144 46 4MB
German Pages 142 [144] Year 1982
Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 32
MARKUS FINK
Pindarfiagmente Neun Hölderlin-Deutungen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fink, Markus: Pindarfragmente - neun Hölderlin-Deutungen / Markus Fink. Tübingen : Niemeyer, 1982. (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte ; Bd. 32) NE: GT ISBN 3-484-32032-X
ISSN 0083-4564
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: Eisele & Kretschmer GmbH, Stuttgart Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Diese Arbeit gebe ich mit einem dreifachen Dank in den Druck: Meine Eltern haben mich während langer Studienjahre großzügig unterstützt. Professor Karl Pestalozzi (Universität Basel) war mir ein umsichtiger und souveräner pater dissertationis. Gerhard Graf, mein Lehrer und Freund, ist der Anreger und ständige Begleiter meiner Beschäftigung mit Hölderlin.
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1
ALLGEMEINES
1
DIE BISHERIGE FORSCHUNG ZU DEN »PINDARFRAGMENTEN« . . .
4
ZUM VORGEHEN IN DIESER ARBEIT
10
» U N T R E U E DER WEISHEIT«
13
» V O N DER W A H R H E I T «
29
» V O N DER R U H E «
39
»VOM DELPHIN«
51
»DAS HÖCHSTE«
71
»DAS ALTER«
79
» D A S UNENDLICHE«
87
» D I E ASYLE«
97
» D A S BELEBENDE«
111
SCHLUSS
127
LITERATURVERZEICHNIS
135
VII
EINLEITUNG
Allgemeines »Nun aber treffen wir auf einen Mann, bei dem sich leicht alles vorige vergessen liesse: es ist P i n d a r u s . Wir bewundern, die Griechen vergötterten ihn. In der Königl. Halle zu Athen stand seine eherne Bildsäule, mit einem Diadem umkränzt. Zu Delphi war der Stuhl, auf dem er den Apollo besang, wie eine Reliquie aufbewahrt. Plato nennt ihn bald den göttlichen, bald den weisesten. Man sagte, Pan singe seine Lieder in den Wäldern. Und als der Eroberer Alexander seine Vaterstadt Theba zerstörte, schonte er das Haus, wo einst der Dichter gewohnt hatte, und nahm seine Familie in Schuz. Ich möchte beinahe sagen, sein Hymnus sei das S u m m u m der Dichtkunst. Das Epos und das Drama haben grösseren Umfang, aber eben das macht Pindars Hymnen so unerreichbar, eben das fordert von dem Leser, in dessen Seele seine Gewalt sich offenbaren soll, soviel Kräfte und Anstrengung, dass er in dieser gedrängten Kürze die Darstellung des Epos und die Leidenschaft des Trauerspiels vereinigt hat. Pindar soll sehr viel geschrieben haben: wir haben nur noch die auf die griechischen Spiele verfertigten Siegeshymnen vollständig. Sein Vater soll Flötenspieler und auch er soll darin unterrichtet gewesen sein. Pythagoras war sein Lieblingsphilosoph. Er starb ungefähr in der 81 sten Olympiade.«1 Dies schreibt der zwanzigjährige Hölderlin in seiner Magisterarbeit »Geschichte der schönen Künste unter den Griechen«. Die Stelle läßt kaum erkennen, daß sie aus der Feder eines hervorragenden Griechischschülers des Tübinger Stifts stammt, und schon gar nicht vermutet man einen Dichter am Werk, der später Pindar übersetzt und noch später zum »Griechen« unter den deutschen Dichtern avanciert. Stilistisch gehören die Zeilen ins vage Niemandsland zwischen schü1
Werke, Bd. 4,1, S. 202f. 1
lerhafter Bildungsbeflissenheit und lexikaler Wissensverwaltung. Nur an einer Stelle meldet sich zaghaft ein Ich zu Wort, das beinahe etwas sagen möchte und dann zwei Sätze lang etwas Persönliches und Bestimmtes zum Ausdruck bringt, nämlich die höchste Einschätzung von Pindars Hymnen als der Konzentration epischer Darstellung und tragischen Pathos'. Hölderlin bleibt nicht bei dieser frühen Äußerung stehen, und das zeigt gerade, daß sie für ihn Gültigkeit hat. Zehn Jahre nach dem zitierten Aufsatz, also 1800, entsteht die sog. »Grosse Pindarübertragung«, die eine Reihe von olympischen und pythischen Siegesliedern umfaßt. Waren seine früheren Übertragungen aus antiken Autoren, wie Beissner sagt, »ein freies Gestalten vom vorher erfassten und überschauten Sinn her, bei dem das einzelne Wort verhältnismäßig leicht wiegt«2, so kennzeichnet die Ubersetzung der Epinikien eine sehr weit gehende Buchstabentreue. Die peinliche Beibehaltung der Wortreihenfolge führt oft zu Satzkonstruktionen, die im Deutschen kaum nachzuvollziehen sind. Nimmt man die nicht seltenen Übersetzungsfehler (Wortverwechslungen) hinzu, so weiß man nicht recht, ob man nun Pindars Lieder mit Hilfe von Hölderlins Übersetzung besser versteht oder eher umgekehrt. Es ist ungeklärt, als was diese Übersetzung konzipiert war, als was sie zu gelten hat. Eine bloße Lesehilfe dürfte sie nicht gewesen sein, dagegen spricht der Umstand, daß es sich nicht um einen Entwurf, sondern um eine Reinschrift handelt. Ob man daraus schließen soll, sie sei als Kunstübersetzung gedacht, scheint ebenso fraglich. Der Plan zu einer Veröffentlichung ist jedenfalls nicht belegt. Am ehesten wird man die Übersetzung von 1800 als eine Studie betrachten, und unbezweifelt ist, daß sich der Art dieser Beschäftigung mit Pindar, der weitgehenden Unterwerfung unter das Original, der Spätstil der Hymnen verdankt. Das zweite wichtige Dokument der Beschäftigung mit Pindar bilden die neun »Pindarfragmente«. Diese Bezeichnung, unter der sie im Band 5 der Großen Stuttgarter Ausgabe, den Übersetzungen, eingereiht sind, wirkt leicht irreführend. Anders nämlich als die Überschrift vermuten ließe, handelt es sich nicht um eine bloße Übersetzung von Fragmenten Pindars; den übersetzten Fragmenten 2 Beissner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, S. 94/95. 2
schließt sich jeweils ein eigener Text Hölderlins an. In welchem Verhältnis diese Texte zu den Fragmenten stehen, als was sie zu verstehen sind, gibt einige Probleme auf, die, wie sich zeigen wird, nicht beiläufig sind. Die Frage wird im nächsten Kapitel, im Zusammenhang mit der Besprechung der Sekundärliteratur, näher erörtert.3 Hier ein Blick auf die Überschriften der einzelnen «Pindarfragmente«, die teils von Hölderlin stammen, teils Übersetzungen aus der von ihm benutzten Pindarausgabe darstellen. Sie lauten: »Untreue der Weisheit«, »Von der Wahrheit«, »Von der Ruhe«, »Vom Delphin«, »Das Höchste«, »Das Alter«, »Das Unendliche«, »Die Asyle«, »Das Belebende«. Ein weites Feld, einmal im Sinne der Vielfalt der Themen, dann aber auch, was deren Allgemeinheit betrifft. Man darf hoffen, mit der Interpretation der »Pindarfragmente« nicht nur ein weitgehend unbeackertes Feld zu bestellen, denn ohne weiteres lassen sich in den Texten Berührungspunkte mit zentralen Gedanken Hölderlins feststellen. Von Interesse im Rahmen des Gesamtwerks ist diese Textgruppe allein schon durch ihre Entstehungszeit. Allgemein ins Jahr 1803 datiert, fällt sie in die Zeit eines gewandelten Verhältnisses zu den Griechen, eines Wandels, der nach und aufgrund der »Grossen Pindarübertragung« stattgefunden hat und der deutlich markiert ist durch den bekannten Brief an Böhlendorff vom 4. Dezember 1801.4 Zusammen mit den Sophoklesarbeiten (Übersetzung und »Anmerkungen« zum »ödipus« und zur »Antigonä«),5 zu denen sie in zeitlicher und gedanklicher Nähe stehen, bilden die »Pindarfragmente« einen neuen Ansatz. Ob und wieweit er mit der im Brief an Böhlendorff getroffenen Unterscheidung von griechischer und hesperischer Kunst zusammenhängt, soll hier vorerst einmal als Frage offenstehen.
3
4 5
Wird mit »Pindarfragment« das Gesamt von Hölderlins Übersetzung und dem darunter stehenden Text bezeichnet, setze ich jeweils Anführungszeichen. Stehen keine Anführungszeichen, so sind die übersetzten Fragmente Pindars allein gemeint. Werke, Bd. 6,1, S. 425ff. Werke Bd. 5, S. 117ff. 3
Die bisherige Forschung zu den „Pindarfragmenten" Gemessen am großen Umfang der Hölderlin-Literatur und am kleinen seines eigenen Werkes, sind die »Pindarfragmente« nur selten Gegenstand von Untersuchungen gewesen, und wenn sie es waren, dann meist nur am Rande weiter gefaßter Thematik. Das kommt zu einem guten Teil daher, daß sie, was auch nahe lag, ihre Einordnung bei den Übersetzungen gefunden haben. Sich mit den »Fragmenten« im Rahmen der Pindarübersetzungen zu beschäftigen, bedeutet aber von allem Anfang an eine Einschränkung, denn als Übersetzungswerk ist die »Grosse Pindarübertragung« ungleich bedeutender. Bei einer solchen Betrachtungsweise kann allenfalls der besondere Charakter der Fragmentübersetzungen in den Blick kommen, doch die Eigenheit des gesamten Textgebildes liegt außerhalb des Blickfeldes. Die »Pindarfragmente« erschienen so leicht als aus dem Rahmen fallend, was wiederum dazu verleitete, die spätere Krankheit als Erklärungsgrund beizuziehen. Wie die Eigenheit dieser Texte beurteilt, wie das Verhältnis von übersetztem Fragment zu Hölderlins eigenem Text bestimmt wurde, das soll im folgenden bei der Besprechung der Sekundärliteratur besonders beachtet werden. Als Norbert von Hellingrath 1910 seine Dissertation »Pindarübertragungen von Hölderlin« als »Prolegomena zu einer Erstausgabe« herausbrachte, lagen ihm nur zwei von den »Pindarfragmenten« vor, »Die Asyle« und »Das Belebende«, beide in einer leicht ungenauen Abschrift Eduard Mörikes.® Von ihnen schreibt er, sie seien »übersetzt und mit einem commentar in prosa versehen / worin in seltsamer weise gedankengänge die mit dem inhalt der fragmente gar nichts zu tun haben doch mit deren Worten in beziehung gebracht sind, dabei tragt eine rhythmisch bewegte spräche bilder und klänge von groszer Schönheit und der gedanke ist / die tolle grundlage einmal zugegeben / consequent durchgeführt.«7 Räumt Hellingrath auch ein, daß die Gedankenfolge hier, im Unterschied zu den späteren Werken Hölderlins, noch ungestört sei, so sieht er die »Pindarfragmente« doch auf einer Stufe, wo der Gang der Entwicklung am 8 7
4
In dieser Abschrift wurden sie 1910 erstmals gedruckt, die sieben anderen »Fragmente« erst im Jahre 1916. Hellingrath, Pindarübertragungen von Hölderlin, S. 58; zum folgenden vgl. auch S. 59.
Ende, ein fortstrebender Wille nicht mehr tätig sei, wo desorganisierte Kräfte ihr Spiel treiben und Bestrickendes schaffen würden durch den sinnlosen Tiefsinn zielloser Grübelei. Wenig neue Erkenntnis kam, was die »Fragmente« betrifft, mit der Dissertation von Zuntz »Über Hölderlins Pindar-Ubersetzung« hinzu. Nach der erklärten Absicht ihres Verfassers eine philologischkritische Analyse, geht die Arbeit vorwiegend stilistischen Fragen nach. Die »Fragmente« werden im Zusammenhang der Frage ihrer Datierung und der griechischen Textvorlage berührt.8 Zuntz schreibt, daß Hölderlin in den angefügten Erläuterungen aus dem Pindar die eigene Mythologie herausspinne, und nimmt aufgrund der Art, in der das geschieht, wie auch aufgrund des Übersetzungsstils eine Datierung ins Jahr 1803 vor, der später keine gewichtigen Argumente mehr entgegengehalten worden sind. Aufschlußreich für die Fragmentübersetzungen ist der Hinweis, daß hier eine andere Pindarausgabe benutzt wurde als bei der »Grossen Pindarübertragung«, nämlich die Stephaniana. Die Kenntnis dieser Vorlage ermöglicht einen genauen Vergleich mit Hölderlins Übersetzung und damit ein besseres Verständnis von deren Wortlaut. Im Vorfeld der historisch-kritischen Ausgabe ist anfangs der dreißiger Jahre, ebenfalls als Dissertation, Beissners Arbeit entstanden. Wie ihr Titel »Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen« anzeigt, wird der Rahmen hier weiter gesteckt als bei Hellingrath und Zuntz. Dabei werden jene Gegenstände eingehender betrachtet, die dort aus der Darstellung ausgeschlossen blieben oder nur beiläufige Erwähnung fanden. Das bedeutet, daß die SophoklesArbeiten das Hauptinteresse beanspruchen, daß aber auch in Bezug auf Pindar einiges berichtigt, anderes ergänzt wird, und schließlich, daß die »Fragmente« etwas ausführlicher behandelt werden. Man bekommt allerdings den Eindruck, dies letztere sei mehr der Vollständigkeit halber geschehen und Pflichtübung geblieben. Jedenfalls bleibt das, was auf den knapp dreißig Seiten über die »Pindarfragmente« ausgeführt wird, im Allgemeinen und Ungefähren. Beissner geht von einer Stelle im Brief an Schiller vom 2. Juni 1801 aus. Darin schreibt Hölderlin, nachdem er von seiner Beschäfti8
Vgl. Zuntz, Über Hölderlins Pindar-Übersetzung, die Seiten 62/63 und 94-98. 5
gung mit der griechischen Literatur gesprochen hat, er sei auch dazu veranlaßt worden, über »die nothwendige Gleichheit nothwendig verschiedener höchster Prinzipien und reiner Methoden manches zu denken«.* Hölderlins Bemühungen um denkerische Lösungen, führt Beissner aus, geschehe immer durch Herleitung von zwei polaren Setzungen (»verschiedene höchste Prinzipien«), deren jede den Ursprung der anderen zum Ziele habe. In der Mitte habe dann der Moment der Begegnung statt, in dem die geformten Dinge in die Erscheinung träten. In den Fragmenten Pindars zu erkennen, wie es um diesen Moment, diese Begegnung bestellt sei, sieht Beissner als Hölderlins Anliegen.10 Man weiß nicht recht, wie man das nun zu verstehen hat, wenn daneben, im Zusammenhang mit dem Text »Die Asyle«, die Bemerkung steht, Hölderlins Aufzeichnung, die sich als Erläuterung zu der darüber stehenden Ubersetzung gebe, scheine wenig auf diese Rücksicht zu nehmen, »so dass man sie lieber eine Bemerkung im Anschluss an Pindar nennen möchte als eine wirkliche Erklärung«, und wenn Beissner dann weiterfährt: »Die Kommentare zu den Fragmenten sind überhaupt weniger durch die Ubersetzung angeregt, als dass sie selbst zum Übersetzen ermuntert haben. Es sind Gedanken, die Hölderlin an den Pindar heranträgt, die er durch ihn bestätigt sehen will. Sie geben den Rahmen, die Voraussetzung für das Verständnis. Nun ist zwar jedes Erfassen eines Fremden durch die subjektive Perspektive bedingt; bei den Fragmenten aber ist das, was der Übersetzer suchte und finden wollte, von vornherein so fest umrissen, dass man eher von Umdeutungen Pindars sprechen muss als von Deutungen.« Nicht anders als die gesamthafte Betrachtung umkreisen die Bemerkungen zu den einzelnen »Fragmenten« ihren Gegenstand mehr, als daß sie ihn faßten. Gerade auch die zahlreichen Parallelstellen, die beigebracht werden, schaffen selten Klärung, sondern führen vielmehr zu verunklärender Überhäufung. Daß und warum Beissner glaubte, sich mit Vagem begnügen zu müssen, geht aus der folgenden 9 10
6
Vgl. Werke Bd. 6,1, S. 422. Dieser Brief ist, weil er zeitlich und thematisch nahe liegt, neben jenem an Böhlendorff zu lesen. Vgl. dazu Beissner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, die Seiten 35-39. Das gleich folgende Zitat steht S. 38.
Stelle hervor: »Es ist unsicherer Boden, auf dem man sich bewegt, wenn man die letzten Fragmente und Entwürfe Hölderlinischer Dichtung auslegen will. Wenn die Interpretation eines Fragmentes aus sich überhaupt schwierig ist, so wird sie hier (gemeint ist das »Fragment« »Vom Delphin«, Anm. d. Verf.) vollends zur Unmöglichkeit, und man muß sich hüten, zuviel sehen zu wollen in dem, wo schon Krankheit Schatten wirft. Doch das Zusammenlesen solcher trächtigen Worte, die bezeichnenderweise in bestimmten Beziehungen wiederkehren, und aus Gedichten, deren Fügung schon die Krankheit verwirrt, erlaubt, meine ich, wenigstens eine Annäherung an die Erforschung dessen, was Hölderlin nach dem Umschwung zu seiner grossen Hymnendichtung beschäftigt hat.«11 Als Annäherung, die verschieden weit gediehen ist, wird man Beissners Kapitel zu den »Pindarfragmenten« auch aufzufassen haben. Wenig nach Beissners Arbeit erschien eine französische Dissertation, Bertaux' »Le lyrisme mythique de Hölderlin. Contribution ä l'etude des rapports de son hellenisme avec sa poesie«. Darin wird auch ein Blick auf die »Pindarfragmente« geworfen. »Les fragments sont consacres ä l'etude du mythe lyrique de Pindare en liaison avec sa sagesse. II s'agit certainement lä de notes personnelles dont l'obscurite vient de ce que Hölderlin s'entendait parfaitement lui-meme ainsi et n'eprouvait pas le besoin d'etre plus explicite. On voit que le mythe joue pour Hölderlin un röle essentiel dans le lyrisme. II n'est pas considere comme un embellissement, une decoration, mais comme le fond meme de la poesie.«12 Diese Feststellung wird nicht weiter ausgeführt, und es wird auch keine Verbindung zu den einzelnen Texten hergestellt. Immerhin hat Bertaux der Beschäftigung mit den »Pindarfragmenten« den Gedanken hinzugefügt, daß es Hölderlin hier darum gehe, den Mythos zu studieren. »Celui-ci joue par rapport ä la sagesse de Pindare le röle que joue le mythe religieux par rapport au dogme.«13 1954 ist ein Aufsatz von Walter Killy über »Das Belebende« herausgekommen, das längste und thematisch am augenfälligsten mit den 11 12 13
Beissner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, S. 54f. Bertaux, Le lyrisme mythique de Hölderlin, S. 96. Bertaux, Le lyrisme mythique de Hölderlin, S. 96. 7
Hymnen verbundene »Pindarfragment«. Dieser Aufsatz dringt weiter vor als alle früheren und auch späteren Arbeiten zu unserem Gegenstand. Uber die Aufschlüsselung des Textes hinaus wird hier der Verbindung von Hölderlins Text zum Pindarfragment nachgegangen. Schon die Überschrift »Hölderlins Interpretation des Pindarfragments 166« zeigt das an. Von »Interpretation« und »Deutung« spricht Killy, wobei diese näher als »pneumatische Exegese« bestimmt wird. Hölderlins Dichten entspreche durchaus seinem Deuten, wo aus den verschiedenen Elementen ein zuvor nicht, im Text nicht Vorhandenes entstehe. »Die Deutung folgt nicht den Gesetzen des Gegenstandes, sondern dem Entwurf im Geiste des Deuters.«14 Aus Hölderlins Disposition zu einem Aufsatz über den antiken Mythos »Von der Fabel der Alten« greift Killy das Stichwort »Bewegbarkeit« heraus. In Hölderlins Erkenntnis von der Wandlungsfähigkeit der Mythen sieht er die Grundlage der Pindar-Deutung. In subjektiver Anverwandlung der pindarischen Mythe an die eigene Mythologie einen Zusammenhang zu stiften, der seiner Vorstellung von der Mythe als einer »intellectuell historischen«15 entspräche, wäre danach der Inhalt der » Pindarfragmente«. Bescheidener als der Titel »Pindar und Hölderlin« vermuten ließe, ist das Vorhaben einer Dissertation in englischer Sprache von Μ. B. Benn aus dem Jahre 1962. Den Einfluß Pindars auf Hölderlins Werk will Benn feststellen. Dazu erscheint ihm eine Betrachtung der »Fragmente« ungeeignet, weil diese nicht die gleiche Unterwerfung unter das Original wie die Übersetzung von 1800 zeigten, sondern in subjektiver Weise die pindarischen Texte bloß zum Ausgangspunkt für eigene Gedankengänge nähmen. In der Bibliographie fehlt Killy's Aufsatz, der Benn möglicherweise diesem Ansatz hätte mißtrauen lassen. Auf das bekannte, in Piatos Gorgias zitierte Fragment Pindars Νόμος ό πάντων βασιλεύς geht Hölderlin unter dem Titel »Das Höchste« ein. Damit beschäftigt sich ein kürzerer Aufsatz von Manfred Baum, abgedruckt im Hölderlin-Jahrbuch von 1963/64. Er zeigt, wie Hölderlins Übersetzung aufgrund der Textvorlage das Pindarfragment an wichtiger Stelle verfehlt. Dadurch und durch die Unzu14 15
8
Killy, Hölderlins Interpretation des Pindarfragmentes 166, S. 312. Siehe etwa im Aufsatz »Über Religion«, Werke Bd. 4,1, S. 280.
gänglichkeit der Pindarstelle sieht sich Baum vor eine Schwierigkeit gestellt. Die Frage, wie sich Hölderlins Interpretation zu den Anschauungen Pindars verhalte, erscheint ihm unter solchen Voraussetzungen kaum lösbar. Immerhin hält Baum fest, daß Hölderlins Überschrift eine nur spekulativ zu erreichende Vermittlung der Gegensätze in einer höchsten Einheit ankündige und daß er sich in der philosophischen Auslegung des Pindar-Fragments als metaphysischer Denker des Deutschen Idealismus erweise.1® R.B.Harrisons »Hölderlin and Greek Literature« (Oxford 1975) darf als die umfassendste Darstellung von Hölderlins Beschäftigung mit griechischer Literatur gelten. In steter Auseinandersetzung mit früheren Forschungsergebnissen zeichnet Harrison die Entwicklung von Hölderlins Verhältnis zu Griechenland nach. »By tracing this development we can follow the changes not only in Hölderlin's relationship to Greece, but also in his own thought, which is never more evident than in its contact with Greece.«17 Erst wird untersucht, welche Bedeutung Orpheus, Homer, Plato und Empedokles in dieser Entwicklung haben. »In the later chapters I turn to Hölderlin's translation of Sophocles' tragedies and Pindar's fragments, where my interest is not in the style and chronology of the translations, the subject of Günther Zuntz's and Friedrich Beissner's studies, but in extending our understanding of their content.«18 Von diesem Ansatz her gewinnen die »Pindarfragmente« gegenüber der »Grossen Pindarübertragung« an Bedeutung. Den Schwerpunkt der Arbeit bilden das Kapitel zu Sophokles (auch Ajax wird behandelt) und die daran anschließenden Ausführungen zu »Mnemosyne« und zu der umstrittenen Stelle »Kolonie liebt, und tapfer Vergessen der Geist«, die unter der Überschrift »The Retreat from Hesperia« zusammengefaßt sind. Die Pindarfragmente werden nicht eingehend, aber wenigstens soweit interpretiert, daß sie sich in die dargestellte Entwicklung einordnen lassen. »Hölderlin's translation of the Pindar fragments thus comes at the end of his development towards an increasingly subjective view of Greek literature: the detailed commentaries show that 19 17 18
Vgl. dazu Baum, Hölderlins Pindar-Fragment »Das Höchste«, vor allem die Seiten 68 und 74-76. Harrison, S. 296. Harrison, S. 3.
9
the restraining effect of the Greek text was even smaller than in the case of the Sophocles translations, so that in >Untreue der Weisheit« he could even understand Pindar to mean the exact opposite to what he says. But in general he did not need to go to this extreme, for just as he turned to Plato because his tragedies could be interpreted in terms of his own thought, so he turned to Pindar because his fragments dealt with those concepts which were now of greatest importance to himself, above all those of >Gesetz< and >RuheKunst< und >NaturBleiben< in this period of instability, the problem which, as we have seen, is the theme of so much of his later poetry.«20 Summarisch erwähnt seien abschließend die Arbeiten, die Bemerkungen zu einzelnen »Pindarfragmenten« enthalten. Das zunehmende Eindringen in Hölderlins Spätwerk scheint diese Textgruppe stärker in den Blickpunkt gerückt zu haben, was sich in der Sekundärliteratur in zahlreicher werdenden Hinweisen niedergeschlagen hat. Allen diesen Hinweisen ist aber gemeinsam, daß sie nicht auf die Erkenntnis dieser Texte abzielen, sondern sie lediglich beiziehen, um damit andere zu erklären oder Erkenntnisse zu bestätigen.
Zum Vorgehen in dieser Arbeit Aus der Sekundärliteratur sind einige Hinweise für eine Beschäftigung mit den »Pindarfragmenten« zu gewinnen, die als Vorüberlegungen zur Darstellung in dieser Arbeit festgehalten werden sollen. Ein Verständnis dieser Texte besteht wesentlich in der Klärung des Verhältnisses von übersetztem Fragment zu Hölderlins anschließendem Text. Dieses Verhältnis kann nicht allein von der Art der Hölderlinschen Fragmentübersetzung her und der daraus abgeleite19 20
10
Harrison, S. 300. Harrison, S. 287.
ten Haltung gegenüber dem Pindartext bestimmt werden und ist auch nicht ohne weiteres mit dem Verhältnis von Hölderlins Anschauungen zu denen Pindars gleichzusetzen. Die Frage ist die nach dem Zusammenhang der beiden Texte, es geht um das Fragment Pindars in der Übersetzung, in der es dasteht, und um die Frage, wie Hölderlins Text dazu steht, die nicht mit der nach dem Anliegen des Autors zu verwechseln ist, d. h. die Antwort auf diese Frage braucht nicht mit Hölderlins Intention zusammenzufallen. Zu erschließen ist dieser Zusammenhang demnach nur aus dem Gesamttext Hölderlinscher Ubersetzung und anschließender Bemerkungen. Mit einer Hypothese, die etwa aus dem Resultat einer Einzelinterpretation gewonnen würde, an die anderen »Fragmente« heranzutreten, erschiene wenig sinnvoll. Es bestünde die Gefahr der Einengung der Interpretation auf die eine Frage oder doch der Loslösung dieser Frage aus ihrer Verbindung zur jeweiligen Thematik. Man wird sich also hüten, die neun »Pindarfragmente« voreilig auf einen Nenner bringen zu wollen, um nicht am Ende eine Leerformel in den Händen zu halten. Was die Thematik dieser Texte angeht, scheint ein frühzeitiges Einbeziehen des Gesamtwerkes nicht ratsam, gerade dann nicht, wenn man in den »Pindarfragmenten« zahlreiche Grundgedanken Hölderlins wiederzufinden glaubt. Wenn Szondis Traktat »Über philologische Erkenntnis«21 sich in den Beispielen vorwiegend an Hölderlin hält, wenn die Problematik des Parallelstellenverfahrens aufgegriffen und wenn der Mangel von Beissners Methode, eine Beweisführung von der allgemeinen Kenntnis des Werkes her anzustellen, aufgezeigt wird, dann hat das allemal mit Hölderlins Dichtung zu tun. Sie verleitet in besonderem Maße dazu, die Interpretation einer Stelle, eines Textes, aus dem Gesamtwerk zu gewinnen oder dort abzustützen. Der Zugang zu Hölderlins Werk ist nicht immer leicht, aber leicht lassen sich mit wenigen Schlüsseln, die man einmal gefunden hat, viele Texte durchgehen, wobei man ebenso leicht übersieht, daß es immer dieselben Türen sind, die man damit aufschließt. Hier soll bei der Interpretation mit Querverweisen möglichst sparsam umgegangen und eine allfällige Verbindung der Thema21
Szondi, Hölderlinstudien, S. 9-34. 11
tik eines »Fragments« zu den anderen Werken erst am Ende der jeweiligen Interpretation hergestellt werden. Mit alledem wird nicht die Behauptung erhoben, die »Pindarfragmente« gehörten zu Hölderlins Dichtung, aber andererseits auch davon abgesehen, daß die hier vorgebrachten Überlegungen ebenso für die Deutung seiner theoretischen Schriften relevant sein könnten. Man wird diese Texte, u. a. gerade deshalb, weil und solange ihre gattungsmäßige Einordnung eine offene Frage ist, nicht vergleichen, sondern als Gebilde sui generis anzugehen haben.
