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German Pages 524 Year 2019
Dirk Zuther Popmusik aneignen
Studien zur Popularmusik
Dirk Zuther, geb. 1955, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Musik an der Leuphana Universität Lüneburg. Er koordiniert dort den Studiengang »Musik in der Kindheit« und ist Mitherausgeber der musikpädagogischen Zeitschrift »Praxis des Musikunterrichts«.
Dirk Zuther
Popmusik aneignen Selbstbestimmter Erwerb musikalischer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern
Zgl.: Lüneburg, Universität, Dissertation, 2018.
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Inhalt
Vorwort | 9 1
Einleitung | 11
2
Zur grundlegenden Fragestellung | 15
2.1 Fragestellung und grundlegende Struktur der Arbeit | 15 2.2 Zum Kompetenzbegriff | 16 3
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 19
3.1 Populäre Musik – ein Annäherungs- und Abgrenzungsproblem | 19 3.2 Zur grundlegenden Frage eines Begriffssystems in populären Musiken | 28 3.3 Sample – ausgewählte Gegenstände als Beispiele flüchtiger Begriffssysteme in der Kommunikation über Popmusik | 32 3.3.1 Methodische Überlegungen | 32 3.3.2 Verständigung über einen Sound – Beispiel „Twin Peaks“ | 35 3.3.3 Zur Vergänglichkeit harmonischer Standards in der Popmusik – Beispiel „Slash-Akkorde“ | 37 3.3.4 Groove als individuelles Stilmittel zur Interpretation der Zeit – Ein Gespräch unter Musikern | 39 3.3.5 Zur Analyse des Gesprächs | 40 3.4 Referenzorientierung als Bezugssystem in Popmusik – Beispiele | 42 3.4.1 Referenzrahmen – Klassiker der Rockmusik | 42 3.4.2 Referenzrahmen – Neue virtuelle Instrumente | 45 3.4.3 Referenzrahmen am Beispiel Soundprogramme – Zwischenfazit | 48 3.5 Forschungsdesign | 50 3.5.1 Gruppendiskussionsverfahren und Auswertungsmethode | 50 3.5.2 Formale Aspekte der Ausgestaltung der Gruppendiskussion | 55 3.5.3 Experteninterview und praxisorientierte Vorüberlegungen | 56 3.5.4 Leitfadenkonstruktion/Diskussionsschwerpunkte | 59 3.5.5 Reflexion des Leitfadens für die Gruppen-/Expertendiskussion | 61 3.5.6 Sampling – Zusammensetzung der Gruppe | 64 3.5.7 Weitere Aspekte der Interviewplanung und -organisation | 64 3.5.8 Reflexion der Diskussionssituation | 65 3.6 Auswertung der Gruppendiskussion | 66 3.6.1 Tontechnische Vorbereitungen für die Transkription | 66 3.6.2 Methodische Grundüberlegungen – Dokumentarische Methode und Methoden interpretativer Sozialforschung | 67 3.6.3 Auswertung – weitere methodische Überlegungen | 72
3.6.4 Auswertung – Vorüberlegungen zur Codierung und Kategorienbildung der Gruppendiskussion | 75 3.6.5 Analyseinstrument und Vorabkategorien der Codierung | 76 3.6.6 Auswertung nach Themenschwerpunkten | 81 3.6.7 Zwischenfazit Gruppendiskussion | 125 4
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen bei Schülern der Sekundarstufen | 129
4.1 Aspekte des Themenkomplexes | 129 4.1.1 Informelle Lernkontexte als Grundlage des eigenständigen Kompetenzerwerbs | 129 4.1.2 Zum Forschungsstand | 132 Sharon Davis: Informal Learning Processes in an Elementary Music Classroom (2013) | 132 Karlsen, Sidsel/Väkevä, Lauri (Hg.): Future Prospects for Music Education/Corroborating Informal Learning Pedagogy, Cambridge Scholars Publishing (2012) | 134 Röbke, Peter/Ardila-Mantilla, Natalia (Hg.): Vom wilden Lernen/Musizieren lernen – auch außerhalb von Schule und Unterricht, Mainz (2009) | 135 Lucy Green: Music, Informal Learning and the School/ A New Classroom Pedagogy (2008) | 137 Günter Kleinen (Hg.): Begabung und Kreativität in der populären Musik (2003) | 138 Jan Hemming: Begabung und Selbstkonzept/Eine qualitative Studie unter semiprofessionellen Musikern in Rock und Pop (2002) | 142 Lucy Green: How Popular Musicians Learn/A Way Ahead for Music Education (2002) | 144 4.2 Forschungsdesign Einzelinterviews | 146 4.2.1 Leitfadengestützte Interviews | 146 4.2.2 Ausgestaltung der Interviews | 147 4.2.3 Entwurf Interviewleitfaden | 148 4.2.4 Reflexion des Leitfadens | 149 4.2.5 Zusammensetzung der Interviewgruppe 1 und Kontaktaufnahme | 152 4.2.6 Weitere Aspekte der Interviewplanung und -organisation | 153 4.2.7 Protokoll erstes Treffen | 153 4.2.8 Protokoll zweites Treffen | 154 4.2.9 Protokoll drittes Treffen | 155 4.2.10 Prozessentwicklung im Zuge der Treffen – Teilnehmende Beobachtung | 156 4.2.11 Zusammensetzung der Interviewgruppe 2 und Kontaktaufnahme | 163 4.3 Die Einzelinterviews | 164 4.3.1 Allgemeine Beschreibung der Interviewsituationen Am, Bm, Cm | 164 4.3.2 Beschreibung der Interviewsituation Df | 165
4.4
4.5 4.6
4.7
4.3.3 Beschreibung der Interviewsituationen Em und Fm | 165 4.3.4 Reflexion der Gesprächsführung in den Einzelinterviews | 166 Auswertung der Einzelinterviews | 166 4.4.1 Grundlegendes zum methodischen Vorgehen im Rahmen interpretativer Sozialforschung | 166 4.4.2 Methodische Schritte der Interviewauswertung in der Übersicht | 167 4.4.3 Codierung | 168 4.4.4 Auswertung nach Kategorien der Codes und Subcodes | 173 Zwischenfazit Einzelinterviews | 298 Exkurs – Umfrage zum „Umgang mit Popmusik“ | 300 4.6.1 Vorüberlegungen | 300 4.6.2 Zur Durchführung der Umfrage | 301 4.6.3 Fragebogendesign | 302 4.6.4 Fragebogenkonstruktion und Überlegungen | 303 4.6.5 Auswertung des Fragebogens | 310 4.6.6 Weitere Stile … | 321 Zwischenfazit Umfrage | 361
Musikpädagogik und selbsterworbene Kompetenzen | 363 5.1 Zur Entwicklung der Didaktik der populären Musik | 363 5.2 Interview mit Prof. Dr. Volker Schütz | 364 5.2.1 Kontext des Interviews im Rahmen dieser Arbeit und methodisches Vorgehen | 364 5.2.2 Auswertung des Interviews anhand ausgewählter Themenschwerpunkte | 365 5.3 Zeitzeugenbefragung Dr. Wulf Dieter Lugert | 382 5.4 Zwischenfazit im Kontext der einleitenden Fragestellungen | 383 5
6
Fazit – musikdidaktische Überlegungen und Perspektiven | 385
7
Literaturverzeichnis | 397
8
Abbildungsverzeichnis | 411
9
Tabellenverzeichnis | 415
Anhang | 417 10.1 Transkriptionen der Interviews | 417 10.1.1 Zur Transkription der Interviews | 417 10.1.2 Transkription der Gruppendiskussion | 417 10.1.3 Transkription Einzelinterview – Code Am | 452 10.1.4 Transkription Einzelinterview – Code Bm | 456 10.1.5 Transkription Einzelinterview – Code Cm | 465 10.1.6 Transkription Einzelinterview – Code Df | 471 10
10.1.7 Transkription Einzelinterview – Code Em | 476 10.1.8 Transkription Einzelinterview – Code Fm | 482 10.1.9 Gliederung Codesystem | 490 10.2 Umfrage zum „Umgang mit Popmusik“ – SPSS-Auswertungen | 493 10.2.1 Mediale Freizeitaktivitäten – Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik – Reliabilität der einzelnen Items | 493 10.2.2 Vorlieben – Vertiefende Fragen (Parameter/Instrumente) – Reliabilität der einzelnen Items | 495 10.2.3 Mediale Freizeitpraxis – Vertiefende Fragen (Digitale Medien) – Reliabilität der einzelnen Items | 497 10.2.4 Musikbezogene und musikpraktische Freizeitpraxis – Reliabilität der einzelnen Items | 499 10.3 Vollständige Transkription des Interviews mit Volker Schütz | 500 10.4 Sonstige Materialien | 521 10.4.1 Mails | 521
Vorwort
Auf dem Weg zur Arbeit kreuzt eine Gruppe aus einem vermutlich nahe gelegenen Kindergarten den Weg und biegt schließlich ab, um eine Straßenunterführung zu durchqueren. Kaum ist die Gruppe in dem kleinen Tunnel angekommen, beginnen alle Kinder ohne ein erkennbares Zeichen ein gewaltiges Gejohle und Geschrei, gefolgt von lautem Lachen nach Durchqueren der Passage. Die vermeintlich unscheinbare Szene lässt sich in mancherlei Hinsicht deuten und steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Thema dieser Arbeit. Die Kinder entdecken den ästhetischen Klangraum, den der Tunnel bietet. Dieser ist ihnen vermutlich bereits bekannt, denn es bedurfte keiner Aufforderung. Womöglich haben einige bereits auf die Gelegenheit gewartet, um an entsprechender Stelle richtig loslegen zu können. In der Aktion der Kinder dokumentieren sich mehrere Aspekte, die aus Sicht des Verfassers maßgeblich für die Auseinandersetzung mit Popmusik sind: Die Gruppe der Gleichaltrigen äußert sich freiwillig, sie nutzen den Raum und die sich ergebenden Soundmöglichkeiten, um sich auszuprobieren, sie benötigen keine Anleitung von außen und sie haben vor allem eine Menge Spaß dabei. Damit sind grundlegende Kriterien des Umgangs mit popmusikalischem Material erfüllt, so wie man es aus unzähligen Biografien von Musikerinnen und Musikern und vielleicht auch aus der eigenen kennt. Die Fragen des Umgangs mit Popmusik, den unendlich erscheinenden Facetten der Aneignung und den stets damit verbundenen Fragen der Ästhetik haben den Verfasser im Laufe der eigenen Biografie aus verschiedenen Perspektiven beschäftigt und auch zunehmend beschäftigt, als Mixer und Produzent in verschiedenen Studios, als Lehrbeauftragter und nicht zuletzt als Redakteur und Mitherausgeber einer großen musikpädagogischen Zeitschrift in Deutschland, deren Schwerpunkt von Anfang an auf der Öffnung von Wegen zur kulturellen Teilhabe für Schülerinnen und Schüler lag. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Selbstaneignung und Möglichkeiten der unterrichtlichen Behandlung von Popmusik stellt in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar, da das pädagogische Primat der schulischen Vermittlung insbesondere in Bereichen der Popmusik dem grundlegenden Prinzip der Selbstaneignung widerspricht. An dieser Stelle stellt sich umso mehr die Frage, ob sich Musiken und insbesondere ästhetische Zugänge überhaupt vermitteln lassen. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen, die mich in meinem späten Vorhaben unterstützt haben, insbesondere bei Sabine Zuther für die tatkräftige Hilfe bei der Verarbeitung einiger Interviews. Besonderer Dank gilt dem Fach Musik an der Leuphana Universität Lüneburg für Motivation, konstruktive Resonanzen, Gewinn brin-
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gende Gespräche und Erfahrungsaustausch mit Dr. Wolf Kemper und Bernd Westermann, Dr. Wulf Dieter Lugert für Einblicke und Diskussionen, Prof. Dr. Volker Schütz für das Interview, vor allen Dingen aber für die vielen Gespräche über Musik und die Welt. Ganz besonders bedanke ich mich bei Frau Prof. Dr. Schormann, deren Unterstützung mir jeder Zeit gewiss war und die durch ihre spontane und positive Reaktion auf meine Überlegungen zu einer eventuellen Entscheidung zur Promotion keine Fragen und Zweifel mehr offengelassen hat. Schließlich geht mein Dank an Tom Zuther für die zahllosen guten Gespräche über Musik, gemeinsames Hören und die stets verlässliche Expertise in Sachen gute Musik.
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Einleitung
Der Umgang mit Popmusik oder popmusikalischem Material im Musikunterricht stellt mittlerweile eine nahezu als selbstverständlich zu betrachtende Tatsache in Sekundarstufen aller Schultypen in Deutschland dar.1 Offen und an dieser Stelle nicht geklärt ist jedoch die Frage, wie die Miteinbeziehung von Popmusik didaktisch und methodisch praktiziert wird. Historisch gesehen unterliegt der Erwerb von Fertigkeiten und Kompetenzen in den verschiedenen Genres der Popmusik vornehmlich oralen Traditionen und stellt somit eine Besonderheit gegenüber der Vermittlung klassisch-mitteleuropäischer Musik dar. Die Aneignung von Popmusik ist vornehmlich bestimmt durch den eigenständigen Kompetenzerwerb in informellen Lernprozessen und stellt somit eine spezifische Form des musikalischen Lernens dar. Die informellen Lernprozesse finden in diesem Kontext jedoch zumeist außerhalb curricularer Planungen statt und sind eher typisch für außerschulische Lernorte und -anlässe. Generell kann festgehalten werden, dass der Zusammenhang zwischen dem Gegenstand und dem Aneignungsprozess spezifisch ist. Es wird kaum eine Biografie über einen populären Musiker2 geben, die diese Besonderheit des individuellen Umgangs mit Musik nicht belegt. Was Popmusik als Unterrichtsgegenstand in Westdeutschland anbetrifft, so spielt die von Lugert und Schütz entwickelte Didaktik der populären Musik eine wichtige Vorreiterrolle in den 1980er-Jahren. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zu einer inhaltlichen Weiterentwicklung leisten. Der von Wulf Dieter Lugert und Volker Schütz als damalige Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule Lüneburg im Fach Musik entwickelte und formulierte didaktische Ansatz basiert auf Erkenntnissen eines gesellschaftlichen Wandels während der 1960er- und 1970er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Im Zuge einer Diskussion um die seit den 1950er-Jahren entstandenen Jugendkulturen und den ihnen zugehörigen musikalischen Äußerungen in Bereichen der Rock- und Popmusik wurde zunehmend die Frage einer Einbindung der Musik Jugendlicher in den Musikunterricht erörtert. Die Motive hierfür waren allerdings sehr unterschiedlich und verfolgten zum Teil diametral entgegengesetzte Bildungsziele. Während die Verfechter einer Kunstmusikdidaktik vornehmlich den Aspekt des „Jugendschutzes“ mittels
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Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Popmusik auch zunehmend in Grundschulen an Bedeutung gewinnt. Vgl. hierzu Küntzel (2009). Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier die männliche Form stellvertretend für alle möglichen Formen gewählt.
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Aufklärung in den Vordergrund rückten, gingen andere konservative Bestrebungen von der Möglichkeit aus, die mittlerweile auch in verschiedenen Rock- und PopGenres vorzufindenden Klassikbearbeitungen als Einstieg zur Hinführung zur klassischen und „wertvollen“ Musik zu nutzen. „Ein eher taktisch begründetes Einlassen auf populäre Musik kann denjenigen unterstellt werden, die die musikbezogenen Präferenzen der Schüler3 ausnutzen wollten, um sie bei „U“ abzuholen und nach „E“ zu bringen oder um musiktheoretische Inhalte anhand beliebter Gegenstände zu vermitteln.“4 Die sich in den 1970er-Jahren abzeichnende Gruppe der Befürworter einer Einbindung populärer Musik in curriculare Konzeptionen5 ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Ansätze. Sie reichen von systemkritischen Ansätzen bis zu solchen, die die ästhetische Erfahrung des Individuums Schüler in den Vordergrund rücken. Während bei den eher ideologisch geprägten Ansätzen als Folge der 68er-Bewegung das Moment der Aufklärung gegenüber einem kapitalistisch geprägten Kulturbetrieb nach Adorno und Horkheimer6 im Vordergrund stand, sind Bestrebungen wie die von Schütz7 und Lugert8 darüber hinaus durch die künstlerische Wertschätzung populärer Musikgenres und den Versuch geprägt, Schülern Zugänge zu Musikkulturen zu ermöglichen. Die musikalische Sozialisation dieser neuen Generation von Musikpädagogen ist vor allem durch die eigene künstlerische Praxiserfahrung in klassischen und rockmusikalischen Genres gekennzeichnet. Erst in der Didaktik der populären Musik wird populäre Musik und damit auch die Rock- und Popmusik als Erfahrungsgegenstand der Schülerinnen und Schüler als gleichwertig mit anderen Musiken angesehen.9 Nach Schütz sind die verschiedenen Genres der Rock- und Popmusik10 besonders geeignet, um Schülern spezifische Erfahrungsmöglichkeiten einerseits zu ermöglichen und andererseits die gewonnenen Erfahrungen der Schüler in den Unterricht zu integrieren. Schütz sieht dies in den besonderen Erfahrungsmöglichkeiten begründet,
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Die hier benutzte männliche Form dient der besseren Lesbarkeit und schließt jeweils andere Formen ein. 4 Rolle (2005) S. 211. 5 Vgl. Rauhe et al. (1975). 6 Adorno und Horkheimer sind hier als wichtige Vertreter der Frankfurter Schule und einer strukturalistischen Sichtweise auf die Kulturindustrie genannt. Vgl. hierzu insbesondere das Kapitel „Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug“, in: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main, 1981 [1947]. 7 Bei der von Volker Schütz verfassten Arbeit „Rockmusik – eine Herausforderung für Schüler und Lehrer“ (1982) handelt es sich um eine der ersten Dissertationen in Westdeutschland zum Thema Rockmusik und Musikpädagogik. (Nach Niels Knolle: Populäre Musik als Problem von Freizeit und Unterricht, Univ. Oldenburg, 1979.) 8 Vgl. Wulf Dieter Lugert „Grundriß einer neuen Musikdidaktik“ (1975). 9 Vgl. Rolle (2005) S. 212. 10 Das Begriffspaar Rock- und Popmusik wird hier gezielt gewählt, da die damit verbundene wissenschaftliche Auseinandersetzung in den Achtzigerjahren und danach noch eine prominente Rolle spielte. Auch hinsichtlich der damals noch überschaubaren Stile und Genres inklusive ihrer Entstehungsgeschichten ergibt die Begrifflichkeit Rock- und Popmusik Sinn, soll hier jedoch nicht weiter diskutiert werden.
Einleitung | 13
die sich aus der aktiven Auseinandersetzung mit Rock- und Popmusik ergeben. Im Besonderen ergeben sich hier Möglichkeiten im Umgang mit Sound, Rhythmus, Phrasierung und mit der aus der europäischen Hochkultur verbannten Körperlichkeit.11 Schütz stellt darüber hinaus in seinem 1997 im AfS-Magazin veröffentlichten Aufsatz „Welchen Musikunterricht brauchen wir heute – Teil II“ die Forderung auf, dass die (auch sinnliche) Erfahrungsbegegnung mit Ausdrucksmitteln der populären Musik von der Lehrkraft selbst gemacht werden muss. „Insofern ist und bleibt die Voraussetzung für das angemessene Erkennen der Qualität einer musikbezogenen Ausdrucksform die (lehrer-)eigene ästhetisch-musikalische Erfahrung und deren Reflexion. Sie ist durch keinen Bericht, durch keine begriffliche Analyse zu ersetzen.“ 12 Der zentrale Begriff, der der Didaktik der populären Musik als schülerorientiertem Konzept zu Grunde liegt, ist der Erfahrungsbegriff. Bereits Anfang der Achtzigerjahre konnte man nach Schütz und Lugert davon ausgehen, dass die von den Schülern in der ästhetischen Auseinandersetzung mit Stilen der Rock- und Popmusik gemachten Erfahrungen eine wesentliche Komponente in der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Musik spielen und eine konstituierende Funktion im Entwurf von Musikunterricht darstellen. In einigen Bereichen ging man sogar davon aus, dass die Schüler ihren Lehrern in puncto rockmusikalischer Erfahrung voraus waren. Die in der Didaktik der populären Musik hoch eingeschätzten Erfahrungen der Schüler als wichtige Säule des Zugangs zu Musik und konstituierende Komponente des Musikunterrichts basiert vornehmlich auf außerschulisch erworbenen Kompetenzen der Schüler. Dies galt zumindest für den Zeitraum der frühen Achtzigerjahre, da Kompetenzen in diesen Bereichen im Musikunterricht der allgemeinbildenden Schulen gar nicht erworben werden konnten. Der Erwerb außerschulischer musikalischer Kompetenzen findet ausschließlich in der eigenen ästhetischen Auseinandersetzung mit Musik statt. Diese kann einerseits auf der Ebene des praktischen Handelns, also des Singens oder Spielens eines Instruments stattfinden. Vielmehr muss aber davon ausgegangen werden, dass die lernende Auseinandersetzung mit Musik vorwiegend auf einer Rezeptionsebene mittels medialer Vermittlung stattfindet. Geht man davon aus, dass es ist nicht möglich ist, nicht zu hören und dass Hören (auch unbewusstes) immer mit Lernen verbunden ist, so befinden wir uns auf der Ebene der akustischen Wahrnehmung in einem permanenten Lernzustand. Da in den letzten dreißig Jahren die Übertragung von Musik durch mediale Verbreitung immens angestiegen ist, kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass der außerschulisch musikalische und musikbezogene Erwerb von Kompetenzen sehr hoch ist. Dieser Tatsache wird in fachdidaktischen Konzeptionen jedoch kaum Rechnung getragen. Auch die Didaktik der populären Musik, die zunächst neue schülerorientierte Zugänge zu Musiken aller Art (auch und vornehmlich Popmusik) schaffen wollte, basiert im Wesentlichen auf einer Vermittlungstradition von Inhalten. Ziel der vorliegenden Arbeit und der damit eingebundenen Teilstudien ist es, den außerschulischen Kompetenzerwerb in popmusikalisch geprägten Bereichen exemplarisch zu erfassen und zu interpretieren, um hier Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung einer Popmusik-Didaktik perspektivisch zu entwickeln.
11 Vgl. Rolle (2005) S. 212 und Schütz (1982), S. 14. 12 Schütz (1997), S. 2.
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Zur grundlegenden Fragestellung
2.1 FRAGESTELLUNG UND GRUNDLEGENDE STRUKTUR DER ARBEIT Im Zentrum dieser Arbeit steht die Hauptstudie zum selbstständigen außerschulischen Kompetenzerwerb von Schülern in Bereichen der populären Musik. Der Begriff außerschulisch beinhaltet das Kriterium, dass die erworbenen Kompetenzen nicht im Kontext mit Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen stehen, was Schule als Lernort jedoch nicht konsequent ausschließt. Auch hier wird in Kontexten mit Musik umgegangen, die durch Selbstständigkeit und Abwesenheit von Lehrpersonen oder curriculare Vorgaben bestimmt sind. Die Fokussierung der Fragestellung auf populäre Musiken berührt folgerichtig Aspekte um Begriffe und Theorien um das Populäre, die an dieser Stelle nicht in der Breite der großen Diskussion der letzten Jahrzehnte aufgegriffen werden soll und kann. Jedoch findet eine diskursive Auseinandersetzung mit zentralen Positionen statt, da z. B. die Frage, was Popmusik unter qualitativen Gesichtspunkten mit einer entsprechenden Innenperspektive ausmacht, nach Ansicht des Verfassers in einem direkten Zusammenhang mit den hierauf bezogenen Aneignungsstrategien (Hauptstudie) steht. Hierzu geht der Verfasser von folgender Hypothese aus: Gegenstand und lernender Umgang 1 stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander und sind spezifisch. Schließlich steht die Frage der selbsterworbenen Kompetenzen in einem fachdidaktischen Kontext innerhalb der musikpädagogischen Diskussion und steht in einem direkten Kontext mit der Didaktik der populären Musik. Insbesondere in Bezug auf die Entwicklung der Konzeption in den 1970er- und vor allem 1980er-Jahren wird abschließend der Frage nachgegangen, inwieweit selbsterworbene Kompetenzen von Schülern bereits Teil der Konzeption gewesen sind und entsprechend Berücksichtigung gefunden haben (s. hierzu das Interview mit Volker Schütz).
1
Ein Umgang mit Musik, der nicht mit Lernen verbunden ist, ist nicht vorstellbar. Vgl. Gruhn (2005).
16 | Popmusik aneignen
Abb. 1: Struktur Forschungsprojekt
2.2 ZUM KOMPETENZBEGRIFF Je nach Disziplin und historischer Dimension ist der Kompetenzbegriff mit unterschiedlichen Interpretationen konnotiert. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist der besondere Zusammenhang zwischen Kompetenz und Performanz von Bedeutung, wie ihn insbesondere Chomsky in Bezug auf Sprache herausgestellt hat. 2 Grunert verweist in diesem Zusammenhang auf Bourdieu, der den Kompetenzbegriff Chomskys auf sein Habituskonzept übertragen hat.3/4 Grunert richtet ihr Augenmerk insbesondere auf den Zusammenhang zwischen Kompetenz und Performanz unter dem Aspekt der aus ihrer Sicht problematischen einseitigen Wirkungsrichtung von Kompetenz auf Performanz. Insbesondere die Sichtweise Bourdieus berücksichtigt den Sozialisationsprozess als konstitutives Element des Kompetenzerwerbs gegenüber der auf Individuen beschränkten Sichtweise Chomskys. In Anlehnung an Grunert und eine sozialwissenschaftliche Perspektive wird die folgende Definition des Kompetenzbegriffs übernommen, die die genannten Punkte als zentrale Charakteristika nennt: „a) Sozialisationsbezug: Kompetenzen werden im Laufe des Sozialisationsprozesses erworben, gefestigt und ausgebaut; b) Aktivitätsbezug: Kompetenzen bilden sich im Sozialisationsprozess durch die aktive Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt heraus; c) Kontext-/Situationsbezug: Kompetenzen dienen der effektiven Bewältigung spezifischer (Problem-) Situationen; d) Wissensbasis: Kompetenzen basieren auf internalisierten Regeln, Wissenselementen oder Mustern und stellen die Fähigkeit dar, diese in spezifischen (Problem-) Situationen anzuwenden; e) Generierungsprinzip: Die erworbenen Kompetenzen stellen die generative Basis für das konkrete menschliche Handeln (Performanz) in spezifischen (Problem-) Situationen dar (Kom-
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Vgl. Chomsky (199217). Vgl. Grunert (2012), S. 42. Vgl. Bourdieu (1970).
Zur grundlegenden Fragestellung | 17
petenz-Performanz-Differenz); umgekehrt führt die Anwendung von Kompetenzen in spezifischen (Problem-) Situationen zum Erwerb neuer sowie zum Ausbau bestehender Kompetenzen, Performanz ist damit auch konstitutiv für Kompetenz; f) Ungleichheit: Aufgrund ihres Umwelt- und Situationsbezuges sind Kompetenzen abhängig von den dem Individuum jeweils zur Verfügung stehenden Möglichkeitsräumen zum Kompetenzerwerb.“5 [Hervorhebungen im Original]6
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Grunert (2012), S. 42f. Im Hinblick auf ausdifferenzierte Performanz-Begriffe in musikalischen Kontexten sei hier insbesondere verwiesen auf Jost (2012), S. 41–47. Die verschiedenen Sichtweisen auf Performanz werden hier insbesondere im Kontext der Analyse popmusikalischer Werke erörtert.
3
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik
3.1 POPULÄRE MUSIK – EIN ANNÄHERUNGS- UND ABGRENZUNGSPROBLEM Die Frage nach der Definition dessen, was Popmusik1 im Spannungsfeld zwischen reiner Vermarktungsstrategie einerseits und künstlerischem und kreativem Schaffen andererseits ausmacht, ist nicht neu und gehört zu den kontroversen Fundamentaldiskussionen um Bereiche wie populäre Musik und Popmusik im Speziellen seit der Wahrnehmung und Erforschung von Popmusik als ernst zu nehmendem Gegenstand. Im Folgenden geht es daher nicht um eine deskriptive Darstellung und Aufarbeitung der historischen Standpunkte mit all ihren Nuancen, sondern um eine diskursive Auseinandersetzung mit grundlegenden Positionen, da davon ausgegangen werden kann, dass es einen grundlegenden Zusammenhang zwischen dem, was Popmusik ausmacht, und den damit verbundenen Aneignungsstrategien gibt (s. Hauptstudie). Die innere Beschaffenheit des Gegenstandes wäre danach aus den Perspektiven derjenigen zu erfassen, die sich die Musiken des Populären selbst aneignen und diese damit neu erschaffen oder weiterentwickeln. Die Vielfalt der Fragestellungen in einer wissenschaftlichen Analyse des Forschungsfeldes „Populäre Musik“ ist der Vielfalt des Gegenstandes in naheliegender Weise angemessen und nicht verwunderlich. Trotz der Problematik klarer Definitionen und Abgrenzungen zu Phänomenen der populären Musik hat sich aus internationaler (westlicher) musikwissenschaftlicher Sichtweise ein allgemeiner Konsens durchgesetzt, wie er unter anderem von Wicke et al. im „Handbuch der populären Musik“ vertreten wird.2 Danach ist populäre Musik durch Phänomene gekennzeichnet, die westlichen Industriegesellschaften zugeordnet werden können mit herausragenden Merkmalen wie denen der massentauglichen Produktionsweise, der Technikbasierten Herstellung, der Verbreitung durch Massenmedien,3 welche eine entspre-
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Die Frage um konkretere Begriffsfindungen zu Popmusik und Populäre Musik wird weiter unten diskutiert. Vgl. Wicke (2007), S. 544ff. Bartz weist zu Recht auf die Problematik der Gleichsetzung von Medien und Massenmedien im Kontext der Verbreitung des Populären unter dem „Verdikt“ der Kulturindustrie hin.
20 | Popmusik aneignen
chende inhaltliche Gestaltung durch Schaffung von Massentauglichkeit beinhaltet. Dadurch setzt sich populäre Musik deutlich ab von Volksmusik als oraler Tradition und der Kunstmusik.4 Eine der zentralen Grundproblematiken besteht angesichts des komplexen Fragenfeldes auch darin, dass in der Folge populäre Musik tendenziell eher aus der Perspektive der äußeren Erscheinung zu erfassen versucht wird und somit strukturalistischen Ansätzen wie denen der Frankfurter Schule anhängt. Wicke verweist selbst darauf, dass es sich bei den weiter oben genannten Merkmalen nur um quantitative Indikatoren für eigentlich qualitative Prozesse handelt. 5 So erscheint eine allgemeine Erfassung der populären Musiken als kulturelle Praxis oder ein Verständnis dieser in Kontexten der technischen Reproduktion und der kommerziellen Marktmechanismen eher methodologisch nachvollziehbar als dass sich dies für die Analyse des Gegenstands populäre Musik selbst als Gewinn bringend darstellt. „Wurden bereits bei der Beschreibung einiger anderer Genres der populären Musik die Grenzen der historisch-deskriptiven Methode deutlich, so zeigt sich am Beispiel des Schlagers verstärkt die Problematik der Trennung musikalischer und außermusikalischer Faktoren. […] Die synchrone Darstellung sämtlicher ökonomischer, politischer, soziologischer und psychologischer Aspekte populärer Musik ist nicht möglich.“6 In der gegenwärtigen Forschung hat sich diese Perspektive auf die äußere Erscheinung der gesellschaftlichen Räume und Bedingungen populärer Musik gefestigt. „Eine trennscharfe Bestimmung oder gar eine Definition von populärer Musik, durch die diese von anderen Musiksparten abgegrenzt wird, bietet somit auch dieser Ansatz nicht. Eines wird dabei deutlich: Es geht in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit populärer Musik nicht um exakte Zuordnungskriterien, wie sie etwa für die Anordnung von Tonträgern im Fachhandel oder die Systematisierung von Archivbeständen notwendig ist. Der Blick richtet sich vielmehr auf die sozialen Prozesse und kulturellen Praktiken, mit denen die Musik untrennbar verbunden ist.“7 Die Entwicklung dieser Perspektiven ist ebenso nachvollziehbar wie fraglich, da die Erfassung der sozialen und ökonomischen Bedingungen die Musiken und Stile populärer Musiken nicht erfasst. Mitunter kann in den auf populäre Musik gerichteten historisch entwickelten Perspektiven auch der Eindruck entstehen, als sei populäre Musik durch die Abwendung vom textuellen Gegenstand und die Verlagerung auf kontextuelle Bereiche eine freie Projektionsfläche für ideologisch geprägte Sichtwei-
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5 6 7
(Vgl. Bartz, 2011, S. 20ff.) Bartz konstatiert die Gefahr „[…], dass die Eingrenzung auf Massenmedien als Popularisierungsagenten dazu führt, dass das Popularisierte als Resultat der massenmedialen Popularisierung mit dem Populären insgesamt gleichgesetzt wird.“ (Bartz, 2011, S. 25.) Gerade in den USA der 1920er- bis 1940er-Jahre ist das Aufkommen der modernen Massenmedien mit Radio und Schallplatte stark an die Verbreitung regionaler FolkErscheinungen gekoppelt. Eine eher in westeuropäischen Diskursen vertretene Trennung des Folk von moderner populärer Musik erscheint eher ideologisch begründet. Zur USamerikanischen Sichtweise vgl. auch Mitchell (2007). Ebd., S. 547. Schoenebeck (1987), S. 66. Appen, von/Grosch/Pfleiderer (2014), S. 11.
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sen z. B. der Cultural Studies.8/9 Wenn einerseits die Einbindung der Entwicklung populärer Musikformen in industrielle Produktions- und Reproduktionsprozesse offensichtlich (welchen anderen Gegenstand könnte man da ausnehmen?) ist und diese eine maßgebliche Erscheinung darstellen, so ist andererseits nicht nachvollziehbar, warum ein Spiritual wie „Steal Away“ nach seiner Aufnahme mit dem Dinwiddie Coloured Quartett im Jahre 1902 per Definition kein Traditional oder Folk mehr sein sollte, sondern populäre Musik im modernen Sinne der technischen Produktion und ihrer Reproduzierbarkeit. Auch wenn Volksmusik oder Folk Music ebenso wie populäre Klassik als wichtige Quellen der modernen populären Musik gelten, so ergibt sich hier dennoch ein Abgrenzungsproblem. Im Grunde hat sich durch die Aufnahme gegenüber der oralen Weitergabe des Spirituals in der Hauptsache die Qualität der Verbreitung geändert. Sound als maßgebliches Eigenschaftskriterium populärer Musik, wie in zahlreichen Positionen vertreten, kann in der frühen Phase der technischen Entwicklung nicht als ernsthaftes Kriterium herangezogen werden, da die Reproduktion des Originals zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eindeutige Priorität hatte und erst zunehmend durch die technischen Möglichkeiten ab den späten 1950er-Jahren allmählich als eigenständiger Parameter an Bedeutung gewinnt im Sinne eines neuen künstlerischen Raums.10 Hemming verweist ebenfalls auf die Problematik der Trennschärfe zwischen Folk Music und populärer Musik im Sinne von Popmusik. Die frühen Sammlungen des 19. Jahrhunderts in Großbritannien waren danach von Anfang an durch ein kommerzielles Interesse und Idealisierung geprägt. „Es war gängige Praxis, die Namen der Autoren, auch wenn sie bekannt waren, unter den Tisch fallen zu lassen, damit ‚Volksmusik‘ als idealisiertes Objekt fortbestehen kann.“11 „Der Hinweis auf die industrielle, überregionale Verbreitung reicht aus meiner Sicht nicht, obwohl sie ein wichtiger Aspekt von Popularkultur ist.“12 Shepherd verweist in diesem Zusammenhang bereits früher darauf, dass die Unmöglichkeit einer präzisen Erfassung von populärer Musik als feste Konstante der Forschung akzeptiert werden kann. „Wenn die Begriffe ’Volksmusik’, ’populäre Musik’ und ’ernste Musik’ als Teil der lebendigen Sprache unpräzise und mehrdeutig sind, dann sollten sie im vollen Bewußtsein, warum das so ist, in dieser Form belassen werden.“13 Eine methodologisch sinnvolle Herangehensweise an populäre Musik erscheint angesichts der Komplexität von Musikgenres, die sich durch fortlaufende dynami-
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Vgl. Fiske (2000). Die Problematik findet ihre Erweiterung in der ausschließlichen Zuschreibung der Deutungen der Inhalte [Popmusik, d. Verf.] und deren Bedeutungen auf den kreativen Akt der Rezeption durch die Hörer. Nach Wicke wird hierdurch der theoretischen Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet und somit zur akademischen Spielfläche, in der Raum für alle möglichen Theoriekonstruktionen ist. (Vgl. Wicke, 2002, S. 67f.) „Prewar records were also heard as a more or less crackly mediation between listeners and actual musical events; their musical qualities often depended on listeners’ own imaginations.“ (Frith, 1987, in: Frith, 2007, S. 60.) Hemming (2016), S. 508f mit Verweis auf Sweers (2002). Gebesmair (2008), S. 41. Shepherd (1985), S. 88.
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sche Entwicklungen auszeichnen, vor allem dann angemessen, wenn sie diese Dynamik zum Gegenstand hat und sich nicht auf statische Merkmale durch Außenansichten beschränkt. Die Erfassung der äußeren Erscheinungsformen kann den Gegenstand eingrenzen und ihn unter den dargestellten Aspekten als allgemeines Phänomen erklären. Sie bleibt jedoch reduziert auf eine Außenperspektive durch Analyse der Marktmechanismen, der heterogenen kulturellen Praxen und auf der Erfassung individueller Bedeutungsebenen in Rezeptionskontexten. 14/15 Ungeklärt bleibt in diesem Zusammenhang jedoch auch eine grundlegende Begründung für eine andere Herangehensweise an populäre Musik als eine andere Musik 16, da die Perspektive der Betrachtung populärer Musik z. B. als soziale Praxis impliziert, dass bei Kunstmusik der Aspekt ihrer gesellschaftlichen Funktion keine Rolle spielen würde. Möglicherweise unterliegen Forschungsansätze, die populäre Musik als etwas anderes als Musik betrachten, genau dieser wertkonservativen Einschätzung der traditionellen Perspektive von Musikwissenschaft. „Die Auffassung, daß Musik entweder Musik ist, oder aber etwas anderes, ein soziales bzw. soziologisches Phänomen, entspricht genau der Haltung, die die akademische Musikwissenschaft gegenüber der populären Musik einnimmt.“ 17 Dabei ist die soziale Praxis klassischer Kunstmusik durch das im 19. Jahrhundert in den deutschen Staaten entstehende Bürgertum und insbesondere des Bildungsbürgertums besonders deutlich. Die klassische Musik wird von einer relativ kleinen bürgerlichen Schicht dominiert. Sie bestimmt die Sprache, Grammatik, das Regelwerk, die Kritik, entwickelt das Konzert- und Verlagswesen und verfeinert die Marktmechanismen der kommerziellen Verwertung.18 Jungmann zieht als Beispiel der Entwicklung des Musiklebens mit all seinen Begleiterscheinungen die Entwicklung der Stadt Leipzig im 19. Jahrhundert heran. Leipzig als prosperierende Handelsstadt bringt eine wachsende Bürgerschicht hervor, die musikalisch äußerst aktiv ist und mit einem starken Anwachsen der auf Musik bezogenen wirtschaftlichen Tätigkeit einhergeht. „Neben der praktischen Musikausübung breitete sich in Leipzig auch das auf Musikalien spezialisierte Verlagswesen weiter aus. Neue drucktechnische Verfahren sowie geographische Ausweitung der Handelsbeziehungen ließen den Verlag Breitkopf (seit 1794 Breitkopf & Härtel) zu einem der führenden Musikverlage Deutschlands aufsteigen. 1807 gründete F. Hofmeister ein entsprechendes Unternehmen, 1814 begann ein weiterer Konkurrent, sich des Musikalienmarktes anzunehmen: C.F. Peters startete in Leipzig seine Verlagstätigkeit.“19
14 Rösing kritisiert den diesbezüglichen Ansatz Simon Friths als unzureichend. „Das Problem dieses Zugangs allerdings war seine Indifferenz gegenüber den Besonderheiten kultureller Prozesse und den materialen, gestaltspezifischen Eigenheiten der in ihnen zirkulierenden klanglichen Artefakte.“ (Rösing, 2002, S. 65.) 15 Zur Komplexität der Genese der Begriffskategorien um Populäre Musik, Popmusik, Pop, Pop art etc. sei hier vor allem verwiesen auf Thomas Hecken (2009). 16 Die Verwendung des Begriffes Musik schließt auf Heterogenität und Diversität abzielende Sichtweisen auf Musiken mit ein. 17 Shepherd (1985), S. 6. 18 Vgl. Jungmann (2008), S. 20. 19 Ebd. (2008), S. 22.
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Die enge Verknüpfung zwischen Musik, musikalischem Handeln und wirtschaftlicher Tätigkeit im Bereich des Verlags- und Konzertwesens wirft die Frage auf, warum die Betrachtung der westlichen Kunstmusik in ihrer Tradition der reduzierten Perspektive auf die Musik fußt, wenn doch die wirtschaftliche Verwertung gerade in der Entwicklung der klassischen Musik eine herausragende Rolle spielt.20 Die Miteinbeziehung interdisziplinärer Sichtweisen auf Musik ist daher kein besonderes Merkmal populärer Musik, sondern stellt eine Grundanforderung an Analyse von Musik allgemein dar. „The advantage is that he [the musicologist, d. Verf.] can draw on sociological research to give his analysis proper perspective. Indeed, it should be stated at the outset that no analysis of musical discourse can be considered complete without consideration of social, psychological, visual, gestural, ritual, technical, historical, economic, and linguistic aspects relevant to the genre, function, style, (re)performance situation, and listening attitude connected with the sound event being studied.“21 Ein grundlegender Unterschied zu anderen Musiksparten in ihren Beziehungen zur Gesellschaft, ihren Schichten, Milieus und den ihnen zugesprochenen Funktionen ist nicht erkennbar und begründbar. Eine Trennung zwischen populärer Klassik, die allgemein als Quelle der populären Musik ausgemacht werden kann, und einer „höheren“ Klassik, die nicht hierunter subsumiert werden kann, erscheint äußerst problematisch. Dies gilt umso mehr, als die Kunstmusik ein wesentliches Symbol in der Identitätsentwicklung des Bürgertums seit dem auslaufenden 18. Jahrhundert darstellt. Die Tatsache, dass das ohnehin ausschließlich in größeren Städten sich entwickelnde Bürgertum im frühen 19. Jahrhundert, welches mit einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 10–15% als gering eingeschätzt werden kann22, zu einer derart starken Bedeutung der Kunstmusik beigetragen hat, wenn nicht ausschließlich dafür verantwortlich ist, wirft die Frage nach der sozialen Praxis und Bedeutung umso mehr auf und letztendlich die nach einer Verbindung von kultureller Entwicklung und politischen Machtverhältnissen.23 „Die ’Musizierwut’ erreichte nicht zuletzt durch die nach der Jahrhundertwende [Anfang 19. Jahrhundert, der Verf.] entstehenden ’Musikalischen Leihanstalten’ mit ausleihbaren Musikalien im Verlauf des 19. Jahrhunderts beachtliche Ausmaße, selbst wenn sie insgesamt nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung erfaßte.“24 Sowohl die Entwicklung der klassischen Musik als auch die der populären Musik(en) ist eng verknüpft mit dem Aufkommen und der Emanzipation des Bürgertums und dem damit verbundenen Demokratisierungsprozess.25 Beide Ebenen des musikalischen Ausdrucks sind ebenso mit der Vergesellschaftung der Musiken und allen sich daraus entwickelnden
20 Vgl. Rösing, in: Helms/Phleps (Hg.) (2014), S. 14. 21 Tagg (2000b), S. 74. 22 Jungmann verweist explizit auf die als hoch einzuschätzende Bedeutung der Beteiligung der bürgerlichen Schicht am musikalischen Leben vor dem Hintergrund des zahlenmäßig kleinen Anteils an der Gesamtbevölkerung (vgl. Jungmann, 2008, S. 22). 23 Vgl. Jungmann (2008), S. 9/Shepherd (1992), S. 4. 24 Wicke (2001), S. 19. 25 Vgl. Schoenebeck (1987), S. 15.
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Formen der wirtschaftlichen Verwertung verbunden. Streng genommen sind klassische und populäre Musik nicht voneinander zu trennen, sowohl im Hinblick auf die gesellschaftlichen Funktionen als auch im Hinblick auf musikalische Inhalte. Die Trennung von klassischer und populärer Musik suggeriert nach Green letztlich den höheren Stellenwert klassischer Musik und ist vornehmlich Teil einer ideologischen Sichtweise zum Zwecke der Distinktion durch Ausblenden sozialer Komponenten.26 Unter bestimmten Gesichtspunkten wie zum Beispiel dem Unterhaltungswert ist überhaupt kein Unterschied zwischen der europäischen Hochkultur und populärer Musik festzustellen. So erfüllt klassische Musik für einen Großteil des Publikums die Funktion der Unterhaltung. Die wenigsten Besucher klassischer Konzerte dürften in der Lage sein, die dargebotene Musik strukturell zu hören, sie gehen vielmehr einem Bedürfnis nach Unterhaltung nach.27 Umgekehrt bedienen sich einige Genres der Popmusik klassischer Strategien, indem Wert auf eine harmonische Entwicklung (vgl. „Firth Of Fifth“, Genesis, 1973), die Beachtung der Form oder die thematischmotivische Verarbeitung (vgl. „Close To The Edge“, Yes, 1972) gelegt wird. 28 Aus Sicht des Verfassers tut sich neben den genannten Fragen noch ein weiteres grundlegendes Problemfeld auf, wenn es darum geht, populäre Musik ausschließlich unter dem Aspekt der kommerziellen Verwertung zu betrachten. Die Entwicklung einer wissenschaftlichen Perspektive der Kategorisierung populärer Musik als eine ausschließlich an Verwertungsinteressen der Unterhaltungsindustrie orientierte Musik durch Erfassung der Endprodukte dieses Prozesses ist ein quantitativer Irrtum, denn sie misst genau das, was sie erst zu erforschen meint. Es ist eine problematische Herangehensweise, wenn man die Kommerzialität populärer Musik misst, indem man kommerziell erfolgreiche Musik (z. B. Charts-Musik) zum Messgegenstand
26 „It is helpful to remember that the traditional methods of studying classical music may not be altogether suitable for that music either. Clearly, all music, whether popular, classical, or any other sort, has rhythmic, timbral, textural and inflexive characteristics of one kind or another; any kind of music can be made available as a sound-recording and is therefore produced, or mixed; all music takes place in time and usually involves some sort of live performance at some juncture, whether or not it is ever notated; a great deal of music, including classical music, involves some improvisation; and all music is produced by people, whether male or female and whether individually or collectively. The fact that musicology has developed in ways that tend to ignore these aspects with relationship to classical music, does not mean that classical music is completely devoid of these aspects. What it does mean, is that studying classical music has contributed to the appearance that classical music is only based on harmony, melody and other notable parameters; that it is always fixed in notated form; that it is always progressively innovatory and complex, individually composed by men, and so on. The relevant point about this appearance with reference to ideology, is that even though it may not represent an entirely accurate reflection of classical music, is does not harm the reputation of classical music: in fact it contributes to the reputation of classical music as highly valuable. It is therefore part and parcel with the ideological evaluation of classical music’s superiority.” [Hervorhebungen im Original, d. Verf.] (Green, 2014, S. 24f.) 27 Vgl. Lugert (1981), S. 20. 28 Vgl. Macan (1997), S. 95ff, S. 112f.
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wählt. Dadurch erfasst man lediglich das, was man Industrie-Pop nennen könnte. Negus hat den Zusammenhang und die Bedeutung des Verhältnisses zwischen Kommerzialität und Kreativität differenziert analysiert und weist unter anderem darauf hin, dass selbst in der Kulturindustrie nicht klar ist, was Kommerzialität eigentlich bedeutet, und stellt die von Adorno und Horkheimer behauptete „PseudoIndividualität“ grundlegend in Frage. „One of the most notable divisions was between artist and repertoire (A & R) staff and marketing staff. A & R staff tended to adopt the belief that the more ’organic’ ways of creating music would be most popular, while marketing staff believed that the adoption of a more self-conscious ’synthetic’ aesthetic practice would produce the strongest combination of elements for successful popular music.“29 Zum einen steht die Kategorisierung populärer Musik als massentaugliche Kommerzmusik einer weiteren Problematik aus einer eher dialektischen Perspektive gegenüber: Auch in der so genannten Charts-Musik30 findet sich regelmäßig Musik, die den grundlegenden Kriterien zur Erfüllung der Verwertbarkeit durch Einfachheit, symmetrische Formteile usw. gar nicht entspricht. 31/32 Titel wie „God Only Knows“ (1966) von den Beach Boys oder „A Salty Dog“ (1969) von Procol Harum mit seinen Harmoniefolgen verkürzter Dominantnonenakkorde im Instrumentalpart weisen komplexe bis extrem komplizierte harmonische Strukturen auf.33 Zum anderen, und dies erscheint als der weitaus gewichtigere Punkt, erreicht der weitaus größte Teil komponierter und gespielter populärer Musik nicht den beschriebenen Verwertungsprozess, sondern verlässt das Studio, das Homestudio oder den Proberaum erst gar nicht oder wird allenfalls bei wenigen und vielleicht kaum
29 Negus (1996), S. 50. 30 Wenn an dieser Stelle von Charts-Musik die Rede ist, so stellt sich ein weiteres Problemfeld dar, da die offiziellen durch Media Control (ab 2017 kontrolliert durch die GfK) gemessenen Charts nur noch stark eingeschränkt den realen Verwertungsprozess abbilden. Dieser ist mittlerweile (2017) in viele Untersparten aufgeteilt und hat sich verlagert, z. B. auf die Plattform YouTube, wo Bands wie 187 Straßenbande oder Capital Bra mit neuen Videos schnell mehrere Millionen Klicks erreichen. Zudem findet in einigen Musiksparten eine Verlagerung der Einnahmen vom Verkauf der Musik (CD, Vinyl oder Download) in Richtung Merchandising statt bei gleichzeitigem Angebot des freien Downloads der Audio-Tracks. 31 Die im Jahr 2016 veröffentlichten und kommerziell erfolgreichen Alben von Künstlern wie Frank Ocean („Blonde“) oder Bon Iver („22. A Million“) entsprechen den klassischen popmusikalischen Grundvoraussetzungen (vgl. Pfleiderer, 2003. Quelle: http://www. aspm-samples.de/Samples2/pfleidep.pdf) kaum noch. Formen sind teilweise aufgelöst und eher an einer narrativen Erzählstruktur angelehnt. Die Betonung des Kunstaspekts in der Popmusik ist spätestens seit Mitte der 1960er-Jahre mit Alben wie „Pet Sounds“ und „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ ein fester Bestandteil und Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen zwischen Künstlern und Musikindustrie. Letzteres ist einerseits selbsterklärend, andererseits aber auch ein Indikator für eine andere Perspektive auf Musik (vgl. Bruford, 2013, S. 106). 32 Vgl. Jacke (2011). 33 Vgl. Zuther (2004), S. 45.
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beachteten Konzerten aufgeführt.34 Die kategoriale Unterscheidung zwischen Folk und populärer Musik unter dem Kriterium der industriellen Verwertung allein ist nach Ansicht des Verfassers irreführend, da die industrielle Distribution im Bereich populärer Musik nur eine kleine Option am Ende eines Entwicklungsprozesses darstellt, die unter quantitativen Aspekten kaum zur Geltung kommt. 35 Die oben beschriebene strukturalistische Herangehensweise und die damit verbundene Kategorisierung populärer Musik als ausschließlich durch industrielle Verwertungsprozesse bestimmte Musik gleicht danach der Beschreibung eines Eisbergs oberhalb der Wasseroberfläche.36 Sie erfasst den viel größeren Bereich in der VorVerwertungsphase oder der direkten Verwertung durch den Künstler nicht oder nimmt diesen vielleicht gar nicht als eigenständigen Raum wahr, der möglicherweise auch durch ein bewusstes und grundlegendes Desinteresse an Verwertung im industriellen Sinne und gleichzeitigem Interesse an kreativer Entwicklung gekennzeichnet ist.37/38/39/40 Dies gilt umso mehr, als der technische Fortschritt seit Verbreitung der Bandmaschine zu einer ungeahnten Dynamik geführt hat, die den Demokratisierungsprozess in der Produktion von Musik entscheidend vorangetrieben und zunehmend Raum für solche Künstler geschaffen hat, die sich dem industriellen
34 In einem Interview des Online-Magazins Fortune Entertainment vertritt Produzent Quincy Jones die Auffassung, dass es die Musikindustrie überhaupt nicht mehr gibt und macht dies an zwei Beispielen fest. „Fortune: Is the music industry better or worse than it was 50 years ago? Jones: Honey, we have no music industry. There’s 90% piracy everywhere in the world. They take everything. At the recent South by Southwest [an annual music festival in Austin], they had over 1,900 musicians, but fans didn't know where to go. You can't get an album out because nobody buys an album anymore. Fortune: What about some of the newer, online distribution models. Doesn't that give artists more ways to get music to fans? Jones: That doesn't mean anything. They sell 4.5 million albums and they think it's a hit record. It's a joke. We used to do that [sell 4.5 million records] every weekend in the 80s. Today, you don’t get paid.“ Quelle: http://fortune.com/2015/07/01/quincy-jones-music-qa/Zugriff: 29.7.2017. 35 Vgl. hierzu Tagg (2000b), S. 76. 36 Die von Horkheimer und Adorno geprägte Sichtweise auf die Unterhaltungsindustrie ist aus heutiger Perspektive insofern nicht mehr haltbar, da das dem System somit implizit unterstellte Netzwerk aus Plattenfirma, Verlag, Produzenten und Kreativen zwar noch existiert, jedoch durch neue Optionen der Selbstvermarktung an Boden verliert. (Als klassisches Beispiel für dieses System wäre Tin Pan Alley zu nennen. Vgl. hierzu Smudits, 2003, S. 72.) Vielmehr entsteht Musik in popmusikalischen Kontexten in zahllosen unabhängigen Studios oder Projektstudios ohne jeglichen Einfluss übergeordneter Verwertungsinstanzen. 37 Vgl. Negus (2000), S. 46. 38 Vgl. Green (2002), S. 17. 39 Vgl. Rösing (2002), S. 26f. In Bezug auf mehrere Studien aus den 1980er-Jahren hält Rösing die „Lust auf Musikmachen“ als Hauptmotivation unter Amateurmusikern fest. 40 Vgl. hierzu Appen, der diesen Sachverhalt am Beispiel Velvet Underground festmacht (Appen, 2003, S. 105).
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Verwertungsprozess entziehen oder nur teilweise daran teilnehmen wollen. 41 Insbesondere die Entwicklung digitaler Medien und die neue Option der direkten Selbstvermarktung durch das Internet haben diesem Prozess zusätzlichen Schub verliehen. Die Entwicklung populärer Musik im 20. Jahrhundert ist somit auch gekennzeichnet durch einen dynamischen Wandel im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kunst, die Moorefield folgendermaßen zusammenfasst: „[…] I make the case for three central developments in production and claim that they are all driven by an underlying mechanism. One: recording has gone from being primarily a technical to an artistic matter. Two: recording’s metaphor has shifted from one of the ’illusion of reality’ (mimetic space) to the ’reality of illusion’ (a virtual world in which everything is possible). Three: the contemporary producer is an auteur [= Urheber, Verfasser, d. Verf.]. The underlying mechanism is technological development, encompassing both invention and dissemination due to economics of scale.“42 [Hervorhebungen im Original.]
Prinzipiell unterliegen klassische Musik und populäre Musik den gleichen gesellschaftlichen Bedingungen und Verwertungsprozessen. Warum also unterschiedliche Herangehensweisen an abendländische Kunstmusik einerseits und populäre Musikgattungen andererseits, wenn beide Bereiche den allgemeinen Verwertungsmechanismen moderner Industriegesellschaften unterliegen? Zum einen wären identische Herangehensweisen an unterschiedliche Musiken mit unterschiedlichen ästhetischen Prämissen absurd. So würde eine Analyse von Popmusik unter Kriterien wie Form und Motiventwicklung ebenso wenig Sinn ergeben wie die Betrachtung des Grooves in Beethoven-Sonaten. Das Grundproblem liegt jedoch in der Sprachlosigkeit der klassisch geprägten Erfassung von Musik mit ihrem Regelwerk, die bei populärer Musik nicht greift und die spezifischen Besonderheiten in unterschiedlichen Genres der Popmusik nicht versteht, welche sich aus dem Verhältnis zwischen Musik und Musikschaffenden und deren für Popmusik typischen Kommunikations- und Aneignungsprozessen entwickeln.43 Bei allen Musiken geht es jedoch immer um musikalisches Material, welches bewusst als Mittel der Kommunikation erzeugt wird. Es geht immer um Musiken innerhalb sozialer Räume, um Funktionen, Bedeutungen, Bedeutungskonstruktionen, Ästhetik, Übereinstimmung oder Diskurs. Klassische Musik ist
41 Die GEMA versucht mit dem „Deutschen Musikautoren-Preis“ die künstlerische Qualität auch solcher Künstler hervorzuheben, deren Musik auch außerhalb messbarer Verkaufszahlen entsteht. Vgl. Virtuos, Ausgabe 01–2017, S. 22f. 42 Moorefield (2010), S. xiii. 43 Selbstverständlich ist die grundlegende Fragestellung des Verhältnisses zwischen den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie einerseits und Aspekten von Kreativität und künstlerischem Schaffen anderseits (inklusive der Bestimmungsproblematik) nicht neu und in vielen Beiträgen der englisch- und deutschsprachigen Forschung angegangen worden. Offen bleibt jedoch die Frage der Gewichtung, die möglicherweise aufgrund der Geschichte der Forschungsansätze zur populären Musik mit einer Schieflage zugunsten der strukturalistischen Sichtweisen (vgl. Negus, 2000/Rojek, 2011) verbunden ist, welche zudem der Problematik einer neueren Entwicklung der Demokratisierungsprozesse unterliegen.
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nicht weniger ein soziales Phänomen, Popmusik nicht weniger ein musikalisches.44 Die in Bezug auf Popmusik vermehrt auf das Verhältnis von Kulturindustrie einerseits und Konsument anderseits reduzierte Sichtweise als eine Art Täter-OpferBeziehung entspricht nicht der realen Komplexität und ignoriert oder negiert sogar die Vielfalt der Rezeptions-, Verwertungs- und vor allem auch Entstehungsprozesse. Hier könnte ein Perspektivenwechsel, der sowohl die Schaffenden und ihre kreativen Intentionen als auch den Hörer mit seinen differenzierenden Strategien verstärkt miteinbezieht, eine ernsthafte Alternative sein.45
3.2 ZUR GRUNDLEGENDEN FRAGE EINES BEGRIFFSSYSTEMS IN POPULÄREN MUSIKEN Die musikwissenschaftliche Erforschung des „Populären“ in der Musik, der populären Musik, der Popularmusik, des Schlagers oder der Popmusik, um wenigstens einige der in diesem Kontext auftauchenden Begriffe zu nennen, geht einher mit dem aus heutiger Perspektive (2017) vergeblichen Versuch einer einheitlichen und systematischen Begriffsfindung, die zu Begriffen wie „Popularmusik“, „Populäre Musik“ oder „Popmusik“ als letztendlich nicht zufriedenstellende Konstrukte geführt hat. 46 Die von vielen Seiten beschriebene Problematik in der Begriffsfindung und -definition soll hier in ihrer historischen Entwicklung und Argumentation nicht vollständig wiederholt aufgegriffen werden. An dieser Stelle sei (neben anderen zahlreichen Aufsätzen) verwiesen auf Peter Wickes „’Populäre Musik’ als theoretisches Konzept“ als Zusammenfassung der wichtigsten wissenschaftlichen Perspektiven zum Thema populäre Musik.47 Vielmehr geht es hier und folgend auch im Rahmen dieser Arbeit einerseits um die Betrachtung einiger ausgewählter Aspekte mit dem Fokus auf das Phänomen Popmusik als Kommunikationsgegenstand zwischen Experten, also Musikern und Produzenten, als auch um grundlegende Aspekte der Aneignung von Popmusik (Hauptstudie). Hierbei geht der Verfasser von der Hypothese aus, dass alle Ebenen des Umgangs mit Popmusik, also Aneignung, Kommunikation über Musik, Motivation, Performanz usw. den primären genuinen Kern populärer Musik allgemein bilden. Es geht hier also vornehmlich um Musik als Ergebnis eines musikalisch-interaktiven Prozesses, basierend auf intrinsischer Motivation, nicht um strukturalistische Sichtweisen mit ihren Außenperspektiven. Die gewählte Schwerpunktsetzung findet selbstverständlich vor dem Hintergrund und dem Wissen einer
44 Vgl. hierzu das Zitat von Lucy Green (2014) weiter oben. 45 „Dieser Vorgang [Produktion und Reproduktion moderner Popmusik durch Jugendliche ab den 1960er-Jahren, der Verf.] von musikalischer Aneignung und Veränderung vollzieht sich im Spannungsfeld von massenkultureller Vorgabe und individueller, die institutionalisierten Ausbildungsstätten für Musik verweigernder Eigentätigkeit.“ (Rösing, 2002, S. 17.) 46 Der Begriff Popmusik wird hier einerseits als allgemeiner Oberbegriff analog zu „Klassischer Musik“ benutzt. Popmusik stellt nach Ansicht des Autors in der näheren Betrachtung ein Genre innerhalb der populären Musik dar (vgl. Hemming, 2016, S. 506). 47 Vgl. Wicke (1992).
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Auseinandersetzung mit Popmusik als sozialer Praxis statt, die hier im Kontext der Fragestellung (zunächst) unter methodologischen Gesichtspunkten gezielt ausgeklammert wird.48 In der Historie der Theoriebildung über populäre Musik erscheinen nach wie vor einige Theoreme als nicht vollends entwickelt oder gar irreführend. Dies liegt in der Grundproblematik der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem mittlerweile hochentwickelten und komplexen Phänomen begründet, das sich der Begrifflichkeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, die zudem mitunter einer klassischen Tradition entwachsen sind, entzieht. Diese mittlerweile nicht mehr neue Erkenntnis führt allerdings zumindest teilweise zu der Fehlannahme, dass die populäre Musikpraxis „… eine begriffslose Musikpraxis ohne einen eigenen theoretischen Überbau ist.“49 Wenn auch grundlegend offensichtlich ist, dass die Musikpraxis in der populären Musik, soweit dies bestimmte Genres betrifft und eben nicht alle, nicht an übergeordnete Begriffssysteme gebunden ist, so ist es andererseits nicht erklärbar, dass sich Stile oder Genres entwickeln, die sich durch ein aufeinander bezogenes „Regelwerk“ auszeichnen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Untergenres wie beispielsweise der Schlager mit seiner traditionellen Arbeitsteilung zwischen Komponist, Texter und Arrangeur sich bis in die 1970er-Jahre durchaus in einer Traditionslinie befunden hat, die durch eine vorwiegend klassische Sozialisation oder Ausbildung geprägt war, was eine pauschale Erfassung des Schlagers als „Popmusik“ schwierig erscheinen lässt, da mit dem Begriff auch solche Popmusik-Genres betroffen sind, die, im Gegensatz zur Arbeitsteilung im Schlager-Genre, Teil oraler Traditionen sind, soweit es um den informellen Austausch von Informationen zur Komposition und Produktion von Musik geht.50 Um den Gegenstand ein wenig einzugrenzen, soll hier auch im Hinblick auf die grundlegende Fragestellung der Arbeit von Popmusik als immer noch weit gefasstem Stil-Sammelbegriff die Rede sein, wie sie sich seit den 1950er-Jahren aus der Sprache des Rock ’n’ Roll kontinuierlich und extrem ausdifferenziert weiterentwickelt hat. Die Problematik eines Begriffssystems besteht in erster Linie nicht im Nichtvorhandensein von Begrifflichkeiten, sondern in der Nichtvereinbarkeit von festen Messsystemen einerseits und beweglicher kultureller Praxis andererseits. Popmusik als kulturelle Praxis 51 kann hier auf verschiedenen Ebenen verstanden werden: Zum einen als Text innerhalb eines sozialen Kommunikationsprozesses52, zum anderen als Referenzsystem in einer kontinuierlichen Expertendiskussion (Musiker, Produzenten etc.).53 Die Betrachtung des letzteren Aspekts hat in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings bisher eine eher untergeordnete Rolle gespielt, da die in der populären Musik und auch in der Popmusik vorzufindende Komplexität der zu klärenden Fragestellungen und vor allem die in den frühen Jahren vorwiegend negative Bewertung des Populären den Zugang zunächst auf po-
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Vgl. Appen, Ralf von et al. (2014), S. 9. Vgl. Wicke (1992), S. 3 Vgl. Schoenebeck (1987), S. 65. Vgl. Wicke (1992), S. 12 Vgl. Shepherd (1991), S. 174ff. Hemming schlägt vor, die Diskussion im wissenschaftliche Terminologien um Musiken des Populären vor dem Hintergrund der Entwicklungsdynamik offen zu halten. (Vgl. Hemming, 2016, S. 515.)
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puläre Musik als soziale Tatsache fokussiert haben. Popmusik als musikalisches Material erschien hier weniger attraktiv. „Aus der engen Bindung der musikalischen Analyse an die Kunstmusiktradition folgte für lange Zeit eine Festschreibung der Abwertung populärer Musik, ja die Weigerung, deren Klanggeschehen und ästhetische Qualitäten zu würdigen.“54 So bleibt nach wie vor die Frage offen, welche offensichtlich nicht vollständig erfassten Begriffssysteme dazu beitragen, dass es zur Ausbildung halbwegs homogener Genres oder Subgenres wie Electro, verschiedener Hip-Hop-Stile, New Wave, Dubstep usw. kommt. Es muss davon ausgegangen werden, dass Bezugssysteme innerhalb bestimmter Genres existieren, die jedoch nur für ein bestimmtes Genre gelten und dies auch nur für eine begrenzte zeitliche Dauer. Der Begriffsrahmen in der Popmusik ist vorhanden, er ist jedoch beweglich und flüchtig. Der theoretische Überbau in popmusikalischen Herstellungsprozessen Komposition und Produktion55 betreffend entspricht einem liquiden System, das sich bereits verändert hat, wenn es systematisch erfasst erscheint. Professionelle Musiker, die sich beispielsweise in bestimmten Genres der Popmusik betätigen, sind in der Kommunikation untereinander nicht sprachlos. Selbstverständlich verfügen sie über einen Fundus an Begriffen, die einen kreativen Prozess in der Produktion und Reproduktion von Musik ermöglichen. Sie haben im Vergleich zur wissenschaftlichen Außenperspektive relativ wenig Probleme – einen vergleichbaren Wissens- und Erfahrungsstand vorausgesetzt – sich untereinander zu verständigen. Sie verfügen über ein ausdifferenziertes Repertoire an Analyseinstrumenten, um komplexe musikalische Gegenstände zu versprachlichen. Das damit verbundene Bezugssystem ist jedoch erfahrungsbezogen56 und vergänglich, da die Gültigkeit der Begriffe von begrenzter Dauer ist, was die eigentliche Kernproblematik im wissenschaftlichen Umgang mit dem Populären und insbesondere mit Popmusik auszeichnet.57 In der Auseinandersetzung mit den Definitionen Philip Taggs zur Gegenstandsbeschreibung der Popmusikforschung stellt Wicke unter anderem fest: „… es ist ein schlechterdings unmögliches Unterfangen auf diese Weise zu einer einigermaßen sinnfälligen Bestimmung der populären Musik zu finden, die nicht schon im Augenblick der Nie-
54 Von Appen/Grosch/Pfleiderer (2014), S. 201. 55 Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass unter Produktion nicht ausschließlich der zumeist konnotierte Prozess der Studioaufnahme verstanden wird, sondern die anteilig wesentlich größer einzuschätzenden Prozesse im Übungsraum oder Entsprechendes miteinbezieht. 56 Unter Erfahrung wird hier konkret ein komplexes Geflecht aus Hör- und Spielerfahrung von Musikausübenden verstanden. Die Spielerfahrung beinhaltet sowohl Aspekte der Reproduktion als auch solche der kreativen Neugestaltung musikalischen Materials. 57 Die Vergänglichkeit der Bedeutungen von Musik betrifft selbstverständlich auch den hier ausgeklammerten Aspekt des Rezipierens. Die Perspektive der Hörer unterliegt ebenfalls einem kontinuierlichen Wandel. Die Bedeutung eines Gitarrenriffs von „Paranoid“ von Black Sabbath (1970) oder „Whole Lotta Love“ von Led Zeppelin (1969) kann rückwirkend nicht verbindlich geklärt werden. Was für den Hörer der frühen 1970er-Jahre ein erstmaliges, unmittelbares und nicht vergleichbares Hörerlebnis war, geht heute einher mit Erfahrungswissen, der Kenntnis zahlreicher Kopien in der Genre-Entwicklung und ist durchsetzt von Klischees über Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll.
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derschrift durch die Entwicklungsdynamik dieser Musik bereits wieder überholt ist.“58 Darüber hinaus besteht grundsätzlich eine wesentliche Problematik eines Begriffssystems auch darin, populäre Musik als Ganzes erfassen zu wollen. Wie bereits weiter oben erwähnt unterliegt der „klassische“ Schlager der 1960er- und 70erJahre59 anderen Gesetzmäßigkeiten als die Musik des Progressive Rock oder des HipHop. Während der Schlager auf Instrumentierungen und Harmonieklischees zurückgreift, die auf den populären Stücken bis hin zur Wiener Klassik beruhen mit Verwendung von Tonika, Dominante, Klammerdominante, Doppeldominante, Subdominante und Subdominante in Moll etc., spielen diese selbstverständlich für den Hip-Hop oder Electro keine Rolle. Messmethoden sind demnach jeweils nur auf ein bestimmtes Genre anwendbar, nicht für Popmusik allgemein und schon gar nicht für populäre Musik insgesamt. Popmusik in ihren Stilen und Genres ist spezifisch, was eine Betrachtung mit ihren Analysekriterien miteinschließt. Dennoch gibt es zahlreiche Versuche Popmusik mittels Erfassung von beschriebenen Parametern zu erfassen. Pfleiderer schlägt in Anlehnung an Bernd Redmann ein Stufenmodell vor, um Popmusik annähernd analysieren zu können. Neben der Einbettung in den allgemeinen Entstehungsprozess mit dem Sammeln von Hintergrundinformationen werden Aussagen zum Klanggeschehen getroffen und mit den eigenen Verstehenshorizonten verknüpft.60 Die Einbettung des eigenen Verstehenshorizontes stellt eine erfahrungsbezogene Annäherung an den Gegenstand durch die Miteinbeziehung eines subjektiven Faktors in der Analyse von popmusikalischen Werken dar. Diese stellt zumindest einen wichtigen methodologischen Schritt in der Analyse von popmusikalischen Werken heraus und beinhaltet einen Bruch in der Anerkennung eines allgemein gültigen Regelwerks. Begriffsbestimmungen oder Analysestrategien von Musik kommen jedoch ohne das Material, die eigentliche Musik, nicht aus. Um das Material folglich analysieren zu können, müssen in Musiken, in denen kein Rückgriff auf festgelegte oder anerkannte Kriterien wie Form oder Harmonik möglich ist, solche Wege beschritten werden, die die Beteiligten und ihre Bedeutungszuweisungen miteinschließen. Ob dabei eine objektive Beschreibung des Gegenstands das Ergebnis ist, bleibt fraglich. Sie ist aber auch nicht das Ziel, da sie nur einen historisch spezifischen Gültigkeitsraum mit vielen Bedeutungsfacetten erfassen kann. Ein Erfassen eines begrenzten, jedoch verbürgten Raumes ist möglicherweise jedoch Gewinn bringender als (nicht-)umfassende Theoriekonstruktionen oder wenigstens Begriffsklärungen. Dies schließt die Analyse des Materials unter jeweils spezifischen Fragestellungen ein, die Miteinbeziehung von Musikern und Produzenten und schließlich
58 Wicke (1992), S. 8. 59 Der hier angegebene Zeitraum ist selbstverständlich weiter zu fassen und müsste in die Anfänge des 20. Jahrhunderts reichen, bezieht sich hier jedoch auf das Verständnis von Popmusik als populäre Musik, wie sie sich seit dem Rock ’n’ Roll der 1950er-Jahre unter den spezifischen Bedingungen entwickelt hat. 60 Pfleiderer, Martin: Musikanalyse in der Popmusikforschung/Ziele, Ansätze, Methoden, in: Bielefeldt, Christian/Dahmen, Udo/Grossmann, Rolf (Hg.): PopMusicology, Bielefeld, 2008, S. 159f.
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die Bedeutungskonstruktionen von Hörern.61/62 Eine sinnvolle Herangehensweise ist unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Gesichtspunkte somit immer auch interdisziplinär und kann bezüglich der Schwerpunktsetzung der Einzeldisziplinen nur aus dem Material und den zu beantwortenden Fragestellungen heraus entwickelt werden. Hierbei gilt es jedoch zu klären, was das Material überhaupt ausmacht und ob dieses selbst auf den verschiedenen Ebenen der Performanz bereits ausreichend für den Analyseprozess erklärend ist.63 In den letzten Jahren sind hierzu sowohl in der deutschsprachigen als auch in der englischsprachigen Literatur vielversprechende Forschungsansätze veröffentlicht worden, die die Komplexität der Prozesse berücksichtigen und in den Analyseprozess integrieren. 64 Eine mögliche Problematik besteht jedoch nach Ansicht des Verfassers immer in dem Versuch des Formulierens allgemeingültiger Aussagen, ohne die Mitwirkenden zu berücksichtigen. Das Anerkennen der Momente des Flüchtigen und Spezifischen bietet dagegen Optionen für wertvolle Hilfestellungen, da der Schwerpunkt wesentlich mehr auf einer induktiven Vorgehensweise liegt, deren daraus abgeleitete Erkenntnisse gegebenenfalls mitunter sogar im Widerspruch zu allgemeinen Aussagen in der Theoriebildung stehen können.
3.3 SAMPLE – AUSGEWÄHLTE GEGENSTÄNDE ALS BEISPIELE FLÜCHTIGER BEGRIFFSSYSTEME IN DER KOMMUNIKATION ÜBER POPMUSIK 3.3.1 Methodische Überlegungen Eine Hauptproblematik in der Bildung eines Begriffssystems in der Popmusik besteht vornehmlich in der zeitlich begrenzten und der nur auf bestimmte Genres bezogenen Gültigkeit, was im Folgenden an einigen Beispielen exemplarisch verdeutlicht werden kann. Die gewählten Fallbeispiele sind entweder begründet auf (teilnehmender) Beobachtung und Analyse popmusikalischer Phänomene als Teil der eigenen über 30 Jahre praktizierten Studioarbeit oder beziehen sich auf typische Situationen in der Kommunikation zwischen Musikern und Produzenten.65 Das methodische Vorgehen basiert auf einer diskursiven deskriptiven Vorgehensweise und wird durch ein unter Absatz 3.5.1 beschriebenes Gruppendiskussionsverfahren vertieft. Eine Miteinbeziehung des eigenen reflektierten Vorwissens in der qualitativen Forschung ist methodologisch im Kontext gegenstandsbezogener Konzepte nicht nur vertretbar, sondern nach Meinefeld auch in der qualitativen Forschung sogar unumgänglich, da die Aus-
61 Bedeutungskonstruktionen durch Hörer werden in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt, werden jedoch teilweise in den Kontexten der Interviews implizit angesprochen. 62 Inwieweit diese Kriterien nicht ebenso gültig sind für klassische Musik, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert, jedoch ausdrücklich erwähnt werden. 63 Vgl. hierzu Bowman (2003). 64 Vgl. hierzu z. B. Jost (2012), Middleton (2000), Moore (2012). 65 Vgl. Lüders, in: Flick et al. (2013), S. 388.
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wahl des Gegenstandes, die Interpretation von Ergebnissen und die Wahl der Untersuchungsmethoden immer auf Vorwissen zurückgreifen, ohne dass dies thematisiert wird.66 Danach garantiert erst die Offenlegung des Vorwissens und der Vorannahmen einen transparenten Forschungsprozess. „Dieses Bewußtsein der Tatsache, daß jeder Mensch über einen Erwartungshorizont verfügt, der seine Wahrnehmung strukturiert, daß also Wahrnehmung ohne eine solche konzeptuelle Vorprägung gar nicht möglich ist, führt im Kritischen Rationalismus zu der Schlußfolgerung, die Formulierung von Hypothesen vor der empirischen Phase sei unabdingbar für eine kontrollierte Forschung: wenn eine solche Vorprägung nicht auszuschalten ist, dann sei es besser, sie – soweit möglich – bewußt zu machen und gezielt zu kontrollieren, statt die Beobachtungen unkontrolliert von ihr beeinflussen zu lassen. Die Forderung nach der Aufstellung von ex-anteHypothesen dient also dazu, den Forscher dazu zu zwingen, die unvermeidbaren impliziten Hypothesen explizit zu machen und sie zugleich – dies soll die Integration wissenschaftlichen Wissens und seinen Fortschritt fördern – in den Kontext des zurzeit jeweils geltenden Wissensstandes zu stellen. Die Forderung nach Hypothesen beruht damit auf zwei Argumenten: auf der erkenntnistheoretischen Einsicht, daß Vorannahmen nicht auszuschalten sind, und auf der Vorstellung eines kumulativen Erkenntnisfortschrittes, der neue Erkenntnisse auf alten aufbauen läßt.“67
Das hier angesprochene Vorwissen basiert auf einer über dreißigjährigen Studioarbeit und -erfahrung des Verfassers in Verbindung mit aufgabenbezogenen Tätigkeiten als Musiker, Toningenieur und Produzent in verschiedenen Bereichen der Popmusik. Ohne bereits eine spätere Bezugnahme in Form der hier vorgestellten Arbeit im Sinne gehabt zu haben, können die jeweiligen Tätigkeiten bereits jedoch als eine Form der teilnehmenden Beobachtung betrachtet werden, deren Schlussfolgerungen als Ergebnis reflexiven Vorgehens einen wesentlichen Teil der Vorerfahrung ausmachen. In den zahllosen Gesprächen, Kommunikations- und Interaktionsprozessen mit Musikern aus dem semiprofessionellen und professionellen Bereich spielen zentrale Themen und Sichtweisen immer wieder eine herausragende Rolle im Hinblick auf Einstellungen gegenüber Musik, ästhetische Bewertungen und die Einschätzung der Bedeutung von Musik und des Musikmachens68 innerhalb der eigenen Biografie oder sogar der Identitätsentwicklung. Die auf dem Wege der nicht geplanten beobachtenden Teilnahme gewonnenen Erkenntnisse entsprechen zusammenfassend einer Systematik, die verallgemeinernde Aussagen im Sinne von Anfangsannahmen innerhalb eines induktiven Vorgehens zulässt. Die weiter unten aufgeführten Beispiele zu Themen wie „harmonische Standards“, „Soundprogrammen“ oder „Groove“ stellen einen kleinen Ausschnitt der für Musiker relevanten Themen dar und sind Beispiele
66 Vgl. Meinefeld, Werner (2013), S. 271ff. 67 Meinefeld (1997), S. 24f. 68 Der Verfasser hat sich für den Begriff „Musikmachen“ als Wortkonstruktion entschieden. Musikmachen beinhaltet danach alles, was über das bloße Musizieren hinausgeht und musikbezogene Aktivität darstellt wie z. B. Organisation der eigenen musikalischen Aktivität, Hören, Befassen mit Musikstilen etc. Musikmachen als Begriff ist hier angelehnt an den englischen Begriff „Musicking“ (Christopher Small).
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für die Beobachtung. Sie sind nicht verallgemeinerbar, sondern stellen eine subjektive Auswahl dar. So spielt beispielsweise das Thema Slash-Akkorde innerhalb bestimmter Genres keine besondere Rolle, da diese dort nicht relevant sind. Dagegen ist der gezielte Umgang mit Harmonien als Teil des Gesamtsounds für solche Musiker, die dies aufgrund ihrer Erfahrung und Ausbildung auch reflektieren, von zentraler Bedeutung und möglicherweise bereits in frühen Phasen eines wie auch immer gearteten Produktionsprozesses (Komposition, Arrangement oder spontanes Spiel) relevant. Weiterhin kann von unterschiedlichen Musikertypen ausgegangen werden, die ihren Zugang zur Musik je nach Interesse und Zielsetzung individuell wählen und gestalten. In Bereichen der Popmusik und oraler Traditionen ist es durchaus üblich, sich der Musik oder auch konkreten Musikstücken hörend einzufühlen, und dies möglicherweise ohne jegliches Verständnis für harmonische Zusammenhänge. Andere Musikertypen wiederum sind stark an einer rationalen und reflektierenden Herangehensweise interessiert. Grundsätzlich kann angenommen werden, dass die verschiedenen Herangehensweisen den Notwendigkeiten in den verschiedenen Stilen entsprechen und den damit verbundenen Traditionen innerhalb der Genres. Eine qualitative Aussage über das Können der Musiker ist daraus nicht abzuleiten. Ein guter und eher analytisch denkender Jazzgitarrist wird kaum den Ansprüchen eines guten Hard Rock-Gitarristen genügen. Er entspricht eher der traditionellen Herangehensweise seines Genres. Die Beschäftigung mit Slash-Akkorden, wie oben angeführt, ist entsprechend kein allgemein relevantes Merkmal für die Auseinandersetzung mit Musik, sondern lediglich ein Beispiel für einen spezifischen Bereich der musikalischen Auseinandersetzung in möglicherweise begrenzten historischen Räumen, z. B. den 1970er- und 1980er-Jahren (vgl. aufgeführte Hörbeispiele im entsprechenden Absatz 3.3.3). Nach Peirce entsprechen die weiter unten folgenden Schlussfolgerungen aus Vorerfahrung auch dem methodischen Prinzip der Abduktion, die keineswegs auf ausschließlich allgemeingültige Aussagen abzielen muss, sondern eine Haltung gegenüber Daten und eigenem Wissen darstellt.69 Der Bezug auf wiederholte Erfahrungswerte stellt hiernach keineswegs einen subjektivistischen Ansatz dar, sondern liefert Teilerkenntnisse innerhalb heterogener Konstruktionen von Wirklichkeit. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum Kriterien qualitativer Interviews nicht auch zumindest teilweise auf verifizierte Erfahrungswerte übertragen werden können, wenn der Vorgang gleichen Regeln der „reflektierten Offenheit“ bzw. „reflektierten Subjektivität“ folgt.70 „Die konstruktivistische Grundannahme der Versionenhaftigkeit von Wirklichkeit bedeutet aber nicht, wie ein häufiges Missverständnis verdeutlicht, dass die Realitätsdarstellungen in qualitativen Interviews subjektivistisch, willkürlich und zufällig sind: Erstens bleibt trotz der Versionenhaftigkeit von Wirklichkeit stets ein konsistenter Kern innerhalb der Wirklichkeitskonstruktionen bestehen. Und zweitens basieren die darüber hinausgehenden Variationen nicht auf willkürlichen, sondern auf sinnhaften Regeln und Relevanzen, die rekonstruiert werden können …“71 Die Versionenhaftigkeit von Aussagen führt zu einem
69 Vgl. Reichert, in: Flick et al. (2013), S. 284. 70 Vgl. Kruse (2014), S.41. 71 Ebd. (2014), S. 40.
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wissenschaftlichen Grundsatzproblem des Treffens von All-Aussagen und deren Verifizierbarkeit. Wenn All-Aussagen in sozialwissenschaftlichen Forschungsprozessen nicht möglich sind, dann muss zumindest der Forschungsprozess so dokumentiert oder auch formalisiert sein, dass dieser intersubjektiv überprüfbar ist. „Intersubjektive Überprüfbarkeit wird durch die Reproduzierbarkeit des Forschungsprozesses, des Erkenntnisprozesses ermöglicht. […] Analog zum naturwissenschaftlichen Experiment sollen in der sozialwissenschaftlichen Untersuchung die Rahmenbedingungen dadurch konstant gehalten werden, dass die Kommunikation zwischen den Forschern und denjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, formalisiert, schematisiert oder standardisiert wird.“72 Je höher der Grad der Standardisierung und damit die Option der Reproduzierbarkeit des Erkenntnisprozesses ist, desto mehr entspricht der Forschungsprozess dem Kriterium der Reliabilität. 73 Die Formalisierung oder Standardisierung des Kommunikationsprozesses zwischen Forscher und Erforschtem ermöglicht darüber hinaus die methodische Kontrolle des Fremdverstehens. Die weiter unten aufgeführten Beispiele des Forschungsgegenstands zu Bereichen wie „Harmonische Standards“, „Groove“ und „Soundprogramme“ sind als Teil der reflektierten subjektiven Erfahrung Hypothesen-generierend und werden in einer Gruppendiskussion, die zugleich eine Expertendiskussion ist, einer weiteren Überprüfung unterzogen (s. Gruppendiskussionsverfahren unter Abschnitt 3.5.1). 3.3.2 Verständigung über einen Sound – Beispiel „Twin Peaks“ 74 Eine typische Studiosituation Mitte der 1990er-Jahre: In der Diskussion um einen aufzunehmenden Gitarrensound hat einer der Beteiligten die Idee, es mit einem besonderen Element zu probieren und schlägt einen „Twin-Peaks-Sound“ vor. Die Idee wird von denjenigen, die sich im Studio befinden und an der Aufnahme beteiligt
72 Bohnsack (20149), S. 19. 73 Vgl. ebd. (20149), S. 19. 74 Zum Begriff „Sound“ sei an dieser Stelle verwiesen auf die Arbeit von Jan-Peter Herbst, der sich intensiv mit der historischen Genese des Soundbegriffs auseinandersetzt. In seiner Arbeitsdefinition bezieht sich Herbst ausdrücklich auf Wicke und Ziegenrücker/Ziegenrücker (Handbuch der populären Musik, 2005), die hier übernommen werden soll. „Sound ist die Gesamtheit aller musikalischen Erscheinungen mit Schwerpunkt auf seinen konstitutiven Klang in seiner technologisch-medialen Vermittlung und Erscheinung.“ (Herbst, 2014, S.21). Verwiesen sei hier ebenso auf die erweiternden Aspekte zu Sound-Definitionen von Jost (2012, S. 51) mit Verweis auf Bowman (2003) und den Aufsatz von Pfleiderer in Phleps/von Appen (Hg.): Sound. Anmerkungen zu einem populären Begriff, 2003, S. 19–29. Die hier von Pfleiderer vorgelegte Definition ist nach Ansicht des Verfassers eine geeignete Grundlage und bietet genügend Raum für Schwerpunksetzungen. „Sound steht in einem akustischen Sinn für Klang, Klangfarbe und Klangqualität und ist eng an technische Errungenschaften und -gestaltung gebunden. Mit Sound ist jedoch häufig dasselbe wie Stil gemeint – Personalstil, Gruppenstil, Produzenten- und Studiostil, Arrangier- und Kompositionsstil. Beim Sound von populärer Musik rücken zudem vielfach klangsinnliche Qualitäten sowie die Individualität der Musiker ins Zentrum der Musikerfahrung […]. [Hervorhebungen im Original.]
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sind, verstanden. Entsprechende Vorbereitungen werden getroffen, um den gewünschten Sound zu kreieren.75 „Twin Peaks“ ist eine überaus erfolgreiche Krimiserie neuen Typs gewesen, die Anfang der 1990er-Jahre sehr erfolgreich in den USA lief und auch im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Zum Erfolg der Serie hat unter anderem auch die Begleitmusik von Angelo Badalamenti beigetragen. Das oben erwähnte Beispiel bezieht sich auf den Titelsong „Twin Peaks Theme“. Der in diesem Musikausschnitt verwendete Gitarrensound hat eine derart herausragende Stellung, dass dieser häufig mit dem Begriff „Twin-Peaks-Sound“ gleichgesetzt wird. Im Kontext der Identifizierung oder Beschreibung des hier zitierten Gitarrensounds lassen sich u. a. folgende Aspekte auflisten: • Der Sound ist ein Zitat und greift zurück auf vergleichbare Gitarrensounds des • • •
•
Genres „Italo-Western“ und die Musik von Ennio Morricone.76 Das von Ennio Morricone verwendete Mittel wiederum entspricht einem Klischee in Western-Musiken. Die Identifizierung des Sounds und die Wiedererkennung als „Twin-Peaks-Sound“ setzt ein Mindestalter der beteiligten Musiker voraus. Eine erneute Reproduktion des „Twin-Peaks-Sounds“ in anderen Zusammenhängen würde von einem jüngeren Publikum als Novum ohne Kontextualisierung verstanden werden.77 Der im vorliegenden Beispiel produzierte Sound ist möglicherweise von einem Sampler abgespielt worden. Das Spielen unterschiedlicher Tonhöhen ist hier mit typischen Artefakten wie einem leicht wahrnehmbaren Mickey-Mousing78 verbunden.
75 In diesem Kontext ist anzumerken, dass das Internet Mitte der 1990er-Jahre noch keine Rolle gespielt hat. Ebenso war der Umfang an geeigneter Popliteratur noch begrenzt, was im Gegenstandskontext „Sound“ ohnehin keinen geeigneten Zugang bedeutet hätte. Das Lernen der Musiker beruhte Mitte der 1990er-Jahre noch hauptsächlich auf eigener Hörerfahrung und Reproduktion. 76 Ennio Morricone, der als Komponist den Sound der Filmmusiken der so genannten ItaloWestern wesentlich geprägt hat, verwendet den Klang einer Baritongitarre regelmäßig und in unterschiedlichen Verzerrungsgraden von clean bis stark verzerrt mit variierenden Effektanteilen. Typische Hörbeispiele sind „Armonica“ aus „Once upon a time in the West“ (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968), „Come una sentenza“ und „Duello finale“ aus demselben Film. Weitere Klangbeispiele sind u.a. „Il buono, il brutto, il cattivo“ aus „The Good, the Bad and the Ugly“ (Zwei glorreiche Halunken, 1966). 77 Das hier ausgewählte Beispiel „Twin Peaks“ ist Teil eines konjunktiven Erfahrungsraums. Es kann erwartet werden, dass nur Angehörige einer bestimmten Generation das Hörbeispiel identifizieren können. Dies könnte sich möglicherweise ändern, wenn eine Neuauflage der Serie wie geplant im Jahr 2016 erscheinen würde. (http://www.serienjunkies.de/ news/twin-peaks-mysteryserie-showtime-fortgesetzt-62946.html/Zugriff am 25.6.2015.) 78 Das Abspielen eines gesampelten Klanges führt bei Wiedergabe auf anderen Tonhöhen zu Artefakten, die bedingt sind durch Probleme bei der Umrechnung der Formanten. In der
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• Die am Gespräch beteiligten Musiker und Techniker nehmen den Sound nicht als
singuläres Klangereignis wahr, sondern als Teil einer Signalkette (s. folgende Anmerkungen), bestehend aus den ausübenden Musikern (Spielweise), Instrument, Verstärker, Effekte, Mikrofonierung, Vorverstärkung und Entzerrung. Eine nachträgliche Anfrage per Mail an einen als Experten ausgewiesenen Gitarristen zur Einschätzung der Klangerzeugung des Twin Peaks-Themas ergab folgende Antwort: „Hallo […], das ist eigentlich nur eine Bariton-Gitarre mit einem relativ schnellen Tremolo. Dazu noch einen Compressor, damit der Sound lange genug steht.“79 Die Aussage des Experten bestätigt den Aspekt der Verständigung durch die Beschreibung von Signalketten.80 Weiterhin muss davon ausgegangen werden, dass Sounds, Spielweisen und weitere musikalische Parameter auch deswegen identifiziert werden können, weil diese im Laufe der eigenen Musikerbiografie selbst ausprobiert worden sind.81 Das oben aufgeführte Beispiel einer Expertendiskussion mit der Verortung Mitte der 1990er-Jahre ist mit einem notwendigen Erfahrungshorizont begründet. Eine vergleichbare Diskussion unter jüngeren Musikern mit entsprechenden Entscheidungsprozessen wäre kaum übertragbar auf die Gegenwart, da der notwendige Erfahrungshintergrund altersabhängig ist und ein entsprechender konjunktiver Erfahrungsraum nicht gegeben ist. 3.3.3 Zur Vergänglichkeit harmonischer Standards in der Popmusik – Beispiel „Slash-Akkorde“ Der Sound von Popmusik-Genres ist nicht ausschließlich durch Spielweise, Aufnahmetechnik, den Sound der Instrumente und deren Kombination geprägt, sondern ebenso durch in bestimmten Phasen bevorzugte Harmoniemodelle, die offensichtlich Teil eines zeitgemäßen Ästhetikempfindens sind. Ein Beispiel ist die deutliche Bluesorientierung vieler Musiker der 1960er-Jahre in England, was zum einen durch die allgemeine Popularität des Blues (insbesondere in England) bedingt war und zum anderen durch Institutionen wie die verschiedenen Band-Formationen von Musikern wie John Mayall oder Alexis Corner, die ganze Musikergenerationen in England geprägt und somit den weiteren Verlauf der Rockmusik beeinflusst haben. Die Auseinandersetzung mit Blues schlägt sich in den späteren Formationen wie Blind Faith, Led Zeppelin oder Deep Purple in der harmonischen Weiterführung der Bluesharmonik und der Verwendung vom Blues abgeleiteter subdominantischer Erweiterungen deutlich messbar nieder. Die in diesem Zusammenhang am häufigsten verwendete Harmonieformel ist die einer Subdominantkette unter Miteinbeziehung der Doppelsubdominante (Bb – F – C oder als Stufenfolge VIIb – IV – I, ausgehend von C-Dur
Fachsprache werden dafür die anschaulichen Begriffe „Mickey-Mousing“ (bei höherer Wiedergabe) und „Darth-Vader-Effekt“ (bei tieferer Wiedergabe) benutzt. 79 Der Text wurde unverändert übernommen. 80 Die dem Passus zugeordnete E-Mail befindet sich im Anhang. 81 Vgl. Green (2002), S. 60f.
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als Tonika). Die Harmoniefolge wird in zahllosen Songs verwendet, insbesondere in Titeln der späteren Beatles, vgl. „With A Little Help From My Friends“, „Hey Jude“.82 Ein anderes populäres Modell des Umgangs mit Harmonien, welches insbesondere in den 1970er-Jahren als Vorbild für weitere Genres auf den Plan tritt, ist die Musik von Mike Post und Pete Carpenter, die die Musik zu Serien wie „Detektiv Rockford“ oder „Magnum“ komponiert und damit einen Sound geschaffen haben, der stellvertretend für eine ganze Reihe von Genres des amerikanischen Mainstreams in den 1970er- und 80er-Jahren ist. Ähnliche Akkordfolgen durch den Einsatz vieler Slash-Akkorde finden sich beispielsweise in den Songs von Bands wie Toto83 oder in der Musik von Christopher Cross84 oder Whitney Houston85, die stellvertretend für einen bestimmten Sound im Mainstream herangezogen werden können. Ein auffälliges Merkmal der Harmoniebildung ist der überbordende Einsatz von SlashAkkorden, die mitunter eine Feinbestimmung der Harmonik erschweren, da diese durch wechselnde Akkorde über liegenbleibenden Basstönen gekennzeichnet ist, die jedoch keine Bordunfunktion übernehmen. Ein exemplarisches FilmserienMusikbeispiel hierfür ist die Titelmusik der Krimiserie „Magnum“ (s. Abb. 2 „NB Magnum“). Die Notation basiert auf Höranalyse und stellt eine Transkription der hörbaren Akkordfolge dar. Das Zurückgreifen auf eine Mono-Fernsehaufnahme simuliert eine Hörsituation, wie diese in Wohnzimmern in den 1970er-Jahren typisch war, und ist zudem notwendig, da eine Originalvorlage nicht vorliegt.86 Die gleiche Vorgehensweise wird in Philip Taggs „Kojak – 50 seconds of Television Music/Toward the Analysis of Affect in Popular Music“ beschrieben.
Abb. 2: NB Magnum
82 83 84 85 86
Vgl. Haunschild (1992), S. 83. Vgl. die Titel „Make Believe“ und „Good For You“ auf dem Album „IV“ (1982). Vgl. „Ride Like The Wind“ (1979). Vgl. „One Moment In Time“ (1988). Vgl. Tagg (2000a), S. 133.
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Die Akkordfolge, die nach dem einleitenden Unisono-Riff gespielt wird, ist bis einschließlich Takt 8 noch relativ gut zu deuten als G-Dur und G-Dur als erste Umkehrung mit einem folgenden typischen Durchgang IIm – I – IV – V, jedoch lassen sich die Harmonien ab Takt 9 schwer zuordnen, da sich die Akkordwechsel über den Tönen der I., IV. und V. Stufe von Es-Dur letztendlich als rein klangliches Konstrukt verstehen lassen. Solche oder ähnliche Klangkonstruktionen mit nicht immer eindeutiger Akkordzuordnung sind typisch für den US-amerikanischen Mainstream der späten 70erJahre und darüber hinaus. Die extensive Nutzung derartiger Akkordschichtungen führt schließlich in einer zyklischen Gegenbewegung zum fast völligen Verschwinden der Slash-Akkorde. Zudem sind diese Konstruktionen Keyboard-typisch und stellen ein ästhetisches Ideal für Genres, in denen Keyboards, Synthesizer, Pianos, Orgeln und weitere Tasteninstrumente eine dominante Rolle spielen, dar. Im aufkommenden und Gitarren-orientierten Grunge der 1990er-Jahre spielt eine derartige Sound- und Akkordästhetik keine Rolle mehr und ist in studiorelevanten Kontexten zunehmend unerwünscht. Die ästhetische Sprache durch den vermehrten und damit stilprägenden Einsatz von Slash-Akkorden ist somit ein zeittypisches Phänomen innerhalb einer eingrenzbaren Popmusik-Phase, die weitestgehend durch den Einsatz von Tasteninstrumenten geprägt war, deren technische Entwicklung gerade in dieser Phase durch einen rasanten Fortschritt mit entsprechend neuen Soundmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Die ab Beginn der 1990er-Jahre neu aufkommenden Entwicklungen wie Grunge, die Diversifizierung im Hip-Hop und die Weiterentwicklung der elektronischen Musikgenres greifen kaum mehr auf die Technik des Einsatzes von Slash-Akkorden zurück. Die Entwicklung eines Begriffsapparates als verlässliches Messinstrument einer Harmonik der Popmusik unterliegt hier ebenso Zeitgeistschwankungen wie andere Parameter des musikalischen Ausdrucks. 3.3.4 Groove als individuelles Stilmittel zur Interpretation der Zeit – Ein Gespräch unter Musikern Zur exemplarischen Darstellung der hier aufgeworfenen Fragestellung mit dem Aspekt „liquide Begriffssysteme“ dient ein weiteres Expertengespräch unter Musikern. Die Musiker üben für eine bevorstehende Abendsession, zu der sie sich einmalig zusammengefunden haben, einen Titel ein. Innerhalb der getroffenen Songauswahl befindet sich auch eine Coverversion eines Titels, der im Original kein Schlagzeug beinhaltet. Der Schlagzeuger, der den Song trotzdem gern begleiten möchte, überlegt mit dem Bassisten, welche Optionen zu dem Song passen könnten. Auffällig bei dem sich entwickelnden Gespräch ist, dass es nicht um Beats geht, die man sich gegenseitig vorschlägt, sondern um Namen von Schlagzeugern, ggf. noch mit einem Querverweis auf einen Titel versehen. Der Keyboarder, der das Gespräch eher beiläufig mitbekommen hat, mischt sich kurz ein und sagt: „Ich könnte mir den Song Jim Keltner-mäßig vorstellen“, was der Drummer sofort als gute Idee akzeptiert.
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3.3.5 Zur Analyse des Gesprächs Auffällig bei dem aufgeführten Gespräch ist, dass es bei den Überlegungen um die am besten geeignete Schlagzeugbegleitung nicht um einen wie auch immer gearteten Beat geht, sondern um eine höhere Ebene, die auch über die Eingrenzung durch einen Stil hinausgeht. Die Musiker sprechen nicht über eine zeitlich-rhythmische Struktur im Sinne eines angemessenen Patterns, sondern diskutieren den Approach auf Produzenten- oder besser Ästhetikebene. Als langjährige und erfahrene Profimusiker bewegen sie sich auf einer Ebene der Innenbetrachtung und versuchen mit ihren Vorschlägen, eine künstlerische Qualität auszudrücken, die über Beats oder Patterns (Außenbetrachtung) hinausgeht. Die Wahl der Spielweise Jim Keltners kennzeichnet eine besondere Herangehensweise, die als speziell interpretiert werden kann. Der USamerikanische Schlagzeuger ist bekannt für seinen persönlichen Stil, der eine herausragende Rolle in der Popmusik darstellt. Dazu gehört unter anderem, dass Keltner wenn möglich (zumindest in moderneren Produktionen, vgl. Blake Mills weiter unten) keine bzw. kaum gängige Beats spielt, sondern eher perkussiv auf dem Drumset arbeitet. Er verwendet hierbei zahlreiche Ghost Notes und setzt Akzente, die eher ungewöhnlich sind. Vor allem aber ist sein Spiel durch eine gezielte Ungenauigkeit der Schläge gekennzeichnet. Dies betrifft keine besonderen Zählzeiten, wie dies z. B. bei einer Laid-Back-Spielweise (wie z. B. im Blues) durch Verzögern der Zählzeiten 2 und 4 sonst üblich wäre. Es sind vielmehr gezielt ungenau gesetzte Schläge, die sich aus dem rhythmischen Konstrukt ergeben können und nicht in Patterns wiederholt werden. Der unten aufgeführte Ausschnitt des Amplitudenverlaufs aus dem Song „Don’t Tell Our Friends About Me“ von Blake Mills (2014) zeigt die markanten Abweichungen der Bass Drum insbesondere in der ersten Hälfte des dargestellten Ausschnitts. Hier wird deutlich, dass einige Bass Drum-Schläge deutlich hinter den gelb markierten „richtigen“ Zählzeiten gespielt werden, was sich jedoch im Millisekundenbereich abspielt.
Abb. 3: Drum-Ausschnitt Jim Keltner Die vergrößerte Darstellung der ersten zwei Takte verdeutlicht die abweichenden Schläge jeweils auf der Drei der beiden Takte (Abb. 4 „Drum-Ausschnitt_Takte 1 und 2“). Diese liegen optisch erkennbar weiter „hinten“ bzw. vor dem Beat.
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Abb. 4: Drum-Ausschnitt_Takte 1 und 2 Bei der im Gespräch zitierten Wahl des Schlagzeugers Jim Keltner als Referenzbeispiel geht es nicht um einen bestimmten Beat oder einen bestimmten Musikstil. 87 Vielmehr geht es um den persönlichen Style oder den Feel eines Musikers als Interpretationsebene von Schlagzeugspielen überhaupt, was auch einen Sound miteinschließt, der durch die Schlagweise mit Anschlagkontrolle etc. erzeugt wird. 88 Dies beinhaltet darüber hinaus die Wahl der Instrumente, den geeigneten Aufbau des Instruments und im Kontext einer Studioproduktion die Art und Weise der Mikrofonierung. Das hier zitierte Gespräch der Musiker zielt auf die Lösung einer übergeordneten künstlerischen Fragestellung ab. Der Stil Keltners ist keine allgemein gültige Kategorie des Schlagzeugspiels in der Popmusik, er stellt eine persönliche Ebene der musikalischen Interpretation dar.89
87 Vgl. Klingmann zum Groove-Begriff im wissenschaftlichen Diskurs (Klingmann, 2010, S. 11f). 88 „‚Groove’ bezeichnet damit eine eigen-artige [sic!] musikalische Gestaltungsweise, die in der Form afroamerikanischer Musik oder von dieser beeinflusster Stilistiken weltweit rezipierbar ist.“ (Klingmann, 2010, S. 9.) 89 Böhm (2003) definiert Feel als rhythmisches Phänomen, welches über theoretisches Wissen hinausgeht. „Es handelt sich bei der Aneignung eines Stils also um die Aneignung eines gewissermaßen gesamtheitlichen Körpergefühls, das sich durch Praxis, nicht aber allein über das theoretische Wissen erlangen lässt. […] Typische Bezeichnungen für solche, jenseits der Notierbarkeit im mikrorhythmischen Bereich anzusiedelnden rhythmischen Parameter wären Groove, Swing oder Beat.“ (Böhm, 2003, S. 35.)
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3.4 REFERENZORIENTIERUNG ALS BEZUGSSYSTEM IN POPMUSIK – BEISPIELE 3.4.1 Referenzrahmen – Klassiker der Rockmusik Das vorangestellte Beispiel zur Spielweise des Schlagzeugers Jim Keltner ist stellvertretend für die referenzorientierte Denkweise und Sprache bei professionellen Musikerinnen und Musikern, die auf bewusstem Hören basieren. Lucy Green stellt in diesem Zusammenhang ein zielgerichtetes Hören fest. „The most systematic, conscious and goal-directed approaches to learning through listening and copying involve something akin to what I have described as ’purposive listening’.“90 Die Orientierung an Musikern, ihrer Spielweise und an Sounds stellt den Bezugsrahmen der musikalisch-ästhetischen Ausrichtung in Bereichen der Popmusik dar, die genretypisch nicht notengebunden ist, sondern im Wesentlichen auf dem Heraushören von (Platten)aufnahmen91 oder dem Besuch von Konzerten beruht. Dies betrifft insbesondere frühe Entwicklungsphasen der Rockmusik mit immer neuen Genres und Instrumenten. Spielweise und Sound bilden in diesem Kontext als besondere popmusikalische Kategorien eine Einheit. Als musikhistorisch relevante Beispiele der 1960er- und 1970er-Jahre können folgende Musiker stellvertretend genannt werden, die jeweils bestimmten Instrumenten und Kategorien zugeordnet werden können. Künstler Instrument Stil Besonderheiten ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Jimi Hendrix E-Gitarre Blues/Rock Individuelle Spielweise/ eigener Sound92
90 Green (2002), S. 61. 91 „Ich saß immer so nah wie möglich an der Bühne, was oft gar nicht einfach war, weil sie ziemlich populär [Wiz Jones] waren, und beobachtete genau, was sie beim Spielen mit den Händen machten. Dann ging ich nach Hause und übte stundenlang, um mir die Musik draufzuschaffen, die ich gerade gehört hatte. Ich hörte mir die Aufnahmen jedes Songs, an dem ich gerade arbeitete, sorgfältig an, und spielte ihn so lange nach, bis ich klang wie die Musiker auf der Platte. Ich weiß noch, wie ich versucht habe, den glockenartigen Klang zu imitieren, den Muddy Waters auf seinem Song ’Honey Bee’ erzeugt. Es war das erste Mal, dass ich auf meiner Gitarre drei Saiten gleichzeitig griff. Mir fehlte natürlich jede Technik, ich verbrachte bloß Stunden damit, die Sachen der anderen nachzuspielen.“ (Eric Clapton: Mein Leben, Köln, 2007, S. 34f.) In der ca. zwei Jahre später folgenden Literaturrecherche zum Thema informelles Lernen konnte der Verfasser das gleiche Zitat in Röbke (2009, S. 24) wiederfinden, was ein Hinweis auf die Bedeutung der Aussage Claptons auch für andere Autoren in Bezug auf das System Popmusik und ihre Aneignung ist. 92 „The Fuzz-Face-Cry-Baby combination is jacked to the upper registers where the looney distorted Cry-Baby peal takes over. […] The combination of guitars playing rhythm against the long drone chord, and the loony wailing distress signal of the Fuzz-Face-Cry-Baby, are fantastic. The treble peaked overdriving tremolo is both a note of the bizarre harmony and an element of the 4/4 rhythm, vibrating from double time to quadruple time.“ (Henderson, 1990, S. 103)
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Jaco Pastorius
E-Bass
Fusion/Jazz/Rock
Manfred Mann Gary Brooker Rick Wakeman Jan Hammer
Hammond-Orgel Hammond-Orgel Moog Synthesizer Oberheim-Synth.
Rock Rock/Classical Rock Progressive Rock Jazz/Fusion u.a.
Individuelle Spielweise/ eigener Sound93 Sound94 Sound95 Sound96 Sound97
Die genannten Beispiele sind gezielt unter dem Aspekt ihrer Authentizität ausgewählt worden. Die aufgelisteten Musiker stehen für bedeutende und herausragende Meilensteine in der ästhetischen Entwicklung der Rockmusik in den noch relativ frühen Entwicklungsjahren der 1960- bis -70er-Jahre. Sie sind an der Entwicklung neuer Spielweisen oder Sounds beteiligt und sind teilweise Mitbegründer neuer Genres wie Psychedelic Rock oder Progressive Rock. Die Liste hat rein exemplarischen Charakter und ließe sich erheblich erweitern. Der im Kontext der Arbeit wesentliche Aspekt betrifft vor allem den Vorbildcharakter der Akteure und die aus ihrer innovativen musikalischen Arbeit heraus begründete Tauglichkeit als Referenz für folgende Musiker-generationen. Mit der Entwicklung programmierbarer Musikinstrumente wie z. B. Synthesizer oder virtueller Instrumente für Digitale Audio Workstations (DAW) wie Cubase, Logic oder Pro Tools wird die Referenzorientierung mit der Benennung der Soundprogramme deutlich. Hier werden, soweit es um die Wiedergabe originaler Vorbilder geht, entsprechende Programmnamen verwendet, die entweder den Namen des Musikers oder eines Musikstückes verwenden (s. Abb. „ES2“ und „EVB3“ – beide virtuellen Instrumente sind mitgelieferte Plug-ins des Programmes „Logic“).
93 Jaco Pastorius ist nicht nur bekannt durch seinen virtuosen Stil, in welchem er Bass- und Melodiespiel unter Miteinbeziehung zahlreicher Flageoletttöne miteinander verbindet, sondern auch durch seinen prägnanten Fretless-Bass-Sound. (Vgl.: Weather Report, „Birdland“, 1977.) 94 Der verzerrte Hammond-Sound Manfred Manns steht stellvertretend für die Ästhetik des Einsatzes der Hammond-Orgel in Rockgenres der 1960er- und 1970er-Jahre. (Vgl.: Manfred Mann’s Earthband, „Mighty Quinn“, Live-Album „Watch“, 1978.) 95 Als typisches Soundbeispiel ist hier vor allem „A Whiter Shade Of Pale“ aus dem Jahre 1967 zu nennen. 96 Rick Wakeman gilt als einer der bekanntesten Vertreter des Progressive Rock. Sein typischer Minimoog-Sound ist gekennzeichnet durch den Einsatz mehrerer Oszillatoren mit Sägezahnwellenform in unterschiedlichen Lagen und einen markanten Filterverlauf, der durch Cutoff und Resonanz gesteuert wird. Keith Emerson hat auf zahlreichen Aufnahmen seiner Formation Emerson, Lake and Palmer einen ähnlichen Sound benutzt. (Vgl. „Lucky Man“, 1970. Vgl. Zuther (1995), S. 6, 10.) 97 Das Spiel Jan Hammers zeichnet sich besonders aus durch den Versuch, einen Synthesizer ähnlich wie eine Gitarre zu spielen. Dies betrifft sowohl den Sound als auch typische Ausdrucksmittel wie Bending. Auf dem Solo-Album „The First Seven Days“ aus dem Jahre 1975 befindet sich der Hinweis: „For those concerned: There is no guitar on this album.“ Hammer konnte seine „Gitarren“-Technik insbesondere durch seine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Jeff Beck in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre verfeinern.
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Abb. 5: ES2 Aus der Abb. 5 „ES2“, die die Oberfläche eines virtuellen Synthesizers darstellt 98, geht hervor, dass neben dem Bezug auf einen typischen Synthesizer-Sound des Musikers Jan Hammer nur wenige weitere Querverweise zu anderen Musikern vorzufinden sind. Lediglich die Bezeichnungen „Miami Lead“ und „Mini-Sync“ stellen Bezüge zu Poptiteln oder Instrumenten her.99 Das Plug-in „EVB3“ als Bestandteil der digitalen Audioworkstation Logic simuliert Sounds diverser elektronischer Orgelmodelle. In der folgenden Abbildung ist ein Preset nach Steve Winwood benannt. Der Zusatz „heavy“ lässt vermuten, dass es sich um einen verzerrten Orgelsound handelt, wie er häufig mit Hammond-Orgeln erzeugt wurde.
98 Der Screenshot stammt aus der Version Logic Pro 9, Stand 2015. In dieser Version sind in den mitgelieferten Sound-Presets nur noch wenige Querverweise auf historisch relevante Musiker oder Musikstücke zu finden. 99 Die Bezeichnung „Miami Lead“ bezieht sich auf die Musik, die Jan Hammer zur Serie „Miami Vice“ komponiert hat. „Mini-Sync“ bezieht sich auf den Synthesizer Minimoog. Während sich der erste Verweis auf einen spezifischen Sound der Erkennungsmelodie der Serie bezieht, stellt die Bezeichnung „Mini-Sync“ lediglich einen allgemeinen Bezug zum Instrument her.
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Abb. 6: EVB3
3.4.2 Referenzrahmen – Neue virtuelle Instrumente Der im vorigen Abschnitt dargestellte Bezugsrahmen für spezielle InstrumentenSounds basiert auf einem überschaubaren historischen Abschnitt der pop- und rockmusikalischen Entwicklung und ist historisch eingrenzbar. Im Wesentlichen werden hier Musiker und Musiktitel zitiert, die für folgende Musikergenerationen als authentisches Vorbild gelten können. Ein solches Bezugssystem setzt jedoch überschaubare Kategorien an Genres, Soundkreationen und Musikern mit einem von diesen geprägten Sound voraus. Die Benennung eines Presets nach einem Keyboarder der frühen 1970er-Jahre würde heute ihren Zweck nicht erfüllen. Die ursprüngliche Funktion einer ungefähren Klangvorstellung durch Benennung eines Presets nach einem Musiker oder Musikstück ist für einen Musiker der 2010er-Jahre nicht mehr gegeben, da sowohl Musiker als auch Titel keine Referenz (mehr) darstellen. Neben der Veränderung auf einer rein zeitlichen Ebene spielt die Vielfalt der entwickelten und ausdifferenzierten Stile und Genres eine Rolle, die eine entsprechend neue Orientierung in der Benennung von Sound-Presets erfordern. In der Abbildung des virtuellen Instruments „Nexus“ der Firma reFX wird in der Kategorie Epic Pads deutlich, dass die Benennung der Presets entweder auf Fantasienamen beruht oder Bezüge zu Genres hergestellt werden.
Abb. 7: Nexus
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Bei dem virtuellen Instrument „Nexus“ handelt es sich um ein modernes SoundModul (Darstellung aus dem Jahr 2017), welches für Bereiche wie Electro, Trance und vergleichbare Genres elektronischer Musik konzipiert ist, sodass der Verzicht auf rockmusikalische Bezüge, die auf Klassiker verweisen, obligat erscheint. Andere Hersteller wie Arturia, die auf die Simulation klassischer analoger Synthesizer spezialisiert ist, verzichten in der Benennung der Presets jedoch ebenfalls auf Bezüge zu Klassikern des Instrumentengenres. Gerade in diesen Bereichen war es bis vor wenigen Jahren üblich, auf Vorbilder zu verweisen. So wäre bis Ende der 1990er-Jahre am Beispiel des „Prophet V“ der Firma Sequential Circuits noch in der Kategorie Pads mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit der Preset-Name „In The Air Tonight“ (Phil Collins, 1981) zu finden gewesen.100 Die Abbildung „Arturia Keylab“, welche ebenfalls die Kategorie Pads (hier des Prophet V) darstellt, stellt keinerlei Bezüge zu Musikern oder bekannten Songtiteln mehr her.
Abb. 8: Arturia Keylab Ein Blick in die folgend dargestellten Rock-Organ-Style-Presets der EVB3 innerhalb der DAW101 Logic aus dem Jahre 2004 belegt den damals noch vorhandenen Bezugsrahmen in der Benennung. Hierzu war ein Apple-Rechner mit einem älteren Be-
100 Der Verweis beruht sowohl auf einer langjährigen Studioerfahrung als Musiker und Produzent als auch auf universitärer Lehre im Bereich Studiotechnik. 101 Gegenüber der früher gängigen Bezeichnung Sequenzer hat sich der Begriff DAW für Digital Audio Workstation etabliert.
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triebssystem notwendig, um die Logic-Version 7 installieren zu können.102 Der Screenshot zeigt, dass mit Ausnahme von zwei Soundprogrammen (Grunge Organ, Rock Church) alle verbleibenden Bezug auf eine Band nehmen, einen Musiker oder ein bekanntes Musikstück, welches einen besonderen Sound aufweist (z. B. „A Whiter Shade Of Pale“). Die Beispiele belegen darüber hinaus, dass es aus Sicht der Programmierer hierbei besondere Schwerpunkte in Bezug auf eine prägende SoundÄsthetik innerhalb der Rock- und Popgeschichte gibt. Hieraus kann geschlossen werden, dass den genannten Bands besonders große Anteile an der Entwicklung relevanter Orgelsounds zugerechnet werden (z. B. Deep Purple = DP, Santana = San oder Doors). Einige Bandnamen werden ergänzt durch Songtitel oder Bruchstücke daraus, um die Soundvorstellungen einzugrenzen.103
Abb. 9: EVB3 der Logic 7-Version aus dem Jahre 2004
102 Die Installation wurde vor allem möglich durch die Unterstützung der Firma Emagic, die mir zu diesem Zweck eine Auswahl älterer Kopierschutz-Keys zur Verfügung gestellt hat. Die Firma Emagic, die verantwortlich ist für die Konzeption des Programms Logic, wurde 2002 von der Firma Apple übernommen und ist nach wie vor für die Entwicklung des Programms innerhalb des Apple-Portfolios zuständig. Die Installation wurde auf einem älteren Mac Book Pro Intel Core Duo mit Betriebssystem 10.6.8 (Snow Leopard) vorgenommen. 103 Hierbei wird deutlich, dass bei der Benennung mögliche rechtliche Probleme umgangen werden. So heißt das Instrument „EVB3“ anstatt „Hammond B3“. Anstatt des Titels „Smoke On The Water“ wird „Smoke On The Lake“ bevorzugt. Offensichtlich sind hier aber auch Aspekte des Spaßes an Wortspielen („It’s NICE“).
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3.4.3 Referenzrahmen am Beispiel Soundprogramme – Zwischenfazit Die oben aufgeführten Beispiele zeigen, dass der in der popmusikalischen Praxis verwendete Referenzrahmen (hier am Beispiel Soundprogramme) einem steten Wandel unterliegt, der sich der Dynamik und Vielseitigkeit der sich ständig neu und weiterentwickelnden Genres anpasst. Hieraus lässt sich die Hypothese generieren, dass die Verwendung von Preset-Namen (stellvertretend für die Begriffsbildung in der Popmusik) mit dem Verweis auf historische Vorbilder sowohl in Bezug auf Künstler als auch auf Musiktitel eine Form der funktionalisierten Geschichtsschreibung innerhalb der populären Musik darstellt. Die Preset-Namen verweisen auf Pioniere der Popmusik und Unikate, die so lange einen Sinn ergeben, wie der Referenzbereich überschaubar ist und für die eigene künstlerische Arbeit und Perspektive nützlich erscheint. Mit dem zunehmenden Verlust an Bedeutung für die weitere Musikentwicklung, auch bedingt durch die zunehmende Komplexität, geht die Verwendung entsprechender Verweise zurück. Diese Form der Geschichtsschreibung erscheint nicht mehr notwendig und verliert ihre Funktion. 104 Das Beispiel der Soundprogramme ist exemplarisch für eine liquide Sprache innerhalb eines Systems Popmusik. Bezüglich des vorgestellten Beispiels Soundprogramme lassen sich die folgenden Kriterien hypothetisch festhalten, die durch die gängige Praxis belegt werden: • Der in den frühen und prägenden Jahren entwickelte Bezug auf herausragende
Künstler und Musikstücke der 1950er- bis 1980er-Jahre unterliegt der Entwicklung auf einer zeitlichen Achse und wird nach und nach aufgegeben. • Der sich weiter entwickelnde Referenzrahmen ist geprägt durch Dynamik und Ausdifferenzierung neuer Stile und Genres. • Die Entwicklung neuer Instrumente und ihrer Klangmöglichkeiten kann referenzlos sein und erreicht technisch bedingte neue Klangsphären. • Die Dynamik und Ausdifferenzierung popmusikalischer Genres ist im Gegensatz zu den Pionierjahren der popmusikalischen Entwicklung nicht mehr oder immer weniger personengeprägt. Diese Entwicklung steht auch im Kontext mit einer fortschreitenden Demokratisierung des Produktionsprozesses. Der hier genannte Demokratisierungsprozess ist zum einen gekennzeichnet durch den historischen Prozess der Zugänglichkeit zur Musik für alle, der keineswegs ein ausschließlich popmusikalisches Phänomen darstellt, sondern einen seit der französischen Revolution fortschreitenden Prozess.105 Die Zugänglichkeit ist zunächst
104 Die von Rösing in einem anderen Kontext aufgeworfene Fragestellung nach der Notwendigkeit von Musik-Geschichtsschreibung kann durchaus in diesem Zusammenhang gesehen und interpretiert werden (vgl. Rösing, in: Helms/Phleps, 2014, S. 16). 105 Der Prozess der Demokratisierung ist kein Popmusik-immanenter, soweit sich dies auf das 20. Jahrhundert bezieht, sondern ein Phänomen, welches sich mit dem Ereignis der französischen Revolution datieren lässt. „Die Gründe des Prozesses der Popularisierung von Musik liegen nach WIORA in der ’Demokratisierung des Musiklebens seit dem Zeitalter der fran-
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geprägt durch Teilhabe am Musikgeschehen, z. B. durch die Möglichkeit des Konzertbesuchs gegen Bezahlung und die zunehmend aktive Teilnahme am Musikgeschehen durch Mitgliedschaft in einem Chor oder Lernen eines Instruments. 106 Zum anderen kommt hierbei dem technischen Fortschritt im 20. Jahrhundert, insbesondere durch die Entwicklung der Bandmaschine, eine herausragende Bedeutung zu. Die technische Entwicklung und die damit verbundene Senkung der Kosten begleiten die Dynamik der Demokratisierung in Produktionsprozessen. Während in den 1950erJahren die Einführung der Magnettonbandtechnik die Kosten für die Miete eines Tonstudios erheblich senkte, sodass der Besuch eines Tonstudios für jedermann möglich wurde, hat die in der Folge fortschreitende günstige Kostenentwicklung ermöglicht, dass jeder selbst zum Produzenten werden kann.107 „Der Memphis Recording Service war einer jener Aufnahmedienste, die Anfang der 1950erJahre in den USA zu Tausenden aus dem Boden schossen. Wie die ein halbes Jahrhundert früher aufgekommenen Fotostudios standen sie jedem offen, der sich auf Platte, in diesem Fall auf einer Schallplatte, verewigen lassen wollte. […] Dass die Branche Anfang der 1950er-Jahre boomte, hatte mit der kurz zuvor in den USA auf den Markt gelangten Magnetbandtechnik zu tun. Auf Band konnten die Aufnahmen nach Betätigung des Rückspulknopfes so lange wiederholt werden, bis sie als gelungen galten, ohne dass dafür die nicht eben billigen AcetateRohlinge gebraucht wurden. […] Notdürftig umgerüstete Geschäftsräume dienten den ’Klangfotografen‘ als Aufnahmestudios. Aufgenommen wurde alles, was Töne hatte. Allein in der Stadt am Ostufer des Mississippi wies das Telefonbuch für 1954 mehr als 50 solcher Studios aus.“108
Der Demokratisierungsprozess ist somit mit dem technischen Fortschritt eng verbunden und dem damit anhängigen Kostenfaktor, der sich im Laufe der Entwicklung zunehmend günstig für die ausübenden Künstler auswirkt. Insbesondere die Digitalisierung des Aufnahmeprozesses seit den 1980er-Jahren stellt einen weiteren Entwicklungssprung im Sinne individualisierter Aneignungs- und Produktionsprozesse dar, welche sich wiederum auch auf die Dynamik einer durch Diversität ge-
zösischen Revolution’, die mit dem ’Wandel vom ständisch geschichteten zum allgemein demokratischen […] im 18. Jahrhundert begann und im 20. Jahrhundert in der durch die Massenmedien ermöglichten prinzipiellen Zugänglichkeit aller Musik für alle Menschen kulminiert. WIORA stellt damit den Aspekt der allgemeinen Zugänglichkeit als Bedeutungszentrum des Begriffs ’Popularität’ heraus.“ (Schoenebeck, 1987, S. 15.) 106 Vgl. Jungmann (2008), S. 18ff. 107 Auf Literaturhinweise wird an dieser Stelle verzichtet, da die Dynamik der Kostenentwicklung zugunsten der Käufer verlässliche und einigermaßen konsistente Preisangaben nicht zulässt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt 2017 ist es bereits möglich, mit einem vergleichsweise geringen Budget auf einem qualitativ hohen Niveau Aufnahmen durchzuführen. Als Minimalausrüstung genügen Tablet (iPad/ca. 500,– EUR), App (Garage Band/kostenlos), Audiound MIDI-Interface (ca. 200,– EUR), Keyboard und Mikrofon (ca. 400,– EUR). Die Beschaffungskosten liegen somit auch bei Auswahl weniger günstiger Zubehörteile unter 2000,– Euro. Der Verweis auf Apple-Produkte stellt nur ein Beispiel dar. 108 Wicke (2011), S. 12.
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prägten Begriffsentwicklung in der Popmusik auswirken. Die oben erwähnten Referenzrahmen mit stilprägenden Musikern, Musikstücken und Sounds werden somit zunehmend flüchtig und wirken sich auf eine entsprechend liquide Begriffsbildung aus, welche, geprägt durch konjunktive Erfahrungsräume, spezifisch für eine Begriffsbildung in der Popmusik erscheint.
3.5 FORSCHUNGSDESIGN 3.5.1 Gruppendiskussionsverfahren und Auswertungsmethode Die in den vorangestellten Abschnitten exemplarisch aufgeworfenen Fragestellungen und Hypothesen werden begleitend unterstützt durch ein Gruppendiskussionsverfahren, welches methodologisch für den aufgeführten Expertisenbereich als Erhebungsinstrument im Bereich der rekonstruktiven Sozialforschung109 besonders gut geeignet ist. Hierbei werden sowohl die bereits angeführten Forschungsgegenstände (Musik als Referenzrahmen und Teil einer liquiden Sprache unter Musikerinnen und Musikern) angesprochen als auch Raum für sich in der Diskussion entwickelnde Aspekte und Fragestellungen gegeben. „Das Gruppendiskussionsverfahren ist somit eine adäquate Methode, um jene kollektive Dimension und deren soziale Genese zu erforschen.“110 Es grenzt sich deutlich vom qualitativen Einzelinterview ab und stellt nach Bohnsack eine eigenständige Erhebungsmethode der rekonstruktiven Sozialforschung dar.111 Das Gruppendiskussionsverfahren ist hiernach angemessen, wenn es darum geht, die Konstruktion von Meinungen, Bedeutungen und Orientierungsmustern im Prozess und durch den Gruppenprozess selbst zu rekonstruieren.112 Bei den ausgewählten Mitgliedern der Diskussionsgruppe (s. weiter unten) handelt es sich um einen stark kohäsiven Verband113, um Musiker, die bereits seit ihrer Jugend zusammen Musik praktizieren, wenn auch in den letzten Jahren nur in gelegentlichen gemeinsamen Projekten. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl Themenbereiche als auch damit verbundene Fragestellungen aufgrund der gemeinsamen biografischen und generationsspezifischen Erfahrungsräume verstanden werden, sowohl als Teil einer persönlichen als auch einer kollektiven Fragestellung. Die bereits weiter oben aufgeworfenen Themenbereiche mit
109 110 111 112
Vgl. Bohnsack (2006), S. 7f. Kruse (2014), S. 196. Ebd., S. 196. Bohnsack grenzt das Gruppendiskussionsverfahren mit der Methode der dokumentarischen Interpretation und der Erforschung kollektiver Orientierungsmuster auf der Basis der Rekonstruktion konjunktiver Erfahrungsräume ab von angelsächsischen Ansätzen der Focus Groups und Group Discussions (Vgl. Bohnsack, 2013b, in: Flick, 201313, S. 372ff). Er weist in diesem Zusammenhang auf die Problematik der mangelnden Reproduzierbarkeit von Ergebnissen hin, wenn das methodische Vorgehen auf dem Modell des interpretativen Aushandelns von Meinungen basiert, wie es in der angelsächsischen Diskussion um Focus Groups der Fall ist (vgl. ebd., S. 371f). 113 Vgl. Karl Mannheims Wissenssoziologie als Bezug der von Ralf Bohnsack entwickelten dokumentarischen Methode, Mannheim, 19702.
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den daraus folgenden Hypothesen gehen bereits auf gemeinsame Erfahrungen zwischen Diskussionsleiter und den Gruppenmitgliedern zurück bzw. werden vom Forschenden (Diskussionsleiter) als bekannt und relevant (als „erfahren“) eingeschätzt. Die Äußerungen einzelner Gruppenmitglieder stellen in diesem Sinne keine ausschließlich individuelle Meinungsäußerung dar, sondern basieren auf diskursiven Strategien und kollektiven Orientierungsmustern.114 Helfferich sieht den Vorteil des Gruppendiskussionsverfahrens daher in der Möglichkeit des interaktionsorientierten Sinnverstehens.115 Der Begriff des „Interaktionsorientierten Sinnverstehens“ kann hier analog zum in dieser Arbeit aufgeworfenen Begriff der „Referenzorientierung“ mittels einer liquiden Sprache verstanden werden, deren Bedeutungen innerhalb von Gruppen (in diesem Fall Musikerexperten) konstruiert werden. Eine Grundproblematik in der Anwendung des Gruppendiskussionsverfahrens besteht im hier gewählten methodischen Vorgehen darin, dass die in der Diskussion formulierten Meinungen die vorher aufgeführten Hypothesen (vgl. Abschnitt 3.3) nicht einfach nur bestätigen sollten. Vielmehr geht es um die Rekonstruktion kollektiver Orientierungsmuster, die mit den aufgestellten Hypothesen übereinstimmen, zum Teil übereinstimmen oder diskursiv bleiben. Im Sinne von Kruse wird die hier im Kontext zu den weiter oben aufgestellten Hypothesen durchgeführte Gruppendiskussion methodisch unter möglichen Aspekten der Cross-Validierung, der Differenzierung und der Korrektur von Ergebnissen durchgeführt.116 Hinsichtlich der später folgenden Auswertung der Gruppendiskussion wurde hier ein Methodenmix aus dokumentarischer Methode nach Bohnsack und der Sequenzanalyse im Kontext sozialwissenschaftlicher Hermeneutik favorisiert. Die von Bohnsack entwickelte Methode basiert auf der Wissenssoziologie Karl Mannheims 117 und ist insbesondere für die Auswertung von Gruppendiskussionsverfahren geeignet. Die dokumentarische Methode ist prädestiniert für Bereiche rekonstruktiver Verfahren, die auf Diskursförmigkeit der Sinnproduktion abzielen.118 Ralf Bohnsack spricht in diesem Zusammenhang von der „Aktualisierung“ konjunktiver Erfahrungsräume. In Abgrenzung zur strukturierenden Inhaltsanalyse Mayrings119, der sich nach Kruse auf der Bedeutungsebene von Äußerungen bewegt, zielt die dokumentarische Methode auf die Erfassung der Bedeutungsebene von Aussagen ab. Lueger kritisiert die
114 „Auf diesem Wege erschließt sich durch den zunächst ein wenig zusammenhanglos erscheinenden Diskursprozess hindurch ein den einzelnen Redebeiträgen (Erzählungen, Beschreibungen) gemeinsames, ein kollektives Sinnmuster […].“ (Ebd., 2013b, S. 375.) 115 Vgl. Helfferich (20093), S. 197. 116 Vgl. Kruse (2014), S. 199. 117 Eine ausführliche Darstellung erfolgt an entsprechender Stelle weiter unten (s. Abschnitt 3.6). 118 „Die dokumentarische Methode stellt jedoch keine spezielle, nur für die Gruppendiskussionsverfahren geeignete Auswertungsstrategie dar, sondern sie gehört m. E. ganz grundlegend zum Kanon rekonstruktiver Analyseansätze […]. Sie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie auf die Diskursförmigkeit der Sinnproduktion abzielt, so dass sie sich für die Analyse von Gruppendiskussionen besonders anbietet […].“ (Kruse, 2014, S. 206.) 119 Vgl. ebd. (2014), S. 407.
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häufig in vergleichbaren Forschungsansätzen angewendeten Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse Mayrings ebenfalls als problematisch.120 Der Fokus der Gesprächsanalyse liegt im Gruppendiskussionsverfahren und der Auswertung mittels dokumentarischer Methode nicht auf der Erfassung der Individuen, sondern auf der Erfassung kollektiver Entitäten wie Familien, Arbeitsteams etc. Die kollektiven bzw. konjunktiven Erfahrungsräume werden im Gespräch in Gruppen aktualisiert, die über gemeinsame Erfahrungen (biografische, sozialisationsgeschichtliche etc.) verfügen.121 Dagegen zielen Methoden der interpretativen Sozialforschung auf die Erfassung individueller Wertesysteme ab, die in größere Kontexte eingebettet werden können. Interpretative Methoden eröffnen im vorliegenden Forschungskontext Möglichkeiten, flexibel auf den jeweiligen Forschungsstand reagieren zu können. Eine Anpassung der konkreten Methoden an den Forschungsgegenstand ist nach Lueger als Teil interpretativen Vorgehens besonders wichtig. „Dies ist gerade deshalb so wichtig, weil den Methoden in einem interpretativen Forschungsparadigma keine eigenständige Bedeutung zukommt, sondern weil diese an die Entwicklung der Forschungsfragen sowie den laufend generierten Erkenntnisstand angepasst werden.“122 [Hervorhebungen im Original] Eingehendere Erläuterungen zur dokumentarischen Methode und zur interpretativen Sozialforschung finden an entsprechender Stelle weiter unten im Anwendungskontext statt (vgl. Abschnitt 3.6.2). Entscheidend hinsichtlich Validität und Reliabilität der Gruppendiskussion ist die Selbstläufigkeit des Diskurses, in welchem die Genese gemeinschaftlicher Orientierungen (sowohl Kongruenz als auch Inkongruenz) rekonstruiert werden können.123 Da der Vorteil der dokumentarischen Methode im Wesentlichen auf der Fokussierung auf den konjunktiven Erfahrungsraum der Teilnehmer liegt, jedoch im weiteren Forschungszusammenhang nicht immer greift bzw. flexibel ergänzt
120 „Beispielsweise arbeitet die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring (2008) mit einer enormen Materialmenge. Schon dies läuft den Kriterien seriöser interpretativer Forschung zuwider, zumal hier meist stichprobentheoretische Überlegungen zur Anwendung kommen (und damit Relevanzstrukturen des Gegenstandes vernachlässigt bleiben) und sich die Auswertung solcher Gesprächsmengen meist schon aus Gründen des Aufwandes auf den manifesten Inhalt bezieht. Ein solches Analyseschema nähert sich den Grundzügen einer quantitativ orientierten Inhaltsanalyse an […]. Auf diese Weise wird der methodische Aspekt betont, während die forschungsstrategische Einbindung in den Gesamtkontext einer Forschung sowie der forschungslogische Aspekt bezüglich der Anforderungen an eine interpretative Forschung kaum Berücksichtigung finden.“ (Lueger, 2010, S. 16). 121 Vgl. Bohnsack (20149), S. 123f). 122 Lueger (2010), S. 17. 123 „Wesentlich ist nun für das Verfahren der Gruppendiskussion, dass in ihr die Erfahrungen der beteiligten Akteure als kollektive Erfahrungen aktiviert werden können. Das Gruppendiskussionsverfahren unterstützt die Gesprächsteilnehmer dabei, Erinnerungen, Wahrnehmungen, Deutungen und Orientierungen als Gleichartige in einer Weise abrufen zu können, die auch von Forscherinterventionen wenig gestört wird. […] Valide ist es [Gruppendiskussionsverfahren, d. Verf.], weil das Gesprächsverhalten der Gruppe als Epiphänomen ihrer »konjunktiven Erfahrung« interpretierbar ist. Reliabel ist es, weil es sich robust gegenüber Forschereinflüssen verhält.“ [Hervorhebungen im Original] (Corsten, 2010a, S. 90.)
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werden muss, werden Verfahrensschritte der Sachinterpretation und bei Bedarf der Sequenzanalyse als hermeneutisches Verfahren der interpretativen Sozialforschung zur Anwendung kommen. Hier liegt ein bedeutender Vorteil in der möglichen Flexibilität der Forschungsmethode (s. dazu ebenfalls Abschnitt 3.6.2). Die Zusammensetzung der Gruppe ist ebenso wie die Ausgestaltung des Gruppendiskussionsverfahrens abhängig von der zugrundeliegenden Thematik und dem Forschungsinteresse und ist gekennzeichnet durch die weiter oben genannten konjunktiven Erfahrungsräume.124 Passend zum Untersuchungsgegenstand handelt es sich bei der für den hier behandelten Forschungsgegenstand zusammengestellten Gruppe um einen stark kohäsiven Verband.125 Karl Mannheim spricht in diesem Kontext von einer „Realgruppe“.126 Realgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass diese nicht eigens für den Forschungszweck zusammengestellt wurden, sondern auch unabhängig von der Forschungssituation im Alltag bestehen. Den Gruppen sind gemeinsame Erfahrungsräume eigen, aus denen Kollektivvorstellungen konstruiert werden, die in der Forschungssituation rekonstruierbar sind. Mannheim spricht in diesem Kontext von Bedeutsamkeitszusammenhängen und Bedeutsamkeitskreisen.127 Die Bedeutungszuweisungen als Kulturgebilde sind nach Mannheim konjunktive Erfahrungen, die keinen allgemeingültigen Charakter besitzen, sondern Gültigkeit für eine bestimmte Gemeinschaft haben. Es geht nach Mannheim nicht ausschließlich um gemeinsame Erfahrungen, sondern auch (oder auch vielmehr) um die gemeinsame Bedeutungszuschreibung.128 „Eine Realgruppe ist eine soziale Einheit von Akteuren, die über ähnliche Erfahrungen verfügen. Diese Erfahrungen können in gemeinsam erlebten Situationen gemacht worden sein, aber auch unabhängig voneinander. So können beispielsweise Eltern, deren Kinder sich in der ersten Klasse in einer Schule befinden, sich nicht kennen. Trotzdem teilen sie aufgrund der im gleichen Alter befindlichen Kinder eine Menge von Erfahrungen, die mit dem Schulbesuch und dem Alltagsleben ihrer Kinder zu tun haben. Aufgrund ihrer parallelen Erfahrungen können Eltern als »konjunktive Erfahrungsgemeinschaft« sensu Mannheim gelten. Ähnliches würde auch für Besucher von Technoparties gelten, selbst dann, wenn sie sich nicht persönlich kennen würden. Wesentlich ist nun für das Verfahren der Gruppendiskussion, dass in ihr die Erfahrungen der beteiligten Akteure als kollektive Erfahrungen aktiviert werden können. Das Gruppendiskussionsverfahren unterstützt die Gesprächsteilnehmer dabei, Erinnerungen, Wahrnehmungen, Deutungen und Orientierungen als Gleichartige in einer Weise abrufen zu können, die auch von Forscherinterventionen wenig gestört wird.“129
Die gedankliche Konstruktion von Bedeutsamkeitskreisen ist laut Kruse allerdings insofern problematisch, da alle Teilnehmer von Diskussionsgruppen in Wirklichkeit Teilnehmer mehrerer Bedeutsamkeitskreise sind.
124 125 126 127 128 129
Vgl. Helfferich (20093), S. 35ff. Vgl. Kruse (2014), S. 200. Vgl. Corsten (2010a), S. 54. Vgl. Kruse (2014), S. 200. Vgl. Corsten (2010a), S. 58. Corsten (2010a), S. 89f. Vgl. Kruse (2014), S. 201.
54 | Popmusik aneignen
„Von einem »Bedeutsamkeitszusammenhang« spricht Mannheim in Bezug »auf die Summe und das System aller in einer Zeitepoche von einer Gemeinschaft aktualisierbaren Kollektivvorstellungen und Wissbarkeiten«. Darin gäbe es »so viele Bedeutsamkeitskreise, wie man gemeinschaftlich gebundene Erfahrungsräume überhaupt unterscheiden kann« (beide Zitate STK: 242).“130
Die gemeinsamen Alltagsvorstellungen und Werte- und Erfahrungsmuster wiederum stehen in einem diskursiven Verhältnis zu anderen Realgruppen. Daraus folgt, dass die in den Diskussionsgruppen rekonstruierte Wirklichkeit nur einen Teilausschnitt darstellen kann.131 Die angestrebte Genauigkeit der Methode „Gruppendiskussion“ setzt entsprechende Vorüberlegungen und Fokussierung der Fragestellungen voraus. Die unter Abschnitt 3.3 beispielhaft ausgesuchten Themen zu Hypothesen wie „liquide“ Sprache oder sich stetig ändernder „Bezugsrahmen im System Popmusik“ basieren auf vergleichbaren Erfahrungen und Diskussionsthemen mit entsprechenden Gruppen. Sie berücksichtigen bereits die Relevanzen der zu untersuchenden Gruppe.132 Hierbei geht der Verfasser davon aus, dass das genannte System Popmusik einem Kommunikations-System im Luhmann’schen Sinne entspricht. Dieses ist im Grunde selbstreferentiell und ist trotz seiner Eigenschaft als geschlossenes System offen für Irritationen und Einflüsse durch die Umwelt, die auf die Erhaltung des Systems einwirken.133 Die Kommunikation innerhalb des Systems Popmusik stellt nach Auffassung des Verfassers die entscheidende Kategorie eines an Emergenz ausgerichteten Systems dar, das sich trotz seiner Geschlossenheit fortlaufend erneuert und dennoch im Kern an Selbsterhaltung ausgerichtet ist. Die systemtheoretisch begründete Annahme der Selbstreferentialität des sozialen Systems Popmusik ist in der Hauptsache gekennzeichnet durch Kommunikation innerhalb des Systems. 134
130 Ebd. (2010a), S. 55. Die von Corsten eingeschobenen Hervorhebungen (STK) sind entnommen aus: Eine soziologische Theorie der Kultur und ihrer Erkennbarkeit (Konjunktives und kommunikatives Denken) (Ms. von 1924), zitiert nach: Kettler, David/Meja, Volker/Stehr, Nico (Hg.): Strukturen des Denkens, Frankfurt am Main, 1980, S. 625–688. 131 Vgl. Kruse (2014), S. 201f. 132 „Konventionell formuliert, [sic!] ist die ‚Genauigkeit’ der Methode des Gruppendiskussionsverfahrens umso größer je umfassender derartige formale Strukturen oder Regeln alltagspraktischer Diskursorganisationen, die ‚natürlichen Standards’ also, rekonstruiert werden können. Zugleich wird damit ein entscheidender Beitrag dazu geleistet, dass die Regeln und Relevanzen der zu untersuchenden Gruppe bzw. des zu untersuchenden Milieus (und nicht die der Forscher) Berücksichtigung finden können – im Sinne eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens.“ (Bohnsack et al., 2006, S. 9.) 133 Luhmann übernimmt hierfür den von Muturana und Varela geprägten Begriff der Autopoiesis, der ein Kunstwort darstellt, zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern autos (selbst) und poiein (machen) und von Luhmann auf soziale Systeme übertragen wird. (Vgl. Kneer/Nassehi, 20004, S. 47f.) 134 Vgl. Luhmann (201516), S. 198.
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 55
3.5.2 Formale Aspekte der Ausgestaltung der Gruppendiskussion Abhängig von der Zielsetzung des geplanten Gruppendiskussionsverfahrens hat sich der Verfasser für die in der folgenden Tabelle dargestellten Aspekte der Ausgestaltung nach Kruse entschieden135. Die gewählten Kriterien sind nach Ansicht des Verfassers geeignet, die Themendiskussionen am besten zu stimulieren. Unter dem Punkt „Art der Diskussionsleitung“ werden je nach Diskussionsverlauf gegenpolige Leitungsstrategien verfolgt mit „Neutralität der Diskussionsleitung“ bzw. „Direktive Gesprächsführung“. Die Entscheidung für eine der beiden Methoden wird spontan durch den Verlauf der Diskussion entschieden. Die Rolle des Diskussionsleiters ist entsprechend durch interaktive Teilnahme und Eingriff in den inhaltlichen Diskussionsverlauf bestimmt. „In einem Sich-wechselseitig-Steigern-und-Fördern, im diametralen Gegeneinander, in der kommentierenden Ergänzung oder auch in der systematischen Vereinnahmung der anderen finden jeweils andere Modi der Diskursorganisation und somit aber auch unterschiedliche – milieuspezifische – Formen fundamentaler Sozialität ihren Ausdruck, und es zeigt sich, ob den Beteiligten überhaupt ein ‚Erfahrungsraum’, ein Milieu gemeinsam ist oder nicht.“136 Grundprinzip
Diskussionsverfahren
Art der Diskussionsleitung
Art der Stimuli
Gruppenzusammensetzung
Ermittelnd
Expert/innen/en-Runde
Thematische Strukturierung
Direkte Stimuli: • konfrontative • wertende • steuernde • zirkuläre Nondirektive Stimuli: • Initiierung eines selbstläufigen Diskurses Sprachliche Stimuli
Realgruppen • stark kohäsiver Verband
Neutralität der Diskussionsleitung
Direktive Gesprächsführung
Tab. 1: Ausgestaltung der Gruppendiskussion. Eigene Grafik nach Kruse (2014), S. 198 Die grundlegende Strukturierung der Gruppendiskussion folgt der von Kruse vorgeschlagenen Phasendynamik. Es werden einige wesentliche, vor allem aber inhaltlichstrukturelle Überlegungen in Anlehnung an Kruse in der folgenden Tabelle übernommen.137
135 Vgl. Kruse (2014), S. 198. 136 Bohnsack et al. (2006), S. 8f. 137 Vgl. Kruse (2014), S. 204f.
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Phase
Inhaltlich-strukturelle Aspekte
Eröffnungsphase
Vorstellung und Bedanken durch den Diskussionsleiter. Einstiegsinformationen zum Projekt (ist zum Teil vorab in angemessenem Ausmaß geschehen, um die Antwortnaivität weiterhin zu gewährleisten). Hinweis auf Datenschutz und Anonymisierung.
Einstiegsphase
Stimulus eigene biografische Angaben. Bewusst weit gefasstes Thema als Erzählaufforderung. (Offene Frage.) Suspensive Haltung der Diskussionsleitung. Vermittlung einer offenen, permissiven Atmosphäre, Initiierung einer selbstläufigen Diskussion. Immanente Stimuli zur Aufrechterhaltung der Diskussion.
Erhöhte Aktionsphase
Verstärkte Stimuli (Vorspielen fragerelevanter Hörbeispiele). Strukturierung des Diskurses. Direkte Ansprache. Integration möglichst aller Teilnehmer.
Auslaufphase
Aufrechterhaltung der Diskussion solange notwendig. Suspensive Haltung. Abwarten der Beendigung der Diskussion durch die Teilnehmer. Abschlussmarkierung. Einverständniserklärung. Postscript.
Tab. 2: Phasendynamik der Gruppendiskussion. Eigene Grafik nach Kruse (2014), S. 204f.
3.5.3 Experteninterview und praxisorientierte Vorüberlegungen Bei der ausgewählten Gruppe handelt es sich einerseits wie weiter oben beschrieben um einen kohäsiven Verband, der sich durch gemeinsame Erfahrungen und entsprechend festzustellende Bedeutungskreise auszeichnet. Diese sind nicht nur allgemeiner Natur, wie sie auf Gruppen mit ähnlichen Erfahrungen zutreffen, ohne dass die Mitglieder der Gruppen sich wirklich begegnet sind oder sich sogar kennen. 138 Die Teilnehmer der Diskussionsrunde kennen sich darüber hinaus (s. weiter unten unter Abschnitt 3.5.6) seit ihrer Jugend und weisen erhebliche Überschneidungsbereiche innerhalb ihrer Biografien als Musiker auf. Da alle Mitglieder der Diskussionsrunde zum Zeitpunkt des Forschungsvorhabens seit ca. 30 Jahren musikalisch aktiv sind und ihren Lebensunterhalt als Profimusiker bestreiten, sind diese als Experten zu betrachten.139 Die Tatsache, dass es sich bei den Teilnehmern der Diskussionsrunde
138 Kruse bezieht den Begriff des „Kohäsiven Verbandes“ beispielsweise auf die Besucher einer Technoparty oder auf Familien, deren Kinder im Kindergarten sind (vgl. Kruse, 2014, S. 201). Die Bedeutungskreise dieser Gruppen zeichnen sich durch gemeinsame Erfahrungsräume aus, ohne dass sich die Mitglieder der Gruppen gegenseitig kennen. 139 In diesem Kontext stellt sich die Frage nach einer Definition des Begriffes „Experte“. Da eine weiterführende Betrachtung den hier sinnvollen Rahmen sprengen würde, sollen hier nur einige zentrale Begriffe aus der Expertendiskussion genannt werden, welche einer verbreite-
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gleichzeitig um Experten handelt, hat Auswirkungen auf die Art der Diskussionsleitung und den Entwurf des Leitfadens140, da die gesamte Ausrichtung des Diskussionsverlaufs weniger offen ist, als dies unter anderen Umständen der Fall bei Diskussionsrunden sein könnte. „Vielmehr gelten sie [Experten, der Verf.] im Rahmen eines informationsorientierten Ansatzes als Repräsentanten bzw. Repräsentantinnen für die Handlungsweisen, Sichtweisen und Wissenssysteme einer bestimmten Expert/inn/en-Gruppe bzw. eines fachlichen Feldes (vgl. auch Gäser/Laudel 2004). Damit können viele Expert/innen/en-Interviews von ihrer Grundkonzeption wie das Einholen mündlicher Gutachten, Stellungnahmen und Expertisen betrachtet werden. Aufgrund des expertiseartigen, informationsorientierten Sinnverstehens und Forschungsinteresses hat beim Expert/innen/en-Interview der Interviewleitfaden meistens eine noch stärkere steuernde und strukturierende Funktion: … Damit realisieren sich Expert/innen/en-Interviews oftmals weniger als Interviews, als vielmehr als Fachgespräche.“141 [Hervorhebungen i. Original]
Die Gleichzeitigkeit von Gruppendiskussion und Experteninterview wirkt sich demnach direkt auf die Konstruktion des Leifadens als ein stark steuerndes Instrument aus. Durch den somit weniger offenen Charakter des Diskussionsverlaufs wird die Rolle des Diskussionsleiters, der zudem gleichzeitig Interviewer ist, entsprechend beeinflusst (s. auch Reflexion der Diskussionssituation unter Abschnitt 3.5.8). Der Entwurf des Leitfadens für das Experteninterview im Rahmen einer Gruppendiskussion findet vor dem Hintergrund der Zielsetzung eines systematisierenden Interviews statt. Hier geht es vornehmlich darum, den bereits aufgestellten Hypothesen (s. Abschnitt 3.3 mit entsprechenden Unterabschnitten) durch weitere (Experten)Informationen zu untermauern und tiefergehende Aussagen zu generieren. 142 Die Interviewpartner wurden vorab über die Schwerpunkte und den Hintergrund der Diskussion informiert, jedoch ohne weitergehende Details, um einen gewissen Grad an Antwortspontaneität zu gewährleisten und vorbereitete Antworten auszuschließen. Zudem ist nach Bogner (2014) davon auszugehen, dass sich Experten auf Gespräche nicht vorbereiten müssen.143
140
141 142 143
ten Anerkennung unterliegen. Danach können diejenigen zu Experten gehören, die zunächst auch als solche anerkannt sind, z. B. durch Funktion oder berufliche Anerkennung. Darüber hinaus verfügen Experten über Sonderwissen und Kontextwissen. Nach Bogner/Menz (2005) gibt es Experten erster und zweiter Ordnung, wobei letztere vor allem über abstraktreflexives Kontextwissen (Überblickswissen) verfügen. (Vgl. Kruse, 2014, 176f.) Helfferich weist ebenfalls auf unterschiedliche Definitionen des Begriffes „Experte“ hin. Neben der Möglichkeit der Zuweisung z. B. durch einen zugeschriebenen Status oder eine faktische Position innerhalb einer Hierarchie verweist sie vor allem auf die Notwendigkeit der Definition durch die jeweilige Forschungsfrage. (Vgl. Helfferich, 20093, S. 163.) Kruse (2014), S. 168f. Vgl. Bogner/Littig/Menz (2014), S. 30. „Anders liegen die Dinge bei den Interviews, die wir zu Informationszwecken führen wie z. B. das systematisierende Experteninterview. Gerade wenn wir auf die Erhebung von Detailinformationen abzielen, die die Befragten im Gespräch spontan vermutlich nicht präsent ha-
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Wie bereits weiter oben aufgeführt, findet die Strukturierung des Experteninterviews als systematisierendes144 Experteninterview statt, welches nach Bogner/ Menz145 unter folgenden Aspekten relevant ist:146 Anwendung des systematisierenden Experteninterviews in Forschungsprojekten zu bereits vorhandenen Wissensdimensionen, um diese noch systematischer zu elaborieren und zu vertiefen, mit dem Ziel der Herausarbeitung verfeinerter Strukturen.147 Systematische Informationsgenerierung, nicht narrativ orientiert. Sachdienlichkeit, sehr differenzierende Informationspolitik. Leitfaden haben argumentativ-diskursiven, dialogischen Charakter.148 Dialogorientierte, argumentativ-diskursive Kommunikation. Starke Involvierung und Aktivität der Interviewenden. Interviewer-Rolle: Koexperte eines anderen Wissensgebietes. Schwerpunktsetzung und Strukturierung wird zwischen den Relevanzrahmen der Interviewenden und Befragten ausgehandelt. • Dialogische Sequenzen vor allem für sehr differenzierte Elaborierung profunder Wissensdimensionen. • • • • • • •
Da sich die Teilnehmer der Expertenrunde und der Interviewer seit vielen Jahren durch gemeinsame musikalische Projekte kennen, hat dies Auswirkungen auf die Art der Gesprächsentwicklung. Der Interviewer nimmt in der Runde teil als Komplize. Dies hat nach Bogner insofern Konsequenzen auf den Diskussionscharakter, als viele gemeinsame normative Orientierungen nicht expliziert werden. 149 Da dies zu einigen Forschungsaspekten jedoch gewünscht und erforderlich ist, um z. B. auf die unter Abschnitt 3.3 dargestellten Phänomene der Popmusik einzugehen, werden die dafür relevanten Punkte soweit nötig ihrer Selbstverständlichkeit enthoben durch diskursive Fragestellungen angegangen, indem z. B. fiktive Aufgabenstellungen enthalten sein können, die die Beantwortung oder Diskussion der Sachpunkte nicht auf den Interviewer gerichtet initiieren. Von zentraler Bedeutung ist hierbei, dass eine Trennung von Beobachter und Beobachteten atmosphärisch vermieden wird, sodass
144
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149
ben, kann das Zurechtlegen und Aufbereiten von Informationen vor dem eigentlichen Interview von Seiten der Befragten sinnvoll sein. Häufig ist aber davon auszugehen, dass die Expertinnen sich auf das Gespräch nicht vorbereiten müssen.“ (Bogner et al., 2014, S. 30.) Das systematisierende Interview grenzt sich ab von den weiteren Formen des explorativen und des theoriegenerierenden Experteninterviews, wobei diese nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden sind und sich in Teilbereichen überschneiden. Vgl. Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005), S. 36ff. Auflistung und Formulierung in Anlehnung an Kruse (2014), S. 170. Ebd. (2014), S. 170. „Die geläufigen Argumentationen [in der Abgrenzung zum narrativen Interview, d. Verf.] hierbei sind […], dass diese Person ‚keine Geschichten erzählen’, sondern objektivsachdienliche Informationen bzw. Fakten darbieten soll.“ (Kruse, 2014, S. 171.) Vgl. Bogner et al. (2014), S. 53.
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Momente sozialer Erwünschtheit in der Generierung der Texte möglichst ausgeschlossen werden können. 3.5.4 Leitfadenkonstruktion/Diskussionsschwerpunkte Die Schwerpunkte der Diskussion und der diesbezüglich entwickelte Leitfaden folgen dem Ziel des Generierens vertiefender Informationen, um die unter Abschnitt 3.3 und den folgenden Abschnitten aufgestellten Hypothesen zu untermauern. Die Fragestellungen erfassen die thematischen Schwerpunkte, werden jedoch nicht als vorformulierte Fragen vorgelesen, sondern werden innerhalb des Diskussionsverlaufs frei formuliert und beziehen Aspekte der Vorredner mit ein. Dies geschieht vornehmlich unter Aspekten eines dynamischen Gesprächsverlaufes, impliziert aber vor allem eine damit verbundene Wertschätzung der Experten, deren Einschätzungen nicht einfach abgefragt werden sollen.150 Eine vorgegebene Chronologie ist somit nicht gegeben, wird jedoch für den Einstieg favorisiert. Bevorzugt wird eher eine „natürliche“ Entwicklung des Gesprächsverlaufs.151 Der Fragebogen des teilstrukturierten Leitfadens ist den Umfang betreffend mit einer Seite entsprechend kompakt gehalten. Nach einer allgemeinen einleitenden Phase und damit verbundenen stimulierenden Fragestellungen bzw. Diskussionsfeldern werden zu den jeweiligen Diskussionspunkten bei Bedarf passende Hörbeispiele vorgespielt, um Aspekte nonverbaler Stimuli in den Diskussionsverlauf zu integrieren. Diskussionsschwerpunkte/Leitfaden Einleitende Aspekte • Vorstellung des Projektes ohne beeinflussende Angaben. • Hinweise zum technischen Ablauf. • Gesprächsregeln/nicht durcheinander sprechen. • Möglichst ernst bleiben mit Hinweis auf die Ausleseproblematik. • Hinweis auf Anonymität. 1. Frage nach Vorbildern im Karrierekontext • Gibt es aus eurer Erinnerung heraus musikalische Vorbilder oder Kontexte (z. B. Stücke oder Stile), die euch bewegt haben Musik zu machen? • Könnt ihr euch an irgendein Schlüsselerlebnis, ein auslösendes Ereignis etc. erinnern, welches verantwortlich dafür ist, dass ihr begonnen habt Musik zu machen?
150 Vgl. Bogner et al. (2014), S. 28f. 151 „Vielfach ist auch die Chronologie der Fragen in der Realität eine andere als auf dem schriftlichen Leitfaden – und auch hier sollte man flexibel sein. Entwickelt sich das Gespräch in der Praxis gleichsam ‚natürlich’ in Richtung einer Thematik, die zwar vorgesehen, aber zu einem anderen Zeitpunkt eingeplant war, sollte dieser Gesprächsrichtung nicht gegengesteuert werden. Vielmehr sollten die Themenblöcke so strukturiert sein, dass sie mehr oder weniger in sich abgeschlossen sind und als Gesprächsbausteine in der Reihenfolge verschoben werden können […]. (Bogner et al., 2014, S. 29f.)
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• Stand das erlernte Instrument von Anfang an fest? • Könnt ihr euch an ein Hauptmotiv erinnern?
Ggf. Nachfrage: Wenn ihr euch entscheiden müsstet, welcher ein Hauptgrund gewesen sein könnte, was stünde an erster Stelle? Musik machen und erleben, Musik entdecken, Ruhm, wirtschaftlicher Erfolg. 2. Stimulus Hörbeispiel „Magnum-Thema“ – Slash-Akkorde • Hörbeispiel „Magnum“ • Stellt euch vor, ihr müsstet für eine aktuelle Fernsehserie eine Titelmelodie komponieren und anbieten. Käme das HB in Frage? Begründet eure Entscheidung. • Ggf. Nachfrage zur Aktualität des Einsatzes von Slash-Akkorden. • Stellt euch vor, ihr wäret der Auftraggeber der Titelmusik. Welche Vorgaben würdet ihr machen? Wie würdet ihr vorgehen? Wie würdet ihr euch verständigen: mit Fremden/untereinander? 3. Aspekt eines Sprachcodes unter Profimusikern • Gibt es einen Sprachcode unter Profimusikern und wie könnte man sich zum folgenden Hörbeispiel untereinander austauschen? Weitere Aspekte: Genre-, Alters- bzw. Erfahrungsabhängigkeit. Hörbeispiel „Twin Peaks“ 4. Ist es wichtig, dass Popmusiker über musiktheoretisches Wissen verfügen? 5. Was versteht ihr unter Groove? Vertiefende Aspekte: Beispiele, Jim Keltner, moderne Hip-Hop-Produktionen oder andere. 6. Umgang mit Soundprogrammen • Es fällt auf, dass vor ca. 20 Jahren viele Soundprogramme den Namen eines Künstlers oder den Titel eines Stückes beinhalteten. Heute ist das nicht mehr oder nur sehr selten so. Warum, denkt ihr, war das in früheren Jahren anders als heute? 7. Zum Begriff „Popmusik“ – Was ist Popmusik? Was zeichnet Popmusik aus? • Verbreitung durch Medien. • Kommerzialität. • Demokratischer Zugang/Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks. • Was ist eurer Meinung entscheidend dafür, die Bezeichnung als Popmusik zu rechtfertigen?
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3.5.5 Reflexion des Leitfadens für die Gruppen-/Expertendiskussion 1. Frage nach Vorbildern im Karrierekontext Die Frage dient vornehmlich als Stimulus und einleitende Erzählaufforderung. Der Interviewer beobachtet in dieser Phase das Verhalten der Befragten und reagiert auf ihre Erzählbereitschaft.152 Die Befragten werden in ihre Rolle eingeführt, während der Interviewer versucht eine angenehme Interviewatmosphäre entstehen zu lassen und zu fördern.153 Die stimulierende Frage nach möglicherweise herausragenden Ereignissen im Kontext der Initiierung musikalischen Handelns beinhaltet vornehmlich den Aspekt der erhofften Selbstläufigkeit der Gruppendiskussion. Es kann davon ausgegangen werden, dass Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer grundlegenden Lebensentscheidung stehen, nämlich der, Musiker werden zu wollen, genügend emotionales Potenzial enthalten, um eine Diskussion in ihrer Entstehung zu fördern.154 Das Rollenaushandeln übernimmt in der Einleitungsphase nicht nur im Allgemeinen bei der Durchführung von Interviews eine wichtige Funktion, dies ist vor allem auch vor dem weiter unten beschriebenen Hintergrund der Bekanntschaft zwischen Interviewer und Befragten ein als in dieser Phase wichtig einzuschätzender Aspekt anzusehen, da die „neue“ Situation als zunächst ungewohnt empfunden werden und entsprechend zu Irritationen und einem ungünstigen Verlauf der Diskussion beitragen kann.155 Die einleitende Phase bietet die Möglichkeit des Einbringens von Interaktionskompetenz.156 Aus den Antworten zu aus der Erinnerung festgestellten Motivationen, die zum Musikmachen beigetragen oder direkt geführt haben können, lassen sich möglicherweise darüber hinaus im Vergleich zu den Schülerinterviews Aussagen treffen, die einen dann zu überprüfenden Grad an Verallgemeinerung aufweisen können. Dies ist nicht zwingend erforderlich, stellt jedoch eine Möglichkeit innerhalb des Forschungsprozesses dar. Die einleitende Frage beinhaltet verschiedene Optionen der weiteren Dikussionsentwicklung. Möglicherweise entstehen bereits
152 „Bei Gruppendiskussionsverfahren steht – anders als i.d.R. bei ‚focus groups’ – die Initiierung eines selbstläufigen Diskurses im Mittelpunkt. Dem gegenüber kann der Fokus auf ein diskursives Zielergebnis – erreicht auch durch spezifische Interventionen – stehen […]. Die Offenheit (selbstläufiger Diskurs) und der Grad der Strukturierung bilden dabei ein Kontinuum […].“ (Kruse, 2014, S. 202.) 153 „Aufgabe des Interviewers ist, den Befragten in seine Rolle einzuführen. Dazu gehört ein bestimmtes Verhalten: Der Interviewer sollte Ruhe, Wärme und Freizügigkeit (als Gegensatz zu Intoleranz) ausstrahlen.“ (Friedrichs, 199014, S. 216.) 154 Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 51. Danach bezeichnet der Begriff Selbstläufigkeit einen Diskursmodus, der sich nach Möglichkeit einer natürlichen Gesprächssituation nähert. 155 Anders als bei Helfferich (20093, S. 133) beschrieben trifft es nicht zu, dass die Rollen der Beteiligten bereits vorher abschließend geklärt sind, da aufgrund einer schwer einzuschätzenden gruppendynamischen Situation mit plötzlichen Rollenverlagerungen gerechnet werden kann. 156 Vgl. hierzu Helfferich (20093), S. 132f.
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hier Fragestellungen oder diskursive Themenfelder, die einen anderen als den geplanten Verlauf ermöglichen oder erfordern.157 2. Stimulus Hörbeispiel „Magnum-Thema“ – Slash-Akkorde Der Themenbereich „Slash-Akkorde“ führt in einen ausgewiesenen Experten-Bereich ein und geht der Frage schriftlich nicht fixierter Codes in stiltypischen Fragen nach. Die Fragestellung bzw. der Themenkomplex zielt auf Praxis- und Handlungswissen, welches im Austausch der Handelnden untereinander entsteht und nur innerhalb bestimmter Bedeutungskreise von Relevanz ist. Der Gegenstand ist in der Regel nicht Gegenstand fachwissenschaftlicher Literatur, es handelt sich vielmehr um in der Praxis erlerntes Deutungswissen.158 Die Frage zielt auf den Gegenstand „Zeitgeist“ und damit verbundene ästhetische Vorstellungen in der Musikproduktion ab. Das Hörbeispiel „Magnum“ ist die Titelmusik aus der gleichnamigen US-amerikanischen Serie der 1970er-Jahre. Die dort verwendeten Akkordtypen und -verbindungen sind typisch für die in dieser Phase in bestimmten Genres (hier von Mike Post und Pete Carpenter) verwendeten Slash-Akkorde (s. Abschnitt 3.3.3), die mittlerweile aus der Mode gekommen sind. Das Hörbeispiel fungiert als Stimulus und hat bezüglich der Fragestellung möglicherweise selbsterklärenden Charakter. 3. Aspekt eines Sprachcodes unter Profimusikern Der Themenkomplex dient zur Vertiefung der vorhergehenden Frage 2 unter dem Aspekt Sprachcodes und möglicher gruppenspezifischer Verständigungsbereiche. Es werden Optionen der Rekonstruktion typischer konjunktiver Erfahrungsräume gesucht. Das ausgewählte Hörbeispiel „Twin Peaks“ (vgl. Abschnitt 3.3.2) wird als geeignet betrachtet, um eine Diskussion um eine generationstypische bzw. gruppentypische Sprachregelung zur Beschreibung von Sound zu initiieren.
157 „Mit der Fokussierung auf die Erzeugung von Selbstläufigkeit soll sichergestellt werden, daß sich die Diskussion der gegebenen Gruppe in ihrer Eigenläufigkeit bzw. Eigenstrukturiertheit entfalten kann. Es sollen so die Relevanzsysteme derjenigen zur Sprache kommen, die Gegenstand des Forschungsinteresses sind. Gleichzeitig wird durch diese Maxime verhindert, daß ‚nur’ die theoretisch induzierten Relevanzsysteme der Forschenden, z. B. in Form von mehr oder weniger offenen bzw. geschlossenen ‚Diskussions’leitfäden, von der Gruppe abgearbeitet werden.“ (Loos/Schäffer, 2001, S. 52.) 158 „Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichem Fach- und Sonderwissen, sondern weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- und Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen.“ (Bogner/Menz, 2005, S. 46.)
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4. Ist es wichtig, dass Popmusiker über musiktheoretisches Wissen verfügen? Die Frage zielt auf ein mögliches Musiktheorie-bezogenes Selbstverständnis bei Popmusikern in Bezug auf kreative Prozesse ab. Durch die Frage können Teilaspekte genretypischer Entstehungsprozesse rekonstruiert werden. Der Gegenstand steht nicht im eigentlichen Zentrum des Forschungsgegenstandes und dem damit verbundenen Erkenntnisinteresse, sondern weitet den Diskussionsgegenstand auch im Sinne eines entspannten Diskussionsverlaufes aus. 5. Was versteht ihr unter Groove? Die Frage zielt sowohl auf gemeinsame als auch auf mögliche individuelle Interpretationen des Groove-Begriffs ab. Möglich sind individuelle Erklärungsversuche und Deutungsmuster anhand ausgewählter Beispiele. Insbesondere für den Schlagzeuger bieten sich hier Möglichkeiten verstärkt in die Diskussion einzugreifen, da die vorigen Fragen eher solche Aspekte zum Gegenstand hatten, die vermutlich von denjenigen aufgegriffen werden, die vermehrt mit Harmonien, Arrangements und anderen in diesem Kontext relevanten Zusammenhängen zu tun haben. 6. Umgang mit Soundprogrammen Der Fragenkomplex greift den in Abschnitt 3.4.3 aufgeworfenen Gegenstand auf. Anhand der Fragestellung wird eine Diskussion angeregt, die sich auf den im oben erwähnten Abschnitt im Popmusikbereich angesprochenen beweglichen Referenzrahmen bezieht. Es wird der Versuch einer Rekonstruktion konjunktiver Erfahrungsräume unternommen.159 Das Beispiel Soundprogramme (s. Abschnitt 3.4.3) und der bereits festgestellte Wandel in der Verwendung durch Verweise auf popgeschichtliche Eckdaten wie Titel oder Künstler erscheint geeignet zur Operationalisierung des Fragenkomplexes. 7. Zum Begriff „Popmusik“ – Was ist Popmusik? Was zeichnet Popmusik aus? Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Definitionsaspekte zum Fragenkomplex „Popmusik“ in der praktischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen. Wie gehen erfahrene Profimusiker mit vergleichbaren Begriffen um? Ist hier ein Wandel festzustellen? Spielen vergleichbare Fragestellungen eine nennenswerte Rolle? Wie ist das persönliche Verhältnis zur Popmusik und welche Bedeutungszuweisungen können möglicherweise festgestellt werden? Können Konsens oder Divergenz zwischen Perspektiven und Einstellungen aus Sicht von Profimusikern und akademischen Interpretationen festgemacht werden?
159 „Das konjunktive Wissen ist jenes Wissen, das sich Subjekte in konkreten familiären, gruppen- und milieuspezifischen Erfahrungsräumen […] aneignen. Beide Wissensbestände [kommunikativ-generalisierte und konjunktive, d. Verf.] bzw. Sinnhorizonte stellen für die Subjekte jeweils relevante Orientierungsrahmen bereit“ (Kruse, 2014, S. 448.)
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3.5.6 Sampling – Zusammensetzung der Gruppe Die Diskussionsgruppe besteht aus vier männlichen Personen. Alle Teilnehmer sind zum Zeitpunkt des Forschungsprojektes etwas älter als 45 Jahre und seit ihrer frühen Jugend musikalisch aktiv. Vertreten sind die Instrumente Schlagzeug, Bass, Gitarre, Computer und Gesang. Die Gruppenmitglieder kennen sich seit ihrer Jugend und haben auch seitdem in zahlreichen Konstellationen und Formationen zusammen musiziert. Sie sind z. T. zusammen zur Schule (Gymnasium) gegangen und haben nach dem Abitur mit Ausnahme des Bassisten gemeinsam einen Popmusik-Studiengang belegt. Der Gitarrist hat danach ein Musikstudium mit Diplom absolviert, der Bassist hat ein erstes Staatsexamen in einem Lehramtsstudium abgelegt. Alle Teilnehmer sind seither ununterbrochen musikalisch aktiv geblieben und sind seit Mitte der 1990er-Jahre als Profimusiker tätig. Die professionelle Tätigkeit als Musiker wird jedoch seit ca. 1999 (Stand 2017) nicht mehr in gemeinsamen Bands als feste Formationen ausgeübt. Gemeinsame Aktivitäten beschränken sich auf gelegentliche Liveauftritte, z. B. in Musicals und bei weiteren Engagements als Livemusiker, oder im Rahmen von Studioprojekten. Der Bassist betreibt ein Studio, was ebenso auf den Sänger und den Gitarristen zutrifft, die gemeinsam ebenfalls ein Studio betreiben. Der Schlagzeuger ist vorwiegend in nationalen und internationalen Projekten aktiv und ist hier vorwiegend als Tour-Liveschlagzeuger oder Studiomusiker tätig. Die Diskussionsgruppe entspricht idealtypisch den Anforderungen an eine kohärente Gruppe, da die Mitglieder über einen extrem großen gemeinsamen Erfahrungsschatz verfügen. Ihre Biografien sind sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht stark aufeinander bezogen. Dies beinhaltet ebenso freundschaftliche Beziehungen als auch langjährige Diskurse sowohl auf musikalischinhaltlicher als z. T. auch auf privater Ebene. Ein in beruflicher Hinsicht stark verbindendes Element ist die Tatsache, dass die langjährige gemeinsame und intensive Arbeit in einem Bandprojekt schließlich zu einem Top-Ten-Hit geführt hat.160 Aus der Forscherperspektive besteht eine wichtige Hauptaufgabe im Vorwege darin, eine möglichst sachliche, aber nicht künstliche Diskussionsatmosphäre herzustellen, da zu den Mitgliedern der Diskussionsgruppe sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht langjährige Beziehungen bestehen. 3.5.7 Weitere Aspekte der Interviewplanung und -organisation Als Ort für die Gruppendiskussion wird das gemeinsame Studio des Sängers und des Gitarristen gewählt.161 Das Studio stellt eine vertraute Umgebung dar, die analog zum Diskussionsgegenstand Musik und Kreativität, eigene Musikerbiografien und Vorbilder als geeignet angesehen werden kann. Die vertraute und im Hinblick auf künst-
160 Die langjährigen und vielseitigen Tätigkeiten in verschiedenen musikalischen Berufsfeldern weisen die Mitglieder der Diskussionsrunde als Experten aus. Sie haben sich z. T. national als auch international einen guten Ruf als Arrangeure, Songschreiber und Musiker auf ihren Instrumenten erworbenen und entsprechen verschiedenen Definitionen der empirischen Sozialforschung (vgl. z. B. Helfferich, 20093, S. 163). Aufgrund des beruflichen Engagements verfügen sie sowohl über Spezialwissen als auch über Kontextwissen. 161 Vgl. Helfferich (20052), S. 150.
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lerische Kreativität und berufliche Anforderungen inspirierend zu betrachtende Umgebung sorgt zudem möglicherweise für eine entspannte und zugleich interessante und diskursive Entwicklung der Diskussion, die durch diverse Stimuli verbaler oder nonverbaler Natur angeregt werden kann.162 3.5.8 Reflexion der Diskussionssituation Die Auswertung der Diskussionssituation basiert auf dem persönlichen Eindruck und dem unmittelbar nach dem Treffen angefertigten Protokoll. Das Treffen konnte wie vereinbart im Tonstudio zweier Diskussionsteilnehmer stattfinden. Die Atmosphäre zu Beginn des Treffens war gelöst. Für die Diskussion wurde in einem der Aufnahmeräume ein Stuhlkreis gebildet. Das Mikrofon konnte in der Mitte positioniert werden, sodass eine optimale Aufnahmesituation gegeben war. Die Diskussion kam zunächst sehr schleppend in Gang, da ein Umschalten von der gelösten Atmosphäre des Treffens in eine konzentrierte Diskussionssituation nicht unmittelbar möglich erschien. Nach Einschätzung des Verfassers gab es mehrere Faktoren, die für den schleppenden Start der Diskussion in Betracht gezogen werden können. • Stuhlkreis: Da ein Tonstudio normalerweise nicht dahingehend ausgestattet ist,
dass genügend gleiche Stühle für eine Diskussionsrunde vorhanden sind, wurden alle möglichen zur Verfügung stehenden Sitzgelegenheiten ausgewählt, mit der Folge, dass erhebliche Höhenunterschiede in Kauf genommen werden mussten. Da der Interviewer zu Beginn auf dem höchsten Stuhl Platz nehmen sollte, führte die Anordnung zwangsläufig dazu, dass die Diskussionsteilnehmer während ihrer Wortbeiträge zum Interviewer aufschauten. Die ohnehin bereits vorhandene Orientierung (Sprechrichtung) der Sprecher zum Interviewer oder Diskussionsleiter wurde dadurch noch verstärkt. Der Interviewer teilte den Teilnehmern nach einigen Minuten mit, dass er diese Anordnung für nicht geeignet halte und setzte sich auf den Fußboden, wo nun ebenfalls einer der Teilnehmer Platz nahm. • Rolle des Interviewers: Der Interviewer ist den Teilnehmern seit vielen Jahren bekannt und hat in vielen beruflichen Situationen in einer leitenden oder verantwortlichen Position in Musikproduktionen mit den Teilnehmern zusammengearbeitet. Sowohl diese über einen langen Zeitraum entwickelte gruppendynamische Konstante als auch eine mögliche Erwartungshaltung der Teilnehmer hinsichtlich des eigenen Beitrags haben zu einem teils zähen Start der Diskussion beigetragen. Der Interviewer hat auf diese Situation initiativ und offensiv reagiert, indem er durch Art der Fragestellung und der Darstellung der eigenen Rolle innerhalb der Diskussion zu verdeutlichen versucht hat, dass er selbst Teilstandpunkte innerhalb einer offenen Diskussion vertritt und die Beiträge der Teilnehmer, auch wenn diese diskursiven Charakter haben, als Teil eines wichtigen Prozesses ohne vorherbestimmten Ausgang wertgeschätzt werden. Durch die beschriebenen Schritte konnte im Verlauf der Diskussion eine verbesserte Diskussionsatmosphäre hergestellt werden.
162 Vgl. Kruse (2014), S. 203.
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• Gruppendynamik: Im Verlauf der Diskussion stellte sich heraus, dass die Redebei-
träge ungleich verteilt waren. Zum einen lag dies in der Thematik begründet, so hatte der Schlagzeuger wenig zu Themen wie Slash-Akkorde oder Zeitgeistrelevanten Harmonisierungen beizutragen. Ein Hauptgrund lag aber vor allem in der Eloquenz einiger Teilnehmer begründet, die durch Umfang und Tiefe ihrer Beiträge weite Teile der Diskussion füllten. Die Dominanz einiger Teilnehmer in der Diskussionsrunde spiegelt auch die langjährige Entwicklung in der Gruppendynamik der Teilnehmergruppe wider und ist auch in dieser Situation bestimmend gewesen. Trotz der genannten Einschränkungen führte die Diskussion insgesamt zu den gewünschten Kernfragestellungen, die sachlich angemessen diskutiert wurden. Von Seiten der Diskussionsleitung wurde jedoch im Sinne der Selbstorganisation der Diskussion durch die Gruppenteilnehmer kein Versuch unternommen, auf die ‚Schweiger’ einzuwirken und zur Diskussion aufzufordern, weder verbal noch durch andere Kommunikationsebenen wie Zeichen, Blickkontakte etc. 163 Ein weiterer Aspekt der gezielten Nichteinflussnahme auf Schweigen der Teilnehmer liegt darin begründet, dass aus dem passiven Verhalten von Diskussionsteilnehmern keine klaren Rückschlüsse gezogen werden können. So kann aus dem Schweigen von Teilnehmern nicht geschlossen werden, ob das Schweigen auf Zustimmung beruht oder auf Desinteresse am Thema.164
3.6 AUSWERTUNG DER GRUPPENDISKUSSION 3.6.1 Tontechnische Vorbereitungen für die Transkription Bevor mit der Transkription des digital aufgezeichneten Interviews begonnen wurde, wurden einige technische Arbeitsschritte zur Optimierung des Materials innerhalb des Programms Logic Pro vorgenommen. Dies geschah vornehmlich vor dem Hintergrund der Kompensierung ungünstiger Raumakustik oder nicht optimalen Sprechverhaltens (z. B. durch veränderte Sprecherpositionen). Zum einen wurden die überflüssigen Passagen zu Beginn und zum Ende der Aufnahme entfernt, um die Gesamtdauer des Interviews nicht zu verzerren. Als weitere Schritte wurden die für die Verständlichkeit der menschlichen Stimme relevanten Frequenzen bzw. Formanten zwischen 2 und 3 kHz leicht angehoben bei gleichzeitiger Absenkung der tiefen Frequenzen durch Einsatz eines Low-cut-Filters ab ca. 130 Hz. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Einsatz eines Low-cut-Filters grundsätzlich empfohlen werden kann, da die tiefen Frequenzanteile unter 130 Hz, die vornehmlich auch Raumanteile beinhalten, stark zur schlechten Verständlichkeit der Sprache beitragen. Schlussendlich wurde die Aufnahme leicht komprimiert, um die Dynamik einzuschränken. Bezüglich des letzten Arbeitsschrittes mag es aus der methodologischen Perspektive qualitativer Interview-analyse dahingehend Einwände geben, dass gerade
163 Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 53. 164 Vgl. ebd. (2001), S. 65.
