Politik und Taktik der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849 [Reprint 2022 ed.] 9783112617205, 9783112617199


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Politik und Taktik der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849 [Reprint 2022 ed.]
 9783112617205, 9783112617199

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Gunther Hildebrandt Politik und Taktik der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849

Gunther Hildebrandt

Politik und Taktik der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849

Akademie-Verlag Berlin 1989

ISBN 3-05-000474-6 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 , Berlin, DDR-1086 © Akademie-Verlag Berlin 1989 Lizenznummer: 202 • 100/60/89 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen • 7018 LSV 0265 Bestellnummer: 754 797 8 (9068) 03600

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

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Einleitung

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Voraussetzungen und Konstituierung der gemäßigt-liberalen Gruppierung in der Frankfurter Nationalversammlung

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1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis der gemäßigten Paulskirchenliberalen 2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung . . .

27 39

Balance zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch gegenüber den adligmonarchischen Kräften. Die Gagern-Liberalen und die Begründung einer provisorischen Zentralgewalt (Mitte Mai - Ende Juni 1848)

51

1. Das Konzept der Casino-Fraktion für die Begründung der Zentralgewalt 2. Der „kühne Griff" Heinrich v. Gagerns Legitimierung der Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs. Die Gagern-Liberalen und der Freiheitskampf der Nachbarvölker Deutschlands (Juni—August 1848) 1. Die 2. Die 3. Die 4. Die

Polenfrage Unabhängigkeitsbewegung in den tschechischen Ländern Südtirolfrage Revolution in Ungarn

Preisgabe des Geltungsanspruches. Die Gagern-Liberalen in der Septemberkrise 1848 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Die Die Die Die Der

Verschärfung des Verhältnisses zu Preußen Schleswig-Holstein-Frage Ablehnung des Waffenstillstandes von Malmö parlamentarische Krise Kapitulation der Parlamentsmehrheit Septemberaufstand

Antidemokratismus, Annäherung an das adlig-monarchische Lager und Entscheidung für das kleindeutsche Verfassungskonzept. Die Gagern-Liberalen in den parlamentarischen Auseinandersetzungen im Herbst 1848 (Ende September —Ende Dezember) 1. Die Festigung des liberalen Zentrumsblocks 2. Die Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand 3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen 4. Die Ablösung A. v. Schmerlings durch H. v. Gagern

54 58

67 68 80 87 92 94 94 99 104 110 116 123

127 130 135 145 159

6

Inhaltsverzeichnis

Verfassungspolitische Vorbereitungen für einen kleindeutschen Bundesstaat. Die Gagern-Liberalen in den Verfassungsdebatten Januar — März 1849 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

169

Die veränderten Bedingungen innerhalb und außerhalb der Frankfurter Nationalversammlung . Das Gagernsche Programm Die Oberhauptsfrage Die Grundrechte und der Abschluß der ersten Lesung der Reichsverfassung Die Kontakte zu den einzelstaatlichen Regierungen Die Formierung des kleindeutschen und des großdeutschen Lagers in der Paulskirche Die Wiederaufnahme der Verfassungsdebatten: Der Welckersche Antrag Der „Pakt Simon—Gagern" Der Abschluß der Reichsverfassung

169 175 182 187 193 202 206 212 216

Zwischen Selbstaufgabe und revolutionärem Verfassungskampf. Die Gagern-Liberalen in den Auseinandersetzungen um die Verwirklichung der Reichsverfassung im Frühjahr 1849 (April—Juni) . . .

220

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Angebote an Preußen Die parlamentarischen Schritte zur Verwirklichung des Grundgesetzes Die weiteren diplomatischen Sondierungen Die Verschärfung des Verfassungskampfes Die Kapitulation der Gagern-Liberalen Der Weg der Gagern-Liberalen zur Billigung der preußischen Unionspolitik

221 228 233 239 248 256

Ergebnisse der liberalen Reformpolitik 1848/49

264

Quellen und Literatur (Auswahl)

267

Personenverzeichnis

281

A bkür z ung sver zeichnis

BAF BHW BzG DMS DRZ DZ FOPAZ GStA HZ MB MEW NRhZ ÖStA, HHStA StAD StB StÜAP TVB ZfG ZStAM

Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt a. M. Boizenburg-Hagenower Wochenblatt Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben Deutsche Reichstags-Zeitung Deutsche Zeitung Frankfurter Oberpostamtszeitung Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz Historische Zeitschrift Meißner Blätter Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke Neue Rheinische Zeitung Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Staatsarchiv Dresden Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main Staatliches Zentralarchiv Prag Trierer Volksblatt Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg

Einleitung

Die Geschichtswissenschaft der DDR hat in den vergangenen Jahren mehrfach betont, daß weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Geschichte der Revolution von 1848/49 unbedingt der gründlicheren Erforschung der Rolle der Bourgeoisie im Hinblick auf das revolutionäre Geschehen jenes Doppeljahres bedürfen. 1 Dieses Bemühen aber muß auch zu einer intensiveren und differenzierten Betrachtung der Paulskirchenversammlung von 1848/49 führen. Mehrere Gründe sprechen für unser Vorgehen. Die Parlamente von 1848/49 waren in Deutschland neben den Märzministerien das wichtigste politische Aktionsfeld der Bourgeoisie. Die erste zentrale, auf revolutionärem Boden entstandene Volksvertretung schuf für die antifeudalen Klassen und Schichten die Möglichkeit, sich auf nationaler Ebene zu organisieren, was auch zu den Existenzbedingungen dieser Institution zählte. Damit entstanden auf dem Boden dieser Vertretung gleichzeitig die Bedingungen, um die politische Konsolidierung der Bourgeoisie als Klasse voranzutreiben. Die Debatten und Verhandlungen des ersten nationalen bürgerlichen Parlaments in Deutschland dürfen, ungeachtet aller Einschränkungen hinsichtlich ihrer politischen Effizienz, als ein Kaleidoskop nahezu aller politischen Ereignisse 1848/49 in Deutschland von nationaler Bedeutung gelten. Die vielfältigen parlamentarischen Stellungnahmen und die vor allem von den gemäßigten Liberalen bestimmte Gesetzgebung dieses Parlaments geben nicht nur Auskunft über deren klassenmäßige Position, ihr verfassungspolitisches Programm und die Grundrichtung ihrer Politik. In der Auseinandersetzung der Liberalen mit ihren Opponenten innerhalb des Parlaments, aber auch mit den Hauptkräften der Revolution verdeutlicht sich auch der von den Bourgeoisliberalen in Anspruch genommene, häufig wechselnde taktische Spielraum, ihre sich oft verändernde Konzessionsbereitschaft gegen rechts und links — gerade letzteres läßt sich, was den gesamtnationalen Rahmen anbetrifft, nirgends so gut studieren wie am politischen Wirken der Paulskirchenliberalen. Das Frankfurter Parlament und die mit ihm verbundene provisorische Zentralgewalt konnten sich nicht auf einen politischen Machtapparat stützen. Und es gab auch Städte in Deutschland, welche, wie Wien und Berlin, zeitweilig stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit standen als die Mainmetropole. Aber Frankfurt a. M. — keine fürstliche Residenz, sondern eine Stadt mit republikanischer Verfassung — war eine politisch bewegte und wirtschaftlich bedeutende Stadt mit politisch aktiven Kleinbürgern und Arbeitern und einem reichen und wirtschaftlich aufstrebenden Bürgertum. Frankfurt galt mehr als ein Jahr lang in Deutschland als das wichtigste politische Zentrum von nationaler Bedeutung, gewissermaßen als Repräsentant des neuen bürgerlich-fortschrittlichen Deutschland. Das kam na1

Vgl. Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland, hrsg. v. H. Bleibet unter Mitwirkung v. G. Hildebrandt u. R. Weber, Berlin 1977, S. IX; Hofmann, JürgenjScbmidt, Walter, Forschungen zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Historische Forschungen in der DDR. 1970—1980. Analysen und Berichte, ZfG, Sonderheft 1980, S. 157.

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Einleitung

mentlich in der Resonanz zum Ausdruck, welche das Geschehen in und um die Paulskirche inner- und außerhalb Deutschlands fand. In Frankfurt residierten diplomatische Vertreter und Beobachter der traditionellen internationalen Großmächte, wie England oder Rußland, die das Geschehen in der Paulskirche verfolgten und mit denen die neue deutsche Zentralgewalt Kontakt suchte. Hier hielt sich ebenfalls der Vertreter des revolutionären Ungarn auf, der seinerseits bei der Paulskirchenversammlung um die Anerkennung seiner Regierung warb. In Frankfurt befanden sich auch die Bevollmächtigten sämtlicher deutschen einzelstaatlichen Regierungen, die ausführlich, vielfach täglich, über die Vorgänge inner- und außerhalb des Parlaments berichteten. Die Verhandlungen der Paulskirchenversammlung waren darüber hinaus ein bevorzugter Gegenstand des Interesses vieler deutscher Zeitungen. Mit ihnen beschäftigten sich, kritisch oder zustimmend, viele der überall in Deutschland gegründeten liberalen oder demokratischen Vereine. Um die Auswirkungen der Frankfurter Parlamentsbeschlüsse ging es auf vielen Volksversammlungen. Kurzum: die Tätigkeit der Frankfurter Nationalversammlung stand mehr als ein Jahr lang — selbstverständlich dem Auf und Ab des revolutionären Geschehens folgend, mit unterschiedlicher Intensität — im Blickpunkt der deutschen, z. T. auch der internationalen Öffentlichkeit. Auch die Historiker haben der Paulskirche stets große Aufmerksamkeit gewidmet. Sehr unterschiedlich werteten sie freilich die historische Aufgabe und die politischen Möglichkeiten dieses Parlaments, die Ursachen seines Scheiterns und das Bleibende, das historische Vermächtnis der Paulskirche. Die Frankfurter Nationalversammlung war die erste auf dem Boden der Revolution entstandene nationale, gewissermaßen „die" Verfassungsinstitution der Jahre 1848/49. Das Wirken dieses Parlaments, vor allem der hier tonangebenden Gruppierung der gemäßigten Liberalen, mußte mit Auskunft darüber geben, inwieweit die Bourgeoisie bereit war, die durch die Revolution eröffnetenparlamentarischen Möglichkeiten für die optimale Weiterführung der bürgerlichen Umwälzung und damit auch für die Stärkung ihrer Machtpositionen zu nutzen. Erfolgreiche Machtpolitik aber zu betreiben, das hätte für dieses Parlament zunächst bedeutet, sich eine handlungsfähige Zentralregierung, eine Armee und andere notwendige Macht- und Verwaltungsorgane zu schaffen oder wenigstens einen energischen Versuch in dieser Richtung zu unternehmen und sodann eine machtpolitisch effiziente Bündnispolitik zu betreiben. Die Möglichkeit zu entschiedenem Vorgehen, ohne daß hierdurch — wie von der bürgerlichen Geschichtsschreibung immer wieder eingewendet worden ist — der Boden der eigenen Interessen verlassen worden wäre, war auch für die Paulskirche gegeben. Eine derartige Zielstellung hätte, wie andere Beispiele zeigen, ein bürgerliches Parlament durchaus nicht überfordert. Bei aller Schwierigkeit eines solchen Vergleichs erscheint es doch hilfreich, sich das Wirken anderer auf bürgerlich-revolutionärem Boden entstandener Parlamente in einer mittleren j(post„feuillantistischen" oder vor,,jakobinischen") Phase einer bürgerlichen Revolution (bzw. des bürgerlichen Umwälzungsprozesses) unter relativ fortgeschrittenen Bedingungen (auf dem „Wege zum Kapitalismus") zu vergegenwärtigen, welche gleichzeitig durch das Weiterbestehen verhältnismäßig starker Positionen einer (adaptionsfähigen) Adelsklasse gekennzeichnet waren. 1 Das Wirken der 1

Vgl. vor allem die durch die Leipziger Forschungsgruppe „Vergleichende Geschichte der bürgerlichen und bürgerlich-demokratischen Revolutionen" gewonnenen Erkenntnisse, besonders Rolle und Formen der Volksbewegung im bürgerlichen Kevolutions^jkJus, hrsg. v. M. Kossok, Berlin 1976; Kossok, Manfred, Bemerkungen zum Verhältnis von Agrarstruktur, Agrarbewegung und bürgerlichem Revolutionszyklus, in: ZfG, Jg. 1980, H. 11, S. 1039ff.; Schmidt, Walter, Zu Problemen der europäischen bürgerlichen Revolu-

Einleitung

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Progressisten inner- und außerhalb der Cortes während der dritten bürgerlichen Revolution in Spanien 1834—43 oder des ungarischen Reichstages in der Revolution von 1848/49 zeigt jedenfalls, daß fortschrittliche parlamentarische Kräfte auch zu sehr entschiedenem Vorgehen gegenüber der Reaktion sowohl fähig als auch bereit sein konnten. Dennoch — die Frage erscheint erlaubt: ist es zulässig, das Wirken der parlamentarischen Vertretung der Bourgeoisie 1848/49 an den Maßstäben einer revolutionären Parlamentspolitik zu messen? Wir möchten das bejahen, aber dieses Ja bedarf einer Erläuterung. Den Bourgeoisparlamentariern revolutionäre Parlamentspolitik abzuverlangen, konnte nicht heißen, sie etwa nach den Maßstäben eines comité du salut public zu beurteilen. Wohl aber war es erlaubt, von der Frankfurter Nationalversammlung, deren Schicksal mit der Revolution eng verbunden war, eine Politik des Machtanspruches, des Führungsanspruchs gegenüber Adel und Fürsten in Staat und Gesellschaft zu erwarten. Dies hätte mindestens ein zeitlich und vielleicht auch nur sachlich begrenztes Zusammenwirken wenigstens mit bürgerlich-demokratischen Kräften nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern mit Sicherheit erfordert. Hierfür ergaben sich mehrfach im Verlaufe der Revolution (vor allem im Herbst 1848 und Frühjahr 1849) Möglichkeiten. Unter den Parlamentariern des rechten Zentrums der Paulskirchenversammlung, das eine Kompromißpolitik gegenüber dem adlig-monarchischen Lager betrieb, wurde mehrfach der Übergang zu einer entschiedeneren Politik gegenüber Adel und Fürsten erwogen, und es gab auch eine zeitweilige Koalition mit Teilen der parlamentarischen Linken. Die Liberalen förderten außerparlamentarische Aktivitäten nur soweit, als sich diese streng im Rahmen ihres eigenen Verfassungsprogramms hielten (z. B. Petitionen für die Einführung des Erbkaisertums), d. h. weder revolutionäre Aktionen der Massen involvierten noch ihre Ausgleichsbemühungen gegenüber der Adelsklassc gefährdeten. Eine auch nur zeitlich begrenzte Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften außerhalb des Parlaments, die das Risiko einer weitertreibenden Bewegung einschloß, lehnten sie dagegen ab. Die von der Bourgeoisie als Grund für ihre Berührungsängste ins Feld geführte Bedrohung ihrer sozialen Position hatte 1848/49 objektiv noch nicht das von ihr angenommene Ausmaß, und das von ihr einzugehende Risiko war daher zumutbar. Wir halten die Verknüpfung unserer Untersuchung mit der Fragestellung nach einer entschieden antifeudalcn Parlamentspolitik daher für ein legitimes Unterfangen. Damit ist freilich eine Betrachtungsweise skizziert, die von den tonangebenden bürgerlichen Revolutionshistorikern, ungeachtet aller Meinungsdifferenzen, bis heute grundsätzlich abgelehnt wird. Im Unterschied zur parlamentarischen Linken wurde der Paulskirchenliberalismus durch die bürgerliche Historiographie weder ignoriert noch zur Zielscheibe simpler Polemik gemacht, häufig sogar sein Wirken sehr umfassend dargestellt. 1 Aber unabhängig davon,

1

tionen von 1848, in: Ebenda, Jg. 1979, H. 7, S. 639ff.; vgl. auch Maiski, I. M., Neuere Geschichte Spaniens 1808-1917, Berlin 1961, S. 170ff. Über das Revolutionsbild der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD vgl. vor allem Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, hrsg. v. G. Lozek u. a., 3. Aufl., Berlin 1977, S. 264ff. ; Bleiber, Helmut, Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland in der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung, S. 193ff. (hier sind auch die einschlägigen Arbeiten über die ältere bürgerliche Historiographie verzeichnet) ; vgl. ferner Baumgart, Fran^jörg, Die verdrängte Revolution. Darstellung und Bewertung der Revolution von 1848 in der deutschen Geschichtsschreibung vor dem Ersten Weltkrieg, Düsseldorf (1976); Kan, S. B., Nemeckaja istoriografija revoljucii 1848—1849 gg., Moskva 1962. Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung über die Paulskirche Hildebrandt, Gunther, Die Frankfurter Nationalversammlung

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Einleitung

was die Mehrheit dieser Historiker, je nach Standort, bei den Paulskirchenliberalen für besonders hervorhebenswert hielt — ihre kompromißlerische Politik gegenüber Adel und Fürsten, ihren Antidemokratismus, ihre Auseinandersetzungen mit der demokratischen Linken, ihr Engagement für den Parlamentarismus oder für die „nationale Sache", ihr „staatsbejahendes" konstitutionelles Reformwerk, die Ausarbeitung der ersten gesamtnationalen bürgerlichen Verfassung, in einem war sich ihre überwiegende Mehrheit einig: das Wirken der Paulskirchenliberalen durfte nicht aus der Sicht des revolutionären Geschehens, nach den Maßstäben des Klassenkampfes beurteilt werden. Vielmehr sollten, soweit dieser Revolution überhaupt Legitimität zugesprochen wurde, Programm und Wirken des bürgerlichen Parlamentarismus gleichzeitig auch das Nonplusultra der Revolution verkörpern. Aber selbst dieser Einsicht war ein jahrzehntelanger Erkenntnisprozeß vorausgegangen. Noch für die Historiker der kleindeutsch-borussischen Schule, so Sybel, Treitschke, W. Oncken, war die Revolution von 1848/49 einzig und allein Vorspiel für 1870/71 gewesen. 1 Die historische Bedeutung der Paulskirchen-, insbesondere der Gagern-Liberalen wurde ausschließlich daran gemessen, inwieweit diese dazu beigetragen hatten, den Boden für die Bismarcksche Einigungspolitik zu bereiten. Gegenüber dieser stark vergröbernden und verengten Optik kleindeutsch-preußischer Machtpolitik bedeutete bereits das durch die Neurankeaner Mareks, Lenz, Rachfahl, H. Oncken, Meinecke 2 akzentuierte Revolutionsbild einen gewissen Fortschritt. Ausgerüstet mit einem subtileren Instrumentarium, ließen sie zwar in stärkerem Maße als die kleindeutsch-borussische Schule die Unterschiede zwischen den Zielen der Paulskirchenliberalen und der Reichsgründung von 1871 deutlich werden, die Grundrichtung blieb jedoch unverändert konservativ. Die Reichsgründung wurde nicht mehr als Erfüllung der liberalen Träume von 1848 hingestellt, sondern, was der historischen Wahrheit näher kam, als eine „Schöpfung aus dem Wesen des Preußentums". Eine besondere Bedeutung bei der Ausprägung des bürgerlichen Revolutionsbildes spielte Friedrich Meinecke. Für ihn waren Antidemokratismus und die Entwicklung des preußisch-deutschen Machtstaates entscheidende Bezugspunkte seines historischen Kon-

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2

1848/49 im Urteil der bürgerlichen Geschichtsschreibung, in: 125 Jahre Kommunistisches Manifest und bürgerlich-demokratische Revolution, Referate und Diskussionsbeiträge (wiss. Red. G. Hildebrandt u. W. Wittwer), Berlin 1975, S. 183ff. Vgl. vor allem Sybel, Heinrieb, Die Begründung des deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. 1, 4. Aufl., München/Leipzig 1892; Treitscbke, Heinrich v., Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 5, Leipzig 1894; Oncken, Wilhelm, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, Berlin 1890. Über die kleindeutsch-borussische Richtung: Schleier, Hans, Die kleindeutsche Schule, in: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, hrsg. v. J. Streisand, Bd. 1, Berlin 1963, S. 271 ff.; derselbe, Treitschke und Sybel. Antidemokratismus und Militarismus im historisch-politischen Denken großbourgeoiser Geschichtsideologen, Berlin 1965; derselbe, Zur Auswirkung der Reichsgründung auf historisch-politische und methodologische Konzeptionen der bürgerlichen deutschen Geschichtsschreibung bis 1914, in: Die großpreußisch-militaristische Reichsgründung von 1871, Bd. 2, Berlin 1971, S. 517ff. Mareks, Erich, 1848, in: Männer und Zeiten, Bd. 1, 7. Aufl., Stuttgart/Berlin 1942, S. 251 ff.; Lenz, Max, 1848, in: Kleine historische Schriften, Bd. 1, München/Berlin 1910, S. 343ff.; Oncken, Hermann, Zur Genesis der preußischen Revolution von 1848, in: Historisch-politische Aufsätze und Reden, Bd. 2, München/Berlin 1914, S. l f f . ; Meinecke, Friedrich, Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaats, München/Berlin 1908; derselbe, Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 1913. Über die Neurankeaner vgl. Schleier, Hans, Die Ranke-Renaissance, in: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Bd. 1, S. 99ff.

Einleitung

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zeptes. Er verwarf den historischen Geltungsanspruch der Paulskirchenliberalen nicht gänzlich, aber sah die Grenzen seiner Legitimität da, wo dieser mit Grundinteressen Preußens kollidierte, und betrachtete die liberalen Parlamentarier höchstens als Juniorpartner der Adelsklasse. Dennoch waren einerseits die Adaptionsfähigkeit seines gemäßigt-konservativen Konzeptes, andererseits aber der Traditionalismus der tonangebenden Richtung der bürgerlichen Geschichtswissenschaft soweit ausgeprägt, daß Meineckes Auffassungen für nahezu fünf Jahrzehnte für die meisten bürgerlichen deutschen Revolutionshistoriker richtungsbestimmend blieben. Vermochte schon ein Erich Brandenburg 1 seine Auffassungen gegenüber denen Meineckes und Mareks' kaum zur Geltung zu bringen, so galt dies noch in weit höherem Maße für die von L. Bergsträsser nach 1918 vorgenommene Aufwertung des bürgerlichen Parlamentarismus von 1848, ganz zu schweigen von der Revolutionsdarstellung Valentins. 2 Bergsträsser, der sich von der Unterordnung des bürgerlichen Parlamentarismus unter preußisch-deutsche Machtstaatspolitik scharf abgrenzte, betrachtete diesen statt dessen nicht nur als höchste Verkörperung des Parteiensystems. Durch die Beachtung des Zusammenhangs zwischen Parlamentarismus und Massenbewegung schuf er gleichzeitig einen für das bürgerliche Parlamentarismusbild fortschrittlichen Denkansatz. Valentins Buch ist nicht nur die wissenschaftlich bedeutendste Leistung in der Reihe jener Versuche in den Jahren der Weimarer Republik, die Geschichte und das Erbe der Revolution von 1848/49 von einem unabhängigen bürgerlich-liberalen Gesichtspunkt aus zu erfassen.3 Es war vor allem von dem Bemühen gekennzeichnet, den Parlamentarismus der Weimarer Republik als Erbe der parlamentarischen Tradition von 1848 auszugeben. Neu an Valentins Werk ist vor allem die Aufwertung der Revolution von 1848/49. Da das Bismarckreich seine geschichtliche Bewährungsprobe nicht bestanden hatte, brach Valentin, weiler die Erkenntnis gewann, daß sich ein bürgerlich-parlamentarisches System weit besser als jenes gegenüber revolutionären Anfechtungen hätte behaupten können, radikal mit der herrschenden Revolutionsauffassung. Frei von Obrigkeits- und Machtstaatsdenken der kleindeutschen Schule und der Neurankeaner bewertete Valentin diese Revolution nicht mehr als Vorspiel der Reichsgründung von 1870/71 mit mehr oder weniger beschränktem Eigenwert, sondern als „die große Geschichtswende der Deutschen im neunzehnten Jahrhundert" 4 , als eine „zugleich liberale und demokratische Bewegung" 5 , ein Ereignis „aus rein deutschen Voraussetzungen, von lange her vorbereitet" 6 . Infolgedessen bewertete er die Leistung der Paulskirche und ihrer tonangebenden Fraktion nicht mehr am Gelingen eines Konsensus mit Adel und Fürsten, sondern nach den Maßstäben einer unabhängigen, antifeudal geprägten Politik. Valentin sprengte nicht die Grenzen bürgerlichen Geschichts1

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Brandenburg, Ericb, Die deutsche Revolution 1848, Leipzig 1912; derselbe, Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung, Leipzig 1916. Bergsträsser, Ludwig, Die Verfassung des deutschen Reiches von 1849, Bonn 1913; derselbe, Die parteipolitische Lage beim Zusammentritt des Vorparlaments, in: Zeitschrift für Politik, Jg. 1913, S. 594ff.; besonders aber: Geschichte der politischen Parteien in Deutschland, derselbe, Mannheim 1921 (11. Aufl., München/Wien 1965); Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution von 1848—1849, 2 Bde., Berlin 1931/32; über Valentin vgl. Schleier, Hans, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, T. II: Die linksliberalen Historiker in der Weimarer Republik, Berlin 1975, S. 345ff. Vgl. etwa die Schriftenreihe „Die Paulskirche", Frankfurt a. M. 1923ff. Zur Gesamtproblematik Schleier, Hans, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung, T. II, S. 190ff. Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 339. Ebenda, S. 338. 6 Ebenda.

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Einleitung

denkens, wie etwa die These vom revolutionsgefährdenden Extremismus der Kommunisten und überhaupt sein tiefes Unverständnis gegenüber der Rolle der revolutionären Arbeiterbewegung und des Marxismus in der Revolution von 1848/49 bezeugen. Dennoch darf sein Werk wegen des wissenschaftlichen Wertes und des Bruchs mit traditionellen Vorurteilen der bürgerlichen Historiographie als die bis zum heutigen Tage bedeutendste bürgerliche Publikation zur Geschichte der Revolution von 1848/49 gelten, der trotzdem die gebührende Anerkennung der bürgerlichen Geschichtswissenschaft weithin versagt blieb. Bestimmend für das bürgerliche Bild von der Revolution von 1848/49 und die Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung blieben weiterhin die Auffassungen der Meinecke, Mareks, Brandenburg, Ritter und ihrer das Niveau ihrer Lehrmeister zumeist nicht erreichenden Schüler. 1 Wenn auch die apologetische Einseitigkeit der kleindeutschen Schule endgültig überwunden wurde, so blieb dennoch die antidemokratische Kompromiß- und Vereinbarungspolitik der Paulskirchenliberalen unbestritten. Zum hervorstechenden Vertreter dieser Richtung wurde seit den 20er Jahren vor allem der mit einer großen Zahl von Arbeiten zur Geschichte der 48er Revolution, der Burschenschafts- und Einigungsbewegung hervortretende Marcks-Schüler Paul Wentzcke, der in seinen Publikationen einen scharf rechtsliberalen, antidemokratischen, bisweilen nationalistischen Standpunkt vertrat. Sein sich über mehr als vier Jahrzehnte erstreckendes, umfangreiches und gewichtiges Werk 2 vermittelt einen Eindruck von der Wandlungsfähigkeit und politischen Bedingtheit bürgerlichen Geschichtsdenkens im Rahmen eines großbürgerlich-nationalen Grundkonzeptes. Ohne grundsätzlich neue Erkenntnisse zutage zu fördern, modifizierte er anhand eines umfangreichen Materials die vorherrschende Linie bürgerlicher Revolutionsbetrachtung vor allem in zwei Punkten: Es erfolgte die historische Aufwertung der Rolle der Gagern-Liberalen in der Paulskirche (ganz besonders die Bedeutung H. v. Gagerns selbst) unter strikter Bejahung sowohl ihrer Partnerschaft gegenüber Adel und Fürsten als auch ihrer antidemokratischen Haltung. Dies zeigte sich vor allem in der Glorifizierung H. v. Gagerns als der ,,vollste[n] Erfüllung seiner Zeit" 3 , als treuester und aufrichtigster „Sachwalter der Nation" 4 , des „Herolds deutscher Einheit" 5 . Zugleich bemühte sich Wentzcke, den kleindeutschen Charakter der Vereinbarungspolitik H. v. Gagerns abzuschwächen und diese mit dem Stempel eines „Reichspatriotismus" zu versehen. 6 Eine solche „reichspatriotische" Aufwertung Gagerns war über 1918, aber noch mehr über 1945 hinaus von der Absicht geprägt, den Zusammenhang zwischen dem Bourgeoisie1

2

Zu verweisen ist vor allem auf Wentzcke (vgl. Anm. 2). Weiter hier zu nennende Arbeiten: Bretscbneidtr, Horst, Die Parteien der Paulskirche und ihr Verhältnis zur Idee der Volkssouveränität, Phil. Diss. Leipzig 1922; Roth, Hans, Die Linke in der Paulskirche und der Nationalismus, Freiburg i. Br. 1950. Aus der Reihe seiner Publikationen über Gagern und den 48er Liberalismus sind vor allem zu nennen: Went^ckjc, Paul, Zur Geschichte Heinrich v. Gagerns. Seine Burschenschafterzeit und seine deutsche Politik, in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, Bd. 1, Heidelberg 1910, S. 162ff.; derselbe, Die erste deutsche Nationalversammlung und ihr Werk, München 1922; derselbe, 1848. Die unvollendete deutsche Revolution, München (1938); derselbe, Friedrich Bassermanns letzte politische Sendung. Beiträge zum Verständnis des Endkampfes zwischen Berlin und Frankfurt im Frühjahr 1849, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Jg. 1954, S. 319ff.; derselbe, Heinrich v. Gagern, Vorkämpfer für die deutsche Einheit und Volksvertretung, Göttingen/Berlin(West)/Frankfurt a. M. 1957; derselbe, Ideale und Irrtümer des ersten deutschen Parlamentes 1848-1849, Heidelberg 1959.

Ebenda, S. 63 (anknüpfend an eine Wendung Valentins, a. a. O., Bd. 2, S. 14). 4 Ebenda, S. 79. s Ebenda, S. 146. « Vgl. ebenda, S. 21,126,129. 3

Einleitung

15

liberalismus von 1848/49 und der junkerlich-bourgcoisen Reichsgründung von 1871 abzuschwächen oder zumindest auf eine neue Art und Weise zu interpretieren. Das Abrücken von der These einer Kontinuität zwischen 1848 und 1871 und die Einbettung des Revolutionsbildes in ein westlich-atlantisches Geschichtskonzept waren die wichtigsten neuen Momente, durch die das bürgerliche Revolutionsverständnis in den Jahrzehnten nach 1945 akzentuiert wurde. Für eine Besinnung auf die wirklichen historischen Möglichkeiten des Parlamentarismus von 1848 gab es jedoch nur vereinzelte Ansätze (Mommsen, Meinecke, Heuß). 1 Wenn auch der liberalen Parlamentarismusdoktrin verhaftet, so bemühten sich diese doch in einigen ihrer Publikationen, die Geschichte der Paulskirchenversammlung einer kritischen Revision in bürgerlich-liberalem Sinne zu unterziehen. Aber die Tendenz zur Neuetablierung der traditionellen bürgerlichen Geschichtsauffassungen erwies sich auch auf dem Gebiete der Revolutionsgeschichtsschreibung als stärker. Die Überwindung der einseitigen nationalistisch-machtstaatlichen Sicht durch die bürgerliche Geschichtswissenschaft war zwar ein methodologischer Fortschritt, gebar jedoch gleichzeitig eine neue Unzulänglichkeit, nämlich die Überbewertung äußerer Faktoren (einschließlich westlich-adantischer Verfassungsnormen) und — analog dazu — die Unterschätzung des sozialen Faktors und der inneren Triebkräfte der Revolution von 1848/49 und natürlich auch der Paulskirchenversammlung 2 . „Es bleibt wohl nur übrig", so formulierte Stadelmann das Credo einer in diesem Sinne zu schreibenden Geschichte, „daß wir geistig auf den Punkt zurückgehen, wo die revolutionäre Entwicklung in Westeuropa und die deutsche Sonderentwicklung sich gegabelt haben." 3 Auf dem Gebiete der Paulskirchenhistorie verband sich diese Betrachtungsweise, seit den 50er Jahren im Kontext mit der allgemeinen politisch-ideologischen Entwicklung in der BRD, erneut mit der besonderen Hervorhebung des Paulskirchenliberalismus und seiner „vernünftigen", „maßvollen" und staatsbejahenden Reformpolitik/ 1 Waren noch Mommsen, Heuß und selbst Meinecke (in seiner Jubiläumsschrift von 1948) 5 davon ausgegangen, daß der bürgerliche Parlamentarismus von 1848 auch in einer gewissen Verantwortung gegenüber dem Volke gesehen werden müsse, so wurde nun, in Anlehnung an Wentzcke, erneut das gemäßigte Programm der Gagern-Liberalen hervorgehoben, an dem das Wirken aller anderen antifeudalen Kräfte 1848 zu messen sei. Demgemäß charakterisierte Scharff die Partei Mathy, Dahlmann, H. v. Gagern als die Partei „der Mäßigung und der Vernunft, in gewissem Sinne auch des Realismus". 6 1

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Mommsen, Wilhelm, Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848/49, Stuttgart 1949; Meinecke, Friedrieb, 1848. Eine Säkularbetrachtung, Berlin (1948). Kennzeichnend für diese Tendenz etwa Kotbfels, Hans, 1848— Betrachtungen im Abstand von hundert Jahren, Darmstadt 1972 (Erstveröffentlichung 1948); S e b a r f f , Alexander, Revolution und Reichsgründungsversuche 1848—1851, in: Deutsche Geschichte im Überblick, hrsg. v. P. Rassow, Stuttgart 1953, S. 430ff,; Stadelmann, Rudolf, Deutschland und die westeuropäischen Revolutionen, in: Probleme der Reichsgründungszeit 1 8 4 8 - 1 8 7 9 , hrsg. v. H. Böhme, Köln/Berlin (1968), S. 37ff. (Erstveröffentlichung 1948).

3 Ebenda, S. 47. 4 In diesem Sinne neben den bereits erwähnten Arbeiten Wentzckes (vgl. S. 14) u. a. Hock, Wolfgang, Liberales Denken im Zeitalter der Paulskirche. Droysen und die Frankfurter Mitte, Münster/Westfalen 1957; Von "Frankfurt nach Bonn. Deutsche Verfassungen von 1848—1949, eingel. u. komm. v. F. Sieber, Frankfurt a. M./Berlin(West)/ Bonn 1956; S e b a r f f , Alexander, Revolution und Reichsgründungsversuche, a. a. O., S. 430ff. 5

Vgl. Anm. 1

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Sebarff, Alexander, Revolution und Reichsgründungsversuche, a. a. O., S. 434.

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Als programmatisch für diese sich neu etablierende und in einer Reihe von Punkten am traditionellen bürgerlichen Revolutionsbild orientierte Richtung können die Thesen Bußmanns gelten. Für ihn entsprach der Weg, den die gemäßigten Liberalen vom Vormärz bis 1871 zurücklegten, den geschichtlichen Erfordernissen. Dieser Weg sei u. a. durch das Bemühen, die Revolution zum gesetzmäßigen Abschluß zu bringen, durch die Suche nach einem Kompromiß mit Adel und Fürsten als Ausdruck einer „realpolitischen" Einstellung gekennzeichnet gewesen. Mit der betonten Abgrenzung des Paulskirchenliberalismus von der demokratischen Massenbewegung verband Bußmann das Bemühen, erneut die Kontinuität vom gemäßigten Liberalismus der 48er Revolution bis hin zur Reichsgründung von 1871 sichtbar zu machen. 1 Verschiedene bürgerliche Historiker folgten dieser konzeptionellen Linie, die durch eine Aufwertung des Paulskirchenliberalismus im traditionellen Sinne gekennzeichnet und vor allem von dem Bemühen getragen war, die BRD mit einer progressiven parlamentarischen Tradition auszustatten. Es handelte sich jedoch nicht ausschließlich um ein Wiederanknüpfen an überkommene Aspekte des bürgerlichen Revolutionsbildes. Gleichzeitig blieben die bereits oben skizzierten Modifizierungen erhalten, wie etwa die „europäisch-atlantische" Betrachtungsweise. Daneben zeigte sich, ungefähr seit Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre, auch auf dem Gebiete der bürgerlichen Geschichtsschreibung über 1848/49 bei einer Reihe bürgerlicher Historiker eine theoretisch-methodologische Modernisierung ihres Geschichtsdenkens. Symptomatisch hierfür war etwa die Position Th. Schieders und Conzes, die durch die Einführung des Begriffspaares Staat und Gesellschaft 2 den nach dem Meineckeschen Machtstaatsgedanken für die bürgerliche Geschichtsschreibung über die 48er Revolution wichtigsten methodologischen Ansatz einbrachten. Neu hieran war vor allem die These, daß die revolutionäre Massenbewegung (als Teil der „Gesellschaft") nicht unkontrolliert agieren dürfe, sondern im Sinne eines gemäßigten und staatsbejahenden Reformprinzips gesteuert werden müsse. Für die Geschichte des Paulskirchenliberalismus ergab sich hieraus keine grundsätzliche Neubewertung, sondern allenfalls die Forderung, daß dieser auch für gemäßigt-demokratische Vorstellungen hätte offenbleiben müssen. Eine derart modifizierte bürgerliche Parlamentarismus-Doktrin fand in der Tat Eingang in eine Reihe von Publikationen zur Geschichte der Revolution von 1848/49 bzw. des bürgerlichen Frühparlamentarismus. 3 Angeführt seien Historiker wie Gall oder Lange1

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Bußmann, Walter, Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: Probleme der Reichsgründungszeit, a. a. O., S. 99 (Erstveröffentlichung: HZ 186). Vgl. hierzu Scbieder, Theodor, Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1958; Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815—1848, hrsg. v. W. Conze, Stuttgart 1962. Zur Auseinandersetzung mit dieser Richtung vgl. vor allem XJnbewältigtc Vergangenheit, S. 57ff.; Schmidt, Walter, Zur historisch-politischen Konzeption des Heidelberger „Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte", in: BzG, Jg. 1967, H. 4, S. 626ff.; Brade, Waltraud, Werner Conze und der Heidelberger „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte". Ein Beitrag zur Analyse und Kritik der historisch-politischen Konzeption der flexiblen Richtung in der bürgerlich-imperialistischen Historiographie der BRD, phil. Diss. Berlin 1972. Vgl. vor allem Gall, hotbar, Das Problem der parlamentarischen Opposition im deutschen Frühliberalismus, in: Politische und nationalstaatliche Ordnung. Studien zur Geschichte des 19. u. 20. Jahrhunderts. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 60. Geburtstag, hrsg. v. K. Kluxen u. W. J. Mommsen, München/Wien 1968; Liberalismus, hrsg. v. L. Gall, Köln 1976; Langewiescbe, Dieter, Republik, konstitutionelle Monarchie und „soziale Frage", in: HZ, 230 (1980), H. 3, S. 259ff.; Botzeithart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848—1850, Düsseldorf (1977).

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wiesche, wobei nicht übersehen werden darf, daß sie, ungeachtet ihrer allgemeinen konzeptionellen Verwandtschaft mit der genannten Richtung, sich durch eine Reihe kritischer Vorbehalte gegenüber dem frühen Bourgeoisliberalismus und dem Liberalismus überhaupt sowie durch eine weniger antidemokratische Handhabung des Integrationsprinzips von dieser abheben. Bourgeoisliberalismus und auch früher bürgerlicher Parlamentarismus wurden nun weniger als vordem idealisiert, vielmehr zum Teil auch in ihrer klassenmäßigen Bedingtheit gesehen. 1 Anstelle einer quasi revolutionären Aufwertung des deutschen Liberalismus wurde dessen reformerischer Charakter herausgestrichen und gleichzeitig im Zeichen von industrieller Revolution und Industriegesellschaft objektiv gerechtfertigt. Unzulänglichkeiten wurden nicht mehr verschwiegen. So gelangt Gall zu der Feststellung: „Das auf fortschreitende politische und soziale Emanzipation und Demokratisierung hinzielende gesamtgesellschaftliche Erwartungsmodell . . . degenerierte im Zeichen der von seinen Vertretern nicht vorausgesehenen wirtschaftlichen und der damit verbundenen sozialen Veränderungen im Zuge der industriellen Revolution zur bloßen Klassenideologie, der Liberalismus selber zur Klassenpartei." 2 Langewiesche übt beispielsweise daran Kritik, daß das Bürgertum aus Angst vor „bürgerlichen und . . . proletarischen Demokraten" vorzeitig „aus seiner eigenen Emanzipationsbewegung ausscherte", weil es sich in der Auseinandersetzung (mit den demokratischen Kräften) über das Ausmaß des ,Modernisierungsprozesses' selbst gelähmt habe, weil es in den demokratischen Plänen „den Auftakt zur sozial-revolutionären Umverteilung des Eigentums erblickte". 3 Typisch für das Bemühen, den frühen Parlamentarismus auf eine liberal-reformerische Linie festzulegen, ihn aber zugleich auch als in begrenztem Maße aufnahmefähig für demokratische Ideen auszugeben, ist die Auffassung Galls/* Für ihn ist die Existenz einer parlamentarischen Opposition, die die Grundlagen der jeweiligen Ordnung nicht antastet, „Kennzeichen einer funktionierenden demokratischen Ordnung". 5 Auch für die repräsentative Darstellung Botzenharts über den Parlamentarismus der Revolutionszeit 6 ist die Verknüpfung kritischer Einsichten mit traditionellen Grundpositionen typisch. Er verschweigt nicht die antirevolutionären Elemente und den reformerischen Grundzug des frühen Parlamentarismus, überschätzt jedoch die Bedeutung der Verfassungselemente für die Begründung demokratischer Verhältnisse. Das Eingeständnis der Unzulänglichkeiten des frühen Parlamentarismus ist mit dem Versuch des Nachweises verbunden, daß dieser zur inneren Vervollkommnung fähig war und nicht des Zusammenspiels mit der Revolution bedurfte. Diesem Anliegen verpflichtet ist auch das bekannte Modernisierungskonzept, welches Vgl. Uberalismus, S. 9; Langewiesche, Dieter, Republik, konstitutionelle Monarchie und „soziale Frage", a. a. O., S. 541. 2 Liberalismus, S. 176. 3 Vgl. S. 16, Anm. 3. 4 Gall, Lotbar, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Liberalismus, S. 176. 5 Bleiber, Helmut, Die bürgerlich-demokratische Revolution, S. 220. 6 Botzenharts Buch ist der erste Teil eines auf 16 Bände berechneten Handbuches der Geschichte des deutschen Parlamentarismus — zur Konzeption dieses Projektes vgl. Ritter, Gerbard A., Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, in: Jahrbuch für historische Forschungen in der BRD, Jg. 1975, S. 63ff. 1

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Hildebtandt, Gagern

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— in vielerlei Varianten verbreitet — ebenfalls auf dem Gebiet der bürgerlichen Revolutionsgeschichtsschreibung über 1848/49 Anklang gefunden hat. Vereinfacht ausgedrückt will es mit Hilfe eines nur sehr wenig differenzierten Fortschrittsbegriffs bürgerlichen mit gesellschaftlichem Fortschritt weithin gleichsetzen und den frühen „Konstitutionalismus" oder Parlamentarismus der Paulskirche als Träger einer allgemeinen, auch demokratische Bestrebungen integrierenden Modernisierung darstellen. 1 Durch eine kritischere Betrachtungsweise zeichnen sich die Arbeiten von W. Boldt und W. Siemann aus. 2 Beide bemühen sich, ohne die Grenzen bürgerlichen Geschichtsdenkens zu sprengen, um den Nachweis, nicht die gemäßigten Liberalen, sondern die kleinbürgerlichen Demokraten seien die eigentlichen Vertreter eines bürgerlichen Parlamentarismus gewesen. Solche und andere sich nicht selten am Heinemannschen Konzept bürgerlicher Traditionspflege 3 orientierenden Thesen stießen in der bürgerlichen Geschichtsschreibung und -publizistik überwiegend auf Widerspruch. Dabei reichte die Front der Ablehnenden von gemäßigten bürgerlichen Historikern (Botzenhart) bis hin zu Vertretern prononciert antidemokratischer Geschichtsauffassungen/ 1 Wenn auch mehr konservative Vertreter innerhalb des Lagers der bürgerlichen Revolutionsgeschichtsschreibung und -publizistik gegenwärtig nicht dominieren, so bringen sie sich dennoch stärker zur Geltung als die vereinzelten Versuche einer Neubewertung der Revolution unter bürgerlich-demokratischem Aspekt. An erster Stelle zu nennen ist das Buch von F. Eyck, in eine ähnliche Richtung zielt die im übrigen umfangreiches und solides Forschungsmaterial darbietende Arbeit von B. Mann. 5 Obwohl Eyck die erste die Bezeichnung Gesamtdarstellung verdienende Geschichte der Paulskirchenversammlung seitens der bürgerlichen Geschichtsschreibung überhaupt vorlegt, vermag weder er noch B. Mann wesentlich neue Erkenntnisse im Hinblick auf das Frankfurter Parlament zutage zu fördern. Was sie vor allem als Kritik gegenüber der Frankfurter Nationalversammlung vorbringen, ist die bereits in der älteren bürgerlichen Historiographie vorgetragene Behauptung, nicht ein Zuwenig, sondern ein Zuviel an Souveränitätsanspruch hätte zum Scheitern ihres Werkes geführt: „Die Gründe für das Scheitern der Nationalversammlung und damit der deutschen Bewegung von 1848 überhaupt sind weder in Mängeln ihrer Zusammensetzung, Taktik und Organisation noch in ihrem Verhältnis zur Revolution zu suchen, sondern viel eher in ihrer Überschätzung der Macht der öffentlichen Meinung und deren nationalen 1

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Loock, Hans Dietrich/Schulze, Hagen, Parlamentarismus und Demokratie im 19. Jahrhundert, München 1982. Boldt, Werner, Die Anfänge des Parteienwesens. Fraktionen, politische Vereine und Parteien in der Revolution 1848, Paderborn (1971); derselbe. Konstitutionelle Monarchie oder parlamentarische Demokratie. Die Auseinandersetzung um die deutsche Nationalversammlung in der Revolution von 1848, in: HZ, 216 (1973), H. 3, S. 553-622; Siemann, Wolfram, Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform. Die Bedeutung der Juristendominanz in den Verfassungsverhandlungen des Paulskirchenparlaments, Frankfurt a. M./Berlin (West) 1976. Vgl. hierzu die Rede G. Heinemanns vom 13. 2. 1970 in Bremen: Die Geschichtsschreibung im freiheitlichdemokratischen Deutschland, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 21, 17. 2. 1970, S. 203f. Vgl. etwa Nipperdej, Thomas, Kritik oder Objektivität? Zur Beurteilung der Revolution von 1848, in: Ideen und Strukturen der deutschen Revolution 1848, Frankfurt a. M. 1974, S. 143ff. Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848—49, München 1973; Mann, Bernhard, Die Württemberger und die deutsche Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1975.

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Potentials einerseits, in einer entsprechenden Unterschätzung der deutschen Einzelstaaten und ihres Eigengewichts andererseits." 1 Auch Wollstein, obwohl nicht der konservativen Richtung zugehörig, der das nationalpolitische Programm der Paulskirchen Versammlung einer umfassenden Analyse unterzieht, sieht als wichtige Gründe seines Scheiterns, soweit er nicht die Mächtekonstellation verantwortlich macht, das Fehlen von „Augenmaß" und den Mangel an „politisch praktikablen Leitvorstellungen". 2 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die bürgerlichen Untersuchungen zur Geschichte der Paulskirchenversammlung ein — im Rahmen bürgerlichen Geschichtsdenkens — relativ breit gefächertes Bild und ein beachtliches Maß an empirischer Forschung vermitteln. Wie auf anderen Gebieten bürgerlicher Geschichtsschreibung, so war auch auf dem Felde der Paulskirchenhistorie im Laufe der Jahrzehnte bei tonangebenden Vertretern das Bemühen erkennbar, im Interesse der Effizienz ihres Geschichtsbildes manches überkommene Vorurteil zu korrigieren. Es war dies jedoch fast stets von dem Bestreben begleitet, die traditionellen Maximen dieses Geschichtsbildes, wenn nicht unverändert, so doch in größtmöglichem Maße zu erhalten. So dominieren im bürgerlichen Bilde von der Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung heute eine vielfach flexibel gehandhabte Rechtfertigung liberaler Vereinbarungs- und Kompromißpolitik und die Leugnung eines revolutionären Parlaments. Richtschnur des Urteils bleibt ein oft verabsolutierter Parlamentsbegriff, der, ungeachtet aller kritischen Einwände gegen die Politik der liberalen Führungsgruppe, eigentlich nur von der Möglichkeit der ständigen eigenen Vervollkommnung dieses Parlamentarismus ausgeht. Für die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung war von allem Anfang an unbestritten, daß der frühe bürgerliche Parlamentarismus in Deutschland nicht in der Kontinuität preußisch-deutscher Machtstaatspolitik, sondern im Kontext der Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung gesehen werden mußte. Daher bestand der entscheidende methodologische Ausgangspunkt für Marx und Engels, die sich vornehmlich in der Neuen Rheinischen Zeitung intensiv mit der Paulskirchenversammlung beschäftigten, darin, die Geschichte dieses Parlaments stets unter dem Aspekt des gesamtrevolutionären Geschehens zu betrachten. Für sie war diese Thematik jedoch nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern eine politische Angelegenheit von brennender Aktualität, weshalb ihre vorwärtstreibende Kritik nicht selten mit polemischer Schärfe vorgetragen wurde. Aber sie vergaßen nie, deutlich zu machen, daß sich dem Parlament nicht nur die Chance bot, die revolutionäre Entwicklung zu fördern, sondern daß zugleich die Revolution auch die Daseins- und Entwicklungsbedingungen für das nationale Parlament sicherte. Mit anderen Worten: Die Paulskirchenversammlung mit einer revolutionären Aufgabenstellung konfrontieren hieß, diese einem zwar strengen, aber dennoch in den historischen Gegebenheiten wurzelnden Beurteilungsmaßstab unterwerfen. Auch in der Geschichtsschreibung und Geschichtspublizistik der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den Arbeiten von Franz Mehring und Wilhelm Bios 3 , nahmen die Geschehnisse von 1848/49 verhältnismäßig 1 Ebenda, S. 9. Wöllstein, Günter, Das „Großdeutschland" der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49, Düsseldorf 1977, S. 333. 3 Mehring, Franz, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Erster Teil: Von der Julirevolution bis zum preußischen Verfassungsstreite 1830 bis 1863, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Berlin 1960; derselbe. Zur deutschen Geschichte — von der Revolution 1848/49 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Ebenda, 2

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breiten Raum ein. Die Beurteilung der Rolle der Frankfurter Nationalversammlung knüpfte an die von Marx und Engels entwickelten theoretisch-methodologischen Grundpositionen an, d. h., die Parlamentarismuskritik vom Standpunkte der revolutionären Arbeiterbewegung wurde mit einer strikten Berücksichtigung der historischen Bedingungen und Erfordernisse von 1848/49 verbunden. Mehring und Bios werteten dieses Parlament, unbeschadet ihres kritischen Abstandes, nach den von einer bürgerlichen Revolution gesetzten Maßstäben, wozu gehörte, daß es sich nicht in theoretischen Debatten verlor oder den Triebkräften dieser Revolution zuwiderhandelte, sondern seine Bestimmung auch darin sah, den Interessen des Volkes gerecht zu werden. Nach 1945 wurde die detailliertere Erarbeitung eines marxistisch-leninistischen Revolutionsbildes in Angriff genommen. Den Vorrang besaßen zunächst vor allem allgemeinere Überblicksdarstellungen. Eine wertvolle, weil umfassende Übersicht über das Geschehen von 1848/49 in Europa vermittelte das sowjetische Werk „Die Revolutionen von 1848/49". 1 Die Arbeiten von K. Obermann und andere z. T. speziellere Darstellungen 2 , wie die Monographie von G. Schilfert, vertieften nicht nur die konzeptionelle Ausgangsthese von Marx, Engels und Lenin, daß in der Revolution von 1848/49 der eigentliche Höhepunkt des Ringens um den gesellschaftlichen Fortschritt im 19. Jahrhundert zu sehen sei und die Kämpfe der Volksmassen den wichtigsten Teil des Geschehens bildeten, sie vermittelten — dem Stand der Forschung entsprechend — auch eine Reihe grundlegender Erkenntnisse über Charakter und Ergebnisse der Revolution. Einen wichtigen Schritt auf dem Wege zur Ausarbeitung eines marxistisch-leninistischen Bildes von der Revolution 1848/49 bedeutete die Untersuchung der Rolle der revolutionären Arbeiterbewegung, der entschiedensten Kraft innerhalb des antifeudalen Lagers, deren Eintritt in die geschichtliche Arena die Konstellation der antifeudalen Kräfte, mithin auch die historischen Rahmenbedingungen für den frühen bürgerlichen Parlamentarismus von Grund auf veränderte. Mit Hilfe von grundlegenden Überblicksdarstellungen, von Untersuchungen zur politischen Strategie und Taktik der Arbeiterbewegung und einer Vielzahl, z. T. biographischer Einzelstudien wurde diese Thematik umfassend und differenziert beleuchtet. 3 Analog hierzu erwiesen sich die Untersuchung des Wirkens anderer Klassen und Schichten (Kleinbürgertum, Bauern, Adel) sowie weitere vielfältige Einzelforschungen für die fernere Ausarbeitung des marxistisch-leninistischen Revolutionsbildes als fruchtbar. 4 Zum Teil bildeten diese Arbeiten die Voraussetzungen, zum Teil ergab sich im ZusammenBd. 7, Berlin 1965; Bios, Wilhelm, Die deutsche Revolution. Geschichte der deutschen Bewegung von 1848 und 1849, 2. Aufl., Stuttgart 1898. i Revoljucii 1848-1849gg. (Red. F. W. Potjomkin u. A. J. Molok), 2 Bde., Moskva 1952. Obermann, Karl, Die deutschen Arbeiter in der Revolution von 1848, 2. Aufl., Berlin 1953; derselbe, Deutschland von 1815 bis 1849, 4. überarb. Aufl., Berlin 1976; Schilfert, Gerbard, Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1952. 3 Vgl. vor allem Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1: Von den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Berlin 1966; Becker, Gerhard, Karl Marx und Friedrich Engels 1848—49, Berlin 1963; Strey, JoacbimjWinkler, Gerbard, Die Politik und Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung" während der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland, Berlin 1972: Männer der Revolution von 1848 (Red.: K. Obermann u. a.), Berlin 1970. 4 Vgl. H. B/eiber, M. KJien, K. Obermann und W. Schmidt über die Rolle der Bauern, der adligen Konterrevolution, der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse in der Revolution von 1848 in: ZfG, Jg. 1969, H. 3; Jg. 1970, H. 11 (Referate eines Kolloquiums zum 120. Jahrestag der Revolution); Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte und Wirkung, hrsg. v. H. Bartel u. a-, 2 Bde., Berlin 1972/73.

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hang mit diesen Forschungen aber auch die Notwendigkeit, den Parlamentarismus von 1848/49 näher in Augenschein zu nehmen. Die im Lexikon zur Parteiengeschichte enthaltenen Einzelbeiträge über die Fraktionen der Paulskirche 1 sind als Ansätze, als erste Versuche einer marxistischen Betrachtung des Parlamentarismus von 1848/49 zu werten. Ihnen lagen vor allem zwei methodologische Überlegungen zugrunde: 1. Parteien und Parlamentarismus sind stets als Ausdruck von Klasseninteressen zu werten; 2. die Dialektik von parlamentarischer und außerparlamentarischer Entwicklung ist bei der Untersuchung des Parlamentarismus unbedingt zu berücksichtigen. Weitere eingehendere Studien zur Rolle der kleinbürgerlich-demokratischen parlamentarischen Linken beleuchteten das Spannungsverhältnis Parlament — Revolution aus der Sicht der Parlamentsopposition 2 , erlaubten aber noch keine umfassenden Aussagen über den bürgerlich-liberalen Parlamentarismus. Ein wichtiges Erfordernis der weiteren Arbeit an der Geschichte des Parlamentarismus wie der Revolution von 1848/49 bildete vor allem die eingehendere Untersuchung der Rolle der Bourgeoisie. Bereits die 1973 erschienene repräsentative Illustrierte Geschichte der Revolution von 1848/49 gibt eine differenziertere Einschätzung der Rolle der Bourgeoisie im Verlaufe der Revolution. 3 Angesichts der Kompliziertheit dieser Problematik erwies sich die seit Beginn der 70er Jahre zu beobachtende enge Verzahnung von theoretischer Grundlagenforschung und empirischen Untersuchungen auf dem Gebiet der deutschen und allgemeinen Revolutionsgeschichte in der Epoche von 1789 bis 1871 als außerordentlich vorteilhaft. Zu den wichtigsten hierbei erzielten Ergebnissen gehört die Klärung des Inhalts der Epoche, die, auf der Grundlage der Ergebnisse der Französischen Revolution, den Sieg des Kapitalismus brachte — ein Prozeß, der in Deutschland im dialektischen Wechselspiel von Reform und Revolution verlief. Eine vergleichende Betrachtung der Revolution im Zyklus von 1789 bis 1917 erlaubt die typologische Bestimmung des Charakters der deutschen Revolution von 1848/49. Sie läßt sich, unter Berücksichtigung der Irreversibilität der Ergebnisse von 1789, der industriellen Revolution und des Standes des Umwälzungsprozesses in Deutschland selbst, als Revolution „auf dem Wege zum Kapitalismus" charakterisieren. 4 Die Erhöhung des theoretischen Niveaus der DDR-Historiographie auf dem Gebiete der Geschichte der bürgerlichen Umwälzung bzw. der Revolution 1848/49 wird vor allem in den konzeptionellen Thesen und Überlegungen von W. Schmidt 5 sichtbar. Im Hinblick Vgl. Lexikon %ur Parteiengescbichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland 1789-1945, hrsg. v. D. Fricke u. a., Bd. 2, Leipzig 1984, S. 610ff. Die von Bertscb, Herbert, Die FDP und der deutsche Liberalismus (1789—1963), Berlin 1965, gegebene Einschätzung des 48er Liberalismus ist unzulänglich und wird seinen historischen Dimensionen nicht gerecht. 2 Schmidt, Siegfried, Robert Blum. Vom Leipziger Liberalen zum Märtyrer der deutschen Demokratie, Weimar 1971 (ergänzend hierzu Robert Blum, Briefe und Dokumente, hrsg. v. S. Schmidt, Leipzig 1981); Hildtbrandt, Gunther, Parlamentsopposition auf Linkskurs. Die kleinbürgerlich-demokratische Fraktion Donnersberg in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Berlin 1975; Opposition in der Paulskircbe. Reden, Briefe und Berichte kleinbürgerlich-demokratischer Parlamentarier 1848/49, hrsg. u. eingel. v. G. Hildebrandt, Berlin 1981. 3 Illustrierte Geschichte der deutseben Revolution 1848/49 (von einem Autorenkollektiv unter Leitung v. W. Schmidt), Berlin 1973. * Vgl. S. 10, Anm. 1. 6 Vgl. Schmidt, Walter, Bourgeoisie, Arbeiterklasse, Volksmassen in den Kämpfen um die Wege der bürgerlichen Umgestaltung, in: ZfG, Jg. 1977, H. 10, S. 1178ff.; derselbe, Zu einigen Problemen der bürger1

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auf die Rolle der Bourgeoisie ergaben sich verschiedene wichtige Erkenntnisse, die durch eine Reihe von Einzelforschungen eine interessante Ergänzung finden. 1 Die Bourgeoisie als führende Klasse des sich herausbildenden Kapitalismus stand im Mittelpunkt der Epoche von 1789 bis 1871. Obwohl während des gesamten Zeitraumes mit dem historischen Fortschritt verbunden, war sie im allgemeinen bemüht, diesem eine gemäßigt-reformerische Ausrichtung zu geben, die einen Kompromiß mit der Adelsklasse zuließ und es ihr zugleich erlaubte, sowohl ihre grundlegenden Interessen zu befriedigen als auch die revolutionäre Aktivität des Volkes in Schranken zu halten. Ihre Entscheidung für die reformerische Variante der bürgerlichen Umgestaltung entsprach nicht allein mangelnder subjektiver Reife, sondern gründete sich auch auf eine Reihe objektiver — sozialökonomischer — Voraussetzungen. An erster Stelle trachtete die Bourgeoisie nach Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte, wodurch ihre ökonomisch beherrschende Stellung realisiert werden konnte. Die Machtfrage sowie die Begründung bürgerlich-fortschrittlicher politischer Verhältnisse waren für sie dagegen zweitrangig. Indessen waren, und diese These bildet einen wichtigen konzeptionellen Ausgangspunkt unserer Untersuchung, weitere entscheidende Veränderungen zu jenem Zeitpunkt nicht ohne Veränderungen auf politischem Gebiet denkbar. Die Geschichte der Revolution von 1848/49 zeigt, daß eine noch mächtige Adelsklasse in einer Situation des zugespitzten Klassenkampfes nicht ohne die Anwendung massiven Druckes zu entscheidenden Zugeständnissen gezwungen werden konnte. Bei einem solchen Verzicht konnte nur auf einen weiteren Wandlungsprozeß innerhalb des Adels und den fortschreitenden Druck ökonomischer Veränderungen gehofft werden, ein sofortiger Erfolg war jedoch nicht zu erwarten. Wesentliche unmittelbare Erfolge waren nur durch eine Lösung der Machtfrage, mindestens durch eine Machtteilung mit führendem Anteil für die Bourgeoisie zu erzielen. Keines von beiden aber wäre denkbar gewesen ohne ein (mindestens zeitweiliges) Zusammenwirken zwischen Bourgeoisie und Volksbewegung. Ganz im Einklang mit diesen Erkenntnissen betrachten wir den frühen bürgerlichen Parlamentarismus als das Korrelat einer sich herausbildenden fortschrittlichen Gesellschaftsordnung, als eine historisch progressive Erscheinung. Seine historischen Möglichkeiten nicht ausschöpfend, bisweilen — besonders in Krisensituationen — der revolutionären Volksbewegung konträr gegenüberstehend, war der frühe bürgerliche Parlamentarismus mit seiner liberalen Reformpolitik dennoch, vor allem im epochalen Sinne verstanden, auf die Durchsetzung des historischen Fortschritts orientiert. Im Wirken des frühen Parlamentarismus ist somit ein Stück progressives Erbe verkörpert — in der für die Bourgeoisie auch in dieser Entwicklungsphase typischen Bedingtheit und Beschränktheit. Daher ist unsere Untersuchung weder um eine Aufwertung des frühen bürgerlichen Parlamentarismus um jeden Preis bemüht, noch soll eine ebenso ahistorische pauschale Verurteilung vorgenommen werden. Wir betrachten unseren Gegenstand, das Wirken der tonangebenden Gruppierung des ersten nationalen Parlaments in Deutschland, auf dem Hintergrunde des allgemeinen revolutionären Geschehens. Wir verstehen dieses Wirken als Ausdruck der Interessen der von den Gagern-Liberalen vertretenen Klassenkräfte, als parlamentarischen Ausdruck der bürgerlich-liberalen Reformpolitik, als Versuch, dieser Politik mit parlamentarischen Mitteln

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liehen Umwälzung in der deutschen Geschichte, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung, S. 1 ff.; derselbe, Zu einigen Problemen der europäischen bürgerlichen Revolution von 1848/49. Hegemoniefrage, Typologisierung, Ergebnisse, in: ZfG, Jg. 1979, H. 7, S. 639ff. Vgl. Bourgeoisie and bürgerliche Umwälzung.

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Geltung zu verschaffen. Es gehört ohne Zweifel zu einer ausgewogenen Darstellung der Geschichte des Paulskirchenliberalismus, nicht nur seine dominant antidemokratische, sondern auch seine begrenzt antifeudale Orientierung herauszuarbeiten. Aber es bedeutet keine historische Überforderung dieser bürgerlich-liberalen parlamentarischen Gruppierung, wenn gleichzeitig die Frage gestellt wird, wie sie die der Paulskirchenversammlung zu Gebote stehenden Mittel für die optimale, d. h. möglichst rasche und umfassende Verwirklichung ihres Programms nutzte. Die Legitimität eines solchen Herangehens wird neuerdings durch die interessante Untersuchung von J. Hofmann 1 bestätigt, der bei der Analyse der Politik des Ministeriums Camphausen-Hansemann von ähnlichen Überlegungen ausgeht. Natürlich darf nicht übersehen werden, daß auch ein Risiko damit verbunden war, wenn reformerische mit revolutionären Mitteln kombiniert wurden. Es bestand die Möglichkeit, daß die Grenzen des moderaten liberalen Programms gesprengt wurden und die Bewegung (vorübergehend) auf demokratisch-republikanische Ziele lossteuerte. Wir konzentrieren uns in unserer Untersuchung vor allem auf die Grundrichtung, auf die allgemeine klassenmäßige Orientierung der Politik der Gagern-Liberalen, d. h. der von H. v. Gagern geführten bzw. repräsentierten, propreußisch orientierten, gemäßigt-liberalen Mehrheit des rechten Zentrums, welche die tonangebende parlamentarische Gruppierung innerhalb der Frankfurter Nationalversammlung verkörperte. Gleichzeitig soll versucht werden, ihre Taktik, die vor allem den Gegebenheiten des Parlaments, aber auch anderen Konstellationen Rechnung tragenden Manöver, zu verfolgen. Wer die Geschichte des Parlamentarismus irt den Zusammenhang der politischen und sozialen Kämpfe stellt, sie also aus der Sicht des gesamten Geschehens der Revolution betrachtet, kommt nicht an der Fragenach der sozialen Basis des Paulskirchenliberalismus vorbei. Wir haben versucht, unserer Untersuchung einige Bemerkungen zur Klassenbasis der Gagern-Liberalen voranzustellen, um den Blick auf die Beziehung zwischen Klasse und politisch-parlamentarischer Repräsentanz zu lenken und die Einordnung unseres Gegenstandes in die allgemeinere Gesellschaftsstruktur zu erleichtern. Als nachteilig für unsere Untersuchung erwies sich der Mangel an marxistisch-leninistischen Vorarbeiten zur sozialgeschichtlichen Entwicklung der Bourgeoisie 1848/49. Dieser Umstand erschwert es nicht nur, unserer Fragestellung nachzugehen, hierdurch bedingt, konnte auch unser Material nicht voll ausgeschöpft werden. Unser Versuch, dennoch die soziale Basis des Paulskirchenliberalismus aufzuhellen, ist fragmentarisch und stellt lediglich einen Behelf dar. Er bedarf dringend der Vertiefung. War der Versuch, die Klassengrundlage des Paulskirchenliberalismus aufzuhellen, unbedingt geboten, so erschien andererseits — bedingt durch die Spezifik unseres Themas — die Zurückstellung einer Reihe von organisatorisch-parteigeschichtlichen Aspekten zulässig. Dazu gehört bis zu einem gewissen Grade die Fraktions- oder Parteienentwicklung des rechten Zentrums. Zwar bildet die parlamentarisch-fraktionelle Ebene gewissermaßen unser Untersuchungsfeld, dennoch soll keine Fraktionsgeschichte angestrebt und die organisatorische Seite der Entwicklung des rechten Zentrums bzw. der Gagern-Liberalen nur am Rande verfolgt werden. Daher soll die Bezeichnung Gagern-Liberale nicht in erster Linie im streng parteimäßigen Sinne verstanden werden, sondern als Synonym einer bestimmten Richtung dienen. Die Konzentration auf Politik und Taktik, d. h. auf die allgemeineren Aspekte des Wir1

Hofmann, Jürgen, Das Ministerium Camphausen-Hansemann. Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49, Berlin 1981.

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kens der Gagern-Liberalen, legt jedoch auch den Verzicht auf die Untersuchung der ohnehin schwach ausgeprägten parteipolitischen Kontakte zur außerparlamentarischen gemäßigt-liberalen Bewegung nahe. Hier setzt die Quellenlage Grenzen. Berichte der Fraktion bzw. einzelner Abgeordneter, Rechenschaftslegungen etc., wie sie von der Linken der Paulskirche häufig verfaßt wurden, sind aus den Reihen der Gagern-Liberalen kaum überliefert. Dies ist kein Zufall, sondern hängt ohne Zweifel mit der hier wesentlich stärker ausgeprägten Exklusivität bzw. Distanz gegenüber der Öffentlichkeit zusammen. Die Konzentration auf das Wirken der Gagern-Liberalen schließt nicht aus, daß die ideologisch benachbarten parlamentarischen Gruppen wenigstens insoweit in die Betrachtung einbezogen werden mußten, wie diese mit jenen organisatorisch oder kooperativ verbunden waren bzw. eine Einbeziehung sich für das Verständnis der Politik und Taktik der Gagern-Liberalen als notwendig erweist. Das gilt zunächst für die proösterreichisch, bundesstaatlich bzw. föderativ eingestellte Gruppe um A. v. Schmerling (bis Dezember 1848 dem rechten Zentrum, der Fraktion Casino, zugehörig), auf die allerdings — bedingt durch das Anliegen unserer Untersuchung — nur am Rande eingegangen werden kann. Wir hoffen, ihr Wirken wenigstens soweit aufgehellt zu haben, als dies für die Fragestellung unserer Arbeit erforderlich erschien; dies gilt besonders für die Phase November bis Dezember 1848, wo sich die scharfen Auseinandersetzungen der beiden Casino-Gruppen direkt mit der politisch-ideologischen Profilierung der Gagern-Liberalen verflochten. Dessenungeachtet bleibt die eingehende Untersuchung der Rolle der Schmerlinggruppe ein dringendes Erfordernis für eine fundierte Gesamtgeschichte der Paulskirchenversammlung. Das Anliegen unserer Arbeit erforderte, das Augenmerk auch mit auf jene Fraktionsgruppe (Teile der äußersten Rechten sowie der Zentren) zu richten, die seit Februar 1849 unter der ideologischen und organisatorischen Führung der Gagern-Liberalen gemeinsam mit diesen als kleindeutsch-erbkaiserlich eingestellter parlamentarischer Block, als interfraktionelle Vereinigung Waidenbusch agierten. Sic war diejenige parlamentarische Kraft, die sich am konsequentesten für das Vorantreiben und die Verabschiedung der gemäßigtliberalen monarchischen Reichsverfassung einsetzte. Als unumgänglich für das Verständnis liberaler Parlamentspolitik erwies es sich auch, die Aktivität des wichtigsten diplomatisch-politischen Gegenspielers der Paulskirche, nämlich Preußens und, in geringerem Maße, auch Österreichs, mindestens seit Anfang 1849 ins Blickfeld zu rücken. Ohne dies wäre es nicht möglich, den Prozeß der Verfassunggebung und die Auseinandersetzung innerhalb des Parlaments über die Verwirklichung des Grundgesetzes zu verstehen. Die Konzentration auf eine Untersuchung von Politik und Taktik der Gagern-Liberalen macht aber auch eine Einschränkung erforderlich. Eine lückenlose Übersicht über die Parlamentsdebatten kann nicht gegeben werden. Es kann auch dem Wirken einzelner Abgeordneter nicht mit der vielleicht zu wünschenden Gründlichkeit nachgegangen, sondern ihm zumeist nur insoweit Aufmerksamkeit gewidmet werden, als es für die Gesamtfraktion relevant wurde. Dagegen wurde versucht, divergierende Richtungen innerhalb der GagernGruppierung deutlich zu machen. Wir hoffen, auch die Rolle der Führungsspitze der Gagern-Liberalen (H. v. Gagern, Dahlmann, Bassermann, Droysen, G. Beseler, E. Simson) und der anderen treibenden Kräfte mit ausreichender Gründlichkeit beleuchtet zu haben. Die Quellenlage ist, wie für die Frühgeschichte des bürgerlichen Parlamentarismus allgemein, kompliziert. Das vorliegende gedruckte Quellenmaterial — vor allem Stenographische Parlamentsberichte und die nahezu unübersehbare Memoirenliteratur — ist ergiebig, vermag jedoch die fehlenden fraktionsinternen Quellen nicht zu ersetzen. Dies gilt, streng genommen, auch für die seit Dezember 1848 erscheinende „Parlaments-Korrespondenz der

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Zentren". Von dem zur Verfügung stehenden Material vermag sie jedoch zur Aufhellung des fraktionsinternen Geschehens noch am ehesten beizutragen. Allerdings ist quellenkritische Distanz vor allem deshalb angebracht, weil es sich um eine für die Öffentlichkeit bestimmte Selbstdarstellung handelt. Parlamentsbriefe oder -berichte in der Tagespresse konnten nur in sehr geringer Zahl ermittelt werden. Dennoch erwiesen sich gerade die Zeitungen, wie für die gesamte Geschichte der Revolution, als recht ergiebige Quelle. Das gilt insbesondere für die als Parteiorgan der Gagcrn-Liberalen anzusprechende Oberpostamtszeitung sowie die dem rechten Zentrum gleichfalls nahestehende „Deutsche Zeitung". Mit Gewinn verwertet wurde auch umfangreiches, vorwiegend im Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt a. M. lagerndes Nachlaßmaterial, einschließlich des Nachlasses H. v. Gagerns. Da die Kontakt- und Verständigungssuche der Gagern-Liberalen mit Vertretern der einzelstaatlichen Regierungen einen integrierenden Bestandteil ihrer Politik bildete, wurden auch aussagekräftige diplomatische Quellen ausgewertet. Hierzu zählen vor allem die Rapporte der Emissäre, Reichskommissare sowie die Berichte der Bevollmächtigten wichtiger Einzelstaaten bei der provisorischen Zentralgewalt (vor allem Preußens und Österreichs). Auch die Berichte der preußischen Gesandten in St. Petersburg, London und Paris erwiesen sich als aufschlußreich bezüglich der Resonanz, die die Bestrebungen der Paulskirche bei den wichtigsten europäischen Mächten fanden. Anlage und Gliederung unserer Arbeit folgen den bekannten Zäsuren der Entwicklung der Frankfurter Nationalversammlung unter Anlehnung an die allgemeine Periodisierung der Revolution von 1848/49. So erschien es uns notwendig, die Haupteinschnittc nicht nur Mitte und Ende 1848 vorzunehmen. Dem Rang, den das Verfassungswerk in der Geschichte der Paulskirchenversammlung einnahm, und der Bedeutung des 28. März 1849 als eines Höhepunktes in der Entwicklung des frühen Parlamentarismus überhaupt trug auch die Periodisierung Rechnung. Unseres Erachtens sind auch die beiden restlichen größeren Stoffkomplexe — die Nationalitätenproblematik in der Frankfurter Nationalversammlung und die Septemberkrise 1848 sowohl nach ihrem politischen Gewicht für die Revolution als auch, mindestens was die letztere anlangt, für die Paulskirche selbst — so bedeutungsvoll, daß ihnen relativ breiter Raum eingeräumt werden mußte. Viele haben die Arbeit durch Unterstützung und Ratschlag voranbringen helfen. Der Vf. gedenkt vor allem Siegfried Schmidts, dem er lange Jahre freundschaftlich und kollegial verbunden war. Gunther Hildebrandt

Voraussetzungen und Konstituierung der gemäßigt-liberalen Gruppierung in der Frankfurter Nationalversammlung

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis der gemäßigten Paulskirchenliberalen In Deutschland hatten Adel und Fürsten in den Märztagen 1848 dem Druck der revolutionären Aktionen der Arbeiter, Handwerker und Bauern sowie dem Anspruch der Bourgeoisie auf Beteiligung an der Regierung nachgegeben, ohne daß im Ergebnis der Märzrevolution jedoch zunächst dauerhafte Machtverhältnisse geschaffen worden waren. Die Konstellation der Klassenkräfte blieb instabil. Keine der gesellschaftlichen Hauptkräfte — Adelsklasse, Bourgeoisie und revolutionäre Volksbewegung — zeigte sich in der Lage, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern, ohne die Unterstützung einer der anderen in Anspruch zu nehmen. Arbeiter, revolutionäre Kleinbürger und Bauern hatten in allen Staaten des Deutschen Bundes die Throne zum Wanken gebracht, aber die Monarchie nicht beseitigt. Das Volk hatte de facto die Souveränität errungen, aber keinen Anteil an der Ausübung der Macht erlangt. Wohl büßte die Adelsklasse ihre politisch führende Stellung vorübergehend ein, aber samt ihren gesellschaftlichen Stützen behielt sie ihre dominierende Position in Armee und Verwaltung, und auch der adlige Grundbesitz war gerettet worden. Die Bourgeoisie hatte zwar in den Regierungen der deutschen Staaten maßgebenden Einfluß erlangt, aber es war ihr nicht gelungen, den gesamten Staatsapparat in die Hand zu bekommen. Ebenso war die Gründung einer bürgerlich-konstitutionellen Zentralgewalt zunächst nicht zustande gekommen. Die Bourgeoisie vermochte es gleichfalls nicht, eine gesamtnationale bürgerliche Verfassung in Kraft zu setzen. Auch verfügte sie vorerst nicht über ein zentrales Parlament. Hieraus resultierte ihre eigentümliche Stellung innerhalb der sich nach der Märzrevolution in Deutschland herausbildenden Klassenkonstellation. Einerseits bestand für sie die Gefahr, daß, sofern sie ihre Position nicht auszubauen verstand, das Kräfteverhältnis sich nach der einen oder anderen Seite hin (zugunsten der Volksbewegung oder der Adelsklasse) veränderte. Aber was zunächst schwerer w o g : die Bourgeoisie war, von ihrer objektiven Klassenposition her gesehen, sozusagen nach beiden Seiten hin „ offen". Sie befand sich in der Lage, Bündnispolitik nach zwei verschiedenen Richtungen hin zu betreiben. Hierfür gab es objektive Gründe. Einerseits hatten retardierende Faktoren, wie die kapitalistische Umgestaltung der Landwirtschaft, einer scharfen Zuspitzung des gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs entgegengewirkt. Berücksichtigt man hierbei, daß die Position der Bourgeoisie gestärkt, die der Adelsklasse geschwächt worden war, so geriet eine Übereinkunft beider Ausbeuterklassen durchaus in den Bereich des Möglichen. Auf der anderen Seite verband die Bourgeoisie mit den werktätigen Klassen das gemeinsame Interesse an der weiteren bürgerlichen Umgestaltung. Die Macht der Bourgeoisie war in den Märzregierun-

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Die gemäßigt-liberale Gruppierung

gen noch nicht so fest etabliert und die Widersprüche innerhalb des antifeudalen Lagers im Frühjahr 1848 noch nicht so weit entwickelt, daß — wenigstens zeitweilig — ein gemeinsames Operieren der Bourgeoisie und der links von ihr stehenden antifeudalen Kräfte nicht objektiv möglich schien. Für die beiden anderen gesellschaftlichen Hauptkräfte stellte sich die Lage so dar, daß die Bourgeoisie ihrerseits einen sowohl für die kleinbürgerliche Demokratie als auch für die gemäßigte Fraktion der Adelsklasse möglichen Bündnispartner verkörperte. Für die reformbereiten Kräfte innerhalb der Adelsklasse war selbst im äußersten Falle lediglich eine (zeitweilige) Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie denkbar. Andererseits kam selbst für die gemäßigten Kräfte innerhalb der kleinbürgerlich-demokratischen Bewegung eine Kooperation mit der liberalisierenden Adelsfraktion, wie auch umgekehrt, nicht mehr in Frage. Die Bourgeoisie, ausgenommen der äußerste rechte Flügel der Großbourgeoisie, nahm nach der Märzrevolution 1848 in Deutschland eine Art Mittelposition ein. „Mit ihrem Prinzipe zurückhaltend", so charakterisierte die Neue Rheinische Zeitung bereits in ihrer zweiten Nummer die „Partei des besonnenen, gemäßigten Bürgertums", das sie nur soweit hervortreten ließ, „als es gegen den alten, durch die Revolution umgeworfenen Zustand gerichtet war, die Bewegung vorsichtig beschränkend, wo das Interesse des neu zu bildenden Rechtszustandes, die Herstellung der äußeren Ordnung als Vorwand dienen konnte, den Freunden der alten Ordnung scheinbare Zugeständnisse machcnd, um ihrer zur Durchführung ihrer Pläne desto sicherer zu sein, dann allmählich ihr eigenes System in den Grundzügen aufführend", sei es ihr gelungen, „zwischen der demokratischen Partei und den Absolutsten eine Mittelstellung zu gewinnen, nach der einen Seite fortschreitend, nach der anderen zurückdrängend, zugleich progressiv — gegen den Absolutismus, reaktionär — gegen die Demokratie." 1 Was sich im Frühjahr und Frühsommer 1848 als „Mittelstellung" zu erkennen gab, war jedoch nichts anderes als der Ausgangspunkt eines Prozesses, der ungeachtet zeitweiliger Kräftigung der antifeudalen Positionen, tendenziell durch ein weiteres Abrücken der Bourgeoisie von den demokratischen Kräften und eine stärkere Annäherung an die Feudal- und Partikulargewalten gekennzeichnet war. Der politische Kurs, den die Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 gegenüber der Adelsklasse einschlug, war im Vergleich zum letzten Jahrzehnt des Vormärz durch neue Momente gekennzeichnet. Bereits in den 40er Jahren war ihre antidemokratische Haltung zutage getreten, doch besaß der Antidemokratismus noch nicht generell den Vorrang, auch hatte er die Bourgeoisie nicht davon abgehalten, die Hegemonie der antifeudalen Oppositionsbewegung zu übernehmen. Dies änderte sich im Verlaufe der Revolution. Die Bourgeoisie zeigte sich nunmehr nur noch insoweit zur Führung des Umgestaltungsprozesses bereit, als einerseits weitere Schritte in Richtung einer Volksrevolution unterblieben, andrerseits aber die angestrebte Übereinkunft mit Adel und Fürsten nicht gefährdet wurde. Nachdem im März revolutionäre Teilerfolge errungen worden waren, gewannen, nicht zuletzt angesichts des Weiterdrängens der revolutionär-demokratischen Kräfte, allmählich die Annäherung an Adel und Fürsten und die Abgrenzung von den Volksmassen den Vorrang. In den Monaten nach der Märzrevolution wie auch in späteren Phasen der Entwicklung (am deutlichsten in der Haltung der Paulskirchenliberalen im Frühjahr 1849) zeigte sich jedoch: Ungeachtet der dominierenden Rolle des Antidemokratismus offenbarte sich in der Politik der Bourgeoisie, diesem untergeordnet und in ihrer Intensität abhängig vom jeweili' NRbZ, Nr. 2, 2. 6. 1848.

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis

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gen Stand des Klassenkampfes, jedoch auch eine antifeudale Komponente (wobei die regionale Entwicklung durchaus nicht synchron mit jener innerhalb der Paulskirche verlief). Programm und Politik der deutschen Bourgeoisie waren nicht auf eine optimale Lösung der Machtfrage, also nicht darauf gerichtet, diese Umwälzung so rasch und umfassend wie möglich durchzuführen. Aber sie waren auch nicht bedingungslos auf ein Bündnis mit dem aristokratisch-monarchischen Lager fixiert, vielmehr geprägt vom Gedanken der allmählichen, möglichst weitgehend im Einvernehmen mit der Adelsklasse vonstatten gehenden bürgerlich-konstitutionellen Umbildung der derzeitigen Verhältnisse zu einem auf Machtteilung beruhenden, aber von der Bourgeoisie gelenkten Staatswesen. Dieses Konzept einer Übereinkunft oder Vereinbarung mit Adel und Fürsten war die spezifische Variante der bourgeoisen Reformpolitik unter der Bedingung des offenen revolutionären Klassenkampfes 1848/49. Für die Bourgeoisie war der Parlamentarismus neben der Kabinettspolitik das wichtigste Mittel zur Umsetzung dieses Konzeptes. Die Vorstellungen der gemäßigten Liberalen von der Rolle eines zentralen Parlaments vor Ausbruch und während der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848/49 trugen ihrem allgemeinen politischen Konzept Rechnung. Ursprünglich, d. h. nach 1830, hatten die Liberalen lediglich eine Nationalrepräsentation mit beratender Funktion verlangt, mit deren Hilfe die bestehenden politischen Verhältnisse zeitgemäß fortgebildet werden sollten, ohne den Partikularismus wirklich anzutasten. Später, in den 40er Jahren, hatte der Parlamentarismus in den Programmen der Liberalen einen immer höheren Stellenwert erlangt. Während der Vorbereitung der Revolution traten sie nicht nur wesentlich entschiedener als zuvor für die Einberufung eines nationalen Parlaments ein, sie maßen einer solchen Volksvertretung auch wesentlich umfangreichere Kompetenzen zu. Ihre wichtigste Aufgabe sollte darin bestehen, die möglichst von der Bourgeoisie beherrschte Legislative, ein entscheidendes Organ zur Ausübung der politischen Macht zu verkörpern und außerdem als Institution zur Regierungsbildung und -kontrolle zu fungieren. Das zentrale Parlament sollte den Bourgeoisliberalen somit helfen, ihren Anspruch auf Beteiligung an der politischen Macht und Mitregierung gegenüber Adel und Fürsten durchzusetzen. Im Einklang mit ihrer konstitutionell-monarchischen Grundhaltung distanzierten sie sich jedoch von jeder Art Konventspolitik und maßen einem solchen Parlament auch die Aufgabe zu, es möge ein „kräftiger Schutzwall" für die „Throne" sein. 1 Die Haltung der liberalen Bourgeoisie, auch ihrer parlamentarischen Repräsentanten, gegenüber der Volksbewegung war — mindestens was alle revolutionären Aktivitäten anbetraf — restriktiv. Dennoch verzichtete sie nicht darauf, das Volk, wo es ihr erforderlich erschien, für die Unterstützung ihrer konstitutionellen Reformpolitik zu gewinnen, wie beispielsweise die von ihr inszenierten Mißtrauenskampagnen gegen demokratische Parlamentarier zeigten.2 Allerdings waren die Bourgeoisparlamentarier im allgemeinen darauf bedacht, daß der Anti demokratismus den evolutionären Umwälzungsprozeß lediglich absicherte und nicht ihren Geltungsanspruch gegenüber der alten Ausbeuterklasse aufhob. So erwiesen sich zumindest in Phasen relativer Ruhe Antifeudalismus und Antidemokratismus als miteinander vereinbar, ja sogar als eine Art Korrelativ. In Krisensituationen wurde jedoch die Gegensätzlichkeit dieser beiden Momente deutlich. Häufig trat die Unmöglichkeit zutage, eine nach zwei Seiten moderierende Politik zu Vgl. Hildebranit, Gunther, Heinrich v. Gagern, in: Männer der Revolution] von 1848, Bd. II, Berlin 1987, S. 357 ff. 2 Vgl. S. 135 unten. 1

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Die gemäßigt-liberale Gruppierung

betreiben, was die Bourgeoisparlamentarier zumeist bewog, wenigstens zeitweilig Abstriche an ihrem Geltungsanspruch gegenüber den adlig-monarchischen Kräften zu machen. Der sich mit der Zuspitzung des revolutionären Klassenkampfes aktivierende Antidemokratismus der Bourgeoisie sowie grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Modalitäten und Ziele des Umwälzungsprozesses und das starre Festhalten der Bourgeoisie an ihrem Vereinbarungskonzept führten gerade in entscheidenden Situationen der Revolution von 1848/49 auch zu tiefgreifenden Konflikten zwischen Bourgeoisie und demokratischen Kräften. Dies gilt sowohl für den außerparlamentarischen als auch den parlamentarischen Bereich, und hier sowohl für die einzelstaatlichen Landtage als auch, und dies in ganz besonderem Maße, für die Frankfurter Nationalversammlung. Zur Klassenbasis der Gagern-Liberalen im engeren Sinne gehörten jene Teile der Gesellschaft, die deren Programm und Politik hauptsächlich bestimmten. Das waren die sich zur Klasse formierende Bourgeoisie — große und mittlere Unternehmer (wenigstens deren übergroße Mehrheit), Handelskapitalisten, reiche Manufakturbesitzer sowie im Aufstieg begriffene kleine Warenproduzenten und Gewerbetreibende —, die gemäßigt-liberale Intelligenz und der überwiegende Teil der mittleren und hohen Beamtenschaft. Selbstverständlich waren sie nicht jeweils im gleichen Maße an der sozialen Trägerschaft des rechten Zentrums beteiligt. Die innerhalb der sozialen Basis der Gagern-Liberalen (im engeren Sinne) dominierende Gruppe verkörperten vor allem Handelskapitalisten und die liberale Beamtenschaft (vor allem preußischer Provenienz). Vor allem bedingt durch stadiale und regionale Besonderheiten, handelte es sich bei dieser Bourgeoisie noch nicht um eine homogene Klasse. Bis heute gestattet es der Forschungsstand allerdings nicht, sich ein genaues Bild von der sozialen Struktur der deutschen Bourgeoisie 1848/49 zu machen 1 , so daß wir uns mit einigen allgemeinen Feststellungen begnügen müssen, die in vieler Hinsicht hypothetischen Charakter besitzen und mehr als Fragestellung für die weitere Forschung aufzufassen sind. Die Bourgeoisie verfügte noch nicht über ein einheitliches, wohl aber ein sich von den anderen Klassen der alten und der sich konstituierenden bürgerlichen Gesellschaft deutlich abhebendes politisch-soziales Profil. Dabei waren die sozialen Unterschiede gegenüber den werktätigen Klassen im allgemeinen deutlicher ausgeprägt als gegenüber der junkerlichen Ausbeuterklasse. Allerdings sind der politische, der ökonomische und der soziale Aspekt jeweils gesondert zu betrachten. Die ökonomischen Existenzbedingungen von Bourgeoisie und Proletariat besaßen antagonistischen Charakter. Aber auch die von diesem Antagonismus nicht erfaßten kleinen Warenproduzenten und Gewerbetreibenden unterschieden sich vor allem hinsichtlich der Verwertung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Ausbeutung fremder Lohnarbeit deutlich von der jungen Unternehmerbourgeoisie. Gegenüber der junkerlichen Ausbeuterklasse waren die sozialen Unterschiede bei der Bourgeoisie weniger ausgeprägt als gegenüber den werktätigen Klassen, ohne daß deren Eigenständigkeitsmerkmale überhaupt etwa hätten in Frage stehen können. Das politisch-parlamentarische Wirken der Paulskirchenliberalen läßt jedenfalls erkennen, daß sie selbst in Phasen der scharfen Konfrontation mit den demokratischen 1

Die Geschichtsschreibung der DDR steht noch am Beginn der sozialgeschichtlichen Erforschung des Formierungsprozesses der Bourgeoisie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; bisher vor allem Zwabr, Hartmut, Zur Klassenkonstituierung der deutschen Bourgeoisie, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 18, Berlin 1978, S. 21-83.

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis

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Kräften inner- und außerhalb des Parlaments ihren (beschränkten) Führungsanspruch gegenüber Adel und Fürsten nicht gänzlich aufgaben. Die Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft war 1848 immerhin noch nicht so weit fortgeschritten, daß die Bourgeoisie auf die Forderung nach einer Beschleunigung des Ablösungsprozesses verzichten konnte. Die Profilierung der Bourgeoisie gegenüber der Adelsklasse fand auch in ihrem eigenständigen, wenn auch auf einen Kompromiß mit ihrem Widersacher zielenden Reformprogramm Ausdruck, namentlich in ihrer Forderung nach Beteiligung an der politischen Macht und ihrem verfassungspolitischen Führungsanspruch. Problematisch ist die quantitative Abgrenzung von den Gewerbetreibenden bzw. kleinen Warenproduzenten. Wir setzen die untere Grenze eines kapitalistischen Industrie- oder Gewerbebetriebes etwa bei einerBelegschaftsstärke von 15 Beschäftigten an. 1 Wir sind uns der Problematik einer solchen Klassifizierung bewußt, meinen aber, daß wir damit den stadialen Bedingungen des Kapitalismus ausgangs der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland in etwa gerecht werden. Durch eine solche Klassifizierung würde jedenfalls die Masse der kleinen Warenproduzenten und Gewerbetreibenden mit Sicherheit ausgenommen. 2 Mindestens ebenso schwierig ist es, die Frage nach der Rolle der Großbourgeoisie, d. h. nach ihrem Verhältnis zu den Gagern-Liberalen der Frankfurter Nationalversammlung zu beantworten. H. Zwahr hat am Beispiel Leipzigs darauf aufmerksam gemacht, daß bereits in der vorrevolutionären Etappe einerseits eine enge Interessenverflechtung des im Bankund Handelskapital manifesten Flügels der Großbourgeoisie mit der Adelsklasse, andererseits unübersehbare Differenzen zwischen dieser großbourgeoisen Fraktion und der Industriebourgeoisie — vor allem auf wirtschaftspolitischem Gebiet — bestanden. 3 A. Zwahr hat diesen Aspekt in ihrer Untersuchung über die Rolle der sächsischen Bourgeoisie 1848 — auf ganz Sachsen bezogen — weiterverfolgt und ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Auch sie weist auf eine im Gegensatz Schutzzoll-Freihandel sichtbar werdende Fraktionsspaltung innerhalb der Bourgeoisie hin. Diese erhalte 1848 ihre besondere Ausprägung durch den Umstand, daß einige Vertreter der Industriebourgeoisie sogar republikanische Positionen vertraten. 4 Das Beispiel Sachsens zeigt nicht nur die mindestens ansatzweise Existenz einer regionalen bourgeoisen Gruppierung, sondern auch deren Durchdringen bis zur höchsten parlamentarischen Vertretung 1848 in Deutschland, wo sie ihren politischen Standort allerdings bei der gemäßigten Linken fand. Daß man sich vor vorschnellen Verallgemeinerungen hüten und die besonderen Bedingungen der einzelnen Regionen unbedingt berücksichtigen muß, ehe man zu abschließenden Einschätzungen gelangen kann, zeigt das Beispiel Rheinlands, wo die Industriebourgeoisie wie auch ihre parlamentarische Repräsentanz offensichtlich uneingeschränkt zum gemäßigten Liberalismus des rechten Zentrums 1 Lenin, IV. I., Werke, Bd. 4, S. 7 ff., bes. S. 9. Es mag die von uns angegebene untere Klassifizierungsgrenze indirekt bestätigen, wenn die durchschnittliche Beschäftigtenzahl pro Fabrik 1849 in Preußen mit 5,4 angesetzt wird. Hierbei ist in Rechnung zu stellen, daß es sich bei dieser Gruppe um sämtliche unzünftigen Betriebe handelt, auch solche, die nicht mit maschinellem Antrieb arbeiteten. Ferner ist zu berücksichtigen, daß der allergrößte Teil davon Kleinbetriebe waren (vgl. Fischer, Wolfram)Krengel, Jocbenj Wietog, Jutta, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1, München 1982, S. 55). 3 Zwabr, Hartmut, Klassenkonstituierung, S. 48ff. 4 Vgl. Zwabr, Annette, Zur Politik der Bourgeoisie in Sachsen von Februar bis September 1848, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung, S. 331 ff.; dieselbe, Zur Politik der Bourgeoisie Sachsens von Februar bis September 1848, Phil. Diss. Leipzig 1980. 2

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Die gemäßigt-liberale Gruppierung

tendierten. Wir betrachten die Großbourgeoisie als der sozialen Basis der Gagern-Liberalen im engeren Sinne angehörig, ja sogar als eine unter denselben dominierende Gruppe. Dies geschieht nicht nur, weil uns die erheblichen Schwierigkeiten der Abgrenzung nach rechts zu besonderer Vorsicht verpflichten. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand müssen wir davon ausgehen, daß, ungeachtet einer bourgeois-republikanischcn Gruppierung (Sachsen) im gesamtnationalen Rahmen, fraktionelle Differenzen zwischen Bank- und Handelskapital einerseits und der industriellen Unternehmerschaft andererseits die (politischen) Gesamtinteressen der Bourgeoisie im großen und ganzen noch nicht prinzipiell in Frage stellten. Abgesehen davon, daß die gegenwärtig vorliegenden Forschungsergebnisse uns noch nicht ausreichend erscheinen, um dieser Fragestellung beim methodischen Angehen unseres Gegenstandes besonderes Augenmerk zu widmen, wird auch im politischparlamentarischen Wirken des rechten Zentrums der Paulskirche selbst dieser Gegensatz kaum deutlich. Dennoch ist davon auszugehen, daß weitere Forschungen zur Sozialgeschichte der deutschen Bourgeoisie neue Aspekte erbringen können. Deutlich ausgeprägt im Wirken der Paulskirchenliberalen sind dagegen regional bedingte Unterschiede im Entwicklungsstand der Bourgeoisie von 1848. Verwiesen sei hier nur auf die Auseinandersetzungen zwischen der Mchrheitsgruppe um H. v. Gagern und dem Schmerling-Flügel innerhalb des rechten Zentrums, die jedoch weniger auf inter- als auf innerfraktionelle Differenzen der Bourgeoisie zurückzuführen sind. Die Meinungsdifferenzen zwischen dem propreußisch orientierten und dem österreichfreundlich gesinnten Flügel der Paulskirchenliberalen waren nicht zuallerletzt Ausdruck divergierender wirtschafts- bzw. zollpolitischer Vorstellungen auf seiten der Unternehmer und landwirtschaftlichen Großproduzenten. Dieser Zusammenhang darf jedoch keinesfalls vereinfacht werden. Die Unterschiede zwischen den beiden Flügeln im Lager des rechten Zentrums waren keinesfalls deckungsgleich mit dem Gegensatz zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern schlechthin. Auf beiden Seiten gab es Anhänger sowohl der einen als auch der anderen Richtung. 1 Auch griff der Gegensatz Freihandel — Schutz 1

Dies läßt vor allem die Untersuchung Bests erkennen, der die an den volkswirtschaftlichen Ausschuß der Frankfurter Nationalversammlung gelangten Petitionen unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten auswertete: Best, Heinrieb, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland, Göttingen 1979; derselbe. Die regionale Differenzierung interessenpolitischer Orientierungen im frühindustriellen Deutschland — ihre Ursachen und Auswirkungen auf politische Entscheidungsprozesse, in: Industrialisierung und Raum. Studien zur regionalen Differenzierung im Deutschland des 19. Jh., Stuttgart 1979. Best bestätigt die von A. Zwahr am Beispiel Sachsens konstatierte Existenz von Bourgeoisrepublikanern, die er zu Recht der gemäßigten parlamentarischen Linken zuordnet. Dennoch erscheinen seine Forschungsergebnisse vor allem in zweierlei Hinsicht anfechtbar: 1. wegen der Überschätzung wirtschaftspolitischer Faktoren (Schutzzoll) für die Annäherung von Bourgeoisrepublikanern und kleinbürgerlichen Demokraten; 2. wegen der vorläufig noch begrenzten Aussagefähigkeit des Materials, die es im Augenblick noch nicht erlaubt, zu generellen Schlußfolgerungen über einen ,gruppenübergreifenden Konsensus' zwischen Industriebourgeoisie sowie Handwerkern, Kleinbauern und Arbeitern auch nur in einem größeren Teile Deutschlands zu kommen. Nachweisbar ist vorläufig nur die Gruppe der sächsischen Bourgeoisrepublikaner; auch liegt der sogenannte Mobilisierungsgrad bei den von ihm vor allem herangezogenen (Schutzzoll-)Petitionen, d. h. die jeweils nachweisbare Unterstützung der betreffenden Eingaben lediglich bei etwa 16 Prozent. Die Verflechtung schutzzöllnerischerund freihändlerischer Auffassungen innerhalb der gemäßigten Liberalen, verbunden mit dem Umstand, daß sich keine Anzeichen einer bourgeoisrepublikanischen Strömung innerhalb der Paulskirche finden lassen (Mammen bzw. Eisenstuck müssen als Außenseiter angesehen werden), lassen die Möglichkeit offen, daß der Entwicklung Sachsens 1848 in dieser Hinsicht eine exzeptionelle Bedeutung zukommt.

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis

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zoll eindeutig über die Liberalen des rechten Zentrums hinaus, wie die Untersuchung von Best deutlich gemacht hat. Die prononciertesten, weil als Industrielle unmittelbar am Schutzzoll interessierten Anhänger des Protektionismus fanden sich — als Bourgeoisrepublikaner — auf der Linken der Frankfurter Nationalversammlung. Dennoch erscheint die freihändlerische Komponente stärker, die protektionistische schwächer im Lager der junkerlich-bourgoisen Anhängerschaft H. v. Gagerns ausgeprägt als bei den Parteigängern einer proösterreichischen Lösung. Die Handelsbourgeoisie und die getreideproduzierenden Junker in Preußen und anderen nord- und mitteldeutschen Staaten waren auf den Freihandel orientiert. Für die kapitalistischen Unternehmer dieses Wirtschaftsraumes bestand zumindest in bezug auf die Notwendigkeit, den inneren Markt zu stärken und auszuweiten, keinerlei Zweifel. Dagegen verlangte die österreichische Bourgeoisie (eine Ausnahme bildet beispielsweise ein Teil der deutsch-böhmischen Unternehmer) mit ihrer relativ zurückgebliebenen Industrie die Abschirmung ihres Wirtschaftsgebietes (einschließlich der Erhaltung der außerdeutschen Märkte in Südosteuropa). Insgesamt muß zunächst noch davon ausgegangen werden, daß 1848, mindestens auf die größeren Gebiete bezogen, die Gesamtinteressen den Vorrang vor fraktionellen Auseinandersetzungen besaßen. Nahezu die gesamte Bourgeoisie war sich einig im Eintreten für eine konstitutionelle Monarchie, unbestritten waren das Festhalten an der Reformpolitik, die Ablehnung revolutionärer Gewalt zur Durchsetzung des eigenen Programms sowie das Vereinbarungskonzept, wenigstens in prinzipieller Hinsicht. All diese Momente — das gilt für sämtliche Schichten der Bourgeoisie — schlössen das begrenzte Wirken eines oszillierenden Antifeudalismus durchaus nicht aus. Es gehört zu den Besonderheiten der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland um 1848, daß Intelligenz und Bürokratie innerhalb sowohl der politischen Repräsentanz wie der sozialen Basis des gemäßigten Liberalismus über eine relativ starke Position verfügten. Es handelt sich hierbei um jenen Umstand, der in der Literatur bisweilen mit der Formulierung von der relativen Stärke oder sogar Dominanz des ideologischen Faktors in der Entwicklung des gemäßigten Liberalismus umschrieben wird. Gemeint ist die Einbeziehung eines relativ großen Personenkreises, dessen politisches Engagement scheinbar oder wirklich nicht vorrangig in einer ökonomischen Interessenlage wurzelte. Dies betrifft beispielsweise vor allem Teile der höheren akademisch gebildeten Beamtenschaft, auch der Regierungs- und Ministerialbürokratie, sowie Hochschullehrer und beamtete Juristen, die auch bei der ersten der hier genannten Gruppierungen rubriziert werden könnten. Es sind also Teile der gehobenen Bürokratie bzw. beamteten Intelligenz, die, weil schwer voneinander abgrenzbar und hinsichtlich ihres Ausbildungsganges und ihres dienstlichen Abhängigkeitsverhältnisses miteinander übereinstimmend, hier gemeinsam in Augenschein genommen werden sollen und mit der Formel „akademisch gebildetes Beamtentum" ausreichend genau gekennzeichnet werden können. Daß die ideologisch-theoretische Komponente in der Entwicklung des frühen gemäßigten deutschen Liberalismus relativ stark hervortritt, wurde — allerdings in einem anderen Zusammenhang — bereits von Friedrich Engels im Jahre 1842 hervorgehoben 1 und gilt heute in der Liberalismusforschung allgemein als unbestritten. In einer neueren Arbeit hat W. Siemann auf die Bedeutung der juristischen Ausbildungsinhalte für das politische Engagement vieler Liberaler der Paulskirche, allerdings in ziemlicher Verabsolutierung, 1

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Vgl. seine Studie „Nord- und süddeutscher Liberalismus": MEW, Ergänzungsband, Zweiter Teil, Berlin 1967, S. 2 4 6 f f . Hildebrandt, Gagern

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D i e gemäßigt- liberale G r u p p i e r u n g

hingewiesen. 1 Eine detaillierte und überzeugende Untersuchung der Rolle der theoretischideologischen Komponente innerhalb des frühen Liberalismus steht bislang noch aus. Auch wir können uns hier lediglich auf einige allgemeine Hinweise beschränken. Zuallererst muß festgestellt werden: Wenn im Hinblick auf bestimmte Teile der gemäßigt-liberalen Bewegung vom Fehlen einer unmittelbaren ökonomisch determinierten Interessenlage gesprochen wird, so wäre es dennoch falsch, ihr ausschließlich eine theoretisch-ideologische Motivation zu unterlegen.Vielmehr gilt für die von uns in Augenschein genommene soziale Schicht, daß fast ausnahmslos eine wenn auch unterschiedlich ausgeprägte Interesscnverflechtung mit den Einrichtungen des Staates sichtbar wird. Die weniger staatsorientierte freischaffende Intelligenz (Rechtsanwälte, Ärzte) war in stärkerem Maße in der demokratischen Bewegung verankert. Man ist geneigt, ihr in höherem Grade als den akademisch gebildeten Beamten eine ideologische Motivation zuzubilligen, handelte es sich doch (vor allem bei den Rechtsanwälten) häufig um Intellektuelle, die aus persönlichen oder politischen Gründen den Eintritt in den Staatsdienst ablehnten. Zudem sollte nicht übersehen werden, daß es bei dieser Gruppe oft auch eine existentiell bedingte Interessenverflechtung mit den werktätigen Klassen gab. Hiermit stand ohne Zweifel in Zusammenhang, daß innerhalb der freischaffenden Intelligenz ein höherer Anteil an sozial Aufgestiegenen als bei der akademisch gebildeten Beamtenschaft zu verzeichnen war. Für den akademisch gebildeten Beamten gilt cum grano salis der Satz, daß das Angewiesensein auf den Staat den Faktor der wirtschaftlichen Abhängigkeit darstellte, denn nur das Eintreten für den Staat bzw. die korrekte Erfüllung der ihm staatlicherseits zugewiesenen Aufgabe garantierte die ihm gewährte wirtschaftliche Sicherheit. Mehr noch: Die Wahrnehmung seiner staatsdienenden Funktion sicherte dem Beamten darüber hinaus weitere Privilegien wie Steuervergünstigungen, Heiratsrechte u. a. m. Trotz einer derartigen Interessenverflechtung kann, wie gerade die Teilnahme erheblicher Teile der akademisch gebildeten Beamten an der gemäßigt-liberalen Bewegung zeigt, durchaus nicht ohne weiteres von einem kritiklosen Staatsdienerverhältnis ausgegangen werden. Verbundenheit mit dem Staatsapparat schloß in vielen Fällen eine liberale Beamtenpraxis und das Eintreten für eine gemäßigte Reformierung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse nicht aus, mitunter bedingten beide sogar einander. Die Gagern-Liberalen verfügten über eine über die soziale Basis, im engeren Sinne, weit hinausreichende Massenbasis, welche im wesentlichen mit ihrer Wählerschaft (unter Wahlmännern oder Urwählern) identisch war. Zu ihr zählten neben den genannten Klassen und Schichten liberale bzw. gemäßigte Adlige und relativ große Teile monarchisch eingestellter Kleinbürger und konservativ gesinnter Bauern. Bei den Trägerschichten im weiteren Sinne handelte es sich um diejenigen Klassen oder Schichten, bzw. Teile davon, die in der Fraktion weit unterrepräsentiert waren und deren politisches Wollen infolgedessen meist nur punktuelle Berücksichtigung in der Politik der Gagern-Liberalen fand. Sie waren somit mit der Fraktion häufig nur durch partielle Gemeinsamkeiten verbunden, die zwar auf einer begrenzten Interessenübereinstimmung beruhten, aber auch durch den jeweiligen subjektiven Reifegrad in starkem Maße geprägt wurden. E s hing mit der allgemeinen gesellschaftlichen Position der Bourgeoisie und ihrem durch Antidemokratismus wie auch durch antifeudale Momente gekennzeichneten Programm zusammen, daß Programm und Politik Anknüpfungspunkte für recht unterschiedliche 1 Z u Siemann vgl. S. 18, A n m . 2 sowie S. 47, A n m . 1. V g l . Henning, Hans-Joacbim, Entwicklungen in Deutschland von 1815 bis 1860, Paderborn 1977, S. 97.

Sozialgeschichtliche

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis

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Klassen und Schichten boten. Das Konzept einer Machtteilung mit Adel und Fürsten, wenn auch nicht der Prioritätsanspruch seitens der Bourgeoisie, wurde beispielsweise anfangs von gemäßigten Kräften der Adelsklasse durchaus akzeptiert. Andererseits fand die Verflechtung des konstitutionell-monarchischen Prinzips mit einem bürgerlich-fortschrittlichen Reformprogramm Anklang in gemäßigt-konservativen bis gemäßigt-fortschrittlichen Teilen des Kleinbürgertums und der Bauernschaft. Der Zusammenhang zwischen Klassen- und Massenbasis der Gagern-Liberalen war dadurch gekennzeichnet, daß sich das Programm der letzteren unter den Bedingungen von 1848/49 (einschließlich des herrschenden Wahlsystems) von sämtlichen politischen Konzepten der Paulskirchenfraktionen als am zugkräftigsten erwies. Diese Tatsache verrät, daß der von den gemäßigten Liberalen auch nach der Märzrevolution erhobene begrenzte Führungsanspruch, welcher sowohl die Führung der Volksrevolution als auch die Gefährdung einer Übereinkunft mit der alten Ausbeuterklasse möglichst ausschloß, bei der weiteren bürgerlichen Umgestaltung in weiten Kreisen des antifeudalen Lagers 1848/49 trotzdem mindestens zeitweilig akzeptiert wurde. Die Frage nach den objektiven Grundlagen bourgeoiser Politik legt es nahe, sich nicht auf eine Klassenanalyse der Bourgeoisie zu beschränken, sondern den Blick auf die Klassenverhältnisse im allgemeinen, besonders auf die Klassenbeziehungen zu den anderen gesellschaftlichen Hauptkräften zu richten. Dabei ist zunächst einmal zwischen retardierenden und aktivierenden Momenten in bezug auf die Wahrnehmung ihrer antifeudalen Führungsrolle zu unterscheiden. Als führende Klasse der neuen Produktionsweise nahm die Bourgeoisie objektiv auch wichtige Interessen der anderen antifeudalen Klassen und Schichten, wie der Arbeiterklasse, der Bauern und des Kleinbürgertums, wahr, da die Durchsetzung bürgerlich-kapitalistischer Verhältnisse ihnen sowohl die Verwirklichung bestimmter politischer Rechte als auch die Verbesserung der politischen Kampfbedingungen im allgemeinen zu bringen versprach. Nahm die Bourgeoisie einerseits ihre Hegemoniefunktion innerhalb des antifeudalen Lagers in begrenztem bürgerlich-konstitutionellem Sinne wahr, so wandte sie sich gleichzeitig gegen weitreichende demokratische Bestrebungen und Aktionen der Volksbewegung, da sie in diesen eine Gefährdung ihrer Führungsposition und ihres gemäßigten und grundsätzlich auf Ausgleich mit der Adelsklasse setzenden Reformkonzeptes sah. Vor allem die mit dem vollen Einsetzen der industriellen Revolution und dem Eintritt der Arbeiterklasse seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts aufbrechenden innerkapitalistischen Widersprüche stärkten die Neigung der Bourgeoisie, sich auf ihre Ausbeuterrolle zu besinnen, von revolutionären Aktionen zur Durchsetzung einer bürgerlich-kapitalistischen Ordnung Abstand und auf einen Ausgleich mit der Adelsklasse Kurs zu nehmen. Von besonderer Bedeutung für das Verständnis bourgeoiser Politik, genauer für das Verhältnis von Realitätsbezogenheit und Illusionsträchtigkeit innerhalb ihres politischen Konzepts, welches auf eine politische Übereinkunft mit der Adelsklasse zielte, ist die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vor sich gehende Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft auf dem preußischen Wege. Insgesamt gesehen führte sie im Agrarbereich in Deutschland bereits in der vorrevolutionären Periode zu einer tendenziellen Abschwächung des gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs zwischen Adelsklasse und Bourgeoisie in sozialer Hinsicht. Jedoch ist es vor allem durch die starke regionale Differenziertheit und die komplizierte Quellenlage schwierig, den eingangs der Revolution erreichten Entwicklungsstand genau zu fixieren. Nicht zuletzt bestätigt der seit einiger Zeit innerhalb der DDR-Ge3*

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Die gemäßigt- liberale Gruppierung

schichtsschreibung geführte Meinungsstreit, wie schwierig es ist, exakte Aussagen über diesen Komplex zu treffen. Indessen scheint die Problematik wenigstens soweit geklärt, daß es möglich ist, den bisher erzielten Forschungsergebnissen einige wichtige Gesichtspunkte für die Klärung der Frage nach den objektiven Grundlagen bürgerlich-liberaler Politik zu entnehmen. Die Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft auf dem preußischen Wege war durch die Reformen im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeleitet worden und hatte somit eingangs der Revolution von 1848/49 bereits einen größeren Zeitabschnitt zurückgelegt. Dennoch sollte der 1848 erreichte Entwicklungsstand nicht überschätzt werden, und es scheint nicht gerechtfertigt, die Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt — sei es auch nur für Preußen oder dessen größeren Teil — als abgeschlossen zu betrachten. Die von G. Moll weiterhin vorgebrachten Argumente gegen eine Überschätzung der auf dem preußischen Wege bis 1848 hervorgebrachten Ergebnisse erscheinen uns einleuchtend. 1 Von einer kapitalistischen Basis der Landwirtschaft in Deutschland 1848 kann noch nicht gesprochen werden. Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Reformen in Preußen und den meisten anderen deutschen Staaten in Gang gekommene Prozeß hatte sich später deutlich verlangsamt (in den grundherrlichen Gebieten stärker als im größten Teile Ostelbiens), ohne daß er gänzlich zum Stillstand gekommen wäre. Eine wichtige Wegstrecke zur vollen Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse in der Landwirtschaft war noch zurückzulegen. Die Entwicklung auf dem preußischen Wege war noch nicht soweit gefestigt, daß seine Korrektur und sein Hinüberleiten in die Bahnen einer revolutionären Umgestaltung der Landwirtschaft nicht zu den wichtigsten Aufgaben der Revolution gezählt hätten. In Preußen wurden erst durch die Reformen von 1850 die Voraussetzungen zur beschleunigten Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse auf dem Agrarsektor geschaffen. Dennoch war in den Jahrzehnten nach der Reformära eine Reihe von Fortschritten erzielt worden, die sich etwa in folgenden Punkten zusammenfassen lassen: Die Ablösung verschiedener feudaler Lasten hatte in Teilen Deutschlands, besonders im ostelbischen Preußen, begonnen. Ausgenommen blieben z. B. Bestimmungen über die gutsherrliche Polizeigewalt, die Patrimonialgerichtsbarkeit. Gegen Entschädigung, was jedoch nur einem Teil der feudalabhängigen Bauern zugute kam, wurden bis 1848 feudale Hemmnisse für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte in der Landwirtschaft beseitigt. 2 Auch die freie Verfügbarkeit über Grund und Boden, eine Voraussetzung für die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse, war um die Mitte des Jahrhunderts in Deutschland im wesentlichen erreicht. Ferner existierten, nicht zuletzt infolge der voll1

2

Vgl. hierzu die neuesten Veröffentlichungen von Moll, G-, Alternativen kapitalistischer Agrar-Evolution, in: ZfG, Jg. 1984, H. 1, S. 14—26 und Harnisch, H., Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratischer Revolution von 1848/49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Weimar 1984; derselbe, Zum Stand der Diskussion um die Probleme des „preußischen Weges" kapitalistischer Agrarentwicklung in der deutschen Geschichte, in: Studienbibliothek DDRGeschichtswissenschaft, Bd. 3: Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789, Berlin 1983, S. 116—144, wo sich auch die wichtigste Literatur findet. Vgl. ferner Her%, Hans, Zur ökonomisch-sozialen Entwicklung von Adel und Junkertum in Preußen nach der Revolution von 1848/49 bis 1870/71, in: ZfG, Jg. 1983, H. 6, S. 523-537. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß sich die Zahlung der Ablösegelder für die bereits vor 1848 eingeleite, ten Entlastungen bis weit nach der Revolution hinzog.

1. Politische Voraussetzungen und soziale Basis

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zogenen bzw. noch in Gang befindlichen Ablösungen, ein relativ hoher Konzentrationsgrad an Grund und Boden bzw. umfangreiche Geldfonds in den Händen von Guts- bzw. Grundbesitzern als Voraussetzung für Investitionen. Des weiteren hatte der preußische Weg des Kapitalismus in der Landwirtschaft bis 1848 zwar nicht zu einer Polarisierung der Klassen auf dem Lande geführt, jedoch hatte die soziale Differenzierung Fortschritte gemacht, was sich vor allem im ostelbischen Preußen in einem Trend zur Herausbildung kapitalistisch wirtschaftender marktabhängiger Gutsbesitzer 1 und einer werktätigen Bauernschaft äußerte, ein soziales Merkmal kapitalistischer Verhältnisse auf dem Lande. Alles in allem zeichnete sich insbesondere in Preußen bereits 1848 die allmähliche Umwandlung der feudalen Fron- in die kapitalistische Junkerwirtschaft ab. All diese Momente wirkten in Richtung auf eine Abschwächung des gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs zwischen Adelsklasse und Bourgeoisie. Schließlich wurde der Annäherungsprozeß zwischen beiden durch den Umstand erleichtert, daß auf der jeweiligen Partnerseite gerade die nichtindustriellen Gruppen über eine relativ starke (dominante) Position verfügten, nämlich Handelskapitalisten und liberale Beamten, die dem Junkerstaat bzw. der Junkerklasse sozial oder interessenmäßig zum großen Teil stark verbunden waren. Sozialökonomische Wandlungsprozesse zogen nicht automatisch politisch-ideologische Konsequenzen nach sich. Die Herausbildung kapitalistischer Elemente in der preußischen Landwirtschaft führte nicht zwangsläufig zu Junkerliberalismus, obwohl dieser zweifellos in jener Entwicklung wurzelte. Aber junkerlich-kapitalistisches Wirtschaften korrespondierte häufig mit dem Beharren auf stockreaktionären Positionen. Hier liegt mit die Erklärung dafür, daß die Abschwächung des gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs nicht ohne weiteres von einer Entschärfung der politischen Konflikte zwischen Bourgeoisie und Adelsklasse begleitet wurde, wie sich in der revolutionären Krise Ende 1847/Anfang 1848 zeigte. Auf die begrenzte Wandlungs- und Adaptionsfähigkeit des junkerlichen Ausbeutungssystems gründeten die Liberalen jedenfalls zum großen Teile ihre Hoffnung, der von der Junkerklasse beherrschte preußische Staat sei zu einer den Erfordernissen der Zeit entsprechenden Reform im beiderseitigen Einvernehmen fähig und bereit. Allerdings war ihr Erwartungshorizont wesentlich weiter gespannt, als es die Realität zuließ. Auch die kompromißbereitesten Vertreter der Adelsklasse waren nicht bereit, einem Modus der Machtteilung mit der Bourgeoisie zuzustimmen, welcher ihnen die schwächere Position bescherte. Abschließend soll versucht werden, unsere Ausführungen über die Sozialstruktur und die soziale Basis der Paulskirchenliberalen durch einige statistische Angaben zu ergänzen. Wir beschränken uns bei dem im folgenden vermittelten Zahlenmaterial2 deshalb im 1

2

Nach Harnisch, Zum Stand der Diskussion um die Probleme des „preußischen Weges", S. 134, sei diese bei der Mehrzahl der ostelbischen Gutsherren bereits in den 40er Jahren abgeschlossen gewesen. Zu dem im folgenden Teil vermittelten bzw. verarbeiteten statistischen Material vgl. vor allem Dieterici, Karl Friedrieb Wilhelm, Die Bevölkerung des preußischen Staates nach der amtlichen Aufnahme des Jahres 1846, Berlin 1848; Harseim, F. W. ¡Schlüter, C., Statistisches Handbuch für das Königreich Hannover, Hannover 1848; Mitteilungen des Statistischen Bureaus in Berlin, Jg. 1849; Tabellen und amtliche Nachrichten über den preußischen Staat für das Jahr 1849, hrsg. v. Statistischen Bureau in Berlin, Bde. 1—6, Berlin 1851—55; Mitteilungen aus dem Gebiete der Statistik, hrsg. v. d. Direktion der administrativen Statistik im K. K. Handelsministerium, Jg. 1852, H. 1—4; Dieterici, Karl Friedrieb Wilhelm, Handbuch der Statistik des preußischen Staats, Berlin 1861; Statistische Mitteilungen aus dem Königreich Sachsen, hrsg. v. Statistischen Bureau des Ministeriums des Inneren, Lieferung 1—3, Dresden 1851—1854; Obermann, Karl, Zur Klassenstruktur

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Die gemäßigt- liberale Gruppierung

wesentlichen auf Preußen und beleuchten die Sozial- bzw. Bevölkerungsstruktur in den anderen deutschen Staaten lediglich anhand einiger Beispiele. Preußen verdient aber auch insofern besondere Beachtung, als die Parlamentsabgeordneten dieses Landes die größte regionale Gruppe innerhalb der Paulskirchenversammlung ( 3 3 , 7 % ) darstellten 1 , wobei ihr politisches Gewicht noch höher zu veranschlagen ist als ihr zahlenmäßiger Anteil. Innerhalb des rechten Zentrums der Nationalversammlung waren diese Abgeordneten eindeutig überrepräsentiert. Auch hier gilt, daß der politische Einfluß der preußischen Gruppierung noch höher zu bewerten ist, als er sich im Zahlenanteil ausdrückt. Dieser Umstand stellte ohne Zweifel eine nicht zu unterschätzende Prämisse für die Meinungsbildung innerhalb des Frankfurter Parlaments dar. Die wirtschaftliche Struktur Preußens war unterschiedlich. Neben den Agrarprovinzen im Norden und Nordosten existierten Zentren der industriellen und gewerblichen Produktion vor allem im Rheinland und in Schlesien. Allein über 44 % der Bevölkerung (etwa 7,2 Millionen) lebten jedoch in den vor allem auf landwirtschaftlicher Produktion basierenden Provinzen Preußen, Pommern, Posen und Brandenburg. Die berufstätige Bevölkerung in Preußen umfaßte etwa 50 % der Gesamteinwohnerzahl (1848 etwas über 16 Millionen), eine Zahl, die auch für die anderen Staaten des Deutschen Bundes etwa als Durchschnittswert angesehen werden kann. Ungefähr ein Drittel der berufstätigen Bevölkerung bestand aus (den damals nicht wahlberechtigten) Frauen. Ca. 60 % der berufstätigen Bevölkerung Preußens waren in der Land- und Forstwirtschaft tätig 2 (wo der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten deutlich über einem Drittel lag). In Sachsen, einem der bedeutendsten Industrie- und Gewerbezentren, lag der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten bei etwas über 30 %. 3 Die hier Tätigen gliederten sich in Grund- bzw. Gutsbesitzer einschließlich Einlieger, Häusler usw. (in Preußen rd. 22 % der berufstätigen Bevölkerung, Sachsen rd. 7 %), Tagelöhner, Handarbeiter einschließlich Eisenbahn-und Chausseearbeiter (Preußen rd. 20 %, davon Männer 11,6 % ; Sachsen rd. 9 %), Gesinde (Preußen rd. 16 %, davon Männer rd. 7,4 % ; Sachsen rd. 17 %).« Im Bereich von Gewerbe und Industrie waren in Preußen etwa 30 % (ca. 1,6 Millionen) der männlichen arbeitenden Bevölkerung tätig (Sachsen rd. 50 %), in Handel und Verkehr 6 % oder 322022 (Sachsen rd. 5 % ) und in nichtproduktiven bzw. geistigen Berufen knapp 10 % oder ca. 520000 (Sachsen ca. 6,5 % ) ß Die den Kern der Bourgeoisie repräsentierenden kapitalistisch wirtschaftenden Unternehmer und Finanziers verkörperten — lt. Statistik — in Preußen eine zahlenmäßig recht kleine Gruppe von rd. 25000 Bankiers, Großkaufleuten, Fabrikanten, Maklern, Frachtund zur sozialen Lage der Bevölkerung in Preußen 1846 bis 1849, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Jg. 1973, T. III, S. 143—174. Vgl. auch derselbe, Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848, Berlin 1987. 1 Die nach Preußen größten Kontingente stellten Österreich 132 (von den eigentlich zu wählenden 193 Abgeordneten) - 2 2 % ; Bayern 7 1 - 1 1 , 8 % ; Württemberg 2 8 - 4 , 6 % Hannover 2 6 - 4 , 3 % ; Sachsen 2 4 4 , 0 % ; Baden 2 0 - 3 , 3 % ; Hessen-Darmstadt und Schleswig-Holstein je 1 2 - 2 , 0 % ; Kurhessen 11—1,8%; Gesamtzahl der Erstmandatsträger 598 Abgeordnete; vgl. Schwang Max, MdR [Mitglieder des Reichstages], Hannover 1965, S. 27 ff. 2 Tabellen, Bd. 5, S. 1085. 3 Statistische Mitteilungen, 3. Lieferung, S. 120f. 4 Obermann, Karl, Zur Klassenstruktur, S. 93, 103; Statistische Mitteilungen, 3. Lieferung, S. 82 f. 5 Obermann, Karl, Zur Klassenstruktur, S. 101 f.; Statistische Mitteilungen, 3. Lieferung, S. 120f.

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

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und Fuhrunternehmern. Das waren ca. 0,5 % der männlichen arbeitenden Bevölkerung. Der exzeptionellen ökonomischen Bedeutung Sachsens entsprechend, lag der Anteil hier etwas höher (ca. 0,8 % oder etwa 5000), wobei sich der Durchschnittswert für die anderen deutschen Staaten der geringeren Zahl nähern dürfte. Wenn wir, was unumgänglich erscheint, auch die Höhe des Einkommens als Klassifikationsmerkmal heranziehen, dürfte sich der in Frage kommende Personenkreis erweitern» Nach Berechnungen bezogen in Preußen zu Beginn der 50er Jahre über 360000 Unternehmer Einkünfte von über 1000 Talern jährlich 1 , wobei ohne Zweifel in dieser Zahl auch ein Teil der wirtschaftlich gut gestellten Handwerksmeister berücksichtigt war (Gesamtzahl der Meister in Preußen 1849 ca. 535000). Die Zahl der zum großen Teil zu den verläßlichsten Stützen des rechten Zentrums in der Frankfurter Nationalversammlung zählenden Angestellten oder Beamten in staatlicher oder kommunaler Anstellung in Preußen lag relativ hoch (ca. 55000 — über 1 % der männlichen arbeitenden Bevölkerung), ohne daß sich für die zur sozialen Basis des rechten Zentrums im engeren Sinne zählenden Schichten der Status einer doch recht kleinen Minderheit hierdurch geändert hätte. Dieses Bild verschiebt sich auch nicht wesentlich durch die Einbeziehung der gleichfalls zu den sozialen Trägern des rechten Zentrums zählenden Vertreter der gemäßigt-konservativ bzw. gemäßigt-liberal eingestellten Intelligenz (zumeist in fester Anstellung). Hierzu gehörten u. a. Richter, Professoren, Redakteure, Ärzte usw. 2 Angesichts der hier vor allem am Beispiele Preußens grob skizzierten Sozialstruktur erhebt sich die Frage nach den Ursachen des außerordentlich guten Abschneidern der gemäßigten Liberalen in den Wahlen für die Frankfurter Nationalversammlung, das ja zu den wichtigsten Startbedingungen für die Gagern-Partei gehörte. Wir wollen uns im folgenden bemühen, unter Zugrundelegung von Wahlergebnissen auf einige Aspekte zur Beantwortung dieser Frage hinzuweisen, ohne auf die Wahl der Abgeordneten des rechten Zentrums umfassend und im einzelnen einzugehen. 3 2. W a h l e n und Konstituierung der Gagern-Liberalen in der Frankfurter Nationalversammlung Die großen Erfolge, die die Liberalen in den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung sowohl gegenüber den Konservativen als auch den Demokraten erzielten, waren auf mehrere Umstände zurückzuführen. Dazu gehörte das praktizierte Wahlrecht, welches zwar wesentliche Fortschritte gegenüber der Vormärzzeit, zugleich aber auch mehrere Einschränkungsklauseln aufwies (indirektes Verfahren, Ausschluß der ,,Unter"schichten), die den Kandidaten der Liberalen zugute kamen. Auch aus der politisch-ideologischen Situation, die in weiten Kreisen der ländlichen werktätigen Bevölkerung vor allem in den ostelbischen Gebieten herrschte (Fehlen unmittelbaren Zündstoffes infolge der Entwicklung des Kapitalismus auf dem preußischen Wege; Abhängigkeit der werktätigen Bevölkerung gegenüber den Gutsherren; konservative Grundstimmung), konnten vor allem die liberalen Kandidaten profitieren. Hinzu kamen weitere Faktoren, auf die noch eingegangen wird. 1 2

3

Obermann, Karl, Zur Klassenstruktur, S. 86. Vgl. Tabelle der beruflichen Gliederung der Bevölkerung in Preußen nach der Gewerbezählung von 1849, ebenda, S. 101 ff. Vgl. vor allem Obermann, Karl, Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848, Berlin 1987.

Die gemäßigt- liberale Gruppierung

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Zahl der preußischen Urwähler 1849 (ohne Militärangehörige und deren Familien, vergleichbar mit den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung 1848)* Regierungsbezirk

Einwohnerzahl

Zahl der Urwähler

in Prozent

Königsberg Gumbinnen Danzig Marienwerder Posen Bromberg Potsdam (mit Berlin) Frankfurt a. O. Stettin Köslin Stralsund Breslau Oppeln Liegnitz Magdeburg Merseburg Erfurt Münster Minden Arnsberg Köln Düsseldorf Koblenz Trier Aachen

841799 626485 398742 607539 890366 460552 1152295 830490 537792 429707 180793 1165994 978493 905 762 664771 713066 337252 417745 455571 563630 484183 887534 487 230 477858 399975

163446 111353 83122 113813 172893 83816 249883 174467 109203 84923 38137 240958 169563 192842 148746 153066 71764 95995 89151 120327 105848 190714 105717 100853 85103

19,4 17,7 20,8 18,7 19,4 18,2 21,6 21,0 20,3 19,7 21,1 20,6 17,3 21,2 22,3 21,4 21,2 22,9 19,5 21,3 21,8 21,4 21,6 21,1 21,2

3255703

20,4

Gesamt

15895624

* Nach Obermann, Karl, Zur Klassenstruktur und sozialen Lage, S. 104f.

In Preußen besaßen Männer über 24 bzw. 25 Jahre (ausgenommen das linksrheinische Gebiet, wo die Altersgrenze bereits bei 21 Jahren lag), die im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte und nicht Empfänger von Armenunterstützung waren, das Wahlrecht. Von der männlichen Bevölkerung über 24 bzw. 21 Jahren (rd. 23 % der Gesamtbevölkerung) besaßen rd. 3500000 (rd. 21 % der Gesamtbevölkerung) das aktive Wahlrecht. Damit hielt sich die Quote der vom Wahlrecht Ausgeschlossenen relativ gering. Ein großer Teil der Nichtberechtigten waren die knapp 210000 Almosenempfänger über 24 Jahre (rd. 1,2 % der Gesamtbevölkerung). 1 Die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse ergeben keine exakten Aufschlüsse über die Zahl der Wahlberechtigten in sämtlichen deutschen Staaten. Die für eine Reihe einzelner Wahlkreise in unterschiedlichen Staaten des Deutschen Bundes (Württemberg, Hannover, 1

Diese Zahl ist annähernd zu erschließen aus den erstmals für 1852 veröffentlichten Angaben (!Tabellen und amtliche Nachrichten, Bd. 5, S. 1084). Sie stimmt in etwa auch mit den von K. Obermann neuerdings für Westfalen veröffentlichten Angaben überein (vgl. Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung in Westfalen im Frühjahr 1848, in: Beiträge zur Geschichtc Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 72, 1980, S. 65).

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

41

Baden, Sachsen) überlieferten, z. T. geschätzten Zahlen1 liegen etwas unter der Angabe für Preußen, aber nicht allzuweit von dieser entfernt (etwa zwischen 15 und 20 % der jeweiligen Gesamtbevölkerung). Dem entspricht etwa Botzenharts Annahme, es seien im Gebiet des Deutschen Bundes mindestens 80 % der volljährigen Männer wahlberechtigt gewesen. 2 Wenn somit auch die Zahl der Wahlberechtigten höher lag, als vielfach angenommen wird, so blieb dennoch die Wahlbeteiligung relativ gering. Dies galt mindestens für Staaten mit indirekter Wahl, wo nach den vorliegenden Angaben und Schätzungen im Durchschnitt von einer Wahlbeteiligung zwischen 7 und 10 % der Gesamtbevölkerung (d. h. zwischen 35 und 50 % der Wahlberechtigten) auszugehen wäre. 3 Auch in der Mehrzahl der wenigen direkt wählenden Klein- und kleinen Mittelstaaten 4 lag sie kaum höher. Lediglich in Württemberg und Kurhessen gingen rd. 75 % der Stimmberechtigten zur Wahl. Die insgesamt geringe Wahlbeteiligung kam mit Sicherheit in erster Linie den Kandidaten der gemäßigten Konservativen bzw. gemäßigten Liberalen zugute. Die Ursachen für das häufige Fernbleiben von der Wahl waren vielfältig. Verbreitet waren Pressionen und eine antiparlamentarische Stimmungsmache seitens partikularistischer bzw. reaktionärer Kräfte. Auch die Verletzung der Geheimhaltungspflicht der Wahl durch kommunale und staatliche Behörden hielt viele Wähler, die sich in abhängiger Stellung befanden, von der Stimmabgabe ab. 5 Selbstverständlich wirkte auch das in den meisten Staaten (einschließlich Preußen und Österreich) angeordnete indirekte Verfahren dämpfend auf die Bereitschaft vieler zur Ausübung ihres Wahlrechtes. Die indirekte Wahl sowie die starke Anhebung des passiven Wahlalters zur Frankfurter Nationalversammlung trugen in entscheidendem Maße dazu bei, das Prinzip der parlamentarischen Repräsentation zu entstellen. Dem vorliegenden spärlichen Material ist jedoch zu entnehmen, daß die Urwahlen zum Teil in weit geringerem Maße zu Proportionalitätsveränderungen führten als die Stimmabgabe durch die Wahlmänner. Die von K. Obermann vorgenommene Analyse der Zusammensetzung der Wahlmänner in einer Reihe von schlesischen Kreisen (Neiße, Nimptsch, Beuthen, Bunzlau u. a.) 6 ergibt ein der Sozialstruktur der erwerbstätigen Bevölkerung in Preußen durchaus verwandtes Bild (ca. 45—50 % Bauern und Landarbeiter, 10—15 % Besitzbürgertum und Beamten, ca. 10 % geistige bzw. nichtproduktive Berufe).7 Vgl. etwa Bot^cnbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 141 ff.; Obermann, Karl, Über die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung in Sachsen 1848 auf Grund ihrer Ergebnisse im Wahlbezirk V (Grimma), in: Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, hrsg. v. R. Groß u. M. Kobuch, Weimar 1977, S. 425ff. 2 Bot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 157. 3 Vgl. ebenda; dieser Wert wird auch durch die Forschungen K. Obermanns bestätigt (nach einer persönlichen Mitteilung). Etwas höher liegen die Werte allerdings für möglicherweise repräsentative Teile von Westfalen {derselbe, Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung in Westfalen, S. 82). i Direkt gewählt wurde u. a. in Württemberg, Kurhessen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Altenburg, Reuß j. L., Frankfurt a. M., Hamburg, Bremen. 3 Zum Verlauf der Wahlen in Deutschland bzw. in einzelnen Regionen außer den bereits genannten Arbeiten vor allem Schilfert, Gerbard, Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1952; Hamerov, Theodore S., The Elections to the Frankfurt Parliament, in: The Journal of Modern History, Bd. 33, 1961, Nr. 1; Obermann, Karl, Die Protestbewegung gegen die Einschränkung des Wahlrechts zur Frankfurter Nationalversammlung 1848, in: ZfG, Jg. 1976, H. 1, S. 49ff. 6 Obermann, Karl, Wähler und Wahlmänner, ihre soziale Herkunft und ihre Beteiligung an den Wahlen 1848 in Schlesien, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Jg. 1977, T. I, S. 86ff. ' Ebenda, S. 90ff. 1

42

Die gemäßigt- liberale Gruppierung

Ähnlich war es in verschiedenen zumeist ländlichen Wahlbezirken Westfalens (bis ca. 45 % Bauern und Landarbeiter, zwischen 15 und 30 % Unternehmer, Beamte und Angestellte). 1 In Grimma, dem einzigen sächsischen Kreis, über welchen von K. Obermann Material veröffentlicht ist, ergibt sich beispielsweise ein anderes Bild. Trotz des für die werktätigen Klassen günstigeren Wahlmännerschlüssels (1 : 100 gegenüber 1 : 500 in Preußen) dominieren hier Gutsbesitzer (43 %), Ärzte, Professoren, Lehrer, Advokaten (16 %), Unternehmer und Beamte (22 %). 2 Aus den wenigen bisher übermittelten Angaben läßt sich kein einheitliches Bild gewinnen. Ohne Zweifel zeigte sich der Wählerwille in den Urwahlen unverfälschter als in den Wahlen der Wahlmänner. Wenn auch der Wahlausgang keineswegs im Verfahren allein begründet gewesen wäre; wesentliche Teile der werktätigen Urwähler unterlagen der ideologischen Beeinflussung durch rechtsliberale und konservative Kräfte. Allerdings läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, daß es Konservativen und Liberalen unter relativ fortgeschrittenen Bedingungen des Klassenkampfes in Zentren der demokratischen Bewegung doch relativ schwer fiel, das Votum der werktätigen Urwähler zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Insgesamt brachten die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung der Bourgeoisie einen bedeutenden Erfolg. Sie hatte sich unter Ausnutzung der durch die Revolution geschaffenen Möglichkeiten maßgeblichen Einfluß innerhalb des ersten zentralen Parlaments gesichert. Von den 598 für Frankfurt in Erstwahl gewählten Abgeordneten waren über 350 (d. h. ca. 60 %) Liberale aller Schattierungen, 159 (26,5 % ) davon gehörten dem rechten Zentrum an. 3 In dieser Fraktion enthalten sind neben den Casino-Abgeordneten auch die der Fraktion Landsberg, die sich Anfang September 1848 vom Casino trennte, jedoch weiterhin zumeist gemeinsam mit ihm operierte. Ihre größten Erfolge errangen die gemäßigten Liberalen in den Agrarprovinzen des Nordens und Nordostens, wo sie nahezu 50 % aller Mandate erhielten, in Unterösterreich (27 %), in Teilen von Bayern sowie in Nordwestdeutschland (Braunschweig sämtliche Mandate, Schleswig-Holstein 58,3, Hannover 42,3 %), wo die antifcudale Bewegung einen ausgeprägt liberal-konstitutionellen Charakter besaß. Dagegen erlangten die gemäßigten Liberalen in Baden (15 % ) oder Württemberg (3,5 %), wo die demokratische Bewegung über besonders starke Positionen im antifeudalen Lager verfügte, oder unter relativ fortgeschrittenen Bedingungen des Klassenkampfes wie in Sachsen (4 % ) oder den beiden westlichen Provinzen Preußens (24 % ) weniger Mandate. Die Erfolge der Liberalen hingen mit einer Reihe von Umständen zusammen. Auf das sie begünstigende indirekte Verfahren sowie die undemokratischen Wahlpraktiken wurde bereits hingewiesen. Dabei bevorteilte das sowohl bei der indirekten als auch direkten Wahl angewendete einfache Mehrheitsverfahren natürlich jeweils die Partei mit den meisten Majoritätskandidaten. 4 Hinzu kam, daß sich die Kandidaten der Bourgeoisie in vielen Fällen auf gemäßigt-konservative, je nach Lage der Dinge aber auch auf linksliberale, mitunter sogar auf extremkonservative Kräfte stützen konnte. Ohne Zweifel erlangten die liberalen Kandidaten häufig die Unterstützung werktätiger 1 Vgl. die Zahlen für den 1., 14., 15. und 20. Wahlbezirk Westfalens (derselbe, Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung in Westfalen, S. 103ff.). 2 Derselbe, Über die Wahlen in Sachsen, S. 432ff. 3 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Heinrich v. Gagern, S. 368. 4 Allerdings konnte dieser Nachteil für die demokratischen Kandidaten in einer Reihe von Fällen dadurch •wenigstens z. T. kompensiert werden, daß diese (sofern sie die zweitgrößte Stimmenzahl erlangten) zu Nachfolgekandidaten gewählt wurden.

