie Kernkapital ist analog dazu der Teil des Kernkapitals, der ebenfalls nicht zur Unterlegung der Risiken aus dem Anlagebuch gemäß KWG benötigt wird. Auf die gesonderten Bestimmungen für Wertpapierhandelsunternehmen soll hier nicht eingegangen werden. Institute, die Kreditrisikopositionen nach dem auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRBA) berücksichtigen dürfen (so genannte IRBA-Institute), können Drittrangmittel nur bis zu einem Betrag anrechnen, der zusammen mit dem erweiterten freien Ergänzungskapital das Zweieinhalbfache des erweiterten freien Kernkapitals nicht übersteigt (erweiterte anrechenbare Drittmittel). Das erweiterte freie Ergänzungskapital stellt dabei denjenigen Teil des Ergänzungskapitals dar, der unter Einbeziehung des berücksichtigungsfähigen Wertberichtigungsüberschusses bzw. des höchstens hälftigen Wertberichtigungsfehlbetrags nicht zur Unterlegung der Risiken aus dem Anlagebuch gemäß KWG benötigt wird, wobei sich der hälftige Wertberichtigungsfehlbetrag bei der Berechnung der Differenz zwischen den Wertberichtigungen und Rückstellungen und den erwarteten Verlustbeträgen von bestimmten IRBA-Positionen ergibt (genauer siehe § 10 Abs. 2b Satz 1 Nr. 9 sowie Abs. 6a Nr. 1 und 2 KWG). Das erweiterte freie Kernkapital ist dabei der Teil des Kernkapitals, der unter Einbeziehung des mindestens hälftigen Wertberichtigungsfehlbetrags, der sich bei der Berechnung der Differenz zwischen den erwarteten Verlustbeträgen und den Wertberichtigungen und Rückstellungen von bestimmten IRBA-Positionen ergibt (genauer siehe § 10 Abs. 2b Satz 1 Nr. 9 sowie Abs. 6a Nr. 1 und 2 KWG), ebenfalls nicht zur Unterlegung der Risiken aus dem Anlagebuch gemäß KWG benötigt wird. Unter Ausklammerung der gesonderten Bestimmungen für Handelsbuchinstitute entsprechen die (erweiterten) anrechenbaren Drittrangmittel gerade den so genannten verfügbaren Drittrangmitteln. Diese dürfen nur zur Unterlegung der Anrechnungsbeträge für Marktrisiken verwendet werden.
26
1.2.2
Institutionelle Grundlage: Basel II
Risikogewichtete Aktiva
Basel II unterscheidet – wie bereits erwähnt – drei Risikoarten: Kreditrisiko, Marktrisiko, operationelles Risiko. Bezüglich der Markt- und operationellen Risiken werden die Eigenkapitalanforderungen direkt bestimmt, d. h. die in den nachfolgenden Abschnitten 1.2.4 und 1.2.5 angesprochenen Ansätze liefern direkt den Betrag an regulatorischem Eigenkapital, der in der Bank mindestens vorhanden sein muss, um potenzielle Verluste aufgrund dieser Risiken hinreichend abzufangen. In Bezug auf die Kreditrisiken werden hingegen einzelne Risikogewichte bestimmt, die für weniger riskante Kreditengagements der Bank tendenziell unterhalb von 100 Prozent und für riskantere Kreditengagements tendenziell oberhalb von 100 Prozent liegen. Anschließend wird für jede Forderung der Bank die Höhe der Forderung mit dem jeweiligen Risikogewicht multipliziert, was zu den so genannten risikogewichteten Aktiva führt. Die Eigenkapitalanforderungen für Markt- und operationelle Risiken besitzen folglich eine andere Größenordnung als die risikogewichteten Aktiva, die das Kreditrisiko repräsentieren. Wie bereits erwähnt, muss das Verhältnis von anrechenbarem (regulatorischem) Eigenkapital zur Summe aller risikogewichteten Aktiva mindestens acht Prozent betragen. Die Summe aller risikogewichteten Aktiva wird deshalb so bestimmt, dass die Eigenkapitalanforderungen für Markt- und operationelle Risiken mit dem Faktor 12,5 (Kehrwert von acht Prozent) multipliziert und zur Summe der gewichteten Risikoaktiva aus dem Kreditgeschäft (multipliziert mit dem Skalierungsfaktor 1,06) addiert werden. Damit erhalten wir:
(1)
Regulatorisches Eigenkapital t 8% Summe aller risikogewichteten Aktiva
mit
Summe aller risikogewichteten Aktiva = 1,06 Summe der gewichteten Risikoaktiva aus dem Kreditgeschäft + 12,5 Eigenkapitalanforderung für Marktrisiken + 12,5 Eigenkapitalanforderung für operationelle Risiken
Im Folgenden werden die Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung für die drei Risikoarten im Einzelnen dargestellt. Dabei werden die oben erwähnten Ziele der ersten Säule von Basel II in allen drei Fällen deutlich:
Rating
27
Die Eigenkapitalanforderungen werden für alle drei Risikoarten umso höher sein, je größer das jeweils eingegangene Risiko ist. Zur Risikomessung existieren bei allen drei Risikoarten verschiedene Verfahren. In jedem Fall wird dabei ein evolutionärer Aufbau dieser Risikomessverfahren erkennbar. Neben einem Standardansatz existieren jeweils auch fortgeschrittenere, genauere Verfahren, die im Allgemeinen zu Erleichterungen bei den Kapitalanforderungen führen. Dies soll Kreditinstituten den Anreiz bieten, ihre Risikomesssysteme schrittweise weiterzuentwickeln. Abbildung 2 stellt die in Basel II unterschiedenen Risikoarten und die jeweiligen Ansätze zur Risikomessung in ihrem evolutionären Aufbau grafisch dar. Im Folgenden wird auf diese verschiedenen Risikomessverfahren im Einzelnen eingegangen.
Risikoarten Risikoarten
Kreditrisiko Kreditrisiko
Marktrisiko Marktrisiko
Operationelles Operationelles Risiko Risiko
Steigende Risikosensitivität und tendenziell sinkende Eigenkapitalbelastung
Risikomessverfahren
Abbildung 2:
Standardansatz Standardansatz
Auf internen internen Auf Ratings Ratings basierender basierender (IRB-) Ansatz Ansatz (IRB-)
StandardStandardmessmethode messmethode
BasisindikatorBasisindikatoransatz (BIA) (BIA) ansatz
Interne Modelle Modelle Interne zur Messung Messung der der zur Marktrisiken Marktrisiken
Standardansatz Standardansatz (STA) (STA)
IRBIRBBasisansatz Basisansatz
FortgeFortgeschrittener schrittener IRB-Ansatz IRB-Ansatz
Risikoarten und -messverfahren gemäß Basel II
Fortgeschrittene Fortgeschrittene Messansätze Messansätze (AMA) (AMA)
28
1.2.3
Institutionelle Grundlage: Basel II
Eigenkapitalunterlegung des Kreditrisikos
Die Höhe des Kreditrisikos kann gemäß Basel II neben einem Standardansatz auch über einen auf internen Ratings basierenden Ansatz (Internal Ratings-based Approach – IRBAnsatz) bestimmt werden, wobei bei Letzterem zwischen einer Basis- und einer fortgeschrittenen Version gewählt werden kann. Der Standardansatz Im Standardansatz richtet sich das Risikogewicht einer Forderung nach der externen Bonitätsbeurteilung (Rating) einer durch die nationale Aufsichtsinstanz anerkannten Ratingagentur (External Credit Assessment Institution – ECAI), wobei in Basel II der Notation der Ratingagentur Standard & Poor’s gefolgt wird (vgl. Abschnitt 3.2). Tabelle 1 enthält einige Beispiele für Risikogewichte im Standardansatz. Staaten und deren Zentralbanken
Forderungsklasse
Banken Kurzfristige Forderungen
Rating
Sonstige Forderungen
Unternehmen
Retail (nicht in Verzug)
Risikogewicht
AAA bis AA–
0%
20 %
20 %
20 %
75 %
A+ bis A–
20 %
20 %
50 %
50 %
75 %
BBB+ bis BBB–
50 %
20 %
50 %
100 %
75 %
BB+ bis BB–
100 %
50 %
100 %
100 %
75 %
B+ bis B–
100 %
50 %
100 %
150 %
75 %
Unterhalb B–
150 %
150 %
150 %
150 %
75 %
Ohne
100 %
20 %
50 %
100 %
75 %
Tabelle 1:
Beispiele für Risikogewichte im Standardansatz
Für Kredite von Banken an ihren Sitzstaat können die nationalen Aufsichtsinstanzen nach Ermessen und unter Bedingungen auch niedrigere Risikogewichte zulassen. Für Forderungen an Staaten können die Aufsichtsinstanzen alternativ zu Ratings von Ratingagenturen auch Länderrisikoklassifizierungen von Exportversicherungsagenturen anerkennen, nach denen sich dann das Risikogewicht richten kann. Auf Forderungen an die BIS, den Internationalen Währungsfonds, die Europäische Zentralbank und die Europäische Gemeinschaft kann ein Risikogewicht von null angewandt werden.
Rating
29
Für Forderungen an Banken geben die nationalen Aufsichtsinstanzen in ihrem Zuständigkeitsbereich zwei Optionen vor. In jedem Fall dürfen Forderungen ohne Rating an Banken kein niedrigeres Risikogewicht erhalten als Forderungen an ihren Sitzstaat. Unter Option 1 erhalten alle Banken ein um eine Stufe höheres Risikogewicht als der Sitzstaat, das jedoch mit Ausnahme von Ratings unterhalb B– auf maximal 100 Prozent begrenzt ist. Unter Option 2, die in Tabelle 1 dargestellt ist, können für kurzfristige Forderungen an Banken niedrigere Risikogewichte angewendet werden als für andere Bankenforderungen. Kurzfristige Forderungen sind dabei jene mit einer Anfangslaufzeit von maximal drei Monaten, für die auch nicht zu erwarten ist, dass die effektive Restlaufzeit letztlich mehr als drei Monate beträgt. Mit Ausnahme von Ratings unterhalb B– können diese kurzfristigen Forderungen ein um eine Stufe niedrigeres Risikogewicht erhalten als sonstige Forderungen an Banken, das jedoch mindestens 20 Prozent betragen muss. Während in Basel I noch alle Unternehmenskredite ein einheitliches Risikogewicht von 100 Prozent erhielten, richtet sich das Risikogewicht nun nach dem Rating des Schuldners, wobei sich sowohl höhere als auch niedrigere Risikogewichte als nach Basel I ergeben können. Daneben können Kredite auch als Retailforderungen klassifiziert und einem entsprechenden Portfolio zugeordnet werden. Sofern es sich nicht um Kredite in Verzug handelt, können Retailforderungen im Standardansatz ein einheitliches Risikogewicht von 75 Prozent erhalten. Damit Kredite dem aufsichtlichen Retailportfolio zugeordnet werden können, müssen die folgenden vier Kriterien erfüllt sein: Kreditnehmer sind natürliche Personen oder Kleinunternehmen. Es handelt sich um revolvierende Kredite bzw. Kreditlinien, persönliche Kredite, Leasingforderungen oder Kredite bzw. Kreditlinien für Kleinunternehmen. Das für aufsichtliche Zwecke gebildete Retailportfolio ist angemessen diversifiziert. Dazu könnte die Aufsicht beispielsweise festsetzen, dass die zusammengefassten Kredite an einen einzelnen Schuldner 0,2 Prozent des gesamten Retailportfolios nicht übersteigen dürfen. Der Wert der zusammengefassten Retailkredite an einen Kreditnehmer darf 1 Mio. Euro nicht übersteigen. Das Risikogewicht von 75 Prozent stellt eine Absenkung der Kapitalanforderung für Retailforderungen dar. Dem aufsichtlichen Retailportfolio kann voraussichtlich ein erheblicher Teil der Unternehmenskredite in Deutschland zugeordnet werden. Zur Berechnung des einer Forderung entsprechenden gewichteten Risikoaktivums wird nun der Forderungsbetrag (gegebenenfalls nach Anwendung einer Kreditrisikominderungstechnik oder auch einer Einzelwertberichtigung) mit dem Risikogewicht (gegebenenfalls auch dem eines Sicherungsgebers) multipliziert. Riskantere Forderungen, denen ein höheres Risikogewicht zugeordnet wird, sind folglich bereits bei Anwendung des Standardansatzes mit einem höheren Anteil an regulatorischem Eigenkapital zu refinanzieren als weniger riskante Forderungen.
30
Institutionelle Grundlage: Basel II
Der auf internen Ratings basierende Ansatz Im IRB-Ansatz wird nun nicht mehr wie im Standardansatz auf Ratings von externen Agenturen zurückgegriffen, sondern Banken schätzen bei Anwendung dieses Ansatzes selbst mittels so genannter interner Ratingverfahren die Ausfallwahrscheinlichkeiten (und gegebenenfalls weitere Risikokomponenten) ihrer Forderungen. An die Anwendung des IRB-Ansatzes sind Mindestbedingungen und Offenlegungsanforderungen geknüpft. Die Aufsicht muss einer Bank die Anwendung eigener interner Ratingsysteme explizit gestatten. Die Mindesteigenkapitalunterlegung einer Forderung ergibt sich im IRB-Ansatz als Funktion einer oder mehrerer Risikokomponenten. Diese sind die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default – PD), die Verlustausfallquote (Loss Given Default – LGD), die erwartete Höhe der ausstehenden Forderung bei Ausfall (Exposure at Default – EAD) und gegebenenfalls die effektive Restlaufzeit (Maturity – M). Im Folgenden sollen für verschiedene Forderungsklassen Risikogewichtsfunktionen exemplarisch dargestellt werden. Dazu verwenden wir die weiteren Bezeichnungen RW für das Risikogewicht einer Forderung, R für die so genannte Korrelation mit dem Systemrisiko sowie N() für die Verteilungsfunktion einer standardnormalverteilten Zufallsgröße. Das so genannte Systemrisiko taucht deshalb auf, weil die Risikogewichtsfunktionen im IRB-Ansatz aus einem Faktormodell heraus entwickelt wurden. Gemäß diesem Faktormodell hängen die Zeitpunkte von Forderungsausfällen sowohl von einem allgemeinen (systematischen) Risikofaktor als auch von einem kreditnehmerspezifischen Risikofaktor ab. Die Korrelation mit dem Systemrisiko misst nun die Stärke des Zusammenhangs zwischen Forderungsausfallzeitpunkten in einer Forderungsrisikoklasse und allgemeinen Marktrisiken und lässt sich damit auch als Maß für die Wahrscheinlichkeit gleichzeitiger Forderungsausfälle in einer Risikoklasse interpretieren. Für nicht ausgefallene Forderungen an Unternehmen, Staaten und Banken gilt nun:
(2)
ª § N 1 (PD) R N 1 (0,999) · º ¸ LGD PD LGD» RW 12,5 « N¨¨ ¸ 1 R «¬ © »¼ ¹
mit
1 (M 2,5) (0,11852 0,05478 ln(PD)) 2 1 1,5 (0,11852 0,05478 ln(PD)) 2 R
0,12
§ 1 e 50PD · 1 e 50PD ¸ 0,24 ¨¨1 50 1 e 1 e 50 ¸¹ ©
Die erste Zeile von Formel (2) gibt das Risikogewicht für den Fall einer Restlaufzeit der Forderung von einem Jahr an. Der Restlaufzeitanpassungsfaktor in der zweiten Zeile der Formel beträgt dann gerade eins. Mit längerer Restlaufzeit erhöht sich das Risiko einer
Rating
31
Bonitätsverschlechterung des Kreditnehmers. Dies wird mithilfe des Restlaufzeitanpassungsfaktors bei der Berechnung des Risikogewichts der Forderung berücksichtigt. Annahmegemäß hängt die Korrelation mit dem Systemrisiko von der Ausfallwahrscheinlichkeit der Forderungsrisikoklasse ab, wobei der in der dritten Zeile von Formel (2) enthaltene funktionale Zusammenhang zwischen der Korrelation und der Ausfallwahrscheinlichkeit empirisch ermittelt wurde. Dabei sinkt die Korrelation mit einer Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit. Dies lässt sich wie folgt begründen: Wenn die Bonität eines Kreditnehmers sinkt, ist eine damit einhergehende Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit eher auf kreditnehmerspezifische Risiken als auf allgemeine Marktrisiken zurückzuführen. Für ausgefallene Forderungen bestimmt sich das Risikogewicht als das 12,5-fache der Differenz aus der LGD und dem geschätzten erwarteten Verlust (als Quote) aus dieser Forderung, basierend auf der aktuellen wirtschaftlichen Lage und dem Verzugsstatus des Geschäfts. Die LGD einer ausgefallenen Forderung beruht auf bankeigenen Schätzungen. Sie kann nicht geringer sein als die langfristige ausfallgewichtete durchschnittliche Verlustausfallquote. In Perioden mit überdurchschnittlich hohen Kreditverlusten sollte sie oberhalb dieses ausfallgewichteten Durchschnitts liegen. Der erwartete Verlust ist über eine Wertberichtigung der Forderung zu berücksichtigen. Ist der erwartete Verlust im Vergleich zur LGD so konservativ kalkuliert, dass sich ein negatives Risikogewicht der Forderung ergeben würde, beträgt dieses null. Im IRB-Basisansatz beträgt die LGD für vorrangige Forderungen an Unternehmen, Staaten und Banken ohne Besicherung durch anerkannte Sicherheiten 45 Prozent. Für nachrangige Sicherheiten gilt eine LGD von 75 Prozent. Im fortgeschrittenen IRB-Ansatz erlaubt die Bankenaufsicht Kreditinstituten bei Erfüllung zusätzlicher Mindestanforderungen, eigene interne Schätzungen für die LGD von Krediten an Unternehmen, Staaten und Banken zu verwenden. Diese sind dann ebenfalls als Höhe des Verlusts in Prozent der EAD zu messen. Eigene LGD-Schätzungen der Banken müssen einen etwaigen wirtschaftlichen Abschwung und die damit verbundenen wesentlichen Risiken widerspiegeln, weshalb man auch den Begriff Abschwung-LGDs findet. Die LGDs für ausgefallene Forderungen sollten zusätzliche unerwartete Verluste widerspiegeln, die die Bank während der Eintreibungsphase eventuell verbuchen muss. Bezüglich der Ausfallwahrscheinlichkeiten sind die Kreditnehmer zunächst in interne Ratingklassen einzuordnen. Bei der PD eines Kredits an Unternehmen oder Banken in Formel (2) handelt es sich nun um die Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit der internen Ratingklasse, in die der Kreditnehmer eingeordnet wurde, wobei diese mindestens 0,03 Prozent betragen muss. Im IRB-Basisansatz beträgt die effektive Restlaufzeit M für Kredite an Unternehmen 2,5 Jahre. Im fortgeschrittenen IRB-Ansatz ergibt sich M für Kredite mit einem vorher festgesetzten Zins- und Tilgungsplan gerade als cashflowgewichtete mittlere Restlaufzeit
32
Institutionelle Grundlage: Basel II
bzw. Zahlungsschwerpunkt. Zudem wird M auf eine Bandbreite zwischen einem Jahr und fünf Jahren begrenzt:
(3)
M
mit
¦ t CFt ½ ½ ° ° ° ° min ®max ® t ; 1¾; 5¾ CF ° ° ¦ t ° ° ¯ t ¿ ¿ ¯
CFt:
Höhe der Zahlung im Jahr t
Bezüglich der effektiven Restlaufzeit bestehen diverse Wahlmöglichkeiten der nationalen Bankenaufsichtsinstanzen. Demnach kann M mitunter unabhängig davon, welche Art des IRB-Ansatzes gewählt wird, für Forderungen an kleinere inländische Unternehmen (konsolidierter Jahresumsatz und Bilanzsumme der Unternehmensgruppe, der das Unternehmen angehört, jeweils unterhalb von 500 Mio. Euro) stets 2,5 Jahre betragen. Oder M kann auch bei der Anwendung des IRB-Basisansatzes gemäß Formel (3) berechnet werden. Im IRB-Ansatz für Unternehmenskredite ist es Banken gestattet, zwischen Forderungen an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und an große Unternehmen zu unterscheiden. Dabei sind KMU definiert als Unternehmen, die einer Gruppe mit einem konsolidierten Jahresumsatz bzw. je nach nationalem Ermessen der Aufsichtsinstanzen alternativ mit einer Bilanzsumme von weniger als 50 Mio. Euro angehören. In die Korrelation R darf dann eine Größenanpassung einfließen, die vom Jahresumsatz bzw. von der Bilanzsumme S (in Mio. Euro) abhängt:
(4)
R
0,12
§ 1 e 50PD · 1 e 50PD max{S; 5} 5 · ¸¸ 0,04 §¨1 0,24 ¨¨1 ¸ 50 50 45 1 e 1 e © ¹ © ¹
Wie im Standardansatz können Kredite auch im IRB-Ansatz als Retailforderungen klassifiziert und dann einem entsprechenden Pool zugeordnet werden, wobei im Gegensatz zu Unternehmenskrediten nicht zwischen einem Basis- und einem fortgeschrittenen Ansatz bei der Bestimmung der Risikokomponenten unterschieden wird. Damit Kredite bei der Verwendung des IRB-Ansatzes als Retailforderungen eingestuft werden können, muss es sich um Forderungen an Einzelpersonen (wie z. B. revolvierende Kredite bzw. Kreditlinien, persönliche Kredite und Leasingkredite), private Wohnungsbaukredite oder Kredite an kleine Unternehmen handeln. Letzteres bedeutet, dass das Gesamtengagement einer Bankengruppe gegenüber dem Unternehmen geringer als 1 Mio. Euro ausfällt. Retailforderungen sind in eine der folgenden drei Unterklassen einzuordnen:
Rating
33
Klasse a: Kredite, die durch Wohnimmobilien besichert sind; Klasse b: qualifizierte revolvierende Retailkredite (das Engagement ist revolvierend, unbesichert und jederzeit widerrufbar, der Kreditnehmer ist eine natürliche Person, die maximale Kredithöhe an eine Einzelperson im Unterportfolio beträgt 100 000 Euro, das Unterportfolio besitzt eine niedrige Volatilität der Verlustraten relativ zum durchschnittlichen Niveau der Verlustraten, insbesondere im Bereich niedriger Ausfallwahrscheinlichkeiten); Klasse c: alle anderen Retailkredite. Wie bereits erwähnt sind Retailforderungen darüber hinaus im IRB-Ansatz in Forderungspools einzuordnen, wobei durch die Aufsichtsinstanzen eine Mindestforderungsanzahl je Pool vorgegeben werden kann. Für jeden dieser Forderungspools ist eine LGD zu schätzen. Bei der PD von Retailforderungen handelt es sich um die Ein-JahresAusfallwahrscheinlichkeit der internen Ratingklasse, in die der Forderungspool eingeordnet wurde, wobei diese wiederum mindestens 0,03 Prozent betragen muss. Für Retailforderungen gibt es drei verschiedene Risikogewichtsfunktionen, die keine explizite Restlaufzeitanpassung enthalten:
(5)
ª § N 1 (PD) R N 1 (0,999) · º ¸ LGD PD LGD» RW 12,5 « N¨¨ ¸ 1 R ¹ ¬« © ¼»
mit
R
°0,15 für Klasse a °° 0,04 für Klasse b ® 35 PD 35 PD ° § · 1 e 1 e ¸ für Klasse c 0,16 ¨¨1 °0,03 1 e 35 1 e 35 ¸¹ °¯ ©
Die Terme in den eckigen Klammern der Formeln (2) und (5) zeigen die Philosophie des IRB-Ansatzes auf, den Verlust aus einer Forderung in den erwarteten Verlust (Expected Loss – EL) als Produkt aus Ausfallwahrscheinlichkeit und Verlustausfallquote sowie den unerwarteten Verlust (Unexpected Loss – UL) aufzuteilen. Die Unterlegung einer Forderung mit regulatorischem Eigenkapital dient dann der Abdeckung der unerwarteten Verluste.
34
Institutionelle Grundlage: Basel II
Dabei sind die Risikogewichtsfunktionen so modelliert, dass sie den aufsichtlichen Kapitalbedarf zur Abdeckung des 99,9-Prozent-Quantils der Verlustverteilung abzüglich des erwarteten Verlusts ermitteln (man vergleiche den Wert N–1(0,999) in den Formeln (2) und (5)). Eine Kalibrierung auf empirische Daten erfolgt dabei mithilfe des Korrelationsparameters R. Erwartete Verluste als eine kalkulierbare Kostenkomponente des Kreditgeschäfts sind über Wertberichtigungen (Einzelwertberichtigungen, Teilwertabschreibungen, portfoliospezifische Wertberichtigungen wie etwa Wertberichtigungen für Länderrisiken oder Pauschalwertberichtigungen) zu berücksichtigen sowie über Zinsmargen abzudecken. Auf die Berechnung der Zinsmarge zur Abdeckung erwarteter Verluste wird in Kapitel 8 noch genauer eingegangen. Dabei handelt es sich gerade um die Ausfallkosten als Bestandteil des Kreditzinssatzes. Zur Berechnung des einer Forderung entsprechenden gewichteten Risikoaktivums wird nun das Risikogewicht der Forderung mit der erwarteten Höhe der ausstehenden Forderung bei Ausfall multipliziert. Dabei sind bei Anwendung des IRB-Basisansatzes von der Bankenaufsicht vorgegebene EAD-Schätzungen zu verwenden. Im fortgeschrittenen IRB-Ansatz müssen die Banken hingegen ihre eigenen EAD-Schätzungen vorlegen. In Abbildung 3 werden die Risikogewichte miteinander verglichen, die sich aus verschiedenen Ansätzen und für verschiedene Forderungsklassen von Unternehmenskrediten in Abhängigkeit von der Ausfallwahrscheinlichkeit des Schuldners ergeben: Die durchgezogene schwarze Linie stellt die Risikogewichte für die Forderungsklasse Unternehmen im Standardansatz dar. Dazu wurden die Standard-&-Poor’sRatingklassen zunächst in (idealisierte) Ausfallwahrscheinlichkeiten umgewandelt (vgl. hierzu Tabelle 13 auf Seite 78 in Abschnitt 3.5.1). Die gestrichelte schwarze Linie stellt das Risikogewicht für die Forderungsklasse Retail im Standardansatz dar. Die durchgezogene dunkelgraue Linie stellt die Risikogewichtsfunktion für die Forderungsklasse Unternehmen (ohne Größenerleichterung) im IRB-Basisansatz dar. Die durchgezogene hellgraue Linie stellt die Risikogewichtsfunktion für eine KMUForderung im IRB-Basisansatz dar. Dabei wurde ein Jahresumsatz von 10 Mio. Euro unterstellt. Die gepunktete schwarze Linie, die gestrichelte dunkelgraue Linie und die gepunktete dunkelgraue Linie stellen die Risikogewichtsfunktionen für die drei Retailforderungsklassen im IRB-Ansatz dar.
Rating
35
Risikogewicht
300 %
200 %
Standardansatz Standardansatz (Retail) IRB-Basisansatz IRB-Basisansatz (KMU) Retail (durch Wohnimmobilien besichert) Retail (qualifiziert revolvierend) Retail (andere)
100 %
0% 0%
5%
10 %
15 %
20 %
Ausfallwahrscheinlichkeit
Abbildung 3:
Risikogewichte im Standard- und im IRB-Ansatz
Abbildung 3 macht deutlich, dass die Vorteilhaftigkeit des anspruchsvolleren IRB-Ansatzes gegenüber dem Standardansatz für die Forderungsklasse Unternehmen nicht immer gegeben ist. Jedoch gilt sie bei Anwendung der KMU-Größenerleichterung bis zu Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten von immerhin knapp zehn Prozent, bei denen wir uns schon weit im Bereich der spekulativen Investments befinden. Die Bildung eines aufsichtlichen Retailportfolios bei Verwendung des Standardansatzes erscheint zumeist sinnvoll. Gleiches gilt für die Bildung von entsprechenden Forderungspools bei Anwendung des IRB-Ansatzes. Insgesamt sollte eine Bank dennoch ihr Kreditportfolio genau analysieren, bevor sie sich für die Anwendung des Standard- oder des IRB-Ansatzes bzw. für oder gegen die Klassifizierung von Forderungen als Retail entscheidet. Wechsel zwischen verschiedenen Ansätzen sind dabei von Basel II nur in einem evolutionären Sinn, d. h. hin zu den fortgeschritteneren Ansätzen, vorgesehen. Der Basler Ausschuss erwartet, dass sich zumindest die größeren Banken mittelfristig für die fortgeschritteneren Ansätze entscheiden.
1.2.4
Eigenkapitalunterlegung des Marktrisikos
Auf die Pflicht zur Eigenkapitalunterlegung der Banken von Marktpreisrisiken soll hier nur am Rande eingegangen werden, da es in diesem Buch primär um das Kreditrisiko geht. Nach der Verankerung der Pflicht zur Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken der Banken in Basel I im Jahr 1988 wurde in einem Nachtrag aus dem Jahr 1996 auch
36
Institutionelle Grundlage: Basel II
die Pflicht zur Eigenkapitalunterlegung von Marktpreisrisiken – und zwar je nach Höhe des Risikos – festgeschrieben. Die BaFin und die Deutsche Bundesbank hatten zur Umsetzung des Nachtrags zu Basel I in deutsches Recht im Jahr 1997 eine entsprechende Änderung des Grundsatzes I über die Eigenmittel der Institute herbeigeführt, der zu Beginn des Jahres 2007 durch die Solvabilitätsverordnung abgelöst wurde. Gemäß dieser handelt es sich bei Positionen, die Marktrisiken unterliegen, um die folgenden: Fremdwährungsrisikopositionen, Rohwarenrisikopositionen, Handelsbuchrisikopositionen (Zins- und Aktienrisikopositionen); Optionsrisikopositionen; andere Marktrisikopositionen. Besonders innovativ am Nachtrag zu Basel I war, dass es Banken in Bezug auf die Messung von Marktpreisrisiken erstmals gestattet wurde, neben Standardverfahren mit unterschiedlichen Pauschalsätzen das jeweilige Risikopotenzial einer Position – wobei es sich dabei zumeist um Portfolios handelt – alternativ im Rahmen institutseigener (interner) Risikomodelle zu bestimmen. Diese institutsinternen Risikosteuerungsmodelle, bei denen das Risikopotenzial von Marktrisikopositionen unter wahrscheinlichkeitstheoretischen Annahmen als Value at Risk (vgl. hierzu Abschnitt 14.4 im Anhang) ermittelt wird, müssen von der Bankenaufsicht genehmigt werden. Dies schließt die regelmäßige Überprüfung der Prognosegüte der verwendeten Modelle in einem Rückvergleich (Backtesting) der vorausgeschätzten Risikowerte mit den tatsächlich eingetretenen Verlusten sowie so genannte Stresstests ein. Mit Letzteren sollen die Risiken außergewöhnlicher und von den Modellen nicht erfasster Marktbewegungen geschätzt werden. Bei den quantitativen Vorgaben an die eigenen Risikomodelle der Banken zur Value-atRisk-Ermittlung von Finanzinstrumenten bzw. Finanzinstrumentsgruppen (Portfolios) handelt es sich um die Folgenden: Es ist von einer Haltedauer von weiteren zehn Arbeitstagen auszugehen. Es ist ein einseitiges Prognoseintervall mit einem Wahrscheinlichkeitsniveau in Höhe von 99 Prozent zu verwenden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der der errechnete Value at Risk nicht überschritten wird, beträgt also 99 Prozent. Es ist ein effektiver Beobachtungszeitraum von mindestens einem Jahr zugrunde zu legen.
Rating
37
Für den Anrechnungsbetrag einer Position, also den Betrag, der durch regulatorisches Eigenkapital zu finanzieren ist, gilt dann, dass er sich als der größere der beiden folgenden Werte ergibt: Value at Risk der Position vom Vortag; Durchschnitt der Value-at-Risk-Werte der letzten 60 Arbeitstage, multipliziert mit einem Gewichtungsfaktor, der zwischen drei und vier liegt. Der Gewichtungsfaktor beträgt normalerweise drei. Er wird jedoch von der BaFin schrittweise bis auf maximal vier erhöht, wenn die Verluste für die jeweils zurückliegenden 250 Arbeitstage in mehr als fünf Fällen (so genannte Ausnahmen) größer als der jeweils berechnete Value at Risk waren. Ab zehn Ausnahmen gilt ein Gewichtungsfaktor von vier.
1.2.5
Eigenkapitalunterlegung des operationellen Risikos
Basel II definiert operationelles Risiko als „Gefahr von Verlusten, die infolge einer Unzulänglichkeit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder infolge externer Ereignisse eintreten.“ Dazu gehören auch Rechtsrisiken wie beispielsweise die potenzielle Verpflichtung zu Geldstrafen, Konventionalstrafen oder Schadensersatzzahlungen mit Strafcharakter aufgrund aufsichtlicher Maßnahmen oder außergerichtlicher Vergleiche. Nicht dazu gehören strategische oder Reputationsrisiken. Analog zu den Kreditrisiken lassen sich auch bei der Berechnung der Mindesteigenkapitalunterlegung operationeller Risiken drei Verfahren unterscheiden: Basisindikatoransatz (BIA), Standardansatz (STA) und fortgeschrittene Messansätze (Advanced Measurement Approaches – AMA). Empirische Untersuchungen des Basler Ausschusses zeigen, dass operationelle Verluste positiv mit dem Bruttoertrag einer Bank als Indikator ihrer Geschäftsaktivitäten korrelieren. Der Bruttoertrag ist dabei definiert als Nettozinsertrag zuzüglich des zinsunabhängigen Ertrags, der beispielsweise aus Zahlungen resultiert, die eine Bank für das Erbringen von Dienstleistungen einnimmt. Die einfacheren Verfahren zur Eigenkapitalunterlegung operationeller Risiken beruhen nun auf diesem Bruttoertrag. Da der Bruttoertrag zu einem großen Teil aus dem Zinsertrag besteht, dessen Höhe wiederum in unmittelbarer Verbindung zum Zinssatz steht, sollte die Pflicht zur Unterlegung operationeller Risiken mit Eigenkapital bei der Kalkulation der Kreditkonditionen berücksichtigt werden (vgl. dazu Kapitel 8). Im Basisindikatoransatz sind die vergangenen drei Jahre mit positivem Bruttoertrag heranzuziehen und 15 Prozent des Durchschnitts aus diesen drei jährlichen Bruttoerträgen mit regulatorischem Eigenkapital zu unterlegen.
38
Institutionelle Grundlage: Basel II
Im Standardansatz werden die Tätigkeiten einer Bank in acht Geschäftsfelder aufgeteilt. Für jedes dieser Geschäftsfelder wird der im Geschäftsfeld erzielte Bruttoertrag bestimmt. Innerhalb eines Geschäftsfelds dient also der jeweilige Bruttoertrag als allgemeiner Indikator zur Bestimmung des Geschäftsumfangs und der damit verbundenen möglichen Gefährdung durch operationelle Risiken. Der – mitunter auch negative – jährliche Bruttoertrag jedes Geschäftsfelds ist mit einem bestimmten Prozentsatz zu gewichten (vgl. Tabelle 2). Geschäftsfeld
Faktor
Unternehmensfinanzierung bzw. -beratung
18 %
Handel
18 %
Retailgeschäft
12 %
Firmenkundengeschäft
15 %
Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung
18 %
Depot- und Treuhandgeschäfte
15 %
Vermögensverwaltung
12 %
Wertpapierprovisionsgeschäft
12 %
Tabelle 2:
Geschäftsfelder und zugeordnete Faktoren im Standardansatz zur Eigenkapitalunterlegung operationeller Risiken
Dieser Prozentsatz liegt im ungewichteten Mittel wieder bei 15 Prozent wie im Basisindikatoransatz, wird jedoch je nach Geschäftsfeld gegebenenfalls gegenüber diesem Wert erhöht oder vermindert. Anschließend werden die gewichteten jährlichen Bruttoerträge der einzelnen Geschäftsfelder summiert. Dies ergibt die über alle Geschäftsfelder aggregierte Kapitalanforderung für ein Jahr. Ist diese negativ, wird sie auf null gesetzt. Die Gesamtkapitalanforderung zur Unterlegung operationeller Risiken eines Instituts ergibt sich letztlich als Durchschnitt der (nicht negativen) aggregierten Kapitalanforderungen der vergangenen drei Jahre. Bei den fortgeschrittenen Messansätzen, für deren Anwendung die Zustimmung der Bankenaufsicht erforderlich ist, wird die regulatorische Eigenkapitalanforderung aus einem bankinternen Messsystem für operationelle Risiken ermittelt. Für die Erfassung der operationellen Risiken gibt es derzeit noch keinen Standard. Banken arbeiten jedoch intensiv an der Entwicklung bzw. Verfeinerung solcher Methoden. Die dabei entstehende Vielfalt an unterschiedlichen Ansätzen und Bemessungsmethoden stellt bei den Zulassungsprüfungen hohe Anforderungen an die Aufsicht.
Rating
1.3
39
Auswirkungen auf die Kreditkonditionen
Mit Basel II befürchten insbesondere mittelständische Unternehmen schwerere Zeiten, denn mit der Umsetzung der neuen Vorschriften richtet sich die Eigenkapitalunterlegungspflicht der Kreditinstitute nach dem Rating bzw. der Ausfallwahrscheinlichkeit der Kreditnehmer. Dabei stellen Ratings kein gänzlich neues Instrument dar, schließlich berücksichtigen Kreditentscheidungen schon seit Langem die Bonitätseinschätzung eines Unternehmens. Neu ist die fundamentale Bedeutung des Ratings für Banken und Unternehmen. Basel II verlangt, dass Vergleiche zwischen realisierten Ausfallraten und geschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten auf historischen Zeitreihen basieren, die möglichst weit zurückreichen. Deshalb arbeiteten Banken schon vor der Übernahme der Vorschriften in die europäische bzw. deutsche Gesetzgebung Anfang 2007 mit Hochdruck an umfangreicheren Bonitätsprüfungen. Gemäß Basel I mussten sämtliche Kredite an Unternehmen pauschal mit acht Prozent regulatorischem Eigenkapital unterlegt werden. Folglich setzte Basel I keine direkten Anreize, die Quersubventionierung von schlechten durch gute Schuldner zu vermeiden. Basel II verlangt nun die risikoangemessene Eigenkapitalunterlegung von Krediten. Banken müssen also für Schuldner mit gutem Rating weniger Eigenkapital aufweisen als für schlechte Schuldner. Für Letztere wirkt sich dies tendenziell in höheren Kreditzinssätzen aus, was die angesprochene Quersubventionierung mindert. Abschließend in diesem Kapitel soll es schon kurz darum gehen, die Auswirkungen von Basel II auf die Gestaltung der Kreditkonditionen zu verdeutlichen. Dies wird in Kapitel 8 noch genauer herausgearbeitet. Zwar stellen die Vorschriften zur Mindesteigenkapitalanforderung zunächst nur Vorschriften für Kreditinstitute dar, dennoch gibt es erhebliche Ausstrahlungswirkungen auf Unternehmen. Sowohl beim externen als auch beim internen Rating müssen sich Kreditnehmer mit ungünstiger Bonität auf steigende Kreditzinssätze einstellen. Dieser Effekt wird in der Diskussion um Basel II häufig hervorgehoben. Dabei wird jedoch oft folgender Zusammenhang übersehen: Kreditinstitute finanzieren sich wie andere Unternehmen auch durch Eigen- und Fremdkapital. Auch Kreditinstitute sind mit der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit konfrontiert, auf Dauer die Eigenund Fremdkapitalkosten an die Kunden weiterzugeben. Deshalb sind die Kapitalkosten Bestandteil der Preiskalkulation für die Dienstleistungen einer Bank, insbesondere Teil der Kreditkonditionen. Von Basel II geht vor diesem Hintergrund eine generelle Erhöhung der Kreditkonditionen erst dann aus, wenn die Eigenkapitalunterlegungspflicht die Eigenkapitalquote übersteigt, über die das Kreditinstitut ohnehin verfügt. Nun liegt die regulatorische Eigenkapitalquote der Banken in Deutschland im Durchschnitt bei über zehn Prozent (vgl. Tabelle 3, Seite 40). Die Eigenkapitalquote im Bankgewerbe stellt daher aus ge-
40
Institutionelle Grundlage: Basel II
samtwirtschaftlicher Sicht keinen Engpass dar, weil die verschiedenen Risikogewichte bzw. Risikogewichtsfunktionen sowie die Anrechnungsbeträge für das Markt- und das operationelle Risiko so kalibriert wurden, dass die Mindesteigenkapitalunterlegung insgesamt etwa auf dem Niveau von acht Prozent bleibt. Bilanzielle Eigenkapitalquote
Regulatorische Eigenkapitalquote
Großbanken
3,6 %
13,0 %
Regionalbanken
4,8 %
12,9 %
Sparkassen (mit Zentralbanken)
3,0 %
10,7 %
Genossenschaften (mit Zentralbanken)
4,0 %
11,5 %
Realkreditinstitute
1,6 %
11,1 %
Bausparkassen
4,8 %
11,1 %
Bankengruppe
Tabelle 3:
Eigenkapitalquoten im deutschen Kreditgewerbe; Quelle: Deutsche Bundesbank (2002)
Tatsächlich sind die wesentlichen Auswirkungen von Basel II nicht in den Eigenkapitalkosten zu finden, sondern äußern sich über die Risikomessung mithilfe von Ratings in einem anderen Bestandteil der Kreditkonditionen, nämlich dem Bonitätsspread. Mit dem Rating bzw. der Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit können Kreditinstitute die Ausfallkosten unternehmensspezifisch kalkulieren, während sie bisher noch überwiegend einen Standardrisikokostensatz für alle Kreditnehmer berechneten. Der Bonitätsaufschlag in Form der Ausfallkosten beeinflusst den Kreditzinssatz in deutlich stärkerem Maße als die durch Basel II veränderte Eigenkapitalunterlegungsvorschrift. Dieser indirekte Effekt ist ein weiteres Ziel von Basel II, kann und will doch der Basler Ausschuss nicht die Konditionengestaltung vorschreiben. Abbildung 4 zeigt die Ergebnisse der Kalkulation der Konditionen für einen (KMU-) Kredit. Zu den im Einzelnen verwendeten Parametern sowie den Berechnungen sei auf das Beispiel in Abschnitt 8.3 verwiesen. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass sich der Kreditzinssatz aus den folgenden fünf Komponenten zusammensetzt: Kosten der Refinanzierung mittels Fremdkapital; Kosten der Refinanzierung mittels Eigenkapital; Ausfallkosten; Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken; anteilige Betriebskosten.
Rating
41
Kreditzinssatzkomponenten
Abbildung 4 macht deutlich, dass bei ungünstiger Bonität weniger die Eigenkapitalkosten der Bank als vielmehr die Ausfallkosten einen großen Teil des Kreditzinssatzes ausmachen.
15 %
Kosten der Refinanzierung mittels Fremdkapital + Kosten der Refinanzierung mittels Eigenkapital + Ausfallkosten + Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken + anteilige Betriebskosten (Kreditzinssatz)
10 %
5%
0% 0%
5%
10 %
15 %
20 %
Ausfallwahrscheinlichkeit
Abbildung 4:
Basel-II-konforme Kreditzinskalkulation am Beispiel eines KMU im IRB-Basisansatz
Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass aufgrund des vergleichsweise hohen Verschuldungsgrads insbesondere kleine und mittlere Unternehmen über eine weniger günstige Bonität verfügen. Insgesamt kommt es zu einer Drehung der Zinskurve (vgl. Abbildung 5, Seite 42). Der Kapitalmarkt eilt dieser Entwicklung bereits voraus. So beobachtete man am deutschen Markt für börsennotierte Unternehmensanleihen im Dezember 2006 im Mittel Bonitätsaufschläge in der Größenordnung von knapp 50 Basispunkten für Unternehmen mit noch guter Bonität (Ratingkategorien A+, A und A) und über 60 Basispunkten für Unternehmen mit noch angemessener Deckung von Zins und Tilgung (Ratingkategorien BBB+, BBB und BBB). Die bonitätsabhängige Spreizung der Kreditkonditionen am Kapitalmarkt wird aus Wettbewerbsgründen vom Kreditmarkt übernommen.
42
Institutionelle Grundlage: Basel II
Kreditkonditionen vor Basel II
CCC/CC
B–
B
B+
BB–
BB
BB+
BBB–
BBB
BBB+
A–
A
A+
AA–
AA
AA+
AAA
Zinssatz
Kreditkonditionen nach Basel II
Rating
Abbildung 5:
Drehung der Zinskurve durch Basel II
Abbildung 6 zeigt die am deutschen Kapitalmarkt gezahlten Bonitätsspreads im Dezember 2006. Der Bonitätsspread stellt dabei die Differenz aus der Rendite einer Unternehmensanleihe und der Rendite für bonitätsrisikofreie Anleihen dar, wobei Letztere mit der Rendite von Bundesanleihen für die entsprechende Laufzeit gleichgesetzt werden. Dabei wurden Daten von Bundes- und Unternehmensanleihen ausgewertet, die auf der Homepage der Stuttgarter Börse veröffentlicht wurden. Die grafische Darstellung der 228 Anleihenrenditen (42 Renditen von Bundesanleihen, 20 Renditen von Unternehmensanleihen mit Rating AA+, AA oder AA, 93 Renditen von Unternehmensanleihen mit Rating A+, A oder A sowie 73 Renditen von Unternehmensanleihen mit Rating BBB+, BBB oder BBB) erfolgte im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen tatsächlich beobachteten Renditen und Übersichtlichkeit. In der Diskussion um die Auswirkungen von Basel II auf die Kreditkonditionen ist ein weiterer Aspekt wichtig: Mit der Entwicklung von Kreditderivaten in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und den steigenden Transaktionsvolumina solcher Kontrakte (gemäß Credit Derivatives Report der British Bankers’ Association stieg das internationale Marktvolumen von 180 Mrd. US-Dollar in 1997 auf 5 021 Mrd. US-Dollar in 2004) ist es Banken möglich, Kreditrisiken isoliert zu handeln. Kreditderivate stellen eine Versicherung gegenüber Kreditrisiken dar. Bestimmte Kreditderivate, nämlich Total Return Swaps, Credit Default Swaps und Credit Linked Notes, werden sogar explizit als Instrumente zur Reduzierung der Eigenkapitalunterlegungspflicht in Basel II genannt.
Rating
43
5%
Rendite
4%
3%
2% Ratingklassen BBB+, BBB und BBB– Ratingklassen A+, A und A– Ratingklassen AA+, AA und AA– Kein Bonitätsrisiko
1%
0% 0
2
4
6
8
10
Restlaufzeit in Jahren
Abbildung 6:
Bonitätsspreads am deutschen Kapitalmarkt im Dezember 2006
Damit erhalten wir eine Entwicklung, die wir bereits bei Konsumkrediten beobachten konnten: Spezialisierte Kreditinstitute werden auch an Unternehmen mit ungünstiger Bonität Kredite vergeben, jedoch nur gegen eine hohe Risikoprämie. Dies setzt entsprechende Ertragsaussichten auf der Unternehmensseite voraus. Besonders riskante Investitionsprojekte müssen eben eine entsprechend hohe Rendite erwarten lassen. Die vielfach geäußerte Befürchtung, aufgrund geringer Bonität generell von Bankkrediten ausgeschlossen zu sein, ist daher kaum gerechtfertigt. Vielmehr müssen solche Unternehmen befürchten, dass die Investitionsrendite nicht ausreicht, um die Kapitalkosten zu decken. Risikomanagement als strategische Antwort auf Basel II Die Kreditvergabe geht nach Basel II mit einem Ratingprozess einher. Damit erhöht sich der Anspruch an die Qualität der eingereichten Unterlagen. Es genügt zukünftig nicht mehr, nur einen Finanzplan aufzustellen, vielmehr muss auch dessen Belastbarkeit nachgewiesen werden. Zudem steigt der Anspruch an den Umfang der ratingrelevanten Daten. Kleine und mittelständische Unternehmen verfügen häufig nicht über ein entsprechendes Controllingsystem. Dies bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für die Beschaffung und Aufbereitung der für die Kreditentscheidung notwendigen Unterlagen. Die Kunde-Bank-Beziehung wird durch den erhöhten Informationsaustausch intensiviert. Die Bank wird dem Kreditnehmer das Rating zwar mitteilen; eine Beratung hinsichtlich bonitätsschwacher Unternehmensfaktoren kann jedoch auch zukünftig nicht
44
Gegenstand und Methoden des Ratings
von der Bank erwartet werden. Manchem Unternehmen sind die ratingentscheidenden Faktoren bereits bekannt. Ziel wird es daher sein, diese Faktoren bzw. Kennzahlen positiv zu beeinflussen. Entscheidend ist dennoch nicht, kurzfristig durch Bilanzpolitik gewisse Kennzahlen zu schönen. Vielmehr muss die Bonität langfristig gesichert werden. Dies kann durch aktives Risikomanagement geschehen. Die Implementierung eines Risikomanagementsystems entspricht den Zielen von Banken und Unternehmen, denn in aller Regel besitzen Kreditinstitute kein Interesse an der Sicherheitenverwertung. Ihre Anstrengungen im Risikomanagement können Unternehmen durch einen Risikobericht dokumentieren, der als Grundlage für die Verhandlungen über die Kreditkonditionen beim Ratinggespräch ausschlaggebend sein kann. Unternehmen müssen sich also verstärkt mit ihren Risiken beschäftigen. Erst die Identifikation und Analyse der Risiken ermöglicht ihre Steuerung im Hinblick auf die Sicherung des erfolgreichen Fortbestands der Unternehmung. Letzteres bedeutet eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit, die sich in einem besseren Rating auswirkt und zu geringeren Kapitalkosten führt.
2.
Gegenstand und Methoden des Ratings
Das Kreditgeschäft bildet eine wichtige Ertragsquelle für Banken – unter der Voraussetzung, dass die vergebenen Kredite inklusive Zinsen in ausreichendem Maß ordnungsgemäß zurückgeführt werden. Hierbei besitzt das Rating für Banken und Unternehmen eine zentrale Bedeutung. Die Bonitätseinstufung eines Kreditnehmers via Rating stellt das Kriterium dar, das sowohl den risikoangemessenen Zinssatz für einen Kreditnehmer als auch die Eigenkapitalunterlegung der Banken maßgeblich bestimmt. Gemäß Basel I erfolgte die Ermittlung der erforderlichen Eigenkapitalunterlegung der Banken derart, dass die Kreditnehmer lediglich in grobe Klassen eingeteilt wurden und für jede dieser Klassen eine bestimmte durchschnittliche prozentuale Eigenkapitalanforderung zugrunde gelegt wurde (vgl. Abschnitt 1.1.2). Die aufsichtsrechtlich bestimmte Eigenkapitalunterlegung diente hierbei zur Begrenzung der Geschäftsaktivitäten einer Bank. Hatte das anrechenbare Eigenkapital der Banken ein bestimmtes Verhältnis (acht Prozent) zu den Risikoaktiva erreicht, war es den Banken untersagt, weitere risikobehaftete Geschäfte abzuschließen. Wesentliches Ziel der neuen bankenaufsichtlichen Regelungen ist es, die Eigenkapitalunterlegung stärker vom Risikoprofil der jeweiligen Bank abhängig zu machen, um Anreize für die Entwicklung und Implementierung geeigneter Methoden des Risikomanagements zu schaffen. Dies hat weit reichende Folgen für die Banken und die kreditnachfragenden Unternehmen. Die Notwendigkeit zum Handeln entsteht vor allem da-
Rating
45
durch, dass es letztlich die Risiken der Kreditnehmer (vor allem der Unternehmen) sind, die das Gesamtrisiko einer Bank maßgeblich bestimmen. Die Banken verteuern aufgrund von Risikoüberlegungen solche Kredite, die ein erhöhtes Ausfallrisiko aufweisen. Dies führt dazu, dass die Banken ihre gesamten Portfolios hinsichtlich des Risikogehalts auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls substanzielle Umstrukturierungsmaßnahmen einleiten, mit Konsequenzen für die betroffenen Engagements. Für die grundlegende Bonitätsprüfung ist ein Rating der Kreditnehmer vorzunehmen, entweder durch die Banken selbst (internes Rating) oder durch Ratingagenturen (externes Rating).
2.1
Der Ratingbegriff
Der Begriff Rating besitzt zwei Bedeutungen: Zum einen bezeichnet er als Ratingverfahren die Vorgehensweise, mit der die Bonität eines Unternehmens – also seine voraussichtliche zukünftige Zahlungsfähigkeit – festgestellt wird. Dabei werden alle wichtigen Unternehmensdaten und die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens analysiert. Zum anderen bezeichnet der Begriff das Ergebnis einer solchen Analyse; das Rating stellt also ein Urteil über die Bonität eines Unternehmens dar. Ratings werden differenziert nach dem Gegenstand der Analyse (Emissions- versus Emittentenrating), dem Auftraggeber des Ratings und dem Zeithorizont (kurzfristig versus langfristig). Beim Emissionsrating (Issue Rating) handelt es sich um ein Rating, das sich auf einen genau definierten Finanztitel eines bestimmten Emittenten bezieht, d. h. das Rating wird für eine spezielle Emission erstellt. Emittentenratings (Issuer Ratings) beziehen sich nicht auf einzelne Finanzierungen, sondern auf die generelle Fähigkeit eines Unternehmens, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Externe Ratings werden zumeist als Auftragsarbeiten durchgeführt. Die Ratingagentur wird demnach erst aktiv, nachdem ein Auftrag zur Durchführung eines Ratings vom Unternehmen erteilt wurde. Diese Vorgehensweise wird als Solicited Rating bezeichnet. Bei den so genannten Unsolicited Ratings geht die Initiative direkt von der Ratingagentur oder einem Investor aus. Als Input für diese Form des Ratings können dann ausschließlich veröffentlichte Informationen verarbeitet werden. Die Ratingergebnisse ohne die Einbeziehung unternehmensinterner Informationen sind entsprechend anders zu werten. Beim Rating spielt der betrachtete Zeithorizont eine wesentliche Rolle. Für diesen Zeithorizont gilt die Unterscheidung in kurzfristige (Short-term-) Ratings mit einem Prognosezeitraum von bis zu einem Jahr und in langfristige (Long-term-) Ratings mit einem Prognosezeitraum von mindestens einem und bis zu vier Jahren. Gewöhnlich wird bei einem Rating ein Ein-Jahres-Horizont zugrunde gelegt. Ratings können außerdem nach der Art des beurteilten Schuldners (z. B. Länder, Unternehmen, Branchen) oder der beurteilten Verbindlichkeit (z. B. kurz- oder langfristige Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzierungen) in verschiedene Klassen eingeteilt werden.
46
Gegenstand und Methoden des Ratings
Ein Rating im hier maßgeblichen Sinn ist eine Aussage über die zukünftige Fähigkeit eines Schuldners zur vollständigen und termingerechten Bedienung seiner Verbindlichkeiten. Das Rating bezieht sich auf das analysierte Unternehmen als Schuldner (Emittentenrating). Der Auftraggeber ist in der Regel der Schuldner selbst (Solicited Rating). Kernstück eines Ratings ist die Sammlung und Auswertung von Informationen über einen Schuldner mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, mit der ein Schuldner seinen Verbindlichkeiten in der Zukunft nachkommen kann. Dabei wird versucht, eine prägnante Klassifizierung des jeweiligen Schuldners in einer Risikokennzahl darzustellen. Mit dem Rating bzw. der Einordnung in eine Ratingklasse wird gewöhnlich die Angabe der Ausfallwahrscheinlichkeit verknüpft. Zudem werden für die einzelnen Ratingklassen die tatsächliche Ausfallquote und die Quote, mit der sich die Bonität bzw. das Rating im Zeitablauf verändert (Migration), ermittelt. Es ist zu beachten, dass Ratings von ihrem Anspruch her möglichst objektiv, also unabhängig von den Interessen des jeweiligen Auftraggebers, sein sollen. Um das zu gewährleisten, soll die jeweilige Ratingprozedur möglichst transparent und nachvollziehbar gestaltet werden.
2.2
Methoden der Bonitätsbeurteilung
Ein Rating stellt eine Beurteilung der Bonität und damit eine Einschätzung des Kreditbzw. Ausfallrisikos eines Schuldners dar. Ein Ratingverfahren ist die Art und Weise, wie ein solches Rating erstellt wird. Neben der Schaffung einer vollständigen und qualitativ hochwertigen Datengrundlage ist vor allem die gewählte Methodik zur Verarbeitung der Daten zu einem Bonitätsurteil für die Qualität eines Ratingsystems entscheidend. Grundlage können heuristische, statistische oder kausalanalytische Methoden sein. Abbildung 7 stellt die gängigen Methoden in Übersichtsform dar. In der Praxis sind häufig Mischformen zwischen heuristischen und den beiden anderen Methoden anzutreffen. Die einzelnen Bonitätsbeurteilungsmethoden und zugehörige Mischformen werden in den folgenden Abschnitten beschrieben.
2.2.1
Heuristische Methoden
Mittels heuristischer Methoden sollen Erkenntnisgewinne aus subjektiven Erfahrungen und Beobachtungen oder erwarteten betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen abgeleitet werden. Heuristische Modelle versuchen also, auf Basis von Erfahrungen aus dem bisherigen Kreditgeschäft Aussagen über die Bonität eines Schuldners zu machen. Die Qualität heuristischer Modelle hängt von der adäquaten Abbildung des subjektiven Expertenwissens ab.
Rating
47
Methoden zur zur Bonitätsbeurteilung Bonitätsbeurteilung Methoden
Heuristische Heuristische Methoden Methoden
Statistische Statistische Methoden Methoden
Kausalanalytische Kausalanalytische Methoden Methoden
Ratingbogen Ratingbogen
DiskriminanzDiskriminanzanalyse analyse
OptionspreisOptionspreismodelle modelle
Expertensysteme Expertensysteme
RegressionsRegressionsmodelle modelle
Cashflow-SimuCashflow-Simulationsmodelle lationsmodelle
Wissensbasierte Wissensbasierte Systeme Systeme
Neuronale Netze Netze Neuronale
Abbildung 7:
Einteilung der grundlegenden Bonitätsbeurteilungsmethoden
Der klassische Ratingbogen Ein (klassischer) Ratingbogen basiert auf den Erfahrungen von Kreditexperten und enthält bonitätsrelevante Faktoren, deren Ausprägungen mit Punktwerten hinterlegt sind. Dabei werden die Faktoren und Punktfestlegungen nicht mithilfe statistischer Verfahren bestimmt, sondern spiegeln die Einschätzungen der Experten wider. Die Höhe der resultierenden Gesamtpunktzahl gibt Aufschluss über die Bonität des Kunden. Klassische Ratingbögen sind vor allem im Privatkundengeschäft zu finden. Tabelle 4 stellt einen Ausschnitt eines Ratingbogens aus dem Privatkundenbereich dar. Merkmal
Ausprägung und Punktbewertung
Alter Familienstand Berufliche Stellung
Kundenbeziehung und Kontoführung
Tabelle 4:
18 bis 24 –20
25 bis 30 –10
31 bis 40 0
Über 40 +15
Ledig –10
Verheiratet +10
Geschieden –15
Verwitwet 0
Arbeitslos –50
Arbeiter –10
Angestellt +10
Selbständig 0
Kunde bekannt, Kontoführung ohne Beanstandungen +30
Kunde bekannt, Kontoführung mit Beanstandungen –50
Ausschnitt aus einem klassischen Ratingbogen
Neukunde 0
48
Gegenstand und Methoden des Ratings
Expertenysteme Im Unterschied zum klassischen Ratingbogen besteht bei den Expertensystemen Spielraum bei der Beurteilung der einzelnen Faktoren. Eine Herausforderung dieser Verfahren stellt demzufolge die Auswertungsobjektivität dar. Für gleiche Unternehmensdaten muss gewährleistet sein, dass diese von unterschiedlichen Anwendern des Expertensystems auch identisch eingeschätzt werden. Deshalb sind die einzelnen Merkmale in einem zugehörigen Anwendungshandbuch ausführlich zu beschreiben und es ist darzustellen, welche Voraussetzungen für die jeweiligen Bewertungen erfüllt sein sollten. Nr. 1
Kategorien und Bonitätskriterien
Note (1 bis 6)
Bemerkungen
Management (Gewichtung 1/6) Qualität der Betriebsleitung Art und Qualität der Buchführung
2
Markt und Branche (Gewichtung 1/6) Markt- und Branchenentwicklung Konjunkturabhängigkeit Abnehmer- und Lieferantenstreuung Rahmenbedingungen Konkurrenzintensität Produkte bzw. Sortiment Leistungsstand
3
Kundenbeziehung (Gewichtung 1/4) Kontoführung Transparenz und Informationsverhalten
4
Wirtschaftliche Verhältnisse (Gewichtung 1/4) Beurteilung des Jahresabschlusses Gesamte Vermögensverhältnisse
5
Weitere Unternehmensentwicklung (Gewichtung 1/6) Entwicklung seit jüngstem Jahresabschluss Betriebliche Planung Ertragsplanung Besondere Betriebsrisiken Gewichteter Bonitätsdurchschnitt
Tabelle 5:
Kreditrating BVR-I als Beispiel für ein Expertensystem
Ein Beispiel für ein Expertensystem ist das (inzwischen ersetzte) Kreditrating der Volksund Raiffeisenbanken BVR-I (vgl. Tabelle 5). Innerhalb der fünf Hauptkategorien, die mit unterschiedlicher Gewichtung in das resultierende Bonitätsurteil eingingen, wurden jeweils mehrere Bonitätskriterien zur Einschätzung des Kreditnehmers erfasst, die vom
Rating
49
Kundenbetreuer zu bewerten waren. Als Ergebnis ergab sich ein gewichteter Bonitätsdurchschnitt, durch den eine Risikoeinstufung des Kreditengagements vorgenommen werden konnte. Expertensysteme wurden in der Praxis vorwiegend im Firmenkundenbereich verwendet. In jüngerer Zeit sind sie vermehrt durch statistische Verfahren ersetzt worden, beispielsweise auch das in Tabelle 5 vorgestellte BVR-I-Rating der Volks- und Raiffeisenbanken, das inzwischen durch das BVR-II-Rating auf statistischer Grundlage abgelöst wurde (vgl. Abschnitt 4.3). Wissensbasierte Systeme Als wissensbasierte Systeme werden Softwarelösungen bezeichnet, die das Problemlösungsverhalten menschlicher Fachexperten simulieren. Wissensbasierte Systeme enthalten anwendungsgebietbezogenes Fachwissen und bieten mit speziellen Methoden und Wenn-dann-Regeln Problemlösungen. Wesentliche Komponenten sind die Wissensbasis und die Inferenzkomponente: In der Wissensbasis ist das gesamte Wissen eines Expertensystems enthalten, das sich in bereichs- oder domänenspezifisches Expertenwissen, fallspezifisches Faktenwissen sowie Zwischen- und Endergebnisse des Schlussfolgerungsprozesses unterteilt. Die Inferenzkomponente als zweiter Hauptbestandteil eines Expertensystems hat die Aufgabe, die Lösung der vom Benutzer an das System gerichteten Problemstellung herzuleiten. Dies vollzieht sich durch Inferenzen auf der Wissensbasis, d. h. durch die Gewinnung neuer Wissenseinheiten in Form von Zwischenergebnissen und letztlich durch die Problemlösung mittels des in der Wissensbasis gespeicherten Expertenwissens und der während der Konsultation vom Benutzer eingegebenen fallspezifischen Angaben. In diesen beiden Kernkomponenten spiegelt sich die Trennung zwischen Objektwissen und prozeduralem Wissen über die Durchführung des Problemlösungsprozesses wider. Abbildung 8 (Seite 50) stellt den Aufbau eines wissensbasierten Systems dar: Die Wissensakquisitionskomponente als Schnittstelle zum Entwickler bzw. Experten dient der Transformation des Expertenwissens in die formale Struktur der Wissensbasis, ohne dass zur Anwendung eine formale Programmiersprache verwendet werden muss. Mit dieser Komponente wird die Möglichkeit gegeben, die Wissensbasis jederzeit um neue Erkenntnisse zu erweitern und somit das adäquate und aktuelle Expertenwissen abzubilden. Die Dialogkomponente als Schnittstelle zwischen Expertensystem und Endbenutzer steuert die Interaktion mit dem Expertensystem. Zur Dialogkomponente gehören auch standardisierte Eingabemasken, Hilfefunktionen und strukturierte Menüs.
50
Gegenstand und Methoden des Ratings
Die Erklärungskomponente macht die Vorgehensweise des Expertensystems beim Problemlösungsprozess transparent, indem dem Benutzer ermöglicht wird, verschiedene Fragen an das System zu formulieren.
Benutzer
Experte
Dialogkomponente Dialogkomponente
WissensakquisitionsWissensakquisitionskomponente komponente
Erklärungskomponente Erklärungskomponente
Inferenzkomponente Inferenzkomponente
Abbildung 8:
Wissensbasis Wissensbasis
Aufbau eines wissensbasierten Softwaresystems
Ein Beispiel für ein wissensbasiertes System ist CODEX (Commerzbank Debitoren Experten System), das für mittelständische Unternehmen bis Dezember 2004 Anwendung fand. Die Wissensbasis für das System der Commerzbank wurde durch Expertenbefragung aufgestellt. Beurteilt wurden unter anderem die Finanzsituation (Jahresabschlusskennzahlen zur Finanz-, Liquiditäts- und Ertragslage), Entwicklungspotenziale (Markt-, Führungs- und Produktpotenzial) und Branchenaussichten. In den Teilbereichen waren Bonitätsmerkmale definiert worden, deren Beurteilung vom Kundenbetreuer vorgenommen wurde. Jede Bewertung war dann wiederum mit einem Risikowert und einer Note verknüpft. Teilnoten der einzelnen Informationsberichte wurden zu einem Gesamturteil aggregiert. Die Verknüpfung erfolgte gemäß den in Expertenbefragungen ermittelten Regeln. Seit Januar 2005 verwendet die Commerzbank ein neues Ratingsystem auf statistischer Basis und unter Einbeziehung von qualitativen Faktoren und Warnindikatoren (vgl. Abschnitt 4.3). Fuzzy-Logik-Systeme Die Fuzzy-Logik stellt ein Instrument zur Abbildung menschlicher Entscheidungsprozesse dar. Fuzzy-Logik-Systeme sind ein Spezialfall der beschriebenen wissensbasierten Systeme. Ziel dieser Bewertungssysteme ist es, die Risikobeurteilung von Experten so gut wie möglich abzubilden und dabei durch Automatisierung den Aufwand der Risikoeinschätzung klein zu halten. Die Fuzzy-Logik adaptiert das menschliche Entscheidungsverhalten und berücksichtigt, dass bestimmte Merkmale oder Situationen nicht mit
Rating
51
scharfen Wertungen beurteilt, sondern unscharfe Begriffe wie z. B. „ziemlich gut“ oder „wenig riskant“ verwendet werden. Beispielsweise könnte in einem klassischen Expertensystem verlangt sein, dass in der Bewertung eines Unternehmens ein Umsatzwachstum von weniger als 15 Prozent als schlecht und von 15 Prozent und mehr als gut zu bewerten ist. Einer menschlichen Entscheidung würde eine solche duale Zuordnung jedoch nicht entsprechen. Beispielsweise würden nicht gleichzeitig ein Umsatzwachstum in Höhe von 14,9 Prozent als eindeutig schlecht und eines in Höhe von 15,0 Prozent klar als gut bezeichnet werden. Zur Bewertung von Bonitätsmerkmalen werden linguistische Terme (niedrig, mittel, hoch) und jeweilige Zugehörigkeitsfunktionen definiert (vgl. Abbildung 9). Mit den Zugehörigkeitsfunktionen kann für jede mögliche Ausprägung des Bonitätsmerkmals bestimmt werden, zu welchem Grad es den definierten linguistischen Termen angehört. Im obigen Beispiel würde ein Umsatzwachstum von 12 Prozent mit einem Grad von 0,25 als niedrig, mit einem Grad von 0,75 als mittel und mit einem Grad von null als hoch bewertet werden.
Zugehörigkeitsgrad
Zugehörigkeitsfunktionen:
niedrig mittel hoch
1,00 0,75 0,50 0,25
0 0
5%
12 %
20 %
30 %
Umsatzwachstum
Abbildung 9:
Beispiel für eine Bewertung mittels Fuzzy-Logik
Zudem wird in Fuzzy-Logik-Systemen berücksichtigt, dass in Entscheidungsprozessen mehrere Einflussfaktoren gewichtet und gegeneinander abgewogen werden, um ein Urteil zu erhalten. Diese Gewichtung kann je nach Ausprägung des Faktors unterschiedlich ausfallen. So ist es möglich, dass ein bestimmtes Merkmal bei besonders schlechter Ausprägung alle anderen Merkmale überwiegt, während es bei einer guten Ausprägung weniger Gewicht erhält. Durch die flexible Gewichtung können Abhängigkeiten in beliebiger Weise berücksichtigt werden.
52
Gegenstand und Methoden des Ratings
Die komplexe Aufgabenstellung des Ratings wird in kleine, überschaubare Entscheidungsbereiche untergliedert. Die Teilbereiche werden zu einem Endrating aggregiert. Die Systemstruktur ist dabei flexibel. Kommt im Laufe der Anwendung neues Wissen hinzu, kann das System ergänzt werden, ohne eine völlige Neugestaltung vornehmen zu müssen. Die entwickelte Ratinglogik wird in einem vordefinierten Testprozess durch die Experten validiert. Eventuell auftretende Abweichungen vom Sollwert können dabei durch eine Veränderung der Gewichtungen korrigiert werden.
2.2.2
Statistische Modelle
Bonitätsbeurteilungsverfahren, die auf statistischen Methoden basieren, nutzen historische Daten, um Merkmale bzw. Kennzahlen zu finden, die Aufschluss über die Bonität von Unternehmen geben. Zu den verbreitetsten statistischen Methoden zählen die Diskriminanzanalyse und Regressionsmodelle. Weitere Verfahren sind beispielsweise neuronale Netze, Support Vector Machines und Nearest Neighbour-Modelle. Die Parameter statistischer Modelle werden auf Grundlage historischer Daten darauf trainiert, zwischen Kreditnehmern mit hohen und geringen Ausfallrisiken zu unterscheiden. Man versucht also, (potenzielle) Kreditnehmer in die Klassen solvent (bleibend) und insolvent (werdend) zu trennen. Diskriminanzanalyse Die Diskriminanzanalyse ist ein Verfahren zur Analyse von Gruppen- bzw. Klassenunterschieden. Mithilfe dieses Verfahrens ist man in der Lage, die Grundgesamtheit der Objekte (zu klassifizierende Unternehmen) aufgrund ihrer Merkmalsausprägungen (z. B. Bilanzkennzahlen) in zwei Gruppen (solvent bzw. insolvent) trennen zu können. Diese Trennung erfolgt anhand der Diskriminanzfunktion, die im Prozess der Diskriminanzanalyse ermittelt wird. Die Beschreibung einer Anwendung der Diskriminanzanalyse im Bilanzrating (des Altman’schen Z-Scores) folgt in Abschnitt 5.1. Regressionsmodelle Die Trennfunktion, die im Fall der Diskriminanzanalyse verwendet wird, kann auch als Regressionsgleichung interpretiert werden, in der die Kennzahlenkombination gesucht wird, die am besten eine Trennung der Schuldner in insolvenzgefährdete und nicht insolvenzgefährdete Unternehmen gewährleistet. Das Regressionsmodell liefert hier für die abhängige Variable einen Wert, der in eine Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen (solvent bzw. insolvent) überführt werden kann. Logit- bzw. Probit-Modelle stellen dabei sicher, dass die Werte, die die abhängige Variable annehmen kann, bereits zwischen null und eins liegen und somit unmittelbar als Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden können. Die Stärke dieser Modelle liegt also in der direkten Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeiten. Die Darstellung des Logit-Modells erfolgt in Abschnitt 5.2.
Rating
53
Neuronale Netze Neuronale Netze versuchen, den biologischen Ablauf der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns zu imitieren. Ein neuronales Netz besteht aus einer Eingabe(Input-) Schicht, Mittel- bzw. inneren Schichten und einer Ausgabe- (Output-) Schicht (vgl. Abbildung 10). Die Eingabeschicht gibt die aufgenommenen Informationen (z. B. finanzielle Kennzahlen) über mit Gewichten versehene Verbindungen weiter. In den Elementen der Mittelschichten (Neuronen) werden die eingehenden Informationen zu verdichteten Werten verknüpft, die dann wiederum die Inputwerte für die nachgelagerten Neuronen darstellen. Letztlich werden die Informationen an die Ausgabeschicht weitergegeben.
Eingabeschicht
Mittelschicht(en)
Ausgabeschicht
Abbildung 10: Grundlegender Aufbau eines neuronalen Netzes Neuronale Netze lernen anhand von Datensätzen, für die der tatsächliche Output bekannt ist. Veränderungen innerhalb des neuronalen Netzes werden hauptsächlich durch Anpassung der Gewichte zwischen den Neuronen vorgenommen. Neuronale Netze sind in der Lage, quantitative und qualitative Daten zu verarbeiten. Ein Anwendungsbeispiel ist das Baetge-Bilanzrating BP-14, das auf der Verarbeitung von 14 Jahresabschlusskennzahlen beruht, die zu einem Outputwert verdichtet werden. Basierend auf diesem Wert wird die Einteilung in Ratingklassen vorgenommen.
2.2.3
Kausalanalytische Modelle
Kausalanalytische Modelle basieren auf ökonomischen Theorien und leiten Zusammenhänge zur Bonität direkt ab. Beispielsweise kann sich die Ausfallwahrscheinlichkeit aus der Bewertung der Kapitalstruktur eines Kreditnehmers ergeben. Zu den kausalanalytischen Modellen gehören Optionspreismodelle und Cashflow-Simulationsmodelle.
54
Gegenstand und Methoden des Ratings
Optionspreismodelle In Optionspreismodellen sind die Bestimmungsfaktoren des Ausfallrisikos durch den Unternehmensgesamtwert (Wert der Aktiva) und seine Volatilität sowie das Fremdkapitalvolumen eines Unternehmens gegeben. Ein Kreditausfall tritt dann ein, wenn der Wert der Aktiva des finanzierten Unternehmens unter den Wert des Fremdkapitals fällt. Dann kann der Kredit nicht (vollständig) zurückgezahlt werden und der kreditgebenden Bank steht nur das Restvermögen des Unternehmens zur Verwertung zur Verfügung. Ist der Unternehmenswert im Rückzahlungszeitpunkt höher als der Wert des Fremdkapitals, kann der Kredit annahmegemäß vollständig zurückgezahlt werden und es tritt kein Ausfall ein (vgl. Abbildung 11).
Schwankungen
ÖkonoÖkonomischer mischer Wert der der Wert Aktiva Aktiva
ÖkonoÖkonomischer mischer Wert des des Wert FremdFremdkapitals kapitals
Ausfall, wenn Wert Wert des < Fremdder Aktiva kapitals
Abbildung 11: Bestimmungsfaktoren des Ausfallrisikos in Optionspreismodellen Grundgedanke der Optionspreismodelle ist die Auffassung der Kapitalbestandteile des Unternehmens als Optionen auf den Unternehmenswert und ihre Bewertung mittels der Optionspreistheorie. Durch das Ausfallrisiko wird den Unternehmenseignern gleichsam das Recht eingeräumt, zum Zeitpunkt der Kreditrückzahlung anstelle der vereinbarten Rückzahlungsleistung das Unternehmen an die Gläubiger zu übereignen. Damit entspricht die Position der kreditgebenden Bank insgesamt der eines Käufers einer bonitätsrisikofreien Anleihe, der zusätzlich einen Put auf den Unternehmenswert verkauft. Eine Darstellung der Optionspreismodelle zur Kreditbewertung wird in Abschnitt 7.1 vorgenommen. Cashflow-Simulationsmodelle Cashflowbasierte Modelle können als Variante der Optionspreismodelle angesehen werden, bei der der ökonomische Wert des Unternehmens durch die Analyse der Cashflows ermittelt wird. Damit eignen sich cashflowbasierte Modelle zur Bonitätsbeurteilung von Spezialfinanzierungen. Hier hängt die Bonität (im Wesentlichen) von den zukünftigen
Rating
55
Cashflows des zu finanzierenden Objekts ab. Da in diesem Fall nicht der Kreditnehmer, sondern ein konkretes Objekt geratet wird, handelt es sich um ein Transaktionsrating.
2.2.4
Mischformen
Misch- oder Hybridformen versuchen, die Vorteile mehrerer Systeme zu vereinen. Nur für jene Beurteilungsfaktoren, für die eine ausreichende Datenbasis vorhanden ist, wird auf statistische Modelle zurückgegriffen. Die übrigen im System zu berücksichtigenden bonitätsrelevanten Faktoren werden mittels heuristischer Systeme bewertet. Kausalanalytische Modelle kommen innerhalb der Mischformen kaum zur Anwendung. Horizontale Verknüpfung der Methoden Unter horizontaler Verknüpfung wird die Einbeziehung zweier Komponenten verstanden (vgl. Abbildung 12). Innerhalb einer horizontalen Verknüpfung werden die Daten mit den geeigneten Systemkomponenten ausgewertet und dann zu einem Gesamturteil aggregiert.
Analyse qualitativer qualitativer Daten Daten Analyse
Analyse quantitativer quantitativer Daten Daten Analyse
Heuristische Systemkomponente
Statistische Systemkomponente
Bonitätsbeurteilung Bonitätsbeurteilung
Abbildung 12: Horizontale Methodenverknüpfung Die Gewichtung der einzelnen Systemkomponenten kann variabel gestaltet werden. Die horizontale Verknüpfung zur Integration qualitativer und quantitativer Daten ist in den Modellen der Bankpraxis weit verbreitet. Vertikale Verknüpfung der Methoden Die vertikale Verknüpfung beinhaltet ein Vor- bzw. Nachschalten von Systemkomponenten. Eine Möglichkeit besteht darin, die Hauptkomponente (statistisches Verfahren) durch eine nachträgliche Modifikation (Override) zu ergänzen. Dadurch wird die manuelle Anpassung der Ratingstufe durch eine Experteneinschätzung ermöglicht (vgl. Abbildung 13, Seite 56). Grundlage des Overrides kann die Einbeziehung aktueller Informationen, die weder aus dem letzten Jahresabschluss noch aus bilanziellen Zwischen-
56
Gegenstand und Methoden des Ratings
zahlen hervorgehen, oder individueller, im System nicht vorgesehener Sachverhalte in das Gesamtrating sein. Ein Override kann zu einem besseren oder schlechteren Ratingergebnis führen. In der Ausgestaltung dieser Systemkomponente kann vorgegeben werden, um wie viele Stufen höher oder niedriger das Bonitätsurteil höchstens ausfallen darf.
Analyse qualitativer qualitativer und und Analyse quantitativer Daten Daten quantitativer Statistische Systemkomponente
Modifikation (Override) (Override) Modifikation
Heuristische Systemkomponente
Bonitätsurteil Bonitätsurteil
Abbildung 13: Vertikale Methodenverknüpfung mittels Override Eine weitere Möglichkeit der vertikalen Verknüpfung besteht in der Vorschaltung eines Katalogs von Knock-out-Kriterien (vgl. Abbildung 14). Hier wird zunächst festgestellt, ob die Bonitätsbeurteilung für einen potenziellen Kreditkunden überhaupt durchgeführt werden sollte. Die Bank prüft, ob bei dem kreditsuchenden Kunden Merkmale vorhanden sind, die eine Kreditvergabe im Vorhinein ausschließen. Zu solchen Merkmalen gehören beispielsweise negative Schufa-Auskünfte, Kontokündigungen, Kreditkündigungen usw.
2.2.5
Anforderungen an Bonitätsbeurteilungsmethoden
Verfahren zur Bonitätsbeurteilung müssen bei einem Einsatz als bankinternes Ratingsystem grundsätzlich eine Reihe von Anforderungen erfüllen, die sich einerseits aus betriebswirtschaftlichen Aspekten der Bonitätsbeurteilung und andererseits aus den Anforderungen an die IRB-Ansätze gemäß Basel II ergeben. Diese grundlegenden Anforderungen sind:
Rating
57
Katalog möglicher möglicher Knock-out-Kriterien Knock-out-Kriterien Katalog
Kein K.-o.Kriterium zutreffend
Heuristische Systemkomponente
K.-o.Kriterium zutreffend
Analyse qualitativer qualitativer und und Analyse quantitativer Daten Daten quantitativer Statistische Systemkomponente Bonitätsbeurteilung Bonitätsbeurteilung
Keine weitere weitere Keine Bonitätsbeurteilung Bonitätsbeurteilung
Abbildung 14: Vertikale Methodenverknüpfung mittels Knock-out-Kriterien Zielgröße PD Das Ratingergebnis ist als Ausfallwahrscheinlichkeit darstellbar. Vollständigkeit Das Ratingergebnis berücksichtigt alle bonitätsrelevanten Informationen. Objektivität Das Ratingergebnis ist intersubjektiv nachvollziehbar. Akzeptanz Das Ratingmodell sollte aus Sicht des Anwenders die Bonität des Kreditnehmers korrekt beurteilen. Widerspruchsfreiheit Das Rating darf anerkannten wissenschaftlichen Theorien und Methoden nicht widersprechen. Nach der Entwicklung eines Ratingmodells ist zudem die Validierung des Systems vorzunehmen. Die Mindestanforderungen für den IRB-Ansatz legen fest, dass die Banken über einen regelmäßigen Turnus zur Modellvalidierung verfügen müssen, der die Vorhersagegenauigkeit und Stabilität, die Überprüfung der Modellbeziehungen und das Testen der Modellergebnisse gegen die tatsächlichen Ergebnisse umfasst (vgl. hierzu Kapitel 6).
58
3.
Externes Rating
Externes Rating
Im Rahmen der durch Basel II festgelegten Verfahren zur Bestimmung der Eigenkapitalunterlegung von Krediten können Banken zwischen dem IRB-Ansatz und dem Standardansatz mit Ratings durch externe, von der Bankenaufsicht anerkannte Agenturen wählen. Im Zuge der Umsetzung von Basel II wird vielfach die zunehmende Bedeutung externer Ratingagenturen betont. Externe Ratings sind von Banken, sofern diese den Standardansatz wählen, zur Berechnung der Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken zu verwenden. Bisher wurden externe Ratings von Banken oft als Vergleichsmaßstab zur bankinternen Beurteilung von Engagements verwendet. Es ist davon auszugehen, dass die Banken nicht auf eine hausinterne Bonitätsprüfung bei der Kreditentscheidung verzichten und ein externes Rating deshalb nicht als Ersatz für die interne Bonitätsprüfung gesehen werden kann. Die meisten Banken verwenden den IRB-Ansatz. Dieser Ansatz verlangt bankinterne Ratingverfahren. Für die Mehrzahl der Unternehmen besteht demzufolge keine Notwendigkeit, sich extern raten zu lassen. Nutzenaspekte eines Ratings sollten jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Es wird, unabhängig davon, ob es sich um ein internes oder externes Rating handelt, im Interesse eines Unternehmens liegen, eine möglichst gute Bonität zu erreichen. Hier können (externe) Pre-Ratings mitunter eine wertvolle Hilfestellung bieten. Ein veröffentlichtes (externes) Rating kann ebenfalls als Bonitätssignal an die unterschiedlichsten Adressaten, beispielsweise Aktionäre, Kunden oder Lieferanten, aufgefasst werden. In den folgenden Abschnitten werden die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen für Ratingagenturen und der Ablauf externer Ratingverfahren dargestellt und es wird ein Überblick über nationale und internationale Ratingagenturen gegeben.
