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German Pages 254 [260] Year 1969
Hösle / Pietro Aretinos Werk
Johannes Hòsle
Pietro AretinosWerk
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1969
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
© Ardiiv-Nr. 433669/1 Copyright 1969 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J . Gösdien'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit Sc Comp. Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten. Satz und Druck: Thormann Sc Goetsch, Berlin
Für Carla
Vorbemerkung Das Werk Pietro Aretinos stand in Deutschland noch nie im Mittelpunkt einer monographischen Untersuchung. Aber auch in Italien erweckte, mit wenigen Ausnahmen, nur die abenteuerliche Laufbahn des Schriftstellers das Interesse zünftiger Forschung. Erst in den letzten Jahren haben Giorgio Petrocchi, Giuliano Innamorati und Mario Baratto literaturwissenschaftlich bedeutende Arbeiten zum Werk Aretinos veröffentlicht. Mir ging es mehr als Petrocchi um eine Analyse von Aretinos Stil und weniger als Innamorati um die Rekonstruktion der Biographie. Der Aufsatz Barattos über Aretinos Komödien untersucht zwar nur einen Teilaspekt von Pietros Gesamtwerk, ist aber wohl dessen ungeachtet der wertvollste neuere Beitrag zu unserem Thema. Mir kam es darauf an, innerhalb von Aretinos umfangreichem Werk die Akzente neu zu verteilen. Sollte der Leser dieser Untersuchung nicht in der Fülle des verfügbaren Materials ersticken, mußte das Typische herausgestellt werden. Ausführliche Zitate ließen sich dabei nicht umgehen, wollte ich nicht die Formen, auf die es mir ankam, paraphrasieren. Die Arbeit entstand als Habilitationsschrift an der Universität Tübingen. Herr Professor Dr. Kurt Wais hat an der Entstehung dieser Arbeit ganz besonderen Anteil genommen. Ihm, dem verehrten Lehrer, gilt mein besonderer Dank. Nicht ausdrücklich erwähnen kann ich alle Bibliothekare und Bibliotheksangestellten in Italien und Deutschland, die meine Arbeit ermöglichten. Mit besonderer Dankbarkeit werde ich mich jedoch stets an die großzügige Hilfe des Direktors der Biblioteca comunale in Mailand, Herrn Dr. Renato Pagetti, und an Herrn Dr. Giovanni Piazza an der Biblioteca Trivulziana in Mailand erinnern.
Regensburg, im Juli 1968
Johannes Hösle
Inhalt VII 1 36 57 69 89 115 144 163 188 198 217 225 226
Vorbemerkung Biographie, Legende, Forschung Von der Opera Nova zu den Sonetti lussuriosi Pronostici, Capitoli, Sonetti candati Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco Die Ragionamenti Die religiösen Schriften Aretinos Oktavendichtungen Le Lettere Die kleinen Dialoge: Il Ragionamento delle Corti, Le carte parlanti Die späten Komödien: La Talanta, Lo Ipocrito, Il Filosofo Aretinos Tragödie: La Orazia Bibliographisdi-tedinische Bemerkung Bibliographische Hinweise
Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung Das größte Hindernis, das sich auch heute noch einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit und dem Werk des umstrittenen Schriftstellers aus Arezzo entgegenstellt, ist das Fehlen einer zünftigen und zuverlässigen historisch-kritischen Ausgabe seiner Satiren, Gedichte, Briefe, Theaterstücke, religiösen Schriften und einer Bestandsaufnahme der in europäischen öffentlichen und privaten Bibliotheken verstreuten Handschriften, Erstdrucke und Miszellen, in denen das Werk Pietros verbreitet wurde. Aretino war von eh und je in erster Linie Gegenstand verlegerischer Spekulation, Leckerbissen für Freunde seltener Ausgaben und Prügelknabe schlecht informierter Moralisten, aber nur selten Objekt literaturwissenschaftlicher Forschung. Schon zu Lebzeiten umwucherten den 1492 in Arezzo geborenen, von Ludovico Ariosto in der Ausgabe letzter Hand des Orlando Furioso als „flagello de' principi" 1 apostrophierten Schriftsteller Neid und Mißgunst der weniger glücklichen literarischen Rivalen und lähmten Angst und Bewunderung eine besonnene Auseinandersetzung mit dem genialen und skrupellosen Regisseur des eigenen Ruhms. Die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückreichende Aretino-Legende wirkt noch in unsere Tage herein, so daß bis heute unverfrorene Feuilletonisten den Faden der übernommenen Vorurteile weiterspinnen. Es ist unerläßlich für eine kritische Auseinandersetzung mit Aretino, zunächst einmal das in den letzten Jahrhunderten verwurzelte Unkraut auszujäten und den riesigen Ballast der Aretino-Literatur zu überprüfen. Die oft belanglosen und irreführenden Veröffentlichungen über Pietro machen eine strenge Auslese aus dem Aretino-Schrifttum unerläßlich. Würden alle von mir eingesehenen Äußerungen zitiert, so müßte diese Untersuchung in der üppig ins Kraut geschossenen Vegetation von Geist und Ungeist, von Fug und Unfug ersticken.2 Die Aretino-Forschung wird nicht wenig dadurch erschwert, daß der Name des Schriftstellers zum Sammelbecken für erotische und pornogra1 2
Orlando furioso, Ferrara, 1532, canto X L VI, stanza 14. Einen eingehenden und zuverlässigen Forsdiungsbericht gab Giuliano Innamorati (Pietro Aretino — Studi e note critiche, Messina—Florenz, 1957, 7—89), der allerdings die Verbindung von Biographie und Legende nur am Rande behandelt.
1 Hösle
Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
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phische Literatur wurde, seitdem er 1524 in Rom die von Marcantonio Raimondi nach Kartons von Giulio Romano in Kupfer gestochenen „Schemata Veneris" mit sechzehn Sonetten kommentiert hatte. M a n w i r d sich nicht verwundern, daß Clemens VII. sich bald darauf von seinem Schützling distanzierte. Bemerkenswert ist lediglich die Tatsache, daß der päpstliche Datar, Giovanni Matteo Giberti, dem Aretinos satirische Tätigkeit längst ein Dorn im Auge w a r , wahrscheinlich persönlich Achille della Volta veranlaßte, Aretino zu erdolchen. Mit knapper Not entkam dieser am 28. J u l i 1525 lebendig dem Attentat. Sicher ging es Giberti nicht in erster Linie darum, einen unzüchtigen Literaten zum Schweigen zu bringen: wichtiger w a r ihm der politische Gegner Aretino, der als Statthalter Pasquinos wegen seiner rücksichtslosen Satiren zu fürchten w a r . Über die Sonetti lussuriosi entrüstete sich in den zwanziger Jahren des Cinquecento niemand im Ernst. Die capitoli des bei Giberti als Sekretär beschäftigten Francesco Berni mit ihrer burlesken Sexualmetaphorik stehen den Gedichten Aretinos hinsichtlich der Obszönität in nichts nach. Aber die „Schemata" Aretinos gehören seit der Gegenreformation zu den bibliophilen Seltenheiten. Es kann sich hier nicht darum handeln, die in den einschlägigen Standardwerken von Gay 3 , Brunet 4 , Pisanus Fraxi 5 , Guillaume Apollinaire 6 enthaltenen Informationen zu resümieren, aber es ist immer nodi nicht hinreichend bekannt, daß es M a x Sander gelang, die mutmaßliche Originalausgabe der Sonetti lussuriosi mit Holzschnitten nach R o mano-Raimondi aufzuspüren. So überzeugend die Argumentationen Sanders sind, so wenig ist augenblicklich mit dem Fund der Aretino-Forschung geholfen, da sich das kostbare Bändchen nach wie vor in Privatbesitz befindet 7 . Die turbulenten römischen Jahre (etwa von 1517 bis 1525) begrünGay: Bibliographie des ouvrages relatifs à l'amour (...), Lille, 1896. Brunet, J. C.: Manuel du libraire et de l'amateur de livres, Paris, 1860. 6 Pisanus Fraxi: Index librorum prohibitorum (1877), Index librorum absconditorum (1879), Catena librorum tacendorum (1885): Die angeführten Titel wurden 1960 bei Charles Skilton in London photomechanisch nachgedruckt. • G. Apollinaire: L ' E n f e r de la Bibliothèque Nationale, nouvelle édition, Paris (Bibliothèque des Curieux), 1919. 7 Max Sander, Ein Aretino-Fund (Zeitschrift für Bücher freunde, Neue Folge, 21. Jahrg. Heft 3/4 [1929], 49—60). Dem sonst vorzüglich informierten Kommentar von Fidenzio Pertile (a cura di Ettore Camesasca) zur Neuauflage der Aretino-Biographie von Giammaria Mazzuchelli in den Lettere sull'arte di P. A. (Mailand 1959, Edizioni del Milione, Band 3/1) ist dieser wichtige Aufsatz entgangen: daher ist auch der Kommentar zu den Sonetti lussuriosi auf S. 143 f. überholt. Ergänzend zu Max Sander äußerte sich Walter Toscanini, der um 1930 den in der Zeitschrift für Bücherfreunde beschriebenen Sammelband erwarb {Le Operette erotiche aretinesche, Il Vasari, anno XIX [1961], 30—33). 3 4
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deten Aretinos publizistische Vormachtstellung und schufen ihm einige nicht zu unterschätzende Feinde. Von den zahlreichen Ausfällen gegen den Divino, wie Pietro sich bald zu nennen pflegte, ist wenigstens die leidenschaftliche Invektive Francesco Bernis auf die Nachwelt gekommen: Tu ne dirai e farai tante e tante, lingua fracida, marcia, senza sale, die al fin si troverà pur un pugnale meglior di quel d'Achille e più calzante. Il papa è papa, e tu sei un furfante, nodrito del pan d'altri e del dir male; hai un pie' in bordello e l'altro in ospitale, storpiataccio, ignorante e arrogante. Giovan Mateo, e gli altri die gli ha appresso, che per grazia de Dio son vivi e sani, ti metteran ancor un di in un cesso. Boia, scorgi i costumi tuoi ruffiani; e se pur vói cianciar, di' di te stesso: guàrdati il petto, la testa e le mani. Ma tu fai come i cani, che, dà pur lor mazzate se tu sai, come l'han scosse, son più bei die mai. Vergògnati oramai, prosontuoso, porco, mostro infame, idol del vituperio e della fame; die un monte di letame t'aspetta, manegoldo, sprimacciato, perché tu moia a tue sorelle allato; quelle due, sciagurato, c'hai nel bordel d'Arezzo a grand'onore, a gambettar: „Che fa lo mio amore?" Di quelle, traditore, dovevi far le frottole e novelle, e non del Sanga die non ha sorelle. Queste saranno quelle die mal vivendo ti faran le spese, e '1 lor, non quel di Mantova, marchese: ch'ormai ogni paese hai amorbato, ogni omo, ogni animale; il ciel, Iddio, il diavol ti voi male. Quelle veste ducale, o ducali, acattate e furfantate, die ti piangon in dosso sventurate, a suon di bastonate ti seran tolte, avanti che tu moia, dal reverendo padre messer boia; che l'anima di noia mediante un bel capestro caveratti, e per maggior favor poi squarteratti : e quei tuoi leccapiatti 1'
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Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forsdiung bardassonacci, paggi da taverna, ti canteran il requiem eterna. Or vivi e ti governa; ben che un pugnale, un cesso, o ver un nodo ti faranno star queto in ogni modo. 8
Befragt man dieses Gedicht nach konkreten Beschuldigungen, so geht man leer aus. Die ehrenrührige Äußerung über Aretinos Schwestern ist in keiner Weise stichhaltig. Alessandro Luzio0 und Alessandro Del Vita 10 konnten auf der Grundlage einwandfreier Dokumente nachweisen, daß Aretino zwar zwei Schwestern hatte, von denen aber die ältere, deren Name nicht bekannt ist, ihre Tochter ins Kloster gab. Aretino beschaffte durch die Widmungen von zwei religiösen Schriften der Nichte die dafür unerläßliche Mitgift. Die jüngere von Aretinos Schwestern hieß Francesca. Uber sie sind wir genauer informiert. Ein Brief Aretinos an Alessandro de' Medici vom 18. Dezember 1536 zeigt mit hinreichender Klarheit, daß Bernis Beschuldigungen aus der Luft gegriffen sind. Die Bürger von Arezzo schmückten bei einem Besuch des Herzogs den Palazzo dei Priori mit dem später durch eine unglückliche Restauration entstellten Aretino-Porträt Sebastianos del Piombo, und Alessandro de' Medici ließ sich dazu herab, die Geburtsstätte Pietros zu besuchen. Nur wer es darauf abgesehen hat, Aretino aus der menschlichen Gesellschaft schlechthin zu verstoßen, wird auch in dem Dankbrief des Divino lediglich den eitlen und aufgeblasenen Literaten sehen: „Io non posso ritener le lagrime, pensando al favore e a l'onore die per proprio real costume vi sete degnato farmi ne la patria. Non meritava l'effigie mia, posta da la benignità de gli aretini in Palazzo sopra l'uscio de la camera dove dormiste, che un principe di Fiorenza, un genero di Carlo limperadore, un nato di duca, un nipote di due pontefici la guardasse, e guardando la dipinta, desse tante lodi a la viva. E, per più accorarmi con la dolcezza de l'obligazione, fermossi la vostra alta persona dinanzi a la casa dove io nacqui, inchinandosi a la sorella mia con la riverenza con cui ella doveva inchinarvisi." 11 Nicht genug damit. Einer von Aretinos Gegnern, Giovanni Mauro d'Arcano, der von 1523 an mehrere Jahre in der Umgebung des päpstlichen Datars Giberti lebte und 1536 in Rom starb, bescheinigte Aretino in einer seiner Satiren Mut und Unerschrockenheit: 8
Francesco Berni: Rime (a cura di Giovanni Macchia), Rom 1945, 69 f. • Alessandro Luzio: La famiglia di Pietro Aretino, Giornale storico della letteratura italiana, voi IV (1884), 361—388. 10 Alessandro Del Vita: L'Aretino „Uomo libero per grazia di Dio", Edizioni Rinascimento, Arezzo 1954. 11 Lettere — il primo e il secondo libro a cura di Francesco Flora con note storiche di Alessandro Del Vita (I Classici Mondadori), Mailand 1960, 103.
Pietro Aretino : Biographie, Legende, Forschung
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Sono in Italia de' poeti assai Che derian scaccomatto a l'Aretino, Ed a quanti Aretini fur già mai: Se volessero andar per quel cammino Di scriver sempre male, e dir il vero, Come insegna la scuola di Pasquino. Chi brama esser poeta daddovero, Così vada dal ver sempre lontano, Come da' scogli un provvido nocchiero. L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano; Ma '1 mostaccio ha fregiato nobilmente, E più colpi ha, die dita ne la mano. Questo gli avviene per esser dicente Di quelle cose che tacer si denno, Per non far gir in collera la gente. Egli ebbe il torto, e non quei die gli denno; Perchè dovea saper che ai gran signori, Senza dir altro, basta far un cenno. Altri die sono incorsi in tali errori An finiti i lor dì sovra tre legni, E pasciuti li corvi e gli avoltori. 12 Die Terzinen Giovanni Mauros zeigen deutlich genug, wie der Kreis um den päpstlichen D a t a r , der sich offensichtlich schon durch einen Wink der „gran signori" dingen ließ, Aretino in erster Linie vorwarf, daß er Angelegenheiten, die besser verschwiegen wurden, an die Öffentlichkeit brachte. 13 Ein Vergleich mit Berni und den poeti berneschi einerseits und 12
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Die zitierten Verse Mauros stammen aus dem capitolo Tutti i volumi e tutti li quinterni, das im 27. Band des Parnaso italiano (Ariosto, Berni, satirici e burleschi del secolo XVI) abgedruckt wurde (Venedig 1787, Antonio Zatta e figli, 94—104). Antonio Virgili nimmt in seiner bis heute nodi nicht überholten und bestens dokumentierten Biographie über Francesco Berni (Florenz 1881) allzu parteiisch für seinen Autor und gegen Aretino Stellung. Bekanntlich stand Clemens V I I . zu Beginn seiner Regierung zunächst unentschlossen zwisdien Karl V. und Franz I.: Schönberg ermunterte den Papst zu einer Koalition mit dem Kaiser, Giberti zu einem Bündnis mit dem Cristianissimo. Der Bischof von Vasone, Girolamo Sdiio, führte Aretino bei Schönberg ein. Das Attentat gegen Pietro, dessen kaustische Kommentare der Datar mit Recht fürchten mochte, kann daher sehr wohl ein politischer Racheakt gewesen sein. Allzu leicht macht es sich der Biograph Giammatteo Gibertis, G. B. Pighi, der in der zweiten Auflage seines Werks (Verona 1922, 20, Anm. 6) lediglich bemerkt: „Ii Dallavolta nel dì 28 luglio 1525, mascheratosi il volto, pugnalò Pietro Aretino; sia per g e l o s i a . . . ; sia per mandato dello stesso Giberti, die voleva sbarazzare la casa sua e Roma di quell'uomo corrotto, venale e superbo". Es gehört auf ein anderes Blatt, daß Aretino sidi nach Bernis plötzlichem Tod an dessen hinterlassenem Rifacimento dell'Orlando innamorato vergriff, um den Druck zu überwachen und die polemischen Seitenhiebe gegen sich und seine Freunde zu tilgen. Virgili (o. c., 357) bemerkt daher wohl mit
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Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
Pietro Aretino andererseits erlaubt den Rückschluß, daß die Satiren Bernis bei aller Unkonventionalität des Gegenstands letzten Endes in erster Linie eine literarische Gattung fortsetzten und weiterentwickelten, aber genau gesteckte Grenzen und Tabus respektierten. Die capitoli Bernis waren keine politische Dichtung, sondern ein literarischer Zeitvertreib für die Großen des römischen Hofs, die sich an diesen obszönen und burlesken Kompositionen nicht nur ergötzten, sondern sich mitunter daran auch aktiv beteiligten, wie etwa das Beispiel Giovanni della Casa zeigt, der dann unter Paul I I I . als päpstlicher Nuntius in Venedig lebte.14 Es würde in diesem Zusammenhang zu weit führen, wollte man die weitverbreitete Gattung obszön-burleskes Gedicht untersuchen, aber für die Beurteilung Aretinos muß wenigstens festgehalten werden, daß er zwar in formaler Hinsicht in diesen Zusammenhang gehörte, aber mit den gleichen Mitteln einen anderen Zweck verfolgte. Aretino — und das war für Mauro das Unerhörte — begnügte sich nicht mehr mit der überkommenen Thematik satirischer Dichtung, sondern nahm grundsätzlich konkrete politische Anlässe wahr. Ariosts und Bernis Satiren — mögen sie auch nicht frei von persönlichen Akzenten sein — sind „literarische" Schöpfungen, während es Aretino darauf abgesehen hatte, die unverblümte Wahrheit an den Tag zu bringen. Die polemischen Äußerungen Bernis und Mauros mußten ausführlich zitiert werden, weil den beiden Schriftstellern nach ihrem Tod ein 1538 in Perugia erschienener Dialog in den Mund gelegt wurde, der in Bibliotheken und Bibliographien in der Regel als Vita di Pietro Aretino del Berna aufgeführt wird. Originalausgaben dieses „per Bianchin dal Leon, in la contrata di carmini" unter dem Datum „ V I I d'Agosto M D X X X V I I " (sie für M D X X X V I I I ) gedruckten Texts befinden sich an der Nazionale in Neapel und an der Marciana in Venedig. 15 Der Dialog beginnt mit einer Anspielung auf Aretinos berühmten Brief an Gianiacopo Lionardo vom 6. Dezember 1537, den Karl Voßler in einer seiner frühen Schriften übersetzte und kommentierte. 16 Wie das Datum zeigt, kommen Berni und Mauro als Verfasser nicht in Betracht: beide waren zu diesem Zeitpunkt Recht: „die L'Aretino conoscesse un Rifacimento assai diverso da quello die fu poi sotto i suoi auspici stampato, e cosa fuor d'ogni dubbio". 14
C f r . : Lanfranco Caretti: Giovanni della Casa uomo publico e scrittore logia e critica, Mailand—Neapel, 1955, 6 3 — 8 0 ) .
(Filo-
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Ich konsultierte einen 1895 ohne Angabe des Orts und Verlags erschienenen Neudruck an der Braidense in Mailand. In dem Abdruck des fälschlich Berni zugeschriebenen Texts in den Opere di F. Berni (Biblioteca rara von Daelli, Mailand 1864) wurden die obszönen Stellen eliminiert.
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K. Voßler: Pietro Aretino's künstlerisches Bekenntnis (Neue Heidelberger Jahrbücher, Jahrgang X , 1900, 3 8 — 6 5 ) . Voßler war auf der Spur seiner Habilitationsschrift über Poetische Theorien der italienischen Frührenaissance (Berlin 1900) auf Aretino und Cellini gestoßen.
Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
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bereits tot. Nicolò Franco aus Benevent, der in Aretinos Haus lebte, war dem Divino bis Ende 1537 treu ergeben und hätte sich wohl kaum selbst mit einem „quel matto di Nicolò Franco" bedacht. Enrico Sicardi ist es gelungen, in einer mit vorbildlicher Schlüssigkeit durchgeführten Studie Fortunio Spira aus Viterbo als Autor der Vita zu identifizieren.17 Den konkreten Anlaß zu dem unflätigen und geistlosen Pamphlet bildete eine Affäre mit Giannantonio Sirena, der die „aretina" (diesen Namen legten die Venezianer den im Haus Aretinos lebenden Frauen bei) Perina Ricci zur Geliebten machte und gegen Pietro einen Prozeß wegen Sodomie und Gotteslästerung anstrengte, so daß sich Aretino vorübergehend aus der Stadt entfernen mußte. Was sich außer diesem Bericht über einen schwierigen Moment im Leben des flagello de' principi in dem Dialog findet, ist willkürliche Erfindung und Verleumdung: die Mutter Pietros soll vor der Geburt ihres Sohnes geträumt haben, sie werde einen „otro da vino" zur Welt bringen, „che forse è stato cagione che egli si chiami Divino" (5), Aretino habe ein Sonett auf die Köchin Gibertis gemacht und dadurch die Eifersucht von Achille della Volta erregt (8), während es bei dieser Legende doch wohl darum ging, die politischen Motive des Attentats zu vertuschen. Schließlich behauptet der Autor der Vita, Pietro sei aus dem Haus des päpstlichen Geldgebers Agostino Chigi gejagt worden, weil er eine silberne Tasse gestohlen habe (9). Es würde sich nicht lohnen, diese fadenscheinigen Argumente zu wiederholen, wären sie nicht einige Jahrhunderte lang ernst genommen worden. Ein Echo auf die kurz zuvor erschienenen „Ragionamenti" (1. Teil: Paris 1934; 2. Teil: Turin 1536 — in Wirklichkeit erschienen beide Werke in Venedig)18 findet sich in Mauros Kommentar zu Bernis Behauptung, Aretino sei „frate in Ravenna" gewesen: „Certo die esso ha cavato i suoi Dialogi di là, sapendo ciò die fanno le monache e i frati tra loro" (10/11). Die angeführten Proben zeigen mit genügender Deutlichkeit, daß die anonyme Vita als Quelle für eine Aretino-Biographie nicht in Frage kommt. Leidenschaftlicher Haß bewog Nicolò Franco 1541 zur Veröffentlichung seiner Rime contro Pietro Aretino19 und der 198 Sonette seiner 17
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Enrico Sicardi: L'autore dell'antica „Vita di Pietro Aretino" (Miscellanea Nuziale Rossi-Teiss, Bergamo 1897, 2 9 5 — 3 1 4 ) . Cfr. Marino Parenti: Dizionario dei luoghi di stampa falsi, inventati o supposti, Sansoni Antiquariato, Florenz 1951, 156 und 187. Eine Lebensbeschreibung Nicolò Francos gab Carlo Simiani: La vita e le opere di Nicolò Franco, Turin 1894, die durch die Veröffentlichung der Prozeßakten durch Angelo Mercati eine wertvolle Ergänzung fand: I costituti dì Nicolò Franco (1568—1570) dinanzi l'Inquisizione di Roma esistenti nell'Archivio Segreto Vaticano, Città del Vaticano — Biblioteca Apostolica Vaticana, 1955 (Studi e Testi 178). Die sonstige von mir eingesehene Literatur zu Nicolò Franco werde ich in einem besonderen Aufsatz behandeln, hier sei
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Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
Prìapea. Der 1516 in Benevent geborene Literat kam in den dreißiger Jahren nach Venedig und wurde von Aretino als Konsulent für die prose sacre angestellt. Da Aretino kein Latein konnte, mußte er sich die Unterlagen für seine Bibelbearbeitungen und Heiligenvitae ins Italienische übersetzen lassen. Franco verärgerte den Divino, als er im April 1539 bei Gardani eigene Pistole volgari vorlegte, die ein ungeschicktes Plagiat der Lettere Aretinos darstellen. Mit Recht wurde die Veröffentlichung von Aretinos Briefen als „Markstein in der Geschichte der italienischen Briefliteratur" bezeichnet, „vergleichbar dem Jahr 1624, das als Datum der ersten Ausgabe der Briefe des grand épistolier Guez de Balzac die gleiche Bedeutung für die französische Briefliteratur errang". 20 Aretino war sich darüber im klaren, daß er eine neue literarische Form geschaffen hatte, die in finanzieller Hinsicht mehr abwerfen konnte als verstreute Flugblätter. So viel Spreu sich unter den etwa dreitausend Briefen befinden mag, die Aretino in sechs Bänden sammelte (Band 6 erschien postum 1557), so läßt sich dodi nicht bestreiten, daß er als erster dem volkssprachlichen offenen Brief, mit dem man sich als Ratgeber und Vertrauter der Großen ausweisen konnte, zu internationalem Ansehen verhalf. Man kann daher Aretinos Ärger sehr wohl verstehen, als er sich von einem hergelaufenen Literaten nachgeäfft sah. Die Rache blieb nicht aus: ein creato Aretinos, Ambrogio Eusebi aus Mailand, zeichnete Franco mit Dolchstichen im Gesicht und vergällte durch drohendes Verhalten vor der Tür des Verletzten diesem für alle Zeiten den Aufenthalt in Venedig. Der Beneventaner mußte eine neue Bleibe suchen und fand sie zunächst in Casale Monferrato. Dort hatte der Flüchtige die nötige Muße, um seine Rime und die Priapea gegen Aretino (und andere Gegner) zu verfassen. Franco nannte sich herausfordernd „il Flagello de' flagelli", gab aber nur monotone Variationen über Aretinos Sodomie und perverse sexuelle Findigkeit. Mit Sonett 249 der Rime lehnt er sich an die burleske Metaphorik Bernis an21, aber nur selten gelang es ihm, seine obszönen Argumente durch eine geistreiche Pointe auf ein künstlerisches Niveau zu heben wie beispielsweise im Sonett 110 der Rime: T I Z I A N , la vertù vostra ho sempre amata, e se mentre vivete amor vi porto, ven' porterò poi che sarete morto, wenigstens auf die von E. S. (icardi) besorgte Neuausgabe der Rime Pietro Aretino und der Priapea (beide Lanciano, 1916) verwiesen.
contro
20
Fritz Neubert: Einführung in die franz. «. ital. Epistolarliteratur der Renaissance und ihre Probleme (Romanistisches Jahrbuch, 1961 [Bd 12] 6 7 — 9 3 ; 79).
21
Erich Loos untersucht in seinem Aufsatz Die italienischen Dichtungen Francesco Bernis (Romanistisches Jahrbuch, 1960 [Bd. 11], 1 4 3 — 1 6 0 ) vor allem die literarischen Formen von Aretinos Gegner und kommt zu dem Schluß, daß Berni nicht zu den großen Satirikern gehöre.
Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
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come il Petrarca a la su' innamorata. D'un gran dolore ho l'anima aggravata, e non ne trovo pace, nè conforto, che la vertù del vostro ingegno accorto in ritrar l'Aretin si sia ingannata. Io ve '1 vo' dire, e sappiavi pur male: chi del mistier die fate pesca al fondo, trova che il suo ritratto niente vale. Perchè far non potrebbe tutto il mondo ch'egli in un Quadro paia naturale, se il naturale suo fu sempre un Tondo. 22
Blasser Neid gegen den von Karl V. durch eine Jahrespension öffentlich geehrten Aretino spricht aus den Versen des Sonetts 111. Der blindlings drauflosschlagende Franco berührte einen der heikelsten Punkte des Kaisers, sein angebliches Verhältnis zu der savoyischen Schwägerin Beatrice: Credi, che la Marfisa con l'Ancroia non saprei fare, e scriverci a staffetta, e le lancie arrestate a la Goletta, e le rotte a la potta di Savoia?23
Man wird den unflätigen Versen Francos ebensowenig Quellenwert zugestehen können wie den Satiren Bernis und Mauros und der Vita Fortunio Spiras. Francos literarische und politische Laufbahn, deren Beschreibung den hier gesteckten Rahmen sprengen würde, endigte am 11. März 1570 auf der Engelsbrücke am Galgen. Der ehrgeizige Beneventaner war das von der Fortuna verlassene alter ego des glücklicheren und genialeren Toskaners. Gefährlichere Gegner als Franco erwuchsen Aretino im Lauf der Zeit in den Kreisen der Kurie und an den großen europäischen Höfen. Gerade die religiösen Schriften Aretinos (1534 eröffnete der Divino die Serie mit d e r Passione di Giesù u n d den Sette salmi di penitentia
di David)
mußten
die öffentliche Meinung verwirren. Die Aretino-Kritik, die sich nur selten mit den prose sacre beschäftigte, übersah allzu häufig das internationale Echo dieser Schriften. Giovanni Papinis und François Mauriacs Evangelienparaphrasen sind letztlich späte Ableger einer von Aretino lancierten Art Erbauungsliteratur. Wie sicher Pietros Witterung auch in diesem Fall gewesen war, zeigen die Übersetzungen, die sein literarisches Ansehen auf europäischer Ebene befestigten. Sir Thomas Wyatt (1503—1542) übertrug kurz nach ihrem Erscheinen die Psalmenvariationen Aretinos ins Englische24, Jean de Vauzelles veröffentlichte 1539 bei M. et G. Trechsel La 22 23 24
Rime contro P. A., o. c., 52. Ib., 52. C.S.Lewis: English Literature Oxford 1954, 226.
in the Sixteenth
Century
excluding
Drama,
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Pietro Aretino: Biographie, Legende, Forschung
Passion de Jesus-Christ, vivement descrite par le divin ertgin de Pierre Aretin italien ... und legte drei Jahre später bei S. Gryphius in Lyon eine französische Fassung der 1538 in Venedig erschienenen Genesi, con la visione di Noè, ne la quale vede i misteri del Testamento Vecchio e del Nuovo vor. Einen der heftigsten Zusammenstöße hatte Aretino mit dem Lombarden Giovanni Alberto Albicante, dem Verfasser einer Guerra del Piemonte in Oktaven. In einem capitolo in terza rima verspottete Aretino den Mailänder Autor: Salve, meschin, volsi dir Albicante De le muse pincerna e patriarca, Di Parnaso aguzzino ed amostante.
Der Lombarde schlug mit einer Apologia del bestiale Albicante contro il divino Aretino zurück, worauf es Pietro für geraten hielt, sich mit dem in einem Brief vom 19. April 1539 als „meschino" Beschimpften zu versöhnen. Die Episode wäre belanglos, hätte sie nicht ein großes Echo gefunden, wie eine 1539 erschienene Broschüre zeigt: Combattimento poetico del divino Aretino e del bestiale Albicante, occorso sopra la guerra di Piemonte, et la pace loro, celebrata nella Academia degli Intronati a Siena.25 Aber mochte dieser „furor de i poeti" „un fernetico di stoltizia sì eccellente nel ghiribizzo, che altri il chiama ,divino'" 26 gewesen sein, die Predigt des Benediktiners Joachim Perionius vor dem französischen König zeigt, daß Aretinos Gegner seine Schlüsselstellung zu untergraben suchten.27 Der Prediger war vor allem über Aretinos libido und seine didaktischen sexuellen Schriften aufgebracht und verstieg sich dahin, Aretins Name zu Petrus Arietinus zu verzerren und eine Bekehrung des Sünders schlechthin auszuschließen: „nam tam flagitiosus facinorosusque est iste, ut nulla unquam oratione in viam redire, corrigique posse videatur." 28 Verballhornungen wie Petrus Arietinus gehörten künftig zu den stehenden Wendungen der Aretino-Legende. Etwa ein Jahr vor seinem plötzlichen Tod verfeindete sich Aretino mit Antonfrancesco Doni (1513—1574), der jahrelang zu seinem literarischen Hofstaat gehört hatte. Von allen persönlichen Gegnern war er der gefährlichste. Der blindlings um sich schlagende Franco war viel zu sehr 25 26 27
28
Darstellung der Episode in der Biographie Mazzudiellis, ed. cit., 82/83. Aretino: Lettere, Mailand 1960, ed. cit., 565. Ad Henricum Galline Regem ... Ioachimi Perionij Benedictini Cormaeriaceni in Petrum Aretinum Oratio, Parisiis Apud Carolum Perier in vico Bellovaco 1551 (unpaginiert). Ib. (c. 33 v.).
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in seiner pornophilen Welt befangen, als daß ihn wirklich jemand ernst nehmen konnte. Doni war geschickter und als Schriftsteller durchaus eine Potenz. Sein venetianischer Aufenthalt (1547—1555) stand bis kurz vor seinem Ende im Zeichen der Freundschaft zu Aretino. Neben den unterwürfigen Briefen an den Meister ist dafür das beste Zeugnis La libreria del Doni fiorentino, die 1550 bei Giolito de' Ferrari in Venedig erschien. Aretino nimmt in diesem literarischen Lexikon einen hervorragenden Platz ein. Man geht sicher nicht fehl, wenn man annimmt, daß Doni den Text dem Divino zur Uberprüfung vorlegte. Während Nicolò Martelli (1498— 1555), einer der Mitbegründer der Florentiner Accademia degli Umidi, ganz im Ton und Stil Aretinos für das im Zeichen der Spontaneität stehende künstlerische Bekenntnis des Divino eintrat 29 , und auch Giovanni Stefano Montemerlo in Pietros Rebellion gegen die Regeln das hervorstechendste Merkmal von dessen Stil sah30, unterstrich Doni in erster Linie den Reichtum an rhetorischen Registern, die souveräne Beherrschung verschiedener Stile des damals noch bewunderten Meisters: „son poi (cfr. tutte le sue opere) di stile secondo che fa bisogno alla materia, perche la sapienza sua ha (korrigiert aus ho!) saputo distinguere, da la lingua che debbe ragionar di Christo della madonna de santi; da quella de Dialogi de gli stati delle donne & ha saputo far differenza da scrivere al Papa, all'Imperatore, a Re, a principi, a prelati, et scrivere a gl'amici, et alle persone basse, tutte 29
„Per due cagioni desidero solamente havere lettere dal mio S. Pietro qualche volta, . . . L'una, perche le mi fanno honore, l'altra, perche dalla inimitabile virtù sua sempre s'impara, e ben che alcuni ingrati spogliatori del le vostre lettere lo nieghino con la lingua; nondimeno con glinchiostri poi lo confessano, . . . & forse che i cacasodi, gli huopi, gli unqui, e i quanqui, e boccaccievoli, die non spendon mai nulla de' loro, si potrieno avedere quanto in questi casi delle lettere massime, & forse delle Rime la natura si rida dell'arte; e quanto l'arte senza i doni di essa natura; e delle stelle sia povera . . ( N i c o l o Martelli: Il primo libro delle lettere, Florenz 1546, c. 29 r./v. — Der Brief ist datiert 29. 2.1542).
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„Lascio stare la grande varietà dei soggetti trattati dallui, l'ampiezza dell'opera e la giudiciosa liberalità dei vocaboli et loro testure. Delle quali cose non per aventura altre sono né che più a bisogno oggi vengano, né che più conciamente cadute siano in qualunque s'è l'uno dei nuovi Scrittori. Perciò ch'egli uscito il primo liberamente fuori di alcuni legami di superstizione, non si è più ritenuto lungamente dentro ai carceri di quelle regole, die ad alcune voci, et testure quotidianissime et più necessarie, freno ponevano, o interdicevano al tutto il farsi vedere come sarebbe: di non porre la voce LUI nel caso primo; di non soggiungere l'articolo IL dopo la particella PER, non rifiutando per buona la voce ADESSO et altre cose facendo di simigliante maniera. Né tutto ciò però senza esempio di alcuni più antidii, come v e d r e m o . . . " G. S. Montemerlo: Delle Frasi Toscane Libri XII, Venedig 1556, zitiert von Giuliano Innamorati: Pietro Aretino — Studi e note critiche, op. cit., 13.
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l'opere sue son piene di comperationi, proprie, di sentenze gravi, & di tratti v i v a c i . . ." 31 Für eine literarhistorische Einordnung Aretinos in die „vorbarocke" Literatur hat die Stelle entscheidende Bedeutung, um so mehr als sie Rückschlüsse auf Aretinos eigenes Urteil hinsichtlich des Getanen erlaubt. Welch tückischer Gegner Doni sein konnte, zeigte er 1551, als er mit sichtlicher Genugtuung seinen früheren Freund Lodovico Domenichi in einen Inquisitionsprozeß verwickelte. Mit Aretino überwarf er sich, als er sich 1554 vergeblich wegen eines Empfehlungsbriefs an ihn wandte. Der Herzog von Urbino, Guidobaldo II., gehörte zu Aretinos besonderen Protektoren. Off ensiditlich wünschte der Divino keinen einflußreichen Literaten in dessen nächster Umgebung, aber Doni begab sich trotzdem nach Pesaro. Dort erreichte ihn ein Drohbrief Aretinos, auf den Doni seinerseits wütend reagierte. Im Todesjahr Aretinos veröffentlichte er sein Terremoto del Doni fiorentino — Con la rovina d'un gran colosso bestiale Anticristo della nostra età. Opera scritta a onor di Dio e della santa Chiesa per difesa non meno de' Prelati che de' buoni Cristiani e salute. Von den sieben geplanten Büchern wurde nur eines bekannt. Zunächst wurde angenommen, die anderen seien nie geschrieben worden, weil Aretino — wie von Doni prophezeit — noch im gleichen Jahr starb, aber ein Aretino-Fund C. Arlias hat diese These erschüttert.32 Doni versuchte mit seiner Polemik gegen Pietro Aretino eine Art Beweisaufnahme für einen Prozeß, indem er die religiösen Schriften des Gegners nach undogmatischen Äußerungen durchsuchte. Aretino wird sogar bezichtigt, Giorgio Vasaris Kopie der Madonna von San Pietro di Arezzo, zu der Aretinos Mutter Tita das Modell gewesen war, mit einem prahlenden „questa è mia madre" zu zeigen: „Ecco die tu contrasti con Gesù Cristo, che esso veramente fu figliol di Maria V.; e se bene fosse stata la effigie di tua madre, la dovevi con altro abito far ritrarre, tenere e mostrare. Ma come membro di anticristo concorri con Cristo, ed in dispregio hai la sua umanità lacerata, con lo scrivere i sensi a rovescio dello evangelio; poi ti scusi con dire, sono ignorante."33 Doni wollte Aretino 31 32
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La libreria del Doni fiorentino, Venedig 1550, 39 v. Die Behandlung der Kontroverse Doni—Aretino muß einer Aretino-Biographie vorbehalten bleiben. Die ausführlichste und beste Darstellung von Donis Leben ist nach wie vor die Vita di Antonfrancesco Doni fiorentino von Salvatore Bongi im ersten Band der von Pietro Fanfani besorgten zweibändigen Ausgabe der Marmi (Florenz 1863, I X — L X I I I ) . Costantino Arlia veröffentlichte La vita dello infame Aretino lettera CI et ultima, 1901 (Città di Castello). Donis sprachlichen „Expressionismus" untersuchte Fredi Chiapelli: Sull'espressività della lingua nei „Marmi" del Doni (Lingua nostra, 1946, VII, 33—38). Der Text des Terremoto wurde mit der Vita von 1538 im Anhang zu der
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juristisch erledigen. Verwundert fragte er sich in einem Brief an den Carafa-Papst Paul IV., wie es möglich sein konnte, daß Julius I I I . (der zwar Pietro nicht zum Kardinal machte, aber bei seinem Besuch in Rom auf die Stirn küßte) einen Höllenhund wie Aretino mit dem Schafspelz der Würde eines Ritters vom Heiligen Paulus behängen konnte. 34 Doni zeigt sich in seinen Invektiven als gelehriger Schüler des Rhetors Aretino, wenn er schließlich Karl V . mit einer langen Tirade apostrophiert: „Ah Carlo candido, ah Carlo pien di pietà, ah Carlo tre e quattro volte giusto! movi la destra invitta del braccio invincibile, e cancella lo Aretin Pietro dalla tavola sacra de' virtuosi pagamenti, distribuiti tutti giustissimamente, tutti impiegati con misura, salvo die in questo reo uomo, il quale visse, vive e sempre viverà in una vita sceleste e diabolica. La lussuria ha in casa sua il regno; la gola vi ha la voragine; la malignità vi tien la monizione; il veleno vi ha la fucina, dove fabrica continuamente parole crudeli; e la falsità vi sculpisce le lingue, le quali poi l'adulazion sua ministra, sparge per tutto." 3 5 Die Schmähschrift klingt aus in einer Invektive: „Alla porcheria del verro Aretino, diluviator di porchette arrostite, molto venerabilissimo", eine groteske Schilderung der maß- und hemmungslosen Völlerei des Divino, die in den Schilderungen der satanischen Unzucht in den Ragionamenti ein Pendant hat. Doni verfolgte Aretino auch noch nach dessen plötzlichem Tod. Wie ein Brief des im Dienst der Gegenreformation stehenden Girolamo Muzio ( 1 4 9 6 — 1 5 7 6 ) an den Kardinal von Trani „del Collegio dell'Inquisizione" von 1558 zeigt, hatte ihm Doni beflissen Aretinos Humanità di Christo übersandt „dicendomi, che in quella erano cose non tolerabili, pregandomi, che la dovessi trascorrere, Se die parendomi ne dovessi scrivere a Roma: & mi diceva che fra le altre cose dove Christo disse esser più agevol cosa die un Camelo entrasse per la cruna di un ago, die un ricco in cielo, colui in luogo di Camelo ha posto Elephante. E t segnò il l u o g o . . ." 3 S Die Legende von Aretinos Tod, die Anselm Feuerbach in einem Gemälde der Basler öffentlichen Kunstsammlung festhielt, ist inzwischen widerlegt. Auf dem Bild Feuerbachs sieht man, wie der Schriftsteller rücklings vom Schemel fällt und sich dabei das Genick bricht. Die dekolletierten Kurtisanen blicken betroffen auf den am Boden Liegenden, der im Fall das Tischtuch mit dem Schlemmermahl zu Boden riß. Anlaß zu dem plötzlichen Ende soll Aretinos hemmungsloses Gelächter gewesen sein, als man ihm
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bereits zitierten Ausgabe der Opere di Francesco Berni (Biblioteca rara) veröffentlicht (197—255), 204. Opere di Francesco Berni, ed. cit. 2 1 2 — 2 1 4 . Ib.: 216. Cecilia Ricottini Marsili-Libelli: Anton Francesco Doni scrittore e stampatore, Firenze (Sansoni Antiquariato, Bd. 21) 1960, 238.
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von einigen obszönen Kunststücken seiner Schwestern in ihrem Bordell in Arezzo erzählte. Der Anlaß von Aretinos Tod ist nicht weniger Legende als die Behauptung, er sei als illegitimer Sohn des Adligen Bacci geboren." Aretinos Todesdatum fällt in eine entscheidende historische Zäsur: 1556 trat Karl V. zurück. Die jahrelange Protektion des Kaisers, der ihn 1543 in Peschiera zu seiner Rechten reiten ließ, war die größte Karte, die der Schriftsteller aus Arezzo auszuspielen hatte. Es darf nicht verwundern, daß der Schriftsteller bis zu seinem Tod seitens der Inquisition unbehelligt blieb. Er verdankte dies seiner Stellung in Venedig und seiner Indifferenz in religiösen Streitfragen. Es bedurfte schon der von H a ß und Neid diktierten Akribie Donis, um belastendes Material gegen den Feind zu sammeln. Mit einem sicheren Instinkt reagierte Aretino, als der von ihm oft geschmähte Vescovo di Chieti, der später als Paul IV. mit fanatischem Eifer die Gegenreformation betrieb, 1537 von Paul III. zum Kardinal ernannt wurde. Es ist bekannt, daß Aretino selbst — und nicht ganz ohne Aussichten — für sich einen roten Hut erhoffte. Das große Konsistorium Pauls III., das ein denkwürdiges Datum für die Geschichte der Gegenreformation darstellt, verlangte seitens Aretinos einen Kommentar, dessen Ton von größtem Respekt diktiert scheint: „E chi dubita che la scelta di tanti servi di Giesù non sia proceduta da spirazioni divine, ponga mente a la vertu che ha mostro il suo giudizio in avergli conosciuti ed eletti. O vecchio santo, se si acquista gloria in agiugnere ornamenti al sacro del Vaticano, che merita la Beatitudine Tua, che oltre l'averlo cinto de sì degni cardinali, vincendo con l'animo generoso l'avarizia invincibile, l'ha ripieno de i tesori che hanno accumulati cotali interpreti de le parole che nel profondo de i sensi loro serbano i secreti di Dio; onde le false dottrine di Lutero sommergeranno ne la schiuma che mentre latrano gli fa bollire in bocca il fuoco de la malvagità." 38 Genau zwanzig Jahre später setzte der in diesem Brief Apostrophierte als Paul IV. Petri Aretini opera omnia auf den Index (der Index von 1557 wurde gedruckt, aber nicht publiziert. Erst die Neuauflage von 1559, die sich kaum von der zwei Jahre früher verfaßten Ausgabe unterschied, wurde veröffentlicht). Bekanntlich wurden die römischen Indices seit Paul IV. nach drei Klassen (series) eingeteilt. In der ersten Klasse stehen, so heißt es in den Vorbemerkungen, „die Vornamen oder Zunamen derjenigen, von welchen erkannt worden ist, daß sie mehr als die übrigen und gewissermaßen ex professo geirrt haben, und darum werden ihre sämtlichen Schriften, worüber sie auch handeln mögen, durchaus verboten . . ."3B Schon die 37 38 39
A. del Vita: La nascita e la morte di P. A. (Il Vasari, 1960, 51—60). Aretino: Lettere, Mailand 1960, 118/119. Cfr. Heinrich Reusch: Der Index der verbotenen Bücher — Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte, l . B d . Bonn 1883; 2. Bd. Bonn 1885; Bd. 1,
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Predigt vor Heinrich II. ließ darauf schließen, daß Aretino von den Rigoristen zu den „ex professo" irrenden Autoren gezählt wurde. Die Folgen der Indices für den Buchhandel sind bekannt. Venedig, seit Aldo Manuzio ein blühendes Zentrum europäischer Druckerkunst, verlor in der zweiten Hälfte des Cinquecento seine literarische Bedeutung. Maßnahmen wie die gegen Pietro Aretino hatten für das Nachleben literarischer Werke katastrophale Auswirkungen. Auch Titel, die weder gegen die Moral noch gegen die Orthodoxie verstießen, verschwanden in den inferni der Bibliotheken und führten künftige Verleger vor den Richter. Der Index der römischen Kirche führte zu gewaltsamen kulturgeschichtlichen Verdrängungen, wie die Geschichte von Aretinos „fortuna" zeigt. Als Aretino nach 1558 in Italien, Frankreich und Spanien nicht mehr erscheinen konnte, machte sich der Londoner Verleger John Wolfe an die Vertreibung seiner Schriften. Er legte 1584 unter dem fingierten Namen Barbagrigia Stampatore mit falscher Ortsangabe (Bengodi ne la già felice Italia) vier Auflagen der Ragionamenti vor und rundete sie zu einer kleinen porno-erotisdien Bibliothek, indem er das seitdem unter Aretinos Namen laufende Ragionamento dello Zoppino fatto frate e Ludovico puttaniere als Anhang zum zweiten Teil von Aretinos Ragionamenti veröffentlichte und eine (oder mehrere?) Ausgaben von 1584 durch den Commento di Ser Agresto da Ficaruolo, sopra la prima ficaia del padre Siceo, con la diceria de' nasi ergänzte (die Ficheide Francesco Maria Molzas gehört ebenso wie der Kommentar Annibale Caros zu der Unmenge burlesker Literatur in der Nachfolge Bernis). Die in London gedruckten Exemplare — darüber besteht wohl kein Zweifel — waren sicher in erster Linie für den Verkauf in Italien bestimmt. Es spricht für den Erfolg des Verlegers, daß er 1589 als Giovanni Andrea del Melagrano eine weitere Ausgabe der Ragionamenti publizieren konnte und 1588 auch Quattro Comedie . . .ciò, il Marescalco, la Cortegiana, la Talanta, L'Hipocrito druckte. Es konnte nicht ausbleiben, daß Aretino wie Machiavelli im Lauf der Zeit zu einem bloßen Namen gerann und so Gegenstand der willkürlichsten Beschuldigungen wurde. Mario Praz hat nachgewiesen, daß es vor allem die Karrieren italienischer Abenteurer am Hof der Caterina de' Medici waren, welche die schwarze Legende über Machiavelli förderten.40 John Wolfe druckte 1591 in London ein Pamphlet gegen die Italiener, das wahrscheinlich einen Hugenotten zum Verfasser hatte: A Discovery of the great subtiltie and wonderful wisedom of the Italians, whereby they beare sway over the most part of Cristendome 263. — Reusch polemisiert mit Recht gegen die Behauptung von Gregorovius, die päpstliche Zensur des 16. Jahrhunderts nach Leo X . habe die „abscheuliche Literatur" Aretinos nicht verfolgt (Ib. 392, Anm. 1).
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Machiavelli in Inghilterra
ed altri saggi, Rom 1942, 87.
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and cunninglie behave themselves to fetch the Quintescence out of the peoples purses: Discoursing at large the meanes, howe they prosecute and continue the same: and last of all, convenient remedies to prevent all their pollicies herein.*1 Je mehr sich die politisch-konfessionellen Fronten versteiften, um so leichter wurde die Bildung literarischer Mythen. Machiavelli und Aretino waren die beiden großen italienischen Ärgernisse des Jahrhunderts. Sie wurden bald nicht mehr auseinandergehalten, so daß Sylvester von „MachAretines", Glapthorne von „Aretines Politicks" und Nashe von „veneriall Machiavelisme" sprachen.42 Für die Ausstrahlung Aretinos nach England im elisabethanischen Zeitalter sei hier auf die grundlegende Untersuchung von Mario Praz über Machiavelli in Inghilterra verwiesen. Aretino blieb zwar in erster Linie der Verfasser der Sonetti lussuriosi, aber da er in nächster Nähe zu Machiavelli und Ignatius von Loyola rückte (so bei John Donne in Ignatius his Conclave und bei Thomas Middleton in A Game at Chess) wurde ihm bald jegliche Art Schurkerei zugeschrieben: Pater M. Mersenne behauptete in seinen Questiones in Genesim (Paris 1623 und 1644), ein Freund habe in dem Stil der Schmähschrift De tribus impostoribus die Ausdrucksweise Aretinos erkannt. Bis zu Mazzuchelli hat sich diese Legende hartnäckig gehalten. In Wirklichkeit muß das Buch De tribus impostoribus Aretino schon im 16. Jahrhundert zugeschrieben worden sein. Thomas Nashe (1567—1601) protestiert in seinem Roman The Unfortunate Traveller or The Life of Jacke Wilton gegen diese Attribution. Nashe macht aus Aretino die zentrale Gestalt der venetianischen Episode des Romans. Da es sich um die erste ausführliche Würdigung des Italieners im Ausland handelt, sei auf Jacke Wiltons venetianischen Zwischenfall kurz eingegangen. Die Kurtisane Tabitha verwickelt den Engländer mit seiner Begleitung in eine Affäre, die nur durch eine energische Intervention Aretinos zu einem glücklichen Ausgang geführt wird: „Such and so extraordinarie was his care and industrie herein, that, within few dayes after mistress Tabitha and her pandor cride Peccavi confiteor, and we were presently discharged, they for example sake executed."43 Unschwer hört man in jenem „Peccavi confiteor" das Echo der Ragionamenti,44 Das fol41 42 43
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Ib., 87/88. Ib. 131. Thomas Nashe: The Unfortunate Traveller or The Life of Jacke Wilton, edited by H . F. B. Brett-Smith (The Percy Reprints, N o . 1), Oxford 1948, 60. Bei diesen Variationen zu Themen Aretinos hätte die Untersuchung von F. Liedstrand „Metapher und Vergleich in the ,Unfortunate Traveller' von Thomas Nashe und bei seinen Vorbildern F. Rabelais und P. Aretino (Diss. Berlin 1928, Weimar 1929) ansetzen müssen, um die Bedeutung des Toskaners für diesen „most Elizabethan" aller englischen Schriftsteller zu unterstreichen (Cfr. G. R. Hibbard: Thomas Nashe, London 1962).