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

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Wähler. Das gilt vor allem für die Stimmabgabe der Wahlmänner, zum Teil aber auch der Urwähler. Auch wenn sich diese Feststellung aus dem vorliegenden Material nicht exakt nachweisen läßt, vor allemeine genauere soziale Aufschlüsselung dieser Wahlhilfe nicht möglich ist, so kann man doch aus der Unterschiedlichkeit der regionalen Wahlergebnisse für das rechte Zentrum einige Schlußfolgerungen ziehen. Es darf mit einiger Sicherheit vermutet werden, daß die erwähnte Unterstützung in erster Linie aus den Kreisen des monarchisch eingestellten Kleinbürgertums (bessergestellte Handwerksmeister und Gewerbetreibende) sowie der ländlichen Bevölkerung (konservativ gesinnte Bauern und ihr Gesinde) kam. Auffallend ist, daß die gemäßigten Liberalen des rechten Zentrums vor allem in ländlichen Gegenden bzw. in Gebieten, die nicht zu den Zentren des revolutionären Klassenkampfes gehörten, ihre besten Ergebnisse erzielten. Dies hing ohne Zweifel damit zusammen, daß durch die Ablösungen im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft auf dem preußischen Wege sozialer Zündstoff abgebaut worden war. Der Ausgang der Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung bestätigt die in neueren marxistischen Untersuchungen aufgestellte These, wonach die Durchführung „von bürgerlichen Agrarreformen . . . auf längere Sicht eine Reduzierung der antifeudalen revolutionären Potenzen der Bauernschaft zur Folge" hatte. 1 Dennoch teilen wir — wie bereits bemerkt — nicht die von H. Harnisch geäußerte Auffassung, daß die Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft in den preußischen Ostprovinzen bereits 1848 abgeschlossen gewesen sei 2 , die Art und Weise der Ablösung des Feudalsystems erschien bis 1848 nicht unkorrigierbar. Den Kandidaten der Bourgeoisie kam der Umstand zugute, daß die Wahlen für die Paulskirche größtenteils das Gepräge von Persönlichkeitswahlen trugen, wodurch namentlich die liberalen Honoratioren begünstigt wurden. Als Vorteil für gemäßigte Liberale erwies sich die monarchische Einstellung breiter Kreise des Kleinbürgertums und der Mehrheit der Landbevölkerung. Verschiedentlich versuchten liberale Kandidaten der Stimmung der zum überwiegenden Teil mit großen Existenzsorgen belasteten Handwerker dadurch gerecht zu werden, daß sie auch für soziale Sicherungen des Kleingewerbes eintraten. Auf dem Lande vermochten die Kandidaten der gemäßigten Liberalen vielfach politisches Kapital aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu schlagen, in dem sich ein Teil der werktätigen Bevölkerung (Gesinde, Tagelöhner) befand. Ohne Zweifel war die Unterstützung, die die Liberalen in den Wahlen seitens werktätiger Schichten erlangten, zum Teil das Resultat einer gezielten Kampagne. Sie reflektierte jedoch auch den Umstand, daß es die Liberalen namentlich in ländlichen Gebieten bzw. außerhalb der eigentlichen revolutionären Zentren im Frühjahr 1848 erfolgreich verstanden, die Erhaltung der Monarchie und eine „vernünftige" demokratische Reformpolitik als die aufeinander angewiesenen korrelativen Elemente einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung hinzustellen, „Icherkläre mich", verkündete beispielsweise Rudolf Haym gegenüber den Wahlmännern des Mansfelder See- und Gebirgskreises, „von ganzer Seele und aus vollster Überzeugung für die konstitutionelle Monarchie. Sie halte ich für das tiefsinnigste Mittel, Fürstenherrschaft und Völkerfreiheit auf eine große Weise verträglich zu machen. Ich sehe keine Gefahr darin, dieses System auf breitester und aufrichtig demokratischer Grundlage durchzuführen . . ," 3 Bleiber, Helmut/Schmidt, Walter, Die deutschen Bauernbewegungen im Spannungsfeld zwischen Reform und Revolution während der bürgerlichen Umwälzung 1789 bis 1871, in: ZfG, Jg. 1980, H. 11, S. 1087. 2 Vgl. S. 36, Anm. 1. 3 Haym, Rudolf, An die Wahlmänner des Mansfelder See- und Gebirgskreises, in: Courier. Hallische Zeitung für Stadt und Land, Nr. 104, 4. 5.1848. 1

44

Die gemäßigt- liberale Gruppierung

Wie er und viele andere, so lehnte auch der liberale Gothaer Verlagsbuchhändler Becker die Republik ab, weil sie zur Auflösung des Bestehenden und zur allgemeinen Haltlosigkeit führe. Stattdessen müßten Volk und Monarch Partner des gegenseitigen Vertrauens sein: „Wie er uns traut, daß wir nur gesetzliche Freiheit erstreben, so wollen wir ihm trauen, daß er uns diese in Wahrheit zu gewähren den ernsten Willen habe . . . Er wird auf dem Wege der Freiheit unser treuer Führer bleiben . . Die Abwehr „jeder Tyrannei und unwürdigen Gewalt", von welcher Seite „sie auch drohe", Solidarität zwischen einer geläuterten Monarchie und den Volksmassen, schließlich Verbesserung der sozialen Lage für Arbeiter und Handwerker — das waren einige jener Losungen, mit deren Hilfe die Kandidaten der gemäßigten Liberalen vielerorts auch die Unterstützung eines Teils werktätiger Wahlmänner bzw. Urwähler erlangten. 2

handsmannschaftliche Verteilung der Abgeordneten des rechten Zentrums Land

Rechtes Zentrum Erstmandate Nachfolgeabgeordnete

Anteil an der jeweiligen landsmannschaftlichen Gruppierung

Preußen Österreich Bayern Hannover Schleswig-Holstein

82 16 16 11 6

40,5 %

12 2 1 2

12,1 % 22,5% 42,3% 50,0%

Eine Analyse der Wahlergebnisse der gemäßigten Liberalen nach regionalen Aspekten 3 vermittelt einige Gesichtspunkte, die zum Verständnis der Politik und Taktik des rechten Zentrums beitragen. Sie gibt nicht nur Aufschlüsse über die landsmannschaftliche Zusammensetzung und partikulare Meinungsbildung innerhalb des rechten Zentrums, sondern erlaubt auch vorsichtige Rückschlüsse in bezug auf die Gewichtung bestimmter fraktioneller Interessen in der von den gemäßigten Liberalen praktizierten Parlamentspolitik. Die Preußen stellten das zahlenmäßig bei weitem größte landsmannschaftliche Kontingent innerhalb des rechten Zentrums, was für die politische Grundorientierung der Mehrheit dieser parlamentarischen Gruppierung von entscheidender Bedeutung war. Daß diese Dominanz in den Zahlenverhältnissen nicht einmal genügend zum Ausdruck kommt, wird beispielsweise durch die Tatsache belegt, daß eine Reihe der Wortführer der propreußisch orientierten Politik des rechten Zentrums (H. und M. v. Gagern, Bassermann, Mathy) nichtpreußischen Staaten entstammte. Eine weitere größere Gruppe innerhalb des rechten Zentrums bildeten mit zusammen ca. 16 % der Abgeordneten die in ihrer Mehrheit auf Preußen orientierten Vertreter der norddeutschen Staaten. Sie repräsentierten in erster Linie die dortige Handelsbourgeoisie, das Beamtentum und die akademische Intelligenz, die die Bildung eines konstitutionell-monarchischen Bundesstaates unter preußischer 1 Forschungsbibliothek Gotha, Nachlaß Becker, Chart. A , 1369 a , Bl. 2. Vgl. Sepp, Jobann, Die Lage des Vaterlandes. Ansprache an seine Wähler, München 1848. Zum Programm

2

von Degenkolb vgl. Bitterfelder

Kreisblatt,

Nr. 7, 13. 5.1848; zum Programm von Edel vgl. Neue Würz-

burger Zeitung, Nr. 117, 27. 4.1848. 3

Vgl. hierzu die regionale Aufschlüsselung der Ergebnisse der Wahlen zur Frankfurter Nationalversamm-

lung bei Schwarz, Max, MdR, S. 27 ff.

45

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

Führung befürworteten. Mit der Majorität des rechten Zentrums operierten auch die meisten mittel- und südwestdeutschen Abgeordneten dieser Gruppierung (ca. 8 %). Von der überwiegenden Mehrheit norddeutscher, mitteldeutscher und preußischer Provenienz des rechten Zentrums hob sich die Gruppe der bayrisch-österreichischen Parlamentarier (ca. 20 % der Abgeordneten) ab, dies vor allem durch ihr verfassungspolitisches Konzept, das hauptsächlich auf den Ausgleich mit der österreichischen Monarchie fixiert war. Es sah die Begründung eines von Habsburg geführten Bundesstaates unter Einschluß der deutsch-österreichischen Gebiete vor. Von dem Programm der propreußischen Gruppe unterschied es sich durch ein höheres Maß an Entgegenkommen gegenüber dem Partikularismus, geringeren Zentralisationsgrad, geringere Reformfreudigkeit und seinen ausgeprägt föderativen Charakter. Die dominierende Rolle der preußischen Gruppe innerhalb des rechten Zentrums legt uns nahe, noch einmal zusammenfassend eine genauere Aufschlüsselung der durch die gemäßigt Liberalen in Preußen erzielten Wahlergebnisse vorzunehmen, um einige bereits angedeutete Gesichtspunkte zu vertiefen. Die Preußen stellten mit 82 Abgeordneten (51,2 %), zuzüglich 12 später eintretende Parlamentarier, nicht nur das größte Kontingent innerhalb des rechten Zentrums. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der preußischen Abgeordneten (202) lag mit 40,5 % weit über dem des rechten Zentrums an der Totalsumme der Erstabgeordneten der Paulskirche (26,7 %). Das bedeutet, daß Bourgeoisie, Beamtenschaft, monarchisch eingestellte Intelligenz sowie der mit diesen zur Kooperation bereite Teil der (liberalisierenden) Junker in Preußen noch stärker als bei allen anderen deutschen Staaten in der Paulskirche überrepräsentiert waren, eine Erscheinung, deren Ursachen bereits in allgemeinen Zügen dargelegt wurden. Schlüsselt man die Gesamtzahl der preußischen Mandate nach einzelnen Provinzen auf, so fällt vor allem der bedeutende Anteil der Agrarterritorien auf. Allein 53,4 % der Abgeordneten entstammten den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern und Posen mit ca. 44 % der preußischen Gesamtbevölkerung. Es waren dies Gebiete mit einer weit überwiegenden ländlichen Bevölkerung, die mit Ausnahme von Berlin, von Teilen Ostpreußens und der Provinz Posen von bedeutenderen revolutionären Erschütterungen frei geblieben waren. Abgeordnetenverteilung Provinz

Preußen Brandenburg Pommern Schlesien Posen (deutsche Bevölkerung) Sachsen Westfalen Rheinprovinz

innerhalb

Preußens

Anteil der In Abgeordneten Prozent

Anteil am rechten Erstmandate

Zentrum Nachfolgeabgeordnete

In Prozent

32 27 15 39 12

15,8 13,3 7,4 19,3 5,9

19 10 9 11 6

5 1 1 1 1

23,1 12,1

23

11,3 9,4 17,3

14 4 9

1 1 1

17,5 4,8 10,9

82

12

19 35 202

10,9 13,4 7,3

46

Die gemäßigt- liberale Gruppierung

Zu den hier beheimateten Trägerschichten des rechtcn Zentrums gehörten in erster Linie Beamte, das akademische Bürgertum, kleinere Unternehmer, gemäßigt eingestellte Vertreter der Adelsklasse — liberalisierende Junker und Offiziere. In den die Minderheit des Preußenflügels des rechten Zentrums repräsentierenden Provinzen Rheinland, Westfalen, Sachsen und Schlesien (56 % der preußischen Gesamtbevölkerung) besaßen diese Trägerschichten z. T. ein anderes klassenmäßiges Profil. Hier (vor allem in der Rheinprovinz) war der Standort einer aufstrebenden Industrie, waren jedoch zum Teil auch noch frühkapitalistische bzw. vorindustrielle Ausbeutungsverhältnisse (z. B. schlesische Textilfabrikation) stark verbreitet. Hier verkörperten einflußreiche kapitalistische Unternehmer — Industrielle, kleinere Fabrikanten und vor allem die Handelsbourgeoisie — eine wichtige, jedenfalls gewichtigere Komponente als innerhalb der Trägerschichten des rechten Zentrums in den preußischen Nordostprovinzen. Schließlich vermittelt die regionale Aufschlüsselung der Wahlergebnisse in Preußen einen interessanten Aspekt hinsichtlich des Verhaltens eines Teils der nichtbourgeoisen antifeudalen Kräfte in den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung, der unsere bereits dargelegten Auffassungen bestätigt. Die Statistik beweist, daß die gemäßigten Liberalen ihre größten Erfolge vornehmlich in den Agrarprovinzen erzielten. Diese waren z. T. so gewichtig, daß sie nicht zu erklären sind ohne die Unterstützung nicht unbeträchtlicher Teile der werktätigen Bevölkerung vornehmlich auf dem Lande, wozu offensichtlich vor allem das landwirtschaftliche Gesinde und monarchische bzw. konservativ eingestellte Bauern, Einlieger usw. gehörten. Es war deshalb kein Zufall, daß die Wahlergebnisse der gemäßigten Liberalen des rechten Zentrums beispielsweise im industriell fortgeschrittenen Sachsen weit unter dem Durchschnitt lagen. Sie errangen lediglich ein Mandat. 20 Sitze fielen an die kleinbürgerlichdemokratische Linke. Allerdings hing das hier relativ ungünstige Abschneiden der gemäßigten Liberalen auch damit zusammen, daß auf Grund der — von A. Zwahr nachgewiesenen — fraktionellen Differenzen innerhalb der Bourgeoisie (u. a. Schutzzoll-Freihandel) verschiedene Vertreter der sächsischen Industriebourgeoisie eigene Wege gingen und sich in der Frankfurter Nationalversammlung als Bourgeoisrepublikaner der gemäßigten Linken anschlössen. Es bestätigt sich somit die Annahme, daß die konservative Grundhaltung bestimmter Teile der werktätigen Bevölkerung, die Unausgereiftheit der Klassenbeziehungen sowie die politische Dominanz der gemäßigten Liberalen innerhalb des antifeudalen Lagers die Wahlerfolge der bourgeoisen bzw. bürgerlich-liberalen Kräfte begünstigten. Die in der Klassenbasis des rechten Zentrums vorhandenen Komponenten finden sich auch in der sozialen Zusammensetzung dieser parlamentarischen Gruppierung, ohne daß die Proportionen unbedingt übereinstimmten. Nach seiner Zusammensetzung 1 verkörperte das rechte Zentrum eine Repräsentation aller seiner sozialen Basis im engeren Sinne zugehörigen Gesellschaftsschichten unter eindeutiger Dominanz der liberalen Beamtenschaft sowie der liberalen Intelligenz im Staatsdienst. Von den 159 Erstmandatsträgern (181 einschließlich der Nachfolgeabgeordneten) stellten die hohen und mittleren (akademisch gebildeten) Beamten, Regierungsräte, Minister, Diplomaten mit 38 Abgeordneten/23,8 % (43—23,7) — die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Einen nahezu ebenso großen Anteil — 1

Für die folgenden Angaben zur sozialen Zusammensetzung des rechten Zentrums wurden außer der einschlägigen Literatur und den Nachschlagewerken vor allem das im Nachlaß von Hermann Niebour (ZStAM, Depositum Niebour) enthaltene und noch nicht publizierte biographische Material über eine größere Zahl von Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung ausgewertet.

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

47

37 Abgeordnete/23,2 % (43—23,7) — verkörperten die Juristen im Staatsdienst — Gerichtspräsidenten, Richter, Assessoren usw. Ihnen folgte die Gruppe der Hochschullehrer — Universitätsprofessoren, Dozenten usw. — mit 23 Abgeordneten/14,4 % (23—12,7). Mithin umfaßten die genannten, ihrem sozialen Status, ihrer Ausbildung und ihrem Dienstverhältnis nach eng verwandten Abgeordnetengruppen allein über 60 % des rechten Zentrums. Ebenso auffallend wie die starke Vertretung der Beamtenschaft und akademischen Intelligenz ist die relativ schwache Repräsentation der Unternehmerbourgeoisie — 15 Abgeordnete/9,4 % (16-8,8). 13 von ihnen oder 8,1 % (13-7,1 % ) waren Kaufleute oder Händler bzw. Vertreter des Bankkapitals. Auch unter den restlichen Abgeordneten des rechten Zentrums dominierte neben der gemäßigt-konservativen Gruppe von Gutsbesitzern und Offizieren mit 12 Abgeordneten — 7,5 % (14—7,7) — die liberale Intelligenz: Advokaten — 12 Abgeordnete/7,5 % (12—6,6), Theologen, Pfarrer, Klerus — 8 Abgeordnete/5 % (8—4,6), Bürgermeister, Kommunalbeamte — 5 Abgeordnete/3,1 % (5—2,8), Schriftsteller und Publizisten - 3 Abgeordnete/1,8 % (4-2,3). Die hier dargelegten Proportionen stimmen tendenziell mit der sozialen Gliederung der Frankfurter Nationalversammlung im ganzen überein. Dies gilt vor allem für die Dominanz der liberalen Beamtenschaft aller Ebenen und der beamteten Intelligenz. Es gelang dem rechten Zentrum namentlich in den ersten Monaten, integrationsfähig für eine breite Front liberaler Abgeordneter zu bleiben. Relativ gering war dafür der Anteil der nichtbeamteten Intelligenz, der freien Berufe.. Deutlich höher lag der Anteil dieser Gruppe beispielsweise bei der Linken, obwohl auch hier akademische Berufe dominierten. So betrug beispielsweise bei der Fraktion Donnersberg der Anteil der Advokaten 29, der der sonstigen freien geistigen Berufe 19 %. Insgesamt war nahezu die Hälfte der Abgeordneten der äußersten Linken Vertreter freier Berufe, auf Seiten des rechten Zentrums waren es lediglich etwa 10 %.i Das rechte Zentrum verzichtete im Gegensatz zur Linken zunächst auf die Vorlage eines Parteiprogramms. Es dauerte mehr als vier Monate, bis die Casino-Fraktion, nach dem Ausscheiden des Landsberg aus dem rechten Zentrum, ein solches Dokument, und dies auch nur in sehr allgemeiner Fassung, veröffentlichte. 2 Ausschlaggebend für diese Verzögerung war vor allem das Bemühen des rechten Zentrums, für Liberale möglichst vieler Schattierungen integrationsfähig zu bleiben und das Zustandekommen einer zahlenmäßig starken, mehrheitsfähigen gemäßigt-liberalen Gruppierung nicht durch Programmdiskussionen zu gefährden. „Man verzichtete", berichtete Anfang Juli 1848 die „Weser-Zeitung" über den Parteibildungsprozeß innerhalb des rechten Zentrums, „auf die Aufstellung eines eigentlichen Programms, das, auch bei Übereinstimmung in den Hauptgrundsätzen, selten befriedigend gelingt, und . . . man beschloß, einfach zu einer ,constitutionellen Gesellschaft' zusammenzutreten und zur Leitung der Verhandlungen Männer zu wählen, durch deren Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 261 ff. Gerade dieses Beispiel beweist, daß der in einer neueren bürgerlichen Arbeit unternommene Versuch (vgl. Siemann, Wolfram, Die Frankfurter Nationalversammlung; vgl. die dazu publizierte Rezension: Deutsche Literaturzeitung, Jg. 1980, H. 11/12), lediglich von den Bildungsinhalten der Juristen in der Frankfurter Nationalversammlung auf den politischen Standort dieser Parlamentarier zu schließen, problematisch ist. Die Vermittlung der historischen Rechtslehre an den deutschen vormärzlichen Universitäten zog nicht zwangsläufig die Ansiedlung der Juristen in der Frankfurter Nationalversammlung auf der politischen Rechten nach sich. Hierbei ist mindestens auch das jeweilige Dienstverhältnis, vor allem aber die persönliche politische Entwicklung der verschiedenen Abgeordneten stärker in Rechnung zu stellen. 2 Vgl. S. 129 unten. 1

48

Die gemäßigt- liberale Gruppierung

Namen die politische Richtung des Vereins der Beurteilung eines jeden zum Beitritt Geneigten unzweifelhaft dargelegt werde." 1 Der aus der anfänglich mangelnden ideologischen Geschlossenheit resultierende Nachteil — eingeschränktes parteipolitisches Handlungsvermögen — wurde durch die Aktivität und das geschickte Agieren der politisch und parlamentarisch befähigten Führungsspitze unter H. v. Gagern, Schmerling, Bassermann, Mathy, Beckerath, Dahlmann im wesentlichen aufgewogen. Überdies bedeutete das Fehlen eines offiziellen Fraktionsprogramms weder, daß es der „Konstitutionellen Gesellschaft" an einer verbindlichen allgemeinen taktischen, noch an einer verfassungspolitischen Grundorientierung gemangelt hätte. Innerhalb des rechten Zentrums bestand von Anfang an Übereinstimmung darin, daß das Frankfurter Parlament vor allem als verfassunggebende Versammlung wirken und sich bei allen anderen legislativen und vor allem exekutiven Entscheidungen möglichst zurückhalten sollte. Das Grundgesetz sollte nicht im Alleingang, sondern nur im Einverständnis mit den einzelstaatlichen Regierungen zustande kommen. 2 Das mit dieser allgemeinen Orientierung korrespondierende Grundsatzprogramm enthielt die Forderung nach Umwandlung des Staatenbundes in einen konstitutionell-monarchischen Bundesstaat. Nach dem Willen der Fraktionsmehrheit sollte dieser Bundesstaat unter der Führung Preußens, jedoch eines konstitutionalisierten Preußens stehen. Verlangt wurden ferner die Einführung bürgerlicher Grundrechte, Freiheit für Handel und Gewerbe und die Umgestaltung der Einzelstaaten zu konstitutionell-monarchischen Staaten. Vereinbarungskonzept und der Verzicht auf revolutionäre Aktionen seitens der Volksmassen zur Verwirklichung dieser Ziele waren für das rechte Zentrum gleichermaßen die conditio sine qua non. Die Überschätzung der eigenen Position wie auch der Reformbereitschaft von Adel und Fürsten begünstigte die Vorstellung der Bourgeoisie, die konstitutionelle Monarchie könne in absehbarer Zeit ohne weitere revolutionäre Aktionen verbürgerlicht, gewissermaßen zum „gottesgnadlichen Schirm" für die „eigenen profanen Interessen"3 werden. Im Gegensatz zur parlamentarischen Linken wollten die gemäßigten Liberalen die „Hinüberleitung der vaterländischen Zustände von dem revolutionären Boden auf den Boden des Rechts". 4 Die angesichts des kompromißlerischen Charakters dieses Grundsatzprogramms äußerst wichtige Frage, welcher der beiden deutschen Großmächte die Führungsrolle des künftigen Bundesstaates übertragen werden sollte, wurde — obwohl die Mehrheit Preußen den Vorzug gab — innerhalb des rechten Zentrums zunächst nicht definitiv entschieden. Das Hinausschieben dieser entscheidenden Auseinandersetzung wurde dadurch erleichtert, daß die Frankfurter Nationalversammlung in der ersten Phase ihrer Tätigkeit noch eine relative Unabhängigkeit gegenüber den Einzelstaaten bewahren konnte und die Verhandlungen über die Grundrechte zunächst den Vorrang vor der eigentlichen Verfassungsdebatte erhielten. Diese Auseinandersetzung wurde in dem Augenblick unumgänglich, wo die entscheidenden Verfassungsparagraphen 2 und 3 auf die Tagesordnung traten und — analog dazu — die Mächte Preußen und Österreich nach einem konterrevolutionären Stärkungsprozeß wieder ihre Führungsansprüche in nationalpolitischer Hinsicht anmeldeten.5 ZuWeser-Zeitung, 9. 7.1848. Neue Müncbener Zeitung, Nr. 16,16. 7.1848. 3 NRiZ, Nr. 169,15.12.1848. 4 Haym, Rudo/f, Die deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 46. 5 Vgl. S. 138 unten. 1

2

2. Wahlen und Konstituierung der Gagern-Liberalen

49

nächst begannen sich innerhalb der Casino-Fraktion jene beiden Richtungen schärfer zu profilieren, schließlich sogar voneinander zu trennen, die von Anfang an innerhalb des rechten Zentrums latent vorhanden waren. Es handelte sich um die Schmerlingsche (Minderheits-) sowie die Gagernsche (Mehrheits-)Gruppe, die zwei unterschiedliche verfassungspolitische Konzeptionen vertraten. Schmerling schwebte als Leitbild ein auf die Führungsposition Österreichs zugeschnittener gemäßigt-konservativer Bundesstaat mit einem relativ geringen Zentralisationsgrad unter Einschluß der deutsch-österreichischen Gebiete vor. Die Casino-Mehrheit unter der Führung Gagerns trat für die Schaffung eines stärker zentralisierten kleindeutschen Bundesstaates unter preußischer Hegemonie ein, der mit Österreich höchstens einen lockeren Bund bilden sollte. Die Fraktionsmehrheit war jedoch in ideologischer Hinsicht nicht völlig homogen. Vielmehr existierten innerhalb der Gagern-Liberalen zwei Strömungen, welche sich hinsichtlich ihrer Bereitschaft zur Kooperation mit den Einzelstaaten und der Preußen abzuverlangenden Konzessionen in ihren Auffassungen voneinander unterschieden. Der gemäßigte Teil der Gagern-Liberalen hob gegenüber dem Vereinbarungspartner stärker die Selbständigkeit der Paulskirchenversammlung sowie die Notwendigkeit konstitutioneller Reformen, namentlich in bezug auf Preußen, hervor. Dieser Gedanke war jedoch, wie Duncker — einer der Ideologen des extremen Preußenflügels — betonte, der Ablehnung revolutionärer Gewalt untergeordnet, nach dem Prinzip: „Aus der Revolution muß die Gewalt (das selbständige Parlament — G. H.) geschaffen werden, welche sie bändigt. . Dies mußte jedoch zugleich so verstanden werden, daß gegenrevolutionäre Bestrebungen von liberaler Seite nicht in reaktionäre Bahnen hineingelangen durften, sondern sich im konstitutionellem Rahmen halten sollten. Dieser Gruppe gehörten vor allem Parlamentarier der süd- und mitteldeutschen Klein- und Mittelstaaten an; sie waren in der Fraktionsspitze etwa durch Namen wie Mathy oder anfangs Bassermann vertreten. Dagegen betonte der extrem propreußische Flügel der CasinoFraktion strikt das Prinzip der politischen Vereinbarung mit Preußen. Er legte stärkeres Gewicht auf die Eigeninteressen der Hohenzollernmonarchie und hegte größere Vorbehalte gegenüber Eingriffen in die Rechte der Einzelstaaten. Infolgedessen maß er den konstitutionellen Gegenleistungen Preußens, wie einer liberalen Verfassunggebung, der vollinhaltlichen Akzeptierung der Reichsverfassung sowie der diplomatischen und militärischen Unterstellung Preußens unter die Reichsgewalt, geringere Bedeutung zu. Dieser Kurs wurde vor allem von so prominenten Abgeordneten wie Droysen, Duncker, Haym, Beckerath vertreten. H. v. Gagern, um eine Integrationsrolle bemüht, läßt sich schwerer einordnen, neigte jedoch im wesentlichen der ersten Gruppe zu. Die hier skizzierte Differenzierung war weder durchweg scharf ausgeprägt, noch durchzog sie das gesamte rechte Zentrum bzw. die Casino-Fraktion. Sie ist in vielen Fällen schwer oder nur im Ansatz nachweisbar, da Meinungsunterschiede in der Regel in der Fraktion und nicht im Plenum ausgetragen wurden. Nichtsdestoweniger handelte es sich um eine namentlich die Führungsspitze erfassende, tendenzielle Differenzierung, deren Kenntnis uns das Verständnis und die Interpretation der Politik und Taktik der Gagern-Liberalen erleichtert. Bevor wir uns dem eigentlichen Gegenstand zuwenden, soll die Fraktionsstruktur der Paulskirchenversammlung in der Anfangsphase noch kurz skizziert werden. 1

4

Duncker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 97. Hildebrandt, Gagern

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Die gemäßigt-liberale Gruppierung

Am weitesten rechts stand die Fraktion Milani (anfangs Steinernes Haus) mit ca. 40 Abgeordneten. Sie vertrat vor allem gemäßigte Kreise des Adels und die konservativ eingestellte Bürokratie. Sie war lediglich bereit, einer vorsichtigen Reform des Bundes zuzustimmen, durch die jedoch die ökonomischen und politischen Machtpositionen von Adel und Fürsten nicht beeinträchtigt werden sollten. Führende Mitglieder waren u. a. die Abgeordneten v. Vincke, v. Lichnowsky und v. Radowitz. 1 Das linke Zentrum der Paulskirche verkörperte die anfangs rd. 120 Abgeordnete zählende Fraktion Württemberger Hof 2 (aus der sich Ende Juli die linksorientierte Gruppe Westendhall mit ca. 40 Abgeordneten und im September die nahezu ebenso starke Gruppe der Rechtsabweichler als „Augsburger Hof" ausgliederten). Das linke Zentrum bekannte sich, wie die Casino-Fraktion, zum monarchischen Prinzip, verlangte jedoch mehr Rechte für das Parlament. Auch setzte sie sich in stärkerem Maße dafür ein, Machtpositionen des Adels und die Befugnisse der Krone durch bürgerliche Freiheitsrechte einzuschränken. Die kleinbürgerlich-demokratische Linke, die sich bald in die Fraktionen Deutscher Hof (gemäßigte Linke) und Donnersberg (äußerste Linke) teilte, umfaßte in den Anfangstagen der Frankfurter Nationalversammlung 80—100 Abgeordnete. 3 Sie trat für die Schaffung einer föderativen demokratischen Republik ein und bekannte sich zum Prinzip der Volkssouveränität. Sie sprach sich dafür aus, die Interessen des Volkes mit legalen Mitteln, vor allem mit Hilfe der parlamentarischen Demokratie, durchzusetzen. Mit Entschiedenheit lehnte sie einen politischen Kompromiß mit der Adelsklasse ab. 1 Vgl. Schmidt, Siegfried, Fraktion Milani 1848—1849, in: Lexikon zur Parteiengeschichte Bd. 2, S. 645ff. 2 Derselbe, Fraktion Württemberger Hof 1848-1849, in: Ebenda, S. 653f. 3 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 52ff.

Balance zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch gegenüber den adlig-monarchischen Kräften. Die Gagern-Liberalen und die Begründung einer provisorischen Zentralgewalt (Mitte Mai-Ende Juni 1848)

Der erste Komplex der Paulskirchendebatten im Frühsommer 1848 umfaßte folgende Fragen: Die Stellung der Frankfurter Nationalversammlung zu den Einzelstaaten, die allgemeine politische und verfassungsrechtliche Position des Zentralparlaments sowie die Etablierung einer vorläufigen Zentralgewalt. Es war nicht nur für das politische Selbstverständnis der Abgeordneten des ersten zentralen Parlaments, sondern auch für die Klärung seiner Position gegenüber der noch weitgehend intakten Partikulargewalt notwendig, seine verfassungsrechtliche und politische Stellung sowie den verfassungsrechtlichen und politischen Geltungsanspruch zu fixieren. Dabei sahen sich die Liberalen einer heiklen Situation gegenüber. Sie wollten einerseits zwar mit Hilfe des Parlaments ihren Geltungsanspruch gegenüber Adel und Fürsten vor allem auf dem Gebiet der Verfassunggebung durchsetzen, andererseits jedoch jeden Anschein einer Konventspolitik vermeiden. Heinrich v. Gagern, in seiner Antrittsrede als Parlamentspräsident vom 19. Mai 1 vor die Aufgabe gestellt, sich grundsätzlich über die Position der Frankfurter Nationalversammlung zu äußern, versuchte, dieser Schwierigkeit durch Selbstbewußtsein, diplomatisches Geschick und einen Schuß Demagogie zu begegnen. Er leitete Vollmacht und Berufung der Paulskirchenversammlung ausdrücklich von der „Souveränität der Nation" her. Mit Recht ordnete er somit die erste zentrale deutsche Volksvertretung in den historisch fortschrittlichen Prozeß der Herausbildung einer bürgerlichen deutschen Nation ein. Anstatt seinem Nationsbegriff jedoch eine zuallererst antifeudale Ausrichtung zu geben, benutzte er ihn vor allem als Integrationsformel an die Adresse der Linken. Daß sein Bemühen nicht ohne Erfolg war, wird durch die Tatsache bestätigt, daß seine Worte — einem zeitgenössischen Bericht zufolge — auch bei den Linken Beifall hervorriefen. 2 Ähnlich wie einige Führer der süddeutschen Liberalen rund 15 Jahre zuvor betonten Gagern und seine Freunde nunmehr erneut, das Nationale sei das wirklich Verbindende, 1

Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutseben constituierenden Nationalversammlung

Frankfurt

am Main, hrsg. v. Franz Wigard, Frankfurt/M. 1848, Bd. 1, S. 17f. Aufschlußreich ist eine briefliche Äußerung des Casino-Abgeordneten Giesebrecht: „In seiner Antrittsrede hat er (Gagern — G. H.) sich für das Prinzip der Volkssouveränität erklärt. . . Doch darf man nicht annehmen, jenes Stichwort werde von allen in gleicher Weise verstanden.. . Volkssouveränität scheint bis jetzt kaum etwas ausdrücken zu sollen, als die Negation des Systems Metternichs . . ." BAF, N 96 (Nachlaß Giesebrecht) Bl. 28, Brief Giesebrechts an seine Gattin v. 26. 5 . 1 8 4 8 . 2

Bericht des demokratischen Abgeordneten Dietsch in Der Zeitlote aus dem Erzgebirge, Annaberg, Nr. 19, vom 24. 5. 1848 (Beilage). Dietsch verwendet bei der wörtlichen Wiedergabe eines Teils der Rede H. v. Gagerns den Begriff „Souveränität unseres Volkes"; bei Ludwig Reinhard, Offenes Wort an die Männer des 4. Mecklenburgischen Wahlkreises, o. O. (1849), S. 5, wird die Gagernsche Formel mit „Volksherrlichkeit" wiedergegeben.

4*

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

und die Einigung Deutschlands besäße den Vorrang vor weiterreichenden gesellschaftlichen Veränderungen. „Nicht zu bezweifeln i s t . . . daß, wenn einmal die Einheit vorhanden ist, die Freiheit, dieses heiligste Besitztum der Völker, die aber ohne die Kraft der Einheit niemals Bestand hat, nicht ausbleiben kann" 1 , schrieb Pfizer 1832 in einer Schrift über das Ziel und die Aufgaben des Liberalismus. Gagern drückte diesen Gedanken nunmehr ganz ähnlich aus: Wenn zwischen Gegnern auch Zweifel und Meinungsverschiedenheiten bestünden, „über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel, es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben, sie befestigen: sie allein wird schützen vor allen Schwierigkeiten, die . . . kommen mögen." 2 Ohne Zweifel war die besondere Herausstellung des nationalen Gedankens einerseits ein historisch durchaus berechtigtes Anliegen. Andrerseits war nicht zu übersehen, daß der Gagernsche Nationsbegriff eng mit der Verwirklichung der liberalen Reformpolitik korrespondierte und die Gagernsche „Souveränität der Nation" keinesfalls mit „Volkssouveränität" identisch war, wenn auch der Anschein erweckt wurde. Ebenfalls am 19. Mai stand dasselbe Problem in einem anderen Zusammenhang, nämlich am Beispiel des Verhältnisses der Paulskirchenversammlung zu den einzelstaatlichen Landtagen, zur Debatte. Durch den Antrag des Abgeordneten Raveaux 3 war die Frage nach der verfassungsrechtlichen Stellung der Paulskirchenversammlung gegenüber den Einzelstaaten aufgeworfen worden. Da der Antrag Raveaux ein erst im Laufe der Zeit akut werdendes Problem aufgriff, war die Debatte hierüber nicht so brisant wie die etwa zur selben Zeit stattfindende parlamentarische Auseinandersetzung über die Ausschreitungen konterrevolutionärer preußischer Truppen gegen die Bevölkerung von Mainz im Mai 1848. Nichtsdestoweniger handelte es sich bei der hier aufgeworfenen Frage keineswegs nur um ein abstraktes verfassungsrechtliches Problem. Der Fünfzigerausschuß hatte sich unter dem Druck der politischen Öffentlichkeit und der in ihm vertretenen kleinbürgerlichen Demokraten dergestalt für die Priorität des Zentralparlaments ausgesprochen, daß während der Dauer seiner Verhandlungen keine konkurrierende konstituierende Versammlung tagen durfte. Im Bewußtsein ihrer starken Stellung innerhalb der Paulskirchenversammlung, dem politischen Druck durch die Volksbewegung weniger ausgesetzt und darüber hinaus bemüht, die bereits laufenden Gespräche mit den Einzelstaaten über die Etablierung einer provisorischen Zentralgewalt nicht zu stören, änderte nunmehr die Casino-Fraktion ihre Haltung. Das rechte Zentrum war sich darin einig, daß, sofern dieses heikle Problem überhaupt in aller Öffentlichkeit zur Sprache kam, nur eine äußerst vorsichtige Formulierung des eigenen Anspruchs auf Priorität der Verfassunggebung gewählt werden sollte. Ausdrücklich wies es die Formel des „Einzig und Allein", in die die Linke den Souveränitätsanspruch des zentralen Parlaments kleidete 4 , zurück. Statt dessen stellte es sich hinter den von Beckerath und anderen Mitgliedern des rechten und linken Zentrums eingebrachten Antrag, daß sämtliche einzelstaatliche Verfassungen, welche mit der auszuarbeitenden Reichsverfassung nicht übereinstimmten, „abzuändern und mit der deutschen Verfassung in Einklang zu bringen" seien. 5 Einer der 1 P/ispr, Paul, Gedanken über das Ziel und die Aufgaben des deutschen Liberalismus, Tübingen 1832, S. 5. 2 StB, Bd. 1, S. 17. 3 Ebenda, S. 28. 4 Noch im Vorparlament hatte sich auch die Mehrheit der Liberalen unter dem Druck der Volksbewegung außerstande gesehen, diesen Souveränitätsanspruch abzulehnen; vgl. Beschlüsse des Frankfurter Vorparlaments, in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 271. 5 StB, Bd. 1, S. 124.

Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

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prominentesten Abgeordneten der Casino-Fraktion, Eduard v. Simson, brachte gemeinsam mit Vertretern der äußersten Rechten einen Antrag ein, der es den einzelstaatlichen Regierungen ausdrücklich selbst anheimstellte, ob sie die Priorität der Paulskirchenversammlung anerkannten oder nicht. 1 In der Abstimmung schloß sie sich jedoch einem Kompromißantrag des Abgeordneten Werner (linkes Zentrum) an, der den einzelstaatlichen Verfassungen nur nach Maßgabe der Reichsverfassung Geltung zusprach. 2 Der Beschluß lag auf der Ebene einer für die Liberalen noch akzeptablen Parlamentspolitik. Sie beanspruchten zwar das Recht der Verfassunggebung, hielten sich jedoch von allen weitergehenden Forderungen zurück. Die Linke hatte ursprünglich in der Debatte über den Antrag Raveaux gefordert, der Grundsatz der Priorität der Frankfurter Nationalversammlung solle nicht nur auf die Verfassunggebung, sondern auch auf die Ausübung der Abgeordnetenmandate sowie die gesamte Gesetzgebung angewandt werden. 3 Indem die Liberalen schließlich die Beschränkung auf die Verfassunggebung durchsetzten, wurde der Beschluß politisch entschärft. Da er lediglich allgemeinen Charakter besaß, hatte er überdies zunächst keine direkten Auswirkungen, und die zu erwartenden Konflikte mit Einzelstaaten blieben einem späteren Stadium vorbehalten. Wo vor allem ein entschiedener Beschluß nötig gewesen wäre, nämlich in der Mainzer Frage, übte die Parlamentsmehrhcit Abstinenz. Die Enttäuschung, die bei der Volksbewegung wie auch bei verschiedenen demokratischen Abgeordneten einzog, konnte auch durch die Einmütigkeit der Prioritätserklärung nicht beschwichtigt werden. Dennoch zeigt die Debatte über den Antrag Raveaux, daß die Liberalen trotz Kompromißpolitik und Absage an die Volksrevolution eine mittlere politische Linie einzuhalten bemüht waren, wozu gehörte, daß sie die Errungenschaften der Revolution in ihrem Interesse zu nutzen sich bemühten. Sie lehnten zwar eine Konventspolitik ab, fielen (zunächst) aber nicht ins andere Extrem, denn sie hatten begriffen, daß sie sowohl zur Geltendmachung ihrer Ansprüche gegenüber Adel und Fürsten wie zur Paralysierung der revolutionären Bewegung eines von den Einzelstaaten unabhängigen Parlaments bedurften. So schrieb Rudolf Haym, der Parteihistoriker des rechten Zentrums: „Gestützt auf den Glauben des Volkes, daß es allein aus der Hand seiner Vertreter seine Staatseinheit und seine Verfassungsfreiheit erhalten werde, warfen sich diese den Excessen der Demokratie entgegen. Sie reinigten den Begriff ihrer Souveränität von jedem Regierungsgelüste, und sie eilten, der Nation jene Güter zu schaffen, deren Werth es nachträglich rechtfertigen sollte, das ungeteilte Recht der Gesetzgebung vorübergehend ausgeübt zu haben. Sie wiesen es dabei wiederholt zurück, dieses Recht auf herausfordernde Weise auszusprechen." 4 Das Nachgeben des rechten Zentrums gegenüber der Linken in der Abstimmung über den Antrag Raveaux brachte den Liberalen der Casino-Fraktion den Vorteil, daß sich bei einem Teil der kleinbürgerlich-demokratischen parlamentarischen Linken wie schon nach der Gagern-Rede vom 19. Mai die Erwartung festigte, es komme eine selbstbewußte und von einer breiten Mehrheit getragene Parlamentspolitik in Gang. Für die Mehrheit der Linken war das Ergebnis der Abstimmung nach der Debatte über den Antrag Raveaux am 27. Mai Anlaß für eine Siegesfeier. Für eine kleinere Gruppe realistisch denkender und konsequenter eingestellter demokratischer Parlamentarier wurde sie jedoch zum Ausgangspunkt einer selbständigen parlamentarischen Fraktion, der äußersten Linken. Ebenda. 2 Ebenda, S. 155. 3 Vgl. Antrag v. Schaffrath, Kolb und Hartmann, in: Ebenda, S. 125. 4 Hqym, Rudolf, Nationalversammlung, Bd. 3, Berlin 1850, S. 2. 1

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

Der Behandlung des Antrages Raveaux sowie der Mainzer Angelegenheit folgte als nächstes und erstes wirklich gewichtiges Problem, mit dem sich die Paulskirchenversammlung zu beschäftigen hatte, die Etablierung einer provisorischen Zentralgewalt. 1. Das Konzept der Casino-Fraktion für die Begründung der Zentralgewalt Die Schaffung einer provisorischen Zentralgewalt war sowohl in verfassungsmäßiger als auch in politischer Hinsicht von eminenter Bedeutung. Es handelte sich bei dieser Zentralgewalt um die bis zum Inkrafttreten der Verfassung amtierende Zentralregierung, von deren Beschaffenheit, Kompetenz, Machtausstattung und politischer Wirksamkeit viel für die Lösung sämtlicher Fragen von gesamtstaatlicher Bedeutung, für die endgültige Regelung der Oberhauptfrage, für den Fortgang der Revolution überhaupt abhängen mußte. Die Entscheidung über die provisorische Zentralgewalt stellte somit ein wichtiges Präjudiz für die künftige Reichsverfassung dar. Es ging dem rechten Zentrum, wie Duncker bemerkte, dergestalt vor allem darum, „das System der Constitution für die Einzelstaaten zu retten und zu befestigen", in der „provisorischen Centraigewalt die definitive, im Reichsverweser den Kaiser vorzubilden und darzustellen" und mit der Etablierung der Zentralgewalt zugleich das „Programm für unsere ganze künftige Tätigkeit festzustellen". 1 Die Liberalen wollten daher vorsichtig zu Werke gehen und jeden Affront gegen die Feudalkräfte, insbesondere die einzelstaatlichen Regierungen, jeden weitgehenden Eingriff in deren Rechte» vermeiden. Der dem Augsburger Hof angehörende Abgeordnete Robert v. Mohl beispielsweise verstand unter der Etablierung einer provisorischen Zentralgewalt lediglich die „Beseitigung des Bundestages in seiner bisherigen Stellung". 2 Im Interesse der Regierungsfähigkeit dieser Zentralgewalt war es nötig, sie mit substantiellen politischen Befugnissen, möglichst aber auch mit Machtmitteln auszustatten. Das Konzept der Casino-Liberalen für die Schaffung der provisorischen Zentralgewalt war auf Verwirklichung ihrer konstitutionellen Reformpolitik abgestimmt. Daher war die Casino-Fraktion gegen eine Beschränkung der Zentralgewalt auf die Rolle eines Exekutivorgans der Nationalversammlung, was unzweifelhaft die Position der letzteren gestärkt hätte. Die Zentralgewalt, so Haym, sollte vielmehr „ein sicherer Schutz dagegen sein, daß nicht die Versammlung selbst stets von Neuem zu Regierungs-Verwaltungsmaßregeln verlockt werde". Im Einklang mit bereits früher vertretenen Auffassungen 3 war sie dazu ausersehen, Pendant und Mittler zu den Regierungen der Einzelstaaten zu sein. Sic sollte dazu beitragen, die Stellung der Nationalversammlung innerhalb des von den Casino-Liberalen beanspruchten Entscheidungsspielraums zu stärken, und last not least als „ein fester Damm gegen das anarchische Treiben"'5 fungieren. Wie waren die allgemeinen politischen Bedingungen für die Verwirklichung dieser Pläne im Frühsommer 1848 beschaffen? Die erbkaiserlichcn Offerten der gemäßigten Liberalen 1 2

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Duncker, Maximilian, Geschichte der Reichsversammlung, S. 10. Reiebsminister Robert v. Mobl und seine Wähler 1848/49. Neunzehn Briefe aus der deutschen Nationalversammlung, hrsg. v. E.Mann, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, Jg. 1971, H. 2, S. 334. Vgl. Boldt, Werner, Konstitutionelle Monarchie, S. 570, 577; Huber, Ernst Rudolf, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 590. Haym, Rudolf, Nationalversammlung, Bd. 1, S. 18.

1. Das Konzept der Casino-Fraktion

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an Preußen von Ende April bis Anfang Juni 1848 waren erfolglos geblieben, wie vor allem die Resonanz auf den Siebzehnerentwurf, der Briefwechsel Dahlmanns mit Friedrich Wilhelm IV. und die Gespräche Max v. Gagerns mit dem Prinzen Wilhelm in London gezeigt hatten. 1 Durch die Märzereignisse war das Prestige Friedrich Wilhelms IV. beim Volke, aber auch bis in die Kreise des Bürgertums hinein vor allem außerhalb Preußens ohnehin nahezu bis auf den Nullpunkt gesunken. Da somit eine preußische Lösung der Oberhauptsfrage zunächst nicht zur Debatte stand, ging es der Mehrheit der gemäßigten Liberalen erst einmal darum, an den allgemeinen Voraussetzungen hierfür zu arbeiten bzw. den Weg zu einer späteren preußischen Lösung zumindest nicht zu verbauen. Somit spitzten sich die Auseinandersetzungen mit der parlamentarischen Linken über die Zentralgewalt von vornherein auf die Alternative Monarchie oder Republik zu. Die Casino-Liberalen traten mit folgendem Antrag in die Debatte ein: 1. Die Zentralgewalt sollte aus einem dreiköpfigen Bundesdirektorium ohne Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament sowie einem diesem verantwortlichen Ministerium bestehen. 2. Die Bundesdirektoren sollten von den einzelstaatlichen Regierungen vorgeschlagen und von der Nationalversammlung lediglich durch Abstimmung ohne vorherige Diskussion bestätigt werden. 3. Dem Bundesdirektorium sollte die vollziehende Gewalt „in allen Angelegenheiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates betreffen", zustehen: die Oberleitung des Heereswesens, die völkerrechtliche Vertretung und, im jeweiligen Einverständnis mit dem Parlament, die Entscheidung über Krieg und Frieden. 4. Anordnungen des Bundesdirektoriums bedurften der Gegenzeichnung durch einen verantwortlichen Minister.2 Dieser Antrag erhob, wie der Berichterstatter des zuständigen Ausschusses Dahlmann hervorhob, „keinen Anspruch auf Idealität, es bilden sich vielmehr die konkreten Verhältnisse Deutschlands getreulich ab". Die direkte Vorbildung des Erbkaisertums, die „Aufstellung eines einzigen Bundesdirectors oder Reichsverwesers würde den Ansprüchen der Theorie mehr genügt, schwerlich aber den Anforderungen der Gegenwart besser entsprochen haben". 3 Gewicht legte Dahlmann darauf, die Bedenken der Fürsten gegen eine solche Zentralgewalt zu zerstreuen. Die einzelstaatlichen Regierungen, so bemerkte er, seien gegen Mißbrauch und Übergriffe der Zentralgewalt in mehrfacher Hinsicht geschützt: Diese Zentralgewalt amtiere nur für einen beschränkten Zeitraum, sie bekämpfe jede anarchische Gewalt. Die zu erwählenden Männer sollten unbedingt auch das Vertrauen der einzelstaatlichen Regierungen genießen, „sie gehören durch Pflicht und Treue und durch mannigfache Bande der Zuneigung jeder seinem Staate und vielleicht sogar den regierenden Häusern als Mitglieder an". 4 Briefwechsel Dahlmann — Friedrich Wilhelm IV. über die Reformierung des Bundes und die Rolle Preußens, in: Dahlmann — Nachlaß (Deutsche Staatsbibliothek, Berlin, Handschriftenabteilung), Kasten 24; über den Besuch M. v. Gagerns beim Prinzen Wilhelm in London vgl. BAF, N 22, Nachlaß Johann Smidt, Brief Smidts an seinen Sohn Heinrich Smidt v. 4. 6. 1848. 2 StB, Bd. 1, S. 358. Im Einklang mit seinen Bemühungen um eine Aufwertung des gemäßigten parlamentarischen Demokratismus (vgl. die Charakterisierung des Antrages Blum/Trützschler bei Bo!dt, Werner, Konstitutionelle Monarchie, S. 600f.) vergröbertBoldt die Kritik am liberalen Zentralgewaltskonzept sowohl hinsichtlich des vorgeschlagenen Wahlmodus als auch der Ministerverantwortlichkeit, ebenda, S. 598 ff. 3 StB, Bd. 1, S. 358. * Ebenda, S. 357. % 1

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

Was die allgemeine politische Zielstellung für die Zentralgewalt — Wahrnehmung verschiedener zentraler Funktionen und Eindämmung der revolutionären Bewegung — anlangte, so entsprangen Dahlmanns Versicherungen nicht taktischen Motiven, sondern weitgehend den Intentionen der Casino-Liberalen selbst. Dahlmanns feine Nuancicrung, der Ausschußantrag beachte die „bestehenden Verhältnisse, ohne sich ihnen dienstbar zu machen", er entspreche den Forderungen der Gegenwart und bilde zugleich die Einleitung in „eine hoffentlich gehobenere Zukunft unseres Vaterlandes" 1 , ließ freilich auch den Schluß zu, daß damit noch nicht das letzte Wort für die Casino-Liberalen gesprochen war, sondern die Einbringung eines weitergehenden Antrages im Verlaufe der Debatte nicht gänzlich außerhalb des Möglichen lag. In seiner vorliegenden Fassung besaß der Vorschlag der Liberalen gegenüber dem Antrag der vereinigten kleinbürgerlich-demokratischen Linken (Antrag Blum-Trützschler) 2 jedoch weder den Vorzug der Popularität noch eines scharf gefaßten unitarischen Prinzips. Das Direktorium war nicht einmal eine von den liberalen Fraktionen uneingeschränkt akzeptierte Lösung, sondern eine lediglich wegen ihrer Halbheit und ihres vermittelnden Charakters von den verschiedenen liberalen Gruppen des Zentrums hingenommene Formel. Über zwei Prinzipien bestanden innerhalb der Casino-Fraktion von vornherein keine Meinungsverschiedenheiten: Das Direktorium sollte keine Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament besitzen und nur im Zusammenwirken mit den einzelstaatlichen Regierungen zustande kommen. Die beiden sich innerhalb der propreußischen Mehrheit der CasinoFraktion abzeichnenden Richtungen nahmen, wenn auch aus verschiedenen Motiven, Abstand von der Forderung nach einer preußischen Spitze. Die Preußen am nächsten stehende Gruppe der Droysen, Duncker, Laube, Haym, Dahlmann bekannte sich wohl vor allem wegen der Unpopularität einer solchen Lösung, d. h. aus taktischen Gründen, zum Direktorium. 3 Die in stärkerem Maße auf die Selbständigkeit des Parlaments orientierte, prinzipiell aber ebenfalls propreußisch eingestellte Gruppe um Bassermann, Mathy und H. v. Gagern hatte z. T. andere Motive: Sie hegte Zweifel, ob Preußen im Augenblick die politischen Voraussetzungen biete, d. h. der Grad der Konstitutionalisierung dieses Staates bereits weit genug fortgeschritten war, um die Führungsrolle innerhalb des Deutschen Bundes zu übernehmen. Das Votum dieser Gruppierung zugunsten des Direktoriums war daher nicht nur taktisch, sondern auch politisch begründet. Der Verlauf der Debatte über die provisorische Zentralgewalt ließ deutlich werden, wie beide Gruppierungen unter dem Druck der Auseinandersetzung und dem Zwang, die Unzulänglichkeit des eigenen Konzepts zu überwinden, nach populären, gleichwohl aber akzeptablen Lösungen suchten. Dabei blieb jedoch das Hauptanliegen nach wie vor unverändert: beschränkter Geltungsanspruch im Rahmen des Vereinbarungsprinzips und ihre antirevolutionäre Frontstellung, die in der Losung „Ruhe und geordnete Verfassungszustände" ihren Ausdruck fand. Bereits am ersten Tag gaben die Casinosprecher zu erkennen, daß sie an der Unverantwortlichkeit, beschränkten Bundeskompetenz, der Einsetzung bzw. Wahl der Zentralgewalt clurch Parlament und Fürsten, wie es die Ausschußvorlage vor1 Ebenda, S. 358. 2 Die Linke forderte die Einsetzung eines fünfköpfigen, dem Parlament voll verantwortlichen Vollzugsausschusses, vgl. ebenda, S. 359. 3 Vgl. Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 1, Leipzig 1849, S. 288; Hajm, Rudolf, Nationalversammlung, Bd. 1, S. 21 ff.

1. Das Konzept der Casino-Fraktion

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sah, festzuhalten gedachten. Heckscher verlangte sogar die Reduzierung der ohnehin nicht weitgespannten Befugnisse, nämlich den Verzicht auf den militärischen Oberbefehl und — ebenso wie Bassermann 1 — auf das Genehmigungs- und Entscheidungsrecht über auswärtige Verträge sowie Krieg und Frieden durch das Parlament. 2 Übereinstimmend wiesen Duncker, Bassermann und Heckscher das von der Linken für die Nationalversammlung geforderte Alleinentscheidungsrecht über die Einsetzung der Zentralgewalt mit sogenannten realpolitischen Überlegungen bzw. dem Argument, die Regierungen der Einzelstaaten verkörperten ebenfalls den Volkswillen, zurück. 3 Dagegen ließen mehrere Sprecher durchblicken, daß das Direktorium wohl für die im Augenblick praktikable, aber nicht eigentlich erstrebenswerte Lösung gehalten wurde. Heckschers Argument, mit dem er das Direktorium verteidigte, eine Einzelperson müsse sich ohnehin nach Beratern umsehen 4 , stand auf sehr schwachen Füßen. Bassermann legte sich weder für die Dreiheit noch für die Einheit fest 5 , und auch Duncker nannte die Einheitsgewalt lediglich für den Augenblick inopportun. 6 Obwohl ein Direktorium dem konstitutionellen Erbkaisertum nur ungenügend vorarbeiten konnte, bekannten sich die tonangebenden Casino-Liberalen zunächst zu diesem Konzept. Ein wichtiger Grund für das Zögern vieler Liberaler, sich für die aller Voraussicht nach handlungsfähigere Einheitsgewalt zu entscheiden, war Rücksichtnahme gegenüber Adel und Fürsten. Wenn eine solche aktivere Zentralgewalt, wie von den Liberalen versichert, als Instrument gegen „Anarchie" und „Wühlerei" eingesetzt wurde, so lag das gewiß auch in deren Interesse. Andererseits zögerten Adel und Fürsten aus Mißtrauen gegen die Bourgeoisie, aus partikularistischen Motiven sowie aus Aversion gegen die Bevorzugung eines Einzelstaates, einem Reichsverweser zuzustimmen. Die Auffassung der Casino-Fraktion über die Zusammensetzung der Zentralgewalt war mehrere Tage lang schwankend. Der Nutzen einer tatkräftigen Zentralgewalt für den Kampf gegen die „Anarchie" wurde nicht verkannt. Es wurde auch nicht übersehen, daß eine solche provisorische Zentralregierung die Möglichkeit bot, der eigenen Reformpolitik beim Vereinbarungspartner vorsichtig Gehör zu verschaffen. Die Etablierung eines provisorischen preußischen Erbkaisertums war aus taktischen wie aus politischen Gründen für den Augenblick nicht opportun. Ein diesbezüglicher Antrag Brauns aus Köslin erregte bezeichnenderweise stürmische Heiterkeit im Plenum. 7 Daß er jedoch beim allerrechtesten Flügel der Casino-Fraktion wenigstens insgeheim Zustimmung fand, ließ die „Deutsche Zeitung" noch am 22. Juni erkennen. 8 Aber in der Gesamtfraktion dominierte zunächst die Scheu vor der Bevorzugung eines Einzelstaates als Träger der Zentralgewalt. Lette, erster Redner der propreußisch eingestellten Casinomehrheit am zweiten Tag der Debatte, gab dieser Widersprüchlichkeit Ausdruck. Er verlangte eine starke Zentralgewalt, „um der Anarchie entgegenzutreten", aber auch, um „gegen die Reaction" vorzugehen. 9 Er gab der Trias gegenüber der Einheitslösung den Vorzug, da er jene für „praktischer und 1 StB, Bd. 1, S. 380. 2 Ebenda, S.371. 3 Reden von Heckscher, ebenda, S. 369ff.; Duncker, ebenda, S. 384f.; Bassermann, ebenda, S. 379ff. « Ebenda, S. 370. 5 Ebenda, S. 380. 6 Ebenda, S. 385. 7 Ebenda, S. 397; boldt, Werner, Konstitutionelle Monarchie, S. 599. Boldt geht sicherlich fehl, wenn er in Brauns Antrag ein Projekt der Casino-Fraktion, nämlich eine Art Versuchsballon sieht. 8 DZ, Nr. 172, v. 22.6.1848. s> StB, Bd. 1, S. 404.

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

jetzt für ausführbarer" 1 hielt. Er verband seine Forderung nach einer starken Zentralgewalt mit dem Wunsch, deren Berufung ausschließlich den einzelstaatlichen Regierungen selbst zu übertragen. Dieses Hin und Her war zunächst für die Stellungnahme einer Reihe von Casino-Liberalen typisch. Auch Welcker, seit Frühjahr 1848 badischer Bundesbevollmächtigter und im Juni noch großdeutsch eingestellt, forderte einerseits eine „kräftige, starke Regierung" 2 , andererseits jedoch eine noch größere Einflußnahme der Einzelstaaten auf die Zentralgewalt, als der Ausschußantrag vorsah. 3 Der Krefelder Bankier Beckerath, Exponent des äußersten rechten, propreußisch orientierten Flügels innerhalb der Casino-Fraktion, sprach sich in allen Punkten für den Ausschußantrag aus. 4 Etwa nach dem zweiten Verhandlungstag kündigte sich bei einem größeren Teil der Casino-Liberalen unter dem Zwang der parlamentarischen Auseinandersetzung, des Neudurchdenkens der eigenen Position, die Bereitschaft zu einer taktischen Schwenkung an. 5 Mit einem vielköpfigen Aufgebot an Parlamentssprechern, zu denen mit L. Simon, Trützschler, Blum und Zitz die prominentesten sowie politisch und rhetorisch befähigsten Oppositionsvertreter gehörten, hatte nämlich die Linke für einen verantwortlichen Präsidenten und für die Alleinwahl der Zentralgewalt durch die Nationalversammlung votiert. Gegenüber der Berufung auf die Volkssouveränität, auf die Verantwortung der Paulskirchenversammlung gegenüber dem Volk und auf die Notwendigkeit, eine handlungsfähige Regierung zu schaffen, verblaßten die wenig zugkräftigen Argumente der Casinovertreter für den Ausschußantrag. Am dritten Verhandlungstag hatte der Westfale Vincke prononciert, am fünften Tag auch Radowitz, beide Vertreter der äußersten Rechten, für die Einheitslösung gesprochen. Am selben Tag gab der Casion-Abgeordnete und ostpreußische Gutsbesitzer v. Saucken-Tarputschen, ein Vertreter des Junkerliberalismus, die Bereitschaft des zuständigen Parlamentsausschusses zu erkennen, die Einheitsgewalt zu billigen, sofern sich eine ausreichende Mehrheit bilde 6 . Sein Fraktionskollege Wippermann, der am selben Tage sprach, ließ keinen Zweifel, daß sich nunmehr in der Fraktion ein Stimmungsumschwung andeutete. 7 Aber die Sprecher der Liberalen verhehlten ebensowenig, daß weder am Vorschlagsrecht der Regierungen noch am Unverantwortlichkeitsprinzip gerüttelt werden sollte.

2. Der „ k ü h n e Griff" Heinrich v . Gagerns Die festgefahrene Situation veranlaßte vor allem H. v. Gagern zu neuen taktischen Überlegungen. Ihm, der schon seit Ende Mai mit den Bundesgesandten der Einzelstaaten über die Zentralgewalt verhandelte 8 , gelang es nach und nach, seinen Gesprächspartnern den Gedanken einer Einheitsgewalt näherzubringen. Mit Sicherheit wurde in diesen Gesprächen bereits die Kandidatur eines Angehörigen eines regierenden Hauses beraten, für die nach Lage der Dinge ein Habsburger die besten Chancen besaß. 1 Ebenda, S. 405. 2 Ebenda, S. 409. 3 Ebenda, S. 410ff. < Vgl. ebenda, S. 415-418. 5 Vgl. Laube, Heinrich, Das erste Parlament, Bd. 1, S. 298. 6 StB, Bd. 1, S. 484. 7 Rede Wippermanns, ebenda, S. 490ff. 8 BAF, N 22 (Nachlaß Johann Smidt): Brief Smidts an seinen Sohn Heinrich Smidt v. 1. 6. 1848.

2. Der „kühne Griff" Heinrich v. Gagerns

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Seit dem 10. Juni erörterten jedenfalls Schmerling und Menßhengen in ihren Berichten an die Wiener Regierung eine Kandidatur des österreichischen Erzherzogs Johann, anfänglich allerdings im Rahmen der von der Casino-Fraktion zunächst befürworteten Trias. 1 Um eine möglichst große parlamentarische Mehrheit bemüht, hielt H. v. Gagern diese Verhandlungennamentlich vor der Linken geheim, da er zwar für die Einheitslösung, keinesfalls aber für den fürstlichen Reichsverweser Sympathie erwarten konnte. Der Parlaments Präsident wie auch die propreußische Casinomehrheit taten dagegen kaum etwas, um die Spekulation der Linken auf eine Präsidentschaft H. v. Gagerns zu zerstören, obwohl dieser im internen Kreise keinerlei Zweifel gelassen hatte, daß er nicht bereit war, diesen Posten zu übernehmen. 2 Ohne ihre Pläne aufzudecken, förderten H. v. Gagern und seine Parteifreunde den Stimmungsumschwung in der Paulskirche, der der Einsetzung eines fürstlichen Reichsverwesers vorarbeitete. Am 21. und 22. Juni vermeldeten Schmerling und Wessenberg, daß sich nunmehr auch bei den preußischen Abgeordneten viele Stimmen für den österreichischen Erzherzog (nicht mehr als Mitglied des Dreierkollegiums, sondern als alleiniges Oberhaupt) ausgesprochen hätten. 3 Während dessen Kandidatur zunächst vor der Opposition noch geheimgehalten wurde, stand sein Name bereits am Abend des 22. Juni für das rechte Zentrum mit einiger Sicherheit fest. 4 Nahezu alle Bundesbevollmächtigten hatten ihr Einverständnis gegeben. 5 Baden, wie auch die anderen Mittelstaaten, anfangs der Einheitslösung abhold, votierte nunmehr für den Habsburger. 6 Usedom, der noch in der Nacht zum 22. Juni die ministerielle Anweisung erhielt, gegen Johann zu stimmen, stellte seinen Protest aus zwei Gründen zurück: Er fürchtete die Unpopularität eines solchen Schrittes und hoffte gleichzeitig, die Amtsübernahme durch einen Habsburger trage dazu bei, daß sich die „jetzige österreichische Combination" abnutze, „und Preußen steht besser da, wenn es nicht so unmittelbar als im Triumvirat dabei beteiligt gewesen ist". 7 Wiederum war somit auf dem Vereinbarungswege eine wichtige Vorentscheidung getroffen worden. Das Agieren der Casino-Liberalen während der Debatte über die provisorische Zentralgewalt gibt Anlaß, bereits hier nach dem Stellenwert der Vereinbarungspolitik im System liberaler Politik zu fragen. Das Streben nach einem Kompromiß mit Adel und Fürsten war neben der Ablehnung der Volksrevolution als Mittel zur bürgerlichen Umgestaltung einer der Grundpfeiler liberaler Politik. Das schloß, wie bereits mehrfach betont, Selbständigkeitsansprüche der liberalen Partei gegenüber der adligen Ausbeuterklasse durchaus nicht aus. Mindestens in verfassungspolitischer Hinsicht beanspruchten die Liberalen sogar die führende Position, sowohl was die grundgesetzliche Fixierung ihrer Ansprüche als auch die Verabschiedung 1 ÖSTA, HHStA, Staatskanzlei (im folgenden: StK), Deutsche Akten, Neue Serie, 80, Bl. 383, 404, 414; Berichte v. 10., 13. u. 15. 6. 1848. Wessenberg hatte sich allerdings noch am 17. 6. gegen eine Kandidatur Johanns ausgesprochen (ebenda). 2 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 85 ff. 3 ÖStA, HHStA, StK, Diplomatische Korrespondenz, Bd. 1, Deutsche Akten, Neue Serie, Bl. 97 u. 126. 4 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit, Bd. 1, Berlin 1887, S. 296; ZStAM, Königliches Hausarchiv Corr. U, Bericht Usedoms an Friedrich Wilhelm IV. v. 22. 6. 1848, Bl. 171. 5 Ernst II., Herzog v. Sacbsen-Coburg-Gotha, Bd. 1, S. 297. 6 Aus dem Nachlaß von Karl Mathy. Briefe aus den Jahren 1846-1848, hrsg. v. L. Mathy, Leipzig 1898, S. 308. 7 Ebenda.

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der Verfassung anbelangte. Im Verlauf der Debatte über die provisorische Zentralgewalt setzte sich aus den verschiedensten Gründen im liberalen Lager mehr und mehr die Einsicht durch, daß es galt, möglichst wenig verfassungspolitisches Terrain aufzugeben. Somit ging es darum, eine für die Bourgeoisie günstigere Lösung als das Direktorium zu finden. Die während der Zentralgewaltsdebatte praktizierte Taktik war dadurch gekennzeichnet, wichtige Verhandlungen mit den Einzelstaaten unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu führen, ohne sich die Hände bereits völlig zu binden. So war man bestrebt, dem Parlament die abschließende Entscheidung vorzubehalten. Die Liberalen vermochten auf diese Weise das Gesicht vor der Öffentlichkeit zu wahren und den parlamentarischen Gegenspieler möglicherweise in die Irre zu führen. Sie konnten sich mit dem Vereinbarungspartner prinzipiell verständigen, ohne sich ihm völlig auszuliefern. H. v. Gagern bediente sich dieser Taktik in seinen Sondierungen und Verhandlungen während dieser Tage unzweifelhaft mit Geschick. Er nahm den anfänglichen Widerspruch der Vereinbarungspartner gegen die Einheitsgewalt wie auch danach gegen die Alleinwahl der Zentralgewalt durch das Parlament in Kauf. Er konnte dieses Risiko eingehen, da durch den Stimmungsumschwung innerhalb der Paulskirche wie auch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung zuungunsten der Direktorialgewalt der Boden für eine modifizierte Lösung bereitet war. Für Gagern schien daher der Augenblick gekommen zu sein, für den unverantwortlichen Reichsverweser zu werben. In einer großangelegten Rede modifizierte er den ursprünglichen Antrag seiner Partei. Er sprach sich dafür aus, keinem Parlamentarier der Paulskirche, sondern dem österreichischen Erzherzog Johann, einem Mann aus „der höchsten Sphäre . . ., der der Unterstützung der Nation für die höchste Stelle sich wert gezeigt hat und ferner wert zeigen wird" das höchste Amt zu übertragen. Sein sogenannter kühner Griff, der die Schaffung der Exekutive allein der Nationalversammlung anheimgab, übertrug dem Parlament die Entscheidung. Gagern hatte keinen Zweifel gelassen, daß er den revolutionären Vollzugsausschuß ablehnte und für den Reichsverweser keinerlei Verantwortlichkeit wünschte. Durch die Rede, die ganz bewußt an den Gedanken von der „Souveränität der Nation" anknüpfte, konnte Gagern wohl auch einen Teil der Linken beeindrucken. 2 Aber die Mehrheit der demokratischen Opposition hat schnell herausgefühlt, daß nach der Wendung Gagerns für ihre eigenen Vorschläge kaum noch Chancen bestanden und sie auch ihre Illusion hinsichtlich Gagerns Präsidentenschaft werde begraben müssen. 3 Der „kühne Griff" war ein gelungener Schachzug Gagerns und einer Reihe seiner Parteigänger. Ihr Projekt trug einerseits der Abneigung der Versammlungsmehrheit gegenüber einem Direktorium und einer Mitsprache der Regierungen bei der Reichsverweserwahl Rechnung. Es war gleichzeitig aber auch geeignet, die Liberalen ihrem Ziel, der Konstitutionalisierung Deutschlands und einer politischen Vereinbarung mit den Feudalkräften, näherzubringen. Das Abgehen vom Direktorium, die Forderung nach Einsetzung eines Reichsverwesers, d. h. einer handlungsfähigen Zentralgewalt, nach Ministerverantwortlichkeit sowie Gagerns „kühner Griff" waren durchaus dazu angetan, das linke Zentrum 1 StB, Bd. 1, S. 522. 'Räumer, Friedrieb v., Briefe aus Frankfurt und Paris 1848—1849, Leipzig 1849, S. 119; die Mainzer Zeitung, Nr. 177, v. 27. 6. 1848, schrieb: „Der 24. Juni ist in der deutschen Geschichte der Beginn einer neuen Periode. Die Volkssouveränität ist entschieden anerkannt worden." 3 Bericht des demokratischen Abgeordneten Reinhard (Boizenburg) in: BHW, Nr. 30, 2. 7. 1848. 2

2. Der „kühne Griff" Heinrich v. Gagerns

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zu gewinnen und die Linke in der bevorstehenden Abstimmung zu isolieren. Seine konstitutionelle Klausel war die entscheidende Voraussetzung, den fürstlichen Reichsverweser durchzubekommen, beschwichtigte sie doch die Bedenken vieler schwankender Abgeordneter gegen ein solches Reichsoberhaupt. 1 Die Betrauung eines Fürsten mit diesem Amt war wichtig, um die Zustimmung der Adelsklasse zu erlangen. Gagern strebte nicht nur eine Augenblickslösung an. Herbeiführung einer Allianz zwischen gemäßigten Konservativen, als deren Vertreter Johann galt, und Liberalen mit dem Ziel einer allmählichen Konstitutionalisierung Deutschlands, Stärkung des Bundes ohne Konfrontation mit den Einzelstaaten, weitere Isolierung der Linken im Parlament und Abbremsung der Revolution — genau das war der Kurs, auf den die Gagern-Liberalen die künftige Reichszentralgewalt festzulegen gedachten. Der „kühne Griff" war nicht nur eine Scheinkonzession an die Linke, dazu bestimmt, die Kritiker einer allzu vorsichtigen Politik gegenüber Fürsten und Adel zum Schweigen zu bringen. Hierin drückte sich auch die Inanspruchnahme eines wichtigen konstitutionellen Entscheidungsrechtes durch die Casino-Liberalen aus. Es ist bemerkenswert, wenn auch für die Bewertung des „kühnen Griffs" nicht in erster Linie ausschlaggebend, daß Gagerns Plan von einem Teil der parlamentarischen Linken begrüßt und von einer größeren Zahl seiner Fraktionskollegen, gelinde gesagt, mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Es handelte sich um den ersten Vorstoß einer von der Mehrheit der Casino-Fraktion — ausgenommen eine kleine Minderheit um Gervinus — trotz anfänglicher Vorbehalte schließlich gebilligten Variante der Vereinbarungspolitik. Sie folgte dem Prinzip der Vorabverständigung mit dem Vereinbarungspartner in allen substantiellen politischen (Macht- und Verfassungs-)Fragen. Die Grenzen des von den Liberalen hierbei beanspruchten Handlungsspielraumes waren dadurch gekennzeichnet, daß sowohl der politische Alleingang als auch die Unterordnung unter den Machtanspruch des Vereinbarungspartners zunächst ausgeschlossen waren. 2 Die Casino-Liberalen waren unbeschadet ihres Vereinbarungskonzeptes bestrebt, nach Möglichkeit den parlamentarischen Entscheidungsspielraum zu erhalten. „Durchaus nicht einzig und allein, sagte das rechte Centrum", so formulierte Laube den von Gagern nunmehr praktizierten Grundsatz, „sondern soweit als möglich im Einklang mit den Regierungen, aber endgültig von der Nationalversammlung soll die Verfassung festgestellt werden . . . Die Linke wollte einzig und allein das Wort führen, das linke Centrum wollte auch allein das Wort führen, aber doch dazwischen hören, das rechte Centrum wollte nur das letzte Wort haben." 3 Der von den Liberalen in Anspruch genommene Handlungsspielraum diente zur Wahrung eigener Interessen, aber auch dazu, aus parlamentstaktischen Gründen notwendige Konzessionen an Koalitionspartner möglich zu machen. Gagerns „kühner Griff" hatte sich als^entscheidender Schachzug erwiesen, so daß die 1

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Gagern lagen demagogische Überlegungen dieser Art durchaus nicht fern (was von Boldt, Werner, Konstitutionelle Monarchie, S. 605, indessen behauptet wird), da er aus politischen, demonstrativen Gründen um eine große Mehrheit für den Reichsverweser bemüht war, wenn diese Überlegung auch kein vordergründiges Motiv für den „kühnen Griff" darstellte. Der „kühne Griff" entsprang nicht in erster Linie der Taktik H. v. Gagerns, die darin bestanden habe, mit „revolutionären Mitteln konstitutionelle Politik" zu machen (ebenda, S. 604). Boldts Umwertung der Begriffe kommt hier den Gagern-Liberalen selbst zugute, wenn er die Wahrnehmung eines selbständigen Entscheidungsrechts unter Beachtung der Vereinbarungsnormen als revolutionär bezeichnet.

Laute, Heinrieb, Das erste Parlament, Bd. 2, S. 29.

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

Liberalen in der Abstimmung über die provisorische Zentralgewalt schließlich mit nahezu allen Anträgen durchkamen: Die Zentralgewalt sollte sich demnach aus einem unverantwordichen Reichsverweser nebst verantwortlichem Ministerium zusammensetzen. Ihre Befugnisse waren so abgegrenzt worden, wie es der Majoritätsantrag vorgesehen hatte. Fast in allen Einzelabstimmungen gab es klare Siege für die liberale Mehrheit. Mit 355 zu 171 Stimmen sprach sich die Versammlung für die Wahl eines Reichsverwesers aus. Nur mit knapper Mehrheit (277: 261 Stimmen) brachte die liberale Mehrheit allerdings den Antrag der Linken zu Fall, die Zentralgewalt müsse die Beschlüsse der Nationalversammlung vollziehen. 1 Die abschließende Abstimmung über den gesamten Gesetzentwurf erbrachte ein Stimmenverhältnis von 450: 100 für die Annahme.2 Auch die Abstimmung über die Person des Reichsverwesers verlief für die Liberalen programmgemäß. Der für dieses Amt vorgeschlagene österreichische Erzherzog Johann erhielt 436 von 548 Stimmen.3 Selbst für eine größere Zahl von Gagerns Parteifreunden war der „kühne Griff" zunächst überraschend gekommen. Die Einheitsgewalt als solche zu akzeptieren, fiel der Fraktionsmehrheit mit Ausnahme derer, die eine derartige Stärkung der Zentralgewalt bereits als riskanten Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten betrachteten, jedoch keinesfalls schwer. Die Stärkung der Zentralgewalt stand im Einklang mit dem liberalen Reformkonzept, und die Änderung des ursprünglichen liberalen Vorschlages zur Gestaltung der Zentralgewalt hatte sich auch aus parlamentarischen Gründen als notwendig erwiesen. Infolge der Besetzung des Verweseramtes mit einem österreichischen Fürsten war nicht mit prinzipieller Kritik von Seiten der Einzelstaaten zu rechnen, was indessen nicht bedeutet, daß diese Lösung von der propreußisch eingestellten Casinomehrheit ohne Widerstreben hingenommen wurde. Die Motivation der Casino-Abgeordneten, für den österreichischen Reichsverweser zu stimmen, war vielfältig und nicht völlig einheitlich. Gewiß war ein Beweggrund für die Gesamtfraktion der, die Sache vor die Person zu stellen. Die konstitutionell-monarchische Beschaffenheit der Zentralgewalt erschien immerhin so bedeutungsvoll, daß Bedenken gegen eine Stärkung des preußischen Gegenspielers zunächst einmal zurückgestellt werden konnten. E. Simson, die Not zur Tugend machend, hoffte auf eine möglichst schnelle Abnutzung des österreichischen Namens und dachte wie auch der zu diesem Zeitpunkt noch der äußersten Rechten angehörige Vincke bereits an die „Erbschaft".4 „Ich meine", so erklärte er, „kein anderer Weg führte so einfach dahin, in mäßiger Zeit Preußen in der Auffassung von Deutschland gegen die jetzige — zum Teil freche — Unterschätzung herzustellen."5 Wie aber reagierte die Casino-Fraktion auf die wesentlich umstrittenere Forderung Gagerns nach Alleinwahl des Reichsverwesers durch die Paulskirchenversammlung? Gagern hatte in diesem Punkte ohne Legitimation durch die Gesamtfraktion, aber wohl kaum ohne Wissen seiner engsten Vertrauten gehandelt. Sein Verlangen löste jedenfalls tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Casino-Fraktion aus, die schließlich sogar zum Austritt eines ihrer prominentesten Mitglieder und Opponenten Gagerns, des Chefredakteurs der DZ, Gervinus, führten. Die sich an die Plenardebatte vom 24. Juni an1 StB, Bd. 1,S. 567 ff. 2 Ebenda, S. 621. 3 Ebenda, S. 638. 4 Ernst II., Herzog v. Sacbsen-Coburg-Gotba, Bd. 1, S. 296. 5 Simson, Eduardv., Erinnerungen, hrsg. v. B. v. Simson, Leipzig 1900, S. 104f.

2. Der „kühne Griff" Heinrich v. Gagerns

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schließende Abendsitzung der Casino-Fraktion gehörte zu den stürmischsten der Anfangsphase ihrer Entwicklung. Gagern sah sich einer starken Fronde prominenter CasinoAbgeordneter gegenüber, zu denen vor allem Vertreter des extrem preußenfreundlichen Flügels wie Dahlmann, Gervinus, Beckerath und E. Simson gehörten. „Gagerns Rede", so berichteteDroysen, „fand vielen und scharfen Tadel." Dahlmann habe mit aller Hochachtung für Gagern gesprochen, aber seine Rede aufs schärfste mißbilligt. 1 In der Abstimmung über den Wahlmodus der provisorischen Zentralgewalt hatte sich die Casino-Fraktion daher, wie Haym mit Recht bemerkte, völlig desorganisiert gezeigt. 2 Über die Hälfte der Fraktion, von der Führungsspitze u. a. beide Gagern, Bassermann, Mathy, aber auch Droysen, stimmte für die Alleinwahl. Die Vertreter des extrem propreußischen Flügels, deren prominenteste vor allem Beckerath, Beseler, Duncker, Gervinus, Haym und Simson waren, erklärten sich weiterhin für das Vorschlagsrecht der Regierungen, was indessen die klare Mehrheit für Alleinwahl durch das Parlament (403: 135) nicht zu gefährden vermochte. 3 Es hieße allerdings die Zusammenhänge vereinfachen, wollte man die Gegner des Alleinwahlprinzips nur innerhalb des extrem propreußischen Casino-Flügels suchen. Wie verschiedene Anzeichen ergeben, bestanden auch innerhalb der stärker parlamentarisch-konstitutionelleingestellten Gruppe Bedenken gegen diesen Wahlmodus 4 , aber man war hier aus politischen Gründen eher geneigt, den Intentionen der Gagernschen Vereinbarungspolitik zu folgen. Den strikten Preußenanhängern erschien indes der Preis der Alleinwahl als Äquivalent für die von ihnen teilweise ja nur aus taktischen Gründen akzeptierte Einheitslösung mindestens anfänglich zu hoch. Haym beschuldigte die Befürworter der Alleinwahl faktisch sogar des Bruchs einer innerfraktionellen Vereinbarung 5 , was angesichts einer Abstimmungsmehrheit von 60 % für die Alleinwahl innerhalb der Casino-Fraktion doch mehr als zweifelhaft erscheint. Die DZ, die während der Monate Mai und Juni nicht aufgehört hatte, mit einer variablen Argumentation für eine durch Preußen verwaltete Zentralgewalt oder aber ein Direktorium zu plädieren, äußerte auch nach der nunmehr gefallenen Entscheidung zunächst weiterhin ihre Mißbilligung über die ihrer Auffassung nach unzureichende Mitwirkung der einzelstaatlichen Regierungen bei der Etablierung der Zentralgewalt. 6 Zugleich aber wurde seit Anfang Juli innerhalb der Casino-Fraktion ein Integrationsprozeß spürbar, der von wachsender Einsicht in die Nutzungsmöglichkeit der Zentralgewalt für die Verwirklichung des liberalen Reformprogramms und von der Erleichterung über das Ausbleiben eines massiveren Widerstandes der Einzelstaaten getragen und vor allem durch Gagern und seine Vertrauten gefördert wurde. Auch diejenigen Vertreter der Führungsspitze, die wie Dahlmann oder Beckerath den Einzelstaaten prinzipiell, mindestens aber bei der Etablierung der Zentralgewalt, mehr politischen Einfluß zubilligten oder einer nichtpreußischen Lösung aus grundsätzlichen Gründen skeptisch gegenüberstanden, stellten sich nunmehr hinter die Entscheidung. Giesebrecht, 1 Aktenstücke und Aufzeichnungen %ur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlaß von Johann Gustav Droysen, hrsg. v. R. Hübner, Berlin—Leipzig—Stuttgart 1924, S. 815, vgl. ferner Haym, Rudolf, Nationalversammlung, Bd. 1, S. 31. 2 Haym, 'Rudolf, Ausgewählter Briefwechsel, hrsg. v. H. Rosenberg, Stuttgart— Berlin — Leipzig 1930, S. 50. 3 StB, Bd. 1, S. 598ff. 4 FOPAZ, Nr. 179, 27.6.1848. 5 Haym, Rudolf, Nationalversammlung, Bd. 1, S. 32. 6 DZ, Nr. 179, 29. 6.1848; Nr. 181,1. 7.1848.

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

einer der weniger profilierten Vertreter des rechten Casino-Flügels, gab wie eine Reihe anderer nachträglich sein Einverständnis. Frohlockend vermeldete er bereits am 29. J u n i : „Inzwischen gewinnt, seitdem man sich für einen Reichsverweser entschieden, auch die Idee des erblichen Kaisertums in der Nationalversammlung mehr und mehr Raum, der Widerwille gegen Preußen ist merklich im Abnehmen, und schon hört man von mehreren Seiten her die Äußerung, die Kaiserwürde werde an Preußen kommen müssen." 1 Angesichts dieser Tatsache zeigte sich Giesebrecht auch mit dem Wahlverfahren einigermaßen versöhnt, um so mehr, als die Börse nunmehr auch für die Bourgeoisie positiv reagierte. „In Ordnung war das Verfahren . . . ohne Zweifel nicht, aber es ist heilsam gewesen. Das Vertrauen kehrt schon zurück. An der heutigen Börse sind alle Fonds augenblicklich bedeutend gestiegen, sobald die Wahl des Erzherzogs bekannt wurde, und doch wußte man schon von dem Gemetzel in Paris." 2 Selbst die DZ öffnete ihre Spalten nunmehr liberalen Stimmen, die die getroffene Entscheidung billigten und als Teil eines europäischen Umschwungs im Interesse von „Ruhe und Ordnung" zuungunsten der revolutionären Kräfte werteten: „Die Reichsgewalt kommt uns gleichzeitig mit der Nachricht, daß in Paris Gesetz und Ordnung einen blutigen, aber entscheidenden Sieg über unbändige Zerstörungswut erfochten, daß in Berlin ein neues Ministerium seinen Entschluß verkündet hat, dem Unfug mit aller Kraft zu begegnen, . . . daß in Prag die deutsche Sache gesiegt und in Wien die Dinge sich zum Besseren wenden. Dürfen wir jetzt nicht mit einiger Beruhigung in die nächste Zukunft schauen, . . . dürfen wir nicht hoffen, daß die Bewegung der Geister eine befruchtende sei, daß die Stockung der Volksarbeit, des Güterverkehrs und des Geldumlaufs allmählich nachlassen werde?" 3 Das Konzept, die neu entstandene Zentralgewalt in allererster Linie der Vereinbarung mit Fürsten und Adel sowie dem Kampf gegen die „Anarchie" nutzbar zu machen, wurde offenbar von Gervinus, dem Exponenten des rechten Casino-Flügels in jenen Tagen, nicht geteilt. 4 Er schied im Juli aus der Nationalversammlung aus, offiziell aus gesundheitlichen Gründen, in Wirklichkeit deshalb, weil er die Differenzen zu H. v. Gagern und die Vorbehalte gegenüber den Modalitäten seiner Vereinbarungspolitik für unüberbrückbar hielt. Ein Motiv für Gervinus, seine Parteifreunde „ihrem Schicksal zu überlassen" und mit der „Zwitterexistenz" des Paulskirchenparlamentariers Schluß zu machen 5 , war offensichtlich die Furcht vor herannahenden Konflikten mit den Partikulargewalten. Hier irrte Gervinus, zumindest was die unmittelbare Reaktion des adlig-monarchischen Lagers auf die gefallene Entscheidung anlangte. Gagern hatte mit seinem kühnen Griff das Risiko eines Gegenvotums der einzelstaatlichen Regierungen auf sich genommen. Wenn die Wahl Johanns auch bei Preußen und seinen engeren Bundesgenossen keine Jubelstürme auslöste, so machten indessen vier Umstände sie für diese annehmbar, nämlich die Wahl des Angehörigen eines Fürstenhauses, die Unverantwortlichkeit des Reichsverwesers gegenüber dem Parlament, die fehlende Machtausstattung der Zentralgewalt und die präjudizielle Bedeutung der gefundenen Lösung für ein späteres Erbkaisertum. Die getroffene Entscheidung stand also mit den prinzipiellen politischen Interessen des Kooperationspartners durchaus im Einklang. Nicht zuletzt unter Kalkulation des politischen Rückhalts, den die Paulskirchenversammlung in jenen Wochen und Monaten in 1 BAF, N 96 (Nachlaß Ludwig Giesebrecht), Brief Giesebrechts an seine Gattin v. 29. 6. 1848. Ebenda, Brief Ludwig Giesebrechts an seine Gattin vom 2. 7 . 1 8 4 8 . 3 DZ, Nr. 182, 2 . 7 . 1 8 4 8 . 2

« Vgl. BAF, N 22 (Nachlaß Johann Smidt), Brief Smidts an seinen Sohn Heinrich Smidt v. 7. 6. 1848. 5 Ebenda, N 10 (Nachlaß Beseler), Bl. 95, Brief Gervinus' an Beseler (ohne Datierung).

2. Der „kühne Griff" Heinrich v. Gagerns

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der politischen Öffentlichkeit besaß, konnte Gagern das Risiko einer unfreundlichen Reaktion durch Fürsten und Einzelregierungen hinnehmen, die sich, wie Gagern richtig vorausgesehen hatte, schließlich auch in Grenzen hielt. 1 Die ebenfalls von liberaler Seite vertretene Ansicht, mit dem „kühnen Griff" sei lediglich die Absicht verfolgt worden, dem Reichsverweser eine überwältigende Mehrheit zu sichern, dürfte wohl nur auf ein untergeordnetes Motiv hinweisen. H. v. Gagern war es kaum zuzutrauen, seine Politik um der Optik willen aufs Spiel zu setzen. Gemäß dem Gesetz über die provisorische Zentralgewalt wurde die Bildung der vorläufigen Reichsbehörde im Verlauf des Monats Juli vervollständigt durch ein dem Parlament verantwortliches Ministerium unter der Leitung des wie Johann als liberal geltenden Fürsten von Leiningen. In diesem Kabinett hatten sich die Casino-Liberalen eine eindeutig führende Position gesichert. Sie stellten acht von den fünfzehn Ministern und Staatssekretären. Im Kabinett war eine Reihe prominenter Führungspersönlichkeiten des rechten Zentrums vertreten (Schmerling, Mathy, Bassermann, Beckerath, Wurth, Heckscher). Der für die Bildung liberaler Parlamentsmehrheiten wichtige Württemberger Hof war bei der Verteilung der Ministerien zunächst leer ausgegangen, hatte dann aber auf sein Drängen hin doch einen Ministerposten erhalten (R. v. Mohl). Mit dem Ergebnis der Bildung der provisorischen Zentralgewalt zeigten sich die Gagern-Liberalen vollauf zufrieden: Ein als liberal geltender Fürst nebst einem parlamentarisch verantwortlichen, vorwiegend aus gemäßigten Liberalen bestehenden Reichsministerium — damit entsprach die Zusammensetzung der provisorischen obersten Reichsgewalt etwa den Modalitäten des von ihnen angestrebten Kompromisses mit der bis dahin herrschenden Klasse. 2 Politik und Taktik der Casino-Liberalen während der Debatte über die provisorische Zentralgewalt erwiesen sich im ganzen gesehen als typisch für das Gesamtverhalten der gemäßigten Liberalen in der Konstituierungsphase der Paulskirchenversammlung: Das anfänglich von der Casino-Fraktion vertretene Konzept, mit Hilfe eines Direktoriums einer überaus vorsichtigen Bundesreform langsam vorzuarbeiten, blieb hinter dem konstitutionell-liberalen Reformprogramm zurück. Erst der Druck der politischen Öffentlichkeit und der parlamentarischen Opposition, welche die Liberalen allerdings auch geschickt für ihre Zwecke auszunutzen verstanden, veranlaßte diese, ein weitergestecktes Ziel anzusteuern. Die gefundene Lösung war allerdings für beide Vereinbarungspartner in dieser Entwicklungsphase durchaus akzeptabel. Die Liberalen werteten die Etablierung der Zentralgewalt als Erfolg, weil sie substantiell im Einklang mit der Vereinbarungspolitik stand, sowie als einen Sieg über die Republikaner. Sie diente gleichzeitig aber auch einer Stärkung ihrer Position gegenüber dem Partikularismus. Gegenüber dem adlig-monarchischen Lager hatten sich die Gagern-Liberalen durch die Etablierung der Zentralgewalt als ein durchaus ernst zu nehmender politischer Widerpart profiliert, dem jedoch republikanische Neigungen jedweder Art absolut fernlagen. Noch besaß die Paulskirchenversammlung in dieser Entwicklungsphase Handlungsspielraum und politischen Kredit. Die revolutionäre Volksbewegung war bereit, jede revolutionäre Maßnahme des Parlaments zu unterstützen. Unter den Bedingungen des im Sommer 1848 immer noch instabilen und jederzeit veränderbaren Kräfteverhältnisses konnte selbst Vgl. ( U s e d o m , Georg p.,)/Politische Briefe und Charakteristiken aus der deutschen Gegenwart, Berlin 1849; BAF, N 22 (Nachlaß Smidt), Brief Smidts an seinen Sohn Heinrich Smidt v. 30. 6. 1848. 2 ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, Neue Serie 82, Menßhengen an Wessenberg v. 9. 8. 1848, Bl. 89.

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Hildebrandt, Gagern

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Zwischen Kooperation und beschränktem Selbständigkeitsanspruch

die in ihrem Handlungsspielraum beschränkte Zentralgewalt bei voller Wahrnehmung ihrer Kompetenzen zu einem nicht unwichtigen Faktor für die weitere politische Entwicklung in Deutschland werden. Die Vorgänge um den sogenannten Huldigungserlaß der Zentralgewalt und die Ratifizierung des Waffenstillstandes von Malmö im August 1848 bewiesen jedoch schon bald, daß die vor allem von den Gagern-Liberalen getragene Reichsregierung sich abzeichnenden größeren Konflikten besonders mit Preußen und Österreich nach Möglichkeit aus dem Wege ging, um eine politische Verständigung mit Adel und Fürsten nicht zu erschweren. Dies trat namentlich dann deutlich zutage, wenn derartige Konflikte von einer Zunahme der revolutionären Aktivität der Volksbewegung begleitet wurden. Zeichneten sich dennoch, namentlich in Phasen relativer Ruhe, in den Klassenauseinandersetzungen vor allem auf verfassungspolitischem Gebiet derartige Divergenzen immer wieder ab, so offenbarte sich bei der Beurteilung einer Reihe von internationalen Vorgängen, besonders der revolutionären Befreiungsbewegung der Nachbarvölker Deutschlands, eine verhältnismäßig weitgehende Übereinstimmung zwischen den gemäßigten Liberalen und den Regierungen, zumal in Berlin und Wien.

Legitimierung der Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs. Die Gagern-Liberalen und der Freiheitskampf der Nachbarvölker Deutschlands (Juni-August 1848)

Innerhalb von zwei Monaten, von Anfang Juni bis Anfang August 1848, beschäftigte sich die Frankfurter Nationalversammlung mehrfach mit dem Unabhängigkeitskampf von Völkern und Nationalitäten, die durch Staaten des Deutschen Bundes unterdrückt wurden: der Polen, der Tschechen und der Italiener in Südtirol. Anlaß hierfür waren im Falle Polens und der tschechischen Länder strittige Fragen der Grenzziehung und der Durchführung der Wahlen für die Paulskirchenversammlung. Diese Debatten besaßen jedoch keinesfalls nur verfassungsrechtlichen Charakter. Gegenstand der Auseinandersetzung waren in Wirklichkeit — mehr oder minder sichtbar — Interessenkonflikte zwischen Preußen und Österreich auf der einen und den um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Völkern und Nationalitäten auf der anderen Seite. Preußen und Österreich hatten bis 1848 diese Völker nicht nur politisch unterdrückt. Sie beherrschten Staatsapparat und Verwaltung, sie behinderten die nationale Entwicklung, die Entwicklung von Sprache und Kultur, und sie waren auch an der wirtschaftlichen und sozialen Unterjochung der werktätigen Klassen in diesen Ländern, namentlich der feudalabhängigen Bauern und Landarbeiter, beteiligt. Der Kampf der Nachbarvölker im Osten und Südosten gegen die nationale und soziale Unterdrückung und die revolutionären Auseinandersetzungen in Deutschland beeinflußten sich, bedingt durch die internationale Mächtekonstellation, wechselseitig. Jede revolutionäre Aktion des polnischen, tschechischen oder italienischen Volkes gegen seine Unterdrücker traf nicht nur den unmittelbaren Feind, sondern einen Hauptgegner der Revolution in Deutschland und zugleich auch ein Mitglied der Heiligen Allianz. Die revolutionäre Unabhängigkeitsbewegung in Polen, den tschechischen Ländern und Südtirol/Oberitalien war, objektiv betrachtet, Bundesgenosse der antifeudalen Kräfte in Deutschland. Die Unterstützung der nationalrevolutionären Bewegung der von Österreich und Preußen unterdrückten Völker durch die demokratischen Kräfte in Deutschland lag auch im unmittelbaren Interesse der Revolution in den Ländern des Deutschen Bundes. Wenn man den Komplex der Außenpolitik bzw. der internationalen Beziehungen im Zusammenhang mit der bürgerlichen Umwälzung und der Rolle der Bourgeoisie im Verlaufe dieses Prozesses betrachtet, so ergibt sich folgendes Bild: Der bürgerliche Umgestaltungsprozeß in einem einzelnen Lande wurde natürlich durch die Schwächung der feudalreaktionären Kräfte im internationalen Maßstab erleichtert. Somit ergab sich ein objektives Interesse der Bourgeoisie in Deutschland wie auch anderer von der bürgerlichen Umwälzung erfaßter Staaten an der Stärkung der fortschrittlichen bzw. revolutionären Kräfte vor allem in den Nachbarländern, da hierdurch die Gefahr bzw. die Härte feudaler Repressionen bzw. Gegenschläge gemindert werden konnte. So entsprangen die Solidaritätsbekundungen bürgerlich-liberaler und demokratischer Kräfte in Deutschland gegenüber den polnischen Revolutionären nach 1830 ehrlich empfundener Sympathie, aber auch einem objektiven 5»

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

eigenen Interesse. Aber Konzept und Realität bourgeoiser Außenpolitik waren, wie vor allem die europäische Entwicklung seit 1789 gezeigt hatte, sowohl gegenüber bürgerlichen bzw. feudalen Staaten wie unterdrückten Völkern auch durch andere, entgegensetzte Momente gekennzeichnet: durch den Drang zur Expansion und Stärkung der eigenen Macht auf Kosten anderer, durch Chauvinismus und Nationalismus. Selbstverständlich kann das außenpolitische Konzept der 48er Liberalen nicht losgelöst von den allgemeingesellschaftlichen Bedingungen gesehen werden. Ihr Bemühen, im Interesse einer Übereinkunft mit Adel und Fürsten den beiderseitigen Konfliktstoff möglichst zu begrenzen, überdeckte das objektive Interesse an einer bürgerlichen Entwicklung insbesondere auf dem Territorium der von Deutschland unterdrückten Nachbarvölker und nährte die Anpassung vornehmlich an die von den reaktionären Kräften in Preußen und Österreich betriebene Außenpolitik, die sich im Verlauf der Revolution sogar verstärkte. Grundsätzlich tendierte die Bourgeoisie, dies galt sowohl für ihre Repräsentanten in der Paulskirche als auch für die liberalen Märzregierungen, allerdings nicht zu einer einfachen Übernahme der von der Reaktion bis 1848 betriebenen Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik. Sie schuf neue Varianten und praktizierte diese Politik zunächst in einer mehr gemäßigten Form, die den unterdrückten Völkern einen beschränkten Spielraum für ihre nationalen Belange eröffnete. Die klassenmäßige Bewertung der von den Liberalen auf diesem Gebiet entwickelten Vorstellungen ist nicht einfach. Einerseits bedeutete das Gewährenlassen der reaktionären Kräfte auf dem Felde der Außenpolitik durch die Bourgeoisie natürlich eine immanente Gefährdung für jegliche Reformen im Innern. Andererseits bot jedoch die Herrschaft über die unterdrückten Völker der Bourgeoisie große Vorteile, vor allem für ihre ungehemmte wirtschaftliche Expansion. 1. Die Polenfrage Die bedeutendste der Debatten der Frankfurter Nationalversammlung über die nationalrevolutionäre Bewegung der Nachbarvölker Deutschlands war die parlamentarische Auseinandersetzung über die Polenfrage. Polen war seit 1772 in mehreren Teilungen unter Rußland, Preußen und Österreich aufgeteilt worden. Seit 1795 war der polnische Staat — ausgenommen die Jahre 1807—15 — von der Landkarte verschwunden. Als letztes selbständiges polnisches Gebiet wurde 1846 der Freistaat Krakau von Österreich annektiert. Das gemeinsame Interesse Preußens, Österreichs und Rußlands an der Unterjochung des polnischen Volkes war einer der Eckpfeiler des Bündnisses der reaktionären Mächte Europas, der Heiligen Allianz. „Der Riß", schrieb die Neue Rheinische Zeitung, „den die drei Mächte durch Polen zogen, ist das Band, das sie aneinanderkettet; der gemeinsame Raub hat sie einer für den andern solidarisch gemacht." 1 Daraus ergab sich folgerichtig, daß der Befreiungskampf des polnischen Volkes Sprengwirkung auf die Reaktion im europäischen Maßstab ausübte. Marx und Engels entwickelten das einzige konsequent revolutionäre Konzept für die Lösung der Polenfrage 2 , welches den Befreiungskampf des polnischen Volkes in den Gesamt1 NRiZ, Nr. 81, 20.8.1848. Vgl. vor allem MEW, Bd. 5,Berlin 1959, S. 55 ff., 94ff., 319ff.; femer Schmidt, Waller, Der Kampf der „Neuen Rheinischen Zeitung" um ein festes Kampfbündnis zwischen der polnischen und der deutschen Demokratie,in: Jahrbuch für Geschichte der UdSSR und der volksdemokratischen Länder Europas, Bd. 5, Berlin 1961, S. 1 1 1 - 7 8 ; Strey, Joachim/Winkler, Gerbard, Marx und Engels 1848/49. Die Politik und Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung" während der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland, Berlin 1972; Bobinska, Celina, Marx und Engels über die polnischen Probleme, Berlin 1958.

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1. Die Polenfrage

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2usammenhang der Revolution von 1848/49 einordnete und damit zugleich auch den revolutionären Interessen des deutschen Volkes gerecht wurde. Sie hielten eine fortschrittliche Lösung der polnischen Frage 1848 nicht nur für objektiv möglich, sondern im Interesse des Sieges der Revolution und einer bleibenden Schwächung der internationalen Reaktion für unbedingt nötig. Infolgedessen vermochten sie die Lösung der Polenfrage, die Schaffung eines unabhängigen, demokratischen und antifeudalen polnischen Staates, nur als Ergebnis eines Prozesses zu sehen, in dessen Verlauf sowohl der äußere als auch der innere Grundwiderspruch gelöst wurde. Ihr Konzept sah den gemeinsamen Kampf des polnischen Volkes und seiner Nachbarvölker gegen die inneren und äußeren Feinde der Revolution vor und faßte den Revolutionskrieg gegen die Bastion des Rückschritts in Europa, den Zarismus, ins Auge. Den antifeudalen Kräften in den Nachbarstaaten Polens wurde die Unterstützung dieses Kampfes nicht nur zur moralischen Pflicht, sondern zur Aufgabe in ihrem eigenen Interesse. Dieser Notwendigkeit wurden innerhalb des bürgerlichen antifeudalen Lagers 1848 in Deutschland lediglich die kleinbürgerlichen Demokraten, und auch sie keineswegs in vollem Maße, gerecht. Die Haltung des demokratischen Kleinbürgertums war, bedingt durch den unterschiedlichen politischen Reifegrad seiner einzelnen Fraktionen, nicht einheitlich. 1 Der Nationalismus der feudalen Reaktion und großbourgeoiser Kreise fand nur geringen Anklang. Prinzipiell vorherrschend waren Sympathie- und Solidaritätsbekundungen allgemeiner Art gegenüber den Völkern Ost- und Südosteuropas. Die jenseits aller moralischen Verbundenheit vorhandenen politischen und klassenmäßigen Zusammenhänge der Polenfrage zu erfassen und hieraus revolutionäre Konsequenzen abzuleiten, vermochte nur eine Minderheit. Eine entschiedene Position vertraten die sächsischen revolutionären kleinbürgerlichen Demokraten um Ludwig Wittig, die in engem Kontakt zu Arnold Rüge, dem prominenten Mitglied der Frankfurter äußersten Linken, standen. Sie propagierten gleichfalls den Revolutionskrieg gegen das zaristische Rußland. 2 Um die Haltung der Paulskirchenliberalen zur Polenfrage richtig zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf die Vorgeschichte der Polendebatte zu werfen. Nach 1830 hatten auch Kreise des liberalen Bürgertums in Deutschland die materielle und moralische Solidaritätsbewegung des Volkes gegenüber Polen unterstützt 3 , ohne allerdings den demokratischen und konsequent antizaristischen Standpunkt solcher Zeitungen wie der „Deutschen Tribüne" (Johann August Wirth), des „Boten aus dem Westen" (Philipp Jakob Siebenpfeiffer) oder der „Dorfzeitung" (Georg Friedrich Kesselring) zu teilen. Nachdem im Frühjahr 1848 im Großherzogtum Posen erneut die Revolution ausgebrochen war und im ganzen Lande Erfolge errungen hatte, war den Polen von der preußischen Krone eine nationale Reorganisation versprochen worden, der auch die bürgerliche Regierung Camphausen mit dem Außenminister v. Arnim-Suckow anfangs ihre Zustimmung gab. Dabei Vgl. Hildebrandt, Gunther, Der Gedanke der internationalen Solidarität in der Politik der kleinbürgerlichdemokratischen Linken in der Frankfurter Nationalversammlung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Jg. 1974, H. 8, S. 521—523. 2 Vgl. Weber, Rolf, Die Revolution in Sachsen 1848/49, Berlin 1970, S. 145ff. 3 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Programm und Bewegung des süddeutschen Liberalismus nach 1830, in: Jahrbuch für Geschichte, Jg. 1973, S. 7—45; Schmidt, Siegfried, Robert Blum und die vormärzliche deutsche Polenfreundschaft in Mitteldeutschland, in: ZfG, Jg. 1962, H. 8, S. 1891-1902. Zur Polenbewegung zu Beginn der 30er Jahre in Deutschland neuerdings Dokumente %ur Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft 1830-1832, hrsg. u. eingel. v. H. Bleiber u. J. Kosim, Berlin 1982. 1

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

handelte es sich um ein nicht näher definiertes Reformversprechen, welches ungefähr darauf hinauslief, daß den Polen bei Weiterbestehen der preußischen Oberherrschaft mehr Rechte in Verwaltung, Armee und Polizei zugestanden werden sollten. Der Reorganisationsplan verkörperte auf nationalitätspolitischem Gebiet die Entsprechung der liberalen Reformpolitik im Innern. Seine Verwirklichung hätte der Bourgeoisie in zweierlei Hinsicht Vorteile gebracht. Durch die Aufrechterhaltung der preußischen Oberherrschaft wäre die volle ökonomische Ausnutzung der Provinz möglich gewesen. Die beschränkte Entfaltung der polnischen Nationalität hätte zu einer Schwächung der Reaktion in Preußen beigetragen; gleichzeitig wäre ein Puffer gegen die Bedrohung der bürgerlichen Entwicklung in Deutschland durch das zaristische Rußland entstanden. Somit entsprach der Reorganisationsplan in höherem Maße als die nachherige Anpassungspolitik den Interessen der liberalen Bourgeoisie in Preußen bzw. Deutschland. Im Verlaufe des Frühjahrs 1848 grenzte sich die überwiegende Mehrheit der deutschen Bourgeoisie, voran die preußische Großbourgeoisie, schrittweise von den Reformplänen ab und schwenkte allmählich auf die Position der Adelspartei ein. Jedoch vollzog sich dieser Umorientierungsprozeß nicht bei allen Teilen der Bourgeoisie einheitlich. So übermittelte das Frankfurter Vorparlament, wo die Vertreter der Bourgeoisie in der Mehrheit waren, auf Antrag R. Blums den deutschen Regierungen das Ersuchen, den in ihre Heimat reisenden Polen „freien Durchzug und, soweit notwendig, Unterstützung (zu) gewähren". 1 Darüber hinaus erklärte es die polnischen Teilungen für „schmachvolles Unrecht" und betonte die Pflicht des deutschen Volkes, zur Wiederherstellung Polens beizutragen. 2 Diese Haltung gegenüber Polen korrespondierte mit den kritischen Vorbehalten großer Teile der mittel- und süddeutschen Liberalen in bezug auf die Politik Preußens und eine eventuelle „preußische Lösung" der deutschen Frage zu Beginn der Revolution von 1848/49. Ungeachtet des unverbindlichen Charakters des Vorparlamentsbeschlusses war die indirekte positive Bewertung des Aufstandes und die allgemeine Bereitschaftserklärung des Vorparlaments, zu einer fortschrittlichen Lösung der Polcnfrage beizutragen, von moralischem Gewicht. Etwa Mitte April 1848 begann die Phase des offenen Einschwenkens der rechtsgerichteten Bourgeoisie auf die Linie der antipolnischen Adelspartei. 3 Dies war nicht nur dem Fehlschlagen der Reformpolitik im Großherzogtum Posen zuzuschreiben, sondern Ergebnis eines Prozesses, in dem die Bourgeoisie ebensosehr der Schiebende wie der Geschobene war. Die Reorganisationspolitik in Posen war vor allem von den preußischen Militärs um General Colomb und der reaktionären Beamtenschaft sabotiert, aber auch von der Regierung Camphausen nur halbherzig betrieben und von der revolutionären polnischen Bewegung bald als Bemäntelung der alten Unterdrückungspolitik erkannt und mit revolutionären Aktionen beantwortet worden. Ohne Zweifel korrespondierte diese veränderte Orientierung der Bourgeoisie auch mit neuen Momenten in der preußischen Außenpolitik. Hierzu gehörten vor allem der wachsende Einfluß der reaktionären Hofpartei auf die Gestaltung der Außenpolitik im allgemeinen und die Verhältnisse im Großherzogtum Posen im besonderen. Gerade in diesem Umstand ist eine wichtige Ursache des Scheiterns des profranzösischen bzw. antirussischen Bündniskonzepts zu sehen, welches vor allem von Außenminister Arnim-Suckow und dem franzöVerbandlungen des deutseben Parlaments, hrsg. v. F. Jucho, 1. Lieferung, Frankfurt am Main 1848, S. 37. 2 Ebenda, S. 157. 3 Ebenda, S. 141 ff.; Slavin, Sergej Niholaevic, Pol'skoe Vosstanie 1848 g. v poznani iobsestvennoe mnenie v Germanii, Diss. Leningrad 1958, S. 210, 260f. 1

1. Die Polenfrage

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sischen Botschafter in Berlin, Graf de Circourt, vertreten worden war 1 . Die Verschärfung des politischen Kurses der preußischen Regierung war nicht in erster Linie ein Resultat der Wiederaufnahme des revolutionären Kampfes durch die polnische revolutionäre Bewegung. Vielmehr verschärften erst die ständige Hintertreibung und offene Sabotage der Reorganisation durch die preußischen Behörden und die erneute Niederwerfung der polnischen Revolutionäre die Lage. Unterstützt durch Vertreter nationalistischer deutscher Kreise in Posen, machten sich Sprecher der Liberalen zum Teil die Parolen der reaktionären Militärpartei zu eigen. So schrieb der spätere Paulskirchenabgeordnete E. M. Arndt in mehreren Artikeln in der „Deutschen Zeitung" 2 : „Ich behaupte eben mit der richtenden Weltgeschichte vorweg: die Polen und überhaupt der ganze slavonische Stamm sind geringhaltiger als die Deutschen, und die deutschen Polennarren haben weder einen politischen, noch einen geistigen und sittlichen Grund, die Kinder ihres Blutes den Polacken zu Gefallen aufzuopfern und in den schlechteren Stoff hineinstampfen zu lassen." Für jene, die den Polen Sympathie und Solidarität entgegenbrachten, hatte Arndt nur Spott und Verbalinjurien übrig: „Unwissende", „Narren" und „Vaterlandsverräter". 3 Eine Kabinettsorder der Regierung Camphausen vom 26. April sprach sich dafür aus, über den Bundesbeschluß vom 22. hinaus weitere Gebiete des Großherzogtums dem Bunde einzuverleiben. Wenige Tage später, am 28. April, wies der preußische Innenminister den Oberpräsidenten der Provinz Posen, Beurmann, zu verstärktem Einsatz von militärischer Gewalt gegen die polnische Bevölkerung an. 4 Die hier gekennzeichneten Entwicklungstendenzen wurden im weiteren Verlauf des Geschehens, im ganzen gesehen, auch für die Haltung der Paulskirchenliberalen des rechten Zentrums gegenüber Polen bestimmend. Nichtsdestoweniger ist zu vermerken, daß sich bei einem Großteil von ihnen der Übergang auf militante und offen chauvinistische Positionen nicht im gleichen Tempo und mit derselben Intensität wie bei den Vertretern der preußischen Großbourgeoisie vollzog. Dies ließen bereits die ersten Meinungsäußerungen und Stellungnahmen des Fünfziger-Ausschusses erkennen. Anlaß für das Aufgreifen der Polenfrage durch den Fünfziger-Ausschuß waren Eingaben aus nationalistisch eingestellten Bevölkerungskreisen aus dem Großherzogtum Posen, in denen das Verlangen nach Wahrung ihrer jeweiligen Interessen unterstrichen wurde. 5 Die Fünfziger bekräftigten daraufhin die bekannte Erklärung des Vorparlaments über die Teilung Polens. 6 Anders als die Vertreter der preußischen Großbourgeoisie schienen sich die in Frankfurt am Main anfangs zumeist tonangebenden süd- und mitteldeutschen Liberalen Ende April/Anfang Mai 1848 über ihre Haltung zur Polenfrage noch nicht völlig im klaren zu sein. So schlugen sie zunächst eine dilatorische Taktik ein. Hallgarttn, Wolfgang, Studien über die deutsche Polenfreundschaft in der Periode der Märzrevolution, München/Berlin 1928, S. 74ff. Arnim hatte am 31.3. 1848 Circourt ein Waffenbündnis gegen Rußland angeboten, was von Lamartine jedoch abgelehnt wurde. Damit hatte nicht nur die französisch-preußische Annäherung, sondern auch die von Arnim vertretene Polenpolitik einen ernsten Rückschlag erlitten. Vgl. Mareks, Erich, Die europäischen Mächte und die 48er Revolution, in: HZ, Bd. 142 (1930), S. 76f. 2 Vgl. DZ, 19. 4., 20. 4. und 12. 5. 1848. 3 Ebenda, Nr. 111, 20. 4. 1848. '> Henseke, Hans, Die Stellung der deutschen Bourgeoisie zum Kampf des polnischen Volkes um nationale Unabhängigkeit im Großherzogtum Posen in der Revolution 1848/49, Phil. Diss. Potsdam 1957, S. 70ff. 5 Verbandlungen des deutschen Parlaments, 2. Lieferung, S. 200, 211. 6 Ebenda, S. 213. 1

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Der als Polengegner bekannte spätere Paulskirchenabgeordnete Kerst aus Birnbaum im Großherzogtum Posen, der Mitte April nach Frankfurt gereist war, um den Fünfziger-Ausschuß für eine weitgespannte Annexionspolitik gegenüber Polen zu gewinnen 1 , erhielt hier eine Abfuhr. Der Ausschuß verbot ihm am 26. April kurzerhand die Teilnahme an der Polendebatte der Fünfziger. Wenige Tage nach der Zurückweisung Kersts sprach sich der Ausschuß dafür aus, polnischen Korps, die in ihre Heimat zurückkehrten, freien Durchzug durch Deutschland zu gewähren. 2 Dies war eine der letzten von Liberalen mitgetragenen Sympathieerklärungen gegenüber Polen. In den Mai- und Junitagen 1848 gab sich der oben beschriebene Meinungsumschwung auch unter den in Frankfurt versammelten Liberalen nichtpreußischer Provenienz zu erkennen. Er fußte im wesentlichen auf ebendenselben Voraussetzungen, wie sie bereits am Beispiel der preußischen Großbourgeoisie beschrieben wurden, nämlich vor allem in der allgemeinen Umorientierung, die sich seit den Märztagen vollzogen hatte. Hinzu kamen weitere Umstände, vor allem die Erfolge der preußischen Truppen bei der Niederschlagung der polnischen Erhebung und die sich hieran anschließende Einverleibung weiterer polnischer Gebietsteile in den Deutschen Bund. Die endgültige Demarkationslinie wurde schließlich soweit nach Osten verlegt, daß mehr als zwei Drittel des Großherzogtums Posen zum Deutschen Bund gehörten. Hierdurch waren Tatbestände geschaffen worden, die von vielen nichtpreußischen Liberalen, wenn auch nicht gebilligt, so doch im Interesse des angestrebten Vereinbarungskompromisses „realpolitisch" interpretiert wurden. Der Meinungsumschwung reflektiert, auch wenn er den einstigen Idealen liberaler Polenfreundschaft zuwiderlief, nicht die Aufgabe bourgeoiser Klasseninteressen im allgemeinen, wohl aber ihre Reduzierung auf die ökonomische Komponente und — auf dem Gebiete der Nationalitätenpolitik — die Aufgabe des politischen Führungsanspruches gegenüber dem Adel. Die Paulskirchenliberalen des rechten Zentrums verfolgten anfangs die Taktik, alle prinzipiellen Entscheidungen zuungunsten Polens im Rahmen einer formellen Parlamentsdebatte zu vermeiden. Vielmehr waren sie bestrebt, das Polenproblem zu entdramatisieren und auf Umwegen präjudizielle Entscheidungen herbeizuführen. Der erste direkte parlamentarische Vorstoß eines erklärten Polengegners in der Frankfurter Nationalversammlung fand daher nicht einmal bei den Führern des rechten Zentrums offene Unterstützung. Bereits am 19. Mai hatte der Kölner Abgeordnete Lcue das Parlament aufgefordert, es möge Friedrich Wilhelm IV. zu der Erklärung veranlassen, „das Großherzogtum Posen niemals freiwillig an Polen" zurückzugeben. 3 Dieser Versuch, die Paulskirchenversammlung zur offenen Unterstützung der preußischen Polenpolitik zu bewegen, widersprach den taktischen Vorstellungen einflußreicher Casino-Vertreter. Ihr Bemühen, das Frankfurter Parlament aus der Diskussion über die Polenfragc möglichst herauszuhalten, dafür Preußen insgeheim freie Hand zu lassen, schien ihnen nicht nur besser geeignet, Ärgernisse mit der preußischen Regierung, sondern auch kompromittierende Auseinandersetzungen mit demokratischen Kräften inner- und außerhalb der Paulskirchenversammlung zunächst zu vermeiden. Daß die Liberalen mit ihren Befürchtungen nicht unrecht hatten, bewiesen die wenige Tage später eingebrachten ersten Anträge und Eingaben demokratischer Kräfte, die — ebenso wie der Antrag Leue — zunächst einmal in die zeitraubende Pro1 Briefe des Abgeordneten im Frankfurter Parlament S. G. Kerst aus Meseritz, in: Zeitschrift für Geschichte und Landeskunde der Provinz Posen, Jg. 1884, Bd. 2, S. 3 1 9 f f .

2 Verbandlungen des deutseben Parlaments, 2. Lieferung, S. 213. 3 StB.Bd. 1, S. 31.

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zedur der Ausschußberatungen verwiesen wurden. 1 Dagegen bot sich während der Auseinandersetzungen über die in der Provinz Posen vorgenommenen Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung für die Liberalen eine Möglichkeit, durch eine weniger auffällige, nichtsdestoweniger präjudizielle parlamentarische Entscheidung die Polenfrage zugunsten der preußischen Regierung zu beeinflussen. Mit der Frage nach der Legitimation der Posener Abgeordneten war nämlich zugleich das Problem der Zugehörigkeit dieses Gebietes zum Deutschen Bund aufgeworfen. Am 5. Juni empfahl der Berichterstatter des parlamentarischen Legitimationsausschusses, der Abgeordnete des Württemberger Hofes K. Mittermaier, die vorläufige Zulassung der in den neu aufgenommenen Gebieten gewählten Abgeordneten 2 . Diese Empfehlung folgte einer Entscheidung des Bundestages, der diese Gebiete gegen den Einspruch des posenschen Landtages dem Bunde einverleibt hatte. Damit sollte eine Lage geschaffen werden, die dadurch gekennzeichnet war, daß Provisorien sich durch Gebrauch und Bewährung zu definitiven Lösungen verfestigen sollten. Die Liberalen in der Paulskirche sahen sich zunächst infolge des Widerstandes demokratischer Kräfte in Deutschland noch nicht in der Lage, offen für die Unterdrückung der nationalen Befreiungsbewegung in Posen einzutreten. Sie setzten nichtsdestoweniger die indirekte Unterstützung der preußischen Regierung fort, zunächst bemüht, den Boden scheinbarer Objektivität nicht zu verlassen. Die „Frankfurter Oberpostamtszeitung", das Organ der Gagern-Liberalen, die sich bis zu diesem Zeitpunkt mit antipolnischen Stellungnahmen zurückgehalten hatte, öffnete ihre Spalten seit Anfang Juni den Polengegnern, deren Auslassungen jedoch zunächst kommentarlos wiedergegeben wurden. Am 1., 7. und 17. Juni veröffentlichte sie einen „Hülferuf aus Posen an das gesamte Deutschland" des „Unterstützungsausschusses des deutschen Zentralkomitees in Posen", am 5. Juni druckte sie den Aufruf des deutschen Magistrats und der Stadtverordneten von Posen ab. Verunglimpfungen der polnischen Bevölkerung wurden mit der Forderung nach Hilfeleistung für die deutsche Minderheit, nach Festigung des Bandes zwischen Posen und Deutschland verbunden. Anders als die stärker rechtsorientierte „Deutsche Zeitung" ging die „Oberpostamtszeitung" selbst jedoch erst unmittelbar vor und während der Polendebatte der Frankfurter Nationalversammlung, nämlich am 20., 23., 24. und 26. Juli, zur offenen Polemik gegen die Vertreter der Unabhängigkeit Polens über. Die Ursachen hierfür waren vielfältiger Natur. Neben Gründen, die in der inneren Entwicklung der liberalen Regierungspartei in Frankfurt zu suchen sind, spielte ohne Zweifel der sich anbahnende Umschwung im internationalen Kräfteverhältnis eine Rolle. Preußens Sieg über die Aufständischen in Posen, die Erfolge Österreichs in Oberitalien und vor allem die Niederlage des Pariser Juniaufstandes waren wichtige Symptome für die Stärkung der reaktionären Kräfte im Innern Deutschlands und im internationalen Maßstab. Hiermit korrespondierten andere Momente. Angesichts der allgemeinen Entwicklung des Kräfteverhältnisses in Europa mehrten sich auch unter den Paulskirchenliberalen die Stimmen, die von einer westorientierten Außenpolitik abrieten, ohne deshalb für ein Zusammengehen mit Rußland zu plädieren. Noch immer schien die Gefahr eines militärischen Schlages des Zaren gegen die in Umwälzung begriffenen Nachbarstaaten an der russischen Westgrenze nicht gebannt zu sein. Ebenda, S. 32. Zu den propolnischen Eingaben polnischer Patrioten und demokratischer Kräfte in Deutschland vgl. S. 75. 2 StB, Bd. 1, S. 223. 1

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Hinzu kam die Tatsache, daß die Casino-Liberalen mit der Bildung der provisorischen Zentralgewalt sozusagen Regierungspartei auf Reichsebene geworden waren und ihr Augenmerk stärker als vorher auf die nationalen Interessen Deutschlands richteten. „Mit der Herstellung der Einheit", so umschrieb der prominente Casino-Vertreter M. Duncker das außenpolitische Hauptanliegen seiner Fraktion, „sollte Deutschland, wie eine Nation, so zugleich eine Macht werden, die, in die Mitte Europas gestellt, imstande ist, eine selbständige Politik zu führen, nach Osten wie nach Westen Front zu machen, ja im Notfall auch beiden Gegnern zugleich zu begegnen." 1 Diese allgemeine Orientierung prägte auch den Bericht des völkerrechtlichen Ausschusses2 vom 1. Juli 1848, der als das seinerzeitige außenpolitische Konzept der gemäßigten und rechtsorientierten Paulskirchenliberalen angesehen werden darf. Er fußte auf mehreren Grundgedanken, mit denen letztlich auch die Stellungnahme der Casino-Liberalen in der eigentlichen Polendebatte in Einklang gebracht wurde. Zuoberst stand der Grundsatz, daß „auswärtige Politik in Zukunft die Ehre und das Recht Deutschlands über jede andere Rücksicht setzen werde". Danach kam die Forderung, „daß an der östlichen Grenze Deutschlands den deutschen Streitkräften eine solche Stärke zu geben ist, daß sie der gegenüberstehenden Heeresmacht vollkommen gewachsen sind". Schließlich verlangte der völkerrechtliche Ausschuß, daß von einem Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich oder anderen westlichen Nachbarstaaten Abstand genommen werde. 3 Jeder dieser Punkte für sich genommen ließ auf eine nationalistische und unnachgiebige Haltung der Casino-Liberalen in der Polendebatte schließen. Diesen Eindruck bestätigt voll und ganz der vom völkerrechtlichen Ausschuß am 24. Juli erstattete Bericht über die Polenfrage 4 , auch wenn dieser im Unterschied zu den sich anschließenden Reden mehrerer liberaler Abgeordneter von Verunglimpfungen Polens noch weitgehend frei blieb. Der Bericht erneuerte die Forderung nach Aufnahme der posenschen Delegierten in das Frankfurter Parlament, welche nun nicht mehr als provisorisch angesehen wurde. Zugleich wurde die durch die Bundestagsbeschlüsse vom 22. April und 2. Mai 1848 vollzogene Einverleibung polnischer Gebiete anerkannt. Selbst die von dem preußischen General Pfuel am 4. Juni gezogene Demarkationslinie, die den Polen nur ein kleines Restgebiet von Posen beließ, sollte dem Antrag zufolge vorläufig von der Paulskirche gebilligt werden. Ferner sollte die preußische Regierung dazu angehalten werden, den im polnischen Teil des Großherzogtums „wohnenden Deutschen ihre Nationalität (zu) erhalten". In einem letzten Punkt wurde der Frankfurter Nationalversammlung schließlich empfohlen, sich für die „ungehinderte volkstümliche Entwicklung" der polnischen Bewohner Westpreußens einzusetzen. Augenscheinlich existierten nunmehr zwischen den preußischen und nichtpreußischen Abgeordneten der Casino-Fraktion keine nennenswerten Meinungsverschiedenheiten mehr in bezug auf das Schicksal Posens. Selbst die „Oberpostamtszeitung", bis dahin stets das 1 Duncker, Maximilian Wolfgang, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung in Frankfurt, Berlin 1849' S. 18. 2 Innerhalb des Ausschusses bildeten die Casino-Vertreter mit G. Gervinus, F. Heckscher, F. v. Raumer, F. W. Schubert, F. Zacharia die größte geschlossene Gruppe. Sie genossen mit Sicherheit die Unterstützung von Abgeordneten wie E. M. Arndt, G. Stenzel oder G. Höfken, dem späteren Chefredakteur der DZ. Zusammensetzung des Ausschusses: StB, Bd. 1, S. 183. 3 Ebenda, S. 654f. 4 Wortlaut des mit Ausnahme F. Schuselkas von allen Ausschußmitgliedern gebilligten Berichtes ebenda, Bd. 2, S. 1124-1128.

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Sprachrohr der gemäßigten Gruppierung des rechten Zentrums, gab ihre Zurückhaltung auf und schrieb: „Die deutsche Bevölkerung Posens, welche bei allen diesen Ereignissen durch die zögernde Unentschiedenheit des preußischen Gouvernements und durch die lang dauernde Entscheidung in Frankfurt unsäglich gelitten, hat nur den einen Wunsch, daß die definitive Aufnahme ihrer Abgeordneten mit der definitiven Entscheidung der Abgrenzung und Sicherstellung der Reichsgrcnze zusammenfallen möge." 1 Der Bericht des völkerrechtlichen Ausschusses gibt einen Einblick in das Argumentationsreservoir der Liberalen. Zwar konnte die berechtigte Forderung der polnischen Bevölkerung nach Unabhängigkeit nicht in Bausch und Bogen abgewiesen werden, aber der Bericht maß den Interessen des preußischen Staates einen weitaus höheren Rang zu. Die Mehrzahl der angeführten Gründe für die Einverleibung des größten Teils von Posen beruhte auf militärstrategischen Überlegungen, oder aber sie waren nationalistisch gefärbt bzw. sachlich nicht gerechtfertigt. Eine zentrale Rolle spielte sowohl im Ausschußbericht als auch in den Reden der liberalen Abgeordneten die Behauptung, die Eingliederung der polnischen Gebiete in den Bund sei eine Maßnahme zum Schutze der vom Aufstand bedrohten Deutschen. Dies war nicht nur eine sehr einseitige Argumentation, sondern entsprach auch so nicht den Tatsachen. Das erneute Aufflammen der Kämpfe im Großherzogtum Posen war nicht Ursache, eher Folge des Bruches des königlichen Reorganisationsversprechens. Die Sabotage selbst der zahmen Reformversuche eines v. Willisen bot allein schon genügend Zündstoff für das revolutionäre Aufbegehren der polnischen Bevölkerung. Die Eingabe posenscher Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung an das Paulskirchenparlament entsprach somit den Tatsachen: „Wir erklären als Vertreter des polnischen Volkes unter preußischem Szepter und daher als genaue Kenner der örtlichen Verhältnisse mit der vollsten Überzeugung: daß wir die beabsichtigte Teilung des Großherzogtums Posen, derenthalber die verheißene Reorganisation lediglich unterblieben ist, für die Hauptursache der dort vorgekommenen blutigen Ereignisse halten müssen . . ." 2 Nicht weniger strapaziert wurde die Behauptung, die militärstrategische Bedeutung Posens mache die Aufgabe der Provinz unmöglich. Sie fand selbst in die Reden einiger kleinbürgerlich-demokratischer Abgeordneter Eingang. Ein Parlamentsbericht der Casino-Fraktion3 brachte diesen Gedanken auf eine prägnante Formel: „Wie Mainz der Schlüssel zum Westen Deutschlands, so ist Posen der Schlüssel zum Osten; sie (die Festung Posen — d. Vf.) darf nicht in russische Hände fallen." Militärstrategische Überlegungen waren kein legitimer Grund, einem unterdrückten Volke die nationale Unabhängigkeit zu verwehren. Sicher verdiente die Gefährdung der Revolution durch die zaristische Militärmacht ernst genommen zu werden. Die hiergegen empfohlene Schutzmaßnahme war jedoch äußerst fragwürdig. Die Gewährung nationaler Selbstbestimmung für Polen hätte nicht nur der Schwächung des zaristischen Einflusses auf Deutschland bzw. Preußen, sondern auch der Machtbasis der Reaktion im Innern gedient und damit letztlich auch im Sicherheitsinteresse der deutschen Bourgeoisregierungen gelegen. Aber die Paulskirchenliberalen des rechten Zentrums gaben in diesem Punkte ihren Führungsanspruch gegenüber Krone und Adel auf und ordneten sich der preußischen Machtstaatspolitik unter. Es werde, erklärte demgemäß der Ausschußbericht, die Ungleichheit der Teilung des Großherzogtums u. a. dadurch ausgeglichen, „daß der polnische Land1 FOPAZ, Nr. 202, 20. 7.1848. 2 StB, Bd. 2, S. 1129. 3 Veröffentlicht in Neue Mindener Zeitung, Nr. 34, 6. 8. 1848.

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mann sich weit erträglicher unter einer deutschen Regierung als der Deutsche unter einer polnischen befinden wird". 1 Gegenüber der Ausschußvorlagc brachte die am 24. Juli 1848 beginnende Polendebatte von Seiten des rechten Zentrums und der äußersten Rechten zwar keine neuen Gedanken, wohl aber eine deutliche Verschärfung der aggressiv-nationalistischen Position. Hieran waren mit Ausnahme des katholischen Domkapitulars Friedrich Thinnes aus Eichstädt in Bayern 2 alle Casino-Redner beteiligt. Die ursprüngliche Rednerliste hatte 45 Befürworter des Ausschußantrages verzeichnet, von denen jedoch nur 13 zu Worte kamen. Fünf von ihnen gehörten der Casino-Fraktion an. Es handelte sich bei den Rednern des rechten Zentrums fast ausschließlich um Abgeordnete aus den preußischen Ostprovinzen, nämlich Kerst sowie seine Fraktionskollegen Low, Sänger, Viebig und v. Wartensleben. Dies war als Symptom für eine allmählich sichtbar gewordene und mindestens zeitweilig andauernde Einflußverlagerung zugunsten der propreußisch orientierten Gruppierung innerhalb der Casinofraktion zu werten. Auch die „Oberpostamtszeitung" umriß die Position der liberalen Regierungskoalition am 24. Juli mit aller Schärfe: Den Deutschen im Großherzogtum Posen müsse „durch Beistimmung ganz Deutschlands derjenige Rückhalt baldigst gewährt werden, der sie in den Stand setzt, die Angriffe auf Gut und Leben, welche die Polen jetzt von Neuem mit aller Perfidie vorbereiten, energisch zurückzuweisen. Es gebührt ihnen, endlich von ganz Deutschland ausgesprochen zu hören, daß Deutschland sie für immer zu den Seinen zählt." 3 Kerst und die anderen Sprecher des rechten Zentrums, die dem propreußisch orientierten Flügel der äußersten Rechten in der Polendebatte nicht nachstanden, übertrafen einander in dem Bemühen, den Polen die Schuld an der preußischen Annexionspolitik zuzuschieben. Die Casino-Redner betonten noch stärker als der Bericht des völkerrechtlichen Ausschusses das machtpolitische Interesse Preußens. „Ich wünsche", erklärte v. Wartensleben, „daß mit einem kühnen Zuge die beste Linie gezogen wäre, wie sie uns zweckmäßig war, ohne ängstlich zu prüfen, ob da ein polnisches Dorf mehr oder weniger auf deutscher Seite liegt." 4 „Die Pflicht der Selbsterhaltung", verkündete Kerst, „gebietet Deutschland, unter allen Umständen den Besitz von Posen zu behaupten." 5 Löws Philippika gegen die nationale Bewegung der Polen mündete in die Erklärung: „Der Slawismus, meine Herren, klopft gerüstet von mehr als einer Seite an unsere Tür, lassen Sie es im Haus ertönen wie im trojanischen Roß!" 6 Der Abgeordnete Sänger 7 unternahm sogar den Versuch, die Einverleibung des größten Teils des Großherzogtums Posen in den Deutschen Bund noch als ein Zugeständnis von Seiten Preußens auszugeben. Eigentlich, so erklärte er, gehöre das gesamte Posen zum Bunde. Nur Großmut habe Preußen dazu bewogen, den Polen einen Teil zu überlassen. Auch sein Analogieschluß von der Lage der deutschen Bevölkerung in Schleswig-Holstein auf die Situation der deutschen Minderheit im Großherzogtum Posen 8 war nicht zutreffend. Es war, vereinfachend ausgedrückt, vielmehr die polnische Bevölkerung in Posen, * StB,Bd.2, S. 1127. Rede von Thinnes ebenda, S. 1201-1203. 3 FOPAZ, Nr. 206, 24.7.1848, Beilage. * StB,Bd.2, S. 1162. 5 Ebenda, S. 1169. « Ebenda, S. 1195. 1 Rede von Sänger ebenda, S. 1197-1201. 8 Ebenda, S. 1199. 2

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welche im Prinzip das Schicksal der Deutschen in Schleswig-Holstein teilte. Die deutsche Minderheit in Posen stellte, wie die „Neue Rheinische Zeitung" deutlich machte, eine zwar zahlenmäßig sehr starke, nichtsdestoweniger aber, ausgenommen einige Städte, weitgehend integrierte Bevölkerungsgruppe dar: „In ganz Polen bilden Deutsche und Juden den Stamm der gewerbe- und handelstreibenden Bürgerschaft; es sind Nachkommen von Einwanderern, die meist wegen Religionsverfolgungen aus ihrer Heimat geflohen sind. Sie haben mitten im polnischen Gebiet Städte gegründet und seit Jahrhunderten alle Geschicke des polnischen Reiches mitgemacht. Diese Deutschen und Juden, die enorme Minorität im Lande, suchen die momentane Lage des Landes zu benutzen, um sich zur Herrschaft emporzuschwingen. Sie appellieren an ihre Eigenschaft als Deutsche; sie sind ebensowenig Deutsche wie die Deutschamerikaner. Will man sie zu Deutschland schlagen, so unterdrückt man die Sprache und Nationalität von mehr als der halben polnischen Bevölkerung Posens und gerade desjenigen Teils der Provinz, in welchem die nationale Insurrektion mit der größten Heftigkeit und Energie hervortrat — die Kreise Buk, Samter, Posen, Obornik."! Die historisierende Argumentation der Polengegner im Verlauf der Debatte stand, das bestätigen auch neuere Untersuchungen 2 , im Dienste ihres nationalistischen Konzepts. Dabei schreckten die Befürworter der Ausschußanträge ebensowenig vor einer Manipulierung des derzeitigen Sachverhaltes wie der gesamten Vorgeschichte der Polenfrage zurück. Symptomatisch war etwa das Bemühen R. Hayms, die im wesentlichen machtpolitisch bestimmte Entscheidung der rechtsorientierten Liberalen als geschichtlich determiniert auszugeben: „Von einer verworrenen und schicksalsvollen Vergangenheit hatten wir die letzten Fäden zusammenzunehmen. Mehr Zuschauer als selbsthandelnd unterschrieben wir nur ein von der Geschichte bereits gefälltes Urteil." 3 Auch der Abgeordnete v. Wartensleben argumentierte pseudohistorisch, wenn er versuchte, die Aufteilung Polens durch Rußland, Preußen und Österreich als geschichtliche Bestimmung dieses Volkes hinzustellen. 4 Insgesamt verlief die Debatte bis auf den spektakulären Übertritt des Berliner Abgeordneten Wilhelm Jordan in das Lager der Polengegner wenig dramatisch. 5 Das entscheidende Kräftemessen zwischen den Befürwortern und Gegnern der Anträge blieb aus. Die Rechte verstand es, die Polendebatte zu einer Feuerprobe des „Nationalgefühls" zu gestalten 6 und die Linke in die Defensive zu drängen. Die Opposition stand der nationalistischen Demagogie seitens ihrer parlamentarischen Gegner weitgehend hilflos gegenüber und vermochte, insgesamt betrachtet, nicht, eine echte Alternative zu den Ausschußanträgen zu entwickeln. 1

NRiZ,

2

Vgl. Faber, Karl-Georg,Nationalität

Nr. 9,9.6.1848. und Geschichte in der Frankfurter Nationalversammlung, i n : Ideen

und Strukturen der deutschen Revolution 1848, hrsg. v. W. Klötzer, R. Moldenhauer u. D . Rebentisch, Frankfurt am Main 1974, S. 112ff. Faber weist nach, daß die historischen D e d u k t i o n e n einer Reihe v o n Rednern sowohl in der Polen- als auch der Südtiroldebatte den jeweiligen politischen A u s s a g e n untetgeordnet waren. Der tiefere Sinn seiner Thesen ist es wohl, die Beweisfähigkeit des historischen A r g u m e n t s schlechthin in F r a g e zu stellen. A u f seine in diesem Zusammenhang vorgebrachte und teilweise nicht den K e r n treffende Kritik gegen die historische Beweisführung v o n Vertretern der Frankfurter L i n k e n und vor allem v o n Marx und E n g e l s einzugehen, bleibt einer anderen Gelegenheit vorbehalten. 3

Haym, Rudolf, D i e deutsche Nationalversammlung, Teil 1, Berlin 1848, S. 77. S t B , B d . 2 , S. 1163.