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die leise gesprochenen Passagen nicht mehr identifizierbar und somit nicht auswertbar seien oder als begründeter und interpretationsfähiger Ausdruck wahrgenommen werden sollten. Zum einen ist es jedoch fraglich, ob dieser Parameter im Kontext der Forschungsfrage von großer Relevanz ist, vielmehr sei jedoch darauf verwiesen, dass der Unterschied zwischen laut und leise nicht durch den Pegel bestimmt und entsprechend identifiziert wird, sondern durch den Klang und den Ausdruck, der durch eine leichte Kompression nicht beeinflusst wird. Eine leise Passage klingt nicht aufgrund des Pegels leise, sondern aufgrund seiner Obertonstruktur und der geringeren Geräuschhaftigkeit. Eine lauter abgespielte leise Passage ist somit immer noch als leise Passage zu identifizieren. Die Kompression desTonmaterials erhöht allerdings ebenfalls die für die Verständlichkeit unvorteilhaften Raumanteile, sodass hinsichtlich der Einstellwerte für Ratio (Kompressionsgrad) und Threshold (Schwellwert, ab dem der Kompressor arbeitet) entsprechend vorsichtig vorgegangen werden sollte. Allgemeine Vorgaben zu Einstellwerten für Ratio, Threshold, Attack und Release können nicht vorgeschlagen werden, da die unterschiedlichen Kompressor-Plug-ins innerhalb des Programms Logic sehr unterschiedlich reagieren. Für die beschriebenen Arbeitsschritte wurden als Plug-ins eine Neve-Simulation der Firma Universal Audio für die Entzerrung (Klangregelung) und ein Kompressor der Firma Slate Digital (Kompression) genutzt, da diese professionellen Ansprüchen genügen. Neben der Nutzung kostenpflichtiger professioneller Programme besteht jedoch die Möglichkeit auf freie Programme wie „Audacity“ des Anbieters Sourceforge zurückzugreifen. Allerdings sind hier die Rechenprozesse nicht Realtime durchführbar, sondern müssen in das Material eingerechnet werden, was ggf. mehrere Undo-Schritte erforderlich macht, bevor das Ergebnis zufriedenstellend ist. 3.6.2 Methodische Grundüberlegungen – Dokumentarische Methode und Methoden interpretativer Sozialforschung Die von Ralf Bohnsack entwickelte „Dokumentarische Methode“ gilt allgemein in der Fachliteratur als geeignete und empfohlene Methode zur Analyse von Gruppendiskussionen. Sie beruht im Wesentlichen auf der Wissenssoziologie Karl Mannheims (Mannheim, 19702) und gilt mittlerweile als methodologisch anerkannte und auch favorisierte Methode zur Auswertung von Gruppendiskussionen. 165 Sie wird durch Interpretative Verfahren der Sozialforschung da ergänzt oder weitergeführt, wo es angemessen im Sinne des Forschungsinteresses erscheint.166 Der Kernansatz Mannheims im Verstehen kultureller Phänomene besteht in der Unterscheidung verschiedener Sinnesebenen, die er in objektiven Sinn, Ausdruckssinn und Dokumentsinn unterteilt. „Nicht das »Was« eines objektiven Sinns, sondern das »Daß« und das »Wie« wird von dominierender Wichtigkeit.“167 Mannheim verdeutlicht seinen Ansatz an einem einfachen Beispiel mit einer fiktiven Situation, in der ein Freund einem Bettler eine Gabe gibt. Das kulturelle Verständnis interpretiert diese Handlung als Hilfeleistung (objektiver Ausdruck), eine zweite Sinnschicht beinhaltet mögliche In-
165 Vgl. Kruse (2014), S. 447ff/Nohl (20124)/Loos/Schäffer (2001). 166 Vgl. Soeffner (1979). 167 Mannheim (19702), S. 134.
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nenansicht, z. B. die der Barmherzigkeit (Ausdruckssinn), die eine weitere Ebene der Interpretation darstellt. Als dritte Ebene tritt eine mögliche umgekehrte Richtung der Interpretation hinzu, die die Handlung des Freundes als Heuchelei zu entlarven meint. „In diesem Falle kommt es mir gar nicht darauf an, was der Freund objektiv getan, geleistet hatte, auch nicht darauf, was er durch seine Tat ausdrücken »wollte«, sondern was durch seine Tat, auch von ihm unbeabsichtigt, sich für mich über ihn darin dokumentiert.“168 Die Interpretationen der beschriebenen Handlung verlagern sich entsprechend auf verschiedene Ebenen.169/170 Die aus diesem Verstehensprozess von Bohnsack weiterentwickelte dokumentarische Methode wird als rekonstruktive Verfahrensweise verstanden.171 Er übernimmt hierbei zentrale Begriffe der Mannheim’schen Wissenssoziologie zur Erforschung „konjunktiver Erfahrungsräume“ (s. weiter oben unter Abschnitt 3.5.1) von „Realgruppen“ und ihrem „atheoretischen“ Wissen.172 In der hier durchgeführten Gruppendiskussion und der Erforschung der „gemeinsamen“ Wertevorstellungen und diesbezüglich vergleichbaren Äußerungen ist vor allem der von Mannheim beschriebene konjunktive Erfahrungsraum bestimmter Gruppen von hoher Relevanz.173 Die von Bohnsack entwickelte dokumentarische Methode stellt nach Kruse174 eine Weiterentwicklung der dokumentarischen Interpretation von Mannheim dar. In der Gruppendiskussion werden danach nicht Einzelmeinungen wiedergegeben, die einzelnen Aussagen sind vielmehr arbeitsteilig vorgetragene Gruppenmeinungen, die abgerufen und rekonstruiert werden. Der Prozess der Gruppendiskussion selbst ist hierin selbst rekonstruierter Prozess der Meinungsentwicklung. Bohnsack bezieht sich in seiner Konzeption auf die Entwicklung des Gruppendiskussionsverfahrens nach Werner Mangold in den 1950er-Jahren,175 auf dessen Erkenntnisse für das Gruppendiskussionsverfahren auch von Loos und Schäf-
168 Ebd. (19702), S. 108. 169 „Erfasse ich am Kulturgebilde nicht nur das Ausdrucksmäßige, sondern auch das Dokumentarische, so steht es von neuem als etwas Vermittelndes dar; nur ist jenes andere, das was sich hier dokumentiert, nicht ein von meinem Freunde irgendwie intendierter Gehalt, sondern seine Tat gilt mir nur als Beleg für sein substantielles Wesen, das ich in ethisch-theoretischer Reflexion als heuchlerisch bezeichne. In dieser Richtung kann ich aber alle seine Objektivationen auffassen, seine Miene, sein Gebärdenspiel, sein Lebenstempo, seinen Sprachrhythmus; verharre ich in dieser interpretativen Einstellung, so bekommt jede seiner Regungen und Handlungen eine neue »Deutung«.“ (Mannheim, 19702, S. 108.) 170 Es sind darüber hinaus aber auch weitere Interpretationsebenen denkbar: So könnte das hier erwähnte Beispiel Mannheim selbst als Misanthropen entlarven oder ein im Grunde schlechtes Verhältnis zum genannten Freund dokumentieren. 171 Vgl. Bohnsack (20149), S. 33. 172 Vgl. Mannheim (19702). 173 Vgl. dazu Mannheim (19702): Das Problem der Generationen, S. 509ff. 174 Kruse sieht den Ansatz Bohnsacks als eine spezifische Variante der dokumentarischen Interpretation Mannheims und möchte zeigen, „dass die dokumentarische Methode nach Bohnsack […] bereits eine spezifische Version der Methode der dokumentarischen Interpretation von Mannheim darstellt, die im Hinblick auf die rekonstruktive Datenanalyse forschungspraktisch gewendet einige kritische Dimensionen enthält. (Kruse, 2014, S. 446). 175 Vgl. Bohnsack (20149), S. 34.
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fer zurückgegriffen wird.176 Gruppenmeinungen „werden gleichsam arbeitsteilig vorgetragen. Die Sprecher bestätigen, ergänzen, berichtigen einander, ihre Äußerungen bauen aufeinander auf; man kann manchmal meinen, es spreche einer, so sehr paßt ein Diskussionsbeitrag zum anderen. Eine Zerlegung dieses kollektiven Prozesses der Meinungsäußerung in die Ansichten der einzelnen Sprecher ist vielfach unmöglich. Die Gruppenmeinung ist keine ‚Summe’ von Einzelmeinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen.“177 Die grundlegenden Stufen des rekonstruktiven Forschungsprozesses sind nach Bohnsack in vier Stufen aufgeteilt. Die Stufen der Rekonstruktion und Interpretation lassen sich danach unterscheiden in: • • • •
Formulierende Interpretation, Reflektierende Interpretation, Diskursbeschreibung, Typenbildung.178
Im Prozess der Auseinandersetzung mit der dokumentarischen Methode und den grundlegenden Fragestellungen im vorliegenden Forschungsprozess hat sich im Laufe der Durchführung jedoch zunehmend herausgestellt, dass ein Methodenmix erforderlich ist, um der Prozesshaftigkeit innerhalb des Forschungsprozesses gerecht zu werden. So stellt sich die Anwendung der dokumentarischen Methode nach Bohnsack im hiesigen Kontext als ein Konzept heraus, welches durch weitere Methoden der interpretativen Sozialforschung erweitert, ergänzt oder ersetzt werden muss. Ein wesentlicher Grund für die Erweiterung des methodischen Vorgehens liegt in den unterschiedlichen Vorgehensweisen innerhalb der unterschiedlichen Fragestellungen Popmusik (Gruppendiskussion/Expertendiskussion), Schülerkompetenzen (Einzelinterviews) und Musikpädagogik (Einzelinterview). Die sich aus dem Forschungsprozess heraus ergebenden neuen Fragestellungen bedürfen eines fortschreitenden Reflexionsprozesses. Hier bieten sich vor allem Vorgehensweisen der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik an als einer mehr am Einzelfall orientierten Methode.179 Neben der Berücksichtigung und Anwendung der Regelhaftigkeit der durch Diversität gekennzeichneten methodischen Wege der interpretativen Sozialforschung steht hier vor allem die von Schütz beschriebene Selbstreflexivität des Verstehens im Mo-
176 Eine wesentliche Arbeit Bohnsacks besteht in der Weiterentwicklung der Arbeit Mangolds auf der Grundlage neuer Verfahren der Textinterpretationen. (Vgl. ebd., 20149, S. 34.) 177 Mangold (1960), S. 49. Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 64f. 178 Vgl. Bohnsack (20149), S. 35. 179 „Die sozialwissenschaftliche Hermeneutik ist somit nicht ausschließlich Kunst, wie ihr oft unterstellt wird, denn ihre Durchführung folgt Regeln, die angegeben, gelernt und eingeübt werden können. Sie ist jedoch genauso wenig ausschließlich eine Technik, die bei ordnungsgemäßer Anwendung aus jedem Datum quasi automatisch eine ‚richtige’ Interpretation presst. Die sozialwissenschaftliche Hermeneutik ähnelt vielmehr einem Spiel, denn innerhalb ihres Regelwerks eröffnen sich Freiräume für Ungeregeltes und nicht Vorhersehbares: für Improvisation.“ (Kurt/Herbrik: Sozialwissenschaftliche Hermeneutik und hermeneutische Wissenssoziologie, in: Baur/Blasius (Hg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden, 2014, S. 478.)
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duswechsel vom „Alltag“ (Konstruktion ersten Grades) zur „Wissenschaft“ (Konstruktion zweiten Grades).180 Die Erweiterung der dokumentarischen Methode bzw. Methodenmix mit Vorgehensweisen der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik liegt zum einen in der Verwandtschaft einiger Methodenschritte, z. B. im komparativen Vorgehen begründet,181 und eröffnet darüber hinaus flexible Auswertungsmöglichkeiten, wenn es darum geht, eine starre, nicht der Fragestellung angemessene Systematik (s.u.) zu verlassen. Kurt fordert in diesem Zusammenhang improvisatorische Fähigkeiten, insbesondere wenn es darum geht, Daten innerhalb des Forschungsfeldes zu sammeln und sich hierbei flexibel in den Forschungskontext einzufühlen. Dies ist nach Ansicht Kurts dann möglich, wenn das improvisatorische Element innerhalb des Forschungsprozesses methodisch kontrolliert ist.182 Die Notwendigkeit der methodischen Flexibilität kann an einigen Beispielen verdeutlicht bzw. begründet werden. Im Kontext der hier behandelten Forschungsfrage und der Gruppendiskussion als Expertendiskussion stellt sich die Frage, inwieweit eine Diskursbeschreibung mit einer einhergehenden Diskursrekonstruktion sinnvoll erscheint oder überhaupt möglich ist, da davon ausgegangen werden kann, dass die Genese der Gruppenmeinung hinsichtlich der erörterten Sachfragen möglicherweise keine erkenntnistheoretisch relevante Ebene darstellt (s. Aspekte dazu unter Absatz 3.6.3). Experten reflektieren ihre Meinungen und äußern diese bewusst. Ebenso greift die Stufe der Typenbildung im Kontext der vorliegenden Forschungsfrage nicht oder nur bedingt, da diese das Ziel einer Kategorisierung und Textaussagen verfolgt, die auf dem Vergleich zahlreich durchgeführter Gruppendiskussionen beruhen. Eine Typenbildung innerhalb einer Gruppe von fünf Teilnehmern wäre einerseits methodisch problematisch und zudem im hiesigen Kontext nicht von herausragender Relevanz. Da es nach Nohl in der sinngenetischen Typenbildung darum geht, „… die in einem Fall rekonstruierten Orientierungsrahmen zu abstrahieren und mit den Orientierungsrahmen anderer Fälle typisierend zu kontrastieren …“,183 würde eine Typisierung in der Auswertung des vorliegenden Gruppengesprächs zu keinerlei verwertbaren Erkenntnissen führen. 184 Ein geeignetes Verfahren zur Interpretation der verschiedenen im Zuge der vorliegenden Forschungsarbeit erzeugten Texte stellt nach Kurt und Herbrik die Sequenzanalyse als zentrales Verfahren der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik dar.185 Die Sequenzanalyse zielt vor allem auch auf das Erfassen der Abfolge von
180 Vgl. Schütz (2010), S. 334. 181 Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 481. 182 „Schließlich gehört es ja zu den Prämissen der qualitativen Sozialforschung, dass der Forscher im Prozess des rekonstruktiven Verstehens von sozialem Sinn seine eigene Subjektivität methodisch kontrolliert ins Spiel bringen soll.“ (Kurt, 2012, S. 174f.) 183 Nohl (20124), S. 85f. 184 Vgl. dazu ebenfalls Lueger (2010), S. 38. 185 „Ein zentrales Verfahren des Verstehens stellt die Sequenzanalyse dar. Die Sequenzanalyse ist ein Interpretationsverfahren, das den Sinn jeder Art menschlichen Handelns Sequenz für Sequenz, also Sinneinheit für Sinneinheit, in der Linie des ursprünglichen Geschehens zu rekonstruieren versucht.“ Geleitet wird die Sequenzanalyse von der Annahme, dass sich im Nacheinander des Handelns – also auch des Sprechens, Schreibens und Filmens – Sinnzu-
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Äußerungen, ist unter dem Primat des improvisierenden Vorgehens jedoch auch wandelbar, z. B. dann, wenn eine Abfolge von Aussagen nicht relevant erscheint. Inwieweit die Abfolge von Aussagen innerhalb der hier vorliegenden Gruppendiskussion als Expertengespräch eine methodologisch bedeutende Rolle spielt, wird sich im Zuge der Auswertung der Texte unter der Prämisse der Sachinterpretation herausstellen. Die folgende Tabelle stellt die einzelnen Verfahrensschritte der Sequenzanalyse in einer schematischen Übersicht dar. Verfahrensschritte
Beispiel
1. Sequenzbestimmung: Eine Sequenz isolieren und das Wissen über den Kontext ausblenden.
Erste Sequenz: „Es war einmal“
2. Hypothesenentwicklung: Lesarten entwickeln. Lesarten sind Handlungszusammenhänge, in denen die in Frage stehende Sequenz als Teil des Ganzen Sinn ergibt (Reichertz 1986: 250).
Erste Lesart: Die Sequenz könnte der Anfang eines Märchens sein. Wenn es sich bei dem Text um ein Märchen handelt, könnte der Text so weitergehen: „ein Müller“ oder: „eine Prinzessin“ etc. Zweite Lesart: Die Sequenz könnte der Beginn eines Kinderliedes sein. Ein möglicher Anschluss wäre dann: „… ein Apfel“
3. Hypothesenprüfung: Überprüfung der fantasierten Lesarten (a) anhand der Folgesequenzen (innerer Kontext) und /oder (b) anhand des Handlungskontextes (äußerer Kontext) 4. Verallgemeinerung: Typisierung des Einzelfalls als besondere Lösung eines allgemeinen Problems.
Die nächste Sequenz lautet: „ein Politiker“. Diese Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf die erste und zweite Lesart führt zur Formulierung neuer Hypothesen, die dann wieder empirisch am (Kon-)Text zu prüfen sind.
In diesem fiktiven Beispiel ist der märchenhafte Beginn eine einzelfallspezifische Lösung des Problems, einen Politiker als Lügner darzustellen.
Tab. 3: Verfahrensschritte Sequenzanalyse – eigene Darstellung nach Kurt/Herbrik, 2014, S. 482.
sammenhänge realisieren. Der hermeneutische Ansatz, das Einzelne als Teil eines Ganzen zu denken, überspannt in der Sequenzanalyse das konkrete menschliche Handeln hypothetisch mit einer alle Handlungsschritte umfassenden Sinngestalt.“ (Kurt/Herbrik, a.a.O., 2014, S. 481.)
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Den Hauptvorteil in der Anwendung der Sequenzanalyse besteht nach Ansicht des Verfassers im hiesigen Forschungskontext vor allem in der flexiblen und fragebezogenen Anwendung. Sie ermöglicht eine methodisch begründete Brücke zwischen den zuvor aufgestellten Hypothesen in Abschnitt 3.3 und folgenden Methoden, bestehend aus Gruppendiskussion, Expertengespräch, Einzelinterviews etc., sodass eine aus Sicht des Verfassers erforderliche Verknüpfung der verschiedenen Vorgehensweisen möglich ist. „Die Sequenzanalyse ist nicht nur ein hypothesengenerierendes, sondern zugleich auch ein hypothesentestendes Verfahren – d.h. abduktive, deduktive und induktive Denkprozesse werden in der Sequenzanalyse methodisch miteinander verzahnt …“186 Die im Prozess des Forschungsprozesses entstandene Problematik der Auswertung verschiedener Vorgehensweisen wird durch die Anwendung von Methoden der interpretativen Sozialforschung somit gelöst, da die Anwendung einer Methode wie die der dokumentarischen Dokumentation sich bereits in der Reflexionsphase während der Datenerhebung als nicht optimal oder ausreichend herausstellte. Der methodische Kontext zwischen hypothesengenerierender Analyse auf der Basis ausgewählter Beispiele aus Bereichen der Popmusik (s. Abschnitt 3.3 und folgende) und Gruppendiskussion und Expertengespräch kann somit wie in der Tabelle unten dargestellt werden. Eigene Untersuchung
Gruppendiskussion
abduktiv/induktiv
induktiv/deduktiv
Hypothesen-generierend
Hypothesen-verifizierend Hypothesen-generierend
Tab. 4: Verzahnung der Prozesse zwischen eigener Vorgehensweise und Gruppendiskussion
3.6.3 Auswertung – weitere methodische Überlegungen Die reflektierende Interpretation wendet die Forschungsfrage vom Was auf das Wie der erzeugten Texte. Sowohl Nohl als auch Bohnsack legen den Fokus auf die Art und Weise, wie die Texte zustande kommen.187 „Während die formulierende Interpretation als Rekonstruktion des Themas des Diskurses mit seinen Untergliederungen, also als Rekonstruktion der thematischen Gliederung zu verstehen ist, zielt die reflektierende Interpretation auf die Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art und Weise, wie, d.h. mit Bezug auf welches Orientierungsmuster […], welchen Orientierungsrahmen das Thema behandelt wird.“188 Nohl spricht im Kontext der reflektierenden Interpretation von semantischer Interpretation und komparativer Sequenzanalyse. Beide Aspekte der
186 Kurt/Herbrik, a.a.O. (2014); S. 488. 187 Vgl. Nohl (20124), S. 41/Bohnsack (20149), S. 137. 188 Bohnsack (20149), S. 137.
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methodischen Vorgehensweise verfolgen das Ziel, die in der formulierenden Interpretation vorgenommene Textsortentrennung nach Erzählung, Beschreibung, Argumentation und Bewertung, „den Erfahrungen der Akteure Rechnung zu tragen, ohne aber deren subjektiven Sinnzuschreibungen aufzusitzen. Auch auf der semantischen Ebene geht es darum, einen Zugang zur Wirklichkeit zu finden, die weder jenseits des Akteurswissens als objektiv definiert wird noch sich im subjektiv gemeinten Sinn der Akteure (dem ‚intentionalen Ausdruckssinn’ nach Mannheim) erschöpft.“189 Im Sinne der dokumentarischen Methode geht es methodologisch darum, die Sinnzuschreibungen der Akteure vom geäußerten Wissen und deren geäußerten Sinnzuschreibungen loszulösen.190 Die Reflexion des Orientierungsrahmens durch den Forscher soll Sinnzuweisungen dadurch ermöglichen, dass ihre Regelhaftigkeit durch die komparative Sequenzanalyse von Texten aus verschiedenen Interviewsituationen verglichen werden. Die Grundlage dieser methodologisch begründeten Vorgehensweise ist die Entdeckung (Mannheims), dass die Erforschten über ein implizites Wissen verfügen, welches ihnen selber als Teil konjunktiver Erfahrungsräume nicht bewusst ist. In der Unterscheidung zwischen immanentem Wissen und Kommunikation als Teil bewussten Wissens besteht nach Ansicht des Verfassers im Kontext der hier durchgeführten Methode der Gruppendiskussion, die zugleich eine Expertendiskussion ist, ein wichtiger Unterschied zu der von Bohnsack und Nohl beschriebenen dokumentarischen Methode. Die aus der Annahme des immanenten Wissens, und somit unbewussten Wissens, erforderliche Rekonstruktion des Diskurses ist im hier konkreten Fall der Realgruppe Profimusiker aus mehreren Gründen problematisch. Hierzu seien folgende Punkte und Überlegungen genannt: • Das Erkenntnisinteresse richtet sich mit seiner Forschungsfrage an die reine Sach-
information bzw. Sacheinschätzung. Die Frage des Diskurses bleibt zweitrangig und käme erst durch den Vergleich mehrerer Gruppen zum Tragen. • Die Gruppendiskussion ist nur zum Teil induktiv Hypothesen-generierend. Sie ist ebenso Hypothesen-begleitend im Bezug auf die bereits formulierten Hypothesen in Abschnitt 3.3. Die sich daraus ergebende Forschungsfrage ist an der Klärung vorformulierter Sachfragen ausgerichtet. • Die Teilnehmer sind bewusst Agierende innerhalb des Prozesses der Wissensaneignung und -reflexion. Sie sind entsprechend gleichberechtigte Teilnehmer innerhalb eines Diskussionsprozesses, der sie seit Beginn ihres musikalischen Handelns begleitet. Die Teilnehmer durchschauen die damit verbundenen Prozesse und gestalten diese mit. Ein auf ihr angenommenes immanentes Wissen gerichtetes Forschungshandeln würde von den Teilnehmern durchschaut werden und sie zurückhaltend agieren lassen. • Der Fokus des Forschungsinteresses liegt auf dem konjunktiven Erfahrungsraum. Dieser ist im konkreten Fall nicht vornehmlich oder sogar ausschließlich geprägt durch implizites Wissen, sondern durch die aktive Teilnahme am Wissensprozess und der Kommunikation über Sachverhalte. Das Wissen der Teilnehmer als Exper-
189 Nohl (20124), S. 45. 190 Vgl. ebd. (20124), S. 45.
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ten hat überwiegend expliziten Charakter. Somit ist der konjunktive Erfahrungsraum der konkreten Realgruppe auch durch einen lebenslangen Diskursprozess gekennzeichnet. Nicht das Wissen selbst, sondern die fortlaufende Auseinandersetzung und Verortung des eigenen Wissens im Referenzrahmen Musik ist möglicherweise implizit. • Die Themenbehandlung wird trotz des leitfadengesteuerten Interviews von den Teilnehmern vorgegeben und strukturiert. Sie bestimmen das Tempo, die Tiefe und übernehmen die Initiative in der Dynamik und Entwicklung der Diskussion durch Bestimmung der Diskussionsdichte.191 • Der Vergleich des rekonstruierten Diskurses mit Prozessen aus anderen Gruppendiskussionen entfällt.192 Der methodische Aspekt der Typenbildung ist aus diesem Grunde nur eingeschränkt darstellbar. Im Zusammenhang mit den aufgeführten Aspekten zum methodischen Vorgehen durch Diskursrekonstruktion und der Unterscheidung zwischen implizitem Wissen und bewusst kommuniziertem, explizitem Wissen innerhalb der dokumentarischen Methode stellen sich einige Fragen hinsichtlich der methodologischen Konstruktion in der konkreten Anwendung zur hiesigen Forschungsfrage. So ist das grundlegende Wissen der Teilnehmer, die zugleich aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit als Musiker Experten sind, geprägt durch einen konjunktiven Erfahrungsraum, der zudem durch eine Realgruppe bestimmt ist, in der sich die Agierenden kennen – das damit einhergehende Alltags- und Handlungswissen ist Gegenstand fortlaufender Diskurse und verbleibt somit nicht ausschließlich implizit. Da sich die Teilnehmer des Diskurses um die gemeinsamen Wertorientierungen im Klaren sind und dieser insofern nicht aus einem impliziten Wissen rekonstruiert werden kann, kann sich im vorliegenden Fall das Forschungsinteresse eher am Diskurs hinter dem Diskurs orientieren, da die Frage nach dem Wie und Warum kultureller Erscheinungen und ihrer Veränderungen durch die Feststellung konjunktiver Determinanten noch offenbliebe. So kann beispielsweise festgestellt werden, dass innerhalb bestimmter zeitlicher und sozialer Räume – hier im musikalischen Popmusiksektor – keine (oder kaum) Slash-Akkorde mehr verwendet werden. Die Diskussion darum und die normativen Orientierungen können offengelegt werden. Warum es eine ästhetische Abkehr vom Einsatz entsprechender Akkordkonstrukte gibt, bliebe jedoch offen.193
191 Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 61. 192 Vgl. dazu Bohnsack et al. (2006), S. 247. 193 Bohnsack und Przyborski sehen ein zwar etwas anders gelagertes, aber dennoch verwandtes Problem in Bezug auf die Diskursanalyse als Teil der dokumentarischen Methode. „Die Rekonstruktion der Modi der Diskursorganisation steht dabei in einem zirkulären (reflexiven) Verhältnis zur Rekonstruktion der semantischen Gehalte (des Dokumentsinns): Ohne – zumindest intuitiv – die formale Struktur der Diskursorganisation verstehend erfasst zu haben, können wir tiefer gehende semantische Gehalte nicht identifizieren. Andererseits erfassen wir die Diskursorganisation in ihrer Struktur erst dann, wenn wir erste Einblicke in die Semantik, in die Orientierungsmuster der beteiligten Akteure, gewonnen haben. In diesem zirkulären Wechselspiel von formaler Diskursorganisation und inhaltlicher Semantik im
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Darüber hinaus stellt sich unabhängig von der konkret untersuchten Gruppe die grundlegende Frage, inwieweit das von Mannheim im Kontext konjunktiver Erfahrungsräume festgestellte unbewusste Wissen von Realgruppen in einer vernetzten Mediengesellschaft nicht vermehrt möglichen dynamischen Veränderungsprozessen unterliegt, an denen die Gruppen selbst gar nicht aktiv teilnehmen müssen, da der Wissensaustausch von anderen, z. B. Medien, stellvertretend initiiert wird. 194 Kruse verweist ebenso auf die generelle Problematik der Bearbeitung der verschiedenen Sinnesebenen nach Mannheim, indem er beispielsweise den „objektiven Sinngehalt“ als Teil der dokumentarischen Methode infrage stellt. „In diesem Zusammenhang soll nochmals die Infragestellung der Idee des ‚objektiven’ bzw. ‚immanenten’ Sinns von Mannheim angeführt werden: Denn der Aspekt der ‚kommunikativen Generalisierung’, der sich in geronnener Weise in den lexikalischen Einheiten als Sinngehalt ausdrückt, verweist ja selbst bereits auf einen dokumentarischen Sinn. Deshalb kann man die grundsätzliche Frage stellen, ob es überhaupt einen ‚kommunikativgeneralisierenden’, also ‚objektiven’ Sinn gibt.“195 Demnach ist der objektive Sinn bereits selbst soziale Konstruktionsleistung.196 3.6.4 Auswertung – Vorüberlegungen zur Codierung und Kategorienbildung der Gruppendiskussion Das Interview (Gruppendiskussionsverfahren) wurde vor der Transkription zunächst vorgehört, um aufgrund der Gesamtdauer von 01:28:10 (St:Min:Sek) keine Totaltranskription durchführen zu müssen, sondern die für die Forschungsfrage relevanten Stellen herauszufiltern. Hierbei wurden die zu transkribierenden Abschnitte markiert und mit entsprechenden Zeitmarken versehen. Darüber hinaus ist es von besonderem Interesse, auch solche Stellen zu finden, die von den Interviewten besonders engagiert wiedergegeben worden sind. Diese so genannten Fokussierungs-Metaphern197 können gegebenenfalls ein Korrektiv zum vorher erarbeiteten Leitfaden darstellen. Die Erstellung eines thematischen Verlaufes zum Erfassen entsprechender Textstel-
194
195 196 197
Vollzug der dokumentarischen Interpretation von Gruppendiskussionen lag der Fokus zumeist auf der Explikation des inhaltlich-semantischen, des dokumentarischen Sinngehalts. Die Rekonstruktion der (formalen) Diskursorganisation blieb als Mittel zum Zweck auf ihren instrumentellen Charakter reduziert.“ (Bohnsack/Przyborski: Diskursorganisation, Gesprächsanalyse und die Methode der Gruppendiskussion, in: Bohnsack et al., 2006, S. 235f.) Der Zusammenhang des von Mannheim (vgl. Mannheim 19702) wiederholt genannten Beispiels des konjunktiven Erfahrungsraums einer Kriegsgeneration und implizitem Wissen kann in einer Mediengesellschaft hinterfragt werden, da dieser konjunktive Erfahrungsraum Thema zahlloser Sendungen, Themenabende und Diskussionsrunden allein im öffentlichrechtlichen Fernsehen ist. So wird die Reihe ZDF-History bereits seit dem Jahr 2000 vom ZDF produziert. Ein Großteil der Sendungen befasst sich mit den Themen „Nationalsozialismus“ und „Zweiter Weltkrieg“. (ZDF Mediathek, Zugriff: 21.6.2015.) Die Annahme des nicht bewussten und nicht abrufbaren Wissens wird hierdurch relativiert. Kruse (2014), S. 452. Vgl. ebd. (2014), S. 453. Bohnsack (20149), S. 45.
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len war insofern nicht notwendig, als ein Leitfaden bereits vorab erarbeitet worden war, der den thematischen Verlauf widerspiegelt. Nach Transkription der ausgewählten Passagen wurde die Formulierung der freien Interpretation durchgeführt, die dazu dient, die Themenschwerpunkte zusammenzufassen und überblicksartig im Sinne einer thematischen Feingliederung darzustellen. In diesem Teil der Interpretation geht es zunächst um die Reformulierung198 des thematischen Gehalts – die Frage des „Was“ betreffend. „Die formulierende Interpretation verbleibt vollständig in der Perspektive des Interpretierten, dessen thematischen Gehalt sie mit neuen Worten formulierend zusammenfasst.“199 Die Kennzeichnung des thematischen Verlaufs und des Diskurses durch Überschriften ist der erste Schritt der Paraphrasierung. 200/201Dagegen geht es im folgenden Schritt der reflektierenden Interpretation um die Frage des „Wie“ und um den Aspekt der Semantik des Textes. 202 Da der Verfasser im vorliegenden Fall selbst Mitwirkender der Expertenrunde ist, besteht die besondere Herausforderung in der Distanzierung zum Gegenstand und der erneuten sachlichobjektiven Betrachtung der Äußerungen und ihrer Relevanzen. Diese erneute distanzierte Sichtweise betrifft sowohl die Möglichkeit zentrale und wichtige Themen zu übersehen, weil diese selbstverständlich erscheinen, als auch jene, scheinbar nebensächliche Themen zu übersehen, die im Kontext immanenten Sinngehalts und konjunktiver Erfahrungen von herausragender Bedeutung sein können. Aus den genannten Gründen ist der erste Schritt der Themen-(interpretation) und -festlegung insbesondere hinsichtlich seiner möglichen Konsequenzen für den Forschungsfortschritt von besonderer Relevanz, da hier die erzeugten Texte aus einer neuen Sachperspektive betrachtet werden können. Methodisch folgt daraus, dass identifizierte Themenbereiche (die bereits interpretierte sind) hinsichtlich anderer möglicher Themenzuweisungen kontinuierlich im Laufe des Kodierungsprozesses überprüft werden müssen. 3.6.5 Analyseinstrument und Vorabkategorien der Codierung Grundlage der technischen Textauswertung ist das Programm f4-Analyse. Das Programm ist eigens für die Auswertung von Texttranskriptionen und bietet alle notwendigen Funktionen, um Texte zu codieren und unter forschungsstrategisch relevanten Aspekten zu analysieren. Ein wesentlicher Vorteil des Programms besteht in der Übersichtlichkeit der Programmfeatures durch Reduktion auf solche Funktionen, die auf die Textanalyse ausgerichtet sind und die dennoch flexible Handhabung
198 „Schon die Reformulierung des thematischen Gehalts dient dazu, die Forschenden gegenüber dem Text fremd zu machen […]. Ihnen wird vor Augen geführt, dass der thematische Gehalt nicht selbstverständlich, sondern interpretationsbedürftig ist.“ (Nohl, 20124, S. 41.) 199 Nohl (20124), S. 137. 200 Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 61. 201 „Die Analyseeinstellung auf dieser Ebene der Interpretation ist dabei zum einen durch eine Enthaltsamkeit gegenüber den Geltungsansprüchen der Texte gekennzeichnet und zum anderen ist sie auf das gerichtet, was wir mit Mannheim als den immanenten Sinngehalt […] bezeichnen möchten.“ (Loos/Schäffer, 2001, S. 62.) 202 Vgl. ebd. (20124), S. 401f.
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zur systematischen Anlage und Änderung der Codierungshierarchie. Ein Schnelleinstieg in das Programm ist unter folgendem Link zu finden: https://www.audio transkription.de/f4-analyse Die Grundstruktur des Codesystems ergibt sich bei einem leitfadengesteuerten Interview bereits aus den Schwerpunkten der Fragestellungen, sodass diese als Vorannahme der zu erwartenden Antwortkategorien bereits vor der ersten Analyse gesetzt werden können (vgl. dazu Abschnitt 3.5.4). In einem zweiten Vorabschritt werden hier bereits Unterkategorien als zu erwartende Feingliederungspunkte gesetzt. In den folgenden Analysezyklen (AZ)203 werden diese überprüft, aktualisiert, ergänzt oder verworfen. Das grundlegende Prinzip folgt der Prämisse der offenen und systematischreflexiven Vorgehensweise.204 Die Auflistung der Grundkategorien als Vorabcodierung kann zwar methodisch als problematisch im Sinne einer nicht offenen Herangehensweise und Vorabfestlegung gesehen werden, dennoch fiel die Entscheidung für diese Methode als Teil systematisch reflexiven Vorgehens zur Überprüfung der Leitfadenkonstruktion. Durch die Wahl dieses Methodenschritts bietet sich erst die Möglichkeit der kritischen Überprüfung möglicher Fehleinschätzungen und voreiliger Wertfestlegungen, aber ebenso die Option der Bestätigung angenommener Bedeutungen von Fragestellungen. Die Codierungskategorien sind gezielt grobmaschig angelegt, um Raum für entsprechende Unterkategorien in folgenden Analysezyklen zu belassen. Die Vorabkategorien als Grundlage des ersten Analysezyklus lassen sich in der folgenden Tabelle darstellen: Themenschwerpunkte – ġ Oberkategorien nach Leitfaden für Codierung
Unterkategorie 1 (erwartet)
Einleitende Aspekte
Transparente Gestaltung in der Vorabkommunikation Missverständnisse Mögliche neue Aspekte
Vorbilder im Karrierekontext
Familiärer Kontext Initiierung durch Vorbilder in popmusikalischen Kontexten Konkrete Musiken, Genres
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Slash-Akkorde
Ästhetik als Generationsfrage Einstufung als nicht relevant
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Sprachcodes unter (Profi-)Musikern
Code 1 Code 2 … Nicht relevant
203 Vgl. Lueger (2010), S. 30. 204 Vgl. ebd., S. 33f.
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Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Twin Peaks
Erkennen/Einschätzung Einstufung als nicht relevant
Verständnis Groove
Definition 1
Verständnis Groove
Definition 2 …
Namen Soundprogramme
Relevanz 1 Relevanz 2 … Andere Bedeutungen
Definitionen/Diskussion Begriff Popmusik
Definition 1 Definition 2 … Diskussion
Beendigung der Diskussion
Fragen, Rückschau
Tab. 5: Kategorien des ersten Analysezyklus der Gruppendiskussion auf der Basis der Leitfadenkonstruktion Ein erster Analysezyklus zur Festlegung der zu transkribierenden Passagen mit dem Programm f5 erfasst einige wesentliche geplante Kategorien des Leitfadens, weicht jedoch im Sinne einer dynamischen durch die Gruppe beeinflussten Entwicklung von der ursprünglichen Planung ab. Einige Punkte wie z. B. die Frage der Soundprogramme als Beispiel einer sich verändernden Notwendigkeit in der Kommunikation werden nicht angesprochen. Dagegen werden andere Kategorien wiederholt aufgegriffen. Die Erfassung der real behandelten Gesprächspunkte wird beim ersten Hören mit Notizen für die spätere Auswertung versehen. Die weiter unten aufgeführten Themenschwerpunkte stellen somit eine Mischung aus induktiver (Überprüfung von Themen anhand des Diskussionsleitfadens) und deduktiver (sich entwickelnder Diskussionsdynamik und Sequenzialität) Vorgehensweise dar. Zusammenfassung des ersten Analysezyklus • Themenschwerpunkt: Einleitende Aspekte #00:00:04-7# • Hinweise auf Umgang mit den Daten und der Aufzeichnung, Anonymisierung,
Einverständniserklärung, Diskussionsplanung und mögliche offene Entwicklung, Sprechdisziplin, Inhaltlicher Hintergrund der Gruppendiskussion und Einordnung in die Gesamtfragestellung. (Lockere Atmosphäre, viel Lachen und humorvolle Bemerkungen.) #00:03:55-1# • Themenschwerpunkt: Vorbilder im eigenen Karrierekontext (Aufforderung) – Schleppender Einstieg, unterbrochen durch Lachen, Pausen, Intervention durch Sänger und Aufforderung, mit der Diskussion zu beginnen. Neuformulierung der Frage, Verweis auf eigene Biografie des Interviewers, gefolgt von direkter Ansprache des Gitarristen (Diskussion läuft ab hier). #00:06:00-1# Vorbilder, familiärer Kontexte, Bekanntenkreis, Weiterentwicklung der Diskussion in Richtung allge-
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meine Motivation, Bedeutung von Musik. Einfluss bestimmter Musik aus der Erinnerung, fließender Übergang zu #00:22:14-2# Themenschwerpunkt: Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht – Perspektivenwechsel heute und früher. Persönliches Berührtsein, emotionale Bedeutung auf individueller Ebene. Bedeutsamkeit sowohl klassischer als auch populärer Musik. #00:28:51-1# Themenschwerpunkt: Sound und andere Qualitätsmerkmale von Musik – Teilweise Neubewertung von Musik aus heutiger Perspektive. #00:33:24-8# Themenschwerpunkt: Harmonische Standards (Slash-Akkorde) – Hörbeispiel „Magnum“ mit anschließender Diskussion, Stildiskussion, Zeitgeist als regelnder Parameter. Entwicklung von Stildiskussionen und Materialfragen zur Frage der Definition von Popmusik. #00:40:13-8# Themenschwerpunkt: Was ist Popmusik? – Kritische Auseinandersetzung mit Definitionen aus wissenschaftlicher Perspektive, z. B. Komplexität von Popmusik (einfache harmonische Standards, Zeitgeist, Protestgehalt, rhythmische Strukturen, Texturen). Neubeurteilung im Jugendalter gehörter Musik aus heutiger Perspektive. #00:49:49-7# Themenschwerpunkt: Groove – Diskussion um Vermittelbarkeit von GrooveVorstellungen, Definition, Beispiel Jim Keltner, Erfassen von Groove als Generationsprobleme, Groove und/als Teil von Sound, fließender Übergang zu Fragen der Ästhetik. #00:54:55-0# Themenschwerpunkt: Ästhetik – Sichtweisen auf Stile, Ästhetik, Sound im historischen Kontext. Ästhetik von Studioproduktionen. Beispiele. #00:58:32-3# Themenschwerpunkt: Twin Peaks – Sound als gemeinsame Erfahrung einer Generation/Altersgruppe, Einstiegsgespräch und anschließendes Hörbeispiel, steuernd, direktive Diskussionsleitung, eingreifend, Tempoerhöhung, da Zeit bereits fortgeschritten. Soundanalyse, Rekonstruktion und Sound als Signalkette. Selbstlaufende Weiterentwicklung zum Themenbereich Fachwissen, Selbsteinschätzung. #01:05:46-1# Themenschwerpunkt: Fachwissen, Selbsteinschätzung – Diskussion um erworbenes Wissen, Wahrnehmung von Musik, Wissenserwerb durch Rekonstruktion. Problematik der Komplexität von Rekonstruktion innerhalb der Studioproduktion als Anlass wiederum das Thema wissenschaftliche Definitionen von Popmusik aufzugreifen. #01:08:13-1# Themenschwerpunkt: Definition Popmusik – Diskussion um Begrifflichkeit vor dem Hintergrund der Komplexität der verschiedenen Genres. Beispiele, Definitionen anhand von Acts. Diskussion um innere Antriebe musikalischen Handelns. Parallelen und Abgrenzungen zwischen Popmusik und klassischen Genres. #01:17:49-2# Themenschwerpunkt: Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug – Diskussion um emotionale Ebenen in der eigenen professionellen Arbeit. Musik und Gefühl. Gefühl als Form der Disziplin. #01:22:23-3# Beendigung der Diskussion – Austausch von alltäglichen Geschichten, Neuigkeiten. Kurzes Wiederaufflammen der Diskussion um Gefühl in der Musik, Beurteilung bestimmter Musikproduktionen.
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Eine Gegenüberstellung der ursprünglich geplanten Kategorien der Leitfadenstruktur (ohne Unterkategorien) mit den tatsächlich diskutierten Themenschwerpunkten bietet die Grundlage für die weitere Feincodierung und bietet erste Hinweise auf von den Teilnehmern gesetzte Bedeutungsschwerpunkte, insbesondere dann, wenn Themenkreise mehrfach auftauchen und immer wieder aufgegriffen werden. Themenschwerpunkte – ġ Oberkategorien nach Leitfaden für Codierung
Tatsächlicher Themenverlauf
Einleitende Aspekte
Einleitende Aspekte
Vorbilder im Karrierekontext
Vorbilder im eigenen Karrierekontext
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Slash-Akkorde
Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Sprachcodes unter (Profi-)Musikern
Sound und andere Qualitätsmerkmale von Musik
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Twin Peaks
Harmonische Standards (Slash-Akkorde)
Verständnis Groove
Was ist Popmusik?
Namen Soundprogramme
Groove
Definitionen/Diskussion Begriff Popmusik
Ästhetik
Beendigung der Diskussion
Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Twin Peaks Fachwissen, Selbsteinschätzung Definition Popmusik Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug Beendigung der Diskussion
Tab. 6: Gegenüberstellung der nach Leitfaden geplanten Themenschwerpunkte mit dem tatsächlichen Themenverlauf
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 81
Die Gegenüberstellung der geplanten Themenschwerpunkte mit dem tatsächlichen Diskussionsverlauf lässt zunächst erkennen, dass zentrale Themen wie geplant behandelt werden. Themen werden aufgrund der sich entwickelnden Dynamik teilweise später angesprochen als geplant. Einige Themenbereiche tauchen zudem wiederholt auf. Es kann zunächst angenommen werden, dass ein veränderter Diskussionsverlauf und eine damit verbundene Sequenzialität im Wesentlichen auf mehrere Momente zurückzuführen ist: • eine weniger direktive Gesprächsführung, • von den Teilnehmern favorisierte Themenbereiche, • für die Thematik wichtige und möglicherweise latente Bedeutungskreise aus Sicht
der Teilnehmer. 3.6.6 Auswertung nach Themenschwerpunkten Vorbilder im eigenen Karrierekontext Die Befragten können sich spontan an zahlreiche Situationen im Sinne einer Initiierung erinnern. Diese fanden zumeist im engeren oder weiteren Familienkreis statt. Das erinnerte Alter differiert und liegt nach Angaben der Interviewpartner zwischen sechs und ca. zwölf Jahren. Die erinnerten Erlebnisse stehen im Kontext der abweichenden sozialen Hintergründe der Familien. So spielen einerseits die Hörgewohnheiten und kulturellen Wertmaßstäbe der Eltern eine Rolle mit entsprechenden Anlässen (Musik hören als Ritual am Sonntagmorgen oder gemeinsamer Fernsehabend) als auch spätere eigene Erlebnisse während der frühen Pubertät. Die prägenden musikalischen Ereignisse sind keineswegs auf populäre Musik beschränkt, sondern beziehen so genannte klassische Musik (als Oberbegriff) mit ein. Die Befragten, deren Herkunft einer oberen Mittelschicht entspricht, betonen insbesondere die Musik Bachs als maßgeblich für die Wertschätzung von Musik (frühes Alter)205, während dagegen die anderen Befragten sich eher auf populäre Musik beziehen (zu Beginn der Pubertät). Analog zu den Forschungsergebnissen von Lucy Green kann auch festgestellt werden, dass die Einflüsse und auch die sich entwickelnden Strategien der Aneignung aus einem Mix sich jeweils anbietender Möglichkeiten bestehen.206 Dazu gehören Unterricht in der Musikschule, Teilnahme an einem Chor ebenso wie erste Schritte der Aneignung von Musik durch Hören und Nachspielen. Soweit musizierende Familienmitglieder vorhanden sind, können diese als Wegbereiter festgemacht werden, während dagegen in Familien, in denen nicht musiziert wird, Medienerlebnisse eine Rolle spielen. Interviewauszüge Die hier aufgeführten Interviewauszüge sind weitgehend ungekürzt dargestellt, da die Entwicklung des Gesprächs zum Themenschwerpunkt ein zentraler Aspekt ist, so-
205 Es kann angenommen werden, dass die Einschätzung rückwirkend aus Erwachsenenperspektive entwickelt wurde. 206 Vgl. Green (2002), S. 177ff.
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wohl zur Darstellung der Initiierung des Musikmachens als auch im Kontext einer Innenansicht zum Begriff populäre Musik.207 Die Transkription wurde insbesondere hinsichtlich der Interpunktion mit dem Ziel der besseren inhaltlichen Verständlichkeit durchgeführt. Gitarrist: Ja, ja, auf jeden Fall. Ne, die Initialzündung war in meinem Fall halt irgendwie, ähm, ein Verwandter, mein Cousin, der hat irgendwie Schlagzeug gespielt und drei Jahre älter ist als ich, und der hat natürlich irgendwie (unverständlich), da war ich mal da in Bergedorf zu Besuch übers Wochenende, und dann kamen da halt irgendwie seine Kumpels vorbei und haben da halt irgendwie rumgespielt und haben da rumgejammt und so. Für mich waren das irgendwie so böhmische Dörfer, weil ich da damals keine Ahnung von hatte, ich war ungefähr zwölf, schätz ich mal, oder elf. (...) Na ja, und eines Tages kam halt einer vorbei, der irgendwie auch den gerauchten Drogen sehr zugetan war, aber irgendwie ’ne E-Gitarre am Start hatte, und dann haben die halt irgendwie so’n bisschen rumgefingert, muss man ja denn doch sagen. Aber das fand ich halt irgendwie extrem, wie soll ich sagen, anregend, inspirierend so. So nach dem Motto, das will ich auch machen. Das fand ich irgendwie klasse, (unverständlich) richtige Motivation, was ich daran genau nun so klasse fand, das kann ich nicht mehr wirklich sagen, weil, ich glaub, das ist wahrscheinlich dann irgendwie … ist wahrscheinlich dem, ähm, dem pubertären Status geschuldet, einfach irgendwie was zu haben, was meins ist, mit dem ich mich sozusagen besonders machen kann, das tut ja wahrscheinlich jeder in dem Alter, nehme ich jedenfalls an. Und das war halt irgendwie einfach die, die Zündung, (unverständlich) und dann kam dann auch so die Begeisterung für den neuen Hendrix. (..) Und, ähm, da hab ich mich da so’n bisschen reingehört, dann irgendwann auch über die Jahre und fand das auch, irgendwie immer mehr, das ganze Ding so hineingetaucht, ne. Aber das war im Prinzip der Auslöser, dieses eine, dieser eine Nachmittag mit dem verstrahlten Kollegen an der Gitarre. Und dann bin ich halt, hab meine Mutter dann irgendwie so lange genervt, bis sie mir dann halt dann irgendwie für 200 Mark meine erste Nylongitarre dann gekauft hat, und mich zu (Name Gitarrenlehrer) bei (Name des Musikalienhändlers) oben ins Kabäuschen geschickt hat, ne, zum Gruppenunterricht. #00:07:44-5# Absatz 32 - 33.
Neben bestimmten Ereignissen und konkreten Musiken oder Künstlern spielt die Faszination für Instrumente eine herausragende Rolle. Diese scheinen mitunter eine magische Ausstrahlung auf die Jugendlichen ausgeübt zu haben. Bei vielen Musikern beginnt das besondere Verhältnis in der frühen Jugend und bleibt im Verlauf der weiteren Biografie bestehen.208 Bassist: Also, ähm, bei mir so richtig die, die, der Moment, wo ich irgendwie dachte, ähm, das, das ist cool irgendwie Musik zu machen war definitiv die „Teens“ bei der „Große Preis“ 1977/78 oder was, Wim Thoelke, große Preis, und dann traten die auf einmal auf, und ich weiß gar nicht, ob ich vorher Bands nie so richtig wahrgenommen hab oder so,
207 Transkriptionsregeln nach Loos/Schäffer (2001), S. 57 in vereinfachter Anwendung. 208 Dies kann aus eigener Erfahrung bestätigt werden. Musiker posten ihre neu erworbenen Instrumente gern auf Facebook oder in anderen geeigneten sozialen Netzwerken. Das Verhältnis zu Instrumenten hat einen besonderen Stellenwert als Teil des eigenen beruflichen Werdegangs, aber auch im Sinne einer Beziehung zur Ästhetik der Instrumente und ihres Sounds.
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aber dann auf einmal da Leute zu sehen, die irgendwie mehr oder weniger genauso alt waren wir ich, so plus minus zwei drei Jahre, und da stehen und Musik machen, das fand ich halt megatierisch, also echt Wahnsinn. Also am nächsten Tag hab ich dann halt irgendwie so die berühmten Waschmitteltrommeln halt mit Plastiktüten bespannt und drauf rumgetrommelt, und warum ich dann irgendwie dann den Draht zur Gitarre gekriegt hab, damals, weiß ich dann aber auch gar nicht mehr, also meine Eltern ham mir dann irgendwie Weihnachten 79 ’ne Gitarre geschenkt, so, und dann tatsächlich auch gleich einen Kurs dabei, wo (Name des Gitarristen) auch war, bei (Name des Gitarrenlehrers), und da habe dann das erste Mal E-Gitarre gespielt, tatsächlich. (Name des Gitarrenlehrers) hatte diese rote 345 von Gibson, die stand da halt rum, und dann durft ich dann mal drauf spielen, und das fand ich natürlich auch wahnsinnig, so. #00:10:09-8# Absatz 41.
Die Wahl der E-Gitarre als Instrument wird von den Befragten auch im Kontext der ästhetischen Komponente Lautstärke gesehen. Bassist: (unverständlich) In meiner Erinnerung ist die rot. Ob das stimmt, weiß ich gar nicht mehr, aber das war auch so’n (unverständlich), irgendwie, also für mich war so Musik machen und Krach machen auch immer sehr eng miteinander verbunden, muss ich sagen. Dieses Gefühl zu haben, so E-Gitarre, und auf einmal macht das richtig Krach. War auf jeden Fall weitaus, ähm, interessanter als irgendwie auf so ’ner Akustikgitarre zu spielen. #00:10:48-9# Gitarrist: Gibt ein Gefühl von Macht. #00:10:50-2# Absatz 49 - 50.
Sänger: Ja, bei mir war das, war das anders. Das war, das war früher. Und das war, hatte, bei mir halt diesen familiären musikalischen Hintergrund durch meinen Dad, der Berufsmusiker war, oder sich auf jeden Fall so sah. Und dadurch hatte Musik also einen riesen, also auch Musik machen, hat einfach einen riesen Stellenwert. So, und das war halt auch gar nichts Besonderes, sondern das war einfach ganz normal, dass man das tat, und mein Dad hat damals ganz viel Lieder geschrieben, und deswegen war das für mich halt auch ne völlige Normalität, dass man Lieder schrieb. Das war halt, war halt so der Beruf. Und dann war das so mit fünf, vier, fünf, sechs, war mein erster Initiations … oder, oder besonderer Moment. Da haben die mich in, wir haben einen, in der P., also klassisch, ne, in der (Name der Kirche) gab es einen kleinen Kinderchor, so mit vierzehn Kindern, oder so was, und da war ein Kantor aus England, der hieß (Name), und der kam, das war ein alter Opernsänger, und der konnte aber nicht mehr Oper singen, aus welchen Gründen auch immer, und der hat dann da, aber der war richtig gut ausgebildet, und der war auch als Komponist ganz vernünftig und so, der hat lustige Sachen gemacht. Und der hat dann so in den nächsten zwei, drei, vier Jahren, so’n kleinen, aber sehr feinen Kinderchor sich hingebaut. Und da haben wir zweistimmig, dreistimmig, so sich aus (Ort) sich die ganzen Leute rausgesucht, von denen er glaubte, dass sie gut singen, und dann haben wir (kurze Pause), weiß nicht, alles Mögliche da gemacht, und das war, das war für mich, und da hab ich gemerkt, dass ich gut singen kann und dann, könnt ich da auch solo singen und solche Sachen machen. Und dann gab’s, das Erste, was ich noch weiß, das war, da war ich eigentlich schon ’n bisschen älter, aber, vielleicht so acht oder sowas, das war, da haben wir Ringelnatz, ähm, Vertonungen gemacht. Es gibt „Ein männlicher Briefmark, er lebte, was schön ist, bevor er klebte“ und so, ähm, da gibt’s Vertonungen davon, und das war
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für mich, und das haben wir halt auch aufgeführt, und dann hab ich da die Soli gesungen und so, und das war der (kurze Pause) der absolute (kurze Pause) Überburner. #00:15:45-3# Absatz 75.
Sänger: Klar. (kurze Pause) Also dadurch, dass es einfach Normalität ist. (unverständlich) ist da einfach überhaupt keine, keine, keine Berührungsängste, und es, ähm, es ist ja auch positiv besetzt, spätestens wenn, wenn’s dann deine Eltern selber machen. Ist ja auch ne … #00:16:09-9# Interviewer: Ja, okay, wobei Eltern schwierig sein kann, also, das muss schon eher positiv besetzt sein. #00:16:17-3# Sänger: Aber wenn du klein genug bist #00:16:17-2# Bassist: Ich glaub auch, dass das klein genug, denk, ist darin, so fünf Jahre später ist es dann schon eher ’n └ Problem, ┘ #00:16:23-3# , wenn die Eltern das auch machen, so. Sänger: └ Ja, ja, genau. #00:16:23-3# #00:16:27-7# Sänger: Ja, wir hatten dann auch schön, ich hab dann relativ früh, mit sechs oder so, mit Klavier angefangen, und da hatten wir auch, da hat mein Vater mir zuerst Unterricht gegeben, ähm, und, der hat halt irgendwie im Grunde nicht mit Übungen angefangen, sondern hat mir halt gleich irgendwelche kleinen Bach-Gavotten, oder so was da vorgelegt. Und ich mochte die Musik total gern, ich habe die auch gerne versucht zu spielen, aber er hat halt pädagogisch das komplett (kurze Pause) versemmelt, sodass ich, ähm, und er hat mich dann da angeschrien und so, das weiß ich auch noch, und dann hat er mal, meine Eltern das relativ schnell geschnallt, dass, ähm, sie mir die Musik mir einmal komplett verleiden, wenn sie (unverständlich) den Vater weiterhin Unterricht geben lassen, und dann hab ich ’n Klavierlehrer bekommen, und dann (kurze Pause) dann ging das. (...) #00:17:15-0# Interviewer: Ich setz mich mal hier runter (verlässt den Hocker, Sitzposition höher als die der anderen). #00:17:15-6# Absatz 77 - 83.
In der weiteren Gesprächsentwicklung wird der Versuch unternommen, der Frage der persönlichen Motivation, Musik zu machen, auf den Grund zu gehen. Trotz der einleitenden Frage des Interviewers im Sinne einer neuen Gesprächsrichtung kann die Entwicklung der Thematik als Sequenzierung festgehalten werden. Die Frage der Motivation des Musikmachens steht auch im Kontext des Berührtseins durch Musik im Allgemeinen, aber vielmehr noch im Kontext mit konkreten Musikstücken. Hierzu wird von einigen Interviewpartnern geäußert, dass dies jedoch nicht direkt in Verbindung mit Absicht stand, diese Musik auch selbst zu spielen, da es nicht vorstellbar war, dass man so etwas selber bewerkstelligen könnte. Interessanterweise reicht der konjunktive Erfahrungsraum der Gesprächsgruppe sogar so weit, dass sich die Teilnehmer mit „Samba pa ti“ von Santana auf dasselbe Musikstück beziehen als ein herausragendes Stück, das sie stark beeindruckt hat. Dies schließt den älteren Interviewer mit ein, der sich insgesamt auf „Abraxas“ als wichtiges Erlebnis bezieht. Interviewer: Ähm, ja, zur eigentlichen, zur eigentlichen Motivation, ähm, da, wo man angefangen hat, also Vorbilder spielen sicherlich ’ne Rolle. Ich könnte mir vorstellen, und, ähm, dass, ähm, sagen wir mal, Musik einen in einem bestimmten Alter auch besonders berührt. (..) Das kann natürlich so ’ne, so ’ne Bandgeschichte sein, dass du sagst, das, das find ich toll. Und, ähm, bei mir warn’s mit Sicherheit auch die Beatles, hat sicher ’ne Rolle
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auch mitgespielt. Mhm (bejahend) (Bassist). Weil es war schon bedeutend, so Mitte der Sechzigerjahre, das bedeutet aber nicht, dass man jetzt unbedingt so sein wollte wie Beatles oder irgendwas, sondern aber, ähm, das, was die, was die rübergebracht haben, das war schon einfach bedeutend. #00:18:07-2# Bassist: Ja, die ham sich dann tatsächlich dann eher als, keine Ahnung, (unverständlich) als ich so zehn, zwölf war, oder wir so zehn, zwölf waren, da wurden diese Filme ja noch mal └wiederholt ┘ #00:18:15-0# Gitarrist: └ Genau #00:18:15-0# Bassist: „Help, help“ und „A hard days night“ und so weiter, und da darüber hab ich die dann überhaupt erst wahrgenommen. #00:18:20-5# Gitarrist: Ging mir aber auch so, war genau dieselbe Zeit (allgemeines Gemurmel). #00:18:25-0# Schlagzeuger: Aber, es ist halt tatsächlich, ähm, ich glaube, diese, ähm, dieses, wenn man das erste Mal quasi, ähm, berührt ist von irgend ’nem Musikstück, aus welchen Gründen auch immer, das ist, das ist so was, was ich erinnere, dass es irgendwann anfängt, dass man, dass man ’n Lied gehört hat und das es (macht mit Lauten Erstaunen nach) zum Beispiel „Mandy“ von Barry Manilow oder so was, (Geil: Sänger, Lachen Bassist), oder „Samba pa ti“, war eins meiner, ich hatte das auf Instrumental Golden Greats-Cassette, irgendwie, und, ähm, als ich das das erste Mal gehört habe, war ich einfach, ich dachte Oohh, weil ich wollte nämlich immer Gitarrist werden eigentlich, weil ich immer, immer Gitarren geliebt, Gitarrensolo (kurze Pause) hat mich immer berührt, wenn’s irgendwie (Räuspern), ähm, aber dann trotzdem, für mich war’s so, dass ich, ähm, zwar Musik immer mehr quasi mich bewegt hat, und dann, aber ich dachte immer, das kann man nicht selber machen, das geht halt nicht, weil das können nur Leute, die genial sind oder mindestens, ähm, nicht von dieser Welt, so wie diese Typen eben. Von denen ich auch schon vorher (unverständlich) man sagen, ja okay, nee, das kann man, das kann man ja selber nicht machen. #00:19:32-0# Absatz 88 - 93.
Gitarrist: Ja, ich denke, dass die Motivation auf jeden Fall, ähm, glaub ich so irgendwie zweigleisig funktioniert. Das ist (kurze Pause) bei mir zumindest so, ich mein, welche es ist, sei mal dahingestellt, also um erst mal Begeisterung überhaupt für Musik an sich zu entwickeln, ist glaub ich der eine Schritt, also den kann man bei mir (unverständlich) damals war das ja auch ganz normal selbstverständlich irgendwie Bach und dieser ganze Kram, ähm, Bach und, ja eigentlich hauptsächlich Bach, dass immer so der, der, der Top One von allen gespielten Musiken. #00:19:59-6# Absatz 94.
Gitarrist: Ja, Bach lief erst mal rauf und runter, ähm #00:20:08-3# Interviewer: Hat das mit dem Musik, ähm, Musik hören zu Hause zu tun gehabt, auch, oder? #00:20:12-3# Gitarrist: Ja, das sind, meine, meine Eltern haben das dann halt immer aufgelegt. Und so sonntags zum Frühstück, so mit der ganzen Bande, lief eigentlich immer irgendwie (kurze Pause) ’n Brandenburgisches Konzert oder sowas. Aber #00:20:24-5# Absatz 97 - 99.
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Gitarrist: Ähm, Bach, genau. Bach, das eine Ding, also erst mal, so richtig, so dieses entdecken der eigenen Musik, ja selbst, ja genau, diese Videos, Filme, von denen man auch so’n paar Songs, also auch meine erste gekaufte Hitsingle, weiß ich noch von K-tel oder „Wie hieß die andere noch?“ #00:20:52-4# Bassist: Ariola #00:20:52-4# Gitarrist: Ja, genau. #00:20:54-7# Bassist: (Macht Werbestimme nach) Oder die von Ariola. (Lachen) #00:20:56-1# Gitarrist: Genau. Aber das hat irgendwie, wie gesagt, so’n bisschen wie gesagt, den Weg geebnet, einfach irgendwie Musik an sich einfach, ähm, überhaupt für sich zu entdecken als, als (kurze Pause) ja, sozusagen als, ja, passives Ding. Also erst einfach mal irgendwie konsumiert und dich dadurch irgendwie emotional irgendwie anders fühlt. Hinterher also vorher, so, das ist ja schon ’ne ganz erstaunliche Erfahrung, eigentlich. Mhm (bejahend Bassist). Aber dann die Motivation, den ganzen Kram auch selber machen zu wollen, ist, glaub ich noch irgendwie, (kurze Pause) ja, ja, das ist glaube ich ’n anderer, anderer Auslöser, glaub ich. Ich glaube nicht, dass es so ist (kurze Pause) das gibt’s wahrscheinlich auch bei den ganzen Karrieren, die man so gelesen hat, Biografien, dass die Leute dann sagten, hab ich irgendwie Muddy Waters gehört, und dann wollt ich nur noch Gitarre spielen, so was gibt’s natürlich auch, aber ich glaube, das ist irgendwie, ähm, noch ähm, eindrücklicher, wenn man wirklich jemanden sieht, der spielt, aber jetzt nicht irgendwie gleich schon irgendwie auf der Bühne steht irgendwie, tausend schreiende Leute drum herum, sondern einfach, der einfach spielt. So, wo man einfach denkt, ähm, das ist ja gar nicht so schlimm, das ist (unverständlich) das ist ja total geil. Also, ich find, das ist auf jeden Fall irgendwie ’ne zweigleisige Geschichte, also wie gesagt, Musik selbst und Musik machen wollen. Mhm (bejahend Bassist) Und dafür sich (kurze Pause), ähm, ich mein' für Musik hören sich zu motivieren ist ja nicht so richtig schwierig, aber das andere ist natürlich der steinigere Weg. (..) Da braucht man halt schon ’n bisschen mehr Motivation, dafür so, ne, mhm (bejahend Bassist) und dann glaub ich halt, dass irgendwie Triebfeder das Berühren, das Emotionale, Musik ist einfach tierisch. Und „Samba pa ti“ und so, das fand ich auch immer ganz großartig, wenn ich das heute höre, dann muss ich eher so denken so, mmh, schade, dass es damals kein Autotune gab (Lachen alle). Aber, (Durcheinanderreden) der ist einfach immer ’n bisschen zu hoch, das ist einfach diese heiße karibische Seele (humorvoll betont). (Lachen alle) #00:22:34-3# Absatz 105 - 109.
Gitarrist: Ähm (...) Ja, jetzt hab ich den Faden verloren, super. #00:22:55-6# Interviewer: Ja, ähm, ich kann dich leider gar nicht wieder rauf bringen. Ich weiß gar nicht, gerade, es ging um „Samba pa ti“. #00:23:02-2# Bassist: Ich kann aber auch noch so momentemäßig, weil da hab ich auch tatsächlich auch letzte Woche noch mit Leuten drüber gesprochen, so was, genau, was du nämlich gesagt hast. Wir liegen jetzt nämlich auch immer so, dass jahrelang für mich auch diese ganze Musik, die man so hören konnte, das war, konnte ich mir nämlich überhaupt nicht vorstellen, dass, ähm, also nachspielen sowieso nicht, ich hab auch nie, also als ich noch Gitarre gespielt hab, nie Sachen rausgehört, da auch immer nur, was weiß ich, nach irgendwelchen Noten oder Akkordbüchern gespielt, weil ich nie auf die Idee kommen, weil für mich war’s immer unvorstellbar, dass man die Sachen überhaupt spielen kann. (Ja, ja – Sänger). Ich es ging mir tatsächlich lange Jahre auch noch so, ähm, mit Sachen von U2 oder so, da habe ich nie drüber nachgedacht, was das wohl für Akkorde sein konnten, könnten, weil das war
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ja irgendwie eh alles unvorstellbar. Und als ich dann irgendwie dann, irgendwann so in Cover-Bands gespielt, diesen ganzen Kram spielen muss, wo, man dann sind ja zwei Akkorde, das ist ja super irgendwie so das, Jahre gedauert, und ich kann mich noch total an diesen Moment erinnern, so, mein erstes richtiges Konzert war ja BAP, also richtig großes Konzert in der (Name der Halle), so um fuffzehn (Gitarrist und Sänger merken an, dass sie dort auch waren), und da war das denn einfach so, dass natürlich hier „Verdammt lang her“, dieses Riff war natürlich der totale Hammer, und ich erinnere mich noch, dass, ähm, ich bei, bei (Name des Ladeninhabers) im Laden (Name des Ladens), damals noch inner, wo hier neben dem Hotel (Name des Hotels), wie heißt denn die Straße noch dahinten bei der Kirche (Interviewer nennt Straße). (Andere stimmen zu) Ja, genau, dass da in dem Laden war ich, hab ich natürlich auch immer rumgehangen, und dann saß da irgendwie Olaf R., mit dem ich Fußball gespielt hatte, und mit irgend so ’ner, was hatte er da, irgendwelche Jackson-Gitarren, und so’n Jackson Zackenbarsch, den er da irgendwie hatte so, und saß da und spielte das Riff von „Verdammt lang her“ und ich dachte, das kann nicht sein, das kann nicht sein, dass irgendjemand das spielen kann, (Lachen Gitarrist) was, was, was. Nö, das ist von BAP, und ich so, Och, Alter. (Lachen alle). War völlig, völlig fertig, und es war unglaublich, so, unvorstellbar, dass man das spielen kann. #00:24:48-7# Absatz 119 - 121.
Gitarrist: Ich hab das immer schon sehr früh gemacht, also die ganzen, damals meine Barclay James Harvest-Zeit, (ja, ja – Bassist) als ich meine erste Gitarre hatte, die erste EGitarre, diesen ganzen Kram irgendwie nachzuspielen, und der ganzen Familie unfassbar auf ’n Zeiger zu gehen, das kann ich noch gut entsinnen, das geile Solo von „Child of the Universe“, oder wie das Ding heißt da (kurze Pause), großes Kino. #00:25:07-5# Absatz 122.
Interviewer: Und gar nicht (kurze Pause) also natürlich bewegt man sich auch so in, in so, ähm, schaut sich Bands an und findet das ganz toll, also ich habe mich gerne zurückgezogen, ähm, und hab dann Luftgitarre gespielt, und hab Songs immer wieder abgespielt, immer wieder und dazu pseudo gesungen und sonst was, also, (kurze Pause) das Entscheidende war aber das Berührtsein von dem Song. Mhm (bejahend – Bassist). (...) ähm, ich wollte (...) #00:26:10-3# Gitarrist: Allein mit dem Thema kann man ja schon drei Stunden zubringen (Lachen Bassist). #00:26:11-9# Interviewer: Na ja, also ähm es, weil, auch interessant vielleicht sein könnte, dass auch, ähm, und das war ja dann zu unserer Zeit dann auch alles so, ähm, so Vorstellungen, dass man in einem Markt sich bewegt, oder dass man mal kommerziell erfolgreich sein will mit Musik oder so, das spielt einfach noch gar keine Rolle, └Null (Gitarrist), mhm, (bejahend Bassist) ┘ sondern im ersten Moment ist einfach erst mal nur Musik, also bei mir zum Beispiel, ähm, was auch parallel wie bei euch allen wahrscheinlich, ähm, ähm, ich hab angefangen richtig Musik zu machen mit Kirchenmusik, mhm (bejahend Bassist), und ich weiß noch genau diesen Moment, wie ich vom Konzert aus der Kirche nach Hause kam und sagte, das will ich auch machen. Kann man natürlich spekulieren, warum. Ich denke einfach, ähm, könnte, ich könnte mir vorstellen, dass der Sound einfach tierisch war, mhm (bejahend Bassist) und dass das magisch war, und dass das einfach ein Erlebnis, das einen berührt hat, und dass man sagt „Das find ich toll, das will ich auch machen“. Mhm (bejahend
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Bassist). Dass das mit Stil oder so noch gar nichts zu tun hat, also, war jetzt auch nicht Bach dabei, glaub ich. (..) #00:27:15-7# Absatz 127 - 129.
Sänger: Es warn immer einzelne (Räuspern), einzelne Musikstücke und auch nicht alles immer an der Musik, sondern es warn, nach wie vor, immer so geblieben, ähm, es gibt einfach gewisse Akkordwechsel, gewisse Soloeinstiege von irgendwelchen Gilmores in „Comfortably numb“ oder so was. Und das weiß ich, mein, ähm, mein Vater hat mir (kurze Pause) als ich noch klein, sieben, acht, irgend sowas, zum Einschlafen immer einen, einen Satz aus irgendeiner Sonate vorgespielt. Irgendwas, Bach, Mozart, (kurze Pause) war bestimmt nicht so besonders schön, aber es hat gelangt (Räuspern), und ich hab dann angefangen, das weiß ich noch (Lachen - bezieht sich auf etwas anderes), ich hab angefangen, ähm, ihn zu unterbrechen und zu sagen, die Stelle noch mal, und so. (zwei Mal ,Ja' aus der Runde) Weil, weil genau an der Stelle halt einfach mir die, ähm, die Gänseschauer den Rücken runtergelaufen sind, das war genau der Punkt. #00:28:04-2# Absatz 130.
Interviewer: Ich kenn das von, das war meine erste LP, insofern sind wir da nicht so weit auseinander, war „Abraxas“. (Mhm verwundert – Gitarrist).
Die Erinnerungen der Interviewpartner sind stark mit positiven Erinnerungen verknüpft, was nicht verwunderlich ist, da ihr Verhältnis zur Musik schließlich dazu geführt hat Musikmachen als Beruf auszuüben. Entsprechend ist die Rückschau auf Anfangserlebnisse verbunden mit einer Vielzahl an Anekdoten im Sinne einer für die Altersgruppe und der damit verbundenen gemeinsamen Erfahrung logischen Antwortsequenz. Gitarrist: Einer, der immer ankam, ähm, denn damals hatten die Konzertgitarren immer die Tragetaschen, also nicht solche Gigbags, wie man sie heute hat, sondern mehr so, na ja so’n Regenschutz, wo dann unten halt irgendwie so ’ne Schlaufe war oder so ’ne, ja so ’ne Schlaufe, die das Ding zugehalten hat. Und einer von den Kollegen, von dem Kurs, das waren so sechs Leute, war nicht ganz so motiviert, und packte halt seine Gitarre immer aus, indem er halt seine Tasche oben anfasste, so hochhielt, wie er konnte, dann die Lasche aufmachte und die Gitarre dann rauspurzelte. (Lachen) (unverständlich) Motivation sieht irgendwie für mich jedenfalls anders aus. Aber, das war dann auch nach’m Dreivierteljahr, habe ich dann auch gemerkt, dass das irgendwie, ich glaub, ich sollte dann doch mal lieber den Einzelunterricht mal anstreben bei (Name des Gitarrenlehrers). #00:09:01-2# Absatz 39.
Bassist: … also meine Eltern ham mir dann irgendwie Weihnachten 79 ’ne Gitarre geschenkt, so, und dann tatsächlich auch gleich einen Kurs dabei, wo (Name des Gitarristen) auch war, bei (Name des Gitarrenlehrers), und da habe dann das erste Mal E-Gitarre gespielt, tatsächlich. (Name des Gitarrenlehrers) hatte diese rote 345 von Gibson, die stand da halt rum, und dann durft ich dann mal drauf spielen, und das fand ich natürlich auch wahnsinnig, so. #00:10:09-8#
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 89
Gitarrist: Obwohl ich weiß noch, dass er sie immer mit hatte und ich sehr enttäuscht war, weil’s keine Strat war. (Lachen) Was für mich der Inbegriff der E-Gitarre ist. #00:10:16-6# Bassist: Nee, war auch geil, dass damals irgendwie das ganz normal war, dass in jedem, dass es in jedem Haus eigentlich Mikrofone gab. Die war’n halt immer mit dabei, weil die halt teilweise in den Geräten noch nicht eingebaut waren, und irgend, irgendjemand hatte immer irgendwo n Mikrofon rumfliegen. War’n natürlich diese Tonband-Amateurmikrofone, aber so, sowas gab’s halt alles so, ne. So Sachen, mit denen man was anstellen konnte, was heute, dann irgendwann, oder irgendwann überall eingebaut war, gab’s die so ja als Standalone-Geräte. Heute gibt’s die ja gar nicht mehr so. #00:13:10-8# Absatz 70.
Schlagzeuger: Ich hatte auch ’n Mikrofon. (Lachen) Aber ich hab damit BundesligaBerichterstattungen selber nachgestellt. (Lachen) #00:13:28-2# Bassist: Mit verstellten Stimmen? #00:13:28-2# Schlagzeuger: Ja, sicher. (kurze Pause) #00:13:33-3# 72 - 74.
Bassist: Bei uns lief immer von Hamburg nach Haiti, ne. (Lachen) #00:20:27-7# Gitarrist: Es gibt kein Bier auf Hawaii. (Lachen) #00:20:29-8# Bassist: Nee, das lief doch Sonntagmorgens immer auf NDR (unverständlich) (Lachen) #00:20:35-5# Gitarrist: Äh, was wollt ich jetzt sagen? Danke (Name des Bassisten) #00:20:38-2# Interviewer: Ähm, Bach #00:20:38-2# 100 - 104.
Der Bezug auf Anekdoten bietet einen fließenden Übergang zu Aspekten wie der besonderen persönlichen Bedeutung von Musik und Aspekten des Berührtseins im Sinne einer Antwortsequenz. Sänger: Es warn immer einzelne (Räuspern), einzelne Musikstücke und auch nicht alles immer an der Musik, sondern es warn, nach wie vor, immer so geblieben, ähm, es gibt einfach gewisse Akkordwechsel, gewisse Soloeinstiege von irgendwelchen Gilmores in „Comfortably numb“ oder so was. Und das weiß ich, mein, ähm, mein Vater hat mir (kurze Pause) als ich noch klein, sieben, acht, irgend sowas, zum Einschlafen immer einen, einen Satz aus irgendeiner Sonate vorgespielt. Irgendwas, Bach, Mozart, (kurze Pause) war bestimmt nicht so besonders schön, aber es hat gelangt (Räuspern) und ich hab dann angefangen, das weiß ich noch (Lachen - bezieht sich auf etwas anderes), ich hab angefangen, ähm, ihn zu unterbrechen und zu sagen, die Stelle noch mal, und so. (zwei Mal ,Ja' aus der Runde) Weil, weil genau an der Stelle halt einfach mir die, ähm, die Gänseschauer den Rücken runtergelaufen sind, das war genau der Punkt. #00:28:04-2# Absatz 130.
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Sequenzierung
Abb. 10: Sequenzierung „Vorbilder im Karrierekontext“ Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht, Sound und andere Qualitätsmerkmale von Musik Die Gesprächsdynamik hat in der Auseinandersetzung mit frühen Erlebnissen zur Folge, dass sich die Interviewpartner mit der im Laufe der persönlichen Entwicklung veränderten Sichtweise auf Musik, insbesondere im Hinblick auf konkrete Musiken, befassen. Die im Laufe der Jahre intensive Auseinandersetzung mit Musik hat einerseits durch vermehrten Kompetenzerwerb zu einer abweichenden bzw. vertieften ästhetischen Einschätzung geführt, andererseits werden alte Präferenzen durch das höhere Fachwissen bestätigt. Der Rückblick auf in frühen Jahren bevorzugte Musiken inklusive der Einschätzung aus heutiger Sicht sind im Sinne einer Antwortsequenz aufzufassen, welche die Betrachtung des Sounds209 als weitere Antwortsequenz zur Folge hat. Der Übergang zwischen den Antwortkategorien ist fließend. Interviewauszüge Gitarrist: Ja, das macht Spaß, immer die entsprechenden Platten, an die man sich (kurze Pause) meistens dann noch erinnert, heute wieder hört, (kurze Pause) das fand … na ja, manche Sachen, das ist halt wie mit Filmen so, ne. Manche Sachen funktionieren noch, aber manche Sachen sind auch so (kurze Pause), gehen gar nicht mehr. #00:28:47-6# Schlagzeuger: Allein schon aus Sound-ästhetischen Gründen (leichtes Durcheinander). Sänger und Bassisten sagen etwas (unverständlich) . #00:28:50-1# Bassist: Da kann man mal immer noch wieder drüber reden (unverständlich), das fand ich, das find ich jetzt nicht so. #00:28:53-0# Schlagzeuger: Na, manche, bei manchen geht das gar nicht. So aus den Achtzigern, speziell. Wenn du da, also ich kann, wenn ich dann denke, hua. Nur Höhen irgendwie, das macht mich fertig irgendwie. #00:29:03-3#
(Betrifft die Frage der im Abschnitt Exkurs auf S. 274 behandelten Problematik der Soundentwicklung durch verstärkte Kompression und extremes EQing ab den 1980erJahren.)
209 Das Wissen um Sound als konstituierendes Merkmal von Popmusik ist extrem ausdifferenziert und ist in seinen historischen Kontexten bekannt. Dieser Kompetenzerwerb stellt eine wichtige Säule der beruflichen Expertise der Musiker dar. Vgl. hierzu auch von Appen (2003).
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 91
Sänger: Ich hab das einmal gehabt mit, ähm, (unverständlich) aber egal, mit hier „Concert im Central Park“ mit Herrn Simon and Garfunkel, und dies Ding hab ich gefeiert, und inund auswendig, und jede Note und alles gut. Und dann ich mir das, weiß nicht, vor zehn Jahren noch mal gekauft und angehört, und ich war, es hat alles kaputtgemacht, es war schrecklich. #00:29:25-4# Interviewer: Ehrlich? #00:29:24-2# Sänger: Ja, weil ich alle, ich hab natürlich auf einmal die ganzen falschen Töne gehört, (ach so – Interviewer) ich war da, als ich war halt sechzehn, siebzehn (ja – Interviewer), als ich das so gefeiert hab, und dann zwanzig Jahre später habe ich natürlich ganz andere Ohren und merk eben halt, dass, dass Richard T. natürlich total toll ist, aber auch eher (kurze Pause), also dies blöde analytische, analytische Hören hat das dann einfach alles (mhm – bejahend, Bassist – Ja, Interviewer), ihr seid sehr nett (Bezug nicht klar). (Unverständlich.) #00:29:51-3# Absatz 132 - 138.
Bassist: Und im Zuge dessen war dann aber auch halt „Touch too much“ mit drauf, von AC DC, und das war halt mit dabei, bei meinem ersten Plattenspieler hab ich die Single halt mit dazu gekriegt irgendwie mit, keine Ahnung, zwölf, dreizehn, natürlich auch rauf und runter gehört, und das hör ich zum Beispiel heute und denke, was für ein perfektes Stück Musik #00:31:35-4# Gitarrist: Unglaublich, oder? #00:31:34-9# Bassist: Irgendwie, das hör ich heute komplett durch, das klingt fett, die spielen, da sitzt jede verdammte Note, du hörst das und denkst, Alter, was, was (kurze Pause), es ist, es ist wie ein, ein, ein Gemälde von Leonardo da Vinci (Lachen), irgendwie das ist, das ist unglaublich, das ist alles einfach nur geil, da sitzt alles #00:31:54-6# Absatz 148 - 150.
Sänger: Das ist lustig, das ist eine meiner absoluten Lieblingsnummern, #00:31:55-2# Absatz 151.
Bassist: Ja Sänger: Wenn der, wenn der Bass anfängt zu spielen #00:31:57-8# Bassist: Auch wie sie dann immer diese kleinen Crescendi vorm Refrain und so, so langsam von gemutet gehen die Gitarren so’n bisschen auf und so, es ist wirklich alles, ich mein, die mussten’s ja damals einfach auch noch komplett durchspielen, so, das ist ja nix #00:32:09-1# Absatz 152 - 154.
92 | Popmusik aneignen
Sequenzierung
Abb. 11: Sequenzierung „Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht“ Harmonische Standards (Slash-Akkorde) Zum Diskussionspunkt Harmonische Standards wird die Titelmelodie der USamerikanischen Serie „Magnum“ aus den 1970er-Jahren vorgespielt, in Verbindung mit der Frage, ob man entsprechendes Material heute im Kontext einer Auftragsproduktion für das Fernsehen anbieten würde. Die Interviewpartner verstehen die veralteten harmonischen Standards (Einsatz zahlreicher Slash-Akkorde als Kompositionsprinzip) als Ausdruck des musikalischen Zeitgeistes und führen eine allgemeine Diskussion hierüber. Der Zeitgeist (hier bewusst als diffuser Begriff genutzt), der sich in jeweiligen musikalischen Moden ausdrückt, kann von den Teilnehmern an präzisen (teils mit Jahreszahlen versehen) Details festgemacht werden. Die Teilnehmer sind sich über die Bedeutung des Zeitgeistes als Einflussfaktor einig, jedoch kommen Zweifel darüber auf, was Zeitgeist in einer heterogenen Gesellschaft überhaupt bedeutet. Die genaue Beschreibung musikalischer Phänomene im Zusammenhang musikgeschichtlicher Phasen zeichnet die Gruppe als Expertengruppe aus. Die Frage nach möglichen den Zeitgeist bestimmenden Instanzen wird von den Gesprächsteilnehmern in der Dynamik der künstlerischen Entwicklung allgemein gesehen. Ein Hinweis auf mögliche Einflüsse durch die Musikindustrie wird nicht gegeben. Die Diskussion um die stilistische Entwicklung in Genres der populären Musik führt im Sinne einer Antwortsequenz zur Diskussion über Popmusik (als allgemeiner Oberbegriff) und entsprechend damit verbundener Fragen, was Popmusik auszeichnet. Die Konfrontation mit Aussagen aus der Popmusikforschung, dass Popmusik (z. B.) durch einfache harmonische Standards geprägt sei, wird von den Teilnehmern diskutiert und relativiert. Interviewauszüge Interviewer: Das Thema (kurze Pause) sind harmonische Standards, und da hab ich euch ein Stück mitgebracht mit der, verbunden mit der Frage, ob ihr das jetzt als, ähm, Filmmusik anbieten würdet #00:33:35-6# Absatz 173.
Interviewer: Also, ich hab das ausgewählt als, sagen wir mal, ein Stück mit veralteten harmonischen Standards #00:35:12-3#
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 93
Bassist: Mhm (bejahend) #00:35:12-9# Interviewer: Und jetzt ist die Frage, wer legt das fest, warum ist das so? #00:35:18-8# Bassist: Na ja, das ist natürlich immer ganz viel Zeitgeschmack, ne, was, glaub ich, was, was also, ich denke mal, ähm, dass in diesem, diesem TV-Bereich hast du eher noch, ähm, ’n bisschen mehr Narrenfreiheit, also da, wo du sowas (unverständlich), das würde man, das Ding jetzt mit aktuellen Sounds machen würde, würde das vielleicht sogar unter Umständen noch durchgehen, also im ZDF oder so irgendwo, aber, ähm (Lachen) #00:35:43-1# Sänger: Ja, bestimmt #00:35:43-7# Bassist: Nä, ich glaube, glaube eben halt, ähm, naja, das ist halt irgendwie so ’ne, so ’ne typische Zeit, diese, (Name des Gitarristen) würde sagen, würde sagen, "LA oder ich fress dich Akkorde" oder so irgendwie so, also dann, dann diese Zwischenteile da mit den SlashChords und allem Möglichen und so, was, was, sowas hat man halt eben damals gemacht, das, das, das war halt damals angesagt #00:36:04-2# Sänger: Aber das ist, das ist ’n totales Charakteristikum von dieser Nummer, dieses SlashChords-Zeugs #00:36:07-6# Bassist: Ja, aber das ist denn irgendwie wie so LA in den 80ern war #00:36:09-9# Gitarrist: Ja, aber #00:36:10-5# Sänger: Das ist halt das, das ist wirklich ’n, ’n so'n Songschreiben, das das auch so irgendwie verschieden (unverständlich), damit setz ich mich ja sehr auseinander, wie alle anderen auch, aber ich hatte auch, und Slash-Chords, die kannst du, da kannst du heutzutage mal extrem lange suchen, bevor du auch nur ’n C über D hörst und das ist, das ist halt Keyboard-Mucke #00:36:29-9# Bassist: Ja, ja, genau #00:36:31-1# Sänger: Das ist, das ist halt komplett aus’m, aus’m, und das weißt du als Keyboarder am besten, das liegt halt einfach an den Fingern, weil man, man muss halt einfach nix machen, also man kann einfach links liegen lassen und einfach rechts was tun, das ist im Zweifelsfall einfach so’n bisschen Ausprobieren, merken, ooh, klingt geil und von mir aus auch ’n bisschen Faulheit oder ich weiß nicht, also #00:36:48-8# Absatz 196 - 207.
Gitarrist: Ja, vor allen Dingen, vor allem gab es noch zu der Zeit, um noch auf das Stück kurz einzugehen, ja auch die, ähm, den Anachronismus der gespielten Fusion-Musik, die damals ja noch richtig populär war, was heißt, richtig populär, aber ich mein, da gingen doch noch wirklich irgendwie 1000 heute in so’n Konzert in die Fabrik und so (kurze Pause), und damals ist es ja auch so’n bisschen, weil, ich mein, diese ganzen bunten Akkorde, ich mein, das war in Pop-Musik damals auch schon nicht üblich so, Stichwort „Up where we belong“, das geht’s ja stellenweise auch schon mal hoch her und so, aber ich mein, das ja da so’n krauser Kram, wie da jetzt im B-Teil passiert, das ist ja, war ja damals ja auch nicht, das ist glaub ich eher #00:37:22-2# Bassist: Ja, Phil Collins, irgendwie, die klassische Phil Collins-Bridge oder so, ist ja auch #00:37:26-2# Gitarrist: Ja, das ist schon mal, schon mal bunt, aber ich mein, das ist ja schon hier, das ist ja schon, da muss man nicht drüber nachdenken, was man darüber eigentlich für Fills spielt, das #00:37:31-9# Bassist: Mhm (bejahend) #00:37:31-9# Gitarrist: Das hab ich damals gemerkt, als ich selber spielen musste #00:37:34-1# Absatz 208 - 212.
94 | Popmusik aneignen
Gitarrist: Aber, mhm (bejahend), aber ich glaube, was (Name des Bassisten) sagt, stimmt schon, ich mein also, normalerweise würde man ja für so ne TV-Serie schon was nehmen, was den aktuellen Zeitgeist irgendwie so'n bisschen repräsentiert, um halt irgendwie die berühmte Zielgruppe der jungen Leute, wenn sie denn noch fernsehen würden, aber, ähm, dann beim Einschalten, wenn das Ding anfängt irgendwie dann für sich, ähm, zu fesseln und zu gewinnen, und deswegen ist es ja eigentlich ganz schlau, das zu machen, ich mein, das ist immer das, das ist natürlich mittlerweile anders geworden, weil junge Leute einfach kein Fernsehen mehr sehen und sich das Fernsehmedium da eigentlich eher an etwas gesetztere Herrschaften richtet, das ist mit dem Zeitgeist ja nun auch wiederum so ne Sache, ne, #00:38:16-3# Absatz 215.
Schlagzeuger: Insofern wieder top aktuell #00:38:17-1# (Lachen) #00:38:19-5# Gitarrist: Ja, läuft doch wieder sonntags oder so, ne #00:38:20-2# Absatz 216 - 218.
Sänger: Ja, aber (unverständlich) harmonisch ging das schon ’n bisschen weiter, also ich erinnere mich an eine #00:38:27-2# Absatz 221.
Sänger: … eine Platte, ich sehr genau kenne, das ist diese, diese Tina Turner und zwar „Break every rule“ mit, mit, ähm, ach was ist da drauf, „I’ll be …“ (unverständlich) und „Two People“ und so was #00:38:41-2# Absatz 225.
Bassist: Mhm (bejahend) #00:38:41-2# Sänger: Und das haben zum Großteil hier Graham Lamb und Terry Britton geschrieben #00:38:44-1# Bassist: Mhm (bejahend) #00:38:44-1# Sänger: Und das sind, das, das ist einfach die ganze Zeit nur irgendwas über irgendwas und verschoben und so, es ging schon bis #00:38:54-0# Bassist: Na gut, das hast du ja bei Michael Jackson auch gehabt zu der Zeit #00:38:56-4# Sänger: Ja #00:38:56-4# Bassist: Und Stevie Wonder und so war ja auch erfolgreich, also da ging ja irgendwie so ganz, ganz, ganz andere Sachen zu der Zeit noch └ #00:39:03-4# Sänger: Ja aber └ #00:39:04-7# Gitarrist: Das berührt sich auch alles └ #00:39:06-5# Sänger: Aber es ging halt alles └ #00:39:05-7# Gitarrist: Beeinflusst sich #00:39:08-4# Sänger: Das ist ja, das ist, mir ging’s jetzt um die Zeit, mir geht’s einfach darum, dass das, das was wir gehört haben, Mike Post, das müsste ja, was ist das, Anfang #00:39:14-2# Interviewer: Müsste späte 70er sein #00:39:15-9# Sänger: Genau, und, und aber diese „Break every rule“ ist der Ende 80er, wenn nicht gar Anfang der 90er #00:39:22-3# Bassist: (unverständlich) die ist Mitte, das war die zweite von ihrem Comeback #00:39:27-4#
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Sänger: Ja, (unverständlich) okay #00:39:27-8# Bassist: Und die ist halt, ich glaub, wann war (unverständlich) „What’s love got to do“, wann war das, 85, bin ich ja noch zur Schule gegangen #00:39:32-2# Interviewer: Mhm (bejahend) , 85, 86 #00:39:33-3# Bassist: Das, das, die nächste „Break every rule“, war dann danach, irgendwie, also war dann zwei Jahre später vielleicht oder so #00:39:36-9# Sänger: Okay #00:39:37-8# Bassist: Also, also plus minus, so #00:39:40-2# Sänger: Aber ich hab’s ja halt im Gefühl, deutlich, deutlich später, also weil einfach nur um so’n Zeitraum anzuzeigen, dass das auf jeden Fall so zehn Jahre sich schon gehalten hat #00:39:47-2# Bassist: Ja #00:39:46-1# Sänger: Das war nicht so ’ne Masche, die, die man mal irgendwie eins, zwei, drei Jahre war, sondern es war schon richtig Kompositorisches, quasi #00:39:56-2# Gitarrist: Mainstream #00:39:58-8# Durcheinandergerede #00:39:59-0# Bassist: Es gab ja auch Steely Dan und so was #00:39:58-8# Sänger: Ja #00:39:59-0# Bassist: War ja auch vergleichsweise erfolgreich, so also, sowas gab’s ja damals auch alles #00:40:03-5# Gitarrist: Das gab’s eigentlich alles, bis Kurt Cobain kam, ne #00:40:09-0# Sänger: Ja, (Räuspern) #00:40:11-4# Bassist: (unverständlich) die alles kaputt gemacht haben #00:40:11-3# Gitarrist: (Lachen) Genau, ey #00:40:11-7# Interviewer: Ähm, also das, die Frage ist immer, woran orientiert man sich eigentlich. Es gibt ja kein, kein festes Regelwerk #00:40:23-2# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:23-7# Interviewer: Ne, und deswegen, ähm, hat wahrscheinlich auch Leute, die das, also forschen über populäre Musik, haben immer große Probleme, die schreiben immer, populäre Musik (kurze Pause) ist kommerziell, ist, ähm, bedingt durch die Verbreitung über Medien, das ist ja nicht falsch #00:40:43-8# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:43-0# Interviewer: Und hat einfache Akkorde. #00:40:47-9# (Lachen) #00:40:47-1# Interviewer: Ist einfach strukturiert für die Hörer #00:40:50-4# Sänger: Aber, aber irgendwas #00:40:50-1# Interviewer: So, das ist das so ne Aussage, so allgemein, also auch in verschiedener Literatur, ähm, Literaturansätzen und Quellen, Entschuldigung Ähm und das, das, das, ähm, was sich dahinter verbirgt, ist doch aber viel komplizierter #00:41:05-0# Gitarrist: Natürlich ist das viel komplizierter #00:41:06-4# Absatz 226 - 269.
An dieser Stelle findet ein fließender Übergang zum Themenbereich der Definition von Popmusik statt.
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Sänger: (Namen des Bassisten) hat das gerade schon gesagt, (Namen des Bassisten) hat ja Zeitgeist gesagt und, und das ist, und du hast gesagt, Kurt Cobain hat das abgelöst und im Endeffekt geht’s einfach immer nur darum, dass irgendwann jemand kommt, der, der halt den Zeitgeist in dem Moment einfach per Jugendkultur, und die finden das, das war also (unverständlich) aller, allerbesten Beispiele, das dann halt mit dieser wundervollen, also mit diesem wundervollen Dance Nirvana mittendrin oder als Speerspitze, was auch immer, „It Smells Like Teen Spirit“, und alles war anders und alle haben Pullover bis zu den Dings und fettige Haare gehabt und, und es waren halt nicht mehr C über D und G über A, sondern es war halt, ähm #00:41:44-6# Gitarrist: G und Es #00:41:45-2# Sänger: Genau #00:41:45-2# Bassist: Ich mein, das hast du halt (unverständlich) bei, bei, bei Punk ja eben halt auch gehabt, dass dann irgendwie dieser, dieser, dieser aufgeblasene, ähm, Prog-Rock der 70erJahre oder späten 70er-Jahre dann einfach von Typen abgelöst wurde, die halt ja, keine Ahnung, schlecht gerochen haben und ihre Instrumente nicht spielen konnten, ein, einige #00:42:07-3# Absatz 271 - 274.
Gitarrist: Wobei ich finde, bei Punk ist diese Revolution nicht ganz so massiv gewesen wie bei Grunge, fand ich #00:42:11-8# Bassist: Nee, wir haben sie halt nicht so mitgekriegt, glaub ich, also weil, weil, das ist also Grunge war für uns präsenter, ich glaub, wenn wir so Ende der 70er, ähm, so alt gewesen wären, wie wir waren, als diese Grunge-Nummer war, dann hätten wir, das glaub ich, auch schon deutlich präsenter mitgekriegt #00:42:23-8# Sänger: Ja, vor allem hatte Punk ja auch noch ne, noch ne viel stärkere politische #00:42:26-2# Gitarrist: Ja, das stimmt #00:42:27-2# Bassist: Ja #00:42:25-3# Sänger: Botschaft #00:42:29-9# Gitarrist: Das ist ja, ja #00:42:29-5# Interviewer: Ja, vor allen Dingen ja auch vor dem Hintergrund, ähm, des rein intellektuellen Herangehens an Musik, also wie Prog-Rock oder so was, eben auch abzulösen #00:42:41-0# Bassist: Mhm (bejahend) #00:42:42-3# Absatz 275 - 286.
Sequenzierung
Abb. 12: Sequenzierung „Harmonische Standards“
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Was ist Popmusik? Der Themenbereich befasst sich mit der Definition des Oberbegriffes Popmusik und wird vom Interviewer hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Definitionen aus der Popmusik-Forschung im Verlauf des Gespräches nachdrücklich aufgegriffen, um auf einen hypothetisch angenommenen Polarisierungseffekt hinzuwirken. Die Vorgehensweise ist induktiv und bezieht sich auf bereits aufgegriffene Aspekte unter Abschnitt 3.2 als Teil der diskursiven Auseinandersetzung zum Thema und des entsprechenden Interviewleitfadens. Aus den Antwortsequenzen wird einerseits deutlich, dass die Befragten sich mit Aspekten der Deutung aus Forschungsperspektive bisher nicht intensiv befasst haben, vermutlich und nachvollziehbar auch, weil die Fragestellung nicht von besonderer Relevanz in der täglichen Arbeit ist. Dies geht auch aus den zunächst eher zögerlichen Antworten hervor. Das wiederholte spätere Aufgreifen dieses Fragekomplexes durch die Teilnehmer selbst offenbart nach Ansicht des Verfassers jedoch auch, dass diesen die Definition von Popmusik aus akademischer Sichtweise insofern wichtig ist, da sie in ihrer täglichen spezialisierten Arbeit gegenteilige Erfahrungen machen und unter anderem Begriffsdefinitionen wie „einfache harmonische Wendungen“ als Popmusik-typische Erscheinung als nicht ausreichend oder falsch empfinden. Die Einschätzungen der Gesprächsteilnehmer sind dahingehend als Expertenwissen einzuschätzen, da ein Großteil ihrer Arbeit mit weit entwickelten Analysekompetenzen in Verbindung steht, da die Musiker aufgrund der Aufträge von verschiedenen Auftraggebern sehr häufig mit originalgetreuen Reproduktionen von Originalen zu tun haben, deren Realisierung weit über eine Außenbetrachtung hinausgeht und auf die Komplexität der miteinander verbundenen musikalischen Ereignisse fokussiert ist, was der Gitarrist im Verlauf des Gespräches mit dem Begriff Texturen umschreibt. Dies schließt sowohl die Analysefähigkeit rhythmisch-harmonischer Komplexe mit ein als auch die Fähigkeit der Vorstellung (Audiation) von Sounds, die durch andere Sounds überlagert sind (Maskierungseffekt). Aus den zum Teil spontanen Reaktionen der Teilnehmer auf zitierte Kernaussagen zur Beschreibung von Popmusik aus Forschungsperspektive, z. B. durch Lachen oder kurze Kommentare, wird die Problematik von Definitionen aus der Perspektive der Popmusik-Forschung ebenfalls teilweise deutlich. Interviewauszüge Interviewer: Ähm, also das, die Frage ist immer, woran orientiert man sich eigentlich. Es gibt ja kein, kein festes Regelwerk #00:40:23-2# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:23-7# Interviewer: Ne, und deswegen, ähm, hat wahrscheinlich auch Leute, die das, also forschen über populäre Musik, haben immer große Probleme, die schreiben immer, populäre Musik (kurze Pause) ist kommerziell, ist, ähm, bedingt durch die Verbreitung über Medien, das ist ja nicht falsch #00:40:43-8# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:43-0# Interviewer: Und hat einfache Akkorde. #00:40:47-9# (Lachen) #00:40:47-1#
Bedeutungsvolles Lachen aus Expertensicht.
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Interviewer: Ist einfach strukturiert für die Hörer #00:40:50-4# Sänger: Aber, aber irgendwas #00:40:50-1# Interviewer: So, das ist das so ne Aussage, so allgemein, also auch in verschiedener Literatur, ähm, Literaturansätzen und Quellen, Entschuldigung. Ähm, und das, das, das, ähm, was sich dahinter verbirgt, ist doch aber viel komplizierter #00:41:05-0# Gitarrist: Natürlich ist das viel komplizierter #00:41:06-4# Absatz 259 - 269.
An dieser Stelle findet ein fließender Übergang zum Themenbereich der Definition von Popmusik als Antwortsequenz statt. Gitarrist: Aber ich finde trotzdem, das diese, diese, ähm, Klassifizierung auf diese drei Parameter, die du jetzt genannt hast, natürlich irgendwie schon äußerst problematisch ist, ist ja klar #00:43:08-8# Bassist: Mhm (bejahend) #00:43:08-4# Gitarrist: Allein aus dem akademischen Grund heraus, dass sie einfach hinterher kommt und versucht zu erklären, was irgendwie vorher passiert ist und irgendwie, ähm, versucht irgendwie ein Gesamterlebnis auf irgendwie verschiedene Parameter runterzubrechen, das kann ja nur schiefgehen und deswegen geht’s ja auch immer schief #00:43:26-0#Absatz 287 - 289. Bassist: Zumal das auch immer regelmäßig wieder irgendwelche sackerfolgreichen Nummern gibt, die halt irgendwie durchaus auch komplex sind #00:43:33-0# Gitarrist: Ja, ich meine, jede Regel ist halt, hat solange bestanden, bis da jemand kommt, der sie bricht #00:43:35-5# Bassist: Ja ja, das ist halt, das hat’s ja in Pop-Musik immer gegeben, dass man über die, durch die Jahrzehnte immer irgendwelche Dinger dazwischen waren, die wirklich echt komplex waren und trotzdem erfolgreich waren und wo’s halt keinen gekratzt hat, irgendwie so #00:43:49-3# Schlagzeuger: Ja, aber die ist teilweise auch von Leuten gemacht, die nie, die gar nicht wissen, dass es komplexer sein muss, einfach #00:43:51-1# Bassist: Ja, ja #00:43:51-1# Schlagzeuger: Einfach weil sie, weil sie’s nicht (unverständlich) einfach nur nach Gefühl und nach ihrem eigenen Gehör Sachen machen, die man dann, die dann nachher quasi, ähm, die man versucht zu erklären, aber die unerklärbar sind, weil’s einfach, wenn Niels Frevert einen Song macht, dann ist die Band da: Scheiße, was ist’n das, Kollege, keine Ahnung, weiß ich nicht, ich mach die einfach so, und hier hab ich diese Saite umgestimmt und denn kommt dieses #00:44:13-1# Bassist: Ja ja, klar #00:44:13-1# Schlagzeuger: Müsst ihr mir mal sagen, was das ist #00:44:15-6# Bassist: Ich mein, das fing ja für uns alles schon an, als wir irgendwo mal angefangen haben, irgendwelche Beatles-Songs nachzuspielen und wo man mit seinen vier Akkorden, die man konnte, da schon relativ schnell auf die Nase gefallen ist, weil das halt hinten und vorne nicht funktionierte so, und die waren ja nun weiß Gott jetzt auch, ähm, bei allergrößtem Respekt, irgendwie einzelinstrumentalistisch auch nicht die größten Leuchten, aber die haben dann doch ’n relativ großes Repertoire gehabt, was sie natürlich auch dann wiederum aus der Pop-Musik ihrer Zeit entlehnt haben #00:44:41-4#
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(Querverweis zu Schülerinterviews. Annäherung an Songs mit den bekannten Akkorden.) Gitarrist: Und noch viel andere Musiken #00:44:42-9# Bassist: Und noch viele andere Musiken, genau, also, so, so ne, na ja, also Pop-Musik, aber dann, was weiß ich, und wenn’s dann irgendwie französische Pop-Musik oder sonst was war #00:44:49-1# Gitarrist: Ja, oder englische Traditionals #00:44:51-4# Bassist: Ja, englische Traditionals und so, wo man immer schon geguckt hat, irgendwie was ist denn dieses H mit ’ner Null dahinter, irgendwie, was soll das denn, irgendwie, wo, wo soll ich das denn jetzt hernehmen so #00:44:59-4# Absatz 290 - 302.
Insbesondere der Gitarrist, der besonders häufig mit der Reproduktion von Originalen befasst ist, legt Wert auf ein erneutes Aufgreifen der Auseinandersetzung mit Popmusik-Definitionen aus der Forschungsperspektive. Gitarrist: Aber ich glaube, dass es einfach, ganz kurz nochmal, ’n letzten Satz irgendwie, dass es einfach so einfach natürlich nicht funktioniert, so lange das irgendwie mit komplex und nicht komplex oder so, das ist einfach auch irgendwie wirklich ’ne Frage von Definition natürlich, also ich find ja auch ’n Bob Dylan-Song mit drei Akkorden einfach deswegen komplex, weil er einfach irgendwie 98 Strophen hat mit echt schwierigen Wörtern drin, kann ich mir auch nicht merken, oder könnt ich mir nicht merken, wenn ich das singen müsste, ist ja auch ’ne Form von Komplexität. U2 ist das beste Beispiel, das sind irgendwie, dass mal ’ne Nummer mehr als drei oder vier Akkorde hat, das ist irgendwie schon echt ungewöhnlich, wenn mal jemand versucht, mal davon mal irgendwie ’n Playback zu machen, diese ganzen Texturen zu entschlüsseln, ähm, fährt man unweigerlich an ’n Baum, weil das einfach nicht geht, weil da so viel Zeugs passiert und irgendwie so kleine Elemente und kleine Sachen, die sich ablösen, und dann Edge mit seinem Delay, da irgendwelche Sachen schafft, die einfach nicht mehr reproduzierbar sind, find ich irgendwie das Wort, ähm, harmonisch einfach, bringt es einfach nicht auf’n Punkt, was da wirklich passiert #00:46:37-2# Absatz 316.
Interviewer: Das ist so’n ähnlicher Begriff wie verzerrte Gitarren#00:46:39-9# Gitarrist: Ja, das ist aber irgendwie, das klingt zwar vielleicht im Seminar ganz toll, aber sagt einfach leider nichts aus #00:46:45-2# Bassist: Ja, vor allen Dingen ist das ja tatsächlich irgendwie die, die, die, die also, wenn man vielleicht vordergründig einfach oder so, könnt man vielleicht so sagen, so, dass man erstmal so, wenn man im schnellen Vorbeifahren, nimmt man das als relativ einfach wahr so, aber selbst wenn ich U2, hier bei Marquess zum Beispiel, der Fleps, der, der erzählt, dass er öfter von den Sachen, die sie gemacht haben, die erfolgreich waren, so nachgemachte Playbacks gesehen hat, so oder auch so, wo Leute erklären, wie die Songs nachgemacht sind und einfach nur sitzt und denkt, irgendwie das ist nicht 50% von dem, was in der Nummer los ist, so, als er, der das selber gemacht hat, ist immer mal ganz spannend, wenn also jemand wirklich sagt, was die sich immer denken, irgendwie da ist irgendwie 50% mehr als die hören, irgendwie so, ne, so, das wissen wir ja selber alle, die wir Sachen nachmachen, wenn du nun auf einmal, sogar dieses komische Dieter Bohlen-Ding, was wir
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„We have a Dream“, oder was haben wir noch mal gemacht, davon hatte ich doch dann die sehr, auf der CD war doch ’ne Karaoke-Version drauf, also ohne, wo auf einmal die Vocals aus, auf einmal kannst du alles hören #00:47:41-5#
Es wird deutlich, dass die Kenntnisse der Musiker über Popmusik im Wesentlichen darauf beruhen, dass sie beruflich damit zu tun haben, die Songs für Auftraggeber originalgetreu zu reproduzieren. Gitarrist: Ja, ja #00:47:41-6# Bassist: Und irgendwie da schon denkst, Alter, was ist da denn noch alles los, so, was du schon einfach nicht hörst, wenn die Vocals an sind #00:47:46-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:47:47-7# Bassist: Also das, die beschissenste Musik hat dann doch irgendwie wie oftmals ’n hohen Komplexitätsgrad, so #00:47:54-8# Absatz 317 - 323.
Sänger: Das ist einfach (unverständlich) an Komplexität oder Einfachheit oder so, das ist halt, da ist halt auch nicht so genau zugehört worden, also die, die, die Komposition, also auch Komposition in Pop-Musik verändert sich halt ständig, und man kann natürlich jetzt sagen, wir sind irgendwo angekommen, in ganz Dance-lastiger Musik, also wenn man sich die, die, die iTunes-Charts oder Spotify-Charts oder so mal durchguckt, das ist schon krass, dass in den ersten, ersten zwanzig Nummern sind 12, 15 irgendwie Robin Schulzes Prayer for Dings, was auch immer drin ist, ist schon krass, ähm, wenn man sich die Sachen einfach mal ’n bisschen genauer anguckt, merkt man einfach, dass der, dass der, dass, ähm, alle harmonische Komplexität ist um Gottes Willen nicht die einzige Komplexität, die es gibt, sondern es ist zum Beispiel, und da gibt es so wunderbare Beispiele, was gerade ist, ist ja eigentlich Sia, die, die ja auch diese, die, ähm, Rihanna-Sachen geschrieben hat, Diamonds und so'n Kram, und die hat ja hier mit, mit (unverständlich) und mit ihren Chandelier und mit ihrem Elastic Hide relativ große Erfolge und, ähm, da muss man sich einfach nur einmal die melodische Struktur angucken und dann, dann geht man das einmal mit hier, mit (unverständlich) Development, mit diesen Sachen durch und dann merkt man, alter Falter, ist das ausgecheckt, und das ist halt, also da passiert ne, da sind keine großen Tension, das sind wahnsinnig viel, ähm, auf der Eins, auf der Drei, auf der Fünf, auf der, dann mal auf der Vier, auf der Sieben, aber wie das gesetzt ist, wie das rhythmisch gesetzt ist, zur Melodie und was da vor allem phonetisch passiert, also welcher, welcher, welcher, welches, welche Silbe, welcher Vokal wird wie lange an welcher Stelle gesungen, das ist komplett geplant und komplett #00:49:50-7# Absatz 328.
Gitarrist: Das ist ja letztendlich, das ist ja genau das, was ihr, wie immer er darüber schreibt, das ist der Sound mit einer bestimmten Hörerfahrung, zusammen mit einer (kurze Pause), ja wahrscheinlich wie bei Schauspielern, einem emotionalen Gedächtnis dafür #00:55:07-4# Absatz 361.
Gitarrist: Aber für’n bestimmtes Gefühl, ähm, an die Sachen ranzugehen, bestimmte Sachen bestimmt aufzufassen, zu phrasieren oder rhythmisch halt bestimmt auszudrücken und eben zusammen mit dem Sound, das stimmt schon, also ich hab mich früher immer ge-
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wundert, warum irgendwie so viele 60er-Jahre-Sachen immer so furchtbar klingen, warum die immer so gniedelig spielen, wenn man sich dann mal selber mal so’n Sound hindreht, der also quasi kein Gain hat irgendwie und nix komprimiert ist und so, wird man reichlich schnell feststellen, ach so, deswegen, weil die spielen das ja genau so’n Scheiß, weil das einfach nicht geht, man kann einfach da keinen Sport spielen, das geht einfach nicht #00:55:37-6# Bassist: Mhm (bejahend) #00:55:37-6# Gitarrist: Das trägt einfach nicht #00:55:39-6# Absatz 363 - 365.
Sänger: Genau #00:58:30-2# Bassist: Das ist immer noch, der Song ist das, was die Leute #00:58:31-9# Interviewer: Das funktioniert immer noch #00:58:33-0# Bassist: Ja #00:58:32-2# Interviewer: Ja, so’n Song in Verbindung mit einem Künstler, der das rüberbringt #00:58:37-8# Bassist: Genau #00:58:39-7# Interviewer: Und es ist nicht allein Marketing, Marketingstrategie, also ich mein, die, die gibt’s sowieso immer #00:58:45-5# Bassist: Mhm (bejahend) Ja, klar #00:58:46-7# Interviewer: Weil, das ist ’n Selbstgänger, aber, das ist nicht der Kern der Sache #00:58:489# Bassist: Ja, absolut #00:58:51-0# Interviewer: Der Kern der Sache ist nach wie vor, ähm, hab ich euch ja auch erzählt, dass ich mit Schülern Interviews mache, dass dann ’n Schüler sagt, "wenn ein Song mich berührt", das ist, das ist immer noch der entscheidende (unverständlich) und das überlegt sich, ich mein, die Erfahrung haben wir wahrscheinlich alle gesammelt, genügend, keine Marketingstratege, weil die meistens das nicht wissen, so, und die kopieren das, was vorher mal erfolgreich war #00:59:12-9# Absatz 386 - 396.
Bassist: Mhm (bejahend) #00:59:17-3# Absatz 397.
Interviewer: Ähm, die, die Problematik, ähm, sagen wir mal im System Pop stell ich mir so vor, dass man relativ, ähm, spezialisiert sein muss, um das zu verstehen, das heißt, von außen, wenn das jemand mit, mit Begriffen fassen will, fällt, (Name des Gitarristen) hat das vorhin gesagt, das fällt immer auf die Nase, weil er es immer nur von äußeren Erscheinungen her sieht und, aber in diesem System nicht drinsteckt und das haben ja vorhin, deswegen auch dies Beispiel mit den Akkorden, warum, das war ja früher komplett anders, warum ist das anders, wer bestimmt das, das bestimmt eben keiner, das ist einfach so, ähm, ich stell mir das so vor als, als liquide Sprache, das ist halt so ’ne Sprache, die sich verflüssigt und die, die, und das, was vor zehn Jahren galt, gilt heute nicht mehr unbedingt #01:00:04-6# Absatz 398.
Relative starkes Eingreifen des Interviewers, um die Diskussion zu intensivieren.
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Gitarrist: Genau, kann, muss aber nicht #01:00:08-5# Interviewer: Genau, kann oder kann wieder #01:00:09-7# Gitarrist: Oder kann nicht #01:00:11-5# Interviewer: ’n gewissen Zeitraum kann es wieder gelten, aber es gilt dann eben und, ähm, es wird vielleicht immer nur verstanden von, oder, oder wir haben das ja in den Diskussionen, in der Diskussion schon öfter gehabt, dass man eigentlich immer ’ne Referenz hat, man bezieht sich, man kann nicht mit jemandem drüber sprechen, der nicht die gleiche Hörerfahrung hat, weil man muss sich auf etwas beziehen und, ähm, man kann es nicht versprachlichen. #01:00:36-0# Absatz 399 - 402.
Interviewer: Aber jetzt, ähm, weil, das hat (Name des Gitarristen) in der Mail geschrieben und, ähm, das macht, finde ich, die Sprache im System Pop-Musik noch komplizierter, weil (Name des Gitarristen) hat geschrieben, das wird wahrscheinlich ’ne Baritongitarre sein (Bezug „Twin Peaks“), ähm, mit dem und dem Hall in etwa, und Kompressor, damit man es, ähm, Sustain hat und so weiter #01:05:18-5# Bassist: Mhm (bejahend) #01:05:18-5# Interviewer: So in etwa in die Richtung, das heißt, man denkt ja immer Sounds sind Signalketten #01:05:23-6# Gitarrist: Ja #01:05:24-5# Bassist: Ja, wenn sie, wenn sie so komplex sind, dass es dazu einlädt so, ne #01:05:27-2# Interviewer: Ja, ja #01:05:27-2# Gitarrist: Und vor allen Dingen, wenn man (unverständlich) wenn man weiß, das wird auch verstanden #01:05:30-8# (Hiermit ist der Interviewer gemeint.) Bassist: Ja ja #01:05:30-8# Absatz 483 - 490.
Interviewer: Aber das macht es ja ziemlich kompliziert eigentlich, weil das ist ja auch ’ne ästhetische Kategorie, dass man sagt, was von dem und dem, ganz bestimmter und dann sagst du, das gehört dazu, erstmal muss es ’n Rickenbacker sein, dann muss der so und so gespielt werden und es muss das und das hinzukommen #01:05:50-4# Sänger: Das ist auf jeden Fall hochspezialisiert, also die, ich glaube, die, alle, die wir hier sitzen, sind, sag ich mal so, ähm, hochspezialisierte Fachkräfte, ne #01:05:54-9# Bassist: (Lachen) #01:05:54-9# Absatz 493 - 495.
Sequenzierung
Abb. 13: Sequenzierung „Was ist Popmusik?“
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Groove Das Gesprächsthema ist geplant als Teil des Interviewleitfadens und wird vom Interviewer im Sinne des induktiven/deduktiven Vorgehens initiiert. Die Frage einer Definition von Groove am Beispiel des Schlagzeugers Jim Keltner wird von den Gesprächsteilnehmern als Teil des konjunktiven Erfahrungsraums spontan verstanden und als problematisch erkannt. Aus dem musikbezogenen Erfahrungshorizont heraus können die Musiker keine objektiv vermittelbare Definition des Begriffes Groove finden. Sie definieren einheitlich Groove als rein erfahrungsbezogene Größe, die zudem eine generationsspezifische Komponente aufweist. Die Vorstellung von Groove erscheint danach ohne vergleichbaren Erfahrungsbereich nach Ansicht der Teilnehmer nicht vermittelbar. Zudem findet im Sinne einer Antwortsequenz eine Erweiterung des Themenkomplexes auf den Begriff Sound statt, da Groove nicht als eine hiervon loslösbare Kategorie angesehen wird. Nach Ansicht des Schlagzeugers steht die Frage Wie man etwas spielt (Groove) mit der Frage Wie etwas klingt (Sound) in unmittelbarem Zusammenhang. Darüber hinaus spielt das zur Verfügung stehende Instrumentarium eine wichtige Rolle. Groove als theoretische Größe, mit möglicherweise objektivierbaren Kriterien, existiert nach Ansicht der Gesprächsteilnehmer danach nicht. Interviewauszüge Interviewer: Nun kann man das ja auch vor allen Dingen weiterführen, ähm, in Richtung Groove, ich meine, wenn man jetzt auch entsprechende Werke aufschlägt, gibt relativ differenzierte Sachen auch schon, (unverständlich) die Snare ist auf der Zwei und auf der Vier, aber #00:50:09-6# Gitarrist: Aber nicht immer #00:50:09-9# (Lachen) #00:08:45-6# #00:50:18-2# Durcheinandergerede „Können wir mal einen weglassen“ Interviewer: Wie kann man das begrifflich fassen oder wenn man dann vor allen Dingen sich auseinandersetzt, jetzt mit anderen Leuten, jetzt auch in der Arbeit, du sagst, ich möchte, dass du das so spielst, wie kann man jetzt vermitteln, sagen wir mal, ’ne Vorstellung, wenn du ’ne Vorstellung hast von Jim Keltner, wie kannst du das einem vermitteln? #00:50:33-7# Absatz 329 - 333.
Pause #00:50:33-8# Schlagzeuger: Tja, das kann man natürlich nur einem vermitteln, der auch schon mal Jim Keltner gehört hat, eigentlich, weil sonst ist man, ähm, wie soll das sonst gehen? #00:50:43-0# Bassist: Ja, stimmt, das ist vielleicht eben grade was, Jim Keltner, wenn du jetzt da, der ja auch gerne mal grade und Shuffle gleichzeitig spielt #00:50:48-7#
(Auf die Diskussionsanregung wird mit Selbstverständlichkeit eingegangen. Namen wie die von Jim Keltner sind erwartungsgemäß selbstverständlich und sind Teil der ästhetischen Auseinandersetzung mit Popmusik für diese Altersgruppe.)
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Schlagzeuger: Ja, ja #00:50:48-7# Bassist: Irgendwie so, und wenn du das anfängst, dann tatsächlich so einem jungen Leben zu erklären, der dann vielleicht eher, die gibt’s ja heute immer noch, eher so ’n großer Toto-Fan ist oder so, wobei das is’n schlechtes Beispiel, so, da wird ja auch geshufflet, 210 (Lachen) Bassist: Aber sonst diese Jungs, die irgendwie so auf diese Sport-Drummer stehen und dann sagst du, nee, aber mach doch mal so und vielleicht mit Chance hat er sich so mit New Orleans Second Line-Drumming beschäftigt, aber wenn nicht und dann, dann, dann guckt er dich nur groß an, wenn du sagst irgendwie so Shuffle und Dings gleichzeitig oder irgendwo dazwischen (Husten, Unruhe), und das ist ja schon dann so’n, so’n, so’n sehr spezielles Ding, also das ist tatsächlich genau, wie du sagst, du kannst Leuten ja nur erklären, was erklären, was unter Umständen in ihrem Erfahrungshorizont ’n bisschen vorhanden ist #00:51:30-1# Absatz 334 - 340.
Gitarrist: Genau #00:51:31-4# Schlagzeuger: Du kannst aber auch, das kann man auch nicht sagen, ähm, so wie Jim Keltner spielen, sondern das ist natürlich auch ’ne Kombination an Sound, von dem was gespielt wird, und du kannst natürlich auf ’nem, sagen wir mal, modernen Rock-Schlagzeug kannst du eben auch nicht wie Jim Keltner spielen, auch, selbst, wenn Jim Keltner drauf spielen würde, würde es nicht mehr wie Jim Keltner klingen #00:51:54-1# Bassist: Es würde schon mehr nach Jim Keltner klingen als bei allen andern #00:51:54-3# (Lachen) #00:51:55-3# Schlagzeuger: Es ist ja auch der spezielle, der spezielle Sound, den der Typ natürlich auch hat und, ähm, deswegen, ich würd eher versuchen soundmäßig da ranzugehen, weil ich glaube auch, dass man solche Sachen, solche, ähm, Feeling-Sachen auch nicht, also nicht wirklich kopieren kann in, in voller Gänze sowieso nicht, also gerade bei solchen Typen, ähm, aber (kurze Pause) das ist, ähm #00:52:24-6# Absatz 341 - 345.
Interviewer: Ja, es gibt vielleicht, sagen wir mal, so’n paar wenige Parameter, die man so nennen könnte, dass man sagt, da spiel mal erst mal keinen Standardbeat #00:52:34-6# Schlagzeuger: Ja #00:52:34-6# Interviewer: Da geht’s schon los, dass man irgendwas macht, aber keinen Standardbeat spielt, weil das geht schon mal nicht und, ähm, shufflen, das wär ja auch noch, sagen wir mal ’n relativ objektiver Begriff #00:52:46-6# Bassist: Mhm (bejahend) #00:52:46-6# Interviewer: Ähm mit binär, das kann man noch fassen, aber ich hab mir da auch noch mal, ich hab mir das so’n bisschen auf’m größeren Bildschirm mal hingezogen, jetzt hier so’n bisschen Blake Mills-Geschichten, was er so spielt, und man sieht einfach, dass es einfach ungenau ist, im positiven Sinne #00:53:04-5# Schlagzeuger: Ja #00:53:04-6# Bassist: Ja klar, also das, ähm, ist ja aber, ich mein, das ist ja sowieso, wenn du jetzt eben Musik hast, die jetzt nicht wirklich, ähm, komplett im Raster stattfindet, das ist ja alles immer ex-
210 Der Hinweis bezieht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Titel „Rosanna“ aus dem Jahre 1982, welches ein bekanntes Beispiel für das Spielen eines Halftime-Shuffles ist.
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trem ungenau, so, da, damit muss man ja einfach leben, das ist ja, das ist ja glücklicherweise auch ganz gut so, also wenn du jetzt nicht grade irgendwie so New Metal oder so hast, diese Musik, die davon lebt, dass sie halt extrem genau ist oder so, aber das, das, das ist ja eben grade das Gute dran, da kommt aber auch noch die Soundnummer dazu, ähm, wenn ich dazu jetzt irgendwie anfange irgendwie so’n Bass zu spielen, der so’n ganz klares Attack hat oder so, dann hab ich ja schon ’n Problem, so kann ich mit den Sachen ja gar nicht spielen. Wenn ich aber halt so’n Sound hab, der auch irgendwie Wuuu macht eher, und wo das Attack verschwimmt, dann kann ich dann natürlich total gut mitspielen so, und ich mein, (Name des Schlagzeugers) ist ja zum Beispiel auch so’n Kandidat, den ich zum Beispiel, wenn ich mit ihm jetzt zusammen spiele, immer eigentlich eher als Loop wahrnehme, wo ich jetzt auch zum Beispiel jetzt auch als Bassist jetzt nicht gucke, ähm, ich muss da jetzt genau mit der Kick zusammenspielen oder so, sondern ich das so als Gesamt-Loop wahrnehme, das ist bei Jim Keltner ja auch so, das ist, eigentlich spielt er ja auch irgendwie so ’ne Loop, zu der man irgendwas macht, mit 'nem Sound, der im Idealfall dazu passt und wenn ich manchmal Songs, die ich so mit (Name des Schlagzeugers) spiele, bei irgendwelchen Sachen, da spielt da jemand anders Schlagzeug, wo ich auf einmal merke, oh, das funktioniert hier gerade total anders, ich muss echt sehen, dass ich bei dem mit der Kick zusammenspiele, sonst klingt das alles total scheiße, ich muss den ganz anders wahrnehmen, so, das ist immer wieder ganz interessant, sowas dann halt zu merken, wie das da so ist so, und wie gesagt, wenn ich eben halt mit 'ner Loop spiele, dann setz ich mich irgendwie in dieses Feeling rein, und ob da irgendwie was vorne, hinten oder was, ist mir dann ehrlich gesagt auch scheißegal, das muss nur irgendwie zusammenpassen, so #00:54:41-4# (Lachen) #00:54:43-9# Absatz 346 - 353.
Gitarrist: Das ist ja letztendlich, das ist ja genau das, was ihr, wie immer er darüber schreibt, das ist der Sound mit einer bestimmten Hörerfahrung zusammen mit einer (kurze Pause), ja wahrscheinlich wie bei Schauspielern, einem emotionalen Gedächtnis dafür #00:55:07-4# Absatz 361.
Sequenzierung
Abb. 14: Sequenzierung „Groove“ Ästhetik Fragen der ästhetischen Beziehung zu Musik werden im Laufe des Gesprächs in mehreren Kontexten als Antwortsequenz angesprochen. Hieraus ergibt sich die zulässige Interpretation, dass Fragen der Ästhetik eine grundlegende Komponente im
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Verhältnis zur Musik bei den Gesprächsteilnehmern darstellen. Entsprechende Aspekte beziehen sich z. B. auf Instrumente (wie bereits weiter oben unter Interviewauszüge ab S. 81 zur Frage der Vorbilder aufgeführt), auf Fragen von Spielweisen, Interpretationen, Sound, Hörerfahrungen sowohl in der zurückliegenden als auch in der gegenwärtigen Rezeption von Musik und auf historische und zeitgemäße Musikperipherie wie Mikrofone, Verstärker etc. 211 Die hier aufgeführten Interviewauszüge von Absatz 49–49 sind im Sinne einer Antwortsequenz aufgeführte Interviewauszüge zum Abschnitt ab S. 81 (Vorbilder im Karrierekontext). Die danach folgenden Auszüge entsprechen einer Antwortsequenz zum Gesprächsthema Groove. Interviewauszüge Bassist: (unverständlich) In meiner Erinnerung ist die rot. Ob das stimmt, weiß ich gar nicht mehr, aber das war auch so’n (unverständlich), irgendwie, also für mich war so Musik machen und Krach machen auch immer sehr eng miteinander verbunden, muss ich sagen. Dieses Gefühl zu haben, so E-Gitarre, und auf einmal macht das richtig Krach. War auf jeden Fall weitaus, ähm, interessanter als irgendwie auf so ’ner Akustikgitarre zu spielen. #00:10:48-9# Gitarrist: Gibt ein Gefühl von Macht. #00:10:50-2# Absatz 49 - 50.
Bassist: Ja, irgendwie sowas (Lachen), ist auch nach wie vor noch irgendwie so ’ne Saite anzuschlagen, und der ganze Raum wackelt irgendwie, abgesehen davon, dass ich Lärm gar nicht mehr so gut abkann. Aber dieses Gefühl ist nach wie vor unglaublich, also das … #00:11:01-3# Interviewer: Also Lautstärke spielt schon ’ne Rolle. #00:11:02-2# Bassist: Ja, total, total. #00:11:04-0# Interviewer: Ja. #00:11:05-1# Gitarrist: Absolut, ja, ja. #00:11:07-7# Interviewer: Also, ich hab da ja eher als, als Keyboarder, ähm, ’n Problem. Ähm, da waren die Gitarristen immer überlegen. (Lachen) Und, ähm, es war eine neue Erfahrung mit der Hammondorgel zu spielen, weil da kann man live, mhm (bejahend Bassist), richtig die Band wegpusten. #00:11:25-9# Gitarrist: Da kann man richtig gegenhalten. #00:11:27-8# Interviewer: Das war richtig ein Gefühl von Macht. (Lachen) Es war das Beste überhaupt, so wirklich Akkorde zu halten, ähm, den Sound über drehende Lautsprecher zu hören, und so, dass Gitarristen sagen ‚Mach mal leiser‘ (Lachen). Das war ’ne neue Erfahrung. #00:11:45-4# Absatz 51 - 58.
211 Dazu George Harrison in „The Making Of Sgt. Pepper“: „It's like a period. If you listen to the music from the 20s or the 30s it has a sort of sound to it and I think, you know that's important, if you wanna listen to a, you know something like a Hoagy Carmichael tune it's partly the song that you like and it's partly the way he did it and it's also partly the way it is recorded. How the microphones sounded in those days, how the tube amplifiers in the boards. You know it's all that, that kind of atmosphere and it becomes a little period piece.“ Quelle: https://www.YouTube.com/watch?v=9eqToxn1pMI/Zugriff: 14.3.2015.
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Gitarrist: Der hat uns ganz schön plattgemacht, der Gute, mit seiner Orgel. Aber (unverständlich) noch ganz kurz (unverständlich) daran, wie ich dann auch immer so billige Mikrofone so in meine Konzertgitarre reingefummelt (Interviewer: Ja), hab denn irgendwie im Tape-Eingang vom Tapedeck, so, Kopfhörer auf, und dann └ halt, ┘ #00:12:13-3# Interviewer: └ Das hab ich auch. #00:12:13-3# Gitarrist: Das hat natürlich nur gezerrt, klang dann echt wie rasieren morgens, irgendwie, aber hat mich damals irgendwie ästhetisch nicht davon abgehalten das zu tun. #00:12:190# Interviewer: Ich hab das auch gemacht. Ich hab'n Mikrofon reingelegt, ähm, in die Akustikgitarre, und, ähm, das, das, die Tonbandmaschine gestellt auf Aufnahme. #00:12:28-4# Gitarrist: Genau, und dann war Aussteuerung. #00:12:29-9# Bassist: Dann konnte man aber ganz schön aufdrehen, dann, ne. Aussteuerung, Rechtsanschlag, und auf einmal klang das wie, ähm, „Whole Lotta Love“, ne. (Lachen) #00:12:374# Interviewer: Das war auch die Zeit, so (Lachen) (Räuspern) Ich hab damit die Maschine meiner Mutter gekillt. (Lachen) #00:12:47-9# Absatz 63 - 69.
Die folgenden Ausführungen sind als Antwortsequenz zum Gesprächskontext Groove entstanden. Gitarrist: Aber für’n bestimmtes Gefühl, ähm, an die Sachen ranzugehen, bestimmte Sachen bestimmt aufzufassen, zu phrasieren oder rhythmisch halt bestimmt auszudrücken und eben zusammen mit dem Sound, das stimmt schon, also ich hab mich früher immer gewundert, warum irgendwie so viele 60er-Jahre-Sachen immer so furchtbar klingen, warum die immer so gniedelig spielen, wenn man sich dann mal selber mal so’n Sound hindreht, der also quasi kein Gain hat, irgendwie, und nix komprimiert ist und so, wird man reichlich schnell feststellen, ach so, deswegen, weil die spielen das ja genau so’n Scheiß, weil das einfach nicht geht, man kann einfach da keinen Sport spielen, das geht einfach nicht #00:55:37-6# Bassist: Mhm (bejahend) #00:55:37-6# Gitarrist: Das trägt einfach nicht #00:55:39-6# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:55:40-0# Gitarrist: Also die Kombination, was (Name des Schlagzeugers) jetzt schon sagte, ich wiederhol, ich fass jetzt nochmal kurz zusammen, was (Name des Schlagzeugers) grade gesagt hat #00:55:44-7# (Lachen) #00:55:47-7# Schlagzeuger: Du hast meinen Namen erwähnt, können wir das rausschneiden #00:55:487# #00:55:50-5# Gitarrist: Das eine geht nicht ohne das andere #00:55:50-6# Bassist: Ja, (kurze Pause) was dann aber auch das Problem ist, wenn man halt dann eben so 60er-Jahre Sachen dann wirklich haargenau transkribiert und irgendwie so beim, dann sich mal wundert, was die denn da alles spielen, wo dann auch die, beim Bass auch grade die Terzen irgendwie völlig ignoriert werden, was du eben so mit so’m modernen Sound mit Höhen einfach nicht machen kannst, aber, ähm, das war damals dann halt einfach total egal, weil das eh nur wwwww gemacht hat, so, also das ist einfach so ’ne ganz andere, ja,
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ganz andere Ästhetik, das muss man sich dabei eben halt auch mal klarmachen, so #00:56:22-7# Gitarrist: Ja, bei Sound passiert dann ja auch viel, Fortschritt oder Rückschritte, wie auch immer, die vielen Entwicklungen in der ganzen Musikhistorie, ne, also der Klassiker wäre ja irgendwie halt zum Beispiel Grunge, das hat ja ’ne ganz andere Klangästhetik hervorgebracht als eben die ganze Zeit davor, deswegen hat’s denn ja auch so, so’n Impact gehabt auf die, auf die Musik der 80er oder die Anfang der 90er, wie auch immer, weil diese Herrschaften da mal ’n ganz anderes Soundideal dabei an den Tag gelegt haben, was irgendwie damals irgendwie ’n Nerv getroffen hat, da war dann irgendwie, Hallgeräte war’n verpönt und so, das kenn ich, die Sprüche kenn ich alle noch #00:56:56-2# Schlagzeuger: Hall aus! #00:56:59-1# Schlagzeuger: Das alles nur so halb stimmt #00:57:00-4# Gitarrist: Ja, das stimmt natürlich auch alles nur so halb, aber #00:57:00-8# Schlagzeuger: Ähm #00:57:01-9# Gitarrist: Das ist wie #00:57:01-9# Interviewer: Zumindest wahrscheinlich von der Wahrnehmung her #00:57:05-4# Bassist: : Ja, sehr genau, also genau #00:57:06-8# Absatz 363 - 379.
Bassist: Ja, ne, sowas war natürlich nicht so, aber so wie diese erste Pearl Jam ist ja zum Beispiel total hallig, und die haben das auch gehasst, dass der Typ die so hallig gemischt hat, so auch interessant eigentlich so, und ich find aber, bei, bei Grunge ist es glaub ich, das ist immer insofern ein ganz gutes Beispiel für, ähm, ähm, wenn so ’ne Entwicklung stattfindet, dass du, letztendlich haben die ja auch nur, die kommen ja ganz klar aus dieser, dieser, dieser, ähm, Hardcore-Punk-Ecke, so das waren halt so die Einflüsse, also jetzt aus den Staaten, jetzt nicht die, diese alten Punk-Sachen aus England, und haben dann aber auf einmal das Glück gehabt, dass sie so’n Kurt Cobain dabei hatten, der irgendwie Songs schreiben konnte, und das hat sie dann irgendwie so von diesen ganzen anderen KrachKapellen einfach total abgehoben, dass der Typ einfach Songs geschrieben hat, die man dann doch auch im Radio spielen konnte, so, und auf einmal, zack, macht das Ding halt ’n Riesensatz so und geht auf ’ne ganz andere Ebene so, ne, das ist glaub ich auch immer dieser, der Punkt, wenn, wenn irgendwie sowas passiert, es gibt dann so irgendwas, was in der Luft liegt, und dann gibt’s aber auch einmal eben halt, ähm, ein so’n Haufen von Kandidaten, die eben sich denn doch wie mit den Beatles ja letztendlich auch, so Bands gab’s ja auch schon vorher in den 60ern, und jetzt kamen auf einmal diese Typen, die einfach mit ganz anderen Songs um die Ecke kommen (kurze Pause), und das ist es übrigens heute immer noch, wenn du dann guckst, irgendwie hier Rihanna und so weiter, was, was die von anderen irgendwie R&B-Acts unterscheidet, ist, dass die diese geilen Songs haben #00:58:30-2# Absatz 385.
Sänger: Genau #00:58:30-2# Bassist: Das ist immer noch, der Song ist das, was die Leute #00:58:31-9# Interviewer: Das funktioniert immer noch #00:58:33-0# Bassist: Ja #00:58:32-2# Interviewer: Ja, so’n Song in Verbindung mit einem Künstler, der das rüberbringt #00:58:37-8#
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Bassist: Genau #00:58:39-7# Interviewer: Und es ist nicht allein Marketing, Marketingstrategie, also ich mein, die, die gibt’s sowieso immer #00:58:45-5# Bassist: Mhm (bejahend) Ja, klar #00:58:46-7# Interviewer: Weil, das ist ’n Selbstgänger, aber, das ist nicht der Kern der Sache #00:58:489# Bassist: Ja, absolut #00:58:51-0# Interviewer: Der Kern der Sache ist nach wie vor, ähm, hab ich euch ja auch erzählt, dass ich mit Schülern Interviews mache, dass dann ’n Schüler sagt, „wenn ein Song mich berührt“, das ist, das ist immer noch der entscheidende (unverständlich) und das überlegt sich, ich mein, die Erfahrung haben wir wahrscheinlich alle gesammelt, genügend, keine Marketingstratege, weil die meistens das nicht wissen, so, und die kopieren das, was vorher mal erfolgreich war #00:59:12-9# Absatz 386 - 396.
Sequenzierung
Abb. 15: Sequenzierung „Ästhetik“ Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel „Twin Peaks“ Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass das gesamte Interview Kategorien konjunktiver Erfahrungsräume betrifft. Die besondere Fragestellung, festgemacht am Beispiel der Serienmusik zu „Twin Peaks“ aus den frühen 1990er-Jahren, ist im Sinne des induktiven/deduktiven Vorgehens zu verstehen und arbeitet den Aspekt der gemeinsamen Erfahrung, auch als Moment einer gemeinsamen generationsbezogenen Begriffsbildung unter Musikern, im Besonderen heraus. Der Begriff „Twin Peaks“ ist demnach fester Bestandteil der Kommunikation zwischen den Gesprächsteilnehmern und wird ohne Zögern von allen Teilnehmern auch so verstanden. Die Einordnung des Sounds in seinen historischen Kontext und Spekulationen über die Erzeugung stimmen mit den im Vorwege selbst angestellten Hypothesen (s. Abschnitt 3.3.2) überein. Sowohl der Begriff als auch die damit verbundenen Aspekte der Sounderzeugung können als innerhalb der Gruppe festes Vokabular verstanden werden, welches außerhalb der Gruppe als nur bedingt anwendbar angesehen werden kann, da gleiche Erfahrungen als vorausgesetzt angenommen werden müssen. Die weitere Entwicklung des Gespräches, ausgehend von der Diskussion über eine mögliche Signalkette, führt als Antwortsequenz zu weiterführenden Aussagen über Fachwissen. Die verwendete Sprache kann als variabel angesehen werden, da diese
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(s. Aussage des Gitarristen unter Absatz 493) auch nur denjenigen gegenüber Verwendung findet, von denen man annehmen kann, dass sie auch verstanden wird. Interviewauszüge Gitarrist: Ne, also bis zu einem gewissen Grade, ja, aber dass ein wirkliches Verständnis dann nicht die Folge ist #01:00:43-8# Interviewer: Und es setzt den gleichen Erfahrungshintergrund voraus, also ich hab dir ja die Mail geschrieben, das war mehr Zufall, aber da ist es mir eigentlich auch aufgefallen, wie wird eigentlich der Twin Peaks-Sound gemacht, das wär ja so’n Beispiel #01:00:56-5# Absatz 403 - 404.
(kurze Pause) #01:00:58-0# Sänger: (unverständlich) Gitarre, Tremolo, #01:01:00-0# Gitarrist: Und fertig #01:01:00-1# Interviewer: Ja, aber du weißt schon, was Twin Peaks-Sound ist, das kannst du ja nem 15Jährigen nicht sagen, der würde das nicht kennen, würde es nicht erkennen, einfach #01:01:10-4# Sänger: Ich weiß, dass ich damals (Räuspern) mir den Komponisten rausgefunden hab, und damals gab’s noch nicht so richtig Internet , #01:01:17-7#
(Die Reihe lief Anfang der 1990er-Jahre.) Interviewer: Ja #01:01:17-7# Sänger: Ähm, weil, Badalamenti, Angelo, Badalamenti oder sowas #01:01:21-2# Schlagzeuger: Mhm (bejahend) #01:01:22-1# Absatz 405 - 412.
Interviewer: Ja #01:01:22-2# Sänger: Weil ich diese Filmmusiken so, also eben halt wegen dieses Sounds, weil ich die insgesamt so anders fand, und total geil fand #01:01:32-4# Gitarrist: Ja klar, wenn man’s nicht kennt irgendwie, dann hat man keine Ahnung, was es sein soll, ist ja logisch #01:01:37-9# Interviewer: (unverständlich) keine Vorstellung, kann das eben nur, ich spiel’s mal an hier, ich hab dazu ’ne Mail an (Name des Gitarristen) geschickt, Badalamenti, ähm, der hat das glaub ich zusammen gemacht auch mit dem, ähm, Regisseur, der war auch #01:01:52-0# Schlagzeuger: David Lynch #01:01:51-4# Absatz 413 - 417.
Im Hintergrund Hörbeispiel Thema „Twin Peaks“ #01:02:00-8# Gitarrist: Kuschelrock #01:01:59-3# Bassist: Ach schön, ja, „Twin Peaks“ #01:02:11-1# Bassist: Das ist „Twin Peaks“? So lange her #01:02:10-6# Sänger: Ja, ja #01:02:11-4# Bassist: Ist es, ne? #01:02:18-9# Absatz 423 - 428.
Interviewer: Ähm, das ist doch aber auch ’n gutes Beispiel für, sagen wir mal, ’ne gemeinsame Erfahrung, die so ’ne Sprache über Musik erst ermöglicht, ähm, weil, wenn man
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„Twin Peaks“ kennt, da geht’s schon los, die Serie, dann weiß man auch nicht, was mit Twin Peaks-Sound gemeint ist #01:02:38-2# Bassist: Mhm (bejahend), genau #01:02:40-0# Interviewer: Und das ist ja eigentlich auch schon, find ich, also ich empfinde das so, diesen Sound schon als Zitat #01:02:44-5# Absatz 430 - 432.
Bassist: Genau #01:02:44-5# Gitarrist: Natürlich #01:02:43-8# Interviewer: Worauf würdet ihr das beziehen? #01:02:47-0# Gitarrist: 60er #01:02:48-7# Bassist: Ganz klar 60er, klar, also diese typischen Gitarren-Bands, Spotnicks und, wie heißen die, Shadows #01:02:54-3# Interviewer: Ja #01:02:54-3# Gitarrist: Genau #01:02:55-7# Bassist: Solche Sounds halt #01:02:58-7# Interviewer: Waren die nicht teilweise auch so ähnlich, nicht genau so, aber so ähnlich auch in, in Western? #01:03:02-1# Sänger: Mhm (bejahend) #01:03:02-1# Gitarrist: Ja #01:03:02-6# Bassist: Mhm (bejahend) stimmt, stimmt eigentlich ist es so’n Western-Sound, stimmt #01:03:05-6# Interviewer: Ja, woher er kommt, weiß ich nicht, also muss irgendwie #01:03:08-1# Gitarrist: Ne, aber war irgendwie, damals #01:03:09-7# (Husten, Unruhe) #01:03:09-7# Absatz 433 - 447.
Gitarrist: (unverständlich) auch James Bond oder so, das sind ja alles diese halbwegs cleanen oder fast cleanen oder ganz cleanen (kurze Pause) tiefen Dinger halt, mit Tremolo gerne, das einzige, was daran quasi neu ist, ist einfach nur diese Kombination davon und halt irgendwie dieses, und das es halt ’ne Bariton ist, weil das ist (unverständlich) bei so ’nem Instrument denn doch in den 60ern nicht so gewöhnlich #01:03:31-9# Bassist: Gab’s aber auch, Gitarrenbands, die sowas hatten #01:03:32-7# Gitarrist: Gab’s, aber, das war jetzt nicht so, wie soll man sagen, so richtig, Klassiker damals #01:03:36-8# Bassist: Mhm (bejahend) #01:03:38-1# Schlagzeuger: Ja, stimmt #01:03:38-1# Absatz 448 - 452.
Sänger: Aber nach „Twin Peaks“ ist es richtig ’ne Vokabel geworden #01:03:40-7# Gitarrist: Genau #01:03:40-7# Bassist: Stimmt, ja #01:03:41-5# Sänger: Also bei uns, in unserem #01:03:43-3# Interviewer: In einer Szene #01:03:44-6# Sänger: Ja, wir wissen, ich habe ja mit (Name des Gitarristen) unfassbar viele Songs arrangiert und gemacht und aufgenommen und immer, da gab’s immer mal wieder #01:03:54-3#
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Gitarrist: Mach mal „Twin Peaks“, ja, ja #01:03:55-7# Absatz 453 - 459.
(Lachen) Durcheinander #01:03:54-6# Bassist: Ich hab immer, aus der Erinnerung hab ich immer gedacht, das geht weiter nach diesem, diesem Tonika-Moll-Parallele, ich dacht immer, das geht danach noch weiter, dass das einfach nur wiederholt wird, hatt ich gar nicht mehr auf’m Zettel. Ich hab oft genug, wenn ich das so vor mich hingedaddelt hab, mit so’m Song, mit so’m Song, gedacht, wo geht’s denn jetzt eigentlich hin? (Lachen) #01:04:09-8# Interviewer: Ja, es geht noch ’n bisschen weiter, ne #01:04:13-2# Bassist: Ja, später dann aber, ne? #01:04:13-9# Interviewer: Diese Orchesterpassage dann #01:04:16-2# Gitarrist: Genau #01:04:18-3# Im Hintergrund Hörbeispiel #01:04:16-9# Interviewer: Da #01:04:21-6# Bassist: Mhm (bejahend) ja #01:04:22-2# Interviewer: Ich, ähm, ich hab nicht rausgefunden, du weißt es auch nicht sicher, ne, ob das ’n Sampler ist? #01:04:28-3# Absatz 460 - 469.
Sänger: Das ist auch möglich, ich hab’s grade gedacht, es klingt schon ganz schön #01:04:32-6# Absatz 470. Bassist: (unverständlich) wo geht's danach hin? Das, der höhere Ton, der klingt natürlich schon komisch, der klingt ja schon, als ob das Sample zu hoch wäre, ne #01:04:44-7# Gitarrist: Kann sein, aber #01:04:46-2# Interviewer: Ja, klingt, als ob das Sample zu hoch wäre #01:04:51-5# Absatz 473 - 475.
Gitarrist: Aber das ist ja wahrscheinlich jetzt keine bewusste ästhetische Entscheidung gewesen, ooh, lass mal das Sample nehmen, weil das ist dann so geil und so #01:04:54-4# Bassist: Ja, kann aber sein … Interviewer: Nee, nee. Gitarrist: Wahrscheinlich hingeschickt irgendwie, oh geil, das nehmen wir. Ich würd's einfach noch mal machen. Nein, vergiss es. (Mimt fiktives Gespräch zwischen Künstler und Produzent nach.) Absatz 476 - 479. Interviewer: Aber jetzt, ähm, weil, das hat (Name des Gitarristen) in der Mail geschrieben und, ähm, das macht, finde ich, die Sprache im System Pop-Musik noch komplizierter, weil (Name des Gitarristen) hat geschrieben, das wird wahrscheinlich ’ne Baritongitarre sein, ähm, mit dem und dem Hall in etwa, und Kompressor, damit man es, ähm, Sustain hat und so weiter #01:05:18-5# Bassist: Mhm (bejahend) #01:05:18-5# Interviewer: So in etwa in die Richtung, das heißt, man denkt ja immer Sounds sind Signalketten #01:05:23-6# Gitarrist: Ja #01:05:24-5#
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Bassist: Ja, wenn sie, wenn sie so komplex sind, dass es dazu einlädt so, ne #01:05:27-2# Interviewer: Ja, ja #01:05:27-2# Gitarrist: Und vor allen Dingen, wenn man von jemandem gefragt wird, wo man weiß, das wird auch verstanden #01:05:30-8#
(Hiermit ist der Interviewer gemeint.) Bassist: Ja, ja #01:05:30-8# Absatz 486 - 493.
Interviewer: Ja, ja, ja #01:05:31-7# Gitarrist: (Lachen) #01:05:32-9# Absatz 494 - 495.
Gitarrist: (Lachen) #01:10:44-1# Bassist: Und eben halt irgendwie zu, zu viel eigentlich in der, eben halt zu süß und, ähm, zu fettig, so #01:10:52-1# Absatz 528 - 529.
Sequenzierung
Abb. 16: Sequenzierung „Konjunktiver Erfahrungsraum – Twin Peaks“ Fachwissen und Selbsteinschätzung Das Gespräch um die möglichen Produktions-Komponenten des so genannten „Twin Peaks-Sounds“ als Teil einer konjunktiven Erfahrung geht im Sinne einer Antwortsequenz direkt in den Themenbereich Fachwissen über, verbunden mit der eigenen Selbsteinschätzung zu diesem Bereich. Die Teilnehmer schätzen sich selbst als hochspezialisiert ein, was auch begründet ist durch ihre intensiven und umfangreichen Erfahrungen. Sie arbeiten seit Mitte der 1990er-Jahre als Berufsmusiker und praktizieren darüber hinaus Musik seit ihrer Kindheit bzw. Jugend und reflektieren diese entsprechend. Die Teilnehmer gehen davon aus, dass sie diese Erfahrungen nur mit denen teilen können, die über einen vergleichbaren Hintergrund verfügen. Sie sehen sich teilweise selbst als so genannte Nerds, deren Erfahrungsschatz kontinuierlich wächst und zu bestimmten Denk- und Handlungsweisen im Raum Musik und Musikproduktion befähigt. Die Selbsteinschätzung als Musikausübende und über Musik Reflektierende beinhaltet auch den Standpunkt, dass das erworbene Wissen nicht oh-
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ne Weiteres sprachlich vermittelbar ist, sondern vornehmlich auf eigener Erfahrung und damit verbundenen Repräsentationen beruht.212 Entsprechend wird in der weiteren Gesprächsentwicklung im Sinne einer Antwortsequenz die Auseinandersetzung mit Definitionen aus der Popmusik-Forschung erneut aufgegriffen (auch durch Hinweise des Interviewers), da hier offensichtlich grundlegend abweichende Einschätzungen vorliegen. Interviewauszüge Interviewer: Aber das macht es ja ziemlich kompliziert eigentlich, weil das ist ja auch ’ne ästhetische Kategorie, dass man sagt, Bass von dem und dem, ganz bestimmter, und dann sagst du, das gehört dazu, erstmal muss es ’n Rickenbacker sein, dann muss der so und so gespielt werden, und es muss das und das hinzukommen #01:05:50-4# Sänger: Das ist auf jeden Fall hochspezialisiert, also die, ich glaube, die, alle, die wir hier sitzen, sind, sag ich mal so, ähm, hochspezialisierte Fachkräfte, ne #01:05:54-9# Bassist: (Lachen) #01:05:54-9# Sänger: (unverständlich) #01:05:56-7# Bassist: Aber total unterbezahlt #01:05:59-2# (Lachen) #01:05:59-9# Sänger: Mal abgesehen davon, dass das komisch klingt, meine ich das total ernst #01:06:04-9# Interviewer: Nein, nein, nein, nein, das klingt nicht komisch #01:06:07-0# Absatz 496 - 503.
Schlagzeuger: Und wie #01:06:07-0# Sänger: (unverständlich) wenn man sich selber lobt, das ist schon komisch, aber dieses, dieses Nerdistentum, das man sich da so draufschafft, und was man auch wirklich, sogar ich merke von Jahr zu Jahr zu Jahr zu Jahr wird es immer, immer mehr und so, und was natürlich toll ist, dass man, man natürlich in der Sprache, jemanden, mit dem man sich so wahnsinnig beschäftigt, also in Musik, wird man natürlich entsprechend halt auch besser, also genauer in der Ausdrucks (..) in der Ausdrucksmöglichkeit, weil man einfach mehr weiß und mehr benutzen kann und mehr durcheinanderwirbeln kann, also es ist ja grundsätzlich, glaub ich schon, mit Musik genau dasselbe wie mit Sprache, dass eben so mit, mit sprachphilosophisch, dass man ja nur das denken kann, angeblich, nur das denken kann, was man auch sonst schon, was man sprachlich erfassen kann, also was, ne, und ähm, gemeinhin, glaub ich, geht’s einem bei Musik ähnlich, dass man sagt, man kann im Grunde nur das rekombinieren, was man schon mal gehört hat, so also zurückgreifen auf das, aber das ist natürlich umso geiler, umso mehr Dinge man halt, also Sounds hat, mit denen man irgendwie so rummachen kann und das, und wir haben ja alle glücklicherweise alle diese inneren Ohren, mit denen wir im Kopf Musik hören können, und da werden wir umso mehr Schnickschnack, den man hat, den man da reinschmeißen kann, so geiler ist #01:07:29-5# Absatz 504 - 505.
Interviewer: Ähm, bei (Name des Gitarristen) hab ich’s ja besonders oft, weil er ja immer reproduziert #01:07:35-3#
212 Vgl. Gruhn (2005), S.86f.
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Gitarrist: Ja #01:07:35-4# Interviewer: Oder rekonstruiert #01:07:36-4# Bassist: mhm (bejahend) #01:07:36-4# Interviewer: Da frag ich mich auch manchmal, wie lange muss er jetzt wieder gesucht haben, um diesen Sound #01:07:39-7# Gitarrist: (Lachen) #01:07:39-7# Interviewer: Irgendwie #01:07:43-2# Bassist: Ja, das ist immer ganz schrecklich, ich mach ja sowas auch, weil ich irgendwie grade so, ähm, Drummachine-Sounds oder so was höre, und ich auch genau weiß, dass ich den schon mal irgendwo gehört hab und auch meistens genau weiß, dass ich den irgendwo habe, und dann aber wirklich irgendwie Library um Library durchsuche und den nicht finde, das macht mich halt immer wahnsinnig, also wenn’s jetzt nicht so totale Standards sind, wo man weiß, so 808 oder Linn-Drum oder irgendwas, wo ich denk, ja, ich hab doch so’n Sound, so ’ne Scheiß-Snare hab ich doch, so verdammte Naht #01:08:10-8# Absatz 506 - 513.
Gitarrist: Mhm (bejahend) #01:08:11-8# Bassist: Ja, immer schwierig #01:08:16-5# Absatz 514 - 515.
Sequenzierung
Abb. 17: Sequenzierung „Fachwissen und Selbsteinschätzung“ Definition Popmusik Der Themenbereich wird dem Interviewleitfaden entsprechend im Sinne einer induktiven/deduktiven Vorgehensweise vom Interviewer initiiert. Die Teilnehmer reagieren auf den angesprochenen Aspekt exemplarischer Definitionen des Begriffes Popmusik zunächst eher zurückhaltend, was möglicherweise dadurch erklärt werden kann, dass entsprechende Fragestellungen sowohl in der täglichen Arbeit als auch allgemein im Berufsleben der Musiker keine besondere Rolle spielen. Die Suche nach nachvollziehbaren Definitionen spiegeln im Verlaufe des Gesprächs eine Vielzahl akademischer Positionen wider. So wird einerseits Popmusik ganz allgemein im Sinne des englischen Begriffes popular definiert, was entsprechend alle Musik beinhaltet, die bekannt ist. Inwieweit hier ein Zusammenhang mit der medialen Verbreitung eine Rolle spielt, bleibt an dieser Stelle offen. Der Schlagzeuger weist darauf hin, dass die Tatsache, dass eine Band ihr Material spielt und zu diesem steht, bereits den Aspekt populär erfüllt. Im weiteren Verlauf verweist der Bassist auf Popmusik
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als Genre-Begriff und umschreibt diesen mit Adjektiven. Ebenso wird auf den möglichst optimalen Zusammenhang zwischen Musik und Kommerz hingewiesen, wobei hier Popmusik an aus der Sicht der Teilnehmer idealtypischen Vertretern wie Madonna oder Katy Perry festgemacht wird, die den Genre-Begriff optimal widerspiegeln. Die Diskussion gewinnt an Intensität aufgrund der Nachfrage des Interviewers (ab Absatz 541) nach einer möglichen Innenansicht von Popmusik im Sinne von Eigenmotivation als optionale weitere Definition. Hier herrscht zunächst Dissens, da die Teilnehmer allen Komponisten (explizit Vertretern der so genannten klassischen Musik) Eigenmotivation und ein emotionales Verhältnis zur Musik unterstellen. Der genannte Bezug auf Romantik und Sturm und Drang kann jedoch als frühe Quelle populärer Musik ausgemacht werden.213 Weiterhin wird Konsens darüber erzielt, dass das Selbstverständnis im Verhältnis zur Musik in früheren Jahrhunderten ein anderes war im Sinne von Dienstleistung, Dienen oder Handwerk, festgemacht am Beispiel Johann Sebastian Bachs. Die zunächst reservierte Haltung der Teilnehmer gegenüber der vertretenen These des Interviewers, dass es möglicherweise eine Definition von Popmusik aus der Perspektive einer Innenansicht gäbe, die eher auf Motivationen und Bedürfnisse hinweist, wird im Verlaufe des Gesprächs differenzierter, was insbesondere durch den weiteren Gesprächsverlauf belegt wird, in welchem die Teilnehmer im Sinne einer Antwortsequenz selbst verstärkt auf ihr emotionales Verhältnis zur Musik eingehen, was die hypothetische Annahme des Interviewers unterstützt. Interviewauszüge Interviewer: Ähm, wie kommt ihr mit dem Begriff, Begriff Popmusik eigentlich klar, so, ähm, wenn man jetzt vor dem Hintergrund der Komplexität, ähm, also als ich früher sagen wir mal studiert hab, da war das noch Standard, da hat man immer Pop- und Rockmusik gesagt #01:08:33-9# Bassist: Mhm (bejahend) #01:08:34-1# Interviewer: Dann hat man wenigstens, sagen wir mal, zwei Linien auseinandergehalten und dann gab’s ’ne Definition, die fand ich als Arbeitsdefinition, fand ich sie ganz brauchbar, dass man gesagt hat, Rockmusik nennt man alles das, was im Kontext mit afroamerikanischer Tradition steht #01:08:50-5# Absatz 516 - 518.
(Lachen) #01:08:51-6# Interviewer: Dann wusste man wirklich, okay, das ist Rockmusik, das ist, da spielt der Einfluss, ähm, der #01:08:58-9# Bassist: Das ist bei Popmusik doch genauso, oder nicht? #01:08:59-9# Absatz 519 - 521.
Interviewer: Ja, ist die Frage, also da hätte man vielleicht eher so Popmusik gesagt, ja, das ist eher weiß, das ist Schlager zum Beispiel, ist Popmusik oder sowas #01:09:06-3# Bassist: Und Schlager war ja jetzt wirklich immer so Popmusik, ist dann aber eigentlich auch schon immer so irgendwie afroamerikanisch beeinflusst gewesen, also, wenn ich jetzt,
213 Vgl. Schoenebek, 1987.
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 117
ich würd immer eher von englischsprachiger Popmusik ausgehen, weil wir haben ja noch immer diese Trennung mit dem Schlager und alles, was da eben halt so, ähm, deutsch ist, ist dann halt eben Schlager, und sobald es Englisch ist, ist es Popmusik, so, (kurze Pause) also jetzt zumindest halt bei uns in Deutschland, ne #01:09:33-5# Absatz 522 - 523.
Sänger: Ich hab, weil das ist zwar mal jetzt ganz persönlich, aber, ähm, dies (unverständlich) gilt überhaupt nicht, aber ich, für mich ist Popmusik alles, was popular ist #01:09:413# Bassist: Mhm (bejahend) #01:09:41-3# Absatz 524 - 525.
Sänger: Alles, was also was erfolgreich ist, das ist die Definition, Popular Music, ist doch scheißegal, ob das nun Metal ist oder Dance oder, oder Madonna, und dann gibt’s halt nochmal die, die Unterabteilung, da, weiß ich nicht, da kann man, das kommt halt eher so für meine Begriffe aus der, also Pop in, wenn man so mit Unterabteilungen Popmusik, HipHop (unverständlich) gibt, das ist dann sowas, was aus der, aus den 80ern kommt, aus der, aus der, ähm, programmierten Mucke, und das beste Beispiel für mich steht immer Madonna, war immer, war immer so für mich immer so’n bisschen in der Mitte von Popmusik, und das hat sich natürlich verändert, aber zum Beispiel #01:10:19-9# Absatz 526.
Bassist: : (unverständlich) heute sowas wie Katy Perry oder so, ne, irgendwie so, so, so, so typische (kurze Pause) ja, so Pop-Acts, die halt, was weiß ich, die halt also so, so Popmusik ist irgendwie Musik, wie so’n, so’n, so’n Doughnut mit Zuckerguss irgendwie so, also so’n bisschen, bisschen zu fettig, bisschen zu viel, so, das ist also, dass es so typisch, typische Popmusik, also eigentlich irgendwie auch keinen, keinen besonders positiven Nährwert, so meistens so, und eben halt irgendwie, eigentlich, eigentlich eben halt, eigentlich zu süß und zu fettig #01:10:45-3# Absatz 527.
Gitarrist: Ja, man könnt ja auch sagen, dass es (unverständlich) eigentlich die perfekte Verbindung zwischen Musik und Kommerz, also #01:10:57-6# Bassist: Ja #01:10:57-7# Gitarrist: Im Sinne von irgendwie ’ne möglichst breite Zielgruppe anzusprechen #01:11:01-9# Bassist: Ja #01:11:01-9# Gitarrist: Wär, wär ’ne Möglichkeit #01:11:03-0# Interviewer: Da wär, da wär eben #01:11:05-5# Gitarrist: Wobei man vielen Sachen wahrscheinlich wieder Unrecht tut #01:11:06-8# Interviewer: Ja, nein, also, ähm #01:11:09-2# Schlagzeuger: Wie’n Blockbluster, Blockbluster Interviewer: Ich hab jetzt vorhin auch gesagt, ist ja eine Definition, Medien, die mediale Verbreitung hängt ganz stark damit zusammen, ist natürlich nachvollziehbar #01:11:20-1# Gitarrist: Ja #01:11:20-1# Interviewer: Wenn man sich die Geschichte der Popmusik anguckt und die Geschichte der technologischen Entwicklung, dann sagt man, ja klar, ähm, vor der Platte gab’s halt was
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anderes, aber dann ging’s los, also Platte war schon mal ganz wichtig und, ähm, im Rock 'n' Roll Kofferradio und Kassettenrecorder, spielt alles ’ne ganz, ganz wichtige Rolle, ähm, dann die Verbreitung, also jetzt popular im Sinne von kommerziell erfolgreich #01:11:451# Sänger: Populär #01:11:45-1# Interviewer: Ähm #01:11:46-9# Absatz 530 - 543.
Sänger: Einfach wirklich populär, einfach (unverständlich) #01:11:49-6# Interviewer: Populär, also bekannt #01:11:50-9# Sänger: Ja #01:11:50-9# Interviewer: Und da ist die Frage, ob’s, ob’s nicht Popmusik an sich gibt, also wenn man diese Kriterien weglässt, weil man ja im Grunde vermuten könnte, und die Vermutung liegt eigentlich ziemlich nahe, dass man sagt, das meiste an Popmusik, ähm, erblickt doch gar nicht das Licht der Welt, das bleibt doch immer im Übungsraum #01:12:10-5# Schlagzeuger: Ja #01:12:10-7# Bassist: Ach so, wenn du das so, so #01:12:11-9# Absatz 544 - 549.
Interviewer: Wenn man das jetzt mal so sieht, dass man sagt, gibt’s nicht ’n anderes Moment, ähm, ’ne andere Quelle oder ’ne Definition von Popmusik aus, aus, sagen wir mal, dieser mehr persönlichen Perspektive #01:12:24-7# Absatz 550.
Gitarrist: Mhm (fragend) #01:12:26-9# Schlagzeuger: Ja, Popmusik ist halt Musik, die viele Menschen mögen, einfach nur und das, das dann, das muss ja nicht heißen, dass es, dass es viele Leute dann entdecken überhaupt, aber, aber dass, die, grundsätzlich allein schon, wenn das von mehreren Leuten (unverständlich), dass die dann ’ne Band, fünf Leute, dass alle fünf Leute das mögen, ist das schon Popmusik (Lachen) und wenn es, ich weiß nicht, aber das ist ja auch ’n, das Wort braucht man ja eigentlich auch nur, ähm #01:12:55-0# Absatz 551 - 552.
Gitarrist: Hinterher #01:12:55-0# Schlagzeuger: Für die Außenwirkung, dass man sagt, oder dass man, dass irgendjemand wissen will, was ist das jetzt, wie kann ich, was ist ’n das jetzt für Musik, und, dann muss man sagen, okay, dann kann man sich entscheiden zwischen dem, was an Begrifflichkeiten bisher da ist, und das wird ja auch immer weiter und immer spezieller und denn gibt es irgendwie, es gibt auch Musikrichtungen, wo ich nicht mehr weiß, was es ist, wenn es irgendwie Dub-Step oder Tiki-Taka, keine Ahnung, was das alles sein soll, aber das ist ja auch alles #01:13:23-9# #01:13:19-7# Absatz 553 - 554.
Schlagzeuger: Aber eigentlich braucht man, braucht man also selber als natürlich ’n Musikschaffender, braucht man das man ja erstmal gar nicht, was also diese, dieses, diese Beschreibung dessen, was das, ähm, und da gibt’s ja auch keine festen Definitionen irgendwie so #01:13:41-5#
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 119
Interviewer: Ja, also ich beschäftige mich so halt da mit der, mit der Frage, ob, sagen wir mal, also populär, ähm, im Sinne von dann eben bekannt, vielleicht auch erfolgreich und so weiter, ob das nicht noch nur ’ne Außenansicht ist, ob’s nicht mehr ’ne Innenansicht gibt, und diese Innenansicht könnte ja sein, dass man vielleicht irgendwann in seinem Leben es wichtig fand, sich hinzusetzen und Songs zu schreiben, die noch gar keiner kennt, weil die schreib ich für mich, und ich sitz bei mir zuhause, und ich mach das, und ich mach das die ganze Nacht und sitz da, und da hab ich noch gar nicht die Vorstellung, dass das andere erreicht, sondern ich mach das aus einem Bedürfnis heraus, dass also das Populäre, sagen wir mal, auch bestimmt ist durch, ähm, ähm, ein individuelles Bedürfnis #01:14:34-9# Absatz 558 - 559.
Gitarrist: Ja, das #01:14:33-6# Interviewer: (unverständlich) durch den Zugang, den ich habe, #01:14:36-1# Gitarrist: Aber das #01:14:36-1# Interviewer: Ist demokratisch, ich darf das #01:14:36-9# Gitarrist: Aber das ist insofern eigentlich oder nicht, vielleicht nicht ganz richtig, weil die Triebfeder überhaupt, die ich mir so mal auf diese Art und Weise auszudrücken, hat ja wirklich jeder, der irgendwie in irgendeiner Form sich musikalisch betätigt, ob das nun Franz Schubert war oder John Lennon oder so oder Kurt Cobain, ist ja völlig latte eigentlich, weil #01:14:54-0# Bassist: Also kreativ musikalisch betätigt #01:14:55-0# Gitarrist: Richtig, genau #01:14:55-3# Bassist: Mhm (bejahend) #01:14:56-1# Gitarrist: Weil die, genau dieses, das haben sie alle gemacht, so, also sie haben’s einfach (unverständlich), manchmal gab’s ja auch ’n pekuniäres Bedürfnis, und sie wollten einfach Geld verdienen, das gab’s ja auch, bei Mozart zum Beispiel, wenn er wieder irgendwie blank war und sein Abo-Konzert wieder vollkriegen musste oder Bach, oh Scheiße, ist schon wieder Samstag, dann muss die Kantate sitzen und fertig sein und kopiert werden, gab’s natürlich auch, aber dieses, dieses, ähm, dieses idealisierte Künstlerding, was du da grade beschreibst, #01:15:22-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #01:15:22-5# Gitarrist: Was ja irgendwie wahrscheinlich auch jeder kennt, der privat richtig Musik macht, das ist einfach, ähm, über die Stilgrenzen hinweg allen, glaub ich, ähm, wie heißt das, ähm, ein #01:15:34-7# Bassist: Zu eigen #01:15:33-8# Gitarrist: Zu eigen, danke schön #01:15:35-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #01:15:37-3# Bassist: Doch auch in anderen künstlerischen Bereichen, ja auch, #01:15:38-4# Sänger: Genau #01:15:38-4# Bassist: Also erstmal, erstmal machst du das ja für dich selber, so und #01:15:36-9# Gitarrist: Oft #01:15:42-4# Bassist: Na ja, ja, gut, okay, ja #01:15:46-2# Sänger: Wunderbares Beispiel ist hier Sturm und Drang, die, die, die Leutchens, die damals die Jünglinge, die sich hingesetzt haben, weil’s halt einfach grade #01:15:52-2# Gitarrist: Da ist ja auch dieses, dieses Künstlerideal ja auch entstanden #01:15:56-3# Sänger: Genau #01:15:56-9# Gitarrist: In der Zeit #01:15:56-9#
120 | Popmusik aneignen
Interviewer: Das wollt ich grade sagen, das wäre ja eigentlich, sagen wir mal, eine frühe Quelle der Popmusik, also diese #01:16:02-1# Absatz 560 - 583.
Sänger: Genau #01:16:02-2# #01:16:03-2# Gitarrist: Unbedingt #01:16:03-2# Interviewer: Weil bei Bach würd ich eher noch sagen, oh, ist Handwerker, das Selbstverständnis muss noch nicht so unbedingt da gewesen sein #01:16:11-9# Gitarrist: Bei der Kunst der Fuge würd ich schon sagen, das hat er schon sehr, sehr für sich gemacht, um das auszuchecken #01:16:16-4# Sänger: Der hat einige Sachen, glaub ich, für sich gemacht #01:16:17-9# Interviewer: Ja, ehrlich gesagt, der ist auch ’n bisschen ne Ausnahme, der gilt, der #01:16:20-9# (Lachen) #01:16:19-9# Interviewer: Läuft ja auch so’n bisschen unter Esoteriker #01:16:23-7# (Lachen) #01:16:22-4# Gitarrist: Vorsicht #01:16:28-4# Interviewer: Wieso, ist #01:16:28-6# Sänger: Alter, der hat so großartige Musik geschrieben, da, das, das ist, das ist egal, ob das irgendwie (unverständlich) genau dieselben Gänsehaut #01:16:34-2# Interviewer: Nein, ich meine, ähm, teilweise das Selbstverständnis in der Zeit mag auch ’n anderes gewesen sein, dass man einfach das #01:16:41-9# Gitarrist: Unbedingt #01:16:41-9# Interviewer: Mehr als Pflicht, als Aufgabe, als #01:16:46-8# Sänger: Oh ja, ja, ja, ja, auf jeden Fall #01:16:45-3# Absatz 584 - 600.
Interviewer: Und nicht so sehr als emotionales persönliches Bedürfnis #01:16:50-5# Gitarrist: Ja, bei ihm war das ja noch ganz, noch ganz, also noch ganz anders, der hat sich, der war ja so, so, so tief gläubig, der hat sich ja selber gar nicht so sehr als Schaffenden gesehen, sondern #01:16:58-8# Bassist: Er wurde geschafft, oder was #01:16:59-1# Sänger: Als, als Werkzeug, #01:17:01-9# (unverständlich) #01:17:01-9# Interviewer: Handlanger #01:17:01-9# Sänger: Ja, als Handlanger, er hat immer gesagt, der Gott spricht durch mich und ich habe die große Ehre, dass er #01:17:05-7# Gitarrist: Wollen tut er eigentlich, wollt er eigentlich Opern schreiben, mein ich, das durft er ja nicht #01:17:08-9# Sänger: Genau #01:17:11-1# Gitarrist: Aber wie auch immer #01:17:10-4# Sänger: Aber was, was grundsätzlich auch eh ’n interessanter Ansatz ist, also dieses, ähm, so dieses, ähm, aber das ist ’n anderes Thema, also wo kommt eine Idee her, also warum hat man auf einmal irgendwie so’n Ding im Kopf, was soll das? So, weil das ist ja nicht,
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 121
also man denkt sich das Zeugs ja manchmal auch aus, aber manchmal ist es ja einfach, verdammte Scheiße, einfach da. So, und dann (unverständlich) #01:17:35-8# Absatz 601 - 611.
Gitarrist: Das berühmte „Yesterday“, denk ich, wacht er morgens auf und hat diese Melodie im Kopf #01:17:38-1# Interviewer: (Lachen) #01:17:39-3# Sänger: Aber ich meine, wir haben alle, wir haben alle diese Momente mit Sicherheit in unserem Leben schon gehabt, dass wir #01:17:43-5# Gitarrist: Aber nicht so erfolgreich (Lachen) #01:17:44-8# Bassist: (Lachen) #01:17:45-8# Sänger: Dass wir da irgendwas, irgendwas hatten und auf einmal dachten, so, was? #01:17:48-9# Bassist: Mhm (bejahend) ne, vor allem, das ist ja auch, wenn man dann sich halt hinsetzt und will kreativ sein, zumindest mir geht das dann immer so, dass ich dann halt immer versuche, wenn das, also wenn jetzt nicht irgendwie ’ne Idee da ist, irgendwie halt, ähm, mich in Stimmung zu bringen, ähm, und #01:18:01-1# (Lachen) #01:17:59-9# (unverständlich) #01:18:04-0# Bassist: Und, ähm, genau und dann sitzt man da und probiert auf der Gitarre rum, und das klappt nicht, und dann probiert man mit ’n paar Sounds rum, und das klappt nicht und irgendwie oder mit ’n paar Loops, und denn gibt’s aber diese Momente, wo’s auf einmal Klick macht, so, warum, warum macht es Klick? Also warum, warum passiert auf einmal irgendwas, wo man denkt, ah, das, das könnte was sein, so, das ist immer wieder dieser, dieser interessante Moment, so, #01:18:30-7# Absatz 612 - 621.
Fließender Übergang zum Themenbereich „Emotionaler Bedeutungsbezug“ Sequenzierung Eine einfache Sequenzierung gestaltet sich aus den generierten Texten heraus insofern schwierig, da hier eher Gesprächskategorien in den Vordergrund treten anstelle klar definierbarer Einzelaussagen zu Sachthemen. Die hier exemplarisch genannten Gesprächskategorien wie Was ist Popmusik?, Welche Rolle spiele ich darin?, Welche Bedeutung hat das für meine tägliche Arbeit? beziehen sich vielmehr auf ein grundlegendes Verhältnis der eigenen Arbeit zu Bereichen populärer Musik oder auch zu Popmusik als Genre und betreffen das Selbstverständnis der Teilnehmer als ausübende Musiker. Diese sind nicht durch einfache Sachaussagen abschließend zu umschreiben oder gar zu klären, sondern initiieren vielmehr einen nicht abgeschlossenen Diskussions- und Reflexionsprozess.
122 | Popmusik aneignen
Abb. 18: Sequenzierung „Definition Popmusik“ Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug Der Themenbereich Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug ist im Sinne einer Antwortsequenz zur Thematik der Definition Popmusik zu verstehen. In diesem Gesprächsabschnitt geht es nicht um das emotionale Verhältnis zu Musik im Allgemeinen, sondern um das gegenwärtige persönliche emotionale Verhältnis zu Musik als Bestandteil der professionellen Arbeit. Die Gesprächsteilnehmer legen im Besonderen Wert auf die Feststellung, dass das eigene emotionale Verhältnis zum Arbeitsergebnis gerade in professionellen Kontexten eine wichtige Rolle spielt. Dies bezieht sich auch auf Auftragsarbeiten, zu deren Inhalten keine besondere persönliche Beziehung besteht. Die emotionale Wirkung auf die Gesprächsteilnehmer selbst wird als eine herausragende Kategorie der Beurteilungskompetenz verstanden. Das emotionale Berührtsein als eine Art Feedback des eigenen Arbeitsergebnisses wird als fester Bestandteil der Arbeitsdisziplin geschildert und kann in diesem Sinne als emotionale Rationalität verstanden werden, ohne die kein glaubwürdiges Arbeitsergebnis zustande kommen kann. Die Wechselbeziehung zwischen Arbeitsergebnis und emotionalem Berührtsein ist demnach ein grundlegender Bestandteil im Arbeitsprozess als Voraussetzung für eine erfolgreiche oder zumindest Erfolg versprechende Arbeit. Es handelt sich um einen reziproken Prozess durch einen fortgesetzten Abgleich zwischen fortschreitendem Arbeitsergebnis und emotionalem Berührtsein. Die Teilnehmer gehen grundsätzlich davon aus, dass der von ihnen beschriebene Vorgang ein allgemeines Prinzip auch bei anderen Musikschaffenden darstellt. Sie gehen davon aus, dass dies auch auf diejenigen zutrifft, bei denen man aufgrund ihrer eindeutigen Ausrichtung auf ökonomischen Erfolg möglicherweise eine andere Vorgehensweise oder Haltung vermuten würde (Beispiel Dieter Bohlen). Interviewauszüge Bassist: Und, ähm, genau und dann sitzt man da und probiert auf der Gitarre rum, und das klappt nicht, und dann probiert man mit ’n paar Sounds rum, und das klappt nicht und irgendwie oder mit ’n paar Loops und denn gibt’s aber diese Momente, wo’s auf einmal Klick macht, so, warum, warum macht es Klick? Also warum, warum passiert auf einmal irgendwas, wo man denkt, ah, das, das könnte was sein, so, das ist immer wieder dieser, dieser interessante Moment, so, #01:18:30-7#
(Fließender Übergang zum Themenbereich „Emotionaler Bedeutungsbezug“.) Sänger: Ja, weil man auf einmal ’ne emotionale Verbindung dazu hat #01:18:31-1#
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Bassist: Ja genau, auf einmal, auf einmal hörst du was, was bei dir emotional irgendwas auslöst #01:18:35-3# Gitarrist: Ja #01:18:35-3# Bassist: Auf einmal drückt dich das halt in ’ne Richtung #01:18:38-1# Gitarrist: Ja #01:18:38-5# Sänger: Ja, auf einmal hast, auf einmal bist du dir sicher, das ist ja der Trick, #01:18:40-7# Bassist: Ja #01:18:40-8# Sänger: Das ist ja der Trick, also diese, dies, das, das, das, da, das mach ich einfach wahnsinnig viel, das, dieser der Punkt, dass deine Emotion dich durch den Song trägt #01:18:510# Bassist: Mhm (bejahend) #01:18:51-1# Sänger: Also, sonst bist du ja blind #01:18:52-4# Bassist: Ja #01:18:52-4# Sänger: Du hast ja, weil es geht ja, zugrunde liegt dem Ganzen beim Song im besten Fall immer ’ne Emotion, möglichst ’ne klare Emotion, so und die muss ich als, als, als #01:19:01-3# Interviewer: Also auch im Kontext mit professioneller Arbeit? #01:19:04-0# Sänger: Ja, unbedingt #01:19:04-5# Gitarrist: Ja, ja, klar #01:19:05-9# Sänger: Da noch, noch, also #01:19:07-9# Interviewer: Ja, ja #01:19:07-9# Sänger: Da noch viel wichtiger #01:19:09-5# Gitarrist: Weil man dann ja auch erst irgendwie imstande ist zu entscheiden, ob irgendwas falsch oder richtig ist #01:19:13-5# Sänger: Ja #01:19:13-5# Sänger: Und dieses, immer wieder dieses, und was (Name des Gitarristen) sagt, mit emotionalem Gedächtnis ist, ähm, und diese, dieses Method Acting, dieser Kram, das ist ein zentraler Bestandteil, ähm, von Musikmachen, also von professionellem Songschreiben auf jeden Fall, weil du brauchst immer wieder die Rückmeldung, du musst immer wieder in dieses Gefühl gehen, an dieses Gefühl gehen, musst das, was du da grade tust, abgleichen mit dem, ist das dasselbe, ist es das nicht, dededede, quasi dagegen hauen und sehen, also ob das den richtigen Ton macht, ähm, und das ist ’ne große Form von, von Disziplin, also es ist #01:19:46-9# Absatz 620 - 642.