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gende ausführliche Zitat zeigt deutlich, daß für Nashe Aretino, und nicht Rabelais, das große kontinentale Bildungserlebnis war: 45 „If out of so base a thing as inke, there may bee extracted a spirite, hee writ with nought but the spirite of inke, and his stile was the spiritualitie of artes, and nothing else, whereas all others of his age were but the lay temporalitie of inkehorne tearmes. His pen was sharp pointed lyke a poinyard, no leafe he wrote on, but was lyke a burning glasse to set on fire all his readers. . . Princes he spared not, that in the least point transgrest. His life he contemned in comparison of the libertie of speech. Whereas some dull braine maligners of his, accuse him of that Treatise, de tribus impostoribus Mündt, which was never contriued without a general counsell of devils, . . . Foure universities honoured Aretine wyth these rich titles, II flagellode principi, Il veritiero, II deuino, & L'unico Aretino ... Besides, as Moses set forth his Genesis, so hath hee set forth his Genesis also, including the contents of the whole Bible. A notable Treatise hath he compiled, called II sette Psalmi paenitentiarii. All the Thomasos have cause to loue him, because hee hath dilated so magnificently of the lyfe of Saint Thomas . . Nashe versucht als erster, ein umfassendes Bild des politischen, religiösen und erotischen Schriftstellers zu geben. Wenn Henri Berr in seiner Vorrede zu Lucien Febvres Untersuchung über Le problème de l'incroyance aus XVIe siècle — La religion de Rabelais feststellen konnte: „II semble, . .., que, de bonne heure, Gargantua, Pantagruel et Panurge aient engendré un Rabelais légendaire, ,diantre de la Dive Bouteille et prodigieux biberon'" 47 , so gilt dies in ähnlicher Weise für Aretino als Dichter der Unzucht. Audi im Fall Aretinos scheint Lucien Febvres „réaction contre la thèse que le XVI e siècle serait déjà un ,siècle de lumières'" 48 nicht weniger heilsam als bei der Auseinandersetzung mit Rabelais. Was dem heutigen Leser als Widerspruch erscheinen muß, war für „ce temps très chrétien"49 noch Selbstverständlichkeit. Ein wichtiger Ansatz zu einer polemischen Stellungnahme gegen den von Aretinos Zeitgenossen (und den barocken Schriftstellern) als beispielhaft empfundenen Stil findet sich in den Essais von Michel de Montaigne. Im 51. Kapitel des 1. Buchs (De la vanité des paroles) bringt der Franzose 45
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„Quant à une quelconque .influence' de Rabelais sur Nashe, nous n'avons aucune raison d'y accorder quelque crédit. D'autant moins que Nashe luimême insiste avec force sur sa dette vis-à-vis de l'Arétin, tandis que nulle part il ne dit quoi que ce soit de ce genre à propos de notre auteur (Marcel de Grève: L'interprétation de Rabelais au XVIe siècle, Genf, 1961, 227). The Unfortunate Traveller, ed. cit. 61/62. Edition revue, Paris 1962, X. Ib., X X V . Ib., 401. Hösle
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die Sprache auf Aretino und den ihm zuerkannten Ehrentitel „Divino": „ . . . les Italiens, qui se vantent, et avecques raison, d'avoir communément l'esprit plus esveillé et le discours plus sain que les autres nations de leur temps, en viennent d'estrener l'Aretin, auquel, sauf une façon de parler bouffie e bouillonnée de poinctes, ingenieuses à la vérité, mais recherchées de loing et fantastiques, et oultre l'eloquence enfin, telle qu'elle puisse estre, ie ne veois pas qu'il y ait rien au dessus des communs aucteurs de son siecle: tant s'en fault qu'il approche de cette divinité ancienne." 50 Es kann sich hier nicht darum handeln, im einzelnen aufzuzeigen, was die französische Pléiade und das Grand siècle Aretino verdankten. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die gegen Kupplerinnen und Kurtisanen gerichteten Satiren Joachim Du Beilays 51 und Mathurin Régniers den Dialogen Aretinos einiges verdanken, wie schon die äußerliche Tatsache zeigt, daß der erste Tag des zweiten Teils der Ragionamenti 1615 in Paris als Histoire des amours faintes et dissimulées de Lais et Lamia, récitées par elles-mesm.es, mise en forme de dialogue par P. Aretin . . . Traduite de Vitalien en français et augmentée de la Vieille Courtisane de I. Du Bellay52 erscheinen konnte. In Frankfurt wurde 1623 eine von Kaspar Barth besorgte lateinische Ubersetzung mit langatmigem Titel publiziert: 53 Pornodidascalus, sev colloquium muliebre Petri Aretini Ingeniosissimi & ferè incomparabilis virtutem & vitiorum demonstratoris: de astu nefario horrendisque dolis, quibus impudicae mulieres juventuti incautae insidiantur, dialogus. Ex itálico in 50
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Essais de Michel de Montaigne, nouvelle édition . . par J.-V. Le Clerc (tome premier), Paris 1865, 464. „Bref, tout cela qu'enseigne l'Aretin, / Je le sçavoy: & sçavoy mettre en œuvre/ Tous les secrets que son livre descouvre:/ Et d'abondant mille tours incogneus,/ Pour esveiller la dormante Venus" (La vieille courtisane, vv 228— 232, Joachim Du Bellay, Œuvres poétiques, V, Recueils lyriques, édition critique publiée par Henri Chamard, Paris 1923, 162). G. Apollinaire: L'Enfer de la Bibliothèque Nationale, ed. cit., 145. Barth bezieht sich auf die 1548 in Sevilla erschienene spanische Übersetzung des 3. Tags des ersten Teils: Der Text dieses Coloquio de las Damas wurde von D. M. Menéndez y Pelayo in den vierten Band seiner Origines de la Novela (Madrid 1915, 253—277) aufgenommen. — Barth veröffentlichte ein Jahr später seine lateinische Ubersetzung der Celestina mit dem Titel Pornoboscodidascalus Latinus etc. Uber Barth als Übersetzer aus dem Spanischen schreibt Menéndez y Pelayo: „Su prosa es abundante y ecléctica, no muy limada, pero exenta de las fastidiosas afectaciones ciceronianas del siglo anterior, no menos que de aquel refinado culteranismo que en el siglo X V I I tuvo por principal representante a Juan Barclay, célebre autor de las dos novelas Argents y Euphormio . . . En cuanto a fidelidad tiene pocas tachas. Rares veces equivoca el sentido, y sólo en dos o tres casos se permite expurgar levemente un texto que miraba con veneración supersticiosa." (La Celestina, 3. Aufl. — Colección Austral — Madrid 1958, 205.)
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hispanicum sermonem versus à Ferdinando Xuaresio seviliensi. De Hispánico in Latinum traducebat, ut Juventus germana pestes illas diabólicas apud exteros, utinam non & intra limites, obvias cavere possit cautiùs. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erscheint ohne O r t und J a h r dann auch eine deutsche Übersetzung: „Italiänischer Huren-Spiegel, Petri Aretini von Florentz. Innhaltend ein überaus lustig Gespräch zweyer Alten, weiterfahrnen, wohlversuchten Putanen von Bononien. Darinn dieser Bestien abscheuliche Laster, Gottlosigkeit, Unfläterey, Leichtfertigkeit mit lebendigen Farben abgemahlet... werden. Allen Teutschen jungen von Adel, Studenten, Kauff- und Wanders-Leuten . . . zur Lehr und Warnung: Menniglich aber aus der Hispanischen Sprach in unser Teutsche übergesetzt und zum ersten Mal in Truck verfertigt,54 I m siebzehnten Jahrhundert ging in Italien mit Marinismus und Barock Aretinos Saat auf. Es darf daher nicht verwundern, daß die Zensur Neuauflagen von Aretinos prose sacre passieren ließ, als der Drucker Marco Ginammi den verrufenen Namen des Verfassers hinter dem Anagramm Partenio Etiro tarnte. Unter dem Namen Luigi Tansillos wurden seit dem Beginn des Seicento Aretinos Komödien verbreitet und 1609 erschien in Paris die letzte Gesamtausgabe von Pietros Lettere. Kein anderes Jahrhundert hat sich seit Aretinos Tod mehr um die Verbreitung seiner Schriften bemüht als das Seicento, das mit Ferrante Pallavicino auch den wichtigsten Nachfolger und Schüler des Divino besaß. D e r aus Piacenza stammende Polygraph schrieb wie der Schriftsteller aus Arezzo neben erotischen Werken auch religiöse Erbauungsliteratur „per commandamento altrui, non per devotione propria" 5 5 . Den erst siebenundzwanzigjährigen Abenteurer der Feder faßten 1643 die Häscher der Barberini. I n Avignon wurde der von der offiziellen Literaturwissenschaft nahezu ignorierte Schriftsteller ein J a h r später enthauptet. 56 Sein die Homosexualität verteidigendes Werk Alcibiades fanciullo a scuola wurde unter dem Pseud64
Bibliotheca Germanorum Erotica & Curiosa — Verzeichnis der gesamten deutschen erotischen Literatur mit Einschluß der Übersetzungen, nebst Beifügung der Originale, hg. von H. Hayn und A. N. Gotendorf zugleich dritte, ungemein vermehrte Auflage von H. Hayns Bibliotheca Germanorum erotica, Bd. I (A—C), München 1912, 109. Wichtige Ergänzungen zu den dort aufgeführten Aretino-Übersetzungen gibt der von Paul Englisch herausgegebene Ergänzungsband (IX), München 1929. Die von Paul Englisch 1927 bei J. Püttmann in Stuttgart veröffentlichte Geschichte der erotischen Literatur wurde 1963 (Magstadt bei Stuttgart) neu aufgelegt.
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La vita di S. Giovanni Martire Duca d'Alessandria lavicino, Venedig 1654, 4.
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Luigi Fassò wurde der Bedeutung Pallavicinos nicht gerecht, als er in dem Artikel der Enciclopedia Treccani das literarische Werk des Piacentiners mit einem schlichten „Egli non fu che un epigono di P. Aretino" abtat.
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descritta da Ferrante Pal-
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onym D. P. A. (Divinus Petrus Aretinus) handschriftlich und im Druck — Oranges, Juan Wart, 1652 — verbreitet. 57 Der Fall Pallavicinos zeigt, daß im siebzehnten Jahrhundert Aretinos Gesamtwerk noch Muster und Vorbild sein konnte, was die monotonen und mangelhaft informierten Schmähschriften der Theologen leicht übersehen lassen könnten. 58 Erst 1696 wurde mit Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique zum ersten Mal Werk und Persönlichkeit Pietros in den Grenzen des damals Möglichen mit kritischer Distanz und Sachlichkeit gesichtet, was Giuliano Innamorati übersieht, wenn er seinen Forschungsbericht mit der Feststellung beginnt: „La data iniziale della storia della critica aretinesca va riconosciuta nel 1741, anno in cui uscì la prima edizione dello studio biografico-critico di Gian Maria Mazzucchelli, al quale risalgono incontestabili diritti di supremazia informativa e responsabilità tuttora non esaurite quanto alla generale determinazione dell'indagine." 59 Diese Behauptung ist nur insofern richtig, als wir Mazzuchelli wirklich die erste vorurteilsfreie Biographie Pietro Aretinos verdanken. Der „confuso stato di semiclandestinità e di contrabbando culturale" 60 erfuhr jedoch im Rahmen der verfügbaren Informationen bereits im Dictionnaire historique et critique von Pierre Bayle, den Innamorati nur in einer Fußnote und in der Ausgabe von 1696 erwähnt, eine erste Klärung. Die fünfte Auflage von 1740 erschien ein Jahr vor Mazzucchellis Werk und wirkte in vieler Hinsicht wie der Auftakt zu der Vita di Pietro Aretino des Brescianers. Bayle zitiert und überprüft von Fall zu Fall die Äußerungen zu Pietro Aretino, er erwähnt die durchaus gerechtfertigten Vorbehalte Montaignes gegenüber seinem italienischen Zeitgenossen, weist aber im einzelnen nach, daß Aretino ganz zu Unrecht von seinen Gegnern seit seinem Tod immer wieder von theologischer Seite angegriffen wurde. Er mockiert sich über den „bon Pére" Mersenne, der behauptet, einer seiner Freunde habe in dem Buch De tribus Impostoribus den Stil Aretinos erkannt (Mersennus: In Genesim, Paris 1644) und verspottet die Leichtgläubigkeit der Protestanten, die sich weismachen lassen, der Patriarch von Venedig erlaube in seinen Kirchen ein Epitaph wie das von L. Moreri im Grand Dictionnaire historique (Paris 1725) übermittelte. Condit Aretini ciñeres lapis iste sepultos, Mortales atro qui sale perfricuit. 57 58
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Paul Englisch: Geschichte der erotischen Literatur, op. cit., 604. So stellte Theophilus Spitzel in seinem 1676 in Augsburg veröffentlichten Felix literatus die im Zusammenhang mit Aretino müßige Frage: „Aretinus Petrus, an fuerit atheus?" Pietro Aretino — Studi e note critiche, op. cit., 7. Ib., 7.
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Intactus Deus est illi, causamque rogatus Hanc dédit: ille, inquit, non mihi notus erat.*1
Bayle vermutet richtig, daß es sich bei dieser angeblichen Grabinschrift um „une de ces Pieces satiriques" handle, „que l'on fait sur la mort des gens, & a qui l'on donne le titre & la forme d'Epitaphe." 6 2 Bayle meldet auch hinsichtlich Paul Frehers Bericht im Theatrum virorum eruditione clarorum (Nürnberg 1688) Bedenken an. Danach wären Aretinos religiöse Schriften darauf zurückzuführen, daß er eines Tages von italienischen Fürsten hundert Stockhiebe erhalten habe und dadurch bekehrt worden sei. Wie konnten schon 1540 bzw. 1542 französische Ubersetzungen der Psalmen- und Genesis-Paraphrasen Aretinos erscheinen, fragt sich Bayle, wenn seine angebliche Konversion erst kurz vor seinem Tod erfolgte. Bayle gesteht zwar zu, Aretinos Ragionamenti seien „abominables", aber sie seien es doch weit weniger als das Buch De omnibus Veneris schematibus (er meinte damit die Sonetti lussuriosi), das man ihm zu Unrecht zuschreibe. Täuschte er sich auch hierin wie in verschiedenen anderen Stellen seiner überlegten Bibliographie der seit Aretinos Tod erschienenen Äußerungen über den verfemten Schriftsteller, so ändert dies doch nichts an der entscheidenden Tatsache, daß Bayle — im Gegensatz zu seinen Vorgängern — die Überlieferung nicht einfach akzeptierte, sondern von Fall zu Fall überprüfte, daß er sich bei einer Reihe angeführter Titel die Frage stellte, ob Aretino wirklich Verfasser der ihm zugeschriebenen Werke sei. Vermochte er Aretino auch nicht von dem Vorwurf der Unmoral freizusprechen, so wies er doch nachdrücklich darauf hin, daß dem Schriftsteller zu Unrecht der Makel der Gottlosigkeit anhafte. Bayles Antworten auf die von ihm aufgeworfenen Fragen sind oft unbefriedigend, aber daß er überhaupt Fragen stellte, anstatt die durch die Überlieferung sanktionierten Antworten zu übernehmen, bleibt sein meines Wissens noch nie gewürdigtes Verdienst. 61
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Dictionnaire historique et critique par Mr. Pierre Bayle, cinquième édition revue, corrigée, et augmentée avec la vie de l'auteur, par Mr. des Maizeaux, tome premier A—B, Amsterdam, Leiden, Den Haag, Utrecht 1740 (303—308). Diese angebliche Grabinschrift auf Aretino wurde später von D. Caldas Barbosa in Portugal gegen den Aufklärer Manuel Maria de Barbosa du Bocage gerichtet: „De todos sempre diz mal/ O impio Manuel Maria;/ e se de Deux o näo disse,/ Foi porque o näo conhecia" (Poesias eroticas, burlescas e satyricas de M. M. de Barbosa du Bocage nao comprebendidas na ediçao que das obras d'este poeta se publicou em Lisboa no anno de MDCCCLI1I, Brüssel 1884, 159). Daß für Bocage Aretino nicht nur ein N a m e war, zeigt sich in seinem angeblich kurz vor dem Tod diktierten Sonett „Ja Bocage näo sou! . . e i n e r leidenschaftlichen Palinodie, die in der Terzine gipfelt: „Outro Aretino fui . . A santitade/ Manchei! . . Oh! Se me creste, gente impia,/ Rasga meus versos, crê na eternidade!" (Poesias, selecçâo, prefâcios e notas de Guerreiro Murta, 2. Aufl., Lissabon 1950, 119). Es bleibt allerdings umstritten, ob dieses Sonett nicht Werk frommer Nachlaßverwalter ist.
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Mit dem nachdrücklichen Hinweis auf Pierre Bayle sollen vor allem die verdienstvollen methodischen Ansätze der Frühaufklärung hervorgehoben werden. Sie kennzeichnen in ganz besonderem Maß die Tätigkeit des aus Brescia stammenden und in Brescia tätigen Giammaria Mazzuchelli (1707—1765). Anlaß für seine Aretino-Vita war sein groß angelegtes und dann in den ersten Buchstaben des Alphabets steckengebliebenes Lexikon Scrittori d'Italia. Der umfangreiche Artikel Aretino wird also bis zu einem gewissen Grad dem Zufall verdankt. Mazzuchelli konnte ihn bereits 1741 als Sonderdruck vorlegen, übernahm ihn dann 1753 in den ersten Band seines Lexikons und veröffentlichte ihn 1763 in zweiter und erweiterter Auflage wieder getrennt in Buchform. Mazzuchelli ist auch heute noch für jeden Aretino-Biographen eine unerschöpfliche Quelle. Mit größter Nüchternheit überprüfte der Literat aus Brescia seine sorgfältig gesammelten Unterlagen und ließ sich, im Gegensatz zu den Geschichtsschreibern des folgenden Jahrhunderts, in der Regel durch die farbigen Aspekte seines Gegenstands nicht blenden. Geradezu trocken breitet er seine Fakten aus, und nur in seltenen Fällen wurden Korrekturen seiner Thesen erforderlich. Aretino als Persönlichkeit verschwindet freilich hinter der Fülle des herangezogenen Materials. Dieser Mangel wird aber durch den gesunden Menschenverstand Mazzuchellis ausgeglichen, dem es gelingt, selbst festverwurzelte Legenden auszurotten. Für die Beurteilung des literarischen Werks von Pietro ist der Brescianer unergiebig, um so mehr wird man sein Verdienst um die Klärung des Aretino-Bildes bewundern. Der Bericht von Aretinos Tod mag als Beispiel genügen: „Tanti e si disastrosi incontri a' quali soggiacque l'Aretino possono dar luogo a più d'uno di considerarlo in certo modo fortunato, perché alcuno non gliene avvenisse die lo levasse di vita. Vero è tutta volta che niente meno infelice fu la cagione della sua morte, se almeno vogliamo prestar fede al racconto di Antonio Lorenzini, dal quale abbiamo che, udendo egli alcune nefande oscenità commesse dalle sue disoneste sorelle, uscisse in risa sì sgangherate che ne cadesse a terra rovesciando indietro la scranna su cui sedeva, e quinci ne riportasse une sì grave ferita nella testa che ne restasse tosto morto. Noi veramente con non poca difficoltà possiamo credere un tale avvenimento che ha troppo del singolare, tanto più che il Lorenzini è scrittore assai posteriore, fiorito essendo sul principio del secolo decimo settimo, e mostra di riferirlo sul semplice racconto altrui. Ciò che noi crediamo poter rendere verisimile un sì funesto accidente si è che il cadere indietro pel troppo ridere veniva dall'Aretino contato tra gli effetti de' suoi maggiori piaceri. Ma non per tanto non avrebbesi a credere che tosto affatto se ne morisse, qualora almeno si volesse prestar fede a ciò che de
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alcuni abbiamo sentito narrare, ed è, ch'essendo egli moribondo e ricevuto avendo la sacra unzione, dicesse con ischerzo veramente detestabile: Guardatemi da' topi or che son unto, la quale empietà tuttavia non avendo altro fondamento, per quanto da noi si sappia, che la voce popolare e la tradizione di più parrochi successivi della chiesa di San Luca in Venezia, in cui fu seppellito, i quali han lasciata questa memoria, rimane tuttora dubbioso qual fede prestar vi si possa." 63 Bei diesem Stand der Dinge war eine Aretino-Biographie zunächst noch unmöglich. Es bleibt schon ein unüberschätzbares Verdienst des Literaten aus Brescia, daß er dem Weiterwuchern der Legende Halt gebot, wenn auch die italienische Literaturgeschichtsschreibung von Tiraboschi bis Settembrini sich die Lektion Mazzuchellis kaum zunutze machte. Ihre Äußerungen zu Pietro sind noch ganz befangen in den moralischen Vorurteilen, welche hauptsächlich auf der Legende beruhten.64 Dies gilt auch für die umfangreiche Histoire littéraire d'Italie von P. L. Ginguené, der im Aretino-Kapitel des sechsten Bands nicht viel mehr gibt als eine Zusammenfassung der Äußerungen Tiraboschis und Mazzuchellis: „Tiraboschi ne trouve dans son style ni élégance ni grâce; et il lui paraît avoir employé le premier ces ridicules hyperboles, dont on fît, dans le siècle suivant, un si fréquent et si déplorable usage." 65 Zu dem moralischen Vorurteil kam bei Ginguené das klassizistischnormative, das nicht nur den stilistischen Schwulst Aretinos ablehnte, sondern auch seine Komödien, „sur lesquelles il est impossible de s'étendre beaucoup, non seulement à cause des détails scabreux dont elles sont remplies, mais parce que le génie indépendant de l'Arétin n'a pu s'y soumettre à aucune régularité . . . " " . Außergewöhnliche Verbreitung fand ein Essay, den Philarète Chasles in der Revue des Deux Mondes veröffentlichte. Chasles legte seinem Aufsatz die Biographie Mazzuchellis zugrunde und gab das, was der gelehrte Brescianer nicht zu geben vermochte: ein farbiges „romantisches" Porträt, das noch bis heute nachwirkt, wie etwa Gustav Reglers Aretino-Roman zeigt.67 Mit dem Hinweis auf Pietros Journalismus ante litteram fand 63 64
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La Vita di Pietro Aretino, ed. cit., 51/52. Die 1750 von B. Dujardin (Boispréaux) veröffentlichte Vie de Pierre Arétin (Den Haag) ist lediglich eine Zusammenfassung der Vita Giammaria Mazzuchellis. P. L. Ginguené: Histoire littéraire d'Italie, Bd. 6, Paris 1813, 263. Ib., 264. Über Philarète Chasles cfr. die Einführung von A. Levin zu dem von ihm betreuten Band The Legacy of Philarète Chasles, Bd. 1 : Selected Essays on Nineteenth Century French Literature (University of North Carolina Studies in Comparative Literature, Bd. 17, Chapel Hill, N . C., 1957). Ph. Chasles' Mitarbeit an der Revue des Deux Mondes begann 1834 auf Einladung von
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Chasles eine Formel, die künftig zu einem Topos der Aretino-Kritik wurde. Aretino wurde damit auf einen Nenner gebracht, während bei Bayle und Mazzuchelli die angehäuften Fakten und das gewissenhaft gesammelte und gesichtete Material den Blick auf die Persönlichkeit des Schriftstellers verstellten. Diese Tatsache übersieht Giuliano Innamorati, der Chasles vorwirft, er sei dafür verantwortlich, daß „tutto lo sfavillante ciarpame aretinesco" durch den französischen Kritiker zu neuem Leben geweckt worden sei.68 Welchen Eindruck der Aufsatz Chasles hinterließ, zeigt das AretinoKapitel in der Storia della letteratura italiana von de Sanctis. Philarète Chasles gründete seinen Essay (abgesehen von den Untersuchungen Bayles, Mazzuchellis und Ginguenés) fast ausschließlich auf die Lettere. Das Werk verschwindet in seiner Darstellung neben dem hemmungslosen Genußmenschen: „Tout ce que Dieu lui avait donné de puissance, de vivacité, d'activité, de verve, de vigueur, d'éclat, d'énergie, d'esprit, d'apropos; il l'a enseveli et sacrifié au bien-vivre. Il est condamné d'un juste jugement." 69 Dies ist Chasles Schlußfolgerung nach ausführlichen Seiten, die von der faszinierenden Wirkung Pietros zeugen. Der erste Teil von De Sanctis' Kapitel über Aretino steht nodi ganz im Bann dieses Porträts, in dem auch Hinweise auf den Schriftsteller Pietro Aretino und seine literarhistorische Stellung nicht ganz fehlen. Aber wo es sich darum handelte, die außergewöhnliche originelle Leistung der Ragionamenti zu würdigen, schreckte Chasles zurück: „L'Arétin, ainsi que De Sade, n'est qu'une réaction du principe charnel contre le principe chrétien. Maître de toutes les impudicités modernes, il a surtout montré du talent dans le poème épique en prose qu'il leur a consacré, et dont cinq
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François Buloz. Literatur über Philarète Chasles und seine Zeit in dem zitierten Band von A. Levin (245—248). Verwiesen sei wenigstens auf die Veröffentlichungen von Claude Pichois. Eine Untersuchung über Chasles Verhältnis zu Italien steht noch aus. — Chasles veröffentlichte seinen AretinoEssay später in Budiform: Études sur Shakespeare, Marie Stuart et l'Arétin, Paris 1852. Im folgenden Zitate nach der Erstveröffentlidiung in der Revue des Deux Mondes, troisième série, Bd. 4, 1834, 187—228; 294—312; 751— 768. P.A. — Studi e note critiche, op. cit., 32. Ph. Chasles: L'Arétin, sa vie et ses oeuvres, loc., cit., 768. Der Hang zu effektvollen antithetischen Vergleichen und malerischen Licht- und Schattenkontrasten mag mit daran schuld sein, daß Chasles Bernardo Tasso mit dessen Sohn Torquato (1544—1595!) verwechselte. Bernardo hatte Aretino durch Zweifel an dem Wert seiner Briefe gekränkt. Wie empfindlich der Divino in diesem Punkt war, zeigt die Affäre Franco: „Le Tasse, c'est l'âme, tremblante et passionée, ardente et palpitante, voilée des longs replis de ses angéliques ailes, ayant pour souffle des mélodies éthérées, pour vêtements, des flots de lumière; l'âme venant à rencontrer dans l'espace cette autre créature de Dieu, le corps, la brute, l'existence animale, grossière, sensuelle, avec l'énergie de ses appétits et dans sa nudité effrénée: le corps, c'est l'Arétin" (loc., cit., 733).
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lignes de suite ne pourraient être copiées par une plume honnête, encore moins commentées par elles." 70 Chasles entging also keineswegs die Bedeutung der Ragionamenti, aber das moralische Urteil verhinderte das kritische. Es ist kennzeichnend für Innamoratis Forschungsbericht, daß er der nicht-italienischen Aretino-Kritik nur geringen Raum konzediert. Dies mag im Falle der Geschichte der italienischen Poesie von E. Ruth angehen, die in der Tat nicht mehr als das übliche Sammelsurium von Vorurteilen bringt71, aber am auffälligsten ist dies bei den großen deutschsprachigen Historikern des neunzehnten Jahrhunderts, deren weitverbreitete und klassische Untersuchungen über die italienische Renaissance das Bild Aretinos auch in Italien entscheidend prägten. Innamorati nennt weder Burckhardt noch Gregorovius, noch Herman Grimm. Aber gerade sie haben das Urteil über Aretino für ein Jahrhundert bestimmt — und nicht nur für Deutschland. Audi das Gemälde von Anselm Feuerbach über den Tod Aretinos in der Basler öffentlichen Kunstsammlung gehört in diesen Zusammenhang. Es gestaltet die bereits von Mazzuchelli verworfene Legende von Aretinos plötzlichem Ende. Jacob Burckhardts eindringliches Porträt Pietro Aretinos in Die Kultur der Renaissance in Italien72 beschränkt sich auf Aretinos Verhältnis zu den Fürsten seiner Zeit und seine unersättliche Beutegier: „Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen, sondern zu verzeihen, während das Jammergeschrei des verwüsteten Rom zur Engelsburg, dem Kerker des Papstes, empordringt, ist lauter Hohn eines Teufels oder Affen." 73 Wenn sich Burckhardt fragt, ob sich Aretino den Ehrentitel „divino" „aus wahnsinnigem Dünkel oder aus Lust an der Parodie alles Berühmten" 74 angemaßt habe, so übersieht er, daß Aretino von seinen Zeitgenossen zu den Größten gerechnet wurde, mögen ihm auch Isabelle d'Esté oder Michelangelo den Ehrentribut schuldig geblieben sein. Die geradezu servile Bewunderung, die Vittoria Colonna oder Veronica Gambara Aretino zollten, wie 70
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Ib., 754. — Die Gegenüberstellung von Christentum und Heidentum bildet die Koordinate, um welche Heinrich Heine seine ab 1. März 1834 in der Revue des Deux Mondes erscheinenden Berichte De l'Allemagne depuis Luther anordnete. E. Ruth: Geschichte der italienischen Poesie, 2. Teil, Leipzig 1847, 5 4 9 — 5 8 3 : „ . . ." in seinen eigenen Produktionen zeigt sich weder ein feiner Geschmack, noch gesundes Urtheil, noch Studium und Kritik, und die großartigen Anschauungen, die ihm sein Künstlerleben fortwährend verschaffen konnte, gingen ihm für seine Arbeiten ganz verloren" (557). Die Cortigiana ist für Ruth „nur ein dialogisierter dummer Spaß" (569), und von Aretino spricht er als „dem gemeinsten, schmuzigsten und gottlosesten Menschen" (565). Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, Darmstadt 1955. Ib., 112. Ib., 113.
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auch die Hochachtung eines Ludovico Ariosto und Pietro Bembo zeigen, daß Aretinos Überheblichkeit nicht unbegründet war. Die Seiten J a c o b Burckhardts sind dessen ungeachtet des großen Historikers nicht unwürdig. Dies wird erst deutlich, wenn man sie mit Ferdinand Gregorovius' Äußerungen zu Aretino vergleicht. An Stelle historischer Fakten bietet Gregorovius Entrüstung, sobald er die Sprache auf diesen „abscheulichsten aller Schriftsteller" 7 5 bringt. Dem Historiker fehlte für die Dichtung der Renaissance jedes Verständnis: einerseits wirft er ihr vor, sie sei „Kunst ohne Natur, schöne sinnliche Form ohne Seele" 7 6 , andererseits entsetzt er sich über die „schamlose Nacktheit" 7 7 dieser „Hetärenliteratur", dieser „moralischen Syphilis am geistigen Organismus der N a t i o n " 7 8 . M i t Aretino wird — wie so oft — diesem Bild der italienischen Renaissance die Krone aufgesetzt. Es wäre überflüssig, Gregorovius ausführlich zu zitieren, wenn seine Ausfälle und Beschuldigungen nicht auf Jahrzehnte hinaus die Auseinandersetzung mit diesem Schriftsteller erschwert hätten: Der von Geist phosphoreszierende Sumpf der Verderbtheit Italiens stellt sich in diesem einen Menschen dar, dem Cesare Borgia der Literatur des sechzehnten Jahrhunderts. Er ist ein Phänomen der Unsittlichkeit, wie es in keinem Volk zu irgendeiner Zeit gesehen ward. Man weiß kaum, was man hier mehr bestaunen muß, diese zynische Frediheit oder die Macht dieses Journalisten, und die Vergötterung, die er seinem Jahrhundert abzwang. Eine Nation, worin ein so unwissender, schamloser, jedem käuflicher Bettler als Tyrann den Thron der Literatur einnahm und von allen Großen der Welt, die er verachtete und brandschatzte, gefürchtet und geehrt wurde, bewies, daß jede sittliche Quelle ihres Lebens vergiftet, und daß die Knechtschaft ihr notwendiges Los war. Der Verfasser der gräßlichen „Ragionamenti" schrieb mit derselben Feder das Leben der Jungfrau Maria und andere Schriften religiösen Inhalts, und ein Papst, Julius III., umarmte und küßte ihn und machte ihn zum Ritter von S. Peter.79 Wäre Gregorovius zu überbieten, so hätte es Herman Grimm in seiner Michelangelo-Biographie getan. Aretino steht ihm als Persönlichkeit da, „die jedem Ekel einflößen muß, der nur die schwächsten Anforderungen moralischer A r t an den Menschen macht". Aretino-Forschung könnte mit Feststellungen dieser A r t nicht ermuntert werden. Gerade sie wäre aber nötig gewesen, wie die Fortsetzung dieser Stelle beweist. Es steigen ernste Zweifel an Herman Grimms Kompetenz in Fragen Aretino auf, wenn man liest: „Auch urteilte man seinerzeit so über Aretin in Italien." Herman Grimm kam es genausowenig auf Tatsachen an wie Ferdinand Gregorovius. 75
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Ferdinand Gregorovius: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, Fritz Schillmann, 2. Bd., Dresden o. J. (aber 1926), 1183. Ib., 1217. Ib., 1221. Ib., 1221. Ib., 1220 f.
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Wichtiger war ihm der einprägsame Vergleich: „Aretins Blätter aber wirkten ohne alle Konkurrenz, wenn er sie von Venedig aus, wo er wie eine giftige Kröte in unnahbar freien Sümpfen saß, in die Welt sandte." 80 Eine geniale Interpretation von Aretinos Persönlichkeit und Werk gab Francesco De Sanctis 1870 im sechzehnten Kapitel seiner Storia della letteratura italiana, das in drei Abschnitte aufgeteilt ist: Pietro Aretino figlio del secolo — Lo Stile e l'indipendenza critica di Pietro Aretino — Ii mondo furfantesco e le commedie del Cinquecento. Der Schriftsteller aus Arezzo erhielt also eine zentrale Stellung im Rahmen dieses klassischen Werks italienischer Literaturgeschichtsschreibung. Es ist bekannt, daß De Sanctis die gesamte Renaissanceliteratur Italiens mit den größten Vorbehalten betrachtete. Wer wie er seine berufliche Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, um einen Beitrag für die Unabhängigkeit Italiens zu leisten, konnte nur mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen, daß die politische Verantwortungslosigkeit der italienischen Schriftsteller zwischen der Invasion Karls V I I I . und der allmählichen Unterwerfung Italiens unter die spanische Krone dem Egoismus und Dilettantismus der italienischen Fürsten kaum nachstand. Als Etappe auf dem Weg zur Einheit seines Landes kam das Zeitalter Ariosts kaum in Frage. Aretino war für De Sanctis kein isoliertes Phänomen: bei ihm fand der von Machiavelli und Guicciardini theoretisch fundierte Egoismus des Renaissancemenschen lediglich seinen krassesten Ausdruck: „L'immagine del secolo ha in lui l'ultima pennelata." 81 De Sanctis wurde bei der Abfassung seines Aretino-Kapitels Opfer eines Plagiators. Der Literarhistoriker gab sich keine Rechenschaft, daß die Einleitung der von ihm benutzten Ausgabe der Opere di P. A. von Massimo Fabi nichts anderes war als die Übersetzung des Essays von Philar^te Chasles. Massimo Fabi hatte seine Unverfrorenheit so weit getrieben, daß er die Aretino-Zitate aus dem Französischen ins Italienische rückübersetzte. Man kann den großen Literarhistoriker nur bewundern, daß es ihm trotzdem gelang, aus einem Minimum von Unterlagen sein auch heute noch in vieler Hinsicht unübertroffenes Porträt des Schriftstellers zu entwerfen. Bei Mazzuchelli verliert man angesichts der Fülle des Materials die Persönlichkeit Aretinos nicht selten aus den Augen. De Sanctis gibt hingegen eine brillante Synthese, die das Ergebnis einer außergewöhnlichen intuitiven Fähigkeit ist. Aretino interessiert ihn nicht als Angeklagter, den es aus der Perspektive des Staatsanwalts oder Verteidigers anzuvisieren gilt, sondern als typisches historisches Phänomen, das Schlußfolgerungen über seine Epoche erlaubt. Ihm ist der Schriftsteller „la 80 61
Herman Grimm: Leben Michelangelos, Wien/Leipzig, o. J., 612. Storia della letteratura italiana a cura di Luigi Russo, vol. II, Mailand 1956, 167.
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coscienza e l'immagine del suo secolo" : „Macchiavelli e Guicciardini dicono che l'appetito è la leva del mondo. Quello che essi pensarono, Pietro fu." 82 So faszinierend De Sanctis' Aretino-Porträt ist („Vedi il suo ritratto, fatto da Tiziano. Figura di lupo che cerca la preda" 83 ), so ausgezeichnet ist sein Versuch, den Schriftsteller historisch einzuordnen. Er übersieht neben Aretinos Genie-Kult nicht jene „tendenza al meccanizzare, che è fenomeno costante in tutte le età che la produzione si esaurisce, e la coltura si arresta e si raccoglie nelle sue forme e si cristallizza". 84 Was spätere Forschung als vorbarocke Tendenzen Aretinos umschrieben hat, bei De Sanctis ist es in nuce bereits angedeutet. Er erkennt richtig, daß neben der von Aretino immer wieder geforderten und verwirklichten Souveränität gegenüber allem pedantischen Regelzwang, gelegentlich der Leerlauf einer literarischen Maschine unüberhörbar ist. Einerseits: „Abolisce il periodo, spezza le giunture, dissolve le perifrasi, disfà ripieni ed ellissi, rompe ogni artificio di quel meccanismo che dicevasi,forma letteraria', s'accosta al parlar naturale" 85 ; andererseits: „Talora si secca per via, il cervello è vuoto, e ammassa aggettivi con uno sfoggio di pompa oratoria che rivela il ciarlatano."8® Angesichts einer so widersprüchlichen Erscheinung mußten sich auch in De Sanctis' Darstellung Widersprüche einschleichen. Wie bei anderen Autoren des Cinquecento ist der Literaturwissenschaftler hingerissen angesichts der dichterischen Leistung, die aber für den engagierten Politiker und Historiker letzten Endes ein Ärgernis bleiben mußte. Unerläßliches Werkzeug der Aretino-Forschung sind die Veröffentlichungen Alessandro Luzios, der von 1899 bis 1922 Direktor des GonzagaArchivs in Mantua war. Die historische Schule, die seit 1883 mit dem Giornale storico della letteratura italiana über eine vorzügliche periodische Veröffentlichung verfügte (Herausgeber waren zunächst Arturo Graf, Francesco Novati und Rodolfo Renier), förderte eine Unzahl bis zum Ende des letzten Jahrhunderts vergessener und unzugänglicher Dokumente zutage. Alessandro Luzio plante mit Rodolfo Renier eine umfangreiche Aretino-Biographie: sie ist nie erschienen, aber die Leistung Luzios ist dessen ungeachtet bewundernswert. Offensichtlich scheint es zu Meinungsverschiedenheiten mit Renier gekommen zu sein. Wenigstens glaube ich in Luzios Feststellung, ihm sei bei der geplanten Arbeit „la parte del minatore", Renier hingegen „la messa in valore" zugedacht gewesen, ein gewisses Ressentiment herauszuhören87. Tatsache ist, daß Luzio sein Material schließ82 83 84 85 88
87
Ib., Ib., Ib., Ib., Ib.,
172. 178. 178. 181 f. 183.
Cfr.: L'Archivio Gonzaga dt Mantova — La corrispondenza familiare, am-
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lieh selbst verwertete. Die Untersuchung des Gonzaga-Archivs begann ein junger französischer Gelehrter, Armand Baschet, der 1860 zum ersten Mal in Mantua arbeitete und dann 1865 noch einmal auf fünf Monate zurückkehrte. Seine Funde veröffentlichte er 1866 im Archivio storico italiano (Serie III, tomo III, parte II, 105—130). Damit war der Auftakt für eine neue Etappe der Aretino-Forschung gegeben. Schon lange bevor Luzio Direktor des Gonzaga-Archivs wurde, hatte er sich in die dortigen Dokumente vertieft, so daß er bereits 1888 eine erste umfangreiche Veröffentlichung Pietro Aretino nei primi suoi anni a Venezia e la corte dei Gonzaga (Turin 1888) vorlegen konnte. Als Luzio in den neunziger Jahren ein halbes Jahrzehnt lang in Wien weilte, gelang ihm eine sensationelle Entdekkung an der Hofbibliothek. Die Handschrift 15 115 enthielt ein infolge falscher Katalogisierung völlig verschollenes pronostico Aretinos, das Luzio in einer neuen Veröffentlichung abdruckte und ausführlich kommentierte: Un pronostico satirico di Pietro Aretino (MDXXXIIII), Bergamo 1900. Damit wurde Licht auf die entscheidenden ersten Jahre Aretinos in Venedig geworfen. Aber der mantuanische Gesandte in Venedig, Benedetto Agnello, berichtete auch nach dem Bruch Aretinos mit seiner Herrschaft zwischen 1530 und 1556 regelmäßig über Pietro. Es gelang damit Alessandro Luzio, Aretinos Leben in der Lagunenstadt aufs genaueste zu verfolgen. Eine Anzahl von kleineren Veröffentlichungen zu dem Schriftsteller und seiner Umgebung kann darüber hinwegtrösten, daß Alessandro Luzio die große Biographie über Pietro Aretino und seine Zeit nicht zu geben vermochte. Das literaturwissenschaftliche Rüstzeug Luzios wäre nicht ausreichend gewesen, um Pietro Aretinos Werk zu erhellen. Luzio war ein Adept der historischen Schule und seine Veröffentlichungen zeigen, daß der Philologe neben dem Historiker beinahe verschwand. Dies gilt für den größten Teil der AretinoForschung um 1900. Blickt man heute auf sie zurück, so wird man dankbar das von Luzio und anderen Mitarbeitern des Giornale storico ans Licht beförderte Material benutzen (Neues haben die letzten fünfzig Jahre nicht mehr erbracht), aber die Literaturwissenschaft wird mit anderen Kriterien arbeiten müssen. Luzio stand weit eher im Bann der feuilletonistischen Interpretation Philarète Chasles' als der literaturwissenschaftlich bedeutenden von Francesco De Sanctis, wie das Vorwort zu seinem Pietro Aretino nei primi suoi anni a Venezia zeigt: „Già dallo Chasles e da altri l'Aretino è stato considerato come precursore del giornalismo; ed anch'io, per quanto i documenti qui prodotti lo consentivano, ho mirato sin da ora a porre in rilievo la sua figura da tale aspetto — che sarà poi tema al più ampio
ministrativa e diplomatica dei Gonzaga, voi. II a cura di A. Luzio, Verona 1922, 33 (Pubblicazioni della R. Accademia virgiliana di Mantova, Serie I — Monumenta — voi. II).
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e meditato lavoro, del quale vorrei questo saggio non apparisse troppo manchevole promessa." 881 Im gleichen Jahr, in dem Alessandro Luzio seine grundlegende Untersuchung über Aretinos erste venezianische Zeit vorlegte, erschien die Aufsatzsammlung Attraverso il Cinquecento von Arturo Graf (Turin 1888). Neben einer Untersuchung über Petrarchismo ed antipetrarchismo, umfangreichen und vorzüglich dokumentierten Feuilletons über Una cortigiana fra mille: Veronica Franco und über f r a Mariano, Un buffone di Leone X, gab Graf Material für die Geschichte der Pedanten im Theater des 16. Jahrhunderts. Es handelte sich ausnahmslos um Themen und Gestalten aus dem Umkreis Aretinos, und es ist daher nicht verwunderlich, daß dem Divino ein ausführlicher Aufsatz gewidmet wurde: Un processo a Pietro Aretino. Diese Formulierung gehörte fortan zu den stehenden Wendungen der Aretino-Feuilletons. Croce hat zwar recht, wenn er feststellt, es sei „inconcludente", gegen Aretino einen Prozeß anzustrengen, „perché in certo senso egli stava di là dal bene e dal male" 88 , aber die Aretino-Adepten brauchten diese juristisch aufbereitete Rechtfertigung ihres Autors als willkommene Schützenhilfe gegen Zensoren jeder Provenienz. Grafs Aufsatz läuft in der Tat auf die Feststellung hinaus: „Pietro Aretino non è, moralmente parlando, peggior del suo secolo, e come scrittore vale più di parecchi che godono assai miglior fama di lui." 89 Denkt man an die hemmungslosen Beschimpfungen der oben zitierten Historiker, dann wird man die bei Luzio, Graf und anderen Mitarbeitern des Giornale storico zur N o r m gewordene Haltung in moralischen Fragen als wichtige Etappe auf dem Weg zu einer unvoreingenommenen Beurteilung von Aretinos Persönlichkeit und Werk betrachten müssen, mochte sie auch in Formulierungen wie Un processo a Pietro Aretino eine augenzwinkernde Anspielung auf die skabröse Materie beibehalten. 90 88a 88
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op. cit., 1. B. Croce: Considerazioni su Pietro Aretino in: Poeti e scrittori del pieno e del tardo rinascimento, vol. III, Bari 1952, 78—83. A. Graf: Attraverso il Cinquecento, op. cit., 167. Eine literaturwissensdiaftliche Untersuchung kann über den sogenannten moralischen Aspekt von Aretinos Werk hinweggehen, wenn sie ihn auch bei einer Darstellung der Geschichte der Forschung nicht ignorieren kann: „Wenn es so einfach wäre: dort stehen die Unbeweglichen, Muffigen, Heuchlerischen — auf der andern Seite aber die, welche in die Zukunft leiten, die Fortschrittlichen, Freiheitlichen, Gerade-Gewachsenen! Es ist nicht so einfadi! Denn es kommt nicht darauf an: daß man ein als obszön Angeklagtes in Schutz nimmt — sondern: wie. Unserer Untersuchung letzter Schluß wird sein: das Gespenst Obszön war unter den Verteidigern nicht weniger lebendig als unter den Anklägern. Und da dies kaum bemerkt wurde, haben die Kämpfer gegen diese Entrüstung sie besser konserviert als die, welche sich sichtbarer entrüsteten. Schleiermachers vorzügliches kleines Werk „Vertraute Briefe über die
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Unergiebig ist hingegen der Aufsatz von Graf in literaturwissenschaftlicher Hinsicht: ein Rückschritt, wenn man ihn an den Ausführungen von De Sanctis mißt, die der in der streng positivistischen Forschung befangene Graf nicht aufzugreifen und nicht zu erweitern verstand. Schon bevor Alessandro Luzio die ersten bedeutenden Ergebnisse seiner Archivforschungen vorlegte, versuchte ein in den Moralbegriffen seines Jahrhunderts befangener dilettantischer Verehrer Aretinos, Giorgio Sinigaglia, eine Ehrenrettung. 81 Alessandro Luzio wies mit überzeugenden Argumentationen die UnZuverlässigkeit dieser Arbeit nach.92 Der Schwerpunkt der von Pierre Gauthiez verfaßten Monographie L'Arétin (1492—1496), Paris 1895, liegt auf Aretinos Verhältnis zu den Künstlern seiner Zeit. Sie ist gekennzeichnet durch die auf das Pittoreske ausgerichtete romanhafte Historiographie unzünftiger Gelehrter. In einer geradezu aufgebrachten Besprechung, die im Ton übers Ziel hinausschießt, äußerte sich Erasmo Pèrcopo über das Werk des Franzosen. 93 Immerhin kommt Gauthiez das Verdienst der Entdeckung von Aretinos Astolfeide in der Bibliothèque Nationale zu. Mit Recht aber verwahrt sich Pèrcopo dagegen, daß auch nodi nach den gründlichen Untersuchungen von Salvatore Bongi (Annali di Giolito de' Ferrari, Lucca 1890—95) die Dubbi amorosi Aretino zugeschrieben werden. Aber es gehört in das Klima falsch verstandener Komparatistik, wenn Pèrcopo nicht ohne nationales Ressentiment feststellt: „ . . . al G. correva quasi l'obbligo di ricordare che un episodio di questa (cfr. Marfisa) era stata rimaneggiato dal Desportes nella Mort de Rodomont et sa descente aux enfers, nonostante che il furbo abbate l'affermi": „partie imitée de l'Arioste, partie de l'invention de l'auteur". Nicht genug damit, Desportes habe auch in seiner Angélique Aretinos gleichnamiges Stanzengedicht nachgeahmt. Italienische Forschung hatte inzwischen so viel neues Material zutage gefördert, daß die Versuchung lockte, Aretino endlich in den Mittelpunkt einer großen Monographie zu stellen. Carlo Bertani gab mit seiner Arbeit Pietro Aretino e le sue opere, Sondria 1901, eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit der vorhandenen Aretino-Literatur, erstickte aber in der Fülle seines Materials. Leichter machte es sich Giovanni Mari mit seinem schmalen Band Storia e leggenda di Pietro Aretino, Rom 1903.
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Lucinde" steht am Beginn der Zweideutigkeit" (Ludwig Marcuse: Obszön — Geschichte einer Entrüstung, München 1962, 102/3). G. Sinigaglia: Saggi di uno studio su Pietro Aretino (con scritti e documenti inediti), Rom 1882. Giornale storico della letteratura italiana, Bd. 1, 1883, 330—337: „Della Priapea del Franco — die conosce solo nella parte stampata col Vendemmiatore del Tansillo — l'A. tocca appena di volo, non consentendogli più l'onestà dell'animo" (334). Rassegna critica della letteratura italiana, Nov./Dez. 1896, 161—166.
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Die Aretino-Forschung um 1900 war nach wie vor von dem moralischen Problem besessen. Für eine ästhetische Beurteilung literarischer Werke fehlte ihr jedes Organ. Dies zeigt die ausführliche Besprechung, die AbdEl-Kader Salza Bertanis und Maris Studien widmete: „Siamo fuor di strada, nel lavoro ponderoso del Bert., che mira immoderatamente a sfrondar la leggenda aretinesca, per volgere a lode del suo autore tutto quel che è possibile (e anche quel die non lo è), riuscendo ad una riabilitazione compiuta, di cui l'assurdità appare nel fatto stesso che la ricostruzione da lui tentata, pur di tanto superiore e più coscienziosa di certe raffazzonature sciagurate piovuteci d'oltralpe, si presta a troppe critiche e obbiezioni, perché il nuovo processo fatto all'Aretino non debba subire un'altra revisione; fuor di strada nelle pagine del Mari, che io credo abbia subito una preoccupazione artistica, tentando difendere brillantemente alcuni punti della leggenda antiaretinesca, che a lui sembrano e forse sono più attraenti e poetici, e più drammatici che non sia la volgar prosa della vita reale del Flagello dei principi." 94 Rezensenten wie Rezensierte: alle sind sie befangen durch moralische oder pseudomoralische Probleme. Solange man Aretino als Staatsanwalt oder Verteidiger anklagte oder in Schutz nahm, bewegte sich die Forschung in einem circulus vitiosus. Es war eine entscheidende Wende, als Karl Voßler mit seinem Aufsatz über Pietro Aretino's künstlerisches Bekenntnis95 auftrat. Voßler ging aus von der Tatsache, daß J. E. Spingarn in seiner History of literary criticism in the Renaissance with special reference to the influence of Italy in the formation and development of modern classicism (New York, 1899) mit keinem Wort Pietro Aretinos gedacht hatte. Spingarn habe es versäumt, Poetik und literarische Kritik zu trennen, denn „es entsteht die Frage, ob es unter den Vertretern der letzteren nicht etwa auch Gegner der ersteren gegeben hat". 98 Da man bei Aretino nun weder von Poetik noch von „literary criticism" reden könne, spreche man wohl am ehesten von gelegentlichen und zerstreuten kunsttheoretischen Bekenntnissen. Voßler argumentiert mit Zitaten aus Aretinos Briefen. Daneben kam es ihm darauf an, Aretino ganz ohne moralische Vorurteile anzuvisieren. Er bringt auf dieses Lieblingsthema der Aretino-Forschung nicht einmal die Sprache. Wichtig ist ihm lediglich eine kultursoziologische Standortbestimmung des Phänomens. Mit Aretino beginnt nach Voßler „die große Demokratisierung der humanistischen Bildung". 97 Voßler irrte allerdings, wenn er glaubte, Aretino habe sich im Gegensatz zu Benvenuto Cellini, der das Manuskript seiner Vita dem gelehrten Varchi zur Korrektur vorlegte, nicht imponieren lassen und 94 95
Giornale storico della letteratura italiana, Bd. 43, Turin 1904, 188. Neue Heidelberger Jahrbücher, Jahrgang X, 1900, 38—65.
»« Ib., 38. 97 Ib., 47.
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frischweg die ganze Poetik seiner Zeit negiert. 98 Im Lauf meiner Untersuchung wird sich immer wieder Gelegenheit ergeben, auf die Kluft zwischen Aretinos künstlerischem Bekenntnis und seiner schriftstellerischen Praxis hinzuweisen. Klarer hatte diesen Widerspruch Adolf Gaspary in dem Aretino-Kapitel seiner Geschichte der Italienischen Literatur (2. Band, Berlin 1888) gesehen: „So giebt der verständige Verfechter des Natürlichen selbst das verderblichste Beispiel der Affectation und des Bombasts." 9 " Auch Aretino ließ sich durch die humanistische Bildung seiner Zeit imponieren. Seine originelle Leistung aber bestand darin, daß er dezidierter als andere den Schritt auf eine volkssprachliche Literatur hin tat. Voßler verkannte Aretinos zentrale Stellung zwischen den literarischen Fronten, wenn er ihm zum Vorwurf machte, er habe in feiger Freundschaft mit den Pedanten gelebt. Der Divino hielt sich für ein Originalgenie, das alle Tendenzen seiner Zeit zusammenfassen und auf höherer Ebene vereinigen konnte. Aretinos Versuche in fast allen literarischen Gattungen zeigen, wie sehr er sich als dichterischer uomo universale verstand, als eine Synthese seiner Epoche. Wenn man wie Voßler nur das künstlerische Bekenntnis Aretinos ins Auge faßt und es versäumt, die dichterische Praxis Pietros damit zu vergleichen, entsteht ein allzu einheitliches und geschlossenes Bild. So suggestiv schließlich Voßlers Hinweis darauf ist, daß sich Aretinos Auffassung des künstlerischen Genies bedeutend den Ideen moderner Stürmer und Dränger nähert 100 , so wenig ist mit diesem Vergleich für eine historisch exakte Einordnung des Italieners gewonnen. Es kann nicht überraschen, daß Voßlers Aufsatz in manchen Punkten der Berichtigung bedarf. Dessen ungeachtet beginnt mit ihm eine neue Phase der Aretino-Kritik. Ein Blick auf Benedetto Croces Äußerungen zu Pietro zeigt, wie couragiert Voßler kritisches Neuland erschlossen hatte. Die Auseinandersetzung Benedetto Croces mit Pietro Aretino stand zunächst im Zeichen der Ablehnung und Zurückhaltung. Das mußte Karl Voßler erfahren, als ihn der neapolitanische Freund in einem undatierten Brief aus dem Jahre 1900 belehrte: „In eine eigentliche Geschichte der 99
Ib., 48.
