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German Pages 632 [640] Year 2008
LU 150 Jahre Wissen für die Zukunft
Oldenbourg Verlag
IMF International Management and Finance Herausgegeben von o. Professor Dr. Klaus Spremann Lieferbare Titel: Bemet, FirianzinteTmediation und Finanzkontrakte, 2. Auflage Spremann,Vermögensverwaltung Spremann, Portfoliomanagement,4. Auflage Spremann, Finance, 3. Auflage Spremann, Valuation Spremann, Wirtschaft, Investition und Finanzierung^. Auflage Spremann • Gantenbein, Zinsen, Anleihen, Kredite, 4. Auflage Spremann • Pfeil • Weckbach, Lexikon Value-Management
Portfoliomanagement von
Dr. Dr.h.c. Klaus Spremami o. Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und Direktor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen
4., überarbeitete Auflage
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafls- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58779-1
Für wen: Dieses Buch wendet sich an Studierende, die eine berufliche Tätigkeit im Finanzbereich, im Portfoliomanagement, in der Vermögensverwaltung, in der Wirtschaftsprüfung oder im Bereich der Unternehmensberatung anstreben — sei es im Private Banking, bei einer Investmentbank, bei einem Asset-Manager, in einer Consulting-Firma oder als Selbständiger. Gleichermaßen wendet es sich an Dozierende für Banken und Finanzen. Sodann sollen Personen angesprochen werden, die bereits in der beruflichen Praxis stehen. Natürlich ist das Buch zugänglich für alle, die Interesse an Investitionen haben, vielleicht weil sie privat Geld anlegen oder unternehmerisch aktiv sind. Der Autor. Prof. Dr. Dr.h.c. KLAUS SPREMANN lehrt an der Universität St. Gallen — HSG (seit 1990) und ist dort Direktor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen. SPREMANN studierte Mathematik an der Technischen
Universität München:
1972 Dipl.-Math., 1973
Dr.rer.nat. Im Jahr 1975 folgte die Habilitation an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe. Von 1977 bis 1990 war er Professor für Wirtschaftswissenschaften im Studiengang Wirtschaftsmathematik an der Universität Ulm. Gastprofessuren führten ihn an die University of British Columbia in Vancouver B.C. (1982), an die National Taiwan University in Taipeh (1987) und die Universität Innsbruck (2002). Zwei Jahre (1993-94) war SPREMANN der HongkongBank Professor of International Finance an der University of Hong Kong, anschließend Honorarprofessor. Seit 2008 ist er der Academic Representative Singapore der HSG. Verleihung des Dr. rer. pol. h.c. (Universität Ulm) 2008. Neben Forschung und Lehre hat SPREMANN diverse Praxisprojekte durchgeführt, darunter zu Themen des Asset Managements. Er ist Mitglied in wissenschaftlichen Vereinigungen und Beirat im Gutmann Center for Portfoliomanagement. Schlüsselbegriffe: Aktives und passives Portfoliomanagement, Alpha, Beta, Brownsche Bewegung, CAPM, Covered-Call-Writing, Delta, Diversifikation, empirische Renditen, FaktorModelle, Hunger, Kaufkraftschutz, Markowitzsche Effizienzkurve, Marktportfolio, Performance, Protected-Put-Buying, Random-Walk, Rendite, Risk-Ruler, Safety-First-Prinzip, SamuelsonModell, Shortfall-Ansatz, Optionen, Risiko und Rendite, Risikoaversion, Style-Analyse, TelserAnsatz, Tracking-Error, Varianz-Dekomposition, Verlustwahrscheinlichkeit.
Vorwort Gelder anzulegen, die Rendite und das Risiko eines Portfolios zu steuern und die Performance zu beurteilen, sind zu wichtigen Aufgaben im Wirtschaftsleben geworden. Zu ihrer Bewältigung werden methodische Werkzeuge und quantitative Ansätze verlangt. Dieses Buch stellt das Portfoliomanagement als Anwendung der Modemen Portfoliotheorie (MPT) dar. Es bietet die klassischen Bausteine der MPT, die auf MARKOWITZ, TOBIN, SHARPE und andere Forscher zurückgehen. Sodann werden wichtige Erweiterungen der MPT behandelt, und zwar die für die langfristige Anlage (Shortfall-Ansatz von ROY, Modell von SAMUELSON) und die zur Portfolio-Insurance (LELAND, RUBINSTEIN).
Im Kern dieses Gesamtgebiets steht das Urnenmodell: Die Renditen zukünftiger Perioden sind unabhängige Ziehungen aus immer derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung. Dieses Modell zieht sich als roter Faden durch das Buch. Dennoch gehen wir auf neuere Fakten der Finance ein, wo das Urnenmodell aufgrund der empirischen Forschung der jüngsten Zeit hinterfragt wird. Die neueren empirischen Fakten werden bei den Tests zum Capital Asset Pricing Model besprochen, wo wir das Exposure gegenüber der Konjunktur als weitere Dimension des Risikos betrachten. Außerdem gehen wir auf das Faktum ein, dass sich die Volatilität ändert. Dieser Punkt ist für Options-Strategien wichtig. Sie, liebe Leserin und lieber Leser, haben die vierte Auflage meines Buches Portfoliomanagement vor sich. Die vorliegende Auflage enthält neben zahlreichen Abbildungen 110 Schritt für Schritt ausgeführte und durchgerechnete Beispiele, Hinweise für das Arbeiten mit Excel, praktische Übungen mit Optimizer, 168 grafische Darstellungen und Tabellen sowie zahlreichen Fragen mit Lösungen. Besonders der Bezug zwischen Theorie und Anwendung ist immer wieder herausgearbeitet und aufgezeigt. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Sie behandeln die Grundlagen, die Moderne Portfoliotheorie sowie langfristige Anlagestrategien. Jeder Teil umfasst sechs Kapitel. Aus den Erfahrungen, die an verschiedenen Hochschulen und in der Weiterbildung gemacht worden sind, sprechen folgende Arten für die Verwendung des Buches: 1. Als universitärer Kurs beansprucht das Buch ein Semester mit drei Wochenstunden. Nach der Bologna-Reform ist es auf das dritte Studienjahr zugeschnitten. Einige Kapitel eignen sich für das Selbststudium, so etwa die Kapitel 1 und 2. 2. Wer als Dozierende oder Dozierender lediglich zwei Semesterwochenstunden zur Verfügung hat, muss eine Auswahl treffen und sich vielleicht auf diese Kapitel konzentrieren: 3,4, 7-11, 13 und 14. 3. Als kompakt gehaltener Kurs in der Weiterbildung und für Executives sind 1 Vi Tage (sechs Einheiten zu je 90 Minuten) nötig. In dieser Zeit können die Kapitel 4, 7, 8, 9 und 11 behandelt werden.
PORTFOLIO M AN AG EM E NT
Vili
Nun möchte ich Dank aussprechen. Er geht zunächst an Institutionen und Personen, die Portraits oder Materialien zur Verfügung gestellt haben: AP Foto, Associated Press GmbH (Frankfurt am Main), Association for Investment Management and Research (AIMR), Janusz Breszczynski (University of Edinburgh), Economists and Their Times der Federal Reserve Bank of San Francisco, Eugene F. Fama (University of Chicago), Robert C. Merton (Harvard University) und die Schmalenbach-Gesellschaft. Martin Mattmüller von der Bernoulli-Edition verdanke ich Details zu Dichtung und Wahrheit. Für Fachgespräche bin ich Günter Bamberg (Augsburg), Pascal Gantenbein (Basel) und Gerhard Scheuenstuhl (München) zu Dank verpflichtet. Arthur Lanz (Rodersdorf) hat zu einer früheren Auflage mit Hinweisen beigetragen. Besonderer Dank gilt Alexander Bonner, Sebastian Lang, Roman Frick und Patrick Scheuerle, die das Manuskript für die vierte Auflage kritisch gelesen und mit Vorschlägen zur Verbesserung beigetragen haben; Marina Piantoni hat Literaturverweise überprüft. Sodann möchte ich bei allen Personen am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen Dank sagen, die durch ihre kollegiale Offenheit und freundliche Partnerschaft zum geistig fruchtbaren Klima dieses Instituts beitragen. Hervorheben möchte ich schließlich die Zusammenarbeit mit dem Verlag und Lektoratsleiter Jürgen Schechler. Und nun wünsche ich Ihnen Freude, Erkenntnis und praktischen Nutzen für die Geldanlage.
St. Gallen, Sommer 2008
Klaus Spremann
Inhalt Teil I: Grundlagen 1. Vermögensverwaltung 1.1 1.2 1.3 1.4
Portfolio und Asset-Klassen Prozesse und Arbeitsteilung Kundensegmente Ergänzungen und Fragen
1 1 20 29 35
2. Portfoliomanagement 2.1 Vier Anlagestile 2.2 Portfoliotheorie 2.3 Ergänzungen und Fragen
41 41 55 64
3. Rendite 3.1 Rendite 3.2 Erwartungsbildung 3.3 Ergänzungen und Fragen
71 71 84 97
4. Risiko 4.1 Risiko nach MARKOWITZ 4.2 Risiko nach ROY 4.3 Ergänzungen und Fragen 5. Empirische Forschung 5.1 5.2 5.3 5.4
Schätzungen Schätzfehler Modellfehler Ergänzungen und Fragen
6. Informationseffizienz 6.1 6.2 6.3 6.4
Informationseffizienz Stolpersteine Arbeiten mit Daten Ergänzungen und Fragen
99 99 106 120 123 123 133 140 146 149 149 160 164 169
χ
PORTFOLIOMANAGEMENT
Teil II: Moderne Portfoliotheorie 7. Effiziente Portfolios (MARKOWITZ) 7.1 Risk und Return
173 173
7.2 Die Effizienzkurve für η > 2
184
7. 3 Ergänzungen und Fragen
208
8. Kapitalmarktlinie (TOBIN) 8.1 Die Kapitalmarktlinie
215 215
8.2 Tobin-Separation
222
8.3 Musterportfolios — Zur Praxis
234
8.4 Musterportfolios — Berechnung
239
8.5 Ergänzungen und Fragen
250
9. Marktportfolio 9.1 Ermittlung des Marktportfolios
255 255
9.2 Das Tangentialportfolio
272
9.3 Naive Diversifikation
278
9.4 Ergänzungen und Fragen
281
10. CAPM (SHARPE) 10.1 Das CAPM
285 285
10.2 Spezifikation des Marktportfolios
307
10.3 Empirische Tests des CAPM
312
10.4 Das Faktor-Modell
325
10.5 Ergänzungen und Fragen
333
11. Performance 11.1 Grundsätzliches
337 3337
11.2 Risikoadjustierung
351
11.3 Ergänzungen und Fragen
368
12. Bedingte Optimierung 12.1 Grundlagen der Entscheidungstheorie
371 371
12.2 Das klassische Mean-Variance-Kriterium
382
12.3 Bedingte Optimierung
392
12.4 Ergänzungen und Fragen
404
INHALT
XI
Teil III: Langfristige Anlagestrategien 13. Kontinuierliche Zeit 13.1 13.2 13.3 13.4
Arbeitsplan Stetige Rendite und Random-Walk Stochastische Bewegungsgleichung Ergänzungen und Fragen
14. Zeithorizont-Effekte 14.1 14.2 14.3 14.4
Vorbereitung Shortfall-Ansatz Institutioneller Investor und Aufsicht Ergänzungen und Fragen
15. Expected Utility 15.1 15.2 15.3 15.4
Erwartungsnutzen Sicherheitsäquivalent und Risikoaversion Deskriptive Entscheidungstheorie Ergänzungen und Fragen
16. Samuelson-Modell
407 407 410 429 437 441 441 445 455 465 469 469 475 487 492 495
16.1 Vorbereitung 16.2 Samuelson-Modell
495 500
16.3 Ergänzungen und Fragen
507
17. Optionen 17.1 17.2 17.3 17.4
Terminkontrakte Finanzoptionen Optionsbewertung Ergänzungen und Fragen
18. Portfolio-Insurance 18.1 Prozyklisches Investment 18.2 Antizyklisches Investment 18.3 Ergänzungen und Fragen 19. Konklusion 19.1 19.2 19.3 19.4
Passives oder aktives Portfoliomanagement? Nochmals Empfehlungen Epilog Verzeichnisse
511 525 534 534 546 557 557 571 586 589 589 597 606 611
Vermögensverwaltung Dieses erste Kapitel führt in die Vermögensverwaltung ein. Zunächst begriffliches: Was ist ein Portfolio? Was sind Asset-Allokation, Top-Down und Bottom-Up, Investment-Opportunity-Set? Sodann organisatorisches: Schritte im Portfoliomanagement, Arbeitsteilung und Berufe im Umfeld des Portfoliomanagers. Weiter die Kundensegmentierung im Wealth Management. Zum Schluss Fragen zur Lernkontrolle. 1.1 1.2 1.3 1.4
Portfolio und Asset-Klassen Prozesse und Arbeitsteilung Kundensegmente Ergänzungen und Fragen
1 20 29 35
1.1 Portfolio und Asset-Klassen Lernziele: 1. Rendite, Sicherheit und Liquidität als drei erwünschte Kriterien der Geldanlage sollen vom Portfolio als Ganzes erfüllt werden. 2. Der Begriff der Anlage-Klasse sowie Top-DownAnsatz und Bottom-Up-Ansatz. 3. Wie letztlich der Anteil Cash und die Aktienquote für einen Kunden bestimmt werden.
1.1.1
Rendite, Sicherheit und Liquidität
Viele Menschen können einen Teil ihrer Arbeitseinkommen sparen. 1 Sie bilden zunächst eine Reserve für den Notfall und investieren im familiären Umfeld: Sie bauen ein Haus und zahlen für die Ausbildung
ihrer Kinder. Nach Möglichkeit werden später Mobiliar und
erworben und vielleicht eine Ferienimmobilie
Kunstgegenstände
beschafft. Diese Investitionen bieten direkten Nut-
zen für den Haushalt oder die Familie. Entscheidungen über solche Investitionen werden daher selten nach finanziellen Kriterien getroffen. Sie sind von subjektiven Vorstellungen geleitet, die sich aus dem Nutzen, den sie stiften, ableiten. Doch heutzutage können immer mehr Menschen über die genannten Investitionen in ihrem engeren Lebensumfeld hinausgehend weitere Geld-
Sparen heißt, auf Konsum oder die Produktion von Konsumgütern zu verzichten und dafür Investitionen zu tätigen oder — auf der Ebene der Volkswirtschaft — die Produktion auf Investitionsgüter zu lenken. Investieren heißt, mit heutigen Mitteln und Ressourcen (Geld, Zeiteinsatz) Rechte und Güter zu erwerben und Vorrichtungen zu treffen, die dem Berechtigten in Zukunft Geld oder geldäquivalente Güter und Dienste bieten.
2
TEIL I — GRUNDLAGEN
anlagen tätigen, die ihnen im späteren Ergebnis Einkommen bieten sollen. Das sind Kapitalanlagen. Sobald die Menschen Mittel für Kapitalanlagen erübrigen können, entwickeln sie dafür finanzielle Vorstellungen und Ziele:
Schichten der Investition von Privatpersonen Berufliche und gesetzliche Vorsorge, ergänzt um freiwillige Zuzahlungen zur privaten Altersvorsorge (Thema: Steuerbegünstigung) 2
Ausgaben für die eigene Fortbildung und die Ausbildung der Kinder
3
Gebundene Lebensversicherung
4
Erwerb von Immobilien für den Eigennutz durch die Familie
g
Erwerb von Sachkapital mit teilweise investivem, ansonsten konsumtivem Charakter (Ferienwohnung, Sammlungen)
6 7
8
Aufbau einer Reserve für unerhoffte Lebensereignisse Geldanlage im Hinblick auf einen konkreten Zweck für die Verwendung des Anlageergebnisses (reserviertes Kapital) Aufbau des „freien Kapitals" mit Möglichkeit, später einen Verwendungszweck festlegen zu können
Bild 1-1: Mit Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung beginnend kommen immer mehr Privatinvestoren bis zum Aufbau freien Kapitals, dessen spätere Verwendung zunächst nicht festgelegt ist und das deshalb „gut" angelegt werden soll. Bei den finanziellen Kriterien, nach denen Kapitalanlagen getätigt und verwaltet werden, stehen drei im Vordergrund: Erstens soll eine „gute Rendite" erzielt werden. Die Rendite soll sich entweder in jährlichen Ausschüttungen zeigen oder sich im Kapitalwachstum manifestieren. Zweitens wird „Sicherheit" angestrebt. Anders ausgedrückt sollen alle Arten von Risiko gering oder begrenzt sein. Drittens soll die Kapitalanlage „liquide" sein: Das heißt, sie sollte praktisch jederzeit verkäuflich sein, ohne dass durch die Transaktion substantielle Preisabschläge hingenommen werden müssten. Denn auch wenn der ursprüngliche Anlagehorizont länger ist, könnte sich der Lebensplan ändern und Geldbedarf entstehen. Dann sollte die Kapitalanlage in nützlicher Frist verkauft werden können. Es sind drei Kriterien, welche die finanziellen Vorstellungen und Ziele prägen: Rendite, Sicherheit, Liquidität. Das Universum möglicher Kapitalanlagen ist sehr groß. Jede erfüllt die drei Kriterien Rendite, Sicherheit, Liquidität in unterschiedlichem Umfang. Börsengehandelte Wertpapiere wie Anleihen (Renten, Bonds) und Aktien (Stocks) können im Regelfall schnell verkauft werden und erfüllen so den Wunsch nach Liquidität im Allgemeinen bestens. Dies trifft besonders für Staatsanleihen und für die Aktien großer Gesellschaften (Blue Chips) zu. Die Liquidität wird durch den Sekundärmarkt geschaffen. Nach der ersten Ausgabe von Wertpapieren, die in einer marktähnlichen Um-
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
3
gebung erfolgt, im Primärmarkt, werden sie an Börsen gehandelt. Der börsentägliche Handel bildet den Sekundärmarkt.
Bild 1-2: Die Weitentwicklung von Bonds, Immobilienanlagen und Aktien Schweiz, beginnend Anfang 1960 beim Indexstand 100, sowie die Entwicklung des Preisniveaus für einen Warenkorb. Alle vier Entwicklungen sind in logarithmischer Skala dargestellt. Daten von Pictet und von RiidBlass. Allerdings kann in krisenhaften Zeiten die Liquidität auch von börsengehandelten Wertpapieren zurückgehen, wie die Finanzkrise 2008 zeigt. Eine mit der von Wertpapieren vergleichbare Liquidität weisen Finanzinstrumente auf, die sich auf Anleihen und Aktien beziehen, wie Fonds und Indexzertifikate. In Ergänzung zu Anleihen und Aktien stehen Immobilienfonds, Real Estate Investment Trusts (REITs) und Immobilienaktien. Anlagen in Gold und in Rohstoffe sind ebenso durch Kontrakte möglich, die an Börsen gehandelt werden und daher eine gute Liquidität aufweisen. Für viele Instrumente wird der Sekundärmarkt durch Investmentbanken gestaltet, die als Market Maker auftreten. Die Liquidität hängt dann auch vom Verhalten der jeweiligen Investmentbank als Market Maker ab. Insgesamt weisen alle genannten Instrumente — Anleihen, Aktien, Immobilienanlagen, Zertifikate — im Regelfall hohe Liquidität auf. 3 Hingegen sind sie hinsichtlich Risiko und Rendite recht unterschiedlich. 2 Der Handel kann bei speziellen Wertpapieren sogar ganz versiegen, wenn die Marktteilnehmer denken, nicht mehr die korrekten Bewertungen zu kennen. Das ist der Fall, wenn die tradierten Bewertungsmodelle in Frage gestellt werden. Dann achtet kein Investor auf den Wert, eben weil dieser nicht ermittelt werden kann, sondern hält sich an das, was andere Investoren sagen (die auch nicht mehr Uber den wahren Wert wissen). In einer Liquiditätskrise treten dann entweder überhaupt keine Käufer auf oder sie sind nur zu stark reduzierten Preisen bereit, Wertpapiere, Finanzinstrumente oder Kapitalanlagen zu übernehmen. 3 Der Grad an Liquidität kann bei normaler Börsenfunktion durch ein „round ticket" gemessen werden: Es wird ein kleineres Paket des Wertpapiers an einer Börse „bestens" gekauft und unmittelbar danach verkauft. Der Geldverlust
4
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Typischerweise sind Renten sicherer als Immobilien und diese sicherer als Aktien. Aktien gelten wiederum als sicherer im Vergleich zu Rohstoffen. Hinzu kommt, dass jedes der drei Merkmale in sich vielschichtig ist. Denn mit Rendite, Sicherheit, Liquidität sind jeweils Gruppen von Aspekten angesprochen. •
Bei der Rendite ist beispielsweise zu unterscheiden, ob sie sich als Ausschüttungen oder als Wertsteigerungen ausdrückt.
•
Auch der Risikobegriff umfasst verschiedene Aspekte. Neben Kursschwankungen gehören dazu die Konjunkturabhängigkeit (Zyklizität) sowie die Möglichkeit eines Totalverlusts in Krisen. Zu diesen drei Risiken kommen weitere hinzu, so die Stärke der Kursreaktionen bei Zinsänderungen oder bei Änderungen der Inflation. Schließlich bestehen politische Risiken.
Dennoch ist es hilfreich, sich auf die drei Kriterien Rendite, Sicherheit und Liquidität zu konzentrieren. Schränkt man sich weiter auf Wertpapiere ein, mag sogar genügen, die Rendite und die Sicherheit (also das Risiko) in den Vordergrund zu rücken. In der Tat betrachtet die Moderne Portfoliotheorie nur das Risiko und die Rendite als zwei Merkmale. 4 Auch wenn Rendite, Sicherheit und Liquidität bei Anlagen des „freien Kapitals" (siehe Bild 1-1) im Vordergrund stehen, berücksichtigen Anleger neben den genannten finanziellen Kriterien weitere Aspekte. So finden ökologische, soziale und ethische Gesichtspunkte große Beachtung. Diese Investoren möchten nach dem Socially Responsible Investing (SRI) vorgehen. Als Folge des Verhaltens dieser Investoren fließen Umweltgesichtspunkte, soziale Faktoren sowie ethische Aspekte vermehrt in die finanzanalytische Beurteilung von Aktiengesellschaften ein. Zu den SRIStrategien gehören Ansätze der positiven und negativen Selektion von Staaten und von Aktiengesellschaften, darunter der Best-in-Class-Ansatz, die Titelauswahl nach Themen (darunter Beispiel Community-Investing, Micro Finance, Energy Efficiency) und das Negative-Screening.
1.1.2
Vier
Asset-Klassen
Ähnlich wie für eine Routenplanung die Landkarte in unterschiedlichem Maßstab gewählt werden kann, ist eine gröbere oder feinere Planung im Portfoliomanagement möglich. Schon um Übersichtlichkeit zu wahren, bieten sich Betrachtungen an, die nicht bei den einzelnen Wertpapieren ansetzen. Es werden dann ganze Gruppen von Assets (Geldanlagen, Wertpapieren und Fibei diesen Transaktionen ist umso geringer, je höher die Liquidität ist. 1. AVINASH D. PERSAUD (editor): Liquidity Black Holes — Understanding, Quantifying and Managing Financial Liquidity Risk. Risk Books, London 2003. 2. YAKOV AMHUD und HAIM MENDELSON: Stock and bond liquidity and its effects on prices and financial Policies. Financial Marktes and Portfolio Management 20 (2006) 1, 19-32.
4 Ebenso zeigt sich Liquidität in mehreren Aspekten. Geringe Liquidität kann dies bedeuten: 1. Um einen Käufer zu finden, muss eventuell lange gewartet werden, doch der Verkaufspreis ist ziemlich sicher (Beispiel: Immobilie). 2. Man kann jederzeit kaufen und verkaufen, doch die Transaktionskosten sind sehr hoch (Beispiel: Kunstgegenstände). 3. Man kann nur geringe Quantitäten kaufen oder verkaufen und der Marktpreis ändert sich stark mit jeder einzelnen Transaktion (Beispiel: Aktien kleiner Gesellschaften).
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
5
nanzinstrumenten) betrachtet. Diese Gruppen heißen Asset-Klassen oder Anlageklassen. Wird diese gröbere und damit übersichtlichere Planungsebene gewählt, dann wird in einem ersten Schritt bestimmt, wie das Portfolio aus diesen Anlageklassen zusammengesetzt sein sollte. Anschließend muss in einem zweiten Schritt geklärt werden, wie jede der in das Portfolio einbezogenen Asset-Klassen auf der Ebene einzelner Wertpapiere dargestellt werden sollen. Soll eine Anlageklasse durch gewisse Anleihen oder Aktien vertreten werden? Oder wird ein Fonds gewählt, ein Exchange Traded Fund (ETF), ein Indexkontrakt, ein Strukturiertes Produkt? Wie viele und welche Anlageklassen (im ersten Schritt) betrachtet werden, hängt vom Zweck ab. Indes werden die Anlageklassen so gebildet, dass innerhalb einer jeden Klasse die zusammengefassten Wertpapiere hinsichtlich Rendite, Sicherheit und Liquidität ähnlich sind, während zwischen den Klassen deutliche Unterschiede bestehen. So entstehen Asset-Klassen oder Anlageklassen. Wir werden oft auf Einteilungen in Asset-Klassen zu sprechen kommen. Als ein erstes Beispiel denke man an diese vier Klassen: Anleihen, Anlagen in Immobilien, Aktien und Rohstoffe. Diese vier Anlageklassen zeigen stufenweise höheres Risiko. •
Festverzinsliche Instrumente (Anleihen und Geldmarktinstrumente) weisen ein geringeres Risiko auf, wenn darunter die börsentäglichen Kursschwankungen verstanden werden. Denn diese gehen vor allem auf Zinsänderungen zurück, die im allgemeinen auf kurze Sicht gering ausfallen. Die Kursschwankungen bei festverzinslichen Instrumenten sind insbesondere im Vergleich zu denen bei Aktien gering. Allerdings tragen zahlreiche Festverzinsliche ein Bonitätsrisiko, bei Corporate Bonds wirkt die Einschätzung der Bonität der Unternehmung ebenso kursbestimmend. Diese kann vom Wirtschaftszyklus abhängen. Im Vorfeld einer schlechten Wirtschaftsentwicklung fallen diese Anleihen im Kurs. Bei Fremdwährungsanleihen kommt schließlich ein Währungsrisiko hinzu. 5
•
Im Vergleich zu Festverzinslichen haben Anlagen in Immobilien ein höheres Risiko. 6 Es kommt bei Immobilienanlagen zu Wertschwankungen erstens aufgrund von Zinsbewegungen sowie zweitens von Angebots- und Nachfrageschwankungen im Immobilienbereich. Letztere sind ausgeprägt: Für Immobilienmärkte wird berichtet, dass sogar Preis-
5 Die mittelfristige Zinsbewegung hängt mit der Inflation zusammen, weshalb Anleihen jedoch ein Inflationsrisiko aufweisen. Was die Krisensituation des Schuldners oder auch Krisensituationen der Wirtschaft als Ganzes betrifft, so sind Anleihen wie Geldmarktinstrumente dem Ausfallrisiko ausgesetzt. Bei Staatsanleihen von Ländern hoher Bonität und bei Pfandbriefen in Europa ist das Ausfallrisiko gering. Doch auch hier kann sich das Rating aufgrund einer Neueinschätzung der Lage ändern (wie die Subprime-Krise 2007 belegt). Das Ausfallrisiko ist bei vielen Untemehmensanleihen sowie bei Bonds in Emerging Markets höher. Auch hier gilt, dass sich das Ausfallrisiko im Verlauf der Zeit ändern kann. 6
Bei Anlagen in Immobilien werden direkte (Kauf oder Errichtung von Wohnungen, Häusern, Bürogebäuden, Lagerhallen) von indirekten Anlagen unterschieden. Bei indirekten Anlagen beteiligt sich der Investor zusammen mit zahlreichen anderen Investoren an einer Einrichtung, die direkte Anlagen tätigt, so dass für diese zahlreichen Investoren ein Markt für die Anteile entstehen kann. Zu den indirekten Anlagen gehören Immobilienfonds und Immobilienaktien. PASCAL GANTENBEIN: Real Estate Assets — a worthwile investment? Financial Markets and Portfolio Management 18 (2004) 1, 88-95.
β
TEIL I —
GRUNDLAGEN
übertreibungen nach oben möglich sind, und dass sich anschließende Korrekturphasen über Jahre hinziehen können. •
Bei Aktien wird durch die vergleichsweise großen, börsentäglichen Kursschwankungen ein höheres Risiko gesehen. Der Wert einer Aktie hängt von den zukünftigen Wirtschaftsergebnissen der Unternehmung ab, über die sich Aktionäre und Analysten laufend ein Bild machen. Für die Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftsergebnisse dienen Information über die Aktiengesellschaft und über ihr wirtschaftliches Umfeld. Mit neuen Informationen ändern sich die Bewertungen. In der Folge reagieren die Kurse auf Neubewertungen und so letztlich auf neue Informationen. Da diese laufend kommen, ändern sich die Kurse von einer Minute zur anderen. An einem ganz normalen Handelstag können sich die Kurse leicht um - 2% oder mehr zurückbilden, und immer wieder gab es Monate mit Kurseinbrüchen von - 20% bis - 30% .
•
Investitionen in Rohstoffe werden über Terminkontrakte vorgenommen. Nur industrielle Verbraucher kaufen Rohstoffe in physischer Form. Positionen in Rohstoffen gelten als riskant. Die Preise für Rohstoffe hängen neben der Nachfrage von der industriellen Produktion ab. Zwar schwankt die industrielle Produktion nur langsam, doch die Märkte antizipieren die weitere Entwicklung der Konjunktur der kommenden Jahre. Zeigen sich auch nur „leichte Wolken am Konjunkturhimmel", dann fallen die Rohstoffpreise stark. Zudem ist der Markt für Rohstoffe ein idealer Aktionsplatz für Spekulationen, so dass gerade bei Rohstoffen langfristige und fundamentale Betrachtungen nicht (allein) kursbestimmend sind. Spekulanten setzen auf Trends, doch sie ändern ihre Positionen abrupt, sobald sie sehen, dass auch die anderen Marktteilnehmer ihre Positionen ändern. So werden fundamental bedingte Schwankungen verstärkt. Bei Wertpapieren und Kapitalanlagen sind Wert und Kurs begrifflich zu unterscheiden. Der Wert eines Objektes wird aufgrund langfristiger fundamentaler Einflussgrößen bestimmt. Der Kurs ist hingegen der Preis, der sich augenblicklich im Sekundärmarkt (an der Börse) einstellt. Wenn der Markt „gut" funktioniert, dann werden zahlreiche Investoren sich an den Weiten orientierend handeln. Sie werden auch als fundamental orientierte Investoren bezeichnet. Dann wird der Kurs, von kleineren zufälligen Abweichungen abgesehen, dem Wert entsprechen. Wenn aber fundamental orientierte Investoren ausbleiben, oder wenn sie Budgetrestriktionen haben und daher nicht kaufen können, dann können Wert und Kurs unterschiedlich ausfallen. In Krisenzeiten ist das offenkundig: Kurse können dann unter den Werten liegen. Andererseits sind Phasen möglich, in denen die Kurse sich immer weiter über die Werte anheben — von Spekulanten getrieben, wie gesagt wird. Spekulanten setzen sich über Fundamentaldaten hinweg und beobachten Trends, um von ihnen mitgetragen zu werden. So sind Preisblasen durchaus denkbar, auch wenn es nicht immer leicht fällt, sie zu identifizieren. Plötzlich orientieren sich die Spekulanten anders, und die Preisblase platzt.
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
7
Allerdings variieren auch die mit diesen vier Asset-Klassen Festverzinsliche, Aktien, Immobilien, Rohstoffe verbundenen Renditeerwartungen. Gleiches gilt für die Liquidität. Da die Menschen risikoavers sind und Risiken meiden, haben risikobehaftete Anlagen vergleichsweise geringe Preise. Wer sie bei niedrigem Einstiegspreis erwirbt, kann so eine höhere Rendite erwarten. Den genauen Zusammenhang zwischen Renditeerwartung und Risiko behandeln wir in Kapitel 10. Gleichermaßen wünschen sich die Investoren Liquidität. Anlagen mit geringer Liquidität haben geringere Preise und lassen eine höhere Rendite erwarten. Aufgrund solcher Zusammenhänge zwischen Rendite, Risiko und Liquidität, die in Kapitalmärkten zu beobachten sind, verlangt bereits die Vorauswahl von Anlageklassen ein Minimum an Wissen. Die Verschiedenartigkeit der genannten vier Asset-Klassen hinsichtlich der Kriterien Rendite, Sicherheit (geringes Risiko) und Liquidität lässt zudem erkennen, dass es bei der Geldanlage nicht darum gehen kann, eine einzige Asset-Klasse auszuwählen. Denn keine Kapitalanlage ist in allen drei Kriterien Rendite, Sicherheit und Liquidität den anderen Anlagen überlegen. Da sich die Engagements skalieren lassen — der Betrag ist praktisch frei wählbar — bietet es sich an, den Gesamtbetrag aufzuteilen. Kombinationen, eben Portfolios, bieten sich eher an, als die ausschließliche Anlage des Gesamtbetrags in eine einzige Asset-Klasse oder sogar in ein einziges Instrument. Betrachten wir das Risiko, das alle anderen Risikoarten gut illustriert und wohl auch repräsentieren kann. Gemeint ist das Risiko der Kursschwankungen an der Börse: Nicht alle Einzelanlagen zeigen in ihren Preisbewegungen an allen Tagen oder in allen Jahren Übereinstimmung in der Richtung. Durch einen Anlage-Mix gleichen sich einzelne negative mit zeitgleichen positiven Preisänderungen bei anderen Anlagen aus. Dies ist die Diversifikation des Schwankungsrisikos. Beispiel 1-1: Ein Anlage-Mix erlaubt es sogar, Anlagen mit geringerer Liquidität in gewissem Umfang in das Portfolio aufzunehmen. So könnte eine Person mit einem Teil ihres Geldes liquide Anlagen tätigen, um einen überraschenden Geldbedarf erfüllen zu können. Der andere Teil des Geldes kann dann für lange Zeit angelegt bleiben. Folglich kommen für diesen Teil wenig liquide Anlagen in Frage, wie Direktinvestitionen in Immobilien, die Beteiligung an einer GmbH und Private-Equity. • Fazit: Der Kauf von Wertpapieren und Zertifikaten sowie die Kapitalanlage in Immobilien oder in Beteiligungen weisen hinsichtlich der drei Kriterien (Sicherheit, Rendite, Liquidität) unterschiedliche Ausprägungen auf. Keine Kapitalanlage ist in diesen verschiedenen Aspekten zugleich allen anderen überlegen. Investoren engagieren sich daher nicht nur in einer einzigen Kapitalanlage. Die Entscheidung ist weniger eine Selektion als vielmehr eine Gewichtung: Ein Anlage-Mix, ein Portfolio ist attraktiver als jede Einzelanlage für sich. Deutlich wird der Vorteil der Kombination mehrerer Einzelanlagen in ein Portfolio bei der Diversifikation: Für den Ausgleich von Risiken wird der zur Verfügung stehende Betrag auf mehrere Kapitalanlagen oder auf mehrere Asset-Klassen „gestreut". Die Portfoliozusammenstellung wurde früher als Portfolioselektion bezeichnet, in Anlehnung an den von M a r k o w i t z gebrauchten Begriff. Der Begriff der „Selektion" könnte aber darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Zusammenstellung eines Portfolios nicht darum geht, einzelne Wertpapiere zu selektieren (anzunehmen) und andere auszuklam-
8
TEIL I — GRUNDLAGEN
mem (abzulehnen). Denn die Portfoliozusammenstellung verlangt im Regelfall, alle möglichen Wertpapiere oder jedenfalls zahlreiche Arten von Wertpapieren einzubinden und deren Gewichtungen festzulegen.
1.1.3
Portfolio
Bei der Bildung von Portfolios oder der Portfoliozusammenstellung haben die Komponenten — seien es Einzeltitel oder Asset-Klassen — hinsichtlich der Kriterien Rendite, Sicherheit, Liquidität eigene und meistens ganz unterschiedliche Ausprägungen. Doch die zusammengeführten Teile oder Komponenten weisen in ihrer Summe als Portfolio andere Eigenschaften auf. Ein Portfolio7 ist eine gedankliche Zusammenfassung der Kapitalanlagen und Vermögensteile einer Person, eines Haushaltes oder einer Institution zum Zweck der rechnerischen Zusammenfassung, Darstellung und Kontrolle finanzieller Eigenschaften des Portfolios und seiner Komponenten, vor allem der Werte, der Rendite, der Exponiertheit (Exposure) gegenüber Risiken sowie der Liquidität. Die vom Investor gewünschten Merkmale Sicherheit, Rendite und Liquidität sollen durch das Portfolio insgesamt zustande kommen. Das Portfolio ist hinsichtlich Rendite, Sicherheit, Liquidität anders als seine Teile. Das ist der Grund für den Anlage-Mix. Die Vorteilhaftigkeit einer Komponente des Portfolios wird nicht in den speziellen Eigenschaften gesehen, die sie bei isolierter Betrachtung aufweist. Die Vorteilhaftigkeit eines Teils liegt darin, welche Eigenschaften es zusammen mit anderen Teilen insgesamt erzeugt. Der Investor darf daher weder Einzelanlagen (Wertpapiere, Zertifikate, Instrumente) noch Asset-Klassen (wie Bonds, Aktien, ...) isoliert ansehen. Er muss eine simultane Betrachtung aller Anlagen beziehungsweise aller in Betracht gezogenen Anlageklassen vornehmen. Die Vorteilhaftigkeit einer Investition hängt nicht allein von den Eigenschaften ab, die sie bei isolierter Betrachtung aufweist. Wichtig für die Vorteilhaftigkeit einer Investition ist, welche weiteren Kapitalanlagen der Investor hält, mit denen er die betrachtete Investition kombinieren würde. Denn die vom Investor gewünschte Rendite, das Niveau an Sicherheit und Liquidität sollen durch die Finanzanlagen insgesamt erzeugt werden, das heißt, durch das Portfolio als Ganzes. Einzelne Wertpapiere oder Asset-Klassen müssen demnach gleichzeitig aus einer einheitlichen Perspektive beurteilt werden. Erst die einheitliche Perspektive erlaubt es, das Portfolio zusammenzustellen. Grundlage für die Portfoliozusammenstellung ist ein Verständnis dafür, wie sich die Eigenschaften (Rendite, Sicherheit, Liquidität) der einzelnen Wertpapiere, Kapitalanlagen oder AssetKlassen, die als Komponenten eines Portfolios in Frage kommen, in die entsprechenden Eigenschaften des gesamten Portfolios übersetzen. Wie diese „Übersetzung" im einzelnen aussieht,
7
Der früher üblichere Begriff Portefeuille heißt tragen und feuille ist das Blatt.
leitet sich aus dem Französischen ab und bedeutet Brieftasche;
porter
1.
9
VERMÖGENSVERWALTUNG
liegt nicht auf der Hand. Deshalb sind wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen, Modelle und Rechnungen verlangt. Die rechnerische Zusammenführung der Eigenschaften der einzelnen Wertpapiere, Kapitalanlagen oder Asset-Klassen in einer Simultanbetrachtung bildet jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung über die Portfoliozusammensetzung. Genau das leistet die MPT, die Moderne Portfoliotheorie. Die MPT zeigt, wie sich aus den Renditen und den Risiken der Einzelanlagen (Wertpapiere oder Anlageklassen) die Rendite und das Risiko des Portfolios errechnen. 8 Die Portfoliozusammensetzung setzt die Kenntnis und eine rechnerische Abbildung voraus, in der sich aus Rendite, Sicherheit und Liquidität der Komponenten die entsprechenden Merkmale des Portfolios ergeben. Des weiteren kommt es für die Bestimmung der Portfoliozusammensetzung selbstverständlich darauf an, welche Konfigurationen von Rendite, Sicherheit und Liquidität beim Portfolio vom Investor erwünscht sind. Hier kommt es auf die finanzielle Situation und die Präferenz des Anlegers an. Wir werden das in den Kapiteln 7, 8 und 9 eingehend behandeln, weshalb es hier für Beispiele zu früh ist. Doch wie immer gibt es neben wissenschaftlich eingehenden Beschreibungen auch mehr oder minder starke Vereinfachungen. So kann die Berechnung der optimalen Diversifikation auch rudimentär vorgenommen werden, ohne dass auf die finanzielle Situation und die Präferenz des Anlegers Bezug genommen wird. 9 Wir besprechen die naive Diversifikation und die
Marktkapitalisierungs-Methode:
1. Bereits der T a l m u d , die Zusammenfassung der beiden großen Literaturwerke des Judentums, hat vor über zwei Jahrtausenden die Diversifikation empfohlen: Ein Drittel des Vermögens solle in Land, ein Drittel in Geschäften angelegt werden, und ein Drittel soll liquide gehalten werden. Auf die heutige Welt übertragen heißt das: Lege ein Drittel Deines Vermögens in Immobilien an, ein Drittel in Aktien, und halte ein Drittel liquide oder in Staatsanleihen,
die jederzeit verkauft werden können. In der Fachsprache wird
diese Diversifikation als naiv bezeichnet, weil die Diversifikationseffekte, die mit diesen Asset-Klassen verbunden sind, nicht vertieft untersucht oder gar quantitativ beschrieben werden. Die Gewichtung — eben jeweils ein Drittel — wird ohne weiteres Fachwissen festgesetzt. Dennoch sollten einfache Regeln nicht abgetan werden, weil sie in der Praxis g Noch relativ einfach ist, wie sich die Rendite des Portfolios aus den Renditen der Komponenten ergibt. Die Portfoliorendite ist der gewichtete Mittelwert der Renditen der Komponenten, wobei die Gewichte die relativen Anteile der Komponenten sind (Kapitel 3). Schon komplizierter ist, wie sich das Risiko des Portfolios aus den Risiken der Komponenten ergibt. Denn aufgrund der Diversifikation wird die Sicherheit oder wird das Risiko des Portfolios nicht mehr gleich dem gewichteten Mittelwert der entsprechenden Eigenschaften der Komponenten sein (Kapitel 4). Wir müssen uns daher im Folgenden der Berechnung der Diversifikationseffekte widmen, weil sie wohl den wichtigsten Grund für die Portfoliobildung bilden. Die quantitative Beschreibung dieser Zusammenhänge ist die große Leistung der MPT. g Wenn man an die Vielschichtigkeit des Risikobegriffs denkt (tägliche Kursschwankungen, Ausfallrisiko, Verhalten in Krisen), so dürften bei einigen Aspekten des Risikobegriffs ohnehin nur grobe Überlegungen möglich sein. Entsprechend grob wirken dann allerdings die daraus abgeleiteten Empfehlungen für die Zusammenstellung des Portfolios.
10
TEIL I —
GRUNDLAGEN
sehr gut funktionieren können. Das ist bei der naiven Diversifikation in der Tat so und der Rat ähnelt dem, was Banken empfehlen. Der Ratschlag, naiv zu diversifizieren, ist aus Sicht der wissenschaftlichen Perspektive korrekt, wenn unser Wissen über die Renditeerwartung als sehr ungenau einzustufen ist. 10 2. Ein zweiter Ansatz zur Diversifikation verlangt ebenso nur geringe Informationen und wenig Wissen: Die Wertpapiere, Kapitalanlagen oder Asset-Klassen werden im Portfolio anhand ihrer Marktkapitalisierung gewichtet, das ist die Anzahl der ausgegebenen und sich im Umlauf befindlichen Wertpapiere multipliziert mit dem Kurs. Beispiel 1-2: Marktkapitalisierungs-Methode: Da das Gesamtvolumen ausstehender Bonds weltweit in etwa der Marktkapitalisierung aller Aktiengesellschaften entspricht (jeweils 30.000 Milliarden), wird der nach der Marktkapitalisierungs-Methode vorgehende Investor für die eine Hälfte seiner Geldanlagen Bonds und für die andere Aktien wählen. Die erlaubt sodann eine feinere Betrachtung der Anlageklassen. Die für Anleihen vorgesehene Hälfte wird weiter auf die wichtigsten Währungen verteilt, wobei die Gewichte der Bondmärkte der Länder (outstanding debt) leiten. Ebenso wird der auf Aktien entfallende Geldbetrag weiter aufgeteilt. Dabei wird man sich der Marktkapitalisierung entsprechend an den Gewichten der Länder oder der Branchen orientieren. Bei der Länderorientierung ist die anteilmäßige, gesamte Marktkapitalisierung der Aktiengesellschaften eines Landes maßgeblich. Von dem für Aktien vorgesehenen Geldbetrag werden deshalb 48,7% für US-Aktiengesellschaften verwendet, 10,4% für britische, 9,9% für japanische, 4,6% für französische und 3,3% für deutsche Finnen (Daten 2005). • Ein anhand der Marktkapitalisierung orientiertes Portfolio wird als neutral gewichtet bezeichnet. Da die Finanzwelt groß ist, haben indes Titel, die lokal besonders auffallen, bei neutraler Gewichtung oftmals nur ein geringes Gewicht. Beispiel 1-3: Der Investor lege 2 Millionen Euro weltweit an, also jeweils eine Million Euro in Bonds und in Aktien. Das sind €487.000 für US-Firmen. Die Marktkapitalisierung von General Electric (fast 400 Milliarden USD) in Relation zu der aller US-Aktien beträgt 3,2%, weshalb für €15.000 GE-Aktien gekauft werden. Eine Million in Aktien heißt bei neutraler Gewichtung €33.000 für deutsche Aktien. Die Marktkapitalisierung etwa von Siemens in Relation zu der des deutschen Marktes ist 8,5%, so dass für knapp €3.000 Aktien von Siemens gekauft werden. 11 • Die Sichtweise der gedanklichen und rechnerischen Zusammenfassung bedeutet, dass eine Person oder ein Haushalt ein Portfolio hat, nicht etwa zwei oder drei Portfolios. Dabei kann eine Person oder ein Haushalt durchaus mehrere Depots bei einer oder mehreren Banken unterhalten, viel-
1. MEIR TAMARI: With All Your Possessions; Jewish Ethics and Economic Life. The Free Press, New York, 1987. 2. KENNETH L. FISHER UND MEIR STATMAN: Investment Advice from Mutual Fund Companies. Journal of Portfolio Management (Fall 1997), 9-25. 3. WOLFGANG BREUER: Naive Diversifikation. Wirtschaftswissenschaftliches Studium 11
( 1 9 9 9 ) 5, 2 5 9 - 2 6 3 .