Interviewer: Also, es gibt kein in diesem Kontext dann kein Musikmachen ohne, ähm, emotionale Bindung, also auch #01:19:54-4# Sänger: Für mich nicht #01:19:54-4# Interviewer: Auch wenn’s für Auftragsgeschichten ist? #01:19:57-1# Sänger: Ne, ja, um ’ne ich also, ich, das geht bestimmt anders, und es ist jetzt kein Bashing und alle sind doof und ich bin toll, sondern es ist einfach nur, ich kann’s irgendwie nicht anders, und ich hab das Gefühl, ich pervertiere meinen Job, weil es geht, Musik ist was Grandioses und, ähm, ich mach mir das doch nicht dadurch kaputt, dass ich auf einmal, ähm, halbherzig, ähm, unmotiviert irgendwelchen Scheiß mache, wo ich hinterher denk, und das ja hinterher, wenn ich mir das anhöre, dann weiß ich ja, wie ich drauf war und was
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passiert ist, während ich das gemacht hab, dann bin ich ja zutiefst unehrlich mit mir selber214 #01:20:32-7# #01:20:33-0# Bassist: Warum auch, du musst ja für dich selber, wenn, wenn du’s selber schon nicht geil findest, wie soll das jemand anders geil finden? #01:20:36-9# Sänger: Genau, keine Frage #01:20:37-7# Bassist: Genau, das ist, und, und jetzt denk ich, ist es aber auch bei fast allen Sachen so, also, es ist, seien es jetzt wirklich irgendwelche, ähm, Auftragssachen, auf die man eigentlich auch überhaupt keinen Bock hat, aber die man genau wie Vater Bach dann auch oder wer auch immer aus pekuniären oder welchen Gründen macht oder so, aber ansonsten glaub ich, ist das halt immer genau der Punkt, also wenn du dich selber schon nicht überzeugen kannst davon, wie soll das irgendjemand anders überzeugen? #01:20:58-2# Sänger: Aber selbst dafür, glaub ich, versuchen wir immer, also ich weiß nicht (unverständlich) #01:20:59-9# Bassist: Irgendwas Geiles zu machen, ja klar #01:21:02-4# Sänger: Genau, und möglichst damit, immer noch möglichst mittenrein zu graben, #01:21:05-6# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:05-6# Sänger: Weil es einfach, es ist so frustrierend, also ne, es ist so frustrierend, Musik von sich selber halt zu hören, wo man, es ist blutleerer Scheiß, es ist #01:21:15-2# Gitarrist: Dreck, oder? #01:21:15-2# Sänger: Es ist Dreck #01:21:18-7# Gitarrist: Das hat jeder, der halt irgendwie Musik schreibt oder ’n wertvollen Beitrag dazu leistet und man hört jemanden sagen, mhm (bejahend), das find ich Klasse, dass das irgendwie, irgendwie motiviert, emotional #01:21:26-5# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:26-5# Absatz 643 - 658.
Gitarrist: Ich glaube, selbst, selbst Dieter Bohlen hat ’n Gefühl #01:21:28-7# Bassist: Klar #01:21:28-7# Schlagzeuger: Nä #01:21:30-8# Gitarrist: Doch, ich bin davon überzeugt, mittlerweile #01:21:32-6# Sänger: Auf jeden Fall #01:21:33-2# Gitarrist: Er hört zwar nicht, aber man muss, denkt, dass kann man nicht aushalten, wenn man das nicht fühlt #01:21:38-1# Absatz 659 - 664.
Sänger: Hab ich eigentlich mal diese, diese, diese Bohlen-Demos vorgespielt? Dir hab ich sie sicher mal vorgespielt, wo Bohlen zu seiner Begleitautomatik dann so die #01:21:45-2# Bassist: Ich hab immer nur davon gehört, von diesen berühmten Kassetten #01:21:47-5#
214 Randy Newman äußert sich zur gleichen Frage entsprechend. „Aber was bedeutet das? [Aspekt professionell arbeiten, der Verf.] Im Unterschied zu – was? Emotional? Laienhaft? Ich bin ein professioneller Songschreiber. Ich mache viele Auftragsarbeiten. Das heißt aber nicht, dass ich da leidenschaftslos bin. Musik ist Gefühl, sie kann nicht nur unterm Mikroskop seziert werden.“ (Rolling Stone, Ausgabe 274, August 2017, S. 77.)
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Sänger: Das, ich hab da, ich hab ja mal hier (Name einer Sängerin) machen wollte, da #01:21:51-9# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:51-9# Sänger: durfte ich ja mal ’n bisschen mitarbeiten und, ähm, der meint das ernst #01:21:573# Bassist: : Ja, ja, #01:21:57-8# Absatz 665 - 670.
Gitarrist: Denk ich auch #01:21:58-9# Sänger: Das ist also ganz normale Art und Weise, wie er mit seiner komischen schrecklichen Fistelstimme da (singt), der macht das nicht irgendwie #01:22:10-4# Bassist: Ne, ne, aber das ist genau der gleiche Punkt, wenn er’s schon nicht geil findet, wie soll das jemand anders geil finden? So #01:22:16-9# Gitarrist: Punkt #01:22:16-9# Bassist: Ja #01:22:18-6# Absatz 671 - 675.
Gitarrist: Noch ’ne Frage? #01:22:19-4# Interviewer: Ja super. Vielen Dank #01:22:21-9# Absatz 676 - 677.
Sequenzierung
Abb. 19: Sequenzierung „Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug“
3.6.7 Zwischenfazit Gruppendiskussion Die durchgeführte Gruppendiskussion dient im Rahmen dieser Arbeit vornehmlich als methodisches Instrument der rekursiven Prüfung der in Kapitel 3 aufgestellten Hypothesen zur Verständigung unter Musikschaffenden im System Popmusik, ausgehend von der Annahme, dass dieses ohne festes Regelwerk auf der Basis eines sich kontinuierlich verändernden Referenzrahmens fortlaufend neu konstituiert wird, wobei Aspekte konjunktiver Erfahrungsräume eine maßgebliche Rolle im Zusammenhang der Codierung und Decodierung kommunikativer Strategien spielen. Die Vorgehensweise in der Gruppendiskussion ist sowohl deduktiv als auch induktiv im Sinne eines offenen Gesprächsverlaufes. Der tatsächliche Gesprächsverlauf zeigt im Vergleich zur geplanten Struktur die Dynamik innerhalb der Gruppe, die Herausbildung von Schwerpunktthemen, die einerseits vom Interviewer initiiert werden, aber andererseits von den Teilnehmern wiederholt aufgegriffen werden, was auf die Be-
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deutung von Themenkreisen aus Sicht der Teilnehmer hinweist. Der Vergleich zwischen geplantem und realem Verlauf lässt erkennen, dass der Themenschwerpunkt Konjunktiver Erfahrungsraum – Beispiel: Sprachcodes unter (Profi-)Musikern obsolet geworden ist. Im Nachhinein wird deutlich, dass das angedachte Thema nicht als Einzelaspekt relevant ist, über den man in der Gruppe sprechen kann. Vielmehr ist das gesamte Gespräch geprägt von Codes bzw. Codierungen, und dies nicht auf der ausschließlichen Ebene von Sprache. Bei der Transkription der Texte fiel insbesondere auf, dass die spätere Übertragung mitunter von der Problematik begleitet war, den aktuellen Gesprächsgegenstand genau zu identifizieren bzw. festzustellen, worum es im Detail an einer spezifischen Stelle innerhalb des Gesprächsverlaufs ging. Dies steht im Gegensatz zur Erfahrung während des Gesprächs. Hier war jederzeit klar, worum es jeweils bei den teils nicht immer klar verständlichen Äußerungen ging. Dies kann dadurch erklärt werden, dass die Bedeutungszusammenhänge im Gespräch auch deswegen besser verstanden werden, weil Sprechen durch Mimik, Blickrichtungen, Bewegungen, Gestikulieren etc. begleitet ist, welche Sprache leichter decodieren lassen, weil z. B. deutlich wird, dass eine Bemerkung ironisch gemeint sein könnte.215 (Hinzu kommt der schwer messbare Aspekt der Gesprächsatmosphäre als flüchtiges Moment.) Wichtig bleibt es in diesem Kontext festzustellen, dass während des Gesprächs zu keinem Zeitpunkt Unklarheit bezüglich der Ausführungen der Teilnehmer untereinander herrschte. Codierung findet demnach nicht ausschließlich auf einer (scheinbar) relativ einfach nachvollziehbaren Ebene der Sprache statt. Vielmehr ist die gesamte Kommunikation geprägt durch vielschichtig aufeinander bezogene Codierungsebenen, deren Entschlüsselung vornehmlich in Bereichen der gemeinsamen Erfahrung und der damit verbundenen Selbstverständlichkeit von Auffassungen zu finden ist. So ist die häufige Nennung historischer (Musik-) Ereignisse als Teil eines gemeinsamen Referenzrahmens (Musikalben, Künstler, bedeutende Musikstücke, Spieltechniken, studiotechnische Aspekte usw.) ein grundlegendes Instrument zur Darstellung gemeinsamer Vorstellungen, z. B. auf ästhetischer Ebene, die auf konjunktiver Erfahrung beruhen. Diese Erfahrungsräume sind vorwiegend generationsspezifisch, können aber auch durch die Tiefe der Auseinandersetzung bedingt sein. In Bezug auf die zuvor in Abschnitt 3.2 (und folgenden) aufgestellten Hypothesen zur Frage eines sich verändernden Bezugssystems im System Pop kann festgehalten werden, dass diese von den Gesprächsteilnehmern im Kern bestätigt werden konnten. Ein in diesem Zusammenhang zu nennendes auffälliges Merkmal ist, dass die sich hinter einem Thema verborgene, weil noch nicht offen formulierte, Fragestellung von den Teilnehmern jeweils sofort identifiziert werden kann. So wird beispielsweise die Diskussion über die Ästhetik der in den 1970er- und 1980er-Jahren in bestimmten Genres häufig verwendeten Slash-Akkorde unmittelbar nach Beginn des Vorspielens eines passenden Hörbeispiels (Titelmelodie der Serie „Magnum“) auf-
215 Dies betrifft allgemein die Komplexität von Kommunikation. „Daraus folgt, dass Kommunikation auch ohne Sprache möglich ist. Insofern ist Sprachlichkeit kein Kriterium von Kommunikation. Die Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen kann gleichermaßen durch Körperbewegungen, fragende Blicke, Gesten aller Art usw. erzielt werden.“ (Kneer/Nassehi, 20004, S. 91.)
Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des „Populären“ – Popmusik | 127
gegriffen. Die im Verlauf der Diskussion getroffenen Aussagen über den genretypischen Einsatz solcher Akkordkonstruktionen im historischen Kontext sind im Kern identisch mit den zuvor aufgestellten Hypothesen in Abschnitt 3.3.3. Ebenso werden die Annahmen zur Identifizierung spezifischer Sounds wie der so genannte „TwinPeaks-Sound“ bestätigt. Die Teilnehmer erkennen wiederum spontan die Fragestellung und identifizieren den genannten Sound als Bestandteil eines innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes gültigen Vokabulars, welches von ihnen als generationsspezifisch eingestuft wird. Diese Gruppenaussage stützt ebenfalls die Hypothese eieines Vokabulars innerhalb des Systems Pop als liquide Sprache, welche ein zeitlich (möglicherweise auch regional einzugrenzendes) begrenztes Regelwerk bildet. Zum Themenbereich Groove kann ebenfalls festgestellt werden, dass die Auffassungen der Gesprächsteilnehmer sehr ausdifferenziert sind und sich einer einfachen Außenbetrachtung entziehen. Die hier angesprochene Komplexität der vielfältigen Bereiche rhythmischer Organisation von Musik veranlasst die Teilnehmer, keine allgemein gültige Definition hierzu anzubieten. Sie stellen vielmehr fest, dass eine solche Definition nicht möglich sei, was die hierzu aufgestellten Hypothesen in Abschnitt 3.3.4 unterstützt. Es kann grundlegend festgehalten werden, dass die in Abschnitt 3.3 aufgeführten exemplarischen Themen zu Aspekten wie Groove, Harmonische Standards, Soundvokabular von den Gesprächsteilnehmern hinsichtlich der vom Verfasser vertretenen Auffassungen und entsprechend formulierten Hypothesen von den Teilnehmern geteilt und im Verlauf des Gesprächs von diesen durch Nennung weiterer Beispiele belegt und ausdifferenziert werden. Ein für die Interpretation des Gesprächs als wichtig erscheinendes Merkmal stellen nach Ansicht des Verfassers die Antwortsequenzen dar, da hier Bedeutungsschwerpunkte aus der Perspektive der Teilnehmer gebildet werden, insbesondere dann, wenn aus unterschiedlichen Gesprächsanlässen wiederholt auf Schwerpunktthemen eingegangen wird. Zum einem fällt in diesem Zusammenhang auf, dass der persönliche und emotionale Bezug zu Musik wiederholt angesprochen wird. Das Moment der Betonung gefühlsbezogener Ebenen bezieht sich im Verlauf des Gesprächs sowohl auf frühe Erlebnisse als auch auf die Gegenwart.216 Der emotionale Bezug zu Musik stellt somit eine feststehende Komponente innerhalb der Biografien der Teilnehmer dar, die sich trotz der professionellen Berufsausrichtung nicht wie vielleicht anzunehmen zu Gunsten einer reduzierten gefühlsbetonten Beziehung zu Musik entwickelt, sondern im Gegenteil als Teil eines bewusst gesteuerten rationalen Umgangs mit Musik als Parameter der Bewertung der eigenen Leistung miteinbezogen wird.217 Die Integration des eigenen auf Emotionen beruhenden Urteils findet nicht trotz ökonomischer Anforderungen statt, sondern ist vielmehr Teil kritischer Selbstreflexion, insbesondere auch aus einem ökonomischen Interesse heraus. Eine weitere signifikante Antwortsequenz stellt das wiederholte Aufgreifen von Fragen um mögliche Sichtweisen auf Popmusik und deren Definitionen aus Perspek-
216 Die Komplexität des Themenbereichs „Musik und Gefühle“ als auch der Themenzusammenhang zwischen Gefühl und Ästhetik sind dem Verfasser bekannt, sollen an dieser Stelle jedoch nicht vertieft werden, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Vgl. dazu Rolle (2012), S. 269ff. 217 Vgl. hierzu Rolle: Die Rationalität von Gefühlen (2012), S. 273f.
128 | Popmusik aneignen
tiven der Popmusikforschung dar. Nachdem der Themenbereich zunächst vom Interviewer initiiert und zunächst zögernd von den Gesprächsteilnehmern angenommen wird, kann die Diskussion durch Zitieren vereinfachter Aussagen zur Kommerzialität oder einfachen Strukturen von Popmusik intensiviert werden. Hieraus kann gefolgert werden, dass sich die Musikschaffenden durch die Konfrontation mit vereinfachenden Aussagen in ihrer Arbeit falsch eingeschätzt und unterbewertet fühlen, da die professionelle Auseinandersetzung mit dem Produktionsprozess mit all seinen technischen und ästhetischen Facetten weitgehendere Einblicke ermöglicht, welche durch wissenschaftliche Kategorienbildung schwer erfasst werden können. In diesem Punkt offenbart sich nach Ansicht des Verfassers eine grundlegende Problematik zwischen einer vorwiegend auf quantitativer Analyse beruhender Außenansicht aus wissenschaftlicher Perspektive, welche Gegenstände ausschließlich kategorial zu erfassen versucht, und einer auf qualitativen Ebenen beruhenden Innenansicht der Musikschaffenden, welche auf Prozessen beruht, die sich zudem fortlaufend neu gestalten durch Paradigmenwechsel innerhalb verschiedener Genres. Aus der Diskussion um verschiedene Themen und Schwerpunkte wird im Verlauf des Gesprächs im Sinne wiederholt auftretender Antwortsequenzen deutlich, dass der Bezug auf ästhetische Sichtweisen als zentrale Sichtweise konstatiert werden kann. Ästhetische Kategorien werden von den Teilnehmern in verschiedenen Zusammenhängen aufgegriffen, angefangen mit frühen Erlebnissen als Moment der Initiierung, gefolgt von Erinnerungen zur musikalischen Praxis und ersten Gehversuchen in frühen Bandformationen bis zur heutigen professionellen Arbeit. Das Verhältnis zu Musik als ästhetische Kategorie stellt nach Einschätzung des Verfassers eine der Hauptkategorien innerhalb der Biografien der Musikschaffenden dar.
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Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen bei Schülern der Sekundarstufen
4.1 ASPEKTE DES THEMENKOMPLEXES 4.1.1 Informelle Lernkontexte als Grundlage des eigenständigen Kompetenzerwerbs Die Breite der Begriffsbildung um Informelles Lernen umfasst mittlerweile ein großes Forschungsfeld und einen ebenso uneinheitlichen Umgang mit den in diesem Kontext relevanten Begriffen, sodass an dieser Stelle kein umfassender Überblick gegeben werden soll. Vielmehr werden zentrale Begriffe und Interpretationen für den Gegenstand dieser Arbeit herausgestellt. Hierbei bezieht sich der Verfasser zunächst im Wesentlichen auf die Veröffentlichungen Bernd Overwiens „Stichwort: Informelles Lernen“ aus den Jahren 2005 und 2016,1 da hier jeweils ein umfassender Überblick über die historische Entwicklung des Begriffes gegeben wird. Darüber hinaus werden die Originaldokumente hinzugezogen, auf die im Aufsatz Bezug genommen wird, gefolgt von weiteren Quellen zur Reflexion und Anpassung der zentralen Begriffe für die vorliegende Studie. Der Begriff des informellen Lernens unterliegt mittlerweile einer langen und ausdifferenzierten Entwicklung und spielt in diversen Forschungsansätzen bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert in den USA eine Rolle. Nach Overwien geht der Begriff des „Informal Learnings“ vermutlich auf John Dewey zurück, der diesen Bereich von formalen Lernprozessen in dafür vorgesehenen Institutionen abgrenzt. 2 Informelles Lernen wird zunächst vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Bezugs auf Arbeitsprozesse betrachtet. Erst später bilden sich neben der Betrachtung von Arbeitskontexten weitere Forschungsschwerpunkte mit Gemeindekontexten, sozialen Bewegungen und folgend mit interkulturellen Kontexten in ethnologischen und anthropologischen Studien.3 Die Faure-Kommission der UNESCO trägt mit der Veröffentlichung „Learning To Be“ aus dem Jahre 1972 und der folgenden Veröffentlichung aus dem Jahre 1973 („Wie wir leben lernen“) wesentlich zur Verbreitung und Auseinander-
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Vgl. Overwien (2016). Vgl. Overwien (2005), S. 337. Vgl. ebd. (2005), S. 338.
130 | Popmusik aneignen
setzung mit informellem Lernen auch im deutschsprachigen Raum bei. Laut Schätzung der Kommission gehen etwa 70 Prozent aller menschlichen Lernprozesse auf informelles Lernen zurück, was die Bedeutung des Lernens in nicht institutionalisierten Kontexten hervorhebt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass ein wesentliches Grundargument für die Notwendigkeit der Verknüpfung von formaler Bildung und informellem Lernen bereits 1973 in der wissenschaftlich-technischen Umwälzung und den neuen Informationsströmen gesehen wird.4 Wenn dieses Argument bereits im Pre-Internet-Zeitalter von herausragender Bedeutung war, so erscheint der Aspekt der Einbindung biografisch geprägten Erfahrungslernens umso bedeutender für die Gestaltung gegenwartsbezogener Lernstrategien. Unklar bleiben bis heute die Begriffe um das informelle Lernen. Teilweise werden Informal Education und Informal Learning synonym benutzt. Overwien verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Begriff der Informal Education zumeist im Sinne der Schaffung von Lernumgebungen verstanden wird, die informelles Lernen ermöglichen.5 Darüber hinaus sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich bei den Begriffen wie formales Lernen, non-formales Lernen und informelles Lernen eher um verbreitete und entsprechend gebräuchliche Begriffe handelt, teilweise werden von einigen Autoren eher die Begriffe Lernkontexte bevorzugt. 6 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften definiert die genannten Begriffe 2001 folgendermaßen: • Formales Lernen – „Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbil-
dungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet.“7 • Nicht-formales Lernen – „Lernen, das nicht in Bildungs- oder Berufsbildungseinrichtung stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es zielgerichtet.“ 8 • Informelles Lernen – „Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nicht intentional (oder „inzidentell“/beiläufig).“9 In Anlehnung an Watkins und Marsick schließt sich der Verfasser der Definition an, dass informelles Lernen und selbstgesteuertes Lernen sowohl zielgerichtet10 als auch
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Vgl. Faure (1973), S. 41. Vgl. Overwien (2005), S. 339. Vgl. Langer (2012). Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001), S. 33. Ebd. (2001), S. 35. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001), S. 33. Vgl. Watkins/Marsick (1990).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 131
intentional ist. Es unterscheidet sich per Definition von inzidentellem Lernen oder beiläufigem Lernen (en passant), welches nicht zielgerichtet und intentional ist. Letzteres kann als implizites Lernen zusammengefasst werden. Offen bleibt, inwieweit implizites Lernen, als vom Lernenden nicht bewusst wahrgenommen, auch (langfristige) Auswirkungen auf intendiertes Lernen haben kann. 11 Autodidaktisches Lernen an popmusikalischem Material, auch im Sinne von Trial-and-Error, ist nicht selten mit zufälligen Ergebnissen verbunden, deren Erreichen nicht mit einem bewussten oder zielgerichteten Prozess verbunden ist. So gelangen Musikausübende häufig durch Herumspielen auf ihrem Instrument zufällig zu einem bestimmten Ergebnis, welches sie nicht vorhersehen konnten.12 Dies geschieht beispielsweise auf einem Tasteninstrument, wenn man versehentlich eine benachbarte, jedoch eigentlich falsche Taste trifft, die nur kurz vor der richtigen Zieltaste angeschlagen wird. Das Ergebnis des zufälligen Lernens aus Fehlern besteht in diesem Fall in der eventuellen Erkenntnis der Möglichkeit einer schmutzigen Intonation, vielleicht sogar einer Blues-beeinflussten Tongebung. Ähnliches kann durch Herumspielen mit Akkorden entstehen.13 Beides setzt voraus, dass das zufällige Ergebnis durch entsprechende Hörerfahrungen und Repräsentationen „wiedererkannt“ wird. Eine besondere Rolle spielen beiläufige Prozesse im Bereich Sound oder bei der Arbeit am Instrument Computer. Durch Bearbeitungen oder zufällige Spurzuweisungen entstehen hier neue Ergebnisse, die gar nicht intendiert sein konnten, z. B. durch versehentliches Verschieben einer MIDI-Region14, die vorher einem Klavierklang zugeordnet war, auf eine Schlagzeug-MIDI-Spur. Aus einer musikalischen und kreativen Perspektive folgt hieraus, dass beiläufiges und unbewusstes Lernen sich nicht auf bereits vorhandenes Wissen beziehen muss, sondern neue Wissensgegenstände entstehen lassen kann, die vorher gar nicht existierten. In Bezug auf den vorliegenden Forschungsgegenstand und den individuellen Umgang mit popmusikalischem Material geht der Verfasser von allen Optionen aus, die als Lernprozesse feststellbar sind bzw. in feststellbaren Kompetenzen münden können. Dies schließt explizit auch solche Prozesse mit ein, die mit Begriffen wie unbewusstes Lernen, beiläufiges Lernen, implizites Lernen oder Tacet Knowledge umschrieben werden. Da der selbstgesteuerte (ggf. auch unterbewusste) Kompetenzerwerb in informellen Kontexten zum Prinzip der
11 Vgl. Overwien (2005), S. 341. 12 Hemming verweist darauf, dass einige Instrumente wie z. B. die Gitarre besonders gut für autodidaktisches Lernen geeignet sind und auch in einer solchen Tradition stehen. Vgl. Hemming (2009) S. 65f. 13 Bezogen auf Tasteninstrumente greifen Anfänger gern parallele Akkorde entgegen den klassischen Stimmführungsregeln. Einige Schülerinnen und Schüler des Autors haben so zufällig Ähnlichkeiten zu Cyndi Laupers „Time After Time“ entdeckt. Viel wahrscheinlicher ist die parallele Akkordführung vor allem aufgrund der Ästhetik jedoch bei Gitarren, insbesondere bei verzerrten E-Gitarren, wenn die Akkorde als Powerchords (ohne Terz) gespielt werden. 14 Die Bezeichnung „Region“ folgt der entsprechenden Zuordnung im DAW-Programm Logic von Apple ab Version X.
132 | Popmusik aneignen
Oral Tradition15 von Popmusik gehört, müssen alle Lernstrategien Berücksichtigung finden, die zu einem Popmusik-bezogenen Ergebnis führen. 4.1.2 Zum Forschungsstand Die zentrale Forschungsfrage berührt neben dem musikalischen Gegenstand populäre Musiken vor allen Dingen die Kontexte und Forschungsfelder Kompetenzerwerb, Selbstsozialisation und informelles Lernen. In der aktuellen deutschsprachigen Literatur gibt es aktuell (2017) keine zum hier bearbeiteten Thema identischen Arbeiten, jedoch solche, die sich mit Teilaspekten befassen. Da die Forschungsfelder zu den separat betrachteten Bereichen wie Kompetenzerwerb und Selbstsozialisation, informellem Lernen bereits in den jeweiligen Teildisziplinen weitreichend bearbeitet sind, soll an dieser Stelle kein umfassender Überblick gegeben werden. Aus diesem Grunde können nur solche Werke genannt werden, die sich explizit mit Selbstsozialisationsprozessen in popmusikalischen Bereichen (möglichst) außerhalb formaler Lernkontexte befassen.16 Aufgrund der Historie des Forschungsfeldes bietet sich die Berücksichtigung zentraler englischsprachiger Werke an. Vor dem Hintergrund der hinsichtlich der geringen Anzahl veröffentlichter Projekte und einer entsprechend problematischen Literaturlage im deutschsprachigen Forschungsbereich wird an dieser Stelle auch solche Literatur berücksichtigt, die die oben genannten Kriterien Selbstsozialisation und Popmusik erfüllt, jedoch keine expliziten Forschungsprojekte beinhaltet, sondern Veröffentlichungen im wissenschaftlichen Bereich darstellt. Soweit es sich um Sammelwerke handelt, werden ausgewählte zentrale Inhalte wiedergegeben. Eine umfassende Darstellung erscheint in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, ist z. T. bei ausgedehnten qualitativen Forschungen aufgrund der Komplexität der Fragestellungen nicht angemessen und würde darüber hinaus den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Projekte sind nach dem Jahr der Veröffentlichung geordnet, beginnend mit dem aktuellsten. Sharon Davis: Informal Learning Processes in an Elementary Music Classroom (2013) Das Forschungsprojekt ist als Aufsatz im Bulletin of the Council for Research in Music Education, No. 198 veröffentlicht. Der Aufsatz beinhaltet die Erfassung eines Projektes, welches die Autorin mit einer vierten Grundschulklasse durchgeführt hat. An dem Projekt haben insgesamt 24 9- und 10-jährige Schülerinnen und Schüler teilgenommen (zwei Mal 30 Minuten pro Woche über einen Zeitraum von vier Monaten). Ziel des Projektes war es, mit den Schülern einen ausgewählten Popsong zu erarbeiten und sich hierbei vornehmlich auf informelles Lernen zu beschränken. Das
15 Oral Tradition wird hier auch in einem zeitgemäßen Sinn medialer Vermittlung verstanden, die jedoch nicht notengebunden ist. 16 Es kann davon ausgegangen werden, dass das Befassen mit Popmusik unter instrumentalen oder gesanglichen Aspekten immer mit informellen Lernprozessen als Teil von Selbstsozialisation verbunden ist, sodass Begriffe wie Selbstsozialisation oder entsprechende Synonyme nicht im Titel wissenschaftlicher Veröffentlichungen enthalten sein müssen.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 133
methodische Vorgehen basierte auf teilnehmender Beobachtung, begleitet von Audio- und Videoaufzeichnungen. Zusätzlich wurden mit den Schülern Gruppeninterviews durchgeführt. Das Projekt geht von der Grundhypothese aus, dass die Frage der Zuordnung von formalem Lernen und informellem Lernen vom Ort der Lernprozesse nicht abhängig ist und informelles Lernen auch in den schulischen Unterricht integriert werden kann. Dabei galt es die folgenden grundlegenden Aspekte zu klären: • How will children engage in learning popular music in the classroom? • What pedagogical approaches used by the teacher support the children’s use of in-
formal learning approaches in the elementary general music class? 17 Darüber hinaus war die Frage offen, ob es gelingen würde, lediglich einzelne Parts des Songs zu erarbeiten oder ob die Schüler in der Lage sein würden, den ganzen Song zu spielen. Der zu erarbeitende Song wurde von der Lehrkraft (Davis) ausgewählt. Je nach Erarbeitungsphase wurde zwischen formaler Arbeit in Großgruppen (z. B. Klärung grundlegender Fragen zum weiteren Vorgehen) und informellen Lernprozessen in Kleingruppen (Erarbeitung des Songs) gewechselt. Die einzelnen Parts wurden hierbei ausschließlich durch Hören und Nachspielen erarbeitet. Auf Notation wurde gänzlich verzichtet. Die anfängliche Arbeit in den Kleingruppen war zunächst geprägt durch chaotische Herangehensweisen, die jedoch nach und nach im Sinne der Ergebnisorientierung und Konzentration auf den musikalischen Part verfeinert wurden.18 Im Laufe des Prozesses, der sich über mehrere Stunden hinzog, wurden die verschiedenen Layer und Texturen des Songs von den Schülern erarbeitet, wobei die Schüler in den Tempi der Erfassung unterschiedlich waren und teilweise Probleme in der Erfassung der verschiedenen Songparts hatten. So wurden Einsätze nicht erkannt oder an Tacet-Stellen weitergespielt. In diesem Punkt war Hilfestellung durch die Lehrkraft erforderlich.19 Das Verhalten der Lehrkraft war anfänglich durch Intervention gekennzeichnet, was jedoch zunehmend vermieden werden konnte, da das Lernen in den Gruppen ausschließlich Peer-orientiert war und als solches erkannt wurde. Nach anfänglichem Wechseln der Schüler zwischen den verschiedenen Gruppen bzw. Instrumenten blieben diese schließlich bei ihrem gewählten Instrument. Der Song konnte abschließend mit der Lehrkraft am Klavier als Hilfestellung gespielt werden. Abschließend werden folgende Faktoren für das Gelingen des Prozesses herausgestellt: • Hohe Motivation aufgrund des ausgewählten Songs und der großen Akzeptanz
durch die Schüler. • Das Lernen in der Gruppe ist ausschließlich Peer-orientiert. • Freie Wahl des eigenen Parts bzw. Instruments und ausreichend Zeit zum Experimentieren.
17 Davis (2013), S. 27. 18 Vgl. Davis (2013), S. 32. 19 Vgl. ebd. (2013), S. 34.
134 | Popmusik aneignen
• Miteinbeziehung des soziokulturellen Kontextes durch Berücksichtigung der eige-
nen Hörerfahrungen und -präferenzen. • Möglichst hoher Grad an Zurückhaltung der Lehrkraft. Nur unterstützendes Ein-
greifen wenn notwendig. Karlsen, Sidsel/Väkevä, Lauri (Hg.): Future Prospects for Music Education/Corroborating Informal Learning Pedagogy, Cambridge Scholars Publishing (2012) Der Sammelband enthält verschiedene Beiträge zum Themenkomplex informelles Lernen und setzt sich, ausgehend von unterschiedlichen Fragestellungen und Schwerpunkten, vornehmlich mit den Ansätzen der Publikationen Lucy Greens auseinander. Die Schwerpunkte liegen auf „How Popular Musicians Learn“ aus dem Jahre 2003 und „Music, Informal Learning and the School/A New Classroom Pedagogy“ aus dem Jahre 2008. Die verschiedenen Autoren gehen insbesondere Fragen des Verhältnisses zwischen formalem Lernen und informellen Lernprozessen nach. Allsup und Olsen20 beschäftigen sich hierzu mit einer allgemeinen und theoretischen Begründung des informellen Lernens innerhalb einer musikpädagogisch theoretischen Positionierung, verbunden mit der Frage, welche Konsequenzen die aus der Beobachtung informeller Lernprozesse gewonnenen Erkenntnisse zum selbstgesteuerten Lernen für die Lehrerausbildung haben könnten. Erweitert wird dieser Fragenkomplex durch Aspekte eines möglichen Austausches zwischen US-amerikanischen und europäischen Forschern bzw. Pädagogen. Hierbei gehen die Autoren grundsätzlich von einer noch defizitären Theorieentwicklung bei Green aus. Väkevä verfolgt in seinem Beitrag „The World Well Lost, Found/Reality and Authenticity in Green’s ’New Classroom Pegagogy’“ einen hermeneutischen Ansatz innerhalb eines diskursiven Diskurses zu Fragen der Authentizität des selbstgesteuerten und prozessorientierten Lernens in konstruktivistischen Kontexten. Der Beitrag Lucy Greens21 erweitert die in früheren Arbeiten gewonnenen Erkenntnisse, die sich vornehmlich auf Lernprozesse in popmusikalisch geprägten Lernfeldern beziehen, durch eine Erweiterung der Fragestellung auf den „klassischen“ Instrumentalunterricht. Entgegen der sonst üblichen Methode des notengebundenen Reproduzierens wurden die Schüler auf ihren jeweiligen Instrumenten (Klavier, Cello, Trompete, Posaune) aufgefordert, die von einer CD wiedergegebene Musik hörend zu erfassen und nachzuspielen.22 Hierbei agierte die Forscherin als Lehrende, während den eigentlichen Instrumentallehrern die Rolle der Beobachter zugedacht war. Ein wesentliches Ergebnis des Forschungsvorhabens ist die Beobachtung der unterschiedlichen angewandten Strategien der Schüler, die sich nach Green in folgende Kategorien einteilen lassen:
20 Hierbei gehen die Autoren von einer zweiten Welle aus, die den ersten Erkenntnissen aus den Arbeiten Greens (2003 und 2008) folgen müsste, um informelles Lernen zum festen curricularen Bestandteil in Schweden und darüber hinaus zu entwickeln. 21 „Informal Learning and Aural Learning in the Instrumental Music Lesson/A Research-andDevelopment Pilot Project“, in: Väkevä, 2012, S. 161–196. 22 Gewählt wurde klassische Musik, jedoch in kleinen Abschnitten mit repetitiven Elementen.
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• The „impulsive“ style
Das Vorgehen ist geprägt durch impulsives Verhalten und unmittelbares Reagieren durch (lautes) Nachspielen, auch auf eigenen (falschen) Noten, jedoch mit rhythmischer Genauigkeit. • The „shot-in-the-dark“ style Ein durch starke Unsicherheit geprägtes Vorgehen, begleitet durch langes Zögern und ängstliche Versuche des Nachspielens. Töne werden entsprechend leise gespielt und sind durch Gesten der Unzufriedenheit begleitet. Spätes Erfassen des Ausschnitts durch Hilfe des Lehrenden. • The „practical“ style Vergleichbar dem „impulsiven“ Typ, jedoch strategischer im Vorgehen durch Einteilung in kleinere Abschnitte und gezieltes Ausprobieren. Das Mitspielen zur Musik erfolgt leise zum gleichzeitigen Abgleich mit der gespielten Musik. Ausprobieren von Tonleitern, bis ein gewünschter Ton getroffen wird. Verbleiben innerhalb eines wiederholt gespielten Abschnitts, obwohl die Musik weiterläuft, und erneutes Einsteigen bei Wiederholung des Abschnitts. • The „theoretical“ style ġ Zu dieser Gruppe gehören die Schüler, deren Vorgehen geprägt ist durch rationale Überlegungen in Verbindung mit Verständnisfragen zur gehörten Musik, die analytische Aspekte berücksichtigen. Röbke, Peter/Ardila-Mantilla, Natalia (Hg.): Vom wilden Lernen/Musizieren lernen – auch außerhalb von Schule und Unterricht, Mainz (2009) Der Sammelband befasst sich sowohl mit theoretischen Fragestellungen zum Thema Informelles Lernen in Musik als auch mit praxisbezogenen Aspekten und bezieht Forschungsergebnisse in die behandelten Schwerpunkte mit ein. Mit Ausnahme des Beitrags von Jan Hemming mit „Autodidaktisches Lernen, Motivation und Innovation. Eine Dreiecksbeziehung im Bereich populärer Musik?“ befassen sich die anderen Beiträge allgemein mit Möglichkeiten des informellen Lernens in musikalischen Kontexten. Die Gliederung des Inhaltsverzeichnisses gibt die Schwerpunkte der Beiträge wieder, die entsprechend zusammengefasst werden können. Ausgangspunkte • Klärung von Grundfragen und Erörterung von Fragestellungen zu Möglichkeiten
informellen Lernens in der Instrumentalpädagogik unter Miteinbeziehung geschichtlicher Aspekte des Instrumentalunterrichts. (Peter Röbke) • Klärung der Begriffe formales Lernen, non-formales Lernen, informelles Lernen. (Peter Mak) Informelles Lernen im „klassischen“ Instrumental- und Vokalunterricht Der Autor geht hier zunächst von eigenen biografischen Erfahrungen aus und erstellt eine Umfrage unter Studierenden, die mit freien Items erstellt wird. Danach sind Erfahrungen der Probanden in informellen Lernkontexten in Bereichen klassischer Mu-
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sik überwiegend positiv. Der traditionelle Weg der Vermittlung klassischer Musik führt aufgrund eigener Erfahrungen jedoch auch zu Konfliktsituationen, was den Autoren zu folgender Vermutung veranlasst: „1. Schüler benötigen Zonen des unreglementierten, selbstgesteuerten Lernens, um sich als Urheber ihrer Leistungen fühlen zu können. Das Gefühl der in informellem Lernen erworbenen musikalischen Autonomie lässt ihre Fähigkeit wachsen, sich mit ihrem Spiel zu identifizieren und steigert ihre interpretatorische Überzeugungskraft. 2. Mäßig kompetente Lehrer haben es leichter, informelles Lernen ihrer Schüler zuzulassen. Hochkarätigen Lehrern dagegen fällt es vermutlich in der Regel schwerer, ihren Schülern in oder neben der formalen Lehre Freiräume für informelles Lernen zu gewähren.“ 23/24/25 (Ulrich Mahlert) Wie wildes Lernen funktioniert Die in diesem Kapitel zusammengefassten Beiträge beziehen sich z. T. auf Forschungsprojekte, so bezieht sich Jan Hemming („Autodidaktisches Lernen, Motivation und Innovation/Eine Dreiecksbeziehung im Bereich populärer Musik?“) teilweise auf das Backdoor-Projekt der Kleinen-Veröffentlichung aus dem Jahre 2003, sie sind jedoch vornehmlich wissenschaftstheoretischer oder allgemeiner Natur. Der Beitrag von Jan Hemming steht im Kontext mit populärer Musik und stellt mit den zentralen Begriffen Autodidaktisches Lernen, Motivation und Innovation vermeintlich genretypische Aspekte heraus.26 Der Beitrag von Christian Winkler („Pädagogik ‚Als-Ob’“) setzt sich mit informellem Lernen aus kulturwissenschaftlicher Sicht mit der Perspektive Niklas Luhmanns auseinander. Er begründet die Optionen und Notwendigkeiten selbstgesteuerten Lernens aus einem systemisch-konstruktivistischen Ansatz und zieht hieraus Rückschlüsse für eine pädagogische Grundhaltung mit einer Pädagogik, die
23 Mahlert, in: Röbke et al. (2009), S. 48. 24 Die an dieser Stelle formulierten Vermutungen basieren auf der Erfahrung des Autors in der Auseinandersetzung mit einer Lehrerin an der Hochschule. Zwar wurde das Ergebnis eines selbstgesteuerten Lernprozesses (Erlernen eines Stückes und Präsentation) von einer Kommission hoch eingeschätzt, jedoch war der folgende Unterricht umso penibler, um dem Autor in der damaligen Rolle als Schüler seine Unvollkommenheit vor Augen zu führen. (Vgl. ebd., 2009, S. 48.) Die Interpretation der Beobachtung erscheint stark diskussionswürdig. So ist die dargestellte Grundproblematik zwar plausibel, die Zuordnung zu mäßig kompetent und hochkarätig erscheint jedoch fraglich. Hier spielen vielmehr Aspekte einer klassischelitären Haltung eine entscheidende Rolle. 25 Die Beobachtung des Autors weist eine Parallele zur Studie Lucy Greens zum informellen Lernen im „klassischen“ Instrumentaleinzelunterricht auf. Einige der involvierten Lehrer äußerten die Befürchtung, dass sie durch den neuen Ansatz überflüssig würden. (Vgl. Green, in: Karlsen, 2012, S. 177.) 26 Obwohl andere Beiträge des Sammelwerkes ebenfalls auf die Begriffe im Kontext klassischen Unterrichts hinweisen, so sind Autodidaktisches Lernen, Motivation und Innovation nicht als typisch in der Tradierung klassischer Musik zu betrachten. Am ehesten trifft hier noch der Begriff Motivation zu.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 137
nicht vornehmlich auf Instruktion beruht, sondern auf der Anerkennung der NichtTrivialität in Lernprozessen, die Trivialität als Methode jedoch vortäuscht. 27 Fallbeispiele und Ausblicke Anhand aufgeführter Fallbeispiele werden Perspektiven für eine musikpädagogische Ausrichtung entwickelt, die sich sowohl auf den instrumental-, vokalpädagogischen Unterricht beziehen als auch auf Unterricht in allgemeinbildenden Schulen. Diskutiert wird das Verhältnis von formalem und informellem Lernen. Lucy Green: Music, Informal Learning and the School/ A New Classroom Pedagogy (2008) Das Forschungsprojekt ist ein auf dem vorigen Projekt „How Popular Musicians Learn“ (2003) aufbauendes Vorhaben mit dem Ziel, die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf den Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen zu übertragen und zu untersuchen. Dabei ging es vornehmlich sowohl um Möglichkeiten der Integration informellen Lernens in das reguläre Curriculum als auch um die Erforschung spezifischer sich in diesem Kontext neu ergebender Fragestellungen. Hierzu werden die zuvor festgestellten Charakteristika des selbst gesteuerten Erlernens populärer Musik in Kategorien festgehalten, um diese anschließend im schulischen Unterrichtsfeld überprüfen und auswerten zu können. Dazu zählen fünf Merkmalskomplexe im Umgang mit populärer Musik als Basis der Kategorienbildung: • Die Musik ist selbstgewählt. • Der Lernprozess ist gekennzeichnet durch Kopieren von Aufnahmen. • Der Lernprozess findet weitestgehend ohne Anleitung durch erwachsene Lehrper-
sonen statt, sondern alleine oder in der Gruppe mit Gleichaltrigen. • Die Herangehensweisen in selbstgesteuerten Lernprozessen sind unstrukturiert,
spezifisch und ganzheitlich. • Der Lernprozess findet in der Verbindung von Hören, Spielen, Improvisieren und
Komponieren statt.28 Für das Vorhaben wurden zunächst 21 Schulen mit 1500 Schülern ausgewählt. Letztendlich lag der Fokus des Forschungsprojektes auf sieben Klassen mit Schülerinnen und Schülern im Alter von 13–14 Jahren. Beobachtet wurde die Arbeit in Klein- und
27 Vgl. Winkler, S. 104ff, in: Röbke et al. (2009). 28 „[…] the aims of the project were to adopt and adapt aspects of popular musicians’ informal music learning practices for use within the formal arena of the school classroom, and to evaluate the extent to which this is possible and beneficial. Each of the project’s seven stages placed at its centre two or more of the five characteristics on informal learning that were identified in Chapter 1 […]. These were: using music that pupils choose, like and identify with; learning by listening and copying recordings; learning with friends; engaging in personal, often haphazard learning without structured guidance, and integrating listening, performing, improvising and composing in all aspects of the learning process.” (Green, 2008, S. 23.)
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Großgruppen und durch Audio- und Videoaufnahmen dokumentiert. Abschließend wurden sowohl mit den Schülern als auch mit den Lehrkräften Interviews durchgeführt. Letztere haben das Projekt beobachtend begleitet. Die Komplexität des Forschungsprozesses lässt eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse an dieser Stelle nicht sinnvoll erscheinen. Jedoch konnten die zuvor bei Musikern beobachteten grundlegenden Charakteristika der informellen Lernprozesse auch bei Schülern festgestellt werden. Die Mitarbeit der Schüler war durch einen vergleichbar hohen Grad an Motivation geprägt und die kontinuierliche Teilnahme am Lernprozess. Da die Ziele des Projektes nicht identisch mit denen des regulären Unterrichts waren, wurden die Musiklehrer angehalten, die vorgesehenen formal geprägten Unterrichtsinhalte zusätzlich zu unterrichten. Das Forschungsprojekt wurde abschließend erweitert durch einen Exkurs und die Übertragung der informellen Prozesse auf das Erlernen klassischer Musikstücke. Ein wesentlicher Unterschied in der Herangehensweise bestand jedoch darin, dass die Musik nicht von den Schülern ausgewählt werden konnte. Um den Erfolg dieses Vorhabens messen zu können, wurden die Schüler zu ihrer Haltung gegenüber klassischer Musik vorher und nachher befragt. Im Ergebnis konnte eine deutliche Verbesserung in der Einstellung gegenüber klassischer Musik festgestellt werden. Günter Kleinen (Hg.): Begabung und Kreativität in der populären Musik (2003) An dem so genannten Backdoor-Projekt, welches als Sammelpublikation veröffentlicht wurde, arbeiteten mehrere Autorinnen und Autoren mit. Der Begriff Backdoor ist gezielt unter dem Aspekt gewählt, dass Popmusik zur Zeit des Projektes im musikwissenschaftlichen Bereich nicht nur eine untergeordnete Rolle spielte, sondern zudem konnotiert mit Kultur auf einem minderwertigen Niveau war. Laut Kleinen steht der Begriff Backdoor innerhalb einer Wertehierarchie noch unterhalb des Begriffes Backstage und stellt somit die unterste Stufe aus akademischer Perspektive dar. Ziel des Projektes sollte es unter anderem sein, „… die Genres und Stile der populären Musik im Wissenschaftsbereich aufzuwerten und zu legitimieren.“ 29 Im Zentrum der durch die verschiedenen Autorinnen und Autoren bearbeiteten Teilaspekte innerhalb des Forschungsprojekts stehen die Begriffe Begabung und Kreativität, die im Kontext populärer Musik erfasst werden sollten. Hierzu konnte in entsprechenden Vorstudien festgestellt werden, dass klassische Definitionen zu Begabung und Kreativität nicht für eine Übertragung auf die Bereiche populärer Musik geeignet waren, da die Anforderungen andere sind als in klassischer Musik. Von den Autoren wurde festgehalten, dass z. B. biografische Entwicklungsverläufe für das erfolgreiche Auseinandersetzen mit populärer Musik von großer Bedeutung sind, im Kontext musikalischer Begabung stellte sich z. B. der Bentley-Test als unbrauchbar heraus, da wichtige Kriterien populärer Musik durch die Testanlage nicht erfasst werden. Zur Erforschung der Einzelaspekte wurden verschiedene Gruppen von Probanden herangezogen und entsprechenden Methoden zugeordnet:
29 Kleinen (2003), S. 9. Die Autoren der jeweiligen Kapitel werden abschließend in Klammern aufgeführt.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 139
Zielgruppen
Methoden
Schülerbands
Tagebücher, ergänzende Befragungen und Gespräche, teilnehmende Beobachtung
Studierende
Freie schriftliche Äußerungen auf Fragenkatalog, Tests zum Selbstkonzept
Semiprofessionelle Bandmitglieder
bis
professionelle
Experten (Musiker diverser Stilrichtungen, Pädagogen, Hochschullehrer, Medienspezialisten etc.)
Leitfadeninterviews, teilnehmende Beobachtung, Audio- und Videodokumentationen mit Auswertung Befragungen nach Leitfaden, freie Gespräche
Tab. 7: Zielgruppen und Methoden des Backdoor-Projekts (Eigene Grafik nach Kleinen, 2003, S. 15.) Das Forschungsprojekt folgt einer inhaltlichen Struktur, die jedoch nicht identisch ist mit der Reihenfolge der Kapitel der Sammelpublikation. Die auf den Seiten 15–18 aufgeworfenen zentralen Fragestellungen werden hier zur systematischen Darstellung des Projekts aufgegriffen und durch die Forschungsergebnisse der entsprechend zuzuordnenden Kapitel ergänzt. Die Forschungsfragen können im Überblick folgendermaßen dargestellt und zusammengefasst werden:30 1.
Die Tagebuch-Studie wurde unter Schülerbands durchgeführt. Hierdurch sollten Erkenntnisse über Stellenwert und Eigenart des autodidaktischen Lernens gewonnen werden. Das methodische Vorgehen beinhaltet eine qualitative Auswertung und darüber hinaus eine quantitative Auswertung, aus der sich eine Verbindung zur Expertisenforschung herstellen ließ – „… mit dem überraschenden Befund, dass die im klassischen Zusammenhang eruierten Grundgesetze der Expertise auch für das Popgenres [sic!] Geltung beanspruchen dürfen. Lediglich die Motivationen sind anders.“31 Für die Untersuchung werden bisherige Konzepte geändert oder erweitert. So wird die Besonderheit des Lernens in Bands herausgestellt, die über akkumulierte Übezeit und die deliberate practice hinausgeht. Effektives Lernen in Bands basiert danach auf gemeinsamem Jammen oder Auftritten und den damit verbundenen Erfahrungen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass Motivationsfragen im Popbereich von besonderer Bedeutung sind. Zusätzlich zur Auswertung der von den Bands angefertigten Tagebücher (25 von N = 28) wurden die während der Proben angefertigten Audioaufnahmen zu vorgegebenen Kriterien wie z. B. Sauberes Spiel oder Rhythmische Genauigkeit (um nur einige Beispiele zu nennen) bewertet. Die vorgegebene Struktur des
30 Vgl. Kleinen (2003), S. 16ff. Da es sich bei den bei Kleinen aufgeführten inhaltlichen Fragestellungen um komprimierte Darstellungen handelt, sind die hier gewählten Formulierungen teils identisch, da nicht anders möglich. 31 Kleinen (2003), S. 16.
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Tagebuches diente vor allem zur Erfassung statistischer Daten wie wöchentliche Übungszeit und Wahl des Instruments.32 Die Auswertung ergab eine akkumulierte wöchentliche Übungszeit (individuelles Spielen/Unterricht/Band) von durchschnittlich 12,6 Stunden. Der Anteil des autodidaktischen Lernens lag bei ca. 32 Prozent. Die teils quantitativ ausgewerteten Tagebücher sind hinsichtlich einer klaren Aussage nicht in jedem Fall eindeutig. Darüber hinaus werden insbesondere Aspekte wie akkumuliertes Üben = Begabung unterschiedlich aus Forscher- und Probandenperspektive eingestuft.33 Individuelle Einschätzung und Bandmeinung stimmen in einigen Punkten nicht überein (z. B. Einschätzung des Lernfortschritts). (Günter Kleinen/Jan Hemming) Mittels der Befragungen semiprofessioneller Musiker in Rock und Pop wird der Begabungsbegriff im Kontext populärer Musik untersucht. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass der klassische Begabungsbegriff inhaltlich „entleert“ und von Grund auf neu definiert werden muss. Dies geschieht vor allem aus der Perspektive des Selbstkonzepts unter Miteinbeziehung der neuen Rolle der Medien. Das Selbstkonzept wird hier im Kontext mit Begabung untersucht, wobei klassiktypische und poptypische Begabungen und Entwicklungen mit klassiktypischen und poptypischen Selbstkonzepten in Verbindung gebracht werden. Die verschiedenen Fallbeispiele ergeben kein kausales Verhältnis zwischen Begabung und Selbstkonzept.34 Vielmehr kann aus den Ergebnissen die Notwendigkeit einer individuellen Konkretisierung des Begabungsbegriffs gefolgert werden. (Jan Hemming) Musikalische Kreativität wird hier unter dem Aspekt der Fähigkeit des Songwritings betrachtet. Dies geschieht im popmusikalischen Kontext jedoch nicht mehr in der Hauptsache als Einzelleistung, sondern ist Teil von Gruppenprozessen unter der Berücksichtigung gruppendynamischer Faktoren. Es galt vornehmlich herauszufinden, welche Faktoren entscheidend dafür sind, ob jemand kompositorisch tätig wird oder nicht. Dabei findet definitorisch eine Abgrenzung des Kompositionsbegriffs zu dem der europäischen Kunstmusik statt. Als Komposition wird hier eine absichtliche Leistung zur Schaffung eines musikalischen Werkes verstanden „… welches in einer mehr oder weniger festen Form eine einmalige Aufführung überdauern soll und dessen Entstehungsprozess Vorausplanung erfordert.“35 Als methodische Instrumente werden teilnehmende Beobachtung, die inhaltsanalytische Auswertung der auf Video aufgezeichneten Probenmitschnitte, gefolgt von Interviews mit allen Bandmitgliedern angewandt. Kleinen gelangt auf Basis der quantitativen Auswertung der Daten zu folgenden Kernaussagen: a) Frauen sind nicht nur seltener in Rock- und Popbands vertreten, sie werden auch weniger kompositorisch aktiv. b) Die Musiker mit Instru-
32 Die sonst in Begabungstests bevorzugte akkumulierte Lebensübungszeit wurde hier aus methodischen Gründen auf die wöchtliche Übungszeit reduziert. Vgl. Kleinen (2003), S. 55f. 33 Vgl. ebd. (2003), S. 59. 34 Vgl. ebd. (2003), S. 104. 35 Kleinen (2003), S. 176.
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mentalunterricht und Notenkenntnissen sind kompositorisch weniger aktiv als solche, die ihr Instrument autodidaktisch erlernt haben. c) Je mehr die Komposition eine Leistung der Band ist (z. B. durch gemeinsames Ausprobieren und Rumjammen), desto mehr sind Autodidakten an diesem Prozess beteiligt. Umgekehrt sind komplett komponierte und fertige Songs eher eine Leistung solcher Musiker, die Instrumentalunterricht hatten. e) Allgemein kann zwischen Notenkenntnissen und Komposition kein Zusammenhang hergestellt werden. 36 In Bezug auf die Instrumente stellen die Gitarristen die aktivste Gruppe dar. Die Spieler von Schlagzeug- und Percussioninstrumenten sind eher selten oder gar nicht an Kompositionsprozessen beteiligt. (Günter Kleinen) Die Expertenbefragung diente dazu, das thematische und methodische Spektrum37 abzuklären. Hierzu wurden Musiker aus verschiedenen Bereichen populärer Musik ebenso befragt wie Pädagogen und Forschende zum Themenfeld. Zum einen ging es in den Leitfadeninterviews um die Absicherung der aufgestellten Hypothesen, zum anderen um die Erweiterung der Perspektiven auf das Themenfeld. Die Interviews wurden teilweise per Audioaufnahme festgehalten, teilweise wurden diese handschriftlich fixiert. Eine komprimierte Zusammenfassung der Ergebnisse erscheint an dieser Stelle aufgrund der Diversität nicht sinnvoll. Die Durchführung von Tests zur Musikbegabung fand zunächst statt auf der Basis bekannter Tests wie dem Bentley-Test. Im Kontext populärer Musik stellte sich dieser jedoch als ungeeignet heraus, da die spezifischen Kriterien nicht erfasst werden konnten. Insbesondere in der Kategorie der ästhetischen Beurteilungen stellte sich der Test als unbrauchbar heraus. Zudem konnte das der Popmusik grundlegende Moment der Körperlichkeit nicht erfasst werden. Hierzu wurde der Wing-Test um die dafür notwendige Kategorie erweitert. Im Gegensatz zu Wing, der davon ausging, dass Intelligenz angeboren und dementsprechend nicht erlernbar ist, gehen die Forscher hier aufgrund der gewonnenen Erfahrungen davon aus, dass die Ergebnisse wesentlich mit dem Ausbildungsstand korrelieren.38 Ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmern ist kaum feststellbar. Dagegen treten deutliche Unterschiede im Vergleich zu Nichtmusikern auf.39 (Jan Hemming) Im Verlauf des Forschungsprojekts trat zunehmend auch der Aspekt der Geschlechterdifferenz mit einer insgesamt komplexen Problematik zu Tage, angefangen von geschlechtsspezifischen Musikpräferenzen über unterschiedliche Einschätzungen in Sachen Kreativität bis hin zu als diskriminierend empfundenen Unterschieden in Ausbildungsformaten zu Popmusik. Die Untersuchungen zu ausgewählten Einzelaspekten wie Begabung, Sozialisation oder Instrumentenwahl ergeben geschlechtsspezifische Unterschiede, die hier im Einzelnen aus
Vgl. ebd. (2003), S. 181. Vgl. ebd. (2003), S. 16. Vgl. Kleinen (2003), S. 170. Vgl. ebd. (2003), S. 173.
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Platzgründen nicht dargestellt werden können und nach Auffassung des Verfassers aktualisiert werden müssen, insbesondere auf den Aspekt des Selbstkonzeptes, da Frauen in der Popmusik zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch stärker an Selbstvermarktungskonzepten beteiligt sind.40 (Petra Schimikowski/Günter Kleinen) Da Musizieren in Popgenres immer auch im Kontext ökonomischer Verwertung stattfindet, wurde dieser Aspekt im Kontext der Clubszene untersucht. Mit der Fragestellung werden im ersten Teil die Einschätzung der Bedeutung ausgewählter Kriterien zur Bestimmung von Musikalität in der Popmusik wie z. B. Spielen nach Gehör sowie wichtige Kriterien zu Eigenschaften professioneller Musiker in Popmusik als Geschäft in einer Umfrage erfasst. Danach müssen Popmusiker ebenso musikalisch begabt wie geschäftstüchtig sein. Weitere Ergebnisse, die sich teilweise mit Fragestellungen anderer Abschnitte überschneiden, sollen an dieser Stelle nicht erfasst werden. (Matthias Aschenbach) Darüber hinaus wurden in einem dem Forschungsprojekt vorgelagerten Workshop weiterführende Fragestellungen erarbeitet, die thematisch mit dem Projekt verwandt sind und durch entsprechende ergänzende Studien erweitert mit Themen zu Massenhafter Konsum von Popmusik und Begabung, Künstlerische Qualitäten bei Rock- und Popmusikern, Gender-Thematik und Jazz, GenderThematik und Songwriting, Popmusik und Musikpädagogik, Schulrockfestivals.
Jan Hemming: Begabung und Selbstkonzept/Eine qualitative Studie unter semiprofessionellen Musikern in Rock und Pop (2002) In der Dissertationsarbeit befasst sich Hemming mit dem Zusammenhang zwischen Begabung und Selbstkonzepten bei semiprofessionellen Musikern. Die empirische Studie mit teils explorativem Charakter hat einleitend die deskriptive Darstellung des Begabungsbegriffes und den zugleich kritischen Diskurs mit historisch gewachsenen Begabungsbegriffen zum Gegenstand. Hemming unternimmt hier abschließend den Versuch der Anwendung des Begabungsbegriffs auf populäre Musik. Ausgehend von der Problematik politischer Implikationen im Begabungsbegriff und seiner Reduktion in der klassischen Musik bzw. ihrer Tradierung auf Reproduktion versteht Hemming Begabung im Kontext von Popmusik als „Grundlage der Förderung einer kreativen Entfaltung […].“41 Er geht in seiner Studie nicht von einem klassisch geprägten Begabungsbegriff aus, sondern stellt die Alltagsvorstellungen der Akteure in den Mittelpunkt.42 Im zweiten Kapitel setzt sich der Autor mit Begriffen zum Selbstkonzept aus psychologischer Perspektive auseinander und grenzt diese von denen zu Identität
40 Künstlerinnen wie z. B. Madonna oder Lady Gaga sind geeignete Beispiele für selbstgesteuerte oder zumindest mitbestimmte Vermarktungskonzepte, die ganz gezielt Provokationen miteinbeziehen, die typische und diskriminierende Klischees darstellen. Die pauschale Einstufung dieser Rollen unter dem Aspekt Diskriminierung negiert die gezielte Entscheidung der Künstlerinnen für ihr Marketingkonzept. 41 Hemming (2002), S. 47. 42 Vgl. ebd. (2002), S. 41.
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ab. In Anlehnung an die Forschungen (vornehmlich) von Mummendey versteht Hemming Selbstkonzept als selbstreflexiven Prozess, der einer grundlegenden Kontinuität unterliegt, welche er als Arbeitshypothese für den empirischen Teil seiner Forschung zu Grunde legt. 43 Es gehört jedoch zum Selbstverständnis, dass Selbstkonzepte grundsätzlich nicht messbar sind. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die von den im empirischen Teil Befragten geäußerten Einstellungen Rückschlüsse auf Selbstkonzepte zulassen.44 In der Hauptstudie werden 20 Leitfadeninterviews mit Musikern aus dem semiprofessionellen Bereich durchgeführt. Die Einstufung in die Kategorie semiprofessionell erfolgt unter dem Aspekt, dass Musik zwar eine zentrale Rolle im Leben der befragten Personen spielt, jedoch nicht grundlegend und kontinuierlich zum Lebensunterhalt der Betroffenen beitragen muss. Bei der Auswahl der Musiker wurde sowohl auf eine regionale Streuung als auch auf die Berücksichtigung möglichst vieler vertretener Musikstile in Bereichen der populären Musik geachtet. Der im Rahmen des so genannten Backdoor-Projekts45 entwickelte Leitfaden kommt auch in dieser Studie zum Einsatz und orientiert sich hinsichtlich der Konzeption an der Grounded Theory. Ein wesentlicher Kern des Leitfadens zielt auf die Generierung von Aussagen ab, die Rückschlüsse auf Selbstkonzepte der Musiker zulassen. Einige Schwerpunkte des Fragenkatalogs können als analog zum hiesigen Forschungsprojekt betrachtet werden. Dies betrifft insbesondere Kategorien wie Erster Kontakt mit Musik, Eltern, Autodidaktisches Lernen, Stilistische Vorlieben, Motivation, Kreativität. Dennoch sind die erzeugten Texte nicht unmittelbar vergleichbar. Zum einen liegt dies in der mittlerweile großen Zeitspanne begründet, die zwischen den beiden Forschungsprojekten liegt, zum anderen werden bei Hemming semiprofessionelle Musiker befragt, die im Durchschnitt wesentlich älter als die in der vorliegenden Studie befragten Teilnehmer sind. Abschließend wird die Kernfrage nach Begabung und Selbstkonzept auf der Basis der generierten Texte überprüft. Trotz der wenigen gezielten Aussagen zum Thema Begabung (die Befragten nehmen diesen Aspekt anscheinend nicht als relevant wahr) können durch die Kodierung jedoch zahlreiche Aussagen festgestellt werden, die eine entsprechende inhaltliche Zuordnung zulassen. Danach können die Befragten in zwei Gruppen unterteilt werden, die charakterisiert werden können durch Arbeit am Instrument und Arbeit am Selbst.46 Hemming konstatiert aus den gewonnenen Erkenntnissen ebenso die Kategorie Selbstkonzept und schreibt dem „[…] individuellen Selbstkonzept die Rolle einer möglichen Instanz permanenter Reflexion der eigenen Möglichkeiten und Grenzen […]“ zu.47 [Hervorhebungen im Original]
43 Vgl. ebd. (2002), S. 51. 44 Vgl. ebd. (2002), S. 56. 45 Das Backdoor-Projekt ist ein mit Günter Kleinen gemeinsam durchgeführtes Forschungsprojekt und hat eine Tagebuch-Studie mit Schülerbands zum Gegenstand. 46 Vgl. Hemming (2002), S. 193. 47 Vgl. ebd. (2002), S. 193.
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Lucy Green: How Popular Musicians Learn/ A Way Ahead for Music Education (2002) Das Forschungsprojekt untersucht sowohl den Einfluss des formalen Lernens im Popbereich als auch informelle Lernstrategien. Die qualitative Studie fußt auf in den Jahren 1998–99 durchgeführten 14 Interviews, die mit semiprofessionellen und professionellen Musikern geführt wurden. Unter professionellen Musikern versteht Green solche, die ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise mit Musik machen verdienen. Dies schließt Songschreiber und Arrangeure mit ein. Die ausgewählten Musiker stammen aus dem Netzwerk der Autorin. Der Schwerpunkt der Interviews liegt auf der Gewinnung von Erkenntnissen über die Anteile und Einflüsse sowohl formalen Lernens als auch informellen Lernens. Die Befragten weisen eine relativ große Altersspanne auf, die zwischen 15 und 50 Jahren liegt. Dies liegt vor allem begründet in der Forschungsfrage, mit der herausgefunden werden soll, ob es hinsichtlich der folgenden Aspekte feststellbare Generationsunterschiede gibt. a) b) c)
Hat sich das informelle Lernen im Laufe der letzten 40 Jahre geändert? Haben sich Ansichten und Werte im Laufe der Zeit geändert? Inwieweit hat die curriculare Einbindung populärer Musik in Schulen eine Änderung bewirkt?48
Aufgrund des beabsichtigten Vergleichs von formalem und informellem Lernen wurden bei der Auswahl keine Musiker berücksichtigt, die diesen Kriterien nicht entsprechen bzw. nicht entsprechen können wie z. B. Rap-Künstler oder DJs. So liegt der Schwerpunkt der Auswahl der Interviewpartner auf […] „Anglo-American guitar based pop and rock music“ […]49 Green verweist ausdrücklich darauf, dass die Miteinbeziehung der eigenen Herkunft eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Interviewpartner gespielt hat. Diese sind ausschließlich weiß und Teil des persönlichen Netzwerks der Forscherin, wodurch die Repräsentativität des Projekts explizit relativiert wird. Die Musiker werden unterteilt nach Kategorien, innerhalb derer diese tätig sind, mit: Covers, Function, Originals, Freelance, Session. Ein weiteres Kriterium für die Wahl der Interviewpartner ist beruflicher Erfolg. Green betrachtet solche Musiker als erfolgreich, die ihren Lebensunterhalt zumindest zum Teil durch Musik machen bestreiten können.50 Stars, die bei einer MajorCompany unter Vertrag sind, wurden nicht berücksichtigt. Ein besonderes Vorgehen bei der Auswertung der Interviews hinsichtlich der Interpretation ist nicht dargestellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die erzeugten Texte den direkt vorangegangenen Fragen zugeordnet werden. Die Anzahl der Interviews wurde nicht von vornherein festgelegt, sondern sollte nach dem Grad der erreichten Sättigung unter dem Aspekt neuer in den vorigen Interviews nicht geäußerter Aussagen entschieden werden. Die Interviews bzw. die Darstellung der Ergebnisse sind der folgenden Struktur unterstellt:
48 Vgl. Green (2002), S. 9. 49 Green (2002), S. 9. 50 Vgl. ebd. (2002), S. 28.
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• Skills, knowledge and self-conceptions of popular musicians: the beginnings and • • • •
the ends Learning to play popular music: acquiring skills and knowledge Attitudes and values in learning to play popular music Popular musicians in traditional music education Popular musicians in the new music education
Eine sinnvolle und dem Gegenstand angemessene Zusammenfassung der Ergebnisse zu den einzelnen Unterpunkten erscheint an dieser Stelle nicht sinnvoll, da die Texte erwartungsgemäß durch die heterogene Zusammensetzung der Gruppe der Befragten geprägt sind. Die damit einhergehende Vielfalt hinsichtlich der möglichen Aneignungsstrategien wird bestätigt. Hierzu gehören ebenso formales wie informelles Lernen als auch bewusste und unbewusste Lernprozesse (Tacet Knowledge). Bezogen auf Lernen in schulischen Kontexten geben die älteren Befragten vorwiegend an, dass sie ihre popmusikalischen Skills ausschließlich außerhalb der Institution Schule erworben haben. Der traditionelle formale Vermittlungskontext hat ihnen in Sachen Popmusik nicht geholfen.51 Anders sieht es bei den Befragten aus, die durch das ab 1986 eingeführte GCSE-Programm (General Certificate of Secondary Education) betroffen waren, welches durch die 1990er-Jahre hindurch praktiziert wurde und popmusikalische Inhalte in den Schulunterricht integrierte. Die hiervon betroffenen Befragten konnten formales und informelles Lernen miteinander in Beziehung setzen und positive Rückschlüsse aus der curricularen Verknüpfung von traditionellen und popmusikalischen Inhalten ziehen. „L: [Lucy Green, d. Verf.] Yeah and you learnt about, er, presumably expressions (which he already used) [Hervorhebungen im Original] like suspended fourth or seconds – that comes from the work you did? M: Yes. Although I knew about using them from what my Dad had said, but I never would have known what to call them. Emily: God, I don’t know … I mean I don’t want to be one of those – I think the term is ‘muso’ or something – I don’t know want to be one of the people who are always talking about the technical, theory side of music; but it’s good to say, you know – […] it’s quite good to be able to talk about musical terms with them [Mitglieder der Band, d. Verf.] without saying, you know ‚That thingy there.’ It’s nice to know the terms and that. L: [Lucy Green, d. Verf.] And you get those terms from – E: From the GCSE lessons, some of the theory lessons.“52
Es kann die generelle Aussage getroffen werden, dass die Aneignungsprozesse in popmusikalischen Kontexten durch eine breite Vielfalt sich bietender Lernstrategien geprägt sind, die in den verschiedenen Vermittlungs- oder Selbstaneignungskontexten für den Lernenden geeignet erscheinen. Abhängig vom Alter der Befragten bleibt das Geflecht aus formalem und informellen Lernen grundlegend bestehen, jedoch verschieben sich die Schwerpunkte z. T. aufgrund der curricularen Entwicklung im
51 Vgl. Green (2002), S. 164. 52 Green (2002), S. 165.
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Musikunterricht des englischen Schulsystems ab 1986.53 Darüber hinaus bleiben individuell geprägte Präferenzen bei der Wahl bewusster Lernstrategien als Teil des Selbstkonzepts bestehen.
4.2 FORSCHUNGSDESIGN EINZELINTERVIEWS 4.2.1 Leitfadengestützte Interviews Die Entscheidung für Leitfaden-Interviews ist durch den Forschungsgegenstand der selbst erworbenen musikalischen Kompetenzen bei Schülern bedingt. Der Schwerpunkt des Forschungsinteresses liegt hier vor allem auf der Einzelfallorientierung54, der individuellen Gestaltung des Umgangs mit Musik allgemein und in spezifisch musikalischen Prozessen im Kontext biografischer Entwicklungen. Dem Forschungsgegenstand kann die Hypothese zugrunde gelegt werden, dass die selbstbestimmte Aneignung musikalischer Kompetenzen bei Schülern grundsätzlich stattfindet, zumeist in mediengestützten Zusammenhängen oder begünstigt durch familiäre Konstellationen. Da es im Forschungskontext darum geht, die erworbenen Kompetenzen nicht nur festzustellen, sondern auch in ihrer individuellen Ausprägung zu erfassen, ist ein flexibles leitfadengestütztes Vorgehen angemessen und bietet genügend Räume für notwendig erscheinende Richtungswechsel oder Korrekturen im Sinne der Einhaltung des Themenweges, da die Interviews einerseits dazu dienen sollen, die Hypothesen zum eigenständigen musikalischen Kompetenzerwerb zu bestätigen als auch die Möglichkeit eröffnen, inhaltlich aufeinander bezogen zu werden. 55 Das Leitfaden-Interview und seine strukturelle Gestaltung stehen nach Helfferich in einem begründeten Zusammenhang und sollten je nach Zielsetzung variabel gestaltet werden. „… wenn ‚subjektive Alltagstheorien’ oder ‚subjektive Konzepte’ untersucht werden sollen, sind die methodischen Festlegungen bezogen auf die Interviewform nicht ganz eng und Mischformen – so offen und monologisch wie möglich, so strukturiert und dialogisch wie nötig – können empfohlen werden …“56 Das Interview soll von seiner Grundstruktur Möglichkeiten des „Aufdeckens verdeckter Anteile“ im Interview durch eine gemeinsame Arbeit am Thema bieten und gleichzeitig den Relevanzsetzungen des Erzählenden folgen.57 Ein wesentliches Grundprinzip qualitativer Interviews geht von der Erwartungshaltung gegenüber dem Erzählenden aus. Dies ist zum einen Prinzip, da der Forschungsgegenstand in seinen Arbeitshypothesen bestätigt werden soll, zum anderen problematisch, da die Erzählung unerwartete Wege beschreiten kann, die vermeintlich von der eigentlichen Forschungsfrage wegführen. Die Entscheidung bei der vorliegenden Forschungsfrage wird zugunsten leitfadengestützter Interviews gefällt, da hier die Chance besteht, einerseits den relativ klar beschriebenen Gegenstand der
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Vgl. Green (2002), S. 167. Vgl. Mayring (2010), S. 20. Vgl. Kruse (2014), S. 213. Helfferich (20093), S. 169. Vgl. ebd. (20093), S. 168f.
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selbst erworbenen Kompetenzen einzugrenzen und zu erforschen und andererseits, um durch gezieltes Fragen und spontanes Nachfragen Räume für nicht Erwartetes zu öffnen.58 Die Entscheidung für leitfadengestützte Interviews geschieht vornehmlich vor dem Hintergrund einer nachvollziehbaren Erzählstruktur der Erzählenden und einer notwendigen Einbindung oder näheren Erläuterung von Details durch gezieltes Nachfragen. Bei der Altersstruktur der erforschten Zielgruppe kann auch davon ausgegangen werden, dass ein ungehemmter Redefluss der Erzählenden nicht immer gegeben ist, da hier durchaus die Möglichkeit besteht, dass die Konzentration auf die Erwartungshaltung des Interviewers dominant ist. „Sie [Eingriffe, der Verf.] sind immer dann sinnvoll, wenn das Forschungsinteresse sich auf bestimmte Bereiche richtet und Texte zu bestimmten Themen als Material für die Interpretation braucht, eine selbständige [sic!] Generierung solcher Texte aber nicht erwartet werden kann.“ 59 Letztendlich liegt hier ebenfalls die Prämisse eines möglichst hohen Grades der Verallgemeinerung zugrunde, auch wenn dies nicht in jedem Detail für das Forschungsvorhaben von hoher Priorität ist. 4.2.2 Ausgestaltung der Interviews Dem Entwurf des Leitfadens liegt die zentrale Forschungsfrage zugrunde, inwieweit Schülerinnen und Schüler eigene Strategien entwickeln, um sich musikalische Kompetenzen innerhalb ihres privaten Umfeldes anzueignen. Die Fragetechnik folgt einer standardisierten Grundstruktur mit Inhalt, Aufrechterhaltungsfragen, konkreten Nachfragen.60 Die Fragen werden nicht abgelesen61, sondern werden in der Interviewsituation festgelegt. Die Optionen für Aufrechterhaltungsfragen oder konkrete Nachfragen bleiben aus diesem Grunde als Stichpunkte festgehalten und werden nicht ausformuliert. Obwohl das Forschungsinteresse auf den außerschulischen Bereich abzielt, wird der Hinweis auf die Trennung von Schule und Privatleben in den Fragestellungen und Erzählaufforderungen vermieden, um die Gestaltung des Erzähltextes durch den Erzähler nicht durch eine gewählte Präsupposition entsprechend zu beeinflussen.62 Durch die Vorgabe der Beschränkung der Erzählung auf den außerschulischen Bereich bestünde die Möglichkeit einer übermäßigen Konzentration auf diesen Aspekt, der möglicherweise verbunden mit der zusätzlichen Problematik ist, dass eine genaue Trennung aus der Erinnerung heraus nicht immer möglich ist. Die Konzentration auf den außerschulischen Bereich soll eher durch zusätzliche Stichpunkte oder Nachfragen erreicht werden.63 Der Entwurf des Fragenkatalogs wurde unter folgenden Hauptkriterien gestaltet:64
58 59 60 61 62 63 64
Vgl. ebd. (20093), S. 58f. Vgl. ebd. (2009), S. 179. Vgl. Kruse (2014), S. 217. Vgl. Helfferich (20093), S. 180. Vgl. ebd. (20093), S. 102. Vgl. ebd. (20093), S. 181. Vgl. Kruse (2014), S. 207f/Helfferich (20093).
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• Möglichst geringer Gesamtumfang der Fragestellungen. • Aufbauend von allgemeinen Fragen mit Initialcharakter zu spezifischen Fragen mit
abschließenden auf die Zukunft gerichteten Fragen. • Möglichst offener Charakter des Leitfadens/der Fragestellungen. • Präzisierungen durch Stichpunkte. • Zusammenstellung des Fragekatalogs nach dem SPSS-Prinzip nach Helfferich
(Sammeln/Prüfen/Sortieren/Subsumieren).65 4.2.3 Entwurf Interviewleitfaden 1. Erzähl doch mal, wann du angefangen hast Musik zu machen. Stichpunkte Seit wann? Kannst du dich erinnern? Möglicher konkreter Anlass oder Person (Familie, Freund, Star, Sendung, Tonträger) Vorbild Andere Gründe (Erfolg, Berühmtheit) Spaß Persönliche Bedeutung 2. Kannst du dich an eine bestimmte Musik oder einen konkreten Song erinnern, mit dem du angefangen hast Musik zu machen? Stichpunkte Beispiele nennen Ggf. eigene Perspektive 3. Wenn du heute einen Song hörst, und du möchtest ihn spielen/singen – wie gehst du dann vor? Stichpunkte Unterricht Learning by doing YouTube/andere Medien Mögliche konkrete Beispiele 4. Welche Musik hörst du im Moment am liebsten? Kannst du sagen, was dir daran am besten gefällt? Stichpunkte Erfragen von Einzelkriterien/Parametern Instrumente
65 Vgl. Helfferich (20093), S. 182ff.
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Stimme Sounds Stil 5. Bisher haben wir übers Instrumente spielen oder Singen gesprochen. Machst du noch mehr mit Musik? Stichpunkte Songs schreiben/Songideen entwickeln Eigene Versionen ausprobieren Mit Apps umgehen Musik hören Tanzen Sounds entwickeln 6. Was sind für dich die wichtigsten Gründe Musik zu machen? Stichpunkte Spaß an Musik Gefühle/Musizieren schön finden Spielen in einer Band Berufliche Perspektiven Ggf. Beispiele nennen 7. Als du angefangen hast ein Instrument zu spielen oder zu singen – wie hast du das gemacht? Stichpunkte Unterricht Imitation (z. B. Luftgitarre) Learning by doing 8. Meinst du, dass du auch in Zukunft Musik machen wirst? Stichpunkte Geplante weitere Aktivitäten Einschätzung der Möglichkeiten 4.2.4 Reflexion des Leitfadens Die Reihenfolge der Fragestellung stellt eine im Sinne der Planung sinnvolle Reihenfolge dar (s.o.). Diese ist jedoch nicht verbindlich und entsprechend offen. Die Konstruktion des Leitfadens und der Entwurf der Reihenfolge beinhalten im Sinne der Sequenzanalyse bereits die Hypothesenbildung hinsichtlich zu erwartender Folgese-
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quenzen, die im Falle der ggf. wiederholten Falsifikation angepasst werden kann. 66 Die inhaltliche Schwerpunktbildung ist darüber hinaus auf einer Vielzahl von Gesprächen mit Musikerinnen und Musikern während der eigenen jahrelangen Studioarbeit begründet, die sowohl im Amateurbereich als auch im Profibereich angesiedelt werden können. Ausgehend von diesen Gesprächen als einem nicht geplanten Bestandteil teilnehmender Beobachtung kann von einer zu erwartenden Systematik des Antwortverhaltens ausgegangen werden, was zugleich offene Entwicklungen beinhaltet. Bei einer viel versprechenden Konzentration der Erzähler auf bestimmte für das Forschungsvorhaben zentrale Aspekte wird ggf. auf die Beantwortung aller Fragen verzichtet (z. B. abschließende Erinnerungs- bzw. auf die Zukunft gerichtete Fragen). Die Fragen werden nicht vorgelesen, sondern für den Erzählenden in einer möglichst entspannten Gesprächsatmosphäre gestellt bzw. der aktuellen Interviewsituation angepasst. Überlegungen Frage 1 – Anfänge musikalischer Aktivität Diese Frage hat vor allem die Funktion in die Erzählung einzuführen und besitzt aus diesem Grund einen allgemeinen Aufforderungscharakter. Die Frage nach dem Beginn der musikalischen Aktivität ist möglicherweise auch verknüpft mit einem „Warum“ des Musizierens und kann sehr vieldeutig verstanden werden. Die Frage ist im Idealfall nicht durch eine einfache bzw. kurze Antwort zu beantworten und fungiert daher auch als Erzählaufforderung. Die Gründe für das Musikmachen können zudem sehr vielfältig sein (Planung, Zufall, konkrete Erlebnisse oder allgemeine Zuneigung zur Musik). Auch wenn die Frage zunächst den Eindruck erweckt, dass diese auf die Vergangenheit gerichtet ist, so bezieht sich diese ebenfalls auf die Gegenwart, da sie auf die grundlegende Motivation des Musikmachens gerichtet ist. Stichworte ergeben die Möglichkeit der Konkretisierung. Überlegungen Frage 2 – Besondere Momente/ Auslöser für die eigene musikalische Praxis Die Frage berührt die möglicherweise sehr persönliche Motivation des Musikmachens. Häufig ist dies an zurückliegende Erlebnisse gekoppelt, z. B. die positive Erfahrung mit einer bestimmten Musik oder einer Band, zumeist aus Bereichen der populären Musik. Es kann ggf. davon ausgegangen werden, dass hier Erinnerungslücken bestehen oder die Erzähler nicht gern über diesen Bereich reden, weil er ihnen zu persönlich ist (z. B. aus Gründen der mittlerweile gegenüber der Kindheit radikal geänderten Musikpräferenzen). Zudem spielt die Geschlechtszugehörigkeit auf den verschiedenen Ebenen musikalischer Tätigkeiten eine herausragende Rolle. „Bei den Items Singen und Tanzen erweist sich eher die Geschlechtszugehörigkeit als ausschlaggebend. Singen und Tanzen sind offenbar ‚Mädchensachen’ und werden daher in einer von Jungen dominierten Präferenzgruppe eher abgelehnt …“ 67
66 Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 481f. 67 Wilke (2012), S. 91.
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Überlegungen Frage 3 – Strategien zum Erlernen von Instrumental-, Gesangsparts Die Frage zielt durch Hinführung zum Komplex außerschulisch erworbener Kompetenzen auf den eigentlichen Kern des Forschungsinteresses ab. Auch wenn Schule als Lernort nicht ausgeschlossen werden kann, so kann davon ausgegangen werden, dass ein selbstständiger Kompetenzerwerb in Bereichen der populären Musik vorwiegend im privaten Sektor stattfindet. Bereits die informellen Vorgespräche ließen die Annahme zu, dass die Schüler neue Songs vornehmlich zu Hause auf der Basis privater Initiative erarbeiten. Überlegungen Frage 4 – Musikpräferenzen Die Frage ist im Kern abstrakt und zielt konkret auf die Erörterung allgemeiner musikalischer Kompetenzen in Bezug auf Stile und Genres und das Erkennen und Beschreiben musikalischer Parameter ab. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler ggf. eine eigene Sprache verwenden, wenn es darum geht Musikparameter zu umschreiben. Das Erkennen und Hören einzelner Parameter wie Sound, Instrumente usw. lässt auf Kompetenzen im Bereich strukturellen Hörens schließen. Überlegungen Frage 5 – Allgemeiner Umgang mit Musik/ Weiteres kreatives Potenzial Mit dieser Frage werden weitere Bereiche angesprochen, um kreative Tätigkeiten und Kompetenzerwerb zu erfassen. Die Frage ist gezielt unpräzise formuliert, um den offenen Charakter zu unterstützen. Überlegungen Fragen 6 und 7 – Motivation Musizieren/Frühe Strategien Die Fragen zielen vornehmlich auf die Gefühlswelt ab. Es ist damit zu rechnen, dass die Erzähler sich nicht trauen über emotionale Aspekte sprechen, da sie dies in der Regel als peinlich empfinden.68 Beispiel: Kinder lassen sich unter anderem in frühen Phasen der Selbstsozialisation auf Musik durch Imitation von Bewegungen und Gesten ein, z. B. durch Gesangsimitation durch Singen mit einem fiktiven Mikrofon, Luftgitarre-Spielen oder Tanzen. Meistens geschieht dies heimlich ohne die Beobachtung durch Erwachsene (zumeist Eltern). Es wird der Versuch unternommen die Erzähler durch einfache Beispiele zu ermuntern. Letzteres erfordert eine lockere Gesprächsatmosphäre. Überlegungen Frage 8 – Mögliche Perspektiven Die auf die Zukunft gerichtete Frage gehört eigentlich nicht zum Forschungsschwerpunkt, die Antworten drücken möglicherweise jedoch den gegenwärtigen Grad an Motivation am Musikmachen, auch in der Band-AG, aus. Die Frage dient einerseits dazu, die zukünftigen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen, andererseits ist hier ein Interviewausstieg möglich. Es bieten sich Optionen hinsichtlich einer offenen Entwicklung des Interviewverlaufs.
68 Das durchschnittliche Alter der Befragten liegt bei ca. 15 Jahren.
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4.2.5 Zusammensetzung der Interviewgruppe 1 und Kontaktaufnahme Für die Schülerinterviews wurde als erste Interviewgruppe eine Schülergruppe einer Integrierten Gesamtschule ausgesucht, die in einer Musik-AG wöchentlich gemeinsam musiziert. Bei der Gruppe handelt es sich um eine Sängerin, einen Bassisten, einen Gitarristen und einen Keyboarder. Der Kontakt ist durch den Lehrer zustande gekommen. Die Wahl fiel auf diese Gruppe, weil die Zusammensetzung der Gruppe aus Schülerinnen und Schülern der verschiedenen Schulformen (Gymnasium, Hauptschule, Realschule) besonders geeignet erscheint. Zudem konnte das Forschungsvorhaben organisatorisch durch die Arbeit mit einer Gruppe wesentlich konzentriert werden. Die Schüler sind aus den Klassenstufen acht und neun. Der Lehrer hat die Teilnehmer vorab nur allgemein ohne konkrete Angaben über das Vorhaben informiert. Ein erstes Treffen (5.3.15) zum Probetermin der AG wird vereinbart. Das Treffen findet in der Schule zum normalen Probetermin in der den Schülern vertrauten Situation und Atmosphäre statt. Es dient einem ersten Kontakt und einer vorläufigen Vorstellung des Vorhabens (s. Protokollbogen erstes Treffen), ohne allzu viele Details zu nennen, da das Kennenlernen im Vordergrund steht. Aus der Forscherperspektive dient das Treffen vornehmlich zur Herstellung einer distanziert-vertraulichen Atmosphäre und der Überprüfung des methodischen Vorgehens. Das Vorhaben wird im Kern umrissen durch Umschreibung des Themas und des geplanten Interviews. Dies ist verbunden mit dem Versuch, möglichst wenige Details zu nennen, die die Schüler im Hinblick auf die späteren Interviews zu sehr im Hinblick auf ihre Antwortnaivität beeinflussen könnten. Die grobe Umschreibung des Themas veranlasst bereits einige Schüler zu spontanen Äußerungen bezüglich ihres Umgangs mit Musik, was als motivationsbedingte Handlung gedeutet werden kann. Die Gruppe ist als AG keine homogene Gruppe, die aus einer Klasse stammt oder sich bereits lange kennt. Die Sängerin ist erst kürzlich aufgrund eines Auftritts, der von den anderen besucht wurde, gebeten worden, in der AG mitzuarbeiten. Die Band arbeitet wider Erwarten im Vergleich zur Altersstufe bereits auf einem relativ hohen Niveau. Sowohl die Zusammensetzung der Gruppe als auch die bereits vorhandene Expertise der Schüler lässt die Gruppe als zu interviewende Gruppe geeignet erscheinen. Die anschließende Probe der Band ist anfangs geprägt durch Nervosität aufgrund der Anwesenheit einer fremden Person, was sich im Verlauf der verbleibenden ca. 70 Minuten jedoch legt. Während des ersten Treffens wurde auf formale Dinge wie das Verteilen von Informationsblättern und Einverständniserklärungen verzichtet. Dieser Schritt ist einem zweiten Treffen vorbehalten. Die Treffen werden unmittelbar danach bzw. in kurzem Zeitabstand protokolliert. Dem Verfasser sind die damit verbundenen methodischen Probleme bekannt.69
69 „Weil sich die Realität in der Beobachtung also nur in einer durch die Beobachtung überformten Wirklichkeit offenbart, muss die Analyse flüchtigen Materials methodisch drei zentrale Probleme in den Griff bekommen, um zuverlässige Interpretationen zu gewährleisten: die perspektivische Selektivität der Zuwendung (Was können BeobachterInnen aus ihrer spe-
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4.2.6 Weitere Aspekte der Interviewplanung und -organisation Die Heterogenität der ausgewählten Gruppe erscheint geeignet für das Forschungsvorhaben. Bereits die kurzen Gespräche während des ersten Treffens haben ergeben, dass die Bandmitglieder trotz unterschiedlicher Musik-Lernbiografien über gemeinsame Erfahrungen in Bezug auf die persönliche Herangehensweise und Auseinandersetzung mit populärer Musik verfügen. Es kann zu diesem frühen Zeitpunkt vermutet werden, dass die Interviewergebnisse zu einem akzeptablen Grad verallgemeinerbar sein können. Die Vermutung liegt vor allem in der sich aus den Treffen ergebenden teilnehmenden Beobachtung begründet, da neben den ursprünglich geplanten Kennenlerntreffen weitere Treffen stattgefunden haben (vgl. dazu Abschnitt 4.2.10). Auch vor dem Hintergrund der Verallgemeinerbarkeit wird hier eine Entscheidung für leitfadengestützte Interviews getroffen, um die Option sicherzustellen, dass trotz der unterschiedlichen Biografien vergleichbare Aspekte angesprochen werden. Die Erzählpersonen werden einzeln interviewt. Eine Gruppendiskussion erscheint hier methodisch nicht geeignet. Ein weiterer methodologisch wichtiger Aspekt für die Entscheidung des leitfadengestützten Interviews ist die Vermutung, dass sprachliche Hemmschwellen zum Teil kompensiert werden oder Aussagen durch Nachfragen präzisiert werden können. Es liegt die Vermutung nahe, dass nicht alle Aussagen zu Fragen der außerschulisch und damit privat erworbenen Kompetenzen aus der Perspektive der Erzählperson immer richtig eingeschätzt werden oder von dieser selbst als relevant eingestuft werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Altersstruktur der Erzählpersonen. Das leitfadengestützte Interview findet im Kontext weiterer Beobachtungsschritte statt und bindet Vorerfahrung aus Planungstreffen mit ein, da die Interviews nur als Bestandteil des Verstehensprozesses im Sinne hermeneutischer Wissenssoziologie verortet werden. Zur grundlegenden Systematisierung werden die von Kurt und Herbrik genannten Formen des Verstehens herangezogen, die genügend Raum für notwendige Interpretationsräume und Schwerpunktbildungen lassen.70 4.2.7 Protokoll erstes Treffen • Termin: 5.3.2015, 14:00 • Ort: Integrierte Gesamtschule/Bandübungsraum
zifischen Position überhaupt beobachten und worauf richten sie ihre Aufmerksamkeit?); die selektive Wahrnehmung (Was nehmen BeobachterInnen aus ihrem Zuwendungsfeld wahr? Was blenden sie dabei aus? Was ergänzen sie? Welche Bedingungen führen zu dieser spezifischen Wahrnehmungsweise?); und die Selektivität der Protokollierung (Was davon halten sie für aufzeichnungsrelevant und protokollieren es tatsächlich – sofern sie es bis zur Protokollierung behalten haben – und welcher Selektionsmethoden bedienen sie sich dabei?).“ (Lueger, 2010, S. 42f). 70 Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 474. Dort aufgeführte Formen des Verstehens: Universalität des Verstehens/Perspektivität des Verstehens/Soziohistorisches Apriori des Verstehens/Geschichtlichkeit des Verstehens/Vorstruktur des Verstehens/Selektivität des Verstehens/Motiviertheit des Verstehens/Unabschließbarkeit des Verstehens.
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Vier Schüler (Gesang, Bass, Gitarre, Keyboard u. Gitarre) Ein Gastschüler, der sich für die Rolle des Schlagzeugers bewerben möchte Song: „I See Fire“ von Ed Sheeran Die Schüler gehören zur Band-AG der achten Jahrgangsstufe und kommen aus verschiedenen Schulformen. Der Gastschüler stammt aus einer fünften Klasse und möchte unbedingt in der Band mitspielen. Kurze Vorstellung des Interviewers und des geplanten Interviewprojekts. Klärung einiger Rückfragen und zusätzlicher Erläuterungen durch die Lehrkraft. Spontane Schilderungen einiger Schüler zur ihrer musikalischen Arbeit. Beginn der Probe, die gekennzeichnet ist durch anfängliche Nervosität (möglicherweise) aufgrund der Anwesenheit des Interviewers. Die Probe wird erschwert durch das Schlagzeugspiel des noch jungen Anwärters. Großes Engagement der Lehrkraft zur Stabilisierung des Tempos bei gleichzeitiger Integration des Schülers (am Schlagzeug). Probe ca. 70 Minuten. Danach gelockerte Atmosphäre und Fragen einiger Schüler an den Interviewer zu Musik im Allgemeinen und zu möglichen gemeinsamen Bekannten etc. Positive Einschätzung der Gruppe als Interviewgruppe, da heterogene Zusammensetzung, vergleichbare Erfahrungen und gutes musikalisches Level. Die einzelnen Schüler musizieren für ihr Alter auf einem guten Level. Die Sängerin sticht durch ihr Können besonders hervor. Grundlegendes Problem für Musizierende der Altersstufe: Timingfestigkeit.
Die Besetzung ist folgende: • • • •
Gitarre: Interviewcode: Am Bass: Interviewcode: Bm Keyboard/Gitarre: Interviewcode: Cm Gesang: Interviewcode: Df
4.2.8 Protokoll zweites Treffen Treffen: 16.4.15 14:00 Uhr Ort: Band-Proberaum der Schule Anlass: Zweites Kennenlerntreffen und Austausch Informationen zum bevorstehenden Interview • Probe in kleiner Besetzung. Gitarre, Bass, Keyboard/Akustikgitarre. • Die Schüler üben in kleiner Besetzung ohne Lehrkraft und Sängerin. Trotz Abwesenheit der Lehrkraft lag die Erlaubnis der Schulleitung vor, sich mit den Schülern zu treffen. An diesem zweiten Treffen sollte es neben dem weiteren Kennenlernen um die Weitergabe der Informationsblätter und der Einverständniserklärung gehen. • Die kleine Besetzung übt ausgewählte Passagen des Songs „I See Fire“. Der Gitarrist, der Keyboarder und der Bassist singen dabei zur Orientierung mit. • • • •
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• Das Üben in der kleinen Besetzung wirkt konzentriert, die Schüler diskutieren ein-
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zelne Problemstellen. Es werden einzelne Passagen besprochen hinsichtlich der anzustrebenden Dynamik, ausgewählter Spieltechniken (Gitarre geschlagen oder gezupft), sie beziehen sich in ihren Diskussionen auf ästhetische Aspekte des Originals. Der Bassist spielt hierbei eine zentrale Rolle, jedoch werden die anderen Teilnehmer nicht von ihm dominiert und liefern ebenfalls regelmäßig Beiträge. Nach einer Probephase von ca. 45 Minuten werden vormals, aber lange nicht mehr gespielte Stücke geübt. Als erstes wird „Time To Wonder“ von Fury in the Slaughterhouse ausprobiert. Die Akkorde werden kurz diskutiert und ausprobiert, der Text wird soweit bekannt auswendig gesungen. Danach wird wieder „I See Fire“ geübt. Da noch Zeit zur Verfügung steht, wird noch ein weiteres Stück angespielt, wobei der Bassist wie schon beim Titel zuvor das Schlagzeug übernimmt. Titel: „Waves“ von Probz. In einem zweiten Durchgang wird eine andere Version durch Umbesetzung ausprobiert. Der Spieler der Akustikgitarre übernimmt hierfür eine relativ komplexe Klavierstimme anstelle der Gitarre. Er probiert neben gebrochenen Akkorden Sololinien aus. Gelegentlich auftretende Probleme werden besprochen und korrigiert. Dies betrifft zumeist die Abläufe der Titel.
Insgesamt ist die Situation des Übens ohne den Lehrer etwas unklar. Während eines im Anschluss an die Probe geführten Gesprächs mit den Schülern stellt sich heraus, dass die Band-AG keine offizielle Veranstaltung im Curriculum darstellt, sondern eine zusätzliche freiwillige Veranstaltung ohne Zensuren, zu der sich die Schüler regelmäßig treffen. Aus diesem Grunde ist die Teilnahme aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht immer regelmäßig gegeben. 4.2.9 Protokoll drittes Treffen Treffen: 21.5.15 14:00 Uhr Ort: Band-Übungsraum der Schule Anlass: Treffen für noch offenes Interview mit der Sängerin Bei Eintreffen sind lediglich der Keyboarder, der Gitarrist und der Bassist anwesend. Lehrkraft und Sängerin sind verhindert. • Die Anwesenden entscheiden sich dennoch zu proben, da zum Schuljahresende einige kleine Auftritte anliegen. • Geübt wird wiederum „Time To Wonder” von Fury In The Slaughterhouse. Der Gitarrist und der Bassist versuchen gleichzeitig zu singen, können sich dadurch jedoch nicht so gut auf ihr Instrument konzentrieren. • Der Interviewer wird daraufhin von den Schülern gebeten, den Gesangspart zu übernehmen. • • • • •
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• Der Titel wird einige Male gespielt, anliegende Probleme werden besprochen. Dies
betrifft in den meisten Fällen den nicht ganz sicheren Ablauf des Stückes. • Der Bassist schlägt abschließend vor, den Song einmal mit Schlagzeug zu spielen. • • •
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Er übernimmt diesen Part. Der Interviewer wird gebeten, an seiner Stelle den Bass zu übernehmen. Gitarrist und Bassist übernehmen gemeinsam den Gesangspart. Die in kleiner Besetzung durchgeführte Probe führt zwar zu keinem Gesamtergebnis als Ergebnis der noch im Aufbau befindlichen Band, hat jedoch den Effekt, dass Teilfragen zwischen den Anwesenden geklärt werden können, die zu mehr Sicherheit der Mitwirkenden beitragen. Da nach einigen Durchgängen noch Zeit für weitere Titel zur Verfügung steht, schlägt der Bassist vor, ein völlig neues und bisher noch nicht gespieltes Stück anzugehen. Es handelt sich um den Song „Hey There Delilah“ von den Plain White T's aus dem Jahre 2006. Da der Song bisher noch nicht geprobt worden ist, liegen auch keine Materialien wie Chordsheet, Liedtext oder Aufnahme vor. Der Song wird gemeinsam erarbeitet. Siehe dazu nähere Details im folgenden Abschnitt. Der Prozess kann so weit vorangetrieben werden, dass der Song zumindest mit seinen wesentlichen Songteilen langsamer als im Original angespielt werden kann. Abschließende Probe in Anlehnung an das Originaltempo und Suche nach einem eigenen Tempo.
4.2.10 Prozessentwicklung im Zuge der Treffen – Teilnehmende Beobachtung Nach den ersten beiden geplanten Kennenlerntreffen folgten wie weiter oben beschrieben weitere. Die fortgesetzte Kontaktaufnahme ist zum einen durch das Forschungsinteresse im Sinne einer weitgehenden Normalisierung der Begegnungen begründet, da die Zusammensetzung der Band aufgrund der Heterogenität (Schüler verschiedener Schulformen/Jungen und wenigstens ein Mädchen) besonders geeignet erschien. Die weiteren Treffen kamen zunächst jedoch eher zufällig zustande, da zum einen noch Formalitäten zu klären waren (Einholen der Einverständniserklärungen etc.), und darüber hinaus entweder die für die Interviews vorgesehenen Schüler oder die Lehrkraft nicht anwesend waren, sodass weitere Verabredungen notwendig wurden. Aus dieser Situation heraus entwickelte sich schließlich ein Prozess, der dazu führte, dass der Verfasser zunehmend in zumindest einige Gruppenprozesse involviert wurde, sodass Aspekte der teilnehmenden Beobachtung in den Forschungsprozess einfließen konnten, ohne dass dies vor vornherein so beabsichtigt war. Dies ist methodisch insofern zumindest teilweise problematisch, als Aufzeichnungen zur teilnehmenden Beobachtung erst viel später als normalerweise üblich vorgenommen werden konnten. Die Entwicklung zur teilnehmenden Beobachtung im Verlauf des Forschungsprozesses hatte somit auch ein Weniger an emotionaler Distanz als As-
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pekt methodischer Normalität zur Folge. 71 Zudem stellte sich im Nachhinein die Frage, unter welchen Forschungsfragen die teilnehmende Beobachtung grundlegend erfasst werden sollte. Nicht zuletzt kann insbesondere der letzte Punkt, der eine nicht von vornherein systematisch geplante Herangehensweise beinhaltet, auch als positives Moment der Offenheit und Unvoreingenommenheit methodisch begründet werden, da sich die Beobachtungen in Relation zu den Daten der durchgeführten Interviews setzen lassen.72 Durch den sich innerhalb des Forschungsprozesses neu entwickelnden Aspekt der teilnehmenden Beobachtung entstand die Notwendigkeit einer im Nachhinein anzuwendenden Systematik zur Erfassung der Daten und Erkenntnisse. Die hierzu von Lueger aufgeführten Schritte des Beobachtungsprozesses kommen nicht starr zum Einsatz, sondern werden hinsichtlich der im Forschungskontext relevanten Fragestellungen als Analyse-relevant reduziert und bearbeitet. Darüber hinaus stellt die teilnehmende Beobachtung im hiesigen Kontext eine untergeordnete Rolle im Verhältnis zur Hauptstudie dar, was eine entsprechend nur ansatzweise entwickelte Tiefe der analytischen Auseinandersetzung bedingt. Die folgenden Analyseschritte basieren auf den Lueger aufgeführten Schritten des Beobachtungsprozesses (s. Tabelle).73 deskriptive Analyse
soziales Setting physisches Setting
perspektivische Bedeutungsstrukturanalyse
Perspektivenvariation sinndimensionale Analysen Prozessanalysen Prozessebene Handlungsebene Situationsebene Kollektivebene Kontextebene Einheitsstiftung
Analysebasis
Analysezentrum Detailanalysen
Ergebnisintegration Ergebniskontrolle Bericht
integrative Analyse prüfende Analyseġ Feldausstieg
Tab. 8: Schritte des Beobachtungsprozesses. Eigene Darstellung nach Lueger (2010), S. 68. Deskriptive Analyse Soziales Setting: Die Teilnehmer der Gruppe sind Schüler einer integrierten Gesamtschule. Sie haben sowohl gemeinsamen Unterricht als auch Kursunterricht, der sich an unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden orientiert. Die Gruppe ist schulformspezi71 Vgl. Rosenthal (20144), S. 105. 72 „Die Beobachtung ermöglicht die Kontrastierung der anders erhobenen ’Daten' oder Texte, wie z. B. im Kontext der teilnehmenden Beobachtung stattfindende Interviews, mit den Interpretationen aus den Beobachtungen.“ (Ebd., 20144, S. 104.) 73 Vgl. Lueger (2010), S. 68.
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fisch heterogen zusammengesetzt. Die Sängerin der Band ist Schülerin eines benachbarten Gymnasiums und nicht Schülerin der Gesamtschule. Sie nimmt an der AG teil, weil sie von den anderen Schülern um eine Teilnahme gebeten wurde. Nach ersten Treffen kann die Rollenverteilung innerhalb der Band wie folgt zusammengefasst werden: Der Bassist wirkt leicht dominant. Er macht relativ viele Vorschläge und weist andere auf Verbesserungsmöglichkeiten hin, z. B. zur optimalen Positionierung der Notenständer. Er wirkt musikalisch versiert und erfahren, obwohl er erst 15 Jahre alt ist. Gitarrist und Keyboarder sind etwas zurückhaltender, tun ihre Meinung jedoch ebenfalls kund, wenn dies gefragt ist. Der Keyboarder ist diesbezüglich etwas introvertiert und konzentriert sich stark auf seinen Part. Er spricht gelegentlich halblaut zu sich selbst. Die Sängerin tritt für ihr junges Alter mit zwölf Jahren relativ selbstsicher auf. Zum einen verfügt sie bereits über ein weit entwickeltes Gesangspotenzial, zum anderen kommt ihr aufgrund des Wunsches der Band und der Lehrkraft, an dem Projekt aufgrund ihrer gesanglichen Qualitäten teilzunehmen, eine Sonderrolle zu. Sie wirkt interessiert und erfüllt ihren Part, wirkt jedoch weniger engagiert. Die Lehrkraft spielt innerhalb der Arbeitsprozesse eine zentrale Rolle und tritt innerhalb der Diskussionsprozesse entschieden, aber nicht übermäßig dominant auf. Sie gibt ihre Kompetenz deutlich zu erkennen, lässt jedoch fortlaufend ausreichend Räume für die Beiträge der Bandmitglieder und berücksichtigt diese auch. Die Rolle der Lehrkraft entspricht eher der eines Coaches, der den Band- und Übungsprozess begleitet und erst da entschieden eintritt, wenn seine größere Erfahrung gefragt ist, z. B. durch beharrliches Hinweisen auf Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten, insbesondere bei Fragen der Tempoeinhaltung und des Arrangements, wenn es darum geht Probleme zu beheben, die durch Bandmitglieder aufgrund ihres Entwicklungsstands noch nicht oder nur begrenzt erkannt werden können oder zu beheben sind. Physisches Setting: Die Proben finden im Keller des Schulzentrums in einem ehemaligen Abstellraum einer Schuldisco statt. Die Band kann hier ungestört üben, der Raum wirkt exklusiv und ist erst über mehrere Umwege erreichbar. Das Equipment entspricht einem guten bis sehr guten Standard und ist nicht unbedingt typisch für Schulinstrumentarium. Verstärker und Instrumente sind hochwertig. Von besonderem Vorteil ist die Nutzung eines elektronischen Schlagzeugs mit Kunststoffpads, da hierdurch die Lautstärke auf ein angenehmes Level reduziert werden kann. Der Übungsraum der Band-AG wirkt sehr aufgeräumt und wird von den Mitgliedern auch entsprechend verwaltet. Abgeschlossenheit des Raums, geeignetes Instrumentarium und Organisation des Raums bilden einen optimalen Rahmen für die Arbeit der Band-AG. Detailanalysen Prozessebene: Wie bereits weiter oben aufgeführt gab es verschiedene Anlässe oder Gründe sich wiederholt mit den Teilnehmern der Interviewgruppe zu treffen. Da es unabhängig vom eigentlichen Anlass der jeweiligen Begegnungen wichtig war, einen möglichst guten Kontakt zur Gruppe aufzubauen und ein weitgehend entspanntes Verhältnis für die für später geplanten Einzelinterviews anzubahnen, war es von vornherein von herausragender Bedeutung, nicht aufdringlich oder anbiedernd, son-
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dern interessiert, aber passiv aufzutreten.74 So gab es vonseiten des Verfassers keine Äußerungen ohne Aufforderung durch die Schüler oder Lehrkraft. Nach einigen Treffen nutzten die Bandmitglieder zunehmend die Möglichkeit Fragen an den Verfasser zu richten. Diese betrafen entweder Fragen zur Person des Verfassers und zu seinem Verhältnis zu Musik (Was machst du eigentlich genau?), zum geplanten Forschungsvorhaben (Worum geht's da eigentlich und was sollen wir machen?) oder zunehmend Fragen zur Unterstützung im aktuellen Übungsprozess (Kannst du die Keyboards übernehmen?). Letzteres hat sich insbesondere aus dem Umstand heraus entwickelt, dass nicht immer alle Teilnehmer einschließlich der Lehrkraft anwesend waren. Wie erst in dieser Phase klar wurde, handelt es sich bei der Band-AG um eine freiwillige Veranstaltung außerhalb des Curriculums. Handlungsebene: Aufgrund der jeweils entsprechend kleinen oder nicht ausreichenden Bandbesetzung wurde der Verfasser schließlich von den anwesenden Schülern gebeten fehlende Parts (Keyboard/Bass) zu übernehmen, damit eine Probe überhaupt oder mit einer größeren Besetzung stattfinden konnte. Während eines Treffens wurde ausschließlich durch wiederholtes Spielen von Songs geprobt, bei einer weiteren Zusammenkunft wurde spontan ein neues Lied ausgesucht. Hierzu benötigten die beiden anwesenden Gitarristen (E-Gitarre und E-Bass) sowohl das Chordsheet als auch den richtigen Ablauf. Aufgrund der räumlichen Situation war ein Empfang per Handy (Streaming des Songs via Spotify) im Keller nicht oder nur teilweise möglich. Der EGitarrist konnte per Internetempfang jedoch die grundlegenden Akkorde ermitteln, die aufgrund der nicht taktgebundenen Aufzeichnung ohne Hörversion jedoch nur schwer zu deuten waren. Der Verfasser konnte den Schülern in dieser Phase nicht weiterhelfen, da ihm der Titel unbekannt war, sodass schließlich ein Ort mit besserem Empfang aufgesucht wurde, um den Titel im Netz zu kaufen und so lokal auf dem Handy verfügbar zu haben. Durch die im Internet recherchierten Akkorde, die vorhandene Hörversion und einen folgenden Hörabgleich und Korrektur der Akkorde konnte schließlich genügend Material für das Spielen des Songs zusammengestellt werden. In den darauffolgenden Tagen hat einer der Schüler weiterhin Kontakt per WhatsApp aufgenommen. Mittels dieses Weges übersandte der Schüler eine eigene (Gitarren-) Aufnahme mit der Bitte, die Akkorde zu benennen, da ihm diese nicht bekannt waren. Die Nachfrage stellte sich als gut nachvollziehbar heraus, da die Akkordfolge in As-Dur angelegt war, was für Autodidakten bzw. Einsteiger eine schwierige Tonart darstellt. Bei einem weiteren Treffen, diesmal mit Lehrer, konnte der Verfasser wiederum mitspielen, da der Keyboarder an dem Tag nicht anwesend war. Bei einem später während des Treffens stattfindenden Gespräch lud der Verfasser die Band, die auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten ist, zu einem kleinen Auftritt an die Universität ein. Hier findet jeweils zum Semesterende ein Konzert im Fach Musik statt, bei welchem jeder, der möchte, Gelegenheit erhält etwas vorzuspielen. Da der Rahmen dieser Konzerte besonders offen und locker gehalten wird (das Niveau reicht von absolutem Anfängerstadium bis hin zu professionellen Darbietungen), erschien diese Plattform für eine Schülerband geeignet, da sie keinerlei Gefahr laufen konnte, als zu anfängerhaft eingestuft zu werden. Die anwesenden Musiker sagten spontan zu,
74 Vgl. ebd. (2010), S. 71.
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mussten jedoch noch die Zusagen der fehlenden Bandmitglieder einholen. So konnte der Auftritt schließlich vereinbart werden. Am Abend des Konzerts wurde der Verfasser wiederum spontan von den Bandmitgliedern gefragt, ob er sie begleiten könnte. Da der eigentliche Keyboarder, der in einigen Stücken auch Gitarre spielt, sich für dieses Konzert ausschließlich für Gitarre entschieden hatte, war der Part des Keyboarders frei, sodass ein Einsteigen ohne Probleme möglich war. Das Konzert der Band lag zeitlich nach den bereits durchgeführten Einzelinterviews. Auswertung/Interpretationsaspekte: Die Zusammensetzung der Gruppe, das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrkraft als auch die äußeren Gegebenheiten wie Räumlichkeiten und Ausstattung bilden die Grundlage für eine deutlich zu konstatierende produktive Arbeitsatmosphäre. Unabhängig von der tagesaktuellen Zusammensetzung (Anwesenheit aller Beteiligten, mit oder ohne Lehrkraft) waren keine wesentlichen Irritationen zu beobachten. Die Anwesenden haben jeweils flexibel auf die Situation reagiert und ihr Probeprogramm entsprechend angepasst. Ob dieses beobachtbare auf die Sache konzentrierte Verhalten durch die Anwesenheit einer dritten Person (Forscher) beeinflusst wurde, ist nicht feststellbar gewesen. Es ist eher der Eindruck entstanden, dass die Notwendigkeit flexiblen Handelns Teil einer normalen Handlungsweise ist. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein im Bandkontext angekündigtes Forschungsvorhaben auf Neugierde auf Seiten der Erforschten stößt. Beiläufige Bemerkungen der Lehrkraft mit Hinweisen auf die Kompetenz und Biografie des Forschers fördern diese Neugier, die möglicherweise dadurch verstärkt wird, dass es von Seiten des Forschers keine aktiven Vorstöße in dem Sinne gegeben hat, über die eigene Biografie als Musiker zu berichten. Entsprechend sind die einzelnen Vorstöße der Schüler zum Erlangen von Informationen als Versuch zu verstehen, um zunächst die eigene Neugierde zu befriedigen. Dies dient auch der Absicherung der eigenen Position und Erwartungshaltung. Die sich bei den folgenden Treffen entwickelnden Ebenen der Zusammenarbeit (gemeinsames Spiel, Erarbeitung einer Songbegleitung) fanden zunächst zögerlich bzw. abtastend statt und nahmen zunehmend einen eher selbstverständlichen Charakter an. Die langsame Herangehensweise an ein Zusammenspiel muss aus Sicht der Schüler zunächst sicherstellen, dass sie nicht „an die Wand“ gespielt werden, sondern nur unterstützt werden, um ihr eigenes Spiel weiterzuentwickeln. Aus diesem Grunde ist aus Forscherperspektive größte Zurückhaltung geboten. Dies betrifft nicht nur das praktische Zusammenspiel, sondern ebenfalls die Ebene der sprachlichen Kommunikation, die auf Vermeidung des Eindrucks fachlicher Überlegenheit ausgerichtet sein sollte. Die Sprache war hier weitestgehend dem Verständnis der Teilnehmer angepasst, bei gleichzeitigem Respekt der bereits erworbenen Kompetenzen der Teilnehmer. Es kann insgesamt eine Annäherung zwischen Forscher und beobachteter Gruppe festgestellt werden, weitere Angebote zu anderen Optionen einer Zusammenarbeit (Besuche an der Universität oder im Studio) wurden nicht angenommen. Die gewünschte Analyse eines Akkordablaufes zu einer Aufnahme eines Schülers bleibt hinsichtlich einer möglichen Interpretation offen. Hier bieten sich mehrere Optionen einer Interpretation im Sinne einer Perspektivenvariation75 an: Einfach nur erwünschte Sachinformation, Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zum weiteren Austausch über Musik, versteckter Wunsch nach einem Feedback zur Qualität der
75 Vgl. Lueger (2010), S. 72.
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eigenen Aufnahme. Bei den verschiedenen Treffen konnte festgestellt werden, dass die Kommunikationsebene zwischen den Schülern untereinander als auch zwischen Schülern und Lehrkraft durch einen lockeren Umgang bestimmt ist (alle duzen sich) als auch durch eine als sachbezogene Diskussionskultur. Die aufgeworfenen Fragen und Probleme konnten insgesamt auf einer fach- und musikbezogenen Ebene angegangen werden. Alle Mitglieder der Band konnten ihre Vorschläge einbringen, ohne dass diese von den anderen unsachlich kommentiert wurden. Die Diskus-sionsbeiträge bezogen sich aufeinander und waren weitestgehend geprägt durch sachliche Kompetenz. So wurde beispielsweise bei einem neuen Titel, der noch nicht oft geprobt worden war, festgestellt, dass die Tonlage des Songs nicht optimal für die Sängerin war. Es wurden daraufhin mehrere Fassungen ausprobiert, die sowohl die Variation der Melodie beinhalteten als auch eine Umsetzung in verschiedenen Lagen, bis schließlich eine befriedigende Lösung durch Lagenwechsel gefunden werden konnte. Ein Tonartwechsel als vielleicht einfachste Lösung kam zunächst nicht infrage, da die Teilnehmer noch nicht in der Lage sind, zuvor länger eingeübte Akkordfolgen in der Gruppe spontan zu transponieren. Insgesamt kann das Level an instrumentalen und gesanglichen Fertigkeiten als für die Altersgruppe (zwischen 12 und 17 Jahren) weit entwickelt bezeichnet werden. Dies betrifft sowohl das Akkordverständnis als auch die rhythmischen Fertigkeiten. Während der gemeinsamen Proben konnten keine Gespräche zu Aspekten wie Akkordspielweise oder -verständnis festgestellt werden. Das eigentliche Üben der Instrumente und der Instrumental- und Gesangsparts findet nicht im beschriebenen Rahmen der Band-AG statt (abgesehen von kleinen Neuerungen), sondern wird stets zu Hause praktiziert. Einige Schüler haben sich dazu spontan während der Treffen dem Verfasser gegenüber geäußert und berichtet, wie sie zu Hause üben und welche Hilfsmittel sie benutzen. Der Keyboarder gab an, relativ häufig mit Hilfe von YouTubeVideos zu üben, hingegen hatte sich die Sängerin ein Stück auf dem Klavier von einer Freundin beibringen lassen und so lange geübt, bis sie es spielen konnte („Comptine d'un autre été, l'après-midi“ aus dem Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“). Die Interpretation des Stückes kann als fortgeschritten eingestuft werden. Der Schwierigkeitsgrad liegt ebenfalls über einem Anfängerlevel. Der markante Part mit Sechzehntelnoten mit den verschobenen Akzenten konnte von dieser Schülerin erstaunlich gut ohne die bei vielen Anfängern beobachtbare Verlangsamung des Tempos umgesetzt werden. Es stellte sich im Laufe der Teilnahme bei den Proben heraus, dass einige der Teilnehmer mehrere Instrumente spielen, jedoch auf unterschiedlichen Niveaus instrumentaler Fertigkeiten. Bassist (Bass, Schlagzeug), Sängerin (Gesang, Klavier), Keyboarder (Keyboards, Akustikgitarre), Gitarrist (E-Gitarre). Der Part des Schlagzeugs wurde zum Zeitpunkt der Treffen von der Lehrkraft übernommen. Ergebnisintegration Eine Ergebnisintegration im hiesigen Kontext mit den wenigen dazu vorliegenden Daten (s. weiter oben) ist vor allen Dingen im Kontext mit der Hauptstudie zur Frage der selbsterworbenen Kompetenzen bei Schülern relevant. So wären an dieser Stelle auch abweichende auf andere Schwerpunkte bezogene Aussagen und Interpretationen denkbar gewesen. Die Kurzprotokolle erweisen sich hinsichtlich der festgehaltenen Beobachtungen vor dem Hintergrund der methodischen Notwendigkeit von Sequen-
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zierungen als durchaus verwertbar.76 Trotz der Problematik der sich ständig wandelnden äußeren Bedingungen aufgrund unregelmäßiger Teilnahme der Bandmitglieder bleibt die Arbeit der jeweils Anwesenden im Wesentlichen zielgerichtet und verläuft nach vergleichbaren Mustern. Nachdem zu Beginn der Proben bei gleichzeitiger Kontaktaufnahme per Messenger oder WhatsApp zunächst noch auf die mögliche Ankunft weiterer Mitglieder gewartet wird, wird anschließend geklärt, welche Probemöglichkeiten im Kreis der anwesenden Spieler denkbar sind. Die Beobachtungen und erkennbaren Muster können als Zwischenergebnis in den folgenden Kernaussagen zusammengefasst werden: • Die Gruppe der Band-AG arbeitet bei allen Zusammentreffen ergebnisorientiert. • Die Arbeit ist gekennzeichnet durch einen hohen Motivationsgrad, der nicht von
außen (z. B. Lehrkraft) initiiert werden muss. • Die Arbeit der Gruppe kann von außen unterstützt werden. • Die Gruppe entscheidet über die Grenze der Unterstützung (Einmischung) von au• •
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ßen. Sie bleibt an sich selbst als Gruppe interessiert. Die zugelassene Unterstützung von außen ist von Seiten der Gruppe sachorientiert. Der Gruppe kann ein hohes Interesse an der Auseinandersetzung mit Musik unterstellt werden. Eine personenbezogene und nach innen gerichtete Bedeutung ist nicht feststellbar und kann nur durch andere Methoden festgestellt werden. Die Gruppe verfügt über vergleichsweise (Altersgruppe) weit entwickelte Kompetenzen. Die einzelnen Mitglieder können teilweise mehrere Instrumente spielen bzw. verfügen zumindest über Grundfertigkeiten. Die gespielten Akkorde sind teilweise nicht einfach, insbesondere sind weit entwickelte rhythmische Fähigkeiten feststellbar, die deutlich über dem Durchschnitt liegen und einen fortgeschrittenen Entwicklungsgrad aufweisen. Die Gruppenmitglieder verfügen über weit entwickelte Fähigkeiten zur Wahrnehmung der selbst gespielten Musik im Hinblick auf Stilfragen, auf Interpretation und die damit verbundenen Fragestellungen. Diese Fähigkeiten gehen mit einem weit entwickelten Begriffssystem zur Kommunikation über Musik einher. Ein grundlegendes Hauptproblem stellt das noch nicht voll entwickelte Timing dar, sowohl im Einzelspiel als auch im Zusammenspiel. Die Lehrkraft wirkt konstruktiv auf die zu beobachtenden Phänomene ein (Kommunikationskultur, Selbstkritik, Urteilsfähigkeit, Verbesserung der instrumentalen Fertigkeiten). Die Unterstützung der Verbesserung der instrumentalen Fertigkeiten ist auch in der Tatsache begründet, dass die Lehrkraft alle Instrumente auf einem guten Level spielen kann. Die festgestellte gute Kommunikationskultur kann möglicherweise auch auf Eigenmotivation der Teilnehmer zurückgeführt werden, da auch die Treffen ohne Lehrkraft durch konzentrierte Arbeit geprägt sind. Inwieweit die Anwesenheit des Forschers hier Einfluss auf das Verhalten der Bandmitglieder ausgeübt hat, ist nicht nachprüfbar.
76 Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 481ff.
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4.2.11 Zusammensetzung der Interviewgruppe 2 und Kontaktaufnahme Bei den weiteren Teilnehmern der zweiten Interviewgruppe handelt sich nicht um Schüler einer regulären Schule, sondern um Teilnehmer eines Kurses, der dazu dient, innerhalb einer einjährigen Kursteilnahme einen Realschulabschluss nachzuholen. In der Regel sind dies Schülerinnen und Schüler, die an anderen Schulen, die sie vorher besucht haben, gescheitert sind. Die Altersstruktur der Schülerinnen und Schüler ist entsprechend und liegt laut Auskunft der Kursleitung durchschnittlich bei 19–21 Jahren. Die beiden teilnehmenden Schüler haben bereits eine langjährige, von negativen Erfahrungen geprägte Schulhistorie hinter sich und unterschiedliche Schulformen besucht. Ein Teilnehmer hat vorher die Hauptschule besucht und verfolgt durch den angestrebten Realschulabschluss das Ziel eines verbesserten Abschlusses. Der zweite Teilnehmer hat bereits das Gymnasium besucht und ist auch nach der Rückstufung auf die Realschule hinsichtlich eines Abschlusses nicht erfolgreich gewesen. Der Besuch des Kurses dient dazu überhaupt einen Schulabschluss zu machen, der möglicherweise später weitere Aufstiegschancen gewährleisten kann. Die beiden Befragten grenzen sich von der Interviewgruppe 1 im Wesentlichen dadurch ab, dass sie nicht gemeinsam innerhalb einer schulischen oder anders gearteten Organisationsstruktur musizieren. Der Umgang mit Musik besitzt einen rein individuellen Charakter als Teil der Freizeitgestaltung. Gemeinsame Gestaltungsperspektiven, wie dies bei einer Band der Fall ist, sind hier mit einer Ausnahme 77 nicht gegeben. Äußere Zwänge, beispielsweise bedingt durch einen geplanten Auftritt, entfallen. Der Umgang mit Musik unterliegt einer rein individuellen Motivation. Ein vorheriges Kennenlerntreffen konnte aufgrund des durch eine Klausurenphase zum Schulabschluss bedingten engen Terminplans der Schüler nicht stattfinden, jedoch wurde über die Kursleiterin mehrfach informell Kontakt aufgenommen. Die anberaumten Interviews wurden schließlich kurzfristig beschlossen und fanden innerhalb kleiner Zeitfenster zwischen zwei Klausuren statt. Trotz der vorher nicht erfolgten Kontaktaufnahme und des schulischen Drucks konnte schnell eine entspannte Gesprächsatmosphäre hergestellt werden. In einer kurzen Einführungsphase wurden die Befragten noch einmal auf den Hintergrund des Interviews und die Gesprächsoptionen (beliebige Dauer, mögliche selbst gewählte Thematik, offene Erwartungshaltung von Seiten des Interviewers) hingewiesen, um Aspekte sozialer Erwünschtheit bei der Behandlung der Fragen weitgehend zu vermeiden.
77 Im Rahmen einer Veranstaltung der Institution, die den Kurs durchführt, ist einer der beiden Befragten während des Forschungszeitraumes aufgetreten und hat klassische Literatur auf dem Klavier vorgetragen. Dies lässt sowohl auf einen entsprechend vorher erworbenen Erfahrungsraum mit entsprechender Routine schließen als auch auf ein gehobenes instrumentales Können, welches die Institution zur Nachfrage des Vortrags veranlasst hat.
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4.3 DIE EINZELINTERVIEWS 4.3.1 Allgemeine Beschreibung der Interviewsituationen Am, Bm, Cm Auf Basis der unmittelbar nach den Interviews erstellten Interviewprotokollbögen werden für die Beschreibung solche Kriterien herangezogen, die für die Durchführung der Interviews als mögliche Einflüsse in Betracht gezogen werden können. Diese sind: Äußere räumliche Bedingungen, negative oder positive äußere Einflussfaktoren, feststellbares Befinden der Befragten und erkennbare Bereitschaft zur Durchführung des Interviews. Die Auflistung der Interviews entspricht der Reihenfolge der Durchführung. Die Interviews haben am selben Tag am selben Ort stattgefunden. Die Interviews fanden während der Probe der Band-AG statt. Der Lehrer war krankheitsbedingt nicht anwesend, von der Schulleitung lag jedoch die Erlaubnis zum Besuch der Gruppe und zur Durchführung des Forschungsprojektes vor. Die Probe wurde nicht von allen Schülern und Schülerinnen besucht. Entsprechend wurde die Vorgehensweise zur Probe unter den Schülern besprochen. Zum Interview zogen sich Interviewer und Befragter in einen Medienraum zurück, der als Lager dient. Diese Vorgehensweise wich von der ursprünglichen Planung ab, da ein großer Raum neben dem Proberaum als Interviewort vorgesehen war, um ein mögliches Gefühl räumlichen Eingesperrtseins auf Seiten der Befragten zu vermeiden. Aufgrund der Probe einer anderen AG in diesem Raum, die zudem mit lauter Musik verbunden war, war ein Ausweichen auf den Abstellraum unumgänglich. Trotz der ungünstigen äußeren Bedin-gungen konnten die Interviews ohne grundlegende Probleme durchgeführt werden, wenngleich die laute Musik eine erhöhte Konzentrationsbereitschaft erforderte. Die Befragten gaben durch Gestik, Mimik und entsprechende kurze Aussagen ihre Bereitwilligkeit zur konstruktiven Mitarbeit zu verstehen. Auf die Probleme der Lautstärke angesprochen gaben alle drei Befragten der ersten Interviewrunde an, dass dies kein Problem sei. Aus dem positiven Grundverständnis kann gefolgert werden, dass auch von Seiten der Befragten Interesse an den Interviews bestand. Die positive Bereitschaft und die teils ausführlichen Antworten lassen auf ein vorhandenes Mitteilungsbedürfnis schließen, welches möglicherweise auch als Wertschätzung der eigenen Person (Interviewte) gedeutet werden kann. Die Redebereitschaft der Befragten und die unabhängig vom Leitfaden zu erkennenden Erzählstrukturen lassen die Interpretation zu, dass sich die Befragten bereits gedanklich vorbereitend mit dem Interview bzw. der Interviewsituation befasst haben, was auf die vorherige Ankündigung und die gemeinsamen Proben zurückgeführt werden kann. Insbesondere die Befragten Am, Bm, Cm, Em und Fm ließen die Bereitschaft zu ausführlichen Antworten erkennen. (vgl. Transkriptionen im Anhang unter 10.1.3 und folgende). Besondere Merkmale Das Interview mit Am ist anfänglich geprägt durch eine relativ große Nervosität des Befragten, was in diesem Fall auf die laute Musik der nebenan probenden Tanz-AG zurückgeführt werden kann. Der Befragte gab an, ebenfalls Mitglied dieser AG zu
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sein. Er zeigte sich grundsätzlich gesprächsbereit, wirkte aufgrund der störenden Einflüsse jedoch gelegentlich unkonzentriert. Der Befragte Bm wirkte von Anfang an souverän und sehr entspannt. Die Lautstärke von nebenan hatte keinerlei erkennbaren Auswirkungen auf das Interview. Der Befragte konnte aufgrund der unerwarteten Raumsituation improvisierend mit der Situation umgehen und organisierte innerhalb kurzer Zeit den schließlich für die Interviews genutzten Ausweichort. Der Befragte wirkte hoch motiviert und auskunftsbereit. Der Befragte Cm wirkte sehr gesprächsbereit, obwohl das Auftreten teilweise gehemmt und zurückhaltend erschien. Die Ausführungen waren begleitet durch das Bemühen sich gewählt auszudrücken, was als Teil sozialer Erwünschtheit interpretiert werden kann. Die Texte des Befragten waren begleitet durch auffälliges Gestikulieren. 4.3.2 Beschreibung der Interviewsituation Df Das Interview konnte aufgrund zeitlicher Probleme der Befragten erst einige Wochen nach dem ersten Durchgang durchgeführt werden. Dazu wurde in einem großen Raum direkt neben dem Probenraum der Band-AG ein entsprechender Tisch aufgebaut. Anders als bei den ersten drei Interviews wirkte die Interviewsituation förmlicher, was durch den unpersönlichen und kalten Raum unterstützt wurde. Die Befragte Df wirkte während des Interviews sehr freundlich und auskunftsbereit. Die Ausführungen waren teils kurz und ausschließlich auf die Beantwortung der Frage gerichtet. Erst im Lauf des Gesprächs wurden die Ausführungen etwas ausführlicher und gingen an einigen Stellen über die ausschließliche und direkte Beantwortung der Frage hinaus (vgl. Transkriptionen im Anhang unter 10.1.6 und folgende). 4.3.3 Beschreibung der Interviewsituationen Em und Fm Die räumliche Situation für die beiden Interviews weicht von der der ersten Interviews in der Schule grundlegend ab. Die Interviews konnten im Büro der Kursleiterin durchgeführt werden. Äußere störende Einflüsse waren somit nicht gegeben. Sowohl die verbesserten äußeren Bedingungen als auch das etwas höhere Alter der Befragten mit 20 bzw. 21 Jahren verliehen den Interviews gelegentlich vermehrt Gesprächscharakter. In Anlehnung an Lueger wird hier ebenfalls der Begriff Gespräch gegenüber dem Begriff Interview bevorzugt, um den offenen Charakter im Kontext sozialwissenschaftlicher Forschung hervorzuheben und die bessere Abgrenzung zu Interviews im journalistischen Stil zu betonen.78 Das Gespräch mit dem Befragten Em fand in einer ruhigen Gesprächsatmosphäre statt. Der Befragte wirkte trotz Gesprächsbereitschaft teils zurückhaltend und war in seinen Antworten zum Teil kurz angebunden. Der Befragte Fm wirkte dagegen ausgesprochen auskunftsfreudig und war bemüht viele Informationen zu liefern, die im Verlaufe des Gesprächs einen zunehmend tiefgehenden Charakter aufwiesen. Die Beantwortung der Fragen ging teilweise weit über ein zu erwartendes Ausmaß hinaus und hatte gelegentlich den Charakter eines offenen Gesprächs.
78 Vgl. Lueger (2010), S. 154.
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4.3.4 Reflexion der Gesprächsführung in den Einzelinterviews Aus der Perspektive des Interviewers gelang es weitgehend eine angemessene Gesprächsatmosphäre herzustellen. Es wurde insbesondere darauf geachtet, dass die Fragen nicht vorformuliert klangen. Das sprachliche Niveau sollte absichtlich nicht akademisch elaboriert wirken, sondern eher spontan hinsichtlich der Formulierung. Gelegentlich wurde rückwirkend betrachtet an wenigen Stellen zu stark in den Gesprächsverlauf eingegriffen. Möglicherweise wären die Ausführungen der Befragten hier zumindest ansatzweise in eine andere Richtung verlaufen. Dies war insbesondere bei den Befragten Bm und Fm der Fall, da hier der Gesprächsverlauf gelegentlich unerwartet interessante Aspekte berührte, die den Interviewer wiederum zu vermehrten Einwürfen stimulierten.79 Dies hat die Qualität der Gespräche und der daraus resultierenden Texte jedoch nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Sowohl die sprachliche Ebene als auch spontane Einwürfe können jedoch optimiert werden. Beide Aspekte traten insbesondere nach Transkription der Gespräche hervor. 80 Der offene Charakter des Leitfadens hat sich als positiv herausgestellt. So konnten einerseits die Kernfragen des Forschungsprojekts genügend erörtert werden, was als ausreichende Grundlage der Informationssättigung auch im Hinblick auf eine Strukturierung der Antwortsequenzen betrachtet werden kann. Andererseits hatten diejenigen Befragten, die besonders auskunftsbereit waren, genügend Raum für ihre weiterführenden Darstellungen (s. Transkriptionen in Kapitel 10.1.4 und 10.1.8).
4.4 AUSWERTUNG DER EINZELINTERVIEWS 4.4.1 Grundlegendes zum methodischen Vorgehen im Rahmen interpretativer Sozialforschung In der Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand hat sich ein Methodenmix als geeignet herausgestellt, dessen einzelne Ansätze aus verschiedenen Bereichen der interpretativen Sozialforschung stammen. Bei der intensiven Auseinandersetzung mit einzelnen Ansätzen wie z. B. Sequenzanalyse im Kontext der Forschungsfragen wurde eine Anpassung bzw. Vereinfachung einzelner methodischer Schritte als notwendig erachtet, da komplexe Vorgehensweisen wie beispielsweise die einer Sequenzanalyse im Einzelfall nicht angebracht erschienen. Die im leitfadengesteuerten Interview aufgeworfenen Fragestellungen sind zum großen Teil durch einfache Sachverhalte zu beantworten und bedürfen keiner komplexen Analyse der Sequenzierung. Ein allzu aufwändiges Interpretationsverfahren ist im Falle einfacher Sachverhalte obsolet. Andererseits beinhaltet die Aufstellung des Fragenkatalogs bereits eine
79 So waren beispielsweise die Ausführungen des 15-jährigen Befragten Bm insofern überraschend, als dieser musikalische Vorbilder wie Sting oder Mark Knopfler angab, die für seine Altersgruppe völlig untypisch sind und eine fortgeschrittene Auseinandersetzung mit Popmusik vermuten lassen. 80 Der Begriff Gespräch wird in der vorliegenden Arbeit nach Lueger gleichbedeutend mit Interview verwendet (vgl. Lueger, 2010, S. 154).
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zu erwartende Antworthaltung mit einer entsprechenden Sequenzbildung. Somit ist der Entwurf einer Fragestellung zugleich auch immer Hypothese, die durch die Beantwortung überprüft wird. Dies ist umso wahrscheinlicher, je mehr Kontextwissen bereits in den Frageentwurf einfließt. Daher bieten sich Teilaspekte der Sequenzanalyse an, insbesondere im Hinblick auf die Lesarten der generierten Texte durch die Befragten. Nach Herbrik liegt in der vorliegenden Auswertung der geführten Einzelinterviews der Schwerpunkt auf der sachlichen Interpretation. Weitere Lesarten wie die psychologische und die kulturelle Interpretation werden bei Bedarf an entsprechenden Stellen hinzugezogen.81 Kleemann vereinfacht den Prozess durch die Reduktion auf drei wesentliche Schritte mit • Sequenzielle Analyse von Einzelfällen • Einbeziehung von Kontextwissen 82 • Fallvergleichende Analyse
Durch den Abgleich mit dem Kontextwissen wird der hermeneutische Zirkel deutlich, was wiederum in den Interpretationsprozess einfließt. Hier bietet sich eine Kombination mit dem von Lueger aufgeführten allgemeinen hermeneutischen Verfahren der Systemanalyse an, die für die Interpretation vollständiger Gespräche geeignet ist.83 Auf die Analyse der Einzelfälle wird in der vorliegenden Arbeit weitgehend verzichtet. Die transkribierten Texte werden auf Basis der entwickelten Codes als Gesamttext analysiert. In den Anmerkungen zu den Einzelfällen werden Besonderheiten hervorgehoben und interpretiert. Die Analyse des Gesamttextes zielt vornehmlich auf zu erkennende Gemeinsamkeiten durch Bildung von Bedeutungsschwerpunkten und Interpretationsschwerpunkten ab.84 Die Transkription wurde insbesondere hinsichtlich der Interpunktion mit dem Ziel der besseren inhaltlichen Verständlichkeit durchgeführt. Die vollständigen Interviews befinden sich im Anhang. 4.4.2 Methodische Schritte der Interviewauswertung in der Übersicht Die aufgeführten Schritte basieren auf den von Herbrik, Lueger und Kleemann oben aufgeführten Methoden interpretativer Sozialforschung und sind hier den Anforderungen der eigenen Fragestellung angepasst. • Sachinterpretation/Systemanalyse: Auswertung aller geführten Einzelinterviews
auf der Basis der Codierung. Vorgehensweise nach Fragenkatalog. Herausfiltern
81 82 83 84
Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 484. Vgl. Kleemann u.a. (2009), S. 47. Vgl. Lueger (2010), S. 186f. Vgl. Kurt/Herbrik (2014), S. 484.
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von Sequenzen und Themen- und Sachschwerpunkten (Verdichtung) unter Aspekten der Verallgemeinerbarkeit von Aussagen. • Miteinbeziehung von Kontextwissen: Verfeinerung der Lesart unter Miteinbeziehung fachwissenschaftlicher Sachebenen und psychologischer und kultureller Interpretation. • Fallvergleichende Analyse: Herausarbeitung von Einzelaussagen, individueller Besonderheiten, Typenbildung, abweichende, unerwartete Texte, rekursives Verfahren zur Überprüfung der Fragestellungen. • Sequenzierung: Herausarbeitung typischer Antwortsequenzen und deren Variationen. 4.4.3 Codierung Der Codierung der Transkriptionen liegt zunächst der Entwurf des Interviewleitfadens zugrunde (vgl. hierzu Absatz 4.2.3). Entsprechend dem Anspruch der Offenheit ergeben sich jedoch weitere Codierungspunkte, die auf der möglichen unerwarteten Entwicklung der Interviews mit entsprechend neuen Aspekten beruhen. Die im Interviewleitfaden entworfenen Fragestellungen dienen danach zunächst als Grundlage einer Grobstrukturierung für den ersten Durchgang. Dem Entwurf des Fragekatalogs liegen die folgenden übergeordneten Kategorien zugrunde: • • • • • • •
Initiierung musikalischer Aktivität allgemein Initiierung durch konkrete Musik, Musikgruppen oder Personen Aneignungsstrategien Emotionaler Bezug Musikalische Präferenzen/Analytisch-ästhetische Kompetenzen Entwicklung kreativer Strategien Motivation Zukunftsperspektiven
Entsprechend der mehrfachen Bearbeitung des Textes werden Unterkategorien gebildet, die sich aus den generierten Interviewtexten ergeben oder bereits beim Entwurf der Fragestellung hypothetisch als Unterkategorie angenommen werden konnten. Die Bearbeitung und Codierung der Interviewtexte wurde mit dem Programm f4 durchgeführt, welches eigens für diese Art der Auswertung entwickelt worden ist. Ein wesentlicher Grund für die Wahl dieses Programms liegt in der auf der Reduzierung der für die Interviewauswertung relevanten technischen Möglichkeiten, der Kompatibilität zum für diese Arbeit verwendeten Transkriptionsprogramm f5 und der flexiblen Exportmöglichkeit der generierten Auswertungsdaten. In der folgenden Tabellenansicht sind die Codierungskategorien in Haupt- und Unterkategorien dargestellt. Aufgrund der Vorüberlegungen sollten nicht mehr als vier Kategorien zu einem Themenschwerpunkt gebildet werden, um eine übersichtliche Systematik beizubehalten.
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Hauptkategorie
1. Unterkategorie
2. Unterkategorie
3. Unterkategorie
Konstruktive Zusammenarbeit Initiierung allgemein
Frühe Erlebnisse Alter 3–6 Alter 7–12 Alter 13–16 Familie Mutter Mutter mehrfach Vater Vater mehrfach Vorbilder Familie Verwandte Bekannte Institutionen Schule Musikschule Emanzipationsprozesse Diversifizierungsprozesse Initiierung Musik
Freiwilligkeit
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Hauptkategorie
1. Unterkategorie
2. Unterkategorie
3. Unterkategorie
Instrumente Traditionelle Lieder Klavier Konzertgitarre Westerngitarre Keyboard Wunsch der Eltern Musikstücke oder Bands Musik allgemein Aneignungsstrategien
Andere Lernprozesse Musik hören Selbstaneignung Noten lesen Trial-and-Error Rat holen Bekannte/Freunde Familie Internetrecherche YouTube-Tutorials Raushören
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 171
Hauptkategorie
1. Unterkategorie
2. Unterkategorie
3. Unterkategorie
Negative Erfahrungen Schule Unterricht Lehrer Schule Lehrer privat Familie Mutter Vater Emotionaler Bezug
Allgemein Einzelne Titel/ Elemente Musik-Präferenzen Zeitlicher Aufwand Musik Gering Groß Stile Blues Soul/Funk/R & B Popmusik Rockmusik Unplugged Elektronische Musik/Synthpop Jazz
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Hauptkategorie
1. Unterkategorie
2. Unterkategorie
Diversität Indifferenz Klassik Vorbilder Musiker/Bands Diversität Extern Familie Analytisch-ästhetische Kompetenzen
Analytisches Hören Erlernen von Fachbegriffen Detailarbeit Reflexion und Ästhetik Sachinformationen Stilsicherheit Kreative Strategien
Neues entwickeln Improvisation Singen Motivation/Zukunftsperspektiven
3. Unterkategorie
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Hauptkategorie
1. Unterkategorie
2. Unterkategorie
3. Unterkategorie
Positive Einschätzung Negative Einschätzung
Tab. 9: Übersicht der Codierungskategorien
4.4.4 Auswertung nach Kategorien der Codes und Subcodes Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die in den Gesprächen generierten Texte zum Teil mehreren Codes zugeordnet werden können. Dies führt in der folgenden Auswertung dazu, dass einige zentrale Textpassagen mehrfach unter jeweils anderen Codezuordnungen aufgeführt werden, was methodologisch mit der wiederholten Interpretation von Aussagen unter abweichenden Fragestellungen begründet wird. Aufgrund des hohen Überschneidungsgrades der verschiedenen Codes zuzuordnenden Texte und aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei ausgewählten Codes auf eine zusammenhängende Darstellung der Texte verzichtet. An dieser Stelle sei auf die ungekürzten Transkriptionen im Anhang verwiesen. Bei der Auswertung der Gesprächstexte wurde die folgende Vorgehensweise gewählt, die einer mehrfachen Bearbeitung der Texte folgt: • Auflistung und Zuordnung nach übergeordneter Kategorie. • Auflistung der idealtypischen Fragestellungen laut Interviewleitfaden. • Auflistung aller generierten Interviewtexte zur gewählten Kategorie/zum ange-
wählten Code in Auszügen einschließlich der Unterkategorien (aus Gründen der Platzersparnis nur bei einigen ausgewählten Codes). • Auflistung der während der Analyse notierten Arbeitskommentare (Memos) als erste Interpretationen.85 • Analyse der Texte in den folgend aufgeführten Kategorien und erneute Belegung der Auswertungsergebnisse durch Auszüge einzelner Textpassagen. a) Sachanalyse/Strukturanalyse (unten kurz Sachanalyse) b) Kontextwissen c) Fallvergleichende Analyse d) Sequenzierung/Zwischenfazit/Kurze Zusammenfassung im Überblick
85 „Im Sinne eines interpretativ orientierten Forschungsdesigns ist es nicht sinnvoll, zuerst die Texte zu sammeln oder Gespräche zu führen und diese erst später auszuwerten. Es ist vielmehr angebracht, diese Textmaterialien im Zuge der Sammlung und Erhebung zu interpretieren und die weitere Sammlung und Gesprächsführung auf die Ergebnisse der Interpretation abzustimmen.“ (Lueger, 2010, S. 154.)
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Konstruktive Zusammenarbeit Leitfaden Eröffnung Gespräch a) Sachanalyse Der Aspekt der konstruktiven Zusammenarbeit fiel bereits bei der Transkription der Einzelinterviews auf. Die Befragten machten zahlreiche Äußerungen zu Beginn der Gespräche, die ihre positive Bereitschaft zur Teilnahme dokumentierten. Äußerungen wie „Ja, gern“, „Kein Problem“, „Gern“ usw. trugen von Seiten der Teilnehmer zu einer guten Gesprächsatmosphäre bei. b) Kontextwissen Aus den Äußerungen kann gefolgert werden, dass den Gesprächen ein grundsätzliches Mitteilungsbedürfnis von Seiten der Befragten zugrunde liegt. c) Fallvergleichende Analyse Die Bereitschaft ist bei allen Befragten festzustellen. Ein Vergleich der teils sehr kurzen und beiläufig gemachten Äußerungen trägt im Kontext zu keinerlei notwendigen Erkenntnissen bei. Vielmehr ist die erkennbare positive Gesprächsbereitschaft ein früher Hinweis auf die bei einigen Teilnehmern ausführlichen Texte. Initiierung allgemein Leitfaden Erzähl doch mal, wann du angefangen hast Musik zu machen. a) Sachanalyse Der ursprüngliche Entwurf der einleitenden Fragestellung lautete „Kannst du dich erinnern, warum du angefangen hast Musik zu machen“. Die Formulierung wurde während der ersten Gespräche verworfen, da die Frage nach dem ’Warum’ nicht den gewünschten Effekt zur Erzählaufforderung erzielt. Zudem sind die Beweggründe Musik zu machen für die Akteure selbst nicht unbedingt bewusst oder bedürfen erst einer tiefgehenden Reflexionsphase. Dagegen bietet die Frage nach dem ’Wann’ ausreichend Erzählansätze, die zumeist von solchen Aussagen fortgeführt werden, die auf ein ’Warum’ hinweisen, entweder direkt oder indirekt. Die Befragten geben mehrheitlich an (fünf von sechs), dass sie bereits früh mit Musik in Kontakt gekommen sind (zwischen drei und sechs Jahren). Hierbei kann konstatiert werden, dass der Zugang zu Musik vornehmlich über die Familie stattfindet. Zumeist handelt es sich um biografische Zufälle, die entweder die Mutter oder den Vater als diejenigen festmachen lassen, die den Kontakt zur Musik herstellen. Es bietet sich die Vermutung an, dass es sich jeweils um denjenigen Elternteil handelt, der zuvor selbst musikalisch tätig gewesen ist oder ein größeres Interesse an einer musikalischen Ausbildung des Kindes hat. Der weitere Kreis der Familie spielt in
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den geführten Interviews hier keine besondere Rolle. Lediglich ein Befragter gibt an, dass ein Bekannter der Familie mit dem Beginn der eigenen musikalischen Aktivität im Zusam-menhang steht. Dies betrifft jedoch lediglich den Zugang zum Instrument. also ein Arbeitskollege von meinem Vater hat 'ne Gitarre, da hab ich dann immer gern mal drauf gespielt, Am, Absatz 11
Auffällig ist, dass die Befragten mehrheitlich angeben, bereits früh mit Musik in Kontakt gekommen zu sein, also in einem Alter zwischen ca. drei und sieben Jahren. Dies ist bei fünf von sechs Befragten der Fall (s. Abb. „Frühe Erlebnisse“). (Screenshot unten und folgende zu den Codes sind dem Analyse-Programm f4 entnommen.) Die Daten werden von links nach rechts gelesen und können den Befragten Am, Bm usw. zugeordnet werden. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
1
1
1
1
0
1
Tab. 10: Frühe Erlebnisse Die Initiierung der musikalischen Aktivität findet hierbei mit Ausnahme des Befragten Em über die Familie statt, wobei in den Texten ausschließlich ein oder beide Elternteile genannt werden (s. Abb. „Initiierung Familie“). Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
1
1
2
2
0
1
Tab. 11: Initiierung Familie Also jetzt mit’m Gitarrespielen hab ich, ehrlich gesagt, also hab ich dann angefangen mit fünfeinhalb, ähm, aber ich, ähm, ich spiel Gitarre, das hat mich ehrlich gesagt schon seit ich drei war oder so fasziniert, Am, Absatz 11
und als ich ein kleines Kind war, so aufer Schaukel und so was, in Hamburg noch, da hat mir meine Mutter auch schon immer irgendwie so linke Arbeiterlieder oder so was vorgesungen, Bm, Absatz 5
Na ja, das ist jetzt ’n bisschen schwierig zu erzählen, weil ich habe, das hab ich nämlich nicht mehr so richtig auseinander gekriegt, sondern nur mit Fotos, weil das hat mein Vater mir noch mal Fotos gezeigt, da hab ich, ich weiß nicht, bestimmt mit drei Jahren hat mein Vater mir irgendwie, also hat er schon sehr lange 'ne Gitarre, die hab ich jetzt ja auch, äh, und da durft ich denn auch immer so'n bisschen drauf rumklappern, sag ich mal so, da hatt ich also 'n bisschen so das Gefühl für die Musik bekommen, Cm, Absatz 9
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Alter weiß ich nicht, aber ich hab ganz, ganz früh angefangen Df, Absatz 3
Ähm, ich hab früh angefangen zu singen Df, Absatz 5
Kann ich mich noch dran erinnern, dass ähm war mit sechs oder sieben Jahren, also gut, ganz genau nicht, aber so mit sechs oder sieben Jahren sind wir aus dem Osten rübergekommen, nach (Wohnort) gezogen, wo auch mein Oma gewohnt hat, die wohnte nur zwei Straßen weiter, dass heißt, ich war dann häufiger bei ihr und irgendwann kam das einfach mal dazu, dass ich mich da ans Klavier gesetzt hab, hab, als ich groß genug war, ich war schon immer sehr klein und kam da erst mal nicht ran, dann hab ich mich doch irgendwann mal rangesetzt und hat sofort gefunkt, also, ich hab dann 'n paar Tasten raufgespielt und war gleich fasziniert und hab gleich auch gefragt, ob das nicht möglich ist, dass ich das auch lernen könnte, so. Ja, meine Mutter war begeistert und hat gesagt, ja, ich frag mal rum, und denn hatte sie auch kurz darauf über 'ne Freundin, 'ne russische Klavierlehrerin empfohlen bekommen, die (unverständlich) die Basics beigebracht. Fm, Absatz 7
Die Angaben des Befragten Em bezüglich des Alters der beginnenden musikalischen Aktivität stellen hierbei eine Ausnahme dar. Danach beginnt der Befragte erst in einem Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren (vielleicht auch früher mit dem Beginn der Hauptschule) musikalisch aktiv zu werden. Seine Ausführungen weisen nicht auf den Einfluss eines Elternteils oder beider Elternteile zurück. Achte Klasse, wie alt war ich da, vierzehn. Em, Absatz 11
Dreizehn, vierzehn, fünfzehn, müsste das so irgendwie sein, ja, mit fünfzehn hatt ich, glaub ich, den Abschluss gehabt, ja, müsste vierzehn gewesen sein. Em, Absatz 13
Der Einfluss der Eltern auf die musikalische Aktivität des Befragten weist verschiedene Optionen auf. So wird bei einigen Befragten die Musikschule gegenüber Privatunterricht bevorzugt (Am und Bm). Insofern die Musikschule als Lerninstitution infrage kommt, dürfte die Entscheidung auch mit dem Alter der Kinder zusammenhängen. Für die musikalische Früherziehung bieten sich eher Lerngruppen als Unterricht bei einem Privatlehrer an. Bei den Befragten Cm und Em wird nicht deutlich, in welcher Form Unterricht stattgefunden hat oder ob dieser überhaupt stattgefunden hat. Fm gibt an privaten Klavierunterricht bekommen zu haben. Die Befragte Df verweist auf musikalische Traditionen innerhalb der Familie. Einige der Befragten weisen während des Gespräches auf die Schule als Lernort hin. Dies bezieht sich vornehmlich auf spätere Schulerfahrungen in den Sekundarstufen. Die genannten Lernsituationen beziehen sich vornehmlich auf Bereiche des aktiven Musizierens in Wahlpflichtkursen oder Arbeitsgemeinschaften. Also, bei mir hat’s damals in der Schule angefangen, äh, in der Hauptschule, da gab’s halt 'ne Schulband und dann hatten wir so WPKs, Wahlpflichtkurse oder irgend sowas, da war
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halt Musik, und dann hab ich gedacht, ja, mach ich mal, und das hat mir dann Spaß gemacht, und dann hab ich 'n bisschen Gitarre gespielt, also, hat mein Lehrer mir so'n bisschen was beigebracht, so die Grundsachen und dann hat mir das aber so viel Spaß gemacht, dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen Em, Absatz 5
da hab ich, da haben wir ja auch in 'ner Schulband gespielt und da hatten wir nachher unseren ersten Auftritt gehabt, und da war ich der Leadgitarrist, und das hat auch richtig Spaß gemacht und da sind wir halt nachher auseinandergegangen, und mit Klavier, hm, weiß ich nicht, ich glaub, da eher nicht, Klavier mag ich so den Klang vom Klavier, alleine lieber als dann inner Band. Em, Absatz 81
Das war sehr interessant, weil, ähm, ich, mein Lehrer damals, also Musiklehrer, der auch die Bigband geleitet hat, den hat das nicht so gestört, wenn ich einfach die richtigen Akkorde eingehalten hab, aber gespielt hab, was ich wollte und, ähm, da hat ich quasi immer so'n bisschen Sonderrechte am Klavier, ich durfte eigentlich immer machen, was ich wollte, es gab natürlich auch so besondere Stellen, prägnante Stellen, die man machen soll, wie’s so ist, ansonsten war das immer ganz offen, durfte ich auch häufig Sachen ausprobieren oder machen, was ich da möchte und das ein bisschen anders gestalten, also mag so nicht perfekt geklungen haben immer, aber da haben wir uns irgendwie besser mit gefühlt, ich mich, und er fand das auch immer in Ordnung Fm, Absatz 17
Die Schule als Lernort ist relevant, wenn es um das praktische Musizieren geht. Initiierung allgemein — Emanzipationsprozesse Nachdem nach den Texten der Befragten überwiegend ein früher Kontakt mit Musik stattgefunden hat, geht das weitere Musizieren im Laufe des Entwicklungsprozesses mit Emanzipations- und Diversifizierungsprozessen einher. Es werden weitere Möglichkeiten des Umgangs mit Musik ausprobiert, sei es durch Spielen und Erlernen weiterer Instrumente oder durch über den Unterricht hinausgehende individuell gestaltete Aneignungsstrategien. Da mit Schlagzeug hab ich, ich glaub so in der (..) dritten oder vierten Klasse angefangen, nee, in der dritten hab ich mit Schlagzeug angefangen Bm, Absatz 7
Genau, ungefähr neun, das kommt ungefähr hin, da hab ich halt mit Schlagzeug angefangen, und, ähm, seitdem hab ich halt ganz, ganz viel Schlagzeug gespielt so, aber auch noch nicht so richtig leidenschaftlich, sondern hab das halt so gemacht, hat Spaß gemacht, aber, da war noch nicht so ‘ne richtige Leidenschaft dahinter, und dann war ich irgendwann bei, Bm, Absatz 9
Der Wunsch der Eltern der musikalischen Unterrichtung des Kindes eröffnet weitere Möglichkeiten, indem weitere Instrumente ausprobiert werden. Die neuen Optionen
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führen nicht automatisch zu einem lustvolleren Umgang mit Musik bzw. dem gewählten Instrument, möglicherweise weil die äußeren Umstände (Unterricht muss genommen werden/widerwilliger Gang zur Musikschule) sich nicht geändert haben. Die Motivation zum Erlernen des Instruments (Schlagzeug) ändert sich durch die beginnende Arbeit in einer Schulband. Äh, und darauf konnt ich denn erstmal spielen, weil, da hat er mir das beigebracht, also selbstständig hat er mir das beigebracht, und denn ging das so weiter, und denn hab ich noch mehr, also denn hab ich ’ne bessere Gitarre bekommen und dann noch ’ne bessere und denn hab ich als letztes, das ist jetzt auch schon (..) vier Jahre her oder (..) ja genau, so ungefähr vier Jahre, da hab ich jetzt, seitdem hab ich diese Westerngitarre und, aber auch hab ich 'n Keyboard bekommen, weil ich da auch so Interesse dran hatte, mit den Tönen und mit der Musik ist das dann alles gekommen, dann wurde ich langsam selbstständig (Lachen) ab elf Jahren oder so ungefähr, das weiß ich nicht mehr so ganz genau so ca. ab zwölf oder elf, das heißt also, jetzt bin ich schon eigentlich sechs Jahre verselbstständigt sozusagen schon Cm, Absatz 13
Die Auseinandersetzung mit dem Einstiegsinstrument wird gefördert durch weitere, qualitativ hochwertigere Instrumente. Das Interesse wird nach dem Einstieg breiter gestreut. Diversifizierung und Emanzipationsprozess. Also ich lerne jetzt eigenständig, wenn ich jetzt z. B. ein Lied lernen will (.) oder auch übe, obwohl üben (..) tu ich nicht so viel, aber ich versuch es, ich versuch zu üben (.) und (..) ähm (..) ja, und dann kommt manchmal so, dass ich eben so Lieder höre und die ich denn gerne mag, die Richtung, also Richtung Pop mag ich ganz gerne, da kann ich auch schon ganz schön viele Lieder spielen, einfach so manchmal auch, obwohl ich die ganzen Akkorde noch gar nicht kann, manchmal, äh, manchmal improvisier ich denn mit meinen Akkorden, die ich kenne Cm, Absatz 15
Das Nachspielen von Titeln basiert auf Trial-and-Error. Bekannte Akkorde werden mit den neuen Stücken abgeglichen. Der Aneignungsprozess wird gefolgt von weiteren, kreativen Prozessen. dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen Em, Absatz 5
Das war sehr interessant, weil, ähm, ich, mein Lehrer damals, also Musiklehrer, der auch die Bigband geleitet hat, den hat das nicht so gestört, wenn ich einfach die richtigen Akkorde eingehalten hab, aber gespielt hab, was ich wollte und, ähm, da hat ich quasi immer so'n bisschen Sonderrechte am Klavier, ich durfte eigentlich immer machen, was ich wollte, es gab natürlich auch so besondere Stellen, prägnante Stellen, die man machen soll, wie’s so ist, ansonsten war das immer ganz offen, durfte ich auch häufig Sachen ausprobieren oder machen, was ich da möchte und das ein bisschen anders gestalten, also mag so nicht perfekt geklungen haben immer, aber da haben wir uns irgendwie besser mit gefühlt, ich mich, und er fand das auch immer in Ordnung Fm, Absatz 17
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Initiierung allgemein – Diversifizierung Die Befragten geben an, dass sie zunehmend selbstständig mit Musik und der Aneignung von Musik durch Spielen oder Singen umgehen. Bezogen auf die einzelnen Biografien der Befragten beginnen diese Prozesse meist um das zehnte Lebensjahr herum. Dieser Prozess geht einher mit dem Ausprobieren unterschiedlicher Möglichkeiten des Spielens verschiedener Instrumente als auch mit der Auseinandersetzung mit verschiedenen Musikstilen. Aus den Aussagen geht ebenfalls hervor, dass das Musikmachen den Befragten zunehmend Spaß macht. einfach mal so ausprobiert, und das hat dann auch total Spaß gemacht, dann hab ich auch irgendwann, ich glaub, ich hab ’n halbes Jahr so E-Bass gespielt, da hab ich mir, ja ich genau, ich hab, äh, so vor den Sommerferien, äh, hab ich angefangen, in der Schulband EBass zu spielen, das war natürlich noch nicht so cool, aber, äh, das hat schon so ganz gut geklappt und das hat dann so richtig Spaß gemacht, also, dann hab ich mir auch, ich glaub ’n Vierteljahr vor Weihnachten hab ich dann gesagt, äh, Mama, ich will ’n E-Bass haben. Äh, da hab ich halt ’n E-Bass bekommen zu Weihnachten und ich glaub, ich spiel jetzt seit zwei oder drei Jahren E-Bass, mmh, und das hat dann also mit dem E-Bass hat es dann so richtig angefangen, dass ich auch echt musikalisch, dass ich gemerkt hab, dass ich musikalisch bin und hab viel gemacht so. Jetzt hab ich vor eineinviertel Jahr von meinem Cousin ‘ne E-Gitarre geerbt mit Verstärker und allem Drum und Dran, und seitdem bring ich mir halt selber so Gitarre bei, guck im Internet, wie geht der Akkord und so, und dadurch, dass ich Bass und Schlagzeug spielen kann, hilft das halt total, äh, und ich hab mir sozusagen E-Gitarre, äh, schon ’n Jahr lang selber beigebracht. Bm, Absatz 13
Das Erlernen des Instruments geht einher mit der zunehmenden Reflexionskompetenz in Bezug auf das eigene Spiel, auch mit Unterstützung von außen (hier Lehrer der Band-AG). Die kontinuierliche Beschäftigung mit Musik führt zu weiteren Ebenen der Auseinandersetzung (Ausprobieren verschiedener Instrumente). Im Kontext des Auffächerungsprozesses durch Spielen verschiedener Instrumente oder Ausprobieren verschiedener Musikstile findet eine zunehmende Auseinandersetzung mit dem eigenen Spiel statt. Das eigene Können wird reflektiert und kritisch betrachtet. Darüber hinaus ist die Auseinandersetzung mit einzelnen Stücken oder Stilen zunehmend durch eine wertende Begutachtung geprägt. Durch eine wachsende kritische Einschätzung der Zusammenhänge zwischen Musik im Allgemeinen, dem Instrument, dem eigenen Spiel usw. wächst der Wunsch nach einer Verbesserung der damit verbundenen Kompetenzen (Hören und Spielen) als auch der nach einer Verbesserung der Ausstattung (mehr Instrumente in besserer Qualität). Die feststellbare Tendenz zur Verbesserung aller mit Musikmachen im Kontext stehenden Kategorien wie Spiel, Technik, Repertoire, Ausstattung steht vermutlich in Verbindung mit einer gewachsenen Analyse- und Beurteilungskompetenz. Es kann angenommen werden, dass zu Beginn des Instrumentalspiels mit ca. sechs Jahren keine differenzierte Sichtweise bezüglich unterschiedlicher Bauweisen oder Klangqualitäten von Instrumenten vorhanden ist. Die Vorstellung von einer Gitarre wird vermutlich dem Instrument entsprechen, mit welchem man als erstes zu tun hatte. Durch die fortschreitende Auseinandersetzung
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mit Musik findet eine zunehmende Differenzierung in der Wahrnehmung statt, mit der Folge der Erweiterung des Ausdruckspotenzials. Äh, und darauf konnt ich denn erst mal spielen, weil, da hat er mir das beigebracht, also selbstständig hat er mir das beigebracht und denn ging das so weiter, und denn hab ich noch mehr, also denn hab ich ’ne bessere Gitarre bekommen und dann noch ’ne bessere und denn hab ich als letztes, das ist jetzt auch schon (..) vier Jahre her oder (..) ja genau, so ungefähr vier Jahre, da hab ich jetzt, seitdem hab ich diese Westerngitarre und, aber auch hab ich 'n Keyboard bekommen, weil ich da auch so Interesse dran hatte, mit den Tönen und mit der Musik ist das dann alles gekommen, dann wurde ich langsam selbstständig (Lachen) ab elf Jahren oder so ungefähr, das weiß ich nicht mehr so ganz genau so ca. ab zwölf oder elf, das heißt also jetzt bin ich schon eigentlich sechs Jahre verselbstständigt sozusagen schon Cm, Absatz 13
Die Auseinandersetzung mit dem Einstiegsinstrument wird gefördert durch weitere, qualitativ hochwertigere Instrumente. Das Interesse wird nach dem Einstieg breiter gestreut. Diversifizierung und Emanzipationsprozess. Also bei so Liedern, die mich so, sag ich mal, innerlich berühren wie jetzt „Waves“ oder auch von, von, ähm (...) Mensch, wie heißt es jetzt (...) ähm (...) na jedenfalls von Liedern, die mich berühren, die sing ich gerne dann, weil ich so (..) denn so versuchen will wirklich die so richtig zu können, damit ich den, da hab ich denn manchmal den Ehrgeiz, manchmal hab ich den nicht, ja Cm, Absatz 67
Das emotionale Berührtsein von Musik führt dazu, sich intensiver mit einem Stück oder Musik allgemein zu befassen. In diesem Fall wird der Umgang mit Musik ausgeweitet und intensiviert. dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen Em, Absatz 5
'n paar Sachen hör ich mir auch raus und, aber also sonst kann man, im Internet gibt’s so viele Videos, wo man das lernt, also das ist nicht nur YouTube, aber manche Sachen auch per Gehör, aber, also ich spiel jetzt auch seit, also bei Klavier ist das auf jeden Fall so, das spiel ich jetzt seit, glaub ich, knapp drei Jahren oder so, muss das jetzt sein, ja ungefähr, und ja also ich muss auf jeden Fall noch viel lernen und ich würd auf jeden Fall noch mal gern Noten lernen Em, Absatz 29
b) Kontextwissen Der frühe Kontakt zu Musik über die Eltern ist altersgemäß und entwicklungspsychologisch begründet durch den engen Kontakt zu den Eltern als Hauptbezugspersonen. Die Eltern fungieren, soweit sie selbst musikalisch tätig sind oder gewesen sind, ggf. als Vorbilder. Darüber hinaus lassen die Texte teilweise die Hypothese zu, dass ein Grundmotiv einiger Eltern die musikalische Aktivität ihrer Kinder als Bestandteil eines möglichen Bildungsideals sein mag. Hierfür spricht die erkennbare Tendenz ei-
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ner institutionalisierten musikalischen Ausbildung, z. B. durch den Besuch einer Musikschule oder durch privaten Unterricht. Der Wunsch nach einer institutionalisierten musikalischen Ausbildung entspricht einem allgemeinen Trend der 2010er-Jahre und kann für Familien mit einem höheren Schulabschluss und einem überdurchschnittlichen Einkommen in Zusammenhang gebracht und bei den zugehörigen Interviews von Am und Bm vermutet werden. Die letzten dazu veröffentlichten Zahlen des Deutschen Musikrats stammen aus dem Jahre 2009, beziehen sich aber auf den für die Gruppe der Befragten infrage kommenden Zeitraum. Die Statistiken zu Schulabschluss und Familieneinkommen sind ein mögliches Indiz dafür, dass die Wahl der musikalischen Früherziehung in einer dafür geeigneten Institution wie Musikschule milieuspezifisch ist.
Abb. 20.: Schulabschluss von Eltern mit Kindern in der musikalischen Früherziehung 2009.86
Abb. 21: Familieneinkommen von Eltern mit Kindern in der musikalischen Früherziehung 2009.87 Eine Statistik des Verbandes Deutscher Musikschulen (VdM – s. Abb. weiter unten) aus dem Jahre 2015 weist auf die positive Entwicklung der Schüler an Musikschulen hin. Danach sind die Besucherzahlen von Musikschulen im angegebenen Zeitraum kontinuierlich gestiegen. Die positive Entwicklung der Besucherzahlen gehen auch einher mit einer Reihe musikalischer Initiativen und „Musikalisierungsoffensiven“ wie beispielsweise Jeki (Jedem Kind ein Instrument),88 Jekiss (Jedem Kind seine Stimme),89 Primacanta (Jedem Kind seine Stimme)90 oder der Musikalisierungsoffensive Niedersachsen.91 Die Vielzahl der Initiativen, von denen hier nur einige wenige
86 87 88 89 90 91
http://www.miz.org/downloads/statistik/15/statistik15.pdf/Zugriff 18.1.2016. http://www.miz.org/downloads/statistik/15/statistik15.pdf/Zugriff 18.1.2016. http://www.jeki-forschungsprogramm.de http://www.jekiss.info http://www.primacanta.de http://www.mwk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=6257&article_id=89581 &_psmand=19
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genannte sind, stehen im Kontext eines Entgegenwirkens der zunehmenden Streichung von Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen einerseits und einer mit musikalischer Aktivität verbundenen Annahme positiver Transfereffekte (BastianStudie), die sich mittlerweile als wissenschaftlich unhaltbar herausgestellt hat.92 Insgesamt kann in den frühen 2000er-Jahren eine positive Entwicklung musikalischer Initiativen festgestellt werden, die sich ebenfalls in der steigenden Zahl von Musikschulschülern niederschlägt. Berücksichtigt man das Alter der Befragten mit ca. 15 Jahren zum Zeitpunkt der Studie (2015), so stimmen die Aussagen mit dem allgemeinen positiven Trend um 2005 überein. Hinzu kommt noch privater Unterricht, der in der Statistik nicht erfasst ist.
Abb. 22: Statistisches Bundesamt. Anzahl der Schüler an Musikschulen in Deutschland in den Jahren von 2002 bis 2014. Statista. 93 Ja, nee, ich nehm Unterricht seitdem, wir haben dann halt geguckt, ähm, halt ja, ähm, der Nachteil anner Musikschule in (Wohnort) ist ja, dass man vorher noch ’n anderes Instrument gespielt haben muss, Flöte, ähm, Stabspiel oder so, und deswegen nehme ich halt privat Unterricht, bei einem Privatlehrer Am, Absatz 13 - 15
Und dann hab ich, so richtig mit Musik hab ich dann, also richtig war’s nicht so, also, da war ich (.) musikalische Früherziehung halt in der Musikschule, weil meinen Eltern war’s
92 Vgl. Jäncke (2008). 93 Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/2835/umfrage/entwicklung-der-anzahlder-schueler-an-musikschulen-seit-2002/. Zugriff am 13. Januar 2016.
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halt wichtig, dass ich Musik mach und so, das war halt aber so, das war nicht von mir aus so, sondern das war so, das hab ich gemacht, das hat mir auch teilweise so’n bisschen Spaß gemacht, aber das war jetzt so vor allem, weil meine Eltern das wollten, äh, hab ich, halt ein oder zwei Jahre hab ich halt Stabspiel gespielt und dann, äh, hab ich irgendwann mit Schlagzeugunterricht angefangen und Bm, Absatz 5 - 6
Die frühe musikalische Auseinandersetzung mit Musik, soweit diese institutionalisiert ist, ist bei den betreffenden Befragten erkennbar auf den nachdrücklichen Wunsch der Eltern zurückzuführen, da ein grundlegender Wunsch nach musikalischer Bildung angenommen werden kann. Obwohl beide Befragten (Am und Bm) angeben, dass ihre frühen Erfahrungen in der Musikschule auch durch negative Erfahrungen gekennzeichnet sind, bleiben sie weiterhin aktiv. Hier kann ein familieninterner Aushandlungsprozess angenommen werden, der den Kindern mit zunehmendem Alter weitere Optionen eröffnet, die eher den eigenen Präferenzen nachkommen. Die Tatsache, dass das Kind (Bm) zunächst in die unerwünschte musikalische Früherziehung gehen musste, lässt darauf schließen, dass die Eltern diese Entscheidung gefällt haben. Die Eltern forcieren die musikalische Früherziehung mit dem Ergebnis, dass das Kind trotz Ablehnung der Lehrerin in der Musikschule und der angebotenen Inhalte weiterhin Unterricht bekommt und später anfängt (im Alter von ungefähr neun Jahren) Schlagzeug zu spielen, was dem eigenen Wunsch entspricht. Einige der Befragten gehen von sich aus auf Schule als Lernort ein, der sich positiv auf ihre Motivation Musik zu machen ausgewirkt hat. Die positive Einschätzung der schulischen Aktivitäten steht hier in einem direkten und positiven Verhältnis zur Lehrkraft. Darüber hinaus werden von den Befragten solche Unterrichtssituationen genannt, in denen das praktische Musizieren im Vordergrund steht wie z. B. MusikAGs oder Wahlpflichtkurse. Hierbei werden wiederum vornehmlich Sujets der populären Musik genannt oder können aufgrund des genannten Instruments wie Leadgitarre angenommen werden. Die positive Bewertung der Behandlung populärer Musik steht hier im Kontext mit der praktischen Umsetzung und verhält sich spiegelbildlich entgegengesetzt zur theoretischen Thematisierung von Popmusik im Unterricht. 94 Darüber hinaus können theoretische Inhalte des normalen Klassenunterrichts rückwirkend an Bedeutung gewinnen, wenn ein Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis hergestellt werden kann und somit ein praktischer Nutzen des Erlernten deutlich wird. Ja, manchmal weiß ich auch, wann, weil wir haben’s auch im Musikunterricht gehabt mit a-Moll und d-Moll und sowas halt, und manchmal hör ich das auch Df, Absatz 41
94 Die Thematisierung populärer Musik im Unterricht korreliert nicht automatisch mit einer positiven Bewertung des Unterrichts. Vielmehr kann die praktische Auseinandersetzung als ausschlaggebend angenommen werden. (Vgl. Heß, 2011, S. 21f.) Die hier zitierten Aussagen aus Gruppendiskussionen mit Gymnasiastinnen und Gymnasiasten stehen der Behandlung von Popmusik im Unterricht eher negativ gegenüber, wobei es sich hier um eine theoretische Auseinandersetzung handelt.
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Das praktische Musizieren in schulischen Einrichtungen wie AGs oder Wahlpflichtkursen nimmt nach den Aussagen der Befragten eine zentrale Stellung ein. Das Musizieren wirkt nicht nur motivierend bzw. kommt den eigenen musikalischen Präferenzen entgegen, sondern eröffnet auch Möglichkeiten verschiedene Instrumente auszuprobieren. So wurde an verschiedenen Stellen geäußert, dass die Befragten auch deswegen mit einem neuen Instrument angefangen haben, weil dieses in der entsprechenden Schulformation gerade benötigt wurde. da gab’s halt ‘ne Schulband-AG, dann bin ich hier auf die Schule gekommen in der fünften Klasse, ähm, da bin ich dann hier in die Schulband-AG zu (Vorname des Lehrers) gekommen und, ähm, dann hab ich da halt Schlagzeug gespielt,
Das Erlernen des Instruments geht einher mit der zunehmenden Reflexionskompetenz in Bezug auf das eigene Spiel, auch mit Unterstützung von außen (Lehrer der BandAG). Die kontinuierliche Beschäftigung mit Musik führt zu weiteren Ebenen der Auseinandersetzung (Ausprobieren verschiedener Instrumente). Es kann konstatiert werden, dass nach den Texten der Befragten Schule als Lernort oder Katalysator für das eigene Musizieren mehrfach und in verschiedenen Kontexten genannt wird. Insofern nimmt Schule neben der häuslichen Einflussnahme eine zentrale Rolle ein. Ob die Tatsache, dass die Befragten zur Zeit der Gespräche noch Schüler sind, eine Rolle spielt, kann an dieser Stelle nicht überprüft werden. Möglicherweise beinhaltet die zur Zeit der Gespräche aktuelle Schülerperspektive Verzerrungen. So wären andere Aussagen oder Schwerpunktsetzungen in Bezug auf die Bedeutung von Schule zu einem späteren Befragungszeitpunkt denkbar, da weitere biografische Bezugspunkte möglicherweise mehr Relevanz besäßen. Im Alter von neun bis zehn Jahren nutzen einige der Befragten weitere Optionen, um weiterhin musikalisch tätig zu sein. Unabhängig davon, ob der Elternwille als Ausgangspunkt des Lernens vermutet werden kann oder der eigene Wunsch der Befragten im Vordergrund stehen mag, werden zumindest bei den Instrumentalisten weitere Instrumente ausprobiert. Da mit Schlagzeug hab ich, ich glaub so in der (..) dritten oder vierten Klasse angefangen, nee, in der dritten hab ich mit Schlagzeug angefangen Bm, Absatz 7
Genau, ungefähr neun, das kommt ungefähr hin, da hab ich halt mit Schlagzeug angefangen, und, ähm, seitdem hab ich halt ganz ganz viel Schlagzeug gespielt so, aber auch noch nicht so richtig leidenschaftlich, sondern hab das halt so gemacht, hat Spaß gemacht, aber, da war noch nicht so ‘ne richtige Leidenschaft dahinter, Bm, Absatz 9
Der Wunsch der Eltern der musikalischen Unterrichtung des Kindes eröffnet weitere Möglichkeiten, indem weitere Instrumente ausprobiert werden. Die neuen Optionen führen nicht automatisch zu einem lustvolleren Umgang mit Musik bzw. dem gewählten Instrument, möglicherweise weil die äußeren Umstände (Unterricht muss genommen werden/widerwilliger Gang zur Musikschule) sich nicht geändert haben. Das Spielen eines neuen Instruments (in diesem Fall Schlagzeug) lässt vermuten, dass der Elternwunsch nach wie vor (im Alter von ca. neun Jahren) ausschlaggebend
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für die musikalische Praxis des Befragten ist. Darüber hinaus kann gemutmaßt werden, dass das „leidenschaftliche“ Spielen eines Instruments oder das Singen nicht alterstypisch für einen Zehnjährigen ist, sondern erst später von Relevanz ist. Der Begriff „leidenschaftlich“ entspricht einer rückblickenden Perspektive vor dem Hintergrund der Erfahrungen des zum Zeitpunkt des Gesprächs erreichten Alters (15 Jahre), in welchem Leidenschaft mittlerweile als Teilaspekt der eigenen Biografie ausgemacht wurde. Bei den Befragten Cm und Em lässt sich vermuten, dass der Prozess zur Selbstständigkeit eher selbstgesteuert ist, da hier ein Hintergrund institutioneller Ausbildung nicht angedeutet wird. Insbesondere beim Befragten Cm liegt anscheinend eine enge Bindung zum Vater vor, der die musikalischen Interessen des Befragten im häuslichen Rahmen unterstützt. Die Befragten betrachten ihre Vorgehensweise als zunehmend selbstgesteuert. Äh, und darauf konnt ich denn erst mal spielen, weil, da hat er mir das beigebracht, also selbstständig hat er mir das beigebracht und denn ging das so weiter, und denn hab ich noch mehr, also denn hab ich ’ne bessere Gitarre bekommen und dann noch ne bessere und denn hab ich als letztes, das ist jetzt auch schon (..) vier Jahre her oder (..) ja genau, so ungefähr vier Jahre, da hab ich jetzt, seitdem hab ich diese Westerngitarre und, aber auch hab ich 'n Keyboard bekommen, weil ich da auch so Interesse dran hatte, mit den Tönen und mit der Musik ist das dann alles gekommen, dann wurde ich langsam selbstständig (Lachen) ab elf Jahren oder so ungefähr, das weiß ich nicht mehr so ganz genau so ca. ab zwölf oder elf, das heißt also jetzt bin ich schon eigentlich sechs Jahre verselbstständigt sozusagen schon Cm, Absatz 13
Die Auseinandersetzung mit dem Einstiegsinstrument wird gefördert durch weitere, qualitativ hochwertigere Instrumente. Das Interesse wird nach dem Einstieg breiter gestreut. Diversifizierung und Emanzipationsprozess gehen einher. Mit „er“ ist vermutlich der Vater gemeint. Also, ich lerne jetzt eigenständig, wenn ich jetzt z. B. ein Lied lernen will (.) oder auch übe, obwohl üben (..) tu ich nicht so viel, aber ich versuch es, ich versuch zu üben (.) und (..) ähm (..) ja und dann kommt manchmal so, dass ich eben so Lieder höre und die ich denn gerne mag, die Richtung, also Richtung Pop mag ich ganz gerne, da kann ich auch schon ganz schön viele Lieder spielen, einfach so manchmal auch, obwohl ich die ganzen Akkorde noch gar nicht kann, manchmal, äh, manchmal improvisier ich denn mit meinen Akkorden, die ich kenne Cm, Absatz 15
dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen Em, Absatz 5
c) Fallvergleichende Analyse Aus den Texten der Befragten geht hervor, dass die von allen angegebene frühe Begegnung mit Musik zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr innerhalb der Fa-
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milie stattfindet. Hierbei spielen die Eltern eine signifikante Rolle. Weitere Personen aus einem möglichen größeren Familien- oder Bekanntenkreis spielen anscheinend keine oder eine untergeordnete Rolle bzw. werden nicht genannt. Die Aussagen lassen zum einen die Folgerung zu, dass das Musizieren der Kinder einem Wunsch der Eltern entspricht und entsprechend forciert wird. Dies ist bei den Befragten Am und Bm der Fall. Bei den Befragten Am und Bm wird ein institutionalisiertes Lernen in Musikschule oder bei einem privaten Lehrer bevorzugt. Bei den Befragten Cm und Fm bleiben die Eltern bzw. Elternteile eher im Hintergrund und wirken fördernd. Em erwähnt den Einfluss seiner Eltern überhaupt nicht. Bei der Befragten Df kann von einem allgemeinen musikalischen Hintergrund der Familie ausgegangen werden als Teil einer familiären Tradition, bei der das Singen fester Bestandteil ist. Die Familie hat einen Migrationshintergrund und pflegt traditionelles Liedgut. Das Singen der Befragten erscheint selbstverständlich als Teil der Familientradition und nicht primär begründet durch ein grundlegendes eigenes Interesse an Musik als Auslöser musikalischer Aktivität. d) Sequenzierung Die Texte der Befragten zur allgemeinen Initiierung der musikalischen Aktivitäten ergeben eine erkennbare Struktur in Bezug auf die zu bestimmten Aussagen erfolgten Folgemitteilungen. Zwar ist eine grundlegende Struktur bereits durch den Interviewleitfaden vorgegeben, die Offenheit der Gespräche ist jedoch vornehmlich durch die von den Befragten gewählten Gesprächsrichtungen und anknüpfenden Themen geprägt. Die Sequenzialität der so erzeugten Texte schlägt sich auch in den Subcodes des Codesystems nieder. So entsprechen die Oberkategorien der Codes zwar den entworfenen Schwerpunktthemen des Interviewleitfadens, die später generierten Subcodes erfolgen jedoch aus den Texten der Befragten, sodass die weitere Entwicklung des Codesystems bereits eine Grobstruktur einer Sequenzialität erkennen lässt. Danach kann festgestellt werden, dass alle Befragten mit Ausnahme von Em früh mit Musik in Kontakt gekommen sind und begonnen haben musikalisch aktiv zu sein. Die musikalische Aktivität ist zum einen begleitet durch den elterlichen Wunsch, was sich konkret im Besuch einer Musikschule oder die Inanspruchnahme von Privatunterricht niederschlägt, zum anderen sind Eltern auch selbst aktiv und verzichten auf die Option eines institutionalisierten Instrumentalunterrichts (Bm). Mit zunehmendem Alter sind emanzipatorische Entwicklungen feststellbar. Die Befragten beginnen andere als die bisher erlernten Instrumente auszuprobieren und entwickeln ein Eigeninteresse an der Verbesserung ihres Spiels und auch des damit verbundenen Sounds. Sie schlagen dabei unterschiedliche stilistische Richtungen ein. Schule spielt als Lernort neben Elternhaus und Musikschule eine Rolle und wird mehrfach erwähnt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in der Schule praktisch musiziert wird. Die Sequenzialität der Aussagen lässt sich in einer vereinfachten Grafik darstellen (s. u.). Die dünneren Pfeile weisen verschiedene Möglichkeiten auf. Die dicken Pfeile weisen auf allen Befragten gemeinsame Folgeaussagen hin. Die Grafik basiert auf den grundlegenden Aussagen der Gespräche. Differenziertere Entwicklungen sind denkbar und möglicherweise von den Befragten nicht geäußert.