12
U N T R E U E DER WEISHEIT
Ο Kind, dem an des pontischen Wilds Haut Des felsenliebenden am meisten das Gemüth Hängt, allen Städten geselle dich, Das gegenwärtige lobend Gutwillig Und anderes denk in anderer Zeit. Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt. Das Unschuldige des reinen Wissens als die Seele der Klugheit. Denn Klugheit ist die Kunst, unter verschiedenen Umständen getreu zu bleiben, das Wissen die Kunst, bei positiven Irrtümern im Verstände sicher zu seyn. Ist intensiv der Verstand geübt, so erhält er seine Kraft auch im Zerstreuten; sofern er an der eigenen geschliffenen Schärfe das Fremde leicht erkennt, desswegen nicht leicht irre wird in ungewissen Situationen. So tritt Jason, ein Zögling des Centauren, vor den Pelias: ich glaube die Lehre Chirons zu haben. Aus der Grotte nemlich komm' ich Bei Charikli und Philyra, wo des Centauren Mädchen midi ernähret, Die heiigen; zwanzig Jahre aber hab' Ich zugebracht und nicht ein Werk Noch Wort, ein schmuziges jenen Gesagt, und bin gekommen nach Haus, Die Herrschaft wiederzubringen meines Vaters.
13
I. Der vorliegende Text weist eine deutliche Dreiteilung auf. Dem ersten Teil, den die Übersetzung von Pindarfragment 431 bildet, folgt im Mittelabschnitt Hölderlins Kommentar, diesem ein dritter Teil, der nach einem überleitenden Satz eine Stelle aus Pindars vierter Pythie bringt. Von einem Fragment Pindars ausgehend führt der Text also zu Pindar zurück. So erlaubt schon ein erster Blick die Annahme einer Orientierung des Mittelabschnitts an Pindar, d. h. eines jedenfalls mehr als bloß willkürlichen Zusammenhangs zwischen Hölderlins Kommentar und der Fragmentübersetzung.
Π. Vorerst ein Wort zur Art der Übersetzung. Die Zeilen 102-107 aus Pythie IV bieten eine gute Gelegenheit, durch Vergleich deren Charakter zu zeigen. Hölderlin hat nämlich ein längeres Stück aus diesem Epinikion bereits im Rahmen der Übertragung von 1800 übersetzt. Die entsprechende Stelle lautet dort: » . . . ich sage die Lehre Chirons zu bringen. Von der Grotte nemlich komm' ich Bei Charikloe und Philyra, wo des Kentauren mich die Töchter gezogen die heiigen. Zwanzig aber vollendend Der Jahre, nachdem ich weder ein Werk noch Wort gesprächig In jenen gesagt, bin ich gekommen Nach Haus, der alten mich annehmend Des Vaters mein, die beherrschet wird Nicht nach Fug, die einst Zeus hat ertheilt dem Fürsten Aeolos und den Kindern die Ehre.«2
1
Nach der Numerierung von Snell, an dessen Ausgabe ich mich neben der von Hölderlin benutzten Stephaniana hier und im folgenden halte. 2 Werke, Bd. 5, S. 87. 14
Wenn in der späteren Fassung »schmuzig« anstelle von »gesprächig« steht und wenn, was früher als das Adjektiv »alt« aufgefaßt wurde, jetzt mit dem Substantiv »Herrschaft« wiedergegeben ist, womit der Satz nun schließen kann, dann liegt der Grund dieser Abweichungen im anderslautenden griechischen Text, den die Stephanus-Ausgabe Hölderlin gegenüber dem 1800 benützten bot. Wird »jenen« jetzt richtigerweise auf Chiron und die »Mädchen« bezogen und nicht mehr auf die »Jahre«, so hat das allerdings mit der neuen Textvorlage nichts zu tun, ebensowenig wie dies bei den andern, nicht den Sinn, sondern die sprachliche Form betreffenden Unterschieden der Fall ist. Die spätere Übersetzung verdient, was unbestritten ist, den Vorzug, in ihr finden sich nicht die »Unmöglichkeiten« jener von 1800. Wo Hölderlin früher, der Wortstellung des Originals folgend, »des Kentauren mich die Töchter gezogen« und »des Vaters mein« schrieb, liest man nun geläufiger »des Centauren Mädchen mich ernähret« und »meines Vaters«. Mehr Beachtung wird deutschsprachlicher Gepflogenheit auch geschenkt, wenn es »zwanzig Jahre . . . aber« anstelle von »zwanzig der Jahre aber« heißt. Die einmal wörtlich (»vollendend«), das andere Mal als Nebensatz (»nachdem ich . . . gesagt«) wiedergegebenen Partizipien dort sind hier in eine weniger schwerfällige Hauptsatzkonstruktion umgesetzt. Was sich anhand des Vergleichs dieser einen Stelle zeigt, gilt im wesentlichen für alle Fragment-Übersetzungen: sie sind dem Original gegenüber freier als die »Grosse Pindarübertragung«, fügen sich einigermaßen den gängigen Gesetzen deutscher Sprache und werden dadurch, auch wenn man ihnen die Ubersetzung anmerkt, lesbarer.
III. Trotzdem bieten nun aber gerade die ersten Fragmentzeilen, die unmittelbar unter der von Hölderlin gesetzten Überschrift »Untreue der Weisheit« stehen, dem Verständnis Schwierigkeiten. Es heißt dort: »O Kind, dem an des pontischen Wilds Haut Des felsenliebenden am meisten das Gemüth Hängt, allen Städten geselle dich« 15
Wie ist das zu verstehen? Vor allem: was hat es mit dem »Wild« für eine Bewandtnis? In einer neueren Hölderlin-Ausgabe findet sich die Anmerkung, mit dem »pontischen Wild« sei der Polyp gemeint, der die Hautfarbe seiner Umgebung anpasse.3 Das ist vermutlich Beissner entlehnt, der denselben Gedanken in Hinblick auf das Pindarfragment äußert und dabei auf eine Stelle bei Theognis verweist. Bei diesem liest man v. 213ff. die Empfehlung, es im Umgang mit Freunden dem Polypen gleichzutun, der vom Felsen, an den sich sein Körper festklammere, bald auch die Farbe annehme.4 Indem Beissner das Fragment Pindars in diesen Zusammenhang rückt, sieht er Hölderlins Anmerkung im Kontrast dazu. Von der Überschrift her vermutet er, daß Hölderlin Pindars Anweisung für ironisch halte, denn er nenne es »Untreue der Weisheit«, sich allen Städten gesellend das Gegenwärtige zu loben und anderes in anderer Zeit zu denken, und er spreche demgegenüber in der Anmerkung von der Treue, welche die Klugheit unter verschiedenen Umständen zu bewahren vermöge.5 Doch abgesehen davon, daß allgemein wenig Grund besteht, Pindar ironisch zu verstehen, und man noch weniger ein ironisches Pindarverständnis Hölderlins vermuten wird, läßt sich Beissners Auffassung der in Frage stehenden Stelle aufgrund der vorliegenden Übersetzung nicht nachvollziehen. Man muß schon den griechischen Text beiziehen: ώ τέκνον, ποντίου θηρός πετραίου χρωτί μάλιστα νόον προςφέρων πάσαις πολιεσσιν όμίλει. Gewiß, das kann man so verstehen, daß dem Kind geraten wird, bei seinem Umgang mit den Städten den Sinn der Haut des Meerestieres ähnlich zu machen, was dann eben heißen würde, sich bei diesem Umgang so zu verhalten, wie der Polyp sich zu seiner Umgebung 8 4 5
16
Vgl. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hg. Günther Mieth, München 1970, Bd. 2, S. 1064. Ins Deutsche übersetzt findet sich die Stelle in: Griechische Lyrik, hg. W. Marg, 1964, Reclam Nr. 1921-23, S. 70. Vgl. Beissner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, S. 49.
verhält. Und so begreift es Beissner. Aber mit Hölderlins Ubersetzung hat diese Textauffassung nichts gemein. Bei ihm wird die Stelle anders verstanden, das χρωτί θηρός νόον προςφέρων wird als attributiver Relativsatz auf das Kind bezogen, d. h. die Bezogenheit auf des »Wilds Haut« ist schon gegeben und nicht Teil der Aufforderung, die an das Kind ergeht. »Haut« akzentuiert so als pars pro toto den Umstand, daß das Kind am »Wild« hängt. Legte die zuerst genannte Auffassung des Fragments den Schluß auf den Polypen nahe, so wird dieser Deutung in Hölderlins Übersetzung der Boden entzogen. Damit ist aber erst eine negative Antwort auf die anfängliche Frage nach dem »Wild« gegeben. Werfen wir einen Blick auf den letzten der drei Abschnitte, so erinnert die dort angespochene Beziehung zwischen Jason und Chiron an das Verhältnis des Kindes zum »Wild«. Beachtung verdient eine Einzelheit in dem Satz, der die Stelle aus Pythie IV einführt. »So«, heißt es an das Obige anschließend, »tritt Jason, ein Zögling des Centauren, vor den Pelias .. .« Der Centaur ist mit dem bestimmten Artikel versehen. Ein Grund dafür ist nicht leicht einzusehen, denn weder ist Chiron der einzige Centaur, noch kann er als der Centaur schlechthin gelten. Als Chiron bestimmt wird der Centaur genaugenommen erst in der übernächsten Zeile. Man müßte also eine kleine Nachlässigkeit annehmen, es sei denn, eine Bestimmung wäre schon weiter oben erfolgt, d. h.: das »Wild«, an dem das Gemüt des Kindes hängt, bedeute eben den Chiron. Gäbe es nur dies eine Indiz dafür, im »Wild« Chiron zu sehen, dann erschiene die Interpretation als etwas spitzfindig. Aber ein weiterer Hinweis liegt auf der Hand. Die Charakterisierung als »felsenliebend« trifft genau auf Chiron zu, der, wie aus der angeführten Pindarstelle hervorgeht, in einer Grotte wohnt. Bleibt vor allem noch die Frage, ob auch die Bezeichnung »Wild« zutreffend sei. Zumindest im Sinn des griechischen Wortes ϋήρ (auch φήρ) entspricht sie dem Wesen der Centauren. Liest man in Hölderlins Ubersetzung von Pythie IV einige Zeilen weiter, so stößt man auf eine Stelle in Jasons Rede, in der er mit eindeutigem Bezug auf Chiron sagt: »Der Wilde aber der göttliche Jason benennend mich rief.«8 Dem Einwand, hier heiße Chiron « Werke, Bd. 5, S. 88. 17
»der Wilde« und nicht »das Wild«, wäre der Anfang von Hölderlins Übersetzung der dritten phytischen Ode entgegenzuhalten: »Ich wünschte, Chiron der Phillyride, Wenn ziemend es ist diss von unserer Zunge Das Gemeinsame auszusprechen das Wort, Dass leben möchte der Abgeschiedne, Der Uranide, der Sohn weitWaltend des Kronos Und in den Thälern herrschen des Pelion Das Wild das rauhere, Dess Gemüth ist Männern hold . . ,«7 Dasselbe griechische Wort φήρ, das in Pythie IV mit »der Wilde« übersetzt wurde, ist hier mit »das Wild« wiedergegeben. »Wild« (gr. θήρ, φήρ) braucht uns also als Bezeichnung für Chiron nicht zu befremden, es kann bei Pindar wie bei Hölderlin als durchaus gängig gelten.8 Soll man, wenn das »Wild« in der Fragmentübersetzung den Chiron meint, den Schluß ziehen, das »Kind«, an das die Aufforderung ergeht, sei in Analogie dazu der weiter unten genannte Jason? Kaum, denn dort wird Jason als »ein Zögling des Centauren« vorgestellt, einer unter anderen also. Da im Fragment und auch im Kommentar nichts auf einen bestimmten Schüler, auch nichts auf 7 8
18
Werke, Bd. 5, S. 76. Allein der Feststellung dieser Gängigkeit sollen die Parallelstellen dienen; sie sind noch kein Beweis für die Richtigkeit der Interpretation des »WUds« als Chiron, deren Tauglichkeit sich erst im weiteren Verlauf vom Textganzen her erweisen muß. - Die Frage nach der Richtigkeit von Hölderlins Übersetzung ist, da die Überlieferung keinen weiteren Zusammenhang zum Pindarfragment bietet, schwierig zu entscheiden. Seine Auffassung erscheint durchaus nicht als abwegig. Vom griechischen Text her ist sie jedenfalls möglich, und die Annahme, beim »Wild« handle es sich um den Chiron, von der diese Auffassung uns auszugehen scheint, konnte, wie die angeführten Pythienstellen zeigen, auf Pindarkenntnisse zurückgreifen. Erweist sich aber auch Hölderlins Übersetzung als subjektiv verständlich, so sprechen die Attribute des θήρ eher für den Polypen. Das eine, πετραΐος, kann für ihn wie für Chiron gelten, das andere, πόντιος, leuchtet in bezug auf Chiron weitaus weniger ein, bei dem es allenfalls als Kennzeichen des Elementaren stehen könnte.
Jason, hindeutet, bleibt die Frage nach dem »Kind« offen, es können somit alle Zöglinge Chirons angesprochen sein. Jason und damit die Stelle, in der er vor den Pelias tritt, stünden dann als Beispiel da. Darauf ist später zurückzukommen.
IV. Wer aber ist dieser Chiron, von dem u. a. in Pindars drittem und viertem pythischen Siegeslied die Rede ist und mit dessen Namen Hölderlin eine seiner Oden überschrieben hat, die zweite Fassung zu »Der blinde Sänger«?9 Unser Text sagt von ihm, daß er zu den Centauren gehöre, in einer Grotte wohne und Erzieher sei. Ein Blick über das »Pindarfragment« hinaus zeigt, daß damit wichtige Eigentümlichkeiten angedeutet sind. Mit den Centauren teilt Chiron das Geschick, zweigestaltig zu sein, halb Roß- halb Menschenleib. Wie sie lebt er in abgeschiedener Naturgegend, aber nicht als erschreckendes und schreckliches Ungetüm. Schon der Abstammung nach unterscheidet er sich von seinen Artgenossen. Nicht Ixion und Nephele, die Eltern der andern Centauren, sondern Kronos und Philyra werden meist als Vater und Mutter genannt. Chariklo, eine Nymphe, ist seine Gattin. Menschenähnlicher als die übrigen Centauren, gilt er als gerecht, gütig, fromm, weise, als Philosoph und Seher, manchmal gar als Gott und damit als unsterblich. Seine hauptsächlichen Verdienste liegen in der Heilkunst und in der Erziehung. Erstere soll ihm nach einigen von Zeus verliehen worden sein, nach anderen hat er sie selbst erfunden. Nicht nur hat sich Chiron als Arzt in der Behandlung von Kranken hervorgetan, er hat auch zahlreiche Heilkräuter entdeckt, die nach ihm benannt sind. Ein späteres Geschlecht, das die Heilkunde, die als Geheimnis dem Sohn vom Vater vererbt wurde, unentgeltlich ausübte, beruft sich auf ihn. Als Erziehergestalt ist Chiron mit zahlreichen Heroen verbunden und hat darin eine Vorbildlichkeit erlangt, die das Titelbild von 9
Dazu vgl. Emil Staiger, Hölderlin: Chiron, in Trivium, Jg. 1, Heft 4 (1943), S. 1-16; Maria Cornelissen, Hölderlins Ode »Chiron«, Tübingen 1958. In diesen Arbeiten wird audi ein Blick auf das »Pindarfragment« »Das Belebende« geworfen. 19
Η. J. Marrous's »Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum«10 als berechtigt erscheinen läßt, ein Gemälde nämlich aus Herkulaneum, das Chiron zusammen mit Achill darstellt, dem er das Saitenspiel beibringt. Neben Achill gehören u. a. Aristaios und Asklepios, beide auf Veranlassung ihres Vaters Apollo, zu den Schülern Chirons, ebenso Patroklos, Herakles und der schon genannte Jason. Sie alle verbringen ihre frühe Kindheit und Jugendzeit in der Grotte am Fuß des Pelion und werden dort in den ritterlichen Künsten, im Jagen, Reiten und in der Waffenführung unterwiesen. Der Unterricht schließt auch das Spiel auf der Leier ein, als deren Erfinder Chiron genannt wird, weiter die ärztliche Kunst, vorab die Lehre von den Heilkräutern. Die Erziehung ist also eine umfassende und geschieht abseits von der Welt, wo nur Chiron und dessen weibliche Verwandtschaft zugegen sind. V. »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt«, damit setzt der mittlere Teil ein. Wie hängt nun dieser Satz, der in seiner Prägnanz wie eine Uberschrift über dem Abschnitt steht, mit dem vorangehenden Fragment zusammen? Eine Paraphrase ist er jedenfalls nicht. Der Satz anwortet nicht in direktem Sinne auf die Frage, was mit Pindars Worten gesagt wird, er ist vielmehr, in einer ersten Annäherung, als Antwort auf die Frage, worum es in dem Pindarfragment gehe, aufzufassen. Der Versuch einer genaueren Bestimmung des Zusammenhangs findet einen ersten Anhaltspunkt im Ausdruck von der »einsamen Schule«. Nach allem, was über Chiron gesagt wurde, gehört seine Schule zu denen, die als »einsam« bezeichnet werden können, einsam, was den Ort angeht, einsam aber auch im Sinne der Erziehung durch einen Einzelnen und der Besonderheit des Unterrichts. Auch wird man seiner Schule, wenn man die Geschicke seiner Schüler betrachtet, bescheinigen, daß sie für die Welt fähig machte. Von solcher Fähigkeit wird nun aber im Fragment nicht gesprochen. Dort steht die Aufforderung an das Kind, aus der Abgeschie10
20
Dt., Freiburg 1957, hg. Richard Harder.
denheit bei Chiron herauszutreten und sich auf die Welt einzulassen. Im Fragment angelegt ist also der Gegensatz von Einsamkeit und Welt, der allerdings nicht nur räumlich zu verstehen ist. Noch abgesehen von der Ermunterung, anderes in anderer Zeit zu denken, stellt der Umstand, daß diese Ermunterung einer bestimmten Entwicklungstufe des Zöglings gilt, den Gegensatz in einen zeitlichen Ablauf, d.h.: der Schritt von der Einsamkeit in die Welt ist gleichbedeutend mit dem Schritt vom Kind zum Erwachsenen. Die solchermaßen angesprochene Ubergangssituation ist das Gemeinsame zwischen Fragment und erstem Satz des Mittelteiles; daß das eine Mal zum Ubergang aufgefordert, das andere Mal von der Befähigung dazu die Rede ist, bildet den Unterschied. Das heißt nun nicht, der Satz »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt« gehe teils auf das Fragment ein, teils wieder nicht, ist doch unsere Frage nicht die, ob er dem Fragment entspricht, sondern wie er mit ihm zusammenhängt. Der Zusammenhang ist so zu sehen, daß mit »einsamer Schule« und »Welt« der Gegensatz, die Ubergangssituation aufgenommen und daß mit »Fähigkeit« die Voraussetzung genannt wird, unter der im Pindarfragment die Aufforderung zu einem Ubergang geschieht und verstanden werden kann. Sinnvoll und verständlich erweist sich diese Aufforderung des Fragments nämlich unter der Bedingung, daß »einsame Schule« eine Befähigung für die »Welt« mit sich bringt. Vom Anfang her zu schließen, erscheint der Mittelteil demnach durchaus als eine Deutung des Pindarfragments, welche ihren Text insofern hinterfragt, als sie sich nicht damit begnügt, dessen Wortsinn durch Paraphrase einsichtig zu machen, sondern nach seiner Voraussetzung sucht. In »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt« kommt klar zum Ausdruck, wie die Deutung das Fragment verstanden wissen will. Dieser Satz ist demgegenüber, was er interpretiert, abstrakter. Was dort als einmalige Aufforderung ausgesprochen wird, erscheint hier auf eine Formel, ein Prinzip zurückgeführt. Er stehe wie eine Überschrift über dem Abschnitt, hatten wir seines prägnanten, gnomischen Charakters wegen denn auch gesagt.
21
VI. Versucht der erste Satz des Mittelteils mit einem Zugriff zu fassen, worum es geht, so bildet das Nachfolgende, wie leicht zu ersehen ist, dessen fortlaufende Erläuterung. Der zweite steht äußerlich durch seine Knappheit und durch das Fehlen des Prädikats parallel zum ersten. Mit »denn« anschließend nimmt der dritte Satz erst den zweiten (»Klugheit«), dann den ersten Teil (»Wissen«) des vorangehenden auf. Sein Ende (»Verstand«) wird im folgenden aufgegriffen und mit »sofern« weitergeführt. Die Gegensätzlichkeit von »einsamer Schule« und »Welt« durchzieht den ganzen Abschnitt. Auf der Seite der »Welt« sind die »verschiedenen Umstände«, die »positiven Irrtümer«, das »Zerstreute«, das »Fremde«, die »ungewissen Situationen«, ist mit einem die Mannigfaltigkeit, die, weil verstellt, ungeordnet und fremd, verwirrend wirkt und der gegenüber sich die »einsame Schule« zu bewähren hat. Inwiefern sie dazu in der Lage ist, was von ihr als »Fähigkeit« in die »Welt« mitgenommen wird, davon ist in diesen Zeilen die Rede. Das Erfordernis, das die »Welt« stellt, ist eine Kunst, die »Klugheit« genannt wird. Ihren tragenden Grund, ihre »Seele« hat diese »Klugheit« in der Unschuld des »reinen Wissens«. Was heißt das? Anhaltspunkte zur Klärung der Frage bieten die Momente, die denen auf der Seite der »Welt« gegenüberstehen. So erfahren wir, daß das »Wissen« eine Sicherheit des Verstandes meint, die sich auch realen und verhärteten Irrtümern gegenüber behauptet. Wenn es ein »reines Wissen« genannt wird, dann ist dieses nicht allein als das Wissen desjenigen zu bestimmen, der seine Jugend ohne »ein Werk noch Wort, ein schmuziges« verbracht hat. Unschuld ist zwar die eine Komponente, die hier im Wort »rein« steckt. »Rein« heißt das »Wissen« aber auch in dem Sinne, daß es ein unvermischtes, unterscheidendes ist. Dem Verstand eignet nämlich eine »Kraft«, das Ungeordnete zu durchdringen, eine »geschliffene Schärfe«, die das »Fremde« zu erkennen, die sich von ihm abzusetzen vermag. An der Wiederholung des Wortes »leicht« ist deutlich ablesbar, wie dem leichten Erkennen des »Fremden« genau das nicht leicht Irrewerden »in ungewissen Situationen« entspricht. Die geschärfte Wahrnehmungsfähigkeit schafft die Voraussetzung für die Unbeirrbarkeit in der »Welt«. 22
So haben die Anforderungen der »Welt« ihre genaue Entsprechung in den Fähigkeiten, welche die »einsame Schule« vermittelt. Diese ist nicht eine bloße Schulung des Verstandes, sondern trägt die beiden Komponenten in sich, die wir im Wort »rein« vorgefunden haben. Die eine läßt sich als »Klugheit«, »Wissen«, »Verstand« mit einem Textwort unter »Kunst« subsumieren, die andere mit dem Wort »Seele« fassen. In ihrer Unschuld und den darauf beruhenden Künsten liegt die »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt«. Im »Fremden« und »Zerstreuten« beweist sie »Kraft« und »Schärfe« des Verstandes, und in der Mannigfaltigkeit und im Wechsel der »Welt« bleibt sie durch Einfalt sich selber treu.
VII. »So tritt Jason, ein Zögling des Centauren, vor den Pelias.« »So« läßt sich einmal auf das unmittelbar Vorangehende beziehen und will dann sagen: nicht leicht irrewerdend in ungewisser Situation trete Jason auf; zum anderen kann das »So« aber auch den ganzen Mittelteil aufnehmen, es würde demnach das anschließende Pythienzitat als Exemplifikation kennzeichnen, als Beispiel nämlich für den vorgängig ausgeführten Gedanken von der »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt«; schließlich ist das »So« nicht nur mit dem vorangehenden, sondern auch mit den nachfolgenden Zeilen zusammenzubringen, die es anzukündigen hat. In dem ersten Wort treffen also zweiter und dritter Teü zusammen als in einem Bindeglied, das beiden zugehört. Was nun Jasons Schilderung seines Werdegangs betrifft, ist festzuhalten, daß dem Auftritt vor Pelias unmittelbar die Schule bei Chiron vorausgeht. Zwar bringt die Schilderung selber den Umstand der Heimkehr und den Anspruch auf die Herrschaft des Vaters nicht in einen Kausalzusammenhang mit der Schule bei Chiron, aber es ist deutlich, daß diese hinter Jasons Rede steht, d. h. daß sie von dorther ihre Bestimmtheit hat. Diese Färbung erhält das Zitat durch den Satz, der es einleitet. Heißt es bei Jason »und bin gekommen nach Haus«, so steht darüber »So tritt Jason vor den Pelias«, was eben die Bestimmtheit seiner Haltung ausdrückt (Hervorh. d. Verf.). 23
Ein Blick auf die zusammenhängende Schilderung von Jasons Schicksal in Pindars viertem pythischen Epinikion zeigt, daß die Stelle nicht willkürlich als Beispiel dient. Als Unbekannter kommt Jason in seine Vaterstadt, zwei Speere in der Hand, in fremdländischem Gewand mit einem Pantherfell als Schutz gegen den Regen, die Haare noch ungeschoren. Sogleich sucht er den Marktplatz auf und stellt sich dort unerschrocken unter die Leute, die ihn wie einen Gott bewundern. Herbei kommt auch Pelias, den ein Orakel einst vor einem Einschuhigen gewarnt hatte. Da er bemerkt, daß der Fremde nur die eine Sandale trägt, erkundigt er sich nach seiner Herkunft. Darauf antwortet Jason mit den Worten, die in unserem Text vorliegen, und fährt weiter mit der Feststellung, daß die gegenwärtige Herrschaft, die des Pelias nämlich, unrechtmäßig sei. Er erzählt, wie sein Vater, vom Stiefbruder Pelias entthront, ihn als kleines Kind heimlich zu Chiron gebracht habe. Wie Jason mit seinen Brüdern dann in den Königspalast eindringt, um von seinem Onkel das Szepter zurückzufordern, gibt dieser zwar nach, betraut den unliebsamen Widersacher aber unter dem Vorwand, selber dazu nicht mehr in der Lage zu sein, mit der Aufgabe, erst das goldene Vlies zu holen. 11 Daraus entsteht der Argonautenzug, vor dessen Aufbruch übrigens Jason noch den Rat Chirons einholt. Das führt aber über den engeren Zusammenhang unserer Stelle hinaus.1* Die Begegnung zwischen Jason und Pelias ist also von Bedeutsamkeit. Für Jason fällt sie in einen Zeitpunkt, da er zum ersten Male 11
12
24
Spätestens an dieser Stelle denkt man einen Moment daran, daß mit des »Wilds Haut« das goldene Vlies gemeint sein könnte. Dann wäre allerdings ein direkter Zusammenhang zwischen Fragment und Mittelteil nicht mehr gegeben. Er müßte auf dem Umweg über Chiron und Jason hergestellt werden, und am Ende befände man sich wieder auf eben dem Weg, der sich aus der Interpretation des »Wilds« als Chiron viel zwangloser ergibt. Vor allem aber wäre es falsch zu sagen, Jasons Gemüt hänge am goldenen Vlies. Es war nicht schon eine Absicht des Kindes, das Vlies zu holen, und audi später geht Jason damit nicht einem Herzenswunsch nach, sondern unterzieht sich einer Aufgabe, die ihm von außen übertragen wird. Die Darstellung von Jasons Geschick, die Pindar gibt, ist lange nicht die einzige, aber es handelt sich um die hauptsächlichste Version, die in zahlreichen Abwandlungen anzutreffen ist.
aus der einsamen Umgebung Chirons heraustritt und ohne Welterfahrung mit der Welt konfrontiert wird. Das Rüstzeug seiner Schule erlaubt ihm, sich in dieser schwierigen Situation zu behaupten. Insofern kann sein Fall in exemplarischer Weise die These von der »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt« bestätigen.