Siehe die jährlich aktualisierten Übersichten von der Business Week („The world's most valuable companies") und McKinsey&Company („Mapping the Global Capital Market").
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
11
leicht werden diese Depots sogar nach unterschiedlichen Vorgaben gemanagt. Die Portfoliosicht verlangt jedoch, dass die einzelnen Depots gedanklich und rechnerisch zusammengeführt werden. Dessen ungeachtet lehrt die Verhaltensforschung (Behavioral Finance), dass Menschen immer wieder zu einer Einzelbeurteilung neigen, ohne das Zusammenwirken im Portfolio zu sehen. Sie unterteilen ihr Vermögen in „Schubladen" und betrachten jede Schublade isoliert für sich. Aus der ökonomisch-rationalen Sicht ist das Schubladendenken falsch.
1.1.4
Investment-Opportunity-Set
Die Portfoliozusammenstellung beginnt nie mit dem „weltweiten" Universum aller im Prinzip möglichen Kapitalanlagen (Assets). Je nach Ebene der Betrachtung sind die Assets wieder einzelne Wertpapiere, Einzelanlagen oder Anlageklassen. Wir müssen an dieser Stelle nicht mehr sprachlich präzisieren, ob die Betrachtung auf der unteren Ebene einzelner Wertpapiere oder auf einer oberen Ebene von Asset-Klassen geführt wird und sprechen kurz von Asset. Deren Universum ist schier unerschöpflich und nicht zu überblicken. Abgesehen davon können die meisten Menschen viele Assets für die Portfoliozusammenstellung ausschließen, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaften sich vielleicht nicht einmal als Beimischung eignen würden. So gibt es Anleger, die weder Optionen noch Hedge Funds wünschen. Jeder Investor trifft zunächst eine Vorauswahl der Einzelanlagen (Assets oder AssetKlassen), die für ihn in Frage kommen sollen. Die Vorauswahl führt auf das InvestmentOpportunity-Set (IOS) des Investors. Die Vorauswahl hängt von den Merkmalen der Assets ab und davon, wie wichtig und wie nachteilig diese für den Investor sind. •
Die Vorauswahl wird erstens durch Grundanforderungen hinsichtlich Rendite, Sicherheit und Liquidität bestimmt, die der Anleger stellt. Beispielsweise könnte ein Anleger von vornherein Rohstoffe ausschließen wollen, weil sie ihm zu riskant erscheinen, selbst in einer geringen Beimischung zum Portfolio. Oder er meidet Instrumente, die nur in einem Nebensegment des Kapitalmarkts gehandelt werden und seine Grundanforderungen an Liquidität nicht erfüllen.
•
Zweitens hängt die Wahl des IOS von den Kenntnissen und Erfahrungen des Investors ab. Personen, die über weniger Wissen verfügen, werden sich vielleicht auf ihnen bekannte Anlagen einschränken. Der Home-Bias ist eine oft beobachtete Verhaltensweise, bei der Anleger (wegen der für sie hohen Beobachtungskosten) ausländische Assets ausschließen.
•
Drittens kommen bei der Festlegung des IOS auch die Besonderheiten der vom Investor gewählten Vermögensverwaltung hinzu. Dazu gehören die Kosten für die Transaktion, Kosten für das Halten der Position sowie die Beobachtung und Kontrolle des Portfolios. So wird ein (vielleicht sogar kenntnisreicher) Anleger Finanzinstrumente aus den Emer-
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TEIL I —
GRUNDLAGEN
ging Markets unberücksichtigt lassen, sofern ihm die Transaktionskosten dafür zu hoch erscheinen. Möglicherweise bietet die gewählte Bank keinen Zugang zu gewissen Instrumenten. Es ist eine gute Praxis, bei der Festlegung des IOS diese Liste zu beachten: Die Rendite: Welche Rendite darf erwartet werden? Wie setzt sich die Rendite aus Geldbeträgen, die dem Investor während des Jahres bar zufließen (Zinszahlungen, Dividenden) zusammen? Welche Rendite ergibt sich aus einer Wertsteigerung, deren Realisation einen Verkauf der Kapitalanlage erfordert? Hinsichtlich einer Realisation erwarteter Wertsteigerungen ist weiter wichtig, wovon sie abhängen werden. Hier können einerseits Fundamentaldaten im Vordergrund stehen, andererseits die Marktstimmung und Preistrends. Im ersten Fall hängt die Wertsteigerung mit dem wirtschaftlichen Einsatz des Kapitals über längere Zeit zusammen, im zweiten Fall mit der Hoffnung auf eine interessante Verkaufsmöglichkeit
(die von der Stimmung an der Börse ab-
hängt). Der Investor sollte folglich nicht nur eine Erwartung über die Höhe der Rendite als Prozentzahl haben. Er sollte Klarheit erlangen, in welcher Form die Rendite anfällt (bar oder unbar als Wertsteigerung) und welche Faktoren die Wertsteigerung bestimmen. Der zweite Punkt ist die Besteuerung der Erträge. Selbstverständlich wird ein Investor die Anlageergebnisse nach der von ihm zu zahlenden Steuer betrachten. Überall müssen Zinszahlungen und Dividenden besteuert werden. Ein wichtiger Punkt ist die Besteuerung von Kursgewinnen. So sind in einigen Ländern Kursgewinne steuerfrei (sofern die Anlagen über eine Spekulationsfrist hinaus gehalten werden). Ein weiterer Punkt bei der Besteuerung ist die Frage, ob Quellensteuern abgezogen werden und ob diese möglicherweise abschließend sind. Ein dritter Punkt: Wie werden die Kapitalanlagen in der Bilanz des Investors behandelt? Dieser Punkt wird oft übersehen, denn viele Geldanleger müssen keine Bilanz erstellen. Bei Institutionen ist hingegen wichtig, wie die einzelnen Assets bilanziell behandelt werden, weil sich die Aufsichtsgremien an der Bilanz orientieren. Aufwand und Ertrag können andere Zahlen liefern als eine finanzmathematische Renditeberechnung. Fragen, die immer wieder gestellt werden, lauten: 1. Ist beim Kauf einer Kapitalanlage Goodwill gezahlt worden, der laufend abgeschrieben werden muss oder dessen Werthaltigkeit immer wieder zu begründen ist? 2. Dürfen die Wertpapiere zum Nominalwert bilanziert werden (oft bei Namenspapieren der Fall) oder führen Kurseinbrüche zu Abschreibungsbedarf in der Bilanz? 3. Bis zu welchem Umfang kann eine Kapitalanlage als Sicherheit für einen Lombardkredit dienen? Das Risiko wird hinsichtlich mehrer Dimensionen beurteilt: 1. Risiko im Sinne täglicher, wöchentlicher und monatlicher Kursschwankungen: Von welchen externen Faktoren hängen die Bewertung und der Kurs des Wertpapiers überhaupt ab (etwa Zinshöhe, Dollarkurs, Inflation)? Wie stark schwanken diese Faktoren typischerweise? Wie und bis zu welchem Ausmaß können diese Risiken diversiflziert werden? Welches Schwankungsrisiko (Volatilität) ist üblicherweise mit dem Finanzpapier verbunden? Ist die Volatilität konstant über die Zeit hinweg oder kann sie sich ändern?
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
13
2. Risiko im Sinne einer Korrelation von Kurseinbußen mit einem Rückgang realwirtschaftlicher Tätigkeit — Zyklizität. Kommt es zu negativen Renditen bei der Finanzanlage typischerweise zur selben Zeit, wenn es in der Realwirtschaft zu einem Wirtschaftsabschwung oder zu einer Rezession kommt und der Investor dann ohnehin schon Nachteile erleidet, weil sich sein Arbeitseinkommen reduziert (Geschäftsrückgang in eigener Firma, Gefahr für Arbeitsplatz)? Oder sind die Börsenbewertungen robust gegenüber Änderungen der Konjunktur, sind also mit ihnen unkorreliert? 3. Ausfallrisiko, Gegenparteirisiko, Kreditrisiko, Defaultrisiko: Welche Verluste können eintreten, wenn der Kapitalnehmer in Zahlungsschwierigkeiten gerät (Distress), Gläubigerschutz beantragt oder sogar Konkurs anmelden muss? Wie stark und mit welcher Wahrscheinlichkeit kann sich die jetzige Einschätzung des Kreditrisikos (Rating) unvermittelt eintrüben? Was passiert, wenn ein Mittelsmann (zum Beispiel eine Investmentbank) in Zahlungsschwierigkeiten gerät? 4. Krise: Welche Verlustgefahren sind mit der Kapitalanlage im Fall einer Wirtschaftsoder Finanzkrise des Landes verbunden? Könnte es zu einem allgemeinen „Austrocknen" des Handels an den Börsen kommen? Könnten die Banken in eine Krise geraten? Welche Möglichkeiten und welchen Willen haben die Institutionen des Landes (Regierung, Zentralbank, Kapitalmarktaufsicht) eine Krise in ihrem Land abzuwenden oder die Auswirkungen für Kapitalgeber zu mildern? 12 5. Rechtliche Risiken und Location-Risk: Gehen Unwägbarkeiten davon aus, dass die Rechtsprechung des Landes, die politische Praxis und die Stabilität der Institutionen Einfluss auf die Ansprüche des Investors haben? Welche politischen Beschlüsse und welche Instanzen könnten die an Investoren gerichteten Zahlungen zurückhalten? Welche Rolle spielt das Bankkundengeheimnis im jeweiligen Land? 6. Operational-Risk: Gibt es besondere Risiken bei der Transaktion oder dem Halten der Vermögenspositionen (Diebstahl, Formfehler beim Kauf, Bezahlung ohne Lieferung). Wo werden die Wertpapiere verwahrt (Custody)? Wo findet die Abrechnung statt, wo stehen die Computer? Schließlich sind Liquidität und Transaktionskosten wichtige Punkte bei der Entscheidung, welche Assets in das IOS aufgenommen werden. Die Fragen lauten: 1. Wie liquide ist der entsprechende Markt? 2. Kann die Liquidität überraschend verloren gehen und in welchen Situationen ist damit zu rechnen? 3. Wie hoch sind die Kosten für Kauf oder Verkauf in einer normalen Börsensituation? Zum Schluss noch die Kosten für Depot und Verwaltung: Welche Kosten ent12
Die Erfahrung zeigt, dass in Rezessionen Bonds bessere Kapitalanalagen als Aktien waren, während in Kriegszeiten und nach Kriegsende Aktien besser als Bonds waren. Auch zeigt die Erfahrung, dass die amerikanische Zentralbank (Fed) bei Krisen stets zügig und kraftvoll eingreift. In Ländern wie Norwegen und der Schweiz hat es in den letzten 100 Jahren keine Krise im Wirtschafts- oder Finanzsystem gegeben. Einige Länder, darunter Thailand, führen bei einer Krise eine unterschiedliche Behandlung heimischer und ausländischer Investoren ein (die schlechter behandelt werden). Hier gibt es sowohl hinsichtlich der Asset-Klassen als auch der Länder große Unterschiede.
14
TEIL I — GRUNDLAGEN
stehen für das Halten der Kapitalanlage? Die laufenden Kosten hängen vom Grad der Delegation, von der Komplexität der Kapitalanlage und ihrer Nutzung ab. Außerdem werden sie vom Grad der Aktivität bestimmt, mit der das Portfolio verwaltet wird. Zu den Kosten, welche Banken erheben, kommen solche für Drittpersonen, die in die Vermögensverwaltung eingeschaltet werden, beispielsweise Kosten für eine Steuerberatung. Oder eine Direktanlage erfordert die Beauftragung eines Verwalters. Schließlich kommen auch Kosten für die Beobachtung auf der Seite des Anlegers hinzu. Wer Optionen kauft, muss ihre Kursbildung praktisch börsentäglich verfolgen. Bei allen diesen Aspekten spielen neben dem Betrag, der angelegt werden kann, auch das Wissen und die Erfahrung des Investors oder seiner Ratgeber eine Rolle. Personen mit geringer Erfahrung in finanziellen Dingen schränken ihr IOS oftmals stark ein. Bei höherem Wissen und mehr Erfahrung wird das Investment-Opportunity-Set weiter gezogen. Das IOS kann sich infolgedessen im Verlauf der Jahre mit dem Lernen erweitern. So wird eine Person im Verlauf der Zeit beispielsweise über die Rendite, die mit gewissen Anlagen erwartet werden kann, genauere Schätzungen bilden. Sie fasst auf diese Weise Vertrauen und öffnet sich gegenüber weiteren Asset-Klassen. Auch die ständige Beschäftigung mit Publikationen und mit der Finanzpresse begünstigt das Lernen und gestattet es, das Investment-Opportunity-Set im Verlauf der Jahre zu erweitern. Beispiel 1-4: Hazel, eine in Wertpapieren noch unerfahrene Person, möchte die Aktien kleinerer Firmen ausschließen und nimmt neben Staatsanleihen nur heimische Blue-Chips in ihr IOS. Einige Jahre später hat sie Erfahrungen mit den Blue-Chips gesammelt. Sie zieht dann kleine Firmen und ausländische Gesellschaften in Betracht. Außerdem bezieht sie Corporate Bonds und Fremdwährungsanleihen in ihr IOS ein. • Bei der Festlegung des IOS hilft eine Liste. Als erstes sind Asset-Klassen genannt, die praktisch von allen Anlegern zugelassen werden. Sie werden oft als Kernanlagen bezeichnet. Auf den anschließenden Listenplätzen stehen Kapitalanlagen, die nur für einen kleiner werdenden Kreis von Investoren in Frage kommen: 1. Geldmarktinstrumente, Staatsanleihen in Referenzwährung. 2. Aktien großer inländischer Gesellschaften. 3. Bonds in Fremdwährung, Aktien ausländischer Gesellschaften, Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) hoher Bonität. 4. Immobilienfonds und Aktien von Immobiliengesellschaften. 5. Aktien kleinerer Firmen. 6. Wandelanleihen, strukturierte Produkte. 7. Optionen, Hedge-Funds, Terminkontrakte. 8. Private-Equity, Direktinvestitionen, Gold, Rohstoffe.
1.
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IS
9. Kunstgegenstände. Es liegt auf der Hand, dass Kunstgegenstände wie Gemälde zum IOS nur der sehr wohlhabenden Investoren gehören. Repeated Sales zeigen, dass beachtliche Wertsteigerungen möglich sind. 13
1.1.5
Asset-Allokation
Die Portfoliozusammenstellung kann auf unterschiedlich aggregierten Ebenen untersucht werden, so auf der Ebene einzelner Wertpapiere oder auf der aggregierten Ebene von Anlageklassen. Ungeachtet der Wahl der Betrachtungsebene wird statt Portfoliozusammenstellung oftmals von Asset-Allokation gesprochen, womit die Bestimmung der Gewichte bezeichnet wird, welche die im IOS noch als möglich betrachteten Assets (Einzeltitel oder Anlageklassen) im Portfolio haben sollen. Die Gewichte sind die prozentuale Aufteilung des gesamten Geldbetrags auf die Assets. Entsprechend wird statt von Portfoliomanagement von Asset Management gesprochen. Asset-Allokation bezeichnet: 1. Den Entscheidungsprozeß, der auf die Gewichtung der Komponenten des Portfolios führt. 2. Das Ergebnis dieser Entscheidung, also die betragsmäßige Zusammensetzung des Portfolios. Die Asset-Allokation kann unter einer langfristigen Perspektive erfolgen. Dann wird von strategischer Asset-Allokation gesprochen. Dabei werden die Eigenschaften berücksichtigt, welche die Assets auf lange Sicht haben. Die Asset-Allokation für einen Kunden berücksichtigt gleichermaßen dessen Ziele für die langfristige Kapitalanlage wie zum Beispiel Vermögenswachstum bei begrenztem Risiko. Die Asset-Allokation kann indessen auf die augenblickliche Börsensituation ausgerichtet sein, so in Krisensituationen oder in Phasen offensichtlicher Kursübertreibungen. Sie kann augenblickliche Wünsche des Kunden umsetzen. In diesen Fällen wird von taktischer Asset-Allokation gesprochen. •
Wenn die Asset-Allokation, egal ob strategisch oder taktisch, bei der Ebene einzelner Wertpapiere ansetzt, so wird diese untere Ebene als Bottom bezeichnet.
•
Wird die Asset-Allokation auf einer höher aggregierten Ebene behandelt, eben für Anlageklassen, so wird diese höhere Ebene als Top bezeichnet. Im Ergebnis liefert die AssetAllokation die Gewichte der Asset-Klassen.
Viele Kundenberater betrachten die Portfoliozusammenstellung als ausgeführt, sobald Gewichte für die Asset-Klassen festgelegt sind. Wird die Asset-Allokation für Asset-Klassen vorgenommen, so bleibt zunächst außer Acht, welche Einzelanlagen sich hinter einer jeden betrachteten AssetKlasse verbergen und welche Instrumente die Asset-Klasse im Portfolio repräsentieren sollen. Selbstverständlich muss das anschließend konkretisiert werden. Für die Repräsentation einer Asset-Klasse bietet sich ein Indexkontrakt oder Indexfonds an oder es wird ein Exchange Traded
13
JAMES PESANDO: Art as an Investment: The Market for Modem Prints. American Economic Review 83 (1993), 1075-1089.
TEIL I —
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GRUNDLAGEN
Fund ETF gewählt. Selbstverständlich kann die Anlageklasse ebenso durch eine Gruppe einzelner Wertpapiere repräsentiert werden. 14 Bei dieser, der auf einer oberen Ebene festgelegten Asset-Allokation nachgelagerten und gleichsam handwerklichen Entscheidung, geht man vom Top nach unten zum Bottom. Die Vorgehensweise heißt daher Top-Down-Ansatz. Umgekehrt gibt es immer wieder Anleger, die gern von einzelnen Wertpapieren ausgehen, zum Beispiel weil sie Anlagetipps erhalten haben. Sie möchten also ihr Portfolio zunächst auf der unteren Ebene von Einzelanlagen zusammenstellen. Erst anschließend untersuchen sie dann, welche Gewichte die Asset-Klassen erhalten. Diese Vorgehensweise heißt Bottom-Up-Ansatz. Das Vorgehen, sich zuerst auf wenige Asset-Klassen zu konzentrieren und anschließend, wenn die Gewichtungen der Asset-Klassen bestimmt sind, einzelne Finanzinstrumente auszuwählen, heißt Top-Down-Ansatz. Ihm gegenüber steht der Bottom-Up-Ansatz: Zuerst werden einzelne Wertpapiere ausgewählt und gewichtet. Anschließend wird gefragt, welche Gewichtungen dadurch die höher aggregierten Asset-Klassen erhalten. Professionelle Vermögensverwalter favorisieren den Top-Down-Ansatz. Denn er garantiert eher als der Blick auf einzelne Wertpapiere, dass die Eigenschaften des Portfolios hinsichtlich Rendite, Sicherheit und Liquidität klar erkannt und eingestellt werden. Der Top-Down-Ansatz umfasst in der Beratung drei Schritte: 1. Dem Kunden werden zunächst Asset-Klassen vorgestellt und ihre Eigenschaften, insbesondere Rendite und Risiko, werden besprochen. 2. Dann wird aufgrund der persönlichen finanziellen Situation und der Risikoeinstellung des Kunden eine Empfehlung abgeleitet, wie er sein Finanzvermögen auf diese Asset-Klassen aufteilen sollte. Dies wird mit dem Kunden erörtert. 3. Für die Art, in der die Asset-Klassen dann durch Einzelanlagen repräsentiert werden soll, wird dem Kunden erst anschließend ein Vorschlag unterbreitet, der ihm per Brief mitgeteilt wird. Anleger schätzen hingegen den Bottom-Up-Ansatz, weil er von einzelnen Wertpapieren ausgeht und so den Vorteil des Konkreten und Anschaulichen bietet. Zudem offerieren Zeitschriften und Fernsehsendungen ebenso wie die medialen Einrichtungen in den Banken (Analysten) und deren Periodika Anlagetipps, die überwiegend einzelne Wertpapiere betreffen. Keine Bank kann den Kundenwunsch nach Kauflisten unberücksichtigt lassen. Da interessiert wenig, dass ein aufgrund 14 In der Praxis der Vermögensverwaltung wird so verfahren, dass bei einer Finanzanlage im Bereich bis zu einer Million Euro auf Fonds zurückgegriffen wird, und zwar sowohl für Cash, als auch für Bonds und Aktien. So besteht ein Portfolio im Gesamtwert von €200.000 vielleicht nur aus drei Fonds, einem Geldmarktfonds, einem Rentenfonds und einem Aktienfonds. Bei Vermögen, die deutlich über einer Million liegen, wird der Top-Down-Ansatz hingegen so umgesetzt, dass die drei Asset-Klassen zunächst etwas verfeinert werden. Meist ist das Portfolio auch internationaler ausgerichtet. Für die Repräsentanz werden dann Fonds oder einzelne Wertpapiere gewählt. Die AssetKlasse Cash wird also weiterhin durch einen Geldmarktfonds repräsentiert. Der für Anleihen vorgesehene Betrag wird auf die Währungsgebiete von Euro, Dollar, Franken und Yen verteilt. Es wird entschieden, ob ausschließlich Staatsanleihen oder auch Corporate Bonds gekauft werden sollen. Ähnlich wird der für Aktien vorgesehene Betrag auf Branchen verteilt, eventuell weiter differenziert nach der Untemehmensgröße und nach dem Merkmal Value versus Growth. Danach werden, dem Top-Down-Ansatz noch eine Stufe nach unten folgend, Fonds, Indexzertifikate und einzelne Wertpapiere gewählt.
1.VERMÖGENSVERWALTUNG
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von Tipps sukzessiv zusammengestelltes Portfolio am Ende vielfach nicht auf eine Gewichtung von Asset-Klassen führt, die mit der Situation und Präferenz des Anlegers harmoniert. Meistens können die beim Bottom-Up-Ansatz entstandenen Portfolios nicht einmal hinsichtlich der drei Eigenschaften Rendite, Sicherheit, Liquidität beurteilt werden, weil zu viele Einzeltitel wie in einem Fleckerlteppich keine Struktur erkennen lassen. 15 •
Im Vergleich von Top-Down-Ansatz und Bottom-Up-Ansatz gibt es einen Zielkonflikt zwischen Finanzberatern und Finanzanalysten. Jeder Berater möchte dem Kunden eine Asset-Allokation vorschlagen, die hinsichtlich Rendite, Sicherheit und Liquidität auf die persönliche Situation und Präferenzen abgestimmt ist. Die Gewichte der Anlageklassen zeigen, welche Rendite, Sicherheit und Liquidität das Portfolio bietet. In der Kundenberatung dominiert daher klar der Top-Down-Ansatz. Die nach dem Top-Down-Ansatz vorgenommene Asset-Allokation ist auf die Person des Anlegers zugeschnitten. Die entsprechenden Überlegungen und die resultierende Asset-Allokation sind daher kaum auf andere übertragbar und für die Medien folglich wenig interessant.
•
Finanzanalysten haben andere Zielsetzungen. Sie wollen Wertpapiere wie etwa Aktien dahingehend prüfen, ob sie als attraktiv einzustufen sind. Analysten müssen Kauflisten erstellen und ihre Arbeit durch die Performance der Empfehlungen rechtfertigen. Irrelevant für sie ist, ob ein konkreter Anleger angesichts seiner persönlichen Situation und seiner Präferenzen sich überhaupt und, wenn ja, mit welchem Gewicht in den beurteilten Wertpapieren engagieren sollte. Da die Empfehlungen der Analysten sich ganz allgemein an Investoren wenden, eignen sich die Reporte für die Medien. 16 Aufgrund der Vorliebe von Privatanlegem für die Selektion einzelner Wertpapiere ist bei sehr großen Banken durch die Organisation oftmals neben dem Top-Down-Ansatz ein Bottom-Up-Ansatz ausgebaut. In der Kundenberatung wird der Top-Down-Ansatz gepflegt. Hier steht die Ermittlung der kundenindividuellen Gewichte der (strategischen) Asset-Klassen im Vordergrund. Wie die Asset-Klassen durch Einzelinstrumente konkretisiert werden, hat dort zweitrangige Bedeutung. In der Finanz- und Wertpapieranalyse der Bank wird dem Bottom-Up-Ansatz Vorschub geleistet, weil Kauflisten erstellt werden. Große Banken unterstreichen mit Analystenreporten und mit Empfehlungen auf der Ebene einzelner Titel ihre Kompetenz.
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Der Autor begutachtete einmal das Portfolio eines Privatinvestors, der 2.000 verschiedene Aktien und Bonds im Depot hielt. Das Portfolio war zerfleddert und intransparent. Niemand konnte sagen, welche Eigenschaften es hatte. 16 Aufgrund der Fokussierung auf einzelne Märkte und einzelne Titel kann sich der Analyst stark spezialisieren. Analysten spezialisieren sich entweder auf gewisse Währungen (bei Bonds) oder Sektoren (bei Aktien). Ihre Vorschläge fließen dann in Publikationen zusammen. Schafft es ein Analyst nie, Titel aus seinem Bereich auf die Kaufliste der Bank zu bringen, dann erscheint er in der Organisation bald als überflüssig. Die Kauflisten sind deshalb mitunter das Ergebnis der internen Durchsetzungsfähigkeit der Analysten und nicht unbedingt das Ergebnis eines nach dem Top-Down-Ansatz konkretisierten Musterportfolios.
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TEIL I —
GRUNDLAGEN
Mittelgroße Banken haben keine eigene Finanzanalyse. Der Kunde wird dort vor allem nach dem Top-Down-Ansatz der Kundenberater bedient. Die Banken zeigen Musterportfolios, die durch ihre jeweilige prozentuale Zusammensetzung aus den Asset-Klassen definiert sind. Dabei wird die Aktienquote in den Vordergrund gestellt. Die Argumentation lautet, dass mit höherer Aktienquote die Renditeerwartung steigt, aber auch die Risiken zunehmen. Liquidität wird kaum thematisiert, weil an eine Umsetzung mit börsennotierten Wertpapieren gedacht wird, für die von hoher Liquidität ausgegangen wird. So werden oftmals fünf Musterportfolios in den Raum gestellt, die Namen wie Festverzinslich, Einkommen, Ausgewogen, Wachstum und Equity tragen. Die jeweiligen Aktienquoten liegen bei 5%, 35%, 45%, 60% und 90%. •
Für Kunden mit geringer Risikotragfähigkeit oder geringer Risikotoleranz eignen sich die mit Einkommen oder mit Ausgewogen bezeichneten Asset-Allokationen.
•
Für Anleger mit höherer Risikotragfähigkeit und höherer Risikotoleranz werden die Asset-Allokationen Wachstum und Equity empfohlen.
Die mittelgroßen Banken geben dann periodisch aktualisierte Empfehlungen, wie die (vier) Musterportfolios durch konkrete Einzeltitel umgesetzt werden sollten.
1.1.6 Cash, Bonds, Equity Wie viele und welche Asset-Klassen betrachtet werden, hängt von den Bedürfnissen des Investors ab, von der Art der zu treffenden Entscheidung oder von dem Bericht, der zu erstellen ist. Wir hatten bereits eine Klassifikation in die vier Anlageklassen Festverzinsliche, Immobilien, Aktien und Rohstoffe besprochen. Oft werden sogar nur drei Asset-Klassen betrachtet: 1. Geldmarktinstrumente (kurz: Cash oder Liquidität), 2. Anleihen (Bonds) und 3. Aktien (Equity). Dann legt beim Top-Down-Ansatz die Asset-Allokation fest, wie viel Prozent seiner Mittel der Anleger als Cash halten sollte und wie viel er in Bonds und in Aktien investiert. Die AssetAllokation ist daher durch zwei Prozentzahlen bereits gegeben. Die erste gibt den Anteil des Gesamtbetrags an, der als Cash gehalten wird. Die zweite gibt den Anteil des Gesamtbetrags an, der in Aktien gehalten wird. Sie heißt Aktienquote. Aus dem Anteil Cash und der Aktienquote ergibt sich der restliche Vermögensteil, der dann für Renten verwendet wird. 17 Wie werden diese beiden Gewichte (Anteil Cash, Anteil Aktien) bestimmt? Der Anteil Cash dient dazu, unvorhergesehenen Geldbedarf zu decken, ohne dass Transaktionskosten anfallen. Unvor17 Wer die Asset-Klassen Aktien, Bonds und Cash betrachtet, der weiß, dass Aktien und Bonds zwar liquide Wertpapiere sind, aber dennoch für das Halten und für den Kauf und Verkauf höhere Kosten anfallen als etwa bei Geldmarktinstrumenten (Cash). Auch können die Bondrenditen von Jahr zu Jahr etwas schwanken, weil sich die Zinsen ändern. Bonds sind daher, gerade auf die kurze Sicht, etwas riskanter als Cash, aber lange nicht so riskant, wie es Aktien sind. Dafür haben auf längere Sicht Bonds höhere mittlere Renditen, als sie Cash bietet.
1.
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hergesehener Geldbedarf kann durch Lebensereignisse (Krankheit, Scheidung, Tod), Änderungen des Arbeitseinkommens (etwa: plötzlicher Wunsch nach Frühpensionierung) und ungeplante Konsumwünsche (beispielsweise für den Kauf einer Ferienwohnung) entstehen. Je höherer unvorhergesehener Geldbedarf entstehen kann, desto höher muss der Anteil Cash sein. Ein hoher Anteil von Cash empfiehlt sich, wenn der Kunde Flexibilität wünscht und wenn er absehbaren oder einen unvorhergesehenen Bedarf an Geld haben könnte, etwa weil Steuerzahlungen anstehen, Ereignisse eine Änderung der Lebensumstände verlangen, oder weil aufgrund seines Charakters mit ungeplanten Konsumwünschen zu rechnen ist. Der empfohlene Anteil an Aktien hängt von zwei Faktoren ab. •
Erstens kommt es auf die persönliche Risikotragfähigkeit an, die durch die finanzielle Situation des Investors bestimmt ist. Dazu gehören das sonstige Vermögen und Einkommen sowie der Anlagehorizont.
•
Zweitens kommt es auf die Risikotoleranz des Anlegers an, die durch seine persönliche Einstellung gegenüber der Unsicherheit sowie durch die Erfahrung mit Geldanlagen geformt wird.
Die Risikotragfähigkeit ist durch die finanzielle Situation bestimmt. Stichworte hierzu sind: sonstiges Vermögen (Immobilien, Beteiligungen, Humankapital, Rentenansprüche), weitere Einkommensquellen, Anlagehorizont. Die Risikotragfähigkeit bestimmt, in welchem Umfang und welche Risiken der Investor bei objektiver Sicht tragen kann, ohne dass, falls es zu abträglichen Entwicklungen bei den Kapitalanlagen kommen sollte, er seinen Lebens- und Konsumplan wesentlich ändern muss und dadurch Nachteile hat. Die Risikotoleranz entspricht einer persönlichen Nutzenvorstellung und drückt aus, wie stark das subjektive Wohlbefinden des Investors unter Risiko und Unsicherheit leidet („schlaflose Nächte") und wie stark er sich durch den Gedanken beeinträchtigt fühlt, vielleicht zu viel an Risiko eingegangen zu sein. Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz bestimmen die Aktienquote des Investors. Beide Einflussgrößen beschränken die mögliche Aktienquote. Einem Anleger muss eine eher sichere AssetAllokation empfohlen werden, wenn die Risikotragfähigkeit oder die Risikotoleranz gering ist. Eine risikoreichere Asset-Allokationen kann nur empfohlen werden, wenn Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz hoch sind. Für den restlichen Teil des anzulegenden Finanzvermögens werden Bonds vorgeschlagen. Diese drei Aspekte der Situation und Persönlichkeit des Kunden — Geldbedarf, Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz — werden vom Berater erhoben. Sie legen die AssetAllokation fest. Das Rezept: Das Maß an Unwägbarkeiten hinsichtlich des Geldbedarfs legt den Cash-Anteil fest. Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz bestimmen den Aktienanteil. Der Rest wird in Bonds angelegt.
TEIL I — GRUNDLAGEN
20
Beispiel 1-5: Auch wenn der Tod des Onkels seines Stiefvaters Trauer auslöst, freut sich Franz, weil er als Alleinerbe eingesetzt ist. Franz hat als Lackierer ein einfaches Leben und wird nun 1.000.000 Euro erhalten. Er geht zur Bank, denn Arbeitskollegen haben empfohlen, für die Million australische Minenaktien zu kaufen. Doch die Finanzplanung ist ernüchternd. Weil der Verstorbene nur ein entfernter Verwandter war, ist eine hohen Erbschaftssteuer abzusehen. Da Franz sich nie viel im Leben hat leisten können, dürften zudem Konsumwünsche kommen. So müssen €700.000 in Cash angelegt werden. Hinsichtlich des Restes von €300.000 schlägt der Berater eine Aktienquote von einem Drittel vor. Denn Franz hat nur geringe finanzielle Erfahrung und noch nie einen Börsencrash durchlitten. So bleiben gerade €100.000 für eine Anlage in Aktien. •
Zusammenfassend: 1. Der geplante Geldbedarf sowie Unwägbarkeiten hinsichtlich weiteren Geldbedarfs aufgrund von Lebenssituation und Lebensführung legen den erforderlichen Cash-Anteil fest. 2. Die Risikotragfähigkeit (objektiv bestimmbare finanzielle Situation) und die Risikotoleranz (subjektive Einstellung und Erfahrung des Kunden) legen die Aktienquote fest. 3. Der Rest der Mittel wird für Renten vorgesehen. In wissenschaftlichen Untersuchungen zur Portfoliotheorie werden vielfach sogar nur zwei Asset-Klassen betrachtet. Eine ist die risikofreie Anlage — womit bei einem Anlagehorizont eines Jahres Cash und kurzlaufende Staatsanleihen gemeint sind oder, bei einem Anlagehorizont einiger Jahre, auch länger laufende Bonds. Die zweite Asset-Klasse wird kurz als risikobehaftet bezeichnet. Damit sind bei einem Anlagehorizont von einem Jahr Aktien und Bonds gemeint, bei einem Anlagehorizont mehrerer Jahre hingegen nur Aktien. Werden nur diese zwei Anlageklassen betrachtet, dann ist die Asset-Allokation vollständig durch eine einzige Prozentzahl bestimmt, die Aktienquote.
1.2 Prozesse und Arbeitsteilung Lernzeile: 1. Die Vorgehensweise der Vermögensverwaltung. 2. Spezialisierung und Arbeitsteilung, Berufe.
1.2.1 Portfoliomanagement
als Prozess
Damit sind wichtige Aufgaben im Portfoliomanagement identifiziert. Selbstverständlich können durch die Gesetzgebung weitere hinzukommen, etwa die Pflicht zur Klärung der Herkunft der Gelder durch die Bank, die Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten und die Risikoaufklärung von Kunden. Hier sind drei wichtige Aufgaben: 1. Der Portfoliomanager oder ein Anlageberater
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
21
werden zunächst das IOS eines Kunden bestimmen. Bisherige Erfahrungen des Kunden mit der Geldanlage werden thematisiert. Je größer die Erfahrungen in finanziellen Dingen sind, desto weiter kann das IOS gezogen werden. Bei dieser Gelegenheit wird auch eine Risikoaufklärung des Kunden vorgenommen. Es wird veranschaulicht, mit welchen Kursentwicklungen und Kursschwankungen bei den einzelnen Asset-Klassen in einem Jahr zu rechnen ist. Außerdem wird vor Augen geführt, was in Krisen passieren kann. Sodann wird der Berater den abzusehenden Geldbedarf festhalten und den unvorhergesehenen Geldbedarf abwägen. So kann beispielsweise eine Steuer auf eine Erbschaft noch ausstehen. Hierzu wird das Maß an Unwägbarkeiten hinsichtlich der Lebenssituation und Lebensführung geschätzt. Beides legt den erforderlichen Cash-Anteil fest. Anschließend wird der Anlageberater die persönliche Aktienquote des Kunden bestimmen. Die finanzielle
Situation (Risikotragfähigkeit) wird erkundet und die persönliche Risikotoleranz er-
hoben. Die mögliche Aktienquote ist durch das Minimum von Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz festgelegt. Eine höhere Aktienquote setzt daher voraus, dass sowohl die Risikotragfähigkeit als auch die Risikotoleranz entsprechend hoch sind. Mit dem Cash-Anteil und dem Aktienanteil ergibt sich der restliche Anteil der Mittel, die in Bonds angelegt werden. So ist die persönlich richtige Asset-Allokation hinsichtlich der drei Asset-Klassen Cash, Bonds und Aktien gefunden.
Bild 1-3: Welche Instrumente kommen in Frage und wie werden ihre Rendite, Sicherheit und Liquidität beurteilt? Welche Präferenzen hat der Anleger?
Bei Erstgesprächen werden strukturierte Interviews eingesetzt. Dem neuen Kunden werden Fragen gestellt, die über die (objektive) Risikotragfähigkeit und die (subjektive) Risikotoleranz Auskunft geben. Das sind Fragen nach dem Zeithorizont des Investors, nach seinem Schutzbedarf,
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TEIL I —
GRUNDLAGEN
dem Bedarf hinsichtlich von Entnahmen und dem Wunsch nach Flexibilität bei der Lebensgestaltung. Weiter werden die Erfahrungen in finanziellen Dingen thematisiert. Das ist nicht immer einfach, schon weil es sich bei dem Investor im ersten Gespräch vielleicht um eine einzelne Person handelt, dann um ein Ehepaar, und beim dritten Gespräch kommen Kinder dazu und haben ganz andere Vorstellungen. Im Regelfall ist der Berechtigte eine Familie und so muss die Governance der Familie besprochen werden: Wer darf Aufträge erteilen, wer ist bevollmächtigt? Der Kundenberater macht Aufzeichnungen, und bespricht alle diese Punkte und die anschließende Bestimmung der Risikotoleranz mit dem Kunden. Anschließend wird die gefundene Asset-Allokation, also die Gewichtung der drei Asset-Klassen Cash, Bonds, Aktien, vom Berater dem Kunden erläutert und begründet. Dann wird angedeutet, aber nicht im Detail besprochen, wie die drei Asset-Klassen dann im Portfolio konkretisiert werden, also ob dazu Anlagefonds, Indexzertifikate, ETFs oder einzelne Wertpapiere herangezogen werden. Hierbei kommt es auf die Höhe des Vermögens sowie auf Wünsche des Kunden an. Ein weiterer, wichtiger Punkt in der Vermögensverwaltung ist der Umfang an Delegation. •
Einige Kunden wünschen, dass die Bank alles weitere selbst entscheidet und für die weiteren Entscheidungen die Verantwortung übernimmt und die ergriffenen Maßnahmen und ihre Ergebnisse später rechtfertigt (Mandatskunde). Diese Kunden können die Kapitalanlagen ein Jahr oder länger laufen lassen, ohne dass sie sich vielleicht über den aktuellen Wert des Portfolios informieren oder überhaupt in Kontakt mit der Bank treten.
•
Andere Kunden möchten, dass praktisch alle Entscheidungen bei ihnen selbst verbleiben. Sie wollen von der Bank lediglich Informationen und Anregungen erhalten, eventuell auch die Möglichkeit haben, telefonisch Rat einholen zu können (Direktanleger).
Die Grundfrage ist, ob alles delegiert werden sollte oder ob der Kunde nur Informationen über die Marktsituation erhält und ansonsten alle Transaktionen selbst eingibt. Größere Banken bieten Varianten der Delegation, die zwischen der des Mandatskunden und des Direktanlegers liegen. Ungeachtet wer das Portfolio führt, die Bank oder der Kunde, stellt sich noch die Frage nach der Häufigkeit sowie der Art und Weise, in der Anpassungen vorgenommen werden sollen. Vor allem geht es um den Grad an Aktivität, mit der das Portfolio verändert wird. Sollen die Geldanlagen nicht passiv sich selbst überlassen bleiben, dann kommt die Frage auf, nach welchem Stil vorgegangen werden soll, wenn das Portfolio aktiv verändert wird. Der Anlagestil ist eine Methode, ein Schema, nach dem Informationen in Transaktionen übersetzt werden. Die methodische Vorgehensweise erlaubt es, später die Güte und Wirksamkeit des Anlagestils zu validieren. Nach diesen Vorüberlegungen beginnt die eigentliche Aufgabe des Portfoliomanagements. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden angelegt. Beim Erstkauf von Wertpapieren wird meistens mit Limiten gearbeitet — es kommt nicht auf den Tag an. Wenn das Portfolio dann einmal aufgebaut ist, wird es laufend beobachtet. Nach Veränderungen im Markt ist die Asset-Allokation
1.VERMÖGENSVERWALTUNG
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dahingehend zu prüfen, ob sie immer noch unter Einhaltung des kundenspezifisch erlaubten Risikos eine möglichst hohe Rendite erwartet lässt. Ebenso ist das vorgesehene Maß an Liquidität zu kontrollieren. Die Asset-Allokation und die Zusammensetzung des Portfolio müssen deshalb dann und wann angepasst werden: Je nach gewünschter Aktivität wird der Portfoliomanager monatlich in einem Anlageausschuss taktische Maßnahmen planen. Möglicherweise — das hängt vom Delegationsvertrag ab — wird er den Inhaber des Portfolios von geplanten Änderungen unterrichten oder vor Umsetzung taktischer Maßnahmen eine Genehmigung des Kunden einholen. Periodisch wird berichtet: 1. Portfoliomanager und Kundenberater werden ihren Kunden Informationen zukommen lassen, etwa zur aktuellen Lage an den Kapitalmärkten. 2. Portfoliomanager und Kundenberater werden bis zu viermal jährlich jedem Kunden persönlich über das Erreichte berichten (Performancebericht). 3. Eine unabhängige Stelle mit juristischer Kompetenz prüft, ob der Portfoliomanager den Auftrag eingehalten hat. Der Prüfungsbericht wird parallel zum Performancebericht dem Kunden zugeleitet. Bei einem institutionellen Investor (Stiftung, Pensionskasse, Versicherung) wird ähnlich vorgegangen. Zunächst wird die Risikotragfähigkeit ermittelt, vor allem im Hinblick auf Verpflichtungen, die aus dem Anlageergebnis zu bedienen sind. Die Fragen lauten: 1. Welche gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen müssen bindend aus dem Anlageergebnis erfüllt werden? 2. Welche zusätzlichen Leistungen (Überschüsse) hat der institutionelle Investor seinen Kunden in Werbeprospekten und Rechenbeispielen in Aussicht gestellt? 3. Welche Nachteile entstehen, wenn die Garantien oder die in Aussicht gestellten Leistungen nicht erfüllbar sind? Welche Prüfungen nehmen Aufsichtsbehörden vor? Bei der subjektiven Risikotoleranz eines institutionellen Investors ist nicht die Psyche des Managers oder des Beirats maßgeblich. Für den Institutionellen hängt die Aktienquote davon ab, welche objektivierbaren Nachteile eintreten, wenn es beim Portfolio zu negativen Entwicklungen kommen sollte. Möglicherweise leidet der Außenauftritt gegenüber eigenen Kunden und gegenüber den Medien, oder die Aufsicht verhängt Strafen. Diese Nachteile sind objektivierbar. Sie bestimmen, wie nachteilig eine Verfehlung der Anlageziele wäre. Auch beim institutionellen Investor ist die mögliche Aktienquote folglich durch das Minimum von Risikotragfähigkeit (finanzielle Situation) und Risikotoleranz bestimmt, nur ergibt sich die Risikotoleranz aus den objektivierbaren Nachteilen, die bei einem Verfehlen der Anlageziele eintreten. Die Charakteristika des privaten Investors dürften über einige Jahre hinweg unverändert bleiben. Die Asset-Allokation könnte deshalb einmal vorgenommen werden und das Portfolio wäre für einige Zeit zielgerecht und passend (strategische Asset-Allokation). Indessen ändern sich die Merkmale der einbezogenen Wertpapiere laufend — die Renditeerwartungen, die Risiken und auch die Liquidität. Die Börsensituation ist immer wieder neu zu beurteilen. Der Portfoliomanager wird dazu laufend neue Informationen berücksichtigen, und volks- und betriebswirtschaftli-
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TEIL I — GRUNDLAGEN
che Analysen berücksichtigen. Dadurch können sich Abweichungen von der strategischen AssetAllokation empfehlen; es wird eine taktische Asset-Allokation vorgenommen.