3.1
Externe Ratingverfahren
Das Marktpotenzial für Ratingagenturen in Deutschland wird auf circa 15 000 Unternehmen geschätzt, die zumeist eine Bilanzsumme von über 10 Mio. Euro aufweisen. Ein externes Rating ist für kleinere Unternehmen oft ökonomisch nicht sinnvoll, da die Kosten für das Rating die etwaigen Vorteile nicht aufwiegen. Für das einzelne Unternehmen muss deshalb abgewogen werden, welches Rating realistischerweise erreichbar ist, was es kostet und welche Vorteile sich daraus realisieren lassen. Die Kosten können stark schwanken und bewegen sich in einer Spanne von circa 5 000 Euro bis über 60 000 Euro, je nach beauftragter Ratingagentur, Qualität des Ratings und Unternehmensgröße. Die Entscheidung darüber, ob das Rating veröffentlicht wird oder nicht, obliegt dem beurteilten Unternehmen. Falls es zur Veröffentlichung kommt, stellt das Rating ein Bonitätssignal dar, das bei Kreditverhandlungen und anderen Finanzierungsentscheidungen verwendet werden kann.
Rating
3.1.1
59
Externe Ratings und Basel II
Im Rahmen des Standardansatzes dürfen Banken nur Ratings verwenden, die von einer durch die Bankenaufsicht anerkannten Agentur erstellt wurden. Damit das Rating einer Ratingagentur zur Berechnung der Eigenkapitalanforderung herangezogen werden darf, müssen die Agenturen eine Reihe von Anforderungen erfüllen, die in Basel II als Mindestanforderungen formuliert sind. Verantwortlich für die Anerkennung sind die nationalen Aufsichtsinstanzen, die den Agenturen bei Erfüllung der Mindestanforderungen den Status einer External Credit Assessment Institution (ECAI) anerkennen. Zu den Anforderungen an diese Agenturen zählen insbesondere: Objektivität im Sinne einer systematischen und auf historischen Daten basierenden Bonitätsbeurteilung; wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit; Zugänglichkeit der einzelnen Bonitätsbeurteilungen für in- und ausländische Institutionen gleichermaßen sowie Transparenz hinsichtlich der angewandten Methoden; Veröffentlichung der verwendeten Beurteilungsmethoden inklusive historischer empirischer Ausfallraten sowie Migrationsmatrizen für einen bestimmten Zeitraum; ausreichende Ressourcen hinsichtlich ihrer Mitarbeiter und des Know-hows; Glaubwürdigkeit der Ratingagentur und ihrer Ratings. Die Glaubwürdigkeit ergibt sich einerseits daraus, dass Objektivität, Unabhängigkeit, Zugang zu den Ratings, Offenlegung und ausreichende Ressourcen gegeben sind. Andererseits zeigt sich die Glaubwürdigkeit in der Anerkennung der Ratingagentur und ihrer Ratings durch den Markt (Kundenakzeptanz).
3.1.2
Ablauf eines externen Ratings
Aufgrund der Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren stellt ein Rating keine zeitpunktbezogene einmalige Aktivität dar, sondern einen Prozess, der sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt und regelmäßigen Revisionen (z. B. jährliche Überprüfung) unterliegt. Oft treten Unternehmen bereits vor der geplanten Kreditaufnahme oder Emission an eine Ratingagentur heran, um Informationen über das zu erwartende Rating einzuholen. Abbildung 15 (Seite 60) veranschaulicht den zeitlichen Ablauf eines Ratings. Vorphase Am Anfang des Ratingprozesses steht ein Informationsgespräch, in dem die Regeln zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Agentur erörtert werden. In dieser Phase werden der zeitliche Ablauf festgelegt sowie der Ratingvertrag ausgearbeitet und unterzeichnet. Mit Abschluss dieses Vertrags beginnt der eigentliche Ratingprozess.
60
Externes Rating
Vorphase Vorphase
Vorbereitungs- und und VorbereitungsKonsultationsphase Konsultationsphase
Analysephase Analysephase
Bewertungsphase Bewertungsphase
Kommunikationsphase Kommunikationsphase
Kontakt von von Unternehmen Unternehmen und und Ratingagentur Ratingagentur Kontakt Informations- und und Vorgespräche Vorgespräche InformationsUnterzeichnung des des Ratingvertrags Ratingvertrags Unterzeichnung
Informationsbeschaffung Informationsbeschaffung Detaillierte Unternehmensunterlagen Unternehmensunterlagen Detaillierte Erhebung von von BranchenBranchen- und und Marktdaten Marktdaten Erhebung
Systematische Voruntersuchung Voruntersuchung aller aller Daten Daten Systematische Analysegespräch im im Unternehmen Unternehmen Analysegespräch
Prüfung und und Bewertung Bewertung der der Daten Daten Prüfung Ratingempfehlung und und Ratingurteil Ratingurteil Ratingempfehlung Erstellung des des Ratingberichts Ratingberichts Erstellung
Annahme des des Ratings Ratings oder oder Ablehnung Ablehnung bzw. bzw. Annahme Widerspruch Widerspruch
Publikation des des Ratings Ratings bzw. bzw. interne interne Nutzung Nutzung Publikation
Abbildung 15: Zeitlicher Ablauf eines externen Ratingverfahrens Vorbereitungs- und Konsultationsphase In der Vorbereitungs- und Konsultationsphase besteht die Aufgabe des Unternehmens darin, die im Rahmen des Ratingprozesses benötigten Unterlagen zusammenzustellen. Dazu gehören z. B. Jahresabschlüsse, aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen, die Beschreibung von Unternehmensstruktur und Produkten usw. Die Ratingagentur stellt nach der Auftragserteilung ein Analystenteam zusammen, in der Regel bestehend aus zwei bis drei Spezialisten aus verschiedenen Bereichen. Aufgabe der Ratingagentur in dieser Phase ist die Zusammenstellung relevanter Markt- und Umfeldinformationen. Dabei werden öffentlich zugängliche und agenturinterne Informationen ausgewertet. Analysephase Die Analysephase umfasst eine Voranalyse der vom Unternehmen vorgelegten Unterlagen und das Analysegespräch im Unternehmen. Insgesamt finden in der Regel mehrere Treffen zwischen der Ratingagentur und dem Management des zu beurteilenden Unternehmens statt, bevor ein Ratingurteil erstellt wird. Hierbei werden die wesentlichen Ge-
Rating
61
schäftskonzepte, Planzahlen und Finanzdaten ausführlich besprochen sowie weitere Faktoren analysiert, die Auswirkungen auf das Rating haben können. Das Team der Ratingagentur besteht dabei aus mehreren Mitgliedern, unter anderem dem zuständigen Branchenanalysten. Wegen der Wichtigkeit des Ratings nehmen von Unternehmensseite oft der Vorstand und gegebenenfalls wichtige Bereichsleiter an diesen Treffen teil. Das Unternehmen hat Gelegenheit, seine Zahlen und Konzepte zu präsentieren, insbesondere die mittelfristigen Planungen einschließlich Cashflow- und Ergebnisrechnungen sowie Analysen der Finanzierungsalternativen und Investitionspläne. Die Ratingagentur prüft diese Daten und nimmt für ein Rating nur solche zukünftigen Entwicklungen an, die realistisch erscheinen. Hohe Priorität genießt die Vertraulichkeit der erhobenen Daten, denn oft werden im Ratingprozess sensible Informationen über das Unternehmen an die Ratingagentur übermittelt. Um die missbräuchliche Verwendung auszuschließen, müssen umfassende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Anderenfalls ist mit einem erheblichen negativen Einfluss auf die Reputation der jeweiligen Ratingagentur zu rechnen. Bewertungsphase Die Bewertungsphase stellt den eigentlichen Ratingprozess dar. Im Anschluss an das Analysegespräch werden von der Ratingagentur diejenigen Faktoren identifiziert, die den größten Einfluss auf die Bonität des Unternehmens besitzen. Hier gehen auch Erfahrungen aus der Beurteilung von Vergleichsunternehmen ein. Nach der Analyse und Bewertung durch das Analystenteam wird von der Agentur ein Ratingkomitee einberufen, das im Normalfall zwischen sieben und neun stimmberechtigte Mitglieder aufweist. Dieses Komitee hat die Aufgabe, das Rating festzulegen. Zunächst präsentiert der verantwortliche Analyst eine umfassende Analyse des zu beurteilenden Unternehmens, wobei vor allem die Geschäftstätigkeit, die strategische Führung und die Finanzsituation genau untersucht werden. Die Analyse und Bewertung schließt mit einer Ratingempfehlung, die im weiteren Verlauf vom Komitee beraten wird und zu einem Ratingurteil führt. Kommunikationsphase In der Kommunikationsphase wird dem Unternehmen das Ratingergebnis mit seinen wesentlichen Begründungen mitgeteilt, damit das Management dazu Stellung nehmen und gegebenenfalls neue oder ergänzende Informationen vorlegen kann. Diese Informationen des Unternehmens können zu einer Änderung des ursprünglichen Ratings führen. Die Ratingagentur prüft neue Informationen oder Einsprüche eingehend, um sicherzustellen, dass alle ratingrelevanten Faktoren berücksichtigt wurden und die Ratings eine hohe Zuverlässigkeit besitzen. Falls das Rating daraufhin verändert werden soll, muss das Komitee erneut zusammentreten und über das neue Rating beraten. Das Unternehmen wird dann über dieses neue Rating informiert. Wird das Ratingurteil angenommen, bestimmt das Unternehmen die Verwendung des Ergebnisses. Es kann entscheiden, ob das Ratingurteil lediglich unternehmensintern genutzt oder der Öffentlichkeit zugänglich
62
Externes Rating
gemacht werden soll. Im letzteren Fall erfolgt in der Regel innerhalb eines Tages die Veröffentlichung in den Medien. Ratings werden in bestimmten Zeitabständen oder auf Anfrage des beurteilten Unternehmens überprüft. Stellt sich bei einer Überprüfung heraus, dass es neue Informationen gibt, die zu einer Veränderung des Ratings führen können, wird für das betreffende Unternehmen ein neuer Ratingprozess in Gang gesetzt, dessen Ablauf dem soeben beschriebenen Erstrating entspricht und der zu einem veränderten Rating führen kann.
Watchlist Werden einer Ratingagentur Veränderungen bekannt, die das Rating eines Unternehmens beeinflussen können, wird das betreffende Unternehmen auf die Watchlist gesetzt. Diese Liste zeigt für unter Beobachtung stehende Unternehmen die Tendenz der vermutlichen Ratingänderung aufgrund von erwarteten Ereignissen an: + (Upgrade), – (Downgrade) und nicht eindeutig. Am Ende der Watchlistphase wird das Rating entweder verändert oder bestätigt.
3.2
Internationale Ratingagenturen
Die bekanntesten und größten Ratingagenturen sind Standard & Poor’s (S&P), Moody’s Investors Service und Fitch Ratings, die ihre Dienste weltweit anbieten. Diese Agenturen können auf eine lange Unternehmenshistorie zurückblicken und gelten als Pioniere der Ratingbranche. Die Geschichte der Ratingagenturen ist eng mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den USA, insbesondere mit dem Bau des Schienennetzes Mitte des 19. Jahrhunderts, verbunden. Solange die Bahnstrecken in der Nähe dicht besiedelter Gebiete verliefen, wurde ihre Finanzierung durch lokale Banken geleistet. Später wuchs der Kapitalbedarf und durch Unternehmensanleihen der Eisenbahngesellschaften sollten die benötigten Mittel im In- und Ausland aufgebracht werden. Die in diesem Umfeld gegründeten Agenturen veröffentlichten finanzielle und statistische Daten der Eisenbahngesellschaften. Heute ist neben diesem Emissionsrating die Beurteilung der zukünftigen Zahlungsfähigkeit von Unternehmen (Emittentenrating) ein wichtiger Geschäftszweig. Insgesamt verfügen die drei größten Ratingagenturen über einen Weltmarktanteil von 95 Prozent. Im Folgenden gehen wir auf die Geschichte von Standard & Poor’s, Moody’s Investors Service und Fitch Ratings ein und stellen anschließend die Ratingnotationen dieser Agenturen vor.
Rating
63
Standard & Poor’s Zur Information potenzieller Geldgeber über die Kreditwürdigkeit der Eisenbahngesellschaften entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts Kreditinformationsdienste und Wirtschafts- und Finanzzeitungen. Als eine der ersten Zeitschriften wurde das American Railroad Journal mit Informationen über die ersten US-weiten Großunternehmen (die Eisenbahngesellschaften) herausgegeben. Im Jahr 1849 übernahm HENRY V. POOR das Eisenbahnjournal. Unter seiner Führung entwickelte es sich zu einem umfangreichen Informationsblatt über Besitz, Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und Einnahmen der großen Eisenbahngesellschaften. Im Folgenden konzentrierte sich POOR vorwiegend auf Informationen für Investoren und gab seit 1868 jährlich das Manual of the Railroads of the United States heraus, das mit Finanz- und Wirtschaftsstatistiken der meisten US-Eisenbahngesellschaften jahrzehntelang die wichtigste Informationsquelle für in- und ausländische Geldgeber war. Unter der Führung von POORs Sohn stieg das Unternehmen 1926 ins Ratinggeschäft ein. Bereits 1906 wurde das Standard Statistics Bureau gegründet. Ziel des Unternehmens war die Informationsbeschaffung über die US-Finanzmärkte. Später wurden öffentliche Unternehmensanleihen der Eisenbahngesellschaften beurteilt und andere Branchen in die Untersuchungen einbezogen. Im Jahr 1941 fusionierte die Poor’s Publishing Company mit dem Standard Statistics Bureau zu Standard & Poor’s. Heute gehört Standard & Poor’s zu McGraw-Hill. Weltweit hat Standard & Poor’s circa 290 Büros in 38 Ländern, beschäftigt rund 7 500 Mitarbeiter und hat mehr als 500 000 Ratings durchgeführt. Seit 1992 ist Standard & Poor’s auch in Deutschland in der Rechtsform der McGraw-Hill Companies GmbH in Frankfurt am Main vertreten. Im Rahmen der Bonitätsbeurteilung eines Unternehmens durch Standard & Poor’s werden zwei wesentliche Bereiche analysiert: das Geschäftsrisiko und das Finanzrisiko (vgl. Tabelle 6, Seite 64). Zur Bewertung des Geschäftsrisikos werden Kriterien zu den Branchendaten, zur Wettbewerbsposition und zum Management erhoben. Zur Analyse des Finanzrisikos werden überwiegend quantitative Faktoren erfasst. Die Bewertung der einzelnen Faktoren erfolgt durch ein Benchmarking mit einer Vergleichsgruppe ähnlicher Unternehmen.
64
Externes Rating
Geschäftsrisiko
Analyse der Branchendaten
Kernbranche Wettbewerbssituation Konjunkturzahlen Wachstumschancen Anfälligkeit bei Technologiewandel oder staatlichen Regulierungen
Analyse der Wettbewerbsposition
Marktanteil Marketing Technologie Forschung Kosteneffizienz
Analyse des Managements
Industrieerfahrung Führung Glaubwürdigkeit Risikobereitschaft Finanzrisiko
Finanzpolitik des Unternehmens Rechnungslegung und deren Anwendungen Rentabilität Planzahlen Finanzielle Flexibilität
Tabelle 6:
Ratingkriterien von Standard & Poor’s
Moody’s Investors Service JOHN MOODY machte sich seit 1900 mit dem Moody’s Manual of Industrial and Miscellaneous Securities einen Namen. Dieses Werk enthielt Zahlen, Daten und Fakten über die Aktien und Rentenpapiere von Finanzinstituten und Unternehmen. Statt reiner Informationen über Vermögen, Kapitalisierung und Führung von Unternehmen bot MOODY ab 1909 seinen Kunden wertende Analysen an. Er analysierte zunächst die Jahresabschlüsse der wichtigen Bahngesellschaften. Diese Informationen veröffentlichte er in Moody’s Analyses of Railroad Investments. Außerdem fasste er die Resultate seiner Analyse in einem Schlussurteil zusammen und führte ein Bewertungssystem mit Buchstabenkombinationen (von Aaa bis C) ein, wie sie ähnlich schon von Kreditauskunfteien benutzt worden waren. Im Jahr 1913 erweiterte MOODY seine Untersuchungen auf Industrie- und Versorgungsunternehmen und gründete 1914 Moody’s Investors Service (kurz Moody’s). Inzwischen beschäftigt Moody’s circa 2 900 Mitarbeiter in 22 Ländern weltweit. Seit einigen Jahren hat Moody’s seine Arbeit über das traditionelle Feld ausgeweitet und veröffentlicht nun auch Ratings für Emittenten wie Versicherungen und Investmentfonds. Moody’s war als erste der international renommierten Ratingagenturen in Deutschland mit einem eigenen Büro vertreten. Das 1991 in Frankfurt am Main eröffnete Büro ist eines von drei analyti-
Rating
65
schen Kompetenzzentren in Europa, zuständig für Ratings in den Bereichen Corporate Finance (Industrieunternehmen), Structured Finance (strukturierte Finanzierungen), Financial Institutions (private, genossenschaftliche und öffentlich-rechtliche Banken) sowie Sovereigns (staatliche Emittenten). Die inhaltliche Vorgehensweise bei der Durchführung eines Moody’s-Ratings kann in Pyramidenform dargestellt werden (vgl. Abbildung 16). Im Ratingprozess werden die Daten, beginnend mit der Analyse des Länderrisikos, über die folgenden Stufen der Pyramide zum Branchenrisiko und abschließend zum Unternehmensrisiko verdichtet und schließlich in einem Ratingurteil zusammengefasst. Quantitative Kriterien werden durch die Analyse von Geschäftsberichten, Ergebnisplanungen und Finanzplanungen erfasst. Die qualitative Analyse umfasst die Bereiche Management, Strategie und finanzielle Flexibilität.
Rating Qualitative Analyse Quantitative Analyse Marktposition des Unternehmens Wettbewerbstrends (global und national) Rechtliche Rahmenbedingungen (global und national) Branchenanalyse (global und national) Analyse des Länderrisikos
Abbildung 16: Moody’s-Ratingpyramide Moody’s KMV, eine Tochter der Moody’s Corporation, die im Jahr 2002 durch Übernahme der im Bereich der quantitativen Kreditrisikoanalyse tätigen KMV entstanden ist, hat zudem 2005 einen neuen Ratingservice für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
66
Externes Rating
eingeführt: Durch RiskCalcTM wird es mittelständischen Unternehmen ermöglicht, ein Moody’s-Rating zu erhalten, das hinsichtlich des Verfahrens, der Kosten und der Bereitstellung von Informationen den Anforderungen des Mittelstands Rechnung trägt. RiskCalcTM basiert auf einem Bilanzrating (vgl. dazu Kapitel 5) und wurde mittels einer logistischen Regressionsanalyse entwickelt. Das Verfahren stützt sich für Deutschland auf neun Jahresabschlusskennzahlen, die verschiedenen Informationsbereichen zugeordnet sind (vgl. Tabelle 7). Informationsbereich
Kennzahl
Gewicht
Fremdkapitalstruktur Verschuldung
Nettoverschuldungsquote
38 %
Eigenkapitalquote EBITD-Return on Investment (EBITD-ROI)
Rentabilität
Umsatzrentabilität
25 %
Produktivität
Personalaufwandsquote
11 %
Kapitalbindung
Kapitalbindungsdauer
10 %
Finanzkraft
Cashflow / Fremdkapital
Wachstum
Umsatzwachstum
Tabelle 7:
9% 7% TM
Kennzahlen in Moody’s KMV RiskCalc
Im Informationsbereich Verschuldung misst die Fremdkapitalstruktur den Anteil der Kreditoren, Akzepte und Bankverbindlichkeiten am gesamten Fremdkapital. Damit gibt die Kennzahl den Teil des Fremdkapitals an, dem tatsächlich liquide Mittel zum Abfluss an außenstehende Gläubiger gegenüberstehen sollten. Für den Informationsbereich Rentabilität setzt die Kennzahl EBITD- (Earnings Before Interest, Taxes and Depreciation-) ROI den bereinigten Jahresüberschuss ins Verhältnis zum Gesamtkapitals eines Unternehmens. Der Zähler ist dabei definiert als Jahresüberschuss vor Steuern, zu dem Zinsaufwendungen und planmäßige Abschreibungen des Geschäftsjahres hinzugerechnet werden. Die Jahresabschlusskennzahlen gehen, gruppiert nach Informationsbereichen, in unterschiedlich starker Gewichtung in die Berechnung eines Scorewertes ein. Den Scorewerten sind über ein Kalibrierungsverfahren Ausfallwahrscheinlichkeiten zugeordnet. Der Anwendungsbereich von RiskCalcTM ist der Bereich mittelständischer, nicht börsennotierter Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 500 000 Euro. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche, der Baubranche und Existenzgründungen.
Rating
67
Fitch Ratings Im Jahr 1913 gründete JOHN FITCH die Fitch Publishing Company und veröffentlichte das Fitch Bond Book, eine Beschreibung der wichtigsten US-amerikanischen und kanadischen Anleihen. Neun Jahre später brachte FITCH eine neue Beurteilungsskala auf den Markt: die bis heute benutzte AAA-Skala für das Rating langfristiger Anleihen, deren Rechte 1960 an Standard & Poor’s verkauft wurden. Die Ergebnisse der Ratings wurden seit 1925 im Fitch Rating Book zusammengefasst. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre veränderte sich der Markt für die Ratingagenturen. Bislang war der Verkauf der Ratingergebnisse an Investoren die Haupteinnahmequelle. Jetzt war es möglich, von den Emittenten Geld für die Erstellung von Ratings zu verlangen. Dahinter standen einerseits immer aufwendigere Analysen, andererseits wurde die Marktmacht der Agenturen und der Wandel von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt deutlich. Unternehmen, die ihre Anleihen platzieren wollten, mussten selbst den Beweis ihrer Kreditwürdigkeit antreten. Fitch verfeinerte in dieser Situation seine Ratings lang laufender Kredite, indem es die Modifikationen + und – einführte. Im Jahr 1975 erhob die US-Börsenaufsicht (United States Securities and Exchange Commission – SEC) Fitch zusammen mit Standard & Poor’s und Moody’s in den Rang einer national anerkannten statistischen Ratingorganisation (Nationally Recognized Statistical Rating Organization – NRSRO). Fitch fusionierte 1997 mit der IBCA-Gruppe, die stärkeren Einfluss in den USA gewinnen wollte. Für Fitch bedeutete das seitdem eine weltweite Präsenz und die Abdeckung der Bereiche Banken, Finanzinstitutionen und öffentliche Hand. Zudem wurde Fitch damit ebenfalls Teil der Fimalac und sieht sich seitdem als die europäische der drei großen Ratingagenturen. Fitch eröffnete 1999 sein Frankfurter Büro, das für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständig ist. Seit Januar 2002 heißt das Unternehmen in Europa Fitch Ratings, in den USA weiterhin Fitch. Heute beschäftigt Fitch bzw. Fitch Ratings rund 1 500 Mitarbeiter, darunter 700 Analysten, in mehr als 49 Staaten der Welt. Die Zentralen befinden sich in London und New York, die wichtigsten Büros in Barcelona, Chicago, Frankfurt am Main, Moskau, Paris und Tokio. Notation der internationalen Ratingagenturen Das Ergebnis eines Ratings wird von den Agenturen in Form einer Buchstaben- bzw. Buchstaben-Zahlen-Kombination ausgedrückt. Dazu werden von den Agenturen als Klassenbeschreibungen verbale Erklärungen über die Bonität angegeben. Tabelle 8 (Seite 68) gibt einen Überblick über die Ratingnotationen von Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Ratings von AAA bis BBB– werden als Investment Grade (relativ geringes Risiko) bezeichnet. Ratings, die schlechter sind als BBB–, werden hingegen als Speculative Grade (relativ hohes Risiko) bezeichnet.
68
Externes Rating
Fitch
AAA
Aaa
AAA
Sehr gut: Höchste Bonität; nahezu kein Ausfallrisiko
AA+ AA AA–
Aa1 Aa2 Aa3
AA+ AA AA–
Sehr gut bis gut: Hohe Zahlungswahrscheinlichkeit; geringes Ausfallrisiko
A+ A A–
A1 A2 A3
A+ A A–
Gut bis befriedigend: Angemessene Deckung von Zins und Tilgung; Risikoelemente vorhanden, die sich bei Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds negativ auswirken
BBB+ BBB BBB–
Baa1 Baa2 Baa3
BBB+ BBB BBB–
Befriedigend: Angemessene Deckung von Zins und Tilgung; spekulative Elemente oder mangelnder Schutz gegen Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds vorhanden
BB+ BB BB–
Ba1 Ba2 Ba3
BB+ BB BB–
Ausreichend: Mäßige Deckung von Zins und Tilgung (auch in einem guten wirtschaftlichen Umfeld)
B+ B B–
B1 B2 B3
B+ B B–
Mangelhaft: Geringe Deckung von Zins und Tilgung
CCC
CCC
CC
Caa Ca
SD/D
C
Tabelle 8:
CC DDD DD D
Klassenbeschreibung
Ungenügend: Niedrigste Qualität; akute Gefahr des Zahlungsverzugs
Investment Grade
Moody’s
Speculative Grade
S&P
Zahlungsunfähig: In Zahlungsverzug
Ratingnotationen der führenden internationalen Ratingagenturen
Die Ratingklassen der großen Agenturen haben sich als Kategorien in der Finanzwelt durchgesetzt. Die Abstände zwischen den einzelnen Stufen sind jedoch nicht metrisch messbar. Grundsätzlich ist das Rating einem Ranking ähnlich, bei dem eine Rangfolge gebildet wird. Durch die einheitlich vergebene Notation sind das Rating und damit die Bonität verschiedener Unternehmen vergleichbar. Einer Ratingklasse kann auch nicht unmittelbar eine Ausfallwahrscheinlichkeit, sondern zunächst lediglich eine historische Ausfallquote zugeordnet werden. Hierzu sei auf Abschnitt 3.5.1 verwiesen.
Rating
3.3
69
Deutsche Ratingagenturen
Der Markt für Ratings wird von den großen US-amerikanischen Agenturen dominiert, aber im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen bestehen auch für deutsche Ratingagenturen Marktchancen. Gerade im Bereich der KMU hat Deutschland, insbesondere im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern, eine deutlich geringere Anzahl an Unternehmen mit einem externen Rating aufzuweisen. In den angelsächsischen Ländern wird ein externes Rating als deutliches Bonitätssignal gewertet und eine Finanzierung erfolgt in der Regel zu kapitalmarktnahen Konditionen. Die hierzulande traditionell enge Verflechtung der Banken mit den Kreditnehmern und das Konzept der Hausbank haben dazu geführt, dass nur wenige Unternehmen über externe Ratings verfügen. Externe Ratings können die Abhängigkeit eines Unternehmens von der Hausbank reduzieren, da sie eine unabhängige, weitgehend objektive Einschätzung einer dritten Seite darstellen, die auch bei anderen Kreditinstituten verwertbar ist. Diese externe Bewertung kann jedoch nur dann unmittelbar als Rating bei einer Bank verwendet werden, wenn die Ratingagentur den Status einer ECAI innehat, und ohnehin nur bei jenen Banken, die sich für den Standardansatz von Basel II entschieden haben. Mittelständische Unternehmen müssen sich darüber im Klaren sein, dass bei der Kreditvergabe die bankinterne Bonitätsprüfung maßgeblich ist. Die Verpflichtung zu bankinternen Prüfungen ergibt sich schon durch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), die den Banken ausdrücklich die Verwendung aussagekräftiger Risikoklassifizierungsverfahren vorschreiben. Es kann sich allerdings positiv auswirken, wenn ein Unternehmen im Vorfeld eines Kreditantrags und der damit verbundenen bankinternen Bonitätsprüfung ein externes Ratingverfahren durchläuft und dieses als Pre-Rating nutzt. Dadurch können die Schwachstellen des Unternehmens analysiert und in Vorbereitung auf das Bankgespräch beseitigt werden. In diesen Fällen ist stets zu prüfen, in welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis das Pre-Rating steht. Weitere Vorteile können durch die Kommunikation des Ratings als Bonitätssignal für Aktionäre, Gesellschafter, Kunden, Lieferanten und sonstige Geschäftspartner entstehen. Die in Deutschland gegründeten Ratingagenturen werden im Folgenden kurz vorgestellt. URA Unternehmens Ratingagentur URA ist die älteste kommerzielle deutsche Ratingagentur (vgl. Tabelle 9, Seite 70). Sie hat ihre Geschäftstätigkeit im Jahr 1998 aufgenommen. Seither wurden nach Unternehmensangaben über 150 Ratings durchgeführt, von denen circa 30 veröffentlicht wurden. Das Mindesthonorar für die Durchführung eines Unternehmensratings beträgt 19 500 Euro. Hervorzuheben ist die Aufgabenteilung zwischen Analysten, RatingAdvisors und Berichtsteam innerhalb des URA-Ratingprozesses. Den Rating-Advisors kommt die Aufgabe zu, Unternehmen mit dem Ratingprozess vertraut zu machen, zu unterstützen sowie bei der Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse zur Seite zu stehen. Ein Berichtsteam führt die gewonnenen Informationen nach eingehender Prüfung
70
Externes Rating
schließlich in einem Ratingbericht zusammen, der dem Unternehmen neben dem Rating auch wichtige Informationen zur Optimierung unternehmensinterner Abläufe liefert. Neben den Bilanz- und Finanzdaten sind folgende Faktoren wesentlich für ein URARating: Management und Organisation, Personal, Finanzwirtschaft, Produkte und Märkte, Produktions- und Informationstechnologie, Standort und Ökologie. URA Unternehmens Ratingagentur AG Kontaktdaten
URA Unternehmens Ratingagentur AG Lindenstraße 38/II 81545 München Internet: www.ura.de E-Mail: [email protected]
Anzahl durchgeführter bzw. veröffentlichter Ratings
Über 150 bzw. 30 insbesondere kurzfristige Ratings (Stand Ende 2006)
Preisstruktur
URA-Unternehmensrating ab 19 500 € URA-Rating KMU ab 5 000 € URA-Rating Check ab 1 000 € URA-Inso-Check 500 €
Zielgruppe
Tabelle 9:
Mittelständische Unternehmen ab einem Umsatz von ca. 5 Mio. bis ca. 500 Mio. €
Unternehmensdaten der URA Unternehmens Ratingagentur AG
Creditreform Rating Die Creditreform Rating AG (vgl. Tabelle 10) wurde im Jahr 2000 als hundertprozentige Tochter des Verbandes der Vereine Creditreform e. V. gegründet. Bereits seit 1879 bietet die Muttergesellschaft Dienstleistungen wie Wirtschaftsauskünfte und Inkassomanagement an. Die dadurch verfügbare Datenbasis stellt insbesondere im Bereich der Bilanz- und Finanzanalyse eine Unterstützung beim Aufbau der Ratingagentur dar. Das Angebot richtet sich vor allem an KMU.
Rating
71
Creditreform Rating AG Kontaktdaten
Creditreform Rating AG Hellersbergstraße 12 41460 Neuss Internet: www.creditreform-rating.de E-Mail: [email protected]
Anzahl durchgeführter bzw. veröffentlichter Ratings
90 bzw. 14 (Stand Ende 2006)
Preisstruktur
5 000 bis 20 000 €
Zielgruppe
Mittelständische Unternehmen
Tabelle 10:
Unternehmensdaten der Creditreform Rating AG
Das Creditreform-Rating basiert auf drei Säulen (vgl. Abbildung 17, Seite 72): Den ersten Teilbereich der Analyse bildet die Auswertung von Jahresabschlüssen der jeweils vergangenen drei bis fünf Jahre. Die Beurteilung konzentriert sich auf Kennzahlen aus den Bereichen Vermögen, Kapital, Finanzkraft und Rentabilität, die zu einem ersten Ergebnis zusammengefasst werden. Aus der Bewertung des wirtschaftlichen Umfelds des Unternehmens ergibt sich das Ergebnis des zweiten Teilratings. Durch einen Vergleich mit Branchendaten und durch die Analyse von Erfolgs- und Potenzialdaten der Branche wird das Unternehmen sowohl im Zeitablauf als auch im Branchendurchschnitt analysiert. In einem Managementgespräch werden für die dritte Komponente des Ratings qualitative Faktoren erhoben. Ziel ist die Klärung offener Fragen der anderen Analysebereiche und die Überprüfung möglicher Risikopotenziale. Themen dabei sind unter anderem Unternehmensperspektive und Strategiekonzept, Mitarbeiter, Management, Produkte, Markt, Kunden und Lieferanten sowie Finanz- und Investitionsplanung. Die drei Teilratings werden vom Analystenteam zu einem Ratingvorschlag verdichtet. Dieses Urteil wird anschließend dem Ratingkomitee präsentiert und erläutert. Das Ratingkomitee, das aus mehreren Analysten und einem externen Sachverständigen besteht, prüft die Analyse und legt das Urteil fest. Das Unternehmen erhält den Ratingbericht zur Prüfung. Anschließend wird das Ratingzertifikat übergeben. Über die Verwendung und Veröffentlichung des Ratings entscheidet das Unternehmen.
72
Externes Rating
Finanzanalyse Finanzanalyse (Teilrating I) I) (Teilrating
Brancheneinschätzung Brancheneinschätzung (Teilrating II) II) (Teilrating
Managementgespräch Managementgespräch (Teilrating III) III) (Teilrating
Ratingkomitee Ratingkomitee
Creditreform-Rating Creditreform-Rating
Abbildung 17: Aufbau des Ratingsystems der Creditreform Rating AG Euler Hermes Rating Die Euler Hermes Rating GmbH (vgl. Tabelle 11) nahm ihre Geschäftstätigkeit zu Beginn des Jahres 2002 auf. Sie ist eine hundertprozentige Tochter der Hermes Beteiligungen GmbH und gehört somit zur Hermes Kreditversicherungs-AG, die in den AllianzKonzern eingegliedert ist. Die Gesellschaft kann auf die Expertise der Muttergesellschaft zurückgreifen, die mit dem wirtschaftlichen Umfeld und den Besonderheiten im Bereich der mittelständischen Unternehmen vertraut ist. Insbesondere verfügt sie über eine umfangreiche Branchendatenbank. Ein Rating der Euler Hermes Rating GmbH kostet mindestens 15 000 Euro. Zielgruppe sind mittelständische Unternehmen. Vor der eigentlichen Ratinganalyse kommen die Ratinganalysten auf Wunsch des Auftraggebers zu einem Rating-Workshop in das Unternehmen, um über Art, Ablauf und Nutzen des angestrebten Ratings zu informieren. Euler Hermes Rating GmbH Kontaktdaten
Euler Hermes Rating GmbH Gasstraße 18, Haus 2 22761 Hamburg Internet: www.eulerhermes-rating.com E-Mail: [email protected]
Anzahl durchgeführter bzw. veröffentlichter Ratings
Keine Angabe bzw. 12 (Stand Ende 2006)
Preisstruktur
Kapitalmarktrating ab ca. 15 000 €
Zielgruppe
Mittelständische Unternehmen
Tabelle 11:
Unternehmensdaten der Euler Hermes Rating GmbH
Rating
73
Die Euler Hermes Rating GmbH legt ihren Ratings eine zehnstufige Skala zugrunde, die innerhalb der Rating Alliance, einer Kooperation mit dem TÜV Rheinland Berlin Brandenburg, verwendet wird: AAA Diesen Unternehmen wird die höchste Qualität hinsichtlich der Zukunftssicherheit beigemessen. Obwohl sich die verschiedenen Sicherungselemente durchaus verändern können, wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach die fundamental starke Stellung solcher Unternehmen nicht beeinträchtigen. AA Diesen Unternehmen wird eine sehr hohe Qualität hinsichtlich der Zukunftssicherheit beigemessen. Die Ausprägung der Sicherungselemente kann stärker schwanken oder einzelne Bewertungskomponenten können auf ein langfristig größeres Risiko hinweisen, als es bei AAA-klassifizierten Unternehmen der Fall ist. A Diesen Unternehmen wird eine hohe Qualität hinsichtlich der Zukunftssicherheit beigemessen. Sie weisen günstige zukunftssichernde Eigenschaften auf. Es können Faktoren vorliegen, die eine leicht erhöhte Anfälligkeit für Verschlechterungen bei Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erkennen lassen. BBB Diesen Unternehmen wird eine angemessene Qualität hinsichtlich der Zukunftssicherheit beigemessen. Zins- und Kapitalrückzahlungen erscheinen mittelfristig gesichert. Es ist jedoch gegenüber A-gerateten Unternehmen eher wahrscheinlich, dass Verschlechterungen von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Fähigkeit schwächen können, finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen. BB Diese Unternehmen besitzen noch ausreichende zukunftssichernde Strukturen. Sie sind jedoch größeren Unsicherheiten ausgesetzt. Negative Geschäftsentwicklungen oder Veränderungen der finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können dazu führen, dass die finanziellen Verpflichtungen nicht mehr in angemessener Weise erfüllt werden. B Diesen Unternehmen fehlen üblicherweise zukunftssichernde Strukturen. Negative Geschäftsentwicklungen oder Veränderungen der finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen mit höherer Wahrscheinlichkeit dazu, dass die finanziellen Verpflichtungen nicht mehr in angemessener Weise erfüllt werden.
74
Externes Rating
CCC Diese Unternehmen besitzen Strukturen, die die Zukunftssicherheit stark gefährden. Sie können sich bereits in Zahlungsverzug befinden oder aber der Kapitaldienst ist akut gefährdet. Um ihren finanziellen Verpflichtungen nachhaltig nachzukommen, sind sie auf eine günstige Entwicklung der Rahmenbedingungen angewiesen. CC Diese Unternehmen sind akut gefährdet. Ihre Zukunftssicherheit ist sehr gering. Sie befinden sich oft schon in Zahlungsverzug oder werden durch andere Vertragsverletzungen schwer belastet. C Diese Unternehmen weisen die geringste Zukunftssicherheit auf und besitzen extrem schlechte Voraussetzungen, um sich am Markt behaupten zu können. Möglicherweise wurde ein Vergleich bereits beantragt. Zins- und Tilgungszahlungen können gegenwärtig noch erfolgen. D Diese Unternehmen sind insolvent. Das D-Rating ist nicht zukunftsgerichtet, sondern dokumentiert nur die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens. RS Rating Services Die RS Rating Services AG (vgl. Tabelle 12) wurde 1999 durch eine Initiative der bayerischen Arbeitgeberverbände vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft gegründet. Das Leistungsspektrum der RS Rating Services AG reicht von spezifischen Rating- und Bewertungstools für verschiedene Anwendungen bis zur Entwicklung und Pflege von Datenbanken sowie weiter gehenden Dienstleistungen rund um das Rating. Als Besonderheit bietet die Agentur die Möglichkeit zur Qualifizierung als Ratinganalyst, die in Kooperation mit der Universität Augsburg durchgeführt wird. In ihrem Ratingansatz integriert die RS Rating Services AG analytische sowie EDV-basierte Modelle. Ferner wird die umfassende Kooperation mit verschiedenen Experten angestrebt. Sonderformen des Ratings Neben den bislang angesprochenen Kreditratings existieren noch weitere Ratingformen. Beispielsweise werden Ratings unter ethischen, ökologischen und sozialen Aspekten erstellt, die als Nachhaltigkeitsratings bezeichnet werden. In Deutschland sind zwei dieser spezialisierten Ratingagenturen ansässig: die Oekom Research AG (München) und die Scoris GmbH (Hannover). Diese Agenturen beurteilen neben den üblichen Unternehmensdaten zusätzlich so genannte Nachhaltigkeitskriterien wie Unternehmensethik, gesellschaftliches Engagement, Umweltaktivitäten oder Aktivitäten in kontroversen Geschäftsfeldern.
Rating
75
RS Rating Services AG Kontaktdaten
RS Rating Services AG Haus der Bayerischen Wirtschaft Max-Joseph-Straße 5 80333 München Internet: www.rating-services.de E-Mail: [email protected]
Anzahl durchgeführter bzw. veröffentlichter Ratings
398 bzw. 43 (Stand Ende 2006)
Preisstruktur
Je nach Größe und Komplexität des Ratings 10 000 bis 40 000 € Ratingindikationen ab 5 000 €
Zielgruppe
Mittelstandsrating: Mittelständische Unternehmen verschiedener Branchen und Größen ab 5 Mio. € Umsatz Ratingindikation: Kleinere Unternehmen ab 1 Mio. € Umsatz Startup-Rating: Startup-Unternehmen Lieferantenrating: Kleine und mittelständische Lieferanten mittelständischer und großer Unternehmen
Tabelle 12:
3.4
Unternehmensdaten der RS Rating Services AG
Regulierung von Ratingagenturen
Neben der angesprochenen Regulierung der Ratingagenturen durch die Anerkennung als ECAI bei Erfüllung bestimmter Mindestanforderungen gibt es auch außerhalb der BaselII-Vorschriften Bestrebungen, Standards zu setzen. Anlass sind kritische Aspekte der Tätigkeit der Ratingagenturen. Aktuelle Problemfelder lauten: unzureichende Transparenz beim Informationsfluss vom Emittenten über die Ratingagentur zum Markt, ungenügende Kenntnis über angewandte Ratingmethoden, unklare Handhabung von potenziellen Interessenkonflikten innerhalb der Ratingagenturen sowie fehlende klare Regeln zum Umgang mit vertraulichen Informationen. Hierzu gab es Bemühungen der International Organization of Securities Commissions (IOSCO), einen Verhaltenskodex, den so genannten Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies, mit allgemeinen Grundsätzen für Ratingagenturen zu entwickeln, der im Dezember 2004 verabschiedet wurde.
76
Externes Rating
IOSCO Gegründet 1983, circa 180 Mitglieder, ordentliche und assoziierte Mitglieder (im Wesentlichen Aufsichtsbehörden) sowie angegliederte Mitglieder (Affiliate Members, vor allem Börsenorganisationen). Deutsche Mitglieder sind die BaFin und die Deutsche Börse AG. Ziel ist die bessere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Finanzmärkte durch die Entwicklung weltweit akzeptierter Standards. Für den Bereich Ratingagenturen wurde die Task Force on Credit Rating Agencies gegründet. Die Verhaltensregeln des Code of Conduct stimmen überwiegend mit den Kriterien der Basler Eigenkapitalvorschriften für die Anerkennung externer Ratingagenturen überein bzw. ergänzen und konkretisieren diese. Die IOSCO-Prinzipien stehen aber nicht im Zusammenhang mit einer Anerkennung durch Bankenaufsichtsbehörden und gelten unabhängig von aufsichtsrechtlichen Zwecken, für die die Ratings verwendet werden. Sie gliedern sich in vier Komplexe: Gewährleistung der Qualität und Integrität des Ratingverfahrens; Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessen und von anderen Interessenkonflikten (z. B. aus der Eigentümerstruktur der Agentur); transparentes Ratingverfahren und zügige Veröffentlichung; vertrauliche Behandlung aller Informationen. Zur Wahrung der Qualität des Ratingprozesses haben die Ratingagenturen schriftlich festgelegte, systematische Verfahren und Methoden zur Erstellung des Ratings einzusetzen. Verfahren und Methoden sollen einem Validierungsverfahren unterliegen, das auf historischen Erfahrungswerten beruht. Für qualitativ hochwertige Analysen sollen die Ratingagenturen über die erforderlichen Ressourcen und kompetentes Personal verfügen. Ein weiteres Merkmal zur Sicherung der Qualität des Ratingprozesses ist die geforderte laufende Beobachtung und Aktualisierung des Ratings. Ratingagenturen sollen zur Vermeidung möglicher Interessenkonflikte alle Einnahmen offenlegen, die neben der Ratingtätigkeit anfallen, und eine völlige Trennung der verschiedenen Geschäftsbereiche vornehmen. Ratingentscheidungen sollen transparenter werden, indem die Agenturen die Ausfallraten für ihre Ratingkategorien veröffentlichen. Damit sollen die Marktteilnehmer in die Lage versetzt werden, die Verlässlichkeit der Kategorien prüfen zu können. Zudem ist zu veröffentlichen, wenn ein Rating ohne Auftrag des zu bewertenden Emittenten erstellt wurde. Im Regelfall sollen die Agenturen den Emittenten auch darüber aufklären, auf welchen Informationen das Rating beruht. Ein weiteres wichtiges Element des Verhaltenskodex ist die Sicherstellung, dass öffentlich nicht zugängliche Informatio-
Rating
77
nen auch vertraulich behandelt werden. Es liegt natürlich im ureigenen Interesse der Ratingagenturen, dadurch ihre Reputation zu wahren. Der Code of Conduct bildet eine freiwillige Selbstverpflichtung für Ratingagenturen und ist insgesamt von den Marktteilnehmern positiv aufgenommen worden. Obwohl die Umsetzung nicht verpflichtend ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Agenturen den Verhaltenskodex vollständig in ihre Standards integrieren. Mittelfristig werden Investoren, Emittenten und die Öffentlichkeit die Anerkennung und Einhaltung international gültiger Standards fordern.
3.5
Ratingklassen und Ausfallwahrscheinlichkeit
Ratingagenturen geben eine Einschätzung über die Bonität eines Unternehmens ab. Da hierfür stets die gleiche Bewertungsskala verwendet wird, können die Marktteilnehmer, die in der Mehrzahl nicht über die Möglichkeit einer eigenen Bonitätsbeurteilung verfügen, die Bonität der beurteilten Unternehmen vergleichen. Damit leisten Ratingagenturen einen wichtigen Beitrag zur Transparenz an den Kapitalmärkten.
3.5.1
Ausfallquote und -wahrscheinlichkeit
Zusätzlich zu der verbalen Beurteilung der Bonität des gerateten Unternehmens (vgl. Tabelle 8, Seite 68) werden von den führenden Ratingagenturen die Ausfallquoten der entsprechenden Ratingklassen angegeben. Diese empirisch ermittelten Ausfallquoten werden ex post aus den tatsächlich eingetretenen Ausfällen pro Ratingklasse und Jahr berechnet. Empirisch ermittelte Ausfallquoten sind deshalb nicht konstant, sondern vom betrachteten Zeitraum abhängig (vgl. Tabelle 13, Seite 78). Die Ausfallquoten dieser Tabelle könnten grundsätzlich als Basis für Schätzer von Ausfallwahrscheinlichkeiten verwendet werden. Unter der Ausfallwahrscheinlichkeit versteht man hierbei diejenige Wahrscheinlichkeit, mit der Kreditnehmer einer bestimmten Ratingklasse innerhalb eines bestimmten zukünftigen Zeitraums im Sinne festgelegter Kriterien (Credit Events) ausfallen. Aus der Tabelle ist jedoch ersichtlich, dass die Höhe der historischen Ausfallquoten nicht immer mit der prognostizierten Bonitätseinschätzung der Ratingklassen übereinstimmen muss. So war beispielsweise in dem betrachteten Zeitraum die empirisch beobachtete Ausfallquote in der S&P-Ratingklasse A+ mit 0,02 Prozent p. a. niedriger als in der besseren Ratingklasse AA– mit 0,03 Prozent p. a. Deshalb werden idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeiten als Schätzer verwendet.
78
Externes Rating
Standard & Poor’s Ratingklasse
Durchschnittliche Ausfallquote (in % p. a.)
Moody’s Ratingklasse
Durchschnittliche Ausfallquote (in % p. a.)
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit (in % p. a.)
AAA
0,00
Aaa
0,00
0,01
AA+ AA A–
0,00 0,00 0,03
Aa1 Aa2 Aa3
0,00 0,00 0,05
0,02 0,03 0,04
A+ A A–
0,02 0,05 0,05
A1 A2 A3
0,00 0,03 0,04
0,05 0,06 0,09
BBB+ BBB BBB–
0,12 0,22 0,35
Baa1 Baa2 Baa3
0,21 0,15 0,50
0,13 0,16 0,39
BB+ BB BB–
0,44 0,94 1,33
Ba1 Ba2 Ba3
0,70 0,65 2,38
0,67 1,17 2,03
B+ B B–
2,91 8,38 10,32
B1 B2 B3
3,33 7,14 11,97
3,51 6,08 10,54
CCC
21,94
Caa
23,65
18,27
Tabelle 13:
3.5.2
Empirisch ermittelte Ausfallquoten und idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeiten (Daten für S&P von 1981 bis 2000, für Moody’s von 1983 bis 2002)
Kumulierte Ausfallquoten und -wahrscheinlichkeiten
Da die Laufzeit eines Kreditengagements in Deutschland in der Regel mehrere Jahre beträgt, ist neben dem Ein-Jahres-Horizont auch die Betrachtung von längeren Zeiträumen interessant. Tabelle 14 zeigt hierfür die historischen Mehr-Jahres-Ausfallquoten (kumulierte Ausfallquoten) für ausgewählte S&P-Ratingklassen und Tabelle 15 gibt idealisierte Mehr-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten (kumulierte Ausfallwahrscheinlichkeiten) an.
Rating
79
Kumulierte Ausfallquote (in %) AAA
AA
A
BBB
BB
1 Jahr
0,00
0,00
0,05
0,22
0,94
8,38
B
21,94
CCC
2 Jahre
0,00
0,00
0,11
0,52
2,59
16,01
29,25
3 Jahre
0,03
0,00
0,17
0,74
4,62
21,00
34,37
4 Jahre
0,06
0,03
0,22
1,12
6,04
23,73
38,24
5 Jahre
0,10
0,09
0,37
1,50
7,34
25,73
42,13
6 Jahre
0,18
0,16
0,51
1,76
8,72
27,59
43,62
7 Jahre
0,26
0,30
0,62
2,00
9,57
28,79
44,40
8 Jahre
0,40
0,42
0,79
2,27
10,72
29,79
44,82
9 Jahre
0,45
0,50
0,99
2,56
11,45
30,84
45,74
10 Jahre
0,51
0,60
1,17
2,89
11,80
31,85
46,53
Tabelle 14:
Kumulierte historische Ausfallquoten in S&P-Ratingklassen (Datenbasis 1981 bis 2000)
Kumulierte Ausfallwahrscheinlichkeit (in %) AAA
AA
A
BBB
BB
1 Jahr
0,01
0,03
0,06
0,16
1,17
6,08
18,27
2 Jahre
0,03
0,09
0,18
0,54
2,34
12,92
33,58
3 Jahre
0,06
0,16
0,31
1,00
4,67
18,27
45,35
4 Jahre
0,10
0,23
0,46
1,52
7,27
26,71
55,61
5 Jahre
0,13
0,31
0,62
2,07
9,37
33,12
60,99
6 Jahre
0,17
0,39
0,79
2,65
11,01
37,94
66,16
7 Jahre
0,21
0,48
0,96
3,25
12,83
40,40
69,72
8 Jahre
0,25
0,57
1,14
3,87
14,44
42,57
74,94
9 Jahre
0,29
0,66
1,32
4,51
15,61
44,96
78,07
10 Jahre
0,33
0,76
1,51
5,16
15,92
47,37
81,73
Tabelle 15:
B
CCC
Kumulierte idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeiten; Quelle: Hasan/Zazzara (2006)
Tabelle 14 kann beispielsweise entnommen werden, dass 1,5 Prozent der Unternehmen der Ratingklasse BBB nach fünf Jahren des betrachteten Zeitraums ausgefallen waren. Dabei fällt auf, dass die Mehr-Jahres-Ausfallquoten der Ratingklasse AAA für Zeithorizonte von einem Jahr bis zu sechs Jahren größer oder gleich den jeweiligen Mehr-JahresAusfallquoten für die Ratingklasse AA waren. Ratings können sich im Nachhinein also aufgrund der bereits erwähnten Prognoseunsicherheit insofern als unstimmig erweisen.
80
Externes Rating
Credit Event (Kreditereignis) Als Kreditereignisse werden solche Tatbestände bezeichnet, mit denen eine Verschlechterung der Fähigkeit des Schuldners einhergeht, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Zu den Kreditereignissen gehören öffentlich bekannt gewordene Zahlungsunfähigkeit, Konkurs, Insolvenz, Zwangsverwaltung, für den Gläubiger nachteilige Schuldenumstrukturierung oder die Unterlassung fälliger Zahlungen. Basel II definiert Credit Events umfassender. Der Kreditausfall im Hinblick auf einen spezifischen Schuldner gilt als gegeben, wenn eines oder beide der folgenden Ereignisse eingetreten ist: Die Bank geht davon aus, dass der Schuldner seinen Kreditverpflichtungen gegenüber der Bankengruppe mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in voller Höhe nachkommen wird, ohne dass die Bank auf Maßnahmen wie beispielsweise die Verwertung von Sicherheiten (soweit vorhanden) zurückgreift. Eine wesentliche Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber der Bank ist seit mehr als 90 Tagen fällig. Überziehungen werden als überfällig betrachtet, wenn der Kreditnehmer ein zugesagtes Limit überschritten hat oder ihm ein geringeres Limit als die aktuelle Inanspruchnahme mitgeteilt wurde. Seitens der Bank gelten die folgenden Tatbestände als Hinweise auf die drohende Zahlungsunfähigkeit: Verzicht auf laufende Belastung von Zinsen, Wertberichtigung oder Abschreibung aufgrund einer deutlichen Verschlechterung der Kreditqualität, Verkauf der Kreditverpflichtung mit einem bedeutenden, bonitätsbedingten wirtschaftlichen Verlust, Restrukturierung des Kredits, die voraussichtlich zu einer Reduzierung der Schuld führt, sowie Antrag auf Insolvenz des Schuldners. Seitens des Kreditnehmers gelten die Beantragung der Insolvenz oder die Stellung unter Gläubigerschutz als Hinweise auf die drohende Zahlungsunfähigkeit.
3.5.3
Ratings im Zeitablauf
Ratingurteile sind zeitlich nicht konstant. Um eine aktuelle Abbildung des Kreditrisikos zu gewährleisten, ist eine regelmäßige jährliche Wiederholung des Ratingprozesses notwendig. Bei erkennbar verändertem Risiko fordert Basel II eine Erneuerung des Ratings auch in kürzeren Abständen. Bei längerfristigen Krediten interessiert zudem die Frage, wie sich das Rating in der Zukunft ändern kann. Auch die Veränderung der Bonitätseinstufung stellt ein Kreditrisiko dar. So reagiert bei börsennotierten Anleihen der Kapital-
Rating
81
markt bei einem Downgrade mit einem Kursrückgang. Banken ziehen diese Informationen zur Kalkulation ihrer Konditionen mit heran. Veränderungen des Ratings im Zeitablauf werden in einer Migrationsmatrix erfasst. Die Migrationsmatrix beschreibt für einen bestimmten Zeitraum die Wahrscheinlichkeiten, dass sich Kreditratings zu bestimmten Einstufungen verändern. Migrationsmatrizen werden aus historischen Daten erstellt. Dabei werden die Ratingveränderungen für eine große Anzahl von Unternehmen über einen längeren Zeitraum beobachtet. Aus diesen Beobachtungen werden die relativen Häufigkeiten für die mögliche Veränderung (bzw. Beibehaltung) eines Ratings innerhalb eines bestimmten Zeitraums ermittelt und in einer Matrix übersichtlich dargestellt. Migrationsmatrizen zeigen also an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Unternehmen mit einem bestimmten Ausgangsrating (z. B. BBB) im betrachteten Zeitraum (z. B. ein Jahr) in eine bestimmte andere Ratingklasse (z. B. BB) wandert. Ein-Jahres-Migrationsmatrix Zur Bestimmung einer Migrationsmatrix für den Zeithorizont von einem Jahr werden für alle Kunden die vorliegenden Ratingergebnisse mit einem Abstand von einem Jahr erfasst. Ausgehend von diesem Datenbestand werden alle möglichen Veränderungen zwischen den Ratingklassen gezählt und in Tabellenform dargestellt. Zur Bestimmung der Migrationswahrscheinlichkeiten werden anschließend die absoluten Zahlen in prozentuale Angaben umgewandelt. Diese Daten geben dann an, welcher Anteil der zu Beginn in einer Ratingklasse vorhandenen Unternehmen in dieser Klasse verblieben bzw. welcher Anteil in andere Ratingklassen migriert ist. Die Migrationswahrscheinlichkeiten summieren sich in jeder Zeile zu 100 Prozent (vgl. Tabelle 16). Ein-Jahres-Migrationsmatrix (Migrationswahrscheinlichkeit in % p. a.) Ausgangsrating AAA
Rating nach einem Jahr AAA
AA
A
BBB
BB
B
CCC
SD/D
91,42
7,92
0,51
0,09
0,06
0,00
0,00
0,00
AA
0,61
90,68
7,91
0,61
0,05
0,11
0,02
0,01
A
0,05
1,99
91,43
5,86
0,43
0,16
0,03
0,04
BBB
0,02
0,17
4,08
89,94
4,55
0,79
0,18
0,27
BB
0,04
0,05
0,27
5,79
83,61
8,06
0,99
1,20
B
0,00
0,06
0,22
0,35
6,21
82,49
4,76
5,91
CCC
0,00
0,00
0,32
0,48
1,45
12,63
54,71
30,41
Tabelle 16:
Ein-Jahres-Migrationsmatrix auf Basis durchschnittlicher Ein-JahresMigrationsraten von 1981 bis 2006; Quelle: Standard & Poor’s (2006)
82
Externes Rating
Für das Ausgangsrating BBB besteht gemäß Tabelle 16 (Seite 81) eine Wahrscheinlichkeit von 4,08 Prozent für ein einstufiges Upgrade, d. h. die Migration in die nächstbessere Ratingklasse. Die Wahrscheinlichkeit für ein Downgrade um eine Stufe beträgt 4,55 Prozent. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 89,94 Prozent kann mit dem Verbleib in der Ratingklasse BBB gerechnet werden. Empirisch zeigen sich bei Migrationsmatrizen gewisse Gesetzmäßigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit dafür, in der ursprünglichen Ratingklasse zu bleiben, fällt tendenziell umso größer aus, je besser diese ist.Die Wahrscheinlichkeit, in eine bessere Ratingklasse zu wechseln, ist für Schuldner aus einer ursprünglich besseren Bonitätsklasse tendenziell geringer als bei Schuldnern mit einem ursprünglich schlechteren Rating. Bei Schuldnern aus einer ursprünglich besseren Ratingklasse ist die Schwankungsbreite des künftigen Ratings häufig geringer als bei Schuldnern aus einer ursprünglich schlechteren Bonitätsklasse. Mehr-Jahres-Migrationsmatrizen Bei einem ausreichend großen Datenbestand lassen sich Mehr-Jahres-Migrationsmatrizen analog zur oben beschriebenen Vorgehensweise aus Ratingpaaren mit längerem Zeitabstand ermitteln. Wenn die empirische Ermittlung mangels verfügbarer Daten nicht möglich ist, können mehrjährige Migrationsmatrizen aus der Ein-Jahres-Matrix berechnet werden. Dabei stellt die t-Jahres-Migrationsmatrix die t-te Potenz der Ein-JahresMatrix dar (vgl. hierzu Abschnitt 7.2.2). So ergibt sich z. B. die Zwei-Jahres-Migrationsmatrix durch Multiplikation der Ein-Jahres-Matrix mit sich selbst. Tabelle 17 enthält hierzu die aus der angegebenen Ein-Jahres- berechnete Zwei-Jahres-Migrationsmatrix. Zwei-Jahres-Migrationsmatrix (Migrationswahrscheinlichkeit in %) Ausgangsrating
Rating nach zwei Jahren AAA
AA
BBB
BB
83,62
14,43
1,56
0,24
0,12
0,02
0,00
0,00
AA
1,11
82,44
14,43
1,57
0,16
0,21
0,04
0,04
A
0,10
3,64
83,99
10,67
1,03
0,37
0,07
0,12
BBB
0,04
0,39
7,43
81,40
7,97
1,76
0,34
0,67
BB
0,07
0,11
0,73
10,10
70,69
13,56
1,76
3,00
B
0,00
0,11
0,43
1,00
10,40
69,15
6,59
12,31
CCC
0,00
0,02
0,52
0,84
2,81
17,45
30,55
47,81
AAA
Tabelle 17:
A
B
CCC
SD/D
Berechnete Zwei-Jahres-Migrationsmatrix auf Basis der Daten aus Tabelle 16 (Seite 81).
Rating
83
Voraussetzung für dieses Verfahren ist die Zeithomogenität (Konstanz im Zeitablauf) der Ausgangsmatrix, die in der Praxis häufig nicht gegeben ist. Beispielsweise beeinflussen ökonomische Schwankungen die Tendenz der Ratingergebnisse zur Verschlechterung oder Verbesserung. Daher sind, wenn möglich, empirisch ermittelte Mehr-JahresMigrationsmatrizen zu verwenden.
4.
Bankinternes Rating
Für eine Bank ist die Wahl eines geeigneten Ratingverfahrens wichtig, weil neben der Bestimmung des Ausfallrisikos durch das Rating auch die aufsichtsrechtliche Mindestunterlegung eines Kredits mit Eigenkapital maßgeblich von der Risikobeurteilung abhängt. Je höher das Risiko bzw. je schlechter das Rating ausfällt, umso höher sind die Ausfallkosten (und umso mehr Eigenkapital muss für ein solches Engagement vorhanden sein). Deshalb ist Banken daran gelegen, Ratingverfahren einzusetzen, die das Bonitätsrisiko möglichst adäquat abbilden. Während bei externen Ratings die Initiative in der Regel vom zu beurteilenden Unternehmen ausgeht, werden beim internen Rating die Banken von sich aus tätig. Die internen Ratingsysteme können an bankspezifische Erfordernisse angepasst werden und bieten darüber hinaus die Möglichkeit für die Bank, vorhandene interne Informationen einfließen zu lassen. Im Rahmen von Basel II sind Banken gehalten, die Bonitätseinstufungen (Ratings) ihrer Kreditkunden weiter zu differenzieren und zu objektivieren. Damit werden diese Ratings einer Überprüfung prinzipiell zugänglich gemacht, was dem angestrebten Ziel einer besseren Risikokontrolle im Bankensektor zuträglich ist.
4.1
Voraussetzungen für den IRB-Ansatz
Die im Oktober 2002 initiierte dritte Auswirkungsstudie des Basler Ausschusses (QIS 3) kam zu dem Ergebnis, dass sich insbesondere international tätige Banken mehrheitlich für die Anwendung des IRB-Ansatzes entscheiden werden. Einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank aus dem Jahr 2005 zufolge setzen in Deutschland 239 Kreditinstitute ab 2007 den IRB-Ansatz ein, weitere 201 Institute folgen später. Innerhalb des IRB-Ansatzes entscheiden sich die Kreditinstitute überwiegend für den IRB-Basisansatz, der lediglich auf die Ausfallwahrscheinlichkeit PD des Kreditnehmers als bankinterne Schätzung und für die restlichen Risikokomponenten (Verlustausfallquote LGD, erwartete Höhe der Forderungen zum Zeitpunkt des Ausfalls EAD und effektive Restlaufzeit M) auf bankenaufsichtliche Vorgaben zurückgreift.
84
Bankinternes Rating
Die Erstellung interner Ratings durch die Banken und deren Verwendung zur Ermittlung der Mindesteigenkapitalunterlegung ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Hierzu gehören insbesondere: Trennung zwischen kreditnehmer- und einzelkreditbezogenem Risiko; aussagekräftige Risikodifferenzierung; mindestens sieben Ratingklassen für nicht notleidende bzw. nicht zweifelhafte Kredite sowie mindestens eine Ratingklasse für notleidende bzw. zweifelhafte Kredite; sinnvolle Verteilung der Kredite über die Risikoklassen, Vermeidung von übermäßiger Konzentration in einzelnen Klassen; vollständige Zuordnung aller Kreditnehmer zu einer bestimmten Ratingklasse vor der Kreditvergabe; unabhängige und regelmäßige Überprüfung der Zuordnung zu einer bestimmten Ratingklasse; geeignete Verfahren zur Informationsbeschaffung über die finanziellen Verhältnisse der Kreditnehmer; nachvollziehbare Dokumentation des Ratingprozesses, der Ratingkriterien, des Ratingergebnisses usw. Wenn die Bank zur Erstellung interner Ratings auf statistische Modelle zurückgreift, müssen diese Modelle wiederum bestimmten Anforderungen genügen: Schätzung der Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit für jede Ratingklasse; Berücksichtigung der aufsichtsrechtlich vorgegebenen Definition eines Schuldnerausfalls durch Credit Events (vgl. Abschnitt 3.5.1); Erhebung und Archivierung sämtlicher relevanter Daten für das interne Rating inklusive der verwendeten Zeitreihen und Ausfallwahrscheinlichkeiten. Zur Ermittlung der durchschnittlichen Ausfallwahrscheinlichkeit je Ratingklasse kann das Kreditinstitut auf interne Ausfallquoten, institutsübergreifend gepoolte Daten, externe Daten oder statistische Ausfallmodelle zurückgreifen. Unabhängig von der Art der Datenquelle für die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit muss die Länge der zugrunde liegenden Beobachtungsperiode mindestens fünf Jahre betragen. Anhand der Vielzahl von Anforderungen, die Banken erfüllen müssen und deren Aufzählung keineswegs vollständig ist, kann ermessen werden, wie umfangreich und qualitativ hochwertig die Informationsbasis sein muss, auf deren Grundlage ein Rating erstellt wird. Zur Erhebung und Beurteilung der benötigten Informationen existieren verschiedene Methoden, von Checklisten über Expertensysteme und Scoringverfahren bis hin zu komplexen statistischen Verfahren (vgl. Abschnitt 2.2).
Rating
4.2
85
Bestandteile interner Ratingsysteme
Die Bonitätsprüfung der Kreditinstitute gliedert sich in die Prüfung quantitativer Faktoren, die auch als Hard Facts bezeichnet werden, und qualitativer Faktoren, die auch als Soft Facts bezeichnet werden: Zu den Hard Facts zählen die Daten aus vergangenen Jahresabschlüssen (Gewinnund Verlustrechnung (GuV) und Bilanz), Zwischenabschlüssen und betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWAs) sowie Zahlen mit Zukunftsbezug, die sich beispielsweise aus der Auftragslage und den damit verbundenen Planzahlen (Umsatz-, Liquiditäts-, Investitions- und Personalplan) ergeben. Diese Daten werden zu Bilanzkennzahlen verdichtet. Weiter gehören Unternehmensindikatoren zu den Hard Facts, die sich zwar in Form von Kennzahlen ausdrücken lassen, zu deren Bestimmung aber auch quantitative Daten außerhalb von Bilanz und GuV notwendig sind. Soft Facts sollen bonitätsrelevante Aspekte des Unternehmens erfassen, die sich nicht unmittelbar quantitativ beschreiben lassen. Sie werden meist anhand umfangreicher Kataloge ermittelt. Im Zentrum des Interesses stehen dabei häufig das Marktumfeld, in dem das Unternehmen agiert, sowie die Struktur und das Management des Unternehmens. Dabei werden auch potenziell die Existenz des Unternehmens gefährdende Tatbestände ermittelt. Zudem gehört das Einholen weiterer Auskünfte über den Kreditnehmer zu diesem Bereich. Daneben spielt natürlich auch die geplante Verwendung der bereitzustellenden Mittel eine große Rolle, die beispielsweise durch einen Businessplan dargestellt werden kann. Wenn es sich um eine Kreditverlängerung handelt, kann die kreditgewährende Bank analysieren, wie die bisherige Kontoführung verlief. Dabei wirkt sich eine lange Dauer der Geschäftsverbindung im Allgemeinen positiv aus. Voraussetzung hierbei sind selbstverständlich positive Erfahrungen mit dem Kreditnehmer bezüglich der Abwicklung früherer Darlehen. Negativ wirken sich hingegen Verzögerungen bei Zins- und Tilgungszahlungen aus. Analysiert wird auch die bisherige Inanspruchnahme von Kontokorrentkrediten. Diese sollte nicht durch eine permanente Führung am Limit oder sogar Überziehungen gekennzeichnet sein. Weitere wichtige Negativmerkmale sind Rücklastschriften, Scheckrückgaben oder Wechselproteste. Weitere Auskünfte über den Kreditnehmer können in Form von Auskünften anderer Banken, der Industrie- und Handelskammern oder von Wirtschaftsauskunfteien (z. B. Creditreform, Schufa) eingeholt werden. Daneben sind auch die Rückmeldungen der Bundesbank über Millionenkredite (ab 1,5 Mio. Euro Volumen) von Bedeutung. Die Bundesbank führt die durch Bankenmeldungen erfasste Gesamtverschuldung eines Kreditnehmers, die Zahl der Kreditgeber und eine grobe Aufteilung der beanspruchten Kreditarten auf, wobei alle Banken eine Rückmeldung erhalten, die ihrerseits Meldungen über diesen Kreditgeber abgegeben haben. Zudem sind die Wechselprotestlisten zu nen-
86
Bankinternes Rating
nen, in denen alle Schuldner erfasst werden, die Zahlungsverpflichtungen aus Wechseln bei Fälligkeit nicht eingelöst haben. Hier zeigen sich auch so genannte K.-o.-Kriterien bei der Kreditvergabe (vgl. Abschnitt 2.2.4), die in der Regel zur Ablehnung des Kreditantrags führen, noch bevor der Ratingprozess durchgeführt wird. Typische K.-o.-Kriterien lauten: Kreditkündigung bei einer anderen Bank, Kontopfändung, lange unvereinbarte Überziehungen, negative Auskünfte. Nach der Erhebung der qualitativen und quantitativen Daten sowie der Erfassung etwaiger Warnsignale bzw. Downgrade-Kriterien erfolgt die Auswertung im Ratingprozess. Hierbei werden die Ausprägungen der Kennzahlen, Indikatoren und Soft Facts typischerweise mit Punktzahlen (Scores) versehen (vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 13.3). Anschließend erfolgt eine Verdichtung der Ergebnisse zu einer Ratingnote. Die ermittelte Ratingnote stellt eine Funktion der verschiedenen quantitativen und qualitativen Faktoren dar. Je nach Ratingnote erfolgt eine Zuordnung zu Ratingklassen, wobei jede Ratingklasse mit einer bestimmten Bonität der enthaltenen Kreditnehmer, d. h. mit einer bestimmten Bandbreite der Insolvenz- bzw. Ausfallwahrscheinlichkeit, einhergeht. Die Anzahl und die Bezeichnungen der Ratingklassen sind nicht einheitlich. Üblich sind acht bis 30 Ratingklassen. Diese werden durch Ziffern, Buchstaben, Buchstabenkombinationen oder auch Buchstaben-Ziffern-Kombinationen, gegebenenfalls um Zeichen wie + oder – erweitert, ausgedrückt. Ein Problem stellt die Transformation qualitativer Daten (Soft Facts) in quantifizierbare Werte dar. Die Qualität des Managements stellt beispielsweise einen qualitativen Faktor dar, der gerade bei kleineren und jungen Unternehmen eine wichtige Rolle spielt. Bei der Transformation von Soft Facts in Zahlenwerte besteht ein erheblicher Ermessensspielraum, der durch die Verwendung von Checklisten oder Vergleichstabellen eingeschränkt werden kann. Dennoch enthält ein umfassendes, auf qualitativen und quantitativen Daten basierendes Rating immer subjektive Einschätzungen, auch wenn das Ratingverfahren äußerlich betrachtet recht objektiv erscheinen mag. Aus diesem Grund stellt Basel II so hohe Anforderungen an die historischen Daten zur Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten.
Rating
4.3
87
Ausgestaltung interner Ratingsysteme
Interne Ratingsysteme sollten so gestaltet sein, dass im Nachhinein beobachtbare Ausfallquoten die vorhergesagten (geschätzten) Ausfallwahrscheinlichkeiten der Kreditnehmer innerhalb einer Ratingklasse möglichst gut widerspiegeln. Mit anderen Worten: Die Schätzungen der mit den einzelnen Ratingklassen verbundenen Ausfallwahrscheinlichkeiten müssen stabil sein und die tatsächlichen Ausfallquoten dürfen nur geringfügig um diese Schätzwerte schwanken. Welche Faktoren dazu im Einzelnen betrachtet werden, bei welchen Ausprägungen welche Scores vergeben werden, wie die Verdichtung der Ergebnisse zu einer Ratingnote erfolgt, wie dann die Zuordnung zu einzelnen Ratingklassen geschieht und wie viele Ratingklassen existieren, variiert von Bank zu Bank. Derzeit werden die quantitativen Faktoren beim Rating stärker gewichtet, wobei wiederum die Bilanzkennzahlen den höchsten Stellenwert einnehmen. Dies kann jedoch im Prozess der ständigen Validierung der internen Ratingsysteme der Kreditinstitute nur ein Ausgangswert sein. Im Folgenden werden exemplarisch und in Übersichtsform die Ratingsysteme der Volks- und Raiffeisenbanken, des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) sowie der Commerzbank dargestellt. Ratingsystem der Volks- und Raiffeisenbanken Für mittelständische Unternehmen existiert in den Volks- und Raiffeisenbanken das Ratingsystem BVR-II-Rating (Mittelstand), das sich aus zwei Teilkomponenten zusammensetzt: quantitative Kennzahlen zum Jahresabschluss (Teilscore JA) sowie qualitative Kriterien (Teilscore QU). Die separat ermittelten Teilergebnisse der quantitativen und qualitativen Faktoren erhalten eine Gewichtung von etwa 60 bzw. 40 Prozent. Abbildung 18 (Seite 88) gibt den grundlegenden Aufbau des BVR-II-Ratings wieder. Das BVR-II-Rating gliedert sich in Teilbereiche auf, die die aktuelle Vermögens-, Finanz- und Ertragslage beurteilen und die zukünftige Unternehmensentwicklung in die Bonitätsanalyse integrieren. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgt über die Analyse der Ertrags- und Finanzkraft bzw. über die Untersuchung der Kapitalstruktur als Maß für die Substanzentwicklung in der jüngeren Vergangenheit. Grundlage der Untersuchung ist ein statistisches Verfahren auf Basis einer Logit-Regression. Zur Erfassung der qualitativen Bereiche werden mithilfe strukturierter Fragebögen Daten aus sechs Teilbereichen des Unternehmens erhoben. Die Fragen zum Jahresabschluss, zur betriebswirtschaftlichen Auswertung sowie zur Kontoführung zielen darauf ab, die Substanz (Vermögenslage) und die freien Überschüsse (Ertrags- und Finanzkraft) zu beurteilen. Im Bereich des Marktes geht es um die Frage, ob und wie sich Absatz- und Beschaffungsmärkte sowie die Wettbewerbsposition in Markt und Branche des Kreditnehmers verändern. Weiter sind Fragen zur Planung und zum Management von Bedeutung, um die Zukunftsaussichten des Unternehmens zu beurteilen. Tabelle 18 (Seiten 88 bis 89) enthält einen Auszug der erfassten qualitativen Faktoren.
88
Bankinternes Rating
Scoringfunktion Scoringfunktion quantitative Faktoren Faktoren quantitative
Scoringfunktion qualitative qualitative Faktoren Faktoren Scoringfunktion Jahresabschluss (qualitativ)
Jahresabschlussanalyse
Teilscore JA JA Teilscore
Markt und Branche
Planung Unternehmen bzw. Management
Kontoführung
Betriebswirtschaftliche Auswertung
Maschinelles Maschinelles Ratingergebnis Ratingergebnis
Teilscore QU QU Teilscore
Expertenwissen Expertenwissen
Endgültiges Endgültiges Ratingergebnis Ratingergebnis
Abbildung 18:
Aufbau des BVR-II-Ratings Kreditrating BVR-II – Qualitative Faktoren (Auszug)
Jahresabschluss Sind im vergangenen Jahr bilanzschönende Maßnahmen vorgenommen worden? Wurden bei der Jahresabschlussanalyse wesentliche stille Reserven festgestellt? BWA Ist die Unternehmensleitung in der Lage, die wirtschaftliche Entwicklung auch unterjährig zutreffend darzustellen? Liegt eine Verzögerung von über zwei Monaten beim Einreichen der BWAs vor? Zeigen die durchschnittliche Umsatz- und Betriebsaufwandsentwicklung der letzten sechs Monate eine Veränderung gegenüber dem letzten Jahresabschluss? Markt Abnehmer- und Lieferantenstruktur Auf wie viele Kunden entfallen 50 % des Umsatzes? Wie hoch ist der Anteil des Hauptkunden am Gesamtumsatz? Wie viele Lieferanten hat das Unternehmen? Auf wie viele Hauptlieferanten entfallen 50 % des Materialaufwands?
Tabelle 18:
Qualitative Faktoren im BVR-II-Rating
Rating
89
Kreditrating BVR-II – Qualitative Faktoren (Auszug) Produkte bzw. Sortiment Wie viele Produktgruppen gibt es? Wird aktive Produktneu- und Produktweiterentwicklung betrieben? Wie viele direkte Konkurrenten hat das Unternehmen? Kontoführung Wie viele Überziehungen um 30 bzw. 60 Tage gab es in den letzten 12 Monaten? Gab es in den letzten 12 Monaten Habensalden? Gab es in den letzten 12 Monaten Scheck- oder Lastschriftrückgaben? Management Geschäftsführung Existiert eine geeignete Nachfolgeregelung? Ist der Unternehmer bzw. (Haupt-) Geschäftsführer schon einmal von Insolvenzverfahren betroffen gewesen oder hat er eidesstattliche Versicherungen geleistet? Gibt es in der Leitung betriebswirtschaftliches bzw. technisches Know-how? Seit wann führt der Unternehmer bzw. (Haupt-) Geschäftsführer das Unternehmen? Seit wann arbeitet er in der Branche? Risiken Wurden ausreichende Versicherungen gegen Forderungsausfälle und Betriebsunterbrechung abgeschlossen? Informationspolitik Welchen Einblick hat die Bank in die Entwicklungen im Unternehmen? Wurden Absprachen bezüglich der Einreichung von Unterlagen und der Verwendung von Krediten sowie Tilgungsvereinbarungen usw. getroffen und eingehalten? Rechnungswesen Besteht eine Kostenstellen- und Kostenartenrechnung? Besteht eine Vor- bzw. Nachkalkulation? Wie erfolgt die Rechnungserstellung? Existiert ein Controlling oder eine interne Revision? Planung Werden der Bank wichtige Unternehmensentscheidungen erläutert? Wurden Alternativen bzw. Szenarien berücksichtigt?
Tabelle 18:
Qualitative Faktoren im BVR-II-Rating (Fortsetzung)
90
Bankinternes Rating
Die maschinelle Ratingnote als Ergebnis der Aggregation quantitativer und qualitativer Teilratings kann innerhalb einer definierten Bandbreite durch den Kreditexperten geändert werden. Diese Bewertungsmaßnahmen im Sinne eines Overrides sind möglich, wenn ein bonitätsrelevantes Merkmal im maschinellen Rating nicht enthalten ist oder ein bonitätsrelevantes Merkmal erst zeitverzögert im Rating berücksichtigt werden kann. Die Volks- und Raiffeisenbanken verwenden für ihr Ratingsystem eine 16-stufige Ratingskala mit den in Tabelle 19 angegebenen idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten. Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
Ratingstufe
0,07 0,10 0,15 0,23 0,35 0,50 0,75 1,10
1a 1b 1c 1d 1e 2a 2b 2c
Tabelle 19:
Ratingstufe
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
2d 2e 3a 3b 3c 3d 3e 4
1,70 % 2,60 % 4,00 % 6,00 % 9,00 % 13,50 % 20,00 % Ausfall
% % % % % % % %
Ratingnotation im BVR-II-Rating
Ratingsystem des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Das Sparkassen StandardRating des DSGV besitzt einen vierstufigen Aufbau, bestehend aus den Komponenten Finanzrating, qualitatives Rating, Ratingabstufung aufgrund von Warnsignalen und Berücksichtigung von Haftungsverbünden (vgl. Abbildung 19).