VIII. In den drei getrennt besprochenen Teilen von »Untreue der Weisheit« ist allemal vom Übertritt aus der Einsamkeit in die Welt, von der Entwicklung des Kindes zum Manne die Rede. Daß diese Teile nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, haben wir bereits festgestellt. Bleibt ihr Nacheinander zu beachten, das den Übergang vom Kind zum Mann wiedergibt. Sie bilden einen Ablauf, das Textganze führt wortwörtlich vom Kind (erstes Wort) zum Vater (letztes Wort). Dem Übertritt zeitlich voraus geht die Aufforderung in Teil I, die Blickrichtung ist diejenige in die Zukunft. Teil III schildert den Übergang als Ereignis, wobei der Blick in Jasons Rede in die Vergangenheit gewendet wird. Im einen wie im anderen Fall lenkt die Blickrichtung das Augenmerk auf den Moment des Übergangs, auf den Spannungsbogen zwischen »einsamer Schule« und »Welt«, der die Bewegung auslöst. Steht die »einsame Schule« unter dem Zeichen eines In-die-Welt-hinaus-Drängens, so wird der Auftritt in der Welt auf die Schule in der Einsamkeit zurückgeführt. Die Gegenläufigkeit am Anfang und am Ende (der Blick nach vorn in Teil I und der zurück in Teil III) verweist auf Teil II, der im zeitlichen Ablauf den Übergang bildet. Es ist der Ort, wo dieser Ablauf innehält und die Erkenntnis des Zusammenhangs stattfindet, der ihm zugrundeliegt. Damit ist Teil II nicht nur Mittelteil, sondern auch vermittelnder Teil. In ihm, der im Textablauf den Übergang vom Kind zum Mann bildet, wird der Zusammenhang sichtbar, der eben dort besteht, wo diese Entwicklung mit dem Übergang von einer »einsamen Schule« in die »Welt« zusammenfällt.
25
IX. Von daher ist nun auch die Überschrift »Untreue der Weisheit« zu verstehen. Als Aufforderung zur Untreue konnte das Pindarfragment erscheinen. Aber die Deutung zeigt, daß der Weggang von Chiron, daß das Leben in der jeweiligen Gegenwart nur ein scheinbarer Bruch mit der Vergangenheit, nur scheinbare Untreue ist. Hölderlins Deutung nimmt das Pindarfragment gegen den Anschein, den es erweckt, in Schutz. Er erweist das Auftreten in der Welt als bloß scheinbare Abwendung von der »Schule« und damit von der Vergangenheit. »Untreue der Weisheit« heißt die Überschrift insofern mit Grund, als mit dem Schritt in die »Welt« in Form der Untreue die Weisheit, die sich zu bewahren vermag, offenbar wird. Gerade aus dem festgestellten, dem Schein nach untreuen Übergang wird die Möglichkeit gewonnen, die Beständigkeit der Weisheit, welche damit Garant der Identität ist, sichtbar zu machen. So weist das »Pindarfragment«, indem es vom Kind zum Mann führt, eine Kontinuität auf. Darüber hinaus zeigt das Beispiel der Begegnung Jasons mit Pelias, wie der Auftritt in der Welt gerade mit dem Anspruch geschieht, Kontinuität zu verbürgen. Die rechtmäßige Herrschaft, die durch Usurpation unterbrochen worden war, soll fortgesetzt werden. Jason kommt, um die Herrschaft seines Vaters wiederzubringen. Was von der Schule her gesehen als Untreue erscheinen mochte, erweist sich von der Welt her als Neubegründung von Kontinuität. Das macht uns auf einen bisher noch unbeachteten Umstand im Text aufmerksam. In »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt« hatten wir das »für« im Sinne von »in« verstanden, also so, daß die »einsame Schule« eine Befähigung für das Auftreten in der Welt bewirkt. Aber das »für« ist auch noch anders zu lesen. Die »einsame Schule« begründet zugleich auch Fähigkeit zugunsten der »Welt«. Im Gegensatz von »einsamer Schule« und »Welt« ist auch immer schon der Gegensatz von privat und öffentlich angelegt. Der Kennzeichnung der »Schule« als einer »einsamen« korrespondiert auf der Seite der »Welt« der Gedanke der Gemeinschaft. Wenn das Pindarfragment dazu auffordert, sich allen Städten zu gesellen, dann ist zu bedenken, daß das mit Stadt übersetzte Wort, die Polis nämlich, 26
Inbegriff der Gemeinschaft ist und als solcher von besonderer Dignität.13 An Jason sehen wir, daß es nicht bloß um die Bewährung der Privatperson geht, sondern um die als politische Person, in dem von Polis abgeleiteten Wortsinn.
X. Indem Hölderlins Text die Bedingung der Möglichkeit eines Verständnisses von Pindarfragment 43 nennt, gibt er eine Deutung. Gleichzeitig liegt in der Entschlüsselung aber auch ein Schlüssel. Der Text stellt sich als eine Aussage dar, die nicht bloß als Deutung des Fragments Gültigkeit beansprucht. Einen Schlüssel bildet sie nicht zuletzt zu sich selber. Wir haben bereits gesagt, daß im Mittelabschnitt als an der Ubergangsstelle die Erkenntnis des Zusammenhanges stattfinde, der dem Ablauf zugrunde liege. Sofern damit auch der Textablauf gemeint ist, geschieht in einem auch ein Innewerden des Zusammenhanges, in dem Hölderlins Text selber steht. Dieser Text wäre dann als ein Eigenkommentar zu lesen, der uns Aufschluß gäbe über die Voraussetzung seiner Entstehung und über die Art solcher Deutung. Konkret heißt das, daß sich Hölderlin mit seiner Deutung auf das Pindarfragment als ein Stück »Welt« einläßt. Wollten wir für ihn eine »einsame Schule« namhaft machen, dann wäre wohl vor allem an die frühere Übersetzungstätigkeit zu denken. Jedenfalls tritt er seinem Gegenstand durchaus mit den Fähigkeiten gegenüber, die im Text der »einsamen Schule« zugesprochen werden. Die Gefahr, sich auf eine Weise an den Gegenstand zu verlieren, daß man sich selber untreu würde, ist gebannt. Die Deutung verliert sich insofern nicht an ihren Gegenstand, als sie nicht ins bloße Nacherzählen gerät. Sie behauptet sich vielmehr, indem sie ihn bestimmt. Solche Deutung legt Zeugnis ab von »Kunst« im Textsinne. Getragen wird sie von einer unvoreingenommenen, mit unseren Worten: einfältigen Haltung - man erinnert sich an die Odenüberschrift 13
Vgl. etwa das berühmte von Hölderlin in zweimaligem Anlauf übersetzte Chorlied aus der Antigone »πολλά τά δεινά ...« mit den Versen: »Hochstädtisch kommt, unstädtisch zu nichts er...« (Werke, Bd. 5, S. 220). 27
»Blödigkeit«, die in der früheren Fassung »Dichtermuth« geheißen hatte Unvoreingenommenheit dabei so verstanden, daß der Gegenstand der Deutung das alleinige Anliegen wäre, das sie verfolgt. Der Unterschied zu ihm läge dann in der anderen Zeit, nicht in der Person des Deuters, der nicht für sich, sondern als Zeitgenosse spräche. Dadurch, daß sie in anderer Zeit ihren Gegenstand neu bestimmt und nicht bloß wiederholt, begründete die Deutung eine Tradition, die ihren Brennpunkt in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit hätte. Bloße Nachahmung war die Übersetzung von 1800. Sie erwies sich als zu überholender Versuch, weil sie weder dem Übersetzten gerecht wurde, noch in der Übersetzung sich selbst treu war. Die Weisheit des »Fragments« liegt gerade im Innewerden des richtigen Deutens. Zwar ruft Deutung die Gefahr der Untreue, des Verlustes des Eigenen hervor. Doch nur in der der Deutung eigenen »Untreue«, die sich freilich als eine scheinbare erweist, kann die »Weisheit« zum Vorschein kommen. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die »Welt« hier eine »literarische Welt« ist. Die Begegnung mit der »Welt« ist Begegnung mit Literatur. Indem aber in dieser Begegnung das Gesetz der Begegnung erkannt wird, weist der Text über die »literarische Welt« hinaus. In der Begegnung eröffnet sich Weisheit, welche die Möglichkeit vorstellt, in der Welt getreu zu bleiben.
28
V O N DER W A H R H E I T
Anfängerin grosser Tugend, Königin Wahrheit, Dass du nicht stossest Mein Denken an rauhe Lüge. Furcht vor der Wahrheit, aus Wohlgefallen an ihr. Nemlich das erste lebendige Auffassen derselben im lebendigen Sinne ist, wie alles reine Gefühl, Verwirrungen ausgesezt; so dass man nicht irret, aus eigener Schuld, noch auch aus einer Störung, sondern des höheren Gegenstandes wegen, für den, verhältnismässig, der Sinn zu schwach ist.
29
I. Es ist das Pindarfragment 205, das hier übersetzt und kommentiert wird. Henricus Stephanus, der Herausgeber der Pindarausgabe, die Hölderlin selber besaß, stellt den Fragmenten jeweils die Quelle voran, aus der sie stammen. Über unserem Fragment steht: ΠΑΡΑ ΤΩ ΣΤΟΒΑΙΩ έν τψ περί ά λ η Μ α ς λόγφ (lat. Apud Stobaeum in tractatu de veritate). 1 Hölderlin konnte also bei seiner Überschrift »Von der Wahrheit« dort die Anregung finden. Der griechische Fragmenttext lautet: Άρχά μεγάλας άρετάς ώνασσ' Άλάϋεια, μή πταίσης έμάν σύνθεσιν τραχεΐ ποτί ψεύδει. Das Wort σύνθεσις, das »Zusammensetzung, Zusammenstellung«, »Komposition« auf rhetorisch-literarischem Gebiet, im übertragenen Sinn auch »Erfindung« bedeuten kann, hat Hölderlin offenbar mit σύνεσις verwechselt, entsprechend mit »Denken« übersetzt. Die Anrufung der Wahrheit als Bewahrerin vor Lüge wird von dieser Verwechslung nicht betroffen. Nur daß jetzt nicht irgendeine »Zusammenfügung«, sondern das Denken Gefahr läuft, über die Lüge zu straucheln. Die falsche Wiedergabe von σύνθεσις ist, solange sich die Interpretation an Hölderlins Übersetzung hält, nicht von Belang. Die Kenntnis des Übersetzungsfehlers kann davor warnen, über Hölderlins Ubersetzung voreilig auf Pindar zurückzuschließen.
II. Der »Kommentar«, der unter den Fragmentzeilen steht, weist eine formale Ähnlichkeit zu dem in »Untreue der Weisheit« auf, die schon bei erster Lektüre ins Auge springt. Dem Anfangssatz fehlt auch hier das Prädikat, und das Folgende steht wie dort als Erklärung des 1
30
Johannes Stobaios (aus Stoboi in Makedonien) hat im 5. Jh. n. Chr. gelebt und für seinen Sohn eine Anthologie geschaffen. Diese ist in vier Bücher gegliedert, welche ihrerseits nach Sachkapiteln angeordnet sind. Berücksichtigt werden ca. 500 Autoren von Homer bis ins 4. Jh. n. Chr. Dem Sammelwerk von Stobaios verdankt man einige sonst verlorengegangene Stellen antiker Autoren.
herausgehobenen Anfangs, was leicht am »Nemlich« und an der konsekutiven Fortsetzung des Satzes mit »so dass« abzulesen ist. Eine weitere, wie sich zeigen wird, mit dem Obigen zusammenhängende Gemeinsamkeit zwischen dem Kommentarteil des schon interpretierten »Fragments« und dem vorliegenden besteht in der allgemein gehaltenen Form der Aussage. Dort wie hier gilt das zumal für den ersten Satz. Eine Entscheidung darüber, ob dieser Satz besser eine Gnome, eine Maxime, ein Aphorismus genannt werden soll, will ich hier nicht fällen.2 Fest steht jedenfalls, daß auf den Anfangssatz die Kennzeichen zutreffen, die allgemein diesen Begriffen gemeinsam zuerkannt werden. Er ist kurz und pointiert, nämlich paradox, er gibt in prägnanter Form eine Wahrheit. Allerdings steht er nicht für sich da, er nimmt Bezug auf einen vorangestellten Text und wird von einem nachfolgenden erläutert. Dabei verweist neben seiner in den Blickpunkt gerückten Stellung unmittelbar unter der Fragmentübersetzung und neben dem Fehlen des Prädikats, das allein schon durch sein Fehlen, d. h. durch das Wegfallen einer möglichen spezifischen Bestimmung (vor allem zeitlicher Art) den allgemeinen Aussagecharakter stützt, gerade die Tatsache der anschließenden Erläuterung auf ihn als den Kernsatz. Um nicht den Umstand, daß »Furcht vor Wahrheit aus Wohlgefallen an ihr« in einem weiteren Zusammenhang steht, zu übergehen und so anstelle des Gesamtbildes, welches das »Pindarfragment« bildet, bloß seinen am leichtesten zu fassenden Teil zu bestimmen, tut man gut daran, nicht von einer Gnome oder dergleichen zu sprechen. Hingegen wird man zumindest sagen dürfen, daß der Satz gnomischen, sentenzhaften usw. Charakter habe und auffällig im Mittelpunkt des »Pindar fragments« »Von den Wahrheit« stehe. Ohne noch voreilig eine Übertragung auf das Textganze vorzunehmen, ist doch, im Maße als der eine Satz dem Text das Gepräge gibt, die Möglichkeit offenzuhalten, daß diesem Textganzen ausgehend von Begriffen wie Gnome etc. beizukommen sei. 2
Diese Begriffe sind nicht in scharfer Abgrenzung gegeneinander verfügbar. Beim Nachschlagen trifft man mehr auf gemeinsame als auf unterscheidende Merkmale. Kürze und treffende Formulierung werden überall als Hauptmerkmal angegeben, und als Synonyma findet man: Denkspruch, Sinnspruch, allgemeine Regel, Grundsatz, Weisheit. 31
Das greift aber schon voraus und wird erst später wieder aufgenommen.
III. Eine Paraphrasierung des Fragments ist der Text, den Hölderlin darunter geschrieben hat, auch hier nicht. Es wird darin nicht einfach festgehalten, daß die Wahrheit als Königin und Anfängerin großer Tugend angesprochen und die Bitte an sie gerichtet werde, das Denken nicht auf den Weg der Lüge zu bringen. Vielmehr wird das genannt und auf den Begriff gebracht, was als Grund hinter der Aussage des Fragmentes ermittelt worden ist. Furcht auf der einen und Wohlgefallen auf der anderen Seite kennzeichnen danach das Verhältnis zur Wahrheit. Die beiden Empfindungen, die nebeneinandergestellt paradox anmuten, werden im Text in eine Beziehung gebracht. Die Furcht, an erster Stelle genannt, wird als Tatsache vorgeführt, die es zu erklären gilt. Erklärende Funktion ihr gegenüber erhält das Wohlgefallen. Die Furcht vor der Wahrheit ist eine aus Wohlgefallen an eben dieser Wahrheit. Es zeigt sich, daß das Verhältnis zur Wahrheit, das als paradox erscheint, gerade nur aus der Paradoxie seine Erhellung finden kann. Die auf solche Weise schon im ersten Satz vorbereitete Erhellung leisten die anschließenden Zeilen. Das Wohlgefallen an der Wahrheit rührt von deren Hoheit. Sie bedingt das Mißverhältnis zwischen der Kraft des Wahrnehmenden und dem von ihm Wahrzunehmenden, und im gleichen Mißverhältnis hat die Furcht ihren Grund, besteht doch die Gefahr, daß das Fassungsvermögen vom höheren Gegenstand überstiegen wird und dieser dann Furcht auslöst, weil sich eben ihm gegenüber der Sinn als vergleichsweise zu schwach erfährt. Zumal im Stadium erster - und d. h. immer auch: ursprünglicher eigener Erfahrung fehlt die Möglichkeit, die Wahrheit zu fassen, und ihr Adept erfährt den Rückschlag aus dem Mißverhältnis, indem er in die Irre und in das Irren verwiesen wird. Doch die Verwirrung ist, sosehr auch Furcht und Wohlgefallen subjektive Empfindungen sind, allein im verhältnismäßig höheren Gegenstand begründet, nicht in einem persönlichen Mangel dessen, der ihm begegnet. Indem der Text sich allerdings auf das erste lebendige Auffassen der Wahrheit einschränkt, impliziert er die Möglichkeit einer späte-
32
ren Behebung des Mißverhältnisses, und das würde dann heißen: die Möglichkeit, Wahrheit zu fassen. Geschieht doch das Irren in doppelter Weise »des höheren Gegenstandes wegen« (Hervorh. d. Verf.): es hat in der Wahrheit nicht nur seinen Grund, sondern auch sein Ziel. In solchem Sinne könnte dann die Königin Wahrheit »Anfängerin grosser Tugend« sein.
IV. Wenn nun Furcht und Wohlgefallen die Empfindungen der angerufenen Macht gegenüber sind, dann erweist sich diese als von göttlicher Dignität. 3 Weil aber Anrufung und Bitte sich an eine göttliche Wesenheit wenden, hätte man, damit beide zusammenfassend, das Fragment als Gebet zu bezeichnen. So betrachtet scheint das Fragment in den religiösen Bereich zu gehören. Der darunter stehende Text nimmt es freilich als ein ästhetisches Problem auf, und zwar im älteren und im modernen Sinn des Begriffs »Ästhetik«. Zum einen geht es darin im Verhältnis zur Wahrheit um eine Frage der sinnlichen Wahrnehmung (ein »Auffassen . . . im lebendigen Sinne«), und zum anderen erweist der Text dieses Verhältnis in einem spezielleren Sinn als »ästhetisch« begründet, indem er nämlich »Wohlgefallen«, eine Empfindung des Schönen also, neben der Furcht stehen hat. Damit sind wir auf einen Unterschied, eine Akzentverlagerung gestoßen, die vom Pindarfragment zu dessen Deutung hin geschieht. Der Akzent verschiebt sich von der Objekt- auf die Subjektseite. Wenn wir früher gesagt hatten, im Kommentarteil werde der Grund der Aussage des Fragments genannt, dann läßt sich das jetzt genauer bestimmen: Liegt im Fragment die »Aktivität« bei der Wahrheit (»Anfängerin«, »du nicht stossest«) und sind dort Anruf und Bitte 3
Es gehört zu den Problemen der Pindarherausgeber, ob man etwa Tyche, Harmonia, Themis, Hesychia oder audi Aletheia groß oder klein schreiben soll. Das zuletzt genannte Beispiel wird in unserem Fragment von Stephanus mit Minuskel, von Snell mit Majuskel geschrieben. Dahinter steckt die Frage, ob die zahlreichen »Personifikationen« in der archaischen Zeit als göttliche Gestalten oder als Abstracta aufzufassen sind. Vgl. hierzu F. Dornseiff, Pindars Stil, Berlin 1921, S. 50ff.; auch Karl Reinhardt, Vermächtnis der Antike, Göttingen 1960, S. 7ff. 33
das Gegebene, so beschäftigt sich die Deutung mit Anruf und Bitte als einem Vorgang, dessen Wesen - als Wahrnehmen der Wahrheit allererst problematisiert wird. Diesem Wandel entspricht der vom Anschaulichen ins Begriffliche: Aus der als Königin gesehenen Wahrheit ist der Begriff Wahrheit geworden, ein »Gegenstand«, wenngleich ein »höherer«.
V. Mit dem Wort »Wandel« ist bereits gesagt, daß es nicht bloß um einen Unterschied der beiden Teile des Textes geht, sondern auch um deren Verhältnis zueinander. Der festgestellte Unterschied widerspiegelt die Tatsache, daß das Fragment Pindars eben hier Gegenstand der Anschauung ist, Objekt einer Deutung, die, wie ausgeführt wurde, auf den Begriff bringt. Darin, daß es um ein Wahrnehmen geht, daß ihr Anliegen ein ästhetisches ist, trifft die Deutung nach ihrer eigenen Begründung und Verfahrensart mit dem, wovon sie spricht, überein. Das Deuten als der Versuch, »Textwahrheit« zu erfassen, stünde dann unter den in Teil II des »Fragments« genannten Bedingungen. Daß der Text, der gedeutet wird, kein beliebiger sei, sondern ein höherer Gegenstand, einer, der Wahrheit beinhaltet und Wohlgefallen hervorruft, wird vorausgesetzt, wenn anders ein erstes lebendiges Auffassen dem Sinn Schwierigkeiten bereiten soll. Nun ist zwar Teil I von Teil II her gesehen zunächst Gegenstand der Anschauung, aber andererseits ist er nicht nur als entstandener, sondern auch als entstehender Text zu betrachten, ebenso wie Teil II als Vorgang aufgefaßt wurde. Das Pindarfragment ist nicht einfach als griechischer Text des 5. Jhs. v. Chr. vorgegeben, sondern wird vom gleichen Autor, der seine Deutung vornimmt, in der Übersetzung neu geschrieben. In solchen Zusammenhang gerückt erschiene es dann weniger als Wiederholung eines kultischen Gebets denn als eine in Analogie zum Musenanruf stehende Inversion, die den spezifischen Bedürfnissen dessen, der sich zu deuten anschickt, entspräche. Wo der Dichter die Muse als Quelle der Erinnerung4 um ihre Hilfe bittet, da geht der Deuter die Wahrheit um ihre Mithilfe an, die sein Den4
34
Die Muse ist die Tochter der Mnemosyne, der Erinnerung.
ken vor der Lüge bewahren soll. Ursprünglich von religiöser Bedeutung wird das Pindarfragment hier in eine ästhetische Funktion und Bedeutung eingesetzt, damit aber gerade im lebendigen Sinn aufgefaßt. Sofern das so ist und Hölderlins Deutung das Pindarfragment faßt und sofern eben in der Weise die beiden Teile gleichzeitig auch als ein Ganzes zu lesen sind, geschieht ein Schritt über die Verwirrung hinaus. Das Textganze setzt mit der Anrufung der Wahrheit ein, kommt dann durch die Erkenntnis der Voraussetzung dieses Anrufs, d. h. durch die Erkenntnis der Voraussetzung der Deutung, zur Erkenntnis seiner selbst. Indem das »Pindarfragment« die Gefährdung im Auffassen der Wahrheit, von der es handelt und der es sich aussetzt, erkennt, stellt es sich selber dar oder besser: nimmt es sich selber wahr. Gerade von daher auch trägt es seine Überschrift zu Recht. VI. Den in »Von der Wahrheit« geäußerten Gedanken treffen wir in Hölderlins Werk auf Schritt und Tritt. Wir wollen ihm dort noch etwas nachgehen, um den Zusammenhang auszumachen, in dem er steht. Wo immer der Mensch sich einem höheren Gegenstand zuwendet - meist handelt es sich dabei um die Begegnung mit göttlichen Mächten - , befindet er sich in einer schwierigen Situation, in der er schwankt zwischen Furcht und Wohlgefallen. Was durch seine Größe Wohlgefallen erweckt, droht zu einer Last zu werden, die ihren Träger überfordert. Der Brief an Böhlendorff vom 4. Dezember 1801 erweist die Einsicht in die Gefahr, die vom Gegenstande der Erkenntnis ausgeht, als in die Zeit des Spätwerks gehörend. »Sonst könnt' ich jauchzen über eine neue Wahrheit, eine bessere Ansicht dess, das über uns und um uns ist, jezt fürcht' ich, dass es mir nicht geh' am Ende, wie dem alten Tantalus, dem mehr von Göttern ward, als er verdauen konnte.«5 Das Problem erscheint vor allem mit dem Dichterberuf verknüpft. Inwiefern es der Spätzeit angehört, kann gerade am Übergang vom Oden- zum Hymnendichter einsichtig werden. 5
Werke, Bd. 6,1, S. 427. 35
In »Brod und Wein«, wenige Zeilen vor dem bekannten »wozu Dichter in dürftiger Zeit«, ist zu lesen: »Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter, Aber über dem Haupt droben in anderer Welt. Endlos wirken sie da und scheinens wenig zu achten, Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns. Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäss sie zu fassen, Nur zuzeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch.«® Ist in dieser Elegie von der Nacht der götterfernen Zeit die Rede, so steht die erste Hymne, »Wie wenn am Feiertage...«, unter dem Zeichen »Jezt aber tagts!«7 und dem Dichter wird die Aufgabe des unmittelbaren Fassens des göttlichen Strahles zugewiesen. »Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern, Ihr Dichter! mit entblösstem Haupte zu stehen, Des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigener Hand Zu fassen und dem Volk ins Lied Gehüllt die himmlische Gaabe zu reichen. Denn sind nur reinen Herzens, Wie Kinder, wir, sind schuldlos unsere Hände, Des Vaters Strahl, der reine versengt es nicht Und tieferschüttert, die Leiden des Stärkeren Mitleidend, bleibt in den hochherstürzenden Stürmen Des Gottes, wenn er nahet, das Herz doch fest.«8 Zuversichtlich, ohne Furcht vor Vernichtung durch den göttlichen Strahl, erscheint hier die Zuwendung zum Gotte. Der zitierten Stelle folgt allerdings ein wiederholtes »Weh mir!« und die Selbstbezichtigung als eines falschen Priesters. Damit bricht die Hymne bruchstückartig ab. Aus dem Prosaentwurf dazu hat Szondi den Grund ermittelt, der einer Vollendung im Wege stand.9 Eigenes Leid lag im Antrieb der Zuwendung zum Göttlichen. Die Voraussetzung eines « Werke, Bd. 2,1, S. 93, Z. 109ff. 7 Werke, Bd. 2,1, S. 118, Z. 19. 8 Werke Bd. 2,1, S. 119/20, Z. 56ff. 9 Vgl. Szondi, Der andere Pfeil. Zur Entstehungsgeschichte des hymnischen Spätstils, in: Hölderlin-Studien, S. 37-61. 36
reinen Herzens war damit nicht erfüllt, es fehlte das selbstlose Preisen, das erst eine Vollendung der Hymne hätte bringen können. Aus seiner Verschuldung sah der Dichter Gefahr erwachsen. Mit dem Wegfallen des persönlichen Leids (des »anderen Pfeils«), das die Elegiendichtung motivert, aber der Feiertagshymne im Wege gestanden hatte, wird dann der Weg zu den Hymnen frei. Die Offenheit dem Göttlichen gegenüber, in die sich der Dichter dort begibt, läßt allerdings die Zuversicht, vor Bedrohung sicher zu sein, nicht mehr zu. Apollo habe ihn geschlagen, teilt Hölderlin Böhlendorff nach seiner Rückkehr aus Bordeaux mit.10 Ein Bewußtsein drohender Gefahr zeigte schon der frühere Brief an den gleichen Adressaten. In der Fortsetzung der zitierten Stelle, die auf das Schicksal des Tantalus anspielt, heißt es: »Aber ich thue, was ich kann, so gut ichs kann, und denke, wenn ich sehe, wie ich auf meinem Wege auch dahin muss wie die andern, dass es gottlos ist und rasend, einen Weg zu suchen, der vor allem Anfall sicher wäre, und dass für den Tod kein Kraut gewachsen ist.«11 Indem der Dichter sich der Gefahr aussetzt, die im Versuch, das Göttliche ins Gedicht zu fassen, droht, verbleibt ihm wenig persönliche Hoffnung. Aber die Übernahme des im Sinne der Hymnendichtung verstandenen Dichteramtes schließt doch nicht aus, daß Hoffnung im Gedicht selbst erwächst. So verstehe ich den Anfang der in der Zeit der »Pindarfragmente« entstandenen Hymne »Patmos«: »Nah ist Und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch.«12 VII. Damit kommen wir an den Ausgangspunkt unseres Exkurses zurück. Deutlich ist nun der Bezug zu sehen, der zwischen »Von der Wahr10 11 12
Vgl. den wahrscheinlich im November 1802 geschriebenen Brief, Werke, Bd. 6,1, S. 432. Werke, Bd. 6,1, S. 427. Werke, Bd. 2,1, S. 165, Z. Iff. 37
heit« und dem Spätwerk besteht. Dessen Entstehung und der daran deutlich werdende Unterschied und Abstand zur Elegiendichtung lassen jetzt besser die Tragweite der Sätze »Von der Wahrheit« ermessen. Der Anruf der Wahrheit als eines göttlichen Wesens, den das Pindarfragment darstellt, kann als eigentlich hymnisch gelten. Verwandt mit den Hymnen ist aber auch der Kommentarteil, und zwar insofern, als er den Anruf nicht persönlich deutet, sondern als dessen Bedingung die Situation ergründet, in der der Einzelne zu fassen sucht, was über seinen eigenen Sinn hinausgeht. Die Verbindlichkeit, welche die Deutung damit beansprucht, macht ihren festgestellten gnomischen Charakter aus. Eben diesen hat sie mit den Hymnen gemein.13 Weiter ist das »reine Gefühl« auch hier nicht Garant von Sicherheit, sondern im Gegenteil gerade »Verwirrungen ausgesezt«. Das Irren kommt aber, mit den Worten des Entwurfes der Feiertagshymne zu sprechen, nicht vom »anderen Pfeil«, sondern allein von dem des Göttlichen und geschieht allein um dessetwillen. Furcht und Wohlgefallen sind damit in noch stärkerem Maße, als wir das bisher gesehen hatten, aneinander gebunden. Das Mißverhältnis, welchem beide entspringen, und mit ihnen auch das paradoxe Verhältnis zur Wahrheit, läßt sich nicht einfach beseitigen. Im Text jedoch, der die Paradoxie faßt, erscheint sie aufgehoben. Als ästhetisches Gebilde vermag er dadurch die Wahrheit, die zu fassen das Problem war, zu evozieren. Darin erinnert er an den Anfang von »Patmos«.