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Abb. 23: Selbst erstellte Grafik zu Sequenzierung Hauptcode „Initiierung allgemein“ Initiierung Musik Leitfaden Kannst du dich an eine bestimmte Musik oder einen konkreten Song erinnern, mit dem du angefangen hast Musik zu machen? Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Also jetzt mit’m Gitarrespielen hab ich, ehrlich gesagt, also hab ich dann angefangen mit fünfeinhalb, ähm, aber ich ähm ich spiel Gitarre, das hat mich ehrlich gesagt schon seit ich drei war oder so fasziniert, also ein Arbeitskollege von meinem Vater hat ’ne Gitarre, da hab ich dann immer gern mal drauf gespielt, ähm, ’n Freund von uns, ähm, macht schon sehr lang Musik, ähm, und so hat das denn so angefangen, so’n bisschen, dass ich dann halt immer mal gerne einfach dann halt, wenn man halt, wenn man halt (unverständlich) einfach mal drauf rumgehauen, und das hat mir dann Spaß gemacht, ähm, und dann hab ich irgendwann, als es dann immer weiterging, hab ich irgendwann mit ungefähr fünf so gesagt, so, ich will Gitarre lernen und seitdem lerne ich Gitarre. Am, Absatz 11
Aus der Antwort wird nicht ganz deutlich, dass es sich um eine Akustikgitarre handelt. Dies geht jedoch aus einem Vorgespräch hervor. Interviewer: Also es gibt so kein spezielles Erlebnis, dass du sagen könntest, also das war jetzt das Stück oder der Künstler, daran kann ich mich genau erinnern #00:08:25-4# Befragter: Nee, das hab ich nicht Bm, Absatz 31 - 33
also ich überleg grad, hab ich ein erstes Lied, wo ich mit Gitarre angefangen hab, nee, ich weiß nicht mehr, was mein erstes Gitarrenstück war Bm, Absatz 35
Ein spezielles Erlebnis, welches auf ein Musikstück zurückzuführen ist oder eine Band, ist nicht erkennbar. Dieser Umstand kann auch als eine Frage der Generation betrachtet werden, da möglicherweise einzelne Ereignisse (Musiktitel oder Bands) aufgrund der
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starken medialen Verbreitung von Musik nicht mehr stark hervortreten und als bedeutend wahrgenommen werden. Nein, aber das, das ist nicht mehr, das ist echt so, also ich hab bei einem bestimmten Lied von, von Daniel Powter, das ist „Bad Day“, das ist nämlich auch eine Titelmusik in einem Film und den, der war ganz lustig zu meiner, als ich so sieben oder acht war, mein ich noch, und da fand ich das so witzig, und da fand ich dieses Lied so schön, also kann ich jetzt nur noch so von früher sagen, weil
Im vorliegenden Interview gibt der Befragte an, dass er sich an ein ganz bestimmtes Stück erinnern kann, welches möglicherweise dazu beigetragen hat Musik zu machen. Interviewer: Ja, also das ist etwas, woran du dich ganz deutlich erinnerst Befragter: Ja, genau
Bestätigt die Erinnerung an ein ganz bestimmtes Stück. Interviewer: mhm (bejahend) Cm, Absatz 53 - 56
Ähm, ich hab früh angefangen zu singen und auch Klavier zu spielen, also Klavier spielen kam erst danach, aber ich singe halt leidenschaftlich, weil (kurze Pause) meine Mutter war früher auch ein, eine, also, die hat früher auch viel Musik gemacht und war auch auf Bühnen und so was halt, und mein Papa auch, und von denen hab ich das halt geerbt, und dann singen wir auch manchmal zuhause, also, wir singen eher traditionelle Lieder, also von unserm Land, von unserm Land, und daher hab ich das Df, Absatz 5
Ich weiß nicht Df, Absatz 13
und beim Klavier sind das eher so, hat das eher mit klassischen Stücken angefangen. Em, Absatz 19
Kann ich mich noch dran erinnern, dass, ähm, war mit sechs oder sieben Jahren, also gut, ganz genau nicht, aber so mit sechs oder sieben Jahren sind wir aus dem Osten rübergekommen, nach (Wohnort) gezogen, wo auch mein Oma gewohnt hat, die wohnte nur zwei Straßen weiter, dass heißt, ich war dann häufiger bei ihr und irgendwann kam das einfach mal dazu, dass ich mich da ans Klavier gesetzt hab, hab, als ich groß genug war, ich war schon immer sehr klein und kam da erst mal nicht ran, dann hab ich mich doch irgendwann mal angesetzt und hat sofort gefunkt, also, ich hab dann 'n paar Tasten raufgespielt und war gleich fasziniert und hab gleich auch gefragt, ob das nicht möglich ist, dass ich das auch lernen könnte, so. Fm, Absatz 7
Auch Klavier mhm (bejahend). Fm, Absatz 15
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a) Sachanalyse Bei der gestellten Frage ging es darum herauszufinden, ob möglicherweise Musikstücke, Bands oder sonstige direkt mit Musik in Verbindung stehende Erscheinungen als Auslöser für die eigene musikalische Aktivität erkannt werden können. Die Befragten können sich überwiegend nicht an ein bestimmtes Musikstück, eine bestimmte Band etc. erinnern bzw. können keine Angaben dazu machen. Lediglich Cm und Em können dazu Angaben machen. Bei Em handelt es sich um ein spezielles Stück, Em verweist insgesamt auf den Kontakt zu klassischer Musik, wobei nicht ganz deutlich wird, was der Befragte unter klassischer Musik genau versteht. b) Kontextwissen Die von den Befragten generierten Texte zur Frage nach der Erinnerung an eine bestimmte Musik im Zusammenhang mit ihrer musikalischen Initiierung ergeben keine aufschlussreichen Hinweise auf frühe musikalische Präferenzen. Dagegen werden Aussagen zu Situationen, in welchen Musik eine Rolle spielt, und zu bestimmten Instrumenten gemacht. Die Nichtfestlegung auf konkrete Musik lässt darauf schließen, dass diese zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr noch nicht von besonderer Bedeutung ist und erst später entwickelt wird. So ist die Nennung eines bestimmten Musiktitels von Cm auch entsprechend später (ungefähr im Alter von sieben Jahren) einzuordnen. Die Aussagen der Befragten gehen somit einher mit dem von Hargreaves (1982)95 geprägten Begriff der „Offenohrigkeit“ und Elternorientierung von Kindern, die erst ab der dritten bis vierten Klasse, also im Alter von acht bis neun oder zehn Jahren abnimmt. Ob die Abnahme der Offenohrigkeit genau in diesem Alter festzustellen ist oder erst später, soll hier nicht weiter diskutiert werden, 96 zumal die pauschale Frage einer als allgemein zunächst positiv konnotierten Einschätzung von Offenohrigkeit hinterfragt werden kann.97 Es kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass sich der Prozess der Orientierung von den Eltern hin zu Peer Groups im Verlauf der letzten Jahrzehnte nach unten orientiert hat, da der Einfluss der Medien auf den Umgang mit Musik deutlich zugenommen hat. Nach Schellberg und Gembris ist jedoch nicht klar, ob es sich bei der Veränderung der Präferenzen um den Verlust von Offenohrigkeit handelt oder um eine zunehmende Stilsensibilisierung. 98 Offen bleibt die Frage, inwieweit Kinder im Alter von ca. sechs Jahren bereits Musikpräferenzen entwickelt haben, die im Kontext der erinnerten Eigenwahrnehmung bedeutend sein können. Die diesbezüglichen Forschungsansätze beziehen sich auf den folgenden Zeitraum des Grundschulzeitalters und nicht auf das musikalische Rezeptionsvermögen und das entwickelte Geschmacksurteil Sechsjähriger.
95 Vgl. Hargreaves (1982). 96 Vgl. Wilke (2012), S. 15ff. 97 „Diskussionswürdig ist im Zusammenhang mit dem Offenohrigkeits-Konzept auch die Frage, ob Offenohrigkeit ausschließlich als etwas Positives gesetzt werden kann und ob die Musikpädagogik bestrebt sein sollte, dem Verlust der Offenohrigkeit entgegenzuwirken. Man könnte statt von Offenohrigkeit auch von noch nicht gefestigten Präferenzen und Haltungen sprechen.“ (Ebd., 2012, S. 35.) 98 Ebd. (2012), S. 17.
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Die Erinnerungen der in der vorliegenden Studie Befragten beziehen sich vielmehr auf Situationen, Personen aus dem engsten Familienkreis (Vater, Mutter, Großeltern) und Instrumente. Die mehrfache Nennung bestimmter Instrumente lässt die Hypothese zu, dass der Begegnung mit einem als besonders empfundenen Instrument eine zentrale Bedeutung zukommt. Hier werden vor allem Gitarre (zumeist akustische) und Klavier genannt (s. Abb. „Genannte Instrumente“). Die Auflistung beinhaltet von links nach rechts Gesang – Klavier – Gitarre (Konzertgitarre). Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
Abb. 24: Genannte Instrumente – Bearbeiteter Screenshot f4 Neben Gesang nimmt die akustische Gitarre vor dem Klavier den ersten Rang ein. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Schwerpunkt auf der Gitarre nicht repräsentativ ist. Eine 2012 im Auftrag des Verbandes der Musikinstrumenten- und Musikequipmentbranche (SOMM) von der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) durchgeführte Befragung von 11.000 Teilnehmern ergab, dass das Klavier vor Gitarre und Bass die Rangfolge der zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr erlernten Instrumente anführt. Auch wenn sich dieser Aspekt auf eine andere Fragestellung, nämlich die des erlernten Instruments, bezieht, lässt sie jedoch Rückschlüsse auf die Frequenz der vorzufindenden Instrumente in den privaten Haushalten zu.99 c) Fallvergleichende Analyse Die Texte der Befragten lassen keine Rückschlüsse auf einen nachvollziehbaren Einfluss erinnerter Musik oder Interpreten zu. Lediglich Cm nennt mit „Bad Day“ von Daniel Powter ein spezifisches Musikstück, welches offensichtlich eine besondere Bedeutung für ihn hat. Die Veröffentlichung des Titels im Jahre 2005 ergibt rechnerisch eine Übereinstimmung mit dem vom Befragten angegebenen Alter von sieben Jahren (Befragungszeitraum 2015/Alter 17 Jahre). Em verweist in seinen Texten auf die Begegnung mit klassischer Musik. Er beginnt als einziger Befragter erst später
99 Quelle: http://www.nmz.de/kiz/nachrichten/studie-in-sieben-millionen-haushalten-steheninstrumente-in-der-ecke/Zugriff am 9.2.2016.
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(im Alter von ca. vierzehn Jahren oder älter) musikalisch aktiv zu sein und verweist auf Kurse in der Hauptschule. d) Sequenzierung Die überwiegenden Antworten der Befragten lassen keine spezifischen Musiken erkennen, die als Teil von Initiierung gewertet werden können. Aus den Folgeaussagen, aus denen vornehmlich der elterliche Kontext hervorgeht, kann gefolgert werden, dass die Begegnung mit Musik (und den damit verbundenen Umständen) eine gewichtigere Rolle spielt gegenüber der erinnerten Wahrnehmung eines bereits entwickelten Musikgeschmacks. Ebenso wird in den Folgeaussagen auf bestimmte Instrumente verwiesen, die möglicherweise Eindruck auf die Befragten ausgeübt haben. Dazu zählt in zwei Fällen ebenso Gesang. Aus den generierten Texten lassen sich folgende Aussagesequenzen vereinfacht darstellen. Abweichende individuelle Prozesse sind hier nicht wiedergegeben.
Abb. 25: Sequenzierung Initiierung Musik Aneignungsstrategien Leitfaden Wenn du heute einen Song hörst und du möchtest ihn spielen/singen – wie gehst du dann vor? Stichpunkte Unterricht Learning by doing YouTube/andere Medien Mögliche konkrete Beispiele Die hier vorliegende Frage des Interviewleitfadens ist in ihrer idealtypischen Variante nicht immer gestellt worden. Häufig haben die Befragten begonnen ihre Vorgehensweisen und Strategien aus den Themenkontexten heraus darzustellen, was Rückschlüsse hinsichtlich der Sequenzialität von Antwortmustern zulässt.
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a) Sachanalyse Bei dem gewählten Begriff der Aneignungsstrategien wird grundlegend davon ausgegangen, dass der Begriff Strategie solche Prozesse beinhaltet, die zu einem gewünschten Ziel führen. Dies berücksichtigt alle Denkprozesse, spontane Entscheidungen, Handlungen. Dabei ist es unerheblich und auch im Rahmen der hier verfolgten Fragestellung nicht überprüfbar, ob die mit dem Begriff Strategie verbundenen Prozesse bewusst oder unbewusst stattfinden. Entscheidend ist das zielführende Element der Vorgehensweise. Strategien im hier verstandenen Sinne haben für den Beobachter einen eigenständigen, durch Selbstorganisation und Selbstsozialisation gekennzeich-neten Charakter.100 Hierbei ist unbestritten, dass individuell erscheinende Entscheidungen in sozialisatorische Prozesse eingebunden und somit Teil von Gruppenprozessen sind, die hier jedoch nicht überprüft werden. Weiterhin sind schulische Unterrichtsprozesse, wie sie in den Gesprächstexten wiederholt genannt werden, im oben genannten Sinn nicht Teil einer Strategie, da der Lernprozess von außen initiiert und gesteuert wird. Dies trifft ebenfalls auf Unterricht in Musikschulen oder Privatunterricht zu, soweit die Entscheidung hier bei den Eltern liegt. Die von den Befragten generierten Texte zu schulischen Lernprozessen werden dennoch in die Betrachtung miteinbezogen, da auch fremdgesteuerte Prozesse im Kontext der Sequenzialität relevant erscheinen. Die Befragten geben neben der privaten Beschäftigung mit Musik überwiegend auch Schule als (frühen) Lernort an. Den Angaben zufolge kann der frühe schulische Kontakt hinsichtlich des Alters der Befragten zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr vermutet werden, was sich teilweise direkt aus den Texten oder den genannten Rahmenbedingungen wie Klasse oder Schulform schließen lässt. Teilweise finden Hinweise auf Lerngruppen wie AGs statt, oder es wird direkt auf die Lehrkraft verwiesen (s. Abb. „Hinweis Lernort Schule/Lehrer“). Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
1
2
0
1
1
2
Tab. 12: Hinweis Lernort Schule/Lehrer Darüber hinaus spielt gelegentlicher Privatunterricht eine Rolle. Mit zunehmendem Alter findet auch ein paralleles Lernen statt. So werden z. B. eigene Fragestellungen und Zielsetzungen mit einem Lehrer gemeinsam verfolgt, wenn die eigenen Versuche nicht zum Ziel führen (s. folgenden Text Am). Der musikalische Gegenstand (vgl. folgender Text Am) wird aus der Perspektive des Befragten nach musikalischen Parametern analysiert oder bei Bedarf dekonstruiert, um einzelne Passagen besser erarbeiten zu können. Der unten aufgeführte Text lässt sich demnach in nach Parametern unterteilte Teilbereiche aufschlüsseln: • Erarbeitung der Rhythmik
100 Vgl. Wilke (2012), S. 26ff.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 193
• Erarbeitung Akkordbegleitung • Erarbeitung Melodie
Zur Erarbeitung wird das Internet zu Hilfe genommen, was hier bezüglich der Fragestellungen nicht weiter spezifiziert ist. Zudem werden bei Bedarf nur bestimmte Passagen ausgewählt (’ne schöne Passage, die ich mag …). Um das gewählte Stück zu vertiefen, wird der private Lehrer zur Rate gezogen. Ähm, ehrlich gesagt, hör ich mir das Lied meistens immer erst an, ’ne, hör mir den Rhythmus an und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat, spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, ’ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach, und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich damit auch zu meinem Musiklehrer und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da Am, Absatz 19
da gab’s halt ‘ne Schulband-AG, dann bin ich hier auf die Schule gekommen in der fünften Klasse, ähm, da bin ich dann hier in die Schulband-AG zu (Vorname des Lehrers) gekommen und, ähm, dann hab ich da halt Schlagzeug gespielt, Bm, Absatz 9
Bei der eigenständigen Aneignung von Musik kann gelegentlich (s. Text Df) auf in der Schule Gelerntes zurückgegriffen und mit dem gewählten Gegenstand verknüpft werden. Gemeint sind im folgenden Text Akkorde. Ja, manchmal weiß ich auch, wann, weil wir haben’s auch im Musikunterricht gehabt mit A-Moll und D-Moll und so was halt, und manchmal hör ich das auch Df, Absatz 41
Also, bei mir hat’s damals in der Schule angefangen, äh, in der Hauptschule, da gab’s halt 'ne Schulband und dann hatten wir so WPKs, Wahlpflichtkurse oder irgend so was, da war halt Musik, und dann hab ich gedacht, ja, mach ich mal, und das hat mir dann Spaß gemacht, und dann hab ich 'n bisschen Gitarre gespielt, also, hat mein Lehrer mir so'n bisschen was beigebracht, so die Grundsachen, und dann hat mir das aber so viel Spaß gemacht, dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen Em, Absatz 5
194 | Popmusik aneignen
Das war sehr interessant, weil, ähm, ich, mein Lehrer damals, also Musiklehrer, der auch die Bigband geleitet hat, den hat das nicht so gestört, wenn ich einfach die richtigen Akkorde eingehalten hab, aber gespielt hab, was ich wollte und, ähm, da hat ich quasi immer so'n bisschen Sonderrechte am Klavier, ich durfte eigentlich immer machen, was ich wollte, es gab natürlich auch so besondere Stellen, Fm, Absatz 17
In allen Gesprächstexten sind mehrfach Hinweise auf selbstgewählte Aneignungsstrategien zu finden. Die Tabelle „Hinweise Aneignungsstrategien allgemein“ weist lediglich auf unspezifische Vorgehensweisen hin, die hinsichtlich konkreter Vorgehensweisen näher untersucht werden können, um hier qualitative Daten zu erhalten. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
1
5
2
1
2
4
Tab. 13: Hinweise Aneignungsstrategien allgemein Bei einer differenzierten Analyse der Texte zur Forschungsfrage Aneignungsstrategien kann nach verschiedenen Ebenen der Vorgehensweisen unterschieden werden, die von den Befragten übereinstimmend genannt werden, wenn auch mit individuell unterschiedlichen Ausprägungen hinsichtlich der Häufigkeit. Hiernach können folgende Strategien im Codesystem festgehalten werden: • • • • • •
Heraushören Trial-and-Error Rat suchen Internetrecherche allgemein Nutzung von Internet-Tutorials Noten lesen
Im Folgenden werden die Texte zu den oben aufgeführten Codes separat aufgeführt und betrachtet. Heraushören Das Heraushören von Musik gehört zu den bevorzugten Strategien der Befragten. Die Verteilung unter den Befragten wird in Abb. „Strategie Heraushören“ dargestellt. Hierbei werden lediglich die expliziten Äußerungen erfasst. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
1
2
3
5
4
3
Tab. 14: Strategie Heraushören
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 195
Wie weiter oben erwähnt können hier differenzierende Schritte gewählt werden wie z. B. das Erarbeiten einzelner musikalischer Parameter oder Abschnitte. Der Prozess findet selbstgesteuert und ohne fremde Hilfe statt. Ja, raushören, das hab ich in letzter Zeit auch angefangen so’n bisschen, äh, hab ich gemerkt, warte mal, das ist doch’n D-Dur, und das hab ich gemerkt, nur so beim Hören, und dann hab ich, und dann probierst du mal ein D-Dur, das ist ’n D-Dur, wie geil, oder mal so’n bisschen rumprobiert und dann gemerkt, ja okay, so geht das und dann hab ich mir das so’n bisschen so ertastet, also so’n bisschen raushören hab ich auch schon mal probiert. Bm, Absatz 23
Das Heraushören von Musik kann gelegentlich angenommen werden, auch wenn dies nicht in jedem Fall explizit formuliert wird. Diese Annahme wird auch dadurch begründet, dass die Befragten überwiegend angeben, nicht nach Noten zu spielen oder keine Noten lesen zu können. Mhm (verneinend), also wir waren, ich hatte noch ’ne andere AG, ähm, das war eine ChorAG, und da konnte halt ’n Mädchen ganz gut Klavier spielen und ich hab, das fand ich halt ganz schön, da haben fast alle vom Chor angefangen Klavier zu spielen, und dann hab ich’s halt auch gelernt, aber ich hatte kein Klavier zu Hause, nur bei einem Verwandten, bei dem ich manchmal war und, ähm, ich spiel jetzt, glaub ich, seit einem Jahr erst Klavier, und ich hab kein Unterricht Df, Absatz 17
Interviewer: Okay, ähm, ist es vielleicht auch manchmal so, also YouTube ist eine Möglichkeit, dann wird’s dir auch gezeigt und man kann sich das anschauen, hörst du auch manchmal Sachen raus? #00:02:51-7# Befragter: Ja Df, Absatz 20 - 21
Weiß ich nicht, also ich hab mal ein Lied gehört, da war mein Handy grad kaputt, und ich konnte nicht auf YouTube gehen, (Lachen) und ich wollt’s aber unbedingt können, dann hab ich’s mir angehört, angehört, angehört und ein paar Noten ausprobiert und am Ende konnte ich das ganze Lied schon spielen. Df, Absatz 23
Da mach ich’s, also ich hör immer sehr oft Musik, zum Beispiel, wenn ich jetzt in die Stadt fahr oder so, im Bus mit Kopfhörer Musik hören, und dann sing ich halt auch manchmal mit, und da kann ich’s halt, also ich hab auch kein Gesangsunterricht oder so Df, Absatz 45
Das Nachspielen oder Nachsingen von Songs wird im Fall von Df nicht als Üben empfunden, sondern möglicherweise als selbstverständlicher Umgang mit Musik. Der Lernprozess wird dementsprechend nicht als Belastung oder Anstrengung empfunden. Das Arbeiten an Musik findet hier spontan statt. Üben wird möglicherweise gleichgesetzt mit einem festen Plan, der sowohl zeitlich als auch inhaltlich einer Struktur folgt.
196 | Popmusik aneignen
Befragter: Also, ich sing da zwar und ja, also ich singe und, aber so richtig jetzt üben oder so nicht, weil ich sing einfach ganz spontan so Df, Absatz 53
Nee. Noten nicht Em, Absatz 21
Die Befragten geben überwiegend an, dass sie nicht Noten lesen können. Die Notenlese-Kompetenz wird von Em jedoch als erstrebenswert empfunden. 'n paar Sachen hör ich mir auch raus und, aber, also sonst kann man, im Internet gibt's so viele Videos, wo man das lernt, also das ist nicht nur YouTube, aber manche Sachen auch per Gehör, aber, also ich spiel jetzt auch seit, also bei Klavier ist das auf jeden Fall so, das spiel ich jetzt seit, glaub ich, knapp drei Jahren oder so, muss das jetzt sein, ja ungefähr, und ja also ich muss auf jeden Fall noch viel lernen, und ich würd auf jeden Fall noch mal gern Noten lernen Em, Absatz 29
Nicht so wirklich, also ich hatte in der Hauptschule, ich glaub, in der fünften Klasse Musikunterricht mit Noten und so, aber dann nicht mehr, also so Noten und Tonarten, nicht so mein Ding (Lachen). Em, Absatz 35
Akkorde kannt ich mal für die Gitarre, aber für Klavier kann ich da auch keine sagen, also das ist einfach nur nach, weiß nicht, ich merk mir die Lieder. Em, Absatz 37
Auch aus der Aussage von Fm lässt sich schließen, dass das Notenlesen in Verbindung mit der Fähigkeit vom Blatt zu spielen als erstrebenswertes Ziel angesehen wird. Vom Blatt spielen, ja, aber na ja, das können auf jeden Fall viele besser als ich. Was ich halt besser kann, ist mehr übers Gehör arbeiten, das, ja Fm, Absatz 13
und, ähm, ich bin da vielleicht ’n bisschen, vielleicht bin ich ’n bisschen konservativ, also sag schon, die Alten hatten’s wirklich drauf, aber man stößt doch hin und wieder, finde ich, auf Sachen so, ich zum Beispiel ’n großer Fan auch von Harry Conwick Jr., falls Ihnen das was sagt, so’n sehr cooler Typ aus den Staaten, der halt ’n voll heftiges Jazzpiano spielt und den ich abgöttisch liebe, und auch seine Live-Auftritte sind total der Hammer und, ähm, ich hab mich auch schon drangesetzt, das mal so'n bisschen rauszuhören, aber der spielt dann aber auch schon wieder so verrückte Sachen, das ist nicht, ist für mich völlig, wie man’s spielen kann, versteh ich gar nicht (Lachen), aber ich hör schon gern die Klassiker, so auch alleine vom, vom Vintage her, so von dem Feeling, was man dabei hat, so'n bisschen Vintage. Fm, Absatz 80
Zum Aspekt Heraushören von Musik können hinsichtlich der übergeordneten Ebenen Musikstile als auch hinsichtlich der Vorgehensstrategien ausdifferenzierte Auseinan-
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dersetzungsebenen festgehalten werden. So ist das Heraushören von Musik nicht ausschließlich beschränkt auf Popmusik aus den aktuellen Charts, sondern bezieht sich auf eine Vielzahl von Stilen oder Genres, die für die Befragten in der jeweiligen Situation interessant erscheinen. Dazu gehören unter anderem: • • • •
Aktuelle Musikstücke aus den Charts Populäre Klassik Filmmusik Jazz
Die Vorgehensweisen können nach musikalischen Parametern differenziert werden: • • • •
Rhythmik Melodien Akkorde Ausdruck/verbesserte Technik
Je nach Zielvorstellung und Befähigung können die Musiken hierbei dekonstruiert werden. So ist es nicht in jedem Fall notwendig ein ganzes Stück zu spielen. Einzelne Parts werden bei Bedarf aus den Stücken isoliert, um so Riffs, Patterns oder einzelne Akkordfolgen erarbeiten zu können. Das mögliche Arbeitsergebnis wird den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten angepasst, was auch unbewusst mit Selbsteinschätzungs-Prozessen einhergeht. • Erarbeitung ganzer Musiktitel • Erarbeitung einzelner Ausschnitte
Trial-and-Error Da kaum davon auszugehen ist, dass die Befragten über weitgehende musiktheoretische Kenntnisse oder ausreichende Gehörbildungserfahrungen verfügen, wird sich der anzueignenden Musik durch Trial-and-Error genähert. Hierbei kann von einem Abgleichungsprozess mit dem bereits Bekannten ausgegangen werden. Die Verteilung des Codes ist in der Tabelle „Trial-and-Error“ dargestellt. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
2
3
1
2
2
1
Tab. 15: Trial-and-Error Das Vorgehen nach dem Trial-and-Error-Prinzip ist Teil des Erarbeitens von Musiktiteln mittels Heraushören. Es werden die Stellen in der Musik ausfindig gemacht, die mit bereits Erlerntem abgeglichen werden können. Die Texte des Befragten Am weisen hierbei eine insgesamt ausdifferenzierte Vorgehensweise auf. Die Musik wird soweit erarbeitet, wie dies mit eigenen Mitteln möglich ist. Erst danach wird der Privatlehrer um Rat gefragt, um offene Fragen zu lösen und um gemeinsam zu üben.
198 | Popmusik aneignen
Ähm, ehrlich gesagt, hör ich mir das Lied meistens immer erst an, ne, hör mir den Rhythmus an und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat, spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, 'ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach, und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich damit auch zu meinem Musiklehrer und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da Am, Absatz 19
Der Aneignungsprozess ist nicht ausschließlich durch Reproduktion eines Originalstückes gekennzeichnet, sondern geht mit Optionen des individuellen Eingreifens in die Musik einher, was nicht ausschließlich auf kreative Ausrichtungen hinweisen muss, sondern auch durch nicht ausreichende analytische oder spielerische Kompetenzen bedingt sein kann. So wird im Text von Am nicht ganz deutlich, ob das Austauschen eines Akkordes Ausdruck des persönlichen Geschmacks oder gezieltes kreatives Eingreifen ist oder auf Unkenntnis des erforderlichen Akkordes beruht. Eigentlich, also mach ich eigentlich nicht. Ich hab’s auch ’n bisschen mal gemacht, ähm, aber ich mach’s dann lieber, dass ich mir so, ähm, wenn mir irgendwie da ’n Akkord nicht gefällt, dann nehme ich halt ’n andern, also das hab ich auch schon gemacht Am, Absatz 21
Die Aussagen von Bm lassen auf ein fortgeschrittenes und für sein Alter (15 Jahre zum Zeitpunkt der Befragung) untypisches Musikverständnis schließen. Auch Bm dekonstruiert Musikstücke, um so an spielbare Passagen zu gelangen. Also so was, was ich manchmal höre und, äh, so, ich hör vor allem so, äh, ja, was seh ich mir an, ich weiß nicht, also so, manchmal, ich spiel alles Mögliche, also ich spiel, äh, manchmal Akkorde, manchmal probier ich aber auch ’n Riff zu spielen, ich lern meistens das halbe Riff und mehr kann ich nicht, dann hab ich kein Bock mehr, aber (lacht) irgendwie so’n paar Nirvana-Riffs oder, äh, weiß nicht, äh, Mark Knopfler, da kann ich nicht alles spielen, das ist ein bisschen zu anspruchsvoll, aber irgendwie keine Ahnung, äh, das, wie heißt es noch, ähm, „Money for Nothing“, das Eingangsriff und ja (..) das hat sich dann irgendwie so ergeben. Bm, Absatz 19
Der Aneignungsprozess unterliegt keinem festen Plan. Dieser wird je nach Fragestellung und Lust am Lernen flexibel gestaltet. Lernweg und -tempo werden selbst bestimmt. Die bisher erworbenen Kenntnisse werden genutzt, um sich an die Musik „heranzudenken“. Ich hab mir, ich glaub, für ähm, von Sting hier, äh, das ist mit so zwei hier, äh, ich weiß grad nicht, wie das heißt, das ist ’n Gitarrenstück, äh, äh, hier, zwei, zwei, was hab ich vorhin gesagt, Konzertgitarren, äh, äh, und wie heißt das noch, das hab ich mir glaub ich mal angeguckt oder, äh, so, wo, wo ich merke, dass ich mit den Tabs, also Noten kann ich ei-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 199
gentlich gar nicht lesen, das hab ich, hätt ich eigentlich in der musikalischen Früherziehung lernen sollen, aber die Lehrerin war so’n bisschen blöd, also ich kann eigentlich keine Noten lesen, also wenn ich so, ich kann es so herandenken, so C-D-F-G-H-C, aber ich kann jetzt nicht hingucken und sag’n, das ist ein C, aber so mit Tabs und so was komm ich halt klar und wenn ich merke, dass ich mit’m Rhythmus oder irgendwie so nicht weiß, wie das genau ist, dann guck ich mal in ein Tutorial rein, aber das mach ich selten, also, wenn ich wirklich gar nicht mehr weiß Bm, Absatz 21
Bm unterstreicht den Versuch des Abgleichens mit bereits Gelerntem, indem er einfach Akkorde ausprobiert, die er kennt. Dies geschieht ohne theoretische Vorüberlegung. Ja, raushören, das hab ich in letzter Zeit auch angefangen so’n bisschen, äh, hab ich gemerkt, warte mal, das ist doch’n D-Dur, und das hab ich gemerkt, nur so beim Hören, und dann hab ich, und dann probierst du mal ein D-Dur, das ist ’n D-Dur, wie geil, oder mal so’n bisschen rum probiert und dann gemerkt, ja okay, so geht das und dann hab ich mir das so’n bisschen so ertastet, also so’n bisschen raushören hab ich auch schon mal probiert. Bm, Absatz 23
Der Befragte beschreibt ebenfalls den Aneignungsprozess als Annäherungsprozess, der auf Trial-and-Error durch Ausprobieren bekannter Akkorde beruht. Auch hier sind keine theoretischen Vorüberlegungen erkennbar. Das Herantasten an ein Stück empfindet der Befragte ebenfalls nicht als Übeprozess, sondern vermutlich als spontanen und lustbetonten Umgang mit Musik. Also ich lerne jetzt eigenständig, wenn ich jetzt z. B. ein Lied lernen will (.) oder auch übe, obwohl üben (..) tu ich nicht so viel, aber ich versuch es, ich versuch zu üben (.) und (..) ähm (..) ja und dann kommt manchmal so, dass ich eben so Lieder höre und die ich denn gerne mag, die Richtung, also Richtung Pop mag ich ganz gerne, da kann ich auch schon ganz schön viele Lieder spielen, einfach so manchmal auch, obwohl ich die ganzen Akkorde noch gar nicht kann, manchmal, äh, manchmal improvisier ich denn mit meinen Akkorden, die ich kenne
Das Nachspielen von Titeln basiert auf Trial-and-Error. Bekannte Akkorde werden mit den neuen Stücken abgeglichen. Der Aneignungsprozess wird gefolgt von weiteren, kreativen Prozessen. Interviewer: Du versuchst dich so'n bisschen ranzutasten Befragter: Genau Interviewer: Und dann sagst du, das kenn ich und dann kuck ich mal, ob’s passt Befragter: Ja Cm, Absatz 15 - 19
Aus den Texten von Df kann ebenfalls geschlossen werden, dass sich die Befragte Musikstücke durch Ausprobieren aneignet. Auch hier wirkt die Vorgehensweise eher spontan (Nee, ich spiel einfach irgendwas). Mhm (verneinend), also wir waren, ich hatte noch ’ne andere AG, ähm, das war eine ChorAG, und da konnte halt ’n Mädchen ganz gut Klavier spielen und ich hab, das fand ich halt ganz schön, da haben fast alle vom Chor angefangen Klavier zu spielen, und dann hab ich’s
200 | Popmusik aneignen
halt auch gelernt, aber ich hatte kein Klavier zu Hause, nur bei einem Verwandten, bei dem ich manchmal war und, ähm, ich spiel jetzt, glaub ich, seit einem Jahr erst Klavier, und ich hab kein Unterricht Df, Absatz 17
Nee, ich spiel einfach irgendwas, also Df, Absatz 29
Em gibt an, dass er beim Erarbeiten von Musik versucht die Tonart herauszufinden, womit er theoretische Grundüberlegungen erkennen lässt. Vermutlich meint der Befragte mit dem Begriff „Tonart“ „Akkord“. Ja, mhm (bejahend), meistens also man weiß ja ungefähr so, wo schon welche Tonart ist, ungefähr, und dann probiert man halt so'n bisschen rum, und dann denkt man, oh, das hört sich dann, ist dann wahrscheinlich die richtige Tonart und dann versucht man das weiter und dann merkt man sich das. Em, Absatz 33
Em unterstreicht die Spontaneität der Vorgehensweise. Ich denk mir jetzt, ich spiel jetzt dieses Lied und dann leg ich los (Lachen) Em, Absatz 47
Der Befragte Fm weist darauf hin, dass Trial-and-Error Teil einer Gesamtstrategie ist, die gezieltes Raushören und die Nutzung von Internetquellen einschließt. Ja, könnte man so sagen, mhm (bejahend) klar, so ohne Noten hab ich auch nicht gespielt, also zumindest am Anfang nicht, also ich kann mir gut einprägen Stücke, spiel auch eigentlich alles, was ich je gelernt hab, kann ich nach wie vor so aus dem Kopf abspielen, da brauch ich keine Noten, aber so für den Anfang ist das natürlich relativ wichtig jetzt, sonst gibt’s aber auch Sachen, ähm, ich hab auch schon mal versucht, über YouTube zu lernen durch Zugucken, also, Stücke bei Auftritten mir immer wieder anzugucken, war dann aber wahrscheinlich zu anspruchsvoll oder so, hab ich mir wahrscheinlich das Falsche ausgesucht, und dann war ich dann irgendwann frustriert also, die ersten paar Takte konnt ich dann, und dann wurde das sehr anspruchsvoll, dann hab ich’s wieder gelassen (Lachen) Fm, Absatz 25
Rat suchen Die Tabelle „Strategie Rat suchen“ zeigt die Verteilung der Aussagen auf die Befragten an. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
0
0
1
0
0
0
Tab. 16: Strategie Rat suchen
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Aus der Abbildung kann gefolgert werden, dass das Einholen von Rat eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es wird den Angaben zufolge erst dann um Hilfe gebeten, wenn die anderen Strategien erschöpft sind und keine befriedigende Lösung erzielt werden konnte. Die Familie spielt hiernach keine Rolle mehr. Ja, eigentlich fast immer, aber manchmal hab ich mir auch Rat von einem Freund von meinem Bruder geholt, der ist auch ganz musikalisch, also ganz musikalisch begabt, der kann Schlagzeug spielen, E-Bass spielen, Gitarre spielen, Schlagzeug spielen und auch Keyboard, der hat auch 'ne eigene Band, ähm, von dem hol ich mir, na gut, jetzt nicht mehr so Rats, aber hab ich mir manchmal geholt und das hat auch schon geholfen und so Cm, Absatz 23
Wenn die eigenen Aneignungsstrategien an ihre Grenzen kommen, werden andere Quellen genutzt. Dies betrifft sowohl den Bekanntenkreis als auch die Nutzung von Medien. Zumeist wird auf Tutorials im Internet zurückgegriffen. Internetrecherche (allgemein) Die Tabelle „Internetrecherche allgemein“ gibt die Verteilung der Textangaben zum genannten Code wieder. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
3
2
0
0
0
0
Tab. 17: Internetrecherche allgemein Der Code bezieht sich auf allgemeine Aussagen zur Nutzung des Internets, aus denen nicht eindeutig hervorgeht, zu welchem genauen Zweck das Internet genutzt wird. Dieser Aspekt beinhaltet beispielsweise Recherchen zu Musik allgemein oder zu Biografien der Interpreten, Liedtexten etc. Die Beschaffung von Informationen dient hier der allgemeinen Wissenserweiterung um den Gegenstand und nicht der direkten Verbesserung der instrumentalen oder gesanglichen Kompetenzen. Der Übergang zum Spielen oder Singen ist stellenweise jedoch fließend. Typisch für die allgemeine Internetrecherche ist das Suchen nach Material und Hilfestellungen wie AkkordSheets oder Tabulaturen für Gitarre oder Bass. Die Angaben von Am können dahingehend gedeutet werden, dass sich die Zielvorstellung des zu erlernenden Gegenstands aus der Materiallage ergibt und nicht bereits vorher feststeht. und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, Am, Absatz 19
Dass es irgendwie im Internet so stand, ich fand aber, das klang doof und ich fand, also es klang halt anders im Vergleich Am, Absatz 23
202 | Popmusik aneignen
Internetvorschläge werden nicht unkritisch übernommen. Das Ergebnis wird nach Gehör überprüft und es werden Alternativen ausgelotet. Akkorde, ich guck da halt im Internet das Lied nach, seh dann da die Akkorde oder halt Melodie, ähm, also halt von Notation oder Tabulatur und spiel das dann so Am, Absatz 31
Der Prozess der Aneignung geht einher mit dem Erlernen und (sicheren) Anwenden von Fachbegriffen. Nutzung von Internet-Tutorials Die Tabelle „Internet-Tutorials“ gibt die Verteilung der Textangaben zum genannten Code wieder. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
0
1
1
1
5
1
Tab. 18: Internet-Tutorials Aus der Abbildung „Internet-Tutorials“ geht hervor, dass fast alle Befragten angeben, auf Internet-Tutorials zurückzugreifen. Die Tutorials beziehen sich ausschließlich auf YouTube-Videos. Die fehlende Angabe bei Am ist darauf zurückzuführen, dass der Befragte sich auf eine allgemeine Internetrecherche bezieht und YouTube-Videos nicht explizit erwähnt. Hiernach kann festgehalten werden, dass alle Befragten das Internet als Informationsquelle und Lernmedium nutzen. Em bezieht sich in seinen Aussagen besonders häufig auf YouTube-Tutorials. Dies kann im Kontext seiner weiteren Aussagen zum hohen Grad der musikalischen Selbstsozialisation gedeutet werden. Aus der Aussage von Bm geht hervor, dass vor der Nutzung von Tutorials zunächst andere Wege ausprobiert werden, um sich das Spielen eines Stückes zu erschließen. Vorher werden Noten oder Tabulaturen ausprobiert. Erst wenn alle Versuche nicht zum gewünschten Erfolg führen, wird auf YouTube-Tutorials zurückgegriffen. Befragter: Ich hab mir, ich glaub, für ähm, von Sting hier äh, das ist mit so zwei hier, äh, ich weiß grad nicht, wie das heißt, das ist ’n Gitarrenstück, äh, äh, hier, zwei, zwei, was hab ich vorhin gesagt, Konzertgitarren, äh, äh, und wie heißt das noch, das hab ich mir glaub ich mal angeguckt oder, äh, so, wo, wo ich merke, dass ich mit den Tabs, also Noten kann ich eigentlich gar nicht lesen, das hab ich, hätt ich eigentlich in der musikalischen Früherziehung lernen sollen, aber die Lehrerin war so’n bisschen blöd, also ich kann eigentlich keine Noten lesen, also wenn ich so, ich kann es so herandenken, so C-D-F-G-HC, aber ich kann jetzt nicht hingucken und sag’n, das ist ein C, aber so mit Tabs und so was komm ich halt klar und wenn ich merke, dass ich mit’m Rhythmus oder irgendwie so nicht weiß, wie das genau ist, dann guck ich mal in ein Tutorial rein, aber das mach ich selten, also, wenn ich wirklich gar nicht mehr weiß Bm, Absatz 21
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 203
Dem Aneignungsprozess unterliegt kein fester Plan. Dieser wird flexibel gestaltet je nach Fragestellung und Lust am Lernen. Cm gibt ebenfalls an, dass YouTube-Videos genutzt werden, wenn vorherige Strategien nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Sonst, wenn ich wirklich nicht weiter weiß, auf YouTube oder Cm, Absatz 21
Df kann nach eigenen Angaben keine Noten lesen und greift aus diesem Grund eher auf YouTube-Tutorials zurück, da hier (für Klavier) die Griffe bzw. Akkorde zum Erlernen von Stücken angeschaut und übernommen werden können. Also, ich guck mir einfach (unverständlich) auf YouTube, so ein Tutorial, also ein Lied, zum Beispiel jetzt „Impossible“ oder so raus, und dann schreib ich dahinter „Tutorial“ und dann kommt das, denn sind da so Tastaturen und denn guckt man sich das ab und spielt Df, Absatz 19
Em gibt ebenfalls an, dass er keine Noten lesen kann. Auch er greift eher frühzeitig auf YouTube-Videos zurück, da andere Optionen wie Notenlesen nicht relevant sind. die Lieder und da dacht ich mal, ja das wär doch mal cool, wenn man die nachspielt, und denn hab ich das halt so, über YouTube kann man sich das ja beibringen, und da hab ich mir die Lieder angeguckt, und dann hab ich die gespielt (..) und beim Klavier sind das eher so, hat das eher mit klassischen Stücken angefangen. Em, Absatz 19
Interviewer: Aber wenn du sagst, klassische Stücke, wie hast du dir die dann beigebracht? #00:02:36-1# Befragter: Auch über YouTube (Lachen). Em, Absatz 22 - 23
Im Unterschied zu den anderen Befragten spielt der Befragte auch klassische Stücke, die er sich über YouTube beibringt. Offen bleibt, was der Befragte wirklich unter klassischer Musik versteht. Möglicherweise ist auch solche Musik enthalten, die klassisch anmutet, wie z. B. Filmmusik. Also, da gibt's ja diese verschiedenen Programme da, wo man halt, ähm, da läuft das halt ab, wie man das, wie man halt spielen muss, und dann hab ich mir das halt immer wieder angeguckt, dabei immer gespielt und dann irgendwann den Rhythmus raus und dann, ja.
Em gibt an, dass er das Lesen von Noten als sinnvoll erachtet bzw. er dies immer hatte lernen wollen, jedoch falle ihm das Erlernen von Musik durch die Nutzung von YouTube-Videos leichter. Nee, da werden halt, ähm, die Tasten, also sozusagen gezeigt, wann man die drücken muss und welche genau und, ja, also es ist, wenn man Noten lesen kann, ich wollte eigentlich schon Noten lesen lernen, aber ich (bin) da nie irgendwie wirklich zu gekommen, 'n Freund von mir hat erzählt, dass ist dann leichter zu üben, aber irgendwie, weiß ich nicht, fand ich das über YouTube immer besser (Lachen).
204 | Popmusik aneignen
Der Befragte gibt an, dass das Aneignen über YouTube aus seiner Sicht geeigneter für ihn erscheint. Auswahl, ich weiß nicht, ich hör, ich guck manchmal in YouTube einfach rein, dann hör ich mir irgendwelche Lieder an und denk so, mhm (bejahend) Em, Absatz 51
Die Aussage weist wiederum darauf hin, dass der Zugang zu Musik eher spontan und gefühlsbezogen ist. Die Nutzung von Internetquellen und Videos stellen sich für Df als vorteilhaft dar, da die Musik beliebig oft abgespielt werden kann. Diese Möglichkeit kommt ihrer selbst festgestellten Fähigkeit, sich Musik gut einprägen zu können, entgegen. Ja, könnte man so sagen, mhm (bejahend) klar, so ohne Noten hab ich auch nicht gespielt, also zumindest am Anfang nicht, also ich kann mir gut einprägen Stücke, spiel auch eigentlich alles, was ich je gelernt hab, kann ich nach wie vor so aus dem Kopf abspielen, da brauch ich keine Noten, aber so für den Anfang ist das natürlich relativ wichtig jetzt, sonst gibt’s aber auch Sachen, ähm, ich hab auch schon mal versucht, über YouTube zu lernen durch Zugucken, also, Stücke bei Auftritten mir immer wieder anzugucken, war dann aber wahrscheinlich zu anspruchsvoll oder so, hab ich mir wahrscheinlich das Falsche ausgesucht, und dann war ich dann irgendwann frustriert also, die ersten paar Takte konnt ich dann, und dann wurde das sehr anspruchsvoll, dann hab ich’s wieder gelassen (Lachen) Fm, Absatz 25
Noten lesen Die Tabelle „Noten lesen“ gibt die Verteilung der Textangaben zum genannten Code wieder. Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
2
0
0
0
0
2
Tab. 19: Noten lesen Von den Befragten geben lediglich Am und Df an Noten lesen zu können. Wie weiter oben erwähnt, wird die Fähigkeit Noten lesen zu können jedoch insbesondere von Em als erstrebenswert angesehen. Die Notenlesekompetenz korreliert mit der Nutzung von Internet und YouTube-Tutorials. Diejenigen, die keine Noten lesen können, setzen vermehrt Tutorials aus dem Internet ein. Diejenigen, die Noten lesen können, greifen weniger auf andere Quellen zurück (Am/Fm). In der Grafik „TutorialsNoten-Vergleich“ wird die Beziehung zwischen beiden Aspekten und den entsprechenden Codes dargestellt. Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 205
Abb. 26: Tutorials-Noten-Vergleich – Bearbeiteter Screenshot f4 Andere Lernprozesse – Musik hören Bei der Analyse der Texte besteht die Gefahr, einen Aspekt des Kompetenzerwerbs zu übersehen oder unterzubewerten. Dies betrifft das Musikhören. Es gibt zwar einige Textpassagen, die sich explizit auf das gezielte Hören von Musik beziehen, jedoch sind im Grunde alle bisher aufgeführten Auseinandersetzungsebenen wie Musik raushören, Trial-and-Error, Nutzung von Tutorials, Auseinandersetzung mit Stilen, Genres oder Interpreten usw. mit dem Hören von Musik verbunden. In allen Phasen der bewussten oder unbewussten Aneignung von Musik ist das Hören von Musik und die damit verbundene Erweiterung der Hörkompetenz selbstverständlicher Bestandteil. Auch das Hören selbst mit dem ausschließlichen Ziel des Hörens ohne weitere damit verbundene Absichten ist eine aktive Auseinandersetzung mit Musik und kein passives Verhalten. Green beschreibt das Hören von Musik als einen selbstverständlichen Bestandteil von Musikmachen und weist darauf hin, dass eine genaue Abgrenzung kaum möglich ist.101 Gembris verweist zur Frage der Musikrezeption auf den Zusammenhang von Rezeption und aktiver geistiger Konstruktion. „So ist etwa die Musikrezeption in dieser Sicht ein Akt der aktiven geistigen Konstruktion (bzw. Rekonstruktion), bei dem aus einer Folge von Klängen durch Gruppieren, Zusammenfassen oder Abstrahieren sinnvolle musikalisch-geistige Einheiten und Gestalten gebildet werden.“102 Auf eine detaillierte Auflistung zum Aufzeigen der Textstellen oder einer entsprechenden Verdichtung wird hier aus den oben genannten Gründen der Verflechtung mit anderen Aneignungsprozessen verzichtet. Die Verbindung zwischen allen Lernprozessen bzw. Aneignungsprozessen ist grundsätzlicher Natur. Eine statistische Auswertung im Sinne einer grafischen Darstellung ist daher obsolet.
101 „Musical production always includes listening, although listening does not always include musical production. Whereas it is therefore in many ways false to separate out the concept of musical production from that of music listening, I have done so here for the purposes of analysis, and merely as one way of attempting to consider the complex phenomenon of music learning in detail.“ (Green, 2008, S. 41.) 102 Gembris (20093), S. 255. Die Ausführungen beziehen sich hier auf den kognitivwahrnehmungstheoretischen Ansatz von M. L. Serafine.
206 | Popmusik aneignen
b) Kontextwissen Die Darstellung der mit den aufgezeigten Aneignungsprozessen verbundenen Kontextfaktoren findet hier zusammenfassend statt und nicht bezogen auf die einzelnen oben aufgeführten Codes. Die in den Interviews auf Aneignungsprozesse bezogenen Texte der Interviewten sind im Wesentlichen durch Selbstsozialisation geprägt. Strategien der selbstbestimmten Aneignung von Musik sind typisch für die Auseinandersetzung mit popmusikalischen Inhalten als Teil der Oral Tradition. Dafür können mehrere Gründe angeführt werden. In der Frühphase der modernen Popmusik, wie man diese mit dem Beginn des Rock ’n’ Roll ansetzen kann, waren schriftliche Aufzeichnungen im Sinne von Notationstexten nicht üblich. Dies liegt einerseits begründet in einer fortgesetzten Bluestradition als Oral Tradition, andererseits basiert insbesondere die in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren schwarz beeinflusste Musik des Rhythm & Blues und des Rock ’n’ Roll auf Intensität und der Entwicklung des Sounds (Letzteres verstärkt seit Mitte der 1960er-Jahre durch die Entwicklung der Studiotechnik), was sich durch eine traditionelle Notation nicht darstellen lässt. So sehr es zum einen darauf ankam, möglichst viele Informationen aus einem Original zum Erlernen einer Spielweise oder eines Stils zu ziehen, so war es in gleichem Maße möglich, eine eigene Version mit einem eigenen Sound zu entwickeln. Hemming weist in diesem Kontext auf die Besonderheit des Popsektors hin, die ihn von der traditionellen Musikausübung unterscheidet.103 Die Coverversionen der ersten Hälfte der 1960er-Jahre von Blues- oder Rock ’n’ Roll-Songs durch weiße Bands wie die Rolling Stones104 oder die Beatles105 sind hierfür ein geeignetes Beispiel und Beleg für die Entwicklung individueller Ausdrucksmöglichkeiten, was gleichzeitig als Vermarktungsstrategie der Musikwirtschaft durch Adaption schwarzer Musik durch weiße Bands erfolgreich umgesetzt werden konnte. In diesem Sinne ist die Entwicklung der modernen Popmusik von Anfang an durch individuelle Herangehensweisen geprägt, sowohl strukturell bedingt durch einen nicht existenten Musikalienmarkt in Sachen Popmusik als auch geprägt durch ein Popmusik-immanentes Phänomen der Selbstsozialisation als typisches Element der Aneignung popmusikalischer Inhalte. Erst seit den 1980erJahren kommen zunehmend Noten mit Popmusik auf den Markt. Diese sind jedoch häufig mit einer grundlegenden Problematik der Übertragung des Sounds als spezifisches Merkmal von Popmusik verbunden. So ist es beispielsweise schwer möglich, die durch Synthesizer-Sounds geprägten Flächen einer in dieser Zeit populären Band
103 „Eine Besonderheit des Popsektors besteht ja möglicherweise darin, dass der individuelle Ausdruck und die kreative Betätigung von Anfang an vorgesehen sind, während der Bereich der traditionellen Musikausübung zunächst vor allem auf Reproduktion ausgerichtet ist. Daher ist es wahrscheinlich, dass in den Lernbiografien von Popmusikern der individuelle Ausdruck und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung als Motivationsfaktoren eine größere Rolle spielen als im Bereich der traditionellen Musikausübung […]“. (Hemming, 2009, S. 69.) 104 Vgl. Original und Coverversion von „I Can’t Be Satisfied“ (Muddy Waters – 1948/The Rolling Stones – 1965). 105 Vgl. Original und Coverversion von „Roll Over Beethoven“ (Chuck Berry – 1956/The Beatles – 1963).
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wie Pink Floyd auf traditionelle Instrumente wie das Klavier zu übertragen. Hier ist eine originalgetreue Notation zwar möglich, diese hat jedoch einen völlig anderen und somit falschen Klang zum Ergebnis. Ein weiteres Problem bei der Notation von Popmusik besteht in der nicht authentischen Transkription aus Gründen der Marktorientierung.106 Diese beinhalten zumeist nicht die Originalstimmen, die insbesondere beim Klavier im Original durch die Begleitung, also dem Spielen von Akkorden in der rechten Hand geprägt sind, sondern integrieren grundsätzlich die Melodie, die von der rechten Hand gespielt wird. Die Notationen folgen somit einem klassischen Prinzip einer vollständigen Klavierkomposition mit Akkorden in der linken Hand und der Melodie in der rechten Hand, mit der Konsequenz eines entsprechend klassisch anmutenden Klangergebnisses und einem nicht authentischen Popsound. Die genannten Beispiele der popmusikalisch ausgerichteten Musikalien belegen die Notwendigkeit einer Orientierung am Original durch Heraushören und Nachspielen für den an Authentizität interessierten Musiker. Da der Aneignungsprozess durch Selbststeuerung und spontanes Interesse geprägt ist, spielt musiktheoretisches Wissen eine untergeordnete Rolle und wird durch langwierige Versuche durch Trial-and-Error und den Abgleich mit bereits Bekanntem kompensiert. Die Möglichkeiten, die sich durch die Nutzung des Internets ergeben, kommen dem Bedürfnis nach einem selbstgesteuerten Lernprozess entgegen. In diesem Kontext kann zunächst allgemein festgestellt werden, dass die Nutzung des Internets durch Jugendliche in den letzten Jahren einem steten Wachstum unterliegt, wie aus der Abbildung „Entwicklung der Internetnutzung unter Jugendlichen“ hervorgeht. 107 Der dargestellte Zeitraum gibt die Entwicklung von 2006 bis 2015 wieder.
106 Ein gutes und kommerziell sehr erfolgreiches Beispiel für nicht authentische Klaviertranskriptionen auf dem deutschen Markt, aber auch international, sind die Produkte von HansGünter Heumann, die vorwiegend bei Bosworth und im Schott Verlag veröffentlicht wurden. In den Heumann-Veröffentlichungen werden zumeist erfolgreiche Songs der Popmusik für Klavier transkribiert, unabhängig davon, ob diese für Klavier geeignet sind. So werden beispielsweise Originale, deren Arrangements auf Gitarrenbegleitung basieren, inklusive der obligatorischen Melodie in der rechten Hand auf Klavier übertragen. Das Ergebnis ist ein nicht authentisches Pop-Arrangement. 107 Quelle Statista/Internetnutzung von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/168069/umfrage/taegliche-internetnutzung-durch -jugendliche/Zugriff: 10.3.2016.
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Abb. 27: Entwicklung der Internetnutzung unter Jugendlichen Die Jim-Studie aus dem Jahre 2015 weist innerhalb der Geräte-Ausstattung in privaten Haushalten eine ebenfalls hohe Nutzung des Internetzugangs durch die im Haushalt lebenden Jugendlichen aus (s. Abb. „Gerätebesitz Jugendlicher 2015“). 108 Die große Verbreitung von Handys unter Jugendlichen lässt neben dem stationären Zugang ebenfalls auf eine hohe Nutzung des mobilen Internetzugangs schließen.109
108 Quelle: Jim Studie 2015, Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest. 109 „Betrachtet man den Gerätebesitz der Jugendlichen selbst, so sind Mobiltelefone abermals die am weitesten verbreiteten Geräte. Praktisch jeder Zwölf- bis 19-Jährige besitzt ein eigenes Handy (98 %), bei 92 Prozent handelt es sich um ein Smartphone. Neun von zehn Jugendlichen können vom eigenen Zimmer aus mit einem Tablet, Laptop oder Computer ins Internet gehen.“ (Jim-Studie 2015, S. 7).
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Abb. 28: Gerätebesitz Jugendlicher 2015 Bei der Nutzung der Geräte110 aus der Perspektive der subjektiven Wichtigkeit steht hinter der Nutzung des Internets allgemein das Hören von Musik an zweiter Stelle. Zwischen den beiden befragten Gruppen Haupt-/Realschüler und Gymnasiasten ist kein signifikanter Unterschied feststellbar (s. Abb. „Wichtigkeit der Medien 2015“). Bei diesem Befragungspunkt ist die Art des gewählten Zugangs wie Nutzung des Internets, der Zugriff auf YouTube oder der Einsatz von Handys, des Smartphones oder Fernsehers von untergeordneter Relevanz. Die Wichtigkeit einiger Medien verändert sich hier feststellbar mit zunehmendem Alter.111 Die Bedeutung des Musikhörens aus der Perspektive der subjektiven Wichtigkeit spiegelt einen hohen Grad an informellem Lernen im Bereich Musik wider. Obwohl in der Studie nicht gemessen, kann davon ausgegangen werden, dass sich das Hören von Musik überwiegend auf popmusikalische Inhalte bezieht.
110 Zum Umgang Jugendlicher mit Medien unter Miteinbeziehung historischer Entwicklungen sei hier verwiesen auf Bernhard/Auhagen: Freizeitaktivitäten von Jugendlichen im digitalen Zeitalter, 2015. 111 „Die subjektive Wichtigkeit nimmt bei vier Medienkategorien mit steigendem Alter der Jugendlichen zu. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Tageszeitung (12-13 Jahre: 20 %, 1819 Jahre: 41 %), zudem auch bei Internet (12-13 Jahre: 84 %, 18-19 Jahre: 94 %), Musik (12-13 Jahre: 78 %, 18-19 Jahre: 92 %) und Handy (12-13 Jahre: 79 %, 18-19 Jahre: 89 %). Bei den übrigen vier Medienkategorien lässt sich kein Zusammenhang zwischen Alter und subjektiver Wichtigkeit feststellen.“ (Jim-Studie 2015, S. 15).
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Abb. 29: Wichtigkeit der Medien 2015 Die Auseinandersetzung Jugendlicher mit Musik findet jedoch nicht ausschließlich auf der Hörebene statt. So geht es vielfach um die Beschaffung von Informationen zu Musik oder Musikstars. Hier werden über die Suchmaschine Google hinaus weitere Informationsquellen wie soziale Netzwerke oder für Musik geeignete Quellen wie YouTube genutzt.112 Die Jim-Studie 2015 verweist in diesem Punkt auf diverse auf Musik spezifizierte Vorgehensweisen, um zu benötigten Informationen wie z. B. zu Stars, regionalen Musikevents etc. zu gelangen.113 In der Jim-Studie 2015 wird dem Thema YouTube im Vergleich zu den Vorjahren erstmalig ein eigener Abschnitt gewidmet. Ging es in den vorigen Studien um
112 Nach Auswertungen des Marktforschungsunternehmen comScore im Jahre 2011 steht YouTube bei den Suchmaschinen an zweiter Stelle (vgl. Gerloff, S. 22). Es kann davon ausgegangen werden, dass die über YouTube eingestellten Suchanfragen vorwiegend von Jugendlichen kommen. 113 „War das Internet für die Befragten bevorzugte Informationsquelle, so wurde themenspezifisch nach den konkreten Internetseiten gefragt. Es zeigt sich, dass die omnipräsente Suchmaschine Google hier nicht bei allen Themen ein Quasi-Monopol innehat. Alleinstellung hat die Google-Suche für persönliche relevante Problemstellungen sowie das Thema Smartphone. Geht es um Stars, sind neben Google auch soziale Netzwerke wie Facebook informationsrelevant, die zudem insbesondere als Informationsquelle für regionale Veranstaltungen und Konzerte genutzt werden. […] Wenn es um Musik geht, haben die Jugendlichen eine spezifische Anlaufstelle: YouTube scheint hier die Informationsinteressen am besten zu erfüllen; jeder Zweite, der sich zu Musik online informiert, tut dies über YouTube.“ (JimStudie 2015, S. 19.)
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Geräte im Haushalt und deren Nutzung durch Jugendliche, so wird in der Studie 2015 die besondere Bedeutung des YouTube-Kanals untersucht. An erster Stelle stehen hier in der Nutzungs-Rangfolge Musikvideos, gefolgt von lustigen Clips und Tutorials an dritter Stelle. 43 Prozent der Befragten geben an, dass sie innerhalb eines Zeitintervalls von 14 Tagen auf Tutorials zurückgreifen. Ob diese musikspezifischer Natur sind, wird in der Studie nicht festgestellt. Mädchen nutzen YouTube zu den hier relevanten Unterpunkten wie Musikvideos und Tutorials gleichermaßen (s. Abb. „YouTube: Nutzung 2015“).114
Abb. 30: YouTube: Nutzung 2015 Sowohl aus den Texten der Befragten als auch aus der Jim-Studie 2015 kann die zunehmende Bedeutung des YouTube-Kanals für die Musiknutzung und Informationsbeschaffung über Musik entnommen werden.115 Dem YouTube-Kanal kommt hin-
114 „Wie die gestützte Abfrage unterschiedlicher Videogenres zeigt, steht bei den Nutzern von YouTube inhaltlich das Thema Musik an erster Stelle – 78 Prozent nutzen mindestens einmal in 14 Tagen Musikvideos. Auf dem zweiten Rang folgen lustige Clips (66 %), Platz drei belegen Tutorials (43 %) – […] Betrachtet man die Geschlechter, so spiegelt sich über viele Genres die bereits beschriebene Dominanz der männlichen Nutzer wider. Mädchen und junge Frauen liegen nur bei Musikvideos, Tutorials, Fernsehinhalten und Produkttests gleichauf.“ (Jim-Studie 2015, S. 36.) 115 Ältere Publikation zur Nutzung „Neuer Medien“ (vgl. Pabst-Krueger, 2006) verweisen vornehmlich noch auf die Nutzung physischer Datenträger wie CD-ROMs oder DVDs hinsichtlich der Möglichkeiten für die Arbeit im Musikunterricht, da die Entwicklung von YouTube seit dem Erscheinen im Jahre 2005 noch nicht berücksichtigt werden konnte. Gerhardt befasst sich in seiner Publikation „Internet und Musikunterricht“ (2004) noch mit den grundsätzlichen Möglichkeiten der Internetnutzung, auch vor dem Hintergrund einer allgemeinen Legitimation des noch neuen Mediums für den Musikunterricht.
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sichtlich des Erwerbs musikalischer Kompetenzen bei Jugendlichen eine zentrale Rolle zu. Da dieser Informationszugang von den Jugendlichen selbst gewählt ist, kann gefolgert werden, dass das Format des Angebots den jeweiligen auf Musik ausgerichteten Interessen Jugendlicher entgegenkommt und den Kompetenzerwerb begünstigt. Hierzu können folgende Faktoren für die Wahl YouTubes als ausschlaggebend angenommen werden bzw. aus den Texten interpretiert werden: • Individualität – Ein grundlegender Vorteil des YouTube-Angebots besteht in der
• • •
•
•
Vielfalt der eingestellten Videos, was ein offensichtlicher Vorteil für die selbstgesteuerte individuelle musikalische Sozialisation ist (s. auch die beiden folgenden Unterpunkte). Wahl des Lerntempos – Durch die nach Bedarf selbstgesteuerte Häufigkeit der Anwahl eines Angebots kann das Lerntempo eigenständig bestimmt werden. Wahl des Schwierigkeitsgrades – Die Vielfalt des Angebots bietet Optionen zur Auswahl eines auf die eigenen Bedürfnisse angepassten Schwierigkeitsgrades. Zeitgemäßheit – Die Internet-YouTube-Angebote entsprechen einem in Bezug auf Popmusikentwicklungen notwendigen Prinzip der zeitgemäßen Anpassung der Inhalte durch ständige und aktualitätsbezogene Erweiterung. Authentizität – Gegenüber den weiter oben beschriebenen häufig nicht am Original ausgerichteten Musikalien befassen sich YouTube-Videos zumeist mit originalen Spielweisen. Mobilität und Erweiterung des Lernprozesses – Die Angebote können nach Belieben abgerufen werden. Dadurch eröffnen sich verschiedenen Lernperspektiven, z. B. durch Betrachten eines Videos während einer Busfahrt. So werden neben dem Instrument spielen oder Singen weitere Fähigkeiten der Repräsentation von Musik entwickelt.116 Der Perspektivenwechsel eröffnet Möglichkeiten der Erweiterung der musikalischen Vorstellung auf figuralen und formalen Ebenen. 117
c) Fallvergleichende Analyse Die weiter oben behandelten Subcodes zur Kategorie Aneignungsstrategien mit Heraushören, Trial-and-Error, Rat suchen, Internetrecherche allgemein, InternetTutorials, Noten lesen, Musik hören sind zum einen ein Ergebnis aus den Vorüberlegungen zum Entwurf des Interviewleitfadens und wurden zum anderen auch aus den Texten der Befragten generiert. Die verschiedenen Strategien kommen bei allen Befragten zum Einsatz (s. Abb. „Aneignungsstrategien Verteilung“), jedoch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, da die individuell gewählten Schritte und Vorgehensweisen mit anderen Fragestellungen korrelieren. Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
116 Vgl. Gembris (20093), S. 243ff. 117 Vgl. Gruhn (2005), S. 65f.
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Abb. 31: Aneignungsstrategien Verteilung – Bearbeiteter Screenshot f4 Welche Strategien gewählt werden, hängt unter anderem von folgenden Faktoren ab: • • • •
Auswahl des Stückes (z. B. Stil) Intention Vorkenntnisse Spontaneität des Vorgehens
Wie aus den Texten und der Abb. „Aneignungsstrategien Verteilung“ hervorgeht, steht das Heraushören an erster Stelle bei der Erarbeitung von Musiktiteln. Unterrepräsentiert sind die Kategorien „Noten lesen“ und „Rat holen“. Die Fähigkeit des Notenlesens steht im engen Kontext zur Ausbildung, z. B. durch den längeren Besuch einer Musikschule oder privaten Unterricht. Aus dem Besuch von Musikschule und der Wahrnehmung von Privatunterricht können auch Rückschlüsse auf schichtenspezifische Entscheidungen der Eltern gezogen werden (vgl. dazu Absatz 0). Musik hören, Heraushören von Musik und die Nutzung von YouTube-Tutorials stellen die wichtigsten Vorgehensweisen dar. In der Wahl der Strategie ist keine einheitliche äußere Systematik erkennbar, da die Vorgehensweisen spontan und an der Zielsetzung ausgerichtet gewählt werden. Erst wenn eine Methode nicht zum gewünschten Erfolg führt, wird die Strategie geändert. Auffällig hierbei ist, dass die Befragten zunächst versuchen, selbstständig zu einer Lösung zu gelangen. In diesem Kontext kann die Kategorie „Rat suchen“ als letzte Möglichkeit eingestuft werden, die erst zum Tragen kommt, wenn alle anderen Versuche nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Die Befragten folgen demnach einer eigenen Systematik, basierend auf den Erfahrungen, auf die sie innerhalb ihrer zum Teil selbst gestalteten Lernbiografie zurückgreifen können. Insofern kann grundlegend nicht von einem unsystematischen Vorgehen gesprochen werden, sondern vielmehr von einer jeweils eigenen Systematik. Wie bereits weiter oben erwähnt, steht die Nutzung von YouTube-Tutorials auch im Kontext der mangelnden Fähigkeit Noten zu lesen, was wiederum bei dem Befragten Em auf den kaum vorhandenen Musikunterricht und somit auf ein Defizit im Bereich formalen Lernens zurückzuführen ist. Die Vorgehensweisen der Befragten stellen sich insgesamt als offenes System dar, das vermeintlich chaotisch ist, zumin-
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dest aber spontane Elemente miteinbezieht und auch lustbetont gesteuert wird. 118 Mitunter empfinden die Befragten ihre Lernsystematik nicht als solche, wie im Beispiel von Df. Bei der Befragten ist das Musizieren ein fester Bestandteil der familiären Tradition und stellt somit eine Selbstverständlichkeit dar, wird jedoch nicht als Lernprozess empfunden. Lernerfolge und intensive Lernprozesse gehen hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung nicht zwangsläufig einher. So wird beispielsweise das gemeinsame Üben in der Band von keinem der Befragten als Raum für die Aneignung von Musik genannt, obwohl es sich objektiv um eine intensive Lernerfahrung handelt, wie aus teilnehmender Beobachtung geschlossen werden konnte. 119 Der sich nach außen nicht systematisch darstellende Lernprozess folgt einer individuellen Systematik und ist genretypisch als Element einer Oral Tradition in popmusikalischen Kontexten. Es wird das gelernt, was gelernt werden will. Die Zielsetzung ist selbstbestimmt und findet auf der Basis informeller Lernstrategien statt. Das Ergebnis der Gespräche ergibt eine Vorgehensweise, die als Strategienmix bezeichnet werden kann. Welche Vorgehensweise zum Einsatz kommt, ist abhängig vom Vorwissen, dem ausgewählten Songmaterial oder auch von spontanen Entscheidungen, die entweder der momentanen Stimmung entsprechen oder sich nach den äußeren Bedingungen richten (z. B. Hören von Musik bei Busfahrten). Innerhalb der sich anbietenden Möglichkeiten werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. d) Sequenzierung Obwohl die gewählten Strategien hinsichtlich der ersten oder folgenden Wahl voneinander abweichen, ist die Sequenzialität der Folgeantworten deutlich zu erkennen. Die gewählten Strategien sind variabel und werden den jeweiligen Erfordernissen angepasst. Ausschlaggebend für die Vorgehensweise sind Faktoren wie die Auswahl des Musikstückes, dessen Stil und die selbstdefinierte Bestimmung des zu Erlernenden, welche die weitere Vorgehensweise beeinflussen (s. Abb. „Sequenzierung Aneignungsstrategien“). Zu letzterem Punkt spielt beispielsweise die Frage eine wichtige Rolle, ob ein Instrumentalpart als Ganzes oder in Ausschnitten erarbeitet werden soll. Die Vorerfahrungen der Befragten spielen zwar eine Rolle, beeinflussen jedoch eher die Vielfalt der folgenden Optionen, nicht jedoch die sich eher an Stilen orientierende Schwerpunktsetzung des Vorgehens. So besteht insbesondere bei den Befragten Am und Fm die Möglichkeiten auf Notentexte zurückzugreifen. Die Befragten nutzen jedoch unabhängig von ihrem Vorwissen vorwiegend zunächst die Optionen des Heraushörens, des Ausprobierens „Trial-and-Error“ durch Abgleichen
118 Es lassen sich Parallelen zu den Forschungsergebnissen Lucy Greens erkennen. „Whereas the concept of ‘discipline’ is associated with something unpleasant, enjoyment was, as has already been made apparent, a major aspect of all the musicians’ learning practices, so much so that it is impossible to do full justice to its centrality and all-pervasiveness in a dedicated section without repeating a good deal of data considered elsewhere.“ (Green, 2002, S. 104.) 119 Vgl. dazu Lucy Green. „Many of the musicians in this study were initially somewhat lost for words when I attempted to draw from them a description of how they went about learning to play their instrument. My impression was that although they all did it by copying recordings, many of them had not considered this practice to be a part of learning, viewing it rather as something private, unfocused or unworthy of discussion.“ (Green, 2012, S. 61.)
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mit Bekanntem und den Einsatz von YouTube-Tutorials, die auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Hieraus kann gefolgert werden, dass der Versuch einer eigenständigen Lösung im Vordergrund steht. Erst das teilweise oder womöglich gänzliche Scheitern führt zu Folgeschritten wie „Rat holen“ oder „Noten lesen“. Beim letzten Schritt spielt insbesondere die Problematik der Authentizität des Notentextes und möglicherweise die Frage eventuell anstehender Kosten eine weitere Rolle. So beinhaltet der eigenständige Umgang mit den zur Verfügung stehenden Medien den beiläufigen Aspekt des kostenlosen Zugangs. Insbesondere der Zugriff auf Chordsheets aus dem Internet stellt die Befragten vor weitere Aufgaben des kritischen Abgleichs, da nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden kann, dass die zumeist von Privatpersonen angebotenen Skripte fehlerfrei sind. Die Befragten sind sich dieses Umstands bewusst und begeben sich somit in einen weiteren diskursiven Lernprozess, der durch Trial-and-Error und Diskussionen in der Schulband begleitet ist (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur teilnehmenden Beobachtung unter 4.2.10).
Abb. 32: Sequenzierung Aneignungsstrategien
Exkurs YouTube-Angebote Musik-Tutorials Im Folgenden soll innerhalb eines überschaubaren Rahmens umrissen werden, welche YouTube-Angebote für die in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragestellungen von Relevanz sind. Es geht daher nicht darum, eine vollständige und systematische Aufstellung aller infrage kommenden Angebote zu erstellen, sondern die Ergebnisse auf Basis ausgewählter Suchbegriffe darzustellen und zu erörtern. Eine Rückkopplung mit den Befragten hat zu diesem Punkt nicht stattgefunden. Auch ist in den Gesprächen meistens allgemein die Rede von YouTube-Tutorials, ohne dass auf spezielle Suchbegriffe oder damit verbundene Strategien eingegangen wird. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die Befragten so lange suchen, bis sie zu einem Ergebnis gelangen, welches sowohl vom Inhalt als auch von der Aufmachung bzw. Vorgehensweise her zu ihnen passt. So spielt sicher neben den vermittelten Inhalten sowohl die Art und Weise der Vermittlung als auch die Person des Vortragenden eine entscheidende Rolle bei der Auswahl des Angebotes.
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Bei dem hier vorgenommenen Versuch der Rekonstruktion des Suchverhaltens wurde zunächst von allgemeinen Begriffen wie „Musik“, „Musik Tutorial“ ausgegangen, um die Suche anschließend durch spezifische Suchbegriffe wie „Gitarre Tutorial“ etc. schrittweise einzugrenzen. Bei der Eingabe von Suchbegriffen in das Suchfenster von YouTube lassen die vorgeschlagenen Suchbegriffe120 Rückschlüsse auf die Anfragen hinsichtlich der Häufigkeit zu. Hierbei ist die Vorschlagsliste je nach benutztem Browser unterschiedlich. So gibt Firefox beispielsweise an, dass diese basiert auf der Rückfrage bei verschiedenen Suchmaschinen wie Google und Yahoo.121 Bei der Eingabe des unspezifischen Suchbegriffs „Musik“ erscheinen vorwiegend solche Begriffe, die die Suche nach aktueller Popmusik oder solcher Musik erkennen lassen, die in gewünschten Kontexten und Funktionen eingesetzt werden soll („zum zocken“, „zum chillen“, „zum lernen“) (s. Abb. 32 „YouTube-Suchbegriff Musik“).
Abb. 33: YouTube-Suchbegriff Musik122 Offen bleibt, inwieweit spekulative Rückschlüsse aus der Suchbegriff-Praxis gezogen werden können. So bleibt beispielsweise offen, ob aus dem Vorschlag „musik zum lernen“ möglicherweise ein Trend ablesbar wäre oder nicht. Die Eingabe des Suchbegriffs „Musik Tutorial“ ergibt eine Vorschlagsliste, die an den ersten Positionen vorwiegend auf technische Aspekte von Musikproduktion hindeuten (s. Abb. 33 „YouTube-Suchbegriff Musik Tutorial“).
120 Die Suchbegriffe werden automatisch generiert und basieren auf der Häufigkeit der Anfragen, die wiederum von den Google-Algorithmen gefiltert werden. Insofern lassen die vorgeschlagenen Begriffe Rückschlüsse auf das Suchverhalten der Userinnen und User zu. 121 Vgl. Angabe in Firefox. „Suchvorschläge helfen Ihnen, Wörter oder Ausdrücke zu finden, nach denen bereits viele andere Nutzer gesucht haben. Diese Vorschläge werden nicht von Firefox, sondern von den Suchmaschinen (Google, Yahoo usw.) zur Verfügung gestellt. Firefox fragt bei den Suchmaschinen die Suchvorschläge zum von Ihnen eingegebenen Text ab. Die angezeigte Trefferliste hilft Ihnen bei der Auswahl der Suchanfrage.“ Quelle: https://support.mozilla.org/de/kb/suchvorschlaege-in-der-suchleiste-verwenden, Zugriff am 14.4.2016. 122 Ergebnis nach Internet-Recherche am 13.4.2016.
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Abb. 34: YouTube-Suchbegriff Musik Tutorial123 Die tatsächlichen Suchergebnisse weisen verschiedene Qualitätsstufen auf und sind nicht zwangsläufig nach der Anzahl der Aufrufe geordnet. So führt die Suche mit dem Suchbegriff „Musik Tutorials“ zu einem Suchergebnis, in welchem sowohl Privatanbieter mit teils laienhaften Vorstellungen als auch Firmen aufgelistet werden, die sachlich strukturierte Videos zur Arbeit mit ihren Programmen (z. B. Native Instruments, Ableton, Cubase, Logic, Magix etc.) anbieten (s. Abb. „Suchergebnis Musik Tutorial“).
Abb. 35: Suchergebnis Musik Tutorial124 Die teils hohen Aufrufzahlen lassen darauf schließen, dass einige, insbesondere private Anbieter, auf eine Fangemeinde zurückgreifen können, die in keinem Kontext zum sachlichen Inhalt des Angebots stehen, sondern beispielsweise auf einer spaßigen Präsentation basieren.
123 Ergebnis nach Internet-Recherche am 13.4.2016. 124 Ergebnis nach Internet-Recherche am 13.4.2016.
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Um zu solchen Tutorials zu gelangen, die sich ernsthaft auf das Spielen eines Instruments, eines bestimmten Stils oder eines bestimmten Songs beziehen, müssen die Suchanfragen entsprechend spezifiziert werden, was durch Eingabe eines Instruments und eines Songtitels bereits schnell zu zielgerichteten Ergebnissen mit seriösen Inhalten führt. Auffällig hierbei ist, dass eine Fülle aufwändig produzierter Videos angeboten wird, die auf methodisch ansprechenden und angemessenen Vorgehensweisen basieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass hier sowohl ausreichend Erfahrungen aus Face-to-Face-Unterrichtssituationen vorliegen als auch die Bedürfnisse der Internet-User miteingebunden werden. Als Beispiel kann hier der Anbieter „Gitarren-Tunes“125 genannt werden. Das Tutorial zum Song „Photograph“ von Ed Sheeran hat eine Länge von insgesamt 16:30 Minuten. Neben dem Anspielen des Songs, der neben dem Gitarrenspiel auch gesanglich vervollständigt wird, werden nacheinander die einzelnen Spieltechniken in langsameren Tempi vorgestellt. Die jeweiligen Phasen der Erarbeitung werden durch Veränderung der Kameraperspektive von der Halbtotalen auf Naheinstellungen (Close-up) unterstützt. Hierzu werden grafische Elemente eingeblendet, die das Gespielte in der jeweils notwendigen Form nochmals darstellen. Im ersten Schritt werden die Akkorde des Titels vorgestellt, unterstützt durch die entsprechende Griffsymbolik (s. Abb. 35 „Tutorial Griffsymbolik“).
Abb. 36: Tutorial Griffsymbolik Das Tempo der Akkordpräsentation ist angemessen, wäre für Anfänger jedoch zu hoch, was dem Lerntempo durch Stoppen und Wiederholen von Abschnitten jedoch angepasst werden kann. Im zweiten Schritt folgt die Vorstellung der Powerchords, die ebenfalls durch das Einblenden einer entsprechenden Grafik veranschaulicht wird (s. Abb. 36 „Tutorial Powerchords“).
Abb. 37: Tutorial Powerchords Die weiteren Schritte brauchen im Einzelnen nicht erörtert zu werden. Die unterstützenden Grafiken entsprechen den jeweils vorgestellten Themen wie Rhythmusspiel (Strumming) und Picking (s. Abb. 37 „Tutorial Tabulatur“).
125 Suchergebnis nach Eingabe der Suchbegriffe „Gitarre/Tutorial/Photograph“. https://www.YouTube.com/watch?v=6Mv1Z_471n0. Zugriff: 14.4.2016.
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Abb. 38: Tutorial Tabulatur Die einzelnen Spieltechniken werden ausreichend erklärt. Kleine Verspieler des Vortragenden werden nicht herausgeschnitten und durch den Gitarristen selbst kommentiert. Hierdurch schafft der Vortragende Nähe zum Lernenden, der wahrscheinlich selbst noch nicht sicher im Spiel des Stückes ist. Die entspannte Atmosphäre des Videos erweckt den Eindruck einer Face-to-Face-Live-Situation. Sowohl die Art der Umsetzung als auch die technische Aufbereitung des Videos erscheinen für das Erlernen des Stückes angemessen und unterstützen den Lernenden in seinem Selbstlernprozess. Die Tutorials, die zumeist aktuelle Popsongs thematisieren und aufbereiten, befinden sich rechtlich in einer Grauzone. In diesem Kontext sei auf den jahrelangen Rechtsstreit zwischen der GEMA und YouTube verwiesen. Zwar werden (im oben beschriebenen Beispiel) in den Tutorials keine vollständigen Coverversionen urheberrechtlich geschützter Titel präsentiert, jedoch findet dies zumindest in Teilen statt.126 Nach derzeit vertretener Auffassung der GEMA steht YouTube in der Lizenzpflicht, wenn urheberrechtlich geschützte Musik auf der Plattform dargeboten wird.127
126 Im Editorial der GEMA-Zeitschrift Virtuos, Ausgabe 01-2016, verweist GEMAVorsitzender Harald Heker auf die Problematik der jüngsten Gerichtsurteile zu YouTube. „Das Oberlandesgericht München sieht bei Videos mit Musik nicht YouTube in der Lizenzpflicht, sondern den einzelnen Uploader. Diese Einschätzung halten wir für falsch, zumal YouTube durch die Bereitstellung der Clips ganz erhebliche wirtschaftliche Gewinne erzielt.“ 127 In einer Mitteilung auf der Webseite der GEMA vom 1.11.16 gibt die GEMA eine Einigung mit YouTube über die hier angesprochenen Vergütungen bekannt. Inwieweit dies z. B. auch Inhalte wie Tutorials betrifft, wurde an dieser Stelle nicht geklärt. https://www. gema.de/aktuelles/gema_unterzeichnet_vertrag_mit_YouTube_meilenstein_fuer_eine_ faire_verguetung_der_musikurheber_im_d/Zugriff: 6.9.17.
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Emotionaler Bezug Leitfaden Welche Musik hörst du im Moment am liebsten? Kannst du sagen, was dir daran am besten gefällt? Stichpunkte Erfragen von Einzelkriterien/Parametern Instrumente Stimme Sounds Stil Die aufgeführten Stichpunkte verweisen auf musikbezogene Sachparameter. Die Befragten gingen während der Interviews jedoch wiederholt von sich aus auf ihre Gefühle im Zusammenhang mit Musik ein, sodass die oben konstruierte Leitfadenfrage unter zwei Aspekten betrachtet werden kann, dem emotionalen Bezug und der explizit sachbezogenen Ebene hinsichtlich genannter Musikpräferenzen. Da die Bevorzugung bestimmter musikalischer Kriterien (Sachaspekte, z. B. Stile) während der Interviews meist im Zusammenhang mit gefühlsbezogenen Ebenen genannt wurden, erscheint eine grundlegende Trennung von Gefühls- und Sachebenen in der Darstellung schwierig, da der Übergang fließend ist.128/129 Dennoch soll im Folgenden eine getrennte Analyse unternommen werden. So wurden während der Analyse zur identischen Leitfragenfrage (s. oben) entsprechend differenzierende Codes mit „Emotionaler Bezug“ und „Musikpräferenzen“ generiert. Von besonderer Relevanz erscheint die weiter unten dargestellte Sequenzialität codebezogener Aussagen. Fragestellungen, die sich auf Musikpräferenzen der Befragten beziehen, sind zumeist aus dem Kontext des Gesprächsfortschritts entstanden oder von den Befragten selbst erwähnt worden, ohne dass gezielt danach gefragt worden ist. Eine direkte Ansprache auf mit Musik verbundene Gefühle hat aufgrund der damit einhergehenden Problematik nicht stattgefunden.130 Der hier gewählte Absatz-Begriff „Emotionaler Bezug“ betrifft einerseits allgemeine und nicht weiter spezifizierte Gefühlsebenen, aus denen positive Beziehungen zu Musik geschlossen werden können, zum anderen
128 Vgl. Rolle, Christian, in: Krause/Oberhaus (Hg.), 2012, S. 273f. 129 Gabrielsson verweist ebenfalls auf den eindeutigen Zusammenhang zwischen kognitiven und emotionalen musikbezogenen Ebenen als Ergebnis einer Längsschnittstudie, die zwischen Ende der 1980er-Jahre bis Anfang der 2000er-Jahre durchgeführt wurde. In der Studie wurden insgesamt 965 Teilnehmer aller Altersgruppen zu besonders intensiven Erfahrungen mit Musik befragt. „The boundary between cognition and emotion is fluid. It is obvious that some of the reactions that are more mentioned under cognition also concern feelings, for example when one is moved, touched, struck, or overwhelmed by the music. Associations, memories, and inner images can also be connected with different feelings.“ (Gabrielsson, 2011, S. 385.) 130 Vgl. hierzu Oberhaus, Lars: Zur Un-Unterrichtbarkeit musikbezogener Gefühle im Musikunterricht, in: Krause/Oberhaus (Hg.), 2012, S. 313ff.
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ist die Zuwendung zu bestimmten Musiken auch mit kognitiven-analytischen Kompetenzen verbunden, da die positiv-gefühlsbetont motivierte Auseinandersetzung mit Musik mit der vertiefenden Analyse von Musik einhergeht (bewusst oder unbewusst), zumal die Befragten die von ihnen gewählte Musik zumeist erlernen wollen. Der Begriff „Emotionaler Bezug“ ist hier gezielt allgemein und unspezifisch gewählt ohne weitere Differenzierung. Die Breite der Diskussion sowohl hinsichtlich der differenzierenden Begriffsfindung als auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen emotionaler Wahrnehmung und rationaler Herangehensweise ist dem Verfasser bekannt, soll hier jedoch nicht grundlegend erörtert werden. 131 Entscheidend für die Codierung im hiesigen Kontext ist die Nennung gefühlsbezogener Aspekte durch die Befragten oder begründete Interpretation von Aussagen als sich auf Gefühle beziehende. a) Sachanalyse Die Texte der Befragten lassen die Feststellung zu, dass die genannten Musikpräferenzen in Kontexten geäußert werden, die sowohl emotional motivierte Zusammenhänge als auch Sachbezüge erkennen lassen. Dies findet auf unterschiedlichen Ebenen statt, von allgemeinen pauschalen Betonungen der Gefühlsaspekte bis hin zu differenzierten Aussagen, die auch Sachparameter miteinbeziehen können. Hieraus lassen sich Grundlagen für Typenbildungen ableiten, die weiter unten abgebildet werden. Neben den beiden Kategorien „allgemein“ und „konkret“ ist eine weitere unspezifische Kategorie erfasst unter dem Begriff „Indirekt“ (vgl. Abb. „Erkennbare emotionale Bezüge“). Hier sind emotionale Bezüge zwar erkennbar, jedoch nicht klar zuzuordnen. Dies ist z. B. in solchen Aussagen der Fall, in denen Musik abgelehnt wird, womit im Umkehrschluss die Bevorzugung anderer, nicht genannter oder an anderer Stelle genannter Musik gefolgert werden kann. Darüber hinaus werden hier Äußerungen zugeordnet, die keine klare Interpretation zulassen, deren Kontext zu emotionalen Ebenen jedoch erkennbar ist. In den Texten der Befragten ist auch ein zu erwartendes Antwortverhalten erkennbar, welches die Problematik des offenen Umgangs mit einem als persönlich zu bezeichnenden Bereich deutlich werden lässt. Entsprechend werden vielschichtige Antwortmuster deutlich (von verhalten bis offen), was möglicherweise auf Aspekte sowohl persönlicher Verhaltensmuster als auch auf die situativ bedingte empfundene Gesprächsatmosphäre zurückgeführt werden kann. Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
131 „In erster Annäherung lässt sich aber recht gut unterscheiden zwischen a) Emotionen im engeren Sinne von Gefühlsregungen oder Gemütsbewegungen, die sich auf etwas in der Welt (ein intentionales Objekt) beziehen b) Stimmungen (engl. moods), mit denen in der Regel länger anhaltende Gefühlszustände bezeichnet werden, die ohne intentionales Objekt auskommen, und c) Empfindungen (engl. feelings), die keine neue Gruppe bilden, sondern gewissermaßen die Qualität oder Erlebnisseite von Gefühlen ausmachen: wie es sich anfühlt, dieses oder jenes Gefühl zu haben. […]“ (Rolle, Christian, in Krause/Oberhaus (Hg.), 2012, S. 275.
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Abb. 39: Erkennbare emotionale Bezüge – Bearbeiteter Screenshot f4 Ein mögliches Antwortmuster der Befragten ist durch eine zwar präzisierte Auswahl der zu erlernenden Parameter in Verbindung mit klaren Vorstellungen (Erlernen von Rhythmus, Melodie, Akkorden) gekennzeichnet, jedoch bleibt die hierfür geäußerte Begründung der Musikauswahl pauschal und indifferent. Die Aussagen von Am verweisen z. B. auf die gezielte Auswahl einer „schönen Passage“. Es fehlen jedoch Hinweise auf die Bevorzugung von Stilen oder Bands. nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, 'ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach, und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich damit auch zu meinem Musiklehrer und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da Am, Absatz 19
Die indifferente Auswahl wird unterstützt durch Formulierungen wie „ … dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche …“. Begründungen bleiben allgemein und werden nicht weiter spezifiziert. So, das gibt’s jetzt nicht so, genau, das find ich an der Musik so toll, (unverständlich) ich find das Lied gut, und deswegen hör ich’s dann Am, Absatz 45
Und vielleicht hängt’s mir irgendwann zum Hals raus, und denn hör ich’s nicht mehr Am, Absatz 47
Die Musikauswahl ist eher lustbetont und wirkt spontan. Stilistische Schwerpunkte lassen sich nicht rekonstruieren. Lediglich ein kurzer Hinweis auf Musik mit verzerrten Gitarren gibt Aufschluss über mögliche Musikpräferenzen. Diese Aussage wird jedoch unmittelbar danach wieder relativiert.
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Genau, also ich hör auch verzerrte Gitarren, aber das ist jetzt nicht so, dass ich das nur höre, sondern wenn mir das Lied gefallt, gefällt, hör ich’s, und wenn’s nicht gefällt, dann halt nicht. Am, Absatz 51
Also (...) weiß es nicht, es macht mir halt einfach richtig Spaß Df, Absatz 73
Einige Befragte verweisen hinsichtlich ihrer emotionalen Beziehung zu Musik dagegen auf Stile oder einzelne Künstler, die sie aktuell bevorzugen. Gelegentlich werden auch konkrete Titel genannt, auch solche, die bereits in der Vergangenheit liegen, den Befragten jedoch stark angesprochen haben. Also ich lerne jetzt eigenständig, wenn ich jetzt z. B. ein Lied lernen will (.) oder auch übe, obwohl üben (..) tu ich nicht so viel, aber ich versuch es, ich versuch zu üben (.) und (..) ähm (..) ja und dann kommt manchmal so, dass ich eben so Lieder höre und die ich denn gerne mag, die Richtung, also Richtung Pop mag ich ganz gerne, da kann ich auch schon ganz schön viele Lieder spielen, einfach so manchmal auch, obwohl ich die ganzen Akkorde noch gar nicht kann, manchmal, äh, manchmal improvisier ich denn mit meinen Akkorden, die ich kenne Cm, Absatz 15
Ja, ich würde fast sagen, wenn mir 'n Song übern Weg läuft, aber manchmal ist es auch so, dass mir eher so Popsongs interessieren, mehr als Rocksongs, so wie zum Beispiel von AC/DC, Thunderstruck oder was auch immer, das zieh ich nicht so in Betracht wie jetzt zum Beispiel Waves von Mr. Probz, das mag ich ganz gerne. Cm, Absatz 33
Weil man da so'n schönen Ohrwurm drinne auch immer hat, also anhand des Ohrwurms kann ich mir das bestimmt so gut merken. Cm, Absatz 35
Nein, aber das, das ist nicht mehr, das ist echt so, also ich hab bei einem bestimmten Lied von, von Daniel Powter, das ist Bad Day, das ist nämlich auch eine Titelmusik in einem Film und den, der war ganz lustig zu meiner, als ich so sieben oder acht war, mein ich noch, und da fand ich das so witzig, und da fand ich dieses Lied so schön, also kann ich jetzt nur noch so von früher sagen, weil Cm, Absatz 53
Die Beschreibung des eigenen emotionalen Bezugs zu Musik lässt gelegentliche Momente einer für Interviewsituationen nicht als selbstverständlich zu erwartenden Offenheit zu. So beschreiben einige der Befragten ihre starke Zuneigung gegenüber bestimmter Musik und sprechen von Musik, die sie berührt. Also bei so Liedern, die mich so, sag ich mal, innerlich berühren wie jetzt Waves oder auch von, von, ähm (...) Mensch, wie heißt es jetzt (...) ähm (...) na jedenfalls von Liedern, die mich berühren, die sing ich gerne dann, weil ich so (..) denn so versuchen will wirklich die
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so richtig zu können, damit ich den, da hab ich denn manchmal den Ehrgeiz, manchmal hab ich den nicht, ja Cm, Absatz 67
Im folgenden Text beschreibt der Befragte sein Verhältnis zum Jazz als Liebe. Er analysiert seinen Umgang mit Jazz vor dem Hintergrund seiner persönlichen Biografie und seines Alters als spezifisches Element seiner Begeisterung. Ich wär sonst lange Zeit wahrscheinlich noch bei Klassik gewesen und dann, weiß ich nicht, ich denke so mit dreizehn, vierzehn hat man noch so'n jugendlichen Spirit, dass man so voll sein Herzblut in den Jazz legt, wenn man merkt, das mag man, kann man alles andere beruhigt abstellen und gleich damit anfangen und da voll einsteigen, ich weiß nicht, ob ich’s jetzt mit zwanzig zum Beispiel noch könnte, so ob ich dann jetzt so versiert noch werden würde, wie ich’s jetzt vielleicht bin, so in dem Bereich, also, das ist halt jetzt 'ne Liebe, die schon so lange besteht und das denk ich, ist schon wichtig, dass man am Anfang auch irgendwann merkt, ich brauch das und das und das unbedingt nicht so. Fm, Absatz 45
Die Zuneigung, die auf eine emotionale Bindung an Musik schließen lässt, wird gelegentlich auch konkret an Fakten bzw. Interpreten gebunden, wie in der folgenden Äußerung deutlich wird. und, ähm, ich bin da vielleicht ’n bisschen, vielleicht bin ich ’n bisschen konservativ, also sag schon, die Alten hatten’s wirklich drauf, aber man stößt doch hin und wieder, finde ich, auf Sachen so, ich zum Beispiel ’n großer Fan auch von Harry Conwick Jr., falls Ihnen das was sagt, so’n sehr cooler Typ aus den Staaten, der halt ’n voll heftiges Jazzpiano spielt und den ich abgöttisch liebe, und auch seine Live-Auftritte sind total der Hammer und, ähm, ich hab mich auch schon drangesetzt, das mal so'n bisschen rauszuhören, aber der spielt dann aber auch schon wieder so verrückte Sachen, dass ist nicht, ist für mich völlig, wie man’s spielen kann, versteh ich gar nicht (Lachen), aber ich hör schon gern die Klassiker, so auch alleine vom, vom Vintage her, so von dem Feeling, was man dabei hat, so'n bisschen Vintage. Fm, Absatz 80
Mitunter werden die emotionalen Bezüge durch konkrete sachbezogene Fakten und Nennung von Parametern oder Stilen untermauert, die die Präferenzen über die emotionale Ebene hinaus auch sachlich begründen. b) Kontextwissen Der Bereich des Zusammenhangs und Zusammenwirkens von Musik 132 und Emotionen kennzeichnet einen äußerst komplexen und weitgehend unerforschten Bereich. Von Relevanz für das hier durchgeführte Forschungsprojekt ist daher nicht die Bearbeitung der Tiefe emotionaler Beziehungen zu Musik, womöglich in verschiedenen historischen oder kulturellen Räumen und die Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit, sondern allein die Tatsache der Feststellbarkeit des Zusammenhangs von
132 Der Begriff Musik wird hier anstelle von Musiken aus Gründen der Vereinfachung gewählt.
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Emotionen und Musik, welche dann gegeben ist, wenn sich die Befragten in direkter oder indirekter Weise dazu äußern. Die Art der Emotion, der Stimmung oder des Gefühls (vgl. Rolle weiter oben) soll hier nicht weiter erforscht werden. Eckart Altenmüller begründet in einem Vortrag die grundlegende Problematik einer präzisen DeDefinition damit, dass wir Emotionen im Allgemeinen als Gefühle erleben, die wir nicht vollkommen versprachlichen können. Er bleibt in seiner Definition aus diesem Grunde allgemein und definiert den Gegenstand mit „Emotionen sind Reaktionsmuster, welche durch bestimmte Personen oder Objekte real oder vorgestellt ausgelöst werden.“133 Aspekte wie Denotation oder Konnotation und Aspekte eines konstruierenden Umgangs mit Musik sollen hier daher nicht weiter geklärt werden und gingen darüber hinaus in eine für die hier aufgeworfene Fragestellung nicht relevante Forschungsrichtung. Im gleichen Kontext sei hier jedoch auf die besondere Bedeutung der biografischen Relevanz zur Frage hingewiesen, welche Musik welche Emotionen auslösen würde.134 Trotz nicht geklärter Fragen zu den objektiv darstellbaren Zusammenhängen von Musik und Emotionen kann ein grundsätzliches Bezugssystem konstatiert werden, eine Zuwendung zu Musik ohne Gefühlsebene erscheint nicht plausibel. Dagegen ist ein Zusammenhang zwischen Emotionen, Musik und selbst gestellter Herausforderung erkennbar. Green konstatiert den Zusammenhang zwischen Autonomie und Enjoyment bei Schülern, denen zur Bewältigung ihrer Aufgaben im Musikunterricht quasi freie Hand gegeben wird. „More strongly than in Stage 1, the fact that it was ’fun’ was often linked with being ’challenging’ […]. Rather than allowing their autonomy as learners to run away with them, as teachers had feared they might, pupils seemed to become increasingly appreciative of the trust that was put in them as the year went by, and correspondingly responsible“ […] 135 Auch wenn sich die Anmerkungen Greens auf einen anderen, den Kontext des schulischen Musikunterrichts, beziehen, so wird dennoch der Zusammenhang zwischen ’Enjoyment’ und Motivation deutlich. Im Vergleich zu den externen Aufgabenstellungen durch Dritte (Lehrkraft) im Musikunterricht folgen die in der vorliegenden Studie Befragten einer intrinsischen Motivation, die durch Vergnügen, Spaß, Genuss gekennzeichnet ist, um einige mögliche Übersetzungen des Begriffs Enjoyment aufzuzeigen. Tragende gemeinsame Momente, sowohl des oben zitierten Musikunterrichts als auch des selbst gewählten Lernprozesses ohne Aufgabenstellung durch Dritte sind demnach Freiwilligkeit und Autonomie des Prozesses als prozessimmanente Aspekte der Auseinandersetzung mit Popmusik.136
133 Aus Vortrag Altenmüller: Warum bewegt uns Musik?, gehalten am 5.2.2013 in der Bayerischen Staatsbibliothek in München, MP3-Download unter: http://mediathek.dfg.de/ video/warum-bewegt-uns-musik/Zugriff am25.4.2016. 134 Vgl. dazu Otto, Anne: Musik, die uns berührt, in: Psychologie heute, Mai 2006, S. 34. 135 Green (2008), S. 111. 136 Jäncke verweist allgemein auf den Zusammenhang zwischen Gefühlen und (zeitlich beschränkt erhöhter) Lernfähigkeit bzw. -bereitschaft. Seine Ausführungen beziehen sich zwar auf angenommene Transfereffekte, diese können jedoch umso mehr bezogen auf selbst gewählte musikalische Gegenstände angenommen werden, da hier Aspekte erhöhter Eigenmotivation greifen (vgl. Jäncke, 2008, S. 23ff).
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c) Fallvergleichende Analyse Bereits in der Sachanalyse zur untersuchten Fragestellung der Formulierung von Gefühlsaspekten durch die Befragten sind fallvergleichende Momente eingeschlossen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Texte der Befragten durch individuell geprägte Beziehungen zu Musiken mit entsprechenden Aussagen gekennzeichnet sind. Die gefühlsbezogenen Äußerungen sind zwar bei allen auf einer allgemeinen Ebene feststellbar, jedoch in Bezug auf Quantität und Qualität unterschiedlich bzw. vielfältig. Das Themenfeld „Musik und Emotionen“ berührt darüber hinaus den persönlichen Lebensbereich der Befragten und ist in der praktischen Durchführung der Befragung entsprechend sensibel. Im Antwortverhalten werden daher neben den quantifizierbaren Äußerungen typenbildende Verhaltensmuster deutlich, die im Folgenden dargestellt werden. Die Typenbildung beinhaltet aufgrund der kleinen Teilnehmergruppe keinen Anspruch auf Verallgemeinerung, sondern hat als Grundlage einer möglichen Hypothesenbildung exemplarischen Charakter. Auf Gesprächstexte wird an dieser Stelle verzichtet, damit keinerlei Rückschlüsse auf die Interviewpartner möglich sind. Es wird ausschließlich die männliche Form angewendet. Die Reihenfolge der Typenbildungen ist nicht identisch mit der Reihenfolge der Interviews. d) Typenbildung Der Indifferente Der Indifferente hat zwar eine grundsätzlich positive Beziehung zu Musik, spricht aber auf einer allgemeinen Ebene von „gefällt mir“ oder „macht mir Spaß“. Eine weitergehende gefühlsmäßige Bindung an Musik wird nicht deutlich. Wenn die Musik nicht mehr gefällt, wird neue Musik gesucht, die eine gefühlsmäßige Befriedigung zumindest für einen gewissen Zeitraum bietet. Die Musikstile und einzelnen ausgewählten Musikstücke sind dem Indifferenten relativ egal. Die Typenbildung unter dem Aspekt der Indifferenz bezieht sich ausschließlich auf den Aspekt gefühlsbezogener Äußerungen. Hinsichtlich des zu erlernenden Stoffes und der damit verbundenen Lernstrategien liegen ausdifferenzierte Aussagen vor. Darüber hinaus wären weitere Textauslegungen möglich: So wäre weiterhin denkbar, dass der Befragte keine auf Musik bezogenen Gefühle zu erkennen geben oder in diesen Gesprächsphasen „cool“ erscheinen möchte. Der Distanzierte Der distanzierte Typ gibt keinerlei gefühlsmäßige Bindung zu Musik erkennen. Er bietet keine entsprechenden Gesprächsentwicklungen an oder weicht solchen höflich aus. Musik ist seiner Auffassung nach reine Privatsache. Die erkennbare Beziehung zu Musik ist sachbezogen, persönliche Ebenen haben in einem Gespräch mit Dritten (z. B. in einer Interviewsituation) nichts zu suchen. Es ist darüber hinaus denkbar, dass der Einfluss der elterlichen Erziehung in diesem Zusammenhang deutlich wird. Ein „Über so etwas spricht man nicht-Grundsatz“ kann hier angenommen werden. Die Nichtoffenlegung gefühlsmäßiger Beziehungen zu Musik geht mit einer differenzierten und sachbezogenen Einschätzung der zukünftigen Beschäftigung mit Musik unter Einbindung der Chancen als Profimusiker einher.
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Der Introvertierte Für den introvertierten Typ hat Musik eine sehr persönliche Bedeutung. Der Umgang mit Musik und das Erlernen von Stücken sind eng mit Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung verbunden. Die Aneignung von Stücken bereitet dem Introvertierten eine als Teil seiner Identitätsbildung starke persönliche Befriedigung. Es kommt ihm nicht darauf an mit anderen in Sachen Musik in Kontakt zu treten. Musikmachen ist Teil der Privatsphäre und nach innen gerichtet. Es findet keine Festlegung auf bestimmte Stile oder Genres statt. Entscheidend für Musikpräferenzen sind die damit verbundenen Gefühle. Die Tatsache, dass der Introvertierte sich Stücke selbst aneignen kann, erfüllt ihn mit besonderer Befriedigung. Er glaubt nicht, dass seine Kompetenzen besonders weit entwickelt sind und geht daher nicht davon aus, dass seine Darbietungen für ein Publikum attraktiv sein könnten. Musik als Teil seiner Privatsphäre soll anderen nicht offenbart werden. Die Erwähnung von Gefühlen in einer Interviewsituation ist besonders beim Introvertierten nicht selbstverständlich. Es sind daher zwei grundlegende Motive denkbar: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass es ihm ein Bedürfnis ist, in einer besonderen Situation mit jemandem über sein persönliches Verhältnis zu Musik sprechen zu können, zum anderen ist es denkbar, dass die Äußerungen einer als spontan angenehm empfundenen Gesprächssituation entspringen und über ein geplantes oder sonst übliches Öffnen gegenüber anderen hinausgehen und für ihn untypisch sind. Der Profi Der Profi verfügt über ein weit entwickeltes Repertoire an Kompetenzen. Er kennt sich sehr gut mit Musik aus und hat verschiedene Möglichkeiten der Aneignung von Musik ausprobiert oder entwickelt diese weiterhin. Er reflektiert sowohl seine eigenen Fähigkeiten als auch sein Verhältnis zu bestimmten Musiken. Er kann diese gut analysieren, auch wenn sein Begriffsapparat noch nicht vollständig entwickelt ist. Dessen ist er sich jedoch bewusst. Entsprechend arbeitet er an einer Weiterentwicklung seiner Kompetenzen. Der professionelle Typ ist sich seiner Gefühle gegenüber Musik bewusst und kann diese einschätzen, reflektieren und relativieren. Gefühlsebenen sind für ihn Teil des Musikmachens, deren Bewusstmachung dabei helfen, sich für oder gegen bestimmte Musiken zu entscheiden. Da sich der Profi ebenso intensiv mit Sachfragen zu Musik befasst und analytisch vorgeht, sind seine Gefühle gegenüber Musik Teil einer emotionalen Rationalität. Der Gefühlsoffene Musik spielt in der Gefühlswelt des gefühlsoffenen Typs eine besondere Rolle. Die Wahl von Musikstücken und Bevorzugung von Stilen ist für ihn wichtig. Seine Auswahl von Musik ist entsprechend differenziert. Der gefühlsbezogene Zugang zu Musik beinhaltet starke initiierende Momente für das Musikmachen. Anderen gegenüber kann er sich bezüglich seiner emotionalen Zuwendung anvertrauen, wenn ihm die Kommunikationsebene sicher erscheint und er nicht fürchten muss bloßgestellt zu werden. Entsprechend sucht er den Austausch mit Gesprächspartnern, denen er vertrauen kann. Anderen gegenüber bleibt er verschlossen. Er ist sich der emotionalen Wirkung von Musik und der Wirkung auf ihn bewusst.
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Der Darsteller Der Darsteller spricht gern über sich und seine musikalischen Aktivitäten. Er betont seine besondere persönliche Beziehung zu Musik und die Bedeutung, die Musik in seinem Leben spielt. In seiner Außendarstellung wirken seine Äußerungen floskelhaft und klischeehaft. Seine Aussagen sind umfangreich und detailreich. Er sucht Gesprächsanlässe, die ihm die Möglichkeit bieten, über sich und sein besonderes Verhältnis zu Musik zu erzählen. Er tritt gerne vor Publikum auf und wird anschließend gern von Zuhörern auf seine Darbietungen angesprochen, um seine weitreichenden Kenntnisse und gefühlsbezogenen Momente darstellen zu können. e) Sequenzierung Zum Aspekt des emotionalen Verhältnisses zu Musik lässt sich trotz der Verschiedenheit der Gesprächstexte eine grundlegende Sequenzialität herausarbeiten. Vorwiegend werden die genannten Aspekte von den Befragten selbst aus einem geeigneten Gesprächskontext heraus angesprochen. Fragen zu Musik und Gefühl sind konkret nicht gestellt worden und waren im Entwurf des Interviewleitfadens nicht vorgesehen. Hier boten vor allem Fragen nach bevorzugten Musikstücken, Künstlern oder Stilen Anlässe sich zu Gefühlen zu äußern. Bezogen auf verschiedene Gefühlsebenen, die empfundene Qualität oder die Möglichkeiten dies in einer Gesprächssituation darzustellen, wird eine zu erwartende Diversität der Texte deutlich (vgl. auch Fallvergleichende Analyse und Typenbildung weiter oben). Mit Ausnahme von Df war eine grundlegende Bereitschaft zu Aussagen über Musik und Gefühl deutlich zu erkennen. Der Gefühlsbezogenheit auf einer allgemeinen Ebene folgen weitere (mögliche) Texte zur Gefühlsbezogenheit (Folgetexte 1), verbunden mit Versuchen diese zu konkretisieren. Bei einem Befragten bleiben diese Aussagen jedoch indifferent. Abschließend oder zeitgleich (Folgetexte 2) werden Bezüge zu konkreter Musik hergestellt (s. Abb. „Sequenzierung Musik und Gefühl“). Als grundlegende Aussage kann festgehalten werden, dass die Befragten geeignete Gesprächsanlässe nutzen, um ihre emotionale Bindung an Musik im Allgemeinen oder am konkreten Beispiel darzustellen. Sachbezogene Aspekte der Bevorzugung von Musik sind bei den Befragten an emotionale Empfindungen gekoppelt. Unterschiede gibt es lediglich bezüglich der Mitteilungsebenen und der Tiefe der Mitteilungsbereitschaft.
Abb. 40: Sequenzierung Musik und Gefühl
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Musikpräferenzen Leitfaden Welche Musik hörst du im Moment am liebsten? Kannst du sagen, was dir daran am besten gefällt? Stichpunkte Erfragen von Einzelkriterien/Parametern Instrumente Stimme Sounds Stil Im Laufe der Gespräche tauchten im Zusammenhang mit der Frage zu bevorzugter Musik damit verbundene Aspekte des täglichen zeitlichen Aufwands der Beschäftigung mit Musik auf, aus denen hervorgeht, dass sich die Befragten durchschnittlich mehrere Stunden täglich mit Musik befassen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Aussagen, aus denen gefolgert werden kann, dass die aktive Auseinandersetzung mit Musik bereits seit mehreren Jahren stattfindet. Da die Aussagen zu Musikpräferenzen wiederholt als Folgetext zur Kategorie des zeitlichen Aufwands des Umgangs mit Musik auftauchen, werden beide Kategorien hier entsprechend im Kontext dargestellt. Der Begriff „Musikpräferenz“ wird hier gezielt im Sinne einer inhaltlichen Dehnbarkeit benutzt. Im Sinne von Jost wird Musikpräferenz als eine positive Subjekt-Objekt-Relation verstanden, bei der „grundsätzlich jede Art von Musik, jeder Stilbereich, aber auch ganz bestimmte Komponisten und Interpreten zum Objekt musikalischer Präferenzen werden können.“137 Danach handelt es sich bei Musikpräferenzen um temporär gefestigte Dispositionen als Unterkategorie eines langfristig entwickelten Musikgeschmacks.138 Hierbei können situativ bedingte Präferenzen wie nach Gembris139 durchaus miteingeschlossen sein, es wird in der vorliegenden Arbeit jedoch von einer in Ansätzen temporär gefestigten Präferenz im Sinne Hargreaves 140 innerhalb eines identifikationsbildenden Entwicklungsprozesses Jugendlicher ausgegangen. Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass es sich bei den Befragten nicht um durchschnittliche Rezipienten handelt, sondern um solche, die sich aktiv mit Mu-
137 Jost, Ekkehard: Sozialpsychologische Dimensionen des musikalischen Geschmacks, in: de la Motte Haber, Helga/Dahlhaus, Carl (Hg.): Systematische Musikwissenschaft/Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 10, 1982, S. 46. 138 Vgl. Heyer et al. (Hg.) (2013), S. 132. 139 Vgl. Gembris (1990), S. 73ff. 140 Hargreaves verwendet den Begriff „Musikpräferenzen“ sowohl als kurzfristig situativbezogene Entscheidungen als auch im Sinne längerfristiger Entscheidungen. (Vgl. Hargreaves et al., 2005, S. 15f). „Ebenso erscheinen Musikpräferenzen als Teil des Rezipientenfaktors in Form von kurzfristigen Präferenzmustern (short-term preference patterns) sowie mittel- und langfristigen Musikgeschmacksausprägungen (medium/long term taste patterns).“ (Heyer et al., 2013, S. 143.)
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sik im Sinne von Aneignung von Fertigkeiten befassen. Es kann davon ausgegangen werden, dass neben einer Präferenznormalverteilung auch weitere Fragen eine Rolle spielen, die auf die Aneignung von Kompetenzen und damit auf kognitive Aspekte abzielen. Auf die Entwicklung von Musikpräferenzen bezogen bevorzugt der Verfasser hier das von Miell, MacDonald und Hargreaves entwickelte Modell des „Reciprocal Feedback Model Of Musical Response“, weil der Vorteil des Modells nach Reinhardt und Rötter in der „rekursiven Anlage unter der Berücksichtigung der drei Haupteinflussgrößen von Musikpräferenzen: Musik, Rezipient und Rezeptionskontext […]“141 liegt (s. Abb. 40 „Reciprocal feedback model of musical response“).
Abb. 41: Reciprocal feedback model of musical response (Eigene Grafik nach Miell, MacDonald, Hargreaves, 2005, S. 8.) Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Relativ großen, also jetzt nicht nur dieses selber spielen, sondern halt auch, ähm, einfach nur Musik hören halt, man kann, also, es nimmt schon relativ großen Bereich (unverständlich), weil’s halt irgendwie immer irgendwo hin passt, das heißt, ähm, ja, es gibt ja auch verschiedene Musikstile und so weiter, ähm, und dann hört man vielleicht einfach nur Musik, weil einem langweilig ist, ähm, oder auf 'ner Party, oder man spielt halt was, also das nimmt schon 'nen relativ großen Bereich ein, aber das ist jetzt nicht ein Bereich, der vollkommen, ähm, theoretisch von Musik genutzt wird, sondern jeder Bereich in meinem Leben, ähm, das steckt auch irgendwo ’n Teil Musik drin Am, Absatz 53
141 Reinhardt, Jan/Rötter, Günther: Musikpsychologischer Zugang zur Jugend-MusikSozialisation, in: Heyer et al. (2013), S. 143.
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Genau, ungefähr neun, das kommt ungefähr hin, da hab ich halt mit Schlagzeug angefangen, und, ähm, seitdem hab ich halt ganz, ganz viel Schlagzeug gespielt so, aber auch noch nicht so richtig leidenschaftlich, sondern hab das halt so gemacht, hat Spaß gemacht, aber, da war noch nicht so ‘ne richtige Leidenschaft dahinter, und dann war ich irgendwann bei, Bm, Absatz 9
das lief alles nicht ganz so gut, weil ich hab Timing-Probleme, äh, und sowas, das war vor allem, also Timing-Probleme waren vor allem das größte so, und dann hab ich ’n halbes Jahr da, nee, hab ich länger gespielt, auf jeden Fall hab ich dann da so richtig angefangen und auch mich dahinter zu klemmen, hab mich zu Hause jeden Abend irgendwie ‘ne Stunde hingesetzt, hab mir Musik auf die Ohren gemacht, hab dazu getrommelt die ganze Zeit, das hab ich, ähm, ich glaub anderthalb Jahre ungefähr gemacht, also wirklich fast jeden Abend immer Musik auf die Ohren und Bm, Absatz 9
Ganz oben, also, ich mach noch ganz viel Sport, ich mach Leistungssport, ich laufe Bm, Absatz 102
Der Begriff „ganz oben“ bezieht sich auf die Prioritätenskala und die Position, die Musik hier im Rahmen der Freizeitbeschäftigung einnimmt. Befragter: Also, ich schätz den bei mir etwas hoch ein, weil ich (kurze Pause) so viel mit Musik mache, aber wenn ich manchmal so am Tag Musik mache, dann sind das manchmal schon drei Stunden so #00:10:46-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:10:49-1# Befragter: und das ist ja schon ein Achtel des ganzen Tages #00:10:52-1# Interviewer: Mhm (bejahend) Das ist schon viel, drei Stunden Cm, Absatz 71 - 74
Ja, also das ist manchmal nur der Fall, aber kommt jetzt häufiger vor, weil ich, ja, weil ich jetzt im Moment immer sehr viel mit Musik zu tun hab, weil also ich höre Musik beim Laufen, ähm, auch wenn ich manchmal was lese, obwohl das ja sich gegenüberlappt, weil das ja nicht so richtig passt, aber mach ich manchmal einfach so, oder auch vorm Einschlafen nochmal, Hörbuch auf meinem Handy und ja Cm, Absatz 75
Da mach ich’s, also ich hör immer sehr oft Musik, zum Beispiel, wenn ich jetzt in die Stadt fahr oder so, im Bus mit Kopfhörer Musik hören, und dann sing ich halt auch manchmal mit und da kann ich’s halt, also ich hab auch kein Gesangsunterricht oder so Df, Absatz 45
Das steckt irgendwo in dir drin und das wolltest du eigentlich immer haben, also mach das jetzt auch weiter, deswegen war ich jetzt auch, bis die aufgelöst wurde, zum Sommer hin, weil sie alle Abi gemacht haben, die alle anderen, war ich auch das dienstälteste Mitglied damit auch die andern, acht Jahre hab ich in dieser Band gespielt, das war … Fm, Absatz 41
232 | Popmusik aneignen
ist 'ne lange Zeit, ja, viel erlebt, in England sogar gewesen, auf 'ner Konzerttour mal, also großartig und hat mich sehr geprägt, die Zeit, auf jeden Fall. Fm, Absatz 43
Eine weitergehende Analyse der Texte sowohl zum täglichen Zeitaufwand des Umgangs mit Musik als auch in Bezug auf den Umfang innerhalb der Biografie der Befragten erscheint hier nicht erkenntnisrelevant und wird aus diesem Grunde nicht detailliert dargestellt. Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit Musik kann davon ausgegangen werden, dass sich die Befragten mit verschiedenen Musiken befassen oder befasst haben, zumal ihre musikbezogenen Erfahrungen größtenteils mehrere Jahre umfassen. Es kann vermutet werden, dass die musikalischen Präferenzen mittlerweile mehrere altersbezogene Stadien durchlaufen haben und möglicherweise bereits zu Spezialisierungen auf bestimmte Genres geführt haben. Wie aus der Abbildung „Musikpräferenzen“ hervorgeht, kann eine breite Streuung der Musikpräferenzen konstatiert werden. Die Grafik enthält darüber hinaus Mehrfachnennungen der Befragten, was Rückschlüsse auf persönliche Relevanz der Stile für die Befragten ermöglicht. Neben explizit genannten Stilen enthält das Codesystem die Kategorien „Diversität“ und „Indifferenz“, um weitere sich aus den Gesprächen ergebende Aspekte aufzugreifen, die den Grad der erreichten Festlegung auf Musikstile erfassen. Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
Abb. 42: Musikpräferenzen – Bearbeiteter Screenshot f4 Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Also eigentlich ist es relativ egal, solange ich das Lied mag, also ich, ich hab das mehr so phasenweise, ich hab ’ne Phase, da hab ich viel Rock, teilweise Hardrock, gehört, inzwischen, ähm, hör ich mehr so’n bisschen so’n Mix aus, ähm, Elektro, also so total Synthesizer, ähm, und dann halt mit normalen Instrumenten begleitet
Die Präferenzen sind nicht eindeutig. Die Interpretation erlaubt einen Spielraum der Zuordnung zwischen Diversität oder Indifferenz. Möglicherweise ist die offene und gleichgültig wirkende Haltung auch altersbedingt.
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Also dass ich halt, ja das ist das, was ich momentan soviel höre, also Mix aus halt Elektro und nicht Elektro so, ähm, und vielleicht hör ich morgen wieder was anderes Am, Absatz 41
Also so was, was ich manchmal höre und, äh, so, ich hör vor allem so, äh, ja, was seh ich mir an, ich weiß nicht, also so, manchmal ich spiel alles Mögliche, also ich spiel, äh, manchmal Akkorde, manchmal probier ich aber auch ’n Riff zu spielen, ich lern meistens das halbe Riff und mehr kann ich nicht, dann hab ich kein Bock mehr, aber (lacht) irgendwie so’n paar Nirvana-Riffs oder, äh, weiß nicht, äh, Mark Knopfler, da kann ich nicht alles spielen, das ist ein bisschen zu anspruchsvoll, aber irgendwie keine Ahnung, äh, das, wie heißt es noch, ähm, „Money for Nothing“, das Eingangsriff und ja (..) das hat sich dann irgendwie so ergeben. Bm
Ich hab mir, ich glaub, für ähm, von Sting hier äh, das ist mit so zwei hier, äh, ich weiß grad nicht, wie das heißt, das ist ’n Gitarrenstück, äh, äh, hier, zwei, zwei, was hab ich vorhin gesagt, Konzertgitarren, äh, äh, und wie heißt das noch, das hab ich mir glaub ich mal angeguckt oder, äh, so, wo, wo ich merke, dass ich mit den Tabs, … Bm, Absatz 21
Sting, Mark Knopfler hör ich, geh ich demnächst auch aufs Konzert
Die genannten Künstler sind eher untypisch für die Altersgruppe des Befragten, der zum Zeitpunkt der Befragung 15 Jahre alt ist. Das weitere Gespräch gibt jedoch Aufschluss über die große Hörerfahrung, die letztendlich die Grundlage für das breitgefächerte Interesse ist. Bm, Absatz 37
Befragter: Ja, das ist ’n Gitarrengott halt, ne #00:08:59-5# Interviewer: Ja, aber jetzt würde mich interessieren, weil das ist so für jemand deines Alters #00:09:04-1# Befragter: ist eigentlich total untypisch #00:09:05-2# Bm, Absatz 43 - 45
Äh, das ist es ja eigentlich auch, ähm, aber also so die erste Musik, mit der ich, wo ich angefangen hab, da selber reinzuhören, das war Depeche Mode, hab ich richtig viel Depeche Mode gehört, ich hör jetzt auch noch Depeche Mode, ich hab irgendwie alle Alben auf meinem iPod von denen, hab auch mich richtig mit denen auseinandergesetzt, mit der Geschichte von denen, und sowas, hab mich da richtig informiert und, äh, Depeche Mode halt, jetzt hör ich grad, äh, dann hab ich ‘ne Zeit lang, hab ich so Hartes, ACDC, ’n bisschen Metal teilweise auch, da weiß ich aber nicht mehr die Interpreten, und so’n bisschen Rock halt, Hardrock, und jetzt hör ich vor allem, äh, ganz viel Funk, also, ich hab immer so Etappen, in denen ich was hör, ich hab ganz lange Depeche Mode gehört, dann hab ich mir das so’n bisschen überhört, jetzt hör ich manchmal noch Depeche Mode, jetzt hör ich gerade Funk, das werd ich in zwei Jahren auch nicht mehr hören können, glaub ich, also Bm, Absatz 48
234 | Popmusik aneignen
Also, ich hör Cool and the Gang Bm, Absatz 50
Earth, Wind and Fire, Bm, Absatz 52
Befragter: so Chaka Khan, genau, also die Klassiker eigentlich und so, also ich kenn mich jetzt so nicht wirklich aus, aber so, so, da arbeite ich mich gerad so Interviewer: Aber ist ja viel 70er-Jahre Befragter: Da arbeite ich mich so, ja die 70er, die Coolen (Lachen), da arbeite ich mich gerade rein in die Funk-Geschichte (…) und, ähm, was hör ich denn noch so? (…)
Die Äußerungen lassen auf eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Musik schließen. Der Befragte „arbeitet sich rein“ in die selbstgewählte Thematik. Bm, Absatz 54 - 56
Interviewer: Alphaville #00:11:30-8# Befragter: Ja genau, das hör ich manchmal auch so, also sowas, äh, Eurhythmics äh, Bm, Absatz 73 - 74
Na ja, E-Gitarre hab ich auch, aber die spiel ich nicht so oft, ich spiel lieber Akustik, weil das auch schöner klingt und, ja Cm, Absatz 29
Befragter: Ja, ich würde fast sagen, wenn mir 'n Song übern Weg läuft, aber manchmal ist es auch so, dass mir eher so Popsongs interessieren, mehr als Rocksongs, so wie zum Beispiel von AC/DC, Thunderstruck oder was auch immer, das zieh ich nicht so in Betracht wie jetzt zum Beispiel Waves von Mr. Probz, das mag ich ganz gerne. Cm, Absatz 33
Das is so, wo’s wirklich (...) ähm am meisten verzerrt wird, also wo, wo, ähm, wo mit, nich mehr mit Drumsets, mit diesen Computern gearbeitet wird, also mit, ich weiß jetzt nicht, wie man das nennt, aber da wird denn nur mit Computern gearbeitet, und denn wird das alles so gesampelt, also ich find es besser, wenn man’s wirklich, von einer, also mal’n Beispiel jetzt, wenn man jetzt Akustikgitarre spielt, da hat man den Klang, und der ist denn ja auch (...) einfach ganz nett, so Lagerfeuermusik praktisch. Cm, Absatz 43
Pop Cm, Absatz 47
Ich hör alles Mögliche, ich hör albanische Lieder, Df, Absatz 57
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 235
dann hör ich noch, es gibt ein paar Songs von Schlager, aber Schlager mag ich nicht so richtig, dann hör ich auch gerne solche Art von Rihanna oder mal von dem, ähm, Sam Smith oder so was, also, eher so was (...) wie soll man sagen, (...) keine Ahnung, also ich hör Verschiedenes Df, Absatz 57
Also, du bist nicht festgelegt #00:06:09-7# Befragter: Mhm (verneinend) Df, Absatz 58 - 59
Mhm (bejahend) ja, also, so bisschen nä, also damals bei der Gitarre war das so Richtung Rock, so Greenday und Sum 41 und halt so'n bisschen Punkrock und sowas halt, hatt ich dann damals angefangen zu spielen, und da hab ich natürlich, die hab ich da vorher schon gehört, die Lieder und da dacht ich mal, ja das wär doch mal cool, wenn man die nachspielt, und denn hab ich das halt so, über YouTube kann man sich das ja beibringen, und da hab ich mir die Lieder angeguckt und dann hab ich die gespielt (..) und beim Klavier sind das eher so, hat das eher mit klassischen Stücken angefangen. Em, Absatz 19
Interviewer: Aber wenn du sagst, klassische Stücke, wie hast du dir die dann beigebracht? #00:02:36-1# Befragter: Auch über YouTube (Lachen).
Im Unterschied zu den anderen Befragten spielt der Befragte auch klassische Stücke, die er sich über YouTube beibringt. Offen bleibt, was der Befragte wirklich unter klassischer Musik versteht. Möglicherweise ist auch solche Musik enthalten, die klassisch anmutet, wie z. B. Filmmusik.142 Em, Absatz 22 - 23
Öh, ja, von Jerome Jarre, das „Flozing you?“ (Titel fragend ausgesprochen) heißt das, dann von (..) wie heißt er jetzt noch? „Stay with me“ von, wie heißt er noch, ist auch 'n relativ modernes Lied und, ähm, „Kompetide?“ Wie heißt das noch von „Fabelhafte Welt der Amelie“, dieses eine bestimmte Lied, das ist so'n französisches
Die Unsicherheit in Bezug auf Namen der Künstler und Titel weist möglicherweise auf die Bedeutung des Umgangs mit der Musik hin als Mittel emotionaler Befriedigung durch Aneignung. Weitergehende Informationen sind sekundär. Möglicherweise ist der Befragte aber auch nur unsicher und möchte keine Fehler hinsichtlich Aussprache und richtiger Benennung machen. Em, Absatz 55
142 Das hier angenommene diffuse Verständnis von klassischer Musik geht z. B. einher mit Playlisten, wie sie bei Spotify verwendet werden. Unter der Rubrik „Klassik zum Entspannen“ werden hier verschiedenste Stile und Genres vermischt, die von Klassik über esoterische Entspannungsmusik bis hin zu leichter Elektronik reichen.
236 | Popmusik aneignen
und, ja, sonst, ähm, „Nothing else matters“ von Metallica, hab ich auch mal gehört, das war auch ganz witzig, und was ich auch gerne spiel, ist die „Cantinaband“ von Starwars Em, Absatz 59
Befragter: (Lachen) Und ja sonst, es sind, ja, „Für Elise“ auch noch und „Türkischer Marsch“, ja, das ist so, ja, unterschiedlich eigentlich von der Musikrichtung her
Die klare Zuordnung zwischen Diversität im Sinne gezielten Interesses und Indifferenz ist nicht eindeutig. Der Befragte macht dennoch eher den Eindruck, als sei die Auswahl relativ egal, was durch die Titelauswahl bestätigt wird. Em, Absatz 61
Eigentlich kreuz und quer, also was mir gerade gefällt. Em, Absatz 63
Befragter: Nee, ich weiß nicht, wenn mir die Melodien und so gefallen und, ähm, da irgendwas Besonderes am Lied ist, dann, ja, dann merk ich das schon eigentlich gleich so, also dann denk ich, oh geil, das will ich spielen können. Em, Absatz 67
Ja, also, ähm, viel verändert hat sich halt, als ich da angefangen hab mit der Bigband zu spielen, da hat sich sehr viel verändert, auf jeden Fall, das war dann so mit dreizehn, vierzehn etwa, da sein, Klavierspiel, das war gar nicht so jetzt unbedingt geplant gewesen, ich kannte den Musiklehrer auch gar nicht, der hatte nur gehört, dass ich wohl ’n bisschen Klavier spielen kann, und ich hatte bis dahin nur Klassik gespielt, hab aber immer zu meiner Klavierlehrerin gesagt, ich würd auch gern mal irgendwie so'n bisschen was Schwungvolles irgendwie, ich wusste damals noch gar nicht, wie man das nennt so, irgendwie, da hat sie mir ’n paar Boogies mitgebracht, relativ einfach so, weiß jetzt gar nicht mehr, von wem die waren, ähm, war zwischendurch mal ganz schön, aber ansonsten hat sie halt viel Wert auch auf russische Komponisten, was auch schön ist und natürlich auch auf Bach und so weiter gelegt, ja und denn ist bei dem Musiklehrer da in seiner Bigband der Pianist ausgefallen, hat er mir einfach mal ein Stück von Herbie Hancock, „Canteloupe Island“, reingegeben, das sollte ich einfach mal spielen und da gab’s tatsächlich, hatten die ’n Auftritt auch ’n paar Tage später, wo ich tatsächlich nur dies eine Stück mit begleitet habe, aber das hat so viel Spaß gemacht wie Klassik in den ganzen Jahren davor mir nicht, und da wusst ich gleich, in die Richtung muss es gehen. Fm, Absatz 37
Ja klar, da gab’s diesen Moment, wo ich so gemerkt hab, ja, das sind jetzt die Sachen, die du dir eigentlich immer gewünscht hast, so, dieses, weiß ich nicht, groovige, geshufflete, irgendwie so. Fm, Absatz 39
In der Regel schon, also, na, ich sag mal, das ist relativ mein Musikgeschmack, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen, weil der ändert sich von Jahr zu Jahr tatsächlich, ich hab 'ne Metal-Phase hinter mir, 'ne total poppige Phase, 'ne elektronische Phase, 'ne jazzige Phase, das ist alles irgendwie immer wieder unterschiedlich, also ’n sehr breites Spektrum hab ich da schon abgedeckt, aber ich tatsächlich hab mich ’n Zeit lang sehr viel mit Jazz-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 237
CDs, mit Jazz beschäftigt und das war auch die einzige Phase, wo ich mir tatsächlich CDs gekauft habe, weil das, na ja, sagen wir mal, ist nicht so einfach zu bekommen, so im Internet so, und dann gibt’s halt so, beim Jazz, find ich, ist das Außergewöhnliche, dass das so viele geile Compilations gibt, wo so viele verschiedenen Titel drauf sind, das hab ich, ähm, im elektronischen Bereich zum Beispiel nicht so, oder so, da gibt’s immer die bestimmten Interpreten, die ihre Alben rausbringen und die hört man dann, aber beim Jazz gibt’s ja diese Riesenbandbreite an Interpreten und, ähm, tatsächlich hab ich, glaub ich, weiß nicht, mittlerweile 20 oder 25 Jazz CDs, von dem ganzen anderen Quatsch, das hab ich immer nur online alles abgerufen oder so. Fm, Absatz 47
Also Latin Jazz war immer ’n Steckenpferd von mir, hab ich immer gerne gespielt und gehört, vor allen Dingen, ähm, was könnt man da noch nennen? Fm, Absatz 51
Die Klassiker, absolut, ja, ja, Blues halt noch, wenn man das noch mit irgendwie dazunehmen darf, Blues ist, glaub ich, auch so die Musikrichtung schlechthin für mich, also das kann ich auch zu jeder Tages- und Nachtzeit hören. Fm, Absatz 58
a) Sachanalyse Die von den Befragten genannten bevorzugten Stile und Genres weisen eine insgesamt breite Palette mit deutlich erkennbaren Schwerpunktsetzungen auf. Es kann grundlegend festgestellt werden, dass die genannten Musikpräferenzen auch die biografische Entwicklung der Befragten widerspiegeln, was von den Befragten zum Teil auch rückblickend in einer chronologischen Abfolge dargestellt wird. Also eigentlich ist es relativ egal, solange ich das Lied mag, also ich, ich hab das mehr so phasenweise, ich hab ’ne Phase, da hab ich viel Rock, teilweise Hardrock, gehört, inzwischen ähm hör ich mehr so’n bisschen so’n Mix aus, ähm, Elektro, also so total Synthesizer, ähm, und dann halt mit normalen Instrumenten begleitet Am, Absatz 39
Äh, das ist es ja eigentlich auch, ähm, aber also so die erste Musik, mit der ich, wo ich angefangen hab, da selber reinzuhören, das war Depeche Mode, hab ich richtig viel Depeche Mode gehört, ich hör jetzt auch noch Depeche Mode, ich hab irgendwie alle Alben auf meinem Ipod von denen, hab auch mich richtig mit denen auseinandergesetzt, mit der Geschichte von denen, und sowas, hab mich da richtig informiert und, äh, Depeche Mode halt, jetzt hör ich grad, äh, dann hab ich ‘ne Zeit lang, hab ich so Hartes, ACDC, ’n bisschen Metal teilweise auch, da weiß ich aber nicht mehr die Interpreten, und so’n bisschen Rock halt, Hardrock, und jetzt hör ich vor allem, äh, ganz viel Funk, also ich hab immer so Etappen, in denen ich was hör, ich hab ganz lange Depeche Mode gehört, dann hab ich mir das so’n bisschen überhört, jetzt hör ich manchmal noch Depeche Mode, jetzt hör ich gerade Funk, das werd ich in zwei Jahren auch nicht mehr hören können, glaub ich, also Bm, Absatz 48
238 | Popmusik aneignen
In der Einordnung der bevorzugten Stile und Musiken als Teil der eigenen Rezeptionsentwicklung, die hier auch an die eigene Musizierentwicklung gekoppelt ist, dokumentiert sich gleichzeitig eine Reflexionsebene zur Bewusstmachung des persönlichen Wandels in Bezug auf Musik. Schwerpunkte der selbst genannten Musikstile bilden die Kategorien Pop- und Rockmusik, gefolgt von verschiedenen Stilen oder Genres elektronischer Musik, Klassik, Jazz und Blues. Ein Befragter erwähnt explizit Volksmusik, was im Kontext des Migrationshintergrundes der Familie steht. Mehrere (männliche) Befragte verweisen auf ihre persönliche Hard-Rock-Phase.143 Die von den Befragten genannten Stilbegriffe sind selbst gewählt und nicht nachträglich entsprechend einer Kategorisierung zugeordnet. So kann hier eine Unterscheidung z. B. in Rock- und Popmusik konstatiert werden, gefolgt von Unterbegriffen wie Funk, Soul etc. als Beleg einer differenzierten Wahrnehmung von Genres. Also eigentlich ist es relativ egal, solange ich das Lied mag, also ich, ich hab das mehr so phasenweise, ich hab ’ne Phase, da hab ich viel Rock, teilweise Hardrock, gehört, inzwischen, ähm, hör ich mehr so’n bisschen so’n Mix aus, ähm, Elektro, also so total Synthesizer, ähm, und dann halt mit normalen Instrumenten begleitet Am, Absatz 39
jetzt hör ich grad, äh, dann hab ich ‘ne Zeit lang, hab ich so Hartes, ACDC, ’n bisschen Metal teilweise auch, da weiß ich aber nicht mehr die Interpreten, und so’n bisschen Rock halt, Hardrock, und jetzt hör ich vor allem, äh, ganz viel Funk, also ich hab immer so Etappen, in denen ich was hör, ich hab ganz lange Depeche Mode gehört, dann hab ich mir das so’n bisschen überhört, jetzt hör ich manchmal noch Depeche Mode, jetzt hör ich gerade Funk, das werd ich in zwei Jahren auch nicht mehr hören können, glaub ich, also Bm, Absatz 48
Mhm (bejahend) ja, also, so bisschen, ne, also damals bei der Gitarre war das so Richtung Rock, so Greenday und Sum 41 und halt so'n bisschen Punkrock und sowas halt, hatt ich dann damals angefangen zu spielen … Em, Absatz 19
und, ja, sonst, ähm, „Nothing else matters“ von Metallica, hab ich auch mal gehört, das war auch ganz witzig, und was ich auch gerne spiel, ist die „Cantinaband“ von Starwars Em, Absatz 59
In der Regel schon, also, na, ich sag mal, das ist relativ mein Musikgeschmack, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen, weil der ändert sich von Jahr zu Jahr tatsächlich, ich hab 'ne Metal-Phase hinter mir, 'ne total poppige Phase, 'ne elektronische Phase, 'ne jazzige Phase, das ist alles irgendwie immer wieder unterschiedlich, also ’n sehr breites Spektrum hab ich da schon abgedeckt, aber ich tatsächlich hab mich ’n Zeit lang sehr viel mit JazzCDs … Fm, Absatz 47
143 Vgl. Reinhardt, Jan/Rötter, Günther: Musikpsychologischer Zugang zur Jugend-MusikSozialisation, in: Heyer et al. (Hg.), 2013, S. 131.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 239
Auf die Interviewgruppe als Ganzes bezogen erweisen sich die präferierten Musikstile als breitgefächert und ausdifferenziert.144 Die Musikpräferenzen sind hinsichtlich der allgemeinen Ausrichtung mit den Schwerpunkten Pop- und Rockmusik als gemeinsames Merkmal als konjunktive Erfahrung mit Richtung Mainstream vergleichbar, darüber hinaus sind stark individuell ausgerichtete Haltungen deutlich erkennbar (s. weiter unten unter „Fallvergleichende Analyse“). Die Angaben beziehen sich zeitlich auf den aktuellen Status zum Zeitpunkt der Interviews und lassen mit Ausnahme der expliziten Bezüge, die jedoch eher selten sind, nur gelegentliche vergangenheitsbezogene Rückschlüsse zu. b) Kontextwissen Die genannten Schwerpunkte mit den beiden Stilkategorien Rock- und Popmusik entsprechen einer Normalverteilung innerhalb der Bevölkerung. Eine vom IfD Allensbach in Deutschland durchgeführte Umfrage aus den Jahren 2014/2015 (Bevölkerung ab 14 Jahre, n > 25000) ergibt eine Präferenzskala (vgl. Abb. „Beliebteste Musikrichtungen in Deutschland in den Jahren 2014 und 2015“), die sich in der grundlegenden Tendenz analog zu den Texten der Befragten verhält, auch wenn von den Befragten nicht alle in der Umfrage aufgeführten Genres wie Schlager, Musicals etc. genannt werden. Die in den Gesprächen aufgeführten Schwerpunkte entsprechen danach mit (englisch- und deutschsprachiger) Rock- und Popmusik, gefolgt von Elektro, Klassik, Jazz, Blues der Gewichtung der Allensbach-Testgruppe. Neben der konstatierten Normalverteilung bilden sich jedoch stark individuell geprägte Präferenzmuster aus, wie auch von Reinhardt und Rötter sowohl in Bezug auf die Entwicklung der Musikalität als auch der Präferenzen festgehalten wird. „Ausgehend von einer universellen entwicklungsfähigen Musikalität unterschiedlichen Ausmaßes, die den Gesetzmäßigkeiten einer Normalverteilung folgt, prägen sich musikalische Fähigkeiten, Geschmack, Präferenzen und der Gebrauch von Musik in hoch individuellen Mustern aus. Bedingt durch komplexe Wirkungsgefüge, sind als wichtigste Faktoren der Einflussnahme der musikalische Bildungsgrad, der emotionale Status sowie das soziale Umfeld zu nennen, wobei letzterem besonders im Jugendalter eine starke manipulative Bedeutung zukommt. Speziell Musikpräferenzen, die als Abbild des musikalischen Sozialisationsprozesses verstanden werden können, unterliegen dem Einfluss der situativen Gegebenheiten, die eine Modifikation im Sinne des psychophysiologischen Status des Rezipienten erfahren.“ 145
144 „Hinzu kommt: Nicht nur die Musik, auch die Jugend(-zeit) hat sich weiter verändert; sie unterliegt stetigen Ausdifferenzierungs- und Pluralisierungsprozessen. Mögen die von Baacke explizierten Orientierungsmuster Jugendlicher in ähnlicher Form noch vorhanden sein, so ist davon auszugehen, dass sich ihre Bedeutungen verschoben, teils intensiviert oder abgeschwächt haben – und dies in mannigfaltigen Formen und Weisen, die sich nur schwer umfassend rekonstruieren lassen.“ (Heyer et al., 2013, S. 5.) 145 Reinhardt, Jan/Rötter, Günther: Musikpsychologischer Zugang zur Jugend-MusikSozialisation, in: Heyer et al. (Hg.), 2013, S. 127.
240 | Popmusik aneignen
Abb. 43: Beliebteste Musikrichtungen in Deutschland in den Jahren 2014 und 2015146
146 Quelle: Statista/http://de.statista.com/statistik/daten/studie/171224/umfrage/beliebteste-mu sikrichtungen/Zugriff: 5.5.2016.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 241
c) Fallvergleichende Analyse Die Angaben der Befragten zu den bevorzugten Musiken lassen (s. weiter oben) die Feststellung zu, dass sowohl gemeinsame Präferenzen (auch im Sinne einer Normalverteilung) als auch stark individuell geprägte Verhaltensmuster feststellbar sind und auch nebeneinander vorhanden sind. Die Komplexität der Einflussfaktoren innerhalb des gesellschaftlichen und individuellen Sozialisationsprozesses kann abgesehen von der Abgrenzungsproblematik objektiver und subjektiver Determinanten an dieser Stelle nicht im Detail erarbeitet werden, sondern wird als grundlegende, aber variierende Rahmenbedingung vorausgesetzt. Die Interviews bzw. Gespräche mit den Befragten stellen darüber hinaus eine Momentaufnahme innerhalb eines nicht abgeschlossenen Entwicklungsprozesses der Befragten dar. Entsprechend sind die folgenden Aussagen zur fallvergleichenden Analyse hinsichtlich einer abschließenden Feststellung zu relativieren, da hier nicht festgestellt werden kann, inwieweit hier entwickelte Musikpräferenzen als Unterkategorie eines sich langfristig entwickelnden Musikgeschmacks bereits irreversibel sind oder nur einen Teilausschnitt innerhalb eines Prozesses widerspiegeln. Mit Ausnahme von Df gehen die Befragten relativ intensiv auf bevorzugte Popmusikstile ein, sowohl in Bezug auf gegenwärtige als auch auf in der Vergangenheit liegende. In der Darstellung sind jedoch zwei grundlegend verschiedene Verhaltensmuster erkennbar. So entspricht die Beschäftigung mit unterschiedlichen Musikrichtungen als Teil der eigenen biografischen Entwicklung dem Normalfall, jedoch entwickelt ein Teil der Befragten mehr ausdifferenzierte und spezialisierte Beziehungsmuster, während dagegen ein anderer Teil der Befragten in dieser Frage eher gleichgültig und indifferent erscheint. Die erstgenannte Gruppe kann als Expertengruppe bezeichnet werden, weil sie sich gezielt mit bestimmten Genres und deren Parametern sowie den wichtigen Interpreten befasst. Die Experten sind in der Lage Feinheiten innerhalb der Genres zu erkennen und miteinander zu vergleichen. Sie verschaffen sich weiterführende Informationen zu den Künstlern. Zu den Experten unter den Befragten gehören Bm und Fm. Bm befasst sich mit Bands und Künstlern, die untypisch für seine Altersgruppe und sein Alter sind. Möglicherweise ist hier der Einfluss seiner Eltern erkennbar, was aus dem Gespräch aber nicht hervorgeht. Der überwiegende Teil der genannten Künstler wie Mark Knopfler, Sting, Earth, Wind and Fire oder Depeche Mode waren vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren populär. Also so was, was ich manchmal höre und, äh, so, ich hör vor allem so, äh, ja was seh ich mir an, ich weiß nicht, also so, manchmal ich spiel alles Mögliche, also ich spiel, äh, manchmal Akkorde, manchmal probier ich aber auch ’n Riff zu spielen, ich lern meistens das halbe Riff und mehr kann ich nicht, dann hab ich kein Bock mehr, aber (lacht) irgendwie so’n paar Nirvana-Riffs oder, äh, weiß nicht, äh, Mark Knopfler, da kann ich nicht alles spielen, das ist ein bisschen zu anspruchsvoll, aber irgendwie keine Ahnung, äh, das, wie heißt es noch, ähm, „Money for Nothing“, das Eingangsriff und ja (..) das hat sich dann irgendwie so ergeben. Bm
Sting, Mark Knopfler hör ich, geh ich demnächst auch aufs Konzert Bm, Absatz 37
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Der Befragte weiß selbst, dass die von ihm bevorzugten Künstler nicht typisch für seine Altersgruppe sind (Bm war zum Zeitpunkt der Befragung 15 Jahre alt). Interviewer: Ja, aber jetzt würde mich interessieren, weil das ist so für jemand deines Alters #00:09:04-1# Befragter: ist eigentlich total untypisch #00:09:05-2# Bm, Absatz 43 – 45
Die Auseinandersetzung mit den genannten Musiken und Künstlern beschreibt Bm als eine Form der Erarbeitung. Er gibt an, dass er sich nicht nur mit gezielt ausgewählter Musik befasst, sondern sich in die Geschichte (hier Funk) „rein arbeitet“. Vermutlich wählt er danach weitere Künstler aus, mit deren Musik sich Bm befasst. Es kann angenommen werden, dass die Informationsbeschaffung vorwiegend Internet-basierend gestaltet wird. Also, ich hör Cool and the Gang Bm, Absatz 50
Earth, Wind and Fire, Bm, Absatz 52
Befragter: so Chaka Khan, genau, also die Klassiker eigentlich und so, also ich kenn mich jetzt so nicht wirklich aus, aber so, so, da arbeite ich mich gerad so Interviewer: Aber ist ja viel 70er-Jahre Befragter: Da arbeite ich mich so, ja die 70er, die Coolen (Lachen), da arbeite ich mich gerade rein in die Funk-Geschichte (…) und, ähm, was hör ich denn noch so? (…) Bm, Absatz 54 – 56
Der Befragte Fm ist mit 21 Jahren zum Zeitpunkt der Befragung hinsichtlich seiner aktiven Auseinandersetzung mit Musik in seiner Entwicklung als fortgeschritten einzustufen. Er kann bereits auf einen langjährigen Erfahrungshintergrund in Sachen spielerische Praxis, Ensemblespiel und Solovortrag zurückgreifen. Fm hat sich im Laufe seiner Entwicklung auf Jazz spezialisiert, was hinsichtlich der Normalverteilung an bevorzugten Musikrichtungen in seiner Altersgruppe außergewöhnlich ist. Er verweist gezielt auf Musiken und die für ihn interessanten Parameter und kann souverän mit Fachbegriffen umgehen. Ja, also, ähm, viel verändert hat sich halt, als ich da angefangen hab mit der Bigband zu spielen, da hat sich sehr viel verändert, auf jeden Fall, das war dann so mit dreizehn, vierzehn etwa, da sein, Klavierspiel, das war gar nicht so jetzt unbedingt geplant gewesen, ich kannte den Musiklehrer auch gar nicht, der hatte nur gehört, dass ich wohl ’n bisschen Klavier spielen kann, und ich hatte bis dahin nur Klassik gespielt, hat aber immer zu meiner Klavierlehrerin gesagt, ich würd auch gern mal irgendwie so'n bisschen was Schwungvolles irgendwie, ich wusste damals noch gar nicht, wie man das nennt so, irgendwie, da hat sie mir ’n paar Boogies mitgebracht, relativ einfach so, weiß jetzt gar nicht mehr, von wem die waren, ähm, war zwischendurch mal ganz schön, aber ansonsten hat sie halt viel Wert auch auf russische Komponisten, was auch schön ist und natürlich auch auf Bach und so weiter gelegt, ja und denn ist bei dem Musiklehrer da in seiner Bigband der Pianist ausgefallen, hat er mir einfach mal ein Stück von Herbie Hancock, „Canteloupe Island“, reinge-
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geben, das sollte ich einfach mal spielen und da gab’s tatsächlich, hatten die ’n Auftritt auch ’n paar Tage später, wo ich tatsächlich nur dies eine Stück mit begleitet habe, aber das hat so viel Spaß gemacht wie Klassik in den ganzen Jahren davor mir nicht, und da wusst ich gleich, in die Richtung muss es gehen. Fm, Absatz 37
Ja klar, da gab’s diesen Moment, wo ich so gemerkt hab, ja, das sind jetzt die Sachen, die du dir eigentlich immer gewünscht hast, so, dieses, weiß ich nicht, groovige, geshufflete, irgendwie so. Fm, Absatz 39
Ähnlich wie der Befragte Bm, der seine Auseinandersetzung mit Musik als Reinarbeiten bezeichnet, beschäftigt sich Fm mit Stilen und Genres und hat nach seinen Angaben bereits ein breites Spektrum abgedeckt, was ebenfalls wie bei Bm als gezielte Arbeit mit dem musikalischen Gegenstand betrachtet werden kann. In der Regel schon, also, na, ich sag mal, das ist relativ mein Musikgeschmack, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen, weil der ändert sich von Jahr zu Jahr tatsächlich, ich hab 'ne Metal-Phase hinter mir, 'ne total poppige Phase, 'ne elektronische Phase, 'ne jazzige Phase, das ist alles irgendwie immer wieder unterschiedlich, also ’n sehr breites Spektrum hab ich da schon abgedeckt, aber ich tatsächlich hab mich ’n Zeit lang sehr viel mit JazzCDs, mit Jazz beschäftigt und das war auch die einzige Phase, wo ich mir tatsächlich CDs gekauft habe, weil das, na ja, sagen wir mal, ist nicht so einfach zu bekommen, so im Internet so, und dann gibt’s halt so, beim Jazz, find ich, ist das Außergewöhnliche, dass das so viele geile Compilations gibt, wo so viele verschiedenen Titel drauf sind, das hab ich, ähm, im elektronischen Bereich zum Beispiel nicht so, oder so, da gibt’s immer die bestimmten Interpreten, die ihre Alben rausbringen und die hört man dann, aber beim Jazz gibt’s ja diese Riesenbandbreite an Interpreten und, ähm, tatsächlich hab ich, glaub ich, weiß nicht, mittlerweile 20 oder 25 Jazz CDs, von dem ganzen anderen Quatsch, das hab ich immer nur online alles abgerufen oder so. Fm, Absatz 47
Das Befassen mit Stilen wie Latin Jazz oder Blues stellt den Befragten ebenfalls als spezialisierten Experten heraus. Also Latin Jazz war immer ’n Steckenpferd von mir, hab ich immer gerne gespielt und gehört, vor allen Dingen, ähm, was könnt man da noch nennen? Fm, Absatz 51
Die Klassiker, absolut, ja, ja, Blues halt noch, wenn man das noch mit irgendwie dazunehmen darf, Blues ist, glaub ich, auch so die Musikrichtung schlechthin für mich, also das kann ich auch zu jeder Tages- und Nachtzeit hören. Fm, Absatz 58
Obwohl sich die Experten hinsichtlich der Entwicklung von Musikgeschmack und Musikpräferenzen in einem Entwicklungsprozess befinden, haben sie eine intersituative Konsistenz von Musikpräferenzen entwickelt. In Abgrenzung zur Gruppe der Experten zeichnet sich die zweite Gruppe dadurch aus, dass sie die Musikwahl eher der Situation
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anpasst und einer kurzfristigen Zielsetzung unterordnet. Diese Gruppe zeichnet sich durch situatives Rezeptionsverhalten aus und kann daher der Gruppe der Unentschlossenen zugeordnet werden. Innerhalb dieser Gruppe kann jedoch differenziert werden zwischen denen, deren Absichten bei der Auswahl von Musik zwar zielorientiert sind, z. B. durch den Wunsch bestimmte Musiktitel spielen zu können und damit verbundene Techniken zu beherrschen, bei denen die Bindung an bestimmte Musiken jedoch nicht oder nur in Ansätzen gefestigt ist. Zu den Befragten, auf die dieses Verhalten zutrifft, gehören Am und Cm. Dagegen erscheinen die Aussagen von Df und Em bezogen auf Musikgeschmack und -präferenzen indifferent und können als situationsbezogene Präferenzen angesehen werden.147 Also eigentlich ist es relativ egal, solange ich das Lied mag, also ich, ich hab das mehr so phasenweise, ich hab ’ne Phase, da hab ich viel Rock, teilweise Hardrock, gehört, inzwischen ähm hör ich mehr so'n bisschen so'n Mix aus, ähm, Elektro, also so total Synthesizer, ähm, und dann halt mit normalen Instrumenten begleitet Am, Absatz 39
Also dass ich halt, ja das ist das, was ich momentan soviel höre, also Mix aus halt Elektro und nicht Elektro so, ähm, und vielleicht hör ich morgen wieder was anderes Am, Absatz 41
Puh, (...) am meisten gefallen, eigentlich nicht wirklich, eigentlich ist es mir immer so ’ne Gefühlsentscheidung, ob ich das Lied mag oder nicht, also gefällt’s mir, ähm, oder gefällt’s mir halt eben nicht Am, Absatz 43
Im Vergleich zu Am treten bei Cm Aspekte hervor, die eine festere Orientierung an bestimmten Genres oder Interpreten erkennen lassen. Es kann vermutet werden, dass er sich in einem Prozess der Aneignung von Spezialwissen befindet. Befragter: Ja, ich würde fast sagen, wenn mir 'n Song übern Weg läuft, aber manchmal ist es auch so, dass mir eher so Popsongs interessieren, mehr als Rocksongs, so wie zum Beispiel von AC/DC, Thunderstruck oder was auch immer, das zieh ich nicht so in Betracht wie jetzt zum Beispiel Waves von Mr. Probz, das mag ich ganz gerne. Cm, Absatz 33
Das is so, wo’s wirklich (...) ähm am meisten verzerrt wird, also wo, wo, ähm, wo mit, nich mehr mit Drumsets, mit diesen Computern gearbeitet wird, also mit, ich weiß jetzt nicht, wie man das nennt, aber da wird denn nur mit Computern gearbeitet, und denn wird das alles so gesampelt, also ich find es besser, wenn man’s wirklich, von einer, also mal’n Beispiel jetzt, wenn man jetzt Akustikgitarre spielt, da hat man den Klang, und der ist denn ja auch (...) einfach ganz nett, so Lagerfeuermusik praktisch. Cm, Absatz 43
Im Vergleich zu Am und Cm, deren noch nicht festgelegte Präferenzen auch im Sinne von Diversität verstanden werden können, wirkt die Festlegung bei Df und Em indifferent und
147 Vgl. Gembris (1990), S. 73–95.
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rein situationsbezogen. Während Auswahlmotive bei Df nicht deutlich zu erkennen sind, wird bei Em deutlich, dass die Wahl und Aneignung von Musik ausschließlich unter Aspekten der emotionalen Befriedigung betrachtet werden kann. Ich hör alles Mögliche, ich hör kroatische148 Lieder, Df, Absatz 57
dann hör ich noch, es gibt ein paar Songs von Schlager, aber Schlager mag ich nicht so richtig, dann hör ich auch gerne solche Art von Rihanna oder mal von dem, ähm, Sam Smith oder so was, also, eher so was (...) wie soll man sagen, (...) keine Ahnung, also ich hör Verschiedenes Df, Absatz 57
Also, du bist nicht festgelegt #00:06:09-7# Befragter: Mhm (verneinend) Df, Absatz 58 - 59
Mhm (bejahend) ja, also, so bisschen nä, also damals bei der Gitarre war das so Richtung Rock, so Greenday und Sum 41 und halt so'n bisschen Punkrock und sowas halt, hatt ich dann damals angefangen zu spielen, und da hab ich natürlich, die hab ich da vorher schon gehört, die Lieder und da dacht ich mal, ja das wär doch mal cool, wenn man die nachspielt, und denn hab ich das halt so, über YouTube kann man sich das ja beibringen, und da hab ich mir die Lieder angeguckt und dann hab ich die gespielt (..) und beim Klavier sind das eher so, hat das eher mit klassischen Stücken angefangen. Em, Absatz 19
Öh, ja, von Jerome Jarre, das „Flozing you?“ (Titel fragend ausgesprochen) heißt das, dann von (..) wie heißt er jetzt noch? „Stay with me“ von, wie heißt er noch, ist auch 'n relativ modernes Lied und, ähm, Kompetide? Wie heißt das noch von „Fabelhafte Welt der Amelie“, dieses eine bestimmte Lied, das ist so'n französisches Em, Absatz 55
Befragter: und, ja, sonst, ähm, „Nothing else matters“ von Metallica, hab ich auch mal gehört, das war auch ganz witzig, und was ich auch gerne spiel, ist die „Cantinaband“ von Starwars #00:07:42-8# Em, Absatz 59
Befragter: (Lachen) Und ja sonst, es sind, ja, „Für Elise“ auch noch und „Türkischer Marsch“, ja, das ist so, ja, unterschiedlich eigentlich von der Musikrichtung her Em, Absatz 61
Eigentlich kreuz und quer, also was mir gerade gefällt. Em, Absatz 63
148 Wurde unter dem Aspekt der Anonymisierung geändert.
246 | Popmusik aneignen
Befragter: Nee, ich weiß nicht, wenn mir die Melodien und so gefallen und, ähm, da irgendwas Besonderes am Lied ist, dann, ja, dann merk ich das schon eigentlich gleich so, also dann denk ich, oh geil, das will ich spielen können. Em, Absatz 67
Die weiter oben dargestellten unterschiedlich entwickelten Musikpräferenzen sind hinsichtlich der hier aufgeworfenen interpretativen Einordnung zwischen Diversität und Indifferenz im Einzelfall nicht klar zu trennen, da zum einen fließende Übergänge innerhalb eines Entwicklungsprozesses plausibel erscheinen und zum anderen die von den Befragten generierten Aussagen nicht als vollständig angesehen werden müssen. So ist beispielsweise durchaus denkbar, dass einzelnen Befragte nicht gern über das gewählte Thema sprechen, da es ihnen zu persönlich erscheint. Unter dem letztgenannten Aspekt ist die Art und Weise, welche Texte wie generiert werden, auch eine Frage der allgemeinen Persönlichkeitsmerkmale. An dieser Stelle kann festgehalten werden: Musikgeschmack und Musikpräferenzen sind bei den Befragten unterschiedlich entwickelt und weisen ein breites Spektrum auf. Eine generelle Aussage, dass eine intersituative Konsistenz von Musikpräferenzen nicht besteht, kann nicht festgestellt werden.149 d) Sequenzierung Aus den Texten kann die weiter unten dargestellte Sequenzierung gefolgert werden (s. Abb. „Sequenzierung Musikpräferenzen“. Danach liegt eine grundlegende Bereitschaft aller Gesprächspartner (mit Ausnahme von Df) zur Nennung von Präferenzen vor. Die Nennung von Präferenzen erfolgt zumeist aus dem Gesprächskontext oder seltener auf Nachfrage laut Interviewleitfaden. Wie weiter oben beschrieben kann zwischen Experten und einer Gruppe der Unentschlossenen differenziert werden. Entsprechend weisen die Folgetexte in unterschiedliche Richtungen, die entweder auf Spezialisierungen hinweisen oder die momentane Haltung als indifferent ausweisen. Einige Hinweise in der Gruppe der Unentschlossenen weisen auf zukünftige mögliche differenziertere Entwicklungen hin. Bei der Gruppe der Experten kann von einer Festigung der Präferenzmuster ausgegangen werden.
Abb. 44: Sequenzierung Musikpräferenzen
149 Vgl. hierzu Gembris (1990), S. 79. „Man kann also sagen, daß allgemein mit unterschiedlichen emotionalen Situationen ebenso verschiedene Präferenzen verknüpft sind, oder daß, anders ausgedrückt, eine intersituative Konsistenz von Musikpräferenzen nicht besteht.“
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 247
Vorbilder Leitfaden Welche Musik hörst du im Moment am liebsten? Kannst du sagen, was dir daran am besten gefällt? Stichpunkte Erfragen von Einzelkriterien/Parametern Instrumente Stimme Sounds Stil Der Aspekt der Miteinbeziehung von Vorbildern im Zusammenhang mit der Nennung von Musikpräferenzen ist in einem allgemeinen Kontext zu sehen und wird von den Befragten in dafür geeigneten Interviewpassagen eingebracht. Der Aspekt Vorbilder ist insofern keiner speziellen Frage des Leitfadens zuzuordnen, steht jedoch noch am ehesten im Kontext der oben dargestellten Fragestellung zu Musikpräferenzen, da sich hier neben der Nennung musikalischer Parameter der Bezug zu konkreten Vorbildern anbietet. Es werden nur die Textstellen aufgeführt, in denen sich die Befragten explizit zum Aspekt Vorbilder äußern. Der Begriff Vorbild wird hier im Sinne einer bewussten auf Musik bezogenen Wahl eines Künstlers, eines Interpreten oder eines Autors verstanden, dessen künstlerisches Wirken als vorbildlich im Sinne eines Orientierungsrahmens für die eigene musikalische Entwicklung angesehen wird.150 Dies schließt vorwiegend die künstlerische Arbeit ein, die als vorbildlich betrachtet wird, kann jedoch auch den Künstler als Persönlichkeit berühren, womit ein fließender Übergang vom Vorbild zum Idol gegeben wäre. 151 Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Ist relativ neu, ja, ja, klar also die (unverständlich) also Ella Fitzgerald mag ich furchtbar gerne, Ray Charles kann man ja nicht richtig dazu zählen, aber das ist, glaub ich, der, der mich am allermeisten geprägt hat von allen so, was Klavierspiel angeht, also, ich hab irgendwann festgestellt, dass ich tatsächlich schon anfange, mich wie er zu bewegen, so'n bisschen, wenn ich richtig drin bin. Fm, Absatz 53
150 Vgl. Eulenbach (2013), S. 252. 151 Der Begriff des Idols ist meist negativ belegt. „Idole werden meist posthum ausgerufen und zeichnen sich in dieser Perspektive durch Mythen- und Legendenbildung aus. Nach dem Tod eines Stars entsteht das Bedürfnis, dessen kontingente Lebens- und Todesumstände durch Mythenbildung zu verarbeiten und ihnen einen höheren Sinn zu verleihen.“ Eulenbach in Heyer et al. (2013), S. 252.
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Weil ich wahrscheinlich, weil er mich einfach so gefesselt hat (Lachen), 'ne Zeit lang wirklich, also es gab auch 'ne Zeit lang, wo ich wirklich nur Ray Charles gehört hab und diese ganzen vielen Sachen. Fm, Absatz 55 - 56
Ja, ja, Clapton auf jeden Fall, natürlich, ja, jede Menge, ach, das ist, ich weiß nicht, wahrscheinlich will mir jetzt zuviel einfallen, deswegen, ich bräuchte so meine Musiksachen jetzt gerade so parat, dann könnt ich genau sagen, ja, das ist klasse und das ist klasse, ähm, so jetzt gerade bin ich viel zu aufgeregt, um da groß Sachen zu nennen, aber ja, das sind so die Blues, Jazz, das ist schon so das. Fm, Absatz 60
und, ähm, ich bin da vielleicht ’n bisschen, vielleicht bin ich ’n bisschen konservativ, also sag schon, die Alten hatten’s wirklich drauf, aber man stößt doch hin und wieder, finde ich, auf Sachen so, ich zum Beispiel ’n großer Fan auch von Harry Conwick Jr., falls Ihnen das was sagt, so’n sehr cooler Typ aus den Staaten, der halt ’n voll heftiges Jazzpiano spielt und den ich abgöttisch liebe, und auch seine Live-Auftritte sind total der Hammer und, ähm, ich hab mich auch schon drangesetzt, das mal so'n bisschen rauszuhören, aber der spielt dann aber auch schon wieder so verrückte Sachen, dass ist nicht, ist für mich völlig, wie man’s spielen kann, versteh ich gar nicht (Lachen), aber ich hör schon gern die Klassiker, so auch alleine vom, vom Vintage her, so von dem Feeling, was man dabei hat, so'n bisschen Vintage. Fm, Absatz 80
a) Sachanalyse Die Frage, ob Vorbilder bei der musikalischen Orientierung und der Entwicklung von Musikgeschmack und -präferenzen eine Rolle spielen, ergibt zum Zeitpunkt der Interviews kein klares Bild. Hier lassen eher die nicht generierten Texte Rückschlüsse auf hypothetischer Grundlage zu. Danach spielen konkrete Vorbilder mit Ausnahme von Fm hinsichtlich der eigenen musikalischen Orientierung und Entwicklung keine nennenswerte Rolle (vgl. Abb. „Vorbilder“). Es kann angenommen werden, dass Vorbilder in der Altersspanne der Befragten zwischen 12 und 17 Jahren eher innerhalb kurzer Phasen von Relevanz sind, jedoch hinsichtlich einer langfristig angelegten Strategie noch nicht von Bedeutung für den eigenen Lernprozess sind. Eltern und weitere Personen aus dem Familienumfeld spielen keine Rolle mehr. Der erwähnte Befragte Fm ist zum Zeitpunkt der Befragung 21 Jahre alt und bildet insofern hinsichtlich des Alters die obere Spitze innerhalb des Altersspektrums. Bei den Texten des Befragten Fm fällt auf, dass er bereits auf Stile wie Soul und Jazz festgelegt ist. Entsprechend können die von ihm genannten Vorbilder wie Ella Fitzgerald oder Ray Charles den genannten Genres zugeordnet werden. Die genannten Vorbilder lassen langfristig situativ ungebundene Präferenzen erkennen als Teil eines bereits gefestigten Musikgeschmacks. Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Codes zum Aspekt Vorbilder (Musiker/Bands).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 249
Am
Bm
Cm
Df
Em
Fm
0
0
0
0
0
4
Tab. 20: Vorbilder (Musiker/Bands) b) Kontextwissen Wie weiter oben angeführt, werden von den Befragten mit Ausnahme des Befragten Fm keine Vorbilder explizit erwähnt oder nur indirekt angesprochen. Lediglich der Interviewpartner Bm bezieht sich in seinen Aussagen mehrfach auf bestimmte Künstler wie Depeche Mode, Sting oder Mark Knopfler. Dies steht jedoch allgemein im Zusammenhang mit präferierter Musik und solcher Musik, die sich der Befragte aneignen möchte. Die genannten Künstler werden nicht als Vorbilder angegeben. Dass die Befragten mehrheitlich keine Bezüge zu musikalischen Vorbildern herstellen, kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Der Bezug auf feste Vorbilder ist Teil der Entwicklung von Musikpräferenzen und somit Teil eines Prozesses, der in einer Altersspanne von 12 bis 18 Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Die Fragestellung bevorzugter Künstler als Vorbilder ist hier eher unter entwicklungspsychologischen Aspekten einzuordnen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Popmusik und dem erweiterten Zugang zu Popmusik sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Aspekten hat seit den 1980er-Jahren eine deutlich zu beobachtende Diversifizierung im Hörverhalten der Rezipienten stattgefunden. Die Bindung z. B. bestimmter sozialer Milieus an bestimmte Musikgenres ist immer weniger feststellbar und nicht mehr von bestimmender Relevanz. Vielmehr kann dagegen angenommen werden, dass Musik als Teil des Selbstkonzepts selbstbestimmt gewählt und unterschiedlichen Situationen angepasst wird.152 Weiterhin greift ein Aspekt der Theorie der Selbstsozialisation nach Niklas Luhmann, der von einer selbstreferenziellen Logik innerhalb des Prozesses ausgeht.153 Selbstreferenzialität ist gerade im System Popmusik, in welchem es neben dem Prinzip von Listening und Copying154 um die Entwicklung eines eigenen musikalischen Ausdrucks geht, das grundlegende Prinzip einer übergeordneten musikalischen Zielsetzung. Eine frühe und einseitige Bindung an Vorbilder wäre in diesem Sinne kontraproduktiv, da der Wunsch nach eigener und vielseitiger musikalischer Entwicklung mit einer offenen Orientierung korrespondiert. Zudem beinhaltet ein offener Umgang mit Genres und Stilen Momente von Souveränität, die es zunehmend in späteren Adoleszenzstadien zu erlangen gilt. „[…] die konkrete Frage nach Vorbildern und/oder Idolen oder personalen Orientierungen trifft scheinbar immer weniger die Selbstdefinition und das Selbstbild der jungen Menschen, ihre Alltagssituation und Auffassung vom zukünftigen Leben. Vorbilder und Idole spielen für junge Menschen immer weniger eine orientierende und verhaltensprägende Rolle […]“155 Ein einseitiges Festhalten an einem bestimmten Genre oder wenigen ausgewählten Künstlern wäre in diesem Sinne auch
152 153 154 155
Vgl. Reinhardt/Rötter, in: Heyer et al. (2013), S.133f. Vgl. Hurrelmann (201210), S. 20. Vgl. Green (2002), S. 60. Griese (2002), S. 236.
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„uncool“ und könnte als Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins verstanden werden. „Die jugendliche Selbstentfaltung in Jugendkulturen folgt ebenfalls dem Leitbild der Individualität, da Kleidung, musikalische und lebensstilistische Orientierungen in Jugendszenen der Demonstration von Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit dienen. Vielfach herrscht sogar ein ‚kulturelles Verbot, jemanden zu kopieren’ vor.“156 Die seit den 1980er-Jahren extrem angestiegene mediale Verbreitung von Musik geht mit der von den Rezipienten angenommenen Vielfalt in der Rezeption und Aneignung von Musik einher.157 Während in den frühen Initiierungsphasen der musikbezogenen Aktivitäten Eltern und das nahe Umfeld eine gewichtige Rolle spielen, haben diese im Jugendalter keine oder zumindest eine stark untergeordnete Bedeutung. Hier gilt generell, auch unabhängig von der hier vorliegenden Fragestellung, eine Verlagerung von Nahbereichen zu Fernbereichen.158 Die Schaffung elternfreier Zonen durch die Beschäftigung mit Musik geht nach Harring mit intensiven Lernerfahrungen und der Entwicklung sowohl sozial-kommunikativer als auch sprachlicher und künstlerischkreativer Fähigkeiten einher.159 Gegenüber früheren geschichtlichen Phasen hat die Beschäftigung mit Rock- und Popmusik jedoch ihren Protestcharakter, auch als Mittel des Protests gegen das eigene Elternhaus, verloren. Aus den Texten der Befragten gehen keinerlei Aussagen hervor, die Rückschlüsse auf die Rezeption oder Aneignung von Musik im Sinne subversiver Rockmusiktraditionen zulassen. So fällt den Eltern als möglichen Vorbildern keinerlei Bedeutung zu, darüber hinaus erscheinen sie als Angriffsflächen musikbezogener Proteststrategien nicht geeignet. Zum einen handelt es sich bei heutigen Elterngenerationen ebenfalls um Popmusik-sozialisierte Generationen, zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass Jugendlichen genügend Freiräume durch ihre Familie eingeräumt werden, um sich musikalisch als Rezipienten und Akteure auszuprobieren. Eine entsprechende Umfrage im Rahmen der Shellstudie 2015 ergibt, dass die meisten Jugendlichen mit ihren Eltern160 zufrieden sind und gut mit ih-
156 Zinnecker (1987), S. 297. 157 Jan Delay sagt zu diesem Thema in der NDR-Talk Show vom 11.4.2014: „In der Neunzigern, so, wo wir auch angefangen haben Musik zu machen, da haben wir auch als – ich komm ja von der Hip-Hop-Gruppe „den Beginnern“, den „Absoluten Beginnern“ – und wir hatten damals immer schon darunter zu leiden und damit zu kämpfen, dass wir ganz viele verschiedene Musiksachen gehört haben und das auch immer in unsere Musik einbringen wollten, und dann hieß es, äh, nicht der Hip-Hop und so. Weil damals war alles krass in Genres unterteilt, und jede Subkultur stand für sich und hatte ihre Codes, und man konnte da nicht einfach sich bedienen oder da rein oder da mal auf die Party gehen oder aufs Konzert. Und das ist heute nicht mehr so, und letztendlich ist das für uns heute das Paradies, weil das haben wir uns damals so erhofft, dass das irgendwann mal so ist. Also das Internet hat auch viel Gutes.“ Quelle: https://www.YouTube.com/watch?v=P6vw kLCbOm4. Zugriff: 20.5.2016. 158 Vgl. Griese (2000), S. 233ff. 159 Vgl. Harring (2013), S. 298. 160 Zur Komplexität der Begriffe Eltern und Familie sei an dieser Stelle verwiesen auf Winfried Papes Beitrag „Familiale musikalische Sozialisation“ in Heyer et al. (2013) S. 219–248. Im Rahmen dieser Arbeit findet jedoch keine vertiefende Auseinandersetzung mit den Begriffen statt, da im hiesigen Kontext nicht von besonderer Relevanz.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 251
nen auskommen (vgl. Abb. „Verhältnis Jugendliche – Eltern 2015“). Danach kommen 92 Prozent der Jugendlichen mit ihren Eltern ‚klar’ bzw. ‚bestens miteinander aus’.
Abb. 45: Verhältnis Jugendliche – Eltern 2015161 Der Umgang mit Vorbildern steht zudem möglicherweise in einem spezifisch kulturellen Kontext. Während es in Großbritannien oder den USA eher traditionsbezogene (gerade in Bereichen populärer Musik) Verhaltensmuster gibt, sind diese in Deutschland eher untypisch. So gehört es durchaus zur Normalität, dass sich USamerikanische oder britische jugendliche Musiker auf Bruce Springsteen, Johnny Cash, U2 oder die Beatles als musikalische Vorbilder beziehen, während ein vergleichbarer Bezug jugendlicher Musiker in Deutschland auf Herbert Grönemeyer oder Udo Lindenberg weniger wahrscheinlich ist. Hier ist anscheinend innerhalb der populären Kultur das Selbstverständnis ein anderes, was an dieser Stelle jedoch nicht weiter erforscht werden kann. c) Fallvergleichende Analyse Wie weiter oben erwähnt, können Rückschlüsse zur Frage der musikalischen Vorbilder nicht nur aus den expliziten Aussagen gezogen werden, sondern vornehmlich auch aus den nicht generierten Texten. Danach orientieren sich die Gesprächspartner überwiegend nicht an Vorbildern. Dies kann beispielsweise mit der Altersstruktur der Befragten begründet werden. Lediglich Fm bezieht sich explizit auf musikalische
161 Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/177323/umfrage/verhaeltnis-zu-eigeneneltern/Zugriff: 23.5.2016.
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Vorbilder. Er ist mit 21 Jahren zum Zeitpunkt der Befragung der älteste Gesprächspartner. Die Fähigkeit einer Vorbildnennung, die auf konkreten Stilmerkmalen beruht, setzt demnach in der Biografie vorhandene große Erfahrungsräume voraus und kann erst gegen Ende des Teenie-Alters überhaupt entwickelt werden. Dagegen kann davon ausgegangen werden, dass sich jugendliche Amateurmusiker zunächst über längere Zeit in ein Experimentierfeld begeben, in dem sie nach Orientierungspunkten suchen, die erst nach und nach zu konsistenten Mustern herausgebildet werden mit einer erst später folgenden Option der Orientierung an Vorbildern. Bei den Befragten findet daher überwiegend eine Konzentration auf ausgewählte Musiken statt, verbunden mit der Fokussierung auf Parameter oder Kategorien wie Spieltechniken, Sounds und Strukturen. Bei den Strukturen kann hierbei zwischen Mikrostrukturen wie Akkordbildung und Makrostrukturen wie Formen und Abläufen unterschieden werden. Die Befragten befinden sich in einem selbst bestimmten Professionalisierungsprozess, innerhalb dessen die folgenden Unterscheidungsmerkmale konstatiert werden können, die sich hier nicht auf explizite Äußerungen beziehen, sondern aus dem Kontext der verschiedenen Antwortmuster gebildet werden können. Danach können folgende Entwicklungsstufen festgehalten werden, die als Grundlage einer Typenbildung angenommen werden können: • Die Suchenden – Die Suchenden orientieren sich ausschließlich an Musik, die sie
emotional anspricht. Sie sind Begeisterte in Sachen Musik und haben Lust sich diese anzueignen. Zu dieser Gruppe gehören die Befragten Am, Df und Em. • Die Fortgeschrittenen – Die Fortgeschrittenen sind ebenfalls nicht fokussiert auf bestimmte Musik, interessieren sich aber bereits mehr für Details und probieren verschiedene Wege der Aneignung aus. Dies kann auch das Spielen mehrerer Instrumente beinhalten. Zu dieser Gruppe gehört der Befragte Cm. • Die Spezialisten – Die Spezialisten haben sich bereits über längere Zeit relativ intensiv mit Musik, den Spielweisen, auch in Bezug auf bestimmte Stile befasst und arbeiten sich in Genres ein. Sie kennen sich sehr gut mit Musik und den damit verbundenen Künstlern aus und verfügen über weiterentwickelte analytische und reflexive Fähigkeiten. Zu dieser Gruppe gehört der Befragte Bm. • Die Profis – Auf die Profis treffen ebenfalls die Merkmale der Spezialisten zu. Ein Teil ihrer musikalischen Entwicklung innerhalb des noch weiter zu entwickelnden Prozesses ist bereits abgeschlossen. Sie bewegen sich souverän im Umgang mit Musik, sie orientieren sich an konkreten Vorbildern als Teil des eigenen musikalischen Entwicklungsprozesses und bestreiten regelmäßig Auftritte. Zu dieser Gruppe gehört der Befragte Fm. d) Sequenzierung Aus den oben aufgeführten Analyseschritten und Gesprächstexten lässt sich eine grundlegende Sequenzierung ableiten. Während die jüngeren Befragten (mit Ausnahme von Em, der zum Zeitpunkt der Befragung 20 Jahre alt ist) vorwiegend bevorzugte Musiken nennen, geht nur der Befragte Fm (21 Jahre) konkret auf Vorbilder ein und begründet seine Wahl mit einem bereits grundlegend gefestigten Musikgeschmack. Die Gruppe der Jüngeren bezieht sich dagegen auf konkrete Musi-
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ken und weist unterschiedliche stark entwickelte Differenzierungsstrategien auf. Diese reichen von stark differenzierten und auf konkrete Künstler bezogenen Betrachtungsschritten bis hin zur Nennung keinerlei Details (s. Abb. 45 „Sequenzierung Vorbilder“).