Bild 1-4: Das Portfoliomanagement ist neben der Beratung Teil der Vermögensverwaltung. Banken kombinieren das Leistungsbündel mit dem Service des Custody — der sicheren Verwahrung von Wertpapieren.
Außerdem ändern sich mit den Jahren Situation und Einstellung des Kunden. Überdies kann es überraschende Anlässe geben, etwa der Tod eines Ehepartners, wodurch eine neue (strategische) Asset-Allokation verlangt wird. Abgesehen von Sonderanlässen wird der Kundenberater daher im Rhythmus einiger Jahre prüfen, ob die Spezifika des Kunden, insbesondere die finanzielle Situation, eine Anpassung der Asset-Allokation verlangen. Es wurde bereits erwähnt, dass einige Kunden mit den Erfahrungen eine Erweiterung des IOS wünschen und vielleicht sogar risikotoleranter werden. Auch dadurch sind Anpassungen der Asset-Allokation über die Jahre hinweg erforderlich. Für diese Punkte werden Anlageberater immer wieder Kundengespräche führen. Das Portfoliomanagement oder Asset Management ist daher eine Aufgabe, die nicht nur einmalig bei der Wahl ersten Asset-Allokation besteht und eventuell bei der Repräsentanz der Asset-Klassen durch Einzelanlagen. Das Portfoliomanagement verlangt eine laufende Überprüfung des Portfolios und seiner Eigenschaften. Immer wieder sind Modifikationen vorzunehmen. Zudem wünschen einige Investoren, dass durch Taktik versucht wird, die jeweilige Marktsituation auszunutzen und so eine bessere Performance zu erreichen. Portfoliomanagement (Asset Management) = Zusammenstellung, Beobachtung, Überwachung und die gelegentliche Änderung von Portfolios und der wichtigsten Portfolioeigenschaften (Wert, Rendite, Sicherheit, Liquidität) im Auftrag und im Kontakt mit dem Kunden.
1. V E R M Ö G E N S V E R W A L T U N G
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Das Portfoliomanagement ist eine wichtige Aufgabe im Wirtschaftsleben. Denn es bildet nicht nur die Basis für die Kapitalanlage privater und institutioneller Investoren. Portfoliomanagement ist überall wichtig, wo Risiken bewältigt werden müssen und mit dem Risiko gleichzeitig die Rendite gesteuert werden soll. Portfoliomanagement ist also grundlegend für die Führung einer Unternehmung, die als Portfolio aus Geschäftseinheiten gesehen werden darf, dessen Zusammensetzung durch Verkäufe von Unternehmensteilen und Akquisitionen geändert werden kann.
1.2.2
Spezialisierung
Die Arbeitsteilung im Berufsleben bewirkt, dass sich die im Portfoliomanagement und allgemein in der Vermögensverwaltung tätigen Fachkräfte spezialisieren. Bei Vermögensverwaltungen (Banken, Versicherungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) wird heute vor allem eine Trennung zwischen Anlageberatung und Portfoliomanagement praktiziert. Sie folgt einer wissenschaftlichen Erkenntnis, der Tobin-Separation (Kapitel 8). Danach können gewisse Basisportfolios als Grundbausteine optimal zusammengestellt werden, ohne dass man die Situation und die Präferenzen des Kunden genau kennt. Unter Beachtung der persönlichen Kundenmerkmale (Geldbedarf, Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz) können dann die Basisportfolios auf recht einfache Weise individuell angepasst werden. Die Erhebung der persönlichen Merkmale eines Kunden und die entsprechende Anpassung der Basisportfolios, wird vom Kundenberater ausgeführt. Das Management der Basisportfolios ist die Aufgabe der Portfoliomanager.
Events
Steueroptimierung Nachlass Positionierung von Financial Consulting ^
Kundentypen
Allfinanz o
·
φ o Life Cycle
o
° o
· °
— Fondsprodukte
O
\
Nachfolgeregelung
Bild 1-5 : Drei Typen von Beratung und Beratungspaketen haben sich als Standards herausgebildet. 1. Die Anlageberatung, etwa als ein Erstgespräch mit einem vierzigjährigen Neukunden. 2. Die Finanzplanung, etwa fur einen Fünfzigjährigen, der den Vorruhestand plant. 3. Das Wealth Management, verstanden als Begleitung eines vielleicht sechzigjährigen, wohlhabenden Kunden.
Die Spezialisierung fördert die Professionalität, mit der die beiden Aufgaben ausgeführt werden. 18 Daher bewirkt diese Arbeitsteilung eine höhere Qualität der Vermögensverwaltung und ist 18 Nur in wenigen Ländern ist es noch Tradition, dass in Banken tätige Portfoliomanager zugleich die Funktionen der Anlageberatung und Kundenbegleitung übernehmen.
TEIL I — GRUNDLAGEN
26
allemal einer Situation vorzuziehen, in der „Allroundgenies" versuchen, alle Funktionen selbst auszuführen. Die Best-Practice: Anlageberater akquirieren Kunden, beraten sie und bieten eine Begleitung über Jahre hinweg. Basisportfolios als Grundbausteine werden von ihnen für Kunden individuell kombiniert und angepasst. Portfoliomanager besorgen sich Marktinformationen, stellen Portfolios zusammen und führen sie, managen die erwähnten Basisportfolios, berichten über die Performance und kontrollieren ihren Anlagestil. Fallweise werden Anlageberater für ihre Aufgaben Spezialisten hinzuziehen, so etwa bei einer finanziellen Planung des Vorruhestands, bei Nachlassregelungen, oder wenn der Kunde weitergehende finanzielle Dienstleistungen wünscht, etwa Finanzierungen. Auch Portfoliomanager werden dann und wann Spezialisten hinzuziehen, beispielsweise indem sie einen Einzelauftrag für das Management eines Teilsegmentes erteilen oder wenn sie Daten benötigen, etwa Renditeschätzungen, die ihnen andere Fachkräfte liefern. Das Ziel der Anlageberater ist, für die betreuten Kunden einen nachhaltigen Weg der Vermögensmehrung einzuschlagen und dabei die in einem Finanzplan festgehaltenen Wünsche zu verwirklichen. Keine Angst: Anlageberater wollen nicht — wie dies früher gelegentlich der Fall sein mochte — Kunden fangen und ihnen etwas verkaufen. Schon gar nicht wollen sie Kunden dazu führen, Börsentipps nachzulaufen und zu versuchen, den „Markt zu schlagen". Allerdings ist immer wieder thematisiert worden, dass Anlageberater jenen Basisportfolios und Produkten als Grundbausteinen den Vorzug geben, die sie gut kennen, weil sie aus dem eigenen Haus stammen und von hausinternen Portfoliomanagern erstellt werden. Viele Anlageberater erbringen neben den genannten Dienstleistungen, die unmittelbar mit den finanziellen Aspekten der Vermögensverwaltung und der finanziellen Tätigkeit des Kunden zu tun haben, noch einen weiteren Service, einen Extraservice. 1. Es beginnt mit kleineren Geschenken, die Berater ihren Kunden machen: Der Kalender, der Füllfederhalter. 2. Viele Kunden schätzen Anlässe, so etwa Vorträge oder Begegnungen mit Künstlern, zu denen sie von ihren Anlageberatern eingeladen werden. 3. Anlageberater werden auch bei besonderen Ereignissen, etwa dem Kauf einer Ferienimmobile oder eines Kunstwerkes, auf Wunsch des Kunden mit Informationsbeschaffungen und Beratungen zur Seite stehen. 4. Diese Dienstleistungen können bis zur Assistierung der sehr wohlhabenden Kundschaft bei der persönlichen Lebensgestaltung gehen. Eine weitere Gruppe von spezialisierten Personen im Umfeld von Anlageberatung und Portfoliomanagement konzentriert sich auf das volkswirtschaftliche Research (Länder, Branchen, Währungen) und die betriebswirtschaftliche Finanzanalyse (von einzelnen Aktien und Corporate Bonds). Analysten beliefern mit ihren Studien direkt die Anlageberatung (für Direktanleger, die
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
27
Finanzanalysen nachfragen) und vor allem das eigene Portfoliomanagement. Zum Teil beliefern Analysten mit ihren Reporten auch andere Banken. Viertens ist der Handel zu nennen. Wer Kauf- und Verkaufsaufträge in das Handelssystem eingibt, entwickelt eine spezielle Expertise: Es müssen die sich bietenden Opportunitäten und die Marktsituation des Augenblicks erfasst werden. Das verlangt, schnell zu sein. Wer die damit einhergehende Handelsmentalität entfaltet, wird auf kurzfristige Trends achten: Wie schnell könnte eine Kapitalanlage wieder veräußert werden? Wie schnell könnte die Stimmung drehen? Kundenberater werden direkt die Händler anrufen, wenn ein Geschäft es verlangt, dem Kunden augenblickliche Konditionen zu nennen. Es gibt heute eine Arbeitsteilung zwischen Portfoliomanagement einerseits und Research und Finanzanalyse andererseits. Heute nimmt der Portfoliomanager die fertigen Analysen entgegen und beurteilt, was sie für die von ihm betreuten Portfolios bedeuten. Der Portfoliomanager wird den Analysen und Berichten auch entnehmen, wie er die vorgenommenen Änderungen an den Portfolios den Kunden gegenüber begründet.
1.2.3
Berufe
Das Portfoliomanagement bedingt demzufolge verschiedene Funktionen oder Aufgaben. Es haben sich für sie mehrere Berufe herausgebildet. Hier sind sie nochmals zusammengestellt: 1. Kunden beraten: Private wie institutionelle Anleger werden über die Möglichkeiten für die Geldanlage orientiert, es wird ihnen die persönliche Situation vor Augen geführt, und Präferenzen werden erhoben. Finanzberater leiten daraus Ziele ab, und stellen einen persönlichen Finanzplan auf. Wer kann diesen Beruf ergreifen? Kundenberater bauen Vertrauen auf, pflegen den Kontakt, lassen soziale Verbindlichkeit und Treue walten. 2. Die Zusammensetzung des Portfolios laufend beurteilen·. Dazu werden Rentabilitäten betrachtet, Risiken beobachtet und die Entscheidungen aus der Perspektive der Vorgaben des Anlegers getroffen. Diese Aufgaben werden von Portfoliomanagern ausgeführt. Sie entwickeln die Fähigkeit, in Finanzkategorien zu denken. Sie können Renditen, Risiken und Diversifikationsmöglichkeiten sehen. Außerdem müssen sie laufend vergleichen. Dazu machen sie sich die Sicht des Marktes zu eigen und bewerten alles im Licht der Marktteilnehmer. Ihr Denken ist durch die Moderne Portfoliotheorie und quantitative Ansätze geprägt. 3. Transaktionen ausfiihren: Portfoliomanager legen die Asset-Allokation fest. Sie führen aber nicht unbedingt die erforderlichen Käufe und Verkäufe von Wertpapieren selbst aus. Denn dazu braucht man eine eigene Mentalität, die des Händlers. Der Händler ist schnell und kann situativ agieren. Bei Transaktionen helfen Makler, Market-Maker, Broker. 19 19 Ein Makler koordiniert Nachfrage und Angebot von Personen, die nicht direkt in eine Transaktion eintreten können, beispielsweise weil sie nicht einmal die Transaktionsbereitschaft anderer Personen kennen. Ein Makler sammelt Informationen Uber Angebot und Nachfrage, bringt zwei Parteien zusammen und schlägt einen Vertrag vor. Ein Makler ist aber selbst nicht transaktionsbereit. Ein Market-Maker tritt stets als Gegenpartei ein. Will jemand
28
TEIL I — GRUNDLAGEN
4. Für die möglichen Anlageinstrumente zu erwartenden
— Anleihen, Aktien, Währungen, Rohstoffe — die
Renditen und die Risiken schätzen: Die Schätzung von Renditen bildet
die Grundaufgabe im Research und in der Finanzanalyse. Hier werden volkswirtschaftliche Daten (Zinsniveau, Wachstumsrate, Inflation) erhoben, Unternehmen besucht, Bilanzen gelesen, und alles wird zu Berichten verdichtet. Das geschieht nicht ohne die statistische Auswertung von Daten. 5. Jede einzelne Kapitalanlage
für sich wirtschaftlich
einsetzen: Eine Immobilie erfordert
einen Verwalter, eine Unternehmung verlangt Führung. Die Frau oder der Mann an der Spitze muss anhand realer Objekte — das Haus, der Betrieb, die Konstruktion — Visionen entwickeln und diese durch Vorbild und Anweisungen in umsetzen. Führung verlangt eine empathische, oft parteiliche Persönlichkeit. Führungskräfte setzen mit „ihren Leuten" um, woran sie „glauben".
Beruf
Anforderung
Begabung
Kundenberater
Die Kunden orientieren, ihre Situation erheben, sie beraten und begleiten, Finanzplanung, Wealth Management
Soziale Kompetenz und finanzielles Grundwissen
Portfoliomanager
Anlageobjekte im Hinblick auf Sicherheit, Rendite und Liquidität bewerten können, die Asset-Allokation festlegen, Entscheidungen Dritten gegenüber rechtfertigen können
Methodik, Rechnung, Objektivität
Makler, MarketMaker, Broker, Händler
Den Markt schnell überblicken können, das augenblickliche Vertrauen und die Stimmung der Marktteilnehmer einschätzen können
Schnelle Auffassung und Handlungsbereitschaft
Analyst
Aufbereitung von Informationen
Mit Daten (empirische Arbeit) und wirtschaftlichen Kenntnissen die Attraktivität von Anlagen beurteilen
Unternehmer und Manager
Visionen haben, mit Charisma Ziele umsetzen, andere für sich gewinnen
Empathische, parteiliche Führungskraft
Bild 1-6: Berufsgruppen und ihre jeweiligen Anforderungen.
verkaufen, kauft der Market-Maker und legt das Objekt auf sein Lager. Will jemand kaufen, dann verkauft der Market-Maker von seinem Lager. Ein Market-Maker erzeugt Liquidität. Ein Broker verschafft seinen Kunden den Zugang zu Börsen. Wertpapiermärkte stehen nur zugelassenen Händlern offen. Deshalb muss sich die Allgemeinheit an einen Intermediär wenden, der Transaktionswünsche zur Ausführung an Händler weiterleitet. Die erforderliche Schnelligkeit und Zuverlässigkeit des Handels verlangt, dass der Stil, in dem Angebot und Nachfrage geäußert werden, und die Verbindlichkeit der Offerten zweifelsfrei feststehen. Zu diesem Zweck haben sich Usancen und Kodizes entwickelt, deren Beachtung Voraussetzung für die Teilnahme am Handelsgeschehen ist. Deshalb sind Börsen nur für zugelassene Händler offen — eigentlich ein Widerspruch zur intendierten Offenheit von Märkten. Jeder Händler arbeitet mit einigen Brokern zusammen. Der Broker gibt außerdem Handelsinformationen an Kunden weiter. Zwar bietet ein Broker keinen kundenspezifischen Rat, orientiert Kunden aber über die Börsensituation. Dazu steht der Broker in häufigem, direktem Kontakt mit Händlern und lässt sich über das Handelsgeschehen berichten.
1. V E R M Ö G E N S V E R W A L T U N G
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1.3 Kundensegmente Lernziele: Wie Kunden nach typischen Anforderungen gruppiert werden.
1.3.1 Kundensegmentierung Die Funktionen der Vermögensverwaltung werden von Banken, Versicherungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie von Einzelpersonen und Büros ausgeübt. Letztere schränken sich als Nicht-Banken auf die Beratung ein. Wie in anderen Industrien (Airlines, Automobilbau, Hotels) auch haben die Kunden in der Vermögensverwaltung unterschiedliche Ansprüche an den Umfang, die sind Breite Tiefe der Leistungen. Dadurch dieund Dienstleistungen verschiedenartig. Die Heterogenität verringert die Transparenz. Nachteilig für Transparenz ist auch unser Widerwille, über Geldangelegenheiten zu sprechen. Wir Menschen zeigen zwar unser Auto und sprechen über die Hotels, die wir besuchen. Bei Themen wie Einkommen, Vermögen und Geldanlage sind wir jedoch in Europa verschwiegener, als das in Amerika oder Asien üblich ist. 20 Die Vermögensverwaltung ist also in Europa weniger transparent als ein Autosalon, in dem alle Modelle mit Preis beschildert ausgestellt sind und Hunderte von Tests verfügbar sind.
Family-Office für wohlhabende Generationen Private-Banking mit speziellen und tiefen fachlichen Leistungen Segment 2 = gehobene Anlagekunden und Mandate Segment 1 = Anlagekunden mit zugeordnetem Berater Retailkunden, Schalterkunden, Assekuranzkunden — angesprochen im Direkt Mailing, durch den Markennamen und durch andere Kanäle
Bild 1-7: Kundensegmente, unterteilt nach der Größenordnung des Finanzvermögens, von 100 Tausend bis über 50 Millionen. Hier kommt es auf die Größenordnung an, weshalb unerheblich ist, ob diese Beträge in Euro, Dollar oder Franken ausgedrückt sind. Kunden mit einem Finanzvermögen unter 1 Million sind Retail Clients. In der Pyramide ist diese Gruppe in drei Segmente feiner unterteilt. Kunden mit einem Finanzvermögen zwischen 1 Million und 5 Millionen sind Affluent Clients. Kunden mit einem Vermögen zwischen 5 und 20 Millionen sind High Net Worth Investors, bei 20 bis 50 Millionen werden sie als Ultra High Net Worth Inve-
stors angesprochen. Investoren mit mehr als 50 Millionen werden von Banken als Key Clients angesehen und behandelt. Kunden mit einem Vermögen über 50 Millionen suchen die Betreuung durch ein Family-Office.
20
Das ist gut so, weil die Glücksforschung lehrt, dass Neid auftreten kann, der das Wohlbefinden unserer Nachbarn beeinträchtigt Richard Layard: Happiness — Lessons from a New Science. The Penguin Press, New York 2005.
30
TEIL I —
GRUNDLAGEN
In den angelsächsischen Ländern werden die Produkte, Modelle und Ansätze den Kunden gegenüber klar vor Augen geführt. In Europa gibt es diese Modelle und Ansätze auch. Sie werden bei internen Schulungen der Finanzberater gezeigt, während der Kunde die Besonderheiten der Modellen und Ansätze nicht so deutlich sieht — trotz einer beträchtlichen Medienarbeit, die auch in der Vermögensverwaltung versucht, alles aufzudecken. Immerhin gibt es Tests und Empfehlungen für die Wahl der zum Anleger passenden Bank oder Versicherung. Dennoch bleibt in Europa ein gewisser Nebel, der die Sicht trübt und Vergleiche erschwert. Niemals würde ein Berater einem Kunden zu verstehen geben, er hätte zu wenig Geld für diesen oder jenen Anspruch. Selten wird von einer Bank gezeigt, welche Wünsche überhaupt erfüllt werden. Das könnte Kunden unglücklich machen, die über die erforderlichen Mittel nicht verfügen. Einem Kunden wird in der Regel nur gezeigt, was er denn auch erhält. Die Anbieter von Vermögensverwaltung verlangen unterschiedliche Preise. •
Privatpersonen zahlen für die Depotführung (sichere Verwahrung von Wertpapieren, Abrechnung) im Jahr etwa 2 Promille des Vermögens.
•
Für ein Mandat — Delegation des Portfoliomanagements — kommen 1% bis 1,4% Prozent des Vermögens hinzu (wobei dann auch alle Transaktionen bezahlt sind).
•
Eine wichtige Erlösquelle für Banken stellen Gebühren (Courtagen) für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar, die vom Direktanleger bezahlt werden. Diese Kosten hängen von der Form der Auftragseingabe ab (Ε-Banking oder Auftrag an Berater).
•
Investmentfonds sind kaum günstiger als eine Delegation. Verwalter von Investmentfonds nennen einen Gesamtpreis. Je nach Art der gemanagten Wertpapiere (Bonds, Aktien oder Spezialtitel) und dem eingeschlagenen Stil (passiv, aktiv) liegt er zwischen 0,8% (bei Indexfonds) und 2,5% (bei einem aktiv gemanagten Aktienportfolio). Ausgabeaufschläge kommen noch hinzu. Sie sollten nicht übersehen werden: 5% Ausgabeaufschlag, verteilt auf eine Haltedauer von fünf Jahren, bedeuten ein zusätzliches Prozent pro Jahr. Ungeachtet ob ein Mandat erteilt wird oder die Form der Direktanlage gewählt wird, kostet die Vermögensverwaltung — um eine Faustformel zu nennen — um die 2% im Jahr. Bei einer Million Euro Finanzvermögen sind das zwanzig Tausend Euro.
Die Vermögensverwaltung — Depot, Portfoliomanagement, Fondsverwaltung, Transaktionen — praktiziert eine Preisstruktur, die proportional zum Betrag ist. Kosten sind jedoch eher proportional zur Anzahl der Kontakte und der Abwicklungen. Folglich ist der Ertrag bei hohen Vermögen und bei großen Transaktionen hoch, bei den kleinen Kunden aber unterdurchschnittlich oder sogar negativ. Die Vermögensverwaltungen gleichen unterschiedliche Profitabilität aus, indem sie ihren großen Kunden ein Mehr an Dienstleistungen und an Extraservice bieten. Zum Teil werden großen Kunden darüber hinaus Rabatte für Dienstleistungen gewährt. Andererseits variiert die Qualität nicht; auch die kleineren Kunden werden gut und korrekt beraten. Indessen werden sie meist schnell auf Fonds oder Standardprodukte verwiesen.
1.VERMÖGENSVERWALTUNG
31
Große Kunden können demgegenüber das Vermögen nach persönlichen Wünschen managen lassen und erhalten einen umfangreicheren Extraservice. Der Wettbewerb in der Vermögensverwaltung dürfte in den kommenden Jahren zunehmen. Fachleute erwarten allerdings keinen betonten Preiswettbewerb, auch wenn er in bestimmten Segmenten an Schärfe gewonnen hat. Der Wettbewerb wird auf die Qualität der Dienstleistungen gelenkt werden, das heißt: Große Banken und Privatbanken werden versuchen, durch umfassendere und individuellere Dienstleistungen interessante Kunden zu gewinnen. 21
1.3.2 Private und Institutionelle Privatinvestoren sind Menschen und Familien, die über ihr Arbeitsleben hinweg sparen und vielleicht ein Haus geerbt haben. Institutionelle Investoren sind Versicherungen, Pensionskassen, Unternehmen mit ihren Finanzanlagen, Banken. Dazwischen einzuordnen sind Unternehmer, die mehr Geld anzulegen haben und deutlich komplexere Finanzierungen benötigen als der typische Privatinvestor, und die doch deutlicher personenbezogen sind als die typischen Institutionellen. Wie immer sind Unterschiede in der Wirklichkeit graduell. Dennoch wollen wir eine Gegenüberstellung von privaten und institutionellen Investoren wagen. Es fällt auf: 1. Institutionelle Investoren haben hohe Assets, mehr als 100 Millionen Euro. 2. Sie präzisieren, anders als dies Privatinvestoren tun, ihre Verpflichtungen (Liabilities) und wünschen ein verzahntes Management der Assets und Liabilities (ALM). Der alleinige Blick auf die Anlagen genügt nicht, weil die Verpflichtungen aus dem Anlageergebnis zu bedienen sind und daher die Mittel im Hinblick auf die Verpflichtungen investiert werden müssen. 3. Institutionelle Investoren lassen sich von Consulting-Firmen beraten und bemühen sich, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuwenden. Sie müssen Rechenschaft ablegen. Das verlangt den Einsatz anerkannter Methoden und einen Zugang, wie er in den Ingenieurwissenschaften gepflegt wird: Die Konstruktion von Portfolios anhand vorweg festgelegter Eigenschaften. 4. Institutionelle Investoren haben alle Prozesse formal festgelegt. Der Aufbau der Organe und der Ablauf der Entscheidungen ist klar geregelt. 5. Institutionelle lassen sich durch Gremien und Kontrollorgane prüfen. Sie halten sich an die Best-Practice. Das gilt einerseits für die Asset-Allokation und die Entscheidungen, andererseits für die Aufbau- und Ablauforganisation.
1. BRUNO GEHRIG (Hrsg): Prívate Banking, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1996. 2. NICHOLAS S. VERWILGHEN: Kundensegmentierung, Risikodialog und Risikomanagement für gehobene Privatkunden. Bank- und finanzwirtschaftliche Forschungen Band 244, Verlag Haupt, B e m 1997. 3. STEPHAN D. ScHÄLl: Kemkompetenzen im Private Banking. Bank- und finanzwirtschaftliche Forschungen Band 264, Verlag Haupt, Bern 1997. 4. BERNHARD ROYE: Private Banking im Informationszeitalter. Dissertation Universität Zürich 2004.
32
TEIL I — GRUNDLAGEN
6. Aufsicht und Gesetze wirken deutlicher als bei Privatpersonen. 7. Persönliche Präferenzen sind ausgeklammert. Die psychologischen Fallen der Behavioral Finance werden vermieden. Es gibt auch keinen Extra-Service, mit dem die Bank den institutionellen Kunden gewinnen und halten wollte. 8. Der Fokus liegt auf finanziellen Aspekten, auf der objektivierten Betrachtung und besonders auf der Messung der Risiken. Relevante Risikoarten werden unterschieden und mit Modellrechnungen kontrolliert. Es werden nicht nur Marktrisiken überwacht; auch Gegenparteirisiken und das Location-Risk werden überprüft. Das Portfoliomanagement für institutionelle Investoren ist mittlerweile daher eher zu einem Risikomanagement geworden, bei dem die primäre Aufmerksamkeit den Risiken gehört. Selbstverständlich wird sodann versucht, mit gegebenem Risikobudget eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Die Prinzipien der Vermögensverwaltung für Institutionelle strahlen immer mehr auf das Geschäft mit Privatinvestoren aus. Im Ergebnis entfernt sich das Portfoliomanagement für Privatanleger immer mehr davon, Tipps erhäschen und nachrennen zu wollen. Es entfernt sich auch etwas vom Fühlen des Anlegers und betont stärker die Risikotragfähigkeit aufgrund der finanziellen Situation. Auch die früher als einmalig vertrauensvoll angesehene Beziehung des Kunden zu einem Berater wird heute zum Teil relativiert. Das Portfoliomanagement wird bei den Privatanlegern mittlerweile strukturierter und langfristiger orientiert, die Methode soll sachgerecht und wissenschaftlich begründet sein. Damit tritt der Kundenberater und sein individueller Service etwas zurück. Der Portfoliomanager mit seinem „wissenschaftlichen" Ansatz wird auch für den Privatkunden bedeutender. Das Ziel für Privatanleger ist schon lange nicht mehr, den Markt zu schlagen, wie das vor Jahren postuliert wurde. Das Ziel der Privatanleger heute ist, das persönlich passende Servicebündel, in gut konstruierter Qualität und zu einem realistischen Preis zu erhalten.
1.3.3 Einige typische Investoren Wir betrachten einige typische Situationen für Finanzinvestoren. Sie werden in der Reihenfolge aufsteigenden Vermögens besprochen. 1. Kleine Privatanleger (Finanzvermögen in der Größenordnung von 100.000 Euro) haben vielfach wenig Vertrauen, wenn ihnen von einer Bank über Geldanlagen berichtet wird. Oft sind sie ängstlich, was Geldanlagen betrifft. Einige bezweifeln Schätzungen für Renditen, die auf historischen Zeitreihen basieren. Es heißt dann immer, da werde mit dem Blick in den Rückspiegel Auto gefahren. Diese Menschen wollen aber lernen und im Laufe der Zeit durch Beobachtung erfahren, wie sich eine Anlage entwickelt. Informieren und Lernen sind für sie wichtig, weshalb Banken umfassende Publikationen erstellen. Auch die Medien stellen sich diesem Wunsch und informieren über die Kapitalmärkte. Im Laufe der Jahre fassen die kleinen Privatanleger mehr Vertrauen. Dieser Prozess ist jedoch mühsam, gelegentlich schmerzhaft und kostet Zeit. Zu häufig
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
33
wechseln die kleinen Privatanleger den Anlagestil und immer wieder auch die Bankverbindung. Leider ist es so, dass sie nach ein paar Jahren wiederum enttäuscht sind. Zwar sind die kleinen Privatanleger bereit, für Service zu zahlen, für einen Haarschnitt, für eine Autoinspektion oder ein Abendessen im Restaurant, nicht aber für eine Finanzberatung. Sie erwarten, dass die Finanzberatung ihnen ohne Kostenberechnung zur Verfügung gestellt wird. Sie holen sich Tipps von zu vielen Seiten und schaffen damit aber selten eine Geldanlage, die aus einer Perspektive heraus gestaltet wäre. Ihre Spargelder bleiben daher als Patchwork angelegt. 2. Privatanleger mit einem Finanzvermögen in der Größenordnung einer Million, also Retail Clients (unter 1 Million) und Affluent Clients (1 bis 5 Millionen) wollen nicht alle Entscheidungen delegieren. Sie besorgen sich Analystenreporte, lesen Kommentare zu einzelnen Aktien und bilden auf dieser Basis persönliche Erwartungen. Diese Anleger sind weniger ängstlich und sammeln im Verlauf der Zeit Erfahrungen, wodurch ihre Entscheidungen an Qualität und Souveränität gewinnen. Sie fahren einen moderat aktiven Stil. Sie sind überzeugt, dass sich schon hin und wieder „unterbewertete" Titel finden lassen, besonders bei den Nebenwerten, weil diese vom Publikum nicht so beachtet werden und deshalb von den Analysten nicht so intensiv verfolgt werden. Aber diese Privatanleger kontrollieren nicht ihren eigenen Anlagestil. Selten können sie mit einer Rechnung nachweisen, dass sie wirklich so gute Investoren sind, wie sie meinen. Das Portfolio-hin-und-her macht die Taschen leer. 22 3. Privatanleger mit einem Finanzvermögen von 10 bis 50 Millionen Franken, Dollar oder Euro (es kommt auf die Größenordnung an) sind Kunden einer der renommierten Privatbanken in der Schweiz oder in England. Sie werden dort als High Net Worth Investors (5 bis 20 Millionen), Ultra High Net Worth Investors (20 bis 50 Millionen) oder als Key Clients (über 50 Millionen) angesprochen. Alle Entscheidungen werden an das Portfoliomanagement dieser Privatbanken delegiert: Jeder Kunde erteilt ein Mandat. Nur in seltenen Fällen teilen diese wohlhabenden Kunden das Finanzvermögen auf zwei Mandate auf, die sie verschiedenen Banken erteilen. Die Kunden werden von den Privatbanken mit häufigen und umfassenden Extraservices umsorgt. In der Werbung der Banken werden diese Personen als drahtige 60-Jährige dargestellt, die vor einem Kunstwerk sitzen, sich keine Sorgen machen und ein „aktives" Leben führen. Oft handelt es sich bei diesen Kunden um Unternehmer, bei denen es nicht einzig um die Geldanlage und das Portfoliomanagement geht; das Portfoliomanagement wird für sie durch Dienstleistungen im Corporate Finance ergänzt. Dazu gehören Lösungen für die Unternehmensfinanzierung, die Suche nach Geschäftspartnern und Nachfolgeregelungen. Einige dieser Unternehmer verkaufen ihre Firma und bringen den Verkaufserlös in eine Stiftung oder einen Trust ein, der ihre Familienangehörigen versorgt. Die Rechtsprechung, auch die Besteuerung bei der Gründung einer solchen Rechtsform,
22 1. BRAD M. BARBER und TERRANCE ODEAN: Trading is Hazardous to Your Wealth: The Common Stock Performance of Individual Investors. Journal of Finance 55 (2000) 2, 773-806. 2. PHILIPP KUDLICH: Anlage- und Handelsverhalten deutscher Privatanleger — Eine statistische Beschreibung und Analyse auf Basis des OnlineBrokerage. Bank- und finanzwirtschaftliche Forschungen Band 342, Verlag Haupt, Bern 2002.
34
TEIL I — GRUNDLAGEN
ist von Land zu Land unterschiedlich. Eventuell wird auch der Wohnsitz als Entscheidungsvariable betrachtet. Andere Personen, die ihre Unternehmung verkauft haben, betätigen sich noch weiterhin als Business-Angel: Sie fördern Jungunternehmen mit Geld und mit Rat. Dann übertragen sie nur einen Teil dem Portfoliomanagement der Privatbank und sind mit dem Rest weiterhin aktiv im Geschäftsleben. 4. Im Vermögensbereich von 50 bis 200 Millionen wird ein Family-Office engagiert, bei mehr als 200 Millionen ist seine Einrichtung die Regel. Ein Family-Office ist eine Firma mit eigener Rechtspersönlichkeit, in der etwa zehn Personen arbeiten, und die einen doppelten Service bietet: •
Im Family-Office treten Experten gegenüber den Portfoliomanagern der Bank auf. Ebenso übernehmen Fachleute im Family-Office die Vertretung gegenüber Steuerbehörden.
•
Das Family-Office unterstützt die Wohlhabenden in der privaten Lebensgestaltung. Dazu gehört ein Sekretariat, das tägliche Erledigungen abnimmt.
Grundlage dieser Dienstleistungen ist, dass die Family-Governance geregelt wird: Welches Mitglied der oft weitläufig verzweigten Familie trifft welche Entscheidungen? Wer hat welche Rechte hinsichtlich der Vermögensverwendung? Wem wird berichtet? Wann werden Treffen abgehalten? In den USA gibt es über 3.000 Family-Offices, in Europa 300. •
Einige Family-Offices stehen Banken nahe, andere sind Wirtschaftsprüfungen angegliedert oder ganz unabhängig.
•
Ein Family-Office sollte jährlich nicht mehr als 1% des Vermögens kosten. Deshalb gibt es Lösungen, bei denen ein Family-Office mehrere wohlhabende Familien vertritt und betreut (Multi Client Family-Office).
•
Vermehrt gibt es virtuelle Family-Offices: Eine Person organisiert ein Netzwerk von Fachkräften, die fallweise in die Erbringung der anstehenden Dienstleistungen eingebunden werden. Drei Entwicklungen sind erkennbar: 1. Starke Zunahme der Family-Offices in Europa, 2. Trend zu Offices für mehrere Familien und zu virtuellen Offices, 3. Öffnung der Dienstleistungen auch für kleinere Vermögen bis hinunter zu einer Million. 23
5. Institutionelle Anleger adjustieren ihr Portfolio ruhig und mit Bedacht. Sie achten zwar auf aktuelle Information über die Finanzmärkte, übernehmen aber hierbei eher die im Markt allgemein geteilten Urteile als rein private Einschätzungen der Marktlage. Meist wird ein doppelter Anlagestil befolgt: Ein Teil des Portfolios wird passiv (Buy-and-Hold), der restliche Teil wird aktiv gemanagt. Der Stil für diesen aktiv gemanagten Teil wird klar definiert und die damit erzielten Ergebnisse werden mit denen des passiven Managements verglichen. Der professionelle Anleger
23 1. LISA GRAY: The New Family Office: Strategies for Consulting to the Affluent. Institutional Investor Books 2004. 2. JAMES E. HUGHES JR.: Family Wealth — Keeping it in the Family. Bloomberg Press, Princeton NJ 2004. 3. PETER SCHAUBACH: Family Office im Private Wealth Management, 2. Auflage. Uhlenbruch, Bad Soden 2004.
1.
35
VERMÖGENSVERWALTUNG
arbeitet mit Derivaten (Indexkontrakte, Futures, Optionen), um das Risiko zu beeinflussen, also um ein Exposure einzugehen oder zu ändern. Die Beziehung zwischen dem institutionellen Anleger und seinen Banken wird ergänzt um eine Beziehung mit einer Beratungsfirma und einer Prüfungsgesellschaft. Viele institutionelle Investoren delegieren das Portfoliomanagement und erteilen Mandate. Oft zerlegen Sie das Gesamtvermögen in Tranchen, die um die 50 Millionen groß sind. Jede Tranche wird einer Bank übertragen, die dafür ein Mandat mit klaren Anlagezielen erhält. Der institutionelle Investor vergleicht die Ergebnisse und wechselt ab und zu die Bank. Ein solches Mandat kostet 25 Basispunkte pro Jahr für das Management; hinzu kommen Kosten für die Transaktionen. Oft werden Manager von Stiftungen (zum Beispiel: Kunststiftung) und institutionelle Kunden (zum Beispiel: Pensionskasse) unterschieden. Doch diese Einteilung ist künstlich. Die Manager von Stiftungen haben dasselbe fachliche Wissen wie institutionelle Investoren und teilen deren Kostenbewusstsein.
1.4 Ergänzungen und Fragen Lernziele: 1. Haben Sie mehr Geld als der Durchschnitt? 2. Unterteilung der Asset-Klasse Aktien in Value und Growth. 3. Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz. 4. Aufgaben und Fragen. Schließlich: Ein erster Tipp für die Geldanlage.
1.4.1
Ergänzende Lektüre:
STANLEY
und
DANKO
Populärwissenschaftlich geschrieben, über drei Jahre auf der Liste der Bestseller der New York Times und als Taschenbuch verfügbar: The Millionaire next Door. Die Autoren STANLEY und DANKO haben Tausende amerikanischer Haushalte untersucht und sind diesen Fragen nachgegangen: 1. Wie hoch ist ihr Finanzvermögen? 2. Durch welche Faktoren kann der Wohlstand erklärt werden? Der Befund von STANLEY und DANKO ist vielschichtig. Wir konzentrieren und auf zwei Punkte ihrer Publikation: 1. Wohlhabende Leute haben es durch eine bescheidene Lebensweise und Beständigkeit beim Sparen und Anlegen zu etwas gebracht. 2. Wohlhabende Leute planen die Finanzen und widmen der Geldanlage mehr Zeit.24
24 THOMAS J. STANLEY und WILLIAM D. DANKO: The Millionaire
Wealthy. 1998.
next Door — The Surprising
Secrets
of
America's
36
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Das Buch bringt auch eine Formel, die wir nach den Autoren als Stanley-Danko-Formel bezeichnen. Der Median des Finanzvermögens W ist gleich dem Produkt aus dem Alter A der Person und ihrem derzeitigen Jahreseinkommen E geteilt durch 10,
Beispiel 1-6: Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, 40 Jahre alt sind, sollten Sie (um dem Median zu entsprechen) bei einem Jahreseinkommen von €100.000 nach der Stanley-DankoFormel ein Finanzvermögen von €400.000 haben. Doch ein Jahr später haben Sie vielleicht schon ein Einkommen von €105.000. Sie sollten dann €430.500 haben. Falls Ihr Depot nicht so dick gefüllt ist, bedenken Sie dies: Wenn die Stanley-Danko-Formel (1-1) auch für europäische Verhältnisse zutrifft, dann müssen unter dem Begriff des Finanzvermögens verschiedene Positionen subsumiert werden. In Europa müssen Sie diese drei Positionen addieren: 1. Hauseigentum, 2. Ansprüche gegenüber der betrieblichen und gesetzlichen Altersvorsorge, 3. Wertpapiere. Vielleicht erkennen Sie, dass Sie mit Ihrem Vermögen sogar über dem Median liegen. •
1.4.2 Value und Growth Selbstverständlich kann die Asset-Allokation auf mehr als drei Asset-Klassen ausgedehnt werden, ohne gleich bis in die tiefste Ebene einzelner Wertpapiere zu gehen. Dazu geht man von der ursprünglichen Einteilung aus und verfeinert diese: So werden Bonds in sechs Asset-Klassen feiner unterteilt: 1. Kurzläufer-Staatsanleihen (etwa bis zu 3 Jahre), 2. Langläufer-Staatsanleihen in Referenzwährung (8 bis 15 Jahre), 3. Ultralangläufer (Bonds mit einer Laufzeit von mehr als 20 Jahren), 4. Pfandbriefe, 5. Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) und 6. Fremdwährungsanleihen. Mit der Laufzeit nimmt das Zinsrisiko zu. Bei Unternehmensanleihen wird das Kreditrisiko deutlich. Fremdwährungsanleihen bringen auch ein Währungsrisiko in das Portfolio. Aktien werden in der Regel nach Branchen unterteilt, eventuell nach den Ländern. Verfeinerungen der Asset-Klassen entstehen, indem nach der Unternehmensgröße (Small oder Big), nach betrieblichen Kennzahlen (wie der Gewinnrendite oder auch nach der Dividendenrendite) oder nach besonderen Merkmalen der Aktiengesellschaft unterteilt wird, wie etwa Value oder Growth. Betrachten wir die Unterscheidung von Value und Growth. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Höhe der bei Aktien zu erwartenden Rendite ebenso wie das Risikoverhalten im Konjunkturzyklus davon abhängt, ob die Aktie eher zum Typus Value oder zum Typus Growth gehört. Die Einteilung wird nach mehreren Merkmalen vorgenommen. •
Aktien gehören zur Gruppe Value, wenn sie eine hohe Dividende (von 4% bezogen auf den Kurs) ausschütten und dafür nur langsam wachsen. Aktien werden der Gruppe Growth zugeordnet, wenn die Aktiengesellschaft nur eine vergleichsweise geringe Dividende (vielleicht 1 %) ausschüttet, dafür aber ein höheres Wachstum zeigt.
37
1.VERMÖGENSVERWALTUNG
•
In wissenschaftlichen Untersuchungen werden Value-Aktien und Growth-Aktien anhand des Verhältnisses zwischen dem Marktwert des Eigenkapitals der Unternehmung und dem Buchwert unterschieden. Der Marktwert M wird durch die Marktkapitalisierung gemessen — die Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien multipliziert mit dem Kurs. Der Buchwert ist das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital B. Die Relation von Β und M wird als Book-to-Market oder als B/M bezeichnet. Die Kennzahl B/M ist in der Regel geringer als 1, weil bei fast allen Unternehmungen der Marktwert über dem Buchwert liegt. Aktien mit einem hohen Book-to-Market (B ist fast so groß wie M) sind eher Value-Stocks, Aktien mit einem geringen Book-to-Market (B ist deutlich geringer als M) sind Growth-Stocks. 25
Hinsichtlich des Verhaltens im Konjunkturzyklus hat es den Anschein, als ob sich im Aufschwung und bei recht guter Konjunktur Value-Aktien besser rentieren als Growth-Aktien. Im Konjunkturabschwung können jedoch die Kurse von Value-Aktien regelrecht einbrechen, während sich die von Growth-Aktien noch halten. Noch ein Wort zur Unterteilung der Asset-Klasse Aktien nach Ländern beziehungsweise Branchen. Heute ist es die Best-Practice, Brancheneinteilungen vorzunehmen. Denn viele Unternehmungen sind global tätig, wohl aber von den weltwirtschaftlichen Einflüssen ähnlich betroffen, wenn sie im selben Sektor tätig sind. Bei Bonds steht nach wie vor eine Unterscheidung nach Wirtschafts- und Währungsräumen im Vordergrund. Entsprechend wird für die Aktien von einer Branchen-Allokation (Aufteilung des für Aktien vorgesehenen Geldbetrags auf die einzelnen Branchen) gesprochen. Für die Bonds wird eine Länder-Allokation betrachtet.