13
38
Vgl. dazu etwa die Bemerkungen zum Charakter der Hymnen im genannten Aufsatz von Szondi, S. 38f.
V O N DER R U H E
Das öffentliche, hat das ein Bürger In stiller Witterung gefasst, Soll er erforschen Grossmänlicher Ruhe heiliges Licht, Und dem Aufruhr von der Brust, Von Grund aus wehren seinen Winden; denn Armuth macht er Und feind ist er Erziehern der Kinder. Ehe die Geseze, der grossmännlichen Ruhe heiliges Licht, erforschet werden, muss einer, ein Gesezgeber oder ein Fürst, in reissenderem oder stetigerem Schiksaal eines Vaterlandes und je nachdem die Receptivität des Volkes beschaffen ist, den Karakter jenes Schiksaals, das königlichere oder gesammtere in den Verhältnissen der Menschen, zu ungestörter Zeit, usurpatorischer, wie bei griechischen Natursöhnen, oder erfahrener, wie bei Menschen von Erziehung auffassen. Dann sind die Geseze die Mittel, jenes Schiksaal in seiner Ungestörtheit festzuhalten. Was für den Fürsten origineller Weise, das gilt, als Nachahmung für den eigentlicheren Bürger.
39
I. »Ruh(e), Ruhen, Ruhig, Ruhigahnend, Ruhigmächtig, Ruhigwandelnd; Still, Stille, Stillbegeisternd, Stillebildend, Stillegehend, Stillen, Stillentfaltend, Stillerhaben, Still(e)stehen, Stilleuchtend, Stilleweilend, Still(hin)wandelnd, Stillschaffend, Stillsinnend, Stilltönend, Stillvereint.« Alle diese Stichwörter finden sich in Böschensteins »Konkordanz zu Hölderlins Gedichten nach 1800«.1 Beachtlich ist nicht nur die Vielzahl von Wörtern im Umkreis von »Ruhe« und »Stille«, sondern auch die große Anzahl von Stellen, die insgesamt unter diesen Stichwörtern angeführt werden. Das zeigt, was dem Leser nicht allein in den Gedichten nach 1800 auffällt, daß Ruhe und Stille ein häufig wiederkehrendes Thema im Werk Hölderlins sind. Wenn etwa ein Gedicht »An die Ruhe«, ein anderes »An die Stille« überschrieben ist, dann deuten diese Titel auch die große Bedeutung des Themas an, denn die Ruhe und die Stille stehen offensichtlich nicht als irgendwelche Begriffe da, sondern werden als Gottheiten aufgefaßt. Ähnliches gilt nun auch für Pindar und die im vorliegenden Fragment großgeschriebene Hesychia. Im Unterschied zu anderen göttlichen Wesenheiten läßt sich über sie in der einschlägigen Literatur wenig in Erfahrung bringen. Was sich findet, ist der Hinweis auf einige Stellen bei Pindar. Vor allem die Pythie VIII, ein Altersgedicht für einen aiginetischen Knaben, ist zu erwähnen. Sie beginnt folgendermaßen: Φιλόφρον 'Ησυχία Δίκας ώ μεγιστόπολι θύγατερ, βουλάν τε και πολέμων εχοισα κλαϊδας ύπερτάτας Πιθιόνικον τιμάν Άριστομένει δέκευ. τύ γάρ τό μαλθακόν ερξαι τε και παϋείν όμως έπίστασαι καιρώ σύν άτ'ρεκεΐ. τύ δ' οπόταν τις άμείλιχον καρδίςι κότον ένελάση, 1
40
Bernhard Böschenstein, Konkordanz zu Hölderlins Gedichten nach 1800, Aufgrund des zweiten Bandes der Großen Stuttgarter Ausgabe, Göttingen 1964, S. 63 u. S. 72f.
τραχεία δυσμενέων ύπαντιάξαισα κράτει τιθεϊς ΰβριν έν αντλφ . . ·2 Darauf werden Ruhestörer aus der Vorzeit genannt, die dafür ihre Strafe erhielten. Wir überspringen alle folgenden Strophen, zitieren dagegen auch noch den Schluß, was allein schon durch die verblassende Berühmtheit der Zeilen 95-97 gerechtfertigt ist. ό δέ καλόν τι νέον λαχών άβρότατος επι μεγάλας έξ έλπίδος πέταται ύποπτέροις άνορέαις, Ιχων κρέσσονα πλούτου μέριμναν. έν δ' όλίγψ βροτών τό τερπνόν αΰξεται' οΰτω δέ και πίτνει χαμαί, άποτρόπφ γνώμα σεσεισμένονέπάμεροι" τί δέ τις; τι δ'οΰ τις; σκιάς δναρ δνθρωπος. άλλ' δταν αΐγλα διόσδοτος Ιλθη, λαμπρόν φέγγος επεστιν άνδρών και μείλιχος αιών Αίγινα φίλα ματερ, έλευθέρω στόλφ πόλιν τάνδε κόμιζε Δί και κρέοντι συν Αίακφ Πηλεΐ τε κάγαθφ Τελαμώνι συν τι Άχιλλεϊ· 3 Der Exkurs zur Ruhe und Stille bei Hölderlin bzw. zur Hesychia bei Pindar wird der Interpretation des Textes »Von der Ruhe« voran2
In Dornseiffs deutscher Übersetzung: »Gütige Hesychia, Dikes /stadtmehrende Tochter, / die du der Beratungen und der Kriege / erhabene Schlüssel besitzest, / nimm an des pythischen Sieges Ehre von Aristomenes! / Du weißt das Friedsame zu wirken und zu genießen in gleicher Weise / zur wahrhaft rechten Zeit. / Wenn aber einer herben / Groll in sein Herz getrieben, / so trittst du hart der Macht der Feinde / entgegen und wirfst/den Übermut in den Grund.« * »Wer aber einen frischen Sieg erlangt hat,/fliegt ob des Glückes empor / aus großer Hoffnung / in beflügelten mutigen Gedanken, er hat/größeres Trachten denn Reichtum. In kurzem wächst der Sterblichen / Freude empor; ebenso fällt sie auch zu Boden / von fehlgegangener Erwartung erschüttert. / Tagwesen! Was ist einer? / Was ist keiner? Von einem Schatten der Traum / ist der Mensch. Aber wenn Glanz von Gott gegeben kommt, / dann ist leuchtendes Licht bei den Männern und liebliche Zeit./ Aigina, liebe Mutter, in freier Fahrt /führe deine Stadt mit Zeus und dem Herrscher Aiakos/und Peleus und dem tapferen Telamon und mit Achilleus!« (Übers. Dornseiff). 41
gestellt, um beispielhaft zu zeigen, daß zwischen den beiden Dichtern eine weitreichende Affinität besteht. Hölderlin kennt seinen Pindar, und wenn er dessen Fragmente deutet, geschieht dies in Kenntnis des Gesamtwerks, auch wenn davon nichts in der Deutung steht. Diesen Zusammenhang sollen die zitierten Stellen aus der Pythie VIII ins Bewußtsein rufen.
II. Das Pindarfragment 109 ist Teil eines Chorliedes, das Pindar 480 ν. Chr. mit Tanz in Theben aufführen ließ, als das Perserheer von Norden heranzog, und mit dem er den Thebanern eine neutrale Haltung empfahl. Obwohl also Teil eines im einzelnen nicht bekannten größeren Ganzen, das wie die Siegeslieder aus einem und für einen bestimmten Anlaß entstand, erwecken die vorhandenen Zeilen nicht den Charakter eines Bruchstücks, weil es sich um eine allgemeine, in sich abgeschlossene Aussage handelt. Dieser gnomische Satz soll im folgenden an Hölderlins Übersetzung erläutert werden. Auf den griechischen Text wird, wo es angezeigt erscheint, zurückgegriffen. Vom Bürger ist die Rede, der das öffentliche gefaßt hat und an den von daher die Aufforderung geht, nun »grossmänlicher Ruhe heiliges Licht« zu erforschen und dem Aufruhr mit seinen negativen Auswirkungen zu wehren. Im einzelnen besehen, geschieht das Fassen des Öffentlichen, des Koinon, also dessen, was alle Bürger gemeinsam betrifft, »in stiller Witterung«. Der Ausdruck kann auf den Bürger und auf das öffentliche bezogen werden, und in der Tat müssen sich beide in gleicher Witterung befinden, wenn der Bürger selber zu diesem öffentlichen gehört. Auf der Seite des öffentlichen scheint »Witterung« dann mehr die Bedeutung der Wetterlage zu haben, auf der Seite des Bürgers mehr die der ahnenden Wahrnehmung. Daß sich der Vorgang »in stiller Witterung« (Hervorh. d. Verf.) ereignet hat, beinhaltet schon einen Teil von dem, was der Bürger nun aufspüren soll, die Ruhe nämlich. Sie wird als »grossmänlich« bezeichnet. Soll das heißen, daß sie das Werk großer Männer sei? Wohl eher umgekehrt: sie macht die Männer groß, denn sie ist ja, wie schon früher an der Schreibweise festgestellt wurde, eine Gott42
heit. Das wird auch daran deutlich, daß von ihrem heiligen Licht gesprochen wird. Der göttliche Glanz, der auf die stille Witterung fällt und der von der Hesychia ausstrahlt, soll also erforscht werden. 4 Andrerseits ist den Winden des Aufruhrs zu wehren. Daß durch die Winde Aufruhr entsteht, daß sie die (wind) stille Witterung stören, ist sinnfällig. »Von der Brust« kommt der Aufruhr, und »von Grund aus« sind seine Winde fernzuhalten. Das will heißen, daß die Störung, die von der Brust ausgeht, grundsätzlich verfehlt sei. Das leuchtet ein, wenn man den »Aufruhr von der Brust« dem »grossmänlich« der Ruhe entgegenstellt. Wo »Grossmännlichkeit« die Möglichkeit des Menschen andeutet, durch die Ruhe in der Gemeinschaft aus den Grenzen seiner selbst auszutreten, erscheint »Brust« als Zeichen von Eigensinn und Selbstbefangenheit. 5 Diese bringen denn auch Armut mit sich bzw. hindern sie den Erzieher daran, seine Aufgabe den Kindern gegenüber wahrzunehmen. Verallgemeinernd läßt sich sagen: wo die Polis in Unordnung gerät, treten wirtschaftliche und kulturelle Mißstände auf. Dagegen hilft die Orientierung am Licht der Ruhe, das sich in stiller Witterung ausbreitet. III. Werfen wir nun einen Blick auf den Gedankengang, den Hölderlin seiner Übersetzung folgen läßt. Er nimmt im ersten, längeren Satz deutlich Bezug auf die Zeilen 1—4 des Pindarfragments, während die Zeilen 5-7 keine explizite Aufnahme finden. Wieweit zwischen diesen drei Zeilen und den beiden kürzeren Sätzen Hölderlins, die ihrerseits das Pindarfragment nicht direkt aufnehmen, ein Zusammenhang besteht, wird später zu fragen sein. 4
5
'Ιερόν φάος übersetzt Hölderlin nach der Stephanus-Ausgabe. Bei Snell steht τό φαιδρόν φάος (schimmerndes Licht), was aber an der Göttlichkeit der Hesychia nichts ändert. Audi in der folgenden Zeile geben die beiden Ausgaben einen verschiedenen Wortlaut. Stephanus: στάσιν άπό πραπίδος έπικόπτων άνεμων, Snell: στάσιν άπό πραπίδος έπίκοτον άνελών (den widerwärtigen Aufruhr von der Brust wegnehmen). Der Unterschied wirkt sich auf Hölderlins Übersetzung im Sinne der Verdeutlichung aus. Das erinnert an die Feststellungen, die im Zusammenhang des Textes »Von der Wahrheit« zur Entstehung des hymnischen Spätstils gemacht wurden. 43
Zuerst ist festzuhalten, wie präzis Hölderlin die Übersetzung aufgreift, zum Teil bis in den Wortlaut hinein. Von den gleichen zwei Schritten ist die Rede, von einem ersten, in dem »einer« (»ein Bürger«) den Schicksalscharakter eines Vaterlandes (»das Öffentliche«) »zu ungestörter Zeit« (»in stiller Witterung«) auffaßt, dann von einem zweiten Schritt, in dem »der grossmännlichen Ruhe heiliges Licht« erforscht wird. In der Textanordnung unten sind die beiden Schritte allerdings in umgekehrter Reihenfolge dargestellt, und der erste Schritt bildet hier den Hauptsatz. Mit »muss« eingeleitet, erhält er als notwendige Voraussetzung des zweiten Schrittes auch der Ausführlichkeit nach ein größeres Gewicht. Die Ausführung bedeutet eine Differenzierung, die Unterscheidung nämlich von zwei Verfassungen, die sich mit den im Text hervorgehobenen Begriffen umreißen lassen: »reissender«, »königlicher«, »usurpatorischer« einerseits, »stetiger«, »gesammter«, »erfahrener« andererseits. Der Begriff »Verfassung« wird dabei nicht in seiner staatsrechtlichen Bedeutung verwendet. Es geht nicht um institutionalisierte Formen, sondern um einen offenen Zustand, um die Witterung des öffentlichen. Im einzelnen werden die Bewegung und die Bewegbarkeit des Öffentlichen, seine Struktur, dann aber auch das adäquate Auffassen der genannten Momente unterschieden. Die so verstandenen Verfassungen des Öffentlichen neigen nun einem, wie die Komparative andeuten, mehr königlichen oder republikanischen Idealtyp zu, der seinerseits als Verfassung im engeren Sinn verankert werden kann. Diese Idealtypen werden nur einmal und vergleichsweise in einen historischen Zusammenhang gebracht, in den Vergleichen »wie bei griechischen Natursöhnen« und »wie bei Menschen von Erziehung«. Der bei Pindar »ein Bürger« hieß, wird bei Hölderlin näher bestimmt als »ein Gesezgeber oder ein Fürst«. Das schließt an eine andere nähere Bestimmung an, nämlich an die »der grossmännlichen Ruhe heiliges Licht« als »Geseze«. Diese Deutung, die zunächst befremdlich erscheinen mag, bedarf vor dem Hintergrund der Erläuterung des Lichts der Ruhe weiter oben, aber auch vor dem Hintergrund der Pythie VIII, in der die Hesychia als Kind der Dike bezeichnet wird, keiner Verdeutlichung. 44
Welche Bedeutung den Gesetzen zukommt, wird weiter unten angegeben: »Dann sind die Geseze die Mittel, jenes Schiksaal in seiner Ungestörtheit festzuhalten.« In diesem Satz werden erst die Gesetze als Mittel bestimmt, danach wird der Zweck formuliert, dem sie dienen. Zweck der Erforschung der Gesetze ist es, die Möglichkeit der Störung und deren negative Folgen, die im Pindarfragment genannt sind, aufzuheben. Auf die Zeilen 5-7 des Fragments greift aber auch der letzte Satz zurück. Wenn der Bürger, im Unterschied zum Fürsten als »eigentlicherer Bürger« bezeichnet, dazu aufgefordert wird, nachahmend das zu tun, was der Fürst »origineller Weise«, als Urheber, tut, dann ist das gleichzeitig seine Möglichkeit, dem Aufruhr zu wehren. Dies tut er, indem er, die Verfassung des Öffentlichen zuvor bedenkend, die Gesetze einhält.
IV. Im vorangehenden Kapitel haben wir die beiden möglichen Verfassungen in ihrem Nebeneinander als Idealtypen aufgefaßt. Im folgenden sollen sie in ihrem Nacheinander als historische Erscheinungen verstanden werden. Die Relativierung der beiden Verfassungen durch die gegenübergestellten Komparative wird damit zur Historisierung. Der Text enthält nun freilich keine direkten Hinweise auf bestimmte Epochen und Staaten, einzig die »griechischen Natursöhne« und »die Menschen von Erziehung« legen den Gedanken an das antike Griechenland und die Neuzeit nahe. Diese beiden Beispiele dürfen aber nicht fraglos auf das Ganze übertragen werden, vielmehr ist zu fragen, ob diese Übertragung sich auf den Kontext abstützen kann. Klar ist, daß die Reihenfolge, in der die beiden Verfassungen erwähnt werden, dem behaupteten zeitlichen Nacheinander entspricht. Diese Abfolge ist nicht beliebig, ihre Umkehrung wäre sinnwidrig, wie die Gegenüberstellung von »usurpatorischer« und »erfahrener« zeigt. In dieser Gegenüberstellung kann das Erfahrene nur das Spätere sein, wobei das Usurpatorische dann den Charakter des Ursprünglichen erhält. Dieses An-sich-Reißen entspricht dem »Schiksaal eines Vaterlandes«, das »reissender«, weil dem Naturzustand näher, 45
ist, wogegen die Erfahrung mit dem »stetigeren Schiksaal« zusammengeht.® Die Natur als das Anfängliche, Ungebildete scheint die Hierarchie, die königliche Verfassung mit sich zu bringen, während die republikanische Verfassung die Folge schon erfolgter, ins Gesamte ausgebreiteter Bildung wäre. Wie die beiden Verfassungen charakterisiert sind, tendiert die erste in Richtung auf eine möglichst frühe, die zweite auf eine möglichst späte Zeit. Bleibt man innerhalb abendländischer Tradition, bestätigt sich der Gedanke an das antike Griechenland und an die Neuzeit als historische Situierung von königlicher und republikanischer Verfassung. Nicht nur Griechenland ist mit den griechischen Natursöhnen im Text explizit erwähnt, sondern auch die Neuzeit. Der letzte Satz liest sich nämlich im Zusammenhang dieser Betrachtungsweise anders als im Kapitel zuvor. Dort galt es für den »eigentlicheren Bürger«, unter königlicher oder republikanischer Verfassung, jeweils das Tun des Gesetzgebers oder des Fürsten nachzuvollziehen. Hier nun rückt die Gegenüberstellung des originellen Verhaltens des Fürsten und des nachahmenden des eigentlicheren Bürgers in den Zusammenhang der darüberstehenden Komparative. Der Fürst, der auch zeitlich Erste, ist als ursprünglich Handelnder der anfänglichen Verfassung zugeordnet, während in der Neuzeit der eigentlichere Bürger seine Stelle einnimmt. »Eigentlicherer« Bürger ist er nun nicht nur im Unterschied zum Fürsten, sondern auch zum Bürger im Pindarfragment: er ist nicht nur Citoyen, sondern eben auch Bourgeois. Was wir etwas ungenau als Neuzeit bezeichnet haben, wäre dann das aufkommende bürgerliche Zeitalter. Die Nachahmung bedeutet nicht mehr bloßen Nachvollzug, sondern eine Imitatio, die unter anderer Verfassung des öffentlichen dasselbe anders tut. Das im letzten Abschnitt von III. Gesagte ist daher zu korrigieren. Es geht für den Bürger nicht bloß um die Befolgung schon bestehender Gesetze, vielmehr sind jetzt aufgrund der Volksouveränität die Verfassung und die Gesetzgebung seine Sache.