Finanzrating Finanzrating Bilanzfaktoren Bilanzfaktoren Finanzkennzahlen Finanzkennzahlen
Qualitatives Qualitatives Rating Rating Katalog qualitaqualitaKatalog tiver Merkmale Merkmale tiver
Warnsignale Warnsignale
Bonitätseinfluss Bonitätseinfluss
Gegebenenfalls Gegebenenfalls Ratingabstufung Ratingabstufung
Berücksichtigung Berücksichtigung Haftungsverbund Haftungsverbund
Basisrating Basisrating
Kundenrating Kundenrating
Integriertes Kundenrating Kundenrating Integriertes
Abbildung 19: Aufbau des Ratings der Sparkassenfinanzgruppe
Rating
91
Das Finanzrating basiert auf dem Jahresabschluss und untersucht betriebs- und finanzwirtschaftliche Kennzahlen der Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens. Auf der zweiten Stufe des Ratings fließen qualitative Faktoren aus vier Bereichen in den Bewertungsprozess ein. Tabelle 20 enthält einen Überblick über die bewerteten Faktoren. Der Katalog qualitativer Merkmale wird für kleine und mittlere Unternehmen angepasst, beispielsweise kommen diese Unternehmen – je nach Einzelfall – ohne eigene Forschungsabteilung aus. StandardRating – Qualitative Faktoren Planung und Steuerung Auskunftsverhalten GuV- und Bilanzplanung Investitions-, Finanz- und Liquiditätsplanung Unternehmenssteuerungskonzept Kostenrechnung Unterjährige Berichtserstellung, Bereitstellung von Unterlagen Liquiditätsmanagement
Unternehmensführung Unternehmensstrategie Managementqualifikation Zusammenarbeit und Kommunikation des Managements Personalführungs- und Personalentwicklungskonzept, Personalzufriedenheit
Markt und Produkt Produktsortiment bzw. Dienstleistungsangebot Qualität der Produkte bzw. Dienstleistungen Marktposition und Konkurrenzsituation Marktwachstum und Marktschwankungen Innovationsgeschwindigkeit der Branche und Branchenrentabilität Auftragslage und Kapazitätsauslastung Strukturelle Abhängigkeiten Spezifische Risiken
Wertschöpfung Organisationsstruktur Qualitätsmanagement Umfang und Effektivität der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit Qualität der Lieferanten, Abhängigkeit von Lieferanten, Einkaufskonditionen Produktionsanlagen bzw. Leistungserstellung Marketingkonzept und Vertriebsmanagement
Tabelle 20:
Qualitative Faktoren im Sparkassen-StandardRating
Auf der dritten Stufe des Ratingverfahrens kann es nach der Erstellung des Basisratings zu Abstufungen aufgrund von Warnsignalen kommen. Gegebenenfalls wird die bisher
92
Bankinternes Rating
ermittelte Ratingnote nach unten korrigiert. In der letzten Stufe des Ratingprozesses wird die Art der Verflechtung innerhalb der Konzernstruktur berücksichtigt und beurteilt. Haftungsverbünde können eine Chance (z. B. bei einer wirtschaftlich starken Muttergesellschaft) oder ein Risiko (z. B. bei einer defizitär arbeitenden Tochtergesellschaft) darstellen und führen entsprechend zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der Ratingnote. Als Ergebnis des Ratings wird dem Kreditnehmer eine Ratingstufe zugeordnet, die mit einer idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeit korrespondiert. Im Sparkassen StandardRating wird eine 18-stufige Ratingnotation gemäß Tabelle 21 verwendet. Ratingstufe 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Tabelle 21:
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit 0,08 0,12 0,17 0,30 0,40 0,60 0,90 1,30 2,00
% % % % % % % % %
Ratingstufe
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
10 11 12 13 14 15 16 17 18
3,00 % 4,40 % 6,70 % 10,00 % 15,00 % 20,00 % Kreditausfall Kündigung Insolvenz
Ratingnotation im Sparkassen-StandardRating
Ratingsystem der Commerzbank Die Commerzbank wendet ebenfalls ein stufenförmiges Ratingverfahren an (vgl. Abbildung 20). Die ersten drei Stufen dieses Verfahrens beinhalten die Finanzanalyse des Unternehmens, basierend auf einer statistischen Analyse der Jahresabschlussdaten unter zusätzlicher Berücksichtigung aktueller Entwicklungen. Wichtige ratingrelevante Kennzahlen sind unter anderem Eigenkapitalquote, Kapitalbindungsdauer, Anteil des kurzfristigen Fremdkapitals und Umsatzwachstum. Die Analyse der qualitativen Faktoren auf der vierten Stufe des Ratingprozesses wird in den Kategorien Bilanzpolitik, Rahmenbedingungen, Markt, Wertschöpfung und Management vorgenommen. Hierzu gehören beispielsweise Fragen zu Bewertungsansätzen in der Rechnungslegung, die Abfrage von Risikofaktoren bezüglich ökonomischer und technologischer Entwicklungen, die Beurteilung von Wettbewerbsvorteilen und Marktanteilen sowie des Managements. Auf der fünften Stufe kann es durch die Einbeziehung von Warnindikatoren (24 Faktoren) zu Ratingabstufungen kommen. Im Commerzbank-Ratingsystem werden originäre (z. B. Zahlungsverhalten) und abgeleitete Warnindikatoren (z. B. negative Ergebnisentwicklung) unterschieden. Auf der sechsten Stufe des Ratingverfahrens wird der Verbund des gerateten Unternehmens innerhalb einer Konzernstruktur bewertet, und zwar sowohl durch quantitative (z. B. Beteiligungsquote) als auch durch qualitative Faktoren (z. B. strategische Bedeutung der Beteiligung). Nach einem gegebenenfalls durchzuführenden manuellen Override ergibt sich abschließend das Rating des Unternehmens.
Rating
93
Stufe 1: 1: Stufe Jahresabschlussanalyse Jahresabschlussanalyse Stufe 2: 2: Stufe Trendbewertung Trendbewertung
Finanzanalyse
Stufe 3: 3: Stufe Aktualität der der Unterlagen Unterlagen Aktualität Stufe 4: 4: Stufe Qualitative Faktoren Faktoren Qualitative Risikoanalyse
Stufe 5: 5: Stufe Warnindikatoren Warnindikatoren Stufe 6: 6: Stufe Konzernintegration Konzernintegration Stufe 7: 7: Stufe Ggf. manueller manueller Override Override Ggf.
Bonitätsrating Bonitätsrating
Abbildung 20: Aufbau des Ratingsystems der Commerzbank
% % % % % % % % % %
3.0 3.2 3.4 3.6 3.8
0,81 1,14 1,56 2,10 2,74
% % % % %
Tabelle 22:
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
4.0 4.2 4.4 4.6 4.8 5.0 5.2 5.4 5.6 5.8
3,50 % 4,35 % 5,42 % 6,74 % 8,39 % 10,43 % 12,98 % 16,15 % 20,09 % 25,00 %
Non-Investment Grade
0,00 0,01 0,02 0,04 0,07 0,11 0,17 0,26 0,39 0,57
Ratingstufe
6.1
Drohende Zahlungsunfähigkeit Restrukturierung Sanierung Kündigung Insolvenz
Default
1.0 1.2 1.4 1.6 1.8 2.0 2.2 2.4 2.6 2.8
Investment Grade
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
NonInvestment Grade
Ratingstufe
6.2 6.3 6.4 6.5
Ratingnotation des Ratingsystems der Commerzbank
94
Bankinternes Rating
Tabelle 22 (Seite 93) enthält die Ratingklassen der Commerzbank und die zugehörigen idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten. Der Bereich der Ratingstufen 1.0 bis 2.8 stellt dabei den Investment Grade dar. Die Ratingstufen 3.0 bis 5.8 repräsentieren den NonInvestment Grade. Die übrigen Ratingstufen werden dem Bereich Default zugeordnet.
4.4
Vergleich externer und interner Ratings
Banken und Ratingagenturen verwenden teilweise verschiedene Methoden, um die Bonität von Unternehmen zu beurteilen (vgl. Tabelle 23). Dabei gibt es innerhalb der Verfahren Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Zielsetzung des Ratings. Banken nutzen das Rating für interne Zwecke, wie die Steuerung des Kreditausfallrisikos oder die risikogerechte Preisbildung, und als Instrument zur Ermittlung der Mindesteigenkapitalunterlegung. Ratingagenturen hingegen verfolgen bei der Erstellung der Ratings keine besonderen eigenen Ziele. Ratings werden nach Auftrag des Unternehmens oder einer dritten Partei erstellt. Merkmal Ziel
Quantitative Analyse
Bankinternes Rating
Externes Rating
Bonitätsprüfung im Rahmen der Kreditvergabe
Bonitätsprüfung als Information für Dritte
Vorwiegend statistische Methoden
Vorwiegend Experteneinschätzung
Vergleich mit Schwellenwerten; Beurteilung der Bilanzpolitik In der Regel kein Benchmarking; wenige, statistisch abgesicherte Kriterien
Individuelles Benchmarking; umfangreicher Kennzahlenkatalog
Qualitative Analyse
Anhand von Tatsachen und Einschätzungsfragen; Beantwortung durch Bankmitarbeiter nach Kundenangaben
Leitfadengestützt; Managementgespräch im Unternehmen
Ratingfestsetzung
Auf der Basis eines maschinellen Ratingvorschlags; begrenzt Abweichungen möglich (Override)
Festlegung durch Ratingkomitee
Tabelle 23:
Vergleich bankinterner und externer Ratings
Bei der Wahl der Modelle zur Bewertung der Faktoren existieren ebenfalls Unterschiede zwischen internen und externen Ratingverfahren. Während sich die Ratingverfahren der Agenturen traditionell auch auf heuristische Modelle stützen, sind die Ratingverfahren der Banken vorwiegend durch den Einsatz der Hybridmodelle gekennzeichnet, in denen
Rating
95
statistische Modelle dominieren und die heuristischen Komponenten lediglich der Entscheidungsunterstützung dienen. Die bestehenden Unterschiede haben grundsätzlich zwei Ursachen: Eine erfolgreiche Anwendung der heuristischen Modelle setzt eine hohe Fachkompetenz des Analysten voraus. Durch die Anwendung der heuristischen Modelle können die Agenturen ihr hohes Wissenspotenzial nutzen. Daneben verwenden Ratingagenturen selbstverständlich auch die Ergebnisse ausführlicher Bilanz- und Kennzahlenanalysen. Aufgrund der großen Anzahl durchzuführender Ratings versuchen die Banken durch den Einsatz statistischer Modelle langfristig ihre Prozess- und Personalkosten mittels Standardisierung zu senken. Während in Banken die Ratingfestsetzung durch die Kreditanalysten auf Basis eines maschinell erstellten Ratingvorschlags erfolgt, wird die Ratingentscheidung in einer Agentur durch das Ratingkomitee getroffen, dem keine Analysten angehören. In der Wahl der Kriterien existieren keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Banken und Agenturen. Es zeigt sich allerdings ein Unterschied in der Anzahl der verwendeten Kriterien. Banken verwenden je nach Ratingsystem zwischen 20 und 60 qualitative und quantitative Kriterien, bei den Ratingagenturen sind es circa 100 bis 450 Kriterien. Dieser Unterschied lässt sich wiederum auf die jeweils verwendeten grundlegenden Modelle zurückführen. Ein weiteres charakteristisches Merkmal der externen Ratingverfahren ist die verbreitete Anwendung des Benchmarkings innerhalb des Ratingprozesses. Von Agenturen werden bei der Bewertung der quantitativen Kriterien häufig Daten von Unternehmen aus der gleichen Branche zum Vergleich herangezogen. Bei Banken ist die Verwendung von Benchmarks weniger stark verbreitet.
4.5
Aktuelle Entwicklungen
Die Mitglieder der Initiative Finanzplatz Deutschland (IFD) haben sich Ende 2004 geeinigt, auf die Verwendung einer einheitlichen, sechsstufigen Ratingskala hinzuarbeiten. Durch die gemeinsame Skala sollen die Ratingergebnisse unterschiedlicher Banken zukünftig grundsätzlich miteinander vergleichbar werden. Die angestrebte einheitliche Ratingskala und die entsprechende Zuordnung der Ratingsymbolik der verschiedenen Kreditinstitute stellt Tabelle 24 (Seite 96) dar. Durch unterschiedliche Eingangsparameter und Methoden der Kreditinstitute kann es gleichwohl zu differierenden Ratingergebnissen kommen.
96
Bankinternes Rating
Initiative Finanzplatz Deutschland – IFD Die 2003 gegründete IFD ist ein Zusammenschluss von 18 Instituten aus allen Bereichen der deutschen Kreditwirtschaft (genossenschaftliche, private und öffentlich-rechtliche Institute), der Versicherungen, der Deutschen Börse, der Deutschen Bundesbank, dem Bundesministerium der Finanzen sowie der Spitzenverbände der deutschen Finanzwirtschaft. Ziel der Initiative ist es, Defizite im deutschen Finanzmarkt durch innovative Konzepte und Produkte zu beheben und dadurch das Wachstum zu stimulieren. Dazu arbeiten insgesamt zwölf Gruppen in den Bereichen Stärkung des Wachstums, Förderung von Innovation sowie Mitgestaltung der europäischen Finanzmarktintegration.
IFDCommerzRatingstufe bank
Deutsche Bank
Dresdner Bank
HypoVereinsbank
PD-Bereich von (inkl.) bis (exkl.)
I
1.0 – 2.4
iAAA bis iBBB
1 bis 5
1+ bis 3
bis 0,3 %
II
2.6 – 2.8
iBBB– bis iBB+
6, 7
3– bis 4–
0,3 bis 0,7 %
III
3.0 – 3.4
iBB
8
4– bis 5–
0,7 bis 1,5 %
IV
3.6 – 3.8
iBB– bis iB+
9 (ggf. 10)
5– bis 6
1,5 bis 3 %
V
4.0 – 4.8
iB bis iB-
(ggf. 10) 11
6 bis 7
3 bis 8 %
VI
ab 5.0
ab iCCC
12 bis 14
ab 7
ab 8 %
Tabelle 24:
IFD-Ratingskala und Mapping der Banken
Weiter vereinbarten die IFD-Mitglieder, ihre Ratings den beurteilten Unternehmen offenzulegen. Dies und die Vergleichbarkeit mittels der IFD-Ratingstufen könnten einen Schritt darstellen, die bisher als Einheit behandelte (interne) Ratingerstellung und die Kreditvergabe zu entkoppeln. Ein Unternehmen könnte dann z. B. bei einem Kreditinstitut ein Rating erstellen lassen (und bezahlen) und mit diesem Rating als Referenz versuchen, auch bei anderen Kreditinstituten oder am Kapitalmarkt seinen Finanzbedarf zu decken. Ob die Kreditinstitute untereinander die Ratings der jeweils anderen Institute anerkennen und auf eine eigene Bonitätsprüfung verzichten würden und ob entsprechende bankenaufsichtliche Regelungen getroffen werden, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich bringt eine einheitliche Ratingskala, verbunden mit der Offenlegung der Ratingurteile, mehr Transparenz in die Bonitätsbeurteilung und damit in die Kreditentscheidungsprozesse.
Rating
5.
97
Bilanzrating
Den zentralen Parameter zur Ermittlung des Mindesteigenkapitals für das Kreditportfolio einer Bank stellt gemäß Basel II neben der Verlustausfallquote die Ausfallwahrscheinlichkeit der (in Ratingklassen zusammengefassten) Kreditnehmer dar. Die Ausfallwahrscheinlichkeit gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kreditnehmer innerhalb des kommenden Jahres seine Verbindlichkeiten nicht termingerecht und vollständig bedienen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit es also zu einem Credit Event kommt. Zur Schätzung dieser Ausfallwahrscheinlichkeiten wird von der Bankenaufsicht die Verwendung statistischer Modelle gefordert. Die eingesetzten Modelle müssen überprüft werden. Dabei bezieht sich die qualitative Überprüfung auf die Datenqualität, das Modelldesign und die interne Verwendung der Ausfallwahrscheinlichkeitsschätzungen. Die quantitative Überprüfung umfasst die Messung der Güte sowie die Kontrolle der Schätzungen für Ausfall- und Migrationswahrscheinlichkeiten (vgl. Abschnitt 3.5). Insbesondere bei der quantitativen Überprüfung werden häufig Vergleichsmodelle herangezogen, um eine Über- oder Unterperformance des betrachteten Modells zu belegen. So werden beispielsweise extern entwickelte Bilanzratingmodelle auf den eigenen Datenbestand einer Bankengruppe angewandt, um deren Güte mit der des intern entwickelten Modells zu vergleichen. Für Deutschland existiert nur eine geringe Anzahl veröffentlichter Bilanzratingfunktionen. Häufig wird deshalb (zusätzlich) auf US-amerikanische Bilanzratingmodelle zurückgegriffen. Deren Verwendung ist nicht problemlos, insbesondere dann, wenn sie auf Daten in einem anderen ökonomischen Umfeld bzw. mit unterschiedlichem Rechnungslegungssystem entwickelt und getestet wurden. Die Bilanzanalyse stellt dabei bereits seit Jahrzehnten einen zentralen Bestandteil der Bonitätsprüfung im Firmenkundengeschäft der Kreditinstitute dar. Zur objektivierten Insolvenzprognose und der darauf aufbauenden Entscheidung über die Kreditvergabe hatte sich zunächst die Diskriminanzanalyse etabliert. Die Diskriminanzanalyse versucht, einen Datenbestand in Gruppen zu trennen. Im Fall der Kreditwürdigkeitsprüfung unterscheidet man die Gruppen der solvent gebliebenen und der insolvent gewordenen Unternehmen. Ergebnis der Diskriminanzanalyse ist eine typischerweise lineare Diskriminanzfunktion gewisser Bilanzkennzahlen und ein kritischer Diskriminanzwert. Je nachdem, ob der Diskriminanzwert eines betrachteten Unternehmens über oder unter diesem kritischen Wert liegt, ordnet man das Unternehmen derjenigen Gruppe zu, für die man Solvenz bzw. Insolvenz prognostiziert. Das wohl bekannteste Modell der bilanzbasierten Diskriminanzanalyse stellt der so genannte Z’’-Score von EDWARD I. ALTMAN dar. Dieses Modell bzw. dessen Vorläufer werden in Abschnitt 5.1 vorgestellt und in jüngerer Zeit neben der Insolvenzprognose zur Beurteilung der Güte von Ratingfunktionen als Benchmark verwendet. Mit der Diskussion um den zweiten Basler Akkord rückte die bonitätsabhängige Gestaltung der
98
Bilanzrating
Kreditkonditionen in den Vordergrund der Kreditentscheidung. Hierfür benötigt man in der Regel Schätzungen der Ausfallwahrscheinlichkeit. Diese werden von Diskriminanzfunktionen jedoch nicht direkt geliefert. Moderne Verfahren ziehen deshalb Techniken der so genannten Logit- bzw. Probit-Regression vor. Diese werden in Abschnitt 5.2 behandelt.
5.1
Die Altman’schen Insolvenzprognosemodelle
ALTMAN gilt als Pionier bei der Verwendung statistischer Verfahren zur Insolvenzprognose und stieß eine Welle von Arbeiten zur empirischen Insolvenzforschung an. In seiner ursprünglichen Untersuchung aus dem Jahr 1968 formulierte er das Z-Modell, dessen Erkenntnisse in das ZetaTM-Modell einflossen. Letzteres wurde für ein USamerikanisches Investmenthaus entwickelt. Deshalb zeigt die zugehörige Veröffentlichung zwar die statistische Vorgehensweise auf, nennt aber keine Einzelheiten der Diskriminanzfunktion. Im Jahr 1993 lieferte ALTMAN mit dem Z’-Score und dem Z’’-Score neue Modellversionen. Im Folgenden wollen wir die Ausgestaltung der verschiedenen Modellvarianten, deren Entwicklungsdatenbasen und die jeweiligen Prognosegüten nachzeichnen.
5.1.1
Der Z-Score
Ausgangspunkt der Altman’schen Bilanzratingmodelle ist das Z-Modell. Wir beschreiben dieses und die darauf aufbauenden Modelle im Folgenden jeweils im Hinblick auf Datenbasis, Diskriminanzfunktion sowie Erklärungsgehalt und Trennschärfe. Datenbasis Die Stichprobe zur Schätzung der 1968er-Diskriminanzfunktion setzte sich aus Jahresabschlüssen der Jahre 1946 bis 1965 von 66 US-amerikanischen Produktionsunternehmen zusammen. ALTMAN entschied sich bei der Zusammenstellung für die so genannte Paired-Sample-Methode mit 33 insolvent gewordenen Unternehmen, die eine Bilanzsumme zwischen 1 Mio. und 26 Mio. US-Dollar aufwiesen, denen jeweils ein solvent gebliebenes Unternehmen mit ähnlicher Bilanzsumme aus einer vergleichbaren Branche gegenübergestellt wurde. Ziel war es dabei, möglichst von vornherein auszuschließen, nur die Branche und Unternehmensgröße als relevante Ausfallkriterien zu ermitteln. Diskriminanzfunktion Aus 22 Jahresabschlusskennzahlen selektierte ALTMAN fünf aussagekräftige Kennzahlen. Die zugehörige Diskriminanzfunktion wird nachstehend angegeben. Dabei fällt zunächst die vermeintliche Dominanz der Kennzahl X5 auf. Dies ist nicht der Fall, denn die Kennzahlen X1 bis X4 werden im Gegensatz zu X5 in Prozent ausgedrückt:
Rating
(6)
99 Z
mit
0 ,012 X1 0 ,014 X 2 0 ,033 X 3 0,006 X 4 0,999 X 5
X1:
Working Capital / Bilanzsumme
X2:
Gewinnrücklagen / Bilanzsumme
X3:
Earnings Before Interest and Taxes (EBIT) / Bilanzsumme
X4:
Marktwert des Eigenkapitals / Fremdkapital
X5:
Umsatz / Bilanzsumme
Für dieses Modell ermittelte ALTMAN einen im Hinblick auf die Anzahl der Fehlklassifikationen optimalen Trennwert von 2,675. Dabei stellte sich heraus, dass alle Unternehmen seiner Stichprobe mit Z < 1,81 tatsächlich ein Jahr später insolvent wurden und die Unternehmen mit Z > 2,99 ein Jahr später noch solvent waren. Die Entscheidungsregel lautete deshalb: Unternehmen mit Z > 2,99 werden als nicht insolvenzgefährdet klassifiziert, während Unternehmen mit Z < 1,81 als insolvenzgefährdet betrachtet werden. Unternehmen mit 1,81 < Z < 2,99 werden keiner dieser beiden Gruppen zugeordnet. Abbildung 21 veranschaulicht diese perfekte Trennung solvent bleibender und insolvent werdender Unternehmen am Beispiel von nur zwei Kennzahlen.
Kennzahl X1, z. B. Rentabilität Kritischer Diskriminanzwert = b1·X1 + b2·X2
Solvent gebliebene Unternehmen Insolvent gewordene Unternehmen
Kennzahl X2, z. B. Verschuldung
Abbildung 21: Kennzahlenbasierte Diskriminanzanalyse
100
Bilanzrating
Erklärungsgehalt und Trennschärfe Für die Prognosegüte in Abhängigkeit vom Vorhersagehorizont erhielt ALTMAN die Ergebnisse aus Tabelle 25. Hierbei bezeichnet die Trefferquote den Anteil der korrekten Prognosen. In Abschnitt 6.2.1 wird die Trefferquote formal definiert. Prognosezeitraum (in Jahren)
Trefferquote für Insolvenz (in %)
Trefferquote für Solvenz (in %)
1
93,5
97,0
2
71,8
93,9
3
48,3
4
28,6
5
36,0
Tabelle 25:
Mehrjährige Prognosetauglichkeit des Z-Scores
Das Z-Modell verliert mit zunehmendem Prognosehorizont stark an Aussagekraft. Bereits bei einem dreijährigen Horizont wäre es zur Insolvenzprognose offenbar treffsicherer, eine Münze zu werfen. ALTMAN testete das Z-Modell im Jahr 2002 erneut für USamerikanische Unternehmen und zeigte für drei aufeinanderfolgende Zeiträume, dass sich das Modell im Hinblick auf die Trefferquote über die Zeit robust verhält: Für eine Stichprobe mit 86 insolvent gewordenen Unternehmen aus den Jahren 1969 bis 1975 ermittelte er eine Trefferquote für den Ein- bzw. Zwei-Jahres-Prognosehorizont von 82 Prozent bzw. 68 Prozent; für eine Stichprobe mit 110 insolvent gewordenen Unternehmen aus den Jahren 1976 bis 1995 lautete die Trefferquote für den Ein- bzw. Zwei-Jahres-Prognosehorizont 85 Prozent bzw. 75 Prozent; für eine Stichprobe mit 120 insolvent gewordenen Unternehmen aus den Jahren 1997 bis 1999 betrug die Trefferquote für den Ein- bzw. Zwei-Jahres-Prognosehorizont 94 Prozent bzw. 74 Prozent.
5.1.2
Der ZetaTM-Score
Veränderten Rechnungslegungsvorschriften, Unternehmensgrößen und Finanzierungsmöglichkeiten begegnete ALTMAN im Jahr 1977 mit dem ZetaTM-Modell, dessen Stichprobe grundsätzlich größere Unternehmen enthielt. Dieses Modell unterscheidet sich vom Z-Modell durch die enthaltenen Kennzahlen.
Rating
101
Datenbasis Zur Entwicklung des ZetaTM-Modells standen die Jahresabschlüsse von 53 insolvent gewordenen und 58 solvent gebliebenen Unternehmen des produzierenden Gewerbes und des Einzelhandels für den Zeitraum von 1962 bis 1975 zur Verfügung. Die durchschnittliche Bilanzsumme der insolvent gewordenen Unternehmen betrug 96 Mio. US-Dollar gegenüber 167 Mio. US-Dollar bei den solvent gebliebenen Unternehmen. Diskriminanzfunktion Von der ZetaTM-Funktion wurden lediglich die nachstehenden Kennzahlen, nicht jedoch die zugehörigen Koeffizienten veröffentlicht: X1:
EBIT / Bilanzsumme
X2:
Normierter Standardfehler des durchschnittlichen Wachstums von X1 über einen Zehn-Jahres-Zeitraum
X3:
Log10(EBIT / Zinsaufwand)
X4:
Gewinnrücklagen / Bilanzsumme
X5:
Umlaufvermögen / Kurzfristige Verbindlichkeiten
X6:
Marktwert des Eigenkapitals / (Marktwert des Eigenkapitals + Langfristige Verbindlichkeiten inklusive Leasingverbindlichkeiten) als Fünf-Jahres-Durchschnitt
X7:
Bilanzsumme
Erklärungsgehalt und Trennschärfe Tabelle 26 (Seite 102) zeigt die Trefferquoten für solvent gebliebene und insolvent gewordene Unternehmen für das ZetaTM-Modell. Die weiteren Spalten geben die Ergebnisse der Anwendung des Z-Modells auf die ZetaTM-Stichprobe und des ZetaTM-Modells auf die Z-Score-Stichprobe an. Insbesondere für Prognosezeiträume ab drei Jahren konnte die Prognosekraft bei insolvent gewordenen Unternehmen gegenüber dem Z-Modell gesteigert werden. Auffällig ist, dass das Z-Modell für Prognosezeiträume ab zwei Jahren die insolvent gewordenen Unternehmen der ZetaTM-Stichprobe besser identifizieren kann als bei der eigenen Stichprobe der Untersuchung von 1968. Eine Erklärung hierfür liegt nicht vor.
102
Bilanzrating
ZetaTM -Trefferquote (in %)
Z-Score auf ZetaTMStichprobe, Trefferquote (in %)
ZetaTM auf Z-ScoreStichprobe, Trefferquote (in %)
Insolvenz
Solvenz
Insolvenz
Solvenz
Insolvenz
Solvenz
1
96,2
89,7
86,8
82,4
92,5
84,5
2
84,9
93,1
83,0
89,3
83,0
86,2
3
74,5
91,4
70,6
91,4
72,7
89,7
4
68,1
89,5
61,7
86,0
57,5
83,0
5
69,8
82,1
55,8
86,2
44,2
82,1
Prognosezeitraum (in Jahren)
Tabelle 26:
5.1.3
ZetaTM- und Z-Score-Trefferquoten im Vergleich
Der Z’’-Score
Dem Z’’-Modell ging zunächst das Z’-Modell voraus, das als Ergänzung zum Z-Modell für nicht börsennotierte Unternehmen entwickelt wurde. So ersetzte ALTMAN im ZModell in der Kennzahl X4 den Marktwert durch den Buchwert des Eigenkapitals und berechnete die Koeffizienten für das Z’-Modell neu. Dieses Modell fand wenig Eingang in Literatur und Praxis, weil sein Erklärungsgehalt geringer ausfiel als beim Ausgangsmodell. Das folgende Z’’-Modell wurde wieder unter Verwendung von Buchwerten entwickelt. ALTMAN hielt die Kennzahl X5 für besonders branchenspezifisch und entfernte sie daher aus dem Modell. Dies erforderte abermals eine Neuberechung der Koeffizienten für die verbleibenden Kennzahlen. Datenbasis Das Z’’-Modell wurde auf der Datenbasis des Z-Modells von 1968 geschätzt. Diskriminanzfunktion Die Z’’-Diskriminanzfunktion lautet unter Verwendung der Kennzahlendefinition für X1 bis X3 gemäß Formel (6), wobei nun X4 das Verhältnis des Buchwertes des Eigen- zum Fremdkapital angibt und die Kennzahlen im Gegensatz zum Z-Modell als Dezimalzahlen in die Formel einfließen: (7)
Z " 6,56 X 1 3,26 X 2 6,72 X 3 1,05 X 4
Rating
103
Erklärungsgehalt und Trennschärfe Für den Ein-Jahres-Prognosezeitraum ergab sich eine Trefferquote von 90,9 Prozent bei insolvent gewordenen bzw. 97,0 Prozent bei solvent gebliebenen Unternehmen. Kapitalmarktrating und Z’’-Score Ziel der bilanzorientierten Diskriminanzanalyse ist es zunächst, insolvent werdende und solvent bleibende Unternehmen zu trennen. Dabei korrespondieren die ermittelten ZScores zwar mit dem Ausmaß der Insolvenzgefährdung, erlauben jedoch ohne weitere Analysen keine normierte Bonitätseinschätzung im Sinne eines Ratings. Um die Höhe des Z’’-Scores mit Ratingklassifikationen zu verknüpfen, berechneten ALTMAN und SAUNDERS im Jahr 1998 zunächst die Z’’-Scores von 759 US-amerikanischen Unternehmen, die ein Rating von Standard & Poor’s aufwiesen. Die durchschnittlichen Z’’Scores der Unternehmen aus den S&P-Ratingklassen enthält Tabelle 27. Hierbei wurde der Z’’-Score aus Formel (7) um einen Absolutterm von 3,25 erhöht, um eine Normierung des durchschnittlichen Z’’-Scores in der Ratingklasse D (Default) auf null zu erreichen. S&PRating
Z’’-Score Stichproben(Durchschnitt) umfang
AAA
8,15
8
AA+
7,60
AA
S&PRating
Z’’-Score Stichproben(Durchschnitt) umfang
BB+
5,25
34
BB
4,95
25
7,30
18
BB
4,75
65
AA
7,00
15
B+
4,50
78
A+
6,85
24
B
4,15
115
A
6,65
42
B
3,75
95
A
6,40
38
CCC+
3,20
23
BBB+
6,25
38
CCC
2,50
10
BBB
5,85
59
CCC
1,75
6
BBB–
5,65
52
D
0,00
14
Tabelle 27:
Ratingäquivalente von Altman’schen Z’’-Scores
Um schließlich Z’’-Scores mit Ausfallwahrscheinlichkeiten zu verknüpfen, benötigt man Schätzungen dieser Wahrscheinlichkeiten für jede Ratingklasse. Dies kann über die in Tabelle 28 (Seite 104) angegebenen idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten geschehen, die auf historischen Ausfallquoten basieren. Die idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten waren schon in Tabelle 13 (Seite 78) enthalten und können als PD-Schätzung für die jeweilige Ratingklasse interpretiert werden.
104
Bilanzrating
S&P-Rating
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
S&P-Rating
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
AAA
0,01 %
BB+
0,67 %
AA+
0,02 %
BB
1,17 %
AA
0,03 %
BB
2,03 %
AA
0,04 %
B+
3,51 %
A+
0,05 %
B
6,08 %
A
0,06 %
B
A
0,09 %
CCC+
BBB+
0,13 %
CCC
BBB
0,16 %
CCC
BBB
0,39 %
D
10,54 %
18,27 %
Tabelle 28:
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeiten
Erstaunlicherweise finden wir durch Kombination der Tabellen 27 und 28 einen nahezu perfekten (logarithmischen) Zusammenhang zwischen Altman’schem Z’’-Score und idealisierter Ausfallwahrscheinlichkeit. Diese Beziehung veranschaulicht Abbildung 22, in der die idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten auf einer logarithmierten Skala abgetragen wurden.
10
Z''-Score
8 6 4 2 0 0,01 %
0,10 %
1,00 %
10,00 %
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
Abbildung 22: Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit und Z’’-Score
100,00 %
Rating
5.1.4
105
Anwendungshürden für das Z’’-Modell
Auch wenn der Altman’sche Z’’-Score als anerkanntes Insolvenzprognosemodell gilt und in Tests gute Ergebnisse zu erzielen vermag, kann es zu unterschiedlichen Aussagen von US-basiertem Z’’-Score und dem Rating deutscher Unternehmen kommen. Dazu werden wir im Folgenden nicht die ökonometrischen Probleme der Diskriminanzanalyse zur Prognose von Ausfällen diskutieren, sondern vielmehr diejenigen Probleme betrachten, die sich bei der Übertragung von Insolvenzprognosemodellen auf unterschiedliche Datenbestände ergeben, wie dies häufig bei der Anwendung auch anderer externer Bilanzratingmodelle der Fall ist. Unterschiedliche Finanzierungskulturen US-amerikanische Unternehmen wirtschaften unter anderen Rahmenbedingungen als deutsche Unternehmen. Die Unternehmensfinanzierung findet in Deutschland im Gegensatz zu den USA vorrangig über die Hausbank und seltener über den Kapitalmarkt statt. Der Anteil der börsennotierten Unternehmen ist dort deutlich höher. Deshalb sind unterschiedliche Eigenkapitalquoten in deutschen und US-amerikanischen Unternehmen aber nicht zwingend ein Indiz für eine schlechtere Bonität deutscher Unternehmen, insbesondere wenn die Volatilität der Vermögenswerte bei US-amerikanischen Unternehmen größer wäre. Unterschiedliche Rechnungslegungsstandards Die Unternehmen der Altman’schen Entwicklungsstichprobe bilanzierten nach USGAAP. Da deutsche Unternehmen zum größten Teil nach HGB oder IAS bzw. IFRS bilanzieren, treten in den Bilanzkennzahlen Unterschiede auf, die zu abweichenden Ausprägungen des Z’’-Scores führen können. Grundlegend sind dabei die Unterschiede zwischen dem am Gläubigerschutz orientierten HGB und dem auf Investorenschutz bedachten US-GAAP. Es ist noch zu beachten, dass die Altman’sche Entwicklungsstichprobe aus den sechziger Jahren stammt und alle Rechnungslegungsstandards inzwischen weitreichende Änderungen erfahren haben. Point-in-Time- versus Through-the-Cycle-Rating Point-in-Time-Ratings unterscheiden sich von Through-the-Cycle-Ratings durch die Abhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen. Banken sind vorrangig an einer möglichst treffsicheren Schätzung der von Konjunkturphasen abhängigen Ausfallwahrscheinlichkeit des Schuldners interessiert, während Ratingagenturen eher auf die Stabilität der einzelnen Ratings fokussieren. Letztere haben ihre Ratingmodelle so konzipiert, dass sich Ratings innerhalb des Konjunkturzyklus kaum ändern, weil sich Schwankungen der Ausfallwahrscheinlichkeit – sofern sie ausschließlich auf Konjunkturschwankungen zurückzuführen sind – über den gesamten Zyklus weitgehend ausgleichen (Through the Cycle).
106
Bilanzrating
Das Altman’sche Z’’-Modell nimmt keine expliziten makroökonomischen Variablen auf. Die Phasen des Konjunkturzyklus werden im Z’’-Modell implizit über die Ausprägungen der Kennzahlenbestandteile berücksichtigt. Das Z’’-Modell liefert also Point in Time-Ratings, die aufgrund der Sensitivität gegenüber Konjunkturschwankungen höhere Volatilitäten aufweisen. Point-in-Time- und Through-the-Cycle-Ratings sind insofern nicht direkt miteinander vergleichbar. Ungenügende Aussagekraft von ausschließlich quantitativen Faktoren Jahresabschlussbasierte Ratingmodelle gehen davon aus, dass sich alle ausfallrelevanten Faktoren in der Bilanz widerspiegeln. Dennoch existieren weitere mögliche Einflussfaktoren auf das Ausfallrisiko, die sich zumindest nicht kurzfristig in der Bilanz wiederfinden. Hierbei handelt es sich z. B. um die Fähigkeiten der Mitarbeiter und des Managements. Diese Einflüsse werden als weiche Erfolgsfaktoren bezeichnet und gehen als qualitative Faktoren in Ratings ein. So kann ein Bilanzrating als Teilrating um mehrere Stufen vom Gesamtrating abweichen.
5.2
Logit-Regressionsanalysen
Da die Diskriminanzfunktion höchstens eine indirekte PD-Schätzung liefert und zudem Anwendungsprobleme existieren, werden in jüngerer Zeit zur Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten auf Basis von Jahresabschlussinformationen Logit- und ProbitRegressionsanalysen vorgeschlagen und angewandt. Die Logit- bzw. ProbitRegressionsanalyse dient dazu, den Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen auf eine abhängige Variable zu analysieren. Im einfachen Fall ist die abhängige Variable binär verteilt, d. h. die Ausprägungen können nur zwei Zustände (null oder eins) annehmen. Im Rahmen der Kreditrisikomessung kodiert man beispielsweise die solvent gebliebenen Unternehmen mit null und die insolvent gewordenen Unternehmen mit eins. Diese Kodierung legt gleichzeitig den erlaubten Wertebereich der abhängigen Variablen fest. Ein linearer Regressionsansatz wäre hier problematisch, weil die geschätzten Werte der abhängigen Variablen als Ausfallwahrscheinlichkeiten interpretiert werden sollen und die lineare Regression unplausible Werte liefert, wenn die Ergebnisse unter null oder über 100 Prozent liegen. Statt der Wahrscheinlichkeit Prob (yi = 1), dass ein Unternehmen i zur Gruppe der insolvent werdenden Unternehmen gehört, betrachtet man im Logit-Regressionsansatz zunächst das Chancenverhältnis Prob (yi = 1) / (1 Prob (yi = 1)), also die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Kreditereignisses im Verhältnis zur Gegenwahrscheinlichkeit. Dieses Chancenverhältnis wird auch als Odd bezeichnet, dessen Wertebereich zwischen null und +f liegt:
Rating
(8)
107
Odd
Prob yi 1 (0, f) 1 Prob yi 1
Um auch negative Werte für die Funktion der unabhängigen Variablen zuzulassen, wird das Chancenverhältnis logarithmiert. Damit liegt der Wertebereich der abhängigen Variablen, oft als LogOdd bezeichnet, zwischen –f und +f. Die Logarithmierung dient dabei nicht nur dazu, die Wertebereiche der abhängigen und der Funktion der unabhängigen Variablen zu harmonisieren, sie fungiert gleichzeitig als Verteilungsannahme. Formal lässt sich das Logit-Regressionsmodell folgendermaßen ausdrücken:
(9)
§ Prob yi 1 · ¸¸ D E1 xi1 ... E k xik ln¨¨ © 1 Prob yi 1 ¹
LogOdd
mit
xij :
Ausprägung der unabhängigen Variablen (Kennzahl) j bei Unternehmen i, j = 1, ..., k
D:
Absolutterm
Ej :
Gewichtungsfaktor für die unabhängige Variable (Kennzahl) j
Das der Logit-Regression ähnliche Probit-Verfahren unterscheidet sich in der Verteilungsannahme (Lognormalverteilung versus Normalverteilung) und in der Oddberechnungsfunktion. Beide Verfahren liefern aber bei der Insolvenzprognose vergleichbare Ergebnisse. Im Rahmen der Insolvenzprognose interessiert uns vor allem die Ausfallwahrscheinlichkeit eines potenziellen Kreditnehmers. Dazu muss Formel (9) nach Prob (yi = 1) aufgelöst werden:
(10)
PD
Prob yi
mit
zi
1
1 1 e zi
D E1 xi1 ... E k xik
Abbildung 23 (Seite 108) skizziert die Bestimmung der kennzahlenbasierten LogitFunktion. Für den deutschsprachigen Raum liegen die nachstehend kurz beschriebenen Logit- bzw. Probit-Funktionen zur Insolvenzprognose bzw. zur Schätzung von Ausfallwahrscheinlichkeiten vor:
108
Bilanzrating
PD
1
Solvent gebliebene Unternehmen Insolvent gewordene Unternehmen
0 LogOdd
Abbildung 23: Schätzung der kennzahlenbasierten Logit-Funktion Bei Kaiser/Szczesny (2003) stehen ökonometrische Fragen im Vordergrund. Entsprechend bezieht sich die ermittelte Probit-Funktion auf ein ausgewähltes Kreditportfolio mit circa 1 000 Beobachtungen und einer Ausfallquote von 27 Prozent. Die Autoren weisen darauf hin, dass die geschätzte Funktion nicht ohne Weiteres auf andere Kreditportfolios mit deutlich geringerer Ausfallquote übertragbar ist. Für Kreditportfolios großer Banken liegt die Ausfallquote hingegen häufig im Bereich von einem bis zwei Prozent. Das Logit-Modell von Hamerle/Rösch (2003) ist Bestandteil einer Arbeit zur empirischen Bestimmung von Ausfallkorrelationen, wie sie in Kreditrisikomodellen benötigt werden. Die dort ermittelte Funktion wurde auf Basis von 565 Unternehmen der Hoppenstedt-Datenbank geschätzt und dient der Modellierung von Bonitätsveränderungen (Migration). Neben dem Logit-Modell wird auch die Eignung einer eigenen Diskriminanzfunktion und des Z’’-Scores zur Modellierung von Bonitätsveränderungen und Bestimmung von Ausfallkorrelationen untersucht. Im KfW-Research-(2002)-Paper steht die Insolvenzursachenforschung im Fokus. Untersucht wurden über 3 000 Unternehmen aus dem KfW-Datenpool. Die ermittelten Einflussgrößen umfassen neben Bilanzkennziffern auch volkswirtschaftliche Indikatoren und Daten aus dem Zahlungsverkehr.
Rating
109
Die Behr/Güttler/Plattner-(2004)-Logit-Funktion bezieht sich auf ein deutlich umfangreicheres KfW-Kreditportfolio und benutzt neben Bilanzkennzahlen wiederum Daten aus der Kontoanalyse. Engelmann/Hayden/Tasche (2003a) beurteilen exemplarisch drei konstruierte LogitModelle, die auf Basis von Daten der Deutschen Bundesbank geschätzt wurden, im Hinblick auf ihre Trennschärfe. Im Vordergrund steht hier die Anwendung von Maßen zur Beurteilung der Trennschärfe von Ratingfunktionen. Im Übrigen stellen die in den Modellen verwendeten Kennzahlen weitgehend Teilmengen des nachfolgend vorgestellten Hayden-(2002)-Modells dar. Das Hayden-(2002)-Logit-Regressionsmodell wurde auf der Basis von 390 000 Einzelabschlüssen von circa 63 000 Unternehmen aus den Jahren von 1987 bis 1999 geschätzt, die von der Deutschen Bundesbank zur Verfügung gestellt wurden. Darunter befanden sich 3 200 Ausfälle. In die ermittelte Funktion fließen folgende Bilanzkennzahlen ein: (11)
LogOdd = –5,65 + 0,98 · Verbindlichkeiten / Bilanzsumme + 1,37 · Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten / Bilanzsumme – 2,42 · Liquide Mittel / Kurzfristige Verbindlichkeiten – 2,08 · Cashflow / (Verbindlichkeiten – Erhaltene Anzahlungen) + 0,81 · Umlaufvermögen / Nettoumsatzerlöse + 1,49 · Kurzfristige Verbindlichkeiten / Bilanzsumme + 5,26 · Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung / Nettoumsatzerlöse – 0,19 · Nettoumsatzerlöse / Bilanzsumme (adjustiert) – 0,28 · (Nettoumsatzerlöse – Materialaufwand) / Personalaufwand – 8,21 · Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit / Bilanzsumme (adjustiert) + 0,17 · Umsatzwachstum (transformiert)
Hierbei können alle benötigten Kennzahlen aus Jahresabschlüssen errechnet werden. Bei der Position Bilanzsumme (adjustiert) werden von der Bilanzsumme die aktivierten immateriellen Vermögensgegenstände und die liquiden Mittel subtrahiert. Die Kennzahl Umsatzwachstum wurde mithilfe von empirisch ermittelten Stützstellen transformiert, weil im verwendeten Modell zwischen den unabhängigen Variablen und dem LogOdd ein linearer Zusammenhang benötigt wird, der bei dieser, gleichwohl signifikanten Kennzahl nicht vorlag.
110
6.
Ratingvalidierung
Ratingvalidierung
Ein Ziel jedes bankinternen oder externen Ratings ist die Schätzung kreditnehmerspezifischer Ausfallwahrscheinlichkeiten. Hierbei werden Kreditnehmer mit ähnlich eingeschätzter Ausfallwahrscheinlichkeit in Ratingklassen zusammengefasst. Diese Bildung von Kreditnehmerportfolios mit ähnlicher Bonität ist Grundlage für: die Ermittlung der Mindesteigenkapitalunterlegung; die Berechnung der Kreditkonditionen für Kreditnehmer; die Validierung von Ratings, weil nicht Ausfallwahrscheinlichkeiten einzelner Kreditnehmer, sondern lediglich Gruppenausfallquoten beobachtet werden können; das Risikomanagement des Kreditportfolios im Rahmen von Kreditrisikomodellen; die Kundenzufriedenheit, weil die risikoangemessene Konditionengestaltung zu einer fairen Behandlung der Kreditnehmer führt. In der Vergangenheit zeigte sich, dass die wenig bonitätsabhängige Kalkulation von Standardrisikokosten insbesondere angesichts stark gestiegener Insolvenzzahlen nicht in der Lage war, die tatsächlichen Ausfallkosten zu decken. Es kommt deshalb auf die Verlässlichkeit von Ratings an, weil auf deren Basis insbesondere Ausfallrisikoprämien (Bonitäts- bzw. Credit Spreads) als Bestandteil der Kreditkonditionen kalkuliert werden. Die prognosesichere Bonitätsbeurteilung stellt einen Erfolgsfaktor einer Bank dar, weil diese über Gewinn oder Verlust im klassischen (Firmenkunden-) Kreditgeschäft entscheiden kann. Letzteres ist nach dem Einbruch der Erträge aus der Marktsparte wieder stärker in den Mittelpunkt der Bankenstrategien gerückt. Aktualität hat die Validierung von Ratingsystemen dadurch gewonnen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht seit Dezember 2004 Anträge von Kreditinstituten auf Zulassung zum IRBAnsatz (IRBA) entgegennimmt. Die Eignungsprüfung durch die BaFin verlangt dabei noch vor der Zulassung die Validierung der beantragten Ratingsysteme. Die Beurteilung von Ratingsystemen wird sowohl aus theoretischer als auch aus institutioneller und praktischer Sicht diskutiert. Die dabei verwendeten Maße beruhen auf Methoden, die vor rund 30 Jahren entwickelt wurden und in der Medizin, bei der Wettervorhersage oder in der Radiotechnik eingesetzt werden. Ziel dieses Kapitels ist neben der Darstellung praxistauglicher Maße zur Beurteilung der Trennschärfe von Ratingfunktionen die Diskussion von Anwendungsgrenzen sowie ihr empirischer Einsatz. Dazu erfolgen zunächst in Abschnitt 6.1 die Begriffsklärung und Positionierung des Themas dieses Kapitels im Bereich der Ratingbeurteilungsmaße. Abschnitt 6.2 widmet sich der Darstellung und Diskussion der einzelnen Trennschärfemaße. In Abschnitt 6.3 untersuchen wir die dargestellten Zusammenhänge für Ratings der Agentur Standard & Poor’s.
Rating
111
BaFin-Merkblatt zur IRBA-Zulassung Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beschreibt den Prüfungsablauf in ihrem Merkblatt zur Zulassung zum IRBA wie folgt: „Das IRBA-Zulassungsverfahren beginnt mit dem Zulassungsantrag des Instituts an die BaFin. Ausgangspunkt der Prüfung ist die Würdigung des eingereichten Umsetzungsplans. Dem schließen sich Eignungsprüfungen in den Instituten für die einzelnen Ratingsysteme an.“
6.1
Rating Accuracy
Die Maße zur Beurteilung von Ratingsystemen werden unter dem Begriff Rating Accuracy zusammengefasst. Gemäß der Definition des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht beinhaltet dabei ein Ratingsystem alle Modelle und Methoden, Prozesse und Kontrollen sowie Datenerhebungen und -verarbeitungen, die zur Zuweisung von internen Ratings und zur Kreditrisikoschätzung dienen.
§ 60 SolvV (Definition von Ratingsystemen) Die Solvabilitätsverordnung definiert ein Ratingsystem wie folgt: „Der Begriff Ratingsystem ... umfasst jede der Methoden, Verfahrensabläufe, Steuerungs- und Überwachungsprozeduren und Datenerfassungs- und Datenverarbeitungssysteme, die die Einschätzung von Adressrisiken, die Zuordnung von IRBAPositionen zu Ratingstufen oder Risikopools (Rating) und die Quantifizierung von Ausfall- und Verlustschätzungen für eine bestimmte Art von IRBA-Positionen unterstützen.“ Das Ratingmodell umfasst die Ratingfunktion sowie die Ratinginfrastruktur, z. B. die Anzahl und Definition der Ratingklassen und das Formelwerk zur Überführung von Ratings, die häufig lediglich in Form von Punktwerten (Scorings) vorliegen, in Ausfallwahrscheinlichkeiten. Unter der Ratingfunktion verstehen wir die Funktion, die aus Informationen über ein Unternehmen dessen Rating liefert. Innerhalb der Rating Accuracy wird zwischen der so genannten Discriminative Power (Trennschärfe) und der so genannten Calibrating Power (Prognosegenauigkeit) unterschieden. Abbildung 24 (Seite 112) vermittelt hierzu eine Übersicht.
112
Ratingvalidierung
RatingAccuracy Accuracy Rating
DiscriminativePower Power Discriminative
CalibratingPower Power Calibrating
Messungder der Messung Trennschärfe Trennschärfe vonRatings Ratings von
Messungder der Messung Prognosegenauigkeit Prognosegenauigkeit vonRatings Ratings von
Abbildung 24: Klassifikation der Ratingmaße Die Calibrating Power eines Ratingsystems bezeichnet die Fähigkeit, möglichst genaue Schätzungen für zukünftige Ausfallquoten innerhalb von Ratingklassen zu liefern. Hierzu formuliert die internationale Aufsichtsinstanz nur grob, dass die realisierten Klassenausfallraten mit den geschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Ratingklassen verglichen werden und in Bandbreiten liegen müssen.
§ 141 SolvV (Validierung eigener Schätzungen) Die Solvabilitätsverordnung schreibt zur Calibrating Power vor: „Das Institut muss für jede Ratingstufe regelmäßig die realisierten Ausfallraten mit den geschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten vergleichen und, falls die realisierten Ausfallraten außerhalb des für die jeweilige Ratingstufe erwarteten Intervalls liegen, die Gründe für diese Abweichung besonders analysieren.“ Besitzt eine Ratingfunktion nun eine hohe Discriminative Power – mit der wir uns im Folgenden ausführlich beschäftigen wollen –, so ist sie in der Lage, durch eine Einzelbeurteilung jedes Kreditnehmers zwischen bonitätsstarken und bonitätsschwachen Kreditnehmern zu trennen. Zur Beurteilung der Discriminative Power können folgende Kriterien dienen: Spreizung von Wahrscheinlichkeitsprognosen für den zukünftigen Zustand (Solvenz oder Insolvenz); Trennung der beiden Gruppen von solvent bleibenden und insolvent werdenden Kreditnehmern; Konzentration der Gruppen von Kreditnehmern (solvent bleibend bzw. insolvent werdend) in guten bzw. schlechten Ratingklassen.
Rating
113
Für die beiden letztgenannten Kriterien ist das Vorliegen von Ausfallwahrscheinlichkeitsschätzungen als direktes Resultat eines Ratings nicht erforderlich. Hier können Scoringmodelle analysiert werden, die erst über sich später realisierende Ausfallquoten mit Ausfallwahrscheinlichkeiten verknüpft werden – wie dies für viele Ratingsysteme der Fall ist. Die Übertragung von Scorings in Ausfallwahrscheinlichkeiten stellt dann eine Frage der Kalibrierung, aber keine Fähigkeit der Ratingfunktion an sich dar. Das erstgenannte Merkmal (Spreizung von Wahrscheinlichkeitsprognosen) kann nur für Ratingfunktionen gemessen werden, die unmittelbar eine Ausfallwahrscheinlichkeit liefern.
6.2
Messung der Trennschärfe von Ratingfunktionen
Die im Folgenden erörterten Maße zur Beurteilung der Trennschärfe lauten: 1.
die Kontingenztabelle,
2.
die aus einer Kontingenztabelle mit mehreren Ratingklassen abgeleitete Receiver Operating Characteristic,
3.
das in Anlehnung an die Lorenzkurve entwickelte Cumulative Accuracy Profile sowie
4.
die stochastische Tendenz.
6.2.1
Die Kontingenztabelle
Die Kontingenztabelle bildet eine Zusammenstellung von Häufigkeiten der Ausprägungskombinationen von Merkmalen in einer Tabelle ab. Für die Beurteilung einer Ratingfunktion betrachten wir zunächst ein Ratingmodell mit den beiden möglichen Ratings Solvenz und Insolvenz. Der Ersteller des Ratings ordnet hierbei die einzelnen Kreditnehmer einer der beiden möglichen Ausprägungen als Schätzung im Zeitpunkt t = 0 zu und beobachtet dann die Realisationen im Zeitpunkt t = 1, z. B. ein Jahr später (vgl. Tabelle 29). Beobachtung in t = 1
Kontingenztabelle
Prognose in t = 0
Tabelle 29:
Insolvenz
Solvenz
Insolvenz
A
B
Solvenz
C
D
Kontingenztabelle im Zwei-Ratingklassen-Fall
114
Ratingvalidierung
Es existiert nun eine Reihe von Verhältniszahlen der Größen A, B, C und D, um die Trennschärfe der zugrunde liegenden Ratingfunktion zu beurteilen. Eine gebräuchliche Kennzahl stellt dabei die Trefferquote TQ dar:
(12)
TQ
A AC
Je höher die Trefferquote ausfällt, umso mehr Insolvenzen konnten bezogen auf die Anzahl aller Insolvenzen im Kreditnehmerportfolio vorhergesagt werden. Die Trefferquote gibt damit nicht den gesamten Anteil richtig prognostizierter Insolvenzen an, sondern bezieht sich auf die insolvent gewordenen Kreditnehmer. Eine weitere gebräuchliche Kennzahl wird als Fehlalarmquote FQ bezeichnet:
(13)
FQ
B BD
Diese Quote liefert wiederum nicht den Gesamtanteil der fälschlich vorhergesagten Insolvenzen, sondern den Anteil der als insolvenzgefährdet eingestuften Unternehmen an den solvent bleibenden Unternehmen. Die Kontingenztabelle lässt sich nicht nur für Modelle anwenden, die ausschließlich die Ratings Solvenz oder Insolvenz zuweisen. Sie ist für eine beliebige Anzahl von Ratingklassen einsetzbar. Dabei ist es bei Modellen mit mehr als zwei möglichen Ratings erforderlich, einen so genannten Cut-off Point (CoP) zu definieren. Ein Cut-off Point stellt die Grenze dar, ab welcher Ratingklasse ein Kreditnehmer als insolvenzgefährdet einzustufen ist. Tabelle 30 setzt beispielhaft anhand der von Standard & Poor’s verwendeten Ratingnotation den Cut-off Point so, dass alle im Speculative Grade (Ratingklassen BB, B und CCC) eingestuften Kreditnehmer als insolvenzgefährdet eingeordnet werden, während alle Kreditnehmer aus dem Investment-Grade-Bereich (Ratingklassen AAA, AA, A und BBB) als nicht insolvenzgefährdet angesehen werden. Die kumulierte Trefferquote TQs für den durch die Ratingklasse s bei insgesamt n Ratingklassen definierten Cut-off Point CoPs ergibt sich in einem Mehr-RatingklassenModell als Summe der einzelnen Trefferquoten tqi pro Ratingklasse i = 1, ..., s. Will man dies formal aufschreiben, lautet die zugehörige Formel wie folgt: s
(14)
TQ s
¦
i 1
Ai s
n
¦ Ai ¦ Ci
i 1 i s 1 tq i
Rating
115
Kontingenztabelle
Insolvenz
Solvenz
CCC
A1
B1
B
A2
B2
BB
A3
B3
BBB
C4
D4
A
C5
D5
AA
C6
D6
AAA
C7
D7
Cut-off Point CoPs
Tabelle 30:
Beobachtung in t = 1
Rating in t = 0
Kontingenztabelle mit mehreren Ratingklassen
Hierbei bezeichnen Ai bzw. Ci die Anzahl der insolvent gewordenen Unternehmen in Ratingklasse i, die von der Ratingfunktion als insolvenzgefährdet bzw. nicht insolvenzgefährdet eingestuft wurden. Die kumulierte Fehlalarmquote FQs für den Cut-off Point CoPs errechnet sich mit der Anzahl Bi bzw. Di der solvent gebliebenen Unternehmen in Ratingklasse i entsprechend als Summe der Fehlalarmquoten fqi der einzelnen Ratingklassen: s
(15)
FQ s
¦
i 1
Bi s
n
¦ Bi ¦ Di
i 1 i s 1 fq i
Dabei zählt der Score s die Ratingklassen beginnend mit dem schlechtesten und endend mit dem besten Rating. Durch Variation des Cut-off Points verändern sich die aus der Mehr-Ratingklassen-Kontingenztabelle berechneten Kennzahlen. Abbildung 25 (Seite 116) verdeutlicht grafisch die Mehr-Ratingklassen-Kontingenztabelle und deren Kennzahlen durch ein so genanntes Histogramm. Die Abbildung zeigt die relativen Häufigkeiten der in t = 1 tatsächlich ausgefallenen sowie der nicht ausgefallenen Kreditnehmer über die verschiedenen Ratingklassen.
116
Ratingvalidierung
Relative Häufigkeit
Trefferquote tq
Cut-off Point
Fehlalarmquote fq
CCC
B
BB
BBB
A
AA
AAA Ratingklasse
Abbildung 25: Kontingenztabelle und Verteilungsdarstellung Wir können sowohl die kumulierte Trefferquote als auch die kumulierte Fehlalarmquote als Summe der Treffer- bzw. Fehlalarmquoten der einzelnen Ratingklassen links der Cut-off-Point-Linie in Abbildung 25 ablesen. Variieren wir nun den Cut-off Point, so verschieben wir die Trennlinie über die Ratingklassen entlang der Abszisse. Die Werte der Häufigkeitsverteilungen für Treffer und Alarme steigen, wenn wir den Cut-off Point von schlechten zu guten Ratingklassen, also in der Abbildung nach rechts, bewegen. Die kumulierten Treffer- und Fehlalarmquoten verändern sich bei einer Veränderung des Cut-off Points folglich stets gleichgerichtet. Trägt man nun die kumulierte Trefferquote in Abhängigkeit von der kumulierten Fehlalarmquote ab, ergibt sich also immer eine steigende Funktion. Der Vergleich von zwei Ratingfunktionen bezüglich Trefferquote und Fehlalarmquote durch die Kontingenztabelle mag zwar aussagekräftig sein, wenn beide Funktionen auf das gleiche Portfolio angewandt werden und der Cut-off Point sowie die verwendete Einteilung der Ratingklassen identisch sind. Dennoch erlaubt die Kontingenztabelle lediglich eine isolierte Einschätzung der Trennfähigkeit in Bezug zum gewählten Cut-off Point. Dabei kann eine Ratingfunktion für einen Cut-off Point besser erscheinen, eine zweite Ratingfunktion aber bei Verwendung eines anderen Cut-off Points günstiger ausfallen. Die Gesamttrennschärfe einer Ratingfunktion zwischen bonitätsstarken und bonitätsschwachen Kreditnehmern, aggregiert über alle Cut-off Points, zeigt die so genannte Receiver Operating Characteristic.
Rating
6.2.2
117
Receiver Operating Characteristic und Area under Curve
Die Receiver Operating Characteristic (ROC) wurde in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt, um die Stärke von verrauschten Radiosignalen zu ermitteln. Die ROC-Kurve entsteht im Kontext der Ratingvalidierung, indem die kumulierte Trefferquote gegen die kumulierte Fehlalarmquote für alle möglichen Cut-off Points abgetragen wird. Abbildung 26 veranschaulicht die ROC-Kurve. Die Cut-off Points sind in dieser Abbildung durch Punkte charakterisiert.
Kumulierte Trefferquote 1 Perfekte Ratingfunktion
Zufallsratingfunktion
1 Kumulierte Fehlalarmquote
Abbildung 26: Receiver Operating Characteristic Die unter der ROC-Kurve (fettere Linie in Abbildung 26) entstandene Fläche wird als Area under Curve (AUC) bezeichnet und beurteilt die Trennschärfe durch einen Vergleich mit der Fläche unter der perfekten Ratingfunktion (dünnere Linie in der Abbildung). Eine Ratingfunktion fällt umso trennschärfer aus, je steiler die ROC-Kurve zunächst ansteigt bzw. je näher sie an den optimalen Punkt mit einer Trefferquote von 100 Prozent und einer Fehlalarmquote von null reicht. Die Area under Curve ist auf Werte zwischen null und 100 Prozent begrenzt. Ein Wert von 50 Prozent entspricht einem Zufallsexperiment zur Insolvenzprognose (gepunktete Linie in der Abbildung). Stimmen nämlich die Treffer- und Fehlalarmhäufigkeiten aus Abbildung 25 überein, trennt die Ratingfunktion gute Kreditnehmer nicht von schlechten Kreditnehmern und der AUC-Wert beträgt 50 Prozent. Für eine endliche Anzahl von
118
Ratingvalidierung
Cut-off Points, wie sie in praktischen Anwendungen vorliegt, kann die Area under Curve mittels Trapezmethode berechnet werden, die den Flächeninhalt als Summe der Fläche von Einzeltrapezen unterhalb der ROC-Kurve berechnet: n
(16)
AUC
¦ FQ s FQ s 1
s 1
mit
TQ s TQ s 1 2
FQ0 = TQ0 = 0 FQn = TQn = 1
Bei der Area under Curve spielt das Ranking, nicht die Ratingklasse die zentrale Rolle. Receiver Operating Characteristic und Area under Curve beurteilen nicht die Fähigkeit einer Ratingfunktion, den insolvent werdenden Kreditnehmern möglichst schlechte und den solvent bleibenden Kreditnehmern möglichst gute Ratings zuzuordnen. Es kommt vielmehr nur darauf an, dass bonitätsschwache Kreditnehmer schlechtere Ratings erhalten als bonitätsstarke Kreditnehmer. Deshalb trennt die Ratingfunktion umso besser, je kleiner der Überschneidungsbereich der Häufigkeiten aus Abbildung 25 (Seite 116) ausfällt. Beispielsweise wird eine maximale Trennschärfe mit einem AUC-Wert in Höhe von eins auch erreicht, wenn alle insolvent gewordenen Kreditnehmer das schlechteste Rating erhalten, während alle solvent gebliebenen Kreditnehmer beliebig über die übrigen Ratingklassen verteilt sind.
6.2.3
Cumulative Accuracy Profile und Accuracy Ratio
Das Cumulative Accuracy Profile (CAP) ergibt sich in Anlehnung an die aus der Volkswirtschaftslehre beispielsweise zur Beurteilung von Einkommensverteilungen bekannte Lorenzkurve und beurteilt analog zur Receiver Operating Characteristic, wie gut eine Ratingfunktion in der Lage ist, die Kreditnehmer mit schlechter Bonität in den schlechten Ratingklassen und die Kreditnehmer mit guter Bonität in den guten Ratingklassen zu positionieren. Die CAP-Kurve entsteht, indem zunächst alle Kreditnehmer nach dem Rating sortiert werden. Anschließend wird berechnet, mit welchem Anteil PQ der von der Ratingfunktion am schlechtesten gerateten Kreditnehmer welcher Anteil TQ an Insolvenzen vorhergesagt wurde. Ersteren Anteil nennen wir Prognosequote. Diese Quote ist wiederum für jeden Cut-off Point aus der Kontingenztabelle 29 (Seite 113) bzw. 30 (Seite 115) ablesbar, wobei wir hier und in der folgenden Formel (18) der Übersichtlichkeit halber auf die Summierung innerhalb der vier Hauptfelder der Kontingenztabelle im MehrRatingklassen-Fall verzichten:
Rating
(17)
119
PQ {
A B A BC D
Die CAP-Kurve unterscheidet sich von der Receiver Operating Characteristic dadurch, dass nun auf der Abszisse die Prognosequote, also der Anteil der Kreditnehmer mit den schlechtesten Ratings, und nicht die kumulierte Fehlalarmquote abgetragen wird. Die perfekte CAP-Kurve (dünnere Linie in Abbildung 27) ist durch die Ausfallquote AQ des Portfolios gekennzeichnet.
(18)
AQ {
AC A BC D
Wenn z. B. die Ausfallquote 2,5 Prozent beträgt, werden optimalerweise mit den 2,5 Prozent der schlechtesten Ratings alle Insolvenzen vorhergesagt.
Kumulierte Trefferquote 1 Perfekte Ratingfunktion
Zufallsratingfunktion
Ausfallquote
Abbildung 27: Cumulative Accuracy Profile
1 Prognosequote
120
Ratingvalidierung
Zur Beurteilung der Ratingfunktion dient beim Cumulative Accuracy Profile die Accuracy Ratio (AR), die in Anlehnung an den normierten Gini-Koeffzienten der Lorenzkurve berechnet wird. Diese Verhältniszahl setzt die Fläche zwischen der Linie für die betrachtete Ratingfunktion (fettere Linie in Abbildung 27, Seite 119) und der Linie für ein Zufallsrating (gepunktete Linie) ins Verhältnis zur Fläche zwischen der Linie für die perfekte Ratingfunktion (dünnere Linie) und wiederum der Linie für ein Zufallsrating. Im Gegensatz zum Gini-Koeffzienten der Lorenzkurve kann die Accuracy Ratio auch negative Werte annehmen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die Trefferquote in den schlechten Ratingklassen besonders gering ist. Die Berechnung des Flächeninhalts zwischen der zu beurteilenden Ratingfunktion und dem Zufallsrating kann wieder nach der Trapezmethode erfolgen und wir erhalten für die Accuracy Ratio:
(19)
AR
· § n ¨ ¦ PQ s PQ s 1 TQ s TQ s 1 ¸ 1 ¸ 2 ¨ 2 ¹ ©s 1 1 AQ 2
Der Zähler aus Formel (19) misst den Flächeninhalt unterhalb des Cumulative Accuracy Profile der zu bewertenden Ratingfunktion oberhalb der durch ein Zufallsrating gegebenen CAP-Diagonalen. Der Nenner stellt die Fläche unterhalb der perfekten Ratingfunktion oberhalb der CAP-Diagonalen dar, die durch die Ausfallquote des Portfolios bestimmt wird. Accuracy Ratio und Area under Curve besitzen den gleichen Aussagegehalt, denn beide Größen lassen sich wie folgt ineinander überführen: (20)
AR
2 AUC 1
Accuracy Ratio und Area under Curve ergeben sich auf Basis von Treffer- und Prognose- bzw. Fehlalarmquoten. Diese Größen hängen bei gegebenen Ratings von der Ausfallquote des Kreditportfolios ab. So lautet eine Umformung von Formel (17): (21)
PQ
AQ TQ 1 AQ FQ
Um diesen Sachverhalt zu erläutern, gehen wir wieder von der Kontingenztabelle 29 (Seite 113) aus, erhöhen aber die Anzahl der korrekt prognostizierten Ausfälle (A) um einen Kreditnehmer, wobei die Prognosequote gleich bleiben soll. Offenbar steigen dann gegenüber der Ausgangssituation die Ausfall- und die Trefferquote, während die Fehlalarmquote sinkt. Bei gleich bleibenden Ratings, also konstanter Prognosequote, steigen deshalb mit der Ausfallquote Area under Curve und Accuracy Ratio. Dieser Umstand ist
Rating
121
insbesondere für die Beurteilung solcher Ratingfunktionen wichtig, die sich auf unterschiedliche Kreditnehmerportfolios beziehen. Ob sich dabei die Prognosegenauigkeit als Abweichung der Prognose- von der Ausfallquote verschlechtert oder verbessert, ist eine Frage der Kalibrierung und hängt davon ab, ob die Zahl der fälschlicherweise als insolvenzgefährdet eingestuften Kreditnehmer (B) die Zahl der fälschlicherweise für bonitätsstark gehaltenen Unternehmen (C) unter- oder überschreitet.
6.2.4
Die stochastische Tendenz
Ausgangspunkt von Receiver Operating Characteristic und Cumulative Accuracy Profile waren die Häufigkeiten von Treffer- und Fehlalarmquoten aus Abbildung 25 (Seite 116). Hiernach fiel eine Ratingfunktion umso trennschärfer aus, je geringer der Überlappungsbereich beider Verteilungen war. Area under Curve und Accuracy Ratio weisen deshalb umso höhere Werte auf, je weiter rechts die Fehlalarme bzw. je weiter links die Treffer liegen. Zur Beurteilung, ob sich Treffer- und Fehlalarmverteilungen voneinander unterscheiden, wird unter anderem das Konzept der stochastischen Tendenz verwendet. Bezogen auf unsere Fragestellung heißt die Fehlalarmverteilung stochastisch tendenziell kleiner (größer) als die Trefferverteilung, wenn gilt: n
(22)
TQ s TQ s 1 1 fqs (!) 2 2 s 1
¦
RE
mit
fq s
FQ s FQ s 1
Bei Gleichheit spricht man von stochastisch tendenziell gleichen Verteilungen. Dabei bezeichnet man die linke Seite der Definitionsungleichung (22) auch als relativen Effekt (RE). Bei einem relativen Effekt von über 0,5 wurden die solvent gebliebenen Unternehmen tendenziell in guten und die insolvent gewordenen Kreditnehmer tendenziell in schlechten Ratingklassen positioniert. Aus dem Vergleich von Formel (22) mit Formel (16) erkennen wir, dass der relative Effekt mit der Area under Curve übereinstimmt: Relativer Effekt und Area under Curve summieren nämlich jeweils die Produkte aus Fehlalarmquote pro Ratingklasse und kumulierter Trefferquote, berechnen also die Fläche unter der ROC-Kurve. Übertragen in eine probabilistische Formulierung lauten die (kumulierten) Treffer- bzw. Fehlalarmquoten im Hinblick auf die Ratings bzw. Scorings der insolvent gewordenen (Sin) bzw. solvent gebliebenen Kreditnehmer (Sso):
122
(23)
Ratingvalidierung
tq s
Prob ( S in
bzw.
fq s
s ) und TQ s
Prob ( S so
Prob ( S in d s )
s ) und FQ s
Prob ( S so d s )
Diese Formulierung liefert die nachstehende Interpretation: n
(24)
RE
AUC
¦ Prob (S so
s)
s 1
Prob ( S in d s ) Prob ( S in d s 1) 2
1 Prob ( S in 2 1 Prob ( S in S so ) Prob ( S in 2
Prob ( S in d S so )
S so ) S so )
Die Area under Curve entspricht damit gerade der Wahrscheinlichkeit, dass ein insolvent gewordenes Unternehmen ein schlechteres Rating erhalten hatte als ein solvent gebliebener Kreditnehmer (wobei die Wahrscheinlichkeit für gleiche Ratings zur Hälfte eingeht). Diese Eigenschaft gestattet es, statistisch zu überprüfen, ob eine Ratingfunktion nur zufällig einen von 50 Prozent abweichenden Wert für die Area under Curve aufweist (vgl. Abschnitt 6.3). Eine weitere Eigenschaft des relativen Effekts und damit der Area under Curve, die für die Messung der Trennschärfe von Ratingfunktionen bedeutsam ist, resultiert daraus, dass der relative Effekt auf eine ordnungserhaltende Transformation m nicht reagiert:
(25)
RE
Prob m( S in ) m( S so )
1 Prob m( S in ) 2
m( S so )
Relativer Effekt, Area under Curve und Accuracy Ratio eignen sich also insbesondere auch für nur ordinal vorliegende Ratingscores. Unabhängig davon, ob die Ratingfunktion Ausfallwahrscheinlichkeiten oder lediglich Scorings liefert, kommen diese Maße zu einem einheitlichen Ergebnis.
Rating
6.3
123
Die Trennschärfe der Ratings von Standard & Poor’s
Wir wollen im Folgenden die vorgestellten Konzepte zur Messung der Trennschärfe und damit zur Ratingvalidierung auf Daten der Agentur Standard & Poor’s anwenden. Unsere empirische Untersuchung soll schrittweise vorgehen und die folgende Frage klären: Welche Trennschärfe besitzen die Ratings der Agentur Standard & Poor’s? Da es sich bei diesem etablierten Unternehmen um eine der weltweit bekanntesten Ratingagenturen handelt, vermuten wir hohe und signifikante Werte für die Area under Curve bzw. die Accuracy Ratio. Zur Beantwortung unserer Frage analysieren wir den Zeitraum von 1990 bis 2001. Für diese Jahre und die sieben Klassen der Ratingskala von S&P (AAA, AA, A, BBB, BB, B und CCC) liegen jährliche Werte für die Anzahl der gerateten Emittenten sowie Ausfallquoten vor. Datenbasis bildet ein Report der Ratingagentur aus dem Jahr 2002. Diesem Report entnehmen wir die Daten aus Tabelle 31 (Seite 124). Diese Daten sind so zu verstehen, dass von der Anzahl der Emittenten zu Jahresbeginn innerhalb des jeweiligen Jahres ein bestimmter Prozentsatz ausgefallen ist. Beispielsweise sind von den 480 Unternehmen, die zu Beginn des Jahres 1997 ein B-Rating aufwiesen, während dieses Jahres 16 Unternehmen ausgefallen. Daraus ergibt sich eine Ausfallquote von 3,33 Prozent. Den S&P-Daten liegen Emittenten langfristiger Anleihen vornehmlich aus den Branchen Industrie, Versorger, Finanzinstitute und Versicherungen zugrunde. Ausgeschlossen wurden Emittenten strukturierter Produkte, öffentliche Emittenten sowie Emittenten, deren Ratings ausschließlich auf öffentlich zugänglichen Informationen basieren. Auf Basis dieser Daten lassen sich für die einzelnen Jahre die kumulierten Treffer- und Fehlalarmquoten berechnen. Diese Quoten sind in Tabelle 32 (Seite 125) aufgeführt.
124
Ratingvalidierung
Jahr Rating
1990 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1991 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1992 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1993 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
AAA
173
0,00 %
184
0,00 %
203
0,00 %
209
0,00 %
AA
415
0,00 %
425
0,00 %
481
0,00 %
515
0,00 %
A
592
0,00 %
609
0,00 %
689
0,00 %
770
0,00 %
BBB
361
0,55 %
389
0,77 %
411
0,00 %
477
0,00 %
BB
285
3,51 %
239
2,51 %
244
0,00 %
291
0,34 %
B
368
8,42 %
289
13,49 %
226
7,08 %
237
2,11 %
46
30,43 %
60
31,67 %
50
24,00 %
49
12,24 %
CCC Jahr Rating
1994 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1995 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1996
1997
Anzahl Emittenten
Ausfallquote
Anzahl Emittenten
Ausfallquote
AAA
207
0,00 %
211
0,00 %
206
0,00 %
201
0,00 %
AA
531
0,00 %
551
0,00 %
562
0,00 %
587
0,00 %
A
849
0,12 %
1 028
0,00 %
1 091
0,00 %
1 162
0,00 %
BBB
548
0,00 %
654
0,31 %
736
0,00 %
853
0,23 %
BB
380
0,26 %
434
0,92 %
478
0,63 %
558
0,18 %
B
345
2,61 %
407
4,18 %
443
2,71 %
480
3,33 %
26
15,38 %
29
24,14 %
29
3,45 %
28
10,71 %
CCC Jahr Rating
1998 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
1999 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
2000 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
2001 Anzahl Emittenten
Ausfallquote
AAA
205
0,00 %
195
0,00 %
190
0,00 %
184
0,00 %
AA
613
0,00 %
633
0,16 %
643
0,00 %
605
0,00 %
A
1 200
0,00 %
1 230
0,08 %
1 228
0,08 %
1 239
0,24 %
BBB
1 016
0,39 %
1 093
0,18 %
1 164
0,34 %
1 286
0,39 %
BB
664
0,75 %
794
1,13 %
884
1,13 %
920
2,83 %
B
702
4,56 %
904
6,79 %
961
7,70 %
933
10,72 %
33
33,33 %
74
31,08 %
30,23 %
115
42,61 %
CCC
Tabelle 31:
86
Emittentenanzahl und Ausfallquoten für S&P-Ratings (1990 bis 2001)
Rating
Jahr Cut-off Point
125
1990 Fehlalarmquote (in %)
1991
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
1992
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
1993
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
Trefferquote (in %)
CoP 0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
CoP CCC
1,5
24,6
1,9
28,4
1,7
42,9
1,7
50,0
CoP B
16,9
79,0
13,7
86,6
10,9
100,0
10,8
91,7
CoP BB
29,5
96,5
24,6
95,5
21,6
100,0
22,3
100,0
CoP BBB
45,9
100,0
42,8
100,0
39,7
100,0
41,1
100,0
CoP A
73,1
100,0
71,4
100,0
69,9
100,0
71,5
100,0
CoP AA CoP AAA Jahr Cut-off Point CoP 0 CoP CCC
92,1
100,0
91,4
100,0
91,1
100,0
91,8
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
1994 Fehlalarmquote (in %)
1995
Trefferquote (in %)
0,0
0,0
Fehlalarmquote (in %)
1996
Trefferquote (in %)
0,0
0,0
Fehlalarmquote (in %)
1997
Trefferquote (in %)
0,0
Fehlalarmquote (in %)
0,0
Trefferquote (in %)
0,0
0,0
0,8
26,6
0,7
23,3
0,8
6,2
0,6
13,7
CoP B
12,5
86,6
12,5
80,0
13,0
81,2
12,7
86,5
CoP BB
25,7
93,2
25,6
93,2
26,5
100,0
27,2
91,1
CoP BBB
44,8
93,2
45,5
100,0
47,3
100,0
49,3
100,0
CoP A
74,3
100,0
76,8
100,0
78,2
100,0
79,5
100,0
CoP AA
92,8
100,0
93,6
100,0
94,2
100,0
94,8
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
CoP AAA Jahr Cut-off Point
1998 Fehlalarmquote (in %)
1999
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
2000
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
2001
Trefferquote (in %)
Fehlalarmquote (in %)
Trefferquote (in %)
CoP 0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
CoP CCC
0,5
21,2
1,1
23,6
1,2
22,6
1,3
26,8
CoP B
15,8
82,8
18,5
86,7
18,8
87,0
17,6
81,4
CoP BB
30,8
92,4
34,8
95,9
36,1
95,7
35,2
95,6
CoP BBB
53,9
100,0
57,4
97,9
59,1
99,1
60,3
98,4
CoP A
81,3
100,0
82,9
99,0
83,5
100,0
84,5
100,0
CoP AA
95,3
100,0
96,0
100,0
96,2
100,0
96,4
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
CoP AAA
Tabelle 32:
Kumulierte Treffer- und Fehlalarmquoten für S&P-Ratings (1990 bis 2001)
126
Ratingvalidierung
Sind die kumulierten Treffer- und Fehlalarmquoten bekannt, können mithilfe von Formel (16) die AUC-Werte ermittelt werden. Tabelle 33 gibt diese Werte für Standard-&Poor’s-Ratings wieder. Abbildung 28 veranschaulicht die ermittelten Werte grafisch.
AUC V (Prüfgröße)
p-Wert
AUC V (Prüfgröße)
p-Wert
Tabelle 33:
1990
1991
1992
1993
1994
1995
89,4 %
92,0 %
96,1 %
95,6 %
90,6 %
91,2 %
10,18
11,71
8,39
5,45
5,44
7,79
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
1996
1997
1998
1999
2000
2001
91,1 %
90,8 %
89,5 %
88,7 %
88,8 %
88,4 %
5,68
6,60
9,79
13,08
14,25
17,69
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
0,00 %
AUC-Werte für S&P-Ratings (1990 bis 2001)
AUC
100 %
90 %
80 % 1990
1992
1994
1996
1998
2000
Jahr
Abbildung 28: Verlauf der AUC-Werte für S&P-Ratings (1990 bis 2001) Tabelle 33 und Abbildung 28 lassen erkennen, dass in den Jahren von 1990 bis 2001 die AUC-Werte für S&P-Ratings im Bereich von 88 Prozent bis 96 Prozent lagen. Die mittlere Area under Curve für die vorliegenden Daten beträgt 91 Prozent. Diese Werte liegen recht nah am AUC-Wert einer perfekten Ratingfunktion in Höhe von 100 Prozent, sodass die Vermutung einer guten Trennschärfe der Standard-&-Poor’s-Ratingfunktion besteht.
Rating
127
Um nun zu überprüfen, ob die Standard-&-Poor’s-Ratingfunktion auch statistisch signifikant bessere Werte als ein Zufallsrating liefert, d. h. ob die ermittelten AUC-Werte signifikant größer als 50 Prozent sind und somit statistisch eine gute Trennschärfe nachgewiesen werden kann (das stellt die Ratingvalidierung im engeren Sinn dar), wurde zusätzlich die so genannte Mann-Whitney’sche Stichprobenfunktion V berechnet. Diese Prüfgröße ist bereits in Tabelle 33 enthalten und lässt sich wie folgt berechnen: 1 2 1 N in N so 1 12 N in N so AUC
(26)
V
mit
Nin : Anzahl der insolvent gewordenen Emittenten (A + C) Nso : Anzahl der solvent gebliebenen Emittenten (B + D)
Unter der üblicherweise unterstellten Annahme, dass die Prüfgröße V asymptotisch normalverteilt ist, lässt sich die Wahrscheinlichkeit dafür angeben, dass zwar zufällig der jeweils ermittelte V-Wert beobachtet wird, obwohl tatsächlich gilt, dass der wahre, aber unbeobachtbare AUC-Wert der Ratingfunktion nur 50 Prozent beträgt. Diese Wahrscheinlichkeit wird p-Wert genannt und ist ebenfalls in Tabelle 33 bereits angegeben. Der p-Wert ergibt sich im vorliegenden Fall wie folgt: (27)
p-Wert 1 NV mit
N(·): Verteilungsfunktion einer standardnormalverteilten Zufallsgröße
Man gibt sich in aller Regel bereits zufrieden, wenn der p-Wert unter fünf Prozent liegt. Im Zeitraum von 1990 bis 2001 liegen alle p-Werte sogar unter 0,01 Prozent, sodass sich die ermittelten AUC-Werte jeweils signifikant vom AUC-Wert für eine Zufallsratingfunktion unterscheiden. Damit ist die Ratingfunktion von S&P für unsere Daten erwartungsgemäß trennscharf. Dieses Ergebnis ist statistisch signifikant. Beispiel 1 (Ratingvalidierung) Standard & Poor’s hat im Annual-2005-Global-Corporate-Default-Study-and-RatingTransitions-Report die Daten aus Tabelle 34 (Seite 128) für das Jahr 2005 veröffentlicht. Der Prozess der Ratingvalidierung vollzieht sich nun auf Basis der angegebenen Daten in folgenden Schritten:
128
Ratingvalidierung
Ratingklasse
Emittentenanzahl
AAA
Ausfallquote
98
0,00 %
407
0,00 %
A
1 224
0,00 %
BBB
1 535
0,07 %
BB
1 015
0,20 %
B
1 010
1,58 %
126
8,73 %
AA
CCC
Tabelle 34:
Emittentenanzahl und Aufallquoten für S&P-Ratings (2005)
1.
Bestimmung der (kumulierten) Treffer-, Fehlalarm- und Prognosequoten;
2.
Veranschaulichung der ROC- und der CAP-Kurve;
3.
Berechnung von Area under Curve, Accuracy Ratio und relativem Effekt;
4.
statistische Validierung der S&P-Ratingfunktion für das angegebene Jahr.