1.4.3 Nochmals: Risikotragfähigkeit
und Risikotoleranz
Die Risikotragfähigkeit ist durch die finanzielle Situation bestimmt. Stichworte hierzu sind das sonstige Vermögen, weiteres Einkommen (etwa Arbeitseinkommen), sowie der Anlagehorizont. Jemand, der allein auf Erträge aus seinem Finanzvermögen angewiesen ist, möchte dieses natürlich keinesfalls gefährden und kann mit den Finanzanlagen daher keine Risiken eingehen. Wer hingegen mehrere, substantielle weitere Einkommensquellen hat, die noch dazu sicher sind, kann beim Finanzvermögen mehr Risiken eingehen. Die finanzielle Situation bestimmt auch die Art der Risiken, die eventuell eingegangen werden können. Beispielsweise möchte eine Person, die im Fall einer Rezession ohnehin getroffen ist (Rückgang der Geschäfte in eigener Firma, Arbeitsplatzverlust), nicht auch noch durch Kursverluste in derselben Zeit belastet werden. Sie wird Wertpapiere meiden, die gerade dann besonders hohe Kursrückgänge verzeichnen, wenn die allgemeine Wirtschaftstätigkeit zurückgeht. 25 Der Book-to-Market-Effekt wurde von D. STAI IMAN in seiner Doktorarbeit 1980 entdeckt und später verschiedentlich aufgegriffen und ausgebaut, insbesondere in: EUGENE FAMA UND KENNETH F. FRENCH: Size and Book-to-Market Factors in Earnings and Returns. Journal of Finance 50 (1995), 131-155.
38
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Die Risikotragfähigkeit hängt weiter davon ab, ob Verpflichtungen bestehen. Sie stellen „negatives weiteres Vermögen oder Einkommen" dar. So kann es sich bei den Verpflichtungen (Liabilities) um Schulden handeln, die der Anleger gegenüber einer Bank hat. Sie weisen keine Elastizität auf. Darüber hinaus könnte der Investor wünschen, Ausgaben für den eigenen Lebensunterhalt, als Verpflichtung bei der Asset-Allokation zu berücksichtigen. Besonders bei Menschen, die kurz vor dem Wechsel vom Berufsleben in den Ruhestand stehen, rückt die Pflicht in den Vordergrund, für den eigenen Lebensunterhalt und den der Familie zu sorgen oder die Pension zu ergänzen (Lebenshaltungs-Liability). Die Elastizität einer solchen Verpflichtung gegenüber sich selbst ist natürlich höher als bei Bankschulden. Der Begriff des Lebensunterhalts ist dabei recht vielschichtig. Er kann vom Notwendigen bis zum Luxus reichen. So kann sich eine Person als Anlageziel wünschen, zu einem späteren Zeitpunkt die Mittel für den Kauf einer Ferienwohnung oder einer Yacht zu haben. Ein besonderer Punkt bei der finanziellen Situation sind Immobilien. Wer Immobilien besitzt, ist einer Vermögensunsicherheit ausgesetzt. Immobilien gehören daher zum sonstigen Vermögen und müssen bei der Bestimmung der finanziellen Situation berücksichtigt werden. Wer allerdings kein Wohneigentum hat, muss es mieten. Denn jeder muss eine Bleibe haben. Die Entwicklung der Mieten in der Zukunft ist jedoch unsicher. Die Verpflichtung, Miete zu zahlen, trägt daher Risikoaspekte in sich. Auch falls gemietet wird, muss dieser Sachverhalt bei der Bestimmung der finanziellen Situation berücksichtigt werden.26 Die Risikotragfähigkeit kann objektiv beschrieben werden. Es gibt eine Best-Practice, nach der aus den Angaben eines Kunden zur persönlichen Situation die Risikotragfähigkeit abgeleitet wird. Alle Banken haben entsprechende Schemata. Die Risikotoleranz ist hingegen Ausdruck der persönlichen Präferenz und folglich höchst subjektiv. Die Risikotoleranz beschreibt das psychische Befinden. Sie drückt aus, wie abträglich die Person es empfindet, wenn es zu Kursschwankungen oder zu einem Wertrückgang beim Finanzvermögen kommt. Genauer geht es nicht um ihr Befinden, nachdem der Verlust eingetreten sein. Vielmehr geht es um beeinträchtigende Gefühle im Vorfeld. Bereits der Gedanke, dass sich das Finanzvermögen um 10% zurückbilden könnte, kann bei der täglichen Arbeit und im Leben behindern. Wie bei jeder Präferenz gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen. Die Risikotoleranz hängt vom Naturell der Person ab. Sie kann bei der Beratung nicht Gegenstand einer Überprüfung auf „Richtigkeit" sein, genauso wenig wie eine Nutzenfunktion richtig oder falsch ist. Der Vermögensverwalter muss die Risikotoleranz respektieren. Es macht keinen Sinn, einer Person Aktien in das Depot zu legen, wenn diese dann nicht mehr schlafen oder sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren kann. 26 MARJORIE FLAVIN UND TAKASHI YAMASHITA: O w n e r - o c c u p i e d h o u s i n g a n d t h e c o m p o s i t i o n of h o u s e h o l d
portfolio. American Economic Review 92 (2002) 1, 345-362.
1.
VERMÖGENSVERWALTUNG
39
Gleichwohl ist bekannt, welche Ausprägungen von Risikotoleranz vorzufinden sind, wenn viele Investoren betrachtet werden. Man kann folglich bei einer konkreten Person feststellen, ob sie eine hohe oder eine geringe Risikotoleranz hat. Zudem wurden im Kollektiv von Investoren korrelative Zusammenhänge zwischen der Risikotoleranz und anderen Persönlichkeitsmerkmalen entdeckt. So ist belegt, dass in wirtschaftlichen Fragen erfahrene Menschen eher eine höhere Risikotoleranz haben. Gleiches gilt für Personen mit höherer Lembereitschaft. Ähnlich wie der Geschmack kann sich auch die persönliche Risikotoleranz durch Umgang mit Geldanlagen entfalten und öffnen. Zur Erhebung der Risikotoleranz wurden Befragungstechniken
entwickelt, so genannte Risk-
Ruler. Hierbei werden durch Fragen verschiedene Merkmale der Situation des Anlegers und Denkweisen erhoben. Aus den Antworten wird die Risikotoleranz erschlossen. Grundlage der Risk-Ruler ist diese Beobachtung. In Kollektiven von Personen zeigte sich, dass die jeweilige Risikotoleranz mit der jeweiligen Erfahrung in finanziellen Dingen, der Lernbereitschaft sowie anderen Merkmalen korrelierte. Daher kann die Risikotoleranz einer Person erschlossen werden, wenn die Ausprägungen dieser Merkmale bekannt sind. Im Risk-Ruler werden Merkmale erhoben, die leicht und hinreichend genau erfragt werden können. Dazu gehören Äußerlichkeiten.
1.4.4
Aufgaben und Fragen
1. In welcher Reihenfolge bauen Privatpersonen Vermögen auf? 2. Was wird unter „naiver Diversifikation" verstanden? 3. Was ist ein „neutral gewichtetes" Portfolio? 4. Von welchen Umständen hängen die Geldflüsse ab, die Käufer einer Aktie auf ihre Investition erwarten? 5. Was unterscheidet den Top-Down-Ansatz und den Bottom-Up-Ansatz? 6. Wenn Cash, Bonds und Aktien als drei Asset-Klassen berücksichtigt werden, welche Determinanten hat dann die Asset-Allokation? 7. Wie ist die Performance definiert? 8. Wie würden Sie Portfoliomanagement definieren?
1.4.5
Lösungen
1. Vergleiche Bild 1-1. 2. Die Bestimmung der in Frage kommenden Assets oder Asset-Klassen. Deren Anzahl sei η. Sodann wird das anzulegende Vermögen, es sei mit b bezeichnet, auf die η Assets gleichmäßig verteilt. Jedem Asset wird der Geldbetrag η / b zugewiesen.
40
TEIL I —
GRUNDLAGEN
3. Die zur Verfügung stehenden Asset-Klassen werden nach ihrer jeweiligen Marktkapitalisierung gewichtet. 4. Rückflüsse aus der Investition wie Kuponzahlungen und Dividenden während der Haltezeit sowie der Verkaufserlös. 5. Vergleiche 1.1.6. 6. Der Anteil Cash ergibt sich aus dem Geldbedarf, der Anteil Aktien aus Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz. Der Rest wird in Bonds angelegt. 7. Die erreichte Relation zwischen Rendite und Risiko. 8. Zusammenstellung, Beobachtung, Überwachung und die gelegentliche Änderung von Portfolios im Auftrag und im Kontakt mit dem Kunden.
1.4.6 Tipp 1 für die gute Geldanlage
Die gute Geldanlage beginnt mit der Wahl des richtigen Partners. Soll es eine Bank, Versicherung oder eine freie Vermögensverwaltung sein? Und wenn Ihre Wahl auf eine Bank fällt, ist es dann Raiffeisen, die Post, eine Großbank oder eine Privatbank? Bankverbindungen werden selten gewechselt, weil das mit hohem persönlichen Aufwand verbunden ist. Umso wichtiger ist, dass Sie sich vor der Wahl des Finanzpartners informieren. Nach welchem Kriterium sollten Sie die Wahl getroffen werden? Überlegen Sie: 1. Welche Dienstleistungen werden Sie wohl in zehn Jahren benötigen und wer bietet sie? 2. Welchen Extra-Service werden Sie sich in zehn Jahren wünschen? 3. Was werden sie hingegen wohl nie benötigen? Es gibt periodisch aktualisierte Empfehlungen, so etwa die Fuchs-Briefe (www.fuchsbriefe.de). Sie können auch einen Besuch bei der ins Auge gefassten Einrichtung vereinbaren. Fragen Sie nicht danach, welche Aktien gerade empfohlen werden, sondern wie sich die Kundenbeziehung typischerweise im Verlauf der Zeit entfalten dürfte. Fragen Sie, ob man eher Direktanleger oder Mandatskunden betreut. Fragen Sie, was geschieht, sollten Sie überraschend Geldbedarf haben. Fragen Sie, was bei einem plötzlichen Todesfall geschieht und ob dann die erteilten Vollmachten noch greifen. Fragen Sie, mit welchen anderen Einrichtungen Partnerschaften bestehen, und welche Vorteile Sie aus diesen Kooperationen haben.
2
Portfoliomanagement Das zweite Kapitel bietet einen Überblick zu Ansätzen im Portfoliomanagement: Vier Anlagestile werden besprochen: Das Timing,
das Stock-Picking,
zyklisches
Investment und
Long-
Short. Wir werfen einen Blick auf Gurus wie LYNCH, BUFFETT und SOROS. Markttechniker und Fundamentalisten, D o w und GRAHAM markieren Stationen der weiteren Entwicklung. Die Metapher v o n KEYNES beschreibt Märkte, in denen die Teilnehmer nur sehr geringe Informationen haben. Sodann gehen wir zur M o d e r n e n Portfoliotheorie (MPT).
2.1 2.2 2.3
2.1
Vier Anlagestile Portfoliotheorie Ergänzungen und Fragen
41 55 64
Vier Anlagestile
Lernziele: 1. Vier Anlagestile: Timing, Picking, zyklisches Investment sowie das Eingehen von Short-Positionen. 2. Wie Stile durch Long-Short-Portfolios untersucht werden.
2.1.1
Strategisch
oder taktisch
?
Wenn die Asset-Allokation festgelegt und das Portfolio geplant ist, und wenn bereits die ersten Transaktionen (Depoteröffnung, Kauf von Anlageinstrumenten) getätigt sind, dann beginnt die Zeit, in der das Portfolio beobachtet und ab und zu auch verändert wird. Das ist die Phase des Portfoliomanagements. Für diese Zeit stellt sich die Frage, wie „passiv" oder wie „aktiv" das Portfolio im Hinblick auf die augenblickliche Kapitalmarktsituation angepasst werden sollte. Die Begriffe sind eng mit dem strategischen und dem taktischen Portfoliomanagement verknüpft: •
Geht es um eine grundlegende, mit längerfristiger Intention bestimmte Festlegung der Gewichte der einzelnen Assets oder Asset-Klassen, dann wird von strategischer AssetAllokation gesprochen. Ihr liegen die langfristig beobachtbaren
Eigenschaften
der As-
sets oder Asset-Klassen zugrunde. Die Aufrechterhaltung der strategischen AssetAllokation verlangt zwar wenige Anpassungen im Verlauf der Zeit, jedoch wird nicht versucht, die augenblickliche Kapitalmarktsituation auszunutzen. Deshalb läuft die strategische Asset-Allokation auf ein passives Portfoliomanagement hinaus.
42
TEIL I — GRUNDLAGEN
•
Sollen momentane Marktchancen ergriffen oder augenblickliche Risiken gemieden werden, wird die Asset-Allokation als taktisch bezeichnet. In die Taktik fließen aktuelle Informationen über Opportunitäten ein, Beurteilungen der derzeitigen Marktsituation, Stimmungen und Trends. Die Taktik verlangt ein aktives Portfoliomanagement.
Wenn das Portfolio in einem Teil oder vollständig aktiv geführt werden soll, dann entsteht die Frage, nach welcher Taktik das geschehen soll: 1. Welche Informationen über die augenblickliche Situation sollen erhoben werden und wie sind sie aufzubereiten? 2. Nach welchem Schema sollen die Informationen in Transaktionen umgesetzt werden? 3. Beim aktiven Management (mehr als bei einem passiven) muss geklärt sein, wer die Transaktionen in Auftrag gibt und wer bei der Kommunikation zwischen Kunde und Portfoliomanager den führenden Part übernimmt? 4. Performancebericht: Dazu muss geregelt sein, wer später was und gegenüber wem rechtfertigen muss. 5. Evaluation: Jede Taktik verlangt die Prüfung, ob der Ansatz zu besseren Ergebnis gegenüber einem passiven Portfoliomanagement geführt hat. Da aktives Management nicht willkürliches Kaufen und Verkaufen sein darf, sondern einer Struktur folgen sollte,1 müssen als Grundlage für die Taktik die eben genannten Punkte festgelegt werden: Nach welchem Ansatz, auf welche Art und Weise, nach welchem Stil sollen Veränderungen des Portfolios vorgenommen werden? Wann wird das festgelegt? Oft wird sich der Eigentümer des Finanzvermögens oder der wirtschaftlich Berechtigte auf eine bloße Kontrollfunktion zurückziehen und die laufenden Aufgaben des Portfoliomanagements delegieren. Zusammen mit einer solchen Vorentscheidung zugunsten der Delegation wird festgelegt, wie passiv oder wie aktiv der Portfoliomanager vorgehen soll. Mit Anlagestil wird eine Vorgehensweise, ein Schema bezeichnet, nach dem die AssetAllokation mit der Zeit oder aufgrund neuer Daten angepasst wird. Der Anlagestil legt fest, welche Informationen erhoben werden — das können Kennzahlen sein — und bei welcher Relation von Daten oder Kennzahlen sodann Änderungen am Portfolio vorgenommen werden. Der Anlagestil legt fest, welche Informationen der Portfoliomanager beschafft, auswertet und wie er darauf mit Käufen und Verkäufen von Anlageinstrumenten reagiert. Der Stil bestimmt daher die Asset-Allokation als Funktion von volks- und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und Entwicklungen. Dies kann wieder auf der Ebene einzelner Wertpapiere oder auf der von Anlageklassen geschehen. So kann beispielsweise durch den Anlagestil die Aktienquote variiert werden. Oder es wird entschieden, ob eher Value-Stocks oder eher Growth-Stocks gekauft und gehalten werden sollen. Ebenso kann der Stil auf der Ebene von Währungen (bei Bonds) und Sektoren (bei Aktien) greifen. Selbstverständlich kann der Stil auch die Selektion einzelner Titel lenken, bei Aktien etwa, indem eine Fundamentalgröße wie die Dividendenrendite beobachtet wird oder eine Trendbildung den Ausschlag gibt, also ein Kauf- oder Verkaufsignal auslöst.
1 Weil der Stil den gewählten Ansatz schematisch, gleichsam mechanisch umsetzt, kann geprüft werden, welche Performance der eine oder andere Stil (in der Vergangenheit) gebracht hätte. So kann der Anlagestil validiert werden.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
43
Beispiel 2-1: Anlagestile: 1. Ein populärer Anlagestil für Aktien setzt auf Blue-Chips, die Aktien großer Gesellschaften. Die Aktien der mittelgroßen und kleineren Gesellschaften werden gemieden. Die Größe wird durch die Marktkapitalisierung gemessen (Anzahl der in Umlauf befindlichen Aktien multipliziert mit dem Börsenkurs). 2. Ein zweiter Anlagestil setzt auf GlamourStocks, die Aktien der sehr bekannten Gesellschaften, die durch Marken bekannt sind. Als Kennzahl dient die Relation zwischen dem Marktwert (Marktkapitalisierung) und dem Buchwert (Höhe des in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapitals). Ist diese Relation größer als 2, wird die Aktie als Glamour-Stock angesehen. 3. Ein dritter Anlagestil setzt auf Firmen, die finanzielle Schwierigkeiten haben. Er lautet: Kaufe Aktien jener Firmen, bei denen der Marktwert geringer ist als der Buchwert; verkaufe diese Aktien, sobald der Marktwert das anderthalbfache des Buchwerts übersteigt. 4. Ein vierter Anlagestil setzt auf Trends: Beobachte die Kurse der einzelnen Aktien wöchentlich. Kaufe, wenn die Kursentwicklung vier Wochen hintereinander positiv war, verkaufe, wenn sie zwei Wochen hintereinander negativ war. • Nachstehend werden vier Anlagestile besprochen, die so oder mit Variationen eine hohe Bedeutung für die Praxis haben und die verschiedentlich in der Finanzökonomie untersucht wurden.
2.1.2
Passiver Anlagestil
Das Portfoliomanagement ist passiv, wenn es die strategische Asset-Allokation umsetzt. Weder die börsentäglichen Kursbewegungen noch die Einschätzung der augenblicklichen wirtschaftlichen und finanziellen Situation lösen Käufe oder Verkäufe von Wertpapieren aus. Passives Portfoliomanagement folgt einer Politik der „ruhigen Hand". Statt vom passiven Anlagestil wird von Buy-and-Hold gesprochen: Die Wertpapiere werden gekauft und dann gehalten. Mit Buy-andHold ist noch nicht gesagt, in welcher Gewichtung die Assets oder Asset-Klassen in das Portfolio aufgenommen werden. Populär für Buy-and-Hold sind die naive Diversifikation und die Marktkapitalisierungs-Methode (Abschnitt 1.1.3). Letztere wird oft so eingesetzt, dass einem Index gefolgt wird. •
•
Der passive Anlagestil hat zunächst Kostenvorteile. Es entstehen einmalige Transaktionskosten. Es gibt hingegen keine zusätzlichen Kosten für die Informationsbeschaffung und die periodische Beurteilung der Situation am Kapitalmarkt. Der Portfoliomanager muss nicht täglich das Börsengeschehen verfolgen und er muss nicht prüfen, ob Ereignisse Handlungsbedarf auslösen. Dieser informatorische Aufwand, der bei aktiven Portfoliomanagement entsteht, wird oft unterschätzt. Zudem liefert der passive Anlagestil gute Ergebnisse. Ob sie durch einen aktiven Anlagestil überboten werden können, muss mit Skepsis beantwortet werden.
Untersuchungen, ob es durch aktives Management möglich ist, im Vergleich zu Buy-and-Hold überlegene Resultate zu erzielen, zeitigen ein „Nein mit wenigen Ausnahmen". Wird von den Ausnahmen abgesehen, sprechen die Untersuchungen für das passive Management. Wir besprechen empirische und theoretische Gründe, die für Buy-and-Hold sprechen.
44
TEIL I —
•
GRUNDLAGEN
Die empirische Forschung belegt, dass es zwar immer wieder einigen Managern gelingt, mit aktivem Management bessere Ergebnisse zu erreichen im Vergleich zum Index oder im Vergleich zu einem passiven Management.
•
Im Durchschnitt aller Portfoliomanager mit aktivem Stil ist das Ergebnis aber schlechter als der Index / passive Stil. Wer rein zufällig einen aktiven Stil oder einen aktiv verwalteten Investmentfonds wählt, der muss erwarten, schlechter als der Marktindex abzuschneiden. Es käme darauf an, die wenigen guten aktiven Portfoliomanager herausfinden zu können. Doch der Mehrheit der Privatanleger gelingt das nicht — wie das schlechte durchschnittliche Abschneiden der aktiv geführten Portfolios zeigt.
Dennoch wird immer wieder versucht, die wenigen erfolgreichen aktiven Manager ausfindig zu machen. Immerhin werden die Findigen belohnt, denn es gibt es eine gewisse Persistenz: Gute Manager bleiben tendenziell weiterhin gut. Soweit der empirische Befund. Nun ein theoretischer Grund für die Schwierigkeit, mit eigener Informationsbeschaffung und Informationsauswertung sowie aktivem Portfoliomanagement besser als mit Buy-and-Hold abzuschneiden. Er liegt in der Geschwindigkeit und Genauigkeit, mit der sich neue Informationen in den Kursen niederschlagen. Die Börse ist schneller als die meisten Portfoliomanager. Hinter dem passiven Anlagestil steht die Auffassung, dass die Portfoliomanager in ihrer Mehrzahl letztlich zu langsam bei der Beschaffung neuer Informationen und bei ihrer Umsetzung in Transaktionen ist. Wenn ein Privatanleger von „Neuigkeiten" erfährt, dann sind sie bereits einige Stunden bekannt und haben sich bereits in entsprechenden Kursbewegungen ausgedrückt. Selbst ein Anleger, der neue Informationen nach wenigen Minuten erfährt, ist heute zu langsam. Lediglich eine ganz kleine Minderheit auf das Erfahren neuester Wirtschaftsnachtrichten spezialisierter Trader, die über elektronische Handlungssysteme Meldungen direkt in Transaktionen — meist an den Derivatbörsen — umsetzen, können noch hoffen, aufgrund der schnellen Umsetzung neuer Nachrichten einen Vorteil zu erhalten. Doch bereits wenige Sekunden oder allenfalls einer Minute nach ihren Transaktionen hat sich der den neuen Informationen entsprechende Kurs an der Börse eingestellt. Der Privatanleger wäre zu langsam. Die weithin geteilte Vorstellung lautet, dass der Börsenhandel neue Nachrichten (im Regelfall und in wichtigen Marktsegmenten) erstens extrem schnell, gleichsam sofort, und zweitens korrekt umsetzt. Die als dermaßen effizient postulierte Informationsverarbeitung durch die Börse wird als Hypothese der Informationseffizienz oder Efficient Market Hypothesis (EMH) bezeichnet. Angesichts der EMH kann der Privatanleger Nachrichten zwar zur Kenntnis nehmen, doch sie sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz neu und haben aufgrund schneller Börsenreaktion bereits ihre Kraft verloren. So ist es für Privatanleger nicht vorteilhaft, auf neu scheinende Informationen mit Transaktionen zu reagieren. Passivität ist angezeigt.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
45
Trotz der für sie sprechenden Argumente bleibt die EMH ein Postulat. Ihre Gültigkeit muss empirisch überprüft werden. Für normale wirtschaftliche Situationen und die Hauptsegmente der großen Börsen wurde die EMH vielfach bestätigt. Allerdings haben neuere empirische Forschungen zu Tage gebracht, dass Börsen in besonderen Zeiten (Krisen, Umbrüche) und in Nebensegmenten, keine sofortige und korrekte Informationsumsetzung zeigen. Dann besteht die Möglichkeit, durch aktive Stile Vorteile zu erzielen.2 Heute werden vielfach der passive und der aktive Anlagestil miteinander kombiniert. Dazu wird der Core-Satellite-Ansatz praktiziert. Ein bestimmter Teil, meist der größere Teil der anzulegenden Mittel wird passiv gehalten. Dieser Kern (Core) soll die strategische Asset-Allokation widerspiegeln. Der Rest wird aktiv gemanagt. Vielfach wird der restliche Teil halbiert und nach zwei verschiedenen Stilen aktiv gemanagt. Entweder sollen diese Satelliten das Risiko reduzieren oder die erwartete Rendite erhöhen. Auch der passive Anlagestil verlangt gelegentliche Anpassungen des Portfolios. Zum einen verändert sich das Investment-Opportunity-Set durch die Wirtschaftsentwicklung. Immer wieder werden neue Finnen gegründet und einige gehen später an die Börse. Unternehmen werden im Verlauf der Jahrzehnte reif, manche verschwinden. Dasselbe geschieht auf sektoraler Ebene. In älter werdenden Branchen werden generell Restrukturierungen nötig. Auf der anderen Seite entstehen neue Industriesektoren und gelangen zur Blüte. Der Index, an dem sich das passiv geführte Portfolio vielleicht orientiert, ist anders zusammengesetzt. Mit Buy-and-Hold dürfen solche Veränderungen des IOS nicht übersehen werden, was fallweise Anpassungen verlangt. Sonst hat man in zehn Jahren ein Portfolio, das an der neuen Ausrichtung der Wirtschaft vorbeigeht. Zum anderen entwickeln sich die im Portfolio vertretenen Asset-Klassen durch die Kursentwicklung. Die Ist-Gewichtung der Anlageklassen weicht stets von der Soll-Gewichtung ab, wenn die Renditen unterschiedlich sind. Wenn in einem Jahr Aktien eine höhere Rendite als Bonds haben, so erhält bei Buy-and-Hold das Portfolio eine höhere Aktienquote als bei der ursprünglichen strategischen Asset-Allokation vorgesehen. Zur Anpassung muss nach einem guten Aktienjahr ein Teil der Aktien verkauft werden. Das Geld wird für den Zukauf von Bonds verwendet. Selbstverständlich könnte es auch sein, dass nach einem Kurseinbruch bei Aktien einige Bonds und auch Geldmarktinstrumente verkauft werden, um den anteilmäßigen Aktienbestand auf das Soll zu bringen. Die Anpassung heißt Re-Balancing. 2 Ist für das aktive Management der Stil festgelegt, dann stellen sich noch zwei Fragen. Die erste lautet, ob der aktive Stil auch nach Transaktionskosten (einschließlich der Kosten für die Informationsbeschaffung) noch dem passiven Stil vorzuziehen ist. Die zweite Frage lautet, ob durch den aktiven Stil nicht zusätzliche Risiken eingegangen werden. So könnte es möglicherweise sein, dass die um diese Risiken adjustierte Rendite, die Performance, doch nicht der durch Buy-and-Hold erzielbaren Performance überlegen ist. Ein Beispiel soll das erläutern. Viele Anleger kennen die Börsenweisheit „Seil in May and Go Away" gehört. In der Tat ist die Rendite, die mit Aktien zwischen Dezember und April erzielt wird, etwas höher. Doch es könnte sein, das gerade in jenen Monaten zusätzliche (beispielsweise konjunkturelle) Risiken eingegangen werden. So kann aus einem Renditevorteil, der mit einer Taktik verbunden ist, nicht erschlossen werden, dass auch die Performance besser wäre.
4β
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Diese gelegentliche (in der Praxis halbjährliche oder jährliche) Anpassung der Asset-Allokation ist selbstverständlich ebenso verlangt, um die Soll-Gewichte von Sektoren und Ländern (Währungen) aufrecht zu halten. Eine häufig erwähnter Anlagestil ist das Indexing. Hierbei wird ein Index gewählt und fortan als „Anlageziel" verstanden. Im Prinzip könnte das dadurch geschehen, dass die im Index enthaltenen Wertpapiere genau ihrer Gewichtung entsprechend in das eigene Portfolio genommen werden. Doch dieser Weg verbietet sich oft, weil viele Indizes, die als Zielsetzung gewählt werden, sich aus einer sehr großen Anzahl von Wertpapieren errechnen. Deshalb wird beim Indexing oft versucht, mit nicht allzu vielen Titeln ein Portfolio zu erzeugen, dass die börsentäglichen Kursbewegungen des Indexes zwar nicht exakt, doch ziemlich genau nachbildet.
2.1.3
Timing
Das Timing ist ein aktiver Anlagestil, eine Taktik, bei der Zeitpunkte des Einsteigens oder Aussteigens für Asset-Klassen — Aktien generell, Bonds oder Währungspositionen — festgelegt werden. Weil die Anlageklassen einem ganzen Markt oder wenigstens einem Marktsegment entsprechen, wird dieser Anlagestil auch als Markt-Timing bezeichnet. Gleichwohl wird die Idee des Timings ebenso auf der Ebene einzelner Bonds oder einzelner Aktien eingesetzt. Ein bekannter Ansatz für das Markt-Timing von Aktien liefert das nach der amerikanischen Notenbank benannte Fed-Modell. Danach gilt die Höhe von Aktienkursen als richtig (im Vergleich zu Anlagen in Bonds), wenn die Gewinnrendite (der Earnings-Yield) von Aktien genauso hoch ist wie die Rendite langlaufender Bonds. Die Rendite dieser Bonds ist durch den langfristigen Zinssatz beschrieben. Der Earnings-Yield einer Aktie, bezeichnet mit EYDy ist der geschätzte (buchhalterische) Gewinn E1 in einem Jahr pro Aktie geteilt durch den augenblicklichen Kurs oder Preis Ρ der Aktie, also EYD = E1 / Ρ.
EYD
—
=
Ρ
— —
(2-1)
KGV
Hier wird eine Buchgröße (Gewinn) in Relation zu einer Marktgröße (Kurs) gesetzt. Hinweis: Die Dividendenrendite, auch als direkte Rendite bezeichnet, ist geringer als die Gewinnrendite EYD, weil Firmen nur einen Teil ihrer Gewinne ausschütten. Die Gewinnrendite EYD ist gleich dem Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses KGV
(Pri-
ce-Earnings-Ratio):
KGV
=
~
(2-2)
1
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
47
Das Fed-Modell betrachtet die Gewinnrendite des Gesamtmarktes für Aktien. Sie wird als Durchschnitt der Gewinnrenditen aller Aktien eines Marktes verstanden, etwa dem der US-Aktien, und beschreibt das Kursniveau des Gesamtmarktes. Ist sie hoch, dann sind Aktien „billig". Ist sie gering, sind Aktien „teuer". Die Empfehlung lautet: •
Verkaufe alle Aktien, sobald der Earnings-Yield EYD geringer ist als der langfristige Zinssatz. Kaufe alle Aktien, wenn der EYD über dem Zinssatz liegt.3
•
Schätzungen zeigen: Das mittlere KGV der letzten dreißig Jahre über alle Aktien weltweit gesehen ist 17, der entsprechende EYD also 5,9% . Beispiel 2-2: Im Wirtschaftsabschwung oder in einer Rezession, so auch im Jahr 2008, haben viele Anleger Angst. Sie verkaufen ihre Aktien und das Kursniveau reduziert sich. Sie legen das Geld stattdessen in Bonds an, so dass deren Kurse steigen und somit der langfristige Zinssatz eher sinkt. Eigentlich entsteht auf diese Weise bald ein Kaufsignal für Aktien. Doch durch den Wirtschaftsabschwung verringern sich die erwarteten Gewinne. Es kommt also darauf an, ob der neue Earnings-Yield, berechnet aufgrund des reduzierten Kursniveaus und der vermutlich geringeren Gewinne des Folgejahres, größer ist als der inzwischen gesunkene langfristige Zinssatz. Nur wenn das der Fall ist, sollte man nach dem Fed-Modell in Aktien einsteigen. •
2.1.4
Stock-Picking
Ebenso populär wie das Timing ist das Picking. Es wird eher für Aktien als für Anleihen praktiziert, weshalb gleich vom Stock-Picking gesprochen wird. Dieser Anlagestil wird durch die Analystenreporte und die Kauflisten unterstützt. Stock-Picking: Nach einer gewissen Methode werden einzelne Aktien oder Aktiengruppen (Sektoren, Länder, Growth, Value) ausgewählt, die gekauft oder im Portfolio höher gewichtet werden sollten. Die nicht ausgewählten Titel oder Gruppen von Aktien werden entweder überhaupt nicht in das Portfolio aufgenommen oder (gemessen an der strategischen Asset-Allokation) untergewichtet. Eine Frage lautet, wie Analysten zu ihren Kaufempfehlungen kommen. Früher wurden die Aktien allein an Hand ihres KGV ausgewählt. Aktien mit einem geringen KGV galten als billig, die mit einem hohen KGV hingegen als teuer. Auch heute orientieren sich viele Privatanleger allein an dieser Kennzahl — womit sie sich nicht weit vom Fed-Modell entfernen. Auch für das StockPicking wird das KGV nicht mit dem letzten Gewinns E0 ermittelt, sondern mit Gewinnschätzungen El für das noch laufende Geschäftsjahr. 3
Das Fed-Modell vergleicht mithin die Attraktivität zweier Anlageklassen, Aktien und Bonds. Es empfiehlt, den Gesamtbetrag jeweils in der augenblicklich „rentableren" Klasse zu halten. Das Fed-Modell betrachtet keine dritte Anlageklasse. Insbesondere bleibt Cash außer Betracht. Dabei könnte Cash bei anziehenden Zinsniveaus durchaus attraktiv sein, weil bei steigenden Zinsen Anleihen Kursverluste erleiden.
48
TEIL I —
GRUNDLAGEN
So ist El der Gewinn, der von der Unternehmung in einem Jahr als Ergebnis genannt werden dürfte. Dieser „Gewinn in einem Jahr" wird von Analysten geschätzt. Heute werden auch andere Kennzahlen, komplexere Modelle und weitere Beurteilungskriterien herangezogen, um ein erfolgreiches Schema für das Stock-Picking zu erhalten. Das Picking wird nicht nur auf der Ebene einzelner Wertpapiere praktiziert. Die Idee des Wählens und Abwählens eignet sich ebenso für Asset-Klassen, so für Branchen bei Aktien und für Länder oder Währungsgebiete bei Bonds. Das Picking auf der Ebene von Anlageklassen wird in der Regel so umgesetzt, dass ihre Gewichtung gegenüber der strategischen Asset-Allokation modifiziert wird. Es werden also nicht einfach Branchen oder Länder ausgewählt und der gesamte Betrag allein auf sie verteilt, während andere völlig unberücksichtigt bleiben. Stattdessen werden einige Anlageklassen etwas übergewichtet, die anderen etwas untergewichtet. Die empfohlene Abweichung von den Gewichten der strategischen Asset-Allokation wird in Prozentpunkten ausgedrückt. Wer empfiehlt was? 1. Kundenberater konzentrieren sich auf die strategische Asset-Allokation ihrer Kunden und vermeiden es, besonders bei einem ersten Gespräch, auf die Taktik einzugehen. 2. Die bei Banken tätigen Analysten raten klar zu einem moderat aktiven Portfoliomanagement. Sie nennen jene Branchen (bei Aktien) und jene Länder (bei Bonds), die sie gegenüber der strategischen Asset-Allokation über- beziehungsweise untergewichten würden. Ein moderat aktives Portfoliomanagement liegt vor, wenn die Transaktionen in einem Jahr höchstens die Hälfte des Finanzvermögens ausmachen. 3. Die im TV interviewten Analysten haben hingegen für die Zuschauer immer Tipps für eine ausgeprägt taktische Asset-Allokation parat. Die Zuschauer wären enttäuscht, wenn nach einem Interview über Zinsen, Konjunktur und den „China-Faktor" nicht endlich konkrete Tipps folgten. Viele Privatanleger tätigen darauf Verkäufe und Käufe. Wenn ein Portfolio in einem Jahr mehr als einmal „gedreht" wird, dann wird der Anlagestil als aggressiv angesehen.
2.1.5 Zyklisches
Investment
Nach dem Timing und dem Stock-Picking kommen wir zu einem dritten Anlagestil für das aktive Portfoliomanagement. Es geht um eine graduelle Anpassung der Aktienquote je nachdem, ob sich das Kursniveau an der Börse nach oben oder nach unten bewegt. Hier würde jedermann denken, dass der Investor am besten die Aktienquote erhöht, falls die Kurse steigen. Andererseits wird der Investor schnellstens aussteigen wollen, wenn die Kurse fallen. Dies ist der Stil eines prozyklischen Investments. Anders als beim Timing nach dem Fed-Modell wird beim prozyklischen Investment die Attraktivität von Aktien nicht im Vergleich mit der Rendite von Bonds beurteilt. Stattdessen wird die
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
49
Attraktivität von Aktien anhand der Kursbewegungen der letzten Zeit beurteilt. Beim prozyklischen Investment versucht der Anleger, noch auf den Zug zu springen, wenn er erkennt, dass sich der Zug in Bewegung gesetzt hat. In der Tat kann mit Hilfe von Durchschnittslinien trotz börsentäglicher Schwankungen festgestellt werden, ob sich die Börse in der letzten Zeit nach oben, seitwärts oder eher nach unten bewegt hat. Doch sollten die damit geweckten Hoffnungen auf eine klare Identifikation der aktuellen Börsensituation und die Hoffnung auf eine daraus abgeleitete Prognose nicht zu hoch gegriffen werden. Erstens stellt die Frage, auf welche Frist die Durchschnittsberechnung vorgenommen werden sollte. Außerdem gibt es Kurssprünge. Innerhalb weniger Tage können sich die Kurse von Aktien leicht um 10% nach oben oder auch nach unten bewegen. Die Möglichkeiten der klaren Identifikation und die der Fortschreibung erweisen sich als sehr gering. Zu stark spielen zufallige Überraschungen hinein. Zudem gibt es bei der Umsetzung eines prozyklischen Investments immer eine zeitliche Verzögerung: Wer es vorhat, wird letztlich der Börse immer nachlaufen. 4 Die Idee fasziniert: Wer es schafft, schnell sein Exposure zu erhöhen, partizipiert. Wer bei einer Kursbewegung nach unten schnell die persönliche Aktienquote reduziert, erreicht Kapitalschutz. Prozyklisches Investment ist eine Form von Portfolio-Insurance. Das Anlageziel ist nicht, einem Index zu folgen, sondern die Null-Linie zu übertreffen. Deshalb wird auch von Absolute Return gesprochen. Portfolio-Insurance (Kapitalschutz, Absolute Return) ist für Kunden wichtig, die zwar die Chancen für Gewinne (Upside) behalten wollen, aber zugleich Schutz gegen die Gefahr einer Abwärtsbewegung (Downside) suchen. Ihr Vergleichsmaßstab ist die nominale Kapitalerhaltung (Rendite 0%). Diese Anleger haben eine geringe Risikotragfähigkeit und zugleich eine hohe Risikotoleranz. 5 Das prozyklische Investment kann nicht nur durch schnelles Kaufen und Verkaufen umgesetzt werden. Wir werden (in Kapitel 18) sehen, dass prozyklische Investments ähnliche Eigenschaften erzeugen, wie sie durch eine Call-Option auf eine Aktie oder einen Aktienindex gegeben sind: Steigen die Kurse, ist man dabei. Wenn das Kursniveau fällt, dann wird der Wert der Option zwar immer geringer, aber nicht negativ. Investoren, die Portfolio-Insurance als Anlagestil wählen, möchten daher von der Form und Art der Partizipation her die Aktien in ihren Portfolios durch Call-Optionen ersetzen. Äquivalent dazu ist die Ergänzung des Aktienportfolios durch Hinzunehmen von Put-Optionen. Wird die Portfolio-Insurance durch Positionen mit Optionen verwirklicht, kann es quasi passiv geschehen. Dennoch gibt es Schutz gegen Abwärtsbewegungen. 6
4
Eine der Ursachen für den Börsencrash 1987 war, dass immer mehr institutionelle Manager mit elektronischen Handelsprogrammen versuchten, Portfolio-Insurance durch schnelles Verkaufen zu verwirklichen. 5
Das Anlageziel ist nicht, einen Index zu folgen, sondern die Null-Linie zu übertreffen. Was bei Absolute Return zählt, ist die Rendite als (hoffentlich positive) Zahl, g Die Portfolio-Insurance und der Einsatz von Optionen wurden zu einem populärem Stil, nachdem 1973 die Formel v o n FISCHER BLACK ( 1 9 3 8 - 1 9 9 5 ) u n d M Y R O N SCHOLES f ü r d e n P r e i s e i n e r O p t i o n e i n t i e f e r e s V e r s t ä n d n i s f ü r
Optionen und ihren Wert ermöglichte.
TEIL I —
so
GRUNDLAGEN
Allerdings ist kein Kapitalschutz kostenlos zu haben. Weil eine Option für den Inhaber einen positiven Wert hat, ist Portfolio-Insurance teuer. Das versteht sich von selbst, denn jeder möchte eigentlich diese Ergebnisse haben: Gut träumen (Partizipation bei eventuellen Aufwärtsbewegungen) und gut schlafen (Schutz bei Abwärtsbewegungen). Weil jeder Investor diese Ergebnisse haben möchte, müssen sie im Kapitalmarkt teuer sein. Fazit: Zwar behält man als Investor alle Chancen (gut träumen) und ist zugleich abgesichert (gut schlafen), doch letztlich hat man damit eine Strategie mit magerer Rendite eingeschlagen — das Essen ist bescheiden. Gleiches trifft für die Absolut-Return-Strategien zu, die dasselbe anstreben: Die Chancen des Upside behalten und zugleich gegen die Gefahr eines Downside geschützt sein. Der Schutz des Portfolios unter Beibehaltung der Chancen wird mit einem Rückgang der erwarteten Rendite bezahlt. Anstatt einen zyklischen Stil (durch laufendes Kaufen und Verkaufen) zu fahren oder stattdessen die passenden Optionsgeschäfte zu tätigen, können auch Strukturierte Produkte erworben werden, die dasselbe leisten. Diese Strukturierten Produkte kombinieren ein Investment in das Wertpapier, einen Basket oder einen Index mit Optionen. 7 Prozyklische Strategien sind demnach Stile, die Chancen wahrnehmen und zugleich Schutz bieten, letztlich aber nur eine magere Rendite abwerfen. Der prozyklische Stil ist mit der Momentum-Strategie verwandt. Mit dem Begriff Momentum wird ein Schwungrad-Effekt unterstellt: Die Annahme ist, dass sich Trends bilden und sogar noch verstärken. Sodann halten sie für eine gewisse Zeit, bis sie plötzlich zusammenbrechen. Für diese Annahme spricht eine intuitive Erklärung: Ein Trend, falls er einmal da und erkennbar sein sollte, wird immer weitere Investoren anziehen (die unterstellen, warum auch immer, dass er sich fortsetzt). Es ist wie mit einer Mode. Bei einer Momentum-Strategie versucht der Investor Trends zu identifizieren. Werden positive Trends erkannt, dann erhöht der Investor sein Exposure. Wird ein Trendbruch oder ein nach unten führender Trend identifiziert, reduziert der Investor das Exposure. Sein Motto: „Make the trend to be your friend." Diese Strategie wird für einzelne Aktien ebenso praktiziert wie für Branchen und Länder. Beispiel 2-3: Wegelin & Co., 1741 gegründet und älteste Privatbank der Schweiz, bietet ihren Kunden einen Active Momentum Ansatz, der über einen Fonds auch Privatanlegern offen steht. Ziel ist es, in die Aktienmärkte und Branchen mit dem besten Momentum zu investieren. Das Modell beobachtet die 17 größten Aktienmärkte der Welt sowie die 10 globalen Branchen gemäß dem Morgan Stanley Capital International (MSCI) Index. Laufend werden mit einem quantitati-
7
1. J. MAXIMILIAN DRESSENDÖRFER: Zyklische und antizyklische Investment-Strategien. Theoretische Fundierung und empirische Überprüfung am Schweizer Aktienmarkt. Dissertation der Universität St. Gallen 1999. 2. STEFFEN
TOLLE, BORIS HUTTER, PATRIK ROTHEMANN UND HANSPETER WOHLWEND: Strukturierte
Vermögensverwaltung.
Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2005.
Produkte
in
der
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
51
ven Ansatz 5 bis 6 Märkte oder Branchen ausgewählt, die das stärkste Momentum zeigen. Die Taktik wird mit Indexprodukten realisiert. • Dem prozyklisch orientierten Investor (wie dem Käufer von Optionen) stehen antizyklisch handelnde Investoren (oder Verkäufer von Optionen) gegenüber — nicht nur begrifflich, sondern konkret. Denn wenn ein prozyklischer Investor beim Kursrückgang verkauft, muss es ja einen anderen Investor geben, der genau dann kauft. Der antizyklische Investor kauft, wenn die Kurse fallen, noch nach. Bei steigenden Kursen versucht er nicht, wie ein Narr den Gipfel zu treffen, sondern er verkauft bereits zuvor, noch in einer Zeit steigender Kurse. Diese Strategie sieht auf den ersten Blick riskanter aus, doch sie ist bei dauerhafter Anwendung geeignet, eine höhere Rendite abzuwerfen. Der antizyklische Investor kann schlecht träumen (er ist bei Aufwärtsbewegungen dann irgendwann nicht mehr dabei), er kann schlecht schlafen (weil, wenn es nach unten geht, er sein Engagement erhöht), doch er kann gut essen. Investoren, die dem antizyklischen Stil folgen, werden Contrarians genannt. Ihr Motto: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom."