5

J o r d a n war Mitglied der Fraktion Deutscher H o f gewesen; durch seine berüchtigte Polenrede v o m 24. 7. (ebenda, S. 1143—1151) vollzog er faktisch den Bruch mit der Linken, dem bald darauf auch der formelle Austritt aus d e m Deutschen H o f folgte.

6

Haym, Rudolf, D i e deutsche Nationalversammlung, S. 78.

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Der Kemgedanke des Konzepts der Linken bestand darin, das Großherzogtum Posen in zwei Teile zu zerlegen, deren Größe dem Anteil der beiden Nationalitäten entsprechen sollte. Die Opposition mißbilligte zwar prinzipiell die Unterdrückungspolitik gegenüber Polen, aber sie blieb insofern inkonsequent, als sie eigentlich nur gegen die Übergriffe der Teilungspolitik opponierte und einer allzu offensichtlichen Benachteiligung der polnischen Bevölkerung entgegentrat. Sie übersah, daß die Grenzfrage offenbleiben mußte, „bis man", wie die „Neue Rheinische Zeitung" schrieb, „mit dem wiederhergestellten Polen darüber d'égal à égal verhandeln" konnte 1 , und sie durchschaute nicht völlig den Nationalitätenschwindel der preußischen Regierung, hinter dem diese ihre Pläne nach Machterweiterung teilweise verbarg. Die Wurzel dieser Befangenheit und Unsicherheit bei der Beurteilung außenpolitischer Vorgänge lag vor allem in dem für die kleinbürgerlich-demokratische parlamentarische Linke typischen abstrakten Gerechtigkeits- und Nationalitätsdenken, das sie daran hinderte, die Kompliziertheit und vor allem die machtpolitische Seite dieser Problematik voll zu erfassen. Eigentlich unternahm nur A. Rüge 2 den Versuch, die Polenfrage unter europäischem Aspekt zu betrachten. Er sprach sich grundsätzlich gegen die Einverleibung polnischen Gebietes in den Deutschen Bund aus und forderte gleichzeitig die Einberufung eines internationalen Kongresses zur Lösung des Polenproblems. Die Schwäche seiner Position lag vor allem darin, daß er auf eine Aktion „von oben" baute. Ein solches Projekt hätte erst dann verwirklicht werden können, wenn die Revolution in den wichtigsten Ländern Europas gesiegt hätte. Ruges Vorschlag war utopisch, da er von einem noch nicht existierenden Zustand ausging und von den Regierungen der europäischen Hauptmächte einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der polnischen Frage erwartete. Von den Vertretern der äußersten Linken hielt der Löwenberger F. Schmidt 3 die wirkungsvollste, weil sachkundige und zugleich parteiliche Rede. Er wies nicht nur nach, daß die preußische Regierung fehlerhafte Angaben über die Zusammensetzung der Nationalitäten in der Provinz Posen gemacht hatte, sondern verdeutlichte auch die allgemeinen politischen Folgen des fortwährenden Nachgebens gegenüber den preußischen Machtansprüchen. Von ihrem parlamentarischen Widersacher nicht voll gefordert und der Zustimmung ihres Vereinbarungspartners gewiß, kamen die Liberalen und die äußerste Rechte während der Polendebatte kaum ein einziges Mal in Bedrängnis. Preußische Abgeordnete des rechten Zentrums und der Fraktion Milani konnten es, mit einem gestärkten Selbstbewußtsein, sich leisten, am 26. Juli mit dem Austritt aus der Nationalversammlung zu drohen, wenn sie in der Abstimmung am darauffolgenden Tage unterliegen sollten. 4 Die Tage, wo ein prominenter preußischer Abgeordneter des rechten Zentrums beklagt hatte, er müsse sich wie ein stummer Hund verhalten, der nicht bellen könne 5 , waren vorüber. Die Abstimmung über die Polenfrage verlief für die Rechte programmgemäß. Blums dilatorischer Antrag, „den Sachverhalt in Posen kommissarisch untersuchen" zu lassen, wurde mit 333: 139 Stimmen abgelehnt. 6 Ruges Antrag gelangte nicht einmal in die 1 NRiZ, Nr. 81, 20. 8.1848. 2 Rede von Rüge, StB, Bd. 2, S. 1 1 8 4 - 1 1 8 8 . 3 Rede von Schmidt ebenda, S. 1 1 7 5 - 1 1 8 0 . 4 Brief des Casino-Abgeordneten Gustav Siemens an Adolph Siemens v. 27. 7. 1848, BAF, ZSg 1/N 46, Nachlaß Siemens. 5 Raumer, Friedrieb v., Briefe aus Frankfurt und Paris, 1. Teil, Leipzig 1849, S. 65 (Brief vom 8. 6. 1848). 6 StB, Bd. 2, S. 1228-1233.

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namentliche Abstimmung. Die ersten drei Punkte des Ausschußantrages erhielten klare Mehrheiten. Mit 3 4 2 : 31 Stimmen sprach sich die Frankfurter Nationalversammlung für die Aufnahme der von Preußen annektierten Gebiete aus. 1 Wie schon während der Debatte hatte sich ein großer Teil der Linken der unmittelbaren Konfrontation mit ihrem parlamentarischen Gegner enthalten und an der Abstimmung nichc teilgenommen. Dieses Verhalten ermunterte die Rechte lediglich zu noch schärferem Vorgehen. Sie ließ Punkt 4 des Ausschußantrages fallen, der sich für die Wahrung der Rechte der polnischen Bevölkerung in Westpreußen ausgesprochen hatte, und ging zur Tagesordnung über. 2 Der nationalistische und antidemokratische Charakter der bourgeoisen Polenpolitik trat in den späteren Beschlüssen und Stellungnahmen der Paulskirchenliberalen noch deutlicher hervor. Die endgültige Beschlußfassung erfolgte schließlich am 6. Februar 1849. Die Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung erteilte hier der durch den Reichskommissar Schäfer-Bernstein festgelegten Demarkationslinie ihre Zustimmung. 3 Diese Grenze war für die polnische Bevölkerung noch nachteiliger als die Pfuelsche Linie vom 4. J u n i 1848, welche durch die Beschlüsse vom 27. Juli sanktioniert worden war. Im Ergebnis der Julidebatte über die Polenfrage war erstmalig eine weitestgehende Unterordnung der Paulskirchenliberalen, die Preisgabe ihres politischen Führungsanspruchs gegenüber der Adelsklasse in Preußen sichtbar geworden. Die „Oberpostamtszeitung" ließ keinen Zweifel daran, daß provisorische Zentralgewalt und Parlamentsmehrheit Gegenleistungen seitens der Regierung in Berlin erwarteten. Nachdem die „stolze Wucht der Zentralgewalt" sowohl in der Polenfrage als auch in bezug auf den Krieg mit Dänemark und die Blockade von Triest zugunsten machtstaatlicher Interessen eingesetzt worden war, sollte Preußen endlich mehr Neigung bekunden, seinen „nationalen Beruf" zu erfüllen. „Begreiflich", schrieb das offiziöse Organ der Paulskirchenliberalen, „wenn das gerechte Hochgefühl der Preußen ganz andere Ansprüche an die Zukunft Deutschlands macht, als etwa nur mediatisiert zu werden; begreiflich auch, daß Preußen nach so vielen Opfern für die gemeinsame Sache, nach so hochsinniger Selbstverleugnung und Unterordnung doppelt schmerzlich empfindet, was eben jetzt in Wien vor sich geht. Aber die höhere Weisheit seiner Staatsmänner, die Hochherzigkeit des Königs . . . der deutsche Sinn des nun ganz deutschen Preußenlandes wird die Lage der Dinge erkennen. Sie war für Preußen und Deutschland nie großartiger, denn zum ersten Mal sind die Interessen beider völlig eins. Berlin und Frankfurt müssen sich verstehen . . . nur in der Idee der deutschen Einheit kann Preußen die Vollendung seines hohen geschichtlichen Berufes suchen und finden. Noch einmal hat es das Schicksal Deutschlands in Händen, — vielleicht zum letzten Mal." 4 Aber die preußische Regierung ließ keine Neigung zu den gewünschten Konzessionen erkennen. Gerade durch ihre übergroße Nachgiebigkeit in der Polenfrage hatte die Mehrheit des Frankfurter Parlaments auch einen nicht zu unterschätzenden Prestigeverlust erlitten, was sich auf den weiteren Gang der Verhandlungen auswirkte. Ähnliche Erkenntnisse lassen sich aus den Debatten über die nationalrevolutionäre Bewegung in anderen Nachbarländern Deutschlands gewinnen. 1 Ebenda, S. 1234-1238. 2 Ebenda, S. 1240. 3 Ebenda, Bd. 7, S. 5086-5089. « FOPAZ, Nr. 214,1. 8.1848, Beilage.

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2. Die Unabhängigkeitsbewegung in den tschechischen Ländern Die parlamentarische Auseinandersetzung in der Paulskirche über die Lage in den tschechischen Ländern nahm weitaus weniger Raum ein als die Verhandlungen über die Polenfrage. Eine Reihe von Umständen läßt es jedoch gerechtfertigt erscheinen, auch dieser Frage im Rahmen unserer Untersuchung besondere Bedeutung beizumessen. Wie die Polen, so war auch das tschechische Volk Opfer der Nationalitätenpolitik einer Großmacht des Deutschen Bundes, des Habsburgerreiches. Für das tschechische Volk stand 1848 der Kampf um nationale Gleichberechtigung im Innern und gegen das Joch der staatlichen Unterdrückung auf der Tagesordnung. Dieser Kampf war nicht nur für das Schicksal des tschechischen Volkes von Bedeutung. Angesichts der Stellung dieses Volkes im Reich Habsburg war sein Ringen nicht ohne Auswirkung auf die Entwicklung der nationalrevolutionären Bewegung der anderen von Habsburg unterdrückten Völker. Der Ausgang dieses Kampfes war auch wichtig für die künftige Gestaltung des österreichischen Staates und sein Verhältnis zu den anderen Staaten des Deutschen Bundes. Bereits im 17. Jahrhundert hatten die Tschechen den Rest ihrer politischen Selbständigkeit eingebüßt. Damit war zugleich auch die Auflösung der Einheit der tschechischen Länder verbunden gewesen. Als ökonomisch wichtigster Teil des österreichischen Kaiserreiches waren diese durch Habsburg dem Deutschen Bunde einverleibt worden. Die habsburgische Bürokratie und die in den tschechischen Ländern (vor allem in Böhmen) ansässige deutsche Bourgeoisie besaßen die politische und ökonomische Vormachtstellung. Als Amtssprache genoß die tschechische Sprache zwar formal betrachtet die gleichen Rechte wie die deutsche, faktisch war sie jedoch überall von dieser verdrängt worden. Auch in den tschechischen Ländern wurden 1848/49 die revolutionären Auseinandersetzungen durch die Verflechtung nationaler und sozialer Konflikte vertieft und zugleich kompliziert. 1 Die politisch führende Klasse waren die einheimischen adligen Großgrundbesitzer (zumeist deutscher Abkunft). Diese wollten zwar einerseits ihre politische Position gegenüber dem habsburgisehen Kaiser stärken und waren somit auch partiell an Fortschritten im Unabhängigkeitskampf interessiert, doch andererseits zugleich Feind der Revolution. Auch die ökonomisch erstarkte einheimische Bourgeoisie wollte keinen revolutionären Bruch mit Habsburg, sondern strebte eine Stärkung ihres politischen und ökonomischen Einflusses sowie die Autonomie der tschechischen Länder im Rahmen des österreichischen Kaiserreiches, also äußerst begrenzte nationale Ziele an. Bauern, arme Handwerker sowie Arbeiter und Studenten waren für weitergehende revolutionäre Aktionen, für die Beseitigung der sozialen Unterdrückung und für die nationale Unabhängigkeit der tschechischen Länder. Die vor allem in Böhmen ansässige, ökonomisch sehr einflußreiche deutsche Bourgeoisie und deutsche gemäßigte kleinbürgerlich-demokratische Kreise waren zunächst bereit, mit der tschechischen antifeudalen Opposition ein Mindestmaß bürgerlicher Freiheiten zu verwirklichen, widersetzten sich jedoch allen über dieses Minimum hinausgehenden politischen und nationalen Forderungen der tschechischen revolutionären Bewegung. In bezug auf die nationale Frage ließen sich innerhalb der deutsch-böhmischen Bourgeoisie zwei Richtungen erkennen. Eine einflußreiche Gruppe, welche auf den Anschluß Böhmens an den Deutschen Zollverein orientierte, setzte sich für die Einbeziehung Böhmens in einen künftigen deut1

Für den folgenden Teil vgl. vor allem Udal^oiv, ]. / . , Aufzeichnungen über die Geschichte des nationalen und politischen Kampfes in Böhmen im Jahre 1848, Berlin (1953), S. 64ff.

2. Die tschechischen Länder

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sehen Bundesstaat ein. 1 Eine andere bürgerliche Gruppierung — vornehmlich Vertreter jener Wirtschaftszweige, die ihre Vormachtstellung auf dem südosteuropäischen Markt durch den Eintritt in den engeren deutschen Bundesstaat bedroht sahen — vertrat einen nationalböhmischen Standpunkt: Sie verlangte die Überwindung der nationalen Differenzen sowie die Stärkung der Autonomie Böhmens unter Aufrechterhaltung der Bindungen an das Habsburgerreich. Hierbei handelte es sich um eine Gruppe, deren Stärke man bislang häufig unterschätzte. In Prag setzte sich für diesen Standpunkt 1848 beispielsweise die überwiegende Zahl der deutschsprachigen bürgerlichen Zeitungen ein. 2 In bezug auf ihre Stellung zur nationalen Frage ließen sich also in Böhmen insgesamt drei Lager unterscheiden: 1. die nationale Bewegung der revolutionären Kräfte des tschechischen Volkes, die für die nationale Unabhängigkeit der tschechischen Länder eintrat; 2. die einheimischen Großgrundbesitzer und die Gruppierung der tschechischen und eines Teiles der deutsch-böhmischen Bourgeoisie sowie kleinbürgerlicher Kräfte, die sich für die Autonomie Böhmens bzw. Böhmens und Mährens einsetzten; 3. die antitschechisch-großdeutsche Richtung böhmisch-deutscher nationalistischer Kreise. Eine Besonderheit der Entwicklung in den tschechischen Gebieten bestand darin, daß es der österreichischen Regierung mit Hilfe einer geschickteren Nationalitätenpolitik als auf Seiten Preußens und unter Ausnutzung einer Reihe günstiger Umstände z. T. gelang, den revolutionären und nationalen Konfliktstoff in den tschechischen Ländern zu paralysieren. Angesichts der Rolle Böhmens und Mährens als bevölkerungsreichster und ökonomisch stärkster Teil der zisleithanischen Hälfte des Habsburgerreiches war dies ein Faktor von kaum zu unterschätzender Bedeutung für den weiteren Verlauf der Revolution in Österreich und darüber hinaus. Unter dem Druck der tschechischen revolutionären Volksbewegung und im Interesse der Verwirklichung des eigenen konstitutionellen Programms setzten Vertreter der tschechischen und der deutschen Bourgeoisie in Wien gemeinsam eine Reihe von Zugeständnissen durch, wie die Aufhebung der Frondienste gegen Entschädigung, die Gleichberechtigung der tschechischen und der deutschen Sprache und die verbesserte Vertretung der Städte und der Landbevölkerung im Landtag. Der Weiterführung des nationalrevolutionären Befreiungskampfes durch das tschechische Volk stellte sich nunmehr eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen, die sich die Gegner der Tschechen, auch die Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung, in ihrem Bestreben zunutze machten, das Unterdrückungsregime aufrechtzuerhalten. Ein Teil der deutschen Bourgeoisie verfolgte sehr bald einen offen antirevolutionären und antitschechischen Kurs. Vor allem jene Kräfte, die sich von einem Anschluß an Deutschland Vorteile versprachen, wandten sich nicht nur entschieden gegen die nationale Unabhängigkeit der tschechischen Länder, sondern auch gegen eine Autonomie im Rahmen des habsburgischen Reiches. Statt dessen traten sie für den Anschluß an Deutschland bzw. den Deutschen Zollverein ein. Sie lehnten auch die Verwirklichung weitergehender politischer und sozialer Forderungen ab, wie die entschädigungslose Abschaffung der Feudallasten, die Organisation der Arbeit und die gesetzliche Regelung der Arbeitslöhne. 1

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Vgl. Vomackova, Vera, Die Bourgeoisie und der Deutsche Zollverein im Jahre 1848, in: Aus 500 Jahren deutsch-tschechoslowakischer Geschichte, hrsg. v. K. Obermann und J. Polisensky, Berlin 1958, Bd. 1, S. 229f. Vgl. u. a. Bohemia, Union, Prager Zeitung, Volks-Blatt für Böhmen, Habt Acht. Ein Abendblatt für Stadt und Land. Die Wage für Freiheit, Recht und Wahrheit, Constitutionelle Allgemeine Zeitung für Böhmen. Hildebrandt, Gagern

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

Sichtbarer Ausdruck für die frühzeitige Kursänderungeines Teiles der deutschen Bourgeoisie und einiger gemäßigter deutscher kleinbürgerlicher Demokraten war der Austritt ihrer Vertreter aus dem Prager Nationalausschuß am 19. April 1848, bis dato das gemeinsame Organ der Repräsentanten der deutschen und tschechischen antifeudalen Opposition, was an der national-böhmischen Orientierung einer größeren Gruppe der deutschen Bourgeoisie nicht viel änderte. Dennoch begünstigten die aufbrechenden Differenzen das gegen die Weiterführung des revolutionären Kampfes und auf die Stärkung der nationalen Autonomie gerichtete austro-slawophile Programm der tschechischen Bourgeoisie zunehmend. In der ersten Phase der Revolution bestand bei den demokratischen Kräften des tschechischen Volkes wenig Bereitschaft, diesem Konzept zu folgen. Aber die intensive Propaganda durch die Wortführer ihrer Bourgeoisie, eine gewisse Desillusionierung kleinbürgerlichdemokratischer Kreise und der Aderlaß der revolutionären Kräfte durch den Prager Juniaufstand trugen dazu bei, daß der Austroslawismus seit Juni 1848 stärkeren Anklang fand. In seinem bekannten Brief an den Präsidenten des Fünfziger-Ausschusses, Soiron, vom 11. April, in dem der Wortführer der tschechischen Bourgeoisie die Einladung zur Mitarbeit ablehnte, entwickelte Palacky 1848 erstmals öffentlich und in umfassender Form das Konzept des Austroslawismus. 1 Dieses blieb für mehr als ein halbes Jahrhundert das beherrschende politische Programm der tschechischen Bourgeoisie. Mit Recht lehnte Palacky den von der Mehrheit der in Frankfurt am Main versammelten Liberalen befürworteten Anschluß der tschechischen Länder an Deutschland, überdies unter der Vorherrschaft der hier ansässigen deutschen Bourgeoisie, ab. Aber er entwickelte hierzu keine wirkliche nationale Alternative. Sein Ziel war statt dessen die Umwandlung des Habsburgerreiches in eine Föderation gleichberechtigter Nationen, in der aus natürlichen Gründen den Slawen und von diesen wiederum, wie Palacky glaubte, den Tschechen die beherrschende Position zufallen müsse. Ein solcher Staatenbund wäre, sofern man ihn überhaupt als politisch lebensfähig betrachten konnte und er nicht eine Neuauflage des alten Unterdrückungsregimes darstellen sollte, nicht ohne umfassende gesellschaftliche Veränderungen, vor allem den Abbau der Vormachtstellung der österreichischen Monarchie zu verwirklichen gewesen. Palacky aber bestritt die Notwendigkeit solcher Veränderungen und sprach sich ausdrücklich für das Weiterbestehen der österreichischen Monarchie, der wichtigsten Stütze des Vielvölkerstaates, aus. Er hielt sie für den Zentralpunkt des habsburgischen Reiches und das Kaisertum für das feste und einigende Band aller innerhalb des Reiches lebenden Völker. Infolgedessen votierte er auch für die Zusammenarbeit des tschechischen Volkes mit der habsburgischen Monarchie. Der Austroslawismus war seinem Wesen nach ein Programm zur Reformierung des Habsburgerreiches mit Hilfe der Zusammenarbeit zwischen der Bourgeoisie und dem von der Macht des Adels getragenen Staat, sozusagen die tschechische Variante der bourgeoisen Vereinbarungspolitik. Dieses Konzept war, ungeachtet seines kompromißlerischen Charakters, von allen denkbaren Varianten bürgerlicher Vereinbarungspolitik die den nationalen Interessen des tschechischen Volkes am ehesten entsprechende. Dagegen wäre durch die Einbeziehung Böhmens und Mährens in einen deutschen Bundesstaat, gleichgültig, ob unter österreichischer oder preußischer Hegemonie, der Weg zur nationalen Unabhängigkeit für das tschechische Volk wesentlich erschwert worden. 1

XJdal^pw, J. ]., Aufzeichnungen, S. 6 8 f f . ; „Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland", StÜAP, sbirka tiskü, karton 7, Stück 56.

2. Die tschechischen Länder

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Der Austroslawismus war ein widersprüchliches Konzept. Entstanden auf dem Boden komplizierter Klassenverhältnisse, wirkte er sich — ungeachtet seiner positiven Rolle bei der Abwehr großdeutsch-antitschechischer Bestrebungen — in einer Reihe von Punkten negativ auf die weitere Entwicklung des Klassenkampfes aus: Er trug nicht nur zur Aufrechterhaltung der habsburgischen Herrschaft bei, sondern erleichterte es Wien auch, sein restauratives und gegen eine Reformierung des Deutschen Bundes gerichtetes Wirken als Politik im Interesse der unterdrückten Völker auszugeben. Schließlich begünstigte er durch seinen nationalistisch-slawophilen Zuschnitt indirekt auch die Resonanz der nationalistisch-großdeutschen Gegenpropaganda, nicht zuletzt auch in der Frankfurter Nationalversammlung. Eine äußerst diffizile Interessenlage bestimmte also die Stellungnahmen der Paulskirchenversammlung zur Lage in den tschechischen Ländern im Frühsommer 1848. Sie erleichterte es einer Reihe von Vertretern der Rechten und der rechtsorientierten Liberalen, ihrem Chauvinismus gegenüber dem tschechischen Volk die Zügel schießen zu lassen. Für das Verständnis der Auseinandersetzungen in der Frankfurter Nationalversammlung über die tschechische Frage ist es notwendig, auch die innenpolitische Situation des Habsburgerreiches zu berücksichtigen. Nach dem Sturz des Absolutismus, dem Rücktritt Metternichs und der Verkündigung einer Verfassung errang die Volksbewegung in Wien Ende Mai 1848 einen weiteren Sieg. Sie wehrte nicht nur die Versuche der Regierung ab, die Errungenschaften der Revolution auf ein möglichst geringes Maß zu begrenzen, sondern widersetzte sich ebenso erfolgreich der Auflösung des demokratischen Zentralkomitees, eines Führungsorgans der revolutionären Bewegung in Österreich, und der Akademischen Legion, einer bewaffneten Formation zum Schutze der Revolution. Ferner erzwang sie die Verabschiedung eines allgemeinen Wahlrechtes. Durch diese Erfolge der revolutionären Kräfte in Wien erhielt auch die nationale Bewegung des tschechischen Volkes wieder Auftrieb. In Prag liefen die Vorbereitungen für den Slawenkongreß, der Ende Mai 1848 eröffnet werden sollte. Delegierte aller von Habsburg unterdrückten slawischen Völker wurden erwartet, die über das Schicksal ihrer Nationen beraten wollten. Gleichzeitig wuchsen die Spannungen zwischen dem österreichischen Militär und der Prager Bevölkerung. Diese Lage trieb die Anhänger der habsburgischen Unterdrükkungspolitik auch in der Paulskirche zu verstärkter Aktivität. Die erste Meinungsäußerung zur tschechischen Frage seitens der Frankfurter Nationalversammlung war ein Artikel eines nicht namentlich genannten, offenbar dem rechten Zentrum nahestehenden „steiermärkischen Abgeordneten" in der „Oberpostamtszeitung" vom 19. Mai 1848. Weder die Originalität seines Konzepts — die Erneuerung eines habsburgischen Großreichs — noch die vorgenommene Analyse der politischen Situation waren besonders bemerkenswert. Hervorzuheben waren vielmehr der relativ gemäßigte Ton und einige realistische Einsichten des Autors. Die Behauptung, schuld an der Lage in den tschechischen Ländern seien vor allem einheimische Demagogen, „die nichts zu verlieren, wohl aber alles zu gewinnen haben", erinnerte zwar an manche Passage der Frankfurter Polendebatte, aber der Verfasser verschwieg auch nicht, daß „viele Deutsche und selbst das eine und das andere Mitglied des Fünfziger-Ausschusses" ihren Anteil an dem Zerwürfnis zwischen Deutschen und Tschechen hatten. Er lehnte es ab, „mit dem Schwerte die Vereinigung erzwingen zu wollen", und forderte statt dessen „Versöhnung" und „friedliche Einigung". Fahre man aber auf dem bisher beschrittencn Wege fort, so treibe man die Tschechen „in die Arme des Alleinherrschers der Reußen". Das Credo des Autors war die Eingliederung der Tschechen in das „großartigste Reich inmitten von Europa" unter habsburgisch-deutscher Flagge. Mit der Ablehnung einer germanophilen Politik gegenüber den Tschechen näherte er sich c*

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

in diesem Punkte der Position der Mehrzahl der gemäßigten bürgerlichen deutschen Blätter in Prag 1 , wenn er auch nicht soweit ging, die nationale Autonomie für Böhmen zu fordern. Verglichen mit den späteren Auslassungen verschiedener liberaler Abgeordneter der Paulskirchenversammlung zur Tschechenfrage waren dies dennoch äußerst gemäßigte Töne. Auch Dahlmann hatte sich namens des Verfassungsausschusses bekanntlich noch am 31. Mai 1848 für eine ungehinderte volkstümliche Entwicklung aller „nichtdeutschen Volksstämme auf deutschem Bundesboden" ausgesprochen. 2 Die weitere Zuspitzung der Lage in Böhmen schuf freilich veränderte Bedingungen auch für die künftigen Stellungnahmen der Paulskirchenparlamentarier. Am 3. Juni 1848 war in Prag der Slawenkongreß eröffnet worden. 3 Die Delegierten sprachen sich in einem am 12. Juni veröffentlichten Manifest für die Umwandlung des Habsburgerreiches in eine Föderation aus und verlangten Nationalitätsgarantien seitens der österreichischen Regierung für die unterdrückten Völker. Dieses Programm ließ sich, wie der weitere Verlauf des Geschehens zeigte, von den Habsburgern durchaus politisch ausbeuten. Angesichts der revolutionären Stimmung der Massen und der ausgesprochen proslawischen Orientierung dieses Kongresses empfand die Regierung dessen Bestrebungen jedoch als Gefahr für die Existenz des Vielvölkerstaates. Bereits Ende Mai war der als extremistisch geltende Fürst Windischgrätz zum Militärgouverneur in Prag ernannt worden, was darauf schließen ließ, daß Wien einen Schlag gegen die tschechische Nationalbewegung plante. In dieser Situation gelangte die tschechische Frage am 5. Juni zum ersten Male vor die Frankfurter Nationalversammlung. Anlaß hierfür war der Boykott der Wahlen für die Paulskirchenversammlung durch die tschechische Bevölkerung vor allem in Böhmen. Entsprechend der Empfehlung des Vorparlaments hatte die österreichische Regierung und in ihrem Namen der Prager Statthalter Thun auch in dem zum Deutschen Bund gehörigen Böhmen die Durchführung von Wahlen für die Frankfurter Nationalversammlung angeordnet. Die sich im Anschluß hieran in Böhmen entwickelnden Auseinandersetzungen 4 waren ein anschauliches Beispiel dafür, wie kompliziert sich hier durch die Verflechtung von nationalen und sozialen Faktoren die Klassenverhältnisse gestalteten. Die in diesen Auseinandersetzungen sichtbar werdende Frontstellung durchkreuzte zum Teil die Konstellation der politischen Kräfte. Die Wiener Regierung befand sich mit der großdeutsch-antitschechischen Richtung auf einer Linie, obwohl beide unterschiedliche Auffassungen über die weitere Rolle Böhmens auf dem Hintergrund der Gestaltung der staatlichen Verhältnisse Deutschlands hegten. Andrerseits befürworteten sowohl die bürgerlich-austroslawische Richtung als auch die national-tschechische Bewegung des Volkes den Boykott der Wahlen, was vor allem ein Ausdruck der partiellen Übereinstimmung hinsichtlich des nationalen Anliegens war. Die Differenzen zwischen der Regierung und der austroslawischen Gruppierung in diesem Punkte waren nicht grundsätzlicher Natur, sondern resultierten vor allem aus Meinungsverschiedenheiten über den zweckmäßigsten Weg zur Wahrung der Interessen des habsburgischen Reiches gegenüber der künftigen Zentralgewalt. Während sich die AustroSlawisten von einem Boykott der Wahlen den größten Erfolg versprachen, schloß die 1 Vgl. Anm. 2, S. 81. 2 StB.Bd. l . S . 183. 3 Udalspn/,].]., Aufzeichnungen, S. 86 ff. 4 Vgl. die Manifeste und Erklärungen seitens der Befürworter und Gegner der Wahlen — StÜAP, sbirka tiskü, karton 7, Stücke 56,60,61,65,66,69,70, 77.

2. Die tschechischen Länder

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Wiener Regierung zunäckst die Möglichkeit nicht aus, mit parlamentarischen Mitteln die Erneuerung ihrer Vormachtstellung in Deutschland durchsetzen zu können. Namentlich in Böhmen erwiesen sich die Kräfte, die für einen Boykott der Wahlen eintraten, stärker als die Befürworter. In Böhmen wählten lediglich 20 von 68 Wahlkreisen Abgeordnete nach Frankfurt am Main, in Mähren 23 von 28, in Schlesien alle 7. 1 Selbst in den wenigen böhmischen Kreisen, wo abgestimmt worden war, hatte sich in vielen Fällen nur ein geringer Teil der Berechtigten an der Wahl beteiligt. Bereits das erste Aufgreifen der Wahlangelegenheit durch die Frankfurter Nationalversammlung am 5. Juni bewies, daß es — analog zur Polendebatte — bei weitem nicht nur um deren Regelung ging. Indem sie für die Durchführung der Wahlen eintrat, wollte die überwiegende Mehrheit der Versammlung politisch und verfassungsrechtlich demonstrieren, daß die tschechischen Länder nach wie vor ein integrierender Teil des Deutschen Bundes waren und nicht aufgegeben werden sollten. Hierüber zeigten sich am 5. Juni nahezu sämtliche Redner (einschließlich des Vertreters der äußersten Linken Berger) einig. Der Casino-Abgeordnete Wedekind formulierte das Prinzip, nach dem äußerste Rechte und Zentren unter den nunmehr gegebenen Verhältnissen die tschechische Frage zu regeln trachteten: „Wir sind auf dem Wendepunkt, auf dem wir aussprechen müssen, daß kein Fuß, keine Scholle deutscher Erde jemals mit unserm Willen wegkommen sollte . . . Und kommt es zu einem Konflikt, so werde ich keinen Anstand nehmen auszusprechen: ,Lasciate ogni speränza vöi che* entrate!; und ich werde selbst in diesem Falle einen Bürgerkrieg nicht scheuen." 2 Wiederum versuchten die Publikationsorganc der Paulskirchenliberalen, die parlamentarische Meinungsbildung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Am 8./9. Juni veröffentlichte das Mitglied des völkerrechtlichen Ausschusses, der demCasino nahestehende Abgeordnete Höfken, in der „Deutschen Zeitung" einen umfangreichen zweiteiligen Artikel mit der programmatischen Überschrift „Böhmen, deutsches Reichsland". Wie verschiedene Apologeten der äußersten Rechten und der Liberalen des rechten Zentrums versuchte auch Höfken, sein Germanisierungskonzept mit dem Hinweis auf die Gefahr des Panslawismus zu rechtfertigen. Behauptungen wie, die Tschechen seien kein slawisches, sondern ein „tschechogermanisches" Volk, schwächten freilich den propagandistischen Effekt solcher Thesen beträchtlich. „Wollen die Böhmen", so verlangte Höfken, „nicht auf ihre schöne Rolle und ihren Ruhm verzichten, so müssen sie Tschechisch und Deutsch zugleich und mit gleicher Sorgfalt pflegen, das gemeinsame Vaterland aber um so weniger vernachlässigen, als sie nicht vergessen dürfen, daß Böhmen seinem tausendjährigen Verkehr mit Deutschland zunächst die großen Fortschritte verdankt, die es früher als alle Slawenvölker auf der Bahn der Bildung gemacht hat. Das können nur jene fanatischen Tschechomanen leugnen, die dem deutschen Element, das doch zu keiner Zeit ein Fremdling in Böhmen war und dort selbst unmittelbar zwei Millionen Menschen zählt, auch nicht den mindesten Anteil, keinerlei Einwirkung an der in Böhmen und in Prag entsprossenen Kultur zugestehen wollen!" Die eigentliche Debatte über die Tschechenfrage am 1. Juli 1848 war durch eine Verstärkung der militanten Töne gekennzeichnet. Dies war nicht verwunderlich, hatte doch Windischgrätz inzwischen den Prager Juniaufstand mit brutaler Gewalt niedergeschlagen und war die österreichische Regierung, wie es Radowitz in der Paulskirche ausdrückte, Klima, Arnost, Revoluce 1848 v ceskych zemich, Praha 1974, S. 34; Vomackovä, Vera, Bourgeoisie in Böhmen, S. 225. — Differierend hierzu zum Teil die Angaben in Prager Zeitung, Nr. 4, 3. 7. 1848; Slaviscbe Centraiblätter, Nr. 52, 31. 7. 1848 sowie in einem Teil der Sekundärliteratur. 2 StB.Bd. 1.S.215. 1

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wieder „Herrin von Prag". 1 Abgeordnete verschiedener Fraktionen (einschließlich der Linken) hatten die Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen zum Anlaß genommen, bereits am 20. Juni den Einmarsch von Bundes- bzw. österreichischen Truppen nach Böhmen zu fordern.2 Erstaunlicherweise hatte gerade das rechte Zentrum eine sofortige Entscheidung darüber verhindert. 3 Ausschlaggebend hierfür waren allerdings nicht prinzipielle Bedenken gegen eine solche Aktion, sondern das generelle Bemühen, sich mit Exekutivmaßnahmen gegenüber Einzelstaaten zunächst zurückzuhalten. Der „Ausschuß zur Begutachtung der österreichisch-slawischen Frage" 4 legte der Frankfurter Nationalversammlung am 1. Juli zwei auch von den Casino-Vertretern unterstützte Mehrheitsanträge vor. Österreich sollte danach aufgefordert werden, die überfälligen Wahlen in den tschechischen Ländern „unverzüglich und förmlich anzuordnen" und den „Wahlakt gegen störende Einwirkungen zu schützen". Der zweite, über die ursprüngliche Veranlassung der Debatte weit hinausgehende Antrag des Ausschusses verlangte von der Frankfurter Nationalversammlung die Erklärung, sie „werde der österreichischen Regierung in allen ihren Maßnahmen zum Schutz der von der tschechischen Partei angegriffenen Deutschen in Böhmen, im Falle des Bedürfens, kräftigste Unterstützung gewähren". 5 Auch die eintägige Debatte über die tschechische Frage am 1. Juli 1848 war alles andere als ein erbitterter Meinungskampf. Die Frankfurter Nationalversammlung zeigte sich in relativer Einmütigkeit. Die unter maßgeblicher Beteiligung der Casino-Vertreter v. Schmerling und Somaruga vorbereiteten Ausschußanträge bedurften im Plenum kaum noch der Fürsprache von Abgeordneten des rechten Zentrums. Mit Ausnahme des kleinbürgerlichen Demokraten Schuselka6 stellte keiner der übrigen neun Redner die Berechtigung von Zwangsmitteln zur Durchführung der überfälligen Wahlen, d. h. zur Demonstration der Abhängigkeit der tschechischen Länder von Deutschland, in Frage. Auch die Notwendigkeit einer Beistandserklärung zugunsten der Deutschen in Böhmen wurde von keinem der Sprecher in Zweifel gezogen. Aber die Vertreter der Linken, Wiesner, Berger, Schuselka und Rüge 7 , widersprachen zumindest der Anwendung von Waffengewalt gegenüber der tschechischen Nationalbewegung, welche von den Abgeordneten der Rechten und der Zentren gefordert wurde. Die Sprecher der Rechten ergingen sich in Ausfällen gegenüber der tschechischen Bewegung. Dahlmann hatte vier Wochen zuvor noch erklärt: „Das fortan einige und freie Deutschland ist groß und mächtig genug, um den in seinem Schöße erwachsenen anders redenden Stämmen eifersuchtslos und in vollem Maße gewähren zu können, was Natur und Geschichte ihnen zuspricht. . ." 8 Im Widerspruch hierzu wurde jetzt, wie die „Deutsche Reichstagszeitung" mit Recht über die Tschechendebatte bemerkte, einzig und allein der nationale Standpunkt „in den Vordergrund gestellt und . . . immer nur von dem ,Gut und Blut' der (Stammes-)Deutschen gesprochen". 9 Redner wie Kuranda und Jeitteles beschworen wiederum das Gespenst des Panslawismus herauf. Aber 1 Ebenda, S. 666. 2 Ebenda, S. 418 ff. 3 Vgl. den Beitrag G. Beselers ebenda, S. 419f. 4 Das rechte Zentrum war in diesem Ausschuß durch die Abgeordneten v. Schmerling und Somaruga vertreten (ebenda, S. 245). 6 Ebenda, S. 660f. « Ebenda, S. 670. 7 Reden von Wiesner ebenda, S. 668, von Berger ebenda, S. 674, von Rüge ebenda, S. 670f. « Ebenda, S. 183. 9 DRZ, Nr. 38,4.7.1848.

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3. Die Südtirolfrage

sie ignorierten jene Tatsache, auf die Marx und Engels immer wieder eindringlich hinwiesen 1 und die Wochen zuvor sogar die „Oberpostamtszeitung" noch hatte zugeben müssen: Die Deutschen selbst waren im Begriffe, durch ihre Unterdrückungspolitik die Tschechen „den Russen in die Arme" zu jagen. 2 Undramatisch wie die Debatte verlief auch die Abstimmung. Die Ausschußanträge erlangten Beschlußkraft, ohne die namentliche Abstimmung durchlaufen zu müssen. 3 Damit war die antinationale Unterdrückungspolitik Österreichs in einem äußerst wichtigen Teile des habsburgischen Reiches von der Paulskirchenversammlung sanktioniert worden. Die Debatte über die Südtirolfrage ergab ein im Prinzip ähnliches Bild.

3. Die Südtirolfrage Auch die Probleme des nationalen Befreiungskampfes des italienischen Volkes und der Bevölkerung in Südtirol nahmen in den Verhandlungen der Frankfurter Nationalversammlung nur einen relativ geringen Raum ein. Das Südtirolproblem beanspruchte, ähnlich wie die tschechische Frage, lediglich einen Tag, den 12. August 1848. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits wichtige Entscheidungen in Oberitalien zugunsten der Österreicher gefallen. Nichtsdestoweniger waren Verlauf und Ausgang dieser Debatte nicht nur aussagekräftig für die Beurteilung des außenpolitischen Konzepts der Liberalen, sondern auch bedeutungsvoll für die weitere Stabilisierung des antinalionalen Unterdrückungsregimes der Habsburger und den Verlauf des nationalrevolutionären Befreiungskampfes des italienischen Volkes selbst. Der überwiegende Teil Oberitaliens, des fruchtbarsten, bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich am weitesten entwickelten Gebietes der Apenninhalbinsel, nämlich LombardoVenetien mit Mailand und Venedig, befand sich seit langem unter österreichischer Fremdherrschaft. In der Lombardei, wo seit 1525 die spanischen Habsburger herrschten, regierte das österreichische Kaisertum seit 1714, in Venetien seit 1797 bzw. 1815. Da Wien sich ferner auch in Parma und Modena bis 1848 auf ein Marionettenregime stützen konnte, war Österreich bis zur Revolution dort die weitaus stärkste Macht und der Hauptfeind der nationalrevolutionären Befreiungsbewegung des italienischen Volkes. Wie andere von Habsburg unterjochte Nationen und Nationalitäten wurde das italienische Volk rücksichtslos ausgebeutet. Der Besitz Oberitaliens gewährte den Österreichern darüber hinaus militärstrategischc Vorteile in dem ständig schwelenden Konflikt mit Frankreich. Dazu gesellte sich ferner das Interesse namentlich der in Böhmen ansässigen deutschen Textilfabrikanten an dem billigen, nicht durch Zollschranken abgeschirmten norditalienischen Absatzmarkt. Diese Interessiertheit trat freilich, wie wir bereits sehen konnten, im Verlauf der Revolution vorübergehend zugunsten des Versuchs zurück, Böhmen an den Deutschen Zollverein anzuschließen/1 Oberitalien gehörte zum allergrößten Teil nicht, wie die tschechischen Länder, zum Deutschen Bunde und war auch nicht, wie die von Preußen und Österreich annektierten Teile Polens, verfassungsrechtlich in die Territorien ihrer Unterdrücker integriert. Das Lombardo-Venetianische Königreich 1 Vgl. verschiedene Artikel in der 2 Ebenda, Nr. 1 8 , 1 8 . 6.1848. 3 StB, Bd. 1, S. 676f. Vgl. S. 80ff.

NRiZ.

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

besaß — formal betrachtet — einen gewissen Separatstatus innerhalb des habsburgischen Gesamtreiches. Das Land verfügte mit dem habsburgischen Vizekönig über ein eigenes Oberhaupt sowie über zwei Provinziallandtage (Lombardei und Venetien), die sogenannten Zentralkongregationen. Nichtsdestoweniger sorgte der habsburgische Polizei- und Verwaltungsapparat für die Durchsetzung der antinationalen Unterdrückungspolitik. An die Stelle der bis 1815 geltenden napoleonischen Institutionen waren nach dem Wiener Kongreß wieder die reaktionären österreichischen Gesetze getreten, namentlich das nichtöffentliche Gerichtsverfahren. Das Steueraufkommen Lombardo-Venetiens lag weit über seinem Anteil an der österreichischen Gesamtbevölkerung. Besonders hoch waren im Vergleich zu den anderen Teilen der Habsburgermonarchie die Grundsteuer sowie die auf einer Reihe von Lebensmitteln lastenden indirekten Steuern. Die in Südtirol, vor allem den Kreisen Trient und Rovereto, ansässige italienische Bevölkerung, in diesem Gebiet die überwiegende Mehrheit, war noch enger an das habsburgische Reich gefesselt. Als Teil der Provinz Tirol gehörte dieses Gebiet nämlich seit 1815 dem Deutschen Bunde an. Die italienische Bevölkerung Südtirols war auf politischem, administrativem wie kulturellem Gebiet nahezu aller nationalen Rechte beraubt. Lombardo-Venetien war schon seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein Mittelpunkt der nationalen Opposition gegen das habsburgische Unterdrückungsregime. Hier befanden sich die Zentren der bürgerlich-adligen Carbonari und der bürgerlich-republikanischen Geheimbünde unter der Leitung von Mazzini, vor allem des Jungen Italien. Seit Mitte der 40er Jahre waren revolutionäre Aktionen breiterer Schichten des Volkes spürbar, die sich vor allem gegen Polizeiwillkür, die drückenden Steuerlasten, gegen die zum großen Teil durch die österreichische Wirtschaftspolitik gegenüber Lombardo-Venetien mitverschuldete Arbeitslosigkeit und die zunehmende Teuerung richteten. Im Frühjahr 1848 entfaltete sich in Oberitalien und Südtirol eine breite Massenbewegung gegen die österreichische Fremdherrschaft. Die italienische Bevölkerung in Südtirol verlangte die Freigabe ihres Gebietes durch den Deutschen Bund, mindestens aber die sofortige Gewährung autonomer Rechte. In Lombardo-Venetien zwang die nationalrevolutionäre Befreiungsbewegung die Österreicher nicht nur, wie in den tschechischen Ländern und in Ungarn, zu politischen Zugeständnissen, sondern trieb diese an den Rand der militärischen Niederlage. Am 22. März wurden die österreichischen Truppen aus Mailand und Venedig verjagt und mußten sich in das Festungsviereck von Mantua, Verona, Peschiera und Legnano zurückziehen. In den nord- und mittelitalienischen Staaten und Gebieten breitete sich eine nationale Bewegung aus, die den Zusammenschluß unter Sardinien-Piemont verlangte, dessen König Karl Albert die Einigung Italiens durch eine Vereinbarung der Fürsten anstrebte. In den Apriltagen des Jahres 1848 erlitt Radetzky bei Goito und Pastrengo Niederlagen gegen das sardinisch-piemontesische Heer. Er erhielt jedoch infolge des zögernden Vorgehens und der Kompromißbereitschaft Karl Alberts die Möglichkeit, Zeit zu gewinnen, um schließlich im Juli mit frischen Kräften erfolgreich zur Gegenoffensive überzugehen. Am 6. August wurde Mailand von den österreichischen Truppen zurückerobert. Damit hatte Radetzky die Lage in Oberitalien wieder weitgehend in der Hand. Marx und Engels werteten dieses Ereignis als so bedeutungsvoll, daß sie vom „Wiedererstehen des Schwerpunktes der europäischen Konterrevolution" sprachen. 1 Dies war die allgemeine politische Situation, als sich die Frankfurter Nationalversammlung 1 NRiZ,

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3. Die Südtirolfrage

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am 12. August mit der Südtirolfrage und dem Ergebnis des österreichischen Feldzuges zur Niederwerfung der revolutionären Bewegung in Norditalien befaßte. Zum ersten Male war das Parlament bereits Anfang Juni 1848 mit dieser Problematik konfrontiert worden, zu einem Zeitpunkt, wo durchaus noch keine endgültigen machtpolitischen Entscheidungen in Oberitalien gefallen waren. Im Namen der italienischen Bevölkerung von Südtirol brachten die Abgeordneten Festi und a Prato den Antrag ein, die Kreise Trient und Rovereto „aus dem politischen Verbände mit Deutschland" zu entlassen. 1 Bei einer sofortigen Behandlung des Antrags hätte sich Österreich höchstwahrscheinlich in einer schwierigen Lage gesehen. Die Regierung in Wien hatte gerade erst dem Volke weitere Konzessionen machen müssen. In den tschechischen Ländern sah sich das Regime der Habsburger einer äußerst ernsten Situation gegenüber. Und auch die Folgen der Frühjahrsniederlage in Oberitalien waren noch nicht überwunden. Die Mehrheit des Frankfurter Parlaments nahm unter diesen Bedingungen Abstand von einer sofortigen Behandlung des Verlangens der italienischen Bevölkerung nach Austritt aus dem Deutschen Bunde, und sie ging von dieser Taktik auch nicht ab, als die Südtiroler Abgeordneten drei Wochen später, am 25. Juni 1848, einen zweiten, gemäßigteren Antrag einbrachten, in dem lediglich die Teilautonomie für Südtirol gefordert wurde. 2 Zwischendurch, am 20. Juni, hatte die Paulskirche allerdings auf Antrag des nationalistischen Abgeordneten Kohlparzer ohne Diskussion einstimmig beschlossen, jeden „Angriff auf Triest als eine Kriegserklärung gegen Deutschland" zu betrachten. 3 Das war zwar ein Votum zugunsten Österreichs, immerhin aber von dem Bemühen gekennzeichnet, das Gesicht vor der Öffentlichkeit einigermaßen zu wahren. Es handelte sich, wie die „Neue Rheinische Zeitung" schrieb, um einen Beschluß, „der den Krieg gegen die italienische Revolution der Form nach weder billigt noch mißbilligt, der Sache nach aber ihn billigt"/* Die Paulskirchenliberalen verringerten ihre Zurückhaltung gegenüber der Italien- und Südtirolfrage in dem Maße, wie es Österreich gelang, seine Macht namentlich in Oberitalien wieder zu stabilisieren. Nunmehr war nicht nur die Gefahr gebannt, die Regierung in Wien durch eine proitalienische Entschließung möglicherweise in eine schwierige Lage zu bringen. Anfang August gab die „Oberpostamtszeitung" in einer mehrteiligen Artikelserie zu, daß es sogar gewichtige Gründe gab, die für ein sofortiges Aufgreifen der italienischen Frage sprachen. 5 Zunächst ging es der liberalen Regierungspartei in Frankfurt am Main darum, die Autorität der Paulskirchcnversammlung für die Schaffung einer militärstrategisch vorteilhaften Grenzlinie im Süden einzusetzen. Es handle sich bei der italienischen Frage, ließ die „Oberpostamtszeitung" verlauten, nicht nur „um den Bestand der österreichischen Monarchie, sondern ebenso auch um die Konsolidierung Deutschlands . . . Österreich mit Venedig und der Mincio-Linie gibt Deutschland eine andere Stellung als ein Österreich ohne diese Provinz." 6 Friedrich Engels hat rd. 10 Jahre später nachgewiesen, daß die Aufgabe Oberitaliens auf lange Sicht in jedem Falle politisch vorteilhaft für Deutschland sei, auch für ein integriertes Österreich. Selbst in militärstrategischer Hinsicht, machte Engels deutlich, war die Aufgabe 1 StB, Bd. 1, S. 229. 2 Vgl. ebenda, Bd. 2, S. 1547. 3 Ebenda, Bd. 1, S. 391. 4 8

NRiZ, Nr. 2 3 , 2 3 . 6 . 1 8 4 8 . FOPAZ, Nr. 216, 3. 8. 1848;

Nr. 217, 4. 8. 1848, 2. Beilage; Nr. 224, 11. 8. 1848, Beilage. 6 Ebenda, Nr. 216, 3. 8. 1848; MEW, Bd. 13, Berlin 1961, S. 242ff.

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

der Minciolinie für Deutschland als Ganzes ein hinnehmbarer Verlust, weil sie zwar die Defensivposition, keineswegs aber die Möglichkeiten zur Offensive schwächte. Ein weiteres Motiv für ein Einschalten der Paulskirchenversammlung in die Südtirol- bzw. italienische Frage lag in dem Bemühen, Österreich in seinem Vorgehen gegen die italienische Nationalbewegung den Rücken zu stärken, die habsburgische Regierung aber zugleich von einer extrem harten Politik in Oberitalien zurückzuhalten. Der Grund hierfür lag beinahe ausschließlich in der Furcht vor einem Eingreifen Frankreichs. „Gewiß", erklärte das Frankfurter Regicrungsorgan, „wird Deutschland Österreich in allen Forderungen unterstützen, die dem Recht und der höheren Politik angemessen sind; ebenso gewiß aber würde es auch im Sinne der Nachgiebigkeit und des Friedens wirken, wenn Österreich etwa weiter gehen sollte, als das Interesse Deutschlands es fordert. — Die deutsche Nation wird sich nicht aus Lust zu Vergrößerung eine offene Wunde schaffen wollen, durch welche ihre besten Kräfte nutzlos vergeudet würden." 1 Ein nicht zu unterschätzendes Motiv für den Anfang August plötzlich erkennbaren Eifer der Frankfurter Nationalversammlung und der provisorischen Zentralgewalt, in der Italienfrage mitzusprechen, war nicht zuletzt das Bemühen, sich selbst politisch zu profilieren. Daher wurde in Frankfurt auch energisch der eventuellen Übertragung des Schiedsrichteramtes an Großbritannien widersprochen. 2 Die Liberalen um Gagern und Schmerling ließen nun keine Zeit mehr verstreichen. Knapp eine Woche nach der Wiedereroberung Mailands kamen die Südtirol- und die italienische Frage zur Verhandlung. Die wiederum unter maßgeblicher Beteiligung von CasinoAbgeordneten erarbeitete Ausschußvorlage enthielt drei Forderungen: 1. Südtirol dürfe nicht aus dem Deutschen Bund ausgegliedert werden; 2. die von den Südtiroler Abgeordneten als Mindestzugeständnis geforderte Teilautonomie auf den Gebieten der Provinzialvertretung, der politischen Verwaltung und der Justiz sollte abgelehnt werden 3 ; statt dessen sollten die Antragsteller auf das bereits erwähnte Dahlmannsche Manifest vom 31. Mai 18484 verwiesen werden; 3. der provisorischen Zentralgewalt sei eine Vermittlungsrolle in dem österreichisch-italienischen Krieg zu empfehlen. 5 Diese Forderungen standen sämtlich mit der bereits skizzierten taktischen Linie der Paulskirchenmehrheit in Einklang: Aufrechterhaltung des Status quo in Südtirol, prinzipielle Billigung der habsburgischen Unterdrückungspolitik gegenüber dem italienischen Volk, militärische und diplomatische Absicherung der Südgrenze. Die von den Casino-Rednern v. Raumer und Schuler entwickelte Argumentation ähnelte dem in den Debatten über die polnische und tschechische Frage entwickelten Standpunkt des rechten Zentrums. Die Akzente lagen allerdings anders. So spielte die (pseudo^historisierende Beweisführung eine geringere Rolle als in den vorangegangenen Debatten über die Nationalitätenfrage. Die Betonung lag eindeutig auf der machtpolitischen Seite, auf den militärstrategischen Interessen Österreichs bzw. Deutschlands. Selbst der relativ gemäßigt auftretende preußische Historiker v. Raumer 6 machte keine Ausnahme. Er grenzte sich 1 2 3 « 5 6

FOPAZ, Nr. 217, 4. 8.1848, 2. Beilage. Ebenda, Nr. 216, 3. 8.1848. StB,Bd.2,S. 1547. Ebenda, Bd. 1, S. 183. Ebenda, Bd. 2, S. 1560. Wie eine Reihe seiner Fraktionskollegen hatte auch v. Raumer nach 1830 zu den liberalen Wortführern der Unabhängigkeit Polens gehört (vgl. derselbe, Polens Untergang, Leipzig 1832).

3. Die Südtirolfrage

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zwar von den Deutsch-Tiroler Nationalisten ab, die ein striktes Verbot aller Autonomieund Austrittsbestrebungen gefordert hatten, ließ aber keinen Zweifel an der prinzipiellen Billigung der österreichischen Unterdrückungspolitik in Südtirol und Oberitalien durch den propreußisch eingestellten Flügel des Casino. Die Interessen des Vaterlandes, so erklärte er, seien über die Rechte der Nationalität zu stellen. „Deutschland wolle lieber sterben als sich ergeben und vaterländischen Boden weggeben." 1 Raumers Fraktionskollege Schuler leitete das Recht zur Aufrechterhaltung des Status quo aus dem „Prinzip der Selbsterhaltung" her, aus der ,,welthistorische(n) Aufgabe der Deutschen, die fremden Nationalitäten heranzuziehen, sie zu durchdringen, sie für die Neuzeit zu reifen". 2 Den Verteidigern und Verfechtern der habsburgischen Nationalitätenpolitik wurde ihr Vorgehen auch diesmal durch die relativ schwache Gegenwirkung seitens der Linken erleichtert. Noch drei Tage vor der Debatte über die Südtirol- und die italienische Frage hatte die „Deutsche Reichstagszeitung" am 9. August 1848 vor einer unzeitgemäßen Wiederauffrischung des mittelalterlichen Reichsgedankens auf Kosten des italienischen Volkes gewarnt. 3 Auch in der eigentlichen Debatte bekräftigten die Vertreter der Linken die nationalen Rechte der Südtiroler im Rahmen des österreichischen Staaten Verbandes. Zur Unterstützung des lediglich von dem Südtiroler Abgeordneten a Prato verteidigten Antrages auf Austritt aus dem Bund vermochte sich die Linke nicht durchzuringen. Nauwerck, ein Mitglied der Fraktion Deutscher Hof, schloß die Aufkündigung des Bundesverhältnisses nicht aus, sofern die Mehrheit der Südtirolcr Bevölkerung dies wünsche. 4 Sein Fraktionskollege Vogt 5 und selbst W. Zimmermann 0 von der äußersten Linken — dieser freilich nicht während der Parlamentssitzung — hielten militärstrategische Überlegungen für einen legitimen Grund, um dieses Gebiet beim Bund zu belassen. Mit einer so wenig entschiedenen Haltung ließen sich freilich nicht einmal Teilerfolge gegen eine Phalanx der Zentren und Rechten erzielen. Alle drei Ausschußanträge erlangten ungefährdete Mehrheiten, ohne daß die Linke namentliche Abstimmungen zu beantragen für nötig erachtet hatte. 7 Auch die Debatte über die Südtirol- und die italienische Frage hatte den prinzipiellen Konsensus der äußersten Rechten und der überwiegenden Mehrheit der Paulskirchenliberalen mit dem Vorgehen der österreichischen Regierung gegenüber einem um seine Unabhängigkeit ringenden Volk erwiesen. Die partiellen, vor allem auf außenpolitische Erwägungen gegründeten Einwände gegen eine mögliche Überspitzung der österreichischen Nationalitätenpolitik gegenüber dem italienischen Volk waren dem prinzipiellen Bekenntnis zu dieser Politik untergeordnet. Im Grundsätzlichen waren sich namentlich die äußerste Rechte und die Mehrheit der Liberalen sowohl preußischer als auch österreichischer Provenienz einig. Er selbst, erklärte beispielsweise Radowitz drei Tage nach der Debatte, habe die Entscheidung für Habsburg herbeigeführt. „Der Dank der wohlgesinnten Österreicher war wirklich rührend." 8 Und die „Deutsche Zeitung" drückte am 22. August 1848 ihre „Bewunderung und Teilnahme über den wunderbaren und entscheidenden Sieg der öster1 StB, Bd. 2,1558. 2 Ebenda, S. 1552. 3 DRZ, Nr. 69,9.8.1848. 4 Stellungnahme von Nauwerck StB, Bd. 2, S. 1550f. 5 Stellungnahme von Vogt ebenda, S. 1555—1557. 6 Zimmermann, Wilhelm, Die deutsche Revolution, Karlsruhe 1848, S. 789. i StB, Bd. 2, S. 1559,1568. 8 Brief v. Radowitz' an seine Frau v. 15. 8. 1848 (BAF, ZSg 1/Na 154, Nachlaß v. Radowitz).

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Nationalitätenpolitik Preußens und Österreichs

reichischen Waffen" aus, einen „Sieg, der es auch des deutschen Namens und der deutschen Ehre ist".l Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, das Engagement der Gagern-Liberalen in bezug auf die Lage in Südtirol und Oberitalien nicht zuletzt als Zeichen dafür zu werten, daß innerhalb des rechten Zentrums die Entscheidung über Umfang und Charakter des zu schaffenden deutschen Staates noch nicht gefallen war. Demgegenüber gestaltete sich das Verhältnis zu Ungarn, das in der Frankfurter Nationalversammlung nur kurz gestreift und nicht Gegenstand einer parlamentarischen Aussprache wurde, etwas anders.

4. Die Revolution in U n g a r n Ungarn war der einzige Teil des habsburgischen Reiches, in welchem die Revolution bereits im Frühjahr 1848 einen vollen Sieg errungen hatte. So kam es auf den ersten Blick überraschend, daß die Paulskirchenliberalen dem revolutionären Ungarn gegenüber anfänglich eine zurückhaltende bis wohlwollende Haltung an den Tag legten. In Wirklichkeit lag diese Stellungnahme durchaus innerhalb des vorher skizzierten Spielraums bourgeoiser Außenpolitik, was vor allem mit der Doppelfunktion Ungarns zusammenhing. Einerseits war Ungarn selbst im revolutionären Umbruch begriffen, andrerseits fungierte es als Herrscher über eine Reihe innerhalb seiner weit vorgeschobenen Grenzen lebender slawischer Völker und nationaler Minderheiten. Die anfänglich positive Haltung der Gagern-Liberalen gegenüber dem revolutionären Ungarn widerspiegelte das prinzipielle Interesse an einer Stärkung der bürgerlichen Kräfte im internationalen Maßstab, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Verhältnisse in Ungarn von allem Anfang an anders lagen als in Polen bzw. in den tschechischen Ländern. Ein weiterer Punkt gegenseitigen Verständnisses lag in der gemeinsamen Ablehnung der revolutionären Unabhängigkeitsbestrebungen der von Ungarn unterdrückten Völkerschaften. So äußerte H. v. Gagern am 25. Mai 1848, wenige Tage vor der Eröffnung des Prager Slawenkongresses, gegenüber den Bevollmächtigten der ungarischen Regierung Szalay und Pázmándy bei der Überreichung ihres Beglaubigungsschreibens: Deutschland rechne sich den Bund mit Ungarn zur Ehre an und denke nicht im entferntesten daran, an der ungarischen Unabhängigkeit mäkeln zu wollen. Deutschland und Ungarn hätten einen gemeinsamen Feind. Das slawische Element wolle nicht nur ein Territorialreich bilden, sondern auch da, wo es nur als Minderheit existiere, über die anderen Nationalitäten herrschen. 2 Schließlich, auch dies ein Grund für den kurzzeitigen Flirt der Paulskirche mit der Unabhängigkeitsbewegung des ungarischen Volkes, spielten die Gagern-Liberalen bereits frühzeitig offensichtlich mit dem Gedanken, Ungarn als einen Gegenspieler Österreichs in ihr nationalpolitisches Konzept cinzubeziehen. Dessenungeachtet waren alle Äußerungen und Handlungen vorsichtigen Wohlwollens von Frankfurter Seite gegenüber Ungarn von Anfang an von Mißtrauen gegenüber allen revolutionären Bestrebungen des ungarischen Volkes begleitet. Dies fand zunächst seinen Ausdruck im Zurückschrecken vor einem klaren diplomatischen Schritt der Annäherung und setzte sich in einer im Verlauf der Krise zwischen Ungarn und Österreich immer deutlicher 1 DZ, Nr. 231,22. 8.1848. 2 Zitiert nach Nebring, Karl, Die Beziehungen Ungarns zur deutschen Nationalversammlung im Jahre 1848, in: Südost-Forschungen, Jg. 1977, S. 48.

4. Die Revolution in Ungarn

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werdenden Distanzierung vom revolutionären Ungarn fort. 1 An ihrer Haltung zum Freiheitskampf der von Preußen und Österreich unterdrückten Völker zeigte sich, daß ihr prinzipielles Interesse und ihre Bereitschaft zur Durchsetzung bürgerlichen Fortschritts in einer umgekehrten Relation zu ihrer Furcht vor revolutionären Aktionen des Volkes standen. Obgleich diese Tatsache grundsätzlich für alle Bereiche des politischen Wirkens der Bourgeoisie galt, ist in bezug auf ihre Haltung gegenüber der nationalrevolutionären Bewegung eine Besonderheit anzumerken. Zeigten sich die Liberalen in Deutschland bereit, gemäßigt konstitutionelle Bestrebungen unter den werktätigen Klassen wenigstens zeitweilig für ihre Interessen auszunutzen, so bedeuteten bei den um ihre Freiheit kämpfenden Völkern selbständige, auf nationale Unabhängigkeit zielende Aktionenein Gefahrensignal, welches sie zur Reduzierung ihrer eigenen Wünsche und zur Annäherung an das adligmonarchische Lager bewog. Erwies sich auch die Billigung der von der Adelsklasse in diesem Ressort betriebenen Politik für die Durchsetzung des bourgeoisen Führungsanspruchs als hinderlich, so gab es doch mehrere Faktoren, die diesen Annäherungsprozeß förderten. Zuallererst handelte es sich um das gemeinsame Interesse von Adel und Bourgeoisie bei der ökonomischen Ausbeutung jener Gebiete. Der Bourgeoisie war es möglich, ihre ökonomischen Interessen auch bei voller Aufrechterhaltung des bisherigen Unterdrückungsregimes ungeschmälert wahrzunehmen. Sie zeigte sich umso geneigter, die Nationalitätenpolitik der reaktionären Kräfte wenigstens zu tolerieren, als sich noch eine Chance für eine verfassungspolitische Übereinkunft mit der Adelsklasse bot. Die scharfe Gegnerschaft der Bourgeoisie gegenüber den für die Freiheit kämpfenden Nachbarvölkern resultierte nicht zuletzt aus dem Druck, den die Adelsklasse in Fragen der Außen- und Nationalitätenpolitik auf sämtliche antifcudalen Kräfte einschließlich der Bourgeoisie ausübte. Auf dem Territorium der von Preußen und Österreich unterdrückten Völker und Nationalitäten gaben die reaktionären Kräfte die ersten Proben ihrer sich allmählich wieder festigenden Macht. Hier begann der Weg, der sie schließlich auch wieder zu ihren Machtpositionen im Innern Deutschlands führen sollte. 1

Diese Wendung war sicher nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß Hof und Regierung inWien ihren Einfluß in verstärktem Maße geltend machten, um eine. Anerkennung des revolutionären Ungarn durch die Zentralgewalt zu vereiteln (vgl. Erzherzog Jobann von Österreich als Reicbsverweser. Der unveröffentlichte Briefwechsel mit Felix Fürst zu Schwarzenberg aus den Jahren 1848 und 1849, hrsg. v. E. Hoor, Wien (1981), S. 10f.).

Preisgabe des Geltungsanspruches. Die Gagern-Liberalen in der Septemberkrise 1848

1. Die Verschärfung des Verhältnisses zu Preußen Auf dem Hintergrund der sich seit Spätsommer 1848 in Deutschland verschärfenden politischen Auseinandersetzungen zwischen der demokratischen Volksbewegung und den konterrevolutionären Kräften erreichte die Frankfurter Nationalversammlung im September 1848 den ersten ihrer beiden großen Höhepunkte. Es war vor allem der Streit um die Schleswig-Holstein-Frage, der Ferment und Produkt des sich zuspitzenden Klassenkampfes in einem darstellte und in dem das Parlament mit dem Problem der „zweiten Revolution" gleichsam in sublimierter Form konfrontiert wurde. Die Verflechtung von parlamentarischem und außerparlamentarischem Geschehen in der Septemberkrise war so stark, die gegenseitige Wechselwirkung so ausgeprägt, daß es geboten scheint, zunächst einen Blick auf den Stand der allgemeinen politischen Auseinandersetzungen im Spätsommer 1848 in Deutschland zu werfen. Seit Mitte des Jahres begannen sich die Anzeichen zu mehren, daß der ins Stocken gekommene revolutionäre Prozeß allmählich wieder in Fluß geriet und das im Ergebnis der Märzrevolution vorübergehend entstandene Kräftegleichgewicht der sich anbahnenden Entwicklung bald nicht mehr standhalten würde. Immer deutlicher ließ sich erkennen, daß Volksbewegung und Adelsklasse mit ihren derzeitigen Positionen sich weder abfinden wollten noch konnten. Adel und Fürsten hatten ihre Stellung bekanntlich seit dem Frühsommer 1848 wieder stärken können, wobei ihnen vor allem zwei Umstände zu Hilfe gekommen waren: die Stärkung der konterrevolutionären Kräfte im internationalen Maßstab und die Nachgiebigkeit bzw. kompromißlerische Taktik der Bourgeoisie vor allem in den verschiedenen Parlamenten und Märzregierungen. Anfangs genötigt, sich vor allem auf die Sphäre konspirativer Tätigkeit zu beschränken und der liberalen Regierungspartei vielerlei Konzessionen zu machen, erlaubten es die Umstände den adlig-monarchischen Kräften, die Restaurierung ihrer Machtpositionen immer mehr auf direktem Wege, d. h. durch offenen, z. T. bewaffneten Kampf gegen die demokratischen Kräfte und die Beseitigung revolutionärer Errungenschaften, anzusteuern. Gleichzeitig gingen sie daran, sich vorwiegend in ländlich-konservativen Gebieten eine Massenbasis zu schaffen. Bereits am 3. Juli 1848 wurde der preußische „Verein für König und Vaterland", eine Interessenorganisation des konterrevolutionären Adels in Preußen, gegründet. Er verfolgte das Ziel, „alle an der Erstickung der revolutionären Bewegung interessierten Klassenkräfte und politischen Vereine zusammenzufassen, die die Massenbasis für eine starke konservative Partei bilden sollten". 1 Zu gleicher Zeit verschärfte die reaktionäre Kreuzzeitung ihren militanten Kurs; Berlin erlebte am 18. und 19. August die Tagung des hochkonservativen 1

Canis, Konrad, Verein für König und Vaterland 1848/49 in: Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland, Bd. 4, S. 298ff.

1. Die Verschärfung des Verhältnisses zu Preußen

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„Junkerparlaments". Die soziale Hauptstütze dieser prononciert antirevolutionären Bewegung bildete vor allem der in seiner überwiegenden Mehrheit extrem konservativ orientierte Adel. Ihre unmittelbaren politischen Hauptziele gegenüber Zentralparlament und Zentralgewalt in Frankfurt a. M. waren: die Stärkung des Partikularismus im allgemeinen und der Position des preußischen Staates im besonderen. Daher wurden auch die u. a. auf verfassungspolitischem Gebiet hervortretenden Selbständigkeitsbestrebungen der Paulskirchenliberalen, zumindest von der extremen Adelspartei in Preußen, mit Erbitterung bekämpft. Der sogenannte Huldigungserlaß des Frankfurter Reichskriegsministers Peucker, demzufolge das Militär in den Einzelstaaten (gemäß dem Gesetz über die Zentralgewalt) dem Reichsverweser unterstellt werden sollte, wurde in Preußen wie in den bedeutendsten anderen deutschen Staaten mißachtet. 1 Selbst der gemäßigt-konservative preußische Paulskirchenabgeordnete von Auerswald betrachtete diese Verfügung der provisorischen Zentralgewalt als einen unzumutbaren Eingriff in die Rechte Preußens. Peucker, so urteilte er, müsse gleich fortgejagt werden, „denn er hat einen Aufruhr zuwege gebracht, wie er seit dem März beinahe nicht existiert hat". 2 Paulskirchenabgeordnete mußten es sich auch gefallen lassen, während des Kölner Dombaufestes am 14. August 1848 vom preußischen König und von den preußischen Behörden als ungebetene Gäste behandelt zu werden. Der bei dieser Gelegenheit vorgetragene Machtanspruch des Monarchen ließ erkennen, daß er vorläufig nicht zu einem Arrangement mit der Paulskirchenversammlung bereit war. Bereits Wochen zuvor, im Juli, hatte Preußen in Frankfurt hinter den Kulissen Anstrengungen unternommen, den Partikularismus auf Kosten der Zentralgewalt zu stärken. Der Vertreter Preußens bei der Zentralgewalt Camphausen bemühte sich, seine Kollegen für die Schaffung eines kollektiven Organs der Bevollmächtigten der einzelstaatlichen Regierungen, mindestens aber für die Einführung regelmäßiger, fester Absprachen hinsichtlich des Vorgehens gegenüber Reichsregierung und Nationalversammlung zu gewinnen. 3 Einerlei, ob hierdurch der Bundestag faktisch zu neuem Leben erweckt oder ein Präjudiz hinsichtlich eines künftigen Reichsrates geschaffen werden sollte, zielte diese Initiative ebenfalls auf eine Schwächung der neugeschaffenen Reichsorgane. Preußens Absicht fand, wie eine Äußerung des Bremers Smidt deutlich werden läßt 4 , namentlich bei den Vertretern der kleineren mittel- und norddeutschen Staaten Resonanz; trotzdem verliefen die Bemühungen um eine Institutionalisierung der Bevollmächtigtengruppe zunächst im Sande, da vor allem den Mittelstaaten die Gefahr einer Mediatisierung durch Preußen zu groß erschien. 5 Die allgemeine Richtung dieser auf die Stärkung Preußens gerichteten und dem Geltungs1 Es handelte sich um einen Erlaß v. Peuckers, in dem u.a. verlangt worden war, daß die Truppen der deutschen Einzelstaaten dem Reichsverweser und damit der provisorischen Zentralgewalt huldigen sollten; Text des Erlasses in Dokumente %ur deutseben Verfassungsgeschichte, S. 278 f. 2 BAF, ZSg. 1/Na 52, Nachlaß v. Auerswald, Brief v. Auerswalds an Stellter (Königsberg) v. 3. 8. 1848. 3 StAD, Gesandtschaft Frankfurt am Main, Geschäftsverkehr des königlichen Bevollmächtigten mit den Bevollmächtigten der anderen Staaten 1848-1849, Bl. 906-907. 4 Smidt warf der Frankfurter Nationalversammlung u. a. vor, sie überspanne den Bogen, denn sie sei nicht berechtigt, sich Funktionen über die Verfassunggebung hinaus anzumaßen (BAF, ZSg. 1/Na 22, Nachlaß Smidt, Briefe Smidts an Heinrich Smidt v. 6. 8. und 3. 9. 1848). 5 StAD, Gesandtschaft Frankfurt am Main, Geschäftsverkehr . . ., Bl. 907. Erst Anfang 1849 intensivierte H. v. Gagern im Zusammenhang mit seinen Bemühungen um eine rasche Beendigung der Reichsverfassung den Kontakt mit den einzelstaatlichen Bevollmächtigten, mit denen er nunmehr auch offiziell in corpore verhandelte; s. Mob!., 'Robert, Lebenserinnerungen, S. 83f.

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

anspruch der Zentralgewalt zuwiderlaufenden Politik wurde von der gesamten Adelsklasse mindestens in den nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten grundsätzlich gebilligt. Gemäßigtere Vertreter rieten lediglich zu einem temperierten Vorgehen, veranschlagten die Risiken einer sich immer deutlicher abzeichnenden Konfrontation mit den revolutionären Kräften noch immer als zu hoch. Die sich „jetzt in Preußen erhebende Reaktion gegen die Zentralisierung ist natürlich", äußerte Radowitz, „aber sie kann zu den traurigsten Folgen führen, wenn der Riß weiter klafft. Die nächste Wirkung würde sein, daß unser König . . . den Thron verlassen müßte. Diese Katastrophe liegt näher als man denkt . . Auch Camphausen, bei aller Distanz zur Paulskirche dem Parlamentarismus grundsätzlich stärker zugeneigt als Radowitz, sah in den Augusttagen 1848 die Hauptgefahr nicht in dem Machtanspruch der Frankfurter Nationalversammlung, sondern — überraschenderweise — in ihrer Schwächung. Auch für ihn war die Paulskirchcnversammlung ein Faktor, der die Durchsetzung der preußischen Vormacht in Deutschland begünstigen sollte. Er billigte der Frankfurter Nationalversammlung durchaus nicht die verfassungspolitische Oberaufsicht zu, aber er sah nicht ganz zu Unrecht voraus, daß der Niedergang des Paulskirchenparlaments möglicherweise mit einem Wiederaufleben dezentralistischer Tendenzen unter den deutschen Einzelstaaten in Zusammenhang stehen konnte, welches der Erreichung des von ihm angestrebten Ziels hinderlich war. „Wir sind", schrieb er am 21. August seinem Außenminister, „. . . in ein neues Stadium getreten, welches beinahe als das Gegenteil desjenigen zu betrachten ist, in dem wir uns vor wenigen Wochen befanden. Damals lag die Gefahr in der Macht der Nationalversammlung, heute liegt sie in ihrer Schwäche, damals lag die Gefahr in der Schwäche der Einzelregierungen, heute liegt sie in ihrer Macht. Stößt sie (die Frankfurter Nationalversammlung — G. H.) fortgesetzt in ihrem Drange nach Taten auf Widerstand, vermag sie auch anerkannt nützliche und ersehnte Maßregeln nicht durchzuführen, so wird, wenn sie sich unterwirft, ihr geschwächtes Ansehen in Deutschland mit zunehmender Schnelligkeit sinken . . . und an die Stelle der deutschen Einheit, an die Stelle des alten Bundes werden sofort gegen Preußen gerichtete Bündnisse, sei es deutscher Staaten unter sich, sei es zwischen deutschen Staaten und Fremden treten. Wahrscheinlich wird aber die Versammlung sich nicht unterwerfen, sondern . . . zu den extremsten, rücksichtslosesten Beschlüssen und an das Volk appellieren." 2 In den Monaten Juli und August wuchs in demokratischen Kreisen des Volkes die revolutionäre Stimmung. Ursache hierfür war nicht nur Unruhe über die immer offener zutage tretenden reaktionären Bestrebungen, sondern auch Unzufriedenheit mit dem Stagnieren der Revolution, nicht zuletzt auch Enttäuschung über das bis dahin magere Ergebnis der Arbeit der Paulskirchenversammlung. Revolutionäre Arbeiter, Handwerksgesellen, Studenten verstärkten in wichtigen Zentren der Revolution, so in Berlin, Frankfurt am Main, im Rheinland und in Südwestdeutschland, ihre Agitations- und Versammlungstätigkeit. Am 20. Juli trat in Frankfurt am Main ein Kongreß der Gesellen und Arbeiter zusammen, auf dem über die Verbesserung der sozialen Lage und der beruflichen Ausbildung der Werktätigen beraten wurde. Marx und Engels und andere führende Mitglieder des Bundes der Kommunisten förderten die Zusammenarbeit zwischen kleinbürgerlichen Demokratenund Arbeitervereinen. Am 13. und 14. August schlössen sich in Köln Arbeiter- und demokratische Vereine der Rheinprovinz zusammen. Die Stimmung unter den teilweise nach weiteren revolutionären Aktionen drängenden Massen wurde durch Provokationen sei1 BAF, ZSg. 1/Na 154, Nachlaß v. Radowitz, Brief v. Radowitz' an seine Frau v. 1. 8. 1848. ZStAM, Rep. 75 b Nr. 18, Bericht Camphausens an das preußische Außenministerium v. 21. 8. 1848.

2

1. Die Verschärfung des Verhältnisses zu Preußen

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tens der Ultrakonservativcn oder offene Gewaltakte reaktionärer Militärs noch angeheizt. Am 31. Juli waren im schlesischen Schweidnitz während einer Demonstration Bürgerwehrmänner durch preußische Soldaten getötet worden. Wenige Tage später erlebte die Paulskirche tätliche Ausschreitungen preußischer Ultras gegen einen demokratischen Abgeordneten. Dieser Vorfall warf ein Schlaglicht auf die sich zuspitzende politische Situation, ließ das veränderte Klima auch innerhalb des Parlaments spüren. Während einer Debatte über die Amnestierung politisch Verfolgter in Deutschland am 7. August 1 hatte der Donnersberg-Abgeordnete Brentano auch die Rehabilitierung Friedrich Heckers verlangt. Von Vertretern der Rechten in seiner Rede immer wieder unterbrochen, hatte er sein Verlangen in pointierter Form ausgedrückt. „Wollen Sie", so erklärte er, an die Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung gewendet, „die, die in Baden die Waffen ergriffen haben, zurücksetzen gegen einen Prinzen von Preußen?" 2 Brentanos Äußerung führte zu Tumulten auf der Rechten und war für die stockpreußischen CasinoAbgeordneten v. Wartensleben und Plathner Grund genug, den Redner tätlich anzugreifen und auf Pistolen zu fordern. 3 Außerhalb der Paulskirche reagierte die Frankfurter Bevölkerung noch am Abend des 7. August mit Sympathiekundgebungen für Brentano; ostentativ wurde das Heckerlied gesungen. 4 Der Vorfall war in mehrfacher Hinsicht für die sich innerhalb und außerhalb der Paulskirchenversammlung immer deutlicher abzeichnende Krisensituation typisch. Er zeigte vor allem die sich verschärfende Frontstellung zwischen den demokratischen Kräften und militanten Anhängern Preußens. Brentanos Formel darf keinesfalls nur als rhetorische Floskel betrachtet werden; sie machte der liberalen Mehrheit im Grunde genommen die Alternative klar, vor die sie sich gestellt sah, und zwar mit sich immer mehr verringerndem Spielraum. Wenn sie sich die Chance zur Verwirklichung ihres konstitutionellen Programms erhalten wollte, mußte sie der Volksbewegung entgegenkommen. Wenn sie ihre Frontstellung gegenüber den demokratischen Kräften beibehielt, schädigte sie ihre eigenen Interessen ebenso, wie sie dem Vormarsch der Konterrevolution den Weg ebnete. Der erwähnte Vorfall zeigt aber auch, daß Meinungsterrorismus und physische Bedrohung Andersdenkender von nun an seitens der Rechten immer mehr als Mittel zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner gebraucht wurde. Er macht schließlich die enge Verflechtung zwischen parlamentarischem und außerparlamentarischem Geschehen deutlich sowie die revolutionäre Unruhe unter den Massen, das aufmerksame Verfolgen auch der Vorgänge in der Paulskirche. — All diese Symptome der heraufziehenden Krise verdienen besondere Beachtung bei der Untersuchung der politischen Taktik der Liberalen in der Septemberkrise, denn sie zeigen wichtige Veränderungen in den politischen Wirkungsbedingungen der parlamentarischen Vertretung der Bourgeoisie an. Für die seit Frühjahr 1848 in den verschiedenen einzelstaatlichen Regierungen amtierenden Märzminister wurde es seit dem Sommer immer schwieriger, die Taktik des Lavierens und der scheinbaren Neutralität nach beiden Seiten beizubehalten. Adel und Fürsten waren von nun an immer weniger gesonnen, Rücksicht auf die Bourgeoisie zu nehmen. Und die revolutionären Kräfte des Volkes forderten immer nachdrücklicher Entscheidungen und Maßnahmen gegen die Konterrevolution. 1 StB, Bd. 2, S. 1415 ff. 2 Ebenda, S. 1438. 3 Ebenda; vgl. ferner Beriebt des Abgeordneten der Fraktion Donnersberg Reinhard, in:BHW, Nr. 44, 20. 8.1848; Beriebt des Abgeordneten der Fraktion Donnersberg Reinstein, in: Bürger, Nr. 31, 18. 8. 1848. 4 BHW, Nr. 44,20.8.1848; MB, Nr. 97,15.8.1848. 7

Hildebrandt, Gagern

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

Bereits am 9. August hatte die Berliner Nationalversammlung gefordert, die preußische Regierung möge die Armee endlich von reaktionären Elementen säubern. Das hatte politische Auseinandersetzungen ausgelöst, in deren Verlauf das Kabinett Auerswald-Hansemann zu demissionieren gezwungen war. Aber selbst in Kreisen der gemäßigten Liberalen tat sich Unzufriedenheit über die ihrer Ansicht nach viel zu geringen Fortschritte bei der Verwirklichung einer konstitutionellen Reformpolitik kund. „Wo wir die Sonde auch hinlegen", erklärte beispielsweise das Organ der liberalen Regierungspartei in Frankfurt am Main Ende August 1848, „immer werden wir aufs Neue dahin geleitet, daß die Nationalversammlung den seitherigen Gang ihrer Verhandlungen verlassen und sich zu den Hauptgegenständen ihrer Tätigkeit wenden müsse." 1 Mit anderen Worten, die Paulskirche sollte schnellstens die Reichsverfassung zum Abschluß bringen, ehe der verfassungspolitische Handlungsspielraum durch machtpolitische Entscheidungen zugunsten der konterrevolutionären Kräfte weiter eingeengt wurde. Zwei weitere, auf den ersten Blick einander widersprechende Momente bestärkten namentlich die Frankfurter Liberalen in ihrer Besorgnis und ihrem Unbehagen über die veränderte politische Situation: einerseits die sich immer stärker zur Geltung bringenden Bestrebungen partikularistischer Kräfte einschließlich Preußens und andererseits die Abstinenz, welche ebenderselbe preußische Staat hinsichtlich seiner „deutschen Mission" übte. „Deutsche Zeitung" und „Frankfurter Oberpostamtszeitung" waren ein ausgezeichnetes Barometer für die sich im Verlaufe des Monats August unter den Liberalen der Paulskirchenversammlung allmählich ändernde Stimmung. Noch am 31. Juli war die Prognose der „Deutschen Zeitung" zuversichtlich: „Wir begreifen die geschlossene, verschlossene Haltung der Regierung und Abgeordneten von Preußen, von Bayern, von Hannover, . . . die Demonstrationen der Provinzen, die nach Berlin drohen und auf Frankfurt zielen, wir begreifen alle Hindernisse, welche sich jener (deutschen — G. H.) Bewegung entgegenstemmen. Aber wir sagen es voraus, die Bewegung wird sich nicht an den Hindernissen brechen, sondern die Hindernisse werden von der Bewegung zerbrochen werden, wenn sie nicht selbst und früher sich beseitigen. Einen deutschen Bürgerkrieg halten wir für möglich, aber eine Reaktion im Sinne irgend eines Partikularismus nicht." 2 Zehn Tage später, nach der Huldigungsfarce vom 6. August, zeigte sich das Blatt zwar in seinem Vertrauen auf Preußen noch immer ungebrochen, beurteilte die Lage jedoch nicht mehr ganz so optimistisch: „Wir sehen in Preußens unbestrittener Hegemonie das einzige Heil für unser Vaterland. Aber es kann kommen, daß wir wie vor dem März dieses Jahres künftig wiederum als preußenfeindlich in Preußen verschrien werden, wenn wir

Preußens Feind in Preußen angreifen müssen."3 Noch einen deutlichen Schritt weiter ging zwei Tage vor Bekanntwerden des Malmöer Waffenstillstandes in der Mainmetropole auch diesmal die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" : „Fährt Preußen fort, sich außerhalb der hiesigen Verhandlungen zu halten . . ., so ist die Zentralgewalt gezwungen, vor allen Dingen diesen passiven Widerstand zu beseitigen, somit angriffsweise gegen die preußische Regierung zu verfahren . . . Ist einmal dieser Weg betreten, so ist schwer zu sagen, wann und wie man ferneren Umwälzungen in Deutschland wird Einhalt tun können. Alsdann erst werden die sämtlichen Monarchen Deutschlands für ihren Fortbestand zittern müssen, denn es gibt nichts Unbarmherzigeres 1 FOPAZ, Nr. 238, 28. 8. 1848, Beilage. 2 DZ, Nr. 212, 31. 7. 1848. 3 Ebenda, Nr. 222, 11. 8.1848.

2. Die Schleswig-Holstein-Frage

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als eine gesetzgebende Versammlung, die das Schwert der Gerechtigkeit zu ihrer Selbsterhaltung führt." 1 Man geht wohl nicht fehl, diese Ankündigung als eine Verbaldrohung zu betrachten, die vor allem dazu dienen sollte, Preußen auf den Weg einer Übereinkunft mit der Frankfurter Nationalversammlung zu zwingen. Es war immerhin aufschlußreich für die Stimmung, welche in jenen Wochen unter den Frankfurter Liberalen herrschte, daß diese den Versuch unternahmen, Preußen durch Drohungen und nicht durch Konzessionen gefügig zu machen.Bemerkenswert ist auch, daß sich die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" zu gleicher Zeit, wiederum im Gegensatz zur „Deutschen Zeitung", mit Bekenntnissen zur Hegemonie Preußens in Deutschland und zu einem „konstitutionellen deutschen Preußen" 2 zurückhielt. All dies waren keinesfalls Anzeichen einer grundsätzlichen Umorientierung der Paulskirchenliberalen bzw. einer ihrer Fraktionen. Aber es darf mindestens als Bestätigung dafür gewertet werden, daß der in den Debatten über national-revolutionäre Bewegungen der Nachbarvölker Deutschlands sichtbar gewordene Kurs der weitgehenden Anpassung der Liberalen gegenüber der Machtpolitik Preußens und Österreichs noch nicht so fest eingefahren war, daß Korrekturen undenkbar blieben. Die wachsende Labilität der politischen Lage, das immer anmaßendere Verhalten der konterrevolutionären Kräfte, das Ausbleiben der erwarteten Gegenleistungen seitens des Vereinbarungspartners — all dies ließ ein Abweichen von der bisher gewohnten taktischen Linie seitens der Bourgeoisliberalen in den nunmehr bevorstehenden großen parlamentarischen Auseinandersetzungen der Paulskirche unter Umständen zu. Damit ergab sich aber die Möglichkeit von Mehrheitsbildungen für eine selbstbewußte und antipartikularistische Parlamentspolitik, welche die Vertreter des rechten Casino-Flügels und Exponenten einer betont antidemokratischen Politik zu erhöhten Anstrengungen und besorgten Prophezeiungen veranlaßte: „Es war . . . eine absolute Notwendigkeit, den Sitzungen der Nationalversammlung beizuwohnen", schrieb Schmerling, „weil man keinen Tag sicher war, ob nicht Anträge zur Debatte gebracht würden, deren Annahme die allerunangenehmsten Komplikationen für die Regierung (das Reichsministerium — G. H.) zur Folge gehabt hätte. 3 " Dies war die Ausgangssituation, als die Beratung der Frankfurter Nationalversammlung über die Schleswig-Holstein-Frage Anfang September 1848 in ihr entscheidendes Stadium trat. 2. Die Schleswig-Holstein-Frage Das Schleswig-Holstein-Problem befand sich bereits seit dem Vormärz in der Schwebe. Die beiden Herzogtümer mit ihrer überwiegend deutschen Bevölkerung 4 waren bis 1848 1 FOPAZ, Nr. 239, 29. 8.1848. 2 Dies wurde von der „Deutschen Zeitung" als Voraussetzung für die Verwirklichung der Hegemonie Preußens in Deutschland gefordert (DZ, Nr. 222, 11. 8. 1848). — Max v. Gagern, der auf der Reise nach Schleswig-Holstein in Berlin einen „bösen, unrühmlichen Geist" konstatierte, konterte die verächtliche Bemerkung eines englischen Diplomaten über die Frankfurter Nationalversammlung mit den Worten: er bedaure, daß sie „die Revolution nur halb gemacht hätten, sonst würde er nicht so reden können" (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Max an H. v. Gagern v. 15. 8. 1848). 3 4



ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Reichsministerium, Bl. 25. Nach einer zeitgenössischen Darstellung ( J . v. W., Schleswigsche Zustände, geschrieben im Hauptquartier der Reichsarmee zu Apenrade), in: Neueste Weltkunde, Jg. 1848, Bd. 4, S. 176) seien im gesamten Schleswig zwei Drittel der Bevölkerung für eine Vereinigung mit Deutschland gewesen.

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

durch Personalunion mit Dänemark verbunden. Bedingt durch die Zugehörigkeit Holsteins zum Deutschen Bund (der König von Dänemark war gleichzeitig deutscher Bundesfürst) einerseits sowie durch die verbriefte Unteilbarkeit der beiden Herzogtümer andrerseits, besaßen sowohl Schleswig als auch Holstein einen Sonderstatus innerhalb des dänischen Staates, der durch eine äußerst komplizierte verfassungspolitische Konstellation gekennzeichnet war: auf der einen Seite waren beide Teil des dänischen Königreiches, auf der anderen Seite bestand eine direkte bzw. indirekte verfassungsrechtliche Zugehörigkeit zum Deutschen Bund. Nach dem Tode des dänischen Königs Christian VIII. im Janaar 1848 beabsichtigte die Regierung in Kopenhagen, den Sonderstatus von Schleswig zu beseitigen und das nördliche der beiden Herzogtümer voll in den dänischen Staat zu integrieren, was angesichts der Unteilbarkeitsklausel faktisch auch eine Verletzung der Interessen Holsteins bedeutet hätte. Demgegenüber machte der Repräsentant der augustenburgischen (deutschen) Linie des regierenden Königshauses, Christian August von Schleswig-Holstein-SonderburgAugustenburg, unter Verweis auf die verbriefte Unteilbarkeit der beiden Herzogtümer sein Erbfolgerecht für Holstein und Schleswig geltend. Die seit dem Vormärz in beiden Herzogtümern aktive nationaldeutsche Bewegung verstärkte nunmehr ihre Bestrebungen für den Anschluß beider Teile an Deutschland. Sie fand beim deutschen Volke und zunächst auch in Kreisen der Bourgeoisie, ja selbst bei Teilen der gemäßigten Adelsfraktion lebhafte Resonanz. Die Forderung nach dem Anschluß Schleswig-Holsteins an Deutschland war ihrem Wesen nach etwas gänzlich anderes als etwa das Begehren chauvinistischer deutscher Kreise nach der Eingliederung polnischer oder tschechischer Gebiete. Die Schleswig-Holstein-Bewegung des deutschen Volkes gründete sich nicht auf machtpolitische Interessen der Ausbeuterklassen, sondern, wie es die „Neue Rheinische Zeitung" pointiert ausdrückte, auf das „Recht der Zivilisation gegen die Barbarei, des Fortschritts gegen die Stabilität . . . das Recht der geschichtlichen Entwicklung". Bei dem bald darauf in und um Schleswig-Holstein ausbrechenden Krieg handelte es sich infolgedessen von Seiten Deutschlands, wie das Blatt mit Recht hervorhob, um einen Revolutionskrieg 1 . Die nationaldeutsche Bewegung in Schleswig-Holstein hatte sich durch ihr bürgerlich-revolutionäres politisches Programm als historisch fortschrittlich legitimiert. Sie hatte die Aufhebung der Zensur und die Vereins- und Versammlungsfreiheit durchgesetzt sowie ein fortschrittliches Wahlrecht erkämpft. Eine provisorische Landesregierung konstituierte sich, die die Absetzung des dänischen Herrschers in Schleswig-Holstein proklamierte. Als die dänische Regierung am 21. März 1848 mit der vollen Eingliederung Schleswigs Ernst zu machen begann und Truppen einmarschieren ließ, richtete der Augustenburger ein Hilfeersuchen an Preußen. Die formelle Beauftragung mit der Exekution durch den Bund erfolgte am 4. April. Preußen setzte daraufhin eine Interventionsarmee unter Wrangel in Marsch, die am 10. April die Eider überschritt, gemeinsam mit Verbänden der einheimischen Bevölkerung Schleswig rasch säuberte und bald nach Jüdand eindrang. Die Motivation des preußischen Vorgehens war mehrschichtig. Preußen war einerseits bemüht, diese Gelegenheit zum Aufpolieren seines nationalen Images in Deutschland zu nutzen. In mindestens ebenso starkem, wenn nicht noch stärkerem Maße spielten jedoch auch andere taktische Überlegungen eine Rolle. Durch die Intervention in Schleswig-Holstein sollte für Preußen die Möglichkeit geschaffen bzw. erhalten werden, die dortige bür1

NRiZ,

Nr. 9 9 , 1 0 . 9 . 1848.

2. Die Schleswig-Holstein-Frage

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gerlich-nationale Bewegung soweit zu kontrollieren, daß ihre stimulierende Wirkung auf die Revolution in Deutschland möglichst gering blieb. 1 Ferner gedachte Preußen darüber zu wachen, daß die Rechte der dänischen Krone nicht mehr als unumgänglich nötig angetastet wurden. Vor allem aber sollte der Gang der Ereignisse so gestaltet werden, daß ein Konflikt mit anderen interessierten europäischen Großmächten — England, Rußland, Schweden — möglichst vermieden wurde. Die Intervention Englands führte denn auch zum einstweiligen Stopp des preußischen Vormarsches. Als Lord Palmerston am 19. Mai einen Vermittlungsvorschlag vorlegte, der die Teilung Schleswigs vorsah, zog sich Preußen eigenmächtig, ohne Absprache mit Bundestag bzw. Frankfurter Nationalversammlung, aus Jütland und Nordschleswig zurück. Dieser Rückzug gab der Paulskirchenversammlung Veranlassung, sich am 9. Juni erstmalig mit der Schleswig-Holstein-Frage zu beschäftigen. Bereits in dieser ersten kurzen Debatte 2 wurde die Frontstellung deutlich, die die Auseinandersetzung über das Problem bis Anfang September kennzeichnete. Preußen sah sich einer Parlamentsmehrheit gegenüber, welche nicht nur das eigenmächtige Vorgehen der Berliner Regierung mißbilligte und für sich selbst die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich aller Schritte gcgenüberDänemark beanspruchte. Sie sprach sich auch für eine solche Lösung der Schleswig-Holstein-Frage aus, die der „Ehre" der Nation gerecht wurde. 3 Das Eintreten der Paulskirchenliberalen für die Interessen Schleswig-Holsteins war ohne Zweifel auch von nationalistischen Motiven mitbestimmt. Daher blieben in ihren Äußerungen und Stellungnahmen beispielsweise die Interessen der in Schleswig lebenden dänischen Minderheit durchweg unberücksichtigt. In den wichtigen Belangen entsprach jedoch diesmal die Haltung auch der Bourgeoisievertreter einem historisch berechtigten Verlangen der Mehrheit der Bevölkerung Schleswig-Holsteins. Hierin stimmten auch am 9. Juni 1848 alle 21 Redner, von denen 11 dem Casino angehörten 4 , im wesentlichen überein. Strittig war anfänglich dagegen die Beurteilung des Rückzugs der preußischen Truppen aus Nordschleswig. Diese Seite des Problems war keinesfalls nur von untergeordneter Bedeutung, weil sich aus der Mißbilligung des Rückzugs die Konsequenz einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen ergeben konnte. Im Unterschied zu dem gemäßigten Antrag des völkerrechtlichen Ausschusses setzte sich namentlich von den die schleswig-holsteinischen Wahlkreise vertretenden Casino-Abgeordneten Waitz und Dahlmann geltend gemachte entschiedene Auffassung durch. 5 Die Frankfurter Nationalversammlung faßte demgemäß mit großer Mehrheit den Beschluß, „daß die Schleswigsche Sache als eine Angelegenheit der deutschen Nation zu dem Bereich ihrer Wirksamkeit gehört und verlangt, daß energische Maßregeln getroffen werden, um 1

So berichtete der preußische Gesandte in Kopenhagen v. Schoultz an Außenminister v. Arnim am 6. 4. 1848, er habe dem dänischen Außenminister weisungsgemäß mitgeteilt, Preußen sei dafür, „daß von Seiten der Fürsten der Austrag (des Konflikts — G. H.) geschehe, nicht aber durch die Völker". Es sei davon auszugehen, „daß von einer nordalbingischen Republik in der Tat die Rede sei und nicht bloß in Gedanken". Vgl. GStA, III. H. A., Nr. 327, Bl. 135.

2 StB, Bd. 1, S. 270ff. 3 Diesen Standpunkt vertrat H. v. Gagern auch in seinen Gesprächen mit Usedom (GStA, III. H. A., Nr. 42, Bl. 16; Bericht Usedoms an das preußische Außenministerium v. 6. 7. 1848). « Dahlmann (StB, Bd. 1, S. 273f.), Francke(ebenda, S. 274f.), v. Schmerling (S. 275f.), v. Raumer (S. 281 f.), Michelsen (S. 283ff.), F. Zachariä (S. 285f.), Stavenhagen (S. 286f.), Gülich (S. 287f.), J. Grimm (S. 289f.), Waitz (S. 290f.), Heckscher (S. 292 ff.). 5 Ebenda, S. 272f.

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den Krieg zu Ende zu führen, daß aber bei dem Abschluß des Friedens mit der Krone Dänemarks das Recht der Herzogtümer Schleswig und Holstein und die Ehre Deutschlands gewahrt werde". 1 Die weitere Entwicklung in Schleswig-Holstein wurde Zug um Zug von einer Verschärfung des Verhältnisses zwischen Berlin und Frankfurt begleitet. Paulskirchenmehrhcit und provisorische Zentralgewalt engagierten sich allmählich derart, daß ein Kurswechsel von ihrer Seite aus bald nur noch mit dem Verlust des Gesichts erkauft werden konnte. Zunächst handelte Preußen unter Ignorierung des Beschlusses der Frankfurter Nationalversammlung einen ersten Waffenstillstand mit Dänemark aus, der die Interessen der Bevölkerung Schleswig-Holsteins kraß verletzte. Er sah nicht nur die Räumung von preußischen Truppen, sondern auch den Rücktritt der bis dahin in den Herzogtümern amtierenden provisorischen antidänischen Regierung vor. 2 Der Paulskirche blieb nichts anderes übrig, als sich erneut mit der Schleswig-Holstein-Frage und diesmal auch mit dem Tatbestand ihrer Desavouierung durch Preußen zu beschäftigen. 3 Auch die erneute Debatte wurde wiederum von Casino- (namentlich Schleswig-Holsteinischen) Liberalen initiiert. 4 Diesmal erwiesen sich jedoch die moderierenden Kräfte innerhalb der Parlamentsmehrheit stärker als die aktiven Schleswig-Holsteiner. Die Majorität wollte es nicht riskieren, den zunächst erst inoffiziell bekannt gewordenen Waffenstillstand in aller Form zurückzuweisen. Sie ging daher über alle Waffenstillstandsprobleme zur Tagesordnung über, nicht ohne allerdings noch einmal die Entscheidungsbefugnis über Krieg und Frieden — wie es das Gesetz über die provisorische Zentralgewalt vorsah — ausdrücklich für den Reichsverweser zu beanspruchen und ein energisches Einschreiten gegen „jeden notorischen Versuch, die Ehre Deutschlands bloßzustellen", anzukündigen. 5 Preußen erklärte sich daraufhin zum Einlenken bereit. Es erweckte den Anschein, auf die Wünsche der provisorischen Zentralgewalt einzugehen, und ersuchte um Ausstellung einer entsprechenden Vollmacht. Gleichzeitig forderte es den zu Gesprächen nach Berlin entsandten Beckerath auf, dafür zu sorgen, daß die Verhandlungen mit Dänemark nicht durch die Frankfurter Nationalversammlung gestört wurden. „Ich bitte daher dringend", schrieb dieser an das Reichsministerium, „dafür zu sorgen, daß nicht neue Verletzungen Preußens durch Interpellationen oder sogenannte Dringlichkeitsanträge vorkommen und Beseler, Bassermann und andere einflußreiche Mitglieder der Versammlung mit der Lage der Dinge bekannt zu machen, damit sie zu jenem Zwecke mitwirken." 6 Die ausgehandelten Waffenstillstandsbestimmungen hatten nicht nur innerhalb des Frankfurter Parlaments Kritik ausgelöst. Selbst der preußische Oberkommandierende Wrangel zeigte sich unzufrieden. Eine Neuaufnahme der Verhandlungen war unumgänglich. So mußte sich Preußen am 7. August 1848 zur Entgegennahme einer Verhandlungsvollmacht seitens der provisorischen Zentralgewalt bequemen, durch welche die Waffenstillstandsverhandlungen faktisch aus dem Bereich der Geheimdiplomatie herausgelöst wurden. Gleichzeitig wurde den preußischen Unterhändlern M. v. Gagern als Vertreter der provisorischen 1 Ebenda, S. 295. Es handelte sich um den sogenannten ersten Malmöer Waffenstillstand vom 2. 7. 1848; vgl. Weimar, Volker, Der Malmöer Waffenstillstand von 1848, Neumünster 1959, S. 19. 3 StB, Bd. 2, S. 817ff. 4 Vgl. die Anträge von Duncker sowie Claussen, Esmarch und anderen, ebenda, S. 817. 5 Ebenda, S. 827 f. 6 ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Beckerath an Schmerling v. 26. 7. 1848.

2

2. Die Schleswig-Holstein-Frage

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Zentralgewalt beigegeben, der indessen die Interessen der Reichsregierung nicht sehr wirkungsvoll zu vertreten wußte. 1 Preußen wurde lediglich bevollmächtigt, im Namen der Zentralgewalt zu verhandeln. Damit wurde der zu vereinbarende Waffenstillstand zugleich auch ratifikationspflichtig durch die Frankfurter Nationalversammlung. 2 Die Vollmacht war fernerhin an eine Beauflagung gebunden. Danach sollten alle Verordnungen der provisorischen schleswig-holsteinischen Landesregierung in Kraft bleiben. Vor Abschluß des Waffenstillstandsabkommens sollte eine schleswig-holsteinische Regierung in einer für die dortige Bevölkerung annehmbaren Zusammensetzung gebildet werden. Und die bereits seitens der Zentralgewalt angeordnete Verstärkung der in Schleswig-Holstein stehenden Truppen durch 32000 Mann aus den süddeutschen Staaten wurde nicht rückgängig gemacht. 3 Genau 19 Tage später schloß Preußen einen Waffenstillstand mit Dänemark ab, der in Geist und Buchstaben seiner Vollmacht völlig widersprach. 4 Erneut wurde die Räumung der Herzogtümer von allen Truppen festgelegt. Durch die Teilung der schleswig-holsteinischen Armee in einen schleswigschen und einen holsteinischen Teil wurde das Prinzip der Unteilbarkeit der beiden Herzogtümer faktisch preisgegeben. Am gravierendsten war jedoch die vorgesehene Bestallung des prodänisch eingestellten Grafen von Moltke-Nütschau zum Präsidenten der zu bildenden schleswig-holsteinischen Regierung. Preußen setzte seiner Eigenmächtigkeit die Krone auf, indem es keinerlei Ratifikationsvorbehalt für die Frankfurter Nationalversammlung durchgesetzt hatte. Der Eklat war vollkommen und der Konflikt zwischen Frankfurt am Main und Berlin unvermeidbar, sofern beide an der bis dahin eingeschlagenen Linie festhielten. Aber jetzt, wo sich in Deutschland die Anzeichen einer politischen Krise mehrten und sich auch die Konsequenzen eines Konflikts zwischen Frankfurter Nationalversammlung und preußischer Regierung immer deutlicher abzuzeichnen begannen, wurden viele Frankfurter Zentrum-Liberale, die bis dahin in der Schleswig-Holstein-Frage Front gegen Preußen gemacht hatten, wieder unsicher und schwankend. Erfahrungen aus der Geschichte der Revolution von 1848/49 zeigen, daß solche Unsicherheit seitens der Bourgeoisie im Zusammenhang mit politischen Krisensituationen zumeist der Vorbote ihrer Annäherung gegenüber Adel und Fürsten war. 1 M. v. Gagern mißbilligte zwar brieflich wiederholt die preußische Verhandlungsführung, was ihn jedoch nicht daran hinderte, sich zum Fürsprecher preußischer Forderungen zu machen. So forderte er am 22. 8. 1848 den Herzog v. Augustenburg entsprechend einem Ersuchen v o n General v. Below auf, während der Dauer der Waffenstillstandsverhandlungen die Herzogtümer zu verlassen. „Um Preußen nicht hinderlich zu sein", erklärte sich M. v. Gagern sogar selbst bereit, dem Verhandlungsort Malmö fernzubleiben. V g l . B A F , FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, M. v. Gagern an H. v. Gagern v . 15. u. 26. 8 . 1 8 4 8 . 2

Damit war eine Lage entstanden, die, wie Usedom bereits am 15. 7. 1 8 4 8 deutlich gemacht hatte, den V o r teil brachte, daß Preußen gegenüber der Zentralgewalt gedeckt war. Gleichzeitig behielt die Berliner Regierung soweit die Fäden in der Hand, daß sie durch die rasche A u s f ü h r u n g eines auch v o n der Paulskirche nicht genehmigten Waffenstillstandes diese jederzeit v o r vollendete Tatsachen stellen konnte ( G S t A , III. H. A . , Nr. 42, Bl. 2 2 f f . ; Bericht Usedoms an das preußische Außenministerium v. 15. 7. 1848).

3 Weimar, Volker, Der Malmöer Waffenstillstand, S. 34. 4 Ebenda, S. 46 f f .

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

3. Die Ablehnung des Waffenstillstandes von Malmö Reichsjustizminister Robert Mohl hatte schon am 23. August 1848 an seine Frau geschrieben, die Schleswig-Holstein-Frage stehe weit übler, „als man im Publikum weiß und als wir auf der Tribüne sagen können". 1 Am 31. August, am Tage des Bekanntwerdens des Waffenstillstandes in Frankfurt am Main, umschrieb er das Dilemma, dem sich viele Paulskirchenliberale in der Schleswig-Holstein-Frage gegenübersahen: „Nicht ratifizieren heißt vielleicht Krieg mit halb Europa, jedenfalls ein großes Zerwürfnis mit Preußen und große Mißstimmung in allen norddeutschen Gegenden, annehmen heißt das (Reichs G. H.) Ministerium unmöglich machen. Heckscher scheint böses Spiel gespielt zu haben und wird wohl springen müssen. Allein, wie es dann weiter geht und wie weit es geht, ist gar nicht abzusehen." 2 Wie Mohl andeutete, war es namentlich die norddeutsche Handelsbourgcoisie, die in dem sofortigen Abschluß eines wie immer gearteten Waffenstillstandes mit Dänemark das sicherste Mittel zur Überwindung der zeitweiligen Stagnation ihrer Geschäfte erblickte. Nicht zufällig sprach daher der Frankfurter Börsenbericht vom 1. September auch von einem sehr „freundlichen" Aussehen der Finanzlage: „Der bekannt gewordene Abschluß des Waffenstillstandes mit Dänemark wirkte sehr vorteilhaft auf den Stand sämtlicher Fondsgattungen." 3 Die Meinungsbildung zur Schleswig-Holstein-Frage war in den Zentrumsfraktionen der Frankfurter Nationalversammlung in den ersten Septembertagen auffallend diffus und hektisch. Davon zeugen nicht nur einander widersprechende Äußerungen und Stellungnahmen liberaler Parlamentarier, sondern auch die sich in rascher Folge ablösenden Beratungen der zuständigen parlamentarischen Gremien, wo die Standpunkte teilweise hart aufeinander prallten. Im Casino wurde eine verschiedenartige Flügelbildung sichtbar. Es handelte sich zunächst nur um jeweils eine Fraktionsminderheit, welche sich eindeutig für die Sistierung (Dahlmann, Waitz, Claussen) bzw. für die Billigung des Waffenstillstandes (Heckscher, Mathy, v. Schmerling u. a.) aussprach. Die Majorität der Fraktion schwankte anfangs, zeigte hinter den Kulissen jedoch noch vor Eintritt in die Debatte vom 5. September mehr und mehr Neigung, die ursprünglich gegenüber Preußen eingenommene konträre Position zu revidieren. Dic^s wurde schon in der Stellungnahme des Reichsministeriums zum Waffenstillstand vom 3. September deudich. Unmittelbar nach Eingang der offiziellen Benachrichtigung durch Preußen hatte sich das Kabinett erstmalig mit dem Malmöer Abkommen befaßt/' Die Entrüstung über die Desavouierung der provisorischen Zentralgewalt durch Preußen war allgemein. Reichsminister R. Mohl hatte noch einen Tag zuvor für den Fall, daß das Kabinett nicht energisch genug auf den Eklat reagiere, sogar seinen Rücktritt erwogen, wobei er die bemerkenswerte Feststellung traf: „Unsere Gefahren liegen nicht gegen außen, sondern im Innern." 5 Er ließ sich jedoch von Schmerling umstimmen. Bei der Kabinettsmehrheit offenbarte sich jetzt die Neigung, den Waffenstillstand aus politischen Gründen, unter 1 2 3 4

BAF, ZSg. 1/Na 141, Nachlaß R. Mohl, R. Mohl an seine Frau v. 23. 8. 1848. Ebenda, Brief R. Mohls an seine Frau v. 31. 8. 1848. FOPAZ, Nr. 242,1. 9.1848. Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 150f.; BAF, ZSg. 1/Na 41, Nachlaß Leiningen, Aufzeichnungen, S. 71 f. 5 BAF, ZSg. 1/Na 141, Nachlaß R. Mohl, Brief R. Mohls an seine Frau v. 2. 9. 1848.

3. Die Ablehnung des Waffenstillstandes von Ma!mö

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dem Zwang der Umstände, zu akzeptieren. Hierzu rieten nicht nur vor allem Schmerling und die gleichfalls der Casino-Fraktion angehörenden Minister Heckscher und Beckerath, sondern auch ihre anderen Kabinettskollegen, namentlich der mit dem englischen Königshaus verwandte Ministerpräsident Fürst zu Leiningen. 1 Letzterer entwickelte eine „realpolitische" Argumentation, die in zunehmendem Maße von den Kabinettsmitgliedern und der überwiegenden Mehrheit des rechten Zentrums übernommen und deren erster Teil wenigstens realistisch wirkte. Preußens Eigenmächtigkeit, erklärte Leiningen, habe zwar dazu geführt, daß „die ganze Existenz der Zentralgewalt auf dem Spiele" stehe. „Eine Verständigung oder ein entschiedener Bruch sind unvermeidlich, und es müssen ungesäumt die nötigen Schritte getan werden, um hier Entscheidungen herbeizuführen." 2 Andererseits sprächen das Interesse der Mehrheit des deutschen Volkes, die Konstellation der europäischen Großmächte und die Abhängigkeit von Nationalversammlung und provisorischer Zentralgewalt gegenüber Preußen dafür, den Waffenstillstand zu akzeptieren. Ob hiermit bereits das Nachgeben gegenüber Preußen signalisiert wurde, oder ob es sich lediglich um den Versuch handelte, Preußen lieber durch Konzessionen anstatt durch Konfrontation zur Zusammenarbeit zu gewinnen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicherlich spielten beide Erwägungen eine Rolle. Die preußische Regierung und ihr Bevollmächtigter in Frankfurt am Main durften eine solche Beurteilung der Lage jedenfalls beruhigt als Zeichen des Einlenkens seitens der provisorischen Zentralgewalt werten. Angesichts der bei der Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung zunächst vorherrschenden Stimmung hielt es das Reichsministerium jcdoch in diesem Augenblick noch nicht für ratsam, eine definitive Stellungnahme zu formulieren. Droysen, der wie eine Reihe anderer schleswig-holsteinischer Abgeordneter den Waffenstillstand anfangs mißbilligte, hatte die Minister „flehentlich" darum gebeten, „daß sie die Sache auf eigene Verantwortung zum Abschluß bringen und dann vor die Versammlung treten möchten". 3 Nur der preußische Casino-Abgeordnete und Unterstaatssekretär im Handelsministerium Gustav Mevissen habe sich, so berichtete Droysen, seiner Ansicht angeschlossen. Die Linie der Kabinettsmehrheit war es zunächst, Zeit zu gewinnen und nach einem Weg zu suchen, der die Annahme des Waffenstillstandes ermöglichte, ohne das Gesicht gegenüber Preußen und der Öffentlichkeit völlig zu verlieren und die Stimmung innerhalb der Frankfurter Nationalversammlung weiter zu verschärfen. In der Parlamentssitzung vom 4. September bestätigte sich die Befürchtung des Reichsministeriums, daß es sehr fraglich war, ob die Zustimmung der Versammlungsmajorität zum Waffenstillstand erlangt werden konnte. Die Stimmung in der Paulskirche war zunächst äußerst erregt. 4 Reichsaußenminister Heckscher vollführte einen wahren Eiertanz, um dem Anliegen der Reichsregierung Gehör zu verschaffen, ohne das Parlament allzu offen zu 1

2 3 4

ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Reichsministerium, Bl. 70f. Laube berichtet, daß sich vor allem v. Schmerling für die Annahme des Waffenstillstandes eingesetzt habe. Mevissen und auch Beckerath hätten sich ihm am lebhaftesten angeschlossen. Widenmann (Unterstaatssekretär im Justizministerium), Fallati (Unterstaatssekretär im Handelsministerium) sowie Robert Mohl seien zunächst dagegen gewesen, hätten ihre Ansicht jedoch im Verlaufe des 4. 9. geändert {Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 209 f.). BAF, ZSg. 1/Na 41, Nachlaß Leiningen, Aufzeichnungen, S. 71 f. Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, hrsg. v. R. Hübner, Bd. 1, Berlin, Stuttgart, Leipzig 1929, S. 826. Vgl. Depesche Camphausens an Ministerpräsident v. Auerswald v. 4. 9. 1848: Die Stimmung in der Versammlung ist leidenschaftlich (GStA, III. H. A., Nr. 46, Bl. 77).

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brüskieren. Er wollte einerseits den Anschein vermeiden, die Ratifikationsbefugnis des Frankfurter Parlaments anzutasten, meinte jedoch andererseits, die Entscheidung über den Rückzug der deutschen Truppen aus Schleswig-Holstein sei rein militärischer Natur und falle nicht in die Kompetenz der Nationalversammlung; sie sei vielmehr ausschließlich eine Angelegenheit der Exekutive, also der provisorischen Zentralgewalt. 1 Heckschers Forderung wurde von den Gegnern des Waffenstillstandes (vor allem äußerste und gemäßigte Linke und Mehrheit des linken Zentrums) als eine derartige Zumutung empfunden, daß der Abgeordnete Compes verlangte, den Minister von der nachfolgenden Ausschußberatung über die Waffenstillstandsfrage auszuschließen. 2 Bassermann 3 , Beseler 4 , Gesinnungs- und Fraktionsgenossen Heckschers, konnten dem Reichsaußenminister nicht offen zur Seite stehen. Sie sahen sich deshalb gezwungen, mit der bewährten dilatorischen Taktik zu operieren und „Besonnenheit", vollständige Vorlage des Aktenmaterials, Aufschub der Verhandlungen usw. zu fordern. Auch dies gelang nicht in dem gewünschten Maße. Ein Antrag Wigards (gemäßigte Linke), die Rückberufung der deutschen Truppen aus Schleswig-Holstein sofort zu stoppen, 5 ließ sich nämlich nur dadurch abfangen, daß auf Verlangen des Casino-Abgeordneten Waitz der Aufschub der Waffenstillstandsberatungen auf 24 Stunden begrenzt wurde. 6 Dahlmann formulierte fünf Fragen an Heckscher, die die entscheidenden Punkte bzw. Mängel des Waffenstillstandes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten und das Reichsministerium zwingen sollten, Farbe zu bekennen. Diese Punkte waren: das fernere Schicksal der provisorischen Regierung Schleswig-Holsteins, die Besetzung des Präsidentenpostens in der zu bildenden Regierung, die Trennung der schleswigschen von den holsteinischen Truppen, die Dauer des Waffenstillstandes, die für die beiderseitigen militärischen Positionen von nicht geringer Bedeutung war. Die fünfte, alles entscheidende Frage an Heckscher lautete: Sind die an Dänemark gemachten Zugeständnisse „unter Genehmigung des Reichsministeriums des Auswärtigen erfolgt, oder beabsichtigt das Ministerium, seine Genehmigung zu versagen?" 7 Ungeachtet dessen entwickelte sich der Meinungstrend innerhalb des rechten Zentrums bereits vor Beginn der Debatte vom 4. September nolens volens hin zu einer Akzeptierung des Waffenstillstandes. In den Meinungsverschiedenheiten zwischen Dahlmann und Heckscher personifizierten sich durchaus nicht die Fronten des Septemberkonfliktes, wohl aber die Meinungsunterschiede innerhalb der tonangebenden liberalen Gruppierung in der Frankfurter Nationalversammlung über die einzuschlagende Taktik in der allmählich herangereiften Krise. Rolle und Verhalten der Gruppe um Dahlmann bewiesen, daß es bei einer kleineren Gruppe von Casino-Abgeordneten im September 1848 Ansätze zu einer echten Politik nationaler Verantwortung gab. Dies ließ sich bereits in den Beratungen der zuständigen Ausschüsse zur Vorbereitung der Sistierungsdebatte verfolgen. Sofort nach Beendigung der Aussprache vom 4. September, mittags um 12.15 Uhr, zusammengerufen, mußten sich die Ausschüsse für völkerrechtliche und internationale Verhältnisse und für die Zentralgewalt zunächst vertagen. Die 1 StB, Bd. 3, S. 1866. Ebenda, S. 1870; dieser Antrag konnte von der Mehrheit des Parlaments nur dadurch abgewehrt werden, daß Heckscher zusagte, sich an der Abstimmung im Ausschuß nicht zu beteiligen (ebenda). 3 Ebenda, S. 1867.

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< Ebenda, S. 1865. 5 Ebenda, S. 18696 Ebenda. 7 Ebenda, S. 1862.

3. Die Ablehnung des Waffenstillstandes von Malmö

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Reichsregierung hatte die Vorlage der einschlägigen Aktenstücke erst für 17 Uhr zugesagt. Auch am späten Nachmittag waren die Drucksachen erst unvollständig 1 beisammen, so daß Heckscher noch einmal Gelegenheit erhielt, persönlich auf die Ausschußmitglieder einzuwirken. Sein Appell, aus den bekannten Gründen von der Sistierung des Waffenstillstandes abzusehen, blieb indessen erfolglos. Die Mehrheit der Ausschüsse, einschließlich einiger Casino-Abgeordneter (Dahlmann, v. Mayern), sprach sich dafür aus, die Ausführung des Waffenstillstandes zu stoppen, wählte Dahlmann zu ihrem Berichterstatter und beauftragte ihn, dem Plenum einen entsprechenden Antrag zu unterbreiten. Nunmehr sah sich das Reichsministerium in einer äußerst bedrohlichen Lage, und es war außerdem in akute Zeitnot geraten. Leiningen rief am Vormittag des 5. September das Kabinett erneut zusammen. Die ebenfalls für 9 Uhr angesetzte Parlamentssitzung wurde auf seinen Antrag um drei Stunden verschoben. 2 Da alle dilatorischen Bemühungen nur wenig gefruchtet hatten, beschloß man nun, ein schwereres Geschütz aufzufahren. Leiningen schlug seinen Amtskollegcn vor, daß das „Ministerium aus der Anerkennung des Waffenstillstandes eine Kabinettsfrage mache, daß dagegen das Ministerium, die Stellung, welche Preußen der Zentralgewalt gegenüber angenommen, vollkommen erkennend, sofort sein Bestreben dahin richten werde, diese innere Angelegenheit einer der Erhaltung der Ehre der Zentralgewalt günstigen Lösung zuzuführen". 3 Das Kabinett stimmte zu. Es bekannte sich einstimmig „aus unabweisbaren Gründen" zu der „Notwendigkeit, nicht auf die Verwerfung des Waffenstillstandes anzutragen". Die gleichzeitig erhobene Forderung, Preußen und die anderen Staaten sollten „die bestimmte und ausdrückliche Anerkennung des Gesetzes vom 28. Juni 1848 nach seinem ganzen Umfange" 4 aussprechen, war in diesem Zusammenhang kaum geeignet, etwas in der Waffenstillstandsfrage zu bewirken. Damit war klar: die für den 5. September angesetzte Sistierungsdebatte mußte nicht nur eine wichtige Vorentscheidung über die Ratifizierung des Malmöer Waffenstillstandes, sondern bereits auch die Entscheidung über das Schicksal des Reichsministeriums Leiningen mit sich bringen. Namens der Majorität der vereinigten Ausschüsse forderte Dahlmann nach Wiederöffnung der Sitzung vom 5. September dessenungeachtet die Frankfurter Nationalversammlung auf, sie möge „die Sistierung der zur Ausführung des Waffenstillstandes ergriffenen militärischen und sonstigen Maßregeln beschließen". 5 Acht Redner sprachen für, 6 zehn gegen 7 seinen Antrag. Es waren fast ausschließlich Abgeordnete der Linken (H. Simon, L. Simon, Wesendonck, Blum, W. Zimmermann), die sich für die Sistierung einsetzten. Obwohl Dahlmann ca. 12—14 Casino-Abgeordnete (einschließlich einiger in den ersten Septembertagen zum Landsberg übergehenden Abgeordneten) hinter sich wußte, erhielt er in der Debatte selbst von dieser Seite keinen Beistand. Dagegen ließ die 1

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Dies geht aus dem von Dahlmann am 5. 9. im Namen der vereinigten Ausschüsse erstatteten Bericht hervor (ebenda, S. 1880—1882); vgl. auch Niederschrift Dahlmanns über die Ausschußsitzung von 4. 9. (Nachlaß Friedrich Dahlmann, B 17, Bl. 40, Deutsche Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung). Vgl. Erklärung H. v. Cagerns vor der Frankfurter Nationalversammlung Z" Beginn der ursprünglich für 9 Ubr angesetzten Sitzung(StB, Bd. 3, S. 1874). BAF, ZSg. 1/Na 41, Nachlaß Leiningen,Aufzeichnungen, S. 71 f.; vgl. auch Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 152. Erklärung v. Schmerlings vor der Frankfurter Nationalversammlung am 5. September 1848 (StB, Bd. 3, S. 1884). Ebenda, S. 1881. Dahlmann, H. Simon, W. Zimmermann, Wesendonck, Engel, Blum, L. Simon, Wurm. Schubert, v. Peucker, v. Schmerling, Degenkolb, Bassermann, Wichmann, v. Radowitz, v. Beckerath, Heckscher und v. Lichnowsky.

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ratifikationsbereite Mehrheit des rechten Zentrums keinen Zweifel, daß sie ihr ganzes Gewicht zugunsten des Waffenstillstandes in die Waagschale zu werfen gedachte. Sieben von den zehn Befürwortern des Waffenstillstandes waren Casino- bzw. LandsbergAbgeordnete, unter ihnen vier Minister bzw. Unterstaatssekretäre (v. Schmerling, Heckscher, Beckerath, Bassermann).1 Die Mehrzahl von ihnen behielt die bereits tags zuvor praktizierte Taktik bei, die darauf hinauslief, die Sistierung als eine gänzlich untergeordnete Frage zu bagatellisieren, deren Behandlung ohne Schaden aufgeschoben werden könne, ja müsse und die rein exekutiver Natur sei. Dem stand freilich entgegen, daß das Ministerium die gesamte Angelegenheit zur Kabinettsfrage gemacht hatte. Kein Vertreter der Rechtsliberalen ließ sich denn auch durch die Behauptung von der Nichtigkeit des Sistierungsproblems davon abhalten, gewichtige Gründe für die Ratifikation des Waffenstillstandes ins Feld zu führen, von denen freilich keiner neu war: Furcht vor einem internationalen Konflikt, Angst vor einem Zerwürfnis mit Preußen, die Machtlosigkeit der provisorischen Zentralgewalt. Namentlich die Kabinettsmitglieder Bassermann und Beckerath brachten dies deutlich zum Ausdruck. 2 Gemessen an ihrem Auftreten in den vorangegangenen Parlamentsschlachten, waren die Stellungnahmen der meisten Rechtsliberalen am 5. September von taktischer Vorsicht geprägt. Statt sachlicher Gründe wurden vielfach Opportunitätserwägungen zugunsten des Waffenstillstandes angeführt, anstelle von nationaler „Leidenschaft" wurde „staatsmännische Berücksichtigung der Verhältnisse der Wirklichkeit" empfohlen.3 Hierfür gab es mehrere Gründe: so die Furcht vor scharfen Reaktionen der Öffentlichkeit, die den Waffenstillstand ziemlich einhellig verurteilte, ferner die offenbar noch immer nicht restlos gefestigte Meinungsbildung innerhalb des rechten Zentrums. Es scheint, daß die pessimistischen Stimmungsberichte aus dem liberalen Lager in diesen Tagen keineswegs nur Alibifunktion gegenüber der Öffentlichkeit besaßen. Dies bestätigt beispielsweise auch der Rapport des sächsischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt Kohlschütter an seine Regierung in Dresden/' Selbst der Casino-Abgeordnete Mathy, meistens einer der treuesten Parteigänger Preußens innerhalb des rechten Zentrums, zügelte seine Erbitterung über den Wortbruch der Berliner Regierung diesmal nur aus „höherer Einsicht": „Gegen Preußen vorzugehen und Rechenschaft zu verlangen, waren wir entschlossen. Aber Europa gegen Deutschland zu hetzen, wollten wir nicht verantworten." 5 Erstmals während einer Parlamentsdebatte von außerordentlichem politischem Gewicht in der Frankfurter Paulskirche gab es unter den sonst sieggewohnten Casino-Liberalen an diesem 5. September Zweifel über den diesmaligen Ausgang. Daher der inständige Appell Beckeraths an die abtrünnigen schleswig-holsteinischen Liberalen um Dahlmann, welche im Begriffe standen, die Sistierungsdebatte zugunsten der Waffenstillstandsgegner zu entscheiNeben den erwähnten Kabinettsmitgliedern handelte es sich um Schubert, Degenkolb und Wichmann. 2 Rede Bassermanns, StB, Bd. 3, S. 1888ff.; v. Beckeraths ebenda, S. 1898ff. 3 Vgl. Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 114£.; Dxckwi/z, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 82ff.; BAF, ZSg. 1/Na 22, Nachlaß Smidt, Briefe Smidts an seinen Sohn; ebenda, Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Briefe Giesebrechts an seine Frau; ebenda, Na 141, Nachlaß R. Mohl, Briefe R. Mohls an seine Frau; ebenda, Na 148, Nachlaß Pagenstecher, Briefe Pagenstechers an seinen Bruder — sämtlich aus der ersten Hälfte des Monats September 1848. 4 StAD, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Bericht Kohlschütters an das sächsische Außenministerium v. 6. 9-1848. 5 Aus dem 'Nachlaß von Karl Matbj. Briefe aus den Jahren 1846-1848, hrsg. v. L. Mathy, Leipzig 1898, S. 376. 1

3. Die Ablehnung des Waffenstillstandes von Malmö

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den: „Ihr Männer von Schleswig. Ihr gehört ja zu uns, wir haben uns ja mit Euch auf immer verbunden und durch unser Blut den Bruderbund besiegelt; aber wir setzen auch voraus, daß Ihr, wie Ihr bisher treulich mitgearbeitet habt am Friedenswerke der Einigung, nun nicht den Feuerbrand hineinschleudern werdet in die Nation, daß Ihr Deutschland, welches Euch mit offenen Armen empfing, nun auch ein Opfer zu bringen imstande seid." 1 Dahlmann und seine Gesinnungsgenossen waren zunächst nicht bereit, ihre Position zu revidieren. Auch der Sprecher der Abweichlergruppe 2 übersah nicht die Gefahr eines internationalen Konfliks im Falle der Ablehnung des Waffenstillstandes. Aber er veranschlagte den Schaden, der sich im entgegengesetzten Fall für Deutschland und SchleswigHolstein ergab, für höher als ein solches Risiko. Dahlmann folgte nicht den kurzsichtigen Opportunitätserwägungen der überwiegenden Mehrheit seiner Fraktionskollegen, welche glaubten, durch Nachgiebigkeit gegenüber Preußen ihrem eigenen Werke zu dienen. Er bewies politischen Weitblick, indem er erkannte, daß eine provisorische Zentralgewalt, die in einer so wichtigen Frage kapitulierte, aller Voraussicht nach weder im In- noch im Ausland fernerhin respektiert werden würde: „Unterwerfen wir uns bei der ersten Prüfung, welche uns naht, den Mächten des Auslands gegenüber kleinmütig bei dem Anfange, dem ersten Anblick der Gefahr, dann, meine Herren, werden Sie Ihr ehemals stolzes Haupt nie wieder erheben!" 3 Dahlmann hielt es nicht zuletzt mit der von den Paulskirchenliberalen bei jeder Gelegenheit zitierten nationalen Ehre für unvereinbar, wenn Schleswig-Holstein so leicht preisgegeben werden sollte. Ohne Zweifel schwangen in dieser Erklärung jedoch auch nationalistische Untertöne mit. Aber es ist nicht zu leugnen, daß Dahlmann hier als Fürsprecher eines in der Hauptsache berechtigten nationalen Anliegens auftrat. Die Dahlmann-Gruppe stand diesmal hinter einer nationalen Bewegung, welche sich durch ihre politischen Ziele und ihren sozialen Charakter als historisch fortschrittlich legitimiert hatte. Und das berechtigte Anliegen der schleswig-holsteinischen Bewegung wurde seitens dieser Liberalen nicht — wie zuvor in ähnlich gelagerten Fällen — zum Vehikel eindeutig überzogener Machtansprüche verwendet. Die Liberalen um Dahlmann wichen in bezug auf die Beurteilung der Schleswig-HolsteinFrage in dreierlei Hinsicht von der Linie der Casino-Mehrheit ab: durch die Unterstützung der bürgerlich-antifeudalen nationalen Bewegung in den beiden Herzogtümern gegen die Einmischung einer fremden Macht, durch das Zurückweisen des Partikularismus und durch das Eintreten für die Interessen der bürgerlichen deutschen Zentralgewalt. Dies alles waren Elemente einer fortschrittlichen und von allzu starker Rücksichtnahme auf Adel und Fürsten freien bürgerlichen deutschen Nationalpolitik. Dieser Neuansatz liberaler Politik hielt jedoch, wie sich zeigte, nicht der Belastung durch die sich weiter zuspitzende parlamentarische und politische Krise stand, er krankte von vornherein auch an Antidemokratismus. Sah sich die Gruppe um Dahlmann durch ihr Festhalten an der antipartikularistischen nationalen Linie einerseits nach links gedrängt, so vermied sie andererseits ängstlich jeden Gedanken an ein programmatisch fundiertes Bündnis selbst nur mit der parlamentarischen Linken. Ein Zusammenstehen in der Sistierungsfrage und gemeinsames Abstimmungsverhalten freilich waren längst in den Bereich des Möglichen gerückt. Die sachliche Basis der sich am 5. September in der Paulskirche erstmals abzeichnenden ge1 StB.Bd. 3, S. 1900. 2 Rede Dahlmanns ebenda, S. 1800 ff. 3 Ebenda, S. 1882.