Wir berechnen aus den angegebenen Daten zunächst die Anzahl der ausgefallenen und der nicht ausgefallenen Unternehmen pro Ratingklasse (vgl. Tabelle 35). Ratingklasse
Ausgefallene Unternehmen
Nicht ausgefallene Unternehmen
Summe
AAA
0
98
98
AA
0
407
407
A
0
1 224
1 224
BBB
1
1 534
1 535
BB
2
1 013
1 015
B
16
994
1 010
CCC
11
115
126
Summe
30
5 385
5 415
Tabelle 35:
Ausgefallene und nicht ausgefallene Emittenten für S&P-Ratings (2005)
Rating
129
Aus Tabelle 35 ergeben sich die Treffer-, Fehlalarm- und Prognosequoten für die einzelnen Ratingklassen, indem man den jeweiligen Wert durch die betreffende Spaltensumme teilt, wobei Tabelle 36 im Hinblick auf die folgenden Berechnungen mit der schlechtesten Ratingklasse beginnt und mit der besten Ratingklasse endet. Ratingklasse
Trefferquote je Ratingklasse
Fehlalarmquote je Ratingklasse
Prognosequote je Ratingklasse
CCC
36,7 %
2,1 %
2,3 %
B
53,3 %
18,5 %
18,7 %
BB
6,7 %
18,8 %
18,7 %
BBB
3,3 %
28,5 %
28,3 %
A
0,0 %
22,7 %
22,6 %
AA
0,0 %
7,6 %
7,5 %
AAA
0,0 %
1,8 %
1,8 %
Tabelle 36:
Treffer-, Fehlalarm- und Prognosequoten für S&P-Ratings (2005)
Durch Addition der Werte in den jeweils schlechtesten Ratingklassen erhalten wir die gesuchten (kumulierten) Quoten (vgl. Tabelle 37). Ratingklasse (Cut-off Point)
Kumulierte Trefferquote
Kumulierte Fehlalarmquote
Prognosequote
CCC
36,7 %
2,1 %
2,3 %
B
90,0 %
20,6 %
21,0 %
BB
96,7 %
39,4 %
39,7 %
BBB
100,0 %
67,9 %
68,1 %
A
100,0 %
90,6 %
90,7 %
AA
100,0 %
98,2 %
98,2 %
AAA
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Tabelle 37:
(Kumulierte) Treffer-, Fehlalarm- und Prognosequoten für S&P-Ratings (2005)
Receiver Operating Characteristic und Cumulative Accuracy Profile ergeben sich auf Basis der Daten aus Tabelle 37, indem man die kumulierten Trefferquoten gegen die
130
Ratingvalidierung
jeweiligen kumulierten Fehlalarmquoten (ROC-Kurve) bzw. Prognosequoten (CAPKurve) abträgt. Dieses Vorgehen führt zu den Abbildungen 29 und 30.
Kumulierte Trefferquote
100 %
50 %
0% 0%
50 %
100 %
Kumulierte Fehlalarmquote
Abbildung 29: Receiver Operating Characteristic für S&P-Ratings (2005)
Kumulierte Trefferquote
100 %
50 %
0% 0%
50 % Prognosequote
Abbildung 30: Cumulative Accuracy Profile für S&P-Ratings (2005)
100 %
Rating
131
Zur Berechnung der Area under Curve, d. h. der Fläche unter der ROC-Kurve, verwenden wir Formel (16) und erhalten: (28)
AUC
0,4 % 11,7 % 17,6 % 28,0 % 22,7 % 7,6 % 1,8 %
89,8 %
Dieser Wert liegt mit knapp 90 Prozent deutlich über dem Wert für eine Zufallsratingfunktion in Höhe von 50 Prozent. Mit Formel (20) können wir unseren AUC-Wert leicht in die Accuracy Ratio umrechnen: (29)
AR
2 89,8 % 1 79,5 %
Zudem entspricht der AUC-Wert gemäß Formel (24) dem relativen Effekt: (30)
RE
AUC 89,8 %
Zur statistischen Validierung, d. h. um zu überprüfen, ob der ermittelte AUC-Wert signifikant vom Wert einer Zufallsratingfunktion in Höhe von 50 Prozent abweicht, ist zunächst die Mann-Whitneysche Stichprobenfunktion V zu berechnen: 1 2 1 30 5 385 1 12 30 5 385 89,8 %
(31)
V
7,5
Der ermittelte AUC-Wert ist hoch signifikant größer als 50 Prozent, denn der zugehörige p-Wert liegt unter 0,01 Prozent: (32)
p-Wert 1 N 7,5 0,00 %.
Nach diesem Beispiel können wir unser Kapitel abschließend wie folgt zusammenfassen: Die Beurteilung der Trennschärfe von Ratingfunktionen beruht auf folgendem Vorgehen. Man berechnet zunächst die relativen Häufigkeiten, mit denen in den verschiedenen Ratingklassen insolvent gewordene bzw. solvent gebliebene Unternehmen anzutreffen sind. Anschließend werden diese Häufigkeiten über die Ratingklassen kumuliert und einander gegenübergestellt.
132
Literaturhinweise zum Rating
Diese Methode entspricht grundsätzlich dem aus der Volkswirtschaftslehre bekannten Konzept der Lorenzkurve. Übertragen auf die Validierung von Ratingsystemen spricht man bei diesem Konzept vom Cumulative Accuracy Profile und von der Receiver Operating Characteristic. Maße für die Konzentration bzw. Trennschärfe können deshalb in Anlehnung an den Gini-Koeffzienten definiert werden. Bei der Beurteilung von Ratingfunktionen verwendet man die Accuracy Ratio und die Area under Curve. Letztere Maße sind über eine Formel ineinander überführbar. Weil Verteilungen miteinander verglichen werden, ist auch das Konzept der stochastischen Tendenz anwendbar, das zur Beurteilung von Ratingfunktionen wiederum gleich lautende Ergebnisse liefert. Unsere empirischen Ergebnisse bei der Anwendung dieser Konzepte auf die Ratings von Standard & Poor’s liefern hierzu folgendes Resultat: Die Ratingfunktion der Agentur besitzt für die Jahre 1990 bis 2001 (erwartungsgemäß) eine hohe Trennschärfe bzw. eine hohe Discriminative Power. Dieses Ergebnis ist statistisch signifikant.
Literaturhinweise zum Rating Institutionelle Grundlage: Basel II Ausführungen zu den Motiven und Zielen der Bankenaufsicht in Deutschland, einschließlich eines geschichtlichen Abrisses, sowie kurze Ausführungen zu verschiedenen Aspekten von Basel II findet man auf den Internetseiten der Deutschen Bundesbank (www.bundesbank.de). Basel Committee on Banking Supervision (2006) enthält einen Überblick zur Geschichte und zu den Zielen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht. Darin ist auch die internationale Harmonisierung der Eigenkapitalunterlegungspflicht über Basel I, den Nachtrag zu Basel I bis hin zu Basel II enthalten. Einen aufbereiteten Vergleich von Basel I und Basel II, der die Schwächen von Ersterem und damit die Motivation zur Entwicklung von Letzterem aufzeigt, findet man auf den Internetseiten der österreichischen Finanzmarktaufsicht (www.fma.gv.at). Dort ist auch die Umsetzung von Basel II in europäisches Recht dargestellt. Bei den Originaltexten zu den Richtlinien des Basler Ausschusses handelt es sich um Basel Committee on Banking Supervision (1998) zu Basel I, Basel Committee on Banking Supervision (2005) zum Nachtrag zu Basel I sowie Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004) zu Basel II. Die neuen Eigenkapitalanforderungen werden in Deutsche Bundesbank (2004) erläutert. Darin wird auch dargelegt, wie die Unterlegung mit regulatorischem Kapital der Abdeckung der unerwarteten und nicht der erwarteten Verluste dient. Zudem werden in Deutsche Bundesbank (2002) der Unterschied zwischen dem ökonomischen Eigenkapital der Banken und dem regulatorischen Eigenkapital sowie die Angleichung der regulatorischen Eigenkapitalanforderungen an die ökonomischen als Ziel von Basel II diskutiert.
Rating
133
Darüber hinaus hat die Deutsche Bundesbank (2002) Berechnungen zu den bilanziellen und regulatorischen Eigenkapitalquoten verschiedener Bankengruppen durchgeführt. Die Struktur der Risikogewichtsfunktionen im IRB-Ansatz geht auf Vasicek (1987) zurück und wurde in Vasicek (2002) publiziert. Empirische Studien zum Zusammenhang zwischen Ausfallwahrscheinlichkeiten von Unternehmensrisikoklassen und Korrelation mit dem Systemrisiko enthält Lopez (2004). Eine Aufbereitung dieser Resultate sowie weitere Fakten zu den Richtlinien des Basler Ausschusses findet man in Hull (2007). Die beiden Neufassungen der EU-Richtlinien zur Umsetzung von Basel II (Bankenrichtlinie und Kapitaladäquanzrichtlinie) lassen sich im Literaturverzeichnis unter Richtlinie 2006/48/EG und Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates finden. Das Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten EU-Richtlinien in deutsches Recht und die neue Solvabilitätsverordnung findet man unter Bundesministerium der Finanzen (2006a und b). Die mit der Anwendung der verschiedenen Ansätze zur Ermittlung der Mindesteigenkapitalunterlegung verbundenen jeweiligen Mindestanforderungen an das Controlling und die Risikomanagementsysteme der Banken können ebenfalls in den erwähnten Originaltexten sowie kürzer in Deutsche Bundesbank (2003a) nachgelesen werden. Die Auswirkungen von Basel II auf die Kreditkonditionen findet man in Reichling/ Beinert/Henne (2005). Einen Überblick über die in Deutschland öffentlich platzierten Unternehmensanleihen sowie Bundesanleihen und deren Ratings liefern die Internetseiten der Stuttgarter Börse (www.euwax.de). Diese Daten wurden genutzt, um Bonitätsspreads am deutschen Kapitalmarkt zu berechnen und darzustellen. Das erwähnte Zahlenmaterial über Kreditderivate wurde British Bankers’ Association (2004) entnommen. Gegenstand und Methoden des Ratings In Überblicksform geben Braun/Gstach (2003) eine Einführung in das Rating. Eine ausführliche Darstellung der Bonitätsbeurteilungsmethoden und ihrer Anforderungen findet man in Füser (2001) sowie in Österreichische Nationalbank/Finanzmarktaufsicht (2004). Ausführungen zu Fuzzy-Logik-Systemen kann man in Deutsche Bundesbank (1999) nachlesen. Die Bonitätsbeurteilung mittels neuronaler Netze beschreibt Diederichs (2004). Externes Rating Der Originaltext Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004) enthält umfangreiche Ausführungen zu den Anforderungen an externe und interne Ratingsysteme. Braun/Gstach (2003) geben eine Übersicht über externe und interne Ratings. Hinweise zu Ratingverfahren, Beurteilungskriterien und Besonderheiten findet man auf den Internetseiten der Ratingagenturen (www.moodys.de, www.standardandpoors.de und www.fitchratings.de)
134
Literaturhinweise zum Rating
bzw. auf den Internetseiten der deutschen Agenturen (jeweils in den Tabellen angegeben). Informationen über die historische Entwicklung der drei führenden internationalen Ratingagenturen finden sich in Reder (2003a, b und c). Weitere Informationen zu Ratingagenturen vermitteln Füser/Heidusch (2002) und Everling (2004). Den Ablauf externer Ratings kann man mit Dimitrakopoulos/Spahr (2004), Fischer/Holzkämper (2004) und Hartmann-Wendels u. a. (2005) nachvollziehen. Zudem sei hier wiederum auf die Internetseiten der Agenturen verwiesen. Moody’s KMV (2001) stellt das Ratingsystem für mittelständische Unternehmen RiskCalcTM vor. Die Regulierung von Ratingagenturen und die IOSCO-Prinzipien werden in Asmussen (2005), Krimphove/Kruse (2005) und ausführlicher in Strunz-Happe (2005) erläutert. Zu Ausfallquoten, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Migrationsmatrizen finden sich Ausführungen in Österreichische Nationalbank/Finanzmarktaufsicht (2004) und in Hasan/ Zazzara (2006). Die Ergebnisse der Auswirkungsstudie zur Anwendung des IRBAnsatzes in Banken können in Basel Committee on Banking Supervision (2003) nachgelesen werden. Für Deutschland liefert Deutsche Bundesbank (2005) entsprechende Untersuchungsergebnisse. Bankinternes Rating Allgemeine Informationen über bankinterne Ratingsysteme bieten Füser/Heidusch (2002) und Braun/Gstach (2003). Angaben zu den dargestellten bankinternen Ratingsystemen finden sich in Commerzbank (2004), Stuhlinger (2004), Hartmann (2005), Sparkassen Rating und Risikosysteme GmbH (2006) sowie Volksbank (2006). Informationen zur Initiative Finanzplatz Deutschland erhält man auf der Internetseite der IFD (www.finanzstandort.de) und in Ackermann/Koch-Weser (2004). Bilanzrating Die Originalarbeiten zur Altman’schen Z-Score-Trilogie sind Altman (1968, 1993 und 2002), Altman/Haldemann/Narayanan (1977) sowie Altman/Saunders (1998). Grice/ Ingram (2001) liefern eine Übersicht über die zahlreiche Z’’-Score-Test-Literatur; gute Testergebnisse erhalten z. B. Keenan/Sobehart (1999), Moody’s Investors Service (2003) und Engelmann/Hayden/Tasche (2003a). Basel Committee on Banking Supervision (2000), Moody’s KMV (2001), Hayden (2002) sowie Hamerle/Rösch (2003) verwenden das Z’’-Modell als Benchmark. Beinert/ Dreher/Reichling (2006) untersuchen, ob das Z’’-Score-Bilanzrating für deutsche Unternehmen mit den Ratings von Moody’s Investors Service bzw. Standard & Poor’s korrespondiert. Altman/Rijken (2004), Moody’s Investors Service (2004), Löffler (2004) sowie Standard & Poor’s (2005) diskutieren die Unterschiede von Point-in-Time- und Through-theCycle-Ratings. Untersuchungen zur Erhöhung der Aussagekraft von Bilanzratingurteilen
Rating
135
durch qualitative Faktoren für Deutschland liefern Blochwitz/Eigermann (2000), Günther/Gründing (2000) sowie Grunert/Norden/Weber (2005). Im deutschsprachigen Raum ermitteln und verwenden Hayden (2002), Hamerle/Rösch (2003), Kaiser/Szczesny (2003) sowie Engelmann/Hayden/Tasche (2003a) Logit- und Probit-Regressionsanalysen zur Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten auf Basis von Jahresabschlussinformationen. Behr/Güttler/Plattner (2004) berücksichtigen hierbei zusätzlich Daten aus der Kontenanalyse. Dimitris/Zanakis/Zopounidis (1996) zählten seinerzeit weltweit erst 17 der zur Ausfallwahrscheinlichkeitsschätzung heute favorisierten Logit- und Probit-Modelle, davon zwölf im angelsächsischen Raum. Reichling/Wappler (2005) analysieren die Anwendbarkeit des Altman’schen Z’’-Scores und der Hayden (2002)-Logit-Funktion im europäischen Branchenvergleich. Ratingvalidierung Die institutionellen Regelungen und Vorgaben zur Ratingvalidierung findet man in Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004), Bundesministerium der Finanzen (2006b) sowie Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2006). Angaben zum Einsatz bankinterner Ratingsysteme enthalten Basel Committee on Banking Supervision (2003) und Deutsche Bundesbank (2005). Hayden (2002) und Rauhmeier (2003) beurteilen Ratingsysteme aus theoretischer Sicht. Deutsche Bundesbank (2003b), Engelmann/Hayden/Tasche (2003a und b) sowie Österreichische Nationalbank/Finanzmarktaufsicht (2004) nehmen eine institutionelle Perspektive ein. Blochwitz u. a. (2004), Schulte-Mattler/Daun/Manns (2004) sowie Hamerle/Rösch (2005) besitzen einen praktischen Fokus bei der Validierung von Ratingfunktionen. Sobehart/Keenan (2001) und Engelmann/Hayden/Tasche (2003a) verwenden die Häufigkeitsdarstellung der mehrere Ratingklassen umfassenden Kontingenztabelle. Sobehart/Keenan (2001) und Engelmann/Hayden/Tasche (2003b) setzen die Receiver Operating Characteristic ein, Sobehart/Keenan/Stein (2000) und wiederum Engelmann/ Hayden/Tasche (2003b) benutzen das Cumulative Accuracy Profile. Einen Beweis zur linearen Beziehung zwischen Area under Curve und Accuracy Ratio findet man bei Engelmann/Hayden/Tasche (2003a). Krämer (2003) schlägt verschiedene Kriterien zur Messung der Trennschärfe vor. Brunner/Munzel (2002) behandeln das Konzept der stochastischen Tendenz. Beinert/ Reichling/Vogt (2007) führen die Kriterien der stochastischen Dominanz zur Beurteilung der Rating Accuracy ein. Hamerle/Rauhmeier/Rösch (2003) und Sobehart/Keenan (2004) weisen auf die Abhängigkeit von Area under Curve bzw. Accuracy Ratio von der Ausfallquote des betrachteten Kreditportfolios hin. Bamber (1975) interpretiert die Area under Curve als Wahr-
136
Literaturhinweise zum Rating
scheinlichkeit, dass ein insolvent gewordenes Unternehmen ein schlechteres Rating erhalten hatte als ein solvent gebliebener Kreditnehmer, und zeigt, dass die verwendeten Trennschärfemaße nicht auf ordnungserhaltende Transformationen reagieren. Rauhmeier (2003) weist die Übereinstimmung der Accuracy Ratio mit Sommers’ D nach, das ebenfalls die Stärke eines Zusammenhangs auf Basis von Paarvergleichen misst. Hierbei wird die Anzahl so genannter konkordanter Paare (ein insolvent gewordenes Unternehmen erhielt ein schlechteres Rating als ein solvent gebliebenes Unternehmen) gegenüber der Anzahl so genannter diskordanter Paare (ein ausgefallener Kreditnehmer hatte ein besseres Rating als ein nicht ausgefallener Kreditnehmer) abgewogen. Die Daten unserer empirischen Untersuchung zur Trennschärfe der Standard-&-Poor’sRatingfunktion entstammen Standard & Poor’s (2002). Die Beispieldaten enthält Standard & Poor’s (2006).
Teil II
Kreditrisikomanagement
Kreditrisikomanagement
7.
139
Kreditbewertung
Die Ermittlung des Wertes von Krediten ist in der heutigen Finanzdienstleistungspraxis unumgänglich. Soll ein Kredit erstmalig vergeben oder an einen institutionellen Anleger verkauft werden, ist für diese Transaktion ein Preis zu bestimmen. Sollen die einem Kredit zugrunde liegenden Risiken durch die Nutzung von Kreditderivaten isoliert gehandelt werden und taucht dabei der Kredit als Basisinstrument auf, so ist die Kenntnis seines Wertes ebenfalls notwendig, um einen Preis für das Kreditderivat zu finden. Das im Risikocontrolling übliche Marking to Market bedeutet zudem eine ständige Neubewertung von Krediten, durch die der Kreditwert stets seinem aktuellen Marktwert entspricht. Dieses Kapitel stellt zwei Ansätze zur Ermittlung von Kreditwerten dar. Dem optionspreistheoretischen Ansatz zur Kreditbewertung liegt zugrunde, dass der Wert eines Unternehmens, hier aufgefasst als Marktwert sämtlicher Unternehmensaktiva, der Summe der Marktwerte des Eigenkapitals und der Fremdkapitalbestandteile des Unternehmens entspricht. Dabei stellen sowohl die einzelnen Fremdkapitalbestandteile als auch das Eigenkapital zustandsabhängige Kontrakte (Contingent Claims) dar. Ist z. B. eine Kreditzahlung fällig, hängt die Höhe der tatsächlichen Zahlung an die Kreditgeber vom Zustand ab, in dem sich das Unternehmen befindet. Entweder ist das Unternehmensvermögen im Zahlungszeitpunkt groß genug, um den Kredit vollständig zu bedienen, oder das Unternehmen befindet sich im Insolvenzzustand, sodass sein noch vorhandenes Vermögen auf die Fremdkapitalgeber übergeht, die dieses dann verwerten. Folglich ergeben sich die Höhe der tatsächlichen Zahlungen an die Kreditgeber und damit auch der Kreditwert selbst aus dem jeweiligen Unternehmenswert. Unternehmenskredite als Contingent Claims bzw. Optionen auf diesen Unternehmenswert können deshalb mithilfe der Optionspreistheorie bewertet werden. Im ratingbasierten Ansatz wird das Kapitalwertkonzept direkt aufgegriffen. Danach ergibt sich der Wert eines sicheren Zahlungsstroms als Barwert der zukünftigen Zahlungen. Zukünftige Kreditzahlungen sind jedoch aufgrund des Ausfallrisikos mit Unsicherheit behaftet und fallen deshalb mitunter geringer aus als die vertraglich vereinbarten Zahlungen. Selbst ein risikoneutraler Investor wird folglich einem ausfallrisikobehafteten Kredit einen geringeren Wert zumessen als einer ausfallrisikofreien Anlage mit gleichem geplanten Zahlungsstrom. Um diesem Umstand gerecht zu werden, benutzt man Bonitätsaufschläge in den Diskontierungszinssätzen. Liegt für einen Kreditnehmer ein Rating vor, sollte dies insbesondere Auskunft darüber geben, welches Ausfallrisiko mit dem entsprechenden Kredit verbunden ist. Im ratingbasierten Ansatz werden nun für die verschiedenen Ratingklassen Bonitätsaufschläge in den Zinssätzen ermittelt. Der Wert eines Kredits ergibt sich dann als Barwert der vertraglich vereinbarten Kreditzahlungen, berechnet mithilfe der risikoangepassten Diskontierungsfaktoren.
140
Kreditbewertung
Dieses Kapitel ist deshalb wie folgt gegliedert: Abschnitt 7.1 stellt das Grundmodell zur optionspreistheoretischen Kreditbewertung dar und skizziert einige Erweiterungen. Abschnitt 7.2 beschäftigt sich mit dem ratingbasierten Ansatz. Dabei werden in einem recht einfachen Modell mit risikoneutralen Marktteilnehmern für die verschiedenen Ratingklassen Bonitätsaufschläge auf die Renditestruktur ermittelt. In Abschnitt 7.3 werden die betrachteten Ansätze hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen bei der Kreditbewertung miteinander verglichen.
7.1
Der optionspreistheoretische Ansatz
Wesentlich für optionspreistheoretische Ansätze zur Kreditbewertung ist die Modellierung der Entwicklung des Unternehmenswertes. Deshalb findet man häufig die Bezeichnung Firm Value Approach. Die Entwicklung des Unternehmenswertes hat wiederum Auswirkungen auf die Entwicklung der Kapitalstruktur, weshalb optionspreistheoretische Ansätze auch als Structural Models bezeichnet werden. Wir werden in diesem Abschnitt zunächst das Grundmodell der optionspreistheoretischen Kreditbewertung darstellen und anschließend einige praxisrelevante Erweiterungen skizzieren.
7.1.1
Das Grundmodell
Die Idee, sämtliche Finanzierungsbestandteile eines Unternehmens als Optionen auf den Unternehmenswert zu verstehen und folglich mithilfe der Optionspreistheorie zu bewerten, findet man bereits in den bahnbrechenden Arbeiten zur Optionspreistheorie von FISCHER BLACK und MYRON SCHOLES bzw. ROBERT C. MERTON aus dem Jahr 1973. MERTON formulierte diesen Ansatz 1974 in einem weiteren Aufsatz erstmalig aus, weshalb ihm das Grundmodell zur optionspreistheoretischen Kreditbewertung zugeschrieben wird. Die Bewertungsgleichung MERTON bewegt sich zur Herleitung einer Bewertungsgleichung für Unternehmenskredite konsequent innerhalb des Black/Scholes-Modells zur Bewertung von Aktienoptionen. Deshalb wird zunächst ein vollständiger und friktionsloser Kapitalmarkt vorausgesetzt. Dies bedeutet unter anderem die Handelbarkeit beliebig kleiner Anteile des Unternehmensvermögens und der einzelnen Bestandteile der Kapitalstruktur sowie Zinssicherheit. Da die Kapitalstruktur des betrachteten Unternehmens im Weiteren eine entscheidende Rolle spielt, wobei der Unternehmenswert als exogen gegeben vorausgesetzt wird, benötigen wir außerdem die Gültigkeit des Modigliani/Miller-Theorems, nach dem der Wert eines Unternehmens unabhängig von seiner Kapitalstruktur ist. Letzteres ergibt sich aus der Arbitragefreiheit des Kapitalmarktes.
Kreditrisikomanagement
141
Für die Modellierung der Entwicklung des Unternehmensvermögens erscheint es vernünftig anzunehmen, dass die Veränderung des Marktwertes des Unternehmensvermögens innerhalb eines Zeitintervalls unabhängig von früheren Veränderungen ist und eine erwartete sowie eine zufällige Komponente aufweist, wobei sich beide proportional zum Unternehmensvermögen entwickeln. MERTON modelliert deshalb die Entwicklung des Unternehmenswertes als geometrische Brown’sche Bewegung, wie es schon BLACK und SCHOLES für die Entwicklung des Aktienkurses taten. Mit den Bezeichnungen {V} für den Unternehmenswert-Prozess (vgl. Exkurs 2 im Anhang), P für die erwartete (kontinuierlich berechnete) Unternehmensrendite, V für die Volatilität des Unternehmenswertes, t für die Zeit und {W} für den Standard-Wiener-Prozess gilt dann: (33)
dV
P V dt V V dW
Diese Modellierung der Entwicklung des Unternehmenswertes setzt voraus, dass der Unternehmenswert nicht durch die Aufnahme von neuem Eigen- oder Fremdkapital oder durch Abgänge wie Dividenden, Aktienrückkäufe, Zinszahlungen usw. verändert wird. Formel (33) impliziert eine normalverteilte Unternehmensrendite (vgl. Exkurs 2 im Anhang). Der Vollständigkeit halber wollen wir noch anmerken, dass sich sämtliche im Folgenden verwendeten Renditen und Zinssätze wie üblich auf den Zeitraum eines Jahres beziehen. Die Kapitalstruktur des Unternehmens sei nun im Grundmodell denkbar einfach: Neben dem Eigenkapital existiere lediglich ein Kredit in Form einer Nullkuponanleihe mit Rückzahlungsbetrag B zum Zeitpunkt T (in Jahren). Diesen Kredit gilt es zu bewerten. Dazu stellen wir zunächst fest: Falls das Unternehmensvermögen zum Rückzahlungszeitpunkt den Rückzahlungsbetrag deckt, erfolgt eine vollständige Rückzahlung, anderenfalls befindet sich das Unternehmen im Insolvenzzustand und das noch vorhandene Unternehmensvermögen geht vollständig auf die Kreditgeber über, die dieses dann verwerten. Betrachten wir dazu zwei Situationen, die auf den ersten Blick kritisch erscheinen könnten: In der ersten Situation verfügen die Unternehmenseigner zum Rückzahlungszeitpunkt des Kredits zwar nicht über liquide Mittel in ausreichender Höhe, der Wert des Unternehmensvermögens insgesamt übersteigt jedoch den Rückzahlungsbetrag des Kredits. Dann werden die Unternehmenseigner schlicht einen entsprechenden Teil des Unternehmensvermögens veräußern. Aus der vorausgesetzten Handelbarkeit beliebig kleiner Anteile des Unternehmensvermögens folgt dabei, dass im Modell von MERTON nur der Insolvenztatbestand der Überschuldung – und zwar nur zum Rückzahlungszeitpunkt des Kredits – existiert. Die weiteren Insolvenztatbestände der Zahlungsunfähigkeit bzw. der drohenden Zahlungsunfähigkeit werden durch den Verkauf entsprechender Bestandteile des Unternehmensvermögens abgewehrt.
142
Kreditbewertung
In der zweiten Situation, in der der Wert des Unternehmensvermögens zum Rückzahlungszeitpunkt des Kredits unterhalb des Rückzahlungsbetrags liegt, ist es nicht möglich, durch Kapitalaufnahme das Unternehmensvermögen um den nötigen Differenzbetrag zu erhöhen und so die Insolvenz abzuwehren. Potenzielle neue Fremdkapitalgeber würden nämlich durch die Finanzierung dieses Differenzbetrags den Verlust der ursprünglichen Kreditgeber übernehmen. Potenzielle Eigenkapitalgeber dürften ebenfalls nicht zu finden sein, da ihrem Kapital zumindest teilweise kein Unternehmensvermögen gegenüberstehen würde. Der Kreditwert im Rückzahlungszeitpunkt ergibt sich gerade aus der Höhe der Zahlungen an die Kreditgeber zu diesem Zeitpunkt. Letztere hängen lediglich vom Unternehmenswert zum Rückzahlungszeitpunkt ab, wie Abbildung 31 verdeutlicht, in der die Zahlungen an die Kreditgeber zum Rückzahlungszeitpunkt des Kredits in Abhängigkeit vom dann vorhandenen Unternehmenswert schwarz dargestellt sind.
Pay-off
Fremdkapital, falls kein Insolvenzrisiko bestünde
Rückzahlungsbetrag Fremdkapital
Rückzahlungsbetrag Unternehmenswert im Rückzahlungszeitpunkt
Put (Short-Position)
Abbildung 31: Pay-off der Fremdkapitalgeber im Rückzahlungszeitpunkt
Kreditrisikomanagement
143
Bezeichnen wir nun mit Ft den Kreditwert und mit Vt den Unternehmswert zum Zeitpunkt t. Mit FT und VT sind dann folglich der Kreditwert bzw. der Wert des Unternehmensvermögens im Rückzahlungszeitpunkt T bezeichnet und es gilt: (34)
FT
min{B;VT }
B min{0;VT B}
B max{0; B VT }
Die Zahlungen an die Kreditgeber im Rückzahlungszeitpunkt entsprechen somit dem vereinbarten Rückzahlungsbetrag abzüglich dem Pay-off eines europäischen Puts auf den Unternehmenswert mit Basispreis in Höhe des vereinbarten Rückzahlungsbetrags. Auch dies ist in Abbildung 31 dargestellt: Falls kein Insolvenzrisiko bestünde, erhielten die Kreditgeber zum Rückzahlungszeitpunkt unabhängig vom Unternehmenswert den vereinbarten Rückzahlungsbetrag (dunkelgraue Linie), was einer Kaufposition in einer Nullkuponanleihe mit Rückzahlungsbetrag B und Laufzeit T entspricht. Aufgrund des Ausfallrisikos gilt nun jedoch, dass die Fremdkapitalgeber den Unternehmenseignern das Recht einräumen, zum Rückzahlungszeitpunkt das Unternehmen zum Preis B abzugeben. Damit nehmen die Kreditgeber zusätzlich zur Kaufposition in der Nullkuponanleihe eine Verkaufsposition in einem europäischen Put auf das Unternehmensvermögen mit Basispreis B und Laufzeit T ein (hellgrau dargestellt). Der gesuchte aktuelle Kreditwert lautet F0. Da wir uns bislang konsequent im Rahmen des Black/Scholes-Modells bewegt haben, erhalten wir folglich den aktuellen Wert des Puts mithilfe der Black/Scholes-Formel. Den aktuellen Wert des Rückzahlungsbetrags berechnet man einfach durch Diskontieren mit dem risikolosen Zinssatz. Bezeichnen wir Letzteren mit r und mit N() die Verteilungsfunktion einer standardnormalverteilten Zufallsgröße, gilt für den aktuellen Kreditwert: (35)
F0
B e r T ( B e r T N(d 2 ) V0 N( d1 )) V0 N(d1 ) B e r T N(d 2 )
mit
d1
d2
§ V V2· ¸ T ln 0 ¨¨ r 2 ¸¹ B © V T § V2· V ¸ T ln 0 ¨¨ r 2 ¸¹ B © V T
144
Kreditbewertung
Der Bonitätsspread Neben dem aktuellen Kreditwert ist auch die Kenntnis der geforderten Rendite des Kreditgeschäfts interessant. Diese sei mit r* bezeichnet und ergibt sich als diejenige Rendite, die zu verwenden ist, sodass sich der geforderte Rückzahlungsbetrag als über die Kreditlaufzeit aufgezinster Kreditwert ergibt: (36)
F0 e r
* T
B
Um bonitätsrisikobehaftete Renditen (beispielsweise r*), Zinssätze und Preise von ansonsten gleichen, aber bonitätsrisikofreien Größen (in diesem Fall r) zu unterscheiden, benutzen wir einen Asteriskus. Die geforderte Rendite des Kreditgeschäfts erhalten wir nun durch Umstellung der Formel (36) und durch Einsetzen des Kreditwertes gemäß Formel (35): B F0 T
F ln 0 B T
ln
(37)
r*
1 §V · ln¨ 0 N(d1 ) e r T N(d 2 ) ¸ T B © ¹
Für den Bonitätsspread r* – r gilt dann: B B ln r T F0 Be T T
ln
(38)
r* r
ln
F0 B e r T T
1 § V0 · ln¨ N(d1 ) N(d 2 ) ¸ T © B e r T ¹
Um die Kreditgeber für das eingegangene Bonitätsrisiko zu entschädigen, ist der Bonitätsspread stets positiv. Dies folgt, weil der Wert des Puts auf den Unternehmenswert (vor Ablauf der Restlaufzeit) stets positiv ist. Der Bonitätsspread hängt insbesondere von der Volatilität des Unternehmenswertes sowie von der Restlaufzeit des Kredits ab: Eine höhere Volatilität des Unternehmenswertes bedeutet auch einen höheren Wert des Puts auf den Unternehmenswert, da der Wert einer Option mit der Volatilität des Basisinstruments steigt. Dabei wird die Ableitung des Optionswertes nach der Volatilität des Basisinstruments als Vega der Option bezeichnet und ist sowohl für einen Call als auch für einen Put stets positiv. Ein höherer Wert des Puts führt zu einem geringeren Kreditwert, was wiederum einen höheren Bonitätsspread nach sich zieht.
Kreditrisikomanagement
145
Über die Richtung der Abhängigkeit des Bonitätsspreads von der Restlaufzeit des Kredits kann keine einheitliche Aussage getroffen werden. So kann der Bonitätsspread mit steigender Restlaufzeit zunächst ebenfalls steigen, dann aber fallen. Wir werden bei der Darstellung des ratingbasierten Ansatzes zur Kreditbewertung auf die Abhängigkeit des Bonitätsspreads vom Risiko des Unternehmens, hier gemessen durch die Volatilität des Unternehmenswertes, und von der Restlaufzeit des Kredits zurückkommen. Risikoneutrale Bewertungstechnik Der Verdienst der Arbeiten von BLACK und SCHOLES bzw. MERTON lag einerseits darin, eine präferenzfreie Vorschrift zur Bewertung von Optionen zu entwickeln. Dabei muss zur Bewertung lediglich eine Risikoeinschätzung, nicht aber eine Renditeerwartung für die Übernahme dieses Risikos angegeben werden. Andererseits erlaubt diese Vorschrift die Verwendung der so genannten risikoneutralen Bewertungstechnik. Diese setzt keinesfalls einen risikoneutralen Anleger voraus, sondern gestattet die Diskontierung eines entsprechend modifizierten Erwartungswertes mit dem risikolosen Zinssatz, was in einigen Fällen mathematisch elegant dargestellt werden kann. Dies kann auch am Beispiel der Kreditbewertung anschaulich gezeigt werden. Wir betrachten dazu zunächst die Verteilung des logarithmierten Unternehmenswertes zum Rückzahlungszeitpunkt. Ausgehend von Formel (33) folgt mit Itôs Lemma (vgl. Exkurs 2 im Anhang) angewandt auf die Funktion ln V:
(39)
d ln V
(V V ) 2 w 2 ln V w ln V w ln V dV dt dt 2 wV wt wV 2 1 V2 dV dt V 2
§ V2· ¸ dt V dW ¨¨ P 2 ¸¹ ©
Folglich ist der logarithmierte Unternehmenswert zum Rückzahlungszeitpunkt normal§ V2· ¸ T und Standardabweichung V T (vgl. verteilt mit Erwartungswert ln V0 ¨¨ P 2 ¸¹ © wieder Exkurs 2 im Anhang). Für die Ausfallwahrscheinlichkeit PD – als Wahrscheinlichkeit, dass die Kreditgeber keine oder nicht die volle Rückzahlung erhalten – gilt deshalb:
146
(40)
Kreditbewertung
PD
Prob (VT B )
Prob (ln VT ln B )
2 § § ·· ¨ ln B ¨ ln V0 §¨ P V ·¸ T ¸ ¸ ¸ ¨ ¨ ¨ 2 ¹ ¸¹ ¸ © © N¨ ¸ V T ¨ ¸ ¨¨ ¸¸ © ¹
mit
~ d2
ln
~ N ( d 2 )
V0 § V2· ¸ T ¨¨ P B © 2 ¸¹ V T
~ Der Unterschied zwischen (dem risikoneutralen) d2 und d 2 besteht lediglich darin, dass bei Ersterem der risikolose Zinssatz r und bei Letzterem die wahre erwartete Rendite des Unternehmenswertes P auftauchen.
Der Unternehmenswert zum Rückzahlungszeitpunkt selbst ist lognormalverteilt (vgl. nochmals Exkurs 2 im Anhang). Seine Dichtefunktion g() nimmt damit für nicht positive Argumente den Wert null an und berechnet sich ansonsten wie folgt:
(41)
g (v )
2 2· § · ½ § ° ¨ ln v ¨ P V ¸ T ¸ ° °° 1 ¨ V0 ¨© 2 ¸¹ ¸ °° 1 1 exp® ¨ ¸ ¾ 2 S V T v V T ° 2 ¨ ¸ ° ¨ ¸ ° ° © ¹ °¿ °¯
Der Verlust der Kreditgeber im Rückzahlungszeitpunkt ist null, sofern der Unternehmenswert mindestens so groß ist wie der vereinbarte Rückzahlungsbetrag. Sonst ist er gleich der Differenz aus diesem Rückzahlungsbetrag und dem Unternehmenswert. Für den erwarteten Verlust EL gilt somit:
Kreditrisikomanagement
147
B
(42)
EL
B
³ ( B v) g(v) dv
0
B ~ B N(d 2 ) ³ 0
B ~ B N ( d 2 ) ³ 0
B Prob VT B ³ v g (v)dv 0
2 § V0 e P T V 2 · ½ ° ¨ ln ¸ T ° 1 ° 1 ¨ 2 v ¸ °¾ dv exp® ¨ ¸ ° 2 V T 2 S V T ° ¨ ¸ ° ° © ¹ ¿ ¯
1 2 S V T
§ P T ° ¨ ln V0 e ¨ ° v exp® © 2 V 2 T ° ° ¯
2
· V e P T ¸¸ ln 0 2 P T ¹ V T ln V0 e v 8 v 2
½ ° ° ¾ dv ° ° ¿
2½ § V0 § V 2 · ·¸ ° ° ¨ ln ¸ T ¨P B °° 1 ¨ v ¨© 2 ¸¹ ¸ °° ~ V0 e P T exp® ¨ B N ( d 2 ) ³ ¸ ¾ dv V T ° 2 ¨ ¸ ° 0 2 S V T v ¨ ¸ ° ° © ¹ ¿° ¯°
~ B N( d 2 ) V0 e P T
V § V2 ln 0 ¨¨ P B © 2 V T
³
f
· ¸T ¸ ¹
1 ½ 1 exp® z 2 ¾ dz 2 2 S ¿ ¯
~ ~ B N( d 2 ) V0 e P T N(d1 )
mit
~ d1
ln
V0 § V2· ¸ T ¨¨ P B © 2 ¸¹ V T
~ Wieder besteht der Unterschied zwischen (dem risikoneutralen) d1 und d1 lediglich darin, dass bei Ersterem der risikolose Zinssatz r und bei Letzterem die wahre erwartete Rendite des Unternehmenswertes P auftauchen.
148
Kreditbewertung
Gemäß der ersten Zeile aus Formel (42) kann der erwartete Verlust interpretiert werden als die Differenz aus dem vereinbarten Rückzahlungsbetrag multipliziert mit der Ausfallwahrscheinlichkeit, also dem erwarteten Verlust bei einer Vergleichsquote (Rückgewinnungsrate bzw. Recovery Rate) von null, und dem erwarteten Rückgewinnungsbetrag im Insolvenzfall. Wir stellen nun Formel (35) um: (43)
F0
( B ( B N( d 2 ) V0 e r T N(d1 ))) e r T
Gemäß Formel (43) entspricht der Kreditwert also der risikolos auf den Bewertungszeitpunkt diskontierten Differenz aus dem vereinbarten Rückzahlungsbetrag und dem (risikolos) aufgezinsten Wert des Puts. Der aufgezinste Putwert gemäß Formel (43) ist formal identisch mit dem erwarteten Verlust aus der letzten Zeile von Formel (42), nur wird die erwartete Unternehmensrendite durch den risikolosen Zinssatz ersetzt. Der Putwert kann als Preis des Verlusts aus dem Kreditgeschäft interpretiert werden. Wenn alle Marktteilnehmer risikoneutral wären, würden sich die Marktpreise so bilden, dass die erwarteten Renditen sämtlicher Wertpapiere gleich dem risikolosen Zinssatz wären, denn die Marktteilnehmer würden keine Risikoprämie verlangen. Folglich wäre aus Arbitragefreiheitsgründen auch die erwartete Unternehmensrendite gleich dem risikolosen Zinssatz und der erwartete Verlust gleich dem Putwert. Im Allgemeinen liegt natürlich die erwartete Unternehmensrendite oberhalb des risikolosen Zinssatzes. Damit ist dann auch der Putwert größer als der erwartete Verlust aus dem Kreditgeschäft. Der Kredit wird folglich so bewertet, dass der Kreditgeber zunächst für den erwarteten Verlust entschädigt wird und zudem eine Risikoprämie für die Unsicherheit bezüglich der Höhe dieses Verlusts erhält, und zwar in dem Umfang, in dem die erwartete Unternehmensrendite eine Risikoprämie für die Unsicherheit bezüglich der Höhe des Unternehmensvermögens beinhaltet. Parameterschätzung Bevor ein Kredit gemäß Formel (35) bewertet werden kann, sind die darin enthaltenen Parameter zu bestimmen. Der Rückzahlungsbetrag B und die (Rest-) Laufzeit T des Kredits ergeben sich dabei unmittelbar aus dem Kreditvertrag. Der risikolose Zinssatz r kann der aktuellen Kassazinsstruktur entnommen werden. Hierbei ist lediglich auf die Übereinstimmung der Restlaufzeit mit der des Kredits zu achten. Kritisch gestalten sich hingegen die Bestimmung des Unternehmenswertes V0 sowie die Bestimmung seiner Volatilität V. Zur Unternehmensbewertung existieren verschiedene Verfahren. Grundsätzlich lassen sich die so genannten Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren unterscheiden:
Kreditrisikomanagement
149
Bei den Einzelbewertungsverfahren ergibt sich der Wert einer Unternehmung aus der Summe der Werte der einzelnen Unternehmensbestandteile. Dies sind in unserem Kontext sämtliche Vermögensgegenstände der Unternehmung, also sämtliche Aktiva. Die dabei verwendeten Verfahren sind das Substanzwert- und das Liquidationswertverfahren, die mit Wiederbeschaffungs- bzw. Liquidationspreisen rechnen. Dem Liquidationswert kommt dabei die Bedeutung einer Wertuntergrenze zu, denn im Fall einer ungünstigen Unternehmensentwicklung kann das Unternehmen zur Not immer liquidiert werden. Bei den Gesamtbewertungsverfahren wird der Vergangenheitsbezug verworfen. Hier entscheiden nicht die existierenden Vermögensgegenstände, vielmehr interessiert, was die Gesamtheit des Unternehmens in Zukunft an Erträgen zu erwirtschaften imstande ist. Der Unternehmenswert wird demnach aus der zukünftigen Leistungsfähigkeit abgeleitet. Diese Leistung wird anhand von Ausschüttungen bzw. Erträgen gemessen. Die Gesamtbewertungsverfahren werden insbesondere in Form der Discounted Cashflow-Verfahren bevorzugt verwendet. Wir wollen die klassische Unternehmensbewertung hier nicht weiter vertiefen. Der geneigte Leser sei stattdessen auf die Standardliteratur zu dieser Thematik verwiesen, auf die die Literaturhinweise am Ende dieses Teils eingehen. Zudem behandeln wir in Kapitel 9 explizit die Unternehmensbewertung unter Ausfallrisiko. Auch die Schätzung der Volatilität des Unternehmenswertes erweist sich als problematisch. Bei Unternehmen mit börsennotierten Aktien kann zumindest vom Wert des Eigenkapitals auf die Volatilität des Unternehmensvermögens geschlossen werden. Hier behilft man sich damit, dass in der betrachteten Situation das Eigenkapital den Charakter eines europäischen Calls auf den Unternehmenswert mit Basispreis B und Laufzeit T besitzt (vgl. Abbildung 32, Seite 150). Implizit kann dann aus dem Marktwert des Eigenkapitals EK über die Black/Scholes-Formel zur Bewertung von europäischen Standard-Call-Optionen auf die Volatilität des Unternehmenswertes geschlossen werden (vgl. alternativ auch Formel (112) in Abschnitt 9.2.1):
(44)
§ V0 § § V0 § V 2 · ·¸ V 2 · ·¸ ¨ ln ¨ ln ¸¸ T ¸ T ¨¨ r ¨¨ r ¨ B © ¨ B © 2 ¸¹ ¸ 2 ¹ ¸ r T N¨ EK V0 N¨ ¸ Be ¸ V T V T ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ © ¹ © ¹
Dies setzt jedoch eine zuvor erfolgte Schätzung des Unternehmenswertes voraus. Liegt für ein Unternehmen ein Rating vor, sollte dieses insbesondere Auskunft über die Ausfallwahrscheinlichkeit des Unternehmens geben. Von der Ausfallwahrscheinlichkeit kann dann gemäß Formel (40) auf die Volatilität des Unternehmensvermögens geschlos-
150
Kreditbewertung
sen werden. Dies setzt wiederum eine zuvor erfolgte Schätzung des Unternehmenswertes voraus.
Pay-off Unternehmenswert als Summe der Eigen- und Fremdkapitalwerte Fremdkapital Rückzahlungsbetrag
Eigenkapital
Rückzahlungsbetrag
Abbildung 32:
7.1.2
Unternehmenswert im Rückzahlungszeitpunkt
Pay-offs der Eigen- und Fremdkapitalgeber im Rückzahlungszeitpunkt
Erweiterungen des Grundmodells
Im Grundmodell sind wir zunächst von einer einfachen Situation ausgegangen: Die Passivseite der Unternehmensbilanz weist außer dem zu bewertenden Kredit kein weiteres Fremdkapital auf. Der Kredit entspricht einer bonitätsrisikobehafteten Nullkuponanleihe. Das Unternehmensvermögen wird während der Laufzeit des Kredits nicht durch rein finanzwirtschaftliche Maßnahmen verändert. Die Insolvenz des Unternehmens ist erst im Rückzahlungszeitpunkt feststellbar. Das Fremdkapital ist nicht vorzeitig kündbar. Beim Übergang in den Insolvenzzustand erfolgt keine sprunghafte Veränderung des Unternehmensvermögens. Wir werden jetzt kurz skizzieren, wie auch bei teilweiser Aufhebung dieser Annahmen eine Kreditbewertung mithilfe der Optionspreistheorie erfolgen kann.
Kreditrisikomanagement
151
Veränderung der Kapitalstruktur des Unternehmens Die Kapitalstruktur des Unternehmens war im Grundmodell so gestaltet, dass außer dem zu bewertenden Kredit nur noch Eigenkapital existierte. Hat das Unternehmen hingegen weiteres Fremdkapital aufgenommen, ist die Rangfolge bei der Besicherung von entscheidender Bedeutung zur Bewertung des Kredits. Gleiches gilt für unterschiedliche Fälligkeitszeitpunkte. Um die Darstellung hier möglichst einfach zu halten, beschränken wir uns auf den Fall verschiedener Besicherungsklassen. Angenommen, neben dem zu bewertenden Kredit existiere weiteres Fremdkapital, das im Insolvenzfall gegenüber diesem Kredit vorrangig bedient wird und dieselbe Laufzeit wie der zu bewertende Kredit besitzt. Zur Bewertung ist nun auch der Rückzahlungsbetrag Bv des gegenüber dem betrachteten Kredit vorrangig zu bedienenden Fremdkapitals von Bedeutung. Man kann sich überlegen (vgl. Abbildung 33, Seite 152), dass sich der gesuchte Kreditwert als Differenz der Werte zweier europäischer Calls auf den Unternehmenswert mit Laufzeit T darstellen lässt. Der erste Call (in der Abbildung dunkelgrau dargestellt) besitzt dabei einen Basispreis in Höhe des Rückzahlungsbetrags des vorrangig zu bedienenden Fremdkapitals Bv. Der Basispreis des zweiten Calls (hellgrau dargestellt) entspricht der Summe der Rückzahlungsbeträge des vorrangig zu bedienenden Fremdkapitals Bv und des zu bewertenden (nachrangig bedienten) Kredits Bn. Für den Wert des nachrangig bedienten Kredits F0n gilt also: (45)
F0n
V0 ( N(d1v ) N(d1v n )) e r T ( Bv N(d 2v ) ( Bv Bn ) N(d 2v n )) ln
mit
d1v ln d 2v
V0 § V2· ¸ T ¨¨ r Bv © 2 ¸¹ V T V0 § V2· ¸ T ¨¨ r Bv © 2 ¸¹ V T ln
d1v n ln d 2v n
§ V0 V2· ¸ T ¨¨ r Bv Bn © 2 ¸¹ V T § V0 V2· ¸ T ¨¨ r Bv Bn © 2 ¸¹ V T
152
Kreditbewertung
Pay-off
Gekaufter Call
Vorrangiges Fremdkapital
Bv Nachrangiges Fremdkapital
Bn
Bv+Bn Bv
Unternehmenswert im Rückzahlungszeitpunkt
Verkaufter Call
Abbildung 33: Pay-offs verschiedener Fremdkapitalbesicherungsklassen im Rückzahlungszeitpunkt Während die Berechnung der geforderten Rendite der Gläubiger des Nachrangdarlehens sowie der entsprechenden Ausfallwahrscheinlichkeit analog zu den Formeln (37) bzw. (40) erfolgen kann, muss die Berechnung des erwarteten Verlusts des Nachrangdarlehens ELn gegenüber Formel (42) modifiziert werden. Es gilt nun: Bv Bn
Bv
(46)
EL n
³ Bn g(v) dv
0
~ Bn N(d 2v )
³ ( Bn (v Bv )) g(v) dv
Bv
Bv Bn
³
0
Bv
( Bv Bn v) g (v) dv
³ ( Bv Bn v) g(v) dv
0
Kreditrisikomanagement
153
~ Bn N(d 2v ) ~ ~ ~ ~ ( Bv Bn ) ( N(d 2v n ) N(d 2v )) V0 e P T ( N(d1v n ) N(d1v ))
mit
~ d1v
~ d 2v
~ d1v n
~ d 2v n
ln
ln
V2· V0 § ¸ T ¨¨ P Bv © 2 ¸¹ V T V2· V0 § ¸ T ¨¨ P Bv © 2 ¸¹ V T ln
ln
§ V2· V0 ¸ T ¨¨ P Bv Bn © 2 ¸¹ V T § V2· V0 ¸ T ¨¨ P Bv Bn © 2 ¸¹ V T
Einfacher verhält es sich, wenn neben dem zu bewertenden Kredit weiteres Fremdkapital existiert, das im Insolvenzfall gegenüber diesem Kredit nachrangig bedient wird. Nachrangiges Fremdkapital kann aus Sicht der vorrangigen Fremdkapitalgeber wie zusätzliches Eigenkapital angesehen werden. Die Auszahlung an die vorrangigen Fremdkapitalgeber im Rückzahlungszeitpunkt wird durch die Aufnahme von weiterem nachrangigen Fremdkapital nicht verändert (vgl. Abbildung 33). Die Berechnung des Wertes eines vorrangigen Kredits kann somit analog zu Formel (35) erfolgen. Ebenso wird der erwartete Verlust der vorrangigen Fremdkapitalgeber analog zu Formel (42) ermittelt. Beispiel 2 (Kreditbewertung im optionspreistheoretischen Ansatz) Ein Unternehmen weist Aktiva im Wert von insgesamt 2 Mio. Euro auf. Die erwartete (kontinuierlich berechnete) Gesamtkapitalrendite beträgt 15 Prozent p. a. bei einer Volatilität des Gesamtkapitals von 30 Prozent. Vor zwei Jahren wurde ein Darlehen bei der Hausbank aufgenommen, das bei einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Rückzahlungsbetrag von 1 Mio. Euro abgezinst begeben wurde. Der aktuelle (kontinuierlich berechnete) Marktzinssatz für risikolose Anlagen mit einer dreijährigen Restlaufzeit lautet drei Prozent p. a.
154
Kreditbewertung
Szenario 1 Angenommen, weiteres Fremdkapital existiert nicht. Die Aufnahme von weiterem Kapital sowie Auszahlungen wie Dividenden, Aktienrückkäufe, Zinszahlungen usw. sind nicht geplant. Die Hausbank würde die Darlehensforderung gern an eine Großbank abtreten. Der Kredit der Hausbank lässt sich als Portfolio aus einer (bonitätsrisikofreien) Nullkuponanleihe (Long-Position) mit einem Rückzahlungskurs in Höhe von 1 Mio. Euro und einer Restlaufzeit von drei Jahren sowie einem europäischen Put (Short-Position) auf das Unternehmensvermögen mit einem Basispreis von 1 Mio. Euro und einer Restlaufzeit von drei Jahren darstellen (vgl. Abbildung 31, Seite 142) und folglich auch wie dieses Portfolio bewerten. Der aktuelle Kreditwert ergibt sich gemäß Formel (35) wie folgt: (47)
F0
2 000 000 € N(d1 ) 1 000 000 € e 0,033 N(d 2 )
ln d1
mit
ln d2
894 165,36 €
2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3
Die Renditeforderung der Großbank für die Darlehensübernahme kann gemäß Formel (37) ermittelt werden:
ln
(48)
r*
1 000 000 € 894 165,36 € 3
3,73 % p. a.
Diese Rendite liegt aufgrund des Ausfallrisikos um 73 Basispunkte (Bonitätsspread) über dem Marktzinssatz für risikolose Anlagen mit gleicher Restlaufzeit. Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Kreditausfalls erfordert zudem die Kenntnis der erwarteten Rendite der Unternehmensinvestitionen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit kann aus Formel (40) ermittelt werden:
Kreditrisikomanagement
(49)
PD
155
2· · § § ¨ ln 2 000 000 € ¨ 0,15 0,3 ¸ 3 ¸ ¨ 1 000 000 € ¨© 2 ¸¹ ¸ N¨ ¸ 0,3 3 ¨ ¸ ¨ ¸ © ¹
2,62 %
Die Höhe des erwarteten Verlusts folgt aus Formel (42): (50)
~ ~ EL 1 000 000 € N(d 2 ) 2 000 000 € e 0,153 N(d1 )
mit
~ d1
~ d2
ln
ln
4 376,72 €
2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,15 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,15 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3
Der erwartete Ausfall bzw. Verlust beträgt damit 0,44 Prozent der geforderten Rückzahlungssumme. Szenario 2 Angenommen, bei sonst unveränderten Angaben hatte das Unternehmen vor einem Jahr bei einer Förderbank ein weiteres, gegenüber dem Hausbankdarlehen nachrangiges Darlehen aufgenommen, das bei einer Laufzeit von vier Jahren und einem Rückzahlungsbetrag von 500 000 Euro ebenfalls abgezinst begeben wurde, und die Förderbank würde die Darlehensforderung gern an einen institutionellen Investor abtreten. Der Kredit der Förderbank lässt sich als Portfolio aus einem europäischen Call (LongPosition) auf das Unternehmensvermögen mit einem Basispreis von 1 Mio. Euro und einer Restlaufzeit von drei Jahren sowie einem weiteren europäischen Call (ShortPosition) auf das Unternehmensvermögen mit einem Basispreis von 1,5 Mio. Euro und einer Restlaufzeit von ebenfalls drei Jahren darstellen (vgl. Abbildung 33, Seite 152) und folglich wiederum wie dieses Portfolio bewerten. Der aktuelle Kreditwert ergibt sich gemäß Formel (45):
156
(51)
Kreditbewertung
F0n
2 000 000 € ( N(d1v ) N(d1v n )) e 0,033 (1 000 000 € N(d 2v ) 1 500 000 € N(d 2v n )) 361 533,08 € ln d1v
mit
ln d 2v
2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 000 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 ln
d1v n
ln d 2v n
2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 500 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,03 1 500 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3
Die Renditeforderung rn* des institutionellen Investors für die Übernahme des Nachrangdarlehens kann wieder gemäß Formel (37) ermittelt werden:
ln
(52)
rn*
500 000 € 361 533,08 € 3
10,81 % p. a.
Sie liegt aufgrund des Ausfallrisikos um 7,81 Prozentpunkte (Bonitätsspread) über dem Marktzinssatz für risikolose Anlagen mit gleicher Restlaufzeit. Da das Nachrangdarlehen ein wesentlich höheres Ausfallrisiko aufweist als das erste Darlehen, ist der zugehörige Bonitätsspread ebenfalls höher. Die Differenz beträgt 7,08 Prozentpunkte. Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Ausfalls des Nachrangdarlehens PDn kann wieder aus Formel (40) ermittelt werden:
Kreditrisikomanagement
(53)
PD n
157
2· · § § ¨ ln 2 000 000 € ¨ 0,15 0,3 ¸ 3 ¸ ¨ 1 500 000 € ¨© 2 ¸¹ ¸ N¨ ¸ 12,31 % 0,3 3 ¨ ¸ ¨ ¸ © ¹
Diese Ausfallwahrscheinlichkeit ist deutlich höher als die des ersten Darlehens, was auch den wesentlich größeren Bonitätsspread begründet. Die Höhe des erwarteten Verlusts folgt aus Formel (46): (54)
EL n
~ ~ ~ 500 000 € N(d 2v ) 1 500 000 € ( N(d 2v n ) N( d 2v )) ~ ~ 2 000 000 € e 0,153 ( N(d1v n ) N(d1v )) 34 256,51 €
mit
~ d1v
~ d1
~ d 2v
~ d2
~ d1v n
~ d 2v n
ln
ln
2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,15 1 500 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3 2 000 000 € § 0,32 · ¸3 ¨¨ 0,15 1 500 000 € © 2 ¸¹ 0,3 3
Der erwartete Ausfall bzw. Verlust des Nachrangdarlehens beträgt damit 6,85 Prozent der geforderten Rückzahlungssumme. Wie schon die Ausfallwahrscheinlichkeit, ist auch der (prozentuale) erwartete Verlust beim Nachrangdarlehen deutlich höher als beim ersten Darlehen. Hier gilt sogar, dass der absolute erwartete Verlust beim Nachrangdarlehen trotz einer kleineren Rückzahlungssumme größer ist als der absolute erwartete Verlust des ersten Darlehens. Da das erste Darlehen im Insolvenzfall vorrangig bedient wird, kann in Szenario 2 das Nachrangdarlehen aus Sicht der vorrangigen Fremdkapitalgeber wie Eigenkapital betrachtet werden. Folglich ermitteln sich der Wert des ersten Darlehens, die geforderte Rendite der Kreditgeber, die Ausfallwahrscheinlichkeit und der erwartete Verlust analog zu Szenario 1.
158
Kreditbewertung
Veränderung der Zahlungsstruktur des Kredits Im Grundmodell hatten wir einen Kredit in Form einer bonitätsrisikobehafteten Nullkuponanleihe bewertet. Typischerweise werden Unternehmenskredite jedoch das Zahlungsprofil von Kuponanleihen besitzen oder als Annuitätendarlehen vergeben werden. Die Idee, wie dann vorzugehen ist, lautet wie folgt: Der Eigenkapitalwert nach der vorletzten Kreditzahlung kann als Wert eines Calls (Option 1) auf den Unternehmenswert mit der Höhe der letzten Kreditzahlung als Ausübungspreis dargestellt werden. Nach der vorvorletzten Kreditzahlung ist der Eigenkapitalwert als Wert eines Calls (Option 2) auf Option 1 mit der Höhe der vorletzten Kreditzahlung als Ausübungspreis darstellbar usw. Stehen noch n Kreditzahlungen aus, entspricht der Wert des Eigenkapitals dem Wert von Option n. Der Kreditwert ergibt sich dann als Differenz aus dem Unternehmenswert und dem Wert des Eigenkapitals. Der Eigenkapitalwert als Option auf eine Option (usw.) kann nun nicht mittels der Standard-Black/Scholes-Formel dargestellt werden, denn diese setzt eine konstante Volatilität des Basisinstruments voraus. Die Volatilität einer Option ist jedoch nicht konstant, sie hängt vielmehr vom aktuellen Wert des Basisinstruments und der Restlaufzeit der Option ab. Eine Option, deren Basisinstrument selbst wieder eine Option ist, wird als Compound Option bezeichnet. Zur Bewertung von Compound Options existieren spezielle Bewertungsformeln. Für Quellen hierzu sei der interessierte Leser auf die Literaturhinweise am Ende dieses Teils verwiesen. Finanzwirtschaftliche Maßnahmen im Unternehmen Ein erster Ansatz, Veränderungen des Unternehmensvermögens während der Laufzeit des Kredits zu berücksichtigen, wie sie z. B. aus Dividendenzahlungen resultieren, besteht darin, den aktuellen Unternehmenswert direkt um den Barwert der erwarteten Zahlungen zu bereinigen, so wie es auch zur Bewertung von Aktienoptionen vorgeschlagen wird, wenn auf die Aktie während der Laufzeit der Option Dividendenzahlungen erfolgen. Möglichkeit der Insolvenz zu jedem Zeitpunkt Das Grundmodell stellt lediglich auf die Insolvenz zum Fälligkeitszeitpunkt des Kredits ab. Tatsächlich kommt es typischerweise bereits während der Laufzeit eines Kredits zur Insolvenz des Unternehmens, selbst dann, wenn der Kredit das Zahlungsprofil einer bonitätsrisikobehafteten Nullkuponanleihe besitzt. Der Insolvenztatbestand der Überschuldung muss nicht erst bei Fälligkeit des Fremdkapitals zutage treten. In so genannten First-Passage-Time-Modellen gilt das Unternehmen als ausgefallen, wenn das Unternehmensvermögen während der Laufzeit des Kredits eine untere Grenze unterschreitet, wobei diese wiederum zeitabhängig sein kann. Ein interessanter Spezialfall ist dabei derjenige, bei dem die untere Grenze den Barwert des Kredits (auf der Basis des risikolosen Zinssatzes) darstellt. Da die Veränderung des Unternehmensvermögens
Kreditrisikomanagement
159
zeitstetig modelliert wird, ist der Kredit dann im Prinzip bonitätsrisikolos – vorausgesetzt, die Fremdkapitalgeber können den Unternehmenswert jederzeit beobachten und bei Erreichen der angesprochenen Grenze entsprechend handeln. Vorzeitig kündbares Fremdkapital Auch der Fall von vorzeitig kündbarem Fremdkapital, z. B. in Form von Sondertilgungsrechten, wird im Grundmodell nicht thematisiert. Die Modellierung kann ebenfalls in First-Passage-Time-Modellen geschehen, nun jedoch durch eine entsprechende obere Grenze. Veränderung des Unternehmensvermögens im Insolvenzzustand Im Grundmodell wurde vorausgesetzt, dass der Wert des Unternehmensvermögens beim Übergang des Unternehmens in den Insolvenzzustand keine sprunghafte Veränderung erfährt. Das ist aber regelmäßig der Fall, wenn Unternehmenseigner und Geschäftsleitung identisch sind. Die Ertragskraft verringert sich häufig nochmals, sobald die Unternehmenseigner die Kontrolle über ihr Unternehmen verlieren. Der Unternehmenswert sinkt dann um den Betrag, der vom verbliebenen Unternehmensvermögen auf die Geschäftsführung entfällt. Dieser Fall des Eigentümermanagements kann beispielsweise mithilfe des Binomialmodells behandelt werden.
7.2
Der ratingbasierte Ansatz
Im optionspreistheoretischen Ansatz haben wir zunächst den Kreditwert und daraus den zugehörigen Bonitätsspread berechnet. Das im Folgenden dargestellte Modell geht einen umgekehrten Weg, ermittelt also zunächst den Bonitätsspread und anschließend den Kreditwert. Das in diesem Abschnitt vorgestellte Modell beruht auf der Idee, dass der Bonitätsspread vom Risiko des Kreditnehmers abhängt. Diese Abhängigkeit hatten wir bereits im Merton-Modell erkannt. Der Bonitätsspread wächst dort mit steigender Volatilität des Unternehmenswertes. Die Volatilität des Unternehmenswertes stellt jedoch nur eine Möglichkeit dar, das Risiko des kreditnehmenden Unternehmens zu quantifizieren. Ein weiteres, im Folgenden aufgegriffenes Risikomaß ist die Ausfallwahrscheinlichkeit des betrachteten Unternehmens. Gehen wir noch einmal zurück auf die Situation im Merton-Modell. Die Ausfallwahrscheinlichkeit erhalten wir dann gemäß Formel (40). Bezeichnen wir mit n() die Dichtefunktion einer standardnormalverteilten Zufallsgröße, so gilt:
160
(55)
Kreditbewertung
§ V § V 2 · ·¸ ¸ T T V T V T ¨¨ ln 0 ¨¨ P ~ B © 2 ¸¹ ¸¹ ~ w ( d 2 ) ~ w PD © n ( d 2 ) n (d 2 ) wV wV V 2 T § V2· V ¸ T ln 0 ¨¨ P B © 2 ¸¹ ~ n (d 2 ) V2 T
Wir treffen nun noch folgende Annahme: Erwirtschaftet das Unternehmen mindestens die erwartete Rendite P, so ist das Unternehmensvermögen bei Fälligkeit des Kredits groß genug, um diesen zu bedienen. Formal bedeutet dies: (56)
V0 e P T t B
Wäre Bedingung (56) nicht erfüllt, würde der Kredit im Zeitpunkt seiner Vergabe eine Ausfallwahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent aufweisen und wohl gar nicht erst vergeben. Bedingung (56) impliziert:
(57)
ln
V0 P T t 0 B
Damit folgt eine positive Abhängigkeit der Ausfallwahrscheinlichkeit von der Volatilität des Unternehmensvermögens gemäß Formel (55). Eine höhere Unternehmenswertvolatilität geht also mit einer höheren Ausfallwahrscheinlichkeit einher. Während der optionspreistheoretische Ansatz neben dem aktuellen Unternehmenswert die Unternehmenswertvolatilität als wesentlichen Eingangsparameter benutzt, sind dies bei dem im Folgenden betrachteten Modell Ausfallwahrscheinlichkeiten. Weder der aktuelle Unternehmenswert noch die Kapitalstruktur finden Eingang in die Modellierung beim ratingbasierten Ansatz. Deshalb spricht man auch von Reduced-Form-Modellen. Vielmehr steht die Modellierung des Ausfallzeitpunktes im Vordergrund. Ausfallzeitpunkte werden üblicherweise über Poissonprozesse modelliert. Poissonprozesse besitzen nur einen Parameter, die so genannte Intensität. Diese entspricht in unserem Kontext der mittleren Anzahl ausgefallener Unternehmen einer bestimmten Bonitätsklasse pro Zeiteinheit. Die Modelle des ratingbasierten Ansatzes zur Kreditbewertung, die lediglich den Ausfallzeitpunkt modellieren, werden deshalb auch als Intensity-based-Modelle bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden Modelle, die nicht nur die Wanderung (Migration) eines Unternehmens in den Ausfallzustand, sondern auch Wanderungen zwischen einzelnen Ratingklassen zulassen, als Credit-Migration-Modelle bezeichnet.
Kreditrisikomanagement
161
Wir werden in diesem Abschnitt für die verschiedenen Ratingklassen von Unternehmen Bonitätsaufschläge auf die Renditestruktur ermitteln. Dies geschieht zunächst ohne die Berücksichtigung von Ratingmigrationen, lässt sich aber auch mit deren Berücksichtigung durchführen.
7.2.1
Das Grundmodell
Die folgende Darstellung beruht auf einem Aufsatz von JEROME S. FONS aus dem Jahr 1994, der der Frage nachgeht, welche Renditen Investoren für bonitätsrisikobehaftete Kuponanleihen in Abhängigkeit von der Restlaufzeit der Anleihe und der Risikoklasse des emittierenden Unternehmens verlangen. Diese Renditen können dann benutzt werden, um auch hinsichtlich Laufzeit und Bonität vergleichbare Kredite zu bewerten. Berechnung der Bonitätsspreads Wir betrachten zunächst die Bewertungsgleichung für bonitätsrisikofreie Kuponanleihen. FONS nimmt dazu an, dass zu jeder Restlaufzeit eine bonitätsrisikofreie Kuponanleihe existiert, die zu pari bewertet ist. Kuponhöhe und Rendite (interner Zinsfuß) stimmen dann überein, wobei wir die diskret berechnete (Verfall-) Rendite einer bonitätsrisikofreien Kuponanleihe mit Laufzeit T mit sT bezeichnen wollen. Die am Anleihenmarkt vorliegende Renditestruktur wird dann durch (s1, s2, ...) beschrieben. Im vorliegenden Modell ist diese sogar eindeutig. Würde man hingegen die Renditestruktur auf Basis von Kuponanleihen berechnen, die nicht alle zu pari bewertet sind (was bei unterschiedlichen Kuponhöhen der Fall ist), stünde man vor dem Problem, dass die Verfallrenditen zweier Kuponanleihen mit gleicher Restlaufzeit im Allgemeinen nicht identisch sind. Selbst bei Arbitragefreiheit des Anleihenmarktes sind deshalb unterschiedliche Verfallrenditen bei gleicher Restlaufzeit zu beobachten. Schreiben wir nun alle Zahlungen als prozentualen Anteil am Nennwert, erhalten wir unter der Annahme eines arbitragefreien Kapitalmarktes folgende Formel: T
(58)
1
s
¦ (1 Ts
t 1
T
)t
1 , T (1 sT )T
1, 2, ...
Die Frage lautet nun, welchen Bonitätsaufschlag auf die Kuponzahlungen Investoren fordern, wenn die Kupons und der Rückzahlungsbetrag ausfallrisikobehaftet sind. Wir gehen dabei von risikoneutralen Investoren aus, die die erworbenen bonitätsrisikobehafteten Kuponanleihen bis zur Fälligkeit bzw. bis zum Ausfall des emittierenden Unternehmens halten. Die Investoren werden dann für bonitätsrisikobehaftete, zu pari bewer-
162
Kreditbewertung
tete Kuponanleihen mit Restlaufzeit T einen Aufschlag derart verlangen, dass die Summe der mit sT diskontierten erwarteten Zahlungen wiederum den Nennwert ergibt. Im Allgemeinen bedeutet der Ausfall eines Schuldners nicht den vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals der Gläubiger. Die erwartete Rückgewinnungsrate sei im Folgenden mit G bezeichnet. Sie bezieht sich auf die Summe aus einer noch ausstehenden Kuponzahlung und dem Nennwert und sei annahmegemäß unabhängig vom Ausfallzeitpunkt. Wir schreiben nun wieder alle Zahlungen als prozentualen Anteil am Nennwert. Mit sT* bezeichnen wir die Höhe der geforderten Kuponzahlungen einer bonitätsrisikobehafteten und zu pari bewerteten Kuponanleihe mit Laufzeit T. Es lassen sich drei Fälle für die Zahlungen an die Gläubiger in den einzelnen Zahlungszeitpunkten unterscheiden: 1.
Das Unternehmen ist bis einschließlich Zeitpunkt t nicht ausgefallen; die Zahlung an die Gläubiger lautet dann sT* für t < T bzw. sT* 1 für t = T.
2.
Das Unternehmen gilt im Zeitpunkt t erstmalig als ausgefallen; die Zahlung an die Gläubiger beläuft sich dann auf G ( sT* 1) .
3.
Das Unternehmen war bereits zum Zeitpunkt t – 1 ausgefallen; die Zahlung an die Gläubiger im Zeitpunkt t beträgt dann null.
Mit den Bezeichnungen pt(1) und pt(2) für die Wahrscheinlichkeiten des Auftretens von Fall 1 bzw. 2 im Zeitpunkt t erhalten wir die folgenden Formeln: pT(1) pt(1) sT* pt( 2) G ( sT* 1) , T (1 sT ) t (1 sT )T t 1 T
(59)
1
¦
1, 2, ...
Da die Zahlung im Fall 3 stets null ist, taucht die Wahrscheinlichkeit pt(3) nicht mehr auf. Um die benötigten Wahrscheinlichkeiten pt(1) und pt( 2) zu erhalten, wird vorgeschlagen, auf das Rating der emittierenden Unternehmen zurückzugreifen. Nehmen wir dazu an, dass insgesamt K Ratingklassen existieren, wobei die letzte Ratingklasse K den Insolvenzzustand repräsentiert. Sei nun nty (k ) die Anzahl der Unternehmen, die zu Beginn des Jahres y das Rating k erhielten und t Jahre später (also zu Beginn des Jahres y + t) noch nicht ausgefallen waren. Weiter bezeichne mty (k ) die Anzahl der Unternehmen, die zu Beginn des Jahres y das Rating k erhielten und dann innerhalb des Jahres y + t ausfielen. Liegen nun die Daten über Unternehmensausfälle und Ratings für insgesamt Y + t 1 Jahre vor, können wir die marginale, d. h. Grenzausfallrate dt(k) als die
Kreditrisikomanagement
163
durchschnittliche Ausfallrate für Unternehmen mit Rating k im Jahr t darauf wie folgt definieren: Y
¦ mty1 (k )
(60)
d t (k )
y 1 Y
, t
1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
nty1 (k ) y 1
¦
Die Größe dt(k) kann als Wahrscheinlichkeit dafür verwendet werden, dass ein Unternehmen im Jahr t nach Erhalt des Ratings k insolvent wird. In Formel (60) taucht natürlich die letzte Ratingklasse K nicht auf, da ein Unternehmen nach Übergang in den Insolvenzzustand nicht mehr weiterbetrachtet wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen mit Rating k im ersten Jahr nach Erhalt des Ratings nicht insolvent wird, lautet 1 – d1(k), die Wahrscheinlichkeit, dass es im zweiten Jahr nach Erhalt des Ratings k nicht ausfällt, lautet 1 – d2(k) usw. Die Größen 1 – dt(k) können somit als marginale Überlebensraten von Unternehmen mit Rating k im Jahr t darauf interpretiert werden. Aus den marginalen Ausfallraten bzw. marginalen Überlebensraten lassen sich nun die kumulierten Überlebensraten Lt(k) herleiten. Diese können als diejenigen Wahrscheinlichkeiten verwendet werden, dass ein Unternehmen mit Rating k mindestens t Jahre lang keinen Ausfall aufweist. Sie lassen sich als Produkt der marginalen Überlebensraten ermitteln: t
(61)
Lt (k )
(1 dW (k )),
t 1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
W 1
Die Wahrscheinlichkeiten pt(1) (k ) als die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass ein Unternehmen mit Rating k bis zum Ende des Jahres t nicht ausgefallen war, stellen nun nichts anderes als die entsprechenden kumulierten Überlebenswahrscheinlichkeiten dar: (62)
pt(1) (k )
Lt (k ), t
1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
Damit ein Unternehmen im Zeitpunkt t erstmalig als ausgefallen gilt, muss es bis einschließlich zum Zeitpunkt t – 1 überlebt haben. Zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten pt( 2) (k ) als der Wahrscheinlichkeiten, dass ein Unternehmen mit Rating k im Zeit-
164
Kreditbewertung
punkt t, also innerhalb des Jahres t, erstmalig als ausgefallen gilt, sind folglich die kumulierten Überlebenswahrscheinlichkeiten bis zum Jahr t – 1 sowie die marginalen Ausfallwahrscheinlichkeiten für das Jahr t heranzuziehen: (63)
pt( 2) (k )
Lt 1 (k ) d t (k ), t L0 (k ) { 1, k
mit
1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
1, 2, ..., K 1
Setzen wir diese Größen in Formel (59) ein und bezeichnen mit sT* (k ) die Höhe der geforderten Kuponzahlungen einer bonitätsrisikobehafteten und zu pari bewerteten Kuponanleihe mit Laufzeit T, die von einem Unternehmen mit Rating k emittiert wird, so erhalten wir: T
(64)
1
Lt (k ) sT* ( k ) Lt 1 ( k ) d t (k ) G ( sT* (k ) 1) L (k ) , T t ( 1 ) ( 1 s sT )T T 1
¦
t
T
1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
Um die Höhe der geforderten Kuponzahlungen sT* (k ) zu ermitteln, sind die Formeln (64) entsprechend umzustellen: T
Lt 1 (k ) d t (k ) G L (k ) T T t ( 1 s ) ( 1 sT ) T 1
1 ¦
(65)
sT* (k )
t
T
L ( k ) Lt 1 ( k ) d t (k ) G ¦ t (1 sT ) t t 1
, T
1, 2, ..., k
1, 2, ..., K 1
Im Merton-Modell hatten wir die Abhängigkeit des Bonitätsspreads von der Volatilität des Unternehmenswertes und der Restlaufzeit des Kredits erkannt. Der Bonitätsspread sT* (k ) sT im Fons-Modell hängt nun ebenfalls von der Restlaufzeit der Anleihe und vom Risiko des kreditnehmenden Unternehmens ab. Das Risiko wird dabei jetzt durch die Ratingklasse des Unternehmens beschrieben. Diese sollte insbesondere die Ausfallwahrscheinlichkeit des Unternehmens widerspiegeln, die wiederum gemäß Formel (40) in direktem Zusammenhang zur Unternehmenswertvolatilität steht. Der Vergleich der Formeln (58) und (64) für bonitätsrisikolose und bonitätsrisikobehaftete Kuponanleihen zeigt, dass der Bonitätsspread wiederum stets positiv ist. Dies folgt
Kreditrisikomanagement
165
daraus, dass die marginalen Ausfallraten, die kumulierten Überlebensraten und die Rückgewinnungsrate jeweils unterhalb von eins liegen. Kreditbewertung Die Größe sT* (k ) stellt diejenige Rendite dar, die risikoneutrale Gläubiger fordern, wenn sie an ein Unternehmen der Ratingklasse k einen Kredit mit Laufzeit T vergeben. Zur Bewertung eines Kredits mit Restlaufzeit T an ein Unternehmen der Ratingklasse k ist daher lediglich die Summe der mit 1 /(1 sT* (k ))t (für t = 1, ..., T) gewichteten Kreditzahlungen zu bilden. Bezeichnen wir mit Zt die Höhe der Zins- und Tilgungszahlung im Zeitpunkt t, stellt sich die Berechnung des aktuellen Wertes des Kredits recht einfach dar:
(66)
7.2.2
F0
T
Z
t 1
T
¦ (1 s*t(k ))t
Diskussion und Erweiterungen des Grundmodells
Die wesentliche Stärke des Fons-Modells liegt in der geringen Menge benötigter Daten, die zudem vergleichsweise leicht erhältlich sind: Die marginalen Ausfallraten und die durchschnittlichen Rückgewinnungsraten (als Schätzer für die erwarteten Rückgewinnungsraten in der Zukunft) sind aus den gesammelten Daten über Ratingklassen und Unternehmensausfälle erhältlich, die z. B. Standard & Poor’s oder Moody’s Investors Service veröffentlichen. Zudem sind die Ratingagenturen gemäß Basel II verpflichtet, die tatsächlich in jeder Bonitätsklasse beobachteten Ausfallraten und die Wanderungsbewegungen zwischen den Ratingklassen, die im Folgenden noch eine Rolle spielen werden, zu publizieren. Sonst erfolgt keine Anerkennung der Ratingagentur als External Credit Assessment Institution im Basel-II-Standardansatz für die Bemessung des Kreditrisikos. Die Renditestruktur liest man am einfachsten direkt aus den aktuellen Swap Rates ab, was auch erklärt, warum wir uns für das zunächst etwas ungewöhnlich erscheinende Symbol s für die Rendite entschieden haben. Die geringe Menge an Eingangsdaten wird durch die unterstellte Risikoneutralität der Marktteilnehmer erreicht. Die berechneten geforderten Renditen bzw. Bonitätsspreads werden daher im Allgemeinen zu niedrig ausfallen. Umgekehrt werden Kredite zu hoch bewertet, wenn ihr Wert auf Basis der im Modell ermittelten Diskontierungsfaktoren bestimmt wird.
166
Kreditbewertung
Im Fons-Modell werden in Abhängigkeit der Ratingklasse Bonitätsspreads auf die Renditestruktur berechnet. Die dabei ermittelten Zinssätze entsprechen den Verfallrenditen bzw. internen Zinsfüßen von Kuponanleihen. Die Methode des internen Zinsfußes unterstellt aber implizit, dass zwischenzeitliche Zahlungen eben zum internen Zinsfuß wieder angelegt werden können, was nur im Fall einer flachen Zinsstruktur unproblematisch ist. Konsistent mit einer arbitragefreien Modellierung wäre es deshalb, Bonitätsspreads auf die Kassazinsstruktur zu berechnen. Es existieren auch Modelle, die die beiden soeben genannten Schwächen nicht aufweisen. In diesen Modellen werden einerseits Bonitätsspreads auf die Terminzinssätze (und damit implizit auf die Kassazinsstruktur) ermittelt und es wird andererseits das Prinzip der risikoneutralen Bewertungstechnik verfolgt, was risikoaverses Verhalten der Marktteilnehmer abbildet. Der analytische Anspruch dieser Modelle ist jedoch vergleichsweise hoch, weshalb wir den geneigten Leser dazu auf die entsprechenden Quellen in den Literaturhinweisen verweisen wollen. Zwei Erweiterungen des Fons-Modells sind jedoch vergleichsweise einfach möglich. Dazu betrachten wir noch einmal die Situation im Grundmodell: Die Rückgewinnungsrate war sowohl vom Ausfallzeitpunkt als auch von der Ratingklasse des Unternehmens unabhängig; es werden keine Ratingmigrationen modelliert. Im Folgenden soll kurz skizziert werden, wie von Ausfallzeitpunkt und Ratingklasse der Unternehmen abhängige Rückgewinnungsraten sowie Ratingmigrationen in einem erweiterten Modell berücksichtigt werden können. Modifikationen hinsichtlich der Rückgewinnungsrate Die Bonitätsspreads im Fons-Modell reagieren sensitiv auf die Rückgewinnungsrate. Die in Formel (65) erscheinende Rückgewinnungsrate ist unabhängig von folgenden Größen: Ausfallzeitpunkt, Ratingklasse des Unternehmens sowie Besicherungsklasse. Es gibt Modelle, die die Rückgewinnungsrate über einen stochastischen Prozess modellieren. Zum Beispiel kann die Rückgewinnungsrate als zeitabhängiger prozentualer Anteil am Marktwert des Kredits dargestellt werden, der sich ergeben hätte, wenn das Unternehmen nicht insolvent geworden wäre. Damit ergibt sich insbesondere eine Modellierung der Rückgewinnungsrate in Abhängigkeit vom Ausfallzeitpunkt. Auf diese Modelle soll jedoch hier nicht weiter eingegangen werden. Entsprechende Verweise finden sich in den Literaturhinweisen. Eine weitere Möglichkeit lautet, die durchschnittlichen Rückgewinnungsraten aus den gesammelten Daten der Ratingagenturen entsprechend den Besicherungsklassen, den
Kreditrisikomanagement
167
vergebenen Ratingklassen und dem Ausfalljahr nach Erhalt des Ratings zu sortieren. In die Formel (65) würde dann anstelle des G ein G tb (k ) einfließen, das die durchschnittliche Rückgewinnungsrate im Insolvenzfall bezeichnet, die sich für Kredite der Besicherungsklasse b und für Unternehmen mit Ratingklasse k ergibt, die im Jahr t nach Erhalt dieses Ratings ausfallen. Zumindest sollten die ausfallrisikoangepassten Renditeforderungen und damit die durchschnittlichen Rückgewinnungsraten in Abhängigkeit von der Besicherungsklasse bestimmt werden, da einerseits der Bonitätsspread sensitiv auf die Rückgewinnungsrate reagiert und andererseits die mittleren empirischen Rückgewinnungsraten mit einer Verschlechterung der Besicherungsklasse deutlich sinken. Berücksichtigung von Ratingmigrationen Im Fons-Modell bleibt unberücksichtigt, dass sich das Rating eines Unternehmens im Zeitablauf ändern kann. Es wird zwar nicht unterstellt, dass Unternehmen konstante Ratings aufweisen, dennoch sollte die Berücksichtigung von Ratingmigrationen eine Verbesserung der Ergebnisse erwarten lassen. Wir verbleiben im Fall von insgesamt K Ratingklassen, wobei wiederum die Ratingklasse K den Insolvenzzustand repräsentiert. Zusätzlich zu den Ausfallwahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von der Ratingklasse betrachten wir nun auch die Wahrscheinlichkeiten von Ratingmigrationen, also Änderungen des Ratings. Dabei wollen wir uns auf den Fall zeithomogener (im Zeitablauf konstanter) Migrationswahrscheinlichkeiten beschränken und definieren die folgende Ein-Jahres-Migrationsmatrix /1, in der der Eintrag Oi(1,k) für die Wahrscheinlichkeit steht, dass ein Unternehmen mit Ratingklasse i innerhalb eines Jahres in die Ratingklasse k wechselt:
(67)
/1
§ O(1) ¨ 1,1 ¨ ¨ (1) ¨ OK 1,1 ¨ 0 ©
O1(1, K) 1
O1(1, K) ·¸
O(K1)1, K 1
O(K1)1, K
0
1
¸ ¸ ¸ ¸ ¹
Eine besondere Beachtung bzw. Interpretation verdienen die letzte Zeile und Spalte der Migrationsmatrix: Die Ratingklasse K, die den Insolvenzzustand repräsentiert, ist absorbierend. Ist der Insolvenzzustand einmal erreicht, wird er nicht wieder verlassen. Folglich sind die Wahrscheinlichkeiten für eine Wanderung aus dem Insolvenzzustand in eine andere Ratingklasse gleich null, die Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib im Insolvenzzustand ist hingegen gleich eins.