Geschichte der italienischen Literatur, op. cit., 474. Gaspary war zwischen De Sanctis und Voßler der einzige, der auch auf Aretinos Stil die Sprache brachte und auf das Abstrakte von Aretinos „Schreibweise" hinwies: „er verwendet fortwährend substantivierte Infinitive mit vielen näheren Bestimmungen, oder substantiviert den Relativsatz, den indirecten Fragesatz durch Vorsetzung des Artikels; er gebraucht das Adjektiv statt attributiv als neutrales Abstractum mit abhängigem Hauptbegriff, nach spanischer Weise: „Das Unbesiegbare Eures Geistes" statt „Euer unbesieglicher Geist" u. dgl. E r sucht auch das Neue und Klangreiche in Transpositionen und Verschränkungen, die dem Geist der Sprache zuwider sind" (472). 100 pietro Aretino's künstlerisches Bekenntnis, op. cit., 59. 99
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Mösle
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Theorien lassen sich nur schwer Schriftsteller wie Aretino aufnehmen, die sich über die Grundlagen ihrer Behauptungen nidit hinreichend klar sind. Die Auflehnung ihres gesunden Menschenverstands gegen die Pedanterie scheint mir mit den Sprichwörtern vergleichbar, die, zwar voller Wahrheit, doch keine Wissenschaft ergeben und nicht in die Geschichte der Wissenschaft gehören."101 Als Croce nach drei Jahrzehnten in einem umfangreichen Aufsatz über La ;Commedia' del Cinquecento wieder die Sprache auf Aretino brachte, geschah es vor allem im Hinblick auf den animalischen Genießer Aretino: „L'Aretino scende con lo scandaglio sino al fondo di certe commozioni animalesche e ne trae fuori un'arte sorridente."102 Die im Fall Aretino geradezu impressionistische Kritik Croces begnügte sich mit einer anthologischen Lektüre und „explication de textes" und mit dem in der Aretino-Kritik seither im Schwange befindlichen Hinweis auf die liebevolle Schilderung eines Eremitengartens in den Ragionamenti. Hinsichtlich einer historischen Einordnung lehnte Croce die These ab, Aretino sei Vorläufer des „secentismo" und des „barocchismo": „invece, se mai, continuò in più cose il Trecento, e al barocco fu intimamente avverso, egli che non gustò i troppi nudi di Michelangelo e amò la fiorente sanità del Tiziano, e, quando nello scrivere par che baroccheggi, lo fa ora per celia ora per aperta esagerazione adulatoria". 103 Croce ignoriert die Spannungen einer typischen Übergangserscheinung. Die Annäherung an das Trecento erscheint reichlich willkürlich und der Hinweis auf Michelangelo übersieht den biographischen Hintergrund der Polemik Aretinos gegen den Künstler. Einen Versuch historischer Einordnung gab Croce hingegen in seinen Considerazioni su Pietro Aretino.1"* Nun gibt sich Croce Rechenschaft über die Bedeutung Aretinos als Vorläufer des „gusto barocco", und er schärft mit Recht allen künftigen Aretino-Forschern ein, bei einer Auseinandersetzung mit dem Werk die Person des Schriftstellers nicht zu vergessen: „bisogna pensare che egli aveva uno spirito di poeta che non poteva venir meno e rifiutarsi a sé stesso."105 Mit Voßler und Croce rückte zum ersten Mal das Werk Aretinos in den Mittelpunkt von Forschung und Kritik, wenn auch die von den Herausgebern und Mitarbeitern des Giornale storico mit Akribie und Kompetenz eingeleitete bio-bibliographische Forschung in Alessandro del Vita noch einen wichtigen Nachfahren fand (Alessandro del Vita war langjäh101
Briefwechsel
102
Poesia popolare
Benedetto
103
Ib. 254.
104
Poeti e scrittori 78—83.
105
Ib. 83.
Croce/Karl
Voßler,
Frankfurt a. M. 1955, 43.
e poesia d'arte, 4. Aufl., Bari 1957, 262 f. del pieno
e del tardo
Rinascimento,
vol. III, Bari 1952,
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riger Herausgeber einer in Arezzo erscheinenden literarisch-kunsthistorischen Zeitschrift Ii Vasari). Der Verlag Carabba in Lanciano lancierte um 1910 auf breiter Front das Werk Aretinos, das nun zum ersten Mal wieder (abgesehen von den Lettere und den Prose sacre, von denen nur eine Auswahl vorgelegt wurde) zugänglich wurde. Fausto Nicolini gab in den Scrittori d'Italia die beiden ersten von Aretinos sechs Briefbänden heraus. Damit war der Auftakt zu einer wissenschaftlich ernst zu nehmenden Aretino-Ausgabe gegeben, bei dem es allerdings bis heute blieb. Ein Forschungsbericht kann an dieser Stelle abbrechen. Zu den nicht sehr zahlreichen kritisch belangvollen Äußerungen der letzten Jahrzehnte wird im Lauf dieser Untersuchung Stellung genommen. Auch in der Bibliographie werden orientierende Hinweise auf das Aretino-Schrifttum gegeben.
3'
Von der Opera Nova zu den Sonetti lussuriosi Die erste erhaltene Äußerung Pietro Aretinos ist die Opera Nova del Fecundissimo Giovene Pietro Pletore Arretino zoe Strambotti Sonetti Capitoli Epistole Barzellete et una Desperata. Der nur in Venedig zugängliche Text wird in einem einzigen aus der Bibliothek Apostolo Zenos stammenden Exemplar in der Biblioteca marciana aufbewahrt. Giuliano Innamorati hat mit aller nur wünschenswerten Sorgfalt diesen als Dichtung bedeutungslosen Erstling des zwanzigjährigen Pietro untersucht. Der Druck bei Nicolo Zopino in Venedig wurde von Perugia aus veranlaßt. Innamorati verficht mit guten Gründen die These, Aretino sei bereits im Alter von vierzehn Jahren in der umbrischen Stadt eingetroffen.1 Die Ansicht Alessandro Luzios, daß es sich bei den Gedichten des jungen Autors um „falsa poesia popolare", um „servile imitazione da Serafino Aquilano" handle2, kann auch Innamorati nicht erschüttern. Die Opera Nova ist in der Tat eine banale Nachahmung der Lyrik des um die Jahrhundertwende hochangesehenen Abbruzzesen, der 1500 im Alter von 34 Jahren verstarb. In der ersten Hälfte des Cinquecento erschienen nicht weniger als dreißig Ausgaben von den Gedichten dieses neben Antonio Tebaldeo bewundertsten Lyrikers des ausgehenden fünfzehnten und beginnenden sechzehnten Jahrhunderts.3 1 2 3
G. Innamorati: P. A. — Studi e note critiche, op. cit. 94/95. A. Luzio: P. A. nei suoi primi anni a Venezia e la corte dei Gonzaga, 109-—111. Literatur bei Vittorio Rossi: Il Quattrocento (Storia letteraria d'Italia), Mailand 1933. Immer nodi unentbehrlich ist der Aufsatz von Alessandro D'Ancona: Del secentismo nella poesia cortigiana del secolo XV (Studi sulla letteratura italiana de' primi secoli, Ancona 1884, 1 4 9 — 2 3 7 ) . Croce verwarf die These D'Anconas in seinem Aufsatz über Antonio Tebaldeo (Poeti e scrittori del pieno e del tardo Rinascimento, Bd. 1, 52) : „E non si vuol negare die egli (cfr. il Tebaldeo), si dilettasse, talora o sovente, di quelle die si dicevano ,arguzie', come già un contemporaneo, il cardinal Bibbiena, ebbe a motteggiare in un suo noto sonetto scritto per la morte di Serafino Aquilano, nel quale al Tebaldeo erano assegnate, sua parte di eredità, appunto le ,arguzie', sebbene si soggiungesse: ,ma in dir non bello'. Ma ben si vuol negare die questa dilettazione, che era già nel Petrarca e nel petrarchismo, e durò per altri due secoli nella letteratura italiana, fosse in lui l'atteggiamento consueto, che era invece in quella mossa di naturale e prosaica semplicità che si vede in tanti suoi sonetti e dalla quale egli passava talora ad artifizi e ornamenti arguti. E più certamente ancora è da negare l'avvicinamento o
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Giuliano Innamorati geht bei seinem Versuch, die Opera Nova nach Indizien für Aretinos künftige Entwicklung zu überprüfen, gelegentlich zu weit, aber seine Interpretation könnte doch nicht präziser und zutreffender sein: „Ma va notato — altresì — che i suoi primi componimenti lasciano scorgere, tra le maglie del loro presuntuoso virtuosismo, la tendenza dell' autore a ricuperare anche i disprezzati dettami di scuola ed a realizzare, fin nel pieno dei primi esperimenti lirici, un esperienza di puro valore rettorico, senza alcun segno di partecipazione reale alla tematica sentimentale coinvolta, e freddamente compromessa, negli strambotti, sonetti e capitoli dell' Opera Nova".4 Die einzige Stelle, die den künftigen Satiriker Aretino
4
l'identificazione che si è fatta del suo stile col secentismo o barocchismo: cioè raccomandare e insistere die non si confondano due età e due spiriti diversi con danno della seria interpretazione e intelligenza storica." So berechtigt diese Vorbehalte Croces grundsätzlich sind: die petrarkisierende Konstante in der italienischen Lyrik ist trotz der epochal bedingten Varianten eine Tatsache, wie gerade das Beispiel Aretinos zeigt. Seine literarischen Anfänge im Zeichen des „secentismo" ante litteram und seine eigene Entwicklung als vorbarocker Rhetor geben seinem literarisch anspruchsvollen Schaffen eine nicht zu übersehende Kohärenz. Paul Henri Michel wies unter Anlehnung an René Brays Untersuchung La Préciosité et les Précieux de Thibaut de Champagne à Jean Giraudoux diese kennzeichnende Tendenz der italienischen Literatur nach: „II preziosismo italiano ha una sua evoluzione particolare: deriva dal Petrarca e si trasmette attraverso il Tebaldeo, il Cariteo, Serafino dell'Aquila, il Tasso e i petrarchisti del XVI secolo, fino a Giambattista Marino e ai marinisti, nei quali prende un carattere in certo modo aggressivo, unito a una volontà di stupire il pubblico a qualunque costo" (Studi francesi sul Seicento. Stilistica e bibliografia in : La critica stilistica e il barocco letterario — Atti del secondo congresso internazionale di studi italiani a cura della Associazione internazionale per gli studi di lingua e letteratura italiana, Florenz 1958, 45). Giacinto Spagnoletto {Il petrarchismo, Mailand 1959, 11—13) spricht angesichts der Lyrik von Cariteo, Serafino Aquilano und Tebaldeo von „primo petrarchismo" und zitiert zur Kennzeichnung dieser Produktion einen polemischen Ausfall Pietro Aretinos: „Io non mi intendo di versi, ma chi dice che ne ha pratica, osserva che il Serafino scriveva sopra une mosca, sopra una lettera, sopra una maniglia e sopra ogni impresa." Sulla poesia del Cariteo, cfr. Giovanni Getto: Immagini e problemi di letteratura italiana, Mailand 1966, 107—130: „Eppure, la lettura del Cariteo (gli altri due, Marco Antonio Tebaldi e Serafino de' Ciminelli, si prestano, nel paesaggio storico, dicevamo, ad una mera funzione illustrativa, in ordine alla più decisiva esperienza del Gareth — sic! —) ci trasferisce in un clima di alto significato culturale, richiamandoci a quella linea di tradizione stilistica di classica dignità su cui si sviluppa tanta parte della poesia italiana, dal Petrarca al Parini, dal Monti al Carducci. Qualunque possa riuscire la conclusione sul merito estetico di queste liriche, e il giudizio sull'effettiva possibilità di una conquista poetica inerente a questa esperienza d'arte, si dovrà pur sempre riconoscere in essa la presenza di una scaltrita e raffinata letteratura e di una cultura viva ed aristocratica." (113/114). G. Innamorati: P. A. — Studi e note critiche, op. cit. 104/105.
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verrät, befindet sich in dem kurzen V o r w o r t in Prosa, das mit dem R a t des jungen Dichters schließt, der Leser solle ruhig die Blätter v e r k a u f e n „a Ii librari per f a r coverti de li altri o a li salsamentarii per involuparci li pesciculi marini". 5 Die Gedichte hingegen sind frei von dieser parodistischen Komponente. D e r „adolescente arretino", „studioso in questa faculta e in pictura" 6 , liefert nicht mehr als Fingerübungen im Vergleich zu seinem späteren rhetorischen Virtuosentum. Schon jetzt findet sich auch bei Aretino die unverbindliche A u f z ä h l u n g von Worten, die willkürlich u n d ohne innere Beteiligung aneinandergereiht werden. Die erste Strophe des s t r a m b o t t o De tempore soll wenigstens als Beispiel zitiert w e r d e n : Grotesdie spoglie ludi strali e armi: Triumphi: ardii: theatri: e bel scolture: Trophi: sepuldiri: epitaphi: e carmi: Colossi: Amphiteatri: gesti: picture Victorie: tronchi: aurati marmi: Arastri: zappe, vomeri: e ficture Quel che non senten le mortai ruine Dal tempo in brieve son condutte alfine.7 In diesem Ton, ohne jedes authentische rhetorische Können, ohne S t r a f f u n g durch Antithese, ohne verblüffende Effekte durch kühne H y p e r b e l n , ohne stilistische Kühnheiten durch den Gebrauch von H y p e r b a t a (lauter Stilmerkmale des späteren Aretino) ist ein großer Teil der Opera Nova geschrieben. Alles in allem handelt es sich bei diesem Erstling um eine W o r t schatzübung auf dem N i v e a u der vielgeschmähten Lyrik des Serafino v o n Aquila u n d seiner Vorbilder. W e n n Aretino sich später darüber lustig machte, d a ß Serafino Aquilano über jede Nichtigkeit ein Gedicht zu m a chen verstand, so bedeutet das nicht, d a ß der künftige Verfasser v o n w o r t reichen Ovationen die Lektion des „terso Serafino" 8 nicht zu nutzen w u ß t e . Aretinos ganze P r o d u k t i o n a n Versen (von den burlesken Dichtungen u n d Satiren abgesehen) ist ohne innere Beteiligung entstanden: sie erhebt sich in keinem Fall über den Durchschnitt der petrarkisierenden Dichtung in der Nachfolge Pietro Bembos. I m m e r h i n zeigt sich bereits in diesen f r ü h e n Gedichten das Bemühen um rhetorisches A u f t r u m p f e n durch die Thematik. Ein erster Versuch in Richtung auf die religiösen Schriften findet sich in einem Sonett, dessen Q u a r t i n e hier in extenso a u f g e f ü h r t werden sollen: Lhorrenda tuba el gran iudicio appella E quel die in legno invodio heli 5 6 7 8
Ib. 106 (die ganze presentazione al lettore bei Innamorati, 105/106). Opera Nova, ed. cit., c. 9 r. Ib. c. 4 v. Ib. c. 12 r.
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Sede pro tribunal 9 : onde cosi Temo fuggir la stigial facella. O unica del ciel nocturna Stella Che partoristi el ver adonai Presta soccorso a questo extremo dl. E t tra del mar la debil navicella.
Hier läßt sich bereits das Bemühen um gesuchte und ausgefallene Periphrasen nachweisen, das eines der Kennzeichen von Aretinos religiösen Schriften sein wird. Vor allem aber scheint mir gerade Aretino eine Brücke zwischen dem von D'Ancona nachgewiesenen „secentismo" der höfischen Dichter am Ende des Quattrocento und der Lyrik Marinos und seiner Nachahmer. Die rhetorischen Anfänge des jungen Künstlers zeigen, mit welchen Vorbehalten und mit welcher Vorsicht „Aretino's künstlerisches Bekenntnis" zu beurteilen ist und was es in Wirklichkeit mit seiner vielgeschmähten Ignoranz auf sich hat. Zwischen der Opera Nova und dem kurz vor und nach der Wahl Hadrians V I . entstandenen pasquinate klafft eine Lücke von einem Jahrzehnt. Genaue Datierungen in diesem Zeitraum und vor allem über Aretinos mutmaßlichen Aufenthalt in Siena sind nicht möglich. Das Datum der Übersiedlung nach Rom wird in der Regel mit 1516/17 angegeben. Gerade diese Unklarheiten erlaubten es den Gegnern Aretinos immer wieder, ihm jede nur erdenkliche Verruchtheit anzudichten. Eine Präzisierung schien sich abzuzeichnen, als Vittorio Rossi 1890 die Vermutung äußerte, in dem Testamento dell'elefante, das in einer Handschrift des Museo Correr in Venedig aufbewahrt ist, habe man wahrscheinlich die erste heute zugängliche Probe des künftigen Satirikers Aretino vor sich.10 Es handelt sich um einen Text in Prosa, dem die Fiktion zugrundeliegt, der auch in den Epistolae obscurorum virorum erwähnte Elephant Leos X . , ein Geschenk des Königs von Portugal, habe vor seinem Ende im Juni 1516 ein Testament hinterlassen. Die Epistolae obscurorum virorum geben eine satirische Schilderung vom Verlauf der Krankheit: „Vos bene audivistis, qualiter papa habuit unum magnum animal, quod vocatum fuit elephas et habuit ipsum in magno honore et valde amavit illud. Nunc igitur debetis scire, quod tale animal est mortuum. Et quando fuit infirmum tunc papa fuit in magna tristitia et vocavit medicos plures et dixit eis: ,Si est possibile, sanate mihi elephas'. Tunc fecerunt magnam diligentiam et viderunt ei urinam et • Opera Nova, ed. cit. c. 12 v — Innamorati, der die erste quartina abdruckt (op. cit., 116), und die oft fehlerhafte Orthographie des Textes hier wie bei den anderen Zitaten zurechtrückt, verbessert hier irrtümlicherweise in: „Sede pro tribunali onde cosl". 1 0 V. Rossi: Un elefante famoso, Intermezzo I, Alessandria 1890, 6 2 5 — 6 4 4 . Die folgenden Zitate nach V. Rossi: Dal Rinascimento al Risorgimento, Florenz 1930, 2 2 3 — 2 4 2 .
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dederunt ei unam purgationem, quae constat quinque centum aureos; sed tarnen non potuerunt elephas facere merdare et sic est mortuum et papa dolet multum super elephas. E t dicunt quod daret mille ducatos per elephas, quia fuit mirabile animai, habens longum rostrum in magna quantitate. Et quando vidit papam, tunc geniculavit ei, et dixit cum terribili voce: bar, bar, bar". 1 1 Im Testament des Elephanten passieren die Kardinäle Revue mit ihren stadtbekannten Lastern. Es muß spätestens am 18. Juli 1516 verfaßt worden sein, da der an diesem Tag verstorbene Kardinal von Sinigaglia noch als lebend aufgeführt wird. Sollte Aretino tatsächlich schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Rom mit den dortigen Verhältnissen und dem H o f klatsch so vertraut gewesen sein, daß er souverän zur Stimme des römischen Volkes werden konnte? Vittorio Rossi ist es nidit gelungen, seine These mit der nötigen Schlüssigkeit zu erhärten. Wie die Analyse der fünfeinhalb Jahre später entstandenen pasquinate zeigen wird, ist die Tradition der antipapistischen Satire an gewisse Formen und Schemata gebunden, die es nahezu unmöglich machen, hinter einem Text eine bestimmte Persönlichkeit nachzuweisen. Immerhin erlaubt das von Vittorio Rossi veröffentlichte Testament Rückschlüsse auf die Atmosphäre, die Aretino bei seiner Ankunft in Rom vorfand. Mag er auch nicht der Verfasser der Satire sein, so läßt sich nicht übersehen, daß Aretino sich mit der ihn kennzeichnenden Wendigkeit an Beispiele dieser Art anzulehnen wußte, als er sich in den Wochen der Vakanz des päpstlichen Stuhls nach dem Tod Leos X . zum Sekretär Pasquinos machte: Scrivi die prima ricomando l'anima mia al sol, el qual soleva adorar ogni zorno e comando die '1 mio corpo sia sepulto nel Vaticano t r a le ruine de Bramante 1 2 e constituisco mio eriede universal, benché non meriti, Zuan Batista Aquilan. 1 3 Eriede mio, darai el mio avolio al R . m o cardenal de S. Zorzi, azò die la sua assidua sete tantalea cum perpetua espettazion del pontificado più fazilmente in quello ancor sia temperada. Eriede mio, darai i miei t . . . al R . m 0 cardenal de Senegaia, azò die '1 sia più fecondo in la prole ed in la procreazion de Anticristo più gaiardo insieme cum la reverenda Julia de monial 14 de santa Caterina da Senegaia.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß Pietro der Verfasser des Testamento ist: letzten Endes ist die Frage aber unerheblich. Ein später Rückblick auf 11 12
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V. Rossi: Dal Rinascimento al Risorgimento, op. cit., 230. Rossi vermutet (223), es handle sidi vielleicht um die in dem von Bramante erbauten Belvedere aufgehäuften Trümmer oder gar um einen Seitenhieb gegen den Architekten, dessen Bauten notorisch unsolid waren. Zuan Battista Aquilan war der Wärter des Elephanten. Rossi verbesserte das „demonial" der Handschrift in de monialibus. Die starke venetianische Färbung des Textes geht auf den Kopisten des cod. Cicogna zurück, der auch toskanische Schriften mit der Patina seiner Muttersprache versah.
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die Jugendjahre in Perugia und in Rom findet sich in einem Brief an Agnolo Firenzuola, der sich mit geradezu provinzieller Unterwürfigkeit an den „Divinissimo uomo" gewandt und von Prato, „assai orrevole castello in Toscana" aus, die eingeschlafene Beziehung zu Pietros „Grandezza" 1 5 wieder anzuknüpfen versucht hatte. Aretino zeigte sich in seiner Antwort vom 26. Oktober von der besten Seite: „Ma chi non se risentirebbe nel pensare a gli andari nobili de la conversazione di voi, die spargete la giocondità del piacere ne gli animi di coloro die vi praticano con la domestichezza che, a Perugia scolare, a Fiorenza cittadino e a Roma prelato, vi ho praticato io? die rido ancora de lo spasso che ebbe papa Clemente la sera che lo spinsi a leggere ciò die già componeste sopra gli „omeghi" del Trissino; per la qual cosa la santitade sua volse insieme con monsignor Bembo personalmente conoscervi. Certo che io ritorno spesso con la fantasia a i casi de le nostre giovanili piacevolezze". 16 Aretino kargt sonst mit Einzelheiten in puncto „giovanili piacevolezze". Es kommt nicht oft vor, daß er seine offizielle literarische Vormachtstellung vergißt, um einen Augenblick in der Erinnerung zu schwelgen. D a ß er so selten die Sprache auf seine Jahre am H o f Leos X . bringt, scheint darauf hinzuweisen, daß seine Stellung am römischen H o f alles andere als brillant war. Der Erfolg kam erst mit dem Tod des ersten Medici-Papstes. Die merkwürdigen Umstände, unter denen Leo X . aus dem Leben geschieden war, wurden Gegenstand zahlreicher Pasquille und der schwärzesten Vermutungen. Das sich außergewöhnlich lang hinschleppende K o n klave gab der gespannten Erwartung über den Nachfolger immer neue Nahrung. Die versammelten Kardinäle, die sich nicht auf einen Namen einigen konnten, wurden Zielscheibe der Satire und des Witzes. Selbst der keinesfalls spottsüchtige Baldassare Castiglione, damals Gesandter des Marchese von Mantua in Rom, konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, 15
Agnolo Firenzuola: Opere — A cura di Adriano Seroni, Florenz 1958, 601. Seroni kommt in seiner Gegenüberstellung von Firenzuola und Aretino zu dem Schluß: „Gli manca, invero, la forza di vivere nel proprio tempo di maturazione, di crescita, almeno di matura fiorita . . . Nasce al termine del secolo X V , si forma nel Cinquecento, ha il suo primo incontro letterario nell'Aretino; ma, alla fine, resta intimamente legato al Quattrocento, a coltivare orticelli platonidieggianti, impiantati su schemi e formule" (Ib., X X X V I f.).
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Lettere, ed. Flora/Del Vita, 810. Angespielt wird in dem Brief auf Trissinos Versuch einer orthographischen Reform (Epistola de le lettere nuovamente aggiunte ne la lingua italiana) von 1524, auf die Firenzuola mit seinem Pamphlet Discacciamento de le nuove lettere inutilmente aggiunte ne la lingua toscana reagierte, dem einzigen Text, der zu seinen Lebzeiten gedruckt wurde.
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die Geistlichen hätten nun schon so oft ihr „Veni, creator spiritus" gesungen, daß sie heiser geworden seien, und Sanudo berichtet in seinen Diarij über die Wetten, die das Hin und H e r der fumate nere begleiteten, und erzählt, die Signora Matremia non vole, Kurtisane in Torre Sanguinea, habe sich bereit erklärt, drei Nächte lang jeder Lust desjenigen zu willfahren, der ihr hundert Dukaten carlini für den Fall zusichere, daß sie den Kardinal errate, der Papst werde. Sollte sie aber den falschen genannt haben, dürfe er die drei Nächte ohne jegliche Bezahlung mit ihr verbringen. 17 Dieses Klima der Papstwahl ermöglichte den entscheidenden Durchbruch Aretinos, der sich zum Stimmungsmacher der piazza aufwarf. Souverän spielte er mit der öffentlichen Meinung. Die Atmosphäre läßt sich mit einer Art Börsenhysterie vergleichen: sie wurde systematisch von ihm geschürt. E r selbst setzte auf die Karte des Kardinals Giulio de' Medici. Hatte er sich auch verrechnet, so war der Ertrag dieser Papstwahl doch nicht gering: Pasquino, die anonyme Stimme des römischen Volks, war die Stimme Aretinos geworden. Seine Pasquille und sein Name waren nun in aller Munde, und seine Kenntnisse der vatikanischen Intrigen machten ihn zu einem wertvollen Korrespondenten römischer Ereignisse. Als sich Aretino vor der Ankunft des bei den Römern bereits als Pedant verschrienen Hadrian V I . im Gefolge des Kardinals Giulio de' Medici nach Florenz absetzte, hatte er die Lacher auf seiner Seite, und die Mächtigen suchten ihn für sich zu gewinnen. Aus der Fülle der Literatur, die sich mit Pasquino und den Pasquinate beschäftigt18, sei nur Folgendes erinnert: Im Jahre 1501 ließ Kardinal Oliviero Carafa eine vor dem Palazzo Orsini (heute Palazzo Braschi) im Schlamm liegende verstümmelte Statue aufrichten und folgende, inzwischen verschwundene Inschrift anbringen: „ O L I V E R I I C A R A F A E B E N E F I C I O H I SUM. A N N O S A L U T A T I S M D I " . Pasquino wurde der MenelaosHerkules- oder Patroklostorso (diese und andere Gestalten wollte man in ihm erkennen) genannt, weil in unmittelbarer Nähe ein kauziger Schulmeister dieses Namens gewohnt haben soll. Am 25. April, dem Fest des Hl. Markus, wurde Pasquino jedes Jahr gefeiert und an die bald als Apoll, bald als Fortuna verkleidete Statue wurden in der Regel von Gymnasiasten lateinische Verse geheftet, die von Passanten gelesen und kommentiert wurden. Die antiklerikale Satire, die sich vor allem gegen Papst und Kurie richtete, bedurfte selbstverständlich der Rehabilitierung des Torsos am Pa17 18
Mario Dell'Arco, Pasquino e le Pasquinate, Mailand 1957, X X X V I I und X L . Vgl.: Cinquecento Pasquinate, scelte comentate e annotate da Renato e Fernando Silenzi, Mailand 1 9 3 2 ; Domenico Gnoli: La Roma di Leon X (a cura di Aldo Gnoli), Mailand 1938, besonders die Kapitel: Pasquino pedagogo ( 1 6 4 — 1 8 4 ) und Pasquino satirico ( 3 0 0 — 3 0 8 ) . Giuliano Innamorati: Pietro Aretino — Studi e note critiche, op. cit. 135—154.
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lazzo Orsini nicht." Ab 1509 veröffentlichte der aus Bergamo stammende Drucker Giacomo Mazzocchi jährlich eine Auswahl der bekannt gewordenen Pasquille. Die lateinischen Verse der römischen Gymnasiasten waren in der Regel recht und schlecht geschriebene Sticheleien. Daran konnte Aretino nicht anknüpfen. Erst mit ihm wurde die Statue zum Mittelpunkt der Zeitsatire. Dabei wußte er sich einem Vorbild verpflichtet: Antonio Lelio Romano, an den sich ein Diener in Aretinos Cortigiana erinnert. Wie sehr der Spott über einen verstorbenen Papst seit dem Mittelalter in Rom gang und gäbe war, zeigt der nach dem Tod Leos X. kursierende Ausspruch: „intrasti ut vulpes, vixisti ut leo, obiisti ut canis". Mit den gleichen Worten wurde — wie Tizio in den Storie sanesi berichtet — das Ende von Bonifaz V I I I . kommentiert. 20 Wäre das Zeitalter Leos X. f ü r religiöse Erschütterung empfänglicher gewesen, hätte das unerwartete Ende des sechs Tage zuvor feierlich in Rom eingezogenen Papstes, der endlich Parma und Piacenza f ü r den Kirchenstaat erobert hatte, wie ein Gericht Gottes wirken müssen, um so mehr, da man erzählte, nur der H o f n a r r frate Mariano sei seinem Herrn in der letzten Stunde beigestanden. Für Paolo Giovio wie für die anderen Literaten und Hofschranzen des Mcdici-Papstes ging damit die prunkvollste Zeit des Papsttums zu Ende. In seiner Vita Leos X. klagt er, die virtù Leos habe ohne Zweifel zum Heil des Menschengeschlechts das Goldene Zeitalter geschaffen, während nach dem Tod dieses außerordentlichen Fürsten das Eiserne zu spüren gewesen sei.21 Wie recht er mit diesem Stoßseufzer hatte, zeigt die Tatsache, daß Giovio unter Leos sittenstrengem Nachfolger, dem Utrechter H a d r i a n VI., seine Rente verlor und nur deshalb zur Entschädigung eine Pfründe erhielt, weil er „kein Poet", das heißt, kein Heide war. 22 Es war naheliegend, daß nach Leo X. dessen Vetter Giulio de' Medici gute Chancen bei der Nachfolge hatte. In Raffaels berühmtem Gemälde von Leo X . steht der Nepot zurückhaltend und zwielichtig-zweideutig neben dem aufgedunsenen, thronenden Papst. Die während der Vakanz des päpstlichen Stuhls verfaßten und von Vittorio Rossi veröffentlichten Pasquinate sind nicht nur ein wertvolles geschichtliches Dokument, sondern auch eine entscheidende Etappe des Publizisten Pietro Aretino. Am 1. Dezember 1521 war Leo X . gestorben, 10
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Vittorio Cian: La satira (Storia dei generi letterari italiani), Mailand 1939, passim. Alessandro Luzio in seiner ausführlichen Besprechung von Vittorio Rossi: Pasquinate di Pietro Aretino ed anomine per il conclave e l'elezione di Adriano VI, Palermo-Torino 1891 (Giornale storico, 1892, Bd. 19, 80—103; Paolo Giovio: Le vite di Leon decimo et d'Adriano sesto somi pontefici, et del cardinal Pompeo Colonna; scritte per Möns. Paolo Giovio Vescovo di Nocera, & tradotte da M. Lodovico Domenichi, Venedig 1557, c. 103 v. J. Burckhardt: Die Kultur der Renaissance, ed. cit., 112.
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am 27. wurden die Konklavisten eingeschlossen: erst am 9. Januar 1522 wurde der neue Papst gewählt. In den von Pietro und anderen verfaßten Pasquillen bebt auch für heutige Leser etwas von der Erregung nach, welche die Gemüter ergriffen hatte. Die erste der 51 Pasquinate gibt das H i n und Her der Gerüchte und Spekulationen wieder: Roma è tutta in scomesse ed in contese, chi vuol papa el Punzetto e chi Armellino, chi i Frati, Trani, Triuzzi e l'Orsino, quel Como, Flisco, Campeggio e Farnese, quel senza dubbio afferma il Colonnese, chi Cornar, Vico, Cibo e Cesarino, questo Ivrea, Monte, Pucci e '1 Soderino, chi Valle, Jacobacci e '1 Sodonese A venti Medici è, Siena e Cortona; a sette Grassi e poco più Grimano; di Santa Croce non se ne ragiona. Cavaglione, il Petruccio e '1 Mantovano 23 son fuor di giuoco e fuor del forse Ancona e in albis Cesi, Rangone e '1 Pisano. Lo squittin si fa vano per Salviati e Ridolfi, e 'n questa ciancia chi impegna per Spagna e chi per Francia. Ma Ceccotto in bilancia tiene una profesia del Dottrinale, la quale annunzia papa un cardinale. Egli direbbe quale, ma il vulgo, ch'è assai peggio th'una tromba, cacceria del conclavi la colomba.24 Die Kardinäle, sonst Herrscher und Herren ihrer Untertanen: hier werden sie Objekt, hier werden sie gewogen nach ihrer Macht und Bedeu13
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Die ehrgeizige Isabella d'Este beurteilte die Situation anders, wie ein Brief an ihren Sohn Federico zeigt: „. . . Et perché sua S. Rev. habbi maior animo et melior modo de attendere ad farsi Papa, gli havemo offerto le gioie con le possessioni nostre quante n'havemo. Siamo di parer et laudamo che V. S. anchor gli mandi dreto per le poste et offerirgli ogni suo poter per questo glorioso effetto, die per conseguir un papato in un paro de Möns. Rev. nostro con tanto utile et gloria di casa nostra doveressimo impegnare nui ¡stessi. . ." (.Mantova — La Storia, volume II: Da Ludovico secondo marchese a Francesco secondo duca — A cura di Leonardo Mazzoldi con prefazione di Mario Bendiscioli, Mantua 1961, 274). Baldassare Castiglione, der um die Ambitionen der Familie Gonzaga sicher wußte, beklagte sich in einem Brief an Markgraf Federico, daß er von Kardinal Sigismondo nicht zum Konklavisten ernannt worden sei, obwohl er Angebote der Kardinäle Medici und Cornaro mit Rücksicht auf den Mantuaner ausgeschlagen habe (Ib. 330). V. Rossi: Pasquinate di Pietro Aretino ed anonime per il conclave e l'elezione di Adriano VI, Palermo-Turin 1891, 3/4.
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tung. Sie werden nicht nur Zielscheibe des Spotts, sondern Gegenstand eines großen Ausverkaufs. Deutlicher als dieses und die anderen sonetti caudati der Sammlung könnte nichts zeigen, wie sehr die Institution des Papsttums bankrott gemacht hatte. Die großen Namen des damaligen Italien werden von einem Marktschreier versteigert. Der komische Anhang, der sich nicht nur einen Astrologen 25 , sondern den Heiligen Geist selbst zur Zielscheibe seines Spottes nimmt, zeigt, was Nepotismus, Sodomie und Bestechung aus dem Heiligen Stuhl gemacht hatten. Sonett II ist ein neuer Börsenkurier, eine Variation zum ersten, und I I I parodiert die Wetten über die Nachfolge mit der Sprache des Jahrmarkts: „A un cardo è Trani e Cesi a una scopetta". Ein Dialog zwischen Roma und Pasquino unterbricht mit IV die Reihe der Schweifsonette. Aber all das sind nur Präludien in einem ständig wachsenden Crescendo, das in dem finale furioso der Beschimpfungen gegen den neuen Papst endigt. Im Sonett X läßt sich eine für Aretinos Pasquille typische Technik aufzeigen. Zielscheibe ist hier der Kardinal Colonna, es werden jedoch nicht einfach seine Fehler und Laster aufgezählt, sondern sie werden mit denen der anderen Konklavisten verglichen. Aretino bringt das Kunststück fertig, en passant eine Reihe von Seitenhieben an die Kardinäle auszuteilen und dodi zugleich die gegen Colonna gerichteten Hiebe zu verdoppeln: Già molte cose rider m'hanno fatto, ma temo assai non crepar di questa, die la Colonna s'ha cacciato in testa di voler esser papa a questo tratto. E d è tenuto un bestialaccio matto, un capo pien di grilli, anzi una cesta piena di vento, che da terza a sesta muta promission e legge e patto. Uno assai più che Santa Croce vano, un di'è più doppio che non è Farnese, un più superbo che l'Ancoletano, un più vizioso assai die '1 Bolognese un più ostinato die Flisco o Grimano, un di'è più porco die nessun franzese, uno assai più palese sodomito die è Monte, un più assassino maligno e traditor die '1 Soderino, o povero Pasquino, cerca esser papa e dice e corre e grida, e non volete poi ch'i' me ne rida?
Meisterhaft sind die kleinen Szenen, die Pasquino entwirft, um die Konklavisten in die Phantasie seiner Leser und Hörer einzublenden. Es 25
Wahrscheinlich handelte es sich dabei um „Cechoto de Castilione" (Castiglion Chiavarese), dem Leo X . eine Monatspension verliehen hatte (Ib. 78).
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handelt sich um Momentaufnahmen, die — wie später die Komödien Aretinos — spezifische Situationen festhalten, fruchtbare Augenblicke für die Satire, gestellte Bilder auf die der Zeigestode eines gelegentlich geradezu behäbig-langsam erläuternden Bänkelsängers fällt. Als Beispiel dafür stehe der erste Vierzeiler von X I X : Poi die '1 conclavi fu tutto serrato, si giurò non so che di simonia, e detta ognun pian pian l'Ave Maria, di comun senso ebbon capitulato —
Auch die parodierende Verwendung des Trauritus (XXIV) überrascht nicht bei einem Schriftsteller, der in der ironischen Säkularisierung des Formelschatzes der Liturgie ein Meister wurde: „Piacevi, monna Chiesa onesta e buona, per legittimo sposo l'Armellino?" „Messer no, che m'ha detto Bernardino die tien madonna Onesta per padrona".
Durchschlagenden Erfolg muß die Tarockpartie der Kardinäle (XXXII) erlebt haben, da die gleiche Situation beim Konklave nach dem Tod Pauls III. 1550 wieder in einem Pasquill auftauchte. 20 Die nach der Papstwahl entstandenen pasquinate ( X X X I I I bis LI) beschimpfen das Kardinalskollegium und den neuen Papst in zügellosester Weise. An einen Ausländer war überhaupt nicht gedacht worden. Der Sinn für die internationale Sendung der Kirche war in Rom gerade im Zeitalter der Entdeckungen völlig verloren gegangen. Das Konklave war für die piazza ein römisches Volksfest, an dem sich ganz Italien beteiligte, bei dem man sich jede Einmischung von außen verbat. Die von Historikern des letzten Jahrhunderts zum Teil mit Entrüstung zur Kenntnis genommene Flut maßloser Beschimpfungen (Gregorovius)27 sind das Gegenstück zu jenen Akzenten nobler italianità (Cian)28, die sich an Petrarcas Canzone all' Italia anlehnt. Immerhin sah Pasquino richtig, wenn er in der Wahl des Lehrers von Karl V. nur den Beginn für jene finis Italiae29 sah, an der die Hausmachtpolitik von Hadrians Vorgängern nicht unbeteiligt war. Die Plünderung Roms, mit der die Hochrenaissance fünf Jahre später ihren brutalen Abschluß fand, gab den Klagen und Protesten der Römer — so wenig Hadrian VI. damit zu tun hatte — allzu früh recht: 28 27 28 29
Vgl. V. Cian: La satira, op. cit. 97. Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, passim. La satira, op. cit., 100. So betitelt Giorgio Spini in seiner Storia dell' età moderna Vol. I (Turin 1965) die Darstellung der Ereignisse zwischen dem Tod Leos X. und der Plünderung Roms.
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Se di tedesca tigna avevi brama, o collegio del buon sempre nimico, perché Corizio 30 per ospizio antico o Vincle31 non pigliavi die più t'ama? Non sai che Italia sarà sempre grama per lo strazio crudele di Alarico e che sì amaro il pie' di Genserico le fu, che ancor di ciò vendetta chiama? Costui è pur del popul per più doglia, die alzando il dito con la morte scherza, o nostri dolci campi, o rio destino! Presto, o Roma, vedrai ogni tuo spoglia, le statue nude dalla sera a terza e l'altre cose tue notar nel vino. Gentil sangue latino, altro non posso più che pregar mesto, che '1 giudizio del ciel ne venga presto, a tal che col capresto ormai si mostri gli empi traditori esser di Juda veri successori.32 Die Verse mit denen sich Aretino vom Kardinalskollegium verabschiedet, sind berühmt geworden: Savio collegio, miserere mei, peccavi, i' lo confesso, ho detto male, ma qual fia si indiscreto cardinale, die non assolva i dolci versi miei? Und die letzte Terzine dieses sonetto caudato (Rossi, XLVIII) ist eine freche Verspottung der porporati: sicché, collegio bello, perdona di buon cuore all' Aretino, se Dio ti scampi e guardi da Pasquino. Ein Brief des Malers maestro Andrea vom 31. Juli 1522 „ A quello Aretino che fece tanti belli sonetti in sedia vacante a laide e groria del sant. 30 31 32
Johann Göritz von Luxemburg. Johann Winkel, der später Referendar Hadrians VI. wurde. Pasquinate di P. A., op cit. (XL). — Ober Das Bild des Deutschen in der Literatur der italienischen Renaissance (1400—1559) liegt nun in den Münchner Romanistischen Arbeiten als Heft 20 die sorgfältige Untersuchung von Peter Amelung vor (München 1964). Amelung erinnert daran, daß die Satire gegen Hadrian VI. ihr ganzes Kapitel aus der Tatsache seiner deutschen Abkunft schlug: „Ohne sich um die wahre Natur dieses Mannes zu scheren, begnügten sich die Italiener damit, ihn zu zeichnen, so wie sie sich den Durdischnittsdeutsdien vorstellten . . . Deshalb wurde als beherrschende Eigensdiaft des neuen Papstes seine .deutsche Trunksucht' hervorgehoben, obwohl es im Lebenswandel Hadrians VI. nicht die geringsten Anhaltspunkte für diesen Vorwurf gab" (110).
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collegio savio e dabene" beginnt mit einer geistreichen Glosse über die Anreden und Titel, die dem Adressaten nach seinem römischen Erfolg nun eventuell zustehen: „Io non v'ò scritto più presto, non perché io abbia faccenda nessuna, Iddio grazia, ma per non sapere die titolo mi vi dare nella soprascritta. Spettabili viro è conveniente a Gismondo Chigio, perché è mercante; excellentissimo si dice agli armomm, cioè a Ottavio Orsino, al signor Franco Malatesta de' Medici, a Rienzo da Ceri; ecregio sta bene a un pari del Moro de' Nobili. Cristianissimo fu' io per dirvi e cattolico, ma mi ricordai che siete un poco eretico e mai udisti messa et però questo a Girolami Beltrami et a quel Fiscale serberò. Avevo pensato darvi dello eximio, ma quando istudiasti in legge? et però sia de Lorenzo Lueri. S'io dicessi illustrissimo, voi non sete principe de re di Cipri; adunche s'io sono stato per dirvi Reverendo, me l'aria per male Cristofano de Rios; se io dicevo in Cristo fratri, fra Mariano era incaricato. Volsi dirvi prudenti viro e mentivo per la gola, perché non facesti mai statuti, ch'io sappia; del magnifico mi pareva onesto, se voi fussi coglion viniziano. Al corpo de Cristo, die sono stato per darvi del Signor Petro, ma '1 capitano Molinas disse die voi non sete né spangnolo, né napolitano; fu' per fare pulchriori detur, e '1 gobbo da Bibbiena e Sermoneta l'ànno auto per male; fu' per fare, anzi l'avevo fatto, oves et boves e Simone Tornabuoni m'averia bravato; sicché sono a mal partito per non sapere che diavolo di dengnità si sia la vostra. Ecregio se partiene al Cordiale; eccellentissimo et eruditissimo al Pattolo, che compone l'Ordiessa; unico e Musarum alunno al signor di Nepi, cioè l'Unico; nobilissimo a' figli e parenti di frate Egidio. Io credevo die celeberrimo e laureato poeta stessi benissimo, ma fu l'abate di Gaeta ch'andò in su l'elefante; se io dicessi alla ottima lingua, il Soderino, il Colonna et Cornaro mi crocifigerebbono; se io dicessi alla pessima, il cardinale ill. m0 de Medici, nostro comune patrone, mi diria bugiardissimo. E con questa diavoleria mi sono restato di scrivervi fin qui. Ora coll'aiuto di Dio e maestro Pasquino ò trovato el soprascritto, di sorte che nessuno mi potrà biasimare e voi ne sarete sadisfatto e questo basti quanto alla prima parte". 33 Damit ist der Schnörkel der Einleitung zu Ende und maestro Andrea geht nun zur Tagesordnung über: „Aretino carissimo, salute etc. Quanto dolore abbia accrescuta la partita vostra a Roma, maestro Pasquino il sa, che mai à fatto parola e porta la gramaglia, come gli dolessino e Franzesi, non altrimenti che quegli, ch'andorno drieto al cataletto, cioè il cantore e ser Ughetto e, per mia fe', 53
Der Brief, der sich handschriftlich im Archivio di Firenze (Carte Strozz., F. a 137, già 133, c. 255; F.» 369, già App. IX, c. 114) befindet, wurde von V. Rossi im Anhang der von ihm herausgegebenen Pasquinate, op cit., veröffentlicht (164—167) und mit zahlreichen Anmerkungen zu den erwähnten Personen kommentiert (174—177).
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che gli avete renduto ingratitudine, che sapete quanto utile et onore vi ha dato..." Maestro Andrea traf hier die entscheidenden Aspekte von Aretinos römischen Ambitionen: „utile" und „onore", Nutzen und Ehre, auf die es Pasquinos federgewandtem Sekretär in erster Linie ankam, wobei „onore" wohl als „Ansehen" zu interpretieren ist, das sich nicht selten in den Dienst des „utile" zu stellen hatte. Das sollte bald auch der Markgraf von Mantua erfahren, bei dem Aretino zwischen der Wahl Hadrians VI. und der Abfassung dieses Briefes ein paar Monate verbrachte. Aretino hatte dabei die Gelegenheit, einen der bedeutendsten italienischen H ö f e kennenzulernen. Anhand der veröffentlichten Dokumente läßt sich Aretinos Leben ab 1522 oft bis in Einzelheiten überblicken. Die große schöpferische Periode Aretinos beginnt mit seinen Satiren auf das Konklave nach Leos X . Tod. H a d r i a n VI., der an dem Konklave nach Leos X . Tod nicht teilgenommen hatte, traf erst im August 1522 in Rom ein. Aretino konnte sich im Gefolge Giulios de' Medici auf dem Umweg über Bologna gemächlich nach Florenz absetzen. Er ließ sich sogar wieder in Rom blicken, irritierte aber den Papst durch neue Pasquille derart, daß er sich nur durch die Vermittlung von dem Botschafter Karls V. wieder entfernen konnte. Durch keinen Geringeren als den künftigen Clemens VII. wurde Aretino an dem Hof in Mantua eingeführt, und mag die Vermutung auch nicht gerade falsch sein, daß sich Markgraf und Kardinal den gefährlichen und bewunderten Literaten gegenseitig wie einen spiritus familiaris zuzuspielen suchten34, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß Messer Pietro den um acht Jahre jüngeren Marchese Federico zunächst in seinen Bann zog. Aretino hatte sich mit einem von Giulio de' Medici am 3. Februar 1523 diktierten Brief in Mantua vorgestellt. In einem drei Wochen später verfaßten Dankschreiben an den Kardinal versichert Markgraf Federico, Aretino sei „homo di summa récréation et di virtuosissimo piacere", er werde sich zwar bemühen, ihn bald wieder zurückzuschicken, aber wenn dieses „bald" den Kardinal spät dünken sollte, so sei es doch f ü r ihn selbst immer noch viel zu früh. 3 5 H a d r i a n VI. blieb nach seiner Ankunft nicht müßig: er forderte Giulio de' Medici auf, ihm Aretino auszuliefern, da in Rom einige neue Pasquille bekannt geworden seien. Dieser informierte nun seinerseits den Markgrafen, er könne Aretino nicht decken, falls er in Florenz auftaudien sollte, womit er diesem freie H a n d gab, über den Schriftsteller nach Belieben zu verfügen. Es ist aus den vorliegenden Dokumenten nicht ersichtlich, ob sich
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Cfr.: Antonio Virgili: Francesco Berni con documenti inediti, op. cit., 102. Armand Basdiet: Documents inédits tirés des Archives de Mantoue, Archivio Storico Italiano, serie III, tomo III — parte II, 1866, 105—130. Hösle
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der Markgraf daraufhin von dem in seinem Haus lebenden Gegner Hadrians distanzierte. Tatsache ist, daß Aretino schon am Vorabend des Fronleichnamsfestes 1523 im Feldlager des Condottiere Giovanni dalle Bande Nere war. Zu einer ernsten Trübung scheint dieser Aufbruch aus Mantua nicht geführt zu haben. Aretino hätte sonst nicht versäumt, dem Marchese später Vorwürfe zu machen. Federico, der junge, gebildete und versierte Herr von Mantua, Sohn von Isabella d'Este und dem 1519 an Lues verstorbenen Markgrafen Francesco war zu gewandt, als daß er den angesehenen Literaten leichtfertig hätte vor den Kopf stoßen wollen. Im Alter von zehn Jahren (1510) wurde er als Geisel an den Hof Julius II. geschickt und bis zum Tod des kriegerischen Papstes war er fast ohne Unterbrechung in Rom. Als Fünfzehnjähriger kam er an den französischen Hof und war daher mit der großen Welt seiner Zeit auch persönlich vertraut. Die Tradition des Hofes in Mantua, das Beispiel von Julius II. und Franz I., die Nachrichten vom Prunk und Glanz Leos X. wie auch die Ambitionen seiner Mutter Isabella regten den jungen Markgrafen zu einem Mäzenatentum großen Stils an. Die Verschwendungssucht Isabellas und Federicos führte schließlich dazu, daß Kardinal Ercole Gonzaga nach dem Tod des 1530 zum Herzog erhobenen Federico (1540) mit Schrecken von der wirtschaftlichen Lage des ducato Kenntnis nahm und energische Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen ergreifen mußte. Er fing damit an, daß er „die achthundert und mehr Mäuler", die an dem Hof zehrten, um mehr als die Hälfte reduzierte.38 Solange aber Federico und seine Mutter am Leben waren, wurde das Land hemmungslos verschuldet. Die 100 000 scudi jährlicher Einkünfte des kleinen Staates wurden zum großen Teil für die Garderobe, den Schmuck, die Künstler und den Hofstaat ausgegeben. Es muß für den aufgeschlossenen jungen Marchese ein Geschenk gewesen sein, als er mit Aretino vorübergehend einen der geistreichsten und boshaftesten literarischen Köpfe seiner Zeit an sich zu binden wußte. Es ist durchaus falsch, wenn über dem Erpresser der Diplomat Aretino übersehen wird. Dieser hatte die Spielregeln des höfischen Lebens in Rom durchschauen und anwenden gelernt. Er konnte ein schrecklicher Spielverderber werden, aber nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Interesse. Aretino war Realpolitiker. De Sanctis 36
Ober Ercole Gonzaga cfr.: Hubert Jedin: Krisis und Abschluß des Trienter Konzils 1562163, Freiburg, Basel, Wien 1964, 21/22; Alessandro Luzio: La prammatica del Cardinal Ercole Gonzaga contro il lusso (1551) (Scritti in onore di R. Renier, 65—78) und Luzio Renier: II lusso di I. d'E. (Nuova Antologia, 1896/ III, IV, V). Die von Rodolfo Renier und Alessandro Luzio geplante Monographie über Isabella d'Este ist nie erschienen. Einen Abriß in englischer Sprache gab Rodolfo Renier: Isabella d'Este—Gonzaga Marchioness of Mantua and her artistic and literary relations, Rom 1888.