2.1.6 Long-Short Der vierte Stil ist der von Hedge-Funds. Auch wenn Hedge-Funds nach verschiedenen Stilrichtungen kategorisiert werden, weisen sie große Gemeinsamkeiten auf. Es gibt einen Grundstil, der bei den meisten Hedge-Funds mitwirkt oder sogar dominiert. Es ist der Stil, in umfangreichem Maß Kredite aufzunehmen um damit die Positionen für das Portfolio zu finanzieren (Leverage). Generell ist dieser Anlagestil durch das Eingehen von Long-Short-Positionen gekennzeichnet. Ein Kredit gleicht einer Short-Position im Geldmarkt: Der Investor nimmt den Geldbetrag auf und zahlt ihn mit Zinsen zurück. Ein Long-Short-Portfolio besteht nicht allein aus „Long-Positionen" in Aktien und Wertpapieren und einem eventuellen Kredit. Ein Long-Short-Portfolio kann auch „Short-Positionen" in Aktien oder allgemeiner Wertpapieren enthalten. Eine „Short-Position" ist die Verpflichtung des Portfolioinhabers, das Wertpapier jemandem zu einem zukünftigen Zeitpunkt zurückzugeben. Solche Short-Positionen in Wertpapieren entstehen durch die Wertpapierleihe (Securities Lending). Der Portfoliomanager hat sich ein Wertpapier von einem Dritten ausgeliehen — und versprochen, es später einmal zurückzugeben. Solche Ausleihungen haben verschiedene Gründe, doch der wohl wichtigste ist, dass der Portfoliomanager das ausgeliehene Wertpapier verkauft. Da der Portfoliomanager das verkaufte Wertpapier selbst nur geliehen hat, spricht man von einem Leerverkauf. Dadurch erhält der Portfoliomanager zunächst einmal den Verkaufserlös, hat aber zugleich die Verpflichtung, das Wertpapier später wieder zurückzugeben. Wenn der Zeitpunkt der Rückgabe kommt, muss der Portfoliomanager ein Wertpapier derselben Art kaufen. Er muss einen Deckungskauf tätigen. Solche ShortPositionen (Leerverkaufspositionen) haben selbstverständlich ein beträchtliches Risiko, denn der Kurs des Wertpapiers könnte steigen. Offensichtlich gehen Portfoliomanager dennoch solche Short-Positionen ein, leihen sich das Wertpapier, tätigen Leerverkäufe und spätere Deckungskäu-
52
TEIL I — GRUNDLAGEN
fe, sofern sie einen Kursverfall erwarten. Falls diese Prognose eintritt, können die Portfoliomanager die Deckungskäufe zu geringen Kursen tätigen. Ein Long-Short-Portfolio umfasst 1. in einzelnen Wertpapieren Long-Positionen, 2. in anderen Short-Positionen und 3. möglicherweise Schulden durch eine Kreditnahme. Long-Short ist ein Anlagestil, bei dem stark von Leverage und von Short-Positionen Gebrauch gemacht wird. Er wird als aggressive Art gesehen, im Markt gleichzeitig als Anbieter und Nachfrager aufzutreten. Die Wertpapierleihe wird durch Banken vermittelt. Viele private und institutionelle Anleger erlauben ihrer Bank, dass sie dem Depot Wertpapiere entnimmt, um sie einem interessierten Investor zu leihen. Die Bank garantiert diesen Kunden, dass sie die ausgeliehenen Wertpapiere auch wirklich zurückerhalten. Außerdem vergütet die Bank ihren Kunden ein (geringes) Leihentgelt. Es ist eine Kompensation für das Ausfallrisiko der Bank und die Gefahr, dass die Bank ihre Garantie nicht einhalten kann. Vom Investor, der sich das Wertpapier ausleiht, verlangt die Bank erstens Sicherheiten und zweitens ein (etwas höheres) Leihentgelt. Die Sicherheiten bedingen Kosten oder Ertragsausfälle, denn hier sind finanzielle Reserven, Cashpositionen, verlangt. Dadurch und durch das Leihentgelt verringert sich die Rentabilität des aktiven Anlagestils. •
Die Wertpapierleihe, Leerverkäufe und anschließende Deckungskäufe sind also für Investoren interessant, die aufgrund eigener Analysen denken, dass es zu einem deutlichen Kursrückgang kommt. Für den Markt als Ganzes und die Informationseffizienz ist es vorteilhaft, wenn die Wertpapierleihe und das Eingehen von Short-Positionen erlaubt wird. Denn neue Informationen können sieb schneller in Kursänderungen ausdrücken. Insbesondere negative Informationen führen zu sofortiger Kursreaktion. Dadurch kann es nicht passieren, dass ein wenig wissender Anleger beim Kauf noch zuviel bezahlt.
•
Außerdem erhöht die die Wertpapierleihe die Liquidität des Marktgeschehens. Wenn jemand von einem Market-Maker beispielsweise eine Aktie einer kleinen Unternehmung kaufen möchte und der Market-Maker gerade diese Aktie nicht hat, leiht er sie sich schnell aus und kann sie so dem Interessenten verkaufen. Der Market-Maker hat dann etwas Zeit, die an sich wenig liquide Aktie zu kaufen, um sie seinerseits zurückzugeben.
•
Ab und zu verwenden Manager von Hedge-Funds ihre Aktienpositionen als Drohmittel der Unternehmensführung gegenüber. So üben sie mehr Macht aus als beispielsweise Vertreter einer Pensionskasse: Passive Investoren stellen auf der Hauptversammlung selten Fragen und bauen eine Aktienposition auch nicht ab, selbst wenn ihnen die Präsentation von Ergebnissen und Unternehmensstrategie durch den Vorstand missfällt.8
o In jüngster Zeit sind Hedge-Fund-Manager dazu übergegangen, diese Macht auszuspielen, um die Geschäftspolitik der Unternehmen zu beherrschen. Vorstände müssen erkennen, dass die Zeit des duldsamen Aktionärs vorbei ist und von der Seite des Kapitalmarktes Renditeforderungen kampfbereit artikuliert werden. So erwirtschaften Hedge-
2.
53
PORTFOLIOMANAGEMENT
Der erste Hedge-Fund wurde 1949 von ALFRED W. JONES als Aktienfonds gegründet. JONES fügte den traditionellen Elementen des Aktienfonds zwei neue hinzu: 1. Leverage und 2. Leerverkäufe. Er kaufte Aktien mit umfangreichen Lombardkrediten und tätigte zugleich Leerverkäufe in anderen Aktien und in Wertpapieren, deren Kurse ihm zu hoch schienen. Im Jahr 1966 wurde in der Zeitschrift Fortune über diesen neuen Stil berichtet. Heute verwalten Hedge-Funds Kundengelder in Höhe einer Billion Euro. 9 Fazit: Der Stil ist ein Schema, nach dem gewisse einzelne Wertpapiere oder Gruppen von Wertpapieren (Asset-Klassen) sowie Zeitpunkte für den Kauf und Verkauf gewählt werden. Oft geschieht dies anhand von Kennzahlen. Die vier bekanntesten Stile sind: 1. Das Timing, zu dem einzelne Aktien oder Aktien generell beziehungsweise Bonds gekauft und verkauft werden, 2. Die Selektion (Stock-Picking), 3. Der prozyklische Stil (Portfolio-Insurance, Absolute Return, Momentum) oder der antizyklische Stil, 4. Long-Short.
2.1.7
Welcher
Stil
funktioniert
an
der
Börse
?
Bei der Geldanlage müssen Glück und Pech einerseits und systematische Effekte andererseits unterschieden werden. Allgemein wird die Sicht vertreten, dass ein aktiver Stil nicht einfach auf Anekdoten beruhen darf oder dem augenblicklichen Gefühl des Investors folgen sollte. Vielmehr verlangt jeder Anlagestil eine klar definierte Methodik und die Disziplin, dem Ansatz streng zu folgen. Ansonsten könnte der Erfolg nicht kontrolliert werden (Evaluation) und man weiß am Ende nicht, ob der Anlagestil nun erfolgreich war oder ob lediglich der Zufall das Ergebnis in ein positives oder negatives Licht gestellt hat. Die Wissenschaft hat Anlagestile evaluiert, vor allem Stile für das Portfoliomanagement von Aktien, aber auch Stile für das Management von Bonds und von Währungspositionen. Bei Aktien wird jeder zu untersuchende Stil durch ein Kriterium ausgedrückt, das wiederum durch eine Kennzahl quantifiziert werden kann. Dann wird das Universum an Aktien nach dieser Kennzahl neu sortiert. Der Anlagestil besteht nun darin, stets in jene Aktien zu investieren, welche die höchsten Kennzahlenwerte haben. Aktives Portfoliomanagement verlangt: 1. Die Wahl des einzuschlagenden Stils, die Festlegung der Regel, nach der vorgegangen werden soll. 2. Die Erhebung und Beobachtung der Kennzahlen, aus denen die taktischen Maßnahmen abgeleitet werden. 3. Disziplin bei der Umsetzung. 4. Evaluation der eingegangenen Risiken und der erzielten Rendite. Um die Wirkungen eines Anlagestils zu betonen, werden für jeden Stil zwei Gruppen von Aktien herausgegriffen: diejenigen mit den höchsten und diejenigen mit den niedrigsten Kennzahlenwerten. Sodann wird ein Portfolio gebildet, das long in der Gruppe von Aktien mit den höchsten Kennzahlenwerten und short in der Gruppe der Aktien mit den geringsten Kennzahlenwerten ist. Funds einen Teil ihrer Rendite durch Selektion, Timing und durch Long-Short, also durch Stil, während ein anderer Teil ihrer Rendite gleichsam als Unternehmerlohn zu interpretieren ist, mit dem ihr Mitwirken an der Geschäftspolitik honoriert wird. 9
ALEXANDER M. INEICHEN: Absolute
returns. Wiley & Sons, N e w Jersey 2003.
54
TEIL
I
-
GRUNDLAGEN
Beispiel 2-4: Bei einem Anlagestil werden periodisch wiederkehrend alle Aktien nach ihrer Dividendenrendite sortiert. Sodann wird in die Hälfte derjenigen Aktien investiert, welche die höchste Dividendenrendite aufweisen (Long-Positionen). Zugleich werden Short-Positionen in der anderen Hälfte von Aktien, in denen mit der geringsten Dividendenrendite, eingegangen. Sodann wird die Rendite dieses Long-Short-Portfolios beobachtet. Die Rendite dieses Long-Short-Portfolios entspricht dem Renditeunterschied zwischen Aktien mit hoher und jenen mit geringer Dividendenrendite (wenn von Kosten für die Sicherheiten und Leihgebühren abgesehen wird). Sodann wird untersucht, ob die eben definierte Renditedifferenz über viele Jahre hinweg eher positiv ist. Wenn ja, würde es sich als Stil anbieten, Aktien nach ihrer Dividendenrendite zu selektieren.· Beispiel 2-5: Alle Aktien werden nach ihrem Momentum sortiert, das durch die Rendite des letzten Quartals ausgedrückt wird. Das Portfolio wird alle drei Monate neu zusammengesetzt: Gekauft werden jenes Drittel von Aktien, die das höchste Momentum oder höchste Quartalsrendite zeigten. Leer verkauft wird das Drittel von Aktien mit der geringsten Quartalsrendite. Wieder wird die Rendite dieses Long-Short-Portfolios untersucht. Ist sie langfristig positiv, dann scheint die Momentum-Strategie attraktiv zu sein. Das ist der Fall. Allerdings muss untersucht werden, ob sie (neue) Risiken mit sich bringt. • Die für die wissenschaftliche Untersuchung gebildeten Long-Short-Portfolios werden mit „X Minus Y" bezeichnet. Die bekanntesten sind: •
SMB (Small Minus Big): Kaufe die Aktien kleinster Gesellschaften und verkaufe (nehme Short-Position ein) gleichzeitig die Aktien der größten Unternehmen.
•
H M L (High Minus Low): Dieser Stil bezieht sich auf Book-to-Market, auf die Relation B/M zwischen dem Buchwert und dem Marktwert der Unternehmen. Das Schema lautet: Kaufe die Aktien von Unternehmen mit einem hohen Book-to-Market — das sind vor allem Value-Stocks und Aktien von Firmen in der Sanierung — und gehe gleichzeitig short in den Aktien von Unternehmen mit geringem Book-to-Market (das sind vor allem Growth-Stocks und die sehr bekannten und beliebten Glamour-Stocks).
•
UMD (Up Minus Down): Kaufe Aktien, deren Kursentwicklungen in der letzten Zeit das stärkste Momentum (Trendbildung) zeigten und gehe short in jenen Aktien, die das geringste Momentum zeigten. Für hohe Renditen dieses Stils sollte die Beobachtungsfrist 3 bis 6 Monate betragen. Ähnlich ist WML: (Winner Minus Looser) definiert. 10
Einige Stile bringen anscheinend auf Dauer gute Ergebnisse (während andere nach ihrer Entdekkung und Publikation die Wirksamkeit verloren haben). So verwundert, dass nicht alle Investoren die dauerhaft wirksamen Stile übernehmen.
10
1. EUGENE F. FAMA und KENNETH R. FRENCH: Common Risk Factors in the Returns on Bonds and Stocks. Journal of Financial Economics 33 (1993), p. 3-53. 2. M. M. CARHART: On persistence in Mutual Fund Performance. Journal
of Finance
5 2 ( 1 9 9 7 ) 1, 5 7 - 8 2 . 3. M . GRINBLATT, S. ΤΓΓΜΑΝ und R. WERMERS: M o m e n t u m
Investment Strategies, Portfolio Performance and Herding: A study of Mutual Fund Behaviour. American Economic Review
8 5 ( 1 9 9 5 ) 5, 1 0 8 8 - 1 1 0 5 .
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
SS
Zwei Erklärungen bieten sich an: •
Einige Forscher vertreten die Ansicht, es liege an der Psychologie der Menschen. Sie empfehlen die Behavioral Finance um zu klären, weshalb Menschen die allgemein als erfolgreich erkannten Stile nicht übernehmen.
•
Andere Forscher zeigen, dass die erfolgreichen Stile mit gewissen (zusätzlichen) Risiken verbunden sind. Diese Anlagestile haben also letztlich eine höhere Rendite, weil sie riskanter sind. Investoren ahnen, dass es diese zusätzlichen Risiken gibt. Unbewusst oder bewusst meiden sie diese Stile, weil sie von den zusätzlichen Risiken besonders betroffen wären. Wir gehen in Kapitel 10 darauf ein. Als Style-Investing werden Ansätze für die taktische Asset-Allokation verstanden, in der so vorgegangen wird: 1. Die Aktien werden nach einem bestimmten Merkmal sortiert. 2. Sodann wird eine Gruppe von Aktien mit hoher Merkmalsausprägung gekauft. 3. Gleichzeitig wird die Gruppe von Aktien mit geringen Merkmalsausprägungen verkauft (vergleiche Kapitel 16).
2.2 Portfoliotheorie Lernziele: Von den Denkweisen der Markttechniker und der Fundamentalisten bis zur Modernen Portfoliotheorie.
2.2.1 Markttechniker Auf dem Weg zur Entwicklung der wissenschaftlichen Portfoliotheorie wären zahlreiche Meilensteine zu erwähnen. Wir konzentrieren uns auf zwei. Ein erster Meilenstein sind die Arbeiten von CHARLES DOW, der um 1910 in New York Börsenkurse aufzeichnete und anregte, aus den Kursverläufen (Charts) Prognosen abzuleiten. Diese Ansätze führten dazu, in Kursformationen Signale für das Timing zu erkennen. Die Technische Analyse, die daraus geboren wurde, verwendet nicht nur Kursformationen, sondern Durchschnittslinien und Kennzahlen wie beispielsweise das „Momentum" oder die „relative Stärke". Letztlich unterstellen die Anhänger der Technischen Analyse dies: Die Marktteilnehmer beobachten Kursänderungen und es gibt Berichte in den Medien. Das erfordert etwas Zeit. Aufgrund dieser Diskussionen reagieren die Investoren in einer Weise, die starke Gemeinsamkeiten aufweist (Herdentrieb, Stimmungen). Sie führt zu Transaktionen. Aufgrund der Gemeinsamkeiten entstehen Kursmuster und Formationen. Werden diese Muster und Formationen erkannt, sind Prognosen möglich — so das Postulat.
se
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Diesem Credo der Markttechniker ist hinzuzufügen: Selbst „rationale" Investoren, die den Herdentrieb und Stimmungen erkennen, werden sich zumindest anfangs gleichgerichtet mit den anderen (und vielleicht „irrationalen") Anlegern verhalten. Es wäre unklug, sich zu früh gegen den Strom zu stellen. Rationale Investoren verhalten sich also anfangs konform mit der allgemeinen Marktstimmung. Sie werden sogar versuchen, „irrationalen" Anlegern in ihren Stimmungen vorauszueilen.11 Rationale Investoren verstärken daher Stimmungen und die aus ihnen resultierenden Kursmuster und Formationen. Ist dieses Bild von der Funktionsweise der Kursbildung an Kapitalmärkten korrekt, dann müssten sich immer wieder Trends bilden und einige Zeit halten. Sodann müsste es möglich sein, aus der Identifikation von Trends zu überlegenen Anlageergebnissen zu gelangen. Das Postulat der Markttechniker hat zu zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen geführt. Sie prüfen, ob aus historischen Kursverläufen wirklich eine überlegene Handelsstrategie, eine Art von Timing, abgeleitet werden kann oder nicht. Während die Antworten bis 1995 eher zu einer Ablehnung der Wirksamkeit der Markttechnik führten, bestätigen neuere Untersuchungen: •
Kurzfristig auf drei bis sechs Monate bilden sich Trends und sie setzen sich fort (Momentum). Trends zu identifizieren und dann noch eine Zeit lang darauf zu setzen, dass sie sich fortführen, führt tatsächlich auf eine Renditesteigerung gegenüber Buy-and-Hold. 12
•
Langfristig, auf fünf bis acht Jahre, zeigen sich Umkehrungen (Reversal). Wenn ein Titel oder eine Asset-Klasse stark hinter der allgemeinen Kursentwicklung zurückgeblieben ist, dann setzt der Contrarian auf sie und wartet ein paar Jahre auf ein Come Back.
Wie kann man sich erklären, dass sich Moden und Trends bilden? Warum achten die Marktteilnehmer darauf, was andere tun? Warum halten sie sich nicht an eigene Erkenntnisse? Offensichtlich greift die durch Markttechniker gegebene Beschreibung des Marktgeschehens in einer Situation der allgemeinen Verunsicherung oder einer Situation der Orientierungslosigkeit. Vielleicht befindet sich der Markt in einer Krise und niemand weiß so genau, wann sie zu Ende geht. Dann schaut jeder auf jeden anderen. Oder die Wirtschaft befindet sich in einem technologischen Umbruch und niemand weiß, wie nun das Neue und wie das Alte zu bewerten sei. In all diesen Situationen der Orientierungslosigkeit wird klar, dass die alten Wertvorstellungen und Wertansätze für Kapital und für Investitionen nicht mehr greifen. Deshalb wird jedem Marktteilnehmer bewusst, dass es keinen Sinn macht, sich auf das früher wohl etablierte Wissen zu verlassen und daraus Transaktionen abzuleiten. Dann beginnt die allgemeine Suche. Bei dieser großen Suche — sie erfasst alle Marktteilnehmer — achtet jeder darauf, ob andere vielleicht schon das neue, ab nun korrekte Bewertungsmodell gefunden haben. Daher versucht jeder Marktteilnehmer herauszufinden, was andere tun.
11 Oft wird Politikern dasselbe Verhalten unterstellt: „Meine Meinung ist die der Mehrheit, nur möchte ich versuchen, sie als erster zu formulieren, auf dass ich als Meinungsführer anerkannt und immer zitiert werde".
12 Allerdings könnten dieser Stil auch mit höheren oder anderen Risiken verbunden sein, so mit der Gefahr, dass bei einem Konjunkturabschwung besonders starke Kursverluste eintreten.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
57
Zur Beschreibung des Kapitalmarktgeschehens wäre es deshalb besser, den Herdentrieb nicht als „irrational" zu zeichnen und sich dazu noch einige „rationale" Anführer zu denken, die davon profitieren, dass sie sich vor die Herde stellen. Hilfreicher scheint, den Grad an Information und an Wissen zu betrachten, über den die Mehrheit der Marktteilnehmer verfügt. In den angesprochenen Situationen der Orientierungslosigkeit ist der allgemeine Grad an Wissen und an Wertvorstellungen, die leiten könnten, gering — weil es einen Umbruch oder eine Krise gibt. Ist das allgemeine und als korrekt angesehene Wissen gering, gehen alle auf die große Suche nach dem richtigen Bewertungsmodell. Dabei achten sie darauf, ob andere vielleicht schon das neue Bewertungsmodell gefunden haben. Im Gegensatz dazu stünde ein Kapitalmarktgeschehen, bei dem jeder Teilnehmer über gute und klare Wertvorstellungen verfügt. Jeder kann sich dann an diesen, allgemein als gesichert geltenden Vorstellungen orientieren. Er wird dann Transaktionen aufgrund seiner eigenen Einsicht tätigen — ohne darauf zu schauen, was andere machen. Die eben gezeichnete Verunsicherung über den „richtigen Wertansatz" wurde erstmals in der berühmten Metapher
von KEYNES ausgedrückt. JOHN MAYNARD KEYNES (1883-1946) ist neben
ADAM SMITH der wohl bekannteste Nationalökonom. KEYNES bezieht sich auf einen Schönheitswettbewerb, bei dem Zeitungsleser aufgrund der Fotos ihr Votum abgeben sollen. Als Gewinnerin wird jenes Model angesehen, das die meisten Stimmen erhält. Außerdem prämiert die Zeitung jene Mitglieder der dermaßen breiten Jury, welche für die Gewinnerin gestimmt haben. Diese Struktur findet sich auch in anderen Bereichen: Wer in einem Preisgericht mitgewirkt hat, weiß, dass nicht nur die Kandidaten oder Alternativen, sondern auch die Preisrichter gewinnen und verlieren können. Gewinner unter den Preisrichtern sind jene, die jene Alternative vorschlagen, welche die Mehrheit findet. Verlierer sind jene Mitglieder der Jury, die für Alternativen votieren, die am Ende nur in der Minderheit unterstützt werden. Jeder Preisrichter möchte natürlich zu den Gewinnern gehören. Deshalb interessiert sich ein Preisrichter gar nicht mehr dafür, welcher Kandidat oder welche Alternative aufgrund seiner qualitativen Leistung gewählt werden sollte. Ein jeder Preisrichter möchte nur herausfinden, wie die anderen Preisrichter denken, um auf der Seite der Mehrheit zu stehen. Hier wird von KEYNES eine Marktsituation beschrieben, in der große Unsicherheit über die wahre Qualität der Kandidaten und Alternativen besteht. In einer solchen Situation der Orientierungslosigkeit ist es für alle Umstehenden nur vorteilhaft, die Meinungen anderer (die natürlich auch nichts genaues wissen) herauszufinden und sich ihnen anzuschließen. In solchen Situationen werden „fundamentale" Informationen, wenn es sie geben sollte, missachtet. Die Spekulation darüber, was andere spekulieren, nimmt überhand.
2.2.2 Fundamentalisten Ein zweiter Meilenstein für die Entwicklung der Wissenschaft ist das Buch Security Analysis von BENJAMIN GRAHAM und DAVID DODD, erstmals 1934 publiziert, fünfmal überarbeitet und heute
noch gelobt. Die Autoren, Professoren der Universität Chicago, empfehlen das Stock-Picking
58
TEIL I — GRUNDLAGEN
aufgrund einer vorangegangenen Fundamentalanalyse. Bevor ein Investor Aktien kauft oder verkauft, soll er den wahren Wert einer Unternehmung bestimmt werden. Der Unternehmenswert drückt als Geldbetrag die Nützlichkeit für eine Vielzahl von Personen aus, die Beteiligungs- und Kontrollrechte an der Firma zu erwerben. Der Wert einer Unternehmung leitet sich aus ihrer wirtschaftlichen Kraft ab, in der Zukunft Erträge (Zahlungsüberschüsse) generieren zu können. Um das Potenzial für zukünftige Erträge zu bestimmen, wird die augenblickliche Konstitution der Unternehmung erhoben. Sie ist an der Bilanz und anderen fundamentalen Daten — Produktentwicklung, Organisation, Absatz — erkennbar.
Bild 2-1: BENJAMIN GRAHAM (1894-1976). Die Eltern waren aus London zugewandert. Aufgewachsen ist GRAHAM in New York. Dort hat er an der Columbia University studiert, und ab 1928 selbst Vorlesungen gehalten. Im Jahr 1934 entstand (zusammen mit seinem Kollegen DAVID L. DODD) das Werk Security Analysis, das immer populärer und als "Bibel der Finanzanalyse" apostrophiert wurde. Im Jahr 1949 publizierte GRAHAM The Intelligent Investor, 1950 hat sich WARREN BUFFET bei GRAHAM als Student eingeschrieben. U m 1955
hat sich GRAHAM nach Kalifornien zurückgezogen. Er ist der Begründer der wissenschaftlichen Finanzanalyse.
GRAHAM und DODD bewerten Unternehmungen und finden durch Vergleich von Wert und Kurs heraus, welche Aktien an der Börse unter ihrem Wert gehandelt werden und auf die Kaufliste gehören. Um den Wert mit dem Kurs zu vergleichen, müssen die den Wert bestimmenden Gewinne in Relation zum Kurs gesetzt werden. Dazu haben die Autoren das KGV
herangezogen mit der
Modifikation zu Formel (2-2), dass im Nenner der Durchschnittsgewinn der letzten fünf bis zehn Jahre steht. Man solle die Titel mit einem geringen KGV
kaufen und einige Jahre halten, bis die
Börse den wahren Wert erkannt habe — so die Empfehlung. Auch der Ansatz der Fundamentalisten spiegelt eine Vorstellung von der Funktionsweise der Kapitalmärkte: Im Prinzip könnten die „wahren" und „inneren" Werte einer Unternehmung bestimmt werden. Das Bewertungsmodell — es kommt auf die wirtschaftlichen Ergebnisse an, welche die Unternehmung in Zukunft für die Berechtigten erzeugten wird — ist allgemein anerkannt. Nur verlangt die Bewertung etwas Mühe, weil die „fundamentale" Situation (Konstitution, Perspektiven) erhoben werden müssen. Deshalb sind die Werte nicht allgemein bekannt. Doch immer mehr Investoren ermitteln sie und handeln danach an der Börse, so dass sich dort die Werte schließlich (nach einiger Zeit) in der Kursbildung niederschlagen werden. Diese Vorstellung von der Funktionsweise von Kapitalmärkten wird von vielen Analysten geteilt, wenn sie Kursziele nennen. Die Kursziele sind im Grunde nichts anderes als Werte, die aufgrund von Fundamental-
2.
59
PORTFOLIOMANAGEMENT
daten erhoben werden. GRAHAM gilt als Begründer der wissenschaftlichen
Fundamentalanalyse
von Unternehmen.
2.2.3
Die Moderne
Portfoliotheorie
Ein wissenschaftliches Gebäude, das die Bezeichnung Portfoliotheorie
verdient, ist in den Jahren
1960 bis 1980 entstanden. HARRY MARKOWITZ publizierte 1952, 1956 Aufsätze und 1959 ein Buch über Portfolio Selection. Damit wurde eine intensive wissenschaftliche Diskussion eingelei-
Auf der Grundlage des Ansatzes von MARKOWITZ folgten um 1960 weitere wissenschaftliche Meilensteine von SHARPE, TOBIN und anderen; wenig später wurde entdeckt, dass auch ROY 1952 einen Ansatz zur Portfoliotheorie entwickelt hatte. Das in jenen Jahren entstandene Denkgebäude wird heute als Moderne Portfoliotheorie (MPT) bezeichnet. 13 Die MPT ist revolutionär gewesen. Sie hat der wissenschaftlichen Forschung eine neue Richtung gegeben und die Praxis des Portfoliomanagements grundlegend verändert. 14 Wissenschaftler wie MARKOWITZ und SHARPE versuchten nicht, das Market-Timing,
das Stock-Picking
oder andere
Ansätze zu vertiefen. Sie brachen mit traditionellen Vorstellungen, nach denen man die „richtigen" Titel und die „richtigen" Zeitpunkte finden könne. Sie erfanden die Portfoliotheorie von Grund auf neu, wie in einem genialen Wurf. Dazu setzten sie eine quantitative Denkweise ein: 1. Die Renditen der Wertpapiere werden als Zufallsgrößen betrachtet, beschrieben durch ihre Erwartungswerte, die Standardabweichungen und die Korrelationen (die Gleich- oder Gegenläufigkeit von Wertpapierkursen). Das Grundproblem der Geldanlage besteht darin, mit der natürlichen Unsicherheit der zukünftigen Rendite umzugehen. 2. Die Präferenz der Investoren konzentriert sich darauf, den Erwartungswert dardabweichung
und die Stan-
der Portfoliorendite zu betrachten. Während eine möglichst hohe erwar-
tete Rendite allgemein erwünscht ist, ist die Standardabweichung der Rendite unerwünscht. Denn je größer die Standardabweichung der Rendite ist, desto größer ist ihre Schwankungsbreite und desto ausgeprägter das Risiko. Die erwartete Portfoliorendite soll also möglichst hoch, die Standardabweichung der Portfoliorendite — sie steht für das Risiko — möglichst gering sein. 3. Die Investoren sind nur an den finanziellen Aspekten des Portfolios interessiert. Sie beachten keine weiteren Aspekte der Einzelanlagen.
1. HARRY M . MARKOWITZ: P o r t f o l i o S e l e c t i o n . Journal
of Finance
7 ( 1 9 5 2 ) , 7 7 - 8 1 . 2 . H . M . MARKOWITZ: T h e
optimization of a quadratic function subject to linear constraints. Naval Reserach Logistics Quarterly 3 (1956), 111133. 3. H. M. MARKOWTTZ: Portfolio Selection: Efficient Diversification of Investment. Yale University Press, New Haven 1959. 4. H. M. MARKOWITZ: Markowitz Revisited. Financial Analysts Journal 32 (1976), 47-52. 14 HARRY M . MARKOWITZ u n d WILLIAM F. SHARPE e r h i e l t e n d e n N o b e l p r e i s
1 9 9 0 ( z u s a m m e n m i t MERTON
MILLER), JAMES TOBIN erhielt den Nobelpreis bereits 1981 (wenngleich für andere Arbeiten).
60
TEIL I — GRUNDLAGEN
Aus diesen Annahmen lässt sich eine reichhaltige und erstaunlich realitätsnahe Theorie entfalten. Die MPT setzt Wahrscheinlichkeitsrechnung und Mathematik ein. Sie liefert quantitative Werkzeuge und Methoden zur Diversifikation von Risiken und zur Maximierung von Portfoliorenditen bei begrenztem Risiko.15
I "*·
Bild 2-2: HARRY M. MARKOWITZ, geboren 1927, modellierte die Diversifikation mathematisch und befasste sich mit Computeralgorithmen zur Berechnung der effizienten Portfolios. Nach dem Studium an der University of Chicago veröffentlichte MARKOWITZ seine Ideen zur Bestimmung effizienter Portfolios: Seine Entdeckung: Zwischen dem Risiko eines Portfolios und den Risiken der Einzelanlagen muss unterschieden werden. Das Risiko eines Portfolios ist nicht gleich dem durchschnittlichen Risiko der Komponenten, sondern hängt wesentlich von den Kovarianzen der Einzelrenditen ab.
Die Moderne Portfoliotheorie ist eine elegante und in sich korrekte wissenschaftliche Theorie. Sie ist leicht verständlich und klar. Als Theorie geht sie von Annahmen aus, von denen die wichtigsten oben genannt sind. Diese Annahmen beschreiben die Realität der Finanzmärkte und das Verhalten der Investoren ziemlich genau — hinreichend genau für alle Anwendungen, in denen nicht die letzte Feinheit an Realitätsnähe verlangt wird. Die Erkenntnisse und Empfehlungen der MPT sind, besonders im Vergleich zu den früheren Ansätzen des Timing und des Stock-Picking, von herausragender wissenschaftlicher Eleganz und praktischer Nützlichkeit. Die MPT ist auch für jene Portfoliomanager Arbeitsgrundlage, die bei den Annahmen der MPT eine zu große Idealisierung der Realität sehen. Das Portfoliomanagement ist zu einer Anwendung der MPT geworden (weshalb dieses Buch sich auf eine Darstellung der MPT und ihrer Anwendungen fokussiert). Wenn ein Portfoliomanager sich heute nicht genau an die Empfehlungen der MPT hält, oder wenn er Abweichungen zwischen der Realität und den in der MPT getroffenen Annahmen entdeckt, dann muss er begründen, worin die Unterschiede zur MPT genau bestehen und was sich gegenüber den Empfehlungen der MPT durch diese Abweichungen ändert. Die MPT setzt dadurch einen Standard, den jeder kennt und der als Ausgangspunkt für Fachgespräche dient. Viele Menschen sehen bei der MPT als kritischsten Punkt die Annahme, Renditen seien „rein zufällig". Damit rückt die MPT Versuche in den Hintergrund, Trends zu identifizieren und die Kursentwicklung zu prognostizieren. 15
Portfoliomanager setzen das Geld anderer Leute ein. Sie müssen ihre Entscheidungen rechtfertigen. Deshalb folgen sie kaum der eigenen Stimmung oder Intuition, die sich schlecht erklären lässt. Sie verwenden Modelle und Methoden, deren Aussagekraft in professionellen Kreisen akzeptiert ist. Methoden fördern die Objektivität.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
61
Ebenso rückt die MPT das Fundamental-Modell in den Hintergrund, nach dem für Aktien (und andere Kapitalanlagen) Werte bestimmt werden können und sich die Kurse tendenziell in Richtung der Werte bewegen. Scheinbare Widersprüchlichkeiten zwischen MPT sowie Markttechnik und Fundamentalanalyse wurden durch die Hypothese der Markteffizienz (EMH, Kapitel 7 ) aufgelöst. MARKOWITZ und die anderen Begründer der MPT haben sich nicht mit Prognosen auseinandergesetzt. Sie haben die — wenn man so will, stets verbleibende — Unsicherheit in den Mittelpunkt gerückt. Ihre Frage lautet: Wie soll der Investor mit dieser Unsicherheit umgehen? Für die Markttechniker und die Fundamentalisten liegt das Grundproblem der Geldanlage darin, eine Prognose für die Renditen aufzustellen. Für die Anhänger der MPT liegt das Grundproblem der Geldanlage in der Aufgabe, mit der natürlichen Unsicherheit der zukünftigen Rendite umzugehen. Angesichts der Zufälligkeit der Entwicklung der Rendite im Zeitverlauf ist es am besten, so die MPT, die Titel zu kaufen und zu halten (Buy-and-Hold). Wichtig ist die strategische AssetAllokation. Taktik verhilft nach der MPT nicht zu einer besseren Performance. Das Portfolio wird einmal bestmöglich diversifiziert und dann gehalten. Dazu müssen die Wahrscheinlichkeitsparameter der zufälligen Renditen der Wertpapiere bekannt sein, darunter die Korrelationen.
2.2.4
Neue
Fakten
im
Finance
Die Moderne Portfoliotheorie wurde in den letzten dreißig Jahren durch die theoretische und vor allem empirische Forschungen verfeinert. •
In der Tat lässt die MPT Erweiterungen in verschiedener Richtung zu. Zum einen werden wir sehen, dass die MPT normalverteilte Renditen verlangt (auch wenn das nicht immer explizit gesagt wird). Deshalb setzt die MPT (nicht nur Assets wie Aktien, Bonds und Immobilien, sondern) eine Anlagedauer von etwa einem Jahr voraus. Zu den ersten Ergänzungen der MPT gehören Ansätze für langfristige Anlagestrategien. Grundlegende Arbeiten gehen auf ROBERT C. MERTON zurück. 16
•
Eine zweite Linie der Erweiterung der MPT ist in der empirischen Forschung zu sehen. Um 1980 wurden historische Kursdaten und Computer und ökonometrische Programme allgemein zugänglich. Das eröffnete der empirischen Forschung Möglichkeiten, die es zuvor nicht gab. In jener Zeit gab es hohes Allgemeininteresse an der Finance: Weite Kreise der Bevölkerung hatten Mittel, um für den Ruhestand zu sparen. Die Menschen wollten „gut" anlegen und suchten professionellen Rat. Das förderte Ökonomen und Mathematiker mit wachsendem Interesse an der Finanzwirtschaft. Anstrengungen wurden
1. ROBERT C. MERTON: Optimum Consumption and Portfolio Rules in a Continuous-Time Model. Journal of Economic Theory 3 (1971). 2. ROBERTC. MERTON: Continuous-Time Finance. Oxford, U.K.: Basii Blackwell, 1990, revised edition 1992.
62
TEIL I — GRUNDLAGEN
unternommen, die MPT zu erweitern und zu verfeinern. Die Erkenntnisse haben an Tiefe gewonnen und das Wissen ist mittlerweile verzweigt. Es gibt heute Varianten von Marktmodellen, für den Risikobegriff und eine Vielzahl neuer empirischer Fakten. Angesichts ihrer Weiterentwicklungen darf die Moderne Portfoliotheorie (MPT) der Jahre 1960 bis 1980 als „klassisch" gelten.17 Die MPT ist durch die neuen Fakten, die nach 1980 bekannt wurden, nicht widerlegt (wie oft behauptet wird). Sie wurde verfeinert. Doch Feinheiten sind nicht für jedermann notwendig. Die MPT bleibt insgesamt gesehen gültig und wertvoll: 1. Sie ist für viele Anwendungen genau genug. 2. Die MPT dient als Vergleichsmaßstab und Referenz. 3. Sie legte die Grundlage für den Ausbau und die Erweiterungen der jüngsten Zeit, die ohne Kenntnis der klassischen Portfoliotheorie unverständlich wären. Der Portfoliomanager muss den Kern der MPT beherrschen. Nur der fortgeschrittene Portfoliomanager muss zusätzliche die heute zur Verfügung stehenden Erweiterungen und die neuen Fakten kennen.
2.2.5 Macht Portfoliomanagement reich ? Dies ist kein Buch mit Tipps, wie man mit kleinem Startkapital schnell zu einer Million kommt. Für dieses verständliche Ziel gibt es trotz zahlreicher einschlägiger Ratgeber offensichtlich kein System. Wenn in einem äußerst unsicheren Umfeld die Menschen in ganz unterschiedliche Richtung gehen, werden später im Vergleich des Erreichten immer einige als Sieger erscheinen, andere als Verlierer. Doch zu Beginn ist unbekannt, wer gewinnt und wer verliert. Hingegen ist bekannt, wie die Chancen stehen. Die Wissenschaft hat daher diese Aufgabe: Sie soll Wahrscheinlichkeiten bestimmen und klären, wie man am besten in Risikosituationen Entscheidungen trifft. Die Wissenschaft kann aber den Zufall nicht überlisten. Die Portfoliotheorie ist ein Teilbereich der Wirtschaftswissenschaften. Das Portfoliomanagement wendet die dort entwickelten Werkzeuge, Methoden und Modelle an. Auch bei der Anwendung wird systematisch vorgegangen, nicht ad hoc oder rein intuitiv. Wissenschaft und Methode können hilfreich für die Bewältigung der Wirklichkeit sein. Wer an Physik und Technik denkt, oder allgemein an Naturwissenschaften und Medizin, sieht den wissenschaftlichen Weg in der Regel als den besten an, der auch dem Einzelnen mit seinem Einzelschicksal grundsätzlich zu empfehlen ist. Ist das auch bei der Portfoliotheorie so? Verhilft auch die Portfoliotheorie zu mehr Erfolg bei der Geldanlage? Anekdoten belegen das Gegenteil. ANDRÉ KOSTOLANI (1906-1999), der Grandseigneur der Börse, meinte, das Studium der Wirtschaftswissenschaften sei für den Erfolg an der Börse sogar abträglich. Im Einzelfall wir17 Wir folgen PETER L. BERNSTEIN: "Although I have not heard anyone refer to this body of theory as classical, its balance, cohesion, clarity, and consistency provide all the necessary hallmarks of classical forms" in seinem Aufsatz: Risk as a History of Ideas, Financial Analysts Journal (January-February 1995), 7-11, hier Seite 10.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
63
ken eben Zufälle, Glück und Pech so stark, dass hohe Anlageerfolge mit Unwissen oder mit Intuition gepaart sein können. Die mühevolle, überlegte und begründete Methode garantiert im Einzelfall keinen Erfolg. Empfehlungen der „Schule" und die wissenschaftliche Methode bewähren sich hingegen in der Vielzahl von Fällen. Wissenschaft basiert auf Gesetzmäßigkeiten und Sachverhalten mit Allgemeingültigkeit. Je genauer diese Gesetzmäßigkeiten auch im Einzelfall gelten, desto sicherer ist mit einem wissenschaftlichen Vorgehen auch im Einzelfall der Erfolg garantiert. Je stärker die Abweichungen im Einzelfall sind, desto mehr trifft die Wissenschaft Aussagen, die den Charakter von im Allgemeinen besitzen. Im Speziellen gibt es dann stets Einflüsse, die der Wissenschaftler nicht genauer prognostizieren kann und die er als zufällig ausklammert. Das Umfeld der Geldanlage und das Geschehen an den Finanzmärkten ist von Zufälligkeiten geprägt, die im Einzelfall stets Raum für Glück und Pech geben. Wer darauf nach Lust und Laune setzt, kann den wissenschaftlichen Ansatz ignorieren. Selbstverständlich bieten für den Einzelfall stets Geister — der Wissenschaftler nennt sie Scharlatane — ihre hellseherischen Fähigkeiten an. Die Wissenschaft — hier ist die Portfoliotheorie gemeint — muss die Grenzen ihrer Aussagekraft für den Einzelfall zur Kenntnis nehmen. Sie hilft in der Vielzahl von praktischen Situationen, im Generellen, bei häufiger Wiederholung, oder auf die lange Sicht. Außerdem liefert die Wissenschaft Standards. Wer seinen eigenen Weg einschlägt, sollte diese Standards (wenigstens) kennen und somit in der Lage sein, Gründe zu nennen, warum er oder sie vielleicht vom Standard abweicht. Wir haben es bereits gesagt: Kern des Portfoliomanagements ist die Simultanbetrachtung. Jede Investition, Finanzierungsmaßnahme oder Absicherung, die in Frage kommt, wird im Hinblick auf die Investitionen und Finanzierungen beurteilt, die bereits im Portfolio sind. Da Portfolios viele der im Markt gehandelten Instrumente enthalten dürften, wird gesagt, dass die einzelne Anlage aus Sicht des Marktes (als Gesamtheit aller Instrumente) beurteilt wird. Beispielsweise ist bei der Beurteilung einer Einzelanlage wichtig, welcher Teil ihres Risikos durch Diversifikation (mit allen anderen Anlagen) verschwindet. Das Portfoliomanagement verlangt mithin eine Kenntnis der Finanzmärkte und ihrer Funktionsweise. Die methodischen Grundlagen für die Behandlung von Rendite, Risiko und Diversifikation werden in der Portfoliotheorie behandelt. Die Portfoliotheorie zeigt, wie diversifiziert werden kann, und wie deshalb die Assets gewichtet werden sollten, damit das Portfolio bei begrenztem Risiko eine hohe Rendite erwarten lässt. Die Portfoliotheorie lehrt, wie Anlageergebnisse zu beurteilen sind: Sie lehrt, wie die Risiken eines Portfolios definiert und gemessen werden können. Sie zeigt, wie die Performance zu beurteilen ist. Die Portfoliotheorie gibt Hinweise für das aktive Management und den Stil. Auch wenn viele Grunderkenntnisse der Portfoliotheorie den passiven Stil des Buy-and-Hold betreffen, zeigt die neuere Forschung, welche taktischen Maßnahmen erfolgreich sein könnten und warum.
TEIL I — GRUNDLAGEN
64
2.3 Ergänzungen und Fragen Lernziele: 1. Ist die Börse ein Casino? 2. Informationen, die in verschiedenen Kapitalmarktmodellen unterstellt werden. 3. Gurus der Zunft. 4. Hinweise für die Lektüre, Aufgaben und Fragen, Lösungen. 5. Unser zweiter Tipp für die Geldanlage.