168
Kreditbewertung
In der letzten Spalte der Migrationsmatrix befinden sich die Wahrscheinlichkeiten für den Übergang aus den verschiedenen Ratingklassen in den Insolvenzzustand. Diese stellen nichts anderes dar als die Wahrscheinlichkeiten eines Ausfalls innerhalb eines Jahres (einjährige Ausfallwahrscheinlichkeiten). Wahrscheinlichkeiten können nicht negativ werden. Deshalb muss gelten: (68)
Oi(1, k) t 0, i 1, ..., K , k 1, ..., K
Darüber hinaus muss gelten, dass sich ein Unternehmen nach einem Jahr auch tatsächlich wieder in einer der K Ratingklassen befindet: K
(69)
¦ Oi(1, k)
1, i 1, ..., K
k 1
Multipliziert man die Migrationsmatrix /1 einmal mit sich selbst, so gelangt man zur 2) für die Wahrscheinlichkeit Zwei-Jahres-Migrationsmatrix /2, in der der Eintrag Oi(,k
steht, dass ein Unternehmen mit Ratingklasse i innerhalb von zwei Jahren in die Ratingklasse k wechselt:
(70)
/2
/1 /1
§ O( 2) ¨ 1,1 ¨ ¨ ( 2) ¨ OK 1,1 ¨ 0 ©
O1(,2K) 1
O1(,2K) ·¸
O(K2)1, K 1
O(K2)1, K
0
1
¸ ¸ ¸ ¸ ¹
Gemäß den Regeln der Multiplikation von Matrizen gilt dabei:
(71)
Oi(,2k)
K
¦ Oi(1,l) Ol(1, k) ,
l 1
i 1, ..., K , k
1, ..., K
Kreditrisikomanagement
169
Formel (71) zeigt dabei, dass ein Unternehmen, um innerhalb von zwei Jahren aus der Ratingklasse i in die Ratingklasse k zu wandern, innerhalb des ersten Jahres zunächst aus der Ratingklasse i in eine beliebige Ratingklasse wandern darf und dann innerhalb des zweiten Jahres von dieser Ratingklasse in die Ratingklasse k gelangen muss. Multipliziert man die Migrationsmatrix /1 nun t-mal mit sich selbst, gelangt man zur tJahres-Migrationsmatrix /t, in der der Eintrag Oi(,tk) für die Wahrscheinlichkeit steht, dass ein Unternehmen mit Ratingklasse i innerhalb von t Jahren in die Ratingklasse k wechselt:
(72)
/t
§ O(t ) ¨ 1,1 ¨ ¨ (t ) ¨ OK 1,1 ¨ 0 ©
1 /1 /1 / t - mal
O1(,t K) 1
O(Kt )1, K 1 0
O1(,t K) ·¸
¸ ¸, t 1, 2, ... O(Kt )1, K ¸ 1 ¸¹
Dabei gilt rekursiv:
(73)
O(i,tk)
K
¦ Oi(,tl1) Ol(1, k) ,
t
2, 3, ..., i
1, ..., K , k
1, ..., K
l 1
Wir suchen nun wieder in Formel (59) die Wahrscheinlichkeiten pt(1) (k ) und pt( 2) (k ) , die dafür stehen, dass ein Unternehmen aus dieser Ratingklasse bis einschließlich zum Zeitpunkt t nicht ausgefallen ist bzw. im Zeitpunkt t erstmalig als ausgefallen gilt. Um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhalten, dass ein Unternehmen aus Ratingklasse k kommend bis einschließlich zum Zeitpunkt t nicht ausfällt, sind aus der t-JahresMigrationsmatrix alle Wahrscheinlichkeiten für eine Wanderung aus der Ratingklasse k in eine beliebige Ratingklasse, mit Ausnahme des Insolvenzzustands, zu summieren. Umgekehrt kann auch von der hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit, nach t Jahren aus Ratingklasse k kommend in eine beliebige Ratingklasse zu gelangen, die Wahrscheinlichkeit für eine Wanderung in den Insolvenzzustand abgezogen werden:
(74)
pt(1) (k )
K 1
¦ O(kt,)l
l 1
1 O(kt,)K , t
1, 2, ..., k
1, ..., K 1
170
Kreditbewertung
Damit ein Unternehmen aus Ratingklasse k kommend im Zeitpunkt t erstmalig als ausgefallen gilt, muss es im Zeitpunkt t – 1 einer der Ratingklassen 1 bis K – 1 angehören und dann von dort im Jahr t in den Insolvenzzustand wandern. Folglich gilt:
(75)
pt( 2) (k )
K 1
¦ O(kt,l 1) O(l1, K) ,
t
1, 2, ..., k
1, ..., K 1
l 1
/0
mit
§ 1 0 0· ¨ ¸ ¨0 1 ¸ ¨ 1 0¸ ¨ ¸ ¨ 0 0 1¸ © ¹
Setzen wir nun diese Größen in Formel (59) ein, erhalten wir zur Ermittlung der Höhe der geforderten Kuponzahlungen einer bonitätsrisikobehafteten und zu pari bewerteten Kuponanleihe mit Laufzeit T, die von einem Unternehmen mit Rating k emittiert wird, die folgenden Formeln:
T
(76)
1
(1 O(kt,)K ) sT* (k )
¦ O(kt,l 1) Ol(1, K) G (sT* (k ) 1)
l 1
¦
(1 sT ) t
t 1
T
K 1
1, 2, ..., k
1 O(kT, K) (1 sT )T
1, 2, ..., K 1
Diese lassen sich analog zu Formel (65) nach der Höhe der geforderten Kuponzahlungen umstellen. Simultane Modifikationen hinsichtlich Rückgewinnungsrate und Migrationen Werden Ratingmigrationen berücksichtigt, macht es keinen Sinn mehr, die Rückgewinnungsquoten im Insolvenzfall vom Ausfallzeitpunkt abhängig zu machen. Vielmehr hängen diese Rückgewinnungsquoten neben der Besicherungsklasse davon ab, welcher Bonitätsklasse das Unternehmen unmittelbar vor der Insolvenz angehörte. Die erwartete Zahlung im Zeitpunkt t, sofern der betrachtete Kredit der Besicherungsklasse b angehört und das kreditnehmende Unternehmen der Bonitätsklasse k entstammt, lautet dann beim Ausfall im Zeitpunkt t: K 1
(77)
¦ O(kt,l 1) O(l1, K) G b (l ),
l 1
t 1, 2, ..., k
1, ..., K 1
Kreditrisikomanagement
171
Dabei wird nun bezüglich der Rückgewinnungsquote berücksichtigt, welcher Ratingklasse das betrachtete Unternehmen unmittelbar vor dem Ausfall angehörte. Unter Benutzung der Formel (77) können wir Formel (76) noch einmal umformulieren und erhalten schließlich zur Berechnung der bonitäts- und laufzeitabhängigen Kuponforderungen risikoneutraler Kreditgeber im allgemeinen Fall der Berücksichtigung von Ratingmigrationen sowie bonitätsabhängiger Rückgewinnungsquoten im Insolvenzfall die folgenden Formeln:
(1 O(kt,)K ) sT* (k )
T
(78)
1
¦ O(kt,l 1) Ol(1, K) G b (l ) (sT* (k ) 1)
l 1
¦
(1 sT ) t
t 1
T
K 1
1, 2, ..., k
1 O(kT, K) (1 sT )T
1, 2, ..., K 1
Wieder kann eine Umstellung nach der Höhe der geforderten Kuponzahlungen analog zu Formel (65) erfolgen. Beispiel 3 (Bonitätsspread im ratingbasierten Ansatz) Ein Unternehmen plant die Emission einer Kuponanleihe mit einer Laufzeit von zwei Jahren, einem Volumen von 10 Mio. Euro, Aus- und Rückzahlung zu pari und jährlichen Kuponzahlungen. Im Vorfeld der Emission hat sich das Unternehmen von einer Agentur ein Rating erstellen lassen und wurde dabei zunächst in die mittlere der drei solvenzkennzeichnenden Ratingklassen eingeordnet. Die Agentur verwendet vier Ratingklassen, wobei die vierte Ratingklasse bereits eingetretene Insolvenz repräsentiert. Nach einem Jahr überprüft die Ratingagentur regelmäßig die vergebenen Ratings und führt gegebenenfalls Änderungen durch. Die Ein-Jahres-Migrationsmatrix, die auch die Wahrscheinlichkeiten eines Ausfalls innerhalb eines Jahres in Abhängigkeit von der zuletzt vergebenen Ratingklasse enthält, lautet:
(79)
/1
§ 0,96 0,02 0,01 0,01· ¨ ¸ ¨ 0,03 0,9 0,02 0,05 ¸ ¨ 0,01 0,09 0,7 0,2 ¸ ¨ ¸ ¨ 0 0 0 1 ¸¹ ©
172
Kreditbewertung
Die erwarteten Rückgewinnungsraten bei Ausfall seien abhängig vom Rating unmittelbar vor dem Jahr des Ausfalls, beziehen sich auf die Summe aus einer noch ausstehenden Kuponzahlung und dem Rückzahlungswert und lauten wie folgt: 70 Prozent, sofern vor dem Jahr des Ausfalls die beste Ratingnote vergeben wurde; 40 Prozent, sofern vor dem Jahr des Ausfalls die mittlere Ratingnote vergeben wurde; 10 Prozent, sofern vor dem Jahr des Ausfalls die schlechteste, gerade noch solvenzkennzeichnende Ratingnote vergeben wurde. Für bonitätsrisikofreie Kuponanleihen mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren und jährlichen Kuponzahlungen lässt sich am Kapitalmarkt eine Rendite von drei Prozent p. a. ablesen. Um zu ermitteln, welchen Kuponsatz das Unternehmen unter der Voraussetzung risikoneutraler Anleger mindestens wählen muss, damit die Anleihe am Markt platziert werden kann, benutzen wir Formel (78) mit T = 2, k = 2 und K = 4. In unserem Beispiel genügt es dabei, aus der Zwei-Jahres-Migrationsmatrix lediglich den Wert zu berechnen, der für einen Ausfall des Unternehmens nach zwei Jahren steht:
(80)
O(22,4)
4
¦ O(21,)l Ol(1,4)
0,03 0,01 0,9 0,05 0,02 0,2 0,05 1
l 1
Diesen Wert wollen wir als Summe belassen, da so nach Einsetzen in Formel (78) die Struktur des ratingbasierten Ansatzes noch einmal erkennbar wird:
(81)
(1 0,05) s2* (2) 0,05 0,4 ( s2* (2) 1) 1 0,03
1
(1 (0,03 0,01 0,9 0,05 0,02 0,2 0,05 1)) s2* (2) (1 0,03) 2
(0,03 0,01 0,7 0,9 0,05 0,4 0,02 0,2 0,1) ( s2* (2) 1) (1 0,03) 2
1 (0,03 0,01 0,9 0,05 0,02 0,2 0,05 1) (1 0,03) 2 0,95 s2* (2) 0,05 0,4 ( s2* (2) 1) 1 0,03
Kreditrisikomanagement
(1 (0,03 (1 0,99) 0,9 (1 0,95) 0,02 (1 0,8) 0,05 1)) ( s2* (2) 1) (1 0,03) 2
(0,03 0,01 0,7 0,9 0,05 0,4 0,02 0,2 0,1) ( s2* (2) 1) (1 0,03) 2
173
0,95 s2* (2) 0,05 0,4 ( s2* (2) 1) 1 0,03
(0,03 0,99 0,9 0,95 0,02 0,8) ( s2* (2) 1) (1 0,03) 2
(0,03 0,01 0,7 0,9 0,05 0,4 0,02 0,2 0,1) ( s2* (2) 1) (1 0,03) 2
Hier zeigt sich wieder, dass der Auszahlungswert der Anleihe (dieser Wert entspricht dem Nennwert und ist auf eins normiert) gerade der Summe der risikolos diskontierten erwarteten späteren Zahlungen entspricht: Im Zähler des ersten Bruchs der letzten Umformung von Formel (81) finden wir die erwartete Rückzahlung an die Gläubiger nach einem Jahr. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent bleibt das Unternehmen solvent und die Gläubiger erhalten die geforderte Kuponzahlung. Mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent wird das Unternehmen hingegen insolvent und die Gläubiger erhalten 40 Prozent der Summe aus einer noch ausstehenden Kuponzahlung und dem Rückzahlungswert (entspricht ebenfalls dem Nennwert und ist folglich wieder auf eins normiert). In den Zählern des zweiten und dritten Bruchs der letzten Umformung von Formel (81) finden wir die erwartete Rückzahlung an die Gläubiger nach zwei Jahren. Mit einer Wahrscheinlichkeit von drei Prozent erfolgt nach einem Jahr ein Upgrade des Unternehmens in die beste Ratingklasse, in der Unternehmen mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent überleben. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent verbleibt das Unternehmen in der mittleren Ratingklasse, in der die Überlebenswahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres 95 Prozent beträgt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Prozent erfolgt nach einem Jahr ein Downgrade des Unternehmens in die schlechteste solvenzkennzeichnende Ratingklasse, in der Unternehmen mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent überleben. In diesen drei Fällen, in denen das betrachtete Unternehmen nach zwei Jahren noch zahlungsfähig ist, erhalten die Gläubiger zum Zeitpunkt 2 die geforderte Kuponzahlung und den vollen Rückzahlungswert (Zähler des zweiten Bruchs). Nach einem Upgrade des Unternehmens wird es mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent insolvent und die Gläubiger erhalten nur noch 70 Prozent der Summe aus der letzten Kuponzahlung und dem Rückzahlungswert. Bei einem Verbleib des
174
Kreditbewertung Unternehmens in seiner ursprünglichen Ratingklasse wird es im zweiten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent insolvent und die Gläubiger erhalten nur noch 40 Prozent der Summe aus der letzten Kuponzahlung und dem Rückzahlungswert. Nach einem Downgrade des Unternehmens wird es mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent insolvent und die Gläubiger erhalten nur noch zehn Prozent der Summe aus der letzten Kuponzahlung und dem Rückzahlungswert (Zähler des dritten Bruchs).
Stellen wir Formel (81) nach der geforderten Kuponzahlung um, erhalten wir: 0,02 0,91931 1,03 1,032 0,97 0,91931 1,03 1,032
1
(82)
s2* (2)
6,31 % p. a.
Anleger fordern damit, gegeben die Daten unseres Beispiels, für die Zeichnung von Unternehmensanleihen mittlerer Bonität mit einer Laufzeit von zwei Jahren eine Rendite von 6,31 Prozent p. a. Diese liegt um 3,31 Prozentpunkte (Bonitätsspread) über der Rendite entsprechender bonitätsrisikofreier Kuponanleihen. Der tatsächliche Bonitätsspread am Kapitalmarkt würde sogar noch höher ausfallen, da wir hier Risikoneutralität der Anleger unterstellt hatten. Tatsächlich sind die Anleger jedoch risikoscheu und würden deshalb für die Risikoübernahme bei der Zeichnung von Unternehmensanleihen eine Risikoprämie in Form einer nochmals höheren Kuponzahlung verlangen.
7.3
Vergleich der beiden Ansätze
Das vorliegende Kapitel behandelte zwei Ansätze zur Bewertung von Unternehmenskrediten: Im optionspreistheoretischen Ansatz wurde zunächst von einer einfachen Ausgangssituation ausgegangen: Die Passivseite der Unternehmensbilanz weist neben dem zu bewertenden Kredit kein weiteres Fremdkapital auf. Der Kredit besitzt die Zahlungsstruktur einer bonitätsrisikobehafteten Nullkuponanleihe. Das Unternehmensvermögen wird während der Laufzeit des Kredits nicht durch rein finanzwirtschaftliche Maßnahmen verändert. Die Insolvenz des Unternehmens ist erst im Rückzahlungszeitpunkt möglich, wobei beim Übergang in den Insolvenzzustand keine sprunghafte Veränderung des Unternehmensvermögens erfolgt. Das Fremdkapital ist durch den Kreditnehmer nicht vorzeitig kündbar. Die Methodik ist grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn diese vereinfachenden Annahmen einzeln oder in Kombination aufgehoben werden, sodass die Kreditbe-
Kreditrisikomanagement
175
wertung mittels Optionspreistheorie generell auf nahezu jede Form der Kreditvergabe anwendbar ist. Dabei bietet sich die risikoneutrale Bewertungstechnik geradezu an. Leider überzeugen die Vorschläge zur Bestimmung des benötigten Unternehmenswertes und seiner Volatilität bisher noch nicht vollständig. Im ratingbasierten Ansatz wurden Bonitätsspreads auf die Renditestruktur ermittelt, wobei risikoneutrale Marktteilnehmer unterstellt wurden. Diese Bonitätsspreads hängen neben der Laufzeit von der Bonitätsklasse der Unternehmen ab. Die Berücksichtigung von Ratingmigrationen sowie bonitäts- und laufzeitabhängigen Rückgewinnungsraten kann in einer Erweiterung des Grundmodells erfolgen. Die Kreditbewertung erfolgt im ratingbasierten Ansatz durch Diskontieren der Kreditzahlungen mit den risikoangepassten Diskontierungsfaktoren. Welcher Ansatz zur Kreditbewertung vorzuziehen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Informationseffizienz von Ratings ist umstritten. Dennoch ist der ratingbasierte Ansatz in Bezug auf die benötigten Eingangsparameter handlicher. Im optionspreistheoretischen Ansatz kann das Modell tendenziell besser an die spezifischen Merkmale des Unternehmens und des Kredits angepasst werden. Dies wird jedoch mit dem Risiko von Fehleinschätzungen bezüglich des Unternehmenswertes und dessen Volatilität erkauft. Im optionspreistheoretischen Ansatz wird direkt der Kreditwert berechnet. Über diesen Wert kann dann der Bonitätsspread ermittelt werden. Die ratingbasierten Modelle gehen den umgekehrten Weg, ermitteln also zunächst Bonitätsspreads und darauf beruhend den Kreditwert. In beiden betrachteten Ansätzen sind die Bonitätsspreads positiv, um die Kreditgeber für das eingegangene Bonitätsrisiko zu entschädigen. Zudem sind die Bonitätsspreads abhängig von der Restlaufzeit des Kredits bzw. der einzelnen Kreditzahlungen und vom Risiko des betrachteten Unternehmens. Eine Brücke zwischen beiden Ansätzen liegt im relevanten Risikomaß. Im optionspreistheoretischen Ansatz ist dies die Unternehmenswertvolatilität, im ratingbasierten Ansatz die Ausfallwahrscheinlichkeit. Diese Risikomaße sind formal ineinander überführbar. Insbesondere bedeutet eine höhere Unternehmenswertvolatilität im Regelfall auch eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit und umgekehrt.
8.
Kreditkonditionen
Banken müssen bei der Verwendung interner Ratingsysteme zur Bestimmung der Eigenkapitalunterlegung von Krediten zunächst die Ausfallwahrscheinlichkeiten ihrer Kreditnehmer schätzen, da die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits den wesentlichen (mitunter sogar einzigen) zu schätzenden Parameter bei der Bestimmung der Mindesthöhe der Eigenkapitalunterlegung für einen Kredit darstellt.
176
Kreditkonditionen
Haben Banken nun die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditnehmers ohnehin bestimmt, so ist davon auszugehen, dass sie diese auch zur Verwendung der Kalkulation risikoangepasster Konditionen für diesen Kredit verwenden. Dazu besitzt wohl jede Bank ihr eigenes Modell. Das vorliegende Kapitel zeigt deshalb lediglich auf, wie die Kalkulation risikoangepasster und zudem Basel-II-konformer Kreditkonditionen geschehen kann. Kapitel 8 ist dazu wie folgt gegliedert: In Abschnitt 8.1 wird erläutert, aus welchen Komponenten sich ein Kreditzinssatz zusammensetzt. Abschnitt 8.2 enthält die Darstellung der Berechnung dieser Komponenten im Einzelnen. In Abschnitt 8.3 wird schließlich aufgezeigt, wie der Kreditzinssatz als Summe seiner einzelnen Komponenten berechnet werden kann, wobei dies auch an einem Beispiel verdeutlicht wird.
8.1
Komponenten des Kreditzinssatzes
Kreditzinssätze werden typischerweise in der Einheit Prozent p. a. angegeben. Dies wollen wir auch bei der Zerlegung des Kreditzinssatzes in einzelne Komponenten so handhaben und folglich alle Komponenten als absoluten Anteil am Kreditzinssatz ausdrücken sowie ebenfalls in der Einheit Prozent p. a. angeben. Ein Kreditzinssatz kann nun als Zusammensetzung aus den folgenden Komponenten dargestellt werden: Kosten der Refinanzierung mittels Fremdkapital; Kosten der Refinanzierung mittels Eigenkapital; Ausfallkosten; Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken; anteilige Betriebskosten. Die Zerlegung eines Kreditzinssatzes in eben diese Komponenten wird im Folgenden motiviert, indem auf die einzelnen Komponenten näher eingegangen wird. Refinanzierungskosten Jede Kreditvergabe erscheint auf der Aktivseite der Bankbilanz und erfordert eine entsprechende Refinanzierung auf der Passivseite. Diese Refinanzierung kann grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten erfolgen: Die Bank kann am Kapitalmarkt Fremdkapital aufnehmen, indem sie z. B. Bankschuldverschreibungen emittiert oder Spareinlagen entgegennimmt; die Bank kann, beispielsweise durch die Ausgabe von Aktien, Eigenkapital aufnehmen.
Kreditrisikomanagement
177
Beide Finanzierungsformen sind mit entsprechenden Kapitalkosten verbunden, da sowohl die Anleihenzeichner oder Einleger als Fremdkapitalgeber als auch die Aktionäre als Eigenkapitalgeber der Bank gewisse Renditeforderungen besitzen. Dabei wird die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber aufgrund des größeren Risikos höher ausfallen als die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber. Die ersten beiden Komponenten des Kreditzinssatzes, die durch die Refinanzierung des Kredits bestimmt werden, sind nun die Kosten der Fremdfinanzierung, die wir im Folgenden mit kFK bezeichnen wollen, und die Kosten der Eigenfinanzierung, die im Folgenden mit kEK bezeichnet werden. Beide Kostenarten werden maßgeblich durch die Renditeforderungen der Kapitalgeber, daneben aber auch durch die Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung von Krediten gemäß Basel II bestimmt. Ausfallkosten Wir werden sehen, dass neben den Refinanzierungskosten vor allem die Ausfallkosten einen erheblichen Anteil am Kreditzinssatz ausmachen. Gemäß Basel II werden alle Kreditnehmer einer Bank in Gruppen entsprechend der Höhe der Ausfallwahrscheinlichkeit zusammengefasst. Die Rückzahlungen der in einer Gruppe nicht ausgefallenen Kreditnehmer sollten dann die Verluste durch die ausgefallenen Kreditnehmer kompensieren. Je höher folglich die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls eines Kreditnehmers eingeschätzt wird, umso höher sollte auch sein Kreditzinssatz gewählt werden. Den entsprechenden Aufschlag auf die Refinanzierungskosten des Kredits werden wir als Ausfallkosten kA bezeichnen und als Bonitätsspread gemäß dem in Abschnitt 7.2 vorgestellten Reduced-Form-Modell berechnen. Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken Basel II schreibt vor, dass die Fremdkapitalgeber einer Bank nicht nur gegen das Kreditausfallrisiko durch einen bestimmten Anteil an Eigenfinanzierung der vergebenen Kredite abzusichern sind, sondern dies auch für die Absicherung gegen Risiken operationeller Art gilt. Der in Basel II enthaltene Basisindikatoransatz schreibt dabei vor, dass der Betrag an Eigenkapital, der für operationelle Risiken vorzuhalten ist, einem festgelegten Prozentsatz am (positiven) jährlichen Bruttoertrag der Bank entsprechen muss. Bei einem durchschnittlichen deutschen Kreditinstitut entfallen etwa zwei Drittel bis drei Viertel – also deutlich mehr als die Hälfte – der Aktivseite auf Kredite. Der Bruttoertrag einer Bank ist damit zu einem Großteil auf Kreditzinszahlungen zurückzuführen. Wir werden deshalb die Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken als Prozentsatz am Kreditzinssatz berücksichtigen, wobei wir den im Basisindikatoransatz festgelegten Prozentsatz am Bruttoertrag der Bank verwenden werden. Die Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken, die dann als absoluter Anteil am Kreditzinssatz ausgedrückt werden, wollen wir mit kO bezeichnen.
178
Kreditkonditionen
Anteilige Betriebskosten Neben Refinanzierungs-, Ausfall- und Eigenkapitalunterlegungskosten müssen auch die Betriebskosten einer Bank aufgebracht werden. Dies kann nur durch die Erträge der Bank geschehen, die wiederum zu einem Großteil auf Kreditzinszahlungen zurückzuführen sind. Es bietet sich nun beispielsweise an, Kreditzinssätze so zu kalkulieren, dass ein bestimmter Prozentsatz am Kreditzinssatz auf die Betriebskosten der Bank zurückzuführen ist. Die anteiligen Betriebskosten, die dann als absoluter Anteil am Kreditzinssatz ausgedrückt werden, wollen wir mit kB bezeichnen.
8.2
Berechnung der einzelnen Komponenten
Im Folgenden soll ein Vorschlag zur Berechnung der vorgestellten Kreditzinssatzkomponenten im Einzelnen dargestellt werden. Dabei wird vor allem darauf eingegangen, wie sich bei der Kalkulation von Kreditzinssätzen die Vorschriften von Basel II zur Eigenkapitalunterlegung von Krediten berücksichtigen lassen. Refinanzierungskosten Jede Kreditvergabe ist vollständig zu refinanzieren. Dabei erfolgt diese Refinanzierung zu einem gewissen Anteil mittels Eigenkapital und zu 100 Prozent abzüglich dieses Anteils mittels Fremdkapital. Da die Kapitalkosten der Eigenfinanzierung über denen der Fremdfinanzierung liegen, wird die Geschäftsleitung einer Bank bestrebt sein, den Anteil der Eigenfinanzierung so gering wie möglich zu halten. Bei positiver Geschäftsentwicklung, wobei wir hierunter verstehen wollen, dass die Gesamtkapitalrendite der Bank über ihren Fremdkapitalkosten liegt, steigert eine Erhöhung des Verschuldungsgrads zudem die Rendite der Eigenkapitalgeber, also der Aktionäre bzw. Unternehmenseigner der Bank (Leverage-Effekt, vgl. hierzu auch Abschnitt 9.1.1). Wir werden also im Folgenden davon ausgehen, dass jeder Kredit bis zur maximalen Höhe fremdfinanziert ist. Basel II schreibt vor, dass ein gewisser Anteil jedes Kredits mit Eigenkapital zu refinanzieren ist. Dabei ist mit dem Begriff Eigenkapital in Basel II das regulatorische Eigenkapital gemeint, das zunächst noch einmal kurz charakterisiert werden soll. Die regulatorischen Eigenmittel eines Kreditinstituts setzen sich aus den folgenden drei Bestandteilen zusammen (zu einer detaillierteren Darstellung vgl. Abschnitt 1.2.1): Kernkapital (Tier-1-Kapital): Das Kernkapital einer Bank erhält man, indem zum bilanziellen Eigenkapital beispielsweise der Sonderposten für allgemeine Bankrisiken hinzugerechnet und beispielsweise die immateriellen Vermögensgegenstände oder Kredite an Aktionäre abgezogen werden.
Kreditrisikomanagement
179
Ergänzungskapital (Tier-2-Kapital): Dazu zählen beispielsweise Genussrechtsverbindlichkeiten sowie längerfristige nachrangige Verbindlichkeiten. Drittrangmittel (Tier-3-Kapital): Dazu zählen beispielsweise kurzfristige nachrangige Verbindlichkeiten. Zusammenfassend kann grob gesagt werden, dass die regulatorischen Eigenmittel eines Kreditinstituts die Kapitaldecke darstellen, die Verluste des Instituts aus seiner Geschäftstätigkeit auffängt und somit die Zahlungsfähigkeit gegenüber Kunden und Gläubigern sichert. Die ökonomischen Eigenmittel stellen hingegen grob gesagt das von den Eigenkapitalgebern einer Bank tatsächlich investierte Kapital dar. Für die ökonomischen Eigenmittel einer Bank existiert keine einheitliche definitorische Abgrenzung, obwohl die meisten Kreditinstitute gemäß einer Umfrage der Deutschen Bundesbank auf Basis des Kernkapitals steuern, also als ökonomische Eigenmittel deutlich mehr als das bilanzielle Eigenkapital ansehen. Nach einer Berechnung der Deutschen Bundesbank entfallen im Durchschnitt etwa zwei Drittel der regulatorischen Eigenmittel eines Kreditinstituts auf die ökonomischen Eigenmittel. Der Kreditanteil K, der nun mindestens mit regulatorischem Eigenkapital zu refinanzieren ist (Eigenkapitalanforderung), entspricht acht Prozent des Risikogewichts RW der Forderung: (83)
K
0,08 RW
Dabei wird das Risikogewicht einer Forderung je nach der Art des gewählten Ansatzes zur Bestimmung der Höhe des Kreditrisikos sowie nach der Art der Forderung, wie in Abschnitt 1.2.3 bereits dargestellt, bestimmt. Bezüglich der Art des gewählten Ansatzes zur Bestimmung der Höhe des Kreditrisikos wird dabei zwischen dem Standardansatz, dem IRB-Basisansatz und dem fortgeschrittenen IRB-Ansatz unterschieden. Bezüglich der Art der Forderung wird beispielsweise im Fall von Unternehmensforderungen und bei Anwendung des IRB-Ansatzes zwischen Forderungen an Unternehmen ohne Größenerleichterung, Forderungen an KMU mit Größenerleichterung sowie Retailforderungen differenziert. Bezeichnen wir mit v das Verhältnis von ökonomischen zu regulatorischen Eigenmitteln eines Instituts, so gilt, dass (mindestens) der Anteil vK eines Kredits mit ökonomischem Eigenkapital zu refinanzieren ist. Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber rEK bezieht sich dabei auf das von den Bankaktionären investierte Kapital, also auf die ökonomischen Eigenmittel. Gehen wir nun aus den genannten Gründen davon aus, dass nur der durch Basel II vorgegebene Mindestanteil eines Kredits eigenfinanziert ist, so
180
Kreditkonditionen
durch Basel II vorgegebene Mindestanteil eines Kredits eigenfinanziert ist, so erhalten wir die folgenden Eigenfinanzierungskosten: (84)
k EK
v K rEK
Wenn der Anteil vK eines Kredits eigenfinanziert ist, ist der verbleibende Anteil von 100 Prozent abzüglich vK fremdfinanziert. Bezeichnen wir mit rFK die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber der Bank, erhalten wir die folgenden Fremdfinanzierungskosten: (85)
k FK
(1 v K) rFK
Ausfallkosten Die Ausfallkosten sollen hier beispielhaft durch den Bonitätsspread des in Abschnitt 7.2 besprochenen Reduced-Form-Modells dargestellt werden. Dieser bezeichnet die Differenz zwischen der Rendite von Kuponanleihen einer gewissen Bonitätsklasse mit einer bestimmten Restlaufzeit und der Rendite vergleichbarer bonitätsrisikofreier Kuponanleihen. Dabei waren die erwartete Rückgewinnungsrate im Insolvenzfall von Interesse sowie die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass das betrachtete Unternehmen bis einschließlich zu einem gewissen Zeitpunkt nicht ausgefallen ist bzw. in diesem Zeitpunkt erstmalig als ausgefallen gilt. Die Bonitätsklasse wird nun im IRB-Ansatz von Basel II durch die entsprechende EinJahres-Ausfallwahrscheinlichkeit PD der internen Ratingklasse abgebildet, in die der Kreditnehmer eingeordnet wird. Die erwartete Rückgewinnungsrate ist gerade eins abzüglich der Verlustausfallquote LGD. Für die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreditnehmer bis einschließlich zum Zeitpunkt t nicht ausgefallen ist, erhält man (1 – PD)t. Für die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreditnehmer zum Zeitpunkt t erstmalig als ausgefallen gilt, ergibt sich (1 – PD)t – 1PD. Als Rendite sT verwenden wir die entsprechende Swap Rate. Unter der Annahme, dass der Bonitätsspread in unserem Modell die Ausfallkosten eines Kredits mit Restlaufzeit T, Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit PD und Verlustausfallquote LGD hinreichend gut approximiert, ergibt sich gemäß Formel (65) aus Abschnitt 7.2.1: T
(1 PD)t 1 PD (1 LGD) (1 PD)T (1 sT ) t (1 sT )T 1
1 ¦
(86)
kA
t T
(1 PD) t (1 PD) t 1 PD (1 LGD) ¦ (1 sT ) t t 1
sT
Kreditrisikomanagement
181
Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken Den einfachsten in Basel II vorgeschlagenen Ansatz zur Ermittlung der Mindesteigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken stellt der Basisindikatoransatz (vgl. Abschnitt 1.2.5) dar. Danach ist für operationelle Risiken ein Betrag an Eigenkapital vorzuhalten, dessen Höhe dem Drei-Jahres-Durchschnitt eines festgelegten Prozentsatzes von 15 Prozent des positiven jährlichen Bruttoertrags entspricht. Der Teil des Bruttoertrags einer Bank, der dem Kreditgeschäft entstammt, ist dabei auf das Zinsergebnis zurückzuführen. Es ist also ein Betrag in Höhe von 15 Prozent des Zinsergebnisses an Eigenkapital zur Absicherung gegen operationelle Risiken vorzuhalten. Dabei handelt es sich wieder um regulatorische Eigenmittel. Folglich ist nur ein Betrag in Höhe von 0,15v des Zinsergebnisses an ökonomischem Eigenkapital vorzuhalten. Für diese Investition verlangen die Eigenkapitalgeber der Bank die Rendite rEK. Wollen wir nun die Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken bei der Kreditzinskalkulation als absoluten Anteil am Kreditzinssatz rKredit berücksichtigen, erhalten wir: (87)
kO
0,15 rKredit v rEK
Anteilige Betriebskosten Die allgemeinen Betriebskosten einer Bank müssen durch die Erträge aus der Geschäftstätigkeit der Bank mit abgedeckt werden, also auch durch die Zinserträge aus dem Kreditgeschäft. Am einfachsten ist es dabei, einen festen prozentualen Anteil c am jeweiligen Zinsertrag aus einem Kreditgeschäft zur Deckung der Betriebskosten zu verwenden. Wollen wir dies bei der Kreditzinskalkulation als absoluten Anteil am Kreditzinssatz berücksichtigen, ergibt sich: (88)
8.3
kB
c rKredit
Kalkulation des Kreditzinssatzes
Da wir alle Komponenten des Kreditzinssatzes als absoluten Anteil daran ausgedrückt haben, ergibt sich der Kreditzinssatz als deren Summe: (89)
rKredit
k EK k FK k A kO k B v K rEK (1 v K) rFK k A 0,15 rKredit v rEK c rKredit
182
Kreditkonditionen
Da in unserer Modellierung die Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken sowie die anteiligen Betriebskosten als absoluter Anteil am Kreditzinssatz selbst wieder vom Kreditzinssatz abhängen, ist dieser zunächst nur implizit in Formel (89) enthalten. Eine Umstellung ergibt jedoch:
(90)
rKredit
v K rEK (1 v K) rFK k A 1 0,15 v rEK c
Dabei haben wir aufgrund des Umfangs auf die explizite Darstellung der Ausfallkosten kA verzichtet. Diese kann Formel (86) entnommen werden. Wir wollen noch anmerken, dass der gemäß Formel (90) berechnete Kreditzinssatz auch eine Risikoprämie enthält, obwohl wir zur Berechnung der Ausfallkosten ein Reduced-Form-Modell verwendet hatten, das vereinfachend Risikoneutralität der Marktteilnehmer unterstellt. Die Risikoprämie bezieht sich dabei auf das Risiko der Gesamtgeschäftstätigkeit der kreditgebenden Bank und ist in den Renditeforderungen der Eigen- und Fremdkapitalgeber enthalten. Beispiel 4 (Basel-II-konforme Kreditzinskalkulation) Ein Unternehmen ersucht seine Hausbank um einen Kredit mit einem Volumen von 1 Mio. Euro und einer Laufzeit von drei Jahren. Auf diesen Kredit sollen jährliche Zinszahlungen erfolgen und der Kredit soll in einer Summe am Ende der Laufzeit getilgt werden. Die Bank hat gemäß IRB-Basisansatz ein internes Ratingsystem installiert und ordnet das Unternehmen in eine interne Ratingklasse mit einer geschätzten Ein-JahresAusfallwahrscheinlichkeit von 0,9 Prozent ein. Da es sich bei dem Kredit um eine vorrangige Forderung ohne Besicherung durch anerkannte Sicherheiten handelt, beträgt die Basel-II-konforme Verlustausfallquote 45 Prozent. Die Bank differenziert zwischen Forderungen an KMU und an große Unternehmen, wobei das kreditsuchende Unternehmen aufgrund eines Jahresumsatzes von 10 Mio. Euro den KMU zugeordnet wird. Damit ergibt sich die folgende Korrelation mit dem Systemrisiko:
(91)
R
0,12
§ 1 e 500,009 · 1 e 500,009 max{10; 5} 5 · ¸¸ 0,04 §¨1 0,24 ¨¨1 ¸ 50 50 45 1 e 1 e © ¹ ¹ ©
0,16095982
Die nationale Bankenaufsicht hat keine Anweisung erteilt, die effektive Restlaufzeit M auch im IRB-Basisansatz als cashflowgewichtete mittlere Restlaufzeit zu bestimmen,
Kreditrisikomanagement
183
womit zur Bestimmung der Eigenkapitalanforderung pauschal von einem Wert in Höhe von 2,5 Jahren auszugehen ist:
(92)
K
§ N 1 (0,009) 0,16095982 N 1 (0,999) · ¸ 0,009 0,45 0,45 N¨ ¸ ¨ 1 0,16095982 ¹ © 1 1,5 (0,11852 0,05478 ln(PD)) 2 0,05745659
Die Drei-Jahres-Swap-Rate liegt derzeit bei drei Prozent p. a. Damit erhalten wir die folgenden Ausfallkosten: 3
(1 0,009)t 1 0,009 (1 0,45) (1 0,009)3 (1 0,03)t (1 0,03)3 1
1 ¦
(93)
t 3
kA
(1 0,009)t (1 0,009)t 1 0,009 (1 0,45) ¦ (1 0,03)t t 1
0,03
0,00418846
Die Eigenkapitalgeber der Bank fordern eine Rendite vor Steuern in Höhe von 25 Prozent p. a. Dabei entfallen 60 Prozent des regulatorischen Eigenkapitals der Bank auf die ökonomischen Eigenmittel. Die Fremdkapitalgeber fordern eine Rendite in Höhe von 3,1 Prozent p. a. Die Betriebskosten der Bank werden durch zwei Prozent der Zinserträge gedeckt. Damit haben wir alle Größen, um den Kreditzinssatz zu berechnen:
(94)
rKredit
0,6 0,05745659 0,25 (1 0,6 0,05745659) 0,031 0,00418846 1 0,15 0,6 0,25 0,02 4,47 % p. a.
Die Bank würde dem Unternehmen gemäß unserem Vorschlag der Kreditzinskalkulation den Kredit zu einem Zinssatz von 4,47 Prozent p. a. gewähren, was einem Aufschlag auf die Drei-Jahres-Swap-Rate (als Vertreter der bonitätsrisikolosen Rendite bei gleicher Laufzeit) in Höhe von 1,46 Prozentpunkten entspricht. Die Bank in unserem Beispiel verwendet den IRB-Basisansatz und bestimmt deshalb die Bonität eines Kreditnehmers lediglich anhand seiner Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit. Wir wollen noch veranschaulichen, wie sich die verschiedenen Komponenten des
184
Kreditkonditionen
Kreditzinssatzes sowie dieser selbst ändern würden, wenn die Bank dem Unternehmen eine andere Ausfallwahrscheinlichkeit zuwiese.
Kreditzinssatzkomponenten
Die Ergebnisse sind in Abbildung 34 dargestellt. Daraus wird ersichtlich, dass zwar die Eigenkapitalkosten aufgrund der höheren Eigenkapitalunterlegungspflicht eines Kredits bei höheren Ausfallwahrscheinlichkeiten von Letzterer beeinflusst werden. In deutlich größerem Maße gilt dies jedoch für die Ausfallkosten, insbesondere bei sehr hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten.
15 %
Kosten der Refinanzierung mittels Fremdkapital + Kosten der Refinanzierung mittels Eigenkapital + Ausfallkosten + Kosten der Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken + anteilige Betriebskosten (Kreditzinssatz)
10 %
5%
0% 0%
5%
10 %
15 %
20 %
Ausfallwahrscheinlichkeit
Abbildung 34: Basel-II-konforme Kreditzinskalkulation am Beispiel eines KMU im IRB-Basisansatz In Tabelle 38 betrachten wir verschiedene Ausfallwahrscheinlichkeiten einzeln hinsichtlich der damit verbundenen Kreditzinssatzkomponenten. Dabei sind wir von den Standard-&-Poor’s-Ratingklassen und den damit verbundenen idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten (vgl. Tabelle 13, Seite 78) ausgegangen. Aus dem unteren Bereich der vierten und fünften Spalte von Tabelle 38 wird noch einmal deutlich, dass bei ungünstiger Bonität weniger die Eigenkapitalkosten der Bank als vielmehr die Ausfallkosten einen großen Teil des Kreditzinssatzes ausmachen. Zudem zeigt die dritte Spalte, dass die Fremdfinanzierungskosten eines Kredits mit Verschlechterung der Bonität des Kreditnehmers sinken, was auf die Erhöhung des eigenfinanzierten Anteils des Kredits zurückzuführen ist.
Kreditrisikomanagement
S&PRatingklasse
Idealisierte Ausfallwahrscheinlichkeit
185
kFK
kEK
kA
kO
kB
rKredit
AAA
0,01 %
3,08 %
0,14 %
0,00 %
0,08 %
0,07 %
3,37 %
AA+
0,02 %
3,08 %
0,14 %
0,01 %
0,08 %
0,07 %
3,37 %
AA
0,03 %
3,08 %
0,14 %
0,01 %
0,08 %
0,07 %
3,38 %
AA–
0,04 %
3,08 %
0,17 %
0,02 %
0,08 %
0,07 %
3,41 %
A+
0,05 %
3,08 %
0,19 %
0,02 %
0,08 %
0,07 %
3,44 %
A
0,06 %
3,07 %
0,21 %
0,03 %
0,08 %
0,07 %
3,46 %
A–
0,09 %
3,07 %
0,27 %
0,04 %
0,08 %
0,07 %
3,53 %
BBB+
0,13 %
3,06 %
0,34 %
0,06 %
0,08 %
0,07 %
3,61 %
BBB
0,16 %
3,05 %
0,38 %
0,07 %
0,08 %
0,07 %
3,66 %
BBB–
0,39 %
3,03 %
0,60 %
0,18 %
0,09 %
0,08 %
3,98 %
BB+
0,67 %
3,00 %
0,77 %
0,31 %
0,10 %
0,09 %
4,27 %
BB
1,17 %
2,98 %
0,94 %
0,55 %
0,11 %
0,09 %
4,67 %
BB–
2,03 %
2,96 %
1,10 %
0,95 %
0,12 %
0,10 %
5,24 %
B+
3,51 %
2,94 %
1,26 %
1,65 %
0,14 %
0,12 %
6,12 %
B
6,08 %
2,91 %
1,50 %
2,90 %
0,17 %
0,15 %
7,63 %
10,54 %
2,87 %
1,86 %
5,13 %
0,23 %
0,21 %
10,30 %
18,27 %
2,82 %
2,27 %
9,23 %
0,34 %
0,30 %
14,96 %
B– CCC/ CC
Tabelle 38:
9.
Basel-II-konforme Kreditzinskalkulation am Beispiel eines KMU im IRB-Basisansatz
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Entscheiden sich Kreditinstitute nach den Basel-II-Vorschriften für die Implementierung des auf internen Ratings beruhenden Ansatzes, so greifen sie zur Bestimmung ihrer Risikoposition im Kreditgeschäft bzw. zur Berechnung des zu unterlegenden Eigenkapitals auf eigene Risikoschätzungen zurück. Diese Schätzungen umfassen nicht nur die Ausfallwahrscheinlichkeit, sondern häufig auch die bei Ausfall entstehende Verlustquote,
186
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
deren Produkt multipliziert mit dem ausstehenden Betrag den für das Risikocontrolling eines Kreditportfolios wichtigen erwarteten Verlust liefert. Die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit stellt das Ergebnis eines Ratings dar, das sowohl harte Kennzahlen aus dem Rechnungswesen als auch typischerweise in Ratinggesprächen erhobene weiche Faktoren zu einer Bonitätsaussage verdichtet. Dabei beobachten wir, dass die Schätzung und Berücksichtigung des Ausfallrisikos auf andere betriebswirtschaftliche Teilgebiete ausstrahlt. Ein Gebiet, für das die Einbeziehung des Ausfallrisikos essenziell ist, stellt die Unternehmensbewertung dar. Deshalb gehen wir im Folgenden der Frage nach der treffenden Berücksichtigung des Ausfallrisikos bei den Verfahren zur Unternehmensbewertung nach. Dazu stellen wir in Abschnitt 9.1 zunächst die aus der klassischen Investitionstheorie stammende Vorgehensweise der Unternehmensbewertung dar. In der Praxis werden hierzu insbesondere die Discounted-Cashflow-Verfahren herangezogen. Diese greifen auf das Konzept der gewogenen Kapitalkosten im Sinne der Renditeforderung der Kapitalgeber zur Diskontierung von erwarteten Zahlungen zurück. Das Risiko eines Unternehmens wird dabei durch eine angemessene Prämie in der Renditeerwartung erfasst. Dies geschieht bisher durchweg nur bei den Eigenkapitalkosten und unter Vernachlässigung des Ausfallrisikos. Die in den vergangenen Jahren in Deutschland gestiegenen Insolvenzzahlen zeigen aber, dass das Ausfallrisiko substanziell sein kann. Die explizite Berücksichtigung des Ausfallrisikos bei der Ermittlung des Eigenkapitalkostensatzes und in der Folge des Fremdkapitalkostensatzes erfolgt in Abschnitt 9.2.
9.1
Klassische Unternehmensbewertung
Eine Unternehmensbewertung erfolgt z. B. aufgrund von geplanten Unternehmenstransaktionen, Abfindungen für ausscheidende Gesellschafter oder zur Emissionspreisfindung. Für solche Bewertungsanlässe hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren die Anwendung der Gesamtbewertungsverfahren etabliert. Sie setzen aus einer kapitalmarktorientierten Perspektive den Wert eines Unternehmens dem Kapitalwert der zukünftig erwirtschaftbaren finanziellen Überschüsse gleich, während die älteren bilanzorientierten Einzelbewertungsverfahren mit Substanzwerten arbeiten.
9.1.1
Von der Investitionsrechnung zur Unternehmensbewertung
Die Kapitalwertmethode ist aus der klassischen Theorie zur Beurteilung von Investitionsprojekten bekannt. Als Kapitalwert einer Investition wird die Summe aller mit dem Kalkulationszinssatz auf den Bewertungszeitpunkt diskontierten Investitionszahlungen definiert. Der Kapital- (Bar-) Wert wird auch als Net Present Value (NPV) bezeichnet, weil er zusätzlich zu den Investitionsrückflüssen die Anschaffungsauszahlung berück-
Kreditrisikomanagement
187
sichtigt. Er berechnet sich bei Sicherheit unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarktes mit identischen Soll- und Habenzinssätzen sowie unbeschränkter Anlage- und Kreditaufnahmemöglichkeit wie folgt: T
(95)
NPV
¦
t 0
mit
Ct
1 r f t
Ct: Cashflow zum Zeitpunkt t rf : risikoloser Kapitalmarktzinssatz (bei flacher Zinsstruktur) T: Nutzungsdauer der Investition
Eine Investition ist nach dieser Methode durchzuführen, wenn ihr Kapitalwert positiv ausfällt. Dann übersteigen die Zahlungsüberschüsse des betrachteten Investments die zu leistenden Finanzierungszahlungen unter Berücksichtigung der Zinswirksamkeit von Zahlungen zu verschiedenen Zeitpunkten. Der Kapitalwert gibt dabei an, welcher zusätzliche Kreditbetrag neben der Anschaffungsauszahlung aus den zukünftigen Investitionszahlungen finanzierbar wäre. Bewegen wir uns nun vom Barwert (mit Berücksichtigung der Anschaffungsauszahlung) zum Ertragswert (ohne Berücksichtigung der Anschaffungsauszahlung), gelangen wir zur Unternehmensbewertung. Die diskontierte Zahlungsreihe ohne Anschaffungsauszahlung liefert dann einen Kapitalwert, der gerade den Grenzpreis für die Investition bzw. das Unternehmen liefert. Für den Käufer stellt er eine Wertober-, für den Verkäufer hingegen eine Wertuntergrenze dar. In seiner einfachsten Form ist das Kapitalwertkonzept auf eine Welt unter Sicherheit ausgerichtet. Betrachten wir jedoch im Rahmen der Unternehmensbewertung erwartete zukünftige Zahlungsströme, also geplante Cashflows, muss die Unsicherheit berücksichtigt werden. Ein risikoscheuer Investor wird bei Unsicherheit eine Risikoprämie verlangen, die sich in einem gegenüber der Situation unter Sicherheit verminderten Kaufpreis niederschlägt. Das aus der Kapitalwertmethode abgeleitete Bewertungskalkül kann Risiken grundsätzlich durch zwei Methoden erfassen: 1.
Die Risikoabschlagsmethode nimmt vom Erwartungswert der finanziellen Überschüsse einen risikoangemessenen Abschlag vor, sodass anschließend mit dem risikolosen Zinssatz diskontiert werden kann.
2.
Die Risikozuschlagsmethode zielt hingegen darauf ab, den Diskontierungszinssatz durch eine angemessene Risikoprämie zu erhöhen.
Die für Wirtschaftsprüfer in Deutschland geltenden Richtlinien werden durch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) vorgegeben. Der jüngste Standard zur Unternehmensbewertung stammt aus dem Jahr 2005 und gestattet neben der dort so genannten Ertrags-
188
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
wertmethode, die auf Nettoerträgen aus der Gewinn- und Verlustrechnung beruht, die Anwendung der Discounted-Cashflow- (DCF-) Verfahren. Sowohl bei der Ertragswert- als auch der DCF-Methode lassen sich wiederum zwei Vorgehensweisen unterscheiden. Im Entity-Ansatz bestimmt man den Wert eines Unternehmens als Marktwert des Eigenkapitals, indem man zunächst den Wert des Gesamtkapitals, also den Unternehmensgesamtwert, berechnet und davon den Wert des Fremdkapitals abzieht. Der DCF-Entity-Ansatz stellt das in der Bewertungspraxis gängigste Verfahren dar. Der Equity-Ansatz hingegen berechnet den Wert des Eigenkapitals direkt. Die Risikoadjustierung erfolgt bei den DCF-Verfahren in der Praxis nach der Risikozuschlagsmethode. Dem Risiko wird dabei durch die Verwendung von risikoadäquaten Kapitalkosten anstelle eines risikofreien Zinssatzes Rechung getragen. Die Kapitalkosten umfassen dabei sowohl die Eigen- als auch die Fremdkapitalkosten. Die Idee dieser Verfahren ist einleuchtend: Die Cashflows werden gerade mit demjenigen Kapitalkostensatz diskontiert, den die Kapitalgeber fordern. So fließt der so genannte finanzierungsneutrale Free Cashflow vor Zinsaufwand den Eigen- und den Fremdkapitalgebern zu und wird deshalb mit dem Kapitalkostensatz für Eigen- und Fremdkapital diskontiert. Der dazu verwendete durchschnittlich gewogene Kapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital – WACC) kwacc entspricht dem Gesamtkapitalkostensatz und wird in Abhängigkeit von den Anteilen des Eigen- und Fremdkapitals am Gesamtkapital berechnet:
(96)
k wacc
mit
rEK
EK FK rFK EK FK EK FK
rEK:
Renditeforderung der Eigenkapitalgeber
rFK:
Renditeforderung der Fremdkapitalgeber
EK:
Wert des Eigenkapitals
FK:
Wert des Fremdkapitals
Formel (96) stellt dabei eine Umformung der Formel zum Leverage-Effekt dar, wonach sich die Eigenkapitalrendite linear in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad FK/EK ergibt:
(97)
rEK
k wacc k wacc rFK
FK EK
Die Eigenkapitalkosten stellen die Renditeerwartung dar, die die Eigenkapitalgeber an ihr Investment stellen. Diese Renditeforderungen fallen höher aus als die von Fremdka-
Kreditrisikomanagement
189
pitalinvestoren, weil Eigenkapitalgeber Verlustrisiken durch geringe oder ausbleibende Gewinnausschüttungen tragen und im Fall der Insolvenz erst nach den Fremdkapitalgebern bedient werden. Zur Ermittlung von Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber wird häufig auf das Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM) zurückgegriffen.
9.1.2
Berechnung risikoangemessener Eigenkapitalkosten
Das CAPM gilt als Lehrsatz der Kapitalmarkttheorie. Danach enthält die erwartete Rendite einer riskanten Anlage zwei Bestandteile: zum einen den risikolosen Zinssatz als Vergütung für die Überlassung liquider Mittel und zum anderen eine Risikoprämie. Hierbei wird jedoch nicht das mit dem Investment verbundene Gesamtrisiko mit einer Ex-ante-Prämie vergütet, da sich ein Teil des Risikos durch Diversifikation eliminieren lässt. So ergibt sich die Risikoprämie auf Basis des nicht diversifizierbaren, systematischen Risikos. Letzteres misst der Betakoeffizient, der die Sensitivität des betrachteten Investments im Hinblick auf Marktschwankungen angibt (vgl. Abschnitt 14.3). Die CAPM-Formel lautet: (98)
EREK r f E EK ERM r f
mit
E(REK): erwartete Eigenkapitalrendite E(RM): erwartete Rendite des Marktindex
EEK:
Betakoeffizient des Eigenkapitals
Der Betakoeffizient ergibt sich, indem man den Einfluss der Rendite des Marktindex (z. B. CDax) auf die Rendite des betrachteten Investments analysiert. Er stellt die Steigung einer entsprechenden Regressionsgeraden dar (vgl. Abbildung 69, Seite 302) und ist wie folgt definiert:
(99)
E EK
mit
CovREK , RM Var RM
Cov(REK,RM): Kovarianz von Eigenkapital- und Marktindexrendite Var(RM):
Varianz der Rendite des Marktindex
Will man zur Bestimmung der Kapitalkosten die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber über das CAPM berechnen, muss man berücksichtigen, dass die WACC-Formel (96) eine Umformung der Leverage-Formel (97) darstellt. Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber hängt deshalb vom Verschuldungsgrad des Unternehmens ab. Je höher der
190
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Verschuldungsgrad ausfällt, umso stärker wirken sich Schwankungen im Wert des Vermögens eines Unternehmens auf die Eigenkapitalposition aus. Formel (98) gilt deshalb zunächst nur für unverschuldete Unternehmen: (100)
unver rEK
mit
r f E unver ERM r f
E unver =
unver , R Cov REK M Var RM
unver : EK-Renditeforderung im unverschuldeten Unternehmen rEK
Zur Übertragung auf verschuldete Unternehmen greift nun folgender Gedanke: Auf einem arbitragefreien, vollkommenen und friktionslosen Kapitalmarkt gilt die als Modigliani/Miller-Theorem bekannte Aussage, nach der der Unternehmensgesamtwert vom Verschuldungsgrad unabhängig ist. Die Begründung für dieses Theorem lautet wie folgt: Auf diesem Kapitalmarkt können die Financiers eines Unternehmens unerwünschten Änderungen der Kapitalstruktur durch Umschichtungen in ihrem eigenen Portfolio entgegenwirken. Erhöht beispielsweise das Management den Verschuldungsgrad, verkaufen die Eigenkapitalgeber eine entsprechende Anzahl ihrer Aktien und legen den Verkaufserlös risikolos an. So erreichen sie wieder ihre ursprüngliche, präferierte Risikoposition. Die Unabhängigkeit des Unternehmensgesamtwertes vom Verschuldungsgrad kann jedoch verloren gehen, wenn Eigen- und Fremdfinanzierung unterschiedlich besteuert werden oder Konkurskosten auftreten. Wir folgern aus dieser Begründung, dass die Kapitalkosten eines unverschuldeten Unternehmens und die anteilsgewichteten Kapitalkosten eines verschuldeten, aber ansonsten gleichen Unternehmens identisch sind: (101)
unver rEK
k wacc
Die Gesamtkapitalkosten bleiben bei einer Änderung des Verschuldungsgrads also konstant. Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber erhöht sich hingegen mit steigendem Verschuldungsgrad, denn mit dem Leverage-Effekt gilt:
Kreditrisikomanagement
(102)
ver rEK
191
FK unver r unver r rEK FK EK EK
§ unver FK EK · , RM ¸ Cov¨ REK EK © ¹ FK EK E unver EK
ver , R Cov REK M ver E EK
mit
ver ȕ EK :
Betakoeffizient des verschuldeten Unternehmens
ver : rEK
EK-Renditeforderung im verschuldeten Unternehmen
Damit lautet der zur Diskontierung der erwarteten zukünftigen Free Cashflows vor Zinsaufwand benötigte Eigenkapitalkostensatz:
(103)
ver rEK
r f E unver
FK EK ERM r f EK
Hier taucht das Problem auf, dass zur Bestimmung der anteilsgewichteten Kapitalkosten die Kenntnis der Werte von Eigen- und Fremdkapital nötig ist. Mithilfe der anteilsgewichteten Kapitalkosten soll aber der Unternehmenswert, also der Wert des Eigenkapitals, erst errechnet werden. Diesem Zirkularitätsproblem begegnet man in der Praxis dadurch, dass eine Zielkapitalstruktur bzw. ein Zielverschuldungsgrad vorgegeben wird, denn hierbei kommt es nicht auf die absoluten Werte von Eigen- und Fremdkapital an, sondern lediglich auf das Verhältnis dieser Werte, wie man an Formel (103) erkennt. Die anteilsgewichteten Kapitalkosten sind dann gleich der Renditeforderung der Eigenkapitalgeber des im Übrigen gleichen, aber unverschuldeten Unternehmens, sofern der risikolose Zinssatz der Renditeforderung der Fremdkapitalgeber entspricht:
(104)
k wacc
ver rEK
EK FK rFK EK FK EK FK
EK ver E R r r f E EK M f EK FK r f E unver ERM r f
unver rEK
192
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Beispiel 5 (Kapitalkosten ohne Ausfallrisiko) Zur Veranschaulichung des Verlaufs von Gesamt-, Eigen- und Fremdkapitalkosten ohne Berücksichtigung des Ausfallrisikos gehen wir von folgenden Beispieldaten aus: Der risikolose Zinssatz betrage fünf Prozent p. a. Dieser Wert stellt die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber dar. Die erwartete Rendite des Marktindex betrage auf Jahressicht neun Prozent. Der Betakoeffizient eines unverschuldeten vergleichbaren Unternehmens laute 0,8. Abbildung 35 zeigt nun, wie sich die anteilsgewichteten Kapitalkosten, die Eigen- und die Fremdkapitalkosten für unsere Beispieldaten in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad verhalten. Weil wir das Insolvenzrisiko bisher ausgeschlossen haben, reagieren die Fremdkapitalkosten nicht auf eine Änderung des Verschuldungsgrads und die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber steigt linear mit dem Verschuldungsgrad. Die anteilsgewichteten Kapitalkosten betragen nach der CAPM-Formel konstant: (105)
k wacc
40 %
5 % 0,8 9 % 5 % 8,2 %
Renditeforderung der EK-Geber Renditeforderung der FK-Geber
Renditeforderung
Anteilsgewichtete Kapitalkosten
20 %
0% 0
2
4
6
Verschuldungsgrad FK/EK
Abbildung 35: Verlauf der Kapitalkosten ohne Ausfallrisiko
8
10
Kreditrisikomanagement
9.2
193
Berücksichtigung des Ausfallrisikos in den Kapitalkosten
Die Verwendung des CAPM berücksichtigt das Ausfallrisiko eines Unternehmens nicht entsprechend der tatsächlichen Risikoübernahme. Wir wollen diese Aussage mit Abbildung 36 verdeutlichen. Der Einfachheit halber nehmen wir einen Betrachtungszeitraum von einer Periode an und betrachten die Pay-offs von Vermögen bzw. Gesamtkapital (GKT) sowie Eigen- (EKT) und Fremdkapital (FKT) am Periodenende T = 1. Dabei soll das Fremdkapital eine einfache Struktur aufweisen und lediglich aus einem endfälligen Kredit mit Rückzahlungsbetrag K bestehen. Die im Ursprung beginnende diagonale Linie in Abbildung 36 stellt das Vermögen bzw. Gesamtkapital dar. Am Ende der Periode ist unabhängig vom Wert des Vermögens das Fremdkapital in Höhe des endfälligen Kreditbetrags zu bedienen. Als Differenz verbleibt folglich das Eigenkapital.
GKT, EKT, FKT GKT
EKT
Kreditbetrag K
FKT
GKT
Abbildung 36: Kapital-Pay-offs in der traditionellen Unternehmensbewertung Die klassische Unternehmensbewertung – geht sie nach dem Entity-Ansatz vor – ermittelt den Wert des Eigenkapitals als Differenz der Werte von Gesamt- und Fremdkapital. Die Vernachlässigung des Ausfallrisikos drückt sich bei den Fremdkapitalgebern in einer Renditeforderung in Höhe des risikolosen Zinssatzes aus. Dies impliziert die Annahme einer Nachschusspflicht im Überschuldungsfall. Diese Annahme ist aber insbesondere für Kapitalgesellschaften wenig realistisch.
194
9.2.1
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Optionscharakter von Eigen- und Fremdkapital
Die Fremdkapitalgeber erhalten den vereinbarten Kreditbetrag, sofern am Ende der Kreditlaufzeit das Unternehmensvermögen die Verbindlichkeiten deckt. Im Insolvenzfall, wenn das Vermögen den zu zahlenden Kreditbetrag unterschreitet, erhalten sie hingegen nur eine Vergleichsquote, wobei unterschiedliche Besicherungen verschiedener Kredite hier keine Rolle spielen sollen. Bei Überschuldung übergeben die Anteilseigner das Unternehmen den Fremdkapitalgebern zur Verwertung. Die an die Eigen- und die Fremdkapitalgeber fließenden Pay-offs am Ende unseres einperiodigen Betrachtungszeitraums lassen sich wie in Abbildung 37 veranschaulichen, die die Darstellung aus Abbildung 32 (Seite 150) wiederholt.
GKT, EKT, FKT GKT
Kreditbetrag K
EKT
FKT
Kreditbetrag K
GKT
Abbildung 37: Kapital-Pay-offs bei Ausfallrisiko Tatsächlich tragen die Fremdkapitalgeber mit dem Ausfallrisiko einen Teil des Gesamtrisikos. Für den Eintritt dieses Falls ist die Überschuldung Bedingung. Ein Kredit stellt also aus finanzwirtschaftlicher Perspektive einen bedingten Kontrakt dar und besitzt deshalb Optionscharakter. Wir erkennen dies am geknickten Verlauf des FremdkapitalPay-offs in Abbildung 37, der einer fixen Zahlung K kombiniert mit einer Put-ShortPosition mit Pay-off PT entspricht. Mit der Bezeichnung P für den Wert des Puts lautet der Wert des Fremdkapitals zu Periodenbeginn deshalb:
(106)
FK
K P 1 rf
Kreditrisikomanagement
195
Das Eigenkapital eines verschuldeten Unternehmens als Differenz von Gesamt- und Fremdkapital besitzt bei Ausfallrisiko ebenfalls den Charakter einer Option. Der Pay-off zeigt, dass es sich um einen Call (mit Pay-off CT) auf das Unternehmensvermögen mit einem Basispreis in Höhe der am Periodenende fälligen Kreditzahlung handelt. Der Wert des Eigenkapitals entspricht also dem Preis dieses Calls C: (107)
C
EK
Dies ist die Sichtweise des bei der Kreditbewertung und in Kreditrisikomodellen verwendeten Merton-Modells, das uns schon aus Abschnitt 7.1 bekannt ist. Dabei stimmt die Identität, dass das Unternehmensvermögen einem Call zuzüglich eines bonitätsrisikofreien endfälligen Bonds abzüglich eines Puts entspricht, mit der so genannten PutCall-Parität überein. Diese Parität belegt, dass auch bei Ausfallrisiko das Modigliani/ Miller-Theorem der Unabhängigkeit des Unternehmensgesamtwertes vom Verschuldungsgrad gültig bleibt, wenn man von Konkurskosten abstrahiert. Den angesprochenen Optionen liegt das Unternehmensvermögen, also der Wert des Gesamtkapitals, als Basisinstrument zugrunde. Diese Optionen können mithilfe der bekannten Black/Scholes-Formel bewertet werden, die wir nachstehend im Gegensatz zu Abschnitt 7.1 für diskret berechnete Renditen (um denselben Zinssatz wie in den CAPMBewertungsformeln verwenden zu können) und einen einperiodigen Betrachtungszeitraum angeben:
(108)
C
GK Nd1
K Nd 2 bzw. P 1 rf
§ ¨ GK ln¨ ¨ K1 r f ©
· ¸ V 2GK ¸ 2 ¸ ¹
K N d 2 GK N d1 1 rf
d2
d1 ı GK
wobei
d1
mit
GK: Wert des Vermögens bzw. Wert des Gesamtkapitals (EK + FK) K:
V GK
und
endfälliger Kreditbetrag
VGK: Volatilität des Unternehmensvermögens bzw. -gesamtkapitals N(·): Verteilungsfunktion einer standardnormalverteilen Zufallsvariablen
196
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Für den Wert des Fremdkapitals erhalten wir damit folgende Formel:
(109)
FK
K P 1 rf
K Nd 2 GK N d1 1 rf
In praktischen Anwendungen der Optionspreisformeln zur Unternehmens- bzw. Kreditbewertung ergibt sich jedoch folgende, bereits in Abschnitt 7.1.1 angesprochene Schwierigkeit: Die Optionen beziehen sich auf das Unternehmensvermögen, entsprechend misst die Volatilität die Schwankungen dieses Vermögens. Selbst bei börsennotierten Vergleichsunternehmen kann man aber nur die Volatilität des Eigenkapitals am Markt beobachten. Man behilft sich hier durch nachstehende Approximation. Zunächst gilt folgende Erweiterung für die Gesamtkapitalrendite:
(110)
RGK
wGK GK
wGK wEK EK wEK EK GK
Beim Kehrwert des ersten Faktors in Formel (110) handelt es sich um die Ableitung des Eigenkapitalwertes nach dem Gesamtkapitalwert, also aufgrund der Überlegungen aus den vorangegangenen Absätzen um die Ableitung eines Callpreises nach dem Preis seines Basisinstruments – nämlich dem Unternehmensvermögen. Deshalb entspricht der Kehrwert dieses Faktors dem so genannten Delta des Calls, das N(d1) beträgt. Der zweite Faktor stellt die Eigenkapitalrendite dar und der dritte Faktor gibt den Einfluss des Verschuldungsgrads wieder. Wir können Formel (110) deshalb wie folgt schreiben:
(111)
RGK
1 EK REK Nd1 GK
Für die Beziehung zwischen der Volatilität des Unternehmensvermögens und der Volatilität des Eigenkapitals gilt damit:
(112)
V GK
1 EK V EK Nd1 GK
Mit den Formeln (106) bis (109) und dem soeben beschriebenen Vorgehen sind wir nun in der Lage, den Einfluss des Ausfallrisikos auf die Renditeforderungen sowohl der Eigen- als auch der Fremdkapitalgeber anzugeben.
Kreditrisikomanagement
9.2.2
197
Ausfallrisikoangemessene Kapitalkosten
Zunächst ergebe sich für unverschuldete Unternehmen die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber wieder nach dem CAPM gemäß Formel (100), weil hier kein Fremdkapital vorhanden ist und deshalb das Ausfallrisiko nicht auftaucht. Die Aufgabe besteht nun darin, im teilweise fremdfinanzierten Unternehmen den Betakoeffizienten nicht nur an den Verschuldungsgrad, sondern auch an das Ausfallrisiko anzupassen. Hierzu wird die Eigenkapitalrendite im verschuldeten Unternehmen analog zur Approximation in Formel (110) wie folgt erweitert:
(113)
ver REK
wEK EK
wEK wGK GK wGK GK EK
Nd1 RGK
GK EK
Für den Betakoeffizienten des Eigenkapitals im verschuldeten Unternehmen erhalten wir damit:
(114)
ver E EK
Nd1
GK unver E EK
Hieraus folgt für die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber:
(115)
ver rEK
r f E unver Nd1
GK ERM r f EK
Zur Unternehmensbewertung ist dann bei der Bestimmung der Eigenkapitalkosten wie folgt vorzugehen: Zunächst ist ein börsennotiertes Unternehmen mit möglichst ähnlicher Risikocharakteristik zu finden und sein Verschuldungsgrad, Betakoeffizient und die Eigenkapitalvolatilität sind festzustellen. Durch Umstellen von Formel (114) und unter Berücksichtigung der Volatilitätsbeziehung (112) kann hieraus der Betakoeffizient für ein ansonsten gleiches, aber unverschuldetes Unternehmen ermittelt werden. Dieser Betakoeffizient kann dann mit dem Verschuldungsgrad und der Vermögensvolatilität des zu bewertenden Unternehmens in Formel (115) eingesetzt werden und liefert schließlich die gesuchte Renditeforderung der Eigenkapitalgeber. Diese Renditeforderung unterscheidet sich vom Fall ohne Ausfallrisiko aus Formel (103) in der Risikoprämie, die um das Call-Delta als Faktor ergänzt wird. Dieser Faktor liegt zwischen null und eins. Die Berücksichtigung des Ausfallrisikos reduziert also die Eigenkapitalkosten. Deshalb wird sich die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber entsprechend erhöhen. Wir können hierzu das Vorgehen zur Bestimmung des Eigenkapital-
198
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
kostensatzes auf die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber übertragen und erweitern hierzu zunächst die Fremdkapitalrendite wie folgt:
(116)
ver RFK
wFK FK
wFK wGK GK wGK GK FK
Die Ableitung des Fremdkapitalwertes nach dem Gesamtkapitalwert bzw. dem Wert des Unternehmensvermögens können wir nun über das Put-Delta N(d1) – 1 angeben:
(117)
wFK wGK
· w §¨ K P¸ ¨ ¸ wGK © 1 r f ¹
wP wGK
1 Nd1
Damit lautet der Betakoeffizient der Fremdkapitalrendite:
(118)
ver E FK
1 Nd1 GK E unver FK
Hieraus ergibt sich folgender Fremdkapitalkostensatz bei Ausfallrisiko:
(119)
rFK
r f E unver 1 Nd1
GK ERM r f FK
Die anteilsgewichteten Kapitalkosten sind auch hier wieder konstant, denn es gilt:
(120)
k wacc
ver rEK
EK FK rFK EK FK EK FK
N d r f E unver 1 N d1
1 E RM r f
unver rEK
1
9.2.3
Verlauf der ausfallrisikoangemessenen Kapitalkosten
Wir wollen noch untersuchen, wie sich die verschiedenen Kapitalkostensätze bei unterschiedlichem Verschuldungsgrad darstellen. Zur Veranschaulichung des Verlaufs von
Kreditrisikomanagement
199
Gesamt-, Eigen- und Fremdkapitalkosten unter Berücksichtigung des Ausfallrisikos führen wir folgende Fremdfinanzierungsquote ein: K
(121)
d
1 rf GK
Die Größe d stellt das Verhältnis vom Buchwert des Fremdkapitals zum Marktwert des Unternehmensvermögens dar. Zur Berechnung der Eigen- und der Fremdkapitalkosten benötigen wir noch die Kehrwerte folgender Größen:
(122)
FK GK
d
EK GK
1
P GK
FK GK
d N d1 d N d 2 1 Nd1 d Nd 2 und
Nd1 d Nd 2
Hierbei hängen d1 und d2 von der Fremdfinanzierungsquote d ab. Beispiel 6 (Kapitalkosten unter Berücksichtigung des Ausfallrisikos) Um den Verlauf der Gesamt-, Eigen- und Fremdkapitalkosten unter Berücksichtigung des Ausfallrisikos zu veranschaulichen, greifen wir auf die Daten aus Beispiel 5 zurück (der risikolose Zinssatz lautete fünf Prozent p. a., die erwartete Rendite des Marktindex auf Jahressicht betrug neun Prozent und der Betakoeffizient des unverschuldeten vergleichbaren Unternehmens war 0,8). Diese Daten werden wie folgt ergänzt: Die Volatilität des Unternehmensvermögens betrage 20 Prozent. Abbildung 38 (Seite 200) zeigt für diese Daten den Verlauf der Gesamt-, Eigen- und Fremdkapitalkosten in Abhängigkeit von der Fremdkapitalquote. Zwar bleiben die anteilsgewichteten Kapitalkosten wieder konstant auf einem Niveau von 8,2 Prozent. Unter Berücksichtigung des Ausfallrisikos steigt nun aber der Fremdkapitalkostensatz mit der Fremdkapitalquote an. Der Eigenkapitalkostensatz besitzt hier einen konvexen Verlauf. Hierbei muss der Fremdkapitalkostensatz auch bei hoher Fremdfinanzierungsquote unter dem Gesamtkapitalkostensatz liegen, weil es sich bei Letzterem um einen anteilsgewichteten Durchschnittssatz handelt, der der Renditeforderung der Eigenkapitalgeber im unverschuldeten Unternehmen entspricht. Gegenüber dieser Position tragen die Fremdkapitalgeber im ansonsten gleichen verschuldeten Unternehmen immer ein geringeres Risiko.
200
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
30 % Renditeforderung der EK-Geber
Renditeforderung
Renditeforderung der FK-Geber anteilsgewichtete Kapitalkosten 20 %
10 %
0% 0%
25 %
50 %
75 %
100 %
Fremdfinanzierungsquote d
Abbildung 38: Kapitalkosten in Abhängigkeit von der Fremdfinanzierungsquote Dennoch ist Abbildung 38 nicht direkt mit Abbildung 35 (Kapitalkosten ohne Ausfallrisiko, Seite 192) vergleichbar, weil dort der Verschuldungsgrad, nicht die Fremdfinanzierungsquote auf der Abszisse abgetragen wurde. Mithilfe der Formeln (122) sind wir aber in der Lage, die Call- und Putpreise und damit die Werte von Eigen- und Fremdkapital zu berechnen. Abbildung 39 zeigt den Verlauf der Kapitalkosten bei Ausfallrisiko für unsere Beispieldaten in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad. Der Verschuldungsgrad FK/EK unterscheidet sich von der Fremdfinanzierungsquote d neben der unterschiedlichen Bezugsgröße im Nenner des Bruchs dadurch, dass er im Zähler den Kredit zum Markt- und nicht zum Buchwert enthält. Bei einem konstanten anteilsgewichteten Kapitalkostensatz verläuft der Eigenkapitalkostensatz nun konkav. Für den Fremdkapitalkostensatz erkennen wir einen zunächst schwach konvexen und anschließend schwach konkaven Verlauf. In der Folge von Basel II – so hatten wir auch dieses Kapitel begonnen – spielt die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit von Kreditnehmern eine zentrale Rolle. Dabei setzt die Pflicht zur risikoangemessenen Eigenkapitalunterlegung den Anreiz, die Ausfallwahrscheinlichkeit nicht nur über eine Standardrisikokostenkalkulation, sondern kreditnehmerindividuell oder zumindest ratingklassenspezifisch in die Kreditkonditionen einfließen zu lassen. Auch die Frage nach den Kapitalkosten in Abhängigkeit von der Ausfallwahrscheinlichkeit lässt sich mit unserem Modell beantworten. Hierzu ist folgende Überlegung dienlich:
Kreditrisikomanagement
201
Renditeforderung
30 %
20 % Renditeforderung der EK-Geber Renditeforderung der FK-Geber anteilsgewichtete Kapitalkosten 10 %
0% 0
4
8
12
Verschuldungsgrad FK/EK
Abbildung 39: Kapitalkosten in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad In der Black/Scholes-Formel gibt der Gewichtungsfaktor N(d2) die so genannte risikoneutrale Wahrscheinlichkeit dafür an, dass der Put im Geld endet. Die Bedingung hierfür ist die Überschuldung, also der (teilweise) Ausfall des Kredits. Die risikoneutrale Bewertungstechnik setzt dabei nicht etwa risikoneutrale Investoren voraus, vielmehr werden Wahrscheinlichkeiten so transformiert, dass die mithilfe dieser transformierten Wahrscheinlichkeiten berechnete erwartete Zahlung risikolos diskontiert werden kann. Hierbei ersetzt man die typischerweise unbekannte erwartete Rendite des betrachteten Investments durch den risikolosen Zinssatz (vgl. Abschnitt 7.1.1). In unserem Fall hingegen kennen wir die erwartete Rendite des Vergleichsinvestments, weil wir hierfür das CAPM vorausgesetzt haben, und müssen lediglich die Transformation mit dem risikolosen Zinssatz wieder rückgängig machen. Die für die Berechnung der Kapitalkosten relevante Ausfallwahrscheinlichkeit PD lautet deshalb:
(123)
PD
mit
~ N d2
~ d2
§ · 2 ¨ GK ¸ V GK ln¨ ¸ 2 ¨ K1 P ¸ © ¹
V GK
202
Kapitalkosten bei Ausfallrisiko
Hierbei gibt P die erwartete Rendite eines vergleichbaren Alternativinvestments an, also die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber eines ansonsten gleichen unverschuldeten Unternehmens. Diese erwartete Rendite betrug für unsere Beispieldaten 8,2 Prozent. Abbildung 40 gibt nun den Verlauf der verschiedenen Kapitalkostensätze in Abhängigkeit von der Ausfallwahrscheinlichkeit wieder.
Renditeforderung
20 % Renditeforderung der EK-Geber Renditeforderung der FK-Geber anteilsgewichtete Kapitalkosten 10 %
0% 0%
10 %
20 %
Ausfallwahrscheinlichkeit
Abbildung 40: Kapitalkosten in Abhängigkeit von der Ausfallwahrscheinlichkeit Hierbei mag auf den ersten Blick verwundern, dass selbst bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 20 Prozent die geforderte Fremdkapitalrendite nicht einmal sechs Prozent beträgt, der Bonitätsspread bei einem bonitätsrisikofreien Zinssatz von fünf Prozent also unter 100 Basispunkten liegt. Dies resultiert aus folgendem Umstand: Bei der vorausgesetzten Volatilität des Unternehmensvermögens von 20 Prozent und dem mit dieser Ausfallwahrscheinlichkeit einhergehenden Verschuldungsgrad FK/EK von knapp fünf sind Ausfälle zwar recht häufig, bei Überschuldung fallen aber die Vergleichsquoten sehr hoch aus. Der Optionsansatz berücksichtigt im Gegensatz zu manchem Ratingansatz nicht nur die Ausfallwahrscheinlichkeit, sondern auch die im Überschuldungsfall auftretende Verlusthöhe. Basel II forciert die Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeiten bei der Kreditvergabe und hat eine Diskussion um Methoden zu deren Schätzung entfacht. Dabei spielt das Ausfallrisiko nicht nur in den Ratingverfahren und Kreditrisikomodellen im Risikocontrolling von Banken eine Rolle, sondern auch bei der Unternehmensbewertung, weil sowohl Eigen- als auch Fremdkapitalgeber Risiken in ihren Renditeforderungen berücksichtigen. Letztere sind Bestandteil der zur Diskontierung zukünftiger erwarteter Cash-
Kreditrisikomanagement
203
flows verwendeten anteilsgewichteten Kapitalkosten. Ziel dieses Kapitels war es deshalb, der Frage nachzugehen, wie das Ausfallrisiko treffend in den Kapitalkosten berücksichtigt werden kann. Wir wollen unsere Ergebnisse nachstehend zusammenfassen. 1.
Das gängige Verfahren zur Unternehmensbewertung stellt das DCF-EntityVerfahren dar.
2.
Das klassische DCF-Entity-Verfahren arbeitet mit der Annahme, dass die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber dem risikolosen Zinssatz entspricht, Fremdkapital also keinem Ausfallrisiko ausgesetzt ist.