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meinsamen Front von Liberalen der beiden Zentren sowie der Fraktionen der Linken war sehr schmal; sie bestand eigentlich nur im Eintreten für die Interessen der Frankfurter Zentralgewalt. „Wir hatten", schrieb Heinrich Laube, einer der Gefolgsmänner Dahlmanns, über die Linke, „nichts mit ihnen gemein in dieser schmerzlichen Frage als die Aufrechterhaltung der Einheitsautorität; als die Sicherstellung der Zentralgewalt. Alles übrige, Mittel wie Zweck, hatten wir nicht mit ihnen gemein." 1 Bewußt stellten die Redner der Linken deshalb gerade diesen Punkt, mit dem sich ihre Kritik am Waffenstillstandsabkommen im übrigen keinesfalls erschöpfte, mit in den Mittelpunkt ihrer Stellungnahmen. 2 „Was sollen wir tun?", rief Ludwig Simon aus. „Wir wollen unsere Zentralgewalt stützen . . . Wir schließen uns an den bestehenden Zustand an, wir wollen nicht entweder alles oder nichts gewinnen, verlangen aber, daß die Macht und Ehre der Zentralgewalt und dieser Versammlung nicht verletzt werde. Auch der „Württemberger Hof" hielt die Desavouierung der Zentralgewalt für so schwerwiegend, daß er die Sistierung des Waffenstillstandes zur Parteifrage machte. 4 Damit waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Rechten erstmals in einer wirklich gravierenden Frage durch eine völlig neuartige parlamentarische Koalition eine Niederlage zugefügt werden konnte. Mit 238 : 221 Stimmen siegten am Abend des 5. September die Befürworter der Sistierung. 5 Mit den Fraktionen der Linken hatten nahezu der gesamte Württemberger Hof 6 und 13 Abgeordnete des rechten Zentrums (Casino und Landsberg) gestimmt. 7 4. Die parlamentarische Krise Formal betrachtet, war am 5. September nur die Sistierung, d. h. der Stopp der Ausführung des Waffenstillstandes beschlossen worden. In Wirklichkeit war, wie Schmerling zu Recht bemerkte, hiermit natürlich „die Frage der Verwerfung unzertrennlich verbunden". 8 Folgerichtig erklärte deshalb auch das Kabinett Leiningen noch am Abend des 5. September, eine halbe Stunde nach Beendigung der Parlamentssitzung, seinen Rücktritt. Dahlmann erhielt noch am selben Tage, gegen 20 Uhr, vom Reichsverweser den Auftrag zur Regierungsneubildung. 9 1 2

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Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 202. H. v. Gagern und seine Vertrauten hatten mit einer derartig krassen Mißachtung der Interessen der provisorischen Zentralgewalt durch Preußen bis zuletzt offenbar nicht gerechnet (vgl. BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Biegeleben an H. v. Gagern und Heinrich an Hans Christoph v. Gagern v. 28. 8. 1848). StB, Bd. 3, S. 1901 f. Vgl. Hqym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 152. Abstimmung: StB, Bd. 3, S. 1912-1917. Mit Ausnahme der Abgeordneten Bresgen, Schmidt (Berlin) und Teilkampf. Dahlmann, Droysen, Schuler, Gülich, Wedekind, Francke, Grimm, Laube, v. Mayern, Michelsen, Waitz, H. Zachariä, Zittel. Die von Eyck (Deutschlands große Hoffnung, S. 345) angegebenen und hiervon geringfügig abweichenden Zahlen sind wahrscheinlich dadurch zu erklären, daß Eyck den beiden Zentren offenbar einige fraktionslose Abgeordnete zugezählt hat. Interessant ist die von ihm ferner vorgenommene Aufschlüsselung des Abstimmverhaltens nach der Zugehörigkeit der Abgeordneten zu den einzelnen deutschen Staaten. Mehr als vereinfacht erscheint freilich seine Schlußfolgerung, „daß die Vorbehalte gegen den Waffenstillstand zunahmen, je ferner die Abgeordneten den durch den Krieg aufgeworfenen Problemen standen" (ebenda, S. 357). StB, Bd. 3, S. 1905. Süddeutsche Politische Zeitung, Nr. 216, 9. 9.1848.

4. Die parlamentarische Krise

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Er nahm unverzüglich Verhandlungen mit Vertretern der Linken, des linken Zentrums und anderen liberalen Politikern, zum Teil auch mit Nichtparlamentariern auf, nicht erfolglos, wie es zunächst erschien. Inoffizielle Kabinettslisten begannen zu kursieren. Der CasinoAbgeordnete Siemens nannte bereits am 6. September Wurm (Unterstaatssekretär im Außenministerium), Compes (Finanzen) und v. Mayern bzw. den preußischen Oberstleutnant Fischer (Krieg) als voraussichtliche neue Minister. 1 Einen Tag später bezeichnete der Korrespondent des demokratischen „Trierer Volksblatts" v. Stockmar, [H. oder M.] Simon, Stedmann, Mittermaier und v. Arnim-Suckow 2 , letzterer Exponent einer antizaristischen preußischen Außenpolitik, als Kandidaten. Am 9. September nannte derselbe Berichterstatter die Regierungsneubildung sogar schon eine vollzogene Tatsache. 3 In Wirklichkeit waren Dahlmanns Bemühungen zu diesem Zeitpunkt bereits gescheitert, gescheitert letztlich vor allem an der Inkonsequenz der liberalen Abweichler. Die logische und politische Konsequenz der am 5. September ausgesprochenen Sistierung bedeutete nichts anderes als die Verwerfung des Malmöer Abkommens selbst. Dies aber mußte, wie Friedrich Engels nachwies 4 , mindestens zur politischen Kampfansage an Preußen führen, wenn das Votum nicht ein papierner Akt bleiben sollte. Nur ein antipartikularistisches und nationales Programm wäre eine tragfähige Grundlage für eine Gemeinschaftsregierung der aus der Abstimmung vom 5. September als Sieger hervorgegangenen parlamentarischen Kräfte und Fraktionen gewesen. Hierzu war die Gruppe um Dahlmann jedoch von Anfang an nicht bereit. Der zur Waffenstillstandspartei zählende Casino-Abgeordnete Giesebrecht konstatierte dies bereits am 7. September mit Befriedigung: „Viele, die gegen uns gestimmt haben, mit dem Wunsche, überstimmt zu werden [!], sahen, was sie angerichtet und wollten einlenken." 5 Mathy machte die gleiche Beobachtung. 6 Die intensiven Bemühungen der Waffenstillstandspartei und die sich zuspitzende politische Krise taten ein übriges, nahezu alle Vertreter der opponierenden liberalen Gruppe Schritt für Schritt wieder in das gewohnte Fahrwasser liberaler Politik zurückzuführen. Wichtig war vor allem, daß es der Casino-Führung gelungen war, Dahlmann gegenüber seinen Gesinnungsgenossen vom 5. September zu isolieren, wodurch sich die Möglichkeit einer ausreichenden Mehrheit gegen den Waffenstillstand wesentlich verschlechterte. Die Frankfurter Nationalversammlung erreichten in jenen Tagen zahlreiche, zumeist noch vor dem 5. September abgesandte Protestadressen gegen den Waffenstillstand von Malmö. 7 Sie verrieten, daß der Sistierungsbeschluß im Volke fast ausnahmslos bejaht wurde und infolgedessen geeignet war, die revolutionäre Bewegung zu stimulieren. Eine Reihe von Vertretern der Paulskirchenlinken verurteilte den Waffenstillstand auf Versammlungen auch außerhalb Frankfurts 8 , was vom Volke begrüßt, von der äußersten Rechten und dem rechten Zentrum jedoch mit Argwohn vermerkt wurde. Hier verdichtete sich immer mehr eine Anti-Dahlmann-Stimmung. Haym berichtete, die 1

BAF, Z S g . 1/Na 46, Nachlaß Siemens, Brief G. Siemens an A d o l p h Siemens v. 6. 9. 1848.

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TVB, Nr. 73, 10. 9 . 1 8 4 8 .

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Ebenda, Nr. 75, 13. 9 . 1 8 4 8 .

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Vgl. Strej, Joachim/' Winkler, Gerbard, Marx und Engels 1848/49, S. 95.

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BAF, Z S g . 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Brief Giesebrechts an seine Frau v . 7. 9. 1848, so auch Camphausen ( G S t A , III. H. A., Nr. 46, Bl. 9 9 ; Bericht C.s an Ministerpräsident v . Auerswald v . 7. 9. 1848).

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Aus dem Nachlaß von Karl Mathj, S. 376.

? Vgl. StB, Bd. 3, S. 1962 bzw. 2 0 0 5 f . 8

V g l . Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 125.

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Preisgabe des Gcltungsanspruchs

erste Reaktion des rechten Zentrums auf die erlittene Niederlage sei Niedergeschlagenheit, Verwirrung und Ratlosigkeit gewesen. 1 Giesebrecht warf Dahlmann vor, er habe den Sistierungsbeschluß voreilig herbeigeführt. 2 Und der Börsenbericht der „Frankfurter Oberpostamtszeitung" vom 6. September ließ deren Leser wissen, wie die Finanzbourgeoisie auf die Abstimmung vom 5. September reagierte: „Die gestern Abend durch die Nationalversammlung gefaßten Beschlüsse in Hinsicht des Waffenstillstandes mit Dänemark gaben unseren Spekulanten Veranlassung zu Befürchtungen für mögliche Konflikte. Es waren heute fast nur Verkäufer und durchaus keine geneigten Käufer am Markt . . ," 3 Am 8. September trat ein, was der gut beobachtende Bremer Konservative und Bevollmächtigte bei der Zentralgewalt Smidt schon drei Tage zuvor prophezeit hatte 4 : Dahlmann gab seinen Auftrag zur Regierungsneubildung an den Reichsverweser zurück. Damit war ein Versuch gescheitert, der, wie auch Laube bestätigte, eigentlich von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hatte, da die opponierenden Casino-Liberalen und die Paulskirchenlinke außer der gemeinsamen Ablehnung des Malmöer Abkommens keine politische Basis für die Regierungsarbeit gefunden hatten. 5 Eigentlich, so bemerkte Laube, habe die einzige Möglichkeit zur Beilegung der Krise in der Beteiligung des rechten Zentrums selbst an der neuen Regierung gelegen. Hierfür habe es angesichts seiner Haltung zum Waffenstillstand jedoch kaum eine Chance gegeben. F. Eyck hat in Anlehnung an die ältere national- bzw. rechtsliberale Geschichtsschreibung das Scheitern bzw. den sich daran anschließenden Umfall der oppositionellen Liberalen sowie die scharfe Gegenreaktion der Zentrumsmehrheit auf den Oppositionsschritt innerhalb des eigenen Lagers als das einzig positive Ergebnis der Initiative Dahlmanns, faktisch als einen Schritt zum Realismus gewertet. 6 In Wirklichkeit hatte die diesmalige erneute Unterwerfung der liberalen Parlamentsmehrheit unter Preußen nicht wieder gutzumachenden Schaden für das Prestige der Paulskirchenversammlung zur Folge, wodurch sich selbstverständlich die Aussichten für das Gelingen ihrer Reformpolitik verschlechterten. Dahlmanns Initiative barg wenigstens einen Ansatz für eine in ihrer Grundtendenz antipartikularistische, fortschrittliche bürgerliche Nationalpolitik in sich. Sie scheiterte nicht am Extremismus der Linken, sondern an ihrer eigenen Unzulänglichkeit. Dahlmanns Mißerfolg hatte die nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten deutlich gemacht, die sich einem Mitte-Links-Ministerium entgegenstellten. Mathy hielt damit dieses Projekt für generell gescheitert. 7 Auch die „Deutsche Zeitung" meinte, man werde nun zu den Männern zurückkehren, „die außer Blut und Leidenschaft oder, statt ihrer, Erfahrung in Geschäften und politische Kenntnis darbieten". 8 Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 122 f. BAF, ZSg. 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Brief Giesebrechts an seine Frau v. 5. 9. 1848. 3 FOPAZ, Nr. 247, 7.9.1848. 4 BAF, ZSg. 1/Na 22, Nachlaß Smidt, Brief Smidts an Heinrich Smidt v. 5. 9. 1848. 5 Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 214. 6 „Dahlmanns Initiative in der Debatte trug, zusammen mit seinem mißlungenen Versuch, eine Regierung zu bilden, dazu bei, daß die Versammlung allmählich aus dem Traumland klassischer Vollendung und der romantisierten Epoche deutschen Ruhms im Mittelalter zu nüchterner Realität erwachte" {Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 358 f.). Im gleichen Sinne auch Went^cke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 110 ff. 7 Aus dem Nachlaß von Karl Math), S. 382. 8 DZ, Nr. 248, 11. 9. 1848. Camphausen telegraphierte bereits am 6. 9., 21 Uhr 30, an Ministerpräsident v. Auerswald: „Die Stimmung nimmt eine Richtung, welche die Annahme des Waffenstillstandes bei der 2ten Diskussion wahrscheinlich macht" (GStA, III. H. A., Nr. 46, Bl. 80). 1

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4. Die parlamentarische Krise

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Dessenungeachtet erhielt der politisch schillernde Münchener Herrmann (Württemberger Hof) nunmehr vom Reichsverweser die Vollmacht zur Regierungsneubildung. Für den Erzherzog war diese Beauftragung offensichtlich nicht mehr als eine Pflichtübung. Der gewöhnlich gut informierte Smidt berichtete schon am Sonnabend, dem 9. September, von einer Initiative Johanns, die Krise auf eine unparlamentarische Weise zu überwinden: „Der Erzherzog w i l l . . . diesen Abend mit Beckerath und einigen anderen Vertrauten, welche mit Heinrich von Gagern verständigt werden sollen, überlegen, wie in den ersten Tagen der nächsten Woche den Intrigen ein Ende zu machen sei. Daß der Waffenstillstand bestätigt werden müsse, wird dabei vorausgesetzt. Wahrscheinlich endigt es so, daß das alte Ministerium mit Ausnahme eines oder gar zweier wieder in Funktion tritt." 1 Schon drei Tage zuvor, am 6. September, hatte der Reichsverweser damit begonnen, diejenigen Abgeordneten, die am 5. September gegen den Waffenstillstand gestimmt hatten, in persönlichen Gesprächen zur Umkehr aufzufordern. 2 Herrmanns Mission war schnell beendet. Ihm fehlte nicht nur der bekannte Name eines Dahlmann, sondern ihm mangelte es auch in erheblichem Maße an politischer Prinzipientreue. Er brachte das Kunststück fertig, sich innerhalb weniger Tage vom Waffenstillstandsgegner zum Waffenstillstandsanhänger zu mausern. Camphausen berichtete, daß Herrmann ihm nach Übernahme seines Auftrages für den Fall, daß die Regierungsneubildung zustande komme, entsprechende Zusagen gemacht hatte. 3 Hierzu trug nicht wenig ein Schreiben des preußischen Bevollmächtigten an den amtierenden Reichsaußenminister Heckscher bei, demzufolge der für das schleswig-holsteinische Regierungsamt in Aussicht genommene Moltke-Nütschau, dessen prodänische Einstellung allgemein bekannt war, freiwillig verzichtet habe. 4 Angesichts dieser unzuverlässigen Haltung ließ sich die Linke freilich nicht zur Mitarbeit in einer Regierung Herrmann bewegen. Das rechte Zentrum hatte diesem die Unterstützung ohnehin von vornherein versagt. 5 Die Waffenstillstandspartei in der Frankfurter Nationalversammlung konnte das zweimalige Scheitern einer Regierungsneubildung durch die Gegner des Waffenstillstandes zweifellos als Erfolg verbuchen, zeugte doch dieser Umstand nicht nur von der inneren Schwäche der „Koalition" vom 5. September, sondern er garantierte darüber hinaus auch die Nichtausführung des Sistierungsbeschlusses. 1 BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt, Brief Smidts an Heinrich Smidt v. 9. 9. 1848. Vgl. Duckwit^, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 86 f. Am 12. 9. richtete der Reichsverweser an H. v. Gagern das Ersuchen, ihm einige der einflußreichsten Abgeordneten aus den Reihen der Waffenstillstandsgegner zu nennen, um mit ihnen dieLage zu erörtern (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Johann an H. v. Gagern v. 12. 9. 1848). Auf dem Rand des Schreibens sind (mit Bleistift, offenbar von der Hand H. v. Gagerns) folgende Namen notiert: Kirchgeßner, Mittermaier, Müller, Wernher v. Nierstein, Rappard, Reh, Schoder, H. Simon, Vogt, Schilling, Venedey, Francke (alle zur Mehrheit vom 5. 9. gehörig) sowie Römer, Claussen, Arndt (am 5. 9. abwesend). — Auch die Süddeutsche Politische Zeitung (Nr. 223, 18. 9. 1848) erwähnt eine Zusammenkunft des Reichsverwesers mit mehreren Deputierten, namentlich Mitgliedern der Linken, vom 13. 9., die den Zweck gehabt habe, ihre „Parteimeinung über den Waffenstillstand zu erfahren" . 3 GStA, III. H. A., Nr. 46, Bl. 111, Bericht Camphausens an Ministerpräsident v. Auerswald v. 12. 9. 1848. 4 Veröffentlicht in StB, Bd. 3, S. 2027. Möglicherweise hat Camphausen hierbei tatsächlich in gutem Glauben gehandelt. Ministerpräsident v. Auerswald hatte ihm nämlich am 8. 9. 1848 telegraphisch mitgeteilt, Moltke sei nicht mehr im Spiel (GStA, III. H. A., Nr. 46, Bl. 93). 5 Dies berichtet selbst der dem Waffenstillstand distanziert gegenüberstehende Laube (Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 219).

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Hildebrandt, Gagern

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

Innerhalb der Paulskirchenversammlung, wo die endgültige Entscheidung über den Waffenstillstand ja noch ausstand, waren Einfluß und Stärke der Rcchten nunmehr im Wachsen begriffen, zugleich verschärfte sich aber auch die Konfrontation zwischen Gegnern und Anhängern des Waffenstillstandes. „Alles bereitet sich vor auf den Kampf in betreff des dänischen Waffenstillstandes", berichtete eine demokratische Zeitung. „Die Rechte der Reichsversammlung entsendet nach allen Seiten Kuriere und Briefe, um die abwesenden Mitglieder ihrer Partei (an 60) herbeizurufen und so fest und geschlossen für die Aufrechterhaltung des abgeschlossenen Vertrages zu fechten." 1 Und die „Neue Rheinische Zeitung" konstatierte „dumpfes Stillschweigen und gegenseitiges Beobachten. Fortwährende Sitzungen der einzelne Klubs bei geschlossenen Türen. Auf beiden Parteien fürchtet man — und hofft man. "2 In beiden Lagern wurde auf strenge Fraktionsdisziplin geachtet. Der am 12. September vorgelegte Ausschußbericht hatte sich noch mit 12: 10 Stimmen für die Verwerfung des Waffenstillstandes ausgesprochen.3 Zwei Tage später war das Verhältnis unentschieden — 1 1 : 1 1 ; auch Arndt hatte sich nunmehr der Waffenstillstandspartei angeschlossen.4 Schließlich zerfiel auch die Oppositionsgruppe um Dahlmann. Während er selbst nach wie vor auf der Ablehnung des Waffenstillstandes beharrte, wechselten seine Gesinnungsgenossen Francke, Droysen, Michelsen und weitere ehemalige Waffenstillstandsgegner noch kurz vor Beginn der Hauptdebatte die Fronten.5 Ungeachtet dieses Kräftezuwachses befanden sich die Zentrumsliberalen nach wie vor in einem politischen Dilemma, welches sich angesichts der allgemeinen Krisensituation noch verschärfte. In Berlin erreichte in jenen Tagen der Konflikt zwischen Regierung und preußischer Nationalversammlung mit dem Beschluß der letzteren, das Kabinett möge die Armee von reaktionären Elementen säubern, eine neue Stufe. In Chemnitz erhoben sich am 11. und 12. September revolutionäre Arbeiter. In Köln verabschiedete eine große Volksversammlung am 13. eine Protestadresse an die Frankfurter Nationalversammlung und wählte einen Sicherheitsausschuß, dem neben kleinbürgerlichen Demokraten auch Marx und Engels und andere Mitglieder des Bundes der Kommunisten angehörten. In der Schweiz sammelte Struve eine Freischar von radikalen Demokraten und bereitete eine erneute republikanische Schilderhebung in Südwestdeutschland vor. All diese Geschehnisse verflochten sich immer deutlicher zu einer politischen Krise nationalen Ausmaßes. Dreh- und Angelpunkt waren die Ereignisse in Frankfurt am Main. Die Entwicklung der Frankfurter Nationalversammlung verknotete sich mit dem weiteren 1 TVB, Nr. 175, 13. 9. 1848. — Die Bemühungen der Rechten blieben nicht ohne Erfolg. Bei einer nahezu gleichbleibenden Zahl von Waffenstillstandsgegnern wuchs die der Anhänger vom 5. bis 16. 9. 1848 von 221 auf 257 (Stimmenverhältnis am 5. 9.: 238 : 221, am 16. 9.: 236 : 257). 2 NRhZ, Nr. 1 0 3 , 1 5 . 9 . 1 8 4 8 . 3 Gegen den Waffenstillstand hatten gestimmt: Arndt, Blum, Claussen, Cucumus, Dahlmann, Esmarch, Höfken, H. v. Raumer, Stenzel, Trützschler, Wippermann,Wurm; dafür: Duncker, Flottwell, M. v. Gagern, Gombart, v. Mayern, Schubert, Stedmann, Würth, F. Zachariä, Zenetti, Stedmann und v. Mayern hatten noch am 5. 9. die Sistierung befürwortet (vgl. Anm. 5, S. 110). « Vgl. hierzu Arndts Rede am 14. 9 . 1 8 4 8 (StB, Bd. 3, S. 2049f.). 6 In der Sitzung der Casino-Fraktion am Abend des 13. 9. kündigten Francke, Droysen und Michelsen ihren einen Tag später im Plenum der Frankfurter Nationalversammlung eingebrachten Antrag an: Das Parlament möge den Waffenstillstand von Malmö, „soweit solcher nach der gegenwärtigen Sachlage noch ausführbar ist, nicht länger . . . hindern" (ebenda, S. 2030). — Über die Sitzung der Casino-Fraktion vgl. BAF, ZSg. 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Tagebucheintragung v. 13. 9„ Bl. 12.

4. Die parlamentarische Krise

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Schicksal der Revolution im nationalen Maßstab. Für die Paulskirchenliberalen gab es keine Chance mehr, sich mit einer dilatorischen Taktik aus der Krise herauszuwinden. Die endgültige Entscheidung über den Waffenstillstand von Malmö mußte, wie die „Neue Rheinische Zeitung" nachwies 1 , Auswirkungen nach sich ziehen, die weit über den eigentlichen Gegenstand der Beratungen hinausreichten. Nur wenige Parlamentarier zweifelten auch daran, daß die zu fällende Entscheidung selbstverständlich auch für die fernere Rolle der Frankfurter Nationalversammlung im politischen Kräftespiel von nicht geringer Bedeutung sein würde. So gestaltete sich die Ausgangssituation für die am 14. September beginnende Entscheidungsdebatte über das preußisch-dänische Abkommen. Der bereits am 12. September vorgelegte Bericht der Mehrheit der vereinigten Ausschüsse trug zumindest letzterem Umstände Rechnung. Er stellte durchaus kein Dokument revolutionären Aufbegehrens gegenüber Preußen dar, wie die ausgegebene Losung — „Kraft mit Mäßigung" — deutlich machte. Aber es ließ sich nicht verkennen, daß die Ausschußmajorität sich der Tragweite und Unausweichlichkeit der bevorstehenden Entscheidung im Prinzip bewußt war. Die Frankfurter Nationalversammlung könne, so hieß es, angesichts der von ihr gefaßten Beschlüsse auch nicht „einen Augenblick daran denken, ihre Zustimmung zu solchen Stipulationen zu geben, durch welche eine deutsche Bevölkerung in den Rechten aller Deutschen sich gekränkt sehen würde. Deutschland darf auch dem Scheine sich nicht aussetzen, als ob es je von seinen Söhnen die Hand abziehen könnte." Angesichts der Tatsache, daß der Waffenstillstand „wesentliche Selbständigkeitsrechte verletzt, welche durch die Beschlüsse der Nationalversammlung allen in ihr repräsentierten Stämmen gewährleistet sind", sprach sich der Bericht dafür aus, den Waffenstillstand definitiv nicht zu genehmigen. 2 Umgekehrt die Ausschußminorität. Sie hielt durch den Waffenstillstand weder die Ehre Deutschlands für angetastet, noch fand sie es für angezeigt, an der durch Preußen vorgetäuschten Konzessionsbereitschaft der dänischen Seite zu zweifeln. Sie trug infolgedessen auf Genehmigung des Waffenstillstandes und die unverzügliche Eröffnung von Friedensverhandlungen an. 3 Die bis dahin bedeutendste Kraftprobe innerhalb der Paulskirchenversammlung stand bevor. „Auf beiden Parteien weiß man, daß es sich um eine Existenzfrage handelt . . .", schrieb die „Neue Rheinische Zeitung". 4 Im Unterschied zur Sistierungsdebatte vom 5. September zeigte sich das rechte Zentrum diesmal relativ geschlossen; nahezu die gesamte Dahlmann-Gruppe war aus „realpolitischen" Überlegungen bzw. Furcht vor den politischen Konsequenzen eines erneuten Sieges der Waffenstillstandsgegner umgeschwenkt, was Giesebrecht mit wohlgefälliger Ironie vermerkte. 5 Diese Wendung hatte sich bereits in den Ausschußberatungen abgezeichnet. Schon hier traten nämlich v. Mayern und H. Zachariä, die am 5. September noch gegen den Waffenstillstand gestimmt hatten, von ihre m

NRhZ, Nr. 99,10. 9.1848. StB, Bd. 3, S. 2023. 3 Ebenda, S. 2026. « NRhZ, Nr. 103, 15. 9.1848 (Bericht v. 12. 9.)5 „Eine Fraktion der Schleswig-Holsteinischen Abgeordneten gewährt uns gegenwärtig eine anziehende psychologische Erscheinung: es sind Francke, Michelsen, Neergard und Droysen. Sie haben mit ihren Landsleuten für Sistierung des Waffenstillstandes gestimmt; nun aber, da es zur Entscheidung kommt, treibt sie die Dankbarkeit gegen Preußen zu uns herüber . . . " (BAF, ZSg. 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Brief Giesebrechts an seine Frau v. 15. 9.1848). 1

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

ursprünglichen Votum zurück. 1 Lediglich Dahlmann blieb bei der Ablehnung, fungierte aber bezeichnenderweise nicht mehr, wie am 5. September, als Sprecher der Majorität. 2

5. Die Kapitulation der Parlamentsmehrheit Trotz einer relativ günstigen Ausgangsposition bedurfte es seitens der Rechten der äußersten Anspannung aller Kräfte, um am 14. September erfolgreich bestehen zu können. Mit ihrer Offensivtaktik schien die Waffenstillstandspartei am ersten Verhandlungstag ihrem Ziel auch ein Stück nähergekommen zu sein. 3 Dabei war ihr die Steuerung der Debatte im Interesse der Rechten durch das Parlamentspräsidium zugute gekommen, welches den Grundsatz der Parität verletzte und mehr Anhänger als Gegner des Waffenstillstandes zu Worte kommen ließ. Unter den Rednern befand sich kein Vertreter der Fraktionen Donnersberg und Deutscher Hof. 4 Dagegen waren vier der fünf Befürworter des Waffenstillstandes, welche am ersten Verhandlungstag aufgerufen wurden, Vertreter des rechten Zentrums (Heckscher, Francke, Maitzahn, v. Schmerling). 5 Die Taktik der Wortführer der Waffenstillstandspartei war unverkennbar darauf gerichtet, Verstärkung aus dem Bereich des linken Zentrums zu erlangen, welches ja am 5. September gemeinsam mit der Linken operiert hatte. Davon zeugte nicht nur der relativ gemäßigte Ton, dessen sich die meisten Sprecher befleißigten, sondern auch eine gewisse Flexibilität in der Argumentation. Die Redner stellten nämlich in ihren Ausführungen zumeist diejenigen Aspekte des Waffenstillstandes in den Vordergrund, welche geeignet waren, bei einer Reihe noch schwankender gemäßigter bzw. linksorientierter Liberaler Anklang zu finden. Eine wichtige Rolle spielte hierbei wiederum die Beschwörung der Gefahr kriegerischer Verwicklungen mit anderen europäischen Großmächten. Es gab in der gesamten Debatte nahezu keinen Redner des rechten Zentrums, der einen europäischen Krieg nicht als unabwendbare Folge der Ablehnung des Waffenstillstandes hingestellt und dessen Folgen für Deutschland in den düstersten Farben ausgemalt hätte. 6 Am ersten Verhandlungstag gaben vor allem Heckscher und Francke diesem Gedanken Ausdruck. In dem sich anschließenden Teil der Debatte waren es insbesondere Degenkolb und Max von Gagern, die sich diesem Bemühen unterzogen. 7 Mit ihnen hatten Duncker, Flottwell, M. v. Gagern, Gombart, Schubert, Stedmann, Wurth und Zenetti den Minoritätsbericht unterzeichnet (StB, Bd. 3, S. 2026). 2 Als Sprecher der Majorität war Wurm nominiert worden; er wurde jedoch durch den Sekretär des Parlamentspräsidiums Möring vertreten (ebenda, S. 2020). 3 Vgl. die Berichte Laubes und Hayms: Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 224; Hajm, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 126. 4 Erster Sprecher des Deutschen Hofes war Vogt als letzter Redner des 2. Verhandlungstages (StB, Bd. 3, S. 2091—2094). Als einziger Vertreter der äußersten Linken kam L. Simon erst am dritten und letzten Tage der Debatte zu Wort (ebenda, S. 2122-2127). 5 Reden Heckschers ebenda, S. 2034-2044; Franckes ebenda. S. 2052-2057; Maitzahns ebenda, S. 2057f.; v. Schmerlings ebenda, S. 2060f. 6 Dies kam nicht nur in den Parlamentsreden, sondern auch in den persönlichen Äußerungen eines so gemäßigten Vertreters des rechten Zentrums wie des Bonner Juristen Deiters zum Ausdruck (BAF, ZSg. 1/Na 77, Nachlaß Deiters, Brief Deiters' an seine Frau v. 17. 9. 1848). 7 Reden Degenkolbs vom 16. 9., StB, Bd. 3, S. 2114; M. v.Gagerns vom selben Tage ebenda, S. 2128-2131. 1

5. Die Kapitulation der Parlamentsmehrheit

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Im gleichen Sinne haben bürgerliche Historiker wie Wentzcke oder Huber das Eintreten der Paulskirchenliberalen für den Malmöer Waffenstillstand als Ausdruck realpolitischer Einsicht und politischer Reife gepriesen. 1 Noch einen Schritt weiter gingen Vertreter aus dem konservativen Lager wie der G.-Ritter-Schüler Roth oder F. Eyck. Sie warfen der Linken „hybriden Nationalismus" vor 2 oder aber unterstellten ihr „beängstigend wenig Scheu, einen ganz Europa in Mitleidenschaft ziehenden Krieg zu entfesseln". 3 Daß die Verwerfung des Malmöer Abkommens außenpolitische, möglicherweise sogar kriegerische Verwicklungen nach sich ziehen konnte, ließ sich auch durchaus nicht von der Hand weisen. England, Frankreich und Rußland sahen ihre Interessen in zweierlei Hinsicht durch die schleswig-holsteinische Bewegung tangiert: 1. durch ihre Antriebswirkung in Richtung auf einen deutschen Nationalstaat, durch den das Kräfteverhältnis in Europa verändert wurde ; 2. durch die möglicherweise eintretende Stärkung Deutschlands als Seemacht im nordeuropäischen Raum. Sie hatten daher seit dem Sommer Druck auf die preußische Regierung ausgeübt, um sie zum Abschluß eines Waffenstillstandes mit Dänemark zu bewegen, 4 und es war durchaus nicht vorauszusehen, wie sich diese Mächtc im Falle eines Wiederaufflammens der Kämpfe in Schleswig-Holstein verhalten würden. Andererseits bedarf die von der bürgerlichen Geschichtsschreibung immer wieder aufgefrischte These, allein die Schleswig-Holstein-Politik der Paulskirchenrechten habe den Erfordernissen der damaligen Situation Rechnung getragen, in mehrfacher Hinsicht der Korrektur. Neuere Forschungen haben deutlich werden lassen, daß die Kriegsgefahr von der bürgerlichen Geschichtsschreibung zu pauschal gesehen wurde. England als wichtigste der in der Schleswig-Holstein-Frage engagierten Großmächte war bereit, einen Machtzuwachs Preußens bzw. Deutschlands in dem Maße zu tolerieren, wie es möglich erschien, diesen seiner europäischen Balancepolitik ein- bzw. unterzuordnen. 5 Es zeigte sich daher am Zustandekommen einer antipreußischen Koalition kaum interessiert. Und die Motivation 1

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Wentzcke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 112; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 680. Roth, Hans, Die Linke in der Paulskirche und der Nationalismus, Phil. Diss., Freiburg 1950, S. 53. Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 345. Vgl. Scbarff, Alexander, Die europäischen Großmächte und die deutsche Revolution. Deutsche Einheit und Europäische Ordnung 1848—1851, Leipzig (1942) S. 42ff. ; Mareks, Ericb, Die europäischen Mächte und die 48er Revolution, in: HZ 142 (1930), S. 80; Precbt, Hans, Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848-50, München/Berlin 1925, S. 60ff. - Vgl. hierzu die Ausführungen M. v. Gagerns über die Rolle Englands im Konflikt um Schleswig-Holstein (StB, Bd. 3, S. 2131). Über die Versuche Frankreichs, in der Schleswig-Holstein-Frage auf Preußen Druck auszuüben, vgl. GStA, III, H. A., Nr. 46, Bl. 14ff., 56 f.; Nr. 856,Bl. 259, Bericht v. Hatzfelds an das preußische Außenministerium v. 10. 5. 1848. Zur Reaktion Frankreichs auf den Sistierungsbeschluß v. 5. 9., ebenda, Nr. 857, Bl. 42 v. ; Bericht v. Hatzfelds an das preußischeAußenministerium v. 9. 9. 1848: Bastide „regarde ces resolutions comme nullement fondées en droit et juge la Prusse engagée à executer pour sa part toutes les conditions de l'armistice qu'elle a condu. Si néanmoins du côté de l'Allemagne par suite des décissions adoptées a Francfort, des hostilés contre le Danemark allaient recommencer, le gouvernement français se verrait place dans le nécessité de renouveler plus énergiquementencore que jusqu'à présent se protestations contre les nouvelles mesures aggressives contre cette puissance." — Ähnlich auch ebenda, Bl. 37 ; Bericht v. Hatzfelds an das Außenministerium v. 29. 8. 1848. Vgl. ferner ZStA, 2.4.1., I, Bl. 317 u. 340; Berichte des preußischen Gesandten in St. Petersburg an das preußische Außenministerium v. 12. 9. u. 30. 9. 1848.

5 Weimar, Volker, Der Malmöer Waffenstillstand, S. 29.

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für das Einlenkender Liberalen in der Schleswig-Holstein-Frage war keinesfalls, wie bürgerliche Historiker deutlich machen wollen, ausschließlich in Friedensliebe, sondern zu einem erheblichen Teil in Revolutionsfurcht zu suchen; denn ein internationaler Konflikt um Schleswig-Holstein hätte sich innerhalb Deutschlands möglicherweise zu einem Revolutionskrieg ausgeweitet. Infolgedessen machten weder Heckscher und Francke noch S. Jordan am darauffolgenden Tage ein Hehl daraus, daß es eben auch die Gefahr kriegerischer Verwicklungen in Deutschland selbst war, die sie vor einer Verwerfung des Waffenstillstandes zurückschrecken ließ. 1 Man habe, erklärte beispielsweise der Abgeordnete Degenkolb, einer der Casino-Sprecher, diesbezüglich rückblickend, mit dem „europäischen Krieg" zugleich auch „ein Zerwürfnis in Deutschland" abwenden wollen. 2 Mit anderen Worten: die Verschärfung des Klassenkampfes im Innern, mit dem ein Krieg für die Interessen Schleswig-Holsteins mit Sicherheit verbunden gewesen wäre, wurde von der Bourgeoisie nicht in Kauf genommen, weil sich damit eine zusätzliche Gefahr für die angestrebte Übereinkunft mit Adel und Fürsten ergeben hätte. Die „Neue Rheinische Zeitung" hatte den komplexen Charakter des „ersten deutschen Revolutionskrieges" 3 bereits am 10. September 1848 gekennzeichnet: „Der Krieg, der möglicherweise jetzt aus den Beschlüssen in Frankfurt entstehen kann, . . . gerade solch ein Krieg tut der einschlummernden deutschen Bewegung not — ein Krieg gegen die drei Großmächte der Konterrevolution, ein Krieg, der Preußen in Deutschland vjirklich aufgehn [läßt] . . . ein Krieg, der ,das Vaterland in Gefahr' bringt und gerade dadurch rettet, indem er den Sieg Deutschlands vom Siege der Demokratie abhängig macht." 4 In der Stellungnahme der Gagern-Liberalen zum Waffenstillstand offenbarte sich durchaus kein grundsätzlich neues Moment bezüglich eines drohenden Revolutionskrieges, wenn auch die Vertreter der Bourgeoisie im Frühjahr mit der Möglichkeit eines militärischen Konflikts mit dem zaristischen Rußland gespielt hatten.5 Ein Revolutionskrieg mit antipreußischer Frontstellung war bei den gemäßigten Liberalen 1848/49 zu keiner Zeit populär. Die Sprecher der Casino-Fraktion empfahlen statt dessen den noch immer schwankenden liberalen Abgeordneten, bei der zu fällenden Entscheidung über den preußisch-dänischen Waffenstillstand unbedingt die Interessenlage Preußens in gebührendem Maße zu berücksichtigen. Furcht vor den politischen Konsequenzen, vor allem das Bemühen, die Chancen für den Verfassungskompromiß mit der Regierung in Berlin nicht noch weiter zu beeinträchtigen, trieben eine Reihe von gemäßigten Liberalen weiter nach rechts. Heckscher identifizierte sich so weit mit der preußischen Politik, daß er die Gefahr einer Machteinbuße Preußens für gravierender hielt als die Folgen der Annahme dieses Waffenstillstandes für das Paulskirchenparlament selbst.6 Der für den Landsberg sprechende Wilhelm Jordan verzichtete auf eine tiefere Begründung seines Votums für Preußen und berief sich statt dessen auf die tatsächlichen Machtverhält1 StB, Bd. 3, S. 2041, 2053 und 2065f. BAF, ZSg. 1/Na 8, Nachlaß Degenkolb, öffentliche Zuschrift Degenkolbs an den Bürgerverein von Eilenburg v. 23. 10.1848. 3 NRbZ, Nr. 99,10. 9. 1848. 4 Ebenda. 5 Vgl. S. 70 ff. — Siehe auch Müller, Harald, Zu den außenpolitischen Zielvorstellungen der gemäßigten Liberalen, S. 247 ff. 6 StB, Bd. 3, S. 2041.

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nisse, die es geboten erscheinen ließen, die Interessen des preußischen Staates zu respektieren. 1 Der flexibler argumentierende Francke hielt es für ratsam, den Waffenstillstands vertrag, wenn nicht aus materiellen Gründen, so doch aus Verpflichtung gegenüber Preußen zu ratifizieren. 2 Außerdem wiederholten Heckscher, Maitzahn und Francke die Camphausensche Zweckbehauptung vom Rücktritt des in Schleswig-Holstein verhaßten Moltke-Nütschau. 3 Als bedeutungsvoll für die parlamentarische Meinungsbildung erwies sich augenscheinlich auch das Hochspielen der humanitären und ökonomischen Auswirkungen des Malmöer Waffenstillstandes. Die in Artikel III und IV des Abkommens festgelegte Aufhebung der Blockade deutscher Häfen und die Auslieferung der beiderseitigen Kriegsgefangenen 4 wurden bereits von Francke und Maitzahn am 14. September sowie vor allem von Heckscher am letzten Tage der Debatte als ein besonderer Vorteil des Vertrages genannt. 5 Sie hatten damit ein Argument gefunden, auf das die Vertreter der Linken offenbar keine Antwort besaßen, ging doch keiner ihrer Sprecher auf dieses Problem ein. Die Argumentation der Befürworter des Waffenstillstandes ließ jedoch in diesem Punkte zwei wesentliche Umstände außer acht. Im Vergleich mit der Regelung etwa der politischen Administration in Schleswig-Holstein handelte es sich bei dem hier genannten Problem unzweifelhaft um eine zweitrangige Frage. Außerdem verkannten die Casino-Liberalen offenbar den Umstand, daß es den Gegnern des Waffenstillstandes zunächst einmal nicht um die Fortsetzung des Krieges, sondern um die Aushandlung eines für Deutschland bzw. Schleswig-Holstein günstigeren Gesamtabkommens ging, in dessen Rahmen auch eine befriedigende Lösung der humanitären und ökonomischen Fragen möglich werden würde. Auf dem Hintergrund des sich bereits vor Beginn der Debatte abzeichnenden Stimmungsumschwunges in Teilen des Zentrums hatten eine verhältnismäßig flexible Argumentation und massierter Einsatz seiner Parlamentsredner das rechte Zentrum am Abend des ersten Verhandlungstages seinem Ziele näher gebracht. 6 Die Rede von Waitz 7 am Beginn des darauffolgenden Tages schien das Erreichte indessen wieder zu gefährden. Waitz hatte zu jener Gruppe schleswig-holsteinischer Abgeordneter um Dahlmann gehört, welche am Zustandekommen des Beschlusses vom 5. September beteiligt gewesen waren. Er befand sich, wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen, seitdem in einem Umdenkungsprozeß, war jedoch, im Gegensatz zur Mehrzahl von ihnen, am 15. September noch nicht zu einem definitiven Entschluß gelangt. Seine Rede, die bedeutendste des zweiten Verhandlunstages, 8 erfaßte das Für und Wider der Angelegenheit, wich aber einer klaren Entscheidung zunächst aus. Zwar überwog die Kritik am Waffenstillstandsabkommen im Vergleich zu den Dankbarkeitsäußerungen gegenüber Preußen, aber das Fazit seiner Rede, der Waffenstillstand brauche gar nicht mehr abgelehnt zu werden, weil ihn die Bevölkerung von Schleswig-Holstein bereits faktisch verworfen habe 9 , ließ sich in unterschiedlichem 1 Ebenda, S. 2089f. 2 Ebenda, S. 2053. 3 Ebenda, Bd. 3, S. 2040, 2056 und 2057. 4 Vgl. Dokumente deutschen Verfassungsgescbicbte, S. 460. 3 StB, Bd. 3, S. 2053, 2057 und 2135. ® Vgl. hierzu die Einschätzung des Verlaufs der Waffenstillstandsdebatte durch Laube (Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 224) und Hayrn (Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 129). i StB, Bd. 3, S. 2066-2072. 8 Laitie, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 232. 9 StB, Bd. 3, S. 2072.

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Sinne auslegen. T r o t z d e m wurde Waitz' Rede vor allem v o n der Linken als E r f o l g verbucht. 1 D a g e g e n zeigte d a s rechte Z e n t r u m überwiegend Enttäuschung und Verärgerung. V o r g e t r a g e n v o n einem so prominenten Liberalen wie Waitz, ließ selbst eine sich in gemäßigten Grenzen haltende Kritik am Waffenstillstand Signalwirkung auf noch immer schwankende Mitglieder der rechten Zentren befürchten. Die W i r k u n g seiner Rede konnte auch durch die darauffolgenden Stellungnahmen seitens der Waffenstillstandspartei (Blömer, Mühlfeld, W . J o r d a n ) nicht paralysiert werden. 2 N a c h wie vor stand die E n t scheidung auf des Messers Schneide. A m A b e n d des 15. September wurde v o n beiden L a g e r n noch einmal der Fraktionszwang für die bevorstehende A b s t i m m u n g bekräftigt. Die Marschroute des rechten Z e n t r u m s lautete: „ G e n e h m i g u n g oder höchstens Nichtbeanstandung". Die Entscheidung mußte erst am dritten und letzten T a g der Debatte fallen. D i e Taktik der Waffenstillstandspartei war nunmehr darauf gerichtet, die Linke durch einen schärferen K o n f r o n t a t i o n s k u r s in die Defensive zu zwingen. Weder der E i n s a t z prominenter Redner der äußersten Rechten (Vincke, v. L i c h n o w s k y ) 3 noch eine Verschärf u n g ihrer A n g r i f f e auf die O p p o s i t i o n vermochte die Befürworter des Waffenstillstandes jedoch zunächst ihrem Ziele näher zu bringen. Z u den Höhepunkten des dritten T a g e s g e hörten die Reden v o n B l u m 4 und L . S i m o n , 5 ohne daß sie an den sich nunmehr immer deutlicher abzeichnenden Mehrheitsverhältnissen noch grundsätzlich etwas hätten ändern können. B l u m hatte im Interesse der Souveränität der N a t i o n und der neugeschaffenen Zentralgewalt die Ablehnung des Waffenstillstandes verlangt. A b e r er fühlte sich auch diesmal, nicht zuletzt angesichts der D i f f a m i e r u n g von Seiten eines Vincke, veranlaßt, „ebensosehr die Übergriffe der einen wie der anderen Seite in die Schranken zu weisen". 6 Einen Schritt weiter g i n g L . Simon. E r deutete an, daß es nur dann eine dauerhafte L ö s u n g der SchleswigHolstein-Frage geben könne, wenn diese mit den Interessen des V o l k e s in Einklang stünde: „Schieben Sie den Halt- und Gewaltpunkt so weit nach rechts als Sie w o l l e n " , rief er den Abgeordneten zu, „damit begründen Sie bloß ein tatsächliches Verhältnis, welches ohne grundsätzliche Unterlage sich jeden T a g verändern kann, und wenn Ihr Bau dereinst in T r ü m m e r geht, s o werden Sie dieselben immer wieder auf d e m B o d e n der Volkssouveränität zusammenraffen und darauf allein ein schönes und dauerhaftes G e b ä u d e errichten können."7 D e r v o n Wesendonck danach beantragte Schluß der D e b a t t e 8 wurde nach erregter A u s sprache mehrfach abgelehnt. 9 Überhaupt kennzeichnete es die Schärfe der Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern des Waffenstillstandes, daß über F o r m a l i a fast ebenso heftig wie über Sachfragen gestritten wurde. I m Widerspruch zu den parlamentarischen Gepflogenheiten wurde zwei lediglich noch geschäftsführenden Kabinettsmit1

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Der Stenographische Bericht verzeichnet am Ende der Rede von Waitz: „Lebhafter Beifall auf der Linken und im Zentrum" (ebenda). Vgl. die Schilderung Hayms (Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 129). Reden v. Vinckes StB, Bd. 3, S. 2099-2109, v. Lichnowskys ebenda, S. 2119-2122. RedeBlums ebenda, S. 2114-2119. RedeL. Simons ebenda, S. 2122-2127. Ebenda, S. 2119. Ebenda, S. 2123. Ebenda, S. 2127. Ebenda, S. 2127 f.

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gliedern der Casino-Fraktion (M. v. Gagern und Heckscher) nacheinander das Wort gegeben 1 , offenbar um den Eindruck abzuschwächen, den Simons Rede hinterlassen hatte. Neue Erkenntnisse vermochte keiner von ihnen mehr beizusteuern. Der Trend zu einer knappen Mehrheit für den Waffenstillstand war unverkennbar. Doch zeigten sich selbst Casino-Vertreter bis zuletzt von Skrupeln geplagt. Der Abgeordnete Deiters äußerte wenige Tage später seine Überzeugung, die große Mehrheit hätte sich gern für die Verwerfung des Waffenstillstandes ausgesprochen. Auch er selbst sei „sehr dazu gestimmt" gewesen, wenn nicht Ungewißheit über die nächsten Folgen eines solchen Schrittes bestanden hätte. 2 Unmittelbar vor der Abstimmung am 16. September entschied die Waffenstillstandspartei noch eine äußerst wichtige Verfahrensfrage zu ihren Gunsten. Der Abgeordnete Wernher/ Nierstein (Augsburger Hof), an sich ein Befürworter des Waffenstillstandes, hatte beantragt, über die Verwerfung des Abkommens von Malmö und die Weiterführung des deutsch-dänischen Krieges getrennt abzustimmen. 3 Diese Verfahrensweise wäre ohne Zweifel der Opposition zugute gekommen' 1 , da es möglich wurde, jene Abgeordneten zu sich herüberzuziehen, die zwar den Waffenstillstand mißbilligten, aber auch nicht bis zur Konsequenz einer Fortsetzung des Krieges mit Dänemark gehen wollten. Assistiert vom Parlamentsvizepräsidenten v. Soiron, bemühten sich die Casino-Abgeordneten Briegleb, Beseler und Plathner sowie Kerst, v. Vincke, Arndt und weitere Vertreter der Rechten, diesen Antrag mit allen Mitteln zu Fall zu bringen. 5 Ihre Reaktion zeigte, daß sie in taktischer Hinsicht diesmal der Lage voll gewachsen waren. Anders die Waffenstillstandsgegner. Esmarch, der als Mitglied der vereinigten Ausschüsse gegen das Malmöer Abkommen gestimmt hatte, entzog Wernhers Antrag dadurch den Boden, daß er als Ausschußmitglied seine Zustimmung verweigerte, 6 und Blum — gleichfalls Ausschußmitglied — gab, ähnlich wie kurz vor Abstimmung über die provisorische Zentralgewalt 7 , der Opposition vollends das Zeichen zum Rückzug in dieser hochwichtigen Verfahrensfrage. 8 Damit verlief die Abstimmung in der ursprünglich von den Ausschüssen beantragten gekoppelten Form, wodurch sich die Voraussetzungen für die Waffenstillstandspartei eindeutig verbesserten. Trotzdem gelang ihr kein überzeugender Sieg. Mit 258 : 237 Stimmen wurde zunächst die Verwerfung des Waffenstillstandes und die Fortsetzung des deutschdänischen Krieges abgelehnt. 9 Nahezu ebensoviel Stimmen (257 : 236) ergaben sich für die von Francke, Droysen, Neergard und Michelsen beantragte Genehmigung des Waffenstillstandes, verbunden mit der Aufforderung an die provisorische Zentralgewalt, sich mit der dänischen Regierung über die Modifizierung des Malmöer Abkommens und die Einleitung von Friedensverhandlungen baldigst zu verständigen. 10 1 2

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Rede M. v. Gagerns ebenda, S. 2128-2131, Rede Heckschers, ebenda, S. 2131-2136. BAF, ZSg. 1/Na 77, Nachlaß Deiters, Brief Deiters' an seine Frau v. 17. 9. 1848. StB.Bd.3, S.2142. Dies bestätigt auch Laube (Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 257). StB, Bd. 3, S. 2142ff. Ebenda, S. 2144. Blum hatte damals innerhalb der Linken den Beschluß durchgesetzt, die Errichtung der provisorischen Zentralgewalt nicht zur „Parteifrage" zu machen (beriebt des Abgeordneten Reinstein an seine Wähler, in: Bürger, Nr. 19, 7. 7.1848). StB, Bd. 3, S. 2144. Ebenda, S. 2145-2149. Ebenda, S. 2149-2154.

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Mit der Linken hatte, wie am 5. September, wiederum der größte Teil des linken Zentrums gestimmt. 1 Hinzu kamen 8 Vertreter des rechten Zentrums, unter ihnen vier CasinoAbgeordnete 2 , eine Minderheit, die diesmal keinen Ausschlag mehr zu geben vermochte. Die Position der Rechten war stark genug, um das Votum der wenigen Abweichler zu verkraften. Der Beschluß vom 16. September hatte nicht nur Bedeutung für das politische Geschehen außerhalb der Paulskirche, er hatte vor allem eminente politische Auswirkungen auf die Paulskirchenversammlung selbst. So leitete er einen neuen Abschnitt in ihrer Entwicklung ein, der durch verschärfte Auseinandersetzungen zwischen den Bourgeoisliberalen und den demokratischen Kräften inner- und außerhalb des Parlaments, verstärkte Hinwendung der gemäßigten Liberalen zu Adel und Fürsten und eine zeitweilige Verringerung des politischen Eigengewichts und der Autorität des zentralen Parlaments gekennzeichnet war. . Dessenungeachtet haben bürgerliche Historiker wie Wentzcke oder Eyck immer wieder versucht, den Schleswig-Holstein-Beschluß vom 16. September als eine für die Paulskirche letztlich richtige Tat zu rechtfertigen. 3 Gerade im Interesse der provisorischen Zentralgewalt und der Frankfurter Nationalversammlung wäre aber Standhaftigkeit gegenüber Preußen geboten gewesen. Selbst Wentzcke, der den 16. September als Durchbruch zur Realpolitik feiert, kann nicht umhin zuzugeben, daß nach diesem Tage der Glaube an die Omnipotenz der Paulskirche innerhalb und außerhalb des Parlaments abgenommen habe/' Die Schleswig-Holstein-Debatten der Frankfurter Nationalversammlung waren vor allem in zweifacher Hinsicht zäsurbestimmend: Die Kapitulation der liberalen Parlamentsmehrheit gegenüber Preußen war nicht die erste Entscheidung dieser Art, auch zuvor schon hatte es Beschlüsse ähnlichen Charakters gegeben. Aber die Bereitschaft zur Nachgiebigkeit der Liberalen gegenüber einem mächtigen Einzelstaat im Falle der beiderseitigen Konfrontation oder einer revolutionär zugespitzten Situation auf Kosten der eigenen Position war nie so deutlich zutage getreten. Es lag in der Konsequenz der politischen Taktik der Liberalen, daß das von ihnen dirigierte Parlament, bedingt durch die Dialektik des revolutionären Kampfes, nicht nur die Pressionen gegen die demokratischen Kräfte verschärfte, sich Adel und Fürsten weiter näherte, sondern, wie noch zu sehen sein wird, erstmals im Verlaufe der Revolution von 1848/49 sogar die bewaffnete Gewalt der Konterrevolution direkt in Anspruch nahm. 1 Mit Ausnahme der Abgeordneten Liebmann (Perleberg), Pinkert, Schmidt (Berlin) und Teilkampf. - Dahlmann, Grimm, Laube und Zittel — alle hatten bereits am 5. 9. für die Sistierung gestimmt. Außer ihnen votierten auch die Landsbergabgeordneten Gülich, Hollandt, Jordan (Tetschen) und Wedekind gegen den Waffenstillstand. In bezug auf die von Eyck in der Fraktionstabelle angegebenen Zahlen (Deutschlands große Hoffnung, S. 354) gilt das bereits oben Gesagte (Anm. 7, S. 110). Interessant der Vergleich der Abstimmungszahlen vom 5. und 16. 9., aufgeschlüsselt nach den einzelnen Fraktionen. Danach hatten sämtliche Fraktionen am 16. 9. einen Zuwachs an Abstimmungsteilnehmern gegenüber dem 5. 9. zu verzeichnen. Den größten Anteil hatte das Casino (11); es folgten Württemberger Hof (6), Landsberg (4), äußerste Rechte, Deutscher Hof und Westendhall (je 3) und Donnersberg (2). Der Landsbergabgeordnete Fuchs sah in der „Heranziehung so vieler Beurlaubten als nur zu erlangen waren" seitens der Waffenstillstandspartei sogar eine wesentliche Ursache für deren Abstimmungssieg vom 16. 9. ([Fticbs, Karl] Parlamentsbriefe aus Frankfurt a. M. 1848-49, Breslau 1875, S. 43 f.). 3

Wentzcke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 112; Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 363f. — Im Unterschied dazu etwa Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 157. Wentzcke, Vau!, Ideale und Irrtümer, S. 116f.

6. Der Septemberaufstand

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6. Der Septemberaufstand Die Beschlüsse von Frankfurt am Main hatten in vielen Gegenden Deutschlands die revolutionäre Stimmung unter den Massen, wo nicht ausgelöst, so doch verstärkt. In Köln, am Nieder- und Oberrhein, in Südwestdeutschland, in Sachsen und in Berlin flammten Kämpfe und Aktionen auf, die den konstitutionellen Rahmen sprengten und auf eine „zweite Revolution" zusteuerten. Bei der Paulskirchenversammlung langte eine große Zahl von Protestadressen demokratischer Organisationen gegen die Beschlüsse vom 16. September an. 1 In der Parlamentsstadt selbst kam die Reaktion auf die Ratifizierung des Abkommens von Malmö unmittelbar^ind mit Entschiedenheit. In Stunden spitzte sich hier die Konfrontation zwischen den Volksmassen auf der einen und den konterrevolutionären Kräften nebst den Behörden der Zentralgewalt auf der anderen Seite bis zum offenen Konflikt zu. Als erstes hatte der Reichsverweser noch am Abend des 16. September das zurückgetretene Reichsministerium wieder eingesetzt. Lediglich Leiningen und Heckscher traten zurück. Ihre Posten wurden von Schmerling übernommen, der als amtierender Ministerpräsident, Innen- und Außenminister zur bedeutendsten Persönlichkeit im neuen Kabinett avancierte. Allein dieser Umstand mußte schon als Kampfansage der Bourgeoisliberalen an die Linke inner- und außerhalb des Parlaments gewertet werden, da Schmerling als Exponent der restriktiven Ordnungspartei galt. Schmerling schwang sich in den Septembertagen 1848 zur dominierenden Persönlichkeit innerhalb der Reichsregierung und zum Hauptvcrfechter eines harten Kurses gegenüber der revolutionären Bewegung auf, eine Rolle, die ihm von Heinrich v. Gagern und seinen Gefolgsleuten gern überlassen wurde, profitierten sie doch hiervon in zweierlei Hinsicht: Schmerling setzte nicht nur mit größter Härte die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung durch, sondern kompromittierte sich gleichzeitig durch sein hartes Vorgehen derart, daß sein weiteres politisches Schicksal im Frankfurter Parlament bereits auf der Höhe seines politischen Einflusses besiegelt schien. Dieser Umstand war für den weiteren Weg der Großdcutschen wie der Kleindeutschcn innerhalb dieses Parlaments von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die Empörung der Frankfurter Arbeiter, Handwerksgesellen und Studenten über die Entscheidungen der Parlamentsmehrheit vom 16. September artikulierte sich zunächst auf einer großen Volksversammlung auf der Pfingstweide, vor den Toren Frankfurts, am 17. September. Diese richtete eine Protestadresse an die Nationalversammlung, verbunden mit der Aufforderung an die Linke, aus der Paulskirche auszutreten. Ein solcher Schritt, der in dieser Situation ohne Zweifel der Stärkung der revolutionären Bewegung außerhalb des Parlaments gedient hätte, wurde von einem Teil der Linken als Kampfmittel auch nicht prinzipiell ausgeschlossen. Er war von einer Gruppe von Abgeordneten innerhalb der Fraktion Donnersberg bereits Ende Juni nach dem Beschluß über die provisorische Zentralgewalt und auch in den Septembertagen erneut erwogen worden. Er wurde jedoch damals wie auch jetzt von der Oppositionsmehrheit aus politischen Gründen abgelehnt. 2 Durch ihr Verbleiben im Parlament, verbunden mit ihrer unentschlossenen und von den revolutionären Kräften abrückenden Haltung, fügte die Linke nicht nur ihrem Ansehen 1 Vgl. StB, Bd. 3, S. 2312, 2343; Bd. 4, S. 2383. Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition auf Linkskurs, S. 130ff.; Opposition in der Paulskircbe, u. ein gel. v. G. Hildebrandt, Berlin 1981, S. 125.

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beim Volke Schaden zu. Sie trug auch dazu bei, daß die revolutionären Kräfte in Frankfurt am Main und vielen anderen Orten Deutschlands isoliert blieben. Durch herbeibeordertes Militär provoziert, erhoben sich Frankfurter Arbeiter, Handwerker und Studenten am Mittag des 18. September gegen die konterrevolutionären Truppen. Schmerling, der bereits seine Gegenmaßnahmen einleitete, hatte schon während der Debatte am 5. September beim Festungskommando in Mainz veranlaßt, „daß immer zwei Bataillone consigniert und zum sofortigen Abmarsch per Eisenbahn nach Frankfurt disponibel gehalten würden". 1 Noch in der Nacht vom 17. zum 18. September gab er, ohne seine Ministerkollegen zu verständigen, das vereinbarte Zeichen, und in den Morgenstunden besetzten preußische und österreichische Truppen die Stadt. Gegen eine mehr als zwanzigfache Übermacht standen die Aufständischen auf verlorenem Posten. Zuzug aus den umliegenden Gebieten, aus Hanau, Mainz und Offenbach, war von Abgeordneten der parlamentarischen Opposition zurückgehalten worden. 2 Am Abend waren die von Schmerling herbeigerufenen Truppen wieder Herr der Lage. Die von der nunmehr erneuerten Reichsregierung repräsentierten Zentrumsliberalen waren sich über die volle politische Tragweite der Geschehnisse des 18. September ohne Zweifel nicht im unklaren. Dennoch oder gerade deshalb wurde die von der provisorischen Zentralgewalt eingeschlagene politische Linie nicht von allen Vertretern der Koalitionsfraktionen (Casino, Landsberg, Augsburger Hof) ohne Skrupel befolgt. Wie Duckwitz berichtet, hatten mehrere Reichsminister Bedenken in bezug auf die gegen die Frankfurter Aufständischen eingeschlagenen Gewaltmaßnahmen geäußert; Schmerlings Antwort sei gewesen: „Erwägen Sie, meine Herren, entweder hängen die Aufständischen uns, oder wir hängen sie, wählen Sie nun!" 3 Dies habe den Ausschlag gegeben. So war in den Ohren von Mathy der erste Kanonenschuß gegen die Frankfurter Revolutionäre „Musik"' 1 . Auch für Schmerling selbst waren am Morgen des 19. September „die trüben Bilder der vergangenen Nacht zerstoben, und es blieb nur die lebhafte Genugtuung" über das, was er „geleistet" hatte, zurück. 5 Doch Laube, der Konsequenzen des Rechtsruckes des liberalen Lagers eingedenk, bewertete den Septemberaufstand und sein Ergebnis als „Unglück des deutschen Parlaments". 6 Und selbst die „Deutsche Zeitung" schrieb noch am 19. September über das Geschehnis, welches den Aufstand ausgelöst hatte: „Der Beschluß vom 16., selbst wenn man ihn von zwei Übeln für das kleinere halten will, kann niemanden wahrhaft befriedigen; zusammengenommen mit allem Vorangegangenen ist er nur ein Palliativmittel, das eine offene Wunde mehr zu verdecken als zu heilen sucht." 7 ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Reichsministerium, Bl. 118. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition auf Linkskurs, S. 137. 3 DuckwitArnold, Denkwürdigkeiten, S. 89. 4 BAF, ZSg. 1/Na 57, Nachlaß Bassermann, Brief Mathys an Bassermann v. 19. 9. 1848. 5 ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Reichsministerium, Bl. 143. 6 Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 307. — Am deutlichsten innerhalb der CasinoFraktion äußerte Deiters seine kritische Besorgnis: „Kommt es zu neuen Volksbewegungen, so werde ich mir sagen, die Wühlereien sind nicht allein schuld. Entgegengesetzte Strebungen, die allerdings im Dunkeln zu schleichen scheinen, tragen einen großen Teil der Verantwortung. Ich bin mir reinen Strebens bewußt: steigt mein keimender Argwohn, so rücke ich mehr nach links. .Stockpreußentum' und wahrhafte Reaktion sind kein Element, worin ich atmen kann; .Anarchie' freilich ebensowenig." (BAF, ZSg. 1/N 77, Nachlaß Deiters, Deiters an seine Frau v. 17. 9. 1848). ? DZ, Nr. 255,19. 9.1848. 1

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6. Der Septemberaufstaad

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Doch kritische Stimmen über die Waffenstillstandsbeschlüsse oder deren Folgen aus der bürgerlich-liberalen Gruppierung der Paulskirche verstummten bald ganz bzw. ließen sich nur noch gelegentlich vernehmen. So äußerte beispielsweise Biedermann noch am 24. September die Befürchtung, daß man bei der augenblicklichen Verfolgung revolutionärer Bestrebungen zu weit gehen und „in Reaktion verfallen könne; teils daß man zwar die äußerlichen Erhebungen, nicht aber die innere Unzufriedenheit beseitigen möchte. Letztere zu heben ist offenbar das Schwierigere und Notwendigste." 1 Von der Casino-Fraktion ausgehend, verstärkte sich bei den beiden liberalen Nachbarfraktionen Landsberg und Augsburger Hof Ende September der Trend zur Geschlossenheit, der sich allerdings noch weniger als zuvor aus dem Zusammenstehen gegen den Partikularismus, gegen Adel und Fürsten, sondern vorwiegend aus der Abwehr und Verfolgung alles Demokratischen ableitete. Die Reichszentralgewalt setzte, unterstützt von den konservativen und rechtsliberalen Fraktionen, eine Kampagne der „Befriedung", der Sicherung von „Ruhe und Ordnung" in Gang, die sich gegen jeden richtete, der der Sympathie gegenüber der Revolution, der geistigen Urheberschaft des Aufstandes verdächtig gemacht werden konnte. Noch am 18. September wurde über die Stadt der Belagerungszustand verhängt, der bis zum 20. Oktober andauerte. In Frankfurt verblieben über 10000 Mann Militär. Am 19. September beschloß die Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung, einem Antrag des Casino-Abgeordneten H. Zachariä zufolge, den vom Reichsministerium „zur Unterdrückung des Aufruhrs und zur Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung ergriffenen Maßregeln" zuzustimmen und den „deutschen Reichstruppen für die von ihnen bei Unterdrückung des Aufruhrs bewiesene Hingebung den Dank des Vaterlandes" auszusprechen. 2 Schmerling ließ die Versammlungslokale der Fraktionen Deutscher Hof und Donnersberg überwachen und ordnete die gerichtliche Verfolgung derjenigen Abgeordneten der Opposition an, die am 17. September auf der Pfingstweide gesprochen hatten. 3 Der CasinoAbgeordnete Giesebrecht bedauerte, daß die Immunität der demokratischen Abgeordneten dem Rachefeldzug der Rechten Grenzen setze: „Soweit die Waffen reichen, denke ich, wird die Ordnung aufrechterhalten werden; aber das Schlimmste ist, daß die intellektuellen Urheber aller dieser Aufstände in der Nationalversammlung selber sitzen und ohne gewaltsame Maßregeln nicht zu entfernen sind." 4 Bereits am 21. September hatte das offizielle Organ der provisorischen Zentralgewalt mit bis dahin nicht gekannter Deutlichkeit die nunmehrige taktische Linie der Regierungskoalition, der „Reichspartet", formuliert: „Die Zentralgewalt ist gezwungen, sich auf die rechte Seite der Nationalversammlung und dadurch auf die einzelnen deutschen Staaten zu stützen, weil sie nur in diesen das Mittel zur Bekämpfung des Aufruhrs und des Ungehorsams gegen die Beschlüsse der Nationalversammlung und ihre eigenen Anordnungen zu finden vermag. Dadurch ist auch der Vereinigungspunkt für die Reichspartei gegeben. Diese muß vor allen Dingen die Befestigung der Ruhe und Ordnung erstreben, sie muß den Sinn für die Gesetzlichkeit wiederherstellen; sie muß der Zentralgewalt und sich selbst Achtung verschaffen. Tut sie dies nicht, bezeigt sie sich unentschlossen, fahrlässig in der Erfüllung dieser Pflicht, so arbeitet sie den Zwecken der Linken in die Hand . . ." 5 1 BAF, ZSg. 1/Na 61, Nachlaß Biedermann, Brief Biedermanns an O. Koch v. 24. 9. 1848. 2 StB, Bd. 3, S. 2187. 3 Allgemeine Oder-Zeitung, Breslau, Nr. 238, 11. 10. 1848. * BAF, ZSg. 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht, Brief Giesebrechts an seine Frau v. 24. 9. 1848. s FOPAZ, Nr. 259, 21. 9.1848.

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Preisgabe des Geltungsanspruchs

Zwei Tage später erhielt der Casino-Abgeordnete Graf v. Keller den Auftrag, als Reichskommissar und gestützt auf preußische und hessen-darmstädtische Truppen, die „Pazifizierung" der südwestdeutschen Gebiete durchzusetzen1, eine Aufgabe, der er sich — Schmerling zufolge — mit entschiedenem Erfolg entledigte. 2 Unzweifelhaft gaben die Casino-Liberalen bei ihrem Vorgehen gegen die demokratischen Kräfte nicht zuletzt dem Druck seitens monarchisch-aristokratischer Kräfte nach.3 In der militärischen Macht der Konterrevolution wurde augenblicklich das einzige Mittel gesehen, die revolutionäre Bewegung niederzuhalten. Dies schloß die theoretische Einsicht einer Reihe liberaler Abgeordneter nicht aus, daß das Schicksal des eigenen Reformwerkes vom weiteren Zurückdrängen des Partikularismus abhing und folglich dessen weiteres Vordringen eine Minderung ihrer Erfolgschancen zur Folge haben mußte. 4 In der praktischen Politik kam diese Einsicht zunächst nicht zum Tragen. Die Paulskirchenliberalen bauten auf die Illusion, auf dem Boden von „Gesetz und Ordnung" ihre politische Eigenständigkeit mindestens zum Teil wieder zurückzugewinnen. Die Septemberkrise signalisierte, durch eine Summe bewußt getroffener Entscheidungen seitens der gemäßigten Liberalen nicht minder bedingt wie durch die allgemeine Verschärfung des Konflikts, eine qualitative Veränderung der politischen Positionen und der Wirkungsmöglichkeiten der Frankfurter Nationalversammlung: den Verlust an Autorität bei ihren reaktionären und partikularistischen Gegnern wie bei der Volksbewegung, die Anpassung, ja zeitweilige Unterordnung der Parlamentsmehrheit gegenüber Adel und Fürsten. In einzelnen Zentren der Revolution in Deutschland zeichnete sich bereits im September 1848 jene Veränderung des Kräfteverhältnisses ab, die im gesamtnationalen Rahmen erst in den folgenden Monaten sichtbar wurde: Adel und Fürsten mitsamt ihrem halbfeudalen Machtapparat hatten an Stärke und Selbstbewußtsein gewonnen, die Bourgeoisie an Selbständigkeit eingebüßt: Ein Teil ihrer parlamentarischen Vertreter war (zeitweilig) auf konterrevolutionäre Positionen eingeschwenkt. Dagegen zeigte sich namentlich bei den revolutionären Arbeitern und Teilen des demokratischen (städtischen) Kleinbürgertums eine zunehmende Radikalisierung. Diese Veränderungen zusammengenommen bildeten den allgemeinen Rahmen für die Entwicklung der Frankfurter Nationalversammlung im nächstfolgenden Zeitabschnitt. 1 Der deutsche Stadt- und Landbote, Erfurt, Nr. 190, 30. 9. 1848. 2 ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Denkwürdigkeiten, Bl. 290 ff. 3 So forderte Arnim-Suckow H. v. Gagern am 23. 9. 1848 zu verschärftem Vorgehen gegen die Linke auf, da nur noch das „materielle Schwert" erfolgversprechend sei (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern). 4 Vgl. Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 308.

Antidemokratismus. Annäherung an das adlig-monarchische Lager und Enscheidung für das kleindeutsche Verfassungskonzept. Die Gagern-Liberalen in den parlamentarischen Auseinandersetzungen im Herbst 1848 (Ende September-Ende Dezember) Die politische Annäherung der Bourgeoisliberalcn gegenüber Adel und Fürsten, wachsender Geltungsanspruch und Positionsstärkung der Einzelstaaten gegenüber Zentralparlament und Zentralregierung waren zwei verschiedene Momente des sich seit Spätsommer 1848 in Deutschland verändernden politischen Kräfteverhältnisses. Handelte es sich bei der Hinwendung der Frankfurter Liberalen zum adlig-monarchischen Lager um einen bewußt vollzogenen Schritt, so stellte dessen gewachsener Geltungsanspruch eine von den Liberalen zwar nicht gewollte Begleiterscheinung, aber doch akzeptierte politische Realität dar. Die von dem Machtzuwachs der konterrevolutionären Kräfte ausgehende und sich immer mehr verstärkende Bedrohung aller Einrichtungen, Bestrebungen und Errungenschaften, die auf dem Boden der Revolution entstanden waren, ließ auch bei einzelnen Vertretern des Paulskirchenliberalismus (Laube, M. Duncker) vorübergehend Zweifel an der Richtigkeit ihrer Politik und Taktik entstehen und veranlaßte manchen von ihnen zu düsteren Prophezeiungen 1 , bewog sie jedoch nicht zu einer Korrektur ihrer politischen Linie. Der Antidemokratismus, der in dieser Entwicklungsphase eindeutig ihr Streben nach partieller Wahrung ihrer Selbständigkeit gegenüber Adel und Fürsten übertraf, blieb ein Grundpfeiler liberaler Politik, obwohl die Reaktion alles Revolutionäre verschärft bekämpfte und auch vor gemäßigt-konstitutionellen Errungenschaften nicht haltmachte. Ja er verstärkte sich in dem Maße, wie sich der Konflikt zwischen Volksbewegung und Konterrevolution im Herbst 1848 vertiefte. H. v. Gagern kündigte bereits einen Tag nach der Niederschlagung des Septemberaufstandes „Maßregeln zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe . . und zwar sowohl zur Erhaltung der Achtung vor dem Gesetz als auch zur Kräftigung der Vollziehung" an. Bassermann, der sich seit Herbst 1848 immer mehr zu einem Wortführer des äußersten rechten Flügels der Erbkaiserpartei aufschwang 2 , gab diesem Grundgedanken vier Wochen später die vielleicht schärfste Fassung 3 , den Rechtstrend innerhalb seiner Fraktion deutlich 1

Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 2, S. 3 0 8 ; Duncker, Max, Zur Geschichte der Reichsversammlung, S. 1 4 f .

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Vgl. Botsgnbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 6 5 6 ; Went^ke, Paul, Ideale u n d Irrtümer, S. 136. — Dieser auch in der neueren bürgerlichen Geschichtsschreibung nicht mehr umstrittenen These widerspricht Axel

v. Harnack (Friedrich Daniel Bassermann und die deutsche Revolution v o n 1848/49, M ü n -

chen/Berlin 1920, S. 6 7 f f . ) . Ohne Zweifel erreichte Bassermanns antidemokratische Position im Verlauf der Revolution eine zunehmend stärkere Ausprägung. A u c h stand Bassermann zunächst dem antiösterreichischenFlügel seiner Fraktion distanziert gegenüber, korrigierte jedoch bald seine Auffassung (ebenda) S. 6 4 ; vgl. auch S. 2 3 1 ff.). Bassermanns Charakterisierung als „Vernunftsmonarchist" (ebenda, S. 67) entspricht jedenfalls nicht seinen verfassungspolitischen Auffassungen, da eine (innere) Distanz zur Monarchie nirgends erkennbar wird. 3

Anläßlich der Debatte über das v o m Reichsjustizminister an die Frankfurter Nationalversammlung gerichtete Ersuchen um Genehmigung eines gerichtlichen Verfahrens gegen die auf der Pfingstweidenver-

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Antidcmokratismus

machend. Die weitgehende Reduzierung des eigenen konstitutionellen Reformprogramms war eine von ihm mit Nachdruck vertretene Konsequenz, zu der Antidemokratismus und politische Annäherung an Adel und Fürsten führen mußten: „Wir lassen uns" — so seine Worte — „nicht irre machen durch das Wort Reaktion. Wenn die Aktion darin besteht, daß man die Freiheit der Meinung durch Gewalttaten einschüchtern und vernichten will, . . . dann, meine Herren, ist Reaktion gegen diese Aktion das größte Verdienst, und wenn ich in diesem Sinne den Namen Reaktionär verdienen sollte, werde ich ihn mir zur Ehre rechnen." 1 Nicht minder klar war die (augenblickliche) Hintansetzung des eigenen verfassungspolitischen Programms: „Es ist jetzt hohe Zeit zurückzukehren und die verwirrten Begriffe von dem, was Freiheit, was Tyrannei, wieder an heilsame Stelle zu setzen." Noch deutlicher: „Die Freiheit verteidigt jetzt derjenige, welcher die Gesetze stärkt, damit die Besinnung zurückkehre bei der verführten Masse . . . welche, weil eine Revolution notwendig und gerechtfertigt war, nun die zweite und eine immer fortwährende Revolution für berechtigt hält." 2 So sehr auch dieser Antidcmokratismus und eine antirevolutionäre Grundhaltung vom rechten Zentrum insgesamt grundsätzlich geteilt bzw. gebilligt wurden, eine derartige Auslegung des Konstitutionalismus fand keinen ungeteilten Beifall. Die Mehrheit der CasinoFraktion hielt nach wie vor an der Forderung nach einer alsbaldigen Bundesreform fest und bekannte sich — nicht zuletzt im Zusammenhang mit dieser — zur Bewahrung verfassungsmäßiger Zustände, soweit dies ohne das Risiko eines ernsteren Konflikts mit Adel und Fürsten möglich erschien. Man wird deshalb H. v. Gagerns Erklärung vom 19. September keinesfalls nur als Bemäntelung der Politik der weiteren Annäherung an das adlig-monarchische Lager, sondern durchaus auch als eine bürgerlich-konstitutionelle Absichtserklärung interpretieren dürfen: „Wir werden unsern Weg einhalten, der auch die Freiheit schützt. Wir werden keinem Gelüste Vorschub leisten, das etwa rückwärts führen könnte." 3 Duncker definierte die Vermittlung zwischen den streitenden Parteien durch die Zentralgewalt, „die friedliche Verständigung, den Schutz und die Sicherung des konstitutionellen Lebens" 4 , als die politische Leitlinie der Casino-Liberalen im Herbst 1848. Auch Haym skizzierte rückblickend den Kurs seiner Fraktion in diesen Monaten nach wie vor als eine Art Mittelweg: „Zwischen der doppelten Gefahr, die Freiheit weder einer neuen Reaktion, noch dem Übermut einer im Parlament noch unbesiegten anarchistischen Partei zur Beute werden zu lassen, mußten wir kühn und entschieden hindurchsteuern." 5 Keine der einzelnen Gruppen der Casino-Fraktion vermochte sich jedoch der Erkenntnis zu verschließen, daß sich die Voraussetzungen für eine Fortsetzung jener Politik des Lavierens und Moderierens nach beiden Seiten, wie sie von dieser vornehmlich in den ersten Monaten der Paulskirchenversammlung betrieben worden war, wesentlich verschlechtert hatten. Antidemokratismus und Annäherung an das Lager der Feudalkräfte einerseits, das Bewahren wenigstens eines Restes an konstitutionellen Errungenschaften gegenüber der Reaktion andererseits — dies waren die allerdings ungleichgewichtigen und widersprüchlichen Postulate rechtsliberaler Politik. Das weitere Zurückschrauben, wenn auch nicht Aufgeben der eigenen Ansprüche seitens der Bourgeoisliberalen war zunächst als Reaktion auf die politische Situation bzw. das Versammlung aufgetretenen Abgeordneten der Fraktion Donnersberg—Zitz, L. Simon und Schlöffel (StB, Bd. 4, S. 2650-2652). 1

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3 Ebenda, Bd. 3, S. 2186. Ebenda, S. 2651. 2 Ebenda, S. 2652. Duncker, Max, Zur Geschichte der Reichsversammlung, S. 15. Hqym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 149.

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änderte Kräfteverhältnis zu werten. Es ist jedoch aufschlußreich, daß dieser Schritt sich auch an eine weitergehende Motivation knüpfte. Die Bourgeoisparlamentarier interpretierten die weitere Annäherung an das Lager der Konterrevolution auch als taktisches Manöver, welches dazu dienen könne, die politische Eigenständigkeit später zurückzugewinnen. Gerade durch die Parteinahme für die Kräfte von „Ordnung und Gesetz" sei es möglich, so wurde argumentiert, mäßigend auf diese einzuwirken und das Ärgste zu verhüten. Ein Beispiel hierfür gab der Parteihistoriker der Casino-Fraktion Haym, welcher auf spätere Gegenleistungen seitens der preußischen Regierung spekulierte, wenn man sie in den Wochen der Herbstkrise unterstützen würde. 1 Politik und Taktik der Bourgeoisliberalen waren in vielen Phasen ihrer Entwicklung von der Vorstellung geprägt, durch eine Annäherung an Adel und Fürsten sowie eine repressive Politik gegenüber den demokratischen Kräften auch ihren eigenen Interessen zu dienen. Es entbehrte deshalb nicht einer gewissen Logik, daß vielfach das repressive Vorgehen der Gagern-Liberalen gegenüber der demokratischen Bewegung sowie das Bemühen um Forcierung des Verfassungswerkes in dem Abschnitt seit September 1848 mit Bestrebungen zur Stärkung der ideologischen und organisatorischen Geschlossenheit in Zusammenhang standen. Diesem Ziel diente zunächst die Verabschiedung des ersten Programms der Casino-Fraktion am 25. September.2 Parteitaktische Gründe hatten es dem rechten Zentrum anfangs als ratsam erscheinen lassen, sich als offen für alle gemäßigt-konstitutionellen Bestrebungen auszugeben und auf die Formulierung eines regelrechten Programms zu verzichten. Nunmehr hielten es die Casino-Liberalen für angezeigt, sich parteimäßig deutlicher zu profilieren, obwohl auch nunmehr bewußt jede programmatische Enge vermieden wurde. Zwar verriet das kurzgefaßte Dokument eine klare Frontstellung gegenüber der demokratischen Linken, aber es war, wie Haym bemerkte, immer noch weit genug gefaßt, um auch „das linke Zentrum an uns heranzuziehen"3. Das rechte Zentrum bekannte sich im September-Programm zum Beschluß der Frankfurter Nationalversammlung vom 27. Mai 1848 über die Priorität von Zentralparlament und Gesamtstaatsverfassung. Es erklärte seine Absicht, für die Einheit Deutschlands zu wirken, allerdings unter „Anerkennung der den einzelnen deutschen Staaten und Stämmen in der Gesamtheit gebührenden Besonderheit". Die Casino-Fraktion sprach sich fernerhin zwar gegen die Reaktion aus, bekundete jedoch ihren Willen, „mit aller Entschiedenheit . . . für die öffentliche Ordnung, gegen die Anarchie zu kämpfen"/' Analog hierzu verstärkten die Zentrumsfraktionen Ende September/Anfang Oktober ihre Bemühungen um die organisatorische und ideologische Festigung eines Mehrheitsblocks der liberalen Mitte gegenüber den Fraktionen der Linken, was übrigens von ähnlich gearteten Bestrebungen seitens der Opposition begleitet war. 1 Ebenda, T. II, S. 35. Initiator des Programms war der Greifswalder Casino-Abgeordnete G. Beseler, vgl. Lexikon. %ur Parteiengt schichte, Bd. 2, S. 616; Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 156f. 3 Ebenda, S. 156. 4 Salomon, Felix, Die deutschen Parteiprogramme, H. 1: Von den letzten Zeiten des deutschen Reiches bis zur Reichsgründung 1845-1871, 2. Aufl., Leipzig/Berlin 1912, S. 43f. 2

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Hildebrandt, Gagern

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1. Die Festigung des liberalen Zentrumsblocks Bereits am 24. September lenkte' Biedermann die Aufmerksamkeit auf ein neues Moment der Parteibildung in den Zentren, nämlich „ein engeres Zusammenrufen aller der Fraktionen, welche die Ordnung oder organischen Fortschritt wollen, um die anarchischen Elemente in der Versammlung gänzlich zu isolieren". 1 Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Septemberereignisse, namentlich der „Verirrung" des linken Zentrums und des Zerwürfnisses selbst innerhalb der Casino-Fraktion, ging die Regierungspartei daran, Disziplin und innere Geschlossenheit in den Zentrumsfraktionen wieder zu stärken. Erfolge ließen sich bald vermelden — offensichtlich jedoch nicht nur beim rechten Zentrum. „Wie unsere Verhältnisse jetzt liegen", schrieb der Casino-Abgeordnete und preußische Gutsbesitzer Willibald v. Kalckstein am 14. Oktober, „so ist es nicht der Redner und der einzelne Mann, der hier etwas gilt, sondern nur die Partei und die einzelne Stimme in ihr. Es ist aus Notwendigkeit alles in gegnerische Massen getrennt, und es kommt nur darauf an, daß die Majorität eine kräftige, wohlgesinnte gesetzliche Fortschrittspartei bleibt !" 2 Größter Wert wurde beim rechten Zentrum vor allem darauf gelegt, der Zentralgewalt bei ihrem Vorgehen gegen demokratische Bestrebungen innerhalb und außerhalb des Parlaments zu assistieren. Nachdem die Dahlmann-Attacke Anfang September die Regierungspartei in eine ernste Krise geführt hatte, einigte man sich im rechten Zentrum jetzt darauf, seitens der eigenen Fraktion keine Interpellationen oder Ad-hoc-Anfragen an das Reichsministerium mehr zuzulassen. Man werde, schrieb Giesebrecht in einem vertraulichen Briefe, sich „vielmehr im Privatgespräch verständigen". Analog dazu sollten „Interpellationen der Gegner . . . möglichst durch Abstimmung beseitigt werden". 3 Die ohnehin nicht gravierenden programmatischen Differenzen zwischen Casino, Landsberg und Augsburger Hof wurden namentlich von den führenden Vertretern dieser Fraktionen weiter zurückgedrängt. Abgeordnete wie Biedermann oder Riesser (Augsburger Hof), einst mit dem linken Zentrum verbunden, stimmten jetzt, so die demokratische Zeitschrift „Wage", „als ob Herr Radowitz sie einexerziert hätte". 4 Eine Neunerkommission, bestehend aus je drei Vertretern der das Reichsministerium tragenden Fraktionen, wurde gebildet. Dieser Koalitionsausschuß fungierte als gemeinsames Koordinierungs- und Leitungsorgan von Casino, Augsburger Hof und Landsberg 5 . Zu seinem Aufgabenbereich gehörte auch die ständige Beratung wichtiger politischer Fragen mit dem Reichsministerium. Aber selbst eine, wenn auch fester als zuvor gefügte Koalition der drei Regierungsfraktionen wurde bei tonangebenden gemäßigten Liberalen noch für zu schwach befunden, um allen bevorstehenden parlamentarischen Belastungen (Auseinandersetzungen zwischen Groß- und Kleindeutschen!) standzuhalten. Die Losung der „Deutschen Zeitung" hieß daher: „. . . eine feste Partei herausbilden, die nicht wankt, noch weicht, unzersplittert und unerschüttert zusammenhält, wenn auch feindliche Gewalten an den Grundpfeilern, die unsere Zukunft tragen sollen, rütteln . . . Diese Partei muß fortan nicht Württemberger Hof, nicht SteinerBAF, ZSG, 1/Na 61, Nachlaß Karl Biedermann, Brief Biedermanns an Otto Koch v. 24. 9. 1848. Ebenda, 1/Na 118, Nachlaß W. v. Kalckstein, Bericht v. Kalcksteins v. 14. 10. 1848. 3 Ebenda, 1/Na 96, Nachlaß H. Giesebrecht, Brief Giesebrechts an seine Frau v. 12. 10. 1848. « Wage, T. III, S. 29. 5 Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes 1848/49, 1. Abt., Braunschweig 1850, S. 427f.; Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 10. 1

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nes Haus und was dazwischen und darum liegt, nicht Landsberg, nicht Casino heißen, — H. v. Gagern sei der Schwerpunkt, v. Vincke und Jordan aus Berlin die Äußersten . . Eine solche große Fraktionsgemeinschaft von der äußersten Rechten bis zur linken Mitte unter erbkaiserlicher Flagge war bereits die Vorwegnahme der kleindeutsch orientierten interfraktionellen Gruppierung des Weidenbusch, wie sie nach dem Austritt der großdeutsch eingestellten Gruppe um Schmerling im Februar 1849 entstand. 2 Einige Beobachter signalisierten bereits seit September eine Hinwendung des linken Zentrums zu den weiter rechts stehenden Fraktionen. Schon am 19. September teilte Mathy seinem Freund Bassermann mit, der Württemberger Hof sei „zur Besinnung" gekommen. 3 Auf einer Reihe von Fraktionsberatungen des linken Zentrums in jenen Wochen schälte sich bald dessen veränderte Position heraus: politische Annäherung an Casino, Augsburger Hof und Landsberg ohne Aufgabe des eigenen verfassungspolitischen Programms, unbedingte Treue und Loyalität in ihrem Kampf gegen die „Anarchie", aber auch Zurückweisung der Reaktion. 4 Das Offenhalten des Casino-Programms für die Annäherung des Württemberger Hofes hatte sich also bewährt und die doppelte Frontstellung des Programms gegen „Anarchie" und „Reaktion" das Näherkommen des linken Zentrums gegenüber den verbündeten Regierungsfraktionen erleichtert. Allerdings erwies sich diese neugeschaffene Bundesgenossenschaft als ebensowenig stabil, wie die Koalitionsfraktionen daran dachten, Reaktion und Partikularismus konsequent zu bekämpfen. Für den Augenblick hatte es Gagerns Partei allerdings durch eine nicht ungeschickte Verknüpfung des Antidemokratismus mit konstitutionell-liberalen Forderungen verstanden, eine verhältnismäßig breite Front parlamentarischer Kräfte zu schaffen, durch die die Chancen für die Linke, mit parlamentarischen Mitteln zum Erfolg zu kommen, sich weiter verminderten. Wenn auch der antidemokratische Zug in der Politik und Taktik der rechtsgerichteten Zentrumsliberalen in dieser Entwicklungsphase ohne Zweifel dominierte, so erschöpfte sich dessen Wesen jedoch nicht darin. Aber Antidemokratismus und Antifeudalismus besaßen, nicht nur in diesem Zeitabschnitt, einen unterschiedlichen Stellenwert. Betrachteten die rechtsgerichteten Liberalen die Ablehnung und z. T. Bekämpfung demokratischer Bestrebungen gewissermaßen als Conditio sine qua non, so war, vereinfacht ausgedrückt, die antifeudale Komponente eine sehr variable, von der Entwicklung des Kräfteverhältnisses abhängige Größe. Dieser antifeudale Aspekt äußerte sich beispielsweise auf verfassungspolitischem Gebiet in zweierlei Hinsicht: I. in einer in Grenzen antipartikularistischen, auf Stärkung der Zentralgewalt bedachten Einstellung (Forderung nach zentraler Unterstellung bzw. Leitung von Heer, Diplomatie und Außenpolitik), 2. in dem Verlangen nach verfassungsmäßiger Beschränkung der Rechte des Alleinherrschers im Sinne der Machtteilung zwischen Parlament und Monarch innerhalb bestimmter Grenzen, wobei die Beschränkung des Parlaments auf seine legislative Funktion die Minimalforderung und die Gewährung eines absoluten Vetos für den Monarchen das Maximalzugeständnis bedeuteten. Bei der Herausarbeitung antifeudaler Momente in der Politik der gemäßigten Liberalen DZ, Nr. 270,6.10.1848. 2 Vgl. S. 203 unten. 3 BAF, ZSG, 1/Na 67, Nachlaß F. D. Bassermann, Brief Mathys an Bassermann v. 19. 9. 1848. 4 Vgl. hierzu den Bericht des Abgeordneten des Württemberger Hofes Gustav Rümelin {Aus der Paulskirebe. Berichte an den „Schwäbischen Merkur" aus den Jahren 1848 und 49,hrsg. v. R. Schäfer, Stuttgart 1892, S. 101; Bericht vom 27. 9. 1848); DZ, Nr. 266, 267, 2. und 3. 10.1848. 1

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darf nicht von abstrakten Kriterien ausgegangen werden, vielmehr sind die jeweiligen politischen Umstände konkret zu analysieren. Bekanntlich bedurfte es 1848/49 durchaus nicht immer antifeudaler Momente im Rahmen liberaler Politik, um den Widerstand des adlig-monarchischen Lagers hervorzurufen. Denn die Aktivitäten der reaktionären Kräfte innerhalb dieses Lagers richteten sich seit Herbst 1848 immer häufiger auch bereits gegen gemäßigt-liberale Bestrebungen nach einem für sie durchaus noch tragbaren Machtausgleich. Insgesamt ist zu sagen, daß die rechtsgerichteten Zentrumsliberalen für sämtliche Varianten der reformerischen Politik die Anwendung revolutionärer bzw. konsequent-demokratischer Mittel ausschlössen, womit zugleich ein wichtiger Aspekt des Verhältnisses von Antifeudalismus und Antidemokratismus in der Politik und Taktik der liberalen Parlamentarier gekennzeichnet ist. Die ausgeprägt antidemokratische Tendenz prägte nicht so sehr die im Herbst 1848 verstärkt einsetzenden Verfassungsberatungen, als vielmehr die Stellungnahmen und sonstigen Aktivitäten der Casino-Liberalen zu nahezu allen praktisch-politischen Fragen. Dabei spielte die Repression gegen die demokratischen Kräfte inner- und außerhalb 1 der Frankfurter Nationalversammlung eine besondere Rolle. Am 9. Oktober verabschiedete das Paulskirchenparlament gegen die Stimmen der Linken das „Gesetz betreffend den Schutz der konstituierenden Nationalversammlung". 2 Es diente nicht nur einer noch stärkeren Abschirmung des Parlaments gegenüber der revolutionären Bewegung, sondern unterwarf die demokratischen Kräfte einer strengen Reglementierung. Das Gesetz stellte nicht nur direkte Aktionen gegen die Frankfurter Nationalversammlung, wie „gewaltsame Angriffe" und „gewaltsame Eindringung in das Sitzungslokal", unter strenge Strafe, auch Volksversammlungen in und um Frankfurt, ja sogar öffentliche Beleidigungen des Parlaments sollten mit Freiheitsstrafen geahndet werden. Dies war ein deutlicher Eingriff in die Presse- und Versammlungsfreiheit. 3 Der Casino-Abgeordnete Scheller hatte sogar das Ansinnen gestellt, das Gesetz „für alle volksvertretenden Versammlungen der Einzelstaaten für anwendbar zu erklären"' 5 , was sich jedoch als nicht realisierbar erwies 5 . Unabhängig hiervon bot dieses Gesetz den einzelstaatlichen Regierungen und Behörden eine Handhabe zu repressivem Vorgehen gegen demokratische Aktivitäten. Die Debatte war von erbitterten persönlichen Ausfällen einiger, auch Casino-Abgeordneter Hierher gehörte auch die Aufforderung Schmerlings an die preußische Regierung, den in Berlin tagenden II. Demokratenkongreß „genau zu überwachen und gegen etwaige Ungesetzlichkeiten, welche dabei vorkommen können, einzuschreiten" (GStA, III. H. A., Nr. 47, Bl. 60, Schmerling an Camphausen v. 29. 10. 1848). 2 StB, Bd. 4, S. 2509ff.; die Linke legte gegen das Gesetz Verwahrung ein (ebenda, S. 2531). 3 Beide waren bekanntlich in den später von der Paulskirche verabschiedeten Grundrechten enthalten (vgl. Debatten und Abstimmungen vom 6. 12. 1848 — ebenda, Bd. 5, S. 3967 ff., und vom 15. 1 2 . 1 8 4 8 — ebenda, S. 4172). — Das Recht zur Abhaltung von Volksversammlungen unter freiem Himmel war mit einer Einschränkungsklausel („bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") versehen. 1

^ Ebenda, Bd. 4, S. 2488. 5 Die Kooperation mit dem Württemberger Hof erwies sich als nicht sehr gefestigt. So stimmte das linke Zentrum zwar in seiner Mehrheit gegen den von der Linken eingebrachten Antrag, die in der Stadt stationierten Truppen eidlich auf den Schutz der Frankfurter Nationalversammlung zu verpflichten (ebenda, S. 2518ff.), lehnte jedoch gemeinsam mit der Opposition die Bestrafung von „Beleidigungen der Reichsversammlung" ab (ebenda, S. 2522ff.).

1. Die Festigung des liberalen Zentrumsblocks

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(Stavenhagen) gegenüber der Linken begleitet 1 gewesen, die an die Vorfälle während der Debatte über die Amnestiefrage erinnerten. Die Parlamentsreden mancher Casino-Abgeordneter unterschieden sich jetzt höchstens noch durch die Wortwahl von vertraulichen Äußerungen über die parlamentarische Linke, wie etwa aus der Feder des Casino-Vertreters Kalckstein: „Soviel ist gewiß, daß sie nur durch Gewalt niederzuhalten sind. Schlagen müssen wir uns jetzt in der Paulskirche im parlamentarischen Krieg; einst auch vielleicht mit der Waffe in der Hand. Wenn nur die besonnenen Leute zusammenhalten möchten; das müssen sie durchaus, sie müssen wirken mit Rede, Schrift und Taten." 2 V o n dieser Atmosphäre geprägt war auch die parlamentarische Auseinandersetzung über die gerichtliche Verfolgung der Donnersberg-Abgeordneten Zitz, L. Simon und Schlöffel. Alle drei hatten zu den Rednern auf der Pfingstweidenversammlung v o m 17. September gehört, was ihnen seitens der Rechten den Vorwurf der geistigen Urheberschaft am Septemberaufstand und eine Anklage des Reichsministeriums wegen „Aufreizung zum Aufruhr und zur tätlichen Mißhandlung der Abgeordneten aus der Reichsversammlung" 3 eingetragen hatte. Auf diese weit übertriebene und aus dem Anklagematerial nicht nachweisbare Behauptung gründete das Justizministerium den Antrag v o m 5. Oktober, gegen die drei A n geklagten ein gerichtliches Verfahren zu eröffnen und sie in Untersuchungshaft zu nehmen. 4 Dies wäre ein an die Praxis vormärzlicher Gerichtsbarkeit erinnernder Eingriff in die Immunität oppositioneller Abgeordneter gewesen. Wiederum waren die Debatten von repressivem Druck gegenüber der Linken gekennzeichnet. Beschimpfungen, Maßregelungen, Verstöße gegen die parlamentarische Geschäftsordnung waren kennzeichnend für die A r t und Weise, wie die Rechte nunmehr häufig die Auseinandersetzung mit der Opposition führte. 5 Überraschenderweise folgte jedoch z-uAls Rösler (Öls), von H. v. Gagern als frech tituliert, diesem mit der Bemerkung „Selbst frech!" antwortete, bemerkte der preußische Abgeordnete und Generalstabsoffizier v. Stavenhagen wörtlich: „Der muß hinausgeschmissen weidenI" (ebenda, S. 2493); in GStA, III H. A. Nr. 46, Bl. 335ff., findet sich ein „Protokoll der Sitzung vom 9. 10.", nach dem zunächst Stavenhagen seine Worte gegenüber Rösler (Öls) bedauert (Bl. 335) und schließlich Rösler (Bl. 336 v.) seine Äußerung gegenüber dem Präsidenten zurücknimmt; in den StB findet sich nichts Derartiges. 2 BAF, ZSG 1/Na 118, Nachlaß W. v. Kalckstein, Bericht Kalcksteins vom 10. 10. 1848. 3 Vgl. StB, Bd. 4, S. 2431. — Ähnlich motiviert war auch das Ersuchen des Reichsjustizministers UM Zustimmung der Frankfurter Nationalversammlung zur Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung gegen die „Deutsche Reichstagszeitung", das Organ der Linken, was am 9. 12. 1848 von der Parlamentsmehrheit auch genehmigt wurde (ebenda, Bd. 6, S. 4006). 4 Schriftliches Ersuchen abgedruckt ebenda, Bd. 4, S. 2430. 5 Als die Donnersberg-Abgeordneten Schmidt und Wiesner den polemisch gemeinten Antrag stellten, die Frankfurter Nationalversammlung möge die Verhaftung von Zitz, L. Simon und Schlöffel genehmigen, weil es wünschenswert sei, „daß die Nationalversammlung in ihrem wahren Charakter vor das Volk trete", forderte ein eigens zur Untersuchung dieses Vorfalls eingesetzter Ausschuß den vorläufigen Ausschluß der beiden Antragsteller von den Verhandlungen. Dies konnte lediglich durch die Initiative des Abgeordneten Reh (Fraktion Westendhall) vermieden werden (ebenda, S. 2634 ff.). Besonders v. Schmerling ließ seinen Gefühlen die Zügel schießen. Seine Worte, als Schmidt am 5. 10. zur Begründung seines Antrags die Tribüne betrat: „Das ist auch eine von den Kanaillen, die wir hinausbringen müssen." Vierter Beriebt der demokratischen Partei der deutseben konstituierenden Nationalversammlung vom 20. Oktober 1848, in: Opposition in der Paulskirche, S. 174. Vgl. hierzu den interessanten Brief J. Venedeys an H. v. Gagern, in dem er ankündigte, die Linke werde sich dem Ausschluß von „W. und Sch." mit Gewalt widersetzen (BAF, FH 7, Nachlaß H. v. Gagern, Brief ]. Venedeys an H. v. Gagern v. 7. 10. 1848). - Am 16. 10. 1848 schließlich lehnte v. Schmerling es in provozierender Arroganz ab — auch dies ein in der Geschichte der 1

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nächst der vom Parlament eingesetzte Ausschuß 1 und schließlich am 16. Oktober auch die Parlamentsmehrheit dem Antrag des Reichsjustizministers nur teilweise: sie genehmigten zwar die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens, verweigerten jedoch ihre Zustimmung zur Inhaftierung von Zitz, L.Simon und Schlöffel. 2 Die Gründe hierfür sind dem vorliegenden Material nicht unmittelbar zu entnehmen. Die Schlußfolgerung liegt nahe, daßAusschuß und Parlamentsmehrheit in erster Linie prinzipiellen\5 berlegungen folgten und durch ein zu weitgehendes Infragestellen der Immunität Schaden für die eigene Sache befürchteten. Es gibt andererseits genügend Beispiele dafür, daß die liberale Mehrheit nicht gesonnen war, die Souveränität des Parlaments bzw. die Immunität der Abgeordneten gegen die konterrevolutionären Feinde dieser Versammlung entschieden zu verteidigen. Im Gegenteil, die Immunität wurde von ihnen in erster Linie benutzt, um die Abschirmung dieses Parlaments gegenüber der demokratischen Bewegung zu rechtfertigen. Dies wurde vor allem durch die Stellungnahme der Paulskirchenversammlung zur Erschießung Robert Blums und zur Vertreibung der preußischen Nationalversammlung bestätigt, wovon noch zu sprechen ist. Auch die Reaktion der Zentrumsliberalen auf die seit September 1848 in verstärktem Maße eingehenden Mißtrauensadressen muß so verstanden werden. Von den prominenten Zentrumsliberalen erhielten in den Herbstmonaten derartige Voten seitens revolutionärer und anderer demokratischer Kräfte u. a. E. Simson, Jürgens, Mathy, Degenkolb, Briegleb, Fischer, R. Mohl, Wuttke, Biedermann, Wurm. 3 Angesichts der bekannten schwierigen Quellenlage darf davon ausgegangen werden, daß es möglicherweise weitere Mißtrauensadressen an liberale Abgeordnete gegeben hat. Sie waren ebensosehr Ausdruck der allgemeinen Verschärfung des Konflikts zwischen Volksbewegung und Konterrevolution wie der Absage des Volkes an die Politik der liberalen Parlamentsmehrheit und spiegelten den allgemeinen Prestigeverlust der Zentrumsparlamentarier wider. Gewicht und Echtheitswert dieser Kundgebungen dürfen höher veranschlagt werden als bei den antidemokratischen Voten 4 , da diese nicht selten durch Nötigung seitens staatlicher oder kirchlicher Institutionen zustande gekommen waren. Im Beanspruchen des Rechtes der öffentlichen Kritik an einem Volksvertreter, in der Suche nach einem Korrektiv zu einem beschränkten Wahlrecht, im Bestehen auf der Verantwortlichkeitsbeziehung zwischen Abgeordneten und Wählern manifestierte sich ein Stück „Urdemokratie". Ein solches Verständnis der Wähler-Abgeordneten-Beziehung entsprang dem Volkssouveränitätsbegriff, der der Theorie und Praxis des Parlamentarismus seitens der Liberalen widersprach. Kein Casino-Abgeordneter zeigte sich, im Unterschied zu zwei Vertretern der PaulsPaulskirchenversammlung bis dahin nicht gekannter Vorgang —, eine Interpellation Schmidts wegen Mißbrauchs des Reichssiegels zu beantworten (StB, Bd. 4, S. 2621). 1 Dem 15köpfigen Ausschuß gehörten nicht weniger als acht Vertreter des rechten Zentrums an (Scheller, Ebmeyer, Briegleb, Martens, v. Maitzahn, Langerfeldt, H. Zachariä, Duncker). Ausschußantrag ebenda, S. 2537-2645. 2 Ebenda, S. 2667—2672. Mit der Linken stimmte auch eine Reihe von Abgeordneten des linken Zentrums gegen den Ausschußantrag. 3 Vgl. Simson, Eduard v., Erinnerungen, hrsg. v. B. v. Simson, Leipzig 1900, S. 126; DRZ, Nr. 110, 5. 10. 1848; Nr. 123,11.10. 1848; Nr. 173, 9.12.1848; Nr. 175,12.12.1848; Nr. 177, 14.12.1848; Nr. 8, 10 1. 1849; BAF, ZSg, 1/Na 141, Nachlaß R. Mohl, Frankfurter Konzepte 1848/49; ebenda, Offener Brief des Abgeordneten von Mergentheim-Gerabronn R. Mohl an seine Wähler; Aus dem Nachlaß von Karl Mathy. Briefe aus den Jahren 1846—48, hrsg. v. L. Mathy, Leipzig 1898, S. 339f.; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 223. 4 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsöpposition auf Linkskurs, S. 142f.

2. Die Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand

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kirchenlinken 1 , im entferntesten bereit, den Mißtrauensvoten Folge zu leisten; zum Teil wurden vielmehr Gegenkampagnen inszeniert. 2 In den hierfür gegebenen Begründungen wurden derartige Mißtrauenskundgebungen z. T. als Minderheitsvoten abqualifiziert. Auch die Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber den Wählern wurde bestritten. „Auch das Volk kann sich irren und hat sich schon unzählige Mal geirrt", schrieb beispielsweise R. Mohl in einem offenen Brief an seine Wähler vom 10. Oktober 1848.3 Noch deutlicher wurde Degenkolb: „Verantwortlich bin ich nur Gott, meinem Gewissen und dem Gesamtvaterlande. Würde ich von der Majorität meiner Wähler aufgefordert, mein Mandat zurückzugeben, so würde ich nicht untersuchen, ob diese ein Recht dazu haben oder nicht, sondern ob eine Verzichtleistung in deren wahrhaften Interessen(!) sein würde." 4 In der Interessenlage ihrer Fraktion, der von ihnen vertretenen Klassen und Schichten fanden das von den Casino-Liberalen immer wieder apostrophierte Repräsentationsprinzip und ihre Auffassung von der freien Selbstbestimmung des Volkes ihre Schranken. Das Ignorieren derartiger Willensäußerungen entsprach dem liberalen Verständnis von der Rolle des Parlaments bzw. seiner Dominanz gegenüber der Volksbewegung. So verfielen auch mehrere von den Linken eingebrachte parlamentarische Anträge und Interpellationen, welche auf die Durchführung von Neuwahlen für das Frankfurter Parlament zielten, der Ablehnung durch die Versammlungsmehrheit. Ein diesbezüglicher Antrag des Donnersberg-Abgeordneten Rühl war bereits am 10. September durch die Ablehnung der Dringlichkeit beiseite geschoben worden. 5 Einer Interpellation Nauwercks (Deutscher Hof) vom 7. November widerfuhr das gleiche Schicksal. 6 Erst am 9. Dezember sah sich die Mehrheit bemüßigt, Rühls Antrag zur Abstimmung zuzulassen, nachdem er von dem Würzburger Casino-Vertreter Edel zuvor als Antrag „unserer eigenen Selbsterniedrigung" etikettiert worden war. 7 Die 106 Stimmen für Rühls Antrag waren ein auch für Paulskirchenverhältnisse mäßiges Ergebnis. Ihnen stand eine geschlossene Front von der äußersten Rechten bis zum linken Zentrum mit 311 Stimmen 8 gegenüber. 2. Die Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand Nach den ausgiebigen und größtenteils intern geführten Grundrechtsdebatten in der zweiten September- und ersten Oktoberhälfte sah sich die Frankfurter Nationalversammlung erstmals seit dem Malmöer Waffenstillstand wieder mit einemGegenstand von erheblichem politischem Gewicht und nationaler Tragweite konfrontiert: dem Wiener Oktoberaufstand. Die Debatten über diese revolutionäre Erhebung beanspruchten zwar nur relativ geringen Raum, dennoch waren sie aufschlußreich nicht nur für die Untersuchung des von * Ebenda, S. 143. 2 Vgl. BAF, ZSg. 1/Na 141, Nachlaß R. v. Mohl, Frankfurter Konzepte, Bl. 1 4 - 1 6 ; Süddeutsche Politische Zeitung, Stuttgart, Nr. 290-292,1.-3. 12. 1848. 3 Reicbsminister Robert v. Mob/ und seine Wähler 1848/49. 19 Briefe aus der deutschen Nationalversammlung, hrsg. v. B. Mann, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte, Jg. 1971, S. 319. 4 BAF, ZSg. 1/Na 8, Nachlaß C. Degenkolb, Zuschrift Degenkolbs an den Bürgerverein von Eilenburg v. 23.10.1848. 5 StB,Bd.3, S.2163f. 6 Ebenda, Bd. 4, S. 3140. 1 Ebenda, Bd. 6, S. 4029. 8 Ebenda, S. 4030- 4035.

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der liberalen Mehrheit in den Herbstmonaten 1848 eingeschlagenen politischen Kurses. Die Auseinandersetzung mit den revolutionären Ereignissen in Wien war, nicht zuletzt durch ihre Verflechtung mit der Diskussion über die Paragraphen 2 und 3 der Reichsverfassung, auch von erheblicher Bedeutung für die weitere Klärung der verfassungspolitischen Vorstellungen und des Bundesstaatskonzepts der erbkaiserlich eingestellten CasinoMehrheit. Dem Wiener Oktoberaufstand, dem „revolutionären Gegenstück" zum Pariser Juniaufstand 1 , lag die für die „zweite Revolution" in Deutschland insgesamt typische Klassenkonstellation zugrunde: der direkte Konflikt zwischen der revolutionären Volksbewegung und der (schwarz-gelben) Konterrevolution, welche sich um den kaiserlichen Hof geschart hatte. Dieser seit den Märztagen 1848 schwelende Konflikt hatte sich in dem Maße zugespitzt, wie sich die Reaktion, etwa seit Jahresmitte, allmählich erholt hatte und die revolutionären Kräfte, in Wien wie anderswo, in den Prozeß einer zunehmenden Radikalisierung geraten waren. Konnte die Niederschlagung der Revolution in den tschechischen Ländern und in Oberitalien noch als Vorbote der konterrevolutionären Offensive in Österreich gelten, so bedeuteten die Kürzung der Löhne der Wiener Arbeiter und das Vorgehen der Nationalgarde gegen die immer mehr beunruhigten und nach weiteren Aktionen drängenden revolutionären Kräfte bereits den Beginn des offenen Kampfes der Reaktion gegen das österreichische Volk. Die Initialzündung für den Aufstand in Wien gab die Weigerung österreichischen Militärs, dem Marschbefehl zum Einsatz gegen das revolutionäre Ungarn Folge zu leisten. Die „zweite Revolution" der Wiener Arbeiter, Studenten, Handwerker und revolutionären Soldaten schloß von Beginn an gleichermaßen die Absage an die habsburgische Nationalitätenpolitik und das Bekenntnis zu einem demokratischen Deutschland unter Einbeziehung Deutschösterreichs ein. Die Haltung der Casino-Liberalen zu diesen revolutionären Ereignissen entsprach im großen und ganzen der bereits oben beschriebenen allgemeinen Grundorientierung, welche vor allem durch verschärfte Repression gegen das Volk und eine zunehmende Anpassung an die Interessen der einzelstaatlichen Mächte gekennzeichnet war. Diese prinzipielle Feststellung bedarf jedoch der Ergänzung. Da die Bewegung in Wien innerhalb der komplizierten Klassenkonstellation in Österreich diejenige politische Richtung repräsentierte, die am konsequentesten für eine großdcutsche Lösung eintrat, obwaltete bei der Casino-Fraktion anfangs eine gewisse Unsicherheit in bezug auf die Beurteilung der dortigen Vorgänge. 2 Gab es einerseits zunächst mit der Aufstandsbewegung wichtige Berührungspunkte in nationalpolitischer Hinsicht, so wurde andererseits der republikanische Charakter der Erhebung von den Casino-Liberalen scharf abgelehnt. Schmerling arbeitete im Einverständnis mit dem Erzherzog auf einen großdcutschen Staat unter der Führung Habsburgs hin. Und die Anhänger H. v. Gagerns, mindestens deren gemäßigter Flügel, diskutierten in verschiedenen Varianten eine Einbeziehung der deutschen Teile Österreichs in das zu schaffende, unter der Führung von Preußen stehende Staatsgebilde. In dem Maße, wie sich der Konflikt in Wien zuspitzte und das Kräfteverhältnis sich eindeutig zugunsten der Konterrevolution verschob, machte bei beiden Casino* MEW, Bd. 8, S. 61. 2 Vgl. Camphausen an das preußische Außenministerium v. 17. 10. 1848 (GStA, III, H. A., Nr. 46, Bl. 407): „Die österreichischen Zustände setzen das hiesige Ministerium in eine schwankende Lage, da es die deutsche Richtung kräftigen und die anarchische dämpfen möchte, während beide leider gegenwärtig in Österreich zusammenfallen."

2. Die Stellungnahme zura Wiener Oktoberaufstar.d

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Flügeln die anfängliche Zurückhaltung einem antirevolutionären Engagement (ohne gänzliche Aufgabe der konstitutionellen Vorbehalte gegenüber der restaurativen Bewegung in Österreich) Platz. 1 Beide Flügel wußten sich, aus z. T. unterschiedlichen Motiven, in dem Bestreben einig, den Restaurationsbestrebungen Habsburgs in Grenzen freie Hand zu lassen. Initiator der ersten Einlassung des Frankfurter Parlaments mit den Ereignissen in Wien war einmal mehr die Linke. Bergers Antrag vom 12. Oktober, die Nationalversammlung möge dem Reichstag und der Bevölkerung von Wien ihre Anerkennung aussprechen 2 , wurde von der Mehrheit als nicht dringlich beiseite geschoben 3 und von Schmerling mit einer nichtssagenden, hinhaltenden Stellungnahme beantwortet. 4 Weitere an den folgenden Tagen eingehende Anträge und Interpellationen von Wesendonck 5 , Wiesner 6 , Vogt 7 und Venedey 8 erlebten das gleiche Schicksal. Am 16. Oktober bequemte sich Schmerling, die von ihm bereits vier Tage zuvor erwähnten ministeriellen Maßnahmen zu präzisieren: Es handelte sich um die Absendung der beiden Reichskommissare Karl Theodor Welcker und Johann Ludwig Mösle nach Österreich. Sie sollten an Ort und Stelle die ,,zu(r) Beendigung des Bürgerkrieges erforderlich scheinenden Maßregeln . . . ergreifen" 9 . Dieser Schritt diente der Beschwichtigung der demokratischen Kräfte 10 , aber auch der Geltendmachung der eigenen Position in Wien. Der anfangs in den Reihen der Regierungskoalition in Frankfurt noch vorwaltenden Unsicherheit bei der Beurteilung des nationalen und politischen Charakters des Aufstandes gab R. Mohl Ausdruck: „Wie es in Österreich aussieht, weiß kein Mensch und noch weniger, wem man den Sieg wünschen soll. Gewinnt Jellacic, so ist Österreich slawisch und für Deutschland verloren; gewinnen es die Wiener, so ist ohne Zweifel Anarchie, schließlich Pöbelherrschaft und rote Republik, mit ihren Rückschlägen auf ganz DeutschlandZ'11 Mit der Flucht des kaiserlichen Hofes nach Olmütz und der Konstituierung eines revolutionären Gemeinderates hatte in Wien die Revolution gesiegt. Die Vermittlungsversuche seitens der Wiener Bourgeoisie und die schwankende Haltung des Oberkommandierenden der revolutionären Streitkräfte Messenhauser wirkten jedoch der Entfaltung der revolutionären Erhebung anfangs entgegen. Nicht zuletzt hierauf gründeten sich die Illusionen der Frankfurter Liberalen, eine Vermittlerrolle in Wien spielen zu können. Sie fanden daher 1

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Im Zusammenhang hiermit begann sich auch eine allmähliche Wandlung der politischen Bedeutung der Verfassungsparagraphen 2 und 3 abzuzeichnen. Sie verloren zunehmend den Charakter einer „Frage an Österreich" und wurden sowohl von den Anhängern als auch Gegnern einer preußischen Lösung der deutschen Frage immer stärker als verfassungsrechtlich verklausulierter Ausschluß Österreichs aus dem deutschen Staatsverband interpretiert. StB, Bd. 4, S. 2557. Ebenda. Ebenda, S. 2558. Ebenda, S. 2581. Ebenda. Ebenda, S. 2589. Ebenda, S. 2592f.

» Ebenda, S. 2620 f. So berichtet v. Arneth, Schmerling habe sich ebenso wie Welcker und Mösle von dieser Mission keinen Nutzen versprochen. Mösle sei sogar im Grunde froh darüber gewesen, daß sich Windischgrätz nicht in Verhandlungen eingelassen habe (Arnetb, Alfred v., Anton Ritter v. Schmerling. Episoden aus seinem Leben 1835. 1 8 4 8 - 1 8 4 9 , Prag/Wien/Leipzig 1895, S. 217ff.). » BAF, N 411, Nachlaß R. v. Mohl, Mohl an seine Frau v. 1 6 . 1 0 . 1 8 4 8 .

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zunächst die vorwiegend von Schmerling an den Tag gelegte Zurückhaltung gegenüber den dortigen Ereignissen tadelnswert. 1 Ein eigens zur Untersuchung der Wiener Vorgänge auf Initiative der demokratischen Abgeordneten Venedey und Nauwerck ernannter Ausschuß 2 fand es angeraten, die Zentralgewalt nachdrücklich zur Wahrung der deutschen Interessen in Wien „in ihrem vollen Umfange" 3 aufzufordern. Dabei sollten die „Abwehr des Bürgerkrieges" und die „Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung" gleichen Rang haben. 4 Noch schien für die Paulskirchenliberalen die Zwiespältigkeit dieser Aufgabenstellung nicht unüberbrückbar zu sein. Somaruga entwickelte folgenden konzeptionellen Grundgedanken, der von der gesamten Casino-Fraktion gebilligt worden sein dürfte: „. . . dem Bürgerkriege Einhalt zu tun . . ., denn wenn das geschehen ist, wird man nicht in ganz Österreich die Bestrebungen der Partei, welche geradezu mit dem Streben nach dem Umstürze sich verbindet, allein als deutschgesinnte anerkennen, und in dieser soll sich eben der Deutschgesinnte, wie man sich vor diesen Ultra-Deutschen fürchtet, zeigen, dann wird man Vertrauen gewinnen, dann wird man auf jede Weise selbst mit Opfern der deutschen Sache zugetan sein und bei ihr ausharren." 5 Mit anderen Worten: Die Reichsgewalt sollte moderierend auf die Konfliktparteien einwirken, um einer Identifikation der revolutionären Bewegung mit dem nationalen Anliegen vorzubeugen und dem Reformwerk unter großdeutsch-konstitutionellmonarchischen Auspizien den Weg zu ebnen. Die Majorität von 250 Stimmen für die Ausschußanträge darf ohne Zweifel als ein namentlich von den Casino-Liberalen getragenes Votum für eine aktivere Österreichpolitik der Zentralgewalt gewertet werden. 6 Den Zusammenhang zwischen politischem Reagieren und verfassungspolitischem Handeln der Casino-Liberalen verdeutlicht die etwa zur selben Zeit, nämlich am 20. Oktober beginnende Debatte über die hochwichtigen Verfassungsparagraphen 2 und 3 der Vorlage des Verfassungsausschusses. Der Paragraph 2 lautete: „Kein Teil des deutschen Reiches darf mit nicht deutschen Ländern zu einem Staate vereinigt sein." § 3 verlangte, das Verhältnis zwischen deutschen und nichtdeutschen, zu einem Staate gehörenden Ländern müsse „nach den Grundsätzen der reinen Personalunion" geregelt werden. 7 Die Verwirklichung dieser Prämisse schloß den Beitritt deutscher und nichtdeutscher Teile Österreichs in den zu schaffenden Bundesstaat faktisch aus. Das Weiterbestehen des Habsburgerreiches in seiner bisherigen Struktur wäre, sofern es auf seine Zugehörigkeitzu dem künftigen deutschen Gesamtstaat nicht verzichten wollte, demnach unmöglich geworden. So klar der Wortlaut dieser Paragraphen in verfassungsrechtlicher Hinsicht formuliert schien, so vielfältig und schillernd waren die Interpretationsmöglichkeiten in politischer Hinsicht. Waren die Schöpfer des Verfassungsentwurfs von der Absicht geleitet, Österreich zum Eintritt in den Bundesstaat, vielleicht sogar unter preußischer Führung, zu bewegen? War der Verfassungstext als „Frage an Österreich" zu verstehen, als Aufforderung, sich für oder 1 Vgl. die Rede des Casino-Abgeordneten Somaruga vom 23. 10. 1848 (StB, Bd. 4, S. 2817-2820). Dem am 17. 10. 1848 gewählten „Ausschuß für die österreichischen Angelegenheiten" gehörten folgende Mitglieder an:Pattai, v. Schrenk, Kaiser, v. Arneth, v. Somaruga(Casino), Schubert (Casino), Weiß, Reitter, Francke (Casino), Neumeyer (Casino), Kirchgeßner, Löw/Posen, v. Zenetti, Venedey, v. Beisler (ebenda, S. 2713).

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3 Ebenda, S. 2809. * Ebenda, S . 2 8 1 0 . 5 Ebenda, S. 2820. ® Die Ausschußanträge wurden mit 250 : 166 Stimmen angenommen (ebenda, S. 2835—2840). V Ebenda, S. 2717.

2. Die Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand

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gegen diesen Bundesstaat zu entscheiden? Oder bedeuteten die Paragraphen nichts anderes als den verfassungsrechtlich verklausulierten Ausschluß Österreichs aus dem künftigen — engeren — deutschen Staatsverband? Die Antwort zu geben fällt nicht leicht. Wie die Diskussion der Paulskirchenversammlung zeigt, waren die Meinungen selbst innerhalb des rechten Zentrums geteilt. Waitz erblickte in den Paragraphen lediglich ein „Entweder-Oder". 1 Wurth wollte die vorliegende Fassung gar nicht akzeptieren und suchte nach Modifikationen. 2 Deym war geneigt, eine Trennung zwischen Deutschland und Österreich ins Auge zu fassen, um keines der beiden zu „verstümmeln".3 Der Absichtserklärung des Verfassungsausschusses zufolge sollte Österreich „mit seinen deutschen Landesteilen vollständig und ausschließlich Deutschland" angehören.4 Die „Deutsche Zeitung", kaum proösterreichischer Sympathien verdächtig, formulierte es noch deutlicher: Es könne „der in § 2ff. gestellten Aufforderung nicht der Sinn beiwohnen, als ob Österreich zu wählen habe zwischen der Erfüllung dieser Bedingung oder dem Austritt aus dem Reichsverbande — nein! Österreich muß der Forderung nachkommen, es muß seine deutschen Länder dem Reiche anschließen und muß den scharfen Einschnitt machen zwischen ihnen und seinen übrigen Staaten, es koste, was es wolle." 5 Man wird folglich, nicht zuletzt in Anbetracht der vorher geschilderten politischen Umstände, davon ausgehen dürfen, daß die Paragraphen 2 und 3 nicht von vornherein als Credo der Erbkaiscrlichen zu betrachten waren, d. h. dem Verfassungsentwurf lag zumindest nicht von Beginn an eindeutig die Ausschlußabsicht zugrunde. Man wird die Annahme dieser Paragraphen in erster Lesung mit den Stimmen der Linken6, unbeschadet verschiedenartiger Motivationen der Abstimmungspartner, jedenfalls nicht als Votum gegen Österreich werten können7, auch wenn sich der Inhalt dessen, was die Gagern-Liberalen diesen Verfassungsbestimmungen politisch unterlegten, im Verlaufe der Zeit änderte. Heinrich v. Gagerns Antrag auf Schaffung des sogenannten Doppelbundes8 konnte eigentlich nur auf den ersten Blick als österreichfreundlich gelten oder als „rcichspatriotisch", wie Wentzcke H. v. Gagern charakterisiert.9 1 Ebenda, S. 2788. 2 Ebenda, S. 2789. 3 Ebenda, S. 2883. < Ebenda, S. 2728. DZ, Nr. 284, 23.10. 1848. 6 Die vom Verfassungsausschuß beantragte Fassung des Paragraphen 2 wurde mit 340 : 76 angenommen (dagegen stimmten u. a. auch die Casino-Abgeordneten Bassermann, Benedict, Deym, Hartmann, v. Mayern), der Paragraph 3 mit 316 : 90 Stimmen (Casino-Gegenstimmen: neben den Obengenannten Langerfeldt, Rüder, v. Würth); StB, Bd. 4, S. 2918-2923, 2933-2936. 7 So auch Meinecke, Friedrich, Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 1913, S. 189f. 8 „Österreich bleibt in Berücksichtigung seiner staatsrechtlichen Verbindung mit nichtdeutschen Ländern und Provinzen mit dem übrigen Deutschland in dem beständigen und unauflöslichen Bunde. Die organischen Bestimmungen für dieses Bundesverhältnis, welche die veränderten Umstände nötig machen, werden Inhalt einer besonderen Bundes-Akte" (vgl. Rede H. v. Gagerns vom 26. 10. 1848, StB, Bd. 4, S. 2 8 9 6 2900). — Gagern konnte sich durch eine Zuschrift Hansemanns ermuntert fühlen, der sich ebenfalls für einen „engeren Reichsverband" aller nichtösterreichischen Staaten nebst Weiterverbesserung des bisherigen Bundes aussprach (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Brief Hansemanns an Gagern v. 18. 10. 1848). 9 Wentzcke, Paul, Ideale und Irrtümer, durchgängig. Die in der bürgerlichen Historiographie verbreitete Kaschierung des Gagernschen Projekts im „großdeutschen" Sinne entspringt vor allem dem Bemühen, den von Beginn an vorhandenen propreußischen Zuschnitt seines Verfassungsprogramms zu bemänteln. Vgl. vor allem die „großdeutsch" geprägte ältere Arbeit Went^ckes „Die unvollendete deutsche Revolu-

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Es steht vielmehr zweifelsfrei fest, daß Gagern seit langem Anhänger einer preußischen und prinzipiell kleindeutschen Lösung der deutschen Frage war 1 , dabei aber immer von der Prämisse ausgehend, nur ein konstitutionalisiertes, v o r allem in verfassungspolitischer Hinsicht umgestaltetes Preußen könne an die Spitze eines (engeren) deutschen Bundesstaates treten. Sein Antrag v o m 26. Oktober setzte in Wirklichkeit, wie der Abgeordnete Mayfeld (Württemberger Hof) richtig bemerkte, die „Trennung Österreichs als eine unausbleibliche Notwendigkeit" voraus. 2 Selbst der „Deutschen Zeitung" war das von Gagern angestrebte Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland ein zu lockcres Band. Sie plädierte daher für eine Deutschland und Österreich enger zusammenhaltende Unionsverfassung als Ausweichlösung. 3 Anders als vier Monate zuvor in der Debatte über die provisorische Zentralgewalt 4 hatte Gagern seine Fraktionskollegen diesmal nicht vom Nutzen seines erneuten „kühnen Griffs" überzeugen können. 5 Die Gründe hierfür waren verschieden. Die Mehrheit des rechten Zentrums gedachte in der Tat, Österreich zunächst noch eine Beitrittsmöglichkeit offenzuhalten. Die unbedingten Anhänger einer preußischen Lösung der deutschen Frage aber vermochten wohl die taktischen Vorteile des Gagernschen Plans, die Möglichkeit zur geschickten Verhüllung der Trennungsabsicht, nicht voll zu erfassen. 6 Lediglich einzelne seiner Gefolgsleute, wie etwa Duncker, standen Gagern zur Seite 7 , ohne sich der Tragweite des von ihm befürworteten Planes zunächst bewußt zu werden. Daß selbst der großdeutsch tion". Der Wentzcke-Schüler Steli>enmüller (Das Gagernsche Programm der Paulskirche. Die Entstehung der klcindeutschen Partei und ihre Verfassungsprogramme in der Frankfurter Nationalversammlung von November 1848 bis Januar 1849, Phil. Diss. Frankfurt a. M. 1959, S. 3, 20) sagt Gagern sogar zu Unrecht die Absicht nach, er habe versucht, den engeren Bundesstaat und „wenigstens die deutschen Gebiete Österreichs in einem weiteren Staatenbunde unter der formellen Oberherrschaft des österreichischen Kaisers zu vereinen" (vgl. hierzu die Rede H. v. Gagerns vom 26. 10. 1848 in StB, Bd. 4, S. 2895-2900). 1 Bassermann, Friedrieb Daniel, Denkwürdigkeiten, S. 68; v g l . auch die großangelegte Rede H. v. Gagerns in der Debatte über den Antrag Welcker am 20. 3. 1849 (StB, Bd. 8, S. 5879-5887). Im Kreise der CasinoLiberalen sei, so berichtet Laube, das Projekt erstmals in einer internen Besprechung vor Beginn der Oktoberdebatte zur Sprache gekommen, jedoch im Beisein Schmerlings, Somarugas und Würths nicht ausdiskutiert worden. Ein großer Teil der Casino-Abgeordneten, auch NichtÖsterreicher, hätte sich, wie auch Gagerns Vater und sein Bruder Max, damals reserviert gezeigt (haute, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 47 ff.). 2 StB, Bd. 4, S. 2905. — Zu derselben Schlußfolgerung gelangte auch H. v. Gagerns Fraktionskollege Künßberg (BAF, ZSg, 1/Na 124, Nachlaß H. Künßberg, Aufzeichnungen zur Geschichte des Frankfurter Parlaments, S. 35). 3 DZ, Nr. 285,24.10.1848, 2. Beilage. — Auch in früheren Artikeln hatte sich die „Deutsche Zeitung" gegen eine Aufgabe Deutschösterreichs ausgesprochen, eine gelockerte Bindung jedoch nicht ausgeschlossen: Nr. 165,6.7.1848; Nr. 196,16. 7.1848; Nr. 237,29.8.1848. ^ Vgl. S. 69ff. 6 Zu Beginn der Abstimmung am 27. 10. zog H. v. Gagern seinen Antrag daher vorläufig zurück (StB, Bd. 4, S. 2916). 6 Anders Stel^enmäller (Das Gagernsche Programm, S. 20), der die Meinungsbildung innerhalb der propreußisch orientierten Casino-Mehrheit vereinfacht darstellt. Er unterschätzt die Rolle jener Kräfte, die sich noch nicht endgültig gegen Österreich entschieden hatten, und verkennt folglich auch den Kern der Meinungsverschiedenheiten zwischen H. v. Gagern und der überwiegenden Mehrheit des erb kaiserlich eingestellten Casino-Flügels. — Nach Laube sei Rücksichtnahme auf Österreich das Hauptmotiv für die ablehnende Haltung der Casino-Fraktion gewesen (Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 84). 7 Duncker, Max, Heinrich v. Gagern. Eine biographische Skizze, Leipzig 1850, S. 30.

2. D i e Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand

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eingestellte prominente Casino-Vertreter Jürgens (später Pariser Hof) die Absichten Gagerns verkannte 1 , spricht für das taktische Geschick, mit dem dieser sein wirkliches Ziel zu bemänteln wußte. Über die Gründe, die knapp zwei Monate später zur Billigung des Projekts durch die nunmehr eindeutig kleindeutsch-erbkaiserlich orientierte Mehrheit der Casino-Partei führten, wird in anderem Zusammenhang zu sprechen sein. 2 In Wien selbst traten seit der Mitte der letzten Oktoberdekade Ereignisse ein, unter deren Einfluß Zentralgewalt und Zentrumsfraktionen zusehends von ihrer ursprünglichen Linie einer vorsichtigen Vermittlung zwischen den kämpfenden Parteien abrückten. A m 22. Oktober hatte Windischgrätz Wien eingeschlossen. Sechs Tage später begann der Sturm auf die Stadt. A m 31. Oktober wurde die Hauptstadt des Habsburgerreiches trotz erbitterter Gegenwehr der revolutionären Arbeiter und Studenten von den Truppen der Konterrevolution zurückerobert. Die Besiegten sahen sich der Rache eines Windischgrätz und Jellacic ausgeliefert, wozu auch die standrechtliche Erschießung des Führers der gemäßigten Linken des Frankfurter Parlaments, Robert Blum, gehörte. Unter dem Eindruck der Zuspitzung und des Ausgangs des Oktoberaufstandes verstärkte sich der antirevolutionäre Akzent in der Beurteilung dieser Ereignisse durch die Liberalen. Mit der zunehmenden Konsolidierung der restaurativen und antizentralistisch eingestellten Partei in Österreich verringerte sich darüber hinaus namentlich auf Seiten der erbkaiserlich eingestellten Casino-Mehrheit das Interesse an der Entwicklung des Habsburgerreiches, dessen weiteres Schicksal von nun an immer weniger Berücksichtigung im eigenen verfassungspolitischen Kalkül fand 3 . Darüber vermochte auch das mehrfache Aufgreifen der Österreich-Frage durch die Frankfurter Nationalversammlung im Verlaufe des Monats November 4 , fast ausschließlich durch die Linke initiiert 5 , nicht hinwegzutäuschen. Die Verurteilung des Aufstandes durch die Gagern-Liberalen verband sich jetzt mit der Leugnung seines nationalen Anliegens. Bereits in den Stellungnahmen der Vertreter des rechten Zentrums während der Österreich-Debatte vom 3. November offenbarte sich der antirevolutionäre Aspekt in neuem Gewände. Namentlich Schneer (Landsberg) 6 und Bassermaniv begründeten ihre ablehnende Haltung in einer bis dahin nicht gekannten Deutlichkeit mit der Behauptung, es habe sich nicht um die Vertretung deutscher Interessen gehandelt. Diese Erklärung lag nunmehr bereits völlig auf der Linie der parteioffiziösen Argumentation Hayms, der Wiener Aufstand sei keine Erhebung der deutschen Sache, sondern der Anarchie, und man habe den „Sieg einer rohen Soldateska" als das kleinere der beiden Übel ansehen müssen. 8 An diesem Beispiel wird nicht nur die unterschiedliche Gewichtung des nationalen und des politisch-sozialen Aspekts in der Stellungnahme der rechtsorientierten Paulskirchenliberalen deutlich. E s offenbart sich auch, daß ein Großteil der Frankfurter 1 2 3

Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, S. 286. Vgl. unten S. 166. Dies fand seinen Ausdruck auch in einer sich allmählich durchsetzenden Neubewertung der Paragraphen 2 und 3, die etwa seit der Jahreswende 1848/49 von Anhängern und Gegnern H . v. G a g e r n s innerhalb der Paulskirche nahezu übereinstimmend als rechtliche Formel für die A u s k l a m m e r u n g Österreichs gedeutet wurden (vgl. auch A n m . 1, S. 137).

i So am 3., 6., 7., 17., 24., 2 9 . / 3 0 . 1 1 . (StB, Bd. 4, S. 3031ff., 3079, 3108; Bd. 5, S. 3364ff., 3538, 3672ff.). 5

Vgl. die Interpellationen bzw. Anträge v o n Nauwerck, Rank, Berger, Wiesner (ebenda, B d . 4, S. 3025); Bauernschmid und Heinrich Simon (ebenda, S. 3073f.); Pattai und M. Simon (ebenda, Bd. 5, S. 3538).

0 Ebenda, Bd. 4, S. 3033. 7 Ebenda, S. 3047. 8

Haym, Rudolf, D i e erste deutsche Nationalversammlung, T . II, S. 4 8 f .