2.3.1 Ist die Börse ein Casino? Die erste Annahme der Modernen Portfoliotheorie besagt, die Renditen für die kommende Anlageperiode seien „rein zufallig", vergleiche Abschnitt 2.2.3. Das Börsengeschehen ist vor allem das Ergebnis zufälliger Einflüsse — wir werden in Kapitel 6 argumentieren, dass diese auf das Eintreffen neuer Informationen zurückgehen, auf unvorhergesehene, überraschende und demnach zufällig eintreffende Nachrichten. Diese erste Annahme, auf der die MPR ruht, führt immer wieder zu einem Vergleich des Börsengeschehens mit einem Spielcasino. Der Vergleich ist nicht falsch, weil sowohl die Roulettekugel oder das Mischen und Ziehen von Spielkarten als auch die Geldanlage Zufallsexperimente verkörpern. Doch es gibt drei nennenswerte Unterschiede zwischen dem Casino und der Geldanlage, wie sie durch die MPT beschrieben wird: 1. Glücksspieler suchen den Zufall und freuen sich, Risiken zu übernehmen —ein prickelndes Gefühl der Spannung. Um es zu erhöhen, wird der Glücksspieler nicht diversifizieren. Für den Geldanleger ist der Zufallseinfluss hingegen eine unwillkommene Störung und Abweichung vom Erwarteten. Da der Kapitalanleger wirtschaftlichen Risiken meidet (Risikoaversion), wird er diversifizieren. 2. Da
die
Mehrheit
der
Investoren
Risiken
meidet,
sind
Anlagen
mit
nicht-
diversifizierbaren Risiken günstig zu haben und lassen, bezogen auf den geringen Einsatz, eine höhere Rendite erwarten. Anders formuliert: Die Übernahme nichtdiversifizierbarer Risiken wird mit einer Prämie belohnt. Im Kapitalmarkt ist die Risikoprämie positiv. Beim Glücksspiel sind die Gewinnwahrscheinlichkeiten von der Bank hingegen so eingestellt, dass die Erwartung geringer als der Einsatz ist. 3. Beim Glückspiel sind die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Ergebnisse klar gegeben. Physische Zufallsgeräte, wie das Roulette, werden laufend geprüft, ob die physikalisch-technische Bauart die Einhaltung der Vorgaben gewährleistet. Die Wahrscheinlichkeiten sind objektiviert und daher homogen bei allen Spielern. Hingegen sind bei der Geldanlage die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Renditen nicht gegeben. Sie müssen durch Beobachtung und andere Verfahren geschätzt werden. Dabei gibt es erstens Schätzfehler. Zweitens bildet jeder Investor aufgrund persönlicher Beobachtungen eigene Schätzungen. Die Informationen über die (Parameter der) Wahrscheinlichkeiten der Renditen sind daher heterogen. Kurz: Die Börse ist wie ein Spielcasino, insofern als die Renditen wie beim Glückspiel am besten als Ergebnis eines Zufallexperiments beschrieben werden. Doch es gibt drei wichtige Unterschie-
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
• S
de: Anleger sind risikoavers, sie werden versuchen, zu diversifizieren. Sie werden bis zu einem gewissen Umfang auch nicht-diversifizierbare Risiken Ubernehmen, weil diese eine höhere Rendite erwarten lassen. Schließlich sind die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Renditen nicht gegeben. Sie müssen geschätzt werden. Die Marktteilnehmer gelangen teils zu unterschiedlichen Schätzungen. Die Informationen, aufgrund derer Portfolios zusammengestellt werden, sind daher von Investor zu Investor verschieden, also heterogen. 18
2.3.2 Information Die besprochenen Anlagestile und die Moderne Portfoliotheorie gehen von unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich der Funktionsweise des Kapitalmarktes aus. Die Funktionsweise wird durch die Art der Informationen beschrieben, über die Marktteilnehmer verfügen und aufgrund derer sie Transaktionen tätigen. Drei Arten der Funktionsweise des Kapitalmarktes werden nachstehend beschrieben. Die erste Annahme ist populär. Sie geht davon aus, dass es zwei Typen von Anlegern gibt, die Informierten und die Uninformierten. Der informierte Investor kennt die Wirtschaftszusammenhänge und verfügt über die neuesten Daten zur Wirtschaftslage. Aus einer klaren Beschreibung der fundamentalen Situation kann er treffende Prognosen über die kommenden Renditen von Wertpapieren und Asset-Klassen ableiten. Kurz, der Informierte weiß ziemlich genau, was demnächst passieren wird. Er kann Renditen prognostizieren. Sie sind für ihn nur noch in geringem Umfang unsicher. Der uninformierte Anleger kennt demgegenüber die Zusammenhänge nur grob und er kann sich nicht mit den Wirtschaftsnachrichten auseinandersetzen. Entsprechend ist seine Vorschau sehr allgemein und pauschal gehalten. Für ihn ist die weitere Entwicklung an der Börse höchst ungewiss. In einer solchen Situation wird der Informierte seine Prognosen umsetzen. Er wird aktiv kaufen und verkaufen, Finanzfirmen gründen und Kundengelder annehmen. Selektion und Timing sind für ihn klar einem Buy-and-Hold überlegen. Der Uninformierte ist sich seiner Lage bewusst. Er wird kaum Opfer informierter Käufe und Verkäufe sein wollen. So bleiben dem Uninformierten zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, mit Buy-andHold eine robuste Position einzunehmen. Keinesfalls wird er bereit sein, als Gegenpart der Transaktionswünsche der Informierten zu fungieren. Die andere Möglichkeit ist der Versuch, an die Information der Informierten zu gelangen. Hierzu wird der Uninformierte Analysen und Finanzpublikationen studieren, die mutmaßlich von Informierten verfasst werden, oder er wird einen Delegationsauftrag erteilen. Die Uninformierten werden den Informierten folgen. 19
18
Zu Folgen heterogener Information: EDWARD M. MILLER: Risk, Uncertainty, and Divergence of Opinion. Journal of Finance 32 (September 1977) 4, 1151-1168. 19 Obwohl diese Beschreibung des Kapitalmarktgeschehens vielen einleuchtet, ist sie nicht frei von Widersprüchen. Ein kritische Einwand lautet, dass die Situation nicht stabil ist. Denn die Uninformierten verschwinden unaufhaltsam, weil sie sich auf die eine oder andere Weise an die Informierten hängen.
ββ
TEIL I — GRUNDLAGEN
Eine zweite Annahme zur Beschreibung des Kapitalmarktgeschehens ist die, dass an der Börse in höchstem Maß Ungewissheit herrscht. Der Informationsstand aller Marktteilnehmer ist gering, allgemeine Orientierungslosigkeit herrscht vor. Jeder Investor erkennt, wie wenig er hinsichtlich der zukünftigen Renditen weiß. Es ist ihm klar, dass auch die anderen wenig wissen. Alle machen sich auf die große Suche (nach der besten Anlage, nach dem richtigen Bewertungsmodell, nach dem rentabelsten Weg). Immerhin könnten auf der großen Suche andere zuerst das Licht finden. Deshalb beobachtet jeder Investor genau, was andere tun, wie die allgemeine Stimmung ist, welche Transaktionen vorgenommen werden, wie sich die Kurse gerade jetzt entwickeln — stets in der Hoffnung, diese Informationen würden bessere Prognosen erlauben. Jeder ahmt die Transaktionen der anderen nach. So kommt übereinstimmendes Verhalten auf. Trends, Moden und Stimmungen bilden sich und halten einige Zeit. Das ist zudem ganz rational, denn wenn ein Trend läuft, lässt sich durch Aufspringen auf den fahrenden Zug gut Geld verdienen. Andererseits können Trends zusammenbrechen, wenn die Trendsetter es mit der Angst zu tun bekommen. So lösen sich Trends und Crashs ab, die Marktschwankungen sind enorm. Jeder ist auf der Suche nach Wissen und nach Fakten, doch niemand erweist sich als so gut informiert, dass er seinen eigenen Informationen folgen wollte. Das Marktgeschehen wird gut durch die Metapher von KEYNES beschrieben (Abschnitt 2.2.2). Die dritte informatorische Annahme lautet, dass es überwiegend rein zufällige Einflüsse sind, welche die Kurse bewegen. Über die zukünftigen Ereignisse hat niemand einen Informationsvorsprung. Alle sind vom Zufall in gleicher Weise betroffen. Dies wissend, wird niemand darauf schauen, was andere tun, denn auch die anderen wissen nicht besser, welche Ereignisse kommen. Kein Marktteilnehmer wird andere nachahmen. Niemand wird einen Delegationsauftrag allein in der Meinung erteilen, er wisse weniger als der Ausführende. Über die zufälligen Ereignisse gibt es hingegen generelle Erkenntnisse. Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind bekannt. Die Mehrheit der Investoren kennt die Parameter. Sie bestimmen daher die Kurse. Folglich darf jeder darauf vertrauen, zu Preisen zu kaufen und zu verkaufen, die diesem generellen Informationsstand entsprechen. Für den Einzelnen ist es nicht sinnvoll, eigene Informationsanstrengungen zu unternehmen. Hingegen ist für den einzelnen Investor wichtig, wie er mit den alles dominierenden, externen Zufälligkeiten umgeht. Die Geldanlage verlangt, mit der natürlichen Zufälligkeit der zukünftigen Rendite umzugehen. Die Antwort lautet: diversifizieren. Portfoliomanagement wird zu einer statistischen Aufgabe. Damit sind wir bei der MPT.
2.3.3
Gurus
Jede Zeit hat ihre Börsengurus. Ihr legendäres Anlageergebnis geht immer auf eine jeweilige Besonderheit zurück. Später wird über das Erfolgsrezept berichtet. Im Nachhinein wirken alle Rezepte einsichtig: verständlich, dass und warum sie damals zu so großem Erfolg geführt haben.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
67
Gleichzeitig kommt die Ahnung auf, dass die große Zeit gerade dieser Besonderheit vorbei ist. Leider hört die Kraft der Erfolgsrezepte irgendwann auf. Niemand hat es geschafft, im Vorhinein zu sagen, welches die Erfolgsstory für Geldanlagen im kommenden Jahrzehnt sein wird. Wir betrachten drei sehr erfolgreiche Personen. Beispiel 2-6 : PETER LYNCH (*1944) hat den Fidelity Magellan Fund 1978 mit Anlagen von 28 Millionen Dollar übernommen. Im Jahr 1990 hatte dieser Investmentfund durch seine hohe Rendite und die dadurch angezogenen Neugelder 20 Milliarden Dollar erreicht. LYNCH ist dann mit 46 Jahren in den Ruhestand gegangen und schrieb, er habe stets auf die Aktien sichtbarer Produzenten von Konsumgiitem gesetzt. In der Tat waren die Jahre 1978 bis 1990 in den USA durch die großen Anschaffungen der Generation der Nachkriegsjahre (Baby-Boomer) geprägt. Sie waren damals zwischen 35 und 45 Jahre alt, hatten Kinder und kauften und kauften. Es war auch die Zeit, in der die großen Marken haltbarer Konsumgüter entstanden — von Hoover über Black & Decker bis Ford — und an Wert gewannen. 20 • Beispiel 2-7: Im Jahr 1992 — das britische Pfund war in das damalige europäische Währungssystem eingebunden — wurde deutlicher, dass die Bank of England entweder eine Abwertung zulassen oder die Zinsen erhöhen müsste. Sie wollte weder das eine noch das andere. Indes war klar: Die Parität des Pfundes könnte nur mit Zinserhöhung unverändert bleiben oder käme zu einer Abwertung. Keinesfalls würde es zu einer Aufwertung des Pfundes (gegenüber den anderen europäischen Währungen) kommen. GEORGE SOROS (*1930) erkannte, dass es deshalb kein Risiko bedeutet, Pfund zu shorten. Er hat mit den Assets des von ihm geführten Quantum-Funds als Sicherheit 10 Milliarden Pfund Kredit aufgenommen und den Geldbetrag in die anderen europäischen Währungen getauscht (Pfund verkauft). Dies erhöhte den Abwertungsdruck und war anderen Marktteilnehmern ein Signal, zu folgen. Am 16.09.1992 kam es zu einem Bruch der Parität. SOROS konnte darauf die britischen Pfund günstiger zurückkaufen und den Kredit zurückzahlen. Es blieb ihm ein Gewinn von 1,1 Milliarden Pfund. • Beispiel 2-8: WARREN BUFFETT (*1933) ist seit 1965 Chairman des Berkshire Hathaway. Es wird gesagt, er besitze mehr als 40 Milliarden Dollar, sei der reichste Mann der Welt und überhaupt der erfolgreichste aller Investoren. Die unbestrittenen Erfolge beim Berkshire werden damit erklärt, dass BUFFETT nicht nur Investmentobjekte auswählt und Geld anlegt, sondern in die Unternehmen hineingeht und dort Führungsentscheidungen durchsetzt. Beispiel: Im Jahr 2005 hat er den pleite gegangenen Hersteller Oakwood Homes gekauft. Die Karte, auf die er setzt, lautet also nicht so sehr: Wähle die richtigen Unternehmen aus, kauf die Aktien und warte zu! Sein Erfolgsrezept: Benutze das Kapital als Druck auf das Management und ändere als Führungskraft die Strategie der Unternehmen — ein Stil, der immer mehr von Hedge-Funds übernommen wird. • Beispiel 2-9: BUFFETT hatte früher ein anderes Erfolgsrezept. In den Jahren 1941-1954 während und nach dem zweiten Weltkrieg waren viele Aktien aus langfristiger Perspektive gesehen günstig zu haben. Firmen mit großen Marken (Coca-Cola, Gillette) wurden mehrheitlich unterschätzt, 20
PETER L Y N C H :
Beating the Street. Simon & Schuster, New York 1993.
TEIL I — GRUNDLAGEN
68
weil Finanzinvestoren nicht den globalen Wert dieser Marken in einer sich weiter öffnenden Welt sahen. Zudem konnte der Markenwert nicht in den Bilanzen gelesen werden. BUFFETT hat so in einem historisch besonderen Zeitabschnitt eine durch die Mehrheit der Investoren hingenommene Fehlbewertung erkannt. •
2.3.4
Zusammenfassung
Wir haben vier Anlagestile besprochen, die sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreuen: 1. Das Markt-Timing, 2. das Stock-Picking, 3. das zyklische Investment und 4. die Long-ShortStrategien. Einige Long-Short-Strategien spielen in der wissenschaftlichen Untersuchung eine große Rolle, vor allem die Portfolios SMB (Small Minus Big), HML (High Minus Low), UMD (Up Minus Down) sowie WML (kaufe Winner und verkaufe Looser). Danach haben wir den revolutionären Ansatz der Väter der Modernen Portfoliotheorie skizziert. MARKOWITZ ging von drei Annahmen aus: 1. Die Renditen der Wertpapiere werden als Zufallsgrößen betrachtet, beschrieben durch ihre Erwartungswerte, die Standardabweichungen und die Korrelationen (die Gleich- oder Gegenläufigkeit von Wertpapierkursen). 2. Die Präferenz der Investoren konzentriert sich darauf, den Erwartungswert und die Standardabweichung
der Portfo-
liorendite zu betrachten. 3. Neben den Parametern der Portfoliorendite werden keine weiteren Merkmale betrachtet. Während eine möglichst hohe erwartete Rendite erwünscht ist, ist die Standardabweichung der Rendite als Ausdruck des Risikos ein unerwünschtes Merkmal. Warum Portfoliotheoriel Weil die MPT nicht nur die Wissenschaft sondern auch das praktische Portfoliomanagement revolutioniert hat. Portfoliomanagement ist somit zur angewandten Portfoliotheorie geworden. Die immer wieder zitierten neuen Fakten haben die MPT nicht widerlegt, sondern verfeinert. Grundlage für das Portfoliomanagement ist die MPT. In den Ergänzungen und Fragen haben wir Gemeinsamkeiten und die drei Unterschiede zwischen dem Spielcasino und der Geldanlage (im Bild der MPT) besprochen. Sodann wurden Kapitalmarktmodelle betrachtet: Im ersten gibt es Informierte und Uniformierte. Im zweiten sind alle extrem uninformiert. Im dritten haben alle den gleichen Informationsstand, doch die Ereignisse sind rein zufällig. Der Zufall trifft alle Investoren gleichermaßen.
2.3.5
Ergänzende
Lektüre
Was denken und machen die Nobelpreisträger, die zur Entwicklung der Finance beigetragen haben, heute? Wir lernen in dem empfohlenen Artikel MARKOWITZ kennen, dessen Schöpfung wir in Kapitel 7 näher betrachten werden, weiter SHARPE (siehe Kapitel 10), MERTON (Kapitel 13), KAHNEMAN (Kapitel 15) und SCHOLES (Kapitel 17): Most Nobel Minds. CFA Magazine, NovDec 2005, 36-43. Das CFA Institute ist eine Berufsvereinigung, der sich weltweit über 70.000 Praktiker und Forscher auf dem Gebiet des Portfoliomanagements und der Vermögensveraltung angeschlossen haben, um ethisches Verhalten und professionelle Standards zu fördern.
2.
PORTFOLIOMANAGEMENT
β·
2.3.6 Aufgaben und Fragen 1. Welche vier Stile wurden besprochen? 2. Auf welcher Idee beruht das Stock-Picking nach GRAHAM? 3. Was wird mit SMB, HML, UMD bezeichnet? 4. Skizzieren Sie die Metapher von KEYNES ! 5. Welche Annahmen hat MARKOWITZ getroffen?
2.3.7
Lösungen
1. Timing, Stock-Picking, prozyklische Strategie, Long-Short-Positionen. 2. Die Grundidee von GRAHAM ist, dass der Wert einer Unternehmung erst mit zeitlicher Verzögerung von den Börsianern erkannt wird. Der Investor solle aus den Fundamentaldaten — Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Produktentwicklung, Organisation, Absatz, volkswirtschaftlicher Rahmen — den wahren Wert der Unternehmung errechnen und mit dem augenblicklichen Börsenkurs vergleichen. Unterschiede führen zu Empfehlungen wie „Kauf oder „Verkauf in der Erwartung, dass mit der Zeit der wahre Wert immer mehr den Kurs bestimmt. 3. SMB (Small Minus Big), HML (High Minus Low), UMD (Up Minus Down) sind Portfolios, für deren Bildung Aktien nach einem Merkmal sortiert werden. Sodann wird die Aktiengruppe mit hohen Merkmalsausprägungen gekauft und gleichzeitig die Gruppe mit geringen Merkmalsausprägungen verkauft. 4. Sie beschreibt das Verhalten von Menschen in einer Umgebung sehr geringer Informiertheit. Niemand kann die Lage genau einschätzen und jeder ist motiviert, auf der Seite der Mehrheit zu stehen. Siehe den Kasten in Abschnitt 2.2.2. 5. 1. Die Renditen werden als Zufallsgrößen betrachtet. 2. In die Präferenz des Investors gehen der Erwartungswert und die Standardabweichung der Portfoliorendite abhängt.
2.3.8
Tipp 2 für die gute Geldanlage
Wer einen Kurs über Portfoliomanagement besucht, wirft den Dozierenden regelmäßig vor, die Theoretiker würden „mit dem Blick in den Rückspiegel" fahren (wie in Kapitel 1 erwähnt). In der Tat: Wenn man die Zukunft nicht kennt, wird jedermann versuchen, Schlüsse, die aufgrund von Daten der Vergangenheit gezogen werden, auf die Zukunft zu übertragen. Ich nehme an, dass auch Sie zu diesen Kritikern gehören. Gut, dass Sie den Wissenschaftlern mit Vorsicht begegnen. Aber Vorsicht: Lassen Sie dieselbe Skepsis walten, wenn Sie den Gurus folgen. Vielleicht hat deren „Methode" in der Vergangenheit funktioniert, und ihr Erfolg hat sie bekannt gemacht. Doch vielleicht haben die Gurus ihre Zeit gehabt.
70
TEIL I — GRUNDLAGEN
Wie lautet der zweite Tipp? Fragen Sie (sich oder Ihren Kundenberater) warum ein gewisser Anlagestil, mit dem sie liebäugeln, auch in Zukunft eine Überrendite bringen soll. Die Wissenschaft hat eine klare Antwort: Der Investor kann eine höhere Rendite erwarten, wenn er ein Mehr an Risiken übernimmt. Es gibt im Finanzmarkt keinen „Trick", den nur Sie kennen und sonst niemand. Vielleicht ist deshalb ein passiver Anlagestil nicht so schlecht, wie Sie denken. Das Ziel einer Autobahnfahrt ist doch nicht, alle zu überholen. Das Ziel ist, gut und bequem voranzukommen. Also durchaus Buy-and-Hold — und achten Sie auf die Kosten.
3
Rendite Der wohl wichtigste Begriff im Portfoliomanagement ist die Rendite. Sie stellt das Anlageergebnis in Relation zum eingesetzten Betrag dar. Die Rendite einer abgelaufenen Periode ist eine Zahl. Die Rendite einer zukünftigen Periode, also jene Zahl, die am Ende der Periode bekannt sein wird, ist zu Beginn noch unsicher. Eine einfache und zugleich realitätsnahe Vorstellung ist die des Urnenmodells: Die Jahresrenditen von Aktien, Bonds und Immobilienanlagen sind normalverteilte Zufallsvariablen. 3.1
Rendite
71
3.2
Erwartungsbildung
84
3.3
Ergänzungen und Fragen
97
3.1 Rendite Lemziele: 1. Begriffliches. 2. Die Portfolioeigenschaft. 3. Historische Renditen.
3.1.1
Definition
In der Rückschau auf eine abgelaufene Anlageperiode soll die Rendite ausdrücken, wie gut es mit der Investition gelungen ist, einen seinerzeit gegebenen Geldbetrag in das Anlageergebnis zu transformieren. In der Vorschau auf eine zukünftige Periode soll die Rendite vermitteln, wie gut es gelingen dürfte, einen heutigen Geldbetrag in ein späteres Ergebnis zu transformieren. Die Rendite misst den Einsatz ebenso wie das Ergebnis als Geldbetrag — Risiken bleiben unberücksichtigt. Die Rendite drückt das Anlageergebnis relativ zum Geldbetrag aus, sie kann daher gut als Prozentzahl ausgedrückt werden. Im Rückblick ist diese Prozentzahl in der Regel bekannt. In der Vorschau ist die Rendite im Allgemeinen noch unsicher. Wir betrachten drei Größen: •
W0 bezeichne den Geldbetrag, der zu Beginn der Periode eingesetzt wurde — der Buchstabe W steht für Wohlstand {Wealth). Das am Ende der Periode erreichte Anlageergebnis sei mit W] bezeichnet.
•
Während der Periode dem Anleger zugeflossene Zahlungen — Entnahmen, Zinszahlungen, Dividenden, Bezugsrechte (die man verkaufen könnte) und dergleichen — sollen mit Ζ bezeichnet werden, wobei nicht gefragt wird, wann genau innerhalb der Anlageperiode diese Zahlungen zugeflossen sind.
72
TEIL I — GRUNDLAGEN
Dann ist
R
=
W1 + z - w
0
Wn
-1 wn
(3-1)
die Gesamtrendite (oder der Total Return). Sie wird so genannt, weil sie sich auf die Periode insgesamt bezieht. Im Angelsächsischen heißt sie Holding-Period-Return.
Wenn die Anlageperi-
ode beispielsweise 6 Jahre dauert, kann es durchaus sein, dass die Gesamtrendite einer Aktienanlage 120% beträgt. Wenn die Geldanlage einen Monat dauert, kann die Gesamtrendite 0,1% betragen. Selbstverständlich kann die Periode auch ein Jahr dauern. Dann wird von der Jahresrendite gesprochen. Wird ein einzelnes Wertpapier betrachtet und ist die Periode ein Jahr lang, dann ist die Jahresrendite die Summe der im Jahr an den Investor gezahlten Beträge Ζ (Kupon, Dividenden) sowie der Kursänderung Wj — Wü, dividiert durch den anfänglichen Kurs des Wertpapiers W0. Da es sich bei der betrachteten Periode um einen Zeitraum handelt, der durch zwei einzelne oder „diskrete" Zeitpunkte, Beginn und Ende, beschrieben ist, heißt die Gesamtrendite auch diskrete Rendite (im Unterschied zur stetigen Rendite, die wir in Kapitel 13 betrachten). Synonym dazu ist der Begriff einfache Rendite. In der Wissenschaft werden diskrete oder einfache Renditen oft mit Großbuchstaben bezeichnet, wie in (3-1) geschehen; stetige Renditen werden dann mit Kleinbuchstaben symbolisiert. Die Rendite setzt sich nach der Definition (3-1) aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen fließen einem Anleger bare Erträge innerhalb der Periode in Höhe von Ζ zu, zum anderen wird die Preisänderung oder Wertänderung Wi - W0 der Kapitalanlage zwischen Beginn und Ende der Periode berücksichtigt. Wird die Rendite allein auf den ersten Teil bezogen, so wird sie als direkte Rendite bezeichnet. Bei einer Aktie ist die direkte Rendite gleich der Dividendenrendite. Bei einer Anleihe ist die direkte Rendite durch die Kuponzahlungen (in Relation zum Kurs des Bonds zu Periodenbeginn) bestimmt. Beispiel 3-1: Maria hält Aktien einer Gesellschaft. Zu Anfang des abgelaufenen Jahres hatte die Aktie einen Kurs von € 32,65, zu Ende betrug er € 34,20. Irgendwann im Sommer hat sie € 0,85 pro Aktie als Dividende (abzüglich einbehaltener Quellensteuer) erhalten. Für Maria ist R = (34,20 - 32,65 + 0,85) / 32,65 = 7,35% die diskrete Rendite nach Steuern. Sie ist mit dieser Information zufrieden. Allerdings hat sich im selben Jahr der Preisindex für Konsumgüter von 100 auf 103 erhöht. Zwar hat sich Marias Einsatz nominal von 100 auf 107,35 erhöht. In Kaufkraft gemessen, ist der Einsatz von 100 nur auf 107,35/103 = 104,22 gestiegen, weshalb die reale Rendite 4,22% beträgt. •
3.
73
RENDITE
B i l d 3 - 1 : JOHN MAYNARD KEYNES ( 1 8 8 3 - 1 9 4 6 ) , n e b e n ADAM SMITH
der wohl bekannteste Nationalökonom, stammt aus einer angesehenen englischen Familie. Im Jahr 1909 wird er Fakultätsmitglied des King's College in Cambridge. Abgesehen von seinen wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Leistungen managt er sein eigenes Vermögen und mehrt das Vermögen des King's College. Eine frühe Buchpublikation behandelt den Goldstandard. Darin entwickelt KEYNES die Lehre, dass der Kapitalismus zur Instabilität neige. Seine General Theory erscheint 1936 und erregt großes Aufsehen in den USA. Die Berater des Präsidenten FRANKLIN D. ROOSEVELT (1882-1945) übernehmen seine Empfeh-
lung zur antizyklischen Konjunkturpolitik.
Die diskrete Rendite wird verwendet, wenn für die Beurteilung einer Geldanlage nur zwei Zeitpunkte Bedeutung haben: 1. Der Zeitpunkt der Anlage oder der Investition oder einfach der Beginn der Berichtsperiode. 2. Der Zeitpunkt, zu dem das Anlageergebnis realisiert wird und wieder als Geldbetrag zur Verfügung steht oder eben das Ende der Berichtsperiode. Wird der durch die Rendite ausgedrückte Erfolg der Geldanlage als Betrag in einer Währung notiert, dann wird die entsprechende Rendite als nominal bezeichnet. Wenn der Erfolg der Geldanlage durch die mit dem Anlageergebnis verbundene Kaufkraft ausgedrückt wird, dann wird von der realen Rendite gesprochen. Privatanleger ziehen es vor, nominale Renditen zu betrachten. Sie wollen wissen, wie viele Euro, Franken oder Dollar sie mit ihrem Einsatz gewinnen. Sie interessieren sich (zunächst) nicht für die Kaufkraft, die damit verbunden ist. So mancher Privatanleger übersieht den Kaufkraftverlust. KEYNES sprach von Geldillusionen. Andere Investoren sehen hingegen im Geld das Medium, das ihnen zur Erfüllung baldiger Konsumwünsche dient. Sie interessieren sich für die reale Rendite. Die reale Rendite ist gleich der nominalen Rendite abzüglich der Rate der Änderung der Kaufkraft. In den meisten Jahren verliert sich die Kaufkraft des Geldes (Inflation), doch es gibt auch einzelne Phasen, wenngleich sie selten sind, in denen die Kaufkraft zunimmt (Deflation). In den letzten Jahrzehnten haben sich die Preise etwa alle zwanzig Jahre verdoppelt. Das entspricht auf Jahresbasis ausgedrückt einer Inflationsrate von etwa 3%. In Statistiken werden sowohl nominale als auch reale Renditen genannt. In der amerikanischen Forschung ist eine Präferenz für reale Renditen erkennbar, während europäische Untersuchungen vorwiegend von nominalen Renditen ausgehen. Bei einer Inflationsrate von 3% liegen die realen Renditen um 3 Prozentpunkte unter den nominalen Renditen. •
Hinsichtlich der Geldentwertung ist zu bemerken, dass die Inflationsraten vom Land oder vom Währungsgebiet abhängen, weil sie durch die Wirtschaftsstruktur und die Finanzpolitik bestimmt wird.
74
TEIL
•
I —
GRUNDLAGEN
Zweitens ist zu sehen, dass sich die Inflationsraten im Verlauf der Zeit ändern.
•
Drittens ist die Inflationsrate nicht für alle Güter dieselbe. Die Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen, bei Produkten für Konsumenten sowie bei Dienstleistungen sind unterschiedlich. Die in den Medien genannte Rate der Geldentwertung bezieht sich auf die Preisentwicklung für den Warenkorb eines durchschnittlichen Haushalts. Doch ein Investor wird vielleicht andere Konsumgewohnheiten haben und ist dann mit einer anderen Inflationsrate konfrontiert als der durchschnittlicher Haushalt. So interessieren sich jüngere Menschen mehr für Produkte (Auto, Fernsehgerät), ältere benötigen vorwiegend Dienstleistungen (Konzertbesuch, Pflegeleistung). Die langfristige Inflationsrate von Dienstleistungen ist in Europa etwa um 1,8% höher als die von Produkten. Da ältere Menschen mehr Dienstleistungen als Produkte benötigen, dürfen sie nicht mit einer Inflationsrate von 3% rechnen. Sie müssen bedenken, dass sich Dienstleistungen mit einer Rate von 5% verteuern. Das ist ein wichtiger Punkt für die Geldanlage als Vorsorge für den Ruhestand, wenn der Erhalt der Kaufkraft Ziel oder Nebenbedingung sein soll.1
•
Viertens ist zu beachten, dass die Anlageklassen höchst unterschiedlich resistent gegenüber der Inflation und Änderungen dieser sind.2
3.1.2
Portfolioeigenschaft
Die Vielfalt der Renditebegriffe unterstreicht die hohe Bedeutung dieser Kennzahl. Doch wozu ist sie eigentlich gut? Was leistet die in (3-1) getroffene Festlegung? Wir wenden uns zwei Eigenschaften zu. Erste Eigenschaft: Die Rendite drückt das Ergebnis aus (wenn der Startbetrag feststeht). Werden zwei Zeitpunkte betrachtet und ist zu Beginn der durch sie festgelegten Periode der Startbetrag W0 bekannt, dann kann mit der diskreten Rendite R leicht das erzielte Endvermögen ermittelt werden: Es beträgt W0 · (1 + R). Für diese Rechnung ist vorauszusetzen, dass zwischenzeitliche Zinszahlungen und Dividenden Ζ ohne weitere Verzinsung, aber auch ohne Verlust bis Periodenende aufbewahrt werden. In der Tat gilt: W,+Z
=
W0-(l + R)
(3-2)
1 So ist zu erkennen, dass die realen Renditen bereits individuelle Züge tragen, insofern als die relevante Rate der Geldentwertung nicht für alle Personen übereinstimmt. Bei einer heterogenen Anlegerschaft kann es daher wieder sinnvoll werden, nominale Renditen in den Vordergrund zu rücken.
2 STEFFEN P. SEBASTIAN: Inflationsrisiken von Aktien-, Renten- und Immobilieninvestments — Eine theoretische und empirische Analyse von Finanzmärkten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. Verlag Uhlenbrock, Bad Soden/Taunus 2003.
3.
75
RENDITE
Die diskrete Rendite erlaubt es, aus dem Anfangsvermögen W0 mühelos das Vermögen am Ende der Periode W1 + Ζ zu errechnen. Anders formuliert: Die Rendite drückt, sofern das Anfangsvermögen feststeht, das Ergebnis aus. Diese Eigenschaft ist in der Portfoliotheorie wichtig. Denn die Präferenz und Nutzenvorstellung der Investoren hängt natürlich vom verfügbaren Geldbetrag ab, also vom in Euro, Franken oder Dollar ausgedrückten Anlageergebnis (und nicht von einer abstrakten Kennzahl wie der Rendite). Weil aber die Rendite Eins-zu-eins das Anlageergebnis beschreibt, sind Modellierungen möglich, bei denen sich der Nutzen des Investors aus der Rendite ableitet. Die MPT konnte deshalb so gestaltet werden, dass nur Renditen betrachtet werden, wobei der Investor eine Präferenz äußern kann, welche Renditeeigenschaften er vorzieht und welche er meiden möchte. Wer sich für das Endvermögen interessiert und den Anfangsbetrag kennt, orientiert sich an der diskreten Rendite. Gelegentlich taucht die Frage auf, wer die Entscheidungen über die zwischenzeitlichen Zahlungen Ζ trifft. Es handelt sich oftmals um Zinszahlungen und Dividenden, auf die der Anleger keinen Einfluss hat. Steht hinter der Geldanlage nicht nur ein Wertpapier, sondern ein ganzes Portfolio, dann kann der Manager bewusst weitere Einlagen oder zwischenzeitliche Entnahmen erzeugen, beispielsweise durch den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren während des Jahres. Je nach Blickwinkel ist die Rendite in solchen Fällen anders zu interpretieren, wie ein Beispiel illustriert. Beispiel 3-2: Marion geht nach der Silvesternacht in ein neues Anlagejahr mit W0 = 100 als Bestand auf einem Fondskonto am 31. Dezember / 1. Januar. Sogleich am 2. Januar hebt sie Ζ = 50 ab und behält das Geld unverzinslich auf einem Girokonto. Das Fondskonto entwickelt sich recht gut, und bis Jahresende ist es von 50 auf den Kontostand von W, = 60 gestiegen. Die Bank erklärt: Das Fondskonto ist (seit dem 2. Januar) um 20% gewachsen. Marion rechnet anders: Anfangsbestand W0 = 1 0 0 , Endbestand Wt = 6 0 , sowie Entnahmen von Ζ = 50 während des Jahres, all das ergibt eine Jahresrendite von R = 10% . • Zweite Eigenschaft: Die diskrete Rendite weist neben der Eigenschaft, den Anfangsbetrag wie in (3-2) dargestellt bequem in den Endwert transformieren zu können, eine zweite Eigenschaft auf. Sie heißt Portfolioeigenschaft und unterstreicht ebenso die Nützlichkeit der diskreten Rendite in der Portfoliotheorie. Portfolioeigenschaft: Die Portfoliorendite errechnet sich als gewichtetes arithmetisches Mittel der Renditen der Komponenten. Angenommen, ein Portfolio Ρ habe zwei Komponenten A und B, und sie sind zu Beginn der Periode
mit den Geldbeträgen von
XA
und
XB
Euro im Portfolio vertreten. So ist
Χ ρ = X A + XB der Portfoliowert zu Periodenbeginn, ausgedrückt in Euro. Wir definieren die relativen Anteile der Komponenten:
76
TEIL I —
xA
X A — Xp
=
GRUNDLAGEN
X
A XA + XB
=
(3-3)
ist der (relative) Anteil von A im Portfolio; xB = XB / X p = XB / { X A + XB ) der Anteil von B. Selbstverständlich gilt xA + xB = 1. Nun soll RA die Rendite des Assets oder der AssetKlasse A bezeichnen und RB die von B. Dann erweist sich RP
X
=
a
R
a
+ X
b
R
(3-4)
B
als die Rendite des Portfolios P. So ist X P •(! + RP ) der Endwert unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Ausschüttungen. Das wirkt intuitiv.3 Dennoch muss die Portfolioeigenschaft bewiesen werden: X A • (1 + RA ) ist der Endbetrag der Komponente von A und XB · (1 + RB ) der von Β im Portfolio. Folglich bestimmt sich rP so, dass XP · (1 + RP)
mit XA • (1 + RA) +
X B · (1 + RB ) übereinstimmt, XP-(l
+ RP)
=
X
A
-(l+r
A
)+X
B
-(l +
rB)
(3-5)
Werden beide Seiten dieser Gleichung durch X p dividiert, folgt die Portfolioeigenschaft:
1 + Rp
= Λ ρ
Λ. ρ (3-6) l i λ ι
R
P
-
Α ρ
Χ,
=
1+ νΛ ρ
Λ ρ
ρ
3
Dennoch liegt es nicht auf der Hand. Hierzu ein Beispiel mit einer anderen Kennzahl. Wir nehmen das KursGewinn-Verhältnis KGV. Es ist gleich dem Gewinn in Relation zum Kurs. Hier nun ein Zahlenbeispiel. Es zeigt, dass das KGV eines Portfolios sich nicht als (gewichteter) Durchschnitt der Kurs-Gewinn-Verhältnisse der Komponenten errechnet. Wer €200.000 investieren kann und für €100.000 eine Aktie A mit einem KGV von 20 und für €100.000 eine Aktie Β mit einem KGV von 10 kauft, hat für die erste Komponente einen Gewinn von €5.000 und für . 1 i * il., i r k " η m rw in .»rit pinpn ffwyinn vnn í ' 1 II ΠΠΠ IVi ^ proiKt nnf Hfl« Pnrtfnlin nie Γτηη^ρ« hc/nncii pinpn σρ«/ϊηη
3.
77
RENDITE
Beispiel 3-3: Sylvia hält zu Jahresbeginn in ihrem Portfolio j e zur Hälfte Aktien und Bonds. Im Berichtsjahr ist die Rendite von Aktien RA = 12% , die von Bonds RB = 5 % . Die Portfoliorendite ist folglich Rp = (1 / 2 ) · 0,12 + (1 / 2 ) · 0,05 = 0,085 = 8,5% . • Beispiel 3-4: Paula hält in ihrem Portfolio Aktien und Bonds. Zum Jahresanfang war das Portfolio 350 Tausend Euro wert; die Aktien hatten einen Wert von 130 und die Bonds von 220. Die Aktienrendite im Jahr war RA = 12% und die Bondrendite RB = 5 % . 1. Bei den Aktien hatte Paula also eine Summe aus Kursgewinn und Dividenden von 130-0,12 = 15,6 Tausend Euro. 2. Bei den Bonds hatte sie eine Summe aus Kursgewinn und Zinsen von 220 · 0,05 = 11 Tausend Euro. 3. Auf das gesamte Portfolio bezogen erzielte sie 15,6 + 11 = 26,6 Tausend Euro in Form von Wertgewinnen, Dividenden und Zinszahlungen. 4. Da das Portfolio zu Beginn einen Wert von 1 3 0 + 2 2 0 = 350 Tausend Euro hatte, ist die Portfoliorendite RP = 26,6/350 = 7,6% . 5. Die Portfolioeigenschaft, RP
= ( 1 3 0 / 3 5 0 ) ·0,12 + ( 2 2 0 / 3 5 0 ) ·0,05 = 0,076 erspart den auf-
wendigen W e g über die Berechnung der Geldbeträge. •
3.1.3 Ist die Periode ein Jahr lang? Bei der diskreten Rendite wird nicht gefragt, wie lang der Anlagezeitraum gewesen ist. Es wird von der Gesamtrendite für die betrachtete Periode gesprochen. Ein Anleger sagt: „Die Aktie hat in den vergangenen drei Jahren + 6 0 % gebracht." Eine andere Person: „Auf meine Kapitalanlagen habe ich im letzten Jahrzehnt + 1 5 0 % erhalten." Gleichermaßen kann sich die Gesamtrendite auf eine Periode beziehen, die kürzer als ein Jahr ist. Jemand sagt: „Mit Geldmarktanlagen habe ich im letzten Monat + 0,5% erhalten." Dennoch wird die Norm gepflegt, die Rendite so auszudrücken, als ob sie sich auf ein Jahr beziehen würde, selbst wenn der faktische Anlagehorizont oder Berichtszeitraum eine andere Länge hat. Ein solche Normierung ist von anderen Lebensbereichen bekannt. So wird beim Auto der Durchschnitts verbrauch an Treibstoff stets auf 100 km bezogen, egal für welche Strecke er ermittelt wird. Für die Umrechnung der Rendite auf Jahresbasis dient die Potenzrechnung. Sie werde durch drei Rechenbeispiele erklärt: •
Wer in zwei Jahren + 6 0 % erzielt, W2 = W0 · (1 + 0,60), hat dasselbe Ergebnis wie jemand,
der
in
jedem
der
beiden
Jahre
die
Rendite
R
hat,
sofern
nur
W2 = W0 · (1 + R) • (1 + R) = W0 · (1 + 0,60) gilt. Die Bedingung zur Bestimmung der Jahresrendite (1 +
R)2
R
lautet
demzufolge
(1 + R) • (1 + R) = (1 + 0,60)
= (1 + 0,60). Das bedeutet 1 + R = -Jl + 0,60 und wegen
Λ[Ϊ6
oder
= 1,265 kann
der Investor als Jahresrendite R = 26,5% angeben. •
Wer in 10 Jahren das Kapital um 150% erhöht, hat dasselbe Ergebnis erzielt wie jemand, der es jedes Jahr mit einer Jahresrendite R (1 + R)10
= 1 + 1,5 = 2,5 errechnet. Also gilt R =
bezogenen Rendite beträgt 9,6% .
anlegen konnte, die sich gemäß - 1 = 0,096 und die auf das Jahr
78
TEIL I — GRUNDLAGEN
•
Wer in einem Monat das Finanzvermögen um + 0,5% erhöht, und dies über ein Jahr so fortsetzen
kann, 12
1 + R = 1,005
würde
nach
zwölf
Monaten
ein
Kapitalwachstum
von
= 1,0617 erreichen, also eine Jahresrendite von 6,17% .
Beispiel 3-5: Carla erklärt, dass sie alle sieben Jahre ihr Kapital verdoppelt. Wegen 1 + Ä = l¡2 = 1,104 entspricht dies einer Jahresrendite von R = 10,4% . Die Oberin eines Klosters berichtet über ihre Beobachtung, dass sich mit schöner Regelmäßigkeit alle zwanzig Jahre die Preise verdoppeln. Wegen 1 + R =
= 1,035 steht ihre Beobachtung in Einklang mit einer
Jahresinflation von 3,5%. •
3.1.4
Historische
Renditen
Viele Anleger betrachten historische Renditen über die letzten Jahrzehnte für Asset-Klassen wie Aktien und Bonds. Wissenschaftler und Banken zeigen periodisch aktualisierte Durchschnittsrenditen. Meist wird sowohl die arithmetische Durchschnittsrendite R als auch die geometrische Durchschnittsrendite RD der Jahre 1 bis Τ gezeigt:
R
=
^(Ä,
+R2+...+Rt) (3-7)
Rd
=
T¡J(1 +
·(1 + /?2)·...·(1 + RT) - 1
Beide Durchschnitte sind von Bedeutung. Der arithmetische Durchschnitt R dient dazu, die für ein zukünftiges Jahr zu erwartende Rendite zu schätzen. Der geometrische Durchschnitt RD beschreibt die historische Vermögensentwicklung über die Gesamtperiode. Zudem dient die geometrische Durchschnittsrendite dazu, den Median der zukünftigen Rendite zu schätzen. Die Verteilung der Jahresrenditen weist eine leichte Rechtsschiefe auf. So ist der Median etwas geringer als der Erwartungswert der Rendite. Generell gilt RD < R ; da die Jahresrenditen Rl,R2,...,RT geschwankt haben, gilt sogar RD J (=1
i3"10)
Die Varianz dieser Zahlen ist die Summe der quadratischen Abweichungen vom Mittel geteilt durch die Anzahl der Zahlen:
Vai\Xl,...,xT}
=
1 T - · Σ { Χ , - Χ ) 1
r=l
2
(3-11)
3.
81
RENDITE
Die Standardabweichung, oft auch als Schwankungsbreite, als Streuung oder Variation bezeichnet, ist die Wurzel daraus:
S D [ x , , =
^/Varf
*Γ]
(3-12)
Nun betrachte man eine weitere Reihe von ebenso vielen Zahlen, yt ,t = 1,2,..., T. Ihr Mittelwert y ist wie in (3-10) definiert und ihre Varianz und Streuung wie in (3-11) und (3-12). Um zu beschreiben, ob und wie stark die beiden Zahlenreihen miteinander variieren, wird die Kovarianz berechnet. Die Kovarianz ist positiv, wenn zu den Zeitpunkten oder Perioden t = 1 , 2 , . . . , Γ es eher so ist, dass über ihrem Mittel χ liegende Werte χ, einhergehen mit über dem Mittel y liegenden Werten yt und wenn unter ihrem Mittel χ liegende Werte xt einher gehen mit über ihrem Mittel y liegenden Werten yt. Das wird in der Formel der Kovarianz erreicht, indem die Produkte (*,
- x ) - ( y , - y)
betrachtet werden. Sind sie alle oder überwiegend positiv, dann va-
riieren die Reihen miteinander.
Cov[x 1 ,...,.x 7 .;;y 1 ,...,;y r ]
=
1 7 - · £ ( * , - * ) · ( > , ~y) l
(3-13)
i=i
Der Koeffizient der Korrelation 5 drückt die Kovarianz in Relation zu den Variationen der Zahlenreihen aus und wird meist mit dem griechischen Rho bezeichnet:
=
Cqv[X SD[x
!