3.
Mithilfe des Optionspreisansatzes zur Kreditbewertung gelingt es, die Sensitivität der Eigenkapitalrenditeforderung – gemessen durch den Betakoeffizienten – nicht nur an den Verschuldungsgrad, sondern auch an das damit einhergehende Ausfallrisiko anzupassen. Dieses Vorgehen ist auf die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber übertragbar.
4.
Die Eigenkapitalkosten besitzen bei Berücksichtigung des Ausfallrisikos keinen linearen Verlauf in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad, sondern einen konkaven Verlauf. Die Fremdkapitalkosten sind nicht mehr unabhängig vom Verschuldungsgrad, sondern weisen einen gestreckten s-förmigen Verlauf auf.
5.
Die Renditeforderung der Fremdkapitalgeber bleibt selbst bei einem besonders schlechten Rating unter den anteilsgewichteten Kapitalkosten, weil Fremdkapitalgeber immer ein geringeres Risiko tragen als die Eigenkapitalgeber eines ansonsten gleichen unverschuldeten Unternehmens.
Literaturhinweise zum Kreditrisikomanagement Kreditbewertung Einen umfassenden Überblick über verschiedene Ansätze zur Kreditbewertung bietet Bielecki/Rutkowski (2004). Aufsätze zur Kreditbewertung mit zum Teil ähnlichem Fokus wie hier sind Reichling/Schulmerich (1999), Reichling (2001) sowie Henne/ Reichling (2005). Das Grundmodell zum optionspreistheoretischen Ansatz der Kreditbewertung findet man in Merton (1974). Darin können auch verschiedene formale Aspekte, die wir nicht weiter ausgeführt haben (beispielsweise die Ableitung des Bonitätsspreads nach der Volatilität des Unternehmenswertes und nach der Restlaufzeit des Kredits) nachgelesen werden. Merton (1974) lehnt sich an Black/Scholes (1973) sowie Merton (1973) zur Bewertung von Aktienoptionen an. Grundlagen zur Optionspreistheorie lassen sich mit Hull (2006) erarbeiten. Die Ausführungen zur risikoneutralen Bewertung von Krediten in Zusam-
204
Literaturhinweise zum Kreditrisikomanagement
menhang mit dem erwarteten Verlust aus einem Kreditgeschäft gehen auf Vasicek (1984) zurück. Während wir bezüglich einer Veränderung der Kapitalstruktur des Unternehmens lediglich auf Kredite unterschiedlicher Besicherungsklassen abgestellt haben, werden in Geske (1977), Geske/Johnson (1984) und Vasicek (1984) unterschiedliche Besicherungsklassen und Fälligkeitszeitpunkte von Krediten kombiniert. In Geske (1979) wird eine Formel zur Bewertung von Compound Options entwickelt und in Geske (1977) zur Bewertung von Fremdkapital eines Unternehmens in Form einer bonitätsrisikobehafteten Kuponanleihe benutzt. Wie mit Veränderungen des Unternehmensvermögens während der Laufzeit des Kredits umzugehen ist, zeigt Vasicek (1984). First-Passage-Time-Modelle, mit denen die Unternehmensinsolvenz zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Kreditlaufzeit oder auch kündbares Fremdkapital, beispielsweise in Form von Sondertilgungsrechten, berücksichtigt werden können, besitzen ihren Ursprung in Black/Cox (1976). Den Fall des Eigentümermanagements, der zu einer Veränderung des Unternehmensvermögens beim Übergang des Unternehmens in den Insolvenzzustand führt, behandelt Bouss (2004). Das hier dargestellte Modell zum ratingbasierten Ansatz der Kreditbewertung geht auf Fons (1994) zurück. Die Modellierung der Rückgewinnungsrate als zeitabhängiger prozentualer Anteil am Marktwert des Kredits, der sich bei Nichtinsolvenz des Unternehmens ergeben hätte, erfolgt in Duffie/Singleton (1999). Hinweise darauf, dass die mittlere empirische Rückgewinnungsrate mit einer Verschlechterung der Besicherungsklasse sinkt, findet man in Fons (1994), Jarrow/Lando/Turnbull (1997) und Duffie/Singleton (1999). Wir hatten uns hier auf eine Modellierung von Bonitätsspreads auf die Renditestruktur unter der Annahme von Risikoneutralität der Marktteilnehmer beschränkt. In Jarrow/ Lando/Turnbull (1997) findet man eine Modellierung von Bonitätsspreads auf die Terminzins- und damit implizit auf die Kassazinsstruktur, wobei das Prinzip der risikoneutralen Bewertungstechnik verfolgt wird und Ratingmigrationen berücksichtigt werden. Kreditkonditionen Die rechtlichen Grundlagen zur Bestimmung der Höhe der Eigenkapitalunterlegung von Krediten sind in Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004) enthalten und kurz in Deutsche Bundesbank (2004) dargestellt. Ausführungen zum Vergleich der ökonomischen und regulatorischen Eigenmittel von Kreditinstituten enthält Deutsche Bundesbank (2002). Die idealisierten Ausfallwahrscheinlichkeiten der Standard-&-Poor’sRatingklassen wurden Reichling/Wappler (2005) entnommen. Kapitalkosten bei Ausfallrisiko Die Verlautbarung des Instituts der Wirtschaftsprüfer zu den Grundsätzen der Unternehmensbewertung findet man unter IDW (2005). Die Dominanz des DCF-Entity-
Kreditrisikomanagement
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Ansatzes in der Bewertungspraxis belegen Peemöller/Kunowski/Hillers (1999). Die Berücksichtigung von Steuern bei der Kapitalkostenberechnung und die Auswirkungen auf den berechneten Unternehmenswert behandeln z. B. Hommel/Braun (2002) oder Nippel/ Streitferdt (2003). Die Verwendung von so genannten Sicherheitsäquivalenten bei der Risikoabschlagsmethode innerhalb der Unternehmensbewertung ist problematisch. Für die umfangreiche Diskussion zu diesem Thema insbesondere im deutschsprachigen Raum sei der interessierte Leser z. B. auf Kürsten (2002), Spremann (2005) oder Reichling/Spengler/Vogt (2006) verwiesen. Bereits Stiglitz (1969) weist die Gültigkeit des Modigliani/Miller-Theorems der Unabhängigkeit des Unternehmensgesamtwertes vom Verschuldungsgrad für den Fall ohne Konkurskosten nach. Die Relevanz von Steuern in diesem Fall untersuchen Kruschwitz/ Lodowicks/Löffler (2004). Das verwendete Modell zur Bewertung der Eigen- und der Fremdkapitalposition (im verschuldeten Unternehmen) geht wie bei der Kreditbewertung auf Merton (1974) zurück. Brühl (1999) zeigt, wie im optionspreistheoretischen Modell Eigenkapitalkostensätze approximiert werden können. Reichling/Beinert (2006) berücksichtigen das Ausfallrisiko bei den Fremdkapitalkosten. Bouss (2004) überträgt die optionspreistheoretischen Überlegungen auf mehrperiodige Kredite mit unterschiedlicher Fristigkeit, vor- und nachrangige Verbindlichkeiten sowie Kredite mit Sondertilgungsrechten. HVB Corporates & Markets (2003) veranschaulicht das Spektrum an Bonitätsaufschlägen, das bis zu 1 000 Basispunkten bei Kreditnehmern aus der Ratingklasse B reicht.
Teil III
Risikomanagement im Unternehmen
Risikomanagement im Unternehmen
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10. Grundlagen des Risikomanagements Profitables Wirtschaften liegt im Interesse jedes Unternehmens und ist durch das Übersteigen des Barwertes der Investitionsrückflüsse über die Investitionsauszahlungen charakterisiert. Eine höhere Renditeerwartung impliziert dabei in aller Regel ein gestiegenes Risiko bezüglich der Rückflüsse der Investition. Um Chancen zu nutzen, muss im Allgemeinen die Bereitschaft bestehen, Risiken einzugehen. Risikomanagement stellt die bewusste Auseinandersetzung mit Risiken in denjenigen Bereichen dar, in denen ein Unternehmen Chancen realisieren kann, und das Reduzieren von Risiken in denjenigen Bereichen, in denen der erwartete Nutzen aus den zusätzlichen Ertragsaussichten das Risiko nicht kompensiert. Ein Ziel des Risikomanagements ist die Abbildung des Gesamtrisikos eines Unternehmens als Zusammenspiel von Einzelrisiken. Risikomanagement orientiert sich dabei an den Unternehmenszielen und der Unternehmensstrategie. Dazu werden auf allen Unternehmensebenen geeignete Abläufe implementiert, um diejenigen Risiken im Sinne des Risikomanagementprozesses zu bearbeiten, die im Hinblick auf die Realisierung der definierten Unternehmensziele Gefahren darstellen. Risikomanagement ist keine Frage der Unternehmensgröße. Dennoch differieren die Parameter des Risikomanagementsystems in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße, der Geschäftstätigkeit, dem unternehmensspezifischen Risikoprofil und den unterschiedlichen finanziellen Fähigkeiten, Risiken zu tragen.
10.1 Risikomanagement und KonTraG Risiken sind Bestandteil jedes unternehmerischen Handelns. Der permanente und kontrollierte Umgang mit Risiken ist daher unumgänglich. Entsprechend wurde durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) die Einrichtung eines Risikomanagementsystems für Aktiengesellschaften verpflichtend vorgeschrieben. Der Gesetzgeber geht dabei von einer Ausstrahlungswirkung auch auf Unternehmen anderer Rechtsformen, wie z. B. GmbHs, aus. In der Begründung zum Gesetz heißt es, „dass für Gesellschaften mit beschränkter Haftung je nach ihrer Größe, Komplexität ihrer Struktur usw. nichts anderes gilt und die Neuregelung Ausstrahlungswirkung auf den Pflichtrahmen der Geschäftsführer auch anderer Gesellschaftsformen hat.“
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Grundlagen des Risikomanagements
KonTraG Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) trat im Mai 1998 in Kraft. Das KonTraG stellt kein eigenständiges Gesetz dar, sondern ein Artikelgesetz, d. h. es präzisiert bestehende Gesetze durch neue Vorschriften. Betroffene Gesetze sind das Aktiengesetz (AktG), das Handelsgesetzbuch, die Wirtschaftsprüferordnung und das GmbH-Gesetz. Ziele des KonTraG sind die Verminderung unternehmerischer Risiken, die Stärkung der Kontrollsysteme und die Verbesserung der Transparenz gegenüber Anlegern, Anteilseignern und der Öffentlichkeit. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand „geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“ Risikomanagement bietet aber weit mehr als nur das vom KonTraG geforderte frühzeitige Erkennen bestandsgefährdender Risiken. Erst ein systematischer Umgang mit allen wesentlichen Risiken ermöglicht eine wertorientierte Unternehmenssteuerung als gezieltes Management von Chancen und Risiken in einem dynamischen, globalen Umfeld. Ausgestaltung des Systems Das KonTraG schreibt keine konkrete Ausgestaltung des Überwachungssystems vor. Gemäß Gesetzesbegründung hängt die konkrete Gestaltung beispielsweise von der Größe, der Branche, der Struktur und dem Kapitalmarktzugang des jeweiligen Unternehmens ab. Zur Frage, welche Risiken überwacht werden sollen, heißt es: „Zu den den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen gehören insbesondere risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken.“ Das Überwachungssystem soll so ausgestaltet sein, dass solche Entwicklungen frühzeitig erkannt werden, also zu einem Zeitpunkt, in dem noch geeignete Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft ergriffen werden können. Durch die vom Gesetzgeber offen gelassene Operationalisierung für das vorgeschriebene Überwachungs- und Risikomanagementsystem sind die Unternehmen nicht angehalten, einen bestimmten Standardansatz zu implementieren. Daher gibt es verschiedene Risikomanagementsysteme mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausprägungen. Die unterschiedlichen Ansätze, die vielfach, aber häufig nur isoliert als Insellösungen in Unternehmen bereits existieren, sind in ein umfassendes Risikomanagementsystem zu integrieren.
Risikomanagement im Unternehmen
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Ein Risikomanagementsystem legt Aspekte organisatorischer, finanzieller, methodischer und technischer Art für ein wirksames und wirtschaftliches Risikomanagement im Unternehmen dar. Risikomanagement umfasst dabei die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Risikoerkennung und zum Umgang mit den Risiken unternehmerischer Betätigung. Dies bedeutet zugleich, alle Unternehmensbereiche einzubeziehen sowie Bestandsgefährdungen zu erfassen und zu bewerten. Unter Risiko ist im Kontext dieses Buchteils allgemein die Möglichkeit ungünstiger zukünftiger Entwicklungen zu verstehen. Aus der Formulierung des § 91 Abs. 2 AktG und aus den Begründungen zum KonTraG lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber die Einrichtung eines Frühwarnsystems, eines internen Überwachungssystems und eines Risikocontrollings fordert (vgl. Abbildung 41).
Risikomanagement nach nach KonTraG KonTraG Risikomanagement
Frühwarnsystem Frühwarnsystem
Internes Internes Überwachungssystem Überwachungssystem
Risikocontrolling Risikocontrolling
Abbildung 41: Geforderte Bestandteile eines Risikomanagementsystems Das KonTraG sieht das Frühwarnsystem als ein Risikomanagementsystem im engeren Sinn an, in dem unter anderem die Chancen- und Risikostrategie des Unternehmens festgelegt, die risikopolitischen Grundsätze gesetzt und die Implementierung eines Risikomanagementkreislaufs angestoßen werden. Das (Risiko-) Controlling liefert hierzu durch die Schaffung betriebswirtschaftlicher und technischer Strukturen die methodische Unterstützung zur quantitativen Planung und Steuerung. Das interne Überwachungssystem soll durch organisatorische Sicherungsmaßnahmen, interne Revision und integrierte Kontrollen die Sicherheit der Prozessabläufe gewährleisten. Zu den organisatorischen Sicherungsmaßnahmen gehören beispielsweise Maßnahmen der Funktionstrennung und des Datenschutzes, die Erarbeitung von Richtlinien und die Gestaltung des Belegwesens. Die interne Revision ist verantwortlich für das Auditing der Unternehmensbereiche. Ihr obliegt die Prüfung des Risikomanagementsystems im engeren Sinn.
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Grundlagen des Risikomanagements
10.2 Das Risikomanagementsystem Zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen des KonTraG (und damit zur Vermeidung persönlicher Haftung der Geschäftsführer bei Unternehmenskrisen) ist im Unternehmen ein Risikomanagementsystem zu implementieren. Auf Unternehmensebene spielen weitere Aspekte eine Rolle. Die weitgehende Beherrschung der Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist, versteht sich als Grundlage der unternehmerischen Tätigkeit. Die Steuerung der Risiken ist für die Sicherung des Unternehmensfortbestands und zur Steigerung des Unternehmenswertes unabdingbar. Zudem bietet ein dokumentiertes Risikomanagement eine quantitative und qualitative Informationsgrundlage für Bankgespräche und Unternehmensinteressenten wie Investoren oder Analysten. Bei der Ausgestaltung des Risikomanagementsystems sind neben der Notwendigkeit, die Risiken weitestgehend zu erfassen, auch Wirtschaftlichkeitsaspekte von Bedeutung. Wichtig ist dabei eine zielorientierte Gestaltung des Risikomanagementsystems. Das System kann die vorhandenen Instrumente zur Erhebung, Berichterstattung und Kontrolle von Risiken bzw. Risikoinformationen nutzen. Zur optimalen Nutzung ist die Einbindung des Risikomanagementsystems in das Unternehmen zu strukturieren. Dabei sind grundsätzlich drei Organisationskonzepte zu unterscheiden: Separationskonzept, Integrationskonzept, Mischkonzept. Beim Separationskonzept werden die Risikomanagementfunktionen in einer Aufbauorganisation zusammengefasst, die parallel zu den operativen Einheiten des Unternehmens besteht. Das Risikomanagementsystem existiert also als eigenständiges System mit separater Organisation. Beim Integrationskonzept werden die Aufgaben des Risikomanagements vollständig dem Linienmanagement und den Zentralbereichen zugeordnet. Das Risikomanagementsystem besteht hier also als integrativer Bestandteil der Unternehmensorganisation. Das Mischkonzept zeichnet sich durch unterstützende Risikomanagementeinheiten aus, die die operativen Geschäftsbereiche und die Geschäftsführung bei ihren Aufgaben entlasten. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Schaffung einer Stelle eines Risikomanagers, der mit den anderen Unternehmensbereichen zusammenarbeitet. In den Unternehmen dominieren zwei Ausprägungen: Entweder sind die Risikomanagementfunktionen in die bestehende Aufbauorganisation integriert. Dann sind die Identifikation, Analyse, Kommunikation und Bewältigung von Risiken Bestandteil des Tagesgeschäfts. Oder es existieren in Teilbereichen separate Organisationseinheiten, die sich mit den Aufgaben des Risikomanagements befassen. Die vollständige Trennung der Risikomanagementfunktionen von der restlichen Organisation stellt eine Ausnahme dar. Die (zumindest partielle) Integration des Risikomanagementkonzepts in den Planungs-
Risikomanagement im Unternehmen
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und Controllingprozess des Unternehmens stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor dar, denn durch sie wird die enge Verbindung zur Unternehmensführung deutlich.
10.2.1 Anforderungen an ein Risikomanagementsystem An ein Risikomanagementsystem werden verschiedene Anforderungen gestellt, um seine operative Funktionsfähigkeit als Instrument der Unternehmenssteuerung zu gewährleisten. Dazu gehören: Transparenz, Objektivität, Ganzheitlichkeit und Integration. Das System darf keine Blackbox darstellen. Der Anwender muss verstehen, wie die Ergebnisse zustande kommen, um die relevanten Risikofaktoren identifizieren und steuern zu können. Die gewünschte Objektivität insbesondere in qualitativen Bereichen wird durch strukturiertes Vorgehen ebenso unterstützt wie durch die Aufforderung zu Quantifizierungen. Das System muss Risiken quantifizieren, um die Risikofaktoren vergleichbar zu machen. Ganzheitlichkeit wird durch die Einbeziehung aller betrieblichen Funktionsbereiche entlang der Wertschöpfungskette gewährleistet und bietet damit eine umfassende Risikobetrachtung. Zudem muss das System Hard und Soft Facts integrieren und eine interne und externe Sicht kombinieren, um eine Aggregation der Teilergebnisse zu einem aussagekräftigen Gesamtergebnis zu erlauben. In einer Verlautbarung hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) den Gegenstand für die Prüfung der Überwachungsmaßnahmen des Vorstands gemäß § 91 Abs. 2 AktG näher beschrieben und damit weitere Mindestanforderungen an das Überwachungs- bzw. Risikomanagementsystem genannt. Demnach sind die folgenden Kriterien zu erfüllen: vollständige Erfassung aller Risikofelder des Unternehmens; Errichtung eines permanenten Prozesses (kontinuierliche Anwendung); Einrichtung angemessener Maßnahmen zur Risikoerfassung und Risikokommunikation; Berichterstattung der wesentlichen Risiken an die Geschäftsleitung; Dokumentation und Überwachung des Risikomanagements. Die Umsetzung der genannten Anforderungen erfordert einen abgestimmten Prozess der Entwicklung, Implementierung und ständigen Weiterentwicklung der Risikomanagementsysteme.
214
Grundlagen des Risikomanagements
10.2.2 Der Risikomanagementprozess Ein Risikomanagementsystem hat sicherzustellen, dass Risiken, die den unternehmerischen Erfolg und insbesondere den Fortbestand der Unternehmung gefährden, frühzeitig erkannt und gesteuert werden. Dabei resultieren Risiken daraus, dass aufgrund von Störungen geplante Ziele bzw. verfolgte Strategien verfehlt werden könnten. Unternehmensziele und der Risikostil des Unternehmens sind wichtige Einflussfaktoren auf das Risikomanagementsystem. Ein effektives Risikomanagementsystem richtet sich an der Unternehmensstrategie und an den Unternehmenszielen aus. Deshalb sind von der Unternehmensleitung strategische Vorgaben zur Steuerung der Risiken zu formulieren.
Unternehmensziele Unternehmensziele
RisikoRisikoidentifikation identifikation
RisikoRisikoüberwachung überwachung
Organisatorische Sicherungsmaßnahmen Interne Revision
RisikoRisikokommunikation kommunikation
Risikomanagementprozess
Risikocontrolling
Risikoanalyse Risikoanalyse
Kontrolle
Frühwarnsystem
RisikoRisikobewertung bewertung
RisikoRisikosteuerung steuerung
Risikostil des des Unternehmens Unternehmens Risikostil
Abbildung 42: Kreislauf des Risikomanagementprozesses Für die Strukturierung des Gesamtrisikos eines Unternehmens sind mittels geeigneter Instrumente alle potenziellen Risiken, die ein Unternehmen betreffen, aufzuzeigen und zu bewerten. Die Entwicklung entsprechender Systeme ist unter Beachtung der Vorgaben des KonTraG im Zuge eines Risikomanagementprozesses zu vollziehen (vgl. Abbildung 42), der die folgenden wesentlichen Prozesselemente enthält:
Risikomanagement im Unternehmen
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Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikobewertung, Risikosteuerung, Risikokommunikation und Risikoüberwachung. Hierbei können die ersten drei Prozessschritte als Maßnahmen der Risikoerfassung und die Letzteren als Maßnahmen der Risikopolitik angesehen werden. Risikoidentifikation, -analyse und -bewertung Ausgangspunkt des Risikomanagementprozesses sind Maßnahmen der Risikoidentifikation und -analyse, die als systematisches Erkennen potenzieller Einzelrisiken mit Auswirkungen auf das Unternehmen und das relevante Umfeld anzusehen sind. Dazu ist eine strukturierte Unterteilung in Risikobereiche hilfreich. Im Anschluss daran erfolgt die Risikobewertung. Messung und Bewertung bedingen die Analyse der Ursache-WirkungStruktur der zu bewertenden Risiken. Dabei werden Entstehungsursachen möglicher Risiken bestimmt und hinsichtlich Schäden und indirekter Folgen untersucht. Der Kreislauf setzt sich durch die Maßnahmen Risikosteuerung und Risikoüberwachung als Bestandteile der unternehmerischen Risikopolitik fort. Die Risikopolitik setzt die Rahmenbedingungen für das Risikomanagement, trifft Aussagen zu Entscheidungskriterien und differenziert Risiken. Risikopolitik lässt sich also als Umsetzungsprozess der Risikoanalyse verstehen. Zudem gehört die Etablierung eines Risikobewusstseins in den Unternehmensbereichen zur Aufgabe der Risikopolitik. Risikosteuerung Ist das Ausmaß potenzieller Verluste bekannt, können Risikomanagementmaßnahmen erörtert werden. Dabei sollen Maßnahmen gefunden werden, die der durch das Management vorgegebenen bzw. von den Eignern präferierten Risiko-Ertrag-Struktur des Unternehmens entsprechen. Die Risikosteuerung wägt dabei aus Kosten-Nutzen-Überlegungen ab, wie mit den bestehenden Risiken umgegangen werden soll. Dabei kommen wirkungsbezogene und ursachenbezogene Maßnahmen infrage (vgl. Abbildung 43, Seite 216).
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Grundlagen des Risikomanagements
Risikosteuerung Risikosteuerung
Ursachenbezogene Ursachenbezogene Maßnahmen Maßnahmen
Wirkungsbezogene Wirkungsbezogene Maßnahmen Maßnahmen
Risikovermeidung Risikovermeidung
Risikoüberwälzung Risikoüberwälzung
Beseitigung von von RisikenRisiken- und und Beseitigung Chancenpotenzial Chancenpotenzial
Übertragung von von Risiken Risiken Übertragung mittels geeigneter geeigneter Kontrakte Kontrakte mittels an Vertragspartner, Vertragspartner, Zahlung Zahlung an einer Risikoprämie Risikoprämie einer
Risikoverminderung Risikoverminderung Schadensverhütung bzw. bzw. Schadensverhütung Absicherung der der Risikoposition Risikoposition Absicherung
Risikostreuung Risikostreuung
Risikoakzeptanz Risikoakzeptanz Bewusstes Tragen Tragen von von Risiken Risiken Bewusstes zur Realisierung Realisierung damit damit zur verbundener Ertragschancen Ertragschancen verbundener
Risikoreduktion innerhalb innerhalb des des Risikoreduktion Unternehmensportfolios Unternehmensportfolios
Abbildung 43: Maßnahmen der Risikosteuerung Risikokommunikation Zur Risikokommunikation gehört die Darstellung der Risikosituation nach innen und nach außen. Die rechtzeitige und empfängerorientierte Kommunikation über wesentliche Risiken ist dabei von zentraler Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Risikomanagementsystems. Nach der Bewertung der Restrisiken ist durch die Festlegung von Akzeptanzgrenzen für jede Berichtsebene zu definieren, welche Risiken wann und durch wen an zuständige Entscheidungsträger zu berichten sind. Es ist zudem sicherzustellen, dass über bestandsgefährdende Risiken sofort die Geschäftsführung bzw. der Vorstand informiert wird. Weiter ist im Unternehmen eine geeignete Risikodokumentation zu implementieren. Risikoüberwachung Maßnahmen zur Risikoüberwachung schließen den Kreislauf. Auf dieser Prozessstufe werden alle Risiken hinsichtlich ihres Eintritts und alle Risikomanagementmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirkungsweise überprüft. Der Erfolg der eingeleiteten Risikomanagementmaßnahmen ist durch einen Soll-Ist-Vergleich zu überprüfen, und der Kreislauf beginnt von Neuem.
Risikomanagement im Unternehmen
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10.2.3 Elemente eines Risikomanagementsystems Von den verschiedenen Interessengruppen werden unterschiedliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme in Unternehmen diskutiert. Zur Erfüllung der Vorgaben des KonTraG und zur Aufrechterhaltung des Risikomanagementkreislaufs sind verschiedene Instrumente dienlich. Risikomanagementhandbuch Um einen Überblick über die komplexen Strukturen, Risiken und ihre Steuerungsinstrumente zu erhalten, beschreibt ein Risikomanagementhandbuch den Aufbau, Ablauf und die Instrumentarien, die für die Nutzung und Weiterentwicklung des Risikomanagementsystems notwendig sind. Es schreibt die Konzeption und Regularien für den Umgang mit Risiken vor und stellt einen Leitfaden aller wesentlichen Aufgaben im Risikomanagement dar (vgl. Abbildung 44). Das Risikomanagementhandbuch enthält Vorgaben, die für die Mitarbeiter Richtliniencharakter haben. Daraus resultiert seine Steuerungsfunktion als Mittel der Geschäftsleitung und die Informationsfunktion für die operativen Einheiten. Zudem dient das Risikomanagementhandbuch der Revision als Grundlage für einen Einblick in alle Rahmenbedingungen des Risikomanagements und übt damit eine Nachweisfunktion aus.
Funktionen
Steuerungsfunktion
Informationsfunktion
Nachweisfunktion
Inhalt Inhalt
Risikokultur und und risikopolitische risikopolitische Grundsätze Grundsätze Risikokultur
Unternehmensziele Unternehmensziele
Risikoarten/Risikokatalog Risikoarten/Risikokatalog
Risikomanagementprozess Risikomanagementprozess
Aufgaben- und und Verantwortungsbereiche Verantwortungsbereiche Aufgaben-
Geltungsbereich Geltungsbereich
Anlagen: Aufgabenmatrizen, Aufgabenmatrizen, Verantwortungsmatrizen, Verantwortungsmatrizen, Vordrucke, Vordrucke, Anlagen: Änderungsprotokolle usw. usw. Änderungsprotokolle
Abbildung 44: Funktionen und Inhalt des Risikomanagementhandbuchs
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Risikoinventar und Risk Map
Risikoinventar Die Erkenntnisse, die während der Risikoanalyse insbesondere im Laufe der Risikoidentifikation und -bewertung gewonnen werden, sollten in ein Risikoinventar aufgenommen werden. Ein Risikoinventar enthält Informationen über die einzelnen Risiken, die Bewertung der Risiken, die Beurteilung der risikopolitischen Maßnahmen, Vorschläge zur Verbesserung des Status quo und eine Priorisierung der Maßnahmen. Zweck eines Risikoinventars ist es, insbesondere den Entscheidungsträgern einen komprimierten Überblick über die Risikosituation des Unternehmens zu geben. Neben der qualitativen Beurteilung kann auch eine quantitative Bewertung vorgenommen werden. Grundlage für die Erstellung des Risikoinventars sind Risikomeldungen, die von den einzelnen Unternehmensbereichen an das Risikocontrolling bzw. den Risikomanager abgegeben werden. Scoringmodelle Zur Vervollständigung der laufenden Risikoberichterstattung und als inhaltliche Ergänzung des Risikomanagementprozesses kommen Scoringmodelle zur Anwendung. Hiermit lassen sich z. B. die weichen Erfolgsfaktoren (Soft Facts) eines Unternehmens oder differenzierte Unternehmensindikatoren berücksichtigen. Als beurteilungs- und entscheidungsrelevantes Instrument ermitteln Scoringmodelle zunächst Beurteilungsziffern unterschiedlicher Dimensionen, die dann durch Umwandlung in ein Punktesystem dimensionslos vereinheitlicht werden können. Somit können unterschiedliche qualitative und quantitative Beurteilungsaspekte in die Risikoanalyse einbezogen werden. Zur Veranschaulichung werden die Ergebnisse beispielsweise in Profilanalysen gegenübergestellt. In den folgenden Kapiteln werden ausgewählte Elemente des Risikomanagementsystems vorgestellt.
11. Risikoinventar und Risk Map Mithilfe eines Risikoinventars erhält man einen Überblick über die auf das Unternehmen einwirkenden Risiken. Ein Risikoinventar ist als Risikoregister zu verstehen und zeigt die nachfolgenden Schritte im Risikomanagement zur Bewältigung der Risiken auf. Ein Risikoinventar hat alle auf das Unternehmen einwirkenden Risiken zu erfassen und systematisch (z. B. nach den betrieblichen Funktionsbereichen gegliedert) darzustellen. Zudem muss eine Bewertung der Risiken auf Basis eines konsistenten und einheitlichen Messverfahrens erfolgen, um die potenziellen Risikokosten erfassen zu können. Auch müssen bereits getroffene risikopolitische Gegenmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit beurteilt werden. Bei Berücksichtigung dieser Punkte ist ein frühzeitiges Erkennen bestandsgefährdender Risiken möglich, sodass rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Risikobewältigung eingeleitet werden können. Als Visualisierungsinstrument kommt die Risk Map zur Anwendung (vgl. Abschnitt 11.3.2).
Risikomanagement im Unternehmen
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11.1 Aufbau und Inhalt eines Risikoinventars Die im Rahmen des Risikomanagementprozesses gewonnenen Erkenntnisse fließen in ein Risikoinventar ein. Ein Risikoinventar liefert in komprimierter Form Informationen über die Risikolage eines Unternehmens. Im Einzelnen bedeutet dies: Erfassung der Risiken, qualitative Beurteilung bzw. quantitative Bewertung der Risiken, Ansatzpunkte zur Verbesserung der Risikobewältigung, Prioritäten, mit welchen die Maßnahmen zur Risikobewältigung realisiert werden sollen. Risikoidentifikation/ -analyse Risikobereich
Risiko
SGE
Risikobewertung Schaden
Risikoklasse
Risikosteuerung MaßUmnahmen setzung
Zeitraum
Risikoüberwachung Verant- Berichtswortlich periode
Priorität
...
Tabelle 39:
Beispiel für den grundlegenden Aufbau eines Risikoinventars
Der Aufbau des Risikoinventars (vgl. Tabelle 39) spiegelt den Ablauf des Risikomanagements wider. Risikoidentifikation und -analyse zeigen den Risikobereich, das spezielle Risiko und betroffene strategische Geschäftseinheiten (SGE) des Unternehmens auf. In der Risikobewertung wird das Ausmaß des möglichen Schadens ermittelt und eingeschätzt, welcher Risikoklasse das Risiko angehört. Für die Risikosteuerung werden die zu treffenden bzw. getroffenen Maßnahmen sowie der Fortschritt und der Zeitraum ihrer Umsetzung dokumentiert. Zudem wird im Bereich der Risikoüberwachung definiert, wer für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich zeichnet, in welchen Abständen Berichte zu erfolgen haben und mit welcher Priorität die Risikomanagementmaßnahmen durchgeführt werden.
11.2 Risikobereiche der Unternehmung Die Risikoidentifikation stellt die erste Stufe in einem Risikomanagementsystem dar. Dieser Phase obliegt die systematische Identifikation aller auf das Unternehmen einwirkenden Risiken, unabhängig davon, ob sie von dem Unternehmen bereits kontrolliert bzw. beeinflusst werden oder nicht. Insbesondere bestandsgefährdende Risiken müssen bei der Risikoidentifikation erfasst werden. Dabei stehen zur Identifikation der Risiken verschiedene Methoden (wie z. B. Checklisten und Brainstorming) zur Verfügung. Generell bietet sich eine Erfassung der Risiken entlang der Wertschöpfungskette an, da
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Risikoinventar und Risk Map
hierbei ein systematisches Vorgehen gewährleistet wird und sämtliche auf den betrieblichen Leistungsprozess einwirkenden Faktoren durchleuchtet werden. Eine weitere Möglichkeit der Identifikation von relevanten Unternehmensindikatoren besteht in der Analyse von Prozessketten. Hier wird das Unternehmen anhand detaillierter Geschäftsprozesse abgebildet. Die klare Fokussierung des Vorgehens ermöglicht dabei eine leistungsfähige Risikoidentifikation. Dabei ist es wichtig, dass die Risikoidentifikation fundiert und möglichst objektiv erfolgt. Dies bedingt unter Umständen den Einsatz von Fachexperten (z. B. unternehmensexterne Berater), die die unternehmerische Risikolandschaft objektiv beurteilen können und zugleich ein entsprechendes Know-how z. B. bezüglich der Fertigungsprozesse und der Branchensituation besitzen, um ein spezielles Risikofeld beurteilen zu können. Ziel der Risikoidentifikation ist die Erstellung einer umfassenden Liste möglicher Gefährdungen, gegliedert nach den betrieblichen Funktionsbereichen. Hierbei sind möglichst überschneidungsfreie Risikobereiche zu definieren, um implizite Doppelerfassungen zu vermeiden. Risikobereiche und Risikofelder Neben den unternehmerischen Aktivitäten muss die Risikoidentifikation auch die unternehmensexternen Risiken berücksichtigen. Dazu sind alle auf das Unternehmen einwirkenden externen Risiken zu erfassen, beispielsweise Risiken aus Markt und Wettbewerb, Risiken mit gesellschaftsbezogenem Hintergrund, Risiken aus Naturereignissen usw. Aus der Betrachtung möglicher Risikopotenziale sind dann die Risikofelder zu systematisieren und innerhalb der Risikofelder ist die Erfassung der einzelnen Risiken vorzunehmen. Die Vorgehensweise Analyse interner und externer Einflüsse auf das Unternehmen, Bestimmung relevanter Risikobereiche und nachfolgend Identifikation relevanter Risikofaktoren liefert die in Abbildung 45 vorgeschlagene Unterteilung der Risikobereiche. Die Zusammenstellung der Risiken erfolgt zunächst unabhängig von der Relevanz für das betrachtete Unternehmen. Diese Relevanz wird erst im zweiten Schritt, in der Risikobewertung, beurteilt. Die definierten Risikobereiche werden im Folgenden erläutert. Aus der Aufführung der Risiken lässt sich ein standardisiertes Risikoinventar ableiten.
Risikomanagement im Unternehmen
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Marktbezogene Marktbezogene Risiken Risiken Naturbezogene Naturbezogene Risiken Risiken
Administrative Administrative Risiken Risiken
GesellschaftsGesellschaftsbezogene Risiken Risiken bezogene
Unternehmen Unternehmen
FinanzwirtschaftFinanzwirtschaftliche Risiken Risiken liche
PersonenPersonenbezogene Risiken Risiken bezogene
Risiken der der Risiken Leistungserstellung Leistungserstellung Kommerzielle Kommerzielle Risiken Risiken
Abbildung 45: Risikobereiche einer Unternehmung Marktbezogene Risiken Der Markt bildet den Ausgangspunkt bei der Analyse der unternehmerischen Risiken. Je mehr ein Unternehmen und seine generierten Umsätze von den Marktgegebenheiten abhängen, umso höher ist sein marktbezogenes Risiko. Ein typisches Beispiel hierfür stellt die Telekommunikationsbranche dar, die durch schnelllebige Produkte, wie z. B. immer leistungsfähigere Mobiltelefone, gekennzeichnet ist. Hier ist beispielsweise das Risiko aufgrund von Produktinnovationen erheblich. Auch andere Faktoren, wie z. B. eine Veränderung des Käuferverhaltens aufgrund aktueller Trends, eine Veränderung der Kaufkraft aufgrund der Arbeitsmarktsituation oder eine Veränderung der marktgegebenen Wettbewerbsverhältnisse haben Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg und müssen somit in die Liste der Risiken aufgenommen werden. Gesellschaftsbezogene Risiken Zu den gesellschaftsbezogenen Risiken gehören Risiken, die von Gesellschaftsgruppen aufgrund von Gegensätzen in politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht ausgehen, beispielsweise Boykotte oder Streiks. Weiter werden in diesem Risikobereich diejenigen Risiken erfasst, die von Einzelpersonen ausgehen, z. B. Fahrlässigkeit, ungünstige Beeinflussungen oder Delikte von Außenstehenden. Auch politische Veränderungen, wie z. B. ein Regierungswechsel, können Einfluss in finanz-, sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht besitzen.
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Risikoinventar und Risk Map
Personenbezogene Risiken Zu den allgemeinen personenbezogenen Risiken zählen Risiken, die innerhalb (Charakterveranlagungen) und außerhalb (Betriebsklima) der einzelnen Individuen liegen. Auch der Ausfall wichtiger Einzelpersonen, wie z. B. des Geschäftsführers, eines Projekt- oder Abteilungsleiters, birgt erhebliche Risiken. Weiter kann eine Gefährdung entstehen, wenn nur unzureichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Oft kommt in diesem Zusammenhang das Risiko einer erhöhten Personalfluktuation zum Tragen, wenn der Markt gleichzeitig durch hohen Wettbewerbsdruck und hohe Anforderungen an das Personal gekennzeichnet ist. Zusätzlich sind unter den personenbezogenen Risiken Unfall- und Krankheitsrisiken zu erfassen, die erhebliche Kosten verursachen können. Risiken der Leistungserstellung In den Bereich der Leistungserstellung fallen vor allem technische Risiken. Hierzu gehören insbesondere Risiken, die mit der Produktion und den dafür eingesetzten Ressourcen in Zusammenhang stehen, also z. B. Risiken technischer Anlagen und Produktionsrisiken, die zu einem Ausfall der Produktion oder zu Erhöhungen der Produktionskosten führen können. So muss z. B. im Bereich der technischen Anlagen das Risiko der Zerstörung oder Beschädigung und das Risiko einer Wertminderung aufgrund von Verschleißerscheinungen erfasst werden. Im Bereich der Produktionsrisiken muss das Risiko einer fehlerhaften dispositiven Produktionspolitik, also das Risiko einer nicht am Absatz orientierten Produktion, berücksichtigt werden. Auch die Risiken, die die Qualität und Produktivität beeinträchtigen, sind hier zu erfassen. Dabei unterscheidet man zwischen materiellen Produktionseinflüssen, bei denen die Ursachen im bearbeiteten Material liegen, und personellen Produktionseinflüssen, die ihre Ursachen in einer fehlerhaften Arbeitsorganisation und Arbeitsweise sowie in Mängeln der Arbeitskräfte hinsichtlich Fähigkeiten, Fertigkeiten und Sorgfalt haben. Kommerzielle Risiken Zu den kommerziellen Risiken gehören die Risiken im Absatz- und Beschaffungsbereich. Zu den Beschaffungs- bzw. Einkaufsrisiken wird vor allem die Abhängigkeit von Lieferanten gezählt, da die Preis- und Lieferabhängigkeit von nur wenigen bzw. einem Unternehmen (Single Sourcing) eine Bedrohung für ein Unternehmen darstellt. So kann z. B. die verspätete Lieferung zur Nichteinhaltung von Terminen führen und hohe Vertragsstrafen nach sich ziehen. Bedrohlich kann sich auch die mangelnde Qualität der Rohstoffe und Vorprodukte auswirken, wenn sie bei Weitergabe in den Produkten an den Kunden zu Imageverlusten bzw. zu einer erhöhten Inanspruchnahme von Gewährleistungsansprüchen führt.
Risikomanagement im Unternehmen
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Kommerzielle Risiken bestehen naturgemäß nicht nur auf der Beschaffungs-, sondern auch auf der Absatzseite. Zu diesen Absatz- bzw. Verkaufsrisiken gehören beispielsweise das Preisrisiko (Entwertung durch Änderungen der Mode) oder das Kreditrisiko (schlechte Zahlungsmoral der Kunden). Finanzwirtschaftliche Risiken Ein finanzwirtschaftliches Risiko bildet die schlechte Zahlungsmoral von Kunden, die häufig zu Forderungsausfällen führt und somit ein existenzgefährdendes Liquiditätsrisiko induzieren kann. Aus empirischen Studien geht hervor, dass dieser Risikofaktor für die Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen und die daraus resultierende Insolvenz verantwortlich sein kann. Die Baubranche und das Handwerk sind hiervon besonders betroffen. Häufig halten Unternehmen auch Finanzanlagen, Beteiligungen bzw. Wertpapiere in nicht unerheblichem Ausmaß. In diesem Fall müssen Risiken, die sich aus Wert- bzw. Kursschwankungen ergeben können, erfasst und in den Katalog bestehender Unternehmensrisiken aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang spielt auch das Wechselkursrisiko für Unternehmen, die auf ausländischen Märkten agieren, eine Rolle. Zwar reduzierte sich dieses Risiko mit der Europäischen Währungsunion erheblich, dennoch sind Transaktionsrisiken z. B. in US-Dollar oder Yen in den Risikokatalog aufzunehmen. Insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen stößt man häufig auch auf Finanzierungsrisiken, die auf eine unzureichende Finanzplanung und hieraus resultierende fehlerhafte Finanzierung zurückzuführen sind. Ein möglicher Grund hierfür ist das Fehlen eines Cash Managements, das die eingehenden bzw. ausgehenden Zahlungsströme kontrolliert und zeitnah übersichtlich aufarbeitet. Eventualverbindlichkeiten beinhalten ebenfalls Risiken, da bei ihrer Inanspruchnahme häufig hohe Zahlungen fließen, so bei der Inanspruchnahme von eingegangenen Bürgschaften für Gesellschafter. Auch andere Haftungsverhältnisse, wie sie sich aus Vertragsstrafen, Nachschusspflichten und Rücknahmeverpflichtungen ergeben, dürfen bei den Eventualverbindlichkeiten nicht unberücksichtigt bleiben. Administrative Risiken Zu den administrativen Risiken eines Unternehmens zählen Planungsrisiken, Organisationsrisiken und Risiken der allgemeinen Verwaltung. Unter die Planungsrisiken fällt vor allem das Risiko einer Fehleinschätzung der zukünftigen Entwicklung, die zu Planungsfehlern bezüglich des Standorts und der Betriebsgröße führen kann. Hiermit verbunden sind auch Fehlentscheidungen bezüglich der Forschungs- und Entwicklungs- (FuE-) intensität sowie Fehlentscheidungen bezüglich der Marketing- und Vertriebsaufwendungen, die zu Belastungen führen können, sofern sie nicht die prognostizierten Umsätze generieren.
224
Risikoinventar und Risk Map
Die Organisationsrisiken können unterteilt werden in Risiken der Leistungsvorbereitung, Risiken des Leistungsvollzugs, Führungsrisiken sowie Kontrollrisiken. Zu den Risiken der Leistungsvorbereitung zählen jene Risiken, die sich aufgrund einer unzweckmäßigen und unsachlichen Organisation ergeben und so die Produktivität beeinträchtigen bzw. zu vermeidbaren Kosten führen können. Hierzu gehören unzweckmäßige Arbeitsplatzgestaltungen, zu lange innerbetriebliche Transportwege, technisch überholte und leistungsschwache Maschinen, unübersichtliche Anordnungen usw. Fehlende oder unklare Zielsetzung und Grundsatzbildung (z. B. in Bezug auf die Unternehmensstrategie), Unklarheit über Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der einzelnen Stellen sowie Zuständigkeitskonflikte zwischen den einzelnen betrieblichen Stellen führen zu Störungen der innerbetrieblichen Kommunikation und zählen somit zu den Risiken des Leistungsvollzugs. Hiermit verbunden sind die Führungsrisiken, die sich z. B. aus unklaren hierarchischen Verhältnissen, ungenügenden Delegationskompetenzen und fehlender Koordination zwischen verschiedenen betrieblichen Stellen ergeben können. Auch diese Faktoren tragen dazu bei, dass der Kommunikationsfluss gehemmt und der Leistungsablauf gestört werden, was zu Effizienzverlusten in der innerbetrieblichen Leistungserstellung führen kann. Ein häufiges Kennzeichen beim Auftreten dieser Risiken ist ein fehlerhaftes bzw. mangelndes Controlling. In diesem Zusammenhang sei noch darauf verwiesen, dass nur in enger Verbindung mit einem funktions- und leistungsfähigen Controlling ein Risikomanagementsystem dazu beitragen kann, sich mit den potenziellen Risiken eines Unternehmens auseinanderzusetzen und eine wert- und erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung herbeizuführen. Naturbezogene Risiken In die Gruppe der naturbezogenen Risiken fallen vor allem die Elementarereignisse wie z. B. Bergsturz, Lawinen, Waldsterben usw. Aber auch meteorologische Faktoren, wie z. B. Sturm und Hagel oder der Klimawandel, die Land- und Gastwirtschaftsbetriebe, Reisebüros, die Bekleidungsindustrie, die Baubranche usw. beeinflussen können, fallen in die Kategorie der naturbezogenen Risiken. Für viele Unternehmen stellen auch mechanische, chemische und physische Einwirkungen, wie z. B. Feuer, Explosion und Rost, eine potenzielle Bestandsgefährdung dar. Die Tabellen 40 bis 47 (Seiten 225 bis 231) enthalten nun eine Übersicht über die Risikobereiche des Unternehmens, die Risikofelder und die zugehörigen Einzelrisiken als Grundlage für den Aufbau eines Risikoinventars.
Risikomanagement im Unternehmen
225
Marktbezogener Risikobereich Risikofaktor
Beispiele
Substitutionsrisiken
Auftreten von Substitutionsprodukten (wie Verdrängung der Kohle durch Erdöl und Erdgas, der Mechanik durch die Elektrotechnik)
Innovationsrisiken
Veränderungen des Angebots durch Erfindungen und Innovationen
Demografische Risiken
Änderung von demografischen Faktoren wie Bevölkerungszahl, Bevölkerungszahl nach Alter, Geschlecht usw.
Veränderung im Veränderung der Kaufkraft, des Investitionsverhaltens, Änderung des Käuferverhalten Lebensstandards der Wirtschaftssubjekte, Veränderung bezüglich Lebensgewohnheiten, Mode, Geschmack Veränderungen der Wirtschaftsgebiete
Verlust von Absatzgebieten durch Zölle
Veränderungen im Wettbewerb
Auftreten neuer Wettbewerber durch nationale Liberalisierungen
Tabelle 40:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Marktbezogener Risikobereich
Gesellschaftsbezogener Risikobereich Risikofaktor
Beispiele
Politische Faktoren
Einflüsse in finanz-, sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht, ferner auch Wirtschaftsordnung und Weltanschauung
Faktoren, die von Gesellschaftsgruppen ausgehen
Gegensätze zwischen Gesellschaftsgruppen in kultureller, soziologischer, politischer und wirtschaftlicher Beziehung wie Unruhe, Boykott, Streik usw.
Faktoren, die von Einzelpersonen ausgehen
Delikte aller Art von fremden Personen, Fahrlässigkeit Dritter, ungünstige Beeinflussungen von Außenstehenden
Tabelle 41:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Gesellschaftsbezogener Risikobereich
226
Risikoinventar und Risk Map
Personenbezogener Risikobereich Risikofeld
Risikofaktor
Beispiele
Allgemeine Risiken
Risiken, die im Individuum liegen
Charakterveranlagungen, psychische und physische Faktoren von Schlüsselpersonen
Risiken, die außerhalb des Individuums liegen
Arbeitsbedingungen, Betriebsklima, Verhalten der Mitarbeiter
Know-how-Risiken
Intelligenz, Fertigkeiten, Grad der Ausbildung von Schlüsselpersonen
Personalfluktuation
Durch Personalfluktuation bedingter Verlust an Know-how sowie Kosten für Neueinstellung und Einarbeitung
Ausfall wichtiger Einzelpersonen
Abteilungsleiter, Projektleiter, Vorstand, Entwicklungschef usw.
Heilungskosten
Krankenhausaufenthalte, Kuren, ambulante Behandlung
Kurzfristiger Arbeitsausfall
Tagegeld, Weiterzahlung von Lohnkosten im Krankheitsfall
Langfristiger Arbeitsausfall
Eintritt von Invalidität oder Todesfall mit Familienvorsorge
Heilungskosten
Krankenhausaufenthalte, Kuren, ambulante Behandlung
Kurzfristiger Arbeitsausfall
Tagegeld, Weiterzahlung von Lohnkosten im Krankheitsfall
Langfristiger Arbeitsausfall
Eintritt von Invalidität oder Todesfall mit Familienvorsorge
Unfallrisiken
Krankheitsrisiken
Tabelle 42:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Personenbezogener Risikobereich
Risikomanagement im Unternehmen
227
Risikobereich der Leistungserstellung Risikofeld
Risikofaktor
Beispiele
Anlagerisiken
Zerstörung und Beschädigung
Durch unsorgfältige Behandlung
Wertminderung durch Abnutzung
Verschleiß des Maschinenparks
Unangemessene Investitionspolitik, die zu ungedeckten Kosten führt
Zinsen, Abschreibungen, Unterhalt usw.
Dispositive Einflüsse
Produktion art- und mengenmäßig nicht auf die Absatzmöglichkeiten abgestimmt
Markteinflüsse
Technische Überholung von Erzeugnissen
Materielle Produktionseinflüsse
Gefahren, welche die Qualität und Produktivität beeinträchtigen und ihre Ursachen im bearbeiteten Material haben
Personelle Produktionseinflüsse
Unrationelle Arbeitsweise und Arbeitsorganisation, unzuverlässige Qualitätskontrollen, Mängel der Arbeitskräfte hinsichtlich Fähigkeiten, Fertigkeiten und der Sorgfalt im Arbeiten
Hilfsmittelrisiken
Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln
Produktionsrisiken
Tabelle 43:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Risikobereich der Leistungserstellung
228
Risikoinventar und Risk Map
Kommerzieller Risikobereich Risikofeld
Risikofaktor
Beispiele
Einkaufsrisiken
Mengenrisiko
Beschaffungsschwierigkeiten, Ausfall von Lieferanten, Verspätung von Lieferungen
Preisrisiko
Valutaschwankungen bei Importen
Marktpreisrisiko
Preiserhöhungen bis zum Zeitpunkt der Bestellung
Qualitätsrisiko
Wenn Beschaffenheit der Ware nicht den Erwartungen entspricht und der Lieferant nicht für den Minderwert der Ware einsteht, Mehrkosten für evtl. Nachbearbeitung der Ware oder Neubeschaffung
Transportrisiko
Transporte auf Gefahr des Empfängers, Versicherungskosten
Preisrisiko
Entwertung durch Änderung der Mode, Preisdruck der Konkurrenten, Qualitätsminderung, Valutaschwankungen bei Exportverkäufen
Kreditrisiko
Schlechte Zahlungsmoral oder Zahlungsunfähigkeit der Kunden, die zu Forderungsausfällen führen, Liquiditätsrisiko durch verspätete Zahlung
Transportrisiko
Transport auf Gefahr des Verkäufers (evtl. nötige Nachlieferung), Versicherungskosten
Verkaufsrisiken
Tabelle 44:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Kommerzieller Risikobereich
Risikomanagement im Unternehmen
229
Finanzwirtschaftlicher Risikobereich Risikofeld
Risikofaktor
Konjunkturrisiken
Wirtschaftskrise, Abhängigkeit von Konjunkturzyklen
Liquiditätsrisiken
Forderungsausfälle, Ausfall von Kapitalgebern, verspätete Zahlungen
Marktrisiken
Kapitalmarktrisiken
Valutaschwankungen der Finanzanlagen, Beteiligungen usw.
Export- und Importrisiken
Zins- und Wechselkursschwankungen, Kosten für Absicherung
Finanzplanungsrisiken
Fehlerhafte Finanzplanung, Liquiditätsengpässe
Kapitalrisiken
Falsche Kredit- und Gewinnverteilungspolitik
Risiken aus Bürgschaften
Bürgschaften für Gesellschafter
Risiken aus Schecks und Wechseln
Akzepte oder Indossamentverbindlichkeiten
Risiken aus Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten
Bestellung von Sicherheiten für Geschäftsführer gegenüber der Bank bei privaten Investitionen
Risiken aus sonstigen Haftungsverhältnissen
Mögliche Nachschusspflichten, unwiderrufliche Kreditzusagen, Vertragsstrafen, gesetzliche Haftungen, Rücknahmeverpflichtungen aus unechten Pensionsgeschäften
Finanzierungsrisiken
Risiken aus bestehenden Eventualverbindlichkeiten
Tabelle 45:
Beispiele
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Finanzwirtschaftlicher Risikobereich
230
Risikoinventar und Risk Map
Administrativer Risikobereich Risikofeld
Risikofaktor
Beispiele
Planungsrisiken
Projektrisiken
Falsche Planung bzw. Abstimmung von Projekten oder Aufträgen, die zu häufigen Terminverschiebungen führt
Standortplanungsrisiken
Falsche Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, die zu Planungsfehlern bezüglich Standort und Betriebsgröße führt
Entwicklungsrisiken
Falsche Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, die zu Planungsfehlern bezüglich FuE-Entscheidungen führt
Absatzrisiken
Falsche Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, die zu Planungsfehlern bezüglich Marketinginvestitionen führt
Leistungsvorbereitung
Unzweckmäßige sachliche und personelle Organisation, die die Produktivität beeinträchtigen oder zu vermeidbaren Kosten führen kann, wie z. B. unzweckmäßige Arbeitsplatzgestaltung, zu lange innerbetriebliche Transportwege usw.
Leistungsvollzug
Fehlende oder unklare Zielsetzung und Grundsatzbildung, Unklarheit über Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der einzelnen Stellen, Zuständigkeitskonflikte
Führungsrisiken
Unklare hierarchische Verhältnisse, ungenügende Delegation, fehlende Koordination zwischen verschiedenen Stellen, mangelnde Anpassung der Organisation in wachsenden Unternehmen
Leistungskontrolle
Ungenügende Prüfung der ein- und ausgehenden Materialien hinsichtlich Menge, Qualität, Preis, Sorgfalt der Arbeitsleistung
Controllingrisiken
Ungenügende Überwachung des Betriebsgeschehens (unangemessener Kontenplan, fehlende Betriebsbuchhaltung, ungenügende Kalkulation), fehlerhaftes Controlling
Verwaltungsrisiken
Mangelhafte administrative Organisation im Bestellwesen
Kontrollrisiken
Ungenügende interne Kontrolle in den der Buchhaltung vorgelagerten Bereichen
Organisationsrisiken
Risiken der allgemeinen Verwaltung und Kontrolle
Tabelle 46:
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Administrativer Risikobereich
Risikomanagement im Unternehmen
231
Naturbezogener Risikobereich Risikofaktor
Beispiele
Elementarereignisse
Bergsturz, Lawinen, Waldsterben usw.
Meteorologische Sturm, Hagel, Dürre oder Nässe, Schlechtwetterperioden, Ereignisse Klimawandel usw. Andere Einwirkungen
Tabelle 47:
Mechanische, chemische und physische Einwirkungen wie z. B. Feuer, Explosion, Rost
Risikoeinteilung für das Risikoinventar – Naturbezogener Risikobereich
11.3 Bestimmung der Risikorelevanz An die Identifikation schließt sich die Bewertung der Risiken an. Ziel ist es zu analysieren, welche Risiken wesentlich sind. Hierzu werden bereits vorhandene Gegenmaßnahmen und die Eintrittswahrscheinlichkeit sowie das Schadensausmaß für potenzielle Ereignisse ermittelt. Letztere können durch Statistiken, Erfahrungswerte, Branchenvergleiche, Studien oder Modelle sowie – falls anders nicht möglich – durch subjektive Einschätzungen fachkompetenter Experten ermittelt werden. Die subjektive Vorgehensweise ist kritisch zu betrachten, wenn die gewünschte Nachvollziehbarkeit bzw. Begründbarkeit der Daten nicht gegeben ist. Eine akzeptable Datenqualität kann jedoch erreicht werden, wenn alle subjektiven Daten von Fachexperten diskutiert und detailliert begründet werden sowie eine nochmalige nachträgliche Plausibilitätsprüfung der geschätzten Daten erfolgt. Somit ist die Verwendung subjektiver Daten grundsätzlich gerechtfertigt, wenn keine besseren Daten zur Verfügung stehen, da eine völlige Vernachlässigung nicht objektiv bewertbarer Risiken meist zu einer größeren Fehleinschätzung der momentanen Risikosituation führt.
11.3.1 Das Absicherungsprofil Mithilfe eines Absicherungsprofils wird dargestellt, inwiefern die bei der Risikoidentifikation ermittelten Risiken auf ein Unternehmen einwirken und in welchem Umfang Gegenmaßnahmen bereits ergriffen wurden, um diese Risikoposition zu reduzieren. Die Bestimmung eines Absicherungsprofils erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird erfragt, wie stark ein bestimmter Risikofaktor auf das Unternehmen einwirkt. Dabei ist das Verlustpotenzial eines Risikos vor Risikomanagementmaßnahmen anzugeben. Eine ordinale Skalierung von z. B. null bis zehn ermöglicht, eine Einschätzung von nicht gefährdend (null) bis zu existenzgefährdend (zehn) für das Unternehmen abzugeben.
232
Risikoinventar und Risk Map
Im zweiten Schritt wird dann geprüft, inwiefern sich das Unternehmen durch bereits vorgenommene Risikomanagementmaßnahmen gegen diesen Risikofaktor abgesichert hat. Wenn noch keine Maßnahmen in diesem Bereich ergriffen wurden, entspricht dies null Prozent. Sollten die Risikomanagementmaßnahmen das Risiko vollständig absichern, entspricht dies 100 Prozent. Teilweise abgesicherte Risiken werden durch entsprechende Zwischenwerte kenntlich gemacht. So entspricht die potenzielle Restrisikoposition der Differenz aus Gesamt- und abgesicherter Risikoposition. Für die bei der Risikoidentifikation bestimmten Risiken kann das in Abbildung 46 dargestellte Absicherungsprofil bestimmt werden.
Marktbezogene Risiken Gesellschaftsbezogene Risiken Personenbezogene Risiken Risiken der Leistungserstellung Kommerzielle Risiken Finanzwirtschaftliche Risiken Administrative Risiken Naturbezogene Risiken Durchschnittliches Absicherungsprofil 0
Nicht gefährdend
5
10
Existenzgefährdend
Risikopotenzial, das noch nicht durch Risikomanagementmaßnahmen beseitigt wurde Risikopotenzial, das durch Risikomanagementmaßnahmen beseitigt wurde
Abbildung 46: Absicherungsprofil
11.3.2 Die Risk Map Das bestehende (Rest-) Risiko ist nicht nur bezüglich seines Schadensausmaßes zu bewerten. Um die einzelnen Risiken miteinander vergleichen zu können, ist ein objektiviertes, einheitliches Bewertungs- und Messverfahren notwendig. Deshalb werden alle Risikofaktoren hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und des potenziellen Schadens für das Unternehmen untersucht. Zur Veranschaulichung der Risikosituation organisatorischer und strategischer Einheiten bietet sich eine Risk Map an. Hier werden die genannten Merkmale erfasst, wie Abbildung 47 veranschaulicht. Als Risikomaß resultiert der Schadenserwartungswert als das Produkt aus potenzieller Schadenshöhe und der zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeit.
sehr hoch
233
hoch
R3 Akzeptanzlinie R1
Risikofaktoren
…
mittel
R2
gering sehr gering -
Eintrittswahrscheinlichkeit
Risikomanagement im Unternehmen
R4
R1
sehr gering
R4
gering
mittel
hoch
sehr hoch
Potenzieller Schaden
Abbildung 47: Risk Map Das Risikoprofil eines Unternehmens in Form einer Risk Map bzw. Risikomatrix ermöglicht die Bewertung von Risiken auch, wenn keine quantifizierbaren Informationen zur Verfügung stehen. Eintrittswahrscheinlichkeiten und potenzielle Schadenshöhen werden dann qualitativ bestimmt und beispielsweise durch die Kategorien sehr gering, gering, mittel, hoch und sehr hoch klassifiziert. So können Risiken wie z. B. Image- oder Marktanteilsverluste abgebildet werden. Neben den Einzelrisiken wird häufig in einer Risk Map auch die individuelle Akzeptanzlinie bzw. Wesentlichkeitslinie abgebildet, die zeigt, ab welchem Schwellenwert ein Handlungsbedarf ausgelöst wird. Dies ermöglicht die Erstellung einer Prioritätenliste. Risiken mit hoher Priorität bedürfen einer sorgfältigen Auswahl geeigneter Gegenmaßnahmen. Risiken, die unter der Wesentlichkeitslinie liegen, kann mit geringerem Einsatz begegnet werden. Gleichwohl sollen solche Risiken überwacht und regelmäßig einer neuen Bewertung unterzogen werden. Die vorgenommene Priorisierung darf also nicht zur gänzlichen Vernachlässigung einzelner Risikopositionen führen. Eine Risk Map kann die Risiken eines Unternehmensteils, eines Geschäftsfelds oder des gesamten Unternehmens visualisieren. Damit lässt sich die jeweilige Risikosituation dokumentieren. Wir wollen noch darauf hinweisen, dass es sich bei der Risk Map um eine Darstellung von Einzelrisiken unter Vernachlässigung von Risikointerdependenzen handelt. Bei isolierter Betrachtung von Einzelrisiken ist jedoch nicht erkennbar, ob eine Kumulation der Risiken zu einer Bestandsgefährdung führen kann.
234
Risikoinventar und Risk Map
11.3.3 Die Risikobewertung Unter dem Konzept der Ermittlung der Schadenserwartungswerte sind Risiken mit gleicher Schadenserwartung gleich riskant, es ist keine Priorisierung möglich. Diesen Nachteil überwindet die Value-at-Risk-Methode. Der Value at Risk (VaR) berücksichtigt explizit die gemäß KonTraG relevanten Konsequenzen einer besonders ungünstigen Entwicklung für das Unternehmen. Er bezeichnet denjenigen Verlustbetrag, der innerhalb eines bestimmten Zeitraums (im Kreditbereich in der Regel ein Jahr) mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit von z. B. 99 Prozent nicht überschritten wird. Für die einzelnen Risikofaktoren kann zur Bestimmung des Value at Risk wie folgt vorgegangen werden: Man ermittelt zunächst jeweils für einen besonders schweren und für einen minderschweren Fall die Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie die zugehörigen Schadenshöhen. Daraus ergeben sich dann unter Annahmen über die Verteilung des zukünftigen Unternehmensgewinns sowohl der Value at Risk als auch die Ausfallwahrscheinlichkeit, wie Abbildung 48 veranschaulicht.
Kumulierte Wahrscheinlichkeit
100 %
Besonders schwerer Fall
Minderschwerer Fall Ausfallwahrscheinlichkeit 1%
99 %-Value-at-Risk
0
Eigenkapital
Abbildung 48: Value at Risk und Ausfallwahrscheinlichkeit Die Anwendung der Value-at-Risk-Methode bietet einen direkten Zusammenhang zum Rating. Wird der Verlustbetrag auf das Eigenkapital eines Unternehmens bezogen, liefert der Value at Risk eine Bonitätseinschätzung. Er beziffert dann den Verlust (in Prozent des Eigenkapitals), der im Schadensfall in aller Regel nicht überschritten wird. Aus dem Value at Risk kann unter einer Annahme über die Verteilung des zukünftigen Unternehmensgewinns die Wahrscheinlichkeit berechnet werden, dass (mehr als) 100 Prozent des Eigenkapitals aufgezehrt werden. In diesem Fall liegt Überschuldung vor und man erhält die Ausfallwahrscheinlichkeit, die mit einem Rating korrespondiert.
Risikomanagement im Unternehmen
235
Verlustpotenzial Die Risikobewertung mittels Value-at-Risk-Methode ermöglicht die Erfassung von Verlustpotenzialen für die einzelnen Risikobereiche des Unternehmens. Das Verlustpotenzial zeigt an, welcher prozentuale Verlust des Eigenkapitals bei Eintreten des Schadens in z. B. dem schlimmsten von 100 Fällen resultiert. Hierbei ist es sinnvoll, Warn- und Signalschwellen zu definieren, die Hinweise auf einen akuten Handlungsbedarf geben (vgl. Abbildung 49).
Prozentualer Verlust des Eigenkapitals Warnschwelle
Signalschwelle
Markt- Gesellschafts- Personen- Risiken der Kommerbezogene bezogene bezogene Leistungszielle Risiken Risiken erstellung Risiken Risiken
Finanzwirt- Administschaftliche rative Risken Risiken
Naturbezogene Risiken
Abbildung 49: Verlustpotenzial
11.3.4 Die Risikoaggregation Die Risikoaggregation stellt in der Praxis eine besondere Herausforderung und Hürde dar. Häufig versucht man, dieses Problem so zu lösen, dass potenzielle Schadenshöhen schlicht addiert werden. Eine solche Addition von Schadenshöhen ist jedoch nur für den wenig wahrscheinlichen Fall angemessen, dass alle denkbaren Risiken des Unternehmens gleichzeitig eintreten. So tauchen jedoch beispielsweise zwei Risiken, die jeweils mit einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit eintreten und voneinander unabhängig sind, nur mit einprozentiger Wahrscheinlichkeit gemeinsam auf. Ein zentrales Problem bei der Bestimmung der Gesamtrisikoposition stellen also die mehr oder minder stark ausgeprägten gegenseitigen Abhängigkeiten verschiedener Einzelrisiken dar, die bei der Risikoaggregation zu berücksichtigen sind. Die Beschreibung dieser Zusammenhänge kann z. B. mithilfe der Korrelationskoeffizienten erfolgen. Dieser Ansatz folgt der Idee der aus der Kapitalmarkttheorie bekannten Portfolioselektion, wonach sich das Gesamtrisiko (z. B. gemessen als Varianz der Eigenkapitalrendite) als Summe aller anteilsgewichteten Risiken aus den Einzelrisikofaktoren zuzüglich aller auftauchenden und wiederum anteilsgewichteten Kovarianzen ergibt (zu den verwende-
236
Risikoinventar und Risk Map
ten Begriffen vgl. Abschnitt 14.1.2). Formal können wir diesen Ansatz wie folgt aufschreiben:
(124)
V2
mit
N
N N
i 1
i 1j 1 j zi
¦ xi2 V i2 ¦ ¦ xi x j V i, j
V i2 : Varianz der Eigenkapitalwirkung von Risikofaktor i V i, j
V i V j Ui, j : Kovarianz der Eigenkapitalwirkung der Risikofaktoren i und j
Ui, j : Korrelation der Eigenkapitalwirkung der Risikofaktoren i und j xi :
Anteil der Eigenkapitalwirkung von Risikofaktor i
Hierbei tritt jedoch eine Reihe von Schwierigkeiten auf: Das Risiko aufgrund einzelner Risikofaktoren muss als Einfluss auf die Varianz der Eigenkapitalrendite gemessen werden. Diese Informationen liegen gewöhnlich nicht als historische Daten vor. Die in den Kovarianzen enthaltenen Korrelationskoeffizienten können wiederum in aller Regel mangels Daten nicht auf Basis historischer Informationen geschätzt werden. Zudem würden historische Daten typischerweise lediglich auf wenigen Beobachtungen des gleichzeitigen Auftretens verschiedener Risikofaktoren beruhen. Schließlich müssen die in Formel (124) enthaltenen Anteile ermittelt werden. Hierbei geht es darum zu bestimmen, mit welchem Anteil ein bestimmter Bereich bzw. einzelner (Risiko-) Faktor zur Eigenkapitalrendite des Unternehmens beiträgt. In der überwiegenden Anzahl der Fälle dürfte dieser Anforderungskatalog die in kleinen und mittleren Unternehmen vorhandenen Controllinginstrumente überfordern. Eine Vereinfachung ergibt sich jedoch, wenn sich eine Vielzahl unabhängiger kleiner Einzelrisiken aufgrund des Diversifikationseffekts weitgehend ausgleicht, sofern die Risiken eine ähnlich kleine Größenordnung besitzen. Dies führt zu einer Unterteilung in verteilungsorientierte und ereignisorientierte Risiken (vgl. Abbildung 50). Die verteilungsorientierten Risiken beschreiben Risiken, die sich aufgrund von Schwankungen bestimmter (Markt-) Parameter (z. B. Absatzmenge) ergeben, in denen sich eine Vielzahl unabhängiger Einzelstörungen widerspiegeln. Unter wenig einschränkenden Annahmen konvergiert die Verteilung der Summe solcher Einzelstörungen gegen eine Normalverteilung, sodass grundsätzlich der im vorangegangenen Abschnitt 11.3.3 dargestellte Value-at-Risk-Ansatz zur Bestimmung der Gesamtrisikoposition der vertei-
Risikomanagement im Unternehmen
237
lungsorientierten Risiken verwendet werden kann (vgl. auch Abschnitt 14.4). Jedoch erfordert dies eine Positionierung der Lage der in Abbildung 48 dargestellten Verteilungsfunktion. Der hier benötigte Erwartungswert kann dann geschätzt werden, indem man die anteilsgewichtete Summe der einzelnen erwarteten Renditewirkungen der betrachteten Faktoren bildet.
Unternehmensrisiken Unternehmensrisiken
Verteilungsorientierte Verteilungsorientierte Risiken Risiken
Ereignisorientierte Ereignisorientierte Risiken Risiken
Abbildung 50: Unternehmensrisiken Schwieriger erweist sich die Bestimmung des Gesamtrisikos bei den ereignisorientierten Risiken, wenn sich ein Unternehmen einer Vielzahl von Risikofaktoren ausgesetzt sieht, die durch unterschiedliche Schadensverteilungen gekennzeichnet sein können. Im Kreditrisikocontrolling der Banken hat sich hierbei im Rahmen der so genannten Kreditrisikomodelle die Unterteilung in den erwarteten (Expected Loss) und den unerwarteten Verlust (Unexpected Loss) auf der Basis von Verlustverteilungen durchgesetzt (vgl. Abschnitt 7.1.1). Dabei spielen gegenseitige Abhängigkeiten lediglich beim unerwarteten Verlust eine Rolle und die benötigten Korrelationskoeffizienten werden aus Branchendaten geschätzt. Dieser Ansatz ist in Unternehmen anwendbar, wenn Korrelationskoeffizienten für Risikobereiche geschätzt und die betrachteten Risikofaktoren durch eine Verlustverteilung beschrieben werden können. Dies ist jedoch nicht durchgängig der Fall. Eine sinnvolle und gangbare Alternative bilden Simulationsverfahren. Ein geeignetes Verfahren stellt dabei die Monte-Carlo-Simulation dar. Hierzu werden die Wirkungen der Einzelrisiken beispielsweise den entsprechenden Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. der Bilanz zugeordnet. Durch das Simulationsverfahren wird so das Problem der analytischen Aggregation von Einzelrisiken durch eine numerische Lösung ersetzt. Aus den Simulationsdurchläufen ergibt sich eine Verteilung, auf deren Basis schließlich der Value at Risk bestimmt werden kann. Eine anschließende Sensitivitätsanalyse kann zudem dazu beitragen, wesentliche Einflussfaktoren (Einzelrisiken) auf die Zielgröße zu bestimmen.
238
Risikoinventar und Risk Map
11.4 Risikoberichterstattung Die Risikoberichterstattung besitzt eine zentrale Bedeutung für das Risikomanagement und ist für dessen Funktionsfähigkeit essenziell. Ein funktionierender Informationsfluss setzt dabei die Kommunikationsbereitschaft aller verantwortlichen Stellen voraus. Sofern Risiken nicht bewältigt sind, muss gewährleistet sein, dass sie in nachweisbarer Form an die zuständigen Entscheidungsträger weitergeleitet werden. Um sicherzustellen, dass sich Einzelrisiken von nachrangigem Charakter im Zusammenwirken mit anderen Risiken nicht zu einem bestandsgefährdenden Risiko kumulieren, sind auf den Stufen der Risikokommunikation Schwellenwerte bzw. geeignete Überwachungskriterien festzulegen. Das Management bestimmt zudem, wie häufig und wie detailliert die Geschäftseinheiten zu berichten haben. Dabei hängt die Periodizität der Berichterstattung über Risiken bzw. ihre Veränderungen von ihrer Art und Bedeutung für das Unternehmen ab. Zudem ist zu klären, ob ein zentraler Risikomanager installiert werden soll, der die Analyse der Risiken der Geschäftseinheiten, die Aggregation der Risiken sowie die Meldung an die Geschäftsleitung vornimmt. Risikomeldungen und Risikokarten Im Rahmen der Berichterstattung ist über Veränderungen von Risikosituationen zu informieren. Hierzu dienen Risikomeldungen (vgl. Abbildung 51), die über neue Risiken bzw. Risikoveränderungen berichten. Risikokarten können für verschiedene Bereiche des Unternehmens oder für Risikobereiche bzw. -felder erstellt werden. Sie enthalten beispielsweise den tabellierten Risikomanagementkreislauf (Risikoidentifikation, -bewertung, -steuerung und -überwachung) sowie das Absicherungsprofil und das Verlustpotenzial (vgl. Abbildung 52, Seite 240). Risikokarten können zudem zur Visualisierung der Risikosituation des gesamten Unternehmens eingesetzt werden. Hierbei werden die wesentlichen Risiken aufgeführt und das Absicherungsprofil sowie das Verlustpotenzial auf Unternehmensebene, d. h. in aggregierter Form, dargestellt (vgl. Abschnitt 13.4).
Risikomanagement im Unternehmen
239
Risikomeldung 1. Risikoverantwortlicher
2. Art der Meldung Neurisiko
Risikolöschung
Risikoaktualisierung
Negativanzeige
3. Betroffenes Unternehmensziel
4. Kurzbezeichnung des Risikos
5. Risikobeschreibung
6. Gegenmaßnahmen und Verantwortlichkeit
7. Risikobewertung Bruttobewertung Eintrittswahrscheinlichkeit: Schadenshöhe:
Nettobewertung in % in €
Eintrittswahrscheinlichkeit: Schadenshöhe:
8. Indikatoren, die Hinweise auf Veränderungen geben (Frühwarnung)
Datum:
Unterschrift:
Abbildung 51: Beispielhafter Aufbau einer Risikomeldung
in % in €
240
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Risikokarte für marktbezogene Risiken Toprisiko:
Veränderung im Wettbewerb (direktes Konkurrenzunternehmen plant vertikale Integration)
Risikoidentifikation Risikobereich
Risiko
Risikobewertung SGE
VaR
Risikoklasse
Risikosteuerung Maßnahmen
Umsetzung
Risikoüberwachung Zeitraum
Verantwortlich
Berichtsperiode
Priorität
Verlustpotenzial
Absicherungsprofil Substitutionsrisiken (1)
Prozentualer Verlust des Eigenkapitals
Innovationsrisiken (2) Warnschwelle
Demografische Risiken (3) Veränderung Wettbewerb (4) Veränderung Kaufkraft (5)
Signalschwelle
Veränderung Wirtschaftsgebiete (6) Veränderung Käuferverhalten (7) Durchschnittliches Absicherungsprofil Nicht gefährdend
Existenzgefährdend
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
Abbildung 52: Beispiel für eine Risikokarte für marktbezogene Risiken
12. Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem Neben der Erstellung eines Risikoinventars bietet sich für eine umfassende Analyse des Unternehmens der Aufbau eines Indikatorensystems an. Mit der Erfassung relevanter Unternehmensindikatoren können wichtige Hinweise für das Risikomanagement gefunden werden. Dabei können die Unternehmensindikatoren einerseits in ein Früherkennungssystem eingebunden werden, andererseits kann durch ihre Erhebung ein Vergleich zwischen Unternehmenseinheiten bzw. zu Konkurrenzunternehmen erfolgen. Als Methode für Letzteres wird das Benchmarking genutzt. Im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise beim Benchmarking, den Branchenbesten als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, wird im Risikomanagement der Branchendurchschnitt verwendet, um relative Leistungslücken oder Leistungsvorteile des betrachteten Unternehmens zu erfassen.
Risikomanagement im Unternehmen
241
Damit dienen die Indikatoren zur Positionierung des Unternehmens innerhalb seiner Branche.
12.1 Benchmarking Benchmarking stellt ein Verfahren dar, das in den achtziger Jahren entwickelt wurde und sich als wettbewerbsorientierte Managementmethode in der unternehmerischen Praxis bewährt hat. Als eine Methode der Konkurrenzanalyse beruht das Benchmarking auf einem Vergleich des eigenen Unternehmens mit konkurrierenden Unternehmen, d. h. mit gewählten Vorgaben. Solche Vorgaben können beispielsweise die Durchschnittswerte einer Branche oder die Vergleichswerte des besten Unternehmens der entsprechenden Branche sein. Die Positionierung des Unternehmens erfolgt also relativ zu einem Benchmark. Benchmarking dient dem kontinuierlichen Vergleich von Produkten, Dienstleistungen, Prozessen und Methoden zwischen Unternehmen. Ziel ist es, die Leistungslücken z. B. zum Branchenbesten auszumachen, um diese Lücken zu analysieren und durch entsprechende Maßnahmen zu verringern. Benchmarking zielt also darauf ab, zu ermitteln, wo Verbesserungen notwendig bzw. möglich sind und wie bei anderen Unternehmen beobachtete Methoden übernommen und umgesetzt werden können. Gleichzeitig dient Benchmarking als Vergleichssystem zwischen verschiedenen Unternehmen bzw. zwischen Unternehmen und allgemeinen Branchendaten. Benchmarking enthält einen Messund Positionierungsaspekt sowie einen Lernaspekt. In der vorliegenden Betrachtung des Benchmarkings steht der erstgenannte Aspekt im Vordergrund. Unternehmen sollen in Bezug auf die Untersuchungsfelder innerhalb ihrer Branche bewertet und positioniert werden. Für einen breiten Interpretationsrahmen sollte deshalb ein Benchmarksystem neben den Bestandteilen der Konkurrenzanalyse auch Elemente der Branchen- und Marktanalyse enthalten. Beispiele hierfür sind die Untersuchungsfelder Kapazitätsauslastung, Produktivität und Marktlage.
12.1.1 Unternehmensindikatoren Grundlage für das Benchmarking ist die Erhebung und Bewertung von Unternehmensmerkmalen. Diese Merkmale werden in Form von Indikatoren erhoben, die bestimmte Informationen über das Unternehmen liefern. Dazu gehören Kennzahlen oder anderweitige Ergebnisgrößen. Diese Kennzahlen oder Ergebnisgrößen können auf verschiedene Weise gebildet werden: absolute Zahlenwerte, z. B. Anzahl der Mitarbeiter, Alter des Unternehmens;
242
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Verhältniszahlen, z. B. Umsatz pro Mitarbeiter, Umsatz pro Kunde, Eigenkapitalquote, Lagerumschlagshäufigkeit, Umsatzrentabilität; Kennzahlenkombinationen, z. B. Return on Investment als Produkt aus Umsatzrentabilität und Kapitalumschlagshäufigkeit; Ergebniswerte für weiche Faktoren, z. B. Mitarbeitermotivation, Führungsstil im Unternehmen, Mitarbeiterqualifikation, Mitarbeiterzufriedenheit. Die Indikatoren sind als Ist-Werte für das Unternehmen zu erfassen. Sie ermöglichen durch den Vergleich mit dem Wert des jeweiligen Benchmarks als Soll-Wert eine Positionierung und Beurteilung des Unternehmens. Im Rahmen des Benchmarkings bzw. der Kennzahlenbeurteilung ist jedoch zu beachten, dass Genauigkeit und Aussagekraft nicht absolut sind, sondern von der Qualität und Aktualität der Daten sowie der Realitätsnähe des Abbildungsmodells abhängen. Für die Auswahl der Indikatoren sind folgende Elemente einer Kennzahl zu berücksichtigen: Informationscharakter und Quantifizierbarkeit. Indikatoren sollen Urteile über wichtige Sachverhalte und Zusammenhänge ermöglichen. Diese Sachverhalte und Zusammenhänge sind metrisch zu messen, damit sie präzise Aussagen ermöglichen können. Die spezifische Form soll es erlauben, Strukturen und Prozesse auf relativ einfache Weise darzustellen, um einen möglichst schnellen und umfassenden Überblick zu erhalten.
12.1.2 Aufbau eines Indikatorensystems Für den Aufbau des Indikatorensystems werden zwei Ansätze kombiniert. Ausgangspunkt des ersten Ansatzes (Top-down) sind wesentliche Entwicklungszusammenhänge im Unternehmen, z. B. die Abbildung der Wertschöpfungskette. In einem zweiten Schritt wird festgestellt, welche Indikatoren geeignet wären, die entsprechenden Vorgänge im Unternehmen adäquat abzubilden. In einem dritten Schritt wird dann untersucht, ob diese Indikatoren bereits verfügbar sind bzw. verfügbar gemacht werden können. Es wird also die Realisierbarkeit des geplanten Vorgehens untersucht. Eine zweite Vorgehensweise beinhaltet die Erhebung und Bewertung bereits verfügbarer bzw. angedachter Indikatoren (Bottom-up). Dabei wird festgestellt, welche Quellen in welcher Aktualität für die Indikatoren zur Verfügung stehen und welchen Aussagegehalt
Risikomanagement im Unternehmen
243
sie besitzen. Diese Indikatoren werden in das Grundgerüst der Segmentierung des Topdown-Ansatzes eingeordnet. Aus den Ergebnissen dieser Ansätze ist dann durch die Indikatorenauswahl und -verknüpfung ein Indikatorensystem zu entwickeln. Dabei müssen die gegenläufigen Anforderungen nach hoher Aussagekraft und Realisierbarkeit beachtet werden. Realisierbarkeit bezieht sich auf die aktuelle Datenverfügbarkeit, die regelmäßig gegeben sein muss. Das System soll sowohl ein Benchmarking für einzelne Indikatoren als auch eine Aggregation in Teilbereichen bzw. eine Gesamtbewertung erlauben. Aussagen zur aktuellen Wettbewerbsfähigkeit und zur Position des Unternehmens innerhalb seiner Branche lassen sich aus verschiedenen quantitativen Indikatoren, wie Umsatzwachstum, Marktanteil des Unternehmens usw., ableiten. Von Bedeutung sind grundsätzlich auch qualitative Indikatoren. Gerade die Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Indikatoren ist für den Gesamtnutzen des Benchmarkingmodells von Bedeutung. Je nach Fragestellung und Art des Vergleichsmaßstabs bieten sich verschiedene Benchmarkeinheiten an: Vergleich organisatorischer Einheiten innerhalb des eigenen Unternehmens, Vergleich mit einem oder mehreren Mitbewerbern, Vergleich mit dem Branchendurchschnitt, Vergleich mit Anbietern außerhalb der eigenen Branche. Hierbei ist zu beachten, dass die Verwendung der Benchmarks bestimmten Voraussetzungen unterliegt. Beispielsweise sind Vergleiche zwischen Unternehmen aus verschiedenen Branchen nur bedingt sinnvoll. Bei der Gegenüberstellung mit direkten Konkurrenzunternehmen besteht das Problem der Auswahl eines geeigneten Vergleichsobjekts. Auch die Informationsgewinnung und Datenverfügbarkeit können hierbei eingeschränkt sein. Im Gegensatz zur überwiegend verbreiteten Vorgehensweise im Benchmarking, den Branchenbesten als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, kann insbesondere zur Unternehmenspositionierung innerhalb einer Branche auch der Branchendurchschnitt als Benchmark verwendet werden. Benchmarking wird in diesem Fall nicht in erster Linie dazu genutzt, den Abstand zum Besten zu bestimmen, sondern die relative Position des Unternehmens in Bezug auf den jeweiligen Branchendurchschnitt zu ermitteln. Hieraus ergibt sich auch für die grafische Darstellung des Unternehmens eine einheitliche Systematik, nämlich entsprechend der relativen Leistungslücke bzw. dem relativen Leistungsvorteil gegenüber dem Branchendurchschnitt (vgl. Abbildung 53, Seite 244).