6
46
Man erinnert sich zum Beispiel an den Lauf des >RheinsGorgiasνόμος< die Bedeutung von >Sitte und Herkommenüber ihnen steht als Herr das Gesetz, zu siegen oder zu sterbenνόμος< bei Plato, >Protagoras< 337 d , aber es findet sich dort mit >τύραννος< verbunden.« Das steht auf Seite 498 der 32. Auflage von Büchmanns »Geflügelte Worte«. Daß das Pindarfragment als eines der 67 griechischen Zitate bei Büchmann verzeichnet ist, entspricht sowohl seinem Bekanntheitsgrad in der Anike als auch der intensiven wissenschaftlichen Zuwendung, die es in unserer Zeit erfahren hat. Diese beiden Tatsachen rühren daher, daß hinter dem Pindarfragment, vor allem aber hinter der Stelle in Piatos »Gorgias«, wo es zitiert wird, das Nomos / Physis-Problem steckt. Daß der Begriff des Nomos verschieden verwendet wird, geht aus Büchmann hervor, aber wie er jeweils verstanden werden muß, ist, anders als bei Büchmann dargestellt, gerade auch im vorliegenden Fragment Pindars ein Problem. Wir gehen darauf nicht näher ein und überspringen auch die vertrackte Überlieferungsgeschichte des Textes, denn allein von der ersten Zeile her, die Büchmann zitiert, zeichnen sich die Schwierigkeiten nicht ab.1 1
72
Näheres, auch weitere Literaturangaben, enthält Max Treu, ΝΟΜΟΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ: alte und neue Probleme, in: Rheinisches Museum für Philologie, 106. Band, 1963, S. 193ff. Auf den Zusammenhang im »Gorgias«, dem Stephanus den Pindartext entnommen hat, geht audi Manfred Baum, Hölderlins Pindar-Fragment >Das Höchstem in: Hölderlin-Jahrbuch 1963/64, ein. Dort wird audi Hölderlins Übersetzung diskutiert, so daß wir unsere folgende Darstellung auf das Ergebnis dieser Diskussion beschränken können. Die vorliegende Interpretation steht nicht im Widerspruch zu Baums Aufsatz, schlägt aber eine andere Richtung ein. Baums Untersuchung
Nun führt zwar Hölderlins Ubersetzung noch ein kleines Stück weiter, aber der zweite Teil dieser Übersetzung entfernt sich aufgrund des griechischen Textes der Stephanus-Ausgabe derart von Pindar, daß die angedeutete Problematik auch bei Hölderlin nicht in den Blick kommt. Der νόμος ό πάντων βασιλεύς ist der alleinige Bezugspunkt zu dem heute recht umfangreich vorhandenen Pindarfragment 169. II. Während der Text »Vom Delphin« einen Ton anschlägt, der den Leser zunächst in den Bereich des Mythos führt, konfrontiert ihn »Das Höchste« mit einer Deutung, die nach Art einer logischen Beweisführung verfährt. Ausdruck dafür sind die wiederholt eingesetzten Konjunktionen »weil« und »deswegen«; aber auch das gleich viermal vorkommende »streng« kann als Kennzeichnung dieses Verfahrens genommen werden. Daß für alle dasselbe gilt, wird im ersten Abschnitt inbezug auf das Unmittelbare gezeigt. »Das Unmittelbare, streng genommen, ist für die Sterblichen unmöglich, wie für die Unsterblichen«. Genau derselbe Satz steht, um ein »deswegen« erweitert, am Ende des Abschnitts. Die präzise Begründung, die das »deswegen« enthält, wird zwischen den beiden Sätzen gegeben. Was Sterblichen und Unsterblichen das Unmittelbare unmöglich macht, was also Gott und Mensch gemeinsam ist, wird wiederum mit genau denselben Worten gesagt (»... der Gott muss verschiedene Welten unterscheiden«, »Der Mensch muss auch verschiedene Welten unterscheiden«), wobei das »auch« diese Tatsache noch betont. Der Grund dieser Notwendigkeit zu unterscheiden ist bei Gott und Mensch verschieden, bei beiden allerdings just in der Verschiedenheit ihres Wesens begründet. Des Gottes Unterscheidung entspringt seiner Natur, sein Wesen ist »himmlische Güte«, die anders als »heilig«, »unvermischet« (eben unterschieden) nicht sein kann. Der Gott verlangt also per definitionem die Unterscheidung. Auch der Mensch, seinerseits als erkennendes Wesen definiert, trägt seinen Namen nur unter der Bedingung mit Recht, zielt vor allem auf Hölderlins Verhältnis zu Hegel ab und läßt die Textgestalt weitgehend außer Acht. 73
daß er unterscheidet, weil »Erkentniss« wesentlich Unterscheidung, »Entgegensezung« ist. Ziel der Erkenntnis ist eben das Unterschiedene, Entgegengesetzte; im Text sind es die Sterblichen und die Unsterblichen, welche die »verschiedene(n) Welten« bilden. Soviel zur Behauptung des ersten Abschnitts und ihrer Begründung. Indem das Unmittelbare sich als für Gott und Mensch unmöglich erweist, unterstehen sie einem Gesetz. Dem Unmittelbaren wird die »strenge Mittelbarkeit« als dieses Gesetz, als Gesetz überhaupt entgegengesetzt. Der Satz »Die strenge Mittelbarkeit ist aber das Gesez« gibt zusammen mit »Deswegen aber führt es gewaltig das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand« das Pindarfragment wieder. Der zweite Satz tut das wortwörtlich, mit Ausnahme der einleitenden Partikel, die auch eine veränderte Bedeutung signalisieren. Das »Deswegen« der Zeile 15 läßt sich im Zusammenhang der Deutung besser verstehen als das »darum« des Pindarfragments; die Veränderung bedeutet eine Verdeutlichung. Das »darum« des Pindarfragments gründet nämlich allein in der Feststellung, daß das Gesetz der König von allen sei. Das »Deswegen« greift nicht nur auf die »strenge Mittelbarkeit« zurück und mittels dieser auf den ganzen ersten Abschnitt, sondern es weist auch auf die Ausführungen voraus, die im längeren zweiten Abschnitt folgen. Was den Rückgriff angeht, sei vor allem betont, daß die Mittelbarkeit auch deshalb so gewaltig Recht führt, weil sie eine strenge Mittelbarkeit ist. Im übrigen brauchen wir das, was dem »Deswegen« vorangeht, hier nicht schon aufzunehmen, weil es im folgenden Abschnitt ohnehin noch einmal aufgenommen wird. Zunächst wird in diesem Abschnitt gesagt, was unter der strengen Mittelbarkeit, dem Gesetz zu verstehen sei: »Die Zucht, so fern sie die Gestalt ist, worinn der Mensch sich und der Gott begegnet, der Kirche und des Staats Gesez und anererbte Sazungen, (die Heiligkeit des Gottes, und für den Menschen die Möglichkeit einer Erkentniss, einer Erklärung)«. Die erste Umschreibung weist auf die Begegnung von Mensch und Gott hin; 2 sie geschieht in einer bestimmten Gestalt, 2
74
Daß es sich dabei um eine Begegnung des Menschen mit Gott und umgekehrt, aber audi um eine Selbstbegegnung handeln kann, gilt hier ebenso wie für die Stelle in »Die Asyle«, wo es heißt: »bis sich im
die »Zucht« genannt wird und einerseits an die der Mittelbarkeit eigene Strenge, andrerseits an eine Gott und Mensch gemeinsame Bildungsform denken läßt. Als Bereiche, in denen das Gesetz sich niederschlägt, werden darauffolgend (möglicherweise also als Folge der Begegnung von Gott und Mensch) die Institutionen Kirche und Staat erwähnt. Zur Mittelbarkeit gehören aber auch »anererbte Sazungen«, überlieferte Bildungen aller Art, die in Kirche und Staat nicht schon enthalten sind.3 Die letzte, in Klammern gesetzte Wortgruppe verweist auf die dem Gott und dem Menschen jeweils wesentliche Mittelbarkeit, die weiter oben erklärt wurde und in der - so läßt sich die Klammer verstehen - alle andern Umschreibungen zusammentreffen. Alle diese Erscheinungsformen des Gesetzes haben an sich immer schon die Beweiskraft, die begründet, was als »Deswegen« aus ihnen folgt: » . . . diese führen gewaltig das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand . . . « . Zum dritten Mal treffen wir auf diese Passage, in der die Superlative auffallen und in der das Verb »führen« in seiner Bedeutung nicht leicht zu fassen ist. Aus dem Zusammenhang mit der Mittelbarkeit weiter oben läßt sich immerhin entnehmen, daß »führen« bedeutungsmäßig in den Umkreis von »vermitteln« gehört. Weiter unten wird die Passage durch eine parallel zu ihr stehende erläutert: »sie halten strenger, als die Kunst, die lebendigen Verhältnisse fest, in denen, mit der Zeit, ein Volk sich begegnet hat und begegnet.«. Wie lassen sich diese beiden Passagen inhaltlich miteinander in Beziehung setzen? Das Recht führen, Recht vermitteln heißt offenbar die lebendigen Verhältnisse festhalten, in denen die Begegnung des Volkes statt-
3
Schiksaal begegnend, an den Spuren der alten Zucht, der Gott und der Mensch sich wiedererkennt«. Vgl. auch die S. 104 im Zusammenhang dieser Stelle vorgetragene allgemeine Erläuterung des Begriffes »Zucht«. Die »anererbte(n) Sazungen« ließen sich syntaktisch audi auf Kirche und Staat beziehen, was aber wenig sinnvoll erscheint, da dann das eine Wort (»Gesez«) im Singular, das andere (»Sazungen«) im Plural stünde und zudem in »der Kirche und des Staats Gesez« wohl auch die Überlieferung schon eingeschlossen ist. Syntaktisch möglich, aber ebenfalls wenig einleuchtend ist es, wenn man die Klammerbemerkung allein als nähere Bestimmung von »anererbte Sazungen« nimmt. 75
findet." Recht wäre demnach, was den lebendigen Verhältnissen entspricht. Recht zu vermitteln vermag das Gesetz, indem es diese Verhältnisse festhält. Der Ausdruck »lebendige Verhältnisse« deutet an, daß es um wechselseitige Beziehungen geht, die zudem (»mit der Zeit«, »begegnet hat und begegnet«) dem zeitlichen Wandel unterstehen. Solcher Wandel entfremdet leicht Recht und lebendige Verhältnisse, so daß sich Recht in Unrecht verkehrt. Das Recht, welches das Gesetz vermittelt, heißt insofern mit Grund das »gerechteste Recht«, als es der Lebendigkeit der Verhältnisse, der Änderung in der Zeit Rechnung trägt, ohne gleichzeitig von einer Veränderlichkeit zu sein, die den dauernden Rechtmäßigkeitsanspruch des Rechts (das Recht des Rechts) aufgeben würde. So vermag das Gesetz, was paradox erschiene, wäre es nicht strenge Mittelbarkeit: es hält etwas Lebendiges fest. Das geschieht nun »gewaltig« oder eben »streng«, im vorliegenden Wortlaut: »sie halten strenger, als die Kunst, die lebendigen Verhältnisse fest«. Worin besteht das strengere Festhalten, das Zucht, Gesetz von Kirche und Staat etc. von der Kunst scheidet? Die Antwort ergibt sich aus der Formulierung. Die ersten Begriffe stehen zum Gesetz in Bezug, nicht aber die Kunst. Nicht von »der Kirche« ist die Rede, die mit »der Kunst« auf derselben Ebene gesehen werden könnte, sondern von »der Kirche Gesez«. Was der Kunst abgeht, ist das streng Gesetzmäßige, genauer gesagt: sie hat vergleichsweise weniger davon. 5 Ebenfalls von der Formulierung her läßt sich »mit allerhöchster Hand« näher bestimmen. Es ist die höchste Hand aller, der Sterblichen und der Unsterblichen nämlich, die das Recht führt. Daß diese »höchste Hand« nicht im Sinne der »höchste(n) Macht« mißverstanden werde, verhindert die Präzisierung des Höchsten, des Begriffs »König« im letzten Satz. Der Superlativ, der damit gemeint 4 s
76
Auch hier hat man bei der Begegnung des Volkes verschiedene Möglichkeiten zu bedenken (Mensch-Mensch, Volk-Volk, Volk-Gott). Man erinnere sich an Hölderlins Ausführungen über die moderne Poesie und den »gesezlichen Kalkül« in den »Anmerkungen zum ödipus«, vergleiche aber auch die Stelle in »... meinest du / Es solle gehen ...« (Bd. 2,1, S. 228), wo vom Fehler der Griechen die Rede ist, welche ein Reich der Kunst stiften wollten und dabei das Vaterländische versäumten, so daß das Griechenland zugrunde ging.
ist, steht für den »höchsten Erkentnissgrund«. Als höchster Erkenntnisgrund also ist das Gesetz König von allen. Als Grund der Erkenntnis läßt sich das Gesetz aus dem Vorangehenden in doppelter Hinsicht ermitteln: es ist einmal die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis (»Der Mensch, als Erkennendes, muss auch verschiedene Welten unterscheiden, weil Erkentniss nur durch Entgegensezung möglich ist«), zum andern sind Gott und der Mensch (die verschiedenen Welten) auch Ziel der Erkenntnis. So betrachtet, bezieht sich in »höchsten Erkentnissgrund« »höchsten« sowohl auf Erkenntnis als auch auf Grund. III. Nach diesen Ausführungen zum Text im einzelnen wollen wir ihn noch einmal im Ganzen überblicken. Dem Pindarfragment, das vom Gesetz handelt, wird erst eine Ausführung zum Unmittelbaren entgegengesetzt, dieser wiederum eine Neuiormulierung des Pindarfragments, die aufgrund der durch die Entgegensetzung gewonnenen Erkenntnis möglich wurde. Dem folgt eine zweite Ausführung, die ihrerseits aufgrund der vorgenommenen Entgegensetzung die einzelnen Teile des Fragments (»Gesez«; »das führt gewaltig das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand«; »König«) erklärt. Bezeichnenderweise folgt in diesem Abschnitt in der Klammerbemerkung dem Begriff »Erkentniss« der Begriff »Erklärung«. In einem strengen Sinne hält sich also der Text an die in ihm formulierte Möglichkeit einer Erkenntnis, einer Erklärung. Streng ist die Entgegensetzung von Unmittelbarem und Mittelbarkeit, von Unsterblichen und Sterblichen, streng nimmt die Erklärung das zu Erklärende auf.® Der Text sagt denn auch, daß seine Aussage streng genommen gelte. »Es streng nehmen« heißt aber eben nach dem dargestellten Gesetz der Erkenntnis verfahren. Damit bestätigt sich der weiter oben formulierte Eindruck, Hölderlin verfahre nach der Art einer logischen Beweisführung, und damit läßt sich hier die Selbst6
Wie streng, zeigt audi noch die Formulierung des letzten Satzes, indem sie nicht direkt sagt, was »König« bedeute, sondern das Wort als »Zeichen« bezeichnet. 77
reflexion des Textes ihrerseits im Sinne einer Beweisführung feststellen. Im Blick auf die Selbstreflexion ist »Das Höchste« dargestellt. Werfen wir einen abschließenden Blick auf den Titel, genauer auf dessen Erklärung als »höchsten Erkentnisgrund«. »Höchster« Erkenntnisgrund sei er, sagten wir, weil »Grund« die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, aber auch das Ziel der Erkenntnis beinhalte. Der erste und der letzte Grund sind im Ausdruck selber zusammengefaßt, der das Wort »höchste« dem Wort »Grund« entgegensetzt. Daß am Ende alles aufgeht, verdankt sich nicht der List der Interpretation, sondern dem Text, der selber Methode hat. Er hatte sie in letzter Konsequenz nicht von Anfang an, und sie scheint dem Verfasser nicht entgangen zu sein. Hölderlin, so zeigt die Handschrift, schrieb erst »höchsten Erkentnisspunkt«, strich dann »punkt« und setzte (mit allerhöchster Hand) »grund« darüber.
78
DAS ALTER
Wer recht und heilig Das Leben zubringt, Süss ihm das Herz ernährend, Lang Leben machend, Begleitet die Hoffnung, die Am meisten Sterblichen Die vielgewandte Meinung regieret. Eines der schönsten Bilder des Lebens, wie schuldlose Sitte das lebendige Herz erhält, woraus die Hoffnung kommet; die der Einfalt dann audi eine Blüthe giebt, mit ihren mannigfaltigen Versuchen und den Sinn gewandt und so lang leben machet, mit ihrer eilenden Weile.1
1
Bei Beissner steht in der vorletzten Zeile »Leben«. Nadi der Handschrift scheint man eher 1 zu lesen haben.
79
I. Im Unterschied zu andern späten Hölderlintexten bietet das vorliegende »Pindarfragment« einem ersten Verständnis wenig Schwierigkeiten. Besonders auch das Verhältnis zwischen Pindars Text und Hölderlins eigenem erscheint hier einfacher als in den bisher interpretierten »Fragmenten«, so nämlich, daß dieser jenen paraphrasiert, die Ubersetzung in gängigerer deutscher Syntax wiederholt. Man könnte diese Einfachheit »erklären«, indem man auf eine Beobachtung zurückgriffe, die sich bei andern »Fragmenten« jeweils am Ende der Interpretation ergab. Es stellte sich dort heraus, daß das jeweilige Thema des »Fragments« sich auf das Verhältnis von Übersetzung und Deutung anwenden ließ. In Entsprechung dazu ließe sich die Einfachheit dieses Verhältnisses im vorliegenden Text als eine Selbstreflexion auf das Alter mit seiner Schlichtheit verstehen.2 Dieser Gedankengang nimmt, der Überschrift folgend, als selbstverständlich an, daß das Alter das Thema des »Fragments« bildet. Dabei irritiert an diesem Text, den man sonst von selbst verstehen möchte, gerade die Überschrift. Nicht vom Alter, sondern von der Hoffnung handelt er doch. Das Befremden über Hölderlins Titelsetzung kann ein Blick auf die Überlieferung des Pindarfragments fürs erste zerstreuen. II. Das Pindarfragment 214 hat folgenden Wortlaut: δς αν δικαίως και δσίως τον βίον διάγη, γλυκεΐά οί καρδίαν άτάλλοισα γηροτρόφος συναορεΐ Έλπίς, 3 α μάλιστα θνατών πολύστροφον γνώμαν κυβερνςί Die erste Zeile, die hier, wie in neueren Ausgaben üblich, etwas abgesetzt ist, stammt nicht von Pindar. Hölderlin übersetzt sie nach 2 3
80
Das wäre soweit erst ein Analogiesciiluß und müßte noch gezeigt werden. Elpis wird manchmal groß, manchmal klein geschrieben, je nachdem, ob man sie für eine göttliche Wesenheit hält oder nicht.
seiner Vorlage, der Stephanusausgabe, als zum Fragment gehörig. In dieser Ausgabe konnte er auch den Hinweis auf die Stelle finden, aus der das Pindarfragment überliefert ist und aus der auch die von ihm mitübersetzten Worte entnommen sind. Es ist eine Stelle aus dem ersten Buch von Piatos »Politeia«. Dort steht, in Schleiermachers Übersetzung: »Denn sehr artig, ο Sokrates, sagt jener (Pindar, Anm. d. Verf.) dieses, dass, wer nur gerecht und fromm das Leben verbracht hat, den >die süsse, das Herz schwellende Alterspflegerin Hoffnung geleitet, die zumeist der Sterblichen wandelreichen Sinn regierte« Dieser Satz ist Teil eines Gesprächs zwischen Sokrates und Kephalos, einem älteren und wohlhabenden Athener. Kephalos äußert darin über das Älterwerden, daß die meisten seiner Altersgenossen sehnsüchtig an die Jugendvergnügungen zurückdächten und meinten, sie hätten damals herrlich gelebt und würden nun kaum mehr leben. Diese Haltung könne er selbst nicht teilen, es gehe ihm vielmehr wie Sophokles, der sich im Alter sehr froh darüber gezeigt habe, von den Begierden als von einem wilden und tollen Herrn losgekommen zu sein. Von Sokrates befragt, ob er die Ruhe und Freiheit des Alters nicht vor allem seinem Reichtum verdanke, antwortet Kephalos, daß ein großes Vermögen zwar Voraussetzung, aber nicht Garant eines geruhsamen Alters sei. Viele komme im Alter Sorge und Angst an, weil sie in ihrem Leben Ungerechtigkeiten fänden. Wer dagegen nichts Unrechtes getan habe, lebe mit guten Erwartungen. Daraufhin werden, als Autoritätszitat, die Pindarworte unseres »Fragments« angeführt. Der platonische Zusammenhang, den Hölderlin zweifellos gekannt hat, kann sehr wohl eine Titelsetzung, wie sie hier vorliegt, anregen. Wollte man darüber hinaus diesen Zusammenhang auch als Erklärung für die Überschrift nehmen, würde Hölderlins Deutung zum vornherein auf die Ausführungen von Kephalos festgelegt. Nicht in erster Linie, wie es zum Titel »Das Alter« kommen konnte, interessiert uns, sondern was die Setzung dieses Titels bedeutet. Die Textüberlieferung kann also das Befremden über den Titel nicht aufheben. Daß er in der Tat befremden muß, diesen Eindruck wird der nächste Abschnitt bestärken. 81
III. Auf den ersten Blick erscheint, wie bereits festgestellt, Hölderlins Text als Paraphrase der Pindarübersetzung. Für den Anfang gilt das insofern, als der Satzteil »Eines der schönsten Bilder des Lebens« das Pindarfragment als Ganzes ins Auge faßt und so in einer Art Zusammenfassung, wie wir sie auch in »Untreue der Weisheit«, »Von der Wahrheit« schon angetroffen hatten, den Einstieg gibt. Leicht zu erkennen, wie im folgenden »schuldlose Sitte« die von Plato stammenden ersten beiden Zeilen der Übersetzung aufgreift und »das lebendige Herz erhält« die dritte Zeile. Dann trifft man auf das Wort »Hoffnung«, das, Subjekt des Satzes im griechischen Text und in der Übersetzung, auch in Hölderlins Text an zentraler Stelle steht. An »Hoffnung« schließt in beiden Fällen ein Relativsatz an, wobei Hölderlins Text einzelne Ausdrücke der Übersetzung so wörtlich aufnimmt, daß die Umschreibung ins Zititeren übergeht. (»Lang Leben machend« / »lang leben machet«; »vielgewandte Meinung« / »Sinn gewandt«). Indem man nun aber die beiden Teile des Textes nach Entsprechungen absucht, wird man, bei aller feststellbaren Nähe, gerade auch der Unterschiede gewahr. Was Hölderlins Text auf den ersten Blick als Paraphrase erscheinen läßt, sind einige verbale Anleihen bei der Übersetzung. Bei zweiter Lektüre fällt die andere Art der Verknüpfung dieser Worte auf, ebenso fällt auf, daß einiges im zweiten Teil des Textes mit der Übersetzung nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist. Ohne noch ins einzelne zu gehen, läßt sich über den unterschiedlichen Charakter der beiden Textteile sagen: während der erste Teil die Dinge mehr aneinanderreiht, linear darstellt, werden sie im zweiten Teil in einen wechselseitigen Bezug gesetzt. Was schließlich als Gemeinsamkeit übrigbleibt, ist die zentrale Stellung des Begriffs »Hoffnung«. Das führt uns an den Ausgangspunkt dieses Abschnittes zurück. Nicht »Die Hoffnung«, was doch nahe läge, sondern »Das Alter« heißt die Überschrift. Im folgenden wird dem angedeuteten Unterschied zwischen Übersetzung und Hölderlins Text genauer nachzugehen sein, und dabei ist zu fragen, ob und inwiefern dieser Unterschied auch ein Licht auf die Titelsetzung wirft. 82
IV. Das Pindarfragment ist leicht zu überblicken. Was den eigentlich pindarischen Teil angeht, handelt es sich um zwei Partizipialkonstruktionen und einen Relativsatz, die sich alle auf »Hoffnung« beziehen. Darin werden der Hoffnung drei Inhalte zugeschrieben: sie nährt das Herz des Menschen, sie hält ihn lange am Leben, sie leitet als roter Faden die verschiedene Richtungsänderungen nehmende Meinung der Menschen. Mit diesen Teilen des Fragments wird nun der platonische in Verbindung gebracht, und zwar so, daß dem, der ein gutes Leben führt, die in den Partizipialkonstruktionen ausgedrückten Begünstigungen der Hoffnung zuteil werden. Was im Relativsatz steht, gilt für den Menschen allgemein. Wir hatten mit einem etwas vagen Ausdruck gesagt, dieses Fragment habe einen aneinanderreihenden, linearen Charakter. Das sollte nicht mehr heißen, als daß die Attribute der Hoffnung in Gedanken mit »und« zu verbinden sind und daß die ersten beiden Zeilen zu den folgenden im Verhältnis »wenn-dann« stehen. Diese Tatsache wird im Vergleich mit Hölderlins eigenem Text noch deutlicher werden. Andrerseits soll sie gerade auch als Ausgangspunkt dienen, um die Eigenart des Hölderlinschen Textes deutlich zu machen. Als Bild des Lebens bezeichnet Hölderlin das Pindarfragment, 4 mit dem bedeutsamen und gleichzeitig vorsichtig relativierenden Zusatz »eines der schönsten«. Und was stellt es dar? Zunächst: »wie schuldlose Sitte das lebendige Herz erhält«, was man fürs erste so lesen wird, daß schuldlose Sitte das Herz lebendig erhält, um sich dann gleich zu fragen, ob erhalten im Sinne von »bewahren« oder im Sinn von »bekommen« zu verstehen sei. Und was ist dann Subjekt, was Objekt, »schuldlose Sitte« oder »das lebendige Herz«? Keines ist auszuschließen, was bedeutet, daß, anders als im Pindarfragment, eines Voraussetzung und zugleich Folge, Ergebnis des andern ist. Eine gleich deutliche Offenheit des Bezugs auch im anschließenden »woraus die Hoffnung kommet«. Worauf bezieht sich »woraus«? 4
Seinem eigenen Sprachgebrauch folgend, könnte man für Bild des Lebens auch den Begriff »Mythos« einsetzen. Vgl. Buhr, Gerhard, Hölderlins Mythenbegriff. Eine Untersuchung zu den Fragmenten »Über Religion« und »Das Werden im Vergehen«, Frankfurt a. M. 1972, S. 406f. 83
Auf das lebendige Herz oder auf das gegenseitige sich Bedingen von lebendigem Herz und schuldloser Sitte? Auch hier ist offensichtlich beides möglich. Noch deutlicher wird Hölderlins Deutung des Pindarfragments, wenn wir feststellen, daß gleiches auch für die Hoffnung gilt. Sie steht in der Mitte des Textes, hat ihren Ursprung im festgestellten Wechselspiel von »schuldloser Sitte« und »lebendigem Herz«, wirkt nun aber ihrerseits auf diese zurück. Sie werden nämlich im Text mit den beiden parallel stehenden Teilen »die der Einfalt dann auch eine Blüthe giebt, mit ihren mannigfaltigen Versuchen« und die »den Sinn gewandt und so lang leben machet, mit ihrer eilenden Weile« wieder aufgenommen. Dabei unterstreichen allein schon die Formulierungen »mit ihren mannigfaltigen Versuchen« und »mit ihrer eilenden Weile« den Deutungscharakter des Textes, hat doch »mit« modalen und kausalen Charakter. Was aber wird nun in den letzten drei Zeilen gedeutet? Die »schuldlose Sitte« wird gedeutet als »Einfalt«, auf welche die mannigfaltigen Versuche der Hoffnung einwirken, und in dieser Spannung von Einfalt und Mannigfaltigkeit entsteht eine Blüte, welche als Zeichen von Leben und Schönheit erhellen kann, warum von einem der schönsten Bilder des Lebens die Rede ist. Schließlich wird nun auch noch der Faktor der Zeit in die Deutung aufgenommen, signalisiert durch das Reizwort der »eilenden Weile«. Davor stehen zwei Ausdrücke, die wörtlich an die Übersetzung anknüpfen, bezeichnenderweise aber mit »und so« verbunden sind. Zudem erscheint die »vielgewandte Meinung» als »gewandter Sinn«, was den Bezug zum lebendigen Herzen ergibt. Wie aus dem lebendigen Herzen Hoffnung kommt, so geht von der Hoffnung wiederum aus, was den Sinn gewandt und lang leben macht. Dies bewirkt die Hoffnung, indem sie in sich Momente von Dauer und Wechsel, von Kontinuität und Diskontinuität birgt. Dabei wären vom Text her »Sitte«, »Herz«, »Einfalt« der einen, »lebendig«, »gewandt«, »mannigfaltig« der andern Seite zuzuordnen. Nach alledem erscheint die Titelsetzung als geradezu symptomatisch für Hölderlins Deutung des »Pindarfragments«. Wenn diese Deutung nämlich dahin zielt, die Hoffnung bis ins einzelne in eine wechselseitige Beziehung zu setzen mit dem, was sie bewirkt, dann leuchtet ein Titel durchaus ein, der zu ihr in einem ebensolchen Ver84
hältnis steht: das Alter, auf das die Hoffnung hinzielt und von dem Hoffnung ausgeht. V. Am Ende ist nun noch auf den im ersten Abschnitt erwogenen Gedankengang zurückzukommen, nämlich auf die an den andern »Fragmenten« festgestellte Tatsache der Selbstreflexion der Texte. Dabei sei für einmal, in einer leichten methodischen Nachlässigkeit, die Frage umgekehrt gestellt, d. h. von außen an den Text herangetragen: Gibt es eine Möglichkeit, den Vorgang der Deutung mit dem Inhalt des vorliegenden »Fragments« in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen? Soviel ist klar, daß die zu Beginn gegebene Antwort, die das Verhältnis von Pindar- und Hölderlintext ansatzweise mit dem Begriff der Schlichtheit zu bestimmen versuchte, sich im Laufe der Interpretation als unzutreffend erwiesen hat. Aber wie steht es, wenn man den Titel auf das Alter des Pindarfragments anwendet? Wie, wenn man das »woraus die Hoffnung kommet« auch auf »eines der schönsten Bilder des Lebens« bezieht? Wird dann der Pindartext nicht eine Quelle, eine Grundlage der Hoffnung? Und bekommt er nicht in seiner Einfalt eine Blüte durch die mannigfaltigen Versuche der Deutung? Hält die Deutung ihn nicht lebendig und verschafft sie ihm nicht ein langes Leben? Und fügt sich nicht der gewandte Sinn ebenso nahtlos in diesen Zusammenhang, auch wenn oder besser: weil, dem festgestellten Deutungsprinzip entsprechend, nicht auszumachen ist, ob nun der Text mehr den Sinn des Interpreten oder der Interpret mehr den Sinn des Textes lebendig macht? Und trifft nicht die eilende Weile einen Kern des Deutens, gerade wenn dieses sich mit einem Bild des Lebens in sprachlicher Darstellung beschäftigt? Der Verfasser hat im vorangehenden Abschnitt die Frageform bemüht, weil er sich der Fragwürdigkeit seiner Ausführungen bewußt ist resp. der Schwierigkeit, sie auf eine Art evident zu machen, die nicht nur ihm selber einleuchtet. Und weil er sich dessen bewußt ist, läßt er eine Bemerkung zum möglichen Einwand der sog. Überinterpretation folgen. Wer von Uberinterpretation spricht, meint damit, daß der Interpret etwas in seinen Gegenstand hineinlege, das dort so gar nicht vor85
handen sei. Ausgangspunkt für solche Einwände sind dann meist Äußerungen des Autors und/oder seine Biographie. Von dieser Ebene her sei gesagt, daß Hölderlin in seiner Jugendzeit seine Hoffnung oft auf die Zeit des Alters gesetzt hat. 5 Er hat sich zudem, was nicht belegt zu werden braucht, sehr stark an der Antike, am Griechentum orientiert, dorther kam und dorthin zielte die Hoffnung auf eine bessere Welt. Diese herbeizuführen ist die Aufgabe seiner Dichtung, auf unseren Text bezogen heißt das, daß das Dichten eine Form ist, das Leben recht und heilig zu verbringen. Mit zunehmendem Alter versteht er Dichtung immer mehr als Deutung und nimmt auch Deutungen griechischer Texte vor. Was früher das Griechentum war, sind jetzt bestimmte Autoren: Sophokles, Pindar, mit bestimmten Werken: Ödipus, Antigone, 9 Fragmente Pindars, darunter »Das Alter«. Diese Bemerkung zeigt, nur etwas allgemeiner, was dem Fragment viel unmittelbarer zu entnehmen ist, weil sich darin eben der Inhalt von »Das Alter« verwirklicht. Das führt zu einer letzten Frage und enthält gleichzeitig die Antwort darauf. Es ist die Frage nämlich nach der Relevanz solcher Erkenntnis der Selbstreflexion. Diese Frage hebt sich in der Selbstreflexion auf, anders gesagt: die Deutung hat keinen Sinn oder sie hat ihn in sich selber. Der Sinn, der sich in der Wechselwirkung von Pindar-Hölderlintext und in der Reflexion darauf kundtut, ist ein Alter und Hoffnung vermittelnder.