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hat daher durchaus recht, wenn er bemerkt: „Macchiavelli e Guicciardini dicono che l'appetito b la leva del mondo. Quello che essi pensarono, Pietro fu.° 3 7 Merkwürdigerweise fehlen in der Korrespondenz Aretinos Hinweise auf Isabella d'Este, die den literarischen Abenteurer wohl früh durchschaute und daher in Schranken zu halten wußte. Es ist zum mindesten eigenartig, daß Aretino, der in seinen später veröffentlichten Lettere alles unterzubringen suchte, was Rang und Namen hatte, die in vieler Hinsicht imponierendste Frau seiner Zeit überging und sie zugleich unbehelligt ließ. In den zwei Monaten, die Aretino später im Winter und Frühjahr 1523 am H o f in Mantua verbrachte, entstand eine pasquinata in Prosa, die eine Vorstellung von den Gesprächen mit Markgraf Federico vermitteln kann. G . A. Cesareo hat überzeugend nachgewiesen, daß die im Codice Vaticano Ottoboniano 2 8 1 2 überlieferte Beichte Mastro Pasquinos zwischen Anfang März und Anfang April 1523, also in Mantua, entstanden sein muß. 38 Beichtvater Mastro Pasquinos ist der H o f n a r r des ersten Medici-Papstes, fra Mariano del piombo, der auch nach dem Tod Leos X . sein ertragreiches Amt nicht verlor: er versiegelte nach wie vor die Briefe der vatikanischen Kanzlei. 3 ® „Padre spirituale", beginnt Pasquino, „ich weiß, daß es vom Übel ist, wenn ich beichte, und ich weiß, daß meine Sünden größer sind als die Barmherzigkeit des Papstes." V o r der „ladra creatione" Hadrians V I . sei er ein Heiliger gewesen, fährt er fort, aber nun habe er erzählt, dem Papst gefielen die Pagen, und er habe auch schrecklich bedauert, daß der Balken, der während der Weihnachtsmesse in der Sixtinischen Kapelle herabgestürzt sei, nur einen Schweizer erschlagen habe. E r habe auch ausgestreut, der Papst habe sein Heer nach Rimini statt nach Rhodos geschickt. J a was ihm denn eingefallen sei, erwidert fra Mariano, ob er denn nicht wisse, daß ganz R o m sich aufgeknüpft hätte, wenn der Papst von dem Balken erschlagen worden wäre, ob er sich denn nicht schäme, zu erzählen, daß H a drian Pagen halte, ob er so sehr von allen guten Geistern verlassen sei, daß er nicht wisse, Monte und Colonna hätten welche. U n d nicht anders sei es mit Rimini: falls der Papst es nicht eingenommen hätte, wäre doch die Kirche zugrunde gegangen etc. etc. Als Buße wird Pasquino schließlich zur Auflage gemacht, wie ein Flame zu saufen. Zu guter Letzt fällt Pasquino doch noch eine Kleinigkeit ein, ein „peccadiglio", das er mit einem einführenden „ O cul d'Idio" bekennt: j a er habe sich auch übler Nachrede gegen 37 38
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Storia della letteratura italiana, ed. cit., vol. II, 172. G. A. Cesareo: Una satira inedita di Pietro Aretino (Raccolta di Studii critici dedicata ad Alessandro d'Ancona, Florenz 1901, 175—191). Eine kurze Monographie widmete dem Buffone di Leone X Arturo Graf in: Attraverso il Cinquecento, op. cit., 367—394.
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den Kardinal Franciotto Ursino schuldig gemacht. Ursino, das wußte ganz Rom, war ein berüchtigter Weiberheld, dem man fünf Kinder nachwies. Der Stil Pasquino-Aretinos ist unverkennbar: der Torso am Palazzo Braschi spielt den einfältigen Tor, wodurch er sein Sündenregister so harmlos wie möglich anbringt. Gleichzeitig verwendet er die bereits aus den Satiren zur Papstwahl bekannte Technik, mit einem einzigen Hieb zwei Gegner zu treffen. Von hier führt der Weg direkt zu den Pronostici, die Aretino nach seiner Ankunft in Venedig Jahr für Jahr veröffentlichte. Der einzige erwähnte Zeitgenosse, gegen den sich Pasquino keine Ausfälle erlaubt, ist der Marchese Federico, der allerdings bedauert wird, weil er capitano della Chiesa sei. Pasquino nennt die Kirche „sfacciata, amorbata, affammata et vituperata". Wenn man sich daran erinnert, mit welcher Freude wenige Jahre vorher (1521) Baldassare Castiglione seinen H e r r n davon unterrichtete, daß er bei Leo X. seine Ernennung zum capitano della Chiesa endlich durchgesetzt habe, dann hat man zwei grundverschiedene Typen der Hochrenaissance vor sich: hier den sich im Dienst für seinen H e r r n verzehrenden vollkommenen cortegiano, der seine privaten Ambitionen weitgehend opferte, ohne dabei auf seine persönliche Würde zu verzichten, dort den selbstbewußten Zyniker, dem alles käuflich schien. Es darf nicht verwundern, daß sich diese beiden Zeitgenossen nichts zu sagen hatten. Sie lebten in zwei verschiedenen Welten, mögen sie in Rom auch einander einmal begegnet sein. Vittorio Cian 40 interpretiert das Schweigen Castigliones als Zeichen der Verachtung. Aber auch Aretino, der oft genug in seinen Briefen und in den Werken sich an die römischen Jahre unter Leo X. und Clemens V I I . erinnert, erwähnt den päpstlichen Nuntius mit keinem Wort, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, nach der Plünderung Roms, dem von Clemens V I I . hart gerügten Diplomaten in den Rücken zu fallen. Castiglione hat sich daher dem mißtrauischen Pietro gegenüber wohl nicht vergangen, sonst hätte dieser wenigstens den Toten geschmäht. D a ß er es nicht tat, scheint hinreichend zu beweisen, daß der mantuanische Gesandte am päpstlichen Hof und der „flagello dei principi" einander zu vermeiden wußten. Die Jahre zwischen der Wahl Hadrians VI. (9. Januar 1522) und Aretinos endgültiger Übersiedlung nach Venedig (25. März 1527) sind
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D i e vorzügliche Monographie v o n Vittorio Cian, Un illustre pontificio del Rinascimento — Baldassare Castiglione, die als Band 156 in den Studi e Testi der Biblioteca apostolica vaticana veröffentlicht wurde (1951), ist unter anderem eine Ehrenrettung des D i p l o m a t e n Castiglione, der v o n Clemens V I I . zu Unrecht für den sacco v o n 1527 verantwortlich gemacht wurde. Aus den D o k u m e n t e n geht eindeutig hervor, d a ß der unentschlossene Clemens V I I . O p f e r seines Doppelspiels zwischen Franz I. und Karl V . w u r d e und seinem N u n t i u s nur sibyllinische Instruktionen erteilte.
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die bewegtesten in seinem turbulenten Leben: bald befindet er sich in Florenz in der Umgebung des Kardinals Giulio de' Medici, bald in Mantua am Hof des Markgrafen Federico, dann bei dem Condottiere Giovanni de' Medici in Reggio Emilia (Sommer 1523). Als im September die Nachricht vom Tod Hadrians VI. eintrifft und am 19. November 1523 Giulio de' Medici als Clemens V I I . aus dem Konklave hervorgeht, kann Aretino wieder nach Rom zurückkehren. Aber wenige Monate später muß Pietro wegen dem Skandal der Sonetti lussuriosi wieder aus Rom verschwinden. Giovanni dalle Bande Nere lädt ihn nach Fano ein und stellt den Schriftsteller F r a n z i , vor. Im November 1524 ist Aretino mit diplomatischen Aufträgen des Markgrafen von Mantua bereits wieder in Rom. Es kann im Zusammenhang dieser literaturwissenschaftlichen Untersuchung nicht näher auf das Verhältnis Aretinos zu Giovanni dalle Bande Nere eingegangen werden: Pietro betrachtete die mit dem genialen und skrupellosen Medici verbrachte Zeit stets als einen Höhepunkt seines unsteten Lebens. Über Aretinos Beziehung zu Giovanni dalle Bande Nere sind wir seit der Veröffentlichung der Briefe des Condottiere hinreichend informiert. 41 Giovanni de' Medici hatte 1522 Karl V. den Dienst gekündigt, verbrachte einen Teil des kommenden Jahres in abwartender Haltung in Reggio Emilia, kehrte 1523 zu den Kaiserlichen zurück, endeckte 1523 in Mailand die Verschwörung Morgantes, der die lombardische Hauptstadt den Franzosen ausliefern wollte, ließ sich kurz darauf durch Francesco degli Albizzi auf die Seite Franz I. ziehen und wird 1526 in der N ä h e von Mantua, bei Governolo, tödlich verwundet. Nicolò Machiavelli gründete noch wenige Wochen nach der Schlacht von Pavia seine H o f f n u n gen auf diesen letzten bedeutenden italienischen Condottiere: Pochi di fa si diceva per Firenze die il Signor Giovanni de' Medici rizzava una bandiera di ventura per far guerra dove gli venisse meglio. Questa voce mi destò l'animo a pensare che il popolo dicesse quello die si doverrebbe fare. Ciascuno credo che creda che fra gli Italiani non ci sia capo, a chi li soldati vadino più volontieri dietro, né di chi gli Spagnuoli più dubitino, et stimino pili: ciascuno tiene ancora il signor Giovanni audace, inpetuoso, di gran concetti, pigliatore di gran partiti; puossi adunque, ingrossandolo segretamente, fargli rizzare questa bandiera, mettendoli sotto quanti cavalli et quanti fanti si potesse più. Crederranno gli Spagnuoli questo essere fatto ad arte, et per adventura dubiteranno cosi del re, come del papa, sendo Giovanni soldato del re; et quando questo si facesse, ben presto farebbe aggirare il cervello agli Spagnuoli, et variare i disegni loro, die hanno pensato forse rovinare la Toscana et la Chiesa senza obstacolo. Potrebbe far mutare oppinione al re, et volgersi a lasciare lo accordo et pigliare la guerra, veggendo
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G. de' Medici: Lettere, raccolte di F. Moisè e pubblicate da C. Milanesi in Archivio Storico Italiano, N u o v a Serie, Bd. VII, V i l i , IX, 1858/59.
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Von der Opera Nova zu den Sonetti lussuriosi di havere a convenire con genti vive, et che, oltre alle persuasioni, gli mostrano i fatti. 42
Machiavelli gab sich keine Rechenschaft darüber, daß nach der Schlacht von Pavia die Würfel bereits gefallen waren, aber dieser Brief zeigt, wie groß der Eindruck war, der von der Persönlichkeit Giovannis ausging. Aretino mußte sich durch Giovanni besser gedeckt fühlen als durch den päpstlichen Hof, an dem er mächtige Feinde hatte. Es war daher natürlich, daß Pietro Aretino der Einladung Giovannis nach Fano sofort Folge leistete, als er nach der Veröffentlichung der Sonetti lussuriosi Rom zunächst mit Arezzo vertauschen mußte. Der Ton, in dem sich der Condottiere an den Schriftsteller wandte, ist der herzlicher Kameradschaft: „Pietro Aretino: Ti prego die a la ricevuta di questa ti parti d'Arezzo, venendo a starmi appresso: . . . tu, che sapresti dar legge al mondo, ti hai rovinato non senza mio danno: . . . tutti potrebbero far tristizie a le volte, ma tu mai non già".43
Für Giovanni dalle Bande Nere war offensichtlich der ganze Skandal der Sonetti lussuriosi eine Angelegenheit, um die er sich nicht scherte. In einer Widmung des gedruckten Exemplars der Sonetti lussuriosi an den Brescianer Battista Zatti steht Aretino auch noch nach Jahren zu seinen Gedichten und rechtfertigt sich mit dem Hinweis auf antike Vorbilder: E perché i poeti e gli scultori antichi e moderni sogliono scrivere e scolpire alcuna volta per trastullo de l'ingegno cose lascive, come nel palazzo Chisio fa fede il satiro di marmo die tenta di violare un fanciullo, ci sciorinai sopra i sonetti die ci si veggono a i piedi. La cui lussuriosa memoria vi intitolo con pace de gli ipocriti, disperandomi del giudicio ladro e de la consuetudine porca che proibisce a gli occhi quel che più gli diletta.44
Einerseits beruft sich Aretino auf antike Vorbilder, andererseits verwirft er jeden Vorbehalt als Pedanterie. Vergleicht man aber die Verse Aretinos mit Giulio Romanos Fresken im Palazzo del Te in Mantua, in denen man wohl eine Schöpfung im Stil der für Ezio Raimondi entworfenen Kartons erblicken darf, dann wird erst der Abgrund deutlich, der Aretinos drastische Libertinage im Zeichen von cazzo und potta von der bezaubernden künstlerischen Leistung Giulios trennt. Erst zehn Jahre später gelang es Aretino mit den Ragionamenti, sexuelle Thematik audi dichterisch zu bewältigen. Der Durchstoß zu einer ihm gemäßen literarischen Form gelang ihm in Rom lediglich mit den pasquinate und seiner ersten Komödie. Wie sehr das Bild Aretinos durch die pasquinate vor der Wahl 42
43 44
Niccolò Machiavelli: Lettere a cura di Franco Gaeta, Mailand 1961, 457/458.
Archivio storico italiano, Bd. 9 / Teil 2, 1859, 120/121.
Lettere, ed. Flora/Del Vita, 399/400.
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Hadrians geprägt wurde, zeigt eine Episode, die sich aus den von Armand Baschet vorgelegten Dokumenten des Archivs der Gonzaga in Mantua rekonstruieren läßt. Nach der Wahl des Kardinals Giulio de' Medici zum Nachfolger Hadrians VI. kann Aretino am päpstlichen Hof mit Recht auf Wohlwollen und Unterstützung rechnen. Clemens V I I . scheint zunächst, trotz Aretinos Zusammenstoß mit Giberti, auch nicht damit gegeizt zu haben. Der Marchese wendet sich deshalb in einem Schreiben vom 13. November eigens an Aretino. Mit größtem Vergnügen höre er von vertrauenswürdigen Personen und auch über seinen „orator carissimo" (es handelt sich um Francesco Gonzago, der die durch Baldassare Castigliones Nuntiatur in Spanien freigewordene Charge übernommen hatte), Pietro rede bei jeder Gelegenheit und an den berühmtesten und besuchtesten Orten Roms und, was weit wichtiger sei, in der Gegenwart des Heiligen Vaters, der ihm so wohlwollendes Gehör schenke, aufs ehrenvollste von ihm. D a ß Pietros Ansehen am päpstlichen Hof weiter stieg, zeigt eine Mitteilung an die Marchesa Isabella, der Papst habe Aretino zum Cavaliere de Rhodi gemacht (die von den Johannitern verteidigte Insel war allerdings unter dem Pontifikat Hadrians VI. an die Türken verlorengegangen). Im Winter läßt der Marchese Aretino über seinen Gesandten bitten, sich beim Papst dafür zu verwenden, ihm Raffaels Bild von Leo X. zu überlassen. Pietro findet Gehör und teilt seiner Exzellenz nun seinerseits über Francesco Gonzaga mit, er möge ihm gnädigst „doa para de camise lavorate d'oro, et doi altre para, cusite de seta, insieme cum due scuffie d'oro" anfertigen lassen. Als Hemden und Barette auf sich warten lassen, wird Aretino ungeduldig und am 22. Februar 1525 schreibt der orator an Federico Gonzago: „Lo Aretino renega il Celo per haver le camise, et in gran colera me ha ditto hoggi, che non le vole piü; di modo die '1 resta molto mal satisfatto". Neuer Brief an den Marchese am 1. M ä r z : Aretino sei so aufgebracht, weil Karneval vergangen sei, ohne daß er seine Hemden erhalten habe, und er beschwört seinen H e r r n : „V. E. conosce la sua lingua". Am 23. März treffen die gewünschten Hemden und das Barett in doppelter Ausfertigung in Rom ein. Aretino erklärt sich versöhnt, gibt noch nachträglich zu verstehen, es sei höchste Zeit gewesen, denn dieses Jahr mache man das Fest Pasquinos in seinem N a m e n : Gott möge jeden gläubigen Christen vor den bösen Zungen der Dichter bewahren. Die kleine Episode ist typisch f ü r eine Reihe anderer: Aretino weiß sich einen Großen seiner Zeit zu verpflichten, läßt ihn zunächst in Tönen höchster Unterwürfigkeit direkt oder über Dritte wissen, wie er sich eine Gegenleistung denke, verliert die Geduld, falls das Geschenk ausbleibt, zeigt sich gekränkt, gibt sich aber nicht geschlagen und, falls sich der Säumige nun doch erkenntlich zeigt, schiebt Aretino das ganze Mißverständnis
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auf nachlässige Diener. Aretino brauchte sichtbare Zeichen der Gunst von hochgestellten Persönlichkeiten, nicht nur um seiner Eitelkeit zu frönen oder aus billiger Raffsucht, sondern als Ausweis ihrer Gnade, mit dem er diejenigen, die ihm ihren Tribut noch nicht entrichtet hatten, erpreßte. Die geschwollenen Phrasen seiner Briefe sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß er geistlichen und weltlichen Fürsten als Gleichgestellter gegenübertrat. Das traditionelle Aretino-Bild verkennt doch seine imponierende Statur, die es ihm erlaubte, sich als Mittler zwischen den Papst und dem Mardiese von Mantua zu stellen. Zu einem bloßen Werkzeug ließ sich Arecino nicht erniedrigen. Wer sich seiner bediente, mußte gewärtig sein, daß ihm früher oder später die Rechnung präsentiert wurde.
Pronostici, Capitoli, Sonetti caudati Aretino verstand es, für seine Zeitsatire die verschiedensten literarischen Vehikel bereitzustellen, indem er traditionelle Formen übernahm und mit einer originellen und persönlichen Note versah. In der zweiten H ä l f t e der zwanziger Jahre war sein Ansehen schon so gefestigt, daß er Formen der Volksliteratur durch seinen Namen aufwerten und sich eine außergewöhnliche Breitenwirkung sichern konnte. Seine pasquinate interessierten die italienischen und europäischen H ö f e nicht weniger als die römische piazza. Ohne künftig auf die Form des Schweifsonetts zu verzichten, schuf sich Aretino nach dem Tod Giovannis dalle Bande Nere ein neues Instrument für seine Attacken. Das auf genauer Kenntnis des Hofklatsches beruhende Horoskop, das er unter der Bezeichnung judicio zum ersten Mal Ende 1526 auf das J a h r 1527 veröffentlichte. N u r wenige Proben dieser von Aretino J a h r für J a h r in Umlauf gesetzten Flugblätter sind erhalten: die von Luzio veröffentlichten Fragmente des Horoskops auf das J a h r 1527 1 , das pronostico auf das J a h r 1534 2 und das unveröffentlichte judicio auf das J a h r 1529. 3 Die erhaltenen Beispiele sind hinreichend für eine konkrete Beurteilung dieser gedruckt und handschriftlich verbreiteten Äußerungen des Divino. Die unruhige Epoche der Reformation und die Kriege zwischen K a r l V . und Franz I. waren eine Blütezeit für Zukunftsspekulationen und Prodigienliteratur. Das Auftreten dieser Formen steht in kausalem Zusammenhang mit dem historischen Augenblick: „Ihre Frequenz läßt sich gleichsam auf einer auf- und absteigenden Kurve darstellen. Die Gipfelpunkte dieser Kurve fallen beachtlicherweise mit historischen Krisenzeiten zusammen." 4 1 2 3
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A. Luzio: P. A. nei primi suoi anni a Venezia . . ., op. cit., 8 f. A. Luzio: Un pronostico satírico di P. A., op. cit. Nachricht von dem pronostico auf das Jahr 1529 gab Franca Ageno in Lettere italiane, XIII, 1961, 449—451. Meine persönliche Rücksprache bei der Eigentümerin, Frau Dr. Amalia Radaeli (Mailand) ergab, daß die aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammende Handschrift zum Verkauf steht und daher zum Zweck der Veröffentlichung nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Rudolf Sdienda: Die französische Prodigienliteratur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Münchner romanistische Arbeiten, Heft 16), München 1961, 136. — So ähnlich die Aufmachung der judici jener der Prodigienliteratur ist,
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Es ist Aretinos Verdienst, daß er aus Elementen alter Formen etwas Neues machte, sich nicht in den Dienst einer Form stellte, sondern sich diese dienstbar machte. Venedig als Zentrum des damaligen Buchdrucks und Buchhandels, die sich nahezu ohne Eingriffe seitens der Zensur entfalten konnten, war f ü r Aretinos publizistische Tätigkeit die ideale Plattform. Von hier aus konnte er schmeicheln oder drohen und dank der Protektion des Dogen Andrea Gritti konnte nicht leicht jemand wagen, sich an dem gefährlichen Sekretär der Fama zu vergreifen. Ein Zufall verhalf Aretinos judici zu besonderem Ansehen: wie aus der Korrespondenz des H o f s von Mantua hervorgeht, hatte Aretino in dem Horoskop auf das Jahr 1527, dem ersten, von dem wir Kunde besitzen, die Plünderung Roms „prophezeit", worüber der Markgraf Federico dem Schriftsteller am 28. Mai 1527 seine Bewunderung zum Ausdruck brachte: „Vi ho fatto la gratia di rivedere il vostro juditio benché prima lo havessi revisto, et trovo che l'è il più veridico judicio die sii sta' fatto già molti anni et che sete il miglior astrologo che sia, et che potete essere dimandato propheta divino." 5 Aretino tat sich auf diesen Treffer nicht wenig zugute. Er vertrat die Ansicht, die judici sollten nicht Ergebnis astrologischer Scharlatanerie sein, sondern auf konkretem Wissen beruhen. Pietro stellte sich damit in Gegensatz zu seinem wichtigsten Rivalen, dem Neapolitaner Luca Gauricus. 6 Aretino verachtete die Berufsastrologen nicht weniger als literarische Pedanten, medizinische Quacksalber und salbungsvolle Pfaffen, wie aus einem Brief an den Prälaten Pietro Piccardo hervorgeht: Tutte le case vi sono aperte, per ogni piazza sete diiamati, e „Zicotto" di qua e „Piccardo" di là: per la qual cosa ne incacate le quintedecime, non che le decime, avendo stoppate le contese del „pisciarà Spagna e caccarà Francia", non dando un pistacchio del sapere per che conto la state ha i dì lunghi e il verno corti, non contendendo per la nimicizia del freddo e del caldo, tenendo bestie e silogismi e anforismi, non vi importando più il nuvolo die il sereno, godendovi del metter de la neve e del piovere a tutto transito, non vi rompendo il capo ne l'investigar se il fuoco die hanno ataccato al culo le lucciole è dementale o no, né manco nel chiarirvi se le cicale cantano col corpo o con l'ali; anzi vi ridete di quei pecoroni che affermano che il tal fiume è un piede più oltre che non pone Tolomeo e die il N i l o non ha tante corna, faccendovi beffe d'alcuni astrolaghi die voglion die la macchia c'ha sul viso la luna sia volatica e non margine d'una bolla gallica, dando tanta
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so handelt es sich bei Aretino dodi immer um ein Mittel zum Zweck, wobei Zweck durch das finanzielle Interesse und die schriftstellerische Strategie geben ist. A. Luzio: Un pronostico satirico di P. A., op. cit., X I . Gauricus' Aufstieg begann, als er die Wahl Pauls III. vorausgesagt hatte. Papst madite ihn aus Dankbarkeit zum Bischof (Cfr. P. Aretino: Lettere, Flora/Del Vita, 1003).
der ge-
Der ed.
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fede a i pronostichi quanta ce ne dà il Gaurico ora die non ha bisogno di ceretanare. 7
Die Stelle zeigt freilich nicht nur Aretinos gesunden Menschenverstand, sondern auch seine Beschränktheit, wo es um die großen naturwissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Probleme des Jahrhunderts ging. Das pronostico auf das Jahr 1534 ist Franz I. gewidmet, und Aretino bricht schon im proemio mit einer Flut von Beschimpfungen los. Sie können einen Eindruck von seiner Technik geben. Wie schon in den pasquinate zur Papstwahl sucht Aretino möglichst mit jedem Hieb gleich zwei Gegner zu treffen, er verwendet Zitate aus der Liturgie, bricht mit Wortkaskaden über den Hörer herein, gibt durch versteckte Anspielungen jeder Äußerung ihre Resonanz, weckt dadurch Neugierde nach mehr, setzt aber dann unvermittelt mit neuen Feststellungen ein, zitiert immer wieder den Namen Aretino, rührt den ganzen Bodensatz von Problemen seiner Zeit auf und vergißt darüber nie, daß der französische König der Empfänger des Pamphlets ist. Wort- oder Satzreihung wird zur Bravourleistung: über Leser oder Hörer prasselt eine Unzahl von Substantiven oder Fragen. Nur noch in den Komödien und in den Ragionamenti findet sich ein vergleichbares Tempo, ein ähnliches Brio. Aretino jongliert mit den großen Namen seiner Zeit, spielt sie gegeneinander aus, wiegt sie gegenseitig ab. Dem Kenner seiner Schriften wird zwar nicht entgehen, daß Pietro mit Elementen aus anderen Werken arbeitet, aber das macht deren Verwendung nicht weniger brillant. Lieblingswörter und Lieblingswendungen wie „castroneria", „Roma coda mundi" finden sich nicht nur hier, aber sie machen Aretinos unverwechselbaren Stil aus: Se Domenedio non digrandinava della sua gratia nella castroneria dei Propheti et delle Sybille, i Propheti et le Sybille haverebbero chimerizzato il suo advenimento, come chimerizzano i satrapi la conclusione dello abboccamento di Marsiglia 8 , ma indivinaro fino del suo nascere nel fieno perchè lo Spirito Santo gli entrò adosso nella maniera die adosso a Papa Clemente è entrata la amicitia francese, per la qual cosa di pecora et homo factus est: ma quello che io voglio inferire è die il Gaurico bufalo cogli altri erranti astronomi buoi non essendo in loro piovuto dal cielo se non pecoraggine giudicano tutte le cose al contrario, et annuntiando pace a Milano gli vien la guerra, a Genova pronosticano libertà et ella tornerà serva, et quanto più affermano la morte al Pontefice tanto più si vede ringiovanire, et cosi havendo chiarito la carestia et la divitia con la loro magra astrologia. Spinto da quel furore die mi fece prophetizzare la rovina di Roma coda mundi con pace di quel 7 8
Lettere, ed. F l o r a / D e l Vita, 317. Ausgangspunkt des pronostico ist die Begegnung von Papst und König in Marseille (11. 10.—12. 11. 1533). Darüber, wie über alle in dem Pamphlet genannten Persönlichkeiten gibt A. Luzio in seinen Anmerkungen zum Text jeden nur wünschenswerten Aufschluß.
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Pronostici, Capitoli, Sonetti caudati coglione di Tholomeo et di quel moccicone di Albumasare ho calculato nella venerabile vita dei Principi il giuditio dello anno presente, et perchè V. M. col senno suo ha miso il giogo al collo delle stelle traditrici, dei pianeti ladri et degli influssi briachi, onde ognuno comincia a tremare di quel valore, a V. M. lo mando, et son certo die Cancer, Scorpio, Libra et Gemini con lo avanzo degli scribi e pharisei del zodiaco infonderanno in me i segreti del cielo sì come hanno infuso nella mandra dei Signori la miseria, la poltroneria, la ingratitudine, la ingnorantia, la villania, la malignità et la heresia, solum per fare voi magnanimo, valente, grato, virtuoso, gentile, buono et diristianissimo. Et poi che il cielo gli ha fatti asini, plebei, et ribaldi a die proposito mi voi male Ferrara, Milano, Mantova, Fiorenza et Savoia, Duchi solamente nel nome? Che colpa ho io della taciturna avaritia cesarea? H o io inclinato Inghilterra a mutar letto: Se Venere sforza a imbellettarsi il Marchese del Vasto che ne posso far io? Se Marte refuta la militia di Federico Gonzaga perchè attribuirlo a me? Se Pisces incita Alphonso da Este a salare le anguille, scorruccisi seco ed non con lo Aretino, . . . e
Das pronostico ist eine Fundgrube einprägsamer Formulierungen, ein Höhepunkt in Aretinos Laufbahn als satirischer Schriftsteller. Alfonso d'Avalos, der Pflegesohn Vittoria Colonnas, der wegen seiner Eitelkeit bekannt war, wird zum „distruggitore di belletto, di storace, di muschio et di ambracane a laude et gloria della militia et dello ordine del Tosono che acquistò in Ungaria per le prove che egli fece contra il Turco, remunerate dallo Imperatore col disgradarlo del generalato". 10 Den Ton der pasquinate greift Aretino im § 4 „Deila State" wieder auf: „A mezza state sarà un caldo indiavolato, onde i prelati i quali hanno in ascendente Cerere et Bacco, senza lo aiuto di cui friget Venus, ogni dì dopo disinare si serrer a n n o in conclavi utrìusque sexus et trastullandosi per il letto i m p a r a r a n n o
et insegneranno ad impalare et ad essere impalati, acciò che facendosi la crociata aspettino i turchi con animo pretesco." 11 Der Heilige Krieg gegen den Türken, ein Gemeinplatz aller offiziellen Erklärungen der Zeit, wird hier in den Dienst der Satire gestellt, was nicht ausschließt, daß Aretino bei anderen Anlässen den Kreuzzugsgedanken seinerseits vertrat. Die literarische Form, die sich Aretino mit dem Judicium schuf, ließ eine ernste und sachliche Darstellung der Zusammenhänge nicht zu. Die politische Wirklichkeit wurde zum Rohstoff für die Satire, Aretino kam es nicht darauf an, eine Wirklichkeit zu ändern, die ihm die Möglichkeiten zu einer unabhängigen Existenz bot. Seine Satire hat nie einen Idealzustand im Auge, im Gegenteil: der Schriftsteller hätte sich mit seiner Verwirklichung die Existenzgrundlage entzogen. Je mehr Blößen sich die Zeitgenossen gaben, um so notwendiger machten sie den „flagello de' principi", dessen Bedeutung mit den Mißständen wuchs. Es braucht nicht eigens her8 10 11
A. Luzio: Un pronostico A. Luzio: Un pronostico Ib., 7.
satirico di P. A., op. cit., 3 f. satirico di P. A., op. cit., 6.
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vorgehoben zu werden, daß sich Aretino als Satiriker an den Antipoden von jenem leidenschaftlichen Streiter für die Welt des Ideals befindet, wie ihn Schiller konzipierte. 1 2
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„In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt. Es ist übrigens gar nicht nötig, daß das letztere ausgesprochen werde, wenn der Dichter es nur im Gemüt zu erwecken weiß; dies muß er aber schlechterdings, oder er wird gar nicht poetisch wirken. Die Wirklichkeit ist also hier ein notwendiges Objekt der Abneigung, aber, worauf hier alles ankömmt, diese Abneigung selbst muß wieder notwendig aus dem entgegenstehenden Ideale entspringen. Sie könnte nämlich auch eine bloß sinnliche Quelle haben und lediglich in Bedürfnis gegründet sein, mit welchem die Wirklichkeit streitet; und häufig genug glauben wir einen moralischen Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns bloß der Widerstreit derselben mit unserer Neigung erbittert." (Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, hg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, Bd. 5, München 1959, 722). Daß Aretinos Satire nicht „aus einem glühenden Triebe für das Ideal" hervorfließt, „welcher durchaus der einzig wahre Beruf zu dem satirischen wie überhaupt zu dem sentimentalischen Dichter ist;" (Ib., 723), dürfte im Lauf dieser Abhandlung deutlich werden. — Aufschlußreich für eine Auseinandersetzung mit der Satire als Gattung ist ein Hinweis von Cesare Cases auf die Arbeit von Klaus Lazarowicz: Verkehrte Welt, Vorstudien zu einer Geschichte der deutschen Satire, Tübingen 1963. „Daß Polemik, wo sie überlebte Lebens- und Denkformen trifft, zur Satire werden, also auch dichterischen Wert erhalten kann (auch wenn sie im einzelnen, wie auch bei Lessing, mit dem Buchstaben des Widersachers unfair verfahren mag), scheint der Verfasser nicht einsehen zu wollen. Goethes Einwand gegen Liscow, man könne in den Schriften dieses Satirikers „weiter nichts erkennen, als daß er das Alberne albern gefunden habe, welches uns eine ganz natürliche Sache schien", wird folgerichtig vom Verfasser als .indiskutabel' verworfen (S. 42), wobei er auf Swift, Lichtenberg, Karl Kraus u. a. m. verweist, die glänzende Satiren aus geringfügigen Anlässen geschrieben hätten. Aber es kommt darauf an, wieweit dieses Geringfügige als repräsentativ für etwas Substantielles gelten kann. Liscows Abfertigung Philippis sowie manche langatmige Auseinandersetzungen Karl Kraus' gegen zeit- und ortbedingte Wiener Mißstände bleiben tot, weil ihnen diese Fähigkeit abgeht. Bezeichnend ist auch Lazarowicz' Angriff gegen Friedrich Schlegels Hochschätzung der Anti-Goeze. Er bemerkt mit Recht (S. 140), Schlegel entwickle „eine von Lessing inspirierte und durch Lessings Namen geschützte Grundlegung seiner eigenen Poetik", er übersieht aber, daß Schlegel Lessing gerade dadurch verfälscht, daß er dessen Art der Polemik — nicht viel anders als Lazarowicz — als Selbstzweck auffaßt und in die Nähe einer romantisch-ironischen Kritik rüdkt, wo Selbstgefälligkeit des Ichs an die Stelle der objektiven Problematik tritt" (Cesare Cases: Über Lessings ,Freigeist', in: Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukacs, hg. von Frank Benseier, Neuwied 1965, 374—391; 379 f.). — Aretinos Polemik ist, verglichen mit der romantischen Schlegels, nicht Selbstzweck: das Interesse schärfte seinen Blick für die konkreten Zusammenhänge, aber er sah sie immer nur „sub specie Aretini", in subjektiver Verzerrung. Auch wo er scheinbar mit seinen Invektiven blindlings um sich schlug, war doch das Interesse des Schriftstellers im Spiel, der um eines Bonmots, einer bissigen Bemerkung willen auch Kaiser und
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In dem Franz I. gewidmeten § 7 kommt Aretino vor allem auf die heimtückische Ermordung des im Dienst des französischen Königs stehenden Agenten Alberto Maraviglia durch Francesco Sforza zu sprechen. Der Herzog, dessen Geheimverhandlungen mit dem französischen Hof bekannt geworden waren, glaubte sich bei Karl V. am besten dadurch von jedem Verdacht reinwaschen zu können, daß er den Vertrauensmann des französischen Königs unter einem Vorwand hinrichten ließ. Zu diesem Kapitel schwarzer Renaissancechronik kam, daß der physisch entstellte Herzog von Mailand sich mit der noch nicht zwölfjährigen Nichte Karls V., Christine von Dänemark, verheiratet hatte. Auf den Protest der Königin Marie hatte Karl V. geantwortet, die Ehe sei für den Staat vortrefflich, „et quant à la personne, il a les membres vysybles et aleure d'estrainge sorte, mès la teste et myelle du corps est bien fondé et dit l'on qu'il ne peut sans dame; qu'est moyns mal, mès que se soyt à s'en faire Service pour eile."13 Man brauchte nicht Pietro Aretino zu sein, um das Groteske der Situation zu sehen. Die Zeilen, die der Satiriker dem Herzog in dem Franz I. zugedachten Paragraphen widmet, sind eine geschickte Montage des Doppelskandals, der durch das Eingreifen des französischen Königs beendigt werden soll: Et fra la coda di maggio et il capo di giugno dapoi die messere Francesco Sforza si sarà consumato nel matrimonio, per essere il senno regio avezzato a non ¡stimare la fortuna 14 racquistarà Milano, et preso vivo il morto Duca da beffe lo donarà al popolo, il quale gridando crucifige crucifige eum lo disgradarà solennemente in un palco in mezzo la porta del duomo, poi menato dove assassinò il Maraviglia martire et non confessore si sacrificherà alle ribalderie paterne. 15
Aretino erreicht einen satirischen Effekt, indem er eine stehende Redewendung wie „consumare il matrimonio" überraschend reflexiv verwendet und damit anschaulich auf den physischen Zustand des Herzogs anspielt. Wenn man bedenkt, wie offen selbst seitens des Kaisers über diese Dinge gesprochen wurde, wird man sich weniger über den Ton von Aretinos Satire wundern. Der zweite satirische Treffer ist die Antithese „preso vivo il morto Papst brüskierte. Was er bei ihnen einbüßen mochte, das kam dodi seinem Schriftstellerruhm zugute, und daß er sich nicht mit nichtigen Anlässen und drittrangigen Persönlichkeiten abgab, das macht seine satirischen Schriften auch heute noch lesbar und verständlich. Er operierte quantitativ mit anderen Größen als der mit den Wiener Verhältnissen verfilzte Karl Kraus. U m „Substanz" geht es bei dem „flagello de' principi" aber in den seltensten Fällen. 13
Karl Brandi: Kaiser Karl V. — Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreichs, 2. Bd., Quellen und Erörterungen, Darmstadt 1967, 235.
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Über die Bedeutung von „virtù" und „fortuna" in der ital. Renaissance, cfr. Mario Wandruszka: Das Bild des Menschen in der Sprache der it. Renaissance {Schriften und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln VII), Krefeld 1956.
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Un pronostico
satirico di P. A., op. cit., 10.
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Duca da beffe" (Aretino erwies sich wieder einmal als guter Prophet: der Herzog starb schon im November 1535). Das c r u c i f i g e c r u c i f i g e eum ist ein kennzeichnendes Beispiel f ü r den Assoziationszwang, dem Aretino unterlag, sobald es sich um die Verwendung von Zitaten aus Bibel oder Liturgie handelte. Gelungen wäre die Anspielung nur, wenn sie aus dem Zusammenhang gerechtfertigt wäre, aber das Zitat rückt den Herzog plötzlich in den Umkreis des unschuldig verurteilten Jesus. Das Beispiel zeigt, wie tot f ü r Aretino der Geist des Evangeliums war. Es liefert nur noch Formeln, die aus dem Zusammenhang herausgerissen, bei jeder Gelegenheit verwendet werden können. Das W o r t der Bibel ist bei Aretino nur noch Requisit f ü r satirische Effekte. Glänzend ist hingegen die Verwendung von „martire et non confessore". Eindringlicher und prägnanter hätte der Justizmord nicht gekennzeichnet werden können. Der Herzog ließ an die benachbarten Höfe schreiben, Maraviglia habe seine Schuld (die angebliche Ermordung eines gewissen Joanbattista da Castion) eingestanden. Wie es darum in Wirklichkeit bestellt war, zeigt die Äußerung Aretinos. In dem Paragraphen „Dello amoroso re d'Inghilterra", „che ha ceduto ad omnia vincit amor", bringt Aretino wieder einmal einen Ausfall gegen seinen Erzfeind Giberti unter: Et se non die ho fatto voto di non dir più niente di S. B. ne darei lo essempio del Papa proprio che ha refutata madonna Giamattea sua consorte et è in un monistero in Verona. 16 Hier handelt es sich um die schon in den pasquinate verwendete Technik, in einem negativen Konditionalsatz die zu verschweigende Tatsache einzuführen. 17 16 11
Ib., 14 f. Hubert Jedin, der in seiner Abhandlung II tipo ideale di Vescovo secondo la Riforma cattolica (Brescia 1950), Giberti als „homo apostolicus" vorstellt, scheint zu ignorieren, daß Gibertis Entschluß, sich in seine Diözese nach Verona zurückzuziehen, durch das katastrophale Ergebnis seiner philofranzösischen Politik bedingt w a r : „Nel medesimo anno 1524, il datario papale Giberti, nominato Vescovo di Verona, si fece senza indugio consacrare, rinunciò agli altri suoi benefizii ed andò, non appena la catastrofe dell'anno 1527 gli rese libera la strada, nella sua diocesi, che non abbandonò più se non per brevi periodi fino alla sua morte die avvenne il 30 dicembre 1543." (Ib. 39). Die Plünderung Roms hatte dem Datar den Rückzug in seine Diözese nicht nur ermöglicht, sondern aufs drastischste nahegelegt. — In klassischer Form hat die Haltung Clemens VII. zwischen seinen Ratgebern Nicola Schönberg und Giammatteo Giberti Francesco Guicciardini dargestellt: „Questi, concordi nel suo cardinalato e poi nel principio del pontificato, guidarono ad arbitrio loro il pontefice; ma cominciando poi a discordare, e per ambizione o per la diversità delle nature, lo distrassono e lo confusono. Perchè fra' Niccolò, affezionatissitno, per il vincolo della nazione o per qualunque altro rispetto, al nome di
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England und Ungarn, Frankreich und Portugal, Papst, Kaiser und Könige, Herzöge, Markgrafen, Länder und Städte: Aretino übergeht nichts und niemand in der großen Rundschau seiner Zeit. Er versteht es, die abstrakten Probleme der Politik durch Hinweise auf Persönliches und Privates greifbar und interessant zu machen. Das judicium klingt aus in einem Paragraphen über den „Flagello dei principi". Es gibt kaum ein Werk Pietros, in dem er dem Leser nicht mehrere Male den Verfasser einblendet. Hier hebt er feierlich an mit einem „Pietro Aretino, il quale hebbe in ascendente Luca, Giovanni, Marco et Matteo" und kommt dann auf seine Absicht zu sprechen, einer Einladung Aluigi Grittis nach Konstantinopel Folge zu leisten, falls er von den Fürsten nicht gebührend ausgehalten werde : „Et così i Pietri Aretini sono sforzati ad adorare i Bascià e i Janizzeri".
Zum Schluß bietet er dem König nodi seine Mar fisa an: Et perchè la M. V. si certifichi che non meno so laudare che biasimare altrui, mandovi il principio di quattro millia stanze dedicate al Christianissimo, le quali harrete piacendo a Dio finite in XVIII mesi, caso che non sopportiate che in questo piccolo spatio io muoia di fame, ovvero che io mi occupi in cercare il vivere altrove. 18
Die pronostici — diesen Schluß erlaubt bereits das einzige vollständig zugängliche Beispiel — sind Höhepunkte in Aretinos Laufbahn als satirischer Schriftsteller. So einseitig und interessiert Aretinos Perspektive auch war, so ist seine Fähigkeit, sich zum Sprachrohr der öffentlichen Meinung aufzuwerfen, doch imponierend. Dies gilt nicht in gleicher Weise von seinen Satiren in Versen, von denen mehrere Beispiele erhalten sind. Aretino bediente sich dabei entweder des Schweifsonetts oder des capitolos in Terzinen. So erfolgreich manche einprägsame Formulierungen dieser burlesken Gedichte unter den Zeitgenossen sein mochten, sie bringen — gemessen an den vorausgehenden pasquinate — nichts Neues mehr. Hier — wie so oft
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Cesare, e per natura fisso nelle opinioni proprie; le quali spesso discordavano dalle opinioni degli altri uomini, favoriva tanto immoderatamente le cose di Cesare die spesso venne in sospetto al pontefice come più amatore degli interessi di altri che de' suoi; l'altro, non conoscendo in verità né altro amore né altro padrone, ma per natura ardente nelle cose sue, se in qualche cosa errava, procedeva più presto da volontà die da giudicio; et se bene del tempo di Lione fusse stato inimico acerrimo de' franzesi e fautore delle cose di Cesare, morto Leone, era diventato tutto l'opposito: donde, essendo questi due ministri potentissimi tra loro in manifesta dissensione né procedendo con maturità o con rispetto dell'onore del pontefice, e facendo notorio a tutta la corte la sua freddezza e irresoluzione, lo rendevano appresso alla maggiore parte degli uomini disprezzabile e quasi ridicolo" (Francesco Guicciardini: Opere, Mailand/Neapel, 1961, 958). Clemens VII., „verächtlich und beinahe lächerlidi" : von hier zur Satire Aretinos ist es nur noch ein Sdiritt. Un pronostico satirico di P. A., op. cit., 33—35.
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bei Aretino — handelt es sich um die Ausbeutung einer einmal verwandten Form. Die capitoli sind zum großen Teil Mahnbriefe an säumige Zahler. So muß es sich der König von Frankreich 1539 gefallen lassen, daß ihn Aretino energisch zur Einhaltung eines geleisteten Versprechens mahnt. Als 1538 Papst, Kaiser und König in Nizza weilten, hatte Franz I. Aretinos Geschäftsträger Ambrogio degli Eusebi finanzielle Zusicherungen gemacht. Da das Geld nicht eintraf, meldete sich Pietro mit einem energischen capitolo, das ohne viel Federlesens zur Sache kommt: Cristianissimo re, dopo i saluti, ed il baciarvi con l'animo il piede, die vi convien più die a' papi cornuti, supplico di Francesco la mercede die facci si, die la sua maestade mi dia gli scudi die a N i z z a mi diede.
Pietro überprüft in seinen Terzinen die Situation der italienischen Künstler und Prälaten am Hof des Königs, zählt würdige und unwürdige auf, erlaubt sich Kommentare über die Berechtigung von Pensionen19 und weist mit der Unerbittlichkeit eines Shylock dem König den in Nizza unterzeichneten Wechsel vor: onde ritorno a quei ducati d'oro, die mi darete, visto la presente, non perdié io '1 merti, ma perch'io v'adoro.
Erst mit der achtzigsten Terzine kommt Aretino zu einem plötzlichen Schluß: N o n altro: state san, ben valete, di Vinegia, il Decembre a' non so quanti, nel trentanove, c'ha fame e non sete. Pietro Aretino, die aspetta i contanti.
Das Schlußbild „Pietro Aretino, che aspetta i contanti" ist eine der gelungensten Selbstcharakterisierungen des Divino. Es wäre allerdings verfehlt, wollte man wie die Historiker des 19. Jahrhunderts in dieser Haltung lediglich ein Zeichen für Pietros maßlose Unverschämtheit erblicken. Das capitolo war eine literarische Form, die diesen Ton erlaubte, sie sicherte eine Art Narrenfreiheit, wie auch die Gedichte Bernis zeigen. In seinen 19
Einen Seitenhieb verpaßte Aretino dem Kardinal Nicolò de' Gaddi, „Io lo vo' dir, s'ei l'ha per mal, suo danno:/ parvi die Gaddi, pazzo da catena, / debba scroccar si grossa entrata l'anno?" — Der Kardinal rächte sich für diesen Schimpf, als Ambrogio Eusebi im Winter 1540 am französischen H o f das versprochene Geld einkassierte und in der Tat 300 scudi vom König und 200 scudi vom Kardinal von Lothringen erhielt. Gaddi ließ den Makler Aretinos zu sidi einladen, und der unvorsichtige junge Mann verlor den ganzen Tribut von König und Kardinal im Spiel (Cfr. Luzio: Un pronostico satirico, op. cit., 135).
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Hösle
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Briefen formulierte Aretino seine Forderungen an gekrönte Häupter nur in seltenen Fällen so brüsk und eindeutig. Wenn er mit einem Schweifsonett oder capitolo übers Ziel hinausgeschossen war, dann blieb immer noch die Möglichkeit, in der offiziellen Form des Briefs Abbitte zu leisten. Das Schema der capitoli ist im großen und ganzen in den erhaltenen Beispielen das gleiche. Cosimo de' Medici, der Herzog von Florenz, Sohn von Aretinos Freund Giovanni dalle Bande Nere, der sich Pietro geschickt vom Hals zu halten wußte, wird wie der französische König gemahnt, nicht seine Hofschranzen und Tellerlecker auszuhalten, sondern ihn, Pietro Aretino: Quanti scannapagnotte a tradimento ¡sguazzano ciò die hanno i padron loro, ed io da voi una miseria stento. E di qui vien, ch'io non servo il decoro della mia devozion, né v'intertengo, come ch'io faccio costoro e coloro.
Im Gegensatz zum französischen König hatte Cosimo keine Versprechen gemacht. Demnach schließt auch das Gedicht nicht mit einer dreisten Forderung, sondern mit einem kläglichen Hinweis auf die elenden Zeiten : Di Vinegia, rifugio d'ogni gente, nel mese di novembre a giorni doi, l'anno affamato troppo bestialmente, L'Aretin servo de' servi di voi. 20
Ein Faustpfand hielt hingegen Aretino in der Hand, als Ferrante Sanseverino, der Fürst von Salerno, mit der Zahlung der für Aretino ausgesetzten Pension im Rückstand war. Beiträge dieser Art waren nicht kündbar, im Gegenteil: es war eine Ehre, zu Aretinos Tributspendern zu gehören, sonst konnte er den Spieß auch herumdrehen und dem pflichtvergessenen Zahler ein nicht eingehaltenes Versprechen als Fehdehandschuh hinwerfen: Conchiudiamola qui: egli è dovere di'una servitù presa fedelmente si debbe come gli ocdii mantenere: Ond'io die avverto all'umor della gente, con tutto quel die sono e quel che paio della promessa vi faccio un presente. Non altro. Pietro die gitta il danaio, con riverenza a scrivervi si move: di Venezia, l'ottavo di gennaio, nel mille cinquecento trentanove. 21
Die traditionelle Obszönität der „Gattung" capitolo kommt in dem 20 81
Poesie di Pietro Aretino, vol. primo Poesie burlesche, Lanciano 1930, 107—113. Ib., 114—116.
hg. von G. Sborselli,
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Gedicht zum Durchbruch, mit dem Aretino dem Herzog von Mantua La Puttana errante seines Freundes Lorenzo Veniero übersandte: Non aspettate veder la lindezza dell'andar Petrardievole a sollazzo, di'a ricamar fiori e viole è avvezza: e' dice pane al pane, e cazzo al cazzo, ed abbi dli l'ha a schifo pazienza: die Dio non daria legge a un cervel pazzo. Non altro: stiavo alla Vostra Eccellenza.22
Noch weiter geht Aretino in seinem dem Herzog von Florenz zugeeigneten capitolo über seine „quartana"; vergeblich habe er von Ärzten und Amuletten Heilung erhofft, er verdanke es seinen Mägden, wenn er dank ihrer „approvata chiavabile ricetta" 23 wieder auf die Beine gekommen sei. Die literarische Bedeutung dieser capitoli steht in keinem Verhältnis zu ihrem Ruhm. Wenn Pietro an den Petrarkisten beanstandete, sie wüßten nur Blumen und Veilchen zu sticken, so tat er mit umgekehrten Vorzeichen hier das Gleiche. Seine Satiren in Versen verlieren sidi ins Detail, kosten es aus. Die Freiheit des Worts ist hier bestenfalls die eines Hofnarren. Am gelungensten ist unter diesen burlesken Dichtungen in der Form des capitolos oder des Sonetts die Verspottung des Marchese del Vasto, der, wie schon das judioium auf das Jahr 1534 zeigt, wegen seiner kosmetischen Mittel berüchtigt war : Il marchese del Vasto aveva pensato di farsi general di questa impresa, die '1 Re, san Marco, Cesare e la Chiesa preparar contra '1 Turco han disegnato. E ciò più d'altra cosa l'ha imbarcato e venir qua, lassando la marchesa : ma prima in ambra ha fatta una gran spesa, e l'unto agli stivali ha raddoppiato; forse credendo la sua eccellenza pigliar questi magnifici messeri, com'altrettanti bufali, pel naso. Ma essi, che non son tanto leggeri, prima che gli abbian dato l'udienza, esaminaron molto bene il caso. Alfin poi s'è rimaso in conclusion, come '1 marchese viene, ch'ognun si turi il naso molto bene: come delle sirene al canto si stoppò gli orecchi Ulisse, acciò die suo malgrado non dormisse. 22 2S
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Ib., 117—120. Ib., 121—126.
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Poco poi venne, e disse di molte ciance, in stil napoletano, questo si profumato capitano. Ma e' cicalò in vano, perocché tutti vollon primamente esaminarlo diligentemente : e visto finalmente, die questo arcininfone in ogni parte rassomigliava più Vener die Marte, tiratolo in disparte, gli disser: N u ' v'avemo ben squadrao, vu' siete, Massa, belo e dilicao, e'I saravve un peccao di'un fante cusi bel gisse in Turchia, a risgo de morir só na galla. Cosi la Signoria lo licenziò: onde a Milano scornato con le pive nel sacco è ritornato. 24 Hier weiß Aretino eine Situation dichterisch zu verwerten und durch die Einführung des Venezianischen sprachlich und szenisch zu beleben: das Sonett erinnert an die gelungensten Gedidite in der Sammlung der pasquinate. Im übrigen sind capitoli und sonetti caudati, wie die Unzahl von Aretinos Geschäftsbriefen, serienweise herstellbar, Kommentare zum Zeitgeschehen oder Feuilletons, kulturgeschichtliche oder historische Dokumente, aber keine Dichtung.
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Ib., 178—179.
Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco Den römischen Jahren Pietro Aretinos setzte am 28. Juli 1525 das Attentat Adiille Deila Voltas ein jähes Ende. Pietro konnte sich nach diesem gewalttätigen Angriff gegen seine Person in der Umgebung des Datars nicht mehr sicher fühlen, mochte die Frage nach der Verantwortung Gibertis auch unklar bleiben. Gerade in diese letzten römischen Monate fällt die Niederschrift von Aretinos erster Komödie, La Cortigiana, deren Erstfassung im Codice Magliabecchiano Cl. VIII, N. 84 an der Biblioteca Nazionale Centrale in Florenz erhalten ist. Aretino hat erst 1534, ein Jahr nach der Drucklegung seiner zweiten, in Mantua oder im unmittelbaren Anschluß an den Aufenthalt am Hof der Gonzagas geschriebenen Komödie, II Marescalco, die Cortigiana in überarbeiteter Fassung veröffentlicht. 1 Es besteht kein Zweifel: die Cortigiana ist das wichtigste literarische Ergebnis von Aretinos römischem Aufenthalt. Was der Statthalter Pasquinos in der Zentrifuge des Hofs und der piazza im Überschwang seiner aggressiven und beißenden Polemik verschleuderte, wurde nun in einem großen künstlerischen Ganzen bewältigt. Zum ersten Mal begnügte sich Aretino nicht mehr mit bloßer Gelegenheitsdichtung, die im großen und ganzen Mittel zum Zweck bleiben mußte. Nun nahm er das riesige Material an Gesehenem, Gehörtem und Erlebtem zum ersten Mal als Rohstoff für eine größere Dichtung. Diese Zäsur ist nicht weniger bedeutend als die lebensgefährlichen Dolchstiche, welche die Loslösung von Rom und dem päpstlichen Hof aufs drastischste nahelegten. Aus dem Statthalter Pasquinos wurde der Schriftsteller Aretino, der mit Ariost, Dovizi da Bibbiena, Machiavelli und den von ihnen geschaffenen Vorbildern wetteiferte. Bei aller Polemik gegen die „Pedanten" akzeptierte er mit der „Gattung" 1
Die Erstfassung wurde bis heute nicht gedruckt, dabei sind die Varianten im Vergleich zu der Version von 1534 nicht unerheblich. Alessandro Luzio vertrat sogar die Ansicht, daß es sich bei dem Codice magliabecchiano um eine von Aretino selbst durchgesehene und korrigierte Handschrift handele. Mir scheint jedoch Ulisse Frescos Skepsis hinsichtlich dieser Feststellung durchaus gerechtfertigt („le correzioni troppo brevi per offrire modo a confronto con la scrittura dell'A . . Le commedie di Pietro Aretino, Camerino 1901, 22). Eingehend vergleicht die beiden Fassungen Giuliano Innamorati, P.A. — Studi e note critiche, op. cit. 171—197.
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Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco
Komödie dodi eine Form und eine Norm, die ihn mit einer Tradition verknüpfte, mochte er sich auch gegen ihre Konventionen auflehnen. Wichtiger als die Komödien von Plautus und Terenz, die seit den achtziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts auch in der Volkssprache aufgeführt wurden (die Menaechmi wurden 1486 in Ferrara und 1488 in Florenz inszeniert 2 ), und die unter dem Eindruck des lateinischen Theaters entstandenen fünf Lustspiele Ariosts, mit denen der Dichter seit 1508 den Hof der d'Este erfreute, war für Aretino das Vorbild Bernardo Dovizis und Nicolò Machiavellis, die in der Calandria und in der Mandragola in der Emanzipation von antiken Vorbildern weiter gingen als der Verfasser des Orlando furioso. Zu der Uraufführung der Calandria am 6. Februar 1513, welcher der kurz darauf von Leo X . zum Kardinal erhobene Bernardo D o v i z i da Bibbiena nicht beiwohnen konnte, verfaßte Baldassare Castiglione einen Prolog, der in knapper und eindringlicher Form die Originalität der vorgeführten Komödie hervorhob : Voi sarete oggi spettatori d'una nova commedia intitulata Calandria: in prosa, non in versi; moderna, non antiqua; vulgare, non latina . . . Rappresentandovi la commedia cose familiarmente fatte e dette, non parse allo autore usare il verso; considerato che e' si parla in prosa, con parole sciolte e non lígate. Che antiqua non sia dispiacer non vi dee, se di sano gusto vi trovate: per ciò che le cose moderne e nove deiettano sempre e piacciono più die le antique e le vecchie; le quale, per longo uso, sogliano sapere di vieto. Non è latina: però die, dovendosi recitare ad infiniti, che tutti dotti non sono, lo autore, die piacervi sommamente cerca, ha voluto farla vulgare; a fine che, da ognuno intesa, parimenti a ciascuno diletti. Oltre die, la lingua die Dio e Natura ci ha data non deve, appresso di noi, essere di manco estimazione né di minor grazia die la latina, la greca e la ebraica : alle quali la nostra non saria forse punto inferiore se la esaltassimo, la osservassimo, la polissimo con quella diligente cura die li greci e altri ferno la loro. Bene è di sé inimico dii l'altrui lingua stima più che la sua propria. 3 1
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Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Einführung von Aldo Borlenghi zu der von ihm betreuten Sammlung Commedie del Cinquecento (zwei Bände), Mailand 1959, wie auch auf die Einleitung von Nino Borsellino zu dem ersten (und bis jetzt einzigen) Band der Commedie del Cinquecento (Mailand 1962) in der von Carlo Muscetta geleiteten Biblioteca di classici italiani. Commedie del Cinquecento, ed. cit., 59/60. Auf Bibbienas Komödie Calandria als geniale Neuerung auf dem Gebiet des Theaters ist wiederholt hingewiesen worden, am nachdrücklichsten von Luigi Russo: Commedie fiorentine del '500 — Mandragola, Clizia, Calandria, Biblioteca del Leonardo X, Firenze 1939, 142/143: „(II Bibbiena) è scrittore di occasione nel miglior senso della parola, e pur tale occasionalità dell'opera costituisce la leggerezza geniale della sua unica commedia, scritta senza preoccupazioni di scuola e senza disegno di compiacere ai gravi e leziosi letterati. La sua Calandria rappresenta una piccola rivoluzione letteraria, perchè si può dire che se il Poliziano col suo Orfeo inaugura il teatro poetico di corte in contrapposto al teatro latino die fin nei primi anni del '500 amava rappresentarsi sulle scene, il Dovizi inaugura il teatro
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Die „questione della lingua" wurde schon in den beiden ersten Jahrzehnten zu Gunsten der Volkssprache entschieden, in deren Besitz sich Aretino durch „Dio e Natura" wußte. Für ihn, den Gegner der „Pedanten", der des Lateinischen nicht einmal kundig war, konnte kein Zweifel daran bestehen, daß er eine Komödie „in prosa", in „vulgare" und mit modernem Inhalt schreiben würde. Dies proklamierte er im Prolog der Cortigiana „recitato da un forestiere e da un gentiluomo", in dem dieser dem Fremden empfiehlt, nicht zu ladien, wenn die Personen mehr als fünfmal auf der Szene erscheinen: „Oltre di questo non vi maravigliate se lo stil comico non s'osserva con l'ordine che si richiede, perché si vive d'un altra maniera a Roma, die non si viveva in Atene." 4 Die antipedantische Polemik hatte im Prologo der Erstfassung noch engagiertere, persönlichere und leidenschaftlichere Akzente: . . . Come credete voi die la detta Commedia abbia nome? Ha nome la Cortigiana et è per padre toscana e per madre da Bergamo; però non vi meravigliate s'ella non va su per sonetti lascivi, unti, liquidi cristalli, unquanco, quinci et quindi e simili coglionerie, cagion che madonne muse non si pascono se non d'insalatucce fiorentine; e per mia fé' di'io son schiavo a un certo cavaliero Casio de Medici, bolognese, poeta que pars est, die in una sua opera de la vita de' santi dice questo memorabile divino verso: Per noi fé Cristo in su la Croce el tomo. Et se '1 Petrarca non disse tomo, l'ha detto egli, di'è da Bologna et altro omo che el Petrarca per essere eques inorpellato. Cossi Cinotto, pur patricio bolognese, die scrivendo contro il turco disse cosi: Fa die tu sippa 5 Padre Santo in mare El turco deroccando et tartusando Che Dio si vuol col turco scorrucciare. Sippa è vocabolo antiquo, deroccare e tartassar moderno e Cinotto, poeta coronato per man di papa Leone, l'usa e sta molto bene, si die questi conservatori di vocabuli del Petrarca gli fanno dir cose die non le farian dire al Nocca da Fiorenza otto altri tratti di corda, come ebbe già Germanio in
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cortigiano di prosa; e qui si ricorda il mutamento del genere letterario, non per se stesso, ma come testimonianza del mutamento del gusto e della genialità dei suoi coraggiosi iniziatori." Die Zitate hier und im Folgenden nach der dreibändigen von Nunzio Macarone besorgten Ausgabe des Teatro di Pietro Aretino, die der Verlag Carabba publizierte (Lanciano 1926, 3 Bände). Diese erstmals 1914 erschienene Edition ist bis heute der einzige Versuch, im 20. Jh. Aretinos Komödien und Tragödie wieder zugänglich zu machen. Mit Redit bemerkt Mario Baratto (Tre studi sul teatro — Ruzante!Aretino/Goldoni — Venedig 1964, 72), daß diese Ausgabe „più die malsicura" sei. Eine von Mario Baratto betreute Edition des Theaters soll in absehbarer Zeit in den Scrittori d'Italia des Verlags Laterza in Bari erscheinen. — Teatro, Bd. 1, ed. cit., 85. Bolognesisdi für: sia.Cfr. Oskar Bulle-Giuseppe Rigutini: Neues italienischdeutsches und deutsch-italienisches Wörterbuch, Band 1, Leipzig — Mailand, 1907.
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Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco persona da la patria sua. E non è niuno che sappia meglio di Pasquino quello (die) si può usar o no. 9
Im Vergleich zu diesem literarischen Nahkampf gegen Tagesgrößen des römischen Hofs, ist der Prolog der endgültigen Fassung distanzierter, gekonnter, „literarischer". In der Erstfassung schwingt nodi die ganze Erregung mit, in deren Wirbel der Aretino der Pasquille und der Sonetti lussuriosi gerissen worden war. Später mißt er sich nicht mehr mit jedem beliebigen Gegner: einen Cinotto oder einen Casio de Medici nimmt Pietro nicht mehr ernst, wenn sie ihm nicht zu nahe treten. Das Gespräch zwischen Gentiluomo und Forestiere wird zu einer kunstvoll komponierten Ovation an die dichtenden Zeitgenossen, zu einem Panorama all jener, die Aretino in seinen literarischen Olymp aufzunehmen geruhte. Aus dem wild um sich schlagenden Haudegen des ersten Prologs ist ein versierter Literat geworden, der weiß, was er seinen Brüdern und Schwestern in Apoll schuldig ist: For: . . . Oh, oh, Signore, saprestemi voi dire a die fine sia fatto un cosi pomposo apparato? Gen.: Per conto di una Commedia die debbe recitarsi or ora. For. : Chi l'ha fatta, la divinissima Marchesa di Pescara? Gen.: N o , ché il suo immortale stilo loca nel numero de gli Dei il suo gran consorte. For.: E de la Signora Veronica da Correggio? Gen. : N é anco sua, perciò che ella adopra la altezza de lo ingegno in più gloriose fatiche. For. : E de lo Ariosto? Gen.: Oimé, die lo Ariosto se ne è ito in Cielo, poi die non aveva più bisogno di gloria in terra. 7
Und so geht es weiter über Molza und Bembo („padre de le Muse") und anderen bis zu Bernardo Tasso, ehe der Name Pietro Aretinos genannt wird. Und damit ist das Stichwort Aretino und die Fürsten fällig, von denen eine auf den neuesten Stand (1534) gebrachte Auswahl zitiert wird. Erst jetzt kommt die in den Prologen übliche Zusammenfassung des argomento. Trotz dieser und ähnlicher Änderungen, die sich auf die Form wie auf den zeitgenössischen Inhalt beziehen, hat auch noch die gedruckte Ausgabe die Stoßkraft von Aretinos genialem Erstling. Eine in schwindelerregendem Tempo ablaufende Folge von Szenen (es sind über hundert) gibt der Komödie ihre im Theater des Cinquecento einmalige Kadenz, die auch die gedruckte Fassung im wesentlichen unangetastet läßt. 8 Rom als Ort der • Zitiert nach G. Innamorati, P. A. — Studi e note critiche, op. cit., 190/191. 7 Teatro, Bd. 1, ed. cit., 85. 8 Die wichtigsten Änderungen bei der Neufassung des Texts beziehen sich auf den stark gekürzten und dramatisdi effektvoller konzipierten Prolog — einige Szenen werden zusammengestrichen, andere werden aufgelockert. Aretino be-
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Handlung wirkt in der Cortigiana wie ein großer Rummelplatz, der jeden mit in seinen Strudel reißt, blendet, betört und ernüchtert, wenn er nicht zynisch das Spiel durchschaut und das Leben als große Komödie betrachtet, in der er seine Rolle übernehmen und sein Schäfchen ins Trockene bringen kann. Betrüger und Geprellte, Herren und Diener, Dirnen und Zuhälter: jeder sucht den anderen im eigenen Interesse auszubeuten, sich seinen Teil an dem Angebot dieses Jahrmarkts zu sidiern. Aretino verbindet zwei Handlungsstränge zu einem losen Ganzen: „In prima viene in campo messer Maco Sanese, il quale è venuto a Roma a soddisfare un voto die avea fatto suo padre di farlo Cardinale . . . E con messer Maco si mescola un certo Signor Parabolano da Napoli (uno di quelli Acursii, ed un di quei Sarapichi, die tolti da le staffe e da le stalle son posti da la sfacciata Fortuna a governare il mondo . . . ) " (Prolog 1534). Der Tölpel aus Siena und der Geck aus Neapel: beide sind sie nicht mehr als Spielbälle in den Händen der römischen Experten. Aretinos Schauplatz ist nach allen Richtungen offen, eine topographische Synthese des päpstlichen Rom, zentripetaler und zentrifugaler Mittelpunkt, der die Passanten einen Augenblick festhält und dann wieder hinausschleudert. Dieser „Ort der Handlung" ist offener als irgendein vor der Cortigiana konzipierter. Aretino, der Statthalter der öffentlichen Meinung im Dienste Pasquinos, bewegt sich hier auf dem Boden, auf dem er sich zu Hause fühlt. Der „Hof" bleibt daneben im Hintergrund, er ist Voraussetzung für das Treiben auf dem Platz, aber seine Intrigen und Kabalen spielen in der Komödie keine Rolle. Aus der Umgebung des Papstes wird niemand sichtbar, die Kardinäle mit ihren Ambitionen, Lastern und Launen erscheinen höchstens als komische Figuren in den Gesprächen der Diener. Die Welt der großen Politik wird zum Panoptikum verkleinert, vergrößert und verzerrt. Rosso e Cappa, die beiden durchtriebenen staffieri Parabolanos erinnern sich an einen „quondam prior di Capua, che quando orinava, da un Paggio si iacea snodar la brachetta, e da un altro tirar fuora il rosignuolo" (1,7). In Rossos Ausfällen gegen seinen Herrn, kündet sich gelegentlich ein geradezu revoluzzerhafter Protest gegen die Gesellschaft an. In ihm entlädt Aretino sein plebejisches Ressentiment gegen die großen Herren, die Fortuna launisch an die Oberfläche gespült hat:
herrscht 1534 die Komödientechnik souveräner, wie die Gegenüberstellung der Szene Rosso — Pescatore (I, 12) zeigt. Im übrigen trifft aber G. Innamoratis Feststellung („Più ferma ed energica, indubbiamente, la misura della redazione finale, ma la situazione era stata còlta d'impeto fino dal 1525 ed alla vecchia conquista si attenne, in questo caso, l'Aretino, apportando al testo, di nuovo, il dono di una serratezza dialogica più esperta e un senso più vivo e musicale della battuta.") durchaus den Sachverhalt. (P. A. — Studi e note critiche, op. cit., 177).
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Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco Io vo' provare come io sto bene con la seta: o die pagherei uno specdiio per vedermi campeggiare in questa galanteria. In fine i panni rifanno le stanghe, e se questi Signori andassero mai vestiti come noi altri, o che scimie, o die babbuini ei parrebbono. Io stupisco di loro, die non bandiscono gli specchi per non vedere quelle lor cere facchine. Ma io sono il bel pazzo a non fare un leva eius con la vesta e con gli scudi. Che la maggior limosina die si faccia, è il rubare un Signore. Ma per ora giunteremo questo Pescatore, il Signore assassineremo più in grosso . . . (I, 11)
Die Kleinen um Kleinigkeiten betrügen, die Großen um Großes: das wird dann das viel geschmähte Programm des Erpressers Aretino, der hier in den Worten Rossos zeigt, wie sehr er die Welt des Hofs durchschaut hat. Die antihöfische Polemik ist das zentrale Thema der Cortigiana und wird ein Leitmotiv in Aretinos gesamtem Werk bleiben. Aus jeder Perspektive wird die zynische Einstellung Rossos gegenüber dem Hof gerechtfertigt, im grotesken Stil der gegen Messer Maco geplanten Posse von Maestro Andrea, der den Tölpel aus Siena in die Geheimnisse seiner neuen Umgebung einweihen soll, in satirischer Polemik im Stil der pasquinate in den Gesprächen zwischen den Dienern Parabolanos, Flamminio e Valerio. Die Dialoge zwischen den beiden wachsen sich zu richtigen kleinen Streitgesprächen in der Art des späteren Dialogo delle corti aus. Sie bleiben zum Teil dramatisch unverarbeiteter Rohstoff, der den Fortgang und das Tempo der beiden facezie hemmt und staut, mögen sie auch die „engagiertesten" Elemente der Komödie sein. Die Zeitdiagnose Valerio-Aretinos rechtfertigt das Verhalten Rossos und Maestro Andreas, die beide historisch nachgewiesen sind. Maestro Andrea, ein sonst nicht besonders verdienter Maler, kam 1527 bei der Plünderung Roms um. Obwohl sich Aretino wiederholt auf dieses einschneidende historische Ereignis in der Zweitfassung der Cortigiana bezieht, spielt die Handlung doch vor 1527, vor der Übersiedlung Aretinos nach Venedig und vor dem Ende der „belle époque" der Renaissance, die im Zeitalter Leos X. ihren legendären Höhepunkt hatte. Italien erscheint in den Worten Valerios als großes Freudenhaus, als Tummelplatz für Lustknaben und Hurer. Hierin berührt sich Aretino mit der Polemik der deutschen Reformatoren, aber er war doch zu sehr Kind seiner Zeit, als daß er in Luthers Thesen anderes als deutsche Pedanterie und Haarspalterei erblickt hätte. So bleiben Aretinos Ausfälle Polemik um der Polemik willen, die moralische Verwilderung Italiens ein Faktum, gegen das er nicht ernsthaft vorgehen will und kann: Val.:
. . . Perché le guerre, le pesti, le carestie ed i tempi, die inclinano al darsi piacere, hanno imputtanita tutta Italia, si, die cugini e cugine, cognati e cognate, fratelli e sorelle si mescolano insieme senza riguardo, senza una vergogna e senza una coscienza al mondo . . .
(II, 10). Und in den zynischen Unterweisungen Maestro Andreas für Messer Maco wird doziert:
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And.: La principal cosa il Cortigiano vuol saper bestemmiare, vuole esser giocatore, invidioso, puttaniere, eretico, adulatore, maldicente, sconoscente, ignorante, asino, vuol sapere frappare, far la ninfa, ed essere agente e paziente. Mac.: Adagio, piano, fermo. Che vuol dire agente e paziente? io non intendo questa cifera. And. : Moglie e marito, vuol dire. Mac.: Mi vi pare avere . . . (I, 22)
Die piazza der Cortigiana ist ein verzerrtes Spiegelbild des H o f s : Intrigen und Ränke hier wie dort. Parabolanos untätiges Stutzertum zeigt hinreichend genug, wie sehr Valerio mit seinen Klagen über Italien recht hat. Rosso, der kundige Kenner der Straßen und Plätze, hat in der Kupplerin Alvigia sein kongeniales Pendant. An sie wendet sidi der staffiere des neapolitanischen Parvenüs, um ihm die Verliebtheit auszutreiben. Denn Parabolano „innamoratosi di Livia moglie di Luzio Romano, non aprendo il suo segreto a persona, sognando, scopre il tutto, ed udito dal Rosso, suo staffiere favorito, e tradito da lui, perciò die gli fa credere die colei di cui è innamorato è di lui accesa, e conduttagli Alvùgia ruffiana, gli ficca in testa ch'ella sia la balia di Livia, ed in vece di lei gli fa consumare il matrimonio con la moglie di Arcolano fornaio" (Prologo, 1534). Mit Alvigia konzipierte Aretino zum ersten Mal die N a n n a der Ragionamenti, und es gibt in der Komödienliteratur des Cinquecento keine farbigere und grellere Erscheinung als sie. Schon bei ihrem ersten Auftritt (11,7) wirkt sie als Angehörige einer weitverbreiteten und ruhelosen Hexenzunft. Ihr Gespräch mit Rosso fängt in ihrer wie ein Irrlicht hin- und herstrebenden Geschäftigkeit und Unruhe in theatralisch vollendeter Form die Aura dieses unermüdlichen genius loci der römischen Unterwelt ein : Ros. Alv. Ros. Alv. Ros. Alv. Ros. Alv. Ros. Alv. Ros. Alv.
Ove ne vai tu con tanta furia? Qua e là tribolando. Oh, tribula una die governa Roma? No, ma la mia maestra . . . Che ha la tua maestra? S'abbruscia. Come diavolo s'abbruscia? Oimé sventurata! Che ha ella fatto? Niente. Adunque s'abbruciano le persone per niente? Un pochettino di veleno, ch'ella diede al Compare per amor de la Comare, è cagione die Roma perda una cosi fatta vecchia. Ros. Non si sanno ricever gli sdierzi. Alv. Fece gittare una Puttina in fiume, la quale partorì una Madonna sua amica, come s'usa. Ros. Favole.
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Die ersten Komödien: La Cortigiana, II Marescalco Alv. Fece fiaccare il collo con non so die fave giù per la scala ad un geloso maladetto. Ros. Un pistacchio non ti darei di simil burle. Alv. Perché tu sei uomo dritto. Imperciò la mi lascia erede di ciò che ella ha. Ros. Mi piace. Ma che ti lascia, se si può dire? Alv. Lambicchi da stillare erbe colte a la luna nuova, acque da levar lentigini, unzioni da levar macchie del volto, una ampolla di lagrime d'amanti, olio da risuscitare . . . , io no '1 vorrei dire. Ros. Dillo, matta. Alv. La carne. Ros. Qual carne? Alv. Della . . ., tu m'intendi. Ros. De la brachetta? Alv. Si. Ros. Ah, ah?
In Machiavellis Mandragola wird Quacksalberei Mittel zum Zweck, bleibt sie Teil einer schurkischen Strategie, die bis in Einzelheiten verzahnt ist. Die Protagonisten in der Komödie des Florentiners sind Zielscheibe oder Werkzeug des Bösen, dessen Netz keine Maschen kennt. Wer sich behaupten will, muß mitspielen, wenn er sich nicht mitspielen lassen will. Bei Aretino hingegen bleibt das Böse in der Cortigiana bloßes Kolorit wie in der angeführten Szene zwischen Rosso und Alvigia. 8 Die Mandragola ist im Vergleich zu Aretinos erster Komödie ein düsteres, unheimliches Werk, während sich in der Cortigiana auch das Böse mit seinen Handlangern als facezia, als Posse, gibt. Alvigia spielt ihre Rolle als Kupplerin mit der gleichen Unschuld, mit der Aretino den Erpresser spielt. Beide leben in einem amoralischen Bereich jenseits von Gut und Böse. Sie mischt Profanes und Religiöses, wie Pietro seine religiösen und obszönen Schriften. Wenn Aretino irgendwo sich selbst unverfälscht und ohne Pose gezeichnet hat, dann eben in der Galerie seiner Kurtisanen und Kupplerinnen. So international er sich in seiner Korrespondenz gebärdete: letzten Endes war sein Horizont begrenzt auf sein persönliches Interesse, oder, wie es Guicciardini genannt hätte, auf sein „particulare". Die Betriebsamkeit in Aretinos Leben ist die Betriebsamkeit der Kupplerin Alvigia, die sich darüber beklagt, daß sie „l'asina del Comune" (III, 11) spielen muß. In einem kurzen Monolog (III, 10) scheint sie unter der Bürde ihrer Verpflichtungen fast zusammenzubrechen:
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Die Feststellung Eugenio Levis (Il comico di carattere da Teofrasto a Pirandello, 2. Aufl., Turin 1959, 54/55): „E Nicia risponde di tutta la comicità della Mandragola. Non è l'immoralità dell'intrigo, ma piuttosto l'amoralità dei personaggi die la chiude nella tradizione cinquecentesca . . ." gilt nicht weniger für die Cortigiana, wenn man nicht übersieht, daß die Personen in Aretinos Komödie auf geradezu unschuldige Weise amoralisch sind, während bei Machiavelli die Schurkerei Fra Timoteos dämonische Züge annimmt.
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Io ho più da fare die un paio di nozze. Chi vuole unguenti, chi polvere da spregnare, chi darmi lettere, dii imbasciate, e chi malie, e chi questa e chi quella cosa, ed il Rosso mi debbe cercare. Das ist schon der Aretino der Lettere, in dessen venezianischer Residenz die Fäden der literarischen und historischen Ereignisse zusammenlaufen, den man als Nothelfer in den verschiedensten Situationen anrufen wird. In den eigenen Machenschaften befangen wie Alvigia ist der Guardiano d'Araceli, an den sich die Kupplerin wendet, um etwas über das Seelenheil ihrer verbrannten Lehrmeisterin in Erfahrung zu bringen (III, 12). Es besteht kein A n l a ß zur Sorge: „starà venticinque giorni in purgatorio circum circa, e poi andrà per cinque o sei di nel limbo, e poi dextram patris, celi celorum". Nach der Klärung eines weiteren Zweifels wird die fromme Kupplerin entlassen: „Or vatti con Dio, adesso adesso vado a montare in poste per conto d'un trattato che io ordino in Verucchio, acciò che sia tagliata a pezzi la parte del conte Gian M a r i a Giudeo musico; e per una Confessione che io ho rivelata gli farò rubellare la scorticata: sta' in pace". 10 Wie das Böse bleibt auch die Weltgeschichte Kolorit, sinnliches, nicht politisches Element. Eine der „modernsten" Szenen der Cortigiana und des Theaters im sechzehnten Jahrhundert überhaupt ist der Auftritt des furfante, der die neueste Zeitung ausruft und verkauft I, 4) : Für. Mac. San. Fur.
A le belle istorie, a le belle istorie. Sta' dieto; die grida colui? Debbe esser pazzo. A le belle istorie, istorie, istorie, la guerra del Turco in Ungheria, le prediche di Fra Martino, il Concilio, Istorie, Istorie, la cosa d'Inghilterra, la pompa del Papa e de l'imperadore, la Circumcision del Vaivoda, il sacco di Roma, l'assedio di Fiorenza, lo abboccamento di Marsilia con la conclusione, istorie, istorie.
Hier ist wie in einem Brennglas die weltpolitische Situation am Ende der Herrschaft von Clemens VII. zusammengefaßt. Namen und Ereignisse leuchten für einen Augenblick in den Worten des furfante grell auf. Weltgeschichte w i r d zu einem großen Wirbel wie das Treiben der römischen piazza. Aretino w a r viel zu sinnlich, um die unübersichtliche weltpolitische Konstellation kühl und distanziert zu betrachten. Die unruhigen zwanziger 10
Hinsichtlich des üblichen Vergleichs dieser Szene mit dem Auftritt Frate Timoteos in der Mandragola (III, 3) hat bereits M. Baratto (Tre studi sul teatro, op. cit., 99) die nötigen Vorbehalte gemacht: „Ne La Mandragola, il discorso illumina due personaggi, e Frate Timoteo non si scopre, asseconda solo per suo utile le ciarle della donna: la parola è lo strumento di una reale, coperta ipocrisia. Ne La Cortigiana i personaggi danno rilievo a un discorso die riflette un linguaggio comune, in cui l'ipocrisia e il cinismo sono un „giuoco" accettato da tutti. Il discorso è cioè necessariamente ambiguo ne La Mandragola, grottesco ne La Cortigiana."
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Jahre des sechzehnten Jahrhunderts erscheinen in seinem Werk als flimmerndes Kaleidoskop: die Totalität der historischen Bewegung konnte Pietro nicht begreifen. Die beiden „facezie" (zu denen man noch die Possen zählen kann, die Rosso einem Fischhändler und einem Juden spielt) sind -willkürliche „novellistische" Kristallisationspunkte für die „Handlung". Es ist auch kein Zufall, daß die Cortigiana, die der Komödie ihren Titel gibt, auf der Bühne überhaupt nicht erscheint und vergebens unter den dramatis personae gesucht wird: sehr zum Vorteil des Stücks, das durch seinen Titel keine Protagonistin, sondern eine Atmosphäre einfängt. Nur in der närrischen Perspektive Messer Macos taudit für einen Augenblick die „Cortigiana" auf, die er in einem petrarkisierenden Mischmasch um ihre Gunst beschwört (II, 11): Salve regina, abbimi misericordia, perché i vostri odoriferi occhi, e la vostra marmorea fronte che stilla melliflua manna mi ancide si, che quinci e quindi l'oro e le perle mi sottraggeno amarvi. E non si vede unquanco guance di smeraldo e capelli di latte e d'ostro die snellamente scherzano con il vostro uopo petto, dove alloggiano due poppe in guisa di dui rapucci ed armonizzanti melloncini: e son condotto a farmi Cardinale e poi Cortigiano, vostra mercede. Adunque trovate il tempo ed aspettate il luogo, acciò die vi possa dire la crudeltà del mio core altresì, il quale si conforta ne i liquidi cristalli del vostro immarzapanato bocchino, et fiat voluntas tua, perché omnia vincit Amor. Maco die sta per voi a pollo pesto, Vi brama far quel fatto cito e presto.
Nicht nur um eine Parodie der petrarkisierenden Dichtung handelt es sich hier, sondern um ein Konglomerat heterogener Elemente, die in diesem Zusammenhang lediglich die maßlose Dummheit Messer Macos zeigen sollen. Dieser Brief macht es auch wahrscheinlich, daß Maco später in einen Ofen kriecht, um sich zum Höfling backen zu lassen. Dem Tölpel aus Siena fehlt die bauernschlaue Komponente Calandrinos, der bei Boccaccio zwar immer der Geprellte bleibt, aber dessen ungeachtet als Person doch kohärent ist. Kontrapunktisch zu der Torheit Macos steht die sprachlich-kulturgeschichtliche Perversion Parabolanos mit ihrer auf die Spitze getriebenen „napoletanerie". Alvigia spielt bewußt mit ihren bigotten Formeln, die nur ein Register in ihrem Verhalten sind. Bei Parabolano wird hingegen der Formalismus die einzige Lebensform, die spanisch verbrämte Stilisierung der eigenen Person manieristisch aufgeputzt und gesellschaftliche und literarische Fiktion zu einer Uberzeugung. Ein Gespräch zwischen Rosso und Alvigia (III, 6) gibt in dieser Hinsicht hinreichenden Aufschluß: A l v . Sai tu di die mi maraviglio? Ros. Non io.
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Alv. Ch'egli, the muor per questa Livia, si creda die ella che non l'ha mai visto, per via di dire, muoia per lui. Ros. Tu non ti doveresti stupir di questo, perché un cotal Signore, già cameriere di dieci cani ed ora briaco in tanta grandezza, tien per fermo die tutto il mondo lo adori; e se si potesse vedere, egli vuol male a sé stesso per aver posto amore a Livia, parendogli ch'ella sia obbligata a corrergli dietro, come gli diamo ad intendere.
Nur in der Perspektive der Diener (mag sie auch auf einen spezifisch engen Horizont begrenzt bleiben) wird die Welt mit den Augen des gesunden Menschenverstands und „realistisch" gesehen. Parabolano selbst muß am Ende der Komödie diese Tatsache anerkennen, als er — durch sein Erlebnis mit der Bäckersfrau ernüchtert — von seinem neapolitanischen Kothurn steigt und plötzlich als Regisseur die verworrenen Handlungsfäden auflöst. Betrüger und Geprellte lassen sich in der Schlußszene von dem nun die Rolle des selbstbewußten Höflings spielenden Parabolano ihre Lektion erteilen: Valerio, andiamo tutti in casa, dié voglio die questa Commedia ceni meco, e voglio die tu l'ascolti tutta, e die ne ridiamo insieme tutta notte; ad ogni modo è di Carnovale. W i e „ o f f e n " dieser Schluß bleibt, zeigen die Abschiedsworte R o s s o s : Brigata, chi biasimasse la lunghezza de la nostra predica è poco uso in Corte, perdié se ci fosse uso, sapendo che in Roma tutte le cose vanno a la lunga, eccetto il rumarsi, loderia il nostro cianciar lungo, ché gli andamenti suoi non si conterrebbeno in saecula saeculorum.
Anekdotische und novellistische Unerschöpflichkeit wird das ganze ernst zu nehmende literarische Schaffen Aretinos kennzeichnen: die Cortigiana ist der geniale Auftakt in dieser Richtung. Unter der dramatischen Dichtung des italienischen Cinquecento läßt sich ihr an Brio, Temperament, stilistischem Können (die Rede ist von Aretinos „stil comico") wenig vergleichen. Im Gegensatz zur Cortigiana ist die Handlung der nächsten Komödie, Il Marescalco, in wenigen Zeilen resümierbar. Der misogyne (und, wie aus Anspielungen der Amme hervorgeht, homosexuelle) Stallmeister des Herzogs von Mantua wird Gegenstand einer von diesem in die Wege geleiteten Posse: gegen seinen Willen soll der marescalco im Haus eines Höflings eine ihm unbekannte Schöne heiraten. Am Schluß stellt sich jedoch heraus, daß die Braut ein Page ist. So naheliegend das Vorbild der Casina von Plautus für die Schlußszenen sein mag, Aretino hält sich weniger als Machiavelli mit seiner Clizia an die Vorlage 11 und gab mit dieser Komödie neben der 11
Luigi Russo (Machiavelli, Bari 1966, 132) unterstreicht, daß Machiavelli zwar vom dritten Akt an fast alle Szenen des römischen Vorbilds übernahm, aber lediglich „nella materialità dei fatti, non nello spirito e nell'unità dell' insieme". Aretino hielt sich nicht einmal an die „materialità dei fatti", wenn man von der bloßen Tatsadie absieht, daß die Braut ein verkleideter Mann ist.
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Cortigiana seine persönlichste Bühnendichtung. Sie ist das Ergebnis seines Aufenthalts am H o f von Mantua und entstand wohl unmittelbar im Anschluß daran, wenn der Text auch vor der Drucklegung (1533) überarbeitet worden sein dürfte. Uber die turbulenten Beziehungen zum Markgrafen und (seit 1530) Herzog von Mantua hat Alessandro Luzio jeden wünschenswerten Aufschluß gegeben. Aber so wichtig die von Luzio vorgelegten D o kumente für die Aretino-Biographie sind, so wenig ist damit für die Werkinterpretation gewonnen." Mit dem Marescalco gab Aretino seine regelrechteste Komödie. Die einsträngige Handlung spielt in der unmittelbaren Umgebung des GonzagaPalastes und ist auf wenige Stunden zusammengedrängt, vorangetrieben wird sie durch den fredien jungen Gehilfen des Stallmeisters, Giannico, durch die Amme des Weiberfeindes, die über diese Heirat eine Versorgung fürs Alter erhofft, durch einen cavaliere und einen conte und was sonst durch eine bevorstehende Hochzeit in Bewegung gesetzt wird: einen gioielliere und einen giudeo und die Freunde des marescalco, die ihm entweder zur Heirat raten (Messer Jacopo) oder ihn in seiner Misogynie bestärken (Ambrogio). Alles in allem erscheinen auf der Bühne zwanzig Personen (wenn man von dem istrione absieht). Die originellste Gestalt ist der Pedant, der fortan aus dem Theater des Cinquecento nicht mehr wegzudenken ist.13 Die einfache Handlung des Marescalco ließ sich mühelos in dem 12
13
Alessandro Luzio: P. Aretino nei primi suoi anni a Venezia e la corte dei Gonzaga, op. cit. Luzio weist nach, daß es vor allem im Zusammenhang mit der Abfassung der Marfisa zum Zerwürfnis mit dem Herzog kam (im Winter/Frühjahr 1531). Erst kurz vor dem Tod Federico Gonzagas (1540) erreichte das Drängen Paolo Giovios und des Mardiese del Vasto eine Versöhnung zwischen dem Herzog und Pietro. Es besteht keine Frage, daß der Marescalco vor dem Bruch mit dem Gonzaga entstand. Pietro wußte zu gut, wie begierig die Großen seiner Zeit darauf waren, in seinen Werken einen Ehrenplatz einzunehmen. Andererseits war der Marescalco zu eng mit dem Mantuaner Milieu verknüpft, als daß nodi eine Änderung des Schauplatzes möglich gewesen wäre. Immer noch lesenswert ist der Aufsatz I pedanti von Arturo Graf (Attraverso il Cinquecento, op. cit., 169—213), der daran erinnert, daß Bernardo Dovizi unter dem Eindruck des Ludus der Bacchidi mit seinem PoLinico den ersten Pedanten in der volkssprachlidien Komödie einführte, während es Aretino vorbehalten blieb, mit seinem Marescalco „la pienezza del carattere comico" (200) zu geben. Graf beschränkt sich in seiner Studie allerdings fast ausschließlich auf die äußere Erscheinung dieser komischen Figur des Cinque- und Seicento: „Come il capitano si dà a conoscere agli spettatori, prima ancor di aprir bocca, per quella durlandana die si trascina dietro, per quella andatura che pare dia la mossa ai tremuoti, per quella guardatura a stracciasacco, il pedante dà subito contezza di sè per quel libro che ha in mano, per quel cappelletto frusto che gli coperchia il cucuzzolo, per quella gabbanella logora, o per quella toga sdruscita die lo insacca. Incede compassato, aggrotta le ciglia, leva in alto l'indice rigido di magistral sufficienza, e da tutta la sua strana e sparuta figura
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herkömmlichen Rahmen einer plautinischen Komödie unterbringen (die Casina wurde 1502 in Ferrara aufgeführt). In der Cortigiana ist der Ort der Handlung „offen", weil sie in dem topographisch nicht begrenzbaren Rom spielt, im Marescalco ist hingegen die Enge des Hofmilieus, zu dem der im Hintergrund bleibende Herzog gehört, Voraussetzung für die Handlung. Der Stallmeister, Objekt der Posse, kann dem Spott und den Hänseleien seiner Bekannten nirgends entgehen. Die Enge des Schauplatzes ist der eigentliche Motor der Farce. Die Charaktere der Cortigiana sind potenzierter, weil Rom stärkere Persönlichkeiten verlangt. Die Cortigiana ist auf weite Strecken eine comédie humaine des päpstlichen Rom, der Marescalco hingegen Kammertheater. Die dramatis personae sind in der Mantuaner Komödie ausnahmslos Marionetten in der H a n d des unsichtbaren Regisseurs Duca Federico. Die balia des Stallmeisters ist im Vergleich zur ruffiana Alvigia eine harmlose und eher gutmütige popolana und der Stallmeistergehilfe Giannico neben dem staffiere Rosso in der Cortigiana ein sympathischer Lausbub, wenn ihm die Amme auch sein päderastisches Verhältnis zum marescalco vorwirft (II, 4): Bai.
Gian. Bai. Gian. Bai. Gian. Bai. Gian. Bai.
14 15
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Signor da bene, Signor buono, dolce, santo ed amorevole! Qual limosina può far maggiore, die fargli torre questa moglie, dando esempio a' ribaldoni, ai ghiottoni, i quali vanno dietro a le gagliofferie, die ogni di se ne doverebbe abbrusciare un centinaio. 14 Parlate onesta, Balia. Voi sete cagione d'ogni male, ladroncelli. Voi sarete balzata. Chi mi balzerà? Tutta la corte. Perché? Perché è nimica de le Donne. Ch'ella possa esser annegata nel lago, sfacciata ribalda. 15
trasuda la dappocaggine, l'albagia, l'arroganza e, spesso spesso, la fame" (200/201). Wichtig ist der Hinweis von Mario Baratto (Tre studi sul teatro, op. cit., 28) auf das Theaterleben in Padua in seiner Untersuchung L'esordio di Ruzante. Zu der komischen Figur Mastro Francesco bemerkt er: „Si ricordi ancora che F. Francesco intercala spesso nel suo discorso spropositato citazioni latine (lo stesso rapporto tra medicina e latino è ne La Mandragola, A. II, Sc. II e IV) : questo atteggiamento pre-pedantesco lo lega a Padova, dove era fiorente la „Madiaeronea secta", e prepara la figura del Pedante die si definisce nel 1529 nell'omonima commedia del Belo e nel Marescalco di P. Aretino." Dies war die Strafe, die den Sodomiten de jure zugedacht war, mochte sie auch nur selten angewandt werden. Daß Pietro Aretino von dem Laster nicht frei war, ist bekannt. Im Winter 1527 stellte er einem „figliolo del Biandiino" nach und der Marchese entschuldigte sich in einem Brief vom 26. 2. 1528, daß er seinem ehemaligen Gast in der Angelegenheit nicht entgegenkommen konnte: „Se cosi havesse potuto satisfarve nel desiderio vostro del Bianchino lo haverei fatto medesimamente voluntieri. Ma havendo inteso la renitentia . . . manco mi è parso commanHosle
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So lebhaft die Handlungsführung ist, so passiv und dramatisch unergiebig ist der in seiner Machtlosigkeit höchstens drauflospolternde Stallmeister. E r ist bloße Zielscheibe des Spottes und der herzoglichen Willkür (wenn diese Bezeichnung nicht zu weit geht). Mir scheint es nicht vertretbar, wenn Mario Baratto in seiner schon mehrfach zitierten Untersuchung meint, die Autorität des Herzogs nehme der „burla" „il suo possibile carattere giocoso, inventivo". 1 ' Von der „crudeltà della burla" 1 7 sprechen, heißt Gesellschaftskritik an einer Stelle treiben, wo sie nicht hingehört. Aretino hätte sich die Gelegenheit zu einer satirischen Zuspitzung seiner Komödie nicht entgehen lassen, wenn dies das Anliegen seiner Posse gewesen wäre. Die Figur des marescalco steht in der Tradition der toskanischen Novelle, was Baratto zwar nicht übersieht, aber er versäumt es dodi, diese Tatsache zur Erklärung der Widersprüche im Charakter des Stallmeisters heranzuziehen. Aretino macht den marescalco einerseits zum Sprachrohr seiner anti-höfischen Polemik, wozu Distanz zu dem angeprangerten Milieu gehört, andererseits braucht er für seine Komödie einen von seiner Weiberfeindschaft besessenen Protagonisten, der viel zu befangen und zu medioker ist, als daß er das harmlose Spiel des Herzogs zu durchschauen vermöchte. Dem marescalco fehlt die täppische und dörperhafte charakterliche Stimmigkeit von Boccaccios Calandrino oder des Grasso legnaiuolo und die massive Dummheit Messer Macos, aber er ist nicht frei davon. Die Amme weiß es. Als sie sich auf Bitten des Stallmeisters hin bereit erklärt, ihn in der Zauberkunst des Besprechens zu unterrichten (der Herzog soll dadurch von seinem Vorhaben abgebracht werden), ist ihr Schützling nicht in der Lage, den Hokuspokus nachzubeten, so daß sie verzweifelt in die Worte ausbricht: Al rivescio, infine tu inciampi. Io mi ricordo die ci fu de i guai a farti imparare a benedire la tavola, ed avevi diciotto anni, innanzi che tu sapessi l'Ave Maria. O r fatti da capo."
Als auch ein neuer Versuch fehlschlägt, schmäht der marescalco in unflätigster Weise das Andenken seiner Mutter:
" "
dargli non essendo giusto nè honesto comandargli in questo caso (A. Luzio: P. A. nei primi suoi anni a Venezia . . op. cit. 78/79). Im Februar 1527 verliebte sich Aretino in Mantua in eine Isabella Sforza. Das außergewöhnliche Ereignis feierte er in einigen obszönen Sonetten: „Laudate pueri dominum, laudate/ Hormai putti messer domenedio, / Poiché Isabella Sforza ha fatto ch'io/Ho car die l'uscio drieto mi serrate . . . " Das zweite von Luzio veröffentlidite Sonett beginnt: „A ventun di febraro nel bisesto/ Fu'l gran miracol ch'havete sentito/ In Mantova, e se n'è '1 mondo stupito/ Ch'ella habbia fatto tal cosa si presto . . .". Es ist kaum anzunehmen, daß der Markgraf sich über diese Verse weniger freute als ihr Verfasser: die Tatsache, daß er sich sogar zu zweifelhaften Kupplerdiensten herbeiließ, ist kennzeichnend genug. M. Baratto: Tre studi sul teatro, op. cit., 105. Ib. 109.
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Co '1 malanno che D i o ti dia, ed alla puttana die mi cacò; die canti, o die incanti? cancaro a le fatture ed a le nigromanzie, di'io non son per torla (cfr. la moglie), e prima die mi ci conduca, sarà il di nero e la notte bianca. (II, 10)
Die Sprache des marescalco zeigt klar genug, daß diese Komödie gattungsgeschichtlich und stilistisch auf ein Niveau gehört, auf dem gesellschaftskritisch engagierte Interpretationen äußerst problematisch werden, wenn sie nicht mit der seit Erich Auerbach erforderlichen Behutsamkeit erfolgen. So verdienstvoll die Versuche der jüngsten italienischen Kritik sind, das Theater des Cinquecento zu „aktualisieren" und auf diesem Weg zu einem nationalen Repertoire zu gelangen, so dürfen sie doch nidit dazu verleiten, die Grenzen zu übersehen, die einer Komödie des Cinquecento gesetzt waren. Auch Aretino war bei allen anti-pedantischen Lippenbekenntnissen doch zu sehr in der Tradition des italienischen Renaissancetheaters befangen, um sie zu ignorieren. Der Marescalco wäre kein Werk Pietro Aretinos, wenn Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse fehlen würden: was diese Schlaglichter auf historische Fakten anbelangt, so wurden sie kurz vor der Drucklegung auf den Stand der neuesten „Zeitung" gebracht. Wie aus fast sämtlichen Werken machte Pietro auch aus dieser Komödie ein Vehikel f ü r seine zeitkritischen Satiren : es handelt sich dabei oft um bloße Versatzstücke, um aufmontierte Elemente, die er in klingende Münze umzusetzen hoffte. So rühmt der Pedant in der dritten Szene des fünften Akts die „famosissima Marchesa di Pescara". Als sich die Witwe des berühmten Condottiere später bei Pietro wegen respektloser Äußerungen beklagt, kann Aretino mit einer ganzen Liste von Publikationen aufwarten, in denen er die betroffene Vittoria Colonna gefeiert hat : N o n può esser, signora, die non sia stato qualche rubafavori, mendicagrazie e trafugacene quello die per tormi la servitù die io ho con seco, due ore inanzi che il servidor mio venisse a voi, fece contra di me il pessimo uffizio. Leggete il prologo de la Cortigiana e scorrete la comedia del Marescalco, guardate la pistola de i Salmi e ogni altra mia cosa; e vedrete s'io ho sempre avuto la vostra laude ne la mia penna. 18
Das Gespräch zwischen staffiere und gioielliere (III, 6) beginnt mit einem politischen Exkurs zur Lage, wie er seit den pasquinate und im Zu18
6*
Lettere, ed. Flora/Del Vita, 446. — Del Vita (ib., 1093) erinnert in seinen Anmerkungen an eine von B. Varchi übermittelte Quartine, mit der Aretino auf die Beziehungen der Marchesa di Pescara zu dem Prediger Bernardino Odiino anspielte, welcher später der Häresie bezichtigt wurde und nach Deutschland flüchten mußte: „Cristo, la tua discepola Pescara/Che favella con teco a faccia a faccia/ E ti distende le chietine braccia,/ Ove non so qual frate si ripara". „Chietine braccia" spielt auf Vittoria Colonnas Stellung in der römischen Reformbewegung um Gian Pietro Carafa, den künftigen Paul IV. und damaligen Bischof von Chieti an.
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sammenhang mit den pronostici in den W e r k e n Aretinos gang u n d gäbe war: Gioiel. . . . Ma die si dice in Corte? Staf. Che il Papa va in Avignone e non a Nizza, volli dire a Marsiglia, e che il Duca d'Orliens ha preso per moglie la sua nipote, e stupisce ogni uomo di cotal cosa. Gioiel. Questo Papa è un terribil Papa, e sono in openione die andrà sottosopra tutto il mondo, ma a lor posta; il nostro Marchese è favorito di tutti, e però non sentiamo mai un duol di capo, e Dio ce lo guardi cento anni. Die Stelle zeigt mit hinreichender Klarheit, d a ß Aretino den Marescalco v o r der Drucklegung überarbeitete (im Gegensatz zur Cortigiana haben wir nicht die Möglichkeit, uns über den U m f a n g der Eingriffe Rechenschaft zu geben). Nicht überraschend k o m m t der Seitenhieb gegen den Papst, erstaunlich hingegen ist die O v a t i o n a n die Adresse des Herzogs, mit dem sich Aretino schon zwei J a h r e vorher überworfen hatte. Angespielt w i r d in dem Gespräch zwischen staffiere u n d gioielliere auf die Hochzeit von Caterina de' Medici mit dem H e r z o g von Orléans, die am 27. Oktober 1533 mit großem P o m p in Marseille gefeiert w u r d e (der H e r z o g von Savoyen hatte sich geweigert, f ü r das Treffen zwischen Franz I. u n d Clemens V I I . das Kastell von N i z z a zur Verfügung zu stellen, um K a r l V. nidit zu brüskieren. 1 * Wenn M a r i o Baratto zu dieser Stelle mit Recht bemerkt, „l'oziosa curiosità aneddotica dei due gaglioffi, soddisfatti della neutralità del D u c a t o in u n momento drammatico della storia italiana ed europea, riflette questa abdicazione di tutte le volontà al giuoco politico di un Signore" 2 4 , so scheint mir das eben die These zu bestätigen, d a ß die Posse f ü r eine gesellschaftskritische Komödie keinen R a u m ließ und d a ß es sich bei den politischen Äußerungen zu zeitgeschichtlichen Ereignissen um Elemente handelt, die mit dem kleinen Bühnenwerk eigentlich nichts zu tun haben. Jeder spielt seine ihm zugedachte Rolle, auch wenn sie nicht immer mit dem geradezu menuettartigen Zeremoniell zelebriert wird, wie die folgende kleine Parodie spanischer Sitten an italienischen H ö f e n , gegen die Aretino bei jedem A n l a ß polemisierte: Cav. Mar. Cav. Cont. Cav. Cont. Cav. Cont. 111 20
Andiamo. Quel die piace a le Signorie vostre. Entri V. S., Conte. Entri V. S., Cavaliere. Non farò, Conte. Non farò, Cavaliere. Pur la Signoria vostra . . . Pur la vostra . . .
Cfr. Giuseppe de Leva: Storia documentata di Carlo V in correlazione lia, Bd. 3, Padua 1875, 109. M. Baratto: Tre studi sul teatro, op. cit., 110.
all'Ita-
Die ersten Komödien: La Cortigiana, Il Marescalco Ped. Jac.
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Cedant arma togae. Vi sono schiavo, maestro, che non si stimano più tante lombardate cortigiane spagnuole da Napoli. (V, 3)21
Hier wird ein kulturgeschichtliches Faktum zu Dichtung und Theater, wie es bei Aretino an anderer Stelle zu Sprache und Dichtung wird. Über die Päderastie am Hof in Mantua wurde bereits das Nötige gesagt. Aretino begnügt sich mit einer grammatikalischen Fehlleistung, um den Sachverhalt aufs witzigste zu beleuchten. Der Pedant wird das Opfer eines kleinen Anschlags seitens eines Pagen und beklagt sich darüber beim Stallmeister: Mar. Ped.
Oh che puzza!, voi mi parete il maestro che fa la polvere da bombarda a Ferrara; ah, ah, ah, io rido, ed ho voglia di piangere: chi è stato? La consorte del Cavaliere, il suo paggio traditrice. Io me ne vado a sua Eccellenzia, e caso che non ne faccia caso, la memoria de gli inchiostri e de le carte s'udirà a posteritate. (II, 11 — Hervorhebung von mir)
Die Sprache des Pedanten ist für Aretinos Komödien und Dialoge ebenso kennzeichnend wie die seiner Kupplerinnen. Im Fall des schulmeisterlichen Humanisten handelt es sich um ein pastiche zwischen Volksund Gelehrtensprache, im Fall von Ammen, Gevatterinnen und Kupplerinnen um ein pastiche zwischen Volks- und Kirchensprache. Hier wie dort entsteht ein Effekt nach der Art von Folengos Maccharonee, der zur unverwechselbaren parole eines Typs wird. Mag der Pseudo-Humanist sein Latein mit salbadernder Umständlichkeit vorbringen und die Kupplerin bewußt mit ihren Brocken aus der römischen Liturgie spielen: jedesmal wird das Latein Mittel zum Zweck komischer Wirkung, wie etwa eine 21
Ober den Einfluß der spanischen Sitten im Cinquecento verbreiten sich alle einschlägigen Werke. Besonders verwiesen sei auf den achten Band von Croces Scritti di storia letteraria e politica: La Spagna nella vita italiana durante la Rinascenza (mehrere Auflagen). Bekannt ist die antispanische Einstellung Giovannis della Casa in seinem Galateo. Aber wie sehr die spanische Saat ins Kraut geschossen war, zeigen die Klagen von Luigi Cornaro (1475—1566) in den Discorsi della vita sobria: „Si sono introdotti in questa nostra Italia, da non molto in qua, anzi alla mia etate, tre mali costumi: il primo è l'adulazione e le ceremonie; l'altro il viver secondo l'opinione luterana; il terzo la crapula: . ."(G. Toffanin: Il Cinquecento, op. cit., 254). — Wenige Jahre später gab Karl V., als er in Rom als Sieger von Tunis empfangen und gefeiert wurde, der spanischen Sprache vor Paul III. und im Beisein des französischen und venezianischen Gesandten ihre internationale Weihe: „Sefior Obispo" — wandte er sich an den Vertreter des französischen Königs —, „entiéndame si quiere, y no espere de mi otras palabras que de mi lengua espanola, la cual es tan noble que merece ser sabida y entendida por toda la gente cristiana" (cfr. Manuel Garcia Bianco: La lengua espanola en la època de Carlos V — Publicaciones de la Universidad internacional ,Menendez Pelayo", Bd. 10 — Santander 1958, 10).