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Liberalen die Relevanz der Vorgänge in Österreich für die weitere Entwicklung der deutschen Frage anders zu beurteilen begann.! Ähnliches gilt auch für die Position Schmerlings, wenn auch seine konzeptionellen Vorstellungen in eine ganz andere Richtung wiesen als die der erbkaiserlich eingestellten CasinoMehrheit. Als zuständiger Minister sah er sich durch die auch im November unvermindert anhaltende Flut von Interpellationen und Anträgen seitens der Linken mehrfach genötigt, seine Haltung zu den Vorgängen in Wien darzulegen (6., 7. und 17. November). 2 Ungeachtet der verschiedenartigen Interpellationsgegenstände (Ausschreitungen des Militärs, Rolle der nach Österreich entsandten Frankfurter Reichskommissare, Bedrohung der persönlichen Freiheit in Wien) zeichnete sich als Grundgedanke der regierungsamtlichen Stellungnahme u. a. eine scharfe, bisweilen hinter humanitären Beteuerungen versteckte Mißbilligung des Aufstandes der Wiener Arbeiter und Studenten ab, aber auch die nicht unkritische Bewertung einer Reihe von Maßnahmen der Regierung Wessenberg sowie ein vorsichtiges Eintreten für den Konstitutionalismus, verbunden mit einem gemäßigten Appellieren an „großdeutsche Verpflichtungen" der österreichischen Regierung. 3 Schmerlings Konzept war so beschaffen — darauf deutet der im ganzen unter grundsätzlicher Beibehaltung des großdeutschen Gedankens doch recht behutsame Umgang mit Hof und Regierung hin —, daß eine schrittweise Adaption an die Pläne der Restaurationspartei in Österreich mindestens bis zu einem gewissen Grade möglich wurde. Dem widersprach auch nicht die von ihm mehrfach befürwortete Mitsprache der provisorischen Zentralgewalt in österreichischen Angelegenheiten, so im Zusammenhang mit der geplanten Beauftragung Leiningens zu Verhandlungen über die Verfassungsparagraphen 2 und 3 mit der Wiener Regierung bzw. bei der Regelung der italienischen Frage. Die Beschäftigung der Zentralgewalt mit Fragen der österreichischen Politik war für Schmerling in dieser Situation vor allem ein Mittel, den Gedanken an eine großdeutsche Lösung im Spiel zu belassen, wobei sowohl eine liberal-konservative als auch eine stärker restaurative Variante möglich erschien. 4 Mitte November schien es zunächst, als könne die Nachricht von der Erschießung Blums auch bei den Zentrumsfraktionen der Paulskirchenversammlung das Interesse an den Vorgängen in Österreich beleben oder sogar das Bewußtsein für die Gefahr schärfen, die ihrem So lehnten es beispielsweise die als Nachfolger der beiden Reichskommissare Welcker und Mösle Anfang November in Aussicht genommenen Briegleb und v. Leiningen ab, dahin zu wirken, „daß bei der künftigen Verfassung Österreichs das deutsche Interesse vollständig gewahrt werde" (Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 389; Stel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 26). — Daß Briegleb und v. Leiningen statt dessen eine Legitimation als Gesandte forderten, könnte möglicherweise als Schachzug H. v. Gagerns interpretiert werden (vgl. BAF, ZSg, 1/Na 41, Nachlaß v. Leiningen, persönliche Aufzeichnungen v. Leiningens, Bl. 21/21 b.) — Leiningen hatte sich lediglich bereit erklärt, über das „Verhältnis Österreichs zu dem neuen deutschen Reiche" zu sondieren. Er distanzierte sich von seiner Mission, als er aus der Presse ( F O P A Z , Nr. 298, 6.11.1848) erfuhr, er solle als „Reichskommissar für das deutsch-österreichische Gebiet mit umfassenden Vollmachten" bis zur „Herstellung eines befriedigenden Zustandes" in Österreich verweilen (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, neue Reihe, Nr. 83, Bl. 19 v f.; vgl. ferner auch Menßhengen an Wessenberg v. 6. 11. 1848, ebenda, Bl. 63). 2 StB, Bd. 4, S. 3079, 3108; Bd. 5, S. 3364, 3388f. 3 Vgl. auch die Erklärung der Regierung v. Schmerling an das Österreichische Kabinett v.18. 11. 1848 (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 83, Bl. 22 ff.). 4 Vgl. ebenda, Bl. 174f.; Schmerling an Menßhengen v. 18. 11. 1848; Menßhengen an Wessenberg v. 5., 8. und 19. 11.1848: ebenda, Bl. 10ff., 62ff., 172; Schmerling an Bruck v. 3.10.1848: ebenda, Bl. 33ff. 1

2. Die Stellungnahme zum Wiener Oktoberaufstand

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eigenen Werk durch die Konterrevolution drohte. Der Frankfurter Korrespondent der demokratischen „Breslauer Zeitung" konstatierte beim Eintreffen der Nachricht vom Schicksale Blums „außergewöhnliche Aufregung" auf allen Seiten. 1 Innerhalb von zwei Tagen erarbeitete der Österreich-Ausschuß eine Vorlage, in der die Verurteilung der Schuldigen am Tode Blums gefordert wurde und welche beinahe einhellige Zustimmung fand. 2 Drei Tage nach Bekanntwerden des Ereignisses veröffentlichte sogar die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" einen Aufruf zur Unterstützung der Hinterbliebenen Blums und erklärte sich zur Entgegennahme von Geldspenden bereit. 3 Aber die Erregung bei der Mehrheit der Paulskirchenliberalen verebbte ebenso rasch, wie sie gekommen war. Das Parlament entschied sich wiederum für die Absendung zweier Reichskommissare: der Abgeordneten des Augsburger Hofes Paur und Pözl.4 Bereits nach Ausbruch des Oktoberaufstandes waren die beiden Reichskommissare Welcker und Mösle nach Wien gereist, um dort zu vermitteln und auf diese Weise gleichzeitig auch der provisorischen Zentralgewalt Anerkennung in Österreich zu verschaffen. Ihre Mission war kläglich gescheitert, beide hatten sich von Seiten des Generals Windischgrätz eine entwürdigende Behandlung gefallen lassen müssen. Auch die erneute Beauftragung von Reichskommissaren war kaum dazu angetan, die Schuldigen am Tode Robert Blums zur Rechenschaft zu ziehen. Auch bleibt zu bezweifeln, ob die liberale Mehrheit überhaupt über den Schritt eines formalen Protestes hinausgehen wollte. 5 Vertrauliche Äußerungen wie die des Casino-Abgeordneten Brons über Robert Blum lassen hieran keinen Zweifel: „Den Menschen Robert Blum beklagen wir nicht (!), er hätte uns am 18. September alle 257 so behandeln lassen; für das Reichstagsmitglied müssen wir versuchen aufzutreten, wenn wir nur etwas erlangen können . . . Diese politische Ergießung kannst Du allerdings den Geschwistern mitteilen . . . — weiter aber nicht, und wenn einer von Euch den Inhalt erzählt, muß er vorsichtig sein." 6 Es kennzeichnete die Haltung der Parlamentsmehrheit zu den Geschehnissen in Wien, daß sie sich erst am 28. November, nach längerem Drängen der Linken, zur Genehmigung einer — exklusiven — kirchlichen Trauerfeier für Robert Blum bereit fand 7 , ein Beschluß, der, wie Haym frohlockte, nie ausgeführt zu werden brauchte. 8 Am 29./30. November befaßte sich die Frankfurter Nationalversammlung noch einmal abschließend mit der Entwicklung in Österreich, durch deren Ergebnis die Hoffnungen vieler Casino-Liberalen, die österreichische Regierung für eine großdeutsche Bundesreform zu gewinnen, weitgehend gescheitert waren. 9 Im Habsburgerreich war mittlerweile eine wichtige Etappe der Erneuerung der Macht der Adelsklasse abgeschlossen worden, was seinen Ausdruck vor allem in der Berufung des konservativen Fürsten Schwarzenberg zum 1 Breslauer Zeitung, Nr. 271, 18. 11. 1848 (Bericht vom 14. 11.). 2 StB, Bd. 5, S. 3325. 3 FOPAZ, Nr. 308, 17.11. 1848,2. Beilage. — Nicht uninteressant ist, daß sich auch in Dahlmanns Nachlaß ein von demokratischen Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung verfaßter Nachruf auf Blum findet (Deutsche Staatsbibliothek, Handschriftenabt., Nachlaß Dahlmann, B 15). 4 Vgl. Mitteilung des Reichsjustizministers v. Mohl v. 14. 11. (StB, Bd. 5, S. 3321). 5 Vgl. Stel^enmäller zur Reaktion v. Schmerlings auf den Tod Blums (Das Gagernsche Programm, S. 28). 6 BAF, ZSg, 1/Na 77, Nachlaß Y. Brons, Brief Brons' an seine Frau v.20. 11. 1848, (im gleichen Sinne der Brief v. 3. 12.). 7 StB, Bd. 5, S. 3626. 8 Haym, 'Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 63. 9 Ebenda, S. 49.

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Ministerpräsidenten fand. Damit wurde in Österreich ein neoabsolutistischer Kurs eingeleitet, der wie die Politik des Ministeriums Brandenburg in Preußen ausgesprochen antidemokratisch geprägt war. Dessenungeachtet nahm auch die Regierung Schwarzenberg nach der Konsolidierung des bürokratisch-monarchischen Systems verschiedene innenpolitische Reformen in Angriff, denen eine stabilisierende Funktion zugedacht war. Die Debatte vom 29./30. November setzte den vorläufigen Schlußpunkt unter eine Entwicklung, welche die Mehrheit der Casino-Liberalen, unbeschadet ihrer verfassungspolitischen Grundpositionen, in den vorausgegangenen Wochen von allen Erwägungen über eine großdeutsche Bundesreform weg- und dem Projekt eines preußisch geführten kleindeutschen Staates nähergebracht hatte. Die am 29. November vom Österreich-Ausschuß noch einmal erhobene Forderung nach „Durchführung der Beschlüsse der konstituierenden deutschen Reichsversammlung in den deutschen Provinzen Österreichs" 1 war von den Abgeordneten im Ausschuß Schubert und Francke unterstützt worden, in der Debatte selbst sah sich kein Vertreter der propreußisch eingestellten Fraktionsmehrheit bewogen, zu dem Antrage Stellung zu nehmen. 2 Erstmals versagte eine größere Gruppe von Casino-Abgeordneten den Anträgen des überwiegend großdeutsch eingestellten Österreich-Ausschusses ihre Zustimmung 3 , unter ihnen Vertreter sowohl des propreußisch 4 als auch des proösterreichisch orientierten Flügels. 5 Avantgardistische Verfechter einer preußischen Lösung der deutschen Frage hatten sich noch einmal und vorläufig zum letzten Male mit denen getroffen, die den Restaurationsprozeß in Österreich möglichst wenig stören wollten. Weder die Ausschuß- noch einer der anderen Eventualitätsanträge vermochten daher eine Mehrheit zu erlangen. Die Debatte blieb ergebnislos, was niemanden mehr in der Paulskirche besonders erregte, da sich das Parlament seit Wochen intensiv mit den Ereignissen in Preußen auseinandersetzte. Damit soll nicht bestritten werden, daß ein Zusammenhang zwischen der Etablierung der Restaurationspartei in Österreich und der sich abzeichnenden Kursänderung der Mehrheit der Zentrumsliberalen bestand. 6 Dies galt übrigens auch für den sich rapide verschärfenden Konflikt zwischen der Gagern- und der Schmerling-Gruppe, worauf im folgenden noch einzugehen sein wird. „Österreich scheidet, wer weiß auf wie lange, von Deutschland . . . Da Österreich ausscheidet, so scheint in Deutschland sich alles einfacher zu gestalten. Bis jetzt war seine Bahn elliptisch, mit zwei Brennpunkten und schwer zu berechnen. Jetzt tritt Preußen von selbst in den Mittelpunkt", schrieb die „Deutsche Zeitung" zwei Tage nach Beendigung der letzterwähnten Debatte. 7 Auch R. Mohl hielt nach dem 27. November nur noch das von H. v. Gagern einen Monat zuvor vorgelegte Projekt für möglich. 8 Über die Führungsposition Preußens in dem zu schaffenden Bundesstaat hatten bei der Mehrheit der Casino-Liberalen seit Mai 1848 kaum Zweifel bestanden. Dennoch wurden die kleindeutschen Bundesreformpläne in der Paulskirche natürlich durch Verlauf und Ergebnis der Österreich-Debatten und nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen in Preußen selbst erheblich beeinflußt. 1 StB.Bd. 5, S.3663. Im Gegensatz dazu Welcker (ebenda, S. 3687-3697) und v. Schmerling (ebenda, S. 3697-3699). 3 Abstimmung: ebenda S. 3729-3734. 4 Unter anderen Beckerath, M. v. Gagern, Bassermann, Giesebrecht, v. Stavenhagen. 5 Unter anderen v. Schmerling, Jürgens, Deym. 6 Stel%enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 29f. 7 DZ, Nr. 319,2.12.1848. 8 Mobl, Robert v., Lebenserinnerungen, Stuttgart 1902, S. 84. 2

3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen

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3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen Die Entwicklung der Revolution in Preußen war von der Mehrheit der Casino-Abgeordneten von Anfang an mit weitaus mehr Aufmerksamkeit beobachtet worden als die Geschehnisse im Habsburgerreich. Das hing nicht nur mit dem ökonomischen, politischen und militärischen Gewicht dieses Staates, sondern auch mit der Rolle zusammen, welche sie einem konstitutionalisicrten Preußen inmitten eines reformierten deutschen Bundesstaates zugedacht hatten. Daß es innerhalb dieser Gruppierung auch Meinungsverschiedenheiten über Tempo und Modalitäten einer preußischen Hegemoniepolitik gab, konnte bereits mehrfach beobachtet werden und sei hier nur noch einmal am Rande vermerkt. Strittig waren unter den Paulskirchenliberalen vor allem sowohl das Maß des eigenen Entgegenkommens als auch der konstitutionellen Gegenleistungen, welche dem preußischen Staat abzufordern waren. Seit dem Sommer 1848 hatte sich bei den Zentrumsliberalen insgesamt, nicht ohne Rückschläge, sondern im Pendelschlag der politischen Meinungsbildung, die Stimmung zugunsten Preußens allmählich verstärkt. Die in der Schleswig-Holstein-Krise deutlich gewordene Veränderung des Kräfteverhältnisses ermunterte Gagern und seine Vertrauten trotz Bedenken wegen des zunehmenden Drucks reaktionärer Kräfte in Preußen zu Aktivitäten. Ende September/Anfang Oktober verhandelte bereits v. Stockmar im Auftrage Heinrich v. Gagerns, übrigens ohne Wissen Camphausens, in Berlin mit Ministerpräsident v. Pfuel und dessen Kollegen Dönhoff und Eichmann wegen einer evtl. Übertragung der diplomatischen Vertretung an die provisorische Zentralgewalt 1 bzw. über andere Möglichkeiten der Koordinierung der beiderseitigen diplomatischen Repräsentation. 2 Mit Sicherheit dürfte auch das Gagernsche Projekt des Doppelbundes hier bereits zur Debatte gestanden haben, entsprach es doch ganz Stockmars lange gehegten Absichten. 3 Stockmars Vorschläge blieben ohne Resonanz. Nichtsdestoweniger konnte auch Camphausen am 17. Oktober aus Frankfurt berichten, die Stimmung für Preußen sei „nicht ungünstiger, sondern eher günstiger" geworden. 4 In Berlin waren inzwischen Ereignisse eingetreten, die, unabhängig von der Entwicklung 1

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Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiberrn Christoph Friedrieb v. Stockmar, Zusammengest. v. Ernst Freiherr v. Stockmar, Braunschweig 1872, S. 544f., 568; Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 123. — Diese Verhandlungen waren Teil einer Initiative der provisorischen Zentralgewalt im September 1848, welche darauf zielte, die Einzelstaaten zur Übertragung der diplomatischen Auslandsvertretung an die Zentrale zu bewegen. In einem Rundschreiben vom 20. 8. 1848 (GStA, III H. A. Nr. 46, Bl. 187f.) hatte das Frankfurter Reichsministerium die Regierungen der Einzelstaaten zur Übertragung, mindestens aber Unterstellung ihrer diplomatischen Vertretungen unter die provisorische Zentralgewalt aufgefordert. Preußens Antwort (ebenda, Instruktion des preußischen Außenministeriums an Camphausen v. 30. 8. 1848, Bl. 206ff.; Schreiben Camphausens an das Reichsministerium v. 18. 10. 1848, Bl. 399ff.) war, wie die Reaktion der meisten anderen Staaten, ablehnend. — Vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 638; Bassermann, Friedrieb Daniel, Denkwürdigkeiten, S. 247. So wurde von der Reichsregierung beispielsweise erwogen, Preußen die diplomatische Vertretung des Reiches zu überlassen, offenbar in der Erwartung, die Regierung in Berlin auf diesem Wege an die Zentralgewalt zu binden. Auch Stockmar soll seinen Verhandlungspartnern dieses Zugeständnis angeboten haben (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Neue Reihe, Nr. 83, Bl. 289, Trauttmansdorf an Wessenberg v. 2. 10. 1848; Bl. 232f., Schreiben des Reichsministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an den österreichischen Bevollmächtigten v. Bruck v. 20. 9- 1848). Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiberrn Christoph Friedrieb v. Stockmar, S. 549. GStA, III. H. A., Nr. 46, Bl. 407 v. (Bericht Camphausens an Dönhoff v. 17.10. 1848, Bl. 130). Hildebrandt, Gagern

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in Österreich, das Interesse der Casino-Liberalen an diesem Staat weiter stimulierten. In Preußen war im Herbst 1848 der Konflikt zwischen der revolutionären Volksbewegung, zum Teil unterstützt durch fortschrittliche bürgerliche Kräfte, und der militärisch-konservativen Reaktion in voller Schärfe entbrannt. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand vor allem die Auseinandersetzung zwischen der preußischen Nationalversammlung und der Krone. Eine Reihe fortschrittlicher Gesetze und Beschlüsse des Berliner Parlaments, u. a. über die Säuberung der Armee von reaktionären Elementen, die Beseitigung des feudalen Jagdrechtes, die Gottesgnadenformel (innerhalb der künftigen Verfassung), hatte den erbitterten Widerstand der Reaktion hervorgerufen, welche sich nunmehr auch in Preußen anschickte, mit bewaffneter Gewalt gegen das Volk und die antiabsolutistisch eingestellten Kräfte des Bürgertums vorzugehen. Der Konflikt zwischen Nationalversammlung und Krone prägte mit den Verlauf der Herbstkrise in Preußen, blieb über eine Reihe von Wochen das bestimmende Moment der politischen Kämpfe in Berlin. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, daß diese Versammlung im Unterschied zur Paulskirche und zu einer Reihe anderer Landtage der Einzelstaaten ihre Oppositionschance bis zur Grenze ihrer gesetzlichen Möglichkeiten ausnutzte. Dieser Streit zwischen Parlament und Krone war aber — für sich betrachtet — nicht mit dem Wesen des politischen Konflikts in Preußen identisch. Er erhielt sein politisches Gewicht, seine besondere Ausprägung dadurch, daß er in allen seinen Phasen stimuliert und begleitet war vom Kampf zwischen der militärsch-konservativen Reaktion und der revolutionären Volksbewegung. Erst die Einbettung der oppositionellen Äußerungen dieser Nationalversammlung in die Aktivitäten einer zur Verteidigung der revolutionären Errungenschaften bereiten Volksbewegung gab auch der Haltung des Berliner Parlaments wirkliches Gewicht. Der Konflikt zwischen Nationalversammlung und Volk auf der einen sowie Regierung und Krone auf der anderen Seite veranlaßte die provisorische Zentralgewalt und die Paulskirchenmehrheit auch in diesem Falle zu Vermittlungsversuchen, wobei sie sich jedoch stärker den Interessen von Krone und Regierung als der Sache des Volkes annahmen. In höherem Maße als im Falle Wiens knüpften sie an ihre Intervention jedoch die Hoffnung, sich die preußische Regierung zu Gegenleistungen zu verpflichten. Die Paulskirchenliberalen dachten vor allem an ein stärkeres Entgegenkommen Preußens bei der Lösung der deutschen Frage, im weiteren Sinne überhaupt an die Respektierung der Frankfurter Zentralgewalt wenigstens in einem bescheidenen Rahmen. Mit dem Rücktritt des Ministeriums Pfuel und der Berufung Brandenburgs hatte sich die Situation Anfang November in Berlin weiter zugespitzt. Die provisorische Zentralgewalt hielt die Zeit zur Absendung eines offiziellen Emissärs nunmehr für gekommen, als der Bassermann ausersehen wurde. 1 Dieser sollte die Autorität der Zentralgewalt zur Eindämmung der revolutionären Bewegung nutzen. Außerdem erhielt er den Auftrag, der Reformpolitik der Frankfurter Liberalen vor allem am preußischen Hofe Gehör zu verschaffen. Inzwischen warnten selbst aus dem propreußischen Lager Stimmen vor dem Überhandnehmen der Reaktion in Preußen. 2 Bassermann, der am 7. November nach Berlin abgereist war 3 , sollte gewissermaßen als Vgl. Wassermann, Friedrieb Daniel, Denkwürdigkeiten, S. 247 ff.; Harnack, Axelv., Friedrich Daniel Bassermann, S. 76 ff. 2 So Droysen und Beckerath. — Vgl. Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, S. 471 f.; Arnetb, Alfred v., Anton Ritter v. Schmerling, S. 247. 3 Über Inhalt und Verlauf dieser Mission BAF, DB 54, Nr. 61 II. 1

3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen

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Gegenleistung für Vermittlerdienste folgende Forderungen durchzusetzen versuchen: 1. Verkündigung der Reichsgesetze und damit Ausdehnung ihres Geltungsbereiches auf Preußen; 2. Vollzug des Beschlusses der Frankfurter Nationalversammlung über die Polenfrage 1 ; 3. Übertragung der diplomatischen Auslandsvertretung an die provisorische Zentralgewalt. Ferner sollte er sich bemühen, von der Regierung in Berlin die Zusage zu erlangen, daß sie die von der Paulskirchenversammlung auszuarbeitende Reichsverfassung akzeptieren werde 2 . Die Mission Bassermanns wurde, obwohl darauf verzichtet worden war, ihn „Reichskommissar" zu nennen, innerhalb des Reichsministeriums — und nicht nur hier — durchaus nicht einhellig befürwortet. Vor allem Schmerling war dagegen 3 , und sogar Droysen, der Exponent der unbedingten Verfechter einer preußischen Lösung innerhalb des rechten Zentrums, reagierte „mit Entsetzen"/1 Was die allgemeine Zielstellung des Unternehmens anbetraf — „Anarchie . . . niederwerfen, Stände . . . zügeln, Reaktion . . . wehren" — so zeigte sich Droysen durchaus einverstanden. 5 Aber er hielt weder den Zeitpunkt für geeignet, noch billigte er das Preußen von der Mehrheit der Gefolgsleute Gagerns zunächst abverlangte Maß an konstitutionellen Gegenleistungen. Namentlich wehrte er sich gegen die beharrlich vorgetragene Forderung nach Berufung eines „konstitutionellen Ministeriums". Bassermann führte in Berlin Unterredungen mit dem König, den Ministern, die sich noch von der Zurückweisung der Kandidatur v. Auerswalds als Reichsaußenminister gekränkt zeigten 6 , sowie mit dem Präsidenten der preußischen Nationalversammlung v. Unruh. Er versuchte insbesondere letzteren zum Nachgeben im Konflikt mit Krone und Regierung zu bewegen. 7 Der Frankfurter Emissär mußte jedoch schnell zur Kenntnis nehmen, daß das Kabinett „weder Aufforderung, noch Hilfe" 8 verlangte. Und was das in Frankfurt auch von vielen seiner Parteifreunde befürchtete Aufkommen der Reaktion anbetraf, so gab er sich mit der Versicherung des Prinzen von Preußen zufrieden, „daß an einen Rückschritt niemand denke". 9 So beschränkte er sich ohne allzu große Energie und nahezu ohne Erfolg darauf, den preußischen König zu Zugeständnissen in den erwähnten Punkten und vor allem zum Entgegenkommen in bezug auf die Verfassungspläne der Gagern-Liberalen zu bewegen, ein Bemühen, das später von Bassermanns Nachfolgern Hergenhahn, Simson und schließlich H. v. Gagern selbst verstärkt fortgesetzt wurde. Lediglich nur da, wo die Durch ihren Beschluß vom 27. 10. 1848 hatte sich die preußische Nationalversammlung über die Entscheidung des Frankfurter Parlaments zur Polenfrage (vgl. oben S. 78 f.) hinweggesetzt. 2 Vgl. Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 133; Harnack, Axel v., Friedrich Daniel Bassermann, S. 87. — Bassermann war lediglich mündlich über den Inhalt seiner Mission instruiert worden (BAF, DB 54, Nr. 61 II; Protokoll der Ministerratssitzung vom 6. 11. 1848). 3 Stel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 34f.; vgl. auch Arnetb, Alfred v., Anton Ritter von Schmerling, S. 248. 5 Ebenda. 4 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 830 (Tagebuchaufzeichnung v. 8. 11.1848). 6 Eine solche Kandidatur war (wahrscheinlich Ende Oktober) von Preußen vorgeschlagen, jedoch von der Reichsregierung abgelehnt worden. Statt dessen wurde die Ernennung des sächsischen Gesandten in Paris, v. Könneritz (vgl. auch ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 83, Menßhengen an Wessenberg v. 17. 11. 1848, Bl. 152), erwogen, was wiederum auf den Widerspruch Camphausens stieß (vgl. Bericht Camphausens an Dönhoff v. 2. 11. 1848; GStA, III. H. A., Nr. 47, Bl. 83 ff.). - Könneritz lehnte Ende November ab (ebenda, Bericht Camphausens v. 25.11.1848, Bl. 150). ? Vgl. Erklärung Bassermanns, in: DZ, Nr. 316, 29.11.1848 8 Bericht Bassermanns an v. Schmerling v. 12. 11. 1848 (BAF, DB 54, Nr. 81 II). 9 Bassermann, Friedrieb Daniel, Denkwürdigkeiten, S. 264. 1

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An tidemo kratismu s

Frankfurter Forderungen den Interessen der preußischen Krone näherkamen als die Beschlüsse des eigenen Parlaments, nämlich in der Polenfrage, war Friedrich Wilhelm IV. zum Einlenken bereit, hatte er die Mitwirkung eines Reichskommissars bei der endgültigen Grenzziehung in der Provinz Posen zugelassen. 1 Sonst stieß das Verlangen Bassermanns, Preußen möge die Oberhoheit der provisorischen Zentralgewalt wenigstens in dem von ihm geforderten Umfange anerkennen, bei der Krone und der Mehrheit des Kabinetts (ausgenommen Bülow) auf Ablehnung. 2 König und Ministerium nahmen die politischen Sondierungen Bassermanns angesichts der gravierenden innenpolitischen Ereignisse als nebensächlich. Inzwischen war die preußische Nationalversammlung am 9. November durch einen Erlaß des Königs aufgelöst und nach Brandenburg verlegt worden. Einen Tag später marschierte Wrangel mit 40000 Soldaten in Berlin ein, und am 12. November wurde der Belagerungszustand verkündet. Zwei Tage danach verließ Bassermann Berlin. Den Mißerfolg seiner Mission in seinem ganzen Umfange gab er jedoch gegenüber Frankfurt nicht zu. Zwar mußte er in seinem Bericht vor der Paulskirchenversammlung eingestehen, daß eine Vermittlung zwischen den einander bekämpfenden Parteien nicht mehr möglich sei, 3 gab aber in seinem Schreiben vom 13. November der provisorischen Zentralgewalt und der Frankfurter Nationalversammlung zu verstehen, daß die augenblickliche Krise in Preußen „für die Zentralgewalt wie für das Einigungswerk überhaupt nur vorteilhaft"''» und Berlin (nach wie vor) auf Frankfurt angewiesen sei. Indessen scheint die Annahme gerechtfertigt, daß Bassermann, wenn nicht die Beendigung, so doch mindestens die Unterbrechung seiner Mission nicht unwillkommen gewesen sein dürfte. Am 12. November hatte die provisorische Zentralgewalt eine neue Instruktion an Bassermann erlassen. Sie verpflichtete ihn zwar wiederum zum Eintreten gegen „anarchistische Zustände" und „terroristische Einwirkung". Unter Punkt 1 wurde diesmal jedoch die Ernennung eines Ministeriums in Berlin verlangt, welches das Vertrauen der Krone „und des Landes" besitze. 5 Bassermanns Behauptung, diese Instruktion habe ihn erst nach seiner Abreise aus Berlin erreicht 6 , enthob ihn der Notwendigkeit, in sich noch schwieriger gestaltenden Verhandlungen eine härtere Position gegenüber Krone und Kabinett zu vertreten, die er nicht teilte. Die näheren Umstände des Beginns wie des Abbruchs der Mission Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 134. Vgl. ebenda. 3 StB.Bd. 5, S. 3409. * Bericht Bassermanns an v. Schmerling v. 13. 11. 1848 (BAF, DB 54, Nr. 81 II). 5 Ebenda. — Wie nicht anders zu erwarten, hielt Schmerling auch diese Instruktionen für zu weitgehend: „Allein das beständige Drängeln einiger Mitglieder des Ministeriums bewog am Ende auch mich, dem Antrage zuzustimmen" (ÖStA, HHStA, Anton v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Reichsministerium, Bl. 262). 6 BAF, DB 54, Nr. 61 II (Bericht von Schütz [Mitarbeiter Bassermanns] an v. Schmerling v.15. 11. 1848 aus Leipzig); vgl. Bassermann, FriedricbDaniel, Denkwürdigkeiten, S. 278. Dies ist jedoch strittig. Harnack läßt Zweifel durchblicken (FriedrichDaniel Bassermann, S. 80f.), Brandenburg bestreitet es (Untersuchungen und Aktenstücke, S. 134f.), bei Valentin bleibt es offen (Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 277), Bot^enbart (Deutscher Parlamentarismus 1848—1850, S. 558) übernimmt Bassermanns Darstellung. Der Zeitpunkt der Abreise Bassermanns aus Berlin ist nicht genau zu klären. Trauttmansdorf berichtete am 15. 11. (!) aus Berlin, daß Bassermann seine Rückreise nach Frankfurt/M. verschoben habe. 1

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Bassermanns, u. a. auch dessen Entlassungsgesuch nach seiner Rückkehr aus Berlin 1 , lassen auf das Bestehen von taktischen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Beurteilung der Berliner Ereignisse innerhalb des rechten Zentrums schließen. Es wurde offensichtlich, daß selbst ein großerTeil der gemäßigten Paulskirchenliberalen, unbeschadet ihrer antidemokratischen Grundhaltung, den offenen Verfassungsbruch seitens der preußischen Krone, vor allem aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung und die Verbündeten innerhalb der Frankfurter Nationalversammlung, zunächst nicht tolerierte. Private Meinungsäußerungen führender Casino-Repräsentanten offenbarten jedoch z. T. eine andere Tendenz. So schrieb Haym am 12. November, dem Absendungstage der zweiten Bassermann-Instruktion: „Es versteht sich, daß wir hier für die Maßregeln der Krone einstehen werden. Denn diejenigen verstehn von Politik gewiß nichts, welche meinen, daß dort die Freiheit (durch die Nameneines Brandenburg usw.!) gefährdet sei, während nichts anderes gefährdet ist als die Krone und die Monarchie." 2 Zu gleicher Zeit vertrat die „Deutsche Zeitung" eine Argumentation, welche darauf hinauslief, bei dem konterrevolutionären Einschreiten der Regierung Brandenburg zwischen legitimen (Einmarsch der Truppen) und illegitimen Maßnahmen (Vertagung und Verlegung der preußischen Nationalversammlung) zu unterscheiden 3 , wobei letztere heruntergespielt wurde. Man wird solche Zweigleisigkeit nicht nur als Ausdruck des Taktierens zu werten haben. Sie ist ebenso auch Bestandteil der oben bereits allgemein skizzierten, sich im Verlaufe des Monats November bei den Fraktionen des rechten Zentrums (Casino, Landsberg, Augsburger Hof) schrittweise durchsetzenden verstärkten Orientierung auf die preußische Lösung. Unter diesem allgemeinen Aspekt ist auch das Verhalten der Zentrumsliberalen in den Debatten über die Berliner Ereignisse vom 14. und 20. November zu sehen. Wie im Falle des Wiener Oktoberaufstandes waren es auch diesmal wiederum die Linke und Teile des linken Zentrums, welche den Anstoß hierfür gaben/1 Die überwiegende Mehrheit der Casino-Fraktion war ganz offensichtlich zunächst bemüht, diesen Gegenstand vom Plenum der Paulskirchenversammlung fernzuhalten. Dafür spricht nicht nur das weitgehende Fehlen spezifischer Anträge von ihrer Seite 5 , sondern auch die ungewöhnliche Tatsache, daß Schmerling erst sechs Tage nach der Abreise Bassermanns das Parlament über dessen Mission informierte, 6 sowie das Bemühen G. Beselers, die Diskussion wenigstens soweit als möglich hinauszuschieben. 7 Nicht zu Unrecht befürchtete die Führungsspitze der Casino-Fraktion, in einer öffentlichen Debatte möglicherweise zu Beschlüssen genötigt zu werden, die die Sondierung ihrer Emissäre in Berlin belasten konnten, indem diese mit noch weitergehenden Forderungen gegen1

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Nach Brandenburg (Untersuchungen und Aktenstücke, S. 134f.)habe Bassermanns Entlassungsgesuch mit der ihm übersandten zweiten Instruktion im Zusammenhang gestanden. — Zum Rücktrittsgesuch Bassermanns außer in der angeführten Literatur vgl. auch DZ, Nr. 312, 24. 12. 1848, Beilage. Das Demissionsgesuch wurde vom Reichsverweser nicht angenommen (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 308, Bericht Menßhengens an Schwarzenberg v. 27. 11. 1848). Ausgewählter Briefwechsel Rudolf Hajms, hrsg. v. H. Rosenberg, Stuttgart/Berlin 1930, S. 80; Haym, Rudolf Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 24ff.; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 303f. Korrespondentenbericht vom 12. 11. 1848 in DZ, Nr. 304, 15. 11. 1848. Dringliche Anträge von H. Simon und Wydenbrugk (StB, Bd. 5, S. 3252 f.). Ebenda, S. 3254. Ebenda, S. 3252. Ebenda, S. 3254f.

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Antidemokratismus

über der Regierung Brandenburg beauflagt wurden. Diese Annahme schien die von fünf Casino-Abgeordneten mit vertretene Ausschuß vorläge zu bestätigen. 1 Sie erklärte sich für die Zurücknahme der Verlegung der preußischen Nationalversammlung, „sobald solche Maßregeln getroffen sind, welche ausreichend erscheinen, um die Würde und Freiheit ihrer Beratungen sicherzustellen". Ferner sprach sie sich für die Berufung eines preußischen Ministeriums aus, „welches das Vertrauen des Landes" besitze. 2 Private Äußerungen ließen keinen Zweifel, daß die Casino-Liberalen sich zu einer solchen Stellungnahme mit durch die Umstände gedrängt fühlten. 3 Aber wir gehen sicher nicht fehl in der Annahme, daß es auch eigene Vorbehalte gegenüber dem Kurs der Regierung Brandenburg waren, die die Zentrumsabgeordneten hierzu bewogen. Anders ist die Einbringung des sachlich mit der Ausschußvorlage weitgehend übereinstimmenden Antrages von Waitz und dessen Unterstützung durch so prominente Casino-Abgeordnete wie Lette, Duncker, Hergenhahn, Droysen, Haym und M. v. Gagern nicht zu erklären. 4 Die Debatte vom 14. November ließ erkennen, daß Majorität und Opposition bei der Beurteilung der Lage nicht allzuweit auseinandergingen. So grenzte sich Beckerath von dem vorbehaltlos auf Preußen eingeschworenen Führer der äußersten Rechten, Vincke, ab 5 , welcher die Auflösung der preußischen Nationalversammlung in vollem Umfange rechtfertigte. 6 Das Abstimmungsergebnis (239 :189 Stimmen für den Ausschußantrag 7 ) zeigte allerdings, daß die verbündeten Zentrumsfraktionen auf der einen, Linke und linkes Zentrum (unterstützt durch einen Teil der äußersten Rechten) auf der anderen Seite in ihren Schlußfolgerungen doch deutlich divergierten. Das rechte Zentrum lehnte das von H. Simon geforderte „energische Handeln" 8 ab und begnügte sich mit „zahmen Resolutionen". 9 Die Beteuerungen der Casino-Liberalen, sich Anarchie und Reaktion entgegenstellen zu wollen, waren eingebettet in das Bekenntnis zur Loyalität gegenüber der Monarchie und deren „unantastbaren" Rechten. Selbst die offene Gewaltanwendung durch Krone und Regierung gegen die parlamentarischen Vertreter auch der Bourgeoisie bewog die Casino-Liberalen nicht, von ihrer Forderung nach einem einträchtigen „Hand-in-Hand-Gehen von Frankfurt und Berlin" abzurücken. 10 Obwohl sie von der Nachricht von der Auflösung der preußischen Nationalversammlung unleugbar betroffen waren 11 , verschlossen sie sich der Einsicht, daß die Konterrevolution nunmehr auch offen die parlamentarischen und liberalen Kräfte bekämpfte. Sie unterzogen zwar die schlimmsten und krassesten Aus-

Bericht des „Ausschusses für das Verhältnis der deutschen Reichsversammlung und der Zentralgewalt zu den Einzelstaaten", mitunterzeichnet von den Abgeordneten H. Zachariä, Hergenhahn, Schwarz, Haym und v. Saucken. 2 Ebenda, S. 3268. 3 Aus dem Frankfurter Parlament. Briefe des Abgeordneten Emst v. Saucken-Tarputschen, hrsg. v. G. v. Below, in: Deutsche Rundschau, Bd. 124, Jg. 1905, S. 101 (Brief v. Sauckens an seine Frau v. 28. 11. 1848). « StB, Bd. 5, S. 3269. 5 Ebenda, S. 3285f. « Ebenda, S. 3278. ' Ebenda, S. 3316. 8 Ebenda, S. 3271. 9 MEW, Bd. 8, S. 78. 10 Das Frankfurter Parlament in Briefen und Tagebüchern, hrsg. v.L. Bergsträsser, Frankfurt a. M. 1929 (Brief des Casino-Abgeordneten J. A. Ambrosch an J. v. Olfers v. 11. 11. 1848). 11 Breslauer Zeitung, Nr. 270, 17. 11. 1848; TVB, Nr. 120, 15. 11. 1848. 1

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schreitungen der Gegenrevolution weiterhin ihrer Kritik, doch unter dem Eindruck der sich in Preußen zusehends festigenden Macht der Konterrevolution einerseits und des Steuerverweigerungsbeschlusses der preußischen Nationalversammlung vom 14. November andererseits vollzog sich bei den verbündeten Zentrumsfraktionen und der provisorischen Zentralgewalt eine Kurskorrektur. Sie schränkten ihre Bemühungen um „Vermittlung" zwischen Nationalversammlung sowie Krone und Regierung ein, ergriffen in zunehmendem Maße die Partei der letzteren und konzentrierten sich in ihren Verhandlungen und Sondierungen in Berlin vorwiegend darauf, ihren Verfassungsplänen Gehör zu verschaffen. Kennzeichnend hierfür war, daß bereits die konsequente Ausnutzung der verfassungsmäßigen Rechte durch die Berliner Nationalversammlung genügte, bei vielen Frankfurter Liberalen Revolutionsfurcht zu entfachen. „Schon durch den Beschluß wegen Steuerverweigerung"., schrieb die „Deutsche Zeitung", „hat die Versammlung (von Berlin — G. H.) sich auf einen Boden gestellt, wo nicht mehr von Schwächung von Rechten, sondern von der Abwendung einer revolutionären Gewalt die Rede ist. . . Will die Versammlung diesen Boden betreten, will sie den Schlund der Revolution wieder öffnen . . ., so spreche sie aus, daß sie nicht Rechte, die sie verletzt glaubte, verteidigen, sondern neue ungemessene erobern wolle." 1 Reichensperger und Ostermann, zwei am 18. November in Frankfurt a. M. eingetroffene Abgesandte der Rechten des Berliner Parlaments, sowie der Bericht Bassermanns vor dem Plenum der Paulskirchenversammlung über seinen Berliner Aufenthalt vom selben Tage bestärkten die Vertreter vonCasino, Landsberg und Augsburger Hof in ihrer Auffassung. Auf der abendlichen Fraktionssitzung des rechten Zentrums, auf der außer den genannten Fraktionen auch die äußerste Rechte vertreten war, fand diese Linie prinzipielle Billigung. 2 Einer Auflösung und Verlegung der Berliner Nationalversammlung stimmte nun die Mehrheit der verbündeten Zentrumsfraktionen zu. Strittig blieb jedoch nach wie vor, inwieweit gegenüber Krone und Regierung auf der Einsetzung eines verfassungsmäßigen Ministeriums beharrt werden solle. Zwei neue Reichskommissare, Simson und Hergenhahn, bekamen — offenbar wiederum gegen den Willen Schmerlings 3 — den Auftrag, bereits am folgenden Tage nach Berlin abzureisen, um die Sondierungen bei Krone und Regierung fortzusetzen. 4 Droysen, der noch zehn Tage zuvor Bassermanns Mission scharf mißbilligt hatte, machte nunmehr sogar personelle Vorschläge (Hergenhahn und Hegnenberg-Dux) 5 , hatte also gegen die erneute Entsendung zweier Reichskommissare keine ernsthaften Einwände mehr. 1 DZ, Nr. 308,20. 11.1848. 2 BAF, ZSg. 1/Na 96, Nachlaß Giesebrecht (Tagebucheintragung Giesebrechts v. 17. 11. 1848); StellenmäUer, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 39f. — Wie Ambrosch berichtete, war man hier zu der Erkenntnis gelangt, daß eine ,Versöhnung zwischen Krone und Landtag" nunmehr „unerreichbar" sei (Das Frankfurter Parlament, S. 49; Tagebucheintragung v. 17. 11. 1848). 3 Arnetb, Alfred f., Anton Ritter von Schmerling, S. 251. Auch die Behandlung der Mission in den Denkwürdigkeiten, a. a. O., Bl. 282f., läßt hierauf schließen. 4 Über Inhalt und Verlauf ihrer Mission: BAF, DB 54, Nr. 61 II; Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 831 (Tagebuchaufzeichnungen v. 17. 11. 1848); Arneth, Alfredv., Anton Ritter v. Schmerling, S. 251. —Der diesmalige Auftrag für die Reichskommissare umfaßte — laut Simson — folgende Punkte:Beilegung des Konflikts zwischen preußischer Nationalversammlung und Krone, Bereitschaft der preußischen Regierung zur Annahme der von der Paulskirchenversammlung auszuarbeitenden Verfassung, Überlassung der diplomatischen Vertretung im Ausland an die provisorische Zentralgewalt (Simson, Eduard v., Erinnerungen, S. 143f.). 5 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 831.

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Antidemokratismus

Bassermanns Bericht am 18. November war unzweifelhaft von der Absicht getragen, die modifizierte Stellungnahme seiner Fraktion zu den Ereignissen in Berlin zu stützen. Eine Vermittlung zwischen den streitenden Parteien, so erklärte er, könne es nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht mehr geben. Wenn aber nichts anderes übrigbleibe, als zwischen einer blutigen Konventsherrschaft ( ! ) und der „Akzeptation eines Ministeriums" zu wählen — dies Bassermanns Gedankengang —, so könne nicht zweifelhaft sein, wofür man sich entscheiden müsse, nämlich für die strenge „Durchführung der einmal beschlossenen Maßregeln". 1 Preußische Casino-Abgeordnete hielten, nicht zuletzt angesichts der in weiten Kreisen der preußischen Bevölkerung anhaltenden oppositionellen Stimmung, die Zeit für gekommen, auch außerhalb des Parlaments für die Interessen von Krone und Regierung einzutreten. 2 Die Aufrufe Dunckers und Veits fixierten die Position des extremen Preußenflügcls innerhalb der Casino-Fraktion, die jedoch mindestens von Landsberg und Augsburger Hof nicht in vollem Maße gebilligt wurde. Erstmals während des preußischen Konflikts gaben damit prominente Vertreter der CasinoFraktion in aller Offenheit und Öffentlichkeit zu, daß sie unter Zurückstellung politischer und konstitutioneller Bedenken wegen Verfassungsbruchs und Gewaltanwendung in der Solidarisierung mit der Partei der Ordnung das Gebot der Stunde erblickten: „Es handelt sich", erklärte Veit, „nicht mehr um die Entscheidung einer formellen Rechtsfrage, sondern um die Erhaltung der höchsten Güter des Lebens, um die durch Ordnung gesicherte Freiheit, um Sitte und Gesetz. Es g i k d i e Rettung Preußens und Deutschlands, denn Deutschland bedarf eines in sich einigen und starken Preußens." 3 Haym ordnete noch stärker die Bewahrung der konstitutionellen Freiheit der Erhaltung der Ordnung unter: „Es gilt in diesem Augenblicke nicht den Kampf um die Freiheit; es gilt den Kampf gegen ungesetzliche Zustände, die das Mark des Landes aufsaugen, es gilt den Kampf gegen die Erschütterung der letzten Anker des Staats, es gilt den Kampf gegen die Anarchie. Unterstützt die vollziehende Gewalt in Maßnahmen, welche mindestens ebensosehr im Interesse des Landes als im Interesse der Krone getroffen worden sind."'' Revolutionsfurcht bewog Casino-Abgeordnete wie Veit und Duncker, die Gefahr, die aus dem Vorgehen der Konterrevolution auch für das Werk der Liberalen erwuchs, zu verkennen. Sie stellten die übermäßige Bedrohung durch die Reaktion als die Erfindung einer „Partei, deren Ziel die rote Republik ist," 5 dar und ließen keinerlei Zweifel aufkommen, daß sie die Bedenken vor einem Überhandnehmen der Reaktion weitaus geringer veranschlagten als die Furcht vor einem erneuten Ingangkommen der Revolution: „Denn nicht der Absolutismus der königlichen Gewalt ist jetzt der Feind unserer konstitutionellen Freiheit; der Absolutismus der Anarchie ist es, welcher uns bedroht, und diesem zu begegnen, sind wir nur im Bunde mit der Krone stark genug." 6 1 StB.Bd. 5, S.3409. Vgl. die Aufrufe Dunckers an seine Wähler v. 16. 11.1848 (Courier. Hallische Zeitung für Stadt und Land, Nr. 273, Extra-Beilage, 21. 11. 1848) und an den Constitutionellen Klub in Halle (ebenda, Außerordentliche Beilage, 21. 11. 1848) sowie den Aufruf Veits an seine preußischen Mitbürger v. 19. 11. 1848 (BAF, ZSg. 1/Na 21, Nachlaß M. Veit). 3 Aufruf Veits (wie oben). 4 Aufruf Hayms „An meine Wähler" (iCourier, Nr. 273, Extra-Beilage, 21. 11. 1848). 6 Aufruf Veits in: BAF, ZSg, 1/Na 21, Nachlaß M. Veit. 6 Aufruf Hayms an den Constitutionellen Klub in Halle (Courier, Nr. 273, Außerordentliche Beilage, 21. 11. 1848). 2

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Veit, der ebenso wie Duncker mit seiner Fraktion noch am 14. November für die bedingte Zurücknahme der Verlegung der preußischen Nationalversammlung gestimmt hatte, billigte nicht nur, sondern befürwortete jetzt sogar diesen Akt. Und er fand sich darüber hinaus bereit, die selber bei Landsberg und Augsburger Hof unterstützte Forderung nach einem „alsbaldigen" Wechsel des preußischen Ministeriums zurückzuweisen: „Erwarten wir in Ruhe und Zuversicht den Tag, an dem es der Krone möglich sein wird, Männer des Vertrauens um sich zu versammeln, und halten wir die Überzeugung fest, daß nichts mehr geeignet ist, den Wechsel des Ministeriums zu beschleunigen, als die besonnene, ernste und gemessene Haltung des Landes." 1 In der Debatte vom 20. November bekräftigten die Casino-Vertreter diese Position, ohne sich jedoch hinsichtlich der Tolerierung des Ministeriums Brandenburg gegen Augsburger Hof und Landsberg voll behaupten zu können. 2 Unter dem Zwang der Mehrheitsbildung und dem Druck ihrer Koalitionspartner (u. a. Riesser, Wurm, Biedermann 3 ) mußte sich die Casino-Fraktion der Forderung nach „Ernennung eines Ministeriums, welches das Vertrauen des Landes besitzt", anschließen. 4 In der Hauptsache aber konnte sie sich durchsetzen. Die Verlegung wurde stillschweigend sanktioniert und der Steuerverweigerungsbeschluß der preußischen Nationalversammlung mit 275 gegen 150 Stimmen der Linken und des linken Zentrums ausdrücklich für null und nichtig erklärt. 5 Mit diesem Votum hatte die Mehrheit nicht nur den Verfassungsbruch der Regierung Brandenburg zu einem wesentlichen Teil legitimiert, sondern auch dem Prinzip der Unterordnung des Parlaments unter die Exekutive zugestimmt. Hier zeigte sich selbst bei einer nicht geringen Zahl von Zentrumsliberalen ein Abrücken von noch im Frühjahr 1848 eingenommenen Positionen. Die gegenteilige Behauptung von Botzenhart 6 übersieht diese Tatsache. Die „Neue Rheinische Zeitung" faßte diesen Tatbestand in der prägnanten Formel zusammen: „Frankfurt ist nach Berlin, Berlin ist nach Frankfurt hinübergesiedelt." 7 Haym bemühte sich nachzuweisen, daß die Entscheidung der Mehrheit ihren eigenen Interessen durchaus entsprochen und überdies den Vorteil besessen habe, Regierung und Krone Preußens der Frankfurter Nationalversammlung gegenüber zu späterem Entgegenkommen zu verpflichten. 8 Allerdings bezweifelte selbst er, ob dieser weitere Schritt der Annäherung genügte, um das Wohlwollen der preußischen Regierung zu erlangen: „Ein Votum . . . war abgegeben, stark genug, . . . die Anarchie zurückzudrängen, nicht unumwunden genug, den Unterstützten zur Dankbarkeit zu zwingen . . . Wir hatten es wohl verstanden, noch einmal einer revolutionären Versuchung standzuhalten; wir waren dagegen nur Anfänger in der Kunst, eigenes und fremdes Interesse eng aneinanderzuknüpfen, für die Freiheit die Stütze der Macht zu gewinnen." 9 Haym, der gemeinsam mit seinem Frak1 Aufruf Veits in: BAF, ZSg. 1/Na 21, Nachlaß M. Veit. Stelyenmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 40. 3 Vgl. Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 142f. — Ambrosch berichtet, daß dieCasinoFraktion mit ihrem Teilantrag (keine Mißbilligung des Ministeriums) alle Fraktionen — mit Ausnahme der äußersten Rechten — gegen sich gehabt habe {Das Frankfurter Parlament, S. 56). 4 StB, Bd. 5, S. 3465—3470 (mit der Casino-Fraktion stimmten auch linkes Zentrum und Linke). 5 Ebenda, S. 3470-3474. 6 Botyenbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 564. Ungeachtet einer Reihe kritischer Einwände bestreitet Botzenhart, daß es für die Zentrumsliberalen in bezug auf die Stellungnahme zur Krise in Preußen insgesamt eine „gangbare Alternative" gegeben habe. ' NRbZ, Nr. 150, 2 3 . 1 1 . 1 8 4 8 . 9 Ebenda, S. 38. 8 Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 24ff. 2

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Antidemo kratismus

tionskollegen Schwarz die Unterschrift unter die Ausschußanträge verweigert hatte, war bereits in der Debatte vom 20. November mit einem Verbesserungsantrag durchgefallen, der den Interessen der preußischen Regierung noch weiter entgegenkam als die Mehrheitsvorlage. 1 Auch andere Casino-Vertreter (Droysen, Sauckcn-Tarputschen 2 ) distanzierten sich nachträglich von dem Verlangen nach Wiedereinsetzung eines konstitutionellen Ministeriums oder aber entschuldigten sich mit Rücksichten auf die mit ihnen verbündeten Fraktionen. Droysen sprach sogar von einer Überschreitung des „Rechtsbodens". 3 Man darf annehmen, daß nicht nur taktische Gründe für das Wiederaufgreifen der Forderung nach einem Ministerium des Vertrauens seitens der Casino-Fraktion ausschlaggebend waren. Auch die von Beckerath mit entworfene, von Schmerling allerdings wiederum nicht gebilligte 4 Proklamation des Reichsverwesers 5 vom 21. November 6 wiederholte zwar die Nichtigkeitserklärung des Beschlusses über die Steuerverweigerung, bekräftigte aber ebenso noch einmal das Verlangen nach der Berufung eines konstitutionellen Ministeriums in Berlin. 7 Es war in den Herbstmonaten 1848 kein Einzelfall, daß das sich aus den Zentrumsfraktionen rekrutierende Reichsministerium dem konstitutionellen und nationalen Anliegen mehr Beachtung schenkte als die Mehrheit der Casino-Fraktion. 8 Die sich z. T. offenbarenden Meinungsverschiedenheiten zwischen bzw. innerhalb dieser Fraktionen waren jedoch — soweit es sich nicht um den Konflikt zwischen Großdcutschcn und Kleindeutschen handelte — von untergeordneter Bedeutung. Außerhalb des Parlaments wurden sie gering veranschlagt, dies beweisen die gegen Ende des Jahres erneut sich mehrenden Mißtrauensvoten, die sich ziemlich gleichmäßig an die Adresse des Casinos wie der anderen Koalitionsfraktionen richteten. 9 Diese Differenzen schränkten auch die Handlungsfreiheit der „Preußenpartei" innerhalb der Paulskirchenversammlung kaum ein, vielmehr verstärkte diese sogar gegen Ende 1848 ihre Aktivitäten. Die Restauration der großösterreichisch orientierten Habsburgermacht und die Entscheidung der Machtfrage zugunsten der junkerlich-militaristischen Kräfte in Preußen bestärkten die überwiegende Mehrheit der verbündeten Zentrumsfraktionen im Beharren auf ihrem wichtigsten politischen Ziel: forcierte Verfassungsberatungen und Der Antrag verzichtete auf die Forderung nach Berufung eines konstitutionellen Ministeriums. Er verlangte darüberhinaus, die Frankfurter Nationalversammlung möge alle von dem in Berlin verbliebenen Rumpfparlament verabschiedeten Beschlüsse, insbesondere die Steuerverweigerung, für ungültig erklären (StB, Bd. 5, S. 3439). 2 Saucken-Tarputschen, Ernst v., Aus dem Frankfurter Parlament, S. 101 (Brief Sauckens an seine Frau v. 28. 11. 1848); Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, S. 479 (Brief Droysens an A. Kopisch v. 25. 11. 1848). 3 Ebenda, S. 480. 4 Schmerling, Anton Ritterv., Denkwürdigkeiten, a. a. O..B1. 284. s BAF, ZSg 1/Na 22, Nachlaß Smidt (Brief Smidts an Heinrich Smidt v. 24. 11. 1848). 6 Abgedruckt in: StB, Bd. 5, S. 3510; vgl. ferner Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 144. 7 Hiermit im Zusammenhang steht die negative Reaktion Camphausens auf die Proklamation des Reichsverwesers (GStA, III, HA Nr. 47, Bl. 138; Bericht Camphausens an das preußische Außenministerium v. 22.11.1848). 8 Vgl. S. 127ff. 9 Unter anderen gegen Mathy (DRZ, Nr. 163, 25. 11. 1848); Schepp (ebenda); Biedermann (Nr. 14, 17. 1. 1849); v. Selchow (Nr. 163, 25. 11. 1848); Wurm (Nr. 173, 9. 12. 1848) (vgl. S. 134 oben). - Biedermann und Wurm hatten sich ausdrücklich dafür erklärt, das Verlangen nach einem konstitutionellen Ministerium aufrechtzuerhalten. 1

3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen

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intensive Weiterführung der diplomatischen Verhandlungen und Sondierungen mit der Absicht, Friedrich Wilhelm IV. zum Oberhaupt und Preußen als Führungsmacht eines kleindeutschen Bundesstaates zu gewinnen. In dieser Mission waren seit Anfang November mit Bassermann, Simson und Hergenhahn und schließlich H. v. Gagern vier der prominentesten Casino-Vertreter tätig. Ob und inwieweit sich nach Bassermann auch namentlich die drei Letztgenannten, wie vor allem in der älteren bürgerlichen Geschichtsschreibung immer wieder behauptet 1 , wirklich eine überparteiliche Vermittlung zwischen Krone und preußischer Nationalversammlung betrieben, ist nach den vorliegenden Materialien nicht eindeutig zu beantworten. Hergenhahn und Simson, die am 20. November in Berlin anlangten und einen Tag später mit dem Ministerium Brandenburg sowie mit Abgeordneten der preußischen Nationalversammlung konferierten, hatten bei der Übermittlung der Beschlüsse der Paulskirchenversammlung über die Berliner Ereignisse ihre Bedenken sowohl gegen ein Weiteramtieren des derzeitigen Kabinetts als auch gegen die Fortsetzung des passiven Widerstandes seitens des Berliner Parlaments erläutert. 2 Wie Simson berichtete, stießen sie wiederum „auf entschiedenen Widerstand" der streitenden Parteien. 3 In der Hauptsache konzentrierten sich die Frankfurter Abgesandten ohne Zweifel darauf, den Monarchen und seine Regierung für die Verfassungspläne ihrer Partei zu gewinnen. 4 Private und offizielle Äußerungen aus Casino-Kreisen zeigen, daß man von Überparteilichkeit oder Unvorcingenommenheit weit entfernt war. 5 Deshalb dürfte die Ankündigung Brandenburgs, daß möglicherweise an die Auflösung der preußischen Kammer gedacht seiG, die beiden Reichskommissarc nicht allzusehr beeindruckt haben. 7 Die „Deutsche Zeitung" selbst empfahl wenige Tage später die generelle Abschaffung dieses Parlaments, da es der Hauptsitz des Widerstandes gegen die „Obermacht der deutschen Bundeseinheit" sei. 8 Brandenburgs Prophezeiung gegenüber den Frankfurter Emissären dagegen, auch eine Vgl. Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 280 f B r a n d e n b u r g , Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 140; Huber, Ernst 'Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 760. — Im Unterschied hierzu Stel^enmüHer, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 40f. — Ambrosch am 27. 11. 1848; „Sollte aber nicht durch unsere Vermittlung, sondern trotz derselben Preußens König und Volk sich verständigen, nun wer wäre dann froher als ich und meinesgleichen" (Das Frankfurter Parlament, S. 58). 2 Wie Trauttmansdorf berichtete, habe Hergenhahn erklärt, alles aufbieten zu wollen, „die Abgeordneten zu bestimmen, sich nach Brandenburg zu verfügen" (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Bl. 204 v. Trauttmansdorf an Wessenberg v. 21.11.1848). 3 Simson, Eduard v., Erinnerungen, S. 134; vgl. auch den Bericht v. Simson und Hergenhahn v. 20. 11. 1848 (BAF, DB 54, Nr. 61 II). 4 Schmerling behauptete, daß diese Seite der Mission vor ihm geheimgehalten worden sei (Denkwürdigkeiten, Bl. 301). 5 DZ, Nr. 308, 20. 11. 1848; Nr. 310, 22. 11. 1848; Nr. 311, 23. 11. 1848. - Brons bezeichnete die in Berlin verbliebenen Abgeordneten der preußischen Nationalversammlung als „ein Haufe rasender Fanatiker und niederträchtiger Selbstsüchter" (BAF, ZSg, 1/N 55, Nachlaß Y. Brons, Brief Brons' an seine Frau v. 20. 11. 1848; ähnlich sein Brief v. 3 . 1 2 . 1 8 4 8 ) . 6 Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 137. 7 Der Verzieht auf ein preußisches Gesamtparlament als Schritt hin zum Aufgehen Preußens in Deutschland wurde von führenden Vertretern der gemäßigten Liberalen seit längerem diskutiert (Stel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 41 f.). 8 DZ, Nr. 322,6. 11.1848. 1

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Oktroyierung der preußischen Verfassung sei nicht ausgeschlossen 1 , versetzte Simson und Hergenhahn in nicht geringe Aufregung. Mit Recht fürchteten sie und viele ihrer politischen Freunde im Frankfurter Parlament, daß ein derartiger Schritt nach Lage der Dinge eher der konstitutionellen Abschließung Preußens gegenüber dem restlichen Deutschland als seinem Aufgehen in einem Gesamtstaate dienen würde. Eine Oktroyierung widersprach außerdem dem von den Casino-Liberalen befürworteten Prinzip einer friedlichen Übereinkunft zwischen Parlament und Krone, was bei der Vorbildwirkung des preußischen Vorgehens doppelt ins Gewicht fallen mußte. Und schließlich wäre Frankfurt durch einen solchen Schritt mit seinen Verfassungsberatungen gegenüber Preußen deutlich ins Hintertreffen geraten. Deshalb spielten die Casino-Liberalen nunmehr ihre „letzte Karte" 2 aus: H. v. Gagern selbst wurde als Unterhändler nach Berlin entsandt. Die Mission Gagerns, das Hinausdrängen Schmerlings aus der Führungsspitze der Casino-Fraktion und der Abschluß des Entscheidungsprozesses für den kleindeutschen Bundesstaat waren eng miteinander verflochten und bildeten einen dramatischen Abschnitt in der Entwicklung von Politik und Taktik der Gagern-Liberalen. Sie sollen deshalb in ihrem wechselseitigen Zusammenhang betrachtet werden. Nach Simsons alarmierendem Zwischenbericht am 23. November in Frankfurt (Hergenhahn war in Berlin verblieben) vom Reichsministerium aufgefordert, reiste H. v. Gagern bereits wenige Stunden später gemeinsam mit den Abgeordneten v. Vincke, der als eventueller Nachfolger Brandenburgs im Gespräch war, und Boddien nach Berlin ab, wo er am 25. November anlangte. Er weilte genau eine Woche — bis zum 2. Dezember — in der preußischen Hauptstadt. Wir sind über den Inhalt seiner Mission einschließlich der von ihm hierbei vertretenen taktischen Linie einigermaßen genau unterrichtet. 3 In mehreren Unterredungen mit Vincke, dem preußischen König und dem Ministerium erneuerte Gagern mit Nachdruck die verfassungspolitische Offerte seiner Partei'', vor allem das Ersuchen um Übernahme der Oberhauptswürde durch Friedrich Wilhelm IV. Gekoppelt hiermit legte er dem Monarchen auch die Abberufung des Ministeriums Brandenburg nahe. Gagerns Bemühen, eine „Identität zwischen der preußischen Regierung und der Zentralgewalt zu gründen", fand keine Resonanz. 5 Friedrich Wilhelm zeigte sich auch nicht bereit, Brandenburg fallenzulassen. Ob Gagern die Mißbilligung des Kabinetts Brandenburg allerdings mit derartigem Nachdruck vorbrachte, wie in der bürgerlichen Geschichtsschreibung häufig behauptet wird 6 , erscheint nach dem Gesamtverlauf seiner Mission sehr zweifelhaft. Fraglich ist darüber hinaus, ob er weitere gewichtige „Gegenleistungen" verlangte. 1

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Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 137; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 780; vgl.auch Hergenhahns Bericht v. 22. 11. 1848 (BAF, DB 54, Nr. 61 II). Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 832 (Tagebuchaufzeichnungen v. 24. 11. 1848). Über den Verlauf der Mission H. v. Gagerns vgl. die benutzte Literatur. Eine relativ ausführliche, z. T. polemisch gefärbte Schilderung gibt ohne Nennung seiner Quelle der zum großdeutschen Casino-Flügel zählende Jürgens (Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 311 ff.); über die von H. v. Gagern vertretene Position vgl. vor allem seinen Bericht an v. Schmerling v. 29. 11. 1848 (Entwurf) (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern). Vgl. auch die Berichte Menßhengens an Schwarzenberg v. 7. 12. 1848 (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 426) und Trauttmansdorfs an Schwarzenberg v. 26.11. und 29.11.1848 (ebenda, Bl. 250, 343 ff.). — Wie Schmerling behauptet, habe H. v. Gagern ihm verschwiegen, daß er auch wegen der Kaiserwürde sondiere (Denkwürdigkeiten, Bl. 303 f.). Angeblich wurde Gagern in seinen Bemühungen durch den gleichfalls in Berlin weilenden Beckerath bestärkt (Denkwürdigkeiten, Bl. 305). Ebenda, Bl. 344 (Trauttmansdorf an Schwarzenberg v. 29. 11. 1848). So Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 143; Stel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche

3. Die Haltung zu den revolutionären Ereignissen in Preußen

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Gagern setzte seine Hoffnungen auf die Ablösung Brandenburgs durch Vincke; der von Krone und Regierung in Preußen begangene Verfassungsbruch wurde demgegenüber zu einer zweitrangigen Frage. So fand sich Gagern bewogen, dem Urteil Vinckes zuzustimmen, daß „ein Zusammenwirken der Regierung mit der gegenwärtigen preußischen Nationalversammlung ganz unwahrscheinlich und fast unmöglich" sei. 1 Soweit H. v. Gagern überhaupt eine Vermittlerrolle wahrnahm und auch die Krone zum Entgegenkommen gegenüber dem Parlament drängte, wurde ihm von preußischer Seite „bemerklich gemacht", daß man gedenke, „durch eigene Mittel an das gewünschte Ziel zu gelangen". 2 Man darf aus dem Verlauf der Mission Gagerns schließen, daß dieser sich in seiner Vermittlerrolle gegenüber Krone und Regierung äußerste Zurückhaltung auferlegte. 3 Über den Abbau der preußischen Eigenstaatlichkeit (Auflösung des preußischen Staates in seine Provinzen, Abschaffung des preußischen Gesamtparlaments)' 5 dürfte nicht gesprochen worden sein. Auch an einen wirklichen Ausgleich zwischen Nationalversammlung und Regierung hat Gagern nicht gedacht. Er versuchte lediglich, allerdings ohne Erfolg, den in Berlin verbliebenen Teil des Parlaments zu bewegen, sich der Auflösungsorder zu fügen und sich nach Brandenburg zu begeben. 5 Gagern betrachtete die „Zurückverlegung der Nationalversammlung nach Berlin" unter den „gegenwärtigen Verhältnissen als untergeordnet". Ausdrücklich betonte er seine mit Vincke übereinstimmende Überzeugung, „daß bei der Aussicht auf die Vollendung der deutschen Verfassung diese abzuwarten und die Lösung der preußischen Frage jener unterzuordnen" sei. 6 Die Absage des preußischen Königs an die Frankfurter Verfassungspläne ließ, wenn man sie aller Floskeln entkleidet, eigentlich kaum Raum für Hoffnungen und Eventualitäten. 7 Friedrich Wilhelm IV. machte Gagern gegenüber wenig Hehl daraus, daß er mit der Paulskirche nicht über die Lösung der deutschen Frage zu verhandeln gedenke. 8 Gagern und seine Partei zogen jedoch aus dieser Tatsache keine weiterreichenden Schlußfolgerungen, sondern waren bemüht, die Bedeutung der Mission herunterzuspielen und das Gewicht der königlichen Entscheidung abzuschwächen. 9 Ohne Zweifel spielten hierbei die Verkennung Programm, S. 44; Huber, Ernst 'Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 761. Gagern selbst berichtete seiner Frau am 28. 11. 1848 lediglich von seinem Vorhaben, das Ministerium zum Rücktritt zu bestimmen (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Brief v. 28. 11. 1848). Drei Tage später kündigte er ein neues Ministerium für die „nächsten Tage" an (ebenda, 1. 12. 1848). 1 Ebenda. 2 ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 349 v.; Trauttmansdorf an Schwarzenberg v. 29. 11. 1848. 3 Stel^enmiiller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 45. 4 Vgl. ebenda. Brandenburg (Untersuchungen und Aktenstücke, S. 141) läßt dies offen, ebenso 'Valentin (Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 283). 5 ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 386 v/397, Bericht Trauttmansdorfs an Schwarzenberg v. 1 . 1 2 . 1 8 4 8 ; Stel?enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 47f.; Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 287. 6 BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Bericht H. v. Gagerns an v. Schmerling v. 29. 11. 1848. 7 Vgl. auch den mehrfach dringend ausgesprochenen Wunsch Friedrich Wilhelms IV., Österreich möge sich unter keinen Umständen von Deutschland trennen (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 422; Fasz. 113, Bl. 65ff.; Fasz. 114;BerichteTrauttmansdorfs an Schwarzenberg v. 7. 12. und 29. 12. 1848). 8 Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 142f. 9 Wie Smidt berichtete, habe sich v. Gagern über seine Aufnahme beim preußischen König sowie beim Prinzen von Preußen und dessen Gattin zufrieden gezeigt (BAF, ZSg. 1/Na 22, Nachlaß J. Smidt, Brief Smidts an H. Smidt v. 4. 12.1848).

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der politischen Realitäten und die Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses eine Rolle. 1 Aber es darf nicht übersehen werden, daß es einige Momente gab, die die Hoffnungen der Gagern-Partei rechtfertigten. Die Antworten des preußischen Königs auf die Frankfurter Angebote waren bis dahin nicht immer eindeutig gewesen. 2 Und es gab nach wie vor Kräfte in der preußischen Regierungsbzw. Außenpolitik (Camphausen, Bülow, Bunsen) 3 , die eine Initiative Preußens zur Lösung der deutschen Frage befürworteten. In diesem Zusammenhang darf ein weiterer Aspekt nicht übersehen werden. Wenn sich Ende 1848 auch abzeichnete, daß die Chancen für die Errichtung eines konstitutionell-monarchischen Bundesstaates nach den Intentionen der Gagern-Liberalen nur noch gering waren, so galt dies nicht unbedingt auch für die Konstituierung eines kleindeutschen Staates außerhalb des von Frankfurt angestrebten Weges. Man darf deshalb das unbeirrte Festhalten der Gagern-Partei am Erbkaiserprojekt mit als Zeichen dafür werten, daß die Grenze ihrer Konzessionsbereitschaft gegenüber der preußischen Krone durchaus noch nicht erreicht war. Bis zu diesem Zeitpunkt war zumindest der gemäßigte Flügel der Casino-Fraktion davon ausgegangen, daß die preußische Lösung der deutschen Frage eingebunden sein sollte in einen Prozeß der Konstitutionalisierung des mächtigsten deutschen Einzelstaates, möglichst des Aufgehens von Preußen in Deutschland. Es schien namentlich nach den Erfahrungen der letzten Wochen nun nicht mehr ausgeschlossen, daß die Gagern-Liberalen eines Tages sogar eine (von Preußen?) oktroyierte Reichsverfassung für akzeptabel halten würden, 4 wenn dabei nur die Einheitsfrage in einer für sie einigermaßen befriedigenden Weise gelöst wurde. Auch diese Erkenntnis widerspricht ein weiteres Mal der Behauptung Wentzckes, Gagerns Handeln sei stets einem von Machtpolitik unabhängigen Reichspatriotismus verpflichtet gewesen. So wenig der Ertrag der Gagern-Mission überschätzt werden darf, so wenig sollten jedoch auch ihre negativen Folgen überbewertet werden. Es erscheint keineswegs gerechtfertigt, in den Sondierungen Gagerns das auslösende Moment für den Entschluß der preußischen Krone zur Oktroyierung der preußischen Verfassung zu sehen. 5 Diese dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache gewesen sein. 6 Die Mission Gagerns hatte weder auf die weiteren Planungen der Berliner noch auf die der Frankfurter Seite besonderen Einfluß. Hier wie da war die weitere Marschrichtung zumindest prinzipiell klar. Das zeigte nicht zuletzt die Meinungsbildung innerhalb des rechten Zentrums der Frankfurter Nationalversammlung während der Abwesenheit Gagerns. Die Behauptung, daß die Frankfurter Erbkaiserpartei ihr Ziel nötigenfalls auch durch „eine Demonstration vor dem königlichen Schlosse, von Barrikaden aus", also — wie Jürgens meint — mit quasi-revolutionären Mitteln habe erreichen wollen, bedarf kaum der Widerlegung (vgl. Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 323). 2 So berichtete Trauttmansdorf am 20. 12. aus Berlin, Friedrich Wilhelm IV. beginne in deutschen Angelegenheiten „Licht zu sehen, seit Herr v. Gagern in das Reichsministerium getreten sei, mit dem Vorhaben, eine Verständigung mit Österreich zu bewirken . . . Der König ist nicht nur für die gedachte Idee des Herrn v. Gagern eingenommen, sondern schreibt sich auch das Verdienst zu, ihm dieselbe während seines Aufenthaltes inBerlin gegeben zu haben" (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 176/176 v). 3 Über die Meinungsunterschiede zwischen König und Ministerium hinsichtlich der „deutschen Hegemonie" vgl. ebenda, Bl. 49 v; Bericht Trauttmansdorfs an Schwarzenberg v. 16. 12. 1848. 4 H. v. Gagern hatte sich nach seiner Rückkehr aus Berlin am 3. 12. auch mit einer „oktroyierten Charta" für Preußen einverstanden erklärt, wenn gleichzeitig das dortige Ministerium geändert werde (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Brief Gagerns an H. v. Arnim-Suckow v. 3. 12. 1848). 5 Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 143f. 6 Vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 761. 1

4. Die Ablösung A. v. Schmerlings

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4. Die A b l ö s u n g A . v . Schmerlings durch H. v . Gagern Wir wiesen bereits im Zusammenhang mit den Österreichdebatten des Paulskirchenparlaments darauf hin, daß sich bei der Casino-Mehrheit in der zweiten Novemberhälfte immer deutlicher die Hinwendung zu einer preußischen Lösung der deutschen Frage abzeichnete. Im Zusammenhang hiermit verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den Großdeutschen und den Kleindeutschen innerhalb des rechten Zentrums. Saucken berichtete in jenen Tagen von einem „glücklichen Umschlag" in der Haltung der Frankfurter Nationalversammlung gegenüber Preußen. 1 Rümelin (Augsburger Hof) vermerkte ähnliches. 2 Aber der Optimismus vieler Casino-Abgeordneter wurde auch durch Bedenken getrübt: „Wenn jetzt nur in Berlin kein Rückschlag erfolgt", schrieb Saucken, „wenn man nur nicht wieder die partikularistischen Ansichten Oberhand gewinnen und so alles verderben läßt, was errungen ist." 3 Droysen, der Exponent des propreußischen Casino-Flügels, ließ keinen Zweifel daran, daß mindestens er und seine engeren Parteifreunde die Entscheidung für Preußen als unumkehrbar betrachteten und sich auch durch Rückschläge nicht würden beirren lassen: „Gewiß ist unsere Stellung sehr penibel, ja gefährdet. Spielt der König (von Preußen — G. H.) in der Manier wie Österreich: je nun, so haben wir uns auf nicht lange geirrt. . . Und doch, soll das geringste aus der deutschen Schweinerei werden, so muß Preußen voran . . ," 4 Als der preußische General Willisen während eines Gesprächs am 29. November Sympathien für ein Direktorium als Träger der Oberhauptsgewalt erkennen ließ, widersprach Droysen mit Heftigkeit: „Österreich darf uns nicht noch länger hemmen und verraten, Preußen muß aus der stockigen Erde und Enge verpflanzt werden." 5 Die Schlußdebatte über die Österreich-Frage vom 29./30. November 6 gliederte sich ein in die Reihe jener Aktivitäten der Casino-Mehrheit, die auf die preußische Monarchie als wichtigsten Partner und Bezugspunkt fixiert waren. Auch der Mißerfolg H. v. Gagerns in Berlin vermochte hieran kaum etwas zu ändern. An dem Tage, da Gagern verstimmt und körperlich angegriffen 7 wieder in Frankfurt anlangte, stellte Droysen fest: „Die Umstände haben die Kombinationen, die wir seit Juni vorbereitet, begünstigt." Er spielte hiermit auf die Absage Wiens an die Frankfurter Nationalversammlung an, auf die Stärke, das Ansehen und das wachsende Gewicht des preußischen Heeres und schließlich auf die zunehmende Neigung auch der süddeutschen Regierungen, Preußen als künftige Führungsmacht zu akzeptieren. 8 Ob und inwieweit die Gagern-Partei in diesen Wochen auch von anderer Seite ermuntert wurde, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. 9 Interessant ist Stockmars MitteiSaucken-Tarputscben, Ernst f., Aus dem Frankfurter Parlament, S. 101 (Brief Sauckens an seine Frau v . 28. 11. 1848); vgl. auch DZ, Nr. 316, 29. 11. 1848. 2 Rümelin, Gustav v., Aus der Paulskirche, S. 125 (Bericht v. 27. 11. 1848). 3 Saucken-Tarputscben, Ernst v., Aus der Frankfurter Paulskirche, S. 101 (Brief Sauckens an seine Frau v. 28. 11. 1848). 4 Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, Bd. 1, S. 482. 5 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 833 (Tagebuchaufzeichnungen v. 29. 11. 1848). 6 Vgl. oben S. 143 ff. 7 Simson, Eduard v., Erinnerungen, S. 136; Went^cke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 148. 8 Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, Bd. 1, S. 486f. (Brief Droysens an A. Kopisch v. 3.12. 1848). 9 Namentlich die internationalen Verbindungsfäden der Gagernschen Politik sind bisher nur ungenügend behandelt und können auch hier nicht eingehend untersucht werden. Es wird hierzu vor allem der weiteren Durchsicht der auswärtigen Quellen bedürfen, wie dies Gillesen am Beispiel Großbritanniens getan hat (vgl. S. 201, Anm. 2. Auch Jürgens (Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 384), 1

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lung an H. v. Gagern über die positive Reaktion der britischen Regierung auf die Verfassungspläne der Erbkaiserpartei 1 , was offenbar nicht ganz ohne Einfluß auf die „nächsten Handlungen" 2 des Führers der Casino-Mehrheit blieb. Nachdem bereits in den vorausgegangenen Wochen in Frankfurt hin und wieder das Gerücht von einer bevorstehenden Ablösung Schmerlings durch H. v. Gagern umgingt, erörterten am Abend des 4. Dezember Casino-Abgeordnete bereits offen diesen Fall/1 Man versprach sich hiervon nicht zuletzt eine mobilisierende Wirkung auf die noch immer wenig Entgegenkommen zeigende preußische Regierung. Zunächst ergriff jedoch Schmcrling selbst die Initiative, um die gleichermaßen auf den Fortgang ihres Verfassungswerkes wie auf die Schwächung seiner Position zielenden Bemühungen der Erbkaiserpartei zu durchkreuzen. Bereits am 3. Dezember, einen Tag nach Bekanntwerden des Kremsierer Programms 5 der neuen Regierung in Wien, welches das Fortbestehen des habsburgischen Reiches, aber auch die österreichischen Ansprüche innerhalb des Deutschen Bundes bekräftigte, hatte er im Ministerrat den Vorschlag unterbreitet, Verhandlungen mit „der österreichischen Regierung über die Stellung zu Deutschland" aufzunehmen. 6 Schmerlings Versuch gehörte zu den teilweise recht verwirrenden Machinationen von Anhängern und Gegnern einer erbkaiserlichen Lösung in den ersten Dezembertagen 1848. Er knüpfte zwar geschickt an das Kremsierer Programm an, ging in Wirklichkeit aber in eine andere Richtung. Zum einen wollte er den Vorstoß der besonders avantgardistischen Verfechter einer Hegemonie Preußens paralysieren helfen, welcher darauf zielte, den König von Preußen, ungeachtet des Widerstandes in Berlin, zum Erbkaiser auszurufen, 7 zum anderen aber auch dem von ihm mit Recht für eine politische Torheit gehaltenen Projekt Somarugas zuvorkommen, als Antwort auf das Vorhaben der Droysen-Gruppe Franz Josef I. durch österreichfreundliche Abgeordnete zum deutschen Kaiser ausrufen zu lassen. 8 Went^cke (Ideale und Irrtümer, S. 147, 150) und Steb^enmiiller (Das Gagernsche Programm, S. 48) belassen es im wesentlichen bei Andeutungen. 1 Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiberrn Christian Friedrieb v. Stockmar, S. 557 f. (Brief v. Stockmars an H. v. Gagern v. 3. 12. 1848). Gleichzeitig forderte v. Stockmar die Gagern-Partei zu folgenden Aktivitäten auf: Erklärung einer „geschlossene(n) Schar der bedeutendsten Abgeordneten zu Frankfurt" gegen die Teilnahme Österreichs am Bundesstaat, Umbildung des Reichsministeriums, Aufnahme gesandtschaftlicher Verhandlungen mit Österreich über dessen Verhältnis zum künftigen deutschen Bundesstaat (ebenda, S. 553f.). Freilich sollte diese positive Reaktion nicht überschätzt werden. Noch am 16. 11. teilte Camphausen mit, daß weder Paris noch London sich mit der Anerkennung der Zentralgewalt beeilten (GStA, III. H. A., Nr. 47, Bl. 122, Vertraulicher Bericht Camphausens an das Außenministerium). Vgl. auch S. 201 f. unten. 2 Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiberrn Christian Friedrich v. Stockmar, S. 562ff. (Brief M. v. Gagerns an v. Stockmar v. 18. 12.1848). 3 Vgl. Neue Müncbener Zeitung, Nr. 99, 21. 10. 1848. 4 Bammel, Ernst, Gagerns Plan und die Frankfurter Nationalversammlung, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 5. F., Jg. 1848, H. 1, S. 5. 5 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 834 (Tagebuchaufzeichnung vom 3. 12. 1848). 6 Schmerling, Denkwürdigkeiten, Bl. 312; Bammel, Ernst, Gagerns Plan, S. 6; Went^cke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 151; Stel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 64. Menßhengen datiert Schmerlings Antrag im Ministerrat auf den 4. 12. (ÖStA, HHStA, Stk, Deutsche Akten, Nr. 93, Bl. 45f., Menßhengen an Schwarzenberg v. 5.12.1848). ^ Vgl. ebenda, Nr. 84, Bl. 8v/10, Menßhengen an Schwarzenberg v. 11. 12. 1848 (Abschrift); ebenda, Bl. 35 ff., Menßhengen an Schwarzenberg v. 16. 12. 1848. 8 Ebenda, Bl. 10, Menßhengen an Schwarzenberg v. 11. 12. 1848 (Abschrift).

4. Die Ablösung A. v. Schmerlings

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Schmerlings Initiative erwies sich als geschickter Schachzug. Einerseits wurde eine von H. v. Gagern im Rahmen seines Doppelbund-Programms vertretene Forderung aufgegriffen 1 , andererseits konnte sich Schmerling auf das Programm der Regierung Schwarzenberg berufen, welches Österreichs Position innerhalb des Bundes gestärkt hatte. In Wirklichkeit ging es ihm erst in zweiter Linie um das Kremsierer Programm. Seine Absicht war vor allem, eine Barriere gegen den weiteren Vormarsch der Erbkaiserpartei zu errichten und gleichzeitig den großdeutschen Gedanken erneut mit ins Spiel zu bringen. Diesem Ziel vor allem und weniger der Bevormundung der Wiener Regierung hatte bereits sein Bemühen gegolten, der provisorischen Zentralgewalt ein Mitspracherecht etwa bei der Regelung der italienischen Frage zu sichern. Auch die diesmalige Taktik war so gewählt, daß Schmerling am 6. Dezember nach anfänglichem Widerspruch die Zustimmung sämtlicher Minister zu seinem Vorschlag erlangte. 2 Seinem Antrag war ohne Zweifel zugute gekommen, daß er selbst die Beauftragung Gagcrns mit der Verhandlungsführung mit Österreich und gleichzeitig 3 dessen Aufnahme ins Reichsministerium verlangt hatte. Schmerlings Plan zielte darauf, Gagerns Popularität auszunutzen und ihn zugleich an die Weisungen des von ihm dirigierten Ministeriums zu binden. H. v. Gagern erwies sich Schmerling gegenüber an taktischem Geschick zumindest als ebenbürtig. Er erklärte sich bereit, auf dieses Angebot einzugehen, — ohne sein Gesicht zu verlieren, ohne auch nur ein Jota von seiner bekannten Position abzuweichen. Sein scheinbares Eingehen auf die Pläne Schmerlings eröffnete ihm selbst und seiner Partei mehrere Vorteile. Es erweckte bei vielen Anhängern Schmerlings und bei dem gemäßigten Teil seiner eigenen Gefolgsleute den Eindruck einer fairen Behandlung Österreichs 4 , was sich z. B. in der späteren Tolerierung seines Programms durch die großdeutsch eingestellte Fraktion Jürgens auch auszahlen 5 sollte. Es ermöglichte Gagern ferner, sein eigenes, den Intentionen Schmerlings widersprechendes Verhandlungskonzept ins Spiel zu bringen. Schließlich waren die Offerten Schmerlings wie die taktischen Manöver Gagerns dazu angetan, den Droysen-Flügel der Erbkaiserpartei zu mobilisieren, der, wie sich jeder ausrechnen konnte, alles versuchen würde, das Doppelspiel und den „Verrat" Schmerlings endgültig zu entlarven. Gerade diese letzte Annahme sollte sich im weiteren Verlauf der Geschehnisse vollauf bestätigen. Gagern taktierte so geschickt, daß es ihm gelang, bei dem ihm ohnehin aufgeschlossen Es war als Zeichen seines verzweifelten Suchens nach einem taktischen Ausweg, vielleicht aber auch einer gewissen Fehleinschätzung (s. a. S. 162, Anm. 1) zu werten, daß Schmerling sich Menßhengen gegenüber zu Gagerns Antrag v. 26. 10. 1848 bekannte (ebenda, Nr. 83, Bl. 73; Menßhengen an Schwarzenberg v. 9. 12. 1848). 2 Stel^enmäller, Tilemann, Das Gagernsche Programm. S. 55; Bammel, Ernst, Gagerns Plan, S. 6. 3 So hätten sich Beckerath und Mohl (anfangs) „auf das Bestimmteste" gegen das Ansinnen Schmerlings erklärt (ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, Nr. 33, Bl. 46; Menßhengen an Schwarzenberg v. 5. 12. 1848). Den entschiedensten Widerspruch erfuhr Schmerling allerdings von Seiten des Reichsverwesers (ebenda, Nr. 84, Bl. 426; Menßhengen an Schwarzenberg v. 7. 12. 1848), dessen „Lieblingsgedanke" ein großdeutsches Kaisertum mit einem habsburgischen Monarchen, nämlich seinem Neffen, an der Spitze gewesen sei (ebenda,Bl. 305; Menßhengen an Schwarzenberg v. 27. 11. 1848). Am 11. 12. hatte Schmerling jedoch dessen Widerstand überwunden (ebenda, Bl. 8; Menßhengen an Schwarzenberg v. 11. 12.1848, Abschrift). 4 Noch Wochen später, am 8. 1. 1849, sprach Schmerling davon, daß Gagern „beinahe gegen seinen Willen an die Spitze der Geschäfte" gebracht worden sei (ebenda, Politisches Archiv (im folgenden: P. A.), Deutscher Bund, Berichte 1849, I—IV, Bl. 26; Schmerling an Schwarzenberg). 5 Vgl. S. 181 unten. 1

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Hildebrande, Gagern

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Antidemo kratismus

gegenüberstehenden k. u. k. Bevollmächtigten Menßhengen Verständnis für die von ihm vertretene Linie zu finden. 1 Er verstand es, den Eindruck zu erwecken, als stimmten die von ihm vertretene Doppelbund-Politik und das Kremsierer Programm hinsichtlich ihres nationalpolitischen Anliegens im Grunde genommen überein, während der Schmerlingsche Vorschlag nach Aufnahme formeller Verhandlungen mit Österreich eigentlich der Zeit noch voraus sei.2 In Wirklichkeit aber gingen Gagerns Pläne viel weiter. Dies beweist die von ihm in diesem Zusammenhang erstmals erhobene Forderung nach Einrichtung einer ständigen Vertretung der Zentralgewalt bei der Regierung in Wien 3 , deren Verwirklichung bedeutet hätte, daß die von "Schmerling als taktisches Manöver in Erwägung gezogene zeitweilige Gesandtschaft fest institutionalisiert worden wäre. Gagerns geschickte und z. T. schwer zu durchschauende Manöver in jenen Wochen wurden von Historikern wie Bammel, Stelzenmüller oder Eyck zum Anlaß genommen, die Behauptung von der angeblichen Überparteilichkeit Gagerns zu erneuern. Gagern wie auch Schmerling wurden in diesem Zusammenhang als Befürworter eines vernünftigen Mittelweges zwischen großdeutsch-restaurativ und kleindeutsch 4 hingestellt. Auch die z. T. auf das Zeugnis von Arneth und Jürgens 5 gestützte These von wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Gagern und der Casino-Mehrheit hält der Prüfung nicht stand. Gagern besaß nicht nur großen Anteil an der Isolierung und dem Hinausdrängen Schmerlings aus dem Reichsministerium und der Casino-Führungsspitze sowie an der Fixierung der Casino-Mehrheit auf den kleindeutschen Erbkaiserstaat. Sein parlamentarisch-taktisches Vorgehen erwies sich als optimale Variante zur Neuformierung und ideologischen Profilierung seiner Partei wie zur Umsetzung ihrer allgemein- und verfassungspolitischen Zielvorstellungen. Daß Gagern nicht gesonnen war, von seinem Programm abzugehen, beweist die mehrfach mit Nachdruck vorgetragene Forderung, sein Eintritt in das Reichsministerium setze voraus, daß seine Ansichten über das Verhältnis Deutschlands zu Österreich (Antrag vom 26. Oktober 1848) eine parlamentarische Mehrheit fänden. 6 Gagern und seine Gefolgsleute ergänzten sich im Wechselspiel ihrer Aktivitäten zum endgültigen Durchfechten ihres politischen Programms und ihrer personellen Vorstellungen in den folgenden Wochen recht gut. Zunächst ging es der Droysen-Gruppe darum zu verhindern, daß Schmerling in den verbündeten Zentrumsfraktionen eine größere Anhängerschaft zuwuchs. Als dieser am 7. Dezember abends auf einer interfraktionellen Zusammenkunft bei Beckerath seinen bereits erwähnten Plan erläuterte, 7 reagierten Dahlmann, Droysen, G. Beseler und der weniger ex1 Vgl. u. a. Menßhengen an Schwarzenberg v. 16. 12. 1848 (ebenda, StK, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 35ff.). 2 Ebenda, Bl. 37/38. 3 Ebenda, Bl. 37 v. 4 Stel%enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 55ff.; Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 408f. — Bammel (Gagerns Plan, S. 10) gibt Gagerns Programm zu Unrecht einen großdeutschen Anstrich, wenn er behauptet, es sei von der Absicht diktiert gewesen, „Österreich, soweit es die Verhältnisse zuließen, bei Deutschland zu erhalten". Er interpretiert dieses Programm fälschlicherweise als einen Dreifachbund (a. Kleindeutschland, b. Kleindeutschland und Deutsch-Österreich, c. Kleindeutschland und der nichtdeutsche Teil des habsburgischen Reiches). 5 Vgl. Arneth, Alfred f., Anton Ritter von Schmerling, S. 252ff.; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 396ff. 6 ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 57 v., 63; Menßhengen an Schwarzenberg v. 16. 12. und 18. 12. 1848. ' Über den Verlauf dieser Zusammenkunft vgl. Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 443f.; Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 836 (Tagebuchaufzeichnung v. 7. 12. 1848); Arnetb, Alfredv., Anton Ritter von Schmerling, S. 258ff.

4. Die Ablösung A. v. Schmerlings

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ponierte Grumbrecht 1 derart ablehnend, daß dies nahezu einem Mißtrauensvotum gleichkam. Bassermann und auch Mathy, obwohl zu Gagerns Anhängern zählend, stimmten ihm dagegen zu. Auch Gagern selbst hielt sich mit einer eindeutigen Aussage zunächst zurück. Das Ausscheiden Schmerlings aus dem Reichsministerium wurde nunmehr zum offen erklärten Ziel der Droysen-Gruppe. 2 Die Gründung der Zentrenkorrespondenz, von nun an das Sprachrohr der Erbkaiserlichen 3 , zeigt deutlich, daß es der Droysen-Gruppe bei der Verwirklichung dieses Planes auch um die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft außerhalb des Parlaments ging. Trotzdem blieb dieses Thema in erster Linie den halboffiziellen Beratungen von Zirkeln, Kommissionen etc. vorbehalten. Auf einer morgendlichen Zusammenkunft von Casino-Abgeordneten am 8. Dezember bei Beseler wurde wiederum der Rücktritt Schmerlings gefordert. 4 Ein Antrag der einflußreichen Neunerkommission der verbündeten Zentrumsfraktionen, welcher den Nichteintritt Österreichs in den Bundesstaat als Prämisse für ihr weiteres Vorgehen festhielt, 5 fand sowohl im Landsberg als auch im Augsburger Hof Zustimmung. 6 Vom 10. bis 14. Dezember debattierte die Casino-Fraktion allabendlich über die personellen Konsequenzen innerhalb der Reichsregierung, die sich aus den veränderten politischen Rahmenbedingungen ergaben. Noch widersetzte sich hier eine starke Gruppe dem Drängen des DroysenBeseler-Flügels, Schmerling fallenzulassen. Der Aktivismus der unbedingten Befürworter der preußischen Lösung wurde auch durch die Nachrichten über die Oktroyierung einer Verfassung und die endgültige Auflösung des Parlaments in Preußen nicht gebremst. Nicht nur die Frankfurter Börse reagierte positiv auf den preußischen Staatsstreich. 7 Die Casino-Liberalen begrüßten die in Berlin verkündete Verfassung, die eine Reihe politischer Zugeständnisse an die Bourgeoisie enthielt, fast durchweg wegen ihres „liberalen" Gehaltes. 8 H. v. Gagern, der zuvor eine derart zustande gekommene Verfassung als Provisorium für hinnehmbar gehalten hatte, 9 diWörtlich: Gagern dürfe sich nicht dadurch, daß er „mit so unpopulären Leuten, wie Schmerling und Bassermann zusammensitze . . . um seine Popularität bringen" (nach Schmerling, Denkwürdigkeiten, Bl. 314f.). 2 Vgl. Wurm, Christian Friedrich, Die Diplomatie, das Parlament und der deutsche Bundesstaat, Braunschweig 1849, Bd. I, S. 3ff. 3 Vgl. Bergsträsser, Ludwig, Entstehung und Entwicklung der Parteikorrespondenz in Deutschland im Jahre 1848/49, in: Zeitungswissenschaft, Jg. 1933, S. 20ff. — Die Korrespondenz war anfänglich das Organ der Casino-Fraktion, später der gesamten Erbkaiserpartei. Über die Zusammensetzung des leitenden Ausschusses existieren unterschiedliche Angaben. Folgende Namen (in alphabetischer Reihenfolge) werden genannt: Droysen, Duncker, Haym, Schräder, Schwarz, Veit, Wichmann und Wurm (vgl. auch Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 430). 4 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 836 (Tagebuchaufzeichnung v. 8. 12. 1848). 5 Der Antrag sprach sich lediglich für die Entwicklung eines den beiderseitigen Interessen und „stammverwandten Sympathien entsprechenden Verhältnisses" aus (Biedermann, Karl, Erinnerungen aus der Paulskirche, Leipzig 1849, S. 59), was auch den Intentionen H. v. Gagerns entsprach. — Vgl. auch Bammel, Ernst, Gagerns Plan, S. 8. 6 Ebenda; Slel^enmüller, Tilemann, Das Gagernsche Programm, S. 60. ' Vgl. DZ, Nr. 324, 8. 12. 1848, Beilage; Nr. 327, 11. 12. 1848. 8 Der Antrag Wesendonck vom 9- 12. 1848, die oktroyierte Verfassung für „null und nichtig" zu erklären, wurde von der Mehrheit als nicht dringlich abgewiesen (StB, Bd. 6, S. 3984). — Dies entsprach genau der von Hergenhahn und Simson am 6. 12. dem Frankfurter Parlament nahegelegten Entscheidung (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, Bericht Hergenhahns und Simsons v. 6. 12. 1848; vgl. S. 157, Anm. 9f.). 9 Vgl. S. 158, Anm. 4. 1

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Antidemokratismus

stanzierte sich nunmehr zwar von der Oktroyierung, kritisierte jedoch das Grundgesetz im gleichen Atemzug wegen zu weitreichender Konzessionen in der Wahlrechtsfrage. 1 Daß der Oktroyierungsakt nicht nur gegen den Konstitutionalismus, sondern auch gegen den Vereinbarungsgrundsatz selbst verstieß, wurde vielfach mit Stillschweigen in Kauf genommen. 2 Die „Deutsche Zeitung" erklärte, diese Verfassung könne ihres Gehaltes wegen nicht mehr „als im eigentlichen Sinne oktroyiert" gelten. 3 Die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" sah sich zu der Voraussage veranlaßt, die preußische Verfassung könne als günstiges Omen für die Bereitschaft der Berliner Regierung gewertet werden, an der Lösung der deutschen Frage mitzuarbeiten, 4 eine Auffassung, die selbst Camphausen teilte. 5 Die erneute Entsendung eines Frankfurter Parlamentariers zu Gesprächen nach Berlin stand damit im Einklang. 6 So wirkten die Geschehnisse in Berlin auf das Vorgehen der Gruppe Droysen-Beseler eher stimulierend als hemmend. Zunächst versuchte Schmerling noch einmal, die Initiative zu ergreifen. Am 13. Dezember legte er im Ministerrat einen weiteren Antrag vor, der — wie es schien — noch stärker als sein früherer einer Interpretation des Kremsierer Programms im kleindeutschen Sinne entgegenkam, zugleich aber erneut die „Verbindung Österreichs mit Deutschland" befürwortete. 7 Dies aber war etwas gänzlich anderes als die von Gagern geforderten „freundschaftlichen, bundesgenössischen Beziehungen", was den Erbkaiserlichen denn auch nicht verborgen blieb. Dem massiven Gegenschlag der Gruppe Droysen-Beseler war Schmerling diesmal jedoch nicht mehr gewachsen. Noch am Abend des 13. Dezember setzte der Abgeordnete Schneer im Landsberg, wo der Ministerpräsident der provisorischen Zentralgewalt über so gut wie keinen Anhang verfügte, ein Mißtrauensvotum gegen ihn durch, welchem sich am selben Tage, unter Regie W. Beselers, auch der Augsburger Hof anschloß. 8 Am darauffolgenden Brief H. v. Gagerns an Hergenhahn und Simson, abgedruckt in Simson, Eduard, Erinnerungen, S. 146f. Auch Simson und Hergenhahn warnten ihre Frankfurter Parteifreunde vor „raschen Äußerungen" (GStA, III. H. A., Nr. 47, Bl. 188; Bericht Camphausens an v. Bülow v. 8. 12. 1848) und meinten, es bleibe faktisch kein anderer Ausweg, als der Oktroyierung zuzustimmen (BAF, FN 7; Bericht Simsons und Hergenhahns v. 6.12.1848). 3 DZ, Nr. 325, 9.12.1848. 4 FOPAZ, Nr. 330, 13.12. 1848. 5 Vgl. den Brief Camphausens an den Bremer Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt J. Smidt v. 27. 12. 1848 (BAF, ZSg. 1/Na 22, Nachlaß J. Smidt; enthalten in einem Brief J. Smidts an H. Smidt v. 28 12. 1848). Auch der nach H. v. Gagerns Abreise aus Berlin weiterhin hier mit Simson verbleibende Hergenhahn fand Grund, „die Hoffnung noch nicht auf(zu)geben" (ebenda, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Bericht Hergenhahns an H. v. Gagern v. 3. 12. 1848). 6 Es handelt sich um den Abgeordneten Falk (Augsburger Hof), der am 10. oder 11. 12. von Frankfurt a. M. abgereist war (vgl. Bammel, 'Ernst, Gagerns Plan, S. 7). — Möglicherweise war Falk der Verfasser eines von Simson veröffentlichten anonymen „Privat-Berichtes eines Mitgliedes der deutschen Nationalversammlung über eine Unterredung mit dem preußischen Ministerpräsidenten" (Simson, Eduard, Erinnerungen, S. 163 ff.). 7 Abgedruckt bei Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungs werkes, 1. Abt., S. 398. 8 Nach Schmerlings Darstellung bereits am 13. 12. (Schmerling, Denkwürdigkeiten, Bl. 320). — Über die Geschehnisse vom 13. und 14.12. vgl. die bereits mehrfach zitierte Literatur. — Eine Schilderung der Vorgänge aus der Sicht eines großdeutsch eingestellten Casino-Abgeordneten bei Künßberg (BAF, ZSg. 1/Na 124, Nachlaß Künsberg, Aufzeichnungen zur Geschichte des Frankfurter Parlamentes, Bl. 43f.). — Interessante Einzelheiten über die Vorgänge unmittelbar vor der Demission Schmerlings vermittelt Menßhengens Bericht v. 16. 12. 1848 (ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, Nr. 84, Bl. 54ff.; Menßhengen an Schwatzenberg). 1

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4. Die Ablösung A. v. Schmerlings

M o r g e n e n t s c h l o s s e n sich die R e i c h s m i n i s t e r unter d e m E i n d r u c k der sich in d e n Z e n t r e n i m m e r deutlicher a b z e i c h n e n d e n A n t i - S c h m e r l i n g - S t i m m u n g z u n ä c h s t d a f ü r , d e s s e n A n t r a g z u r ü c k z u s t e l l e n , u m d a n n i m L a u f e d e s T a g e s S c h m e r l i n g , der b i s zuletzt u m seine P o s i t i o n k ä m p f t e , g a n z f a l l e n z u l a s s e n . 1 I n einer K a m p f a b s t i m m u n g setzten sich a b e n d s in d e r C a s i n o - F r a k t i o n m i t 3 6 : 3 2 S t i m m e n d i e G e g n e r S c h m e r l i n g s d u r c h , 2 der a m

Morgen

d e s 15. D e z e m b e r n u n m e h r seinen R ü c k t r i t t erklärte. E r s t jetzt w a r der W e g frei f ü r H . v . G a g e r n , der n o c h a m selben T a g z u m M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n b e r u f e n w u r d e . 3 D a s R i n g e n d e r letzten W o c h e n war nicht v o r r a n g i g ein Streit u m R e g i e r u n g s ä m t e r g e w e sen. D i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m d i e S c h a f f u n g v o n „ B e z i e h u n g e n " i m G a g e r n s c h e n o d e r „Verbindungen" im Schmerlingschen Sinne bzw. u m das gegenüber Österreich schlagende

Verfahren

drehte

sich

nicht

um

Nuancen

ein

und

E s s t a n d e n sich v i e l m e h r z w e i k l a s s e n m ä ß i g w i e v e r f a s s u n g s p o l i t i s c h

desselben sehr

einzuPlanes.

unterschied-

liche K o n z e p t i o n e n g e g e n ü b e r . S c h m e r l i n g s c h w e b t e als L e i t b i l d ein a u f d i e F ü h r u n g s position

Österreichs zugeschnittener

gemäßigt-konservativer

reformierter

Bundesstaat

m i t e i n e m relativ g e r i n g e n Z e n t r a l i s a t i o n s g r a d v o r . D i e s d r ü c k t e sich z. B . in seiner F o r d e r u n g a u s , die k ü n f t i g e V e r f a s s u n g „ d u r c h g l e i c h e Billigkeit g e g e n alle d e u t s c h e n S t ä m m e durch Erstrebung des "Erreichbaren u n d praktisch Brauchbaren" f ü r die v o r w i e g e n d v o n E i g e n interessen gelenkten Einzelstaaten akzeptabel zu machen.4 E s w ä r e j e d o c h f a l s c h , i m K o n z e p t S c h m e r l i n g s nur die N e g a t i o n eines v o n P r e u ß e n g e f ü h r t e n k l e i n d e u t s c h e n B u n d e s s t a a t e s z u s e h e n . S c h m e r l i n g hielt a u c h n a c h s e i n e m A u s s c h e i d e n a u s d e m R e i c h s m i n i s t e r i u m an der I d e e einer l i b e r a l - k o n s e r v a t i v g e p r ä g t e n , g r o ß d e u t s c h orientierten R e f o r m p o l i t i k unter der Ä g i d e H a b s b u r g s fest u n d s u c h t e sie a u c h der Wiener R e g i e r u n g s c h m a c k h a f t zu m a c h e n 5 , die seinen P l ä n e n j e d o c h sehr r e s e r v i e r t g e g e n ü b e r s t a n d , i n s b e s o n d e r e der F o r d e r u n g n a c h U m w a n d l u n g d e s H a b s b u r g e r r e i c h e s in ein f ö d e r a 1

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4 5

Nicht konform mit den übrigen Kabinettsmitgliedern ging der Österreicher Würth. Menßhengen behauptet, auch Bassermann und Biegeleben hätten zu den Verteidigern Schmerlings gehört (ebenda Bl. 54v), was mindestens bei ersterem zweifelhaft erscheint, da dieser ausersehen wurde, am 17. 12. in offizieller Eigenschaft dem österreichischen Bevollmächtigten die Nachricht von der Kabinettsumbildung zu übermitteln (ebenda, BI. 90; Schreiben des Unterstaatssekretärs für Inneres an Menßhengen). Jürgens gibt als Begründung für die niedrige Zahl der Abstimmenden an, daß von den Österreichern „keiner oder doch nur sehr wenige zugegen" gewesen seien ( Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 1. Abt., S. 459). Die Zahl der Stimmen für v. Schmerling spricht jedoch dagegen. Eine andere Erklärung wäre die, daß v. Saucken die von ihm am 13. 12. für den Abend des darauffolgenden Tages angekündigte Zusammenkunft von 25 preußischen (u. a. auch Casino-)Abgeordneten durchführte und die betreffenden Casino-Abgeordneten nicht an der Sitzung ihrer Fraktion teilnahmen (SauckenTarputscbtn, Ernst v., Aus dem Frankfurter Parlament, S. 103 [Brief v. Sauckens an seine Frau v. 13. 12. 1848]). Wie Camphausen berichtet, habe der Reichsverweser v. Gagerns Bedingungen — „selbständige und abgeänderte Konstituierung" Österreichs und Deutschlands, „innigstes Bündnis zwischen beiden Körpern" sowie Übernahme der Führungsposition „an der Spitze des deutschen Bundesstaates" durch Preußen — nach einigen Bedenken akzeptiert (GStA, III. H. A., Nr. 47, Bericht Camphausens an v. Bülow v. 16. 12. 1848). Vgl. DZ, Nr. 335, 20.12.1848. Dies verraten deutlich die nach seinem Amtsantritt als Bevollmächtigter bei der provisorischen Zentralgewalt verfaßten Berichte an die österreichische Regierung, wo er diese für eine aktivere Politik in der deutschen Frage zu gewinnen und gleichzeitig Gagerns parlamentarische Erfolge zu schmälern versuchte (vgl. S. 176, Anm. 5 ; ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund 1849, Berichte I - I V , Nr. 10, Berichte Januar 1849).

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Antidemoktatismus

tivstaatliches Gebilde. Diese sollte es Österreich ermöglichen, mit seinen deutschen Provinzen dem Bundesstaat beizutreten und zugleich die Oberherrschaft über die von ihm unterdrückten Völker in modifizierter Form fortzuführen. Dagegen entsprach ungeachtet seines kompromißlerischen Charakters das von Gagern projektierte Modell eines kleindeutschen Bundesstaates unter preußischer Führung vor allem infolge höheren Zentralisationsgrades und der stärkeren konstitutionellen Ausprägung mehr den Interessen der Bourgeoisliberalen, was schließlich auch mit den Ausschlag für die Entscheidung der Casino-Mehrheit gegeben hatte. Schmerlings „Verdienst" sei, wie die Zentrenkorrespondenz am 15. Dezember aus der Sicht der Führungsspitze der Frankfurter Bourgeoisliberalen resümierend feststellte, die „Bewältigung der Anarchie" gewesen. Für die Lösung der nunmehr herangereiften Aufgabe habe er, wie das Organ deutlich machte, jedoch kein erfolgversprechendes Konzept mehr anzubieten gehabt. Was not tue, sei daher die Inaugurierung „eines neuen Systems, dessen Träger Gagern sein muß". 1 Am 16. Dezember legte der neue Ministerpräsident der Frankfurter Nationalversammlung sein Programm vor. Gagern sprach nunmehr eindeutig als obersten Grundsatz aus, was in seinem im Oktober vorgebrachten Antrag noch vage zum Ausdruck gekommen war und Schmerling bis zuletzt mit aller Kraft zu verhindern versucht hatte: Österreich sollte mit Rücksicht auf die Verbindung „der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Landesteilen" als „in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat nicht eintretend zu betrachten sein".2 Die Regelung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich blieb zukünftigen Verhandlungen vorbehalten. Die künftigen Beziehungen zwischen beiden sollten ausschließlich auf gesandtschaftlichem Wege geregelt werden. Ausdrücklich wurde bekräftigt, daß die „Verfassung des deutschen Bundesstaates . . . nicht Gegenstand der Unterhandlungen mit Österreich" sein könne. 3 Dies bedeutete nach dem Willen der Gagern-Liberalen nichts anderes, als daß die Entscheidung über den Umfang und die Führungsmacht des zu errichtenden Staates endgültig gefallen war. Gagern, der weniger als zwei Monate zuvor mit seinem damals noch vorsichtig formulierten, der Sache nach aber gleichbedeutenden Antrag nicht durchgekommen war 4 , hatte durch geschickte Ausnutzung aller Umstände und Möglichkeiten, auch durch das gegenseitige Ausspielen der Kontrahenten innerhalb des rechten Zentrums nunmehr die Unterstützung durch die Casino-Mehrheit erlangt. Ende Oktober waren seine Pläne durch die Absicht des gemäßigten Flügels seiner Anhänger, die Entscheidung über das deutschösterreichische Verhältnis einstweilen noch in der Schwebe zu belassen, und infolge der taktischen Unbeweglichkeit der Gruppe um Droysen gescheitert. Jetzt führten, ausgelöst durch den Verlauf der Ereignisse in Wien und Berlin sowie die Anti-Schmerling-Kampagne, die entgegengesetzten Gründe zur Billigung seines Programms: zur Gewinnung seiner gemäßigten Anhänger für eine einschneidende Maßnahme im Interesse einer kleindeutschen Lösung und zur Einsicht des Droysen-Dahlmann-Flügels, daß der Gagernsche Doppelbund das Erbkaiserprojekt nicht verwässere. Das Ringen zwischen den Anhängern Gagerns und Schmerlings, der Schlußpunkt unter einer Reihe von Auseinandersetzungen innerhalb der Frankfurter Nationalversammlung, war keineswegs nur eine innerparlamentarische Bewegung, sondern korrespondierte mit der Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der feudalen Konterrevolution im Korrespondenz der Zentren, 15.12. 1848. StB,Bd.6, S. 4233. 4 V gl. oben S. 139f. 3 Ebenda, S. 4234.

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4. Die Ablösung A. v. Schmerlings

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nationalen Rahmen. So hing der Sieg der Erbkaiserpartei, der in der Geschichte der Paulskirchenversammlung eine Zäsur darstellt, mit dem Ausgang der Auseinandersetzungen in Preußen zusammen, was einmal mehr die Verflechtung des beiderseitigen Geschehens unterstreicht. Die Entscheidung der Casino-Mehrheit für Preußen hing ohne Zweifel damit zusammen, daß der Prozeß des Wiedererstarkens von Adel und Fürsten in Preußen nicht mit der Beseitigung sämtlicher Errungenschaften der Revolution einherging und die Regierung Brandenburg ihre Entscheidung in der deutschen Frage vorläufig noch offenhielt. Dagegen war der Restaurationsprozeß in Österreich in stärkerem Maße von partikularistischen (großösterreichischen) Zielen bestimmt, obwohl dem neoabsolutistischen System Schwarzenbergs die reformerische Komponente nicht gänzlich fehlte. Hinter der Konzeption Gagerns stand jedenfalls die Mehrheit der Bourgeoisie und der anderen bürgerlichen Schichten innerhalb des Deutschen Bundes. Hierbei handelte es sich um jene Kräfte, die ein konstitutionalisiertes Preußen an der Spitze eines kleindeutschen Bundesstaates sehen wollten bzw. für eine Ausweitung des inneren Marktes und die Balance von freihändlerischen und schutzzöllnerischen Interessen eintraten. Dagegen wurde das Programm Schmerlings nur von einer Minderheit innerhalb des bürgerlichen Lagers vertreten, die der erstgenannten Gruppe an organisatorischer, politischer und ideologischer Geschlossenheit unterlegen war. Hierher gehörten sowohl jene Vertreter der österreichisch orientierten Bourgeoisie, die für eine handelspolitische Annäherung nebst partieller Abschirmung gegenüber der mitteldeutschen und preußischen Konkurrenz eintraten, als auch jene Kräfte (Bürokratie, Beamtentum) süddeutscher bzw. österreichischer Provenienz, die sich für die Stärkung Österreichs innerhalb eines reformierten Deutschen Bundes einsetzten. Hinzu kamen schließlich bürgerliche Schichten aus nichtpreußischen Staaten, die politische Vorbehalte gegen eine zu starke Ausbreitung des preußischen Einflusses hegten. Für die Paulskirchenliberalen des rechten Zentrums und die mit ihnen verbündeten Gruppen war eine Etappe ihrer Entwicklung zu Ende gegangen, die durch eine sich verstärkende Repression gegenüber den demokratischen Kräften inner- und außerhalb des Parlaments sowie durch eine weitere Annäherung gegenüber Adel und Monarchen bestimmt gewesen war. Sie hatte mit aller Deutlichkeit die Grenzen des Engagements der gemäßigten Liberalen für die parlamentarische Demokratie gezeigt, die durch die möglichst risikolose Durchsetzung bourgeoiser Klasseninteressen auf dem Vereinbarungswege zugunsten der Bewahrung demokratischer Errungenschaften gekennzeichnet waren. Da sie Ruhe und Ordnung für die entscheidenden Bedingungen hielt, um die verfassungspolitische Absicherung des Machtausgleichs mit Adel und Fürsten auf der Grundlage der in der ersten Phase der Revolution erzielten Ergebnisse durchzusetzen, wandte sie sich gegen revolutionäre Aktionen der Massen in einer „zweiten Revolution". Sie gab sich dabei der Hoffnung hin, auf diese Weise einen Beitrag zur Herstellung günstiger Bedingungen für den Fortgang ihrer konstitutionellen Reformpolitik zu leisten. Innerhalb der Geschichte der Paulskirchenversammlung war Ende 1848 jener Punkt erreicht worden, wo die Schärfe der antidemokratischen Stellungnahmen der GagernLiberalen am deutlichsten ausgeprägt und die politische Annäherung an die aristokratischmonarchischen Kräfte vor allem in Preußen (ausgenommen die Phase der „Gothaer") am weitesten gediehen war. Dieser Umstand resultierte nicht nur aus der scharfen Zuspitzung des Klassenkampfes zwischen Konterrevolution und Volksbewegung, sondern hing auch damit zusammen, daß die Gagern-Liberalen nach wie vor auf die Zustimmung Preußens

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zum Erbkaiserprojekt hofften. Außerdem suchten sie bei Preußen politischen Rückhalt gegen die parlamentarische Opposition, welche nach dem Ausscheiden Schmerlings und seiner Anhänger aus der Casino-Fraktion an Stärke zugenommen hatte. Ohne Zweifel bauten die Liberalen ebenso auf die Tatsache, daß der Staatsstreich der preußischen Regierung eine Reihe von Errungenschaften des Konstitutionalismus noch nicht angetastet hatte. Innerhalb der Paulskirche hatte die Erbkaiserpartei dagegen in den Auseinandersetzungen mit ihren Widersachern an organisatorischer und ideologischer Stabilität gewonnen. Die Festlegung der Casino-Mehrheit auf ein in sich geschlossenes, verbindliches verfassungspolitisches Programm, das Herstellen einer stabilen und handlungsfähigen Koalition mit Landsberg und Augsburger Hof brachten den Gagern-Liberalen einen nicht zu unterschätzenden Erfolg, der auch durch den Abfall der Schmerling-Gruppe nicht wesentlich geschmälert wurde. Die Zustimmung der verbündeten Koalition allein garantierte H. v. Gagern allerdings noch keine parlamentarische Mehrheit, aber sie war immerhin eine gute Grundlage dafür, daß die Frankfurter Nationalversammlung im Verlauf der folgenden Monate seine Ansicht,, im wesentlichen adoptierte)". 1 Gagern und die hinter ihm stehende große Gruppe der Erbkaiserlichen konnten mit einiger Zuversicht den parlamentarischen Auseinandersetzungen über das Programm des nunmehrigen Ministerpräsidenten Anfang Januar 1849 entgegensehen. Wesentlich gravierender für die weitere Entwicklung der Gagern-Liberalen war, daß sich infolge des Kräfteverhältnisses und des Gangs der revolutionären Auseinandersetzungen die Realisierungschancen für ihr nationalstaatliches und konstitutionelles Reformprogramm verschlechtert hatten. Ungeachtet der verbesserten parlamentarischen Bedingungen für eine verfassungspolitische Übereinkunft mit Preußen schienen angesichts der Einbuße an politischem Einfluß, den die Liberalen außerhalb des Parlaments hinnehmen mußten, die Chancen für das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung geringer als an irgendeinem Punkte der Entwicklung seit März 1848. 1

Brief H . v. G a g e r n s an Hergenhahn und Simson v. 14. 12. 1848, abgedruckt in Simson, Eduard v., Erinnerungen, S. 148.

Verfassungspolitische Vorbereitungen für einen kleindeutschen Bundesstaat. Die Gagern-Liberalen in den Verfassungsdebatten Januar-März 1849

1. Die veränderten Bedingungen innerhalb u n d außerhalb der Frankfurter Nationalversammlung Die Gagern-Liberalen fanden seit Ende 1848/Anfang 1849 bei der weiteren Gestaltung ihrer Politik und Taktik veränderte Bedingungen vor. Die Konterrevolution hatte an Macht und Einfluß gewonnen, aber die Revolution war noch nicht niedergeworfen. Die fortschrittlichen Kräfte verfügten vor allem in den Parlamenten der deutschen Mittel- und Kleinstaaten und in der Frankfurter Nationalversammlung noch über Stützpunkte. Nach dem Sieg der Konterrevolution in Österreich und Preußen war eine Phase relativer Ruhe im revolutionären Kampf eingetreten. Dennoch herrschte die aristokratisch-monarchische Partei noch keineswegs vollkommen, sondern entscheidende Kraftproben zwischen Revolution und Konterrevolution standen noch bevor. Diese Konstellation war nicht nur das Ergebnis der revolutionären Herbstkämpfe in Deutschland, sondern stand auch in engem Zusammenhang mit dem erneuten Aufschwung der revolutionären Bewegung in mehreren Ländern Europas, so in Ungarn und Italien und nicht zuletzt in einigen Gebieten des Deutschen Bundes. Das wichtigste Ziel H. v. Gagerns und seiner Partei in diesem Entwicklungsabschnitt war es, das Verfassungswerk und eine Vorabverständigung mit den einzclstaatlichen Regierungen möglichst in gleichem Tempo voranzutreiben. Gerade in dieser Verknüpfung von Verfassungswerk und Verständigungspolitik lag ein entscheidendes Manko liberaler Politik und Taktik, erwuchs doch gerade hieraus eine Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten für die Verwirklichung des Grundgesetzes. Bereits während der Verfassungsdebatten zeigte sich, daß das Bündniskonzept der Gagern-Liberalen und der gemäßigt-liberale Gehalt des Verfassungs- und Grundgesetzwerkes der Paulskirche einander deutlich widersprachen. Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Verlauf des revolutionären Geschehens und ungeachtet aller Bemühungen der Gagern-Liberalen um eine Forcierung ihrer Verständigungspolitik gegenüber Adel und Fürsten verstärkten sich, je mehr sich die Debatten ihrem Abschluß näherten, erneut die Meinungsverschiedenheiten der liberalen Parlamentarier mit den Vertretern der Einzelstaaten. Die Gagern-Liberalen schraubten ihre Ansprüche gegenüber Adel und Fürsten in der jetzt beginnenden Schlußphase der Verfassungsberatungen keineswegs noch weiter zurück. Vielmehr hielten sie nach wie vor an der Priorität der Verfassunggebung durch das Zentralparlament fest. Die Erbkaiserpartei nahm, nicht zuletzt unter dem Zwang des parlamentarischen Kräfteverhältnisses, Kurs auf die Ausarbeitung eines relativ fortschrittlichen, gemäßigt-liberalen Grundgesetzes, in welchem die Interessen der Bourgeoisliberalen Vorrang gegenüber den Zugeständnissen an Adel und Fürsten besaßen. Die Verabschiedung einer derartigen Verfassung, dies ließ sich unter den politischen Be-

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Für einen kleindeutschcn Bundesstaat

dingungen Anfang 1849 in Deutschland mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussagen, konnte geeignet sein, den Abwehrkampf gegen die Konterrevolution zu stimulieren. Umgekehrt war gewiß, daß die Schöpfer dieses Grundgesetzes bei seiner Durchsetzung kaum ohne eine mindestens zeitweilige Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften außerhalb des Parlaments auskommen würden. Dies war Ausdruck der geschichtlichen Gesetzmäßigkeit, daß 1848/49 jedem ernsthaften Versuch zur Durchsetzung bürgerlicher Interessen objektiv eine entschieden antifeudale Tendenz innewohnte. In den meisten Situationen, vor allem in Augenblicken des zugespitzten Klassenkampfes, so auch in den Auseinandersetzungen um die Reichsvcrfassung im Frühjahr und Frühsommer 1849, reagierten die Bourgeoisparlamentarier jedoch mit einem verstärkten Antidemokratismus und einer Reduzierung ihres Geltungsanspruchs gegenüber Adel und Fürsten, ohne diesen jedoch aufzugeben. Angesichts der gewachsenen Stärke der Führungsmächte des Bundes und deren obstinater Haltung gegenüber einer solchen Verfassung bedeutete das unwiderrufliche Festhalten der Liberalen am Grundsatz der Verständigung mit Adel und Fürsten folglich von Anfang an die allergrößte Belastung für dieses Verfassungswerk selbst. Diese Gefahr war nicht sofort sichtbar. Sie wurde aber in dem Maße offenkundig, wie das Verfassungswerk sich seiner Vollendung näherte. Anfang 1849 ergab sich zunächst eine andere Situation. Trotz der deutlichen Stärkung der konterrevolutionären Kräfte namentlich in Österreich und Preußen waren Existenz und Wirkungsmöglichkeiten der Frankfurter Nationalversammlung noch nicht unmittelbar bedroht. Angesichts der allgemeinen politischen Situation erlegten sich die antiparlamentarisch eingestellten einzelstaatlichen Regierungen in ihrem Vorgehen gegen die Nationalversammlung in Frankfurt a. M. vorerst noch Rücksichtnahme auf und beschränkten sich zunächst im wesentlichen auf diplomatische Aktivitäten. Der vorläufige Verzicht der preußischen Regierung darauf, den Bundesstaatsplänen der Gagern-Liberalen eine direkte und eindeutige Abfuhr zu erteilen, beließ diesen noch einen gewissen Spielraum. Durch das Lavieren und die zum Teil einander widersprechenden Reaktionen Berlins auf die Vorstöße der Frankfurter Erbkaiserpartei erhielten die Hoffnungen der Gefolgschaft H. v. Gagerns neue Nahrung, Preußen doch noch zum Einlenken bewegen zu können. Namentlich auf den Einfluß des bis Ende Februar 1849 als verantwortlicher Leiter der preußischen Außenpolitik amtierenden Bülow war es zurückzuführen, daß in Berlin die Möglichkeit einer preußischen Initiative in Richtung auf eine Bundesreform im Gespräch blieb und daß selbst die Möglichkeit des Eingehens auf die Frankfurter Offerten, selbstverständlich unter vorrangiger Beachtung der preußischen Interessen, nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden konnte. Es erschien mindestens denkbar, daß Bülow 1 versuchen würde, die Frankfurter Nationalversammlung als Instrument zur Durchsetzung seiner Pläne zur Verwirklichung der Führungsrolle Preußens innerhalb der nichtösterreichischen Staaten des Deutschen Bundes zu benutzen. Der mit Bülow harmonierende Camphausen, dessen Vorstellungen denen des interimistischen Außenministers nahekamen, tat sein Möglichstes, um die Gagern-Liberalen in ihren Hoffnungen zu bestärken, ohne sie wissen zu lassen, daß auch für ihn zwei Dinge nicht in Frage kamen, nämlich die Akzeptierung der Frankfurter Nationalversammlung als höchster verfassunggebender Behörde und der Verzicht auf den Anspruch, die von der Pauls1 Über Bülows Vorstellungen zur „Deutschen Politik Preußens" vgl. ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Politik, 84, Bl. 239ff., 274f.; Trauttmansdorf an Schwarzenberg v. 23. u. 28. 12. 1848.

1. Die veränderten Bedingungen

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kirche auszuarbeitende Verfassung nachträglich in allen ihm notwendig erscheinenden Punkten revidieren zu können. 1 Seine positiven Forderungen — Schaffung eines kleindeutschen Bundesstaates unter preußischer Führung, Begründung einer Verfassungsordnung im nationalen Rahmen nach den durch das preußische Grundgesetz vom 5. Dezember gesetzten Maßstäben — waren allerdings so bemessen, daß ein Einlenken der Gagern-Liberalen im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht ausgeschlossen blieb. So erschienen die Erwartungen der Frankfurter Erbkaiserpartei nicht völlig auf Sand gebaut, als sie verschiedene Äußerungen und Erklärungen verantwortlicher Vertreter der preußischen Diplomatie zum Anlaß nahmen, ihre Bundesstaats- und Verfassungspläne zu forcieren. Eine wirklich gründliche bzw. realistische Beurteilung der außerparlamentarischen Vorgänge wurde zum Teil auch durch den Umstand erschwert, daß die kleindeutsche Gruppierung in der Paulskirche in den ersten Wochen des Ministeriums Gagern durch härteste Kraftproben mit ihren parlamentarischen Widersachern in Anspruch genommen war. Hierzu gehörten zunächst vor allem die Debatten über das Gagernsche Regierungsprogramm, die erste Lesung der Oberhauptsparagraphen und die Auseinandersetzungen um das Wahlgesetz. Die Schwierigkeiten, denen sich die Gagern-Liberalen gegenübersahen, waren vor allem durch zwei Momente gekennzeichnet: Die Erbkaiserlichen standen einerseits unter großem Zeitdruck. Sie mußten die Verfassungsberatungen möglichst rasch zu Ende führen, noch ehe die konterrevolutionären Kräfte die Szenerie völlig beherrschten und es von vornherein ausgeschlossen schien, die Zustimmung von Adel und Fürsten zu einer vom Frankfurter Parlament verkündeten Verfassung zu erlangen. Außerdem besaß die sich seit Mitte Dezember allmählich formierende große interfraktionelle Gruppierung der Anhänger H. v. Gagerns anfänglich weder eine genügende zahlenmäßige Stärke noch ein ausreichendes Maß an parteimäßiger Geschlossenheit, um ein sicheres Übergewicht gegenüber ihren parlamentarischen Widersachern auf ihrer Seite zu haben. Sie verfügte über eine Stärke von ca. 200 bis 220 Abgeordneten und setzte sich vor allem aus der Mehrheit der Fraktionen Casino, Landsberg, Augsburger Hof sowie aus der propreußisch orientierten Majorität der äußersten Rechten und Abgeordneten des linken Zentrums zusammen. Zur großdeutschpartikularistischen Opposition gehörten vor allem der prononciert proösterreichisch orientierte Pariser Hof und die gemäßigter eingestellte Fraktion Jürgens, beides Gruppen von Zentrumsliberalen, die sich nach der Spaltung des Casino am 17. Dezember gebildet hatten. Dazu kamen Teile von Augsburger Hof und Landsberg, die der äußersten Rechten angehörenden Gruppen der Ultramontanen sowie die überwiegende Mehrheit des Württemberger Hofes. Mit ihnen kooperierten, ohne sich ihnen zunächst ideologisch zu nähern, 1

Über Camphausens Plan, die Paulskirchenversammlung als „Hebel" (GStA, III, H. A., Nr. 48, Bl. 155 v.; Vertraulicher Bericht Camphausens an Bülow v. 28. 12. 1848) zur Förderung einer von Frankfurt weitgehend unabhängigen „deutschen" Politik auszunutzen, vgl. Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 93f. Camphausen ließ bereits Ende 1848 erkennen, daß er nicht mehr dem Triasgedanken, sondern einem kleindeutschen Erbkaisertum zuneigte, sofern dieses von den anderen nichtösterreichischen Fürsten akzeptiert wurde (GStA, III. H. A., Nr. 47, Bl. 208ff.; Bericht Camphausens an das preußische Staatsministerium v. 14. 12. 1848). Sollte, was Camphausen für eine reale Möglichkeit hielt, das Verfassungswerk der Paulskirche scheitern, so durfte seiner Auffassung nach die preußische Regierung zunächst nicht nach außen hin die Schuld daran treffen. Für Preußen wäre es, so meinte Camphausen, am günstigsten, wenn andere deutsche Einzelstaaten für ein solches Scheitern die Verantwortung zu übernehmen hätten (ebenda, Bl. 236 v.; Bericht Camphausens an Bülow v. 18. 12. 1848; vgl. auch Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 104).

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

seit Mitte Dezember in den parlamentarischen Auseinandersetzungen über wichtige Verfassungsfragen beide Fraktionen der Linken. Somit standen sich nunmehr zwei zahlenmäßig etwa gleichstarke Fraktionsblöcke gegenüber. 1 Die Opposition gegenüber den Klcindeutschen war sich in programmatischer Hinsicht jedoch nicht einig. Lediglich der „enge Verein" der österreichischen Abgeordneten unterstützte in der Folgezeit das von Schmerling propagierte Leitbild eines liberal-konservativen, ausgeprägt föderativen Bundesstaates ohne „Zentralisation", unter Einschluß Deutschösterreichs, welches mit dem ebenfalls föderalisiertcn Rest des Habsburgerreichcs verzahnt werden sollte. 2 Hinsichtlich der politischen Geschlossenheit ergab sich also ein Plus für die Anhänger Gagerns, da es sich, wie Camphausen Ende Dezember mit Recht deutlich machte, bei der Opposition um eine politisch und organisatorisch heterogene Gruppierung handelte: „Schmerlings Drang, der Partei, die ihn verletzte, den Ministern, die ihn im Stiche ließen, seine Bedeutung nachzuweisen, der Widerwille der österreichischen Abgeordneten, eine Verminderung . . . des österreichischen Einflusses in Deutschland zuzulassen, die Abneigung der Ultramontanen und Katholiken gegen ein protestantisches Reichsoberhaupt, der Republikanismus und die gegen das Zustandekommen einer ihren Ansichten widersprechenden Verfassung gerichtete Tendenz der l i n k e n . . . dieses sind die Bestandteile einer Verbindung,. . . die unmöglich von langer Dauer sein kann." 3 Es war kennzeichnend für die gewandelte Auffassung von Teilen der Paulskirchenversammlung über die Gestaltung der künftigen Verfassung Deutschlands, daß die nunmehrige Parteikonstellation grundsätzlich durch den Streit über zwei Komplexe bestimmt war, nämlich über die Rolle Preußens und Österreichs innerhalb der künftigen Gesamtverfassung und — im Zusammenhang hiermit — die Politik der Frankfurter Nationalversammlung gegenüber den deutschen Einzelstaaten. „Die Grundlage der jetzigen Neubildung und Revision der Parteien", so kommentierte Haym den Vorgang, „ist nicht mehr die Differenz in Beziehung auf das Mehr oder Minder der Freiheiten, auf die konservativen oder radikalen Verfassungsformen . . . Nicht Republik oder Monarchie, sondern Bundestag oder Bundesstaat, sondern Österreich oder Preußen, Habsburg oder Hohenzollern, das wird fortan der beiderseitige Schlachtruf. . Die wichtigsten Veränderungen in der Frankfurter Parteienkonstellation bestanden vor allem darin, daß nahezu das gesamte linke Zentrum in den Sog der rechtsliberalen bzw. gemäßigten großdeutsch-partikularistischen Strömung unter der Führung Schmerlings geriet und auch Teile der Linken im Verlauf der folgenden Monate sich in wachsendem Maße bereit zeigten, für die Gewährung verfassungspolitischer „Gegenleistungen" ein konstitutionell-monarchisches Grundgesetz zu akzeptieren. 5 Zum ersten Testfall für die veränderte parlamentarische Kräftekonstellation wurde einen Tag nach dem Ausscheiden der Anhänger Schmerlings aus der Casino-Fraktion die Wahl des Parlamentspräsidenten am 18. Dezember, in der Erbkaiserliche und Großdeutsche mit Zur Um- bzw. Neugruppierung der Fraktionen Mitte Dezember 1848 allgemein vgl. Haltbauer, Gustav, Tagebuch, in: Das Frankfurter Parlament in Briefen und Tagebüchern. Ambrosch, Rümelin, Hallbauer, Blum, hrsg. v. L. Bergsträsser, Frankfurt a. M. 1929, S. 206ff.; Bammel, Ernst, Gagerns Plan, S. lOff. 2 Vgl. „Denkschrift über die Stellung Österreichs in Deutschland" (ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I—IV, Bl. 150ff.); zu Schmerlings Auffassungen über den Bundesstaat ebenda, Bl. 334f.; Schmerling an Schwarzenberg v. 15. 12. 1848. 3 ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 18, Bl. 262; Camphausen an das preußische Außenministerium o. D. 4 Haym, Vjidolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 140f. 5 Vgl. S.212ff. unten. 1

1. Die veränderten Bedingungen

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verschiedenen Kandidaten einander gegenübertraten. Die Präsidentenwahl war von den Gagern-Liberalen deshalb vor die Eröffnung des neuen Regierungsprogramms gesetzt worden, um das Kräfteverhältnis zunächst an einem Gegenstand von relativ untergeordneter Bedeutung zu erproben. 1 Der Kandidat der Gagern-Partei, Eduard Simson, benötigte allerdings drei Wahlgänge 2 , um sich schließlich mit einem Plus von zwei Stimmen über der absoluten Mehrheit gegenüber seinem Kontrahenten durchzusetzen. 3 Kirchgeßncr, der Kandidat der Großdeutschen, hatte 48 % der Stimmen erhalten 4 , womit das Ergebnis etwa dem Verhältnis der numerischen Stärke zwischen den Anhängern Gagerns und der Opposition entsprach. Das Votum der großdeutsch-partikularistischen Gruppierung war „zugleich eine Demonstration gegen den Plan einer Erhebung des Königs von Preußen auf den deutschen Kaiserthron". 5 Verlauf und Ausgang der Präsidentenwahl veranschaulichten die Härte der Auseinandersetzung zwischen beiden Kontrahenten. Der drastische Kommentar, den der ostpreußische Gutsbesitzer und Gagern-Gefolgsmann, Karl Willibald von Kalckstein, nach der Sitzung vom 18. Dezember gab, vermittelt einen Eindruck von der Erbitterung, mit der beide Seiten gegeneinander stritten: „Da sind nun die österreichischen Schweine von Deputierten unserer Seite zur Linken gelaufen, stimmen im revolutionären Sinne und suchen ihr Stück mit Hilfe jener Schweine von der Linken durchzusetzen." 6 Ungeachtet ihres knappen Ausganges wurde die Wahl von nicht wenigen Vertretern der Erbkaiserpartei als gutes Omen für die bevorstehenden weiteren parlamentarischen Kraftproben gewertet. Es bleibe, hatte Droysen noch am 16. Dezember besorgt geschrieben, dem Parlament „nur noch eine Möglichkeit — etwas zu leisten . . . versäumt es das, nun so ist das ganz gleichgültig, denn was wir auch beschließen mögen in dieser (der Debatte über das Gagernsche Programm — G. H.) oder jeder anderen Sache, es ist dann vollkommen überflüssig, die Geschichte ist nicht mehr in der Paulskirche zu Hause". 7 Das nahezu ausgeglichene und somit für die Gagern-Liberalen komplizierte parlamentarische Kräfteverhältnis vcranlaßte eine Reihe der unbedingten Parteigänger Preußens zu dem Ratschlag, Gagern möge auf die „Epuration", also Säuberung der Frankfurter Nationalversammlung von den österreichischen Abgeordneten drängen. 8 Eine solche Maßnahme zur Verbesserung der parlamentarischen Position der Erbkaiserpartei ließ sich jedoch weder in dieser Situation noch in der Folgezeit verwirklichen. Trotzdem war die Prognose führender Vertreter um die Jahreswende schon wieder optimistischer. 9 „Wir steuern", schrieb Haym am 2. Januar an Hansemann, „auf die preußische Kaiserkrone mit vollen Segeln zu, hoffen die Klippe des bayrischen Partikularismus umschiffen zu können, werfen Österreich als Droysen berichtet, er habe den Vizepräsidenten W. Beseler aufgefordert, die Präsidentenwahl vor der Bekanntgabe des neuen Regierungsprogramms durchzuführen (was auch geschah), damit Gagern nicht bei der zu erwartenden Verweisung seiner Vorlage an den Ausschuß „die erste Probe der Majorität mache" (Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 838; Tagebuchaufzeichnung v. 17. 12. 1848). 2 Zum Verlauf der Wahl vgl. StB, Bd. 6, S. 4229 ff. J Die absolute Mehrheit betrug 231 Stimmen; Simson erhielt 233. 4 Kirchgeßner bekam 223 Stimmen. 5 ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, 84, Bl. 115 v.; Menßhengen an Schwarzenberg v. 18.12. 1848. « BAF, ZSg 1/Na 118; Nachlaß W. v. Kalckstein. 7 Droysen, Jobann Gustav, Briefwechsel, Bd. 1, S. 496; Droysen an W. Arendt v. 16.12.1848. 8 ÖStA, HHStA, StK, Deutsche Akten, 84, Bl. 174 v.; Menßhengen an Schwarzenberg v. 19. 12. 1848. « Vgl. die Berichte der DZ (Nr. 336, 20. 12., Extra-Beilage und Nr. 338, 22. 12. 1848) über die Bereitschaft einer größeren Zahl bayrischer und österreichischer Abgeordneter, das Gagernsche Programm zu unterstützen. 1

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Ballast über Bord und denken mit allen diesen Dingen in spätestens acht Wochen fertig zu sein." 1 Und Simson, der neugewählte Präsident, sagte H. v. Gagern eine Entwicklung voraus, die „ohne große Stürme" ans Ziel führe.Inzwischen war in Frankfurt am 2. Januar die Note der österreichischen Regierung an den k. u. k. Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt, von Menßhengen 3 , eingegangen, die in wesentlichen Teilen auf der Berichterstattung Schmerlings Ende Dezember in Wien fußte. Schmerling, der vom 24. bis 30. Dezember in Wien und Olmütz weilte, und Schwarzenberg waren sich zwar in der Ablehnung des Gagernschen Programms grundsätzlich einig. Das Bemühen des vormaligen Reichsministerpräsidenten, auch die Vorurteile Schwarzenbergs „gegen die künftige Gestaltung der Dinge in Frankfurt"''1 nach einem großdeutsch-bundesstaatlichen Konzept auszuräumen, hatte jedoch keine Resonanz gefunden. 5 Die österreichische Regierung drückte vor allem ihr Desinteresse an einem Bundesstaat nach den Intentionen H. v. Gagerns, keineswegs aber an der weiteren verfassungsmäßigen Gestaltung Deutschlands aus. Und sie widersprach eindeutig der durch Gagern nicht ganz ohne Grund 6 vorgenommenen Interpretation des Kremsierer Programms, wonach Österreich als in den künftigen Bundesstaat „nicht eintretend" zu betrachten sei. Die Note ließ nicht nur weitere Schritte der Wiener Regierung gegen das Frankfurter Verfassungswerk, sondern auch Rückwirkungen auf die Haltung anderer, namentlich süd- und mitteldeutscher Staaten befürchten. Die Gagern-Liberalen reagierten daher wiederum mit Enttäuschung und Erbitterung 7 , während sich die großdeutsch Eingestellten allein schon durch das Geltendmachen österreichischer Ansprüche in Frankfurt „wieder belebt" fühlten. 8 Die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" empfand die in der Note enthaltene Anmaßung als so stark, daß sie solchen Bestrebungen indirekt mit einem Wiederaufflammen der Revolution drohte. 9 In einem unverzüglich nach Eingang der Note zwischen H. v. Gagern und Camphausen anberaumten Gespräch gab jener seiner Besorgnis Ausdruck, daß auch die Berliner Regierung sich nunmehr zu einer ähnlichen Erklärung veranlaßt sehen könnte. 10 Der Nationalversammlung in Frankfurt am Main bliebe, so H. v. Gagern, dann nur noch Haym, Rudolf, Ausgewählter Briefwechsel, S. 61; Haym an Hansemann v. 2. 1. 1849. BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; E. Simson an H. v. Gagern v. 3. 1. 1849. Ähnlich nun auch Droysen (Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 840; Tagebuchaufzeichnung v. 31. 12.1848; derselbe, Ausgewählter Briefwechsel, T. I, S. 5). 3 Zur Weiterleitung an H. v. Gagern bestimmt (Note veröffentlicht in StB, Bd. 6, S. 4554). « Vgl. die Rede Schmerlings vor Wiener Wahlmännern am 27. 12. 1848 in Wien (ÖStA, HHStA, Nachlaß Schmerling, Reden A. v. Schmerlings, o. P.). 5 Über den Verlauf der Ministerratssitzung unter Teilnahme Schmerlings am 27. 12. 1848 vgl. ebenda, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 28 f. 6 Selbst Schmerling sah sich genötigt zuzugeben, daß die Depesche „wesentlich von der die Verhältnisse Österreichs zu Deutschland besprechenden Stelle des österreichischen Minister-Programmes abweicht" (ebenda, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I—IV, Bl. l v . ; Schmerling an Schwarzenberg v. 4. 1. 1849). 7 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 841 (Tagebuchaufzeichnung v. 3. 1. 1849). 8 Vgl. Friedjung, Heinrieb, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 1, 3. Aufl., Stuttgart/Berlin 1908, S. 171. 9 FOPAZ, Nr. 5, 5.1.1849, Beilage. 1 0 Daß diese Besorgnis nicht völlig aus der Luft gegriffen war, zeigen etwa die Bemühungen des zu dieser Zeit in Frankfurt a. M. weilenden ehemaligen preußischen Bundestagsgesandten Usedom, Friedrich Wilhelm IV. zu einer Verständigung mit Österreich zu bewegen (ZStAM, Königl. Hausarchiv, Corr. U, Bl. 183ff.; Usedom an Friedrich Wilhelm IV. v. 21. 12. 1848). 1

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2. Das Gagernsche Programm

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das Eingeständnis ihrer Niederlage übrig. Camphausen seinerseits war weder bereit noch in der Lage, die wirklichen Absichten seiner Regierung aufzudecken. So begnügte er sich mit der vagen Versicherung, Preußen habe seine Position gegenüber der deutschen Frage vor aller Welt durch Handlungen genügend deutlich gemacht, eine bessere Bürgschaft könne es nicht geben. Von Verpflichtungen gegenüber der Wiener Regierung sei man in Berlin frei. 1 Die hier zitierten Äußerungen von Frankfurter Seite geben einen Einblick in die in den Wochen und Tagen um die Jahreswende obwaltenden Meinungen und Stimmungen. Zweckoptimismus, zweifelnde Besorgnis, antiösterreichische Hysterie, was alles nur an wenigen Beispielen demonstriert werden konnte, reflektierten nicht nur die komplizierten außer- und innerparlamentarischen Bedingungen für das weitere Wirken der GagernLiberalen. Sie ließen gleichzeitig erkennen, daß diese als eine in politisch-ideologischer Hinsicht durchaus noch nicht gefestigte Gruppierung in die Vorbereitung der für sie äußerst wichtigen Debatte über das Regierungsprogramm H. v. Gagerns ging. 2. Das Gagernsche P r o g r a m m Das Projekt der Schaffung eines kleindeutschen Bundesstaates unter preußischer Führung war gleichsam der verfassungspolitische Ausdruck des Reformprogramms der GagernLiberalen. Es grenzte sich sowohl durch seine kleindeutsche als auch seine konstitutionellmonarchische Prägung von den nationalen Forderungen der überwiegenden Mehrheit der demokratischen Kräfte 1848/49 in Deutschland ab; doch kam es den Interessen der deutschen Bourgeoisie stärker entgegen als die diffusen und zurückhaltenderen Reformvorstellungen der Schmerling-Gruppierung, ganz zu schweigen von den Plänen der Regierung Schwarzenberg. Die Gagern-Liberalen forderten nicht nur, daß die ökonomisch stärkere, politisch weniger rückständige und darüber hinaus handlungsfähigere und — ihren Vorstellungen nach — auch handlungswilligerc der beiden deutschen Großmächte an die Spitze des künftigen Staates gestellt werden müsse, sondern sprachen sich auch für einen höheren Zentralisationsgrad und eine stärkere Ausstattung des zu schaffenden Staates mit konstitutionellen Errungenschaften aus. Die Programmdebatte war keineswegs nur für die Etablierung der neuen Regierung, sondern auch für die parlamentarische Position der Gagern-Liberalen und das weitere Voranschreiten des Verfassungswerkes von Belang. Eine Niederlage ihres fähigsten Politikers in dieser sachlich außerordentlich wichtigen Frage wäre für die Erbkaiserpartei sehr nachteilig gewesen. Gleichzeitig hätten die Fürsprecher eines stärker dezentralisierten Bundesstaates bzw. eines lediglich reformierten Staatenbundes inner- und außerhalb der Paulskirche Auftrieb erhalten. Umgekehrt bedeutete die Bestätigung der Regierungsvorlage ein in der Öffentlichkeit beachtetes Votum für die Hegemonie Preußens und den Ausschluß Österreichs aus dem künftigen Bundesstaat. Gleichzeitig konnten mit der Bestätigung der Regierung Gagern beschränkte Möglichkeiten des praktischen Wirkens und der Einflußnahme auf die Einzelstaaten im Sinne des Gagernschen Projekts erhalten werden, war doch gerade die Reichsregierung Nutznießer des noch verbliebenen politischen Ansehens der Paulskirchenversammlung. Schließlich war das Schicksal der Regierung Gagern für die Adelsklasse, namentlich in Preußen, ein Indiz dafür, inwieweit die Gagern-Liberalen, wenn nicht als Vereinbarungspartner, so doch als politischer Faktor in Rechnung zu stellen waren. 1

Ebenda, Rep. 75 B, Nr. 18, Bl. 273; Camphausen an das preußische Außenministerium v. 2. 1. 1849.