Abb. 46: Sequenzierung Vorbilder Analytisch-ästhetische Kompetenzen Subcodes • • • • • •
Analytisches Hören Erlernen von Fachbegriffen Detailarbeit Reflexion und Ästhetik Sachinformationen Stilsicherheit
Leitfaden Der Auswertungskategorie liegen keine vorformulierten Fragestellungen zugrunde. Eine explizite Formulierung ist aufgrund der inhaltlichen Bedeutung darüber hinaus nicht möglich. Die dazu generierten Texte sind im Verlauf der Gespräche entstanden. Die Zuordnung der Codes und Subcodes basiert daher nicht auf expliziten Aussagen zum Gesprächskontext, sondern ist das Ergebnis einer Inhaltsinterpretation, ausgehend von der Hypothese, dass sich die Befragten aufgrund ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Musik analytisch-ästhetische Kompetenzen aneignen. Die mehr sachbezogene Ebene der Analyse ist hier gezielt mit der ästhetischen Ebene zusammengefasst, da die Entwicklung ästhetischer Sichtweisen stark mit der Analysekompetenz verbunden ist, auch im Sinne einer ästhetischen Rationalität.162 Dies beinhaltet ebenso die Entwicklung sachbezogener Kompetenzen, die einen sicheren Umgang mit Stilen, Techniken und damit verbundenen ästhetischen Einschätzungen erkennen lassen. Die Abbildung „Äußerungen analytisch-ästhetische Kompetenzen“ beinhaltet die Verdichtung themenbezogener Äußerungen. Im Folgenden werden die Texte zu den oben aufgeführten Subcodes separat aufgeführt und einer ersten Analyse unterzogen.
162 Vgl. Rolle (1999), S. 8./Schütz (1997), S. 3 mit Bezug auf Hermann Kaiser.
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Hierbei kommt es teilweise zu Überschneidungen, die inhaltlich begründet sind, da Einzelaspekte wie Detailarbeit oder Erlernen von Fachbegriffen eng miteinander verknüpft sind. Dies gilt ebenso für weitere Subcodes. Zur vorliegenden Fragestellung wird die sonst übliche Folge der Analyseschritte etwas abgeändert, was durch die notwendige Analyse der einzelnen Subcodes bedingt ist. Die Sachanalyse folgt unmittelbar auf die aufgeführten Texte der Befragten. Kontextwissen, Fallvergleichende Analyse und Sequenzierung werden abschließend zusammenfassend durchgeführt. Befragte von oben nach unten: Am/Bm/Cm/Df/Em/Fm.
Abb. 47: Äußerungen analytisch-ästhetische Kompetenzen – Bearbeiteter Screenshot f4 Analytisches Hören Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Ähm, ehrlich gesagt, hör ich mir das Lied meistens immer erst an, ne, hör mir den Rhythmus an, und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, 'ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich damit auch zu meinem Musiklehrer und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da Am, Absatz 19
Dass es irgendwie im Internet so stand, ich fand aber, das klang doof und ich fand, also es klang halt anders im Vergleich Am, Absatz 23
Ja, raushören, das hab ich in letzter Zeit auch angefangen so’n bisschen, äh, hab ich gemerkt, warte mal, das ist doch’n D-Dur und das hab ich gemerkt nur so beim Hören, und dann hab ich, und dann probierst du mal ein D-Dur, das ist ’n D-Dur, wie geil, oder mal
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so’n bisschen rum probiert und dann gemerkt, ja okay, so geht das und dann hab ich mir das so’n bisschen so ertastet, also so’n bisschen raushören hab ich auch schon mal probiert. Bm, Absatz 23
Befragter: Ja, den sie gerne gespielt, oder Synthesizer waren, glaub ich, einfach ein bisschen äh, bisschen, ein bisschen individueller so
Dies ist eine wesentliche Kernaussage. Der Befragte kann die Unterschiede zwischen elektronischer Musik der 1970er-Jahre und heute hörend erfassen. Da es keinen allgemein gültigen Fachbegriff für die von ihm genannten Bereiche gibt, sucht er nach einer eigenen Formulierung, um die Soundunterschiede, die einhergehen mit der technischen Entwicklung, beschreiben zu können. Er spricht, ohne es zu wissen, die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Technik an. Zudem greifen die frühen ElektronikBands nicht auf Presets zurück, sondern entwickeln eigene Sounds. Die Musik von Acts wie Jean Michel Jarre, Kraftwerk, Tangerine Dream oder Vangelis wirkt durch die technischen Voraussetzungen daher individueller. Bm, Absatz 90
das ist so ‘ne Art Rauschen,
Zentrale Aussage zur analytisch-ästhetischen Kompetenz. Der Befragte findet den Begriff „Rauschen“ und beschreibt so heutige gängige Produktionsprozesse, die gekennzeichnet sind durch eine breite Abdeckung der Frequenzbereiche in Verbindung mit hohen Kompressionsgraden. Das daraus resultierende Soundresultat kann durchaus subjektiv als Rauschen bezeichnet werden, was die gleichmäßige Gewichtung von Ereignissen beinhaltet. Hierzu bietet sich eine Frequenzspektrumanalyse zu ausgewählten Chart-Songs an. Bm, Absatz 96
Befragter: Dann hör ich so den Beat raus und denk, so, okay, wie spielt man den jetzt und, äh Bm, Absatz 108
Befragter: Genau, wie spielt der Drummer das, oder ich hör den Gitarrensound, ich probier so den Rest auszublenden, nur die Gitarre rauszuhören, was macht der gerade so, auch wenn das nur einer ist, der so in, äh, im Rhythmus drin ist, der nur Rhythm-Guitar spielt, so, aber irgendwie probier ich da halt so die einzelnen Spuren, und hör ich den, switch auf’n Bass, probier nur den Bass zu hören, und das stell ich mir also dann, mach ich die Augen zu und konzentrier mich halt nur auf den Sound (…) Sound und, und, äh, und das was, äh, also die einzelnen, äh, die einzelnen Parts halt Bm, Absatz 110
Ja, das mach ich, also, so in die Richtung mach ich vor allem beim Schlagzeug und, und, äh, auch, wie hat der seine Felle, oder hat der jetzt lange Trommeln oder kurze Trommeln, was spielt der für’n Beckensatz, so in die Richtung, das mach ich (.), weil ich schon seit acht Jahren Schlagzeug spiele, also, da kenn ich mich halt schon viel, viel mehr mit aus als mit E-Bass, das spiel ich drei Jahre und Gitarre nur ein Jahr, da kenn ich mich am meisten
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aus, aber wenn ich so gut Gitarre oder E-Bass spielen könnte wie ich Schlagzeug spielen kann, dann wär das, glaub ich, was anderes Bm, Absatz 116
Befragter: Ja, das hab ich 'ne Zeitlang gemacht, zum Beispiel die Basstöne mal raussuchen oder die Gitarrentöne, also nicht die Töne, aber die Griffe so, Akkorde, ja
Die Intensivierung des Umgangs mit Musik führt zu einer Verfeinerung der Strategien von der Herangehensweise von Trial & Error zu einer gezielteren und detailbezogenen Strategie. Cm, Absatz 69
Nee, ich achte halt, also, wenn ich ein Lied habe, das ich ganz doll mag, dann hör ich’s mir an, und dann hör ich mir auch manchmal Covers an, also von anderen Leuten, wie sie das singen
Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Versionen weist auf die Entwicklung ästhetischer Kompetenzen als gezielte Strategie hin. Df, Absatz 63
Und von, weil, jeder singt das ja anders Df, Absatz 65
Interviewer: Okay, also du orientierst dich an verschiedenen Leuten, die das auch schon unterschiedlich singen, richtig? #00:07:04-5#
Gezieltes Arbeiten mit verschiedenen Versionen als Teil einer ästhetischen Annäherung durch Versionenvergleich. Befragter: Mhm (bejahend) Df, Absatz 68 - 69
Ja, das wusste ich in der Regel, also, richtig gelernt hab ich’s dann erst im Laufe dieses Jazzunterrichts, aber vorher, naja, ich wusste halt mit B oder B7, heißt nun die 7 dazu nehmen, so die ganz komplizierten Sachen mit 7/9/13, was da noch alles stehen kann, Kreuz 8 und so weiter, das wusste ich nicht, aber, ähm, halt auch so'n bisschen geguckt, wie der Sound in dem Moment klingt, ob der halt so nach ‘ner 7 klingt, was die Bläser spielen, dann spiel ich halt auch 'ne 7 dazu, einfach, oder ob’s gerade weicher klingt, nach ‘ner 6 eher, nach ‘ner Sexte oder so, dann hab ich auch 'ne Sexte da reingespielt, also ich hab mich auch mal ’n bisschen orientiert, was die anderen gemacht haben, halt so'n bisschen. Fm, Absatz 23
Hmm, als ich, ’n richtiges absolutes Gehör hab ich, glaub ich, nicht, ich hab mir aber antrainiert, mir Stücke so gut einzuprägen, dass ich mir die Tonhöhe jederzeit raufholen kann und mittlerweile kenn ich das dann so, also, bestimmte Sachen kann ich halt erkennen, so C-Dur, also das ist, sobald das jemand spielt, weiß ich immer sofort, dass es C-Dur ist, aber wenn jetzt fis-Moll oder so, dann muss ich erst im Kopf überlegen, ob ich ’n Stück in fisMoll irgendwo habe und leg das einfach in Gedanken darüber so, fahr das einmal hoch
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quasi, hör das einmal innerlich und wenn das dazu passt, weiß ich, das ist fis-Moll, das erleichtert das Ganze dann, also das ist, denk ich, da auch wieder so 'ne Mischung halt aus theoretisch und selbst praktischem Hören, denk ich mal.
Aus dieser Aussage wird nicht deutlich, was der Befragte hinsichtlich seiner Aneignungsstrategien genau meint. Möglicherweise ist der Befragte in der Lage, Stufen oder Funktionen in für ihn einfachen Tonarten zu hören und spontan nachzuspielen. Eine andere Interpretation ist dahingehend möglich, dass Gehörtes mit Bekanntem hörend abgeglichen wird, um Akkordverläufe wiederzuerkennen. Fm, Absatz 31
aa) Sachanalyse – Analytisches Hören Die Befragten gehen je nach eigenem Interesse unterschiedlich in der Analyse des ausgewählten Materials vor. Eine Variante ist hierbei eine stark ausgeprägte Orientierung am Material, was eine analytische Vorgehensweise durch Hören beinhaltet. Die Vorgehensweise ist durch eine Fokussierung auf das Erkennen und Erlernen von Akkorden gekennzeichnet. Das analytische Vorgehen beginnt bei Am jedoch bereits vor der Erarbeitung, indem das Material zunächst unter Aspekten wie Analyse des Rhythmus und der Fragestellung, welche Passagen zu spielen Sinn macht, reflektiert wird. Der letztgenannte Aspekt kann als Analyseschritt im Zusammenfassen sinngebender Einheiten unter dem Aspekt des Erkennens einzelner Instrumentenspuren oder einzelner Bestandteile des Arrangements interpretiert werden. Eine sinngebende Einheit in diesem Sinne ist beispielweise eine Gitarrenbegleitung, die einem Instrument (einer Gitarre) zugeordnet werden kann. Da im modernen Mehrspurverfahren selten nur einzelne Spuren mit nur einem Instrument aufgenommen werden, sondern meist mehrere Dopplungen, z. T. mit leichten Variationen, ist ein Herausarbeiten sinngebender Einheiten wie oben beschrieben ein zentraler auf Erfahrung beruhender Schritt der Analyse.163 Bei der Materialanalyse findet eine gezielte Differenzierung nach Parametern wie Rhythmus, Akkorden und Melodie statt. Ähm, ehrlich gesagt, hör ich mir das Lied meistens immer erst an, ne, hör mir den Rhythmus an und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat, spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, 'ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich damit auch zu meinem Musik-
163 Ein geeignetes Hörbeispiel in diesem Kontext ist „Free Fallin‘“ von Tom Petty aus dem Jahre 1989. Oberflächlich betrachtet enthält der Titel eine im Vordergrund stehende Rhythmusgitarre, die den Titel begleitet. Bei genauerem Hinhören wird jedoch deutlich, dass die vermeintlich von nur einem Instrument gespielte Gitarrenbegleitung aus vielen eingespielten Spuren besteht, teils in unterschiedlichen Lagen gespielt. Das Ergebnis ist eine „Wall of Sound“, wie sie vor allem in den 1960er-Jahren von Phil Spector entwickelt wurde.
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lehrer und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da Am, Absatz 19
Bei der Erarbeitung des Materials oder der weiteren Informationsbeschaffung werden Internetquellen herangezogen. Die angebotenen Materialien werden hierbei einer sachlichen und ästhetischen Prüfung durch vergleichendes Hören unterzogen. Die vorgefundenen Materialien werden ggf. korrigiert (bei Sachfehlern) oder den eigenen Vorstellungen angepasst. Dass es irgendwie im Internet so stand, ich fand aber, das klang doof und ich fand, also es klang halt anders im Vergleich Am, Absatz 23
Ein weiterer Aspekt als Teil des analytischen Hörens ist auf die Wahrnehmung des Sounds fokussiert. Der Befragte Bm nimmt die unterschiedlichen Ergebnisse des Gesamtsounds in historischen Kontexten reflektierend wahr und versucht die wahrgenommenen Unterschiede mit eigenen Begriffen zu erfassen. Er kann deutliche Unterschiede zwischen auf dem Einsatz von Synthesizern basierender Musik der 1970er-Jahre und heutigen Produktionen wahrnehmen. Sein Interesse ist deutlich an einer Ästhetik des Sounds ausgerichtet. Befragter: Ja, den sie gerne gespielt oder Synthesizer waren, glaub ich, einfach ein bisschen äh, bisschen, ein bisschen individueller so Bm, Absatz 90
Befragter: Ja, das ist irgendwie (.) und die meisten, äh, die meisten Lieder jetzt, das ist so ‘ne elektronisch verstellte Stimme, die haben ‘nen einfachen Beat, der immer nz-nz-nz macht, also Depeche Mode hatten zum Beispiel viel besser, die spielen live immer mit ‘nem Drummer und, äh, die sind einfach vom Beat her einfach ’n bisschen einfallsreicher und haben halt so’n, so’n, ich, (…) den Sound kann ich gar nicht beschreiben, das ist so ‘ne Art Rauschen, was Töne hat, ich weiß nicht, das kann ich nicht beschreiben, aber … Bm, Absatz 96
Dass Bm heutige Musik (vor allen Dingen aktuellen Mainstream) als eine Art Rauschen bezeichnet, lässt auf weit entwickelte Hörkompetenzen schließen. Für den folgenden Analysepunkt Kontextwissen bietet sich daher eine Frequenzspektrumanalyse ausgewählter Musiken ebenso an wie ein Vergleich unterschiedlicher Kompressionsgrade, um die Wahrnehmung des Befragten zu überprüfen. Darüber hinaus kann die Wahrnehmung aktueller Musik als Rauschen auch auf eine Verdichtung der Frequenzbereiche durch eine Erhöhung der Dichte durch entsprechende Arrangements zurückgeführt werden, die möglichst alle Frequenzbereiche durch den Einsatz entsprechender Instrumente und Sounds abdecken. Grundlegend kann festgehalten werden, dass die Veränderung in der geschichtlichen Entwicklung des Sounds in der Popmusik konstatiert wird, was auch auf einem analytischen Interesse beruht. Das Interesse an einer Analyse von Musik wird ebenfalls durch die folgenden Aussagen belegt. Danach werden klangliche Gesamtergebnisse gedanklich in einzelne Spuren oder Instrumente untergliedert. Trotz der Einbindung der Instrumente in
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einen Gesamtklang wird versucht, diese separat zu hören. Man könnte diesen Vorgang als besonderen Aspekt von Audiation bezeichnen, da dieser nicht von Notenmaterial ausgeht, sondern von Repräsentationen und Erfahrungen, die auf die eigene musikalische Praxis zurückzuführen sind. Der Abgleich mit eigenen Hör- und Spielerfahrungen ist notwendig, da einzelne Instrumente in Hörbeispielen vergleichsweise selten auftreten (z. B. als Einzelereignis in einem Intro) und hinsichtlich des Soloklangs von anderen Instrumenten verdeckt werden. So werden die oberen Mitten einer Bass Drum durch laute verzerrte Gitarren, die ebenfalls besonders stark im Mittenbereich zwischen 2 und 3,5 kHz hervortreten, verdeckt. Die Erfahrung mit Klang durch Spielen verschiedener Instrumente wird mit dem Gehörten als Gesamtklang abgeglichen, um so den Soloklang gedanklich zu rekonstruieren. Dies geschieht auch durch den Versuch, die anderen Instrumente durch inneres Hören auszublenden. Befragter: Dann hör ich so den Beat raus und denk, so, okay, wie spielt man den jetzt und, äh Bm, Absatz 108
Befragter: Genau, wie spielt der Drummer das, oder ich hör den Gitarrensound, ich probier so den Rest auszublenden, nur die Gitarre rauszuhören, was macht der gerade so, auch wenn das nur einer ist, der so in äh, im Rhythmus drin ist, der nur Rhythm-Guitar spielt, so, aber irgendwie probier ich da halt so die einzelnen Spuren, und hör ich den, switch auf’n Bass, probier nur den Bass zu hören, und das stell ich mir also dann, mach ich die Augen zu und konzentrier mich halt nur auf den Sound (…) Sound und, und, äh, und das was, äh, also die einzelnen, äh, die einzelnen Parts halt Bm, Absatz 110
Es werden nicht nur die einzelnen Instrumente gehört, sondern es wird auch der Versuch unternommen, die Marken der Instrumente zu identifizieren, was z. B. bei E-Gitarren teilweise denkbar ist, da geübte Musiker zumindest Klassiker wie Fender Stratocaster oder Telecaster problemlos erkennen können, ebenso wie einen Fender Jazz Bass oder einen mit einem Plektrum gespielten Rickenbacker Bass. Das Interesse reicht bis zu speziellen Bearbeitungen der Instrumente wie die Nutzung besonderer Felle bei Schlagzeugen, verbunden mit der Fragestellung der besonderen Erzeugung des Schlagzeugsounds. Ja, das mach ich, also, so in die Richtung mach ich vor allem beim Schlagzeug und, und, äh, auch wie hat der seine Felle, oder hat der jetzt lange Trommeln oder kurze Trommeln, was spielt der für’n Beckensatz, so in die Richtung, das mach ich (.), weil ich schon seit acht Jahren Schlagzeug spiele, also da kenn ich mich halt schon viel, viel mehr mit aus als mit E-Bass, das spiel ich drei Jahre und Gitarre nur ein Jahr, da kenn ich mich am meisten aus, aber wenn ich so gut Gitarre oder E-Bass spielen könnte wie ich Schlagzeug spielen kann, dann wär das glaub ich was anderes Bm, Absatz 116
Die an ästhetischen Vorstellungen orientierte Analyse richtet sich auch auf verschiedene Interpretationen desselben Songs, so zum Beispiel in Bezug auf abweichende Gesangsinterpretationen. Die Vergleiche eröffnen Optionen für eine eigene Fassung und bieten Orientierungsmerkmale für die Entwicklung eigener Techniken.
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Nee, ich achte halt, also, wenn ich ein Lied habe, das ich ganz doll mag, dann hör ich’s mir an und dann hör ich mir auch manchmal Covers an, also von anderen Leuten, wie sie das singen Df, Absatz 63
Und von, weil, jeder singt das ja anders Df, Absatz 65
Interviewer: Okay, also du orientierst dich an verschiedenen Leuten, die das auch schon unterschiedlich singen, richtig? #00:07:04-5# Befragter: Mhm (bejahend) Df, Absatz 68 – 69
Durch analytisches Hören findet eine Annäherung an das ausgewählte Material statt. Hierbei wird beständig zwischen dem aus der Spielpraxis Bekannten und den bereits erworbenen musiktheoretischen Kenntnissen abgeglichen. Aufgrund der zunehmenden Erfahrungen sind einige Befragte bereits in der Lage, z. B. Akkorde hörend zu erkennen. Auch hier spielen Aspekte der Audiation eine Rolle, da das Gehörte mit repräsentierten Hörerfahrungen durch inneres Hören in Übereinstimmung gebracht wird oder gebracht werden soll. Ja, das wusste ich in der Regel, also, richtig gelernt hab ich’s dann erst im Laufe dieses Jazzunterrichts, aber vorher, naja, ich wusste halt mit B oder B7, heißt nun die 7 dazu nehmen, so die ganz komplizierten Sachen mit 7/9/13, was da noch alles stehen kann, Kreuz 8 und so weiter, das wusste ich nicht, aber, ähm, halt auch so'n bisschen geguckt, wie der Sound in dem Moment klingt, ob der halt so nach ‘ner 7 klingt, was die Bläser spielen, dann spiel ich halt auch 'ne 7 dazu, einfach oder ob’s gerade weicher klingt nach ‘ner 6 eher, nach ‘ner Sexte oder so, dann hab ich auch 'ne Sexte da reingespielt, also ich hab mich auch mal ’n bisschen orientiert, was die Anderen gemacht haben, halt so'n bisschen. Fm, Absatz 23
Hmm, als ich, ’n richtiges absolutes Gehör hab ich glaub ich nicht, ich hab mir aber antrainiert, mir Stücke so gut einzuprägen, dass ich mir die Tonhöhe jederzeit raufholen kann und mittlerweile kenn ich das dann so, also, bestimmte Sachen kann ich halt erkennen, so C-Dur, also das ist, sobald das jemand spielt, weiß ich immer sofort, dass es C-Dur ist, aber wenn jetzt fis-Moll oder so, dann muss ich erst im Kopf überlegen, ob ich ’n Stück in fisMoll irgendwo habe und leg das einfach in Gedanken darüber so, fahr das einmal hoch quasi, hör das einmal innerlich und wenn das dazu passt, weiß ich, das ist fis-Moll, das erleichtert das Ganze dann, also das ist, denk ich, da auch wieder so 'ne Mischung halt aus theoretisch und selbst praktischem Hören, denk ich mal. Fm, Absatz 31
ab) Sachanalyse – Erlernen von Fachbegriffen Die Erarbeitung des Gegenstands Popmusik beinhaltet als Nebeneffekt die Erarbeitung einer Vielzahl von Fachbegriffen. Durch eine ästhetische Auseinandersetzung mit Musik werden unterschiedliche Produktionsweisen kennen gelernt, so z. B. der Unter-
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schied zwischen einer als Unplugged zu bezeichnenden Liveeinspielung und einer auf Sequenzereinsatz basierenden Sampletechnik. Das is so, wo’s wirklich (...) ähm, am meisten verzerrt wird, also wo, wo, ähm, wo mit, nich mehr mit Drumsets, mit diesen Computern gearbeitet wird, also mit, ich weiß jetzt nicht, wie man das nennt, aber da wird denn nur mit Computern gearbeitet, und denn wird das alles so gesampelt, also, ich find es besser, wenn man’s wirklich, von einer, also mal’n Beispiel jetzt, wenn man jetzt Akustikgitarre spielt, da hat man den Klang, und der ist denn ja auch (...) einfach ganz nett, so Lagerfeuermusik praktisch. Cm, Absatz 43
Eine gezielte auf Musikstile ausgerichtete Auseinandersetzung führt auch zu einer intensiven Analyse von Akkordstrukturen als gestaltendem Merkmal des Sounds. Das gezielte Erfassen von Jazz-typischen Vier- oder Fünfklängen stellt eine Verbindung zwischen einer grundlegenden Fähigkeit Akkorde zu konstruieren und einem resultierenden Klang als genretypisch dar, indem man „guckt, wie der Sound in dem Moment klingt.“ Das Wissen hierzu ist anscheinend nicht entsprechender Fachliteratur entnommen, sondern basiert auf multifrontalen Strategien, bestehend aus Lernen in der Gruppe, Lernen vom Lehrer, wiederholtem analytischen Hören und fortlaufendem Abgleich des Gespielten mit dem Gehörten. Ja, das wusste ich in der Regel, also, richtig gelernt hab ich’s dann erst im Laufe dieses Jazzunterrichts, aber vorher, naja, ich wusste halt mit B oder B7, heißt nun die 7 dazu nehmen, so die ganz komplizierten Sachen mit 7/9/13, was da noch alles stehen kann, Kreuz 8 und so weiter, das wusste ich nicht, aber, ähm, halt auch so'n bisschen geguckt, wie der Sound in dem Moment klingt, ob der halt so nach ‘ner 7 klingt, was die Bläser spielen, dann spiel ich halt auch 'ne 7 dazu, einfach oder ob’s gerade weicher klingt, nach ‘ner 6 eher, nach ‘ner Sexte oder so, dann hab ich auch 'ne Sexte da reingespielt, also ich hab mich auch mal ’n bisschen orientiert, was die Anderen gemacht haben, halt so'n bisschen. Fm, Absatz 23
Auch in Bezug auf technisches Grundwissen, z. B. im Kontext Aufnahmetechnik, verfügen die Befragten über entsprechende Kompetenzen. Befragter: Nee, hab ich bisher noch nie gemacht, nee, bisher immer nur live halt für Zuschauer irgendwie gespielt oder für mich, aufgenommen, fehlt mir auch ’n bisschen die Technik zu, obwohl ich die jetzt gerade so langsam zusammen hab, hab halt ’n E-Piano vor ’n paar Jahren erworben von Roland, ’n relativ gutes, und nun ist mir aufgefallen, es hat ja so'n USB-Anschluss, muss man ja irgendwie mal verbinden können, jetzt hab ich auch ’n Laptop, endlich mal wieder, ist mir nur ’n bisschen zu anstrengend, das jetzt hierher zu karren oder so (Lachen). Fm, Absatz 108
ac) Sachanalyse – Detailarbeit Der Begriff Detailarbeit beinhaltet eine Reihe inhaltlicher Bedeutungen. An dieser Stelle wird darunter jegliche musikalische Arbeit an einzelnen sich für den Befragten darstellenden Fragestellungen verstanden, wie z. B. die Behebung besonderer Prob-
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leme im eigenen Instrumentalspiel oder die Herausarbeitung spezieller Aspekte genretypischer Spielweisen durch Hören und Nachspielen.164 Die Wahrnehmung des eigenen Spiels als verbesserungsfähig führt beim Befragten Bm zu einer intensiven Übungsphase über mehrere Monate, da er sein Schlagzeugspiel (auch durch Hinweis seines Lehrers) selbst als nicht genau hinsichtlich des Timings erkennt. Um dieses zu verbessern, werden tägliche (abendliche) Übungsphasen eingehalten, in denen er zu Musik, die er über Kopfhörer hört, spielt. Es kann angenommen werden, dass das tägliche Üben zur Verbesserung des Spiels beigetragen hat. das lief alles nicht ganz so gut, weil ich hab Timing-Probleme, äh, und so was, das war vor allem, also Timing-Probleme waren vor allem das größte so, und dann hab ich ’n halbes Jahr da, nee, hab ich länger gespielt, auf jeden Fall hab ich dann da so richtig angefangen und auch mich dahinter zu klemmen, hab mich zu Hause jeden Abend irgendwie ‘ne Stunde hingesetzt, hab mir Musik auf die Ohren gemacht, hab dazu getrommelt die ganze Zeit, das hab ich, ähm, ich glaub, anderthalb Jahre ungefähr gemacht, also wirklich fast jeden Abend immer Musik auf die Ohren und Bm, Absatz 9
Verschiedene Musiken werden gezielt nach genretypischen Merkmalen durch häufiges Hören untersucht. Darüber hinaus findet eine Auseinandersetzung mit den Interpreten statt durch Beschaffung weiterer Informationen. Der Befragte empfindet sein Vorgehen selbst als „Reinarbeiten“ in die Thematik. Befragter: Äh, das ist es ja eigentlich auch, ähm, aber, also so die erste Musik, mit der ich, wo ich angefangen hab, da selber reinzuhören, das war Depeche Mode, hab ich richtig viel Depeche Mode gehört, ich hör jetzt auch noch Depeche Mode, ich hab irgendwie alle Alben auf meinem iPod von denen, hab auch mich richtig mit denen auseinandergesetzt, mit der Geschichte von denen, und so was, hab mich da richtig informiert und, äh, Depeche Mode halt, … Bm, Absatz 48
Da arbeite ich mich so, ja die 70er, die Coolen (Lachen), da arbeite ich mich gerade rein in die Funk-Geschichte (…) und, ähm, was hör ich denn noch so? (…) Bm, Absatz 56
Während der Befragte Bm an einer Vielzahl von Details zu den gewählten Musiken und Interpreten interessiert ist, auch in Bezug auf das Spielen verschiedener Instrumente, konzentriert sich die Befragte Df auf Ausdrucksweisen und Interpretationen ausgewählter Titel durch Vergleich von Coverversionen. Der Vergleich der sich hieraus ergebenden Details bildet die Grundlage des eigenen Gesangs durch Nachsingen und Neukonstruktion. Darüber hinaus gleichzeitig findet eine Auseinandersetzung mit appa-
164 Die hier aufgeführten Aspekte sind nicht immer deutlich von anderen Subcodes wie Analytisches Hören und Erlernen von Fachbegriffen zu trennen, da sich die Strategien zumindest teilweise überschneiden. Dennoch wird der Versuch unternommen Aussagen zur Arbeit an Detailfragen herauszufiltern und hervorzuheben, da aus der selbstgewählten Aufgabe der Auseinandersetzung mit Details auf ein hohes Interesse an Musik geschlossen werden kann.
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rativer Praxis statt durch Schneiden von Musiktiteln durch Extrahieren bevorzugter Passagen. Und von, weil, jeder singt das ja anders Df, Absatz 65
Und manche machen auch mit ’ner andren Melodie oder so was, und daraus schneid ich mir das halt raus, so ein paar Teile und dann sing ich’s einfach. Df, Absatz 67
ad) Sachanalyse – Reflexion und Ästhetik In der musikalischen Praxis, insbesondere im Spiel innerhalb eines Ensembles (hier die Schulband-AG), offenbaren sich Probleme, die Reflexionsprozesse initiieren. Dies kann auch oder zusätzlich durch Hinweise Dritter geschehen (hier der Lehrer), welche die problematische Spielweise bewusstmachen. Die Wahrnehmung des Timing-Problems als Schlagzeuger einer Band führt im folgenden Beispiel zur Reflexion der eigenen Spielweise, die nicht ausschließlich ein rein spieltechnisches Problem darstellt, sondern darüber hinaus eine grundlegende ästhetische Kategorie des Zusammenspiels in einer Band im Sinne von Groove berührt. Die Selbsteinschätzung des eigenen Spiels als nicht ausreichend oder zumindest verbesserungswürdig führt bei dem Betroffenen Bm sogar dazu, dass dieser sein Instrument (Schlagzeug) einem besseren Spieler mit fortgeschrittenen Fähigkeiten überlässt und ein anderes Instrument wählt. Es kann zwar vermutet werden, dass im konkreten Fall entsprechende Hinweise der Lehrkraft eine Rolle gespielt haben, jedoch lassen die aufgeführten Texte auf eine grundlegende Akzeptanz des Rollenwechsels schließen, zumindest aus der rückblickenden Perspektive. … da bin ich dann hier in die Schulband-AG zu (Vorname des Lehrers) gekommen und, ähm, dann hab ich da halt Schlagzeug gespielt, das lief alles nicht ganz so gut, weil ich hab Timing-Probleme, äh, und so was, das war vor allem, also Timing-Probleme waren vor allem das größte so, und dann hab ich ’n halbes Jahr da, nee, hab ich länger gespielt, auf jeden Fall hab ich dann da so richtig angefangen und auch mich dahinter zu klemmen, hab mich zu Hause jeden Abend irgendwie ‘ne Stunde hingesetzt, hab mir Musik auf die Ohren gemacht, hab dazu getrommelt die ganze Zeit, das hab ich, ähm, ich glaub anderthalb Jahre ungefähr gemacht, also wirklich fast jeden Abend immer Musik auf die Ohren und Bm, Absatz 9
Befragter: Genau, ich hatte Timing-Probleme Bm, Absatz 11
Befragter: Das hab ich gemerkt, das hat (Vorname des Lehrers) mir manchmal auch so gesagt, dass also so, wenn wir halt so gespielt haben, dann hab ich die anderen rausgebracht, weil, ähm, das funktionierte halt nicht so gut, wenn das Schlagzeug schneller oder langsamer wird die ganze Zeit, und dann hab ich gemerkt, dass das irgendwie, dass ich das halt verändern muss, und dann hab ich halt angefangen richtig zu üben, und so hat das dann halt richtig angefangen, dass ich mehr Musik gemacht hab, da hab ich halt fast jeden Tag Schlagzeug gespielt und dann irgendwann, ähm, das war glaub ich in der siebten Klasse, ähm, da kam dann
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’n Schlagzeuger, äh, und denn hieß es, ja okay, wir haben jetzt nur ein Schlagzeug hier, und dann hab ich gesagt, okay, dann, ähm, zieh ich den Kürzeren und geh an’ E-Bass, Bm, Absatz 13
Bm setzt sich intensiv mit Sound- und damit zusammenhängenden Ästhetikfragen auseinander. Er analysiert Musiken aus verschiedenen Genres und reflektiert die Determinanten unterschiedlicher Soundkreationen aus unterschiedlichen historischen Phasen der Popmusik durch Vergleiche des Soundmaterials. Hierbei ist festzustellen, dass die Unterschiede sehr gut hörend erfasst werden und sein Wissen um einzelne Musikgenres erweitern. Eine grundlegende Problematik besteht aufgrund der fehlenden Begrifflichkeit zur Beschreibung oder Erfassung der wahrgenommenen Parameter. Insofern müssen die Aussagen teilweise nicht wörtlich genommen werden, sondern bedürfen einer Interpretation (s. dazu auch weiter unten Kontextwissen). Die Aussage „… also das hat keine Tiefen wirklich, das hat auch keine richtigen Höhen …“ kann beispielsweise gedeutet werden im Sinne fehlender Tiefe durch ein Weniger an Dynamik. Es wird erkannt, dass die eigentliche Problematik nicht im Einsatz von Elektronik an sich begründet liegt, sondern in der Art und Weise, wie dieser Einsatz stattfindet („… also, ich weiß nicht, so Beyoncé, Rihanna und so, die, die ganzen Leute, äh, die, das ist einfach so’n bisschen zu elektronisch, weiß nicht, kann man eigentlich nicht sagen, weil ich hör auch Depeche Mode …“). Im Grunde ist hier eine dialektische Vorgehensweise erkennbar, die zwar hörend, jedoch nicht begrifflich gelöst wird. Die Feststellung, dass alles gleich klingt, kann dahingehend interpretiert werden, dass in aktuellen Musikproduktionen des Mainstreams eine Vielzahl von Prozessen durch die Verwendung von Presets standardisiert ist, sowohl bei der Auswahl von Sounds bei Hardwaremodulen oder Software-Plug-ins als auch beim Einsatz in Prozessen der weiteren Klangbearbeitung (s. hierzu auch Kontextwissen weiter unten). Diese Vorgehensweise kann innerhalb bestimmter Genres zu ähnlichen Klangergebnissen führen, was von Bm als ein Verlust an Individualität oder Authentizität in der künstlerischen Aussage wahrgenommen wird. Teilweise, also das ist einfach also vom Sound her, ist das, das meiste irgendwie, also das hat keine Tiefen wirklich, das hat auch keine richtigen Höhen, so’n Radioscheiß halt auch, das so’n Deutsch-Rock-Pop, was gerade abgeht, mag ich auch überhaupt nicht, das hat so’n Schlagertouch, find ich, das mag ich überhaupt nicht und, äh, auch, äh, das ist so’n bisschen (…) also, ich weiß nicht, so Beyoncé, Rihanna und so, die, die ganzen Leute, äh, die, das ist einfach so’n bisschen zu elektronisch, weiß nicht, kann man eigentlich nicht sagen, weil ich hör auch Depeche Mode Bm, Absatz 78
Befragter: das hat nicht so’n richtigen, Was kann ich nicht beschreiben Interviewer: ist vielleicht zu sehr standardisiert Befragter: ja, das klingt alles gleich, das klingt alles wirklich, also, da hat nicht jede Band oder jeder Interpret so was Bestimmtes, was ich da raushören kann, sondern das ist alles so’n Wirrwarr, so’n Kuddelmuddel, was alles gleich kommt, so, irgendwie, ich kann das gar nicht richtig beschreiben, was ich daran nicht so richtig mag, weil Bm, Absatz 79 - 82
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Der Einsatz von Autotune zur Justierung der Tonhöhen im Gesang wird ebenfalls als störend wahrgenommen, da die Stimme „elektronisch verstellt“ erklingt. Bm bevorzugt dagegen eher natürliche oder nicht wesentlich manipulierte Stimmen und live eingespielte Schlagzeug-Tracks. Befragter: Ja, das ist irgendwie (.) und die meisten, äh, die meisten Lieder jetzt, das ist so ‘ne elektronisch verstellte Stimme, die haben ‘nen einfachen Beat, der immer nz-nz-nz macht, also Depeche Mode hatten zum Beispiel viel besser, die spielen live immer mit ‘nem Drummer und, äh, die sind einfach vom Beat her einfach ’n bisschen einfallsreicher und haben halt so’n, so’n, ich, (…) den Sound kann ich gar nicht beschreiben, das ist so ‘ne Art Rauschen, was Töne hat, ich weiß nicht, das kann ich nicht beschreiben, aber Bm, Absatz 96
Durch den Einsatz von Hilfsmitteln, teilweise wie unten beschrieben durch Zufall bedingt, kann eine kritische Überprüfung des eigenen Lernfortschritts gelingen. Der Befragte konstatiert aufgrund von Filmaufnahmen, die sein Vater durchgeführt hat, den eigenen qualitativen Lernfortschritt und nimmt eine Selbsteinstufung als Fortgeschrittener vor. Oder auch, hab ich mir letzt noch mal also das Video von 2010 angeguckt bzw. das war jetzt vorgestern, wie ich da gespielt hab und wie ich heute spiel, also das so vergleiche Cm, Absatz 57
Ja, also hat mein Vater mich mal aufgenommen Cm, Absatz 59
Befragter: Und es ist echt erstaunlich, wie ich mich verändert hab (...) also vom Stil her, weil jetzt kann ich super zupfen und vorher konnte ich natürlich nicht, weil ich da noch praktisch ja Anfänger war, ähm, ja und jetzt seh ich mich 'n bisschen weiter als Fortgeschrittener, also, ähm, wie nennt man das? Cm, Absatz 61
Der Klang eines Instruments gilt als ausschlaggebendes Merkmal für die Wahl. So erscheint dem Befragten Em Klavier für das Spielen ohne Band als geeignet. … da hab ich, da haben wir ja auch in 'ner Schulband gespielt und da hatten wir nachher unseren ersten Auftritt gehabt, und da war ich der Leadgitarrist, und das hat auch richtig Spaß gemacht, und da sind wir halt nachher auseinandergegangen, und mit Klavier, hm, weiß ich nicht, ich glaub, da eher nicht, Klavier mag ich so, den Klang vom Klavier, alleine lieber als dann inner Band. Em, Absatz 81
Fm entwickelt präzise Vorstellungen davon, wie ein Stück klingen soll. Er verwirft gängige ihm bekannte Interpretationen und entwickelt lieber eigene Fassungen für Klavier. Mitunter führt die Vorgehensweise auch zu Neuinterpretationen wie z. B. die Transkription eines Titels von Rammstein für Klavier. Die Reflexion der Ästhetik führt im vorliegenden Fall zur Entwicklung kreativen Potenzials durch Interpretation (Übertragung harter Gitarrenmusik in eine sanfte Klavierfassung).
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Befragter: Durchaus mal, ja, also, ähm, vor allen Dingen bei Populärmusik gibt’s ’n paar Sachen so, wo ich, ähm, wo’s, da gibt’s jetzt keine, da find ich wahrscheinlich keine Noten zu oder keine Noten, die mir so passen würden, ich find’s halt manchmal schade oder unschön, wie manche Leute jetzt hobbymäßig das umsetzen, ich hab dann halt meine eigenen Versionen so gemacht, also ’n Lied von Rammstein zum Beispiel kann ich ’n sehr sanftes, ich meine Klavierfassung, hab ich sogar schon aufgeführt, mal mir einfach schon mal 'ne Klavierfassung zu überlegt, 'ne eigene. Fm, Absatz 27
Die ästhetischen Vorstellungen Fms werden durch die aktuellen Entwicklungen des Musikmarktes nicht mehr widergespiegelt. Er gehört als jemand, der Jazz bevorzugt, einer Minderheit an und wendet sich zwangsläufig älteren Aufnahmen zu. Die Zuwendung zu „klassischem Jazz“ (s. weiter oben) geht mit der Soundästhetik durch das Hören von Schallplatten einher. Die Bevorzugung von Vinylplatten basiert sowohl auf Nostalgie (… vielleicht auch noch so dies Knistern …) als auch auf der Wahrnehmung der besseren Soundqualität analoger Aufnahme- und Reproduktionsverfahren (… sondern auch am Sound merkt man das …). Danach kann der Befragte nach eigener Darstellung eindeutig unterscheiden, ob jemand Musik von einer Schallplatte abspielt oder im MP3-Format. Hhm, ähm, sagen wir mal, die Entwicklung zu beobachten, ist natürlich wichtig und interessant, dadurch, dass aber einfach gerade so viele andere Musikrichtungen quasi wichtiger sind, kann man ja so quasi sagen, also, es gibt ja keinen Jazz mehr in den Billboard-Charts oder in den offiziellen deutschen Charts oder so, sag ich mal, Fm, Absatz 78
vielleicht auch noch so dies Knistern, ich mag sowieso Vinyls auch sehr gerne, nach wie vor, ’n eigenen Plattenspieler hab ich da oben stehen, Fm, Absatz 82
leider gibt’s da, wo ich herkomme, keine Plattenläden, auch nicht im Umkreis, sonst würd ich da wahrscheinlich viel häufiger abhängen. Fm, Absatz 84
Um dem Bedürfnis nach einem besseren Sounderlebnis bei der Reproduktion von Musik durch den Erwerb von Schallplatten nachzukommen, wäre der Befragte bereit mehr Aufwand beim Einkauf zu betreiben, z. B. durch Fahrten in nächstgelegene Großstädte. Befragter: Muss man nach (nächste Großstadt) fahren oder so, ja, (andere Großstadt) ist näher dran an (Wohnort), aber da weiß ich auch nicht, wo ich da suchen könnte oder müsste, aber ansonsten, ähm, mag ich Platten sehr gern zum Beispiel und insofern, also, da bin ich ja halt veranlagt, quasi, das macht ja so auch heute kaum einer noch, es ist ja wieder im Kommen, aber ich kenn trotzdem keinen im Umfeld, der das macht so wie ich, also ich hab tatsächlich mittlerweile so'n Kontingent an eigenen gekauften Platten. #00:17:16-6# Fm, Absatz 86
Aber absolut, also, das kann ich auf 'ner halbwegs guten Anlage, auf meiner Anlage kann ich das jederzeit raushören, ob mir jetzt gerade jemand, ähm, 'ne Platte vorspielt oder die
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gleiche, das gleiche Lied auf 'ner (unverständlich), auf’m MP3-Player, nicht nur am Knacken, sondern auch am Sound merkt man das, viel voluminöser, kommt mehr aus’m Bauch heraus, find ich so, klingt einfach mehr, ist mehr was für die Gänsehaut, halt so, das andere ist halt elektronisch so abgefertigt, ich finde, es ist nicht das Gleiche. Fm, Absatz 92
ae) Sachanalyse – Sachinformationen Eine Betrachtung der im Analyseprogramm f4 markierten Textstellen zum angegebenen Subcode Sachinformationen führt zu keinerlei separat auszuwertenden Erkenntnissen, da die Überlappung mit anderen Themenbereichen (Subcodes) wie Erlernen von Fachbegriffen, Detailarbeit etc. nahezu zu einer identischen Kennzeichnung der Codes führt. Hieraus kann jedoch gefolgert werden, dass die Beschaffung von Sachinformationen grundsätzlich mit anderen Ebenen oder Schritten des Erwerbs analytisch-ästhetischer Kompetenzen einhergeht. Die Beschaffung von Sachinformationen ist somit als ein dem analytisch-ästhetischen Aneignungsprozess immanenter Bestandteil zu betrachten. In diesem Zusammenhang sei im Besonderen verwiesen auf die Texte Bms (Absätze 48, 54, 56 und weitere). af) Sachanalyse – Stilsicherheit Der Grafik „Äußerungen analytisch-ästhetische Kompetenzen“ auf Seite 254 kann entnommen werden, dass explizite Formulierungen hauptsächlich von den Befragten Bm und Fm festgehalten werden können. Weitere konkrete Aussagen der anderen Befragten sind nicht feststellbar, jedoch kann angenommen werden, dass die vielseitige Auseinandersetzung mit Musik über einen Zeitraum von mehreren Jahren auch bei diesen Befragten zu mehr Stilsicherheit geführt hat, auch wenn dies von den Betroffenen selbst nicht besonders hervorgehoben wird. Hier spielt eher die eigene Äußerungsmotivation eine Rolle oder auch die Bedeutungszuweisung in der Selbstwahrnehmung, was in diesem Kontext jedoch nicht weiter untersucht werden kann. Die Befragten setzen sich mitunter intensiv mit ausgewählten Musiken auseinander und kennen sich hinsichtlich feiner Unterschiede gut aus. Hierbei werden gezielt unterschiedliche Stile und Genres im Sinne einer Erweiterung des Spektrums angegangen. Die zeitliche Dauer des Befassens mit Musik wird bewusst wahrgenommen und in der Selbstwahrnehmung als temporär begrenztes Interesse eingeschätzt (… also ich hab immer so Etappen …). Die Wahrnehmung sowohl der ausgewählten Gegenstände als auch die Erkenntnis der Umgangsebenen lassen ausdifferenzierte Selbstbildungsprozesse erkennen. Befragter: Äh, das ist es ja eigentlich auch, ähm, aber also, so die erste Musik, mit der ich, wo ich angefangen hab, da selber reinzuhören, das war Depeche Mode, hab ich richtig viel Depeche Mode gehört, ich hör jetzt auch noch Depeche Mode, ich hab irgendwie alle Alben auf meinem iPod von denen, hab auch mich richtig mit denen auseinandergesetzt, mit der Geschichte von denen, und so was, hab mich da richtig informiert und, äh, Depeche Mode halt, jetzt hör ich grad, äh, dann hab ich ‘ne Zeit lang, hab ich so Hartes, ACDC, ’n bisschen Metal teilweise auch, da weiß ich aber nicht mehr die Interpreten, und so’n bisschen Rock halt, Hardrock, und jetzt hör ich vor allem, äh, ganz viel Funk, also ich hab immer so Etappen, in denen ich was hör, ich hab ganz lange Depeche Mode gehört, dann hab ich mir das so’n biss-
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chen überhört, jetzt hör ich manchmal noch Depeche Mode, jetzt hör ich gerade Funk, das werd ich in zwei Jahren auch nicht mehr hören können, glaub ich, also Bm, Absatz 48
Befragter: so Chaka Khan, genau, also die Klassiker eigentlich und so, also ich kenn mich jetzt so nicht wirklich aus, aber so, so, da arbeite ich mich gerad so Bm, Absatz 54
Die saloppe Formulierung „… was hör ich denn noch so? …“ ist insofern irreführend, als es hier nicht um bloßes Hören von Musik geht, sondern vielmehr um einen aufwändigen Einarbeitungsprozess. Befragter: Da arbeite ich mich so, ja die 70er, die Coolen (Lachen), da arbeite ich mich gerade rein in die Funk-Geschichte (…) und, ähm, was hör ich denn noch so? (…) Bm, Absatz 56
Ja, das hab ich bei Mark Knopfler auch gedacht, das ist jetzt nicht so lange, dass der in Hamburg mal spielen wird, bis man Karten kriegt und sowas, ähm, (…) was hör ich noch? Ähm, ja, die 80er, das 80er-Gedudel hör ich auch manchmal, also, äh, hier (…) „Forever Young“, wie heißen die noch? Bm, Absatz 68
Stilsicherheit im eigenen Spiel wird hier nicht ausschließlich als reflexiver Prozess in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Spiel wahrgenommen, sondern auch als interaktiver Prozess mit dem Lehrer (… aber da haben wir uns irgendwie besser mit gefühlt …). Der Arbeit in verschiedenen Genres wird bewusst als Stilbildungsphase wahrgenommen, in denen ein breites Spektrum abgedeckt wurde. Befragter: Das war sehr interessant, weil, ähm, ich, mein Lehrer damals, also Musiklehrer, der auch die Bigband geleitet hat, den hat das nicht so gestört, wenn ich einfach die richtigen Akkorde eingehalten hab, aber gespielt hab, was ich wollte und, ähm, da hat ich quasi immer so'n bisschen Sonderrechte am Klavier, ich durfte eigentlich immer machen, was ich wollte, es gab natürlich auch so besondere Stellen, prägnante Stellen, die man machen soll, wie’s so ist, ansonsten war das immer ganz offen, durfte ich auch häufig Sachen ausprobieren oder machen, was ich da möchte und das ein bisschen anders gestalten, also mag so nicht perfekt geklungen haben immer, aber da haben wir uns irgendwie besser mit gefühlt, ich mich, und er fand das auch immer in Ordnung Fm, Absatz 17
Befragter: Ja klar, da gab’s diesen Moment, wo ich so gemerkt hab, ja, das sind jetzt die Sachen, die du dir eigentlich immer gewünscht hast, so, dieses, weiß ich nicht, groovige, geshufflete, irgendwie so. #00:09:13-8# Fm, Absatz 39
Befragter: In der Regel schon, also, na, ich sag mal, das ist relativ mein Musikgeschmack, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen, weil der ändert sich von Jahr zu Jahr tatsächlich, ich hab 'ne Metal-Phase hinter mir, 'ne total poppige Phase, 'ne elektronische Phase,
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'ne jazzige Phase, das ist alles irgendwie immer wieder unterschiedlich, also ’n sehr breites Spektrum hab ich da schon abgedeckt, … Fm, Absatz 47
Befragter: Also Latin Jazz war immer ’n Steckenpferd von mir, hab ich immer gerne gespielt und gehört, vor allen Dingen, ähm, was könnt man da noch nennen? Fm, Absatz 51
Befragter: Ist relativ neu, ja, ja, klar also die (unverständlich) also Ella Fitzgerald mag ich furchtbar gerne, Ray Charles kann man ja nicht richtig dazu zählen, aber das ist, glaub ich, der, der mich am allermeisten geprägt hat von allen so, was Klavierspiel angeht, also, ich hab irgendwann festgestellt, dass ich tatsächlich schon anfange, mich wie er zu bewegen, so'n bisschen, wenn ich richtig drin bin. #00:12:19-5# Fm, Absatz 53
Befragter: Die Klassiker, absolut, ja, ja, Blues halt noch, wenn man das noch mit irgendwie dazu nehmen darf, Blues ist, glaub ich, auch so die Musikrichtung schlechthin für mich, also das kann ich auch zu jeder Tages- und Nachtzeit hören. Fm, Absatz 58
b) Kontextwissen Die von den Befragten zur Kategorie „analytisch-ästhetische Kompetenzen“ geäußerten Texte weisen auf vielschichtige und heterogene Umgangsweisen und damit verbundene erworbene Kompetenzen hin. An dieser Stelle wird jedoch kein Bezug auf die einzelnen Unteraspekte mit entsprechenden Subcodes zu Fachbegriffe, Detailarbeit, Reflexion und Ästhetik, Sachinformationen, Stilsicherheit genommen, da diese zum Teil auch selbsterklärend sind. Es findet hier dagegen eine exemplarische Betrachtung der nach Ansicht des Verfassers wesentlichen Aussage des Gesprächsteilnehmers Bm statt, der im Vergleich von Musik der 1970er- und 1980er-Jahre mit heutiger Mainstream-Musik letztere mit dem Bild des Rauschens, was Töne hat (hierzu gibt es vergleichbare Begriffsfindungen)165 zu umschreiben versucht. (…) den Sound kann ich gar nicht beschreiben, das ist so ‘ne Art Rauschen, was Töne hat, ich weiß nicht, das kann ich nicht beschreiben, aber … Bm, Absatz 96
Auch wenn die Charakterisierung heutiger Mainstream-Musik als Rauschen durchaus legitim im Sinne einer subjektiven Wahrnehmung ist, so soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, die Aussage des Teilnehmers durch Vergleiche und ton-
165 Auf den hier durch den Befragten verwendeten Begriff des Rauschens wird weiter unten im Zusammenhang mit dem Loudness War eingegangen. Der gewählte Begriff Rauschen wirkt zwar spontan im Ringen um eine Begriffsfindung, findet sich im gleichen Kontext jedoch wieder in einem dazu im Jahr 2007 online veröffentlichten Beitrag von Suhas Screedhar mit dem Titel: „The Future of Music/Part One: Tearing Down the Wall of Noise“. Quelle: http://spectrum.ieee.org/computing/software/the-future-of-music/Zugriff am 22.6.2016.
270 | Popmusik aneignen
technische Versuchsanordnungen zu untermauern, basierend auf Frequenz-spektrumanalysen und der Gegenüberstellung von Kompressionsgraden exemplarisch ausgewählter Musiktitel. Es kann angenommen werden, dass die Wahrnehmung von Musik als Rauschen einerseits auf den im Vergleich zu den 1970er-Jahren aktuell wesentlich höheren Kompressionsgraden beruht, die zum einen auf die allgemein fortgeschrittene Technologie und zum anderen auf besser kontrollierbare digitale Rechenprozesse 166 zurückzuführen sind. Die verstärkte Komprimierung von Audiomaterial, insbesondere im Mixdown oder Masteringprozess, ist ein seit den frühen 1960er-Jahren mit Aufkommen der Kompressoren zu beobachtendes Phänomen. Zum einen wird Kompression, also die Eingrenzung des Dynamikumfangs, eingesetzt, um eine höhere Lautheit zu erzielen, welche sich im Kampf der Radiostationen um die Hörerschaft als lohnenswert herausgestellt hat.167 Zum anderen hat die Arbeit mit Kompression nicht nur eine Verdichtung der Dynamik zur Folge, sie hat ebenso Einfluss auf den Sound, sowohl im Einsatz bei einzelnen Instrumenten als auch bei der Endabmischung. Ab Mitte der 1960er-Jahre ist verstärktes EQing und Compressing als soundgestaltendes Merkmal168 insbesondere bei Beatles-Aufnahmen zu hören (vgl. z. B. „Strawberry Fields Forever“ – dort der Sound der Schlagzeuginstrumente). Das Komprimieren oder deutlich hörbare Komprimieren des Audiomaterials ist somit nicht nur eine Kategorie der höheren Hörerakzeptanz, 169 sondern vielmehr eine Kate-
166 „The loudness war, what many audiophiles refer to as an assault on music (and ears), has been an open secret of the recording industry for nearly the past two decades and has garnered more attention in recent years as CDs have pushed the limits of loudness thanks to advances in digital technology. The ”war” refers to the competition among record companies to make louder and louder albums. But the loudness war could be doing more than simply pumping up the volume and angering aficionados--it could be responsible for halting technological advances in sound quality for years to come.“ (Screedhar, ebd., Quelle: http:// spectrum.ieee.org/computing/software/the-future-of-music/Zugriff am 22.6.2016.) 167 Vgl. Ruth/Bullerjahn (2015). 168 Zum Einsatz der Tontechnik in der historischen Entwicklung vgl. Ahlers (2014). 169 Vgl. hierzu Ruth/Bullerjahn (2015). Ruth und Bullerjahn fassen zum Thema „Loudness War“ verschiedene Positionen zusammen und verweisen auf Basis einer eigenen Studie auf den nicht zwangsläufigen Zusammenhang erhöhter Lautheit und Hörerakzeptanz. Nach Ansicht des Verfassers greift dieser Ansatz zu kurz, da es sich um eine quantitative Aussage handelt. Lautheit allein gewährt keine höhere Akzeptanz, da Präferenzen möglicherweise höher einzuschätzen sind. Darüber hinaus spielen historische Räume eine gewichtige Rolle. So ist z. B. Lautheit als noch nicht standardisiertem Phänomen der späten 1960er-Jahre eine andere (höhere) Gewichtung beizumessen als dem mittlerweile zur Selbstverständlichkeit gewordenem Phänomen der Gegenwart, welches teilweise bereits sogar von den Rezipienten als problematisch wahrgenommen wird. Hier spielt das Moment der Sättigung eine mögliche Rolle. Weiterhin ist zum Thema Lautheit keine Genre-unabhängige Aussage möglich, da ein Jazzhörer wahrscheinlich mehr Wert auf Dynamik legt als ein Hörer des Heavy MetalGenres, in dem ein durchschnittlich hoher Schallpegel zur Ästhetik gehört. Da es sich beim Einsatz von Kompressoren ebenso wie beim Einsatz jeglicher klanggestaltenden Prozessoren immer auch um Aspekte der ästhetischen Klanggestaltung in der Tontechnik als künstleri-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 271
gorie der Soundästhetik der ausübenden Künstler, zu denen ebenso die Tontechniker und Produzenten gehören. Eine erhöhte Kompressionsrate, die vom Hörer allgemein als höhere durchschnittliche Lautstärke (Lautheit) wahrgenommen wird, beinhaltet als Nebeneffekt einen verstärkten Anteil an hohen Frequenzen, der subjektiv als Rauschen interpretiert werden kann, was in einer kleinen Versuchsanordnung (s. weiter unten) überprüft wird. Der Nebeneffekt tritt auf, obwohl ein Kompressor als Regelverstärker zur Bearbeitung der Dynamik und nicht des Frequenzspektrums eingesetzt wird (außer bei frequenzabhängigen Multikompressoren). Die Abbildungen „Earth Song unkomprimiert“ und „Earth Song komprimiert“ weisen eine deutliche Veränderung zwischen 3 und 4 dB in den hohen Frequenzen zwischen ca. 2 und 8 kHz (insbesondere um 4 kHz und über 16 kHz) des gleichen Audioausschnitts auf. Für den Vergleich wurde ein Teil der ersten Strophe ab Einsatz des Gesangs des „Earth Songs“ von Michael Jackson gewählt (Sek. 44–57), da sich der Song im Original durch eine hohe Dynamik auszeichnet und auch in dieser Passage wenig komprimiert ist. Für die Versuchsanordnung wurde das Programm Logic X verwendet. Der Audioausschnitt wurde nicht normalisiert. Verwendete Plug-ins und Einstellungen: • Neve 33609SE (Kompressor der Firma Universal Audio), Ratio 15:1, Threshold -
14 dB. 170 • PAZ Analyzer (Analyzer der Firma Waves). Die obere Kennlinie (orange) stellt die höchsten Einzelfrequenzpegel des gesamten Hörausschnitts dar. Die untere Kennlinie (gelb) stellt das momentane Frequenzspektrum bei Sequenzerstop dar und kann für die Analyse vernachlässigt werden. Die Amplitude beider Ausschnitte beträgt -9,2 dB.
schem Prozess handelt, sind gültige Allgemeinaussagen generell als problematisch einzuschätzen, insbesondere dann, wenn die Erkenntnisse aus quantitativen Erhebungen generiert werden. 170 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass das verwendete Waves Plug-in Paz-Analyzer nicht besonders hochauflösend ist. Das Ergebnis wird hierdurch jedoch umso aussagekräftiger, da die Höhenanhebung bereits mit dem verwendeten und qualitativ nicht sehr hoch einzuschätzenden Plug-in deutlich dargestellt werden kann.
272 | Popmusik aneignen
Abb. 48: Earth Song unkomprimiert
Abb. 49: Earth Song komprimiert Ein Vergleich der oberen Kennlinien, welche die höchsten Einzelfrequenzpegel über den gesamten Audio-ausschnitts markieren, lässt erkennen, dass die Frequenzkurven beider Abbildungen im Grundsatz zwar ähnlich verlaufen, jedoch ist in der zweiten Abbildung „Earth Song komprimiert“ eine generelle Anhebung über 1500 Hz erkennbar. Größere Verstärkungen der Frequenzen sind um 4000 und 16000 Hz feststellbar. Der Einsatz einer hier extremen Kompressionsrate hat entsprechend eine Veränderung des Frequenzspektrums im Sinne einer Anhebung oberer Frequenzen zur Folge. c) Fallvergleichende Analyse Wie bereits oben beschrieben, findet an dieser Stelle eine zusammenfassende fallvergleichende Analyse statt, welche die unter dem Code „Analytisch-Ästhetische Kompetenzen“ aufgeführten Subcodes „Analytisches Hören“, „Erlernen von Fachbegriffen“, „Detailarbeit“, „Reflexion und Ästhetik“, „Sachinformationen“ und „Stilsicherheit“ als Ganzes berücksichtigt. Diese Vorgehensweise ist vor allem durch mehr Übersichtlichkeit und durch die inhaltlich-thematischen Überschneidungen der Subcodes begründet. Aus den Interviewtexten kann grundlegend entnommen werden, dass die interpretierten Lernprozesse bei allen Befragten in eine vergleichbare Richtung gehen, sich jedoch hinsichtlich der Prozesstiefe voneinander unterscheiden. Danach lassen sich (zwecks besserer Darstellung vereinfachend) im Wesentlichen drei Prozessebenen
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 273
konstruieren, welche die verschiedenen Lernebenen, die auch als Fortschritts- oder Interessenebenen verstanden werden können, der Befragten widerspiegeln. Diesen Ebenen lassen sich die einzelnen Befragten zuordnen, wenngleich von Überschneidungen ausgegangen werden muss. Die verschiedenen Ebenen können einerseits als verschiedene Prozessebenen betrachtet werden, welche nacheinander durchschritten werden, sie sind aber auch als durch das persönliche Interesse bestimmte Bereiche konstatierbar, deren Erreichen hinsichtlich individuell bestimmter Zielvorgaben als befriedigend empfunden werden können. Dazu weitere Erläuterungen weiter unten. Prozessebene A – Grundlagenebene Diese Ebene ist gekennzeichnet durch den Wunsch, gezielt ausgewählte Musiktitel spielen zu können. Sie können verschiedenen Genres entsprechen und durch spontanes Interesse begründet sein. Hierzu gehört das Erlernen von Akkorden (oder rhythmischer Patterns) und damit verbundener Spieltechniken. Die Aneignungsstrategien sind vielfältig, es werden möglichst als geeignet empfundene Lernwege ausprobiert, verworfen oder angenommen. Diese erste Prozessebene wird von allen Befragten durchschritten: Am, Bm, Cm, Df, Em, Dm. Bereits auf dieser Ebene finden reflexive Prozesse statt, sowohl hinsichtlich der Beurteilung von Musik als auch bezüglich der Einschätzung der eigenen instrumentalen Fertigkeiten. Die Fähigkeit des Spielens oder Singens ausgewählter Lieder kann als befriedigendes zu erreichendes Ziel empfunden werden. Zu dieser Gruppe gehören tendenziell Am und Df, (eine eindeutige Zuordnung erscheint aufgrund der Vielschichtigkeit der Prozesse problematisch und soll hier nur als Tendenz verstanden werden). Prozessebene B – Vertiefungsebene Die Vertiefungsebene ist gekennzeichnet durch über den Erwerb einzelner Fähigkeiten wie das Spielen von Akkorden und Akkordfolgen hinausgehende Interessen und Lernprozesse. Hierzu gehören beispielsweise besondere Spielweisen oder Möglichkeiten der Klangerzeugung, um einen bestimmten Sound mit einem bestimmten Instrument erzeugen zu können. Hierzu gehören Teilaspekte bzw. Fragen wie: • Verwendung Instrumente oder Bauteile (Art oder Marke der Gitarren, Verstärker• • • • •
wahl und Einstellung, besondere Felle bei Schlagzeugen). Besondere Spielweisen für die Erzeugung eines Sounds (Wie wird eine Trommel angeschlagen, wie werden Saiten angeschlagen?). Kriterien des Gesamtsounds eines Musikstückes. Wie kommt dieser zustande? Wer sind die Musiker und welche Rolle fällt diesen bei der Gestaltung des Sounds zu? Genretypische Elemente. Wahrnehmung der Soundänderung in der popmusikalischen Historie.
Zur Gruppe der vertiefenden Auseinandersetzung mit Popmusik gehören (in Ansätzen) Cm und Em, deutlich jedoch Bm und Fm. Prozessebene C – Expertenebene Die Befragten, die dieser Ebene zuzuordnen sind, zeichnen sich aus durch eine vielschichtige und variantenreiche Auseinandersetzung mit Musik, z. T. auch begünstigt durch das Spielen verschiedener Instrumente und das Sammeln damit verbundener
274 | Popmusik aneignen
Erfahrungen (Bm). Die Auseinandersetzung mit Musik ist gekennzeichnet durch einen bereits umfassend erworbenen Erfahrungsschatz und der damit einhergehenden reflexiven Auseinandersetzung mit Musik durch sich selbst als Ausübende. Die Vertreter dieser Gruppe befassen sich intensiv mit Musikstilen und damit verbundenen Fragestellungen wie dem Zustandekommen von Sound in verschiedenen Phasen. Sie können sich kritisch mit Musik auseinandersetzen und sind in der Lage, dies zunehmend mit einem geeigneten Vokabular oder sogar Fachbegriffen zu tun. Zu den Vertretern der Expertengruppe gehören Bm und Fm. d) Sequenzierung Die Texte der Befragten lassen ein Erzählmuster erkennen, welches analog zum Grad des Kompetenzerwerbs verläuft. Es ist ein deutlicher Zusammenhang zum Ergebnis der fallvergleichenden Analyse gegeben. Je nach Interesse, individueller Strategie der Erarbeitung und eigener Zielvorgabe entwickeln sich die Analyse- und Beurteilungskompetenzen. Nur diejenigen, die über die Prozessebene der Grundlagenaneignung hinausgehen und dies auch wollen, generieren auch Texte, die einer Vertiefungsoder Expertenebene zugeordnet werden können (s. Abb. „Sequenzierung analytischästhetische Kompetenzen“).
Abb. 50: Sequenzierung analytisch-ästhetische Kompetenzen Exkurs – Vergleich von Aufnahmen ausgewählter Pop-Genres Die Einschätzung des Befragten Bm in Bezug auf die empfundenen klanglichen Unterschiede zwischen früheren (1970er- und 1980er-Jahre) und heutigen PopProduktionen soll hier mittels einer Versuchsanordnung überprüft werden. Hierzu wurden jeweils zwei ältere und zwei Produktionen der letzten zehn Jahre ausgewählt, die den Genres „Popmusik – Mainstream“, „Hard Rock“ und „Elektronische Popmusik“ zugeordnet werden können. Weitere genrespezifischen Unterkategorien wurden hierbei nicht berücksichtigt. Hauptkriterium für die Auswahl der Titel ist ein anzunehmender Bekanntheitsgrad der Titel, welche teilweise in verschiedenen Charts vertreten waren bzw. deren Interpreten innerhalb der Genres eine größere Popularität besitzen. Kommerzieller Erfolg der Titel und Popularität der Interpreten lassen Erkenntnisse hinsichtlich temporär gültiger Standards in Popmusik-Produktionen zu. Es wurde darauf geachtet, dass die Hörbeispiele möglichst den Originalveröffentlichun-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 275
gen entsprechen und keine soundtechnischen Manipulationen späterer RemasterTonträger enthalten. Hierzu wurde auf ältere Veröffentlichungen zurückgegriffen. 171 Ausgewählte Titel Pop All Right Now Waterloo
Free ABBA
1970 1974
Wake Me Up This One’s For You
Avicii David Guetta
2013 2016
Hard Rock Whole Lotta Love Smoke On The Water
Led Zeppelin Deep Purple
1969 1972
Learn To Fly Beautiful Dangerous
Foo Fighters Slash
1999 2010
Elektronische Popmusik Oxygène IV Michel Jarre The Things You Said Depeche Mode
1977 1987
Still Getting It Foreign Beggars Sun Is Shining (Remix) Brand Blank
2011 2011
Bei dem Vergleich der älteren und jüngeren Aufnahmen sollen folgende Kriterien untersucht werden: • Kompressionsgrad • Frequenzspektrum
Für die Versuchsanordnung wurde das Programm Logic X verwendet. Die Audiobeispiele (ganze Titel) wurden jeweils normalisiert, um eine verbesserte Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Verwendete Plug-ins und Einstellungen: Hofa IQ Analyzer V2 Normalisierung Durch den Normalisierungsprozess wird der höchste Pegelausschlag des Audiomaterials ermittelt, um das gesamte Audiomaterial anschließend auf den höchstmöglichen Aussteuerungspegel von 0 dB anzugleichen. Hierbei konnte festgestellt werden, dass
171 Während der ersten Versuchsanordnung fiel der Titel „Waterloo“ von ABBA durch eine extreme Kompressionsrate auf, was bei einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1974 nicht zu erwarten gewesen wäre. Die Auswahl einer älteren Veröffentlichung konnte den hohen Kompressionsgrad nicht bestätigen und wies mehr Dynamik auf.
276 | Popmusik aneignen
bereits alle ausgewählten Titel im Masteringprozess normalisiert worden waren. Eine Ausnahme stellte der Titel „The Things You Said“ von Depeche Mode dar, dessen Amplitude bei -1,19 dB lag, was einem Maximalpegel von 87,19% entspricht. Kompressionsgrad und Lautheit Der Kompressionsgrad wurde unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung anhand zweier Kriterien ermittelt. Zum einen gibt bereits die optische Darstellung des Amplitudenverlaufs in Logic X Aufschluss über die zum Teil deutlichen Unterschiede durch Visualisierung des Dynamikverhaltens der ausgewählten Musikstücke. Ein weiteres aussagekräftiges Kriterium ist die Angabe der Loudness im Analyse-Plug-in durch die Maßeinheit LU = Loudness Unit. Die Maßeinheit LU entspricht der EBUNorm R 128 (European Broadcasting Union) und ist eine relative Maßeinheit für die Lautheit. Weiterhin kann die Maßeinheit LRA = Loudness Unit Range zur Einschätzung herangezogen werden. Letztere Maßeinheit ist jedoch nur bedingt auswertbar, da auch durchgehend „leise“ Musik über eine geringe Range (Dynamikumfang) verfügen kann, wenn sich der Gesamtpegel im Verlaufe eines Stückes nicht wesentlich ändert. Sowohl LU- als auch LRA-Werte wurden laut Voreinstellung aus längeren Audioabschnitten generiert (Voreinstellung: integral). Da sich die Werte fortlaufend dem jeweiligen Audioverlauf anpassen, beziehen sich die Angaben nicht auf das ganze Material, sondern sind jeweils repräsentativen Snapshots entnommen. 172 Pop – Amplitudenverläufe bei Maximalpegel 0dB
Abb. 51: Amplitudenverlauf „All Right Now“ – Free/1970 (LU = 6.2)
Abb. 52: Amplitudenverlauf „Waterloo“ – ABBA/1974 (LU = 14.5)
172 Angaben zu Details und Funktionen zum Plug-in „IQ Analyzer“ können nachgeschlagen werden unter: https://hofa-plugins.de/media/plugins/docs/hofa_iq_analyser_manual_de.pdf/ Zugriff: 10.8.2016.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 277
Abb. 53: Amplitudenverlauf „Wake Me Up“ – Avicii/2013 (LU = 14.9)
Abb. 54: Amplitudenverlauf „This One’s For You“ – David Guetta/2016 (LU = 16.4) Den Amplitudenverläufen kann entnommen werden, dass die jüngeren Poptitel eine deutlich höhere Kompressionsrate (gemessen in LU) gegenüber den Titeln der 1970er-Jahre aufweisen, was den deutlich erkennbaren abgeschnittenen Pegelspitzen zu entnehmen ist. Jedoch weist auch bereits „Waterloo“ aus dem Jahre 1974 gegenüber „All Right Now“ eine höhere Kompressionsrate auf. Während die Titel „Waterloo“, „This One’s For You“ und „Wake Me Up“ sehr schnell den Maximalpegel von 0dB erreicht haben, wird dieser bei „All Right Now“ erst bei 5:18 min erreicht. Die in der folgenden Tabelle aufgeführten LU-Werte bestätigen den visuellen Eindruck niedriger oder hoher Kompressionsraten durch entsprechende Lautheitswerte (Abb. „LU-Werte Pop“). Pop
All Right Now
Waterloo
Wake Me Up
This One’s For You
LU
6.2
14.5
14.9
16.4
Tab. 21: LU-Werte Pop Die mehr dem Mainstream-Pop zuzuordnenden Titel „Waterloo“, „This One’s For You“ und „Wake Me Up“ haben einen Loudness-Wert (LU), der den von „All Right Now“ deutlich überschreitet.
278 | Popmusik aneignen
Hard Rock – Amplitudenverläufe bei Maximalpegel 0dB
Abb. 55: Amplitudenverlauf „Whole Lotta Love“ – Led Zeppelin/1969 (LU = 8.2)
Abb. 56: Amplitudenverlauf „Smoke On The Water“ – Deep Purple/1972 (LU = 7.6)
Abb. 57: Amplitudenverlauf „Learn To Fly“ – Foo Fighters/1999 (LU = 17.3)
Abb. 58: Amplitudenverlauf „Beautiful Dangerous“ – Slash/2010 (LU = 16.3) Die in der folgenden Tabelle aufgeführten LU-Werte bestätigen den visuellen Eindruck niedriger oder hoher Kompressionsraten durch entsprechende LU-Werte (Abb. „LU-Werte Hard Rock“).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 279
Hard Rock
Whole Lotta Love
Smoke On The Water
Learn To Fly
Beautiful Dangerous
LU
8.2
7.6
17.3
16.3
Tab. 22: LU-Werte Hard Rock Im Genre Hard Rock ergeben die Messungen einen größeren Dynamikumfang bei den älteren Titeln. Bei „Learn To Fly“ von den Foo Fighters kann fast von einem durchgehend gleichen Pegel gesprochen werden. Dynamikverläufe sind hier auch visuell auf weite Strecken kaum noch erkennbar. Elektronische Popmusik – Amplitudenverläufe bei Maximalpegel 0dB
Abb. 59: Amplitudenverlauf „Oxygène IV“ – Michel Jarre/1977 (LU = 7.8)
Abb. 60: Amplitudenverlauf „The Things You Said“ – Depeche Mode/1987 (LU = 7.3)
280 | Popmusik aneignen
Abb. 61: Amplitudenverlauf „Still Getting It“ – Foreign Beggars/2011 (LU = 15.3)
Abb. 62: Amplitudenverlauf „Sun Is Shining“ – Brand Blank/2011 (LU = 16.5) Die in der folgenden Tabelle aufgeführten LU-Werte bestätigen den visuellen Eindruck niedriger oder hoher Kompressionsraten durch entsprechende LU-Werte (Abb. „LU-Werte Elektronische Popmusik“).
Elektronische Popmusik
Oxygène IV
The Things You Said
Still Getting It
Sun Is Shining
LU
7.8
7.3
15.3
16.5
Tab. 23: LU-Werte Elektronische Popmusik Im Genre Elektronische Popmusik ergeben die Messungen einen größeren Dynamikumfang bei den älteren Titeln. Die neueren Titel sind im Vergleich zu den Titeln von Jean Michel Jarre und Depeche Mode stilistisch in Richtung härterer Musik weiterentwickelt,173 was insgesamt auf einen Trend im Bereich elektronischer Popmusik verweist. Analog zum Hard Rock-Genre bleiben die LU-Werte der älteren Titel unter
173 Es kann davon ausgegangen werden, dass die Loudness-Zunahme in der Musikproduktion keine grundlegend gleiche Tendenz in allen Musikstilen ist, sondern genretypisch ist. „We’ll find out whether recent music is really louder, and whether it’s really less dynamic. We’ll also consider the hypothesis that loudness may be a stylistic marker for specific recent music styles, instead of being a bad habit only motivated by despicable commercial reasons.“ (Deruty, 2011, S. 149.)
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 281
10 LU, während dagegen die neueren Titel aus dem Jahre 2011 diesen Wert mit 15.3 LU und 16.5 LU deutlich überschreiten. Zwischenfazit Die Analyse der ausgewählten Titel in den Genres Pop, Hard Rock und Elektronische Popmusik ergibt ein relativ deutliches Bild hinsichtlich der Zunahme an Loudness (Lautheit) in Musikproduktionen zwischen den frühen 1970er-Jahren und heute. Die Zunahme an Loudness und der damit verbundene Einsatz von Kompressoren und Brickwall-Limitern hat, wie bereits weiter oben belegt, nicht nur eine Verringerung des Dynamikumfangs zur Folge, sondern auch eine damit verbundene Änderung des Sounds (z. B. durch Änderung des Frequenzspektrums). Deruty nimmt hinsichtlich der Veränderung der Loudness eine Unterteilung in mehrere Phasen zwischen 1970 bis 2010 vor, die ein differenziertes Bild ergibt. Die Messungen basieren auf der Analyse von 4500 Songs aus allen Genres.174 Die Abbildung „Steigerung RMS nach Jahren – First Diagram“ bildet die Änderung des durchschnittlichen Pegels (RMS = Root Mean Square) nach Jahreszahlen ab. Das Ergebnis der Messungen ist analog zu den Aussagen bzw. Musikbezügen Bms, der sich hinsichtlich der von ihm bevorzugten Musik vornehmlich auf Musik der 1970er- und 1980er-Jahre beruft.
Abb. 63: Steigerung RMS nach Jahren – First Diagram175 „The first diagram in Figure 1 shows the experiment’s outcome, and it is indeed spectacular! The red line shows the RMS median value for each year, and the rectangles give an indication of the distribution: the darker the rectangle, the more pieces showing such a level. There is, without question, a constant growth in average levels
174 Die Auswahl der Titel geht zurück auf Wikipedias Best Selling Album Page und das Chart Archiv von Billboard. „Much of this article is based on analysis of a corpus of recorded music compiled from albums that achieved serious commercial and/or critical success. The main references are: Wikipedia’s best-selling albums page, chart archives from Billboard.com, and the besteveralbums.com. Additionally, when an artist is mentioned repeatedly on besteveralbums.com, the complete discography may be included. This is, for example, the case for Radiohead, Nirvana, Pink Floyd and U2.“ (Deruty, 2012, Quelle: http://www.uaudio.com/ blog/sos-feature-loudness-war/Zugriff: 12.8.2016.) 175 Quelle: Deruty (2011), S. 148.
282 | Popmusik aneignen
between 1982 and 2005, and today’s records are roughly 5dB louder than they were in the ’70s.“176 Die Abbildung „Steigerung RMS nach Jahren – First Diagram“ belegt aber auch, dass eine Steigerung der durchschnittlichen Lautheit nicht kontinuierlich stattfindet, sondern nach Phasen differenziert werden kann. Bei Messung des Crest-Faktors177 ergibt sich für den Zeitraum der 1970er-Jahre sogar ein gegenläufiges Bild hinsichtlich der Dynamikbreite (s. Abb. „Crest-Faktor – Third Diagram), was Deruty mit einem verbesserten Verhältnis zwischen Nutzpegel und Rauschen aufgrund der verbesserten Studiotechnik begründet. „The third diagram in Figure 1 shows the evolution of a measure that’s analogous to the crest factor. Based on the same 4,500 tracks, this simplified crest factor is shown falling by 3dB since the beginning of the ’80s, reinforcing the suspicion that the increase in loudness we’ve been witnessing since the ’90s was brought by dynamic compression. You’ll see that the evolution of the crest factor can be divided into three stages. First, from 1969 to 1980, the crest factor increases, probably due to the improvement of studio gear in terms of signalto-noise ratio and dynamic transparency. From 1980 to 1990, the crest factor remains relatively stable. Then, from 1990 to 2010 – the era of the loudness war – the crest factor is dramatically reduced.“178 Nach Deruty ist eine grundlegende Zunahme der Loudness in Musikproduktion zwischen 1970 bis 2010 grundsätzlich konstatierbar und mit unterschiedlichen Messmethoden auch nachzuvollziehen. Eine dramatische Zunahme der Loudness findet jedoch erst zwischen 1990 und 2010 statt, der Ära des so genannten Loudness Wars.
Abb. 64: Crest-Faktor – Third Diagram179 Die Aussage des Befragten Bm, der sich hinsichtlich der von ihm bevorzugten Musiken vornehmlich auf solche der 1970er- und 1980er-Jahre bezieht, kann durch die hier angestellte Untersuchung und die von Deruty erzielten Messungen untermauert werden. Ein Querschnitt ausgewählter Musik aus allen Genres ergibt für diese beiden
176 Ebd. (2011), S. 149. 177 Der Crest-Faktor misst den Abstand zwischen Spitzenpegel (Peak) und durchschnittlicher Lautstärke (RMS). 178 Ebd. (2001), S. 150. 179 Quelle: Ebd., S. 148.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 283
Dekaden ein Weniger an Verdichtung durch Kompression, was im umgekehrten Sinne nach Interpretation des Verfassers von Bm als „eine Art Rauschen, was Töne hat“ empfunden wird. Aus tontechnischer Perspektive kann die subjektive Wahrnehmung Bms durch die historische Entwicklung im Bereich Kompression belegt werden. Frequenzspektrum Zu den möglichen Gründen, die die Wahrnehmung Bms gegenwärtiger Musik als Rauschen begründen könnten, kann, wie weiter oben angemerkt, auch eine Änderung der Frequenzspektren zwischen 1970 und heute mit der Tendenz der Anhebung oberer Frequenzbänder angenommen werden. Hierzu wurden in einer kleinen Versuchsanordnung die ausgewählten Titel aus den Genres Pop, Hard Rock und Elektronische Popmusik gegenübergestellt. Zur Analyse wurde wiederum das Hofa-Plug-in „IQ Analyzer“ verwendet. In den folgenden Darstellungen werden die jeweiligen einer Ära zugehörigen beiden ausgewählten Titel in einer Reihe dargestellt. Ausschlaggebend für den Vergleich ist die jeweilige untere Linie, welche den durchschnittlichen Pegel (RMS) angibt. Pop
Abb. 65: Frequenzspektrum Pop alt (All Right Now, Waterloo)
Abb. 66: Frequenzspektrum Pop neu (Wake Me Up, This One’s For You) Hard Rock
Abb. 67: Frequenzspektrum Hard Rock alt (Whole Lotta Love, Smoke On The Water)
284 | Popmusik aneignen
Abb. 68: Frequenzspektrum Hard Rock neu (Learn To Fly, Beautiful Dangerous) Elektronische Popmusik
Abb. 69: Frequenzspektrum Elektronische Popmusik alt (Oxygène IV, The Things You Said)
Abb. 70: Frequenzspektrum Elektronische Popmusik neu (Still Getting It, Sun Is Shining) Die Gegenüberstellung der ausgewählten Titel erweist sich hinsichtlich einer generellen Aussage über eine grundlegende Änderung der oberen Frequenzbereiche im Vergleich von alt und neu als problematisch. Hier spielen neben genretypischen Entwicklungen vor allem die individuellen Band- bzw. Act-Sounds eine Rolle. Kennzeichnend für als traditionell zu bezeichnende Mischungen ist eine allgemein abfallende Frequenzkurve über ca. 1,5 kHz. Je nach Stärke der abfallenden Kurve kann man den Sound als dumpf oder weich bezeichnen. Umgekehrt lässt sich der Klangeindruck durch hohe Frequenzanteile über ca. 1,5 als hart, hell oder aggressiv bezeichnen (je nach subjektiver Wahrnehmung und Instrumentierung). Setzt man eine Frequenzkurve mit möglichst gleich starken hohen Frequenzanteilen zwischen 1,5 und 10 kHz als Messkriterium für einen Vergleich an, so fallen vor allem einzelne Titel heraus, deren Frequenzkurve nach oben nur wenig abfällt. Dies trifft auf die folgenden Titel zu: • Wake Me Up • Learn To Fly
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 285
• Still Getting It • Sun Is Shining
Die älteren Titel aus dem Bereich „Elektronische Popmusik“ erscheinen im Vergleich zu allen anderen Titeln als besonders weich und zeichnen sich durch eine entsprechend abfallende Frequenzkurve aus. Als signifikant zu bezeichnen sind die Frequenzverläufe der beiden ausgewählten neueren Titel aus dem Genre „Elektronische Popmusik“ (Still Getting It, Sun Is Shining). Auf Basis der hier ausgewählten Titel kann festgehalten werden, die sich die Frequenzspektren der neueren elektronischen Popmusik deutlich von den vergleichbaren Titeln des gleichen Genres, aber auch von allen anderen Titeln der weiteren Genres unterscheiden, was den hohen Anteil oberer Frequenzen über 1,5 kHz anbetrifft. Zwischenfazit Der Vergleich zwischen älteren und neueren Titeln aus verschiedenen Genres lässt die generelle Feststellung zu, dass die Mischungen innerhalb der letzten 40 Jahre mehr hohe Frequenzanteile beinhalten. Jedoch können hier starke Unterschiede zwischen einzelnen Titeln und Genres festgestellt werden. Was den Unterschied zwischen verschiedenen Genres anbetrifft, so kann generell festgehalten werden, dass es hier typische Standards gibt, die zwar nicht grundsätzlich eingehalten werden oder eingehalten werden müssen, jedoch häufig in Presets entsprechender Plug-ins (z. B. in Ozone von Izotope – s. Abb. „Presets Ozone Equalizer“) oder vergleichbarer Hardware (Finalizer von TC Electronics) zu finden sind. Frequenzanteile von Mischungen sind somit häufig genretypisch. Ein weiteres Kriterium ist das geplante Einsatzgebiet. So wird sich ein Radio-Mix von dem einer Mischung für den Einsatz in Clubs ebenfalls deutlich unterscheiden. Besonders stark fällt der Anteil hoher Frequenzen bei den oben ausgewählten Titeln jedoch bei neuerer Musik im Bereich „Elektronische Popmusik“ aus. Der Befragte Bm bezieht sich mit seiner Wahrnehmung der Musik als „Rauschen, was Töne hat“ explizit auf gerade dieses Genre (mehrere Hinweise auf Depeche Mode). Der Vergleich der ausgewählten Titel in Bezug auf veränderte Kompressionsgrade und veränderte Frequenzanteile belegen die subjektive Wahrnehmung des befragten Bm. Hinsichtlich einer generellen und allgemeingültigen Aussage wäre die Überprüfung einer Vielzahl weitere Titel und Genres notwendig, was den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen würde.
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Abb. 71: Presets des Ozone Equalizers der Firma Izotope Kreative Strategien Leitfaden Bisher haben wir übers Instrumente spielen oder Singen gesprochen. Machst du noch mehr mit Musik? Stichpunkte Songs schreiben/Songideen entwickeln Eigene Versionen ausprobieren Mit Apps umgehen Musik hören Tanzen Sounds entwickeln Es soll erforscht werden, inwieweit die Befragten über die Aneignung von Musik weitergehende Strategien im Umgang mit dem Erlernten entwickeln. Hierzu könnte das Entwickeln eigener Sounds und Spielweisen oder das Experimentieren inklusive Improvisation gehören, auch unter Aspekten der Herausbildung eigener Versionen oder Kompositionen.180 Es kann davon ausgegangen werden, dass solche weiterfüh-
180 Der Überbegriff Kreativität folgt hier keiner spezifischen Definition, sondern wird im Popmusik-Kontext verstanden als genretypisches Element des eigenen Weiterentwickelns vorliegenden Materials. Hierzu gehören z. B. Variationen, eigene Sounds, Improvisation, Kompositionen usw. Kleinen weist ebenfalls auf die Genreabhängigkeit und das dahinterstehende musikalische Konzept als Besonderheit von Kreativität in der populären Musik hin. „Das musikalische Genre entscheidet, welche Eigenschaften und Elemente der Musik vorgeformt sind und welche individuell verändert werden können. In der Popmusik existiert ein Raum der persönlichen Freiheit, in dem sich Kreativität entfalten kann.“ (Kleinen, 2003, S. 41.)
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renden, kreativen Strategien altersbedingt erst in Ansätzen zu beobachten sind und in späteren vertiefenden Phasen entwickelt werden. Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Befragter: Nee, ich achte halt, also, wenn ich ein Lied habe, das ich ganz doll mag, dann hör ich’s mir an und dann hör ich mir auch manchmal Covers an, also von anderen Leuten, wie sie das singen Interviewer: Okay #00:06:43-5# Befragter: Und von, weil, jeder singt das ja anders #00:06:46-1# Interviewer: Ja #00:06:46-1# Befragter: Und manche machen auch mit ’ner andren Melodie oder so was, und daraus schneid ich mir das halt raus, so ein paar Teile und dann sing ich’s einfach. #00:06:55-6# Interviewer: Okay, also du orientierst dich an verschiedenen Leuten, die das auch schon unterschiedlich singen, richtig? #00:07:04-5# Befragter: Mhm (bejahend) #00:07:06-3# Df, Absatz 63 - 69
Ja, also, singen tu ich auch, aber das tu ich jetzt nicht so oft Cm, Absatz 65
Durchaus mal, ja, also, ähm, vor allen Dingen bei Populärmusik gibt’s ’n paar Sachen so, wo ich, ähm, wo’s, da gibt’s jetzt keine, da find ich wahrscheinlich keine Noten zu oder keine Noten, die mir so passen würden, ich find’s halt manchmal schade oder unschön, wie manche Leute jetzt hobbymäßig das umsetzen, ich hab dann halt meine eigenen Versionen so gemacht, also ’n Lied von Rammstein zum Beispiel kann ich ’n sehr sanftes, ich meine Klavierfassung, hab ich sogar schon aufgeführt, mal mir einfach schon mal 'ne Klavierfassung zu überlegt, 'ne eigene. Fm, Absatz 27
Ohne Noten gehabt zu haben eben, gut, da sind die Akkorde auch, gibt’s nur vier verschiedene, ist nicht so schwer, aber, ja , hab ich durchaus auch schon gemacht. Fm, Absatz 29
a) Sachanalyse Zu Aspekten eines kreativen Umgangs mit Musik oder den erlernten Titeln werden von den Befragten kaum Angaben gemacht. Lediglich die Befragten Df und Fm äußern sich zu diesem Punkt. Hierfür können folgende Gründe angenommen und weiterführende Forschungsfragen entwickelt werden: • Es findet eine hauptsächliche Konzentration auf die Aneignung und Reproduktion
von Musik und Spieltechniken entsprechend den Originalen statt anstelle eigenständiger Produktion. Ein kreativer und selbstständiger Umgang mit den Vorlagen ist sekundär oder altersbedingt noch nicht von Relevanz. • Eigene kreative Ansätze sind vorhanden, sie werden jedoch nicht als solche wahrgenommen oder gewertet.
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• Durch eine Verfeinerung des Messsystems und Längsschnitt-bezogene Interviews
könnte der Frage nachgegangen werden, ob ältere Rockmusik-orientierte Generationen der 1960er- und 70er-Jahre im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Strömungen und Einflüsse wie z. B. der Hippie-Ära und der 68er-Generation experimentierfreudiger waren bzw. heutige Jugendliche nach mehr Konformität streben.181 • Könnte eine allgegenwärtige Medienpräsenz möglicherweise ein Mehr an Konformität zur Folge haben, während hingegen eine weitgehende Abwesenheit von Medien zu mehr eigenen experimentellen Versuchen führen könnte? b) Kontextwissen Wie bereits weiter oben beschrieben (s. Abschnitt 4.2.10) wurde während der gemeinsamen Proben und Erarbeitungsphasen ausschließlich an ausgewählten Stücken gearbeitet. Gemeinsames Improvisieren und Jammen hat nicht stattgefunden. Diese Musizierpraxis ist als alterstypisch anzunehmen. Bei den noch jüngeren Teilnehmern geht es vornehmlich um Hören und Kopieren als Grundlagenstrategie. „By far the overriding learning practice for the beginner popular musician, as is already well known, is to copy recordings by ear.“182 Erst bei Fortgeschrittenen (und dies ist sicher auch eine Altersfrage) spielen Aspekte der Produktion und somit kreative Anteile (Komposition, Improvisation) zunehmend eine Rolle. So sind die in einer Studie von Claudia Bullerjahn zum Themenkomplex (Komposition, Kreativität) Befragten durchschnittlich 26 Jahre alt.183 Vergleichbare Studien zum kreativen Umgang Jugendlicher mit Musik liegen nicht vor. c) Fallvergleichende Analyse Die Befragten Am, Bm, Cm und Em machen keine expliziten Aussagen, aus denen ein gezielter kreativer Umgang mit Musik durch Improvisation, kompositorischer Weiterentwicklung etc. hervorgehen. Dennoch kann vermutet werden, dass kreative Ansätze rudimentär vorhanden sind, von den Beteiligten selbst jedoch nicht als solche wahrgenommen werden, vergleichbar mit dem Umstand, dass z. B. die eigene Arbeit möglicherweise nicht als Lernen empfunden wird.184 Die Befragte Df gibt an, verschiedene Gesangsversionen zu vergleichen, um Unterschiede herauszuarbeiten und die einzelnen Parts wieder neu zusammenzusetzen.
181 Dieser Aspekt wird regelmäßig in Onlineforen und Feuilletonseiten diskutiert, so z. B. in einer Zeit-Kolumne, in welcher der Frage nachgegangen wird, inwieweit Kreativität in der gegenwärtigen Popmusikbranche immer weiter in den Hintergrund tritt. Vgl. dazu: http://www.zeit.de/kultur/musik/2013-02/ctm-kreativitaet-musik-software/Zugriff 21.8.2016. 182 Green (2002), S. 60. 183 Vgl. Bullerjahn, in: Kleinen (2003), S. 111. 184 „My impression was that although they all did it by copying recordings, many of them had not considered this practice to be a part of learning, viewing it rather as something private, unfocused or unworthy of discussion.“ (Green, 2002, S. 61.)
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Befragter: Und manche machen auch mit ’ner andren Melodie oder so was, und daraus schneid ich mir das halt raus, so ein paar Teile und dann sing ich’s einfach.
In diesem Vorgang kann ein bewusster und gezielter kreativer Umgang mit dem vorliegenden Material gesehen werden, da verschiedene Gesangsversionen zu einer eigenen Version zusammengesetzt werden. Die Vorgehensweise des ältesten Befragten Fm lässt im Vergleich zu Df schon deutlich eigene Strategien in der Weiterentwicklung der vorliegenden Musik erkennen durch Erarbeiten einer Klavierversion aus einer Musik von Rammstein, die als harte Gitarrenmusik bezeichnet werden kann. Durchaus mal, ja, also, ähm, vor allen Dingen bei Populärmusik gibt’s ’n paar Sachen so, wo ich, ähm, wo’s, da gibt’s jetzt keine, da find ich wahrscheinlich keine Noten zu oder keine Noten, die mir so passen würden, ich find’s halt manchmal schade oder unschön, wie manche Leute jetzt hobbymäßig das umsetzen, ich hab dann halt meine eigenen Versionen so gemacht, also ’n Lied von Rammstein zum Beispiel kann ich ’n sehr sanftes, ich meine Klavierfassung, hab ich sogar schon aufgeführt, mal mir einfach schon mal 'ne Klavierfassung zu überlegt, 'ne eigene. Fm, Absatz 27
Entsprechend den weiter oben gemachten Ausführenden ist die Vorgehensweise Fms auch eine alterstypische Variante, da der Befragte mit 21 Jahren bereits erfahren ist. Die Befragte Df fällt dagegen aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen bezüglich Kreativität und Alter heraus, da sie zum Zeitpunkt der Befragung erst 12 Jahre alt ist. d) Sequenzierung Zu den nicht erfolgten Texten zum Themenbereich „Kreative Strategien“ und den wenigen expliziten Aussagen lässt sich das folgende Sequenzierungsschema generieren (s. Abb. „Sequenzierung kreative Strategien“). Obwohl grundlegend, wie weiter oben ausgeführt, angenommen werden kann, dass kreative Strategien in frühen Jugendjahren noch keine so große Rolle gegenüber der reinen Reproduktion von Musik spielen und darüber hinaus auch Aspekte der Bedeutungszuweisung gegenüber kreativem Handeln in historischen Kontexten von Relevanz seien mögen (z. B. 1960erund 70er-Jahre), kann davon ausgegangen werden, dass die diesbezügliche Selbstwahrnehmung kreativen Handelns einschließlich der eigenen Wertschätzung als messbare Faktoren nicht zu bestimmen sind, sondern nur hypothetisch angenommen werden können.
Abb. 72 : Sequenzierung „Kreative Strategien“
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Motivation/Zukunftsperspektiven Leitfaden Meinst du, dass du auch in Zukunft Musik machen wirst? Stichpunkte Geplante weitere Aktivitäten Einschätzung der Möglichkeiten Die auf die Zukunft gerichtete Fragestellung dient einerseits als Gesprächsausstieg. Andererseits liegt hier das Forschungsinteresse auf der Frage, inwieweit die gegenwärtige Motivation, die vorausgesetzt werden kann, auf zukünftige Planungen übertragen wird. Texte Befragte (Originaltexte, frühe Kommentare, Absatz) Interviewer: Meinst du, wirst du in Zukunft auch Musik machen? Ich mein, ist schwer abzuschätzen, weiß man ja nicht so genau, aber #00:08:32-9# Befragter: Aber ich glaub schon #00:08:34-6# Am, Absatz 56 - 57
Also, ich glaub schon, dass ich auf jeden Fall dabei bleibe (...) ähm, ja, also ich geh auf jeden Fall davon aus, dass ich weiter auch Gitarre spielen werde, mich weiter mit Musik auch beschäftigen werd, so'n bisschen Am, Absatz 59
Interviewer: Vielleicht später auch mal mit 'ner Band, also 'ner andern Band noch #00:08:53-5# Befragter: Ja, klar, kann ich mir vorstellen #00:08:59-1# Am, Absatz 60 - 61
Interviewer: Ähm, für dich, ähm, welchen Stellenwert würdest du Musik einräumen, so? Befragter: Ganz oben, also, ich mach noch ganz viel Sport, ich mach Leistungssport, ich laufe Bm, Absatz 101 - 102
Ja genau, haben wir uns gesehen, äh, das war bei einem Training, das ist so eine Sache, für die brenn ich total, ich trainier fünfmal in der Woche und häng mich da richtig hinter, und Musik, das ist irgendwas auf einer Ebene. Wenn ich beim Laufen kein Erfolg mehr haben würde, dann würd ich Musik machen, wenn ich in Musik kein Erfolg mehr haben würde, würd ich ganz viel laufen gehen. Also irgendwie, das ist so eine Sache, und das sind auch zwei Sachen, die glaub ich, die braucht man, Musik und Sport, das sind so zwei Sachen die man im, da kann ich nicht verstehen, wenn andere Leute das nicht machen, weil das ist, das gehört so, so zum Leben für mich dazu, irgendwie, also das ist schon eigentlich oberste Priorität. Bm, Absatz 104
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Interviewer: Also, ähm, kannst du dir vorstellen, dann auch weiterhin Musik zu machen? #00:18:16-3# Befragter: Auf jeden Fall, wenn ich nicht mehr laufen kann, wenn ich zu alt bin, mach ich nur noch Musik (Lachen) Ich will noch unbedingt Bass gut spielen, ich will noch unbedingt Klavier spielen Interviewer: Hast noch vor Instrumente zu lernen? Befragter: Ja, auf jeden Fall, ich find Saxophon so geil, ich weiß auch nicht wieso, aber Bm, Absatz 123 - 126
Ja, also weil ich ganz viel Funk hör, denk ich so’n Saxophon ist schon geil, und Klavier mag ich auch voll gerne (.) aber dann halt nicht so Klassik, klassische Stücke, also das wär vielleicht auch mal ganz interessant, aber vor allem, was man so inner Band spielen kann, also mit Akkorden, so’n bisschen improvisieren, was man so machen kann Bm, Absatz 128
sonst, war früher so, jetzt nicht mehr so, jetzt (..) jetzt nehm ich mir eigentlich so vor wie so YouTuber zu werden, die so wirklich erfolgreich sind, also die Gitarristen sind auf YouTube und versuchen, so zu spielen wie die, jedenfalls in die Nähe zu kommen Cm, Absatz 31
Interviewer: Ich hoffe, dass es geht, also ich glaube, dass meistens der Sprechpegel groß genug ist. Meinst du, du wirst in Zukunft noch Musik machen? Weiterhin? #00:12:15-1# Befragter: Ja, auf jeden Fall, so jetzt es wird dann jetzt nicht so immer sein, weil ich dann ja jetzt langsam jetzt in meine Ausbildung komme, also ich will meine Schule langsam beenden mit dem Realschulabschluss, den ich hoffe, dass ich den schaffe, und dann muss es ja für mich weitergehen, dass ich 'ne Ausbildung habe #00:12:36-0# Cm, Absatz 84 - 85
und dann muss ich (unverständlich) erstmal dafür alles machen und dann in meiner Freizeit, da wird’s dann vielleicht ein bisschen schwierig werden, denke ich, aber ich denke schon, dass ich noch weiter Musik machen werde, also, es wird sich bestimmt wieder denn irgendwann aufgreifen oder entweder ich mach ganz normal so weiter, also Cm, Absatz 87
Interviewer: Hast du das eigentlich vor, auch mal 'ne Band zu machen, also jetzt später mal außer dieser #00:14:15-9# Befragter: Ja, vielleicht, aber, na ja, darüber hab ich mir noch, ich hab mir schon darüber Gedanken gemacht, aber das ist (..) denke ich jetzt einfach mal, ziemlich kompliziert, also das alles so in die Wege zu leiten ähm, da braucht man einen festen Platz und #00:14:42-9# Cm, Absatz 96 - 97
Das könnte vielleicht 'n bisschen problematisch werden, wenn, dann müsst ich mich eigentlich an eine Gruppe (..) leiten, wenden, die sich zur Verfügung stellt oder so Cm, Absatz 101
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Befragter: Oder einen Raum irgendwo am Bahnhof, da gibt’s ja manchmal Räume, wo man so rein kann und denn üben kann als Band #00:15:11-2# Cm, Absatz 103
Interviewer: Hast du mal, oder so’n bisschen im Hinterkopf vielleicht später auch Musik zu machen, also sagst du, das möchte ich eigentlich gerne └ #00:08:01-5# Befragter: Ja Interviewer: ┘ weitermachen, wer weiß, wie weit, vielleicht sogar in Richtung, dass du sagst, ich möchte gern Musikerin werden oder Sängerin #00:08:09-0# Befragter: Ja, also #00:08:07-6# Df, Absatz 76 - 80
Ähm, ich hab mich auch schon mal beim Supertalent angemeldet, kennen Sie bestimmt nicht, weiß ich aber nicht, aber das bringt nichts, also, ich möchte schon erfolgreicher werden, als einfach nur so (...) ja einfach nur so mal im Fernsehen sein und dann wieder weg, (kurze Pause) also, das soll schon was Professionelles sein Df, Absatz 85
Interviewer: Ja, man kann dazu sagen, also die, es gibt natürlich hin und wieder Leute, die, bei welchen Casting-Shows auch immer mal erfolgreich sind, #00:08:42-9# Befragter: Ja #00:08:43-0# Interviewer: Aber sie sind es meistens nicht langfristig #00:08:45-4# Df, Absatz 86 - 88
Befragter: Dann sind sie, waren sie mal kurz da, da hat man ein Lied rausgebracht, und dann vergisst man sie schon gleich Df, Absatz 91
Der Befragte kann die beruflichen Chancen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Wettbewerben reflektieren und bezieht dies auf die eigene Zukunftsplanung. Interviewer: Also, dein Interesse ginge schon wirklich mehr in Richtung professionell Musik machen #00:08:56-5# Befragter: Ja #00:08:56-5# Interviewer: Und auch langfristig Musik machen #00:08:57-6# Befragter: Mhm (bejahend) #00:09:00-2# Df, Absatz 92 - 95
Also, ich werd wahrscheinlich immer nebenbei Musik machen, so'n bisschen, so für mich, vielleicht irgendwann, wenn sich das ergibt, wirklich 'n bisschen mehr machen, vielleicht mit Freunden zusammen, aber so, also, eigentlich hatte ich das so geplant, dass ich immer nebenbei einfach für mich spiele, so Em, Absatz 87
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Interviewer: Kannst du dir vorstellen, dass Musik machen für dich zukünftig 'ne größere Rolle spielen wird? #00:19:03-9# Befragter: Ist mein größter Traum, ist mein größter Traum überhaupt, also ist eigentlich so das, womit ich nach wie vor fest rechne, ich weiß gar nicht, was ich machen soll, wenn das mal nicht klappen sollte, also, das ist schon das, weil, man merkt ja irgendwann, man kann irgendwas gut und man erreicht damit Leute und das war halt in meinen früheren Jahren war das immer so, so. #00:19:29-0# Fm, Absatz 101 - 102
Befragter: Richtig beruflich auch gerne, also es soll nicht unbedingt vielleicht so heftig werden, dass es mich irgendwann annervt, also ich hab auch schon Menschen tatsächlich kennengelernt, die sagen, sie haben fünfzig Jahre Chorarbeit gemacht und können kein Notenblatt mehr anfassen, weil sie so, weiß ich nicht, überlastet sind und (unverständlich) das möchte ich nicht, dass mir das passiert, also ich denk, ich werd dann ’n unstetes Leben führen, vielleicht wird’s jetzt die nächsten Jahre mit Musik was sein, ich bin aber ansonsten sehr an Theater interessiert, an Schauspiel, Literatur fasziniert mich, also ich denke, da werd ich sowieso immer so'n bisschen durchhopsen, aber ich denke, dass mein Steckenpferd doch irgendwo das wirklich die Musik ist, wo ich noch irgendwie halbwegs sagen kann, ich hab Ahnung und ja, ich hab auch 'ne sehr expressive Art halt, so Musik zu machen, auch Musik zu hören, das ist auch so relativ bekannt, sag ich mal in meinem Umkreis, so also, gibt Leute, die sich einfach gern mal nur hinsetzen, und wenn ich dann irgend ’n Stück anmache und dann mal mitdirigiere und sage, du musst auf das hören, was da noch im Hintergrund rauskommt, hör dir das mal an und so, und das können die zwar alle gar nicht nachvollziehen, aber es sieht wohl interessant aus, wie ich das mache (Lachen). #00:20:50-8# Fm, Absatz 104
Deswegen, nein, das macht einen dann schon, stimmt einen schon nachdenklich so, denn, ich halt immer überleg, alle haben ja immer so'n Plan vom Leben, was machst du eigentlich mal, irgendwie denk ich, wird’s irgendwo Musik sein, geh ich stark von aus, also ist auch das, was ich will, irgendwo, und das wär, glaub ich, für mich dann auch ’n herber, wie soll ich sagen, halt, es wär für mich sehr schlimm, irgendwo privat, wenn ich irgendwann mal erkennen müsste, so mit 25 jetzt oder so, wenn ich dann immer noch nichts habe, das immer noch nicht gefruchtet hat, irgendwie, ich unternehme jetzt grad keine Bestrebungen, irgendwie, das zu machen, aber das werd ich jetzt irgendwie wohl mal anfangen, Musik aufzunehmen oder so, das einfach mal online zu stellen, zu gucken, wie Leute das finden. Wenn das nicht funktionieren sollte, das wär, glaub ich, ’n starker, starker Schmerz für mich so, wär ich sehr traurig, glaub ich, müsst ich auch komplett neu überlegen, was ich machen will, weil es ist irgendwo so’n Herzenswunsch gerade, auch schon immer halt eigentlich, quasi, seit ich Klavier spiele auch. Fm, Absatz 106
Aber, ähm, ja vielleicht jetzt so im Anschluss an dieses Jahr, mal gucken, ob ich mich da mal ’n bisschen ransetze und gucke. ’n Problem ist halt noch Songwriting, also ich muss jetzt erst mal anfangen zu covern, glaub ich, weil mit covern, das werden, denk ich mal, die Anfänge sein, weil noch sprießen irgendwie nicht so die Ideen, die man wahrscheinlich haben muss, um selber wirklich on top zu sein, das fehlt noch irgendwo, aber ich könnte mir
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vorstellen, dass das vielleicht irgendwo in mir schlummert und dass ich das noch irgendwie aktivieren kann mal, im richtigen Moment. Fm, Absatz 110
a) Sachanalyse Die abschließende Frage nach der Einschätzung zukünftiger musikalischer Aktivitäten wird von den Gesprächsteilnehmern durchgängig positiv beantwortet. Alle Gesprächspartner geben an, auch weiterhin Musik machen zu wollen. Die Beantwortung findet auf fast ausschließlich perspektivisch zu nennenden Ebenen insofern statt, als zukünftige Planungen miteingebunden werden, die über den Status quo hinausgehen. Hierzu gehören z. B. Überlegungen des Musikmachens in einer Band (Am und Cm) oder ein YouTuber185 zu werden (Cm). Musik machen nimmt demnach auch für die Zukunftsplanungen eine zentrale Rolle ein, wenn auch Musik nur ein wichtiger Bereich neben anderen Hobbys wie z. B. Sport ist. Es ist ein herausragendes Merkmal, dass die Aussagen zu möglichen Musik-Perspektiven durch sachliche Erwägungen wie beispielsweise Fragen nach Hindernissen (mit einer Band benötigt man einen Übungsraum) oder Überlegungen zu Alternativen wie „erfolgreich sein“ in einem anderen Hobby begleitet sind (Sport – Bm) durch Setzung von Prioritäten (Schule beenden, den Realschulabschluss schaffen, eine Ausbildung beginnen – Cm). Auch Überlegungen zu Möglichkeiten einer Karriere als Profimusiker (Df) sind vornehmlich begleitet durch realistische Einschätzungen z. B. durch Verfolgen der nachhaltigen Erfolgschancen der Gewinner von Casting- oder Talent-Shows wie Deutschland sucht den Superstar oder vergleichbarer Sendungen. Sachlich-realistisch sind auch solche Aussagen zu nennen (Em), die Musik machen als einen Teil einer rein privaten Beschäftigung ohne weitere nach außen gerichtete Ambitionen einschätzen. Eine Ausnahme zu den oben genannten Kriterien in puncto realistische Einschätzung stellen die Aussagen von Fm dar (s. Fallvergleichende Analyse weiter unten).
185 Der Begriff „YouTuber“ hat sich umgangssprachlich unter Jugendlichen, aber auch in den Medien etabliert. (Im Bundeswahlkampf 2017 haben sich die Vertreter der großen Parteien (Angela Merkel und Martin Schulz) zu Gesprächsrunden und Interviews mit bekannten YouTubern getroffen, um auf diesem Weg Jugendliche zu erreichen. Damit sind (zumeist jugendliche) Personen gemeint, die auf der Plattform YouTube regelmäßig Videos zu bestimmten Themen wie z. B. Musik, Mode usw. einstellen. Es gibt eine Vielzahl von YouTubern, die mittlerweile Stars in ihrer Szene sind. Auf der Internationalen Funkausstellung 2016 in Berlin wurde das Programm um entsprechende Programmpunkte zu YouTubeStars erweitert und auf der Webseite der Messe angekündigt: „IFA 2016: YouTube Stars auf der IFA – Felixba, iKnowReview, MrHelferSyndrom, TechVideo, ValueTechTV und Circle Of Alchemists, Fabian Siegismund, FaxxenTV, Jonas, Krappi, KSFreakWhatElse, und Tali Quindio – Berlin, 16. August 2016 – Wenn spektakuläre Pranks, coole Challenges oder stylische Vlogs auf Make-Up Artistin und Beauty- Stylistin treffen, gibt es einen gemeinsamen Nenner: YouTube. Die Abonnentenzahlen unserer IFA-YouTube-Stars erreichen schwindelerregende Höhen von bis zu 1,6 Millionen.“ Quelle: http://b2b.ifa-berlin.de/Presse/ Pressemitteilungen/News_30349.html, Zugriff: 16.11.2016.
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b) Kontextwissen Die grundlegend positiven Aussagen zum zukünftigen Musikmachen mit entsprechenden Überlegungen stellen eine Momentaufnahme dar, die Ausdruck der gegenwärtigen Motivation der Interviewteilnehmer ist. Rückschlüsse auf ein wahrscheinliches Musizieren in folgenden Lebensjahren sind nur schwer zu ziehen. Wie bereits oben erwähnt, stellen die mit den Überlegungen verbundenen sachlichen Erwägungen zu möglichen Begleitumständen, Hindernissen oder Erfolgsaussichten ein herausragendes Merkmal fast aller Aussagen dar. Die Teilnehmer wirken in diesem Zusammenhang aufgeklärt und realistisch abwägend, was zumindest bei einigen Teilnehmern wie z. B. Df fast professionell anmutet. Es kann vermutet werden, dass bereits zahlreiche Gespräche mit den Eltern stattgefunden haben, wenn auch nicht anzunehmen ist, dass die Einstellungen ausschließlich auf den Einfluss der Eltern zurückzuführen sind, sondern vielmehr ein Verhältnis zum Mainstream widerspiegeln, welches sich auch durch konformes Verhalten und daran ausgerichteten Denkweisen auszeichnet. (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Thema Vorbilder auf Seite 81ff). Hier spielen anscheinend eher generationstypische Einflüsse eine maßgebliche Rolle. Calmbach bezeichnet das planende und sachbezogene Vorgehen Jugendlicher als Neo-Konventionalismus, welcher sich auch aus einem verringerten Abgrenzungsbemühen gegenüber dem Elternhaus erklären lässt. 186 Bezüglich der Zukunftsvorstellungen Jugendlicher unterscheidet Calmbach allerdings sowohl unter Aspekten typenbildender Kategorien als auch unter soziologischen Gesichtspunkten unter Miteinbeziehung von Milieus.187 In der regelmäßig veröffentlichten Shell-Studie sprechen die Autoren ab dem Jahre 2002188 von einer „pragmatischen Generation“ und aktualisieren die inhaltliche Bedeutung des Begriffes jeweils neu. Aus den Gesprächstexten geht unter anderem hervor, dass persönliche Wünsche und Zukunftsvorstellungen äußeren, gesellschaftlichen Faktoren gegenübergestellt werden, um anschließend abzuwägen, wie realistisch die eigenen auf Musik bezogenen Zukunftspläne sind. Die Verknüpfung subjektiver Zukunftsvorstellungen mit objektiven Anforderungen (oder zumindest der Versuch) wird auch in der Shell Studie 2015
186 „Neo-Konventionalismus: Es gibt immer weniger typisch jugendliche Abgrenzungsbemühungen gegenüber der Erwachsenenwelt. Es geht heute den wenigsten Jugendlichen darum, der Mainstream-Kultur der Erwachsenen eine eigene „Subkultur“ entgegen zu setzen. Der Wertekanon der Jugend ist nahezu derselbe wie bei den Erwachsenen und reflektiert die Vielfalt der Orientierungen und Lebensstile einer pluralisierten Gesellschaft. Die ehedem stärkere Betonung hedonistischer und Selbstentfaltungs-Werte in den jugendlichen Lebenswelten ist mehr und mehr Vergangenheit. Folgerichtig hat auch die Bedeutung der noch in den 1990er und vor allem 1980er Jahren identitätsstiftenden Jugendkulturen bzw. Jugendszenen weiter abgenommen. Im Vergleich zur Studie 2012 ist dabei wirklich neu, dass der Begriff „Mainstream“ heute kein Schimpfwort mehr ist. Im Gegenteil – er ist ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung.“ Calmbach (2016), S. 475. 187 Vgl. hierzu Calmbach (2016), S. 462f. 188 Vgl. Albert et al. (2016), S. 375.
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festgestellt189. Die Autoren gehen in diesem Kontext von einem stärkeren Gestaltungswillen190 bei Jugendlichen aus, der auf pragmatischen Grundpositionen beruht. c) Fallvergleichende Analyse Die Frage nach zukünftigen Planungen im Hinblick auf weiteres Musizieren lassen eine positive Motivation aller Gesprächsteilnehmer erkennen. Wie bereits weiter oben ausgeführt, sind die Einschätzungen gekennzeichnet durch die Miteinbeziehung bestimmender Faktoren wie organisatorische Hürden (Besorgen eines Übungsraumes), schulische Qualifikation oder berufliche Perspektiven. Diese an weiteren Qualifikations- und Ausbildungszielen orientierte Einstellung trifft vor allem auf den Befragten Cm zu. Befragter: Ja, auf jeden Fall, so jetzt es wird dann jetzt nicht so immer sein, weil ich dann ja jetzt langsam jetzt in meine Ausbildung komme, also ich will meine Schule langsam beenden mit dem Realschulabschluss, den ich hoffe, dass ich den schaffe und dann muss es ja für mich weitergehen, dass ich ‚ne Ausbildung habe #00:12:36-0# Cm, Absatz 84 – 85
Ebenso spielt ein noch abzuwartender Erfolg bei der Ausübung weiterer Hobbys eine Rolle, um den zukünftigen Anteil des Musikmachens bestimmen zu können. Musikmachen ist Teil eines breiteren Repertoires und ein Aspekt von mehreren Optionen, deren Wahl auch vom zukünftigen Erfolg abhängt. Wenn ich beim Laufen kein Erfolg mehr haben würde, dann würd ich Musik machen, wenn ich in Musik kein Erfolg mehr haben würde, würd ich ganz viel laufen gehen. Also irgendwie, das ist so eine Sache, und das sind auch zwei Sachen, die glaub ich, die braucht man, Musik und Sport, das sind so zwei Sachen, die man im, da kann ich nicht verstehen, wenn andere Leute das nicht machen, weil das ist, das gehört so, so zum Leben für mich dazu, irgendwie, also, das ist schon eigentlich oberste Wird. Bm, Absatz 104
Die zum Teil angedeuteten professionellen Ambitionen von Df sind gekennzeichnet durch stark realitätsbezogene Einschätzungen aufgrund von Informationen über die Chancen für ein erfolgreiches Weiterkommen, was Df am Beispiel von Casting-ShowTeilnehmern festmacht.
189 Albert et al. (2016), S. 375ff. 190 „Die Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2015 zeigen zunächst einmal, dass die suchende, taktierende Haltung der pragmatischen Generation anhält. In einer sich schnell ändernden und zunehmend von internationalen Ereignissen geprägten ökonomischen, kulturellen und politischen Entwicklung, die nur begrenzt in nationalem Rahmen kontrolliert werden kann, bleibt diese Generation stark von einer Auseinandersetzung mit dieser Unsicherheit geprägt. Dennoch sind einige Zeichen des Aufbruchs dieser Generation zu erkennen. Die abwartende, sondierende und taktierende Haltung, das Warten auf die richtige Gelegenheit, scheint sich in Richtung einer stärkeren Positionierung und eines stärkeren Gestaltungswillens zu öffnen.“ (Albert et al., 2015, S. 379.)
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Befragter: Dann sind sie, waren sie mal kurz da, da hat man ein Lied rausgebracht und dann vergisst man sie schon gleich Df, Absatz 91
Die Aussagen von Em sind ebenfalls insofern realitätsbezogen, da der Befragte seine künstlerischen Fähigkeiten als nicht ausreichend einschätzt. Zwar ist dem Befragten das Musikmachen ein wichtiges persönliches Anliegen, jedoch verbindet er dies nicht mit weiteren Zukunftsperspektiven im professionellen Sinne, sondern sieht die Funktion seines Instrumentalspiels vor allem darin, sich selbst zu genügen. Also, ich wird wahrscheinlich immer nebenbei Musik machen, so‘n bisschen, so für mich, vielleicht irgendwann, wenn sich das ergibt, wirklich ‚n bisschen mehr machen, vielleicht mit Freunden zusammen, aber so, also eigentlich hatte ich das so geplant, dass ich immer nebenbei einfach für mich spiele, so Em, Absatz 87
Der Befragte Fm, der zu den fortgeschrittenen Instrumentalisten unter den Befragten gehört, ist einerseits stark auf eine zukünftige musikalische Tätigkeit ausgerichtet, andererseits unternimmt er nichts, um auf eine für den Befragten selbstverständliche musikalische Zukunft hinzuarbeiten. Trotz seiner umfassenden Erfahrungen im Musikmachen und Kenntnisse über Musik (Fm gibt bereits gelegentlich kleine Konzerte), unternimmt er keinerlei Anstrengungen, um seinen Wunsch nach einem zukünftigen Leben als Musiker zu unterstützen. Er bezeichnet daher seine zukünftigen Planungen zu Recht als Traum. Befragter: Ist mein größter Traum, ist mein größter Traum überhaupt, also ist eigentlich so das, womit ich nach wie vor fest rechne, ich weiß gar nicht, was ich machen soll, wenn das mal nicht klappen sollte, also, das ist schon das, weil, man merkt ja irgendwann, man kann irgendwas gut und man erreicht damit Leute, und das war halt in meinen früheren Jahren, war das immer so, so. #00:19:29-0# Fm, Absatz 101 – 102
Im Vergleich zu den anderen Befragten sind die Überlegungen des Befragten Fm weniger durch an objektiven Gegebenheiten orientierte Denkweisen geprägt. Der bei den anderen Befragten vorherrschende Pragmatismus ist bei ihm nicht zu erkennen. Vielmehr kommen bei ihm Überlegungen über sein subjektives Befinden zum Tragen, worüber sich Fm durchaus im Klaren ist. Deswegen, nein, das macht einen dann schon, stimmt einen schon nachdenklich, so, denn, ich halt immer überleg, alle haben ja immer so‘n Plan vom Leben, was machst du eigentlich mal, irgendwie denk ich, wird’s irgendwo Musik sein, geh ich stark von aus, also ist auch das, was ich will, irgendwo, und das wär glaub ich für mich dann auch ’n herber, wie soll ich sagen, halt, es wär für mich sehr schlimm, irgendwo privat, wenn ich irgendwann mal erkennen müsste, so mit 25 jetzt oder so, wenn ich dann immer noch nichts habe, das immer noch nicht gefruchtet hat, irgendwie, ich unternehme jetzt grad keine Bestrebungen, irgendwie, das zu machen, aber das wird ich jetzt irgendwie wohl mal anfangen, Musik aufzunehmen oder so, das einfach mal online zu stellen, zu gucken, wie Leute das finden. Wenn das nicht funktionieren sollte, das wär, glaub ich, ’n starker, starker Schmerz für
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mich so, wär ich sehr traurig, glaub ich, müsst ich auch komplett neu überlegen, was ich machen will, weil es ist irgendwo so’n Herzenswunsch gerade, auch schon immer halt eigentlich, quasi, seit ich Klavier spiele auch. Fm, Absatz 106
d) Sequenzierung Die Befragten zeigen zum Zeitpunkt der Befragung eine grundlegend positive Einstellung in Bezug auf die Frage einer zukünftigen musikalischen Betätigung. Alle Beteiligten treffen ihre Absichten betreffend spontan positive Aussagen. Mit Ausnahme des Befragten Fm, der sich mehr auf die persönliche Bedeutung des Musikmachens als Teil seiner Persönlichkeit bezieht, gehen die anderen Befragten in den Folgetexten auf objektive Faktoren ein, die mit dem Fragegegenstand in Zusammenhang stehen und wägen die Wahrscheinlichkeit späteren musikalischen Handelns ab (s. Abb. Sequenzierung „Aussagen zukünftiges Muszieren“).
Abb. 73: Sequenzierung „Aussagen zukünftiges Musizieren“
4.5 ZWISCHENFAZIT EINZELINTERVIEWS Aus der Sicht des Verfassers hat sich die Entscheidung für die Durchführung von Einzelinterviews zur Generierung der notwendigen Texte entsprechend des Interviewleitfadens als grundlegend sinnvoll herausgestellt. Dies betrifft sowohl formale als auch informelle Ebenen. Hinsichtlich der Konstruktion des Leitfadens kann festgehalten werden, dass die grundlegende Struktur angemessen ist und analog zum feststellbaren Antwortinteresse angelegt war. Je nach Interviewteilnehmer konnten Einzelfragen explizit geäußert werden oder sind im Laufe des Gesprächs aus dem Gesprächsprozess heraus von den Teilnehmern angesprochen worden. Der letztgenannte Aspekt trifft insbesondere auf den Gesprächsteilnehmer Bm zu. Hier waren nur wenige Impulse notwendig, um die geplanten Teilaspekte anzusprechen. Wie bereits weiter oben angemerkt (vgl. Abschnitt über die konstruktive Zusammenarbeit auf S. 174) war die Gesprächsbereitschaft bei fast allen Gesprächsteilnehmern ausgesprochen zufriedenstellend. Lediglich Df verhielt sich im Gespräch etwas zurückhaltender, was aber auch dem subjektiven Eindruck des Verfassers entsprechen mag. Insgesamt kann aus der positiv geprägten Gesprächsteilnahme geschlossen werden, dass ein generelles Mitteilungsbedürfnis auf Seiten der Teilnehmer bestand. Die Be-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 299
fragten sprechen gern über Musik und sind auch gern bereit, über ihr persönliches Verhältnis zu Musik und zum Musik machen zu sprechen. Diesbezüglich spielte sicher auch die Tatsache eine Rolle, dass die Gespräche außerhalb schulischer Kontexte stattgefunden haben, sodass keinerlei Beurteilungen von außen befürchtet werden mussten. Möglicherweise hat auch der Umstand des gemeinsamen Musizierens mit dem Verfasser positive Auswirkungen auf Gesprächsatmosphäre und Offenheit der Äußerungen gehabt. Zum Aspekt der vorher nicht geplanten beobachtenden Teilnahme kann festgehalten werden, dass das gemeinsame Musizieren und die damit verbundenen Gespräche zu einem besseren Verständnis der Aussagen in den folgenden Interviews, insbesondere in Bezug auf die Interpretation der Texte, beigetragen haben. Die Auswertungen der Einzelinterviews ergeben, dass selbstständig erworbene musikalische Kompetenzen bei allen Befragten hinsichtlich der eigenen Aussagen feststellbar sind und insgesamt eine große Breite und Tiefe aufweisen. Bezüglich der Qualität der Kompetenzen lassen die Texte der Gesprächsteilnehmer zum Teil begründete Vermutungen zu, zum Teil ist die Qualität jedoch aufgrund der Formulierungen bereits offensichtlich und im Detail zu erkennen. Insbesondere bei Bm und Fm wird deutlich, wie intensiv sich die Teilnehmer bereits seit vielen Jahren mit Musik und damit verbundenen ästhetischen Kategorien befassen. Der Befragte Bm fällt hier besonders aus dem Rahmen, da er zum Zeitpunkt des Interviews erst 15 Jahre alt war. Trotz der relativ kleinen Anzahl der Befragten mit sechs Interviewpartnern sind bereits typische Muster erkennbar, die generelle Aussagen, wenn auch mit Vorbehalt, ermöglichen. Dies betrifft beispielsweise Aspekte der Initiierung innerhalb des familiären Umfeldes (Ausnahme Em). Allen gemeinsam ist vornehmlich der Aspekt der individuell selbst-gesteuerten Lernprozesse. Dies konnte auch begründet vorab so vermutet werden, da diese typisch für die Auseinandersetzung mit populärer Musik im Allgemeinen und insbesondere hinsichtlich des Erlernens von Popmusik als Teil oraler Traditionen spezifisch sind. Bei den im Jahr 2015 befragten Schülern sind jedoch die neuen und erweiterten Möglichkeiten durch die Nutzung digitaler Medien von wachsender Bedeutung und schaffen weitere Räume individuellen Lernens. Ob die wiederholt genannte Nutzung von YouTube für mehr institutionelle Unabhängigkeit sorgt (anstatt Schule oder Musikschule), erscheint zunächst offensichtlich. Möglicherweise stellt die Plattform YouTube jedoch selbst eine neue Institution dar, sodass hier nur eine Verschiebung stattfindet. Der Vorteil der Einbindung von YouTube besteht gegenüber schulischen Unterrichtssituationen in der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Angeboten bezüglich der Anbieter (Lehrende), der Inhalte als auch der Lernniveaus und kommt den Bedürfnissen der Lernenden so entgegen. Die Nutzung von YouTube verweist auch auf einen Strategienmix. Popmusikalisch geprägte Lernprozesse sind traditionell bestimmt durch weitgehend eigenständiges Erlernen eines Instruments oder des Gesangs (s. Ausführungen weiter oben) durch Copy and Play bzw. Listening and Copying. Die zumeist ausschließlich informellen Lernprozesse, die typischerweise auch innerhalb selbstgewählter Gruppen stattfinden,191 sind bei den Befragten jedoch auch begleitet von formalen Lernsituationen. Bei fast allen Befragten finden sich entsprechende Hinweise auf musikalische Früherziehung, privaten Unterricht oder allgemeinbildende Schule. Em gibt an, durch den
191 Vgl. Green (2008)/Harring (2013).
300 | Popmusik aneignen
Musikunterricht an der Schule überhaupt erst zum Spielen eines Instruments bewegt worden zu sein. Es werden teilweise Bezüge (insbesondere bei Bm und Df) zwischen selbstständig erlernten Lerngegenständen und solchen aus schulischem Unterricht hergestellt. So wird das Wiedererkennen z. B. von Akkorden und den entsprechenden Akkordsymbolen im Nachhinein als positiv herausgestellt. Der vormals vermittelte Inhalt des Schulunterrichts macht aus Sicht einiger Teilnehmer rückblickend Sinn durch die Verknüpfung von Inhalten aus formal und informell bestimmten Lernprozessen. Zusammenfassend können folgende Aussagen getroffen werden: • Selbstständig erworbene musikalische Kompetenzen sind bei allen Befragten auf
verschiedenen Lernniveaus feststellbar. • Die Lernniveaus decken eine große Breite vom Einsteigerlevel bis hin zu solchen
mit Expertencharakter ab. • Es werden alle Möglichkeiten zum Erlangen eines Lernziels genutzt, die für den
Lernenden sinnvoll erscheinen. • Die Lernprozesse erscheinen zum großen Teil systematisch, beinhalten jedoch
auch spontane und möglicherweise chaotische Elemente. • Neben der Schwerpunktsetzung auf Popmusik ist eine stilistische Offenheit gegen-
über anderen Stilen wie z. B. Klassik erkennbar. Entscheidend ist, was gefällt. • Die Befragten befinden sich in einem permanenten Prozess selbstreflexiver Orien-
tierung innerhalb von Musik, sowohl in der praktischen als auch in der theoretischen Auseinandersetzung.
4.6 EXKURS – UMFRAGE ZUM „UMGANG MIT POPMUSIK“ 4.6.1 Vorüberlegungen Die hier dargestellte Umfrage dient der Erweiterung der Fragestellung zur Einschätzung des selbstständigen Erwerbs musikalischer Kompetenzen bei Schülern der Sekundarstufen. Ziel ist daher nicht die Absicherung der aus der qualitativen Studie gewonnenen Erkenntnisse durch ein quantitatives Vorgehen, da eine Triangulation bei qualitativem Vorgehen ohnehin nicht sinnvoll erscheint.192 Vielmehr soll dagegen geprüft werden, ob aussagekräftige Ergebnisse zum Fragenkomplex im Sinne einer Perspektivenerweiterung messbar und gleichzeitig eindeutig interpretierbar sind. Hier spielt insbesondere die Problematik einer Interpretationsobjektivität der gewonnenen Daten eine Rolle, da die Daten selbst wiederum neben einer rein zahlenmäßigen Darstellung z. B. durch Berechnung der absoluten Zahlen oder Prozentangaben letztlich der Interpretation unterliegen. Dies wird an entsprechender Stelle gekennzeichnet bzw. als Fragestellung formuliert. Die Konstruktion der Umfrage schließt auch solche Fragestellungen mit ein, die für das vorliegende Forschungsinteresse zweitrangig
192 Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 73.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 301
und rein quantitativer Natur sind. Vielmehr geht es bei der Konstruktion um einen systematisch-sinnvollen Aufbau, der die Befragten an die Umfrage heranführt und zugleich einfache Antworten ermöglicht unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte.193 Die grundlegende Struktur der Umfrage ist folgendermaßen angelegt: 1. Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik 2. Vertiefende Fragen Parameter/Instrumente 3. Vertiefende Fragen Digitale Medien 4. Musikpraxis 5. Allgemeines/Statistik
Die sich hieraus ergebenden Kategorien sind für die Befragten nicht sichtbar, um Beeinflussungen durch mögliche Wertzuordnungen zu vermeiden. Für die qualitative Interpretation der Daten sind vornehmlich die Kategorien zwei bis vier von Relevanz. Hier sind zu erwartende Rückschlüsse auf erworbene Kompetenzen denkbar. An dieser Stelle sei auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Antworten auf Items nicht immer selbst eindeutig sind, vielmehr ist die Frage, wie diese Antworten zustande kommen, aussagekräftiger. 194 4.6.2 Zur Durchführung der Umfrage Der Umfrageentwurf basiert auf mehreren Online-Testdurchläufen mit Lime Survey, den Rückmeldungen hieraus und auch davon unabhängiger Reflexion. In den Durchgängen hatten die Befragten die Möglichkeit, auf wahrgenommene Defizite hinzuweisen oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Letzteres bezieht sich zumeist auf Antwortmöglichkeiten mit entsprechender Kategorienbildung aus Sicht der Teilnehmer, die zuvor nicht berücksichtigt worden waren (z. B. bei fehlenden Musikstilen). Die Tests wurden sowohl mit Studierenden als auch mit Schülern der Sekundarstufen durchgeführt. Die für das Forschungsprojekt abschließend durchgeführte Umfrage wurde mit Unterstützung eines großen deutschen musikpädagogischen Verlags umgesetzt. Zu diesem Zweck wurde ein vorbereiteter Text mit einem entsprechenden Link zur Umfrage an Leserinnen und Leser der Verlagsprodukte, insbesondere der Zeitschriften, per Mailing (E-Mail) versendet. Diese konnten ihre Schülerinnen und Schüler auf die Umfrage aufmerksam machen und zur Online-Teilnahme anregen.
193 Vgl. Bühner (2004), S. 34. 194 „Die grundlegende Annahme ist, dass Antworten auf Items lediglich Indikatoren für latente (verborgene) Fähigkeiten, Merkmale oder Verhaltensdispositionen (neutral als Variable bezeichnet) sind.“ (Ebd., 2004, S. 35.)
302 | Popmusik aneignen
4.6.3 Fragebogendesign Im Folgenden soll ein Überblick über die Skalen- und Itemstruktur gegeben werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um fünf Fragekategorien (Skalen) mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Items wurden so angelegt, dass eine zügige Bearbeitung aufgrund eines möglichst hohen Verständlichkeitsgrades zu erwarten ist. Wenn immer möglich wurden die Items mit Antwortvorgaben und einer fünfstufigen Ordinalskala von „Stimme nicht zu“ bis „Stimme voll zu“ angelegt, um die Antwortmöglichkeiten übersichtlich zu gestalten. Darüber hinaus wurden einige Items, die sich inhaltlich dafür anboten, mit zusätzlichen Freitextoptionen versehen, um individuelle Antworten zu ermöglichen. Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung waren bei den dafür geeigneten Items Mehrfachantworten möglich. Abgeschlossen wird die Umfrage durch Angaben zu biografischen Daten.
Inhaltsaspekt
Mediale Freizeitaktivitäten – ġ Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik
Heranführung/ Motivation Tägliche Dauer
Begrüßungstext
Art der Beschäftigung Bevorzugte Stile
Vorgabe
Täglich verbringe ich in meiner Freizeit mit Musik … (0101) Ich würde meine Beschäftigung mit Musik in folgenden Bereichen einordnen … (0103) Ich höre am liebsten … (0104)
Nominal
Weitere Stile (0105)
Freitext
Nominale Vorgaben
Nominale Vorgaben/ Ordinalskala/Freitext
Vorlieben – Vertiefende Fragen (Parameter/Instrumente) Differenzierung Parameter
Am meisten mag ich an Musik … (0201)
Nominale Vorgaben/ Ordinalskala/Freitext
Was mir an Musik sonst noch gefällt (0202)
Freitext
Diese Instrumente gefallen mir am besten … (0203)
Nominale Vorgaben/Ordinalskala/Freitext
Welche „sonstigen“ Instrumente gefallen dir? (0203a)
Freitext
Freies Item
Nenne eines deiner Lieblingsstücke (0204)
Freitext
Freies Item
Was gefällt dir an dem Stück am besten? (0205)
Freitext
Differenzierung Instrumente
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Mediale Freizeitpraxis – Vertiefende Fragen (Digitale Medien) Einstiegsaspekt
Konkretisierung Einsatzbereich Differenzierung ProfiProgramme Freies Item
In meiner Freizeit habe ich schon einmal eine Musik-App (Handy/ Tablet/Computer) ausprobiert. (0301) Wenn ja, welchem der genannten Bereiche würdest du diese App (Handy/Tablet/Computer) zuordnen? (0302) Welche der unten genannten Programme oder Apps hast du schon einmal benutzt? (0303) Welche anderen Programme verwendest du? (Computer/Tablet/Handy …) (0304)
Nominal
Nominale Vorgaben
Nominale Vorgaben
Freitext
Musikbezogene und musikpraktische Freizeitaktivitäten Kategorien Kompetenzerwerb
Privat befasse ich mich mit Musik, indem ich … (0401)
Nominale Vorgaben/ Ordinalskala
Allgemeines/Statistik
Danksagung
Wie alt bist du? (0502)
Nominal
Welche Schule besuchst du? (0501)
Nominale Vorgaben
Geschlecht (0503)
Nominal
Abschlusstext
Teilnahmemöglichkeit an einer Verlosung
Tab. 24: Übersicht Skalen/Items
4.6.4 Fragebogenkonstruktion und Überlegungen Mediale Freizeitaktivitäten – Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik Die Konstruktion der Skala beinhaltet allgemeine Einstiegsfragen zum täglichen Umgang mit Musik, verbunden mit der Selbsteinschätzung der Probanden zur Einordnung der musikbezogenen oder musikalischen Aktivitäten in vorgegebenen Kategorien. Darüber hinaus können die Befragten Angaben zu bevorzugten Musik-Genres oder -stilen innerhalb einer Nominalskala machen und weitere Vorlieben in einem freien Item angeben. Die Mixtur aus Items mit statistischen und inhaltlichen Aspekten ist hier gezielt als Einstiegsmöglichkeit mit dem vornehmlichen Ziel der Motivationsunterstützung gewählt.
304 | Popmusik aneignen
Täglich verbringe in meiner Freizeit mit Musik ca. … Stunden. Item 0101 Die Frage dient zur einleitenden Hinführung zum Thema ohne tiefergehende Bedeutung für die Hauptfragestellung. Antwortoptionen von 1–24 Stunden. Eine Einschränkung auf eine maximale Stundenzahl unter 24 war aufgrund der Programmvorgaben nicht möglich. Ich würde meine Beschäftigung mit Musik in folgenden Bereichen einordnen … Item 0103 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben in Verbindung mit einer Ordinalskala von 1 (stimme nicht zu) bis 5 (stimme voll zu). Zusätzliche Option: Keine Antwort. • • • • • •
Hören und Videos schauen (z. B. YouTube) Instrument spielen/Singen Tanzen Spielen mit Musik-Apps Musik produzieren Infos über Künstler/innen beschaffen
Mit der Frage findet eine erste Differenzierung zur Auseinandersetzung mit Musik durch eine kategoriale Zuordnung statt. Die Bildung der Kategorien soll möglichst wahrscheinliche Ebenen des Umgangs mit Musik abbilden und sowohl einfache als auch komplexe Umgangsweisen miteinbeziehen. Mehrfachantworten sind möglich. Aufgrund der begrenzten Auswahlmöglichkeiten wird die Option Keine Antwort angeboten. Ich höre am liebsten … Item 0104 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben in Verbindung mit einer Ordinalskala von 1 (stimme nicht zu) bis 5 (stimme voll zu). Zusätzliche Option: Keine Antwort, Freitext in der Folgefrage zum gleichen Aspekt. • • • • • •
Singer-Songwriter Elektronische Musik Popmusik/Mainstream Hip-Hop Rockmusik/Heavy Rock Schlager/Volksmusik
Die Frage zielt auf den Umgang mit verschiedenen Stilen und Genres ab. Die angebotenen Kategorien ermöglichen einen einfachen Zugang durch Aufzählung relevanter Bereiche. Aus diesem Grunde sind die verwendeten Genre-Begriffe gezielt
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 305
allgemein gehalten. Es wird vermutet, dass eine Unterscheidung nach GenreBegriffen für die Probanden von Relevanz ist. Entsprechend kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit Musik, Genres und Stilen angenommen werden. In Verbindung mit der Folgefrage zu weiteren Stilen kann auf einen sicheren Umgang mit GenreBegriffen geschlossen werden. Mehrfachantworten sind möglich. Aufgrund der begrenzten Auswahlmöglichkeiten wird die Option Keine Antwort angeboten. Weitere Stile … Item 0105 Es besteht die Möglichkeit der Eingabe vier weiterer bevorzugter Stile als Freitext. Die Option der Angabe weiterer Stile ermöglicht die Aufrechterhaltung der Teilnahmemotivation bei vorheriger Nichtabbildung der eigenen Musikpräferenzen. Darüber hinaus können zu diesem Item möglicherweise weitergehende Hinweise zu differenzierenden Präferenzen gegeben werden. Die Begrifflichkeiten Stile und Genres werden hier nicht weiter spezifiziert, da diese umgangssprachlich häufig synonym verwendet werden. Es kann vermutet werden, dass Schüler in den für die Umfrage relevanten Altersstufen über Stil-bezogene Unterschiede innerhalb bevorzugter Genres über grundlegende und weiterführende Kenntnisse verfügen, diese möglicherweise jedoch nicht mit entsprechenden Begriffen beschreiben bzw. keinerlei Analyseinstrumente zur Kategorienbildung anwenden können. Vorlieben – Vertiefende Fragen (Parameter/Instrumente) Die Konstruktion der Skala soll Vorlieben zu einzelnen musikalischen Parametern messen. Darüber hinaus können neben den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten eigene bevorzugte Parameter oder Instrumente genannt werden. Das Antwortverhalten bietet zunächst einen Einblick über den selbstverständlichen Umgang mit den vorgegebenen Begriffen und kann darüber hinaus durch die Option freier Items möglicherweise Rückschlüsse auf differenzierende analytische Kompetenzen zulassen. Am meisten mag ich an Musik … Item 0201 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben in Verbindung mit einer Ordinalskala von 1 (stimme nicht zu) bis 5 (stimme voll zu). Es sind mehrere Antworten möglich. Zusätzliche Option: Freitext in der Folgefrage zum gleichen Aspekt. • • • • •
Die Stimmen Die Instrumente Den Sound Den Groove/Beat Die Stimmung/Das Feeling
Die Frage dient dazu herauszufinden, inwieweit die vorgegebenen Begriffe zum Begriffsrepertoire der Befragten gehören. Die Präferenz bestimmter Parameter ist ein Hinweis auf einen differenzierten Umgang in Bereichen gezielten und analytischen Hörens.
306 | Popmusik aneignen
Was mir an Musik sonst noch gefällt … Item 0202 Das freie Item dient zur Erweiterung der vorigen Fragestellung und Erhaltung der Antwortmotivation durch die Möglichkeit der Benennung eigener bevorzugter Parameter. Das Item bietet die Option einer möglichen Antwortvielfalt unter Miteinbeziehung individueller Präferenzen. Diese Instrumente gefallen mir am besten … Item 0203 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten in Verbindung mit einer Ordinalskala von 1 (stimme nicht zu) bis 5 (stimme voll zu) vorgegeben. Es sind mehrere Antworten möglich. Zusätzliche Option: Freitext in der Folgefrage zum gleichen Aspekt. Hier können eigene bzw. weitere bevorzugte Instrumente genannt werden. • • • • • • • • •
Keyboards/elektronische Sounds Schlagzeug Drum-Maschinen Akustische Gitarren E-Gitarren Klavier Orgel Orchesterinstrumente Sonstige
Die Frage dient der Erforschung des selbstverständlichen Umgangs mit Instrumentennamen und der Schwerpunktsetzung innerhalb der angebotenen Nominalskala. Die Folgefrage zu weiteren bevorzugten Instrumenten überprüft die Vielfalt bekannter Instrumente und mögliche Schwerpunktbildungen. Welche „sonstigen“ Instrumente gefallen dir? Item 0203a Das freie Item bietet die Möglichkeit weitere Instrumente zu benennen. Neben der Auflistung von Instrumenten, die als Option zur Wahlmöglichkeit „Sonstige (s. Textfeld unten)“ angelegt ist und Aufschluss über bekannte Instrumente bietet, ist eine Überprüfung des Antwortverhaltens unter „Sonstige“ stichprobenmäßig notwendig, da auch hier innerhalb der fünfstufigen Ordinalskala von „gefallen mir gar nicht“ bis „gefallen mir am besten“ gewählt werden kann. Somit ist die Auflistung von Instrumenten nicht gleichzusetzen mit einer positiven Bewertung. Unabhängig von der Bewertung bietet die Auflistung jedoch einen Einblick in eine mögliche Vielfalt bekannter Instrumente.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 307
Nenne eines deiner Lieblingsstücke Item 0204 Das freie Item dient vornehmlich der Erhaltung der Antwortmotivation durch die Darstellungsmöglichkeit eigener Musikpräferenzen, die in dieser Frage konkretisiert werden können. Darüber hinaus ermöglicht die Beantwortung einen Einblick in Genre- oder Stil-Präferenzen, die anhand einzelner Titel präzisiert werden. Es bietet sich die Möglichkeit einer vertiefenden Darstellung des musikalischen oder musikbezogenen Umgangs mit Musik sowohl im Rezeptionsbereich als auch möglicherweise auf instrumental- bzw. gesangspraktischen Ebenen an, da der Bezug „Lieblingsstücke“ nicht ausschließlich auf Hören beschränkt sein muss, sondern auch Reproduktions- und Produktionsebenen einschließt. Was gefällt dir an dem Stück am besten? Item 0205 Das freie Item dient vornehmlich der Erhaltung der Antwortmotivation durch die Darstellungsmöglichkeit eigener Musikpräferenzen, die in dieser Frage konkretisiert werden können. Durch die Beantwortung der Frage können Rückschlüsse auf mehr oder weniger differenzierte Hörstrategien gezogen werden. Es bietet sich die Möglichkeit einer vertiefenden Darstellung des musikalischen oder musikbezogenen Umgangs mit Musik sowohl im Rezeptionsbereich als auch möglicherweise auf instrumentalen und gesanglichen Ebenen an, da der Bezug „Lieblingsstücke“ nicht ausschließlich auf Hören beschränkt sein muss. Mediale Freizeitpraxis – Vertiefende Fragen Digitale Medien Die Konstruktion der Skala überprüft den praktischen Umgang mit Digitalen Medien in der Freizeit. Es sollen sowohl Einsatzschwerpunkte von Applikationen, unterschieden nach Kategorien, als auch differenzierende Aspekte zwischen der Verwendung von Profi-Programmen einerseits und Freeware- oder Open-Source-Programmen andererseits gemessen werden. In meiner Freizeit habe ich schon einmal eine Musik-App (Handy/Tablet/Computer) ausprobiert. Item 0301 Antwortmöglichkeit: Ja/Nein. Die Beantwortung gibt Aufschluss über die Verwendung Digitaler Medien im privaten Bereich und wird durch das folgende Item präzisiert. Voraussetzung hierfür ist die Beantwortung des Items mit „Ja“. Die in Klammern aufgeführte Hardware Handy, Tablet und Computer soll sicherstellen, dass der Begriff App195 nicht ausschließlich auf Handys oder Tablets bezogen wird.
195 Die Verwendung der Begriffe App und Programm bzw. die Konkretisierung der Hardware in der Fragestellung ist dem Umstand geschuldet, dass viele User bei dem neueren Begriff App, welcher im Zusammenhang mit der Entwicklung von Smartphone und Tablet auftrat, davon ausgehen, dass diese ausschließlich für entsprechende Geräte konzipiert wurden. Der Begriff Applikation (Abk. App) ist jedoch allgemeiner Art und beinhaltet ebenso den älteren Begriff
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Wenn ja, welchem der genannten Bereiche würdest du diese App (Handy/Tablet/Computer) zuordnen? Item 0302 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben, die entsprechend bestätigt werden können. Mehrfachantworten sind möglich. Es werden mehrere Kategorien aufgeführt, deren Nutzung auf einen Einsatz sowohl im Rezeptionsbereich als auch im Produktionsbereich196 schließen lassen. Die genannten Bereiche werden als nicht separate Bereiche betrachtet, sondern stellen lediglich Schwerpunkte dar. Voraussetzung ist die Beantwortung des Items 0301 mit „Ja“. • • • • • •
DJ-Programme Notation Musikhören Musikproduktion/Recording Musik-Hilfsprogramme (z. B. Stimmgerät) Sonstige
Welche der unten genannten Programme oder Apps hast du schon einmal benutzt? Item 0303 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben (s.u.), die entsprechend bestätigt werden können. Mehrfachantworten sind möglich. Die Antwortoptionen beinhalten mit Ausnahme des Programms „Presonus Studio One“ kostenpflichtige Programme, die eher im semiprofessionellen oder professionellen Bereich zum Einsatz kommen. Die Wahl eines oder mehrerer der aufgeführten Programme lässt auf ein entsprechendes Engagement in Bereichen digitaler Musikproduktion schließen. Voraussetzung ist die Beantwortung des Items 0301 mit „Ja“. • • • • • •
Ableton Magix Musicmaker Presonus Studio One Maschine Logic Cubase
Programm, welcher häufig mit der Verwendung auf Computern in Verbindung gebracht wird. 196 Die Begriffe Rezeption und Produktion beziehen sich hier auf die von Dankmar Venus definierten fünf Verhaltensweisen mit Produktion von Musik/Reproduktion von Musik/Rezeption von Musik/Transposition von Musik/Reflexion über Musik. (Vgl. Jank, 20135, S. 41.)
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Welche anderen Programme verwendest du? (Computer/Tablet/Handy …) Item 0304 Antwortmöglichkeit: Drei freie Textfelder. Voraussetzung hierfür ist die Beantwortung des Items 0301 mit „Ja“. Es sollen weitere Optionen der Arbeit mit Apps oder Programmen genannt werden können. An dieser Stelle bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit der Nennung von Freeware oder Open-Source-Applikationen, deren Nutzung bei Schülern wahrscheinlich erscheint. Die Beschränkung auf drei Antwortmöglichkeiten ermöglicht sowohl einen besseren Überblick als auch die Notwendigkeit der Reduzierung auf die wichtig erscheinenden Apps aus der Perspektive der Probanden. Musikbezogene und musikpraktische Freizeitpraxis Die Konstruktion der Skala soll überprüfen, welche musikbezogenen und musikpraktischen Aktivitäten die Probanden in ihrer Freizeit bevorzugen. Es werden sowohl Aspekte der Musikrezeption als auch (verstärkt) aktive Umgangsformen berücksichtigt. Privat befasse ich mich mit Musik, indem ich … Item 0401 Es sind folgende Antwortmöglichkeiten vorgegeben in Verbindung mit einer Ordinalskala von 1 (stimme nicht zu) bis 5 (stimme voll zu). Es sind mehrere Antworten möglich. Die Frage dient als Instrument zur Konkretisierung der musikalischen oder musikbezogenen Praxis im privaten Bereich. Es werden Kategorien von Rezeption und Produktion erfasst. • • • • • • • • • • •
mir Informationen über Künstler/Künstlerinnen beschaffe mir Informationen über Musikstücke oder Musikstile beschaffe zu Musik singe Gesang zu einer Aufnahme übe zu Musik tanze mir ein Instrument durch Hören und Nachspielen beibringe mir ein Instrument mit Hilfe von Tutorials (z. B. YouTube) beibringe mit anderen über Musik diskutiere gezielt Musik höre (achten auf Text/Instrumente/Gesang/Groove/Aufbau/Sound) mit anderen musiziere oder probe rumjamme
Allgemeines Wie alt bist du? Item 0502 Es kann aus einer Nominalskala zwischen 11 und 21 gewählt werden. Mit der Skala werden die möglichen Altersstufen für die Sekundarstufe abgebildet.
310 | Popmusik aneignen
Welche Schule besuchst du? Item 0501 Die Antwortmöglichkeiten werden in einer Nominalskala angeboten. Diese sind Realschule/Hauptschule – Oberschule/Gymnasium/Gesamtschule/Andere. Es wurde keine Reihenfolge von „unten“ nach „oben“ angelegt, um eine Wertung durch eine bestimmte Reihenfolge zu vermeiden. Die Wahloption „Andere“ bleibt zum einen für übrige Schulformen wie z. B. Berufsschulen vorbehalten, obwohl angenommen werden kann, dass hier keine Musiklehrer unterrichten, die ihre Schüler auf die Umfrage hinweisen können. Es kann dagegen eher vermutet werden, dass hier auch solche Schüler angesprochen werden, die möglicherweise Besucher öffentlicher oder privater Musikschulen sind. Geschlecht Item 0503 Die Antwortoptionen sind auf weiblich und männlich beschränkt. Auf weitere Optionen wurde verzichtet, da hier unter Berücksichtigung der Altersgruppe möglicherweise mit einem hohen Anteil an nicht ernst gemeinten Antworten zu rechnen wäre. Abschlusstext Abschlusstext mit üblichen Standards und der Option der Teilnahme an einer Verlosung. 4.6.5 Auswertung des Fragebogens Entgegen der Struktur des Fragebogens (s. Abschnitt 4.6.1), welcher allgemeine statistische Angaben erst gegen Ende abfragt, beginne ich mit Überlegungen zur Altersstruktur und zur Schulform, da hier einige Besonderheiten auftreten, die von Bedeutung hinsichtlich der Reliabilität der Umfrage sind und aus diesem Grunde eingangs diskutiert werden sollen. An der Umfrage im Frühjahr 2016 haben insgesamt 832 Schülerinnen und Schüler zwischen 11 und 21 Jahren teilgenommen (s. Abb. „Altersstruktur Teilnehmer“), von denen allerdings nur die vollständig ausgefüllten Fragebögen für die Analyse in Betracht gezogen wurden.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 311
Abb. 74: Altersstruktur Teilnehmer Vollständige Angaben gab es von insgesamt 265 Schülern (N = 265) mit einem nahezu gleichen Anteil weiblicher und männlicher Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmer mit 49,81 Prozent (weiblich) und 50,19 Prozent (männlich). Der Schwerpunkt nach Schulform liegt bei Gymnasien, gefolgt von Gesamtschulen und Haupt- bzw. Oberschulen (s. Abb. „Zughörigkeit Schulform“) weiter unten. Für den unerwartet hohen Anteil an Teilnehmern von Gymnasien kommen mehrere Möglichkeiten infrage: • Der Mailingversand hat vorwiegend an Lehrkräfte stattgefunden, die an Gymnasi-
en unterrichten. (Aufgrund einer entsprechenden Rückfrage beim Verlag kann dies jedoch ausgeschlossen werden.) • Die an Gymnasien unterrichtenden Lehrkräfte haben sich in besonders starkem Maße an der Weitergabe der Information zur Teilnahme an der Umfrage engagiert. • Die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums fühlen sich mehr durch eine entsprechende Umfrage angesprochen. • Die Schülerinnen und Schüler der Gymnasien haben mehr Geduld zur Beantwortung des gesamten Fragebogens aufgebracht. Es wurden lediglich vollständig beantwortete Fragebögen berücksichtigt (eine zu hohe Komplexität der Items kann ausgeschlossen werden, da bei der Umfragekonstruktion gezielt auf eine einfache Bearbeitung geachtet wurde). Die mittlere Interviewzeit liegt bei 8:11 Minuten, wobei die abweichenden Zeiten bis maximal 67 Minuten, bei denen von einer Störung ausgegangen werden kann, nicht aus der Berechnung herausgenommen wurden. Die meisten Bearbeitungen liegen entsprechend niedriger bei ca. sechs Minuten. Es kann zunächst angenommen werden, dass der hohe Anteil von Schülern des Gymnasiums in einem direkten Zusammenhang mit dem Ausreißerwert bei der Altersangabe (21 Jahre) steht. Hier geben 51 Probanden (N = 265) ein Alter von 21 Jahren an (19,25 %). Durch Filtern der Statistik und Herausnahme der Antworten von Schülern des Gymnasiums verschlechtert sich dieser Wert (21 Jahre) jedoch noch. Bei der verbleibenden Anzahl von Probanden (N = 214) steigt der Anteil der 21-
312 | Popmusik aneignen
Jährigen sogar auf 28,37 Prozent, sodass vermutet werden kann, dass diese der Schulform „Andere“ zugeordnet werden können. Eine weitere Überprüfung der Gruppe der 21-Jährigen ergibt eine Zuordnung von 21 Probanden zur Schulform Andere, 11 Probanden besuchen das Gymnasium, die restlichen verteilen sich auf die übrigen Schulformen, was jedoch bezweifelt werden kann. Eine weitere differenzierende Überprüfung hierzu ist nicht möglich, da die angeschriebenen Leserinnen und Leser des Verlags zwar vorwiegend Lehrkräfte an öffentlichen Schulen sind, jedoch können sich theoretisch auch Musikschullehrer im Verteiler befinden, welche die vom Verlag für den Musikunterricht an öffentlichen Schulen angefertigten Materialien für die Arbeit an Musikschulen oder den privaten Unterricht nutzen. Was die große Gruppe der 21-Jährigen anbetrifft, so kann angenommen werden, dass sich hier all diejenigen eingestuft haben (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen), die z. B. ältere Schüler an Musikschulen sind oder auch Lehrkräfte, die selbst an der Umfrage teilgenommen und als höchstmögliche Altersangabe 21 gewählt haben. Aufgrund der altersgebundenen Ausrichtung der Forschungsfrage wird die Gruppe der 21-Jährigen daher gefiltert, sodass 214 vollständig bearbeitete Fragebögen für die Stichprobe verbleiben. Danach sieht die Altersstruktur der Probanden (N = 214) wie in der folgenden Grafik dargestellt aus.
Abb. 75: Altersstruktur der Teilnehmer ohne 21 Jahre Aus der Darstellung des Ergebnisses nach Filterung der Ausreißer in den Altersangaben werden die Annahmen der vorwiegenden Beantwortung des Fragebogens durch Schüler des Gymnasiums bestätigt. Die Beantwortung des Fragebogens ist danach dominiert durch Schüler des Gymnasiums und muss hinsichtlich seiner Interpretation als Gesamtaussage der Stichprobe entsprechend relativiert werden. Nach Herausnahme der 21-Jährigen ergibt sich die folgende Verteilung nach Schulformen.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 313
Abb. 76: Zugehörigkeit Schulform (N = 214) Nach Herausnahme der 21-Jährigen verschiebt sich der Anteil männlicher und weiblicher Probanden etwas zugunsten der männlichen Teilnehmer mit 52,34 Prozent (männlich) und 47,66 Prozent (weiblich). Die Reliabilität der Stichprobe (Auswertung mit SPSS) liegt bei einem sehr guten Wert von 9,17. Weitere Reliabilitätsberechnungen zu den einzelnen Item-Skalen folgen weiter unten an entsprechender Stelle. Ausgehend von der in diesem Projekt vorliegenden Grundfragestellung werden an dieser Stelle zunächst die Items betrachtet, die Rückschlüsse auf erworbene musikalische Kompetenzen ermöglichen. Entgegen der sonst üblichen Vorgehensweise bei Umfragen mit quantitativem Charakter werden auch die Skalen bzw. Items betrachtet, deren Auswertung problematisch erscheint und welche normalerweise neu konstruiert werden müssten. Dass diese Angaben nicht ausgeblendet respektive neu bearbeitet werden, geschieht vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Interpretation und Reflexion der Fragebogenkonstruktion. Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik Täglich verbringe in Freizeit mit Musik ca. … Stunden. Item 0101 Der Schwerpunkt täglicher Beschäftigung mit Musik in der Freizeit liegt zwischen einer und drei Stunden mit einem Höchstwert bei zwei Stunden (1 = 21,96 %/2 = 28,50 %/3 = 15,89 %). Die Angaben zu 0 Stunden sind entweder als Spaßangaben zu werten oder beziehen sich möglicherweise auf Beschäftigung mit Musik, welche nicht in der Freizeit stattfindet. Die Angaben bei 18 und 24 Stunden können als Nonsens-Angaben eingeschätzt werden, die aufgrund der geringen Anzahl der Probanden (2) als redundant eingestuft werden können.
314 | Popmusik aneignen
Ich würde meine Beschäftigung mit Musik in folgenden Bereichen einordnen … Item-Skala 0103 Die Berechnung der Reliabilität der Skalen-Items ist mit einem Cronbachs-AlphaWert von 0,744 gerade noch akzeptabel. Aus der Übersicht der einzelnen Items geht hervor, dass ein Auslassen des ersten Items „Hören und Videos schauen“ den Wert wesentlich auf 0,800 verbessern würde. Danach kann vermutet werden, dass die Probanden die Antwortmöglichkeiten unterschiedlich kategorisieren. Während das erste Item vermutlich als (passive) Rezeptionsebene verstanden wird, werden die folgenden Items eher aktiven musikbezogenen oder musikalischen Handlungsebenen zugeordnet.
Abb. 77: Reliabilität Beschäftigungskategorien Hören und Videos schauen (z. B. YouTube) – SQ001
Abb. 78: Ergebnis Item 0103 – SQ001
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 315
Das Ergebnis zeigt eine eindeutig rechtssteile Verteilung (Schiefe = -0,613) der Werte von stimme nicht zu bis stimme voll zu mit einem Spitzenwert bei 5 mit 105 (49,07 %). Danach gehört das Hören von Musik bzw. das Anschauen von Musikvideos (z. B. auf YouTube) zu den Hauptbeschäftigungen mit Musik in der Freizeit (Mittelwert = 4,00). Instrument Spielen/Singen – SQ002
Abb. 79: Ergebnis Item 0103 – SQ002 Das Ergebnis ist aufgrund der breiten Streuung nicht eindeutig. Die höchsten Werte werden an den Gegenpolen der Skala erreicht mit 28,04 Prozent bei stimme nicht zu und 39,25 Prozent bei stimme voll zu. Die Frage, ob man ein Instrument spielt oder nicht (Gesang eingeschlossen) hat danach eine polarisierende Bedeutung, die aufgrund der Fragestellung zu erwarten ist, da die Verteilung der Werte grundsätzlich mit der Frage korreliert, ob man ein Instrument spielt oder nicht (Gesang eingeschlossen). Eine Normalverteilung der Werte kann hier nicht erwartet werden. In einem weiteren Schritt wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen den Werten und Schulformen überprüft, da z. B. Gymnasiasten möglicherweise häufiger Instrumente spielen als Schüler anderer Schulformen. Durch ein entsprechendes Filtern nach Schulformen tritt bei der Wertverteilung jedoch keine grundlegende Änderung auf. Die beiden Höchstwerte an den Skalenenden bleiben bestehen (Mittelwert = 3,30). Tanzen – SQ003
Abb. 80: Ergebnis Item 0103 – SQ003
316 | Popmusik aneignen
Das Ergebnis des Teilaspekts „Tanzen“ ist eindeutig und zeigt eine linkssteile Tendenz (Schiefe = 1,843), beginnend mit stimme nicht zu mit einem Spitzenwert bei 1 mit 98 (45,79 %). Tanzen gehört demnach zu den unbeliebten Umgangsweisen mit Musik. Vorstellbar ist jedoch auch, dass Tanzen als uncool gilt und aus diesem Grunde eher weniger positiv bewertet wird, was jedoch der tatsächlichen Praxis möglicherweise nicht entspricht, da hier auch offenbleibt, ob es sich um Tanzen im häuslichen Umfeld oder im Club handelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere das Tanzen im häuslichen Umfeld trotz möglicher Praxis nicht genannt wird, während hingegen Tanzen im Club ab einer bestimmten Altersstufe als akzeptable Praxis angegeben werden kann (Mittelwert = 2,39). Spielen mit Musik-Apps – SQ004
Abb. 81: Ergebnis Item 0103 – SQ004
Das Ergebnis des Teilaspekts „Spielen mit Musik-Apps“ ist eindeutig und zeigt eine deutlich linkssteile Verteilung der Werte (Schiefe = 2,022), beginnend mit stimme nicht zu. Danach ist in der Gruppe der Probanden kein deutliches Interesse am Umgang mit Musik-Apps feststellbar (Mittelwert = 2,29). Offen bleibt die Frage, was genau die Befragten unter Musik-Apps verstehen. Offensichtlich findet hier eine Unterscheidung zwischen solchen Apps, die ausschließlich der Rezeption von Musik dienen, und solchen, die dem kreativen Umgang mit Musik zugerechnet werden können, statt. Die Miteinbeziehung von Consumer-Apps hätte eine andere Werteverteilung zur Folge, da das Hören von Musik und Anschauen von Videos zu den wichtigsten musikbezogenen Umgangsweisen Jugendlicher gehört (s. weiter unten).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 317
Musik produzieren – SQ005
Abb. 82: Ergebnis Item 0103 – SQ005 Das Ergebnis des Teilaspekts „Musik produzieren“ ist eindeutig und zeigt eine stark linkssteile Werteverteilung (Schiefe = 2,305), beginnend mit stimme nicht zu mit einem Spitzenwert bei 1 mit 131 (61,21 %). Danach ist in der Gruppe der Probanden kein deutliches Interesse am Produzieren von Musik feststellbar (Mittelwert = 2,09). Das Ergebnis ist analog zum Teilaspekt „Spielen mit Musik-Apps“. Die einzelnen Werte weichen unwesentlich voneinander ab hinsichtlich der Tendenz. Danach werden, wie weiter oben vermutet, Musik-Apps unter dem Aspekt Spielen eher einem kreativen Umgang mit Musik (z. B. Produzieren) zugeordnet und nicht wie erwartet im Sinne des Begriffs Spielen, was auch den Umgang mit solchen Apps beinhaltet, die einen spielerischen Zugang ohne weitreichende musikalische Vorkenntnisse ermöglichen wie z. B. NodeBeat197 oder Figure198. Infos über Künstlerinnen/Künstler beschaffen – SQ006
Abb. 83: Ergebnis Item 0103 – SQ006
197 https://itunes.apple.com/de/app/nodebeat-playful-music-for/id428440804?mt=8/Zugriff: 10.2.2017. 198 Vgl. Zuther, in: Praxis des Musikunterrichts 129, 2017, S. 50.
318 | Popmusik aneignen
Das Ergebnis des Teilaspekts „Infos über Künstlerinnen/Künstler beschaffen“ ist eindeutig und zeigt eine stark linkssteile Werteverteilung (Schiefe = 2,180), beginnend mit stimme nicht zu. Danach ist in der Gruppe der Probanden kein deutliches Interesse am Beschaffen von Künstlerinfos feststellbar. Ein Filtern nach Schulformen und Geschlecht führt zu keiner grundlegenden Veränderung der Wertetendenz (Mittelwert = 2,37). Ich höre am liebsten … Item-Skala 0104 Die Reliabilitätspüfung der zugehörigen Items ergibt einen Wert von 0,783 nach Cronbachs Alpha. Ein Filtern des Items Popmusik/Mainstream würde zu einer Verbesserung auf 0,786 führen, alle anderen Werte zu einer Verschlechterung der Reliabilität. Das Item Popmusik/Mainstream besitzt aufgrund der hohen Zustimmung (s. weiter unten) einen besonderen Stellenwert. Singer-Songwriter – SQ001
Abb. 84: Ergebnis Item 0104 – SQ001
Das Ergebnis ist eine breite Streuung der Werte mit einer rechtsschiefen Tendenz (Schiefe = 1,165). Danach ist die Zustimmung zu Singer-Songwritern nicht polarisierend. Es kann trotz des Spitzenwertes bei stimme nicht zu (26,17 %) noch von einer allgemeinen Zustimmung zum Genre ausgegangen werden (Mittelwert = 3,34).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 319
Elektronische Musik – SQ002
Abb. 85: Ergebnis Item 0104 – SQ002
Das Ergebnis ist eine linkssteile Werteverteilung bei gleichzeitiger Streuung (Schiefe = 1,355). Alle Werte liegen innerhalb der Standardabweichung. Danach ist die Zustimmung zu Elektronischer Musik nicht polarisierend. Es kann trotz des Spitzenwertes bei 1 = stimme nicht zu mit 24,77 Prozent noch von einer allgemeinen Akzeptanz des Genres ausgegangen werden (Mittelwert = 3,02). Popmusik/Mainstream – SQ006
Abb. 86: Ergebnis Item 0104 – SQ006
Das Ergebnis ist eine leicht rechtssteile Werteverteilung bei gleichzeitiger Streuung, abschließend mit 5 = stimme voll zu (Schiefe = 0,716). Danach ist die Zustimmung zu Popmusik/Mainstream deutlich mit einer positiven Tendenz versehen. Es kann von einer starken Akzeptanz des Genres ausgegangen werden (Mittelwert = 3,66).
320 | Popmusik aneignen
Hip-Hop – SQ003
Abb. 87: Ergebnis Item 0104 – SQ003
Die Werteverteilung weist eine breite Streuung mit leicht rechtsschiefer Tendenz der Werteverteilung auf (Schiefe = 1,253). Es kann aufgrund der breiten Streuung der Werte von einer allgemeinen Akzeptanz des Genres mit einem Spitzenwert bei 3 (22,90 %) ausgegangen werden (Mittelwert = 3,14). Rockmusik/Heavy Rock – SQ004
Abb. 88: Ergebnis Item 0104 – SQ004
Das Ergebnis weist zwischen den Skalenwerten 1 (40,65 %) und 2 (16,82 %) zunächst eine stark abfallende Tendenz auf, angefangen mit stimme nicht zu. Insgesamt sind die Werte stark linkssteil verteilt (Schiefe = 1,598). Im Vergleich zu den bisher aufgeführten Genres ist die Zustimmung zu Rockmusik/Heavy Rock mit einer deutlich negativen Zustimmung versehen. Es kann vermutet werden, dass Rockmusik/Heavy Rock insgesamt als überholtes Genre der Eltern- oder Großelterngeneration eingestuft wird (Mittelwert = 2,67).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 321
Schlager/Volksmusik – SQ005
Abb. 89: Ergebnis Item 0104 – SQ005
Das Ergebnis weist zwischen den Werten 1 (Spitzenwert mit 72,90 %) und 2 (12,62 %) zunächst eine stark linkssteile Werteverteilung auf, angefangen mit stimme nicht zu (Schiefe = 2,783). Die ab Skalenniveau 2 folgenden Werte verbleiben auf einem sehr niedrigen Niveau. Im Vergleich zu den anderen hier aufgeführten Genres ist die Zustimmung zu Schlager/Volksmusik mit einer stark negativen Zustimmung versehen. Es kann von einer deutlich ablehnenden Haltung gegenüber dem Genre ausgegangen werden (Mittelwert = 1,87). 4.6.6 Weitere Stile … Item 0105 Die Option zur Nennung weiterer bevorzugter Stile ist wie folgt auf die Spalten verteilt: • • • •
Antwort 1 (78 Antworten, 36,45 %) Antwort 2 (50 Antworten, 18,69 %) Antwort 3 (24 Antworten, 11,21 %) Antwort 4 (13 Antworten, 6,07 %)
Die Antwortmotivation nimmt, beginnend mit Antwort 1, kontinuierlich ab. Es kann davon ausgegangen werden, dass den unter Antwort 1 genannten Stilen eine besondere Relevanz beigemessen wird und diese entsprechend in den Folgeantworten abnimmt. Es werden wie bei der Fragebogenkonstruktion (vgl. Abschnitt zur Fragebogenkonstruktion auf S. 303) eingangs vermutet sowohl Genres als auch Stile genannt. Die in den Spalten Antwort 1–4 horizontal aufgelisteten Stile stehen in keinem direkten Verhältnis zueinander und stammen nicht von denselben Probanden. Es wurden lediglich die freien Zeilen (Probanden ohne Antwort) zwischen einzelnen Antworten entfernt. Die Schreibweise der Eintragungen wurde zwecks besserer Lesbarkeit korrigiert. Nicht zuzuordnende Eintragungen wurden entfernt.
322 | Popmusik aneignen
Antwort 1
Antwort 2
Antwort 3
Antwort 4
Klassik
Barockmusik
Romantik
Instrumentalmusik
Klassik
Klassik
Trap
Heavy Metal
Jazz
Filmmusik
Heavy Metal
Metal
Jazz
Electric House
Trap
Trap
Soul
Trash Metal
Jazz
Dubstep
Klassik
Trap
Barock
Klassik
Klassik
A-Cappella
Romantik
Après-Ski
Dubstep
Romantik
Soul
Electro House
Jazz
Klassik
Punk
Shredding Guitars
Death Metal
Barock
Klassik
Metalcore
Trap
Moderne
Indie
Rap
Klassik
Swing
Weltmusik
Boogie
Dubstep
R 'n' B
Trap
Klassik
Dubstep
Glitch Hop
Jazz
Folk
Gospel
Klassische Musik
Deep House
Djent
Jazz
Trap
Indie-Rock
Klassik
Klassische Musik
Klassik-Pop
Klassik
Glitch Hop
House
Klassik
Trap
Remixe
Dance
Schulmusik
Covers
Indie
Dubstep
Swing
Jazz
Melodic Deathmetal
Jazz
Jazz, Latin Salsa
Rap
Klassik/Romantik
Heavy Metall
Klassik
Rap
Rap
Filmmusik
Future House
Opern
Nightcore
Opern
Deutsch-Rap Violetta-Musik
Fremdsprachige Lieder
Aktuelle Charts
Trap Music
Jazz
Dubstep
Jazz
Remixe
Dubstep
Beats
Jazz
Rap
Klassik
80er-Jahre
Metal
A Cappella
Dubstep Dubstep Rap
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 323
Dubstep Verschiedene Metal-Genres Klassische Musik Rap Rap Moderne Musik Deathcore Elektro K-Pop Hard Rock K-Pop Jazz Klassik Rap Rap Klassik Jazz R&B Dubstep Trap-Musik Trap-Musik Rap Rap Rap Jazz/Rock R ´n´ B Jazz Popmusik Remixe A Cappella Klassik Techno Klassische Musik Deutschrap Rap
Tab. 25: Tabelle „Weitere Stile“ 0105 Die Antworten in der aufgeführten Liste weisen eine große Bandbreite auf und reichen von so genannter klassischer Musik bis zu speziellen Genres der älteren und aktuellen populären Musik. Die Zahl der Nonsens-Antworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingeschätzt werden, weshalb diese nicht berücksichtigt wurden. Es sind differenzierende Unterscheidungen feststellbar, so wird beispielsweise Rap als Element des Hip-Hop (in der Nominalskala enthalten) gesondert aufgelistet. Entgegen der Erwartung der ausschließli-
324 | Popmusik aneignen
chen Nennung weiterer Stile aktueller populärer Musik überrascht die relativ häufige Nennung von Stilen oder Genres, die außerhalb aktueller populärer Musik liegen. Insbesondere die Begriffe Jazz und Klassik treten in besonderem Maße hervor. Hinsichtlich genannter Stile wie Jazz kann auch vermutet werden, dass hiermit spezielle und zugleich aktuelle Stile wie z. B. Electroswing gemeint sind. Dies gilt ebenso für Nennungen wie Moderne Musik. Einige spezielle und eher unbekannte Stile wurden durch Literatur- oder Internetrecherche überprüft. Die feststellbare Bandbreite der Antworten begründet weiterhin die Notwendigkeit der Option freier Items zur Erfassung der durch Diversität geprägten Präferenzen heterogener Gruppen, die durch eine reduzierte Nominalskala nicht ausreichend erfasst werden können. Vorlieben – Vertiefende Fragen Parameter/Instrumente Am meisten mag ich an Musik … Item-Skala 0201 Die Reliabilitätsanalyse des Items ergibt einen Wert von 0,795 nach Cronbachs Alpha. Damit liegt die Skalakonstruktion noch im akzeptablen Bereich. Die besondere Stellung des Parameters Sound wird auch dadurch deutlich, dass ein Filtern des Items Sound zu einer Verschlechterung der Reliabilität führen würde. Die Stimme – SQ001
Abb. 90: Ergebnis Item 0201 – SQ001
Das Ergebnis zeigt eine breite Wertestreuung mit steigender Tendenz, beginnend mit stimme nicht zu (Schiefe = 0,882). Danach ist die Zustimmung zum Parameter mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer deutlichen Zustimmung zum Parameter Stimme ausgegangen werden (Mittelwert = 3,83).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 325
Die Instrumente – SQ002
Abb. 91: Ergebnis Item 0201 – SQ002
Das Ergebnis zeigt eine breite Streuung der Werteverteilung (Schiefe = 1,204). Danach ist die Zustimmung zum Parameter deutlich mit einer positiven Bewertung versehen, trotz eines niedrigeren Wertes bei 5 = stimme voll zu. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Parameters Instrumente ausgegangen werden (Mittelwert = 3,66). Den Sound – SQ003
Abb. 92: Ergebnis Item 0201 – SQ003
Das Ergebnis zeigt eine deutlich rechtssteile Werteverteilung, beginnend mit stimme nicht zu. Die Verteilung ist schief, da kaum Werte < 3 gemessen werden. Danach ist die Zustimmung zum Parameter Sound deutlich mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer starken Präferenz des Parameters Sound ausgegangen werden (Mittelwert = 4,34). Die Betonung des Sounds als wichtiger Parameter lässt auf differenzierende Hörstrategien schließen und stimmt überein mit den Interpretationen zu den freien Textaussagen unter Item 0202 (s. weiter unten).
326 | Popmusik aneignen
Den Groove/Beat – SQ004
Abb. 93: Ergebnis Item 0201 – SQ004
Das Ergebnis zeigt eine rechtssteile Werteverteilung, beginnend mit stimme nicht zu. Danach ist die Zustimmung zum Parameter deutlich mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer starken Präferenz des Parameters Groove/Beat ausgegangen werden (Mittelwert = 4,07). Die Betonung des Grooves/des Beats als wichtige Parameter lässt auf differenzierende Hörstrategien schließen und korreliert mit den Interpretationen zu den freien Textaussagen unter Item 0202 (s. weiter unten). Die Stimmung/Das Feeling – SQ005
Abb. 94: Ergebnis Item 0201 – SQ005
Das Ergebnis zeigt eine aufsteigende Werteverteilung, beginnend mit stimme nicht zu (Schiefe = 0,882). Danach ist die Zustimmung zum Parameter deutlich mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer starken Präferenz des Parameters Stimmung/Feeling ausgegangen werden (Mittelwert = 4,01). Die Betonung der Stimmung/des Feelings als wichtige Parameter lässt auf differenzierende Hörstrategien schließen und korreliert mit den Interpretationen zu den freien Textaussagen unter Item 0202 (s. weiter unten).