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Gegenüberstellung der elften Szene des dritten Akts (Page und Pedant) und der vierten Szene des ersten Akts (Amme und Giannico) zeigt: Pag. Ped. Pag. Ped. Pag.
Vostra Maestà, vostra Magnificenzia, vostra Signoria ha visto il Signor Ca valier, mio padrone? Ahi forchicula, ahi meretriculo, il precettore de i mantovani condiscipuli si delude per la platea, an? Che forbiculate e mandragolate voi? ditemi se l'avete visto di grazia. Io ti giuro per lo Evangelio sacro die ti farò dar tante verberature, die sarai exemplo a tutti i cinediculi. Maestro, fatemi questo latino: il mure mi piscia a dosso.
Die gravitas des Pedanten wird zur Zielscheibe des Spottes wie die nicht weniger lächerliche und letzten Endes pedantische Weiberfeindschaft des Stallmeisters. Ganz anders springt die Kupplerin mit ihrer lateinischen Weisheit um: sie spielt damit, fordert also keinen Spott heraus. Der Pedant rezitiert seine Rolle mit lückenlosem Ernst, die Kupplerin (es handelt sich dabei um einen Typ, der bei Aretino in verschiedenen Varianten und unter verschiedenem Namen auftritt) hingegen tarnt sich hinter ihrer Bigotterie: sie spielt auf zwei Registern, ihr Metier erfordert einen ständigen Rollenwechsel, zu dem der schwerfällige und plumpe T y p des Pedanten nicht in der Lage wäre. Der Pedant kann nicht aus seiner Rolle fallen, weil er schlechthin mit ihr identisch ist, die Kupplerin hingegen verfügt souverän über ihre Auftritte. Dies zeigt sich selbst bei einem so harmlosen Exemplar der species wie bei der Amme des Stallmeisters in der zitierten Szene I, 4 : Gian. Io dico il vero; egli (cfr. il marescalco) mi ha voluto tagliare a pezzi. Bai. Come domine a pezzi, e perchè? Gian. Per avergli detto, die tutta Mantova è piena, che il signore gli dà moglie. Bai. Che mi dici tu? Gian. Il Vangelo. E bestemmia, come un traditore, die non la vuole; ma la torrà, s'egli crepasse. Bai. O benedetta santa Nafissa, ponetegli le mani in capo, et in mulieribus . . . nomen tuum . . . vita dulcedo . . . panem nostrum . . . benedieta tu . . . s'egli la toglie . . . ad te suspiramus . . . io starò come una santarella . . . et homo factus est . . . Dimmi, Giannicco figlio, cianci tu? Gian. Potta, die non dico d i . . . Bai. Non bestemmiare, io te '1 credo . . . sub Pontio Pilato, vivos et mortuos . . . le mie orazioni, i miei digiuni faranglino far questo passo; io fo voto a la Madonna de i Frati di non mettere olio, né sale, nei cavoli i veneri di Marzo, e di digiunare le Tempore in pane, et in acqua . . . lacrimarum valle . . . a malo. Amen. Certo, certo, s'egli la toglie, ella sarà la suppa della mia vecchiezza. Der Wust von Gebetsformeln aus dem Pater noster, dem Credo, dem Ave Maria kündet bei Aretino immer das Erscheinen einer Kupplerin an. Nach den Ragionamenti verfügte Aretino über ein unerschöpfliches Auf-
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gebot von Typen, die sich beliebig zu neuen Handlungen kombinieren ließen. Aretino trieb mit jedem seiner Einfälle Wucher: er schuf damit nicht nur sein Bild als Fürstengeißel und Weltsekretär, sondern auch seine Werke. H ä t t e er sich mit der Cortigiana und dem Marescalco begnügt, so wären seine Grenzen als Theaterdichter weniger durchschaubar. Aber wenn es ihm gelang, einen literarischen Artikel zu „lancieren", so mußte er dann auch in Serien hergestellt werden, wenn er finanziell ergiebig werden sollte. In keinem seiner Werke fehlt dieser kommerzielle Aspekt. Wie sicher Aretino das zeitgenössische Theaterrepertoire beherrschte, zeigt vor allem der Auftritt des istrione im Prolog, der vor dem eigentlichen Beginn der Handlung die gängigen Theatertypen skizziert, mit der für Aretino kennzeichnenden Anschaulichkeit, die nicht den unverwechselbaren Charakter gibt, sondern den immer wieder verwendbaren miles gloriosus oder den lüsternen Alten, wie sie dann in der commedia dell'arte bis zu Goldoni zum Bestand des italienischen Theaters gehören. Der istrione extemporiert, ohne auf die Handlung des Marescalco Rücksicht zu nehmen, eine Unzahl von Rollen : Se io fossi una Ruffiana, con riverenza parlando, io mi vestirei di bigio, e discinta e scalza con due candele in mano, masticando paternostri, ed infilzando avemarie, dopo l'avere fiutate tutte le diiese, spierei die '1 Messere non fosse in casa, e comparsa a la porta di Madonna, la percoterei pian p i a n o , . . . Come farei io bene uno assassinato d'Amore; non è Spagnuolo, né Napolitano, che mi vincesse di copia di sospiri, d'abbondanza di lagrime e di ceremonia di parole ; e tutto pieno di lussuriosi taglietti verrei in campo col paggio dietromi vestito de' colori donatimi da la Diva, e ad ogni passo mi farei forbire le scarpe di terzio pelo, e squassando il pennacchio, con voce sommessa, aggirandomi intorno a le sue mura, biscanterei: Ogni loco mi attrista ove io non veggio . . . Dio ve'l dica, come io contrafferei uno avaro, un pidocchioso ed un misero. In persona e manu propria adacquerei il vino, e pesarei il pane, e misurerei le minestre,.. . Der istrione entwirft Typen mit der Schnelligkeit eines genialen Karikaturisten, und es ist Aretinos unbestreitbares Verdienst, daß er bei aller Abhängigkeit vom römischen Theater immer Typen des Cinquecento gab und damit seine Zeitgenossen traf. So verschwenderisch geht der istrione mit seinen Figuren um, daß bei seiner Aufzählung Aretinos originellste Schöpfung, der Pedant, fehlt. 82 Die für die Handlung so zentrale Gestalt Gianniccos, der den Stallmeister wie eine zudringliche Wespe reizt, hat im Theater des Cinquecento keine Entsprechung. A. D'Ancona konnte nachweisen, daß es sich bei den 22
Zum Pedanten cfr. Abd-el-Kader Salza: Una commedia pedantesca del Cinquecento (Miscellanea di studi critici edita in onore di Arturo Graf, Bergamo 1903, 4 3 1 — 4 5 2 ) .
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Versen des naseweisen Lausbuben zum Teil um italienische Volkslieder handelt. 23 Es besteht kein Zweifel: die Originalität des Marescalco besteht nicht in der Handlung, im Sinn des plot und des intreccio, sondern in der Überschneidung sprachlicher und stilistischer Ebenen, auf ihrer Brechung und ihrem Neben- und Ineinander. Tommaso Parodi hat dieser wichtigen Tatsache nicht Rechnung getragen, als er sich darüber beklagte, daß dieser „scherzuccio brioso" 24 über fünf Akte hinweg in die Länge gezogen wird. Die Komödie beruht nicht auf dem scherzuccio, sondern auf ihrem sprachlichen und theatralischen brio, auf ihrem linguaggio.
23 21
Cfr. U. Fresco: Le commedie di P. A., Camerino 1901, 84. T. Parodi: Le commedie di P. A. (Poesia e letteratura a cura di B. Croce, Bari 1916, 143).
Die Ragionamenti Verhältnismäßig spät, als Vierziger, erreicht Aretino mit den Ragionamenti den schöpferischen Höhepunkt seiner literarischen Tätigkeit. Um so erstaunlicher ist es, daß dieses Werk bis heute kaum Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung war und etwa in Karl Voßlers fast ausschließlich auf Aretinos Briefen gründender Untersuchung über Pietro Aretinos künstlerisches Bekenntnis unbeachtet blieb. Dabei sind die Ragionamenti eine weit persönlichere Aussage des toskanischen Schriftstellers als seine Briefe, die in der Regel als Quelle und Zeugnis für Aretinos Selbstinterpretation herangezogen werden. Die Briefe sind ein Teil von Pietros literarisch-publizistischer Strategie, während die Ragionamenti eine rückhaltlose Selbstaussage sind. Nannas Bekenntnis zum Metier der Kurtisane zeigt, wie kohärent Aretino in dieser genialen Projektion seiner menschlichen und künstlerischen Welt war. Es läßt sich allerdings nicht leugnen: einige Abschnitte dieses Werks sind dazu angetan, nicht nur zimperliche Naturen zu brüskieren. Würde man jedoch diese immer wieder inkriminierten Stellen aus einer Untersuchung ausklammern, so wäre der Weg zu einer angemessenen Bewertung dieses Werks verbaut. Wie schwierig und kompromittierend eine unbefangene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Werk ist, zeigt die gerade im Fall der Ragionamenti besonders verdrießliche Lage der AretinoPhilologie. Die Erstausgaben sind nur in wenigen Bibliotheken greifbar. Die zahllosen Neudrucke übernehmen in der Regel den Text der von Barbagrigia stampatore (i. e. John Wolfe) unter dem Datum des 21. Oktober 1584 in Bengodi (i. e. London) „ne la già felice Italia" verbreiteten Ausgabe1: dies gilt sowohl für den 1960 vom Mailänder Verlag dall'Oglio zusammen mit Antonio Foschinis unzünftiger, aber nicht unzuverlässiger Aretino-Biographie vorgelegten Band, wie auch für die 1965 erschienene Ausgabe der Ragionamenti, die einem neuen Verleger in Bologna, Sampietro, für eine Collana '70 als Entréebillet in die literarische Welt dienen 1
Die Auflösung des fingierten Druckernamens und Druckorts in dem Katalog des British Museum, der auf eine zweite ebenfalls 1584 erschienene Ausgabe der Ragionamenti aufmerksam macht (wahrscheinlich waren es insgesamt vier). Als Anhang gab John Wolfe das Ragionamento dello Zoppino und Annibale
Caros Commento di Ser Agresto da Ficaruolo sopra la prima ficaia del padre Sicea (i. e. F. M. Molza) con la diceria dei Nasi.
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mußte. Eine Vorbemerkung des Avantgardisten Roberto Roversi und eine kurze Notiz über den „iperspazio linguistico dell'Aretino" gaben dieser für 900 Lire greifbaren Veröffentlichung ein nicht nur frivoles Ansehen. Der Hinweis „un best-seller avanti lettera del realismo moderno" gab dem Titel die aktuelle Weihe und durchbrach auch vom Sachlichen her den eng umzirkelten Kreis erotomaner Bibliophilie, an den sich etwa noch die Classici proibiti der Editori Associati wenden. Die Tatsache, daß Aretinos Ragionamenti in Italien heute für jeden greifbar sind, während sie in deutschen Universitätsbibliotheken oft noch mit dem skandalumwitterten „segretiert" abgestempelt und auf dem deutschen Buchmarkt zum Preis von 150 DM angeboten werden 8 , dürfte sicher zu einer Entmythisierung dieses außergewöhnlichen literarischen Werks beitragen. Eine zünftige Edition bereitet endlich der Verlag Laterza in den von Gianfranco Folena herausgegebenen Scrittori d'Italia vor. Im Augenblick besitzt man aber in der 1660 in Cosmopoli erschienenen Ausgabe3 der Ragionamenti immer noch den auf weite Strecken zuverlässigsten Kommentar zu den sprachlich so unkonventionellen Gesprächen. Die Aretino-Forschung hat bis jetzt kaum Notiz davon genommen, daß man hier einen für Leser von heute geradezu unerläßlichen Schlüssel für das Verständnis inzwischen verschwundener volkstümlicher Redensarten und toskanischer Wendungen besitzt. Es ist selten, daß man den anonymen Kommentar, der auch die zweideutigen Anspielungen geradezu pedantisch glossiert, einmal bei einer Fehlinterpretation ertappt. 4 Die Originalität der Ragionamenti beruht gattungsgeschichtlich auf der parodistischen Verwendung der im Cinquecento immer blutleereren Form des platonisierenden Traktats und Dialogs.5 Erst wenn man bedenkt, daß 2
Idi beziehe mich auf die Ausgabe des Galaverlags (Hamburg).
® „Edizione sicuramente impressa dagli Elzeviri (Willems, 858) e precisamente a Leida da Giovanni. Nello stesso anno ne fu fatta una seconda meno bella; la prima si distingue per avere, nelle note marginali, la lettera z elegantemente allungata" (Marino Parenti: Dizionario dei luoghi di stampa falsi, inventati o supposti, Florenz 1951, 64). 4 Die Bemerkung der balia, die sich über die comare lustig macht, weil ihr am Ende des zweiten Tags im zweiten Teil ein Pfirsidi auf den Kopf fällt: »Tu non puoi negare che il farti dar le pesche, non ti sia piaciuto" darf selbstverständlich nicht mit „dar delle pugna" interpretiert werden. Aus Bernis und Bellis Spottgedichten auf die päderastischen Neigungen der römischen Kurie ist die Wendung hinreichend bekannt. 5
Der Begriff „Gattung" wird hier im Sinne Mario Fubinis verstanden: „così tutti i critici foggiano e rifoggiano i generi per adattarli all'opera studiata — il die non è se non una riprova della strumentalità e non sostanzialità del genere letterario, inconfondibile nella sua mutevolezza, approssimazione, provvisorietà, con l'immutevole e determinata categoria della bellezza (Genesi e storia dei generi letterari, in: Critica e poesia, Bari 1956, 157).
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durch die klassisch gewordenen Vorbilder Bembos und Castigliones, durch die Asolarti und den Cortegiano, im Lauf der ersten Jahrzehnte des Cinquecento die Niederschrift von Dialogen bald wie die unverbindliche Produktion petrarkisierender Verse zu einer literarischen Übung einer ästhetisierenden Gesellschaft wurde, wird es klar, daß Pietro Aretino mit seinem realistischen und an manchen Stellen geradezu grotesken Bild seiner Kurtisanenwelt eine fromme Fiktion entlarvte. Nicht nur Freude an der Zote, sondern der Wunsch, die Wirklichkeit zu demaskieren, führte ihn zu seinen Ragionamenti. Angesichts dieses Werks werden Traktate wie der wahrscheinlich mit Hilfe Annibale Caros nach 1540 von einer Edelkurtisane verfaßte Dialogo della Signora Tullia d'Aragona della infinità di amore6 zu einem leeren Spiel mit Worten. Die Involution der Gattung Traktat wurde durch Aretino gewaltsam unterbrochen, und es ist kein Zufall, daß ein origineller Schriftsteller wie Giordano Bruno am Ende des sechzehnten Jahrhunderts auf Aretino als Vorbild zurückgreifen konnte. Sieht man die beiden Teile der Ragionamenti, die jeweils drei Tage beanspruchen, hingegen als Novellensammlung, dann kann man das Werk mit Recht als „continuazione esasperata del Decamerone" 7 bezeichnen. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, das äußerst organische Ganze in einzelne Novellen zu zerlegen.8 Im Decamerone handelte es sich noch um die über die Katastrophe der Pest hinübergerettete Gesellschaft, die sub specie hominis die Vielfalt des Lebens erzählte und beschrieb. Bei Aretino hingegen verengert sich die Perspektive auf das Weltbild einer Dirne und Kupplerin, die alles und — so will es scheinen — mit Recht nach ihrem Maß abschätzt und wertet. Mit der Widmung des ersten Teils der Ragionamenti — Pietro Aretino al suo monichio — gibt der Schriftsteller eine Persiflage seiner und seiner Zeitgenossen kunstvoll gedrechselten Präambeln und Widmungsschreiben. Es ist zum mindesten erstaunlich, daß alle, die sich über Aretinos platte und plumpe Schmeicheleien in banalen Bettelbriefen und rhetorisch übersteigerten Ovationen ausließen, diesen Auftakt zu den Ragionamenti ignorierten, der sich über das Affentheater Welt mokiert und damit auch die ganze auf wirtschaftliche Überlegungen beruhende Produktion des Schriftstellers Aretino miteinbezieht: 9 6
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Diesen und andere Trattati d'amore del Cinquecento gab Giuseppe Zonta 1912 in den Scrittori d'Italia des Verlags Laterza (Bari) heraus. Prezzolini : Uomini 22 e città 3, Florenz 1920, 230. Einen derartigen Versuch machte Antonio Piccone Stella, dessen Einleitung zu den Piacevoli e capricciosi ragionamenti (2. Aufl. Mailand 1944) andererseits zu den wertvollsten Äußerungen über P. A. gehört. Wolfgang Leiner zitiert in dem einleitenden Kapitel seiner Habilitationsschrift Der Widmungsbrief in der französischen Literatur, Heidelberg 1965, zwar Aretinos Widmungssdireiben zu den Komödien und prose sacre, übergeht aber
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Die Ragionamenti Salve mona, salve dico, poi che la fortuna ancora ne le bestie tien mano, e per ciò ti tolse di donde nascesti, dandoti a me, die per essermi accorto die sei un gran maestro, sotto la forma di gatto, si come era Pitagora un filosofo sotto la forma di gallo, ti dedico le fatidie, anzi lo spasso di diciotto mattine non come a mamone, non come a scimia, nè come a babuino, ma come a gran maestro. (18)10
Die Ragionamenti geben sich von allem Anfang an als großer Kehraus ausgehülster Formen und Topoi. Sie sind tatsächlich eine Herausforderung an die „coglione Muse" (19), mag die kurze Widmung dann auch wieder in die konventionelle Rechtfertigung ausklingen, „la fiamma de la mia penna di fuoco" (19) wolle die Makel des Klosterlebens ausbrennen: „Onde spero che il mio dire sia quel ferro crudelmente pietoso, col quale il buon medico taglia il membro infermo, perchè gli altri rimanghino sani" (19). In dem sich über drei Tage erstreckenden ersten Teil der Ragionamenti sind ausschließliche Gesprächspartner Antonia und Nanna. Nanna erzählt der bei ihr unter einem Feigenbaum sitzenden Antonia zunächst das Leben der Nonnen, am nächsten Tag das Leben der Ehefrauen und schließlich das Leben der Dirnen. Sie hat eine erwachsene Tochter, Pippa, und möchte mit der Gevatterin zu einem Entschluß kommen, welchen Weg das Mädchen einschlagen soll. Da das Für und Wider den Dirnenberuf nahelegte, wird am ersten Tag des zweiten Teils, den „piacevoli ragionamenti", Pippa von ihrer Mutter in das Metier der Dirne eingeführt, am zweiten Tag wird ihr eingeschärft, sie dürfe sich von den Männern nie hinters Licht führen lassen, aber als nun die in der Kuppelei bewanderte comare mit der balia erscheint, verstummen Nanna und Pippa und hören sich, ohne sich am Gespräch zu beteiligen, die Unterhaltung der beiden Gevatterinnen an. Von der literarischen und sprachlichen Form her ändert sich durch diesen Personenwechsel nichts. Die comare frönt dem gleichen sprachlichen Hedonismus11 wie Nanna, und die balia ist die nämliche ungeduldige und am rea-
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den Auftakt, den Aretino dem ersten Teil seiner Ragionamenti voranstellte. Aretino spielt hier souverän mit der zeitüblichen Exordialtopik, von der er selbst umfangreichen Gebrauch madite. Hier entlarvte er seine Bettelbriefe als das, was sie sind: zynisdies Zugeständnis an eine Mode, die er in klingende Münze umzusetzen verstand. Die Seitenzahlen beziehen sidi hier und im Folgenden auf die Ed. Sampietro. Diese glückliche Bezeichnung für eine literarische Strömung des Cinquecento stammt von Cesare Segre (Edonismo linguistico nel Cinquecento in: Lingua, stile e società —Studi sulla storia della prosa italiana, Milano 1963, 355—382). Segre knüpft bei seinen Beobachtungen über den Stil Aretinos an De Sanctis an und weist mit Recht darauf hin, daß der Kritiker in seiner Storia della letteratura italiana den Kontrast „tra le forme ritenute, a nostro parere troppo ingenuamente, naturali ( . . . ) e quelle artificiose, e persin barocche" allzusehr unterstrich. Mit Recht sieht Segre die Wurzel für beide im sprachlichen Hedonismus (357/8).
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listischen Detail klebende Zuhörerin wie Antonia und Pippa. So problematisch die Identifizierung zwischen Schriftsteller u n d literarischer Gestalt auch sein m a g : N a n n a (wie auch die comare) sind auf weite Strecken eine Projektion des causeurs Pietro Aretino. Ihre Welt und ihre Moral sind identisch mit der Welt u n d der Moral des Divino. Es ist daher kein Zufall, d a ß Aretino am dritten T a g des zweiten Teils N a n n a u n d Pippa zu stummen Statisten macht, eine Rolle, bei der man sich die redselige M u t t e r Pippas k a u m vorstellen k a n n . D i e comare ist einfach eine Doppelgängerin N a n n a s u n d die balia das P e n d a n t zu P i p p a u n d Antonia. W o Aretino, wie dann im Dialogo delle Corti, eine Differenzierung der D i a l o g f o r m versuchte, scheiterte er. N a n n a (oder die comare) braudien als Publikum lediglich einen Katalysator, ein anonymes, aber leidenschaftlich beteiligtes Gegenüber, das sich mit schmatzendem Behagen und wieherndem Gelächter dem einzig ihm erreichbaren intellektuellen Genuß, einem deftigen, handgreiflichen, mit gesundem Menschenverstand und M u t t e r w i t z gespickten Gespräch hingibt. Benedetto Croce n a h m T o r q u a t o Tassos discorso Dell'arte del dialogo zum Ausgangspunkt f ü r einige grundsätzliche Überlegungen über die Kunst des Dialogs 1 2 : Tassos Theorie laufe auf die Definition hinaus, d a ß der Verfasser von Dialogen „quasi mezzo tra il poeta e il dialettico" sei. H i e r setzt seine Polemik gegen Rudolf Hirzeis literaturhistorischen Versuch über den Dialog ein, nach Croce „una storia fantasiosa o, piuttosto, mancante di soggetto storico, non essendo mai esistita la presunta f o r m a sintetica filosofico-poetica che le dovrebbe dare il soggetto" : „E la cosiddetta ,decadenza del dialogo' è nient'altro che la successiva eliminazione di questo ibridismo, la liberazione della dialettica e della scienza dei pezzi di poesia, o di velleità di poesia, che (né solo nel cosiddetto dialogo) si trascinava dietro o dai quali era contornata. La crisi non cominciò con Aristotele, ma, come tutti sanno, con lo stesso Platone, dai primi dialoghi ai suoi ultimi, sempre più vicini al t r a t t a t o scientifico. Ciò non abolisce le pagine di poesia che sono nei dialoghi platonici e che il Tasso cosi squisitamente sentiva e altamente ammirava, e che sentiamo e ammiriamo anche noi. M a quelle pagine sono fiorite nel contrasto che Platone avvertiva in sé tra il poeta e il dialettico, contrasto che egli venne poi componendo". 1 8 Es ist inzwischen hinreichend bekannt, d a ß Croces ästhetische Kriterien bei Meister u n d Schülern z u m Teil zu unakzeptierbaren Folgerungen f ü h r t e n (die Aufsätze über deutsche Literatur in dem Sammelband Poesia e non poesia sind das augenfälligste Beispiel), u n d die italienische Kritik von Gargiulo bis W a l t e r Binni konnte gerade wegen dieser strengen Trennung von Poesie u n d Unpoesie, von Poe14 13
La teoria del dialogo secondo il Tasso (Poeti e scrittori del pieno e del tardo rinascimento, voi. secondo, 2 a ed., 1958, 118—124). La teoria del dialogo secondo il Tasso, loc. cit., 121.
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sie und Rhetorik zu einer Revision von Croces Ästhetik ansetzen, die andererseits eine Garantie für das hohe Niveau literaturwissenschaftlicher Diskussion in Italien darstellt. 14 Croce ignorierte das Wechselverhältnis zwischen Poesie und Dialektik bei den gelungensten Dialogen der europäischen Literatur und ermunterte direkt oder indirekt jene anthologische und auf sogenannten poetischen Kriterien beruhende Lektüre von Aretinos Werk, die eine Gesamtbeurteilung verhinderten. Bei gattungsgeschichtlicher Einordnung werden Aretinos Ragionamenti zu einem Meilenstein in der Geschichte des nachantiken Dialogs. Rudolf Wildbolz hat in seiner Untersuchung Der philosophische Dialog als literarisches Kunstwerk — Untersuchungen über Solgers philosophische Gespräche' (Diss. Bern 1952) einige grundsätzliche Überlegungen zur „Gattung" Dialog getroffen. Auf dem Weg der Abstraktion umschreibt er dabei fünf Bauformen: die variierende, die dialektische, die assoziative, die architektonische, die dramatische, oder, wenn man die zwei Hauptstränge der Tradition verfolgt, die Linie des streng philosophischen Dialogs nach dem Vorbild Piatons und die Linie des heiter gelassenen Gesprächs nach dem Vorbild Lukians.15 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Aretinos Dialoge an Lukian anknüpfen: die editio princeps erschien 1496 in Florenz und zwei Jahre vor Aretinos Ankunft in Venedig legte der Drucker Zoppino die Dialogi meretricii in italienischer Übersetzung vor, die Aretino sicher nicht unbekannt war. 16 Bei Lukian ist auch die Rollenverteilung der Gesprächspartner ähnlich wie bei Aretino. Hier die wißbegierige unerfahrene Junge, dort die abgebrühte und mit allen Wassern gewaschene Alte. 14
Verwiesen sei wenigstens auf Gargiulo und Binni: „Quando scriveva l'Estetica" — stellt Gargiulo in einem bereits 1926 veröffentlichten Artikel fest — „Croce era in rapporti alquanto sbrigativi con le parole e i suoni, i colori, il bronzo e la pietra. Il suo tono a proposito dei mezzi d'espressione era questo: se ne parla, ma non se ne dovrebbe neanche parlare." (Scritti di Estetica a cura di Manlio Castiglione, Florenz 1952, 299). Bei Croces Äußerungen und Stellungnahmen zum Werk Aretinos ist seine Insensibilität gegenüber dem Wortmaterial besonders augenfällig. Wie sehr es in Italien seit Cesare Paveses II mestiere di poeta auch von der Literaturwissenschaft wieder berücksichtigt wird, zeigt Walter Binni: Poetica, critica e storia letteraria, Bari 1963, 30/31. Mag bei Aretino auch nicht selten der „rigore dell'elaborazione" (Binni) fehlen, über sein Kunstwollen (man kann die Resultate beurteilen wie man will) dürfte kein Zweifel bestehen.
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Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Tübinger Dissertation von Marieluise Blessing, geb. Dünhölter: Der philosophische Dialog als literarische Kunstform von Renan bis Valéry (1965), welche die von Wildbolz ausgearbeiteten Kriterien aufgreift. — Weitere Literatur zum „Dialog" in dem gleichnamigen Artikel von Rudolf Wildbolz in der 2. Aufl. von MerkerStammlers Reallexikon. 1 dilettevoli dialogi: le vere narrationi: le facete epistole di Luciano philosopho: di greco in volgare nuovamente tradotte & historiate.
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In der Ausgabe Zoppinos findet sich auch der Dialog: „Luciano introduce una meretrice die exhorta una sua figliola ad esser meretrice, 8c insegnali la via debba tenire se vuol guadagnare, il nome della madre e Manava, & della figliola Corina." 17 Aretino fand — daran besteht kein Zweifel — in Lukian das Vorbild für die Form seiner Ragionamenti, so wenig er für deren Inhalt der Anregung durch den witzigen Feuilletonisten der Antike bedurfte. Nanna, die wortführende Dialogpartnerin in den fünf ersten giornate, ist trotz der Anregung durch Lukian, eine ausschließliche Schöpfung Aretinos. Ihre massive Gegenwart und sprachlich-erzählerische Exuberanz ist der glücklichste Wurf in den Werken des Schriftstellers. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Aretino auch von Francisco Delicados Lozana andaluza Kenntnis hatte. Sie ist der literarische Niederschlag eines vierjährigen Aufenthalts des Verfassers in Rom, der nach der Plünderung der Stadt nach Venedig übersiedelte und seinen Dialog dort 1528 veröffentlichte. So ähnlich der Gegenstand dieser Gespräche ist, so verschieden ist aber die Kadenz dieses Dialogs, verglichen mit den Ragionamenti. N a n n a (und die comare) rekeln sich behäbig in ihrem Obstgarten und gedenken vergangener Zeiten. Die Ereignisse sind Erinnerung und werden mit episch anmutender Gelassenheit erzählt. Anders Delicado. Seine Lozana andaluza, die — wenn man dem Autor Glauben schenken will — „contiene muchas mas cosas que la Celestina", steht so sehr unter dem Eindruck von Fernando de Rojas' Lesedrama, daß der Dialog immer dramatisch bewegt bleibt. Bei Delicado wird Handlung rezitiert, bei Aretino lediglich erinnert, bei Delicado tritt die römische Halbwelt persönlich auf, bei Aretino wird sie durch das erzählerische Medium Nanna gefiltert. Die Frage, ob Aretino La Lozana andaluza kannte, bleibt daher irrelevant. Der Abstand zwischen den beiden Werken ist zu augenfällig. Die schneidende Kälte, die aus den Worten der Andalusierin und ihres Zuhälters spricht, steht in krassem Gegensatz zu der pastosen Erzählfreude von Aretinos Kupplerin. 18 Die von Giorgio Petrocchi versuchte Differenzierung der Gesprächspartner scheint mir durch den Text nicht gerechtfertigt. Danach wäre N a n nas Erzählung das Ergebnis eines zügellosen Impulses, der sich des Bösen an sich nicht bewußt ist, während die comare nie vergesse, wer sie sei. Petrocchi versucht hier die moralische Ehrenrettung einer dichterischen Gestalt, die für die literaturwissenschaftliche Wertung belanglos ist.18 17 19
Ib., CLXIIII, r. D i e lange verschollene Lozana andaluza wurde erstmals 1871 in Madrid neu gedruckt. Dieser Text liegt auch der von Alcide Bonneau besorgten zweibändigen und zweisprachigen Ausgabe zugrunde, die 1888 Isidore Liseux verlegte.
" Vgl. Giorgio Petrocchi: Pietro Aretino
tra Rinascimento
e
Controriforma,
Mailand 1948, 175 ff. Wenn Petrocchi schließlich gar noch einen Kontrast
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Das erste Gespräch der capricciosi ragionamenti findet am Tag der Büßerin Magdalena statt und geht nach kurzen Präambeln über die Franzosenseuche Antonias und die Muttersorgen Nannas in folgendes Frageund Antwortritual über: Ant. Nan. Ant. Nan. Ant. Nan. Ant.
— — — — — — —
. . . Dimmi non sei tu stata monaca? Sì. Non hai tu avuto marito? Hollo avuto. Non fosti tu cortigiana? Fui. Adunque de le tre cose, non ti basta l'animo di scegliere la migliore? Nan. — Madonna no. Ant. — Perchè no? Nan. — Perchè le monache, le maritate, e le puttane, oggi di vivono con una altra vita, che non vivevano già. (21)
Offensichtlich handelt es sich hier um eine parodierende Verwendung des Taufrituals der römischen Kirche. Die religiöse Praxis war für Aretino, wie für Rabelais, eine Selbstverständlichkeit. Wer wie Luther ernstlich an der Berechtigung der römischen Kurie zu zweifeln wagte, war ihm ein Greuel. Es wäre purer Anachronismus, wollte man an diesem Verhalten und dieser Unkohärenz Anstoß nehmen. Pietro hatte zwar an der humanistischen Bildung seiner Zeit kaum Anteil, aber die katholische Welt der römischen Liturgie war ihm, wie auch den Dirnen von San Sisto, vertraut. Die zu Formeln erstarrten Wendungen der Gebetspraxis wurden für Aretino zu einem unerschöpflichen Arsenal für obszöne Metaphern und frivole Anspielungen, mit denen er die Tradition der italienischen Novellistik fortsetzte. Die lateinische Kirchensprache — das zeigen die Ragionamenti im Munde Nannas und der comare immer wieder — war von der Volkssprache längst „übersetzt" und assimiliert worden und war eine Plattform, die ironischen und satirischen Abstand von der Wirklichkeit als Rohstoff ermöglichte. Die Säkularisierung und Profanisierung des kirchlichen Lebens im Zeitalter Leos X. hat in Aretinos Prosa ihr sprachliches Gegenstück, wenn auch nicht übersehen werden soll, daß die Wurzeln dieses Prozesses bis ins Mittelalter reichen.20 Antonias Teilnahme an Nannas Berichten über ihr
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zwischen dem „carattere vispo, lievemente apprensivo e superficiale" Pippas und der „allegra ricevittà" Antonias feststellt (Ib., 183), so verfügt er hier über ein stilistisches Sensorium, das mir — offen gestanden — versagt ist. Die Voraussetzungen für profanen Gebrauch kultischen Sprachgutes untersuchte Hans Rheinfelder in seiner Habilitationsschrift: Kultsprache und Profansprache in den romanischen Ländern (Genf/Florenz, 1933). Zahllose Belege zum Thema bei Francesco Novati (La parodia sacra nelle letterature moderne in: Studi critici e letterari, Turin 1889, 175—310) und vor allem bei Paul
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Leben und Treiben im Kloster beschränkt sich in der Regel auf ein rückhaltloses schallendes Lachen, das Aretino mit einem „ah, ah, ah" wiedergibt (allein in der ersten giornata kommt neben verschiedenen ausführlichen Beschreibungen des Lachens dieser „Kürzel" fünfzehnmal vor). Nicht selten aber kommentiert Antonia die Erzählungen ihrer Gevatterin mit einer aus der katholischen Gebetspraxis stammenden Anrufung Gottes oder der Heiligen. „Domine affogalo" (23). „Che il diavolo ne spenga la sementa" (24) sind die zu Flüchen pervertierten, aber die bigotte Kirchgängerin verratenden Kommentare der leidenschaftlich beteiligten Zuhörerin. Die prima giornata der Ragionamenti ist eines der wenigen bekannten Beispiele wirklich großartiger „obszöner" Poesie. Nur in den Parolipomena der zunächst als Schwarze Messe konzipierten Walpurgisnacht gibt es Vergleichbares. Die Aretino-Kritik hat diese Tatsache immer prüde umgangen und sich sklavisch an Croces Hinweis auf Aretino als Meister des Stillebens geklammert. 21 Das immer wieder belobte von zwei Nonnen vorbereitete Abendessen erhält seinen Sinn erst im Rahmen der Gesamtkomposition. Die Beschreibung hat die Funktion einer Ruhepause inmitten eines höllischen Wirbels. Wer mit Croce (und Piccone Stella) Aretino in Bravourstücke gekonnter Prosatexte zerstückelt, ist in Gefahr, ihn zu verstümmeln. Im Rahmen der italienischen Literatur des Cinquecento ist die geradezu breughelsche Höllenvision, die sich der durch die Spalten ihrer vier Wände in die Nachbarzellen spähenden Novizin Nanna bietet, einmalig. D a ß der Gegenstand obszön ist, tut dem dichterischen Wert der Prosa keinen Abbruch: . . . la reverenda paternità chiamò i tre fratini, e appogiato su la spalla d'uno, cresciuto innanzi a i di, tenero e lungo, da gli altri si fece cavar del nido il passerotto, die stava chioccio, onde il più scaltrito, e il più attrattivo 10 tolse in su la palma, e lisciandogli la schiena, come si liscia la coda a la gatta, die ronfando comincia a soffiare di sorte, che non si puote più tenere al segno, il passerotto levò la cresta di modo die il valente generale poste le unghie adosso a la monaca più graziosa, e più fanciulla, recatole i panni in capo, le fece appoggiare la fronte ne la cassa del letto, e aprendole con le mani soavemente le carte del messale culabriense, tutto astratto contemplava 11 fesso, il cui volto, non era per magrezza fitto ne l'ossa, nè per grassezza sos-
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Lehmann: Die Parodie im Mittelalter, München 1922. Verstreute Hinweise bei Ernst Robert Curtius: Europäische Lit. und lat. Mittelalter, besonders 431 bis 434. B. Croce: Poesia popolare e poesia d'arte, 4. Aufl. Bari 1957, 2 5 4 — 2 5 6 : „E, distraendosi dalla novelletta die più innanzi racconterà (cfr. l'Aretino), si sofferma a rappresentare il romitorio, col rozzo apparecchio sacro-edificante postovi da colui, e s'incanta alla vista dell'orticello che lo circonda . . . aspettando die la donna venga, l'Aretino si è tutto immerso e perduto in quell'idillio, ha amato l'orticello e un po' il romito die lo teneva pulito e adorno con tanta diligenza, e che era, come lui l'Aretino, forse un poco di buono, ma aveva dell'artista!" Hösle
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Die Ragionamenti pinto in fuori, ma con la via del mezzo tremolante, e ritondetto, luceva come faria un avorio, die avesse lo spirito: e quelle fossettine, die si veggono nel mento e ne le guancie de le donne belle, si scorgevano ne le sue diiappettine (parlando a la fiorentina) e la morbidezza sua avria vinto quella d'un topo di molino nato, creato e visso ne la farina, ed erano sì liscie tutte le membra de la suora, die la mano, die se le ponea ne le reni, sdrucciolava a un tratto sino a le gambe, con più fretta die non sdrucciola un piede sopra il ghiaccio, et tanto ardiva di apparire pelo niuno in lei, quanto ne lo uovo. (28)
In einer Geschichte des Grotesken dürfte diese Stelle nicht fehlen. Die Vermengung des Obszönen mit dem Religösen gibt dem Text seine blasphemische Note. Hier entlarven sich die scheinbar aus volkstümlichen Redewendungen stammenden Formeln von der Art „Domine affogalo" als das, was sie sind: Riten einer höllischen Gegenwelt und satanischen Hexenzunft. Die groteske Kluft zwischen dem Anspruch überirdischer Weihe und konkretem Verhalten, zwischen dem Kloster als Institution und dem Gebaren seiner Bewohner, wird durch das einleitende „la reverenda paternità" besonders deutlich. Die salbungsvolle Feierlichkeit wird schließlich auch noch in den Bereich des Sexuellen miteinbezogen („aprendole soavemente le carte del messale culabriense") und religiöse Ekstase zu orgiastischer Verzückung pervertiert („tutto astratto contemplava il fesso"). Die darauf folgende Beschreibung ist eine Parodie auf die im Cinquecento weitverbreiteten Gespräche über die ideale Frauenschönheit. Der Dialogo sulla bellezza delle donne von Aretinos Freund Agnolo Firenzuola ist ein hinreichend bekanntes Beispiel für diese Mode, der Nicolò Franco — so leidenschaftlich er sich andererseits gegen die Petrarkisten wandte — noch seinen Tribut zollte. Die Szene entartet schließlich zu einer zügellosen Orgie, wo die Geilheit der Beteiligten durch akustische Effekte wiedergegeben wird. Nicht der Inhalt dieser sich expressiv entladenden Schreie, sondern ihre Artikulierung, ihre rhythmische Kadenz und Strukturierung sind bei einer Beurteilung des literarischen Genies Pietro Aretino entscheidend: A la fine le suore del Ietto, e i giovincelli, e il generale, e colei a la quale egli era sopra colui, il quale gli era dietro con quella de la pastinaca muranese, s'accordarono di fare ad una voce, come s'accordano i cantori, o vero i fabbri martellando, e così, attento ognuno al compiere, si udiva un ahi ahi, un abbracciami, un voltamiti, la lingua dolce, dammela, totela, spinge forte, aspetta di'io faccio, oimè fa, stringemi, aitami: e chi con sommessa voce, e chi con alta smiagolando, pareano quelli da la, sol, fa, mi, rene, e faceano un stralunare d'occhi, un alitare, un menare, un dibattere, die le banche, le casse, la lettiera, gli scanni, e le scodelle se ne risentivano, come le case per i terremoti. (29)
Höllenvision wird die Szene als der vicario bekanntgeben läßt: Il gran soldano di Babilonia fa noto a tutti i valenti giostranti, die or ora compariscano in campo con le lancie in resta, e a quello die più ne rompe, si darà un tondo senza pelo, del quale goderà tutta notte, e amen. (30)
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D a ß die ohnehin recht schillernde Kategorie „realistisch" für Aretino nicht ausreicht, zeigen gerade die Klosterszenen. 22 Nan. — . . . Venne l'ultima, e l'ultimo : e ci fu molto da ridere, perchè sepelll il berlingozzo, die era tocco la mattina a desinare, ne l'anello della compagna; ed egli rimaso dietro a tutti, piantò dietro a lei il lanciotto, di modo die pareano una spedonata di anime dannate, le quali volesse porre al fuoco Satanasso, per il carnasciale di Lucifero. Ant. — Ah, ah, ah, die festa! (31) Nan. — La sconsolata col capo ne la stufa parea lo spirto d'un sodomito in bocca del demonio. A la fine il padre spirato da le sue orazioni, le fece trarre il capo fuori, e senza schiavare, il fratacdiione la portò su la verga fino a un trespido, al quale appoggiata la martorella, cominciò a dimenarsi con tanta galanteria, die quello die tocca i tasti al gravicembalo, non ne sa tanto, e come ella fosse disnodata tutta si volgea indietro, volendosi bere i labbri, e mangiare la lingua del confessore, tenendo fuori tutta via la sua, che non era punto differente da quella d'una vacca, e presagli la mano con gli orli de la valigia lo facea torcere, come gliene avesse presa con le tenaglie. (32) Die orgastische Exaltation hat ein sprachliches Pendant in der Häufung von Synonymen und sinnverwandten Substantiven. Aretino geht es an diesen Stellen darum, ein glanzvolles sprachliches Feuerwerk abzubrennen. Erzählung wird schon hier, wie dann in den religiösen Schriften, zu einem bloßen Vorwand für rhetorische Bravour und stilistisches Virtuosentum. Wie souverän der Schriftsteller die ausgehülsten Topoi seiner dichtenden Zeitgenossen beherrschte, zeigt folgendes Zitat. Aretino bläst hier buchstäblich in verfügbar gewordenes verdorrtes Wortmaterial und läßt es in einem hemmungslos beschleunigten Wirbel um sich kreisen: Nan. — E intertenendo la piena, die volea dare il passo a la macina, il santo uomo compì il lavoro: e forbito il cordone con un fazzoletto profumato, e la buona donna nettato il dolcemele, dopo un nonnulla si abbracciarono insieme, e il frate ghiottone le dicea: „Parevati onesto la mia fagiana, la mia pavona, la mia colomba, anima de le anime, cuore de cuori, vita de le vite, che il tuo Narciso, il tuo Ganimede, il tuo angelo, non potesse disporre per una volta de tuoi quarti di dietro?" Ed ella rispondeva: „Parevati giusto il mio papero, il mio cigno, il mio falcone, consolazione de le consolazioni, piacere de piaceri, speranza de le speranze, che la tua ninfa, la tua ancilla, 22
7»
Man würde sich wieder einmal den Weg zu einer adäquaten Gesamtbewertung der Ragionamenti verbauen, würde man sich Roberto Roversis Urteil in seiner premessa zu der hier zitierten Ausgabe der Ragionamenti zu eigen machen: „A una esatta .comprensione', a una giusta impostazione o imposizione di lettura di questo testo pittoresco' (per tante ragioni) nuoce, a mio avviso, l'organizzazione ,interna' dell'opera. L'esordio (,La vita de le monache') è opprimente e distorce, contaminandola, un po' tutta la prospettiva ,generale' ( . . . ) . C'è il lubrico (soltanto) disposto senza rigore, gettato con malgarbo ; la descrizione è senza umori, uniforme, come a sfogliare le pagine di un libro illustrato equivocamente; . . ." (9/10).
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Die Ragionamenti la tua comedia, per una volta, non dovesse riporre il tuo naturale ne la sua natura?" E aventandoglisi con un morso gli lasciò i segni neri de denti ne labbri, facendogli cacciare uno strido crudele. (32)
Wie sehr es sich dabei um Beherrschung des schriftstellerischen Metiers handelt, zeigt ein Blick auf die strenge Symmetrie von Frage und Antwort, die ihrerseits in der rigorosen Reihe 3 + 3 + 3 (la mia fagiana, la mia pavona, la mia colomba) + (anima de le anime, cuore de cuori, vita de le vite) + (il tuo Narciso, il tuo Ganimede, il tuo angelo) ihre Entsprechung hat. Das Ganze ist eine Parodie des Petrarkismus. Der parareligiöse Ton der platonisierenden Poesie und Prosa des Quattro- und Cinquecento wurde in gleicher Weise Zielscheibe von Aretinos Spott wie sinnentleertes Beten verweltlichter Geistlicher oder pedantisches Streiten um Worte. Ein Baccalaureus bedrängt N a n n a im Kloster mit folgender Tirade: Come può essere die in un Carubino, in un Trono, e in un Serafino alberghi crudeltà? io vi son servo, io vi adoro, perchè voi sola sete il mio altare, il mio vespro, la mia compieta, e la mia messa, e quando sia die vi piaccia die io muoia, ecco il coltello, trapassatemi il petto, vedrete nel mio cuore il vostro soave nome scritto a lettere d'oro. (36)
Der Passus gibt eine Art klösterlichen Petrarkismus wieder, so daß die Szene dann folgerichtig in einem „ringraziava l'ora e il punto del mio farmi suora" (37) ausklingen kann. 23 Wie zutreffend Cesare Segres Feststellung ist, daß die toskanische Reaktion Aretinos, Donis und Firenzuolas auf die literarisch aufgeputzten Formen Bembos und seiner Nachfolger nicht weniger Manier und Kunstwollen ist als die Werke der unter dem Eindruck von Petrarcas Dichtung und Boccaccios Prosa stehenden Anhänger Bembos24, zeigt Antonias Protest gegen die wuchernden Metaphern Nannas: Io te Io ho voluto dire, ed emmisi scordato: parla a la libera, e di' cu, ca, po, e fo, che non sarai intesa, se non da la sapienza capranica . . . (38)
In diesen Zusammenhang gehört auch der bekannte Seitenhieb gegen das Decamerone: Ant. — Perdonimi il Cento Novelle, egli si può andare a riporre. Nan. — Questo non dico io. Ma voglio, die egli confessi almeno, die le mie son cose vive, e le sue dipinte. (41)
So wenig Aretinos am gesprochenen Toskanisch orientierter Stil in den Ragionamenti spontan ist (die Leistung des Schriftstellers besteht eben darin, 13
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Angespielt wird hier auf Sonett LXI des Canzoniere: „Benedetto sia '1 giorno, e '1 messe, et l'anno, | et la stagione, e '1 tempo, et l'ora, e'I punto, | e '1 bel paese, e '1 loco ov'io fui giunto | da' duo begli occhi die legato m'ànno"; (F.Petrarca: Canzoniere — Testo critico e introduzione di Gianfranco Contini — Annotazioni di Daniele Ponchiroli, Turin 1964). Cesare Segre, loc. cit. 369/370.
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daß er diese Illusion zu erwecken vermochte), so wenig sind seine Schilderungen „vive", wenn man darin mit ihm einen Gegensatz zu „dipinte" erblicken wollte. Es war Aretinos Ehrgeiz, seinen Malerfreunden nachzueifern, mit der Feder das zu leisten, was sie mit dem Pinsel schufen. Er wollte es ihnen gleichtun und sie nach Möglichkeit übertreffen. Besonders am zweiten Tag des ersten Teils häufen sich diese offensichtlich einem programmatischen und ehrgeizigen „ut pictura poesis" verdankten Stellen. Die Beschreibung der Eremitage ist durch den oben zitierten Hinweis Croces hinreichend bekannt. Nicht weniger gelungen ist ein kleines „Bild", das einen Landarbeiter beim Betreten des Hauses seiner padroni zeigt: N a n . . . . Egli aveva un bastone in su la spalla, dal capo di dietro del quale pendevano tre paia di anetre, e dal capo di dinanzi tre paia di capponi, e nella mano dritta teneva un canestro con forse cento uova, ed alquanti casciuoli, egli pareva una massara venetiana, die con una mano tenesse il bigolo (dicono elle) con un secchio di qua, e di là, e con l'altra un altro. (58)
Die seconda giornata „ne la quale la Nanna racconta a l'Antonia la vita de le maritate" beginnt mit einer Parodie der klassizistischen Morgentopik, die nicht Füllsel oder Selbstzweck ist, sondern Auftakt zu den Ehegeschichten Nannas : La Nanna e la Antonia si levarono appunto in quello, die Titone becco rimbambito, voleva ascondere la camiscia a la sua Signora, perdiè il giorno roffìano, non la desse ne le mani del Sole suo bertone, che di ciò accorta, strappandola di mano al vecchio pazzo, lasciandolo gracchiare, venne via più imbellettata die mai, risoluta di farsi chiavare a la barba sua dodici volte, e di tal cosa farne rogare ser Oriuolo notaio pubblico. (47)
Die prima giornata war im großen und ganzen Bericht über Nannas Erfahrungen im Kloster, so daß Piccone Stella für seine Aretino-Ausgabe im Centonovelle des Verlags Bompiani nur mit Mühe vier Texte heraussprengen konnte. Aus dem zweiten Tag lassen sich hingegen ohne große Forcierung neun Novellen herauslösen (Piccone Stella begnügte sich nicht zu Unrecht mit acht, da die Schilderung eines trentuno 25 zu den widerlichsten Seiten der Ragionamenti gehört). Piccone Stella konnte für seinen Aretino-Digest aus den Ragionamenti 43 Novellen zusammenstellen. Es hätten ungefähr fünfzig werden können, hätte er nicht auf ein Minimum an Dezenz achten müssen. Ein wichtiges Stilmerkmal bei der Charakterisierung der Personen 25
Eingeführt wurde dieses obszöne Thema in die Literatur durdi Lorenzo Veniero, der in einem Oktavengedicht La Zafetta erzählt, wie die unter diesem Namen bekannte Kurtisane zur Strafe dafür, daß sie ihm einmal die Tür wies, zu einer Vergnügungsfahrt nach Chioggia geladen und dort von 31 Fischern mißbraucht wurde (Cfr. A. Luzio: P. A. nei suoi primi anni a Venezia, op. cit., 115 ff.).
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sind am zweiten Tag die zusammengesetzten Wörter, bei deren Verwendung Aretino unerschöpflich ist: „eccoti il mio perdi giornata" (49) „e mentre il castra porcelli disputava con lo sguscia lumache" (50) „per non essere di quelle cacasotto" (50) „ella era una avemaria infilzata, una graffia santi, e una scopa chiese" (51) „un romito scanna penitenza" (51) „noi siamo sempre il piglia il peggio" (53) „e grappato il salvum me fac" (55) „sendosi guasta di un vende leggende" (62) „e stando lo scanna battesimo in prigione" (64) „dove era lo sputa in croce" (64) „lo venne a sapere questa, non isputa in chiesa" (65) „una di queste scopa bordelli" (65) „una fiuta schifezze" (68) „egli lo fece due volte a la biasima tutte" (68) „onde la schifa il poco" (68). Nicht weniger als neun dieser zusammengesetzten Formen häuft eine aufgebrachte Mutter gegen einen „fratacchione" : „Leccapiatti, succia brodo, pianta mandragole, pappa lasagne, bevi vendemmia, tira correggie, gratta porci, scanna minestre, rompi quaresima" (69). Die prima giornata hat dagegen nur: „un certo cacapensieri, un cotale guarda (guasta?) feste (35). In der terza giornata findet sieb nur: „Io sono una guarda casa, gli rispondo io, e una stracca gelosie" (99). Die Aufstellung zeigt, wie vielseitig Aretinos stilistische Register sind. Er besitzt hinreichenden Takt und Geschmack, um die untersuchten Formen nicht bis zum Überdruß aneinanderzureihen. In der ersten und dritten giornata überschreitet der Gebrauch der zusammengesetzten Formen von der Art „leccapiatti" nicht das Maß des bei Gesprächspartnern aus dem Volke normal Üblichen.26 Aretino verwendet bewußt, mit präziser stilistischer Absicht volkstümliche Elemente. Dazu gehört vor allem die ständige Bezugnahme auf die unerschöpfliche Fülle toskanischer Sprichwörter. Einleitend bemerkt Nanna daher am zweiten Tag, indem sie nocheinmal kurz die Sprache auf das Leben der Nonnen bringt: „poveretta la vita loro! dovrebbero 26
Die umfangreichste Untersuchung über zusammengesetzte Wörter im Italienischen gab Federico Tollemache S.J.: Le parole composte nella lingua italiana, Rom 1945. Cfr. die Besprechung von B.(runo) M.(igliorini) in Lingua nostra, voi. VII (1946), 61.