5
86
Vgl. etwa die letzte Strophe der Ode »Abendphantasie«: »Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja, Du ruhelose, träumerische! Friedlich und heiter ist dann das Alter.« Werke, Bd. 1,1, S. 301.
D A S UNENDLICHE
Ob ich des Rechtes Mauer Die hohe oder krummer Täuschung Ersteig' und so midi selbst Umschreibend, hinaus Mich lebe, darüber Hab ich zweideutig ein Gemüth, genau es zu sagen. Ein Scherz des Weisen, und das Räthsel sollte fast nicht gelöst werden. Das Schwanken und das Streiten zwischen Recht und Klugheit löst nemlich nur in durchgängiger Beziehung. »Ich habe zweideutig ein Gemüth genau es zu sagen.« Dass ich dann zwischen Recht und Klugheit den Zusammenhang auffinde, der nicht ihnen selber, sondern einem dritten zugeschrieben werden muß, wodurch sie unendlich (genau) zusammenhängen, darum hab' ich ein zweideutig Gemüth.
87
I. Was hier als »Scherz des Weisen« und kaum zu lösendes Rätsel vorgestellt wird, gibt in der Tat Probleme auf. Schon die griechische Textvorlage verlangt philologische Detektivarbeit. Vergleicht man nämlich den Text, den Hölderlin bei Stephanus vorfand, mit dem in der Ausgabe von Snell, so stellt man größere Abweichungen fest. Heißt es bei Stephanus: πότερον δίκας τείχος ΰψιον ή σκόλιας άπάτας άναβάς, και έμαυτόν οΰτω περιφράξας διαβιώ, δίχα μοι νόος άτρέκειαν ειπείν so lautet das Pindarfragment 213 bei Snell: πότερον δίκςι τείχος ϋψιον ή σκολιαΐς άπάταις άναβαίνει έπιχϋόνιον γένος άνδρών, δίχα μοι νόος άτρέκειαν ειπείν. Nicht nur stehen »Recht« und »krumme Täuschung« hier im Dativ und sind demnach instrumental aufzufassen. Die ganze dritte Zeile lautet anders, doch handelt es sich bei dieser Version, die Stephanus bietet, nicht um eine andere Lesart, denn Snell führt sie im Apparat nicht an. Stephanus hat seinen Text aus einem Pindarzitat bei Plato und Cicero zusammengesetzt. 1 Dabei ist er im Plato über das Zitatende hinausgegangen, und von dort her stammt also der Fragmentteil, den seine Ausgabe anstelle der dritten Zeile bei Snell aufweist. Nach dem heute als authentisch betrachteten Pindartext ist die Frage, die genau zu entscheiden der Fragende sich im Zwiespalt befindet, aber diese, ob durch rechtmäßiges Handeln oder krummes Betrügen das die Erde bewohnende Menschengeschlecht die höhere Mauer ersteige. Davon weicht Hölderlins Übersetzung ab. Sie ist, wenngleich sie den ihr vorliegenden Text genau übersetzt, nur teilweise eine Wiedergabe des Pindar. 2 1 2
88
Vgl. Plato, De re pub., 2, 365; Cicero, Epistula ad Atticum, 13, 38. Das Beispiel dieser Fragmentübersetzung kann zeigen, daß der Grund von Mängeln in Hölderlins Übersetzungen nicht allemal Voreingenommenheit zu sein braucht. Für solche Mängel verantwortlich war neben beschränkten Griechischkenntnissen und dem Umstand, daß Hölderlin
II. Wenn die Frage, die bei Pindar in objektiver Form, nämlich auf das Menschengeschlecht bezogen, gestellt wurde, in Hölderlins Übersetzung in der Ich-Form des Fragenden erscheint, dann hat das für die anschließende Deutung wenig zu sagen, weil das fragende Subjekt, dessen »zweideutig Gemüth« diese Deutung zu verstehen sucht, so oder so dasselbe ist. Anders verhält es sich mit dem Funktionswechsel von »Recht« und »krummer Täuschung« zu Genetivattributen und mit dem Zusatz »und so mich selbst umschreibend«. Sie machen erst recht verständlich, daß die »krumme Täuschung« in der Deutung als »Klugheit« aufgenommen wird und was damit gemeint ist. Zum etymologisch hervortretenden Gegensatz zwischen dem Recht als einem geraden und zwischen der Täuschung als einer krummen tritt der andere aus der Gegensätzlichkeit zu erschließende zwischen des »Rechtes Mauer« als einer vorgegebenen und der Mauer »krummer Täukaum auch nur die damaligen Hilfsmittel benutzte, auch das Fehlen zuverlässiger Ausgaben. Dieses fiel um so mehr ins Gewicht, als er nicht daran zweifelte, es mit originalen Texten zu tun zu haben. Schadewaldt hat in bezug auf die Sophokles-Arbeiten die Hindernisse genannt, welche die Übersetzungstätigkeit Hölderlins im speziellen und die seiner Zeit im allgemeinen beeinträchtigten, und gleichzeitig hervorgehoben, daß seine Einsicht in Form und Wesen griechischer Tragik unter solchen Umständen um so erstaunlicher sei. (Vgl. Schadewaldt, Hölderlins Übersetzung des Sophokles, S. 240ff.). Wenn im vorliegenden »Pindarfragment«, wie noch zu zeigen sein wird, der Mangel der Übersetzung in die Richtung der Deutung weist, dann besteht doch kein Zweifel, daß nicht die Absicht des Deuters diesen Mangel der Übersetzung bedingte. Freilich finden sich in den Fragmentübersetzungen Fehler, die dem Übersetzer anzulasten sind (vgl. die Wortverwechslung in »Von der Wahrheit«), eine Tatsache, aus der sich aber nichts für deren Zusammenhang mit der jeweiligen Fragmentdeutung schließen läßt. Diese hat den wie auch immer, ob falsch oder richtig überlieferten und verstandenen Pindartext, den die Übersetzung zeigt, zur Grundlage. Ob Übersetzungsfehler einer Voreingenommenheit des Deuters entsprangen, ist kaum zu entscheiden, wobei erst noch unentschieden bliebe, ob diese Voreingenommenheit mehr als Vorurteil oder als richtiges Vorverständnis zu gelten hätte. Wichtiger ist es, wie schon früher angetönt, sich jeweils Rechenschaft darüber abzulegen, wieweit Hölderlins Übersetzung dem Original entspricht und wieweit allfällige Abweichungen bei der Deutung ins Gewicht fallen. 89
schung« als einer selbst geschaffenen. Wenn dort die Mauer, welche Grenze und damit, dürfen wir hinzufügen, Schutz bildet, schon vorhanden ist, so vermag hier die »krumme Täuschung« aus eigener Kraft zu umgrenzen® und zu schützen, weswegen sie denn auch »Klugheit« heißen kann.4 Beissner schreibt: »Die Anmerkung . . . setzt für den Gegensatz zwischen dem Recht und der >krummen Täuschung< . . . den zwischen Recht und Klugheit und versteht darunter den Widerstreit zwischen objektiver Notwendigkeit auf ihrer konzentrischen Bahn und subjektiver Freiheit in ihrem Streben zum Mannigfaltigen.«* Das ist wohl allzusehr vom Gesamtwerk her gelesen. Fest steht immerhin, daß »Recht« ein objektives, »Klugheit« ein subjektives Prinzip meint, daß dort der Einzelne in ein übergeordnetes Ganzes eingegliedert ist und hier seine Autonomie angesprochen wird.
III. Worauf es der Deutung ankommt, geht aus der zweimaligen wörtlichen Aufnahme des Fragmentendes hervor. Uber die Zweideutigkeit des Gemütszustandes wird nachgedacht. Ebenso deutlich springt ein Resultat des Nachdenkens ins Auge, nämlich der Gedanke, um ihn mit dem Begriff des Cusanus zu bezeichnen, der coincidentia oppositorum, der das Widerstreiten zwischen Recht und Klugheit erklären kann. Die Aussage des Textes erscheint damit mühelos greifbar. Andererseits weiß man mit einer coincidentia oppositorum, die doch schwerlich als bloße Eselsleiter zur Erklärung von allerlei Ungereimtheiten genommen werden darf, wenig anzufangen, wenn man den Begriff wie eine gängige Münze in die Hand bekommt. Vor 3
4
5
90
Umgrenzen, in bestimmte Grenzen einschließen ist in Hölderlins Zeit eine geläufige Bedeutung von »umschreiben«, mit welchem Wort περιφράξας hier übersetzt wird. Das Zusammenbringen von »krummer Täuschung« und »Klugheit« ist weit weniger, als es den Anschein hat, eine Absonderlichkeit unseres Textes. Im Bild von der Schlange treffen »Krummheit«, »Täuschung«, »Klugheit« zusammen. Vgl. etwa Matthäus 10, 16, wo gleichzeitig die im Text vorliegende Gegenüberstellung angesprochen ist: » . . . seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.« Beissner, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, S. 52.
allem aber entzieht sich der Text im einzelnen dem direkten Zugriff, zu dem er sich, indem er so glatt zu lesen ist, anbietet. Er erinnert an ein Vexierbild, das in dem einen Bild, welches es darstellt, noch ein anderes versteckt. Die Zweideutigkeit wird nicht einfach gedeutet, sie ist auch Kennzeichen des Textes, der sie zu deuten unternimmt. Die Deutung selber ist nicht weniger das, als was sie ihren Gegenstand bezeichnet: Scherz und Rätsel - kein einfaches Rätsel immerhin und ein »Scherz des Weisen«.
IV. Indem die Deutung das Pindarfragment als »Scherz« bezeichnet, nimmt sie es als ein Ganzes auf und gibt ihm dadurch Geschlossenheit. Gleichzeitig scheint im Wort »Scherz« auch der besondere Charakter dieser so in sich abgeschlossenen Aussage durch. In ursprünglicher Bedeutung meint dieses die hüpfende, springende Bewegung.® Der »Weise« würde demnach auch scherzen im Sinne des Hinund Herschwankens zwischen »Recht« und »krummer Täuschung«. Daß es sich um einen »Scherz des Weisen«, also um ein Schwanken aus Weisheit handelt, ist in der Natur des aufgegebenen »Räthsels« begründet. Von diesem heißt es, es »sollte fast nicht gelöst werden«. Damit kann zweierlei gemeint sein, einmal daß das »Räthsel« fast nicht gelöst worden wäre (non potest), zum anderen, daß es fast nicht gelöst werden dürfte (non licet). Für die eine wie für die andere Aussage und ebenso für den Umstand, daß das Schwanken aus Weisheit geschieht, bietet der folgende Satz die Erklärung. Ihm zufolge stehen »Recht« und »Klugheit« in einem dialektischen Verhältnis. Wenn »Schwanken« mehr an den Zustand eines Subjekts denken läßt, dann »Streiten« mehr an die Dialektik, die zwischen »Recht« und »Klugheit« selber statthat. Sowohl die Schwierigkeit wie auch die Scheu, das »Räthsel« zu lösen, werden so verständlich. Eine Entscheidung, die sich auf die eine oder andere Seite schlüge, gibt es dann nämlich 6
Diese ursprüngliche Bedeutung ist in Hölderlins Verwendung des Wortes an verschiedenen Stellen spürbar. Vgl. etwa »Heimkunft«, Z. 3: »Dahin, dorthin toset und stürzt die sdierzende Bergluft...« (Werke, Bd. 2,1, S. 96). 91
nicht. Andererseits genügt nicht schon die Erkenntnis, daß eine Lösung von anderer Art sein müßte. Solche mögliche Lösung hätte das Rätsel nicht, der Dialektik sich entziehend, zu vereinfachen und dürfte es doch nicht in der Unentschiedenheit, in der Zweideutigkeit belassen. Das Rätsel zu lösen, d. h. »genau es zu sagen«, hat das Ich »zweideutig ein Gemüth«. Auch der aus dem Pindarfragment zitierte Satz ist, wie schon der Anfang der Deutung, auf zwei Arten zu lesen. Die Zweideutigkeit des Gemüts kann als die Bedingung der Möglichkeit einer genauen Aussage verstanden werden. Um es genau sagen zu können, um das Rätsel zu lösen, hätte das Ich dann »ein zweideutig Gemüth«. Für das andere Verständnis des Satzes kennzeichnet die Zweideutigkeit des Gemüts die Fragwürdigkeit einer genauen Aussage, einer Lösung des Rätsels. Das Ich befände sich im Zwiespalt, ob eine Lösung möglich und anzustreben sei, ob es Genaues sagen kann und soll. Entsprechend den beiden genannten Möglichkeiten eines Verständnisses wäre nun auch der folgende und abschließende Satz aufzufassen. »Dass ich dann zwischen Recht und Klugheit den Zusammenhang auffinde, der nicht ihnen selber, sondern einem dritten zugeschrieben werden muß, wodurch sie unendlich (genau) zusammenhängen, darum hab' ich ein zweideutig Gemüth.« Im ersten Fall wäre »dass« im Sinne von »damit«, »darum« im Sinne von »deswegen« zu verstehen, im zweiten Fall »dass« im Sinne von »ob«, »darum« im Sinne von »darüber«, »in dieser Sache«. Die eine wie die andere Version ist im gleichen Umstand begründet. Die Lösung des »Räthsels« liegt nicht beim »Recht« und nicht bei der »Klugheit« noch bei beiden zusammen, sondern bei einem »dritten«. Seine nähere Bestimmung als das, »wodurch sie unendlich (genau) zusammenhängen«, verrät dieses »dritte« als das in der Überschrift genannte »Unendliche«. Genaues Sagen, Lösen des Rätsels, Auffinden des Zusammenhangs sind vom Text her eines, wobei eben »genau zusammenhängen« hier nichts anderes heißen kann als »unendlich zusammenhängen«, wie das hinter »unendlich« in Klammern gesetzte »genau« zeigt. Im Unendlichen fallen »Recht« und »Klugheit« zusammen. Dies in den Blick zu bekommen und auszusprechen, scheint die Zweideutigkeit die notwendige Voraussetzung 92
und passende Aussageform. Das genaue Sagen ist nun ein »zuschreiben müssen«, welcher Umstand das »Unendliche« als ein Postulat erweist, das aus der Situation des Rätselratens hervorging. Wenn so einerseits das Rätsel und die damit zusammenhängende Zweideutigkeit auf das Unendliche verweisen, dann ist andererseits, d. h. nach dem zweiten Textverständnis, die Zweideutigkeit des Gemüts auch wieder eine Folge der Tatsache, daß sich das Ich auf das Unendliche verwiesen findet.
V. Ein Vexierbild haben wir Hölderlins Deutung vergleichsweise genannt. Wie bei jenem das eine Bild deutlicher ausfällt und das andere, versteckte, verwischtere Konturen aufweist, aber damit wiederum auf das erste abfärbt, so tritt auch in der Deutung der erstgenannte Gedankengang schärfer hervor. Er zeigt, wie in dem nur dialektisch zu lösenden Widerstreiten zwischen »Recht« und »Klugheit« die Zweideutigkeit des Gemüts die Auffindung des Unendlichen als ihres genauen Zusammenhangs erlaubt. Zu diesem Gedankengang setzt die andere mögliche Bedeutung der Sätze aber Fragezeichen, indem sie die Zweideutigkeit des Gemüts auf die dort gegebene Lösung bezieht. Diese wird damit in ein Zwielicht gerückt, in dem sie ihre Fraglosigkeit verliert. Im Grunde sind die beiden Bedeutungen, die gradlinige und die, welche sich eingeschlichen hat, schon im »fast nicht« des ersten Satzes angelegt. »Ein Scherz des Weisen, und das Räthsel sollte fast nicht gelöst werden.« Fast nicht, also doch, aber eben fast nicht. Das ließe sich ad infinitum fortsetzen, also ins Unendliche, und das »fast nicht« bezeichnete dann einen Grenzwert. Einer Lösung, die im Unendlichen liegt, käme man in dem Maße näher, als dem »also doch« ein »fast nicht« entgegengehalten wird. Anders gesagt: Man schriebe umso mehr auf das »Unendliche« zu, je weniger das »Zuschreiben« fraglos geschähe. Das ist im vorliegenden Text insofern verwirklicht, als seine vexierbildhafte Bedeutung das Ineinandergesetzte in Form der Infragestellung auseinandersetzt. Werfen wir von der Deutung einen Blick zurück auf das Pindarfragment, dann finden wir dort das Problem in mehr bildhafter Dar93
Stellung wieder. Vom Ersteigen einer Mauer ist die Rede. Während die des »Rechtes« eine hohe genannt wird und der Weg aus der Gegenüberstellung als ein gerader zu denken ist, hat man sich bei jener »krummer Täuschung« den Weg als spiralförmig an Höhe gewinnend vorzustellen, welche Vorstellung nicht allein aus dem Gegensatz zum »Recht«, sondern aus einem räumlichen Verstehen von »umschreiben« und »hinausleben« 7 sich ergibt. Im Falle von »Recht« wie von »krummer Täuschung« ist die Bewegung eine über die Mauer als Grenze hinaus oder jedenfalls eine auf deren höchsten Punkt zu, auf dem der Blick über die Grenze hinaussieht. Dabei wird hier wie in der Deutung diese Bewegung durch die Zweideutigkeit zurückgehalten.
VI. Was schon die Interpretation anderer »Pindarfragmente« erbracht hat, gilt auch für »Das Unendliche«. Der Weg vom Fragment Pindars zu dessen Deutung führt vom Anschaulichen ins Begriffliche, und es ist ihr gleichzeitig eine Reflexion auf das Deuten zu entnehmen. Dieses erscheint als Lösen eines Rätsels, wobei die Lösung überrascht. Der Bedeutung des zweideutigen Gemüts nachgehend, endet sie selber in der Zweideutigkeit. Ist man auf einen ersten Blick geneigt, im Pindarfragment die Feststellung ( » . . . d a r ü b e r / H a b ich zweideutig ein / Gemüth ...«), in der Deutung den Grund ( » . . . darum hab' ich ein zweideutig Gemüth.«) der Zweideutigkeit des Gemüts zu sehen, so zeigt ein weiteres Bedenken, daß auch das »darum« im Sinne von »darüber« verstanden werden, also der Feststellung dienen kann. In der Deutung wird dadurch die Zweideutigkeit gleichzeitig festgehalten und begründet. Soll man sagen, daß ihr die Feststellung auch immer schon Grund ist, im Sinne der von Szondi in anderem Zusammenhang behaupteten »Affirmation des Unterschiedenen, das sich zum Ganzen nicht mehr fügen muß«? 8
7
8
94
Zunächst wohl als Übersetzung von διαβιόω im Sinne von »sein Leben hinbringen, zuende leben« zu verstehen (nach einer gebräuchlichen Bedeutung von »hinaus« in Komposita). Szondi, Hölderlin-Studien, S. 163.
In einem zur Zeit der Arbeit am »Empedokles« niedergeschriebenen Fragment schreibt Hölderlin: »Die Weisen aber, die nur mit dem Geiste, nur allgemein unterscheiden, eilen schnell wieder ins reine Seyn zurük, und fallen in eine um so grössere Indifferenz, weil sie hinlänglich unterschieden zu haben glauben, und die Nichtentgegensezung, auf die sie zurükgekommen sind, für eine ewige nehmen. Sie haben ihre Natur mit dem untersten Grade der Wirklichkeit, mit dem Schatten der Wirklichkeit, der idealen Entgegensezung und Unterscheidung getäuscht, und sie rächt sich dadurch«.0 Reales und fortgesetztes Unterscheiden müßte danach auch das Deuten sein, und dürfte es das »Räthsel« vielleicht deshalb »fast nicht« lösen, weil es dann allzu schnell ins Unendliche zurückeilen würde? Und wäre dies möglicherweise auch deshalb problematisch, weil auf diese Weise die Grenze und Schutz bildenden Mauern des »Rechtes« einerseits und der »krummen Täuschung« andererseits wegfallen würden? Der »Weise« des Pindarfragments kommt über die Zweideutigkeit nicht hinaus, und die Deutung hütet sich, zwischen »Recht« und »Klugheit« voreilig zu vermitteln. Das »Unendliche« ist damit weiter weg gerückt, verliert aber deswegen nicht an Wirklichkeit, sondern wird so überhaupt erst glaubhaft: fast nicht, aber doch.
9
Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, frankfurter Ausgaben Bd. 14, Entwürfe zur Poetik, hg. Wolfram Groddeck u. D. E. Sattler, S. 74. 95
D I E ASYLE
Zuerst haben Die wohlrathende Themis Die Himmlischen, auf goldenen Rossen, neben Des Ozeans Salz, Die Zeiten zu der Leiter, Zur heiligen geführt des Olympos, zu Der glänzenden Rükkehr, Des Retters alte Tochter, Des Zevs zu seyn, Sie aber hat Die goldgehefteten, die gute, Die glänzendbefruchteten Ruhestätten geboren. Wie der Mensch sich sezt, ein Sohn der Themis, wenn, aus dem Sinne für Vollkommenes, sein Geist, auf Erden und im Himmel, keine Ruhe fand, bis sich im Schiksaal begegnend, an den Spuren der alten Zucht, der Gott und der Mensch sich wiedererkennt, und in Erinnerung ursprünglicher Noth froh ist da, wo er sich halten kann. Themis, die ordnungsliebende, hat die Asyle des Menschen, die stillen Ruhestätten geboren, denen nichts Fremdes ankann, weil an ihnen das Wirken und das Leben der Natur sich konzentrirte, und ein Ahnendes um sie, wie erinnernd, dasselbige erfähret, das sie vormals erfuhren.
97
I. Wer immer den Nachweis erbringen will, daß Hölderlin in seiner Ubersetzung und Kommentierung der neun Pindarfragmente diese nur als Vorwand nehme, um daran, ohne um das Original sich eben viel zu kümmern, seine eigenen Gedankengänge aufzureihen, der wird sich gerne an »Die Asyle« halten. Dies auch dann, wenn er Hölderlins Vorgehen keine Absichtlichkeit unterstellt, sondern Voreingenommenheit und unzulängliche Kenntnis des Griechischen als Ursache für das mangelhafte Verständnis des Pindartextes annimmt. In der Tat ist schon die Übersetzung eigenwillig und teilweise fehlerhaft, vor allem aber stützt sich der Zusammenhang zwischen Fragment und Kommentar auf die Ruhestätten, die Asyle ab, die als solche bei Pindar überhaupt nicht vorkommen. Die bisher betrachteten und analysierten Texte haben sich zwar als durchwegs stringent erwiesen, was uns aber nicht hindern soll, den Ungereimtheiten hier genaue Beachtung zu schenken. Gerade auch von den anderen Texten her ist zu erwarten, daß die Verdeutlichung solcher Ungereimtheiten eine gute Voraussetzung dafür ist, eine mögliche hermetische Präzision des Textes zu erkennen. In einem ersten Schritt ist auf Hölderlins Übersetzung einzugehen.
II. Das Pindarfragment 30 hat folgenden Wortlaut: 1 πρώτον μέν εΰβουλον Θέμιν ούρανίαν χρυσέαισιν ΐπποις Ωκεανοί) παρά παγάν Μοΐραι ποτί κλίμακα σεμνάν δγον Ούλύμπου λιπαράν καΦ' όδόν σωτήρος άρχαιαν αλοχον Διός εμμενά δέ ΐάς χρυσάμπυκας άγλαοκάρπους τίκτεν άλαθέας "Ωρας. 1
98
Dieser Wortlaut in der Ausgabe von Snell entspricht nicht vollständig dem, den Hölderlin bei Stephanus vorfand. Zwei Abweichungen, welche die Ubersetzung beeinflußt haben, sind festzustellen: Snell: καθ'όδόν, Stephanus: κάθοδον; Snell: άλαθέας "Ωρας .Stephanus: άγαΜ σωτήρας (seiner lateinischen Übersetzung hat Stephanus dann auch die Lesart αγαθά ς ώρας beigefügt).
In Dornseiffs deutscher Übersetzung:2 Zuerst haben die wohlratende Themis, die himmlische, auf goldenem Gespann von des Okeanos Quellen die Moiren den heiligen Steig des Olympos hinan geführt auf weisslich schimmernder Strasse, des Erhalters Zeus urerste Gemahlin zu sein. Und sie gebar die goldgekrönten mit den schimmernden Früchten, die untrüglichen Hören. Aus dem Vergleich lassen sich leicht die problematischen Stellen in Hölderlins Übersetzung ablesen: Zeile 3: »Die Himmlischen« stehen bei Hölderlin im Plural und werden fälschlicherweise statt auf die Themis auf die Zeiten bezogen. Zeile 4: Nicht Ozeans Quelle, sondern »Ozeans Salz«, ein Ausdruck, der die gebräuchliche pars pro toto für Meer aufgreift. Zeile 5: eigenwillige Wiedergabe der Moiren durch »Zeiten«. Zeile 7: Statt auf der Straße heißt es »Rükkehr«, eine Übersetzung, die vom griechischen Text der Stephanus-Ausgabe herrührt. Zeile 8: Wo Dornseiff korrekt mit »urerste Gemahlin« übersetzt, liest man bei Hölderlin »alte Tochter«. Zeile 11 und 12: Aufgrund seiner Vorlage steht in Hölderlins Wiedergabe »die gute«, Epitheton der Themis, und die »Ruhestätten« als Übersetzung von σωτήρας oder ωρας, während in der neueren Ausgabe die Themis die άλαθέας "Ωρας, die untrüglichen Hören, zur Welt bringt. Die aufgezählten Abweichungen sind nicht alle gleich zu beurteilen. Die Epitheta »Himmlischen« und »gute« werden zwar in einen falschen Bezug gebracht, aber ohne Sinnentstellung für den Zusammenhang. Das »Salz« ist allenfalls eine prägnante Nuancierung, aber keine Verfälschung des Pindar-Wortes. Was die Wiedergabe des Namens der Schicksalsgöttinnen (gr. Μοϊραι, lat. Parcae) mit dem abstrakten Begriff »Zeiten« angeht, handelt es sich nicht um ein Übersetzungsproblem im engeren Sinn, eher schon um ein Problem der Deutung, das am Beispiel eines ein2
Pindars Dichtungen, Übertragen und erläutert von Franz Dornseiff, Insel-Verlag 1965, S. 203. 99
zelnen Wortes nicht zu Ende gedacht werden kann. 3 An dieser Stelle genügt der Hinweis, daß der Begriff »Zeiten« jedenfalls keine willkürliche Wiedergabe der Moiren darstellt, insofern nämlich, als diese dem Menschen seinen Lebensfaden spinnen, in den Momenten von Geburt und Tod, die in extremis seine Zeitlichkeit markieren, zugegen sind, zudem, in der Dreizahl auftretend, öfter Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugeordnet werden. Verfolgt man die Etymologie von Μοίρα und »Zeit« stellt man außerdem fest, daß beide Wörter ursprünglich »Teil« bedeuten. 4 Es bleiben die drei problematischsten Stellen der Übersetzung offen, problematisch, weil sie den Sinnzusammenhang des Pindarfragmentes betreffen. Sie können deshalb nur von ihm her besprochen werden, und das heißt: aus dem Zusammenhang des Mythos, den Pindar darin vorträgt. Ein Exkurs in die Mythologie soll Antwort geben auf die Fragen: Kann von »Rükkehr« der Themis in den Olymp die Rede sein? Was ändert der Umstand, daß Themis bei Pindar als Gattin, bei Hölderlin als Tochter des Zeus erscheint? und drittens: Gibt es eine Verbindung zwischen σωτήρας bzw. "Ωρας und Ruhestätten? Der von Pindar dargestellte Vorgang ist nur durch sehr vereinzelte antike Zeugnisse belegt. Vorbild für diese ist Hesiods Theogonie, wo Themis, ein Kind des Uranos und der Gaia, von Zeus zur Gemahlin gewählt wird. Nachdem dieser im Kampf gegen die Titanen gesiegt und darauf die Götterherrschaft angetreten hat, schickt er sich an, Vorrechte und Ehren zu verteilen, und macht Metis zu seiner ersten Genossin. Dann fährt Hesiod fort: »Zum zweiten führte er heim Die gedeihliche Themis (die Satzung), Die die Hören gebar, Eunomia (die gute Ordnung) Und Dike (das Recht) Und die blühende Eirene (den Frieden), 3 4
Vgl. die »Anmerkungen zur Antigonä«, Bd. 5, S. 267f., wo Hölderlin diese Art der Übersetzung an Stellen aus dem Sophokles begründet. Μοίρα kommt von μόρος, das Geschick, Los bedeutet und zu μέρος (Teil) gehört. Die Μοίρα ist eben das, was einem zugeteilt wird. »Zeit« gehört zur idg. Wurzel da[i]-»teilen«, »zerschneiden«.