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 327
Was mir an Musik sonst noch gefällt … Item 0202 Die Option zur Nennung weiterer Parameter, die besonders gefallen, wurde von 58 Probanden (27,10 %) genutzt (N = 214). Die Antworten können jeweils einem einzelnen Probanden zugeordnet werden, da nur eine Antwort möglich war. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass der Nennung eines Parameters eine besondere Relevanz aus Sicht der Teilnehmer zugeschrieben werden kann. Die Schreibweise der Eintragungen wurde zwecks besserer Lesbarkeit leicht korrigiert. Nicht zuzuordnende Angaben wurden entfernt. Antworten „Was mir an Musik sonst noch gefällt“ 0202 Interessante Harmonien Text/Lyrics Der Bass, gute Melodien, interessante Texte Interessantes, abwechslungsreiches, stimmiges Arrangement Man kann mit Musik seine Gefühle ausdrücken Die Kreativität Growling Zusammenarbeit mit anderen Musikern Drücken Gefühle aus Den Ohrwurm Dubstep-Drops Schlager Texte Interessante harmonische Verbindungen Texte Tolle erweiterte Harmonien, neue Klänge Melodischer Aufbau, Arrangements der Titel Kreativität, Einzigartigkeit Kluge Texte/Songinhalte Vielseitigkeit Gefühl beim Musizieren und Zuhören Jeder Song hat eine eigene Message Überraschungsmomente Den Drop im Beat Remix Der Text
328 | Popmusik aneignen
Der Rhythmus, Text Der Text
Tab. 26: Tabelle „Was mir an Musik sonst noch gefällt“ 0202 Die aufgeführten Antworten weisen eine große Bandbreite auf und sind hinsichtlich der inhaltlichen Tiefe und Diversität vergleichbar mit den Antworten zum Item 0105 „Weitere Stile“ (Vgl. Abschnitt 4.6.6.) Die Zahl der Nonsens-Antworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingeschätzt und entsprechend vernachlässigt werden. Es sind differenzierende Unterscheidungen feststellbar, die auch auf stark individuell geprägte Präferenzen hinweisen. Zum Teil kann davon ausgegangen werden, dass die aufgelisteten Begriffe und Formulierungen sich sowohl auf Rezeption als auch auf Produktion oder Reproduktion von Musik beziehen. Insgesamt entsteht der Eindruck einer anspruchsvollen Erwartungshaltung gegenüber Musik und einer komplexen Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit Musik. Die feststellbare Bandbreite und Tiefe der Antworten begründet die Notwendigkeit der Option freier Items zur Erfassung der durch Diversität geprägten Präferenzen heterogener Gruppen, die durch eine reduzierte Nominalskala nicht ausreichend erfasst werden können (s. auch Abschnitt 4.6.6 weiter oben). Diese Instrumente gefallen mir am besten … Item 0203 Die Reliabilitätsanalyse des Items weist mit 0,906 nach Cronbachs Alpha einen sehr guten Wert auf. Es kann davon ausgegangen werden, dass die aufgeführten Items gut aufeinander abgestimmt sind. Keyboards/elektronische Sounds – SQ001
Abb. 95: Ergebnis Item 0203 – SQ001 Das Ergebnis zeigt eine rechtssteile Tendenz, beginnend mit stimme nicht zu und einem Spitzenwert bei Skalenniveau 4 mit 28,97 Prozent. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Keyboards/elektronische Sounds deutlich mit einer positiven Bewertung versehen, trotz fallender Tendenz zwischen den Skalenniveaus 4 und 5. Es kann
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 329
von einer starken Präferenz des Instruments Keyboards/elektronische Sounds ausgegangen werden. Schlagzeug – SQ002
Abb. 96: Ergebnis Item 0203 – SQ002 Das Ergebnis zeigt eine ansteigende Tendenz, beginnend mit 1 = stimme nicht zu, gefolgt von einer leicht abfallenden Kurve zwischen 3 und 5 = stimme voll zu. Die Werte weisen eine fast symmetrische Verteilung der Werte mit einem Spitzenwert bei 3 (26,64 %) auf. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Schlagzeug mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Instruments Schlagzeug ausgegangen werden. Drum-Maschinen – SQ003
Abb. 97: Ergebnis Item 0203 – SQ003 Das Ergebnis zeigt eine linkssteile Werteverteilung, beginnend mit stimme nicht zu. Gleichzeitig weist die Werteverteilung eine starke Streuung auf. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Drum-Maschinen leicht mit einer negativen Bewertung versehen. Es kann von einer mittleren ablehnenden Haltung gegenüber dem Instrument Drum-Maschinen ausgegangen werden. Das Ergebnis steht im Widerspruch zu positiv bewerteten Stilen/Genres wie Hip-Hop (Item 0104 – SQ 003), Elektronische Musik (Item 0104 – SQ 002) oder Popmusik/Mainstream (Item 0104 – SQ 006). Zur positiven Bewertung der Verwendung von Keyboards/elektronische Sounds unter Item 0203 – SQ 001 verhält sich das Ergebnis ebenfalls widersprüchlich. Es kann davon ausgegan-
330 | Popmusik aneignen
gen werden, dass die Verwendung von Drum-Maschinen in Bereichen wie Hip-Hop und elektronischer Musik, welche aus Sicht der Probanden sicher subsumiert wird unter dem Sammelbegriff Electro, bekannt ist. Dagegen kann angenommen werden, dass der hohe Anteil des Einsatzes elektronisch erzeugter Drumspuren in Bereichen von Popmusik und Mainstream weniger bekannt ist, da sich die hier erzeugten Klänge aufgrund moderner Sampletechnik nur schwer von handgespielten Schlagzeugaufnahmen unterscheiden lassen. Dies liegt nicht nur begründet in der Sampletechnik und somit der direkten Aufzeichnung der durch Spieler erzeugten Klänge, sondern vor allem auch in Übertragung des Spielfeelings durch Einspielen von MIDI-Grooves über Drumpads durch Schlagzeuger. Die technische Implementierung der nur bei Liveschlagzeugern erzeugten Nuancierungen wie Timing und die Integration von Ghostings durch feine Zwischenschläge hat zur Folge, dass kaum noch zwischen Liveeinspielungen und Sample-basierten Aufnahmen, die MIDI-gesteuert sind, unterschieden werden kann. Ein adäquates Beispiel hierfür sind die Plug-ins „EZ-Drummer“ und „Superior Drummer“ der Firma Izotope.199/200 Die ablehnende Haltung der Befragten gegenüber der Verwendung von Drum-Maschinen kann darüber hinaus auch als eine tendenziell konservative Aussage gegenüber der Verwendung spezieller elektronischer Instrumente interpretiert werden, die sich widersprüchlich verhält zur Präferenz bestimmter Genres wie Electro und Hip-Hop. Trotz der Bevorzugung von Stilen oder Genres, die eindeutig auf der Klangerzeugung durch Verwendung elektronischer Instrumente basieren, kann hier eine durch konservative Perspektiven geprägte ideologisch motivierte Sichtweise vermutet werden. Die tendenziell negative Zustimmung zum Instrument DrumMaschinen korreliert mit den positiven Bewertungen „von Hand gespielter“ Instrumente (s. SQ004–SQ006). Akustische Gitarren – SQ004
Abb. 98: Ergebnis Item 0203 – SQ004
199 https://www.izotope.com/ 200 Letztgenanntes Plug-in ist zwar hinsichtlich der Vorgehensweise nicht identisch mit der Step-by-Step-Eingabe und dem Pattern-Prinzip von Drum-Maschinen wie der TR 808 von Roland, da bei dem Plug-in die Reproduktion von Live-Spielweisen im Vordergrund steht; der Unterschied dürfte den meisten Hörern jedoch nicht bekannt sein. Vielmehr kann vermutet werden, dass der Begriff „Drum-Maschine“ konnotiert wird mit einem statischen Klangergebnis.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 331
Das Ergebnis zeigt eine rechtssteile Tendenz, beginnend mit stimme nicht zu. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Akustische Gitarren mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Instruments Akustische Gitarren ausgegangen werden. Es kann ein Zusammenhang mit SQ003 vermutet werden (negative Bewertung von Drum-Maschinen). Möglicherweise werden von Hand gespielte Instrumente bevorzugt (s. auch Beurteilungen von Instrumenten weiter unten). E-Gitarren – SQ005
Abb. 99: Ergebnis Item 0203 – SQ005 Das Ergebnis zeigt eine nahezu symmetrische Werteverteilung mit zunächst niedrigen Werten bei Skalenniveau 1 und 2 und einer sprunghaften Steigerung bei 3 (Spitzenwert). Danach ist die Zustimmung zum Instrument E-Gitarren mit einer positiven Bewertung versehen. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Instruments E-Gitarren ausgegangen werden. Die Verteilung der Zustimmung zum Instrument E-Gitarren verhält sich ähnlich positiv wie bei SQ001 (Keyboards/elektronische Sounds), jedoch nicht gleichermaßen ablehnend wie bei SQ003 (Drum-Maschinen). Obwohl es sich bei allen genannten Instrumenten um elektronische Musikinstrumente handelt, werden Keyboards/elektronische Sounds und E-Gitarren deutlich positiver bewertet als DrumMaschinen. Es kann vermutet werden, dass die erstgenannten Instrumente besser bewertet werden, da diese eher als mit der Hand gespielte Musik eingestuft werden, was aus einer konservativen Perspektive heraus als positiv angesehen werden mag. Klavier – SQ006
Abb. 100: Ergebnis Item 0203 – SQ006
332 | Popmusik aneignen
Das Ergebnis zeigt eine deutlich rechtssteile Werteverteilung, beginnend mit 1 = stimme nicht zu. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Klavier mit einer stark positiven Bewertung versehen. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Instruments Klavier ausgegangen werden. Auch bei diesem Item geht die deutlich positive Bewertung einher mit der solcher bisher aufgeführter Instrumente, die mit einer LiveSpielweise konnotiert werden. Ein weiteres Merkmal ist die mögliche Soundakzeptanz, die sich analog zu bevorzugten Stilen und Genres verhält. Möglicherweise haben einige der Probanden darüber hinaus Klavierunterricht. Orgel – SQ007
Abb. 101: Ergebnis Item 0203 – SQ007 Das Ergebnis zeigt eine deutlich linkssteile Werteverteilung, beginnend mit 1 = stimme nicht zu. Danach ist die Zustimmung zum Instrument Orgel mit einer negativen Bewertung versehen. Es kann von einer klaren Ablehnung des Instruments Orgel ausgegangen werden. Obwohl es sich bei dem hier nicht näher definierten Instrument Orgel um ein wiederum mit der Hand gespieltes Instrument handelt, ist eine ähnlich positive Bewertung wie bei den entsprechenden Instrumenten (Akustische Gitarren, Schlagzeug, E-Gitarren, Klavier) nicht feststellbar. Es können hierfür zwei wesentliche Gründe vermutet werden: Zum einen wird das Instrument Orgel allgemein eher als sakrales Instrument eingestuft und nicht in Verbindung mit moderner populärer Musik eingestuft, zum anderen ist auch die elektronische Orgel weitgehend unbekannt oder wird häufig mit tendenziell als negativ eingeschätzten Stilen oder Musizieranlässen wie z. B. mit Tanzmusik konnotiert. 201
201 In den Veranstaltungen, die der Autor seit 1998 an verschiedenen Hochschulen zum Bereich Studiotechnik durchführt, ist die Unkenntnis der Studierenden zum Instrument Elektronische Orgel deutlich feststellbar. Ihr (vielfältiger) Sound (auch der einer Hammond-Orgel wie die B3) wird zumeist mit als billig eingestuften Klängen in Verbindung gebracht, wie man sie aus den 1960er- oder 1970er-Jahren aus Tanzveranstaltungen kennt oder entsprechend konnotiert wird. Die elektronische Orgel wird zumeist weder im Zusammenhang mit progressiven Orgelsounds der Rockmusik oder des Jazz gesehen (z. B. Stevie Winwood, Manfred Mann, Jimmy Smith), noch wird diese im modernen Dance-Bereich verortet.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 333
Orchesterinstrumente – SQ008
Abb. 102: Ergebnis Item 0203 – SQ008 Das Ergebnis zeigt eine breite Streuung im Skalenniveau mit einem Spitzenwert bei 1 = stimme nicht zu mit 69 (32,24 %). Danach geht die Zustimmung zum Instrument Orchesterinstrumente mit einer breit angelegten Akzeptanz einher. Es kann von einer deutlichen Präferenz des Instruments Orchesterinstrumente ausgegangen werden. Der Spitzenwert bei 1 = stimme nicht zu ist möglicherweise mit der Konnotation Klassische Musik begründet. Die breite Streuung der Zustimmung auf alle weiteren Skalenwerte (2–5) ist im Gegensatz zum Spitzenwert bei stimme nicht zu möglicherweise durch die Tatsache begründet, dass Orchesterinstrumente auch zum Standardinstrumentarium in fast allen Genres der populären Musik gehören. Diese Instrumente gefallen mir am besten (Orchesterinstrumente) – SQ009 Die Option zur Nennung weiterer Orchesterinstrumente, die besonders gefallen, wurde von 59 Probanden (27,57 %) genutzt (N = 214). Die Antworten pro Zeile können jeweils einem einzelnen Probanden zugeordnet werden, da nur eine Antwort möglich war. Jedoch wurde die Möglichkeit genutzt, mehrere Instrumente in eine Zeile zu schreiben. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass der Nennung der Instrumente eine besondere Relevanz aus Sicht der Teilnehmer zugeordnet werden kann. Die Schreibweise der Eintragungen wurde zwecks besserer Lesbarkeit leicht korrigiert. Antworten „Diese Instrumente gefallen mir am besten“ (Orchesterinstrumente) 0203 (SQ009) Percussioninstrumente wie Conga, Djembé, Marimba, Querflöte Blasinstrumente wie Querflöte, auch Trompete Afrikanische Trommel Holzbläser (Sax) Posaune, Flügelhorn, Trompete, Harfe, Elektrobass Gamben Perkussionsinstrumente Latin Percussion
334 | Popmusik aneignen
Panflöte Percussion Saxophon Querflöte, Geige E-Bass Geige E-Bass Saxophon Saxophon Stimme Panflöte Panflöte Sax, afrikanische Trommeln Streicher Mandoline, Querflöten, Traversflöten, Harfen, Chenzheng (asiatische Zithern), Lauten, Mundharmonika etc. Akkordeon, Steirische Streichinstrumente Saxophon, Bläser, Harmonika Blasmusik Akustische Musik gefällt mir bei jedem Instrument Mundharmonika, Glockenspiel Streicher Bläser Originalsounds echter Instrumente (Akkordeon, Bläser, etc.) Percussion, Trommeln, Stabspiele Irische u.a. Flöten Brass "abgefahrene Sachen" z. B. Theremin, modifizierte Instrumente Blechblasinstrumente, Trompete, Horn, Posaune, Tuba Geige Akkordeon (klassisch; chromatisch, diatonisch); Violine; Saxophon Trompete Saxophone Flöte und Harfe Flöte Launch Pad E-Bass Singen
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 335
Saxophon Bass Bass Launch Pad, DJ Turntable, Personal Computer Saxophon, alle Bassinstrumente Volksinstrumente verschiedener Volksgruppen Gitarre Geige Tenorhorn, Trompete Drumpads Bass-Gitarre Bass Oboe Kornett Congas Akkordeon Hammond-Orgel Theremin Saxophon Saxophon Posaune Bariton Querflöte Trompete Geige Geige, Trompete, Flöte, Gitarre, Saxophon, Cello, Tuba, Horn
Tab. 27: Tabelle „Diese Instrumente gefallen mir am besten“ (Orchesterinstrumente) 0203 (SQ009) Die Antworten in der aufgeführten Liste weisen eine große Bandbreite an den Probanden bekannten Instrumenten auf. Die Zahl der Nonsens-Antworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingeschätzt werden. Es werden nicht wie zu erwarten ausschließlich „klassische“ Orchesterinstrumente der mitteleuropäischen Klassik genannt, sondern darüber hinaus auch solche Instrumente, die vorwiegend aus dem afrikanischen und südamerikanischen Raum stammen. Einige Orchesterinstrumente werden so gut wie nicht genannt bzw. fehlen völlig wie z. B. Oboe Klarinette, Fagott, Bass oder Pauken, obwohl davon ausgegangen werden kann, dass die Klänge nicht grundlegend auf Ablehnung stoßen. Neben
336 | Popmusik aneignen
der Auflistung von Orchesterinstrumenten werden weitere Instrumente vermutlich auch unter dem Begriff Orchesterinstrumente subsumiert, da keine weiteren Optionen zur Nennung von Instrumenten aufgrund der Item-Fragestellung vorhanden sind (z. B. Launchpad, Turntable, Theremin). Danach wird die Fragestellung genutzt, um allgemein die Möglichkeit der Nennung bekannter Instrumente zu nutzen. Nenne eines deiner Lieblingsstücke Item 0204 Die Option der Nennung bevorzugter Musikstücke wurde von 175 (81,78 %) Probanden genutzt (N = 214). Da nur eine Antwortmöglichkeit vorgesehen war, kann davon ausgegangen werden, dass die genannten Stücke eine besondere Präferenz widerspiegeln. Die Schreibweise wurde nicht korrigiert und unverändert übernommen. Nenne eines deiner Lieblingsstücke (0204) Major Tom Raise me up Rachmaninow klavierkontert no 2 Happy Hello Blessing & curse (von Ami) Tori Amos Viva la vida Somebody that i used do know Daft Punk: Crazy, Aerodynamic Denn er hat seinen Engeln befohlen pictures of an exhibion Me and miss Jones 101 eastbound More than words orfeo Mensch Morning von Al jarreau Coldplay Viva la vida The Road so far love it when you kiss me #41 Wonderful World What I've done
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 337
Kegelstatttrio Hello I see fire OM von Bilderbuch Paradise city The Profecy aus Soundtrack Herr der Ringe Bey bei von cro Skrillex - First of the Year Hello Autoum leaves Brave 7 Years von Lukas Graham Hoch die Hände Wochenende Debauchery - Demonslayer Tove Lo Yonas fall back hello from the outside Light it up lay me down seventy years old virtual riot- energy drink, focus alle meine entchen Hinter dem Burnout (Flo Mega) leichtes gepäck Still got the blues (Gary Moore) Die Tänzerinnen von Delphi von Claude Debussy More than words Don't stop believin Shofukan - Snarky Puppy ein Hoch auf uns The song of the golden dragon Barcarole el perdon (Enrique Iglesias) crazy (ozzy osborne) Hello
338 | Popmusik aneignen
I feel good A Commotion fotograph, Ed Sheeran brahms ungarische tänze Imagine Dragons Radiosaktive The logical song Grüß dich Gott, mein Bayernland die alte auf der Schaukel von Gerhard Schöne Angel Robbie Williams Memories (Shawn Mendes) Daniel Powter - Bad Day Lieblingsmensch Zaz Je veux en neue schräge Purple Rain Nothing else matters Adele allgemein Ed Sheeran Thinking out loud Plainsong - The Cure A Change of Seasons (Dream Theater) Brahms 2. Sinfonie, 2. Satz Go west Hals über Kopf Leaving on a jet plane Das würde den Rahmen sprengen, sie hier aufzuzählen. Das ist vorrangig Schüler-abhängig. Ghost town Stitches Fly Ein&Alles Du bist mein ein und alles Adele Hello podemos Where the streets have no name stay alles von Shindy
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 339
Astronaut, Atemlos The Chicken da kann ich mich nicht entscheiden Johannes Oerding - Alles brennt like 'm gonna lose you catch and release I'd love to change the world A Day In The Life Of A Fool (Mancha de Carneval) L. v. Beethoven: Frühlingssonate Lieblingsmensch Wait and Bleed- Slipknot Invicible DEAV KEV Red hot chili peppers Snow love yourself love yourself Jetta - I'd Love To Change The World (Matstubs Remix) uncover Every Little Thing She does its magic Ser mejor This is the Life Blind Astronaut Lush Life Zara larsson starlight muse Ms. Jackson ( San Holo Remix ) Die vier Jahreszeiten (Vivaldi) See you again Photograph Rachmaninov 3. Klavierkonzert Stitches - Shawn Mendes Hallelujah Momentan: Wie schön du bist. Watcha say - Jason Derulo Avicii - Waiting for Love Popkorn
340 | Popmusik aneignen
Die Zauberflöte Miro - Garden of Escapism Forgotten Souls - Our last night verge - owl city Avenir Autarch NWA/Ice-T Drag Me Down - One Direction Please don`t go 7 years old me myself & I Dope lala von fergie Der letzte Sommer As loke falls Hello who you 2 Falken Faun Snarky Puppy - Lingus love yourself Love Yourself Paint it, Black Astronaut Fall out boy Centuries I want it that way I want it that way me myself & i watcha say jason derulo Happy keeping your head up everyday / asap rocky A$AP Rocky - Everyday (Audio) ft. Rod Stewart, Miguel, Mark Ronson everybody Mockingbird Tell everybody Eldorado Fm
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 341
Paint it, Black Happy (Ph Williams) Eigentlich viele Cornflake Girl Tori Amos Tears in heaven The Endless Enigma (ELP) 7 years Doomed - BMTH I`d love to change the world (matstubs remix) stressed out Human History History Du Bist Weg Code Red bitches N marjuana hula hup Core Pride Warriors Stiches Warriors FARD - ICH BIN NICHT SO EINE High School (Nicki Minaj+Lil Wayne) Jailhouse Rock Geiles Leben, Avenir Vitas I`d love to change the world (mastubs remix) Radioactive,Imagine Dragons Affengang vitas aint nobody this is nightlife What do you mean ? zoom Budapest (George Ezra)
342 | Popmusik aneignen
High Hopes John Miles Music was my first love River flows in you what are you waiting for War of Hearts 0 to 100 My house sky and sand Rescue Me cant stop playing get ugly Home get ugly Pendel i came for you Erfolg ist kein Glück rollin
Tab. 28: Tabelle „Nenne eines deiner Lieblingsstücke“ 0204 Die Antworten des freien Items weisen eine große Bandbreite an den Probanden bekannter Musiken auf. Die Zahl der Nonsens-Antworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingeschätzt werden. Es sind mehrere Antwortkategorien erkennbar. An erster Stelle werden aktuelle Popmusik-Titel genannt, gefolgt von Stücken, die als Klassiker der Rock- und Popmusik angesehen werden können. An dritter Stelle stehen Werke der klassisch-romantischen Phase. Der Schwerpunkt beliebter Stücke liegt demnach in der Kategorie Pop/Mainstream, womit sich das Antwortverhalten analog zu den bevorzugten Stilen/Genres unter Item 0104 (vgl. dazu den Abschnitt ab Seite 318) verhält. Es kann davon ausgegangen werden, dass die konkreten Antworten eine flüchtige Momentaufnahme widerspiegeln, die daher nicht von besonderer Bedeutung für das vorliegende Forschungsvorhaben sind. Von größerer Bedeutung ist dagegen die zu erkennende grundlegende Vielfalt der bekannten Stile und Genres. Was gefällt dir daran am besten? Item 0205 Die Option der Nennung konkreter Begründungen für die Nennung eines beliebten Stückes unter Item 0204 wurde von 151 (70,56 %) Probanden genutzt (N = 214). Da nur eine Antwortmöglichkeit vorgesehen war, kann davon ausgegangen werden, dass die genannten Begründungen eine besondere Präferenz widerspiegeln. Die Schreib-
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 343
weise wurde zwecks besserer Lesbarkeit leicht korrigiert, nicht lesbare oder einzuordnende Aussagen wurden entfernt. Was gefällt dir daran am besten? (0205) Musik und Text von David Bowie im Einklang gleiches gilt für Pink My Vietnam Groove, Feeling, Gesang Klavier, Gesang Die Stimme der Sängerin Melodie Die Stimmen, die Einfachheit, der Sound! Sound, Kreativität, Instrumentierung Die Musik Sound Groove, Gesang, Stimmung Melodie, Melancholie, Leichtigkeit mit der Möglichkeit des Funks und Sehnsucht. Gesang Text und seine musikalische Umsetzung, kraftvolle Entwicklung im Stück, macht nachdenklich Groove, Stimme Feeling, Rhythmus, Melodie Der instrumentale Teil sowie der Gesang Atmosphäre Gesamtstimmung. Musik und Text passend gut zusammen. Die Atmosphäre die entsteht, wenn man das Stück anhört Die Steigerung in Lautstärke und Zunahme der Instrumente Sound, Text und Stimme Der Sound, die Vocals, die Umsetzung. Der Sound, der Drop (nur bei Dubstep) Es ist gefühlvoll, verschiedene Stimmlagen Das Feeling Dass in diesem Lied sehr viel Gefühl steckt Der Gesang und das Klavier Der Refrain Die Akustik und die Melodie Sound Text, Groove, Melodie, Stimme (wobei leider bei der CD schlecht abgemischt und überwiegend zu leise ...)
344 | Popmusik aneignen
Gitarrensound, Stimme, Dramatik des Songs Dass es die Schönheit des beseelten Tanzes und die bewegende Stille der Landschaft von Delphi wiedergibt. Duo-Gesang, akustische Gitarre, Harmonik Text, Sound Sound Kombination aus aktuellem Anlass und positive Lebenseinstellung Die Virtuosität von Estas Tonne Der groovige Rhythmus, die rhythmische Irritation am Anfang, die schöne Sprache, der ausgewogene Klang Text, Groove Cellostimme Dramaturgie und Art und Weise der Produktion Die Stimme, Gitarre als einziges Instrument, Melodie und Text Die Power Klavier, Sax, Stimmung, Text Guter Marsch Text und die dazu passende Melodie und das Arrangement Melancholisch, ruhig Die Stimmung, Die Stimme, Der Sound, Die Instrumente Feel-Good-Song, einfach zu spielen, zeitlos Der Text, der Groove Die Stimme Die ungewohnten Rhythmuswechsel Atmosphäre Hat Zeit, Raum, Sound, scheint 'echt' Stimme der Sängerin, Melodien, Klavierbegleitung Gesang, Stimmung, Emotionalität, Tanz zum Stück Aufbau, Virtuosität, Komplexität, Stimmung Text und Ohrwurmmelodie Stimme und Text Die Musik, Der Gesang Die Stimme und den Sound. Der Beat Die Stimme Der Text Der Text, die Romantik
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 345
Ich mag die Band (U2), und das Lied ist eines der besten, die es von denen gibt. Die Stimme von Rihanna Es ist Rap Helene Fischer Es groovt und am Schlagzeug kann man voll abgehen. Der Text – der Inhalt und die Sprache, die Intensität des Sängers, Die Stimmung Das stimmige Gesamtpaket Stimmung und Melodie Rhythmus. Instrumentierung. Text. Stimme. Feeling. Abwechslung zwischen Screaming und Gesang. Der Sound/ Melodie Die Stimme und der Sound Die Stimme und die Instrumente Der Gesang und der Beat. Der Drop Der Text und die Instrumente Ich mag an diesem Lied, das es ruhig ist und einem Träumen lässt. Die Stimmung und Energie, schöne Stimmen und ein guter Text der zur Melodie passt Der Rhythmus, der Sound, die Stimmung, welche das Stück vermittelt Ich höre vor allem Musik um mich vor dem Training oder vor einem Wettkampf zu motivieren. Beat, Melodie Dass es viele verschiedene Teile gibt und nicht alles gleich ist. Der Text Melodie Der Ausdruck von melancholisch, wohlig-süßem Weltschmerz Singstimme Der ermutigende Inhalt, Gesangstimme, Eingängiger Text, einfacher Aufbau, schöne Melodie, gut für die Schule umsetzbar. Die Königin der Nacht Die Atmosphäre und die Klaviermelodie im Hauptteil. Insgesamt wie sich das Lied bewegt. Auch wenn es eher simpel gehalten ist. Klavier, Stimmung Die Stimmung und der Text Der Bass im Hintergrund und der Französische Text.
346 | Popmusik aneignen
Die Struktur und die Abwechslung der beiden Gitarren und dass das Schlagzeug immer sehr gut dazu passt Sound, Beat, Stimme, Text, Musikvideo Der Text zusammen mit der Musik, die Dynamik, die einzelnen Stimmen, das Feeling. Die Bedeutung des Songs Der Text und der Sound die Melodie ist sehr schön Den Sound, die Stimme und das Feeling Tanz Sänger Das Schlagzeug Die Sängerin, sinnvoller Text, gutes Video, allgemein gut Der Sänger, der Musikstil Die Bedeutung des Textes Es spielt in einem 5/4 Takt, fühlt sich aber nicht so an. Die Bläser und Gitarren, sowie die Schlagzeugarbeit gefällt mir sehr. Das Feeling Der Text und die Melodie. Gesang Der Beat Gesang Mir gefällt der Text und auch den Sound. Der Text und der Beat Der Text und die Melodie Fröhliche Stimmung, Sound und Satzgesang Drive Die Gitarrenbegleitung und die Emotionalität Spannungsaufbau innerhalb des komplexen Arrangements Einfach das Gesamtpaket passt gut zusammen. Die Stimme von dem Sänger (Oliver Sykes) ist sehr schön, die Instrumente klingen zusammen sehr passend und das Lied ist rührend & ich kriege davon immer Ohrwurm. Drop, Melodie Dass es so abwechslungsreich ist. Der Beat sowie die Stimmen Der Beat Die Musik Intro und Ende Hört sich gut an Der Rap
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 347
Dass man mitschnipsen kann. Geiles Leben: Sound, Text, Stimmung/Feeling Avenir: Sprache, Stimmung/Feeling Der Bass Cool Ab sec. 40 bis eine Minute Es ist einfach cool Mir gefällt an dem Stück, die Melodie, der Sänger, das dazu gehörige Video, der Sound, die Instrumente, der Groove oder auch der Beat und das Feeling zu dem Lied Der Refrain Feeling, Stimme Die Gefühle und Leidenschaft, welches das Lied auf den Hörer überträgt. Gute Stimme, älterer Stil Geiler Beat, Text ist super, Drake selbst auch toller Interpret, hab Feeling bei dem Song, haha Bass, Stimmung, Der Sound Drop Der Beat Die Stimme und der Sound Der Sound der Stimme, Beat Stimmung/Sound Stimme Es geht darum, dass du auf deinen Traum achten sollst, und es ist Rap und hat einen geilen Beat
Tab. 29: Tabelle „Was gefällt dir an dem Stück am besten?“ 0205 Die Antworten des freien Items weisen auf die Vielfalt der bevorzugten Kriterien von Musik hin. Aus einigen Antworten geht auch hervor, dass die Musikstücke nicht ausschließlich rezipiert, sondern teilweise auch gespielt werden. Die Zahl der NonsensAntworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingestuft werden. Die Antworten verweisen vorwiegend auf musikalische Parameter. Instrumente werden dagegen vergleichsweise selten genannt. Es überwiegen übergeordnete Kategorien wie z. B. Groove, Sound oder Feeling. Die Bedeutung der eigenen Empfindung ist bei einer Vielzahl der Antworten eine deutlich feststellbare Größe. Die Tiefe und Vielfalt der Antworten belegt die Notwendigkeit des freien Items zur Erfassung qualitativer Ebenen in der Rezeption, Produktion und Reproduktion von Musik, die geprägt sind durch differenzierende Strategien des konstruierenden Umgangs, Heterogenität und Diversität. Die Antworten lassen grundlegend fortgeschrittene Kompetenzen der Probanden zur Erfassung und Beschreibung von Musik erkennen. Es kann davon ausgegangen werden, dass der
348 | Popmusik aneignen
Kompetenzerwerb zur Erfassung popmusikalisch geprägter Musiken (die an dieser Stelle vorwiegend zum Tragen kommen) vornehmlich auf außerschulischen Prozessen basiert, da einerseits popmusikalisch geprägte Inhalte in der schulischen Vermittlung unterrepräsentiert sind und andererseits keine verbreiteten oder anerkannten Analysestrategien von Popmusik in schulischen Unterrichtsprozessen zur Anwendung kommen bzw. kommen können, da die Konstruktion spezifischer Analyseinstrumente vorwiegend in der Popmusik-Forschung zum Tragen kommt, jedoch keine allgemein verbreitete Größe darstellt. Vertiefende Fragen Digitale Medien In meiner Freizeit habe ich schon einmal eine Musik-App (Handy/Tablet/Computer) ausprobiert Item 0301 Die Frage zur Benutzung einer Musik-App in der Freizeit wird von 172 Probanden (64,91 %) mit Ja beantwortet. 80 Teilnehmer (30,19 %) antworten mit Nein. Keine Antwort 13 (4,91 %).
Abb. 103: Auswertung „In meiner Freizeit habe ich schon einmal eine Musik-App ausprobiert.“ 0301 Obwohl mit 63,55 Prozent der Befragten (N = 214) die überwiegende Mehrheit angibt, schon einmal in der Freizeit eine Musik-App ausprobiert zu haben, kann angenommen werden, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen könnte, wenn man auch solche Apps miteinbezieht, die zur Wiedergabe von Musik geeignet sind. Laut Jim-Studie 2016 geben 82 Prozent der Befragten an, täglich Musik zu hören, 11 Prozent tun dies mehrmals wöchentlich (Altersgruppe 11–19 Jahre/N = 1200).202 Es kann davon ausgegangen werden, dass der Begriff Musik-App von einigen der Probanden interpretiert wird als Apps zur Produktion von Musik oder zum Musizieren, was den Consumer-Bereich ausschließt. Wenn ja, welchem der genannten Bereiche würdest du diese App (Handy/Tablet/Computer) zuordnen? Item 0302/SQ001–SQ006 Die Reliabilitätsanalyse des Items ergibt einen Wert von 0,670 nach Cronbachs Alpha. Damit liegt die Skalakonstruktion nicht mehr im akzeptablen Bereich. Ein Filtern der Antwort-Option Musikhören würde den Reliabilitätswert auf 0,697 nach oben rücken. Ein weiteres Filtern der Antwort-Option DJ-Programme erhöht der Re-
202 Quelle Jim-Studie 2016/ https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Stdien/JIM/2016/JIM_16_ Charts_Broschuere_Bilddateien.pdf/Zugriff: 4.1.2017.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 349
liabilitätswert auf 0,753. Letzterer Wert liegt im gerade noch möglichen Bereich. Hieraus kann gefolgert werden, dass den Bereichen Musikhören und DJ-Programme eine Sonderstellung innerhalb der Skala zugerechnet werden kann. Während die beiden genannten Items möglicherweise mit einem leichteren und spielerischen Umgang in Verbindung gebracht werden, werden die verbleibenden Items offenbar den ernsthafteren, zum Teil auch durch schulische Anforderungen (z. B. Notation) geprägten Ebenen der Auseinandersetzung zugerechnet. Die Sonderstellung des Items Musikhören wird deutlich durch die unten aufgeführte Grafik. Die folgende Grafik vermittelt einen Überblick über alle Items (ungefiltert). Voraussetzung hierfür ist die Beantwortung des Items 0301 mit Ja. Die Darstellung findet an dieser Stelle zusammenfassend statt (SQ001–SQ006).
Abb. 104: Auswertung „Welchem der genannten Bereiche würdest du diese App zuordnen?“ 0302/SQ001–006 Die absoluten Zahlen und die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der Probanden (N = 214). Die verbleibenden Angaben entfallen auf keine Angaben (nicht relevant) und die nicht angezeigten Angaben. Letzterer Wert liegt entsprechend der Ja-Angabe zur Benutzung von Apps mit ca. 64 Prozent bei 30 Prozent bei Beantwortung des Items 0301 mit Nein. Die Summe aller Werte ergibt N = 214. Die dargestellte Grafik weist einen Spitzenwert bei der Angabe Musik hören auf, was zu erwarten ist und mit vergleichbaren Umfragen überstimmt.203 Der an zweiter Stelle folgende Wert Hilfsprogramme ist in der Fragestellung am Beispiel Stimmgerät konkretisiert. Zu diesem Punkt können beispielsweise Programme wie Metronom oder Beats per Minute-Detektoren gezählt werden. Programme zur Musikproduktion werden immerhin noch von über einem Fünftel der Probanden angegeben, gefolgt von NotationsProgrammen. Überraschend ist die Angabe zur Nutzung von Notations-Programmen mit einem Anteil von ca. 13 Prozent, was man in dieser Altersgruppe nicht unbedingt erwarten kann. Möglicherweise stehen hier schulische Anforderungen im Hinter-
203 Vgl.: Jim-Studie 2016, Quelle Jim-Studie 2016/ https://www.mpfs.de/fileadmin/files/ Studien/JIM/2016/JIM_16_Charts_Broschuere_Bilddateien.pdf/Zugriff: 4.1.2017. Vgl. Statista, Umfrage vom 24.5.2016, Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 646136/umfrage/durch-jugendliche-regelmaessig-genutzten-medien-zum-musik-hoeren/ Zugriff: 4.1.2017.
350 | Popmusik aneignen
grund, da zum Umgang mit popmusikalischem Material Notation eine untergeordnete Rolle spielt. Der Kategorie Sonstige können Programme wie beispielsweise Shazam, Music-ID, Hound, Soundhound oder YouTube (als App) zugeordnet werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben zur Nutzung von Apps vorwiegend auf der Nutzung freier Apps/Programme (Freeware oder Open Source) beruhen. Es kann weiterhin angenommen werden, dass der reale Anteil der Musik-Hörenden (s. Ausführungen weiter oben) jedoch deutlich höher ist und entweder nicht an die Nutzung von Apps gebunden ist oder bei der Nutzung von Apps von den Probanden selbst nicht als Nutzung Digitaler Medien eingestuft wird. Welche der unten genannten Programme hast du schon einmal benutzt? Item 0303/SQ001–SQ006 Die Reliabilitätsanalyse des Items ergibt einen Wert von 0,728 nach Cronbachs Alpha. Damit liegt die Skalakonstruktion gerade noch im akzeptablen Bereich. Eine Filterung nach Programmtypen wie Sequenzer-Programmen (Presonus Studio One/Logic/Cubase) und Pattern-basierten Programmen (Ableton/Maschine/Magix Musicmaker) bewirkt keine wesentliche Verbesserung des Reliabilitätswertes. Die absoluten Zahlen und Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der Probanden (N = 214). Die verbleibenden Angaben entfallen auf keine Angaben (nicht relevant) und die nicht angezeigten Angaben. Letzterer Wert liegt entsprechend der Ja-Angabe zur Benutzung von Apps mit ca. 64 Prozent bei ca. 30 Prozent bei Beantwortung des Items 0301 mit Nein. Die Angaben zu den aufgeführten Programmen/Apps werden in der Grafik unten zusammenfassend im Überblick dargestellt.
Abb. 105: Welche der unten genannten Programme oder Apps hast du schon einmal benutzt?“ 0303/SQ001–006 Die Darstellung der genutzten Programme/Apps zeigt, dass die Nutzung mit stark voneinander abweichenden Werten und einem Spitzenwert bei dem Programm Magix Musicmaker breit gestreut ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Nutzung durch mehrere Faktoren gekennzeichnet ist:
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 351
• Grundlegendes Interesse an weiterführender Arbeit im semi- oder professionellen
Bereich • Bekanntheitsgrad der Programme • Beliebtheit • Kosten-Nutzen-Relation
Bei den aufgeführten Programmen handelt es sich mit Ausnahme der freien Version von Presonus Studio One um kostenpflichtige Programme, die teilweise wie bei Maschine zusätzlich mit einer Hardware versehen sind und mehrere hundert Euro kosten können. Die Nutzung solcher Programme setzt dementsprechend ein ernsthaftes Interesse an weiterführender Musikproduktion mit einer entsprechenden Investitionsbereitschaft voraus, was als Hauptgrund für die niedrigen Werte angenommen werden kann. Da insgesamt 85 Probanden angeben (ca. 40 %), schon einmal mit einem der angegebenen Programme gearbeitet zu haben, kann auch angenommen werden, dass das Antwortverhalten durch Momente sozialer Erwünschtheit geprägt ist, da eine Nutzung professioneller Programme durch eine Gruppe in dieser Größenordnung nicht angenommen werden kann (N = 214). Möglicherweise handelt es hierbei auch um Programme, die den Probanden bekannt sind. Welche anderen Programme verwendest du (Computer/Tablet/Handy)? Item 0304 – 1–3 Für die Option der Nennung weiterer Programme standen drei freie Antwortfelder zur Verfügung. Die Antwortbereitschaft nimmt beginnend mit Antwort 1 kontinuierlich ab. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Antworten einer Prioritätenskala entsprechen. Es wurden insgesamt 174 Einzelantworten eingetragen, die sich auf die drei Antwortfelder wie folgt verteilen (N = 214): Antwort 1 – 95 Teilnehmer (44,39 %), Antwort 2 – 56 Teilnehmer (26,16 %), Antwort 3 – 23 Teilnehmer (10,74 %). Die verbleibenden Angaben entfallen auf keine Angaben (nicht relevant) und die nicht angezeigten Angaben (Item 0301 mit Nein beantwortet). Die horizontal darstellten Begriffe sind nicht einem Probanden zuzuordnen. Die Schreibweise wurde zwecks besserer Lesbarkeit leicht korrigiert. Nicht zuzuordnende Begriffe wurden entfernt. Antwort 1
Antwort 2
Antwort 3
Sibelius
Musescore
Audacity
Forte
Audacity
Shazam
Garage Band
iRealbook
Wavelab 8.5
Musecore
Launchpad
YouTube
Real Drum
Deezer
Deezer
Spotify
Amazon Prime Music
Spotify
Magic Piano
iTunes
Capella Scan
352 | Popmusik aneignen
Spotify (Free)
Notationsprogramme (Capella, Finale)
Guitar Tuna
Garage Band
iZotope RX5
One Note
Free Music App
Garage Band
Tablet
Google Play Music
Pro Tools
YouTube
Spotify
Magie
Deezer
Stimmgeräte
Deezer iTunes
iZotope Ozone 7
verschiedene Apps
You Tube
Capella
Capella
Deezer
Capella
YouTube
YouTube
Sibelius
YouTube
Napster
Sibelius
Tubemap
YouTube
Finale
Google Play Music
Spotify
Musikquiz
Audacity
Deezer
Finale
Rondo
Spotify
Apple Music
Spotify
YouTube
Piano Tiles 2
Soundcorset Stimmgerät
iTube
Musescore
iTube
Music Speed Changer
YouTube Converter
Mix-radio
Spotify
E-djing
Music Match
Adobe Audition
Piano Tiles 2
Metronom
Garage Band
iTunes
Shazam
PlayTube
iTunes
Shazam
Spotify
Amazon Prime Music
Capella
Spotify
Ds Audio
Spotify
Youplay
Deezer
Play Tube
Vevo
Perfect Piano
YouTube
Spotify
ITunes
Play Tube
Radio.de
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 353
Stimmgerät
Napster
FL Studio
Spotify
Spotify
Spotify
Musik Perfekt
Deezer
Internet
Soundcloud
FL Studio
YouTube
iTunes
Spotify
Spotify
Soundhound
YouTube
Shazam
Soundcloud iMusic YouTube Spotify itube Spotify YouTube Garage Band Play Tube Music Match Spotify YouTube Deezer Spotify iMusic Piano Tiles FL Studio Spotify Spotify Spotify Spotify Musescore AMPYA Spotify Deezer Amazon Music
354 | Popmusik aneignen
Deezer ITunes Spotify Genius Deezer Apple Music Spotify ITunes Spotify iMusic
Tab. 30: Tabelle „Welche anderen Programme verwendest du?“ 0304/1–3 Zwecks einer differenzierenden Betrachtung zum Einsatzgebiet der Programme wurden vier Hauptkategorien gebildet, die aus den Antworten abgeleitet werden können. Es wurden nur die Programme/Apps ausgewählt, die aufgrund der Schreibweise und des Begriffs eindeutig zugeordnet werden können. Die Zahl der Nonsens-Antworten oder nicht zuzuordnenden Begriffe kann aufgrund der geringen Anzahl als redundant eingestuft werden. Danach lassen sich folgende Hauptkategorien (inkl. Auflistung der wichtigsten Programme) bilden: • Musik hören (Spotify/iTunes/YouTube/Deezer/AppleMusic …) • Notation/Gehörbildung (Finale/Capella/Forte/Sibelius/Musescore …) • Musikproduktion/-bearbeitung (Garage Band/Audacity/iZotope Ozone 7/FL Stu-
dio/Wavelab …) • Hilfsprogramme
(Shazam/Stimmgeräte/Soundhound/YouTube-Converter/Metro-
nom …)
Abb. 106: Auswertung „Nutzung weiterer Apps nach Kategorien“ (0304) Der Bereich Musik hören kennzeichnet den Schwerpunkt mit 37,73 Prozent, gefolgt von den fast gleich vertretenen Kategorien Notation/Gehörbildung und Musikproduktion/-bearbeitung mit ca. 14 Prozent. Hilfsprogramme werden immerhin noch von ca.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 355
neun Prozent der Probanden genutzt. Der Spitzenwert liegt erwartungsgemäß in der Kategorie Musik hören und bildet einen analogen Wert zur Frage unter Item 0302 und vergleichbaren Umfragen von Statista und der Jim Studie 2016 und den Jahren davor (vgl. Abschnitt S. 348ff). Die Kategorien Notation/Gehörbildung und Musikproduktion/-bearbeitung liegen mit jeweils ca. 14 Prozent zwar im unteren Bereich, sind jedoch noch deutlich messbare und relevante Größen. Es kann begründet vermutet werden, dass bei der Verwendung von Programmen in diesen Bereichen eine intensivere und tiefergehende Auseinandersetzung mit Musik in Produktionsprozessen stattfindet, zumal einige der aufgeführten Programme mit hohen Investitionen (z. B. Pro Tools/Sibelius) einhergehen. Ebenso auffällig sind die in diesen Kategorien aufgeführten Notationsprogramme, die an professionelle Anwendungen heranreichen (Finale/Sibelius). Hier können entweder schulische oder berufsplanende Aspekte als Hauptgrund für die Verwendung vermutet werden. Privat befasse ich mich mit Musik, indem ich … Item 0401 Die Reliabilitätsanalyse des Items ergibt einen Wert von 0,940 nach Cronbachs Alpha. Damit liegt die Skalakonstruktion in einem sehr guten Bereich. … mir Informationen über Künstler/Künstlerinnen verschaffe – SQ001
Abb. 107: Auswertung – Informationen über Künstler/Künstlerinnen beschaffen – SQ001 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine stark linkssteile Werteverteilung. Eine Filterung nach Schulformen und Geschlecht ergibt keine grundlegende Änderung. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt der Informationsbeschaffung tendenziell auf wenig Akzeptanz stößt.
356 | Popmusik aneignen
… mir Informationen über Musikstücke oder Musikstile verschaffe – SQ002
Abb. 108: Auswertung – Informationen über Musikstücke oder Musikstile beschaffen – SQ002 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine linkssteile Tendenz, jedoch nicht kontinuierlich (s. Wert 3). Außerhalb des Spitzenwertes bei 1 = stimme nicht zu (34,58 Prozent) weisen die Werte eine breite Streuung auf mit leicht abfallender Tendenz zu Skalenniveau 5 = stimme voll zu. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt der Informationsbeschaffung zu Musikstücken und Stilen tendenziell noch auf Akzeptanz stößt. … zu Musik singe – SQ003
Abb. 109: Auswertung – Zu Musik singen – SQ003 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen trotz der breiten Streuung eine leicht bipolare Kurve mit einem minimalen Wert bei 3 (39 – 13,08 %) und zwei fast identischen Spitzenwerten bei 1 (52 – 24,30 %) und 5 (51 – 23,83 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Singens zu Musik tendenziell auf große Akzeptanz stößt, jedoch auch polarisierend wirkt.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 357
… Gesang zu einer Aufnahme übe – SQ004
Abb. 110: Auswertung – Gesang zu einer Aufnahme übe – SQ004 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine gleichmäßige Verteilung der Werte zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einem Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu (110 – 51,40 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Gesangübens zu Musik insgesamt auf wenig Akzeptanz stößt. Danach ist das Üben von Gesang einer kleinen spezialisierten Gruppe vorbehalten. Im Vergleich zur Werteverteilung unter SQ003 (… zu Musik singe) fällt eine deutlich abnehmende Zustimmung auf. Denkbar ist auch, dass ein „zu-Musik-Singen“ nicht als Üben empfunden wird, obwohl Übungsaspekte zumindest teilweise beim Singen zu Musik eine Rolle spielen, auch wenn dies mit keinerlei weiteren Absichten verbunden ist. … zu Musik tanze – SQ005
Abb. 111: Auswertung – Zu Musik tanzen – SQ005 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine breite Streuung der Werte zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einem Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu (82 – 38,32 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Tanzens zu Musik insgesamt noch auf eine mittlere Akzeptanz stößt. Es könnte vermutet werden, dass Jungen und Mädchen dem Tanzen
358 | Popmusik aneignen
gegenüber unterschiedlich stark aufgeschlossen sind. Ein möglicher Unterschied ist jedoch nicht feststellbar bzw. statistisch nicht signifikant (Signifikanz bei 0,86). … mir ein Instrument durch Hören und Nachspielen beibringe – SQ006
Abb. 112: Auswertung – Sich ein Instrument durch Hören und Nachspielen beibringen – SQ006 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine breite Streuung der Werte zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einem Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu (100 – 46,73 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Erlernens eines Instruments insgesamt auf wenig Akzeptanz stößt. Das Erlernen eines Instruments durch Hören und Nachspielen ist danach einer kleinen spezialisierten Gruppe vorbehalten. … mir ein Instrument mit Hilfe von Tutorials (z. B. YouTube) beibringe – SQ007
Abb. 113: Auswertung – Sich ein Instrument mit Hilfe von Tutorials beibringen – SQ007 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine breite Streuung der Werte zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einem Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu (118 – 55,14 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Erlernens eines Instruments mit Hilfe von Tutorials insgesamt auf wenig Akzeptanz stößt und bezogen bleibt auf eine kleine Gruppe von Spezialisten, wenn man die beiden Skalenniveaus 4 und 5 in der Summe betrachtet (ca. 17 %) und einer solchen Gruppe entsprechend zuordnet.
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 359
… mit anderen über Musik diskutiere – SQ008
Abb. 114: Auswertung – Mit anderen über Musik diskutieren– SQ008 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine breite Streuung der Werte zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einem Spitzenwertwert bei 1 = stimme nicht zu (60 – 28,04 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund der breiten Streuung der Aspekt des Diskutierens mit anderen über Musik insgesamt auf Akzeptanz stößt und eine weitgehend praktizierte Möglichkeit des musikbezogenen Umgangs darstellt. … gezielt Musik höre (achten auf Text/Instrumente/Gesang/Groove/ Aufbau/Sound) – SQ009
Abb. 115: Auswertung – Gezielt Musik hören– SQ009 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen eine nahezu symmetrische Verteilung der Werte mit einem niedrigen Wert bei 3 (27 – 12,62 %) und zwei Spitzenwerten an den Skalenenden 1 = stimme nicht zu (54 – 25,23 %) und 5 = stimme voll zu (51 – 23,83 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des gezielten Hörens insgesamt polarisierend dargestellt werden kann, jedoch noch auf eine breite Akzeptanz stößt.
360 | Popmusik aneignen
… mit anderen musiziere oder probe – SQ0010
Abb. 116: Auswertung – Mit anderen musizieren oder proben– SQ0010 Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen zunächst einen Spitzenwert und zugleich Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu mit 96 (44,86 %), gefolgt von einem stark abfallenden Wert zwischen 1 und 2 und einer kontinuierlichen Steigerung zwischen den Skalenniveaus 2 bis 5 mit einer positiven Tendenz und einem mittleren Wert bei 5 = stimme voll zu (43 – 20,09 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Mit-Anderen-Musizierens trotz des Spitzenwertes bei 1 insgesamt noch auf eine mittlere Akzeptanz stößt. Der hohe Spitzenwert bei 1 = stimme nicht zu kann darauf zurückgeführt werden, dass die Voraussetzung des Spielens eines Instruments oder entsprechender Gesangspraxis nicht gegeben ist. Somit bleibt die Option des musikalischen Handelns durch Musizieren oder Proben auf eine kleine Gruppe von Spezialisten beschränkt. Die begründete Annahme, dass Schüler des Gymnasiums eher über instrumentale oder gesangliche Kompetenzen verfügen und diese entsprechend praktisch anwenden, führt bei entsprechender Filterung der anderen Schulformen zu keiner grundlegenden Änderung der Ergebnisse, da die Stichprobe ohnehin bereits auf Antworten der Schüler von Gymnasien beruhen. … mit anderen rumjamme – SQ0011
Abb. 117: Auswertung – Rumjammen– SQ0011
Hauptstudie – Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen | 361
Die Werte innerhalb der Skala von 1 = stimme nicht zu bis 5 = stimme voll zu zeigen zunächst einen Spitzenwert und zugleich Ausreißerwert bei 1 = stimme nicht zu mit 107 (50,00 %), gefolgt von einem stark abfallenden Wert zwischen 1 und 2 und einer Streuung der Werte auf niedrigem Niveau zwischen 2–5. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Aspekt des Rumjammens (abgeleitet von Jam Session) auf keine besondere Akzeptanz stößt. Der eher saloppe Begriff des Rumjammens wurde hier bewusst gewählt, da dieser nicht allgemein geläufig ist und eher Musikern im semiprofessionellen oder professionellen Bereich bekannt sein dürfte. Dieser Umstand erklärt ebenfalls den relativ hohen Anteil an nicht gegebenen Antworten mit 47 (21,96 %) Probanden. Die geringe Akzeptanz des Rumjammens entspricht darüber hinaus den Erkenntnissen aus den Einzelinterviews (vgl. hierzu Abschnitt „Kreative Strategien“ unter 0). Danach erscheint den Interviewpartnern das Rumjammen oder auch Improvisieren als nicht attraktive Umgangsweise mit Musik. Vielmehr wird ein Nachspielen bekannter Songs favorisiert. Zudem setzt das Rumjammen mit anderen Instrumental- oder Gesangspraxis voraus. Die begründete Annahme, dass Schüler des Gymnasiums eher über instrumentale oder gesangliche Kompetenzen verfügen und diese entsprechend praktisch anwenden, führt bei entsprechender Filterung der anderen Schulformen zu keiner grundlegenden Änderung der Ergebnisse, da die Stichprobe ohnehin bereits auf Antworten der Schüler von Gymnasien beruht (s. auch SQ0010).
4.7 ZWISCHENFAZIT UMFRAGE Die Umfrage bietet ergänzend zu den Einzelinterviews Einblicke in musikbezogene Vorlieben Jugendlicher und darüber hinaus in mediale und instrumentale bzw. gesangliche Praxis. Trotz sehr guter Reliabilität aller Skalen ergeben sich bei ausgewählten einzelnen Skalen bezüglich dieses Aspekts erhebliche Probleme, insbesondere in der Kategorie „Mediale Freizeitpraxis – Vertiefende Fragen“ (s. Skala 0302 „Wenn ja, welchem der genannten Bereiche würdest du diese App (Handy/Tablet/Computer) zuordnen?“/Skala 0303 „Welche der unten genannten Programme hast du schon einmal benutzt?“). Bei den genannten Skalen zeigt sich die Problematik der gleichzeitigen Nennung von Items, die sich einerseits auf einen mehr spaßbezogenen Umgang mit Apps in der Freizeit und andererseits auf einen gezielt produktiven oder kreativen Umgang mit Musik beziehen. (Dies betrifft zumindest die subjektive Wahrnehmung aus der Perspektive der Akteure.) Hier erscheint zum einen die Trennung zwischen den Einsatzbereichen nicht deutlich, andererseits ist der Anteil derjenigen, die sich weitergehend mit gezielt kreativen und produktiven Prozessen befassen, relativ klein.204 Nach Calmbach et al. ist der Umgang Jugendlicher mit digitalen Medien bestimmt durch den spielerischen Umgang und „Learning by doing“,205 was das Erlernen eines Profi-
204 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass kreative und produktive Prozesse mit fast allen Appbezogenen Handlungen in Verbindung gebracht werden können. Dies ist den Ausführenden jedoch nicht immer bewusst. So ist wie bereits weiter oben erwähnt Hören auch immer ein produktiver oder kreativer musikbezogener Umgang mit Musik. 205 „Mit digitalen Medien umgehen zu können ist für Jugendliche kein bewusster Lernprozess, sondern ein kontinuierliches Hineinwachsen und Ausprobieren. Viele der Jugendlichen hat
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Programms aufgrund des damit verbundenen systematischen Lernaufwands problematisch erscheinen lässt. Dennoch geben immerhin noch ca. 17 Prozent der Befragten an, sich in ihrer Freizeit bereits mit Profi-Programmen befasst zu haben. Wie an entsprechender Stelle bereits angedeutet, kann das Antwortverhalten jedoch auch durch Aspekte sozialer Erwünschtheit bedingt sein. Unabhängig von einem genauer messbaren realen Anteil der „Profi-User“ kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es sich um eine kleine Gruppe von Spezialisten handelt. Für die vorliegende Forschungsfrage sind aus qualitativer Perspektive vornehmlich diejenigen Skalen und Items von Interesse, die nicht innerhalb einer Ordinalskala abgebildet werden, sondern in freien Items wiedergegeben werden. Dies sind insbesondere die Items 0202 „Was mir an Musik sonst noch gefällt“ und 0205 „Was gefällt dir an dem Stück am besten?“. Aus den Antworten zu den beiden Items wird deutlich, wie vielfältig und tiefgreifend die musikbezogenen Umgangsweisen der Befragten sind bzw. angedeutet werden. Auch im Zusammenhang mit den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten des Items 0401 „Privat befasse ich mich mit Musik, indem …“ kann gefolgert werden, dass eine intensive Auseinandersetzung mit Musik, hier vorwiegend bezogen auf Hören, bei den Befragten stattfindet. Die Antworten lassen auf einen bewussten und analytischen Umgang mit Musik innerhalb eigener (möglicherweise auch konstruierter) Ordnungs- oder Messkriterien schließen durch gezieltes Hören auf Texte, Instrumente, den Sound, Groove usw. Auch gefühlsbezogene Umgangsweisen spielen in den genannten Antworten wiederholt eine Rolle. Die Antworten zeigen auch, dass die messbaren Kenntnisse über den popmusikalischen Bezug der Umfrage weit hinausgehen. Eine strikte Trennung zwischen Popmusik einerseits und Bereichen klassischer Musik andererseits erscheint aus Perspektive der Befragten an den entsprechenden Stellen offensichtlich nicht immer zwingend. Hier wären weitere Studien nötig, die z. B. die Sichtweisen auf verschiedene Stile und Genres und auch deren mögliche Verschmelzung erfassen. So wäre es durchaus denkbar, dass auch klassische Musik teilweise als Musik mit popmusikalischen Inhalten betrachtet wird. Weiterhin wäre eine Erforschung der aufgeworfenen Fragestellungen mit einer gleichmäßigen Verteilung der Schulformen notwendig, um belastbarere Aussagen zu ermöglichen. Aus der durchgeführten Umfrage lässt sich folgende begründete Aussage treffen: Der Schwerpunkt musikbezogenen Verhaltens der Befragten liegt auf dem Hören von Musik und dem Betrachten von Musikvideos mit dem Schwerpunkt Pop/Mainstream. Es können ausdifferenzierte Hör- und Analysestrategien angenommen werden.
daher die Frage, wie sie sich ihre alltägliche Medienkompetenz aneignen, verwundert: Mit Medien muss man sich aus ihrer Sicht heute einfach auskennen. Das trifft besonders auf das technische Handling und die Bedienung von Interfaces der „Standardgeräte“ zu: Handy/Smartphone, Tablets und Spielekonsolen. Es gilt als Selbstverständlichkeit, sich den Umgang mit diesen Geräten über „learning by doing“ in Eigenregie beizubringen. Neben „Trialand-Error“ nutzen einige wenige auch Online-Tutorials oder Hilfe-Foren, wenn sie nicht weiter wissen oder etwas grundlegend lernen möchten. Meist probiert man es aber zunächst einfach selbst aus.“ (Calmbach et al., 2016, S. 190f.)
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Musikpädagogik und selbsterworbene Kompetenzen
5.1 ZUR ENTWICKLUNG DER DIDAKTIK DER POPULÄREN MUSIK Zum besseren Verständnis der im folgenden Interview mit Volker Schütz zitierten Passagen zur Didaktik der populären Musik werden an dieser Stelle vorab einige Informationen gegeben. Die so genannte Didaktik der populären Musik umfasst die Arbeit von Wulf Dieter Lugert und Volker Schütz seit der zweiten Hälfte der 1970erJahre (erste Versuche ab 1978/79 – Schütz an der PH Lüneburg seit WS 77/Lugert ab WS 78). Diese beinhaltet den Versuch einer neuen fachdidaktischen Konzeption, die vor allem die musikalische Lebenswelt der Schüler miteinbeziehen sollte, zu der vornehmlich Popmusik gehört. Die Entwicklung des Konzeptes, welches nicht oder kaum auf vorhandene Literatur und Forschungsergebnisse zurückgreifen konnte, fand zunächst im Rahmen zahlreicher Lehrerfortbildungen sowohl an der damaligen Pädagogischen Hochschule in Lüneburg als auch während regionaler und überregionaler Veranstaltungen des Arbeitskreises für Schulmusik (AfS) statt. Die positiven Rückmeldungen der teilnehmenden Lehrkräfte erforderten sowohl eine Weiterentwicklung des theoretischen Rahmens als auch die Erstellung von mehr Unterrichtsmaterialien mit einem breit angelegten Themenkreis (aktuelle Popmusik, Klassiker der Rockmusik, Interkulturelle Musikpädagogik, Musikwirtschaft, Musik und Technologie, Musik und Bewegung etc.). Hierzu gehörte ebenso die Einbindung populärer Klassik als Popmusik früherer Epochen. Zur Verstetigung der Arbeit wurde 1981 das „Institut für populäre Musik“ gegründet, in dem im gleichen Jahr die 0-Ausgabe der Zeitschrift „Populäre Musik im Unterricht“ veröffentlicht wurde, welche später in „Die Grünen Hefte“ und daraufhin folgend in „Praxis des Musikunterrichts“ umbenannt wurde. Die Didaktik der populären Musik basiert zum einen auf der vorangegangenen theoretischen Veröffentlichung von Wulf Dieter Lugert mit „Grundriß einer neuen Musikdidaktik“ (1975), zum anderen jedoch in der Folge auf der theoretischen und praktischen Umsetzung mit den Verlagsprodukten der Folgejahre. Hier liegen die Schwerpunkte auf der unterrichtlichen Aufarbeitung von Popmusik aller Genres, Interkultureller Musikpädagogik und der Arbeit mit digitalen Medien. Aktuell (2017) werden vom Lugert Verlag die musikpädagogischen Zeitschriften „Musik in der Kita“, „Pop in der Grundschule“, „Praxis des Musikunterrichts“, „Musik und Unter-
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richt“ und „Musik und Computer“ herausgegeben, deren Inhalte weitgehend popmusikalisch geprägt sind.
5.2 INTERVIEW MIT PROF. DR. VOLKER SCHÜTZ 5.2.1 Kontext des Interviews im Rahmen dieser Arbeit und methodisches Vorgehen Die Durchführung eines Interviews mit Volker Schütz als einem der Begründer der so genannten Didaktik der populären Musik (neben Wulf Dieter Lugert) liegt im inhaltlichen Kontext der Forschungsfragen dieser Arbeit begründet und bietet sich unter Aspekten der Einbindung in didaktische Grundüberlegungen und daraus zu entwickelnden Perspektiven an. Darüber hinaus gilt es zu ergründen, inwieweit es Übereinstimmungen mit den zuvor durchgeführten Teilstudien hinsichtlich der daraus gewonnenen Erkenntnisse gibt. Dies betrifft beispielsweise Fragen der persönlichen Erfahrungen mit Popmusik, Aspekte der musikalischen Sozialisation und des Kompetenzerwerbs. Die diesbezüglichen aus den Interviews mit Profimusikern und Schülern gewonnenen Erkenntnisse zur Vorgehensweise und zum Kompetenzerwerb können als typisch für Sozialisation und Aneignung von Fertigkeiten und Kompetenzen im System Popmusik betrachtet werden und lassen folgende Schlussfolgerungen zu:1 • Die Bevorzugung populärer Musikstile ist selbstgewählt und findet unabhängig
von Erwachsenen sowohl individuell als auch in selbstgewählten Gruppen statt. • Die Entwicklung von Aneignungsstrategien ist selbstgewählt und auf individuelle
Präferenzen und Bedürfnisse zugeschnitten. • Jugendliche verfügen bereits über musikbezogene Kompetenzen, teilweise ohne
dies zu wissen (Tacet Knowledge). Zum einen ist es Ziel des Interviews, Erkenntnisse über die oben genannten Prinzipien im System Popmusik durch Befragen einer weiteren Generation zu gewinnen.2 Zum anderen soll erforscht werden, inwieweit Aspekte des Kompetenzerwerbs, z. B. durch informelles Lernen, bei der Entwicklung der Didaktik der populären Musik bereits eine Rolle gespielt haben und inwieweit diese bereits direkt oder indirekt in theoretische Positionen oder praxisorientierte Konzeptionen eingeflossen sind. Die
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Diese Schlussfolgerungen stimmen mit vergleichbar angelegten Forschungsprojekten (vgl. Green 2003, 2008) überein, wenngleich kulturelle Unterschiede, z. B. aufgrund abweichender Schulsysteme oder des Stellenwerts Popmusik in der Gesellschaft, angenommen werden müssen oder offensichtlich sind. Die Geschichte der Popmusik in Großbritannien oder Deutschland bzw. Westdeutschland unterliegt nach dem Zweiten Weltkrieg unter diesem Gesichtspunkt anderen Rahmenbedingungen. Die befragten Schüler lagen altersmäßig zwischen 12 und 21 Jahren, die Profimusiker waren zum Zeitpunkt der Befragung alle etwa um die 45 Jahre, Volker Schütz war 73 Jahre alt.
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Codierung des Interviews fand daher ausschließlich nach einem dazu entworfenen Fragenkatalog statt. Die Zuordnung von Textpassagen zu den einzelnen Codes ist aufgrund der Mehrfachbedeutungen bzw. Codeüberschneidungen problematisch.3 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden jedoch Überschneidungen möglichst vermieden bzw. auf ein Minimum reduziert. Die Auswertung erfolgt entsprechend unter folgenden Aspekten bzw. Fragestellungen: • • • • • •
Musikalische Sozialisation, Schlüsselerlebnisse und Annäherung an Popmusik. Aneignungsstrategien in Bereichen populärer Musik. Inspiration Popmusik als Ausgangspunkt musikdidaktischer Überlegungen. Informelles Lernen, selbstständiger Kompetenzerwerb von Schülern. Grundlegende Fragestellungen für die Entwicklung einer neuen Didaktik. Mögliche Perspektiven für die Musikpädagogik.
Obwohl dem Interview ein grober Leitfaden (s. Kriterien oben) zugrunde lag, hatte das Interview vorwiegend einen eher narrativen Charakter und war geprägt durch eine konzentrierte, aber dennoch entspannte Atmosphäre mit Gesprächscharakter. Die Transkription wurde insbesondere hinsichtlich der Interpunktion mit dem Ziel der möglichst genauen inhaltlichen Verständlichkeit durchgeführt. Das ganze Interview befindet sich im Anhang dieser Arbeit und wurde lediglich um wenige inhaltlich nicht relevante oder nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Teile gekürzt (Transkription nach Dresing/Pehl). 5.2.2 Auswertung des Interviews anhand ausgewählter Themenschwerpunkte Musikalische Sozialisation, Schlüsselerlebnisse und Annäherung an Popmusik Der Aspekt der musikalischen Sozialisation, auch im Kontext mit Popmusik, entwickelt sich aus einer Fragestellung zu möglichen Beweggründen für die Entwicklung der Didaktik der populären Musik. Somit wird die Betrachtung der eigenen musikalischen Sozialisation aus der Erinnerung heraus als zentraler Impuls für die folgenden musikpädagogischen Konzeptionen in den Mittelpunkt gerückt. 4 Die Erfahrungen sind durch den Stellenwert klassischer Musik innerhalb der Familie geprägt, was sich unter anderem in Konzertbesuchen und entsprechender musikalischer Praxis wie Spielen im Posaunenchor und Spielen der Kirchenorgel niederschlägt. Die Mitwirkung in einer Tanzmusik-Band als Jugendlicher ab ca. 16 bis 17 Jahren hat demnach auch rein finanzielle Hintergründe und geht mit einer eher abwertenden und elitären Haltung gegenüber Popmusik einher. So trifft der wachsende Erfolg der Beatles anfangs beim Befragten aufgrund der vermeintlich schlechten Qualität auf Unverständ-
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So sind beispielsweise Erfahrungen mit Popmusik sowohl der Sozialisation als auch der Entwicklung von musikpädagogischen Konzepten zuzuordnen. Der Begriff des musikdidaktischen Konzeptes folgt hier in Anlehnung an Jank und Meyer, 20135, S. 23f.
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nis. Erst die aktive Auseinandersetzung mit der Musik der Beatles durch Nachspielen einiger Songs bewirkt ein Überdenken der bisherigen Position. Maßgeblich hierfür ist unter anderem, dass die Spielweisen in Popmusik neue Spieltechniken erfordern, die sich von klassischen unterscheiden. Trotz der fast ausschließlich klassischen Orientierung (mit Ausnahme des Saxofonspiels) ist die Haltung, möglicherweise auch innerhalb der Familie, geprägt durch Offenheit gegenüber Neuem. I: Also, ich möchte mich erst mal recht herzlich bei dir bedanken, dass du (lachend) dich bereit erklärt hast, hierfür zur Verfügung zu stehen, für dieses kleine Interview. Du bist ja nicht nur ein wichtiger Zeitzeuge der musikdidaktischen Diskussion und der Entwicklung der letzten 30, 35 Jahre, sondern bist ja selber ein wichtiger Impulsgeber, indem du zusammen mit anderen, zum Beispiel mit Dieter [Lugert] die Didaktik der populären Musik, ich sage mal, formuliert hast. Dieter sagte immer, selber erfunden haben wir sie nicht, wir haben sie nur formuliert. Mich würde interessieren, welche Impulse vielleicht ausschlaggebend gewesen sein könnten so etwas Neues zu entwickeln. #00:02:04-1# B: (...) Also, die Frage geht jetzt in Richtung eigene Erfahrungen, auch biografische Erfahrungen. Ja, denn da muss ja irgendwas in einem in Resonanz kommen, um darauf einzusteigen. Ich war halt in einem völlig klassisch orientierten Elternhaus großgeworden und habe schon ganz früh alle möglichen Konzerte gehört, klassische Musik, Kammermusik, Opern, alles, was da zu erreichen war, Frankfurt, Offenbach haben wir uns angeguckt, und daneben habe ich aber sehr früh begonnen Tanzmusik zu machen, ganz früh, schon als, na, Sechzehnjähriger, Siebzehnjähriger, weil das einfach gebraucht wurde da in dem Zusammenhang, wo wir waren. Mein Bruder hatte auch Saxofon gespielt, und habe dann auch Saxofon gelernt und alle möglichen Instrumente im Posaunenchor gespielt. Also, da war eine unglaubliche Offenheit und eine Neugier auf das, was da entstanden ist. Und mit den Tanzmusikern, mit älteren, für mich damals uralten Musikern (lachend), gespielt. (Lacht) Waren vielleicht so Ende 30, (lacht) und eines Tages kam der eine an, der hat Gitarre gespielt, mit einem Beatles-Song, und dann habe ich mir das angehört, habe gedacht, wie kann so eine Musik über Nacht berühmt werden. Das ist doch amateurhaft alles. Na ja, und dann hat er gesagt, „das spielen wir jetzt mal nach“. Hm (lacht). Dann habe ich gemerkt, das geht gar nicht. Dazu sind wir gar nicht in der Lage, weil, so als klassisch Orientierter, was soll ich da auf dem Klavier machen und so weiter. Also, es kommen eine ganze Reihe von Erfahrungen zusammen. Daneben war ich Kirchenmusiker und habe an der Orgel schon immer versucht zu improvisieren. Also, dieses Improvisatorische spielt ja bei der Orgelmusik immer noch eine Rolle, und das hat mir sehr imponiert, dass man da mal weggehen kann von den Noten. Und die nächste Erfahrung war das Boogie-Woogie-Spielen auf dem Klavier. Das war damals ganz was Neues, aber es gab schon die ersten Noten, und ich habe mir das angeguckt und habe dann Boogie-Woogie gespielt, auch frei, und meine Eltern haben das gerne zugelassen. Gar kein Problem, und habe auf die Weise schon ganz viel kennen gelernt um die Klassik herum. Ich weiß nicht warum, aber es hat mich interessiert. Dixieland habe ich noch gemacht in einer Band, waren dann so Gleichaltrige, und ich habe mich aber dann während des Schulmusikstudiums ganz von dieser Musik abgewandt. Es war keine Zeit mehr. Ich konnte keine Tanzmusik mehr machen. Ich habe dann noch Orgel gespielt, aber die Tanzmusik, das war zu viel. #00:04:50-3# Also, Samstag nachts spielen, morgens sonntags auf der Orgelbank. Samstags noch unterrichten, ich war ja damals auch schon – na ja, nee, da war ich noch im Studium. Auf jeden Fall (...) hat sich da etwas entwickelt, eine Offenheit für alle möglichen Arten von Musik, ohne dass ich gleich
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in die Wertung gegangen wäre, denn diese Erfahrung mit den Beatles hat mich runtergebracht von dem hohen Ross des Klassikmusikers und hat mir deutlich gemacht, es macht keinen Sinn das zu werten.
Überraschend ist die Sichtweise auf das Instrument Gitarre als relativ uninteressantes Instrument zu Beginn der 1960er-Jahre, da in der anglo-amerikanischen Popmusik sowohl der Rock ’n’ Roll der 1950er-Jahre als auch die Musik der Post-Rock ’n’ Roll-Ära stark geprägt war durch den Einsatz von Gitarren und Bands mit einem speziellen Gitarrensound wie z. B. The Shadows oder Dick Dale und Duane Eddy in der Surfmusik. Das starke Interesse am Blues im England der 1960er-Jahre ist ebenfalls besetzt durch Gitarre als Hauptinstrument des Genres. Die negative Bewertung des Stellenwertes entspringt möglicherweise der starken klassischen Orientierung innerhalb der Familie und darüber hinaus einer typisch deutschen Sichtweise auf Gitarre als Konzertgitarre zur Begleitung von Liedern volkstümlicher Herkunft, wofür der Bezug zum Wandervogel spricht. B: Das ist eine ganz andere Erfahrungswelt, die sich da niederschlägt, und die haben sich ihre Instrumente gesucht und machen das auf den Instrumenten so, wie sie es können, und sie machen es authentisch. Das habe ich damals schon begriffen, dass das was Besonderes war. Dazu kam noch, fiel mir heute noch so ein, die Gitarre hatte überhaupt keinen Stellenwert damals. Die Gitarre, das war das Instrument der Jugendbewegung, des Wandervogels. Kein Mensch hat Gitarre gespielt. Ich selber habe da immer so ein bisschen geklampft. Ich war damals mit dem Wandervogel unterwegs 'n paar Jahre, um so paar Lieder aus dem „Turm“ [Liederbuch des Wandervogels], das waren so Landsknechtslieder, zu begleiten, so was, und das war aber eher Weniger (lachend) als Mehr. Auf jeden Fall, die Gitarre, die war völlig uninteressant, bis dann einige kamen, so aus meiner Umgebung, die haben dann – ja, das war wohl schon Country and Western, so was oder aus der FolkSzene. Die fingen ja damals an so in den Sechzigern … #00:06:40-0# I: Mitte Sechziger. #00:06:40-9# B: aufzublühen. Das war ja unglaublich. #00:06:43-7# I: Ja, also auch vielleicht im Kontext mit Bürgerrechtsbewegung oder nicht so sehr? #00:06:46-7# B: Ja, aber davor gab es noch Skiffle. #00:06:48-3# I: Skiffle. Ah, Skiffle war sehr … #00:06:50-4# B: Skiffle-Musik, genau. #00:06:50-1#
Der Kontakt mit Popmusik betrifft sowohl persönliche Erfahrungen als auch solche, die im Zusammenhang mit der beruflichen Praxis als Musiklehrer am Gymnasium stehen. Hieraus entwickeln sich sowohl unterrichtliche Ideen und methodische Experimente als auch weitere Banderfahrungen. Deutlich in diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Orientierung an Popmusik, die gegenüber der klassischen Kunstmusik als vertretbar angesehen und als didaktisch wertvoll eingestuft werden kann. Die klassischen Orientierungen einiger Musiker und Bands des Progressive oder Classical Rock boten in den 1970er-Jahren auch für konservative Positionen willkommene Ansatzmöglichkeiten für neue musikpädagogische Verbindungen. Eine ebenso wichtige Rolle als musikalische Brücke spielte der aufkommende Jazz- oder Fusion-Rock. B: Anfang der Sechziger, und da hat der so Skiffle gemacht und hat da ganz schön Gitarre gespielt. Mit dem Skiffle-Gitarristen habe ich auch mal Tanzmusik zusammen gemacht,
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festgestellt, das ist durchaus ein Instrument, das interessant ist, (lacht) aber ich hatte keine Erfahrung damit. Ja, das also zu meiner eigenen Entwicklung. Dann kam später halt in der Schule als junger Lehrer – kamen die Schüler an mit ihren eigenen Platten, und zwar in der Oberstufe habe ich das zugelassen. In der Oberstufe, als sie sagten, da gibt es tolle Musik, Pink Floyd und diese andere Gruppe, wo so ein klassischer Pianist auch dabei war. #00:07:35-0# I: Emerson, Lake and Palmer? #00:07:36-4# B: Ja, die zum Beispiel mit „Pictures At An Exhibition“. Das war ja für uns Schulmusiker (lacht) ein gefundenes Fressen. Jedenfalls haben die Platten mitgebracht, und die haben wir uns angehört und haben darüber geredet. Das war mein Einstieg, und ich war begeistert über die Texte, über die Tiefe der Texte, über die – ja, ich würde sagen, über die Authentizität der Erfahrung, die da sich niedergeschlagen hat. Das war was ganz anderes als Schlager. Schlager habe ich erst jetzt wieder (lachend) wertschätzen gelernt, so im Rückblick, weil die so ganz pfiffig waren damals in den Fünfzigern, Sechzigern. (lacht) Das war so Anfang der Siebziger. Na ja, und dann kam einer der Schüler auf mich zu eines Tages und sagte, „wollen wir nicht zusammen eine Jazz-Rockband gründen. Der hatte schon ein paar Leute an der Hand. (Name eines Gitarristen), ein super Gitarrist. Der kam an, der hat alles nachgespielt, und der hat alles auswendig gespielt. Wir haben dann Stücke entwickelt, die waren eher (lacht) überladen. Also Volker Kriegel war so unser Einfluss #00:09:44-7# I: Ja, ja, Kriegel. #00:09:45-7# B: und Doldinger und so, und dann natürlich Jan Hammer als Pianist und diese Leute, und dann haben wir eben eigene Stücke gemacht. Der Flötist war ja auch Amateur. Der konnte gar keine Noten. Der Bassist konnte schon Noten. Auf jeden Fall, (Name des Gitarristen) war die zentrale Gestalt, und (Name des Gitarristen) hat mir gezeigt, was es bedeutet auf der Gitarre Musik zu machen, mit Anspruch. Der war äußerst anspruchsvoll und hat alles, was wir so entwickelt hatten an längeren Phrasen, auch auswendig gekonnt. Der hat das immer behalten. Ich musste es mir aufschreiben. Ich habe mir die Harmoniefolgen aufgeschrieben und auch einzelne Phrasen, die dann zu spielen waren. Er hatte alles im Kopf, und dann haben wir auch begonnen Reggae zu spielen, und dann haben wir geübt an dem Reggae, und schön leicht und ja, und am Ende hat er gesagt, „Das spielen wir nicht weiter. Das ist kein Reggae. Das können wir nicht.“ Ganz klar war der. Der hatte eine unglaubliche Hörerfahrung und war andererseits auch ein ganz schneller Spieler, so mit Soli.
Darüber hinaus ging es in der Entwicklung neuer Ideen jedoch auch um eine Abkehr von traditionellen Sichtweisen, die das Neue in der Popmusik gar nicht erfassen konnten. B: Ja, also, das ging mir jetzt die Tage durch den Kopf, als ich darüber so nachdachte. Die ganze Auseinandersetzung mit der ästhetischen Theorie von Adorno hat dieses Moment außer Acht gelassen. Natürlich hat der gesagt, die Musik von Mahler ist fantastisch. Man wird ergriffen, aber er hat es nicht in eine Theorie eingebracht. Das blieb draußen. Theorie wurde lediglich die Form und darüberhinausgehend die Frage nach der philosophischen Deutung dieser Form. Aber mich hat immer interessiert: Was bewegt mich denn eigentlich in dieser Musik, was bewegt mich? Und da habe ich gemerkt, die körperliche Seite war so ein Moment des Einstiegs. Boogie-Woogie ist ja schon mal diese Wiederholung, badu, badu, badu, badu. Also, das ist ja fantastisch, was sie da machen, und dieser Groove, der hat was. Der hat was für junge Leute sowieso. Tanzmusik machen war ja auch … die Idee war
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etwas mit Groove, mit Rhythmus zu machen. Das hat mich schon immer berührt. Nach Afrika zu gehen, da war die Frage nach, ja, wie ist das mit dem Rhythmus, wo kommt denn der her, und was steckt dahinter, und da habe ich eben gemerkt, dass auch die reine rhythmische Seite der Musik Tiefe will. Es ist auch nicht nur Oberfläche, und bis heute ist es ja auch so, geht mir es auch so, dass ich … ach so, und das wollte ich sagen, dass ich mich von daher auch von dieser Adorno'schen Theorie abgewandt habe, weil ich gemerkt habe, da gibt es keine Antwort auf diese Fragen, die mir doch sehr wichtig erscheinen, und die auch allen Musikern, die ich getroffen habe, wichtig erschienen. #00:31:30-4#
Aneignungsstrategien in Bereichen populärer Musik Das Erlernen von Instrumenten im klassisch geprägten Familienumfeld ist zunächst traditionell orientiert und dementsprechend notengebunden. Allerdings wird die Tradition der Improvisation im Orgelspiel hervorgehoben, wodurch eine Beziehung zu nicht notationsgebundenem Musizieren gegeben ist. Das Erlernen von BoogieWoogie-Stücken basiert ebenfalls auf vorgegebener Notation. Unklar bleibt, inwieweit das Klavierspiel in der Tanzmusik-Band auf Notation beruht oder durch Heraushören der Titel ermöglicht wurde. In späteren Phasen werden neue Möglichkeiten durch Zusammenarbeit mit anderen Musikern oder Bandmitgliedern ausprobiert. Die über einen längeren biografischen Abschnitt geschilderten Vorgehensweisen sind geprägt durch eine Entwicklung von traditionellen Lernmethoden hin zu spezifisch popmusikalisch angemessenen Aneignungsstrategien und entsprechen der Vielfalt der musikalischen Betätigungsfelder. In Absatz 224 findet ein expliziter Bezug auf Popmusik als orale Tradition statt mit einem Hinweis auf spezifische Kommunikationsstrategien. B: Also, dieses Improvisatorische spielt ja bei der Orgelmusik immer noch eine Rolle, und das hat mir sehr imponiert, dass man da mal weggehen kann von den Noten. Und die nächste Erfahrung war das Boogie-Woogie-Spielen auf dem Klavier. Das war damals ganz was Neues, aber es gab schon die ersten Noten, und habe mir das angeguckt und habe dann Boogie-Woogie gespielt, auch frei, und meine Eltern haben das gerne zugelassen. Absatz 12 Ich selber habe da immer so ein bisschen geklampft. Ich war damals mit dem Wandervogel unterwegs 'n paar Jahre, um so paar Lieder aus dem Turm, das waren so Landsknechtslieder, zu begleiten, so was, und das war aber mehr Weniger (lachend) als Mehr. Absatz 12 Der war äußerst anspruchsvoll und hat alles, was wir so entwickelt hatten an längeren Phrasen, auch auswendig gekonnt. Der hat das immer behalten. Ich musste mir es aufschreiben. Ich habe mir die Harmoniefolgen aufgeschrieben und auch einzelne Phrasen, die dann zu spielen waren. Absatz 30
B: Also, ich staune ja immer mehr auch so über den Jazz-Bereich. Da könnte man ja auch meinen, na ja, gut, die spielen dann Klavier, und dann haben sie eben bestimmte Standards und bestimmte Formen. Das Jazz-Klavier ist so unglaublich vielfältig geworden. Da musst du Latin spielen können, und dieser Bereich ist ja schon unglaublich vielfältig über Kuba bis Südamerika. Da musst du über, sagen wir mal … Keith-Jarrett-artig über Ostinati spielen können, ganz eigener Bereich. Über'n Ostinato improvisieren, über eine Harmoniefolge
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improvisieren. Ja, du liebe Zeit, das ist schwer, (lachend) ne, das interessant zu machen. #00:57:53-9# Absatz 162
Das waren dann aber meist nicht die Gymnasiallehrer(-studenten), die gut Gitarre spielen konnten, sondern die, die ein Realschul-Lehrerstudium gemacht haben oder so was, oder’n paar wenige Hauptschullehrer-Studenten, die hatten wir auch. Und da bin ich zu einem gegangen, habe mir auch mal so Sachen auf der Gitarre zeigen lassen und bin dann nochmal in die Gitarre eingestiegen, so, ja, in den Neunzigern, zweite Hälfte Neunziger und habe mir so zeigen lassen: wie spielt man eigentlich „Summertime“? Wie spielen das die Gitarristen? Dann hat er mir gesagt, „das ist relativ einfach zu machen“ oder wie heißt das, „Dust In The Wind“ oder so, dieses Picking. Da habe ich auch wieder nur gestaunt, habe mir gesagt, guck mal, da gibt es eine Tradition, einer sagt es dem anderen weiter, und die wissen alle, die haben geguckt, was der andere spielt. Er hat eine neue Picking-Form gefunden. Kennen gleich alle. Oder einer hat eine neue Begleitform gefunden für einen bestimmten Standard, kennen alle. Alle, die involviert sind, sagen sich das weiter, und das ist allein schon so wertvoll, weil da ja ein Lernen stattfindet außerhalb des etablierten Lernens, Absatz 224
Inspiration Popmusik als Ausgangspunkt musikdidaktischer Überlegungen Die Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Genres der Popmusik in den 1960erund -70er-Jahren bilden eine wichtige Grundlage für musikdidaktische Überlegungen. Zum einen beeindrucken sozialkritische Lieder durch gedankliche Tiefe, zum anderen werden die musikalischen Ansprüche, auch einhergehend mit der technischen Entwicklung in der Sound- und Studioproduktion, in einigen Genres anspruchsvoller und genügen so unter anderem einem bürgerlichen Bildungsanspruch. Dass darüber hinaus auch Pop-Genres wie z. B. Punk oder New Wave Gegenstand musikpädagogischer Auseinandersetzungen werden, wird vom Interviewpartner nicht angesprochen, diese gehören jedoch zum Selbstverständnis der Didaktik der populären Musik, da parallel zum Kunstanspruch auch Erkenntnisse der Cultural Studies in die Arbeit eingebunden werden.5 Beide Ansätze sind nicht als Widerspruch zu verstehen, sondern zeigen die generelle Offenheit für alle Wege, Schülern Zugänge zu verschiedenen Musikkulturen, auch der eigenen, zu bieten. Popmusik ist hier nicht ausschließlich ein neutraler Unterrichtsgegenstand, die Auseinandersetzung damit beruht ebenso auf der persönlichen Wertschätzung, die sowohl theoretisch reflektiert als auch praktisch ausprobiert und umgesetzt wird. B: Die kam sehr schnell dazu. Guck mal, wir haben ja dann als Erstes veröffentlicht, Dieter und ich zusammen, „We Don't Need No Education“. Ist im Moment auch wieder irgendwo in den Charts zu hören als Techno-Version, und das war ja ein Rundumschlag: „We Don't
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Die Ausgabe 0 der „Grünen Hefte“ (damals noch „Populäre Musik im Unterricht“) des Instituts für Didaktik der populären Musik aus dem Jahre 1981 befasst sich intensiv mit dem Thema Punk und bietet mit „So Lonely“ von The Police ein New Wave-Stück als Bearbeitung für den Musikunterricht an.
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Need No Education!“ Und das dann mit dieser Musik, wunderbar gemacht und dann als Ausschnitt aus „The Wall“, war das ein Stück, ne? Aus dem „The Wall“, also, das war ja nun ein Konzeptalbum, was ja versucht hat, die Entwicklung eines Menschen in unserer Gesellschaft zu beschreiben, und das sehr ernsthaft und, wie ich meine, sehr genau beobachtet. Was da geschieht mit Menschen bis heute, ne, dass sensible Menschen eigentlich immer mehr eine Mauer um sich herum aufbauen, und von daher gerade Sensible oder Musiker es sehr schwer haben in dieser Gesellschaft, die ja (lacht) von ganz anderen Werten dominiert wird: Geld verdienen und so weiter. Und das hat sich ja jetzt in einer Weise entwickelt, dass ich sagen würde, das implodiert demnächst. Das kann nicht so weitergehen. Und die Musik, und wenn du jetzt noch „Hair“ nimmst, war immer, schon immer um Jahrzehnte voraus. Ganz sensibel wahrnehmend: Da ist eine Veränderung im Gange, da ist etwas, eine große Veränderung, Veränderung des Ganzen im Gange. Das haben die Musiker gespürt, sehr früh und sind daraufhin eingestiegen auf ihre Weise. Und gerade dieses HairMusical! Ja, wie kommen die darauf so'n „Wassermannzeitalter“, all diese Geschichten zu thematisieren, ohne dass sie Angst gehabt hätten, ausgelacht zu werden, und die wurden gefeiert, das wurde gefeiert. Das war völlig verrückt. #00:49:49-1# I: Ja, ich versuche das einzuordnen. Das war ja auch wirklich ein ausgesprochen gutes Hippie-Musical, und das hat ja eigentlich auch schon eine lang zurückliegende Tradition, also, dieses, sagen wir mal … dieses Sichselbstfinden, auch als eine Möglichkeit eine Strategie gegen eine Gesellschaft zu entwickeln, die sich ausrichtet an bestimmten negativen Aspekten bzw. Kriterien. #00:50:21-4# B: Ja, aber da musst du überlegen, das war eine völlig neue Geschichte, Gegenkultur wurde es ja damals genannt, ne? #00:50:26-1# I: Ja, Gegenkultur, ja, aber die geht ja schon, wenn man da weiter zurückguckt, Jack Kerouac in den Fünfzigerjahren. Ist ja schon auch (unv.) #00:50:32-7# B: Ja, gut, aber das waren Einzelgänger, die dann ausgestiegen sind, würde man heute sagen, Aussteiger. Die gab es ja eigentlich immer. Die gab es auch in früheren Jahrhunderten. Man hat vieles vergessen. Also, die würde ich jetzt bezeichnen als Menschen, die andere Realitätserfahrungen gemacht haben, Mystiker. Und diese Leute wie Kerouac haben eben ihre Mystik auf einer anderen Ebene gesucht. Die sind ausgestiegen aus der Gesellschaft, sind in den Wald gegangen oder sind auf die Straße gegangen und haben geguckt, was gibt es denn noch außerhalb des Mainstreams. Und damit haben sie Neues entdeckt, neues Altes. Also, Altes, sagen wir mal, alte Weisheiten, die in der Menschheit schon immer eine Rolle gespielt haben, wiederentdeckt als Maßstäbe für das Leben. Das war schon in den Fünfzigern, aber in den Fünfzigern haben wir davon nichts erfahren hier in Deutschland, nichts! #00:51:31-2# I: Nein. #00:51:31-6# B: Nichts davon gewusst, und das kam dann erst mit der Folk-Bewegung mit diesen Liedern, und die waren ja nun wirklich sehr stark, dass die gesungen haben von „The Times“ … Ah, ja, das ist Bob Dylan, „The Times They Are A-Changin’“ oder so ähnlich. #00:51:46-8# I: „Times Are Changing” oder? #00:51:47-5# B: Ja, oder dann auch … #00:51:50-6# I: „Universal Soldier“. #00:51:52-7# B: Ja, tolle Lieder. Das war völlig neu, und das war insofern ein neuer Zeitgeist. Neuer Zeitgeist, der auf eine Resonanz stieß, die in vielen irgendwo geschlummert hat, auch in
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mir. Ich war begeistert das zu hören, dass die da so vorangehen, solche Texte machen und die in relativ einfacher Form rüberbringen. Die konnten singen, die haben ihren Singausdruck entwickelt, das ging rein. Das hat dich berührt, ne? Das war toll. Es war wieder anders als Soul-Gesang. Es war ja mehr so geprägt von der Romantik, der deutschen Romantik auch, ne, so diese Art zu singen, und das hängt mir ja immer noch nach. (lacht) #00:52:44-7# I: Ich kann mich gut erinnern. Da war ich dann vielleicht … 65, 66 rum, da war ich zehn, elf. Das hat mich angesprochen, extrem berührt. Da habe ich mich nicht für Musikkommerz interessiert. Der Song hat mich berührt, die Stimme. #00:52:56-0# B: Ja, genau, und das ist ja etwas, was viel weitergeht, und da finde ich auch, und das möchte ich gern nochmal betonen, dass da ein völlig neuer Stimmausdruck entstanden ist. Vorher war da Belcanto, war das der Gesangsstil, Belcanto, und man musste Belcanto singen lernen, sonst galt man nichts auf dem Markt. Auch die Schlagersänger konnten wunderbar Belcanto singen, und der Jazz hat etwas Neues reingebracht und der Soul, aber dann eben die Pop-Sänger. Die haben ihre Stimme so, wie sie war, angenommen und haben daraus was gemacht, konnten teilweise unglaublich hoch singen, und das war natürlich schon bewundernswert. Und da entstand ein neues Stimmideal. Das kann man nicht hoch genug einschätzen, was da in der Richtung entstanden ist. Man konnte die Gitarre nehmen und konnte auf seine Weise singen, und es wurde akzeptiert. Ganz toll. #00:53:52-3# 130 - 142
Informelles Lernen, selbstständiger Kompetenzerwerb von Schülern Wie den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studien entnommen werden kann, spielt der Bereich des informellen Lernens im Kontext selbstständig erworbener Kompetenzen eine zentrale Rolle im Umgang mit Popmusik und ist im Zusammenhang mit der Entwicklung der Pop- und Rockmusik spezifisch. Es bietet sich daher die Frage an, ob der eigenständige Kompetenzerwerb bei Schülern der 1970er-Jahre bereits feststellbar war und somit möglicherweise ein wichtiges Kriterium bei der Entwicklung musikdidaktischer Konzeptionen gewesen sein könnte. Dazu kann allgemein festgehalten werden, dass die Hörerfahrungen Jugendlicher in dieser historischen Phase im Vergleich zu heute weitaus geringer einzuschätzen sind. So war Popmusik nur durch den Kauf von Schallplatten, den Erwerb eines Kassettenrecorders, eines Tonbandgerätes oder durch den Besuch einer Diskothek bzw. eines Konzertes zugänglich. Popmusiksendungen stellten Anfang der 1970er-Jahre noch eine Seltenheit dar und waren auf wenige Formate wie zum Beispiel den Beatclub (Radio Bremen) oder Musik für Junge Leute, Der Club (NDR) beschränkt. Eine weitere Quelle stellten die BBC und Radio Luxemburg dar, die jedoch nicht überall in guter Qualität zu empfangen waren.6 Entsprechend sind Kompetenzen von Schülern auf wenige mögliche Bereiche wie beispielsweise die Entwicklung rhythmischer Fertigkeiten begrenzt. Instrumentale Fertigkeiten bleiben auf wenige Spezialisten beschränkt. Die von den Schülern mitgebrachten Fertigkeiten spielen nach den Darstellungen Volker Schütz’ im Kontext der Beobachtungen eine Rolle, waren jedoch anfänglich noch nicht in weitergehende methodische oder didaktische Überlegungen eingebunden. Das Einbinden von Popmusik in den schulischen Musikunterricht wurde von den Schülern nicht als selbstverständlich
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Die genannten Beispiele gelten lediglich für den norddeutschen Raum der damaligen BRD.
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angesehen und war auch verbunden mit Ängsten des Einblicks in die Privatsphäre. Insofern ging es bei einer neuen musikdidaktischen Ausrichtung zunächst vornehmlich um neue Lernerfahrungen sowohl auf Lehrer- als auch auf Schülerseite. Ein wichtiger Aspekt im Erfassen von Richtungsmaximen stellte der Austausch mit anderen Lehrkräften dar. I: Ihr habt ja damals mit eurem neuen Ansatz oder vielleicht auch zum Teil neuen Versuchen, weil, das war ja doch immer ein bisschen Ausprobieren, nicht? Ja, und um sich da vorzutasten … habt ihr, sagen wir mal, Räume eröffnet, in denen die Schüler dann vielleicht … ja, oder sagen wir so, in denen es vielleicht zunächst auch erst mal darum ging, Popmusik zu ermöglichen für Schüler. Das heißt, es ist ja eigentlich immer noch so eine Vermittlungssituation. Man sucht etwas heraus, man sucht den Kern heraus und sagt, das möchten wir gerne vermitteln. Haben die Schüler selber mit dem, was sie da vielleicht mitbringen konnten, über das man vielleicht noch nicht so viel gewusst hat, sich dann selber da einbringen können? Also, inwieweit seid ihr von bereits erworbenen Kompetenzen schon ausgegangen? Hat das schon eine Rolle gespielt? #00:38:09-0# B: Das glaube ich eher weniger. Also, ich kann nur jetzt wieder berichten von Lehrererfahrungen, die uns da ein Feedback gegeben haben, die gesagt haben, das geht, und die Schüler sind begeistert und steigen ein. Die haben die Hörerfahrung mitgebracht, und die Hörerfahrung war ja auch eine körperliche, ne, und das hat sehr viel geholfen, und sie haben gemerkt, das ist unsere Musik, und wir strengen uns auch an dafür, das zu reproduzieren. Also, ich selbst habe ja in der Schule nur ganz rudimentäre Ansätze versucht, weil die Schüler auch damals gesagt oder gespürt haben, was will denn der Lehrer da? Das ist doch eigentlich eine Musik, die hat nichts mit der Schule zu tun. Die Schule ist ein völlig anderes System. Die Schule bewertet, und wenn die Schule jetzt anfängt auch meinen Alltag zu bewerten, dann wird das ganz schiefgehen, und von daher haben die gar keine Frage gestellt in der Richtung. Absatz 103 - 104
I: Also Hörerfahrung, hast du gesagt, davon konnte man ausgehen, dass sie das mitbringen, rhythmische Erfahrung in Sachen Rhythmus? Also, dass man sagen kann, die konnten vielleicht schon Rhythmen klatschen oder mitspielen, die relativ Offbeat-orientiert waren. #00:40:12-8# B: Also, was ich noch erinnere, das ist auch schon lange her, dann mit meinen siebten Klassen in der (Name der Schule) oder achten Klassen. Da habe ich getanzt, hin und wieder, und habe festgestellt, wie (nachahmend) wunderbar die teilweise tanzen konnten. Die konnten schon, haben von ihren älteren Geschwistern … da war ja auch eine kleine (Name)-Tochter mit in der Klasse. (Nachahmend) Die hat getanzt, (lachend) also, da habe ich nur gedacht, was für eine Bewegung, was für ein Ausdruck, was für eine Körperlichkeit. Die Jungs haben sich ein bisschen schwergetan in dem Alter, aber die Mädchen durchweg, die hatten schon tänzerische Erfahrung, und die haben die wohl sehr schnell aufgenommen und haben gemerkt, sie dürfen das in dem Klassenzusammenhang, Stühle beiseite und haben dann da getanzt. Ich weiß nicht mehr, was der Grund war, aber auf jeden Fall erinnere ich noch, dass die wunderbar tanzen konnten und es auch gern gemacht haben. Also, ob ich mit denen Rhythmen … wahrscheinlich habe ich auch Rhythmen mit denen geklatscht, sicherlich. Ja, das war so ein Anfang, Hörerziehung. Ja, ich habe immer gedacht, ich muss doch mit denen, ich will mit denen etwas machen, was ihnen wirklich musikalische Erfah-
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rung bietet jetzt abseits vom Noten lernen. Also, Noten lernen bietet ja keine musikalischen Erfahrungen, musikbezogene Erfahrung, und, habe dann manchmal so Hördiktate nach Venus gemacht. Ich weiß nicht, ob du Dankmar Venus 7 kennst … der hat da so ein Buch geschrieben, und da waren auch so kleine Übungen, dass man einfach bestimmte Rhythmen spielte und dann mit dem zweiten Takt entweder eine Veränderung oder nicht. Dann mussten die Schüler hinschreiben, verändert = V oder G = gleich, und so habe ich mit denen immer mal am Anfang der Stunde so kleine Hörübungen gemacht: Rhythmus, Tonlängen, Tonhöhen, Intervalle und so was. Das war schon eine erste Berührung mit Musik, die tiefer ging als nur hören. Das fand ich schon sehr wertvoll. #00:42:10-8# I: Also, ich habe ja jetzt … oder mitunter kann man jetzt auch, sagen wir mal, heute in der Schule die Erfahrung machen, dass es Leute gibt, die schon richtig gut singen können zum Beispiel. Also, da gibt es Sängerinnen, die kommen in die Schule, und #00:42:23-7# B: Ist unglaublich, ja. #00:42:24-5# I: die singen unglaublich, aber das war alles noch kein Thema. #00:42:27-6# B: Das gab es nicht, nee. Nee, das gab es überhaupt nicht, Karaoke oder so. #00:42:30-9# I: Für euch also insofern noch gar nicht so ein fester Bestandteil der Konzeption, dass man sagt, ah, wir können das aufnehmen, wir können das aufnehmen, #00:42:37-1# B: Vielleicht hätten die einen Schlager singen können. Aber pf, da habe ich mir gedacht, warum sollen sie denn Schlager reproduzieren, das ist ja … also, wir selbst wussten nicht, was es bedeutet einen Schlager zu spielen. Das ist ja nur ein Schlager, ist minderwertig, auch in meinen Augen. Ich habe das ja später schätzen gelernt, ne? Damals habe ich gedacht, was ist das für eine Musik. (lacht) #00:43:00-8# Absatz 107 - 114
Grundlegende Fragestellungen für die Entwicklung einer neuen Didaktik Die Überlegungen zu neuen popmusikalisch geprägten Konzepten in der Musikdidaktik basieren auf mehreren Fragestellungen und Aspekten. Zum einen sind dies persönliche Erfahrungen in der Popmusik, die den Wert der Musik erkennen lassen, zum anderen fußen die Überlegungen auf einer sowohl kritischen Betrachtung der vorliegenden schülerfremden Didaktiken als auch auf gesellschaftskritischen Maximen, die Musikunterricht als Ausdruck einer bürgerlichen Tradition zur Reproduktion des eigenen Werte- und Normensystems sehen und Popmusik demnach als minderwertig einstufen. Die Problematik in der Vorgehensweise zur Entwicklung neuer Konzeptionen liegt vor allem im Mangel beispielhafter Modelle zur Orientierung begründet. Folglich sind die ersten Versuche, zunächst in Lehrerfortbildungen ausprobiert, auch durch Experimentieren geprägt, welches mitunter begleitet ist durch Unsicherheit aufgrund mangelnder eigener Erfahrung im Umgang mit Popmusik. Dies betrifft sowohl theoretische Grundpositionen als auch methodisches Wissen. Die zunehmend positiven Rückmeldungen durch die Lehrkräfte, welche die Materialien in ihren Klassen ausprobiert haben, schaffen den notwendigen Rückhalt zur weiteren Entwicklung einer Didaktik der populären Musik, gehen jedoch auch einher mit massiver Kritik aus dem zur damaligen Zeit durchweg klassisch geprägten musikpädagogischen Umfeld. Die konzeptionelle Arbeit ist von Anfang an (auch ge-
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Dankmar Venus: Unterweisung im Musikhören (1969).
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zwungenermaßen) durch Experimentierfreudigkeit, Offenheit und Prozesshaftigkeit geprägt und beinhaltet durch eine Orientierung an Schülerkulturen eine mehr oder weniger explizit formulierte Kritik am bestehenden Musikunterricht. B: Gut, das war so meine Schule, und dann auf dem Stand war ich ungefähr, als dann Dieter (Lugert) in mein Leben eintrat und dann Assistent wurde bei Küntzel.8 Vielleicht muss ich noch dazu sagen, ich habe mich vorher befasst … sehr viel mit Neuer Musik. Über das Lehrwerk „Sequenzen“ Ulrich Günter und die Oldenburger Gruppe, da habe ich mitgearbeitet (also nicht direkt für „Sequenzen“, das war schon fast fertig) und habe dann gemerkt, da ist ja einiges Potenzial, um mit Schülern Musik zu machen, da was zu entwickeln. Aber ich habe dann sehr schnell gemerkt, das war nicht die Musik, die die Schüler wirklich motiviert. Das war für sie sehr fremd. Das war mal ein Experiment, aber auf Dauer hat das nicht getragen. Und dann habe ich mich eben sehr befasst mit Adorno, der Ästhetik von Adorno. Ich habe einige Seminare besucht und war ganz erstaunt über die Möglichkeiten tiefer in die Musik einzudringen mithilfe dieser Vorstellungen von Adorno, der ja, und das ist mir jetzt erst so richtig klargeworden, eigentlich ein sehr materieller Denker war. Er hat die Form untersucht, ist aber nicht bei der Formanalyse stehengeblieben, wie das damals üblich war in der Schulmusik, sondern hat gesagt, die Form sagt etwas aus über den Inhalt, über die Beweggründe, über das, was da ausgesagt werden soll. Wir müssen die Form genau untersuchen, um dann zum Beispiel auf soziale Hintergründe zu kommen. Die Zusammenhänge, in der zum Beispiel Beethoven'sche Musik entstanden ist, was die aussagen will an revolutionären Gedanken, an neuen Gedanken. Das war sehr einleuchtend und sehr spannend. Habe mich da sehr reingelesen, sehr reinbegeben. Und aber dann, bevor Dieter kam, hing ich so in der Luft, didaktisch, war ja da schon an der Uni, an der damaligen PH und habe gesagt, was machst du damit, was sollst du damit machen, Didaktik der klassischen Musik neu entwickeln? Ja, habe ich gesagt, das kann es nicht sein und war da ziemlich lustlos in dem Bereich. #00:13:32-0# I: Also, die Idee, jetzt sagen wir mal, die persönlichen Erfahrungen, die positiven persönlichen Erfahrungen mit Popmusik jetzt in der Didaktik einfließen zu lassen, die war noch gar nicht so … #00:13:42-6# B: Nee, die waren noch nicht reif. Das war in der Schule, als Lehrer habe ich das ein oder andere gemacht, habe ich mal mit denen einen Blues gemacht und die singen lassen und dazu gespielt und so. Das war das Einzige, aber es gab ja auch überhaupt keine Modelle oder Anregungen. Es gab so ein paar theoretische Traktate von Hermann Rauhe ziemlich bald, und Ilse Storb hat mal über die Beatles was geschrieben. Aber das schien mir sehr an der Oberfläche, und dann kam eben Dieter, und wir kamen auf die Idee, oder er kam auf die Idee oder hat gesagt, „Mensch, wir haben das Potenzial. Wir sollen Hauptschullehrer ausbilden. Die brauchen etwas ganz anderes. Die brauchen keine Klassik.“ Ja, klar, der hatte ja seine Musikdidaktik schon geschrieben und hat sich da sehr mit Klassik, mit Oper und so weiter auseinandergesetzt. Absatz 30 - 32
I: Oper als soziale Realität oder so ähnlich, hieß das? #00:14:36-5# B: Das war, glaube ich, seine Dissertation – Nee, Grundzüge einer neuen Didaktik, so ähnlich. #00:14:42-6#
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Gottfried Küntzel war zu der Zeit Professor an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg.
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I: Grundriss einer neuen Musikdidaktik. #00:14:44-9# B: Grundriss einer neuen Musikdidaktik. Ja, das wurde ihm sehr (lachend) übel genommen, dass er da so hochtrabend … #00:14:48-3# I: (lacht) #00:14:50-0# B: (lachend) Ja, irgend so einer schreibt uns alten Didaktikern vor. Na ja, jedenfalls waren da sehr gute Ideen drin. Ich konnte das auch gut verstehen, und da waren ja schon Hinweise auf die Musik der Schüler mit drin. Und als dann Dieter kam, hat er gleich gesagt: „Wir machen was. Wir machen was zusammen“, und das Erste war eben eine Lehrerfortbildung gleich über den AfS.9 Ehe wir die Studenten damit befasst haben, haben wir schon überlegt, was können wir nach außen bringen, und dann haben wir ein paar Modelle zusammengesucht und haben … Dieter war ja einer, der schon „House Of The Rising Sun“ auf der Gitarre begleitet hat und „Hang down your Head, Tom Dooley“ usw. Solche Geschichten, das waren ja schöne Lieder. Die hat er schon mit Schülern gemacht. Ich habe das nie gemacht, weil ich kein Gitarrist war. Und dann haben wir begonnen, und diese Auseinandersetzung, die inhaltliche, die Diskussion … Wir haben viel zusammengesessen, Bier getrunken und geredet. Dieter hat das entwickelt, und ich habe dann schnell gemerkt, oh ja, da kann ich ja mit einsteigen. Das ist ja wunderbar. Ich kann ja was beitragen, was Substanzielles, ne? Ich habe Erfahrung: Jazzrock, Improvisation, alle möglichen Arten der Musik. Ich kann über Klassik reden, kann über Neue Musik reden. Da habe ich mich sehr kundig gemacht, Stockhausen und so weiter, und kann von daher einschätzen, was das Neue sein könnte, dem Stellenwert zuweisen in diesem ganzen Pool von anderen Musiken, und das auch sehr selbstbewusst. Dieter hat es ja sehr hemdsärmelig, sehr selbstbewusst vertreten, ohne zu fragen nach dem anderen. Ich meine, ich habe immer gedacht, das andere ist ja auch nicht ganz unwichtig. Das andere hatte auch seine Tradition und seinen Stellenwert, und das sollte schon irgendwie da fruchtbringend, sagen wir, mit eingehen. Ja, und so hat sich das entwickelt. Das war eigentlich dann der Weg, das war so mein Weg. Und mit Dieter ging es rasant nach vorne los nach der ersten … Das habe ich ja schon oft erzählt: Nach der ersten Fortbildung haben dann die Lehrer gefragt, ja, und wo kriegen wir Material her. Das ist ja dann verbraucht, und dann kam die Idee mit der Zeitschrift und (...) ja. #00:17:08-2# I: Das war eigentlich quasi der Auslöser letzten Endes, sagen wir, die positiven Resonanzen auf den Fortbildungen. #00:17:17-2# B: Ja, die positive Resonanz auf die Fortbildungen. Die Lehrer haben einfach gemerkt, dass … und vor allen Dingen waren das Hauptschullehrer. War, glaube ich, ein Gymnasiallehrer dabei. Das waren Hauptschullehrer. Die hatten alles nötig. Die wollten Gitarrenriffs sehen, die wollten Harmoniefolgen sehen. Die wollten am Schlagzeug die ersten Versuche machen. Ich glaube, wir haben da auch schon mal ein Schlagzeug aufgebaut. Wir hatten ja
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AfS steht für den 1953 gegründeten Arbeitskreis für Schulmusik und allgemeine Musikpädagogik e. V. Nach internen Richtungsauseinandersetzungen ging der AfS zum 1.1.2015 zusammen mit dem VdS (Verband Deutscher Schulmusiker e. V.) im neuen BMU e. V. (Bundesverband Musikunterricht) auf. Der AfS führte bis dahin sowohl in seinen Landesverbänden als auch beim regelmäßig veranstalteten Bundeskongress Fortbildungsveranstaltungen durch, die stark praxisorientiert waren und auch eine Plattform boten, um neue Ideen auszuprobieren und untereinander auszutauschen.
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dann auch Instrumentallehrer. Ich weiß nicht, ob [Name des Schlagzeuglehrers] uns schon geholfen hat – irgendjemand von denen. #00:17:45-0# Absatz 33 - 40
B: Ja, ja, und da hatten wir ja schon welche, die uns was zeigen konnten in dem Bereich, und dann haben wir losgelegt. Ich fand das immer ein bisschen … (stöhnt) Ja, ich dachte, du liebe Zeit, wir wissen ja selbst viel zu wenig davon, um jetzt (lachend) hier als … (lacht) #00:18:12-8# I: Also, es war schon so ein bisschen so ein Ausprobieren. Also, man hat irgendwo, sagen wir, positive Erfahrungen gemacht. Es hat vorher so gut wie niemand etwas darüber geschrieben, also musste man sich so langsam bisschen vortasten, um mal zu schauen, funktioniert das? Und ich vermute mal, dass die Lehrer, die zu euch in die Fortbildung gekommen sind, das eben ausprobiert haben #00:18:33-9# B: Die haben das sofort aufgenommen, ja. #00:18:35-1# I: Und haben gute Erfahrungen gemacht. #00:18:36-6# B: Ja, genau. Die haben dann auch gemerkt, man kann auch so was wie eine Gitarren-AG mal anbieten, und man kann mal Schlagzeug mit denen … also, ein Schlagzeug besorgen. Es gab ja keine Instrumente in den Schulen. Es gab Orff-Instrumente, und die haben wir da noch versucht mit zu integrieren, aber haben dann sehr schnell gemerkt, das geht in eine ganz andere Richtung. Das ist mehr diese musische Musik, und da muss man schon gucken, was man da macht. So ein bisschen Calypso oder so was, da passt es vielleicht, oder bei Latin-Sachen passt es ein bisschen rein. #00:19:09-2# I: Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das gerade am Anfang, wo man sich von Altem abgrenzen will, mehr ein Problem war als heute. Heute sagt man, ja, Xylofone gibt es in jedem Popsong. Ist kein Problem, oder eine Triangel. #00:19:20-8# Absatz 46 – 51
Nachdem das Gespräch kurzzeitig auf andere Themen ausgewichen ist, findet ein neuer Bezug auf Grundlagenfragen mit einem weiterführenden Bogen über Popmusik zu (west)afrikanischer Musik als wichtige Grundlage der Entwicklung der Popmusik und ihrer Ästhetik statt. In diesem Kontext findet zunächst ein diskursiver Rückbezug auf die Positionen Adornos statt, mit denen zugunsten einer schülerorientierten Pädagogik letztlich gebrochen wird. Hierzu gehört unter anderem die in der gegenwärtigen Musikpädagogik selbstverständliche Möglichkeit der didaktischen Reduktion, um so die Komplexität von Musik auf Einstiegsmöglichkeiten für Schüler herunterzubrechen. B: Ja, es gab natürlich eine unglaubliche Jugendmusikforschung. Also, in England diese … #00:22:43-4# I: Cultural Studies, die haben sich natürlich schon ein bisschen damit befasst, aber mehr als soziales Phänomen. #00:22:49-6# B: Ja, ja. Als soziales Phänomen, aber das war schon sehr spannend für uns, ne, dann zu sehen, da ist ja eine ganz andere Herangehensweise an die Musik, nötig auch, um die zu verstehen, und erst viel später bin ich darauf gekommen, dass die Musik ja selbst (lachend) auch in sich so viel (lachend) an musikalischen, wie soll man das sagen, Angeboten beinhaltet. Da bin ich erst mal draufgekommen, als ich in Afrika war. Ich habe ja auch nicht von ungefähr afrikanische Musik gesucht. Ich habe nach den Quellen dieser Musik gesucht, und dann bin ich nach Afrika gegangen und habe da erst begonnen etwas zu verste-
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hen von der eigentlichen Motivation für diese Musik. Das war einmal die Körperlichkeit, und dann kann eben noch was anderes dazu, dieses, was dann am Anfang eher zu so Pink Floyd-Gruppen führte, die da mit Drogen gearbeitet haben, in die Trance gegangen sind. In Afrika ging das alles ohne Trance. Da wurde eine Musik gemacht, die einfach konstant kreist, nicht wie unsere, die sich entwickelt zu einem Finale hin, also ganz Klassik, sondern die in sich kreist und von daher immer mehr in die Tiefe gehen kann für den Zuhörer und für den Spieler und nach oben sich entwickeln kann, vertikal, ne. Das war für mich … Das ging mir auf wie ein neues Licht, als die das so formuliert haben, also, Miller Chernoff 10 zum Beispiel das so formuliert hat oder ich das gelesen habe, in „Ästhetik afrikanischer Musik“, dass es darum geht, Tiefe zu entwickeln. #00:24:33-1# I: Intensität auch? #00:24:35-3# B: Intensität und damit den Zuhörer, aber auch den Musiker miteinzubeziehen, sodass man wirklich übertritt zeitweise in eine andere Realität, jetzt ohne Drogen, sondern das ist Alltag. Das gehört dazu. Das entdecke ich jetzt erst wieder über Meditation, und das war in dieser Musik angelegt, und das war im Prinzip auch in der Popmusik ein Stück weit angelegt. Es war nur, sagen wir mal so: Durch die Dominanz der Musikindustrie … ging das ein bisschen verloren, weil, die haben ja gesagt, wir brauchen Dreiminuten-Stücke. Wir brauchen soundso viel für eine LP und so weiter, die ganzen äußeren Vorgaben. Die haben da etwas zerstört oder gestört oder haben das sich nicht entwickeln lassen. Andererseits war es ein Glücksfall, dass die Amerikaner das aufgegriffen haben, denn die hatten die Tradition der schwarzen Musik. Inzwischen denke ich mal, dass es solche wunderbaren Musikformen in allen Ländern Europas gibt. Inzwischen weiß man ein bisschen was von rumänischer Volksmusik oder polnischer usw. Die ist also noch unentdeckt. Fantastische Formen von Musik in der ganzen Welt, überall, und die Amerikaner haben natürlich verstanden daraus ein Geschäft zu machen. Das war so ein bisschen, fand ich, hinderlich auch für unseren Ansatz, denn die Popmusik hat ja sehr schnell einen sehr hohen Standard erreicht, dann auch, was die Aufnahme angeht, was Sound-Technik angeht, und da kannst du in der Schule dann auch schlecht mithalten, zumal die Bedingungen damals noch nicht gegeben waren. Es gab nicht so die kleinen Mischpulte. Das hat sich alles entwickelt. Gab noch keine E-Pianos und so was, ne, und insofern war da durch diese amerikanisch gesteuerte Musik der Musikmarkt … war da so ein neuer Leistungsgedanke reingekommen, der ähnlich war wie der an den Musikhochschulen. Du musst erst ganz gut sein, dann kannst du einsteigen. Dagegen haben sich die Schüler gewehrt und wehren sich bis heute, und das ist umso erstaunlicher. Absatz 66 - 72
10 Bezug auf John Miller Chernoff: African Rhythm and African Sensibility (1979).
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I: Ja, warst du vielleicht auch sehr Adorno-geprägt dann, oder? #00:43:03-2# B: War ich schon, aber auch immer mit einer Skepsis einmal gegenüber seiner Sprache, die ja nun wirklich sehr schwer verständlich war, und ich dachte, muss das sein und dann eben auch gegenüber dem hohen Anspruch, den er transportiert hat, denn er hat sich ja auch nur mit bestimmten Komponisten befasst und hat dabei auch andere Komponisten, die mir sehr wertvoll waren, diffamiert. Also, er hat Grieg zum Beispiel sehr geringgeschätzt oder Tschaikowski oder so was und hat dafür eben sich nur bezogen auf Beethoven, Mahler, dann die neue Wiener Schule, #00:43:38-6# I: Neue. #00:43:38-9# B: Schönberg, Webern und so, und Schönberg, Webern … Schönberg hat natürlich auch hochromantische Stücke geschrieben. Das fand ich dann noch sehr versöhnlich. Aber ab Opus 16 fing es dann an mit „Farben“ usw. Dann haben wir was versucht auch im Austausch mit Kollegen. Mit Fred Ritzel habe ich dann öfter mal drüber gesprochen: (Nachahmend) Was kann man daraus machen? Große Hilflosigkeit! Oder Webern, oder ich weiß noch, Stockhausen, „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“. Ja, das war eine furchtbare Musik von der Ästhetik der Schüler her gesehen oder auch meiner, aber sie hat angeregt darüber zu reden und zu schimpfen. Warum denn nicht dazu mal sagen, ich finde das „scheiße“? Was der da macht, das ist ja unmöglich. Das ist doch keine Musik mehr. Dann kommt man darauf zu fragen, was ist eigentlich Musik, wer behauptet denn, das sei Musik und das sei keine. Wer setzt denn die Normen? Und da wurden wir dann auch wach, oder ich auch und habe gesagt, na ja, wenn das so ist, dass eigentlich alles Musik sein kann, dann können wir doch auch unsere Popmusik machen, oder wir können einen Rhythmus rausnehmen aus einem Popstück und können daraus was machen in der Schule, oder einen Refrain rausnehmen und so weiter. Das war für mich dann auch eine Rechtfertigung. #00:45:02-6# Absatz 115 - 118
I: Ja, ich fand das schon sehr interessant, wie du berichtet hast über die Entwicklung. Also, dieses sich Gar-nicht-so-sicher-sein, so nicht gleich den großen Masterplan im Kopf haben, sagen, so machen wir das, das ist klar, und das ist gesellschaftlich auch notwendig, und das muss so sein und dies und das, sondern einfach aus einer Erfahrung und einem Gefühl heraus zu sagen, weil, es muss eigentlich was passieren, und dann weiß man vielleicht noch nicht so hundertprozentig, was das sein könnte und fängt mal an mit Dingen, von denen man meint, das wird schon richtig so sein. #01:07:43-9# B: Also, vielleicht kann man noch sagen, es ist vielleicht in mir auch so was angelegt wie die Unterstützung derjenigen, die mir als hilfsbedürftig erscheinen. Wenn eine Klasse vor mir sitzt, hast du ja sehr schnell raus, wer sehr selbstbewusst, sehr stark ist und so, deine Alphatiere kennst du ganz schnell, und dann gibt es so Stille, oder es gibt wirklich welche, die sich sehr schwertun mit dem Lehrstoff usw. Und mein Herz hat immer geschlagen für die Stillen und für die Schwachen. Die anderen sind ihren Weg gegangen durch das System Schule, und das war schon immer für mich ein Punkt zu gucken, was geschieht. Die Schüler mit ihrer Popmusik waren in dem Fall in der klassischen Schule eher die Verlierer. Die wurden nicht anerkannt, und das schon allein war für mich auch ein Grund zu gucken, ja, Moment, die haben doch auch ihr Recht. (...) Weil ich das so auch durchlebt habe. Wir haben ja irgendein … also, ich habe das jetzt schon berichtet. Aber es kam dann noch dazu,
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dass man plötzlich AFN 11 gehört hat. AFN hat damals in den Fünfzigerjahren begonnen in der Mittagszeit eine Stunde oder zwei Stunden die neuesten Hits der amerikanischen Swing-Musik oder was auch immer zu spielen. Wir waren total begeistert. Wir haben jeden Tag AFN gehört. Also, mit so kleinen Lautsprechern musst dir vorstellen, ne, und waren … Also, was ist das, was einen da fasziniert hat? Absatz 203 - 204
I: Ja. Magie. #01:09:17-2# B: Ja, und genauso #01:09:18-6# I: (lacht) #01:09:18-6# B: Musik hat eine Magie, und deswegen dachte ich, wenn die Schüler das mögen, dann hat das für sie eine Magie, und das muss ich ernstnehmen, und Dieter hat das auch ganz ernstgenommen. #01:09:27-2# Absatz 205 - 208
Mögliche Perspektiven für die Musikpädagogik Zur Frage möglicher Entwicklungsperspektiven in der Musikpädagogik geht es vornehmlich um zwei inhaltliche Schwerpunkte. Zum einen steht im Kontext der vorliegenden Arbeit der Aspekt im Mittelpunkt, inwieweit selbsterworbene musikalische Kompetenzen der Schüler bei der Entwicklung der Didaktik der populären Musik eine Rolle gespielt haben, zum anderen um die Frage möglicher Perspektiven weiterführender Konzepte auf der Grundlage der Erfahrungen der letzten 30 Jahre. Die Einbindung der selbsterworbenen musikalischen Kompetenzen hat insbesondere in der Entwicklungsphase der theoretischen Position kaum eine Rolle gespielt. Hierzu waren die sich auch im praktischen Umgang mit Popmusik entwickelnden Erkenntnisse der Miteinbeziehung von Schülern zu wenig ausgereift. Zudem war es zunächst von vorrangigem Interesse, zu gesicherten Erkenntnissen zu gelangen, da auch kaum auf andere Studien oder Forschungsergebnisse zugegriffen werden konnte. Insofern ging es auch in der Didaktik der populären Musik vornehmlich um Vermittlung von unterrichtlichen Inhalten, allerdings mit neuen popmusikalischen Themen und zum Teil mit aus den experimentellen Anfangsphasen heraus entwickelten methodischen Ideen, die Aspekte wie rhythmische Übungen mittels Body- und Mouthpercussion oder die Berücksichtigung von Hörerfahrungen und Körperlichkeit integrieren. Die Vorstellungen für zukünftige mögliche Entwicklungen von musikpädagogischen Modellen und Konzepten bleiben nach Volker Schütz relativ offen. Zwar verweist er auf die durch Heterogenität geprägten Möglichkeiten, die sich aus dem Umgang mit Popmusik ergeben, jedoch bietet der wöchentliche Musikunterricht mit einer Stunde und der obligatorischen Benotung nicht den adäquaten Raum für eine sinnvolle und qualitativ ansprechende Entwicklung eines popmusikalisch geprägten Unterrichts. Darüber hinaus bleibt offen, ob ein zukünftiger Musikunterricht überhaupt popmusikalisch orientiert sein sollte oder müsste. B: Weißt du, das hat mich auch bewegt [Schüleraktivitäten, der Verf.], als ich dann gesagt habe, ich ziehe mich aus der Musikpädagogik zurück, weil ich nicht der Meinung bin, dass
11 Radiosender für in Europa stationierte GIs – „American Forces Network“.
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schon alles gesagt ist. Weil ich der Meinung bin, diejenigen, die nachkommen, müssen das Recht haben das Rad nochmal neu zu erfinden, auf ihre Weise, mit ihrer Erfahrung, zu sagen: Das habe ich jetzt entdeckt. Und das ist dann ihres. Und wenn ich dann sage, ja, das haben wir damals auch entdeckt, das spielt überhaupt keine Rolle. Sie müssen selbst eine Erfahrung gemacht haben, also, wirklich eine intensive Erfahrung und daraus dann vielleicht was ableiten, eine Erkenntnis ableiten. Warum sollen die nicht das für sich neu entwickeln dürfen oder neu erfinden dürfen, auch wenn es ein alter Hut ist? Das ist ihr Recht, und da müssen wir Alten aufpassen, dass wir nicht sagen … #01:00:09-2# Absatz 163 - 168
I: Das wäre möglicherweise die große Herausforderung für Musikunterricht in der Zukunft. Also, Unterricht so zu konzipieren, dass Schüler in diese Räume hineingehen können, also, als Grundprinzip, nicht als Methodenteilbereich, sondern als Grundprinzip, dass man sagt, ich kann euch eigentlich nichts sagen, ich kann euch nur helfen, wenn ihr nicht weiterkommt, oder wenn ihr Fragen habt, aber egal welche Musik, also auch nicht nur Popmusik, sondern alles, was ist, ihr geht da rein, und ich gebe euch was an die Hand. Ist die Frage, ob für die Zukunft, weil das ja ein freiwilliger Bereich ist, da Musikunterricht noch gut eine Chance hätte. #01:01:14-9# B: Ich glaube, ja. Nicht in der Form, dass er benotet wird, und dass er zum Schulfach degradiert wird und einstündig in der Woche und so was. Das ist alles hinderlich. Das ist ganz furchtbar. #01:01:27-3# I: Das ist auch überholt würde ich sagen. Das hat keine Chance. #01:01:30-0# B: Nee, und deswegen denke ich mal, guck mal, es werden da nicht alle Musik machen wollen, müssen doch auch nicht, #01:01:38-5# I: Müssen gar nicht. #01:01:39-1# B: aber die, die es machen, machen es mit einer Intensität, dass das wieder eine Ausstrahlung hat auf die gesamte Schule, auf die Schülerschaft und wieder dann Bedürfnisse weckt oder Resonanz, Resonanzen weckt in den anderen Schülern, und so wird sich da was entwickeln. Aber du musst denen die Freiheit geben ihr Eigenes zu machen, wodurch sie sich selbst wiedererkennen, was ein Teil von ihnen ist. Also, das ist schon eine Möglichkeit. Ich denke mal, meinst du, die machen freiwillig weiter Mathematik oder Latein, oder welches #01:02:15-7# 173 - 178
B: Ich kann es ganz schwer einschätzen. Ich kann es schwer einschätzen, weil ich denen, die jetzt nachwachsen, auch immer das Recht zugestehe, selbst damit umzugehen auf ihrer Reise, wie auch immer, es auch wieder zu verwerfen. Alle, die nachwachsen, wollen was Neues entwickeln. Das ist ihr gutes Recht, und wenn du was entwickelt hast, bist du stolz darauf, und das ist dein Kind, und du trittst dafür ein und weißt, warum du es machst, weil du es reflektiert hast und so. Und insofern sehe ich das als gutes Recht, ausgetretene Pfade immer wieder zu verlassen und auch etwas mal wieder zurückzudrehen, ein Rad, um wieder was Neues dabei zu entdecken. Insofern habe ich überhaupt keine Bedenken. Dieter hat so Angst um die alten Formen, und manchmal äußert sich das so: „Wir müssen da was tun, der gute AFS geht unter.“ Es entsteht etwas Neues. Die Menschen, die da jetzt mit drin sind, die haben ihre eigenen Ideen. Die werden die auch durchsetzen, wenn sie sich zusammentun – bitte. Also, ich bin auch nicht in der Lage das zu bewerten, habe auch nicht versucht jetzt zu gucken, was geschieht denn da noch. Also, ich weiß, dass du das auf deine
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Weise wunderbar machst in der Zeitschrift, dass das weitergetragen wird von Menschen auch wie Kurt Rohrbach oder hier im Verlag. Aber diejenigen, die da jetzt weitermachen, brauchen vielleicht wie Dieter und ich dieses Erlebnis, was in Gang gesetzt zu haben. Das ist das Schönste, was passieren kann. Das ist ein Glückserlebnis, und das muss jeder sich … (lachend) Ja, oder sucht eigentlich jeder, und ich gestehe das jedem zu, und wenn er dabei das Ganze, was war, verwirft und sagt, ich mache was Neues und dann beim Punkt null wieder ansetzt, den wir damals als Punkt null bezeichnet hätten, warum nicht. Also, so sehe ich das im Augenblick. Es ist immer wieder eine ganz persönliche Entwicklung, die da stattfindet, und alles, was wir verordnen, kommt nicht aus demjenigen heraus. Und ich erfahre immer mehr in den Bereichen, in denen ich mich jetzt bewege, dass wir eigentlich alles in uns tragen, alle Weisheit, alles Wissen, was für unser Leben relevant ist. Es wurde nur oft unterdrückt, und wenn wir den Mut haben das auszusprechen, was unser Herz fühlt, entsteht da was Gutes für uns und für das Ganze. #01:17:03-2# Absatz 226
5.3 ZEITZEUGENBEFRAGUNG DR. WULF DIETER LUGERT Aus dem Interview mit Volker Schütz gehen einige Aspekte hervor, die sich sowohl auf die Methode in der Auseinandersetzung mit Popmusik als Oral Tradition (im Unterschied zu klassischer Musik) beziehen als auch auf mögliche Konsequenzen für eine zukünftige Organisation von Musikunterricht. Da der Verfasser diese Punkte als zentral im Sinne der Fragestellung in Bezug auf eine perspektivische Entwicklung von Musikunterricht betrachtet, wurde Wulf Dieter Lugert 12 als zweitem Mitbegründer der Didaktik der populären Musik hierzu ebenso befragt. Aufgrund der räumlichen Entfernung wurde die Befragung schriftlich durchgeführt. Im Prinzip ist beides gleich und zielt darauf ab, ein bestimmtes Musikstück spielen oder singen zu können. Dabei geht es sowohl bei Klassik als auch bei Pop nicht nur um Reproduktion, sondern auch um Interpretation.13 Man denke dabei bei Pop z. B. an manche Coverversionen, die erfolgreicher wurden als das Original. In der Tat bestand und besteht die Problematik bisheriger popmusikalischer Unterrichtskonzepte darin, dass sie sich der Methoden der „Literate Culture“, also der schriftlichen Vermittlung bedienen. Methoden, die den authentischen Lernprozess der Oral Culture im Unterricht nachbilden, müssen weitgehend erst noch erprobt werden und geraten dann aber
12 Wulf Dieter Lugert hat zusammen mit Volker Schütz die Grundkonzeption der Didaktik der populären Musik entwickelt und ist als Hochschuldozent an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg (seit 1989 Universität) im Fach Musik ab 1978 tätig gewesen. 13 Die Auffassung der im Vergleich mit Popmusik vergleichbaren Bedeutung der Kategorie „Interpretation“ stellt innerhalb der Forschung eine singuläre Auffassung dar und wird auch vom Verfasser nicht geteilt. Danach liegt der Schwerpunkt in der klassischen Musik auf der Reproduktion. Nur extrem wenige Solokünstler (vgl. Nigel Kennedys „Die vier Jahreszeiten“ von 1989) weichen aufgrund ihrer künstlerischen Ausnahmeposition vom Prinzip der Reproduktion ab.
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zwangsläufig noch mehr als traditionelle in ethischen und ästhetischen Widerspruch zu dem gegenwärtigen Bildungssystem. Insgesamt gilt aber für jede Musik, dass sich ein dem Wesen der Musik gerecht werdender Unterricht nicht unter den Bedingungen schulischer Repression durchführen lässt. Dies wird nur im Popbereich insofern wesentlich deutlicher, weil sich „benotbare“ Lernziele vergleichbar mit den meist unsinnigen traditionellen gar nicht formulieren, geschweige denn überprüfen lassen. Ohne eine Abschaffung der Leistungsorientierung kann es letztlich keinen erfolgreichen Musikunterricht im Sinne dessen geben, was Musik qualitativ für den Menschen bedeuten kann. Und dieses Ziel ist sowieso nur dadurch erreichbar, dass man aktive Erfahrungen mit musikalischem Tun gleich welcher Art ermöglicht.
5.4 ZWISCHENFAZIT IM KONTEXT DER EINLEITENDEN FRAGESTELLUNGEN Ergänzend zur Betrachtung der zum Interview weiter oben angeführten Teilaspekte soll an dieser Stelle ein Rückbezug auf die im Abschnitt 5.2.1 aufgeworfenen übergeordneten Fragestellungen bzw. Schlussfolgerungen stattfinden, um eine mögliche Übereinstimmung mit den Erkenntnissen aus den zuvor durchgeführten Teilstudien mit Profi-Musikern und Schülern zu überprüfen. Diese sind aufgrund thematischer Überschneidungen zum Teil bereits in den oben aufgeführten Kommentaren (s. Transkriptionen im Anhang) zu den einzelnen Interviewpassagen im Codierungs-Kontext aufgegriffen und können an dieser Stelle zusammenfassend behandelt werden. Daraus geht allgemein hervor, dass das Interview mit Volker Schütz den generationsspezifischen Charakter sowohl die Annäherung als auch den Umgang mit Popmusik betreffend herausstellt. So können die Aspekte des selbstgewählten Umgangs mit Popmusik sowohl hinsichtlich der Auswahl, der Aneignungsstrategien und der vorhandenen Kompetenzen bei Schülern grundsätzlich in Übereinstimmung zwischen allen drei Probanden-Gruppen gebracht werden, jedoch sind diese spezifisch und durch die historische Phase und die besonderen Rahmenbedingungen der musikalischen Sozialisation geprägt. So ist im Beispiel Volker Schütz der musikalische Werdegang im Kindes- und Jugendalter stark geprägt durch klassische Musik, während Popmusik erst im späten Jugendalter ab ca. 17–18 Jahren eine bedeutende Rolle sowohl in der Wahrnehmung als auch hinsichtlich der musikalischen Praxis gespielt hat. Hier musste im Vergleich zu den jüngeren Generationen, deren Sozialisation seit früher Kindheit durch Popmusik beeinflusst und in diesem Sinne selbstverständlich ist, zunächst ein Umlernprozess stattfinden, der mit einer zunehmenden Wertschätzung von Popmusik einhergeht. In Bezug auf bereits entwickelte musikbezogene Kompetenzen bei Schülern kann laut der Interviewtexte festgehalten werden, dass diese in den frühen 1970er-Jahren in Bereichen wie Hörerfahrung und motorischer Fertigkeiten bereits feststellbar waren. Letzteres wird hier ausschließlich auf Mädchen bezogen. Qualitative Aussagen lassen sich hierzu jedoch nicht treffen und können lediglich durch Analyse der Rahmenbedingungen eingeschätzt werden.
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Fazit – musikdidaktische Überlegungen und Perspektiven
Als die Idee zum vorliegenden Forschungsprojekt entstand und die ersten Schwerpunkte in der Konzeption der Vorgehensweise Kontur annahmen, führte dies zu der überraschenden Erkenntnis, dass die in der fachwissenschaftlichen Literatur vorliegenden Forschungsprojekte zu Bereichen des selbstgesteuerten und somit informellen Lernens in Feldern der populären Musik hinsichtlich der Quantität im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern kaum erwähnenswert sind. Dabei ist die Bedeutung des informellen Lernens in Bezug auf Unterricht allgemein spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch John Dewey bekannt. 1 Die Erkenntnis, dass selbstgesteuerte Lernprozesse in der Aneignung populärer Musik das eigentliche Lernprinzip darstellen, ist ebenso selbstverständlich und erscheint geradezu trivial und daher kaum von besonderer Bedeutung. Dass sich diese in Bezug auf populäre Musik gegenstandsadäquate Lernweise bisher kaum in schulischen Lernprozessen erkennen lässt, lässt die Vermutung zu, dass ein Festhalten an Objekt-Subjekt-Beziehungen mit einer aus systemtheoretischer Perspektive überholten Wenn-Dann-Pädagogik nach wie vor die Vorstellungen von schulischen Lernprozessen dominiert. An dieser Stelle wird der Versuch unternommen, die zentralen Ergebnisse der einzelnen Forschungskapitel übergreifend diskursiv zu betrachten. Dies bezieht sich sowohl auf zuvor geplante Aspekte als auch auf solche, die sich im Laufe des Forschungsprozesses entwickelt haben. Weiterhin werden Perspektiven für eine Weiterentwicklung didaktischer Überlegungen erörtert, die sich auf die unterrichtliche Auseinandersetzung mit Popmusik beziehen. Abschließend werden auch solche die Popmusik betreffenden Aspekte reflektiert, die im Laufe des Forschungsprojektes zum Teil beiläufig, auch in informellen Gesprächen mit den Beteiligten, aufgeworfen wurden und Artefakte im Sinne nicht geplanter Nebenprodukte mit einem nicht klaren Ergebnis darstellen und für anschließende Forschungen denkbar wären. 2 Die Grundkonzeption des Forschungsprojektes mit drei Hauptkapiteln („Zur Problematik einer Begriffsfindung in Musiken des ‚Populären’ – Popmusik“, „Außerschulisch erworbene musikalische Kompetenzen bei Schülern der Sekundarstufen“,
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Vgl. Mattenklott (2017), S. 49f. Da hier nicht alle aus den einzelnen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse, Aussagen und entwickelten Hypothesen erneut aufgegriffen werden, sei hier verwiesen auf die entsprechend zugeordneten Zwischenfazits.
386 | Popmusik aneignen
„Musikpädagogik und selbsterworbene Kompetenzen“) wurde aufgrund der thematischen Beziehung und inhaltlichen Verflechtung angelegt. Die Auseinandersetzung mit den genannten drei Schwerpunkten basiert gleichzeitig auf Interviews (Gruppeninterview, Einzelinterviews, Einzelinterview) mit drei verschiedenen Musikergenerationen. Hieraus ergeben sich bezüglich der Planung auch Aspekte, die generationsübergreifende Betrachtungen zulassen, was einige Grundaussagen des Verhältnisses der Agierenden zu Popmusik und der damit verbundenen Sichtweisen hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit erhärtet. Die thematische Dreiteilung des Forschungsprojektes kann abschließend als begründet betrachtet werden. Die ausdifferenzierten und individuell selbstgesteuerten Lernprozesse lassen den zuvor hypothetisch angenommenen Zusammenhang zwischen Lernstrategien und dem Gegenstand Popmusik deutlich erkennen. Sowohl Lernprozesse als auch der Gegenstand Popmusik stehen somit in einem reziproken Verhältnis zueinander und stellen spezifische Komponenten dar, die einander bedingen und sich so von Lernprozessen in anderen Musiken unterscheiden.3 Dies wiederum erfordert musikdidaktische Überlegungen insbesondere bezüglich der Methode in der unterrichtlichen Thematisierung von Popmusik. Generationsübergreifende Aspekte und Ergebnisse Die drei in den jeweiligen Kapiteln interviewten Gruppen bzw. Einzelpersonen lassen sich folgenden Altersstufen zuordnen: Schüler (Hauptstudie) – 12–21 Jahre/Popmusiker (Popmusik) – Mitte 40/Didaktiker (Mitte 70). Zwischen den verschiedenen Gruppen liegen jeweils ungefähr 30 Jahre. Somit können identische Aussagen oder Sachverhalte, die auf alle Gruppen zutreffen, als allgemeingültige Aspekte eingestuft werden, die signifikant für die Auseinandersetzung mit Popmusik sind oder zumindest begründet als solche erscheinen. Die im Folgenden aufgelisteten gemeinsamen und generationsübergreifenden Punkte sind auch insofern von besonderer Bedeutung, als diese nicht immer einer zuvor aufgeworfenen Fragestellung des Interviewleitfadens folgen, sondern teils unabhängig voneinander von den Interviewten selbst im Verlauf eines inhaltlich sich im Sinne von Antwortsequenzen entwickelnden Gesprächs angesprochen werden. Die sich hieraus ergebenden Themenfelder sind als allgemeine Kategorien des selbst wahrgenommenen Verhältnisses Subjekt – Lernfeld Popmusik auch insofern von besonderer Bedeutung, als die Interviewleitfäden nicht identisch sind. Als generationsübergreifende Momente der Popmusiksozialisation können folglich folgende Punkte konstatiert werden:
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Die Forschungsansätze Lucy Greens zur Implementierung informeller Lernprozesse in die unterrichtliche Auseinandersetzung mit klassischer Musik werden vom Verfasser skeptisch gesehen und stellen aus Sicht des Verfassers eher ein Experiment dar. Eine verbreitete Anwendung in der Vermittlung klassischer Musik ist derzeit nicht zu erkennen und auch in Zukunft nicht zu erwarten und wäre darüber hinaus nicht musikimmanent.
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Frühe Begegnung mit Musik (Kindheit)4 Starker Einfluss des Familienkreises (Familie und Verwandte) Starke intrinsische Motivation Bedeutsamkeit von Gefühlen im Kontext Musik Selbstorganisation zum Erlernen von Popmusik Entwicklung individueller und selbstgesteuerter Strategien zum Erlernen von Popmusik • Strategienmix in der selbstgesteuerten Aneignung von Musik • Stilistische Vielfalt • Entwicklung ästhetischer Kompetenzen • • • • • •
Mit einer einzigen Ausnahme sind alle Befragten früh mit Musik in Kontakt gekommen. Lediglich der Befragte Em beginnt erst im Alter von ca. elf Jahren (vgl. Abschnitt Initiierung auf S. 187ff), sich mit Musik zu befassen, was auf den Einfluss der Schule zurückzuführen ist und den im Unterricht entwickelten Spaß am praktischen Musizieren. Da die hier angestellte Untersuchung keine soziologischen Aspekte berücksichtigt, kann hinsichtlich der musikalischen Sozialisation nur vermutet werden, dass milieuspezifische Gründe ausschlaggebend für die späte musikalische Initiierung Ems sind. Allen anderen ist eine frühe musikalische Sozialisation während der Kindheit gemein und mit konkreten Erinnerungen wie gemeinsamem Singen mit der Mutter, Bewunderung der Musikinstrumente des Vaters, Hören von Bach am Sonntagvormittag, um nur wenige Beispiele zu nennen, verbunden. Hier spielen auch Rituale innerhalb der Familie eine wichtige Rolle und können später als ästhetische Erinnerungen abgerufen werden, die so die Konstruktion des eigenen Familienbildes mitprägen. Das Verhältnis der Familie oder des engeren Familienkreises zur Musik und ein damit positiv verbundener Umgang sind danach als Hauptindikatoren für eine frühe musikalische Initiierung und eine nachhaltige aktive Auseinandersetzung mit Musik auszumachen. Der Gegenstand Musik ist in frühen Phasen hinsichtlich bestimmter Stile oder Genres noch nicht spezifiziert, entscheidend ist zunächst generell die positive Konnotation. Hinsichtlich der Musiken sind alle möglichen Arten feststellbar mit z. B. Arbeiterliedern, Volksliedern, klassischer Musik und populärer Musik, wobei es hinsichtlich des letztgenannten Stils generationsspezifische Unterschiede insofern gibt, als populäre Musik in den 1950er-Jahren und in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten aufgrund einer noch geringen medialen Präsenz als Einflussfaktor innerhalb des familiären Umfelds kaum infrage kommen konnte (vgl. hierzu Abschnitt 5.4). So verweist der Gesprächspartner Volker Schütz im Interview entsprechend auf seine Begegnung mit der Musik der Beatles außerhalb der Familie, als er bereits 23 Jahre alt war. Aus den Texten der Gesprächspartner geht übereinstimmend hervor, dass die Auseinandersetzung mit populärer Musik vorwiegend durch intrinsische Motivation
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Die Begrifflichkeiten sind hier im Sinne einer idealtypischen Darstellung bewusst allgemein gehalten. Die genannten Aspekte können dennoch als übereinstimmende Kategorien festgehalten werden, auch wenn altersbedingte oder milieuspezifische Differenzierungen und Abweichungen festzustellen bzw. anzunehmen sind.
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geprägt ist, die vom Verfasser als eine an der Sache selbst interessierte Motivation verstanden wird.5 Hierbei geht es weniger um Aspekte wie Außendarstellung, Selbstverwirklichung etc., sondern um Herausforderungen zur Bewältigung selbstgestellter Aufgaben. Die Motivation ist danach musikimmanent, was zudem – in Übereinstimmung mit Hemming – mit einer starken emotionalen Bindung an Musik und dem Berührtsein durch bestimmte Musikstücke oder Momenten daraus einhergeht. „Musik wird als Auslöser emotionaler Erlebnisse oder von Ereignissen hoher Intensität erfahren. Dadurch, dass Gefallen an einem bestimmten Stück gefunden wird, entsteht der Wunsch, dieses spielen zu können, was zu intensivem Üben und teilweise zu den berüchtigten ‚blutigen Fingern’ führt.“6 Hier liegt der wesentliche Schlüssel zur Auseinandersetzung mit populärer Musik im Allgemeinen und mit Popmusik im Speziellen als Unterscheidungsmerkmal zu auf Reproduktion abzielendem Spielen klassischer Musik.7 Herausragende Merkmale sind die emotionale Bindung und die sich ergebenden individuellen ästhetischen Räume der Umsetzung, die zwar ebenso auf Reproduktion abzielen können, jedoch alle denkbaren Optionen einer eigenen kreativen Lösung offenhalten. Hierzu gehört auch, dass es nicht immer notwendig ist, ein Stück als Ganzes zu spielen. Oft reicht ein attraktiv erscheinender Ausschnitt wie beispielsweise ein kurzes Gitarrenriff aus, um dem Wunsch der musikalischen Umsetzung im Sinne einer ästhetischen Annäherung zu genügen.8 Ein weiteres zentrales Moment, welches zum Erfolg des auf intrinsischer Motivation basierenden Vorgehens führt, ist die Möglichkeit des selbstgesteuerten Lernens. Selbstorganisiertes Lernen erscheint danach als Bedingung für individuell bestimmte Zielvorgaben, da formal gesteuerte Lernprozesse nicht mit eigenen, auch durch Emotionen geprägten, Vorlieben und Spielwünschen übereinstimmen können und diesbezüglich eher zufällig wären. Die zum Zwecke der spielerischen oder gesanglichen Umsetzung der selbstgesetzten Ziele genutzten Mittel werden den eigenen Wünschen und Fähigkeiten angepasst. So werden neben dem Prinzip des Trial-and-Error ebenso alle legitim und nützlich erscheinenden Hilfsmittel herangezogen, die durchaus auch formale Vermittlungsprozesse mit einbeziehen können. Es liegt jedoch in der Logik der historisch bedingten Entwicklung der technischen Möglichkeiten, dass die Probanden der jüngeren Schülergeneration auf wesentlich mehr Optionen zurückgreifen können als dies beim ältesten Befragten, Volker Schütz, überhaupt möglich war. Außer der Möglichkeit des Heraushörens konnte dieser lediglich auf Notenmaterial zurückgreifen, welches Ende der 1950er- und 1960er-Jahre zudem kaum in authenti-
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Vgl. Hemming (2009), S. 67. Ebd. (2009), S. 69. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass das auf Reproduktion ausgerichtete Spielen klassischer Musik nicht zwangsläufig als musikimmanent angesehen werden muss, sondern vielmehr auf die Tradierung zurückzuführen ist. So bleibt es unverständlich, warum das Element der Improvisation als wichtiges Element klassischer Musik so gut wie nicht tradiert wird. Nach Auffassung des Verfassers sind allgemein gehaltene Fragestellungen nach den Anreizen des Übens und Musizierens z. B. unter behavioristischen Herangehensweisen mit Kategorien wie Leistung, Macht oder Anschluss insofern problematisch, als sie den Inhalt, der den eigentlichen Anreiz bildet, völlig ausblenden. Inhalt als Anreiz ist denkbar sowohl für das Üben klassischer Musik als auch von Popmusik. (Vgl. hierzu Roth, 2013, S. 119.)
Fazit – musikdidaktische Überlegungen und Perspektiven | 389
scher Weise vorlag. Allen Generationen gemeinsam ist trotz unterschiedlicher Angebotsbreite die Entwicklung eines Strategienmixes, der neben den Möglichkeiten des autodidaktischen Lernens auch solche des begleiteten Lernens miteinbezieht. Der Übergang zwischen ausschließlich selbstgesteuertem Lernen und begleitetem Lernen ist demnach fließend.9 Der Verfasser geht davon aus, dass das Nebeneinander von selbstgesteuertem und begleitetem Lernen sowohl milieuspezifisch innerhalb historischer Räume ist als auch besondere kulturelle Züge aufweist. So befinden sich Kinder bürgerlicher Herkunft innerhalb der Bundesrepublik Deutschland der 1970er- und 2010er-Jahre in einer grundsätzlich anderen Lern-Ausgangssituation als die angehenden Blues- und Rockmusiker der frühen 1960er-Jahre in England. Zudem gehört Popmusik mittlerweile zum Standard in Vermittlungsinstitutionen wie Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen. Das freiwillige Miteinbeziehen auch solcher Angebote, die bei Schülern eher unbeliebt sind, wie z. B. schulischer Unterricht, durch die Schüler selbst spricht für den hohen Grad an intrinsischer Motivation, da auch solche Optionen genutzt werden, die hinsichtlich der Methodik oder Inhalte untypisch für Popmusik und darüber hinaus unbeliebt sind oder zumindest ‚uncool’ wirken. 10 Die Studie hat bezüglich bevorzugter Stile und Genres auch gezeigt, dass trotz Vorlieben der Probanden für bestimmte Genres oder Musikstücke eine relative Offenheit gegenüber vielen Musiken zum Zeitpunkt der Befragung besteht. Es kann zum einen vermutet werden, dass ein vertiefter Auseinandersetzungsprozess mit Musik allgemein zu mehr Wertschätzung anderer Musiken führt, was sich möglicherweise aus den eigenen erworbenen Hör- und Spielkompetenzen erklärt, zum anderen erfordert der Wunsch nach mehr musikalischer Kompetenz ganz allgemein eine breite Auseinandersetzung mit Musik und ist somit aus der Sache selbst erklärbar. Zumindest ist bei der jüngeren Probandengeneration ohnehin eine grundsätzliche Offenheit gegenüber vielen Stilen oder Genres feststellbar. Eine Festlegung auf ein oder wenige Genres als identitätsstiftendes Merkmal ist hier nicht deutlich erkennbar bzw. tritt nicht in besonderem Maße hervor. Die Vielfalt der Präferenzen schließt auch klassische Musik mit ein, wobei jedoch angenommen werden kann, dass bei den jüngeren Probanden auch Probleme in der Begriffssicherheit gegeben sind, da mit klassischer Musik vornehmlich eine Soundvorstellung verbunden ist, was aus einigen genannten Beispielen hervorgeht. Dennoch ist auch bei den jüngeren Probanden anzunehmen, dass es keine grundsätzliche Ablehnung klassischer Musik gibt. Die älteren Probanden verweisen dagegen mehrheitlich auf klassische Musik als Teil ihrer familiären Sozialisation. Auch hier spielen Milieuaspekte selbstverständlich hinsichtlich der graduell unterschiedlichen Bedeutung innerhalb der Familien eine Rolle. Die intrinsische Motivation zur intensiven Auseinandersetzung mit Popmusik wirkt sich danach (wenn nicht bereits von vorneherein vorhanden) mit fortschreitendem Prozess auch auf ein allgemeines Interesse an Musik aus.11 Popmusik eignet sich aufgrund der musikspezifischen Möglichkeiten der selbstgesteuerten Aneignung in besonderem Maße für die individuell gestaltete ästhetische Kompetenzentwicklung,
9 Vgl. Candy (1991) und Hemming (2009), S. 65. 10 Vgl. Green (2002), S. 159. 11 Individuelle Unterschiede hinsichtlich der tatsächlichen Ausprägung gelten selbstverständlich auch hier.
390 | Popmusik aneignen
sie kann darüber hinaus je nach Interessenlage aber auch Schlüssel zu weiteren Musiken sein, auch wenn diese andere typische Elemente der Aneignung (formal) und Zielsetzung (z. B. Reproduktion anstatt Produktion) aufweisen. Das durch die Auseinandersetzung mit Popmusik breit angelegte Interesse an Musik führt insbesondere durch die praktische Auseinandersetzung und die damit einhergehenden Erfahrungen zu einer fortschreitenden Entwicklung ästhetischer Kompetenzen, die durch den individuellen Erlebnisbezug geprägt sind, der nicht durch Dritte vermittelbar ist. Die nach Auffassung des Verfassers bestehende Unmöglichkeit der Vermittelbarkeit einer (vor-)bestimmten ästhetischen Haltung stellt im Grunde kein spezifisches Moment von Popmusik dar, sondern gilt allgemein für Musik.12 Für Popmusik gilt dies aufgrund des musikimmanenten Prinzips der Selbstaneignung jedoch in besonderem Maße, da die durch Individualität geprägte Herangehensweise eine entscheidende Kategorie von Bedeutungskonstruktionen darstellt, was bezüglich des Selbstverständnisses der Sichtweise auf Musik in einem deutlichen Widerspruch zur Vermittlung in klassischen Traditionen steht, wo es vornehmlich um das Verständnis und die Rekonstruktion der vom Komponisten verfassten Absichten geht. Die im Forschungsprojekt befragten Probanden füllen die ästhetischen Räume je nach Möglichkeit und Absicht dagegen selbst, ggf. auch in der Vernetzung mit der eigenen Peergroup. Popmusik Die mit den verschiedenen Generationen geführten Gespräche zum Thema Popmusik und zum Umgang mit Popmusik untermauern die anfangs aufgestellte Hypothese des spezifischen Zusammenhangs zwischen dem Gegenstand und der darin enthaltenen Methode der Aneignung. Selbstaneignung und Oral Tradition kennzeichnen den wesentlichen Charakter von populärer Musik ganz allgemein, was auch auf Popmusik als moderne Form seit den 1950er-Jahren zutrifft. Aus der Perspektive des sich selbst motivierenden Individuums zum Kompetenzerwerb in Musik kann Popmusik als ein auf Kommunikation basierendes soziales System verstanden werden, das durch Verstehen der Information und Mitteilung rekursiv auf den Informationsgeber und auch den Gegenstand zurückwirkt. Die Grundvoraussetzung hierfür ist ein konjunktiver Erfahrungsraum, der sich fortlaufend weiterentwickelt und insofern keine konstante Größe darstellt. Das Prinzip der Oral Tradition wird durch die neueren technischen Entwicklungen in der Musikproduktion und medialen Verbreitung nicht infrage gestellt. Es ändert sich jedoch die Qualität hinsichtlich des Tempos und des Radius’ der Verbreitung, begleitet durch Vielfalt und Allgegenwärtigkeit. Dies wirkt nur zum Teil auf die Genese von Popmusik zurück. Der individuelle und erkennbar durch Emotionen bestimmte Antrieb zum Musikmachen bleibt durch die technischen Veränderungen weitgehend unberührt oder wird nur unwesentlich beeinflusst. Popmusik ist aus der
12 „Kein Curriculum und kein Lehrplan können einem Schüler vorschreiben bzw. ihn darin instruieren, was er (ästhetisch) zu empfinden und zu erleben hat. Ästhetische Erfahrung ist als unabschließbarer Prozess der Selbst-Bildung intersubjektiv nicht fassbar und deutbar und im Sinne einer echten Verifikation schwierig oder gar nicht zu erkennen.“ (Hafen et al., 2011, S. 187.)
Fazit – musikdidaktische Überlegungen und Perspektiven | 391
Perspektive des individuell Schaffenden eine moderne Variante des Folksongs, die Musikindustrie und ihre Determinanten bleiben aus dieser Perspektive im Luhmann’schen Sinne Umwelt. Das System Popmusik erhält sich aus systemtheoretischer Perspektive durch Kommunikation in einem fortlaufenden Prozess selbst und ist durch Emergenz gekennzeichnet. Die Definitionen über das, was Popmusik ausmacht, werden von den Akteuren selbst geschaffen, sind selbstreferentiell und entziehen sich einem festmachbaren Begriffssystem. Die Außenbetrachtung von PopPopmusik stößt mit einer alles erfassenden Operationalisierung an ihre Grenzen, wenn es darum geht, feststehende Phänomene zu erfassen und dauerhaft verlässliche Aussagen zu treffen, was sich in einer strukturalistischen Sichtweise dokumentiert. Wenn der Gegenstand durch einen fortlaufenden durch Kommunikation geprägten Entwicklungsprozess gekennzeichnet ist, dann können sowohl der Gegenstand als auch die zugehörige Begrifflichkeit als liquide bezeichnet werden. Die damit einhergehende und keinesfalls in allen Facetten verständliche Sprache, die nur einen Teil der Kommunikation ausmacht, ist die aus akademischer Perspektive schwer zu akzeptierende Black Box, die als fixe Komponente festgehalten werden kann. Betrachtungen von Popmusik und Definitionsversuche sind unter diesem Aspekt immer nur Momentaufnahmen. Rekursion und Reziprozität führen darüber hinaus innerhalb der popmusikalischen Entwicklungen zu amorphen und hybriden Genres, die einen Bezug zu festen Begriffen schwierig bis unmöglich machen, was letztendlich den Sinn der Frage nach Operationalisierung ad absurdum führt. Interessant bleibt dagegen die Durchdringung der Kommunikation unter den Akteuren und die für die moderne Popmusik aufgrund der spezifischen Aneignungsprozesse bedingte Prozesshaftigkeit, die Popmusik von anderen Musiken unterscheidet. Musikpädagogik und Perspektiven Mit der Entwicklung der Didaktik der populären Musik und auch anderer Konzepte, die sich mehr oder weniger mit populären Kulturen befassen, hat die unterrichtliche Thematisierung von Popmusik seit den frühen 1980er-Jahren Einzug in den musikunterrichtlichen Alltag zunächst in den alten Bundesländern gehalten. Dies hat selbstverständlich nicht ohne musikpädagogische Dispute stattgefunden, und auch gegenwärtig werden immer noch oder wieder in Diskussionen, z. B. auf Kongressen oder Symposien, vereinzelt Positionen vertreten, die die Kultur der Schülerinnen und Schüler als Gegenstand der Auseinandersetzung mit Kultur im Musikunterricht für nicht angemessen halten. Die Unterrichtsrealität ist jedoch, wenn man die Nutzung popmusikalisch geprägter Materialien für den Musikunterricht zugrunde legt, eine andere. Insbesondere in Schulformen, in denen Spielräume außerhalb der curricularen Vorgaben möglich sind, nutzen Lehrkräfte die Möglichkeiten der zumeist spielpraktischen Umsetzung der von Schülern bevorzugten Musiken. Dies betrifft zumeist populäre Musik im Allgemeinen und Popmusik im Besonderen. 13 Verlage wie
13 Es kann angenommen werden, dass an Gymnasien die Einhaltung der curricularen Vorgaben eine stärkere Berücksichtigung findet als an anderen Schulformen. Eine Leserbefragung des Lugert Verlages im Jahr 2017 zur Nutzung der Zeitschrift „Praxis des Musikunterrichts“ (in der Zeitschrift werden freie und nicht curriculumgebundene Themen aufgegriffen) ergab,
392 | Popmusik aneignen
Schott, Klett, Helbling und der Lugert Verlag sind entweder ganz auf die Aufbereitung popmusikalischen Materials spezialisiert (zumeist mit Einzelveröffentlichungen oder regelmäßig erscheinenden Zeitschriften) oder haben zumindest diesbezügliche Schwerpunkte innerhalb ihrer Musikpädagogikabteilungen gebildet.14 Popmusik in der Schule ist danach für einige Verlage ein lukrativer Markt und spiegelt somit auch unterrichtliche Realität wider. Die Verbreitung und Behandlung popmusikalischer Themen im Musikunterricht seit den 1980er-Jahren hat einen grundlegenden Widerspruch jedoch bisher nicht lösen können. Dies betrifft sowohl Aspekte der Notation innerhalb einer Kultur, die auf Oral Tradition beruht als auch solche der ästhetischen Annäherung, die, soweit es authentische Popmusik betrifft, gekennzeichnet ist durch freiwilliges und selbstgesteuertes Engagement. Insbesondere Fragen der individuell konstruierten ästhetischen Haltung sind nach Ansicht des Verfassers mit einem auf Leistungsmessung basierenden Schulsystem mit entsprechender Kompetenzmessung nicht vereinbar.15 Die Ansätze Lucy Greens zur Implementierung von Popmusik in den regulären Unterricht stehen daher nach Ansicht des Verfassers folglich im Widerspruch zum grundlegenden Geneseprinzip von Popmusik. Darüber hinaus kann zu Recht bezweifelt werden, dass formale und informelle Lernprozesse ohne Weiteres innerhalb institutioneller Rahmen ohne Weiteres miteinander kombinierbar sind.16 Green nutzt lediglich die Methode des eigenständigen Heraushörens und Nachspielens. Das von ihr so genannte Prinzip von Hören und Kopieren trifft den Kern jedoch nicht ganz. Anfänger sind schwerlich in der Lage zu kopieren, der Versuch des Nachspielens ist immer gekennzeichnet durch etwas Neues, auch bedingt durch Unvermögen, wie es Anfängern zu eigen ist. Passender wären die Definitionen Hören und Variieren oder Hören und Kreieren. Gerade durch ein Nichtkopieren im Verhältnis 1:1 kann ein neuer ästhetischer Raum geschaffen werden, auch wenn dies den Betroffenen zunächst gar nicht klar sein mag. Eine originale Vorlage kopieren können nur stilistisch erfahrene Profis, die genügend Kenntnisse über Spieltechnik, verwendetes Instrument (keine Gitarre klingt wie die andere), den eingesetzten Verstärker, das verwendete Mikrofon und hörbare Effekte (einschließlich der unhörbaren bzw. nicht deutlich wahrnehmbaren) verfügen. Zugleich ist die musikpraktische Auseinandersetzung die angemessene Ebene der Analyse der nicht auf Notation beruhenden Popmusik-Genres.17 Die Aneignung ist
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15 16 17
dass die Zeitschrift immerhin noch zu 35 Prozent von Lehrkräften des Gymnasiums genutzt wird. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass die qualitativen Unterschiede zwischen Verlagsstrategien recht hoch sind. Eine Teilstudie über die Umsetzung von Popmusik für die Grundschule von Ahlers und Zuther aus dem Jahre 2015 hat ergeben, dass etliche Beiträge erhebliche Mängel in Methodik und Sachanalyse aufweisen. (In Diskussion Musikpädagogik, Heft 67, Hamburg, 2015, S. 16–22) Unterricht kann jedoch Räume für ästhetische Erfahrungen öffnen, auch als mittel- oder langfristige Perspektive. (Vgl. Hafen et al., 2011, S. 187ff.) „Autonome und vom Subjekt initiierte Aneignungsformen lassen sich nicht einfach institutionell verordnen und vereinnahmen.“ (Weber, in: Elflein/Weber, Hg., 2017, S. 31.) Der Verfasser geht hier von einem Verständnis von Popmusik aus, wie sie seit den 1950erJahren entstanden ist mit Rock ’n’ Roll, Beatmusik, Rockmusik etc. Auch bei einer mögli-
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danach auch immer eine theoretische, angefangen mit Hören, ggf. begleitet durch Bewegung, instrumentaler oder gesanglicher Umsetzung und damit einhergehender Reflexion der eigenen Fertigkeiten. Die spielpraktische Auseinandersetzung ist eine der Begrifflichkeit vorgelagerte Stufe und kann als Voraussetzung eines theoretischen Verständnisses von Popmusik als Oral Tradition betrachtet werden. Oral Tradition bedeutet nach Auffassung des Verfassers nicht, dass die Musik lediglich nicht notiert ist, es handelt sich vielmehr um eine andere als auf Notation beruhende Musik. In der Oral Tradition übernimmt der Ausübende von Anfang an einen kreativen Part, der anstelle der Aneignung über den Weg der Notation in den Vordergrund tritt und somit zu ihrem Geneseprinzip beiträgt. Popmusik ist grundsätzlich zwar unterrichtbar (die hohen Abonnentenzahlen popmusikalisch ausgerichteter Zeitschriften sind hierfür ein empirischer Beleg), eine ästhetische Annäherung, die auf Selbststeuerung basiert, findet jedoch nicht statt. Sie kann allenfalls in einem langfristigen Prozess angeregt werden. Letzteres ist jedoch kein ausschließlich Popmusik-typisches Problem. Dies betrifft Musik allgemein. Da wie oben angeführt ästhetische Haltungen nach Ansicht des Verfassers grundsätzlich nicht vermittelbar sind, betrifft dies entsprechend auch klassische Musik. Im Kontext Popmusik stellt die ästhetische Auseinandersetzung, die auf Selbststeuerung und Freiwilligkeit beruht, jedoch ein spezifisches Moment dar und erfordert daher auch spezifische Formen schulischer Organisation, die deutlich außerhalb des bisherigen traditionellen Unterrichts liegen. Die in der deutschen Schullandschaft vorzufindenden Angebote wie Musikklassen (mit Schwerpunkten auf populärer Musik) oder Bandklassen sind unter den genannten Prämissen authentischer Herangehensweisen keine Popmusik-Klassen (was unter dem Aspekt der individuellen ästhetischen Auseinan-dersetzung auch gar nicht wünschenswert wäre), sondern Popmusik-Vermittlungsprojekte. Die Integration von Popmusik in den Lernbetrieb mit seinen traditionellen Methoden und Sichtweisen erzeugt daher eher „Schul-Pop“18 und beruht auf nicht authentischen Herangehensweisen. Curricular gebundener Unterricht kann daher nur Teilaspekte von Popmusik aufgreifen. Wenn es um authentische Popmusik und die Prinzipien der auf Innovation beruhenden Genese und Ästhetik geht, sind andere Herangehensweisen notwendig, die durch traditionellen Unterricht nicht umgesetzt werden können. Popmusik ist nicht vermittelbar. Es gehört zu ihrem Genese-Prinzip, dass man sie sich selbst aneignet, und zwar durch zu diesem Zweck selbstgewählte Mittel.19 Popmusik generiert somit ihre sachgemäße Methode, die sich von anderen
chen Integration notierter Parts (z. B. bei Bläsersätzen) basiert ihre Entstehung nicht auf Notation. 18 „Schul-Pop“ stellt keine Besonderheit dar. Die spielpraktische Umsetzung von Klassik erzeugt ebenso „Schul-Klassik“. 19 Der Aspekt der Innovation schließt nicht nur künstlerische Überlegungen mit ein, sondern manifestiert sich vor allem auch im Bereich des technischen Fortschritts, der entweder Folge oder Grundlage neuer ästhetischer Entwicklungen ist wie z. B. die Entwicklung zum Mehrspurverfahren in den 1960er-Jahren oder die Einführung von MIDI ab 1983. So folgt die FM-Klangsynthese mit Einführung des DX7 im Jahre 1983 einerseits dem Wunsch nach mehr Klangmöglichkeiten. Dass diese neuen Soundmöglichkeiten in Verbindung mit MIDI
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Musiken absetzt und deren Fokus auf der spielpraktischen Umsetzung bzw. Aneignung liegt. Die Erkenntnis der Schaffung neuer Räume außerhalb des traditionellen Musikunterrichts als eine dem Ziel der ästhetischen Auseinandersetzung folgende Notwendigkeit ist im Grunde nicht neu und bereits in den Anfängen der Didaktik der populären Musik als Problem thematisiert worden (vgl. dazu Abschnitte 5.2 und 5.3). Dass es kaum deutlich erkennbare strukturelle Neuerungen des Schulsystems in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, die die Bedeutung informeller Lernprozesse zumindest versuchen aufzugreifen, ist umso verwunderlicher, da Erkenntnisse hierzu bereits in das frühe 20. Jahrhundert zurückreichen und auch außerhalb musikbezogener ästhetischer Anliegen als bedeutend erkannt wurden. „Das Ordnen des Lehrstoffes nach logischen Gesichtspunkten ist das letzte Ziel der Schulung und nicht der Ausgangspunkt.“20 Das Festhalten an einer im Grunde im 19. Jahrhundert verhafteten starren Wenn-dann-Pädagogik kann bezüglich moderner Erkenntnisse über Lernprozesse vornehmlich als ideologisch motivierte Absicht verstanden werden – mit welchem Ziel, bleibt in der aktuellen Diskussion allerdings diffus. Die aktuelle Diskussion kreist vielfach um ein bildungsbürgerliches Ideal nach messbaren Kompetenzen zur Legitimierung des Faches Musik. Eine Miteinbeziehung offener und somit nicht messbarer ästhetischer Prozesse als zentrale Perspektive der individuellen Identitätskonstruktion könnte Musikunterricht tatsächlich zu einer neuen und qualitativ ansprechenden Herausforderung führen. Digitale Medien und damit verbundene neue Musizierweisen könnten eine exponierte Rolle innerhalb dieses Prozesses spielen, in welchem Musiken möglicherweise völlig neu gedacht werden. Offen bleibt, inwieweit traditionelle Inhalte des Musikunterrichts in einer sich dynamisch entwickelnden Welt vermittelbar sind, wenn insbesondere sich auf Kultur und Ästhetik beziehende Aneignungsprozesse durch das Individuum selbst bestimmt werden. Klassische Kategorien wie Musiktheorie oder Formenlehre haben für einen jugendlichen Schüler keine gegenwärtige oder zukünftige Bedeutung. Er entscheidet, was für ihn bedeutend ist. Das gilt für alle Musiken, für Klassik ebenso wie für Popmusik. Artefakte Im Verlauf des Forschungsprojekts haben insbesondere in der Phase der Datenerhebung neben den Interviews auch zahlreiche informelle Gespräche stattgefunden. Auch die in der Biografie des Verfassers verankerten langjährigen Erfahrungen aus der Arbeit in verschiedenen Tonstudios und die zahllosen Gespräche mit Musikern, Musikerinnen und Bands während der zurückliegenden Jahrzehnte kommen hier in Betracht, wenn es auch um die in der vorliegenden Arbeit aufgeworfenen Fragestellungen geht. Von besonderem Interesse hierbei ist für den Verfasser, inwieweit sich
jedoch wesentlich dazu beitragen würden, die Klangästhetik von Pop-Produktionen in den 1980-Jahren nachhaltig zu prägen, ist eine Folge der neuen Technik, die man nicht vorausahnen konnte. Als herausragende Beispiele seien hier stellvertretend „Private Dancer“ von Tina Turner oder „What Is Love“ von Howard Jones genannt, der schließlich auch live aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten solo auftreten konnte. Wenn auch das Prinzip des durch Technik unterstützten Soloauftritts zunächst kaum Nachahmer fand, so ist dieses gegenwärtig gängiges Prinzip bei DJs. 20 Dewey (2002), S. 48.
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Popmusik, auch vor dem Hintergrund des technologischen Wandels, verändert hat und dies auch in der Bedeutung für die Akteure selbst. Da diese Frage oder damit zusammenhängende Fragenkomplexe nicht eigentlicher Gegenstand des Forschungsprojekts gewesen sind, werden diese an dieser Stelle als offene Fragen aufgeworfen. Hierzu gehört als erster Hauptaspekt die Frage nach dem Wandel der Bedeutung von Popmusik für die eigene Identitätskonstruktion (sowohl für Hörer als auch für Musikausübende). Die Fülle an Möglichkeiten der Freizeitgestaltung hat sich für Jugendliche in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert, was ein Mehr und die Vielfalt an Angeboten betrifft. Musik macht darin zwar noch einen wichtigen Teil aus, sie hat jedoch nicht mehr die zentrale Bedeutung und ist zunehmend ein Angebot unter vielen. Es ist angesichts der medialen Verfügbarkeit kaum vorstellbar, dass ein Jugendlicher heute 40 Kilometer mit dem Fahrrad in die nächste Großstadt fährt, um sich das neue Album seiner Lieblingsband zu kaufen. Dies war bei dem interviewten Schlagzeuger in der Gruppe der Profimusiker noch der Fall gewesen. Allein der notwendige, in diesem Fall auch körperliche Aufwand, stellt die Bedeutung von Musik für den Betreffenden heraus, die jedoch nur für seine Generation als typisch angesehen werden kann. Die aktuell messbare Hinwendung zu Mainstream-Musik (s. entsprechende Absätze) ist ein weiteres Indiz dafür, dass Musik als Mittel der Distinktion an Bedeutung verliert bzw. bereits verloren hat. Dies führt zu der berechtigten Annahme, dass Musik (auch Popmusik) weiterhin an Bedeutung für die kindliche und vor allem jugendliche Identitätsbildung verlieren könnte. Da in der vorliegenden Arbeit grundsätzlich von einer rekursiven Wirkung zwischen dem Gegenstand Musik und dem damit verbundenen Umgang ausgegangen wird, wird sich die wandelnde Bedeutung von Musik auf diese selbst auswirken. 21 Im Verlaufe der Ausführungen in dieser Arbeit wurde der Aspekt des kreativen Umgangs mit Popmusik als deren Geneseprinzip besonders und wiederholt hervorgehoben. Auch bezüglich dieser Kategorie stellt sich für den Verfasser die abschließende und nicht geklärte Frage, ob im Vergleich der unterschiedlichen und hier befragten Generationen ein Wandel hinsichtlich des Prinzips Innovation mittels eines kreativen Umgangs stattgefunden hat. Möglicherweise sind die musikalischen Zielsetzungen der hier befragten Jugendlichen mehr auf Reproduktion gewählter Musiken ausgerichtet und weniger auf die Schaffung neuer und eigener Musik. Eine entsprechende Haltung wäre durchaus plausibel als Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Haltung, die wenig auf Konfrontation und offene Diskurse angelegt ist. Eine musikbezogene Positionierung, deren zentrales Thema Dissens ist, ist in der Musikgeschichte, und insbesondere in der der Popmusik, als wesentlicher Motor musikalischer und somit gesellschaftlicher Auseinandersetzungen festzumachen, die essentiell für notwendige Umbrüche sind, sei es politischer, kultureller oder sozialer Natur. Der Rock ’n’ Roll, die Musik ab Mitte der Sechzigerjahre, Punk, New Wave, Hip-Hop und Grunge basierten stets auf Widerspruch und sind zumindest in Teilen die popmusikalischen Vorboten gesellschaftlicher Veränderungen gewesen und markierten somit neue und notwendige Denkansätze fortschrittlicher Entwicklungen. Ei-
21 Ob dieser Wandel gleich zum Verschwinden der Musik im Baudrillard’schen Sinne führen wird, ist ein zumindest interessanter Gedanke aus medientheoretischer Perspektive, der eine unübersehbare Verwandtschaft zur Anästhetik Wolfgang Welschs aufzeigt.