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Die Erbitterung, mit der von den parlamentarischen Kontrahenten in der Paulskirchc bereits über die Präliminarien gestritten wurde, verriet die Bedeutung, die beide Seiten der Debatte zumaßen. Die Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung verzeichnet keinen Fall, wo bereits die Verfahrensweise derart umkämpft war. 1 Erfolgreich wies die großdeutsch-partikularistisch eingestellte Gruppierung alle Versuche der Gagern-Partei zurück, einen jener bereits gewählten Ausschüsse mit der Berichterstattung zu beauftragen, in denen diese über einigermaßen starke Positionen verfügte. 2 Statt dessen setzten sie die Wahl eines zusätzlichen Ausschusses durch, was sich als gelungener Schachzug erwies. Die Zusammensetzung des „Ausschusses zur Begutachtung und Berichterstattung über den Antrag des Ministeriums betreffend das Verhältnis Österreichs zu Deutschland" ergab ein Stimmenverhältnis von 10 : 5 gegen das Ministerium 3 , ebenfalls ein bei Ausschußwahlen der Frankfurter Nationalversammlung nahezu einmaliger Vorgang. Das Ergebnis der Ausschußwahl sowie die Note der österreichischen Regierung vom 28. Dezember, ja die Gesamtlage seiner Partei überhaupt nötigten H. v. Gagern zu neuen taktischen Überlegungen. Am 5. Januar modifizierte er deshalb sein Programm in zwei Punkten: Verhandlungen mit Österreich sollten weder unmittelbar sofort noch unbedingt auf gesandtschaftlichem Wege, sondern „zu geeigneter Zeit und in geeigneter Weise" eingeleitet werden. 4 Schmerlings Behauptung, die Modifizierung des Gagernschen Programms käme „beinahe einer Zurücknahme desselben" gleich 5 , traf nicht zu, entsprang sie doch vor allem dem Bemühen, Schwarzenberg den Glauben einzuflößen, daß es für eine aktive großdeutsche Politik auch in Frankfurt noch nicht zu spät sei. Beide Punkte, in denen Gagern sein Programm modifizierte, berührten nicht das Wesen seines Projekts. Sein Zugeständnis stellte nicht den kleindeutschen Bundesstaat überhaupt in Frage, sondern betraf nur die Modalitäten der künftigen Beziehungen zu Österreich. „Das Ministerium", stellte die Zentrenkorrespondenz infolgedessen mit Recht fest, „hat seinen Antrag nur in unwesentlichen und formellen Punkten modifiziert, es ist nur da um einen Schritt zurückgewichen, wo ihm stehen zu bleiben die ausdrückliche, präzise und bestimmte Erklärung der österreichischen Regierung unmöglich machte." 6 1 Vgl. StB, Bd. 7, S. 4234 (Sitzung v. 18.12.1848). Vorgeschlagen wurden vor allem von Anhängern H. v. Gagerns nacheinander der Ausschuß für das Verhältnis der Einzelstaaten zur Zentralgewalt (Vizepräsident W. Beseler — ebenda), der Ausschuß für die österreichischen Angelegenheiten (Reitter — ebenda), der Ausschuß für internationale und staatsrechtliche Angelegenheiten (Rüder — S. 4235). Alle diese Vorschläge wurden nach erregter Debatte, u. a. nach zwei namentlichen Abstimmungen, mit wechselnden Mehrheiten abgelehnt. 3 Zur Minorität zählten Barth und Paur/Augsburg (Augsburger Hof), v. Buttel (Landsberg), Rüder (Casino), v. Linde (fraktionslos). Der Ausschußvorsitz lag ausschließlich in Händen von Vertretern der großdeutschen Richtung (Kirchgeßner — 1. Vorsitzender, Hildebrand — 2. Vorsitzender, M. Simon — Schriftführer) - vgl. StB, Bd. 6, S. 4281. 4 Vgl. das Schreiben H. v. Gagerns an den Vorsitzenden des Ausschusses für Begutachtung des vom Reichsministerium in der österreichischen Frage gestellten Antrages Kirchgeßner v. 5.1. 1849 (ebenda, S. 4553f.). •5 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849 I-IV, Bl. 32 v.; Schmerling an Schwarzenberg v. 12. 1. 1849. Als neuernannter österreichischer Bevollmächtigter bei der provisorischen Zentralgewalt war Schmerling in jenen Wochen generell bemüht, gegenüber seiner Regierung Gagerns parlamentarische Erfolge zu verkleinern und die Möglichkeiten einer großdeutsch geprägten Reformpolitik herauszustreichen (vgl. auch seine Berichte v. 6., 14. und 19.1.1849; ebenda, Bl. 22 v., 37,955ff.). 6 Varlamentshorrespondenz, Nr. 25, 7. 1. 1849. Anderer Auffassung war Droysen, der der Modifizierung größere Nachteile für die Gagern-Liberalen zumaß, weil „klare Positionen vom 18. Dezember" aufge-

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2. Das Gagernsche Programm

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H. v. Gagern hatte ein weiteres Mal bewiesen, daß er in schwierigen politischen Situationen, ohne Preisgabe politischer Substanz, zu taktischen Manövern imstande war, die ihm den Nimbus eines nach „staatsmännischen Interessen" handelnden und von „höheren Interessen" geleiteten Politikers erhielten, woraus er fast stets politischen Gewinn zu schlagen verstand. Dies sollte sich einmal mehr im Vorfeld und im Verlauf der Programmdebatte erweisen. Gagerns Bemühen, die Quasi-Patt-Situation dadurch zu seinen Gunsten zu verändern, daß er durch betont „maßvolles" Auftreten Teile der großdeutsch-partikularistischen Opposition wenigstens von Fall zu Fall zu gewinnen versuchte, war von Erfolg gekrönt. Die Fraktion Jürgens, der gemäßigte Flügel der großdeutsch-partikularistisch orientierten Rechtskräfte in der Frankfurter Nationalversammlung, hatte bereits Ende Dezember zu erkennen gegeben, daß sie unter bestimmten Bedingungen bereit sei, für Gagerns Programm einzutreten. 1 Nunmehr stellte auch das führende Mitglied der zur gemäßigten Linken zählenden Fraktion Westendhall, Reden, namens des propreußischen Flügels seiner Fraktion Gagern „kräftigste Unterstützung" 2 in Aussicht, die nicht nur zeitweiliger Natur sein sollte. Reden ließ vielmehr durchblicken, daß H. v. Gagern den rechten Flügel der „Linken im Frack", wie die Westendhall in Parlamentarierkreisen tituliert wurde, von nun an zu seinen ständigen Anhängern würde zählen dürfen. 3 Infolgedessen schien die Zentrenkorrespondenz wenige Tage vor der Abstimmung mit Recht vermelden zu können: „Dürfen wir der Versicherung trauen, welche uns mehrseitig von Mitgliedern der äußersten Rechten gemacht worden sind . . . so erzielt sich . . . eine unzweifelhafte Majorität von 250 Stimmen, welche am Tage der Abstimmung sich noch vergrößern dürfte." 4 Nach Kenntnisnahme der einen Tag zuvor verabschiedeten Ausschußvorlage 5 konnte man diese Voraussage allerdings erheblich in Zweifel ziehen. Mit Zweidrittelmehrheit sprach sich nämlich der am 19. Dezember konstituierte Ausschuß lediglich dafür aus, die Zentralgewalt möge „über das Verhältnis der zum früheren deutschen Bunde nicht gehörigen Länder Österreichs zu dem deutschen Bundesstaate zur geeigneten Zeit und in geeigneter Weise mit der österreichischen Regierung in Unterhandlung treten". 6 Dies aber kam einer Ablehnung des Gagernschen Regierungsprogramms gleich, sollte doch das Verhältnis Deutschlands zu Deutsch-Österreich überhaupt nicht Gegenstand von Verhandlungen sein. Dies war zwar ein in der Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung äußerst bemerkenswerter Vorgang, jedoch keine eigentliche Überraschung. Lediglich die zur Anhängerschaft Gagerns zählenden Ausschußmitglieder Barth, Buttel, Linde, Paur (Augsburg) und Rüger waren bereit, das Ministerium zur Einleitung von Verhandlungen „über das Verhältnis Österreichs zu Deutschland" zu ermächtigen. 7 Die Erläuterung ihres Antrages ließ erkennen, daß sich die Minorität vollkommen in Einklang mit der bekannten Argumentation Gagerns befand, welche darauf hinauslief, daß man geben worden seien (Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 841; Tagebuchaufzeichnung v. 4.-26. 1. 1849; ähnlich Drqysen, Briefwechsel, T. I, S. 510f.; Droysen an Sybel v. 12.1.1849). 1 Vgl. DZ, Nr. 336, Extra-Beilage, 20.12.1848. 2 BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Reden an H. v. Gagern v. 6. 1. 1849. 3 Über die Anfang 1849 zwischen prinzipienfester, aber flexibler Haltung und Schaukelpolitik häufig hin und her pendelnde gemäßigte Linke vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 183ff. Zur Annäherung zwischen einem Teil der Fraktion Westendhall und den Gagern-Liberalen vgl. S. 212 f. unten. 4 Parlamentskorrespondenz, Nr. 25, 7.1.1849. 5. Vgl. ebenda. 6 StB, Bd. 6, S. 4544. ? Ebenda, S. 4545. 12

Hildebrandt, Gagern

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Österreich keinesfalls ausschließen wolle, sondern daß die Wiener Regierung von sich aus den Bundesstaatsplänen der Paulskirchenversammlung eine Absage erteilt habe und man nun gar nicht mehr anders könne, als auf Österreich zu verzichten. 1 Diese in erster Linie defensiv geprägte Argumentation ließ erkennen, daß die GagernLiberalen in diesem Moment in einem gemäßigt-flexiblen Vorgehen das am besten geeignete Mittel sahen, die Meinungsbildung inner- und außerhalb der Paulskirchenversammlung vor Beginn der eigentlichen Debatte weiter zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke wurde beispielsweise zum ersten Male seit Wochen wieder versucht, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. 2 Nicht zuletzt infolge des Bemühens der Gagern-Liberalen, die eigene Position zu verbessern, verzögerte sich der Beginn der eigentlichen Debatte nach Schluß der Ausschußberatung noch um fünf Tage, obwohl beispielsweise der DonnersbergAbgeordnete Wesendonck bereits am 3. Januar größte Eile bei der Beratung des Gagernschen Programms verlangt hatte. 3 Trotzdem war die Konstellation für die Gagern-Liberalen zu Beginn der Debatte noch immer ungünstig. Die Zahl der Redner, die für die Majoritätsanträge sprachen, war nahezu doppelt so groß wie die der Anhänger Gagerns 4 , was als Zeichen eines anfänglichen Übergewichtes der Opposition gewertet werden durfte. Aber die Lage änderte sich im Verlauf der Debatte. Bereits der Berichterstatter der Majorität, Venedey, hatte zum Ausdruck gebracht, daß seine Seite es nicht zum Äußersten und mit Gagerns Programm nicht auch das Ministerium selbst zu Fall kommen lassen wolle. 5 Diese Erklärung ermunterte denn auch die Regierungspartei dazu, bei jeder passenden Gelegenheit die hochwichtige Bedeutung der Debatte und die Identität des Programms mit dem Schicksal des Ministeriums und vor allem des Ministerpräsidenten herauszustreichen. 6 Darüber hinaus zeigten sich die Opponenten Gagerns verschiedenster Provenienz, wie Arneth, Würth (Wien), Wydenbrugk, einschließlich von Vertretern der Linken wie Vogt oder L. Simon, nicht imstande, ein auf breite Resonanz stoßendes, positives verfassungspolitisches Gegenprogramm zu entwickeln. 7 Ihre Stellungnahmen erschöpften sich zumeist in der Polemik gegen den engeren und weiteren Bund, in dem Verlangen, Österreich nicht aufzugeben, oder in der Forderung, die Entscheidung zu vertagen. Die von den großdeutsch-partikularistisch eingestellten Vertretern der Zentren und äußersten Rechten befürwortete Dezentralisation hätte das Verfassungswerk der Paulskirche zurückgeworfen. Bundesstaatlicher Aufbau und die Ausstattung des geplanten 1 Vgl. ebenda, S. 4544f.; Varlamentskorresponden¡j, Nr. 26, 8.1.1849. So Droysen in einem Brief an H. Sybel v. 12. 1. 1849, eine Bitte, die er am 27. 1. noch einmal gegenüber Sybel wiederholte (Briefwechsel, T. I, S. 511, 516). 3 Interpellation Wesendoncks in StB, Bd. 6, S. 4421. 4 12 Redner sprachen für die Majoritäts-, 7 für die Minoritätsanträge. 5 StB, Bd. 6, S. 4562. 6 Bereits nach Bekanntwerden der österreichischen Note vom 28. 12. 1848 hatte H. v. Gagern angekündigt, er werde zurücktreten, sofern sein Regierungsprogramm nicht die parlamentarische Mehrheit erhalte (ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I - I V , Bl. 2 v.; Schmerling an Schwarzenberg v. 4. 1. 1849). Die DZ (Nr. 12, 12. 1. 1849) kommentierte die Erhebung der ganzen Angelegenheit zur Kabinettsfrage durch Gagern wie folgt: „Hiermit sind die Hoffnungen derer getäuscht, welche glauben oder zu glauben vorgaben, . . . sie könnten gegen das Programm Gagerns stimmen, ohne doch Gagern zu stürzen." ? Reden v. Arneths - StB, Bd. 6, S. 4566-4568, v. Würths (Wien) - ebenda, S. 4610-4615, v. Wydenbrugks - ebenda, S. 4597-4604, Vogts - ebenda, S. 4728-4634, L. Simons - ebenda, S. 4586-4590.

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2. Das Gagernsche Programm

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Staates mit bürgerlich-konstitutionellen Rechten waren unverzichtbare Kriterien eines liberalen Verfassungsprogramms. Eycks Kritik, das Verfassungskonzept der GagernLiberalen sei wirklichkeitsfremd gewesen 1 , geht insofern an den Tatsachen vorbei, als sie nämlich die Forderung einschließt, die Erbkaiserpartei hätte den Interessen der Einzelstaaten noch stärker entgegenkommen müssen. Der Verzicht auf die Schaffung eines konstitutionellen Bundesstaates und eine direktoriale Lösung der Oberhauptsfrage hätten in verfassungspolitischer Hinsicht nahezu die Rückkehr zum Status quo ante bedeutet. Die Befürworter des Regierungsprogramms nutzten vor allem die konzeptionellen Schwächen der großdeutsch-partikularistisch eingestellten Gruppierung geschickt aus, indem sie die Notwendigkeit des Bundesstaates sowie die Unvereinbarkeit einer bundesstaatlichen Lösung mit der Aufnahme Österreichs betonten. H. v. Gagern erwies sich auch hier wiederum als geschickter Taktiker. Er beschränkte sich vor allem darauf, sein angeblich über den Parteien stehendes Engagement und Österreichs — wie er behauptete — selbstgewollten Verzicht auf Eintritt in den Bundesstaat herauszukehren. 2 Den Nachweis der Notwendigkeit eitles auf die Bedürfnisse der deutschen Bourgeoisie zugeschnittenen, stärker zentralisierten Bundesstaates aber überließ er vor allem prominenten Parteifreunden wie Beckerath oder G. Beseler. 3 Beckeraths nacktes Bekenntnis zur Machtpolitik ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Das erste Bedürfnis einer großen gebildeten Nation ist das der Macht; sie will nach außen hin geehrt und mächtig sein, und von dieser Bedingung hängt auch ihre innere Freiheit, die auf dem Selbstgefühle beruht, ab. Wenn eine Nation die Macht, welche sie zu haben verdient, nicht hat, so ist das für sie eine Schmach. Das deutsche Volk fühlt diese Schmach und es ist entschlossen, sie länger nicht zu dulden. Meine Herren! Es ist von manchen Seiten dieses Hauses, • und gewiß mit Recht, verlangt worden, daß die materiellen Interessen von der Regierung Deutschlands kräftig geschützt werden. Dieser Schutz aber ist nicht möglich ohne eine starke Regierung, ohne eine eigene selbständige Politik nach außen." 4 Wer mit derartigem Nachdruck die Unausweichlichkeit der Schaffung eines starken Bundesstaates für Deutschland betonte, dem fiel auch der Nachweis nicht schwer, daß Österreich in einen solchen Staat nicht eintreten könne, sofern es sich nicht den Paragraphen 2 und 3 der Reichsverfassung unterwarf. Dies aber, damit wiederholten die Redner der Ministerialpartei eine von H. v. Gagern seit Wochen vertretene Argumentation, habe Österreich von sich aus abgelehnt. „Will es (Österreich — G. H.) aber die Gesamtmonarchie", erklärte Beseler, „so kann es die deutschen Provinzen aus der Gesamtmonarchie nicht entlassen und sie dem deutschen Bundesstaate einreihen . . . Entweder, oder! man muß das eine aufgeben, oder man muß das andere nicht wollen." 5 Und eine Modifizierung des Programms von Kremsier habe es — im Gegensatz zu den Behauptungen der Schmerling-Gruppierung — seitdem keineswegs gegeben. Beckerath brachte die von der GagernPartei hieraus gezogene Schlußfolgerung auf die pointierte Formel: „Das Warten auf Österreich ist das Sterben der deutschen Einheit." 6 Eyck, Franz, Deutschlands große Hoffnung, S. 414, 424f. Reden H. v. Gagerns v. 11. u. 13. 1. 1849 - StB, Bd. 6, S. 4562-4566 u. 4646-4652. 3 Reden v. Beckeraths - ebenda, S. 4594-4596, G. Beselers - ebenda, S. 4625-4628. < Ebenda, S. 4595. 5 Ebenda, S. 4625 f. 6 Ebenda, S. 4596. 1

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Das mit Nachdruck vorgetragene Plädoyer der Gagern-Liberalen für den kleindeutschen Bundesstaat sowie die Behandlung der Angelegenheit als Kabinettsfrage verfehlten ihre Wirkung namentlich auf die schwankenden Teile des linken Zentrums nicht. Der Boden war bereitet für die Schlußrede H. v. Gagerns vom 13. Januar 1 , der es auch diesmal verstand, sich als ein dem Gesamtinteresse der Nation verpflichteter, über den Parteien stehender Politiker zu präsentieren, welcher nichts anderes tat, als einen längst angebahnten und äußerst dringenden Entwicklungsprozeß fortzuführen. Es gehörte zu den Besonderheiten seiner Argumentation, daß er den Anschein der Einseitigkeit vermied, ja sich sogar scheinbar mit den Interessen Österreichs identifizierte, diese jedoch so interpretierte, daß er hieraus die Konsequenzen seiner eigenen Politik ableitete. Der Eintritt der österreichischen Gesamtmonarchie in den Bundesstaat — so Gagern zu den Auffassungen der Regierung Schwarzenberg — sei ein von Wien nicht gewollter, der Eintritt Deutsch-Österreichs ein diesem nicht zumutbarer Vorgang. H. v. Gagerns Schlußfolgerung hieß: Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Wiener Regierung über die Schaffung des sogenannten weiteren Bundes. Er versäumte nicht, sein gutes persönliches Verhältnis zu Schmerling als Bürgschaft für einen Erfolg solcher Verhandlungen ins Feld zu führen. 2 Gagerns Rede vom 13. Januar zählt zu den bedeutendsten seiner Paulskirchenzeit. Sein Parteifreund Nizze, der zu den ursprünglich eingeschriebenen Rednern gehört hatte, dann aber nicht zu Worte kam, sprach von einem „überwältigenden Eindruck". 3 Auch G. Beseler zeigte sich beeindruckt/ 1 Rüder, der Berichterstatter der Ausschußminorität, der einen Tag zuvor noch die Häufung oppositioneller Redner beklagt hatte 5 , sah nach den Ausführungen Gagerns „die Schlacht einigermaßen hergestellt" 6 und verzichtete auf sein Schlußwort. Die Wirkung der Gagernschen Rede beruhte in erster Linie auf seiner hinlänglich bekannten Argumentation. Sie resultierte aus der Fähigkeit des Ministerpräsidenten, seine Position für einen breiten Kreis liberaler Parlamentarier aller Schattierungen überzeugend darzulegen. Gagerns maßvolles Auftreten wurde vor allem bei seinen Eventualitätsverbündeten, dem gemäßigten Flügel der Gruppierung Schmerlings (Fraktion Jürgens), mit Befriedigung vermerkt. Aber selbst der Berichterstatter der Ausschußmajorität, Giskra, bescheinigte dem Präsidenten des Reichsministeriums ausdrücklich die Glaubwürdigkeit seines Engagements für das,, Interesse von ganz Deutschland". 7 So erbrachte die namentliche Abstimmung eine überraschend klare Mehrheit (261 : 224 Stimmen) für das Programm H. v. Gagerns. 8 Damit hatte sich die von der Zentrenkorrespondenz eine Woche zuvor getroffene Voraussicht bewahrheitet. 9 Gagern war ohne Zweifel die von Vincke vorgeschlagene Verfahrensweise der Abstimmung zugutegekommen. 10 1 Ebenda, S. 4646-4652. 2 Ebenda, S. 4646. 3 Zitiert nach Nizze, Hedwig, Dr. Johann Ernst Nizze. Professor und Direktor am Gymnasium zu Stralsund, Stralsund 1907, S. 140 (Tagebucheintragung v. 13. 1. 1849). < BAF, ZSg. 1/N 10, Nachlaß G. Beseler, Bl. 91 v.; G. Beseler an seine Frau v. 14. 1. 1849. s StB, Bd. 6, S. 4610. 6 Ebenda, S. 4652. ? Ebenda, S. 4657. 8 Abstimmung ebenda, S. 4666—4668. 9 Vgl. S. 177, Anm. 4. 1 0 Vincke hatte, im Einklang mit Rösler (Öls), durchgesetzt, daß der Antrag der Ausschußminorität an die Spitze der Abstimmung gesetzt wurde (ebenda, S. 4665), wodurch noch eine Reihe von schwankenden

2. Das Gagernsche Programm

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Ausschlaggebend für den klaren Sieg war jedoch vor allem die Tatsache, daß die Fraktion Jürgens, die Mehrheit des linken Zentrums und Teile der Fraktion Westendhall Gagern ihre Stimme gaben. Es handelte sich hierbei um Abgeordnete, die, wie die Zentrenkorrespondenz schrieb, ihre Bcdenklichkeit über die Sache selbst zwar nicht aufgegeben hatten, „ gleichwohl dieselbe durch das Vertrauen auf Gagern vollständig aufgewogen glauben". 1 Für die politische Verwirklichung des Gagernschen Projekts war freilich noch nicht allzuviel gewonnen. Insofern konnte die Bemerkung Schmerlings, was bewirke ein Beschluß über den Nichteintritt Österreichs, wenn ein Bundesstaat noch gar nicht bestehe, nicht ganz von der Hand gewiesen werden. 2 Für das Voranschreiten des VerfassungsWerkes war jedoch eine wichtige parlamentarische Hürde überwunden. Gagern fühlte seine Position innerhalb des Parlaments so weit gestärkt, daß er erstmals in aller Form 3 von Österreich die Akkreditierung eines ständigen Vertreters bei der Wiener Regierung verlangte 4 , eine Forderung, auf die Schwarzenberg allerdings nicht für nötig befand einzugehen. 5 Das Ministerium Gagern und die hinter ihm stehende Gruppierung der Zentren und der äußersten Rechten hatten mit der auch in der Öffentlichkeit stark beachteten Programmdebatte ihre erste parlamentarische Existenzprobe bestanden. Daß dies z. T. dem Votum schwankender Parteigänger der Opposition zu verdanken gewesen war, deren Abstimmung mehr der Person H. v. Gagerns als seinem Programm gegolten hatte, verdeutlicht die noch nicht gefestigte Position des neuen Ministeriums. Angesichts des nahezu ausgeglichenen parlamentarischen Kräfteverhältnisses hatte sich die liberale Regierungspartei vor allem dank der größeren ideologischen Geschlossenheit, ihrer taktischen Flexibilität und der geschickten Regie H. v. Gagerns als die überlegene Gruppierung erwiesen. Gagern durfte auch die positive Resonanz, die die Entscheidung vom 13. Januar außerhalb des Parlaments, beispielsweise in Kreisen der Wirtschaft 6 und bei gemäßigten Konservativen 7 gefunden hatte, als politische Rückendeckung werten. Seine Partei konnte infolgedessen in die sich ankündigenden weiteren harten parlamentarischen Auseinandersetzungen mit Erfolgsaussichten gehen. Bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes lag allerdings noch eine große Wegstrecke vor ihr. Hatte die Debatte vom 11. bis 13. Januar zunächst den allgemeinen Konsensus der Abgeordneten gewonnen werden konnte, die ursprünglich für vermittelnde Anträge eingetreten waren, dann aber für H. v. Gagern stimmten, weil ihnen der politische Schaden bei einem Scheitern des Regierungsprogramms zu groß erschien. Varlamentshorrespondenz, Nr. 31, 14. 1. 1849. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I - I V , Bl. 25; Schmerling an Schwarzenberg v . 8. 1. 1849. 3 Vgl. S. 166 oben. * Vgl. Schreiben H. v. Gagerns an Schmerling v. 22. 1. 1849 (Anm. 2, Nr. 10, Bl. 193ff.). 5 Auch Schmerling lehnte H. v. Gagerns Forderung ab (ebenda, Bl. 249 v . ; Schmerling an Schwarzenberg v. 18. 1. 1849). « Vgl. die Börsennotiz der DZ (Nr. 22, 22. 1. 1849) für die Woche vom 15. bis 20. 1 . 1 8 4 9 : „Seit der vormärzlichen Zeit zeigte sich keine solche Regsamkeit an der Börse wie im Verlaufe der vergangenen Woche . . . Fragen wir nach dem Grund dieser Erscheinung, so läßt sich sagen, daß in den letzten Monaten die Aussichten auf größere Stabilität in unseren inneren und auswärtigen Angelegenheiten eine festere Gestaltung gewonnen . . ." 1

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Vgl. die ermunternde Zuschrift Arnim-Suckows an H. v. Gagern v. 12. 1. 1849, er möge in seinen Anstrengungen fest bleiben, auch Bunsen — der ebenfalls seiner Auffassung sei — bleibe fest (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern).

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Parlamentsmehrheit mit dem Verfassungsprogramm der Gagern-Partei erbracht, so befaßte sich erst die in der zweiten Januarhälfte anhängige Oberhauptsdebatte mit dem eigentlichen Kernstück der künftigen Verfassung.

3. Die Oberhauptsfrage Die Frage nach dem Oberhaupt war keinesfalls nur von repräsentativer Bedeutung für den künftigen Staat. Die Vereitelung aller Direktoriumspläne, das Einsetzen eines mit zentralen Kompetenzen ausgestatteten Reichsoberhauptes waren vielmehr integrierender Bestandteil des zu schaffenden Bundesstaates. H. v. Gagern hatte bereits in der Debatte vom 11. bis 13. Januar — und zwar in einem Augenblick, wo die Entscheidung bereits feststand — auf den Zusammenhang zwischen seinem Regierungsprogramm und der Lösung der Oberhauptsfrage hingewiesen. 1 Es war nicht schwer, hierin die Aufforderung an die Mehrheit der Versammlung zu erkennen, ihn auch bei dieser parlamentarischen Entscheidung zu unterstützen. Sie war die größte Hürde auf dem Wege zur Verabschiedung der Verfassung in erster Lesung, die nach dem Zeitplan der Gagern-Liberalen bis etwa Anfang Februar, auf alle Fälle aber bis zum Zusammentreten des preußischen Landtages Ende desselben Monats abgeschlossen sein sollte. Von der Berliner Versammlung erwarteten sie nämlich vor allem Hilfe bei der Gewinnung der preußischen Regierung für ihre Bundesstaatspläne. 2 Die Vorbereitungen der verbündeten Zentrumsfraktionen auf die Oberhauptsdebatte liefen bereits seit längerer Zeit. Schon Anfang Dezember 1848 hatte der Augsburger Hof eine fraktionelle Stellungnahme erarbeitet, in welcher er sich für die Erbmonarchie (was immer zu heißen hatte: in den Händen Preußens) aussprach. 3 Ihr näherte sich bald auch der Landsberg an/' In der ersten Dekade des Monats Dezember stellte auch eine CasinoKommission unter der Federführung Dunckers 5 ihr Gutachten zur Oberhauptsfrage fertig. 6 Der ganz auf die Auseinandersetzung mit der großdcutsch-partikularistischen Gruppierung zugeschnittene Entwurf der Casino-Liberalen ließ das Beharren auf der Verständigung mit Adel und Fürsten, zugleich aber auch das Verlangen nach gebührender Wahrung ihrer eigenen politischen Interessen erkennen. Er sprach sich für eine solche Lösung der Oberhaupts1 In seiner Rede am Nachmittag des 13. 1. 1849 (StB, Bd. 6, S. 4648ff.). 2 Vgl. BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß H. Smidt; Smidt an seinen Sohn (H. Smidt) v. 29.1.1849; Aufruf Dunckers „An meine Wähler" in Courier. Hallische Zeitung für Stadt und Land, Beilage zu Nr. 31, 7. 2. 1849. 3 Wörtlich: „Die Würde des Reichsoberhauptes ist bleibend verbunden mit einer der deutschen Kronen" („Vorarbeit einer vom .Augsburger Hof' niedergesetzten Kommission zur Begutachtung der Oberhauptsfrage — Mitglieder Ameth, Barth, Beseler, Biedermann, Breuning, Emmerling, Koch, Rümelin, Stahl", in Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 738). — Vgl. ferner DZ, Nr. 329, 13. 12. 1848; Neue Müncbener Zeitung, Nr. 151, 21. 12. 1848, Beilage. 4 Ebenda. 6 Der Kommission gehörten (nach dem Ausscheiden der dem Pariser Hof zugehörigen Abgeordneten) ferner an: Schubert, Langerfeldt, Zachariä (Göttingen). 6 Die Zentrenkorresponden£ (Nr. 13) berichtete am 21. 12.1848 von der Fertigstellung des Entwurfs „Bericht der von der Gesellschaft im Casino zur Begutachtung der Oberhauptsfrage niedergesetzten Commission" (in: BAF, ZSg. 1/N 21, Nachlaß Veit; Deutsche Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Nachlaß Dahlmann, C 3, B. 12—15; s. a. Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 121—Iii).

3. Die Oberhauptsfrage

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frage aus, die eine wirksamere Vertretung bourgeoiser Interessen nach außen ermöglichen und gleichzeitg die Stärkung der Zentralgewalt gegenüber den Einzelstaaten erbringen sollte — eine „rasche und kräftige Verwaltung", letztlich eine im Sinne bourgeoiser Reformpolitik handlungsfähige Regierung. Die von einigen Großdeutschen befürwortete Turnus-Lösung, die Bestellung einer wechselseitigen Regentschaft durch die mächtigsten deutschen Fürsten, wurde verworfen, weil sie eine „konstante Politik innerhalb des Bundesstaates" verhindere und die Interessen des jeweiligen „Privatstaates" begünstige. 1 Die Etablierung eines Dreier- oder Siebenerkollegiums als oberster Behörde führe zum „Mangel einer prompten Entscheidung in letzter Instanz". 2 Eine solche Zentralgewalt sei zu schwach und nicht genügend handlungsfähig. Die zeitlich begrenzte Regentschaft eines einzelnen Monarchen, die Wahlmonarchie, dagegen führe, wie die Geschichte zeige, zu nichts anderem als zur Stärkung des Partikularismus. So bleibe als zwingende Konsequenz nur die Erbmonarchie 3 , das Erbkaisertum, und es müsse an denjenigen Staat fallen, welcher „dem Reiche die größte Macht, welcher die bedeutendsten Kräfte unmittelbar zur Verfügung des Reiches stellte und damit die Vollziehung der Reichstagsbeschlüsse, die energische Durchführung der äußeren und inneren Politik für alle Zeiten ausreichend sichere".'1 Der Bericht konnte es sich leisten, auf die Forderung nach einer Führungsstellung Preußens zu verzichten, ja seine Bevorzugung sogar in Abrede zu stellen, ohne daß der Sache nach hieran Zweifel bestehen konnten. Nach wie vor wurde aber auch von der Auffassung nicht Abstand genommen, daß nur ein konstitutionalisiertes Preußen, ein preußischer Verfassungsstaat, welcher in Deutschland aufgehe 5 , die ihm zugedachte Rolle spielen könne. Nach dem Verlauf der Novemberkrise und dem Ergebnis der Missionen Bassermanns, Hergenhahn-Simsons und Gagerns ging dieses erneute Angebot ohne Zweifel zum Teil an den Realitäten vorbei. Aber es darf nicht übersehen werden, daß sowohl die Reaktionen Friedrich Wilhelms IV. auf die Offerten aus Frankfurt a. M. als auch die Politik der Berliner Regierung gegenüber der Paulskirche zum Teil unklar und schwankend blieben und somit Raum für weitere Erwartungen und Spekulationen von Frankfurter Seite ließen. 6 In den Zentren der Frankfurter Nationalversammlung gab es weiterhin die Auffassung, die Bedenklichkeiten des Monarchen könne man dadurch überwinden, „daß man ihm zu verstehen gibt, wenn er das Geschenk (die Kaiserkrone — G. H.) nicht als freie Gabe aus den Händen des deutschen Volkes annehmen wolle, so riskiere er die Proklamierung der deutschen Republik, die Furcht vor dieser werde ihn schon nötigen, sich allem zu fügen". 7 Die Mehrheit der Gagern-Liberalen gab sich der Hoffnung hin, die vom preußischen König mehrfach geforderte Zustimmung seitens der Fürsten erledige sich durch das allgemeine Einverständnis der Einzelstaaten mit der Reichsverfassung. Somit brauche die Paulskirchenversammlung nicht auf die Priorität der Verfassunggebung zu verzichten. 1 BAF, ZSg. 1/N 21, Nachlaß Veit. Ebenda; vgl. auch Duncker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 54; Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, T. III, S. 233f. 3 Lediglich Zachariä sprach sich zunächst für die Wahlmonarchie aus; in der Abstimmung über die Erbmonarchie am 23. 1. 1849 enthielt er sich der Stimme (StB, Bd. 7, S. 4853). < BAF, ZSg. 1/N 21, Nachlaß Veit. 5 Vgl. ebenda; Bericht des Casino-Abgeordneten Becker v. 1. 1. 1849 in Reiebsan^eiger der Deutschen, Gotha, Nr. 4, 4. 1. 1849. 6 Vgl. S. 150ff. oben. ? BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt; Smidt an seinen Sohn (H. Smidt) v. 5. 12. 1848. 2

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Für einen klcindeutschen Bundesstaat

Soweit jedoch der preußische König diese Bedingung nicht überhaupt nur als Ausflucht benutzte, hatte er das Votum der Einzelstaaten jedoch stets in einem anderen Sinne verstanden, nämlich als einen von der Paulskirche gänzlich unabhängigen Wahlakt. Die Gagern-Liberalen ließen sich jedenfalls nicht darin beirren, den Gang der Oberhauptsangelegenheit voranzutreiben, das hieß zunächst, die vorbereitende Tätigkeit des Verfassungsausschusses zu forcieren. Die Beratungen des Verfassungsausschusses über die Oberhauptsfrage vom 12. bis 29. Dezember 18481 standen ganz unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen um die Person Schmerlings. 2 Sie gestalteten sich infolgedessen für die Anhänger des Erbkaisertums sehr schwierig, was trotzdem insofern bemerkenswert war, als allein die hinter H. v. Gagern stehenden Casino-Vertreter ca. 40 % der Ausschußsitze innehatten. 3 Bei grundsätzlichem Einverständnis der Ausschußmehrheit mit einer monarchischen Lösung sowie einem einheitlichen Oberhaupt war insbesondere die Erblichkeit der Oberhauptswürde, d. h. die verfassungspolitische Absicherung der preußischen Vormacht im Bundesstaate, umkämpft. Hierüber stritten erbittert Dahlmann und G. Beseler auf der einen sowie Welcker und Lassaulxauf der anderen Seite, so daß es einmal sogar zur Annullierung gefaßter Beschlüsse 4 , ein anderes Mal bis zum Abbruch der Ausschußsitzung kam. 5 Ein ungünstiges Zeichen für die Anhänger des Erbkaisertums war, daß der Wortführer des eine wichtige Schlüsselstellung innehabenden gemäßigten Flügels der großdeutsch-partikularistischen Gruppierung, Jürgens, sich gegen die Erblichkeit aussprach. 6 Das taten auch zwei zu den Anhängern H. v. Gagerns zählende Casino-Abgeordnete, der Rheinpreuße Deiters und der Schleswig-Holsteiner Waitz. 7 So vermochte die Führungsspitze der Erbkaiserlichen ihr Vorhaben nicht zu realisieren, dem Plenum eine Ausschußvorlage zu präsentieren, die in allen Hauptpunkten nach ihren Wünschen beschaffen war. Die Beratungen des Verfassungsausschusses über die Oberhauptsfrage erbrachten für die Gagern-Liberalen also lediglich einen Teilerfolg. 8 Die Ausschußmehrheit erklärte sich zwar dafür, einen einzelnen deutschen Fürsten zum Oberhaupt zu bestellen, dagegen konnte die Erblichkeitsklausel nicht durchgesetzt werden, obwohl die Anhänger des Bundesstaates der großdeutsch-partikularistischen Opposition die Einrichtung eines Reichsrates aus den Bevollmächtigten der einzelnen deutschen Staaten als Verfassungsorgan zugestanden hatten. So lautete das Substrat des von G. Beseler am 15. Januar vorgelegten Ausschußberichtes nur: „Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem regierenden deutschen Protokolle der Beratungen des Verfassungs-Ausschusses über die Oberhauptsfrage in Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 275 ff. 2 Vgl. S. 159 ff. 3 Zusammensetzung des Verfassungs-Ausschusses StB, Bd. 1, S. 88; über die danach eingetretenen Veränderungen vgl. Bot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 668, Anm. 25. Zu den im Ausschuß vertretenen politischen Richtungen vgl. Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, T. II, S. 31 ff. 4 Dies geschah in der 115. Sitzung am 16. 12. 1848 mit den am Vortage gefaßten Beschlüssen (Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 310f.). 5 Auf Welckers verärgerten Ausruf „Und mögen denn die Herren ihren Erbkaiser machen . . ." mußte die Sitzung vom 28. 12. 1848 „infolge heftiger Äußerungen" geschlossen werden (ebenda, S. 349). « Ebenda, S. 285. 7 Beide waren bereits während und nach Ende der Schleswig-Holstein-Debatte im September 1848 mit eigenständigen Auffassungen gegenüber der Mehrheit ihrer Fraktion aufgetreten; vgl. Kapitel 5. Die Kapitulation der Parlamentsmehrheit, S. l l ö f f . 8 Bericht der Majorität des Verfassungs-Ausschusses nebst Entwurf des Abschnittes über das Oberhaupt und den Reichsrat in StB, Bd. 6, S. 4675ff. 1

3. Die Oberhauptsfrage

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Fürsten übertragen." 1 Die Frage, ob dessen Erblichkeit oder zeitliche Begrenzung vorgesehen werden sollte, blieb zunächst offen. Auch von den vermittelnden Anträgen, die sich für eine befristete Regentschaft aussprachen, hatte keiner die Mehrheit erlangen können. Gegenüber den drei Hauptvorschlägen: Erbkaisertum — Direktorium — Präsidentschaft, besaßen sie ohnehin nur marginalen Charakter. Die Gagern-Liberalen befanden sich am 15. Januar in einer zwiespältigen Situation. Konnte bei einem sofortigen Angehen der Oberhauptsfrage an den Erfolg des 13. Januar angeknüpft werden, oder war es ratsamer, die Rückkehr Camphausens abzuwarten, der seit dem 9. Januar in Berlin weilte und von dem gute Nachrichten erwartet wurden? 2 Man entschloß sich für das erstere. Es geschah mit dem Vorsatz, „durch kompaktes Zusammenhalten auf die Schwankenden Anziehungskraft zu üben, auch durch taktische Mittel unsere Position zu verbessern".3 Das sollte sich diesmal freilich schwerer verwirklichen lassen als in der gerade zu Ende gegangenen Programmdebatte. Das Ringen mit zwei oppositionellen Gruppierungen, der Linken und der großdeutschpartikularistischen Partei, die in der Debatte über die Oberhauptsfrage unterschiedliche Positionen vertraten, wurde für die Gagern-Liberalen die erwartet schwere Auseinandersetzung. Ihre Redner vermochten diesmal nicht den Standpunkt der Erbkaiserpartei gegenüber den Anhängern des Direktoriums auf der einen und einer republikanischen Lösung auf der anderen Seite überzeugend deutlich zu machen. Hielt beispielsweise Bassermann den Befürwortern des Direktoriums vor, daß diese Einrichtung sicherlich „zur Wahrung der verschiedenen Partikularinteressen"4 genutzt würde, so war eines seiner Argumente gegen ein republikanisches Oberhaupt, daß dieses im Unterschied zu einem Monarchen nicht über eine eigene Hausmacht verfügen könne. 5 Dahlmann gab sich Mühe, die Etablierung einer starken Zentralgewalt als diejenige Lösung auszugeben, die sowohl den Anhängern von „Ruhe und Ordnung" gerecht werde als auch der Freiheitsbewegung eine Perspektive gebe: „Ihr dämpftet das Feuer der Anarchie in Deutschland . . . nur auf einem Wege, nur auf dem Wege, daß Ihr eine kraftvolle Einheit hinsetzet und durch diese Einheit die Bahn für die deutsche Volkskraft eröffnet, die zur Macht führt. Die Bahn der Macht ist die einzige, die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird, der sich bisher selbst nicht erkannt hat. Denn es ist nicht bloß die Freiheit, die er meint, es ist zur größeren Hälfte die Macht, die ihm bisher versagte, nach der es ihm gelüstet." 6 Es kennzeichnete den Mangel an neuen, wirklich überzeugenden Argumenten seitens der Gagern-Liberalen, daß diese gegen eine republikanische Lösung der Oberhauptsfrage u. a. die Behauptung ins Feld führten, ein Präsident benötige eine zu hohe Zivilliste. 7 Auch die von mehreren Rednern der Erbkaiserlichen strapazierte These, ein republikanisches Oberhaupt und monarchische Einzelstaaten vertrügen sich nicht miteinander, war kein überzeugendes Argument gegen eine solche Lösung. 8 In Wirklichkeit konnte eine republikanische Zentralgewalt, sofern sie handlungsfähig sowie mit entsprechenden verfassungspolitischen Kompetenzen und Machtmitteln ausgestattet war, möglicherweise viel besser i Ebenda, S. 4675. 2 Vgl. DZ, Nr. 20, 20. 1. 1849. Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 246f. < StB, Bd. 6, S. 4731. 5 Vgl. ebenda, S. 4732f. 6 Ebenda, Bd. 7, S. 4821. 3

7 Vgl. die Ausführungen Bassermanns ebenda, Bd. 6, S. 4733 8 So Bassermann (ebenda, S. 4732) und G. Beseler (ebenda, Bd. 7, 4789).

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

als eine monarchische Reichsgewalt als Gegengewicht zu den partikularistischen Mächten fungieren und damit auch ein wichtiges verfassungspolitisches Anliegen der B o u r g e o i s i e zur G e l t u n g bringen. V o n den verschiedenen Varianten einer monarchischen L ö s u n g der Oberhauptsfrage hätte d a s v o n den Gagern-Liberalen angestrebte Erbkaisertum allerdings den Erfordernissen der bürgerlichen U m g e s t a l t u n g in Deutschland am besten entsprochen. Hierüber entspannen sich zwischen den Anhängern H . v . G a g e r n s und ihren großdeutsch-partikularistischen Widersachern erbitterte Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Gagern-Liberalen z u m Teil auch taktische Fehler begingen. Bassermann ließ sich beispielsweise zu der D r o h u n g hinreißen, man könne — wenn die O p p o s i t i o n fortführe, Schwierigkeiten zu machen — sich möglicherweise veranlaßt sehen, die L ö s u n g der Oberhauptsfrage Adel und Fürsten zu überlassen: „Wenn aber die Möglichkeit zur Wahrheit wird, daß diese V e r s a m m l u n g für das Oberhaupt keinen Beschluß zustande brächte, so wäre ich meines Ortes sogar froh, daß Personen in Deutschland sind, die mit einem gewissen Rechte sagen k ö n n e n : , D a ihr die Spitze nicht bauen könnet, so bauen wir sie.' Mir ist d a s Z u s t a n d e k o m m e n eines einigen Deutschlands lieber als d a s starre Festhalten eines Prinzips, und wenn dann die Spitze v o n den Fürsten einzig und allein gemacht würde, so wäre mir auch diese Spitze lieber als gar keine."1 Bassermanns bisherige Rolle und die weitere politische E n t w i c k l u n g bis z u m S o m m e r 1849 geben G r u n d zu der Annahme, daß sein skizzierter G e d a n k e auf eine bereits zu A n f a n g des J a h r e s v o n ihm einkalkulierte Variante, d. h. den Verzicht auf die Priorität der V e r f a s s u n g g e b u n g durch die Gagern-Liberalen, hindeutete. E s dürfte jedoch auch seine Absicht gewesen sein, mit der A n d r o h u n g D r u c k auf die O p p o s i t i o n auszuüben, ein Manöver, welches jedoch weder bei der Linken noch der großdeutsch-partikularistischen G r u p p i e r u n g verfing. E s war nicht einmal geeignet, die Unterstützung des gemäßigten Flügels der Großdeutschen zu gewinnen, der noch am 13. J a n u a r für H . v. G a g e r n gestimmt hatte. D a s in der B e f ü r w o r t u n g des R e g i e r u n g s p r o g r a m m s enthaltene allgemeine Vertrauensvot u m für G a g e r n war für die Fraktion J ü r g e n s noch akzeptabel gewesen. V o r einem J a zur Erblichkeitsklausel, welches faktisch das Einverständnis mit der Vormachtstellung Preußens bedeutet hätte, schreckte diese G r u p p e jedoch zurück. Bereits v o r der A b s t i m m u n g hatte sich erkennen lassen, daß die Erblichkeitsklausel wenig Aussichten besaß, a n g e n o m men zu werden. T r o t z d e m beschlossen die Gagern-Liberalen im Vertrauen auf die zweite L e s u n g und nach d e m G r u n d s a t z „Lieber gar nichts als etwas h a l b e s ! " 2 — , an ihrem V o t u m für die Erblichkeit festzuhalten. D i e Plenarabstimmungen e r g a b e n ein ähnliches Bild wie im Verfassungsausschuß. Eine deutliche Mehrheit ( 2 5 8 : 211 Stimmen) sprach sich dafür aus, einen regierenden deutschen Fürsten z u m Reichsoberhaupt zu bestellen. 3 Mit wechselnden, in ihrer Z u s a m m e n s e t z u n g z. T . sehr unterschiedlichen Mehrheiten waren d a g e g e n sämtliche A n t r ä g e auf eine zeitliche B e g r e n z u n g der Regentschaft 4 sowie die Erblichkeitsklausel abgewiesen worden. Die Anhänger der Erblichkeit hatten sich als relativ größte G r u p p e (211 Stimmen) erwiesen, ohne an einer klaren Niederlage vorbeizuEbenda, Bd. 6, S. 4734. — Das Sitzungsprotokoll verzeichnet an dieser Stelle: „Beifall auf der Rechten." 2 ParlamentsharrespondenNr. 39, 22. 1. 1849. 3 StB, Bd. 7, S. 4805. 4 413 : 39 Stimmen gegen die Übertragung der Oberhauptswürde auf Lebenszeit (ebenda, S. 4857); 442 : 14 Stimmen gegen eine zwölfjährige (ebenda, S. 4859); 264 : 196 gegen eine sechsjährige und 305 : 120 Stimmen gegen eine dreijährige Regentschaft (ebenda, S. 4865). 1

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kommen. 1 Für die Erblichkeit hatten neben Casino, Augsburger Hof und Landsberg Teile der äußersten Rechten, eine Minderheit des linken Zentrums sowie einzelne Abgeordnete der gemäßigten Linken gestimmt. Ungünstig hatte sich für die Gagern-Liberalen ausgewirkt, daß es ihnen, im Gegensatz zur Programmdebatte, trotz großer Anstrengungen nicht gelungen war, das Abstimmungsverfahren zu ihren Gunsten zu gestalten. Es erwies sich diesmal als Nachteil, daß über die Erblichkeit bereits zu Beginn der Prozedur abgestimmt wurde, da den Erbkaiserlichen eine Reihe von Eventualitätsstimmen verlorengingen. 2 Sie wurden von der Zentrenkorrespondenz als so zahlreich eingeschätzt, daß bereits die Hälfte von ihnen den Gagern-Liberalen zur Mehrheit verholfen hätte. 3 Unter den gegebenen Verhältnissen war die Taktik der Gagern-Liberalen ohne Zweifel richtig, die Entscheidung über die Modalitäten der künftigen Zentralgewalt lieber zunächst in der Schwebe zu lassen, als die Zustimmung zu einer verwässerten Lösung zu geben und so das Verfassungswerk von vornherein mit einer außerordentlich schwachen Reichsgewalt zu belasten. Angesichts der parlamentarischen Kräftekonstellation war die Hoffnung durchaus nicht unrealistisch, daß es bis zur zweiten Lesung des Grundgesetzes erneut gelingen könnte, Teile der Opposition wenigstens vorübergehend zu sich herüberzuziehen. Mit der Entscheidung über die Oberhauptsfrage war die erste Lesung der Reichsverfassung bis auf einige wenige Bestimmungen von zweitrangiger Bedeutung und die Beratung des formal nicht zum Grundgesetz gehörigen Reichswahlgesetzes beendet. Wir haben, unserem Thema gemäß, die äußerst umfangreichen Verfassungsdebatten der Paulskirchenversammlung bisher nur da beleuchtet, wo dies für das Verständnis der Politik und Taktik der Gagern-Liberalen erforderlich erschien, aber es dürfte aus mehreren Gründen geboten sein, dieses Prinzip an dieser Stelle zu durchbrechen, um Grundrechte und Verfassungsentwurf einer zusammenfassenden Betrachtung zu würdigen. Reichsverfassung und Grundrechte waren nicht nur die von der Frankfurter Nationalversammlung am ausgiebigsten diskutierten Gegenstände. Das Verfassungsprogramm der Gagern-Liberalen gibt auch Auskunft über die Beschaffenheit des längerfristigen verfassungspolitischen Zieles dieser Gruppierung, dem der momentan angestrebte Machtausgleich mit Adel und Fürsten untergeordnet war. Schließlich ist eine erste zusammenfassende Betrachtung des Verfassungsprogramms der Gagern-Liberalen geboten, um die Anfang Februar verstärkt einsetzenden Auseinandersetzungen zwischen der Reichsregierung und der Führungsspitze der Erbkaiserpartei sowie den Einzelstaatcn über eine frühzeitige Verständigung über das vor der Vollendung stehende Grundgesetz richtig zu begreifen. 4. Die Grundrechte und der Abschluß der ersten Lesung der Reichsverfassung Der Entwurf der Paulskirchenvcrsammlung, der in den meisten Punkten nach den Wünschen der liberalen Mehrheit beschaffen war, enthielt ähnliche Grundelemente des bürgerlichen Konstitutionalismus wie die vorwiegend gemäßigt-konstitutionellen Verfassungen 1 Stimmenverhältnis 263 : 211 (ebenda, S. 4853). Angesichts der äußerst unsicheren Stimmenverteilung wäre den Gagern-Liberalen — im Gegensatz zur Programmdebatte(s. S. 175ff.)—die Plazierung ihres Antrages am Ende der Abstimmung zu gute gekommen. Präsident Simson hatte diese Prozedur auch vorgeschlagen. In namentlicher Abstimmung entschied die Mehrheit jedoch mit 270 : 216 Stimmen gegen diesen Antrag (ebenda, S. 4850), ein Ergebnis, welches mit dem Resultat der Abstimmung über die Erblichkeit nahezu übereinstimmte. 3 Varlamentskorresponden^ Nr. 41, 24. 1. 1849. 2

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einiger Länder, die bereits eine bürgerliche Umwälzung durchlaufen hatten, wie der USA, Englands oder Belgiens.1 Hierzu gehörten u. a.: Einführung des Repräsentativsystems; Beschränkung der verfassungsmäßigen Rechte des Monarchen durch ein Parlament, welchem möglichst die Priorität, mindestens aber eine gleichrangige Stellung eingeräumt war; Zweikammersystem; Abschaffung der Standesvorrechte des Adels; Ministerverantwortlichkeit; verfassungsmäßige Verankerung wichtiger bürgerlich-konstitutioneller bzw. demokratischer Grundrechte. Der von der Paulskirche vorgelegte Verfassungsentwurf bedeutete einen Bruch sowohl mit der Bundes-Akte von 1815 als auch den bis 1848 in einzelnen deutschen Staaten geltenden Verfassungen. Er beseitigte zwar nicht die Monarchie, sah aber die Einführung einer konstitutionell-monarchischen Verfassungsordnung vor, durch die eine Reihe von verfassungspolitischen Voraussetzungen für das allmähliche Übergewicht der bürgerlich-parlamentarischen Elemente geschaffen wurde. Der Verfassungsentwurf sah — darin waren sich die Interpretatoren der Paragraphen 2 und 3 mittlerweile einig2 — für Deutschland den Status eines kieindeutschen Bundesstaates vor. Die Einzelstaaten sollten erhalten bleiben, ihre verfassungsmäßigen Rechte im wesentlichen jedoch auf die Regelung ihrer inneren Angelegenheiten beschränkt werden.3 An der Spitze des Reiches sollte ein erblicher Monarch stehen4, dessen verfassungsmäßige Kompetenzen trotz parlamentarischer Kontrolle nicht gering bemessen waren. An erster Stelle zu nennen waren militärischer Oberbefehl, Entscheidung über Krieg und Frieden und völkerrechtliche Vertretung Deutschlands. Gegen Entscheidungen des Parlaments sollte ihm bzw. der Reichsregierung, im Gegensatz beispielsweise zur belgischen Verfassung5, ein Veto zustehen, welches allerdings — außer im Falle einer Verfassungsänderung — nur suspensiven Charakters sein sollte.6 Dadurch hätte in Konfliktfällen das Übergewicht des Parlaments gesichert werden können. Der Verfassungsentwurf machte die Reichsregierung in so wichtigen Entscheidungen wie dem Erlaß von Reichsgesetzen, der Feststellung des Haushalts, der Erhebung von Steuern oder dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge von der Zustimmung des Parlaments abhängig. 7 Ähnlich wie auch in anderen bürgerlichen Verfassungen fehlte jedoch die wirklich konsequente Anwendung des Repräsentativgedankens. Forderungen der Linken, wie die nach dem Einkammersystem8 oder Beschränkung der Reichsregierung auf rein exekutive Aufgaben9, fehlten, weil die Gagern-Liberalen darin eine Gefährdung ihres auf einen Machtausgleich mit Adel und Fürsten ausgerichteten Reformkurses erblickten. Vgl. etwa die Ausführungen Bassermanns über die Vorbildwirkung der Verfassung Großbritanniens für die verfassungspolitischen Vorstellungen der Gagern-Liberalen (StB, Bd. 6, S. 4734). 2 Zur Debatte über die §§ 2 und 3 des Abschnittes über das Reich (erste Lesung) vgl. S. 138ff. 3 Mit Ausnahme des Rechtes, Verträge mit anderen deutschen Staaten zu schließen (§ 9, erste Lesung) — vgl. Abstimmung über §§ 7ff. (StB, Bd. 4, S. 2988ff.). * Zur Debatte über die Oberhauptsfrage (erste Lesung) vgl. S. 182 ff. 5 Vgl. Staatsverfassungen. Eine Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart, hrsg. v. G. Franz, 2. Aufl., München 1964, S. 54ff. 6 274: 187 Stimmen für die Beschränkung des Einspruchsrechts des Oberhaupts auf das Suspensivveto (StB, Bd. 6, S. 4120). 7 Abstimmungen über das Verhältnis von Reichsgewalt und Reichstag, ebenda, S. 4126ff. und 4522 ff. 8 Vgl. die Abstimmung über den Antrag Vogt und Genossen, der mit 331 : 95 Stimmen abgelehnt wurde (ebenda, Bd. 5, S. 3817). 9 Vgl. die Abstimmung über den Antrag Trützschler, der in nichtnamentlicher Abstimmung abgelehnt wurde (ebenda, Bd. 6, S. 4105). 1

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Auch das für die damalige Zeit fortschrittliche, von der Paulskirche Ende Februar 1849 verabschiedete Reichswahlgesetz 1 entsprach dem Standard anderer zeitgenössischer bürgerlicher Verfassungen. Das Wahlgesetz gehörte zu jenen Teilen des Verfassungswerkes der Frankfurter Nationalversammlung, die am deutlichsten den Bruch mit der vormärzlichen Gesetzgebung zum Ausdruck brachten. Es war insbesondere der geschickten Ausnutzung der parlamentarischen Kräftekonstellation durch die Linke zu danken gewesen, daß die von den Gagern-Liberalen geplanten antidemokratischen Sicherungen des Wahlsystems auf ein relativ geringes Maß beschränkt blieben.2 Mit der Begrenzung des Kreises der NichtWähler auf „ Bescholtene" und „Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen Gemeindemitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben"3, war das Gesetz mit der Verkündung eines allgemeinen Wahlrechts nahezu identisch. Ferner legte das Gesetz sowohl die Direktheit als auch die Geheimhaltung der Wahl fest. 4 Wie das Reichswahlgesetz, so waren auch die von der Paulskirche verabschiedeten Grundrechte gesondert debattiert worden. 5 Als Rechtskatalog von elementarer Bedeutung wurden sie jedoch in das eigentliche Grundgesetz integriert. Von allen Teilen dieses Verfassungswerkes war in den Grundrechten die antifeudale Komponente am stärksten ausgeprägt. Die Frankfurter Grundrechte übertrafen die in den süddeutschen vormärzlichen Verfassungen enthaltenen Grundrechte an Umfang und Konsequenz. Vor allem durch den Grundrechtskatalog wurde ein Konnex mit dem Gesetzgebungs- und Verfassungswerk der bürgerlichen Revolution in Frankreich und den USA geschaffen. Diese Feststellung scheint geboten, auch wenn nicht übersehen werden darf, daß das demokratische Element im Grundrechtskatalog der Paulskirche wesentlich schwächer ausgeprägt war als in den Men1 2

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Die Debatte über das Reichswahlgesetz (erste Lesung) dauerte vom 15. 2. bis 2. 3. 1849. Entscheidend war vor allem, daß es der Linken, unterstützt von einer Reihe großdeutsch orientierter Zentrumsliberaler, am 13. 2. 1849 gelang, die Beratung des Wahlgesetzes noch vor der zweiten Lesung der Reichsverfassung anzuberaumen (vgl. den diesbezüglichen Antrag Vogts und die sich daran anschließende Aussprache — u. a. Erwiderung Bassermanns, ebenda, Bd. 7, S. 5199ff.). Dies erwies sich für die GagernLiberalen als eine folgenschwere Niederlage. Die Linke erlangte nämlich als Vorleistung für spätere Gegendienste in der zweiten Lesung der Reichsverfassung die Unterstützung der großdeutsch-partikularistischen Gruppierung für ihre Wahlrechts Vorschläge (vgl. Hqym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 294; Duncker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 79; VarlamentskorrespondenNr. 62, 16. 2. 1849). Siemens, zur G-agernschen Gruppierung gehörig, votierte, wie schon in einigen Fällen zuvor, gegen die taktische Linie der Casino-Liberalen (StB, Bd. 7, S. 5201; vgl. auch BAF, ZSg. 1/N 46, Nachlaß Siemens; Siemens an Adolph Siemens v. 19. 2. 1849). Interessanterweise sprach sich sogar Camphausen, der die parlamentarische Konstellation offenbar falsch deutete, für eine Vorwegnahme des Wahlgesetzes aus (GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 87, 117 f. und 203; Camphausen an Bülow v. 31. 1., 8. 2. und 23. 2. 1849). Der Grund lag in dem Bemühen, den einzelstaatlichen Regierungen genügend Zeit für die Stellungnahme zum Verfassungsentwurf erster Lesung zu lassen, sowie in der Furcht, ein zu weites Hinausschieben des Wahlgesetzes könne dieses „negativ" beeinflussen. Gagern hatte sich mit diesem Wunsche Camphausens „ganz einverstanden" erklärt (ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 21, Bl. 104). Vgl. die Abstimmung über den Antrag Schüler, der mit 266 : 186 Stimmen angenommen wurde (StB, Bd. 7, S. 5346). Abstimmungen ebenda, S. 5534 und 5537. Zusammenstellung der bis zum 21. 12. 1848 verabschiedeten Hauptteile (die noch ausstehenden Paragraphen wurden Anfang Februar bis Anfang März 1849 debattiert) ebenda, Bd. 6, S. 4301—4304. Die Vorwegnahme der Grundrechte, welche zu einer relativ späten Fertigstellung der eigentlichen Verfassung führte, wird heute allgemein als taktischer Fehler eingeschätzt, eine Auffassung, der im wesentlichen zugestimmt werden kann (vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 167).

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schenrechtserklärungen der beiden erwähnten Länder und die in Frankfurt verabschiedeten Grundrechte in nicht zu übersehender Weise auch von der Reform- und Vereinbarungskonzeption der liberalen Mehrheit mitbestimmt waren. 1 Der Grundrechtskatalog umfaßte insgesamt 59 Paragraphen. Er enthielt wichtige politische, ökonomische und soziale Grundrechte für die einzelnen Bürger. Ferner wurde mit Hilfe dieses Katalogs eine Reihe von Rechtsbeziehungen innerhalb der Gesellschaft grundsätzlich geregelt. Ein wichtiger Vorzug der Grundrechte war die einheitliche Regelung wichtiger Zivilrechtsbeziehungen (Ablösung von Feudalrechten, Stellung von Kirchc und Schule) für Deutschland. Ausdrücklich erklärte die Präambel die Grundrechte zur verbindlichen Norm für sämtliche deutschen Einzelstaaten. Erstmalig war an die Stelle der bisherigen 38 Staatsbürgerschaften ein Reichsbürgerrecht vorgesehen, verbunden mit dem Recht, sich an jedem beliebigen Ort in Deutschland niederzulassen. Zu den wichtigsten politischen Grundrechten gehörten die Freiheit der Persoa, das Recht der freien Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Druck, das Recht der freien Versammlung und Vereinigung, die Glaubens* und Gewissensfreiheit. In die Grundrechte aufgenommen war auch die Beseitigung antihumaner und diskriminierender Rechtsbestimmungen, so die Aufhebung der Todesstrafe und der noch immer geltenden Standesprivilegien. Zu den für die bürgerliche Gesellschaft konstitutiven Grundrechten, die von der Paulskirche verabschiedet wurden, gehörten auch die Unverletzlichkeit des Eigentums, das Recht des freien Erwerbs von Grundbesitz und die Gewerbefreiheit. Ein den Erfordernissen des Aufbaus einer bürgerlichen Gesellschaft und dem Zurückdrängen des Einflusses des Klerus entsprechendes Gebot waren die Trennung von Staat und Kirche sowie von Kirche und Schule, beides war in den Grundrechten vorgesehen. Im Einklang mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung standen die Verkündung der Unabhängigkeit der Gerichte und der Schutz der Richter gegenüber Maßregelungen von Seiten des Staates. Die Patrimonialgerichtsbarkeit sollte ohne Entschädigung beseitigt werden. Dasselbe sollte mit den verbliebenen persönlichen Feudallasten geschehen. Die weitaus umfangreicheren und drückenderen grundherrlichen Lasten sollten allerdings lediglich der Ablösung vorbehalten bleiben. Das Verfassungswerk der Paulskirche, insbesondere der Anteil, den die Zentrumsliberalen hieran nahmen, war ein bevorzugter Gegenstand des Interesses der bürgerlichen Revolutionshistoriker. Die verfassungspolitischen Leitvorstellungen der Zentrumsliberalen wurden zumeist als jenes Feld betrachtet, wo sich die „humanitäre und sittliche Substanz" und die ,ideale Reinheit ihrer Prinzipien' 2 besonders deutlich manifestierten. Ohne Zweifel verdient die Reichsverfassung von 1849 als bedeutendste Kodifizierung bürgerlichen Verfassungsdenkens im Verlauf der bürgerlichen Umwälzung des 19. Jahrhunderts in Deutschland hervorgehoben zu werden. Seinem Wesen nach war dieses Grundgesetz nichts anderes als der verfassungspolitische Ausdruck des Reformkonzepts der gemäßigten Paulskirchenliberalen von 1848/49. Es besteht keine Veranlassung, die eindeutig reformerische, gegen einen revolutionären Umbruch gerichtete Grundtendenz dieses Verfassungsprogramms 1

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Hierzu neuerdings Siemann, Wolfram, Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, (vgl. die Rezension d. Vf. in Deutsche Literaturzeitung, Jg. 1980, H. 11/12, Sp. 963ff.). In diesem Sinne Hock, Wolfgang, Liberales Denken im Zeitalter der Paulskirche. Droysenund die Frankfurter Mitte, Münster/Westfalen 1957, S. 170; vgl. auch Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 373; Mommsen, Wilhelm, Größe und Versagen, S. 7; Wentycke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 274. — Vgl. die Einschätzung des Frankfurter Verfassungswerkes von marxistischer Seite durch H. Bleiber in Verfassungen und Verfassungsrvirklicbkeit in der deutseben Geschichte (von einem Autorenkollektiv unter Leitung v. W. Rüge), Berlin 1968, S. 17ff.

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oder dessen antifeudalc Komponente zu übersehen. 1 Es fixierte die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine allmähliche Verbürgerlichung von Staat und Gesellschaft, ohne auf einen radikalen Bruch mit den augenblicklich bestehenden Herrschaftsverhältnissen zu orientieren. Auch eine auf die allmähliche Veränderung der Gesellschaft zielende Verfassung bedurfte zu ihrer politischen Absicherung der Veränderung der jeweiligen Machtverhältnisse. So hielt die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 wohl einen Vergleich mit den Verfassungen solcher Länder wie Belgien oder den USA 2 in theoretischer Hinsicht aus, jedoch nicht in bezug auf ihre unmittelbare politische Bedeutung. Ferner sollte nicht verkannt werden, daß gerade die Zentrumsliberalen — in einigen Fällen jedoch ohne Erfolg — bestrebt waren, das demokratische Element im Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung zu schwächen bzw. antidemokratische Sicherungen einzubauen. Dies ist dem verbreiteten Bemühen nicht weniger Historiker entgegenzuhalten, die Zentrumsliberalen der Paulskirche, namentlich am Beispiel ihres Verfassungswerkes, als die eigentlichen Verfechter parlamentarisch-demokratischen Gedankengutes hinzustellen. 3 Es gelang den Zentrumsliberalen, als Konzession an die Einzelstaaten, gegen den Willen der Linken, das Zweikammersystem''' und sogar die verfassungspolitische Gleichrangigkeit von Volks- und Staatenhaus 5 durchzusetzen. Ihr Bemühen, die Position des Oberhaupts auf Kosten des Parlaments zu stärken, scheiterte allerdings, da sie die Beschränkung der Oberhauptskompetenz auf das suspensive Veto hinnehmen mußten 6 , was sich auch in der zweiten Lesung der Verfassung nicht mehr korrigieren lassen sollte. Auch die Vorschläge der Zentrumsliberalen in den Wahlrechtsdebatten verrieten, daß diese auf eine Abschwächung des demokratischen Elements bedacht waren. Allerdings scheiterten sie auch hier in zwei wichtigen Punkten. Das galt für ihre Forderung, Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner von der Wahl auszuschließen, sowie für ihr Verlangen nach Öffentlichkeit des Wahlverfahrens. 7 Auch aus den Grundrechtsdebatten läßt sich die Erkenntnis gewinnen, daß es den Zentrumsliberalen in erster Linie darum ging, Rechtssicherungen zur Gewährleistung eines allmählichen, vorsichtigen und von revolutionären Erschütterungen freien konstitutionellen Reformprozesses zu schaffen. Neuere bürgerliche Forschungen haben beispielsweise das Vorhandensein eines umfangreichen historisch-rechtlichen Gedankengutes im Grundrechtsprogramm der Zentrumsliberalen deutlich gemacht. 8 Obwohl diese z. B. für eine Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte der Einzelstaaten zugunsten der Zentral1 Vgl. S. 217ff. Vgl. Staatenverfassungen, S. 10 ff. 3 Zuletzt Bot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 693 f. 4 Antrag des Verfassungs-Ausschusses in nichtnamentlicher Abstimmung angenommen (StB, Bd. 5, S. 3817). 5 Antrag des Verfassungs-Ausschusses in nichtnamentlicher Abstimmung angenommen (ebenda, Bd. 6, S. 4072). Dies galt jedoch nicht für Budget- und Finanzangelegenheiten, wo die Präponderanz des Volkshauses festgelegt worden war (ebenda, S. 4525f.). 6 Im Antrag der Mehrheit des Verfassungs-Ausschusses war ursprünglich für Reichsoberhaupt bzw. -regierung im Rahmen der zugewiesenen Kompetenzen die Möglichkeit eines absoluten Vetos gegen Entscheidungen des Parlaments vorgesehen (ebenda, Bd. 5, S. 3800f.). 7 Vgl. die Anträge des Verfassungs-Ausschusses ebenda, Bd. 7, S. 5218. 8 Siemann, Wolfram, Die Frankfurter Nationalversammlung zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform. Die Bedeutung der Juristendominanz in den Verfassungsverhandlungen des Paulskirchenparlaments, S. 104ff. 2

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gewalt eingetreten waren 1 , widersetzten sie sich allen Versuchen der Linken, den Partikularismus stärker anzutasten. 2 Dazu gehörten etwa die Anträge auf eine Reduzierung der Zahl der Partikularstaaten, auf eine Mediatisierung der kleineren Fürstentümer, sogar bis hin zur radikalen Neugestaltung der Struktur des Gesamtstaates. 3 Die Liberalen setzten durch, daß das Plenum, ohne über einen dieser Anträge abzustimmen, zur Tagesordnung überging. 4 Auch die von der Mehrheit verabschiedeten Agrarbestimmungen dienten der Fortsetzung des preußischen Weges in der Landwirtschaft, d. h. der allmählichen Umwandlung der feudalen Fron in die kapitalistische Junkerwirtschaft, nicht aber der Beseitigung der verbliebenen feudalen Lasten auf demokratischem Wege. Somit waren alle Bemühungen der Linken, den Umfang der entschädigungslos abzuschaffenden Lasten zu erweitern 5 — von dem noch weiter gehenden, auf eine Aufteilung des Großgrundbesitzes zielenden Antrag Schlöffeis 6 ganz zu schweigen —, von der Majorität vereitelt worden. Als letztes Beispiel für das Bestreben namentlich der Casino-Liberalen, weitgehende Eingriffe in die Rechte der Feudalkräfte möglichst zu unterbinden, sei die Debatte über die Aufhebung des Adels genannt. Hier gelang es den Zentrumsliberalen allerdings nicht, mit ihrer Maximalforderung durchzudringen. Die Mehrheit des Parlaments beschränkte sich nicht darauf, die Standesprivilegien allgemein zu beseitigen, 7 sie erklärte auch den Adel formell für abgeschafft. 8 Der Grundgesetzentwurf war der verfassungsrechtliche Ausdruck der Reformpolitik der Liberalen. Er war auf einen Kompromiß, eine Machtteilung zwischen Bourgeoisie sowie Adel und Fürsten zugeschnitten. Der Entwurf sah für die bürgerlichen Kräfte eine relativ starke verfassungsrechtliche Position vor, was vor allem in der Regelung der Gesetzgebung, der Beschränkung der Einspruchsrechte des Monarchen und dem Grundrechtskatalog zum Ausdruck kam. Die Liberalen beabsichtigten zunächst nicht, die in dem Entwurf markierte Grenze der Konzessionsbereitschaft gegenüber den aristokratisch-monarchischen Kräften in weiteren Verhandlungen allzuweit zu überschreiten, ausgenommen etwa in bezug auf die Rechte der Einzelstaaten oder die Stellung eines Reichsrates, einer Vertretung der Einzelstaaten. Der Geltungsanspruch der Liberalen kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß sie sich die letzte Entscheidung über die Reichsverfassung, und damit die verfassunggeberische Priorität, unbedingt vorbehalten wollten. Die Reichsverfassung wurde 1849 zum wichtigsten Erprobungsfeld dafür, inwieweit die Vereinbarungspolitik der Liberalen eine echte Chance besaß. 1 Vgl. S. 188, Anm. 3. Dies geschah in der sogenannten Mediatisierungsdebatte, die sich an die Vorschläge des VerfassungsAusschusses bezüglich des Paragraphen 2 des Abschnittes über den Reichstag anschloß — StB, Bd. 5, S. 3817ff. Vgl. auch Haym, 'Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. I, S. 57: „Es kam darauf an, jenen heftigen Einheitsdrang so weit zu temperieren, als es die Gerechtigkeit gegen das vielgliedrige Volksleben erheischte." — Im Gegensatz hierzu beispielsweise Stürmer, Michael, 1848 in der deutschen Geschichte, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für H. Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974. S. 237. 3 Hierzu im einzelnen Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 180f. < StB, Bd. 5, S. 3840. 5 Vgl. die Anträge Wesendonck und Genossen, Förster, Rösler und Trützschler, ebenda, Bd. 4, S. 2380f. 6 Ebenda, Bd. 2, S. 1291. 7 Wie im Entwurf des Verfassungsausschusses verlangt (ebenda, Bd. 1, S. 682). 8 In namentlicher Abstimmung mit 225 : 211 Stimmen angenommen (ebenda, Bd. 5, S. 3915). 2

5. Kontakte zu einzelstaatlichen Regierungen

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Der in erster Lesung verabschiedete Verfassungsentwurf, einschließlich der im wesentlichen bereits fertiggestellten Grundrechte, stellte trotz seines kompromißlerischen Charakters und einer Reihe antidemokratischer Sicherungen für Adel und Fürsten ein bedeutendes fortschrittliches bürgerliches Verfassungsprogramm dar. Ohne die bestehenden Machtverhältnisse radikal zu ändern, entwarf diese Verfassung doch das Bild eines Staates, in dem, mindestens auf längere Dauer gesehen, nicht mehr Adel und Fürsten, sondern die Bourgeoisie die führende Klasse sein würde. Es schien aber auch flexibleren Vertretern namentlich der preußischen Politik (Camphausen, Bülow, Bunsen, Radowitz) nach wie vor nicht ausgeschlossen, daß das Verfassungswerk der Paulskirche für eine weitgehend von Frankfurt unabhängige, von preußischen Eigeninteressen gelenkte „deutsche Politik" ausgenutzt werden konnte. Jedoch ließ sich vorläufig nicht genau voraussehen, welche Aufnahme diese Verfassung außerhalb des Parlaments finden, ob sie weitgehend unbeachtet bleiben oder aber eventuell gar zum Ferment der außerparlamentarischen Bewegung werden würde. Von derartig widerstreitenden Motiven und zum Teil auch Kräften war zunächst die Resonanz auf die Paulskirchenverfassung in einer Reihe von Einzelstaaten, namentlich in Preußen, weithin bestimmt. 5. Die Kontakte zu den einzelstaatlichen Regierungen Die Bemühungen der Gagern-Liberalen, Preußen für das Projekt eines kleindeutschen Bundesstaates zu gewinnen, fanden auch bei einigen führenden Repräsentanten dieses Staates zum Teil Unterstützung, obwohl die Ziele durchaus nicht dieselben waren. Vor allem Camphausen, die Schlüsselfigur in den Beziehungen zwischen Frankfurt am Main und Berlin, drängte die preußische Regierung zu einer aktiveren Haltung in der deutschen Frage. 1 Camphausens eigentliches Ziel war die Begründung eines mit konstitutionellen Grundrechten ausgestatteten, von der Paulskirche möglichst unabhängigen, kleindeutschen monarchischen Bundesstaates unter preußischer Führung. Er war bereit, hierbei die Hilfe der Frankfurter Nationalversammlung in Anspruch zu nehmen, sofern die Interessen Preußens nicht beeinträchtigt wurden, oder aber auch auf anderem Wege, möglichst aber ohne Affront gegenüber der Paulskirchenversammlung, vorzugehen. Dieser Plan stimmte zwar nicht mit der Konzeption der Gagern-Liberalen überein, beide differierten immerhin auch nicht so stark, daß nicht eine zeitweilige Kooperation möglich schien. Es war deshalb keineswegs Zufall, daß die Erbkaiserpartei in der Paulskirche genau in dem Augenblick in mehreren Verlautbarungen ostentativ ihre Bereitschaft zur Verständigung mit den einzelstaatlichen Regierungen über die Verfassungsfrage erklärte 2 , als Camphausen Mitte Januar mit der Berliner Regierung über diese Angelegenheit beriet. Camphausens Konzept ging zwar von der Wahrung der Interessen Preußens aus. Gerade an diesem Punkt aber entzündete sich vor allem der Widerstand Friedrich Wilhelms IV. und der Kamarilla. Dies mußte Camphausen während seines Berlinaufenthalts vom 9. bis zum 17. Januar erfahren. 3 Trotzdem gelang es ihm, die Mehrheit der preußischen Ka1

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Über die Rolle Camphausens in den Beratungen zwischen Frankfurt a. M. und Berlin vgl. Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 95 ff. So H. v. Gagern in seiner Parlamentsrede v. 11. 1. 1849 (StB, Bd. 6, S. 4665); vgl. ferner entsprechende Artikel in FOPAZ, Nr. 12 u. 13, 13.1. u. 15.1.1849. Ausführlich über Camphausens Verhandlungen vom 9. bis 17. 1. in Berlin Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 172ff.; vgl. auch das Protokoll der Sitzung des preußischen Staatsministeriums v. 14. 1. 1849, an welcher auch Camphausen teilnahm (ZStAM, Rep. 89, E XV, Nr. 14). Hildebrandt, G a g c m

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binettsmitglieder für eine Initiative in der deutschen Frage zu gewinnen. Dabei spielten zwei Punkte eine wichtige Rolle: 1. Preußens Selbständigkeit sollte auch weiterhin gewahrt bleiben; 2. Preußen sollte mindestens nach außen hin nicht als Schuldiger an einem eventuellen Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung dastehen (ein von Camphausen auch später immer wieder benutztes Argument für die Mobilisierung der „deutschen Politik" Preußens). Auf Drängen Bunsens und Brandenburgs gab Friedrich Wilhelm IV. sein Einverständnis zur Veröffentlichung der (von Camphausen entworfenen) preußischen Zirkulardepesche vom 23. Januar 1849 unter der Bedingung, daß die laufenden Kontakte mit der österreichischen Regierung über die Reform des Bundes fortgesetzt wurden. 1 Dieses Dokument war eine Instruktion für die preußischen Gesandten bei den deutschen Regierungen, stellte seinem Charakter nach aber zugleich eine öffentliche Erklärung der preußischen Regierung zur deutschen Frage dar. Die Zirkulardepesche ging davon aus, daß Österreich die Absicht hege, „in seinem ganzen Länderkomplexe'zu einer kräftigen, dem inneren Bedürfnisse desselben genügenden Konstituierung zu gelangen". 2 Die Verbindung Deutschlands mit Österreich solle nicht aufgegeben werden, sondern sei — wie es hieß durchaus vereinbar „mit dem Zusammentritte der übrigen deutschen Staaten zu einem engeren Vereine, zu einem Bundesstaate, innerhalb des Bundes". 3 Die Note distanzierte sich zwar nicht vom Verfassungswerk der Paulskirchenversammlung, gab aber eindeutig zu verstehen, daß dieses ohne die Zustimmung der deutschen Fürsten keine Chance haben würde. Preußen ließ keinen Zweifel daran, daß es die führende Stellung innerhalb eines engeren Bundes beanspruchen werde, ohne sich den in Frankfurt erarbeiteten Verfassungsvorschlägen zu unterwerfen: „Preußen . . . wird keine ihm angebotene Stellung annehmen als mit freier Zustimmung der verbündeten Regierungen; es hält sich aber verpflichtet, sich bereit zu erklären, Deutschland diejenigen Dienste zu leisten, welche dieses im Interesse der Gesamtheit von ihm verlangen sollte . . ," 4 Es sei jedoch der Auffassung, daß die Einigung Deutschlands nicht der Errichtung eines neuen Kaisertums bedürfe: „Es dürfte wohl eine andere Form gefunden werden können, unter welcher ohne Aufopferung irgendeines wesentlichen Bedürfnisses das dringend und höchst gerechtfertigte Verlangen des deutschen Volkes nach einer wahrhaftigen Einigung und kräftigen Gesamtentwicklung vollständig befriedigt werden könnte." 5 1

Es handelt sich um Verhandlungen, die vor allem auf Initiative Friedrich Wilhelms IV. durch den Grafen Brühl und z. T. auch den preußischen Gesandten in Wien, Graf Bernstorff, in den Monaten Dezember 1848 und Januar 1849 mit der Regierung Schwarzenberg geführt wurden. Dabei legte die preußische Seite der österreichischen Regierung nahe, den deutschen Bund nicht zu verlassen, und erklärte sich ihrerseits bereit, nur im Einvernehmen mit Österreich in der deutschen Frage vorzugehen. Die Verhandlungen Brühls wurden von Bülow abgelehnt — ein Indiz für die noch immer obwaltenden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der preußischen Führung über die von Preußen einzuschlagende Politik zur Lösung der „deutschen Frage" (vgl. Friedjung, Heinrieb, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 1, 3. Aufl., Stuttgart/Berlin 1908, S. 172f.). Im Zusammenhang hiermit ist auch der von Brandenburg nicht zu Unrecht hervorgehobene Widerstand Friedrich Wilhelms IV. gegen die Zirkulardepesche zu sehen. Angeblich habe der preußische König deren Veröffentlichung ursprünglich sogar vom vorherigen Einverständnis der Regierung Schwarzenberg abhängig gemacht (Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 181).

Dokumente %ur deutseben Verfassungsgescbicbte, Ebenda. 4 Ebenda, S. 296. 5 Ebenda, S. 296f. 2

3

S. 295.

5. Kontakte zu einzelstaatlichen Regierungen

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Die Note spiegelt die widersprüchliche Haltung der preußischen Regierungsspitze gegenüber einer Reform des Bundes, insbesondere den Verfassungsvorschlägen der Frankfurter Nationalversammlung wider. Bemerkenswert waren das erstmals in aller Öffentlichkeit abgegebene Bekenntnis zum Konzept des engeren und weiteren Bundes 1 , andererseits aber auch der unter geschickter Anknüpfung an das Verfassungswerk der Paulskirche erhobene Anspruch auf verfassungspolitische Selbständigkeit sowie die Zurückweisung des Erbkaisertums. Von den Gagern-Liberalen wurde die preußische Note im großen und ganzen positiv aufgenommen. Sie vermerkten auch mit Befriedigung, daß sich sowohl der britische Geschäftsträger in Frankfurt a. M., Lord Cowley, als auch der französische Vertreter, de Tallenay, im wesentlichen zustimmend äußerten. 2 Zusammen mit späteren Verlautbarungen der Londoner Regierung 3 durfte — das ergibt zumindest die Retrospektive — wenigstens die Erklärung des britischen Diplomaten als ein Beweis für die grundsätzliche Billigung der Bundesreform durch das Kabinett Russell angesehen werden. Im Gegensatz hierzu wertete allerdings der Zar die Zirkularnote als eine noch immer zu weit gehende Konzession der preußischen Regierung gegenüber der Frankfurter Nationalversammlung, deren deutsche Politik von ihm, ohne daß er indessen an eine direkte Einmischung dachte, strikt abgelehnt wurde. Er erwartete von Preußen eine eindeutige Zurückweisung der Bestrebungen der Paulskirche sowie eine Verständigung mit Österreich, was im besten Falle auf die Erneuerung des Deutschen Bundes hinauslaufen sollte. 4 Die Repräsentanten der Gagern-Liberalen bezeichneten die preußische Note in ihren offiziellen Darstellungen und Kommentaren fast durchweg als den richtigen von ihnen eingeschlagenen Weg. So berichtete Camphausen, das Reichsministerium habe sich vom Inhalt der Zirkulardepesche „sehr befriedigt" gezeigt. 5 Und die Zentrenkorrespondenz ließ verlauten, die Note sei geeignet, „die zuversichtliche Aussicht auf eine ungestörte Vollendung des Verfassungswerkes und eine ungehinderte Einführung der Verfassung selbst zu eröffnen". 6 Angesichts des von Preußen erhobenen Anspruchs auf verfassungspolitische Selbständigkeit und der gleichzeitigen Zurückweisung des Erbkaisertums kann es daher nicht überraschen, daß sich andrerseits auch das publizistische Organ der großdeutschpartikularistischen Gruppierung durchaus nicht unzufrieden mit der preußischen Verlautbarung zeigte. 7 Auch den Gagern-Liberalen blieb die Widersprüchlichkeit der Note nicht ganz verborgen. In Frankfurt kursierte beispielsweise das Gerücht, daß H. v. Gagern nach Vgl. hierzu S. 175 oben. 2 Vgl. den Bericht Camphausens an Bülow v. 29-1.1849 (GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 68). 3 Vgl. die Berichte Bunsens v. 8. 3. u. 12. 4. 1849, nach denen das britische Kabinett gegenüber den Bundesstaatsplänen im allgemeinen wie der Politik des Reichsministeriums und Preußens im besonderen eine positive Haltung einnehme (ebenda, Nr. 825, Bl. 236, Bunsen an das preußische Außenministerium v. 8. 3. 1849; ebenda, Nr. 826, Bl. 84, v. 12. 4. 1849). Der Bericht vom 28. 2. spricht von einer negativen Beurteilung der Politik Schwarzenbergs durch Palmerston (ebenda, Nr. 825, Bl. 195 v. Bunsen an das preußische Außenministerium v. 28. 2. 1849). Vgl. auch Droysen, Johann Gustav, Ausgewählter Briefwechsel, Bd. 1, S. 526; Arendt an Droysen v. 5. 3.1849. « ZStAM, 2.4.1. I. Abt., Nr. 6443, Bl. 166; Rochow an das preußische Außenministerium v. 11. 2. 1849. Insgesamt bedürfen die internationalen Aspekte des gesamten Problemkomplexes noch einer gründlichen Erforschung. 5 Camphausen an Bülow v. 29. 1. 1849; im gleichen Sinne auch der Bericht v. 1. 2. 1849 (ebenda, Bl. 93). 6 Parlamentskorresponden^, Nr. 47, 30.1.1849. ? Frankfurter Zeitung, Frankfurt a. M., Nr. 18, 7. 2. 1849. 1

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Veröffentlichung der Depesche seine Demission 1 erwogen habe. Und Haym gab in einem Brief an Hansemann der Meinung Ausdruck, daß man sie noch „ein gut Teil klarer, einfacher und entschiedener" gewünscht und es vorgezogen hätte, „wenn sie vor dem fatalen Kaiserpassus abschlösse". 2 Selbst die „Frankfurter Oberpostamtszeitung" orakelte am 1. Februar vielsagend über die preußische Note: „Welchen Eindruck sie auf die fernere Beratung des Verfassungswerkes ausüben wird, läßt sich vorläufig noch nicht beurteilen." 3 Was die Repräsentanten der Erbkaiser-Partei dennoch zu dem namentlich in der Öffentlichkeit bekundeten Optimismus bewog, war vor allem die Hoffnung, die preußische Regierung habe mit ihrem Bekenntnis zum Doppelbund eine Bahn betreten, auf der sie — früher oder später — durch den Druck verständigungsbereiter Kräfte, nicht zuletzt durch den preußischen Landtag 4 , zu einem Arrangement mit der Paulskirche gedrängt werde. Solche Erwartungen gingen einher mit den noch vor Bekanntwerden der Note geäußerten Befürchtungen Schmerlings, die, wenn auch nicht von hoher Wahrscheinlichkeit, so doch auch nicht völlig von der Hand gewiesen werden konnten: „Wie leicht wäre es denkbar, den (preußischen — G. H.) König zu drängen, doch an die Spitze zu treten. Es bedarf nur statt des Ministeriums Brandenburg des Ministeriums Camphausen, so kann der König, ohne wortbrüchig zu sein, erklären, er müsse seinen populären und unentbehrlichen Ministern folgen." 5 So nahm Schmerling die Note vom 23. Januar zum Anlaß für die erneute Aufforderung an Schwarzenberg, „so bald als möglich mit Erklärungen" zur deutschen Frage hervorzutreten 6 , um Preußen die Initiative zu entwinden. Die Gagern-Liberalen aber sahen Grund genug, ihre Bemühungen um eine möglichst frühzeitige (Vorab-)Verständigung mit den einzclstaatlichen Regierungen über den fertiggestellten Verfassungsentwurf mit unverminderter Intensität fortzusetzen. Die Kontakte des Reichsministeriums mit den Bevollmächtigten der Einzelstaaten waren neben den Sondierungen von Reichskommissaren und anderen Beauftragten bei den einzelstaatlichen Regierungen 1848/49 die wichtigste Form, in der die Reichsregierung als Organ der liberalen Mehrheit ihre Vereinbarungspolitik praktizierte. Von einer angestrebten Vorabverständigung mit den Regierungen der mächtigsten deutschen Staaten über die Reichsverfassung versprachen sich H. v. Gagern und die Frankfurter Erbkaiserpartei verschiedene Vorteile. Eine solche frühzeitige Verständigung sollte es ihnen ermöglichen, ihre Kraft voll auf die Überwindung der parlamentarischen Hürden zu konzentrieren. Eine sofortige grundsätzliche Verständigung hätte es ihnen außerdem erlaubt, die einigermaßen günstigen allgemeinen politischen Bedingungen, d. h. die relative Ruhe in den Auseinandersetzungen zwischen Konterrevolution und Volksbewegung in den ersten Monaten des Jahres 1849, Weimarische Zeitung, Nt. 11, 7. 2.1849. ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 64; Haym an Hansemann v. 11. 2. 1849. 3 FOPAZ, Nr. 28,1.2.1849. Vgl. Haym an Hansemann v. 14. 2. 1849 (ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 68). 5 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I - I V , Nr. 10, Bl. 198 v.; Schmerling an Schwarzenberg v. 25.1.1849. 6 Ebenda, Bl. 280 v.; Schmerling an Schwarzenberg v. 28. 1. 1849. Diesem Ziel diente auch eine Reise des österreichischen Abgeordneten Würth, eines engen Vertrauten und früheren Staatssekretärs von Schmerling, im Winter 1849 an den Hof in Olmütz. Auch er versuchte, die Regierung Schwarzenberg mit dem Gedanken zu befreunden, Österreich solle mit seinen deutschen Gebieten einem künftigen deutschen Bundesstaat beitreten, welcher seinerseits mit den außerdeutschen habsburgischen Ländern und Provinzen lediglich durch ein gelockertes Bundesverhältnis verbunden bleiben sollte. Auch Wurths Mission scheiterte jedoch (vgl. Friedjung, Heinrieb, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 1, S. 186f.). 1 2

5. Kontakte zu einzelstaatlichen Regierungen

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zu nutzen. Sie erhofften, auf diese Weise einen Prestigekampf mit Adel und Fürsten nach der Fertigstellung der Verfassung zu vermeiden, der zu einer Zuspitzung der allgemeinen Situation und damit zu einer Verschlechterung ihrer Lage hätte führen können. So sollten Adel und Fürsten möglichst früh, und zwar nach Vorliegen der Verfassung, zu einer konstruktiven Haltung veranlaßt werden. Am 28. Januar, zwei Tage nach Eingang der preußischen Note in Frankfurt a. M., ließ H. v. Gagern den Bevollmächtigten der deutschen Einzelstaaten den in erster Lesung verabschiedeten Entwurf der Reichsverfassung überreichen. Die Regierungen wurden, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Zirkulardepesche, um baldige Stellungnahme ersucht. 1 Auf einer Zusammenkunft mit den Vertretern der einzelstaatlichen Regierungen am darauffolgenden Tag erneuerte H. v. Gagern, wiederum unter Berufung auf die Note vom 23. Januar, seine Aufforderung. 2 Über die Richtigkeit dieses Schachzuges konnte es sicherlich Zweifel geben, ließ doch die Note, wie zu sehen war, keinesfalls nur eine Interpretation im Sinne der Paulskirche zu. In dem Bemühen, sich frühzeitig mit den Regierungen der Einzelstaaten über die Reichsverfassung zu verständigen, intensivierte H. v. Gagern die Zusammenarbeit mit deren diplomatischen Vertretern. Die verstärkten Bemühungen um die Gewinnung der Einzelstaaten ging einher mit deren Aufwertung. Dies bewiesen die gleichzeitig von der Parlamentskorrespondenz veröffentlichten Bereitschaftserklärungen, alle konstruktiven Ergänzungsvorschläge der Regierungen zum Verfassungsentwurf in gebührender Weise zu berücksichtigen. 3 Obwohl Gagern und die Reichsregierung diese Kontakte in den folgenden Wochen, insbesondere in der Zeit bis zum Beginn der Debatte über das Wahlgesetz, fortsetzten und sich mit vielfältigen Mitteln um aufrichtige, ununterbrochene, allseitige Verständigung' mit den Regierungen der Einzelstaaten bemühten, konnten in dieser Hinsicht, dies sei bereits vorweggenommen, bis Ende Februar kaum Fortschritte erzielt werden. Am 8. Februar langte in Frankfurt a. M. eine Note der Regierung Schwarzenberg an 4 , in der diese allen kleindeutschen Bundesstaatsplänen aufs schärfste widersprach. Statt dessen befürwortete sie die Schaffung eines Staatenbundes, in welchem „alle deutschen Staaten und alle ihre außerdeutschen Landesteile" 5 Platz fänden. Österreich erneuerte seinen Anspruch, weiterhin als Führungsmacht des deutschen Staatsverbandes zu fungieren, und lehnte jegliche Unterordnung „unter die von einem andern deutschen Fürsten gehandhabte Zentralgewalt" entschieden ab. 6 Damit kam die Regierung in Wien den programmatischen Vorstellungen des „engeren Vereins" der österreichischen Abgeordneten (SchmerlingGruppe), die auf die Einbeziehung sämtlicher Teile des Habsburgerreiches in den Staatenbund und die Wiedererrichtung eines deutsch-österreichischen Kaisertums zielten 7 , scheinbar entgegen. Der Verzicht der Regierung Schwarzenberg auf jeden konstruktiven Vorschlag und die scharfe Zurückweisung des Frankfurter Parlaments überhaupt entsprachen jedoch nicht den Erwartungen dieses „Vereins". Text des Begleitschreibens in: BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt, Beilage zu Smidt an seinen Sohn (H. Smidt) v. 29. 1. 1849; Auszug veröffentlicht in Dokumente zur deutschen Verfassungsgescbicbte, S. 297. 2 Vgl. Camphausen an Bülow v. 29. 1. 1849 (GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 68); Protokoll (Auszug) enthalten in: StB, Bd. 7, S. 5436f. 3 Parlamentskorrespondenz, Nr. 47 u. 50, 30. 1. u. 2. 2. 1849. 4 Auszug veröffentlicht in Dokumente zur deutseben Verfassungsgescbicbte, S. 298—300. 5 Ebenda, S. 299. « Ebenda, S. 300; vgl. auch S. 196, Anm. 6. 1 Vgl. „Denkschrift über die Stellung Österreichs in Deutschland" (ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I-IV, Bl. 150ff.). 1

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Nach Lage der Dinge konnte die Erklärung der österreichischen Regierung nicht ohne Rückwirkung auf die Haltung des preußischen Hofes bleiben. Es zeugte von einer Unterschätzung der Position bzw. des Gewichtes, welches Friedrich Wilhelm IV. und der ihn stützenden Kamarilla in den Auseinandersetzungen um die deutsche Frage beizumessen war, wenn führende Liberale der Paulskirchenversammlung die Note der österreichischen Regierung so interpretierten, daß es nun für die BerlinerRegierung kein Zurück mehr gäbe. „Seit vorgestern Abend", schrieb in diesem Sinne Haym am 11. Februar an Hansemann, „durchdringt eine neue Lebenskraft die in letzter Zeit wie begreiflich etwas erschlaffte Versammlung . . . Die Politik der größten deutschen Macht ist in das Interesse unseres Idealismus hineingezogen — dank den Bemühungen eines Bunsens und Camphausens. Sie können dort nicht mehr, wie sie wollen, und mit der österreichischen Note vollends ist der Rechen gefallen hinter ihnen." 1 Mit vorsichtigem Optimismus schrieb H. v.Gagern, der Anfang Februar (9.2.?) selbst die österreichische Note als „ein erbärmliches Machwerk" 2 bezeichnet hatte, wenige Tage später an Stockmar: „Wir hoffen, jedoch nicht ohne Besorgnis, daß der König von Preußen auf der neu eingeschlagenen Bahn verharren werde . . . Wir hoffen es hier durchzusetzen, auch gegen den Widerspruch Österreichs und der 4 Könige, den Bundesstaat zum Abschluß zu bringen . . . ohne Österreich, mit 1, 2, 3 oder vier der anderen Könige. Wer einstweilen draußen bleiben will, mag es auf seine Gefahr tun." 3 Für eine solch optimistische Beurteilung der Lage waren keine ausreichenden Voraussetzungen vorhanden. 4 Ein ausführliches Schreiben Gagerns an Schwarzenberg, in dem er noch einmal die Gründe für das Projekt des engeren und weiteren Bundes entwickelte 5 , blieb — soweit bekannt — ohne Resonanz. Und der Casino-Abgeordnete v. Kalckstein, zu Sondierungszwecken an den Berliner Hof entsandt, konnte lediglich berichten, daß sich Prinz Wilhelm für die Übertragung der Kaiserwürde an Preußen ausgesprochen habe. 6 So blieb der Reichsregierung und der Führungsspitze der Erbkaiserlichen eigentlich nur die Hoffnung auf Camphausen und die mit ihm übereinstimmenden Kräfte in der preußischen Diplomatie. Camphausen spielte bei seinen Bemühungen, die Schaffung eines kleindeutschen Bundesstaates unter weitgehender Wahrung der Interessen Preußens zu fördern, sowohl gegenüber Frankfurt als gegenüber Berlin z. T. mit verdeckten Karten. Er half, bei den Gagern-Liberalen Optimismus hinsichtlich der zu erwartenden Stellungnahme Preußens zum GrundgesetzEntwurf zu verbreiten. 7 Gegenüber der Berliner Regierung aber strich er die Möglichkeit 1

2

ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 62-63 v.; im gleichen Sinne Mevissen an Hansemann v. 9. 2. 1849 (ebendaBl. 66). Überraschenderweise schloß sich sogar Camphausen dieser gewagten Beurteilung an (ebenda' Rep. 75 B, Nr. 21; Camphausen an Bockelberg v. 13. 2. 1849). BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; H. v. Gagern an Biegeleben.

3

Denkwürdigheiten aus den Papieren des Freiberrn Christoph Friedrieb v. Stockmar, S. 582.

4

Auch Bunsen, der sich Mitte Februar vorübergehend in Berlin aufhielt, beurteilte die Bereitschaft der dortigen Regierung, die Verfassungsangelegenheit voranzutreiben, zu diesem Zeitpunkt sehr skeptisch (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Bunsen an H. v. Gagern v. 14. 2. 1849). Ebenda; H. v. Gagern an Schwarzenberg (Entwurf) o. D. [höchstwahrscheinlich Mitte Februar 1849]. Ebenda, ZSg. 1/N 118, Nachlaß Kalckstein (Parlamentsbericht Kalcksteins o. D.) [Mitte Februar]. Vgl. Haym über Camphausen (Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 258): „Obgleich verschlossen und zurückhaltend wie das Kabinett, welches er vertrat, ließ er doch merken, daß sich die Ansichten des letzteren stark zu unseren Plänen herüberneigten und daß auch der König eine Würde nicht ausschlagen werde, die ihm unter Zustimmung der mächtigsten deutschen Staaten die Vertreter der Nation entgegenbringen würden."

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5. Kontakte zu einzelstaatlichen Regierungen

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selbständigen Vorgehens, d. h. ohne Oberaufsicht der Paulskirchenversammlung, heraus. So war er bemüht, das Frankfurter Verfassungswerk in den Grenzen zu fördern, wie es seinen Zielen dienlich war; gleichzeitig gedachte er sich auf diese Weise die Unterstützung der Berliner Seite für seine Pläne zu erhalten. Schmerling gab mindestens den Plänen Camphausens keine ganz unrichtige Deutung, wenn er es als Preußens nächste Absicht bezeichnete, sich „mit der Nationalversammlung zu verständigen, sie zu bestimmen, seine Anträge anzunehmen und nach ihnen die Verfassung umzu(ge)st»lten. Dann wäre eine Arbeit fertig, die Preußen sich aneignet, deren Verdienst es anspricht und, darauf und auf die von den kleineren deutschen Regierungen bereits zustimmend gegebenen Erklärungen sich stützend, wo es das Primat . . . ergreifen kann." 1 Camphausens unmittelbares Bemühen galt in jenen Wochen dem Ziel, die Bevollmächtigten der für einen kleindeutschen Bundesstaat in Frage kommenden deutschen Einzelstaaten für seine Vorstellungen über eine Bundesreform, d. h. zunächst für ein gemeinsames Vorgehen in den Verhandlungen mit der Reichsregierung über die Verfassungsfrage, zu gewinnen. Schließlich überzeugteer sie 2 , eine Kollektivnote zum Verfassungsentwurf einzubringen 3 , die am 23. Februar übergeben wurde und der sich nach und nach insgesamt 30 Staaten anschlössen. Der preußische Bevollmächtigte wertete allein das Zustandekommen dieser gemeinsamen verfassungspolitischen Erklärung einer größeren Zahl von Staaten als einen „nicht unbedeutenden Erfolg". 4 Mit dem Ergebnis selbst konnte er im Hinblick auf seine Bundesstaatspläne allerdings weniger zufrieden sein. Der Umfang des künftigen Reiches, die Frage nach dem Beitritt Österreichs wurden in der Note als völlig offen bezeichnet. Der „Selbständigkeit der Einzelstaaten" werde, so hieß es, eine „schärfere Begrenzung . . . der Zentralgewalt" förderlich sein. 5 Eine „militärische Unterordnung unter eine Zentralgewalt" könne nur „mit Widerstreben" zugestanden werden. 6 Eine Einrichtung von Exekutivorganen auf Reichsebene würde mit der „monarchischen Verfassung und mit den aus alter Selbständigkeit hervorgegangenen Zuständen Deutschlands nicht in Einklang zu bringen sein". 7 Auch sollte die künftige Zentralgewalt auf das Recht, Steuern zu erheben, verzichten. 8 Hinsichtlich des Verhältnisses zu Österreich hatte eine bereits am 16. Februar eingegangene Note der Berliner Regierung den von Frankfurt abweichenden Standpunkt noch deutlicher formuliert: Preußen, so war hier zu lesen, wolle das Band zu Österreich „in keiner Weise gelockert, vielmehr gekräftigt und befestigt wissen". 9 Über den Beitritt nichtdeutscher Gebiete zum künftigen deutschen Staat dürften keinerlei Beschlüsse gefaßt werden, welche die Einigung erschwerten. 10 Dies kam einer Absage, wenn nicht an den Bundesstaat, so doch an den Gagernschen Doppelbund gleich. 1

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ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I-IV, Bl. 280; Schmerling an Schwarzenberg v. 28.1.1849. Näheres vgl. GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 109 u. 201 ff.; Camphausen an Bülow v. 9. 2. u. 23. 2. 1849 sowie Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 19ff. Abgedruckt in: StB, Bd. 7, S. 5444-5448 (Ergänzung ebenda, S. 5542-5544). GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 202; Camphausen an Bülow v. 23. 2.1849. StB, Bd. 7, S. 5445. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Abgedruckt ebenda, S. 5442. Ebenda, S. 5443.

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Österreich und die anderen Königreiche, welche von der Unterzeichnung der Kollektivnote Abstand genommen hatten, gingen noch weiter. Österreich verzichtete zunächst überhaupt auf eine Stellungnahme zur Verfassung, und der Regierung in Wien, vertreten durch ihren Beauftragten v. Rechberg, gelang es, auch Sachsen, Bayern und Hannover „mit Mißtrauen gegen Preußen zu erfüllen". 1 Sie hatte wesentlichen Anteil daran, daß bei den größeren Mittelstaaten jede konstruktive Stellungnahme unterblieb. Statt dessen begnügten sich die königlichen Regierungen, soweit sie nicht der Errichtung eines Bundesstaates direkt widersprachen, mit nichtssagenden Erklärungen, nicht ohne sich weitere Vcrlautbarurfgen vorzubehalten. 2 Die von H. v. Gagern mit großem Aufwand vorbereitete gemeinsame Sitzung von Reichsministerium und einzelstaatlichen Bevollmächtigten vom 24. Februar über den in erster Lesung verabschiedeten Verfassungsentwurf erbrachte seitens der Vertreter der Einzelstaaten im wesentlichen eine Wiederholung der schriftlich übermittelten Stellungnahmen. Die Erklärungen der Vertreter der bedeutenderen deutschen Staaten waren hinhaltend bis ablehnend. 3 Damit hatte die Erbkaiserpartei ein wichtiges Ziel verfehlt. Ihre Absicht, durch eine frühzeitige Verständigung mit den Regierungen die Weichen für eine positive Aufnahme der Reichsverfassung zu stellen, hatte sich nicht verwirklichen lassen. Am Beispiel der Verfassungsfrage zeigte sich nun und sollte sich im Verlaufe der kommenden Wochen und Monate noch oft genug zeigen, daß für eine Vereinbarungspolitik nach den Maximen der GagernPartei wenig Chancen bestanden. Mit Recht wurde — auch von den Gagern-Liberalen — in der Entscheidung Preußens das Schlüsselproblem gesehen/' Gegenüber der unter dem Einfluß Camphausens zustande gekommenen Zirkulardepesche verriet die nunmehrige Haltung zur Verfassungsfrage zunehmenden Widerstand gegen Bundesstaatspläne, die der Linie des Gagernschen Projekts folgten. Das hing ohne Zweifel mit der weiteren Stärkung des junkerlich-restaurativen Einflusses in der preußischen Regierungsspitze zusammen. Ausdruck hierfür war u. a. die Ablösung des seit November 1848 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Außenministers betrauten Bülow durch den österreichfreundlichen und Friedrich Wilhelm IV. und der Kamarilla nahestehenden v. Arnim-Heinrichsdorff am 24. Februar 1849. Nichtsdestoweniger ist die Feststellung geboten, daß die Haltung der preußischen Regierung zur Frage der Umgestaltung des Bundes nach wie vor von Schwanken, Unsicherheit und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kabinettsmitgliedern gekennzeichnet war. Es scheint, daß in der Ablehnung des Gagernschen Doppelbundes in erster Linie das Zögern vor der eigenen Entscheidung, vor einer klaren und eindeutigen Stellungnahme und nicht so sehr das Nein zur Bundesreform überhaupt steckte. Mit Sicherheit war der Widerstand der preußischen Regierung gegen das Frankfurter Verfassungsangebot u. a. auch von außenpolitischen Erwägungen bestimmt, die von der nationalistischen bürgerlichen Revolutionsgeschichtsschreibung von Mareks bis Wentzcke 5 besonders herausgestrichen worden 1 ÖStA, HHStA, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 149. 2 Note Bayerns StB, Bd. 7, S. 5440f. u. 5540-5542; Note Württembergs ebenda, S. 5441 f.; Note Sachsens ebenda, S. 5453—5457; Note Hannovers ebenda, S. 5515—5517. 3 Protokolle ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 21; BAF, RMI, DB 54, Nr. 19; vgl. auch Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 106ff. 4 Vgl. z. B. Dmicker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 78. 5 Besonders akzentuiert Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 432, 461; ähnlich aber auch Wentzcke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 198.

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sind. Wir sind allerdings nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand geneigt, die außenpolitischen Gefahren für das Verfassungswerk der Paulskirche deutlich geringer zu veranschlagen. Bereits Gillesen hat vor einer Reihe von Jahren darauf hingewiesen, daß die These, der Widerstand Preußens sei in erster Linie von der Furcht vor internationalen Verwicklungen diktiert gewesen, mindestens in dieser Zuspitzung nicht den Tatsachen standhält, eine Feststellung, die neuerdings Hahn auch in bezug auf die preußischen Zollvereinsbestrebungen erhärtet hat. 1 Die Behauptung, Deutschland sei 1849 von feindlichen Mächten eingekreist gewesen, diente vielmehr bereits der Rechtfertigung deutscher Großmachts- und Expansionspolitik späterer Jahrzehnte. Gillesens Forschungen haben ergeben, daß mindestens Großbritannien als bestimmende europäische Macht dem Projekt eines deutschen Bundesstaates positiv gegenüberstand. 2 Und Preußen konnte wenigstens solange durch Rußland und auch Frankreich nicht ernsthaft gefährdet werden, als diese im Süden und Südosten Europas gebunden waren. Gillescns Erkenntnisse in bezug auf die britische Politik erscheinen uns in der Tat weiterführend, wenn auch K. Hildebrandt — in Anlehnung an G. Ritter — in einer neueren Studie wiederum das seiner Ansicht nach ablehnende Verhältnis der britischen Regierung gegenüber der Paulskirchenversammlung (vor allem in der späteren Phase) hervorhebt und auf angebliche expansive Tendenzen in der Politik des Paulskirchenliberalismus verweist (Schleswig-Holstein-Frage, Flottenprogramm). 3 Die Durchsicht der diplomatischen Quellen ermöglicht es, namentlich die Haltung der russischen Regierung zur deutschen Frage, die in der bürgerlichen Geschichtsschreibung häufig z. T. unrichtig interpretiert wurde, exakter zu bestimmen. Es soll dahingestellt bleiben, ob die 1848 von der zaristischen Regierung mehrfach abgegebene Versicherung ernst gemeint war, sie stimme einer Reform des Bundes zu, wenn die Interessen Preußens gebührend gewahrt würden. 4 In der letzten Phase der Revolution bestand jedoch über folgende Tatsache keinerlei Zweifel mehr: Der Zarismus lehnte nicht nur das Verfassungsprojekt der Paulskirchenversammlung strikt ab, sondern sprach sich auch eindeutig gegen eine Initiative Preußens zur Begründung eines kleindeutschen Bundesstaates aus, sei es 1

V g l . Hahn, Hans-Werner, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen (1984), S. 71 ff.

2

Gillesen, Günther, L o r d Palmerston und die E i n i g u n g Deutschlands. D i e englische Politik von der Paulskirche bis zu den Dresdener Konferenzen (1848—1851), L ü b e c k / H a m b u r g 1961, S. 150f. Diese Erkenntnis wird aber auch durch die Auswertung der von Gillesen nicht benutzten preußischen Gesandtschaftsberichte aus L o n d o n bestätigt. Ähnlich auch Mosse, Eugen W., The european powers and the G e r m a n question (1848—1871). Selbst Scbarff, der in seiner älteren Arbeit noch die ablehnende Haltung der europäischen Großmächte gegenüber dem Verfassungswerk der Paulskirche herausstrich ( D i e europäischen Großmächte und die deutsche Revolution, Leipzig 1942, S. lOOff.), gesteht in seiner neueren Darstellung zu, daß Preußen auf ein „gewisses Maß an Wohlwollen" bei E n g l a n d hätte rechnen können (Revolution und Reichsgründungsversuche, S. 445). — D e r sächsische Gesandtschaftsbericht v o m 8. 4. 1849 aus Dresden (Bl. 345) vermerkte bei den Republikanern und den Gemäßigten eine unterschiedliche A u f n a h m e der A b sage Friedrich Wilhelms IV. auf das Frankfurter Angebot. O b Großbritannien allerdings, wie von Gillesen (S. 150) behauptet, auch in der L a g e bzw. bereit war, einem eventuellen Einschreiten Frankreichs entgegenzutreten, erscheint fraglich. Im Widerspruch beispielsweise der Wentzcke-Schüler Jacobi, Helmut, D i e letzten T a g e der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland (März—Dezember 1849), Phil. Diss. Frankfurt a. M . 1956, S. 102.

3

Hildebrand, Klaus, Großbritannien und die deutsche Reichsgründung, i n : H Z , ( N F ) (1980), Beiheft 6, S. 51.

i

Z S t A M , 2.4.1. I. A b t . N r . 6441, Bl. 4 6 f f . , 79 v . ; Rochow an das preußische Außenministerium v. 19. 10. und 4 . 1 1 . 1 8 4 8 ; v g l . auch Stürmer, Michael, 1848, S. 237f.

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unter verbaler Anlehnung an das Programm der Gagern-Liberalen — wie aus der Stellungnahme Rußlands zur Zirkularnote vom 23. Januar ersichtlich — s e i es unter Desavouierung der Paulskirche, wie aus der späteren Ablehnung der Unionspolitik durch die zaristische Regierung zu erkennen ist 2 . Selbst die österreichische Verfassung vom 4. März erschien der Regierung in Petersburg noch als zu konstitutionell. 3 Alles in allem bestand trotzdem wenig Grund zu der Annahme, daß Rußland wegen der deutschen Frage zu einer Intervention bereit gewesen wäre, wenn auch die Möglichkeit des Beistandes für Dänemark (nach der Kündigung des Waffenstillstandes von Malmö) nicht von der Hand gewiesen werden konnte. Es gilt nicht nur, die Differenziertheit des internationalen Geschehens, etwa die unterschiedlichen Positionen der britischen sowie der französischen und russischen Regierung gegenüber der deutschen Verfassungsfrage, genügend zu beachten. Auch die Gewichtung der außenpolitischen Vorgänge gegenüber den in dieser Situation dominierenden inneren Faktoren darf bei der Beurteilung der Verfassungsfrage nicht verschoben werden. Das Ausbleiben einer grundsätzlichen Zustimmung seitens der deutschen Einzelstaaten zum Verfassungsentwurf hatte noch eine andere Rückwirkung. Angesichts des parlamentarischen Kräfteverhältnisses ließ sich voraussehen, daß sich die Situation der Gagern-Liberalen und ihrer Verbündeten innerhalb der Paulskirchenversammlung weiterhin sehr schwierig gestalten würde. Dies war ein Grund mehr für die Erbkaiserlichen, den bereits Mitte Dezember 1848 eingeleiteten Prozeß ihrer parteimäßigen Stabilisierung weiter voranzutreiben.'4 6. Die Formierung des kleindeutschen und des großdeutschen Lagers in der Paulskirche Bereits nach dem Ausscheiden der Anhänger Schmerlings aus dem rechten Zentrum Mitte Dezember 1848 hatten, ausgehend von den beiden Flügeln der Casino-Fraktion, Bemühungen um eine organisatorische Festigung beider Lager eingesetzt. Dank der Geschicklichkeit H. v. Gagerns und seiner Vertrauten sowie eines klarer profilierten Programms war dieser Formierungsprozeß bei den Erbkaiserlichen schneller vorangeschritten als bei der heterogenen großdeutsch-partikularistischen Gruppierung. Trotzdem war der Ende Januar/Anfang Februar erreichte Entwicklungsstand noch immer nicht ausreichend, um optimal das Verfassungswerk voranzutreiben. Sowohl in der Oberhauptsdebatte als auch bei der wichtigen Entscheidung über die Zurückstellung der zweiten Lesung der Reichsverfassung 5 waren die Gagern-Liberalen in wichtigen Fällen nach wie vor nicht in der Lage, sich ausreichende parlamentarische Mehrheiten zu sichern. Hayms Bemerkung, „Mangel an Disziplin und . . . Überschätzung unserer Kräfte" 6 hätten zur letztgenannten Niederlage geführt, ließ bereits erkennen, wo der Hebel angesetzt werden sollte. Die im Februar 1849 Vgl. S. 1 9 4 f f . ZStAM, 2.4.1.1. Abt. Nr. 6443, Bl. 239, 250; Rochow (aus Warschau) an das preußische Außenministerium v. 25. 5. und 3. 6. 1849. 3 Ebenda, Bl. 183; Rochow an das preußische Außenministerium v. 21. 3. 1849. < Vgl. S. 166 ff. 5 Vgl. S. 206, Anm. 5. 1

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6 ZStAM, Rep. 92, Bl. 69 v . ; Haym an Hansemann v. 14. 2 . 1 8 4 9 .

6. Das kleindeutsche und großdeutsche Lager

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verstärkt einsetzenden Organisationsbemühungen der Anhänger Schmerlings taten ein übriges, um auch die Erbkaiserlichen zu mehr parteipolitischer Aktivität zu ermuntern. Am 14. Februar 1849 unternahmen Welcker, Somaruga, Würth (Wien) und andere Führer der Opposition den Versuch, eine regelrechte interfraktionelle Gruppierung zu gründen. 1 Bis Ende Februar wurde der Gegenentwurf einer Reichsverfassung erarbeitet, eine verfassungspolitische Alternative gegenüber der Gagern-Partei ohne Identifizierung mit der österreichischen Note von Anfang Februar. Es sollte am Bundesstaat unter Einbeziehung Österreichs festgehalten und aus der Reichsverfassung die „sich nur für einen Einheitsstaat eignenden Bestimmungen" 2 entfernt werden. Als Oberhauptslösung wurde ein Direktorium empfohlen. Dieser Vorschlag veranschaulichte nicht nur die innere Zerrissenheit der großdeutschpartikularistischen Gruppierung, er war auch ungeeignet, die Auseinandersetzung um die verfassungspolitische Umgestaltung des Bundes positiv zu beeinflussen. Ungeachtet ihrer mangelnden Konstruktivität bildete die zahlenmäßig starke großdeutsch-partikularistische Vereinigung jedoch nach wie vor ein starkes Gegengewicht zu den Gagern-Liberalen. Hinzu kam der offenkundig werdende Widerstand der mächtigsten deutschen Einzelstaaten gegen das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung, der die Gagern-Liberalen bewog, sich wieder stärker auf ihre parlamentarischen Möglichkeiten zu besinnen. Die Frankfurter Nationalversammlung „kann nicht für sich handeln lassen", schrieb die „Deutsche Zeitung", „sie muß selber handeln, soviel es in ihrer Macht steht". 3 Hierzu aber gehörte nach Lage der Dinge auch die Stärkung ihrer eigenen Partei. Auf drei größeren Zusammenkünften, am 17., 19. und 24. Februar, konstituierten sich die Erbkaiserlichen als interfraktionelle Vereinigung Weidenbusch 4 , benannt wiederum nach ihrem Frankfurter Tagungslokal. Die Initiative war, unter führender Beteiligung von Casino-Abgeordneten, von sämtlichen hinter Gagern stehenden Fraktionen ausgegangen. H. v. Gagern selbst war bei der Gründung des Weidenbusch im Hintergrund geblieben, galt jedoch als eigentlicher Inspirator und Führer. Neben den Casino-Vertretern G. Beseler, Duncker, Rüder, Saucken-Tarputschen waren vor allem Abgeordnete wie Reh (Westendhall), Biedermann, Wurm (Augsburger Hof), Grumbrecht (Württemberger Hof), Low/ Magdeburg (Landsberg) bei der Konstituierung der neuen Vereinigung in Erscheinung getreten. Es handelte sich bei diesem Zusammenschluß, ähnlich wie bei der Mainlust, nicht um eine direkte Verschmelzung der beteiligten Fraktionen, vielmehr um eine interfraktionelle Gruppierung zur Erreichung eines begrenzten (wenn auch relativ weitgesteckten) Zieles, nämlich der raschen Verabschiedung und Durchsetzung der Reichsverfassung. Die Mehrzahl der im Weidenbusch Versammelten bekannte sich zu dem Grundsatz, daß weitere grö1 Vgl. Wurm, Christian Friedrieb, Die Diplomatie, Bd. 1, S. 80f.; NRbZ, Nr. 226, 19. 2. 1849; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 58ff. Die Vereinigung erhielt den Namen nach ihrem Gründungslokal „Mainlust". Dieser rd. 120—130 Abgeordnete starken Vereinigung, die während der zweiten Lesung der Reichsverfassung gemeinsame mit der Linken operierte, gehörten Vertreter der Zentrumsfraktionen sowie eine Minderheit der äußersten Rechten (Ultramontane) an. 2 Ebenda, S. 57. 3 DZ, Nr. 55, 24. 2.1849. 4 Vgl. Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 286f.; Wurm, Christian Friedrieb, Die Diplomatie, Bd. 1, S. 82; FOPAZ, Nr. 50,27. 2. 1849;DZ, Nr. 49 u. Nr. 51, 18. 2. und 20. 2. 1849, Beilage; ZStAM, Rep. 92, Nr. 26; Haym an Hansemann v. 22. 2. 1849; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 63ff.

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ßcre Konzessionen an die deutschen Einzelstaaten dem Vorankommen des Verfassungswerkes nicht dienlich seien und daß nicht hinter das in erster Lesung Erreichte zurückgegangen werden dürfe. Der Casino-Abgeordnete Giesebrecht vermerkte sogar in seinem Tagebuch: „Was beschlossen ist in erster Lesung, (wird) als Minimum betrachtet." 1 Schließlich stimmte der Weidenbusch einer von Wurm entworfenen programmatischen Erklärung zu, welche besagte, „daß die bei der ersten Lesung angenommenen Grundlagen und Konsequenzen des deutschen Bundesstaates im wesentlichen festgehalten werden. Insbesondere betrachten wir die Bestimmungen der Paragraphen 2 und 3 vom Reich, den Paragraphen 1 vom Reichstag und den Paragraphen 1 vom Reichsoberhaupt als solche, welche für den deutschen Bundesstaat nicht aufgegeben werden dürfen." 2 Auf Antrag W. Beselers war der vielsagende Satz hinzugefügt worden: „Jeder Verzögerung, jeder Unterbrechung des Verfassungswerkes werden wir entgegentreten, sie komme, von welcher Seite sie wolle." 3 Das Programm wurde bis zum 24. Februar von 210 Abgeordneten4 unterzeichnet, nahezu die gleiche Anzahl von Stimmen, welche einen Monat zuvor, am 23. Januar, für die Erbmonarchie abgegeben worden waren. 5 Man kann daher die Unterzeichner der Weidenbusch-Erklärung als im wesentlichen identisch mit der Minderheit in jener Abstimmung betrachten. Mithin waren folgende Fraktionen im Weidenbusch vertreten: die Mehrheiten der Fraktionen Casino, Augsburger Hof und Landsberg, Teile der äußersten Rechten (die jedoch zum Teil erst in den folgenden Wochen beitraten) sowie des linken Zentrums und der Westendhall. Daß eine relativ breite Front von Paulskirchenliberalen verschiedener Couleur in dieser Situation für das Erbkaisertum und das Festhalten am Verfassungsentwurf eintrat, gibt zu zwei Überlegungen Anlaß. Zum ersten darf hierin eine Bestätigung dafür gesehen werden, daß Anfang 1849 von der Mehrheit der deutschen Bourgeoisie (vor allem in Nord- und Mitteldeutschland) eine „preußische Lösung" der deutschen Frage, wenn auch unter der Befürwortung von z. T. unterschiedlichen Modalitäten, grundsätzlich akzeptiert wurde. Dabei reichte das Spektrum der politischen Vorstellungen von der Befürwortung des „Aufgehens Preußens in Deutschland" bis zum Konzept Camphausens, der zwar für ein selbständiges Vorgehen Preußens plädierte, trotzdem aber eine konstitutionelle Bundesstaatsverfassung forderte. In dem Ende Februar wieder stärker ins Blickfeld geratenden Interessengegensatz zwischen den parlamentarischen Liberalen auf der einen sowie Adel und Fürsten auf der anderen Seite trat zugleich eine bereits an anderer Stelle beschriebene Eigentümlichkeit liberaler Politik der Jahre 1848/49 zutage. Am Beispiel der Verfassungsfrage wird deutlich, daß für die von den Gagern-Liberalen betriebene Vereinbarungspolitik unter den von ihnen für notwendig gehaltenen Prämissen nur geringe Chancen bestanden, da sich die obstruktive Haltung der Regierungen nahezu aller bedeutenderen deutschen Einzelstaaten und des preußischen Hofes (ausgenommen Prinz Wilhelm) deutlich abzeichnete. Ähnlich wie beispielsweise in der Schleswig-Holstein-Frage wurde erkennbar, daß die Liberalen allein schon durch die Vertretung ihres Selbständigkeitsanspruchs in den von ihnen gesetzten 1 BAF, ZSg. 1/N 96, Nachlaß Giesebrecht, Bl. 22; Tagebucheintragung v. 17. 2. 1849. Zitiert nach Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 286f. 3 Nach einer Notiz in der DZ, Nr. 51, 20. 2. 1849, Beilage. 4 Parlamentskorrespondenz, Nr. 71, 25. 2. 1849. Haym nennt die Zahl 230 (ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 87; Haym an Hansemann v. 22. 2.1849). 5 Vgl. S. 187, Anm. 1. 2

6. Das kleindeutsche und großdeutsche Lager

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Grenzen mit innerer Logik in Interessenkonflikte mit Adel und Fürsten gerieten, aus denen allein mit dem Vereinbarungskonzept kein Ausweg gefunden werden konnte. Die allgemeinen politischen Bedingungen zu Beginn der zweiten Lesung der Reichsverfassung gestalteten sich widersprüchlich. Die bedeutenderen deutschen Fürsten und ihre Regierungen setzten, soweit sich erkennen ließ, dem Verfassungswerk grundsätzlichen Widerstand entgegen. Dagegen hatten die Gagern-Liberalen ihre parlamentarische Position festigen können, auch wenn sie nach wie vor nur eine von drei Minderheiten 1 , allerdings die weitaus stärkste, bildeten. Auch die internationale Entwicklung zeigte, worauf bereits hingewiesen wurde, einander widersprechende Tendenzen. Die britische Regierung verhielt sich zur Gründung eines deutschen Bundesstaates nicht ablehnend, wobei es hinsichtlich der Erbmonarchie (innerhalb des Kabinetts) offenbar geteilte Auffassungen gab. 2 Dagegen ließ Frankreich deutliche Vorbehalte, Rußland unverhohlene Ablehnung erkennen. Zusätzliche Komplikationen entstanden durch die von Rußland befürwortete Aufkündigung des Waffenstillstandes von Malmö durch die dänische Regierung am 26. Februar 1849. Andererseits verfügten die revolutionären Kräfte in verschiedenen Ländern Europas noch immer über beachtliche Positionen, wodurch relativ günstige internationale Bedingungen für ein Wiederaufflammen der Kämpfe in Deutschland bestanden. In Florenz war am 8. Februar der Großherzog zum Abdanken gezwungen, in Rom am selben Tage die Republik ausgerufen worden. Auch in Ungarn und Oberitalien stand ein neuer revolutionärer Aufschwung bevor, wodurch vor allem der österreichischen Regierung in Deutschland selbst weitgehend die Hände gebunden waren. Bei einem Wiederaufleben der Kämpfe in Deutschland, wofür es eine Reihe von Anzeichen gab, hätte man den Widerstand der Fürsten gegen das Frankfurter Grundgesetz überwinden können. Möglicherweise vermochte die Reichsverfassung sogar dazu beizutragen, den Widerstand einer breiten Bewegung bürgerlich-fortschrittlicher Kräfte gegen die erstarkte adlige Konterrevolution zu mobilisieren, auch wenn sich voraussehen ließ, daß der Abwehrkampf des Volkes den Rahmen eines konstitutionell-monarchischen Grundgesetzes schließlich sprengen mußte. Ende Februar war ein wichtiger Punkt in der Entwicklung der Gagern-Liberalen erreicht. Politische Erwartungen und die Realisierungsmöglichkeiten ihres Verfassungsprogramms klafften deutlicher als zuvor auseinander. Organisatorisch und ideologisch gefestigt, durch parlamentarische Erfolge in ihrem Selbstgefühl gestärkt, nach wie vor festhaltend am Grundsatz ihrer verfassunggeberischen Kompetenz, traten die Gagern-Liberalen den Regierungen der Einzelstaaten einerseits mit einem gewachsenen Geltungsanspruch gegenüber. Andererseits erkannten sie auf Grund der Stellungnahmen der bedeutendsten deutschen Staaten zum Verfassungsentwurf, daß ein Verfassungskompromiß unter den von ihnen befürworteten Modalitäten unwahrscheinlich war. Angesichts dieser Bedingungen hätten sie ihre Vereinbarungspolitik unter Ausnutzung des Kräfteverhältnisses im nationalen und internationalen Maßstab (zeitweilig) revidieren können, ohne ihre Klasseninteressen grundsätzlich zu gefährden. Es ergab sich die Chance, zu einer offensiven Verfassungspolitik gegenüber den Einzelstaaten, zu einer Politik des Druckes gegenüber Adel und Fürsten mit Hilfe eines zeitlich begrenzten Bündnisses mit den gemäßigt-demokratischen Kräften außerNach einer Bemerkung Hayms (Die erste deutsche Nationalversammlung, T. IX, S. 302). Die Linke und die großdeutsch-partikularistische Gruppierung verfügten etwa über je 120—130 Stimmen. 2 Vgl. S.195, Anm. 7; ferner BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Arnim-Suckow an H. v. Gagern v. 9. 2. und Schäffer-Bernstein an H. v. Gagern v. 12. 3. 1849. 1

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halb des Parlaments überzugehen. Ein solches Bündnis wäre zu diesem Zeitpunkt — im Unterschied zum Frühsommer 1849 — wahrscheinlich zunächst ohne Aufgabe des konstitutionell-monarchischen Charakters der Verfassung möglich gewesen.

7. Die Wiederaufnahme der Verfassungsdebatten: Der Welckersche Antrag Die Gagern-Liberalen befanden sich vor Beginn der zweiten Lesung der Reichsverfassung in einem Zwiespalt. Einerseits hatten ihre führenden Vertreter bei jeder Gelegenheit, so auch H. v. Gagern nach Eingang der Stellungnahmen der Einzelstaaten, verlangt, die einzelnen Ergänzungs- und Abänderungsvorschläge müßten gründlich beraten und in gebührender Weise berücksichtigt werden. 1 Andererseits bestand jedoch die Gefahr, daß sich durch erneuten größeren Zeitverzug die Chancen für das Verfassungswerk weiter verminderten. Noch bevor der Verfassungsausschuß der Frankfurter Nationalversammlung in die Beratung über die Einwände und Änderungswünsche der verschiedenen Regierungen am 28. Februar eintrat, unternahm die Weidenbusch-Gruppierung daher einen erneuten Versuch, den Beginn der zweiten Lesung zu beschleunigen. Am 26. Februar wurde der Antrag unterbreitet, die Beratungen am 5. März wiederaufzunehmen. 2 Antragsteller war das Mitglied des Württemberger Hofes Pfeiffer, der noch am 23. Januar gegen die Erblichkeitsklausel gestimmt hatte 3 und dessen kurz zuvor erfolgter Übertritt zum Weidenbusch noch nicht allgemein bekannt geworden war. 4 Dennoch mißlang das Vorhaben. 5 Mit dem Antrag sollten vor allem die Gefahren vermieden werden, die durch weiteren Zeitverzug entstehen würden. Auch den Gagern-Liberalen war die Erkenntnis nicht verborgen geblieben, daß durch die weitere Stärkung von Adel und Fürsten die Wahrung der Priorität der Verfassunggebung durch die Paulskirchenversammlung immer schwieriger wurde. Insbesondere waren erneute Schwierigkeiten von Seiten Österreichs zu erwarten, wenn man Schmerlings Forderung, die weitere Beratung der Verfassung 4 bis 6 Wochen auszusetzen, nachkommen würde. 6 Gerade letztere Befürchtung sollte sich mit dem Eingang der österreichischen Note vom 9. März bestätigen. Obwohl die Mehrheit der Paulskirchenversammlung sich dem Drängen der WeidenbuschGruppierung nach einem sofortigen Beginn der zweiten Lesung des Grundgesetzes erfolgreich widersetzt hatte, befleißigte sich der Verfassungsausschuß eines beschleunigten Verfahrens bei der Beratung der von den Regierungen der Einzelstaaten eingegangenen Änderungswünsche. In acht Sitzungen, vom 28. Februar bis 8. März 18497, wurden sämtliche Eingaben erledigt. Die Mehrheit des Ausschusses zeigte sich zwar zu einer Reihe von Zugeständnissen bereit, war jedoch nicht gewillt, von der Generallinie des Verfassungsentwurfes abzugehen. 8 Der von den führenden deutschen Einzelstaaten geforderte Verzicht auf die Vgl. H. v. Gagerns Stellungnahme v. 26. 2. 1849 (StB, Bd. 8, S. 5469). Ebenda, S. 5462. 3 Ebenda, Bd. 7, S. 4852. 4 Vgl. BAF, ZSg. 1/N 124, Nachlaß Künsberg; Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung, S. 62. 5 Antrag Pfeiffer mit 252 : 221 Stimmen abgelehnt. 6 Vgl. Wurm, Christian Friedrich, Die Diplomatie, Bd. 1, S. 88. 7 Vgl. Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 546 ff. 8 Die tiefgreifendste Änderung seitens des Verfassungs-Ausschusses war die Wiederaufnahme des abso1

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7. Der Welckersche Antrag

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Bezeichnung „Reich" wurde abgelehnt. 1 Die verlangte Aussetzung bzw. Änderung der Paragraphen 2 und 3 wurde abschlägig beschieden. 2 Auch das Recht der Rcichsgewalt, in Ausnahmefällen Reichssteuern zu erheben, sollte erhalten bleiben. 3 Mit 13: 11 Stimmen sprach sich der Ausschuß ferner für das Festhalten an der innerhalb des Plenums der Nationalversammlung besonders heftig umstrittenen Erblichkeitsbestimmung aus. 4 Preußens Haltung blieb jedoch nach wie vor höchst unklar 5 und ein Eingehen auf das Frankfurter Angebot gerade angesichts des dortigen Festhaltens an den wichtigsten Artikeln des Verfassungsentwurfes äußerst fraglich. Anhänger einer kleindeutschen Lösung verschiedener Schattierungen versprachen sich von der Anfang März erfolgten definitiven Absage der österreichischen Regierung an den Bundesstaat, ähnlich wie Wochen zuvor, eine Verbesserung der allgemeinen Bedingungen für das Erreichen des von ihnen angestrebten Zieles. Die österreichische Verfassung vom 4. März 1849 verankerte die Untrennbarkeit der deutschen von den nichtdeutschen Landesteilen des Habsburgerreiches. Eine auf diesem Grundgesetz fußende Note Wiens 6 vom 9. März sprach sich noch einmal für die Erneuerung eines umfassenden Staatenbundes aus, beharrte jedoch nicht mehr mit dem gleichen Nachdruck wie in ähnlichen Fällen zuvor auf Mitsprache bei jeglicher verfassungsmäßigen Umgestaltung Deutschlands. Die Note ließ vielmehr durchblicken, die österreichische Regierung könne möglicherweise akzeptieren, daß beide Teile Deutschlands gesonderte Wege gingen. Damit hatte auch Schmerling mit seinem großdeutschen Bundesstaatskonzept eine Abfuhr erhalten, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. 7 Er hatte seit Monaten mit aller Eindringlichkeit gefordert, Österreich müsse ein Glied des Bundes bleiben und endlich mit eigenen konstruktiven Vorschlägen zur Lösung der deutschen Frage hervortreten. Noch einmal, seine Niederlage bereits eingestehend, faßte Schmerling jetzt seine Position zusammen: „Wenngleich weder in der Verfassungsurkunde noch in dem Einführungspatente (der österreichischen Regierung — G.H.) des Verhältnisses Österreichs zu Deutschland gedacht wird, so liegt doch, nach meiner Ansicht, in der Form der Konstituierung Österreichs die Unmöglichkeit, daß seine deutschen Gebietsteile in dem zu schaffenden deutschen Bundesstaate ihren Platz finden. Die Schöpfung dieses Bundesstaates halte ich aber für ein unabweisliches Bedürfnis, und es würde meiner Überzeugung widerstreben, demselben entgegenzutreten oder seine friedliche Gestaltung zu hindern." 8 Auch die von Schmerling auf der Grundlage eines Reskripts der Wiener Regierung vom 27. Februar 9 eingeleitete Initiative zur Regelung der Oberhauptsfrage war damit faktisch luten Vetos, was allerdings bereits vor Eingang der einzelstaatlichen Stellungnahmen (21.2. 1849) geschah. — Vgl. ebenda, S. 535. 1 Ebenda, S. 587. 2 Ebenda, S. 601. 3 Ebenda, S. 580. « Ebenda, S. 619. 5 Vgl. Dxxcker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 78. 6 Abgedruckt in Dokumente %ur deutseben Verfassungsgescbicbte, S. 301 f. ? Über Schmerlings Reaktion vgl. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I-IV, Nr. 10, Bl. 155f.; Schmerling an Schwarzenberg v. 13. 3. 1849. 8 Ebenda, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 40; Schmerling an Schwarzenberg [v. 12. 3.1849] (Abschrift). 9 Ebenda, P. A. II, X I - X I I (Weisungen), 12, Bl. 139ff.