100
Und diese hegen der hinfälligen Sterblichen Wirken. Und gebar die Moiren (die Zuteilerinnen), Denen höchste Ehre gab der sinnende Zeus: Klotho und Lachesis und Atropos, Und diese geben den sterblichen Menschen, Zu eigen zu haben Gutes wie Schlimmes.«6 Die pindarische Version weicht darin von dieser Stelle ab, daß sie zusätzlich die Begleitumstände von Themis' Gang in den Olymp schildert, vor allem aber, daß sie Themis an die erste Stelle von Zeus' Gattinnen setzt. Übereinstimmend erscheinen die Hören als Kinder von Zeus und Themis. Was ergibt sich daraus für unsere Fragen? Das Wort »Rükkehr« erscheint insofern passend, als Themis göttlicher Herkunft ist und jetzt, nach Zeus' Sieg über die Titanen, zu denen sie gehört, von der Erde, genauer von ihres Bruders, des Okeanos Quelle, wieder in himmlische Gefilde hinaufgelangt. Dorthin kommt sie nun aber deutlich als Gattin, nicht als Tochter. Allerdings wird die Themis in Hölderlins Ubersetzung als »alte Tochter« bezeichnet, was, wollte man die Wendung als einen etwas kruden Scherz auffassen, ihre Funktion als Gattin nicht auszuschließen brauchte. Immer noch ein Scherz, aber fast schon ein mythologischer Scherz des Weisen wäre es, wenn man Zeus als den neuen Göttervater begreift, der als Retter, als Erhalter das Erbe des alten Uranos antritt und dessen Tochter Themis nun als Tochter der alten Göttergeneration zu sich kommen läßt.^ 5
Hesiod, Sämtliche Gedichte, Übersetzt und erläutert von Walter Marg, Zürich/ Stuttgart 1970, Theogonie 901ff. " Das mag spitzfindig, wenn nicht gar ungenau erscheinen, aber eine bestimmte Art von Genauigkeit geht der Mythologie ohnehin ab. Wie könnte sonst Pindar selber die Moiren als Führerinnen der Themis in den Olymp auftreten lassen, wo diese doch, wie wir von Hesiod erfahren, eben erst dem oympischen Bund von Zeus und Themis entspringen? Betrachten wir die Stelle so, erscheint übrigens Hölderlins Übersetzung der Moiren als Zeiten besonders zutreffend, weil die Moiren dadurch als alte, den Olympiern übergeordnete göttliche Macht erscheinen, wie sie etwa Aischylos, Prometheus 511ff., darstellt. (Vgl. dazu auch Goethes Prometheus, der zu Zeus höhnt: »Hat nicht mich zum Manne geschmiedet / Die allmächtige Zeit/Und das ewige Schicksal, / Meine Herrn und deine?«). 101
Im übrigen geht in dem von Hölderlin übersetzten Text, auch wenn Themis nicht als Gattin bezeichnet wird, der Zusammenhang zwischen ihrer Erhebung in den Olymp und der Geburt der Ruhestätten nicht verloren. Auf die Übersetzung σωτήρας bzw. "Ωρας ist schließlich noch einzugehen. Σωτήρ ist, nach dem Lexikon der Alten Welt, der »Beiname für Götter, die in höchster Not spürbar helfen oder das Bestehende erhalten«. Als Retterinnen, Erhalterinnen können die Ruhestätten, wie sie im vorliegenden Kontext verstanden werden, durchaus gelten. Sie gehören aber auch in den Wirkungsbereich der Hören, deren verschiedene Funktionen die RE zu einer Art Entwicklungsreihe zusammenstellt: »göttliche Dienerinnen, die das Kommen und Gehen der Wolken regeln, dann wie das Wetter, so auch die in vielen Sprachen damit zusammenfallende Zeit in ihrem Lauf ordnen, dadurch mit dem Jahr auch die Jahreszeiten, vor allem den Segen bringenden Frühling beherrschen, um schliesslich bei den Göttern zu Pflegerinnen von Helden zu werden, bei den Menschen zu Vertreterinnen der wechselnden Anordnungen, die das Leben einteilen und die Gesellschaft zusammenhalten.«7 Der Schluß dieses Zitats knüpft an die zitierte Hesiodstelle an, wo die Hören im einzelnen als Eunomia, Dike und Eirene erwähnt sind. So wenig die Asyle als Kinder der Themis oder überhaupt als göttliche Wesenheiten in der antiken Mythologie vorkommen, so sehr scheint ihre Funktion doch durch verwandte Sinngehalte abgedeckt, und Hölderlins zentraler Begriff darf nicht als willkürliche Setzung mißverstanden werden. Abschließend sei zu dieser ausführlichen Diskussion von Hölderlins Ubersetzung festgestellt, daß es weniger darum geht, die Übersetzung als »richtig« zu retten, als vielmehr darum zu zeigen, daß eine Mythologie, die zuvor in einzelne Ereignisse und Gestalten aufgelöst worden ist, einen denkbar schlechten Gradmesser für die Qualität einer Übersetzung abgibt. Mit Mythologie läßt sich alles oder doch vieles und nichts beweisen.8 Wer beispielsweise allein 7 8
Realenzyklopädie der classischen Altertumswissensdiaft, hg. Pauly/ Wissowa, Stuttgart 1899ff., Spalte 2302, Z. 53ff. Das sei zu Interpretationen von Dichtungen Hölderlins gesagt, welche seine Texte dermaßen mit mythologischem Ballast beladen, daß sich die Eselsleiter unter der Hand in eine Beweiskette verkehrt.
102
schon der Wortübersetzung »Ruhestätten« Willkür und Voreingenommenheit entnimmt, geht selber willkürlich und voreingenommen vor. Ob diese Übersetzung auf Pindar eingeht oder nicht, ist erst am Ende, nicht schon am Beginn der Interpretation zu entscheiden. 9
III. Die Ubersetzung und der Text, der sich anschließt, sind beide zweigeteilt. In der Übersetzung schildert der mit »zuerst« eingeleitete Teil das Geschick der Themis, der mit »Sie aber« eingeleitete ihre Reaktion darauf. Auf diesen zweiten Teil geht der zweite Abschnitt Hölderlins näher ein, der erste, wie gleich dargestellt werden soll, auf das Geschick der Themis. Zunächst führt der erste Abschnitt das Pindarfragment weiter, indem er mit einem »wie« das Sich-Setzen vergleicht mit der Geburt der Ruhestätten als Ausdruck für das Zur-Ruhe-gekommen-Sein der Themis. »Wie der Mensch sich sezt . . . und . . . froh ist da, wo er sich halten kann«, das ist der Rahmen, in dem sich dieser erste Abschnitt hält. Innerhalb des Rahmens werden die Bedingungen genannt, unter denen dieser Rahmen seine Gültigkeit hat. Die Bezeichnung des Menschen als »ein Sohn der Themis« bezieht sich auf den vorangehenden wie auf den nachfolgenden Satzteil, also sowohl auf den Rahmen als auch auf die Rahmenbedingungen. Was den Vergleich des Menschen mit der Themis angeht, heißt das, daß sich dieser Vergleich ebenso auf ihre Reaktion, auf die Folgen bezieht wie auf das, was diesen vorangeht, zugrundeliegt. Darin, daß er sich setzt, kann der Mensch geradezu ein etymologischer Sohn der Themis heißen. Θέμις hat mit θέμι-στα, die Feststehende, und mit τίϋημι, setzen, zu tun. Sie ist die Setzerin, die Satzungen setzt.10 0
10
Meine Überlegungen gehen davon aus, daß alle Übersetzung immer audi schon Deutung ist und daß im vorliegenden Fall gewiß nicht mit dem Maßstab von Schulbuchübersetzungen gemessen werden darf. Zur Etymologie von θέμις vgl. Victor Ehrenberg, Die Rechtsidee im frühen Griechentum, Darmstadt 1966. (Nachdruck der 1921 in Leipzig herausgekommenen Ausgabe), S. 41ff. 103
Ein Sohn der Themis kann er aber auch insofern heißen, als sein Geschick dem der Themis gleicht. Der mit »wenn« einsetzende Teil des ersten Abschnitts folgt den Zeilen 1 - 9 des Pindarfragments, nun aber in der Analogie des Menschen. Der Geist findet auf Erden und im Himmel keine Ruhe, weil er - so die Begründung bei Hölderlin einen Hang zum Vollkommenen in sich hat. Erst die Begegnung von Mensch und Gott in Zeit und Raum schafft die Voraussetzung für die Ruhe. Zeit und Raum, das sind im Text im einen Fall die Moiren als »Zeiten« bzw. als »Schiksaal«, die diese Begegnung herbeiführen, im andern Fall die »Leiter« von der Erde zum Olymp bzw. die »Spuren der alten Zucht«, 11 wobei »Spur« in der ursprünglichen Bedeutung als »Tritt«, »Fussabdruck« mit dem räumlichen Gehalt von »Leiter« verbunden ist, welche beide so die räumliche Verbindung zwischen Himmel und Erde bilden. In der übertragenen Bedeutung (»hinterlassenes Zeichen«) und in der Kombination mit »alter Zucht« stellen die Spuren aber auch Zeichen schon erfolgter Begegnung von Gott und Mensch dar. Als Folge früheren Spürens bleiben sie auch später spürbar. Auch der Begriff »Zucht« ist nicht auf bloß eine Bedeutung fixierbar, sondern evoziert ein ganzes Feld von Bedeutungen, das sich mit »Nachkommenschaft«, »Erziehung«, »Strafe«, »Sittsamkeit«, »Strenge« abstecken läßt. Daß der Bezug auf Themis und die Asyle naheliegt, hängt nur am Rande damit zusammen, daß beide, »Zucht« und »Tochter«, das Adjektiv »alt« bei sich haben. Themis ist als Kind von Himmel und Erde, als Inbegriff der (herkömmlichen) Ordnung der Dinge, zudem in ihrer verwandtschaftlichen Mittelstellung zwischen Göttervater und Mensch Kristallisationspunkt, an dem »Gott und der Mensch sich wiedererkennt«, wie denn auch ihre Kinder, die Ruhestätten, ein solcher Kristallisationspunkt sind. Wer erkennt nun aber in dieser Begegnung wen wieder? einer den andern oder jeder sich selber? Es ist kaum zu entscheiden, wenngleich die zweite Version dadurch etwas mehr Gewicht erhält, daß das Verb 11
Der Ausdruck begegnet auch in den Versen 141-144 des Entwurfs »Kolomb«. In der Handschrift steht neben diesen Versen unter der Überschrift »Ursprung der Loyot6« der griechische Text von Pindar, Olymp. 13, 6-11, wo Eunomia, Dike und Eirene als die goldenen Töchter der wohlratenden Themis erwähnt werden.
104
im Singular steht. Wenn so einer am andern sich selber erkennte, wäre die Erkenntnis seiner selbst der Inhalt dieser Begegnung, und das bedeutete für den Menschen die Erkenntnis, eben ein Mensch, »nur« ein Mensch zu sein. An diesem Punkt angelangt, ist der Mensch froh, eine Ruhestätte zu finden. Froh ist er, wie es heißt, »in Erinnerung ursprünglicher Noth«. »Ursprünglich«, das läßt einmal an seine eigene frühere Not denken, dann aber an die Not, welche die »Spuren der alten Zucht« in Erinnerung rufen, wobei in diesem Zusammenhang das Moment der Züchtigung im Wort »Zucht« besonders vernehmlich wird. In der Erinnerung (er-innert) ist schließlich auch die Not des Ur-sprungs" gegenwärtig, mithin die Entzweiung von Gott und Mensch, die alle spätere Entzweiung präfiguriert, was ein Frohsein über das SichHalten-Können bewirkt. Überblickt man den ganzen Abschnitt von Hölderlins Deutung noch einmal, dann fällt auf, daß ihre Gedankenabfolge auch in der Rhythmik des Satzgefüges zum Ausdruck kommt. Der Satz dehnt sich unaufhaltsam aus, bis er an der gespreizten Wortstellung »froh ist dm innehält und in der ganzen hervorgehobenen Stelle zur Ruhe kommt. IV. Wir hatten festgestellt, daß der erste Abschnitt von Hölderlins Deutung den ersten Teil des Pindarfragments aufnimmt, der zweite den zweiten. Das ist zu differenzieren. Schon der Teil, den wir als Rahmen des ersten Abschnitts bezeichnet haben, sprengt diese Textanordnung. Daß Pindarfragment und Hölderlintext in ihrer jeweiligen Zweiteiligkeit nicht nur als parallel stehende Teile aufzufassen sind, sondern vielmehr auch die Textabfolge zu beachten ist, das ergibt sich aus dem zuvor besprochenen Abschnitt. Die dort vorgebrachte Deutung des Themis-Mythos auf den Menschen wird im letzten Abschnitt nun wiederum auf Themis zurückgeführt. Er nimmt die Zeilen 9-12 des Pindarfragments, die Geburt der Themis, auf, doch jetzt von einer um die Erkenntnis des ersten Abschnitts erhöh12
»Spur« und »Sprung« haben eine gemeinsame etymologische Wurzel. Vgl. Duden, Herkunftswörterbudi. 105
ten Warte aus. Kurz: im Schlußabschnitt - und weil er von ihnen handelt, darf man verdeutlichend sagen: in den Asylen - ist alles Vorangehende aufgehoben. Was die Asyle sind, werden wir im Blick auf den Text nun zu fragen haben. Zuerst noch eine Bemerkung zu ihrer Mutter. In das eine Wort »ordnungsliebend« wird gefaßt, was Voraussetzung und Motivation und dann wohl auch Erbteil ihres Gebärens ist. Den vorliegenden Begriff der Ordnung klarzustellen, ist freilich schwierig, man müßte ihn aus allen möglichen verfehlten Assoziationen befreien. Hier genüge der Hinweis, daß »Ordnung« mit »liebend« ein Kompositum bildet und daß man sich deshalb eine Ordnung vorzustellen hat, auf die sich das Lieben nicht nur bezieht, sondern die sich dem Lieben auch verdankt. Die »Asyle des Menschen« sind, wie die Hervorhebung verdeutlicht, der Ort, »wo er sich halten kann«.. Dabei ist an das weite Bedeutungsspektrum des Verbs »sich halten« zu denken, von »sich aufhalten«, »sich festhalten« bis zu »sich erhalten«. Weiter werden die Asyle »die stillen Ruhestätten« genannt, »denen nichts Fremdes ankann«. Diesen Formulierungen ist das Prinzip der Negation, die privative Begriffsbildung gemeinsam. Asyl kommt vom griechischen δούλος, das »unverletzt«, »unberaubt«, »unangefochten« bedeutet, als substantiviertes Neutrum dann auch mit »Freistätte« übersetzt wird. Auch die »Ruhestätten«, zudem durch »stillen« verstärkt, bezeichnen in erster Linie ein Freisein von etwas (etwa Arbeit, Lärm, Betrieb), ebenso der attributive Ausdruck »denen nichts Fremdes ankann«. Indem nun die Asyle per negationem dargestellt sind, werden sie dem Wortsinn nach zu einem utopischen Ort. Davon wird später noch die Rede sein. Der Text begründet, warum die Ruhestätten gegen alles Fremde gefeit sind: »weil an ihnen das Wirken und das Leben der Natur sich konzentrirte, und ein Ahnendes um sie, wie erinnernd, dasselbige erfähret, das sie vormals erfuhren«. Die erste Begründung greift die »goldgehefteten« und »glänzendbefruchteten« Ruhestätten der Übersetzung auf. Zwischen und in diesen beiden Attributen besteht sowohl eine Affinität wie auch eine Gegensätzlichkeit: man weiß nicht, welches Moment stärker wiegt. 106
Dasselbe gilt für »Natur« und »konzentrirte«, ebenso übrigens für »ordnungsliebend«, das Beiwort der Themis. Unter einem einzigen gemeinsamen Begriff sind diese Wortpaare sinnvollerweise nicht zu fassen, was daran liegt, daß Hölderlins Text gegenüber dem Pindarfragment eine weitgehende Abstraktion darstellt. Wichtiger ist deshalb, die Verbindung zwischen Anschauung und Abstraktion deutlich zu machen, also zwischen »goldgeheftet« und »glänzendbefruchtet« einerseits und »Natur« und »konzentrirte« andererseits. Gold und Frucht gehören der Natur an, sind aber nicht beliebige Erscheinungen der Natur, sondern ein »Konzentrat« davon, jenes als edelstes der Metalle, als Inbegriff des Unvermischten, Reinen, diese, weil sie zugleich Ursprung und Ziel der Natur enthält, da das Wort nicht nur das Resultat eines biologischen Reifeprozesses bezeichnet, sondern auch den Keim, woraus dieser seinen Ausgang nimmt. Während »goldgeheftet« die Vorstellung einer Umgrenzung dessen hervorruft, was sich hier in den Asylen als um einen Mittelpunkt versammelt (eben: konzentriert), weist »glänzendbefruchtet« 13 auf Adel und Unerschöpflichkeit solch besonderer Fruchtbarkeit hin, die Möglichkeit zumal, sich aus sich selbst zu erhalten. Schließlich ist aber auch die abstrakte, heute geläufigste Verwendungsweise von »sich konzentriren« zu erwägen: Wenn das Wirken und Leben der Natur in den Asylen sich in dem Sinne sammelt, daß es sich ganz auf sich selbst bezieht, dann leuchtet ein, warum nichts Fremdes in die Asyle gelangt. Geschützt sind die Asyle aber auch dadurch, daß um sie herum ein »Ahnendes« ist, das alles, was auf sie zukommt, nur durch die erinnerte Erfahrung der Asyle in diese hineinführt. Diese Vorstellung stellt sich ein, wenn man »um« als Präposition des Ortes auffaßt. Liest man es im Sinne eines lateinischen Genitivus objektivus, dann erfährt die Vorstellung eine Nuancierung, indem sie sich nun ausschließlich auf die Zeit bezieht und alle räumliche Vorstellung wegläßt.14 13
14
Das gr. Wort δϊος, das mit dem Wort Ζεύς (Gen. Διός) verwandt ist, bedeutet »leuchtend«, »glänzend«, aber auch »von Zeus abstammend«. Danach hat »glänzendbefruchtet« mit Zeus' Vaterschaft zu tun. In beiden Fällen beziehe idi die beiden »sie« auf die Asyle. Gibt es eine andere sinnvolle Möglichkeit? 107
Was schon die Parallele zwischen Themis und dem Menschen zeigte, daß sie nämlich in verschiedener Zeit dasselbe erfahren {wobei die schon gemachte Erfahrung in der Erinnerung gegenwärtig bleibt), das wird hier um die Dimension der Zukunft erweitert: ein »Ahnendes«! In diesem unbestimmten, aber, wo es um die Zukunft geht, doch wieder sehr präzisen Wort, ist die zukünftige Erfahrung der Asyle eingefangen. Das Ahnende, eine als eigenständige Wesenheit aufgefaßte, auch die Zukunft einschließende Bewußtseinsform des Menschen, begründet, indem es das Geschick der Asyle teilt, die Asylbildung stets neu. Es schließt insofern Fremdes aus, als nicht nur die erinnerte vergangene, sondern auch die geahnte zukünftige Not mitsamt ihrer Behebung in der Gegenwart der Asyle aufgehoben ist. Dies alles hieße nun, daß der Mensch, der auf Erden und im Himmel keine Ruhe fand bis zu seiner Begegnung mit Gott in Raum und Zeit, deshalb in den Asylen sich halten kann, weil Raum und Zeit so in die Asyle eingegangen sind, daß sie ihr trennendes Neben- und Nacheinander verloren haben; sie sind darin aufgehoben. Noch einmal sei dieses Wort verwendet, weil es im Zusammenhang der »Asyle« in seiner konkreten und abstrakten Bedeutung Gültigkeit hat, zugespitzt gesagt: »Die Asyle« vermitteln das konkrete und abstrakte Aufgehobensein.
V. Am Ende ist nun noch einmal kurz die Frage der Übersetzung aufzugreifen, und zwar in bezug auf die beiden Stellen, die als Anstoß stehengeblieben sind. Nach allem, was über die Bedeutung der Zeit, über die Aufhebung des Nacheinanders gesagt wurde, erscheint die Ubersetzung »alte Tochter« als eine Deutung, die den eben genannten Umstand geradezu spielend verdeutlicht. Eine Deutung ist gewiß auch die Übersetzung von σωτήρας bzw. "Ωρας mit Ruhestätten, eine Deutung, die in sich von großer Präzision ist und in der ich im nachhinein keinen Widerspruch zum griechischen Text feststellen kann. Was die Frage des Zusammenhangs zwischen Pindar- und Hölderlintext im Sinne der Reflexion auf den Deutungsvorgang angeht, scheut sich der Verfasser, den Leser mit einem ihm fast schon zur 108
Lesegewohnheit gewordenen Gedankengang aufzuhalten. 15 Es bleibe deshalb dem Leser überlassen, den Text auch daraufhin zu lesen, das hieße etwa, die Parallele zwischen Themis und Mensch auf Pindar und Hölderlin zu übertragen oder das Pindarfragment als »Spuren der alten Zucht« wahrzunehmen oder zu bedenken, wieweit einer froh ist um einen Text, an den/dem er sich halten kann . . .1β Diese Andeutungen verweisen auf eine Besonderheit der Selbstreflexion dieses Textes, zu der noch eine Bemerkung angefügt sei. Verschiedentlich hat sich die Etymologie für die Deutung als wichtig herausgestellt.17 So stützt sich in Hölderlins Deutung die zentrale Verbindung zwischen Themis und dem Sich-Setzen des Menschen auch auf die Etymologie ab. Für die Wörter, überhaupt für die Sprache, wenn man sie etymologisch betrachtet, gilt, was für die Asyle festgestellt wurde, daß darin nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die vergangenen Bedeutungen als Spuren der alten Wortbildung aufgehoben und die künftigen angelegt sind. Die Sprache, der Text würde damit zum Asyl, wo die sonst utopischen Asyle, die, wie wir gesehen haben, nur in der sprachlichen Negation zum Ausdruck kommen, ihren Ort haben. Diese Feststellung zur Etymologie läßt sich mit einer etymologischen Weiterführung am Text verbinden. Wenn in Hölderlins Text »der Mensch sich sezt«, dann ist damit auch der Vorgang der Deutung bezeichnet, in dem der Mensch an die Stelle der Themis gesetzt 15
16
17
Erstaunlich bleibt immerhin, daß dieser Gedankengang, der noch in der Interpretation des ersten Textes, »Untreue der Weisheit«, als gewagt erscheinen mochte, mit zunehmender Lektüre den Blick so schärft, daß die Selbstreflexion der Deutung fast selbstverständlich mitgelesen werden kann. Vgl. audi den Gedankengang in der Ode »Mein Eigentum«, vor allem die Zeilen: »Und dass mir audi zu retten mein sterblich Herz, / Wie andern eine bleibende Stätte sei, / Und heimathlos die Seele mir nicht / Ueber das Leben hinweg sich sehne, // Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du / Beglükender! mit sorgender Liebe mir / Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd / Unter den Blüthen, den immerjungen, // In sichrer Einfalt wohne, wenn draussen mir / Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit / Die Wandelbare fern rauscht und die / Stillere Sonne mein Wirken fördert.« Werke, Bd. 1, 1, S. 307. Zur Bedeutung der Etymologie in Hölderlins Werk im allgemeinen vgl. Zuberbühler, Rolf, Etymologie bei Goethe und Hölderlin (in: Hölderlin ohne Mythos, hg. Ingrid Riedel, Göttingen 1973, S. 34ff.). 109
wird. Sich an die Stelle der Themis setzen kann der Mensch, indem er selber zum Setzer wird. Sein Setzen ist das Setzen von Sätzen. Sich an schon Gesetztes, schriftlich Fixiertes, haltend, setzt der Autor das Gesetzte fort und findet damit nicht nur für sich selber Halt, sondern schafft für seine Leser »Die Asyle«. Es liegt nahe, an den Schluß die Etymologie des Begriffs »Etymologie« zu setzen. Ein ετυμος λόγος ist, wie im griechischen Wörterbuch festgehalten, ein echtes, wahres, leibhaftiges, wirkliches Wort.
110
D A S BELEBENDE
Die männerbezwingende, nachdem Gelernet die Centauren Die Gewalt Des honigsüssen Weines, plözlich trieben Die weisse Milch mit Händen, den Tisch sie fort, von selbst, Und aus den silbernen Hörnern trinkend Bethörten sie sich. Der Begriff von den Centauren ist wohl der vom Geiste eines Stromes, so fern der Bahn und Gränze macht, mit Gewalt, auf der ursprünglich pfadlosen aufwärtswachsenden Erde. Sein Bild ist deswegen an Stellen der Natur, wo das Gestade reich an Felsen und Grotten ist, besonders an Orten, wo ursprünglich der Strom die Kette der Gebirge verlassen und ihre Richtung queer durchreissen musste. Centauren sind deswegen auch ursprünglich Lehrer der Naturwissenschaft, weil sich aus jenem Gesichtspuncte die Natur am besten einsehn lässt. In solchen Gegenden musst' ursprünglich der Strom umirren, eh' er sich eine Bahn riss. Dadurch bildeten sich, wie an Teichen, feuchte Wiesen, und Höhlen in der Erde für säugende Thiere, und der Centauer war indessen wilder Hirte, dem Odyssäischen Cyklops gleich; die Gewässer suchten sehnend ihre Richtung. Jemehr sich aber von seinen beiden Ufern das troknere fester bildete, und Richtung gewann durch festwurzelnde Bäume, und Gesträuche und den Weinstok, destomehr musst' auch der Strom, der seine Bewegung von der Gestalt des Ufers annahm, Richtung gewinnen, bis er, von seinem Ursprung an gedrängt, an einer 111
Stelle durchbrach, wo die Berge, die ihn einschlossen, am leichtesten zusammenhiengen. So lernten die Centauren die Gewalt des honigsüssen Weins, sie nahmen von dem festgebildeten, bäumereichen Ufer Bewegung und Richtung an, und warfen die weisse Milch und den Tisch mit Händen weg, die gestaltete Welle verdrängte die Ruhe des Teichs, auch die Lebensart am Ufer veränderte sich, der Überfall des Waldes mit den Stürmen und den sicheren Fürsten des Forsts regte das müssige Leben der Haide auf, das stagnirende Gewässer ward so lange zurükgestossen, vom jäheren Ufer, bis es Arme gewann, und so mit eigener Richtimg, von selbst aus silbernen Hörnern trinkend, sich Bahn machte, eine Bestimmung annahm. Die Gesänge des Ossian besonders sind wahrhafftige Centaurengesänge, mit dem Stromgeist gesungen, und wie vom griechischen Chiron, der den Achill auch das Saitenspiel gelehrt.