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ne Stagnation in der Streitkultur, so wie sie in der Geschichte der Popmusik als ein wichtiger Faktor angelegt ist, würde das Prinzip der Erhaltung eines authentischen Systems Popmusik infrage stellen. Passend zum vorliegenden Forschungsprojekt spiegelt das folgende Zitat, das hier abschließend als Resümee aus Musikerperspektive aufgeführt werden soll, die zentralen Fragestellungen und Erkenntnisse in komprimierter Form wider. In einem Interview des Zeit-Magazins vom November 2017 (S. 30) äußert sich der Gitarrist der britischen Rockband Oasis, Noel Gallagher, zur Frage, ob er des Notenlesens fähig sei: „Ich habe eigentlich alles durch Nachspielen gelernt. Der erste Song, den ich endlos nachleierte, war Eric Burdons Version von House of the Rising Sun. So lernte ich, erste Akkorde zu spielen. Als ich die beherrschte, hielt ich mich bereits für ein Genie. Und dann waren da immer irgendwelche Typen, bei denen ich noch mehr abschauen konnte. Das machte Spaß, aber ein Rockstar wollte ich als Kind nie sein.“
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20.: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24: Abb. 25: Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29: Abb. 30:
Struktur Forschungsprojekt | 16 NB Magnum | 38 Drum-Ausschnitt Jim Keltner | 40 Drum-Ausschnitt_Takte 1 und 2 | 41 ES2 | 44 EVB3 | 45 Nexus | 45 Arturia Keylab | 46 EVB3 der Logic 7-Version aus dem Jahre 2004 | 47 Sequenzierung „Vorbilder im Karrierekontext“ | 90 Sequenzierung „Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht“ | 92 Sequenzierung „Harmonische Standards“ | 96 Sequenzierung „Was ist Popmusik?“ | 102 Sequenzierung „Groove“ | 105 Sequenzierung „Ästhetik“ | 109 Sequenzierung „Konjunktiver Erfahrungsraum – Twin Peaks“ | 113 Sequenzierung „Fachwissen und Selbsteinschätzung“ | 115 Sequenzierung „Definition Popmusik“ | 122 Sequenzierung „Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug“ | 125 Schulabschluss von Eltern mit Kindern in der musikalischen Früherziehung 2009 | 181 Familieneinkommen von Eltern mit Kindern in der musikalischen Früherziehung 2009 | 181 Statistisches Bundesamt. Anzahl der Schüler an Musikschulen in Deutschland in den Jahren von 2002 bis 2014. Statista | 182 Selbst erstellte Grafik zu Sequenzierung Hauptcode „Initiierung allgemein“ | 187 Genannte Instrumente – Bearbeiteter Screenshot f4 | 190 Sequenzierung Initiierung Musik | 191 Tutorials-Noten-Vergleich – Bearbeiteter Screenshot f4 | 205 Entwicklung der Internetnutzung unter Jugendlichen | 208 Gerätebesitz Jugendlicher 2015 | 209 Wichtigkeit der Medien 2015 | 210 YouTube: Nutzung 2015 | 211
412 | Popmusik aneignen
Abb. 31: Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34: Abb. 35: Abb. 36: Abb. 37: Abb. 38: Abb. 39: Abb. 40: Abb. 41: Abb. 42: Abb. 43: Abb. 44: Abb. 45: Abb. 46: Abb. 47: Abb. 48: Abb. 49: Abb. 50: Abb. 51: Abb. 52: Abb. 53: Abb. 54: Abb. 55: Abb. 56: Abb. 57: Abb. 58: Abb. 59: Abb. 60: Abb. 61: Abb. 62: Abb. 63: Abb. 64: Abb. 65: Abb. 66:
Aneignungsstrategien Verteilung – Bearbeiteter Screenshot f4 | 213 Sequenzierung Aneignungsstrategien | 215 YouTube-Suchbegriff Musik | 216 YouTube-Suchbegriff Musik Tutorial | 217 Suchergebnis Musik Tutorial | 217 Tutorial Griffsymbolik | 218 Tutorial Powerchords | 218 Tutorial Tabulatur | 219 Erkennbare emotionale Bezüge – Bearbeiteter Screenshot f4 | 222 Sequenzierung Musik und Gefühl | 228 Reciprocal feedback model of musical response (Eigene Grafik nach Miell, MacDonald, Hargreaves, 2005, S. 8.) | 230 Musikpräferenzen – Bearbeiteter Screenshot f4 | 232 Beliebteste Musikrichtungen in Deutschland in den Jahren 2014 und 2015 | 240 Sequenzierung Musikpräferenzen | 246 Verhältnis Jugendliche – Eltern 2015 | 251 Sequenzierung Vorbilder | 253 Äußerungen analytisch-ästhetische Kompetenzen – Bearbeiteter Screenshot f4 | 254 Earth Song unkomprimiert | 272 Earth Song komprimiert | 272 Sequenzierung analytisch-ästhetische Kompetenzen | 274 Amplitudenverlauf „All Right Now“ – Free/1970 (LU = 6.2) | 276 Amplitudenverlauf „Waterloo“ – ABBA/1974 (LU = 14.5) | 276 Amplitudenverlauf „Wake Me Up“ – Avicii/2013 (LU = 14.9) | 277 Amplitudenverlauf „This One’s For You“ – David Guetta/2016 (LU = 16.4) | 277 Amplitudenverlauf „Whole Lotta Love“ – Led Zeppelin/1969 (LU = 8.2) | 278 Amplitudenverlauf „Smoke On The Water“ – Deep Purple/1972 (LU = 7.6) | 278 Amplitudenverlauf „Learn To Fly“ – Foo Fighters/1999 (LU = 17.3) | 278 Amplitudenverlauf „Beautiful Dangerous“ – Slash/2010 (LU = 16.3) | 278 Amplitudenverlauf „Oxygène IV“ – Michel Jarre/1977 (LU = 7.8) | 279 Amplitudenverlauf „The Things You Said“ – Depeche Mode/1987 (LU = 7.3) | 279 Amplitudenverlauf „Still Getting It“ – Foreign Beggars/2011 (LU = 15.3) | 280 Amplitudenverlauf „Sun Is Shining“ – Brand Blank/2011 (LU = 16.5) | 280 Steigerung RMS nach Jahren – First Diagram | 281 Crest-Faktor – Third Diagram | 282 Frequenzspektrum Pop alt (All Right Now, Waterloo) | 283 Frequenzspektrum Pop neu (Wake Me Up, This One’s For You) | 283
Abbildungverzeichnis | 413
Abb. 67: Frequenzspektrum Hard Rock alt (Whole Lotta Love, Smoke On The Water) | 283 Abb. 68: Frequenzspektrum Hard Rock neu (Learn To Fly, Beautiful Dangerous) | 284 Abb. 69: Frequenzspektrum Elektronische Popmusik alt (Oxygène IV, The Things You Said) | 284 Abb. 70: Frequenzspektrum Elektronische Popmusik neu (Still Getting It, Sun Is Shining) | 284 Abb. 71: Presets des Ozone Equalizers der Firma Izotope | 286 Abb. 72 : Sequenzierung „Kreative Strategien“ | 289 Abb. 73: Sequenzierung „Aussagen zukünftiges Musizieren“ | 298 Abb. 74: Altersstruktur Teilnehmer | 311 Abb. 75: Altersstruktur der Teilnehmer ohne 21 Jahre | 312 Abb. 76: Zugehörigkeit Schulform (N = 214) | 313 Abb. 77: Reliabilität Beschäftigungskategorien | 314 Abb. 78: Ergebnis Item 0103 – SQ001 | 314 Abb. 79: Ergebnis Item 0103 – SQ002 | 315 Abb. 80: Ergebnis Item 0103 – SQ003 | 315 Abb. 81: Ergebnis Item 0103 – SQ004 | 316 Abb. 82: Ergebnis Item 0103 – SQ005 | 317 Abb. 83: Ergebnis Item 0103 – SQ006 | 317 Abb. 84: Ergebnis Item 0104 – SQ001 | 318 Abb. 85: Ergebnis Item 0104 – SQ002 | 319 Abb. 86: Ergebnis Item 0104 – SQ006 | 319 Abb. 87: Ergebnis Item 0104 – SQ003 | 320 Abb. 88: Ergebnis Item 0104 – SQ004 | 320 Abb. 89: Ergebnis Item 0104 – SQ005 | 321 Abb. 90: Ergebnis Item 0201 – SQ001 | 324 Abb. 91: Ergebnis Item 0201 – SQ002 | 325 Abb. 92: Ergebnis Item 0201 – SQ003 | 325 Abb. 93: Ergebnis Item 0201 – SQ004 | 326 Abb. 94: Ergebnis Item 0201 – SQ005 | 326 Abb. 95: Ergebnis Item 0203 – SQ001 | 328 Abb. 96: Ergebnis Item 0203 – SQ002 | 329 Abb. 97: Ergebnis Item 0203 – SQ003 | 329 Abb. 98: Ergebnis Item 0203 – SQ004 | 330 Abb. 99: Ergebnis Item 0203 – SQ005 | 331 Abb. 100: Ergebnis Item 0203 – SQ006 | 331 Abb. 101: Ergebnis Item 0203 – SQ007 | 332 Abb. 102: Ergebnis Item 0203 – SQ008 | 333 Abb. 103: Auswertung „In meiner Freizeit habe ich schon einmal eine Musik-App ausprobiert.“ 0301 | 348 Abb. 104: Auswertung „Welchem der genannten Bereiche würdest du diese App zuordnen?“ 0302/SQ001–006 | 349 Abb. 105: Welche der unten genannten Programme oder Apps hast du schon einmal benutzt?“ 0303/SQ001–006 | 350 Abb. 106: Auswertung „Nutzung weiterer Apps nach Kategorien“ (0304) | 354
414 | Popmusik aneignen
Abb. 107: Auswertung – Informationen über Künstler/Künstlerinnen beschaffen – SQ001 | 355 Abb. 108: Auswertung – Informationen über Musikstücke oder Musikstile beschaffen – SQ002 | 356 Abb. 109: Auswertung – Zu Musik singen – SQ003 | 356 Abb. 110: Auswertung – Gesang zu einer Aufnahme übe – SQ004 | 357 Abb. 111: Auswertung – Zu Musik tanzen – SQ005 | 357 Abb. 112: Auswertung – Sich ein Instrument durch Hören und Nachspielen beibringen – SQ006 | 358 Abb. 113: Auswertung – Sich ein Instrument mit Hilfe von Tutorials beibringen – SQ007 | 358 Abb. 114: Auswertung – Mit anderen über Musik diskutieren– SQ008 | 359 Abb. 115: Auswertung – Gezielt Musik hören– SQ009 | 359 Abb. 116: Auswertung – Mit anderen musizieren oder proben– SQ0010 | 360 Abb. 117: Auswertung – Rumjammen– SQ0011 | 360 Abb. 118: Reliabilität 0103 | 493 Abb. 119: Reliabilität 0104 | 494 Abb. 120: Reliabilität 0201 | 495 Abb. 121: Reliabilität 0203 | 496 Abb. 122: Reliabilität 0302 | 497 Abb. 123: Reliabilität 0303 | 498 Abb. 124: Reliabilität 401 | 499
9
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21: Tab. 22: Tab. 23: Tab. 24: Tab. 25: Tab. 26:
Ausgestaltung der Gruppendiskussion. Eigene Grafik nach Kruse (2014), S. 198 | 55 Phasendynamik der Gruppendiskussion. Eigene Grafik nach Kruse (2014), S. 204f | 56 Verfahrensschritte Sequenzanalyse – eigene Darstellung nach Kurt/Herbrik, 2014, S. 482 | 71 Verzahnung der Prozesse zwischen eigener Vorgehensweise und Gruppendiskussion | 72 Kategorien des ersten Analysezyklus der Gruppendiskussion auf der Basis der Leitfadenkonstruktion | 78 Gegenüberstellung der nach Leitfaden geplanten Themenschwerpunkte mit dem tatsächlichen Themenverlauf | 80 Zielgruppen und Methoden des Backdoor-Projekts (Eigene Grafik nach Kleinen, 2003, S. 15.) | 139 Schritte des Beobachtungsprozesses. Eigene Darstellung nach Lueger (2010), S. 68 | 157 Übersicht der Codierungskategorien | 169 Frühe Erlebnisse | 175 Initiierung Familie | 175 Hinweis Lernort Schule/Lehrer | 192 Hinweise Aneignungsstrategien allgemein | 194 Strategie Heraushören | 194 Trial-and-Error | 197 Strategie Rat suchen | 200 Internetrecherche allgemein | 201 Internet-Tutorials | 202 Noten lesen | 204 Vorbilder (Musiker/Bands) | 249 LU-Werte Pop | 277 LU-Werte Hard Rock | 279 LU-Werte Elektronische Popmusik | 280 Übersicht Skalen/Items | 302 Tabelle „Weitere Stile“ 0105 | 322 Tabelle „Was mir an Musik sonst noch gefällt“ 0202 | 327
416 | Popmusik aneignen
Tab. 27: Tabelle „Diese Instrumente gefallen mir am besten“ (Orchesterinstrumente) 0203 (SQ009) | 333 Tab. 28: Tabelle „Nenne eines deiner Lieblingsstücke“ 0204 | 336 Tab. 29: Tabelle „Was gefällt dir an dem Stück am besten?“ 0205 | 343 Tab. 30: Tabelle „Welche anderen Programme verwendest du?“ 0304/1–3 | 351
10 Anhang
10.1 TRANSKRIPTIONEN DER INTERVIEWS 10.1.1 Zur Transkription der Interviews Die Transkription wurde mit dem Programm f5 durchgeführt. Das Programm ermöglicht das Transkribieren von Texten unter Berücksichtigung der dafür notwendigen Transkriptionsregeln. 1 Die Programmfeatures sind hinsichtlich des Methodenschritts der Transkription optimiert und ermöglichen die Eingabe eigener Shortcuts zur Erzeugung individueller Transkriptionsformate. Die transkribierten Texte wurden weitestgehend mit Interpunktion versehen, vor allem unter dem Aspekt der besseren Lesbarkeit und damit verbundenen Verständlichkeit der Aussagen. Auf eine detaillierte Erfassung individueller Aspekte der Äußerungen wurde verzichtet, die der Schwerpunkt auf der Erfassung der Sachinformationen liegt. Die transkribierten Texte wurden zur Auswertung in das Programm f4 importiert und nach mehreren Durchgängen der Codierung und Interpretation der Aussagen in das vorliegende Format exportiert. Hierbei wurden zusätzlich Korrekturen durchgeführt. Die während der Erfassung der Texte eingefügten Kommentare/Memos wurden ebenfalls mitübertragen und sind hier kursiv dargestellt. 10.1.2 Transkription der Gruppendiskussion Interviewer: Ich will euch mal, ähm, ein bisschen was darüber erzählen ähm (..) (Husten, Unruhe) Ich darf übrigens nicht vergessen, ähm, am Ende euch ne, ähm, Einwilligungserklärung zu geben #00:00:17-8# Schlagzeuger: Was? (scherzhaft) #00:00:20-3# Interviewer: zum unterschreiben. Ja, (Husten, Unruhe) dass ich das, dass ich das verwenden darf (Räuspern), es ist so, ähm, das steht auch drin, das habe ich euch auch in der Mail vorher nicht geschrieben, das wird alles anonymisiert, da ist nichts wiederzukennen und, ähm (es werden die mitgebrachten Getränke angeboten) ne, später, ich trink was anderes (Lachen) und, ähm, der Punkt ist natürlich der, ich hab so’n paar Punkte überlegt, so ’ne Diskussion kann sich aber auch immer weiter in irgendwelche Richtungen entwickeln, also es ist nicht so, dass es genau strukturiert ist. Es ist nicht so, dass ich ’ne Frage stelle und
1
Vgl. Loos/Schäffer (2001), S. 57.
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dann redet ihr, ich kann mich auch einmischen mhm (bejahend), also ganz normal (Lachen) #00:01:08-6# Gitarrist: Halt die Schnauze, du redest Scheiße (Lachen) #00:01:11-3# Interviewer: Das einzige, was man vielleicht beobachten, ähm, beachten müsste, wäre, dass wir so ne gewisse Sprechdisziplin haben und nicht durcheinander (Lachen Bassist) sprechen, weil dann ist Transkri, die Trans, die Trans, also das Übertragen (Lachen) #00:01:27-0# Bassist: Du wirst doch irgendeine studentische Hilfskraft haben, die das macht (Lachen) #00:01:28-9# Interviewer: Ähm, kann sein, sicher ist das nicht #00:01:30-7# Bassist: Herr Zuther, die fluchen die ganze Zeit (Lachen) soll ich das auch rausschneiden? (unverständlich) #00:01:39-2# Interviewer: Da müssen wir halt sehen, dass das noch verständlich ist, dass da nicht zu viel durcheinander geht, ansonsten ist alles ganz normal. Nee, ich will das erst mal auch erst mal mit’m Programm probieren. Ich habe Dragon mir gekauft und habe aber noch keine Erfahrungen gesammelt. Nix, gar nix. (...) Ja, soweit zur Vorgeschichte, habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen? (humorvolles Räuspern) Ich muss hier erst mal meinen, meine Zettel … #00:02:04-5# Schlagzeuger: Fangt ihr doch erst mal und ich grätsch dann so rein, irgendwie (Räuspern) #00:02:09-0# Bassist: Ist die wichtigste Karte rausgefallen, hier du, hör auf du. #00:02:11-6# Sänger: (unverständlich) #00:02:16-6# Interviewer: Ähm, also ich würde, oder noch’n, vielleicht noch ne Vorinformation. Warum das Ganze? Der, der eigentliche Schwerpunkt der Arbeit, über die ich schreibe, ist, liegt ganz woanders. Der liegt bei selbsterworbenen Kompetenzen bei jungen Leuten, bei Schülern der Sekundarstufen, mhm (bejahend), im Bereich Musik, mhm (bejahend). Und, ähm, da haben wir natürlich letzten Endes, ähm, zumindest, ähm, Erfahrungen, die teilweise schon lange, lange zurückliegen, aber insofern bietet sich das dieses Gespräch auch an. Da, da liegt der eigentlich Schwerpunkt, und da mach ich, ähm, Interviews mit Schülern jetzt gerade. Ähm, ich (kurze Pause) man kommt ja nicht umhin, ähm, konfrontiert zu werden mit Texten über Popmusik, über die Bedeutung des Begriffes, über die Geschichte usw. und, da gibt’s ’ne ganze Menge, ähm, so an Begriffen, die auftauchen, über die man halt diskutieren kann, ob das auch wirklich so zutrifft, und deswegen habe ich gedacht, wär so ’ne Diskussionsrunde, im Grunde ja ’ne Expertenrunde, ähm, die jetzt nicht ausm akademischen Bereich kommt, mhm (bejahend), die das aus ihrer └ Perspektive ┘ #00:03:25-3# Sänger: └ Ich bin Akademiker ┘ (Lachen) #00:03:29-3# Interviewer: (unverständlich) Ich finde, da gibt’s mitunter auch Perspektiven, über die man stark diskutieren #00:03:34-1# Bassist: Ja, natürlich. #00:03:34-9# Interviewer: Ne, und, Dinge, viele Definitionen, mit denen ich persönlich nicht unbedingt einverstanden bin, (unverständlich) das ist wirklich aus einer wissenschaftlichen Perspektive, aber es trifft irgendwie nicht den Punkt. Mhm (Bassist bejahend), ähm, und, da würd ich mal einsteigen jetzt, ähm, mit dem Versuch, ähm, euch dahin zu bewegen, dass ihr euch erinnert, #00:03:56-5# Schlagzeuger: Huh #00:03:56-5# Interviewer: Was das das eigentliche, sagen wir mal, mögliche, oder zumindest noch erinnerbare Ausgangsmoment, vielleicht die Initialzündung, gewesen sei könnte, ähm, warum
Anhang | 419
ihr mit Musik angefangen habt. Also ich für mich kann das eigentlich sagen, also ich hab auch n Moment, an den ich mich erinnern kann, von dem ich sagen kann, da hab ich angefangen und, dann gab es spätere Momente, von denen ich sagen kann, das war für mich die Initial- (kurze Pause) zündung, eigentlich. (...) #00:04:29-8# Gitarrist: Weiß ich auch #00:04:29-8# Bassist: Weiß ich auch #00:04:29-8# Interviewer: Ja, und? (kurze Pause) #00:04:32-0# Bassist: (Lachen) Alle lachen. Großes Gelächter. #00:04:37-7# Gitarrist: Jetzt trink ich erst mal n Bier. #00:04:38-4# Interviewer: Das wär jetzt natürlich interessant, ähm, zu überlegen, was könnte das gewesen sein? (...) Also, vielleicht altersmäßig, waren das bestimmte Erlebnisse, bestimmte Ereignisse, waren das vielleicht Bands oder einzelne Stücke, oder wie auch immer? (...) (Räuspern) (Räuspern) #00:05:05-7# Interviewer: Okay, dann wieder nächste Frage. (Lachen) #00:05:07-6# Sänger: Nee, dann lass, dann lass und das beantworten (Lachen) (unverständlich) #00:05:19-7# Interviewer: Na ja klar. Ich mein das jetzt auch als Scherz. Sonst kann ich das Teil gleich wieder ausmachen. #00:05:17-0# Sänger: Ach, das läuft schon? #00:05:18-0# Interviewer: Ähm (Lachen alle) ja, ja, natürlich läuft das schon. #00:05:19-0# Sänger: Elend. (..) #00:05:22-7# Interviewer: Also, ich hab für mich, ähm, ich kann’s ja noch mal anders formulieren, ob es aus der Erinnerung heraus musikalische Vorbilder, Kontexte gibt, Stücke oder Stile, die euch vielleicht bewegt haben Musik zu machen oder damit anzufangen Musik zu machen. (..) Vielleicht auch mit, dann, das wär im Grunde n zweiter Schritt, ähm, verbunden mit der Frage, schon v … ob das, ähm, dann schon in die Richtung eines bestimmten Instrumentes geführt hat, zum Beispiel (Name Gitarrist), wäre ja ne Frage, wolltest du immer Gitarre spielen, oder? #00:05:54-1# Gitarrist: Ja, ja, auf jeden Fall. Ne, die Initialzündung war in meinem Fall halt irgendwie, ähm, ein Verwandter, mein Cousin, der hat irgendwie Schlagzeug gespielt und drei Jahre älter ist als ich, und der hat natürlich irgendwie (unverständlich), da war ich mal da in Bergedorf zu Besuch übers Wochenende, und dann kamen da halt irgendwie seine Kumpels vorbei und haben da halt irgendwie rumgespielt und haben da rumgejammt und so. Für mich waren das irgendwie so böhmische Dörfer, weil ich da damals keine Ahnung von hatte, ich war ungefähr zwölf, schätz ich mal, oder elf. (...) Na ja, und eines Tages kam halt einer vorbei, der irgendwie auch den gerauchten Drogen sehr zugetan war, aber irgendwie ne E-Gitarre am Start hatte, und dann haben die halt irgendwie so’n bisschen rumgefingert, muss man ja denn doch sagen. Aber das fand ich halt irgendwie extrem, wie soll ich sagen, anregend, inspirierend so. So nach dem Motto, das will ich auch machen. Das fand ich irgendwie klasse, (unverständlich) richtige Motivation, was ich daran genau nun so klasse fand, das kann ich nicht mehr wirklich sagen, weil, ich glaub, das ist wahrscheinlich dann irgendwie … ist wahrscheinlich dem, ähm, dem pubertären Status geschuldet, einfach irgendwie was zu haben, was meins ist, mit dem ich mich sozusagen besonders machen kann, das tut ja wahrscheinlich jeder in dem Alter, nehme ich jedenfalls an. Und das war halt irgendwie einfach die, die Zündung, (unverständlich) und dann kam dann auch so die Begeisterung für den neuen Hendrix. (..)
Erinnerung an konkrete Kontexte (Familie) und musikalische Vorbilder.
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Und, ähm, da hab ich mich da so’n bisschen reingehört, dann irgendwann auch über die Jahre und fand das auch, irgendwie immer mehr, das ganze Ding so hineingetaucht, ne. Aber das war im Prinzip der Auslöser, dieses eine, dieser eine Nachmittag mit dem verstrahlten Kollegen an der Gitarre. Und dann bin ich halt, hab meine Mutter dann irgendwie so lange genervt, bis zu mir dann halt dann irgendwie für 200 Mark meine erste Nylongitarre dann gekauft hat, und mich zu (Name Gitarrenlehrer) bei (Name des Musikalienhändlers) oben ins Kabäuschen geschickt hat, ne, zum Gruppenunterricht. #00:07:44-5# Bassist: Da war ich auch. (Lachen) #00:07:48-1# Gitarrist: So war’s. #00:07:51-3# Interviewer: Ja, ähm (..) also hast du dann mit Gruppenunterricht angefangen, erst mal. #00:07:57-5# Gitarrist: Ja, ja, dann habe ich aber ziemlich schnell gemerkt, dass Gruppenunterricht, ähm, vielleicht ganz angetan ist, effizient irgendwie Geld zu generieren, aber nicht, um was zu lernen. Ich sag mal … #00:08:06-9# Bassist: … die Geschichte von dem Alten, die immer so gern erzählt irgendwie immer (Lachen) … #00:08:12-1# Gitarrist: Einer, der immer ankam, ähm, denn damals hatten die Konzertgitarren immer die Tragetaschen, also nicht solche Gigbags, wie man sie heute hat, sondern mehr so, na ja so’n Regenschutz, wo dann unten halt irgendwie so 'ne Schlaufe war oder so ne, ja so 'ne Schlaufe, die das Ding zugehalten hat. Und einer von den Kollegen, von dem Kurs, das waren so sechs Leute, war nicht ganz so motiviert, und packte halt seine Gitarre immer aus, indem er halt seine Tasche oben anfasste, so hochhielt, wie er konnte, dann die Lasche aufmachte und die Gitarre dann rauspurzelte. (Lachen) (unverständlich) Motivation sieht irgendwie für mich jedenfalls anders aus. Aber, das war dann auch nach’m Dreivierteljahr, habe ich dann auch gemerkt, dass das irgendwie, ich glaub, ich sollte dann doch mal lieber den Einzelunterricht mal anstreben bei (Name des Gitarrenlehrers). #00:09:01-2#
Die positiv besetzten Erinnerungen sieht verknüpft mit Anekdoten. Interviewer: Ähm, oder die andern erst mal. (kurze Pause) #00:09:04-5# Bassist: Also, ähm, bei mir so richtig die, die, der Moment, wo ich irgendwie dachte, ähm, das, das ist cool irgendwie Musik zu machen war definitiv die „Teens“ bei der "Große Preis" 1977/78 oder was, Wim Thoelke, große Preis, und dann traten die auf einmal auf, und ich weiß gar nicht, ob ich vorher Bands nie so richtig wahrgenommen hab oder so, aber dann auf einmal da Leute zu sehen, die irgendwie mehr oder weniger genauso alt waren wir ich, so plus minus zwei drei Jahre, und da stehen und Musik machen, da fand ich halt megatierisch, also echt Wahnsinn. Also am nächsten Tag hab ich dann halt irgendwie so die berühmten Waschmitteltrommeln halt mit Plastiktüten bespannt und drauf rumgetrommelt, und warum ich dann irgendwie dann den Draht zur Gitarre gekriegt hab, damals, weiß ich dann aber auch gar nicht mehr, also meine Eltern ham mir dann irgendwie Weihnachten 79 'ne Gitarre geschenkt, so, und dann tatsächlich auch gleicher Kurs da bei, wo (Name des Gitarristen) auch war, bei (Name des Gitarrenlehrers), und da habe dann das erste Mal E-Gitarre gespielt, tatsächlich. (Name des Gitarrenlehrers) hatte diese rote 345 von Gibson, die stand da halt rum, und dann durft ich dann mal drauf spielen, und das fand ich natürlich auch wahnsinnig, so. #00:10:09-8# Gitarrist: Obwohl ich weiß noch, dass er sie immer mit hatte und ich sehr enttäuscht war, weil’s keine Strat war. (Lachen) Was für mich der Inbegriff der E-Gitarre ist.
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Die Faszination für Instrumente spielt eine wichtige Rolle. #00:10:16-6# Bassist: (unverständlich) so festgelegt ist (Lachen). #00:10:18-0# Sänger: Das ist ja so geblieben, ne. (Lachen) #00:10:21-8# Bassist: Nee, war die überhaupt rot? Nee, sunburst war die, ne? #00:10:22-0# Gitarrist: Nee, die 345 hat er ja später erst gekauft. #00:10:23-8# Bassist: Ach so. #00:10:27-4# Gitarrist: Das war irgend ne andere, irgend so ne Jam, Jazz … semiakustik, weiß ich nicht. #00:10:34-5# #00:10:29-0# Bassist: (unverständlich) In meiner Erinnerung ist die rot. Ob das stimmt, weiß ich gar nicht mehr, aber das war auch so’n (unverständlich), irgendwie, also für mich war so Musik machen und Krach machen auch immer sehr eng miteinander verbunden, muss ich sagen. Dieses Gefühl zu haben, so E-Gitarre, und auf einmal macht das richtig Krach. War auf jeden Fall weitaus, ähm, interessanter als irgendwie auf so ’ner Akustikgitarre zu spielen. #00:10:48-9# Gitarrist: Gibt ein Gefühl von Macht. #00:10:50-2# Bassist: Ja, irgendwie sowas (Lachen), ist auch nach wie vor noch irgendwie so 'ne Saite anzuschlagen, und der ganze Raum wackelt irgendwie, abgesehen davon, dass ich Lärm gar nicht mehr so gut abkann. Aber dieses Gefühl ist nach wie vor unglaublich, also das … #00:11:01-3# Interviewer: Also Lautstärke spielt schon 'ne Rolle. #00:11:02-2# Bassist: Ja, total, total. #00:11:04-0# Interviewer: Ja. #00:11:05-1# Gitarrist: Absolut, ja ja. #00:11:07-7# Interviewer: Also, ich hab da ja eher als, als Keyboarder, ähm, n Problem. Ähm, da waren die Gitarristen immer überlegen. (Lachen) Und, ähm, es war eine neue Erfahrung mit der Hammondorgel zu spielen, weil da kann man live, mhm (bejahend Bassist), richtig die Band wegpusten. #00:11:25-9# Gitarrist: Da kann man richtig gegenhalten. #00:11:27-8# Interviewer: Das war richtig ein Gefühl von Macht. (Lachen) Es war das Beste überhaupt, so wirklich Akkorde zu halten, ähm, den Sound überdrehende Lautsprecher zu hören, und so, dass Gitarristen sagen ‚Mach mal leiser‘ (Lachen). Das war ’ne neue Erfahrung. #00:11:45-4# Gitarrist: Das hatten wir ja damals auch, als (Name) mitgespielt hat, ne. #00:11:45-9# Bassist: Stimmt, und der schleppte das Teil da rein. Ja, Wahnsinn. #00:11:48-6# Sänger: Nee, geschleppt habe ich. (Räuspern) #00:11:52-4# Bassist: Und nicht nur du, es war‚ du, kannst mich abholen?‘ (Lachen) #00:11:56-3# Gitarrist: Der hat uns ganz schön plattgemacht, der Gute, mit seiner Orgel. Aber (unverständlich) noch ganz kurz (unverständlich) daran, wie ich dann auch immer so billige Mikrofone so in meine Konzertgitarre reingefummelt (Interviewer: Ja), hab denn irgendwie im Tape-Eingang vom Tapedeck, so, Kopfhörer auf, und dann └ halt, ┘ #00:12:13-3# Interviewer: └ Das hab ich auch. #00:12:13-3# Gitarrist: Das hat natürlich nur gezerrt, klang dann echt wie rasieren morgens, irgendwie, aber hat mich damals irgendwie ästhetisch nicht davon abgehalten das zu tun. #00:12:190# Interviewer: Ich hab das auch gemacht. Ich hab'n Mikrofon reingelegt, ähm, in die Akustikgitarre, und, ähm, das, das, die Tonbandmaschine gestellt auf Aufnahme. #00:12:28-4#
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Gitarrist: Genau, und dann war Aussteuerung. #00:12:29-9# Bassist: Dann konnte man aber ganz schön aufdrehen, dann, ne. Aussteuerung, Rechtsanschlag, und auf einmal klang das wie, ähm, „Whole Lotta Love“, ne. (Lachen) #00:12:374# Interviewer: Das war auch die Zeit, so (Lachen) (Räuspern) Ich hab damit die Maschine meiner Mutter gekillt. (Lachen) #00:12:47-9# Bassist: Nee, war auch geil, dass damals irgendwie das ganz normal war, dass in jedem, dass es in jedem Haus eigentlich Mikrofone gab. Die war’n halt immer mit dabei, weil die halt teilweise in den Geräten noch nicht eingebaut waren, und irgend, irgendjemand hatte immer irgendwo ’n Mikrofon rumfliegen. War’n natürlich diese Tonband-Amateurmikrofone, aber so, sowas gab’s halt alles so, ne. So Sachen, mit denen man was anstellen konnte, was heute, dann irgendwann, oder irgendwann überall eingebaut war, gab’s die so ja als Standalone-Geräte. Heute gibt’s die ja gar nicht mehr so. #00:13:10-8# Gitarrist: Kann mir gar nicht vorstellen, dass irgendwie so junge Leute ihr iPhone in den Gitarrenkorpus reindrücken (Lachen) ist ja auch ziemlicher Quatsch. (...) #00:13:21-7# Schlagzeuger: Ich hatte auch ’n Mikrofon. (Lachen) Aber ich hab damit BundesligaBerichterstattungen selber nachgestellt. (Lachen) #00:13:28-2# Bassist: Mit verstellten Stimmen? #00:13:28-2# Schlagzeuger: Ja, sicher. (kurze Pause) #00:13:33-3# Sänger: Ja, bei mir war das, war das anders. Das war, das war früher. Und das war, hatte, bei mir halt diesen familiären musikalischen Hintergrund durch meinen Dad, der Berufsmusiker war, oder sich auf jeden Fall so sah. Und dadurch hatte Musik also einen riesen, also auch Musik machen, hat einfach einen riesen Stellenwert. So, und das war halt auch gar nichts Besonderes, sondern das war einfach ganz normal, dass man das tat, und mein Dad hat damals ganz viel Lieder geschrieben, und deswegen war das für mich halt auch ne völlige Normalität, dass man Lieder schrieb. Das war halt, war halt so der Beruf. Und dann war das so mit fünf, vier, fünf, sechs, war mein erster Initiations … oder, oder besonderer Moment. Da haben die mich in, wir haben einen, in der P., also klassisch, ne, in der Pauluskirche gab es einen kleinen Kinderchor, so mit vierzehn Kindern, oder so was, und da war ein Kantor aus England, der hieß (Name), und der kam, das war ein alter Opernsänger, und der konnte aber nicht mehr Oper singen, aus welchen Gründen auch immer, und der hat dann da, aber der war richtig gut ausgebildet, und der war auch als Komponist ganz vernünftig und so, der hat lustige Sachen gemacht. Und der hat dann so in den nächsten zwei, drei, vier Jahren, so’n kleinen, aber sehr feinen Kinderchor sich hingebaut. Und da haben wir zweistimmig, dreistimmig, so sich aus (Ort) sich die ganzen Leute rausgesucht, von denen er glaubte, dass sie gut singen, und dann haben wir (kurze Pause), weiß nicht, alles Mögliche da gemacht, und das war, das war für mich, und da hab ich gemerkt, dass ich gut singen kann und dann, könnt ich da auch solo singen und solche Sachen machen. Und dann gab’s, das Erste, was ich noch weiß, das war, da war ich eigentlich schon ’n bisschen älter, aber, vielleicht so acht oder sowas, das war, da haben wir Ringelnatz, ähm, Vertonungen gemacht. Es gibt „Ein männlicher Briefmark, er lebte, was schön ist, bevor er klebte“ und so, ähm, da gibt’s Vertonungen davon, und das war für mich, und das haben wir halt auch aufgeführt, und dann hab ich da die Soli gesungen und so, und das war der (kurze Pause) der absolute (kurze Pause) Überburner. #00:15:45-3# Interviewer: Also, es sind doch häufig auch ähm, sagen wir mal Personen, so aus’m eigenen Umfeld, die auch schon ’ne gewisse Rolle spielen. #00:15:51-2#
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Sänger: Klar. (kurze Pause) Also dadurch, dass es einfach Normalität ist. (unverständlich) ist da einfach überhaupt keine, keine, keine Berührungsängste, und es, ähm, es ist ja auch positiv besetzt, spätestens wenn, wenn’s dann deine Eltern selber machen. Ist ja auch ’ne … #00:16:09-9# Interviewer: Ja, okay, wobei Eltern schwierig sein kann, also, das muss schon eher positiv besetzt sein. #00:16:17-3# Sänger: Aber wenn du klein genug bist #00:16:17-2# Bassist: Ich glaub auch, dass das klein genug, denk, ist darin, so fünf Jahre später ist es dann schon eher ’n └ Problem, ┘ #00:16:23-3# , wenn die Eltern das auch machen, so. Sänger: └ Ja, ja, genau. #00:16:23-3# #00:16:27-7# Sänger: Ja, wir hatten dann auch schön, ich hab dann relativ früh, mit sechs oder so, mit Klavier angefangen, und da hatten wir auch, da hat mein Vater mir zuerst Unterricht gegeben, ähm, und, der hat halt irgendwie im Grunde nicht mit Übungen angefangen, sondern hat mir halt gleich irgendwelche kleinen Bach-Gavotten, oder so was da vorgelegt. Und ich mochte die Musik total gern, ich habe die auch gerne versucht zu spielen, aber er hat halt pädagogisch das komplett (kurze Pause) versemmelt, sodass ich, ähm, und er hat mich dann da angeschrien und so, das weiß ich auch noch, und dann hat er mal, meine Eltern das relativ schnell geschnallt, dass, ähm, sie mir die Musik mir einmal komplett verleiden, wenn sie (unverständlich) den Vater weiterhin Unterricht geben lassen, und dann hab ich ’n Klavierlehrer bekommen, und dann (kurze Pause) dann ging das. (...) #00:17:15-0# Interviewer: Ich setz mich mal hier runter (verlässt den Hocker, Sitzposition höher als die der anderen). #00:17:15-6# Gitarrist: Ja #00:17:15-6# Bassist: Das ist noch ’n anderer Hocker (Name des Interviewers), ne. #00:17:18-6# Sänger: Hier #00:17:18-6# Interviewer: Ja, aber das ist irgendwie (kurze Pause) das ist keine gute Höhe. Ca. fünf Sekunden Pause. #00:17:24-4# Interviewer: Ähm, ja, zur eigentlichen, zur eigentlichen Motivation, ähm, da, wo man angefangen hat, also Vorbilder spielen sicherlich ’ne Rolle. Ich könnte mir vorstellen, und, ähm, dass, ähm, sagen wir mal, Musik einen in einem bestimmten Alter auch besonders berührt. (..) Das kann natürlich so ’ne, so ’ne Bandgeschichte sein, dass du sagst, das, das find ich toll. Und, ähm, bei mir warn’s mit Sicherheit auch die Beatles, hat sicher ’ne Rolle auch mitgespielt. Mhm (bejahend) (Bassist). Weil es war schon bedeutend, so Mitte der Sechzigerjahre, das bedeutet aber nicht, dass man jetzt unbedingt so sein wollte wie Beatles oder irgendwas, sondern aber, ähm, das, was die, was die rübergebracht haben, das war schon einfach bedeutend. #00:18:07-2# Bassist: Ja, die ham sich dann tatsächlich dann eher als, keine Ahnung, (unverständlich) als ich so zehn, zwölf war, oder wir so zehn, zwölf waren, da wurden diese Filme ja noch mal └wiederholt ┘ #00:18:15-0# Gitarrist: └ Genau #00:18:15-0# Bassist: "Help, help" und "A hard days night" und so weiter, und da darüber hab ich die dann überhaupt erst wahrgenommen. #00:18:20-5# Gitarrist: Ging mir aber auch so, war genau dieselbe Zeit (allgemeines Gemurmel). #00:18:25-0# Schlagzeuger: Aber, es ist halt tatsächlich, ähm, ich glaube, diese, ähm, dieses, wenn man das erste Mal quasi, ähm, berührt ist von irgend ’nem Musikstück, aus welchen Gründen auch immer, das ist, das ist so was, was ich erinnere, dass es irgendwann anfängt, dass
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man, dass man ’n Lied gehört hat und das es (macht mit Lauten Erstaunen nach) zum Beispiel "Mandy" von Barry Manilow oder so was, (Geil: Sänger, Lachen Bassist), oder "Samba pa ti", war eins meiner, ich hatte das auf Instrumental Golden Greats-Cassette, irgendwie, und, ähm, als ich das das erste Mal gehört habe, war ich einfach, ich dachte Oohh, weil ich wollte nämlich immer Gitarrist werden eigentlich, weil ich immer, immer Gitarren geliebt, Gitarrensolo (kurze Pause) hat mich immer berührt, wenn’s irgendwie (Räuspern), ähm, aber dann trotzdem, für mich war’s so, dass ich, ähm, zwar Musik immer mehr quasi mich bewegt hat, und dann, aber ich dachte immer, das kann man nicht selber machen, das geht halt nicht, weil das können nur Leute, die genial sind oder mindestens, ähm, nicht von dieser Welt, so wie diese Typen eben. Von denen ich auch schon vorher (unverständlich) man sagen, ja okay, nee, das kann man, das kann man ja selber nicht machen. #00:19:32-0# Gitarrist: Ja, ich denke, dass die Motivation auf jeden Fall, ähm, glaub ich so irgendwie zweigleisig funktioniert. Das ist (kurze Pause) bei mir zumindest so, ich mein, welche es ist, sei mal dahingestellt, also um erst mal Begeisterung überhaupt für Musik an sich zu entwickeln, ist glaub ich der eine Schritt, also den kann man bei mir (unverständlich) damals war das ja auch ganz normal selbstverständlich irgendwie Bach und dieser ganze Kram, ähm, Bach und, ja eigentlich hauptsächlich Bach, dass immer so der, der, der Top One von allen gespielten Musiken. #00:19:59-6# Bassist: Onkel Johann Gambel Putti denn von (Lachen alle) #00:20:02-8# Gitarrist: (unverständlich) Frankfurter Würstchen (Lachen Bassist) #00:20:04-6# Gitarrist: Ja, Bach lief erst mal rauf und runter, ähm #00:20:08-3# Interviewer: Hat das mit dem Musik ähm Musik hören zu Hause zu tun gehabt, auch, oder? #00:20:12-3# Gitarrist: Ja, das sind, meine, meine Eltern haben das dann halt immer aufgelegt. Und so sonntags zum Frühstück, so mit der ganzen Bande, lief eigentlich immer irgendwie (kurze Pause) ’n Brandenburgisches Konzert oder sowas. Aber #00:20:24-5# Bassist: Bei uns lief immer von Hamburg nach Haiti, ne. (Lachen) #00:20:27-7# Gitarrist: Es gibt kein Bier auf Hawaii. (Lachen) #00:20:29-8# Bassist: Nee, das lief doch Sonntagmorgens immer auf NDR (unverständlich) (Lachen) #00:20:35-5# Gitarrist: Äh, was wollt ich jetzt sagen? Danke (Name des Bassisten) #00:20:38-2# Interviewer: Ähm, Bach #00:20:38-2# Gitarrist: Ähm, Bach, genau. Bach, das eine Ding, also erst mal, so richtig, so dieses entdecken der eigenen Musik, ja selbst, ja genau, diese Videos, Filme, von denen man auch so’n paar Songs, also auch meine erste gekaufte Hit (unverständlich), weiß ich noch von K-tel oder „Wie hieß die andere noch?“ #00:20:52-4# Bassist: Ariola #00:20:52-4# Gitarrist: Ja, genau. #00:20:54-7# Bassist: (Macht Werbestimme nach) Oder die von Ariola. (Lachen) #00:20:56-1# Gitarrist: Genau. Aber das hat irgendwie, wie gesagt, so’n bisschen wie gesagt, den Weg geebnet, einfach irgendwie Musik an sich einfach, ähm, überhaupt für sich zu entdecken als, als (kurze Pause) ja, sozusagen als, ja, passives Ding. Also erst einfach mal irgendwie konsumiert und dich dadurch irgendwie emotional irgendwie anders fühlt. Hinterher also vorher, so, das ist ja schon ’ne ganz erstaunliche Erfahrung, eigentlich. Mhm (bejahend Bassist). Aber dann die Motivation, den ganzen Kram auch selber machen zu wollen, ist, glaub ich noch irgendwie, (kurze Pause) ja, ja, das ist glaube ich ’n anderer, anderer Auslö-
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ser, glaub ich. Ich glaube nicht, dass es so ist (kurze Pause) das gibt’s wahrscheinlich auch bei den ganzen Karrieren, die man so gelesen hat, Biografien, dass die Leute dann sagten, hab ich irgendwie Muddy Waters gehört, und dann wollt ich nur noch Gitarre spielen, so was gibt’s natürlich auch, aber ich glaube, das ist irgendwie, ähm, noch ähm, eindrücklicher, wenn man wirklich jemanden sieht, der spielt, aber jetzt nicht irgendwie gleich schon irgendwie auf der Bühne steht irgendwie, tausend schreiende Leute drum herum, sondern einfach, der einfach spielt. So, wo man einfach denkt, ähm, das ist ja gar nicht so schlimm, das ist (unverständlich) das ist ja total geil. Also, ich find, das ist auf jeden Fall irgendwie ne zweigleisige Geschichte, also wie gesagt, Musik selbst und Musik machen wollen. Mhm (bejahend Bassist) Und dafür sich (kurze Pause), ähm, ich mein' für Musik hören sich zu motivieren ist ja nicht so richtig schwierig, aber das andere ist natürlich der steinigere Weg. (..) Da braucht man halt schon ’n bisschen mehr Motivation, dafür so, ne, mhm (bejahend Bassist) und dann glaub ich halt, dass irgendwie Triebfeder das Berühren, das Emotionale, Musik ist einfach tierisch. Und "Samba pa ti" und so, das fand ich auch immer ganz großartig, wenn ich das heute höre, dann muss ich eher so denken so, mmh, schade, dass es damals kein Autotune gab (Lachen alle). Aber, (Durcheinanderreden) der ist einfach immer ’n bisschen zu hoch, das ist einfach diese heiße karibische Seele (humorvoll betont). (Lachen alle) #00:22:34-3# Bassist: Ja, genau. #00:22:35-8# Gitarrist: Egal, nee ähm #00:22:36-3# Interviewer: Meinst du die Gitarre? #00:22:37-5# Gitarrist: Mmh? #00:22:38-7# Interviewer: Ja, ist ja nur die Gitarre drauf (unverständlich) #00:22:41-3# Gitarrist: Ja, und ’n bisschen Conga (unverständlich) geile Orgel im B-Teil. #00:22:44-6# Bassist: Die Orgel natürlich auch. #00:22:45-3# Gitarrist: Die Orgel ist ein Hammer. #00:22:45-4# Schlagzeuger: Geräusche der Begeisterung. Oooh. #00:22:50-7# Gitarrist: Ähm (...) Ja, jetzt hab ich den Faden verloren, super. #00:22:55-6# Interviewer: Ja, ähm, ich kann dich leider gar nicht wieder rauf bringen. Ich weiß gar nicht, gerade, es ging um Samba pa ti. #00:23:02-2# Bassist: Ich kann aber auch noch so momentemäßig, weil da hab ich auch tatsächlich auch letzte Woche noch mit Leuten drüber gesprochen, so was, genau, was du nämlich gesagt hast. Wir liegen jetzt nämlich auch immer so, dass jahrelang für mich auch diese ganze Musik, die man so hören konnte, das war, konnte ich mir nämlich überhaupt nicht vorstellen, dass, ähm, also nachspielen sowieso nicht, ich hab auch nie, also als ich noch Gitarre gespielt hab, nie Sachen rausgehört, da auch immer nur, was weiß ich, nach irgendwelchen Noten oder Akkordbüchern gespielt, weil ich nie auf die Idee kommen, weil für mich war’s immer unvorstellbar, dass man die Sachen überhaupt spielen kann. (Ja, ja – Sänger). Ich es ging mir tatsächlich lange Jahre auch noch so, ähm, mit Sachen von U2 oder so, da habe ich nie drüber nachgedacht, was das wohl für Akkorde sein konnten, könnten, weil das war ja irgendwie eh alles unvorstellbar. Und als ich dann irgendwie dann, irgendwann so in Cover-Bands gespielt, diesen ganzen Kram spielen muss, wo, man dann sind ja zwei Akkorde, das ist ja super irgendwie so das, Jahre gedauert, und ich kann mich noch total an diesen Moment erinnern, so, mein erstes richtiges Konzert war ja BAP, also richtig großes Konzert in der (Name der Halle), so um fuffzehn (Gitarrist und Sänger merken an, dass sie dort auch waren), und da war das denn einfach so, dass natürlich hier „Verdammt lang her“, dieses Riff war natürlich der totale Hammer, und ich erinnere mich noch, dass, ähm,
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ich bei, bei (Name des Ladeninhabers) im Laden (Name des Ladens), damals noch inner, wo hier neben dem Hotel (Name des Hotels), wie heißt denn die Straße noch dahinten bei der Kirche (Interviewer nennt Straße). (Andere stimmen zu) Ja, genau, dass da in dem Laden war ich, hab ich natürlich auch immer rumgehangen, und dann saß da irgendwie Olaf R., mit dem ich Fußball gespielt hatte, und mit irgend so ner, was hatte er da, irgendwelche Jackson-Gitarren, und so’n Jackson Zackenbarsch, den er da irgendwie hatte so, und saß da und spielte das Riff von „Verdammt lang her“ und ich dachte, das kann nicht sein, das kann nicht sein, dass irgendjemand das spielen kann, (Lachen Gitarrist) was, was, was. Nö, das ist von BAP, und ich so, Och, Alter. (Lachen alle). War völlig, völlig fertig, und es war unglaublich, so, unvorstellbar, dass man das spielen kann. #00:24:48-7# Gitarrist: Ich hab das immer schon sehr früh gemacht, also die ganzen, damals meine Barclay James Harvest-Zeit, (ja, ja – Bassist) als ich meine erste Gitarre hatte, die erste E-Gitarre, diesen ganzen Kram irgendwie nachzuspielen, und der ganzen Familie unfassbar auf ’n Zeiger zu gehen, das kann ich noch gut entsinnen, das geile Solo von „Child of the Universe“, oder wie das Ding heißt da (kurze Pause), großes Kino. #00:25:07-5# Interviewer: Ich guck mal eben nur, ob das läuft, nicht dass wir irgendwie ne Stunde aufnehmen … #00:25:10-2# Schlagzeuger: Alles noch mal bitte, also du hattest gesagt … (Lachen alle, machen Späße, tun, als müsste man alles rekonstruieren). #00:25:24-7# Interviewer: Also, ich könnte mir vorstellen, das ist natürlich ne reine Behauptung, einfach erst mal, ähm, man geht ja immer von sich selber aus, dass, ähm, das Moment des Berührtseins, dass das einfach ähm ’n entscheidender └ Auslöser ┘ ist. #00:25:37-8# Gitarrist: Natürlich, klar. #00:25:39-5# Interviewer: Und gar nicht (kurze Pause) also natürlich bewegt man sich auch so in, in so, ähm, schaut sich Bands an und findet das ganz toll, also ich habe mich gerne zurückgezogen, ähm, und hab dann Luftgitarre gespielt, und hab Songs immer wieder abgespielt, immer wieder und dazu pseudo gesungen und sonst was, also, (kurze Pause) das Entscheidende war aber das Berührtsein von dem Song. Mhm (bejahend – Bassist). (...) ähm, ich wollte (...) #00:26:10-3# Gitarrist: Allein mit dem Thema kann man ja schon drei Stunden zubringen (Lachen Bassist). #00:26:11-9# Interviewer: Na ja, also ähm es, weil, auch interessant vielleicht sein könnte, dass auch, ähm, und das war ja dann zu unserer Zeit dann auch alles so, ähm, so Vorstellungen, dass man in einem Markt sich bewegt, oder dass man mal kommerziell erfolgreich sein will mit Musik oder so, das spielt einfach noch gar keine Rolle, └Null (Gitarrist), mhm, (bejahend Bassist) ┘ sondern im ersten Moment ist einfach erst mal nur Musik, also bei mir zum Beispiel, ähm, was auch parallel wie bei euch allen wahrscheinlich, ähm, ähm, ich hab angefangen richtig Musik zu machen mit Kirchenmusik, mhm (bejahend Bassist), und ich weiß noch genau diesen Moment, wie ich vom Konzert aus der Kirche nach Hause kam und sagte, das will ich auch machen. Kann man natürlich spekulieren, warum. Ich denke einfach, ähm, könnte, ich könnte mir vorstellen, dass der Sound einfach tierisch war, mhm (bejahend Bassist) und dass das magisch war, und dass das einfach ein Erlebnis, das einen berührt hat, und dass man sagt „Das find ich toll, das will ich auch machen“. Mhm (bejahend Bassist). Dass das mit Stil oder so noch gar nichts zu tun hat, also, war jetzt auch nicht Bach dabei, glaub ich. (..) #00:27:15-7# Sänger: Es war’n immer einzelne (Räuspern), einzelne Musikstücke und auch nicht alles immer an der Musik, sondern es war’n, nach wie vor, immer so geblieben, ähm, es gibt ein-
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fach gewisse Akkordwechsel, gewisse Soloeinstiege von irgendwelchen Gilmores in „Comfortably numb“ oder so was. Und das weiß ich, mein, ähm, mein Vater hat mir (kurze Pause) als ich noch klein, sieben, acht, irgend sowas, zum Einschlafen immer einen, einen Satz aus irgendeiner Sonate vorgespielt. Irgendwas, Bach, Mozart, (kurze Pause) war bestimmt nicht so besonders schön, aber es hat gelangt (Räuspern), und ich hab dann angefangen, das weiß ich noch (Lachen - bezieht sich auf etwas anderes), ich hab angefangen, ähm, ihn zu unterbrechen und zu sagen, die Stelle noch mal, und so. (zwei Mal ,Ja' aus der Runde) Weil, weil genau an der Stelle halt einfach mir die, ähm, die Gänseschauer den Rücken runtergelaufen sind, das war genau der Punkt. #00:28:04-2# Interviewer: Ich kenn das von, das war meine erste LP, insofern sind wir da nicht so weit auseinander, war "Abraxas". (Mhm verwundert – Gitarrist). Und es war immer, immer das Gleiche, und es war’n immer bestimmte Stellen, die musste ich immer wieder hören, weiß noch genau ’ne bestimmte Stelle bei, sag mal „San Francisco“ von Scott McKenzie, das ist ne bestimmte Wendung. Und da ist es mir eiskalt über’n Rücken gelaufen, und deswegen hat man das immer wieder gehört. (...) #00:28:35-1# Gitarrist: Ja, das macht Spaß, immer die entsprechenden Platten, an die man sich (kurze Pause) meistens dann noch erinnert, heute wieder hört, (kurze Pause) das fand … na ja, manche Sachen, das ist halt wie mit Filmen so, ne. Manche Sachen funktionieren noch, aber manche Sachen sind auch so (kurze Pause), gehen gar nicht mehr. #00:28:47-6# Schlagzeuger: Allein schon aus Sound-ästhetischen Gründen (leichtes Durcheinander). Sänger und Bassisten sagen etwas (unverständlich). #00:28:50-1# Bassist: Da kann man mal immer noch wieder drüber reden (unverständlich), das fand ich, das find ich jetzt nicht so. #00:28:53-0# Schlagzeuger: Na, manche, bei manchen geht das gar nicht. So aus den Achtzigern, speziell. Wenn du da, also ich kann, wenn ich dann denke, hua. Nur Höhen irgendwie, das macht mich fertig irgendwie. #00:29:03-3#
Betrifft die Frage der weiter hinten behandelten Problematik der Soundentwicklung durch verstärkte Kompression und extremes EQing ab den 1980er-Jahren. Sänger: Ich hab das einmal gehabt mit, ähm, (unverständlich) aber egal, mit hier „Concert im Central Park“ mit Herrn Simon and Garfunkel, und dies Ding hab ich gefeiert, und inund auswendig, und jede Note und alles gut. Und dann ich mir das, weiß nicht, vor zehn Jahren noch mal gekauft und angehört, und ich war, es hat alles kaputtgemacht, es war schrecklich. #00:29:25-4# Interviewer: Ehrlich? #00:29:24-2# Sänger: Ja, weil ich alle, ich hab natürlich auf einmal die ganzen falschen Töne gehört, (ach so – Interviewer) ich war da, als ich war halt sechzehn, siebzehn (ja – Interviewer), als ich das so gefeiert hab, und dann zwanzig Jahre später habe ich natürlich ganz andere Ohren und merk eben halt, dass, dass Richard T. natürlich total toll ist, aber auch eher (kurze Pause), also dies blöde analytische, analytische Hören hat das dann einfach alles (mhm – bejahend, Bassist – Ja, Interviewer), ihr seid sehr nett (Bezug nicht klar). (unverständlich) #00:29:51-3# Interviewer: Das lief jetzt gerade im Fernsehen, und da war ich überrascht, wie toll dies Konzert eigentlich ist (Ja – Sänger), das hatte ich gar nicht so └ in Erinnerung. #00:29:558# Bassist: └ Ich hab das auf DVD gekauft, hab’s aber auch nicht nie geguckt, ehrlich gesagt, also muss das auch mal machen. #00:30:01-3#
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Gitarrist: Ich war damals in Berlin. (..) #00:30:03-4# Bassist: Stimmt, du (Husten, Unruhe) (Husten, Unruhe) hast das sogar, w, w, wie war └ das ┘ … #00:30:04-1# Sänger: └ Echt? #00:30:04-1# Gitarrist: Ja, ja, (Wow – Sänger) Waldbühne. (Wahnsinn – Bassist). Simon und Furunkel, ne. Ein Traum wurde war. #00:30:08-8# Interviewer: Ich bin ja jetzt, ähm, vor drei Wochen mit (Name) bei Sting und Paul Simon gewesen (Ah – Bassist), weil allein schon wegen des Alters (Lachen – alle), Paul Simon ist 73, der kommt nicht noch mal, einmal gesehen haben. Hätte euch gefallen, nicht wegen Paul Simon oder Sting, die sind gar nicht mehr so wichtig, aber es war eine Hammerband, war’n ja zwei Bands, war’n quasi (Räuspern) 20 Leute auf der Bühne (Geil – Gitarrist). Das war, war, ich war schwer beeindruckt, wie gut die war’n, einfach. #00:30:38-5# Bassist: Also ich hab so so neuere oder was heißt neuere, von 2007 oder was, auch so ne Simon und Garfunkel, "Old Friends" heißt die, die DVD, die ist auch tierisch, also mit Jim Keltner und Pino Palladino und wen die da noch alles dabeihaben, das ist es auch, das ist natürlich ’n Spaß, (kurze Pause) großartig. Aber ich finde zum Beispiel, ich hab neulich mal wieder, weil, weil, weil (Name des Sohnes) wollte Rock hören und dann hab ich ihm so ne, so ne, so ne Rock-CD zusammengestellt, irgendwann dann, ähm, was ist das jetzt, das ist, da war natürlich "Highway to Hell" und "Hell ain’t a nice place to be" und so weiter, und er denn, da ist aber viele tolle Barockmusik, ja, ja, die machen da viele tolle Barockmusik #00:31:15-5# #00:31:20-1# Allgemeines Gelächter #00:31:18-2# Bassist: Und im Zuge dessen war dann aber auch halt "Tsouch too much" mit drauf, von AC DC, und das war halt mit dabei, bei meinem ersten Plattenspieler hab ich die Single halt mit dazu gekriegt irgendwie mit, keine Ahnung, zwölf, dreizehn, natürlich auch rauf und runter gehört, und das hör ich zum Beispiel heute und denke, was für ein perfektes Stück Musik #00:31:35-4# Gitarrist: Unglaublich, oder? #00:31:34-9# Bassist: Irgendwie, das hör ich heute komplett durch, das klingt fett, die spielen, da sitzt jede verdammte Note, du hörst das und denkst, Alter, was, was (kurze Pause), es ist, es ist wie ein, ein, ein Gemälde von Leonardo da Vinci (Lachen), irgendwie das ist, das ist unglaublich, das ist alles einfach nur geil, da sitzt alles #00:31:54-6# Der Rückblick auf die in früheren Jahren präferierte Musik ist sehr ausdifferenziert. Einerseits wird Musik aus der heutigen Profiperspektive negativ bewertet, andere Musiken dagegen werden hinsichtlich ihrer positiven Einschätzung bestätigt. Sänger: Das ist lustig, das ist eine meiner absoluten Lieblingsnummern, #00:31:55-2# Bassist: Ja Sänger: Wenn der, wenn der Bass anfängt zu spielen #00:31:57-8# Bassist: Auch wie sie dann immer diese kleinen Crescendi vorm Refrain und so, so langsam von gemutet gehen die Gitarren so’n bisschen auf und so, es ist wirklich alles, ich mein, die mussten’s ja damals einfach auch noch komplett durchspielen, so, das ist ja nix #00:32:09-1# Sänger: (unverständlich) Bassist: Großartig, (unverständlich) dass du nur noch denkst, so ey, ja, das ist perfekt, einfach, keine Frage so. #00:32:16-8# Sänger: Aber ich hab das ziemlich schnell geschnallt, dass es um Sex dabei geht. #00:32:20-1#
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Bassist: Ich überhaupt nicht #00:32:21-4# Sänger: Das fand ich so irgendwie, da war ich, das muss, das muss fünfte, vierte, fünfte Klasse gewesen sein. #00:32:25-3# Bassist: Okay. #00:32:26-5# Sänger: Da hab ich mit (Name eines früheren Freundes), da haben wir gehopst, weil ich hatte ein Bett, auf dem man hopsen konnte und haben AC/DC rauf und runter gehört #00:32:35-1# Interviewer: Rauf und runter gehopst #00:32:36-3# Bassist: (Lachen) #00:32:37-7# Sänger: Und wir haben dabei, wir haben dabei, wir haben dabei gehopst und wir haben aber alles in, alles komplett mitgesungen. #00:32:43-4# Bassist: Ja #00:32:43-4# Sänger: Und da war mir immer schon klar, bei Touch too much, oh, das war sexy #00:32:49-1# Bassist: Ja #00:32:50-3# Sänger: Das fand ich, ähm, da war, mein Englisch reichte aus, um das zu verstehen, also nicht, aber ein bisschen was, ähm #00:32:56-3# Bassist: (unverständlich) #00:32:56-3# Interviewer: Erzähl weiter, ich muss mal eben schnell mein Handy holen, weil ich hab das vergessen im Auto und weil ich da 'n Stück drauf hatte #00:33:02-0# Schlagzeuger: Wenn das man nicht schon weg ist #00:33:03-0# Durcheinandergerede #00:33:07-1# Interviewer: Das Thema (kurze Pause) sind harmonische Standards, und da hab ich euch ein Stück mitgebracht mit der, verbunden mit der Frage, ob ihr das jetzt als, ähm, Filmmusik anbieten würdet #00:33:35-6# Gitarrist: Als Filmmusik? #00:33:35-6# Interviewer: Ja #00:33:37-1# Sänger: Als Filmmusik? #00:33:39-0# Interviewer: Ja, ja, also Film-, Serienmusik, Serienmusik oder was #00:33:43-0# Gitarrist: (unverständlich) Oder was #00:33:42-8# Magnum-Thema erklingt #00:33:45-9# Gitarrist: Nein (Lachen) #00:33:51-1# Gelächter. Nicht wirklich. (Sänger) Willst du uns verarschen? (Bassist) #00:33:51-4# Bassist: Du weißt, dass wir das früher gespielt haben, ne? #00:33:57-2# Interviewer: Ich hab das auch früher gespielt. #00:34:03-4# (Lachen) #00:34:14-4# Sänger: Das klingt ja exquisit. #00:34:30-7# (Lachen) #00:34:37-6# Bassist: Das ist aber nicht die Originalversion, oder? Unverständliche Einwürfe wegen des Hörbeispiels. Interviewer: Bis dahin #00:34:41-7# Gitarrist: Die Gitarre ist ja auch nicht echt #00:34:42-1# Bassist: Ne Interviewer: Ne, ja, also, ich war mir am Anfang nicht sicher, weil ich das ja von früher immer nur aus dem Fernseher kannte, aus dem kleinen Fernseher, und jetzt klingt es hier ’n bisschen gewaltiger mit Orchester #00:34:56-1#
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Bassist: Das ist aber auch mit programmiertem Schlagzeug und allem, das ist ja damals irgendwie alles echt gewesen, so ich hab so’ne Mike Post, Mike Post #00:35:00-0# Interviewer: Pete Carpenter #00:35:01-5# Bassist: TV-Themes Platte, so, (kurze Pause) ja #00:35:06-4# Interviewer: Also, ich hab das ausgewählt als, sagen wir mal, ein Stück mit veralteten harmonischen Standards #00:35:12-3# Bassist: Mhm (bejahend) #00:35:12-9# Interviewer: Und jetzt ist die Frage, wer legt das fest, warum ist das so? #00:35:18-8# Bassist: Na ja, das ist natürlich immer ganz viel Zeitgeschmack, ne, was, glaub ich, was, was also, ich denke mal, ähm, dass in diesem, diesem TV-Bereich hast du eher noch, ähm, ’n bisschen mehr Narrenfreiheit, also da, wo du sowas (unverständlich), das würde man, das Ding jetzt mit aktuellen Sounds machen würde, würde das vielleicht sogar unter Umständen noch durchgehen, also im ZDF oder so irgendwo, aber, ähm (Lachen) #00:35:431# Sänger: Ja, bestimmt #00:35:43-7# Bassist: Nä, ich glaube, glaube eben halt, ähm, naja, das ist halt irgendwie so ’ne, so ’ne typische Zeit, diese, (Name des Gitarristen) würde sagen, würde sagen, "LA oder ich fress dich Akkorde" oder so irgendwie so, also dann, dann diese Zwischenteile da mit den SlashChords und allem Möglichen und so, was, was, sowas hat man halt eben damals gemacht, das, das, das war halt damals angesagt #00:36:04-2# Sänger: Aber das ist, das ist ’n totales Charakteristikum von dieser Nummer, dieses SlashChords-Zeugs #00:36:07-6# Bassist: Ja, aber das ist denn irgendwie wie so LA in den 80ern war #00:36:09-9# Gitarrist: Ja, aber #00:36:10-5# Sänger: Das ist halt das, das ist wirklich ’n, ’n so'n Songschreiben, das das auch so irgendwie verschieden (unverständlich), damit setz ich mich ja sehr auseinander, wie alle anderen auch, aber ich hatte auch, und Slash-Chords, die kannst du, da kannst du heutzutage mal extrem lange suchen, bevor du auch nur ’n C über D hörst und das ist, das ist halt Keyboard-Mucke #00:36:29-9# Bassist: Ja, ja, genau #00:36:31-1# Sänger: Das ist, das ist halt komplett aus’m, aus’m, und das weißt du als Keyboarder am besten, das liegt halt einfach an den Fingern, weil man, man muss halt einfach nix machen, also man kann einfach links liegen lassen und einfach rechts was tun, das ist im Zweifelsfall einfach so’n bisschen Ausprobieren, merken, ooh, klingt geil und von mir aus auch ’n bisschen Faulheit oder ich weiß nicht, also #00:36:48-8# Gitarrist: Ja, vor allen Dingen, vor allem gab es noch zu der Zeit, um noch auf das Stück kurz einzugehen, ja auch die, ähm, den Anachronismus der gespielten Fusion-Musik, die damals ja noch richtig populär war, was heißt, richtig populär, aber ich mein, da gingen doch noch wirklich irgendwie 1000 heute in so’n Konzert in die Fabrik und so (kurze Pause), und damals ist es ja auch so’n bisschen, weil, ich mein, diese ganzen bunten Akkorde, ich mein, das war in Pop-Musik damals auch schon nicht üblich so, Stichwort "Up where we belong", das geht’s ja stellenweise auch schon mal hoch her und so, aber ich mein, das ja da so’n krauser Kram, wie da jetzt im B-Teil passiert, das ist ja, war ja damals ja auch nicht, das ist glaub ich eher #00:37:22-2# Bassist: Ja, Phil Collins, irgendwie, die klassische Phil Collins-Bridge oder so ist ja auch #00:37:26-2#
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Gitarrist: Ja, das ist schon mal, schon mal bunt, aber ich mein, das ist ja schon hier, das ist ja schon, da muss man nicht drüber nachdenken, was man darüber eigentlich für Fills spielt, das #00:37:31-9# Bassist: Mhm (bejahend) #00:37:31-9# Gitarrist: Das hab ich damals gemerkt, als ich selber spielen musste #00:37:34-1# Sänger: (unverständlich) #00:37:35-2# Bassist: Aber wie auch immer #00:37:37-2# Gitarrist: Aber, mhm (bejahend), aber ich glaube, was (Name des Bassisten) sagt stimmt schon, ich mein also, normalerweise würde man ja für so ne TV-Serie schon was nehmen, was den aktuellen Zeitgeist irgendwie so'n bisschen repräsentiert, um halt irgendwie die berühmte Zielgruppe der jungen Leute, wenn sie denn noch fernsehen würden, aber, ähm, dann beim Einschalten, wenn das Ding anfängt irgendwie dann für sich, ähm, zu fesseln und zu gewinnen, und deswegen ist es ja eigentlich ganz schlau, das zu machen, ich mein, das ist immer das, das ist natürlich mittlerweile anders geworden, weil junge Leute einfach kein Fernsehen mehr sehen und sich das Fernsehmedium da eigentlich eher an etwas gesetztere Herrschaften richtet, das ist mit dem Zeitgeist ja nun auch wiederum so ne Sache, ne, #00:38:16-3#
Die Teilnehmer sind sich über die Bedeutung des Zeitgeistes einig, jedoch werden Zweifel darüber geäußert, was Zeitgeist in einer heterogenen Gesellschaft überhaupt bedeutet. Schlagzeuger: Insofern wieder top aktuell #00:38:17-1# (Lachen) #00:38:19-5# Gitarrist: Ja, läuft doch wieder sonntags oder so, ne #00:38:20-2# Bassist: Ja #00:38:21-5# (Lachen) #00:38:21-5# Sänger: Ja, aber (unverständlich) harmonisch ging das schon ’n bisschen weiter, also ich erinnere mich an eine #00:38:27-2# Interviewer: Vorsicht, Vorsicht, da ist (unverständlich) #00:38:27-2# Sänger: Oh ja, da ist ’ne Handy (unverständlich) #00:38:28-2# Gitarrist: Ja #00:38:31-0# Sänger: Eine Platte, ich sehr genau kenne, das ist diese, diese Tina Turner und zwar "Break every rule" mit, mit, ähm, ach was ist da drauf, "I’ll be …" (unverständlich) und "Two People" und so was #00:38:41-2# Bassist: Mhm (bejahend) #00:38:41-2# Sänger: Und das haben zum Großteil hier Graham Lamb und Terry Britton geschrieben #00:38:44-1# Bassist: Mhm (bejahend) #00:38:44-1# Sänger: Und das sind, das, das ist einfach die ganze Zeit nur irgendwas über irgendwas und verschoben und so, es ging schon bis #00:38:54-0# Bassist: Na gut, das hast du ja bei Michael Jackson auch gehabt zu der Zeit #00:38:56-4# Sänger: Ja #00:38:56-4# Bassist: Und Stevie Wonder und so war ja auch erfolgreich, also da ging ja irgendwie so ganz, ganz, ganz andere Sachen zu der Zeit noch └ #00:39:03-4# Sänger: Ja aber └ #00:39:04-7# Gitarrist: Das berührt sich auch alles └ #00:39:06-5# Sänger: Aber es ging halt alles └ #00:39:05-7#
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Gitarrist: Beeinflusst sich #00:39:08-4# Sänger: Das ist ja, das ist, mir ging’s jetzt um die Zeit, mir geht’s einfach darum, dass das, das was wir gehört haben, Mike Post, das müsste ja, was ist das, Anfang #00:39:14-2# Interviewer: Müsste späte 70er sein #00:39:15-9# Sänger: Genau, und, und aber diese "Break every rule" ist der Ende 80er, wenn nicht gar Anfang der 90er #00:39:22-3# Bassist: (unverständlich) die ist Mitte, das war die zweite von ihrem Comeback #00:39:274# Sänger: Ja, (unverständlich) okay #00:39:27-8# Bassist: Und die ist halt, ich glaub, wann war (unverständlich) "What’s love got to do", wann war das, 85, bin ich ja noch zur Schule gegangen #00:39:32-2# Interviewer: Mhm (bejahend) , 85, 86 #00:39:33-3# Bassist: Das, das, die nächste "Break every rule", war dann danach, irgendwie, also war dann zwei Jahre später vielleicht oder so #00:39:36-9# Sänger: Okay #00:39:37-8# Bassist: Also, also plus minus, so #00:39:40-2# Expertenwissen wird an präzisen Details festgemacht und historisch genau eingeordnet und aufeinander bezogen. Sänger: Aber ich hab’s ja halt im Gefühl, deutlich, deutlich später, also weil einfach nur um so’n Zeitraum anzuzeigen, dass das auf jeden Fall so zehn Jahre sich schon gehalten hat #00:39:47-2# Bassist: Ja #00:39:46-1# Sänger: Das war nicht so ’ne Masche, die, die man mal irgendwie eins, zwei, drei Jahre war, sondern es war schon richtig Kompositorisches, quasi #00:39:56-2# Gitarrist: Mainstream #00:39:58-8# Durcheinandergerede #00:39:59-0# Bassist: Es gab ja auch Steely Dan und so was #00:39:58-8# Sänger: Ja #00:39:59-0# Bassist: War ja auch vergleichsweise erfolgreich, so also, sowas gab’s ja damals auch alles #00:40:03-5# Gitarrist: Das gab’s eigentlich alles, bis Kurt Cobain kam, ne #00:40:09-0# Sänger: Ja, (Räuspern) #00:40:11-4# Bassist: (unverständlich) die alles kaputt gemacht haben #00:40:11-3# Gitarrist: (Lachen) Genau, ey #00:40:11-7# Interviewer: Ähm, also das, die Frage ist immer, woran orientiert man sich eigentlich. Es gibt ja kein, kein festes Regelwerk #00:40:23-2# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:23-7# Interviewer: Ne, und deswegen, ähm, hat wahrscheinlich auch Leute, die das, also forschen über populäre Musik, haben immer große Probleme, die schreiben immer, populäre Musik (kurze Pause) ist kommerziell, ist, ähm, bedingt durch die Verbreitung über Medien, das ist ja nicht falsch #00:40:43-8# Bassist: Mhm (bejahend) #00:40:43-0# Interviewer: Und hat einfache Akkorde. #00:40:47-9# (Lachen) #00:40:47-1#
Bedeutungsvolles Lachen aus Expertensicht.
Anhang | 433
Interviewer: Ist einfach strukturiert für die Hörer #00:40:50-4# Sänger: Aber, aber irgendwas #00:40:50-1# Interviewer: So, das ist das so ne Aussage, so allgemein, also auch in verschiedener Literatur, ähm, Literaturansätzen und Quellen, Entschuldigung. Ähm, und das, das, das, ähm, was sich dahinter verbirgt, ist doch aber viel komplizierter #00:41:05-0# Gitarrist: Natürlich ist das viel komplizierter #00:41:06-4#
An dieser Stelle findet ein fließender Übergang zum Themenbereich der Definition von Popmusik statt. Bassist: Ja, ja #00:41:06-5# Sänger: (Namen des Bassisten) hat das gerade schon gesagt, (Namen des Bassisten) hat ja Zeitgeist gesagt und, und das ist, und du hast gesagt, Kurt Cobain hat das abgelöst und im Endeffekt geht’s einfach immer nur darum, dass irgendwann jemand kommt, der, der halt den Zeitgeist in dem Moment einfach per Jugendkultur, und die finden das, das war also (unverständlich) aller, allerbesten Beispiele, das dann halt mit dieser wundervollen, also mit diesem wundervollen Dance Nirvana mittendrin oder als Speerspitze, was auch immer, "It Smells Like Teen Spirit", und alles war anders und alle haben Pullover bis zu den Dings und fettige Haare gehabt und, und es waren halt nicht mehr C über D und G über A, sondern es war halt, ähm #00:41:44-6# Gitarrist: G und Es #00:41:45-2# Sänger: Genau #00:41:45-2# Bassist: Ich mein, das hast du halt (unverständlich) bei, bei, bei Punk ja eben halt auch gehabt, dass dann irgendwie dieser, dieser, dieser aufgeblasene, ähm, Prog-Rock der 70erJahre oder späten 70er-Jahre dann einfach von Typen abgelöst wurde, die halt ja, keine Ahnung, schlecht gerochen haben und ihre Instrumente nicht spielen konnten, ein, einige #00:42:07-3# Gitarrist: Wobei ich finde, bei Punk ist diese Revolution nicht ganz so massiv gewesen wie bei Grunge, fand ich #00:42:11-8# Bassist: Nee, wir haben sie halt nicht so mitgekriegt, glaub ich, also weil, weil, das ist also Grunge war für uns präsenter, ich glaub, wenn wir so Ende der 70er, ähm, so alt gewesen wären, wie wir waren, als diese Grunge-Nummer war, dann hätten wir, das glaub, ich auch schon deutlich präsenter mitgekriegt #00:42:23-8# Sänger: Ja, vor allem hatte Punk ja auch noch ne, noch ne viel stärkere politische #00:42:26-2# Gitarrist: Ja, das stimmt #00:42:27-2# Bassist: Ja #00:42:25-3# Sänger: Botschaft #00:42:29-9# Gitarrist: Das ist ja, ja #00:42:29-5# Interviewer: Ja, vor allen Dingen ja auch vor dem Hintergrund, ähm, des rein intellektuellen Herangehens an Musik, also wie Prog-Rock oder so was, eben auch abzulösen #00:42:41-0# Bassist: Mhm (bejahend) #00:42:42-3# Interviewer: Was ja auch gut nachvollziehbar ist, also ich bin ja so’n typischer Prog-RockHörer gewesen, auch so ähnlich jetzt mit heutigen Erfahrungen wie du es sagst, ähm, wo ich manchmal denke, warum hab ich das früher ertragen, dass Jon Anderson so schief singt #00:42:56-3#
434 | Popmusik aneignen
(Lachen) #00:42:55-9# Interviewer: Das hab ich früher gar nicht gehört, weil die emotionale Aussage für mich dahinter war viel wichtiger #00:43:02-4# Gitarrist: Aber ich finde trotzdem, das diese, diese, ähm, Klassifizierung auf diese drei Parameter, die du jetzt genannt hast, natürlich irgendwie schon äußerst problematisch ist, ist ja klar #00:43:08-8# Bassist: Mhm (bejahend) #00:43:08-4# Gitarrist: Allein aus dem akademischen Grund heraus, dass sie einfach hinterher kommt und versucht zu erklären, was irgendwie vorher passiert ist und irgendwie, ähm, versucht irgendwie ein Gesamterlebnis auf irgendwie verschiedene Parameter runterzubrechen, das kann ja nur schiefgehen und deswegen geht’s ja auch immer schief #00:43:26-0# Bassist: Zumal das auch immer regelmäßig wieder irgendwelche sackerfolgreichen Nummern gibt, die halt irgendwie durchaus auch komplex sind #00:43:33-0# Gitarrist: Ja, ich meine, jede Regel ist halt, hat solange bestanden, bis da jemand kommt, der sie bricht #00:43:35-5# Bassist: Ja ja, das ist halt, das hat’s ja in Pop-Musik immer gegeben, dass man über die, durch die Jahrzehnte immer irgendwelche Dinger dazwischen waren, die wirklich echt komplex waren und trotzdem erfolgreich waren und wo’s halt keinen gekratzt hat, irgendwie so #00:43:49-3# Schlagzeuger: Ja, aber die ist teilweise auch von Leuten gemacht, die nie, die gar nicht wissen, dass es komplexer sein muss, einfach #00:43:51-1# Bassist: Ja, ja #00:43:51-1# Schlagzeuger: Einfach weil sie, weil sie’s nicht (unverständlich) einfach nur nach Gefühl und nach ihrem eigenen Gehör Sachen machen, die man dann, die dann nachher quasi, ähm, die man versucht zu erklären, aber die unerklärbar sind, weil’s einfach, wenn Niels Frevert einen Song macht, dann ist die Band da: Scheiße, was ist’n das, Kollege, keine Ahnung, weiß ich nicht, ich mach die einfach so, und hier hab ich diese Saite umgestimmt und denn kommt dieses #00:44:13-1# Bassist: Ja ja, klar #00:44:13-1# Schlagzeuger: Müsst ihr mir mal sagen, was das ist #00:44:15-6# Bassist: Ich mein, das fing ja für uns alles schon an, als wir irgendwo mal angefangen haben, irgendwelche Beatles-Songs nachzuspielen und wo man mit seinen vier Akkorden, die man konnte, da schon relativ schnell auf die Nase gefallen ist, weil das halt hinten und vorne nicht funktionierte so, und die waren ja nun weiß Gott jetzt auch, ähm, bei allergrößtem Respekt, irgendwie einzelinstrumentalistisch auch nicht die größten Leuchten, aber die haben dann doch ’n relativ großes Repertoire gehabt, was sie natürlich auch dann wiederum aus der Pop-Musik ihrer Zeit entlehnt haben #00:44:41-4#
Querverweis zu Schülerinterviews. Annäherung an Songs mit den bekannten Akkorden. Gitarrist: Und noch viel andere Musiken #00:44:42-9# Bassist: Und noch viele andere Musiken, genau, also, so, so ne, na ja, also Pop-Musik, aber dann, was weiß ich, und wenn’s dann irgendwie französische Pop-Musik oder sonst was war #00:44:49-1# Gitarrist: Ja, oder englische Traditionals #00:44:51-4#
Anhang | 435
Bassist: Ja, englische Traditionals und so, wo man immer schon geguckt hat, irgendwie was ist denn dieses H mit 'ner Null dahinter, irgendwie, was soll das denn, irgendwie, wo, wo soll ich das denn jetzt hernehmen so #00:44:59-4# Gitarrist: Kenn ich nicht #00:45:00-4# (Lachen) #00:45:01-5# Bassist: Ich kenn doch nur diesen einen H so, H7 spiel so und, ähm, naja, ist schon #00:45:06-6# Gitarrist: Gibt’s doch diese geile Geschichte, wo denn irgendwie weiß ich, ob das Paul oder John war oder George, wo sie denn irgendwie einen so'n Typen aufgetan haben, der halt H7 kannte, sind tatsächlich durch die ganze Stadt mit’m Bus gefahren irgendwie und haben den Typen aufgesucht, ey, zeig uns mal H7, #00:45:16-3# (Lachen) #00:45:17-1# Interviewer: Das ist diese Eric Clapton-Geschichte, ich kenn das unter Eric Clapton, dass die sagten, wir kannten E7, A7 und denn sind wir zu einem gefahren, der kannte H7 #00:45:27-0# (Lachen) #00:45:27-9# Interviewer: Denn konnten wir Blues spielen #00:45:29-0# (Lachen) #00:45:30-5# #00:45:29-9# Gitarrist: (unverständlich) #00:45:40-1# Interviewer: Okay #00:45:43-4# Gitarrist: Wie auch immer. #00:45:42-3# Interviewer: Aber #00:45:42-3# Gitarrist: Aber ich glaube, dass es einfach, ganz kurz nochmal, ’n letzten Satz irgendwie, dass es einfach so einfach natürlich nicht funktioniert, so lange das irgendwie mit komplex und nicht komplex oder so, das ist einfach auch irgendwie wirklich 'ne Frage von Definition natürlich, also ich find ja auch ’n Bob Dylan-Song mit drei Akkorden einfach deswegen komplex, weil er einfach irgendwie 98 Strophen hat mit echt schwierigen Wörtern drin, kann ich mir auch nicht merken, oder könnt ich mir nicht merken, wenn ich das singen müsste, ist ja auch 'ne Form von Komplexität. U2 ist das beste Beispiel, das sind irgendwie, dass mal 'ne Nummer mehr als drei oder vier Akkorde hat, das ist irgendwie schon echt ungewöhnlich, wenn mal jemand versucht, mal davon mal irgendwie ’n Playback zu machen, diese ganzen Texturen zu entschlüsseln, ähm, fährt man unweigerlich an ’n Baum, weil das einfach nicht geht, weil da so viel Zeugs passiert und irgendwie so kleine Elemente und kleine Sachen, die sich ablösen, und dann Edge mit seinem Delay, da irgendwelche Sachen schafft, die einfach nicht mehr reproduzierbar sind, find ich irgendwie das Wort, ähm, harmonisch einfach, bringt es einfach nicht auf’n Punkt, was da wirklich passiert #00:46:37-2# Interviewer: Das ist so’n ähnlicher Begriff wie verzerrte Gitarren#00:46:39-9# Gitarrist: Ja, das ist aber irgendwie, das klingt zwar vielleicht im Seminar ganz toll, aber sagt einfach leider nichts aus #00:46:45-2# Bassist: Ja, vor allen Dingen ist das ja tatsächlich irgendwie die, die, die, die also, wenn man vielleicht vordergründig einfach oder so, könnt man vielleicht so sagen, so, dass man erstmal so, wenn man im schnellen Vorbeifahren, nimmt man das als relativ einfach wahr so, aber selbst wenn ich U2, hier bei Marquess zum Beispiel, der Fleps, der, der erzählt, dass er öfter von den Sachen, die sie gemacht haben, die erfolgreich waren, so nachgemachte Playbacks gesehen hat, so oder auch so, wo Leute erklären, wie die Songs nachgemacht sind und einfach nur sitzt und denkt, irgendwie das ist nicht 50% von dem, was in
436 | Popmusik aneignen
der Nummer los ist, so, als er, der das selber gemacht hat, ist immer mal ganz spannend, wenn also jemand wirklich sagt, was die sich immer denken, irgendwie da ist irgendwie 50% mehr als die hören, irgendwie so, ne, so, das wissen wir ja selber alle, die wir Sachen nachmachen, wenn du nun auf einmal, sogar dieses komische Dieter Bohlen-Ding, was wir "We have a Dream", oder was haben wir noch mal gemacht, davon hatte ich doch dann die sehr, auf der CD war doch 'ne Karaoke-Version drauf, also ohne, wo auf einmal die Vocals aus, auf einmal kannst du alles hören #00:47:41-5#
Es wird deutlich, dass die Kenntnisse der Musiker über Popmusik im Wesentlichen darauf beruhen, dass sie beruflich damit zu tun haben, die Songs für Auftraggeber originalgetreu zu reproduzieren. Gitarrist: Ja, ja #00:47:41-6# Bassist: Und irgendwie da schon denkst, Alter, was ist da denn noch alles los, so, was du schon einfach nicht hörst, wenn die Vocals an sind #00:47:46-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:47:47-7# Bassist: Also das, die beschissenste Musik hat dann doch irgendwie wie oftmals ’n hohen Komplexitätsgrad, so #00:47:54-8# Sänger: Das haben auch gute Leute gemacht, hier, Batman?, Leif Bendorf? (nicht ganz verständlich) #00:47:58-5# Bassist: Ich glaub (unverständlich) irgendwie #00:47:58-9# Sänger: Keine Ahnung, (unverständlich) ist egal #00:48:02-0# Bassist: Da die sind (unverständlich) bei den Sachen mit am Start, ja #00:48:07-5# Sänger: Das ist einfach (unverständlich) an Komplexität oder Einfachheit oder so, das ist halt, da ist halt auch nicht so genau zugehört worden, also die, die, die Komposition, also auch Komposition in Pop-Musik verändert sich halt ständig, und man kann natürlich jetzt sagen, wir sind irgendwo angekommen, in ganz Dance-lastiger Musik, also wenn man sich die, die, die iTunes-Charts oder Spotify-Charts oder so mal durchguckt, das ist schon krass, dass in den ersten, ersten zwanzig Nummern sind 12, 15 irgendwie Robin Schulzes Prayer for Dings, was auch immer drin ist, ist schon krass, ähm, wenn man sich die Sachen einfach mal ’n bisschen genauer anguckt, merkt man einfach, dass der, dass der, dass, ähm, alle harmonische Komplexität ist um Gottes Willen nicht die einzige Komplexität, die es gibt, sondern es ist zum Beispiel, und da gibt es so wunderbare Beispiele, was gerade ist, ist ja eigentlich Sia, die, die ja auch diese, die, ähm, Rihanna-Sachen geschrieben hat, Diamonds und so'n Kram, und die hat ja hier mit, mit (unverständlich) und mit ihren Chandelier und mit ihrem Elastic Hide relativ große Erfolge und, ähm, da muss man sich einfach nur einmal die melodische Struktur angucken und dann, dann geht man das einmal mit hier, mit (unverständlich) Development, mit diesen Sachen durch und dann merkt man, alter Falter, ist das ausgecheckt, und das ist halt, also da passiert ne, da sind keine großen Tension, das sind wahnsinnig viel, ähm, auf der Eins, auf der Drei, auf der Fünf, auf der, dann mal auf der Vier, auf der Sieben, aber wie das gesetzt ist, wie das rhythmisch gesetzt ist, zur Melodie und was da vor allem phonetisch passiert, also welcher, welcher, welcher, welches, welche Silbe, welcher Vokal wird wie lange an welcher Stelle gesungen, das ist komplett geplant und komplett #00:49:50-7# Interviewer: Nun kann man das ja auch vor allen Dingen weiterführen, ähm, in Richtung Groove, ich meine, wenn man jetzt auch entsprechende Werke aufschlägt, gibt relativ differenzierte Sachen auch schon, (unverständlich) die Snare ist auf der Zwei und auf der Vier, aber #00:50:09-6#
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Gitarrist: Aber nicht immer #00:50:09-9# (Lachen) #00:08:45-6# #00:50:18-2# Durcheinandergerede "Können wir mal einen weglassen" Interviewer: Wie kann man das begrifflich fassen oder wenn man dann vor allen Dingen sich auseinandersetzt, jetzt mit anderen Leuten, jetzt auch in der Arbeit, du sagst, ich möchte, dass du das so spielst, wie kann man jetzt vermitteln, sagen wir mal, 'ne Vorstellung, wenn du 'ne Vorstellung hast von Jim Keltner, wie kannst du das einem vermitteln? #00:50:33-7# Pause #00:50:33-8# Schlagzeuger: Tja, das kann man natürlich nur einem vermitteln, der auch schon mal Jim Keltner gehört hat, eigentlich, weil sonst ist man, ähm, wie soll das sonst gehen? #00:50:43-0# Bassist: Ja stimmt, das ist vielleicht eben grade was, Jim Keltner, wenn du jetzt da, der ja auch gerne mal grade und Shuffle gleichzeitig spielt #00:50:48-7#
Auf die Diskussionsanregung wird mit Selbstverständlichkeit eingegangen. Namen wie die von Jim Keltner sind selbstverständlich und sind Teil der ästhetischen Auseinandersetzung mit Popmusik für diese Altersgruppe. Schlagzeuger: Ja ja #00:50:48-7# Bassist: Irgendwie so, und wenn du das anfängst, dann tatsächlich so einem jungen Leben zu erklären, der dann vielleicht eher, die gibt’s ja heute immer noch eher so’n großer TukuFan ist oder so, wobei das is’n schlechtes Beispiel, so, da wird ja auch geshufflet, (Lachen) Bassist: Aber sonst diese Jungs, die irgendwie so auf diese Sport-Drummer stehen und dann sagst du, nee, aber mach doch mal so und vielleicht mit Chance hat er sich so mit New Orleans Second Line-Drumming beschäftigt, aber wenn nicht und dann, dann, dann guckt er dich nur groß an, wenn du sagst irgendwie so Shuffle und Dings gleichzeitig oder irgendwo dazwischen (Husten, Unruhe), und das ist ja schon dann so’n, so’n, so’n sehr spezielles Ding, also das ist tatsächlich genau, wie du sagst, du kannst Leuten ja nur erklären, was erklären, was unter Umständen in ihrem Erfahrungshorizont ’n bisschen vorhanden ist #00:51:30-1# Gitarrist: Genau #00:51:31-4# Schlagzeuger: Du kannst aber auch, das kann man auch nicht sagen, ähm, so wie Jim Keltner spielen, das ist natürlich auch 'ne Kombination an Sound, von dem was gespielt wird, und du kannst natürlich auf ’nem, sagen wir mal, modernen Rock-Schlagzeug kannst du eben auch nicht wie Jim Keltner spielen, auch, selbst, wenn Jim Keltner drauf spielen würde, würde es nicht mehr wie Jim Keltner klingen #00:51:54-1# Bassist: Es würde schon mehr nach Jim Keltner klingen als bei allen andern #00:51:54-3# (Lachen) #00:51:55-3# Schlagzeuger: Es ist ja auch der spezielle, der spezielle Sound, den der Typ natürlich auch hat und, ähm, deswegen, ich würd versuchen soundmäßig da ranzugehen, weil ich glaube auch, dass man solche Sachen, solche, ähm, Feeling-Sachen auch nicht, also nicht wirklich kopieren kann in, in voller Gänze sowieso nicht, also gerade bei solchen Typen, ähm, aber (kurze Pause) das ist, ähm #00:52:24-6# Interviewer: Ja, es gibt vielleicht, sagen wir mal, so’n paar wenige Parameter, die man so nennen könnte, dass man sagt, da spiel mal erst mal keinen Standardbeat #00:52:34-6# Schlagzeuger: Ja #00:52:34-6#
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Interviewer: Da geht’s schon los, dass man irgendwas macht, aber keinen Standardbeat spielt, weil das geht schon mal nicht und, ähm, shufflen, das wär ja auch noch, sagen wir mal ’n relativ objektiver Begriff #00:52:46-6# Bassist: Mhm (bejahend) #00:52:46-6# Interviewer: Ähm mit binär, das kann man noch fassen, aber ich hab mir da auch noch mal, ich hab mir das so’n bisschen auf’m größeren Bildschirm mal hingezogen, jetzt hier so’n bisschen Blake Mills-Geschichten, was er so spielt, und man sieht einfach, dass es einfach ungenau ist, im positiven Sinne #00:53:04-5# Schlagzeuger: Ja #00:53:04-6# Bassist: Ja klar, also das, ähm, ist ja aber, ich mein, das ist ja sowieso, wenn du jetzt eben Musik hast, die jetzt nicht wirklich, ähm, komplett im Raster stattfindet, das ist ja alles immer extrem ungenau, so, da, damit muss man ja einfach leben, das ist ja, das ist ja glücklicherweise auch ganz gut so, also wenn du jetzt nicht grade irgendwie so New Metal oder so hast, diese Musik, die davon lebt, dass sie halt extrem genau ist oder so, aber das, das, das ist ja eben grade das Gute dran, da kommt aber auch noch die Soundnummer dazu, ähm, wenn ich dazu jetzt irgendwie anfange irgendwie so’n Bass zu spielen, der so’n ganz klares Attack hat oder so, dann hab ich ja schon ’n Problem, so kann ich mit den Sachen ja gar nicht spielen. Wenn ich aber halt so’n Sound hab, der auch irgendwie Wuuu macht eher, und wo das Attack verschwimmt, dann kann ich dann natürlich total gut mitspielen so, und ich mein, (Name des Schlagzeugers) ist ja zum Beispiel auch so’n Kandidat, den ich zum Beispiel, wenn ich mit ihm jetzt zusammen spiele, immer eigentlich eher als Loop wahrnehme, wo ich jetzt auch zum Beispiel jetzt auch als Bassist jetzt nicht gucke, ähm, ich muss da jetzt genau mit der Kick zusammenspielen oder so, sondern ich das so als Gesamt-Loop wahrnehme, das ist bei Jim Keltner ja auch so, das ist, eigentlich spielt er ja auch irgendwie so 'ne Loop, zu der man irgendwas macht, mit 'nem Sound, der im Idealfall dazu passt und wenn ich manchmal Songs, die ich so mit (Name des Schlagzeugers) spiele, bei irgendwelchen Sachen, da spielt da jemand anders Schlagzeug, wo ich auf einmal merke, oh, das funktioniert hier gerade total anders, ich muss echt sehen, dass ich bei dem mit der Kick zusammenspiele, sonst klingt das alles total scheiße, ich muss den ganz anders wahrnehmen, so, das ist immer wieder ganz interessant, sowas dann halt zu merken, wie das da so ist so, und wie gesagt, wenn ich eben halt mit 'ner Loop spiele, dann setz ich mich irgendwie in dieses Feeling rein, und ob da irgendwie was vorne, hinten oder was, ist mir dann ehrlich gesagt auch scheißegal, das muss nur irgendwie zusammenpassen, so #00:54:41-4# (Lachen) #00:54:43-9# Gitarrist: Gefühlt kann der Blues schon mal 13 Takte haben #00:54:46-4# Bassist: Ja, zum Beispiel #00:54:47-6# (Lachen) #00:54:49-5# Gitarrist: Mal sagen #00:54:49-1# (Lachen) #00:54:51-4# Gitarrist: (unverständlich) #00:54:54-5# (unverständlich) Durcheinander #00:54:54-5# Gitarrist: Das ist ja letztendlich, das ist ja genau das, was ihr, wie immer er darüber schreibt, das ist der Sound mit einer bestimmten Hörerfahrung, zusammen mit einer (kurze Pause), ja wahrscheinlich wie bei Schauspielern, einem emotionalen Gedächtnis dafür #00:55:07-4# Bassist: Ja #00:55:07-5#
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Gitarrist: Aber für’n bestimmtes Gefühl, ähm, an die Sachen ranzugehen, bestimmte Sachen bestimmt aufzufassen, zu phrasieren oder rhythmisch halt bestimmt auszudrücken und eben zusammen mit dem Sound, das stimmt schon, also ich hab mich früher immer gewundert, warum irgendwie so viele 60er-Jahre-Sachen immer so furchtbar klingen, warum die immer so gniedelig spielen, wenn man sich dann mal selber mal so’n Sound hindreht, der also quasi kein Gain hat, irgendwie, und nix komprimiert ist und so, wird man reichlich schnell feststellen, ach so, deswegen, weil die spielen das ja genau so’n Scheiß, weil das einfach nicht geht, man kann einfach da keinen Sport spielen, das geht einfach nicht #00:55:37-6# Bassist: Mhm (bejahend) #00:55:37-6# Gitarrist: Das trägt einfach nicht #00:55:39-6# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:55:40-0# Gitarrist: Also die Kombination, was (Name des Schlagzeugers) jetzt schon sagte, ich wiederhol, ich fass jetzt nochmal kurz zusammen, was (Name des Schlagzeugers) grade gesagt hat #00:55:44-7# (Lachen) #00:55:47-7# Schlagzeuger: Du hast meinen Namen erwähnt, können wir das rausschneiden #00:55:487# #00:55:50-5# Gitarrist: Das eine geht nicht ohne das andere #00:55:50-6# Bassist: Ja, (kurze Pause) was dann aber auch das Problem ist, wenn man halt dann eben so 60er-Jahre Sachen dann wirklich haargenau transkribiert und irgendwie so beim, dann sich mal wundert, was die denn da alles spielen, wo dann auch die, beim Bass auch grade die Terzen irgendwie völlig ignoriert werden, was du eben so mit so’m modernen Sound mit Höhen einfach nicht machen kannst, aber, ähm, das war damals dann halt einfach total egal, weil das eh nur wwwww gemacht hat, so, also das ist einfach so 'ne ganz andere, ja, ganz andere Ästhetik, das muss man sich dabei eben halt auch mal klarmachen, so #00:56:22-7# Gitarrist: Ja, bei Sound passiert dann ja auch viel, Fortschritt oder Rückschritte, wie auch immer, die vielen Entwicklungen in der ganzen Musikhistorie, ne, also der Klassiker wäre ja irgendwie halt zum Beispiel Grunge, das hat ja 'ne ganz andere Klangästhetik hervorgebracht als eben die ganze Zeit davor, deswegen hat’s denn ja auch so, so’n Impact gehabt auf die, auf die Musik der 80er oder die Anfang der 90er, wie auch immer, weil diese Herrschaften da mal ’n ganz anderes Soundideal dabei an den Tag gelegt haben, was irgendwie damals irgendwie ’n Nerv getroffen hat, da war dann irgendwie, Hallgeräte war’n verpönt und so, das kenn ich, die Sprüche kenn ich alle noch #00:56:56-2# Schlagzeuger: Hall aus! #00:56:59-1# Schlagzeuger: Das alles nur so halb stimmt #00:57:00-4# Gitarrist: Ja, das stimmt natürlich auch alles nur so halb, aber #00:57:00-8# Schlagzeuger: Ähm #00:57:01-9# Gitarrist: Das ist wie #00:57:01-9# Interviewer: Zumindest wahrscheinlich von der Wahrnehmung her #00:57:05-4# Bassist: : Ja, sehr genau, also genau #00:57:06-8# Gitarrist: Das ist dann nicht mehr vordergründig, ähm, da so #00:57:08-1# Bassist: Ja, genau #00:57:09-3# Gitarrist: Der berühmte #00:57:09-6# Bassist: Aber ich glaub, das, das, das #00:57:09-2# Gitarrist: Also (unverständlich) auf der Snare war einfach da #00:57:11-8#
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Bassist: Ja, ne, sowas war natürlich nicht so, aber so wie diese erste Pearl Jam ist ja zum Beispiel total hallig, und die haben das auch gehasst, dass der Typ die so hallig gemischt hat, so auch interessant eigentlich so, und ich find aber, bei, bei Grunge ist es glaub ich, das ist immer insofern ein ganz gutes Beispiel für, ähm, ähm, wenn so 'ne Entwicklung stattfindet, dass du, letztendlich haben die ja auch nur, die kommen ja ganz klar aus dieser, dieser, dieser, ähm, Hardcore-Punk-Ecke, so das waren halt so die Einflüsse, also jetzt aus den Staaten, jetzt nicht die, diese alten Punk-Sachen aus England, und haben dann aber auf einmal das Glück gehabt, dass sie so’n Kurt Cobain dabei hatten, der irgendwie Songs schreiben konnte, und das hat sie dann irgendwie so von diesen ganzen anderen KrachKapellen einfach total abgehoben, dass der Typ einfach Songs geschrieben hat, die man dann doch auch im Radio spielen konnte, so, und auf einmal, zack, macht das Ding halt ’n Riesensatz so und geht auf 'ne ganz andere Ebene so, ne, das ist glaub ich auch immer dieser, der Punkt, wenn, wenn irgendwie sowas passiert, es gibt dann so irgendwas, was in der Luft liegt, und dann gibt’s aber auch einmal eben halt, ähm, ein so’n Haufen von Kandidaten, die eben sich denn doch wie mit den Beatles ja letztendlich auch, so Bands gab’s ja auch schon vorher in den 60ern, und jetzt kamen auf einmal diese Typen, die einfach mit ganz anderen Songs um die Ecke kommen (kurze Pause), und das ist es übrigens heute immer noch, wenn du dann guckst, irgendwie hier Rihanna und so weiter, was, was die von anderen irgendwie R&B-Acts unterscheidet, ist, dass die diese geilen Songs haben #00:58:30-2# Sänger: Genau #00:58:30-2# Bassist: Das ist immer noch, der Song ist das, was die Leute #00:58:31-9# Interviewer: Das funktioniert immer noch #00:58:33-0# Bassist: Ja #00:58:32-2# Interviewer: Ja, so’n Song in Verbindung mit einem Künstler, der das rüberbringt #00:58:37-8# Bassist: Genau #00:58:39-7# Interviewer: Und es ist nicht allein Marketing, Marketingstrategie, also ich mein, die, die gibt’s sowieso immer #00:58:45-5# Bassist: Mhm (bejahend) Ja, klar #00:58:46-7# Interviewer: Weil, das ist ’n Selbstgänger, aber, das ist nicht der Kern der Sache #00:58:489# Bassist: Ja, absolut #00:58:51-0# Interviewer: Der Kern der Sache ist nach wie vor, ähm, hab ich euch ja auch erzählt, dass ich mit Schülern Interviews mache, dass dann ’n Schüler sagt, "wenn ein Song mich berührt", das ist, das ist immer noch der entscheidende (unverständlich) und das überlegt sich, ich mein, die Erfahrung haben wir wahrscheinlich alle gesammelt, genügend, keine Marketingstratege, weil die meistens das nicht wissen, so, und die kopieren das, was vorher mal erfolgreich war #00:59:12-9# Bassist: Mhm (bejahend) #00:59:17-3# Interviewer: Ähm, die, die Problematik, ähm, sagen wir mal im System Pop stell ich mir so vor, dass man relativ, ähm, spezialisiert sein muss, um das zu verstehen, das heißt, von außen, wenn das jemand mit, mit Begriffen fassen will, fällt, (Name des Gitarristen) hat das vorhin gesagt, das fällt immer auf die Nase, weil er es immer nur von äußeren Erscheinungen her sieht und, aber in diesem System nicht drinsteckt und das haben ja vorhin, deswegen auch dies Beispiel mit den Akkorden, warum, das war ja früher komplett anders, warum ist das anders, wer bestimmt das, das bestimmt eben keiner, das ist einfach so, ähm,
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ich stell mir das so vor als, als liquide Sprache, das ist halt so 'ne Sprache, die sich verflüssigt und die, die, und das, was vor zehn Jahren galt, gilt heute nicht mehr unbedingt #01:00:04-6#
Relative starkes Eingreifen des Interviewers, um die Diskussion zu intensivieren. Gitarrist: Genau, kann, muss aber nicht #01:00:08-5# Interviewer: Genau, kann oder kann wieder #01:00:09-7# Gitarrist: Oder kann nicht #01:00:11-5# Interviewer: ’n gewissen Zeitraum kann es wieder gelten, aber es gilt dann eben und, ähm, es wird vielleicht immer nur verstanden von, oder, oder wir haben das ja in den Diskussionen, in der Diskussion schon öfter gehabt, dass man eigentlich immer 'ne Referenz hat, man bezieht sich, man kann nicht mit jemandem drüber sprechen, der nicht die gleiche Hörerfahrung hat, weil man muss sich auf etwas beziehen und, ähm, man kann es nicht versprachlichen. #01:00:36-0# Gitarrist: Ne, also bis zu einem gewissen Grade, ja, aber dass ein wirkliches Verständnis dann nicht die Folge ist #01:00:43-8# Interviewer: Und es setzt den gleichen Erfahrungshintergrund voraus, also ich hab dir ja die Mail geschrieben, das war mehr Zufall, aber da ist es mir eigentlich auch aufgefallen, wie wird eigentlich der Twin Peaks-Sound gemacht, das wär ja so’n Beispiel #01:00:56-5# (kurze Pause) #01:00:58-0# Sänger: (unverständlich) Gitarre, Tremolo, #01:01:00-0# Gitarrist: Und fertig #01:01:00-1# Interviewer: Ja, aber du weißt schon, was Twin Peaks-Sound ist, das kannst du ja nem 15Jährigen nicht sagen, der würde das nicht kennen, würde es nicht erkennen, einfach #01:01:10-4# Sänger: Ich weiß, dass ich damals (Räuspern) mir den Komponisten rausgefunden hab, und damals gab’s noch nicht so richtig Internet , #01:01:17-7#
Die Reihe lief Anfang der 1990er-Jahre. Interviewer: Ja #01:01:17-7# Sänger: Ähm, weil, Badalamenti, Angelo, Badalamenti oder sowas #01:01:21-2# Schlagzeuger: Mhm (bejahend) #01:01:22-1# Interviewer: Ja #01:01:22-2# Sänger: Weil ich diese Filmmusiken so, also eben halt wegen dieses Sounds, weil ich die insgesamt so anders fand, und total geil fand #01:01:32-4# Gitarrist: Ja klar, wenn man’s nicht kennt irgendwie, dann hat man keine Ahnung, was es sein soll, ist ja logisch #01:01:37-9# Interviewer: (unverständlich) keine Vorstellung, kann das eben nur, ich spiel’s mal an hier, ich hab dazu 'ne Mail an (Name des Gitarristen) geschickt, Badalamenti, ähm, der hat das glaub ich zusammen gemacht auch mit dem, ähm, Regisseur, der war auch #01:01:52-0# Schlagzeuger: David Lynch #01:01:51-4# (Husten, Unruhe) #01:01:52-9# Interviewer: David Lynch, (Name des Bassisten) #01:01:55-6# Bassist: Ja #01:01:55-6# Interviewer: Was für dich #01:01:58-1# Bassist: (Lachen) #01:02:00-8# Im Hintergrund Hörbeispiel "Thema Twin Peaks" #01:02:00-8#
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Gitarrist: Kuschelrock #01:01:59-3# Bassist: Ach schön, ja, Twin Peaks #01:02:11-1# Bassist: Das ist Twin Peaks? So lange her #01:02:10-6# Sänger: Ja, ja #01:02:11-4# Bassist: Ist es, ne? #01:02:18-9# (unverständlich) #01:02:19-2# Interviewer: Ähm, das ist doch aber auch ’n gutes Beispiel für, sagen wir mal, ne gemeinsame Erfahrung, die so ’ne Sprache über Musik erst ermöglicht, ähm, weil, wenn man "Twin Peaks" kennt, da geht’s schon los, die Serie, dann weiß man auch nicht, was mit Twin Peaks-Sound gemeint ist #01:02:38-2# Bassist: Mhm (bejahend), genau #01:02:40-0# Interviewer: Und das ist ja eigentlich auch schon, find ich, also ich empfinde das so, diesen Sound schon als Zitat #01:02:44-5# Bassist: Genau #01:02:44-5# Gitarrist: Natürlich #01:02:43-8# Interviewer: Worauf würdet ihr das beziehen? #01:02:47-0# Gitarrist: 60er #01:02:48-7# Bassist: Ganz klar 60er, klar, also diese typischen Gitarren-Bands, Spotnicks und, wie heißen die, Shadows #01:02:54-3# Interviewer: Ja #01:02:54-3# Gitarrist: : Genau #01:02:55-7# Bassist: Solche Sounds halt #01:02:58-7# Interviewer: Waren die nicht teilweise auch so ähnlich, nicht genau so, aber so ähnlich auch in, in Western? #01:03:02-1# Sänger: Mhm (bejahend) #01:03:02-1# Gitarrist: Ja #01:03:02-6# Bassist: Mhm (bejahend) stimmt, stimmt eigentlich ist es so’n Western-Sound, stimmt #01:03:05-6# Interviewer: Ja, woher er kommt, weiß ich nicht, also muss irgendwie #01:03:08-1# Gitarrist: Ne, aber war irgendwie, damals #01:03:09-7# (Husten, Unruhe) #01:03:09-7# Gitarrist: (unverständlich) auch James Bond oder so, das sind ja alles diese halbwegs cleanen oder fast cleanen oder ganz cleanen (kurze Pause) tiefen Dinger halt, mit Tremolo gerne, das einzige, was daran quasi neu ist, ist einfach nur diese Kombination davon und halt irgendwie dieses, und das es halt ’ne Bariton ist, weil das ist (unverständlich) bei so ’nem Instrument denn doch in den 60ern nicht so gewöhnlich #01:03:31-9# Bassist: Gab’s aber auch, Gitarrenbands, die sowas hatten #01:03:32-7# Gitarrist: Gab’s, aber, das war jetzt nicht so, wie soll man sagen, so richtig, Klassiker damals #01:03:36-8# Bassist: Mhm (bejahend) #01:03:38-1# Schlagzeuger: Ja, stimmt #01:03:38-1# Sänger: Aber nach "Twin Peaks" ist es richtig 'ne Vokabel geworden #01:03:40-7# Gitarrist: Genau #01:03:40-7# Bassist: Stimmt, ja #01:03:41-5# Sänger: Also bei uns, in unserem #01:03:43-3# Interviewer: In einer Szene #01:03:44-6#
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Sänger: Ja, wir wissen, ich habe ja mit (Name des Gitarristen) unfassbar viele Songs arrangiert und gemacht und aufgenommen und immer, da gab’s immer mal wieder #01:03:54-3# Gitarrist: Mach mal "Twin Peaks", ja, ja #01:03:55-7# (Lachen) Durcheinander #01:03:54-6# Bassist: Ich hab immer, aus der Erinnerung hab ich immer gedacht, das geht weiter nach diesem, diesem Tonika-Moll-Parallele, ich dacht immer, das geht danach noch weiter, das das einfach nur wiederholt wird, hatt ich gar nicht mehr auf’m Zettel. Ich hab oft genug, wenn ich das so vor mich hingedaddelt hab, mit so’m Song, mit so’m Song, gedacht, wo geht’s denn jetzt eigentlich hin? (Lachen) #01:04:09-8# Interviewer: Ja, es geht noch ’n bisschen weiter, ne #01:04:13-2# Bassist: Ja, später dann aber, ne? #01:04:13-9# Interviewer: Diese Orchesterpassage dann #01:04:16-2# Gitarrist: Genau #01:04:18-3# Im Hintergrund Hörbeispiel #01:04:16-9# Interviewer: Da #01:04:21-6# Bassist: Mhm (bejahend) ja #01:04:22-2# Interviewer: Ich, ähm, ich hab nicht rausgefunden, du weißt es auch nicht sicher, ne, ob das ’n Sampler ist? #01:04:28-3# Sänger: Das ist auch möglich, ich hab’s grade gedacht, es klingt schon ganz schön #01:04:32-6# Interviewer: (unverständlich) #01:04:42-4# Nächster Abschnitt unverständlich wegen Hörbeispiel Bassist: (unverständlich) wo geht's danach hin? Das, der höhere Ton, der klingt natürlich schon komisch, der klingt ja schon, als ob das Sample zu hoch wäre, ne #01:04:44-7# Gitarrist: Kann sein, aber #01:04:46-2# Interviewer: Ja, klingt, als ob das Sample zu hoch wäre #01:04:51-5# Gitarrist: Aber das ist ja wahrscheinlich jetzt keine bewusste ästhetische Entscheidung gewesen, ooh, lass mal das Sample nehmen, weil das ist dann so geil und so #01:04:54-4# Bassist: Ja, kann aber sein … Interviewer: Nee, nee. Gitarrist: Wahrscheinlich hingeschickt irgendwie, oh geil, das nehmen wir. Ich würd's einfach noch mal machen. Nein, vergiss es. Bassist: Ne, kann auch sein #01:04:54-4# Interviewer: Ne ne, #01:04:54-5# Gitarrist: (unverständlich) hingeschickt irgendwie, oh geil, das nehmen wir, #01:04:58-6# Bassist: Ich würd’s auch noch mal machen #01:04:58-6# Gitarrist: Ne, vergiss es #01:05:00-1# (Lachen) #01:05:00-2# Interviewer: Aber jetzt, ähm, weil, das hat (Name des Gitarristen) in der Mail geschrieben und, ähm, das macht, finde ich, die Sprache im System Pop-Musik noch komplizierter, weil (Name des Gitarristen) hat geschrieben, das wird wahrscheinlich 'ne Baritongitarre sein, ähm, mit dem und dem Hall in etwa, und Kompressor, damit man es, ähm, Sustain hat und so weiter #01:05:18-5# Bassist: Mhm (bejahend) #01:05:18-5# Interviewer: So in etwa in die Richtung, das heißt, man denkt ja immer Sounds sind Signalketten #01:05:23-6# Gitarrist: Ja #01:05:24-5#
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Bassist: Ja, wenn sie, wenn sie so komplex sind, dass es dazu einlädt so, ne #01:05:27-2# Interviewer: Ja, ja #01:05:27-2# Gitarrist: Und vor allen Dingen, wenn man von jemandem gefragt wird, wo man weiß, das wird auch verstanden #01:05:30-8#
Hiermit ist der Interviewer gemeint. Bassist: Ja, ja #01:05:30-8# Interviewer: Ja, ja, ja #01:05:31-7# Gitarrist: (Lachen) #01:05:32-9# Interviewer: Aber das macht es ja ziemlich kompliziert eigentlich, weil das ist ja auch 'ne ästhetische Kategorie, dass man sagt, Bass von dem und dem, ganz bestimmter, und dann sagst du, das gehört dazu, erstmal muss es ’n Rickenbacker sein, dann muss der so und so gespielt werden, und es muss das und das hinzukommen #01:05:50-4# Sänger: Das ist auf jeden Fall hochspezialisiert, also die, ich glaube, die, alle, die wir hier sitzen, sind, sag ich mal so, ähm, hochspezialisierte Fachkräfte, ne #01:05:54-9# Bassist: (Lachen) #01:05:54-9# Sänger: (unverständlich) #01:05:56-7# Bassist: Aber total unterbezahlt #01:05:59-2# (Lachen) #01:05:59-9# Sänger: Mal abgesehen davon, dass das komisch klingt, meine ich das total ernst #01:06:04-9# Interviewer: Nein, nein, nein, nein, das klingt nicht komisch #01:06:07-0# Schlagzeuger: Und wie #01:06:07-0# Sänger: (unverständlich) wenn man sich selber lobt, das ist schon komisch, aber dieses, dieses Nerdistentum, das man sich da so draufschafft, und was man auch wirklich, sogar ich merke von Jahr zu Jahr zu Jahr zu Jahr wird es immer, immer mehr und so, und was natürlich toll ist, dass man, man natürlich in der Sprache, jemanden, mit dem man sich so wahnsinnig beschäftigt, also in Musik, wird man natürlich entsprechend halt auch besser, also genauer in der Ausdrucks (..) in der Ausdrucksmöglichkeit, weil man einfach mehr weiß und mehr benutzen kann und mehr durcheinanderwirbeln kann, also es ist ja grundsätzlich, glaub ich schon, mit Musik genau dasselbe wie mit Sprache, dass eben so mit, mit sprachphilosophisch, dass man ja nur das denken kann, angeblich, nur das denken kann, was man auch sonst schon, was man sprachlich erfassen kann, also was, ne, und ähm, gemeinhin, glaub ich, geht’s einem bei Musik ähnlich, dass man sagt, man kann im Grunde nur das rekombinieren, was man schon mal gehört hat, so also zurückgreifen auf das, aber das ist natürlich umso geiler, umso mehr Dinge man halt, also Sounds hat, mit denen man irgendwie so rummachen kann und das, und wir haben ja alle glücklicherweise alle diese inneren Ohren, mit denen wir im Kopf Musik hören können, und da werden wir umso mehr Schnickschnack, den man hat, den man da reinschmeißen kann, so geiler ist #01:07:29-5# Interviewer: Ähm, bei (Name des Gitarristen) hab ich’s ja besonders oft, weil er ja immer reproduziert #01:07:35-3# Gitarrist: Ja #01:07:35-4# Interviewer: Oder rekonstruiert #01:07:36-4# Bassist: mhm (bejahend) #01:07:36-4# Interviewer: Da frag ich mich auch manchmal, wie lange muss er jetzt wieder gesucht haben, um diesen Sound #01:07:39-7# Gitarrist: (Lachen) #01:07:39-7#
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Interviewer: Irgendwie #01:07:43-2# Bassist: Ja, das ist immer ganz schrecklich, ich mach ja sowas auch, weil ich irgendwie grade so, ähm, Drummachine-Sounds oder so was höre und ich auch genau weiß, dass ich den schon mal irgendwo gehört hab und auch meistens genau weiß, dass ich den irgendwo habe, und dann aber wirklich irgendwie Library um Library durchsuche und den nicht finde, das macht mich halt immer wahnsinnig, also wenn’s jetzt nicht so totale Standards sind, wo man weiß, so 808 oder Linn-Drum oder irgendwas, wo ich denk, ja, ich hab doch so’n Sound, so ’ne Scheiß-Snare hab ich doch, so verdammte Naht #01:08:10-8# Gitarrist: Mhm (bejahend) #01:08:11-8# Bassist: Ja, immer schwierig #01:08:16-5# Interviewer: Ähm, wie kommt ihr mit dem Begriff, Begriff Popmusik eigentlich klar, so, ähm, wenn man jetzt vor dem Hintergrund der Komplexität, ähm, also als ich früher sagen wir mal studiert hab, da war das noch Standard, da hat man immer Pop- und Rockmusik gesagt #01:08:33-9# Bassist: Mhm (bejahend) #01:08:34-1# Interviewer: Dann hat man wenigstens, sagen wir mal, zwei Linien auseinandergehalten und dann gab’s 'ne Definition, die fand ich als Arbeitsdefinition, fand ich sie ganz brauchbar, dass man gesagt hat, Rockmusik nennt man alles das, was im Kontext mit afroamerikanischer Tradition steht #01:08:50-5# (Lachen) #01:08:51-6# Interviewer: Dann wusste man wirklich, okay, das ist Rockmusik, das ist, da spielt der Einfluss, ähm, der #01:08:58-9# Bassist: Das ist bei Popmusik doch genauso, oder nicht? #01:08:59-9# Interviewer: Ja, ist die Frage, also da hätte man vielleicht eher so Popmusik gesagt, ja, das ist eher weiß, das ist Schlager zum Beispiel, ist Popmusik oder sowas #01:09:06-3# Bassist: Und Schlager war ja jetzt wirklich immer so Popmusik, ist dann aber eigentlich auch schon immer so irgendwie afroamerikanisch beeinflusst gewesen, also, wenn ich jetzt, ich würd immer eher von englischsprachiger Popmusik ausgehen, weil wir haben ja noch immer diese Trennung mit dem Schlager und alles, was da eben halt so, ähm, deutsch ist, ist dann halt eben Schlager, und sobald es Englisch ist, ist es Popmusik, so, (kurze Pause) also jetzt zumindest halt bei uns in Deutschland, ne #01:09:33-5# Sänger: Ich hab, weil das ist zwar mal jetzt ganz persönlich, aber, ähm, dies (unverständlich) gilt überhaupt nicht, aber ich, für mich ist Popmusik alles, was popular ist #01:09:413# Bassist: Mhm (bejahend) #01:09:41-3# Sänger: Alles, was also was erfolgreich ist, das ist die Definition, Popular Music, ist doch scheißegal, ob das nun Metal ist oder Dance oder, oder Madonna, und dann gibt’s halt nochmal die, die Unterabteilung, da, weiß ich nicht, da kann man, das kommt halt eher so für meine Begriffe aus der, also Pop in, wenn man so mit Unterabteilungen Popmusik, HipHop (unverständlich) gibt, das ist dann sowas, was aus der, aus den 80ern kommt, aus der, aus der, ähm, programmierten Mucke, und das beste Beispiel für mich steht immer Madonna, war immer, war immer so für mich immer so’n bisschen in der Mitte von Popmusik, und das hat sich natürlich verändert, aber zum Beispiel #01:10:19-9# Bassist: : (unverständlich) heute sowas wie Katy Perry oder so, ne, irgendwie so, so, so, so typische (kurze Pause) ja, so Pop-Acts, die halt, was weiß ich, die halt also so, so Popmusik ist irgendwie Musik, wie so’n, so’n, so’n Doughnut mit Zuckerguss irgendwie so, also so’n bisschen, bisschen zu fettig, bisschen zu viel, so, das ist also, dass es so typisch, typi-
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sche Popmusik, also eigentlich irgendwie auch keinen, keinen besonders positiven Nährwert, so meistens so, und eben halt irgendwie, eigentlich, eigentlich eben halt, eigentlich zu süß und zu fettig #01:10:45-3# Gitarrist: (Lachen) #01:10:44-1# Bassist: Und eben halt irgendwie zu, zu viel eigentlich in der, eben halt zu süß und, ähm, zu fettig, so #01:10:52-1# Gitarrist: Ja, man könnt ja auch sagen, dass es (unverständlich) eigentlich die perfekte Verbindung zwischen Musik und Kommerz, also #01:10:57-6# Bassist: Ja #01:10:57-7# Gitarrist: Im Sinne von irgendwie 'ne möglichst breite Zielgruppe anzusprechen #01:11:019# Bassist: Ja #01:11:01-9# Gitarrist: Wär, wär 'ne Möglichkeit #01:11:03-0# Interviewer: Da wär, da wär eben #01:11:05-5# Gitarrist: Wobei man vielen Sachen wahrscheinlich wieder Unrecht tut #01:11:06-8# Interviewer: Ja, nein, also, ähm #01:11:09-2# Schlagzeuger: Wie’n Blockbuster, Blockbuster Interviewer: Ich hab jetzt vorhin auch gesagt, ist ja eine Definition, Medien, die mediale Verbreitung hängt ganz stark damit zusammen, ist natürlich nachvollziehbar #01:11:20-1# Gitarrist: Ja #01:11:20-1# Interviewer: Wenn man sich die Geschichte der Popmusik anguckt und die Geschichte der technologischen Entwicklung, dann sagt man, ja klar, ähm, vor der Platte gab’s halt was anderes, aber dann ging’s los, also Platte war schon mal ganz wichtig und, ähm, im Rock 'n' Roll Kofferradio und Kassettenrecorder, spielt alles 'ne ganz, ganz wichtige Rolle, ähm, dann die Verbreitung, also jetzt popular im Sinne von kommerziell erfolgreich #01:11:451# Sänger: Populär #01:11:45-1# Interviewer: Ähm #01:11:46-9# Sänger: Einfach wirklich populär, einfach (unverständlich) #01:11:49-6# Interviewer: Populär, also bekannt #01:11:50-9# Sänger: Ja #01:11:50-9# Interviewer: Und da ist die Frage, ob’s, ob’s nicht Popmusik an sich gibt, also wenn man diese Kriterien weglässt, weil man ja im Grunde vermuten könnte, und die Vermutung liegt eigentlich ziemlich nahe, dass man sagt, das meiste an Popmusik, ähm, erblickt doch gar nicht das Licht der Welt, das bleibt doch immer im Übungsraum #01:12:10-5# Schlagzeuger: Ja #01:12:10-7# Bassist: Ach so, wenn du das so, so #01:12:11-9# Interviewer: Wenn man das jetzt mal so sieht, dass man sagt, gibt’s nicht ’n anderes Moment, ähm, 'ne andere Quelle oder 'ne Definition von Popmusik aus, aus, sagen wir mal, dieser mehr persönlichen Perspektive #01:12:24-7#
Starke Lenkung durch den Interviewer, um die grundlegende Problematik der Begriffsdefinition zu lenken. Gitarrist: Mhm (fragend) #01:12:26-9# Schlagzeuger: Ja, Popmusik ist halt Musik, die viele Menschen mögen, einfach nur und das, das dann, das muss ja nicht heißen, dass es, dass es viele Leute dann entdecken überhaupt, aber, aber dass, die, grundsätzlich allein schon, wenn das von mehreren Leuten (un-
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verständlich), dass die dann 'ne Band, fünf Leute, dass alle fünf Leute das mögen, ist das schon Popmusik (Lachen) und wenn es, ich weiß nicht, aber das ist ja auch ’n, das Wort braucht man ja eigentlich auch nur, ähm #01:12:55-0# Gitarrist: Hinterher #01:12:55-0# Schlagzeuger: Für die Außenwirkung, dass man sagt, oder dass man, dass irgendjemand wissen will, was ist das jetzt, wie kann ich, was ist ’n das jetzt für Musik, und, dann muss man sagen, okay, dann kann man sich entscheiden zwischen dem, was an Begrifflichkeiten bisher da ist, und das wird ja auch immer weiter und immer spezieller und denn gibt es irgendwie, es gibt auch Musikrichtungen, wo ich nicht mehr weiß, was es ist, wenn es irgendwie Dub-Step oder Tiki-Taka, keine Ahnung, was das alles sein soll, aber das ist ja auch alles #01:13:23-9# #01:13:19-7# Unruhe, Chipstüten #01:13:24-6# Bassist: War schlau von dir keine Chips mitzubringen #01:13:25-8# (Lachen) #01:13:28-4# Schlagzeuger: Aber eigentlich braucht man, braucht man also selber als natürlich ’n Musikschaffender, braucht man das man ja erstmal gar nicht, was also diese, dieses, diese Beschreibung dessen, was das, ähm, und da gibt’s ja auch keine festen Definitionen irgendwie so #01:13:41-5# Interviewer: Ja, also ich beschäftige mich so halt da mit der, mit der Frage, ob, sagen wir mal, also populär, ähm, im Sinne von dann eben bekannt, vielleicht auch erfolgreich und so weiter, ob das nicht noch nur 'ne Außenansicht ist, ob’s nicht mehr 'ne Innenansicht gibt, und diese Innenansicht könnte ja sein, dass man vielleicht irgendwann in seinem Leben es wichtig fand, sich hinzusetzen und Songs zu schreiben, die noch gar keiner kennt, weil die schreib ich für mich, und ich sitz bei mir zuhause, und ich mach das, und ich mach das die ganze Nacht und sitz da, und da hab ich noch gar nicht die Vorstellung, dass das andere erreicht, sondern ich mach das aus einem Bedürfnis heraus, dass also das Populäre, sagen wir mal, auch bestimmt ist durch, ähm, ähm, ein individuelles Bedürfnis #01:14:34-9# Gitarrist: Ja, das #01:14:33-6# Interviewer: (unverständlich) durch den Zugang, den ich habe, #01:14:36-1# Gitarrist: Aber das #01:14:36-1# Interviewer: Ist demokratisch, ich darf das #01:14:36-9# Gitarrist: Aber das ist insofern eigentlich oder nicht, vielleicht nicht ganz richtig, weil die Triebfeder überhaupt, die ich mir so mal auf diese Art und Weise auszudrücken, hat ja wirklich jeder, der irgendwie in irgendeiner Form sich musikalisch betätigt, ob das nun Franz Schubert war oder John Lennon oder so oder Kurt Cobain, ist ja völlig latte eigentlich, weil #01:14:54-0# Bassist: Also kreativ musikalisch betätigt #01:14:55-0# Gitarrist: Richtig, genau #01:14:55-3# Bassist: Mhm (bejahend) #01:14:56-1# Gitarrist: Weil die, genau dieses, das haben sie alle gemacht, so, also sie haben’s einfach (unverständlich), manchmal gab’s ja auch ’n pekuniäres Bedürfnis, und sie wollten einfach Geld verdienen, das gab’s ja auch, bei Mozart zum Beispiel, wenn er wieder irgendwie blank war und sein Abo-Konzert wieder vollkriegen musste oder Bach, oh Scheiße, ist schon wieder Samstag, dann muss die Kantate sitzen und fertig sein und kopiert werden, gab’s natürlich auch, aber dieses, dieses, ähm, dieses idealisierte Künstlerding, was du da grade beschreibst, #01:15:22-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #01:15:22-5#
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Gitarrist: Was ja irgendwie wahrscheinlich auch jeder kennt, der privat richtig Musik macht, das ist einfach, ähm, über die Stilgrenzen hinweg allen, glaub ich, ähm, wie heißt das, ähm, ein #01:15:34-7# Bassist: Zu eigen #01:15:33-8# Gitarrist: Zu eigen, danke schön #01:15:35-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #01:15:37-3# Bassist: Doch auch in anderen künstlerischen Bereichen, ja auch, #01:15:38-4# Sänger: Genau #01:15:38-4# Bassist: Also erstmal, erstmal machst du das ja für dich selber, so und #01:15:36-9# Gitarrist: Oft #01:15:42-4# Bassist: Na ja, ja, gut, okay, ja #01:15:46-2# Sänger: Wunderbares Beispiel ist hier Sturm und Drang, die, die, die Leutchens, die damals die Jünglinge, die sich hingesetzt haben, weil’s halt einfach grade #01:15:52-2# Gitarrist: Da ist ja auch dieses, dieses Künstlerideal ja auch entstanden #01:15:56-3# Sänger: Genau #01:15:56-9# Gitarrist: In der Zeit #01:15:56-9# Interviewer: Das wollt ich grade sagen, das wäre ja eigentlich, sagen wir mal, eine frühe Quelle der Popmusik, also diese #01:16:02-1# Sänger: Genau #01:16:02-2# #01:16:03-2# Gitarrist: Unbedingt #01:16:03-2# Interviewer: Weil bei Bach würd ich eher noch sagen, oh, ist Handwerker, das Selbstverständnis muss noch nicht so unbedingt da gewesen sein #01:16:11-9# Gitarrist: Bei der Kunst der Fuge würd ich schon sagen, das hat er schon sehr, sehr für sich gemacht, um das auszuchecken #01:16:16-4# Sänger: Der hat einige Sachen, glaub ich, für sich gemacht #01:16:17-9# Interviewer: Ja, ehrlich gesagt, der ist auch ’n bisschen ne Ausnahme, der gilt, der #01:16:20-9# (Lachen) #01:16:19-9# Interviewer: Läuft ja auch so’n bisschen unter Esoteriker #01:16:23-7# (Lachen) #01:16:22-4# Gitarrist: Vorsicht #01:16:28-4# Interviewer: Wieso, ist #01:16:28-6# Sänger: Alter, der hat so großartige Musik geschrieben, da, das, das ist, das ist egal, ob das irgendwie (unverständlich) genau dieselben, Gänsehaut #01:16:34-2# Interviewer: Nein, ich meine, ähm, teilweise das Selbstverständnis in der Zeit mag auch ’n anderes gewesen sein, dass man einfach das #01:16:41-9# Gitarrist: Unbedingt #01:16:41-9# Interviewer: Mehr als Pflicht, als Aufgabe, als #01:16:46-8# Sänger: Oh ja, ja, ja, ja, auf jeden Fall #01:16:45-3# Interviewer: Und nicht so sehr als emotionales persönliches Bedürfnis #01:16:50-5# Gitarrist: Ja, bei ihm war das ja noch ganz, noch ganz, also noch ganz anders, der hat sich, der war ja so, so, so tief gläubig, der hat sich ja selber gar nicht so sehr als Schaffenden gesehen, sondern #01:16:58-8# Bassist: Er wurde geschafft, oder was #01:16:59-1# Sänger: Als, als Werkzeug, #01:17:01-9# (unverständlich) #01:17:01-9#
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Interviewer: Handlanger #01:17:01-9# Sänger: Ja, als Handlanger, er hat immer gesagt, der Gott spricht durch mich und ich habe die große Ehre, dass er #01:17:05-7# Gitarrist: Wollen tut er eigentlich, wollt er eigentlich Opern schreiben, mein ich, das durft er ja nicht #01:17:08-9# Sänger: Genau #01:17:11-1# Gitarrist: Aber wie auch immer #01:17:10-4# Sänger: Aber was, was grundsätzlich auch eh ’n interessanter Ansatz ist, also dieses, ähm, so dieses, ähm, aber das ist ’n anderes Thema, also wo kommt eine Idee her, also warum hat man auf einmal irgendwie so’n Ding im Kopf, was soll das? So, weil das ist ja nicht, also man denkt sich das Zeugs ja manchmal auch aus, aber manchmal ist es ja einfach, verdammte Scheiße, einfach da. So, und dann (unverständlich) #01:17:35-8# Gitarrist: Das berühmte "Yesterday", denk ich, wacht er morgens auf und hat diese Melodie im Kopf #01:17:38-1# Interviewer: (Lachen) #01:17:39-3# Sänger: Aber ich meine, wir haben alle, wir haben alle diese Momente mit Sicherheit in unserem Leben schon gehabt, dass wir #01:17:43-5# Gitarrist: Aber nicht so erfolgreich (Lachen) #01:17:44-8# Bassist: (Lachen) #01:17:45-8# Sänger: Dass wir da irgendwas, irgendwas hatten und auf einmal dachten, so, was? #01:17:48-9# Bassist: Mhm (bejahend) ne, vor allem, das ist ja auch, wenn man dann sich halt hinsetzt und will kreativ sein, zumindest mir geht das dann immer so, dass ich dann halt immer versuche, wenn das, also wenn jetzt nicht irgendwie 'ne Idee da ist, irgendwie halt, ähm, mich in Stimmung zu bringen, ähm, und #01:18:01-1# (Lachen) #01:17:59-9# (unverständlich) #01:18:04-0# Bassist: Und, ähm, genau und dann sitzt man da und probiert auf der Gitarre rum, und das klappt nicht, und dann probiert man mit ’n paar Sounds rum, und das klappt nicht und irgendwie oder mit ’n paar Loops, und denn gibt’s aber diese Momente, wo’s auf einmal Klick macht, so, warum, warum macht es Klick? Also warum, warum passiert auf einmal irgendwas, wo man denkt, ah, das, das könnte was sein, so, das ist immer wieder dieser, dieser interessante Moment, so, #01:18:30-7#
Fließender Übergang zum Themenbereich „Emotionaler Bedeutungsbezug“ Sänger: Ja, weil man auf einmal 'ne emotionale Verbindung dazu hat #01:18:31-1# Bassist: Ja genau, auf einmal, auf einmal hörst du was, was bei dir emotional irgendwas auslöst #01:18:35-3# Gitarrist: Ja #01:18:35-3# Bassist: Auf einmal drückt dich das halt in 'ne Richtung #01:18:38-1# Gitarrist: Ja #01:18:38-5# Sänger: Ja, auf einmal hast, auf einmal bist du dir sicher, das ist ja der Trick, #01:18:40-7# Bassist: Ja #01:18:40-8# Sänger: Das ist ja der Trick, also diese, dies, das, das, das, da, das mach ich einfach wahnsinnig viel, das, dieser der Punkt, dass deine Emotion dich durch den Song trägt #01:18:510# Bassist: Mhm (bejahend) #01:18:51-1#
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Sänger: Also, sonst bist du ja blind #01:18:52-4# Bassist: Ja #01:18:52-4# Sänger: Du hast ja, weil es geht ja, zugrunde liegt dem Ganzen beim Song im besten Fall immer 'ne Emotion, möglichst 'ne klare Emotion, so und die muss ich als, als, als #01:19:01-3# Interviewer: Also auch im Kontext mit professioneller Arbeit? #01:19:04-0# Sänger: Ja, unbedingt #01:19:04-5# Gitarrist: Ja, ja, klar #01:19:05-9# Sänger: Da noch, noch, also #01:19:07-9# Interviewer: Ja, ja #01:19:07-9# Sänger: Da noch viel wichtiger #01:19:09-5# Gitarrist: Weil man dann ja auch erst irgendwie imstande ist zu entscheiden, ob irgendwas falsch oder richtig ist #01:19:13-5# Sänger: Ja #01:19:13-5# Sänger: Und dieses, immer wieder dieses, und was (Name des Gitarristen) sagt, mit emotionalem Gedächtnis ist, ähm, und diese, dieses Method Acting, dieser Kram, das ist ein zentraler Bestandteil, ähm, von Musikmachen, also von professionellem Songschreiben auf jeden Fall, weil du brauchst immer wieder die Rückmeldung, du musst immer wieder in dieses Gefühl gehen, an dieses Gefühl gehen, musst das, was du da grade tust, abgleichen mit dem, ist das dasselbe, ist es das nicht, dededede, quasi dagegen hauen und sehen, also ob das den richtigen Ton macht, ähm, und das ist 'ne große Form von, von Disziplin, also es ist #01:19:46-9# Interviewer: Also, es gibt kein in diesem Kontext dann kein Musikmachen ohne, ähm, emotionale Bindung, also auch #01:19:54-4# Sänger: Für mich nicht #01:19:54-4# Interviewer: Auch wenn’s für Auftragsgeschichten ist? #01:19:57-1# Sänger: Ne, ja, um 'ne ich also, ich, das geht bestimmt anders, und es ist jetzt kein Bashing und alle sind doof und ich bin toll, sondern es ist einfach nur, ich kann’s irgendwie nicht anders, und ich hab das Gefühl, ich pervertiere meinen Job, weil es geht, Musik ist was Grandioses und, ähm, ich mach mir das doch nicht dadurch kaputt, dass ich auf einmal, ähm, halbherzig, ähm, unmotiviert irgendwelchen Scheiß mache, wo ich hinterher denk, und das ja hinterher, wenn ich mir das anhöre, dann weiß ich ja, wie ich drauf war und was passiert ist, während ich das gemacht hab, dann bin ich ja zutiefst unehrlich mit mir selber #01:20:32-7# #01:20:33-0# Bassist: Warum auch, du musst ja für dich selber, wenn, wenn du’s selber schon nicht geil findest, wie soll das jemand anders geil finden? #01:20:36-9# Sänger: Genau, keine Frage #01:20:37-7# Bassist: Genau, das ist, und, und jetzt denk ich, ist es aber auch bei fast allen Sachen so, also, es ist, seien es jetzt wirklich irgendwelche, ähm, Auftragssachen, auf die man eigentlich auch überhaupt keinen Bock hat, aber die man genau wie Vater Bach dann auch oder wer auch immer aus pekuniären oder welchen Gründen macht oder so, aber ansonsten glaub ich, ist das halt immer genau der Punkt, also wenn du dich selber schon nicht überzeugen kannst davon, wie soll das irgendjemand anders überzeugen? #01:20:58-2# Sänger: Aber selbst dafür, glaub ich, versuchen wir immer, also ich weiß nicht (unverständlich) #01:20:59-9# Bassist: Irgendwas Geiles zu machen, ja klar #01:21:02-4#
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Sänger: Genau, und möglichst damit, immer noch möglichst mittenrein zu graben, #01:21:05-6# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:05-6# Sänger: Weil es einfach, es ist so frustrierend, also ne, es ist so frustrierend, Musik von sich selber halt zu hören, wo man, es ist blutleerer Scheiß, es ist #01:21:15-2# Gitarrist: Dreck, oder? #01:21:15-2# Sänger: Es ist Dreck #01:21:18-7# Gitarrist: Das hat jeder, der halt irgendwie Musik schreibt oder ’n wertvollen Beitrag dazu leistet und man hört jemanden sagen, mhm (bejahend), das find ich Klasse, dass das irgendwie, irgendwie motiviert, emotional #01:21:26-5# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:26-5# Gitarrist: Ich glaube, selbst, selbst Dieter Bohlen hat ’n Gefühl #01:21:28-7# Bassist: Klar #01:21:28-7# Schlagzeuger: Nä #01:21:30-8# #01:21:30-8# Gitarrist: Doch, ich bin davon überzeugt, mittlerweile #01:21:32-6# Sänger: Auf jeden Fall #01:21:33-2# Gitarrist: Er hört zwar nicht, aber man muss, denkt, dass kann man nicht aushalten, wenn man das nicht fühlt #01:21:38-1# Sänger: Hab ich eigentlich mal diese, diese, diese Bohlen-Demos vorgespielt? Dir hab ich sie sicher mal vorgespielt, wo Bohlen zu seiner Begleitautomatik dann so die #01:21:45-2# Bassist: Ich hab immer nur davon gehört, von diesen berühmten Kassetten #01:21:47-5# Sänger: Das, ich hab da, ich hab ja mal hier (Name einer Sängerin) machen wollte, da #01:21:51-9# Bassist: Mhm (bejahend) #01:21:51-9# Sänger: durfte ich ja mal ’n bisschen mitarbeiten und, ähm, der meint das ernst #01:21:573# Bassist: : Ja, ja, #01:21:57-8# Gitarrist: Denk ich auch #01:21:58-9# Sänger: Das ist also ganz normale Art und Weise, wie er mit seiner komischen schrecklichen Fistelstimme da (singt), der macht das nicht irgendwie #01:22:10-4# Bassist: Ne, ne, aber das ist genau der gleiche Punkt, wenn er’s schon nicht geil findet, wie soll das jemand anders geil finden? So #01:22:16-9# Gitarrist: Punkt #01:22:16-9# Bassist: Ja #01:22:18-6# Gitarrist: Noch 'ne Frage? #01:22:19-4# Interviewer: Ja super. Vielen Dank #01:22:21-9# Gitarrist: Cool #01:22:22-6# (Lachen) #01:22:21-5# Interviewer: Habt ihr noch was? #01:22:23-9# (Lachen) #01:22:23-2# Gitarrist: Noch ’n Bier #01:22:23-3# Interviewer: Kannst du mal hier den Zugang einstellen? #01:22:27-7# Sänger: Ich kann dir mal den Zugang einstellen, wo, zu was denn, zu hier so? #01:22:30-2# Interviewer: Wir wollen doch was hören noch #01:22:31-6# Sänger: Ja, ach so, kannst du mal den, den Dings eingeben? #01:22:36-7# Gitarrist: Oh ne, das dauert doch zehn Jahre #01:22:38-6# (Lachen) #01:22:40-0#
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Gitarrist: Faule Sau #01:22:40-3# Interviewer: (unverständlich) das auch #01:22:41-9# Bassist: : Ich kann da auch #01:22:41-6# #01:22:43-4# Sänger: Ne, ne, ne, ne, ne, du sitzt, ich, Jojo, das musst #01:22:47-1# Durcheinander, Unruhe #01:23:03-8# Abschließendes Geplauder, nicht zum Thema
Kommentar Einteilung bzw. Darstellung der Anteile der Themenblöcke in Minuten. Themenblock „Initialzündung“: Sequenzierung > Erinnerung an Geschichten, Anekdoten, Faszination Instrumente > ästhetische Erfahrungen mit Sound > Bezug mehrerer Teilnehmer auf "Samba pa ti" > Emotional Berührtsein > Vorstellung von Musik als etwas Höherem, was man selbst nicht erreichen kann > Fließender Übergang von Groove zu Ästhetik ohne Intervieweraktivität > Fließender Übergang von Definition Popmusik > Popmusik und emotionaler Bedeutungsbezug > Sequenzialität Themenblock „Persönliche Bedeutung von Musik aus heutiger Sicht“: Themenkreis entwickelt sich aus der Frage nach dem Berührtsein durch Musik > Rückblickende Aspekte > Überprüfung der Einschätzung Themenblock „Harmonische Standards“ > Entstehen einer Diskussion Themenblock: „Was ist Popmusik“: Analyse zur Bestimmung von Popmusik aus akademischer Sicht ist nach Ansicht der Teilnehmer, die Popmusik reproduzieren, kein ausreichendes Analyseinstrument und bleibt daher oberflächlich. Themenblock „Groove“: Keine Festlegung von Definitionen, sondern der Versuch persönliche Erfahrungen zu erläutern. 10.1.3 Transkription Einzelinterview – Code Am Interviewer: So, ich hab Süßigkeiten hingelegt und natürlich Getränke, das ihr was zu tun habt, okay, also erst nochmal vielen Dank #00:00:12-3# Befragter: Ja, klar, gerne #00:00:12-3# Interviewer: Dass ihr das mitmacht, das find ich ganz toll #00:00:16-8# Befragter: Gerne #00:00:16-8# Interviewer: Also, ich hab euch ja, das ist vielleicht so in der allgemeinen Hektik vielleicht 'n bisschen untergegangen, ich interessier mich oder ich forsch so’n bisschen im Bereich, aus dem ich auch eigentlich selber komme, genauso wie ihr, ich hab eigentlich auch angefangen, irgendwann mal Musik zu machen #00:00:30-2# Befragter: Mhm (bejahend) #00:00:31-7# Interviewer: Und deswegen, ähm, geh ich so’n bisschen nämlich so der Frage nach, was Leute eigentlich mit (kurze Pause) privat mit Musik anfangen
Die Formulierungen des Interviewers sind geprägt durch das Bemühen um eine sprachlich den Schülern angepasste Ebene, um nicht elaboriert akademisch zu wirken.
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#00:00:39-9# Befragter: Mhm (bejahend) #00:00:39-9# Interviewer: Also nicht das, was sie so lernen in der Schule, in der Musikschule, sondern wie sie sich so selber Musik beibringen. Kannst du dich eigentlich erinnern, ähm, dass du an ein bestimmtes vielleicht Ereignis oder an ein Alter, wo du sagst, dass du sagen könntest, da hab ich angefangen Musik zu machen. #00:00:58-4# Befragter: Also jetzt mit’m Gitarrespielen hab ich, ehrlich gesagt, also hab ich dann angefangen mit fünfeinhalb, ähm , aber ich ähm ich spiel Gitarre, das hat mich ehrlich gesagt schon seit ich drei war oder so fasziniert, also ein Arbeitskollege von meinem Vater hat ’ne Gitarre, da hab ich dann immer gern mal drauf gespielt, ähm, ’n Freund von uns, ähm, macht schon sehr lang Musik ähm und so hat das denn so angefangen, so’n bisschen, dass ich dann halt immer mal gerne einfach dann halt, wenn man halt, wenn man halt (unverständlich) einfach mal drauf rumgehauen, und das hat mir dann Spaß gemacht, ähm, und dann hab ich irgendwann, als es dann immer weiterging, hab ich irgendwann mit ungefähr fünf so gesagt, so, ich will Gitarre lernen und seitdem lerne ich Gitarre
Aus der Antwort wird nicht ganz deutlich, dass es sich um eine Akustikgitarre handelt. Dies geht jedoch aus einem Vorgespräch hervor. #00:01:51-2# Interviewer: Und auf welchem Wege, also, hast du Unterricht genommen oder hast du, bringst du dir das selber bei? #00:01:56-9# Befragter: Ja, nee, ich nehm Unterricht seitdem, wir haben dann halt geguckt, ähm, halt ja, ähm, der Nachteil anner Musikschule in (Wohnort) ist ja, dass man vorher noch ’n anderes Instrument gespielt haben muss, Flöte, ähm, Stabspiel oder so, und deswegen nehme ich halt privat Unterricht, bei einem Privatlehrer #00:02:18-5#
Bei dem Entschluss ein Instrument zu erlernen, ist ein familiärer Entscheidungsprozess anzunehmen. Der Diskussionsprozess innerhalb der Familie ist erkennbar. Darüber hinaus handelt es sich um eine zielgerichtete Entscheidung. Interviewer: Okay, das wusste ich gar nicht, das heißt, wenn du jetzt Gitarre spielen willst an der Musikschule, musst du vorher was anderes gemacht haben #00:02:24-1# Befragter: Muss ich ’n Jahr vorher irgendwie Flöte, Stabspiel oder so gespielt haben und danach kann ich theoretisch mir dann frei ’n Instrument auswählen, so #00:02:37-3# Interviewer: Ähm, wenn du, sagen wir mal, ’n Song hörst #00:02:43-5# Befragter: Mhm #00:02:43-5# Interviewer: oder irgendwie ein Lied, irgendetwas, und du willst dir (...) ja, möchtest das gerne spielen können, wie gehst du da vor? #00:02:53-2# Befragter: Ähm, ehrlich gesagt, hör ich mir das Lied meistens immer erst an, ne, hör mir den Rhythmus an, und meistens google ich das Lied einfach, also ich google das Lied, kuck, ähm, was macht Sinn zu spielen, also, also spiel ich dazu, also, spiele ich nur Akkorde, begleite ich das oder spiel ich vielleicht auch 'n bisschen Melodie, ähm, und dann such ich mir theoretisch was raus, ähm, und manchmal ist es nur, dass ich irgendwie mal für so zwei Wochen oder so ’n Lied mir einfach raussuche, dann privat, spiel das, zum Teil noch nicht mal ganz, einfach ’n Stück rausnehme, was ich, 'ne schöne Passage, die ich mag, spiel die nach, und wenn ich das irgendwie weiter vertiefen will oder so, das Lied, dann geh ich
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damit auch zu meinem Musiklehrer, und dann spielen wir das da halt gemeinsam, gucken dass wir vielleicht mit zwei Gitarren begleiten, dass man zweistimmig spielt, ja, aber meistens such ich da
Das Vorgehen weist eine gezielte und differenzierte Vorgehensweise auf. Das Lied wird gegoogelt, der Rhythmus wird rausgehört, Akkorde und Melodien werden ausprobiert. Die Vorgehensweise beinhaltet eine Differenzierung nach musikalischen Parametern. Die Auswahl einer "Passage" ist emotional begründet. Der Begriff zweistimmig ist wahrscheinlich falsch gewählt. Gemeint ist eher das Spielen zu zweit. Die Vorgehensweise ist ausgesprochen ausdifferenziert und bezieht sich sowohl auf die Erfassung einzelner musikalischer Parameter als auch auf die Erweiterung der Aneignungsstrategien durch Rat suchen, Internetrecherche und gemeinsames Üben mit dem Instrumentallehrer. #00:03:48-7# Interviewer: Machst du’s auch alleine, manchmal? Also, dass du dir sagst, ich hör mir das raus? #00:03:59-6# Befragter: Eigentlich, also mach ich eigentlich nicht. Ich hab’s auch ’n bisschen mal gemacht, ähm, aber ich mach’s dann lieber, dass ich mir so, ähm, wenn mir irgendwie da ’n Akkord nicht gefällt, dann nehme ich halt ’n andern, also, das hab ich auch schon gemacht #00:04:17-7# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:04:17-7# Befragter: Dass es irgendwie im Internet so stand, ich fand aber, das klang doof und ich fand, also es klang halt anders im Vergleich Internetvorschläge werden nicht unkritisch übernommen. Das Ergebnis wird nach Gehör überprüft, und es werden Alternativen ausgelotet. #00:04:23-7# Interviewer: Also du suchst dir schon Akkorde aus dem Internet raus #00:04:26-2# Befragter: Ja, genau #00:04:28-2# Interviewer: Oder YouTube-Videos, spielt das ’ne Rolle? #00:04:30-8# Befragter: Selten #00:04:34-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:04:34-3# Befragter: Also, eigentlich nicht #00:04:35-9# Interviewer: Aber Akkorde #00:04:36-8# Befragter: Akkorde, ich guck da halt im Internet das Lied nach, seh dann da die Akkorde oder halt Melodie, ähm, also halt von Notation oder Tabulatur und spiel das dann so Der Prozess der Aneignung geht einher mit dem Erlernen und (sicheren) Anwenden von Fachbegriffen. #00:04:49-4# Interviewer: Ist das meistens Tabulatur oder #00:04:52-0# Befragter: Unterschiedlich eigentlich, also ich hab halt, ähm, Gitarre hab ich auch angefangen, wirklich nur mit Notenlesen, das heißt, ich hab von vornherein Noten lesen dann gelernt, auch auf der Gitarre und bin dann halt irgendwann übergegangen zu Akkorden, aber ich wiederhol das immer wieder und es ist unterschiedlich, wenn ich, ähm, wenn ich’s grad nur in Tabulatur find, dann spiel ich halt nur Tabulatur, wenn ich nur Noten find, spiel ich halt nur Noten #00:05:21-9# Interviewer: Und Noten, wo hast du die gelernt?
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Befragter: Äh, dann noch bei meinem Gitarrenlehrer #00:05:25-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:05:27-0# Befragter: So #00:05:29-0# Interviewer: Ähm, was gefällt dir so stilmäßig am besten oder ist unterschiedlich, manchmal sagt man ja, ich find bestimmte Stile ganz gut oder manchmal geht man in die Richtung, dass man sagt, ist egal, #00:05:46-1# Befragter: Also eigentlich ist es relativ egal, solange ich das Lied mag, also ich, ich hab das mehr so phasenweise, ich hab ’ne Phase, da hab ich viel Rock, teilweise Hardrock, gehört, inzwischen, ähm, hör ich mehr so'n bisschen so'n Mix aus, ähm, Elektro, also so total Synthesizer, ähm, und dann halt mit normalen Instrumenten begleitet
Die Präferenzen sind nicht eindeutig. Die Interpretation erlaubt einen Spielraum der Zuordnung zwischen Diversität oder Indifferenz. Möglicherweise ist die offene und gleichgültig wirkende Haltung auch altersbedingt. #00:06:15-3# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:06:15-3# Befragter: Also dass ich halt, ja das ist das, was ich momentan so viel höre, also Mix aus halt Elektro und nicht Elektro so, ähm, und vielleicht hör ich morgen wieder was anderes #00:06:30-5# Interviewer: Gibt’s bestimmte Sachen, so andere Musik, die dir am meisten gefallen? #00:06:34-3# Befragter: Puh, (...) am meisten gefallen, eigentlich nicht wirklich, eigentlich ist es mir immer so ’ne Gefühlsentscheidung, ob ich das Lied mag oder nicht, also gefällt’s mir, ähm, oder gefällt’s mir halt eben nicht #00:06:53-6# Interviewer: Ja #00:06:53-7# Befragter: So, das gibt’s jetzt nicht so, genau, das find ich an der Musik so toll, (unverständlich) ich find das Lied gut, und deswegen hör ich’s dann
Das Bevorzugen von Musik bleibt eher pauschal emotional begründet. #00:07:00-5# Interviewer: Ja #00:07:00-6# Befragter: Und vielleicht hängt’s mir irgendwann zum Hals raus, und denn hör ich’s nicht mehr #00:07:02-8# Interviewer: Also, es ist nicht so sehr, dass du sagst, ich steh grundsätzlich auf, sagen wir mal, verzerrte Gitarren #00:07:08-5# Befragter: Nö #00:07:08-5# Interviewer: Sondern das ist eher mehr so der Song #00:07:11-1# Befragter: Genau, also ich hör auch verzerrte Gitarren, aber das ist jetzt nicht so, dass ich das nur höre, sondern wenn mir das Lied gefallt, gefällt, hör ich’s, und wenn’s nicht gefällt, dann halt nicht. #00:07:23-2# Interviewer: Ähm, wie hoch schätzt du das ein, nimmt Musik so'n Raum in deinem Leben ein? #00:07:30-8# Befragter: Relativ großen, also jetzt nicht nur dieses selber spielen, sondern halt auch, ähm, einfach nur Musik hören halt, man kann, also, es nimmt schon relativ großen Bereich (unverständlich), weil’s halt irgendwie immer irgendwo hin passt, das heißt, ähm, ja, es gibt ja auch verschiedene Musikstile und so weiter, ähm, und dann hört man vielleicht einfach nur Musik, weil einem langweilig ist, ähm, oder auf 'ner Party, oder man spielt halt was, also
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das nimmt schon 'nen relativ großen Bereich ein, aber das ist jetzt nicht ein Bereich, der vollkommen, ähm, theoretisch von Musik genutzt wird, sondern jeder Bereich in meinem Leben, ähm, das steckt auch irgendwo ’n Teil Musik drin
Das Musikhören und die entsprechende Auswahl geht einher mit einer nach Situationen geordneten Stilzuordnung. Die pauschal eher indifferente Haltung gegenüber der Bevorzugung bestimmter Stile ist unter Umständen aber auch ein Ausdruck der Absicht sozialer Erwünschtheit in der Beantwortung der Fragen. Möglicherweise möchte der Befragte keinen Stil nennen, von dem er annimmt, dass der Interviewer diesen ablehnt. #00:08:19-8# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:08:20-8# Befragter: Also, vielleicht 'n kleinerer, mal ’n größerer Teil, ja #00:08:26-0# Interviewer: Meinst du, wirst du in Zukunft auch Musik machen? Ich mein, ist schwer abzuschätzen, weiß man ja nicht so genau,aber #00:08:32-9# Befragter: Aber ich glaub schon #00:08:34-6# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:08:34-6# Befragter: Also, ich glaub schon, dass ich auf jeden Fall dabei bleibe (...) ähm, ja, also ich geh auf jeden Fall davon aus, dass ich weiter auch Gitarre spielen werde, mich weiter mit Musik auch beschäftigen werd, so'n bisschen #00:08:49-8# Interviewer: Vielleicht später auch mal mit 'ner Band, also 'ner andern Band noch #00:08:53-5# Befragter: Ja, klar, kann ich mir vorstellen #00:08:59-1# Interviewer: Ja gut, ich glaub, das war’s
Kommentar Die Entscheidung, welche Musik bevorzugt wird, ist eher spontan und gefühlsbetont. Nach eigener Darstellung stellen bestimmte Aspekte oder eine gezielte Auswahl keine entscheidende Rolle. Typisierung: Das Interesse am Musik machen und Instrument spielen ist allgemeiner Natur. Der emotionale Bezug wird wiederholt betont, jedoch bleibt der Bezug insgesamt indifferent. Denkbar ist auch, dass eine zunehmende Spezifizierung später stattfindet, die allgemeine indifferent wirkende Haltung altersbedingt ist. 10.1.4 Transkription Einzelinterview – Code Bm Interviewer: Ich geh mal davon aus, dass ganz viele Leute sich halt Musik selber irgendwie aneignen und damit anfangen, es gibt ganz wenig Untersuchungen eigentlich darüber, und deswegen hab ich gedacht, ich fang mal einfach mal an. Also, ich hab ’n paar Fragen notiert, die ich jetzt nicht ablesen will, die hab ich schon ungefähr im Kopf ähm. (…) Es wär (.) wär, du kannst gerne frei reden. Befragter: Ja klar #00:00:26-6# Interviewer: Wir haben keine Zeitbegrenzung, ich will jetzt nicht bestimmte Sachen hören, du musst dir das nicht so vorstellen, sondern ich würde halt zwischendurch halt mal nachfragen. Also, äh, mich würde interessieren, wie du an Musik gekommen bist, oder was dich jetzt an oder vielleicht so, wenn man ein bisschen allgemeiner fragen würde, könnte man ja
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sagen, warum machst du eigentlich Musik, wie bist du dahin gekommen? Kannst du dich daran auch überhaupt erinnern? #00:00:50-9# Befragter: Na also, das war so: meine Mutter war schon ziemlich immer musikalisch, die spielt Tausende Art von Flöten, Akkordeon, Klavier, alles Mögliche, und als ich ein kleines Kind war, so aufer Schaukel und sowas, in Hamburg noch, da hat mir meine Mutter auch schon immer irgendwie so linke Arbeiterlieder oder sowas vorgesungen, also, äh, ich hab schon immer halt richtig viel Musik gemacht, viel gesungen und so. Und dann hab ich, so richtig mit Musik hab ich dann, also richtig war’s nicht so, also, da war ich (.) musikalische Früherziehung halt in der Musikschule, weil meinen Eltern war’s halt wichtig, dass ich Musik mach und so, das war halt aber so, das war nicht von mir aus so, sondern das war so, das hab ich gemacht, das hat mir auch teilweise so’n bisschen Spaß gemacht, aber das war jetzt so vor allem, weil meine Eltern das wollten, äh, hab ich, halt ein oder zwei Jahre hab ich halt Stabspiel gespielt und dann, äh, hab ich irgendwann mit Schlagzeugunterricht angefangen und
Man kann davon ausgehen, dass innerhalb der Familie der Wunsch bestand, dass das Kind ein Instrument spielt. Der Wunsch geht wahrscheinlich einher mit einem Diskussionsprozess innerhalb der Familie. Die Tatsache, dass das Kind zunächst in die unerwünschte musikalische Früherziehung gehen musste, lässt darauf schließen, dass die Eltern zunächst die Entscheidung gefällt haben. Nach den Angaben des Befragten ist die Mutter die treibende Kraft musikalischer Aktivität, möglicherweise gekoppelt mit ideologisch positiv besetzten Zielsetzungen. Die Eltern forcieren die musikalische Früherziehung mit dem Ergebnis, dass das Kind trotz Ablehnung der Lehrerin in der Musikschule später anfängt (im Alter von ungefähr neun Jahren) Schlagzeug zu spielen, was einem eigenen Wunsch entspricht. #00:01:41-6# Interviewer: Wie alt warst du ungefähr? #00:01:42-6# Befragter: Da mit Schlagzeug hab ich, ich glaub so in der (..) dritten oder vierten Klasse angefangen, nee, in der dritten hab ich mit Schlagzeug angefangen #00:01:53-2# Interviewer: Also neun ungefähr #00:01:54-6# Befragter: Genau, ungefähr neun, das kommt ungefähr hin, da hab ich halt mit Schlagzeug angefangen, und, ähm, seitdem hab ich halt ganz, ganz viel Schlagzeug gespielt so, aber auch noch nicht so richtig leidenschaftlich, sondern hab das halt so gemacht, hat Spaß gemacht, aber, da war noch nicht so ‘ne richtige Leidenschaft dahinter, und dann war ich irgendwann bei, da gab’s halt ‘ne Schulband-AG, dann bin ich hier auf die Schule gekommen in der fünften Klasse, ähm, da bin ich dann hier in die Schulband-AG zu (Vorname des Lehrers) gekommen und, ähm, dann hab ich da halt Schlagzeug gespielt, das lief alles nicht ganz so gut, weil ich hab Timing-Probleme, äh, und so was, das war vor allem, also Timing-Probleme waren vor allem das größte so, und dann hab ich ’n halbes Jahr da, nee, hab ich länger gespielt, auf jeden Fall hab ich dann da so richtig angefangen und auch mich dahinter zu klemmen, hab mich zu Hause jeden Abend irgendwie ‘ne Stunde hingesetzt, hab mir Musik auf die Ohren gemacht, hab dazu getrommelt die ganze Zeit, das hab ich, ähm, ich glaub, anderthalb Jahre ungefähr gemacht, also wirklich fast jeden Abend immer Musik auf die Ohren und
Der Wunsch der Eltern der musikalischen Unterrichtung des Kindes eröffnet weitere Möglichkeiten, indem weitere Instrumente ausprobiert werden. Die neuen Optionen
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führen nicht automatisch zu einem lustvolleren Umgang mit Musik bzw. dem gewählten Instrument, möglicherweise weil die äußeren Umstände (Unterricht muss genommen werden/widerwilliger Gang zur Musikschule) sich nicht geändert haben. Die Motivation zum Erlernen des Instruments (Schlagzeug) ändert sich durch die beginnende Arbeit in einer Schulband. #00:02:53-0# Interviewer: Also weil du jetzt Timing-Probleme hattest #00:02:55-5# Befragter: Genau, ich hatte Timing-Probleme #00:02:56-9# Interviewer: Hat dir das jemand gesagt oder hast du das gemerkt? #00:02:57-9# Befragter: Das hab ich gemerkt, das hat (Vorname des Lehrers) mir manchmal auch so gesagt, dass also so, wenn wir halt so gespielt haben, dann hab ich die anderen rausgebracht, weil, ähm, das funktionierte halt nicht so gut, wenn das Schlagzeug schneller oder langsamer wird die ganze Zeit, und dann hab ich gemerkt, dass das irgendwie, dass ich das halt verändern muss, und dann hab ich halt angefangen richtig zu üben, und so hat das dann halt richtig angefangen, dass ich mehr Musik gemacht hab, da hab ich halt fast jeden Tag Schlagzeug gespielt und dann irgendwann, ähm, das war glaub ich in der siebten Klasse, ähm, da kam dann ’n Schlagzeuger, äh, und denn hieß es, ja okay, wir haben jetzt nur ein Schlagzeug hier, und dann hab ich gesagt, okay, dann, ähm, zieh ich den Kürzeren und geh an’ E-Bass, einfach mal so ausprobiert, und das hat dann auch total Spaß gemacht, dann hab ich auch irgendwann, ich glaub, ich hab ’n halbes Jahr so E-Bass gespielt, da hab ich mir, ja ich genau, ich hab, äh, so vor den Sommerferien, äh, hab ich angefangen, in der Schulband E-Bass zu spielen, das war natürlich noch nicht so cool, aber, äh, das hat schon so ganz gut geklappt und das hat dann so richtig Spaß gemacht, also, dann hab ich mir auch, ich glaub ’n Vierteljahr vor Weihnachten hab ich dann gesagt, äh, Mama, ich will ’n E-Bass haben. Äh, da hab ich halt ’n E-Bass bekommen zu Weihnachten und ich glaub, ich spiel jetzt seit zwei oder drei Jahren E-Bass, mmh, und das hat dann also mit dem E-Bass hat es dann so richtig angefangen, dass ich auch echt musikalisch, dass ich gemerkt hab, dass ich musikalisch bin und hab viel gemacht so. Jetzt hab ich vor eineinviertel Jahr von meinem Cousin ‘ne E-Gitarre geerbt mit Verstärker und allem Drum und Dran, und seitdem bring ich mir halt selber so Gitarre bei, guck im Internet, wie geht der Akkord und so, und dadurch, dass ich Bass und Schlagzeug spielen kann, hilft das halt total, äh, und ich hab mir sozusagen E-Gitarre, äh, schon ’n Jahr lang selber beigebracht. Das Erlernen des Instruments geht einher mit der zunehmenden Reflexionskompetenz in Bezug auf das eigene Spiel, auch mit Unterstützung von außen (hier Lehrer der Band-AG). Die kontinuierliche Beschäftigung mit Musik führt zu weiteren Ebenen der Auseinandersetzung (Ausprobieren verschiedener Instrumente). #00:04:50-0# Interviewer: Also damit hast du jetzt komplett alleine angefangen. #00:04:51-9# Befragter: Damit hab ich komplett, das hab ich halt so geerbt gekriegt, hatte in der Familie gekriegt, ich hab dann, ich konnte, glaub ich e-Moll, vorher #00:04:57-9# Interviewer: Das ist der einfachste. #00:04:59-8# Befragter: Ja, genau, genau, (lacht ein wenig) die zwei oben, und, äh, da hab ich dann irgendwie drauf aufgebaut und hab echt alleine viel geübt, und, das macht eigentlich total Spaß. #00:05:09-0# Interviewer: Äh, und gibt’s spezielle Sachen, die du dir im Internet anschaust? #00:05:130#
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Befragter: Also so was, was ich manchmal höre und, äh, so, ich hör vor allem so, äh, ja, was seh ich mir an, ich weiß nicht, also so, manchmal, ich spiel alles Mögliche, also ich spiel, äh, manchmal Akkorde, manchmal probier ich aber auch ’n Riff zu spielen, ich lern meistens das halbe Riff und mehr kann ich nicht, dann hab ich kein Bock mehr, aber (lacht) irgendwie so’n paar Nirvana-Riffs oder, äh, weiß nicht, äh, Mark Knopfler, da kann ich nicht alles spielen, das ist ein bisschen zu anspruchsvoll, aber irgendwie keine Ahnung, äh, das, wie heißt es noch, ähm, „Money for Nothing“, das Eingangsriff und ja (..) das hat sich dann irgendwie so ergeben. #00:06:02-4# Interviewer: Und gibt es auch, äh, Tutorials, die du dir z. B. auf YouTube anschaust? #00:06:09-9# Befragter: Ich hab mir, ich glaub, für ähm, von Sting hier, äh, das ist mit so zwei hier, äh, ich weiß grad nicht, wie das heißt, das ist ’n Gitarrenstück, äh, äh, hier, zwei, zwei, was hab ich vorhin gesagt, Konzertgitarren, äh, äh, und wie heißt das noch, das hab ich mir, glaub ich, mal angeguckt oder, äh, so, wo, wo ich merke, dass ich mit den Tabs, also Noten kann ich eigentlich gar nicht lesen, das hab ich, hätt ich eigentlich in der musikalischen Früherziehung lernen sollen, aber die Lehrerin war so’n bisschen blöd, also ich kann eigentlich keine Noten lesen, also wenn ich so, ich kann es so herandenken, so C-D-F-G-HC, aber ich kann jetzt nicht hingucken und sag’n, das ist ein C, aber so mit Tabs und so was komm ich halt klar, und wenn ich merke, dass ich mit’m Rhythmus oder irgendwie so nicht weiß, wie das genau ist, dann guck ich mal in ein Tutorial rein, aber das mach ich selten, also, wenn ich wirklich gar nicht mehr weiß
Dem Aneignungsprozess unterliegt kein fester Plan. Dieser wird flexibel gestaltet je nach Fragestellung und Lust am Lernen. #00:07:11-8# Interviewer: Also im Prinzip auch viel über Raushören? #00:07:13-5# Befragter: Ja, raushören, das hab ich in letzter Zeit auch angefangen so’n bisschen, äh, hab ich gemerkt, warte mal, das ist doch’n D-Dur, und das hab ich gemerkt, nur so beim Hören, und dann hab ich, und dann probierst du mal ein D-Dur, das ist ’n D-Dur, wie geil, oder mal so’n bisschen rumprobiert und dann gemerkt, ja okay, so geht das, und dann hab ich mir das so’n bisschen so ertastet, also so’n bisschen raushören hab ich auch schon mal probiert. #00:07:33-7# Interviewer: Also viel mit ausprobieren #00:07:35-0# Befragter: Ja, genau, also nicht so mit Lehrer. #00:07:39-1# Interviewer: Ja, also ich kenn das auch so, also ich hab zwar mal auch ganz früher, ganz früher, da war ich vierzehn kurz mal ’n Lehrer gehabt, aber das hat alles nichts gebracht, das war immer mit Hören, Raushören. #00:07:52-4# Befragter: Ja #00:07:52-7# Interviewer: Auch ohne Theorie, also so lange, bis man irgendwie #00:07:55-9# Befragter: das hinkriegt so #00:07:58-1# Interviewer: das hinbekommt. Theorie ist später gekommen, dass man sich das dann auch erklären kann, warum das so ist. Ähm, sag mal, kannst du dich eigentlich an so etwas erinnern wie eine Initialzündung, also du hast ja erzählt, deine Familie, da wurde schon viel Musik gemacht, also deine Mutter hat viel Musik gemacht, insofern bist du da reingewachsen #00:08:16-4# Befragter: Ja, genau, ich hab gar nicht so (..) #00:08:17-8#
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Interviewer: Also es gibt so kein spezielles Erlebnis, dass du sagen könntest, also das war jetzt das Stück oder der Künstler, daran kann ich mich genau erinnern #00:08:25-4# Befragter: Nee, das hab ich nicht #00:08:27-5# Interviewer: das war so für mich so der Punkt, wo ich angefangen hab #00:08:32-7# Befragter: also ich überleg grad, hab ich ein erstes Lied, wo ich mit Gitarre angefangen hab, nee, ich weiß nicht mehr, was mein erstes Gitarrenstück war
Ein spezielles Erlebnis, welches auf ein Musikstück zurückzuführen ist oder eine Band, ist nicht erkennbar. Möglicherweise ist diese Tatsache auch eine Generationenfrage, da möglicherweise einzelne Ereignisse nicht mehr stark hervortreten, da der Sättigungsgrad durch Musik hoch ist. #00:08:38-6# Interviewer: Ähm, so Richtung Stil, was hörst du am liebsten, also ein paar Sachen hast du genannt, du sagst Sting #00:08:46-4# Befragter: Sting, Mark Knopfler hör ich, geh ich demnächst auch aufs Konzert Die genannten Künstler sind eher untypisch für die Altersgruppe des Befragten, der zum Zeitpunkt der Befragung 15 Jahre alt ist. Das weitere Gespräch gibt jedoch Aufschluss über die große Hörerfahrung, die letztendlich die Grundlage für das breitgefächerte Interesse ist. #00:08:49-6# Interviewer: Nach Berlin? #00:08:50-8# Befragter: Nee, nach Hamburg in die O2 #00:08:52-2# Interviewer: Spielt der in Hamburg auch? #00:08:53-4# Befragter: Ja #00:08:54-0# Interviewer: Ich hab überlegt nach Berlin zu fahren, weil der auch in der O2 World ist #00:08:57-1# Befragter: Ja, das ist ’n Gitarrengott halt, ne #00:08:59-5# Interviewer: Ja, aber jetzt würde mich interessieren, weil das ist so für jemand deines Alters #00:09:04-1# Befragter: ist eigentlich total untypisch #00:09:05-2# Interviewer: Ist untypisch, ne, wie kommst du auf Mark Knopfler? Weil meine Frau sagt immer, wenn ich das höre, sagt sie, das ist Alte-Leute-Musik #00:09:12-1# Befragter: Äh, das ist es ja eigentlich auch, ähm, aber also, so die erste Musik, mit der ich, wo ich angefangen hab, da selber reinzuhören, das war Depeche Mode, hab ich richtig viel Depeche Mode gehört, ich hör jetzt auch noch Depeche Mode, ich hab irgendwie alle Alben auf meinem Ipod von denen, hab auch mich richtig mit denen auseinandergesetzt, mit der Geschichte von denen, und so was, hab mich da richtig informiert und, äh, Depeche Mode halt, jetzt hör ich grad, äh, dann hab ich ‘ne Zeit lang, hab ich so Hartes, ACDC, ’n bisschen Metal teilweise auch, da weiß ich aber nicht mehr die Interpreten, und so’n bisschen Rock halt, Hardrock, und jetzt hör ich vor allem, äh, ganz viel Funk, also, ich hab immer so Etappen, in denen ich was hör, ich hab ganz lange Depeche Mode gehört, dann hab ich mir das so’n bisschen überhört, jetzt hör ich manchmal noch Depeche Mode, jetzt hör ich gerade Funk, das werd ich in zwei Jahren auch nicht mehr hören können, glaub ich, also #00:10:03-2# Interviewer: Also gehst du richtig zurück in die, sagen wir mal, Funk-Geschichte, so richtig Ende der 60er-Jahre oder was heute so läuft? #00:10:09-6# Befragter: Also, ich hör Cool and the Gang Interviewer: Ja
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Befragter: Earth, Wind and Fire, Interviewer: so Klassiker Befragter: so Chaka Khan, genau, also die Klassiker eigentlich und so, also ich kenn mich jetzt so nicht wirklich aus, aber so, so, da arbeite ich mich gerad so Interviewer: Aber ist ja viel 70er-Jahre Befragter: Da arbeite ich mich so, ja die 70er, die Coolen (Lachen), da arbeite ich mich gerade rein in die Funk-Geschichte (…) und, ähm, was hör ich denn noch so? (…)
Die Äußerungen lassen auf eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Musik schließen. Der Befragte "arbeitet sich rein" in die selbstgewählte Thematik. #00:10:36-8# Interviewer: Also Knopfler Befragter: Ja, genau Interviewer: Funk Befragter: Ich überleg grad Interviewer: Sting ist ja auch schon eher älter, The Police Befragter: Ja, Sting ist auch eher älter Interviewer: Ich hab den gesehen in Berlin, jetzt vor drei Wochen Befragter: Echt? Cool. Interviewer: war jetzt zusammen mit Paul Simon unterwegs und ich bin allein schon deswegen hingefahren, weil der Paul Simon ist ja auch so’n ÜberBefragter: -Gott Interviewer: Gott, und 73 ist der schon, ich hab gedacht, der kommt bestimmt nicht noch mal #00:11:03-5# Befragter: Ja, das hab ich bei Mark Knopfler auch gedacht, das ist jetzt nicht so lange, dass der in Hamburg mal spielen wird, bis man Karten kriegt und sowas, ähm, (…) was hör ich noch? Ähm, ja, die 80er, das 80er-Gedudel hör ich auch manchmal, also, äh, hier (…) "Forever Young", wie heißen die noch? Interviewer: "Forever Young"? Befragter: Die deutschen Depeche Mode, äh, Interviewer: Ich weiß, äh Befragter: Alphaville Interviewer: Alphaville #00:11:30-8# Befragter: Ja genau, das hör ich manchmal auch so, also sowas, äh, Eurhythmics äh, Interviewer: Also das is’n ganz anderer Sound #00:11:37-5# Befragter: Ja, ich weiß, ich mag das, dass ich so, so was breit, also ich mag das irgendwie lieber, aber diesen, das was jetzt im Radio läuft, diesen Mainstream-Scheiß mag ich überhaupt nicht, ich weiß nicht wieso, das ist einfach musikalisch auch einfach nicht so anspruchsvoll, teils, teilweise Interviewer: Ja, das wär jetzt meine Frage: was stört dich daran? #00:11:53-4# Befragter: Teilweise, also das ist einfach also vom Sound her, ist das, das meiste irgendwie, also das hat keine Tiefen wirklich, das hat auch keine richtigen Höhen, so’n Radioscheiß halt auch, das so’n Deutsch-Rock-Pop, was gerade abgeht, mag ich auch überhaupt nicht, das hat so’n Schlagertouch, find ich, das mag ich überhaupt nicht und, äh, auch, äh, das ist so’n bisschen (…) also, ich weiß nicht, so Beyoncé, Rihanna und so, die, die ganzen Leute, äh, die, das ist einfach so’n bisschen zu elektronisch, weiß nicht, kann man eigentlich nicht sagen, weil ich hör auch Depeche Mode #00:12:34-9#
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Interviewer: Ne, genau, so Elektronik ist, aber ich weiß, was du meinst #00:12:38-2# Befragter: das hat nicht so’n richtigen, was kann ich nicht beschreiben Interviewer: ist vielleicht zu sehr standardisiert Befragter: ja, das klingt alles gleich, das klingt alles wirklich, also, da hat nicht jede Band oder jeder Interpret so was Bestimmtes, was ich da raushören kann, sondern das ist alles so’n Wirrwarr, so’n Kuddelmuddel, was alles gleich kommt, so, irgendwie, ich kann das gar nicht richtig beschreiben, was ich daran nicht so richtig mag, weil #00:13:05-9# Interviewer: Ich kann mir vorstellen, was du meinst Befragter: ist irgendwie so’n Gefühl, so Interviewer: Nee, ich vermute mal, dass es damit zusammenhängt, dass, also, weil du sagst, Elektronik ist ja nicht gleich Elektronik Befragter: Die Stimmen sind’s #00:13:18-6# Interviewer: Ähm, aber auch in den frühen Elektronikzeiten, 70er, 80er-Jahre haben die Leute eher einen eigenen Sound gehabt, und heute greifen die eher auf Presets zurück, weil früher gab’s ja keine Presets #00:13:34-4# Befragter: Ah so #00:13:34-7# Interviewer: Da hat man irgendwie alles selber eingestellt, und dann gab es vielleicht bestimmte Keyboarder, die haben einen bestimmten Sound gehabt #00:13:42-0# Befragter: Ja, den sie gerne, gespielt oder Synthesizer waren, glaub ich, einfach ein bisschen äh, bisschen, ein bisschen individueller so
Dies ist eine wesentliche Kernaussage. Der Befragte kann die Unterschiede zwischen elektronischer Musik der 1970er-Jahre und heute hörend erfassen. Da es keinen allgemein gültigen Fachbegriff für die von ihm genannten Bereiche gibt, sucht er nach einer eigenen Formulierung, um die Soundunterschiede, die einhergehen mit der technischen Entwicklung, beschreiben zu können. Er spricht ohne es zu wissen, die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Technik an. Zudem greifen die frühen ElektronikBands nicht auf Presets zurück, sondern entwickeln eigene Sounds. Die Musik von Acts wie Jean Michel Jarre, Kraftwerk, Tangerine Dream oder Vangelis wirkt durch die technischen Voraussetzungen daher individueller. Interviewer: Keine Presets, ich hab ja noch so’n ganz alten, das muss man alles einstellen Befragter: Ja, genau Interviewer: Das war immer sehr aufregend auf der Bühne, weil man musste den nächsten Song einstellen, man musste gucken, nur gucken Befragter: Ja genau Interviewer: und die ham immer so gemacht, peinlich (…) #00:14:12-8# Befragter: Ja, das ist irgendwie (.) und die meisten, äh, die meisten Lieder jetzt, das ist so ‘n elektronisch verstellte Stimme, die haben ‘nen einfachen Beat, der immer nz-nz-nz macht, also Depeche Mode hatten zum Beispiel viel besser, die spielen live immer mit ‘nem Drummer und, äh, die sind einfach vom Beat her einfach ’n bisschen einfallsreicher und haben halt so’n, so’n, ich, (…) den Sound kann ich gar nicht beschreiben, das ist so ‘ne Art Rauschen, was Töne hat, ich weiß nicht, das kann ich nicht beschreiben, aber
Zentrale Aussage zur analytisch-ästhetischen Kompetenz. Der Befragte findet den Begriff „Rauschen“ und beschreibt so heutige gängige Produktionsprozesse, die gekennzeichnet sind durch eine breite Abdeckung der Frequenzbereiche in Verbindung mit hohen Kompressionsgraden. Das daraus resultierende Soundresultat kann durchaus
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subjektiv als Rauschen bezeichnet werden, was die gleichmäßige Gewichtung von Ereignissen beinhaltet. Hierzu bietet sich eine Frequenzspektrum-Analyse zu ausgewählten Chart-Songs an. #00:14:43-2# Interviewer: Ja, aber ich versuch das zu lesen, also zu interpretieren, also ich kann mir vorstellen Befragter: das ist, als wenn man, also das ist ’n Klavier, was irgendwie total bearbeitet, also ‘ne Orgel, die total bearbeitet wurde, das man dann nur noch Höhen hatte Siehe Memo oben. #00:14:57-6# (…) Interviewer: Ja Befragter: kann’s nicht beschreiben #00:15:03-9# Interviewer: Ähm, für dich, ähm, welchen Stellenwert würdest du Musik einräumen, so? Befragter: Ganz oben, also, ich mach noch ganz viel Sport, ich mach Leistungssport, ich laufe Interviewer: Hab dich ja gesehen Befragter: Ja genau, haben wir uns gesehen, äh, das war bei einem Training, das ist so eine Sache, für die brenn ich total, ich trainier fünfmal in der Woche und häng mich da richtig hinter, und Musik, das ist irgendwas auf einer Ebene. Wenn ich beim Laufen kein Erfolg mehr haben würde, dann würd ich Musik machen, wenn ich in Musik kein Erfolg mehr haben würde, würd ich ganz viel laufen gehen. Also irgendwie, das ist so eine Sache, und das sind auch zwei Sachen, die glaub ich, die braucht man, Musik und Sport, das sind so zwei Sachen die man im, da kann ich nicht verstehen, wenn andere Leute das nicht machen, weil das ist, das gehört so, so zum Leben für mich dazu, irgendwie, also das ist schon eigentlich oberste Priorität. #00:15:52-7# Interviewer: Äh, hörst du Musik auch so, ich glaub, du hast es vielleicht schon ein bisschen indirekt angesprochen, oder hörst du Musik auch so ganz gezielt, also dass du sagst, ich achte jetzt darauf oder darauf? Befragter: Es geht um die Songs? Interviewer: Ja Befragter: Dann hör ich so den Beat raus und denk, so, okay, wie spielt man den jetzt und, äh Interviewer: Versuchst dir das vorzustellen Befragter: Genau, wie spielt der Drummer das, oder ich hör den Gitarrensound, ich probier so den Rest auszublenden, nur die Gitarre rauszuhören, was macht der gerade so, auch wenn das nur einer ist, der so in, äh, im Rhythmus drin ist, der nur Rhythm-Guitar spielt, so, aber irgendwie probier ich da halt so die einzelnen Spuren, und hör ich den, switch auf’n Bass, probier nur den Bass zu hören, und das stell ich mir also dann, mach ich die Augen zu und konzentrier mich halt nur auf den Sound (…) Sound und, und, äh, und das was, äh, also die einzelnen, äh, die einzelnen Parts halt Interviewer: Weil das ist ja auch immer so faszinierend und spannend zu überlegen, wie macht der diesen Sound Befragter: Ja genau Interviewer: Manchmal ist es klar, also wenn’s jetzt sagen wir mal ’n normaler E-Bass ist, dann sagt man, ja es ist halt ’n E-Bass, aber manchmal sind’s ja auch andere Sounds, wie macht der das?