244
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Schlechteste Ausprägung
Beste Ausprägung
Benchmark
Unternehmen A
Leistungslücke
Unternehmen B
Leistungsvorteil
Abbildung 53: Benchmarking – Leistungsvorteil und Leistungslücke Um sinnvolle Unternehmenspositionierungen und -vergleiche vornehmen zu können, ist eine Einteilung der Unternehmen in Branchen erforderlich. Hierbei ist wiederum ein Trade-off zwischen Grob- und Feingliederung festzustellen. Eine grobe Brancheneinteilung, die beispielsweise die Unternehmen lediglich nach Güterproduktions- und Dienstleistungsunternehmen differenziert, kann kaum eine adäquate Vergleichsbasis liefern. Ideale Grundlage für das Benchmarking wäre eine Einteilung anhand des relevanten Marktes, auf dem die Unternehmen tätig sind. Differenziert man die Branchen aber zu stark, mangelt es an ausreichenden Vergleichsdaten. Mögliche Alternativen für Brancheneinteilungen sind die Systematik der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes oder unter Berücksichtigung einer marktorientierten Sichtweise die Brancheneinteilung börsennotierter Unternehmen an den Aktienmärkten.
12.2 Indikatorenkatalog und Indikatorenbenchmarking Das Indikatorensystem soll eine gezielte Erfassung von Unternehmensmerkmalen und deren Beurteilung ermöglichen. In Analogie zur Bestimmung der betrieblichen Risikobereiche kann auch die Auswahl der Indikatoren anhand der Wertschöpfungskette vorgenommen werden. Die Wertschöpfungskette bildet hierbei ein Instrument zur Identifikation von Wettbewerbsvorteilen, mit dem die Kosten und Leistungen von strategisch wichtigen Aktivitäten mit denen der Konkurrenz verglichen werden. Hier liegt die Überlegung zugrunde, dass strategisch nutzbare Wettbewerbsvorteile durch die im unternehmerischen Leistungsprozess generierte Wertschöpfung entstehen.
12.2.1 Die Wertschöpfungskette Jede Aktivität der Wertschöpfungskette nach MICHAEL E. PORTER stellt einen Ansatz zur Differenzierung dar und kann deshalb als Grundlage für den Aufbau eines Indikatorensystems herangezogen werden. Die Systematik ist weitgehend allgemeingültig und branchenübergreifend anwendbar. Die Wertschöpfung auf den einzelnen Stufen kann von unterschiedlicher Bedeutung sein. Es kommt also darauf an, dass sich das Unternehmen
Risikomanagement im Unternehmen
245
auf die strategisch wichtigen, Wettbewerbsvorteile generierenden Wertschöpfungsprozesse konzentriert. Grundsätzlich lassen sich neun Aktivitäten unterscheiden: fünf Primäraktivitäten, die den eigentlichen Wertschöpfungsprozess beschreiben, und vier Sekundäraktivitäten, die den Wertschöpfungsprozess ergänzen und unterstützen (vgl. Abbildung 54).
Sekundäraktivitäten
Unternehmensinfrastruktur Personal
Marge
Technologie Finanzen
Einkauf und Eingangslogistik
Leistungserstellung
Absatz und Ausgangslogistik
Kundenservice
Marketing
Primäraktivitäten
Abbildung 54: Wertschöpfungskette des Unternehmens Mit der Darstellung der einzelnen Unternehmensaktivitäten liefert die Wertschöpfungskette einen Überblick über Erfolgs- und Risikopotenziale im Unternehmen, die als Grundlage für den Aufbau eines Indikatorenkatalogs dienen. Zur Auswahl der zu verwendenden Indikatoren können zusätzlich Untersuchungen im Bereich der Erfolgsfaktorenforschung herangezogen werden. Hier ist beispielsweise die PIMS-Studie (Profit Impact of Market Strategies) zu nennen. In der PIMS-Studie wurde die Wirkung von Markt- bzw. Unternehmensbedingungen und Strategien auf den Unternehmenserfolg untersucht. Den Indikatoren Marktwachstum, Marktanteil des Unternehmens, Alter der Anlagen, Kapazitätsauslastung und Arbeitsproduktivität wird eine besondere Bedeutung beigemessen. Zur PIMS-Studie werden verschiedene Kritikpunkte angemerkt, beispielsweise sind die Wirkungszusammenhänge vereinfacht dargestellt. Neben der Zeitpunktbetrachtung (Querschnittsanalyse), die in der PIMS-Studie vorgenommen wurde, fehlen Zeitreiheninformationen (Längsschnittanalysen), z. B. bei der Untersuchung von Investitionen und deren Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Obwohl zu den Ergebnissen der PIMS-Studie teilweise kritisch Stellung genommen wird, sind die untersuchten Einflussfaktoren als Indikatoren
246
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
für ein Benchmarksystem geeignet. Sie sind quantifizierbar, vergleichbar und stellen wichtige Schlüsselgrößen für den Unternehmenserfolg dar.
PIMS-Studie Projekt zur Erfolgsfaktorenforschung, von General Electric gestartet, seit 1975 Projekt im Strategic Planning Institute in Cambridge, MA; Aufbau einer Datenbank, die Datenmaterial von circa 450 Mitgliedsunternehmen mit 2 600 strategischen Geschäftseinheiten enthält; Return on Investment als zentrale abhängige Variable, relevante Erfolgsfaktoren lauten: Marktattraktivität, relative Wettbewerbsposition, Investitionsattraktivität, Unternehmensmerkmale (Größe und Grad der vertikalen Integration).
12.2.2 Auswahl der Indikatoren Die Wertschöpfungskette umfasst den gesamten Wertschöpfungsprozess im Unternehmen und teilt die Aktivitäten in Primär- und Sekundäraktivitäten ein. Somit werden alle zur Erzeugung von Produkten oder Dienstleistungen relevanten Unternehmensbereiche berücksichtigt. Für die Untersuchungszwecke des Benchmarkings sollten für jede der einzelnen Aktivitäten der Wertschöpfungskette verschiedene Indikatoren gefunden werden, um eine umfassende Einschätzung vornehmen zu können. Primäraktivitäten Zu den Primäraktivitäten gehören die Bereiche Einkauf und Eingangslogistik, Leistungserstellung, Absatz und Ausgangslogistik, Kundenservice sowie Marketing. Der Bereich Einkauf und Eingangslogistik umfasst die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen sowie die logistischen Voraussetzungen für den Betriebsablauf. Dabei werden die Qualität und Quantität der Lieferantenbeziehungen beurteilt. Indikatoren in diesem Bereich können beispielsweise die Lieferverzugsquote, die Reklamationsquote, die Beschaffungszeit und die Lieferantenkonzentration sein. Die Indikatoren der Kerntätigkeit Produktion bzw. Leistungserstellung sind wichtige Kenngrößen im Unternehmensvergleich. Eine Indikatorenauswahl für diesen Bereich umfasst Merkmale wie die Ausschussquote, die Produktionszeit, die Personalund die Materialaufwandsquote, die Kapazitätsauslastung bzw. den Beschäftigungsgrad sowie die Anzahl der A-Produkte. Die Absatzaktivitäten und die Ausgangslogistik sind über Umsatzkennzahlen und die Lieferbeziehungen zu den Kunden erfassbar. Zugehörige Indikatoren sind Um-
Risikomanagement im Unternehmen
247
satzwachstum, Umsatz pro Kunde, Kundenkonzentration, Exportanteil und Lieferverzugsquote. Innerhalb der Aktivitäten Kundenservice und Marketing werden die Qualität, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit bei Lieferungen sowie insbesondere die Kundenzufriedenheit erfasst, etwa durch Erhebung der Indikatoren Bearbeitungszeit für Kundenanfragen, Reklamationsquote und Wiederkaufrate.
ABC-Analyse Die ABC-Analyse stellt ein Verfahren dar, das eine Menge von Objekten in die Klassen A, B und C aufteilt, die nach absteigender Bedeutung geordnet sind. Eine ABC-Analyse gibt beispielsweise an, welche Produkte besonders stark (A) und welche besonders gering (C) den Umsatz eines Unternehmens bestimmen. Die Einteilung in drei Klassen ist dabei üblich, aber keineswegs zwingend. Eine ABC-Analyse beruht in der Regel auf zweidimensionalen Wertepaaren, wobei die Werte in einer Dimension (z. B. Umsatz) der Größe nach sortiert sind. Anschließend wird kumuliert und schließlich in vorgegebene Klassen eingeteilt. Diese Einordnung verschafft einen ersten Überblick über die Situation des analysierten Bereichs. Eine idealtypische Situation entspricht dann der so genannten 80:20-Regel. Beispielsweise bei der Analyse der Kundenstruktur werden mit nur 20 Prozent der größten Kunden bereits 80 Prozent des Umsatzes getätigt (A-Kunden mit hoher Bedeutung), die folgenden 30 Prozent der größten Kunden liefern weitere 15 Prozent des Umsatzes (B-Kunden mit mittlerer Bedeutung) und die restlichen 50 Prozent der Kunden machen nur noch die verbleibenden fünf Prozent des Umsatzes aus (C-Kunden mit geringer Bedeutung). Sekundäraktivitäten Zu den Sekundäraktivitäten bzw. unterstützenden Einheiten gehören Unternehmensinfrastruktur, Personal, Technologie und Finanzen. Die Unternehmensinfrastruktur schafft den Rahmen für den betrieblichen Leistungsprozess. Neben demografischen Unternehmensmerkmalen sind auch qualitative Merkmale sowie die Stellung des Unternehmens auf dem Markt einzuschätzen, z. B. durch die Anzahl der Produktionsstätten, die Mitarbeiteranzahl, den relativen Marktanteil und den Standort des Unternehmens. Wichtige Indikatoren im Bereich Personal sind die Fluktuations- und die Fehlzeitenquote. Eine hohe Fluktuationsquote deutet auf Mitarbeiterunzufriedenheit hin. Fehlzeiten besitzen negative Auswirkungen auf die Stabilität der Betriebsprozesse. Weitere Indikatoren lauten hier Umsatz pro Mitarbiter und Personalwachstum.
248
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Beispiele für Indikatoren im Bereich Technologie sind die Anzahl der FuEMitarbeiter, das Verhältnis von FuE-Ausgaben zum Umsatz und die Anzahl angemeldeter Patente oder Schutzrechte. Als Indikatoren für den Bereich Finanzen kommen verschiedene Bilanzkennzahlen in Betracht, die die Bereiche Verschuldung, Finanzkraft, Rentabilität und Liquidität abdecken sollen, z. B. Eigenkapitalrentabilität, Liquiditätsgrad, Forderungsumschlag, Anlagendeckungsgrad und dynamischer Verschuldungsgrad. Da für Unternehmen unterschiedlicher Branchen verschiedene Eigenschaften von Bedeutung sein können, ist die Auswahl der Indikatoren gegebenenfalls an die jeweilige Branche anzupassen. Beispielsweise sind für Finanzdienstleister bestimmte Indikatoren (z. B. im Bereich Beschaffung) kaum erfassbar. Für diese Branchen ist ein modifiziertes Indikatorensystem zu verwenden.
12.2.3 Auswertung des Indikatorenbenchmarkings In der Auswertung werden die erfassten Indikatoren mit branchenspezifischen Benchmarks verglichen und bewertet. Neben den unternehmensinternen Indikatorausprägungen sind also die Ausprägungen des Benchmarks zu erfassen. Dadurch wird der direkte Vergleich ermöglicht. In Abbildung 55 sind die Daten so normiert, dass der jeweilige Benchmark die mittlere Bewertungsstufe darstellt. Ist nur der Branchendurchschnitt als Referenzgröße bekannt, kann ausgehend von diesem Benchmark eine Einschätzung beispielsweise so vorgenommen werden, dass eine Indikatorausprägung des Unternehmens, die fünf bis 20 Prozent schlechter bzw. besser als der Benchmark ist, eine Bewertung von – bzw. + erhält, die über 20 Prozent schlechter bzw. besser als der Benchmark ist, eine Bewertung von – – bzw. ++ erhält. Durch die Anwendung eines Scoringmodells (vgl. Abschnitt 13.3) kann die Unternehmenssituation in Bezug auf die Indikatoren durch einen Punktwert komprimiert dargestellt werden. Dazu sind die einzelnen Indikatoren entsprechend ihrer Ausprägung mit einer Punktzahl z. B. von einem Punkt bis zu fünf Punkten zu bewerten. Bei regelmäßiger Erhebung der Indikatoren können durch Vergleiche im Zeitablauf Veränderungen schnell sichtbar gemacht werden. Hierzu bieten sich neben der Ermittlung eines Gesamtscoringwertes auch visualisierte Auswertungen an.
Risikomanagement im Unternehmen
249
Benchmark Personal
––
–
0
+
++
Indikatoren: Umsatz pro Mitarbeiter Fluktuationsquote Fehlzeitenquote Personalveränderung
Abbildung 55: Auswertung der Indikatorenausprägungen im Bereich Personal In Abbildung 55 sind die Daten so normiert, dass der jeweilige Branchendurchschnitt als Benchmark die mittlere Bewertungsstufe darstellt. Für die Darstellung kann auch ein so genanntes Spinnennetzdiagramm verwendet werden (vgl. Abbildung 56). Hier kann (entsprechende Datenverfügbarkeit vorausgesetzt) aufgezeigt werden, wie sich das Unternehmen im Vergleich zum Branchendurchschnitt als Benchmark und zu den Minimalund Maximalausprägungen des jeweiligen Indikators in der Branche positioniert. Absatz und Ausgangslogistik Umsatzwachstum Umsatz pro Kunde Lieferverzugsquote
Beste Ausprägung Schlechteste Ausprägung Anzahl der A-Kunden
Lieferzeit
Kundenkonzentration
Lieferbereitschaftsgrad
Unternehmensposition Exportanteil
Branchendurchschnitt
Abbildung 56: Auswertung der Indikatorenausprägungen im Bereich Absatz und Ausgangslogistik
250
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Die Punkte auf dem Kreis (vgl. Abbildung 56, Seite 249) repräsentieren Indikatoren jeweils in ihrer besten Ausprägung. Die Positionen auf der gestrichelten Linie stellen den Benchmark für die einzelnen Indikatoren dar, im vorliegenden Fall den Branchendurchschnitt. Die Positionen auf der durchgezogenen Linie verdeutlichen die Situation des Unternehmens. Hierbei ist zu erkennen, ob sich das Unternehmen dem Benchmark nähern oder sich sogar besser positionieren kann. Zudem ist der Abstand zwischen dem Unternehmen und dem Branchenbesten ersichtlich. Die Auswertung der Unternehmensindikatoren mittels Benchmarking bietet dem Unternehmen detaillierte Informationen über seine aktuelle Lage und damit im Hinblick auf Schwachstellen Ansatzpunkte für Verbesserungsmaßnahmen. Bei der Interpretation der Abbildungen 55 und 56 (Seite 249) ist jedoch zu beachten, dass die dargestellten Verbindungslinien keine inhaltlichen Zusammenhänge darstellen.
12.2.4 Unternehmensindikatoren zum Benchmarking Die folgende Übersicht zeigt in tabellierter Form geeignete Indikatoren zum Aufbau eines Indikatorensystems unter Berücksichtigung der differenzierten Unternehmensaktivitäten auf. Die Tabellen 48 bis 55 (Seiten 250 bis 253) enthalten dazu jeweils die zu messende Eigenschaft, geeignete Indikatoren sowie deren Berechnung bzw. Ermittlung. Einkauf und Eingangslogistik Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Lieferbereitschaftsgrad
Anteil termingetreuer Lieferungen
Lieferverzugsquote
Durchschnittlicher Lieferverzug in Bezug zur durchschnittlichen Lieferzeit
Qualität der Lieferungen
Reklamationsquote
Anteil beanstandeter Lieferungen
Flexibilität im Beschaffungsbereich
Beschaffungszeit
Zeitraum zur Neubeschaffung von Material, Vorprodukten u. Ä.
Volumenmäßige Verteilung des Lieferaufkommens
Anzahl A-Lieferanten
Anzahl der (umsatzstärksten) Lieferanten, deren Umsätze zusammen 80 % des gesamten Lieferantenumsatzes ausmachen
Lieferantenkonzentration
Anteil des Beschaffungsvolumens, das auf die 10 % der größten Lieferanten entfällt
Zuverlässigkeit der Lieferanten
Tabelle 48:
Indikatoren für Primäraktivitäten im Unternehmen – Einkauf und Eingangslogistik
Risikomanagement im Unternehmen
251
Leistungserstellung Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Produktqualität
Ausschussquote
Anteil nicht verwertbarer Produkte
Reaktionsfähigkeit auf Nachfrageänderungen
Flexibilität der Anlagen
Beurteilung der (differenzierten) Nutzbarkeit der Produktionsanlagen
Effizienz der Nutzung von Kapazitäten
Produktionszeit
Anteile von Durchlauf- und Rüstzeiten
Arbeitsintensität
Personalaufwandsquote
Anteil der Personalkosten am Umsatz
Effizienz des Materialeinsatzes
Materialaufwandsquote
Anteil der Materialkosten am Umsatz
Inanspruchnahme betrieblicher und personeller Kapazitäten
Kapazitätsauslastung
Auslastungsgrad technischer Anlagen
Beschäftigungsgrad
Anteil der geleisteten Arbeitsstunden an den geplanten Arbeitsstunden
Sortimentsbreite
Anzahl A-Produkte
Anzahl der Produkte, mit denen 80 % des Umsatzes erzielt werden
Tabelle 49:
Indikatoren für Primäraktivitäten im Unternehmen – Leistungserstellung Absatz und Ausgangslogistik
Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Wachstum des Unternehmens
Umsatzwachstum
Verhältnis vom Umsatz des laufenden Jahres zum Umsatz des Vorjahres
Effizienz des Vertriebs
Umsatz pro Kunde
Durchschnittlicher Umsatzanteil der Kunden des Unternehmens
Aufteilung des Absatzvolumens
Anzahl A-Kunden
Anzahl der Kunden, deren Umsätze 80 % des Umsatzes ausmachen
Kundenkonzentration
Anteil des Absatzvolumens, das auf die 10 % der größten Kunden entfällt
Ausrichtung auf internationale Märkte
Exportanteil
Anteil des Exportumsatzes
Zuverlässigkeit des Unternehmens bei Auslieferungen
Lieferbereitschaftsgrad
Anteil termingerecht ausgelieferter Aufträge
Lieferverzugsquote
Durchschnittlicher Lieferverzug in Bezug zur Lieferzeit
Tabelle 50:
Indikatoren für Primäraktivitäten im Unternehmen – Absatz und Ausgangslogistik
252
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Kundenservice und Marketing Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Reaktion auf Kundenanfragen
Bearbeitungszeit
Durchschnittliche Dauer zwischen Eingang von Kundenanfragen und Reaktion des Unternehmens
Kundenzufriedenheit
Reklamationsquote
Anteil der beanstandeten Auslieferungen
Wiederkaufrate der Kunden
Aussagen über die Markentreue bestehender Kunden
Tabelle 51:
Indikatoren für Primäraktivitäten im Unternehmen – Kundenservice und Marketing Unternehmensinfrastruktur
Eigenschaft
Indikator
Quantitative und quali- Demografische Eigenschaften tative Unternehmenseigenschaften Interne Eigenschaften
Definition bzw. Kommentare Anzahl der Produktionsstätten, Unternehmensgröße, Beschäftigtenanzahl Führungsstil, Know-how, Organisation
Marktstellung des Unternehmens
Relativer Marktanteil
Marktanteil des Unternehmens bezogen auf den Marktanteil der drei größten Konkurrenten
Qualität der umgebenden Infrastruktur
Standort
Zugang zu Produktionsfaktoren, Nähe zu Lieferanten oder Kunden
Tabelle 52:
Indikatoren für Sekundäraktivitäten im Unternehmen – Unternehmensinfrastruktur Personal
Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Auslastungsgrad der Mitarbeiter
Umsatz pro Mitarbeiter
Niedriges Niveau ist ein Zeichen für Unterbeschäftigung bzw. Ineffizienz
Mitarbeiterzufriedenheit
Fluktuationsquote
Anzahl der ausgeschiedenen Mitarbeiter bezogen auf den Personalbedarf
Arbeitsablaufstabilität
Fehlzeitenquote
Ausgefallene Arbeitszeit bezogen auf die disponierte Arbeitszeit
Entwicklungen im Personalbereich
Personalwachstum
Prozentuale Zu- bzw. Abnahme des Personalbestands des Unternehmens
Tabelle 53:
Indikatoren für Sekundäraktivitäten im Unternehmen – Personal
Risikomanagement im Unternehmen
253
Technologie Eigenschaft
Indikator
Umfang von Forschung FuE-Personal und Entwicklung (Beteiligte und FuE-Intensität Aktivitäten) FuE-Output
Tabelle 54:
Definition bzw. Kommentare Anteil der Mitarbeiter, die im Bereich FuE beschäftigt sind Verhältnis von FuE-Ausgaben zum Umsatz Anzahl von angemeldeten Patenten oder Schutzrechten
Indikatoren für Sekundäraktivitäten im Unternehmen – Technologie Finanzen
Eigenschaft
Indikator
Definition bzw. Kommentare
Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals
Eigenkapitalrentabilität
Jahresüberschuss / Eigenkapital
Liquidität des Unternehmens
Liquiditätsgrad
Umlaufvermögen / Kurzfristige Verbindlichkeiten
Zahlungsverhalten der Kunden
Forderungsumschlag
Forderungen aus Lieferung und Leistung / Umsatz
Stabilität der Unternehmensfinanzierung
Anlagendeckungsgrad
(Eigenkapital + Langfristiges Fremdkapital) / Anlagevermögen
Entschuldungsdauer
Dynamischer Verschuldungsgrad
Effektivverschuldung / Cashflow
Tabelle 55:
Indikatoren für Sekundäraktivitäten im Unternehmen – Finanzen
12.3 Indikatorengestütztes Frühwarnsystem An die gesetzlichen Anforderungen des KonTraG knüpfend soll im Unternehmen ein Frühwarnsystem eingerichtet werden. Wie bereits in Abschnitt 10.1 erwähnt, ist im Sinne des KonTraG unter diesem Frühwarnsystem ein System zu verstehen, das die Implementierung des Risikomanagements initiiert und das frühzeitige Erkennen bestandsgefährdender Risiken ermöglicht. Um dieser Funktion gerecht zu werden, bietet es sich an, auf Grundlage der erhobenen Indikatoren innerhalb des Risikomanagementsystems ein Frühwarnsystem im engeren Sinne einzurichten.
254
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
12.3.1 Arten von Frühwarnsystemen Frühwarnsysteme lassen sich in drei Generationen einteilen und in operative und strategische Systeme unterscheiden.
Drei Generationen der Frühwarnung Frühwarnung: Frühzeitige Ortung von Risiken durch kennzahlen- und hochrechnungsorientierte Frühaufklärungssysteme Früherkennung: Früherkennung von Chancen und Risiken durch indikatorgestützte Frühaufklärungssysteme Frühaufklärung: Frühzeitige Ortung von Chancen und Risiken unter Sicherstellung von Strategien und Maßnahmen zu deren Bewältigung bzw. Handhabung Systeme der Frühwarnung, die auf Kennzahlen bzw. Kennzahlensystemen beruhen, basieren auf vergangenheitsorientierten Informationen und fokussieren auf interne Größen. Die Hochrechnung interner Ist-Daten trifft allerdings nicht den eigentlichen Frühwarncharakter. Die Früherkennung mittels eines Indikatorensystems bietet eine Möglichkeit, bereits vorhandene, jedoch nicht unmittelbar wahrgenommene Risikoanzeichen zu erkennen. Hierzu können relevante Unternehmensindikatoren mit zugehörigen Merkmalsausprägungen erhoben werden. Diese Indikatoren sollen unternehmensinterne und -externe Entwicklungen zu einem Zeitpunkt erfassen, in dem sie noch nicht als direktes Risiko auftreten. Um solche Entwicklungen oder Warnungen aufzuzeigen, müssen für Frühwarnindikatoren Soll-Werte und Toleranzgrenzen festgelegt werden. Frühwarnung und Früherkennung werden aufgrund ihrer Konzeption den operativen Systemen zugeordnet. Unser vorgestelltes Indikatorenbenchmarking ist dieser zweiten Generation von Frühwarnsystemen zuzuordnen. Systeme der dritten Generation, der Frühaufklärung, sind grundsätzlich längerfristig orientiert. Die Frühaufklärung funktioniert dabei als strategisches Radar, mit dem versucht wird, Informationen über relevante Veränderungen zeitnah zu erkennen. Dazu sollen schwache Signale aus dem Unternehmensumfeld registriert werden. Grundlage ist das Konzept von H. IGOR ANSOFF, nach dem sich so genannte strategische Diskontinuitäten lange vor ihrem Eintreten durch unscharfe Informationen (schwache Signale) andeuten. Die Schwierigkeit dieser Systeme besteht darin, dass schwache Signale in der Regel
Risikomanagement im Unternehmen
255
mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulassen und dadurch unklare bzw. unstrukturierte Problemsituationen entstehen.
12.3.2 Indikatorengestützte Früherkennung Zur Einbeziehung in das Risikomanagementsystem schlagen wir das System der Früherkennung auf Basis von Indikatoren vor. Dazu sind zunächst unternehmensintern und -extern Beobachtungsbereiche zur Erkennung von Gefährdungen und Chancen festzulegen. Die Wertschöpfungskette des Unternehmens bzw. der daraus abgeleitete Indikatorenkatalog bieten dabei die Grundlage für die Erhebung unternehmensinterner Früherkennungsindikatoren. Externe Beobachtungsfelder lassen sich beispielsweise aus den Risikobereichen ableiten (vgl. Tabelle 56 ). Externe Beobachtungsfelder
Interne Beobachtungsfelder
Binnen- und außenwirtschaftliches Umfeld
Einkauf
Technologisches Umfeld
Leistungserstellung
Soziokulturelles Umfeld
Absatz
Ökologisches Umfeld
Kundenservice und Marketing
Politisch-rechtliches Umfeld
Unternehmensinfrastruktur Personal Technologie Finanzen
Tabelle 56:
Externe und interne Beobachtungsfelder
Die Vorgehensweise für den Aufbau eines indikatorengestützten Früherkennungssystems erfordert im nächsten Schritt eine Auswahl und Definition von Indikatoren für jedes Beobachtungsfeld. Diese Indikatoren sollten möglichst frühzeitig Gefährdungen in den identifizierten Bereichen signalisieren. Zusätzlich ist für jeden Indikator die Festlegung von Soll-Werten und Toleranzgrenzen bzw. Warn- und Signalschwellen vorzunehmen. Die Auswahl der Indikatoren für den unternehmensinternen Bereich kann sich auf die im Benchmarking ermittelten Indikatoren stützen (vgl. Tabelle 56). Für die unternehmensexternen Beobachtungsbereiche enthält Tabelle 57 (Seiten 256 und 257) in aufzählender Form Vorschläge für einzelne Beobachtungsfelder bzw. Indikatoren. Die Auswahl der Indikatoren sollte sich an den folgenden Kriterien orientieren: Eindeutigkeit, rechtzeitige Verfügbarkeit, ökonomische Vertretbarkeit.
256
Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem
Im nächsten Schritt sind die Verantwortlichkeiten bezüglich der Beobachtung der Indikatoren und der Weiterleitung der Frühwarnmeldungen festzulegen. Die Erhebung und Auswertung der Früherkennungsindikatoren ist in geeigneter Form in die Risikoberichterstattung zu integrieren. Dabei ist neben einer regelmäßigen Erfassung und Dokumentation der Früherkennungsindikatoren die Erstellung von Risikomeldungen erforderlich, wenn vorgegebene Grenzwerte überschritten werden (vgl. Abschnitt 11.4). Beobachtungsbereich
Einzelne Beobachtungsfelder
a) Binnen- und außenwirtschaftliches Umfeld Strukturelle Entwicklung
Investitionstendenzen Bruttosozialprodukt pro Kopf
Absatzmarkt
Auftragseingang nach Produkten und Regionen Nachfragevolumen wichtiger Kunden Preis- und Programmpolitik der Konkurrenz Substitutionsprodukte Exportmöglichkeiten Stellung des Unternehmens in der Branche
Beschaffungsmarkt
Volumen von Rohstoffvorkommen und Jahresverbrauch Gesetzgebung zur Rohstoffeinfuhr und -ausfuhr Politische Lage der Rohstoffursprungsländer Entwicklung der Rohstoffpreise Preise und Konditionen der Lieferanten Verfügbare Lizenzen und Patente Entwicklung der Mieten für Büros und Werkstätten
Arbeitsmarkt
Gewerkschaftsforderungen Lohnniveau und Niveau der Lohnnebenkosten Angebot an und Nachfrage nach Fachkräften Rekrutierungsmöglichkeiten nach Berufsgruppen Einwanderungs- und Gastarbeiterpolitik Tendenzen der Sozialpolitik Ausbildungsmöglichkeiten
Kapitalmarkt
Leitzinsen Marktübliche Zinsen Wechselkurse Möglichkeiten der Kapitalaufnahme
Steuern
Entwicklung der Steuern Entwicklung der Steuerbegünstigungen durch mögliche Abschreibungen Zuschussmöglichkeiten
Tabelle 57:
Externe Beobachtungsfelder zur Ableitung von Früherkennungsindikatoren
Risikomanagement im Unternehmen
Beobachtungsbereich
257
Einzelne Beobachtungsfelder
b) Technologisches Umfeld Verfahrens- und Produktionstechniken
Änderungen bei Konkurrenten und Forschungsinstituten Technologische Entwicklungen Innovationen und deren Auswirkungen in den kommenden Jahren im Produktions- und Verwaltungsbereich Patentanmeldungen
c) Soziokulturelles Umfeld Wertewandel
Geschmacks- und Modeänderungen Änderungen beim Kaufverhalten und Ver- bzw. Gebrauch der Produkte Selbstverwirklichung Szenenzugehörigkeit und Lifestyle Sport und Freizeit Familie Umweltbewusstsein Internationalität Ethische und soziale Werte Entwicklungen in der Kunst- und Kulturszene
Bevölkerungsstruktur
Bevölkerungswachstum, -schrumpfung, Alterspyramide Immigranten Berufs- und Bildungsstände Haushaltsgröße Verfügbare Einkommen Tradition
d) Ökologisches Umfeld Ökologische Faktoren
Wirkung der Produktionsverfahren und der Produkte auf die Umwelt und den Menschen Entwicklung der Umweltbelastung und erforderliche bzw. mögliche Gegenmaßnahmen
e) Politisch-rechtliches Umfeld Politische Faktoren
Informationen aus Ausschüssen und Ministerien Parteiprogramme Wahlprognosen Wahltermine
Rechtliche Faktoren
Geplante Gesetzesänderungen
Tabelle 57:
Externe Beobachtungsfelder zur Ableitung von Früherkennungsindikatoren (Fortsetzung)
258
Soft Facts Scoring
13. Soft Facts Scoring Wirtschaftlicher Erfolg wird nicht dadurch erzielt, dass Risiken vermieden, sondern unter Beachtung der Risiken Chancen genutzt werden. Dazu ist es erforderlich, neben den Risikofaktoren auch die Erfolgsfaktoren bzw. -potenziale des Unternehmens zu kennen. Unter diesen weichen Faktoren bzw. Soft Facts sind solche Faktoren zu verstehen, die den Unternehmenserfolg nachhaltig beeinflussen können, aber im Gegensatz zu den harten Faktoren (z. B. Bilanzdaten) nicht ohne Weiteres zu quantifizieren sind.
13.1 Erfolgsfaktorenforschung Zur Ermittlung der erforderlichen Kriterien kann auf die Ergebnisse der Erfolgsfaktorenforschung zurückgegriffen werden. Sie ist eng mit dem Konzept der strategischen Unternehmensführung verbunden. Die wesentlichen Aufgaben der strategischen Unternehmensführung bestehen in der Festlegung von Zielen eines Unternehmens und der Formulierung von Maßnahmen zu deren Realisierung. Damit dient die strategische Unternehmensführung dem Aufbau, der Erhaltung und der Nutzung strategischer Erfolgspotenziale. Erfolgspotenziale eines Unternehmens beschreiben die grundlegenden produkt- und marktspezifischen Bedingungen für einen langfristigen Unternehmenserfolg. Erfolgspotenziale können als Wirkungssystem interpretiert werden, dessen Elemente als kritische oder strategische Erfolgsfaktoren bezeichnet werden. Die Erfolgsfaktorenforschung versucht, Gesetzmäßigkeiten für den Unternehmenserfolg aufzuzeigen. Dabei wird angenommen, dass der Unternehmenserfolg durch wenige, allgemein gültige Faktoren determiniert wird. Fragestellungen der Erfolgsfaktorenforschung lauten beispielsweise: Welche Faktoren stellen Schlüsselfaktoren für den Unternehmenserfolg dar? Wodurch zeichnen sich Spitzenunternehmen aus? Wie lauten entscheidende Wettbewerbsvorteile? Die Erforschung der Erfolgsfaktoren kann mit quantitativen und qualitativen Methoden erfolgen. Auch Kombinationen beider Untersuchungsarten sind üblich.
13.1.1 Empirische Ermittlung der relevanten Erfolgsfaktoren Bei der quantitativen Vorgehensweise werden Erfolgsfaktoren anhand von umfassenden empirischen Erhebungen ermittelt. Dabei können Erfolgsfaktoren aus Unternehmensund Marktdaten abgeleitet werden. Beispiele hierfür sind Kunden- bzw. Lieferantenkonzentration, Reklamationsquote und Marktwachstum. Unter Verwendung von statistischen Analysen können dann aus den abgefragten Kriterien die relevanten Erfolgsfaktoren abgeleitet werden. Der Vorteil bei diesem standardisierten Vorgehen besteht darin, dass viele Unternehmen in die Untersuchung einbezogen werden und man so allgemein-
Risikomanagement im Unternehmen
259
gültige Aussagen gewinnen kann. Der Nachteil einer standardisierten Befragung ist, dass Faktoren, die weniger gut zu quantifizieren sind, wie z. B. die Führungsqualität des Managements oder die Unternehmenskultur, oft unterbewertet werden. Einen wesentlichen Beitrag zur Erfolgsfaktorenforschung und Bestimmung von branchenübergreifenden, strategischen Prinzipien hat die bereits genannte PIMS-Studie geleistet, die ihren Ursprung 1960 in den USA hatte und auf eine umfassende Datensammlung zur empirischen Fundierung des Erfolgs von Geschäftsbereichsstrategien zurückgreift (vgl. Abschnitt 12.2.1). Jüngere Erfolgsfaktorenstudien enthalten industrieund themenspezifische Untersuchungen und ermitteln verschiedenartige Erfolgsfaktoren in unterschiedlicher Anzahl. Beispiele hierfür sind flache Hierarchie, Nischenpolitik, Zielgruppenstrategie, Standortqualität, Wettbewerbsintensität und Personalintensität. Die Erfolgsfaktorenforschung ist trotz zahlreicher empirischer Studien und Projekte nicht unumstritten. Dies liegt im Wesentlichen in der Kausalitätsproblematik und der mechanischen Betrachtungsweise. Es lassen sich keine einzelnen Variablen finden, auf denen der Unternehmenserfolg beruht. Starre Anweisungen wie: „Erhöhe den Marktanteil, dann vergrößert sich die Rentabilität!“ berücksichtigen nicht die soziale Struktur der Unternehmen mit Faktoren wie Managementqualität, Unternehmenskultur o. Ä. Dennoch liefern diese Ansätze Hinweise für als erfolgsrelevant einzubeziehende Faktoren.
13.1.2 Theoriebasierte Vorgehensweise Bei der qualitativen Erfolgsfaktorenforschung werden Erfolgsfaktoren anhand explorativer Untersuchungen gewonnen. Die Bestimmung der Faktoren kann dabei durch Plausibilitätsüberlegungen, theoretische Erkenntnisse, Expertengespräche oder die Analyse von Sekundärdaten, wie beispielsweise Branchenuntersuchungen, erfolgen. Oft werden unterschiedliche Quellen in der Analyse berücksichtigt. Bei qualitativen Untersuchungen werden aufgrund des höheren Aufwands in der Regel weniger Unternehmen in die Untersuchungen einbezogen als bei den quantitativen Untersuchungen. Vergleichbar zur Bestimmung unternehmensrelevanter Risikofaktoren oder Indikatoren bietet sich die Porter’sche Wertschöpfungskette als Identifikationsinstrument für Erfolgsfaktoren an. Zudem stellt die Untersuchung der Wettbewerbskräfte nach PORTER (vgl. Abschnitt 13.2.2) eine theoriebasierte Vorgehensweise dar. Die ermittelten Faktoren für den Wettbewerb und damit für die Situation des Unternehmens können als Grundlage für die Erhebung von Soft Facts dienen. Neben dem Binnenbereich des Unternehmens müssen die Rahmenbedingungen, unter denen das Unternehmen wirtschaftet, in die Analyse einbezogen werden. Insgesamt erscheint eine Einteilung des Kriterienkatalogs in externe Faktoren, nämlich die Rahmenbedingungen, und interne Faktoren, die den Binnenbereich des Unternehmens abdecken, sinnvoll (vgl. Abbildung 57, Seite 260). Der Binnenbereich kann vom Unternehmen gesteuert werden, während die Rahmenbedingungen kaum beeinflusst werden können.
260
Soft Facts Scoring
Rahmenbedingungen
Binnenbereich
Technologie Technologie Organisation und und Strategie Strategie Organisation
Markt und und Markt Wettbewerb Wettbewerb
WertschöpfungsWertschöpfungsprozess prozess
Unternehmensleitung Unternehmensleitung Finanzierung und und Investition Investition Finanzierung
Abbildung 57: Bereiche unternehmerischer Erfolgsfaktoren
13.2 Erhebung der Soft Facts im Unternehmen Die zentralen Untersuchungsgegenstände bei den internen Faktoren sind die Unternehmensorganisation, die Produkte bzw. Dienstleistungen sowie – von entscheidender Bedeutung – das Management des Unternehmens. Diese drei Hauptkriterien werden typischerweise in Untersuchungen zur Erfolgsfaktorenforschung genannt. Zusätzlich müssen die Rahmenbedingungen untersucht werden. Neben den Erfolgsfaktoren, die den Markt betreffen, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und das allgemeine Umfeld zu betrachten. Wichtig ist hier insbesondere die Stabilität. Schwierig wird es für Unternehmen häufig dann, wenn sich tief greifende Veränderungen ergeben. Diese Faktoren lassen sich als weiche Faktoren jedoch schlecht formulieren. Entsprechend sollte man in diesem Fall auf das Risikoinventar zurückgreifen.
13.2.1 Der Binnenbereich Die Bereiche unternehmerischer Erfolgsfaktoren bieten im Folgenden die Ansatzpunkte zur Bestimmung der einzelnen Soft Facts. Dies betrifft für den Binnenbereich die Kategorien Wertschöpfungsprozess, Technologie, Organisation und Strategie, Unternehmensleitung sowie Finanzierung und Investition. Bei der Erstellung eines Soft-FactsKatalogs ist die Branchenspezifität zu beachten, gegebenenfalls sind dabei Anpassungen aufgrund der Branchenzugehörigkeit vorzunehmen. Wertschöpfungsprozess und Technologie Die von einem Unternehmen angebotenen Produkte und Dienstleistungen stellen die Existenzberechtigung des Unternehmens dar, denn wenn es für die angebotenen Produkte und Dienstleistungen keinen Markt gibt, hat das Unternehmen schlicht keine Überlebenschance. Hier spielt vor allem auch die Qualität der angebotenen Güter eine Rolle. So wird aus der PIMS-Studie gefolgert, dass vor allem hochqualitative Produkte Premi-
Risikomanagement im Unternehmen
261
umpreise ermöglichen und Unternehmen zu einer größeren Gewinnspanne verhelfen. Da sich Unternehmen ständig in Konkurrenzsituationen befinden und man in vielen Bereichen, vor allem in der Konsumgüterbranche, von gesättigten Märkten und nahezu homogenen Produkten ausgehen muss, ist es wichtig, dass die eigenen Produkte über Alleinstellungsmerkmale (Unique Selling Proposition – USP) verfügen. Diese Alleinstellungsmerkmale müssen dem Kunden einen zusätzlichen Nutzen bieten und möglichst einfach zu erkennen sein. Ein Alleinstellungsmerkmal kann z. B. auch ein guter Service rund um das Produkt sein. Um die betrieblichen Leistungen des Unternehmens am Markt abzusetzen, führen Unternehmen Vertriebsaktivitäten durch. Je nachdem, wie diese Vertriebsaktivitäten ausgestaltet sind, wird das Produkt am Markt positioniert. Dabei ist das Vertriebskonzept an Produkteigenschaften, Zielgruppen und damit an die Märkte anzupassen. Ein allgemein gültiges optimales Vertriebskonzept kann jedoch aufgrund der unterschiedlichen Produkte nicht angegeben werden. Vielmehr ist ein situationsspezifisches Konzept angemessen, das die Produkteigenschaften berücksichtigt. Im Zusammenhang mit dem Wertschöpfungsprozess spielen im Bereich Technologie die verwendeten Produktionstechniken eine Rolle, mit denen die Güter und Dienstleistungen erstellt werden. Dabei soll das Rationalisierungspotenzial so weit wie möglich ausgenutzt werden, wobei Kosten-Nutzen-Abwägungen über die zu verwendenden Produktionstechniken entscheiden. Es kommt folglich nicht darauf an, die neueste Technologie einzusetzen, sondern diejenige, die das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist. Für den langfristigen Unternehmenserfolg sind zudem die zukünftigen Produkte des Unternehmens von Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist die Forschung und Entwicklung im Unternehmen zu nennen, die Neuprodukte und die Weiterentwicklung vorhandener Produkte ermöglicht. Dadurch wird der Fortbestand des Unternehmens gesichert. Über die optimale Höhe des Forschungs- und Entwicklungsbudgets lässt sich wieder keine allgemein gültige Aussage treffen; sie hängt stark vom Marktumfeld ab. Gleichzeitig muss das Unternehmen versuchen, eigene Entwicklungen zu schützen, um den Vorsprung gegenüber Konkurrenten zu verteidigen. Ingesamt resultieren für den Bereich Wertschöpfungsprozess und Technologie die folgenden Soft Facts: Produktion und Produktionstechnik, Alleinstellungsmerkmale des Produkts, Qualität des Produkts und Kundennutzen, Vertriebskonzept und Lieferzeit, Abhängigkeit von Lieferanten und Kunden, Forschungsaktivitäten,
262
Soft Facts Scoring
Schutzrechte und Lizenzen, Entwicklungskonzepte. Organisation und Strategie Neben der Betrachtung der eigentlichen Organisationsstruktur im Unternehmen ist es hilfreich, das Konzept bzw. die Strategie des Unternehmens zu reflektieren. Die Unternehmensstrategie bringt zum Ausdruck, wie das Unternehmen seine Stärken einsetzt. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmen durch die Definition von Zielen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und die konsequente Verfolgung dieser Ziele erfolgreicher agieren als solche Unternehmen, die sich ausschließlich an operativen Problemen orientieren und nur Ad-hoc-Entscheidungen treffen. Eng mit der Strategie assoziiert sind die Unternehmensplanung und die Vorstrukturierung von Entscheidungen, die hohe Relevanz für den Unternehmenserfolg besitzen. Die notwendigen Daten zur Planung erhält man aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmens. Viele Daten werden vom Controlling zur Verfügung gestellt. Dies erfordert ein funktionierendes internes Rechnungswesen, das die entscheidungsrelevanten Daten erfasst und in regelmäßigen Abständen der Unternehmensleitung bzw. den Entscheidungsträgern zur Verfügung stellt. Dieser Informationsprozess setzt eine angepasste Ablauf- und Aufbauorganisation voraus. Durch geeignete Organisationsstrukturen wird es möglich, Reibungsverluste zu minimieren und Transaktionskosten einzusparen. Damit stellt die Effizienz der Organisation einen zentralen Erfolgsfaktor dar. Zur Erfüllung der betrieblichen Aufgaben werden Mitarbeiter benötigt, die den Aufgaben entsprechend qualifiziert sind. Hier ist neben der aktuellen auch die geplante Mitarbeitersituation zu berücksichtigen. Aufgrund von Nachfrageerhöhungen oder geplanten Betriebserweiterungen, aber auch durch altersbedingtes Ausscheiden und Krankheit verändert sich der Bedarf an Mitarbeitern ständig. Neben dem Mitarbeiterbedarf ist vor allem die Motivation der Mitarbeiter von Bedeutung. So haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt, dass nur motivierte und zufriedene Mitarbeiter dauerhaft hohe Leistungen erbringen. Die Motivation kann durch monetäre Anreize, aber auch durch Lob und Beförderung erfolgen. Als vorteilhaft haben sich flexible Vergütungssysteme erwiesen, die Leistung belohnen und so insbesondere gute Mitarbeiter längerfristig an das Unternehmen binden. Zur Einschätzung des Unternehmens im Bereich Organisation und Strategie sind insgesamt die folgenden Soft Facts relevant: Zweckmäßigkeit der Aufbau- und Ablauforganisation, Strategie und Konzept des Unternehmens, Unternehmensplanung, Rechnungswesen und Reporte,
Risikomanagement im Unternehmen
263
Personalwesen, Risiken und Risikovorsorge. Unternehmensleitung Einen wichtigen Erfolgsfaktor für ein Unternehmen stellt das Management dar. Die Unternehmensleitung legt die Strategie fest und trifft alle wesentlichen Entscheidungen. Obwohl die Qualität des Managements schwer quantifiziert werden kann, ist sie ein bedeutender Faktor für den Erfolg eines Unternehmens. Wenn unerwartete Ereignisse auftreten, liegt es an den Fähigkeiten der Unternehmensleitung, angemessen zu reagieren und die Leistungsstärke des Unternehmens zu erhalten. Die Qualifikation zur Führung eines Unternehmens lässt sich in zwei Bereiche unterteilen. Der erste Bereich der fachlichen Qualifikation umfasst vor allem die kaufmännische Qualifikation. Erfolgreiche Unternehmer müssen in der Lage sein, ihr Unternehmen zielund ergebnisorientiert zu führen. Dazu ist ein ökonomisches Grundverständnis notwendig. Selbstverständlich werden bei größeren Unternehmen Managementaufgaben unter mehreren Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen aufgeteilt, was auch bei vielen Neugründungen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat. Die persönliche Qualifikation zur Unternehmensleitung wird durch unternehmerische und soziale Kompetenzen beschrieben (vgl. Abbildung 58, Seite 264). Zu den unternehmerischen Faktoren gehören die Leistungsmotivation, die in Ehrgeiz und Eigeninitiative zum Ausdruck kommt, sowie Ausdauer und Entschlussfähigkeit. Eigeninitiative bezieht sich dabei auf das Selbstverständnis des Unternehmers, neue Aufgaben aktiv anzugehen und möglicherweise mit bestehenden Regeln und Traditionen zu brechen. Die soziale Kompetenz der Manager zählt ebenso zu den wichtigen weichen Erfolgsfaktoren. Dies ist vor allem von psychologischen Untersuchungen in den Vordergrund gestellt worden. Zur sozialen Kompetenz gehören Kontaktfähigkeit, kommunikative Fähigkeiten, Teamfähigkeit und Führungsqualität. Bei erfolgreicheren Unternehmern sind die Führungsqualität im Sinne der Fähigkeit zur Führung von Gruppen unterschiedlicher Größe und beruflicher Zusammensetzung sowie die Konfliktlösungsbereitschaft besonders ausgeprägt. Zur Führungsfähigkeit gehört es insbesondere, Aufgaben zu delegieren, Verantwortung zu übertragen, Mitarbeiter zu motivieren und gegebenenfalls auch Kritik zu üben.
264
Soft Facts Scoring
Qualifikation der der Unternehmensleitung Unternehmensleitung Qualifikation
Fachliche Fachliche Qualifikation Qualifikation
Persönliche Persönliche Qualifikation Qualifikation
Fachliche Ausbildung Kaufmännische Qualifikation Branchenspezifische Qualifikation
Unternehmerische Unternehmerische Kompetenz Kompetenz
Belastbarkeit Entschlussfähigkeit Vision und Kreativität Eigeninitiative Ausdauer
Soziale Kompetenz Kompetenz Soziale
Motivationsvermögen Kontaktfähigkeit Kooperationsfähigkeit Teamfähigkeit Führungsfähigkeit
Abbildung 58: Qualifikation der Unternehmensleitung Finanzierung und Investition Damit sich Unternehmen bei ihren Aktivitäten optimal entfalten können, benötigen sie Kapital. Die Bereitstellung von Finanzmitteln kann dabei in Form von Fremd- oder Eigenkapital oder durch Mischformen erfolgen. Kapitalgeber schätzen klare Eigentumsverhältnisse und Beteiligungsstrukturen. Potenzielle Kapitalgeber werden nur in Unternehmen investieren, wenn sie der Geschäftsleitung zutrauen, das Unternehmen so erfolgreich zu führen, dass das eingesetzte Kapital zuzüglich einer angemessenen Rendite wieder an die Kapitalgeber zurückfließt. Deshalb ist es notwendig, das Vertrauen in das Unternehmen gezielt aufzubauen. Dieses Investor-Relations-Management kann z. B. durch die Veröffentlichung von Informationen und eine gezielte Betreuung der Investoren bzw. Gläubiger erfolgen. Die Wahl der Rechtsform stellt ebenfalls häufig ein Signal für das Vertrauen in ein Unternehmen dar, insbesondere im Fall kleiner oder mittlerer Unternehmen. Ein Unternehmer, der mit seinem Privatvermögen haftet, genießt hohes Vertrauen. Er signalisiert hohes Engagement bei gleichzeitiger Erhöhung der Haftungsmasse. Insbesondere bei den in Deutschland überwiegend fremdfinanzierten Unternehmen ist auch die Haltung der Hausbank von großer Bedeutung. So ist bei kurzfristigem Finanzierungsbedarf die Hausbank die erste Anlaufstelle. Eine unkomplizierte Gewährung von Krediten erleichtert die kurzfristige Überbrückung von Liquiditätsengpässen erheblich. Vertrauen kommt auch durch die Gewährung großzügiger Zahlungsziele durch die Lieferanten zum Ausdruck. Mögliche Soft Facts für den Bereich Finanzierung und Investition lauten somit: Hausbankbeziehung, Beteiligungsverhältnisse,
Risikomanagement im Unternehmen
265
Haltung der Gläubiger, Innenfinanzierungskraft, Eigenkapitalausstattung, Haftungsgrundlage.
13.2.2 Die Rahmenbedingungen Die externen Erfolgsfaktoren und die daraus abgeleiteten relevanten Soft Facts beziehen sich auf die Rahmenbedingungen, unter denen ein Unternehmen wirtschaftet. Dabei wird besonderer Wert auf die Marktgegebenheiten gelegt. Den Kern des relevanten Wettbewerbsumfelds bildet die Branche, in der das Unternehmen agiert. So beeinflusst die Struktur einer Branche die vorherrschende Wettbewerbsintensität, die Wettbewerbsdynamik und den Handlungsspielraum des Unternehmens. Der Handlungsspielraum bzw. die durch das Umfeld vorgegebenen Strategiealternativen wirken sich direkt auf den Unternehmenserfolg aus. Daher bietet sich eine nähere Betrachtung dieser Einflussgrößen an. Die Wettbewerbssituation lässt sich laut PORTER auf fünf Antriebskräfte des Wettbewerbs zurückführen (vgl. Abbildung 59). Entsprechend der Ausprägungen dieser Antriebskräfte wird der Unternehmenserfolg beeinflusst.
Bedrohung durch durch Bedrohung neue Konkurrenten Konkurrenten neue
Bedrohung durch durch Bedrohung Ersatzprodukte Ersatzprodukte
Innerhalb der der Innerhalb Branche: Branche: Rivalität Rivalität unter den den unter Unternehmen Unternehmen
Verhandlungsstärke Verhandlungsstärke der Lieferanten Lieferanten der
Verhandlungsmacht Verhandlungsmacht der Abnehmer Abnehmer der
Abbildung 59: Antriebskräfte des Wettbewerbs Die Intensität der Konkurrenz wird unter anderem von der Anzahl der Wettbewerber, deren Eigenschaften und durch das Branchenwachstum bestimmt. Bei geringem Branchenwachstum wird die Rivalität um Marktanteile höher sein als bei hohem Wachstum. Auch die Kapazitätsauslastung innerhalb der Branche beeinflusst die Wettbewerbsintensität. Der Zwang für Unternehmen, ihre Kapazität möglichst auszulasten, um die Fixkosten pro Stück zu senken, erhöht den Preiswettbewerb. Der zweite externe Erfolgsfaktor zur Charakterisierung des Wettbewerbsumfelds ist die Bedrohung durch neue Wettbewerber. Der Eintritt neuer Wettbewerber in eine Branche stellt für die bestehenden Unternehmen eine Gefahr dar, denn dadurch erhöhen sich die
266
Soft Facts Scoring
Kapazitäten in der Branche. Tendenziell sinken durch eine Kapazitätserhöhung die Absatzpreise und häufig auch die Rentabilität. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Unternehmen in eine bestehende Branche eintreten, wird durch Markteintrittsbarrieren und die zu erwartende Reaktion der Unternehmen in der Branche bestimmt. Markteintrittsbarrieren sind z. B. hohe Investitionen in Produktionsanlagen oder in kommunikative Maßnahmen. Der Markteintritt kann durch die Unternehmen der Branche dadurch verhindert werden, dass sie drohen, das neu eintretende Unternehmen zu sanktionieren. Diese Drohung ist insbesondere bei Branchen mit hohen Marktaustrittsbarrieren glaubhaft. Die Wettbewerbsbedingungen werden zudem durch mögliche Ersatzprodukte bestimmt. Unternehmen konkurrieren nicht nur mit den anderen Unternehmen der eigenen Branche, sondern auch mit solchen Unternehmen anderer Branchen, die Ersatzprodukte herstellen. Ersatzprodukte erfüllen die gleiche Aufgabe wie das Produkt. Sie bestimmen seine Preisobergrenze. Je besser sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der Ersatzprodukte gegenüber den bedrohten Produkten entwickelt, umso notwendiger werden Maßnahmen der Unternehmensführung. Einen weiteren Erfolgsfaktor stellt die Verhandlungsstärke der Lieferanten dar. Aus Sicht des Unternehmens ist eine geringe Verhandlungsstärke wünschenswert. Im Extremfall nur eines Zulieferers für bestimmte Produkte wird es dem Lieferanten ermöglicht, Preisdruck auszuüben. Können die Unternehmen der Branche die Preiserhöhung nicht an ihre Kunden weitergeben, kann die Rentabilität einer ganzen Branche sinken. Neben den Lieferanten können auch Kunden eine erhebliche Verhandlungsmacht besitzen, vor allem wenn es sich um wenige, gut informierte Kunden handelt. Sie können in diesem Fall durch geschicktes Verhandeln mit mehreren Unternehmen der gleichen Branche Preisnachlässe erzielen, insbesondere dann, wenn es sich um Standardprodukte mit homogenen Merkmalen handelt. Insgesamt resultieren die folgenden Soft Facts für den Bereich Markt und Wettbewerb: Marktvolumen und Marktwachstum, Innovationsdynamik des Marktes, Wettbewerbsintensität und Preisempfindlichkeit, Markteintrittsbarrieren, Substitutionsprodukte und Abhängigkeiten von Lieferanten und Kunden.
13.3 Beurteilung von Soft Facts Die Erhebung der Soft Facts dient nicht nur der Analyse der Momentansituation, sondern auch als Grundlage für ein Beurteilungssystem. Ziel dieses Systems ist es, die Soft
Risikomanagement im Unternehmen
267
Facts bzw. ihre Ausprägungen im Unternehmen verdichtet darzustellen. Dazu bietet sich einerseits eine vollständig aggregierte Betrachtung auf Unternehmensebene und andererseits eine Teilaggregation innerhalb der einzelnen Soft-Facts-Bereiche an. Ein solches Beurteilungsmodell soll unabhängig vom Anwender zu möglichst gleichen Ergebnissen kommen, also objektiv sein. Zudem muss es praktisch anwendbar und nachvollziehbar sein. Ein Konzept, das diese Kriterien erfüllen kann, ist ein Scoringmodell. Ursprünglich stammen Scoringmodelle aus der Entscheidungstheorie. Sie wurden mit dem Ziel entwickelt, komplexe Entscheidungssituationen mit mehreren Alternativen zu vereinfachen. Ein Scoringmodell stellt ein mehrdimensionales Bewertungsverfahren dar. Die einzelnen Beurteilungskriterien werden dabei mit Punkten und Gewichtungen versehen. Abschließend ergibt sich durch Addition der gewichteten (Einzel-) Punktwerte ein Gesamtpunktwert.
13.3.1 Das Scoringmodell Für die Einzelbeurteilung der Soft Facts wird jedes Kriterium auf einer Skala (beispielsweise von einem Punkt bis fünf Punkte) eingeordnet. Für die Erhebung und Beurteilung der Soft Facts ist es einer anwenderunabhängigen Einschätzung dienlich, die Bepunktung auf Szenariobeschreibungen zu stützen. Die Einordnung des jeweiligen Kriteriums wird dann nicht nur anhand einer Punkteskala vorgenommen, sondern zusätzlich aufgrund einer ausformulierten Beschreibung der jeweiligen Unternehmenssituation. Tabelle 58 (Seite 268) enthält ein Beispiel für die Kriterienhinterlegung mittels Szenariobeschreibung. Ein Scoringmodell zur Ermittlung eines Gesamtpunktwertes kann dann wie in Tabelle 59 (ebenfalls Seite 268) dargestellt aufgebaut werden. In den Soft-FactsKategorien Wertschöpfungsprozess und Technologie, Organisation und Strategie, Unternehmensleitung, Finanzierung und Investition sowie Markt und Wettbewerb werden die Kriterien zur Beurteilung erhoben, die in Abschnitt 13.2 vorgeschlagen wurden. Diese Unterpunkte werden in Tabelle 59 (Seite 268) nur angedeutet, unter der Annahme, eine Aggregation innerhalb der Kategorien sei bereits erfolgt.
268
Soft Facts Scoring
Beurteilung (Symbolik bzw. Punkte)
Kriterium: Führungsfähigkeit Ausgeprägte Fähigkeit, die Mitarbeiter für Unternehmensziele zu motivieren und positiv zu beeinflussen; positives Betriebsklima durch kooperativen Führungsstil; die Mitarbeiter respektieren und schätzen das Management
++ (5 Punkte)
Management kann Mitarbeiter gut motivieren und Aufgaben delegieren, es ist bei den Mitarbeitern anerkannt; der Führungsstil ist überwiegend kooperativ
+ (4 Punkte) 0
Management ist in der Lage, Mitarbeiter zu motivieren; die Mitarbeiter akzeptieren das Management; konservativer Führungsstil
(3 Punkte)
Motivationsfähigkeit leidet unter autoritärem oder laxem Führungsstil; Management nutzt Machtpositionen teilweise zur Durchsetzung zweifelhafter Entscheidungen; Beeinträchtigung des Betriebsklimas
– (2 Punkte)
Unzureichende Mitarbeiterführung führt zu angespanntem Betriebsklima; mangelnde Motivationsfähigkeit und fehlendes Einfühlungsvermögen gegenüber Mitarbeitern; die Führungsposition dient überwiegend zum Erreichen eigener Karriereziele
Tabelle 58:
(1 Punkt)
Kriterienhinterlegung aus dem Bereich Unternehmensleitung
Kategorie Wertschöpfungsprozess und Technologie Qualität der Produkte ..... Organisation und Strategie Aufbauorganisation ..... Unternehmensleitung Kaufmännische Qualifikation ..... Finanzierung und Investition Haltung der Gläubiger ..... Markt und Wettbewerb Marktwachstum .....
Gewichtung
Beispielbeurteilung
Gewichtung x Beurteilung
15 %
4,4
0,66
15 %
3,6
0,54
30 %
4,2
1,26
20 %
2,7
0,54
20 %
2,5
0,50
Gesamtscore
Tabelle 59:
––
Beispiel für ein Scoringmodell
3,5
Risikomanagement im Unternehmen
269
Tabelle 59 verdeutlicht die Berechnung des Gesamtscores. Abschnitt 13.3.2 enthält hierzu einen ausführlichen Katalog der Soft Facts und zudem eine Reihe von Beispielen zur Kriterienhinterlegung. Da einzelne Soft Facts in der Regel nicht dieselbe Wichtigkeit aufweisen, werden Gewichte festgelegt. Diese werden meist durch Experten, gestützt auf empirische Untersuchungen, bestimmt. Das Punktergebnis jeder Kategorie wird mit der Gewichtung der Kategorie multipliziert. Die Summe über alle Kategorien stellt dann den Gesamtscore dar. In den Unterkategorien können die einzelnen Kriterien ebenfalls entsprechend ihrer Relevanz gewichtet werden. Die Gewichtung ist von Bedeutung, weil nicht alle Soft Facts die gleiche Erfolgsrelevanz besitzen. So birgt eine schwache Performance in einem relevanten Erfolgsfaktor ein hohes Risikopotenzial, während eine hohe Performance bei einem redundanten Faktor zwar auf ein geringes Verlustpotenzial deutet, aber auch auf die Ineffizienz, sich nicht auf die relevanten Faktoren zu konzentrieren (vgl. Abbildung 60).
Hoch
Ineffizienz
Niedrig
Performance
rfo Pe
ni ält s h r e en - V e og anz w e v sg ele Au e-R c an rm
s
Risiko
Relevanz Niedrig
Hoch
Abbildung 60: Performance-Relevanz-Diagramm zur Beurteilung der Soft Facts Relevanz und Performance sind daher abzuwägen. Dies spricht bei der Beurteilung von Soft Facts gegen Fragenkataloge, deren Fragen nur mit Ja oder Nein zu beantworten sind und die anschließend zum Rating lediglich die Anzahl der Nein-Antworten zählen. Im Übrigen wird die Gewichtung bzw. Relevanz einzelner Soft Facts auch davon abhängen, in welcher Phase des Lebenszyklus sich das betrachtete Unternehmen befindet.
270
Soft Facts Scoring
Der einfachen Durchführbarkeit von Scoringmodellen stehen relativ hohe Anforderungen an die korrekte Anwendung gegenüber. Probleme ergeben sich in erster Linie aus dem zugrunde liegenden additiven Grundmodell. Diese Additivität impliziert die Substitutionalität der einzelnen Kriterien. Gute Beurteilungen einzelner Kriterien gleichen daher schlechte Beurteilungen aus. Dies ist nicht immer beabsichtigt. Weiter soll der Kriterienkatalog vollständig sein. Alle zur Beurteilung eines Unternehmens relevanten Kriterien müssen also möglichst umfassend abgebildet werden. Der Kriterienkatalog soll zudem redundanzfrei sein, um implizite Gewichtungen zu vermeiden. Eine weitere Annahme betrifft die Unabhängigkeit der Kriterien, die bei praktischen Anwendungen häufig nicht gegeben ist. Ein Ausweg besteht dann darin, abhängige Kriterien zusammenzufassen. Neben der Ermittlung eines Gesamtscores für das Unternehmen bzw. die abgegrenzten Unternehmensbereiche bietet sich zur Veranschaulichung die Ergänzung durch grafische Auswertungen an. Abbildung 61 zeigt ein Stärken-Schwächen-Profil am Beispiel des Bereichs Markt und Wettbewerb. Abbildung 62 visualisiert die Bewertung für das gesamte Unternehmen. Grundlage sind jeweils die Beispieldaten aus Tabelle 59 (Seite 268).
Markt und Wettbewerb
––
–
0
+
++
Marktvolumen Marktwachstum Innovationsdynamik des Marktes Wettbewerbsintensität Preisempfindlichkeit Markteintrittsbarrieren Substitutionsprodukte Abhängigkeit von Kunden
Abbildung 61: Stärken-Schwächen-Profil für den Bereich Markt und Wettbewerb
+
+
Wertschöpfungsprozess und Technologie
––
–
––
–
0
0
+
+
+
Markt und Wettbewerb
271
+
Risikomanagement im Unternehmen
––
––
–
Finanzierung und Investition
+
–
––
++
0
–
0
+
Organisation und Strategie ++
0 + ++
Unternehmensleitung
Abbildung 62: Auswertung der Soft Facts Insgesamt kann mit dem vorgeschlagenen Soft-Facts-Katalog ein geschlossenes Beurteilungskonzept entwickelt werden. Da die Analyse der Soft Facts in erster Linie auf das Erfolgspotenzial eines Unternehmens abzielt (und mangelnde Performance bei hoher Relevanz als Risiko interpretiert), stellt sie eine Ergänzung eines bestehenden Risikomanagementsystems dar. Soft Facts sind zudem Bestandteil der Ratingsysteme der Banken. Zur optimalen Vorbereitung des Unternehmens auf ein Rating kann daher auf ihre Erfassung und Beurteilung nicht verzichtet werden.
13.3.2 Beispiele für die Kriterienhinterlegung von Soft Facts In den folgenden Tabellen 60 bis 69 (Seiten 272 bis 276) werden die einzelnen SoftFacts-Bereiche mit den vorgeschlagenen Bewertungskriterien aufgeführt und es wird für jeweils ein Kriterium eine Szenariobeschreibung vorgeschlagen.
272
Soft Facts Scoring
Soft Facts Wertschöpfungsprozess und Technologie Beurteilung Kriterien ––
–
0
+
++
Produktion und Produktionstechnik Alleinstellungsmerkmale des Produkts Produktqualität und Kundennutzen Vertriebskonzept Lieferzeit Abhängigkeit von Lieferanten Abhängigkeit von Kunden Forschung und Entwicklungskonzepte Schutzrechte und Lizenzen
Tabelle 60:
Soft Facts für den Bereich Wertschöpfungsprozess und Technologie
Kriterium: Produktqualität und Kundennutzen
Beurteilung
Mit den angebotenen Produkten und Dienstleistungen können vorhandene Kundenbedürfnisse optimal befriedigt werden, daraus resultieren hohe Wiederkaufraten; die Kundenerwartungen werden deutlich übertroffen Kundenerwartungen werden durch die Produkte und Dienstleistungen voll erfüllt; keine nennenswerten Reklamationen Kundenerwartungen werden in der Regel erfüllt; Reklamationen halten sich in Grenzen Auf Kundenbedürfnisse wird häufig nicht eingegangen, die Diskrepanz zwischen erwartetem und tatsächlichem Kundennutzen wird deutlich wahrgenommen; deutlich erhöhte Reklamationsrate Angebotene Produkte gehen an den Kundenwünschen vorbei, hohe Unzufriedenheit der Kunden durch eklatante Differenz zwischen erwartetem und tatsächlichem Nutzen
Tabelle 61:
Kriterienhinterlegung für Produktqualität und Kundennutzen
++ (5 Punkte) + (4 Punkte) 0 (3 Punkte) – (2 Punkte) –– (1 Punkt)
Risikomanagement im Unternehmen
273
Soft Facts Organisation und Strategie Beurteilung Kriterien ––
–
0
+
++
Zweckmäßigkeit der Aufbauorganisation Zweckmäßigkeit der Ablauforganisation Strategie des Unternehmens Konzept des Unternehmens Unternehmensplanung Rechnungswesen und Reporte Personalwesen Risiken und Risikovorsorge
Tabelle 62:
Soft Facts für den Bereich Organisation und Strategie
Kriterium: Unternehmensplanung Unternehmerische Entscheidungen sind sehr gut und zeitnah vorbereitet, sie korrespondieren mit der voraussichtlichen Entwicklung des Unternehmens; die Unternehmensplanung besteht aus spezifischen Teilplänen (z. B. betriebliche Funktionen, ökonomische Zielgrößen), insbesondere sind eine mittelfristige Finanzplanung sowie eine kurzfristige Liquiditätsplanung vorhanden Gute Implementierung der Unternehmensstrategie in unternehmensspezifische Teilpläne, im Wesentlichen zielorientierte Entscheidungsfindung; mittelfristige Finanzplanung sowie eine kurzfristige Liquiditätsplanung sind vorhanden Einfache Teilpläne sowie eine mittelfristige Finanzplanung und eine kurzfristige Liquiditätsplanung sind vorhanden, allerdings keine umfassende Gesamtplanung Rudimentäre Teilpläne sind vorhanden, kein umfassendes bzw. schlüssiges Gesamtkonzept; Entscheidungen sind nicht zielorientiert Teilpläne für einzelne Geschäftsbereiche existieren nicht, insbesondere fehlen einfachste Finanz- und Liquiditätsplanungen; Gesamtkonzept nicht vorhanden
Tabelle 63:
Kriterienhinterlegung für die Unternehmensplanung
Beurteilung
++ (5 Punkte)
+ (4 Punkte)
0 (3 Punkte) – (2 Punkte) –– (1 Punkt)
274
Soft Facts Scoring
Soft Facts Unternehmensleitung Beurteilung Kriterien ––
–
0
+
++
Fachliche Ausbildung Kaufmännische Qualifikation Branchenspezifische Qualifikation Belastbarkeit Entschlussfähigkeit Vision und Kreativität Eigeninitiative Ausdauer Motivationsvermögen Kontaktfähigkeit Kooperationsfähigkeit Teamfähigkeit Führungsfähigkeit
Tabelle 64:
Soft Facts für den Bereich Unternehmensleitung
Kriterium: Eigeninitiative Management ist motiviert, ergreift bei auftretenden Problemen regelmäßig selbst die Initiative zu deren Lösung; die Unternehmensleitung denkt und handelt proaktiv; hohe Bereitschaft auch zu außergewöhnlichem Engagement Management geht neue Aufgaben unter hohem persönlichen Einsatz aktiv an; hohes Identifikationspotenzial mit den Unternehmenszielen Management weicht von den ggf. vorhandenen innerbetrieblichen Regeln der Problemlösung ab, wenn dies notwendig erscheint, wobei auch von außen beeinflussende Motivationsfaktoren eine Rolle spielen Unternehmensleitung neigt zur schematischen Problemlösung, benötigt zum Teil Anstöße aus dem Umfeld, um aktiv zu werden (z. B. müssen Kapitalgeber das Management drängen, damit Probleme beseitigt werden) Wenig oder keine Eigeninitiative erkennbar, Orientierung an bestehenden, starren Abläufen und Regeln; das Management muss von Problemen förmlich überrollt werden, ehe es aktiv wird
Tabelle 65:
Beurteilung ++ (5 Punkte) + (4 Punkte) 0 (3 Punkte)
– (2 Punkte)
–– (1 Punkt)
Kriterienhinterlegung für die Eigeninitiative der Unternehmensleitung
Risikomanagement im Unternehmen
275
Soft Facts Finanzierung und Investition Beurteilung Kriterien ––
–
0
+
++
Hausbankbeziehung Beteiligungsverhältnisse Haltung der Gläubiger Innenfinanzierungskraft Eigenkapitalausstattung Haftungsgrundlage
Tabelle 66:
Soft Facts für den Bereich Finanzierung und Investition
Kriterium: Hausbankbeziehung Hausbank ist bereit, auch kurzfristig zusätzliche Kreditlinien ohne zusätzliche Unterlagen und Sicherheiten einzuräumen Hausbank ist prinzipiell bereit, erweiterte Kreditlinien einzuräumen, wenn zusätzliche Unterlagen oder Sicherheiten bereitgestellt werden Hausbank ist grundsätzlich bereit, bei zusätzlichen Unterlagen und Sicherheiten erweiterte Kreditlinien einzuräumen Kreditverhandlungen gestalten sich schwierig, beantragte Kreditlinien werden nur zum Teil gewährt Hausbank ist prinzipiell nicht bereit, weitere Kredite einzuräumen und erwägt die Kündigung bestehender Kreditlinien
Tabelle 67:
Kriterienhinterlegung für die Hausbankbeziehung
Beurteilung ++ (5 Punkte) + (4 Punkte) 0 (3 Punkte) – (2 Punkte) –– (1 Punkt)
276
Soft Facts Scoring
Soft Facts Markt und Wettbewerb Beurteilung Kriterien ––
–
0
+
++
Marktvolumen Innovationsdynamik des Marktes Marktwachstum Wettbewerbsintensität Preisempfindlichkeit Markteintrittsbarrieren Substitutionsprodukte Abhängigkeit von Lieferanten und Kunden
Tabelle 68:
Soft Facts für den Bereich Markt und Wettbewerb
Kriterium: Innovationsdynamik des Marktes
Beurteilung
Exzellente Anpassung des Unternehmens an die Innovationserfordernisse des Marktes, wobei die derzeit implementierte Technologie voraussichtlich noch länger beibehalten werden kann
(5 Punkte)
Gute Anpassung des Unternehmens an die Innovationserfordernisse des Marktes, wobei die verwendete Technologie schnellen Veränderungen unterliegt, die vom Unternehmen gut bewältigt werden
(4 Punkte)
Innovationsdynamik des Marktes fordert vom Unternehmen regelmäßige Anpassung der verwendeten Prozesse und Technologien, was vom Unternehmen in der Regel erfolgreich bewältigt wird
(3 Punkte)
Kurze Produkt- und Technologielebenszyklen, mit denen das Unternehmen nur unter großen Anstrengungen mithalten kann Hoher Innovationsdruck bei sehr kurzen Produkt- und Technologielebenszyklen, die das Unternehmen regelmäßig überfordern
Tabelle 69:
++
+
0
– (2 Punkte) –– (1 Punkt)
Kriterienhinterlegung für die Innovationsdynamik des Marktes
13.4 Integration in die Risikoberichterstattung Um die Ergebnisse der Soft-Facts-Analyse und des Indikatorenbenchmarkings (vgl. Kapitel 12) nutzbar zu machen, bietet es sich an, eine regelmäßige Erhebung und Beurteilung vorzunehmen und die Ergebnisse in die Risikoberichterstattung zu integrieren. Die Ergebnisse des Soft Facts Scorings können in Form von Auswertungsgrafiken auf den
Risikomanagement im Unternehmen
277
Risikokarten der zugehörigen Risikobereiche erfasst werden. Eine beispielhafte Risikokarte für einen Unternehmensbereich ist in Abbildung 63 und für die Unternehmensebene in Abbildung 64 (Seite 278) dargestellt.
Risikokarte für marktbezogene Risiken Toprisiko:
Veränderung im Wettbewerb (direktes Konkurrenzunternehmen plant vertikale Integration)
Risikoidentifikation Risikobereich
Risiko
Risikobewertung SGE
Risikosteuerung
Risikoklasse
VaR
Maßnahmen
Umsetzung
Absicherungsprofil
Risikoüberwachung Zeitraum
Verantwortlich
Berichtsperiode
Priorität
Verlustpotenzial
Substitutionsrisiken (1)
Prozentualer Verlust des Eigenkapitals
Innovationsrisiken (2) Warnschwelle
Demografische Risiken (3) Veränderung Wettbewerb (4) Veränderung Kaufkraft (5)
Signalschwelle
Veränderung Wirtschaftsgebiete (6) Veränderung Käuferverhalten (7) Durchschnittliches Absicherungsprofil
Existenzgefährdend
Nicht gefährdend
Indikatoren Relativer Marktanteil Standort Lieferantenkonzentration Anzahl der A-Lieferanten Kundenkonzentration Anzahl der A-Kunden
––
–
0
+
++
(1)
(2)
Soft Facts Marktvolumen Marktwachstum Innovationsdynamik Wettbewerbsintensität Preisempfindlichkeit Markteintrittsbarrieren Substitutionsprodukte Abhängigkeit von Kunden
Abbildung 63: Risikokarte für marktbezogene Risiken
(3)
(4)
––
(5)
–
0
(6)
(7)
+
++
278
Soft Facts Scoring
Risikokarte Unternehmen Toprisiken:
Veränderungen im Wettbewerb Zinsniveauveränderung (Kreditprolongation)
Risikoidentifikation Risikobereich
Risiko
Risikobewertung SGE
VaR
Risikoklasse
Risikosteuerung Maßnahmen
Risikoüberwachung
Umsetzung
Zeitraum
Verantwortlich
Berichtsperiode
Priorität
Verlustpotenzial
Absicherungsprofil Marktbezogene Risiken (1)
Prozentualer Verlust des Eigenkapitals
Gesellschaftsbezogene Risiken (2) Personenbezogene Risiken (3) Risiken der Leistungserstellung (4)
Warnschwelle
Kommerzielle Risiken (5) Finanzwirtschaftliche Risiken (6)
Signalschwelle
Administrative Risiken (7) Naturbezogene Risiken (8) Durchschnittliches Absicherungsprofil
(1)
(2)
(4)
(3)
(5)
(6)
(7)
(8)
+ +
Wertschöpfungsprozess und Technologie
––
–
––
–
0
0
Soft Facts
+
Markt und Wettbewerb
+ +
Existenzgefährdend
+
Nicht gefährdend
Gesamtscore: 3,5 +
0
–
––
––
++
––
–
0
–
Finanzierung und Investition
+
Organisation und Strategie ++
0 + ++
Indikatorenbenchmarking Gesamtscore: 2,5
Unternehmensleitung
––
–
0
+
++
Einkauf/Eingangslogistik Leistungserstellung Absatz/Ausgangslogistik Kundenservice und Marketing Unternehmensinfrastruktur Personal Technologie Finanzen
Abbildung 64: Risikokarte auf Unternehmensebene Insgesamt hat der Einsatz von dokumentierten Risikoerhebungen, Konzepten und Planzahlen im Risikomanagement den Vorteil, dass zu deren Erzeugung ein Analyse- und Zielorientierungsprozess eingeleitet wird, der dem Unternehmen wertvolle Erkenntnisse über bestehende Stärken und Schwächen liefern kann. Mehr als es Unternehmen bisher
Risikomanagement im Unternehmen
279
gewohnt waren, gewinnen dabei die Soft Facts (z. B. Managementqualität und Innovationsdynamik) an Bedeutung. Ziel muss es sein, Faktoren bzw. Kennzahlen, die den zukünftigen Erfolg (und damit auch das Rating) bestimmen, positiv zu beeinflussen.
Literaturhinweise zum Risikomanagement im Unternehmen Grundlagen des Risikomanagements Darstellungen des Risikomanagements bieten Bitz (2000), Seidel (2002), Wolf/ Runzheimer (2003), Diederichs (2004) und Reichling/Beinert (2004). Bitz (2000) stellt insbesondere das Risikomanagement nach KonTraG in den Mittelpunkt. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (1998) ist im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Mindestanforderungen an Risikomanagementsysteme hat das Institut der Wirtschaftsprüfer IDW (1999) formuliert. Zum Risikomanagementprozess enthalten Seidel (2002) und Keitsch (2004) Informationen. Ibers/Hey (2005) differenzieren Risikoarten und erläutern ebenfalls den Risikomanagementprozess. Reichling/Bietke (2007) erläutern Konstruktionsprinzipien für das Design einer Risikomanagementsoftware. Risikoinventar und Risk Map Struktur und Aufbau eines Risikoinventars werden von Bitz (2000) und Keitsch (2004) vorgeschlagen. Risikofelder des Unternehmens und Beurteilungsbögen für verschiedene Unternehmensbereiche sind in Grunwald/Grunwald (2001) aufgeführt. Keitsch (2004) enthält zudem eine Reihe von Checklisten zu verschiedenen Risikoarten. Informationen zum Konzept der Risk Map enthalten Schmitting/Siemes (2003) und Diederichs (2004). Zum Value-at-Risk-Konzept enthält Bühler (1999) detaillierte Ausführungen. Die Risikodokumentation und das zugehörige Berichtswesen werden in Diederichs (2004) erläutert. Indikatorenbenchmarking und Frühwarnsystem Die Grundlagen des Benchmarkings werden in Schmidt (2000) und Keitsch (2004) erläutert. Zdrowomyslaw/Kasch (2002) stellen Betriebsvergleiche und Benchmarking für die Managementpraxis dar. Keitsch (2004) stellt ebenfalls das Benchmarking und einen Katalog von Frühwarnindikatoren sowie Systeme der Frühwarnung vor. In Porter (2000) kann das Konzept der Wertschöpfungskette (dort als Wertkette bezeichnet) nachvollzogen werden. Systeme der Frühwarnung und Frühwarnindikatoren werden z. B. in Ansoff (1976), Reichling (1992), Hahn/Krystek (2000), Keitsch (2004) und Ibers/Hey (2005) erläutert.
280
Literaturhinweise zum Risikomanagement im Unternehmen
Soft Facts Scoring Zur Auswahl unternehmerischer Erfolgsfaktoren bieten Welge/Al-Laham (2005), Gruber (2000), Hinterhuber (2002) und Porter (2000) Anregungen. Porter (1999) zeigt Erfolgsfaktoren für die Rahmenbedingungen des Unternehmens auf. Füser (2001) erläutert den Aufbau von Scoringmodellen.