112
I. Was ist das eigentlich: die Centauren? Das ist die Frage, auf die Hölderlins Deutung des Pindarfragments 1661 zu Beginn eine Antwort versucht (Z. 8-10). Diese Antwort wird dann erst noch weiter ausgeführt (Z. 11-28) und später für die Deutung des Fragmentganzen nutzbar gemacht (Z. 29-41). Es läßt sich in Hölderlins Deutung also ohne weiteres ein bestimmtes Verfahren erkennen, das als Deutungsverfahren durchaus einleuchtet.2
1
2
Die Übersetzung gibt den Text bei Stephanus korrekt wieder, ohne dessen Anmerkung zu folgen, daß statt Akk. Sg. τράπεξαν der Gen. PI. τραπεζδν zu lesen sei. Diese Lesart hat sich aber durchgesetzt, so daß die Centauren nicht die weiße Milch und den Tisch, sondern die weiße Milch von den Tischen forttrieben. (Hölderlin mochte aber die Darstellung des Lapithenkampfes bei Ovid, Metamorphosen, in Erinnerung haben, wo die Centauren tatsächlich den Tisch umstoßen.) Walther Killy sieht das in seinem Aufsatz »Hölderlins Interpretation des Pindarfragments 166« anders (zuerst in: Antike und Abendland, Bd. 4, 1954; später in: Über Hölderlin, hg. J. Schmidt, Frankfurt 1970). Er vermißt, was üblicherweise an den Anfang einer historisch-kritischen Interpretation gehöre, ein Eingehen auf den »offenbaren Sinn« des interpretierten Gegenstandes, im vorliegenden Fall etwa ein Eingehen auf den mythologischen Zusammenhang, in dem die Pindarstelle steht. Gewiß ist Hölderlins Deutung nicht von beispielhafter Wissenschaftlichkeit im Sinne Killys. Fragt sich nur, was das zu besagen habe. Wenn Killy später zum Schluß kommt, es handle sich bei Hölderlins Deutung um den Vorgang »pneumatischer ExegeseReflexion auf das Ursprüngliche< - auch einen besonderen Bezug zur Dichtungstheorie haben, kann danach nicht mehr überraschen. Sie erscheinen in diesem Bereich, wenn eine mehr irrationalistische, religiöse Auffassung von Dichtung nach vorne drängt oder verteidigt werden muss, wenn also auch hier das Göttliche, Genialische, Ursprüngliche gegenüber der Ungöttlichkeit des Machens und Handwerkens entdeckt wird. Entscheidend für das tatsächliche Hervortreten der Metapher ist also auch in diesem Bereich das Moment der Reflexion, der Auseinandersetzung mit dem Gegengeist.«10 Bis hin zur Verbindung mit der Dichtungstheorie reiht sich Hölderlins Strombild in eine geistige Strömung ein. Die Gemeinsamkeiten interessieren hier nicht,11 es interessiert der Unterschied, die differentia specifica unseres Textes, die sich im Vergleich mit der 9 10
11
Müller, S. 15f. Müller, S. 18f. Belege für diese Ausführungen zur Strommetapher finden sich ebenfalls bei Müller. Ein Zeugnis für die Verwendunng der Strommetapher im Zuge der »Entdeckung des Genies« im 18.Jh.: »Warum der Strom des Genies so selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende Seele erschüttert? - Liebe Freunde, da wohnen die gelassenen Herren auf beiden Seiten des Ufers, denen ihre Gartenhäuschen, Tulpenbeete und Krautfelder zugrunde gehen würden, die daher in Zeiten mit Dämmen und Ableiten der künftig drohenden Gefahr abzuwehren wissen.« Die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, welche die Strommetapher zutage fördert (etwa Hölderlin-Klopstock, Hölderlin-Pietismus), werden in zahlreichen Arbeiten unter verschiedenen Aspekten behandelt. Was Müllers Ausführungen zu Hölderlin angeht, finde ich den Gedanken der nachklassischen Situation als Ausgangspunkt interessant.
124
Horaz-Ode IV, 2 schön studieren läßt. Diese Ode, in der das Motiv des Dichterstromes vorbildliche Gestalt gewonnen hat, führt auch insofern zu unserem Text zurück, als darin gesetzlose Dichtung und Strom im Blick auf Pindar miteinander verknüpft sind. Sie beginnt so: Pindarum quisquis studet aemulari, lulle, ceratis ope Daedalea Nititur pinnis vitreo daturus Nomina ponto. Monte decurrens velut amnis, imbres Quem super notas aluere ripas, Fervet immensusque ruit profundo Pindarus ore12 Weiter unten verwendet Horaz, um sein eigenes Dichten zu charakterisieren, den Vergleich mit einer Biene, womit der Strom als Bild für das inspirierte Dichten und das Bienengleichnis für den poeta doctus als grundlegende Möglichkeiten nebeneinander stehen. . . . ego apis Matinae More modoque Grata carpentis thyma per laborem Plurimum circa nemus uvidique Tiburis ripas operosa parvos Carmina fingo. 13 12
13
Wer sich kühn vermißt mit dem Schwünge Pindars, Fliegt wie Ikarus und vertraut sich, Julius, Flügeln, die von Wachs, einem grünen Meer den Namen zu geben. Wie ein Bergstrom stürzt, den der Regen schwellte Hoch zum Bord hinaus des gewohnten Bettes, Also braust und stürzt wie aus tiefem Borne Schrankenlos Pindar. . . . während ich, nach Art der Biene der Heimat, Die am Waldessaum, an den Wassern Tiburs, Süssen Quendelhonig voll Mühe sammelt, Auch unscheinbar nur und mit Müh ersinne Kleinere Lieder. (Übers. H. Färber) Mehr der Kuriosität halber erwähne ich, daß die Ode in der 4. Strophe eine Anspielung auf den Kampf zwischen Centauren und Lapithen enthält. 125
Zwar ist dem Strom, wie ihn Horaz beschreibt, und dem Strom in »Das Belebende« die Gewalt gemeinsam, während dort aber die Gewalt das Über-die-Ufer-Treten bewirkt, ist sie hier das Mittel des Bahn-und-Grenze-Machens. Damit sind wir wieder bei jener Stelle, die uns zu Beginn irritiert hatte. Der Vergleich mit den Ausführungen über die Strommetapher und mit der Horaz-Stelle läßt uns schärfer sehen: Mit dem Pindarfragment, mit dem Begriff von den Centauren wird ein Strom (wieder)belebt, der in seine Ufer getreten ist, und so erfolgt eine Reflexion auf das Ursprüngliche. Diese greift aber noch weiter zurück als bei Horaz, nämlich auf den Ursprung des Stromes selbst, der sich nicht als Strom den im Lauf der Zeit gebildeten Ufern widersetzt, sondern sich in der Auseinandersetzung mit dem Gebirge als Strom überhaupt erst bildet. Damit wird deutlich, was die schon fast beschwörerische Wiederholung des Wortes »ursprünglich« in den ersten vier Abschnitten andeutet, daß der Strom als Bild, die Reflexion auf das Ursprüngliche im Hölderlintext thematisiert werden. Die Reflexion reicht, um im Bereich des Gesanges zu bleiben, vom Anfang bis ans Ende, vom griechischen Chiron, dem ersten Lehrer des Gesangs, bis zu Ossian, dieser als Verkörperung des Ursprünglichen ersonnenen Dichterfigur. »Das Belebende« verfolgt den Begriff der Centauren bis an den Ursprung zurück, stößt dabei auf den Vorgang, der dem Pindarfragment zugrunde liegt, und findet am Ende sich selbst. Was ist dann das Belebende? Die Reflexion auf das Ursprüngliche als Reflexion auf sich selbst. Daß diese sich nicht allein der Inspiration, sondern auch der Anstrengung von Bildung und Begriff verdankt, läßt sich daran erkennen, daß der Begriff (das Prinzip) Centaur nicht schon im Strom, sondern erst im »Geist eines Stromes, so fern der Bahn und Gränze macht« begreifbar wird. So ist in »Das Belebende«, das den betörenden Stromgesang darstellt, am Rande und als Metapher eine Assoziation an das Bienengleichnis eingeflossen: der Wein, von dem die gewaltige Wirkung ausgeht, ist honigsüß.
126
SCHLUSS
Die strenge Einzelinterpretation der Texte legt eine abschließende Betrachtung nahe, welche die Gesamtheit dieser Texte ins Auge faßt. Im Sinne eines allgemeinen Überblicks versuche ich die Pindardeutungen im Zusammenhang von Hölderlins Spätwerk zu sehen. Ausgangspunkt ist die in der Einleitung aufgeworfene Frage nach dem Stellenwert der Pindardeutungen in Hölderlins Beschäftigung mit der griechischen Literatur. Diese konstant intensive Beschäftigung erfolgte in verschiedenen Stadien, welche eine zunehmende Auseinandersetzung bedeuten. Ein Satz in »Der Gesichtspunct aus dem wir das Altertum anzusehen haben« beschreibt das Verhältnis zum Altertum als kaum zu beseitigende Alternative: » . . . es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenem, und Positivem, oder, mit gewaltsamer Anmaassung, sich gegen alles erlernte, gegebene positive, als lebendige Kraft entgegenzusezen.«1 Nach dem Unternehmen der »Grossen Pindarübertragung« um 1800, in der sich Hölderlin der Gefahr, erdrückt zu werden, stellt, scheint diese Alternative aufgebrochen zu sein. In einem Brief vom Januar 1801 bittet Hölderlin Schiller um Zustimmung für den Plan, in Jena Vorlesungen über griechische Literatur zu halten, und gibt als Begründung an: »Ich habe mich seit Jahren fast ununterbrochen mit der griechischen Literatur beschäfftiget. Da ich einmal daran gekommen war, so war es mir nicht möglich, dieses Studium abzubrechen, bis es mir die Freiheit, die es zu Anfang so leicht nimmt, wieder gegeben hatte, und ich glaube, im Stande zu seyn, Jüngeren, die sich dafür interessiren, besonders damit nüzlich zu werden, dass ich sie vom Dienste des griechischen Buchstabens 1
Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, »Frankfurter Ausgabe^ Bd. 14, Entwürfe zur Poetik, hg. Wolfram Groddeck u. D. E. Sattler, S. 95. 127
befreie und ihnen die grosse Bestimtheit dieser Schriftsteller als eine Folge ihrer Geistesfülle zu verstehen gebe.«2 Nicht nur erinnert der Schluß dieser Briefstelle an die Unterscheidungen jenes Ende desselben Jahres geschriebenen Briefs an Böhlendorff, es scheint auch im Gedanken der Befreiung vom griechischen Buchstaben die im Böhlendorff-Brief geäußerte Überzeugung durch, daß es gefährlich sei, »sich die Kunstregeln einzig und allein von griechischer Vortreflichkeit zu abstrahiren. Ich habe lange daran laborirt und weiss nun dass ausser dem, was bei den Griechen und uns das höchste seyn muss, nemlich dem lebendigen Verhältniss und Geschik, wir nicht wohl etwas gleich mit ihnen haben dürfen.« 3 Der Böhlendorff-Brief leistet Unterscheidung und Vermittlung zugleich, insofern er nämlich feststellt, daß das »Nationelle« der Griechen das »Feuer von Himmel«, das »Nationelle« seiner eigenen Zeit dagegen die »Klarheit der Darstellung« sei, und andrerseits behauptet, daß bei beiden gerade das »Fremde«, d. h. das dem andern »Eigene«, den Vorzug bilde, eine Behauptung, die dort am Beispiel Homers erhellt wird, hier Prognose ist. In der »Darstellungsgaabe« sind die Griechen kaum zu übertreffen, werden aber gerade darin für jene wichtig, welche »Klarheit und Darstellung« als das ihnen »Eigene« zu lernen haben. Der »freie Gebrauch des Eigenen« ist nämlich - immer in der Sicht des Böhlendorff-Briefes - das schwerste. Daß sein Freund an »Präzision« gewonnen habe, ohne an »Wärme« zu verlieren, das ist es, was Hölderlins Beachtung findet. Der zweite Brief an Böhlendorff, etwa ein Jahr später geschrieben und so von diesem durch das einschneidende Erlebnis der BordeauxReise getrennt, zeigt bei Behauptung einer vertiefteren Kenntnis der Griechen eine entschiedene Betonung des Eigenen: »Mein Lieber! ich denke, dass wir die Dichter bis auf unsere Zeit nicht commentiren (= nachahmen, Anm. d. Verf.) werden, sondern dass die Sangart überhaupt wird einen andern Karakter nehmen, und dass wir dai*um nicht aufkommen, weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen.«4 2 3 4
Werke, Bd. 6,1, S. 422. Werke, Bd. 6,1, S. 426; zum Folgenden vgl. den ganzen Brief S. 425ff. Werke, Bd. 6,1, S. 433.
128
Mag Hölderlin hier auch mehr an die Hymnen gedacht haben, die Beissner, auf Briefstellen zurückgreifend, als »Vaterländische Gesänge« überschrieben hat, so trifft das Zitat doch genau auf seine folgende Beschäftigung mit griechischer Literatur zu: Nachahmung genügt ihm nicht. Den Ubersetzungen von »ödipus« und »Antigonä« werden nicht nur »Anmerkungen« mitgegeben, die zur Aufgabe haben, das Gesetz und den Sinn dieser Tragödien zu fassen, auch das Übersetzen selber verläßt die Grenzen übersetzerischer Freiheit. Den griechischen »Kunstfehler« 8 will Hölderlin verbessern, und an anderer Stelle spricht er von der Notwendigkeit, den »heiligen Ausdruk zu ändern«. 8 In einem Brief an seinen Verleger Wilmans vom April 1804, in dem er feinsinnige typographische Hinweise für den bevorstehenden Druck gibt, schreibt Hölderlin im Rückblick auf die SophoklesArbeiten: »Ich glaube durchaus gegen die exzentrische Begeisterung geschrieben zu haben und so die griechische Einfalt erreicht; ich hoffe auch ferner, auf diesem Prinzipium zu bleiben, auch wenn ich das, was dem Dichter verboten ist, kühner exponiren sollte, gegen die exzentrische Begeisterung. Ich freue mich, Ihnen nächstens etwas zu schiken, worauf ich jezt einen eigentlichen Werth seze.«7
6
Werke, Bd. 6,1, S. 434. • Werke, Bd. 5, S. 267. 7 Werke, Bd. 6,1, S. 439. Den letzten Satz des Zitats bezieht Beissner im Kommentarband zu den Briefen auf die »Vaterländischen Gesänge«. Das dürfte kaum richtig sein, denn diese hat Hölderlin schon in zwei früheren Briefen an Wilmans erwähnt, im übrigen arbeitet er schon lange an den Hymnen und hat deshalb keinen Grund zu betonen, daß er gerade jetzt damit beschäftigt sei. Eher ist hier von den Pindardeutungen die Rede, was denn auch die Stelle »was dem Dichter verboten ist«, deren Verständnis sonst Schwierigkeiten bereitet, klären würde. Dem Übersetzer und Deuter wäre erlaubt, was dem Dichter verboten ist. Für die Pindardeutungen spricht auch das Wort »etwas«, weil für diese (im Unterschied zu den »Vaterländischen Gesängen«) eine passende Bezeichnung fehlt. DaB Hölderlin auf solche Dinge wie die Pindardeutungen damals großen Wert legte, zeigen nicht nur die wenigen Briefe aus jener Zeit, sondern audi der 1804 entstandene Entwurf »Von der Fabel der Alten« (Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, »Frankfurter Ausgaben Bd. 14, Entwürfe zur Poetik, hg. Wolfram Groddeck u. D. E. Sattler, S. 385ff.), von dem sich aufgrund der weni129
Möglicherweise ist hier von den Pindardeutungen die Rede, so oder so aber gehören sie an das Ende des dargestellten Zusammenhangs. Von der buchstabengetreuen Übersetzung Pindarischer Siegesgesänge über die Sophokles-Arbeiten, die mit ihren »Anmerkungen« und ihrer Übersetzungsweise schon zur Deutung tendieren, führt ein gerader, den Briefäußerungen entsprechender Weg zu der Deutung der Pindarfragmente. Daß es sich um Deutungen handelt, haben die einzelnen Interpretationen gezeigt. Im Wissen um die Eigenart »griechischer« und »vaterländischer« Verhältnisse wird das, was sich unter den Bedingungen der damaligen Zeit in Pindars Versen niedergeschlagen hat, mit dem Bewußtsein späterer Jahre neu geschrieben. Die Beschäftigung mit der griechischen Literatur ist geblieben, aber der Akzent hat sich soweit verschoben, daß Hölderlin in einem ebenfalls 1804 geschriebenen Brief an Seckendorf schreiben kann: es beschäftige ihn »besonders das Nationelle, sofern es von dem Griechen verschieden ist.«8 Man ist versucht, im Blick auf die Pindardeutungen einen Satz aus dem Böhlendorff-Brief umzukehren und zu sagen, Hölderlin habe sich das griechische Apollinische Pathos für sein Junoreich erbeutet und sich so das Fremde wahrhaft angeeignet und er habe zudem gelernt, was dieser Brief als das schwerste bezeichnet, den freien Gebrauch des Eigenen, der an der Reflexion auf den jeweiligen Deutungsvorgang ablesbar ist. Schon die Sophokles-Arbeiten lassen den ungeheuren Anspruch erkennen, der im zweiten Böhlendorff-Brief steckt. Vollends in den Pindardeutungen werden die Konsequenzen dieser Überwindung des Klassizismus sichtbar. Wo die Möglichkeit, lediglich der Bestimmtheit griechischer Kunst genüge zu tun, sich verbietet und doch der Anspruch bestehen bleibt, sich nicht unter Verlust des Eigenen ins Pathos zu verlieren, ist das größte Problem, sich zu fassen. Darum geht es in allen Pindardeutungen. Das verbindet diese Texte mit den späten Hymnen, und auf diese Verbindung sei im Sinne eines Hinweises auch noch ein Blick gewor-
8
gen vorliegenden Stichworte nur soviel sagen läßt, daß er, wäre er ausgeführt worden, wohl ein theoretisches Pendant zu den Pindardeutungen abgäbe. Werke, Bd. 6,1, S. 437.
130
fen. In der Einleitung wurde Harrisons Feststellung erwähnt, daß das Problem des »Bleibens« ein wichtiges Thema von Hölderlins Spätwerk sei. Im Umkreis dieses Begriffs finden sich einige andere, ähnliche Begriffe, die gleichzeitig in den Sophokles-Anmerkungen und in den Pindardeutungen, aber auch in den späten Hymnen und Hymnenentwürfen auftauchen. Dazu gehören »Verstand«, »Ruhe«, »Zucht«, »Halt«, »Treue«, »Gesez«, »strenge Mittelbarkeit«, die mit der Grenze zwischen Mensch und Gott und mit der Schwierigkeit, Natur und Kunst zu vereinigen, zu tun hahen." Faßt man das, was in der Wortschicht zum Ausdruck kommt, nicht statisch, sondern als Vorgang auf, was ja die einzelnen Interpretationen gelehrt haben, dann bietet sich als gemeinsamer Nenner der Begriff »festhalten« an oder eben der Begriff »sich fassen«, mit dem etwas weiter oben das gemeinsame Problem der Pindardeutungen bezeichnet wurde. In die Nähe dieser Wortschicht gehört ein zentrales Thema des Spätwerks, das Deuten. Der 2. Fassung der Hymne »Mnemosyne«, den hymnischen Entwürfen »Die Titanen« und »Einst habe ich die Muse gefragt...« ist besonders deutlich die Einsicht in die Zeichenhaftigkeit allen Daseins und in die dem Dichter daraus erwachsende Aufgabe des Deutens zu entnehmen, und am Ende der Hymne »Patmos«, als alles falsche und einseitige, unwissende Dienen als solches erkannt ist, steht: » . . . der Vater aber liebt, Der über allen waltet, Am meisten, dass gepflegt werde Der veste Buchstab, und bestehendes gut Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.«10 Danach ist das »Nationelle« das Höchste, denn es ist das, was der Vater, der über allen (Antike und Christentum) waltet, am meisten liebt. In den Pindardeutungen scheint es mir insofern verwirklicht, als darin nicht nur ein antiker Gesang als heilige Schrift aufgefaßt wird, sondern auch die Pflege des festen Buchstabens mit der guten 9 10
Vgl. dazu audi Binder, Wolfgang, Hölderlin: Theologie und Kunstwerk (in: Hölderlin-Jahrbuch 1971/72, S. Iff.), besonders S. 23f. Werke, Bd. 2, 1, S. 172. 131
Deutung von Bestehendem verquickt ist. Die Pflege reicht bis zur eigenen schönen, regelmäßigen Handschrift, welche die Kenner für die späte Zeit als außergewöhnlich bezeichnen, und das Bestehende, das gedeutet wird, besteht seinerseits aus festen Buchstaben. Wenn sich, so gesehen, das Ende von »Patmos« (eine der letzten nicht Entwurf gebliebenen Hymnen) und die Pindardeutungen zueinander wie Programm und Ausführung verhalten, dann ist zu vermuten, daß die Pindardeutungen das letzte zu Ende geführte Werk Hölderlins vor den sogenannten spätesten Gedichten sind. Bestätigt wird diese Vermutung durch den oben schon angedeuteten Zusammenhang von Zeichen und Deutung, der dazu tendiert, immer mehr zum Fassen, zum Festhalten von Schriftzeichen zu werden,11 die am Ende sich selber fassen. (Die Biographie ginge an diesem Punkt vollständig in die Literatur ein.) Soweit zum Zusammenhang von Pindardeutungen und späten Hymnen, für welchen Zusammenhang im übrigen auf die gelegentlichen Hinweise in den Einzelinterpretationen verwiesen sei. Nun auch noch ein Wort zum Zusammenhang der neun Texte untereinander. Schon die Neunzahl, noch mehr aber Hölderlins Tendenz zur Systematisierung lassen eine Gesamtkomposition vermuten. Jedenfalls ist die Reihenfolge von Hölderlin gewählt worden, denn sie steht in keinerlei durchgängigem Zusammenhang mit der Reihenfolge in der griechischen Textausgabe. Andrerseits ist die von Hölderlin gewählte Reihenfolge aus der Handschrift nicht restlos zu erschließen. Die Pindardeutungen sind auf einem Doppel- und einem Einzelblatt überliefert, und daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: die hier von Beissner übernommene Reihenfolge oder die, daß »Die Asyle« und »Das Belebende« am Anfang stehen und die andern sieben folgen. Wenn man etwa von einer symmetrischen Konstruktion ausgeht, ergeben sich in beiden Fällen interessante Zusammenhänge. Im einen Fall steht »Untreue der Weisheit« am Anfang, »Das Belebende« am Ende und »Das Höchste« in der Mitte. »Von der Wahrheit« und »Die Asyle«, »Von der Ruhe« und »Das Unendliche«, »Vom Del11
Vgl. dazu auch die typographischen Überlegungen Hölderlins im erwähnten Brief an Wilmans.
132
phin« und »Das Alter« würden sich aufeinander beziehen. In andern Fall beginnt es mit den »Asylen« und endet mit dem »Unendlichen«, in der Mitte steht »Von der Ruhe«. Weiter beziehen sich »Das Belebende« und »Das Alter«, »Untreue der Weisheit« und »Das Höchste«, »Von der Wahrheit« und »Vom Delphin« aufeinander. Als Zusammenhang leuchtet mir die zweite Version fast noch mehr ein, sie läßt auch eine vage Möglichkeit, fortlaufend zu lesen zu, eine auch nur halbwegs schlüssige Theorie habe ich aber weder im einen noch im andern Fall gefunden, und deshalb muß ich die Sache als Anregung zu weiteren Überlegungen stehen lassen. Unbeantwortet muß auch die Frage nach der Gattung der Texte bleiben. Der Begriff »Pindardeutungen« kommt ihnen zweifellos näher als der Begriff »Pindarfragment«, aber er ist ungenügend. Er faßt zwar die Tatsache, daß Texte Pindars gedeutet werden, aber er gibt nicht wieder, daß Pindarfragment und Deutung eine Einheit bilden, was einen Unterschied zu allen mir bekannten Deutungen macht. Schließlich beinhaltet der Begriff auch nicht die in allen Interpretationen als für die Texte entscheidend erkannte Selbstreflexion. In dieser Gemeinsamkeit liegt nun aber auch die Erklärung für die Schwierigkeit, ja für die Unmöglichkeit, einen treffenden Begriff zu finden. Die Selbstreflexion ist die Reflexion auf die jeweilige Pindardeutung. Die Texte sind erst dadurch ganz das, was sfe sind, daß sie ihre Besonderheit festhalten; und das Problem, sich (unter den dargelegten Ansprüchen nach der Überwindung des Klassizismus) zu fassen, konnte wohl nur gelöst werden, wenn das Besondere sich in der Nüchternheit der Vereinzelung am Licht seiner eigenen Reflexion wärmte. Damit sträuben sich »Untreue der Weisheit«, »Von der Wahrheit«, »Von der Ruhe«, »Vom Delphin«, »Das Höchste«, »Das Alter«, »Das Unendliche«, »Die Asyle«, »Das Belebende« aber dagegen, anders denn als einzelne Texte auf den Begriff gebracht zu werden. Die gesamthafte Betrachtung schließt deshalb mit dem Hinweis auf die einzelnen Texte und deren Einzelinterpretation, und am Ende steht, was Szondi seinen HölderlinStudien voranstellt: »Unterschiedenes ist gut«.
133
LITERATURVERZEICHNIS
Pindari Olympia, Pythia, Nemea, Isthmia. Ceterorum octo lyricorum carmina. Omnia Graece et Latine, ed. Henricus Stephanus, o. O., 1560. Pindari carmina cum fragmentis, ed. Bruno Snell, Leipzig 1953. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Große Stuttgarter Ausgabe, hg. Beissner, Stuttgart 1943ff. (= Werke). Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, f r a n k f u r t e r Ausgaben Bd. 14, Entwürfe zur Poetik, hg. Wolfram Groddeck u. D. E. Sattler, Frankfurt am Main 1979. Baum, Manfred,
Hölderlins Pindar-Fragment »Das Höchste«, in: Hölderlin-Jahrbuch 1963/64, S. 65-76. Beissner, Friedrich, Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen, Stuttgart 1933. Hölderlin and Pindar, 'S-Gravenhage 1962. Benn, Μ. B., Le lyrisme mythique de Hölderlin. ContribuBertaux, Pierre, tion ä l'6tude des rapports de son hell6nisme avec sa po6sie, Paris 1936. Hölderlin and Greek Literature, Oxford 1975. Harrison, R. E., Hellingrath, Norbert von, Pindarübertragungen von Hölderlin. Prolegomena zu einer Erstausgabe, Jena 1911. Hölderlins Interpretation des Pindarfragments Killy, Walther, 166, in: Über Hölderlin, hg. Jochen Schmidt, Frankfurt a. M. 1970, S. 294-319 (früher in: Antike und Abendland, Bd. 4, Hamburg 1954). Hölderlins Übersetzung des Sophokles, in: Über Schadewaldt, Wolfgang, Hölderlin, hg. Jochen Schmidt, Frankfurt a. M. 1970, S. 237-293. Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über phiSzondi, Peter, lologische Erkenntnis, ed. suhrkamp 379, 1970*. Zuntz, Günther, Über Hölderlins Pindar-Übersetzung, Diss. Marburg 1928.
135