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pur sapere, che son di carne e d'ossa anche loro, e che non è cosa, che accresca più il desiderio, die vietare di una cosa, ed io per me, allora muoio di sete quando ho vino in casa; e poi i proverbi non sono da farsene beffe (meine Hervorhebung) . . . " (47). Was Nanna ihrer Gevatterin Antonia am dritten Tag der capricciosi ragionamenti auseinandersetzt, ist nicht nur ihr farbig geschildertes Leben in Rom, sondern auch die Moral einer puttana, ein kohärentes Weltbild sub specie meretricis. So vorsichtig man bei der Identifizierung von Schriftsteller und Gestalt sein wird, so wäre es doch kurzsichtig, würde man in diesen Seiten (wie übrigens auch in den mütterlichen Mahnungen der beiden ersten Tage des zweiten Teils) nicht Aretinos menschliches Bekenntnis erblicken. Der Hurenspiegel, jener im siebzehnten Jahrhundert auch in Deutschland verbreitete Pornodidascalus, gibt uns den Schlüssel zu Aretinos „Moral". Es handelt sich dabei um einen rücksichtslosen „Machiavellismus", der keinen sentimentalen Überlegungen Raum gibt. Selbst Antonia ist einen Augenblick entsetzt, als sie erfährt, wie ungeniert und skrupellos N a n n a ihre Liebhaber um Geld und Besitz brachte: Ant. Nan.
— Come te ne sopportava il cuore? — Benissimo, perchè non è niuna cosa crudele, traditora e ladra, die spaventi una puttana . . . niuno potè mai fare, che non ci lasciasse o guanti, o cinte, o cuffia de la notte; perchè ogni cosa fa per una puttana; una stringa, uno stecco, una nocciuola, una ciriegia, una cima di finocchio, fino a un picciuolo di pera. (81)
Nicht anders nahm Aretino auch noch den kleinsten Tribut seiner Vasallen entgegen. Einziges und ausschließliches Motiv seiner und seiner Kurtisanen Tätigkeit ist finanzieller und materieller Gewinn. Die Frage nach der „lussuria di una puttana" ist daher gegenstandslos. So obszön Aretino in seinen Ragionamenti ist, so unsinnlich ist er. Die puttana übt ein Metier aus, und N a n n a wird nicht müde, Antonia und der Tochter Pippa einzubläuen, wie schwierig es ist: „Le puttane non son donne, ma sono puttane" (92), „Chi piscia come le altre, è come le altre; e perciò mentre vissi puttana fui puttana; nè lasciai a fare cosa che dovesse una puttana, perchè io non sarei stata puttana, non avendo voglie di puttana; e se niuna meritò mai di essere addottorata per puttana, lo meritò la tua Nanna puttana, die in mantenermi sempre di venticinque anni fui maestra." (93) Der Dekalog ist unerbittlich, wehe dem, der vom rechten Weg abweicht: die Geschichten der zweiten giornata im zweiten Teil „ne la quale la N a n n a racconta a la Pippa i tradimenti, che fanno gli uomini a le meschine, die gli credono" ist voll warnender Beispiele. Die Gesetze, welche die Welt der Kurtisanen beherrschen, sind so unerbittlich wie in der Welt von Machiavellis Principe. Am Ende des dritten Tags ist auch Antonia
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überzeugt, daß die puttana sich genauso verhalte wie ein Soldat „die è pagato per far male" (105). Nicht anders war die Moral des Condottiere Giovanni de' Medici, der nach seiner Beinamputation und nicht lange vor seinem Tod, wie Aretino in einem meisterhaften Brief erzählt, dem Beichtvater sagte: „Padre, per esser io professor d'armi son visso secondo il costume de i soldati, come anco sarei vivuto come quello de i religiosi se io avessi vestito l'abito die vestite voi; e, se non che non è lecito, mi confessarci in presenza di ciascuno, perchè non feci mai cose indegne di me".27 Luigi Russo zitiert diese Stelle in seiner Machiavelli-Monographie als typisches Beispiel für jene „religione del far bene quello die si fa e non già quella del contemplare e del sospirare alla patria lontana dei cieli".28 Gegen die Religion der Kontemplation optiert Russo für die Fähigen: „è una maniera assai diffusa ormai di giudicare al di là di ogni filisteismo sociale, e tale insegnamento inconsapevole noi lo deriviamo da Machiavelli, presunto maestro di immoralità". 29 Wie unzureichend aber das Kriterium der Tüchtigkeit ist, das zeigt weit mehr noch als die virtù der puttana bei Aretino die virtù der condottieri und ihrer modernen Nachfahren, die sich immer dann auf den „costume de i soldati" berufen, wenn es darum geht, das eigene Handeln nur im Dienst des Zweckverbands zu sehen, zu dem man zufällig gehört. Der seit Jahrhunderten gegen Pietro Aretino eröffnete Prozeß weitet sich damit aus zu einer Überprüfung der durch Madiiavellis konsequenten politischen Immanentismus diagnostizierten Aporien. Nannas massive Gegenwart findet weder in der Gevatterin noch in der Tochter einen entsprechenden Widerpart. Sie duldet selbst dann keinen Widerspruch, wenn sie sich einen literarischen Exkurs leistet: Nan. — Quattro altre volte, prima die ci levassimo, il suo cavallo andò fino al mezzo del camin di nostra vita. Ant. — SI disse il Petrarca. Nan. — Anzi Dante. Ant. — O il Petrarca? Nan. — Dante, Dante. (79)
Antonia ist so beeindruckt von der didaktischen Fähigkeit und der sprachlichen Sicherheit Nannas, daß sie bedauernd bemerkt: „Si erra forte a non farti maestra de la scuola" (88). In der Tat verwendet die versierte Kurtisane einen Sdiulmeisterton, der in den größeren Zusammenhang der schon aus den Komödien bekannten Pedantenparodien gehört: „Or beccati questa" (86) oder „ma seguiamo il nostro ragionamento, e scrivi questa astuzietta, che importa assai" (89). "
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Lettere (ed. Flora/Del Vita), 10. Luigi Russo: Machiavelli (UL), Bari 1966, 220. Ib., 221.
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Diese Formulierungen zeigen deutlich, daß es wenig Sinn hat, Nannas Gesprächspartnerinnen als runde Persönlichkeiten ernst zu nehmen. Nanna antizipiert bereits im Gespräch mit der Gevatterin Mahnungen an ihre Tochter, mag diese Schulmeisterparodie dann auch in der Unterweisung der Tochter am ersten und zweiten Tag des zweiten Teils verstärkt werden. Dort wird die Fiktion Lehrerin—Schülerin durchgehend aufrecht erhalten. Mit dem Eifer eines Predigers macht sich Nanna an die Erziehung und Unterweisung ihrer Tochter: „ficcati nel capo le mie pistole ed i miei vangeli" (113). Mit Predigerpathos warnt sie vor dem „Bösen", d. h. unzweckmäßigem Verhalten, mit mütterlicher Sorge mahnt sie zum „Guten". Verdammung und Seligpreisung liegen eng beieinander: „Così è, Pippa, ma se farai a mio senno, se aprirai ben le orecchie a miei ricordi, beata te! beata te! beata te!" (112). Nach diesen Präambeln wird die Tochter nun Schritt für Schritt katechisiert. Es handelt sich dabei um eine Art Galateo für Kurtisanen, der — wenn man ihn mit den anderen großen Dialogen des frühen Cinquecento, Bembos Asolani und Castigliones Cortegiano vergleicht, nichts von deren urbaner und mondäner Weitläufigkeit hat, sondern sich etwas darauf zugute tut, die in diesen Dialogen ausgesparten Aspekte des gesellschaftlichen Lebens der Zeit ungeniert und nicht ohne Freude am realistischen und schockierenden Detail auszubreiten. Nanna gibt eine Tisch- und Bettzucht, die in ihrer deftigen Ungeniertheit sprachlich — wenn auch nicht thematisch — erst in Monsignor Della Casas Galateo eine Entsprechung finden wird. Nicht weniger gefällig als bei Tisch hat sich die Kurtisane im Bett zu benehmen : . . . e basciatolo e ribasciatolo die tu l'avrai, fatti il segno de la croce, fingendo di essertene scordata a lo entrar giù, e se non vuoi dire orazione, nè altro, mena un pochetto le labbra, acciocché paia, che la dici per esser costumata in ogni cosa. (116) 30 80
Die bigotte Kupplerin, die bereits im Decameron erscheint, gehört in Spanien seit der Celestina zum festen Bestand des Romans, worauf u. a. Marcel Battaillon (La Célestine selon Fernand de Rojas, Paris 1961, Etudes de littérature étrangère et comparée, 162 f.) hinwies: „Cervantès s'en souvient, dans Rinconete y Cortadïllo, quand il montre la Pipota, „vieja halduda" et bonne buveuse, faisant ses dévotions devant une image de Notre Dame dans le patio de Monipodio: elle est persuadée qu'elle ira tout droit au ciel pour avoir brûlé ses .candelillas'". Und zur Lozana andaluza bemerkt Bataillon: „Cette sorte de bénédiction ecclésiastique accordée à des offices infames est certainement un des traits cruels que l'auteur de La Lozana andaluza a retenus de La Célestine pour les transposer dans sa comédie de la prostitution romaine". Aretino brauchte keine literarische Anregungen für die Darstellung kupplerischer Bigotterie, die auch zu seinem Metier gehörte, wie ein Brief des Gesandten Malatesta an den Markgrafen von Mantua zeigt: „Vidi heri (cfr. 11. April 1530) m. Petro Aretino il quale trovai con la confession in mano et
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Kurzum: ,,vo' che tu sia tanto puttana in letto, quanto donna dabene altrove" (118). Danach folgt eine kulturgeschichtlich interessante Rundschau über die Kunden, nach Alter, Stand, Beruf, Land und Stadt. Nanna gibt sich mütterlich besorgt und macht Pippa in pastoralem Ton Vorschläge für ein ihrer Mission entsprechendes Verhalten. Die Katechese schlägt immer wieder um in rekapitulierendes Fragen und Antworten: Figliuola vattene con questa: se io die sono stata la più scellerata, e ribalda puttana di Roma, anzi d'Italia, anzi del mondo, col far male, col dir peggio, assassinando gli amici e i nimici, e i benvoglienti, a la spiegata son diventata d'oro e non di carlini, die sarai tu vivendo come io ti insegno? Pip. — Reina de le reine, non pur signora de le signore. Nan. — E perciò ubidiscimi. Pip. — Io vi ubidirò (146). Mit einem beschwörenden „Ascolta, ascolta quel che io ti dico" (147) warnt Nanna ihre Tochter vor Stierkämpfen und ähnlichen Veranstaltungen, mit denen man sich die Leute verfeinde. In einem die Bibel nachahmenden „Nun entlässest Du, oh Herr, . . ( C f r . Lucas, 2, 29) findet der Sendungsauftrag seinen Höhepunkt: Figliuola, io ti ho detta una leggenda da duchessa, e sappi che de le tue madri non ne nascono per le siepi, e non conosco predicatore in maremma, che ti avesse fatto il sermone che ti ho fatto io, e se lo terrai a mente, io voglio esser messa in gogna, se non sei adorata per la più ricca, e per la più santa cortigiana che fosse mai, e die sia, e che sarà. Onde io morendo, morrò contenta. (149). Mehr als Aretinos für die Öffentlichkeit geschriebene Briefe kann über seine Taktik als secretario del mondo Nannas mütterliche Mahnung aussagen: Circa il pregio de piaceri che tu venderai, bisogna chiarirti, perchè è di grande importanza. Tu hai a farlo con astuzia, e considerare la condizione di chi ne vuole, e far sì, che mentre chiedi le dozzine de ducati, non ti scappino de le reti nè l'un paio, nè il mezzo paio. Fa che gli assai si bandiscano, e i pochi si celino; quello che ne dà uno, il faccia e noi dica; quello che ne dà dieci trombeggisi, e in capo del mese i trafugoni son tutti avanzati, e chi non consente, se non a le ventine, è una finestra impannata, la quale squarcia ogni venticiuolo. (152) con lacrime all'occhi, die piangieva si come elio dice gli suoi peccati, et dissemi die conoscea che Dio non lo voleva abandonar et farli più bene che non meritava, per esser stato fin al presente gran pecatore, et di'havea terminato far altra vita die non havea fatto fino adesso, essendosi al tutto deliberato rimettere gli rancori gli adij et il resto di la mala vita di la quale è stato judicato, et che si trovava in tutto contrito, et si volea confessar et comunicar con tutta la sua famiglia, il die non havea fatto già qualche anni" (A. Luzio: P. A. nei primi suoi anni a Venezia . . ., op. cit., 92).
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Diese Stelle zeigt, warum Aretino immer wieder auf die Pension Karls V. und die Geschenke der Großen hinwies und warum er es Michelangelo nicht verzieh, daß er für diese Strategie kein Verständnis hatte. Nach dem pausenlosen Unterricht schließt Aretino die Prima giornata de' piacevoli ragionamenti mit einem episch-breiten Ausklang, in dem sich die vom langen Sitzen müde gewordenen Frauen behaglich rekeln: Nan. — Ora io la mozzo qui; nè ti dolere se la giunta è maggiore de la derrata; ma bastiti il mio non ti voler dire altro. „Che vorreste voi più dirmi?" rispose la Pippa a sua madre; ed ella levatasi suso, essendo indoglita per il troppo sedere, sbadigliando e stirandosi, se ne andò in cocina, e ordinata la cena, la sua figliuola saccente, per allegrezza de l'avere ad aprir fondaco, l'andò sboconcielando, e pareva proprio una fanciulla, a cui il padre ha promesso maritarla a l'amante suo; ondo tutta lieta non capea a pena ne l'alterezza di sè stessa. Ma perchè l'una era stracca pel favellare, e l'altra per l'ascoltare, se ne andarono a dormire insieme in un letto medesimo; e la mattina levandosi tutte sincere, desinarono quanto tempo gliene parve; e ritornando al ragionar, la Pippa die aveva fatto un bel sogno in sul far del dì, lo squinternò a la madre, appunto quando ella apriva la bocca per contarle i tradimenti, die escono de l'amore de gli uomini. (154)
Der zweite Tag des zweiten Teils ist wie die entsprechende giornata der Capricciosi ragionamenti wieder in erster Linie Novellensammlung, mag auch das fabula docet der Geschichten — die Warnung vor naivem Zutrauen den Männern gegenüber — nicht außer acht gelassen werden. Der Tag beginnt mit der Deutung eines Traumes, den Pippa ihrer Mutter erzählt, und den diese „come Daniello" (155) versteht und deutet. Aber dieser Tag bringt nichts wirklich Neues. Pippas Teilnahme ist weniger lebhaft, so daß die Geschichten immer seltener unterbrochen werden und ihre Ausrufe: „Io me trasecolo", „Io le ho compassione" (172) mechanischer wirken als am Vortag. Die Dialogform scheint nun fast ganz entbehrlich. Noch einmal wird ein trentuno erzählt (171—173). Die Sprache ist nicht nur Freude an hedonistisch genossener Wirklichkeitsbewältigung, sondern wird gelegentlich schon Selbstzweck, Äußerung jener „Uberfunktion des Stils", in welcher Hugo Friedrich das Kennzeichen des seicentismo erblickt. Das verantwortungslose und „vorbarocke" Spiel mit dem Wort beginnt an jenen parodistischen Stellen, wo selbstbewußtes Können in Virtuosentum umschlägt und das Virtuosentum selbst in Freude an sprachlichen Spielereien ausartet. Immerhin steht es in den Ragionamenti aber noch im Rahmen einer antipetrarkistischen Polemik: Pip. — Che cantò, se Iddio vi guardi? Nan. — De la nimicizia die ha il caldo col freddo, e il freddo col caldo: cantò perchè la state ha i dì lunghi, e il verno corti; cantò il parentado die ha la saetta col tuono, ed il tuono col baleno, e il baleno col nuvolo, e il nuvolo col sereno; e cantò dove sta la pioggia, quando è il buon tempo; e il buon tempo, quando è la pioggia; cantò de la gragnuola, de la brina, de la neve, de la nebbia; cantò secondo me
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Die Ragionamenti de la camera locanda, die tiene il riso quando si piagne, e di quella die tiene il pianto quando si ride; e in ultimo cantò die fuoco è quello die arde il culo de la lucciola, e se la cicala stride col corpo o con la bocca. (157)
Man wird sich an derartige Stellen der Ragionamenti bei der Beurteilung der prose sacre erinnern müssen. Die Prostituierte Nanna lehnt sich mit Recht gegen die sprachliche Prostitution auf, der sich hingegen der religiöse Schriftsteller Aretino nicht ohne Zynismus hingibt. Der fünfte Tag enthält Aretinos dezidiertes Bekenntnis zum Toskanischen. Eindeutig ist er im Streit um die Sprache, in der questione della lingua, für das Toskanische. Seit Bembo war die Frage, ob Dichtung in der Volkssprache oder im Latein zu schreiben sei, wenigstens dahin entschieden, daß man sich im volgare äußern müsse. Offen war aber nach wie vor der Streit um die Wahl eines bestimmten volkssprachlichen Typs. Die von Bembo verfochtene Position, die sich für eine Nachahmung der großen Toskaner des Trecento unter weitgehendem Ausschluß Dantes einsetzte, war für den Antipetrarkisten Aretino nicht akzeptierbar, so gut sich die beiden Männer bei persönlichen Kontakten sonst verstanden. Aretino entschied sich in den Ragionamenti programmatisch für die Sprache der Leute aus dem Volk. Die von Baldassare Castiglione verfochtene Alternative einer aristokratischen koinè der italienischen Höfe, die Elementen sämtlicher italienischer Landschaften und Regionen Einlaß gewährte, galt für Aretino nicht.51 Wieder einmal sind Autor und literarische Projektion identisch, wenn sich Nanna in Rom an den kernigen und gesunden Wortschatz ihrer toskanischen Heimat klammert. Anlaß zu Aretinos sprachlichem Bekenntnis gibt eine Alte, die ein Mädchen verkuppelt und den
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Es kann hier nicht im einzelnen auf die Sprachtheorien des Cinquecento eingegangen werden, es sei jedodi wenigstens auf einige grundlegende Untersuchungen verwiesen. B. Migliorini: La questione della lingua in Problemi ed orientamenti critici di lingua e di letteratura italiana, dir. da A. Momigliano, vol. III, Mailand 1949, 1 — 7 5 ; B. T. Sozzi: Aspetti e momenti della questione linguistica, Padua 1955; M. Vitale: La questione della lingua, Palermo 1960. Wenig Anregungen vermittelt Adriano Spatola in seinem Nachwort zur jüngsten Ausgabe der Ragionamenti, nach der hier zitiert wird (L'iperspazio linguistico dell'Aretino). Spatola versucht, ohne überzeugendes Resultat, auf dreieinhalb Seiten eine Interpretation im Zeichen eines Strukturalismus, wie ihn heute auch Feuilletonisten für das große Publikum in gängige und zugkräftige Schlagwörter ummünzen, das sich auch noch unter der „quarta dimensione" etwas vorstellen kann und sich mit nichtssagenden Tiefsinnigkeiten abspeisen läßt, wie z. B. der Feststellung: „La parola-cosa, la parola-oggetto, diventa parola-soggetto". Natürlich glaubt Spatola auch nicht ohne den von Gianfranco Contini in Sprach- und Literaturwissenschaft eingeführten Terminus „pluri-linguismo" auszukommen und landet dann bei der Behauptung: „Questo iperspazio è dunque, più die linguistico, plurilinguistico".
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noch zögernden Liebhaber zurechtweist, der die ihm angebotene Schönheit noch nach K r ä t z e und sonstigen Fehlern abfingert: E la vecchia rispondeva per lei a lui: „Toccate pure, sfibbiatela di grazia, rogna a? difetto e? ella è sana come una lasca, e le sue carni son più nimidie de le bruttezze, die non è ella de gli sgherri; e vi so chiarire die con le seste si misurano le cose sue, e f a per voi, come il trepiedi per la tegghia da migliacci; e sappiate che io non vi stropiccio con le muinelle, perchè la togliate, nè per piluccarvi covelle, die certo i miei bicchieri non son da rinfrescatoio, e possa andare in su i tegoli, e in su le lastre del tetto senza peduli". Pip.: Che lingua. (180/181) Aretino leistet sich über N a n n a geradezu einen philologischen E x k u r s , wenn er k u r z d a r a u f zu einem L o b g e s a n g auf seine Muttersprache ansetzt: Nan.
— Io vado ripescando con la fantasia la favella, che io ho tralasciata nel mutar paese, e ho un dolor grande per essermi dimenticata quasi de le più sode parole die dice la nostra Toscana; e la vecchia die favellò con il signor Zugo, favorito del duca di Sterlicdie, o del re, die si chiami, mi ha fatto venir voglia di sputar la lingua, sputando le parole a nostro modo; e non mi tener fastidiosa, se io entro e rientro tante volte ne le cose de la favella, perchè non si può più viverci, si ci danno di becco le civettine a tutte l'ore. E benché io ti abbia detto del mio avermi più tosto dilettato d'incassar denari, die di bel dire, ti farei trasecolare da vero, se io volessi parlarti inchinevolmente; (182)
M a n geht wieder einmal nicht zu weit, wenn m a n in N a n n a s G e ständnis „ E benché io ti abbia detto del mio avermi p i ù tosto dilettato d'incassar denari, che di bel dire, ti farei trasecolare d a v e r o se io volessi p a r l a r t i inchinevolmente" eine enge Verwandtschaft zwischen dem Metier der D i r n e u n d d e m des s e c r e t a n o del m o n d o , der Prostitution des Leibes und der der Feder erblickt. D i e mütterlich besorgten Anweisungen N a n n a s f ü r P i p p a w e r d e n a m dritten T a g des zweiten Teils variiert. H i e r ist es die c o m a r e , welche die b a l i a in das schwierige G e w e r b e der K u p p e l e i einführt. D i e G e v a t t e r i n hat w i e N a n n a ein überschwengliches Mitteilungsbedürfnis, u n d der b a l i a k o m m t wie A n t o n i a oder P i p p a lediglich eine anfeuernde F u n k t i o n zu. D i e K u p p l e r i n ist ausgediente K u r t i s a n e und ist daher vielleicht noch eine Schattierung r a f f - und habgieriger. D e r T y p ist nicht nur durch N a n n a , sondern auch durch A l v i g i a v o r g e p r ä g t . Erstaunlich ist lediglich, wie es Aretino immer wieder gelingt, den C h a r a k t e r a b z u w a n d e l n u n d sprachlich neu zu gestalten. Kennzeichnend ist das S e l b s t p o r t r ä t der comare, der H i n w e i s auf ihre zynisch bewußte Bigotterie: . . . Io die ho sempre avuto in costume di fiutar venticinque chiese per mattina, rubando qui un brindello di vangelo, ivi uno sdiiantolo di orate fratres, là un gocciolo di santus santus, in quel luogo un podietto di non sum dignus, e altrove un bocconcino di erat verbum; (199)
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D i e A u f s p l i t t e r u n g der Meßliturgie in zusammenhanglose akustische Fetzen, wie das unruhige H i n - und H e r h a s t e n der adverbialen Ortsbestimmungen, sind symptomatisch f ü r die irrlichthafte U n r u h e der K u p p l e r i n . D e r Kirchenbesuch gehört zur D i r n e und K u p p l e r i n wie die prose sacre z u m literarischen Werk Pietro Aretinos. K u p p e l e i w i r d in der P e r s p e k t i v e der c o m a r e zu einer universellen Wissenschaft: d a eine K u p p l e r i n alle betrügen will, m u ß sie allen überlegen sein, muß sie alle übertreffen. Will m a n Aretinos T a k t i k unverhohlen u n d unverblümt als unverfrorenes Selbstbekenntnis hören, lese m a n die Äußerungen der G e v a t t e r i n in diesem Sinne: Bella industria è quella d'una ruffiana, che col farsi ognun compare e comare, ognun figliozzo e santolo si ficca per ogni buco. Tutte le forgie nuove di Mantova, di Ferrara, e di Milano pigliano la sceda da la ruffiana; ella truova tutte l'usanze de le acconciature de capi del mondo, ella al dispetto de la natura menda ogni difetto, e di fiati, e di denti, e di ciglia, e di poccie, e di mani, e di faccie, e di fuori, e di drento, e di drieto e dinanzi. Dimandale come sta il cielo, lo sa cosi bene come il Garico strologo, e lo abisso è tutto suo, e sa quante legne vanno a far bollire le caldaie, dove si lessano le anime de monsignori, e quanti carboni si lograno ad arostire quelle di signori, non peraltro, die per essere messer Satanasso suo compare. L a luna non iscema e non cresce mai senza saputa de la ruffiana, e il sole non si leva e non si colca senza licenza de la ruffiana, e i battesimi, le cresime, le nozze, i parti, i mortorii, e le vedovanze sono al comando de la ruffiana, e non accade mai una di cotali cose, die la ruffiana non vi abbia un poco di attacco. Con tutte le persone che passano per la via, la ruffiana si pone a cicalare, nè ti parlo di quelli che saluta col capo, co cenni, col gombito e con gli occhi. (203) D i e ohrenbetäubende unversiegbare sprachliche Ü b e r r e d u n g s k u n s t ist nicht nur hedonistisch genossener Selbstzweck, sondern Mittel im Dienst der K u p p e l e i . D i e R e g i e des eigenen R u h m s ist die conditio sine q u a non f ü r K u r t i sane und K u p p l e r i n , wie auch f ü r deren Dichter. P i e t r o A r e t i n o hat in einem Brief an Francesco A l u n n o die unermüdliche Betriebsamkeit seiner Existenz geschildert. K e i n Schriftsteller des Cinquecento legte sein ganzes T u n so ausschließlich auf den A u f b a u eines imponierenden image an. A n ders w ä r e die Psychose, die sich aller Tributwilligen bemächtigte, nicht zu erklären: . . . le mie scale son consumate dal frequenter de i lor piedi come il pavimento del Campidoglio da le ruote de i carri trionfali. N è mi credo die Roma per via di parlare vedesse mai sì gran mescolanza di nazioni come è quella die mi capita in casa. A me vengono turdii, giudei, indiani, franciosi, todesdii e spagnuoli: or pensate ciò die fanno i nostri italiani. Del popol minuto non dico nulla, per ciò che è più facile di tor voi da la divozione imperiale die vedermi un attimo solo senza soldati, senza scolari, senza frati e senza preti intorno. Per la qual cosa mi par esser diventato l'oracolo de la verità, da che ogniuno mi viene a contare il torto fattogli dal tal principe e
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dal cotal prelato: onde io sono il secretano del mondo, e cosi mi intitolate ne le soprascritte. 32 Nicht die Umwelt verfiel auf faszinierende Titel wie „secretarlo del mondo" oder „oracolo de la verità" : Aretino suggerierte sie seinen Korrespondenten und erhob dann rechtmäßigen Anspruch auf diese selbstgeprägten Formulierungen. Er kassierte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, wie Nanna und die comare die Komplimente und die Zustimmung Antonias, Pippas und der balia. Immer wieder blendete Aretino seine publizistischen Slogans seinen Lesern und Zuhörern ein: es ging darum, seinen Namen unter die Leute zu bringen. Erstaunlich ist dabei, daß es ihm immer wieder gelang, von seinem aufreibenden Metier zurückzutreten und heiter und gelassen darüber zu urteilen. Die Kuppelung von Wille und Vorstellung kennzeichnet seine Haltung. Immer wieder stößt man bei ihm auf Seiten, die von interesselosem ästhetischem Wohlgefallen am Schönen inspiriert sind. Sonst wäre eine Seite wie der Aufbruch der vier Frauen nicht gelungen: . . . la comare avviatasi per l'orto, cominciò a vagheggiarlo tutto dicendo: „Nanna, il tuo robba fastidio è un vago spassa tempo"; replicando: „O il bello orto! certo certo egli può disgraziarne il giardino del Chisi in Trastevere, e quello di fra Mariano a Monte Cavallo. È un peccato che quel susino si secchi. Guarda guarda questa pergola ha i fiori, l'agresto e l'uva. Quanti melagrani Iddio, e dolci, e di mezzo sapore, io le conosco, e si vogliono ormai corre, acciocché non sieno colte: bella spalliera di gelsomini, o bei vasi di bosso! die bel muricciuolo di ramerino; tò su questo miracolo, le rose di settembre, misericordia! Fichi brogiotti a? Infine io delibero di venirci fra l'aprile e il maggio, e voglio empirmi il seno, e il grembo de le viole a ciocche che io veggo qui. O quanti testi di viole da Damasco. Per conchiuderla le bellezze di questo paradisetto mi avevano fatto smenticare che egli è già sera, e perciò monna menta, madonna magiurana, madama pimpinella e messer fiorando, perdoneranno al mio non più far l'amore seco; e per mia vita, che ogni cosa ride quinci; die ventarello che trae, e die aria, e die sito! Per questa croce, Nanna die se qui fosse una fontanella, la quale zampillasse l'acqua in suso, o die fuor de gli orli versasse, e a poco inaffiasse l'erbe pe suoi viottoli, tu gli potresti por nome il giardini de giardini, non che l'orto de gli orti". Cosi disse la comare, e parendole l'ora di ridursi a casa, basciata che ebbe la Pippa, con una buona sera e buono anno, si ridusse con la balia, dove avevano a ridursi. (243) Aretinos Ragionamenti sind „obszön", aber nicht sinnlich. Die Frauen gestatten es dem Leser, einen Blick hinter die Kulissen ihrer Verführungskünste zu werfen und sich angeekelt und angewidert von dieser kunstvoll präparierten Welt der Lust abzuwenden. Die Welt des schönen Scheins, die eine kluge Kurtisane um sich zu schaffen weiß, wird immer wieder verzerrt zur Groteske. Lust und Ekel, Form und Unform gehen plötzlich 32
Lettere, ed. Flora/Del Vita, 321 f.
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ineinander über. Gerade weil Nanna und die comare wissen, wie abstoßend eine im unrechten Augenblick belauschte Frau ist, wissen sie, wie wichtig die Strategie der Verführung und des Beischlafes ist. So gesehen, sind die Ragionamenti nicht eine Fortführung und Wiederaufnahme des Decameron, sondern des Corbaccio, jener von contemptus mundi gekennzeichneten allegorischen Prosa Boccaccios, die einen Rückfall in mönchische Klage über die Verderbnis der Welt und der Frauen darstellt. Hier werden mit der gleichen Hemmungslosigkeit obszöne und skatologische Einzelheiten breitgetreten wie in den Ragionamenti, in denen allerdings von einer Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem keine Spur mehr vorhanden ist. Aretinos Thematik ist, verglichen mit der des Corbaccio, nicht neu : neu an den Ragionamenti ist nur die ausschließlich diesseitige Perspektive, die nicht mehr komplementär durch Jenseitshoffnung und Höllenangst ergänzt wird. Giorgio Bàrberi Squarotti hat in einem Vortrag zum Stil Giordano Brunos auf das wichtige Vorbild der Ragionamenti für die Dialoge des Nolaners hingewiesen. Mit gutem Recht macht Bàrberi Squarotti darauf aufmerksam, daß Bruno die Stiltendenzen Aretinos noch weiter radikalisiert.33 Bei Aretino fehlte allerdings die weltanschauliche Voraussetzung für Brunos Stil: „visione dell'infinità dell'universo senza più stabile centro, e animazione divina in ogni parte di essa."34 Zentrum der Welt war für Pietro „il Divino", „l'oracolo della verità, il secretano del mondo." Wenn Giordano Bruno zentrifugal dachte und fühlte, fühlte und dachte Pietro Aretino zentripetal. Seit der Veröffentlichung der Ragionamenti durch John Wolfe (Bengodi, 1884) erscheint als Anhang zu den zwei Teilen in verschiedenen Ausgaben Il piacevole Ragionamento de l'Aretino, nel quale il Zoppino fatto frate, e Ludovico puttaniere trattano de la vita e de la geneologia di tutte le cortigiane di Roma. In Wirklichkeit gibt es keinen Anhaltspunkt, daß dieser kurze Dialog, in dem Ludovico vergeblich den fromm gewordenen Zoppino für die Reize der Kurtisane Lucrezia zu gewinnen sucht, vom Verfasser der Ragionamenti stammt. Aretino pflegte seine „obszönen" Schriften nicht zu verleugnen. Die Gesprächssituation erinnert eher an den Corbaccio als an die Ragionamenti: der Anonymus aus dem Cinquecento eifert mit der nämlichen mönchischen Weltverachtung gegen die Frauen wie der Gesprächspartner im Werk Boccaccios. Im Ragionamento dello Zoppino fehlt jenes überschwengliche redselige brio, das auch noch die 33
Giorgio Bàrberi Squarotti: L'esperienza stilistica del Bruno fra rinascimento e barocco in La critica stilistica e il barocco letterario — Atti del secondo congresso internazionale di studi italiani, Florenz o. J., 154—169. »« Ib., 160 f.
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thematisch gewagtesten Stellen in Aretinos stilistisch meisterhaftem Werk künstlerisch auf ein hohes Niveau hebt. Die Anklänge an Stellen aus dem Werk Aretinos verweisen eher auf einen Plagiator und Epigonen als auf den Divino. Man erinnere sich beispielsweise an Alvigia in der Cortigiana, die sich als Leichenfleddererin betätigt, um ihren Hokuspokus mit Liebestränken treiben zu können. In der Komödie wird der unappetitliche Gegenstand im Gespräch mit Rosso ironisch überspielt, im Ragionamento dello Zoppino hingegen bleibt nur nodi die Mitteilung des skandalösen Faktums. 35 Wie sehr sich der Verfasser des Ragionamento an Boccaccio anlehnt, zeigt die angewiderte Beschreibung aller nur denkbaren ekelerregenden Details des weiblichen Körpers, die schließlich in einigen volksetymologischen Geistreicheleien endet: Ma a die disputar de lor puzzori? Il derivato del lor nome il dice, secondo l'utile interpretazione del Carafulla, la cui oppinione è, die ogni parola si formi di diversi linguaggi, di taliano e di spagnuolo, di vulgare e di latino, e similmente ancor di tutti gli altri, over die in se stesse porti il derivato con vicino; come saria a dir donna da danno, potta che pute, culo die cola, fregna che fragne, fessa die è una fossa, chiappe che acchiappano; tutto questo hanno costoro. Lud.: Cotesta tua nuova interpretazione per Dio, mi piace perchè è vera e bella. Ma che vuol dir puttana? Zop.: Puttana è un nome composto di vulgare e di latino. Perchè ano in latino si dice quel che in nostra lingua si diiama culo, dove die si compon di potta e ano: e in vulgare nostro puttana vuol dire die li pute la tana; e cortigiana, cortese dell' ano. (254) Die geradezu pedantische Aufzählung aller nur möglichen widerlichen Einzelheiten erinnert an die Fortsetzung des Rosenromans durch Jean de Meun. Eros ist dem Sexus gewichen. Die frauenfeindliche Literatur des Mittelalters wird zur dringenden Abmahnung von der Ehe benutzt, die Verderbtheit, ja radikale Nichtswürdigkeit der Weiber bewiesen. 36 Immer wieder geschah es, daß Aretino die Autorschaft von „obszönen"
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Wenn bei Aretino von Hexen die Rede ist, geschieht es zur Erzielung komischer Wirkungen. In der Perspektive des Zoppino hingegen ist das Weib des Teufels. Wichtig für die Geschichte des Hexenwahns im Zeitalter der Reformation Eugenio Battisti: L'antirinascimento con una appendice di manoscritti inediti, Mailand 1962, 158 und passim: „L'odio contro le streghe, il terrore del demoniaco, die a tratti assumono i caratteri di un misticismo a rovescio, sono forse gli episodi più drammatici ed inquietanti dello scontro, non fra rinascimento e medioevo, come si è creduto fino a non molto fa, ma fra cultura umanistica e tradizione popolare. Non appena la seconda potè prendere consapevolezza di sé, acquistò anche la capacità di opporre, prima, le sue forme di superstizione, poi, le sue immagini magiche ed il suo mondo d'idee alla tradizione letteraria delle corti". op. cit., 135. E. R. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter,
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Werken zugeschrieben wurde, mit denen er nichts oder nur durch Zufall zu tun hatte: dies gilt für La puttana errante und La Zaffetta seines Schülers Lorenzo Veniero, der sogar expressis verbis dagegen protestierte, daß man ihm die Verfasserschaft zugunsten Aretinos abzusprechen suchte", wie auch für die Dubbi amorosi, die seit dem 18. Jahrhundert häufig mit Aretinos Sonetti lussuriosi veröffentlicht wurden: frühere Ausgaben sind nicht bekannt. 38 Wahrscheinlich erst im siebzehnten Jahrhundert ist der Prosadialog La puttana errante entstanden, der 1660 zusammen mit den Ragionamenti erschien. Es hieße Aretinos literarische Strategie verkennen, würde man annehmen, daß er irgendeines seiner Werke mit dem Mantel der Anonymität zu verhüllen suchte: seine Kurtisanen arbeiteten mit strategisch gelenktem sex-appeal, er selbst mit pausenlos eingesetztem shock-appeal.38
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In dem Oktavengedicht La tariffa delle puttane di Venezia, ruft der anonyme Verfasser Veniero als Muse an: „Dunque m'aiti col suo ornato e terso / Stile il Veniero, die quanto dir si puote / Di lor, cantando ha dimostrato il verso" (La tariffa delle puttane di Venezia, Paris, Isidore Liseux, 1883, 16). Der Verleger Enrico Riccardo Sampietro wurde 1966 zu drei Monaten Gefängnis (mit Bewährungsfrist) verurteilt, weil er die Dubbi amorosi veröffentlicht hatte (Corriere della Sera, 29. 10. 1966). Audi nadi Guillaume Apollinaire ist das Ragionamento dello Zoppino nicht das Werk Aretinos, allerdings kann ich midi seiner Meinung nidit anschließen, es stamme von Francisco Delicado: warum sollte der Verfasser der Lozana andaluza plötzlich italienisch schreiben? (Cf. Guillaume Apollinaire: Essai de bibliograpbie arétinesque im Anhang zum 2. Band der französischen Ausgabe von Aretinos Ragionamenti, Paris 1910 (Bibliothèque des Curieux).
Die religiösen Schriften In der handschriftlich erhaltenen Invektive Pietros gegen „Gian Mattheo Mulo Vescovo di Verona indegnamente" 1 mißt sich der Schriftsteller prahlend mit einem der profiliertesten Vertreter der katholischen Reformbewegung: „Hör veniamo alla sapientia, et alla dottrina tua Giberte mi suavissime et mi doctissime Giberte, die libri di Religione hai tu composto? questa sacra scrittura si bene intesa da te, e tanto studiata, ov'è ella? ove si vede? ove s'intende? Forse che supplisce per te la canaglia che tu hai arrichita? Chi sono costoro? Che volumi hanno scritto: Cervelli d'oca. Del Testamento vecchio, et del nuovo tu con tutta la tua setta ne havete solamente ritratto la virtù de Caino, et de Juda e perciò leggi l'Apocalipse che io ho fatto et i sette salmi, leggi la passione de Cristo da me composta, leggi l'Apocalisse che io espongo, e poi ti appica che sara la più pietosa opera che facesti mai." Aretino spricht hier von drei Werken: Apokalypse, Psalmen, Passion. Eine Apokalypse ist nie erschienen, La Passione di Giesu con due canzoni, una alla vergine, et l'altra al Cbristianissimo, die Pietro später als dritten Teil in sein Leben Jesu Dell'Umanità di Christo übernahm, erschien erstmals bei Marcolini im Jahr der Invektive, wie auch I sette salmi della penitentia di David, die Nicolini veröffentlichte. In dichter Folge publizierte Pietro nun seine Schriften erbaulichen Charakters: 1535 in drei, dann 1538 in vier Büchern sein Leben Jesu, 1538 11 Genesi, con la visione di Noè, ne la quale vede i misteri del Testamento Vecchio e del Nuovo, 1539 seine Vita di Maria Vergine, 1540 seine Vita di Caterina vergine e martire, 1543 die Vita di san Tomaso, signor d'Aquino. Die religiösen Schriften Aretinos erschienen, ehe sie auf den Index der römischen Kirche kamen, in zahlreichen Auflagen, und im 17. Jahrhundert wurden sie unter dem Anagramm Partenio Etiro von Ginammi in Venedig neu verlegt. Diesem Erfolg zu Lebzeiten des Schriftstellers und im siebzehnten Jahrhundert folgte dann allerdings eine Interesselosigkeit, wie sie sonst kein anderes Werk Pietros traf. Zur Legende über eine angebliche Bekehrung Aretinos gehört die Tatsache, daß 1648 in Lyon bei Barbier eine Aus1
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Biblioteca Marciana di Venezia, cod. ci. XI it., XL.
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gäbe der Psalmen unter dem Titel Aretino pentito, o sia Parafrasi sopra 1 sette salmi della penitenza di David erschien. Ganz im Gegensatz zu dieser Meinung, trat Aretino im gleichen Jahr, in dem er den ersten Teil der Ragionamenti veröffentlichte, auch zum ersten Mal als religiöser Erbauungsschriftsteller hervor. Von einer „Bekehrung" konnte bei Aretino keine Rede sein. Er schuf sich mit der religiösen Prosa ein weiteres literarisches Instrument, dessen er sich nun etwa ein Jahrzehnt lang bediente. Ettore Allodoli, der die einzige neuere Anthologie der prose sacre betreute, stellte in seiner Einführung die wichtigsten Äußerungen der Zeitgenossen zusammen. Niccolò Martelli vergleicht die Bibel mit Aretinos Geweszs-Digest und kommt zu dem Schluß : Quella Bibbia ch'era una Historiata lunga e menava il can per l'aja un pezzo innanti die proferisse il senso, di poi lo proferiva in un certo modo die altrui se ne faceva beffe, voi (la Dio mercé) l'avete ridotta in breve e vere sentenzie con un modo di porgerle e di conficarle ne l'Anima altrui die non solamente par die le vostre parole trattino voci vive, e spirito di verità, ma par die andiora voi fussi in quel tempo, e quanto è lunga ed odiosa quella, tanto il vostro Genesi diletta, et è lodato e bello. 2
Das Lob ist keinesfalls vereinzelt. Ein Eremit Gregorio schreibt dem Schriftsteller am 18. März 1541: „Quanta necessità avessi il mondo di voi, per correggerlo e ammonirlo di sua poltroneschi vizi, e die Iddio vi abbi fatto tale, si vede nel continuo infiammarvi lo spirito di quel fuoco die abbrusciò David, e i dodeci Apostoli ed altri suoi". 3 Der Bischof von Monopoli datierte einen Brief: „Di Trento, il giorno della celebratissima da voi Maddalena, nel 1551." 4 Aretino, der sich immer wieder „Quinto Evangelista" nannte (in der Regel verstand er darunter seine Rolle als rücksichtsloser Diener der Wahrheit), wetteiferte nun in der Stadt des heiligen Markus mit den Verfassern der Evangelien und des Alten Testaments, er nimmt für sich in Anspruch, unter dem Diktat des Allerhöchsten zu schreiben : Chi non immolò mai gli occhi, chi non piegò mai il core, dii è impatiente, chi è superbo, chi è iniquo, chi è ingrato, dii è inesorabile, dii non ha fede, chi tene sempre un stile, e chi non pensa a la morte, oda quello die de la sua Passione mi detta Colui, die sceso dal Cielo in terra, diventato di Dio uomo, e morendo per darci vita, dimostrò a la natura umana con quali tempre amasse il suo legnaggio. E se non piange, e se non s'intenerisce, e se non impara a sofferire, e se non se umilia, e se non si fa giusto, e se non torna benigno, e se non crede, e se non muta vezzo, e con farsi riconoscitor de i benefici non pensa al fine, o che è di pietra, o the è nato ne gli Abissi. Or volgasi a me chi è di carne, e posto giuso ogni altra cura, ascolti le mie pa2 3 4
Prose sacre, Lanciano 1926, III. Ib., III. Ib., IV.
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role, le quali in vertu di Cristo vi esprimeranno la millesima parte del dolore die egli sofferse.5 L'Umanità di Cristo6, der Aretino den Text der Vulgata zugrundelegte, kann am ehesten einen Einblick in sein Stilwollen vermitteln. Es seien daher einige Abschnitte des Neuen Testaments mit dem Text Aretinos verglichen. Die Paraphrase ist das Kennzeichen der Evangelienbearbeitung. Pietro hat keine Achtung vor den literarischen Werten der Schrift, die er als Vorlage für seine rhetorisch bemühten Stilübungen betrachtet. So wird zum Beispiel die schlichte Einfachheit der Bergpredigt aufgeschwellt. Matthäus 5, 1—4 lautet: Videns autem Jesus turbas, ascendit in montem, et cum sedesset, accesserunt ad eum discipuli eius, et aperiens os suum docebat eos dicens: Beati pauperes spiritu: quoniam ipsorum est regnum coelorum. Beati mites: quoniam ipsi possidebunt terram.7 Die entsprechende Stelle in der Umanità lautet: Vedendo Cristo crescersi le turbe d'intorno, come la terra le {rondi, che lo autunno spogliandone gli arbori le piove adosso, salì sul Monte. E affisso in mezo de i suoi discepoli pareva altro che Giove a concistoro con gli Dei. E riposatosi alquanto, aprì la bocca, anzi lo erario, dove è rinchiuso il tesoro de la veritade, dicendo: „Beati coloro, il cui spirito mendico di argomenti, si sta contento ne la credenza sua, e ciocché vede e ciocché spera e ciocché possiede tiene dono d'Iddio, né sa confondersi nel dubbio, in cui pone la temerità de le scienze. Il regno del Cielo è di chi nutrisce lo intelletto con la semplicità de la fede. Beati coloro, nel cui seno respira core di agnello, e non di leone, perchè la mansuetudine è manna de l'anima, e la superbia è il veleno che enfia il corpo. I mansueti hanno vertù di far la terra fertile con le benedizioni.8
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P. Aretino: L'Umanità di Cristo, Rom 1945, 149. Nicht ohne Bedeutung für die Entstehung der prose sacre ist wohl das asketische Schrifttum Teofilo Folengos, der wahrscheinlich 1533 in Venedig La umanità del Figliuolo di Dio veröffentlichte. Die stilistische Ebene ist infolge der Form — bei Aretino Prosa, bei Folengo die durch die Heldenepik sanktionierte Oktave — grundverschieden. Das Gemeinsame ist lediglich der Wunsch, durch breit angelegte Paraphrasierung der Bibel, deren Inhalte „populär" zu machen, wie es Merlin Cocai in seiner dem Gedicht vorangestellten Oktave programmatisch zum Ausdruck bringt: „Voglion non so qua' saggi di '1 Vangelo / non mai debbiasi esporre al volgo in carte / con stil volgar, però ch'a lui già il velo / del tempo ascose la più santa parte. / Rispondo che, morendo, il re del cielo / squarciollo d'alto a basso acciò die sparte / sian or sue grazie al nobil, al plebeo, / tartaro, indo, latin, greco, afro, ebreo" (Teofilo Folengo: Opere Italiane a cura di Umberto Renda, voi. secondo, Bari 1912, 7). Novum Testamentum Graece et Latine, Utrumque textum cum apparatu critico imprimendum curavit Eberhard Nestle, Editio vicesima secunda. Württembergisthe Bibelanstalt Stuttgart 1964. L'Umanità di Cristo, ed. cit., 129.
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Die von mir hervorgehobenen Stellen lassen folgende Schlüsse hinsichtlich der Bearbeitungstechnik zu: Aretino erweitert den Text durch Vergleiche, erlaubt sich Anspielungen auf die Mythologie, schwellt die Vorlage durch Periphrasen, durch Anaphern und Verbalreihungen an, erweitert durch einen mit né eingeführten Ergänzungssatz. Gesuchte Periphrasen werden an die Stelle des schlichten „pauperes spiritu" und „mites" gerückt, außerdem durdh Antithesen mit Spannung erfüllt. Damit sind bereits einige Stilmerkmale der Umanità gekennzeichnet. Das Beispiel der Auferweckung des Lazarus (Joh. 11, 3 3 — 4 5 ) kann die Beobachtungen bestätigen und ergänzen: Iesus ergo, ut vidit eam (cfr. Mariam) plorantem, et Iudaeos, qui venerant cum ea, plorantes, infremuit spiritu, et turbavit seipsum, et dixit: Ubi posuistis eum? Dicunt ei: Domine, veni, et vide. Et lacrymatus est Iesus. Dixerunt ergo Iudaei: Ecce quomodo amabat eum. Quidam autem ex ipsis dixerunt: Non poterai hic, qui aperuit oculos caeci nati, facere ut hic non moreretur? Iesus ergo rursum fremens in semetipso, venit ad monumentum. erat autem spelunca: et lapis superpositus erat ei. Ait Iesus: Tollite lapidem. Dicit ei Martha soror eius, qui mortuus fuerat: Domine, iam foetet, quatriduanus est enim. Dicit ei Iesus: Nonne dixi tibi quoniam si credideris, videbis gloriam Dei? Tulerunt ergo lapidem: Iesus autem elevatis sursum oculis, dixit: Pater gratias ago tibi quoniam audisti me. ego autem sciebam quia Semper me
audis, sed propter populum, qui circumstat, dixi: ut credant quia tu me misisti. Haec cum dixisset, voce magna clamavit: Lazare veni foras. Et statini prodiit qui fuerat mortuus, ligatus pedes, et manus institis, et facies illud sudario erat ligata. Dixit eis Iesus: Sol vite eum, et sinite abire. Multi ergo ex Iudaeis, qui venerant ad Mariam, et Martham, et viderant quae fecit Iesus, crediderunt in eum. Ma Giesù die la vedeva piangere più co'l core che con gli occhi, si turbò ne lo spirito, non per altro, mi credo io, die per la pietade che la bontà sua vuole che noi abbiamo di chi paté ne le avversitadi. Onde disse a quelli die gli erano presenti: „Dove lo avete sepolto?" Ed essi, nel dirgli: „Vieni a vederlo, Signore", lagrimò forse per tenerezza de lo amico suo, il quale aveva patito quattro giorni nel sepolcro, overo per la durezza de le genti, ¡he volevano testimonio de lo esser suo da cotanto miracolo. I Giudei, die le vidder piangere, dicevano fra loro: „Guardate come egli piange p e r l a s o v e r c h i a a f f e z i o n e c h e g l i p o r t a v a " . Altri mormorava col dire: „Questi die aperse gli occhi al cieco, non poteva fare ch'egli non morisse?" E Cristo tuttavia, s o s p i r a n d o le m i s e r i e u m a n e , comparse al monumento, il quale era a guisa di spelunca. Già la turba, come capre per le balze irte e difficili a salire, si aviticchiava sul capo e ne i fianchi del sepolcro, non altrimenti che edera per i tronchi (he ricevono i suoi abbracciamenti. Ciascuno si sforzava calzandosi e premendosi, di avvicinarsi al sasso. E chi imagina quel che si faria da un popolo, die aspettasse di vedere resuscitare un morto (cosa, che solo può fare Iddio, che pò ciocché vole), vede la gente e di Befania e di Gierosolima procacciarsi luogo atto a fargli vedere quello, de vedendolo a pena credevano. Ma ne lo acconciarsi, ne lo alzarsi e nel sospendersi di questo e quello, mi par vedere la morte orrida e terribile starsi innanzi a la sepoltura, e tutta confusa rimirare la sua falce, parendole non avere tocco Lazaro in modo, d'egli fosse caduto dal suo colpo. Parmi anco
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vedere la Parca, àie fila lo stame de la vita, tutta sospesa su la rocca e intenta a la sorella, che, temendo chi la può far temere, sgoluppava ciocché ella aveva avolto al fuso, stupendosi di colei che tronca i fili vitali, la quale si sforzava con sollecita industria di rataccare insieme quello a cui si atteneva lo spirito di colui, che ivi giaceva, assicurandolo con nodo forte. In tanto Cristo apparve in sembianza e in statura del padre. E parve che toccasse con la testa il Cielo, con le braccia i termini de la terra, e coi piedi gli abissi. Ardevano i suoi occhi, come lumiere. Il volto gli diventò grande terribilmente, e le fattezze altere. E parlando in lingua d'Iddio il cui suono è appreso da gli Angeli, quando la sua divina Maestà gli comanda, mentre si asside nel trono di stelle, che rapportino le sue commissioni in terra, e facendo tremare chiunque il guardava, disse con voce più che umana: „Levate la pietra, die chiude il sepolcro". Ed essendo ubidito, disse Marta: „Signore, la carne, che la morte ha corrotta, spira o d o r e m o l e s t i s s i m o , perché oggi è il quarto giorno, ch'egli mori. E Cristo a lei: „Non ti dissi io, die ne la tua credenza apparirà la gloria d'Iddio?" In quello i Giudei sgombrarono l'avello de la pietra. Onde Cristo, levati gli ocdii in alto, disse: „ O padre eterno, o eterna potestade, a cui lo impossibile è facile, io ti ringrazio, perché tu mi hai udito benché io sapevo die sempre mi odi. E dico ciò per movere il popolo, c h e m i g u a r d a , a credere die io sia mandato da te". Cosi disse; e poi con voce d i t u o n o chiamò: „Lazaro, vien fuora". E i n m e n c h e n o n l o d i s s e , il morto, involto in un lenzuolo, apparve, avendo legate le mani e i piedi, con la faccia velata d'un drappo. E dicendo Giesù: „Discoglietelo", fu disciolto. Ed egli esterrefatto, fitto il viso nel sembiante di Cristo, con le mani stese, con tutti i terrori de la morte ne la fronte, senza parlare, pareva un uomo di marmo intagliato in quel gesto. E il suo spirito, citato da Cristo e dal suo potere riposto ai suoi luoghi, sembrava un augelletto uscito de la gabbia dove era uso, e dopo alcun dì ritornatoci, tutto smarrito, senza prender l'esca, guarda e sta fermo. Ma Lazaro, levatosi in piedi, e partitosi (che cosi comandò Giesù), faceva paura a le genti, the sapevano ch'egli era morto. E Maria e Marta, gittatesi a i piedi del Salvatore, il ringraziarono con le voci, con le lagrime, e con il core. E i Giudei, che serratosi il naso co i diti, riparando l'odorato del fetore, che usciva dal corpo, in cui erano raunati gli spiriti, che movano e accolgono l'aura de la vita, mentre spirano, stupidi in cosi glorioso miracolo, credettero a Cristo, e divolgandolo per tutti i luoghi, g l i a c q u i s t a v a n o a m i c i e servi.' Dieses ausführliche Zitat erlaubt bereits genauere Rückschlüsse auf den Stil von Aretinos prose sacre. Geringe Bedeutungsvarianten bei der Übersetzung können übergangen werden, wo sie aber kennzeichnend für den Paraphrasenstil Pietros sind, wurden sie durch Sperrung hervorgehoben. Der Text des Johannes-Evangeliums erhält seine lapidare Kraft durch größte Sparsamkeit im Ausdruck, durch ein Minimum an realistischen Details. Damit gibt sich Aretino nicht zufrieden: Effekt glaubt er nur durch Übertreibung, nie durch Untertreibung zu erreichen. Er weicht den Bericht durch sentimentale Einzelheiten auf, führt im Stil der Volkspredigt subjektive Vermutungen ein („mi credo io"), umwuchert die Erzählung 9
Ib., 143—145.