1,-,-y. yi.-.yr] Jc r ] · SD[
(314)
;y r ]
Diese Kennzahlen bilden die Grundlage der deskriptiven Statistik: Sie lassen sich gut für die Beschreibung von Renditen heranziehen. Wir betrachten nun eine Reihe von Renditen, Rt, t = 1,2,..., Τ. Neben den Parametern Mittel, Varianz und Standardabweichung verdient die tung. Hierbei werden die Renditen R1,...,RT_l
Korrelation oder Autokorrelation Beachden Renditen R2,...,RT gegenübergestellt. Sie
serielle
zeigt, ob es eine (lineare) Abhängigkeit innerhalb der Zahlenreihe gibt. Man vergleicht bei der Autokorrelation also die Kovariation zweier Zeitreihen der Länge Τ - 1. Entsprechend sind die Formeln (3-13) und (3-14) auf die jeweiligen Reihen /?,,...,R T _ X und R2,...,RT der Länge Γ - 1 anzuwenden.
5
Der klassische Korrelationskoeffizient ist als Bravais-Pearson-Korrelation benannt, nach BRAVAIS, der ihn 1846 verwendet, und PEARSON. KARL PEARSON (1857-1936) gehört zu den bedeutsamen Statistikern.
82
TEIL I —
1!* Κ MH ei IN
GRUNDLAGEN
1
Γ-1
Σ
Γ-1
-
ir Î T I * ' )
(=2
Ir-i-à*'-
ir
Der Koeffizient der seriellen Korrelation (Autokorrelation) ist in Formel (3-15) definiert. •
Falls sich bei der empirischen Untersuchung der Renditen von Kapitalanlagen überwiegend positive serielle Korrelationen pt t+l zeigen, gibt es Trends: Aufwärts- und Abwärtsbewegungen setzen sich tendenziell fort.
•
Negative serielle Korrelationen deuten darauf, dass technische Reaktionen überwiegen: Nach Kursavancen kommt es eher zu Rückschlägen und auf Kursrückgänge folgen typischerweise Kursgewinne.
Selbstverständlich ist es für das Verständnis der Kursbildung und der Renditebildung an Kapitalmärkten wichtig zu wissen, ob es eher zur Ausbildung von Trends kommt (positive serielle Korrelation), ob technische Reaktionen dominieren (negative serielle Korrelation), oder ob keines von beidem der Fall ist (Renditen seriell unkorreliert). Beispiel 3-6: Der Index für Immobilien in Fantasien betrug in den letzten Jahren 4 6 0 , 500, 490, 520,
550.
Die
Renditen
für
T =4
Jahre
sind
^ = (500 - 460) / 460 = 8,70%,
R2 = (490 - 500) / 500 = - 2 % , R3 = 6,12%, R4 = 5,77% . Das sind vier Daten, weshalb für die Berechnung der seriellen Korrelation daher nur drei Paare von Renditen gegenüber gestellt werden können. Rechenschritt: Der Mittelwert der ersten drei Renditen R1,R2, chungen Rl-R=
der
ersten
drei
4,43% , R2-R=
Einzelrenditen - 6 , 2 7 % , R3-R
von
ihrem
R3 ist R = 4,27% . Die Abweiarithmetischen
Mittelwert
sind
= 1,85% . Für die Berechnung der Varianz
summiert man 0,04432 +(-0,0627) 2 + 0,01852 und teilt durch Γ - l , also durch 3, was 0,002 ergibt. Die Standardabweichung der ersten drei Renditen ist also 4,47%. Rechenschritt: Der Mittelwert der letzten drei Renditen chungen R3-R
der
R2,R3,
Einzelrenditen
= 2,82 % , 2
RA-R 2
R¿,
= 2,47%.
vom
Zur
R2,R3,
R4
Mittelwert
ist R = 3,30% . Die Abweisind
Varianz
R2
—R
= -5,30%,
summiert
man
2
(-0,0530) + 0,0282 + 0,0247 und teilt durch 3, was 0,0014 ergibt. Serielle Kovarianz:
0 , 0 4 4 3 - ( - 0 , 0 5 3 0 ) + ( - 0 , 0 6 2 7 ) - 0 , 0 2 8 2 + 0,0185-0,0247
wird durch
Τ - 1 = 3 geteilt. Das ergibt - 0,00122. Dies wird durch die beiden Standardabweichungen geteilt, also durch 0,0477 und durch 0,0374.
83
3. R E N D I T E
Ergebnis: Der Koeffizient der seriellen Korrelation ist - 0 , 6 8 . Er ist negativ, was auf eine Neigung zur Preisiibertreibung mit anschließender Korrektur im nächsten Jahr hindeutet. In Fantasien zeigt der Immobilenmarkt technische Reaktionen. Die Preise sind mal zu hoch, mal zu tief. • Die serielle Korrelation kann von der Länge der Periode abhängen, auf die sich die Renditen beziehen. So könnte durchaus die auf eine Stunde bezogenen Renditen positive serielle Korrelation zeigen, so dass innerhalb eines Tages Trendbildungen typisch sind. Parallel dazu könnte es auf Tagesbasis oder Wochenbasis negative serielle Korrelationen geben, so dass sich auf diese Frist Umkehrungen zeigen. •
Bei Direktanlagen in Wohnimmobilien wurden auf Jahresbasis positive serielle Korrelationen gefunden. Es kommt also bei Direktanlagen in Wohnimmobilien zu Trends nach oben und nach unten, die sich einige Jahre halten. Diese Trends können deshalb nach drei oder vier Jahren zu Preisiibertreibungen nach oben fuhren. Ebenso kann es zu Übertreibungen nach unten kommen. Diese Trends können durchaus mit dem Verhalten privater Immobilienkäufer erklärt werden, die sich zu einer Entscheidung gedrängt fühlen, wenn sie einen Trend identifiziert haben und ein Fortsetzen des Trends vermuten. Aufgrund dieser Verzögerungen können sich Trends fortsetzen.
•
Bei Direktanlagen in kommerzielle Immobilien ist die serielle Korrelation hingegen nur sehr schwach positiv ausgeprägt oder gleich Null. 6 Hier spielt wohl eine Rolle, dass Investoren kommerzieller Immobilien nicht auf Trends setzen, sondern ihre Entscheidungen auf andere Kalkulationen gründen.
•
Bei Währungen wurde auf die sehr kurze Frist weniger Stunden eine positive serielle Korrelation entdeckt, was heißt, dass sich innerhalb eines Tages Trends bilden. Für den Zeitraum von Monaten und Quartalen wurde für Währungen ein Überschießen mit anschließender Korrektur entdeckt, was auf eine negative serielle Korrelation für diese Frist weist. 7
•
Bei den meisten Wertpapieren — Aktien, Anleihen, sowie indirekte Immobilienanlagen — wurde hingegen immer wieder empirisch verifiziert, dass die seriellen Korrelationen der Renditen gleich Null sind, und zwar für Tagesrenditen, für Wochenrenditen, für Monats-, Quartals- und Jahresrenditen. Wir werden im Kapitel 6 darauf zu sprechen kommen und eine theoretische Erklärung bieten: Die Informationseffizienz der Märkte für Wertpapiere.
1. MICHAEL J. SEILER, JAMES R . W E B B , F. C . N E I L M Y E R : A r e R E I T S R e a l E s t a t e ? Journal
of Real
Estate
Portfolio
Management 1999, 171-181. 2. DAVID GELTNER: Estimating Market Values from Appraised Values without Assuming an Efficient Market. Journal of Real Estate Research, Summer 2001, 325-345. 7
RUDIGER DORNBUSCH (1942-2002) hat mit einem Aufsatz 1976 im Journal of Political durch die Langsamkeit der Anpassungen in der Realwirtschaft erklärt.
Economy
das Overshooting
84
TEIL I — G R U N D L A G E N
3.2 Erwartungsbildung Lernziel: Das Urnenmodell steht im Kern der Modernen Portfoliotheorie.
3.2.1
Erwartungsbildung
und Zufall
Die Rendite einer abgelaufenen Periode ist eine Zahl. Die Rendite einer zukünftigen Periode, also jene Zahl, die bei Periodenende bekannt sein wird, ist zum Periodenbeginn unsicher. Diese Feststellung ist nicht besonders tiefgründig und „Unsicherheit" ist obendrein ein weiter Begriff. 8 Der Punkt wird sein, wie wir die Unsicherheit der zukünftigen Rendite präziser fassen. Unter Erwartungsbildung werden Überlegungen und Untersuchungen zur Art und Weise der Unsicherheit der zukünftigen Rendite verstanden. Bei der Erwartungsbildung sollten wir sorgfältig vorgehen, weil aufgrund unserer Vorstellung über die zukünftige Rendite wesentliche Entscheidungen getroffen und Gelder aufs Spiel gesetzt werden. Leider wird uns niemand helfen, eine Vorstellung über die Zukunft zu entwickeln. Wir müssen letztlich Annahmen treffen, über das, was passieren könnte. Das heißt, wir müssen ein Modell für die unsichere Rendite aufstellen. Die Annahmen kommen nicht von ungefähr. Der Mensch hat Erfahrungen und Wissen und er macht einzelne Beobachtungen. Er hat verstanden, dass Modellvorstellungen, die in der Praxis nützlich sein sollen, zwei Eigenschaften aufweisen müssen: 1. Sie sollen realitätsnah sein — im Unterschied zu Gedankenexperimenten und zu Modellen in einer formalen Wissenschaft wie der Mathematik, wo Realitätsnähe nicht an erster Stelle verlangt wird. 2. Die Modellvorstellungen sollen mit dem gesicherten Wissen in Einklang stehen, also theoriekonform sein.9 Wie wird üblicherweise vorgegangen? Aufgrund von Einzelbeobachtungen sowie von Wissen wird zunächst eine Vermutung geäußert, eine Arbeitshypothese formuliert. Sie wird in Wissenschaftskreisen kommuniziert und weiteren Beobachtungen ausgesetzt, auch von anderen Forschern. Durch weitere Beobachtungen können Arbeitshypothesen ausgeschieden werden, die nicht realitätsnah sind. Durch das Wissen anderer Menschen können zudem Hypothesen verworfen werden, die nicht theoriekonform sind. g FRANK KNIGHT (1885-1972), Begründer der „Chicagoer Schule", traff hierzu die ersten Unterscheidungen. Heute ist üblich, wenigstens diese drei Formen von Unsicherheit zu unterscheiden: 1. Risiko: Man kennt die möglichen Ergebnisse und für deren Eintreten sind Wahrscheinlichkeiten bekannt. 2. Ungewißheit: Entweder sind nicht alle möglichen Ergebnisse oder die Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht bekannt. 3. Spiel: Die Ergebnisse hängen noch vom Verhalten von Mitspielern oder Gegenspielern ab.
9 Insbesondere genügt es nicht, die empirischen Beobachtungen in eine Formel zu giessen, die zwar die Realität gut beschreibt, wobei der postulierte Zusammenhang aber nicht weiter erklärt werden kann.
3. R E N D I T E
8S
Trotz der beiden Forderungen — Realitätsnähe und Theoriekonformität — bleibt bei der Modellbildung große Freiheit. So kann der Forscher ein grobes Modell entwickeln ebenso wie eines, das ins Detail geht. Auch Einflussfaktoren und mögliche Wirkungszusammenhänge mit anderen Entwicklungen können, um ein einfaches Modell zu erhalten, ausgeklammert oder detailliert einbezogen werden. Der Grad an Komplexität, der Einbezug von Faktoren, der Grad an Theoriekonformität und der Anspruch an die Realitätsnähe öffnen einen großen Freiraum bei der Entwicklung von Hypothesen und Vorstellungen hinsichtlich der Unsicherheit zukünftiger Renditen von Kapitalanlagen. Hinsichtlich der Unsicherheit der zukünftigen Rendite einer Geldanlage wurden verschiedenste Modellvorstellungen entwickelt. Wir nennen drei, die zum Teil bereits in 2.3.2 angesprochen wurden. Eine Vorstellung hinsichtlich der Unsicherheit zukünftiger Renditen basiert auf der Annahme, dass es im Kapitalmarkt große Informationsunterschiede gibt: Experten könnten die zukünftigen Renditen recht genau prognostizieren, während sie für den weniger gut informierten Investor unsicher und ungewiss sind. 10
-40% bis 30%
-30% bis -20%
-20% bis -10%
-10% bis 0%
0% bis 10%
10% bis 20%
20% bis 30%
30% bis 40%
mehr als 40%
2004 1986 1984 1980 1977 2007
1976
2000
2006
1994
1969
1999
2003
1978
1952
1998
1995
1965
1950
1996
1989
1990
1964
1947
1992
1988
1981
1963
1946
1991
1983
1997
1973
1956
1944
1982
1972
1993
1970
1955
1942
1979
1959
1985
1966
1948
1940
1971
1958
1975
2002
1962
1943
1938
1953
1954
2001
1957
1934
1937
1951
1928
2005
1961
1987
1939
1930
1933
1949
1927
1968
1960
1931
1935
1929
1932
1945
1926
1941
1936
1967
Bild 3-3: Das Histogramm der Aktienrenditen (Marktindex) fur die Schweiz ab 1926 hat die Form der Gauss'sehen Glockenkurve und stützt damit die Annahme, die Jahresrenditen seien normalverteilt.
Bereits 1933 hatte ALFRED COWLES (1891-1984) festgestellt, dass Finanzanalysten den Markt nicht besser prognostizieren können als Privatanleger. Sein Ergebnis wurde immer wieder bestätigt: ALFRED COWLES: Can Stock Market Forecasters Forecast? Econometrica 1 (1953) 4, 309-324. Heute ist es Gemeingut, dass die von professionellen Managern geführten Investmentfonds im Mittel keine bessere Performance erzielen, als sie ein Uninformierter durch die anspruchslose Strategie des Buy-and-Hold erhält.
86
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Eine zweite Hypothese ist, dass die Renditen vergangener Perioden einiges über die kommenden Renditen aussagen. Man muss daher nach Trends forschen, nach technischen Reaktionen sowie nach anderen Mustern. Diese Vorstellung steht im Kern der Praxis der Markttechniker. In der theoretischen Forschung wird die Hypothese untersucht, indem die Korrelation von Zeitreihen berechnet wird. Eine theoretische Erklärung dieser Vorstellung bietet die Metapher von KEYNES (siehe 2.2.1). Jedenfalls besagt diese Vorstellung von der Art der Unsicherheit zukünftiger Renditen, dass gute Prognosen möglich sind, sofern die historischen Kursverläufe der letzten Monate oder Jahre ausgewertet werden. Eine weitere und recht bekannte Vorstellung lautet: Die Kursbildung an den Finanzmärkten spiegelt das Geschehen der Realwirtschaft wider. Wer Makrogrößen — den gesamtwirtschaftlichen Konsum, die volkswirtschaftliche Produktion und Kapazitätsauslastung, das Wachstum des Sozialprodukts — beobachtet und auswertet, der kann gute Prognosen für den Zinssatz und für die Rendite an der Aktienbörse aufstellen. Wer sich diese Informationen nicht besorgt, ist hingegen mit höherer Unsicherheit konfrontiert. Alle diese drei Modellvorstellungen entsprechen der Intuition und tragen ein Körnchen Wahrheit in sich. Allerdings handelt es sich wirklich nur um ein Körnchen Wahrheit, wie empirische Überprüfungen belegen. Sowohl die Empirie als auch das theoretische Wissen sprechen für eine andere Vorstellung hinsichtlich der Unsicherheit zukünftiger Renditen. Danach sind die zukünftigen Renditen rein zufällig, und zwar für informierte Profis wie für Laien in gleichem Umfang. Keiner hat einen Informationsvorsprung, der es ermöglichen würde, zu genaueren Prognosen zu gelangen. Alle Marktteilnehmer sind gleichermaßen von der Entwicklung getroffen, für die sie im Vorweg keine Erklärung finden können, und die sie daher als rein zufällig beschreiben. Es ist gleichsam so als ob Profis wie Laien vor einer Urne stehen, aus der die Rendite gezogen wird. 11 Die Modellvorstellung der Zufallsziehung schließt natürlich nicht aus, dass es vor der Ziehung immer wieder Personen gibt, die Prognosen verkünden, und dass es interessant ist, sich die Prognosen anzuhören, ja vielleicht sogar für die Prognosen zu zahlen. Ebenso ist durch das Modell der Zufallsziehung nicht ausgeschlossen, dass das Resultat der Ziehung im Nachhinein mehr oder minder tief erklärt werden kann. Indessen werden in den Erklärungen gewisse Fakten zitiert, die man so vor der Ziehung nicht kannte oder sah. Das Urnenmodell ist — trotz kleinerer Widersprüchlichkeiten, die den oben genannten drei anderen Vorstellungen zu einem Körnchen Wahrheit verhelfen — die einfachste und zugleich eine ziemlich realitätsnahe Vorstellung dafür, wie Unsicherheit der Renditen einer zukünftigen Anlageperiode verstanden und beschrieben werden sollten. Es sind Zufallsvariablen, die eine gewisse Wahrscheinlichkeitsverteilung haben. Zudem passt die Vorstellung harmonisch mit dem Theoriegebäude der Finance zusammen (siehe Kapitel 6). Diese Erkenntnis hat sich seit ersten Hinweisen 11 Im Nachinein können dann schon Erklärungen gegeben werden. Wenn die Glücksfee beim Lotto die 13 zieht, kann man das im nachinein damit erklären, dass gerade die Kugel mit der 13 durch ihre Hand glitt, als sie Zugriff.
3.
RENDITE
87
und Ansätzen vor fast einem Jahrhundert durch weitere Forschungen immer mehr zur heute weithin akzeptierten Modellvorstellung verdichtet. Die Rendite (etwa des Börsenindexes oder die einer einzelnen Aktie, eines Bonds oder einer Immobilienanlage) wird am besten als zufällige Ziehung aus einer gewissen Grundgesamtheit verstanden. Wir greifen die in der Wahrscheinlichkeitstheorie übliche Veranschaulichung auf und sprechen vom Urnenmodell.
3.2.2 Das Urnenmodell Das Weltgeschehen hat dieses Zufallsexperiment „Rendite ziehen" immer wieder durchgeführt. Menschen haben das beobachtet. Dabei sind weitere Eigenschaften aufgefallen. Erstens scheint die Urne, aus der gezogen wird, über die Zeit hinweg immer dieselbe zu bleiben: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Rendite eines Indexes oder einer einzelnen Aktie, eines Bonds oder einer Immobilienanlage verändert sich nicht. Ihre Parameter — wie etwa der Erwartungswert oder die Varianz — sind konstant im Verlauf der Zeit. Wenn wir etwa die Rendite der Aktie von Sino Land betrachten, so haben wir es zu Beginn von 2006, von 2007 und von 2008 immer mit derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung zu tun gehabt. Diese Aussage ist zunächst wiederum nur eine Annahme. Sie heißt Stationarität. Die empirische Forschung belegt, dass die Annahme der Stationarität als einigermaßen realitätsnah angesehen werden darf. Wir machen sie daher zu einem Teil unserer Modellbildung. Die Annahme, dass eine Reihe von Zufallsvariablen — hier die Renditen der einzelnen Perioden — identisch verteilt (identically distributed) sind, wird mit id abgekürzt. Zweitens wirken die Ziehungen aus der Urne in den einzelnen Perioden, die betrachtet werden, mögen dies Tage, Wochen, Monate oder Jahre sein, wie voneinander unabhängig. Es ist also nicht so, dass etwa aufgrund einer besonders hohen Rendite in der gerade abgelaufenen Periode t geschlossen werden kann, ob die Rendite in der kommenden Periode t +1 mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenso besonders hoch oder besonders tief ausfallen sollte. Die Beobachtung der Rendite in t verhilft nicht zu einer besseren Prognose der Rendite zu t +1. Es gibt an den Finanzmärkten also weder Trends, noch technische Reaktionen, noch andere Muster — anders als dies im Zahlenbeispiel für Immobilien in Fantasien unterstellt wurde. 12
12
Diese zweite Beobachtung hat eine theoretische Erklärung gefunden. Ihr Kern ist die These, dass Finanzmärkte bei der Preisbildung alle Informationen praktisch sofort und korrekt verarbeiten. Es ist nicht so, dass beispielsweise eine gute Nachricht an der Börse nur „langsam verdaut wird", Uber mehrere Perioden verteilt zu Kurssteigerungen führt und so die anfänglichen Kurssteigerungen ein Signal dafür sind, dass es noch zu weiteren Kurssteigerungen kommen wird — so lange, bis die gute Information sich vollständig im Preis niedergeschlagen hat. Stattdessen antizipieren die Finanzmärkte und drücken eine neue Information durch eine sofortige Kurskorrektur aus. Das ist die Kernaussage der Informationseffizienz der Finanzmärkte, die Market Efficiency Hypothesis (MEH). Die MEH stützt von Seiten der Theorie die empirische Beobachtung, dass zeitlich aufeinanderfolgende Renditen unabhängig sind und die serielle Korrelation gleich ist. Wir betrachten die MEH im Kapitel 6 eingehender.
88
TEIL I — GRUNDLAGEN
Die Annahme, dass eine Reihe von Zufallsvariablen — hier die Renditen der einzelnen Perioden — voneinander unabhängig (independent) sind, wird mit i symbolisiert. Wird diese Annahme i mit der Annahme id kombiniert, entsteht iid : Die Renditen sollen unabhängige Ziehungen aus stets derselben Grundgesamtheit sein. Aufgrund dieser beiden Eigenschaften sind für ein betrachtetes Anlageinstrument — Aktie, Bond, Immobilienanlage — die aufeinander folgenden Renditen unabhängige Ziehungen aus ein und derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung, R ~ iid. Deshalb dürfen die historischen Renditen als Stichprobe aufgefasst werden, aus der mit den in der Statistik gebräuchlichen Verfahren Schätzwerte für die Parameter (wie Erwartungswert und Varianz) ermittelt werden. Zusätzlich kann aufgrund der historischen Renditen der Typ der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsverteilung erschlossen werden und es sind Tests zum Verteilungstyp möglich. Bei vielen solcher Untersuchungen historischer Renditen kam eine dritte Eigenschaft zum Vorschein: die (diskreten) Renditen sind normalverteilt. Insgesamt wird R~iidN
geschrieben.
Das Histogramm der historischen Jahresrenditen (in Bild 3-3 für Aktien Schweiz ab 1926) zeigt, dass diese Verteilungsannahme gut der Realität entspricht. 13 Zusammenfassend können wir das Urnenmodell so formulieren: 1. Die Rendite einer Finanzanlage oder eines Wertpapiers in einer zukünftigen Periode ist eine Zufallsvariable. 2. Stationarität: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung verändert sich nicht im Verlauf der Zeit, die Urne bleibt immer dieselbe. 3. Die Renditen verschiedener Perioden sind (stochastisch) voneinander unabhängige Ziehungen aus dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung. 4. Wird eine Aktie, ein Bond oder eine Immobilienanlage betrachtet, und als Periode etwa ein Jahr zugrundegelegt, so handelt es sich um eine normalverteilte Rendite. In Kurzform lautet das Modell R ~ iidN. Das Urnenmodell eignet sich für Simulationen der zukünftigen Renditeentwicklung. Damit können Anlagestile untersucht werden. Das Vorgehen: Zunächst werden zufällige Renditen erzeugt, oder Sequenzen von Renditen. Bei einer historischen Simulation werden einfach jene Renditen oder Folgen von Renditen verwendet, die in der Vergangenheit tatsächlich eingetreten sind.
13 Allerdings verlangt die Annahme der Normalverteilung zwei Einschränkungen: 1. Es werden Aktien, Bonds und Anlagen in Immobilien betrachtet, nicht aber abgeleitete Instrumente wie Optionen oder Hedge-Funds, die asymmetrische Charakteristiken aufweisen. 2. Die Anlageperiode ist etwa ein Jahr lang; sie soll aber nicht wesentlich länger oder kürzer sein. Bei kürzeren Anlagehorizonten machen sich Kurssprünge bemerkbar und führen auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die (im Vergleich zur Normalverteilung) höhere Wahrscheinlichkeiten für Extremwerte zeigen (Leptokurtosis, Fat Tails). Bei längeren Anlagehorizonten zeigt die Gesamtrendite Rechtsschiefe: Sehr hohe Gesamtrenditen haben eine nicht unbeträchtliche Eintrittswahrscheinlichkeit.
3.
RENDITE
89
Bei einer Monte-Carlo-Simulation wird die Wahrscheinlichkeitsverteilung der betrachten Rendite bestimmt — das haben wir mit dem Urnenmodell bereits gemacht. Anschließend werden mit einem Zufallsgenerator Renditen erzeugt, die diese Wahrscheinlichkeitsverteilung aufweisen. Bei einem Stress-Test werden die Simulationsrechnungen mit Renditen vorgenommen, die in der Vergangenheit in Krisen aufgetreten waren. Monte-Carlo-Simulationen lassen sich gut mit Excel durchführen. Im Menü Tools rufe man Data Analysis auf. Im sich öffnenden Fenster finden sich diverse Werkzeuge, darunter Random Number Generation.
3.2.3 Rekapitulation Die Normalverteilung tritt im Leben so oft auf, dass die Bezeichnung „normal" wirklich angebracht ist. Die Erklärung für die enorme praktische Bedeutung der Normalverteilung liegt im zentralen Grenzwertsatz. Dieses Theorem der Wahrscheinlichkeitstheorie besagt, dass Summen von unabhängigen Zufallsgrößen approximativ normalverteilt sind, egal welche Verteilung die addierten Zufallsgrößen haben. Da viele Phänomene im Leben das Ergebnis einer Summe zufälliger Einflüsse sind, kann die Normalverteilung oft beobachtet werden. Die Normalverteilung ist eine stetige Verteilung: Sie kann beliebige reelle Zahlen als Realisationen haben. Ihre Wahrscheinlichkeitsverteilung wird daher durch eine Dichtefunktion beschrieben. Die Dichtefunktion der Normalverteilung, f ( x ) = e x p ( - x 2 / 2) / λ/2 · π, hat als Graph die nach GAUSS benannte Glockenkurve (Bild 3-4). Es handelt sich um eine symmetrische Wahrscheinlichkeitsverteilung: Abweichungen vom Erwartungswert nach oben und nach unten sind gleichwahrscheinlich.
90
TEIL I —
GRUNDLAGEN
Eine normalverteilte Zufallsvariable nimmt mit der Wahrscheinlichkeit 0,682689 = 2 / 3 eine Realisation im Intervall von μ — σ bis μ + σ an. Dieses
Intervall
wird
als
Sigma-Band
bezeichnet.
Mit
der
Wahrscheinlichkeit
0,158655 = 1 / 6 ist die Realisation kleiner als μ — σ und mit eben dieser Wahrscheinlichkeit nimmt sie eine Realisation oberhalb von μ + σ an. Die Normalverteilung ist durch die beiden Parameter Erwartungswert
und
Standardabweichung
charakterisiert. Das ist in der MPT wichtig, weil ein Investor, sofern die Portfoliorendite normalverteilt ist, nur auf diese beiden Parameter achten muss und damit bereits die ganze Verteilung kennt. Seine Präferenz hinsichtlich verschiedener normal verteilter Portfoliorenditen 14 hängt infolgedessen letztlich erstens nur von der Renditeerwartung und zweitens der Standardabweichung der Portfoliorendite ab. Der Erwartungswert wird oft mit μ und die Standardabweichung mit σ bezeichnet; 3. Er strahlt vor Freude: Sein Modell beschreibt die Wirklichkeit exakt. Nächste Woche setzt er sein Modell „out of sample" ein. Wir wissen, dass es kläglich scheitern wird. • So hat es auch in der Finance eine Vielzahl von Modellen gegeben, die zumindest was die historischen Renditen betrifft zu hohen Renditen geführt hätten. Wenn man dann — in der Hoffnung, der Markt sei nicht effizient — diesen Modellen vertraut, lässt die Enttäuschung nicht lange auf sich warten. Deshalb wird auch das bloße Data-Mining skeptisch beurteilt. Unter Data-Mining versteht man den Forschungsansatz, immer wieder den Computer auf historische Daten anzusetzen, bis eine „Regelmäßigkeit" entdeckt wird. Viel wichtiger ist jedoch: 1. Das Number-Crunching darf nicht ganz frei sein, sondern muss einem theoretischen Vorverständnis folgen. 2. Einer gefundenen Regelmäßigkeit muss eine ökonomische Bedeutung gegeben werden können — wir hatten diese Eigenschaft als Theoriekonformität angesprochen. Bei vielen Modellen drängt sich die Frage auf, wie Korrelationen zu deuten sind, und wenn ein Zusammenhang zwischen zwei Größen festgestellt wurde, welche Größe die Ursache und welche die Wirkung ist. Das entspricht der wissenschaftstheoretischen Frage, was unter Kausalität zu verstehen sei.
6.
INFORMATIONSEFFIZIENZ
167
Eine Pionierleistung zu diesem wichtigen Thema der ökonometrischen Forschung ist GRANGER gelungen. 17 Der Kausalitätsbegriff der Ökonometrie ist gegenüber dem allgemeinen Kausalitätsbegriff der Philosophie und Wissenschaftstheorie eingeschränkt. In der Ökonometrie wird die zeitliche Ordnung der Variablen in den Vordergrund gerückt. Den Kausalitätsbegriff der Ökonometrie hat GRANGER geprägt. Er nimmt an, dass die Vergangenheit die Zukunft bestimmt und nicht umgekehrt. Die Definition lautet: Eine Variable X ist für Y Granger-kausal, sofern bei einer gegebenen Information über X bis zum Zeitpunkt t-1 die Variable Y zum Zeitpunkt t besser prognostiziert werden kann, als ohne den Einbezug der Variablen X.
6.3.3 Wissenschaftstheorie Wir haben gesehen, dass bei der Aufstellung eines Modells und seiner Anwendung fünf Schritte von Bedeutung sind: 1. Aufstellung eines Modells: Formulierung einer Hypothese aufgrund einzelner Beobachtungen, Erfahrungen und Wissen. 2. Beschaffung von Daten, Bereinigung der Daten und kritische Prüfung, ob sie Verzerrungen gegenüber der Realität aufweisen. 3. Schätzung der Parameter des Modells anhand der Daten. 4. Heranziehen weiterer Beobachtungen, um die Realitätsnähe des Modells zu prüfen. 5. Beurteilung, ob das Modell im Einklang mit benachbarten Theorien steht. Selbstverständlich könnte man mit dem ersten Schritt bereits aufhören. Es wird dann aber lediglich ein Gedankenexperiment durchgeführt und es ist wenig darüber bekannt, ob die Gedanken lediglich der Didaktik oder der Schärfung des Verstandes dienen. Leichtfertig wäre es, den zweiten Schritt zu überspringen. Die Daten könnten dann diverse Verzerrungen aufweisen. Einige Forscher hören nach dem dritten Schritt auf. Doch es könnte immerhin sein, dass die Parameter anhand eines Modells geschätzt werden, das falsch (nicht realitätsnah) ist. Wer bereits nach dem dritten Schritt aufhört läuft Gefahr, den Erkenntnisgewinn allein auf die empirische Beobachtung abzustellen - das ist Datenbergbau (Data-Mining). Führende Empiriker geben zu, dass zur Güte eines Modells gehört, dass es in Einklang mit der Theorie steht. In der Wissenschaftstheorie werden diese Überlegungen vertieft.
CLIVE W. J. GRANGER (* 1934), britischer Wirtschaftswissenschaftler, klärte den Begriff der Kausalität für die Ökonometrie und erhielt 2003, zusammen mit ROBERT F. ENGLE den Nobelpreis; 2005 wurde er zum Ritter geschlagen. Literatur: 1. CUVE W. J. GRANGER: Investigating Causal Relations by Econometric Models and CrossSpectral Models. Econometrica 37 (1969), 424-438. 2. C. A. SIMS: Money, Income and Causality. American Economic Review 62 (1972), 540-552.
TEIL I —
168
Empirisch gehaltvolle Theorie
Paradigma Immunisierte Theorie
\
© \
GRUNDLAGEN
Bild 6-5: Der Weg zu eiempirisch gehaltvollen Theorie wird unterbrochen, falls die herrschende Lehrmeinung zu einer Immunisierung gegen Beobachtungen fuhrt, die dem Paradigma widersprechen.
ner
Gezielte Falsifizierungs-
Beobachtungen führen auf Idee
Prämissen
Herrschende Lehrmeinung
Nach KARL POPPER (1902-1994) gehen Wissenschaftler gelegentlich zu unkritisch mit dem vierten Schritt um. Statt die Realitätsnähe zu prüfen, suchen sie immer weitere Bestätigungen (und bleiben damit im Schritt 1). Der Schritt 4 verlangt nach POPPER gezielte Falsifizierungsversuche. Selbstverständlich werden die fünf Schritte nicht immer in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen. Zudem arbeiten mehrere Personen an den Forschungen; es gibt in der Wissenschaft Arbeitsteilung. Oft werden die fünf Schritte immer wieder von der Forschung von neuem aufgegriffen. Dabei kann es auch vorkommen, dass die empirische Arbeit vernachlässigt wird, wenn man mit der im Schritt 5 angesprochenen Übereinstimmung mit der sonstigen Theorie zufrieden ist. Darauf hat THOMAS KUHN (1922-1996) aufmerksam gemacht: Die in einem Wissensbereich tätigen Menschen haben eigene Interessen, die gelegentlich am Streben nach Wahrheit und Erkenntnis vorbeigehen. Wissenschaftler kommen durch Tagungen, durch Lehrstühle oder durch die Herausgabe von Fachzeitschriften zu Macht, Ansehen und Einkommen. Diese Position wollen sie festigen und ausbauen. Sie neigen dazu, Kritik aufgrund der Prüfungen der Güte „ihrer" Modelle (Schritt 3) mit Machtmitteln abzuwehren. So immunisieren sie die Theorie gegen Falsifizierungsversuche. Erst wenn die Kritik aufgrund der entdeckten empirischen Widersprüche irgendwann überhand nimmt, entsteht ein neues Paradigma. Die Wissenschaftstheorie begründet zwei Punkte: 1. Wer sich auf die Suche nach phantasievollen und immer komplexeren Erklärungen macht, wird immer fündig. Nur entsteht so keine Bereicherung der Erkenntnis. Neue Erkenntnis wird nicht durch Data-Mining gewonnen oder dadurch, dass in Modellen immer mehr „erklärende Variablen" einbezogen werden. Die empirische muss theoriegeleitet
Arbeit
sein. 2. Erkenntnisfortschritt entsteht nicht durch Beobachtungen, die eine
Hypothese „bestätigen", sondern durch Beobachtungen, die sie widerlegen. Der Wissenschaftler soll seine Arbeitshypothesen daher gezielten Falsifizierungsversuchen aussetzen und nicht versuchen, seine Theorie gegen mögliche Angriffe zu immunisieren.
6.
INFORMATIONSEFFIZIENZ
169
6.4 Konklusion Lernziele: Zwei Einflüsse auf die Volatilität — welcher ist der stärkere?
6.4.1
Zusammenfassung
Um ein Modell als gut und gültig zu akzeptieren, gibt sich die Wissenschaft mit einer statistischen Übereinstimmung mit empirischen Fakten noch nicht zufrieden. Sie verlangt Übereinstimmung mit benachbarten Modellen, so dass sich das Bild zu einer Theorie verdichten kann. Besonders die im Urnenmodell postulierte Zufälligkeit der Renditen schien der Rationalität von Marktteilnehmern zu widersprechen — bis es gelang, diese Widersprüchlichkeiten durch die Informationseffizienz aufzulösen. Die Market Efficiency Hypothesis (MEH) besagt: 1. Die Renditen zeigen keine Trends, weil alle neuen Nachrichten sofort „verdaut" werden. 2. Die Renditen zeigen keine technischen Reaktionen, weil die Preisreaktionen stets korrekt und darum auch nicht übertrieben sind, was später wieder rückgängig gemacht werden müsste. So entspricht die MEH der seriellen Unkorreliertheit der Renditen. Zur MEH haben wir zwei Tests betrachtet — den von COWLES und JONES sowie den Run-Test. Außerdem haben wir den Einsatz von Event-Studien besprochen.
6.4.2
Stichworte
und Namen
Cowles-Jones-Ratio, Event-Studie, FAMA, Granger-Kausalität, GROSSMAN und 5ΉΘΊΓΓΖ, HomeBias, KUHN, MEH, MUTH, Informationsgleichgewicht, In the sample und Out of sample, POPPER, ROBERTS, Stärke der Informationseffizienz nach FAMA, Verbundhypothese.
6.4.3
Was erzeugt die
Volatilität?
Dieses Kapitel hat eine klare Antwort auf die Frage gegeben, wodurch die täglichen Kursschwankungen für Wertpapiere zustande kommen. Es besteht ein permanenter Strom an Meldungen. Viele sind für die Bewertung von Kapitalanlagen nicht von Bedeutung und wir können sie gleich ausklammern. Jene Meldungen, die für die Bewertung und die Preisbildung relevant sind, fallen in zwei Kategorien: 1. Meldungen, die nicht wirklich neu sind, weil sie aus früheren Meldungen erschlossen werden können. Auf sie erfolgt nacht der MEH keine Kursreaktion, weil sie bereits verarbeitet und antizipiert worden sind. 2. Meldungen, die neu sind. Auf sie reagieren die Kurse. Meldungen sind nur neu, wenn sie überraschen. Sie sind zufällig. So wird die Zufälligkeit der Kurse durch die Zufälligkeit neuer, relevanter Meldungen erzeugt. Bei den zufälligen neuen Meldungen wird man als Erstes an Fundamentaldaten denken. Diese spielen eine wichtige Rolle. Allerdings gehören zu den preisrelevanten neuen Meldungen auch solche über die aktuelle Situation hinsichtlich Nachfrage und Angebot nach einer Aktie an einem Handelstag. Man weiß auch nicht vorher, dass am nächsten Tag vielleicht um 10.30 Uhr eine
1T0
TEIL
I —
GRUNDLAGEN
größere Kauforder eintrifft. Die Zufälligkeit des Handels an einem Börsentag und die Berichterstattung darüber gehören zu den neuen Nachrichten. Es sind also zwei Arten von neuen Informationen, deren zufälliges Eintreffen die Zufälligkeit der Renditen bestimmt: •
Fundamentaldaten
•
Daten über die augenblickliche Handelssituation
Welche dieser beiden Arten neuer Informationen hat größere Bedeutung für die Erklärung der Volatilität? Forschungen deuten darauf hin, dass die zweite Art wichtiger ist als die erste. Wir nennen zunächst Untersuchungen von SHILLER, nach denen die Volatilität der Aktienkurse zu groß ist gemessen an dem, was durch Änderungen der Fundamentaldaten erklärt werden kann. SHILLER argumentiert: Der Wert einer Unternehmung ist durch den Barwert zukünftiger Dividenden bestimmt. Bei den meisten Unternehmen zeigen die Dividenden eine ausgeprägt stabile Entwicklung. Gemessen daran sind die tatsächlichen Kursschwankungen an der Börse zu groß. 18 Bei einem anderen Zugang zur Frage nach der Gewichtung der Einflüsse der beiden Arten neuer Informationen werden die Kursschwankungen unter der Woche mit jenen über das Wochenende verglichen. Es werden verglichen: 1. Die Standardabweichungen der Renditen zwischen Börsenschluss an einem der Wochentage Montag bis Donnerstag und dem Handelsschluss des folgenden Wochentages. 2. Die Standardabweichungen der Renditen zwischen dem Börsenschluss am Freitag und dem am Montag. Wenn neue Fundamentaldaten rein zufällig eintreffen — zum Beispiel Informationen über das Wetter, die für den Wert der Ernte von Agrarprodukten maßgeblich sind —, dann ist ihr Eintreffen über ein Wochenende (Samstag, Sonntag, Montag) dreimal so groß wie an einem der Wochentage, etwa von Börsenschluss Montag Abend bis Dienstag Abend. Folglich sollten, sofern die erste Art von Informationen die größere Bedeutung hat, die Schwankungen von Freitag Abend bis Montag Abend dreimal so groß sein wie die von Montag Abend auf Dienstag Abend und so fort. Die Empirie sagt jedoch, dass die typischen Änderungen der Kurse über das Wochenende und über Feiertage kaum größer sind als von einem Wochentag auf den folgenden. Bekannt ist eine Untersuchung von ROLL über die Preisbewegungen bei Kontrakten für Orangensaft. Fundamentaldaten sind hier Nachrichten über das Wetter. Indessen stellt sich heraus: Die Standardabweichung über das Wochenende ist nicht dreimal sondern nur 1,24 mal so groß wie die zwischen Handelsschluss eines Wochentages und Handelsschluss des nächsten Ta-
So ist auch hier die Schlussfolgerung: Die zweite Art von Informationen hat einen großen, wenn nicht den größeren Einfluss auf die Volatilität im Vergleich zur ersten Art. 19
18
ROBERT J. SHILLER: DO Stock Prices Move Too Much to be Justified by Subsequent Changes in Dividends. American Economic Review 71 (1981) 3, 421-436. 19
1. EUGENE F. FAMA: The Behavior of Stock Market Prices. Journal of Business 38 (1965), 34-105. 2. KENNETH R.
6.
171
INFORMATIONSEFFIZIENZ
6.4.4 Ergänzende
Lektüre:
CUTHBERTSON
Der britische Professor CUTHBERTSON hat ein sehr leicht lesbares Buch (im Vergleich zu dem, was der Titel befürchten lässt) über Quantitative Financial Economics geschrieben. Von den sieben Teilen sind zwei der Markteffizienz gewidmet. Der Teil 2 über Efficiency, Predictability and Volatility deckt Themen wie Rational Bubbles und Chaos ab, der Teil 5 ist ganz den Tests gewidmet, die einer von CAMPBELL und S HILLER eingeführten Methodologie (VAR Approach) folgen. Diese beiden Teile machen zusammen 175 Seiten des insgesamt 470-seitigen Buches aus und sind eine klare Lektüreempfehlung zum Thema dieses Kapitels.20 6.4.5 Aufgaben
und
Fragen
1. a) Formulieren Sie eine Hypothese, ob der „Markt der Finanzmärkte der einzelnen Länder" effizient ist, und gehen Sie dazu auf den Home-Bias ein. b) Lohnt sich volkswirtschaftliches Research bevor eine internationale Asset-Allokation vorgenommen wird? 2. Aus welchem ökonomischen Grund dürfen historische Renditen als unabhängige Stichprobe gelten? 3. Skizzieren Sie das Modell von GROSSMAN und STIGLITZ 1985 !
4. Ein Stolperstein wird in der empirischen Forschung mit Jn the sample" und „Out of sample" bezeichnet. Skizzieren Sie, was damit gemeint ist! 5. Welche fünf Schritte stehen im Zusammenhang mit der Aufstellung von Modellen und mit dem Arbeiten mit Modellen? 6. Welche beiden Arten von Informationen wurden in Abschnitt 6.4.3 unterschieden und welche erklärt die Volatilität am stärksten? 6.4.6 Lösungen
und
Antworten
1. Der „Markt der Märkte" ist eher nicht effizient, weshalb sich ein volkswirtschaftliches Research vor der internationalen Asset-Allokation lohnen kann. 2. Die MEH besagt, dass alle Einflussfaktoren, die zu t bekannt werden und die Rendite zu t +1 betreffen würden, sofort antizipiert werden und damit in ihrer Wirkung vorweggenommen werden. Daher gibt es keine Möglichkeit, aus r, etwas über fj +l zu erschließen. Die Zufallsgrößen sind unabhängig. FRENCH: Stock Returns and the Weekend Effect. Journal of Financial Economics 8 (1980) 55-69. 3. KENNETH R. FRENCH und RICHARD ROLL: Stock Return Variances: The Arrival of Information and the Reaction of Traders. Journal of Financial Economics 17 (1986), 5-26. 4. RICHARD ROLL: Orange Juice and Weather. American Economic Review
74(1984)5,861-880.
20 KEITH CUTHBERTSON: Quantitative Chichester 1999.
Financial Economics
— Stocks, Bonds, and Foreign Exchange.
Wiley,
172
TEIL I —
GRUNDLAGEN
3. Siehe Abschnitt 6.2.1. 4. Siehe 6.3.2. 5. Siehe 6.3.3. 6. Fundamentaldaten und Daten über die augenblickliche Handelssituation. Die Daten über die Handelssituation haben einen großen, wenn nicht den größeren Einfluss auf die Volatilität im Vergleich zu Fundamentaldaten.
6.4.7 Tipp 6 für die gute Geldanlage
Schaue NTV und die anderen Kanäle wie Bloomberg-TV zur Unterhaltung an, vielleicht auch um Argumentationen aufzunehmen und die ins Gespräch gebrachten Zusammenhänge zu verstehen, nicht aber, um Börsenempfehlungen zu erhäschen, denen Du dann hinterherläufst!