Anhang
Anhang
283
14. Rendite und Risiko Sowohl für das Risikomanagement als auch für die Erstellung eines Unternehmensratings ist die vorherige Messung der verschiedenen Unternehmensrisiken essenziell, lassen sich doch erst durch die Messung Aussagen über die Höhe erfasster Risiken treffen. Die Bedeutung der Risikomessung im Rating liegt darin, dass Ratingkategorien von Ratingagenturen mit den Ausfallwahrscheinlichkeiten der gerateten Unternehmen korrespondieren, wobei die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens wiederum in Beziehung zum erwarteten Erfolg (beispielsweise beschrieben durch die erwartete Rendite) sowie zum Risiko des Unternehmens steht. Im Folgenden betrachten wir Risiko als Charakterisierung der Unsicherheit bezüglich zukünftiger Unternehmensgewinne bzw. -renditen. Ausgehend von der Unternehmensrendite werden verschiedene Risikomaße und damit verbundene formale Sachverhalte vorgestellt. Dazu muss die Unternehmensrendite zunächst als Zufallsgröße beschrieben werden (Abschnitt 14.1). Unter den zweiseitigen Risikomaßen besitzt vor allem die Volatilität eine zentrale Bedeutung in der Praxis (Abschnitt 14.2). Die Volatilität stellt zudem das zentrale Risikomaß an Wertpapierbörsen dar und beschreibt das Gesamtrisiko eines Investments. Ein weiteres wichtiges Risikomaß an Wertpapierbörsen ist der Betakoeffizient, der nun nicht auf das Gesamtrisiko eines Investments abstellt, sondern nur auf denjenigen Teil, der auf allgemeine Marktrisiken zurückzuführen ist (Abschnitt 14.3). Ein ebenfalls praxisrelevantes, aber verlustorientiertes Risikomaß stellt der Value at Risk dar (Abschnitt 14.4). Zudem steht die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens, d. h. die Wahrscheinlichkeit des vollständigen oder teilweisen Ausfalls des Fremdkapitals, in Zusammenhang zum Value at Risk bzw. zur Eigenkapitalrendite (Abschnitt 14.5).
14.1 Renditen und Wertpapierkurse als Zufallsgrößen Die Rendite stellt einen zentralen Begriff in der gesamten Finanzwirtschaft dar. Mit ihrer Hilfe soll das Ergebnis verschiedener Geld- und Sachanlagen in einer Kennzahl zusammenfassend ausgedrückt werden. Als Rendite bezeichnet man das mit einer Finanz- oder Sachanlage über einen gewissen Zeitraum hinweg erzielte Ergebnis in Relation zum anfänglich investierten Betrag. Bezeichnen P0 den anfänglichen Wert eines Investments im Zeitpunkt t0 und P1 den Wert dieses Investments im Zeitpunkt t1, so errechnet sich die (diskret berechnete) Rendite R des Investments über diesen Zeitraum wie folgt:
(125)
R
P1 P0 P0
284
Rendite und Risiko
Typischerweise ist der Zeitraum, über den Renditen berechnet werden, auf ein Jahr normiert, um die Vergleichbarkeit verschiedener Investments zu erhöhen.
14.1.1 Ex-post- versus Ex-ante-Renditen Renditen sind unter anderem danach zu unterscheiden, ob der Anlagezeitraum vollständig in der Vergangenheit (Ex-post-Rendite) oder zumindest teilweise in der Zukunft (Exante-Rendite) liegt: Liegt der Anlagezeitraum vollständig in der Vergangenheit, sind die Werte des Investments zu Beginn sowie am Ende dieses Zeitraums bekannt. Damit ergibt sich für die Ex-post-Rendite stets ein fester Wert. Liegt der Anlagezeitraum hingegen (zumindest teilweise) in der Zukunft, sind mitunter der Wert des Investments am Ende dieses Zeitraums und damit auch das über den Anlagezeitraum hinweg erzielte Ergebnis unsicher. Die Ex-ante-Rendite ist dann ebenfalls unsicher. Häufig unterstellt man für eine unsichere (Ex-ante-) Rendite eine gewisse Wahrscheinlichkeitsverteilung, man nimmt also an, dass bestimmte Renditen oder Renditeintervalle mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten auftreten. Findet man für eine unsichere Rendite eine solche Wahrscheinlichkeitsverteilung, spricht man nicht mehr von Unsicherheit, sondern von einer Situation unter Risiko. Die Rendite für einen zukünftigen Anlagezeitraum ist dann eine Zufallsgröße und man konzentriert sich auf die Betrachtung wichtiger Parameter ihrer Wahrscheinlichkeitsverteilung. Um eine zufällige Rendite im Folgenden von einer bekannten Rendite R oder auch von konkreten Werten der Zufallsgröße abzu~ grenzen, sei sie mit R bezeichnet.
14.1.2 Die Rendite als diskrete Zufallsgröße Man unterscheidet nun zwischen diskreten und stetigen Zufallsgrößen (hier Renditen). Eine diskrete Rendite kann nur abzählbar viele Werte annehmen; diese seien mit R1, R2, ..., Rn bezeichnet (wobei auch n o f zulässig ist). Den Werten sind jeweils Wahrscheinlichkeiten zugeordnet; diese sollen mit p1, p2, ..., pn bezeichnet werden. Die Wahrscheinlichkeiten sind nicht negativ: (126)
pi t 0, i 1, ..., n
Zudem muss die Summe aller Wahrscheinlichkeiten 100 Prozent ergeben:
Anhang
285
n
(127)
¦ pi
1
i 1
Die Werte, die eine Zufallsvariable annehmen kann, nennt man Realisationen. Üblicherweise ordnet man die Realisationen der Größe nach, beginnend mit der kleinsten. ~ Die Verteilungsfunktion F() einer zufälligen Rendite R ordnet nun jedem konkreten ~ Wert R die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Zufallsvariable R diesen Wert nicht übersteigt. Man erhält die Wahrscheinlichkeit F ( R ) für eine diskrete Rendite, indem man die Wahrscheinlichkeiten aller Werte, die kleiner sind als R , sowie die Wahrscheinlichkeit von R selbst aufsummiert: (128)
F (R )
~ Prob ( R d R )
¦ pi
i: Ri d R
Damit lässt sich eine zufällige Rendite nicht nur durch ihre Realisationen mit den entsprechenden Wahrscheinlichkeiten beschreiben, sondern auch durch ihre Verteilungsfunktion. Ein besonders wichtiger Parameter, der eine zufällige Rendite charakterisiert, ist die er~ wartete Rendite E( R ) bzw. P. Den Erwartungswert einer diskreten Rendite errechnet man, indem man alle ihre Realisationen mit den zugehörigen Wahrscheinlichkeiten multipliziert und aufsummiert:
(129)
~ E( R )
n
P
¦ pi Ri
i 1
Um die zukünftige, zufällige Rendite einer Finanz- oder Sachanlage zu kennzeichnen, reicht die erwartete Rendite nicht aus. Man muss auch die möglichen Abweichungen ~ hiervon berücksichtigen. Ein Maß hierfür stellt die Varianz der Rendite Var ( R ) bzw. V 2 dar. Sie beschreibt die mittlere quadratische Abweichung der Realisationen der Rendite von ihrem Erwartungswert. Das Quadrieren verhindert dabei, dass sich positive und negative Abweichungen von der erwarteten Rendite gegeneinander aufheben. Für diskrete Renditen berechnet sich die Varianz somit gemäß folgender Formel:
(130)
~ Var( R ) V 2
n
~
¦ pi ( Ri E( R ))2
i 1
286
Rendite und Risiko
Die Varianz der Rendite beschreibt das Risiko einer Anlage. Da nun aber bei der Varianzberechnung quadrierte Abweichungen vom Erwartungswert herangezogen werden, stimmen die Größenordnungen von Rendite und Varianz nicht überein. Deshalb zieht man die Wurzel aus der Varianz und gelangt so zur Standardabweichung der Rendite ~ Std ( R ) bzw. V :
(131)
~ Std ( R ) V
~ Var ( R )
Die Standardabweichung (oder auch Streuung) drückt wie die Varianz die Schwankungsbreite der Rendite aus, stellt aber wegen der gleichen Größenordnung ein verständlicheres Risikomaß dar. Mitunter ist auch der Zusammenhang zwischen zwei zufälligen Renditen von Interesse. Ein Maß für die gemeinsame Variabilität zweier Zufallsgrößen ist die Kovarianz. Für die ~ ~ ~ ~ Kovarianz Cov( R A , RB ) bzw. VA,B zweier diskreter Zufallsrenditen R A und RB gilt:
(132)
~ ~ Cov( R A , RB ) V A, B
n
~
~
¦ pi ( R A,i E( RA )) ( RB,i E( RB ))
i 1
Bei positiver Kovarianz zweier Zufallsgrößen liegt die zweite Zufallsgröße tendenziell dann über ihrem Erwartungswert, wenn auch die erste Zufallsgröße ihrerseits höher als ihr Erwartungswert ausfällt. Man spricht auch von einem positiven (linearen) Zusammenhang der Zufallsgrößen. Bei negativer Kovarianz zweier Zufallsgrößen liegt die zweite Zufallsgröße hingegen tendenziell unter ihrem Erwartungswert, wenn die erste Zufallsgröße höher als ihr Erwartungswert ausfällt. Man spricht dann von einem negativen (linearen) Zusammenhang der Zufallsgrößen. Bei einer Kovarianz von null ist kein linearer Zusammenhang zwischen den betrachteten Zufallsgrößen erkennbar. Dies schließt jedoch andere funktionale Zusammenhänge, beispielsweise einen quadratischen Zusammenhang, zwischen den betrachteten Zufallsgrößen nicht aus. Mit der Kovarianz ist eine erste Maßzahl für den (linearen) Zusammenhang zweier Zufallsgrößen gegeben. Soll jedoch eine quantitative Aussage über die Stärke dieses Zusammenhangs getroffen werden, muss der Bezug zu den Varianzen bzw. Standardabweichungen der Zufallsgrößen hergestellt werden. Dies führt auf den Begriff des ~ ~ ~ ~ Korrelationskoeffizienten Corr ( R A , RB ) bzw. UA,B zweier Zufallsrenditen R A und RB :
Anhang
(133)
287
~ ~ Corr ( R A , RB )
U A, B
~ ~ Cov( R A , RB ) ~ ~ Std ( R A ) Std ( RB )
Für den Korrelationskoeffizienten gilt stets: (134)
1 d U A, B d 1
Zwei Zufallsgrößen heißen positiv korreliert, falls ihr Korrelationskoeffizient positiv ist. Würde man in diesem Fall die Realisationen der beiden Zufallsgrößen in einem Diagramm gegeneinander abtragen, würden sich die entstehenden Positionen entlang einer Geraden mit positiver Steigung konzentrieren (positiver linearer Zusammenhang). Beträgt der Korrelationskoeffizient sogar eins, spricht man von vollständig positiver Korrelation. In diesem Fall lägen die Positionen im Diagramm alle auf einer Geraden mit positiver Steigung. Zwei Zufallsgrößen heißen hingegen negativ korreliert, falls ihr Korrelationskoeffizient negativ ist. Würde man in diesem Fall die Realisationen der beiden Zufallsgrößen in einem Diagramm gegeneinander abtragen, würden sich die entstehenden Positionen nun entlang einer Geraden mit negativer Steigung konzentrieren (negativer linearer Zusammenhang). Bei einem Korrelationskoeffizienten von –1 spricht man von vollständig negativer Korrelation. In diesem Fall lägen die Positionen im Diagramm alle auf einer Geraden mit negativer Steigung. Bei einem Korrelationskoeffizienten von null heißen die betrachteten Zufallsgrößen unkorreliert. In einem Diagramm wären weder die Konzentration der Positionen entlang einer Geraden mit positiver Steigung noch entlang einer Geraden mit negativer Steigung erkennbar. Beispiel 7 (Wahrscheinlichkeiten und Parameter von diskreten Aktienrenditen) Tabelle 70 (Seite 288) zeigt Realisationen der zukünftigen, zufälligen Renditen zweier Aktien in Abhängigkeit vom zukünftigen Konjunkturzustand sowie die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten. Zudem sind die oben vorgestellten Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der beiden Renditen in der Tabelle enthalten. Abbildung 65 (ebenfalls Seite 288) veranschaulicht die relevanten Daten für Aktie A grafisch.
288
Rendite und Risiko
Zukünftiger Konjunkturzustand
Wahrscheinlichkeit
Rendite der Aktie A
Rendite der Aktie B
Rezession (Abschwung)
50 %
5 % p. a.
20 % p. a.
Stagnation
20 %
10 % p. a.
15 % p. a.
Aufschwung
30 %
20 % p. a.
25 % p. a.
10,5 % p. a.
20,5 % p. a.
0,004225
0,001225
6,5 % p. a.
3,5 % p. a.
Erwartungswert Varianz Standardabweichung Kovarianz
0,001475
Korrelationskoeffizient
Tabelle 70:
| 0,65
Wahrscheinlichkeiten und Parameter von diskreten Aktienrenditen
Wahrscheinlichkeit 50 %
30 % 20 %
50 % 20 % 5% (Rezession)
10 % (Stagnation)
30 %
20 % (Aufschwung)
Rendite der Aktie A
Abbildung 65: Wahrscheinlichkeiten einer diskreten Aktienrendite Wie Abbildung 66 zeigt, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite der Aktie A 15 Prozent p. a. nicht übersteigt, 70 Prozent. Entsprechend lautet die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite der Aktie A mehr als 15 Prozent p. a. beträgt, 30 Prozent.
Anhang
289
Wert der Verteilungsfunktion 100 %
70 %
50 %
5% (Rezession)
15 % 10 % (Stagnation)
Rendite der Aktie A
20 % (Aufschwung)
Abbildung 66: Verteilungsfunktion einer diskreten Aktienrendite
14.1.3 Renditen und Wertpapierkurse als stetige Zufallsgrößen Wird die Rendite als eine stetige Zufallsgröße aufgefasst, also als eine Zufallsgröße, die überabzählbar viele Werte annehmen kann, betrachtet man anstelle der Wahrscheinlichkeiten p1, p2, ..., pn die Wahrscheinlichkeitsdichte f(). Dies ist wiederum eine Funktion, die jeder möglichen Realisation der Rendite einen Wert zuordnet. Waren die Wahrscheinlichkeiten von Realisationen einer diskreten Rendite nicht negativ, so nimmt nun analog dazu die Wahrscheinlichkeitsdichte einer stetigen Rendite keine negativen Werte an: (135)
f ( R) t 0 für alle R
Bei diskreten Renditen musste die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Realisationen 100 Prozent betragen. In Abbildung 65 beträgt entsprechend die Summe der Flächen der Rechtecke 100 Prozent. Bei stetigen Renditen beträgt analog dazu nun die Fläche unter der Wahrscheinlichkeitsdichte 100 Prozent: f
(136)
³ f ( R) dR
f
1
290
Rendite und Risiko
Auch für stetige Renditen lässt sich eine Verteilungsfunktion F() angeben, die jedem konkreten Wert die Wahrscheinlichkeit dafür zuordnet, dass die Zufallsvariable diesen Wert nicht übersteigt. In Abbildung 65 (Seite 288) entspricht beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite der Aktie A 15 Prozent p. a. nicht übersteigt, dem Flächeninhalt der ersten beiden Rechtecke. Analog dazu entspricht nun die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine stetige Rendite einen bestimmten Wert nicht übersteigt, der Fläche unter der Wahrscheinlichkeitsdichte bis zu diesem Wert:
(137)
F (R )
R
~ Prob ( R d R )
³ f ( R) dR
f
Die Verteilungsfunktion einer stetigen Rendite ist in vielen Anwendungen eine glatte Kurve, im Gegensatz zur treppenförmigen Gestalt der Verteilungsfunktion einer diskreten Rendite wie in Abbildung 66 (Seite 289). In Abbildung 65 (Seite 288) entspricht beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Rendite von fünf Prozent p. a. dem Flächeninhalt des zugehörigen Rechtecks. Bei stetigen Renditen ist hingegen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite einen ganz bestimmten Wert annimmt, gleich null. Nur für Renditeintervalle lassen sich positive Wahrscheinlichkeiten angeben. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine stetige Rendite Werte zwischen zwei Realisationen R1 und R2 annimmt, entspricht dabei der Fläche unter der Wahrscheinlichkeitsdichte zwischen diesen beiden Realisationen:
(138)
~ Prob ( R1 d R d R2 )
R2
³ f ( R) dR
F ( R2 ) F ( R1 )
R1
Wie schon bei der Verteilungsfunktion werden im Vergleich zu diskreten Renditen bei der Berechnung des Erwartungswertes stetiger Renditen Summation durch Integration und Einzelwahrscheinlichkeiten durch die Wahrscheinlichkeitsdichte ersetzt:
(139)
~ E( R )
f
P
³ f ( R) R dR
f
Analoges gilt für die Varianz:
Anhang
(140)
291
~ Var( R ) V 2
f
³ f ( R) ( R E( R))2 dR
f
Eine im Zusammenhang mit Renditen häufig verwendete stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung ist die Normalverteilung (Gauß’sche Glockenkurve). Diese besitzt folgende symmetrische Wahrscheinlichkeitsdichte:
(141)
f ( R)
° 1 § R P · 2 ½° exp® ¨ ¸ ¾ 2 S V °¯ 2 © V ¹ °¿
1
Die Parameter P und V entsprechen dabei dem Erwartungswert bzw. der Standardabweichung der normalverteilten Zufallsgröße. Während sich die Werte der Wahrscheinlichkeitsdichte f() für sämtliche Realisationen einer normalverteilten Zufallsgröße mit beliebigen Parametern P und V analytisch berechnen lassen, gilt dies für die Werte der Verteilungsfunktion F() nicht. Jedoch sind aufgrund der großen Bedeutung der Normalverteilung deren Verteilungsfunktionen für beliebige Parameter P und V in Standardsoftwarepaketen, wie z. B. Microsoft£ Excel, implementiert. Die meisten Statistiklehrbücher und viele Fachbücher zu den Themen Finanzwirtschaft und Risikomanagement enthalten Tabellen mit Werten der Verteilungsfunktion N() der so genannten Standardnormalverteilung, d. h. der Normalverteilung mit den Parametern P = 0 und V = 1. Mithilfe der Beziehung
(142)
F ( R)
§RP· N¨ ¸ © V ¹
lassen sich so auch Werte von Verteilungsfunktionen von normalverteilten Zufallsvariablen mit beliebigen Parametern P und V finden. Beispiel 8 (Wahrscheinlichkeiten und Parameter einer normalverteilten Rendite) Die zukünftige, zufällige Rendite einer Aktie sei normalverteilt mit den Parametern P = 0,1 und V = 0,2 (vgl. Abbildung 67, Seite 292). Die erwartete Rendite der Aktie beträgt folglich zehn Prozent p. a. bei einer Standardabweichung von 20 Prozent p. a. Die Varianz der Rendite als quadrierte Standardabweichung lautet 0,04. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rendite fünf Prozent p. a. nicht übersteigt, kann mit einem Tabellenkalkulationsprogramm ermittelt werden, oder man entnimmt den Wert
292
(143)
Rendite und Risiko
F (0,05)
§ 0,05 0,1 · N¨¨ ¸¸ © 0,2 ¹
N( 0,25) 1 N(0,25) 1 0,5987
40,13 %
einer Tabelle mit Werten der Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung. Die entsprechende Gegenwahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite größer ist als fünf Prozent p. a., beträgt folglich 59,87 Prozent.
Wahrscheinlichkeitsdichte
Standardabweichung
20 %
20 %
Wahrscheinlichkeit, dass die Rendite der Aktie 5 % nicht übersteigt 40,13 %
–100 %
10 %
Rendite der Aktie
Erwartungswert
Abbildung 67: Wahrscheinlichkeiten und Parameter einer normalverteilten Rendite Normalverteilte Renditen wie in Beispiel 8 werden in der Praxis häufig angenommen. Werden dabei die Renditen gemäß Formel (125) diskret berechnet, ist das streng genommen nicht adäquat, da die Möglichkeit von diskret berechneten Renditen unter –100 Prozent ohne Nachschusspflichten ausgeschlossen ist. Zum Beispiel kann man bei der Investition in Aktien nicht mehr Kapital verlieren, als man eingesetzt hat. Dennoch würde bei der Modellierung als normalverteilte Rendite die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rendite –100 Prozent unterschreitet, positiv sein. Andererseits ist diese Wahrscheinlichkeit sehr klein; sie beträgt mit den Daten aus Beispiel 8 gerade einmal 0,000002 Prozent. Bei den im nächsten Abschnitt behandelten kontinuierlich berechneten Renditen tritt dieses eher theoretische Problem nicht mehr auf.
Anhang
293
Natürlich lässt sich nicht nur für die Rendite, sondern auch für das Ergebnis bzw. den Wert eines Investments zu einem zukünftigen Zeitpunkt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung angeben. Somit lassen sich obige und noch folgende Risikomaße nicht ausschließlich auf Renditen anwenden. Ebenso könnten z. B. das Ergebnis (Gewinn oder Verlust) oder der zukünftige absolute Wert eines Investments betrachtet werden. Eine im Zusammenhang mit Wertpapierkursen häufig verwendete stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung ist die Lognormalverteilung. Diese besitzt folgende rechtsschiefe bzw. linkssteile Wahrscheinlichkeitsdichte (vgl. Abbildung 68):
(144)
f ( P)
° 1 § ln P P · 2 ½° 1 1 ° exp® ¨ ¸ ¾ für P ! 0 ® 2 S V P ¹ °¿ °¯ 2 © V ° sonst ¯0
Dabei sind von vornherein nur positive Wertpapierpreise P als Realisationen des zufälli~ gen Wertpapierpreises P zulässig.
Wahrscheinlichkeitsdichte f(P) 0,658
1/e | 0,368
Wertpapierpreis P
Abbildung 68: Wahrscheinlichkeitsdichte eines lognormalverteilten Wertpapierpreises mit P = 0 und V = 1 ~ Falls eine Zufallsgröße, beispielsweise der zufällige Preis P eines Wertpapiers, lognormalverteilt mit einer Wahrscheinlichkeitsdichte gemäß Formel (144) ist, so ist der natür-
294
Rendite und Risiko
liche Logarithmus dieser Größe normalverteilt mit Erwartungswert P und Standardabweichung V. Wie wir in Exkurs 1 in Abschnitt 14.2.3 sehen werden, gehen deshalb lognormalverteilte Wertpapierkurse gerade mit normalverteilten kontinuierlich berechneten Wertpapierrenditen einher.
14.1.4 Ausfallorientierte Risikomaße Sowohl die Varianz als auch die Standardabweichung der Rendite berücksichtigen positive und negative Abweichungen vom Erwartungswert und stellen deshalb zweiseitige Risikomaße dar. Daneben existiert eine Fülle weiterer – auch einseitiger – Risikomaße. Beispielhaft genannt sein sollen hier nur die Ausfallwahrscheinlichkeit als Wahrscheinlichkeit, eine Rendite unterhalb einer gewissen Zielrendite zu realisieren, die Ausfallerwartung als erwarteter Renditeverlust unterhalb einer Zielrendite und die Ausfallvarianz als Renditevarianz unterhalb der Zielrendite. Da man beim Erwartungswert vom ersten Moment und bei der Varianz vom zweiten Moment einer Wahrscheinlichkeitsverteilung spricht, werden die ausfallorientierten Risikomaße auch als Ausfallmomente (Lower Partial Moments) nullter, erster und zweiter Ordnung bezeichnet. Umgekehrt kann man auch die Realisation einer Rendite, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten wird, als Risikomaß charakterisieren. Dies führt auf das in Abschnitt 14.4 behandelte Value-at-Risk-Konzept.
14.2 Die Volatilität Interpretiert man die Rendite R in Formel (125) als Zinssatz und möchte nun wissen, welchen Wert P1 ein Investment, das im Zeitpunkt t0 einen Wert von P0 besitzt, im Zeitpunkt t1 bei entsprechender Verzinsung aufweist, so erhält man: (145)
P1
P0 (1 R)
14.2.1 Unterjährige und kontinuierliche Verzinsung Wir nehmen nun an, dass zwischen den Zeitpunkten t0 und t1 ein Jahr liegt. Findet die Zinszahlung tatsächlich erst zum Ende dieses Jahres statt, so stellt P1 in Formel (145) den Wert des Investments im Zeitpunkt t1 dar. Werden die Zinsen hingegen halbjährlich gezahlt, so bedeutet dies, dass nach dem ersten Halbjahr Zinsen zum halben Zinssatz gezahlt und diese dann im zweiten Halbjahr wieder angelegt und auch – wiederum zum halben Zinssatz – verzinst werden. Somit ergibt sich bei halbjährlicher Verzinsung für den Wert des Investments im Zeitpunkt t1:
Anhang
(146)
295
P1
R· § R· § P0 ¨1 ¸ ¨1 ¸ 2¹ © 2¹ ©
R· § P0 ¨1 ¸ 2¹ ©
2
Gibt es jetzt nicht nur zwei, sondern n unterjährige Zinsperioden, erhält man für den Wert des Investments im Zeitpunkt t1:
(147)
P1
R· § R· R· § § P0 ¨1 ¸ ¨1 ¸ ... ¨1 ¸ n¹ n¹ © n ¹ ©
©
R· § P0 ¨1 ¸ n¹ ©
n
n - mal
Geht man noch einen Schritt weiter und lässt die Anzahl der unterjährigen Zinsperioden gegen unendlich streben, als würden in jedem Augenblick (also kontinuierlich) Zinsen zu einem winzigen Bruchteil des Zinssatzes gezahlt, wieder angelegt und für den Rest des Jahres verzinst werden, ergibt sich im Zeitpunkt t1 folgender Wert des Investments: (148)
P1
P0 e R
Beispiel 9 (Unterjährige Zinsperioden und kontinuierliche Verzinsung) Ein Betrag von 100,00 Euro wird für ein Jahr angelegt und mit fünf Prozent p. a. verzinst. Werden die Zinsen erst zum Jahresende gezahlt, ergibt sich dann ein Wert der Anlage von 105,00 Euro. Werden Zinsen zum halben Zinssatz jedoch schon nach einem halben Jahr gezahlt, dann wieder angelegt und folglich auch verzinst, ergibt sich am Jahresende ein Wert von 105,06 Euro. Bei vierteljährlicher Verzinsung kommt man auf 105,09 Euro. Würden in jedem Augenblick (also kontinuierlich) Zinsen zum entsprechenden Bruchteil des Zinssatzes gezahlt, wieder angelegt und für den Rest des Jahres verzinst, käme man am Jahresende auf einen Wert von 105,13 Euro.
14.2.2 Diskret versus kontinuierlich berechnete Renditen Durch Umstellen von Formel (148) erhalten wir die Rendite als Differenz logarithmierter Preise:
(149)
r
ln
P1 P0
ln P1 ln P0
296
Rendite und Risiko
Die so berechnete Rendite r wird im Gegensatz zur diskret berechneten Rendite R aus Formel (125) auch als kontinuierlich (bzw. stetig) berechnete Rendite bezeichnet – nicht zu verwechseln mit der Rendite in Form einer stetigen Zufallsgröße aus dem Abschnitt 14.1.3. Um diskret und kontinuierlich berechnete Renditen auch optisch voneinander abzuheben, haben wir bislang für die diskret berechneten Renditen Großbuchstaben verwendet und wechseln nun bei der Betrachtung kontinuierlich berechneter Renditen zu Kleinbuchstaben. Kontinuierlich berechnete Renditen können beliebige Werte annehmen, also auch unterhalb von –100 Prozent liegen. Gemäß den Formeln (145) und (148) gibt es zu jeder auf ein Jahr bezogenen diskret berechneten Rendite eine entsprechende kontinuierlich berechnete Rendite: (150)
1 R
er R
er 1 r
ln(1 R)
Beispiel 10 (Diskret berechnete und zugehörige kontinuierlich berechnete Renditen) Tabelle 71 zeigt für verschiedene diskret berechnete Renditen die entsprechende kontinuierlich berechnete Rendite. Für betragsmäßig kleine Renditen stimmen die diskret berechnete und die kontinuierlich berechnete Rendite nahezu überein. Je weiter wir uns jedoch von null entfernen, umso größer wird der Unterschied zwischen der diskret und der kontinuierlich berechneten Rendite. Sind die Renditen nicht gerade gleich null, liegt die kontinuierlich berechnete Rendite stets unterhalb der diskret berechneten. Diskret berechnete Rendite
Kontinuierlich berechnete Rendite
100 % p. a.
f
50 % p. a.
69 % p. a.
10 % p. a.
10,5 % p. a.
5 % p. a.
5,13 % p. a.
1 % p. a.
1,005 % p. a.
0
0
1 % p. a.
0,995 % p. a.
5 % p. a.
4,88 % p. a.
10 % p. a.
9,5 % p. a.
50 % p. a.
41 % p. a.
100 % p. a.
69 % p. a.
Tabelle 71:
Diskret berechnete und zugehörige kontinuierlich berechnete Renditen
Anhang
297
Betrachten wir nun wieder zukünftige, zufällige Renditen, wird die Standardabweichung der kontinuierlich berechneten, auf ein Jahr bezogenen Rendite eines Investments in der Sprache von Börsianern und in der Bankenwelt als Volatilität dieses Investments bezeichnet.
14.2.3 Berechnung der Volatilität an Wertpapierbörsen Die Volatilität (kurz Vola) stellt das zentrale Risikomaß an Wertpapierbörsen dar. Sie wird dort auf Basis historischer täglicher Kursrenditen ermittelt. Bezeichnen dazu P0, P1, ..., PT die Kurse eines Wertpapiers an den letzten T + 1 Börsentagen, erhält man daraus T Tagesrenditen r1 = ln P1 – ln P0, r2 = ln P2 – ln P1, ..., rT = ln PT – ln PT – 1. Daraus lässt sich leicht die auf den Zeitraum der letzten T + 1 Börsentage bezogene, kontinuierlich berechnete Rendite r des Wertpapiers als Summe der täglichen Kursrenditen r1, r2, ..., rT ermitteln. Es gilt nämlich: (151)
r
ln PT ln P0
ln PT ln PT 1 ln PT 1 ... ln P1 ln P1 ln P0
r1 ... rT
Man interpretiert jetzt die Tagesrenditen r1, r2, ..., rT als Stichprobe von T Realisationen der zufälligen Tagesrendite des Wertpapiers. Aus dieser Stichprobe kann man eine Schätzung s2 für die Varianz der zufälligen Tagesrendite des Wertpapiers gemäß folgender Formel ermitteln:
(152)
s2
mit
T 1 ¦ (rt r ) 2 T 1 t 1
r
1 T ¦ rt T t 1
Dabei stellt r den Mittelwert als Schätzung für die erwartete Tagesrendite des Wertpapiers dar. Nun wird vereinfachend angenommen, dass sämtliche Tagesrenditen eines Wertpapiers identische Wahrscheinlichkeitsverteilungen besitzen, also insbesondere dieselbe Varianz aufweisen. Zudem wird vereinfachend angenommen, dass verschiedene Tagesrenditen eines Wertpapiers unabhängig voneinander verteilt sind, also die Kovarianz zweier verschiedener Tagesrenditen null ist. Wegen der zweiten Annahme (Kovarianz verschiedener Tagesrenditen eines Wertpapiers gleich null) lässt sich die Varianz der auf einen Zeitraum von W Tagen bezogenen Rendite eines Wertpapiers einfach als Summe der Varianzen der einzelnen Tagesrendi-
298
Rendite und Risiko
ten des Wertpapiers berechnen. Aus der ersten Annahme (identische Varianz einzelner Tagesrenditen eines Wertpapiers) folgt dann, dass die Varianz der auf einen Zeitraum von W Tagen bezogenen Rendite eines Wertpapiers gleich dem W-fachen der Varianz der Tagesrenditen dieses Wertpapiers ist. Unter Verwendung der oben ermittelten Schätzung s2 für die Varianz der zufälligen Tagesrendite eines Wertpapiers lautet eine Schätzung für die Varianz der auf einen Zeitraum von W Tagen bezogenen Rendite ~ r des Wertpapiers folglich: (153)
Vˆ 2 (~ r ) W s2
Für die geschätzte Standardabweichung gilt entsprechend: (154)
Vˆ (~ r)
W s
Für die Volatilität wird üblicherweise das Symbol V verwendet und es wird häufig eine Stichprobe aus T = 29 (30 Börsentage mit entsprechenden Wertpapierkursen) oder T = 249 (250 Börsentage) historisch realisierter Wertpapierrenditen zugrunde gelegt. (Letzteres, weil ein Jahr circa 250 Börsentage hat). Da die Volatilität auf ein Jahr bezogen ist, wird in Formel (154) W = 250 gewählt und man erhält die folgenden Formeln zur Berechnung der so genannten 30-Tage-Vola V30 sowie 250-Tage-Vola V250:
(155)
V 30
250 29 ¦ (rt r ) 2 und V 250 28 t 1
mit
r
1 29 ¦ rt bzw. r 29 t 1
250 249 ¦ (rt r ) 2 248 t 1
1 249 ¦ rt 249 t 1
Exkurs 1 (Zusammenhang zwischen lognormalverteilten Wertpapierpreisen und normalverteilten kontinuierlich berechneten Renditen) Um negative Wertpapierpreise auch theoretisch auszuschließen, wird häufig unterstellt, ~ dass der zukünftige, zufällige Preis P1 eines Wertpapiers lognormalverteilt ist. Unterstellen wir dabei eine Wahrscheinlichkeitsdichte gemäß Formel (144), so gilt, dass ~ ln P1 normalverteilt ist mit Erwartungswert P und Standardabweichung V. Die Berücksichtigung der Konstanten –ln P0 spiegelt sich im Erwartungswert wider, nicht jedoch in ~ der Standardabweichung. Die Zufallsgröße ~ r ln P1 ln P0 ist folglich normalverteilt
Anhang
299
mit Erwartungswert P – ln P0 und Standardabweichung V. Lognormalverteilte Wertpapierkurse gehen also gerade mit normalverteilten kontinuierlich berechneten Renditen einher. Die Normalverteilungsannahme für Renditen – auch kontinuierlich berechnete – geriet in Kritik, da sich weit mehr historische Beobachtungswerte an den Enden der Verteilung konzentrieren als durch die Normalverteilungsannahme postuliert wird. Beispielsweise lag die Wahrscheinlichkeit für einen Tagesverlust im Dow Jones von knapp 30 Prozent unter der Annahme normalverteilter Renditen am 19. Oktober 1987 bei 1 zu 1050, dennoch kam es zu diesem Aktiencrash. Unter der Normalverteilungsannahme hätte der Dow Jones zwischen 1916 und 2003 an nur 58 Handelstagen um mehr als 3,4 Prozent steigen oder fallen dürfen, was jedoch tatsächlich an 1 001 Tagen der Fall war. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Fat Tails. Dennoch wollen wir hier über die Normalverteilungsannahme für Renditen und damit verbundene Verteilungseigenschaften für Preise und Preisprozesse (vgl. dazu auch Exkurs 2) nicht hinausgehen, da sie in den betrachteten (Standard-) Modellen essenziell sind. Exkurs 2 (Modellierung von Aktienkurs- und Unternehmenswertentwicklungen mittels geometrischer Brown’scher Bewegung) Häufig wird die zeitliche Entwicklung von Aktienkursen und Unternehmenswerten als so genannte geometrische Brown’sche Bewegung modelliert. Dies soll hier am Beispiel der Entwicklung eines zufälligen Unternehmenswertes dargestellt werden. Dazu bezeichne dV = Vt + dt – Vt die Änderung des Unternehmenswertes innerhalb der infinitesimal kleinen Zeitspanne dt. Der zugehörige Unternehmenswertprozess, der die zeitliche Entwicklung des Unternehmenswertes beschreibt, sei mit {V} bezeichnet. Mit den weiteren Bezeichnungen P für die erwartete (kontinuierlich berechnete) Unternehmensrendite, V für die Volatilität des Unternehmenswertes, t für die Zeit und {W} für den so genannten Standard-Wiener-Prozess gilt dann: (156)
dV
P V dt V V dW
Diese Formel lässt sich nach einer Umstellung besser erläutern:
(157)
dV V
P dt V dW
Auf der linken Seite dieser Formel finden wir die Rendite des Unternehmenswertes. Diese wird gemäß der rechten Seite durch einen deterministischen und einen stochastischen Term bestimmt. In Letzterem bezeichnet dW = Wt + dt – Wt den Zuwachs der standardisierten geometrischen Brown’schen Bewegung bzw. des Standard-Wiener-Prozesses
300
Rendite und Risiko
{W} innerhalb der infinitesimal kleinen Zeitspanne dt. Die einzelnen Zuwächse sind normalverteilt mit E(dW) = 0 und Var(dW) = dt bzw. Std (dW ) dt . Bei den Zuwächsen unterschiedlicher Zeitspannen handelt es sich zudem um unabhängige Zufallsgrößen. Aus diesen Verteilungseigenschaften der Zuwächse des Standard-Wiener-Prozesses ergibt sich, dass dessen Wert WT zum Zeitpunkt T normalverteilt ist mit E(WT) = 0 und Var(WT) = T bzw. Std (WT ) T . Die Unternehmensrendite dV/V pro Zeiteinheit weist nun den Erwartungswert P und die Standardabweichung V auf. Aus den Verteilungseigenschaften von WT ergibt sich, dass die Unternehmensrendite für den Zeitraum T ebenfalls normalverteilt ist, mit dem Erwartungswert PT und der Varianz V 2T bzw. der Standardabweichung V T . Zur Berechnung des zufälligen Unternehmenswertes VT zum zukünftigen Zeitpunkt T wird Itôs Lemma benötigt.
Itôs Lemma (vereinfachte Version) Angenommen, der Wert einer Zufallsgröße x folgt einem so genannten Itô-Prozess: dx
a ( x, t ) dt b( x, t ) dW
Dann folgt eine Funktion G(x,t) dem folgenden (Itô-) Prozess: dG
b 2 w 2G wG wG dx dt dt 2 wx 2 wx wt
Wir wenden nun Itôs Lemma auf die Funktion G(V,t) = ln V an:
(158)
d ln V
(V V ) 2 w 2 ln V w ln V w ln V dV dt dt 2 wV wt wV 2
V2 1 dV dt 2 V
§ V2· ¨¨ P ¸ dt V dW 2 ¸¹ ©
Ersetzen wir die infinitesimal kleine Zeitspanne dt durch die Zeitspanne 't = T – 0 = T und somit dW durch WT – W0 = WT – 0 = WT sowie d ln V durch ln VT – ln V0, wobei V0 den, so nehmen wir an, bekannten Unternehmenswert zum Beginnzeitpunkt bezeichnet, dann folgt:
(159)
ln VT
§ V2· ¸ T V WT ln V0 ¨¨ P 2 ¸¹ ©
Anhang
301
Der Term auf der rechten Seite dieser Formel enthält die mit Erwartungswert null und Varianz T normalverteilte Zufallsgröße WT und ansonsten nur deterministische Größen und ist folglich normalverteilt mit dem Erwartungswert ln V0 + (P V 2/2)T und der Varianz V 2T bzw. der Standardabweichung V T . Damit ist der zukünftige, zufällige Unternehmenswert VT zum Zeitpunkt T lognormalverteilt mit eben diesen Parametern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Modellierung der zeitlichen Entwicklung von Aktienkursen und Unternehmenswerten mittels einer geometrischen Brown’schen Bewegung mit normalverteilten Aktien- bzw. Unternehmensrenditen sowie lognormalverteilten zukünftigen Aktienkursen bzw. Unternehmenswerten einhergeht.
14.3 Der Betakoeffizient Die Volatilität beschreibt das Gesamtrisiko eines Investments. Ein weiteres wichtiges Risikomaß – vor allem an Wertpapierbörsen – ist der Betakoeffizient (kurz Beta), der nur auf den Teil des Risikos eines Investments abstellt, der auf allgemeine Marktrisiken zurückzuführen ist. Allgemeine Marktrisiken spiegeln sich in der Entwicklung von Aktienindizes wider. Der Betakoeffizient eines Unternehmens bezieht sich daher auf einen bestimmten Aktienindex und misst die Sensitivität der Aktienrendite des Unternehmens gegenüber der Indexrendite.
14.3.1 Lineare Kleinste-Quadrate-Regression Beginnen wir mit einer grafischen Veranschaulichung (vgl. Abbildung 69, Seite 302). In einem Diagramm werden die Aktienrenditen eines Unternehmens gegen die zeitgleichen Renditen eines Aktienindex abgetragen. Durch die so entstehenden Positionen – in der Abbildung durch Punkte veranschaulicht – wird eine Gerade gelegt. Der Ordinatenabschnitt und der Anstieg dieser Geraden werden so gewählt, dass die Summe der quadrierten vertikalen Abstände der einzelnen Positionen von der Geraden minimiert wird (für zwei Punkte in der Abbildung exemplarisch dargestellt). Das Quadrieren verhindert dabei, dass sich positive und negative Abweichungen von der Geraden gegeneinander aufheben. Dieses Verfahren heißt lineare Kleinste-Quadrate-Regression. Die Gerade wird entsprechend als lineare Kleinste-Quadrate-Regressionsfunktion oder auch kurz als Regressionsgerade bezeichnet.
302
Rendite und Risiko
Aktienrendite eines Unternehmens
Regressionsgerade (Anstieg: Betakoeffizient)
Rendite eines Aktienindex
Abbildung 69: Kleinste-Quadrate-Regression Der Betakoeffizient EU|I des Unternehmens U bezüglich des Index I ist nun gerade der Anstieg der Regressionsgeraden bei der linearen Kleinste-Quadrate-Regression der Eigenkapitalrendite rU des Unternehmens auf die Rendite rI des Index. Er misst die Sensitivität der Aktienrendite rU des Unternehmens bezüglich der Indexrendite rI, d. h. steigt rI um eine Einheit, z. B. einen Prozentpunkt oder einen Basispunkt (gleich einem hundertstel Prozentpunkt), so steigt rU im Mittel um EU|I Einheiten (z. B. Prozent- oder Basispunkte): Bei einem Betakoeffizienten größer als eins reagiert die Aktienrendite des Unternehmens aggressiv auf Änderungen der Indexrendite. Bei einem positiven Betakoeffizienten kleiner als eins reagiert die Aktienrendite des Unternehmens hingegen defensiv – aber dennoch gleichgerichtet – auf Änderungen der Indexrendite. Bei einem Betakoeffizienten von eins spricht man von neutralem Verhalten der Aktienrendite des Unternehmens bezüglich der Indexrendite. Bei einem Betakoeffizienten von null entwickelt sich die Aktienrendite des Unternehmens unabhängig von der Indexrendite. Bei einem negativen Betakoeffizienten entwickelt sich die Aktienrendite des Unternehmens gegenläufig zur Indexrendite.
Anhang
303
Mit den Bezeichnungen sU,I für eine Schätzung für die Kovarianz zwischen der zufälligen Eigenkapitalrendite des Unternehmens und der zufälligen Indexrendite sowie s I2 für eine Schätzung der Varianz der Indexrendite gilt:
(160)
EU | I
sU , I s I2
14.3.2 Berechnung des Betakoeffizienten an Wertpapierbörsen Wie die Volatilität wird auch der Betakoeffizient an Wertpapierbörsen auf Basis historischer täglicher Kursrenditen ermittelt. Da dazu ebenfalls kontinuierlich berechnete Renditen verwendet werden, bezeichnet der Betakoeffizient in der Sprache von Börsianern und in der Bankenwelt die Sensitivität der kontinuierlich berechneten Rendite des Eigenkapitals eines Unternehmens bezüglich der kontinuierlich berechneten Rendite eines bestimmten Index. Bezeichnen nun U0, U1, ..., UT die Kurse einer Aktie sowie I0, I1, ..., IT die Kurse eines Index an den letzten T + 1 Börsentagen, erhält man daraus T Tagesrenditen rU,1 = ln U1 – ln U0, rU,2 = ln U2 – ln U1, ..., rU,T = ln UT – ln UT – 1 für die Aktie sowie T Tagesrenditen rI,1 = ln I1 – ln I0, rI,2 = ln I2 – ln I1, ..., rI,T = ln IT – ln IT – 1 für den Index. Daraus lassen sich analog zu Formel (151) die auf den Zeitraum der letzten T + 1 Börsentage bezogenen, kontinuierlich berechneten Renditen rU der Aktie sowie rI des Index als Summe der täglichen Kursrenditen ermitteln: (161)
rU
rU ,1 ... rU ,T und rI
rI ,1 ... rI ,T
Man interpretiert jetzt wieder die Tagesrenditen rU,1, rU,2, ..., rU,T sowie rI,1, rI,2, ..., rI,T als Stichproben von T Realisationen der zufälligen Tagesrenditen der Aktie bzw. des Index. Aus der zweiten Stichprobe kann man eine Schätzung s I2 für die Varianz der zufälligen Tagesrendite des Index ermitteln:
304
(162)
Rendite und Risiko
s I2
mit
T 1 ¦ (rI ,t rI ) 2 T 1 t 1
rI
1 T ¦ rI ,t T t 1
Dabei stellt rI den Mittelwert als Schätzung für die erwartete Tagesrendite des Index dar. Zudem erhält man aus den Stichproben eine Schätzung sU,I für die Kovarianz der zufälligen Tagesrendite der Aktie und der zufälligen Tagesrendite des Index:
(163)
sU , I
mit
T 1 ¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI ) T 1 t 1
rU
1 T ¦ rU ,t T t 1
Dabei stellt rU den Mittelwert als Schätzung für die erwartete Tagesrendite der Aktie dar. Für den Betakoeffizienten der Aktie bezüglich des Index gilt nun:
(164)
EU | I
sU , I s I2
T 1 ¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI ) T 1 t 1 T
1 ¦ (rI ,t rI ) 2 T 1 t 1
T
¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI )
t 1
T
¦ (rI ,t rI ) 2
t 1
Wie schon für die Volatilität wird auch für den Betakoeffizienten üblicherweise eine Stichprobe von T = 29 oder T = 249 historischen Renditerealisationen gewählt und man erhält die folgenden Formeln zur Berechnung des so genannten 30-Tage-Betas E30 sowie 250-Tage-Betas E250:
Anhang
305 29
249
¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI )
(165)
E 30
t 1
¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI )
und E 250
29
¦ (rI ,t rI
t 1
)2
249
¦ (rI ,t rI ) 2
t 1
t 1
mit
rU
1 29 ¦ rU ,t und rI 29 t 1
1 29 ¦ rI ,t 29 t 1
bzw.
rU
1 249 ¦ rU ,t und rI 249 t 1
1 249 ¦ rI ,t 249 t 1
14.3.3 Der Korrelationskoeffizient Neben Volatilitäten und Betakoeffizienten werden an Börsen auch Korrelationskoeffizienten von Wertpapieren mit Indizes angegeben. Für den 30-Tage-Korrelationskoeffizienten U30 sowie den 250-Tage-Korrelationskoeffizienten U250 einer Aktie U mit einem Index I gilt dann: 29
¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI )
U30
(166)
t 1 29
29
¦ (rU ,t rU ) 2 ¦ (rI ,t rI ) 2
t 1
t 1
249
¦ (rU ,t rU ) (rI ,t rI )
und
U 250
t 1 249
249
¦ (rU ,t rU ) 2 ¦ (rI ,t rI ) 2
t 1
t 1
Beispiel 11 (Ermittlung von Volatilität, Betakoeffizient und Korrelationskoeffizient an der Deutschen Börse) Die Deutsche Börse ermittelt und veröffentlicht täglich die Volatilität für die in den Indizes Dax, MDax, SDax und TecDax enthaltenen Werte sowie Korrelations- und Betakoeffizienten bezüglich des jeweiligen Index. Dabei werden 250-Tage-Betas, 30- und
306
Rendite und Risiko
250-Tage-Volas sowie 30- und 250-Tage-Korrelationskoeffizienten nach den oben vorgestellten Verfahren berechnet. Ausgangswerte stellen die Xetra-Schlusskurse dar, wobei diese für Aktien zunächst derart bereinigt werden, dass die daraus ermittelten Renditen auch Erträge der Aktionäre beispielsweise aufgrund von Dividendenzahlungen und Bezugsrechten enthalten sowie Aktiensplits u. Ä. berücksichtigt werden. Tabelle 72 zeigt dazu beispielhaft in der dritten Spalte die Kursreihe des Dax (XetraSchlusskurse) als Indexvertreter des Gesamtmarktes in Deutschland für den Zeitraum vom 26. Juni 2006 bis zum 4. August 2006 (30 Börsentage). Die vierte Spalte enthält die zugehörigen kontinuierlich berechneten Tagesrenditen sowie den daraus berechneten Mittelwert und die 30-Tage-Vola des Dax. Die fünfte Spalte der Tabelle zeigt die Kursreihe der Deutsche-Börse-Aktie (bereinigte Xetra-Schlusskurse). Die sechste Spalte enthält die zugehörigen kontinuierlich berechneten Tagesrenditen sowie wiederum den daraus berechneten Mittelwert und die 30-Tage-Vola der Deutsche-Börse-Aktie. Zudem enthält die Tabelle den 30-Tage-Korrelationskoeffizienten der Deutsche-Börse-Aktie mit dem Dax sowie das entsprechende 30-Tage-Beta, wenngleich Letzteres, wie auch die 30Tage-Dax-Vola, von der Deutschen Börse nicht ausgewiesen wird. Die Deutsche Börse weist für den 4. August 2006 eine 30-Tage-Volatilität ihrer eigenen Aktie von 24,05 Prozent p. a. bei einem 30-Tage-Korrelationskoeffizienten zum Dax von 0,8462 aus. Abbildung 70 (Seite 308) veranschaulicht die einzelnen Tagesrenditen sowie die Regressionsgerade bei linearer Regression der Rendite der Deutsche-Börse-Aktie auf die DaxRendite noch einmal grafisch und macht dabei den unterschiedlichen Aussagegehalt von Korrelations- und Betakoeffizient deutlich: Aufgrund des recht hohen Korrelationskoeffizienten von 0,85 gruppieren sich die einzelnen Punkte, die die Kombinationen der Tagesrenditen des Dax und der Deutsche-Börse-Aktie darstellen, um eine Gerade mit positiver Steigung. Steigt die Dax-Rendite um einen Prozentpunkt, so steigt die Rendite der Deutsche Börse-Aktie im Mittel um 0,96 Prozentpunkte (Anstieg der in der Abbildung dargestellten Regressionsgeraden) und reagiert damit leicht defensiv auf eine Änderung der Dax-Rendite.
Anhang
307
DaxTagesrendite
Kurs der DeutscheBörse-Aktie
Tagesrendite der DeutscheBörse-Aktie
Datum
t
Dax-Kurs
26.06.2006
0
5 514,63
27.06.2006
1
5 459,15
1,0111 %
104,09
0,9656 %
28.06.2006
2
5 456,87
0,0418 %
104,15
0,0576 %
29.06.2006
3
5 581,67
2,2613 %
105,90
1,6663 %
30.06.2006
4
5 683,31
1,8046 %
106,50
0,5650 %
03.07.2006
5
5 712,69
0,5156 %
106,75
0,2345 %
04.07.2006
6
5 729,01
0,2853 %
107,27
0,4859 %
05.07.2006
7
5 625,63
1,8210 %
106,56
0,6641 %
105,10
06.07.2006
8
5 695,47
1,2338 %
108,85
2,1263 %
07.07.2006
9
5 681,85
0,2394 %
106,71
1,9856 %
10.07.2006
10
5 706,32
0,4297 %
106,85
0,1311 %
0,2061 %
11.07.2006
11
5 616,04
1,5948 %
106,63
12.07.2006
12
5 637,82
0,3871 %
107,77
1,0634 %
13.07.2006
13
5 527,29
1,9800 %
105,34
2,2806 %
14.07.2006
14
5 422,22
1,9192 %
104,30
0,9922 %
17.07.2006
15
5 416,96
0,0971 %
104,19
0,1055 %
18.07.2006
16
5 396,85
0,3719 %
104,21
0,0192 %
19.07.2006
17
5 539,29
2,6051 %
107,91
3,4889 %
20.07.2006
18
5 545,82
0,1178 %
108,03
0,1111 %
21.07.2006
19
5 451,01
1,7244 %
105,18
2,6736 %
24.07.2006
20
5 578,05
2,3038 %
107,77
2,4326 %
25.07.2006
21
5 565,76
0,2206 %
109,50
1,5925 %
26.07.2006
22
5 583,10
0,3111 %
108,62
0,8069 %
27.07.2006
23
5 659,07
1,3515 %
110,10
1,3533 %
28.07.2006
24
5 705,42
0,8157 %
111,50
1,2636 %
31.07.2006
25
5 681,97
0,4119 %
111,15
0,3144 %
01.08.2006
26
5 596,74
1,5114 %
109,20
1,7700 %
02.08.2006
27
5 680,82
1,4911 %
111,34
1,9408 %
03.08.2006
28
5 640,03
0,7206 %
109,49
1,6755 %
04.08.2006
29
5 723,03
1,4609 %
111,63
1,9357 %
Mittelwert 30-Tage-Vola
0,1279 %
0,2079 %
21,10 % p. a.
24,05 % p. a.
30-Tage-Korrelationskoeffizient
0,8462
30-Tage-Beta
0,9648
Tabelle 72:
Ermittlung von Volatilität, Korrelations- und Betakoeffizient
Tagesrenditen der Deutsche-Börse-Aktie
308
Rendite und Risiko
4% 3% 2% 1% 0% –3 %
–2 %
–1 %
0%
1%
2%
3%
–1 % –2 % –3 % Dax-Tagesrenditen
Abbildung 70: Unterschiedlicher Aussagegehalt von Korrelation und Betakoeffizient
14.4 Der Value at Risk Die Volatilität stellt ein zweiseitiges Risikomaß dar, da sowohl positive als auch negative Abweichungen vom Erwartungswert berücksichtigt werden. Häufig wird jedoch nur die Möglichkeit von Abweichungen vom Erwartungswert nach unten als Risiko empfunden. Dann können einseitige, insbesondere verlustorientierte Risikomaße angemessen sein. Ein vor allem im Banken- und Versicherungssektor weit verbreitetes verlustorientiertes Risikomaß stellt der Value at Risk dar. Dieser wird dort unter anderem zur Bestimmung der Höhe der Mindesteigenkapitalunterlegung risikobehafteter Finanzanlagen mittels interner Modelle benutzt (vgl. Abschnitt 1.2.4).
14.4.1 Definition Der Value at Risk wird auf zwei Arten definiert. Dabei wird entweder die Möglichkeit negativer Abweichungen vom Erwartungswert oder lediglich die Möglichkeit negativer Realisationen einer finanzwirtschaftlichen Größe als Risiko charakterisiert. Wir werden uns im Folgenden im Hinblick auf die im nächsten Abschnitt zu betrachtende Ausfallwahrscheinlichkeit mit dem Value at Risk bezüglich des Unternehmensgewinns befassen. Selbstverständlich ist das Konzept des Value at Risk auch auf andere finanzwirtschaftliche Größen anwendbar.
Anhang
309
Im Zusammenhang mit Unternehmensgewinnen bezeichnet der Value at Risk diejenige Abweichung vom erwarteten Gewinn nach unten, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeithorizonts nicht überschritten wird. Wird nur die Möglichkeit eines Verlusts als Risiko charakterisiert, bezeichnet der Value at Risk denjenigen Verlust, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeithorizonts nicht überschritten wird. Wir werden hier letztere Definition heranziehen. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Verlust nicht überschritten wird, nennt man auch Konfidenzniveau (obwohl dieser Begriff eigentlich im Zusammenhang mit statistischen Tests Anwendung findet). Dieses beträgt üblicherweise 99 oder 95 Prozent. Bis auf Ausnahmen, in denen selbst in den ungünstigsten ein bzw. fünf Prozent der Fälle noch Gewinn erwirtschaftet wird, stellt der Value at Risk eine positive Zahl dar.
14.4.2 Berechnung über Parameter des Unternehmenserfolgs Bezeichnen PG den erwarteten Gewinn und VG die Standardabweichung des zufälligen, ~ annahmegemäß normalverteilten Erfolgs G einer Unternehmung, lässt sich der Value at Risk zum Konfidenzniveau von 99 bzw. 95 Prozent (VaR99% bzw. VaR95%) durch eine ~ Umstellung von Formel (142) – nun angewandt auf die Zufallsgröße G – wie folgt ermitteln: (167)
VaR 99%
N 1 (0,01) V G P G bzw. VaR 95%
N 1 (0,05) V G P G
Für Zwecke der praktischen Value-at-Risk-Berechnung genügt es gemäß Formel (167), lediglich das so genannte Ein-Prozent- sowie Fünf-Prozent-Quantil (N1(0,01) bzw. N1(0,05)) einer standardnormalverteilten Zufallsvariablen zu kennen: (168)
N 1 (0,01) | 2,32634 bzw. N 1 (0,05) | 1,64485
Der Value at Risk bezüglich eines Konfidenzniveaus von 99 Prozent ist stets größer als der bezüglich eines Konfidenzniveaus von 95 Prozent, da der entsprechende Verlust im ersten Fall mit geringerer Wahrscheinlichkeit überschritten wird.
14.4.3 Berechnung über Parameter der Eigenkapitalrendite Häufig wird es als angenehmer empfunden, nicht mit absoluten Größen wie dem Gewinn und dessen Erwartungswert und Standardabweichung zu arbeiten, sondern mit relativen
310
Rendite und Risiko
~ Größen wie der (diskret berechneten) Rendite des Eigenkapitals R und folglich dem Erwartungswert und der Standardabweichung dieser Rendite. Bezeichnet U0 den derzeitigen Unternehmenswert, hier verstanden als Wert des Eigenkapitals einer Unternehmung, gilt gemäß Formel (125) folgender Zusammenhang:
(169)
~ R
~ G U0
Aus normalverteilten Unternehmenswerten bzw. Unternehmensgewinnen folgen damit ebenfalls normalverteilte (diskret berechnete) Unternehmensrenditen, sodass sich auch Value-at-Risk-Werte bezüglich der Eigenkapitalrendite eines Unternehmens berechnen lassen. Dabei gelten zwischen dem erwarteten Gewinn PG und der erwarteten Eigenkapitalrendite PR sowie zwischen der Standardabweichung des zufälligen Gewinns (bzw. Verlusts) einer Unternehmung VU und der Standardabweichung der zufälligen Eigenkapitalrendite VR folgende Zusammenhänge:
(170)
PR
PG U0
bzw. V R
VG U0
Der Value at Risk lässt die Höhe der Verluste, die mit einer Wahrscheinlichkeit von einem bzw. fünf Prozent noch auftreten können, völlig unberücksichtigt. Die alternative Ausweisung des Maximalverlusts ist zumeist wenig aussagekräftig, z. B. wenn es sich dabei um einen Totalverlust handelt oder dieser wie bei der Normalverteilungsannahme unendlich hoch wäre. Daher sollte zusätzlich auf die in Abschnitt 14.1.4 erwähnte Ausfallerwartung zurückgegriffen werden.
14.5 Die Ausfallwahrscheinlichkeit Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es innerhalb eines bestimmten Zeitraums dazu kommt, dass die Ansprüche der Fremdkapitalgeber eines Unternehmens nicht mehr oder zumindest nicht mehr vollständig befriedigt werden können, das Unternehmen folglich insolvent bzw. ausgefallen ist, spielt nicht nur im Risikomanagement, sondern vor allem beim Rating und den Eigenkapitalunterlegungsvorschriften für Banken eine zentrale Rolle. Betrachtet man beispielsweise die Vorschrift zur Berechnung des Risikogewichts eines Schuldners bei der Berechnung des mindestens vorhandenen regulatorischen Eigenkapitals von Banken gemäß dem IRB-Ansatz von Basel II, so findet sich dabei in den entsprechenden Formeln vor allem eine eingehende Größe: eben die Ausfallwahrscheinlichkeit PD des Schuldners.
Anhang
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Die Bedeutung der Ausfallwahrscheinlichkeit im Rating ist sofort ersichtlich, da Ratingkategorien großer Ratingagenturen, wie z. B. Standard & Poor’s oder Moody’s, mit den Ausfallwahrscheinlichkeiten der gerateten Unternehmen korrespondieren. Ebenso korrespondiert der Altman’sche Z-Score (vgl. Abschnitt 5.1) mit bestimmten Ausfallwahrscheinlichkeiten.
14.5.1 Berechnung Unter der Annahme einer problemlosen Veräußerbarkeit der Aktiva eines Unternehmens fällt der Insolvenztatbestand der Zahlungsunfähigkeit gerade mit dem Insolvenztatbestand der Überschuldung zusammen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unternehmen bis zu einem zukünftigen Zeitpunkt t1 ausgefallen ist, entspricht dann der Wahr~ scheinlichkeit, dass der zukünftige, zufällige Unternehmenswert U 1 (als Wert des Eigenkapitals) zu diesem Zeitpunkt unterhalb von null liegt. Die Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit würde sich folglich auf die Bestimmung ~ des Wertes der Verteilungsfunktion F() des zufälligen Unternehmenswertes U 1 an der Stelle null reduzieren. Dazu treffen wir eine weitere Annahme: Der Unternehmenswert ~ U 1 sei normalverteilt. Bezeichnet nun PD die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unternehmen bis zum Zeitpunkt t1 ausgefallen ist, gilt mit Formel (142) sowie den in Abschnitt 14.4 definierten Größen:
(171)
PD
F ( 0)
§ 0 E (U~1 ) · N¨¨ ~ ¸¸ © Std (U1 ) ¹
§ U PG N¨¨ 0 VG ©
· ¸¸ ¹
§ 1 PR · ¸ N¨¨ V R ¸¹ ©
14.5.2 Einflussgrößen Unsere beiden Annahmen eröffnen einen Einblick in die Abhängigkeit der Ausfallwahrscheinlichkeit von den Ertragsaussichten eines Unternehmens einerseits und vom Risiko, das dazu eingegangen wird, andererseits: Die in Formel (171) auftretende erwartete Eigenkapitalrendite PR repräsentiert die Ertragsaussichten des Unternehmens. Da die Funktion N() als Verteilungsfunktion streng monoton wächst, gilt: Je größer die erwartete Eigenkapitalrendite eines Unternehmens ist, umso besser also seine Ertragsaussichten einzuschätzen sind, umso geringer ist die Ausfallwahrscheinlichkeit des Unternehmens. Die in Formel (171) auftretende Standardabweichung der zufälligen Eigenkapitalrendite VR repräsentiert das Risiko, das mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens verbunden ist. Aufgrund der Monotonie der Verteilungsfunktion N() gilt nun: Je
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Rendite und Risiko größer die Standardabweichung der zufälligen Eigenkapitalrendite eines Unternehmens ist, umso größer also die mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens verbundenen Risiken einzuschätzen sind, umso größer fällt die Ausfallwahrscheinlichkeit des Unternehmens aus.
Beispiel 12 (Value at Risk und Ausfallwahrscheinlichkeit) Wir betrachten ein Unternehmen mit einem derzeitigen Wert des Eigenkapitals von 1 Mio. Euro. Die erwartete Rendite des Eigenkapitals für den Zeitraum des nächsten Jahres betrage 20 Prozent p. a. bei einer Standardabweichung von 40 Prozent p. a. Zur Vereinfachung wird von einer normalverteilten diskret berechneten Eigenkapitalrendite ausgegangen. Damit errechnet man für den erwarteten Gewinn sowie für die Standardabweichung des Unternehmensgewinns 200 000 Euro bzw. 400 000 Euro. Für den Value at Risk bezüglich eines Konfidenzniveaus von 99 Prozent erhält man 730 536 Euro. Der Value at Risk bezüglich eines Konfidenzniveaus von 95 Prozent ist kleiner und beträgt 457 940 Euro. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Unternehmen im nächsten Jahr ausfällt, lautet 0,13 Prozent. Abbildung 71 veranschaulicht die berechneten Werte grafisch.
Wahrscheinlichkeitsdichte
Ausfallwahrscheinlichkeit (0,13 %)
–457 940 € 200 000 €
–730 540 € –1 000 000 €
VaR95% VaR99%
Abbildung 71: Value at Risk und Ausfallwahrscheinlichkeit
Gewinn (bzw. Verlust)
Anhang
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14.6 Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Risikomaßen Die betrachteten Risikomaße lassen sich zwei Gruppen zuordnen: Zur ersten Gruppe gehören die an Wertpapierbörsen berechneten Risikomaße Volatilität, Betakoeffizient und Korrelationskoeffizient. Sie charakterisieren dort das Risiko von Aktien, also das Risiko des Eigenkapitals von Unternehmen. Bei der Volatilität einer Aktie handelt es sich um die annualisierte (d. h. auf ein Jahr bezogene) Standardabweichung der Rendite der Aktie. Der Betakoeffizient der Aktie bezüglich eines Index stellt die Sensitivität der Aktienrendite bezüglich der Indexrendite dar. Der Korrelationskoeffizient zwischen der Aktien- und der Indexrendite ist ein Maß für die Stärke des linearen Zusammenhangs zwischen diesen beiden Renditen. Mittels der Volatilitäten der Aktie und des Index lassen sich der Betakoeffizient der Aktie bezüglich des Index und der Korrelationskoeffizient zwischen der Aktien- und der Indexrendite ineinander überführen. In allen drei Risikomaßen spielt die Aktienrendite die zentrale Rolle. Zur zweiten Gruppe gehören der Value at Risk und die Ausfallwahrscheinlichkeit. Unter dem Value at Risk haben wir denjenigen Verlust – also diejenige Reduktion des Eigenkapitals – eines Unternehmens verstanden, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeithorizonts nicht überschritten wird. Die Ausfallwahrscheinlichkeit wurde als die Wahrscheinlichkeit dafür verstanden, dass der Wert des Eigenkapitals innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums negativ wird. Sowohl der Value at Risk als auch die Ausfallwahrscheinlichkeit lassen sich in Abhängigkeit von der erwarteten Eigenkapitalrendite und der Standardabweichung der Eigenkapitalrendite ausdrücken. Sie stellen darüber hinaus komplementäre Risikomaße dar. Wird beim Value at Risk ein Unternehmenswert gesucht, der nur mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit unterschritten wird, so wird bei der Ausfallwahrscheinlichkeit eine Wahrscheinlichkeit gesucht, mit der ein vorgegebener Unternehmenswert unterschritten wird. Gleich, ob wir das zweiseitige Risikomaß Volatilität oder die einseitigen, verlustorientierten Risikomaße Value at Risk und Ausfallwahrscheinlichkeit betrachten und ob wir das Unternehmensgesamtrisiko mittels der Volatilität oder den Zusammenhang zwischen Unternehmens- und Marktrisiken mittels dem Korrelations- oder dem Betakoeffizienten beschreiben, stets ist die Standardabweichung der Eigenkapitalrendite des betrachteten Unternehmens in irgendeiner Form im Risikomaß enthalten. Die Erzielung eines guten Ratings und damit geringer Bonitätsaufschläge bei der Kreditaufnahme lässt sich folglich durch eine Reduzierung des Risikos des Eigenkapitals erreichen, denn das Fremdkapital ist erst nach Aufzehrung des Eigenkapitals gefährdet.
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Literaturhinweise zum Anhang
Literaturhinweise zum Anhang Ein gut lesbares Statistiklehrbuch, das die betrachteten Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Parameter enthält, ist Hartung/Elpelt/Klösener (2005). Auer (2005) und Schwarze (2005) stellen die Regressionsanalyse anschaulich dar. Henne/Reichling (2007) stellen unterschiedliche Arten der Renditeberechnung einander gegenüber. Ein Kapitel über die Rendite und ihre verschiedenen Spielarten findet man auch in Spremann (2006). Dorfleitner (2002) konzentriert sich darauf, wann diskret berechnete und wann kontinuierlich berechnete Renditen zu verwenden sind. In der Zeit (2006) werden unter anderem die Normalverteilungsannahme für Renditen und das Value-at-Risk-Konzept kritisch beleuchtet. In Deutsche Börse Group (2005) wird dargestellt, für welche Aktien welche Kennzahlen (Volatilität, Korrelationskoeffizient, Betakoeffizient) an der Deutschen Börse berechnet werden, was diese Kennzahlen aussagen und wie die Berechnungsvorschriften lauten. Bühler (1999) widmet sich dem Value at Risk. Hull (2007) enthält ebenfalls mehrere Kapitel zum Value at Risk und seiner Ermittlung. Reichling (1999) enthält darüber hinaus Ausführungen zu den ausfallorientierten Risikomaßen Ausfallwahrscheinlichkeit, Ausfallerwartung und Ausfallvarianz. In Sandmann (2001) und Hull (2006) sind die Bemerkungen zur Modellierung von Aktienkurs- und Unternehmenswertentwicklungen mittels geometrischer Brown’scher Bewegung einschließlich der damit verbundenen Verteilungseigenschaften von Preisen und Renditen sowie formalen Sachverhalte (stochastische Prozesse und Itôs Lemma) nachlesbar. Letztere findet man auch in Branger/Schlag (2004).
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Abkürzungsverzeichnis AktG AMA AR AUC BaFin BIA BIS BP-14 BVR BWA CAP CAPM CDax CODEX CoP CRD Dax DCF DSGV EAD EBIT EBITD ECAI EK EL FK FuE GuV HGB IAS ICAAP IDW IFD IFRS IOSCO IRB IRBA KMU KonTraG
Aktiengesetz Advanced Measurement Approach Accuracy Ratio Area under Curve Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Basisindikatoransatz Bank for International Settlements Baetge-Bilanzrating Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken Betriebswirtschaftliche Auswertung Cumulative Accuracy Profile Capital-Asset-Pricing-Modell Composite Dax Commerzbank Debitoren Experten System Cut-off Point Capital Requirements Directive Deutscher Aktienindex Discounted Cashflow Deutscher Sparkassen- und Giroverband Exposure at Default Earnings Before Interest and Taxes Earnings Before Interest, Taxes, and Depreciation External Credit Assessment Institution Eigenkapital Expected Loss Fremdkapital Forschung und Entwicklung Gewinn- und Verlustrechnung Handelsgesetzbuch International Accounting Standards Internal Capital Adequacy Assessment Process Institut der Wirtschaftsprüfer Initiative Finanzplatz Deutschland International Financial Reporting Standards International Organization of Securities Commissions Internal Ratings-based Internal Ratings-based Approach Kleine und mittlere Unternehmen Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
326 KWG LGD M MaH MaIR MaK MaRisk MDax NPV NRSRO PD PIMS QIS RE ROC ROI S&P SDax SEC SGE SolvV SRP STA TecDax UL US-GAAP USP VaR WACC
Abkürzungsverzeichnis Kreditwesengesetz Loss Given Default Maturity Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der internen Revision Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft Mindestanforderungen an das Risikomanagement Midcap Index Net Present Value Nationally Recognized Statistical Rating Organization Probability of Default Profit Impact of Market Strategies Quantitative Impact Study Relativer Effekt Receiver Operating Characteristic Return on Investment Standard & Poor’s Smallcap-Index Securities and Exchange Commission Strategische Geschäftseinheit Solvabilitätsverordnung Supervisory Review Process Standardansatz Technologieindex Unexpected Loss Generally Accepted Accounting Principles in den USA Unique Selling Proposition Value at Risk Weighted Average Cost of Capital
Die Autoren Prof. Dr. Peter Reichling hat den Lehrstuhl für Finanzierung und Banken an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg inne und ist Direktor des Forschungszentrums für Sparkassenentwicklung Magdeburg. Nach einer Banklehre studierte er Wirtschaftsmathematik an der Universität Ulm, hat dort 1991 über Hedging promoviert und sich 1998 mit einer Arbeit über ausfallorientiertes Portfoliomanagement an der Universität Mainz habilitiert. Prof. Reichling hatte Gastprofessuren an den Universitäten Ulm, Innsbruck, Bozen und Taiyuan (China) inne und hielt Gastvorlesungen an Universitäten in Warschau und Moskau. Bevorzugte Forschungsgebiete sind Performancemessung, Ratingvalidierung und Risikomanagement. Prof. Reichling besitzt langjährige Erfahrungen in der Beratung von Banken, Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und mittelständischen Unternehmen. Dipl.-Kff. Dipl.-Volksw. Daniela Bietke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Finanzierung und Banken der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie hat im Anschluss an eine Banklehre Betriebswirtschaftslehre mit den Vertiefungen Steuerlehre sowie Finanzierung und Banken und außerdem Volkswirtschaftslehre an der Universität Magdeburg studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte am Lehrstuhl für Finanzierung und Banken sind Risikomanagement, Kreditvergabepraxis nach Basel II, Rating und Bankenrecht.
Dipl.-Kff. Dipl.-Math. Antje Henne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Finanzierung und Banken der Ottovon-Guericke-Universität Magdeburg. Sie hat Betriebswirtschaftslehre mit den Vertiefungen Finanzierung und Banken und Operations Research sowie Mathematik in Magdeburg studiert. Ihre Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkte sind Risikocontrolling in Unternehmen und Banken, Unternehmensfinanzierung, Asset Pricing und erfolgsabhängige Entlohnung. Daneben hat sie Vorlesungen und Seminare in Hochschulen, Unternehmen und Banken im In- und Ausland gehalten.
Stichwortverzeichnis A Abschwung-LGD.............................. 31 Absicherungsprofil.......................... 231 Accuracy Ratio ............................... 120 Advanced Measurement Approach ... 37 Aktivum risikogewichtetes........................... 26 Akzeptanzlinie ................................ 233 Annuitätendarlehen ......................... 158 Area under Curve.................... 117, 122 Ausfallkosten .................................. 180 Ausfallquote empirische............................... 77, 87 kumulierte ..................................... 78 Ausfallrate marginale .................................... 163 Ausfallwahrscheinlichkeit ....30, 77, 97, 145, 160, 184, 201, 234, 310 Ein-Jahres- .................................... 31 idealisierte............. 77, 103, 104, 184 kumulierte ..................................... 78 marginale .................................... 164 B Backtesting........................................ 36 Bank for International Settlements.... 16 Bankenrichtlinie................................ 20 Basel I ......................................... 17, 22 Nachtrag zu ................................... 36 Basel II...................18, 27, 39, 177, 310 Basisindikatoransatz ......... 37, 177, 181 Basler Ausschuss .............................. 16 Benchmarking........................... 95, 241 Besicherungsklasse ......................... 170 Betakoeffizient................ 189, 301, 302 Bilanzanalyse .................................... 97 Black/Scholes-Formel......143, 195, 201
Bonitätsaufschlag............................ 139 Bonitätsspread ..40, 144, 154, 164, 174, 180, 202 Brown'sche Bewegung............ 141, 299 C Calibrating Power ........................... 111 Call...........................149, 151, 195, 196 Capital-Asset-Pricing-Modell ......... 189 Capital Requirements Directive ........ 20 Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies ................. 75 Compound Option........................... 158 Contingent Claim............................ 139 Credit Event ...................................... 80 Credit Spread .................................. 110 Cumulative Accuracy Profile .......... 118 Cut-off Point ........................... 114, 117 D Delta................................................ 196 Call- ............................................ 197 Put-.............................................. 198 Discounted-Cashflow-Verfahren ....149, 186 Discriminative Power...................... 111 Diskontinuität strategische.................................. 254 Diskriminanzanalyse................... 52, 97 Diskriminanzfunktion ....................... 97 Diskriminanzwert kritischer ....................................... 97 Downgrade........................................ 82 Drittrangmittel .......................... 25, 179 verfügbare ..................................... 25
330
Stichwortverzeichnis
E
H
Eigenkapital haftendes ....................................... 24 regulatorisches ................ 26, 37, 118 Eigenmittel ökonomische ............................... 179 Einzelbewertungsverfahren............. 149 Emissionsrating................................. 45 Emittentenrating.......................... 45, 62 Entity-Ansatz .................................. 188 Erfolgsfaktorenforschung ............... 258 Ergänzungskapital..................... 24, 179 erweitertes freies ........................... 25 freies ............................................. 25 Ertragswert...................................... 187 Erwarteter Verlust..... 33, 146, 152, 186 Erwartungswert ....................... 285, 290 Expected Loss ................................... 33 Exposure at Default........................... 30 External Credit Assessment Institution ................................ 28, 59
Hard Facts ......................................... 85 Histogramm .................................... 115
F Fat Tails .......................................... 299 Fehlalarmquote ............................... 114 kumulierte ................................... 115 Finanzrating ...................................... 91 Firm Value Approach ..................... 140 First-Passage-Time-Modell............. 158 Fons-Modell.................................... 166 Forderungspool ................................. 33 Free Cashflow ................................. 188 Frühwarnsystem...................... 211, 253 Fuzzy-Logik...................................... 50 G Gesamtbewertungsverfahren... 149, 186 Gesamtkapitalrendite ...................... 178 Gini-Koeffzient ............................... 120 Grenzausfallrate .............................. 162 Grundsatz I........................................ 17
I Initiative Finanzplatz Deutschland.... 95 Intensity-based-Modell ................... 160 Internal Capital Adequacy Assessment Process ................................. 22 Interne Revision.............................. 211 Investment Grade ...................... 67, 114 Investor Relations ........................... 264 IRB-Ansatz ......................... 28, 83, 179 fortgeschrittener ...................... 32, 34 IRB-Basisansatz........................ 31, 182 Itôs Lemma ............................. 145, 300 K Kapitaladäquanzrichtlinie ................. 20 Kapitalkoeffizient ............................. 18 Kapitalkosten .......................... 177, 188 Kapitalstruktur ........................ 141, 151 Kapitalwert...................................... 187 Kernkapital................................ 23, 178 erweitertes freies ........................... 25 freies ............................................. 25 Kleinste-Quadrate-Regression ........ 301 KMU ................................................. 32 Knock-out-Kriterium .................. 56, 86 Konfidenzniveau ............................. 309 Kontingenztabelle ........................... 113 KonTraG ................................. 209, 212 Korrelationskoeffizient ................... 286 Kovarianz........................................ 286 Kreditderivate ........................... 42, 139 Kreditereignis.................................... 80 Kreditwesengesetz ............................ 17 Kuponanleihe .......................... 158, 170
Stichwortverzeichnis
331
L
Pay-off .................................... 143, 195 PIMS-Studie............................ 245, 259 Pre-Rating ......................................... 69 Primäraktivität ................................ 246 Probability of Default ....................... 30 Prognosegenauigkeit ....................... 111 Prognosequote................................. 118 Put ........................................... 143, 194 Put-Call-Parität ............................... 195
Leistungslücke ................................ 243 Leistungsvorteil .............................. 243 Leverage-Effekt ...................... 178, 188 Logit-Regression....................... 52, 107 Lognormalverteilung....................... 293 LogOdd ........................................... 107 Lorenzkurve .................................... 118 Loss Given Default ........................... 30 Lower Partial Moment .................... 294 M MaRisk........................................ 22, 69 Marking to Market .......................... 139 Marktdisziplin................................... 19 Marktpreisrisiko................................ 35 Merton-Modell........................ 159, 195 Migration .................................. 46, 160 Migrationsmatrix....................... 81, 167 Mehr-Jahres- ................................. 82 Migrationswahrscheinlichkeit........... 81 Mindestkapitalanforderung ............... 18 Mittelwert................................ 297, 304 Modigliani/Miller-Theorem .... 140, 195 N Nachhaltigkeitsrating ........................ 74 Nachrangdarlehen ................... 152, 156 Net Present Value ........................... 186 Neuronales Netz................................ 53 Normalverteilung ............................ 291 Nullkuponanleihe............................ 141 O Odd ................................................. 107 Operationelles Risiko...................... 177 Override ............................................ 55 P Paired-Sample-Methode ................... 98
Q Quantitative Impact Study .......... 20, 83 R Rating Point-in-Time- ............................ 105 Solicited ........................................ 45 Throug-the-Cycle-....................... 105 Unsolicited .................................... 45 Rating Accuracy ............................. 111 Ratingbogen ...................................... 47 Ratingklasse ...................................... 68 Ratingkomitee ................................... 61 Ratingsystem................................... 111 Ratingvalidierung.................... 123, 127 Ratingverfahren ................................ 46 Receiver Operating Characteristic .. 117 Recovery Rate................................. 148 Reduced-Form-Modell.................... 180 Regressionsgerade................... 301, 306 Relativer Effekt............................... 121 Rendite diskret berechnete ............... 283, 292 diskrete........................................ 285 erwartete...................................... 285 Ex-ante-....................................... 284 Ex-post-....................................... 284 kontinuierlich berechnete.... 292, 296 stetige .......................................... 289 Renditestruktur................................ 161 Restlaufzeitanpassungsfaktor............ 31
332
Stichwortverzeichnis
Retail........................................... 29, 32 Risiko ereignisorientiertes...................... 237 verteilungsorientieres.................. 236 Risikoabschlagsmethode................. 187 Risikoberichterstattung ........... 256, 276 Risikogewicht ........................... 28, 179 Risikogewichtsfunktion .............. 30, 33 Risikoinventar......................... 218, 224 Risikokarte ...................................... 277 Risikomanagementhandbuch .......... 217 Risikomanagementkreislauf.... 217, 238 Risikomanagementsystem............... 211 Risikomeldung ................................ 238 Risikozuschlagsmethode................. 187 Risk Map................................. 218, 232 RiskCalcTM ........................................ 66 Rückgewinnungsquote.................... 170 Rückgewinnungsrate....... 148, 162, 166 erwartete...................... 162, 172, 180
T
S Schadenserwartungswert................. 234 Schwache Signale ........................... 254 Scoringmodell................. 218, 248, 267 Sekundäraktivität ............................ 247 Single Sourcing............................... 222 Soft Facts .......................................... 85 Solvabilitätsverordnung.......17, 21, 111 Speculative Grade ..................... 67, 114 Spinnennetzdiagramm..................... 249 Standardabweichung ....................... 286 Standardansatz ...................... 28, 37, 38 Standardnormalverteilung............... 291 Standardrisikokosten....................... 110 Stärken-Schwächen-Profil .............. 270 Stichprobenfunktion Mann-Whitney'sche .................... 127 Stochastische Tendenz .................... 121 Structural Model ............................. 140 Supervisory Review Process............. 22 Systemrisiko...................................... 30
Transaktionsrating............................. 55 Trefferquote ............................ 100, 114 kumulierte ................................... 114 Trennschärfe ................... 111, 123, 127 Ü Überlebensrate kumulierte ................................... 163 marginale .................................... 163 Überprüfungsverfahren aufsichtliches ................................ 18 Überschuldung .........141, 158, 194, 311 U Unexpected Loss............................... 33 Unique Selling Proposition ............. 261 Unternehmensbewertung ................ 186 Unternehmensindikator..................... 85 Unternehmenswert .......................... 148 Upgrade..................................... 82, 173 V Value at Risk..................... 36, 234, 308 Varianz.................................... 285, 298 Vega................................................ 144 Vergleichsquote .............................. 148 Verlustpotenzial .............................. 235 Verschuldungsgrad ................. 178, 198 Verteilungsfunktion ................ 285, 290 Volatilität .........144, 148, 158, 196, 297 W Wahrscheinlichkeitsdichte .............. 289 Watchlist ........................................... 62 Weighted Average Cost of Capital . 188 Wertorientierte Unternehmenssteuerung..................................... 210 Wertschöpfungskette............... 244, 259 Wertschöpfungsprozess .................. 261
Stichwortverzeichnis Wiener-Prozess ....................... 141, 299 Wissensbasiertes System .................. 49 Z Z’’-Modell ...................................... 102
333 ZetaTM-Modell................................. 100 Zielkapitalstruktur........................... 191 Z-Modell ........................................... 98 Zugehörigkeitsfunktion..................... 51