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Befragter: Ja, auch technisch halt so Interviewer: Oder spieltechnisch oder dann mit der Technik, die noch dazu gehört #00:17:15-0# Befragter: Ja, das mach ich, also, so in die Richtung mach ich vor allem beim Schlagzeug und, und, äh, auch, wie hat der seine Felle, oder hat der jetzt lange Trommeln oder kurze Trommeln, was spielt der für’n Beckensatz, so in die Richtung, das mach ich (.), weil ich schon seit acht Jahren Schlagzeug spiele, also, da kenn ich mich halt schon viel, viel mehr mit aus als mit E-Bass, das spiel ich drei Jahre und Gitarre nur ein Jahr, da kenn ich mich am meisten aus, aber wenn ich so gut Gitarre oder E-Bass spielen könnte wie ich Schlagzeug spielen kann, dann wär das, glaub ich, was anderes Interviewer: Also, ähm, bei mir kommt noch hinzu, so aus Studiosicht, wie hat er das aufgenommen? Befragter: Das kann ich leider noch nicht Interviewer: Wie haben die das aufgenommen, dass das Schlagzeug so gut klingt, also natürlich am Anfang ist immer der Spieler #00:17:57-8# Befragter: Ja klar Interviewer: Der muss gut klingen Befragter: Na klar, das ist die Voraussetzung Interviewer: Dann kommt das Set und dann kommt aber der nächste Punkt: wie haben die das aufgenommen? Das ist immer faszinierend, das will man wissen, wenn das gut klingt. Also, ähm, kannst du dir vorstellen, dann auch weiterhin Musik zu machen? #00:18:16-3# Befragter: Auf jeden Fall, wenn ich nicht mehr laufen kann, wenn ich zu alt bin, mach ich nur noch Musik (Lachen) Ich will noch unbedingt Bass gut spielen, ich will noch unbedingt Klavier spielen Interviewer: Hast noch vor Instrumente zu lernen? Befragter: Ja, auf jeden Fall, ich find Saxophon so geil, ich weiß auch nicht wieso, aber Interviewer: Ist ’n bisschen aus der Mode geraten, aber es ist eigentlich ein ganz tolles Instrument Befragter: Ja, also weil ich ganz viel Funk hör, denk ich so’n Saxophon ist schon geil, und Klavier mag ich auch voll gerne (.) aber dann halt nicht so Klassik, klassische Stücke, also das wär vielleicht auch mal ganz interessant, aber vor allem, was man so inner Band spielen kann, also mit Akkorden, so’n bisschen improvisieren, was man so machen kann Befragter: Hast aber noch nicht angefangen? Befragter: Nee, ich kann jetzt also drei Akkorde, vier Akkorde auf’m Keyboard so drücken, aber ich kann jetzt nicht richtig zu ‘nem Lied begleiten (…) #00:19:11-6# Befragter: Ich schau mal, ich glaube du hast schon von dir aus so ganz viele Punkte angesprochen, eigentlich alles schon so, das, was ich mir auch so ’n bisschen erhofft hatte, hast du auch viel angesprochen. Wunderbar, vielen Dank. Befragter: Cool. #00:19:27-0#
Kommentar Typisierung: Die frühe musikalische Auseinandersetzung mit Musik ist vorwiegend auf den nachdrücklichen Wunsch der Eltern zurückzuführen. Trotz negativer Erlebnisse (musikalische Früherziehung in der Musikschule) bleibt der Befragte weiterhin (auch wegen des Drucks der Eltern) aktiv und eignet sich offensichtlich Grundkompetenzen im Spielen von Instrumenten und darüber hinaus an. Das Interesse an Musik ist nach einigen Jahren sehr breit gefächert und geht weit über alterstypische Rezeptionsebenen
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und Präferenzen hinaus. Das breite nicht stilgebundene Interesse ist dem Befragten bewusst und ist Teil seiner Überlegungen. Das Verhalten weist professionelle Züge auf. Die Aussagen des Befragten lassen die Interpretation zu, dass frühe Entscheidungen der Eltern, das Kind in die musikalische Früherziehung zu schicken, trotz Ablehnung durch das Kind, späteren eigenen Wegen nicht abträglich sein muss. Möglicherweise führt der Druck durch die Eltern auch dazu, nach anderen "angenehmeren" Unterrichtsmöglichkeiten bzw. Instrumenten zu suchen. Dafür sprechen ebenso die Ausführungen in Abschnitt 9. Der Druck durch die Eltern muss sich danach nicht zwangsläufig negativ auf die weitere Beschäftigung mit Musik auswirken. Entscheidend ist hier möglicherweise das grundlegende Verhältnis zu den Eltern. 10.1.5 Transkription Einzelinterview – Code Cm In der Transkription sind nicht alle Zeitmarken aufgrund eines technischen Problems enthalten. Da das Fehlen der Angaben keine besondere Relevanz aufzeigt, war ein späteres Einfügen nicht notwendig. Interviewer: Also vielen herzlichen Dank erst mal fürs Mitmachen Befragter: Ja Interviewer: Es war ja jetzt immer so'n bisschen hektisch, wenn ich da war, das heißt, ich weiß nicht, ob das so ganz klar geworden ist.
Die Aussage bezieht sich auf den Hintergrund des Interviews. Befragter: Ja, also, kein Problem, sowas passiert manchmal auch Interviewer: Ich mach selber schon lange Musik, das hat (Name des Lehrers) auch erzählt und bin jetzt, äh, im Grunde schon sehr lange, aber jetzt also hauptberuflich an der Uni, und ich forsch so’n bisschen darüber, weil ich das auch von ganz vielen Leuten so kenne, was Leute eigentlich so privat mit Musik machen, also selber privat an Musik rangehen. Du hast ja schon angefangen, auch so’ n bisschen zu erzählen.
Nachdem bei einem der Vorbereitungstreffen die Kernfrage vorgestellt wurde, begann der Befragte unaufgefordert von sich zu erzählen. Befragter: Ja Interviewer: Also mich würde interessieren, jetzt erst mal, wie du zur Musik gekommen bist, wann du angefangen hast. Befragter: Na ja, das ist jetzt 'n bisschen schwierig zu erzählen, weil ich habe, das hab ich nämlich nicht mehr so richtig auseinander gekriegt, sondern nur mit Fotos, weil das hat mein Vater mir noch mal Fotos gezeigt, da hab ich, ich weiß nicht, bestimmt mit 3 Jahren hat mein Vater mir irgendwie, also hat er schon sehr lange 'ne Gitarre, die hab ich jetzt ja auch, äh, und da durft ich denn auch immer so'n bisschen drauf rumklappern, sag ich mal so, da hatt ich also 'n bisschen so das Gefühl für die Musik bekommen, also die Töne und so, und dann hat sich das so langsam herangeschlichen, und mein Vater hat mir dann, ähm, ich weiß nicht, zu meinem (...) äh, achten oder neunten Geburtstag eine Gitarre gekauft, erstmal 'ne ganz einfache klassische Gitarre
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Typisierung: Möglicherweise auch ein Hinweis auf einen Typ, der charakterisiert ist durch ein positives Verhältnis zu den Eltern oder einem Elternteil. Möglicherweise in Verbindung mit Vorbildfunktion. Interviewer: also Konzertgitarre Befragter: Ja so 'ne drei, ja, das war sogar 'ne anderthalb Gitarre so, wirklich so so, bestimmt, ja (..) anderthalb Gitarre Interviewer: Ja Befragter: Äh, und darauf konnt ich denn erst mal spielen, weil, da hat er mir das beigebracht, also selbstständig hat er mir das beigebracht, und denn ging das so weiter, und denn hab ich noch mehr, also denn hab ich ’ne bessere Gitarre bekommen und dann noch 'ne bessere und denn hab ich als letztes, das ist jetzt auch schon (..) vier Jahre her oder (..) ja genau, so ungefähr vier Jahre, da hab ich jetzt, seitdem hab ich diese Westerngitarre und, aber auch hab ich 'n Keyboard bekommen, weil ich da auch so Interesse dran hatte, mit den Tönen und mit der Musik ist das dann alles gekommen, dann wurde ich langsam selbstständig (@) ab elf Jahren oder so ungefähr, das weiß ich nicht mehr so ganz genau, so ca. ab zwölf oder elf, das heißt also, jetzt bin ich schon eigentlich sechs Jahre verselbstständigt sozusagen schon Die Auseinandersetzung mit dem Einstiegsinstrument wird gefördert durch weitere, qualitativ hochwertigere Instrumente. Das Interesse wird nach dem Einstieg breiter gestreut. Diversifizierung und Emanzipationsprozess. Interviewer: Was meinst du mit verselbständigt? Befragter: Also, ich lerne jetzt eigenständig, wenn ich jetzt z. B. ein Lied lernen will (.) oder auch übe, obwohl üben (..) tu ich nicht so viel, aber ich versuch es, ich versuch zu üben (.) und (..) ähm (..) ja, und dann kommt manchmal so, dass ich eben so Lieder höre und die ich denn gerne mag, die Richtung, also Richtung Pop mag ich ganz gerne, da kann ich auch schon ganz schön viele Lieder spielen, einfach so manchmal auch, obwohl ich die ganzen Akkorde noch gar nicht kann, manchmal, äh, manchmal improvisier ich denn mit meinen Akkorden, die ich kenne
Das Nachspielen von Titeln basiert auf Trial-and-Error. Bekannte Akkorde werden mit den neuen Stücken abgeglichen. Der Aneignungsprozess wird gefolgt von weiteren, kreativen Prozessen. Interviewer: Du versuchst dich so'n bisschen ranzutasten Befragter: Genau Interviewer: Und dann sagst du, das kenn ich und dann guck ich mal, ob’s passt Befragter: Ja Interviewer: Und, äh, wie bringst du dir das noch bei? Befragter: Sonst, wenn ich wirklich nicht weiter weiß, auf YouTube oder Interviewer: Da findet man doch eigentlich immer fast immer was, oder? Befragter: Ja, eigentlich fast immer, aber manchmal hab ich mir auch Rat von einem Freund von meinem Bruder geholt, der ist auch ganz musikalisch, also ganz musikalisch begabt, der kann Schlagzeug spielen, E-Bass spielen, Gitarre spielen, Schlagzeug spielen und auch Keyboard, der hat auch 'ne eigene Band, ähm, von dem hol ich mir, na gut, jetzt nicht mehr so, Rat aber hab ich mir manchmal geholt, und das hat auch schon geholfen und so
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Wenn die eigenen Aneignungsstrategien an ihre Grenzen kommen, werden andere Quellen genutzt. Dies betrifft sowohl den Bekanntenkreis als auch die Nutzung von Medien. Zumeist wird auf Tutorials im Internet zurückgegriffen. Interviewer: Also, wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, spielst du, äh, Keyboard Befragter: Mhm (bejahend) Interviewer: Und Akustikgitarre Befragter: Ja Interviewer: E-Gitarre nicht Befragter: Na ja, E-Gitarre hab ich auch, aber die spiel ich nicht so oft, ich spiel lieber Akustik, weil das auch schöner klingt und, ja Interviewer: Hast du Vorbilder, also weil du sagst, weil’s schöner klingt, Akustik-Gitarre, dann hat man ja häufig ein bestimmtes Vorbild, also vom Klang her auch Befragter: Hmm, also Vorbilder glaube ich eher nicht so, also, das weiß ich gar nicht, ob ich 'n Vorbild hab, also, weil man halt nicht, mein Vater vielleicht, sonst, war früher so, jetzt nicht mehr so, jetzt (..) jetzt nehm ich mir eigentlich so vor wie so YouTuber zu werden, die so wirklich erfolgreich sind, also die Gitarristen sind auf YouTube und versuchen, so zu spielen wie die, jedenfalls in die Nähe zu kommen
Möglicherweise wichtige emotionale Bindung zu Vater als Auslöser des Initiierungsprozesses. Interviewer: Äh, gibt es so bestimmte Stile, die du besonders magst oder sagst du, ah, ist egal, wenn mir 'n Song über'n Weg läuft, dann ist (kein) Befragter: Ja, ich würde fast sagen, wenn mir 'n Song übern Weg läuft, aber manchmal ist es auch so, dass mir eher so Popsongs interessieren, mehr als Rocksongs, so wie zum Beispiel von AC/DC, Thunderstruck oder was auch immer, das zieh ich nicht so in Betracht wie jetzt zum Beispiel Waves von Mr. Probz, das mag ich ganz gerne. Interviewer: Okay Befragter: Weil man da so'n schönen Ohrwurm drinne auch immer hat, also anhand des Ohrwurms kann ich mir das bestimmt so gut merken. Interviewer: Ist natürlich 'n bisschen schwierig so das abzugrenzen Befragter: Ja Interviewer: Wenn du sagst Rock, AC/DC nicht so gerne, hab ich richtig verstanden? Befragter: Ja Interviewer: Äh, dafür lieber Mr. Probz, weil das vielleicht Rock/Pop, wie kann man das unterscheiden, oder wie würdest du das machen? Befragter: Also unterscheiden würd ich das so Interviewer: Oder wo gibst vielleicht 'ne Grenze, wo würdest du sagen, da ist die Grenze? Befragter: Das is so, wo’s wirklich (...) ähm, am meisten verzerrt wird, also wo, wo, ähm, wo mit, nich mehr mit Drumsets, mit diesen Computern gearbeitet wird, also mit, ich weiß jetzt nicht, wie man das nennt, aber da wird denn nur mit Computern gearbeitet, und denn wird das alles so gesampelt, also, ich find es besser, wenn man’s wirklich, von einer, also mal’n Beispiel jetzt, wenn man jetzt Akustikgitarre spielt, da hat man den Klang, und der ist denn ja auch (...) einfach ganz nett, so Lagerfeuermusik praktisch. Interviewer: Also, du machst mehr so akustische Sachen auch Befragter: Ja
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Interviewer: Hmm (...) ich hab’s vorhin schon mal gefragt, also Stile hast du gesagt, eher so eher Rock, nicht so sehr (kein) Befragter: Pop Interviewer: Ähm, ich geh mal so’n bisschen eigentlich an Anfang zurück, du hast es so halb, glaub ich, schon so angedeutet, ohne dass ich danach gefragt hab. Befragter: Ja Interviewer: Gibt es eigentlich in deinem Leben ein ganz frühes Erlebnis, an das du dich erinnern kannst, dass du sagen würdest, der Song oder den Sänger, da war ich so fasziniert, da hab ich angefangen Musik zu machen? Befragter: Ja, das ist (...) schon Interviewer: Muss nicht sein Befragter: Nein, aber das, das ist nicht mehr, das ist echt so, also ich hab bei einem bestimmten Lied von, von Daniel Powter, das ist Bad Day, das ist nämlich auch eine Titelmusik in einem Film und den, der war ganz lustig zu meiner, als ich so sieben oder acht war, mein ich noch, und da fand ich das so witzig, und da fand ich dieses Lied so schön, also kann ich jetzt nur noch so von früher sagen, weil
Im vorliegenden Interview gibt der Befragte an, dass er sich an ein ganz bestimmtes Stück erinnern kann, welches möglicherweise dazu beigetragen hat Musik zu machen. Interviewer: Ja, also das ist etwa, woran du dich ganz deutlich erinnerst Befragter: Ja, genau
Bestätigt die Erinnerung an ein ganz bestimmtes Stück. Interviewer: mhm (bejahend) Befragter: Oder auch, hab ich mir letztens noch mal also das Video von 2010 angeguckt bzw. das war jetzt vorgestern, wie ich da gespielt hab und wie ich heute spiel, also das so vergleiche
Der Befragte reflektiert seine musikalische Entwicklung und kann auf Videos, die sein Vater gedreht hat, zurückblicken. #00:08:23-5# Interviewer: Hast du Aufnahmen von dir? #00:08:25-4# Befragter: Ja, also hat mein Vater mich mal aufgenommen #00:08:26-5# Interviewer: Ja #00:08:27-6# Befragter: Und es ist echt erstaunlich, wie ich mich verändert hab (...) also vom Stil her, weil jetzt kann ich super zupfen und vorher konnte ich natürlich nicht, weil ich da noch praktisch ja Anfänger war, ähm, ja und jetzt seh ich mich 'n bisschen weiter als Fortgeschrittener, also, ähm, wie nennt man das?
Der Fortschritt des eigenen Spiels wird positiv wahrgenommen. #00:08:52-2# Interviewer: Fortgeschritten #00:08:54-6# Befragter: Ja, fortgeschritten, 'n bisschen weiter noch vielleicht #00:08:55-5# Interviewer: Ja . (...) Nimmt Musik, also das ist ja nicht nur spielen, wir unterhalten uns über spielen, ähm, gibt’s auch andere Sachen mit Musik, also singst du oder (...) #00:09:10-7# Befragter: Ja, also, singen tu ich auch, aber das tu ich jetzt nicht so oft #00:09:19-4#
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Interviewer: Ja, okay #00:09:21-8# Befragter: Also bei so Liedern, die mich so, sag ich mal, innerlich berühren wie jetzt Waves oder auch von, von, ähm (...) Mensch, wie heißt es jetzt (...) ähm (...) na jedenfalls von Liedern, die mich berühren, die sing ich gerne dann, weil ich so (..) denn so versuchen will wirklich die so richtig zu können, damit ich den, da hab ich denn manchmal den Ehrgeiz, manchmal hab ich den nicht, ja
Das emotionale Berührtsein von Musik führt dazu, sich intensiver mit einem Stück oder Musik allgemein zu befassen. In diesem Fall wird der Umgang mit Musik ausgeweitet und intensiviert. #00:09:56-6# Interviewer: Hörst du auch manchmal Musik, sagen wir mal, so ganz gezielt, also dass man sich hinsetzt und hört und sagt, ich achte jetzt darauf, mich interessiert das oder #00:10:099# Befragter: Ja, das hab ich 'ne Zeitlang gemacht, zum Beispiel die Basstöne mal raussuchen oder die Gitarrentöne, also nicht die Töne, aber die Griffe so, Akkorde, ja
Die Intensivierung des Umgangs mit Musik führt zu einer Verfeinerung der Strategien von der Herangehensweise von Trial & Error zu einer gezielteren und detailbezogenen Strategie. #00:10:21-1# Interviewer: Mhm (bejahend) Inwieweit würdest du sagen, wie groß ist der Raum, den Musik in deinem Leben so einnimmt? Würdest du den hoch einschätzen oder mittel oder #00:10:34-1# Befragter: Also, ich schätz den bei mir etwas hoch ein, weil ich (kurze Pause) so viel mit Musik mache, aber wenn ich manchmal so am Tag Musik mache, dann sind das manchmal schon drei Stunden so #00:10:46-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:10:49-1# Befragter: und das ist ja schon ein Achtel des ganzen Tages #00:10:52-1# Interviewer: Mhm (bejahend) Das ist schon viel, drei Stunden #00:10:55-4# Befragter: Ja, also das ist manchmal nur der Fall, aber kommt jetzt häufiger vor, weil ich, ja, weil ich jetzt im Moment immer sehr viel mit Musik zu tun hab, weil, also ich höre Musik beim Laufen, ähm, auch wenn ich manchmal was lese, obwohl das ja sich gegenüberlappt, weil das ja nicht so richtig passt, aber mach ich manchmal einfach so, oder auch vorm Einschlafen nochmal, Hörbuch auf meinem Handy und ja #00:11:36-7# Interviewer: Ja, ja ich hab schon zu deinem, zu (Name eines Mitschülers) gesagt (...) wir haben hoffentlich kein Problem mit der Aufnahme (Lachen), weil es das jetzt übertönt, ich kann im Moment nicht kontrollieren, weil ich hab keinen Kopfhörer mit Dies betrifft Störungen durch eine Probe nebenan, bei der laute Musik abgespielt wird. #00:11:51-0# Befragter: Ja #00:11:51-0# Interviewer: Ähm, das wäre sehr ärgerlich, dann müsst ich’s nochmal machen und #00:11:57-1# Befragter: Ha #00:11:57-1# Interviewer: Das wär für euch nicht schön, mir ist es egal, für euch wär’s ganz doof #00:12:01-8# Befragter: Ja #00:12:03-8#
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Interviewer: Dann würde man das versuchen zu wiederholen #00:12:05-0# Befragter: Ja, aber das #00:12:06-7# Interviewer: Ich hoffe, dass es geht, also ich glaube, dass meistens der Sprechpegel groß genug ist. Meinst du, du wirst in Zukunft noch Musik machen? Weiterhin? #00:12:15-1# Befragter: Ja, auf jeden Fall, so jetzt es wird dann jetzt nicht so immer sein, weil ich dann ja jetzt langsam jetzt in meine Ausbildung komme, also ich will meine Schule langsam beenden mit dem Realschulabschluss, denn ich hoffe, dass ich den schaffe, und dann muss es ja für mich weitergehen, dass ich 'ne Ausbildung habe #00:12:36-0# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:12:36-0# Befragter: und dann muss ich (unverständlich) erstmal dafür alles machen und dann in meiner Freizeit, da wird’s dann vielleicht ein bisschen schwierig werden, denke ich, aber ich denke schon, dass ich noch weiter Musik machen werde, also, es wird sich bestimmt wieder denn irgendwann aufgreifen oder entweder ich mach ganz normal so weiter, also #00:12:55-9# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:12:57-0# Befragter: irgendwas von dem beiden, was ich jetzt grad gesagt hab, wird bestimmt auftreten, weil ich denke (kurze Pause) an, so jetzt an meinen Charakter, da so ich bin ein (...) Mensch, der immer so viele Sachen wieder aufgreift vom früheren Leben, sag ich mal, also von früheren Zeiten, und da erinnere ich mich dran und manchmal mach ich denn auch das wieder, was ich früher gemacht habe, also, könnt es vielleicht oder höchstwahrscheinlich sein, dass sich das denn wieder irgendwann auftritt.
Der Befragte stellt die Frage nach seiner zukünftigen Planung in einen allgemeinen Zusammenhang mit seinem Charakter. #00:13:31-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:13:31-5# Befragter: Wenn ich die Lust oder wenn ich das verlieren würde #00:13:35-2# Interviewer: Mhm (bejahend) Ja, ich glaub, wir haben ziemlich viel besprochen, oder? #00:13:42-2# Befragter: Ja #00:13:44-3# Interviewer: Macht dein Vater immer noch Musik, macht er regelmäßig Musik oder? #00:13:51-6# Befragter: Nein, also er hat früher in seiner Jugend, das hat er mir nun zwar nicht richtig ganz erzählt, aber er hat erzählt, dass er in seiner Jugend auch eine Band hatte und da denn nicht mehr so ganz aktiv war, weil seine Gruppe, die auch sich dann 'ne Zeit aufgelöst hat, weil dann
Auch wenn die Antwort auf eine gezielte Frage zurückgeht, so ist auch hier der wichtige emotionale Bezug zum Vorbild Vater erkennbar. #00:14:10-1# Interviewer: Hast du das eigentlich vor, auch mal 'ne Band zu machen, also jetzt später mal außer dieser #00:14:15-9# Befragter: Ja, vielleicht, aber, na ja, darüber hab ich mir noch, ich hab mir schon darüber Gedanken gemacht, aber das ist (..) denke ich jetzt einfach mal, ziemlich kompliziert, also das alles so in die Wege zu leiten ähm, da braucht man einen festen Platz und #00:14:42-9# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:14:43-3#
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Befragter: Im Garten kann man ja schlecht üben, weil das manchmal so laut ist oder #00:14:47-5# Interviewer: Ja, ja #00:14:49-7# Befragter: Das könnte vielleicht 'n bisschen problematisch werden, wenn, dann müsst ich mich eigentlich an eine Gruppe (..) leiten, wenden, die sich zur Verfügung stellt oder so #00:15:02-4# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:15:05-3# Befragter: Oder einen Raum irgendwo am Bahnhof, da gibt’s ja manchmal Räume, wo man so rein kann und denn üben kann als Band #00:15:11-2# Interviewer: Ja. Jas, das wird sich ergeben #00:15:14-3# Befragter: Ja #00:15:18-2# Interviewer: Gut, ich sag mal vielen Dank #00:15:21-6# Befragter: Mhm (bejahend) #00:15:21-7# Interviewer: dass du mitgemacht hast, dich bereit erklärt hast dazu #00:15:25-7# Befragter: Ja #00:15:26-3# Interviewer: Das ist ganz toll. #00:15:25-0#
Kommentar Typisierung: Möglicherweise auch ein Hinweis auf einen Typ, der charakterisiert ist durch ein positives Verhältnis zu den Eltern oder einem Elternteil. Erkennbare Vorbildfunktion des Vaters, mehrfache Nennung in verschiedenen Kontexten. 10.1.6 Transkription Einzelinterview – Code Df Interviewer: Es ist ja nicht in jedem Fall so, dass man sich erinnern kann, ne, aber manchmal kann man das und sagt, ja, ich hab ungefähr in dem Alter angefangen, kannst du #00:00:11-4# Befragter: Alter weiß ich nicht, aber ich hab ganz, ganz früh angefangen #00:00:13-3# (Die Befragte wartet noch auf den Start der Aufnahme, welche bereits gestartet ist.) Interviewer: Ja (...) wir können anfangen #00:00:19-5# Befragter: Ähm, ich hab früh angefangen zu singen und auch Klavier zu spielen, also Klavierspielen kam erst danach, aber ich singe halt leidenschaftlich, weil (kurze Pause) meine Mutter war früher auch ein, eine, also, die hat früher auch viel Musik gemacht und war auch auf Bühnen und sowas halt, und mein Papa auch, und von denen hab ich das halt geerbt, und dann singen wir auch manchmal zuhause, also, wir singen eher traditionelle Lieder, also von unserm Land, von unserm Land, und daher hab ich das #00:00:50-6# Interviewer: Darf ich fragen, welches Land das ist? #00:00:52-2# Befragter: Kosovo
Die Herkunft der Befragten steht möglicherweise im Zusammenhang mit dem Singen traditioneller Lieder. #00:00:53-3# Interviewer: Ah, okay, also, wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, ist das ganz stark durch die Familie gekommen #00:00:57-9# Befragter: Mhm (bejahend) #00:00:58-6# Interviewer: Also deine Eltern machen beide Musik und das hat sich so#00:01:03-0# Befragter: Ja #00:01:03-0#
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Interviewer: Ist so weitergegeben quasi, ähm, kannst du dich zum Beispiel, du hast jetzt gesagt, du weißt gar nicht genau, wann du angefangen hast, aber kannst du dich vielleicht an ein besonderes Lied erinnern oder sagst du, nein, das spielt nicht so ’ne Rolle, also, (kurze Pause) oder eine, eine besondere Situation, das man sagt, ja damals, das fand ich ganz toll und dann wollt ich gerne anfangen Musik zu machen (...) #00:01:32-6# Befragter: Ich weiß nicht #00:01:32-6# Interviewer: Nee, muss auch nicht sein, das kann manchmal sein, also, ähm, dass man sich, also ich zum Beispiel, kann mich erinnern und sagen, ach, da war ich drei, da hab ich immer das Lied gesungen, das fand ich ganz toll, aber das muss nicht so sein, ähm, aber wenn du jetzt, ähm, zum Beispiel (..) oder noch eine Frage dazwischen, weil du hast gesagt, du hast Klavier angefangen #00:01:54-3# Befragter: Mhm (bejahend) #00:01:54-5# Interviewer: Ähm, hast du Unterricht genommen? #00:01:57-6# Befragter: Mhm (verneinend), also wir waren, ich hatte noch ’ne andere AG, ähm, das war eine Chor-AG, und da konnte halt ’n Mädchen ganz gut Klavier spielen und ich hab, das fand ich halt ganz schön, da haben fast alle vom Chor angefangen Klavier zu spielen, und dann hab ich’s halt auch gelernt, aber ich hatte kein Klavier zu Hause, nur bei einem Verwandten, bei dem ich manchmal war und, ähm, ich spiel jetzt, glaub ich, seit einem Jahr erst Klavier, und ich hab kein Unterricht #00:02:23-7# Interviewer: Und wie machst du das? #00:02:24-9# Befragter: Also, ich guck mir einfach (unverständlich) auf YouTube, so ein Tutorial, also ein Lied, zum Beispiel jetzt „Impossible“ oder so raus, und dann schreib ich dahinter "Tutorial" und dann kommt das, denn sind da so Tastaturen und denn guckt man sich das ab und spielt
Die Befragte beginnt aufgrund der motivierenden Wirkung einer Mitschülerin sich selbst Klavier beizubringen und nutzt dazu Tutorials aus dem Internet. #00:02:40-5# Interviewer: Okay, ähm, ist es vielleicht auch manchmal so, also YouTube ist eine Möglichkeit, dann wird’s dir auch gezeigt und man kann sich das anschauen, hörst du auch manchmal Sachen raus? #00:02:51-7# Befragter: Ja #00:02:51-7# Interviewer: Also, dass du dich hinsetzt, wie gehst du dann vor? #00:02:53-4# Befragter: Weiß ich nicht, also ich hab mal ein Lied gehört, da war mein Handy grad kaputt, und ich konnte nicht auf YouTube gehen, (Lachen) und ich wollt’s aber unbedingt können, dann hab ich’s mir angehört, angehört, angehört und ein paar Noten ausprobiert und am Ende konnte ich das ganze Lied schon spielen.
Die Formulierung "ein paar Noten ausprobiert" ist wahrscheinlich nicht wörtlich zu nehmen, sondern beschreibt möglicherweise das Spielen von Tönen, Akkorden usw. Aufgrund des nicht möglichen Zugangs zum Internet wird die Strategie gewechselt und direktes Raushören des Musiktitels ausprobiert. #00:03:07-8# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:03:07-9# Befragter: Ja #00:03:09-0# Interviewer: Und dann lernst du’s auswendig oder machst du dir irgendwelche Notizen? #00:03:11-7#
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Befragter: Mhm (verneinend) also ich kann auch keine Noten lesen Die Aussage bestätigt die Annahme weiter oben, dass mit Noten nicht wirklich Noten gemeint sind, sondern Töne oder Akkorde. #00:03:14-8# Interviewer: Ja #00:03:14-9# Befragter: Nee, ich spiel einfach irgendwas, also #00:03:18-8# Interviewer: Ja, wunderbar, (..) ähm, gibt’s noch andere Möglichkeiten oder fragst du Leute, kann das auch sein, dass man sagt, wie geht der Song, └ kannst du mir das mal zeigen? Befragter: Ja, ┘ also meine Freundin frag ich ganz oft, weil ich hab sehr viele Freunde, die Klavier spielen und die auch Unterricht nehmen und, ähm, manchmal sag ich auch einfach, könnt ihr mir das mal ’n bisschen zeigen und so, dann zeigen sie’s mir, aber ich bin die Einzigste aus der, aus meiner Familie, die irgendein Instrument spielt
Bestätigung der Strategienvielfalt. #00:03:45-7# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:03:46-2# Befragter: Ja #00:03:48-6# Interviewer: Also, wenn ich das richtig verstanden habe, ist es dann so, du bringst dir das bei, irgendwie, guckst dir das raus, aber du lernst es auswendig. #00:03:56-7# Befragter: Mhm (bejahend) #00:03:58-1# Interviewer: Und ist dir auch gar nicht so, dass du sagst, ähm, das ist jetzt a-Moll oder der heißt so und so, sondern du merkst dir das, wie das aussieht oder wie └ ist das dann? #00:04:05-6# Befragter: Ja, also #00:04:06-9# Interviewer: Oder kennst du #00:04:07-6# Befragter: ┘ Manchmal weiß ich auch #00:04:08-3# Interviewer: Auch schon ein bisschen die Akkorde? #00:04:08-3# Befragter: Ja, manchmal weiß ich auch, wann, weil wir haben’s auch im Musikunterricht gehabt mit a-Moll und d-Moll und so was halt, und manchmal hör ich das auch
Die Befragte kann in ihrem Vorgehen Verbindungen zum Musikunterricht und seinen Theorieanteilen herstellen und nutzt diese. #00:04:18-0# Interviewer: Mhm (bejahend), (..) ähm, das war jetzt Klavier, und wie gehst du mit Singen vor, also du singst ja, du singst ja schon so recht professionell, wenn man so └ will #00:04:29-3# Befragter: Danke #00:04:29-3# Interviewer: ┘ Bist ja schon ganz gut im Gesang, ist nicht selbstverständlich, ähm, machst du das eher spontan oder wie gehst du da ran, nimmst du dir ’n Lied auf YouTube oder wo auch immer und singst das dann nach, oder welche Strategien gib’s da so, welche #00:04:45-7# Befragter: Da mach ich’s, also ich hör immer sehr oft Musik, zum Beispiel, wenn ich jetzt in die Stadt fahr oder so, im Bus mit Kopfhörer Musik hören, und dann sing ich halt auch manchmal mit, und da kann ich’s halt, also ich hab auch kein Gesangsunterricht oder so #00:05:00-8# Interviewer: Muss man ja nicht haben #00:05:02-0# Befragter: (Lachen) #00:05:02-1#
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Interviewer: Also, du übst aber schon, oder, also, oder wie kann man das beschreiben, wenn du einen Song hörst? #00:05:10-5# Befragter: Das ist der einzigste Ort, wo ich übe
Gemeint ist das Singen während Busfahrten. Offen bleibt, ob wirklich lautes Singen gemeint ist oder gedankliches Mitsingen. #00:05:11-4# Interviewer: Ja, okay #00:05:13-2# Befragter: Also zuhause oder so üb ich jetzt nicht so richtig #00:05:14-2# Interviewer: Ja #00:05:14-2# Befragter: Also, ich sing da zwar und ja, also ich singe und, aber so richtig jetzt üben oder so nicht, weil ich sing einfach ganz spontan so
Die selbst geäußerte Spontaneität des Singens von Liedern wird von der Befragten nicht als Üben empfunden. #00:05:22-4# Interviewer: Okay, also ist das ziemlich, ja manche würden sagen Talent oder sowas, weil du kannst dann ja doch relativ schnell gerade raus drauflos singen, ja #00:05:32-6# Befragter: Ja #00:05:32-8# Interviewer: Musst das nicht solange üben. Ähm, wenn du sagst, ähm, du hörst Musik, ähm, auf was hörst du so (kurze Pause) speziell? #00:05:43-7# Befragter: Ich hör alles Mögliche, ich hör albanische Lieder, dann hör ich noch, es gibt ein paar Songs von Schlager, aber Schlager mag ich nicht so richtig, dann hör ich auch gerne solche Art von Rihanna oder mal von dem, ähm, Sam Smith oder so was, also, eher so was (...) wie soll man sagen, (...) keine Ahnung, also ich hör Verschiedenes #00:06:06-5# Interviewer: Also, du bist nicht festgelegt #00:06:09-7# Befragter: Mhm (verneinend) #00:06:10-8# Interviewer: Auf bestimmte Stile, sondern was dir gefällt, gefällt dir #00:06:12-6# Befragter: Ja #00:06:13-9# Interviewer: Ähm, aber ich meinte die Frage, ob, du hast, ist okay, aber ich mein doch die Frage noch bisschen anders. Wenn du jetzt Musik hörst, dann achtest du natürlich zum Beispiel auf’n Gesang und sagst, ah, das will ich singen und wie geht der. Gibt’s noch andere Sachen, dass du sagst, ich achte gerne auf folgende Instrumente oder so, oder sagst du das nicht so, ist egal #00:06:33-0# Befragter: Nee, ich achte halt, also, wenn ich ein Lied habe, das ich ganz doll mag, dann hör ich’s mir an und dann hör ich mir auch manchmal Covers an, also von anderen Leuten, wie sie das singen
Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Versionen weist auf die Entwicklung ästhetischer Kompetenzen hin als gezielte Strategie. #00:06:43-5# Interviewer: Okay #00:06:43-5# Befragter: Und von, weil, jeder singt das ja anders #00:06:46-1# Interviewer: Ja #00:06:46-1# Befragter: Und manche machen auch mit ’ner andren Melodie oder so was, und daraus schneid ich mir das halt raus, so ein paar Teile und dann sing ich’s einfach. #00:06:55-6#
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Interviewer: Okay, also du orientierst dich an verschiedenen Leuten, die das auch schon unterschiedlich singen, richtig? #00:07:04-5#
Gezieltes Arbeiten mit verschiedenen Versionen als Teil einer ästhetischen Annäherung durch Versionenvergleich. Befragter: Mhm (bejahend) #00:07:06-3# Interviewer: Hab ich so richtig verstanden, ne? Ah, das ist ja eigentlich ganz interessant, also, diese Möglichkeiten hat’s ja so früher noch gar nicht gegeben #00:07:13-6# Befragter: (Lachen) #00:07:13-6# Interviewer: Früher hat man eine Platte gehabt und die Möglichkeit, dass es ’ne Coverversion gibt, war schon sehr eingeschränkt, aber heute gibt es halt sehr viele Sachen. Gut, (kurze Pause) über Stile haben wir gesprochen, ähm, kannst du sagen, was für dich so, das ist manchmal gar nicht so einfach, aber so eigentlich so die wichtigsten Gründe sind Musik zu machen? Man muss das ja nicht #00:07:42-3# Befragter: Also (...) weiß es nicht, es macht mir halt einfach richtig Spaß #00:07:51-5# Interviewer: Wahrscheinlich, oder? #00:07:49-6# Befragter: Ja (Lachen) (...) #00:07:56-9# Interviewer: Hast du mal, oder so’n bisschen im Hinterkopf vielleicht später auch Musik zu machen, also sagst du, das möchte ich eigentlich gerne └ #00:08:01-5# Befragter: Ja Interviewer: ┘ weitermachen, wer weiß, wie weit, vielleicht sogar in Richtung, dass du sagst, ich möchte gern Musikerin werden oder Sängerin #00:08:09-0# Befragter: Ja, also #00:08:07-6# Interviewer: Das ist ja auch denkbar #00:08:10-8# Befragter: Ich singe halt auch sehr oft auf Bühnen oder so, #00:08:13-9# #00:08:13-9# Interviewer: mhm (bejahend) #00:08:13-9# Befragter: Ähm, ich hab mich auch schon mal beim Supertalent angemeldet, kennen Sie bestimmt nicht, weiß ich aber nicht, aber das bringt nichts, also, ich möchte schon erfolgreicher werden, als einfach nur so (...) ja einfach nur so mal im Fernsehen sein und dann wieder weg, (kurze Pause) also das soll schon was Professionelles sein
Die Befragte setzt sich differenziert mit zukünftigen Planungen auseinander und reflektiert mögliche Strategien. #00:08:32-9# Interviewer: Ja, man kann dazu sagen, also die, es gibt natürlich hin und wieder Leute, die, bei welchen Casting-Shows auch immer mal erfolgreich sind, #00:08:42-9# Befragter: Ja #00:08:43-0# Interviewer: Aber sie sind es meistens nicht langfristig #00:08:45-4# Befragter: (Mhm verneinend) #00:08:44-1# Interviewer: Eigentlich nicht #00:08:47-9# Befragter: Dann sind sie, waren sie mal kurz da, da hat man ein Lied rausgebracht, und dann vergisst man sie schon gleich
Die Befragte kann die beruflichen Chancen von Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Wettbewerben reflektieren und bezieht dies auf die eigene Zukunftsplanung.
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#00:08:51-7# Interviewer: Also, dein Interesse ginge schon wirklich mehr in Richtung professionell Musik machen #00:08:56-5# Befragter: Ja #00:08:56-5# Interviewer: Und auch langfristig Musik machen #00:08:57-6# Befragter: Mhm (bejahend) #00:09:00-2# Interviewer: Würde ich dir persönlich auch raten, würde auch sagen #00:09:03-4# Befragter: (Lachen) #00:09:03-4# Interviewer: Such dir lieber gute Mitmusiker und mach Musik, such dir, arbeite weiter (..) so ’ne Show, ja okay, ist natürlich toll im Fernsehen, aber ist ’ne andere Geschichte (Lachen) #00:09:13-3# Befragter: (Lachen) #00:09:14-1# Interviewer: Ähm, im Grunde haben wir schon so alle Punkte oder wichtige Punkte besprochen, also es geht nicht darum, jetzt so’n bestimmten Katalog abzuhaken. Interessant ist eben schon, wie ist der Umgang so mit Musik, was macht man alles so außerhalb von Schule. Ich mein, natürlich spielt ihr hier, aber (kurze Pause) der Umgang findet ja ursprünglich eigentlich so auch außerhalb der Schule statt, so dass man sagt, ich sing sowieso, ne, zum Beispiel. Wunderbar, vielen Dank, das war’s eigentlich schon #00:09:43-0# Befragter: (Lachen) Danke #00:09:45-7# Interviewer: Vielen Dank. #00:09:49-6#
Klärung formaler Dinge. 10.1.7 Transkription Einzelinterview – Code Em Interviewer: Äh, du bist (Name des Befragten)?
Im Gegensatz zur ersten Interviewgruppe haben keine Kennlerntreffen stattgefunden. Der Austausch von Vorabinformationen fand über den Gatekeeper statt. #00:00:04-2# #00:00:04-2# Befragter: Genau #00:00:04-6# Interviewer: Ok, also ich bin Dirk. Ähm, wir fangen an. Kannst du dich eigentlich erinnern, warum du Musik angefangen hast zu machen? #00:00:17-7# Befragter: Also, bei mir hat’s damals in der Schule angefangen, äh, in der Hauptschule, da gab’s halt 'ne Schulband und dann hatten wir so WPKs, Wahlpflichtkurse oder irgend sowas, da war halt Musik, und dann hab ich gedacht, ja, mach ich mal, und das hat mir dann Spaß gemacht, und dann hab ich 'n bisschen Gitarre gespielt, also, hat mein Lehrer mir so'n bisschen was beigebracht, so die Grundsachen, und dann hat mir das aber so viel Spaß gemacht, dass ich mir dann nachher selber 'ne Gitarre gekauft hab und dann, ähm, halt mir das dann selber beigebracht dann, ja, und dann bin ich nachher auf Klavier umgestiegen #00:00:51-7# Interviewer: Also spielst du dann im Prinzip Gitarre und Klavier. #00:00:55-9# Befragter: Gitarre ist ja schon, also, hab ich das letzte Mal vor drei oder vier Jahren gespielt, also da müsste ich wieder 'n bisschen reingucken, also ich hab damals Gitarre gespielt, aber jetzt eher nicht mehr, ich hab auch keine mehr.
Der Befragte gibt im Laufe des Gesprächs an, dass er akustische Gitarre gegenüber der E-Gitarre bevorzugt.
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#00:01:06-6# Interviewer: Ok, also du hast gesagt, es hat in der Schule angefangen #00:01:10-4# Befragter: Mhm (bejahend) #00:01:10-4# Interviewer: Was schätzt du, wie alt warst du dann ungefähr? #00:01:12-6# Befragter: Achte Klasse, wie alt war ich da, vierzehn. #00:01:20-4# Interviewer: Kommt hin. #00:01:20-5# Befragter: Dreizehn, vierzehn, fünfzehn, müsste das so irgendwie sein, ja, mit fünfzehn hatt ich, glaub ich, den Abschluss gehabt, ja, müsste vierzehn gewesen sein. #00:01:25-2# Interviewer: Mhm (bejahend). Gibt's vielleicht, sagen wir mal, also Schule ist, sagen wir mal, so'n allgemeiner Rahmen. #00:01:34-7# Befragter: Mhm (bejahend) #00:01:33-9# Interviewer: Ähm, aber gibt’s vielleicht noch andere Geschichten, an die du dich erinnern kannst, zum Beispiel bestimmte Bands oder #00:01:45-3# Befragter: Die ich jetzt mag, oder wie #00:01:46-8# Interviewer: Ja, Stücke, die, sagen wir mal, dich auch so inspiriert haben, sodass du Lust angefangen hast, dass du angefangen hast Musik zu machen #00:01:54-0# Befragter: Mhm (bejahend) ja, also, so bisschen, ne, also damals bei der Gitarre war das so Richtung Rock, so Greenday und Sum 41 und halt so'n bisschen Punkrock und sowas halt, hatt ich dann damals angefangen zu spielen, und da hab ich natürlich, die hab ich da vorher schon gehört, die Lieder und da dacht ich mal, ja das wär doch mal cool, wenn man die nachspielt, und denn hab ich das halt so, über YouTube kann man sich das ja beibringen, und da hab ich mir die Lieder angeguckt, und dann hab ich die gespielt (..) und beim Klavier sind das eher so, hat das eher mit klassischen Stücken angefangen. #00:02:28-3# Interviewer: Also dann, ähm, liest du auch Noten? #00:02:31-7# Befragter: Nee. Noten nicht #00:02:33-4# Interviewer: Aber wenn du sagst, klassische Stücke, wie hast du dir die dann beigebracht? #00:02:36-1# Befragter: Auch über YouTube (Lachen).
Im Unterschied zu den anderen Befragten spielt der Befragte auch klassische Stücke, die er sich über YouTube beibringt. Offen bleibt, was der Befragte wirklich unter klassischer Musik versteht. Möglicherweise ist auch solche Musik enthalten, die klassisch anmutet wie z. B. Filmmusik. #00:02:38-1# Interviewer: Ah, ok #00:02:39-3# Befragter: Also, da gibt's ja diese verschiedenen Programme da, wo man halt, ähm, da läuft das halt ab, wie man das, wie man halt spielen muss, und dann hab ich mir das halt immer wieder angeguckt, dabei immer gespielt und dann irgendwann den Rhythmus raus und dann, ja. #00:02:55-5# Interviewer: Dabei werden dann die Finger gezeigt, wie die sich bewegen #00:02:57-8# Befragter: Nee, da werden halt, ähm, die Tasten, also sozusagen gezeigt, wann man die drücken muss und welche genau und, ja, also es ist, wenn man Noten lesen kann, ich wollte eigentlich schon Noten lesen lernen, aber ich (bin) da nie irgendwie wirklich zu gekommen, 'n Freund von mir hat erzählt, dass ist dann leichter zu üben, aber irgendwie, weiß ich nicht, fand ich das über YouTube immer besser (Lachen).
478 | Popmusik aneignen
Der Befragte gibt an, dass das Aneignen über YouTube aus seiner Sicht geeigneter für ihn erscheint. #00:03:23-6# Interviewer: Ähm, ist YouTube die einzige Plattform oder die einzige Möglichkeit, oder hörst du dir auch Sachen raus? #00:03:32-6# Befragter: 'n paar Sachen hör ich mir auch raus und, aber, also sonst kann man, im Internet gibt's so viele Videos, wo man das lernt, also das ist nicht nur YouTube, aber manche Sachen auch per Gehör, aber, also, ich spiel jetzt auch seit, also bei Klavier ist das auf jeden Fall so, das spiel ich jetzt seit, glaub ich, knapp drei Jahren oder so, muss das jetzt sein, ja ungefähr, und ja, also ich muss auf jeden Fall noch viel lernen, und ich würd auf jeden Fall noch mal gern Noten lernen #00:04:00-6# Interviewer: Gibt's 'n bestimmten Weg, nach dem du vorgehst, wenn du dir zum Beispiel Sachen raushörst, ähm, also ich sag mal 'n Beispiel, man fängt so'n bisschen an zu probieren und probiert irgendwann #00:04:10-1# Befragter: Mhm (bejahend) #00:04:10-1# Interviewer: mal was zu treffen, von dem man meint, ja, das könnte funktionieren #00:04:15-4# Befragter: Ja, mhm (bejahend), meistens, also man weiß ja ungefähr so, wo schon welche Tonart ist, ungefähr, und dann probiert man halt so'n bisschen rum, und dann denkt man, oh, das hört sich dann, ist dann wahrscheinlich die richtige Tonart, und dann versucht man das weiter und dann merkt man sich das.
Vermutlich sind mit dem Begriff Tonarten hier Akkorde gemeint. #00:04:34-0# Interviewer: Ähm, kennst du dich denn aus mit Tonarten oder #00:04:36-9# Befragter: Nicht so wirklich, also ich hatte in der Hauptschule, ich glaub, in der fünften Klasse Musikunterricht mit Noten und so, aber dann nicht mehr, also so Noten und Tonarten, nicht so mein Ding (Lachen).
Die Befragten weisen gelegentlich auf negative Schulerfahrungen hin, auch in Bezug auf Musikschule. Dennoch spielt der Bezugsrahmen Schule eine wichtige Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit Erinnerungen an das Spielen von Musik (z. B. AGs, Klassenmuszieren). #00:04:49-4# Interviewer: Oder kennst du Akkorde? #00:04:51-5# Befragter: Akkorde kannt ich mal für die Gitarre, aber für Klavier kann ich da auch keine sagen, also das ist einfach nur nach, weiß nicht, ich merk mir die Lieder. #00:05:01-1# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:05:01-1# Befragter: und dann (..) ja, spiel ich die (Lachen) #00:05:04-8# Interviewer: Ähm, jetzt sagst du merken, manchmal macht man sich ja auch irgendwelche Notizen, das kann ja ein ganz eigenes System sein. #00:05:11-4# Befragter: Ja #00:05:11-4# Interviewer: das kein anderer versteht, machst du so irgendwie sowas #00:05:14-6# Befragter: Mhm (verneinend) #00:05:14-6# Interviewer: Ok, also du denkst nicht in, in, in die Richtung, dass du sagst, ich spiel jetzt AMoll #00:05:21-1#
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Befragter: Nee, nee #00:05:21-3# Interviewer: Also, das nicht #00:05:22-9# Befragter: Ich denk mir jetzt, ich spiel jetzt dieses Lied und dann leg ich los (Lachen) #00:05:27-6# Interviewer: Ja, und was würdest du schätzen, wie viel Lieder kannst du so spielen? #00:05:36-3# Befragter: Ja, das ist unterschiedlich, weil ich ja mir die alle merke und das ist immer, wenn ich was Neues lern, dann geht immer irgendwann wieder was flöten, sag ich mal, also, ich hab jetzt vielleicht vierzig, fünfundvierzig Lieder insgesamt gespielt, also richtig, ja, meiner Meinung nach, gut gespielt, relativ und ja, jetzt noch so vielleicht fünfzehn, zwanzig, aber ich bin halt auch jetzt im Moment wegen der Schule im Moment nicht so oft am Spielen, aber, ja also, so ältere Lieder wie, ähm, Titanic da, dies "My heart will go on" und so was, das müsst ich mir nochmal angucken und so was, also, ältere Lieder, die ich schon, sag ich mal, vor zwei Jahren geübt hab und so, da müsst ich mir das noch mal angucken. Möglicherweise wird das genannte Stück auch unter dem Begriff Klassik eingestuft, weil es einen orchestralen Sound hat. #00:06:24-0# Interviewer: Das ist natürlich ein guter Hinweis, ähm, weil du jetzt ein Stück angesprochen hast, wie gehst du jetzt auf Stücke zu, ich mein, was ist dein Auswahlkriterium? #00:06:326# Befragter: Auswahl, ich weiß nicht, ich hör, ich guck manchmal in YouTube einfach rein, dann hör ich mir irgendwelche Lieder an und denk so, mhm (bejahend), das würde doch bestimmt auf'm Klavier ganz gut klingen und das sind auch öfters moderne Lieder, manchmal auch alte Lieder, und dann guck ich halt in die Programme, ob dass das Lied da gibt, hör ich mir das an, wie's da auf dem Klavier klingt und dann, wenn mir das gefällt, dann spiel ich das, also dann üb ich das.
Die Aussage weist wiederum darauf hin, dass der Zugang zu Musik eher spontan und gefühlsbezogen ist. #00:06:55-4# Interviewer: Kannst du, fallen dir ein paar ein, so? #00:06:57-1# Befragter: 'n paar Lieder? #00:06:57-8# Interviewer: Ja #00:06:57-8# Befragter: Öh, ja, von Jerome Jarre, das „Flozing you“? (Titel fragend ausgesprochen) heißt das, dann von (..) wie heißt er jetzt noch? „Stay with me“ von, wie heißt er noch, ist auch 'n relativ modernes Lied und, ähm, Kompetide? Wie heißt das noch von "Fabelhafte Welt der Amelie", dieses eine bestimmte Lied, das ist so'n französisches
Die Unsicherheit in Bezug auf Namen der Künstler und Titel weist möglicherweise auf die Bedeutung des Umgangs mit der Musik hin als Mittel emotionaler Befriedigung durch Aneignung. Weitergehende Informationen sind sekundär. Möglicherweise ist der Befragte aber auch nur unsicher und möchte keine Fehler hinsichtlich Aussprache und richtiger Benennung machen. #00:07:25-1# Interviewer: Dieses berühmte Lied #00:07:25-1# Befragter: Ja, ja, das ist so'n französisches #00:07:27-6# Interviewer: tada-tada-tada (singt) #00:07:29-6#
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Befragter: und, ja, sonst, ähm, "Nothing else matters" von Metallica, hab ich auch mal gehört, das war auch ganz witzig, und was ich auch gerne spiel, ist die "Cantinaband" von Starware #00:07:42-8# Interviewer: Ja, ok #00:07:42-8# Befragter: (Lachen) Und ja sonst, es sind, ja, „Für Elise“ auch noch und „Türkischer Marsch“, ja, das ist so, ja, unterschiedlich eigentlich von der Musikrichtung her
Die klare Zuordnung zwischen Diversität im Sinne gezielten Interesses und Indifferenz ist nicht eindeutig. Der Befragte macht dennoch eher den Eindruck, als sei die Auswahl relativ egal, was durch die Titelauswahl bestätigt wird. #00:07:55-7# Interviewer: Also eigentlich kreuz und quer durch den Garten. #00:07:58-1# Befragter: Eigentlich kreuz und quer, also was mir gerade gefällt. #00:08:02-6# Interviewer: Ja, also du hast, jetzt kann man ja unterscheiden, also das eine ist, du spielst was und du sagst, ich spiel was, was mir gefällt. #00:08:10-0# Befragter: Mhm (bejahend) #00:08:10-1# Interviewer: Wenn du jetzt ans, hat das was auch mit Hören zu tun oder sagst du, beim Hören, da bist du eher so stilistisch festgelegt. #00:08:19-4# Befragter: Nee, ich weiß nicht, wenn mir die Melodien und so gefallen und, ähm, da irgendwas Besonderes am Lied ist, dann, ja, dann merk ich das schon eigentlich gleich so, also dann denk ich, oh geil, das will ich spielen können. #00:08:31-6# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:08:31-7# Befragter: Das ist dann natürlich auch, wenn man das dann geschafft hat, das zu spielen, dann, dann freut man sich richtig und denkt so, das war'n geiles Lied, und jetzt kann ich das selber spielen.
Die Aussage bestätigt die Vermutung, dass das Spielen der Stücke stark begründet ist mit einer persönlichen Befriedigung durch Aneignung. #00:08:40-6# Interviewer: Das klingt so, als würdest du sagen, das ist für dich wichtig, ne, wenn du sagst, dann freu ich mich, dass ich das spielen kann. #00:08:48-4# Befragter: Ja, auf jeden Fall, also Klavierspielen mach ich eigentlich, eigentlich nur für mich, weil, wenn ich Klavier spiele, kann ich abschalten, so denn denkt man an nichts Anderes, man ist halt in der Musik irgendwie drin, so, und das ist halt das Schöne dran, so, deswegen mach ich das so gerne. Bestätigung einer starken emotionalen Bedeutung des Umgangs mit Musik. #00:09:02-7# Interviewer: Also deine Absicht ist gar nicht, vorzuspielen oder das andern vorzuspielen. #00:09:06-8# Befragter: Nö, also natürlich. #00:09:06-5# Interviewer: Gibt's das auch? #00:09:07-7# Befragter: Ja, also meine Eltern und Großeltern, die wollten mich alle schon hören, und dann hab ich ja was vorgespielt, oder mal Weihnachten 'n kleines Liedchen da hingespielt, aber so richtig vorn paar Leuten oder so, das weiß ich nicht, ob ich das machen würde (Lachen).
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Das Spielen von Musikstücken, der Umgang mit Musik ist nicht nach außen gerichtet, sondern wird hinsichtlich Öffentlichkeit allenfalls in der Familie zu besonderen Gelegenheiten wie Weihnachten praktiziert. #00:09:25-2# Interviewer: Ist gar nicht dein Ziel oder #00:09:26-1# Befragter: Nee, ist nicht mein Ziel, also (..) wär zwar schön, aber, nee, also 'n richtiges Ziel ist es nicht. #00:09:34-3# Interviewer: Ist es für dich interessant, mal in 'ner Band zu spielen oder? #00:09:39-9# Befragter: Hm, also früher, als ich noch Gitarre gespielt hab, #00:09:43-5# Interviewer: Ja #00:09:43-5# Befragter: da hab ich, da haben wir ja auch in 'ner Schulband gespielt und da hatten wir nachher unseren ersten Auftritt gehabt, und da war ich der Leadgitarrist, und das hat auch richtig Spaß gemacht, und da sind wir halt nachher auseinandergegangen, und mit Klavier, hm, weiß ich nicht, ich glaub, da eher nicht, Klavier mag ich so, den Klang vom Klavier, alleine lieber als dann inner Band. #00:10:04-3# Interviewer: Also das heißt, du bist doch eher dann so festgelegt auf Klavier, also nicht Richtung Keyboards, Synthesizer und #00:10:13-3# Befragter: Ja, also, aber schon auf Klavier, also ich hab zwar so'n Digitalpiano zuhause rumstehen, wo man auch verschiedene Töne mit machen kann, aber ich spiel eigentlich immer nur die vom Konzertflügel, also #00:10:28-8#
Die Ästhetik des Klangs ist dem Befragten wichtig. Mit "verschiedene Töne" sind vermutlich unterschiedliche Soundprogramme gemeint. Interviewer: Mhm (bejahend) #00:10:31-6# Befragter: so Synthesizer und so, das nicht so wirklich #00:10:36-2# Interviewer: Ist es für dich 'ne Überlegung, dass du sagst, du willst in Zukunft auch weiterhin Musik machen? #00:10:43-0# Befragter: Also, ich werd wahrscheinlich immer nebenbei Musik machen, so'n bisschen, so für mich, vielleicht irgendwann, wenn sich das ergibt, wirklich 'n bisschen mehr machen, vielleicht mit Freunden zusammen, aber so, also, eigentlich hatte ich das so geplant, dass ich immer nebenbei einfach für mich spiele, so #00:11:00-7# Interviewer: Ich glaub, wir haben viele Punkte besprochen #00:11:18-5# Befragter: Ja (Lachen) #00:11:20-6# Interviewer: Das sind eigentlich so die wesentlichen Sachen, die mich interessieren, das haben wir eigentlich doch so angesprochen, eigentlich #00:11:28-5# Befragter: Ja, (Name eines Mitschülers und Befragten) kann Ihnen noch n bisschen mehr über Musik erzählen #00:11:31-6# Interviewer: Ja #00:11:31-6# Befragter: Der spielt ja schon seit über'n Jahrzehnt, der kennt sich auch mit Noten und so alles aus
Respekt vor dem Mitschüler, der schon recht lange spielt und Noten lesen kann. Dies wird offensichtlich als höhere Kompetenz eingestuft. #00:11:39-7# Interviewer: Ja, das ist wunderbar, ja vielen Dank #00:11:41-9# Befragter: Ja, kein Problem. #00:11:42-1#
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Interviewer: Hat mir, es hilft mir gut weiter #00:11:45-0# Befragter: Ja, das ist doch schön. #00:11:45-2# Interviewer: Ja.
Kommentar Trial-and-Error ist eine bei dem Befragten bevorzugte Methode, um das bereits Bekannte mit Neuem abzugleichen. Typisierung: Interesse am Spielen vieler Stücke aus unterschiedlichsten Richtungen (leichte Unterhaltungsklassik) und Stilen populärer Musik. Das Spielen der Stücke verschafft eine persönliche Befriedigung. Die Aussagen lassen die Interpretation zu, dass das nach „innen“ gerichtete Spielen von Musik auch mit einer geringen Selbsteinschätzung in Zusammenhang steht. 10.1.8 Transkription Einzelinterview – Code Fm Interviewer: Ich muss für mich notieren Name und Alter und so #00:00:06-9# Befragter: jo, #00:00:08-8# Interviewer: Also, vielen herzlichen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, ähm, bei diesem kleinen Interview mitzumachen #00:00:17-5# Befragter: Gerne #00:00:15-8# Interviewer: Ähm, das läuft, ok, ähm, warum hast du eigentlich angefangen Musik zu machen, kannst du dich daran erinnern? #00:00:24-7# Befragter: Kann ich mich noch dran erinnern, dass, ähm, war mit sechs oder sieben Jahren, also gut, ganz genau nicht, aber so mit sechs oder sieben Jahren sind wir aus dem Osten rübergekommen, nach (Wohnort) gezogen, wo auch meine Oma gewohnt hat, die wohnte nur zwei Straßen weiter, das heißt, ich war dann häufiger bei ihr, und irgendwann kam das einfach mal dazu, dass ich mich da ans Klavier gesetzt hab, hab, als ich groß genug war, ich war schon immer sehr klein und kam da erst mal nicht ran, dann hab ich mich doch irgendwann mal rangesetzt und hat sofort gefunkt, also, ich hab dann 'n paar Tasten raufgespielt und war gleich fasziniert und hab gleich auch gefragt, ob das nicht möglich ist, dass ich das auch lernen könnte, so. Ja, meine Mutter war begeistert und hat gesagt, ja, ich frag mal rum, und denn hatte sie auch kurz darauf über 'ne Freundin, 'ne russische Klavierlehrerin empfohlen bekommen, die (unverständlich) die Basics beigebracht. Und dann kam ich an ’nen Punkt, wo, halt so Pubertät 'n bisschen dafür gesorgt hat, dass ich da kein Bock mehr drauf hatte, ähm,
Die Mutter des Befragten spielt offensichtlich nicht selbst, fördert jedoch den Musizierwunsch. dann hab ich erst mal ein, zwei Jahre lang gar kein Unterricht mehr gehabt, nur noch in Bands gespielt, ähm, in 'ner Bigband zum Beispiel vom Gymnasium, wo ich damals war, und das auch weiter gemacht, und dann noch zusätzlich ein Jahr Jazzunterricht genommen, wo ich mich allerdings mit dem Lehrer gar nicht verstanden hab, weshalb das dann wieder vorbei war, und seit dem mach’s ich nur noch so freizeitlich, mehr oder weniger. Ja. #00:01:56-5# Interviewer: Also, du hast dann, ähm, logischerweise wahrscheinlich denn normal Noten gelernt im Unterricht. #00:02:05-0# Befragter: Mhm (bejahend) #00:02:05-0#
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Interviewer: Und hast auch viel nach Noten gespielt? #00:02:06-6# Befragter: Ich hab viel nach Noten gespielt. Ich hatte mal ein bisschen Probleme mit Noten lesen und hab auch gemerkt, wenn man das nicht häufig genug macht, dann verlernt man’s auch wieder. So heut hab ich da doch stärkere Schwierigkeiten mit, muss ich tatsächlich sagen, obwohl ich ja mittlerweile eigentlich relativ versiert bin und auch schon etwas anspruchsvollere Stücke spielen kann, trotzdem, wenn man mir ein einfaches Kirchenstück zum Beispiel hinlegt, mal, sonntags im Gottesdienst, das mach ich ja auch manchmal, Gottesdienst begleiten am Klavier, dann kann das schon passieren, dass ich mich da häufiger mal verspiele, weil mein Notenlesen irgendwie, ich mach vieles. #00:02:38-1# Interviewer: Das heißt aber, vom Blatt spielen. #00:02:39-8# Befragter: Vom Blatt spielen, ja, aber na ja, das können auf jeden Fall viele besser als ich. Was ich halt besser kann, ist mehr übers Gehör arbeiten, das, ja #00:02:47-9# Interviewer: Wär jetzt meine Frage gewesen, weil du gesagt hast, ja denn hab ich mehr in Bands gespielt, also auch Klavier? #00:02:52-3# Befragter: Auch Klavier, mhm (bejahend). #00:02:54-7# Interviewer: Und wie, wie, wie bist du dann vorgegangen? #00:02:56-3# Befragter: Das war sehr interessant, weil, ähm, ich, mein Lehrer damals, also Musiklehrer, der auch die Bigband geleitet hat, den hat das nicht so gestört, wenn ich einfach die richtigen Akkorde eingehalten hab, aber gespielt hab, was ich wollte und, ähm, da hat ich quasi immer so'n bisschen Sonderrechte am Klavier, ich durfte eigentlich immer machen, was ich wollte, es gab natürlich auch so besondere Stellen, prägnante Stellen, die man machen soll, wie’s so ist, ansonsten war das immer ganz offen, durfte ich auch häufig Sachen ausprobieren oder machen, was ich da möchte und das ein bisschen anders gestalten, also mag so nicht perfekt geklungen haben immer, aber da haben wir uns irgendwie besser mit gefühlt, ich mich, und er fand das auch immer in Ordnung
Die Schule als Lernort ist relevant, wenn es um das praktische Musizieren geht. #00:03:36-9# Befragter: Ja, bedeutet das, dass du dann der, der, in der Bigband hat der ja, geben sie ja immer Noten rein. #00:03:43-4# Befragter: Mhm (bejahend) #00:03:43-5# Interviewer: Es können ja nicht alle durcheinander spielen, #00:03:45-1# Befragter: Ja, ja #00:03:45-1# Interviewer: nicht inner Bigband, ähm, hast du dann das frei interpretiert, das heißt, kann ich das so verstehen, du wusstest, was da, du wusstest, was du mit den Akkordsymbolen anfangen kannst? #00:03:56-1# Befragter: Ja, das wusste ich in der Regel, also, richtig gelernt hab ich’s dann erst im Laufe dieses Jazzunterrichts, aber vorher, naja, ich wusste halt mit B oder B7, heißt nun die 7 dazu nehmen, so die ganz komplizierten Sachen mit 7/9/13, was da noch alles stehen kann, Kreuz 8 und so weiter, das wusste ich nicht, aber, ähm, halt auch so'n bisschen geguckt, wie der Sound in dem Moment klingt, ob der halt so nach 'ner 7 klingt, was die Bläser spielen, dann spiel ich halt auch 'ne 7 dazu, einfach, oder ob’s gerade weicher klingt, nach 'ner 6 eher, nach 'ner Sexte oder so, dann hab ich auch 'ne Sexte da reingespielt, also ich hab mich auch mal ’n bisschen orientiert, was die anderen gemacht haben, halt so'n bisschen. #00:04:37-8# Interviewer: Also, so 'ne Mischung aus theoretischem Herangehen und praktischem () #00:04:42-4#
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Befragter: : Ja, könnte man so sagen, mhm (bejahend) klar, so ohne Noten hab ich auch nicht gespielt, also zumindest am Anfang nicht, also ich kann mir gut einprägen, Stücke, spiel auch eigentlich alles, was ich je gelernt hab, kann ich nach wie vor so aus dem Kopf abspielen, da brauch ich keine Noten, aber so für den Anfang ist das natürlich relativ wichtig jetzt, sonst gibt’s aber auch Sachen, ähm, ich hab auch schon mal versucht, über YouTube zu lernen durch Zugucken, also, Stücke bei Auftritten mir immer wieder anzugucken, war dann aber wahrscheinlich zu anspruchsvoll oder so, hab ich mir wahrscheinlich das Falsche ausgesucht, und dann war ich dann irgendwann frustriert, also, die ersten paar Takte konnt ich dann, und dann wurde das sehr anspruchsvoll, dann hab ich’s wieder gelassen (Lachen)
Die Aneignung von Musik ist geprägt durch vielfältige Herangehensweisen. Neben Notenlesen spielt Raushören, Trial-and-Error und das Auffinden geeigneter Internetquellen eine bedeutende Rolle. #00:05:27-1# Interviewer: Hörst du dir auch Stücke raus? #00:05:27-5# #00:05:27-9# Befragter: Durchaus mal, ja, also, ähm, vor allen Dingen bei Populärmusik gibt’s ’n paar Sachen so, wo ich, ähm, wo’s, da gibt’s jetzt keine, da find ich wahrscheinlich keine Noten zu oder keine Noten, die mir so passen würden, ich find’s halt manchmal schade oder unschön, wie manche Leute jetzt hobbymäßig das umsetzen, ich hab dann halt meine eigenen Versionen so gemacht, also ’n Lied von Rammstein zum Beispiel kann ich ’n sehr sanftes, ich meine Klavierfassung, hab ich sogar schon aufgeführt, mal mir einfach schon mal 'ne Klavierfassung zu überlegt, 'ne eigene. #00:05:58-8# Interviewer: Mhm (bejahend) #00:05:59-8# Befragter: Ohne Noten gehabt zu haben eben, gut, da sind die Akkorde auch, gibt’s nur vier verschiedene, ist nicht so schwer, aber, ja, hab ich durchaus auch schon gemacht. #00:06:11-6# Interviewer: Ähm, gehst du, wenn du raushörst, analytisch vor oder so gefühlsmäßig? Ich meine, hast du 'ne, wenn du anfängst, man, man versucht ja am Anfang so die Tonart rauszufinden und sagt, in welcher Tonart spielen die überhaupt? Gehst du da schon theoretisch ran und sagst, ja, die sind in G-Dur, also hab ich folgende Akkorde oder sagst du, na, ich guck mal, was da auf mich zukommt? #00:06:35-8# Befragter: Mhm, als ich, ’n richtiges absolutes Gehör hab ich, glaub ich, nicht, ich hab mir aber antrainiert, mir Stücke so gut einzuprägen, dass ich mir die Tonhöhe jederzeit raufholen kann und mittlerweile kenn ich das dann so, also, bestimmte Sachen kann ich halt erkennen, so C-Dur, also das ist, sobald das jemand spielt, weiß ich immer sofort, dass es CDur ist, aber wenn jetzt fis-Moll oder so, dann muss ich erst im Kopf überlegen, ob ich ’n Stück in fis-Moll irgendwo habe und leg das einfach in Gedanken darüber so, fahr das einmal hoch quasi, hör das einmal innerlich und wenn das dazu passt, weiß ich, das ist fisMoll, das erleichtert das Ganze dann, also das ist, denk ich, da auch wieder so 'ne Mischung halt aus theoretisch und selbst praktischem Hören, denk ich mal.
Aus dieser Aussage wird nicht deutlich, was der Befragte hinsichtlich seiner Aneignungsstrategien genau meint. Möglicherweise ist der Befragte in der Lage, Stufen oder Funktionen in für ihn einfachen Tonarten zu hören und spontan nachzuspielen. Eine andere Interpretation ist dahingehend möglich, dass Gehörtes mit Bekanntem hörend abgeglichen wird, um Akkordverläufe wiederzuerkennen.
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#00:07:21-8# Interviewer: Aber es kommt am Ende was für dich Vernünftiges raus. #00:07:24-7# Befragter: In der Regel schon, ja (Lachen). #00:07:27-6# Interviewer: Ähm, du hast mir ganz am Anfang erzählt, dass für dich, ähm, so ganz ausschlaggebend war das Klavier, du bist ans Klavier gegangen, das war eigentlich das (Betonung) Instrument. #00:07:40-6# Befragter: Mhm (bejahend). #00:07:40-8# Interviewer: Ähm, kannst du dich vielleicht auch, sagen wir mal, an Musik erinnern, die dich inspiriert hat, also Musik zu machen? Kann ja auch sein, manchmal hört man 'ne Band oder ein Stück und sagt, das ist das, was ich mag. #00:07:55-4# Befragter: Ja, also, ähm, viel verändert hat sich halt, als ich da angefangen hab mit der Bigband zu spielen, da hat sich sehr viel verändert, auf jeden Fall, das war dann so mit dreizehn, vierzehn etwa, da sein, Klavierspiel, das war gar nicht so jetzt unbedingt geplant gewesen, ich kannte den Musiklehrer auch gar nicht, der hatte nur gehört, dass ich wohl ’n bisschen Klavier spielen kann, und ich hatte bis dahin nur Klassik gespielt, hat aber immer zu meiner Klavierlehrerin gesagt, ich würd auch gern mal irgendwie so'n bisschen was Schwungvolles irgendwie, ich wusste damals noch gar nicht, wie man das nennt so, irgendwie, da hat sie mir ’n paar Boogies mitgebracht, relativ einfach so, weiß jetzt gar nicht mehr, von wem die waren, ähm, war zwischendurch mal ganz schön, aber ansonsten hat sie halt viel Wert auch auf russische Komponisten, was auch schön ist und natürlich auch auf Bach und so weiter gelegt, ja und denn ist bei dem Musiklehrer da in seiner Bigband der Pianist ausgefallen, hat er mir einfach mal ein Stück von Herbie Hancock, „Canteloupe Island“, reingegeben, das sollte ich einfach mal spielen und da gab’s tatsächlich, hatten die ’n Auftritt auch ’n paar Tage später, wo ich tatsächlich nur dies eine Stück mit begleitet habe, aber das hat so viel Spaß gemacht wie Klassik in den ganzen Jahren davor mir nicht, und da wusst ich gleich, in die Richtung muss es gehen. #00:09:02-0# Interviewer: Ja, okay. #00:09:00-3# Befragter: Ja klar, da gab’s diesen Moment, wo ich so gemerkt hab, ja, das sind jetzt die Sachen, die du dir eigentlich immer gewünscht hast, so, dieses, weiß ich nicht, groovige, geshufflete, irgendwie so. #00:09:13-8# Interviewer: Ja. #00:09:15-3# Befragter: Das steckt irgendwo in dir drin und das wolltest du eigentlich immer haben, also mach das jetzt auch weiter, deswegen war ich jetzt auch, bis die aufgelöst wurde, zum Sommer hin, weil sie alle Abi gemacht haben, die alle anderen, war ich auch das dienstälteste Mitglied damit auch die andern, acht Jahre hab ich in dieser Band gespielt, das war … #00:09:32-8# Interviewer: Ne lange Zeit #00:09:32-8# Befragter: ist 'ne lange Zeit, ja, viel erlebt, in England sogar gewesen, auf 'ner Konzerttour mal, also großartig und hat mich sehr geprägt, die Zeit, auf jeden Fall. #00:09:42-5# Interviewer: Also, kann man sagen, dass du stilistisch schon ’n bisschen geprägt bist dadurch, dass du sagst, ich war in 'ner Bigband, und das ist auch so das, was ich eigentlich bevorzuge, an Musik. #00:09:52-0# Befragter: Ich wär sonst lange Zeit wahrscheinlich noch bei Klassik gewesen und dann, weiß ich nicht, ich denke so mit dreizehn, vierzehn hat man noch so'n jugendlichen Spirit, dass man so voll sein Herzblut in den Jazz legt, wenn man merkt, das mag man, kann man alles andere beruhigt abstellen und gleich damit anfangen und da voll einsteigen, ich weiß nicht, ob ich’s jetzt mit zwanzig zum Beispiel noch könnte, so ob ich dann jetzt so versiert
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noch werden würde, wie ich’s jetzt vielleicht bin, so in dem Bereich, also, das ist halt jetzt 'ne Liebe, die schon so lange besteht und das denk ich, ist schon wichtig, dass man am Anfang auch irgendwann merkt, ich brauch das und das und das unbedingt nicht so. #00:10:27-5# Interviewer: Ist es das, was du auch hörst? #00:10:29-8# Befragter: In der Regel schon, also, na, ich sag mal, das ist relativ mein Musikgeschmack, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen, weil der ändert sich von Jahr zu Jahr tatsächlich, ich hab 'ne Metal-Phase hinter mir, 'ne total poppige Phase, 'ne elektronische Phase, 'ne jazzige Phase, das ist alles irgendwie immer wieder unterschiedlich, also ’n sehr breites Spektrum hab ich da schon abgedeckt, aber ich tatsächlich hab mich ’n Zeit lang sehr viel mit Jazz-CDs, mit Jazz beschäftigt und das war auch die einzige Phase, wo ich mir tatsächlich CDs gekauft habe, weil das, na ja, sagen wir mal, ist nicht so einfach zu bekommen, so im Internet so, und dann gibt’s halt so, beim Jazz, find ich, ist das Außergewöhnliche, dass das so viele geile Compilations gibt, wo so viele verschiedenen Titel drauf sind, das hab ich, ähm, im elektronischen Bereich zum Beispiel nicht so, oder so, da gibt’s immer die bestimmten Interpreten, die ihre Alben rausbringen und die hört man dann, aber beim Jazz gibt’s ja diese Riesenbandbreite an Interpreten und, ähm, tatsächlich hab ich, glaub ich, weiß nicht, mittlerweile 20 oder 25 Jazz CDs, von dem ganzen anderen Quatsch, das hab ich immer nur online alles abgerufen oder so. #00:11:33-0# Interviewer: Und was heißt Jazz, also Bigband-Jazz, also ist ja sehr häufig Swing, nicht ausschließlich, aber sehr häufig. #00:11:41-0# Befragter: Mhm (bejahend) #00:11:41-0# Interviewer: Auch modernere Sachen oder Fusion Jazz oder was alles? #00:11:46-6# Befragter: Also Latin Jazz war immer ’n Steckenpferd von mir, hab ich immer gerne gespielt und gehört, vor allen Dingen, ähm, was könnt man da noch nennen? #00:11:57-0# Interviewer: (unverständlich) also auch als Interpreten oder als Komponisten? #00:11:596# Befragter: Ist relativ neu, ja, ja, klar also die (unverständlich) also Ella Fitzgerald mag ich furchtbar gerne, Ray Charles kann man ja nicht richtig dazu zählen, aber das ist, glaub ich, der, der mich am allermeisten geprägt hat von allen so, was Klavierspiel angeht, also, ich hab irgendwann festgestellt, dass ich tatsächlich schon anfange, mich wie er zu bewegen, so'n bisschen, wenn ich richtig drin bin. #00:12:19-5# Interviewer: Mhm (bejahend). #00:12:19-6# Befragter: Weil ich wahrscheinlich, weil er mich einfach so gefesselt hat (Lachen), 'ne Zeit lang wirklich, also es gab auch 'ne Zeit lang, wo ich wirklich nur Ray Charles gehört hab und diese ganzen vielen Sachen. #00:12:30-9# Interviewer: Also richtig die Klassiker auch, 'ne, #00:12:33-0# Befragter: Die Klassiker, absolut, ja, ja, Blues halt noch, wenn man das noch mit irgendwie dazu nehmen darf, Blues ist, glaub ich, auch so die Musikrichtung schlechthin für mich, also das kann ich auch zu jeder Tages- und Nachtzeit hören. #00:12:46-4# Interviewer: Also auch Klassiker so wie B. B. King oder Muddy Waters, oder auch, sagen wir mal, Eric Clapton? #00:12:53-7# Befragter: Ja, ja, Clapton auf jeden Fall, natürlich, ja, jede Menge, ach, das ist, ich weiß nicht, wahrscheinlich will mir jetzt zu viel einfallen, deswegen, ich bräuchte so meine Musiksachen jetzt gerade so parat, dann könnt ich genau sagen, ja, das ist klasse und das ist klasse, ähm, so jetzt gerade bin ich viel zu aufgeregt, um da groß Sachen zu nennen, aber ja, das sind so die Blues, Jazz, das ist schon so das. #00:13:16-5#
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Interviewer: Also, weil du das angesprochen hast, dann bist du auch jemand, der viel CDs kauft, oder sowas, oder? #00:13:21-6# Befragter: Ne, eigentlich gar nicht, also leider hab ich irgendwann 'ne günstige gute Möglichkeit gefunden, das, ähm, sagen wir mal, auf anderen Wegen mir zu besorgen so, halt im Internet, ich hab jetzt aber auch, ähm, so'n Musik-Streaming-Dienst, und das, seitdem mach ich sowas nicht mehr, weil, na ja, erstmal hat man ’n besseres Gefühl dabei, muss sich nicht ständig fragen, ob doch nicht mal irgendwann so'n Blatt Papier nach Hause flattert oder auch Polizei oder … #00:13:46-7# Interviewer: mhm (bejahend) #00:13:46-7# Befragter: Staatsanwalt, man unterstützt die Künstler halt doch irgendwo, wenn auch wahrscheinlich nicht in dem Maße, wie’s angemessen wäre, was ich sonst lese so in der Boulevardpresse, bin ich auf Spotify. #00:13:58-2# Interviewer: Auf Spotify? #00:13:58-4# Befragter: Aus Spotify, ja, ja. #00:13:59-4# Interviewer: Ja, ist 'ne große Diskussion. #00:14:01-9# Befragter: Mhm (bejahend) #00:14:00-7# Interviewer: weil die, teilweise die Tantiemen sehr gering sind. #00:14:04-9# Befragter: Ja, les ich halt auch immer wieder, aber ich denk, es ist ’n Anfang und ich weiß nicht, also #00:14:13-4# Interviewer: Ist legal #00:14:11-8# Befragter: Ich hatte nie wirklich das Geld dafür, also, ich wüsste nicht, wie ich das sonst hätte machen sollen halt, es ist, die Versuchung ist halt so groß dadurch, dass alles online gratis verfügbar ist, wenn man die Seiten und die Portale kennt, ne, und das war natürlich für mich immer, da hab ich mir zehn EURO, kann man sich im Monat so'n Anbieter kaufen, der alles bereitstellt zum Runterladen und ähm das ist sonst ein Album 'ne und ansonsten für zehn EURO kann ich auch alle Alben haben, da war früher halt noch die Naivität, sag ich mal größer, dass dann lieber zu machen. #00:14:46-8# Interviewer: Das ist ja eigentlich, ähm, ’n bisschen ungewöhnlich, dass man als, dass du als relativ junger Mensch so im klassischen Jazz verhaftet bist. #00:14:59-3# Befragter: Mhm (bejahend) #00:14: Interviewer: Ist nicht so oft #00:15:00-0# Befragter: Nicht so oft, nee. #00:15:00-0# Interviewer: Nee, ähm, wie schätzt du die Entwicklung des Jazz ein? Also, bleibst du bei den Klassikern oder sagst du, nein, ich will auch weiter, mich dafür interessieren, was jetzt, wohin der Jazz geht und interessier mich dafür, hör auch neue Sachen oder sowas, oder sagst du, dass ich nicht so mein Ding? #00:15:22-4# Befragter: Hhm, ähm, sagen wir mal, die Entwicklung zu beobachten, ist natürlich wichtig und interessant, dadurch, dass aber einfach gerade so viele andere Musikrichtungen quasi wichtiger sind, kann man ja so quasi sagen, also, es gibt ja keinen Jazz mehr in den Billboard-Charts oder in den offiziellen deutschen Charts oder so, sag ich mal, #00:15:46-9# Interviewer: mhm (bejahend) #00:15:46-9# Befragter: und, ähm, ich bin da vielleicht ’n bisschen, vielleicht bin ich ’n bisschen konservativ, also sag schon, die Alten hatten’s wirklich drauf, aber man stößt doch hin und wieder, finde ich, auf Sachen so, ich zum Beispiel ’n großer Fan auch von Harry Conwick Jr., falls Ihnen das was sagt, so’n sehr cooler Typ aus den Staaten, der halt ’n voll heftiges Jazzpiano spielt und den ich abgöttisch liebe, und auch seine Live-Auftritte sind total der Hammer und, ähm, ich hab mich auch schon drangesetzt, das mal so'n bisschen rauszuhö-
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ren, aber der spielt dann aber auch schon wieder so verrückte Sachen, dass ist nicht, ist für mich völlig, wie man’s spielen kann, versteh ich gar nicht (Lachen), aber ich hör schon gern die Klassiker, so auch alleine vom, vom Vintage her, so von dem Feeling, was man dabei hat, so'n bisschen Vintage. #00:16:35-6# Interviewer: mhm (bejahend) #00:16:35-6# #00:16:35-6# Befragter: vielleicht auch noch so dies Knistern, ich mag sowieso Vinyls auch sehr gerne, nach wie vor, ’n eigenen Plattenspieler hab ich da oben stehen, #00:16:42-5# Interviewer: mhm (bejahend) #00:16:42-5# Befragter: leider gibt’s da, wo ich herkomme, keine Plattenläden, auch nicht im Umkreis, sonst würd ich da wahrscheinlich viel häufiger abhängen. #00:16:50-0# Interviewer: Da muss man schon nach Hamburg fahren. #00:16:51-3# Befragter: Muss man nach Hamburg fahren oder so, ja, Hannover ist näher dran an (Wohnort), aber da weiß ich auch nicht, wo ich da suchen könnte oder müsste, aber ansonsten, ähm, mag ich Platten sehr gern zum Beispiel und insofern, also, da bin ich ja halt veranlagt, quasi, das macht ja so auch heute kaum einer noch, es ist ja wieder im Kommen, aber ich kenn trotzdem keinen im Umfeld, der das macht so wie ich, also ich hab tatsächlich mittlerweile so'n Kontingent an eigenen gekauften Platten. #00:17:16-6# Interviewer: Ja #00:17:16-6# Befragter: Ich denke, dass das heutzutage in meinem Alter schon speziell ist, irgendwo. #00:17:19-7# Interviewer: Ich weiß, ich bin mir auch nicht so ganz sicher, in welchem Bereich das auch wieder sich ganz gut entwickelt hat, ne, ob das jetzt eher im klassischen Bereich ist, also klassischer Jazz oder ob das, ähm, Elektronik oder wo auch immer Hip-Hop sich dann noch entwickelt, keine Ahnung. Findest du, dass es anders klingt? #00:17:39-3# Befragter: Platten? #00:17:45-2# Interviewer: Ja #00:17:42-7# Befragter: Aber absolut, also, das kann ich auf 'ner halbwegs guten Anlage, auf meiner Anlage kann ich das jederzeit raushören, ob mir jetzt gerade jemand, ähm, 'ne Platte vorspielt oder die gleiche, das gleiche Lied auf 'ner (unverständlich), auf’m MP3-Player, nicht nur am Knacken, sondern auch am Sound merkt man das, viel voluminöser, kommt mehr aus’m Bauch heraus, find ich so, klingt einfach mehr, ist mehr was für die Gänsehaut, halt so, das andere ist halt elektronisch so abgefertigt, ich finde, es ist nicht das Gleiche. #00:18:08-8# Interviewer: Dann hast du auch 'ne gute Anlage. #00:18:11-1# Befragter: Ja, ja, ja, geh ich mal von aus, also, mhm (bejahend) #00:18:17-7# Interviewer: Das muss man ja dann schon … #00:18:17-9# Befragter: doch #00:18:17-9# Interviewer: auch irgendwie wahrnehmen können. #00:18:18-6# Befragter: Natürlich, also Verstärker, weiß ich nicht, hat mein Vater mal geschenkt bekommen, hab ich dann bekommen, weil er den nicht brauchte, ’n älteres (unverständlich) ist das, und Magnat, Magnal, Magnat, kann ich mir immer nicht merken, wie die aufhört, die Marke, hab ich mal zufällig geschenkt bekommen, kaputt, hab ich dann restaurieren lassen und, ähm, kenn mich mit der Technik nicht aus, also ich weiß gar nicht so genau, was ich da stehen hab, aber es klingt für mich gut und #00:18:43-9# Interviewer: Marantz gibt es. #00:18:45-0#
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Befragter: Nee, aber die heißen, es gibt da, es ist so 'ne, es ist ’ne sehr, ich hab auch mal versucht, zu gucken, ob’s die im Internet gibt, das ist 'ne total unbekannte Marke, aber die sind gar nicht so übel, Magnat, glaub ich, mhm (bejahend) ja. #00:19:00-2# Interviewer: Kannst du dir vorstellen, dass Musik machen für dich zukünftig 'ne größere Rolle spielen wird? #00:19:03-9# Befragter: Ist mein größter Traum, ist mein größter Traum überhaupt, also ist eigentlich so das, womit ich nach wie vor fest rechne, ich weiß gar nicht, was ich machen soll, wenn das mal nicht klappen sollte, also, das ist schon das, weil, man merkt ja irgendwann, man kann irgendwas gut und man erreicht damit Leute und das war halt in meinen früheren Jahren war das immer so, so. #00:19:29-0# Interviewer: Du meinst, meinst du, entschuldige, wenn ich kurz dazwischenfrage, meinst du jetzt, privat, hobbymäßig oder eben auch richtig beruflich? #00:19:37-4# Befragter: Richtig beruflich auch gerne, also es soll nicht unbedingt vielleicht so heftig werden, dass es mich irgendwann annervt, also ich hab auch schon Menschen tatsächlich kennengelernt, die sagen, sie haben fünfzig Jahre Chorarbeit gemacht und können kein Notenblatt mehr anfassen, weil sie so, weiß ich nicht, überlastet sind und (unverständlich) das möchte ich nicht, dass mir das passiert, also ich denk, ich werd dann ’n unstetes Leben führen, vielleicht wird’s jetzt die nächsten Jahre mit Musik was sein, ich bin aber ansonsten sehr an Theater interessiert, an Schauspiel, Literatur fasziniert mich, also ich denke, da werd ich sowieso immer so'n bisschen durchhopsen, aber ich denke, dass mein Steckenpferd doch irgendwo das wirklich die Musik ist, wo ich noch irgendwie halbwegs sagen kann, ich hab Ahnung und ja, ich hab auch 'ne sehr expressive Art halt, so Musik zu machen, auch Musik zu hören, das ist auch so relativ bekannt, sag ich mal in meinem Umkreis, so also, gibt Leute, die sich einfach gern mal nur hinsetzen, und wenn ich dann irgend ’n Stück anmache und dann mal mitdirigiere und sage, du musst auf das hören, was da noch im Hintergrund rauskommt, hör dir das mal an und so, und das können die zwar alle gar nicht nachvollziehen, aber es sieht wohl interessant aus, wie ich das mache (Lachen). #00:20:50-8# Interviewer: (Lachen) #00:20:52-0# Befragter: Deswegen, nein, das macht einen dann schon, stimmt einen schon nachdenklich so, denn, ich halt immer überleg, alle haben ja immer so'n Plan vom Leben, was machst du eigentlich mal, irgendwie denk ich, wird’s irgendwo Musik sein, geh ich stark von aus, also ist auch das , was ich will, irgendwo, und das wär, glaub ich, für mich dann auch ’n herber, wie soll ich sagen, halt, es wär für mich sehr schlimm, irgendwo privat, wenn ich irgendwann mal erkennen müsste, so mit 25 jetzt oder so, wenn ich dann immer noch nichts habe, das immer noch nicht gefruchtet hat, irgendwie, ich unternehme jetzt grad keine Bestrebungen, irgendwie, das zu machen, aber das werd ich jetzt irgendwie wohl mal anfangen, Musik aufzunehmen oder so, das einfach mal online zu stellen, zu gucken, wie Leute das finden. Wenn das nicht funktionieren sollte, das wär, glaub ich, ’n starker, starker Schmerz für mich so, wär ich sehr traurig, glaub ich, müsst ich auch komplett neu überlegen, was ich machen will, weil es ist irgendwo so'n Herzenswunsch gerade, auch schon immer halt eigentlich, quasi, seit ich Klavier spiele auch. Der Befragte gibt an, dass Musik machen sein großer Wunsch für die Zukunft ist. Überraschend ist, dass er noch nichts in dieser Richtung unternommen hat. #00:21:56-6# Interviewer: Ähm, weil du das angesprochen hast, nimmst du Musik auf? #00:22:01-1#
490 | Popmusik aneignen
Befragter: Nee, hab ich bisher noch nie gemacht, nee, bisher immer nur live halt für Zuschauer irgendwie gespielt oder für mich, aufgenommen, fehlt mir auch ’n bisschen die Technik zu, obwohl ich die jetzt gerade so langsam zusammen hab, hab halt ’n E-Piano vor ’n paar Jahren erworben von Roland, ’n relativ gutes, und nun ist mir aufgefallen, es hat ja so'n USB-Anschluss, muss man ja irgendwie mal verbinden können, jetzt hab ich auch ’n Laptop, endlich mal wieder, ist mir nur ’n bisschen zu anstrengend, das jetzt hierher zu karren oder so (Lachen). #00:22:33-4# Interviewer: Ja. #00:22:33-4# Befragter: Aber, ähm, ja vielleicht jetzt so im Anschluss an dieses Jahr, mal gucken, ob ich mich da mal ’n bisschen ransetze und gucke. ’n Problem ist halt noch Songwriting, also ich muss jetzt erstmal anfangen zu covern, glaub ich, weil mit covern, das werden, denk ich mal, die Anfänge sein, weil noch sprießen irgendwie nicht so die Ideen, die man wahrscheinlich haben muss, um selber wirklich on top zu sein, das fehlt noch irgendwo, aber ich könnte mir vorstellen, dass das vielleicht irgendwo in mir schlummert und dass ich das noch irgendwie aktivieren kann mal, im richtigen Moment.
Kommentar Typisierung: Die Erfahrungen mit Musik, auch im analytisch-ästhetischen Sinn, sind sehr ausgeprägt und vielseitig. Musik zu machen ist möglicherweise ein wichtiger identitätsstiftender Aspekt in der Persönlichkeitsentwicklung des Befragten, wenngleich die Einschätzung zukünftiger Aktivitäten und der damit verbundenen Erfolgsaussichten eher naiv wirkt, da es keinerlei konkrete Handlungen in dieser Hinsicht gibt. Die offensichtlich weit entwickelten Kompetenzen gehen nicht einher mit einer realistischen Zukunftsplanung in Bezug auf Musik, sondern dienen eher zur Bestätigung der eigenen Persönlichkeitswahrnehmung. 10.1.9 Gliederung Codesystem Die hier aufgeführte Gliederung entspricht dem Codesystem wie im f4Analyseprogramm angelegt. Die Hauptkategorien wurden anfänglich auf der Basis des Leitfadeninterviews gebildet und in mehreren Analyseschritten ausdifferenziert. 1 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.2 2.2.2.1 2.2.3 2.2.4 2.3
Konstruktive Zusammenarbeit Initiierung allgemein Frühe Erlebnisse Alter 3–6 Alter 7–12 Alter 13–16 Familie Mutter Mutter mehrfach Vater Vater mehrfach Vorbilder Familie Verwandte Bekannte
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2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.6 3 3.1 3.1.1 3.1.1.1 3.1.1.2 3.1.1.3 3.1.1.4 3.1.1.5 3.2 3.3 3.4 4 4.1 4.1.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 5 5.1 5.2 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
Institutionen Schule Musikschule Emanzipationsprozesse Diversifizierungsprozesse Initiierung Musik Freiwillig Instrumente/Gesang Traditionelle Lieder Klavier Konzertgitarre Westerngitarre Keyboard Wunsch der Eltern Musikstücke oder Bands Musik allgemein Aneignungsstrategien Andere Lernprozesse Musik hören Selbstaneignung Noten lesen Trial-and-Error Rat holen Bekannte/Freunde Familie Internetrecherche YouTube-Tutorials Raushören Negative Erfahrungen Schule Unterricht Lehrer Schule Lehrer privat Familie Mutter Vater Emotionaler Bezug Allgemein Einzelne Titel/Elemente Präferenzen Zeitlicher Aufwand Musik Gering Groß Stile Blues Soul/Funk/R & B Popmusik Rockmusik
492 | Popmusik aneignen
6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.2.9 6.2.10 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 7 7.1 7.1.1 7.1.2 8 8.1 8.2
Unplugged Elektronische Musik/Synthpop Jazz Diversität Indifferenz Klassik Vorbilder Musiker/Bands Diversität Extern Familie Analytisch-ästhetische Kompetenzen Analytisches Hören Erlernen von Fachbegriffen Detailarbeit Reflexion und Ästhetik Sachinformationen Stilsicherheit Kreative Strategien Neues entwickeln Improvisation Singen Motivation/Zukunftsperspektiven Positive Einschätzung Negative Einschätzung
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10.2 UMFRAGE ZUM „UMGANG MIT POPMUSIK“ – SPSS-AUSWERTUNGEN 10.2.1 Mediale Freizeitaktivitäten – Einleitende Fragen zur Beschäftigung mit Musik – Reliabilität der einzelnen Items Ich würde meine Beschäftigung mit Musik in folgenden Bereichen einordnen … (0103)
Abb. 118: Reliabilität 0103
494 | Popmusik aneignen
Ich höre am liebsten … (0104)
Abb. 119: Reliabilität 0104
Anhang | 495
10.2.2 Vorlieben – Vertiefende Fragen (Parameter/Instrumente) – Reliabilität der einzelnen Items Am meisten mag ich an Musik … (0201)
Abb. 120: Reliabilität 0201
496 | Popmusik aneignen
Diese Instrumente gefallen mir am besten … (0203)
Abb. 121: Reliabilität 0203
Anhang | 497
10.2.3 Mediale Freizeitpraxis – Vertiefende Fragen (Digitale Medien) – Reliabilität der einzelnen Items Wenn ja, welchem der genannten Bereiche würdest du diese App (Handy/Tablet/Computer) zuordnen? (0302)
Abb. 122: Reliabilität 0302
498 | Popmusik aneignen
Welche der unten genannten Programme hast du schon einmal genutzt? (0303)
Abb. 123: Reliabilität 0303
Anhang | 499
10.2.4 Musikbezogene und musikpraktische Freizeitpraxis – Reliabilität der einzelnen Items Privat befasse ich mich mit Musik, indem ich … (0401)
Abb. 124: Reliabilität 401
500 | Popmusik aneignen
10.3 VOLLSTÄNDIGE TRANSKRIPTION DES INTERVIEWS MIT VOLKER SCHÜTZ I: Also, ich möchte mich erst mal recht herzlich bei dir bedanken, dass du (lachend) dich bereit erklärt hast hierfür zur Verfügung zu stehen, für dieses kleine Interview. Du bist ja nicht nur ein wichtiger Zeitzeuge der musikdidaktischen Diskussion und der Entwicklung der letzten 30, 35 Jahre, sondern bist ja selber ein wichtiger Impulsgeber, indem du zusammen mit anderen, zum Beispiel mit Dieter [Lugert] die Didaktik der populären Musik, ich sage mal, formuliert hast. Dieter sagte immer, selber erfunden haben wir sie nicht, wir haben sie nur formuliert. Mich würde interessieren, welche Impulse vielleicht ausschlaggebend gewesen sein könnten so etwas Neues zu entwickeln. #00:02:04-1# B: (...) Also, die Frage geht jetzt in Richtung eigene Erfahrungen, auch biografische Erfahrungen. Ja, denn da muss ja irgendwas in einem in Resonanz kommen, um darauf einzusteigen. Ich war halt in einem völlig klassisch orientierten Elternhaus großgeworden und habe schon ganz früh alle möglichen Konzerte gehört, klassische Musik, Kammermusik, Opern, alles, was da zu erreichen war, Frankfurt, Offenbach haben wir uns angeguckt, und daneben habe ich aber sehr früh begonnen Tanzmusik zu machen, ganz früh, schon als, na, Sechzehnjähriger, Siebzehnjähriger, weil das einfach gebraucht wurde da in dem Zusammenhang, wo wir waren. Mein Bruder hatte auch Saxofon gespielt, und habe dann auch Saxofon gelernt und alle möglichen Instrumente im Posaunenchor gespielt. Also, da war eine unglaubliche Offenheit und eine Neugier auf das, was da entstanden ist. Und mit den Tanzmusikern, mit älteren, für mich damals uralten Musikern (lachend), gespielt. (Lacht) Waren vielleicht so Ende 30, (lacht) und eines Tages kam der eine an, der hat Gitarre gespielt, mit einem Beatles-Song, und dann habe ich mir das angehört, habe gedacht, wie kann so eine Musik über Nacht berühmt werden. Das ist doch amateurhaft alles. Na ja, und dann hat er gesagt, "das spielen wir jetzt mal nach". Hm (lacht). Dann habe ich gemerkt, das geht gar nicht. Dazu sind wir gar nicht in der Lage, weil, so als klassisch Orientierter, was soll ich da auf dem Klavier machen und so weiter. Also, es kommen eine ganze Reihe von Erfahrungen zusammen. Daneben war ich Kirchenmusiker und habe an der Orgel schon immer versucht zu improvisieren. Also, dieses Improvisatorische spielt ja bei der Orgelmusik immer noch eine Rolle, und das hat mir sehr imponiert, dass man da mal weggehen kann von den Noten. Und die nächste Erfahrung war das Boogie-Woogie-Spielen auf dem Klavier. Das war damals ganz was Neues, aber es gab schon die ersten Noten, und ich habe mir das angeguckt und habe dann Boogie-Woogie gespielt, auch frei, und meine Eltern haben das gerne zugelassen. Gar kein Problem, und habe auf die Weise schon ganz viel kennen gelernt um die Klassik herum. Ich weiß nicht warum, aber es hat mich interessiert. Dixieland habe ich noch gemacht in einer Band, waren so Gleichaltrige,
Einfluss aus verschiedenen Richtungen im Kontext der Musik (Klassik – Eltern/Tanzmusik und Pop – Erwachsene Musiker/Dixieland – Gleichaltrige) und ich habe mich aber dann während des Schulmusikstudiums ganz von dieser Musik abgewandt. Es war keine Zeit mehr. Ich konnte keine Tanzmusik mehr machen. Ich habe dann noch Orgel gespielt, aber die Tanzmusik, das war zu viel. #00:04:50-3# Also, Samstag nachts spielen, morgens sonntags auf der Orgelbank. Samstags noch unterrichten, ich war ja damals auch schon – na ja, nee, da war ich im noch Studium. Auf jeden Fall (...) hat sich da etwas entwickelt, eine Offenheit für alle möglichen Arten von Musik, ohne dass ich
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gleich in die Wertung gegangen wäre, denn diese Erfahrung mit den Beatles hat mich runtergebracht von dem hohen Ross des Klassikmusikers und hat mir deutlich gemacht, es macht keinen Sinn das zu werten.
Haltung gegenüber Popmusik zunächst geprägt durch elitäre Haltungen. Das ist eine ganz andere Erfahrungswelt, die sich da niederschlägt, und die haben sich ihre Instrumente gesucht und machen das auf den Instrumenten so, wie sie es können, und sie machen es authentisch. Das habe ich damals schon begriffen, dass das was Besonderes war. Dazu kam noch, fiel mir heute noch so ein, die Gitarre hatte überhaupt keinen Stellenwert damals. Die Gitarre, das war das Instrument der Jugendbewegung, des Wandervogels.
Vermutlich spezifisch deutsche Perspektive. Kein Mensch hat Gitarre gespielt. Ich selber habe da immer so ein bisschen geklampft. Ich war damals mit dem Wandervogel unterwegs 'n paar Jahre, um so ein paar Lieder aus dem "Turm" [Liederbuch des Wandervogels], das waren so Landsknechtslieder, zu begleiten, so was, und das war aber eher Weniger (lachend) als Mehr. Auf jeden Fall, die Gitarre, die war völlig uninteressant, bis dann einige kamen, so aus meiner Umgebung, die haben dann – ja, das war wohl schon Country and Western, so was oder aus der Folk-Szene. Die fingen ja damals an so in den Sechzigern … #00:06:40-0# I: Mitte Sechziger. #00:06:40-9# B: aufzublühen. Das war ja unglaublich. #00:06:43-7# I: Ja, also auch vielleicht im Kontext mit Bürgerrechtsbewegung oder nicht so sehr? #00:06:46-7# B: Ja, aber davor gab es noch Skiffle. #00:06:48-3# I: Skiffle. Ah, Skiffle war sehr … #00:06:50-4# B: Skiffle-Musik, genau. #00:06:50-1# I: Die Beatles waren ja eigentlich eine Skiffle-Band. #00:06:52-7# B: Anfang der Sechziger, und da hat der so Skiffle gemacht und hat ganz schön Gitarre gespielt. Mit dem Skiffle-Gitarristen habe ich auch mal Tanzmusik zusammen gemacht, festgestellt, das ist durchaus ein Instrument, das interessant ist, (lacht) aber ich hatte keine Erfahrung damit. Ja, das also zu meiner eigenen Entwicklung. Dann kam später halt in der Schule als junger Lehrer – kamen die Schüler an mit ihren eigenen Platten, und zwar in der Oberstufe habe ich das zugelassen. In der Oberstufe, als sie sagten, da gibt es tolle Musik, Pink Floyd und diese andere Gruppe, wo so ein klassischer Pianist auch dabei war. #00:07:35-0# I: Emerson, Lake and Palmer? #00:07:36-4# B: Ja, die zum Beispiel mit "Pictures At An Exhibition". Das war ja für uns Schulmusiker (lacht) ein gefundenes Fressen. Jedenfalls haben die Platten mitgebracht, und die haben wir uns angehört und haben darüber geredet. Das war mein Einstieg, und ich war begeistert über die Texte, über die Tiefe der Texte, über die – ja, ich würde sagen, über die Authentizität der Erfahrung, die da sich niedergeschlagen hat. Das war was ganz anderes als Schlager. Schlager habe ich erst jetzt wieder (lachend) wertschätzen gelernt, so im Rückblick, weil die so ganz pfiffig waren damals in den Fünfzigern, Sechzigern. (lacht) #00:08:12-1# I: Die waren zu einem großen Teil auch handwerklich ganz interessant. #00:08:14-8# B: Ja, ja. Das auf jeden Fall. Da waren gute Musiker. Ich weiß noch, der (...) Hazy Osterwald mit seiner Gruppe, (lachend) der Supermusiker, und der hat ja losgejazzt, und den Pi-
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anisten von ihm habe ich noch kennen gelernt. Der war mit einer Würzburger Kollegin (lachend) verheiratet. Ja, das war so der Einstieg dann in die ernsthafte Rockmusik mit den Schülern. Das waren ja damals schon Konzeptalben, ne, die dann auf den Markt kamen, und die wollten mehr sein als nur Unterhaltung. Die wollten etwas zum Ausdruck bringen der Jugendlichen, und das habe ich auch gespürt und habe mich mit den Schülern daraufhin eingelassen, und das fanden die ganz toll. Das haben die sehr dankbar angenommen in Frankfurt, dann später auch hier in Lüneburg. Das war so Anfang der Siebziger. Na ja, und dann kam einer der Schüler auf mich zu eines Tages und sagte, „wollen wir nicht zusammen eine Jazz-Rockband gründen". Der hatte schon ein paar Leute an der Hand. Also (Name des Gitarristen) war das. Kennst du gar nicht? #00:09:22-7# I: (Name des Gitarristen)? #00:09:22-9# B: (Name des Gitarristen) und sein Bruder ist/ #00:09:26-7# I: Ich wusste gar nicht, dass der Musik gemacht hat, (Vorname des Gitarristen). #00:09:281# B: (Name des Gitarristen), ein super Gitarrist. Der kam an, der hat alles nachgespielt, und der hat alles auswendig gespielt. Wir haben dann Stücke entwickelt, die waren eher (lacht) überladen. Also Volker Kriegel war so unser Einfluss #00:09:44-7# I: Ja, ja, Kriegel. #00:09:45-7# B: und Doldinger und so, und dann natürlich Jan Hammer als Pianist und diese Leute, und dann haben wir eben eigene Stücke gemacht. Der Flötist war ja auch Amateur. Der konnte gar keine Noten. Der Bassist konnte schon Noten. Auf jeden Fall [Vorname] war die zentrale Gestalt, und der [Vorname] hat mir gezeigt, was es bedeutet auf der Gitarren Musik zu machen mit Anspruch. Der war äußerst anspruchsvoll und hat alles, was wir so entwickelt hatten an längeren Phrasen, auch auswendig gekonnt. Der hat das immer behalten. Ich musste es mir aufschreiben. Ich habe mir die Harmoniefolgen aufgeschrieben und auch einzelne Phrasen, die dann zu spielen waren. Er hatte alles im Kopf, und dann haben wir auch begonnen Reggae zu spielen, und dann haben wir geübt an dem Reggae und schön leicht und ja, und am Ende hat er gesagt, „Das spielen wir nicht weiter. Das ist kein Reggae. Das können wir nicht.“ Ganz klar war der. Der hatte eine unglaubliche Hörerfahrung und war andererseits auch ein ganz schneller Spieler so mit Soli. Gut, das war so meine Schule, und dann auf dem Stand war ich ungefähr, als dann Dieter [Lugert] in mein Leben eintrat und dann Assistent wurde bei Küntzel. Vielleicht muss ich noch dazu sagen, ich habe mich vorher befasst … sehr viel mit Neuer Musik. Über das Lehrwerk "Sequenzen" Ulrich Günter und die Oldenburger Gruppe, da habe ich mitgearbeitet (also, nicht direkt für "Sequenzen", das war schon fast fertig) und habe dann gemerkt, da ist ja einiges Potenzial, um mit Schülern Musik zu machen, da was zu entwickeln, aber ich habe dann sehr schnell gemerkt, das war nicht die Musik, die die Schüler wirklich motiviert. Das war für sie sehr fremd. Das war mal ein Experiment, aber auf Dauer hat das nicht getragen. Und dann habe ich mich eben sehr befasst mit Adorno, der Ästhetik von Adorno. Ich habe einige Seminare besucht und war ganz erstaunt über die Möglichkeiten tiefer in die Musik einzudringen mithilfe dieser Vorstellungen von Adorno, der ja, und das ist mir jetzt erst so richtig klargeworden, eigentlich ein sehr materieller Denker war. Er hat die Form untersucht, die Form untersucht, ist aber nicht bei der Formanalyse stehengeblieben, wie das damals üblich war in der Schulmusik, sondern hat gesagt, die Form sagt etwas aus über den Inhalt, über die Beweggründe, über das, was da ausgesagt werden soll. Wir müssen die Form genau untersuchen, um dann zum Beispiel auf soziale Hintergründe zu kommen. Die Zusammenhänge, in der zum Beispiel Beethoven'sche Musik entstanden ist, was die aussagen will an revolu-
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tionären Gedanken, an neuen Gedanken. Das war sehr einleuchtend und sehr spannend. Habe mich da sehr reingelesen, sehr reinbegeben. Und aber dann, bevor Dieter kam, hing ich so in der Luft, didaktisch, war ja da schon an der Uni, an der damaligen PH und habe gesagt, was machst du damit, was sollst du damit machen, Didaktik der klassischen Musik neu entwickeln? Ja, habe ich gesagt, das kann es nicht sein und war da ziemlich lustlos in dem Bereich. #00:13:32-0# I: Also, die Idee, jetzt sagen wir mal, die persönlichen Erfahrungen, die positiven persönlichen Erfahrungen mit Popmusik jetzt in der Didaktik einfließen zu lassen, die war noch gar nicht so … #00:13:42-6# B: Nee, die waren noch nicht reif. Das war in der Schule, als Lehrer habe ich das ein oder andere gemacht, habe ich mal mit denen einen Blues gemacht und die singen lassen und dazu gespielt und so. Das war das Einzige, aber es gab ja auch überhaupt keine Modelle oder Anregungen. Da hat man nicht/ Es gab so ein paar theoretische Traktate von Hermann Rauhe ziemlich bald, und Ilse Storb hat mal über die Beatles was geschrieben. Aber das schien mir sehr an der Oberfläche, und dann kam eben Dieter, und wir kamen auf die Idee, oder er kam auf die Idee oder hat gesagt, „Mensch, wir haben das Potenzial. Wir sollen Hauptschullehrer ausbilden. Die brauchen etwas ganz anderes. Die brauchen keine Klassik." Ja, klar, der hatte ja seine Musikdidaktik schon geschrieben und hat sich da sehr mit Klassik, mit Oper und so weiter auseinandergesetzt. #00:14:33-0# I: Oper als soziale Realität oder so ähnlich, hieß das? #00:14:36-5# B: Das war, glaube ich, seine Dissertation – Nee, Grundzüge einer neuen Didaktik, so ähnlich. #00:14:42-6# I: Grundriss einer neuen Musikdidaktik. #00:14:44-9# B: Grundriss einer neuen Musikdidaktik. Ja, das wurde ihm sehr (lachend) übel genommen, dass er da so hochtrabend … #00:14:48-3# I: (lacht) #00:14:50-0# B: (lachend) Ja, irgend so einer schreibt uns alten Didaktikern vor. Na ja, jedenfalls waren da sehr gute Ideen drin. Ich konnte das auch gut verstehen, und da waren ja schon Hinweise auf die Musik der Schüler mit drin. Und als dann Dieter kam, hat er gleich gesagt: "Wir machen was. Wir machen was zusammen", und das Erste war eben eine Lehrerfortbildung gleich über den AfS. Ehe wir die Studenten damit befasst haben, haben wir schon überlegt, was können wir nach außen bringen, und dann haben wir ein paar Modelle zusammengesucht und haben … Dieter war ja einer, der schon "House Of The Rising Sun" auf der Gitarre begleitet hat und "Hang down your Head, Tom Dooley" usw. Solche Geschichten, das waren ja schöne Lieder. Die hat er schon mit Schülern gemacht. Ich habe das nie gemacht, weil ich kein Gitarrist war, und dann haben wir begonnen, und diese Auseinandersetzung, die inhaltliche, die Diskussion … Wir haben viel zusammengesessen, Bier getrunken und geredet. Dieter hat das entwickelt, und ich habe dann schnell gemerkt, oh ja, da kann ich ja mit einsteigen. Das ist ja wunderbar. Ich kann ja was beitragen, was Substanzielles, ne? Ich habe Erfahrung: Jazzrock, Improvisation, alle möglichen Arten der Musik. Ich kann über Klassik reden, kann über Neue Musik reden. Da habe ich mich sehr kundig gemacht, Stockhausen und so weiter, und kann von daher einschätzen, was das Neue sein könnte, dem Stellenwert zuweisen in diesem ganzen Pool von anderen Musiken, und das auch sehr selbstbewusst. Dieter hat es ja sehr hemdsärmelig, sehr selbstbewusst vertreten, ohne zu fragen nach dem anderen. Ich meine, ich habe immer gedacht, das andere ist ja auch nicht ganz unwichtig. Das andere hatte auch seine Tradition und seinen Stellenwert, und das sollte schon irgendwie da mit fruchtbringend, sagen wir, eingehen. Ja, und so hat sich das ent-
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wickelt. Das war eigentlich dann der Weg, das war so mein Weg. Und mit Dieter ging es rasant nach vorne los nach der ersten … Das habe ich ja schon oft erzählt: Nach der ersten Fortbildung haben dann die Lehrer gefragt, ja, und wo kriegen wir Material her. Das ist ja dann verbraucht, und dann kam die Idee mit der Zeitschrift und (...) ja. #00:17:08-2# I: Das war eigentlich quasi der Auslöser letzten Endes, sagen wir, die positiven Resonanzen auf den Fortbildungen. #00:17:17-2# B: Ja, die positive Resonanz auf die Fortbildung. Die Lehrer haben einfach gemerkt, dass … und vor allen Dingen waren das Hauptschullehrer. War, glaube ich, ein Gymnasiallehrer dabei. Das waren Hauptschullehrer. Die hatten alles nötig. Die wollten Gitarrenriffs sehen, die wollten Harmoniefolgen sehen. Die wollten am Schlagzeug die ersten Versuche machen. Ich glaube, wir haben da auch schon mal ein Schlagzeug aufgebaut. Wir hatten ja dann auch Instrumentallehrer. Ich weiß nicht, ob [Name des Schlagzeuglehrers] uns schon geholfen hat – irgendjemand von denen. #00:17:45-0# I: Ab Anfang der Achtziger, ich weiß nicht. Wann habt ihr so denn ungefähr angefangen? #00:17:48-5# B: Ja, ja, ja, ja. 81, 80 war, glaube ich, die erste oder so. Oder 79. Ich weiß es nicht. #00:17:51-5# I: Sind wir ja auch relativ früh dazugekommen. #00:17:52-9# B: Du ja auch, ne? #00:17:54-0# I: Ich auch, ja, ja. #00:17:54-7# B: Ja, ja, und da hatten wir ja schon welche, die uns was zeigen konnten in dem Bereich, und dann haben wir losgelegt. Ich fand das immer ein bisschen … (stöhnt) Ja, ich dachte, du liebe Zeit, wir wissen ja selbst viel zu wenig davon um jetzt (lachend) hier als … (lacht) #00:18:12-8# I: Also, es war schon so ein bisschen so ein Ausprobieren. Also, man hat irgendwo, sagen wir, positive Erfahrungen gemacht. Es hat vorher so gut wie niemand etwas darüber geschrieben, also musste man sich so langsam bisschen vortasten, um mal zu schauen, funktioniert das? Und ich vermute mal, dass die Lehrer, die zu euch in die Fortbildung gekommen sind, das eben ausprobiert haben #00:18:33-9# B: Die haben das sofort aufgenommen, ja. #00:18:35-1# I: Und haben gute Erfahrungen gemacht. #00:18:36-6# B: Ja, genau. Die haben dann auch gemerkt, man kann auch so was wie eine Gitarren-AG mal anbieten, und man kann was Schlagzeug mit den … also, ein Schlagzeug besorgen. Es gab ja keine Instrumente in den Schulen. Es gab Orff-Instrumente, und die haben wir da noch versucht mit zu integrieren, aber haben dann sehr schnell gemerkt, das geht in eine ganz andere Richtung. Das ist mehr diese musische Musik, und da muss man schon gucken, was man da macht. So ein bisschen Calypso oder so was, da passt es vielleicht, oder bei Latin-Sachen passt es ein bisschen rein. #00:19:09-2# I: Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das gerade am Anfang, wo man sich von Altem abgrenzen will, mehr ein Problem war als heute. Heute sagt man, ja, Xylofone gibt es in jedem Popsong. Ist kein Problem, oder eine Triangel. #00:19:20-8# B: Gibt es inzwischen ja auch, #00:19:21-7# I: Ist ja wieder schon lange #00:19:22-9# B: Aber es gab es nicht, erst … #00:19:24-1# I: oder Glockenspiel, alle Leute haben Glockenspiele, und sie legen, jedenfalls die, die ich kenne, großen Wert darauf, dass es richtige Glockenspiele sind und keine Samples. #00:19:31-7#
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B: Ist wahr, ist wahr. #00:19:32-2# I: Ja? Ja, klar. #00:19:33-3# B: Ja, aber das ist ganz neue Entwicklung. Damals war Gitarre, Gitarrenbass … Das war auch eine völlig neue Erfindung, der kurze Bass. Dann eben eine Rhythmusgitarre, eine Sologitarre und Gesang und Schlagzeug, und das Schlagzeug, wenn du wie Ringo Schlagzeug gespielt hast, das war wie die Dixieland-Trommler. So haben die auch gespielt. Die hatten keine Ahnung von Schlagzeugspiel. Das hat sich ja auch dann erst entwickelt in den, sagen wir mal, Ende Sechziger, in den Siebzigern, mit den Jazzrockgruppen hat sich ein neues Schlagzeugspiel entwickelt. #00:20:05-9# I: Ja, und es gab einige, sagen wir mal, herausragende Schlagzeuger, die etwas Neues gemacht haben, John Bonham von Led Zeppelin gehörte dazu oder Ginger Baker. Die haben ja völliges Neuland betreten, und das gab es vorher nicht. #00:20:20-4# B: Die Jazz-Musiker haben natürlich schon … Aber die hatten ein kleines Schlagzeug mit einer Tom vielleicht oder keiner Tom und haben dann da gewirbelt und gemacht, haben noch die alte Tradition, viel mit Sticks gearbeitet oder Besen. #00:20:35-0# I: Besen, ja und vielleicht auch mit der alten Haltung. #00:20:38-0# B: Ja, Ja. Also, ich weiß noch, ich habe ja Tanzmusik gemacht, um das nochmal einzuflechten. Da hatten wir so einen älteren Herren am Schlagzeug. Vielleicht war der auch 40, den habe ich gar nicht gehört. Der hat so ein bisschen so mal am Becken was und dann so ein bisschen noch Besen und so, und dann gab es so eine kleine Hi-Hat. Weißt du, das war so die erste Form, war eigentlich nur so eine Fußmaschine. Den hat man nicht gehört. Der hat so ein bisschen zusammengehalten das Ganze, hat sich draufgesetzt auf das, was da war. Wir hatten damals zwei Saxofone, zwei Trompeten und Klavier und Schlagzeug. Das war die Tanzmusikbesetzung. Na gut. (...) Ja, also, im Nachhinein bin ich immer noch am Staunen, was da in Gang gekommen ist, und vor allen Dingen wie sich das dann auch durchgesetzt hat. Jetzt habe ich von Heinrich Klingmann, der ja dieses Symposion bei euch besucht hat vor … Schon wieder zwei Jahre her oder? #00:21:43-2# I: Ja, der hat dieses #00:21:45-2# B: Vor einem guten Jahr, vor einem guten Jahr war das. #00:21:45-4# I: Buch über Groove geschrieben. Mhm (bejahend). #00:21:48-3# B: Ja, der hat mir erzählt, Ja, die Musikdidaktiker, die da zusammengekommen sind, die setzen alle wieder auf Klassik. Die sagen, Popmusik, ja, das ist doch Vergangenheit. Also, irgendwie war das gar nicht so angesehen da. #00:22:02-4# I: Ich hatte den Eindruck, dass die ihren Forschungsbereich über Popmusik ein wenig überschätzen. Also, dahingehend, dass sie das Gefühl haben, sie sind diejenigen, die forschen und die Popmusik vermitteln, und wo ist eigentlich die Musikdidaktik und dabei ganz vergessen haben, dass aus meiner Sicht jedenfalls die Musikdidaktiker eigentlich die Ersten waren, die sich mit Popmusik ernsthaft befasst hatten. Die ganze Popmusikforschung, die ist doch eigentlich erst hinterher entstanden durch diese Geschichte. #00:22:38-9# B: Ja, es gab natürlich eine unglaubliche Jugendmusikforschung. Also, in England diese … #00:22:43-4# I: Cultural Studies, die haben sich natürlich schon ein bisschen damit befasst, aber mehr als soziales Phänomen. #00:22:49-6# B: Ja, ja. Als soziales Phänomen, aber das war schon sehr spannend für uns, ne, dann zu sehen, da ist ja eine ganz andere Herangehensweise an die Musik, nötig auch, um die zu verstehen, und erst viel später bin ich darauf gekommen, dass die Musik ja selbst (lachend) auch in sich so viel (lachend) an musikalischen, wie soll man das sagen, Angeboten bein-
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haltet. Da bin ich erst mal draufgekommen, als ich in Afrika war. Ich habe ja auch nicht von ungefähr afrikanische Musik gesucht. Ich habe nach den Quellen dieser Musik gesucht, und dann bin ich nach Afrika gegangen und habe da erst begonnen etwas zu verstehen von der eigentlichen Motivation für diese Musik. Das war einmal die Körperlichkeit, und dann kann eben noch was anderes dazu, dieses, was dann am Anfang eher zu so Pink Floyd-Gruppen führte, die da so mit Drogen gearbeitet haben, in die Trance gegangen sind. In Afrika ging das alles ohne Trance. Da wurde eine Musik gemacht, die einfach konstant kreist, nicht wie unsere, die sich entwickelt zu einem Finale hin, also ganz Klassik, sondern die in sich kreist und von daher immer mehr in die Tiefe gehen kann für den Zuhörerund für den Spieler und nach oben sich entwickeln kann, vertikal, ne. Das war für mich … Das ging mir auf wie ein neues Licht, als die das so formuliert haben, also, Miller Chernoff [African Rhythm and African Sensibility, 1979] #00:24:24-8# zum Beispiel das so formuliert hat oder ich das gelesen habe, in "Ästhetik afrikanischer Musik", dass es darum geht, Tiefe zu entwickeln. #00:24:33-1# I: Intensität auch? #00:24:35-3# B: Intensität und damit den Zuhörer, aber auch den Musiker miteinzubeziehen, sodass man wirklich übertritt zeitweise in eine andere Realität, jetzt ohne Drogen, sondern das ist Alltag. Das gehört dazu. Das entdecke ich jetzt erst wieder über Meditation, und das war in dieser Musik angelegt, und das war auch im Prinzip auch in der Popmusik ein Stück weit angelegt. Es war nur, sagen wir mal so: Durch die Dominanz der Musikindustrie … ging das ein bisschen verloren, weil, die haben ja gesagt, wir brauchen Dreiminutenstücke. Wir brauchen soundso viel für eine LP und so weiter, die ganzen äußeren Vorgaben. Die haben da etwas zerstört oder gestört oder haben das sich nicht entwickeln lassen. Andererseits war es ein Glücksfall, dass die Amerikaner das aufgegriffen haben, denn die hatten die Tradition der schwarzen Musik. Inzwischen denke ich mal, dass es solche wunderbaren Musikformen in allen Ländern Europas gibt. Inzwischen weiß man ein bisschen was von rumänischer Volksmusik oder polnischer oder so. Die ist also noch unentdeckt. Fantastische Formen von Musik in der ganzen Welt, überall, und die Amerikaner haben natürlich verstanden daraus ein Geschäft zu machen. Das war so ein bisschen, fand ich, hinderlich auch für unseren Ansatz, denn die Popmusik hat ja sehr schnell einen sehr hohen Standard erreicht, dann auch, was die Aufnahme angeht, was Sound-Technik angeht, und da kannst du in der Schule dann auch schlecht mithalten, zumal die Bedingungen damals noch nicht gegeben waren. Es gab nicht so die kleinen Mischpulte. Das hat sich alles entwickelt. Gab noch keine E-Pianos und so was, ne, und insofern war da durch diese amerikanisch gesteuerte Musik der Musikmarkt … war da so ein neuer Leistungsgedanke reingekommen, der ähnlich war wie der an den Musikhochschulen. Du musst erst ganz gut sein, dann kannst du einsteigen. Dagegen haben sich die Schüler gewehrt und wehren sich bis heute, und das ist umso erstaunlicher. #00:26:43-1# I: Also, meinst du damit, mit Wehren, dass sie auch in der Lage sind innerhalb … oder anders gesagt, dass in der Popmusik genügend Räume da sind, um sich selbst seinen Platz da drin zu suchen? Also, das eine ist ja, dass man wirklich sagt, diese Perfektion ist uns vorgegeben, und die müssen wir erreichen. Da ist man ja im Prinzip auch #00:27:05-1# B: Ist man erst mal, ist man hilflos, ne? #00:27:05-8# I: Ist man hilflos, ist man ja bei Adorno und sagt, das muss ja alles perfekt sein, wobei er sich mit Popmusik so nicht befasst hätte auf dieser Ebene, aber ich könnte mir vorstellen, dass es eben dann auch eine Rolle spielt, dass die Schüler genau in dieser Musik ihren Raum finden. Das heißt, sie müssen das gar nicht in dieser Perfektion erreichen. Sie haben
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vielleicht möglicherweise eine eigene Interpretation davon und sehen ihre Rolle in einer eigenen Position. #00:27:34-2# B: Das sehe ich eben an als eine sehr glückhafte Entwicklung, die dann stattgefunden hat, dass immer mehr Jugendliche einfach gesagt haben, mich interessiert die Musik. Ich will irgendetwas davon erfahren, ich lerne jetzt Gitarre, erst mal Skiffle, dann später Beatles nachspielen. Egal wie es wird, und die Beatles haben es uns vorgelebt, dass man das mit einfachen Mitteln machen kann. Die wurden ja sehr schnell überholt von diesen Supergruppen, ne, Pink Floyd und so. Das war ja wieder eine ganz andere Geschichte, aber da war für die Schüler erkennbar, es hat etwas mit Jugend zu tun, mit pubertären Erfahrungen, mit Erfahrungen, die Jugendliche machen in ihrem Werdegang, Also ist das meine Musik. Ich steige jetzt darauf ein und versuche da was zu finden, und so hat sich, meine ich – So bist du doch wahrscheinlich auch rangegangen oder ihr, oder war das schon später? #00:28:33-5# I: Ich habe ja jetzt mit mehreren, auch Profimusikern, gesprochen. Die sagen, wenn man alle Nuancen und Seiten des Geschäftes und des Musikmachens und so weiter kennen, die kommen eigentlich, wenn man auf diese Frage geht, immer auf den Kern zurück und sagen, ich habe Musik angefangen, weil mich das berührt hat. Das ist der entscheidende Punkt und ist trotz aller Kommerzialität, trotz Musikindustrie, in die alle involviert sind – ist es immer noch der zentrale Punkt, die Initialzündung. Teilweise auch heute noch, dass Leute sagen, ich bin Berufsmusiker, ich habe einen Auftrag. Ich muss was machen. Ich gebe es nicht ab, wenn es mich selber nicht berührt. #00:29:19-1# B: Das ist natürlich toll. Das ist gut. #00:29:21-9# I: Nur dann kann es funktionieren. Das fand ich interessant als Aussage. #00:29:25-7# B: Ja, also, das ging mir jetzt die Tage durch den Kopf, als ich darüber so nachdachte. Die ganze Auseinandersetzung mit der ästhetischen Theorie von Adorno hat dieses Moment außer Acht gelassen. Natürlich hat der gesagt, die Musik von Mahler ist fantastisch. Man wird ergriffen, aber er hat es nicht in eine Theorie eingebracht. Das blieb draußen. Theorie wurde lediglich die Form und darüberhinausgehend die Frage nach der philosophischen Deutung dieser Form. Aber mich hat immer interessiert: Was bewegt mich denn eigentlich in dieser Musik, was bewegt mich? Und da habe ich gemerkt, die körperliche Seite war so ein Moment des Einstiegs. Boogie-Woogie ist ja schon mal diese Wiederholung, badu, badu, badu, badu. Also, das ist ja fantastisch, was sie da machen, und dieser Groove, der hat was. Der hat was für junge Leute sowieso. Tanzmusik machen war ja auch … die Idee war etwas mit Groove, mit Rhythmus zu machen. Das hat mich schon immer berührt. Nach Afrika zu gehen, da war die Frage nach, ja, wie ist das mit dem Rhythmus, wo kommt denn der her, und was steckt dahinter, und da habe ich eben gemerkt, dass auch die reine rhythmische Seite der Musik Tiefe will. Es ist auch nicht nur Oberfläche, und bis heute ist es ja auch so, geht mir es auch so, dass ich … ach so, und das wollte ich sagen, dass ich mich von daher auch von dieser Adorno'schen Theorie abgewandt habe, weil ich gemerkt habe, da gibt es keine Antwort auf diese Fragen, die mir doch sehr wichtig erscheinen, und die auch allen Musikern, die ich getroffen habe, wichtig erschienen. #00:31:30-4# I: Ich habe so ein bisschen eine parallele Erfahrung, also, Entwicklung auch gehabt zu dir, obwohl zeitversetzt. Ich bin auch über Kirchenmusik gekommen, und ich habe mit acht Jahren angefangen, #00:31:41-3# B: Ah ja, guck. #00:31:41-9# I: weil, das wollte ich machen. Ich habe das gehört, und ich vermute, interpretiere das mal rückwirkend so, dass es der Sound war, den ich so toll fand und die Atmosphäre und das
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Magische, wie auch immer. Das vermute ich einfach mal und bin ähnlich hoch eingestiegen auch in der Popmusik, habe natürlich Jazzrock als Erstes gemacht. #00:32:06-3# B: Hast du auch gemacht, ja, ja. #00:32:07-2# I: Ja, und für mich war, und da treffen wir ja schon zusammen … Seminar-mäßig damals, da war ich schon hier Student. Ein Knallerlebnis The Police. #00:32:18-1# B: Police, ja. #00:32:20-0# I: Weil, das war so ein gigantisches Erlebnis, und auch im Bezug auf Rhythmus, Körperlichkeit und so weiter. Vorher habe ich nur Jazzrock gehört und Zappa, solche Geschichten. Also, dieses schnelle Läufe und Schickeria, und das war so ein fundamentales Erlebnis, ist eine parallele Erfahrung eigentlich. #00:32:37-1# B: Ja, Police. Ich dachte auch erst, der, der da neben mir wohnte, der hat das so favorisiert, Police. Es war der Bruder von dem BAP-Gitarristen, Jochen Heuser, ne? #00:32:49-4# I: Heuser, ja. Seine Frau ist, glaube ich, ist heute noch [Arbeitsplatz]. #00:32:53-0# B: Ja, und der hat mir dann die ersten Police-Stücke vorgespielt, und ich dachte, wie kann man sich Police nennen. Das ist ja Polizei als Band-Titel, die doch damals … die wollten doch Anti-Establishment sein, ne, und nennen sich Police, aber die Musik, die sie gemacht haben, war natürlich was ganz anderes. Die war grandios, zu dritt. #00:33:16-4# I: Zu dritt, ja. #00:33:18-4# B: Also, das war schon toll, und da hast du hinterher das erste Stück auch transkribiert, ja, #00:33:24-7# I: In Ausgabe null, in Ausgabe null, genau. #00:33:25-9# B: und das war natürlich schon ein hoher Anspruch für die Lehrer, das, aber wir haben eben gelernt dabei, oder wir haben angefangen zu lernen, wie man solche Stücke runtertransponiert, und da war eben die große Gefahr, dass sie ihren Reiz verlieren oder ihre authentische Ausdrucksseite verlieren, und ich glaube, das war so einer unserer Ansprüche bei dieser Pop-Zeitschrift, dass wir immer versucht haben das Wesentliche zu erhalten, ob das jetzt ein Rhythmus war oder eine harmonische Folge. Das Wesentliche, die Essenz zu erhalten. #00:34:06-1# I: Ja, trotz der ganzen Reduktion, der Kern muss irgendwie erhalten bleiben. #00:34:11-5# B: Ja, und das hielt ich schon damals für eine unglaublich anspruchsvolle Aufgabe und halte es auch jetzt noch für Kunst das wirklich zu schaffen, da für Schüler etwas rüberzubringen, was sie selber erfassen können, und dabei dennoch die Essenz des Ganzen erleben können. Es geht ja um Erlebnisse. Reflexion kommt ja dann erst an zweiter Stelle. (...) Was habe ich mir denn noch so notiert? (...) Ja. (...) Also, der Adorno hat ja damals, und das habe ich auch in meiner Dissertation festgehalten … der hat schon damals gesagt, "also, in der Pubertät", und das ist ja eine Tatsache, weil die ganze Romantik erfahrbar war, "gibt es einen unglaublich gesteigerten Ausdruckswillen, und dieser Ausdruckswille sucht sich Wege, ob das jetzt Zeichnen ist oder Malen oder Musikmachen" oder Gedichte Schreiben vor allen Dingen auch, ne, Gedichte schreiben, und ich hatte den Eindruck, dass das für meine Generation völlig in Vergessenheit geraten war, weil, der Anspruch der Klassiker, auch der großen Lyrik, der war viel zu hoch. Sich da hinzusetzen, ein eigenes Gedicht zu schreiben, das schien mir also lächerlich oder ein eigenes Musikstück zu machen. Dann hat man sich an Formen gehalten, also, aber das wurde dann spätestens durchbrochen, dieser Anspruch, als dann die Beatles kamen und haben gesagt, wir machen einen Text, I saw you standing there, und ich habe gleich gemerkt, du bist es. Was für ein Erfahrungshintergrund, und der wird einfach ernstgenommen. #00:36:08-2# I: Und man darf das. #00:36:10-2#
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B: Man darf, ja. Die haben es einfach gemacht, ob sie es durften oder nicht. Glaube, da haben andere drüber gelacht erst mal auch. Also, bis es sich durchgesetzt hatte. #00:36:21-0# I: Phil Collins sagt das ähnlich in einem Interview über die Beatles, sagt er das. Die haben einen neuen Raum betreten, und dann hast du gemerkt, das kannst du selber auch. Das funktioniert, man kann das selber auch machen. #00:36:37-6# B: Die haben den Raum geöffnet. #00:36:39-4# I: Ja, die haben den geöffnet, und man kann selber diesen Raum betreten. #00:36:42-0# B: Ja, genau, und die nachfolgende Generation hat es natürlich viel leichter gehabt, denn die Beatles haben wirklich was geschaffen, was anders war als der Blues oder der Soul, der aus Amerika kam damals, den die Rolling Stones ja sehr aufgenommen haben und weitergetrieben. Die haben wirklich eine eigene Form geschaffen, eigene Liedformen. Die haben ja unzählige Liedformen benutzt und da dem ihren eigenen Stempel aufgedrückt, und das fand ich also im Nachhinein … fand ich das ganz toll. #00:37:14-2# I: Ihr habt ja damals mit eurem neuen Ansatz oder vielleicht auch zum Teil neuen Versuchen, weil, das war ja doch immer ein bisschen Ausprobiere … habt ihr, sagen wir mal, Räume eröffnet, in denen die Schüler dann vielleicht … ja, oder sagen wir so, in denen es vielleicht zunächst auch erst mal darum ging, Popmusik zu ermöglichen für Schüler. Das heißt, es ist ja eigentlich immer noch so eine Vermittlungssituation. Man sucht etwas heraus, man sucht den Kern heraus und sagt, das möchten wir gerne vermitteln. Haben die Schüler selber mit dem, was sie da vielleicht mitbringen konnten, über das man vielleicht noch nicht so viel gewusst hat, sich dann selber da einbringen können? Also, inwieweit seid ihr von bereits erworbenen Kompetenzen schon ausgegangen? Hat das schon eine Rolle gespielt? #00:38:09-0# B: Das glaube ich eher weniger. Also, ich kann nur jetzt wieder berichten von Lehrererfahrungen, die uns da ein Feedback gegeben haben, die gesagt haben, das geht, und die Schüler sind begeistert und steigen ein. Die haben die Hörerfahrung mitgebracht, und die Hörerfahrung war ja auch eine körperliche, ne, und das hat sehr viel geholfen, und sie haben gemerkt, das ist unsere Musik, und wir strengen uns auch an dafür, das zu reproduzieren. Also, ich selbst habe ja in der Schule nur ganz rudimentäre Ansätze versucht, weil die Schüler auch damals gesagt oder gespürt haben, was will denn der Lehrer da? Das ist doch eigentlich eine Musik, die hat nichts mit der Schule zu tun. Die Schule ist ein völlig anderes System. Die Schule bewertet, und wenn die Schule jetzt anfängt auch meinen Alltag zu bewerten, dann wird das ganz schiefgehen, und von daher haben die gar keine Frage gestellt in der Richtung. #00:39:06-3# I: Hing das vielleicht auch zusammen mit Ängsten sich zu öffnen oder was von sich preiszugeben? #00:39:11-6# B: Wahrscheinlich, ja. Wahrscheinlich, auf jeden Fall, denn das war ja nun dem Lehrer gegenüber so was zuzugeben, wobei man wusste, der Lehrer ist der Spezialist in Sachen Musik. Das ist der Fachmann. Das kam dann erst in der Oberstufe, dass da so ein Selbstbewusstsein entstanden war mit der ganz eigenen Musik, die ja auch für diese Altersgruppe komponiert und geschrieben war und auch von gleichaltrigen Musikern gespielt war. Da entstand was, ein eigenes Selbstbewusstsein und dann auch eine Nachfrage an den Lehrer, können wir da nicht mal drüber reden. Kennst dich doch aus mit Musik, was ist eigentlich, einfach mal drüber reden. Also, das andere, das war dann schon später, das. #00:39:54-3# I: Also Hörerfahrung, hast du gesagt, davon konnte man ausgehen, dass sie das mitbringen, rhythmische Erfahrung in Sachen Rhythmus? Also, dass man sagen kann, die konnten viel-
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leicht schon Rhythmen klatschen oder mitspielen, die relativ Offbeat-orientiert waren. #00:40:12-8# B: Also, was ich noch erinnere, das ist auch schon lange her, dann mit meinen siebten Klassen in der (Name der Schule) oder achten Klassen. Da habe ich getanzt, hin und wieder, und habe festgestellt, wie (nachahmend) wunderbar die teilweise tanzen konnten. Die konnten schon, haben von ihren älteren Geschwistern … da war ja auch eine kleine [Name]-Tochter mit in der Klasse. (Nachahmend) Die hat getanzt, (lachend) also, da habe ich nur gedacht, was für eine Bewegung, was für ein Ausdruck, was für eine Körperlichkeit. Die Jungs haben sich ein bisschen schwergetan in dem Alter, aber die Mädchen durchweg, die hatten schon tänzerische Erfahrung, und die haben die wohl sehr schnell aufgenommen und haben gemerkt, sie dürfen das in dem Klassenzusammenhang, Stühle beiseite und haben dann da getanzt. Ich weiß nicht mehr, was der Grund war, aber auf jeden Fall erinnere ich noch, dass die wunderbar tanzen konnten und es auch gern gemacht haben. Also, ob ich mit denen Rhythmen … wahrscheinlich habe ich auch Rhythmen mit denen geklatscht, sicherlich. Ja, das war so ein Anfang, Hörerziehung. Ja, ich habe immer gedacht, ich muss doch mit denen, ich will mit denen etwas machen, was ihnen wirklich musikalische Erfahrung bietet jetzt abseits vom Noten lernen. Also, Noten lernen bietet ja keine musikalischen Erfahrungen, musikbezogene Erfahrung und habe dann manchmal so Hördiktate nach Venus gemacht. Ich weiß nicht, ob du Dankmar Venus kennst … der hat da so ein Buch geschrieben, und da waren auch so kleine Übungen, dass man einfach bestimmte Rhythmen spielte und dann mit dem zweiten Takt entweder eine Veränderung oder nicht. Dann mussten die Schüler hinschreiben, verändert, V oder G, gleich, und so habe ich mit denen immer mal am Anfang der Stunde so kleine Hörübungen gemacht: Rhythmus, Tonlängen, Tonhöhen, Intervalle und so was. Das war schon eine erste Berührung mit Musik, die tiefer ging als nur hören. Das fand ich schon sehr wertvoll. #00:42:10-8# I: Also, ich habe ja jetzt … oder mitunter kann man jetzt auch, sagen wir mal, heute in der Schule die Erfahrung machen, dass es Leute gibt, die schon richtig gut singen können zum Beispiel. Also, da gibt es Sängerinnen, die kommen in die Schule, und #00:42:23-7# B: Ist unglaublich, ja. #00:42:24-5# I: die singen unglaublich, aber das war alles noch kein Thema. #00:42:27-6# B: Das gab es nicht, nee. Nee, das gab es überhaupt nicht, Karaoke oder so. #00:42:30-9# I: Für euch also insofern noch gar nicht so ein fester Bestandteil der Konzeption, dass man sagt, ah, wir können das aufnehmen, wir können das aufnehmen, #00:42:37-1# B: Vielleicht hätten die einen Schlager singen können so. Aber pf, da habe ich mir gedacht, warum sollen sie denn Schlager reproduzieren, das ist ja … also, wir selbst wussten nicht, was es bedeutet einen Schlager zu spielen. Das ist ja nur ein Schlager, ist minderwertig, auch in meinen Augen. Ich habe das ja später schätzen gelernt, ne? Damals habe ich gedacht, was ist das für eine Musik. (lacht) #00:43:00-8# I: Ja, warst du vielleicht auch sehr Adorno-geprägt dann, oder? #00:43:03-2# B: War ich schon, aber auch immer mit einer Skepsis einmal gegenüber seiner Sprache, die ja nun wirklich sehr schwer verständlich war, und ich dachte, muss das sein und dann eben auch gegenüber dem hohen Anspruch, den er transportiert hat, denn er hat sich ja auch nur mit bestimmten Komponisten befasst und hat dabei auch andere Komponisten, die mir sehr wertvoll waren, diffamiert. Also, er hat Grieg zum Beispiel sehr geringgeschätzt oder Tschaikowski oder so was und hat dafür eben sich nur bezogen auf Beethoven, Mahler, dann die neue Wiener Schule, #00:43:38-6# I: Neue. #00:43:38-9#
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B: Schönberg, Webern und so, und Schönberg, Webern … Schönberg hat natürlich auch hochromantische Stücke geschrieben. Das fand ich dann noch sehr versöhnlich. Aber ab Opus 16 fing es dann an mit "Farben" usw. Dann haben wir was versucht auch im Austausch mit Kollegen. Mit Fred Ritzel habe ich dann öfter mal drüber gesprochen: (Nachahmend) Was kann man daraus machen? Große Hilflosigkeit! Oder Webern, oder ich weiß noch, Stockhausen, Gesang der Jünglinge im Feuerofen. Ja, das war eine furchtbare Musik von der Ästhetik der Schüler her gesehen oder auch meiner, aber sie hat angeregt darüber zu reden und zu schimpfen. Warum denn nicht dazu mal sagen, ich finde das "scheiße"? Was der da macht, das ist ja unmöglich. Das ist doch keine Musik mehr. Dann kommt man darauf zu fragen, was ist eigentlich Musik, wer behauptet denn, das sei Musik und das sei keine. Wer setzt denn die Normen? Und da wurden wir dann auch wach, oder ich auch und habe gesagt, na ja, wenn das so ist, dass eigentlich alles Musik sein kann, dann können wir doch auch unsere Popmusik machen, oder wir können einen Rhythmus rausnehmen aus einem Popstück und können daraus was machen in der Schule, oder einen Refrain rausnehmen und so weiter. Das war für mich dann auch eine Rechtfertigung. #00:45:02-6# I: Ja. Na ja, und es sind ja alle auch heute noch in der Diskussion oder in Beiträgen, wenn Leute etwas schreiben auch über Popmusik, die haben immer noch Adorno drin, obwohl eigentlich ja das seinen Ansatz die Popmusik ja ziemlich weit unten gesehen hat. Ich glaube, die Problematik einfach bestand darin, und das muss man ja auch erst lernen und schätzen lernen, dass er die kreativen Nischen völlig unterschätzt hat und dieses kreative Potenzial auch für die Kunst als Musik, Musik als Kunst. #00:45:42-0# B: Mhm (bejahend). Wenn er John Lennon später noch erfahren hätte, dann, glaube ich, hätte der seine Meinung noch geändert oder diesen ganzen Prozess, den der durchgemacht hat. Wann ist der John Lennon gestorben? #00:45:53-9# I: John Lennon? 1980 würde ich sagen. #00:45:57-6# B: Ja, gucke, und der Adorno 69 schon, glaube ich. #00:45:59-3# I: 69? #00:46:00-5# B: Ja, ja, insofern der hat das nicht mehr erlebt. #00:46:02-1# I: Der hat die Chance nicht mehr gehabt das zu erfahren, was für ein Potenzial in Jimi Hendrix, in John Lennon und in vielem anderem gesteckt hat. Ich meine, okay, Punk hätte er sicherlich nicht verstanden, aber das ist mir schon schwergefallen. #00:46:17-3# B: Nicht verstehen wollen, aber als Ausdruck, als sozialen Ausdruck hätte er es schon auch verstanden, aber er ist in einer ganz anderen Welt großgeworden, und er hatte da seine Anhänger, und Adorno war auch irgendwie jetzt mal unter uns auch ein sehr unsicherer Mensch und sehr eitel und musste sich seinen Platz auch suchen, und mit seiner hochgestochenen Ästhetik hat er sich auch viele Feinde gemacht. Also, er hatte es nicht einfach, um es mal so zu sagen. Ja, und der Schweppenhäuser ist ja inzwischen auch gestorben. #00:46:54-7# I: Der ist vor Kurzem gestorben, ne? (...) Also, um das dann so ein bisschen auf den Punkt zu kriegen. Die eigene Erfahrung bei dir hat eine ganz große Rolle gespielt. #00:47:13-4# B: Ganz große Rolle, ja. #00:47:14-7# I: Also, jetzt nicht so sehr irgendwie, wie man das vielleicht mit Abstand sehen könnte, dass man sagt, na ja, die Didaktik oder der … Ich nenne das jetzt mal gar nicht Didaktik der Pop-Musik, sondern sagen wir mal neue Versuche, was zu machen, haben jetzt wirklich damit zu tun gehabt eigene Erfahrungen auch umzusetzen, musikdidaktisch umzusetzen, in ein System zu bringen, gar nicht so sehr mit, sagen wir mal, weltanschaulichen
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Überlegungen oder was auch immer. Ich meine, Dieter bringt das mal ein bisschen ins Spiel. #00:47:43-1# B: Die kam sehr schnell dazu. Guck mal, wir haben ja dann als Erstes veröffentlicht, Dieter und ich zusammen, "We Don't Need No Education". Ist im Moment auch wieder irgendwo in den Charts zu hören als Techno-Version, und das war ja ein Rundumschlag: "We Don't Need No Education!" Und das dann mit dieser Musik wunderbar, gemacht und dann als Ausschnitt aus "The Wall", war das ein Stück, ne? Aus dem "The Wall", also, das war ja nun ein Konzeptalbum, was ja versucht hat, die Entwicklung eines Menschen in unserer Gesellschaft zu beschreiben, und das sehr ernsthaft und, wie ich meine, sehr genau beobachtet. Was da geschieht mit Menschen bis heute, ne, dass sensible Menschen eigentlich immer mehr eine Mauer um sich herum aufbauen, und von daher gerade Sensible oder Musiker es sehr schwer haben in dieser Gesellschaft, die ja (lacht) von ganz anderen Werten dominiert wird: Geld verdienen und so weiter. Und das hat sich ja jetzt in einer Weise entwickelt, dass ich sagen würde, das implodiert demnächst. Das kann nicht so weitergehen. Und die Musik, und wenn du jetzt noch "Hair" nimmst, war immer, schon immer um Jahrzehnte voraus. Ganz sensibel wahrnehmend: da ist eine Veränderung im Gange, da ist etwas, eine große Veränderung, Veränderung des Ganzen im Gange. Das haben die Musiker gespürt, sehr früh und sind daraufhin eingestiegen auf ihre Weise. Und gerade dieses HairMusical! Ja, wie kommen die darauf so'n "Wassermannzeitalter", all diese Geschichten zu thematisieren, ohne dass sie Angst gehabt hätten, ausgelacht zu werden, und die wurden gefeiert, das wurde gefeiert. Das war völlig verrückt. #00:49:49-1# I: Ja, ich versuche das einzuordnen. Das war ja auch wirklich ein ausgesprochen gutes Hippie-Musical, und das hat ja eigentlich auch schon eine lang zurückliegende Tradition, also, dieses, sagen wir mal … dieses Sichselbstfinden, auch als eine Möglichkeit eine Strategie gegen eine Gesellschaft zu entwickeln, die sich ausrichtet an bestimmten negativen Aspekten bzw. Kriterien. #00:50:21-4# B: Ja, aber da musst du überlegen, das war eine völlig neue Geschichte, Gegenkultur wurde es ja damals genannt, ne? #00:50:26-1# I: Ja, Gegenkultur, ja, aber die geht ja schon, wenn man da weiter zurückguckt, Jack Kerouac in den Fünfzigerjahren. Ist ja schon auch (unv.) #00:50:32-7# B: Ja, gut, aber das waren Einzelgänger, die dann ausgestiegen sind, würde man heute sagen, Aussteiger. Die gab es ja eigentlich immer. Die gab es auch in früheren Jahrhunderten. Man hat vieles vergessen. Also, die würde ich jetzt bezeichnen als Menschen, die andere Realitätserfahrung gemacht haben, Mystiker. Und diese Leute wie Kerouac haben eben ihre Mystik auf einer anderen Ebene gesucht. Die sind ausgestiegen aus der Gesellschaft, sind in den Wald gegangen oder sind auf die Straße gegangen und haben geguckt, was gibt es denn noch außerhalb des Mainstreams. Und damit haben sie Neues entdeckt, neues Altes. Also, Altes, sagen wir mal, alte Weisheiten, die in der Menschheit schon immer eine Rolle gespielt haben, wiederentdeckt als Maßstäbe für das Leben. Das war schon in den Fünfzigern, aber in den Fünfzigern haben wir davon nichts erfahren hier in Deutschland, nichts! #00:51:31-2# I: Nein. #00:51:31-6# B: Nichts davon gewusst, und das kam dann erst mit der Folk-Bewegung mit diesen Liedern, und die waren ja nun wirklich sehr stark. Dass die gesungen haben von "The Times" … Ah, ja, das ist Bob Dylan, „The Times They Are A-Changin‘“ oder so ähnlich. #00:51:46-8# I: "Times Are Changing" oder? #00:51:47-5#
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B: Ja, oder dann auch … #00:51:50-6# I: "Universal Soldier". #00:51:52-7# B: Ja, tolle Lieder. Das war völlig neu, und das war insofern ein neuer Zeitgeist. Neuer Zeitgeist, der auf eine Resonanz stieß, die in vielen irgendwo geschlummert hat, auch in mir. Ich war begeistert das zu hören, dass die da so vorangehen, solche Texte machen und die in relativ einfacher Form rüberbringen. Die konnten singen, die haben ihren Singausdruck entwickelt, das ging rein. Das hat dich berührt, ne? Das war toll. Es war wieder anders als Soul-Gesang. Es war ja mehr so geprägt von der Romantik, der deutschen Romantik auch, ne, so diese Art zu singen, und das hängt mir ja immer noch nach. (lacht) #00:52:44-7# I: Ich kann mich gut erinnern. Da war ich dann vielleicht … 65, 66 rum, da war ich zehn, elf. Das hat mich angesprochen, extrem berührt. Da habe ich mich nicht für Musikkommerz interessiert. Der Song hat mich berührt, die Stimme. #00:52:56-0# B: Ja, genau, und das ist ja etwas, was viel weitergeht, und da finde ich auch, und das möchte ich gern nochmal betonen, dass da ein völlig neuer Stimmausdruck entstanden ist. Vorher war da Belcanto, war das der Gesangsstil, Belcanto, und man musste Belcanto singen lernen, sonst galt man nichts auf dem Markt. Auch die Schlagersänger konnten wunderbar Belcanto singen, und der Jazz hat etwas Neues reingebracht und der Soul, aber dann eben die Pop-Sänger. Die haben ihre Stimme so, wie sie war, angenommen und haben daraus was gemacht, konnten teilweise unglaublich hoch singen, und das war natürlich schon bewundernswert, und da entstand ein neues Stimmideal. Das kann man nicht hoch genug einschätzen, was da in der Richtung entstanden ist. Man konnte die Gitarre nehmen und konnte auf seine Weise singen, und es wurde akzeptiert. Ganz toll. #00:53:52-3# I: Ich habe das sehr oft im Studio gehabt, so um Diskussionen darum, und wenn etwas nicht klappte und es darum ging, vielleicht um die Frage, ob jemand nicht gut singen kann. Ich habe immer meine Überzeugung vertreten, jeder kann singen, man muss nur seinen Stil finden und muss das auf den Punkt bringen. Lou Reed ist jemand, der nicht singen kann, in Anführungsstrichen, und er ist ein herausragender Künstler gewesen, er hat Aussagen getroffen, hat das genau mit #00:54:19-9# B: Ja, ja, ja, da gibt es einige. #00:54:20-1# I: seiner Stimme gemacht. #00:54:20-8# B: Ja, oder jetzt dieser Neue, der dann sich geweigert hat, was da jetzt im Fernsehen alles gezeigt wird an Stimmtypen, an fertigen Stimmen, an ausdrucksstarken Stimmen … es ist unglaublich, dieser Soul-Sänger, ne, dieser, der dann sich geweigert hat und das/ #00:54:38-3# I: Der zurückgezogen hat für den Eurovision Song Contest, ja. #00:54:41-6# B: Finde ich unglaublich stark, weil der noch etwas will von Musik. Der will nicht nur das Geschäft. #00:54:48-1# I: Ich habe ja auch mich mit dieser Thematik befasst, weil, mich interessiert die Sprache Pop. Das ist so ein Punkt. Ich finde, in der wissenschaftlichen Diskussion wird das alles viel zu oberflächlich behandelt, ne? Da gibt es so als einfache Form, einfache Akkorde und so. Das sind immer diese stereotypen Aussagen. Ich finde, dass sie überhaupt nicht stimmen. Deswegen habe ich ja auch teilweise Diskussionen mit Profimusikern geführt, die viel tiefer reingehen und sagen, es interessiert sie alles gar nicht, und wenn der Gitarrist anfängt zu reden von einem einfachen Pattern, dann sagt der, ja, man muss anfangen die Texturen zu hören und nachzuspielen, die verschiedenen Ebenen, die in so einem einfachen
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Picking drin sind. Das geht ganz tief. Jetzt habe ich vergessen, worauf was ich hinauswollte. #00:55:35-2# B: Na ja, die Qualität dieser Musik, die. #00:55:38-0# I: Genau, die Qualität ist sehr hoch und/ #00:55:40-5# B: Weil du gesagt hast, der kann nicht singen, ne? Davon also kam das auf. #00:55:44-7# I: Ja, genau, da kann jeder reingehen und etwas entwickeln. #00:55:47-7# B: Und er kann auf einer Anfangsstufe schon reingehen, und er kann es aber weiter entfalten, und wer nicht genau hinhört, erkennt nicht die #00:55:56-4# I: Nein, der hört das nicht. #00:55:56-8# B: Qualität, die Tiefe der Ausdrucksformen. Was heute in Studios gemacht wird, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar für einen, der mal eine Gitarre in die Hand nimmt oder sich ans Klavier setzt. Das ist so komplex, so komplex, auch abgestimmt auf das, was da ausgedrückt werden soll, und da noch zu gucken, was ist das richtige Klavier-Pattern dann für diesen Song, das ist eine kompositorische Aufgabe. Das geht sehr viel weiter. Das ist alles gar nicht so einfach. #00:56:26-7# I: Popmusik ist ein sehr, sehr kompliziertes System, was auch sprachlich schwer zu vermitteln ist, wenn nicht sogar gar nicht. Ich habe auch mit Leuten diskutiert über Grooves, wie kann man Groove definieren, oder wie sagst du einem, spiele mal so wie Jim Keltner, weil das so ein herausragender Schlagzeuger auch ist und (nachahmend) ja, das kann ich nicht. Man muss die Referenz haben, man muss das erst mal gehört haben. Man muss einigermaßen auch nachvollziehen können, was da an Komplexität vorhanden ist. #00:57:00-2# B: Man muss auch Technik eben, man muss Technik üben. #00:57:01-5# I: Technik gehört dazu. #00:57:02-2# B: Ja, ja, auf jeden Fall. #00:57:02-6# I: Auf alle Fälle, aber es ist eben mehr als etwas, was man genau beschreiben kann. Kannst nicht sagen, der schlägt auf der Zwei oder schlägt ein bisschen später. Das trifft es alles nicht. #00:57:12-4# B: Also, ich staune ja immer mehr auch so über den Jazz-Bereich. Da könnte man ja auch meinen, na ja, gut, die spielen dann Klavier, und dann haben sie eben bestimmte Standards und bestimmte Formen. Das Jazz-Klavier ist so unglaublich vielfältig geworden. Da musst du Latin spielen können, und dieser Bereich ist ja schon unglaublich vielfältig über Kuba bis Südamerika. Da musst du über, sagen wir mal … Keith-Jarrett-artig über Ostinati spielen können, ganz eigener Bereich. Über'n Ostinato improvisieren, über eine Harmoniefolge improvisieren. Ja, du liebe Zeit, das ist schwer, (lachend) ne, das interessant zu machen. #00:57:53-9# I: Das ist schwer, ja. #00:57:54-3# B: Dann musst du Standards kennen. Dann musst du wissen, wie wird im neuen Jazz … wie wird jetzt Jazz gespielt, und was da alles eingegangen ist. Also, das waren jetzt vier. Da gibt es bestimmt 20 weitere Beispiele, die du studiert haben musst, um sagen zu können, ich kenne ein bisschen was von Jazzmusik und dann daraus deinen eigenen Stil entwickeln. Also, und so ist das in der Popmusik genau so, denn die Lehrer, die jetzt in der Popmusik wirksam sind, also tätig sind, das sind ja unglaublich anspruchsvolle Menschen. Die haben eine unglaubliche Erfahrung, und die vermitteln das auch entsprechend, und dennoch ist es so toll, dass Schüler sich hinsetzen, sagen, ich will aber jetzt anfangen, ich mache jetzt meinen eigenen Song. Ich habe eine Band gegründet, und das kann man dann als Lehrer nur unterstützen, ja? Das ist doch erstaunlich, dass die das machen bei diesem hohen Anspruch, den sich ja auch irgendwo mitkriegen. #00:58:52-0#
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I: Erstaunlich finde ich, wenn man ja, sagen wir mal, auch davon ausgehen kann, dass der Markt schon ziemlich abgegrast ist, es hat schon alles gegeben bis zur Perfektion, ne, dass junge Menschen immer wieder sagen, ich will das lernen, das will ich machen. Das spricht mich an, das fasziniert mich. Die lassen sich nicht abschrecken. #00:59:13-6# B: Ist toll. #00:59:14-6# I: Das interessiert sie überhaupt nicht, ob das schon alles besetzt ist oder so, um zu sagen, das ist mein Platz. #00:59:19-9# B: Weißt du, das hat mich auch bewegt, als ich dann gesagt habe, ich ziehe mich aus der Musikpädagogik zurück, weil ich nicht der Meinung bin, dass schon alles gesagt ist. Weil ich der Meinung bin, diejenigen, die nachkommen, müssen das Recht, haben das Rad nochmal neu zu erfinden, auf ihre Weise, mit ihrer Erfahrung, zu sagen: Das habe ich jetzt entdeckt! Und das ist dann ihres. Und wenn ich dann sage, ja, das haben wir damals auch entdeckt, das spielt überhaupt keine Rolle. Sie müssen selbst eine Erfahrung gemacht haben, also, wirklich eine intensive Erfahrung und daraus dann vielleicht was ableiten, eine Erkenntnis ableiten. Warum sollen die nicht das für sich neu entwickeln dürfen oder neu erfinden dürfen, auch wenn es ein alter Hut ist? Das ist ihr Recht, und da müssen wir Alten aufpassen, dass wir nicht sagen … #01:00:09-2# I: Das ist falsch. #01:00:10-9# B: Ja, oder das ist ja eine alte Geschichte. #01:00:13-7# I: Oder es ist eine alte Geschichte, ja. #01:00:15-2# B: (...) Freiräume schaffen, einfach nur Freiräume schaffen für Kreativität, darum geht es eigentlich. #01:00:23-5# I: Das wäre möglicherweise die große Herausforderung für Musikunterricht in der Zukunft. Also, Unterricht so zu konzipieren, dass Schüler in diese Räume hineingehen können, also, als Grundprinzip, nicht als Methodenteilbereich, sondern als Grundprinzip, dass man sagt, ich kann euch eigentlich nichts sagen, ich kann euch nur helfen, wenn ihr nicht weiterkommt, oder wenn ihr Fragen habt, aber egal welche Musik, also auch nicht nur Popmusik, sondern alles, was ist, ihr geht da rein, und ich gebe euch was an die Hand. Ist die Frage, ob für die Zukunft, weil das ja ein freiwilliger Bereich ist, da Musikunterricht noch gut eine Chance hätte. #01:01:14-9# B: Ich glaube, ja. Nicht in der Form, dass er benotet wird, und dass er zum Schulfach degradiert wird und einstündig in der Woche und so was. Das ist alles hinderlich. Das ist ganz furchtbar. #01:01:27-3# I: Das ist auch überholt würde ich sagen. Das hat keine Chance. #01:01:30-0# B: Nee, und deswegen denke ich mal, guck mal, es werden da nicht alle Musik machen wollen, müssen doch auch nicht, #01:01:38-5# I: Müssen gar nicht. #01:01:39-1# B: aber die, die es machen, machen es mit einer Intensität, dass das wieder eine Ausstrahlung hat auf die gesamte Schule, auf die Schülerschaft und wieder dann Bedürfnisse weckt oder Resonanz, Resonanzen weckt in den anderen Schülern, und so wird sich da was entwickeln. Aber du musst denen die Freiheit geben ihr Eigenes zu machen, wodurch sie sich selbst wiedererkennen, was ein Teil von ihnen ist. Also, das ist schon eine Möglichkeit. Ich denke mal, meinst du, die machen freiwillig weiter Mathematik oder Latein, oder welches #01:02:15-7# I: (unv.) #01:02:16-0# B: Fach hätte dann überhaupt eine Chance? Also, insofern stehen wir gut da mit unserer künstlerischen Tätigkeit, denke ich mal. #01:02:21-8#
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I: Sehr gut. Also, glaube, weiß nicht. Du hast es doch irgendwann mal geschrieben. Du hast gesagt, Musik funktioniert völlig ohne Musikpädagogik, und das ist im Prinzip … #01:02:32-8# B: Ich weiß nicht, ob ich das so radikal beschrieben habe. #01:02:34-5# I: Ja, vielleicht habe ich es ein bisschen radikal runtergebrochen, aber #01:02:37-0# B: (lacht) #01:02:38-1# I: im Prinzip ist das so eine (lachend) Kernaussage gewesen, ich glaube mal im AFSMagazin 96 oder so, "Welchen Musikunterricht brauchen wir heute?" #01:02:45-0# B: Ja, ja, da habe ich mal ziemlich versucht das ganz … #01:02:46-6# I: Ja, aber insgesamt doch, finde ich schon gute Fragen gestellt und auch Dinge auf den Punkt gebracht, über die man heute noch wunderbar diskutieren kann. #01:02:58-5# B: Ja, weil man sie immer wieder auf neue Herausforderungen beziehen kann oder auf neue Schülergenerationen, und die Welt verändert sich ja eben im Augenblick in einem Maße, das ist unglaublich. Also, wir merken es kaum, weil wir derartig manipuliert sind, was so im Fernsehen und was mit dieser neuen Generation da heranwächst, die ständig am Tasten und am Wischen sind oder am Computer sitzen. Also, mein Neffe, der schreibt, der hat jetzt seinen Hang entdeckt zu schreiben, aber was er da schreibt inhaltlich, das sind brutalste Science-Fiction-Kurzgeschichten. Also, unglaublich, und da kommt etwas zusammen, der Ausdruckswille selbst eine Form zu finden, sich auszudrücken, zu schreiben, aber die Inhalte, die da eingehen, sind so was von vermittelt, manipulativ vermittelt, würde ich mal sagen durch die Medien, die ja präsent sind bis zum Gehtnichtmehr, sodass er erst mal gar nicht auf eine andere Idee kommt. Er muss sich wahrscheinlich da durcharbeiten, um irgendwann zu entdecken, meine Güte, diese Brutalität ist ja gar nicht meins. Ich weiß es auch nicht. #01:04:19-8# I: Ja, ist schwierig. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen kann. #01:04:24-2# B: Nee, es gibt kein Rezept. #01:04:25-3# I: Ich kann es schwer einschätzen. Man kann natürlich immer sagen, ja Katharsis ist schon wichtig, aber trotzdem denke ich manchmal, dass die Manipulation durch Medien schon so stark ist, dass man so sich … weil, man fragt sich natürlich, warum denkt man sich in so eine negative Welt hinein? Welche Funktion hat das, warum ist das wichtig? Welche Bedeutung hat das? Die kann ich nicht so ganz nachvollziehen. #01:04:48-7# B: Also, ich finde, Albträume sind immer was Schreckliches, auch heute noch in meinem Alter, und schöne Träume sind immer was Schönes. Da wacht man morgens auf und geht begeistert in den Tag. Nach Albträumen fühlt man sich gar nicht so stark, und das, was im Fernsehen oftmals geschieht, führt zu Albträumen. Wenn man das jeden Tag ansieht, irgendeinen Krimi, also, ich kann mir es nicht mehr vorstellen. Ich kann mir nur vorstellen, dass viele Menschen durch das ständige Rezipieren abgestumpft sind, aber das wollen wir ja auch wieder nicht. Die schauen gar nicht mehr richtig hin. Die Form ist bekannt, Anfang ein Toter, es wird aufgeklärt, und dabei sterben vielleicht noch paar. Das braucht uns nicht mehr zu interessieren, aber dass das Leben oder das Tötungstabu damit immer mehr aufgehoben wird, das ist eine andere Seite. Einen Menschen umzubringen, das ist ein Kavaliersdelikt. Ich schlage dich tot, wenn du jetzt nicht still bist, und das geschieht dann auch. Das Gute finde ich, dass dann ein Aufschrei durch die Bevölkerung geht. Als diese Frau da, diese junge Frau erschlagen wurde von einem, die hat sich doch da eingemischt in einen Streit und … #01:06:09-5# I: Mhm (bejahend). Ich weiß, ja, der Prozess hat jetzt irgendwie begonnen, ja. #01:06:116#
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B: Ja, und dem tut das ja offenbar auch wirklich leid, was er da gemacht hat. Aber die sind so in einer ganz anderen Emotionalität drin. Also, wenn dann noch so ein bisschen Aggressivität dazukommt, Jähzorn und so was. Also, die Gefühle sind überhaupt nicht beherrschbar bei vielen Jugendlichen. Das ist auch Training. Ja, jetzt fangen wir an #01:06:37-3# I: Volker. #01:06:37-3# B: schon über anderes zu reden. Das ist ja … #01:06:39-0# I: Jetzt gibt es irgendeinen Punkt, über den wir uns ärgern würden, wenn wir den jetzt nicht noch … #01:06:43-9# B: (lachend) Ja, das sagst du so. Das weiß man immer erst #01:06:46-7# I: aufgreifen (unv.) #01:06:46-8# B: hinterher. Kannst ja nochmal nachfragen dann. #01:06:49-3# I: Also, ich habe das Gefühl, wir haben viele wichtige Punkte besprochen, oder du hast über viele wichtige Dinge (unv.) #01:06:58-2# B: Ja, ob es was Neues war, das bezweifle ich, aber hm. #01:07:00-2# I: Ja, ich fand das schon sehr interessant, wie du berichtet hast über die Entwicklung. Also, dieses sich Garnichtsosichersein, so nicht gleich den großen Masterplan im Kopf haben, sagen, so machen wir das, das ist klar, und das ist gesellschaftlich auch notwendig, und das muss so sein und dies und das, sondern einfach aus einer Erfahrung und einem Gefühl heraus zu sagen, weil, es muss eigentlich was passieren, und dann weiß man vielleicht noch nicht so hundertprozentig, was das sein könnte und fängt mal an mit Dingen, von denen man meint, das wird schon richtig so sein. #01:07:43-9# B: Also, vielleicht kann man noch sagen, es ist vielleicht in mir auch so was angelegt wie die Unterstützung derjenigen, die mir als hilfsbedürftig erscheinen. Wenn eine Klasse vor mir sitzt, hast du ja sehr schnell raus, wer sehr selbstbewusst, sehr stark ist und so, deine Alphatiere kennst du ganz schnell, und dann gibt es so Stille, oder es gibt wirklich welche, die sich sehr schwertun mit dem Lehrstoff usw. Und mein Herz hat immer geschlagen für die Stillen und für die Schwachen. Die anderen sind ihren Weg gegangen durch das System Schule, und das war schon immer für mich ein Punkt zu gucken, was geschieht. Die Schüler mit ihrer Popmusik waren in dem Fall in der klassischen Schule eher die Verlierer. Die wurden nicht anerkannt, und das schon allein war für mich auch ein Grund zu gucken, ja, Moment, die haben doch auch ihr Recht. (...) Weil ich das so auch durchlebt habe. Wir haben ja irgendein … also, ich habe das jetzt schon berichtet. Aber es kam dann noch dazu, dass man plötzlich AFN [American Force Network] gehört hat. AFN hat damals in den Fünfzigerjahren begonnen in der Mittagszeit eine Stunde oder zwei Stunden die neuesten Hits der amerikanischen Swing-Musik oder was auch immer zu spielen. Wir waren total begeistert. Wir haben jeden Tag AFN gehört. Also, mit so kleinen Lautsprechern musst dir vorstellen, ne, und waren … Also, was ist das, was einen da fasziniert hat? #01:09:14-4# I: Ja. Magie. #01:09:17-2# B: Ja, und genauso #01:09:18-6# I: (lacht) #01:09:18-6# B: Musik hat eine Magie, und deswegen dachte ich, wenn die Schüler das mögen, dann hat das für sie eine Magie, und das muss ich ernstnehmen, und Dieter hat das auch ganz ernstgenommen. #01:09:27-2# I: Ja, also, es ist bei mir auf … Ich habe das ja schon ein paarmal angesprochen, auch eine parallele Erfahrung. Man hatte nachts gesessen mit seinem Röhrenradio auch Ende der Sechziger noch, Anfang der Siebziger, und man war ganz weit vorne, wenn man auf BBC oder Radio Luxemburg, #01:09:48-7#
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B: Ja, es war hier der Britische, ja. #01:09:48-8# I: Radio Luxemburg … gab es dann den neuen Hit von Blue Cheer oder "Venus", ja, wie hießen die … und so weiter, und das war magisch, und dann hat man gesagt und dann morgens in der Schule, hast du heute Nacht das Stück gehört von #01:10:04-7# B: (lacht) #01:10:04-9# I: Shocking Blue? #01:10:06-0# B: (lacht) (lachend) Venus, ja. (lacht) #01:10:09-7# I: (Nachahmend) Ja, das habe ich gehört, und es war #01:10:12-5# B: Und schon fühlte man sich auch gestärkt und verbunden #01:10:13-5# I: super. Ja, was hat man damals gesagt? Weiß ich nicht. "Super" hat man nicht gesagt. #01:10:18-1# B: Das war … Wie haben die Berliner damals gesagt? Ich weiß auch nicht mehr. Meine Vettern aus Berlin haben dann immer so neue Begriffe mitgebracht. #01:10:30-5# I: Ja, knorke, weiß ich nicht genau. #01:10:32-2# B: (lachend) Ja, knorke war toll. #01:10:33-6# I: Irgendwie so was. #01:10:33-2# B: (lacht) Ja. #01:10:36-2# I: Sind wir durch? #01:10:42-2# B: (...) Ja, ich glaube, wir haben das Wesentliche angesprochen, aber ich erfahre es halt immer wieder auch und habe es auch … Also, die neue Schulmusikergeneration … na, sagen wir so, die Erfahrung in Würzburg war dann natürlich erst mal – das ist kein Lüneburg. Das sind klassisch orientierte Studenten, die dürfen nicht sagen, dass sie auch E-Bass spielen können. Das kam dann mit der Zeit raus, weil ich mich natürlich dafür starkgemacht habe, und dann kam das immer mehr zum Vorschein, und sie haben dann auch mal ihre Instrumente mitgebracht. Das wurde dann auch bei so Klasse-Abenden, oder wie man es nennt, wie wir das hier auch gemacht haben, mal gezeigt, dass man ein guter E-Bassist sind. Die (lachend) waren dann auch meist auf einem Niveau, (lachend) die waren dann perfekt schon auf dem Bass, ne, oder Gitarristen. Das waren dann aber meist nicht die Gymnasiallehrer-Studenten, die gut Gitarre spielen konnten, sondern die, die ein Realschul-Lehrerstudium gemacht haben oder so was, oder'n paar wenige HauptschullehrerStudenten, die hatten wir auch. Und da bin ich zu einem gegangen, habe mir auch mal so Sachen auf der Gitarre zeigen lassen und bin dann nochmal in die Gitarre eingestiegen, so, ja, in den Neunzigern, zweite Hälfte Neunziger und habe mir so zeigen lassen: Wie spielt man eigentlich "Summertime"? Wie spielen das die Gitarristen? Dann hat er mir gesagt, "das ist relativ einfach zu machen“ oder wie heißt das, "Dust in the Wind" oder so, dieses Picking. Da habe ich auch wieder nur gestaunt, habe mir gesagt, guck mal, da gibt es eine Tradition, einer sagt es dem anderen weiter, und die wissen alle, die haben geguckt, was der andere spielt. Er hat eine neue Picking-Form gefunden. Kennen gleich alle. Oder einer hat eine neue Begleitform gefunden für einen bestimmten Standard, kennen alle. Alle, die involviert sind, sagen sich das weiter, und das ist allein schon so wertvoll, weil da ja ein Lernen stattfindet außerhalb des etablierten Lernens, (...) und ich habe mich ja dann auch sehr mit Lernen befasst, mit dem, was ist überhaupt Lernen, wie findet Lernen statt und habe dann den Holzkamp gelesen. Das war ja ein materialistischer Denker, aber was der gesagt hat, stimmt für mich bis heute. Das gesamte schulische Lernen ist zwangsverordnet, ist ein verordnetes Lernen, und Lernen findet statt, das sieht man bei kleinen Kindern, im Alltag mit … Er sagt, es ist ein Mitlernen. Die sehen das beim Erwachsenen. Sie machen es so lange nach, bis sie es können. Dann haben sie es gelernt, oder es ist eben dann später
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dann ein Lernen aus eigener Motivation, aus einem Bewusstsein, ich will da was erfahren drüber, und dann findet Lernen statt, was trägt. Darauf können wir bauen in unserem Fach. #01:13:37-5# I: Na ja, du bringst mich jetzt auf die Frage, ich meine, weil du das Thema angeschnitten hast, du hast ja weite Teile der Diskussion mitgeprägt. Also, auch als AFS-Vorsitzender hast du ja deinen Einfluss immer gehabt. Wie siehst du, sagen wir mal, Entwicklungen der letzten Jahre? Siehst du das eher positiv, du sagst, ja, es entwickelt sich alles weiter, oder sagst du, oh, ich weiß nicht, ich sehe hier und da die Tendenz rückfällig zu werden, in alte Strukturen zurückzufallen? Also, eher positiv optimistisch oder weißt du es nicht? #01:14:14-3# B: Ich kann es ganz schwer einschätzen. Ich kann es schwer einschätzen, weil ich denen, die jetzt nachwachsen, auch immer das Recht zugestehe, selbst damit umzugehen auf ihrer Reise, wie auch immer es auch wieder zu verwerfen. Alle, die nachwachsen, wollen was Neues entwickeln. Das ist ihr gutes Recht, und wenn du was entwickelt hast, bist du stolz darauf, und das ist dein Kind, und du trittst dafür ein und weißt, warum du es machst, weil du es reflektiert hast und so. Und insofern sehe ich das als gutes Recht, ausgetretene Pfade immer wieder zu verlassen und auch etwas mal wieder zurückzudrehen, ein Rad um wieder was Neues dabei zu entdecken. Insofern habe ich überhaupt keine Bedenken. Dieter hat so Angst um die alten Formen, und manchmal äußert sich das so: "Wir müssen da was tun, der gute AFS geht unter." Es entsteht etwas Neues! Die Menschen, die da jetzt mit drin sind, die haben ihre eigenen Ideen. Die werden die auch durchsetzen, wenn sie sich zusammentun – bitte. Also, ich bin auch nicht in der Lage das zu bewerten, habe auch nicht versucht jetzt zu gucken, was geschieht denn da noch. Also, ich weiß, dass du das auf deine Weise wunderbar machst in der Zeitschrift [Praxis des Musikunterrichts], dass das weitergetragen wird von Menschen wie Kurt Rohrbach oder hier [Wohnort] vom Verlag. Aber diejenigen, die da jetzt weitermachen, brauchen vielleicht wie Dieter und ich dieses Erlebnis, was in Gang gesetzt zu haben. Das ist das Schönste, was passieren kann. Das ist ein Glückserlebnis, und das muss jeder sich/ (lachend) Ja, oder sucht eigentlich jeder, und ich gestehe das jedem zu, und wenn er dabei das Ganze, was war, verwirft und sagt, ich mache was Neues und dann beim Punkt null wieder ansetzt, den wir damals als Punkt null bezeichnet hätten, warum nicht. Also, so sehe ich das im Augenblick. Es ist immer wieder eine ganz persönliche Entwicklung, die da stattfindet, und alles, was wir verordnen, kommt nicht aus demjenigen heraus, und ich erfahre immer mehr in den Bereichen, in denen ich mich jetzt bewege, dass wir eigentlich alles in uns tragen, alle Weisheit, alles Wissen, was für unser Leben relevant ist. Es wurde nur oft unterdrückt, und wenn wir den Mut haben das auszusprechen, was unser Herz fühlt, entsteht da was Gutes für uns und für das Ganze. #01:17:03-2# I: (...) Das kann ich gut nachvollziehen. Also, das kann ich gut nachvollziehen. Meine, es gibt ja auch nicht immer eine, sagen wir mal/ Einen festen Aspekt, eine Meinung, dass man sagt, genau bis hier darf man gehen, und dann darf man das nicht mehr machen. Vielleicht gibt es, sagen wir mal, insgesamt eine Tendenz, also, auch in der Art, wie ausgebildet wird zum Beispiel auch an der Uni oder in anderen Bereichen, so einen gesellschaftlich fehlenden Mut unsicheres Terrain zu betreten und was zu wagen und auszuprobieren, #01:17:411# B: Ja, das ist heute so (unv.) Mhm (bejahend). #01:17:42-3# I: ganz einfach auszuprobieren und nicht immer zu sagen, das ist richtig, das ist falsch, sondern zu sagen, das musst du mal ausprobieren. #01:17:48-4#
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B: Ja, ja, wie im Großen, so im Kleinen, ne? Es ist natürlich schon so, dass an den Musikhochschulen wirklich der Mut fehlt dieses Neuland Popmusik zu betreten mit allen Konsequenzen. Der fehlt einfach, weil, die Kollegen kennen sich damit überhaupt nicht aus. Die haben meist überhaupt keine Erfahrung damit, und wenn sie Erfahrung haben, dann haben Sie damit viel Zeit in ihrem Leben verbracht und (lachend) haben sich nicht die Sachen aneignen (lachend) können, die für so einen Hochschul-Job wichtig ist. Also, ob es tatsächlich wichtig ist, ist jetzt eine andere Frage, ne, aber du weißt, was ich meine. Du musst eine Dissertation schreiben, du musst einen bestimmten Weg gehen, dann bist du erst ernstgenommen, und musst vor allen Dingen dich in der Klassik auskennen. Da geht so viel Zeit bei drauf, #01:18:36-7# I: (lacht) Ja. #01:18:38-9# B: und dann bleibt wieder das andere. Wenn ich jetzt überlege, was der Heinrich Klingmann da kann auf seinen Congas, was der spielt, wie der rhythmisch denken kann, wie der vier Sachen gleichzeitig verändern kann, variieren, das ist höchste Kunst. Wenn der das einem Professor an der Musikhochschule, einem Musikdidaktiker vorspielt, sagt der, nee. Der versteht das gar nicht. Der kann das überhaupt nicht nachvollziehen, was da geschieht, und das ist das Problem, wir driften auseinander. Die Spezialisierung (lachend) schreitet fort auch in dem Bereich, und ich glaube, dass die Kollegen inzwischen auch wissen, das ist eine ganz spezielle Welt, in die kann ich mich nicht mehr einarbeiten. Das würde mich überfordern. Die sagen das jetzt andersrum, ne? Nicht dass es zu billig ist, sondern dass es zu komplex ist, zu komplex geworden, und auch was den Markt angeht. Also, das zu verfolgen ist ja auch fast unmöglich. Was da an Innovationen ständig wiederkommt, man muss es auch nicht verfolgen, aber man muss grundsätzlich offenbleiben, glaube ich für Innovationen auch bei sich selbst. #01:19:58-7# I: Ich glaube, wir haben einen guten Punkt gefunden. #01:20:03-7# B: Ja. (lacht) #01:20:05-6# I: Ich danke dir ganz herzlich. #01:20:06-9# B: Geh damit um! #01:20:06-9#
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10.4 SONSTIGE MATERIALIEN 10.4.1 Mails
Musikwissenschaft Anna Langenbruch (Hg.)
Klang als Geschichtsmedium Perspektiven für eine auditive Geschichtsschreibung Januar 2019, 282 S., kart., Klebebindung, 19 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4498-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4498-6
Johannes Müske, Golo Föllmer, Thomas Hengartner, Walter Leimgruber (Hg.)
Radio und Identitätspolitiken Kulturwissenschaftliche Perspektiven Januar 2019, 290 S., kart., Klebebindung, 22 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4057-1 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4057-5
Ralf von Appen, André Doehring (Hg.)
Pop weiter denken Neue Anstöße aus Jazz Studies, Philosophie, Musiktheorie und Geschichte 2018, 268 S., kart., Klebebindung, 6 Farbabbildungen 22,99 € (DE), 978-3-8376-4664-1 E-Book: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4664-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Musikwissenschaft Wolf-Georg Zaddach
Heavy Metal in der DDR Szene, Akteure, Praktiken 2018, 372 S., kart., Klebebindung, 21 SW-Abbildungen, 11 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4430-2 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4430-6
Jörn Peter Hiekel, Wolfgang Mende (Hg.)
Klang und Semantik in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts 2018, 268 S., kart., Klebebindung, 42 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-3522-5 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3522-9
Eva-Maria Houben
Musikalische Praxis als Lebensform Sinnfindung und Wirklichkeitserfahrung beim Musizieren 2018, 246 S., kart., Klebebindung, 84 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4199-8 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation
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