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gescheitert, noch ehe die Regierung Schwarzenberg selbst gegen diesen Vorschlag protestierte. 1 Dieser Plan hatte die Einsetzung eines Direktoriums, welches in einem wechselnden Turnus amtieren sollte, sowie einer in ihren Kompetenzen stark beschnittenen Reichsregierung vorgesehen 2 und war bereits von den Bevollmächtigten Bayerns, Württembergs, Sachsens und Hannovers akzeptiert worden. 3 Somit hatte sich Schmerlings Hoffnung nicht erfüllt, durch eine von Österreich gesteuerte, von der Frankfurter Nationalversammlung weitgehend unabhängige Initiative könne einer Erbkaiserlösung vorgebaut werden/1 Damit waren seine verfassungspolitischen Vorstellungen in ihrer Gesamtheit gescheitert. Er erklärte am 12. März 1849 seinen Rücktritt als österreichischer Bevollmächtigter bei der Zentralgewalt. 5 Die mit den jüngsten Schritten der österreichischen Regierung verbundene Wendung in der deutschen Verfassungsfrage war von einschneidender Bedeutung für die Meinungsbildung in der Paulskirche. Enttäuscht waren namentlich die zur Linken zählenden Teile der Opposition, aber auch eine Reihe von Liberalen 6 darüber, daß sich eine bundesstaatliche Lösung im großdeutschen Rahmen auf dem von der Nationalversammlung angestrebten Wege endgültig als nicht realisierbar erwiesen hatte. Die Kooperation zwischen der Linken und den großdeutsch-partikularistisch eingestellten Vertretern der Zentren und äußersten Rechten war nunmehr stark erschüttert. 7 Den Anhängern einer kleindeutschen Lösung unterschiedlicher Provenienz kamen die österreichischen Verlautbarungen trotz oder gerade wegen ihrer (in bezug auf den Gesamtstaat) streng antizentralistischen Tendenz dagegen nicht ungelegen, hofften sie doch darauf, daß die „jetzt österreichischer wie jemals gesinnt(e)" Regierung in Berlin 8 endlich ihre Hemmungen gegenüber Wien hinsichtlich eines Alleingangs bei der Gründung eines kleindeutschen Bundesstaates fallenlassen werde. 9 Die Verfechter einer preußisch-kleindeutschen Lösung in der Paulskirchc reagierten mit einem neuen taktischen Manöver. In dem Bemühen, die Ratlosigkeit ihrer parlamentarischen Gegenspieler auszunutzen, den Fährnissen unsicherer Mehrheitsbildungen und den Belastungen zermürbender Parlamentsschlachten auszuweichen, beabsichtigten sie jetzt, die Verfassung en bloc und ohne jede weitere Diskussion in einer einzigen Abstimmung zu verabschieden. Um diesen Akt vollkommen zu machen, sollte zugleich auch Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser ernannt werden. Ein derartiger parlamentarischer Antrag war am 12. März 1849, jedoch nicht von einem Sprecher des Weidenbusch, sondern 1

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Ebenda, Gesandtschaftsarchiv Frankfurt 1814—1866, 17 (1849), Weisungen der Staatskanzlei an die Bundespräsidialgesandtschaft, Bl. 295 f. Vgl. Dokumente %ur deutseben Verfassungsgescbicbte, S. 301 f.; dazu ferner GStA, III. H. A., Nr. 50; Kamptz an Arnim-Heinrichsdorff vs 9. 3. 1849; StAD, Außenministerium, Kohlschütter an das sächsische Außenministerium v. 4. u. 6. 3. 1849. — Grundlage für diese Initiative Schmerlings war ein Reskript der Regierung Schwarzenberg v. 27. 2.1849. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte 1849, I-IV, Nr. 10, Bl. 87; Schmerling an Schwarzenberg v. 9.3.1849. Ebenda, Bl. 286 u. 297; Schmerling an Schwarzenberg v. 30. 1. u . 3. 2. 1849. Ebenda, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 41; Schmerling an Schwarzenberg [v. 12.3.1849] (Abschrift). Vgl. BAF, ZSg. 1/N 46, Nachlaß Siemens; Siemens an Adolph Siemens v. 14. 3. 1849. Parlamentskorrespondenz, Nr. 86,12. 3.1849. So H. v. Gagern im Gespräch mit dem Bremer Bevollmächtigten Smidt (BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt; Smidt an seinen Sohn H. Smidt v. 4. 3 1849). Vgl. ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 92; Haym an Hansemann v. 6. 3.1849.

7. Der Welckersche Antrag

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überraschenderweise von dem Abgeordneten Welcker eingebracht worden 1 , der bis dahin als einer der Exponenten der großdeutsch-partikularistischen Gruppierung gegolten hatte. Welcker hatte sich noch wenige Tage zuvor, am 7. März, im Verfassungsausschuß in einer heftigen Kontroverse mit Vertretern des Weidenbusch für eine angemessene Beachtung der Interessen Österreichs eingesetzt. 2 Noch am Vorabend des 12. März hätte er, so wird berichtet, im Hotel Schröder dem Beschlüsse zugestimmt, daß jedem parlamentarischen Antrag, der die Stellung Österreichs zu Deutschland berühre, die Dringlichkeit verweigert werden müsse. 3 Ausschlaggebend für seine Sinnesänderung waren mit hoher Wahrscheinlichkeit die jüngsten Nachrichten aus Österreich, dessen Verfassung er als „Faustschlag gegen alle, die mit Deutschland gehen wollten" 4 , empfand. Hinzu kamen interne politische Informationen aus Wien, die seinen negativen Eindruck über die Haltung der Regierung Schwarzenberg zur deutschen Frage bestätigten. 5 Daß WelckersAntrag jedenfalls in das Konzept der Gagern-Liberalen paßte, zeigt die Tatsache, daß sie diesen sofort zu dem ihrigen machten und mit aller Kraft durchzusetzen versuchten. Der Effekt des Welckerschen Antrages wurde dadurch noch gesteigert, daß — gleichsam wie in abgestimmter Regie — zuvor eine parlamentarische Interpellation des Abgeordneten Raumer (Dinkelsbühl) noch einmal die Unzufriedenheit und Verärgerung der Erbkaiserpartei mit den ständigen Quertreibereien der österreichischen Regierung artikuliert hatte. 6 Es darf ohne Übertreibung festgestellt werden, daß es in der mehr als einjährigen Geschichte der Paulskirchenversammlung kaum ein Geschehnis gab, welches mehr Aufsehen erregte als Welckers Antrag. 7 „ Eine unbeschreibliche Aufregung ergriff die ganze Versammlung", berichtete F. v. Raumer, „und wenn Welcker nicht selbst den Druck und die reifliche Überlegung seiner Anträge gefordert hätte, in diesem Augenblick wäre der König (von Preußen — G. H.) durch die Mehrheit der Stimmen zum Kaiser erklärt worden."» Der durch die Verschiebung der anhängigen Debatte auf den 17. März erzielte Zeitgewinn gab den Großdeutschen jedoch die Möglichkeit, sich von der Überraschung zu erholen. Ein Tauziehen der beiden parlamentarischen Hauptkontrahenten um Bündnispartner und taktische Vorteile begann. Hinter den Antrag Welcker hatte sich der gesamte Weidenbusch gestellt. Auch der dieser interfraktionellen Vereinigung zugehörige Teil der äußersten Rechten, welcher einem forcierten Vorgehen der Paulskirche in der Verfassungsfrage im allgemeinen sehr distanziert gegenüberstand, hatte sein Einverständnis erklärt. 9 Ein wesentliches Motiv hierfür war die 1 StB, Bd. 8, S. 5666. Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 624. 3 ZStAM, Rep. 92, Nr. 26, Bl. 98; Haym an Hansemann v. 12. 3. 1849. 4 Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 630. 5 Kamptz verweist auf eine diesbezügliche Mitteilung Somarugas (GStA, III. H. A., Nr. 50, Bl. 336; Kamptz an Arnim-Heinrichsdorff v. 12. 3. 1849). Daß es, wie Schmerling behauptet, Welcker nur um die Erhaltung seines gat dotierten Bevollmächtigten-Postens gegangen sei (die badische Regierung stand dem Verfassungs-Entwurf grundsätzlich positiv gegenüber), ist nicht anzunehmen (ÖStA, HHStA, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 159). 6 Vgl. StB, Bd. 8, S. 5665. 7 Vgl. den Bericht des Weidenbusch-Vertreters Nizze (Stadtarchiv Stralsund, Au 241, Nizze an Zober v. 12. 3. 1849). 8 Raumer, Friedrieb f., Briefe aus Frankfurt, Bd. 2, S. 323 (Brief v. 12. 3. 1849). 9 Vgl. BAF, ZSg. 1/N 124, Nachlaß Künsberg; Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung, S. 69. 2

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Hildebrandt, Gagern

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Annahme, daß eine sofortige Verabschiedung des Grundgesetzes höchstwahrscheinlich die Erbkaiserlichen wenigstens der Notwendigkeit entheben würde, weitere Zugeständnisse an eventuelle Abstimmungspartner von der linken Seite zu machen. Eine absolute Mehrheit für den Antrag Welcker war nach Lage der Dinge am ehesten bei Teilen des linken Zentrums bzw. bei dem zu ihm tendierenden Flügel der gemäßigten Linken (Fraktion Westendhall) zu finden, weil hier, im Unterschied zu den weiter rechts stehenden Oppositionellen, antizentralistische Vorbehalte gegenüber dem Verfassungsprogramm der Gagern-Liberalen fehlten. In der Debatte über den Antrag Welcker bemühten sich daher prominente Sprecher des Weidenbusch, Bedenken der gemäßigten Linken gegen das Verfassungswerk zu zerstreuen bzw. die Zustimmung zu Welckers Ersuchen als ein Erfordernis des revolutionären Fortschritts auszugeben. H. v. Gagern behauptete beispielsweise, daß bei einer sofortigen Annahme des Grundgesetzes eine spätere Revision (im Interesse der Einzelstaaten) ausgeschlossen sei 1 , was, wie spätere Erfahrungen zeigten, durchaus nicht zutraf. Die WeidenbuschVertreter weigerten sich denn auch zunächst, gegenüber der zu einer Kooperation mit den Erbkaiserlichen prinzipiell bereiten Gruppe um H. Simon (Fraktion Westendhall) eine derartige Verbindlichkeit einzugehen. 2 W. Beseler meinte, der Antrag Welcker gebe die Möglichkeit, der Gefahr konterrevolutionärer Einflüsse von außen entgegenzuwirken: „Es ist in diesem Augenblicke durchaus erforderlich, wenn wir die drohende Reaktion von Österreich und Rußland zurückhalten, ihr siegreich entgegentreten wollen, daß wir Deutschland so schnell als möglich einheitlich konstituieren, denn nur auf diese Weise werden wir dazu die Kraft gewinnen." 3 In Fraktionssitzungen der Linken, die nach Eingang des Welckerschen Antrags am 12., 14. und 15. März stattfanden, zeigte sich, daß die Opposition gegenüber dem Programm der Erbkaiserpartei erheblich an Kraft verloren hatte und eine Reihe von Stimmen sich für eine Änderung der Haltung aussprach. 4 L. Simon hatte, diesem sich etwa seit Mitte März bei Teilen der gemäßigten Linken abzeichnenden Meinungstrend 5 folgend, am 20. März geäußert: „Kleindeutschland ist gegenwärtig da, und es kann gegenwärtig die Kultur und Humanität bloß durch Kleindeutschland gerettet werden." 6 Aber die kooperationsbereiten Kräfte der Linken erwarteten, wie Vogt bereits Wochen zuvor deutlich gemacht hatte, als Preis für die Unterstützung eines der beiden Hauptkontrahenten verfassungspolitische Gegenleistungen 7 . Reden (Westendhall) hatte nunmehr als Preis für die Zustimmung eines Teiles seiner Fraktion die Garantie verlangt, daß am Wahlgesetz keinerlei Abstriche zugelassen werden dürften. Darüber hinaus forderten die Westendhall-Vertreter um H. Simon, daß die vom Verfassungsausschuß verabschiedete Veto-Lösung rückgängig gemacht werde. Grundsätzlich sollte an dem in erster Lesung verabschiedeten Verfassungstext (Suspensivveto in der Gesetzgebung) festgehalten werden, und Änderungen bedürften der beiderseitigen Zustimmung. 8 1 S t B , B d . 8, S. 5879. 2 V g l . die Erklärung v. H . Simon nach der A b s t i m m u n g v. 21. 3 . 1 8 4 9 (ebenda, S. 5918). 3 E b e n d a , S. 5850. < V g l . die Berichte in der D Z , N r . 73 u. 7 6 , 1 4 . u. 17. 3.1849. 5 V g l . Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 188f.

« StB, Bd. 8, S. 5875.

Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 185, A n m . 172. 8 Z S t A M , Rep. 75 B, N r . 21, Bl. 254 v ; K a m p t z an Arnim-Heinrichsdorff v . 12. 3. 1849; v g l . ferner 7

H . Simons Erklärung v. 21. 3 . 1 8 4 9 (StB, B d . 8, S. 5918f.).

7. Der Welckersche Antrag

211

Die „Neue Rheinische Zeitung" verurteilte die Konzessionspolitik H. Simons als prinzipienlos, weil das in Aussicht gestellte Zugeständnis seitens der Linken schwerer wog als der den Erbkaiserlichen abverlangte Preis. 1 Trotzdem wollten und konnten die GagernLiberalen diesen jedoch zunächst nicht zahlen. Die en-bloc-Verabschiedung der Verfassung sollte sie ja gerade der Notwendigkeit weiterer Konzessionen an die Linke entheben. Auch waren sie sich nicht darüber im unklaren, daß solche Zugeständnisse den Konsensus mit Teilen der äußersten Rechten wahrscheinlich in Frage gestellt hätten. So erhielten die Großdeutschen infolge mangelnder Konzessionsbereitschaft seitens der Liberalen die Gelegenheit, ihre Kooperation mit der Linken noch einmal aufzufrischen. Sie zeigten sich ihr gegenüber u. a. zu folgenden Zugeständnissen bereit: Es sollten 1. Wahlgesetz und Suspensivveto unverändert bleiben; 2. dem nächstfolgenden Reichstag das Recht zuerkannt werden, die Oberhauptsbestimmung zu revidieren; 3. der von den Dezentralistcn bisher für unabdingbar gehaltene Reichsrat wegfallen. 2 Diese überraschenden Zugeständnisse der Großdeutschen entsprangen vor allem ihrer obstruktiven Haltung gegenüber dem Vqffassungsprogramm der Gagern-Liberalen und waren nicht zuletzt von der Erwartung bestimmt, das Grundgesetz auf diesem Wege unannehmbar für die deutschen Fürsten zu machen. Angesichts des mangelnden Entgegenkommens der Erbkaiserlichen zeigte sich die Linke, einschließlich der zu einem Arrangement mit dem Weidenbusch prinzipiell bereiten Vertreter der Fraktion Westendhall, willens, von einer Unterstützung des Antrages Welcker abzusehen. Die Gagern-Liberalen hatten sich jedoch noch in einem weiteren Punkte verrechnet. Der nach dem Bekanntwerden der jüngsten Schritte der Wiener Regierung erhoffte Exodus einer größeren Gruppe österreichischer Abgeordneter war ausgeblieben. Lediglich die zum Führungskreis der Schmerling-Gruppe zählenden Arneth und Würth (Wien) verließen das Parlament. Noch einen Tag vor der Abstimmung über den Antrag Welcker versuchte die „Deutsche Zeitung", die österreichischen Parlamentarier mit einer Drohung zu schrecken. Wenn diese, ließ das Blatt verlauten, weiterhin in der Nationalversammlung verblieben, so werde man einen „längst besprochenen Plan befolgen müssen, die Abstimmung über die wichtigsten Verfassungsfragen namentlich vorzunehmen und die Stimmen der Österreicher bekannt zu machen. Es liegt dann in der Natur der Sache, daß diese österreichischen Stimmen überall in Abzug gebracht werden, und die Österreicher würden die Beschämung haben, überall den bösen Willen gezeigt und das Zustandekommen des Bundesstaates doch nicht gehindert zu haben." 3 Wie berichtet wird, war es vor allem den intensiven Bemühungen Somarugas und Schmerlings zu danken, daß die Großdeutschen nahezu alle zur Verfügung stehenden Kräfte gegen Welckers Antrag mobilisieren konnten. 4 Gemeinsam mit der Linken gelang es ihnen am 21. März, die sofortige Verabschiedung der Reichsverfassung zu verhindern. Mit 283 : 252 konnten die Gegner des Weidenbusch sogar einen relativ klaren Abstimmungssieg verbuchen. 5 Die Stimmung unter den Gagern-Liberalen unmittelbar nach der Ablehnung des Antrages 1 NKbZ, Nr. 248,17. 3.1849. BAF, ZSg. 1/N 124, Nachlaß Künsberg; Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung, S. 75 ff.; vgl. hierzu auch Jürgens, Kar/, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 224f. 3 DZ, Nr. 79,20.3.1849. Weser-Zeitung, 24. 3.1849. 5 StB, Bd. 8, S. 5915ff. 2

14*

212

Für einen kleindeutschen Bundesstaat

war von Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet. 1 Der Gothaer Abgeordnete Becker, einer der engsten Gefolgsleute H. v. Gagerns, schrieb am 21. März: „In tiefer Aufregung über das Ergebnis der Abstimmung hat sich die Versammlung bis morgen vertagt." 2 Als der Weidenbusch aber einen Tag später mit Unterstützung der Gruppe um H. Simon einen Antrag durchbrachte, der den sofortigen Beginn der zweiten Lesung der Reichsverfassung vorsah 3 , notierte Becker mit einiger Beruhigung: „Von der Bestürzung über die Verwerfung des Welckerschen Antrages durch das Übergewicht der Österreicher, welche mit der Linken stimmten, hat man sich heute wieder etwas erholt, weil die gestrige Vereinigung von Männern so verschiedener Richtung bei den heutigen Abstimmungen sich sogleich wieder als eine auf Dauer unhaltbare erwies." 4 Noch am selben Tage brachte die Zentrenkorrespondenz zum Ausdruck, worauf man wieder zu hoffen begann: „Wie man vernimmt, sind diejenigen Mitglieder des Westendhall-Vereins, welche auf so unheilvolle Weise den Ausschlag (bei der Abstimmung über den Antrag Welcker — G. H.) gegeben haben, über diesen traurigen Sieg, an den sie selbst nicht geglaubt, aufs äußerste betroffen . . ." 5 Obwohl sich abzeichnete, daß die Gegner des Antrages Welcker sich nicht in der Lage befinden würden, einen mehrheitsfähigen Alternativantrag einzubringen, unternahm Schmerling, der bereits am 12. März um seine Entlassung nachgesucht hatte 6 , noch einmal einen Vorstoß bei der Regierung Schwarzenberg. Er sah nach der Niederlage der Gagern-Liberalen wahrscheinlich die letzte Chance, durch einen konstruktiven Gegenvorschlag seitens der Wiener Regierung einer erbkaiserlichen Lösung und damit einer Entscheidung der Verfassungsfrage durch das Parlament überhaupt zuvorzukommen. Sein Bundesstaatskonzept unterschied sich in zwei ganz wesentlichen Punkten vom Verfassungsprogramm der Gagern-Liberalen. Österreich sollte mit seinen deutschen Provinzen dem künftigen Bundesstaat als Führungsmacht angehören, während der übrige Teil des habsburgischen Reiches mit jenem in ein „nahes" Bundesverhältnis zu treten hätte. Die Reichsverfassung aber sollte so gestaltet werden, daß Eingriffe in die Selbständigkeit der einzelnen Staaten möglichst gering blieben. Der Zentralgewalt und dem Repräsentantenhause sollte die legislative Gewalt lediglich in den allerwichtigsten zentralen Belangen zugewiesen werden. Trotzdem lehnte die an ihrem politischem Kurs unverändert festhaltende Regierung Schwarzenberg diesen Vorschlag ab. Hierdurch wurde dem Weidenbusch sein weiteres Vorgehen zumindest erleichtert. 8. Der „Pakt S i m o n - G a g e r n " Die Führung der Weidenbusch-Gruppierung suchte nach Ablehnung des Welckerschen Antrages nach Möglichkeiten zur Überwindung der innerparlamentarischen Schwierigkeiten. Den Gagern-Liberalen schwebte als Ausweg ein Arrangement mit der von H. Simon 1

2 3

4 5 6

Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 336; Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, T. III, S. 369f. Keicbsan^eiger der Deutschen, Gotha, Nr. 72, 23. 3.1849. Es handelte sich um einen ursprünglich von Eisenstuck (gemäßigte Linke) gestellten, dann aber vom Weidenbusch aufgegriffenen Antrag (StB, Bd. 8, S. 5931 ff.). Reicbsan^eiger der Deutschen, Nr. 73, 24. 3.1849. Parlamentskorrespondenz, Nr. 95, 22. 3. 1849. Sie wurde mit Reskript v. 23. 3. 1849 bewilligt (ÖStA, HHStA, Anton Ritter v. Schmerling, Denkwürdigkeiten, Karton 4, Bl. 43; Schwarzenberg an Schmerling v. 23. 3. 1849).

8. Der „Pakt Simon—Gagern"

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repräsentierten Gruppe der Westendhall vor. Allerdings war den Erbkaiserlichen durch die Abstimmung vom 21. März klargeworden, daß dies nicht ohne jene Konzessionen möglich sein würde, deren man sich zuvor noch glaubte enthalten zu können. Der äußerste rechte Flügel des Weidenbusch, an dessen Widerstand eine Übereinkunft mit der Gruppe um H. Simon mit gescheitert war, plädierte allerdings für einen anderen Weg. Unterstützt von einzelnen Abgeordneten des rechten Zentrums, wie dem Frankfurter Scheller, forderte er, man solle nunmehr aus der Paulskirche ausscheiden. Preußen möge sodann einen klein(nord-) deutschen Bundesstaat ohne Mitwirkung der Frankfurter Nationalversammlung begründen. 1 Diese Vorschläge bewegten sich genau auf der von Camphausen seit Wochen vertretenen Linie. 2 Ihm wäre zwar der mit der Annahme des Welckerschen Antrages verbundene Prestigegewinn für Preußen gelegen gekommen, er war jedoch der Auffassung, daß der durch eine Festlegung Preußens auf die Reichsverfassung für seine Regierung gleichzeitig entstehende Nachteil mindestens ebenso schwer wog. Infolgedessen störte das Scheitern des Antrags Welcker seine Pläne durchaus nicht. 3 Durch die Niederlage des Weidenbusch wurden seine Bemühungen um einen von Preußen im Alleingang zu schaffenden Bundesstaat keineswegs tangiert. Preußen würde jedenfalls, was ihm besonders wichtig war, nach außen hin keine Schuld an einem eventuellen Fiasko der Frankfurter Verfassungspläne treffen. Es ist daher nicht übertrieben, wenn man der Niederlage des Antrages Welcker sogar stimulierende Wirkung in bezug auf Camphausens Bestrebungen für das Zustandekommen eines von Preußen geführten Bundesstaates zuschreibt. H. v. Gagern gab sich indes nicht geschlagen. Die konkurrierenden Bemühungen der beiden Wortführer einer klcindeutschen Lösung in der letzten Märzdekade 1849 sind als Wettlauf um die Sicherung politischer Vorteile für die von ihnen jeweils repräsentierten politischen Kräfte zu verstehen. Dem schien zunächst die Tatsache zu widersprechen, daß H. v. Gagern am 22. März, unmittelbar nach dem Scheitern des Antrages Welcker, mit seinen Ministerkollegcn den Rücktritt erklärte. 4 Unleugbar war der sensible Politiker von dieser Niederlage persönlich betroffen. Aber er war nicht gesonnen, kurz vor Erreichen des Zieles aufzugeben. Seine Demission war in erster Linie ein demonstrativer Akt. Sie sollte vor allem Verbündeten und potentiellen Kooperationspartnern innerhalb des Parlaments den Ernst der Lage klarmachen und wohl auch den Widerstand innerhalb der eigenen Reihen gegen eine Transaktion mit Teilen der Linken vermindern. Daß Motive dieser Art Gagerns Schritt mindestens mitbestimmt haben, bestätigen nicht nur Äußerungen des Ministerpräsidenten selbst und anderer prominenter Paulskirchenabgeordneter. 5 Auch die von Gagern unmittelbar BAF, ZSg. 1/N 124, Nachlaß Künßberg; Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung, S. 77; Haym, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 336ff.; Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, T. III, S. 369ff.; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 236f. 2 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 96f. 3 Vgl. Camphausens Berichte an Arnim-Heinrichsdorff v. 22. u. 24. 3. 1849 (GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 105, 110 f.). * Das Ministerium Gagern führte jedoch bis 10. 5. 1849 die Geschäfte weiter. 5 Vgl. BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; H. v. Gagern an Jaup v. 28. 3. 1849. Künsberg notierte: „Das wirkliche Motiv des Rücktritts der Minister... bestand in der Hoffnung, durch die Furcht vor einer Ministerkrisis und vor der Schwierigkeit, die jetzigen Minister zu ersetzen, einige Stimmen zu gewinnen wie dies im September bei der Waffenstillstands- und im Januar bei der Programmangelegenheit gelungen 1

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

nach seinem Rücktritt in harter Sachlichkeit wieder aufgenommenen Verhandlungen mit H. Simon über ein gemeinsames Operieren während der nunmehr anstehenden zweiten Lesung der Reichsverfassung 1 lassen diesen Schluß zu. Es war nicht zuletzt sein demonstrativer Rücktritt, durch den er die Ermächtigung der Mehrheit des Weidenbusch für seine Verhandlungen mit Teilen der Westendhall-Fraktion erlangte. Diese Vollmacht schloß nunmehr die Bereitschaft zu unumgänglichen verfassungspolitischen Zugeständnissen mit ein. Sie betrafen im wesentlichen die Vetofrage und das Wahlrecht.2 Obwohl Teile des Weidenbusch, namentlich eine größere Gruppe des rechten Zentrums, bis zuletzt Widerstand gegen eine Transaktion mit Teilen der Linken leistete, gediehen die Verhandlungen zwischen H. v. Gagern und H. Simon, der eine Gruppe von etwa 20 Abgeordneten der ehemaligen Westendhall (jetzt Braunfels) repräsentierte, bis zu einer förmlichen Übereinkunft, die am 26. März abgeschlossen wurde. Mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich 86 Abgeordnete des Weidenbusch, „daß sie die Verfassung, wie solche von der Nationalversammlung beschlossen werden wird, für dergestalt endgültig erkennen, daß sie für irgend wesentliche Abänderungen derselben oder irgend erhebliche weitere Zugeständnisse, von welcher Seite dieselben auch verlangt werden sollten, nicht stimmen werden". 3 In einer weiteren Erklärung gaben 114 Erbkaiserliche die Zusicherung, sie würden für die Beibehaltung des Suspensivvetos und des Wahlgesetzes, wie in erster Lesung verabschiedet, eintreten. Das Zugeständnis des Braunfels, gleichfalls schriftlich fixiert, hieß demgegenüber Unterstützung des Erbkaiserparagraphen. Beide Seiten betrachteten die Vereinbarung aus ihrer Sicht als vorteilhaft. H. Simon hatte die Beibehaltung des Suspensivvetos (in der Gesetzgebung) und des Wahlgesetzes durchgesetzt. Die Vereinbarung beraubte darüber hinaus die Linke nicht der Möglichkeit, eventuell mit Hilfe der Großdeutschen weitere demokratische Verfassungsbestimmungen durchzusetzen. Hierdurch konnten die Voraussetzungen dafür verbessert werden, daß dieses Grundgesetz den Kampf der demokratischen Kräfte gegen das Voranschreiten der Konterrevolution auch außerhalb des Parlaments stimulierte. H. v. Gagern seinerseits war es gelungen, den Weg zur Annahme des Erbkaiserparagraphen zu bahnen. Der Wortlaut der Erklärung über Suspensivveto und Wahlgesetz schloß die Möglichkeit einer späteren Revision nicht aus. Die 86 nicht vollständig veröffentlichten Unterschriften unter der Unveränderbarkeitsklausel waren, selbst wenn man die Stimmen der Linken angesichts der Mehrheitsverhältnisse zu dieser Zahl hinzuzählte, keine sichere parlamentarische Barriere gegen ein derartiges Vorhaben. Ohne die Bedeutung der demokratischen Zugeständnisse zu schmälern, muß festgestellt werden, daß die Sicherung der Erblichkeit schwerer wog. Durch den Wegfall der Erblichkeitsklausel wäre die Verfassung ihres Kernstücks beraubt worden. Mit Recht wertete daher die „Neue Rheinische Zeitung" die Vereinbarung zwischen H. Simon und H. v. Gagern im wesentlichen als einen Sieg der Erbkaiserlichen/* Allem Anschein nach hat ein größerer Teil der zum Weidenbusch zählenden Casino-Abge•war. . ." (ebenda, ZSg. 1/N 124, Nachlaß Künsberg; Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung, S. 77). * Zu diesen Verhandlungen v o r allem Bammel, Ernst, D e r Pakt Simon-Gagern und der Abschluß der Paulskirchenverfassung, i n : A u s Geschichte und Politik. Z u m 70. Geburtstag v o n L. Bergsträsser, Düsseldorf (1954), S. 57—87; Bot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 6 8 8 f f . 2

Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 263.

3 V g l . ebenda; abgedruckt auch in DZ, Nr. 89, 30. 3 . 1 8 4 9 , Beilage.

« NRbZ, Nr. 259, 30. 3 . 1 8 4 9 .

8. Der „Pakt Simon—Gagern"

215

ordneten, einschließlich der Führungsspitze, den in der Fraktion heftig umstrittenen Pakt Simon-Gagern nicht unterzeichnet. Von den rd. 90 Casino-Abgeordneten, die der erbkaiserlichen Gruppierung angehörten, stimmten nämlich nur 20 in zweiter Lesung für das suspensive Veto des Staatsoberhaupts. 1 Eine größere Gruppe von Gagern-Anhängern innerhalb des rechten Zentrums hatte sich also ein demonstratives Gegenvotum offengelassen, außerdem dürfte feststehen, daß eine Reihe von ihnen sowie verschiedene Mitglieder von Landsberg und Augsburger Hof ihr Versprechen nicht einlösten. 2 Diese Vermutung wird auch durch die Sondierungen der Gagernschen Emissäre bei den Regierungen der wichtigsten nichtösterreichischen Bundesstaaten Ende April/Anfang Mai hinlänglich bestätigt 3 , wo jene ihre Bereitschaft erkennen ließen, das Suspensivveto zur Disposition zu stellen. Dessenungeachtet schuf die Übereinkunft zunächst einmal die Grundlage dafür, daß wichtige demokratische Bestimmungen in der Frankfurter Reichsverfassung erhalten werden konnten. Die Zentrenkorrespondenz erklärte wenige Tage später, der Weidenbusch habe die erwähnten Konzessionen machen können, „weil die aus dem Übermaß der Freiheit hervorgehenden Gefahren gegenwärtig sehr gering, sehr groß dagegen die Gefahren für die 'Einheit waren". 4 Der Pakt Simon-Gagern war also ein Beispiel dafür, zu welchen Zugeständnissen gemäßigte Liberale in einer Phase des nicht zugespitzten Klassenkampfes unter dem Druck der Zeit, der Mchrheitsverhältnisse und ihrer politischen Gegenspieler fähig waren.

Bedeutung des Faktes Simon-Gagern für die Schlußabstimmung über die Reichsverfassung Fraktion

Gagern-Liberale — Casino — Landsberg — Augsburger Hof Donnersberg Deutscher Hof Westendhall

Abstimmung über Abstimmung über Suspensivveto des Erbkaisertum Reichsoberhaupts Ja Nein Ja Nein

21 20 15 40 35 43

57 7 13 — -

77 26 27 1 1 19

7 2 7 40 37 20

Es handelte sich um die Abgeordneten Deeke, Degenkolb, Dröge, Francke, v. Hennig, Kosmann, Küntzel, Mareks, Nerreter, Ottow, Plathner, Presting, F. v. Raumer, v. Sänger, Schirmeister, Schwetschke, Siemens, Stavenhagen, Teichert, Zachariä (StB, Bd. 8, S. 6030ff.). Fünf von ihnen hatten in erster Lesung gegen acht für das Suspensivveto gestimmt; sieben waren abwesend (ebenda, Bd. 6, S. 4120ff.). 2 H. v. Gagern selbst, der Verhandlungsführer des Weidenbusch, stimmte dagegen (ebenda, Bd. 8, S. 6032). Auch die von Jürgens (Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 264) bzw. von der DZ (Nr. 89, 30. 3. 1849, Beilage) als Mitunterzeichner erwähnten Casino-Abgeordneten Mathy, Lette und Soiron sowie Stahl (Augsburger Hof) stimmten gegen das suspensive Veto (StB, Bd. 8, S. 6032). Die von der DZ (a. a. O.) gleichfalls genannten R. Mohl, Welcker, Reh, Zell, Kierulff, v. Reden, Grumbrecht, Freudentheil, Biedermann, Falk, Hollandt, Fuchs, Mittermaier, Höfken, Jordan (Berlin), v. d. Goltz unterstützten das Suspensivveto. 3 Vgl. S. 234 ff. 4 Parlamentskorrespondenz, Nr. 106, 3. 4.1849. 1

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

Die Unterstützung der 20 Braunfels-Abgeordneten versetzte den Weidenbusch in die Lage, wenigstens der Abstimmung über die Erblichkeit mit einiger Zuversicht entgegensehen zu können. Nachdem die Paulskirche bereits am 22. März beschlossen hatte, auf jede weitere Diskussion über einzelne Verfassungsparagraphen zu verzichten und nur noch Anträge, die von mindestens 50 Abgeordneten unterzeichnet waren, zur Abstimmung zuzulassen 1 , stand einer raschen Beendigung des Verfassungswerkes nichts mehr im Wege. 9. Der Abschluß der Reichsverfassung Begleitet von heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Weidenbusch und der großdeutsch-partikularistisch eingestellten Opposition über Formulierungs- und Verfahrensfragen, hatte am 22. März die zweite Lesung des Grundgesetzes begonnen. Nur mit großer Mühe war es den Erbkaiserlichen gelungen, die verfassungspolitischen Grundlagen des Bundesstaates in der Abstimmung über den Abschnitt „Das Reich" zu retten. Die Absprachen zwischen Braunfels und Weidenbusch wurden erst mit dem 26. März wirksam, wo die überaus wichtigen Abstimmungen über das Oberhaupt und dessen verfassungsmäßige Kompetenzen begannen. Die erste Konsequenz des Paktes Simon-Gagern war, daß das suspensive Veto des Oberhaupts in Fragen der Gesetzgebung mit großer Mehrheit angenommen wurde. Mit 385 : 127 wurde ein um über 100 Stimmen besseres Ergebnis als in der ersten Lesung erreicht. 2 Die Gegenstimmen kamen in erster Linie aus dem Weidenbusch, und zwar vor allem aus der Casino-Fraktion. Setzt man die Gesamtzahl der Nein-Stimmen aus dem Weidenbusch (77) ins Verhältnis zur Gesamtstärke dieser interfraktionellen Gruppierung (ca. 150 Abgeordnete), so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß von den 114 Unterzeichnern der VetoErklärung eine größere Zahl von Abgeordneten ihr Versprechen nicht einlöste. In dem zum Weidenbusch gehörigen Teil der Casino-Fraktion war die Vereinbarung Simon—Gagern besonders umstritten. 3 Die Mehrheit der Erbkaiserlichen hatte die gemachten Konzessionen letztlich als unerläßlich für das Zustandekommen des Verfassungswerkes gehalten, nicht so allerdings eine weitere sehr wesentliche Einengung der Rechte des Oberhaupts. Gemeinsam mit der großdeutsch-partikularistischen Gruppierung war es der Linken nämlich gelungen, dessen Einspruchsmöglichkeiten, auch in Verfassungsangelegenheiten, auf ein suspensives Veto zu begrenzen. 4 Dies war in der Tat ein bedeutsamer Erfolg für die demokratische Opposition. Es waren zumindest verfassungspolitische Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß das Grundgesetz der Willkür des künftigen Oberhaupts weitgehend entzogen war. Die Möglichkeit einer Revision mit den Mitteln der Verfassung selbst, welche die Gagern-Liberalen den Fürsten als Äquivalent für anderweitige Zugeständnisse anzubieten gedachten, war zunächst einmal ausgeschaltet. Daß der Weidenbusch sich gerade hiervon einiges versprochen hatte, bewies die Reaktion der Erb1 2

3

4

Vgl. Antrag Eisenstuck, mit 282: 246 Stimmen angenommen (StB, Bd. 8, S. 5934). Ebenda, S. 6033. Zum Ergebnis der Abstimmung in erster Lesung. S. 188, Anm. 6. Das Wahlgesetz wurde ohne Veränderungen gegenüber der ersten Lesung in nichtnamentlicher Abstimmung am 27. 3. 1849 verabschiedet (ebenda, S. 6070). Droysen beispielsweise nannte die Unterzeichnung der Vereinbarung eine „Tollheit" (Aktenstücke und Aufzeichnungen, S. 844; Tagebuchaufzeichnung zwischen dem 21. u. 27. 3. 1849). Das suspensive Veto in Verfassungsangelegenheiten wurde mit 272 :243 Stimmen angenommen (StB, Bd. 8, S. 6049ff.).

9. Der Abschluß der Reichsverfassung

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kaiserlichen. Sie zeigten sich erbittert. Einzelne Abgeordnete erwogen sogar den Austritt, wovon H. v. Gagern und G. Beseler jedoch abrieten. 1 In der für den Nachmittag desselben Tages (27. März) vorgesehenen Abstimmung über die Oberhauptsfrage bedurfte es für die Erbkaiserlichen jeder Stimme. Die Prognosen sprachen von einem äußerst knappen Ausgang. 2 Nach der Entscheidung für ein fürstliches Oberhaupt, noch vor der Stimmabgabe über die Alternative Erblichkeit oder Befristung, errangen die Erbkaiserlichen einen wichtigen Sieg in der Verfahrensfrage. G. Beseler, einer der engsten Vertrauten H. v. Gagerns, setzte durch, daß zuerst über die Erblichkeit abgestimmt wurde. 3 Nach den Erfahrungen der ersten Lesung, wo sämtliche Anträge ohne Mehrheit geblieben waren, erwies sich dies als Vorteil für den Weidenbusch. Es war klar, daß in der Schlußabstimmung des gesamten Verfassungswerkes der als erster zur Abstimmung gelangende majoritätsfähige Antrag auch die meisten Chancen besitzen würde. So ergab sich eine knappe Mehrheit (267 : 263 Stimmen) für ein erbliches Oberhaupt. 4 Vier Mehrheitsstimmen waren von österreichischen Abgeordneten gekommen. 5 Der Abschluß der Verfassungsdebatten bildete die Kaiserwahl, welche 290 Stimmen (gegen 248 Enthaltungen) für Friedrich Wilhelm IV. erbrachte. 6 Mit dem Weidenbusch hatten diesmal außer den Anhängern H. Simons eine weitere Gruppe der gemäßigten Linken sowie eine Reihe fraktionsloser Abgeordneter gestimmt. Nach intensiven, sechs Monate währenden Debatten, die oft wichtige aktuelle Probleme in den Hintergrund gedrängt hatten, war das Verfassungswerk vollendet. Sofern es gelang, dieses Grundgesetz auch zur Geltung zu bringen, wäre ein positiver verfassungsrechtlicher Rahmen für den Fortgang der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland geschaffen worden. Die Reichsverfassung enthielt eine Reihe demokratischer Elemente, war ihrem Wesen nach jedoch gemäßigt-liberal.

Wichtige 'Parlamentsabstimmungen im 1. Quartal 1849 1. Abstimmung über das Regierungsprogramm H. v. Gagerns (13. Januar) (vgl. StB, Bd. 6, S. 4666 ff.) 2. Abstimmung über die Erblichkeit der Oberhauptswürde (23. Januar) (vgl. ebenda, Bd. 7, S. 4851 ff.) 3. Abstimmung über den Ausschluß von „Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen Gemeindemitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahr bezogen haben" (20. Februar) (vgl. ebenda, S. 5343 ff.) 4. Abstimmung über das allgemeine aktive Wahlrecht für Personen über 25 Jahre (20. Februar) (vgl. ebenda, S. 5337 ff.) 5. Abstimmung über den Beginn der 2. Lesung der Reichsverfassung am 5. März (26. Februar) (vgl. ebenda, S. 5477 ff.) Vgl. Hqyrn, Rudolf, Die erste deutsche Nationalversammlung, T. II, S. 354f.; Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, T. III, S. 388f. 2 Hallbauer prophezeite am 27. 3., die Erblichkeitsfrage werde mit einer Mehrheit von 4 bis 5 Stimmen entschieden (Hallbauer, Gustav, Tagebuch, S. 285). 3 Vgl. StB, Bd. 8, S. 6061. * Ebenda, S. 6061 ff. 5 Rößler (Wien), Schneider (Wien), Reitter und Makowiczka. 6 StB, Bd. 8, S. 6084ff. 1

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Für einen kleindeutschen Bundesstaat

6. Abstimmung über die Annahme der Reichsverfassung ohne weitere Diskussion (Antrag Welcker) (21. März) (vgl. ebenda, Bd. 8, S. 5915 ff.) Die Reichsverfassung ging über eine bloße Konstitutionalisierung der Monarchie hinaus und schuf bereits eine Reihe verfassungsrechtlicher Grundlagen für eine parlamentarische Monarchie. Obwohl das Oberhaupt in Fragen der Gesetzgebung und Verfassungsänderung dem Parlament unterstellt war, verblieben ihm andererseits jedoch noch immer erhebliche Kompetenzen. Die Beibehaltung der Monarchie im Gesamtstaat, die Erhaltung der Fürstenherrschaft in den Einzelstaaten, die Bestimmungen über eine bürgerlich-reformerische Lösung der Agrarfrage beispielsweise zeigen, daß diese Verfassung in sehr wesentlichen Punkten den Vorstellungen der um einen Ausgleich mit der Adelsklasse bemühten liberalen Bourgeoisie entsprach. Die Entwicklung des politischen Kräfteverhältnisses und des Klassenkampfes im Frühjahr 1849 ließ jedoch voraussehen, daß die Verfassung ohne die Unterstützung der Demokraten außerhalb des Parlaments kaum Chancen besaß. Eine Synthese liberaler und demokratischer Elemente, wie bereits von der Zentrenkorrespondenz des rechten Zentrums und auch von der späteren bürgerlichen Geschichtsschreibung immer wieder behauptet 1 , stellte die gemäßigt fortschrittliche Reichsverfassung sicherlich nicht dar. Aber mit der Fixierung der verfassungsrechtlichen Grundlagen für eine bürgerliche Gesellschaft wurde immerhin ein Rahmen für die Stärkung und den Ausbau der Demokratie in Deutschland kodifiziert. Der von bürgerlichen Historikern auch jüngst wieder vertretenen These, die Frankfurter Reichsvcrfassung sei wegen überzogener zentralistischer Ansprüche bzw. wegen des Widerstandes der deutschen Fürsten und einiger europäischer Großmächte unrealistisch gewesen, 2 muß noch einmal widersprochen werden. Die Beschränkung der einzelstaatlichen Rechte im Grundgesetz (z. B. Verzicht auf Außenpolitik, auf diplomatische Vertretung, auf die Entscheidung über Krieg und Frieden; Unterwerfung unter die Reichsgesetzgebung; Wegfall der verbliebenen Binnenzölle) entsprach dem für das Gedeihen eines Bundesstaates unbedingt erforderlichen Maß an Zentralisation. Die Verfassung schuf, um nur einige Beispiele zu nennen, weder ein Reichsheer noch eine Reichspolizei und erkannte der Reichsregierung nur in „außerordentlichen Fällen" das Recht zu, Reichssteuern zu erheben. Und auch die Gefahr des Einschreitens anderer europäischer Großmächte gegen die Begründung eines deutschen Bundesstaates war, wie bereits festgestellt 3 , geringer als namentlich von der nationalistisch gefärbten bürgerlichen Geschichtsschreibung häufig behauptet. Ob die Gefahr intervenierender Maßnahmen von Seiten Rußlands und Frankreichs tatsächlich gegeben war, muß nach unserer bisherigen Kenntnis der Tatsachen sehr bezweifelt werden. Es ist dagegen von der Möglichkeit auszugehen, daß im Zusammenhang mit dem Wiederaufflammen revolutionärer Kämpfe in verschiedenen Ländern Europas und schließlich auch in einigen Gebieten Deutschlands sich die Möglichkeit ergeben hätte, dem Widerstand der Fürsten gegen die Reichsverfassung erfolgreich entgegenzuwirken. Im Verlauf der Verfassungsdebatten, namentlich in der letzten Phase, war im Verhältnis der Bourgcoisparlamentarier gegenüber Adel und Fürsten eine Veränderung eingetreten. Parlamentskärresponden^ Nr. 101, 28. 3. 1849; in jüngster Zeit z.B. hot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 693. 2 In diesem Sinne z.B. Eyck, Frank, Deutschlands große Hoffnung, S. 445f., 461 ff.; Botspnbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 694 f. 3 Vgl. S. 201 f. 1

9. Der Abschluß der Reichsverfassung

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Obwohl der gemäßigt-liberale Charakter der Verfassung auf eine Verständigung der Bourgeoisie mit der Feudalklasse zugeschnitten war, hatten sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Lagern doch verstärkt. Dies hing mit mehreren Umständen zusammen : 1. Wichtige Kräfte am preußischen Hofe, deren Einfluß im Wachsen begriffen war — namentlich Friedrich Wilhelm IV. und die Kamarilla —, standen der Begründung eines Bundesstaates unter preußischer Führung selbst ohne Mitwirkung der Paulskirche, vor allem aus Rücksichtnahme auf Österreich und andere europäische Mächte, mindestens sehr distanziert gegenüber; 2. Regierung und Hof in Berlin wiesen einmütig den Anspruch der Frankfurter Nationalversammlung, oberste Instanz der Verfassunggebung zu sein, zurück; 3. das Verfassungswerk enthielt demokratische Elemente, wie die Vetoregelung und das Wahlrecht, die von Adel und Fürsten erbittert bekämpft wurden; 4. die Frankfurter Nationalversammlung hatte mit ihrem Verfassungswerk Preußen einem Entscheidungszwang ausgesetzt, den dessen Regierung unbedingt vermeiden wollte, da nicht nur der Klärungsprozeß auf Seiten der preußischen Regierung noch nicht weit genug gediehen war, sondern diese vorläufig auch nicht bereit war, die Rolle eines Vorreiters der Verfassungsgegner zu übernehmen; 5. schließlich war die Verabschiedung des Frankfurter Grundgesetzes Ausdruck dafür, daß die Gagern-Liberalen dem adlig-monarchischcn Lager mit einem höheren Selbständigkeitsanspruch und mit weitcrreichenden Forderungen als bei ihrem ersten verfassungspolitischen Angebot Ende 1848 entgegentraten. Die Auseinandersetzungen um die Frankfurter Reichsverfassung hatten gezeigt, daß die Reichsverfassung kaum auf dem von den Gagern-Liberalen gewünschten Wege, d. h. allein durch eine Verständigung mit Adel und Fürsten, namentlich mit Preußen, und unter gleichzeitiger Wahrung der eigenen relativen Selbständigkeit durchgesetzt werden konnte. Vielmehr war zu erwarten, daß die aristokratisch-monarchischen Kräfte dem in Frankfurt ausgearbeiteten Grundgesetz nach dessen Fertigstellung noch härteren Widerstand entgegensetzen würden. Eine erneute Verschärfung des Konfliktes zwischen dem Lager der Konterrevolution und den revolutionären Kräften des Volkes mußte zwangsläufig die Folge sein.

Zwischen Selbstaufgabe und revolutionärem Verfassungskampf. Die Gagern-Liberalen in den Auseinandersetzungen um die Verwirklichung der Reichsverfassung im Frühjahr 1849 (April-Juni)

Ende März/Anfang April 1849 gab es Anzeichen, daß sich Deutschland an der Schwelle eines neuen revolutionären Aufschwungs befand. Der Ausbruch eines bewaffneten Kampfes, wie er in Italien und Ungarn in dieser Zeit erneut aufflammte, stand allerdings noch nicht unmittelbar bevor. In einer Reihe von Gebieten, so in Nordwest-, in Mittel-, Südwest" und Westdeutschland, verstärkte sich jedoch die Aktivität der revolutionären Kräfte des Volkes. Von großer Bedeutung für den Fortgang der Bewegung waren die Bestrebungen einer größeren Zahl von Arbeitervereinen nach umfassender und stabilerer Organisierung, weil sich mit der Arbeiterbewegung zugleich auch die entschiedenste revolutionäre Triebkraft formierte. Die Massenbasis der außerparlamentarischen Opposition stellte jedoch das demokratische Kleinbürgertum, dessen Führung vor allem darauf orientierte, Adel und Fürsten mit gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen. In einer Reihe von Mittel- und Kleinstaaten wie Sachsen, Württemberg, Baden und den thüringischen Herzogtümern verstärkten kleinbürgerlichdemokratische Kräfte im Frühjahr 1849 ihre Agitationstätigkeit namentlich außerhalb der Parlamente. Sie konzentrierten sich dabei jedoch zunächst hauptsächlich auf den legalen Rahmen, vor allem auf das Wirken in Versammlungen und Vereinen. Soweit revolutionärdemokratische Kräfte in einigen Gebieten Deutschlands Vorbereitungen für eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Adel und Fürsten trafen, verliefen diese, wie im Lager der Konterrevolution, zunächst im verborgenen. Die Hauptgegner standen sich vorerst abwartend gegenüber. Die Gagern-Liberalen zogen aus dieser allgemeinen Lage den Schluß, daß es möglich sein müsse, ihre Verständigungspolitik gegenüber Adel und Fürsten zunächst fortzusetzen, ohne zum Opfer der Konfrontation zwischen Volksbewegung und Konterrevolution zu werden, ja aus der derzeitigen Kräftekonstellation sogar Vorteile für die Durchsetzung des Grundgesetzes schlagen zu können. Ihre taktische Marschroute lautete also vorerst: grundsätzliches Festhalten an der Konzessions- und Kompromißpolitik gegenüber Preußen und den anderen Einzelstaaten ohne Aufgabe des eigenen Prioritätsanspruches. Sie zeigten sich daher weder gesonnen, die kompromißlerische Position gegenüber den Fürsten und ihren Regierungen aufzugeben, noch geneigt, ein Bündnis mit den kleinbürgerlichdemokratischen Kräften in Erwägung zu ziehen. Haym drückte diesen konzeptionellen Gedanken so aus: „Zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung der Verfassung standen uns nur dieselben Kräfte zu Gebote, die zu ihrer Errichtung verwandt worden waren." 1 Mit anderen Worten: Aktivitäten zur Durchsetzung des Grundgesetzes gegenüber den fürstlichen Regierungen sollten zwar nicht ausgeschlossen, jedoch auf die „einhellige und maßvolle Anwendung" gesetzlicher Mittel beschränkt 1

Haym, Kudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 3.

1. Die Angebote an Preußen

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werden. 1 Daß dieser Grundgedanke auch bei den anderen Parteien der Regierungskoalition nicht umstritten war, bewies beispielsweise die Zustimmung des einflußreichen Führers des Augsburger Hofes Riesser 2 , der kein prononcierter Anhänger der Verständigungspolitik war. Nicht unwesentliche Teile des Weidenbusch waren andrerseits wenigstens anfänglich, unter Verweis auf die öffentliche Meinung und die positive Resonanz, die das Grundgesetz auch in weiten Kreisen des Volkes gefunden hatte, bereit, in gewissen Grenzen Druck auf die Einzelregierungen auszuüben, und zwar dies sowohl in geheimen Sondierungen als auch bei öffentlichen Auftritten. Von diesem Bemühen gekennzeichnet waren insbesondere die Reisen einer Reihe von Frankfurter Parlamentariern nach Norddeutschland, wo sie versuchten, „für das Kaisertum Proselyten zu machen". 3 1. Die A n g e b o t e an Preußen Naturgemäß konzentrierten sich die Bemühungen der Gagern-Liberalen vor allem auf Preußen. Dabei spielte die sogenannte Kaiserdeputation der Frankfurter Nationalversammlung Anfang April nach Berlin eine besondere Rolle. Der Plan zu einem solchen Schritt war ohne Zweifel aus der Erinnerung an die von der Paulskirche veranstaltete prestigeträchtige feierliche Überbringung der Oberhauptswürde an Erzherzog Johann im Juli 1848 geboren. Daß sich eine Kaiserdeputation an Friedrich Wilhelm IV. in einer gänzlich veränderten politischen Situation wesentlich schwieriger gestalten würde, zeigte bereits das Ersuchen der Berliner Regierung an Camphausen, die Absendung einer solchen Deputation möglichst zu verhindern. 4 Trotz unterschiedlicher Motive waren sich König und Regierung in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Frankfurter Vorhaben grundsätzlich einig. Friedrich Wilhelm IV. hielt nicht nur die Übertragung der Kaiserwürde durch die Frankfurter Nationalversammlung für illegitim, er stand auch kleindeutschen Bundesstaatsprojekten in jeglicher Form nach wie vor äußerst reserviert gegenüber. Dagegen war die Regierung Brandenburg von anderen Beweggründen geleitet. Ihr Plan, die Paulskirchenverfassung höchstens mit weitgehenden Revisionsvorbehalten zu akzeptieren, sie möglichst aber am Widerstand anderer Regierungen scheitern zu lassen, um die Hände für die Schaffung eines kleindeutschen (norddeutschen) Bundesstaates auf den Trümmern der Paulskirchenverfassung freizubekommen, konnte durch eine demonstrative Kaiserdeputation, verbunden mit dem Zwang, sich frühzeitig festzulegen, gestört, wenn nicht vereitelt werden. Camphausen, die letztere Variante von nun an eigentlich nur noch als Minimallösung betrachtend 5 , hat, soweit bekannt, nichts gegen' die Absendung der Deputation unternommen. Er durfte erwarten, daß sie dem Widerstand gegen den kleindeutschen Bundesstaat auf der Berliner Seite entgegenwirken werde, und war sich sicher, daß der Wunsch nach einer Revision des Grundgesetzes auch bei den Gagern-Liberalen Gehör finden würde. 1 2 3 4 5

Laube, Heinrich, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 422. Riesser, Gabriel, Gesammelte Schriften, hrsg. v. H. Isler, Bd. 4, Frankfurt am Main/Leipzig 1868, S. 585. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 10, Berichte III/IV, Bl. 290. Vgl. Depesche v. Arnims an Camphausen v. 29. 3. 1848 in: ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 21, Bl. 294. Vgl. Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 99ff.

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Zwischen Selbstaufgabc und Verfassungskampf

Im Gegensatz zur Reichsverweserabordnung reiste die fast ausschließlich aus WeidenbuschVertretern bestehende Abordnung 1 unter der Leitung des Parlamentspräsidenten E. Simson nahezu unbeachtet nach Berlin 2 , wo sie eher als eine Gruppe von Bittstellern denn als Überbringer der höchsten politischen Würde empfangen wurde, wenn auch der Monarch und seine Regierung sehr unterschiedliche Töne anschlugen. Am 2. April, dem Ankunftstag, hatte Brandenburg erklärt, die Regierung werde alles aufbieten, „daß das erstrebte, jetzt nahe gerückte Ziel bald ganz erreicht werde" 3 , aber sie benötige hierzu das Einverständnis der anderen Regierungen. Dagegen ließ sich die tags darauf von Friedrich Wilhelm IV. abgegebene Erklärung kaum anders denn als eine Absage verstehen. Die Möglichkeit der Übernahme der Oberhauptswürde durch den preußischen Monarchen war allenfalls vage angedeutet. Aber der König ließ keinen Zweifel, daß er die Kaiserkrone nicht aus den Händen des Parlaments entgegennehmen würde. Wenn überhaupt, so waren seiner Meinung nach einzig und allein die deutschen Fürsten, Deutschlands „gekrönte Häupter"'', zu einer solchen Entscheidung berufen; kein Parlament hatte hieran Anteil zu nehmen. Somit waren die Beauftragten der Frankfurter Nationalversammlung von vornherein als ungebetene Gäste abgestempelt worden. Die Erklärung des Königs, Preußen werde Schwert und Schild auch „ohne Ruf" gegen Deutschlands innere und äußere Feinde einsetzen5, ergänzte die Zurückweisung des Parlaments durch die Kampfansage an die revolutionäre Bewegung. Von vernebelter Sprache zum politischen Klartext übergehend, formulierte Friedrich Wilhelm IV. das Resümee seiner Antwort, die er den Parlamentariern gegeben hatte, so: „Ich kann Euch weder ja noch nein antworten. Man nimmt nur an und schlägt nur aus eine Sache, die geboten werden kann — und Ihr habt da gar nichts zu bieten: das mach ich mit meinesgleichen ab, jedoch zum Abschied die Wahrheit: gegen Demokraten helfen nur Soldaten, Adieu !"6 Demgegenüber mußte überraschen, daß die Zirkulardepesche an die preußischen Gesandtschaften bei den deutschen Regierungen vom 3.(4.) April im Prinzip Brandenburgs Erklärung vom Ankunfttage der Deputation wiederholte, ja von den anderen deutschen Regierungen sogar definitive Erklärungen innerhalb von 14 Tagen über die „deutsche Sache" verlangte. Erst bedingte Annahme, dann Absage, nun auf einmal wieder ein Ja mit Konditionen, verbunden mit dem Ersuchen an die anderen Regierungen, sich gleichfalls zu erklären — alles das ergab ein im ganzen widersprüchliches Bild. Doch nichts änderte daran, daß die Deputation mit ihrem eigentlichen Anliegen, der Übertragung der Kaiserwürde aus eigener Machtvollkommenheit, gescheitert war. Brandenburg selbst hat in einer von der bürgerlichen Geschichtswissenschaft weitgehend übernommenen Analyse der Vorgänge um die Kaiserdeputation7 nachzuweisen versucht, daß König und Ministerium nahezu konträre Positionen eingenommen hätten — auf der einen Seite (beim König) unter dem Einfluß der Kamarilla Ablehnung „in der denkbar schroffsten Form"8, auf der anderen Seite Annahme unter Vorbehalt. Daß selbst zwischen Zusammensetzung der am 28./29. 3. benannten Abordnung in: StB, Bd. 8, S. 6098; von den 34 Mitgliedern der Deputation traten Schoder und Mittermaier die Reise nicht an. 2 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 10, Berichte III/IV, Bl. 290/90 v. 3 Vgl. den Bericht E. Simsons: StB, Bd. 8, S. 6125. 4 Ebenda, S. 6126. 5 Ebenda. 6 Brief Friedrich Wilhelms IV. anBunsen, Ostern 1849; zitiert nach Simson, Eduard, Erinnerungen, S. 193. 7 Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 211 ff. 8 Ebenda, S. 213. 1

1. Die Angebote an Preußen

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dem „loyalen" Flügel des Kabinetts (einschließlich Brandenburg) und dem Monarchen nicht zu übersehende Meinungsunterschiede bestanden, ist unbestritten. Ob sie das von Brandenburg behauptete Ausmaß besaßen, bleibt fraglich. Daß das Ministerium für ein J a unter Vorbehalt eintrat, darf als gesichert gelten. Wie Prokesch-Osten, der österreichische Gesandte in Berlin, mitteilte, sollen ursprünglich sogar drei Minister (v. d. Heydt, Rintelen und v. Raabe) für die unbedingte Annahme des Frankfurter Angebots eingetreten sein. 1 Schließlich verständigte man sich aber doch auf ein J a mit Vorbehaltsklausel, mit deren Hilfe die Tür für weitgehende Revisionswünsche offengehalten werden konnte. Auch ist bekannt, daß Friedrich Wilhelm IV. in jenen Tagen sich beispielsweise der Übernahme des militärischen Oberbefehls mindestens für Norddeutschland nicht einmal abgeneigt zeigte. 2 Die Auffassungen von Krone und Regierung schienen also durchaus nicht gänzlich unvereinbar. Was sich nach wie vor als eine von beiden getragene mögliche Variante preußischer Politik abzeichnete, war das von Camphausen bis Ende März 1849 hauptsächlich verfolgte, jetzt aber von ihm nur noch als Ausweichmöglichkeit angesehene Projekt der Gründung eines kleindeutschen (norddeutschen) Bundesstaates im Alleingang, 3 unter Ausnutzung der Resonanz, die das Frankfurter Verfassungswerk auch außerhalb des Parlaments fand. Daß Camphausen seine Zielvorstellungen in der angegebenen Weise modifiziert hatte, bewies nicht zuletzt seine verärgerte Reaktion auf das Ergebnis der Kaiserdeputation. 4 Geht man von der nicht unbegründeten Annahme aus, daß die Grenze der Konzessionsbereitschaft der Gagern-Liberalen gegenüber Preußen noch nicht erreicht war, so war auch nach dem Mißerfolg der Kaiserdeputation die Voraussage nicht gänzlich von der Hand zu weisen, daß sich die Ambitionen der Gagern-Liberalen und Preußens auf dem Gebiete der „deutschen" Politik 1849 vielleicht doch noch einmal begegnen würden. Die Kaiserdeputation war zwar mit ihrem Anliegen erfolglos geblieben, dennoch hatten die Schöpfer der Reichsverfassung zunächst noch Grund zu der Hoffnung, daß die Antwort der Berliner Seite nicht deren absolut letztes Wort zur deutschen Frage war. Diese Erkenntnis setzte sich auch in den Stellungnahmen der Weidenbusch-Vertreter zum Ergebnis der Gespräche in Berlin durch und prägte das taktische Verhalten der Gagern-Liberalen in der ersten Hälfte des Monats April. Während Simson und mit ihm die Mehrheit der Deputation (im Gegensatz zu Dahlmann, Riesser und Biedermann) sich geneigt zeigten, die Ablehnung als definitiv und das Angebot an den preußischen Monarchen damit als erledigt zu betrachten 5 , stieß diese Haltung bei der Majorität des Weidenbusch auf Ablehnung. 6 Diese glaubte, die Chance für die Durchsetzung ihres Verfassungsprogramms dadurch zu erhalten, daß sie allen revolutionären Konsequenzen aus dem Scheitern der Deputation entgegentrat, die Bedeutung der Absage herunterspielte und an frühere Erklärungen des preußischen Monarchen über eine „deutsche" Mission Preußens anknüpfte. 7 Sie verschloß sich freilich vorerst der Einsicht, 1 2 3 4

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Vgl. Friedjung, Heinrieb, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 1, S. 507. 'Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung, S. 210f. Vgl. auch Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 381. ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 21, Bl. 323; GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 192 (Bericht Camphausens an v. Arnim v. 4. 4.1849). Vgl. Riesser, Gabriel, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 462; Biedermann, Karl, Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte, Breslau 1886, S. 379. Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 418. Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 66ff.

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

daß, wenn Preußen überhaupt seine Versprechungen einlösen würde, dies nur mit der Aufgabe des verfassungspolitischen Selbständigkeitsanspruchs durch die Gagern-Liberalen erkauft werden konnte. Unerfüllbar nannte die „Deutsche Zeitung" demgemäß das Verlangen Preußens, es sollten „jetzt in diesem Augenblicke in der eben vollendeten Verfassung wesentliche Stücke abgeändert werden". 1 Und die Zentrenkorrespondenz wurde zunächst nicht müde, auch nach dem Mißerfolg der Kaiserdeputation in immer neuen Varianten zu wiederholen: „In uns allen, um es wieder und wieder zu sagen, lebt kein anderer Gedanke als der von der Aufrechterhaltung der Verfassung als eines ungeteilten und unteilbaren Ganzen." 2 Auch Nizzes Beteuerung, erst der folgende Reichstag könne sich mit Verfassungsänderungen befassen, bekräftigte lediglich diese Linie. 3 Die Tatsache, daß solchen Verlautbarungen Illusionen über das politische Kräfteverhältnis zugrunde lagen, schloß nicht aus, daß die Mehrheit der Gagern-Liberalen realistisch genug war, diese Orientierung lediglich als eine Verhandlungsposition zu betrachten. So widersetzte sich der Weidenbusch beispielsweise dem von der Linken am 11. April erwogenen Antrag, Preußens König das Recht abzusprechen, die Annahme der Kaiserkrone mit weiteren Bedingungen zu verknüpfen. Wenige Tage später berichtete der preußische Bevollmächtigte aus Frankfurt am Main, im Weidenbusch seien die preußischen Abgeordneten für „die Annahme der Verfassung unter Vorbehalt.der Revision, weil sie von einer Verzögerung gänzliche Auflösung der Versammlung und Anarchie in Süddeutschland besorgen". 4 Im übrigen gaben sich die Gagern-Liberalen der Hoffnung hin, daß Krone und Regierung durch Kräfte im eigenen Lager (Camphausen, Regierungen der Klein- und kleinen Mittelstaaten) zum Einlenken gedrängt würden. Der Prozeß der Meinungsbildung verlief innerhalb des Weidenbusch nicht reibungslos. Teile der Gruppierung drängten, z. T. unter dem Einfluß der gleichfalls auf Verfassungskurs operierenden Mehrheit der parlamentarischen Linken, auf entschiedenere Maßregeln, um Ende April sogar in eine deutliche Konfrontation mit den renitenten Regierungen zu gelangen. Momentan aber ordneten sie sich ihrer Führung unter. Diese war sich einig, zunächst abzuwarten und auf weitere demonstrative Akte gegenüber Preußen vorerst zu verzichten, allenfalls auf die kleineren Staaten Druck auszuüben. „Unser Vorwärtsdrängen", schrieb Haym, „wird diese Regierung (Preußen — G. H.) nur zurückscheuchen, einen halben und noch zu gewinnenden Freund (!) zu einem unüberwindlichen Feinde verkehren." 5 Bereits am 4. April hatten sich die Gagern-Liberalen einer für sie unter diesen Umständen heiklen Stellungnahme zur Kaiserdeputation dadurch zu entziehen vermocht, daß sie einem Antrag von Raveaux, die Abordnung sofort zurückzurufen, die Dringlichkeit verweigerten. 6 Giesebrechts Privatbrief vom 8. April brachte die Position seiner Partei hingegen genau zum Ausdruck: „Es mag gut sein, daß die Deputation die Erklärung des Königs als eine Ablehnung der Wahl aufgenommen und sich dementsprechend ausgesprochen hat; die Reichsversammlung, meine ich, wird die königliche Antwort nur als eine aufschiebende betrachten, auf welcher man von Berlin her einlenken kann, wenn man sonst nur w i l l . . . 1 DZ, Nr. 95,5. 4.1848. 2 Parlamentskorrespondenz der Zentren, Nr. 111, 9. 4.1849; im gleichen Sinne Nr. 110, 8. 4. 1849. 3 Stadtarchiv Stralsund, Au 241, Nizzean Zober vom 11.4.1849. « GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 258; Kamptz an v. Arnim v. 14. 4. 1849. 5 Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 52. 6 Vgl. StB, Bd. 8, S. 6110ff. (Dringlichkeit mit 191:163 Stimmen abgelehnt).

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Also, wenn man sich in Berlin nur besinnt, was Preußens und Deutschlands Wohl erfordert, so kann noch alles gut werden. Von hier aus wird es an willigem Entgegenkommen nicht fehlen." 1 Und die „Deutsche Zeitung", die noch am 8. April den Rücktritt des preußischen Ministeriums „Manteuffel" (!) verlangt hatte 2 , befand sich nun mit der parteioffiziellen Zentrenkorrespondenz auf derselben Linie: Die Antwort des Königs, so war zu vernehmen, sei weder definitiv gewesen, noch könne sie als Ablehnung aufgefaßt werden. Preußen werde sicherlich annehmen, wenn auch die anderen Staaten sich für die Verfassung erklärt hätten; man müsse ihm nur Zeit hierzu lassen 3 . Wichtige Unterstützung erwartete die Führung des Weidenbusch durch die Sondierungen der Bevollmächtigten der Kleinund kleinen Mittelstaaten 4 und vor allem die Bemühungen Camphausens. Der preußische Bevollmächtigte war auf Ersuchen seiner Regierung am 6. April nach Berlin gereist, um, wie schon im Januar und März 18495, mit dem Kabinett Brandenburg über Preußens Kurs in der deutschen Frage zu beraten. Seit dem 9. April waren mehrere Beratungen der Regierung diesem Thema gewidmet. 6 Sowohl Camphausen als auch das Ministerium waren sich in der Befürwortung einer preußischen Initiative zur Schaffung eines klein- bzw. norddeutschen Bundesstaates prinzipiell einig. Unterschiedlicher Meinung war man allerdings in bezug darauf, welche Rolle dem Frankfurter Verfassungswerk hierbei zufallen sollte. Camphausen vertrat den Standpunkt, zur Realisierung eines solchen Bundesstaatsprojekts sei ein Eingehen auf das Verfassungsangebot der Paulskirche nunmehr unumgänglich, selbstverständlich unter Wahrung des Revisionsvorbehalts. Dabei war er bestrebt, der Revision des Grundgesetzes möglichst zeitlichen Vorrang gegenüber dessen Annahme zu geben. 7 Für das Ministerium hingegen, welches sich zwar positioneil, wenn auch noch nicht über die Verfahrensweise prinzipiell geeinigt hatte, wäre dies die alleräußerste Konzession gewesen, denkbar nur unter der Voraussetzung, daß es gelänge, die Verfassung ihrer demokratischen bzw. betont unitarischen Bestimmungen zu entledigen und Preußen gegenüber der Öffentlichkeit nicht die Hauptschuld an einer solch weitgehenden Verfassungsrevision anzulasten. Camphausen knüpfte vor allem an diesen Punkt an, um seine Vorstellungen im Ministerium durchzusetzen. Wichtig für die Verwirklichung seiner Absicht war vor allem die Verständigung über jene Punkte, die in den Revisionskatalog aufgenommen werden sollten. Auf der Kabinettssitzung vom 9. April wurde Einigung u. a. darüber erzielt, daß die Bestimmung über die Vereidigung der Truppen sowie der Kaisertitel wegfallen müßten. Dem Reichsoberhaupt solle darüber hinaus statt des suspensiven ein absolutes Veto in der Gesetzgebung und bei Verfassungsänderungen gewährt werden. Wünschenswert sei auch eine Wiederaufnahme der Reichsrat-Bestimmung in die Verfassung. 8 Preußen sollte, worauf man sich gleichfalls einigte, mit der Revision des Grundgesetzes jedoch nicht vorangehen, sondern zunächst die Stellungnahmen der anderen deutschen 1 BAF, ZSg. 1/N 96, Nachlaß Giesebrecht; Giesebrecht an seine Frau v. 8. 4. 1849. 2 DZ, Nr. 98, 8. 4.1849. 3 Ebenda, Nr. 103,14. 4. 1849; Parlamtntskorrespondenzder Zentren, Nr. 114, 12. 4.1849. 4 Vgl.Jacobi, Helmut, Die letzten Monate, S. 49. 5 Vgl. S. 185, 193 6 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 101; Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 223. 7 8

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VgLJacobi, Helmut, Die letzten Monate, S. 54. Brandenburg, Ericb, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 223. Hildebrandt, Gagern

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Einzelstaaten abwarten. Camphausens von den Ministern beifällig aufgenommener Plan baute darauf, daß aller Voraussicht nach die Stellungnahme der anderen mit weitgehenden Revisionswünschen gekoppelt seien. Möglicherweise, so wurde angenommen, sei sogar mit einer direkten Ablehnung zu rechnen. Dadurch sollte Preußen unauffällig die Möglichkeit zu einer Revision der Verfassung erhalten, ohne allzu großen Prestigeverlust zu erleiden. Das Ministerium billigte Camphausens Pläne. Mehr als ein augenblicklicher Konsensus war allerdings nicht gefunden worden. Die gemeinsam erarbeitete taktische Linie schlug sich nieder in einer Instruktion Arnims an Camphausen, deren Wortlaut von diesem selbst vorbereitet worden war. 1 Sie ermächtigte den preußischen Vertreter bei der Zentralgewalt, im Sinne der getroffenen Vereinbarung „zunächst mit einigen dortigen Vertretern der bedeutenderen deutschen Regierungen . . . vertrauliche Rücksprache und sodann, wenn sie deren Zustimmung findet, nach Maßgabe der ihnen mitzuteilenden Erklärungen den verschiedenen Regierungen über Kaiserwahl und Verfassung der Nationalversammlung, sei es durch das Reichsministerium, sei es auf andere angemessene Weise, nach der Lage der Umstände die entsprechenden Eröffnungen zu machen". 2 Als allgemeine Grundsätze für die beabsichtigte Revision der Reichsverfassung wurden noch einmal hervorgehoben: 1. Das von der Paulskirche verabschiedete Grundgesetz müsse „dem Volks- und Staatenhaus aus denjenigen deutschen Ländern, welche in einen Bundesstaat mit der Krone Preußens an der Spitze einzutreten beabsichtigen, zur Beratung und Beschlußnahme" vorgelegt werden; 2. die zur „Anpassung" der Reichsverfassung an das „kleine Gebiet" erforderlichen Modifikationen sollten durch „Regierungskommissarien" vorgeschlagen und begründet werden; 3. es könnten nur solche Modifikationen vorgeschlagen werden, denen außer Preußen die Hälfte der übrigen Staaten, „nach der Bevölkerung gerechnet", zugestimmt habe; 4. bis zur vollendeten Revision der Verfassung erkläre sich Preußen bereit, „mit den sich ihm anschließenden Staaten" ein „Schutz- und Trutzbündnis" einzugehen. 3 Damit war der Anspruch der Paulskirche auf verfassunggeberische Priorität zwar nicht anerkannt, aber es lag immerhin eine Bereitschaftserklärung vor, sich für die Schaffung eines Bundesstaates einzusetzen, wenn auch möglicherweise unabhängig vom Frankfurter Verfassungswerk. Von der Mehrheit der Gagern-Liberalen wurde dies nach dem königlichen Nein als Zeichen des Einlenkens, als Basis für weiteres Verhandeln, mithin auch als Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Abwartetaktik nach dem 3. April gewertet. Camphausens Bemühungen schienen also zum Teil die erwarteten Früchte getragen zu haben. Aber die in Berlin erzielte Übereinkunft ruhte, was vom preußischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt nicht ganz erkannt wurde, keineswegs auf festen Grundlagen. Der innerhalb des Kabinetts Brandenburg erzielte Konsensus war nicht stabil; die Befürworter einer „unitarischen" Politik standen unter massiver Kritik seitens Friedrich Wilhelms und der Kamarilla. Offenbar übersah Camphausen vor allem die Tatsache, daß die ohnehin nicht sehr entschiedene Befürwortung seines Projekts bei der Regierung in dem Augenblick Abgedruckt bei Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausens, S. 117—123; zu dieser Problematik vgl. auch Jacobi, Helmut, Die letzten Monate, S. 44f. 2 Hildebrandt, Gunther, Zur Rolle Ludolf Camphausesn, S. 121. 3 Ebenda, S. 1 1 9 f . 1

1. Die Angebote an Preußen

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auf eine harte Probe gestellt würde, wo eine starke Mehrheit der anderen Staaten auf Revisionsvorbehalte verzichtete und Preußen, wenn es seine Pläne realisieren wollte, das Odium der Verfassungsfeindlichkeit auf sich ziehen mußte. Genau diese Situation aber trat Mitte April 1849 ein. Am 14. April, noch vor der Rückkehr Camphausens nach Frankfurt am Main, wurde der preußischen Gesandtschaft bei der provisorischen Zentralgewalt eine Note von 28 Kleinund kleinen Mittelstaaten zugestellt 1 , deren Unterzeichner im wesentlichen mit denen der Kollektiverklärung vom 23. Februar identisch waren. Ihr Zustandekommen darf nicht zuletzt den intensiven Bemühungen der Führung der Gagern-Liberalen zugute gehalten werden. 2 Die Unterzeichnerstaaten äußerten ihre lebhafte Befriedigung darüber, „daß seine Majestät der König von Preußen geneigt sind (!), an die Spitze des deutschen Bundesstaates zu treten". 3 Sie erklärten sich bereit, ihre Einwände gegen das Grundgesetz zurückzustellen, da ihre Bedenken „nicht im richtigen Verhältnisse zu den großen Gefahren, welche einen längeren Verzug des Verfassungswerkes dem gemeinsamen Vaterlande notwendig bringen müßte", stünden. Die 28 Staaten gaben der Erwartung Ausdruck, „daß die königlich-preußische Regierung in Berücksichtigung der für alle Teile Deutschlands gleichmäßig dringenden Beweggründe denselben Grundsätzen folgen und die Überzeugung gewinnen werde, daß sie auf diese Weise dem hohen Berufe, der ihr die Neugestaltung Deutschlands anweist, zu genügen imstande sein werde". 4 Damit war geschehen, was die Regierung in Berlin tunlichst hatte verhindern wollen. Preußen besaß seitens jener Staaten, die an einem Beitritt zum Bundesstaat interessiert waren»keine Rückendeckung mehr für seine weitgespannten Revisionsforderungen. Es sah sich vielmehr durch sie gedrängt, seine Bedenken gleichfalls zurückzustellen, wenn auch das Votum der größeren Mittelstaaten zunächst noch ausstand. Camphausen zeigte sich keineswegs darüber erfreut, daß die Regierungen der Klein- und kleinen Mittelstaaten dazu beigetragen hatten, Preußen in eine ungünstige Position hineinzumanövrieren. 5 Dennoch gab er seine Pläne nicht auf. Zunächst kündigte er, ohne ein weiteres Mal Rücksprache mit Berlin zu nehmen, Gagern an, seine Regierung werde mit ihrer Entscheidung, ob die Verfassung angenommen werden könne, „noch eine kurze Frist warten". 6 Camphausen baute darauf, daß Brandenburg die in den beiderseitigen Verhandlungen gegebene Zusage halten werde, man wolle mit der Erklärung voraussichtlich solange warten, Abgedruckt in Dokumente ^¡ir deutschen Verfassungsgescbicbte, S. 333f. Vgl. Hqym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 46; DZB, Nr. 18, 19. 4.1849. 3 Dokumente sytr deutschen Verfassungsgescbicbte, S. 333. < Ebenda, S. 334. 5 Vgl. Ludolf Camphausen an Otto Camphausen v. 17. 4. 1849 in Obermann, Karl, Zur Tätigkeit Ludolf Camphausens als preußischer Bevollmächtigtet in Frankfurt a. M. Juli 1848 bis April 1849. Mit unveröffentlichten Briefen, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 8, 1973, S. 455. Im gleichen Sinne auch Rechberg: „Herr Camphausen ist von Berlin zurückgekehrt und ist sehr mißgestimmt über die Eile, mit welcher ein großer Teil der kleinen deutschen Regierungen ihre unbedingte Unterwerfung unter die Reichsverfassung erklärten. Preußen würde nunmehr allein das Odium der nötig erscheinenden Abänderungen zu übernehmen haben" (ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 10, Berichte III/IV, Bl. 367; Rechberg an Schwarzenberg v. 17. 4. 1849); ähnlich auch Rechberg an Schwarzenberg v. 19. 4. (ebenda, Bl. 372); vgl. auch Jacobi, Helmut, Die letzten Monate, S. 52 f. « Vgl. Note Camphausens an H. v. Gagern v. 17. 4. 1849 (Abschrift), in: ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher 1

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Bund, Nr. 10, Berichte III/IV, Bl. 370; StB, Bd. 8, S. 6210. 15*

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

bis die vier Königreiche — Sachsen, Württemberg, Hannover und Bayern — ihre Stellungnahmen abgegeben haben würden. 1 Er rechnete damit, daß sie sich dem Grundgesetz gegenüber erheblich widersetzen würden. Erhöben sich aber derart gewichtige Stimmen gegen die Verfassung, so verfügte Preußen über genügend Rückendeckung bzw. Entschuldigungsgründe, seine Revisionspolitik weiter betreiben zu können. Camphausens Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Brandenburg sagte sich angesichts der durch die Erklärung der 28 Staaten geschaffenen Situation vielmehr von der nolens volens gegebenen Zusage an Camphausen los und verkündete am 21. April in der 2. preußischen Kammer offiziell, daß die Reichsverfassung in der vorliegenden Form für Preußen unannehmbar sei. Damit war ein von Camphausen für äußerst wichtig erachtetes Prinzip verletzt worden: Preußen dürfe im Interesse seiner Bundesstaatspläne nicht zum Vorreiter der Feinde der Reichsverfassung werden. Der preußische Bevollmächtigte bei der Zentralgewalt betrachtete dies als eine Niederlage der von ihm vertretenen Verfassungspolitik und erklärte einen Tag nach der Erklärung Brandenburgs seinen Rücktritt. 2. Die parlamentarischen Schritte zur V e r w i r k l i c h u n g des Grundgesetzes Durch die Verlautbarung vom 21. April war auch für die Gagern-Liberalen eine neue Situation entstanden, hatte sich doch die preußische Regierung erstmals in aller Form öffentlich von der Reichsverfassung distanziert. Dennoch wich die liberale Erbkaiserpartei zunächst nicht von ihrer taktischen Marschroute ab. Noch ehe die Vorgänge um die Erklärung vom 21. April in Frankfurt in ihrer ganzen Tragweite bekannt bzw. erfaßt wurden, begann die Paulskirchenversammlung am 23. April mit einer Grundsatzdebatte über ihre Position in den Auseinandersetzungen um die Reichsverfassung, die inzwischen nahezu alle Klassen und Schichten ergriffen hatten. Zunächst sollte an der Taktik des Abwartens, des Weiterverhandelns, aber auch des Festhaltens an der Integrität der Verfassung (als Verhandlungsposition), des vorsichtigen Drängens gegenüber den Regierungen der Einzelstaaten festgehalten werden. Hierfür waren neben der grundsätzlichen Verneinung revolutionärer Gewalt zur Durchsetzung der Reichsverfassung weitere Umstände ausschlaggebend: 1. Nicht ganz zu Unrecht werteten die Gagern-Liberalen auch die jüngste preußische Erklärung noch nicht als Absage an einen klein- oder norddeutschen Bundesstaat schlechthin; 2. einer Verminderung der Konzessionsbereitschaft der Liberalen gegenüber Preußen wirkte die zunehmende Aktivität der demokratischen Kräfte vor allem im außerparlamentarischen Bereich, aber auch in einer Reihe von Landtagen entgegen 2 ; 3. die Gagern-Liberalen wurden in ihrem Beharren auf der vorher skizzierten Politik auch durch den Kräftezuwachs bestärkt, den sie durch die Spaltung der Linken in der Paulskirche (Annäherung der gemäßigten Linken unter L. Simon an die liberale Erbkaiser1

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Hierüber hatte es in den Verhandlungen zwischen Camphausen und der Regierung Brandenburg Einverständnis gegeben (vgl. Camphausen an v. Arnim v. 22. 4.1849, in: GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 346-349 v.). Dazu zählten neben den demokratischen Vereinen vor allem in Mittel-, West- und Südwestdeutschland die Märzvereine. Außerdem gab es Bestrebungen, den Kampf der oppositionellen Gruppen in den Landtagen für die Durchsetzung der Reichsverfassung im überregionalen Rahmen zu organisieren bzw. zu koordinieren (vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 200f.; vgl. auch BAF, Parlamentskorrespondenz der Linken v. 14. 4.1849).

2. Die parlamentarischen Schritte

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partei) erhielten, obwohl auch die gemäßigte Linke konsequent auf der Integrität des Grundgesetzes beharrte. 1 Der mit der Berichterstattung über die Maßregeln, „welche zur Durchführung der verkündeten Reichsverfassung für nötig erscheinen", beauftragte sogenannte Dreißiger-Ausschuß 2 plädierte für jene Grundsätze, die von den Gagern-Liberalen bereits Anfang April, nach Bekanntwerden des Mißerfolgs der Kaiserdeputation, entwickelt worden waren. Dies war nicht zuletzt eine Folge dessen, daß — so die Zentrenkorrespondenz — es den gemäßigten Kräften im Dreißiger-Ausschuß gelungen war, die „Beschlußfassung . . . im Sinne politischer Klugheit zu dirigieren". 3 Die Revision des Grundgesetzes wurde im Gutachten der Ausschußmajorität mit keinem Worte erwähnt. Trotzdem war erkennbar, daß sich hier der gemäßigte Einfluß der Männer um Gagern, Mathy, Bassermann durchgesetzt hatte. Die Zirkularnote der preußischen Regierung vom 3. April ließe, so wurde erklärt, die „Annahme der Oberhauptswürde auf Grundlage der Reichsverfassung" als möglich erscheinen. Daher müsse man „zwar fest, aber besonnen voranschreiten". 4 Nutze die Nationalversammlung ihre „gegenwärtig starke Stellung" mit „Weisheit und Mäßigung" aus, so werde sie schließlich auch den Sieg erringen. 5 Dementsprechend lauteten die vorsichtig formulierten Anträge der Ausschuß-Mehrheit: 1. Die Annahme der Oberhauptswürde setze die Akzeptierung des Grundgesetzes voraus; 2. die Nationalversammlung möge Preußen und die anderen Königreiche erneut auffordern, die Verfassung anzuerkennen; 3. die provisorische Zentralgewalt sollte ersucht werden, „mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln für die Durchführung der Verfassung mitzuwirken". 6 Diese Anträge lagen auf der Linie jener Grundsatzerklärung, die die Zentrenkorrespondenz wenige Tage vor Beginn der Debatte mit Bezug auf die Verfassungsbewegung veröffentlicht hatte: „Wir wissen . . ., daß man das Ziel der Reform nur auf dem Wege der Reform erreichen kann, daß, indem man den Pfad der Revolution einschlägt, man sich der Macht der Revolution überliefert, und wir werden darum, solange als möglich, mit dem Ziele der Reform auch am Wege der Reform festhalten." 7 Demgegenüber sprachen sich die Anträge der zur verfassungstreuen Gruppe der Linken (L. Simon) zählenden Ausschußminorität im Sinne einer umfassenden Nutzung der legalen Möglichkeiten für sofortiges Handeln des Parlaments aus. Die Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum Kaiser müsse dementsprechend als erledigt betrachtet werden. An seiner Stelle sollte vorübergehend eine fünfköpfige Regentschaft amtieren, der Erbkaiserparagraph des Grundgesetzes jedoch trotzdem erhalten bleiben. Diese Regentschaft habe für die „unverzügliche Aufstellung einer zum Schutze der Nationalversammlung und zur Durchführung der Verfassung erforderlichen bewaffneten Macht" zu sorgen. Ferner wären die Parlamente der J 2

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Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 193ff. Der am 12. 4. 1849 gewählte Dreißiger-Ausschuß stellte das parlamentarische Organ der hinter der Reichsverfassung stehenden Gruppen der Nationalversammlung zur Vorbereitung von Maßnahmen zum Vollzug des Grundgesetzes dar. Ihm gehörten 14 Vertreter des Weidenbusch, 14 Abgeordnete der zur Verfassung haltenden Gruppe der Linken (einschließlich des gemäßigten Flügels der Fraktion Donnersberg) sowie zwei Mitglieder der Großdeutschen an (StB, Bd. 8, S. 6149). Parlamentskorresponden^der Zentren, Nr. 119,17. 4. 1849. StB, Bd. 8, S. 6232. Ebenda, S. 6232f. Ebenda, S. 6233. Parlamentskorrespondenz der Zentren, Nr. 122, 20. 4.1849.

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

Einzclstaaten aufzufordern, „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die Durchführung der Reichsvcrfassung zu unterstützen". 1 Mit diesen Anträgen wurde noch nicht revolutionärer Boden betreten. Sie reichten auch nicht an das Ersuchen der Gruppe revolutionärer Parlamentarier um W. A. v. Trützschler heran, die die gesamte Oberhauptsfrage neu aufrollen wollte und für eine republikanische Lösung eintrat. 2 Dennoch gingen sie über die Forderungen der liberalen Mehrheit des Dreißiger-Ausschusses hinaus. Die Weidenbusch-Führung sah sich jedoch nicht nur mit weiterreichenden Forderungen des gemäßigt-linken Kooperationspartners konfrontiert. Auch in den eigenen Reihen verstärkten sich seit dem 23. April Unmut und Enttäuschung über die Haltung Preußens, zum Teil auch Unzufriedenheit mit dem bis dahin von den Gagern-Liberalen eingeschlagenen Kurs. 3 Um eine ausreichende Mehrheit zu erlangen, gab die Weidenbusch-Führung in der sich an die Anträge anschließenden Debatte Konzessionsbereitschaft zu erkennen, soweit dies ohne das Verlassen ihrer gemäßigten Linie möglich war. Einerseits zeigten sich die Wortführer des Weidenbusch bereit, ihre Anträge zu modifizieren, andererseits waren sie intensiv bemüht, die Berechtigung wirklich weiterreichender Maßregeln in Abrede zu stellen. Bassermann nahm die Unterzeichnung der Reichsverfassung durch den König von Württemberg (25. April) 4 zum Anlaß, für das Einhalten des gesetzlichen Weges, für maßvolles Vorgehen einzutreten. Jeder Eingriff vor allem in die Rechte Preußens könne dem eigenen Werke nur schaden, dies um so mehr, als „alle Widerstandskräfte gegen die Einheit, gegen unser Werk bereits mürbe zu werden anfangen und . . . selbst das Stockpreußentum sich schon auf einer geneigten Ebene" befinde. 5 Mathy gab dieselbe Empfehlung, nur mit anderen Worten: Es scheine, wie die Dinge lägen, „nur der moralische Beistand dieser Versammlung erforderlich, um den Sieg der deutschen Sache zur Entscheidung zu bringen, er bedarf nur des Ausspruches, daß dem Volke sein Wirken und die Anwendung seiner Rechte nicht geschmälert, nicht entzogen werden dürfe". 6 Dieser offensichtlichen Verharmlosung der Situation lagen nicht nur eine Verkennung der Realitäten des Kräfteverhältnisses sowie das Bemühen zugrunde, die in jenen Tagen beginnenden letzten Sondierungen der Emmissäre H. v. Gagcrns bei den Regierungen der widerstrebenden Königreiche abzuschirmen. Sie entsprang nicht minder der fehlenden Bereitschaft, selbst in einer nahezu verzweifelten Situation die Grenzen des eigenen Konzepts zu sprengen. Mit Hilfe der vermittelnden Anträge des Casino-Abgeordneten Schubert erlangte die Führung des Weidenbusch noch einmal eine ausreichende Mehrheit für ihr Konzept zur Lösung der Verfassungsfrage. Im Unterschied zur ursprünglichen Ausschußvorlage erhielt die Nationalversammlung durch die Schubertschen Anträge nunmehr den Auftrag, die sich noch widersetzenden Regierungen auch zur Anerkennung des von der Paulskirche verabschiedeten Wahlgesetzes aufzufordern. Außerdem sollten diese die Auflage erhalten, „sich 1 StB,Bd.8, S. 6236. Vgl. den bereits am 11. 4. eingebrachten Antrag Dieskau (ebenda, S. 6131); vgl. auch Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 199. 3 Die DZ berichtete, daß bereits vor Beginn der Debatte vielen Weidenbusch-Abgeordneten der Majoritätsantrag vor allem deshalb „zu milde" gewesen sei, „weil er eine Aufschiebung ins Ungewisse zu enthalten scheine" (Nr. 112,23.4.1849). 4 Mann, Bernhard, Die Württemberger, S. 318. 6 StB, Bd. 8, S. 6301. 6 Ebenda, S.6291. 2

2. Die parlamentarischen Schritte

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aller Anordnungen zu enthalten, durch welche dem Volke die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel, seinen Willen kund zu geben, in diesem entscheidenden Augenblicke geschmälert oder entzogen würden". 1 Das Reichsministerium wurde aufgefordert, dem Parlament bis zum 3. Mai über den Erfolg seiner Bemühungen zum Vollzug der Reichsverfassung zu berichten. 2 Der am 26. April in der Paulskirche erzielte Kompromiß konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch innerhalb des Weidenbusch, selbst unter den Casino-Abgeordneten, die Unzufriedenheit über die Erfolglosigkeit ihrer Bestrebungen wuchs. Selbst die „Deutsche Zeitung" kam nicht umhin, die Beschlüsse vom 26. April als ein „äußeres Maß der Zurückhaltung und des Abwartens" zu bezeichnen. 3 Wer sich den Weg vergegenwärtigt, den die Casino-Liberalen von Herbst 1848 bis in die ersten Monate des Jahres 1849 zurückgelegt hatten, und sich des kontinuierlichen Bemühens vor allem der Führungsspitze um die Wahrung der Loyalität gegenüber den einzelstaatlichen Regierungen erinnert, der ist erstaunt über die Fülle von kritischen, oppositionellen Äußerungen aus den Reihen der Casino-Fraktion gegenüber widerstrebenden Regierungen in diesen Aprilwochen/' Offensichtlich lagen die Ursachen hierfür nicht nur in der Erfolglosigkeit der eigenen Verfassungspolitik. Es scheint, daß eine Reihe von Casino-Abgeordneten erst in den intensiven Auseinandersetzungen über das Verfassungswerk politisch reifte. Dieser Trend zu einer konsequenteren Haltung eines Teils der Gagern-Liberalen gegenüber Adel und Fürsten fußte letztlich auf der Gesetzmäßigkeit, daß das unbeirrte Festhalten am bürgerlich-konstitutionellen Programm 1849 zu entschiedeneren antifeudalen Positionen führte, als sie in der Regel von der Mehrheit der Gagern-Liberalen geltend gemacht wurden. Nach Durchsicht der Wiener Quellen erscheint es nicht ausgeschlossen, daß diese antipartikularistischc, oppositionelle Stimmung bei einzelnen gemäßigten Liberalen beispielsweise auch von österreichischer Seite bewußt geschürt wurde, weil diese offenbar von der Annahme ausging, daß es um so eher um die Frankfurter Nationalversammlung geschehen sei, je konsequenter man dort an den eigenen Forderungen festhalte. Rechberg, seit dem 10. April Nachfolger Schmerlings in Frankfurt am Main und im Unterschied zu diesem absolut destruktiv gegenüber dem Verfassungswerk und jeglichen Bundesstaatsplänen eingestellt, schrieb am 21. April nach Wien: „Ich würde es als ein Glück ansehen, wenn die Nationalversammlung in ihrer Verblendung die Sache auf die äußerste Spitze treiben wollte. Alle Regierungen, denen noch einige Kraft des Widerstandes innewohnt, würden gezwungen, ihre letzten Hilfsmittel aufzubieten, um gemeinschaftlich den Feind, der sie zu vernichten droht, zu bekämpfen . . ." 5 Die Kritik der erwähnten Casino-Abgeordneten richtete sich verständlicherweise in erster Linie an die Adresse Preußens. „Wenn er", so der Bremer Abgeordnete und Kaufmann 1 Ebenda, S. 6327. Ebenda. 3 DZ, Nr. 117,28.4. 1849. 4 Vgl. auch Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 410f. 5 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Berichte I—IV, Nr. 10, Bl. 384 (Rechberg an Schwarzenberg v. 21. 4.1849). Zu den unterschiedlichen Auffassungen v. Rechbergs und v. Schmerlings vgl. die von letzterem mitunterzeichnete öffentliche Zuschrift einer größeren Zahl österreichischer Abgeordneter an Schwarzenberg v. 3. 4. 1849: Es genüge nicht mehr die bloße Negation des Erbkaisertums, vielmehr sei es notwendig, „daß in nochmaliger Erwägung der Notwendigkeit jener Institutionen, die das deutsche Volk verlangt und in rascher Erklärung hierüber seitens der k. k. Regierung eine gedeihliche Lösung herbeigeführt werden könne" (Frankfurter Zeitung, Nr. 71, 11. 4. 1849). 2

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

Droege bereits Anfang April über Friedrich Wilhelm IV., „seine Zeit und seine Aufgabe ganz verkennend, trotz der dem Vaterlande drohenden Gefahren, das ganze Verfassungswerk neuerdings dadurch in Frage stellt, daß er es der Prüfung — und folgerichtig auch der Beschlußnahme — eines Fürstenkongresses unterwerfen will, so muß sich das Volk einmütig dagegen erheben." 1 Der Emdener Kaufmann Brons, ebenfalls ein über seine Fraktion hinaus wenig bekannter Abgeordneter, der bereits während der Grundrechtsdebatten die Neigung bekundet hatte, im Widerspruch zur Parteiräson für die Abschaffung des Adels zu votieren 2 , schrieb nach den Beschlüssen vom 26. April: „Wir suchen noch etwas ein ruhiges Verhalten zu bewahren, um auch nicht einen Vorwand zu geben und weil wir selbst Termin bis zum 3. gesetzt haben; aber es leidet fast keinen Zweifel mehr, daß der gute Kern von 1848 verloren geht, wenn die Könige nicht gezwungen werden." 3 Auch der sächsische Unternehmer Degenkolb, der später in seinem Betrieb für die damalige Zeit fortschrittliche Sozialmaßnahmen zu verwirklichen versuchte'5, sah eine „zweite Revolution" voraus, die nicht mehr „vor den Thronen" stehenbleibe. 5 Der Bremer Kaufmann Gevekoht konstatierte, daß sich die Lage für die (liberalen) Parlamentarier seit September 1848 grundsätzlich geändert habe; „während damals die Gefahr von unten drohte, kommt sie jetzt von oben, und am Ende wird uns das Volk gegen das Militär zu schützen haben". 6 Nicht minder bemerkenswert war, daß sich Gevekoht zur gleichen Zeit auch tatkräftig für die materielle Unterstützung deutscher politischer Flüchtlinge einsetzte. 7 Die zitierten Äußerungen und Aktivitäten sind freilich keineswegs repräsentativ für die Mehrheit der Casino-Fraktion. Sie sind nicht einmal symptomatisch für einen allgemeinen Umdenkungsprozeß, wohl aber dafür, daß sich auch innerhalb der Fraktion Ende April/ Anfang Mai 1849 die Unzufriedenheit mit dem Stand der Verfassungsangelegcnheit, die Erkenntnis von der Erfolglosigkeit des bisher eingeschlagenen Weges verdichteten. Sie weisen zwar nicht auf das Vorhandensein von Bourgeoisrepublikanismus innerhalb der Gagern-Liberalen hin, lassen aber doch erkennen, daß eine kleinere Gruppe von gemäßigten Liberalen diesmal sich auch durch die allgemeine Zuspitzung des revolutionären Kampfes nicht davon abbringen ließ, unbeschadet ihrer antidemokratischen Grundposition eine klare Abwehrhaltung gegenüber der Konterrevolution zu beziehen. BAF, ZSg. 1/N 50, Nachlaß Droege; Schreiben Droeges an seine Wähler von Anfang April 1849. —Vermutlich handelte es sich hierbei um eine Art Austrittserklärung anläßlich seines Ausscheidens aus der Frankfurter Nationalversammlung am 4. 4. 1849 (vgl. StB, Bd. 8, S. 6061). Nach Eisenmann (Die Parteien, S. 17) gehörte Droege zur Casino-Fraktion. Er schloß sich offenbar später dem Augsburger Hof an (vgl. Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, S. 33). 2 BAF, ZSg. 1/N 55, Nachlaß Brons; Brons an Prestel v. 6. 12. 1848. 3 Ebenda, Brons an Prestel v. 30. 4. 1849. 4 Dazu gehörten die Errichtung von Arbeiterwohnungen, die Übergabe von Ackerland an Arbeiter, finanzielle Unterstützung für Arbeiterfamilien zur Aufnahme verwahrloster Kinder sowie weitere soziale Leistungen für Arbeiter bzw. deren Hinterbliebene (vgl. Brief Degenholbs zur Arbeiterfürsorge, in: Heimische Scholle, Beilage zum Bitterfelder Allgemeinen Anzeiger, Nr. 160, 12. 7. 1925). 5 BAF, ZSg. 1/N 8, Nachlaß Degenkolb; Degenkolb an Salomon Lesser v. 5. 4.1849. « Ebenda, ZSg. 1/N 50, Nachlaß Droege; Gevekoht an Droege v. 29. 4. 1849. 7 Ebenda sowie BAF, Parteikorrespondenz der Linken v. 7. 3. 1849. 1

3. Die weiteren diplomatischen Sondierungen

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3. Die weiteren diplomatischen Sondierungen Die Führung der Gagern-Liberalen war jedoch nicht bereit, von ihrer Verständigungspolitik gegenüber den fürstlichen Regierungen abzugehen, ungeachtet der Tatsache, daß nach der Erklärung der preußischen Regierung vom 21. April und ihren Vorbereitungen auf den bewaffneten Kampf gegen die Verfassungsbewegung nunmehr auch dem Frankfurter Grundgesetz sowie den hinter diesem stehenden Kräften unmittelbare Gefahr drohte. Die Furcht, von einer über den konstitutionellen Rahmen hinausdrängenden Verfassungsbewegung überrollt zu werden, nötigte sie zur Fortsetzung ihrer Verständigungsversuche, bewog sie jedoch nicht zum völligen Einschwenken auf die Position der aristokratisch-monarchischen Kräfte. Reichsregierung und Weidenbusch-Führung versuchten, die bis zum Ausbruch eines offenen Kampfes verbleibende Zeit und den am 26. April gewonnenen Aufschub zu nutzen, um die Regierungen der vier Königreiche mit Hilfe diplomatischen Drukkes zur Anerkennung der Reichsverfassung zu bewegen. Im Auftrage der Weidenbusch-Führung und der Regierung Gagern war Beckerath bereits vier Tage nach Eingang der Note der 28 Staaten und einen Tag nach Empfang der neuesten Note Camphausens nach Berlin gereist. 1 Er sollte hier versuchen, die Zusage zu erwirken, Preußen werde sich der Erklärung der 28anschließen, „wenn alle anderen Staaten annehmen würden". 2 Sein Angebot hieß, die Revision solle dem ersten zu wählenden Reichstag überlassen werden. Friedrich Wilhelm lehnte auch diese Vorschläge ab, ohne darauf zu verzichten, seine Ablehnung mit einigen verbindlichen Floskeln zu verknüpfen. Beckeraths beschönigender Bericht 3 wurde in Frankfurt am Main ebenso bewertet wie die Betrauung Radowitz' mit der Leitung der preußischen Außenpolitik 4 , als Zeichen nämlich dafür, daß Preußen — egal, unter welchen Modalitäten — vielleicht nun doch zu aktiverem Vorgehen in der deutschen Frage entschlossen sei. Dies sollte sich auch bestätigen, freilich nicht in dem Sinne, wie es die Gagern-Liberalen zunächst erwarteten. Immerhin trugen die sich widersprechenden Nachrichten aus Berlin dazu bei, daß sich das Reichsministerium nach den Beschlüssen vom 26. April doch zu einer neuen Initiative entschloß, für die es ohnehin höchste Zeit war, wenn man nicht endgültig von den Ereignissen überrollt werden wollte. 1

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Vgl. Brandenburg, Erich, Untersuchungen und Aktenstücke, S. 234; Duckivit^, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 298, 302, 307; GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 287; Depesche Camphausens an v. Arnim v. 18. 4. 1849. Ebenda. Vgl.Jacobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 55,61. — Offensichtlich stützte sich Beckerath hierbei vor allem auf Gespräche mit dem preußischen Prinzenpaar. Das preußische Außenministerium wurde nach der Entlassung v. Arnims am 3. 5. 1849, ähnlich wie Ende 1848/Anfang 1849, formal von Brandenburg geleitet. Zur führenden Persönlichkeit der preußischen Außenpolitik in diesen Wochen wurde jedoch Radowitz. Zur Beurteilung dieses Wechsels durch die GagernLiberalen vgl. Duckmt^, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 303; Parlamentskorrespondenz der Zentren, Nr. 126, 24.4.1849; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 375. Gegenüber Jacobis These, daß Gagerns und Radowitz' Auffassungen bei dessen Abreise nach Berlin nicht allzuweit auseinandergelegen hätten (noch deutlicher Meinecke, Friedrich, Radowitz und die deutsche Revolution, S. 235f.), scheinen Zweifel angebracht. Gagern, so behauptet J., sei bereit gewesen, sich mit dem formalen Festhalten des preußischen Königs am Zustimmungsrecht der Fürsten abzufinden. Radowitz hingegen habe sich prinzipiell für die Annahme der Verfassung ausgesprochen, jedoch, im Einverständnis mit Gagern, die Meinung vertreten, bis zur Erlangung des Einverständnisses der anderen Regierungen könne nur eine Statthalterschaft (des preußischen Königs) in Frage kommen. Unter dem Eindruck der in Berlin vorherrschenden Meinung habe er jedoch seine Meinung geändert (Jacobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 57 ff.).

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

Gagern griff nunmehr den ihm schon mehrere Tage zuvor von Duncker bzw. Droysen übermittelten Vorschlag Camphausens auf, Reichskommissare in die Residenzen der vier widerstrebenden Königreiche zu entsenden. 1 Vier prominente liberale Politiker — Bassermann, Mathy, Seebeck und Watzdorf — erhielten vom Reichsministerium den Auftrag, erneut und — wie es den Anschein hatte — zum letzten Male bei den Regierungen in Berlin, München, Hannover und Dresden über die Anerkennung der Reichsverfassung zu verhandeln. Die Entsendung dieser Beauftragten war als Zeichen unveränderter Konzessionsbereitschaft der Gagern-Liberalen gegenüber den Königreichen zu werten. Auf die verfassunggeberische Prärogative sollte jedoch nach wie vor nicht verzichtet werden. Die Revision einzelner Teile der Verfassung wurde nicht ausgeschlossen, trotzdem aber an einer Reihe von Grundpositionen festgehalten: 1. Die Abänderung der Verfassung konnte nicht so weit gehen, daß diese als Ganzes in Frage gestellt wurde; 2. die Paulskirchenversammlung blieb oberste Instanz, was bedeutete, daß das künftige Reichsoberhaupt auch aus ihren Händen die Krone entgegenzunehmen hatte; 3. die Mehrheitsverhältnisse in der Frankfurter Nationalversammlung machten es erforderlich, daß am Reichswahlgesetz (zunächst) festgehalten werden müsse. Die Lage in den letzten Apriltagen war noch immer so undurchsichtig, und ein Eingehen der Berliner Regierung auf die Angebote von Frankfurter Seite erschien noch immer nicht gänzlich ausgeschlossen, so daß die Vertreter Österreichs in Frankfurt am Main versuchten, die geplanten Missionen zu hintertreiben. Zunächst widersetzte sich der Reichsverweser, so daß Gagern sogar mit dem Rücktritt des Ministeriums drohte. 2 Schließlich unterzeichnete er, auch auf den Rat des österreichischen Bevollmächtigten Rechberg 3 hin, am 28. April die Vollmachten, jedoch nur unter der Bedingung, „daß die Mission sich bloß auf das Begehren um eine Erklärung beschränken, zu keiner Partei sich bekennen und schnell zurückkehren" solle. 4 Auch mußte auf Begehren Johanns davon Abstand genommen werden, die Beauftragten als „Reichskommissare" zu titulieren. 5 Rechbcrg, mindestens ebenso gegen die Mission wie der Erzherzog, hatte aus taktischen Gründen zum Nachgeben geraten, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Bruch zwischen Johann und dem Reichsministerium wünschte. Daß sein Rat nicht aufrichtig gemeint war, beweist die Tatsache, daß er noch vor der Abreise Bassermanns und Mathys persönliche Beauftragte nach Berlin und München entsandte, um die dortigen Regierungen auf den Schritt der Frankfurter Seite vorzubereiten 6 bzw. um sie in ihrem Widerstand gegen die Reichsverfassung zu bestärken. Die Entsendung der Emissäre Gagerns kreuzte sich jedoch mit einem Schritt des Berliner Kabinetts, der die Lage durchschaubarer machte. Am 27. April wurde in Preußen — wie auch in Sachsen, Hannover und später in Bayern — die in ihrer Mehrheit verfassungstreue 2. Kammer aufgelöst. Einen Tag später ließ der Ebenda, S. 54. BAF, ZSg. 1/N 50, Nachlaß Droege; Gevekoht an Droege v. 29. 4. 1849; vgl. auch Erzherzog Jobann von Österreich als Keicbsverweser. Der unveröffentlichte Briefwechsel mit Felix Fürst zu Schwarzenberg aus den Jahren 1848 und 1849, hrsg. v. E. Hoor, Wien (1981), S. 157. 3 Ebenda. 4 Brief Johanns an Schwarzenberg v. 1. 5. 1849; ebenda, S. 152. 5 BAF, DB 54, Nr. 20; Niederschrift H. v. Gagerns v. 28. 4. 1849; eine Abschrift der Vollmacht, in der lediglich auf den Beschluß v. 26. 4. Bezug genommen wird, in ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 10, Berichte III/IV, Bl. 458. 6 Ebenda, Bl. 445; Bericht Rechbergs an Schwarzenberg v. 27. 4. 1849. Bl. 445. 1

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3. Die weiteren diplomatischen Sondierungen

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König Ministerpräsident Brandenburg, nunmehr ohne jegliche Umschweife oder abschwächende Floskeln, erklären, die Annahme der Kaiserkrone sei abgelehnt. 1 Gleichzeitig wurden „diejenigen deutschen Regierungen, welche zu weiteren Beratungen über den jetzt einzuschlagenden Gang und die fernere Entwicklung des Verfassungswerkes mit Preußen geneigt sind", aufgefordert, zwecks baldiger Aufnahme von Verhandlungen Bevollmächtigte nach Berlin zu entsenden. 2 Wenn die Frankfurter Nationalversammlung hieran teilhaben wolle, so liege es in ihrer Hand, „der Verfassungsangelegenheit eine solche Wendung zu geben, daß die Regierungen sich mit ihr verständigen und unter ihrer Mitwirkung und auf dem Wege der Vereinbarung die von einer ruhigen Erwägung der deutschen Verhältnisse geforderten Modifikationen zustande kommen können". 3 Es bedurfte gar nicht einmal einer sehr gründlichen Prüfung dieser Schritte und Erklärungen, um zu drei Erkenntnissen zu gelangen: 1. Das Erbkaisertum nach den Vorstellungen der Gagern-Partei war abgelehnt; 2. die preußische Regierung griff den Gedanken des Bundesstaates zwar auf, erklärte jedoch die Verfassungsangelcgenheit ausschließlich zu einer Sache der deutschen Regierungen; 3. den Paulskirchenparlamentariern blieb es gewissermaßen als Privatsache überlassen, die preußische Initiative fördern zu helfen, ohne daß ihrer Mitwirkung irgendeine sanktionierende Bedeutung vorbehalten sein sollte. Wenn noch Zweifel obwaltet hätten, was die preußische Regierung von einer Verständigung mit einem verfassungstreuen Nationalparlament hielt, so mußten diese durch die Art der Behandlung, welche sie der 2. Kammer ihres Staates angedeihen ließ, ausgeräumt worden sein. Das Urteil der Zentrenkorrespondenz, die Kammerauflösung in Preußen sei die „tatsächliche Erläuterung der Stellung, welche die preußische Regierung zur deutschen Frage" 4 einnehme, war insofern durchaus zutreffend, als sich dies auf das Verfassungskonzept der Gagern-Liberalen bezog. Prominente Vertreter des Wcidenbusch haben im nachhinein ebenfalls den Erklärungen der preußischen Regierung einschneidende Bedeutung beigemessen: „Mit der Antwort vom 28. April war unsere Stellung, unsere Partei, unsere Politik verloren" 5 , schrieb Duncker. Nicht anders Haym: „Das ganze Gebäude unserer politischen Rechnung stürzte zugleich mit der Aussicht zusammen, daß der König noch für die Kaiserkrone auf dem Grund der Verfassung zu gewinnen sei." 6 Im unmittelbaren politischen Tageskampf verschloß sich die Weidenbusch-Führung jedoch zunächst dieser Erkenntnis bzw. den daraus zu ziehenden Konsequenzen, das bedeutete das Eingeständnis, daß die eigene Verfassungspolitik mindestens für den Augenblick, aller Voraussicht nach aber für einen längeren Zeitraum gescheitert war. Interne Berichte sprachen davon, daß „Hoffnungslosigkeit" und Besorgnis nach dem 28. April unter den Erbkaiserlichen eingezogen seien. 7 Im Reichsministerium waren die Meinungen geteilt. Gagern, Peucker und Duckwitz meinten, Preußen habe sich lediglich gegen die anderen Königreiche decken wollen. Selbst wenn Preußen die Kaiserwürde ablehne, so gelte dies nicht für „die Würde eines Königs der Deutschen". Die übrigen, also Beckerath, R. v. Mohl und die Vgl. die Depesche Brandenburgs an den preußischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt v. 28. 4. 1849 in: Dokumente zyir deutseben Verfassungsgeschichte, S. 337. 2 Vgl. die Depesche Brandenburgs an die preußischen Gesandtschaften bei den deutschen Regierungen ebenda, S. 339. 3 Ebenda, S. 337. 4 parlamentskorresponden% der Zentren, Nr. 131, 30. 4. 1849. 5 Duncker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 125. 6 Haym, Rudolf, Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 82 f. ' GStA, III. H. A., Nr. 51, Bl. 392; Camphausen an v. Arnim v. 29. 4. 1849. 1

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Staatssekretäre, betrachteten die preußische Erklärung als Ablehnung der Reichsverfassung. 1 Nach außen hin blieb die Führung der Gagern-Liberalen bemüht zu leugnen, daß die jüngsten preußischen Schritte für sie gänzlich unerwartet und überraschend gekommen seien. 2 Dies stand im Einklang mit der Sorge H. v. Gagerns, daß die Nationalversammlung sich weiterhin ruhig verhalte und keinerlei „Extravaganzen" hingebe 3 , ehe die Bevollmächtigten sich ihrer Aufträge entledigt hätten und Gagern der Paulskirche am 3. Mai Bericht erstatten könne. In vollem Einverständnis mit der Regierung Gagern blieben diese deshalb auf ihrem Posten, obwohl, wie Bassermann bemerkte, mit dem 28. April sich ein wichtiger Teil seiner Mission eigendich bereits erledigt habe, bevor er auch „nur einen Schritt zu deren Ausführung tun konnte". 4 Von den eingeleiteten Missionen verdient vor allem die Bassermannsche Interesse. Nach der Entscheidung vom 28. April waren ihre Erfolgsaussichten faktisch zwar auf den Nullpunkt gesunken. Nichtsdestoweniger erlaubte sie Rückschlüsse auf die Taktik der preußischen Regierung bei der Einleitung der Unionspolitik, die auf die Schaffung eines klein- und norddeutschen Bundesstaates ohne Mitwirkung der Paulskirche zielte. Sie ließ auch ein Urteil in bezug auf die Position Bassermanns in den Auseinandersetzungen um die Durchsetzung der Reichsverfassung zu, in denen dieser sich als relativ weit vorprellender Förderer der preußischen Bundesstaatspläne zu erkennen gab und bereit war, sowohl die Revision der Reichsverfassung nach dem Wunsche Preußens zu akzeptieren als auch sich mit der defacto-Ausschaltung der Paulskirchenversammlung abzufinden. Bassermann erhielt in Berlin nicht die von Radowitz, dem Exponenten der Unionspolitik, erhoffte Unterstützung. Die von der preußischen Regierung eingeschlagene Taktik bewegte sich auf der Linie ihrer Erklärung vom 28. April. Das Kabinett Brandenburg wies Bassermann zwar nicht ab. Obwohl Brandenburg hinsichtlich des Erbkaisertums nicht die geringste Zusage machte und die Reichsverfassung in der vorliegenden Form noch einmal ablehnte 5 , unterbreitete er dem Unterhändler jedoch einen Katalog mit Verfassungsänderungen, die über die bisher verlangten hinausreichtcn. Dazu zählten die Beseitigung des Suspensivvetos, die Aufnahme der Reichsrat-Bestimmung, die Änderung des Wahlgesetzes, die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Verbesserung der Einkünfte der Kirchen, die Nichtabschaffung der Fideikommisse für mediatisierte Fürsten. 6 Diese Forderungen waren keinesfalls mit der Bereitschaft gekoppelt, dafür die Kaiserkrone aus den Händen der Paulskirchenversammlung entgegenzunehmen, also die verfassunggeberische Prärogative des Parlaments, mindestens in einem sehr entscheidenden Punkt, zu akzeptieren. Vielmehr war zu erkennen, daß die preußische Regierung sich der Popularität des Frankfurter Grundgesetzes bei der Bourgeoisie und bei Teilen des Volkes im Interesse ihrer 1 Vgl. Duchvitz, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 308. 2 Vgl. etwa DZ, Nr. 122 u. 124, 3. u. 5. 5. 1849. 3 BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt, Smidt an Heinrich Smidt v. 27. 4. 1849. 4 Ebenda, DB 54, Nr. 20; Bericht Bassermanns an H. v. Gagern v. 4. 5. 1849; ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 22, Bl. 13 ff.; Schriftwechsel zwischen Bassermann und Brandenburg v. 2-/3. 5. 1849. Zur Mission Bassermanns vgl. auch Went^che, Paul, Friedrich Bassermanns letzte politische Sendung. Berichte zum Verständnis des Endkampfes zwischen Berlin und Frankfurt im Frühjahr 1849, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Jg. 1954, NF 63, S. 319—374; Hamack, Axelv., Bassermann und die deutsche Revolution, S. 86. 5 Vgl. Schreiben Brandenburgs an Bassermann v. 3. 5. 1849 (ebenda). 6 BAF, DB 54, Nr. 20; Bericht Bassermanns an H. v. Gagern v. 4. 5. 1849; ebenda, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Bassermann an H. v. Gagern v. 5. 5. 1849.

3. Die weiteren diplomatischen Sondierungen

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Unionspolitik bedienen wollte, nicht ohne allerdings diese Verfassung vorher zu entschärfen. Bassermann hingegen versuchte, allem Anschein nach wider besseres Wissen, bei der Reichsregierung den Eindruck zu erwecken, eine Verständigung der Frankfurter Nationalversammlung mit Preußen in dem von ihr gewünschten Sinne sei möglich, und die dortigen Wünsche könne und müsse man akzeptieren. Er habe, berichtete er am 4. Mai nach Frankfurt, alle Ursache zu glauben, daß die Regierung in Berlin die Verfassung in allen nicht von der Revision betroffenen Teilen annehmen werde. 1 „Es ist mir", fuhr er fort, „die bestimmteste Versicherung geworden, daß die hiesige Staatsregierung jeder Andeutung der Nationalversammlung, daß sie auch ihrerseits geneigt ist, die Hand zu einer Verständigung zu bieten, auf das bereitwilligste entgegenkommen wird, und daß auf diesem Wege das von der ganzen Nation so heiß ersehnte Ziel erreicht werden kann, wenn die Nationalversammlung dem allerdings schwierigen Standpunkt der hiesigen Regierung Rechnung tragen und daher die gewünschten Modifikationen eintreten lassen will." 2 Bassermann kündigte sogar an, die Regierung Brandenburg glaube, „die Annahme der Verfassung und des Wahlgesetzes von sehen Sachsens und Hannovers verbürgen zu können", wenn die Paulskirche auf die Forderungen Preußens eingehe. 3 Geschehe dies jedoch nicht, so werde die Regierung in Berlin auf dem in der Erklärung vom 28. April vorgezeichneten Wege weiter voranschreiten. Das Ergebnis werde dann eine Verfassung sein, von der man annehmen könne, „daß sie sich weiter von der in Frankfurt beschlossenen Verfassung entfernen wird, als wenn man nur die oben erwähnten Punkte abändern würde". 4 Aus alledem läßt sich nur schlußfolgern, daß die preußische Regierung jetzt keinesfalls mehr auf eine wirkliche Verständigung mit der Paulskirche, sondern auf eine Vereinbarung nach der Art des Dreikönigsbündnisses hinsteuerte. Nichtdestoweniger versprach sie sich von einer im äußersten Falle formalen Mitwirkung der Frankfurter Erbkaiserpartei bzw. der Reichsregierung Vorteile. Die Unterstützung der Regierung Brandenburg durch die GagernLiberalen hätte mindestens dazu beitragen können, den Widerstand der verfassungstreuen 2. Kammern in den betroffenen Einzelstaaten gegen eine von Preußen dirigierte Unionspolitik zu vermindern. Bassermann setzte sich mehrfach für ein Eingehen auf die preußischen Wünsche ein. 5 Gagern, Peucker und Duckwitz „hielten aber dafür, das Ding nicht sogleich übers Knie abzubrechen". 0 Gagern sprach sich gegen eine sofortige Abänderung des Wahlgesetzes aus. Vor allem verlangte er seitens der preußischen Regierung eine „bündige Erklärung" über diejenigen Verfassungsänderungen, „von welchen sie die Annahme der Verfassung und die Übernahme der Oberhaupts würde" abhängig mache 7 . Dies geschah jedoch nicht. Bassermann ging sogar noch weiter. Ohne ausdrückliche Ermächtigung durch das Reichsministerium unterbreitete er Brandenburg folgenden Plan: Der preußische König solle auf Antrag der Frankfurter Nationalversammlung die provisorische Zentralgewalt mit den in der Verfassung vorgesehenen Oberhauptsrechten übernehmen und einem nach dem Reichswahlgesetz zu wählenden Reichstag seine Revisionswünsche hinsichtlich der Reichsverfassung unterbreiten. Damit hätte das provisorische Reichsoberhaupt die Annahme der 1 2 3 5

Ebenda, DB 54, Nr. 20; Bassermann an H. v. Gagern v. 4. 5.1849. Ebenda. Ebenda. « Ebenda. Vgl. ebenda und FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Depesche Bassermanns an H. v. Gagern v. 5. 5. 1849.

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Duckivitz, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 312.

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BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Schreiben H. v. Gagerns an Bassermann v. 6. 5.1849.

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Verfassung solange aufschieben können, bis über die Revisionsvorschläge entschieden war. 1 Wenn auch Bassermann zu diesem Schritt formal nicht ermächtigt war, so stand dieser durchaus im Einklang mit der konzeptionellen Linie der Gagern-Liberalen. Bassermann baute darauf, daß Friedrich Wilhelm IV. die weniger spektakuläre Übertragung der (provisorischen) Oberhauptswürde durch die Paulskirchenversammlung eher akzeptieren würde, zumal es ihm möglich war, die endgültige Entscheidung aufzuschieben. Die Anfang Mai von der Paulskirche gefaßten Beschlüsse über die Durchsetzung der Reichsverfassung zum Anlaß nehmend, lehnte Brandenburg die Vorschläge jedoch ab. So ersuchte Bassermann das Reichsministerium am 8. Mai um seine Rückberufung. 2 Ein mindestens ebenso ungünstiges Bild ergab sich bei den Sondierungen Seebecks, Mathys und Watzdorfs in Hannover, München und Dresden, wo die Regierungen noch weniger Rücksicht auf die Paulskirche zu nehmen gesonnen waren als diejenige in Berlin. Die bayrische Regierung beispielsweise protestierte sogar förmlich gegen die Absendung eines Bevollmächtigten nach München. 3 Mathy erhielt zwar die Gelegenheit, sowohl mit den bayrischen Ministern als auch mit König Maximilian II. direkt zu sprechen, 4 aber er vermochte nichts auszurichten. Pfordten ließ verlauten, er habe seiner ablehnenden Erklärung zur Reichsverfassung vom 23. April nichts hinzuzufügen, und drängte Mathy, wieder nach Frankfurt zurückzukehren. Der Monarch speiste den Unterhändler mit nichtssagenden Redewendungen ab. Seebeck erhielt in Hannover durch die Regierung Bennigsen gleichfalls abschlägigen Bescheid, verbunden mit dem zusätzlichen Hinweis, daß man genötigt sei, sich vor allem an der Haltung Preußens zu orientieren. 5 Stüve brachte ferner zum Ausdruck, der Gedanke des Erbkaisertums könne nicht gebilligt werden, und die Reichsverfassung verkörpere die organisierte Revolution. 6 Am 5. Mai beschloß das Reichsministerium, Mathy und Seebeck zurückzurufen. 7 Watzdorfs Mission, erst nach anfänglicher Weigerung angetreten, fiel nahezu mit dem Ausbruch des Dresdener Maiaufstandes zusammen und kam überhaupt nicht erst zum Tragen. 8 Vgl. Jacobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 76. Bassermann an H. v. Gagern v. 8. 5. 1849 in Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 699. 3 Duckwitz erwähnt eine diesbezügliche am 28. 4. eingegangene Note des bayrischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt v. Xylander ( D u c f a v i t A r n o l d , Denkwürdigkeiten, S. 307). ^ Vgl. seine beiden Berichte v. 2. 5. 1849, in: BAF, DB 54, Nr. 20. 5 Vgl. Seebecks Bericht an H. v. Gagern v. 3. 5. 1848 (ebenda); Duckwit^ Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 310. 6 Ebenda, S. 312. 7 Vgl. Jacobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 69. 8 Über Watzdorfs Mission liegen widersprechende Angaben vor. Went^ckes Behauptung, Watzdorf habe seine Beauftragung abgelehnt (Ideale und Irrtümer, S. 230), trifft für den am 28. 4. eingeleiteten (ersten) Teil seiner Mission nicht zu. — Zwei Berichte Watzdorfs an H. v. Gagern v. 4. u. 6. 5. 1849 (BAF, DB 54, Nr. 20) bezeugen, daß es zu (brieflichen?) Kontakten zwischen Watzdorf und der sächsischen Regierung gekommen sein muß. Offenbar hat Watzdorf einem weiteren Auftrag des Reichsministeriums v. 6. 5., nämlich sich (erneut) nach Dresden zu begeben, „um etwa einrückende preußische Truppen als Reichstruppen unter seine Leitung zu nehmen und den Landfrieden herzustellen" (Duckmtz, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 313f.; vgl. auch die diesbezügliche Vollmacht für Watzdorf in GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 78/79), nicht mehr Folge geleistet. Daraufhin wurde Briegleb (Casino-Fraktion) mit der Mission beauftragt (Vollmacht für Briegleb, ebenda, Bl. 96). 1

2

4. Die Verschärfung des Verfassungskampfes

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4. Die Verschärfung des Verfassungskampfes Die Tage Ende April/Anfang Mai markierten in der Entwicklung von Politik und Taktik der Gagern-Liberalen einen wichtigen Einschnitt. Der Mißerfolg der Beauftragten des Reichsministeriums war gleichsam das äußere Zeichcn des Scheiterns einer sich nach links abgrenzenden, zugleich aber auch gegenüber Adel und Fürsten weiterhin mit einem beschränkten Selbständigkeitsanspruch operierenden Kompromißpolitik. Mit der rapiden Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen der revolutionären Volksbewegung und den reaktionären Kräften sowie dem Ausbruch bewaffneter Kämpfe in einigen Teilen Deutschlands verloren Verständigungsversuche dieser Art nahezu völlig ihre Relevanz für das weitere Schicksal der Reichsverfassung. Namentlich in West-, Südwest- und Mitteldeutschland breiteten sich revolutionäre Aktionen aus, die vorwiegend von Arbeitern, Bauern, Handwerkern, Studenten und demokratisch eingestellten Soldaten getragen waren. In der Rheinpfalz sagte sich das Volk von der Regierung in München los und wählte am 2. Mai in Kaiserslautern einen provisorischen Landesverteidigungsausschuß, dem die politische Macht übertragen wurde. In Dresden verjagten revolutionäre Arbeiter, Handwerker und Studenten den König und sein Kabinett und bildeten am 3. Mai ebenfalls eine revolutionäre Regierung. Am selben Tage brandmarkte in Elberfeld eine Generalversammlung preußischer Landwehrmänner die Regierung Brandenburg als volksfeindlich und sagte sich von ihrer Gehorsamspflicht gegenüber der Krone los. Auch Baden befand sich in jenen Tagen an der Schwelle einer neuen revolutionären Erhebung. Anlaß für all diese Unruhen waren in erster Linie die Auseinandersetzungen um die Reichsverfassung. Vor allem Staaten bzw. Gebiete in Süd-, West- und Mitteldeutschland, wo die Fürsten und ihre Kabinette das Grundgesetz ablehnten, wurden von der Aufstandsbewegung erfaßt. In mehreren Fällen, wie in Dresden und in der Rheinpfalz, hatte nicht zuletzt die Auflösung der verfassungstreuen 2. Kammern durch die renitenten Regierungen dazu den Anstoß gegeben. Die jetzt ausbrechenden Kämpfe wurzelten in Wirklichkeit jedoch im Konflikt zwischen den revolutionären Kräften des Volkes und dem Regime von Adel und Fürsten. Die liberale Bourgeoisie verhielt sich zum überwiegenden Teil distanziert, wenn nicht gar feindlich gegenüber der eigentlichen Aufstandsbewegung. Die Massenbasis der Reichsverfassungskampagne verkörperte das gemäßigt-demokratische Kleinbürgertum. Vorwärtstreibende Kräfte der Bewegung aber waren vor allem Arbeiter, revolutionäre Handwerker, Bauern und Studenten. Wo die Aktionen zur vollen Reife gelangten, entwickelten sie sich zu demokratisch-republikanischen Schilderhebungen. Die enge Verflechtung zwischen revolutionärer Aufstands- und Verfassungsbewegung war u. a. Ausdruck der Tatsache, daß 1848/49 revolutionäre Massenaktionen das letztlich wirksamste Mittel zur Sicherung bürgerlich-fortschrittlicher Errungenschaften darstellten. In einer Situation des zugespitzten Klassenkampfes wie im Frühjahr 1849 konnte auch die gemäßigt-liberale Reichsverfassung nur noch in einer über den bürgerlich-konstitutionellen Rahmen hinausgreifenden Bewegung ihre Stütze finden. Die Untersuchung der Politik und Taktik der Gagern-Liberalen in der allerletzten Phase der Revolution führt zu einer wichtigen Erkenntnis: Die allgemeine Verschärfung des Kampfes zwischen den revolutionären Kräften und der Macht der Konterrevolution wurde von der gemäßigt-liberalen Mehrheit der Weidenbusch-Gruppierung anders als in vergleichbaren Fällen zuvor rezipiert. Ähnlich wie im Verlauf der Herbstkrise 1848 reagierten die Liberalen des Zentrums auch diesmal auf den Ausbruch neuer revolutionäre Unruhen

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mit antidemokratisch gefärbten Stellungnahmen und mit Warnungen vor gewaltsamem Vorgehen. Im Unterschied zu damals vollzog die Mehrheit der Casino-Vertretcr (ausgenommen etwa Abgeordnete wie Bassermann und z. T. Beckerath) zunächst nicht einen so deutlich sichtbar werdenden Ruck nach rechts. Ungeachtet der neuerlichen Abgrenzung gegenüber revolutionären und anderen demokratischen Kräften beharrten Gagern und die Mehrheit seiner Gefolgsleute vorerst auf ihrem verfassungspolitischen Führungsanspruch und einer wesentlich kritischeren Beurteilung des Vorgehens der verfassungsfeindlichen Kräfte als in früheren Fällen. Auf diese Weise gerieten sie freilich inner- und außerhalb des Parlaments zunehmend in eine Position zwischen zwei Stühlen, wodurch der ideologische und organisatorische Erosionsprozeß innerhalb des Weidenbusch gefördert wurde. Symptomatisch hierfür waren beispielsweise die sich verschärfenden Differenzen zwischen der Regierung Gagern und dem Reichsverweser. Bereits am 27. April hatte der Erzherzog bekanntlich zunächst die Ausfertigung der Vollmachten für die vier Bevollmächtigten der Reichsregierung verweigert 1 , weil er in deren Absendung einen zu weitgehenden Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten erblickte. Drei Tage später lehnte er die Sanktionierung zweier von den Gagern-Liberalen mit getragener Beschlüsse zur Veränderung der Geschäftsordnung ab. 2 Auf Antrag L. Simons war das Präsidium der Nationalversammlung ermächtigt worden, „zu jeder Zeit und an jedem Ort" Sitzungen des Parlaments anzuberaumen. 3 Ferner wurde entsprechend einem Ersuchen des Abgeordneten Goltz (linkes Zentrum) die Beschlußfähigkeit des Frankfurter Parlaments auf 150 Abgeordnete herabgesetzt. 4 Dieser Antrag besaß insofern vermittelnden Charakter, als die Linke sogar die Herabsetzung der Beschlußfähigkeit auf die Zahl 50 bzw. 100 gefordert hatte. 5 Ehe der Konflikt zwischen dem Reichsverweser und dem Ministerium Gagern seinen Höhepunkt erreichte, ergaben sich auch in der Debatte vom 4. Mai über die Verwirklichung der Beschlüsse vom 26. April eine Reihe von Anzeichen dafür, daß sich die Casino-Liberalen einer veränderten Situation gegenübersahen. Die wichtigsten Punkte des von der liberalen Mehrheit des Dreißiger-Ausschusses vorgelegten Antrages lauteten: 1. Regierung, Parlamente, Gemeinden und das deutsche Volk sollten aufgefordert werden, die Reichsverfassung „zur Anerkennung und Geltung zu bringen". 2. Für den 15. Juli wurden Wahlen zum ersten Reichstag anberaumt, der sich am 22. August konstituieren sollte. 3. Solange Preußen die Verfassung ablehne, sollte der Monarch des zweitgrößten (für den Bundesstaat) in Frage kommenden deutschen Staates die Oberhauptswürde vertretungsweise übernehmen. 4. Sobald Preußen die Verfassung anerkenne, trete der regierende preußische König in seine Rechte ein. 6 Der Mehrheitsantrag lag also durchaus auf der Linie einer vermittelnden, nach verschiedenen Seiten hin sich absichernden liberalen Verfassungspolitik, deren Grundgedanken H. v. Gagern zwei Tage vor Beginn der Debatte so umschrieben hatte: „Die Aufgabe ist 1 Vgl. S. 234. . 2 ÖStA, HHStA, P. A . II, Nr. 10, Deutscher Bund, Berichte I - I V , Bl. 469; Rechberg an Schwarzenberg v. 1. 5.1849. 3 StB, Bd. 8, S. 6356. < Ebenda. 5 Beide Anträge wurden jedoch abgelehnt (vgl. ebenda). 6 Ebenda, Bd. 9, S. 6396.