7
Effiziente Portfolios (MARKOWITZ) In der Modernen Portfoliotheorie werden einzelne Anlageinstrumente wie ganze Portfolios anhand der beiden Verteilungsparameter Renditeerwartung (Return) und Renditestreuung (fi/s/c) im Risk-Return-Diagramm positioniert. Die mit der grafischen Darstellung verbundene Analyse der Portfolioselektion und der Diversifikation geht auf MARKOWITZ zurück. MARKOWITZ definierte hinsichtlich der beiden Merkmale Risk und Return unübertroffene Portfolios als effizient. Später entwarf er Algorithmen zur Ermittlung aller effizienten Portfolios. Sie sind im Risk-ReturnDiagramm auf der Effizienzkurve positioniert — einem Teilstück einer Hyperbel. 7.1
Risk und Return
173
7.2
Die Effizienzkurve für η > 2
184
7.3
Konklusion
208
7.1 Risk und Return Lernziele: 1. Die Moderne Portfoliotheorie (MPT) ist von M A R K O W I T Z zwischen 1952 und 1959 auf drei Säulen im Sinne zentraler Annahmen gegründet worden. 2. Wir folgen M A R K O W I T Z zum Risk-Return-Diagramm und zum Begriff der Effizienz — von Portfolios (nicht der Informationseffizienz des Marktes). 3. Rechenalgorithmen zur Findung effizienter Portfolios.
7.1.1 Erste Säule der MPT:
Zweizeitpunktmodell
Wir betrachten zwei Zeitpunkte, t = 0 und t - 1. Zum Zeitpunkt t = 0, gleichsam heute, lege der Investor seine Asset-Allokation fest. Er bestimmt die Gewichte, mit denen die Einzelanlagen (Wertpapiere oder Anlageklassen) in das Portfolio einbezogen werden. Die Asset-Allokation wird sodann bis zum Zeitpunkt t = 1 nicht mehr verändert. In der MPT geht es darum, die anfängliche Zusammensetzung des Portfolios zu bestimmen. Es wird einmalig eine Entscheidung getroffen und dann wartet der Investor die Ergebnisse ab. Der MPT liegt eine Zweizeitpunktbetrachtung und nicht ein Einperiodenmodell zugrunde (bei dem zu allen Zeitpunkten 0 < t < 1 die Asset-Allokation verändert werden könnte). Noch genauer wird nur ein einziger Zeitpunkt betrachtet, nämlich der der Entscheidung über die Zusammen-
174
T E I L II — M O D E R N E
PORTFOLIOLTHEORIE
Setzung des Portfolios. Aus der zu diesem Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Information — Wissen über die Parameter der Renditen — werden die Parameter der Portfoliorendite beurteilt, das heißt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Portfoliorendite aufgestellt. Die Realisation ist nicht interessant, weil keine weitere Entscheidung zu treffen ist. Die MPT nimmt als Perspektive eine reine ex-ante Sicht ein: Was ist zu t = 0 bekannt? Bekannt ist, dass die Renditen als zufällig zu betrachten sind. Ihre Wahrscheinlichkeitsparameter liegen zu t = 0 vor. Daraufhin wird die Asset-Allokation gewählt.1 Das als Geldbetrag Wl und zu t = 1 dann vorliegende (zufällige) Anlageergebnis errechnet sich aus dem Anfangsvermögen Wü plus dem Produkt aus dem Anfangsvermögen und der Portfoliorendite RP, Wl = W() + WQ • Rp. •
Es wird nur zu t = 0 eine Entscheidung getroffen. Nur die zu t = 0 vorliegenden Informationen fließen in die Bestimmung der Asset-Allokation mit ein. Aus Sicht des Zeitpunkts 0 ist das Anfangsvermögen W0 als Zahl bekannt und die Renditen der möglichen Einzelanlagen sind zufällig. Das Investment-Opportunity-Set IOS sei durch die Wahrscheinlichkeitsverteilungen
der Renditen gegeben.
•
Entschieden wird über die Gewichte oder relativen Anteile, mit denen die Einzelanlagen in das Portfolio eingehen. So ist zum Entscheidungszeitpunkt t = 0 auch die Portfoliorendite Rp nur als Zufallsgröße bekannt.
•
Der Nutzen des Investors hängt allein vom Anlageergebnis W, ab, das heißt von der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Wl, die es aus Sicht der zum Zeitpunkt 0 verfügbaren Information aufweist. Statt dessen kann der Investor auch die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Renditen betrachten.
•
Es sind nur die finanziellen Aspekte maßgeblich. So kommt es dem Investor nur auf die finanziellen Eigenschaften des Portfolios an, insbesondere auf die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Portfoliorenditen. Unwichtig ist ihm, welche Einzelanlagen des IOS im Portfolio vertreten sind und mit welchem Gewicht sie einbezogen sind. Nur das zufällige Gesamtergebnis W{ oder die Portfoliorendite bestimmen den Nutzen. Unwichtig ist auch, wie sich der Wert des Portfolios innerhalb der Periode 0 < t < 1 verhält.
Die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Anlageergebnisses W¡, die den Nutzen des Investors bestimmt, erfolgt wegen
=W0 +W0- Rp aus der Verteilung der diskreten Rendite. Der Nutzen
des Investors hängt folglich nur von der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Portfoliorendite Rp ab. Denn das Anfangsvermögen Wü ist für ihn eine gegebene Größe, die sich durch seine Entscheidung nicht verändert. Wir schreiben für diesen Nutzen U(Rp ). Für die Bestimmung des optimalen Portfolios ist es hinreichend, die Präferenz U (RP ) für die Portfolio rendite zu formulieren.
1 Dann hat der Investor seine Arbeit getan. Er geht heim und schläft. Mal sehen, was der Morgen bringt. Doch eigentlich ist das nicht mehr so wichtig. Gleichwohl ändern sich in der Realität sowohl der Wert des Portfolios als auch die relativen Anteile der einzelnen Wertpapiere durch die börsentäglichen Kursbewegungen zwischen den beiden Zeitpunkten und dem, was in der MPT nicht weiter betrachtet wird.
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
175
(MARKOWITZ)
In der MPT werden stets Renditen verglichen, nicht aber die als Geldbetrag ausgedrückten Anlageergebnisse.
7.1.2
Zweite
Säule:
Parameter
der diskreten
Rendite
Weil die Zeitpunkte t = 0,1 betrachtet werden und allein die Rendite den Nutzen bestimmt, hängt der Nutzen von der unsicheren, diskreten Rendite ab. Die diskrete Rendite für die zwischen den beiden Zeitpunkten 0 und 1 liegende Periode weist die Portfolioeigenschaft
auf: Man be-
trachte zwei Einzelanlagen A und Β mit den diskreten Renditen RA und RB. Aus diesen werde zu t - 0 ein Portfolio Ρ gebildet: χ sei das Gewicht von A und somit
χ das Gewicht von B.
Dann ist die Rendite dieses Portfolios: RP
=X-RA+(1-X)-RB
Die Portfoliorendite Rp ist das gewichtete Mittel der Renditen der Einzelanlagen (3.1.2). Die Verteilungsparameter der Portfoliorendite können folglich aus den Parametern der Renditen der Einzelanlagen ermittelt werden. Für den Erwartungswert der Portfoliorendite μΡ = £[/?,.] gilt: μΡ=χ·μΑ+(1-χ)·μΒ Für die Varianz der Portfoliorendite σ2Ρ =Var[/? / > ] gilt:
σ2Ρ = χ2 ·σ\
+(1-*)2
·σ2Β +2·χ·(1-χ)·σΛ·σΒ
·ρΑΒ
Für die Standardabweichung σ Ρ =Var[/? / > ] wird die Wurzel gezogen:
σρ
=TJx2 ·σ\
+(1-χ)·σ2Β
+2·χ·(1-χ)·σΑ·σΒ
·ρΑΒ
Diese Formeln, siehe (4-6) und (4-7), lassen sich unmittelbar auf den Fall verallgemeinern, in denen das Portfolio aus drei oder mehr Einzelanlagen zusammengesetzt ist.
7.1.3
Dritte
Säule
der MPT:
Normalverteilung
Die Renditen der betrachteten Einzelanlagen des IOS werden als gemeinsam normalverteilt angenommen. Durch die Normalverteilung ergeben sich Vereinfachungen.
176
T E I L II — M O D E R N E P O R T F O L I O L T H E O R I E
1. Die Renditen aller Portfolios, die aus diesen Einzelanlagen gebildet werden, sind wiederum normalverteilt — die Portfoliorenditen folgen nicht einem anderen Verteilungstyp. Die Portfoliobildung führt nicht aus der Klasse normalverteilter Renditen heraus. 2. Die Portfoliorenditen sind durch die beiden ersten Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung vollständig beschrieben, also durch den Erwartungswert und die Standardabweichung der Rendite. Ein Blick auf weitere Parameter wie etwa die Schiefe (sie ist bei normalverteilten Renditen gleich 0 ) oder die Kurtosis (sie ist bei normalverteilten Renditen gleich 3) erübrigt sich. Nur zwei Verteilungsparameter haben Belang, der Erwartungswert und die Standardabweichung (oder die Varianz) der betrachteten Portfoliorenditen, weshalb die MPT auch Mean Variance Analysis genannt wird. Auch der Nutzen U (RP ) , den ein Investor mit einem jeden der ihm möglichen Portfolios verbindet, hängt aus diesem Grunde nur von diesen beiden Parametern μρ =
] und (JP = SD[RP ] der Portfoliorendite ab.
Wir können für den Nutzen schreiben: U(RP)
(7-1)
= f(MP,aP)
Ohne viel über die Präferenz des betrachteten Investors zu wissen, darf unterstellt werden: Die Renditeerwartung (Return) μρ = E[Rp ] ist ein erwünschtes Merkmal, die Standardabweichung der Rendite (Risk) des Portfolios (Tp =
ist ein unerwünschtes Merkmal. Die Funktion
/ ( . , . ) nimmt mit dem ersten Argument zu und mit dem zweiten Argument ab. Solch eine konkrete Nutzenfunktion lautet:
U(RP)
=
/(μΡ,σΡ)
=
μΡ-^·σ2Ρ
(7-2)
Für kleine a wird der Vorteil betont, der mit der Renditeerwartung verbunden ist. Für große a wird der Nachteil betont, der mit der Varianz der Rendite verbunden ist. Dabei ist a die Risikoaversion des Investors. Empirische Messungen haben ergeben, dass diese Risikoaversion für die meisten Investoren zwischen 2 und 4 liegt. Wer einen typischen Investor betrachtet, darf a = 3 unterstellen. Wir werden sehen, dass ein Investor mit a = 3 die eine Hälfte seines Vermögens in Aktien und die andere Hälfte des Vermögens in Bonds anlegt (vergleiche Bild 713). Dieses Verhältnis wird durch die weltweite Marktkapitalisierung aller Aktiengesellschaften in Relation zum gleich großen Betrag aller ausstehender Bonds bestätigt.
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
(MARKOWITZ)
177
Die Nutzenfunktion (7-2) modelliert eine bei den meisten Menschen anzutreffende Vorstellung: Kleine Risiken sind nicht so schlimm, doch bei Zunahme des Exposures gegenüber einem Risiko kommt schnell eine Grenze des Akzeptablen. Um dies wiederzugeben, wird von der Renditeerwartung in (7-2) ein Vielfaches der Varianz und nicht der Standardabweichung abgezogen: Kleine Engagements in risikobehaftete Anlagen (die Varianz ist bei kleiner Standardabweichung sehr klein) sind mit kaum merklichen Nutzeneinbussen verbunden. Große Engagements in risikobehaftete Anlagen (die Varianz ist bei großer Standardabweichung sehr groß) sind hingegen mit starken Nutzeneinbussen verbunden. Beispiel 7-1: Vicky hat als Risikoaversion a = 2 und überlegt, ob sie ihr Geld in Aktien anlegen sollte (Daten μ = 10%, σ = 20%, also σ2 = 0,04 ). Ihr Nutzen, der mit der Aktienrendite verbunden ist, beträgt 0 , 1 0 - 0 , 0 4 = 6% . Was bedeutet diese Zahl? Könnte Vicky in eine sichere Anlage mit dem Zinssatz von 6% anlegen (Varianz gleich Null), dann wäre sie wegen / (0,10; 0,20) = / ( 0 , 0 6 ; 0) indifferent zwischen der unsicheren Rendite des Aktienportfolios und dieser sicheren Anlage. • Aufgrund dieser drei Säulen — Zweizeitpunktbetrachtung, Renditen gemeinsam normalverteilt, Parameter sind bekannt — genügt zur Beschreibung des IOS die Angabe der Parameter der Renditen der Einzelanlagen. Das sind die Erwartungswerte und die Standardabweichungen der Renditen sowie die Koeffizienten der Korrelationen zwischen den Renditen der Einzelanlagen. Weitere Aspekte zu kennen ist unnötig. Bei einer Aktie etwa muss weder bekannt sein in welcher Branche die Unternehmung tätig ist noch welche Kennzahlen sich aus ihrer Bilanz ergeben. Diese Daten können hilfreich sein, um die erwartete Rendite zu schätzen. In der MPT wird jedoch angenommen, dass die Renditeerwartung „gegeben" ist. Die Frage, wie die Verteilungsparameter geschätzt werden können, sei es aus den historischen Daten oder mit anderen Methoden der Finanzanalyse, etwa durch das Studium von Bilanzen und von volkswirtschaftlichen Größen, wird in der MPT als beantwortet vorausgesetzt. MARKOWITZ meinte einmal, das Portfoliomanagement als Ganzes bestehe aus zwei Teilen. Der erste ist die Erwartungsbildung, also die Schätzung der Verteilungsparameter der risikobehafteten Einzelanlagen. Der zweite Teil ist, wie aus den Parametern die Asset-Allokation folge. Er habe sich mit dem zweiten Teil befasst.
7.1.4 Das Risk-Return-Diagramm Da es nur auf die Parameter der diskreten Rendite ankommt, bietet sich eine grafische Darstellung an. Die Einzelanlagen (Assets oder Asset-Klassen) aus denen Portfolios gebildet werden können, werden im so genannten Risk-Return-Diagramm positioniert. Beispielsweise habe das Asset A die Rendite RA . Das Risk SD[Ra ] = σA wird auf der Abszisse dargestellt, der Return E[Ra ] = μΑ auf der Ordinate. Sodann wird untersucht, wo im Risk-Return-Diagramm die Renditen der Portfolios zu positionieren sind, die aus den Einzelanlagen gebildet werden können.
178
T E I L II — M O D E R N E
PORTFOLIOLTHEORIE
Hierbei hat MARKOWITZ ein interessantes Phänomen entdeckt: Gewisse Portfolios werden hinsichtlich der beiden Parameter — von denen der Nutzen abhängt und auf die es daher allein ankommt — durch andere Portfolios dominiert.
μ
Bild 7-1: Das Risk-Return-Diagramm. Üblicherweise zeigt die Abszisse das Risk und die Ordinate den Return. Werden die durch die Punkte dargestellten Renditen als die von Portfolios (und nicht von Einzelanlagen) gedeutet, dann sind X und Y effizient. Α, Β und Ζ sind nicht effizient, denn A ist durch Y dominiert, Β durch X und durch Υ, Ζ ebenso durch X und Y.
Renditeerwartung (Return)
Risiko (Risk) *
CT
Ein Portfolio Q mit Rendite R0 dominiert ein Portfolio Ρ mit Rendite Rp, sofern R0 bei gleichem oder bei geringerem Risk einen höheren Return hat, μ0 > μρ σ0 μ ρ und σ β < σρ gilt. Zweifellos wird der Investor ein Portfolio Ρ nicht wählen, wenn es durch ein anderes, ihm ebenso mögliches Portfolio Q dominiert wird. Für ihn kommen letztlich nur Portfolios in Frage, die nicht dominiert werden. Solche Portfolios heißen effizient. Ein Portfolio Ρ heißt effizient, wenn es kein Portfolio gibt, das Ρ dominieren würde. Ein Portfolio Ρ ist demnach nicht-effizient, wenn es ein anderes Portfolio Q gibt, das Ρ dominiert. Portfolios, die nicht effizient sind, werden durch wenigstens ein anderes Portfolio dominiert. Um zu sehen, dass unter den aus zwei Einzelanlagen A und Β erzeugbaren Portfolios sich bereits nicht-effiziente Portfolios befinden, positionieren wir alle Portfolios im Risk-Return-Diagramm. Als Daten werden μΑ = 12% , σΑ = 24% , μΒ = 8 % , σΒ = 1 8 % , ρΑ Β = 0 verwendet. Das Gewicht der Einzelanlage A sei wieder mit χ bezeichnet, das im Intervall 0 < χ < 1 variieren kann und so alle aus A und Β möglichen Portfolios erzeugt (ohne Leerverkäufe). Die Portfolios sind auf einer geschwungenen Linie positioniert, welche die Positionen von A und Β im Risk-Return-Diagramm verbindet. Mit mathematischen Umformungen, die wir uns sparen, kann gefolgert werden: Die Portfolios sind auf dem Teilstück einer Hyperbel positioniert.
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
(MARKOWITZ)
179
Fifty-Fifty-Portfolio
A 12% -
MVP 8 %
--
Β 4%
0% -J 0%
,
,
,
,
2%
4%
6%
8%
,
,
,
,
10% 12% 14% 16%
,
,
,
,
18% 20% 22% 24%
Bild 7-2: Position der Einzelanlagen A und Β sowie der daraus erzeugten Portfolios im Risk-RetumDiagramm. Markiert sind die Portfolios mit den relativen Anteilen von A und Β in Zehnprozentschritten. Mit Pfeilen sind das Minimum-Varianz-Portfolio MVP sowie das Fifty-Fifty-Portfolio angezeigt, das A und Β in gleichen Anteilen kombiniert. Daten: A: Return 12% und Risk 24%, Β: Return 8% und Return 18%; beide Renditen sind unkorreliert.
Bild 7-3: Zur Hyperbel: Wenn die Brennpunkte links und rechts angeordnet werden, dann ist der eine Ast links, der andere rechts positioniert. In der MPT ist nur der rechte Ast der Hyperbel von Bedeutung. Jeder der beiden Hyperbeläste nähert sich asymptotisch einem Geradenpaar. Deshalb ist es falsch, die Kurve, auf der die aus zwei Einzelanlagen A und Β erzeugbaren Portfolios im Risk-Return-Diagramm positioniert werden, wie ein Ei gekrümmt zu zeichnen.
Die Form der Hyperbel unterstreicht den Diversifikationseffekt.
Für alle Portfolios ist das Risk
geringer als der entsprechend gewichtete Mittelwert der Standardabweichungen der Einzelanlagen. Es gibt sogar Portfolios, deren Risk geringer ist als das geringere Risk der beiden Einzelanlagen. Sodann zeigt die Hyperbel, dass nicht alle Kombinationen von A und Β in Frage kommen. Es gibt nicht-effiziente
Portfolios. Alle Portfolios im unteren Ast der Hyperbel werden von Port-
folios im oberen Ast dominiert. Der obere und der untere Ast werden von dem Portfolio mit der geringsten Standardabweichung der Rendite getrennt. Es heißt Minimum-Varianz-Portfolio (MVP). Wir werden das M V P gleich berechnen. Eine Hyperbel ist definiert als die M e n g e aller Punkte Η in der Ebene, f ü r welche die Differenz
der Abstände zu zwei gegebenen Punkten, den
so genannten Brennpunkten F l und F2, eine Konstante ist. Hier ist die Konstante 2D. Hyperbel besteht aus zwei symmetrischen Ästen.
Eine
180
TEIL
7.1.5 Das
MODERNE
PORTFOLIOLTHEORIE
Minimum-Varianz-Portfolio
Wir haben zwei Einzelanlagen A und Β zu Portfolios kombiniert. Dazu genügt es, das Gewicht von A als Variable zu betrachten. Es wurde mit χ bezeichnet. Das Gewicht der Anlage Β ist 1 - x. So sind die Verteilungsparameter der Portfoliorendite eine Funktion dieser einen Variablen x. μΡ(χ)
=
χ·μΑ+(\-χ)·μΒ (7-3)
Die Eigenschaften der so erzeugbaren Positionen seien mit einer Kurvendiskussion gezeigt: Zunächst sei der Bereich für die Variable χ betrachtet. Im Fall χ = 0 stimmt das Portfolio mit der Einzelanlage Β überein, im Fall χ = 1 mit Α. Für 0 < χ < 1 sind beide Einzelanlagen mit positiven Gewichten im Portfolio vertreten. Gelegentlich ist es nützlich, auch Portfolios für χ > 1 zu untersuchen. Hier wird die Einzelanlage Β leerverkauft und der dabei erhaltene Verkaufspreis wird zusätzlich in A investiert. Ähnlich könnte möglicherweise die Einzelanlage A leerverkauft und der Verkaufspreis zusätzlich in Β investiert werden. So entstehen Portfolios mit χ < 0 und für den Anteil von Β gilt 1 - χ > 1. Ein interessantes Portfolio ist das mit der minimalen Standardabweichung der Rendite, also das Portfolio mit dem geringsten Risk. Es liegt im Scheitel (des rechten Astes) der Hyperbel. Zugleich ist es das Portfolio mit der geringsten Renditevarianz und wird daher als Minimum-Varianz-Portfolio (MVP) bezeichnet. Um das MVP zu bestimmen wird die Varianz σ2Ρ (χ) = χ2 • σ\ + (1 - χ)2 • σ\ + 2 · χ · (1 - χ) • σΑ • σΒ • ρΑ nach χ, dem Gewicht der Einzelanlage A, differenziert und die erste Ableitung
wird gleich Null gesetzt. Es folgt (sofern σΑ Φ σΒ • pA B ):
σ
Β~σΑ
X
MVP
σ
Α
+σ
Β
- 2 ·
σ
Β -ΡΑ,Β
σ
Λ
·σΒ ·ΡΑ,Β
(7-4)
7. EFFIZIENTE
PORTFOLIOS
181
(MARKOWITZ)
Das durch dieses Gewicht bestimmte Minimum-Varianz-Portfolio trennt die effizienten von den dominierten Portfolios, die aus A und Β erzeugt werden. Beispiel 7-2: Mit den oben genannten Daten (μΑ ρΑΒ
= 0 ) folgt aus (7-4) xMVP = 0,36. Das MVP ist daher zu 36% aus A und zu 64% aus Β
zusammengesetzt. Wird xMVP MMVP
= 12% , σΑ - 24% , μΒ - 8%, σΒ = 18%,
= 0,36 in (7-3) eingesetzt, folgen die Parameter des MVP:
= 9,44% und σΜνρ = 14,4% . •
Beispiel 7-3: Das IOS enthalte zwei Einzelanlagen, einen Aktienindex A mit der Rendite RA und einen Bondindex Β mit der Rendite RB:
IOS = {RA,RB}.
μΒ = 5 % , σΑ = SD[/?a ] = 20% , σΒ = 6% , pAB
Daten: ßA=E[RA\
= 10%,
= 0,3. Formel (7-4) liefert für das aus dem
Aktien- und dem Bondindex gebildete MVP xMVP = 0, das heißt, es fällt mit dem Bondindex zusammen. Bonds allein sind bei diesen Daten genau im Scheitel des rechten Astes der Hyperbel positioniert. Bonds sind eben als MVP effizient. In leichter Variation der eben genannten Daten sei nun die Standardabweichung der Rendite von Bonds etwas größer: σΒ = 10% . Formel (7-4) liefert dafür x m P =0,105. Das MVP besteht jetzt zu 10,5% aus Aktien (und zu 89,5% aus Bonds). Das reine Bondportfolio ist nicht effizient. • Beispiel IOS
Das
7-4:
= {RA,R,
}
IOS
m i t μΑ
enthalte = 10%,
μ,
zwei
Einzelanlagen,
= 7 % , σΑ
Aktien
A
= 2 0 % , σ, = 1 0 % ,
und ρΑΙ
Immobilien
= 0,4. Mit λ
I. sei
das Gewicht von Aktien bezeichnet, 1 — jc ist das von Immobilien. Formel (7-4) liefert für das MVP xMVP σ Μνρ =
= 0,059. Mit (7-3) folgen als Parameter der Rendite des MVP: μΜνρ
- 7,18%,
, also (TMVP = 0,1. Das entspricht der Standardabweichung der Immobilienrendite,
jedoch ist die Renditeerwartung des MVP mit μΜνΡ
= 7,18% etwas größer als μ, = 7% . Da-
her ist eine Geldanlage in Immobilien allein nicht effizient; Immobilien sind auf der Hyperbel ein wenig rechts unterhalb des Scheitels positioniert, der dem MVP entspricht. • Hinweis: Die Formel (7-4) wird oft auf ein JC im Bereich 0 < χ < 1 führen, doch es kann sich rechnerisch auch χ < 0 oder χ > 1 ergeben. Dann verlangt es das MVP, eine der beiden Einzelanlagen leer zu verkaufen.
7.1.6 Asymptoten der Hyperbel Die Positionen der aus A und Β erzeugbaren Portfolios decken, wenn der Beschränkung 0 < χ < 1 gefolgt wird, nur ein Teilstück einer Hyperbel ab. Wäre es möglich, die Einzelanlage Β leer zu verkaufen, dann ist jc > 1 möglich. Um die so gebildeten Portfolios zu positionieren, muss das Hyperbel-Teilstück nach oben rechts über A hinaus verlängert werden. Wäre es möglich, die Einzelanlage A leer zu verkaufen, dann sind Portfolios mit χ < 0 möglich. Diese Portfolios sind auf einer über Β hinausgehenden Verlängerung des gezeigten Teilstücks der Hyperbel unten rechts positioniert. Diese Verlängerungen sind in Bild 7-4 dargestellt. Dort sind alle Portfolios mit - 0,5 < JC < 1,5 positioniert.
182
TEIL
II — M O D E R N E
PORTFOLIOLTHEORIE
Fifty-Fifty-Portfo 12%
Muvp «»•• 8% -
4% -
0% 5%
0%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
Bild 7-4: Die Einzelanlagen A und Β sowie die aus ihnen unter Erlaubnis von Leerverkäufen erzeugten Portfolios positioniert im Risk-Retum-Diagramm. Markiert sind die Portfolios mit den relativen Anteilen von A und Β in Zehnprozentschritten. Die beiden Asymptoten der Hyperbel sind gepunktet. Daten: A: Return 12%, Risk 24%, Β: Return 8%, Risk 18%; beide Renditen sind unkorreliert. Außerdem sind die Asymptoten der Hyperbel gezeigt. Die Hyperbel hat ihren Scheitel für σ = 0
im
Punkt
mit
der
Ordinate
Mm'ρ • Die
± (jua — jUß ) / -\J(TA + (Tg — 2 · = 9,44% ± 0,1333-0,3, also yoben = 13,4% und y ,
J unten
= 5,4% . • '
7.1.7 Abhängigkeit vom
Korrelationskoeffizienten
Form und Gestalt der Teilstücke des rechten Astes der Hyperbel, also die Orte der erzeugbaren Portfolios, hängen von den Parametern der Renditen der Einzelanlagen ab. Hohen Einfluss hat der Koeffizient der Korrelation pA B. Das Bild 7-5 basiert (wie die Bilder 7-2 und 7-4) auf den Daten μΛ = 12% , σΑ = 24% , μΒ = 8%, σΒ = 18% ; indes wird der Korrelationskoeffizient pA
B
in Bild 7-5 variiert.
7. E F F I Z I E N T E P O R T F O L I O S
(MARKOWITZ)
183
Bild 7-5: Die Hyperbeln als Positionen der aus A und Β — Leerverkäufe sind erlaubt — erzeugbaren Portfolios fur verschiedene Korrelationen. Daten: A: Return 12% und Risk 24%, Β: Return 8% und Return 18%. Für große Korrelationskoeffizienten wird die Hyperbel offen und die für 0 < χ < 1 erzeugten Portfolios wirken wie auf einer allenfalls nur leicht gekrümmten Verbindungslinie zwischen A und Β positioniert. Im Bild 7-5 ist das für pAB— +0,95 gut erkennbar. Nur wenn der Bereich 0 < ; t < l verlassen wird und Leerverkäufe möglich sind, wird die Hyperbelform überhaupt erkennbar. Für kleine Korrelationskoeffizienten, insbesondere für negative Korrelationskoeffizienten, wird die Hyperbel hingegen immer enger, spitzer und das jeweilige Minimum-VarianzPortfolio ist weit links positioniert. Im Bild 7-5 zeigt sich das für ßA B = - 0 , 9 5 . Zwei Grenzfalle sind die vollständig positive beziehungsweise negative Korrelation der Renditen der Einzelanlagen, pAB = ± 1 . Die Hyperbel stimmt mit ihren Asymptoten überein. 1. Im Fall pAB
= +1 liegen die aus A und Β erzeugbaren Portfolios auf der Verbindungsgera-
den (der Positionen) dieser Einzelanlagen, die beide auf der oberen Asymptote liegen. Diese Verbindungsgerade stellt die obere Asymptote dar. Durch immer stärkeren Leerverkauf von A und durch eine höhere Gewichtung von Β kann das MVP erreicht werden. Es hat in diesem Fall vollständiger Korrelation kein Risk,
=0 $C$16 = $C$18
Solve
31 Γ mìq
Γ
Value of:
Jo
ÜJ
Guess
Δ
Add
—
Options
Reset All
0.05
19
Close
li
201 u
Delete
J
Help
Si
Bild 7-10: Der Solver in dem Menü Tools erlaubt bei Excel von Microsoft Optimierungen unter Nebenbedingungen wie in Formel (7-8) formuliert.
Zweiter Rechenweg: Wähle einen bestimmten Return r (dies ist jetzt der zu variierende Parameter). Unter allen Portfolios, welche diesen Return r aufweisen, wird das mit dem geringsten Risk bestimmt. Die Aufgabe lautet formal: σΡ(χί,χ2,...,χη)
Mini
unter den
Nebenbedingungen
r
μρ(χι,χ2,...,χπ)
=
und χ, + x2+...xn
(7-9)
- 1
Die Lösung xl(r),x2(r),...,xn(r)
stellt die Zusammensetzung des Portfolios mit geringstem
Risk dar, der beim Return r möglich ist. Sodann wird r variiert, um auf diese Weise alle effizienten Portfolios zu ermitteln. Für sehr kleine Werte von r liefert die Minimierung eventuell ein ineffizientes Portfolio. Auch für diesen Rechenweg hat das Minimum-Varianz-Portfolio die Bedeutung, dass es die effizienten von den ineffizienten Portfolios auf der Einhüllenden trennt.
190
TEIL
Erwartete Rendite ' μ = E(R)
II — M O D E R N E
PORTFOLIOLTHEORIE
Indifferenzkurven Aktie A
Optimales (nutzenmaximales) Portfolio MVP Aktie Β
Risiko s(R)
Bild 7-11: Der dritte Rechenweg: Indifferenzkurven zur Nutzenfunktion (7-2) veranschaulichen die Lösung der Aufgabe (7-10). Beim dritten Rechenweg verbindet die Zielfunktion (7-2) den Return als erwünschtes und das Risk als unerwünschtes Merkmal. Bei diesem Rechenweg ist eine intuitive Vorstellung hinsichtlich der relevanten Werte der Risikoaversion nützlich.
μΡ(χ1,χ2,...,χη)-^·σ1Ρ(χ1,χ2,...,χη)^ unter der Nebenbedingung
Maxi xl + x2+...xn
=1
Um diese zu entwickeln, beschränken wir uns auf zwei Einzelanlagen, IOS = {/?A ,RB}. Mit χ sei das Gewicht der Anlage A im Portfolio bezeichnet und 1 - χ ist das der Anlage B. Die Parameter der Portfoliorendite sind in (7-3) genannt. So lautet die Zielfunktion in (7-10), für die wir f ( x ) schreiben können: f(x)
=
χ·μΑ+(1-χ)·μΒ - f \x2
·σ2Α+(1-χ)2
·σ2Β+2·χ·(\-χ)·σΑ·σΒ·ρΑΜ)
(7-11)
Um das χ zu bestimmen, für das sie einen minimalen Wert annimmt, leiten wir die Zielfunktion nach χ ab: f'(x)
=
μΑ~μΒ / 9 -α·\χ·σΑ
Es gilt f ' ( x ) - 0 für:
9
\ +{χ-\)·σζΒ+{\-1·χ)·σΑ·σΒ·ρΑΒ)
( 7 " 12 )
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
Ma ~MB + χ
191
(MARKOWITZ)
(σ2Β-σΑ·σΒ·ρΑΒ)
-
(7-13) σ
σ
ί+
Ι~
2
σ
·
'σΒ-ΡΑ,Β
Α
Die zweite Ableitung / " (χ) = -a • ((σΑ - σΒ ) 2 + 2 · σΑ • σΒ • (1 - ρΑΒ )) ist negativ, sofern σΑ Φ σΒ und ρΑΒ
< 1. Es liegt daher bei (7-13) tatsächlich ein Maximum der Zielfunktion vor,
wie gewünscht. Die Formel (7-13) liefert, in Abhängigkeit der Risikoaversion α , die allgemeine Lösung der Asset-Allokation zweier Einzelanlagen. Für a —» °° konvergiert der Term (ß A - μ B ) / a im Zähler von (7-13) gegen Null und die Lösungsformel geht in die Formel (7-4) für das MVP über. PORTFOLIO CHARACTERISTICS
Objective Function: E(R) - 0.5 * p
*Var(R)
Final
Initial
(Enter coefficient of risk aversioi
Expected Portfolio ^Return
Compute:
7.500% 7.171%
Standard Deviation of 12.450% 11.701% ¡Return
r a two-asset rebalancing to ii
Maxi
•I unter der Nebenbedingung g(xl,x2,...,xn)
(7-14)
=0
ist (unter gewissen Voraussetzungen der Differenzierbarkeit) zugleich ein Maximum der Lagrangefunktion L(xl,x2,...,xn,Ä)
=
f(x1,x2,...,xn)-Ä-g(xl,x2,...,xn)
(7-15)
für einen geeigneten Multiplikator λ . Die Lösung kann deshalb über eine Maximierung der Lagrangefunktion gefunden werden. Das ist eine Maximierungs- oder Minimierungsaufgabe ohne Nebenbedingungen. Hierzu werden die partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion nach den Variablen x1, x2,..., xn an der Stelle der Lösung gleich Null gesetzt, siehe (7-16). Selbstverständlich muss noch λ bestimmt werden. Hierzu verlangt der Ansatz dL / 3λ — 0, was auf g(xi, x2,..., xn) = 0 hinausläuft. Oft hilft eine ökonomische Interpretation. Der Lagrange-Multiplikator λ drückt die Kosten aus, die mit einer Verschärfung der Nebenbedingung verbunden wären. Der erreichbare Wert der Zielfunktion ändert sich um A-A, wenn die Nebenbedingung g(x¡,...,xn ) = Δ anstelle von g(x¡ ) = 0 verlangen würde. , x2,..., xn )
^
dxk =
df(x1,x2,...,xn) dxk
für alle k =
λ
dg(xl,x2,...,xn)
=
0
dxk
1,2,...,«
Der Ansatz von LAGRANGE greift auch bei mehreren Nebenbedingungen: Bei m Nebenbedingungen kommen m Lagrange-Multiplikatoren zur Anwendung. Als Beispiel werde (7-14) aufgegriffen. Die zu minimierende Zielfunktion sei die Varianz der Portfoliorendite. einen Lehrstuhl erhalten und war Begründer der Turiner Akademie. Mit 40 Jahren ging er als Direktor der Preußischen Akademie der Wissenschaften nach Berlin und zwanzig Jahre später nach dem Tod von FRIEDRICH II DER GROBE (1712-1786) nahm LAGRANGE 1797 in Paris eine Professur an der École Polytechnique an. LAGRANGE dachte analytisch, abstrakt und formal. Er gilt als Wegbereiter des modernen mathematischen Formalismus.
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
(MARKOWITZ)
197
= σ1Ρ(χι,χ2,...,χη)
f(xl,x2,...,xn) unter den beiden
Mini
Nebenbedingungen
g(xl,x2,...,xn)
= μΡ{χι,χ2,...,χη)-Γ
h(x1,x2,...,xn)
= xl +x2+...xn
(7-17) =0
-1 = 0
Da es zwei Nebenbedingungen in Gleichungsform gibt, werden zwei Lagrange-Multiplikatoren benötigt. Sie seien mit û) (für die Nebenbedingung g - 0) und λ (für die Nebenbedingung h = 0 ) bezeichnet. Die Lagrangefunktion zum Optimierungsproblem (7-17) ist: ΐχχι,χ2,...,χη,λ,ω)
=
f(.)-œ-g(.)-À-h
(7-18)
Gesucht sind Lösungen, an denen die partiellen Ableitungen für alle k = 1,2,...,η folgendes erfüllen:
dfldx
k
= 2-^Xj-ak-arp
j t
J=1
dL — Cxk
So folgt
dg / dxk
=
ßk
dh / dxk
=
-1
=
(7-19)
" 2-Yjxj-ak-aj-pjk-w-Mk+À j~i
=0
oder 2-Yjxrak-aj-pUk 1=1
=
a>-ßk+Ä
ßr
k =
l,2,...,n
(7-20)
Hinzu kommen als weitere Bedingungen, dass g = 0 und h = 0 erfüllt sind, also dass μρ(χι,χ2,...,χη)
= r und χλ + x2+...+xn
= 1 gelten.
Werden die Multiplikatoren ω und λ als gegeben betrachtet, dann ist (7-20) ein System von η linearen Gleichungen für die η Unbekannten x¡, x2,..., xn. Lineare Gleichungssysteme sind numerisch einfach zu lösen. Bekannt sind Eliminationsverfahren und es gibt einige weitere Algorithmen. •
Der Multiplikator ω wird variiert, damit alle Niveaus von Returns durchlaufen werden.
•
Der Multiplikator λ wird so adjustiert, dass jc, + x2 +...+xn = 1 erfüllt wird.
19·
T E I L II — M O D E R N E
PORTFOLIOLTHEORIE
Wir werden auf die Lösungsschar von (7-20) in Kapitel 9 zurückkommen. Bisher haben wir nicht berücksichtigt, dass eventuell noch als weitere Nebenbedingungen 0 2 um den oberen Teil eines nach rechts geöffneten Astes einer Hyperbel, wenn als Nebenbedingung zwar xl + x2+...+xn = 1 berücksichtigt wird, nicht aber 0< xk < 1 für k = 1,2,...,« verlangt wird. Die Hyperbel lässt sich sogar einfach angeben, wenn die Positionen zweier effizienter Portfolios konkret bekannt sind. Das ist die Aussage der so genannten Two-Fund-Separation. Sie bedeutet: Das IOS habe η Einzelanlagen. Die Renditen zweier aus ihnen erzeugbaren effizienten Portfolios — sie sollen mit G und mit F bezeichnet werden — sollen bekannt sein. Das heißt, die Renditeerwartungen μρ, μ0, die Renditestreuungen CTF, (JG und der Korrelationskoeffizient Pf G sollen bekannt sein. Aus diesen fünf Parametern kann die Gleichung der Hyperbel analytisch bestimmt werden, welche die Positionen aller aus G und F erzeugbaren effizienten Portfolios angibt. Diese aus G und F erzeugte Effizienzkurve ist zugleich der Ort aller effizienten Portfolios, die durch Kombination aller Einzelanlagen des IOS gewonnen werden können.6
4 HAROLD W. KUHN und ALBERT W. TUCKER publizierten ihre gemeinsame Arbeit 1951, mit der die „Nichtlineare Programmierung" entstand. KUHN ist Professor Emeritus für Mathematische Ökonomie der Princeton University und wurde 1994 mit dem Nobelpreis geehrt, er hat zudem wesentliche Beiträge zur Spieltheorie geleistet. 5 1. A (ORA TAKAYAMA: Mathematical Economics. Dryden Press, Hinsdale, Illinois 1974. 2. MARKUS RODOLF: Algorithms for Portfolio Optimization and Portfolio Insurance. Bank- und finanzwirtschaftliche Forschungen, Verlag Haupt, Bern 1994. 3. RALPH E. STEUER, YUE Ql und MARKUS HLRSCHBERGER: Portfolio Optimization: New Capabilities and Future Methods. Zeitschrift för Betriebswirtschaft 76 (2006) 2, 199-219. g
1. JONATHAN E. INGERSOLL, Jr.: Theory of Financial Decision Making. Rowman & Littlefields, Bollman Place, Savage, Maryland, 1987, pp.151-165. 2. ROBERT C. MERTON: An Analytic Derivation of the Efficient Portfolio Frontier. Journal of Financial and Quantitative Analysis 1 (1972), pp. 1850-1872.
7. E F F I Z I E N T E
PORTFOLIOS
199
(MARKOWITZ)
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit setzen wir μΓ < μα und 0 < aF < ac voraus. Zur Vereinfachung der Notation bestimmen wir aus den Parametern die fünf Größen a,b,..., e wie folgt:
a = ßF, b = μα - μΓ, c =
, d = 2 · (aF • σα-pFC
e = σ2Γ + σ2α - 2 • aF • σ0 • pF
G
-σ2Ρ),
Die Gleichung der Hyperbel, auf der neben F und G alle anderen effizienten Portfolios Ρ positioniert sind, lautet dann: /
σΒ -
c IV
a-d
+
α2·βΛ
(d
2·α·β> •Μρ+ΤΤ·ΜΡ
2
b
Außerdem lässt sich zeigen: Die obere Asymptote, gegen die sich die Effizienzkurve für wachsendes Risk immer mehr anschmiegt, hat die folgende Gleichung: μ = K + S-σ, wobei die Konstante Κ und die Steigung S sich wie folgt errechnen: μΡ·σα·{σΡ-pFG
·σα) + μα σΐ+σΐ-2-PpG
aF aF
(σ0-pFtG-aF) ·σα
Mg-MF iT
V°F+ G-1·σ¥·σ0
•pFC
Beispiel 7-9: Petra betrachtet 130 risikobehaftete Anlageinstrumente, von denen 100 Aktien und 30 Anleihen sind (deren Restlaufzeit länger als der Planungshorizont eines Jahres ist und die daher auch als risikobehaftet anzusehen sind). Petra möchte aus diesen 130 Instrumenten effiziente Portfolios bilden. Ein Analyst erklärt: „Der Aktien-Index (ein Portfolio, das die 100 Aktien kombiniert) ist effizient." Diese Aussage bedeutet zunächst: Es ist durch andere Gewichtung der 100 Aktien nicht möglich, ein Aktienportfolio zu finden, das dasselbe Risk wie der Aktienindex hat und zugleich einen höheren Return. Dann fügt er hinzu: „Ich würde sogar behaupten, der Aktienindex ist effizient bezüglich aller 130 Instrumente. Es ist durch keine Gewichtung der 100 Aktien und durch Kombination mit den 30 Anleihen möglich, ein Portfolio so zu bestimmen, dass es den Aktienindex dominiert." Der Analyst fährt fort: „Auch der Bondindex (ein Portfolio, dass die 30 Anleihen kombiniert) ist effizient und zwar nicht nur bezüglich der 30 Anleihen, sondern bezüglich aller 130 Instrumente." Petra beschafft sich die Renditeparameter der beiden Indizes und den Koeffizienten der Korrelation.
200
TEIL
II —
MODERNE
PORTFOLIOLTHEORIE
Damit kennt sie die Positionen (also die Parameter Risk und Return) aller effizienten Portfolios im Risk-Return-Diagramm. Außerdem kennt sie die genauen Gewichtungen aller effizienten Portfolios: Es handelt sich um die gewichteten Kombinationen des Aktienindexes und des Bondindexes. Da bekannt ist, wie diese zusammengesetzt sind, kennt Petra die Zusammensetzungen aller effizienten Portfolios, die aus den 130 Einzelanlagen gebildet werden können. •
7.2.5 Corner-Portfolios Die Aussage, dass auch im Fall η > 2 die effizienten Portfolios auf einer Hyperbel liegen, verliert ihre Allgemeingültigkeit, wenn als weitere Nebenbedingungen 0 < xk < 1 für k = 1,2,...,η einbezogen werden. Dann ist die Effizienzkurve aus mehreren Hyperbelstücken zusammengesetzt. Die Zusammensetzung erfolgt stetig und (sofern nicht Korrelationskoeffizienten von + 1 oder — 1 vorkommen) ohne Knicke. Bild 7-15: Die Effizienzkurve für ein IOS aus den drei Einzelanlagen Aktien, Bonds und Immobilien mit dem Corner-Portfolio.
Single period Aktien-Bonds-Immo
0.10
0.09
o.œ
0.07
0.06
0.05
o.œ
0.09
0.12
0.15
0.18
Standard deviation
0.21
Die Positionen, an denen ein Übergang erfolgt, entsprechen den Corner-Portfolios
der (nichtli-
nearen) Optimierungen. Es sind Portfolios, bei denen eine oder mehrere der Nebenbedingungen
0