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fortwährend, Entschiedenheit zu zeigen und extreme Beschlüsse zu vermeiden." 1 Trotz des Widerstandes der mächtigsten Einzelstaaten gegen die Verfassung sollte also am Grundgesetz festgehalten werden, entschiedene Maßnahmen zu seiner Durchsetzung waren jedoch nicht vorgesehen. Der an die Öffentlichkeit gerichtete Appell nach allgemeiner Anerkennung der Verfassung sollte sowohl dem Vorwurf absoluter Passivität entgegenwirken als auch der Beschuldigung, man übe sich in revolutionärer Anmaßung. Der Antrag deutete vorsichtig an, daß das Grundgesetz auch ohne die Zustimmung der preußischen Regierung in Kraft gesetzt werden könne, ohne daß dieser jedoch der Weg zur Anerkennung verbaut werden sollte. Demgegenüber verlangte Vogt im Namen der Minorität des Dreißiger-Ausschusses, die Frankfurter Nationalversammlung müsse das Volk zum Festhalten an der Reichsverfassung und zur tatkräftigen Bekämpfung jeglichen Widerstandes gegen die Durchführung derselben auffordern. Die gesamte „bewaffnete Macht mit Einschluß der Bürger wehren" müsse auf die Reichsverfassung vereidigt werden. Die von den renitenten Regierungen aufgelösten Volksvertretungen sollten ihre Tätigkeit fortsetzen und dazu beitragen, „den Widerstand ihrer Regierungen gegen die Reichsverfassung zu beseitigen". Militärische Beistandsabkommen zwischen den Staaten der Ablehnungsfront und jegliches militärisches Vorgehen gegen die Verfassungsbewegung wurden verurteilt. 2 So ergab sich ein widersprüchliches Bild: bei der Ausschußmajorität die unveränderte Bereitschaft zu einer vermittelnden Verfassungspolitik, die Tür und Tor zur Verständigung mit den Regierungen offenhalten wollte — bei den Linken die Befürwortung sämtlicher legaler Mittel, einschließlich gesetzlicher Aktionen des Volkes, und die — zumindest moralische — Verurteilung des Vorgehens der Konterrevolution. Die Debatte zeigte, daß, im Unterschied zu den parlamentarischen Auseinandersetzungen zehn Tage zuvor, eine gemeinsame Basis für die beiden Gruppierungen nicht mehr gefunden werden konnte. Es hing mit der zwiespältigen Stellung der Gagern-Liberalen zusammen und kam nicht überraschend, daß G. Beseler entschiedener als in früheren öffentlichen Erklärungen seiner Partei Veränderungen der Verfassung, insbesondere des Wahlgesetzes ausschloß. 3 Daß dieses Versprechen nicht wesentlich anders als frühere Zusagen zu deuten war, beweist jedoch sein prononciertes Bekenntnis zum Prinzip der Anlehnung „an die konstituierten Gewalten". 4 E s ging Hand in Hand mit der Aufforderung, ausschließlich gesetzliche Mittel zur Durchsetzung der Verfassung anzuwenden, der sich H. v. Gagern, der andere Redner der CasinoLiberalen, anschloß. „Wenn es sich", so erklärte dieser, „von den Mitteln der Durchführung der Verfassung handelt, so kann natürlich nur von gesetzlichen Mitteln die Rede sein . . . Nur zu solchen gesetzlichen Mitteln wird eine Majorität dieses Hauses als der Nation sich verstehen. Lassen Sie uns daher den Auswüchsen der Verwirrung entgegentreten, der Anwendung von Mitteln, die die große Mehrheit der Nation verurteilen würde." 5 Daß aber auch legale Mittel höchstens insoweit befürwortet wurden, als keine Konfrontation mit den renitenten Regierungen zu befürchten war, beweist der vom gesamten Weidenbusch unterstützte Verzicht auf die Vereidigung der Truppen auf die Reichsverfassung. Die Abstimmung am 4. Mai zeigte, daß die Weidenbusch-Liberalen momentan noch in der Lage waren, ihre Anträge aus eigener Kraft durchzubekommen. Die Unterstützung der 1 2 3 4 5 16

BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Gagern an v. Arnim-Suckow v. 2. 5. 1849. StB, Bd. 9, S. 6397. Ebenda, S. 6407. Ebenda, S. 6408. Ebenda, S. 6411. Hildebrandt, Gagern

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gemäßigten Linken und damit die Möglichkeit zur Bildung einer größeren parlamentarischen Majorität für ihre Verfassungspolitik war jedoch verlorengegangen. 1 Mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen (190: 188) wurden die Anträge angenommen. 2 Gegen die Vorlage der Ausschußmajorität hatte neben der Linken — aber aus entgegengesetzten Gründen — auch die äußerste Rechte votiert. Die von der Linken geforderte „Beeidigung sämtlicher Beamten des Militär- und Zivilstandes auf die Reichsverfassung" wurde dagegen mit einer deutlichen Mehrheit (244: 132), gebildet aus Weidenbusch und äußerster Rechter, abgelehnt. 3 Die Vereidigung von Soldaten und Beamten auf die Reichsverfassung gehörte zu den Möglichkeiten des legalen Kampfes für die Durchsetzung des Grundgesetzes, wie sie bereits in sehr weitem Umfange genutzt wurden. Sie zielte darauf, Heer und Verwaltung in den Staaten der Ablehnungsfront der konterrevolutionären Verfügungsgewalt zu entziehen. Ob eine solche Maßnahme fruchten konnte, hing von einer Reihe von Umständen, nicht zuletzt davon ab, inwieweit bereits revolutionäre bzw. demokratische Ideen in Heer und Beamtenschaft Eingang gefunden hatten. Vor allem die Regierungen der renitenten Staaten empfanden sie als Kampfansage seitens des Parlaments und fühlten sich unter Druck gesetzt. Gerade das aber wollten Gagern und die überwiegende Mehrheit seiner Anhänger selbst jetzt noch möglichst vermeiden. Als der Abgeordnete Wesendonck (gemäßigter Flügel der Linken) drei Tage nach der Abstimmung vom 4. Mai erneut dringend die Vereidigung sämtlicher deutschen Truppen forderte 4 , konnte sich Gagern nur dadurch behaupten, daß er die Ablehnung des Antrages zur Kabinettsfrage machte. 5 „Unsere Aufgabe", erklärte er, „ist es, die Reichsverfassung zur Geltung zu bringen, indem wir die Anerkennung von Seiten der Regierungen erwirken. Haben wir die Regierungen, dann haben wir auch das Heer. Die Regierungen können aber der entschiedenen Bewegung der öffentlichen Meinung auf längere Zeit nicht widerstehen." 6 In Wirklichkeit vermochte nur Druck etwas gegenüber den Regierungen auszurichten. Mit ihrer Abstinenz hinsichtlich der den legalen Rahmen voll ausschöpfenden Maßnahmen geriet die liberale Erbkaiserpartei immer mehr in Bedrängnis durch die Feinde des Grundgesetzes. Gleichzeitig vertiefte sich durch ihre anfangs schwankende, dann immer restriktivere Politik gegenüber den Aufständischen auch der Konflikt zur parlamentarischen Linken. Die überwiegende Mehrheit der Linken in der Frankfurter Nationalversammlung unterstützte die Aufstandsbewegung, wobei sie unterschiedlich reagierte. 7 Lediglich der entschiedene Flügel der äußersten Linken billigte auch die radikal-republikanischen Tendenzen der Erhebung. Die Vertreter der gemäßigten Opposition, von denen eine Reihe, Die von der Linken eingebrachten Anträge wurden entweder in nichtnamentlicher Abstimmung oder mit klaren Mehrheiten abgelehnt (ebenda, S. 6428ff.). Von den Casino-Liberalen stimmte lediglich der Chemnitzer Kaufmann Wilhelm Zöllner mit der Linken für die Veröffentlichung des Aufrufs an das deutsche Volk „zur tatkräftigen Bekämpfung jeglichen Widerstandes" gegen die Reichsverfassung (ebenda, S. 6431). 2 Ebenda, S. 6432ff. 3 Ebenda, S. 6435 ff. * Ebenda, S. 6464. 5 Vgl. Hallbauer, Gustav Moritz, Tagebuch, S. 308 (Tagebucheintragung v. 7. 5. 1849). 6 StB, Bd. 9, S. 6447. Entsprechend einem Antrag Brieglebs (ebenda, S. 6353) ging die Frankfurter Nationalversammlung über den Antrag Wesendonck zur Tagesordnung über (209: 140 Stimmen — ebenda, S. 6463). Mit der Linken hatte wiederum der Casino-Abgeordnete Zöllner gestimmt (ebenda). 7 Vgl. Hildebrandt, Gunther, Parlamentsopposition, S. 205 ff. 1

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ebenso wie mehrere radikale Abgeordnete, in der Aufstandsbewegung an führender Stelle mitarbeitete, waren bemüht, die Erhebung auf die Ziele der Reichsverfassung zu beschränken. Unter dem Druck der demokratischen Opposition sah sich H. v. Gagern anfänglich zu einer vermittelnden Geste gegenüber der pfälzischen Aufstandsbewegung gedrängt, die sich — wie er glaubte— mit seiner Verständigungskonzeption durchaus in Einklang bringen ließ. Auf Ersuchen der Führung der rheinpfälzischen Aufstandsbewegung, vermittelt durch den Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung Culmann, ernannte er am 5. Mai den Vizepräsidenten des Paulskirchenparlaments Eisenstuck (gemäßigte Linke) zum Reichskommissar für die Rheinpfalz. 1 Dieser erhielt den Auftrag, „vermittelnd einzuschreiten, Grausamkeiten zu verhüten und eventuelle Übergriffe in die Schranken zurückzuweisen". 2 Eisenstucks Tätigkeit bestand im wesentlichen darin, die Maßnahmen der Aufstandsführung, soweit sie im Einklang mit der Reichsverfassung standen, zu sanktionieren. Er legitimierte den pfälzischen Landcsverteidigungsausschuß und forderte die revolutionären Zivil- und Militärbehörden auf, Gehorsam zu üben 3 , beides jedoch in dem Bemühen, die Bewegung zu beschwichtigen und vor „Übergriffen" zurückzuhalten. Nach Meinung der Reichs- und vor allem der bayrischen Regierung griff er damit jcdoch „störend" in die Befugnisse eines Einzelstaates ein. Eisenstuck hielt sich zwar an das Grundgesetz, ging jedoch über die vom Gagern-Ministerium markierte Linie der Verfassungspolitik deutlich hinaus. Infolgedessen zeigte sich der Präsident des Reichsministeriums geneigt, dem massiven Druck seitens des bayrischen Bevollmächtigten bei der provisorischen Zentralgewalt und Abgeordneten der äußersten Rechten, v. Xylander 4 , nachzugeben und Eisenstucks Tätigkeit zu behindern. Am 6. Mai wurde auf Ersuchen der Münchener Regierung in Frankfurt liegendes bayrisches Militär zum Einsatz gegen die pfälzische revolutionäre Bewegung abgestellt. 5 Nach weiteren Einmischungsversuchen v. Xylanders wurde Eisenstuck am 10. Mai vom Reichsministerium abberufen. 6 Daß sich Gagern über die Unpopularität eines solchen Schrittes im klaren war, zeigt sein Bemühen, die von der Linken am 9. Mai geforderte parlamentarische Debatte über die Ereignisse in der Pfalz und in Sachsen zu verschieben. 7 Einen Tag später sprachen sich allerdings 188: 147 Stimmen u. a. dafür aus, „diejenigen Bestrebungen des Volks und seiner Vertreter, welche zur Durchführung der endgültig beschlossenen Reichsverfassung geschehen, gegen jeden Zwang und Unterdrückung in Schutz zu nehmen". 8 Damit war deutlich geworden, daß die hinter Gagern stehenden Teile der Nationalversammlung, bedingt durch die sich häufenden Austritte von Abgeordneten der äußersten Rechten Vgl. vor allem Eisenstuck, Bernhard, Das Reichskommissariat in der bayrischen Rheinpfalz im Mai 1849, in: DMS, Jg. 1851, Bd. 1, S. 249-271. 2 Vgl. die Erklärung H. v. Gagerns in der Frankfurter Nationalversammlung v. 7. 5.1849 (StB, Bd. 9, S. 6445). 3 Vgl. Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 495. 4 Ausführliches Material über die Stellung H. v. Gagerns zur Mission Eisenstucks sowie über die massiven Einmischungsversuche v. Xylanders in BAF, DB 54, Nr. 44. 5 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 64 (Bericht Rechbergs an Schwarzenberg v. 6. 5. 1849); vgl. auch Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, II. Abt., 2. Hälfte, S. 435. 6 BAF, DB 54, Nr. 44. i StB, Bd. 9, S. 6486. 8 Ebenda, S. 6503. 1

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und der Zentren sowie durch die Frontverschiebung innerhalb des Parlaments, auch nicht mehr für knappe Mehrheiten garantieren konnten. Mit der Linken hatten diesmal nicht nur Teile des linken Zentrums und der äußersten Rechten, sondern auch Vertreter des Weidenbusch (u. a. die Casino-Abgeordneten Zöllner und Degenkolb) gestimmt. Die allgemeine Verschärfung der Lage, der zunehmende Druck von links und rechts vertieften auch innerhalb des rechten Zentrums die Meinungsverschiedenheiten. 1 Die schärfsten Gegner jeglicher Konfrontation mit den Regierungen der Ablehnungsfront rieten in der Mehrzahl zum Austritt. Ihr prominentester Befürworter war Beckerath, der aus Protest gegen die Mehrheitsanträge des Dreißiger-Ausschuß vom 4. Mai noch am selben Tage Ministerposten und Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte. 2 In einer Erklärung über die Motive seines Austritts äußerte er die Befürchtung, der Beschluß vom 4. Mai führe dazu, daß die Verfassung infolge ihrer demokratischen Elemente „völlig unter die Herrschaft der zerstörenden Kräfte geraten und daß dann von ihrem konstitutionell-monarchischen Charakter . . . auch nicht die Spur mehr übrig bleiben würde". 3 In der Casino-Fraktion war in den ersten Maitagen 1849 mehrfach der Austritt aus dem Parlament erörtert worden/' Bis zum 10. Mai folgten jedoch Beckerath zunächst nur drei Abgeordnete des rechten Zentrums (Martens, Osterrath, Ottow). 5 Demgegenüber erhoben sich innerhalb des Casino, allerdings geringer an Gewicht, einzelne Stimmen für ein entschiedeneres Vorgehen (Brons, Siemens). 6 Zu den Schwierigkeiten, mit denen sich Gagern in zunehmendem Maße auch im eigenen Lager konfrontiert sah, gehörten außerdem Differenzen innerhalb des Reichsministeriums und der sich in der ersten Maidekade immer mehr verschärfende Konflikt mit dem Reichsverweser. Im Kabinett hatten Beckerath, Duckwitz und Peucker Antipoden vor allem in R. v. Mohl, Fallati und Widenmann. 7 Bedeutender war allerdings der Widerstand Erzherzog Johanns gegen Gagerns Politik. Dies erwies sich vor allem insofern als folgenreich, als der Präsident des Reichsministeriums, soweit sich erkennen läßt, dem provisorischen Reichsoberhaupt zeitweilig sogar eine wichtige Rolle innerhalb seiner Politik zugedacht hatte. Der Reichsverweser sollte nach den Vorstellungen Gagerns nämlich sein Amt und seine Person für die Verwirklichung des Grundgesetzes einsetzen, was dem Wortlaut des Gesetzes über die provisorische Zentralgewalt allerdings widersprochen hätte. Dieser geplante Einsatz des „überparteilichen" Reichsverwesers sollte es den Gagern-Liberalen gestatten, das verbliebene Prestige der Zentralgewalt für die Verwirklichung ihrer Politik auszuschöpfen und sie gleichzeitig der Gefahr einer Liaison mit der Verfassungsbewegung entheben. 1 Vgl.Duncker, Max, Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung, S. 127 ff. 2 Vgl. StB, Bd. 9, S. 6395; Duckwit^, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 310; ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 21 (Rechberg an Schwarzenberg v. 4. 5. 1849). Beckeratb, Hermann v., An die Wähler des Wahlbezirkes Crefeld zur deutschen Nationalversammlung, Frankfurt a. M. (1849). 4 Vgl. BAF, ZSg. 1/N 96, Nachlaß Giesebrecht; Giesebrecht an seine Frau v. 5. 5. 1849; GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 114 (Kamptz an v. Arnim v. 11. 5. 1849); DZ, Nr. 130, 11. 5. 1849, 2. Beilage. Vgl. StB, Bd. 9, S. 6395, 6442, 6479. Webers Feststellung, mit Beckerath hätten nach dem 5. 5. insgesamt weitere 60 Abgeordnete das Parlament verlassen (Von Frankfurt nach Olmütz. Zur Genesis und Politik des gothaischen Liberalismus 1849/50, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland, S. 366), trifft nicht zu. Die StB verzeichnen am 7.5.15 Austrittserklärungen (S. 6443), am 8. 5. zwei (ebenda, S. 6475, 6479) und am 9. 5. keine. Die späteren Austrittserklärungen aber können nicht mehr unmittelbar mit den Beschlüssen vom 4. 5. in Verbindung gebracht werden (vgl. S. 242). Vgl. S. 231 f. 7 DuckwitArnold, Denkwürdigkeiten, S. 309.

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Die Durchsicht der diplomatischen Quellen bestätigt den häufig zuwenig beachteten Hinweis Valentins, daß der Erzherzog in den Auseinandersetzungen um die Verfassungspolitik in den Maitagen 1849 in Frankfurt am Main eine aktive Rolle gespielt hat. 1 Die Bemühungen Gagerns und die Gegenaktionen Rechbergs machten den Reichsverweser in jenen Wochen vorübergehend zu einer umworbenen Persönlichkeit im diplomatischen Geschehen rund um die Paulskirche. Gagern hatte dem Reichsverweser seit dem 30. April mehrfach den Wunsch unterbreitet, er möge sich für die Reichsverfassung einsetzen oder sogar selbst (einstweilen?) die verfassungsmäßige Oberhauptswürde übernehmen. Eventuell könne auch Erzherzog Stephan diesen Platz einnehmen. Über Wahlen für den künftigen Reichstag wurde ebenfalls gesprochen. 2 Der Reichsverweser lehnte nach Bedenkzeit alle Vorschläge und Überlegungen Gagerns ab, nicht zuletzt auf den entschiedenen Einspruch Rechbergs hin. Daß diese Angebote während der Verhandlungen Bassermanns in Berlin erfolgten, muß nicht überraschen. Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der Gagernschen Politik in ihrer letzten Phase, daß sie nach Strohhalmen griff, jeder scheinbar sich bietenden Gelegenheit nachging. Das Reichsministerium, berichtete Rechberg am 4. Mai aus Frankfurt am Main, wolle den Erzherzog entweder in der Bewegung mit fortreißen — oder zur Abdankung zwingen. 3 Es verwundert nicht, daß H. v. Gagern wenige Tage später, am 8. Mai, notierte: „Preußen muß schleunigst erklären, daß es der Bewegung zugunsten der Reichsverfassung nicht entgegentrete. Der Prinz von Preußen soll schnell hierher kommen, die Leitung der Dinge übernehmen, vorbehaltlich der Revision der Verfassung. Sonst kommt groß' Unglück über alle." 4 So wechselten Projekte, Hoffnungen und Enttäuschungen in jenen Tagen, nicht selten von Stunde zu Stunde. Im wesentlichen unverändert, auch dies sei festgestellt, blieben aber für H. v. Gagern und den engeren Kreis seiner Anhänger zunächst folgende Grundpositionen: grundsätzliches Festhalten an der Reichsverfassung, Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung zur Verwirklichung des Grundgesetzes, Mißbilligung der Interventionen zur Niederschlagung der Verfassungsbewegung. Die Absage der Gagern-Liberalen an jede revolutionäre Aktion des Volkes zur Durchsetzung der Verfassung war nicht im gleichen Maße wie in ähnlichen Situationen zuvor, etwa im Herbst 1848, von einer Hinwendung zu Adel und Fürsten begleitet. Hierfür waren mehrere Umstände ausschlaggebend: Auch die Gagern-Partei hatte sich der Grenze ihrer Konzessionsbereitschaft gegenüber dem aristokratisch-monarchischen Lager genähert. Außerdem war ein Prozeß der Desillusionierung auch bei den gemäßigten Liberalen unverkennbar. Die allgemeine Zuspitzung der Lage war soweit fortgeschritten, daß keine Hoffnung mehr bestand, augenblickliche Zugeständnisse ihrerseits könnten durch ein späteres Entgegenkommen seitens der Fürsten und ihrer Regierungen vergolten werden. Die Konterrevolution zielte in stärkerem Maße als Ende 1848 jetzt auch auf die Beseitigung der bürgerlich-konstitutionellen Errungenschaften der Revolution. Zudem schickte sich Preußen im Unterschied zu 1848 an, den Einfluß der Konterrevolution über die eigenen Grenzen hinaus nunmehr auch auf Mittel- und Südwestdeutschland auszudehnen. Am 8. Mai unternahm H. v. Gagern einen letzten Versuch, den Erzherzog zu einer offiValentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 462. 2 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 10, Berichte 1849,1-IV, Bl. 469 v. (Rechberg an Schwarzenberg v. 1. 5.1849); ebenda, Nr. 11, V - X , Bl. 11 (Rechberg an Schwarzenberg v. 4. 5. 1849). 3 Ebenda, Bl. 17 (Rechberg an Schwarzenberg v. 4. 5. 1849). 4 BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Notiz H. v. Gagerns v. 8. 5.1849, Anhang zu seinem Schreiben an den Stadtrat von Leipzig (Kopie). 1

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ziellen Entscheidung zu zwingen. Er legte dem Reichsverweser ein Programm vor, welches diesen zur Unterstützung des Grundgesetzes verpflichten oder aber zur Demission zwingen sollte, womit wenigstens ein unmittelbares Hemmnis der Gagernschen Verfassungspolitik aus dem Wege geräumt werden konnte. Das Programm enthielt im wesentlichen folgende Punkte: Einsatz aller(!) gesetzlichen und friedlichen Mittel, einschließlich der Macht der Zentralgewalt, für die Durchführung des Grundgesetzes; keine Anwendung von Gewalt, aber auch Ablehnung des militärischen Einschreitens gegen die Verfassungsbewegung; Sicherung von Presse- und Versammlungsfreiheit. 1 Der Reichsverweser lehnte die Vorlage einen Tag später ab. Hauptanteil hieran hatte wiederum Rechberg, der jegliches Eingehen auf das Gagernsche Programm als revolutionären Akt hinstellte. 2 Auch eine 12köpfige Deputation der aufs äußerste erregten Frankfurter Nationalversammlung 3 vermochte den Reichsverweser nicht umzustimmen. Gagerns Hinweis, die derzeit ungünstigen Mehrheitsverhältnisse in der Paulskirche könnten durch Neuwahlen, nach einem neuen Wahlgesetz, verändert werden, es bedürfe hierzu lediglich der Auflösung des Parlaments 4 , fruchtete gleichfalls nicht. Der Reichsverweser blieb bei seinem Entschluß. Aus den Quellen wird dennoch erkennbar, daß der Erzherzog seine Entscheidung auch diesmal nur zögernd traf. 5 Hierzu trug sicherlich die Befürchtung bei, daß der Affront gegen die Reichsverfassung eventuell auch in Frankfurt selbst zu Unruhen führen könne. 6 Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, daß der Reichsverweser der von Rechberg nunmehr anempfohlenen Obstruktionspolitik gegenüber der Paulskirchenversammlung aus grundsätzlichen Überlegungen anfangs noch zögernd, schließlich aber immer bereitwilliger folgte.' Obwohl seiner Herkunft und Entwicklung nach kein Stockkonservativer, geriet Johann in der allerletzten Phase der Frankfurter Nationalversammlung aus pragmatischen Überlegungen und unter dem Einfluß Rechbergs allmählich in das Fahrwasser antikonstitutioneller bzw. antiparlamentarischer Politik. 8 Dennoch blieb er auch in dieser Entwicklungsphase darum bemüht, sich aus der unmittelbaren Konfrontation von Verfassungsanhängern und Verfassungsgegnern möglichst herauszuhalten. Sein Sinnen und Trachten war nunmehr fast ausschließlich darauf gerichtet, einen Ausweg aus den Bedrängnissen seines Amtes zu finden, der für ihn selbst und für Österreich annehmbar erschien. Das hieß: frühestmög1

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Ebenda, Protokoll der Ministerratssitzung v. 8. 5. 1849; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Reichsverfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 460; Wentugke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 242. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 82; Rechberg an Schwarzenberg v. 9. 5. 1849. „Ein österreichischer Erzherzog", berichtete Rechberg bereits am 8. 5. nach Eingang des Gagernschen Programms, „kann sich unter keiner Bedingung als Werkzeug zu revolutionären Maßregeln hergeben. Er kann sich Preußen, das zur Unterdrückung des Aufstandes schreitet, nicht feindlich entgegenstellen. Er kann nicht Aufrührer unterstützen gegen ihren rechtmäßigen König" (ebenda, Bl. 75 v.). Ebenda, Bl. 98f.; Rechberg an Schwarzenberg v. 10. 5. 1849. Ebenda, Bl. 103f. ; Rechberg an Schwarzenberg v. 11. 5. 1849. Rechberg berichtete am 9. 5. (ebenda, Bl. 82ff.), Johann neige dazu, das Programm anzunehmen, habe aber zugesagt, seine Entscheidung bis zum kommenden Tage aufzuschieben. Um Unruhen vorzubeugen, wurde die Garnison am 9./10. 5. auf rd. 8000 Soldaten verstärkt und mit Artillerie ausgerüstet (ebenda, Bl. 95ff.; Rechberg an Schwarzenberg v. 10. 5. 1849). Vgl. Valentin, Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 462 ff. Auch Jacobi, Helmut (Die letzten Tage, S. 187), schließt sich dieser Meinung nicht an. Vgl. Erv$er%og Jobann v. Österreich, S. 167 ff.

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liehe Niederlegung seines Postens, ohne daß Preußen aus einer eventuellen Vakanz dieses Amtes Kapital zu schlagen vermochte. 1 So zufrieden sich einerseits Rechberg mit der Annäherung Johanns an die von ihm und Schwarzenberg vertretene Generallinie in den deutschen Angelegenheiten zeigte, so besorgt war er über die Anzeichen von Resignation und beginnender Handlungsschwäche beim Reichsverweser. Bereits am 6. Mai sprach sich Rechberg daher dafür aus, Johann einen Stellvertreter, nämlich Erzherzog Albrecht, zur Seite zu geben. 2 Zwei Tage nach der Ablehnung des Programmcs Gagerns schrieb der österreichische Bevollmächtigte an Schwarzenberg: „Gebe Gott, daß es mir möglich werde, ihn (Johann — G. H.) in der eingeschlagenen Bahn zu halten; ein abermaliges Weichen würde die Lage sehr verschlimmern." 3 Gagern seinerseits war es also zunächst weder gelungen, den Reichsverweser mit fortzureißen, noch ihn zur Abdankung zu zwingen. Innerhalb der von Gagern selbst gezogenen Grenzen seiner Politik, zwischen dem Bestehen auf der Verfassungskompetenz der Paulskirche und der Absage an außerparlamentarische revolutionäre Aktionen, blieb also nur noch ein geringer Spielraum. Die vom Präsidenten des Reichsministeriums gehegte Hoffnung, Preußen werde im Zusammenwirken mit der Paulskirchenvcrsammlung Druck auf den Rcichsverweser ausüben, um selbst die provisorische Zentralgewalt zu übernehmen, erwies sich — was die Rolle des Frankfurter Parlaments anlangte — als illusorisch. Gagern hatte dieses Projekt zwar noch am Tage der Ablehnung seines Programms durch den Reichsverweser mit den Bevollmächtigten der Einzelstaaten sowie mit führenden Weidenbusch-Vertretcrn erörtert, jedoch keine Resonanz preußischerseits und auch wenig Entgegenkommen bei seinen Gesinnungsgenossen gefunden. 4 Die Regierung in Berlin war, wie eine Reihe von Schritten in den folgenden Wochen bewies, zwar bereit 5 , sich für die Demission des Erzherzogs einzusetzen, um das Reichsverweseramt für die eigenen politischen Pläne auszunutzen, keineswegs jedoch in Zusammenarbeit mit der Paulskirchenvcrsammlung. Die andere von Gagern freilich nur erwogene Möglichkeit war, daß das Reichsministerium den Reichsverweser aus eigener Machtvollkommenheit absetzte und eine verfassungstreue Zentralgewalt ernannte. 6 Eine solche Maßnahme betrachteten die Gagern-Liberalen jedoch schon als den Übergang zu einer Quasi-Konventspolitik. Außerdem wäre, sofern daran gedacht war, einen Parlamentarier mit diesem Amte zu betrauen, nach Lage der Dinge — angesichts der nunmehr herrschenden Mehrheitsverhältnisse — kaum etwas anderes übriggeblieben, als einen Vertreter der (gemäßigten) Linken hierfür vorzusehen. Gagern selbst war, obwohl wenige Tage später von einer Gruppe liberaler Abgeordneter hierfür vorgeschlagen 7 , aus prin1 Ebenda. 2 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 6 2 f . (Rechberg an Schwarzenberg v. 6. 5. 1849). 3 Ebenda, Bl. 105 (Rechberg an Schwarzenberg v. 11. 5. 1849). 4 GStA, III. H. A., Nr. 52, B1.91, 112 f. (Kamptz an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten v. 9./10. 5. u. 11. 5. 1849). 5 Vgl. unten S. 251 unten. 6 Auch dies war auf einer Versammlung von ca. 50 Abgeordneten (wahrscheinlich des Weidenbusch) unter der Leitung H. v. Gagerns am Abend des 9. 5. beraten worden, offenbar jedoch ohne Ergebnis (ebenda, Bl. 90, 112 v.; Kamptz an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten v. 9. u. 11. 5. 1849). 7 Es handelte sich um die vorwiegend aus Abgeordneten des linken Zentrums zusammengesetzte Fraktion Nürnberger Hof (II) (vgl. auch S. 250), die Anfang Mai gegründet worden war (vgl. Antrag Biedermann — StB, Bd. 9, S. 6641).

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zipiellen politischen Gründen nicht bereit, die zeitweilige Leitung der provisorischen Zentralgewalt zu übernehmen. So reichte der Präsident des Reichsministeriums noch am 9. Mai den Rücktritt des gesamten Kabinetts ein, der einen Tag später vom Reichsverweser angenommen wurde. 1 5. Die Kapitulation der Gagern-Liberalen Angesichts des Mitte Mai bereits voll entbrannten Kampfes zwischen Volksbewegung und Konterrevolution war der Sturz des Reichsministeriums Gagern ein Vorgang von vorwiegend interner Bedeutung für Paulskirche und Zentralgewalt. Er bedeutete nicht nur eine schwerwiegende politische Niederlage für H. v. Gagern, sondern auch für seine Partei. Auf dem Hintergrunde des allgemeinen politischen Geschehens mußte er als Zeichen dafür verstanden werden, daß für die Gagern-Liberalen als parlamentarische Gruppierung die Phase der Agonie eingesetzt hatte. Es wäre eine unzulässige Vereinfachung, wollte man die Gagern-Liberalen in ihrer Gesamtheit des Verrats am Grundgesetz und an der Verfassungsbewegung bezichtigen. Es soll jedoch nicht übersehen werden, daß sie durch die Ablehnung revolutionärer, ja auch vieler konsequenter legaler Maßnahmen zur Durchsetzung der Reichsverfassung sowie durch ihr Festhalten an einer desorientierenden Verständigungspolitik gegenüber Adel und Fürsten dazu beitrugen, daß günstige Positionen verspielt wurden und die Reaktion dadurch umfassende Vorbereitungen zur Niederschlagung der Verfassungsbewegung treffen konnte. Es besteht ebenfalls keine Veranlassung, der Verfassungspolitik der Gagern-Liberalen auch in ihrer letzten Phase einen quasi-revolutionären Anstrich zu verleihen. Wer, wie zuletzt wieder Botzenhart, in dem Beschluß vom 4. Mai oder in dem Gagernschen Programm vom 8. Mai den Ausdruck zu weit gespannter Forderungen erblickt 2 , beharrt auf zu gering angesetzten Beurteilungsmaßstäben. Die liberale Verfassungspolitik krankte nicht an einem Zuviel, sondern an einem Zuwenig an Entschiedenheit. Im Frühjahr 1849 lag die einzige Chance für die Verwirklichung des Grundgesetzes in der Befürwortung entschiedener antifeudaler Maßregeln, auch wenn damit die (vorübergehende) Sprengung des konstitutionell-monarchischen Rahmens beinahe sicher schien. Der Erzherzog-Reichsverweser beabsichtigte nach Gagerns Rücktritt zunächst nicht, die Leitung des Reichsministeriums einem Politiker anzuvertrauen, der bei der überwiegenden Mehrheit der Paulskirche auf Ablehnung stieß. 3 Offenbar schwebte ihm anfangs die Einsetzung eines loyal zur Verfassung stehenden Ministeriums vor, welches weniger fest als das Gagernsche auf Preußen eingeschworen und den Einzelstaaten noch mehr Konzessionen entgegenzubringen bereit war. Zunächst bemühte sich — wie schon im September 1848 — der bayrische Abgeordnete Herrmann erfolglos um die Bildung eines Kabinetts/1 Danach erhielt der oldenburgische Bevollmächtigte Mösle, gemeinsam mit Welcker im Herbst 1848 als Reichskommissar nach 1 Vgl. ebenda, S. 6496. Bot^enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 699f.; ähnlich auch Jacobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 74f. 3 Vgl. ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. l l l f f . u. 121 ff.; Rechberg an Schwarzenberg v. 11. u. 14. 5. 1849. 4 ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 22; Kamptz an v. Arnim v. 11. 5. 1849; Valentin Veit, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 465. 2

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Wien entsandt 1 , den Auftrag. 2 Auch Seebeck, der Hamburger Abgeordnete Kirchenpauer und die beiden Frankfurter Schöffen Souchay und Harmer waren im Gespräch. 3 Wieder schaltete sich, diesmal offenbar erst in letzter Minute, der österreichische Bevollmächtigte ein und bewirkte ebenso wie Detmold 4 , daß der als Feind des parlamentarischen Systems bekannte, politisch unbedeutende Grävell (äußerste Rechte) auserkoren wurde. Auch Mösles Verhandlungen mit Johann waren offenbar bereits weit gediehen. Wie Rechberg berichtete, begegneten dieser und der neue Kandidat Grävell einander vor der Tür des Reichsverwesers, der eine auf dem Wege zum Erzherzog, der andere von dort kommend. 5 Das Programm des neuen Reichsministeriums kündigte an, daß dieses mit der Politik der Gagern-Liberalen radikal zu brechen beabsichtigte. Die Regierung Grävell erklärte die „Durchführung der Verfassung für außerhalb ihrer Befugnisse und Pflichten liegend". Sie kündigte ferner ihre Absicht an, „allen ungesetzlichen und gewaltsamen Bewegungen, welche die Durchführung der Verfassung zum Vorwand oder Anlaß haben, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegenzutreten, sobald die Hilfe und Vermittlung der Zentralgewalt von der betreffenden Regierung nachgesucht wird". 6 Durch den Rücktritt des Reichsministeriums und die relative Stärkung der Linken und des linken Zentrums innerhalb der Paulskirche wurde den Gagern-Liberalen signalisiert, daß ihre politischen Möglichkeiten selbst in dem ihnen zunächst noch offenstehenden parlamentarischen Rahmen nahezu auf ein Nichts zusammengeschrumpft waren. Der ideologische und organisatorische Erosionsprozeß verstärkte sich auch innerhalb der Gagern-Partei rapide. Meinungsverschiedenheiten, die zunächst noch durch die, wenn auch vagen Erfolgsaussichten für die eigene Politik zurückgedrängt worden waren, traten nun in aller Deutlichkeit hervor. Durch das Fiasko, in welches die Verfassungspolitik H. v. Gagerns geraten war, wurde auch unter den Casino-Liberalen die Suche nach einem Ausweg gefördert, und zwar in unterschiedlicher Richtung. Aus Berlin distanzierte sich Bassermann von einer ambivalenten — nach links wie nach rechts Abstand bewahrenden — Verfassungspolitik nach den Vorstellungen H. v. Gagerns, wie sie sich in den Beschlüssen vom 4. Mai manifestiert hatte. Sie könne, erklärte er, unter den gegebenen Bedingungen nur noch zur Teilung Deutschlands führen. 7 Dagegen sei der von der preußischen Regierung vorgelegte Verfassungs-Entwurf geeignet, die Zustimmung Österreichs, Bayerns und auch des Auslandes zu erlangen. 8 Weiterhin warnte er Gagern vor jeder Unterstützung der Aufstandsbewegung: „Ich bitte Dich dringend, entziehe Dich bei etwaigem Kampfe, den man hier für nah hält, den Händen der Blutgierigen. Der Mut, sich diesen Unmenschen preiszugeben, ist ohne Ziel. Da helfen nur Kartätschen. Nach meiner

1 Vgl. S. 143 oben. 2 ÖStA, HHStA, P. A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 111 f.; Rechberg an Schwarzenberg v. 11.5. 1849. 3 Vgl. ]acobi, Helmut, Die letzten Tage, S. 89. — Hier weitere Einzelheiten über die Neubildung des Reichsministeriums. Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Reichsverfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 710. 5 ÖStA, HHStA,P.A. II, Deutscher Bund, Nr. 11, Berichte 1849, V - X , Bl. 111 f.; Rechberg an Schwarzenberg v. 11. 5. 1849. 6 StB, Bd. 9, S. 6618. (Es wurde der Frankfurter Nationalversammlung am 17. 5. 1849 vorgelegt.) ' Vgl. Bassermanns Erklärung v. 16. 5. 1849 anläßlich seines Austritts aus der Frankfurter Nationalversammlung in FOPAZ, Nr. 118, 19. 5.1849. 8 BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Bassermann (Berlin) an H. v. Gagern v. 16. 5. 1849. 4

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innersten Überzeugung wird das Erreichen des endlichen Zieles durch das Fortbestehen der Nationalversammlung nur verzögert und erschwert. . ."! Bassermann erklärte am 16. Mai seinen Austritt. 2 Wie drei Tage zuvor bei Giesebrecht, war dieser Schritt vor allem von dem Bemühen diktiert, sich von der Mehrheit des rechten Zentrums abzusetzen. 3 Wer darüber hinaus von den Casino-Liberalen noch den Standpunkt Bassermanns teilte, ist nicht exakt nachweisbar. Es spricht einiges für die Annahme, daß sich unter den ca. 15 zum Gagern-Flügel zählenden Casino-Abgeordneten, die — lt. Stenographischen Berichten — das Parlament zwischen dem 10. und 20. Mai verließen 4 , einige der Gesinnungsgenossen Bassermanns befanden. Daneben machte sich innerhalb der Casino-Fraktion erneut eine Gruppe von Abgeordneten bemerkbar, die für entschiedenere Maßnahmen zur Durchsetzung der Verfassung eintrat. Dabei wurde ein unterschiedliches Maß an Konsequenz entwickelt. Die Mehrzahl von ihnen suchte Anlehnung bei der am 1. Mai vorwiegend von Vertretern der Fraktionen Westendhall, Württemberger Hof und Landsberg gegründeten, ca. 30 bis 40 Mitglieder starken Fraktion Nürnberger Hof (II). 5 Prominente Mitglieder des Nürnberger Hofes (II) waren u. a. Biedermann, Riesser, Wurm, Federer, Welcker. Auch hierbei handelte es sich — soweit man sehen kann — nicht um eine girondistische Fraktion. Der Nürnberger Hof bejahte die konstitutionelle Monarchie, war jedoch vor allem für ein schärferes Vorgehen gegenüber Preußen 6 und wollte die Reichsverfassung weitgehend unverändert belassen, mißbilligte also allzu weit gehende Konzessionen. Während er wie die Casino-Fraktion die Anwendung revolutionärer Gewalt zur Durchsetzung der Reichsverfassung ablehnte, wurde von einigen wenigen Abgeordneten des rechten Zentrums die Inanspruchnahme revolutionärer Mittel, ähnlich wie schon Ende April, zumindest verbal gebilligt. Nachdem der Reichsverweser sich von der Verfassung losgesagt habe, schrieb der bereits in ähnlichem Zusammenhang erwähnte Brons am 18. Mai, sei auch den gemäßigten Liberalen eigentlich nichts anderes übriggeblieben, „als einen Kossuth aufzustellen". Da seine Partei jedoch nicht über einen solchen Mann verfüge, bleibe nur der Austritt aus dem Parlament. 7 Auch Deiters gelangte in der Auseinandersetzung mit den Fehlern und Versäumnissen der eigenen Politik, ähnlich wie die gemäßigte parlamentarische Linke, bis zur moralischen Rechtfertigung revolutionärer Maßnahmen, jedoch nicht weiter: „Wir haben keine Wahl: entweder verrinnen wir im Sande, oder wir müssen an der Heraufbeschwörung einer Revolution mitarbeiten, vor deren Wesen mir graut. Ich kann den letzten Weg nicht mitgehen, solange davon die Rede ist, ihn einzuschlagen und nicht bloß darauf gestoßen zu werden; aber begreifen und entschuldigen kann ich die aufgeregten Gemüter, die sich fast oder doch zum Teil wider Willen dahin fortreißen lassen." 8 1 2

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Ebenda. Vgl. FOPAZ, Nr. 118, 19. 5. 1849. (Der Austritt wurde jedoch erst am 21. 5. in der Frankfurter Nationalversammlung bekanntgegeben — StB, Bd. 9, S. 6696.) Austrittserklärung v. 13. 5. 1849 in BAF, ZSg. 1/N 96, Nachlaß Giesebrecht. Außer Bassermann und Giesebrecht: Kalckstein (StB, Bd. 9, S. 6533), Giech (S. 6615), Goltz (S. 6533), Gysae (S. 6516), Kratz (S. 6516), Nizze (S. 6516), F. v. Raumer (S. 6516), Röder (S. 6516), Scheller (S. 6516), Schleussing (S. 6616), Sieht (S. 6533), Stavenhagen (S. 6516), Teichert (S. 6533). Das Frankfurter Parlament in Briefen, S. 304. Hajm, Rudolf Die deutsche Nationalversammlung, T. III, S. 132; Laube, Heinrieb, Das erste deutsche Parlament, Bd. 3, S. 426. BAF, ZSg. 1/N 55, Nachlaß Brons; Brons an Prestel v. 18. 5. 1849. Ebenda, 1/N 77, Nachlaß Deiters; Deiters an seine Frau v. 18. 5. 1848. Auf publizistischem Gebiet ent-

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Wir besitzen keine exakte Übersicht, wer innerhalb des Casino in jenen Tagen zu den Befürwortern entschiedenerer Maßregeln gehörte. Auch in diesem Falle geben die Austrittsdaten einige Aufschlüsse. Man wird sicher davon ausgehen dürfen, daß eine Reihe von denjenigen Casino-Abgeordneten, die dem Massenexodus ihrer Fraktion am 20./21. Mai nicht folgten 1 (insgesamt 10—15), ihrem weiteren Verbleiben auch die Bedeutung eines demonstrativen Aktes gegenüber der Ablehnungsfront beimaß. Heinrich v. Gagern selbst wurde von den „Abweichlern" beider Richtungen umworben. Nicht nur Bassermann, sondern auch der Nürnberger Hof versuchte den noch immer prominentesten Vertreter der Zentren für seine Vorstellungen und Pläne zu gewinnen. Möglicherweise hat sich Gagern, wie einer seiner zeitgenössischen Biographen behauptet 2 , tatsächlich vorübergehend mit der Absicht getragen, sich dem Nürnberger Hof anzuschließen. Auch Gagerns Frau hat derartige „Befürchtungen" geäußert. 3 Es gibt jedoch allen Grund zu der Annahme, daß H. v. Gagern bis zuletzt nicht bereit war, mit seinen Maximen zu brcchen. Auch der Antrag des Nürnberger Hofes, Gagern interimistisch die Leitung der provisorischen Zentralgewalt zu übertragen, fand bei ihm wahrscheinlich kaum Resonanz. 4 Für Gagern und die hinter ihm stehende Gruppe der gemäßigten Liberalen waren die letzten zehn Tage ihres Verbleibens in der Paulskirche, nach dem Rücktritt des Reichsministeriums, eine Zeit, in der Phasen der Passivität, der Resignation und sporadische, hektische letzte Bemühungen zur Wiederbelebung ihrer Verfassungspolitik einander ablösten. Nach dem Rücktritt des Ministeriums Gagern und der Annahme des Redenschen Antrages vom 10. Mai 5 habe, berichtete Haym, die Erbkaiserpartei sich in einer „zweitägigen Demoralisation" befunden. 6 Für Preußen schien der Moment gekommen, die Bemühungen um die Ausschaltung des Frankfurter Parlaments zu verstärken. Unmittelbar nach dem 10. Mai übermittelte Camphausens Nachfolger Kamptz dem Erzherzog das Ersuchen seiner Regierung, die Paulskirchenversammlung aufzulösen und sein Amt dem preußischen König zu übertragen. Die Übernahme der Zentralgewalt sollte Preußen einerseits in den Stand versetzen, noch wirksamer gegen die revolutionäre Verfassungsbewegung in den verschiedenen Teilen Deutschlands vorzugehen. Darüber hinaus stand der Versuch Preußens, die Zentralgewalt zu erlangen, im Einklang mit den Bemühungen um das Voranbringen der Unionspolitik. Die angestrebte Amtsübertragung wurde von preußischer Seite jedoch nicht als integrierender Bestandteil, sondern lediglich als ein förderndes Element dieser Politik betrachtet. Es war für die preußisprach dieser konsequenteren Richtung innerhalb der Erbkaiser-Partei etwa die Linie des von A. L. v. Rochau herausgegebenen Volksboten, welcher ungeachtet seiner konstitutionell-monarchischen Grundeinstellung für die Durchsetzung der Verfassung notfalls mit Hilfe von Gewalt eintrat ( F r a n k f u r t e r Volksbote, Nr. 25, 20. 5. 1849). 1 Rüder (StB, Bd. 9, S. 6811), Thinnes (S. 6801), Braun (S. 6720), Ebmaier (S. 6765), Francke (S. 6726), Küntzel(S. 6720), Michelsen (S. 6726), Nerreter (S. 6765), Siemens (S. 6726), Welcker (S. 6761), Zachariä, F. (S. 6765), Zachariä, H. (S. 6761). Sowohl Deiters als auch Brons traten am 20./21. 5. aus (S. 6698). - Scbäcking, Levin, Heinrich v. Gagern. Ein Lichtbild, Köln 1849, S. 138ff. 3 Duckwitz, Arnold, Denkwürdigkeiten, S. 316. •5 Vgl. StB, Bd. 9, S. 6641; Hallbauer, Gustav Moritz, Tagebuch, S. 316 (Tagebucheintragung v. 14. 5.1849). Anders urteilte allerdings der Reichsverweser, der die „Präsidentschaft Deutschlands" als die Erfüllung des „ursprünglichen Strebens" H. v. Gagerns bezeichnete (Erzherzog Jobann v. Österreich, S. 165). 5 StB, Bd. 9, S. 6503. 6 Aus den letzten Tagen der PaulskJrcbe. Briefe Rudolf Hayms, mitgeteilt v. P. Wentzcke, in: Archiv für Frankfurter Geschichte und Kunst, 4. Folge, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1925, S. 60(Haym an Schräder v. 17. 5. 1849).

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sehe Regierung durchaus denkbar, ihre Pläne weiterhin zu verfolgen, ohne daß sich am Bestehen der ohnehin schwer angeschlagenen Reichsinstitutionen etwas änderte. Andrerseits war klar, daß das Vorankommen der Unionspolitik natürlich erleichtert wurde, wenn ein Schisma zweier Zentralbehörden vermieden oder Preußen sogar Träger der provisorischen Zentralgewalt wurde. Außerdem hätten sich in einem solchen Falle für Österreich die Möglichkeiten zur Gegenwirkung verringert. 1 Der Reichsverweser lehnte die preußische Forderung nach Auflösung des Parlaments ab und verwies darauf, daß eine solchc Maßnahme nur durch die Fürsten selbst erfolgen könne. 2 Ein Teil der Weidenbusch-Gruppierung (einschließlich Gagerns) sah in dem preußischen Verlangen offenbar den Ansatzpunkt für ein gegenseitiges Näherkommen, was freilich nur dann einigermaßen verständlich wird, wenn man davon ausgeht, daß die preußischen Absichten wiederum nicht in ihrem ganzen Umfange erkannt wurden. Auf einer Zusammenkunft von Weidenbusch-Vertretern am 13. Mai wurde jedenfalls folgender Plan erwogen: Auf der Basis einer Demission des Reichsverwesers sollte ein erneuter Versuch zur Verständigung mit Preußen über die Reichsverfassung gemacht werden. Man könne sich zwar nicht offiziell vom Prinzip der Rechtsgültigkeit der Verfassung lossagen, sei jedoch bereit, von der öffentlichen Meinung gebilligte Revisionswünsche zu tolerieren (etwa nach dem Muster der Kollektivnote vom 23. Februar 1849), auch wenn sie von der Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung nicht sanktioniert würden. Eine Änderung des Reichswahlgesetzes wurde jedoch nicht in Erwägung gezogen. 3 Es paßt in dieses Bild, daß Haym über einen moralischen Aufschwung seiner Partei (12. Mai) berichtet, der mit dem Bemühen verbunden war, die eigene Position gegenüber der parlamentarischen Linken noch stärker abzugrenzen und vor allem revolutionären Mißdeutungen der eigenen Politik entgegenzuarbeiten: „Die Minorität des lOten (Mai — G. H.) 4 beschloß, sich förmlich als neue Partei auf ein Programm hin zu rekonstituieren und zugleich eine Ansprache ans Volk zu verfassen, worin erläutert werde, wie wir den Beschluß vom 4ten im Sinne des Gagernschen Programms verstanden und daß wir den Beschluß vom lOten nicht billigten, warum aber trotzdem noch in der Versammlung ausharren zu müssen glaubten." 5 Für die Regierung in Berlin stand ein Eingehen auf die Pläne der Weidenbusch-Vertreter außerhalb jeder Diskussion. Am 14. Mai erklärte sie vielmehr mittels Dekrets die Mandate sämtlicher preußischen Paulskirchenabgeordneten für erloschen, obwohl Kamptz noch zwei Tage zuvor ein etwas vorsichtigeres Vorgehen gegenüber dem Frankfurter Parlament empfohlen hatte. 6 Zwei Tage später ließ die preußische Regierung ihren Erlaß durch den 1 Später — Ende Mai 1849 — ging Preußen von der Forderung nach Übernahme der Zentralgewalt ab. Ausschlaggebend hierfür waren das erfolgreiche Anlaufen des preußischen Feldzuges gegen die Verfassungsbewegung in Mittel-, Süd- und Westdeutschland, der preußischen Unionspolitik sowie der Druck seitens des österreichischen Kaisers und des Zaren auf König Friedrich Wilhelm IV., ausgehend vor allem vom Warschauer Treffen Ende Mai 1849. Vgl. hierzu die in Vorbereitung befindliche Studie des Vf. über die bundespolitischen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Österreich 1849. 2 ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 22, Bl. 83; Brandenburg an Kamptz u. Depesche Kamptz' an Brandenburg v. 13. 5. 1849; Erzherzog Johann v. Österreich, S. 166. 3 GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 152ff.; Kamptz an Arnim v. 15. 5. 1849. 4 Vgl. Abstimmung über den Antrag Reden, S. 251, Anm. 5. 5 Ans den letzten Tagen der Paulskircbe, S. 60 (Haym an Schräder v. 17. 5. 1849). Vgl. auch Erzherzog Jobann v. Österreich, S. 165. « GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 118; Kamptz an Arnim v. 12. 5. 1849.

5. Die Kapitulation der Gagern-Liberalen

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Sonderbevollmächtigten Oberstleutnant Fischer dem Reichsverweser in aller Form überreichen, ihren Restriktionskurs gegenüber der Frankfurter Nationalversammlung damit demonstrativ unterstreichend. Sachsen und, auf massiven Druck Preußens hin 1 , Hannover 2 ergriffen kurz darauf dieselben Maßnahmen, nachdem die Regierung Schwarzenberg die österreichischen Abgeordneten bereits am 5. April abberufen hatte. Außerdem begann eine ganze Serie von Versuchen Brandenburgs und Fischers, den Erzherzog zum Rücktritt bzw. zur Übertragung der Zentralgewalt an Preußen zu bewegen. 3 Alle Bemühungen scheiterten jedoch am Widerstand des Reichs Verwesers im Bündnis mit dem österreichischen Bevollmächtigten. 4 Durch die Abberufungsorder der Regierung Brandenburg waren die vorübergehend erneut belebten Hoffnungen der Gagern-Liberalen endgültig zunichte geworden. Der „Fußtritt", den sie ihrerseits der preußischen Regierung zu geben trachteten 5 , war allerdings lediglich ein parlamentarischer Protest. Über 50 preußische (vorwiegend Casino-)Abgeordnete erklärten den Abberufungsbeschluß für nicht „rechtsverbindlich". Sie sprachen sich ferner erneut „für die Durchführung des deutschen Verfassungswerkes nur mit gesetzlichen Mitteln" aus 6 . Ferner verlangte ein nahezu einmütig angenommener Antrag, daß sich die preußischen Abgeordneten „der ferneren Teilnahme an den Verhandlungen der Nationalversammlung nicht entziehen werden". 7 Die von ihnen Tage zuvor im Zeichen neubelebter Hoffnungen noch angestrebte „neue Parteizusammenfassung" kam nicht zustande. Eine nochmalige öffentliche Klarstellung der eigenen Ziele mit Hilfe eines Programms bzw. einer „Ansprache ans Volk" erwies sich als überflüssig. Nicht nur die Kraft des Casino, der Führungsfraktion der Erbkaiserlichen, war verbraucht. Nach den allerjüngsten Erfahrungen sahen die Gagern-Liberalen keine Möglichkeit mehr, ihre vermittelnde Verfassungspolitik weiterzuführen. Es fehlte, wie Haym bemerkte, in bezug auf die Durchführung der Verfassung „an einem positiven Gedanken, unser letzter und letztmöglicher war der vom 4ten Mai". 8 Mit dem Fiasko ihrer Politik konfrontiert, vom Reichsverweser im Stich gelassen, von Preußen mit einem Verdikt belegt, von Kritikern in den eigenen Reihen bedrängt, bedurfte es nur noch eines geringen Anstoßes, um das Parlament zu verlassen. Diese Rolle fiel dem Beschluß der Frankfurter Nationalversammlung über die Wahl eines interimistischen Reichsstatthalters zu. Am 19. Mai sprach sich eine Mehrheit (126 : 116 Stimmen) für den vom Nürnberger Hof (II) eingebrachten Antrag aus, das Parlament möge einen Reichsstatthalter — „wo möglich aus der Reihe der regierenden Fürsten" — als vorläufiges Reichsoberhaupt einsetzen. Gleichzeitig wurde die Tätigkeit der bisherigen pro1

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StAD, Bundestagsgesandtschaft, Nr. 328; Telegramm v. Könneritz' an Kohlschütter v. 17. 5.1849; Schreiben Kohlschütters an Grävell v. 19. 5. 1849 (StB, Bd. 9, S. 6696). Vgl. Schreiben der hannoverschen Regierung an den Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung, Reh, v. 23. 5. 1849 (ebenda, S. 6766f.). Vgl. ZStAM, Rep. 75 B, Nr. 22, Bl. 115ff.; Erzherzog Jobann v. Österreich, S. 166ff. Jacoii, Helmut, Die letzten Tage, S. 104. — Über die weiteren Verhandlungen Fischers mit der provisorischen Zentralgewalt, die sich um die eventuelle Übergabe des Reichsverweseramtes an den Bevollmächtigten und die Übertragung des militärischen Oberbefehls bei der Niederschlagung der Aufstandsbewegung an Preußen drehten, vgl. ebenda, S. 114ff. Aus den letzten Tagen der Paulskircbe, S. 61 (Haym an Schräder v. 17. 5. 1849). StB, Bd. 9, S. 6600. Ebenda, S. 6603. Aus den letzten Tagen der Paulskircbe, S. 60 (Haym an Schräder v. 17. 5. 1849).

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visorischen Zentralgewalt für beendet erklärt. 1 Außerdem sollten Vorkehrungen für Wahlen zum ersten Reichstag getroffen werden. Der Beschluß vom 19. Mai fußte auf dem Boden der Reichsverfassung und verwarf revolutionäre Gewalt zur Verwirklichung des Grundgesetzes. Auch schloß er nicht einmal die Übertragung der Oberhauptswürde an Preußen aus und ging nur insoweit über den vom 4. Mai hinaus, als angesichts der preußischen Weigerung eine interimistische Regelung getroffen werden sollte, die im Einklang mit dem konstitutionell-monarchischen. Charakter des Grundgesetzes stand. G. Beseler bemühte sich in einer wenig überzeugenden Rede, die vom Nürnberger Hof empfohlenen Beschlüsse als revolutionär hinzustellen. 2 Der Göttinger Zachariä verhehlte aber nicht, daß manches, was noch 14 Tage zuvor gefordert worden sei, von den GagernLiberalen jetzt nicht mehr gebilligt werden könne, man also nicht mehr so weit gehen könne wie noch am 4. Mai. Dies sei die Schuld „souveränen Unverstandes von oben und des souveränen Unverstandes von unten" 3 sowie des Stockens der Anerkennungsbewegung für die Reichsverfassung. Trotz des prinzipiellen Beharrens auf ihrer Position gegenüber der Verfassungsbewegung haben die Gagern-Libcralen ihre Haltung in bezug auf Teilfragen, wie etwa die Anwendung geeigneter legaler Mittel zur Verwirklichung des Grundgesetzes, also im Verlaufe der Reichsverfassungskampagne verändert. Dennoch waren die Abstimmungsergebnisse vom 19. Mai lediglich Anlaß 4 , nicht Ursache für den Entschluß der Mehrheit der verbliebenen Casino-Liberalen, nunmehr die Paulskirche zu verlassen. Zwei Tage lang beriet die Casino-Fraktion über ihr weiteres Verbleiben im Parlament. Am Abend des 20. Mai fiel nach einer zum Teil kontroversen Debatte die Entscheidung. Mit 48 : 38 Stimmen war die Mehrheit, unter ihnen fast sämtliche Prominente wie H. v. Gagern, Droysen, Dahlmann, Mathy, für das Ausscheiden. 5 65 Abgeordnete (unter ihnen auch nicht dem rechten Zentrum angehörige Weidenbusch-Vertreter) unterzeichneten die am 21. Mai veröffentlichte Austrittserklärung. 6 H. v. Gagern hatte, wie Dahlmann und Simson, nicht zu den unbedingten Befürwortern des Austritts gehört, sondern war nur „aus altgermanischer Treue gegen die Genossenschaft gefolgt". 7 Bei der Entscheidung der Casino-Mchrheit spielte eine ganze Reihe von Gründen mit. Einen höheren Stellenwert als die Parlamentsbeschlüsse vom 19. Mai besaß ohne Zweifel die Abberufungsorder der preußischen Regierung. Auch wollten die bis dahin im Parlament verbliebenen Casino-Vertreter durch ihren Austritt dokumentieren, daß sie die von der Mehrheit nunmehr zu erwartende moralische Unterstützung der Aufständischen für falsch hielten. Trotzdem war die Kapitulation der Casino-Liberalen vor der Macht der Konterrevolution nicht gleichbedeutend mit der Billigung ihres militärischen Vorgehens. Der Austrittserklärung lag die Absage an eine „gewalttätige Bewegung", an „Bürgerkrieg" und die » StB, Bd. 9, S. 6690ff. 2 Ebenda, S. 6666f. 3 Ebenda, S. 6669. 4 Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 564. 5 Ebenda, S. 559ff.; Went^che, Faul, Ideale und Irrtümer, S. 254. 6 StB, Bd. 9, S. 6697f. Die Austrittserklärung wird allgemein M. v. Gagern zugeschrieben(Went^cke, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 254; Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 562). Interessanterweise befindet sich im Nachlaß H. v. Gagern ein Konzept der Erklärung (BAF, FN 7, 24—29; Austritt des Casino und Rechenschaftsbericht). ' Bericht des Casino-Abgeordneten Deeke in Neue Lübecker 'Blätter, Nr. 49, 19. 8. 1849.

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„Gewalt der Waffen" zugrunde. 1 Aber die Gagern-Liberalen unternahmen zunächst auch keinen Versuch des Brückenschlags zur preußischen Unionspolitik, sondern erneuerten das Bekenntnis zur Reichsverfassung. Man gäbe, so umschrieb die Zentrenkorrespondenz den Standpunkt der Gagern-Liberalen, dem in Frankfurt am Main verabschiedeten Grundgesetz „vor jeder, auch der besten oktroyierten Verfassung im Interesse des Ehr- und Gerechtigkeitsgefühls des deutschen Volkes den Vorzug". 2 Ein wichtiges Motiv ihres Ausscheidens war das Bemühen, auch nur den Anschein der Solidarität mit der revolutionären Bewegung zur Durchsetzung der Reichsverfassung zu vermeiden. Die Frankfurter Nationalversammlung könne, so rechtfertigte beispielsweise der Bernburger Casino-Abgeordnete Zachariä seinen Schritt gegenüber seinen Wählern, nicht berufen sein, „den Widerstand der größeren deutschen Regierungen durch gewaltsame, Bürgerkrieg und Anarchie befördernde Maßregeln zu beseitigen". 3 Der Austritt der Mehrheit der verbliebenen Gagern-Liberalen stand im Zeichen der Niederlage, aber auch des Beharrens auf den bekannten Grundsätzen der eigenen Parlaments- und Verfassungspolitik. „Wir bleiben", so lautete der Schlußsatz ihrer Zentrenkorrespondenz vom 22. Mai, „bei dem Wege, welchen Gagern angab. Die Durchführung der Verfassung soll geschehen mittelst des Ausschreibens neuer Wahlen und durch unbeschränkte Ausübung der durch die Grundrechte gewährten freien Presse, des Petitions- und Assoziationsrechtes und der Benutzung der konstitutionellen Mittel, den Willen der Majorität zur Geltung zu bringen." 4 Der Weg der Verständigung, des immer weiteren Nachgebens der Gagern-Partei gegenüber Preußen, hatte nicht zu dem gewünschten Ziel geführt. Weder diplomatischer Druck noch die Bereitschaft zu weiteren Konzessionen hatten ausgereicht, Preußen zur Zustimmung zum Erbkaisertum und zur Anerkennung der verfassunggeberischen Priorität der Paulskirche zu bewegen. Die einzige Möglichkeit, die Frankfurter Reichsverfassung gegen den Willen der deutschen Fürsten durchzusetzen, hätte darin gelegen, daß sich die Paulskirchenliberalen auf die zur Verteidigung der Verfassung bereiten, freilich über den gemäßigtkonstitutionellen Rahmen dieses Grundgesetzes hinausdrängenden Kräfte gestützt hätten. Die Bourgeoisliberalen hätten im Interesse des von ihnen ausgearbeiteten Grundgesetzes wenigstens zeitweise auf jene Kräfte setzen bzw. eine Bewegung tolerieren müssen, die radikalere Ziele als die Bourgeoisie ansteuerten, aber insgesamt noch nicht über den Rahmen einer konsequent bürgerlich-antifeudalen Umwälzung hinausgehen wollten. Weil sie dazu nicht bereit waren, vergaben sie eine historische Chance und negierten damit zugleich diejenigen Möglichkeiten, die sich im Rahmen einer weiterführenden revolutionären Bewegung für die Festigung der bürgerlichen Ordnung ergaben. Die Niederlage der eigenen Verfassungspolitik bedeutete für die Gagern-Liberalen nicht auch das Ende ihrer Verfassungsbestrebungen 1849, vor allem nicht das Ende ihrer Auseinandersetzung mit der preußischen Unionspolitik 5 bzw. dem Dreikönigsbündnis. Wir glauben deshalb unsere Untersuchung nicht abschließen zu können, ohne diesen postparlamentarischen Teil des Wirkens der Gagern-Liberalen, den Prozeß ihrer zunehmenden Annäherung an die Unionspolitik, kurz aufzuzeigen. 1 StB, Bd. 9, S. 6697. Zitiert nach Jürgens, Kar1, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 720. 3 öffentliche Erklärung Zacharias „An meine geehrten Wähler und Mitbürger" v. 31. 5. 1849 (Bernburger Wochenblatt, Juni 1849). 4 Zitiert nach Jürgens, Karl, Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes, 2. Abt., 2. Hälfte, S. 721. 6 Zur Unionspolitik neuerdings Weber, Rolf, Von Frankfurt nach Olmütz, S. 361 ff.

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6. Der W e g der Gagern-Liberalen zur Billigung der preußischen Unionspolitik Preußen hatte auf Initiative von Radowitz bereits am 9. Mai 1849 die Grundzüge für eine Unionsverfassung veröffentlicht 1 , welche die Schaffung eines kleindeutschen Bundesstaates vorsah, der mit Österreich lediglich in einem lockeren Bunde, der Union, vereinigt bleiben sollte. Da weder Österreich noch Württemberg und Bayern zustimmten, schloß Preußen auf der Grundlage der Unionsaktc gemeinsam mit Sachsen und Hannover am 26. Mai das sogenannte Dreikönigsbündnis, das nach dem Beitritt der meisten anderen deutschen Regierungen die Konturen eines von Österreich getrennten norddeutschen Bundesstaates annahm. Die preußische Unionspolitik war der allerdings unter anderen Bedingungen als in den 60er Jahren betriebene Versuch, bestimmte unumgängliche Erfordernisse einer bürgerlichkapitalistischen Entwicklung zu adaptieren. Ihr lag das Bemühen zugrunde, die Macht des Partikularismus zugunsten Preußens einzuschränken und dabei die Vorherrschaft der alten herrschenden Klasse weitgehend zu erhalten. Jede Beurteilung der preußischen Unions- bzw. Dreikönigspolitik hatte in Rechnung zu stellen, daß hier ein kleindeutscher Bundesstaat im machtpolitischen Interesse Preußens und im Kampf gegen die Revolution und die Verfassungsbestrebungen einer deutschen Nationalversammlung entstehen sollte. Der vorgelegte Entwurf bedeutete zwar einen Fortschritt im Vergleich zur Verfassung des Deutschen Bundes. Er wies jedoch gegenüber dem Frankfurter Grundgesetz eine Reihe von Nachteilen auf. Nach dem von Preußen vorgelegten Verfassungsentwurf sollte die Regierung des zu schaffenden Staates von einem Fürstenkollegium wahrgenommen werden, Preußen an der Spitze. Diesem sei die gesamte exekutive Gewalt der Zentralregierung zu übertragen. Der Grundgesetzentwurf des Dreikönigsbündnisses sah das Zweikammersystem vor, allerdings waren die Rechte des Staatenhauses gegenüber der Reichsverfassung erweitert worden. Auch das Suspensivveto für die Oberbehörde wurde durch das absolute Einspruchsrecht ersetzt. Doch die Dreikönigsverfassung wies weitere entscheidende Nachteile gegenüber der Frankfurter Reichsverfassung auf. Das allgemeine Stimmrecht war durch ein Dreiklassenwahlrecht ersetzt worden. Grundrechte und Errungenschaften wie die Abschaffung des Adels als Stand, die Beseitigung der Todesstrafe und die Aufhebung des Jagdrechtes auf fremdem Grund und Boden waren eliminiert, auch die Kompetenzen der Reichsgewalt eingeschränkt worden. So sollten ihr weder das Recht zur Erhebung von Reichssteuern noch ein Anteil an den von den Einzelstaaten zu erhebenden Zöllen oder indirekten Steuern zustehen. 2 Hatten die Austrittserklärung vom 21. Mai und andere Äußerungen der Gagern-Liberalen erkennen lassen, daß diese in der preußischen Unions- bzw. Dreikönigspolitik ursprünglich wenig Möglichkeiten für eine Anknüpfung an die eigenen Verfassungsbestrebungen sahen, so änderte sich dies im Verlaufe weniger Wochen. Es handelte sich bei dieser Meinungsänderung um einen recht widersprüchlich verlaufenden Prozeß der Anpassung, für den wir — dies sei vorweggeschickt — noch über keine in jeder Hinsicht befriedigende Erklärung verfügen. 3 1 2 3

Vgl. Dokumente %itr deutschen Verfassungsgescbicbte, S. 425 f. Ebenda, S. 435ff. Eine in einer Reihe von Punkten zutreffende Wertung des Annäherungsprozesses der Gagern-Liberalen an die Unionspolitik gibt Meinecke, Friedrieb, Radowitz und die deutsche Revolution, S. 303ff.

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Bassermann hatte bereits in seiner Austrittserklärung vom 16. Mai aus pragmatischen Gründen für die Unterstützung der Unionspolitik plädiert, indem er sich einfach für die Berücksichtigung der bestehenden Machtverhältnisse aussprach. Die „lebendige Einheit des Vaterlandes", ließ er verlauten, müsse jedem Patrioten höher stehen als die „tote papierne". Ein großer Vorzug der Unionspolitik sei, „daß, weil die mächtigste Regierung sich im Voraus gebunden, an ihrer Uneinigkeit wenigstens oder ihrem Widerstande die Einheit Deutschlands nicht mehr scheitern kann". 1 Wichtig für die Stellungnahme der ehemaligen Casino-Liberalen war vor allem, wie sich H. v. Gagern selbst entschied. Er hatte wenige Tage nach seinem Austritt aus der Nationalversammlung die Parlamentsstadt verlassen und zunächst wenig Interesse an einer Fortsetzung der Verfassungsbestrebungen unter nunmehr gänzlich veränderten Voraussetzungen bekundet.2 Inzwischen waren der Abschluß des Dreikönigsbündnisses und die Vorlage des Verfassungsentwurfes bekannt geworden. Gleichzeitig hielt der militärische Vormarsch der Konterrevolution an. Nachdem in Sachsen und im preußischen Rheinland die revolutionären Kräfte niedergeschlagen waren, rüsteten sich die preußischen Truppen zum Einmarsch in andere Staaten. Unter dem Druck dieser Ereignisse stellte sich die ehemalige Führungsspitze der Casino-Fraktion erneut der Frage nach ihrem Verhältnis zur Unionspolitik. Am 2. Juni versammelte sie sich zu einer Beratung in Frankfurt am Main.3 Auf Wunsch seiner politischen Freunde war auch H. v. Gagern zurückgekehrt, um die Besprechung zu leiten. Über den Inhalt dieser Zusammenkunft, an der ferner u. a. Bassermann, Dahlmann und Soiron teilnahmen, läßt sich nichts Genaues sagen.4 Doch über die folgenden Punkte bestehen kaum Zweifel: 1. Die Dreikönigs-Verfassung wurde unter Zugrundelegung ihres Geltungsanspruches für alle deutschen Staaten sowie als eine aus ihrer Sicht positive Regelung des Verhältnisses zu Österreich prinzipiell begrüßt; sie sollte auf schnellstmöglichem Wege durch einen neu zu berufenden Reichstag angenommen werden; 2. eine Versammlung der ehemaligen Erbkaiser-Partei der Frankfurter Nationalversammlung sollte eine offizielle Stellungnahme zur Dreikönigsverfassung erarbeiten. Große Bedeutung maß insbesondere H. v. Gagern der Haltung Bayerns zu. Wenn Bayern dem Dreikönigsbündnis beitrete, dann sei alles gewonnen, „dann muß alles beitreten, jeder Widerstand wäre dann so unvernünftig als unpatriotisch". Solange Bayern jedoch sich weigere, „ist die Partei der die Verfassung vom 28. März anerkennenden Staaten in Verbindung wahrscheinlich mit dem Widerstande der Stände von Sachsen und Hannover, vielleicht auch Preußen, die stärkere, diejenige, die die größere Wahrscheinlichkeit des endlichen Erfolgs, um zu irgendetwas zu gelangen, auf ihrer Seite hat, und sie muß ausharren, nicht nur jene Verfassung durchzuführen, sondern auch um Bayern mürbe zu 1 FOPAZ, Nr. 118, 19. 5.1849. 2 Vgl. den Beitrag des Vf. über H. v. Gagern in Männer dtr Revolution von 1848, Bd. 2, hrsg. v. Helmut Bleiber, Walter Schmidt u. Rolf Weber, Berlin 1987, S. 357 ff. 3 Vgl. BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Mathy an H. v. Gagern v. 1. 6. 1849; H. v. Gagern an Th. Eigenbrodt v. 8. 6. 1849; Simson, Eduardv., Erinnerungen, S. 216ff. (H. v. Gagern an E. Simson v. 15. 6.1849); GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 285 (Kamptz an Arnim v. 4. 6. 1849). 4 Unterschiede lassen die Schilderungen H. v. Gagerns erkennen (BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Gagern an Eigenbrodt v. 8. 6. 1849; H. v. Gagern an Simson v. 15. 6.1849) und des preußischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt (GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 285), der sich auf Informationen Bassermanns stützte. 17

Hildebrandti Gagern

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machen und es zu nötigen, jenen Projekten beizutreten" 1 ;d.h., Gagern gab sich der Hoffnung hin, Bayern könne dadurch wenigstens zum Einlenken auf die Unionspolitik bewogen werden, daß man vorläufig noch am Maximalziel, nämlich der Reichsverfassung festhalte. Erheblichen Einspruch gab es unter den Gagern-Liberalen während und nach der Beratung vom 2. Juni gegen das von Preußen vorgeschlagene Dreiklassenwahlrecht. Hier reichten die Einwände vom Wunsch nach einem verbesserten Zensus bis zur Forderung nach Beibehaltung des Reichswahlgesetzes, 2 letzteres vorwiegend deshalb, um die erhoffte Zustimmung kleinbürgerlich-demokratischer Kräfte nicht aufs Spiel zu setzen. Daß sich bei den Gagern-Liberalen zum Teil Illusionen an Berührungspunkte der Unionspolitik mit dem Projekt des engeren und weiteren Bundes knüpften 3 , sei am Rande vermerkt und ist gewiß nur eine oberflächliche Erklärung für den sich abzeichnenden Stimmungsumschwung. Ohne Zweifel gründete sich dieser nicht nur auf die angebotenen Zugeständnisse, er war eine Reaktion auf die Stärkung der Macht von Adel und Fürsten. Er fußte aber auch auf der Hoffnung, durch die Unterstützung der Unionspolitik die „Reformpartei" unter den Feudalkräften zu stärken und eine Rückkehr zu einem extrem reaktionären Regime, etwa einem „Ministerium Stahl-Gerlach", zu verhindern. 4 Weber hat mit Recht deutlich gemacht, daß die gemäßigten Liberalen bemüht waren, mit nationalstaatlichen Mitteln einen Ausweg aus der Krise zu finden 5 , die durch das immer weitere Vorrücken der Konterrevolution Ende Mai/Anfang Juni für das gesamte antifeudale Lager entstanden war. So stand hinter den Bemühungen der Gagern-Liberalen um eine Unterstützung der Unionspolitik der Versuch, wenigstens ein Minimum an nationalstaatlichen Konzessionen zu retten, sei es auch unter der Oberherrschaft und nach den konzeptionellen Leitlinien der gemäßigten Adelskräfte. Die preußische Regierung versuchte jedenfalls, diesen Meinungstrend in ihrem Sinne auszunutzen. In ihren offiziellen Verlautbarungen ließ sie keinen Zweifel daran, daß sie die Stellungnahmen ehemaliger Paulskirchenabgeordneter lediglich als deren Privatangelegenheit betrachtete. 6 Insgeheim ermächtigte sie jedoch Kamptz zu der Erklärung, sie lege Wert auf ein Zusammenwirken mit „den Nobili täten" der aufgelösten Nationalversammlung. 7 Dennoch verlief der Prozeß der Meinungsbildung zur Unionspolitik unter den GagernLiberalen auch in den folgenden Wochen widersprüchlich. „Das preußisch-hannöverischsächsische Projekt", schrieb beispielsweise der ehemalige Casino-Abgeordnete Siemens, „scheint mir gar nicht geeignet, zu einer nationalen Übereinstimmung zu führen — ich kann mich daher auch nicht dafür interessieren . . ." 8 Auch sein ehemaliger Fraktions1

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BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Gagern an Eigenbrodt v. 8. 6. 1849 (vgl. auch Gagern an Simson v. 15. 6. 1849). Vgl. ebenda; ferner GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 285 (Kamptz an Arnim v. 4. 6. 1849); BAF, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt; Smidt an H. Smidt v. 21. u. 23. 6. 1849. So IVent^che, Paul, Ideale und Irrtümer, S. 257 f. Eines der „wirksamsten Gegenmittel" gegen die „Vernichtung des Konstitutionalismus" sei, schrieb Gagern, das „Festhalten am Dreikönigsbündnis": BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Gagern an Bürgermeister Koch (Leipzig) o. D. [wahrscheinlich Sommer/Herbst 1849]. Weber, Rolf, Von Frankfurt nach Olmütz, S. 370f. Vgl. die Antwort des preußischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten auf eine Anfrage der anhalt-dessauischen Regierung: ZStAM, 2.4.1., I, 2082. GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 285 v. (Kamptz an Arnim v. 4. 6.1849). BAF, ZSg. 1/N 46, Nachlaß Siemens; Siemens an A. Siemens v. 5. 6. 1849. (Siemens nahm an der Gothaer Zusammenkunft jedoch teil.)

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kollege Saucken-Tarputschen, ein Freund H. v. Gagerns, lehnte sowohl das preußische Verfassungsprojekt als auch die Teilnahme an der geplanten Zusammenkunft ab. 1 Selbst Droysen sprach sich gegen eine solche Veranstaltung aus, der er denn auch fernblieb. 2 Mathy, der die Unionspolitik befürwortete, äußerte Bedenken, ob diese genügend Unterstützung innerhalb der preußischen Regierung finde. 3 Dessenungeachtet und trotz weiterhin bestehender Einwände vieler Gagern-Liberaler gegen das vorgeschlagene Wahlverfahren 4 verstärkte sich bei der Mehrheit der Trend zur Billigung des vorgelegten Verfassungsentwurfs, wozu auch Radowitz' Verheißung, daß ein Reichstag einberufen werde, beitrug. Eine umfangreiche öffentliche Erklärung M. v. Gagerns 5 ließ erkennen, welches Maß an Übereinstimmung bei einigen führenden Vertretern der damaligen Casino-Fraktion Mitte Juni erreicht war. M. v. Gagern behauptete, daß zwischen der Reichsverfassung und dem vorgelegten Grundgesetzentwurf „in ihren Hauptzügen und selbst im Wortlaut" eine große Übereinstimmung bestünde. Über die noch existierenden Unterschiede werde man allerdings nur in der Rolle von „Privatleuten" verhandeln. Die Bereitschaft zur Anpassung an die Dreikönigsverfassung wurde durch erbitterte, bis zur Verleumdung gesteigerte Angriffe auf die parlamentarische Linke ergänzt. Auch Äußerungen H. v. Gagerns ließen deutlich erkennen, daß der Prozeß der Annäherung an die „deutsche" Politik Preußens und das weitere Zurückdrängen der demokratischen Bewegung Hand in Hand gingen. 6 Bassermann hatte sich bereits Ende Mai gegenüber Kamptz für den Einmarsch preußischer Truppen nach Baden eingesetzt und behauptet, diese würden dort „als Befreier mit offenen Armen empfangen werden". 7 Daß die politischen Vorstellungen ehemaliger Paulskirchenparlamentarier mit den Erwartungen der Unternehmerbourgeoisie in vielem einhergingen, beweisen etwa die positiven Frankfurter Börsennachrichten nach Erfolgen der konterrevolutionären Kräfte in Paris und Süd Westdeutschland. 8 Mit dem Einschwenken auf die Position der gemäßigten Adelskräfte, der Aufgabe des Anspruchs auf Verfassunggebung und der verschärften Absage an die demokratische Bewegung war die Position der am aktivsten zur Unionspolitik hindrängenden Kräfte innerhalb der Gagern-Liberalen markiert, die sich auch auf der Versammlung ehemaliger Paulskirchenliberaler in Gotha durchsetzen sollten. Es gab also mehrere Gründe, die für die Aufgabe des verfassunggeberischen Prioritätsanspruchs und den Übergang der Casino-Mehrheit auf die Position der preußischen Unionspolitik ausschlaggebend waren. Einerseits sollte einer Verfassungsbewegung entgegengewirkt werden, die die Grenzen des konstitutionellen Grundgesetzes zu sprengen drohte. Mit ihrem Votum für die Unionspolitik hofften die Gagern-Liberalen jedoch auch, die konstitutionellen Kräfte in Preußen zu stärken, um diese von einer reaktionären Allianz mit Österreich und Rußland zurückzuhalten. Schließlich gedachten sie dazu beizutragen, 1 2

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Ebenda, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Saucken-Tarputschen an H. v. Gagern v. 21. 6. 1849. Vgl. Weber, Rolf, Von Frankfurt nach Olmütz, S. 375. BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Max an H. v. Gagern v. 11. 6. 1849. Ebenda, ZSg. 1/N 22, Nachlaß Smidt; Smidt an H. Smidt v. 21. u. 23. 6. 1849. An meine Wählerin den nassauiscben Ämtern Hadamar, Montabaur, Selters und Wallmerod, in: Nassauische Allgemeine Zeitung, 2. Ausgabe, Nr. 140, 15. 6. 1849. „Wenn wir nach Gotha gehen, wird hoffentlich der Sieg der Ordnung über die Anarchie entschieden sein", vgl. Simson, Eduard v., Erinnerungen, S. 219; H. v. Gagern an Simson v. 15. 6. 1849. GStA, III. H. A., Nr. 52, Bl. 197; Kamptz an v. Arnim v. 26. 5. 1849. Vgl. DZ, Nr. 166, 18. 6. 1849; vgl. auch Weher, Rolf Von Frankfurt nach Olmütz, S. 370.

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Zwischen Selbstaufgabe und Verfassungskampf

daß die Unionspolitik gewissermaßen von der exklusiv-dynastischen auf die allgemeinnationale Ebene hinübergeführt würde. Deshalb sollte auf den Beitritt der Klein- und kleinen Mittelstaaten, „die an Zahl zwar groß, an Macht aber um fast das Vierfache geringer als die verbündeten Königreiche" waren, hingewirkt werden; „es wäre weder politisch noch patriotisch gewesen, sie allein zu lassen und der Möglichkeit, endlich einen festen, definitiven Zustand der deutschen Dinge herbeizuführen, geradezu entgegenzutreten". 1 Auch Vertreter der Gagern-Liberalen bestritten nicht, daß die Unionspolitik verschiedene von ihnen bis dahin vertretene politische Prinzipien verletzte. Aber die Befürwortung dieser Politik, so hieß es, sei für sie im Augenblick die einzige Möglichkeit, im Sinne ihres eigenen Programms politisch zu wirken. Sie wiederholten die Behauptung, ihr Votum für die Unionspolitik würde den eigentlichen Zwecken der Reichsverfassung gerecht, die diesmal gemachten Zugeständnisse beträfen nur die Form, nicht den Inhalt der Verfassungsprinzipien. 2 Es gibt jedoch eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, daß die Befürwortung der Unionspolitik unter den Paulskirchenliberalen im Vorfeld der Gothaer Tagung weiterhin umstritten blieb. Der Kontinuitätsbruch mit der vormaligen Politik wurde nur mühsam überdeckt, wofür nicht zuletzt auch der Umstand spricht, daß sich die Gothaer Tagung ausdrücklich nur als private Zusammenkunft, nicht aber als eine Nachfolgeveranstaltung der Paulskirchenversammlung verstand. 147 ehemalige Abgeordnete der Frankfurter Weidenbusch-Gruppierung hatten sich vom 26. bis 28. Juni in Gotha versammelt. 3 Zu ihnen gehörten ca. 80 % der vormaligen CasinoVertreter, darunter mit Ausnahme von Droysen und Welcker 4 die gesamte Spitze der früheren Führungsfraktion der Erbkaiserlichen. Für eine derartige Veranstaltung hatten sich vor allem die Befürworter eines raschen Einschwenkens auf den preußischen Kurs, wie Bassermann, Haym, Mathy, Duncker, eingesetzt. Auch H. v. Gagern, obwohl offenbar mehr aus Parteiräson als aus „Neigung" 5 sich engagierend, war bei der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz sehr aktiv. Ergebnis der dreitägigen Beratung war die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung, in der die folgenden vier Punkte hervorgehoben wurden: Die Durchführung der Reichsverfassung ohne Abänderung sei unmöglich geworden; dennoch eröffne die „Verfassungsaufstellung" der Berliner Konferenz der Königreiche Preußen, Sachsen und Hannover Ende Mai 1849 einen Weg, „auf welchem sich der verlorene Einigungspunkt möglicherweise wiederfinden läßt", da der hier verabschiedete Entwurf den „Kern der Reichsverfassung" in sich aufgenommen habe. 2. Die Unterstützung der Dreikönigsverfassung durch die Erbkaiserpartei setze voraus, daß alle beitrittswilligen deutschen Regierungen dem Reichstage „als Einheit gegenübertreten" (d. h. ihre Sonderinteressen zurückstellen sollten). Außerdem dürften nur solche Teile der Verfassung revidiert werden, wo der Wortlaut der Texte vom 28. März und 28. Mai nicht übereinstimme. Bericht des Casino-Abgeordneten Deecke in Neue Lübecker Blätter, Nr. 33, 19. 8. 1849. Ebenda. 3 „Vollständiges Verzeichnis der Mitglieder der Versammlung zu Gotha", in: BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern, 24-29, Gothaer Versammlung und Partei 1849-59. 4 Welcker hatte sich Anfang Mai bekanntlich dem Nürnberger Hof (II)(vgl. S. 250) angeschlossen. Außer den Genannten fehlten beispielsweise mit Giesebrecht, Scheller, Deiters und Saucken-Tarputschen Abgeordnete, die unterschiedlichen Flügeln der Casino-Fraktion angehört hatten. 5 BAF, FN 7, Nachlaß H. v. Gagern; Gagern an Radowitz v. 13. 7. 1849. Vgl. auch die Studie über Radowitz von K. Canis in Männer der 'Revolution von 1848, Bd. 2, S. 449 ff. 1

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3. Nicht nur die deutschen Staaten, sondern jeder einzelne habe nach besten Kräften „zur Vollendung des großen vaterländischen Werkes beizutragen". 4. Da das Frankfurter Wahlgesetz nicht in Kraft gesetzt werden könne, sollte die Durchführung der Wahlen den Einzelstaaten überlassen bleiben. Andernfalls solle das von Preußen vorgeschlagene Dreiklassenwahlrecht zur Anwendung kommen. Es könne jedenfalls nicht verantwortet werden, „das Zustandekommen des ganzen Werkes an den Bedenken gegen ein Wahlgesetz scheitern zu lassen".! Als Führungsorgan der Gothaer wurde ein leitender Ausschuß mit Sitz in Frankfurt am Main gewählt, dem H. v. Gagern, Mathy, Hergenhahn sowie Theodor Reh angehörten. Die in Gotha verabschiedete programmatische Erklärung bekräftigte die von der Führungsspitze der Gagern-Liberalen bereits Wochen zuvor erarbeitete konzeptionelle Linie: das Dreikönigsbündnis wurde unter der Bedingung akzeptiert, daß es auf ganz (Klein)Deutschland ausgeweitet werden solle. Dieser erneute Anpassungsschritt wurde als den veränderten Bedingungen gemäße Weiterführung der eigenen Verfassungsbestrebungen ausgegeben. Für verhältnismäßig bescheidene Zugeständnisse zeigte sich die überwiegende Mehrheit der ehemaligen GagernLiberalen bereit, sich mit gravierenden Nachteilen der vorgelegten Verfassung abzufinden. 2 Mit dieser kurzen Nachbetrachtung soll unsere Untersuchung der Politik und Taktik der Gagern-Liberalen abgeschlossen sein. Es war mit diesem Exkurs lediglich beabsichtigt, den Annäherungsprozeß der Gagern-Liberalen an die preußische Unionspolitik, nicht aber das gesamte Wirken der Gothaer — was bereits durch die Studie von R. Weber zum Teil geschehen ist — zu untersuchen. 3 Die grundsätzliche Billigung der Unionspolitik durch die Gagern-Liberalen gehörte zu jenen Versuchen, durch Zurückschrauben eigener Ansprüche Minimalkonzessionen von der herrschenden Klasse zu erlangen. Sie war gleichzeitig an die Hoffnung geknüpft, mit den in Aussicht gestellten Zugeständnissen eine Basis zu erhalten, das von der Macht des Adels getragene System über einen längeren Zeitraum hinweg im bürgerlich-konstitutionellen Sinne umgestalten zu können. Die Hoffnungen, welche die Gagern-Liberalen an die Unionspolitik knüpften, erfüllten sich nicht. Vornehmlich unter dem Druck Österreichs und Rußlands' 1 sowie der stockkonservativen Fronde im Inneren rückte die Regierung Brandenburg Schritt für Schritt davon ab, bis die Olmützer Punktation im November 1850 deren Scheitern besiegelte. Die letzte Etappe des Wirkens der Gagern-Liberalen hatte ungeachtet einer insgesamt 1

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Vollständiges Verzeichnis, a. a. O.; abgedruckt auch in Dokumente %ttr deutseben Verfassungsgescbicbte, S. 431 f. Freilich konnten die Auseinandersetzungen über das Wahlgesetz bis zuletzt nicht bereinigt werden. Eine Gruppe norddeutscher Liberaler drohte ursprünglich sogar damit, die Tagung zu verlassen. Allerdings gelang es der Versammlungsführung, sich insoweit durchzusetzen, als zumindest die Empfehlung des allgemeinen Wahlrechtes verhindert wurde (vgl. auch Weber, Rolf, Von Frankfurt nach Olmütz, S. 377). Bereits unser Exkurs bestätigt nur teilweise die These Botzenharts, es habe sich bei den Gothaern um die Partei „eines seinen Klassencharakter" nicht verleugnenden Bürgertums" gehandelt (Bot%enbart, Manfred, Deutscher Parlamentarismus, S. 723). Vgl. Weber, Rolf, Von Frankfurt nach Olmütz, S. 379ff., Über die Reaktion des Zaren auf die Unionspolitik vgl. die Berichte des preußischen Botschafters in St. Petersburg, v. Rochows (ZStAM, 2.4.1 .,1. Nr. 6443, Bl. 239, 250; vertrauliche Berichte v. Rochows an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten v. 21. 5. u. 3. 6. 1849).

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rückläufigen Entwicklung noch einmal typische Momente gemäßigt-liberaler Politik und Taktik enthüllt. Der Beginn der Bemühungen um die Durchsetzung der Reichsverfassung hatte im Zeichen eines gewachsenen Selbstbewußtseins der Liberalen gegenüber Adel und Fürsten und neuer Möglichkeiten für ein zeitlich und sachlich begrenztes Zusammenwirken mit gemäßigt-demokratischen Kräften inner- und außerhalb des Parlaments im Interesse der Reichsverfassung gestanden. Den Liberalen jedoch war es nicht möglich, diese Situation zu nutzen, ohne mit ihrer bisherigen Doktrin zu brechen, wozu sie jedoch nicht bereit waren. Im Wettlauf mit der Zeit war es ihnen allerdings weder gelungen, die revolutionäre Bewegung zu stoppen, noch die Fürsten durch diplomatischen Druck zur Annahme der Verfassung zu bewegen. In dem bereits bekannten und mehrfach beobachteten Wechselspiel mit dem außerparlamentarischen revolutionären Geschehen bekräftigten die Liberalen zwar einerseits ihre antidemokratische Position, bewahrten jedoch gleichzeitig auch in stärkerem Maße als in ähnlichen Situationen zuvor Distanz gegenüber dem aristokratisch-monarchischen Lager. Erst nach dem offenkundigen und endgültigen Scheitern ihrer auf Antidemokratismus und partiellem Geltungsanspruch gegenüber Adel und Fürsten gegründeten Parlamentspolitik schwenkten sie, von ihrer Position aus folgerichtig, auf die Linie der preußischen Verfassungspolitik ein. Der Versuch der Gothaer, wenigstens ein Minimum an Konzessionen durch ein noch weiteres Zurückschrauben der eigenen Ansprüche zu erreichen, schlug jedoch angesichts der Stärke der extrem-reaktionären Rechten namentlich in Preußen sowie des Widerstandes Österreichs und seiner Verbündeten fehl. Damit waren sämtliche Varianten bourgeoiser Verfassungspolitik 1848/49 zunächst einmal unmittelbar gescheitert. Die Niederlage der Unionspolitik war letztlich ein Beweis mehr dafür, daß 1848/49 konstitutionelle Reformen, wenn schon nicht nach den Maximen der von den Gagern-Liberalen 12 Monate lang praktizierten Verständigungspolitik, so noch viel weniger unter der Ägide der gemäßigten Adelskräfte zu erreichen waren. Die Revolution selbst war zu dem Zeitpunkt, wo die Gagern-Liberalen auf die preußische Unionspolitik einschwenkten, zwar noch nicht beendet, wohl aber mit dem preußischen Feldzug gegen die revolutionäre Volksbewegung in Südwestdeutschland in ihre allerletzte Phase getreten. Am 20. Juni überquerten die preußischen Interventionsstreitkräfte den Rhein und damit die Landesgrenze zwischen der Rheinpfalz und Baden. Fünf Tage später, unmittelbar vor der Eröffnung der Tagung in Gotha, liefert die badische Volkswehr den Preußen östlich von Karlsruhe ein mutiges Gefecht, doch kann sie deren Vormarsch nur verlangsamen, nicht aufhalten. Einen Tag nach Beendigung der Konferenz in Gotha, am 29. Juni, wird Rastatt, der letzte bedeutende Stützpunkt der badischen Revolutionsarmee, eingeschlossen. Der T a g der Kapitulation, der 23. Juli 1849, ist gleichzeitig das Ende der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland. Die Gagern-Liberalen waren im Frühjahr 1848 in einer auf revolutionärem Boden entstandenen Nationalversammlung mit dem Anspruch angetreten, ihre Führungsposition in einem auf dem Reformwege durchzusetzenden Klassenkompromiß mit Adel und Fürsten zu verwirklichen. Mit ihrem Votum für die preußische Unionspolitik koppelten sie jetzt am Ende der Revolution die Absage an eine die Grenzen der Reichsverfassung sprengende Revolutionsbewegung mit der Aufgabe ihres verfassungspolitischen Prioritätsanspruchs gegenüber der Adelsklasse. Das Zurückstecken eigener politischer Ansprüche und Forderungen sowie die Annäherung an die Vertreter der alten Ausbeuterklasse waren 1848/49 nichts Neues, sondern ein häufiges

6. Billigung der preußischen Unionspolitik

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Symptom im politischen Verhalten der Bourgeoisie im Verlauf der Revolution. Dennoch genügt es nicht, in der taktischen Wendung der ehemaligen liberalen Frankfurter Parlamentarier nach dem Austritt aus der Paulskirche lediglich eine Wiederholung bereits früher beobachteter Reaktionen unter den Bedingungen des sich abzeichnenden Sieges der Konterrevolution zu sehen. Sie ist letztlich als indirekte Bestätigung dafür zu werten, daß mit der Niederlage der revolutionären Volksbewegung 1848/49 auch die entscheidende Voraussetzung für die Durchsetzung eines für die Bourgeoisie positiven Klassenkompromisses in dieser Revolution geschwunden war. Daß selbst die bürgerliche Umwälzung auf reformerischem Wege nicht ohne die geschichtliche Wirkung der Aktionen der Volksbewegung verwirklicht werden konnte, zeigt dann die Entwicklung in den 60er Jahren, wenn auch eine direkte Analogie zwischen der Unionspolitik von 1849 und dem Abschluß der Reichseinigung unter der Hegemonie Preußens sich verbietet. Ohne Zweifel entsprang der Abschluß des Umwälzungsprozesses mit Hilfe einer Revolution von oben der Übereinkunft zwischen der Bourgeoisie und den Vertretern von Adel und Fürsten. Mit Sicherheit gehörte zu jenen Faktoren, die die Führer der lange wiederstrebenden alten Ausbeuterklasse schließlich doch zu einer Teileinsicht in die Realitäten der Zeit zwangen, neben den Annäherungsprozessen zwischen Adel und Bourgeoisie, der Aktivität der demokratischen Kräfte in der nationalrevolutionären Krise der 60er Jahre, auch die Fernwirkung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49.

Ergebnisse der liberalen Reformpolitik 1848/49

Die zwölf Monate währende Parlamentstätigkeit der Gagcrn-Liberalen, nicht identisch mit der Geschichte der Bourgeoisie von 1848/49, ist, als parlamentarisch organisierte, konzentrierte Form des politischen Wirkens dieser Klasse, für das Verständnis der Rolle der Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Das Wesen des politischen Konzepts der gemäßigten Liberalen und ihrer Parlamentspolitik bestand darin, den bürgerlichen Umwälzungsprozeß auf gemäßigt-reformerischem Wege voranzutreiben. Dieses Hauptanliegen prägte nicht nur ihre Vorstellungen über W e g und Ziel der von ihnen eingeschlagenen Politik, sondern bestimmte auch ihre Haltung zum Hegemonieproblem der Revolution. Die Bourgeoisie war nicht bereit, als Hegemon der Revolution zu wirken, sofern dies den unbedingten Führungsanspruch gegenüber der alten Ausbeuterklasse und die Bereitschaft zur Führung des antifeudalen Lagers beim raschestmöglichen Abschluß des Revolutionsprozesses einschloß. Dennoch verfocht sie nach beiden Seiten, d. h. sowohl gegenüber Adel und Fürsten als auch im Hinblick auf die nichtbourgeoisen demokratischen Kräfte, einen begrenzten Führungsanspruch, Er war einerseits dadurch gekennzeichnet, daß gegenüber der bisher herrschenden Ausbeuterklasse mögliche Vereinbarungen nicht gefährdet und Konfrontationen möglichst ausgeschlossen werden sollten. Gegenüber den nichtbourgeoisen demokratischen Kräften war die Bourgeoisie insoweit bereit, ihre Führungsrolle zu realisieren, als Weg und Ziel ihrer konstitutionellen Reformpolitik sowie ihre eigene soziale Existenz nicht in Frage gestellt wurden. Mit anderen Worten: Für die gemäßigten Liberalen bzw. die Bourgeoisie kam ein Zusammengehen nur mit jenen (kleinbürgerlichen, gemäßigt-demokratischcn) Kräften in Betracht, die sich der Bourgeoisie politisch unterordneten oder aber bereit waren, ihr eigenes Programm zurückstellen. Hier aber lag die entscheidende Schwächc der liberalen Politik. Ohne ein Bündniskonzept, das das Risiko der zeitweiligen Infragestellung der gemäßigten Ziele bzw. der Vorherrschaft der Bourgeoisie einschloß, gab es 1848/49 nur sehr geringe Chancen selbst für die Verwirklichung des Reformprogramms der Bourgeoisie (einschließlich des von ihr angestrebten begrenzten Führungsanspruchs gegenüber Adel und Fürsten). Der Versuch der Gagern-Liberalen, den bürgerlichen Reformprozeß mit Hilfe des Parlaments voranzutreiben und eine zu ihren Gunsten gestaltete Machtteilung, ein verfassungspolitisches Übergewicht gegenüber Adel und Fürsten durchzusetzen, scheiterte 1848/49. Die von ihnen gewählte Taktik des Moderierens nach beiden Seiten erwies sich lediglich in Phasen, die durch eine relative Ruhe in den Klassenauseinandersetzungen gekennzeichnet waren, als einigermaßen erfolgreich. In Krisensituationen, wie im September bzw. im Spätherbst 1848 oder aber im Frühjahr 1849, zeigte sich die Bourgeoisie weder willens noch fähig, diese taktische Linie beizubehalten. Ihre jeweils mit verstärktem Antidemokratismus gekoppelte Annäherung an die alte Ausbeuterklasse ging nie bis zur politischen Selbstaufgabe und strebte stets nach

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Wiedererlangung des gewünschten politischen Spielraums. Die Hoffnung auf das Zustandekommen eines nach ihren Wünschen beschaffenen politischen Kompromisses mit der Adelsklasse und damit das Vertrauen auf die Realisierbarkeit ihres politischen Konzepts schwanden, nicht zuletzt dank des verhältnismäßig flexiblen Vorgehens der adlig-monarchischen Kräfte, endgültig eigentlich erst in der letzten Phase der Revolution (seit April 1849). Dennoch war die von den Bourgeoisparlamentariern betriebene Politik von Beginn an hinter ihren historischen Möglichkeiten zurückgeblieben. Angesichts der politischen und sozialen Schlüsselrolle, welche die Bourgeoisie 1848/49 in Deutschland spielte, ergaben sich aus diesem Umstand weitreichende Auswirkungen auf den Klassenkampf und die Klassenverhältnisse 1848/49 überhaupt. Einerseits war die Absage der Bourgeoisie an die Volksrevolution mit ausschlaggebend dafür, daß sich auch die Potenzen der demokratischen Kräfte, vor allem aus dem Kleinbürgertum, nicht voll entfalten konnten. Andererseits erleichterte die von der Bourgeoisie gegenüber Adel und Fürsten betriebene Politik der Schonung und Zusammenarbeit den Wiedererstarkungsprozeß der alten Ausbeuterklasse, welche es selbst deren anpassungsbereitem Flügel erlaubte, Reformen lediglich unter der Wahrung seines eigenen Führungsanspruchs zuzustimmen. Das galt, ungeachtet aller Unterschiede, sowohl für die preußische Unionspolitik von 1849/50 als auch für den Abschluß der bürgerlichen Umwälzung in den 60er Jahren. Niemand wird, in diesem Sinne verstanden, den Zusammenhang zwischen der bourgeoisen Vereinbarungspolitik von 1848/49 und dem sich 1866/71 vollziehenden Klassenkompromiß bestreiten. Es war nicht zuletzt die Erinnerung an den Druck der Revolution von 1848, vor der damals alle deutschen Fürsten — einschließlich ihrer mächtigsten Vertreter — „auf dem Bauche" lagen, die Erinnerung an die Gefährdung der Throne durch die Bewegung des Volkes im März 1848, welche die Vertreter der alten herrschenden Klasse, auf dem Hintergrund des Annäherungsprozesses zwischen Bourgeoisie und Adel, zur partiellen Einsicht in die Notwendigkeiten der Geschichte zwang. Aber das junkerlich-bourgeoise bonapartistische, von der Vormachtstellung des Adels geprägte Staatswesen von 1871 entsprach nicht den einstigen Vorstellungen der liberalen Parlamentarier von einem bürgerlichen Repräsentativstaat, lag jedoch, wie zu sehen war, auch nicht unbedingt außerhalb der von den Gagern-Liberalen zwei Jahrzehnte zuvor abgesteckten Politik. Die Entscheidung der Bourgeoisie für eine reformerische Verständigungspolitik und gegen eine Revolution durch das Volk wurzelte vor allem in ihrer antidemokratischen Grundeinstellung. Begünstigt wurde jene jedoch auch durch eine Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses infolge Überbewertung der eigenen Möglichkeiten wie auch der Verständigungsbereitschaft seitens der gemäßigten Adelskräfte. Dabei darf ein Umstand nicht übersehen werden, auf den vor allem Ernst Engelberg aufmerksam gemacht hat, daß nämlich die Bourgeoisie, im Unterschied zur revolutionären Volksbewegung, 1848/49 nie frontal seitens der adlig-monarchischen Kräfte angegriffen wurde 1 , ein Umstand, der dazu beitrug, die Hoffnungen der Bourgeoisie auf die Realisierbarkeit ihres Verständigungskonzepts zu nähren. Dieser Parlamentarismus ist seinen geschichtlichen Möglichkeiten, auch wenn man seine klassenmäßige Determiniertheit und die komplizierten historischen Bedingungen in Rechnung stellt, dennoch nicht gerecht geworden. Es bedeutete keine Überforderung, von der 1

Engeiberg, Ernst, Theorie, Empire und Methode in der Geschichtswissenschaft. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. W. Küttler u. G. Seeber, Berlin 1980, S. 254.

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Bourgeoisie 1848/49 zu erwarten, daß sie ihr Programm mit Hilfe der in dieser Situation möglichen wie notwendigen Mittel durchsetzt. Dazu gehörte das Zusammenwirken mit revolutionären Kräften (ein zeitweiliges Gewährenlassen nicht ausgeschlossen). Das im Zusammenhang hiermit einzugehende Risiko war, sollte das Ziel erreicht werden, ein von der Bourgeoisie nicht zu umgehendes historisches Erfordernis. Die Geschichte der Revolution von 1848/49 veranschaulicht die Richtigkeit der von Friedrich Engels getroffenen Feststellung: „Die Errungenschaften des ersten Sieges wurden erst sichergestellt durch den zweiten Sieg der radikaleren Partei; war dies und damit das augenblicklich Nötige erreicht, so verschwanden die Radikalen und ihre Erfolge wieder vom Schauplatz." 1 Erst der (zeitweilige) Sieg der Radikalen konnte den (dauerhaften) Erfolg der Gemäßigten sichern helfen. Dies veranschaulicht gleichzeitig den inneren Zusammenhang zwischen Reformprozeß und revolutionärer Bewegung in der Aufstiegsphase der bürgerlichen Gesellschaft. Die Erfahrungen von 1848/49 beweisen, daß es in einer Phase des revolutionären Kampfes der Volksmassen nicht möglich ist, selbst eine prinzipiell fortschrittliche bürgerliche Reformpolitik zu verwirklichen, wenn sich diese gegen die wichtigste Triebkraft des revolutionären Massenkampfes richtet. Der Erfolg der Revolution von oben widerspricht dieser Feststellung durchaus nicht, vielmehr bestätigt er sie, gerade weil sich eine direkte Analogie verbietet. Zu den Faktoren, die den Abschluß der Revolution von oben begünstigten, gehörten nicht nur der weiter fortgeschrittene Annäherungsprozeß zwischen Junkerklasse und Bourgeoisie sowie die Fernwirkung der Ereignisse von 1848/49. Die Bereitschaft der einsichtsvollsten Vertreter der Junkerklasse, den Umgestaltungsprozeß in seinen wichtigsten Bereichen auf antidemokratischem Wege zu beenden, resultierte nicht zuletzt aus der Tatsache, daß diese, anders als 1848, stets die Initiative in der Hand behielten. Obwohl der liberale Parlamentarismus von 1848 seine historische Möglichkeiten nicht ausschöpfte, gehört sein Wirken zu unserem progressiven geschichtlichen Erbe. Herausbildung und Rolle dieses Parlamentarismus waren aufs engste verknüpft mit der Durchsetzung des historischen Fortschritts in jener Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung — dem bürgerlichen Umwälzungsprozeß und der politischen Konstituierung der im Aufstieg befindlichen Bourgeoisie als Klasse. Die bürgerlichen Parlamente von 1848/49 waren, ungeachtet ihrer teilweise retardierenden Funktion, ein weithin sichtbarer Beweis für die Niederlage des Absolutismus, für den ersten geschichtlichen, wenn auch noch nicht endgültigen Sieg der Volkssouveränität über Fürstenherrschaft und Partikularismus in Deutschland. Existenz und Wirken dieser Parlamente trugen dazu bei, daß sich bei Bourgeoisie und Volksmassen die Einsicht von der historischen Unausweichlichkeit der Ablösung des alten Systems und des Siegs einer bürgerlich-fortschrittlichen Gesellschaftsordnung festigte. 1 MEW, Bd. 22, Berlin 1963, S. 514.

Quellen und Literatur (Auswahl)

I. Archivalien Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt a. Main — Nachlässe bzw. Teilnachlässe von Smidt, G. Beseler, Veit, v. Leiningen, Siemens, Droege, Brons, Bassermann, Deiters, Fallmerayer, Giesebrecht, v. Kalckstein, Künssberg, Lette, Mathy, R. v. Mohl, Pagenstecher, Welcker, v. Radowitz — Nachlaß H. v. Gagern (Depositum der Familie v. Gagern) — Parlamentskorrespondenz der Zentren Forschungsbibliothek Gotha — Nachlaß F. Becker Stadtarchiv Frankfurt a. d. Oder — Nachlaß Scheller Stadtarchiv Stralsund — Nachlaß Nizze Staatsarchiv Dresden Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten — Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, Berlin(West), III. Hauptabteilung — Politischer Schriftwechsel von L. Camphausen — Berichte der preußischen Gesandtschaft in London — Berichte der preußischen Gesandtschaft in Paris österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv — Gesandtschafts- (Bundespräsidial-) Archiv Frankfurt a. Main 1814—1866 — Staatskanzlei, Diplomatische Korrespondenz — Politisches Archiv des Ministeriums des Äußern 1848—1918 — Nachlaß A. v. Schmerling Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg — Rep. 75 B — Rep. 92, Nachlaß Hansemann — 2.4.1. I, Berichte der preußischen Gesandtschaft aus St. Petersburg — Depositum Niebour — Königliches Hausarchiv Staatliches Zentralarchiv Prag — Sbirka tiskü Deutsche Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung — Nachlaß F. Dahlmann

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Quellen und Literatur

II. Zeitungen und Zeitschriften Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, Gotha 1848/49 Neue Lübeckische Blätter 1848/49 Der deutsche Bürger, Naumburg 1848 Courier. Hallische Zeitung für Stadt und Land 1848/49 Flugblätter aus der deutschen Nationalversammlung, Frankfurt a. M. 1848 Frankfurter Konversationsblatt, Frankfurt a. M. 1848/49 Reichsanzeiger der Deutschen, Gotha 1849 Trierer Volksblatt 1848 Die Wage. Deutsche Reichstagsschau von Jakob Venedey, T. I—VIII, Frankfurt a. M. 1848/49 Boizenburg-Hagenower Wochenblatt 1848 Deutsche Zeitung, Heidelberg 1848/49 Deutsche Zeitung aus Böhmen, Prag 1848/49 Neue Deutsche Zeitung, Darmstadt/Frankfurt a. M. 1848/49 Frankfurter Zeitung, Frankfurt a. M. 1849 Neue Münchener Zeitung 1848/49 Frankfurter Oberpostamtszeitung, Frankfurt a. M. 1848/49 Süddeutsche Politische Zeitung, Stuttgart 1848 Deutsche Reichstagszeitung, Frankfurt a. M. 1848/49 Neue Rheinische Zeitung, Köln 1848/49

III. Zeitgenössische Publikationen, Erinnerungen, Briefe, Protokolle, Statistik 1848. [Achtzehnhundertachtundvierzig]. Augenzeugen der Revolution. Briefe, Tagebücher, Reden, Berichte, hg. v. Peter Goldammer, Berlin, 1973 Aktenstücke betreffend das Bündnis vom 26ten Mai [1849] und der deutschen Verfassungs-Angelegenheit, Berlin 1849 Aktenstücke und Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlaß von Johann Gustav Droysen (hg. v. R. Hübner) [in: Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der deutschen Nationalversammlung. Zweiter Teil], Berlin/Stuttgart 1924 = Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jh., Bd. 14 Arndt, Ernst Moritz, Briefe aus dem Frankfurter Parlament, hg. v. G. Brandis, in: Deutsche Rundschau, Bd. 81, Jg. 1894, S. 117-128 Arneth, Alfred von, Aus meinem Leben, 2 Bde., Wien 1891/92 Bassermann, Friedrich Daniel, Denkwürdigkeiten von F. D . Bassermann 1811—1855 (o. Hg.), Frankfurta. M. 1926 Beckerath, Hermann v., An die Wähler des Wahlbezirkes Crefeld zur deutschen Nationalversammlung, Frankfurta. M. (1849) Heilbronner Berichte aus der deutschen Nationalversammlung 1848/49. Louis Hentges, Ferdinand Nägele, Adolph Schoder, hg. v. Bernhard Mann. — Heilbronner Stadtarchiv 1974 Stenographische Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main (hg. v. F. Wigard), 9 Bde., Frankfurt/M. 1848/49 Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch das Allerhöchste Patent vom 5. Dezember 1848

Quellen und Literatur

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einberufenen Kammern. Zweite Kammer. Von der Eröffnungssitzung am 26. Februar bis zur Auflösung in der 37. Sitzung am 27. April 1849 = Beilage zum Preußischen Staatsanzeiger, Berlin 1849 Aus Georg Beselers Frankfurter Briefen (hg. v. H. Beseler), in: Deutsche Revue, Jg. 1912, Bd. 2, S. 101-113, 230-239, 360-369; Bd. 3, S. 110-120, 231-241 Beseler, Georg, Erlebtes und Erstrebtes 1809-1859, Berlin 1884 Biedermann, Karl, Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte, 2 Bde., Breslau 1886/87 Biedermann, Karl, Erinnerungen aus der Paulskirche, Leipzig 1849 Biedermann, Karl, Beiträge zur Geschichte des Frankfurter Parlaments= Historisches Taschenbuch, 5. Folge, 1877 Briefe Wilhelm Stahls aus der Paulskirche (hg. v. M. v. Gerber), in: Historisch-politisches Archiv zur deutschen Geschichte, Bd. 1, Leipzig 1930, S. 1 - 1 3 2 (Usedom, Georg v.], Politische Briefe und Charakteristiken aus der deutschen Gegenwart, Berlin 1849 Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830—1850 (unter Benutzung von Vorarbeiten v. J. Hansen bearb. v. H. Boberach), Bd. 2: April-Dez. 1848, Köln/Bonn 1976 Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830—1850 (ges. u. hg. v. J. Hansen), Bd. 2, erste Hälfte, Bonn 1942 Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen, Leipzig 1873 Briefwechsel zwischen Stüve und Detmold in den Jahren 1848 bis 1850 (hg. v. G. Stüve), Hannover 1903 = Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Bd. 13 Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann und Gervinus (hg. v. E. Ippel), 2 Bde., Berlin 1885/86 Camphausen, Ludolf, König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, hg. u. erl. v. E. Brandenburg, Berlin 1906 Cochenhausen, Friedrich v. Aus dem Frankfurter Reichs-Kriegsministerium, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 4. Folge, 5. Bd., 1. H., Jg. 1938 Deutsche Chronik für das Jahr 1848, Berlin 1849 Deutsche Chronik für das Jahr 1849, TeUe 1, 2, Berlin 1850/51 [Deeke, Ernst] Übersichtliche Mitteilungen aus dem Bericht des Abgeordneten zur deutschen Reichsversammlung, in: Neue Lübeckische Blätter, Nr. 30, 29. 7. 1849; Nr. 31, 5. 8. 1849; Nr. 32,12. 8. 1849; Nr. 33, 19. 8. 1849; Nr. 29,22.7.1849 Dieterici, Karl Friedrich Wilhelm, Die Bevölkerung des preußischen Staats nach der amtlichen Aufnahme des Jahres 1846, Berlin 1848 Dieterici, Karl Friedrich Wilhelm, Handbuch der Statistik des preußischen Staats, Berlin 1861 Dieterici, Karl Friedrich Wilhelm, Tabellen und amtliche Nachrichten über den preußischen Staat, Berlin 1851-1855 Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (hg. v. E. R. Huber), Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, Stuttgart 1961 Das Dombaufest von 1848 als Politikum: Aus den Memoiren d. Ministers Anton Ritter von Schmerling, (hg. von Thomas Patent), in: Kölner Dombl., Köln 46 (1981), S. 207-218 Droysen, Johann Gustav, Briefwechsel (hg. v. R. Hübner), Bde. 1, 2, Stuttgart 1929 = Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jh., Bde. 25,26 Droysen, Johann Gustav, Preußen und das System der Großmächte. Politisches Gutachten eines SchleswigHolsteinets, Berlin 1849 Duckwitz, Arnold, Denkwürdigkeiten aus meinem öffentlichen Leben von 1841—1866. Ein Beitrag zur bremischen und deutschen Geschichte, Bremen 1877 Duncker, Max, Politischer Briefwechsel aus seinem Nachlaß (hg. v. J. Schultze), Stuttgart/Berlin 1923 = Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jh., 12 Duncker, Max[imilian Wolfgang], Zur Geschichte der deutschen Reichsversammlung in Frankfurt, Berlin 1849

270

Quellen und Literatur

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Braunschweig

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Quellen und Literatur

271

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Hildebrandt, Gagern

274

Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Personenregister

Albrecht, Erzherzog von Österreich 247 Ambrosch, Joseph Julius 151, 153, 155 Arndt, Ernst Moritz 71, 74, 113f., 121 Arneth, Alfred v. 137f., 162, 178, 182, 211 Arnim (-Heinrichsdorff), Heinrich Friedrich v. 200, 233 Arnim (-Suckow), Heinrich Alexander v. 69f., 101, 126, 181 Auerswald, Hans-Adolph v. 95, 98,105,112f., 147 Bammel, Ernst 162 Barth, Marquard Adolph 176f., 182 Bassermann, Friedrich Daniel 24, 44, 48f., 56f., 63,65,102,106-108,127,131,141.144,146-149, 151 f., 155, 163, 165, 183, 185f., 188f., 229f., 234, 236-238,240,245,249-251, 257,260 Bauernschmid, Carl Eduard 141 Becker, Friedrich Gottlieb 44, 212 Beckerath, Hermann v. 48f., 52, 58,63, 65,102,105 107 f., 113, 144, 146, 150, 156, 161, 179, 233, 235, 240, 244 Beisler, Hermann v. 138 Below, Gustav 103 Benedict-Moutenau, Joseph 139 Bennigsen, Alexander Levin v. 238 Berger, Johann Nepomuk 85f., 137, 141 Bergsträsser, Ludwig 13 Bernstorff, Albrecht v. 194 Beseler, Georg 24, 63, 102, 106, 121, 129, 149, 162-164,173,179f., 182,184f., 203, 217, 241, 254 Beseler, Wilhelm 176, 204, 210 Best, Heinrich 32 Beurmann, Karl Moritz v. 71 Biedermann, Karl 125, 130, 134, 153f., 182, 203, 215, 223, 250 Biegeidben, Ludwig v. 165 Blömer, Friedrich 120 Bios, Wilhelm 19f. Blum, Robert 56, 58, 70, 78, 107, 114, 120f., 134, 141-143 Boddien, Alfons v. 156

Boldt, Werner 18 Botzenhart, Manfred 17f., 41, 148, 153, 248, 261 Brandenburg, Erich 13f, 148, 223 Brandenburg, Friedrich Wilhelm v. 146, 149, 153, 155-157, 194, 196, 221-223, 225-228, 223, 2 3 5 237, 239, 253, 261 Braun, August Ernst 57, 251 Brentano, Lorenz Peter 97 Bresgen, Franz 110 Breuning, Carl Philipp Theodor v. 182 Briegleb, Moritz 121, 134, 142, 238, 242 Brons, Isaac 155, 232, 244, 250f. Brühl 194 Bülow, Hans v. 148, 158, 170, 193, 200 Bunsen, Karl Josias v. 158, 181, 193-195, 198 Bußmann, Walter 16 Buttel, Dietrich Christian v. 176 f. Camphausen, Ludolf 23, 69-71, 96, 105, 111-113 119, 136, 145, 147, 154, 158, 164f., 170-172, 174f., 185, 189, 193-196, 198-200, 204, 213, 221, 223-228, 233f., 251 Christian VIII., König von Dänemark 100 Christian August v. Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg 100, 103 Circourt 71 Claussen, Hans Reimer 102, 104, 113f. Colomb, Ferdinand August Peter v. 70 Compes, Gerhard Joseph 106, 111 Conze, Werner 16 Cowley, Henry 195 Cucumus, Conrad v. 114 Culmann, August 243 Dahlmann, Friedrich 15, 24, 48, 55f., 63, 84, 90, 101, 104, 106-114, 116, 119, 122, 130, 162, 166, 184f., 223, 254, 257 Deeke, Ernst Heinrich Ludwig 215 Degenkolb, Carl 107f., 116, 118, 134f., 215, 232, 244 Deiters, Peter Franz 116, 121, 124, 184, 250f., 260

282 Deym, Friedrich v. 139, 144 Dieskau, Julius Otto Heinrich v. 230 Dietsch, Karl Theodor 51 Dönhoff, August v. 145 Droege (Dröge), Johann Albert 215, 232 Droysen, Johann Gustav 24, 49, 56, 63, 105, 110, 114f., 121, 146 f., 150f., 154, 159-164, 166, 173f., 176, 178, 216, 234, 254, 259f. Duckwitz, Arnold 124, 235, 237 f., 244 Duncker, Maximilian Wolfgang 49, 54, 56f., 63, 74,102,114,116, 127, 134, 150, 152f., 163, 182, 203, 234f., 260 Ebmei(y)er (Ebmaier), Carl Heinrich 134, 251 Edel, Carl Friedrich 135 Eichmann, Franz August 145 Eisenstuck, Bernhard, 32, 212, 216, 243 Emmerling, Ludwig August Georg 182 Engel, Arnold Caspar Gotthold 107 Engelberg, Ernst 265 Engels Friedlich 19f., 33, 88f., 96, 111, 114, 266 Esmarch, Heinrich Carl 102,114,121 Eyck, Frank 18, 110, 112, 117, 122, 162, 179, 200 Falk, Alexander Friedrich Wilhelm 164, 215 Fallati, Johannes 105, 244 Federer, Friedrich 250 Federer, Friedrich 250 Festi, Joseph (Giuseppe") v. 89 Fischer, Gustav 134 Fischer, Friedrich Leopold 111, 253 Flottwell, Eduard Heinrich v. 114, 116 Förster, Heinrich 192 Francke, Carl Philipp 101, 110, 113-116, 118f., 121, 138, 144, 215, 251 Franz Josef I., Kaiser von Österreich 160, 252 Freudentheil, Gottlieb Wilhelm 215 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 55, 72, 148, 155-158, 174, 183f., 193f., 198, 200f., 208f., 217, 219, 221-224, 226f., 229, 232f., 237f., 252 Fuchs, Karl 122, 215 Gagern, Hans Christoph v. 140 Gagern, Hcinrich v. 14f., 23-25, 32, 34, 48f„ 51-53, 56, 58-65, 90, 92, 101, 110, 113, 123, 126-128, 131, 133, 136, 139, 140, 142, 144f„ 147, 155-184, 186, 189, 193, 195-198, 200, 202f., 206, 208, 210, 212-217, 227, 229, 230, 233f., 236f., 240-249, 251 f., 254f., 257-261 Gagern, Max v. 44, 55, 99, 102f., 114, 117, 121, 140f., 144, 150, 254, 259 Gall, Lothar 16f.

Personenregister Gervinus, Gottfried 61—64, 74 Gevekoht, Carl Theodor 232 Giech, Carl Franz Friedrich v. 250 Giesebrecht, Ludwig 51, 64, l l l f . , 124, 130, 144, 204, 224, 250, 260 Gillesen, Günther 159, 201 Giskra, Carl 180 Goltz, Carl Gustav v. d. 215, 240, 250 Gombart, Lucas Ludwig 114, 116 Grävell, Wilhelm Carl 249 Grimm, Jacob Ludwig Carl 101, 110, 122 Grumbrecht, August Friedrich Wilhelm 163, 203, 215 Gülich, Jacob Guido 101, 110, 122 Gysae, Wilhelm 250 Hahn, Hans-Werner 201 Hallbauer, Gustav Moritz 217 Hansemann, David 23, 98, 139, 173, 196, 198 Harmer 249 Harnack, Axel v. 148 Harnisch, Hartmut 43 Hartmann, Moritz 53, 139 Hatzfeld, Maximilian, Friedrich Karl Franz 117 Haym, Rudolf 43, 49, 53f., 56, 63, 77, 111, 119f., 128f., 143, 149f., 152f., 163, 172, 196, 198, 202, 204f., 224, 235, 251-253, 260 Hecker, Friedrich 97 Heckscher, Johann Gustav 57, 65, 74, 101, 104— 108, 113, 116, 118 f., 121, 123 Hegnenberg-Dux, Friedrich Adam Justus v. 151 Heinemann, Gustav 18 Hennig, Heinrich v. 215 Hergenhahn, August 147, 150f., 155f., 163f., 183, 261 Herrmann, Friedrich Benedict Wilhelm v. 113, 248 Heuß, Theodor 15 Heydt, August v. d. 223 Hildebrand, Bruno 176 Hildebrand Klaus 201 Höfken von Hattingsheim, Gustav 74, 85, 114, 215 Hofmann, Jürgen 23 Hollandt, August 122, 215 Huber, Ernst Rudolf 117 Jacobi, Helmut 201, 233 Jcitteles, Andreas 86 Jellacic de Buzim, Josef 137, 141 Johann, Erzherzog von Österreich 59—65, 113, 123, 136, 161, 165, 221, 234, 240, 244-249, 2 5 1 253 Jordan, Julius Franz Alexander Wilhelm 118

Personenregister Jordan, Ludwig Joseph 122 Jordan, Sylvester 118 Jordan, Wilhelm 77, 120, 131, 215 Jürgens, Carl Heinrich 134, 141, 144, 156, 158f., 161 f., 171, 177, 180f., 186 Kaiser, Ignaz 138 Kalckstein, Karl Willibald v. 130, 133, 173, 198, 250 Kamptz 209, 251 f, 259 Karl Albert, König von Sardinien-Piemont 88 Keller, Gustav Ludwig Emil v. 126 Kerst, Samuel Gottfried 72, 76, 121 Kesselring, Georg Friedrich 69 Kierulff, Friedrich Johann 215 Kirchenpauer, Gustav 249 Kirchgeßner, Carl 113, 138, 173, 176 Koch, Otto 182 Könneritz, Julius Traugott Jakob v. 147 Kohlparzer, Franz Xaver 89 Kohlschütter 108 Kolb, Georg Friedrich 53 Kosmann, Friedrich Wilhelm Albert 215 ICossuth, Lajos 250 Kratz, Günter Heinrich 250 Künß(ss)berg, Heinrich 140, 164, 213 Küntzel, Alexander 215, 251 Kuranda, Ignatz 86 Langerfeldt, Gustav Anton Friedrich 134, 139, 182 Leiningen, Karl Friedrich Wilhelm Emich v. 65, 105, 107, 110, 113, 142 Lenin, Wladimir Iljitsch 20 Lenz, Max 12 Lette, Adolph 57, 150, 215 Leue, Friedrich v. 72 Lichnowsky, Felix v. 50, 107, 120 Liebmann, Richard 122 Linde, Justin v. 176f. Low (Loew), Friedrich 202 L o w (Loew), Hermann 76, 138 Makowiczka, Franz 215 Maitzahn, Gustav (v.) 116, 119, 134 Mammen, Franz August 32 Mann, Bernhard 18 Mareks, Erich 12-14, 200, 215 Martens, Heinrich Wilhelm 134, 244 Marx, Karl 19f., 88, 96, 114 Mathy, Karl 15, 44, 48f., 56, 63, 65, 104, 108, 112, 124, 131, 134, 154, 163, 215, 229f., 234, 238, 254, 260f.

283 Maximilian II., König von Bayern 238 Mayern, Franz Ferdinand v. 107, 110f., 114f., 139 Mayfeld, Moritz v. 140 Mazzini, Giuseppe 88 Mehring, Franz 19, 20 Meinecke, Friedrich 12—16 Menßhengen, Ferdinand v. 59, 142, 156, 161 f., 165, 174 Messenhauser, Wenzel Cäsar 137 Mevissen, Gustav 105, 198 Michelsen, Andreas Ludwig Jacob 101, 110, 114f., 121, 251 Mittermaier, Karl Joseph Anton 73, 111, 215, 222 Möring, Carl v. 116 Mohl, Robert (v.) 54, 65, 104f., 134f., 137, 144, 161, 215, 235, 244 Moll, Georg 36 Moltke-Nütschau, Karl v. 103, 113, 119 Mommsen, Wilhelm 15 Mösle, Johann Ludwig 137, 142f., 248f. Mosse, Werner Eugen 201 Mühlfeld-Megerle, Eugen v. 120 Müller, Daniel Ernst 113 Nauwerck, Karl 91, 135, 138, 141 Neergard, Lucius v. 115, 121 Ncrrcter, Louis Ernst Otto 215, 251 Neumeyer (Neumayr), Max v. 138 Niebour, Hermann 46 Nierstein, Wernher v. 113, 121 Nizze, Johann Ernst 180, 209, 224, 250 Obermann, Karl 20, 40f. Oncken, Hermann 12 Oncken, Wilhelm 12 Ostermann 151 Osterrath, Heinrich Philipp 244 Ottow, Mutius Aloys 215, 244 Palacky, Franz 82 Palmerston, Henry John Temple 101, 195 Pattai, Guido 138, 141 Paur, Adolph v. 143, 176f. Päzmändy, Dionis 92 Peucker, Eduard v. 95, 107, 235, 237, 244 Pfeiffer, August Emanuel 206 Pfizer, Paul Achatius 52 Pfordten, Karl Ludwig Heinrich v. d. 238 Pfuel, Ernst Heinrich Adolf v. 74, 145f. Pinkert (Pinckert), Friedrich 122 Plathner, Otto v. 97, 121, 215 Pözl, Joseph 143

284 a Prato, Giovanni 89, 91 Presting, Leonhard Ernst 215 Prokesch von Osten, Anton 223 Raabe (Rabe), Arnold v. 223 Rachfahl, Felix 12 Radetzky, Joseph v. 88 Radowitz, Joseph Maria 50, 58, 85, 91,96,107,130, 193, 233, 236 Rank Joseph 141 Rappard, Conrad v. 113 Raumer, Friedrich v. 74, 90, 101, 209, 215, 250 Raumer. Hans v. 114,209 Raveaux, Franz 52—54, 224 Rechberg und Rothenlöwen, Johann Bernhard v. 200, 227, 231, 234, 245-247, 249 Reden, Friedrich Wilhelm Otto v. 215 Reh, Theodor 113, 133, 203, 261 Reichensperger, August 151 Reitter, Heinrich 138, 176, 217 Riesser, Gabriel 130, 153, 221, 223, 250 Rintelen, Heinrich Wilhelm 223 Ritter, Gerhard 14, 201 Rochau, August Ludwig v. 251 Rochow, Theodor v. 195 Röder, Friedrich 250 Römer, Friedrich v. 113 Rösler, Adolph Gustav 133, 180, 192 Rößler, Emil Franz 217 Roth, Hans 117 Rüder, Max Heinrich 139, 176f., 180, 203, 251 Rühl, August 135 Rümelin, Gustav 131, 159, 182 Rüge, Arnold 69, 78, 86 Rüssel, John 195 Sänger (Saenger), Carl v. 76, 215 Saucken-Tarputschen, Ernst v. 58, 150, 154, 159, 165, 203, 259f. Schäfer-Bernstein 79 Schaffrath, Wilhelm-Michael 53 Scharff, Alexander 15, 201 Scheller, Friedrich Ernst 132, 134, 213, 250, 260 Schepp, Friedrich 154 Schieder, Theodor 16 Schilfert, Gerhard 20 Schilling, Ernst 113 Schirmeiste r, Heinrich 215 Schleussing (Schleußing), Franz Wilhelm Adam 250 Schlöffel, Friedrich Wilhelm 128, 133f. Schmerling, Anton v. 24, 32, 48 f., 59, 65, 86, 90,

Personenregister 99,101,104f., 107 f., 110,116,123f., 126,131-133, 136f., 140, 142-44, 147-149,151, 1 5 4 - 1 5 6 , 1 5 9 1 6 8 , 1 7 2 , 1 7 4 , 1 7 6 , 1 7 9 - 1 8 1 , 1 8 4 , 1 9 6 f . , 199, 202f. 206-209, 211 f., 231 Schmidt, Adolph 110, 122 Schmidt, Franz 78, 133 f. Schmidt, Siegfried 25 Schmidt. Walter 21 Schneer, Alexander 141, 164 Schneider, Joseph 217 Schoder, Gottlieb Adolf Ferdinand 113, 222 Schoultz 101 Schräder, Wilhelm 163 Schrenk-Notzing. Carl Ignaz v. 138 Schubert, Friedrich Wilhelm 74,108,114,116,138, 144, 230 Schuler, Johann 90f., 110, 189 Schuselka, Franz 74, 86 Schwarz, Carl 150, 154, 163 Schwarzenberg, Felix v. 143f., 167, 174, 180f., 194-198, 212, 231, 247, 253 Schwetschke, Carl Gustav 215 Seebeck, Moritz 234, 238, 249 Selchow, Werner Ludolf v. 154 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob 69 Siehr, Albert 250 Siemann, Wolfram 18, 33 Siemens, Gustav 111, 189, 215, 244, 251, 258 Simon, Heinrich 107, 111, 113, 141, 149f., 2 1 0 217 Simon, Ludwig 58,107, 110,116,120f., 128,133f., 178, 210, 228 f., 240 Simon, Max 111,141,176 Simson, Eduard (v.) 24, 53, 62f., 134, 147, 155f., 163f., 173f., 183, 222f., 254 Smidt, Heinrich 55 Smidt, Johann 55, 95, 112f., 157 Soiron, Alexander v. 82, 121, 257 Somaruga (Sommaruga), Franz Philipp v. 86, 138, 140, 160, 203, 209, 211 Souchay 249 Stadelmann, Rudolf 15 Stahl, Wilhelm 182,215 Stavenhagen, Friedrich (v.) 101, 133, 144, 215, 250 Stedmann (Stedtmann), Carl v. 111, 114, 116 Stelzenmüller, Tilemann 140, 160, 162 Stenzel, Gustav Adolf 74, 114 Stephan, Erzherzog von Österreich 245 Stockmar, Christoph Friedrich v. 111, 145, 159f., 198 Stüve, Johann Carl Bertram Sybel, Heinrich 12

238

285

Personenregister Szalay, Ladislaus Tallenay

92

195

Teichert, Gottlieb Friedrich Teilkampf, Johann Ludwig Thinnes, Friedrich 76, 251 Thun, Leo v. 84 Trauttmansdorff, Joseph v. Treitschke, Heinrich v. 12 Trützschler, Wilhelm Adolf 192, 230

215, 250 110, 122

148, 155, 158 v.

56, 58, 114, 188,

Unruh, Hans v. 147 Usedom, Georg v. 59, 101, 103, 174 Valentin, Veit 13, 148, 245 Veit, Moritz 152f., 163 Venedey, Jacob 113, 133, 137f., 178 Viebig, Ernst Friedrich Ferdinand 76 Vincke, Ernst Friedrich v. 50, 58, 62, 120f., 131, 150, 156f., 180 Vogt, Carl 91, 113, 116, 137, 178, 189, 210 Waitz, Georg 101,104,106,110,119f., 139,150,184 Wartensleben, Alexander v. 76f., 97 Watzdorf, Otto Friedrich v. 234, 238 Weber, Rolf 244, 261 Wedekind, Eduard 85, 110, 122 Weiß, Joseph 138 Weicker, Karl Theodor 58, 137, 140, 142-144, 184, 203, 206, 209-213, 215, 218, 248, 250f., 260 Wentzcke, Paul 14, 117, 122, 139, 158, 160, 200, 238 Werner, Max 53 Wesendonck, Hugo Maximilian 107, 120, 137, 163, 178, 242

Wessenberg, Johann Philipp v. 59, 142 Wichmann, Wilhelm 107f., 163 Widenmann, Christian 105, 244 Wiesner, Adolf 86. 133, 137, 141 Wigard, Franz 106 Wilhelm, Prinz von Preußen 55, 147, 198, 204 Willisen, Wilhelm v. 74, 159 Windischgrätz, Alfred v. 84f., 137, 141, 143 Wippermann, Carl 58, 114 Wirth, Johann August 69 Wittig, Ludwig 69 Wollstein, Günter 19 Wangel, Friedrich v. 102, 148 Würth, Joseph v. 65, 114, 116, 139f., 165, 178, 200, 211 Wurm, Christian Friedrich 107, 111, 114, 116, 134, 153f., 163, 203f., 250 Wuttke, Heinrich 134 Wydenbrugk, Oscar Wilhelm Eberhard v. 149,178 Xylander, Joseph Carl Aloys v.

238, 243

Zachariä, Friedrich Wilhelm 74, 101, 114, 215, 251, 255 Zachariä, Heinrich Albert 110, 115, 125, 134, 182f., 251, 254 Zell, Friedrich 215 Zenetti, Johann (v.) 114, 116, 138 Zimmermann, Wilhelm 91, 107 Zittel, Carl 110, 122 Zitz, Franz Heinrich 58, 128, 133 f. Zöllner, Wilhelm 242 Zwahr, Annette 31 f., 46 Zwahr, Hartmut 31

Gunther Hildebrandt

Parlamentsopposition auf Linkskurs Die kleinbürgerlich-demokratische Fraktion Donnersberg in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 (Schriften des Zentralinstituts für Geschichte)

1976. 282 Seiten — 10 Abbildungen - 10 Tafeln 16,7 c m X 2 4 cm - DDR 3 5 , - M ; Ausland 3 5 , - DM Bestell-Nr. 7 5 2 4 6 8 8 Bestellwort: Hildebrandt, Parlamentsapp. 2083/41

Der Verfasser weist in seiner Monographie nach, daß sich die Fraktion Donnersberg für ein kleinbürgerlich-demokratisches Verfassungsprogramm auf der Grundlage des Prinzips der Volkssouveränität einsetzte. Diese entwickelte Grundsätze und Richtlinien einer internationalen Politik, die Chauvinismus und Unterdrückung aus den Beziehungen der Staaten und Nationen verbannen wollte und auf ein gleichberechtigtes, friedliches Zusammenleben von Völkern mit einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung ausgerichtet war.

Interessentenkreis: Historiker, Soziologen

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Leipziger Straße 3-4. Postfach 1233 DDR-Defün.1006

Opposition in der Paulskirche Reden, Briefe und Berichte kleinbürgerlich-demokratischer Parlamentarier 1848/49

Herausgegeben und eingeleitet von Gunther Hildebrandt (Schriften des Zentralinstituts für Geschichte)

1981. XIV, 400 Seiten - 17 c m X 2 4 cm DDR 4 2 M ; Ausland 4 2 - D M Bestell-Nr. 7 5 3 7 8 0 9 Bestellwort: Paulskirche 2083/70

Diese Edition enthält ausnahmslos neu erschlossenes Quellenmaterial zur Tätigkeit der kleinbürgerlich-demokratischen Linken in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, in größerem Maße Parlamentsbriefe und -berichte. Die Materialien veranschaulichen das Eintreten der Paulskirchenopposition für eine demokratische Gestaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland, deren Auseinandersetzung mit der Kapitulations- und Kompromißpolitik der liberalen Mehrheit dieses Parlaments sowie den parlamentarischen Kampf gegen die feudale Reaktion.

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Männer der Revolution von 1848 Schriften des Zentralinstituts für Geschichte

Band I Autorenkollektiv unter Leitung von Karl Obermann 2., durchgesehene Auflage 1988. 482 Seiten - 14 Abbildungen - 17 cm X 24 cm Leinen DDR 2 2 , - M ; Ausland 3 8 , - DM ISBN 3-05-000284-0 Bestell-Nr. 754 6721 Bestellwort: Maenner d. Rev. 2083/72

Band II

Herausgegeben von Helmut Bleiber, Walter Schmidt, Rolf Weber 1987. 536 Seiten - 13 Abbildungen - 17 c m X 2 4 cm Leinen DDR 2 5 , - M ; Ausland 4 2 , - DM ISBN 3-05-000285-9 Bestell-Nr. 754 674 8

In beiden Biographiebänden offenbart sich das Geschehen der Revolutionsjahre von 1848/49 im Wirken folgender Persönlichkeiten: Band I: Karl Marx und Friedrich Engels, Wilhelm Wolff, Ferdinand Freiligrath, Louis Kugelmann, Karl Schapper, Emil Ottokar Weller, Gustav Adolf Schlöffel, Julius Polentz, Johann Jacoby, Goswin Krackrügge, Samuel Erdmann Tzschirner, Ludwig Simon, Robert Blum, Franz Jacob Wigard, David Hansemann, Friedrich Karl Biedermann, Leopold von Gerlach. Band II: Ferdinand Wolff, Joseph Moll, Ernst Dronke, Friedrich Wilhelm Kollbeck, Ludwig Bisky, Georg Herwegh, Graf Eduard von Reichenbach, Ernst Ludwig Wittig, Gustav von Struve, Ludwig Bamberger, Johann Georg Rosenhain, Franz Leo Benedikt Waldeck, Heinrich von Gagern, Gustav Mevissen, Ludolf Camphausen, Josef Maria von Radowitz, Prinz Wilhelm von Preußen, Friedrich Heinrich Ernst von Wrangel.

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