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mit Vermutungen („forse", „overo"). Durch einen weitgespannten Doppelvergleich erhält der Text motorische Dynamik („Già la turba" etc.). Sie wird im Folgenden durch eine Häufung von Verbalformen („Ma ne lo acconciarsi" etc.) noch weiter verstärkt und schließlich durch einen Appell an das Vorstellungsvermögen des Lesers oder Hörers („E chi imagina") veranschaulicht, durch einen didaktischen Einschub gestaut und durch einen abschließenden concetto wirksam gesteigert. Eine kurze Zusammenfassung der Bewegung ist Übergang für weitere subjektive Überlegungen, die sich durch allegorische Begriffsspiele zu einer Parade mit concetti auswachsen. Die klassizistische Ambition erhält ihren Höhepunkt in dem breit ausgesponnenen Bild der Parze. Wo das Johannesevangelium mit sparsamsten Mitteln die Erschütterung der Beteiligten andeutet und die Syntax vor allem durch die eindrucksvollen Pausen ihr Pathos erhält, erstickt Aretino jede Ergriffenheit in seinen zu Selbstzweck gewordenen Wort- und Bildexzessen. So wird das knappe „Et lacrymatus est Iesus" nicht in seiner Prägnanz belassen, sondern durch die mit „forse" eingeleiteten Ergänzungen um seine erschütternde Wirkung gebracht. Neben der sentimentalen Aufweichung kennzeichnet den Stil der Umanità das Streben nach Monumentalität. Der Text des Johannesevangeliums gab dafür nur die imperative Form der Anweisungen Christi her. Am ehesten verweist in die Richtung imposanter Gestaltung „voce magna clamavit". Aretino begnügt sich nicht damit. Christus wird ins Ungemessene, zu schrecklicher und erhabener Größe aufgeschwellt. Dem entspricht auch das Bild des Erweckten: „pareva un uomo di marmo intagliato in quel gesto". Die statuarische Monumentalität wird erst durch den Vergleich mit dem in sein Käfig zurückkehrenden Vogel verlassen, und die Szene durch ein realistisches Detail abgeschlossen. Mit gutem Grund darf man erwarten, daß sich der Verfasser der Ragionamenti die Gelegenheit nicht entgehen ließ, breit ausgemalte Szenen aus dem Leben der Büßerin Magdalena zu geben. Er fügt sie in der Tat als Paradenummern in sein Leben Jesu ein und braucht in diesem Fall keine Rücksicht auf einen bindenden Text zu nehmen. Già il sereno del cielo faceva l'aurora con le fiamme del sole, ascondendo in servigio del giorno l'umore oscuro de l'aere, quando Marta parlò a la sorella, dicendo: „ N o n comportiamo che il Signore aspetti le serve. Cristo, die ora vede e riprende questo nostro ozio, è nel Tempio. Perciò spedisci la negligenza de la morbidezza tua; e pensa die codesta tua carne si levarà de le piume e colcarasse ne la sepoltura". Con tali sproni spinsero a chiamare a sé le donzelle, die hanno cura a vestirla e a spogliarla. E rizzandosi suso, non potendo raffrenare il costume lascivo, con disdegno di Marta, si lasciò vedere tutta ignuda. Tre giovinette le missero la camiscia di bisso fregiata di oro, e tempestata di perle: la quale, intrigandosi ne la rigidezza di un cerchio d'oro pieno di smeraldi, che la cingeva sopra il gombito destro, diede spazio
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ad altrui di mirarne il fuso del braccio ricoperto di neve mossa da i polsi, die la riscaldavano con gli spiriti de la vita. Ed ella cadendo in seno a i vezzi de la istessa lascivia con quella arte, che muovono gli atti de le peccatrici, formava alcuni sospiri, anzi insidie a gli animi cortesi de la sua libertade. E mentre si ornava de l'abito ebreo, parlava, e parlando rompeva le parole con alcune dolcezze, che averebbero spezzato il diamante, che arma il petto de la ragione, non die il vetro, die ricopre quello del senso. T a l volta girava gli occhi con certe maniere si proprie sue, che gli arbitri legati da gli sguardi non si accorgevano de la servitù in cui gli poneva la grazia di quelli. Gran piacevolezza era ne i suoi motti. Dal tacer suo uscivano cenni troppo bene intesi. Ma il sollecitare di Marta compì di vestirla. E chi l'avesse veduta in quelli ornamenti contesti d'oro, e arricchiti di gemme, averebbe veduto una beltà divina ne i suoi manti celesti. Ogni momento ch'ella tardava in aggiugnere vaghezza a la sua pompa e a la sua bellezza, pareva un lustro a la sorella, che tanto si consumava quanto più lo indugio intertenendola la faceva sua. Già le voci de la turba comparsa di fuora, si fanno udire per le gran sale. Ed aspettasi lei, perch'ella si fa aspettare come cosa desiderata. Ma dopo le cerimonie feminili e reali, ecco aparirla nel conspetto di dii la bramava. E ne lo uscir di camera, parve Citerea, die uscisse del suo cielo. Ella fece abbassare le viste, che a un tratto ferì con il lume de gli occhi, e con quello de le pietre di che splendeva superbissimamente; e rialzate le ciglia, tenzionavasi se il vermiglio de le gote de la Aurora aveva dipinto le guancie di Maddalena, o se quello de le gote di Maddalena aveva colorite le guancie de l'Aurora. Altri, smarrito ne la bellezza de i suoi capegli, afferma die quelli avevano dato il lucido a l'oro e non l'oro a quegli. Alcuno stava in dubbio, se il sole toglieva il lume da i suoi occhi, o se gli occhi suoi lo prestavano al sole. Due unioni, che le pendevano da le orecchie, percosse da le reflessioni de i denti, ripercosse altrove, rimanevano, come il candido de i ligustri al paragone de lo ariento forbito. La vivezza de le labbra poste in quella sua bocca, che la natura le teneva alquanto aperta con atto ridente, ripercoteva in una ghirlanda di rubini, che le cerchiavano le tempie. Tal che non si discerneva, se la giocondità del colore brillava fuora di quelle o fuora di questi. Ma senza altra contesa, gli odori, di die ella si ungeva, cedevano a la soavita del fiato, che le spirava fuora de la sua bella bocca. Intanto la maestà de lo andare le mosse il passo. E d uscita del suo palagio, tutta via ballando con gli occhi, teneva alto il viso. E aveva sommo diletto del vaneggiare, che le aure facevano con le sue chiome non ricoperte da velo, ne ristrette da rete alcuna. I loro fiati dipartendosi da le frondi, da i fiori, e da le viole le facevano diversi movimenti sopra la testa. Alcuna con un crine le assaliva l'occhio destro, facendoglielo chiudere con un modo lascivamente grazioso. Altra le circondava la gola a guisa di monile. Altra dentro, e di fore del seno le ne faceva andar serpendo. Quella gli compartiva; quella gli premeva. Alcuna gli spargeva, ed altra gli raccoglieva insieme. 10 Die Morgentopik, in den Ragionamenti
Ausgangspunkt für einen
antiklassizistischen burlesken A u f t a k t zum zweiten T a g des ersten Teils, w i r d hier durchaus als Element feierlicher stilistischer H ö h e n l a g e genommen. D e m entsprechen die W o r t e M a r t h a s , die sich preziös und gespreizt 10
Ib., 119—121.
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bemüht, die Säumige zum Abschluß ihrer Toilette zu ermuntern: „Non comportiamo", „spedisci la negligenza", das abschließende Memento mori wird durch die Antithese (piume — sepoltura) rhetorisch zugespitzt. Es ist typisch für den monologischen Charakter von Aretinos Werken, daß Magdalena auf den Vorwurf Marthas nicht antwortet, statt dessen schildert der Schriftsteller die Reaktion der Sünderin, deren wollüstige Haltung bereits die Werke Marinos und seiner Schule zu antizipieren scheint.11 Die Ankleidungsszene ist eine von außen herangetragene Montage einer Schönheit, eine petrarkisierende Paradeprosa. Magdalena bleibt dabei leblos wie ein Mannequin, wie Angelica, wie Angela Serena, wie die Königin von Frankreich in anderen Prunkdichtungen Pietros. Wie unbeteiligt Aretino bei der Niederschrift seines Lebens Jesu war, zeigt der Rückgriff auf den Petrarkismus, der ihm Wort- und Bildmaterial zu unverbindlicher Verwendung bot. „. . . il fuso del braccio ricoperto di neve mossa da i polsi, die la riscaldavano con gli spiriti de la vita" bleibt leere Mechanik. Die Versicherung, daß der Arm von Leben erfüllt war, enthüllt die Montage. Dazu trägt auch die allegorisierende Verwendung des Begriffs „lascivia" bei. Das crescendo arbeitet mit den nämlichen mechanischen Mitteln: „alcuni sospiri, anzi insidie" bis zu der Aufgipfelung durch den Vergleich diamante: ragione = vetro: senso. Die konkrete menschliche Gestalt Magdalena wird in dem gespreizten hohen Stil Aretinos erstickt. Nicht zufällig ist hier die Rede von „certe maniere sì proprie sue" : manieriert wie der Stil Aretinos ist das Verhalten seiner Gestalten. Magdalena wirkt in Bewegung und Gestik bei Aretino unbeholfen und steif. Verglichen mit Marino, der für alles „seine Stilmaschine mit den gebrauchs11
Cfr. Benedetto Croce: Storia dell'età barocca in Italia, Bari 1929, 3 0 6 : „La sboccatezza faceta non piaceva come una volta, e si richiedeva la ,lascivia', come la chiamava e l'elogiava il Marino, una sensualità sospirosa e deliquescente pur tra i più vivaci e caldi colori. Il sentimento si faceva sensuale, ma il sensualismo si faceva serio, appunto perché, vivendo solo esso negli spiriti, era incapace di compiersi e superarsi con altri e in altri sentimenti, e insieme rimaneva intatto dalla riflessione intellettuale e dalla reazione comica, che lo avrebbero collocato al suo posto e trattato con allegra superiorità". Es wird Aufgabe der Marino-Forschung sein, im einzelnen zu klären, was Marinos Strage degli Innocenti Aretinos Umanità di Cristo verdankt. Der napoletanische Großschriftsteller des frühen siebzehnten Jahrhunderts hütete sidi wohl, sich auf den durch den Index geächteten Aretino zu berufen; wo er ihn nannte, wie in dem langen Brief an Carlo Emanuele I di Savoia vom 15. Februar 1609, geschah es im Zeichen bigotter Entrüstung: „Resta ora di'io sodisfaccia a quella parte che tocca alle cose scritte a penna. E qui dee sapere V. A. come da un tempo in qua sono stati suscitati alcuni sonetti dell'Aretino, del Franco e d'altri licenziosi auttori antichi, e questi divulgati. Io, avisato e certificato di ciò, né senza rossore ho potuto leggere quella parte che me n'é capitata in mano, né senza indignazione scoprire la sagacità dello stratagema, il quale porto fermissima opinione non potere altronde derivarsi che da costui
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fertigen Schablonen" zur H a n d hat 1 2 , ist Aretino in seinen prose sacre geradezu ungelenk, es fehlt ihm „sensualismo e ingegnosità", die nach Croce, die L y r i k des Seicento kennzeichnen 13 , mag auch bereits jene Ausdrucksvervielfältigung beginnen, die dann bei Marino „belastet und belästigt". 1 2 Aretino gibt immerhin den Schriftstellern der Gegenreformation ein Beispiel, wie eine sinnlich-verfängliche Thematik unter dem Deckmantel religiöser Erbauung auch in die unter dem Zeichen strenger Kirchenzensur stehenden Zeiten hinübergerettet werden kann. D e m entspricht die E n t wicklung in der Malerei. D o r t ist es seit der zweiten H ä l f t e des 16. J a h r hunderts üblich, die schöne Büßerin zum Gegenstand großfiguriger Bilder zu nehmen: „Der kernige quattrocentistische Realismus hatte das Motiv vielfach so gefaßt, daß die durch die Kasteiungen herbeigeführte Entstellung und Verhäßlichung in besonderem Maße akzentuiert wurde, wofür nur an Donatellos bekannte Statuen im Florentiner Baptisterium und im Sieneser D o m erinnert zu werden braucht. Im Barock ist es der Kontrast zwischen dem in der Blüte der Sinnlichkeit entfalteten Frauenleib und dem klagenden, schwermütigen, resignierten Ausdruck, was die Phantasie in Spannung hält". 1 4 Aretinos Beschreibung von Magdalenas Selbstkasteiung schwankt zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Der Leib Magdalenas wird zwar entstellt; ( „ E molteplicando i colpi, il bianco, die toglieva il vanto alle brine, cominciò a vergarsi de i segni neri, che in lui stampava il flagello" 1 5 ), aber dann durch M a r t h a in seiner verführerischen Schönheit wiederhergestellt („Acque mi date, datemi acque di rose, e altre più soavi, a ciò che io lavi questo corpo estinto come voi lavaste vivo" 1 6 ). Heilsgeschichte und Mythologie gehen ineinander über, wenn Magdalena mit einer „beltà divina nei suoi manti celesti" und schließlich gar mit Aphrodite verglichen wird. Wie austauschbar die verglichenen Objekte sind, zeigt das H i n und Her, das mit „tenzionavasi se" eröffnet wird. Aretino spielt wie in den Oktaven für Angela Serena auf die Lüfte an, welche die Schönheit umsäuseln, wie in der Angelica und in der Mar fisa benutzt er das Bild von den über H a l s und Busen fallenden Locken. M a n stelle den
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e da altri emuli miei" (Giambattista Marino: Lettere a cura di Marziano Guglielminetti, Turin 1966, 85). Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, op. cit., 692. Benedetto Croce: Saggi sulla letteratura italiana del Seicento, Bari 1924, 351—408. Werner Weisbach: Der Barock als Kunst der Gegenreformation, Berlin 1921, 145. L'Umanità di Cristo, ed. cit., 125. L'Umanità di Cristo, ed. cit., 127.
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Schluß des Zitates einer Oktave der Angelica
gegenüber und wird fest-
stellen, mit wie wenig Mitteln Aretino seine „hohe" Dichtung bestritt; Disciolto l'ondeggiante oro sottile e il vel, die lo copria, seco traendo, quest'aura d'un bel crin forma un monile, il candido di lei collo cingendo, quella dentro e di fuor del sen gentile un altro aurato crin fa gir serpendo; chi parte i bei capegli e chi gli preme, altra gli sparge, altra gli avvolge insieme. (Angelica I, 98) Vers- und Prosafassung eifern jenem Klassizismus im Zeichen Ariosts nach, der für die Darstellung weiblicher Schönheit verbindliche N o r m geworden war und mehr als zwei Jahrhunderte später Lessings Polemik gegen die Verwischung der Grenzen von Malerei und Dichtung mitveranlaßte. Der rhetorische Prunk, der an concetti, Periphrasen, Oxymora und mythologischen und literarischen Reminiszenzen aufgeboten wird, erreicht an keiner Stelle authentisches Pathos, wie es etwa die Kanzelberedsamkeit eines Bossuet kennzeichnet. Nanna, so sehr ihre Sprache stilisiert ist, ist dodi mit dieser Sprache identisch, während in den prose sacre der Stil wie Flitter oder Stuck aufgetragen wird. 1 7 Georg Weise hat in einem wichtigen Aufsatz hauptsächlich in der Umanità del Figliuol di Dio und in der Vita di Maria Vergine „manieristische und frühbarocke Elemente" nachzuweisen versucht. 18 Mit einer 17
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Cfr. Cesare Segre: Edonismo linguistico nel Cinquecento, loc. cit., 370: „II nuovo ritmo è il ritmo del parlato, con le sue interruzioni, le sue esclamazioni, le sue deprecazioni, le sue ellissi, le sue citazioni evocative. Ma, si noti, è un ritmo voluto, un concentrato giocoso o caricaturale di certe inflessioni die nel dialogo vengon fuori a tratti, quando chi parla è spiritoso e amante del colore; se si legge una commedia del Machiavelli (non certo sospetto di debolezze puristidie) insieme con una dell' Aretino, si scorge subito la differenza." In Pietros Dialogen und Komödien geht es um die rhythmische Durchstrukturierung der Umgangssprache, in den prose sacre hingegen um die rhetorische Aufsdiwellung bestimmter Vorlagen im Dienst unverbindlicher Sdiriftstellerei. Georg Weise: Manieristische und frühbarocke Elemente in den religiösen Schriften des Pietro Aretino (Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance, 1957, 170—207). Wichtiger als eine Einordnung Aretinos in abstrakte Epodienbegriffe scheint mir die Beschreibung seiner literarischen Formen, solange Definitionen wie Kartenhäuser aufgebaut und wieder umgeworfen werden. Die Diskussionen um Renaissance, Manierismus und Barock haben viel wertvolle Einzelergebnisse erbracht, aber auch viel Begriffsverwirrung gestiftet. Cfr. Natalino Sapegno: „Si spiega così come presso di noi trovassero ben scarsa presa e fossero quasi da tutti giustamente ripudiati certi tipi di falsa storiografia, diventati di moda soprattutto in Germania, vogliamo dire la storia della poesia come Geistesgeschichte ovvero come Stilgeschichte, storia
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Fülle von Belegen zeigt Weise, daß bereits bei Aretino die pomphafte Steigerung der sich an der Antike inspirierenden klassisch-idealen Formen auftritt: „Jener Zug zur Großartigkeit, zum Majestätisch-Würdevollen und Imposanten, der die neue klassische Vorstellungswelt, im Gegensatz zu mittelalterlich-gotischer Verzierlichung und vergeistigender Feinheit kennzeichnet, offenbart sich auch auf sprachlichem Gebiet schon rein äußerlich in der häufigen Verwendung des Adjektivs ,grande' und ähnlicher Beiworte die in der Vorstellung der Größe und des Eindrucksvoll-Erhabenen schwelgen." 19
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di generici problemi spirituali e di altrettanto fittizi schemi contenutisticoformali (quali il gotico, il barocco, il romantico, e simili, non già intesi nella loro concretezza e nei loro limiti storici, ma ipostatizzati in funzione di categorie extratemporali); . . ." ( P r o s p e t t i v a della storiografia letteraria, in: Ritratto di Manzoni, Bari 1966, 255 f.). Nicht viel gewonnen ist mit dem Hinweis auf „manieristische und frühbarocke Elemente" in Pietros religiösen Schriften, wollte man sich an Gustav René Hockes Unterscheidung von Manierismus und Barock orientieren: „Der Manierismus nährt sich geistig aus anderen Strömen als das, was man Barock nennt. In einem Falle knüpft man immer wieder an die esoterischen Traditionen an, im anderen erneut an die Oberlieferungen der mittelalterlichen Theologie und Kirche . . . Barock ist propagandistisch-rhetorisch. Manierismus ist anti-propagandistisch, anti-rhetorisch, d. h. gegen die klassische, attizistische Rhetorik, aber für Para-Rhetorik" (Manierismus in der Literatur — Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst, rde, Hamburg, 1959, 147). Für Hocke (Ib., 148) bildet Tasso den „Übergang von der Hochrenaissance zum Manierismus, Bernini den Übergang vom Manierismus zum Barock". Helmut A. Hatzfeld kommt hingegen zu dem Ergebnis: „Die Gegenwart Spaniens in Sizilien und Mailand während des 16. und 17. Jahrhunderts, der Einfluß des in Rom gegründeten Jesuitenordens, das Prestige Spaniens beim Konzil von Trient, seine geistige und weltlich-koloniale Macht, das alles hat zur Umbiegung der italienischen Renaissance geführt und erst Italien, dann Frankreich dem spanischen Einfluß weit geöffnet. Alle auf diese Weise in Italien entstehenden Barockströmungen durchlaufen dort rasch die drei Generationsstile Manierismus (z. B. des Dichters Michelangelo), Hochbarock (z. B. des Epikers Tasso), Spätbarock (z. B. des Virtuosen der Beschreibung, Marino)." Eine ähnliche Parabel sieht Hatzfeld in Spanien (Góngora — Cervantes — Gracian) und Frankreich (Desportes — Pascal — La Bruyère). (Der gegenwärtige Stand der romanistischen Barockforschung in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Jahrg. 1961, Heft 4 , 1 5 ) . Bei Hocke Tasso zwischen Hochrenaissance und Manierismus, bei Hatzfeld Vertreter des Hochbarock: nichts könnte deutlicher zeigen, daß es auf detaillierte Forschungsergebnisse, nicht auf blendende Definitionen ankommt. Georg Weise, op. cit., 172 f. — Daß für die literarische Wertung mit der Zuordnung zu einem Epochenstil nicht viel gewonnen ist, zeigt Weises Bemerkung, die Einheit der von der Hochrenaissance aufgebrachten Vorstellungswelt zeige sich daran, daß wir noch bei Franz von Sales oder Bossuet „das gleiche Vorherrschen der lediglich das Große und Erhabene betonenden Beiworte finden"
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Georg Weise begnügt sich in seinem Aufsatz mit der Feststellung einiger rhetorischen oder malerischen Effekte in Aretinos prose sacre, ohne diese in Aretinos Gesamtwerk einzuordnen. Das tut seinem Verdienst, sich als erster ausführlich mit diesem fast unbekannten Teil von Pietros Produktion auseinandergesetzt zu haben, keinen Abbruch. Weise unterstreicht, daß bei Aretino zu den Äußerungen des Heroischen die Neigung tritt, „Personen und Dinge bei allen dargestellten Vorgängen pleonastisch zu häufen und über das sich aus dem biblischen Bericht ergebende Maß in meist willkürlicher Weise zu vermehren". 2 0 Dazu kommt „die immer wieder zu beobachtende Neigung zur Hervorhebung und fast barocken Überbetonung der akustischen Effekte". 2 1 Eine direkte Beziehung zu den Werken der Malerei ergibt sich „in der Häufung von Lichterscheinungen, deren sich Aretino allerorten als Mittel einer verklärenden und intensivierenden Steigerung bedient." 2 2 Will man Aretino Glauben schenken, so sind die sieben Bußpsalmen das Werk von sieben Vormittagen. 2 3 An der Richtigkeit dieser Behauptung ist kaum zu zweifeln, wenn man bedenkt, wie arm bei aller Bemühung um eindrucksvolle rhetorische Paraphrasierung dieses Machwerk ist. Darauf hat bereits Philipp August Becker hingewiesen. 24 Es berührt merkwürdig,
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(175). Bei Bossuet und Franz von Sales haben wir das authentische Pathos religiös empfindender Naturen, bei Aretino hingegen ein Konglomerat heterogener Elemente. Ib., 180. Ib., 182. Georg Weise, op. cit., 184. Bei dem Versuch einer Einordnung Aretinos zwischen Manierismus und Barock kommt Weise zu dem Ergebnis: „Das Gesuchte und Gezierte, im Gegensatz zu dem Barock mit seiner Übersteigerung kraftvoller Natürlichkeit der Wesensentfaltung und seiner Ungehemmtheit dynamischen Bewegungsschwunges, wird man, im Vorstellungsideal wie in der künstlerischen Darstellung, als den speziell manieristischen Zug hervorheben dürfen, der freilich mit dem Ubergang zum 17. Jahrhundert nodi nicht zum Absterben gelangt, sondern in einzelnen Äußerungen immer wieder in die Epoche einer kraftvolleren und natürlicheren Formstellung, einer blühenderen Sinnlichkeit und einer erdverbundeneren Wirklichkeitsbejahung hinspielt (194). Auf die Bedeutung von Aretinos Umgang mit den Malern seiner Zeit, hat im Zusammenhang mit den prose sacre bereits Giuseppe Toffanin (II Cinquecento — Storia letteraria d'Italia, 5. Aufl., Mailand 1954, 299 f.) hingewiesen: „vivendo con amici pittori, l'Aretino si trovava in mezzo all'arte religiosa e, mentre da una parte, affinava la sua sensibilità coloristica, dall' altra s'abituava a pregiare il pathos narrativo degli espisodi biblici assai meglio che non avrebbe fatto tra i puri letterati". Lettere, ed. Flora/Del Vita, 156. „Die Psalmenübersetzung, an die sich Marot im reifen Mannesalter machte und die bis zu seinem Ende seine wichtigste Lebensaufgabe blieb, wurzelt tief in der religiösen und humanistischen Bewegung des 16. Jahrhunderts, in beiden zugleich. Neu war die Sache an sich nicht, neu ist aber der Geist, in dem es
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daß dieses dilettantische Werk ins Französische übersetzt wurde 25 , aber wahrscheinlich sah der Ubersetzer, Monsignor Jean de Vauzelles, ein willkommenes Gegenstück zum Psalter der Hugenotten. 2 6 Als Aretino Margherita von N a v a r r a durch seinen Boten Ambrogio degli Eusebi seine Psalmen überreichen ließ, war dieses Geschenk durch Clement Marots Bemühungen um eine französische Ausgabe der Psalmen bereits überholt. 27 Es kann bei einem Dilettanten auf dem Gebiet des theologischen Schrifttums keine Rede davon sein, daß er die einzelnen Psalmen in ihrer einmaligen Gestalt zu schätzen wußte. Wie immer kam es Pietro darauf an, eine neue Form als Schablone zu verwenden. Die Bearbeitungsprinzipien sind die gleichen wie im Leben Jesu und in der Genesis: wortreiche Paraphrasierung eines Minimums an Gehalt. Für das Widmungsschreiben hatte sich Pietro Aretino den kaiserlichen Statthalter in Mailand, Antonio da Leva, ausersehen ( „ O albergo di antiqua pietade, o sostegno di antiqua fede, o unico braccio di antiqua guerra, padre de i consigli, inventore de le vittorie e motor de i trionfi, . . .") 2 8 . An einem Beispiel sollen die Bearbeitungsprinzipien bei der Paraphrasierung der sieben Bußpsalmen 29 genauer erläutert werden : Der im Kult der römischen Kirche tief verwurzelte Psalm 129
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geschieht: das konnte man z. B. von der breitspurigen Umschreibung der sieben Bußpsalmen durdi Pierre Gringoire (1525 in den ,Heures de nostre Dame') und audi von Pietro Aretinos italienischer Paraphrase dieser Psalmen nicht sagen. Noch die Generation der Lefèvre d'Etaples, oder Aegidius von Delfi gibt die Psalmen unterschiedslos in fortlaufenden Hexametern oder Distichen wieder; sie hat noch nicht im vollen Maße begriffen, daß der einzelne Psalm ein lyrisches Einzellied mit eigenem Gehalt und eigener Form ist, dessen individueller Charakter bei der Übertragung gewahrt bleiben muß" (Ph. Aug. Becker, Clement Marot, München 1926, 347, veröffentlicht als Heft 1 der Romanistischen Abt. des Forschungsinstituts für neuere Philologie der Sächsischen Forschungsinstitute in Leipzig). Was die katholischen Psalmenübersetzungen des 15. und 16. Jahrhunderts anbelangt, so gilt wohl uneingeschränkt die Feststellung Paulette Leblancs (Les paraphrases françaises des psaumes à la fin de la période baroque, 1610— 1660, Paris 1960, 25) : „Du côté catholique on n'eut jamais, ni au X V I e ni au X V I I e siècle, rien qui pût rivaliser vraiment avec le psautier huguenot . . Die französische Ubersetzung von Aretinos Paraphrasen erschien im gleichen Jahr (1541) wie die Trente Pseaulmes de David mis en francoys par Clement Marot valet de chambre du Roy. Der Übersetzung der Psalmen war 1539 die Ausgabe der Passion de JesusChrist, vivement descrite par le divin engin de Pierre Aretin (M. et G. Tredisel, Lyon 1539) vorausgegangen. Übersetzer war auch in diesem Fall Jean de Vauzelles, dem Pietro am 23. 9. 1539 mit einem überschwenglichen Brief dankt. Lettere, Ed. Flora/Del Vita, 395. Bußpsalmen werden seit dem christlichen Altertum die sieben Psalmen 6, 31, 37, 50 (Miserere), 101, 129 (De profundis) und 142 genannt.
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profundis) soll zunächst einmal in der lateinischen Fassung als Ganzes zitiert werden: D e profundis clamavi ad te Domine: Domine exaudi vocem meam: fiant aures tuae intendentes, in vocem deprecationis meae. Si iniquitates observaveris Domine: Domine quis sustinebit? Quia apud te propitiatio est: et propter legem tuam sustinui te Domine. Sustinuit anima mea in verbo eius: speravit anima mea in Domino. A custodia matutina usque ad noctem: speret Israel in Domino. Quia apud Dominum misericordia: et copiosa apud eum redemptio.
Et ipse redimet Israel, ex omnibus iniquitatibus eius.30 Das Schema, nach dem Aretino bei der Paraphrasierung verfährt, besteht in der Ubersetzung von ein oder zwei Zeilen, die dann auf ihren vier- oder fünffachen Umfang erweitert werden: D A I P R O F O N D I I o ho esclamato a te Signore; Signore essaudisci la oratione mia, perche io te ne prego bora come te ne ho più volte pregato, e questa preghiera che io ti porgo nasce da i profondi de le commesse colpe, le quali per havermi quasi sepolto l'anima ne profondi de gli abissi, ricorro a te con voci tratti da i profondi del core, e ne i profondi di questa grotta formati, solo per muovere la misericordia tua a perdonarmi tutto quel peccato, che ti ho confessato da l'hora che io cominciai a riconoscermi fino a questo punto. Si che registra l'oratione mia nel libro dove noti i falli rimessi a quelli che sanno peccare, e pentirsi?1
Wie in der Evangelienparaphrase wird die Erweiterung des Textes durch Wiederaufnahme einiger emphatisch verwendbarer Worte erreicht und das Pathos der Konzision durch leeres Geschwätz zerredet. Im vorliegenden Fall gab das De profundis des Psalmbeginns den Auftakt zu Wort- und Begriffsspielereien („da i profondi de le commesse colpe"). Tiefe führt zu Grabestiefe und erlaubt eine weitere Variante des Begriffs durch „profondi de gli abissi". Nicht nur die Paraphrase ist leeres Spiel mit Worten und Begriffen, sie überwuchert auch den authentischen Text, wo wegen eines erklärenden „perche" die seelische Spannung und Dynamik, die expressive Wucht der stilistischen Ballung erschlafft. Keine großen Variationsmöglichkeiten bot „fiant aures tuae intendentes, in vocem deprecationis meae". Aretino behilft sich mit Wiederaufnahme der Gedankenspiele um den zentralen Begriff „De profondis". „Tief" wird begrifflich erweitert zu „fern". Ein Hinweis auf den Prophe80
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T e x t nach Biblia sacra latina veteris Testamenti Hieronymo interprete ex antiquissima auctoritate in Stichos descripta, ed. Heyse — de Tischendorf, Leipzig 1873. Zitate nach der Ausgabe von 1 5 3 9 : I sette salmi de la penitentia di David. Composti per Messer Pietro Aretino, e ristampati nuovamente per Francesco Marcolini. M D X X X V I I I I , c. 39 r.
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ten Jonas im Bauche des Wals kreist wieder um den Grundgedanken „tief", womit auch die Paraphrase dieser Zeile gesichert ist. Le tue orecchie sieno fatte intendenti a la voce de la preghiera mia, perche non è niun centro si profondo die ti vieti lo ascoltare, e l'udire coloro che ti invocano col core; le parole Signore create da coloro che hanno gelosia de la gratia tua non si risolvano in vento per la distantia, die è da la altezza tua al nostro profondo, anzi le odi si come chi le fa ti fosse presente, & essendoci presente per la somma bontà tua anchora die siamo indegni di esserti appresso ci fai salvi. E per ciò Dio ascolta me, die col core ti chiamo mentre piango in questo basso speco, come ascoltasti Iona, che dal profondo ventre de la balena ti chiamò col core; adunque ascolta me, odi me, et essaudisci me, perche io ti ho invocato gran tempo con le orationi mie; e benche tu sia nel sommo de la gloria, & io nel centro del peccato, piacciati die mi ascoltino le tue orecchie a le quali è tanto dolce l'udire e prieghi di quelli die in questa vita col core ti pregano, quanto è dolce in quella altra il sentire le gratie die ti rendano gli Angeli.32 Die sprachliche Fügung des Originaltextes der Vulgata wird aufgebrochen, die Wörter schießen ins Kraut, werden zur alles überwuchernden Vegetation, die zwar mit einigen Kunstkniffen wie Reihung und Antithese syntaktisch reguliert wird, aber doch wie ein Schmarotzer die Gastpflanze leersaugt und zerstört. Aretino bringt es fertig, die auch nodi in der lateinischen Ubersetzung vernehmbare Schönheit der Psalmen zugrundezuriditen. Eine weitere Zeile kann das Gesagte nur bestätigen: „Si iniquitates observaveris Domine: Domine quis sustinebit?" wird zunächst übersetzt und dann wieder paraphrasiert: „Ma se tu osserverai le iniquità Signore, Signore chi sarà atto a sostenerti?" Sproßworte sind „iniquità"
und
„sostenere". Sie ergeben die Assoziation Gerechtigkeit: vor der Gerechtigkeit Gottes kann Menschliches nicht bestehen, nur Barmherzigkeit kann ihn vor der Strafe retten: Ma se tu osserverai le iniquità Signore, Signore dii sarà atto a sostenerti? niuno certo sarà che possa sopportare la giustitia tua se non ti dimentichi de i peccati nostri; perche non è alcuno tanto giusto, ne si perfetto in questo horribil mare di tribulationi che possa, se tu lo giudichi solo con la severità de la tua giustitia, sostenere (se ben si copre sotto lo scudo de la vertù del core, e de la fortezza de l'animo) i colpi che sopra il capo di dii erra lascia cadere il tuo horribil flagello. Ma perche tu hai fatta compagna de la tua giustitia la misericordia tua, e perdie l'una, e l'altra è infinita, non potendo io venire a te per mezo di quella, fammi degno che io ci arrivi per mezo di questa. Certamente alcun non è che per i suoi meriti, e per la sua innocentia potesse sostenere il giuditio tuo, se tu in quello havesse usato solamente la giustitia; ma perche tu sai Signore quanto sia la humana
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Ib., 39 r./v.
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Die religiösen Sdiriften fragilità, ci hai fatto conoscere la misericordia, onde ci assicuriamo in lei, per mercè tua.33
Es hätte keinen Sinn, weitere Proben anzuführen. Die Bearbeitungstechnik ist durchgehend die gleiche. Jeder Psalm wird abgeschlossen durch einen kurzen Kommentar Aretinos, der noch einmal das Thema paraphrasiert: Se mai a Dio furono grate le orationi de i suoi servi, gli fu grata questa di David, perche egli la svelse dal profondo core, non altrimenti che il vento svelga del profondo terreno le radici de l'arbore che per la violentia de la tempesta abbatte.34 Der Rest des Rahmens wird durch eine Vision Davids bestritten. Aretino macht gerne von diesem Verfahren Gebrauch: es erlaubt ihm, sein dürftiges theologisches Wissen immer wieder neu zu bündeln oder Ovationen an die Großen seiner Zeit unterzubringen. Im vorliegenden Fall sieht David vor seinem verzückten Seherauge wie einen Film die wichtigsten Etappen aus dem Leben Jesu vorbeiziehen. Die Anapher vidde (oder vide) sorgt f ü r den Hinweis auf die mystische Schau des Königs ( „ . . . viddelo con gli Apostoli, viddelo sanar gli infermi risuscitare i m o r t i . . ," 35 ). Visionen zeigen Aretino in seinem Element: hier wird die Reihung zum Prinzip, der willkürlichen H ä u f u n g sind keine Grenzen gesetzt. Prophetischen Blick in die Zukunft verwendet Aretino auch in seinem König Ferdinand gewidmeten Buch Genesi. Hier blickt schon im ersten Teil N o a h in die Zukunft, was Aretino die Möglichkeit gibt, das Alte Testament auf Digest-Format zu reduzieren. Der zweite Teil bringt die Geschichte Loths und Abrahams, der dritte Teil die Geschichten Jakobs und seines Sohns Joseph. In dieser Bibelparaphrase ist Aretino stilistisch zurückhaltender als im Leben Jesu oder in der Caterina-Vita. Es finden sich zwar Aufzählungen, aber keine nennenswerten Chiasmen. Die Aufzählungen überschreiten selten den Umfang von drei oder vier Adjektiven oder Substantiven. Für die meisterhafte Konzision bei der Schilderung von Abrahams Vorbereitung zu Isaaks Opferung fehlte Aretino jedes Gespür und Organ. Abrahams Aufbruch wird durch einen sentimentalen Einschub über die Reaktion Sarahs verkitscht: Cadde il core di Sarra sentendo ciò, caddele la faccia, caddele la lingua: ella che era donna, non sofferì il colpo datole nel debole della Natura dalla perdita del suo bene.36 83 34 35 36
Ib., c. 39 v. Ib., c. 41 r. Ib., c. 41 r. II Genesi di M. Pietro Aretino con la visione di Noè, nella quale vede i misterij des Testamento Vecchio, e del Nuovo, diviso in tre libri, ohne Angabe
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Abrahams Haltung bei der Opferung seines Sohnes wird im Sinne heroischer Monumentalität geschildert. Nie versäumt es Aretino, die Wirkung eines wallenden Patriarchenbarts ganz besonders hervorzuheben. Ihr kommt die gleiche Bedeutung zu wie dem im Zeichen des Petrarkismus geschilderten vom Wind umspielten Haar seiner Schönen. Konventionelle Monumentalität und konventionelle Anmut entsprechen sich bei der Bemühung um malerische Effekte. Das breit ausgemalte Bild lenkt von der Handlung ab, wird abmontierbarer Einschub, wie auch die Einzelheit des Bilds, die sich lediglich der Intention heroischer Lebensgestaltung unterordnen muß: Rimase il Vecchio degno di gloria un gran pezzo immobile nel gesto, in cui si recò nel voler fare ciò, die si credete, che volesse, che egli eseguisse il Signore: perthe fu tanta la letitia che gli oppresse i sensi, e gli spiriti, die parve trasformato nella figura, che di lui vediamo, quando lo scultore lo intaglia nello atto, nel quale lo recò lo effetto, die non hebbe effetto. La venerabile barba spartagli per tutto il seno, splendeva nel sottile del suo ariento: la faccia altera nella gravità natia dava Maesta all'aria, alla quale si alzava: . . , 37
Die Beschreibung vergißt auch die nackten Beine und die nackten Arme nicht: wo immer Aretino sich an die literarische Gestaltung von monumentalen Figuren macht, eifert er Michelangelo nach, der für die „Bilder" der prose sacre viel wichtiger ist als das in theoretischen Bekenntnissen gepriesene Kolorit der Venezianer. Es kann nicht überraschen, daß Aretino bei dem Bericht von Josephs ägyptischen Erlebnissen mit besonderer Sorgfalt bei der Schilderung von Potiphars Verführungskünsten verweilt. Hier verläßt er die feierlicherhabene Stilebene und schildert mit sichtlicher Freude darüber, daß er den ernsten Ton für einen Augenblick aufgeben kann, die Neckereien der verliebten Ägypterin. Quante fiate ponendosi ella a sedere allato allui, lo fece levar suso per honesta di lei. Nel lavarsi le mani gli spruzzava l'acqua nel volto: nello andar giù per la scala gli traheva dietro o frutti, o fiori.38 Hier enthalten die Episoden bereits Ansätze zu jenen hundert Jahre später in Mode kommenden Romanen mit biblisdien Protagonisten, wie sie der bereits erwähnte Ferrante Pallavicino in La Susanna, Ii Giuseppe und II Sansone gab. Dabei wurden die Stoffe aus der Schrift, wie der Verfasser unverhohlen zugestand, „soggetto da discorrere", nicht „oggetto da descrivere".39
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von Drucker und Ort, 1539, 99. — Bereits 1542 erschien in Lyon bei S. Gryphius eine von Jean de Vauzelles besorgte französische Übersetzung. II Genesi di M. Pietro Aretino, op. cit., 115. Ib., 167. Zitiert von Claudio Varese in der Storia della letteratura italiana (Garzanti), Mailand 1967, 655.
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In keiner anderen literarischen Gattung hat Pietro die einmal gefundene Formel so rücksichtslos ausgebeutet wie in den prose sacre. Es gibt zwar Unterschiede in der Dosierung der rhetorischen Ingredienzen, aber keine wirklichen stilistischen Neuansätze. Pietro konnte nun Erbauungsliteratur serienweise herstellen, wahrscheinlich hat ihn nur die in den vierziger Jahren einsetzende Trägheit davon abgehalten, die Produktion ins Ungemessene auszudehnen, offensichtlich blieb auch allmählich der Erfolg aus. La Vita di Maria Vergine, die 1539 bei Marcolini erschien40, widmete Aretino Maria d'Aragona, der Gemahlin des Marchese del Vasto. Das Schreiben, mit dem Pietro der Gattin seines Gönners das Werk überreichte, ist ganz in der Stillage des Marienlebens gehalten. Der Vorname der Marchesa legte Parallelen zur Heiligen nahe, ermöglichte aber auch concettohafte Hinweise auf die Bescheidenheit der Adressatin. Die Genitivmetaphern erhielten in einem Leben der Jungfrau Maria ihre Rechtfertigung aus dem Marienkult, vor allem durch die Lauretanische Litanei: Veramento io non ve la dedico qual conviensi a donna per non ingiuriar con sì piccol grado la divinità concessavi dal cielo; né ve la sacro quale appartiensi a dea, per non turbare con sì gran titolo l'umiltà largitavi da la natura. Adunque die vi chiamerò io, non essendo lecito a darvi l'un nome né l'altro? Potrei chiamarvi nutrice de la carità cristiana; potrei battezarvi essecutrice de le opere catolidie; potrei dirvi fautrice de la religion di Giesù. Ma perché a le degnità del vostro merito si confà più die altro il cognominarvi erario de le lodi de la Madre di Cristo, come tale vi saluto e come tale ve le presento. E Iddio mi spira a farlo, accioché gli atti di Maria nata de la stirpe di David siano guardati da Maria discesa del sangue di Aragona. 41 Aretinos Huldigungsschreiben enthalten im Keim bereits jene beliebig dehnbare Worthäufung, Wortreihung und Wortballung, die das hervorstechendste Kennzeichen der religiösen Schriften bildet. Schon der Anfang des Marienlebens bringt ein kennzeichnendes Beispiel: Se andavano, e se stavano, andava, e stava con essi la unione de la concordia, e la concordia de l'unione, havevano conformi i pensieri, pari le volontà, & uguali i fini, il ritroso de lo sdegno non movea in questo, ne in quella l'orgoglio de la subitezza: per ciodie ne i lor petti non apparve mai furore, ne odio, e dii gli havesse veduti ne gli uffici impostigli da i comandamenti de la legge; haverebbe compreso in die modo si aprezza Iddio, e come si sprezza il mondo, le infermità, i carceri, i freddi, le fami, le seti, l'afflittioni, e le sepolture erano curate, visitati, riscaldati, cibate, satiate, consolate, e ricoperte da quella misericordia, die gli rinteneriva i cori, e rindolciva le menti . . . 42 40
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Ein Exemplar der seltenen editio princeps (Oktober 1539) befindet sidi an der Stadtbibliothek in Ulm. Zitate nach dieser Ausgabe. Lettere, ed. Flora/Del Vita, 583. La Vita di Maria Vergine, ed. cit., c. 3 r.
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Während Aretino in seinen ersten religiösen Schriften die Bibel als Grundlage zu berücksichtigen hatte und ein Minimum an Rücksicht auf die kirchliche Kontrolle nehmen mußte, gaben ihm die Heiligenleben (und das Leben der Vergine gehört bereits dazu) bei der Bearbeitung die größte Freiheit. Pietro benutzte sie zu bigotten Betrachtungen, die nicht selten an die gekonnte Frömmelei seiner alternden Kurtisanen erinnern. Nie läßt er es bei der Behandlung seiner erbaulichen Gegenstände an Respekt mangeln. Da er wissen mußte, wie wenig man gerade von seiner Seite darauf gefaßt war, trug er seine Frömmigkeit so aufdringlich wie möglich auf. Nur in seltenen Fällen hat man den Eindruck, daß der Schalk hinter der frommen Maske erscheint. Aber auch dann ist es nicht klar, ob es sich um ein Versehen oder um Absicht handelt, wie in der folgenden Episode aus der Kindheit Marias: E perche anche Iddio riposò dopo il creare del suo mirabile magistero, Maria non per trastullare il semplice de la sua infantia; ma per isdiifare il fastidio de l'otio, si dilettava alcuna fiata con due colombe, die se le annidavano in casa, elleno più bianche, die il puro del latte, e più pure die il bianco de i gigli, si come havessero spirito d'intelletto; giunta l'hora, die Maria vacava da l'oratione, e da le faccenduzze impostele da la propria pueritia; le volavano intorno con soavissimo mormorio: e posate in terra s'appressavano a lei con l'ali aperte e tremolanti, & ella postole le mani tenerine sul dosso morbidetto festeggiava con esse fanciullescamente, onde l'una uscitale di sotto si alzava avolo, poi in un tratto sparita, mentre la Vergine scherzava con l'altra, chiusasi tutta ne le penne, nel piombarsi inverso lei mostrava gioco nel farle cadere col batter de le piume il velo giù de la testa dorata . . . Subito che Maria si accorse del padre, sparse per tutto il latte de le gote la porpora, die le spruzzò nel viso l'honestà de la vergogna, ella posto da parte il gioco si inchinò con suprema riverenza al suo honorato genitore: . . , 43
Die mit ihren Tauben schäkernde Jungfrau Maria ist aus der Perspektive religiöser Erbauungsliteratur ein Verstoß gegen den guten Geschmack, aus der Perspektive von Pietros Ragionamenti ein unmißverständliches Spiel mit Zweideutigkeiten. Pietro hat besonders im Leben der Jungfrau Maria das Thema der Keuschheit wiederholt behandelt, da aber für den Kenner seiner erotischen Schriften immer wieder sprachliche Anklänge an diese hörbar werden, sind diese Stellen in der Regel peinlich. Die Schilderung des Besuchs der Hirten an der Krippe wetteifert mit den Darstellungen der bildenden Kunst. Aretino ist aber darauf bedacht, die Einzelheit nicht zu verselbständigen, sondern im Zeichen des Heilsgeschehens feierlich zu gruppieren. Mag seine Beschreibung auch der Volkskunst einiges verdanken: die Intentionen des Schriftstellers weisen in Richtung auf statuarische Feierlichkeit, auf effektvolle Haltung. Die Hirten, die in den Mysterienspielen der Weihnachtszeit Ausgangspunkt für reali43
Ib., c. 23 v. ff.
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stische Einlagen sind, werden von Aretino mit der gleichen respektgebietenden Ehrfurcht ausgestattet wie die Heiligen Drei Könige, und der Heilige Joseph unterrichtet die Besucher persönlich über das Geheimnis der Geburt Christi. A la similitudine de le dette genti comparirono i pastori a la grotta sacratissisma, & affisato il pronto de lo sguardo in Giesu ristretto ne i panni di Maria, secondo la verità dettagli da chi non sa dire menzogna; si lasciar cader su le ginochia con gesti inconsiderati: e parendo più presto imagini sculpite, die figure vive, transformati nel morto de lo stupore senza esprimer parola l'adorarono con lo intrinseco del core, e non con lo estrinseco de la bocca . . . & accompagnandogli Giuseppe fino a l'uscio de la illustre grotta, disse loro cioche potè dirgli del nascimento del comune salvatore, e de la verginità de l'universal madonna, esso gli contò come il parto visto da tutti era concetto di spirito santo, e partorito virginalmente da la pudica Maria, soggiugnendo, egli ha nome Giesu, & è redentor de l'anime, e salute de le genti . . . Mentre le pastorali turbe con lingue ¡spedite, e fedeli divulgavano la salutifera nativitade; ecco sotto il Cielo de la Luna una grandissima stella, la quale senza niun concorso di cagion naturale: sendosi mossa da i confini de i Persi, e de i Caldei, e da la regione irrigata dal fiume Saba, da cui pigliano il nome i Sabei; drizzando il corso verso Gierusalemme traheva dietro al suo miracoloso lume tre Magi seguitati da real quantità di Cavalli, di Camelli, di Dromedari, e di famiglia . . ,44
Königlich sind die Hirten, königlich empfängt sie Joseph in der Grotte, königlich sind die Weisen aus dem Morgenland. Nirgends wird die Stilhöhe verlassen. Eben darauf beruht die hochtrabende Monotonie des Marienlebens wie der prose sacre überhaupt. Die aufdringlich und ohne jeden Sinn für schickliches Maß aufgetragenen rhetorischen Mittel tun ein übriges, um diesen Eindruck hochstelzender Eintönigkeit zu bekräftigen. Die menschlich ergreifenden Augenblicke im Leben seiner Heiligen vermag Aretino nicht zu gestalten, sie sind ihm lediglich Ausgangspunkt für sprachliche Bravour, die Selbstzweck wird. Regungen sentimentaler Art haben in diesen Werken (wie übrigens auch in den Ragionamenti) keinen Platz. Einzige Sorge des Schriftstellers ist die königliche oder hieratische Haltung seiner Gestalten, die bis zu ihrem natürlichen oder gewaltsamen Tod eine Rolle zu zelebrieren haben, die sich nie etwas vergibt. Nirgends entsteht in den prose sacre ein Gespräch, der Redende denkt nie an den Angeredeten, sondern immer an sich selbst. Vergeblich würde man bei Aretino nach Spuren der ergreifenden Dialoge zwischen Mutter und Sohn suchen, welche Höhepunkte franziskanischer mittelalterlicher Literatur sind (im Marienleben hat Aretino die Passion nicht mehr behandelt, lediglich in der Erinnerung ziehen nocheinmal die wichtigsten Stationen der Leidensgeschichte vorbei). 44
Ib., c. 78 V./79 r.
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Die Begegnung, die Aretino in der Umanità di Cristo bereits behandelte, ist dort nur Anlaß f ü r rhetorische Künsteleien, f ü r Anaphern und Reihungen : Ohimè ecco la Vergine, ohimè ch'ella è apparsa, ohimè che nel suo apparire mi commove si il dolore che ha commossa lei, che la memoria fugge de la materia, e la materia da lo ingegno, e lo ingegno da lo stilo, e lo stilo da lo inchiostro, e lo inchiostro da la penna, e la penna da la carta. 43
Die Begegnung Christi mit den weinenden Frauen von Jerusalem bringt einen gesuchten Einfall: Ma Giesù rivoltatosi a lo stuolo de gli uomini, e de le donne di tutta la regione, che con isquarciar i capegli, con percuotersi il petto, e con batter di palme gli era corsa dietro, disse con tre lagrime: una che si moveva da l'occhio sinistro per mescolarsi con quella che se gli affigeva nel mezo de la gota, e l'altra tutta ingorgata nel destro . . . 40
Man hat allzu oft neben dem Anti-Pedanten Aretino diesen irritierenden rhetorischen Dilettanten übersehen, der im Vertrauen auf seine Wortkunst, auch noch Themen zu bewältigen vermeinte, die ihn in Wirklichkeit unbeteiligt ließen. Selbst der Schmerzensmann Christus ist f ü r Pietro wieder einmal nur Ausgangspunkt f ü r rhetorische Vergleiche. Was in den temali auf die Königin von Frankreich als Montage einer Person im Zeichen damaliger Huldigungsdichtung geschah, ist bei Aretino zur Allzweckschablone geworden, mit der er auch die ergreifendsten Gegenstände religiöser Literatur und Kunst bewältigen wollte. Maria, die ihren mißhandelten Sohn sieht, gibt sich keinen mütterlichen oder menschlichen Regungen hin, sondern Überlegungen im Dienst gesuchter u n d preziöser Vergleiche: Ora la Vergine è giunta: ella va cercando il figliuolo con gli occhi, e vedendolo non lo raffigura, perch'egli non pareva non più desso. Il suo capo simigliava un pino senza chiome. La sua fronte un quadro di cristallo pieno di ghiacci. Le sue ciglia due filse d'ambre nere minutissime sfilate. Le sue guancie non erano dissimili da un rosaio di verno. Il suo naso pareva un canellino di ariento filato calpesto da la trascuraggine de lo artefice. La sua barba pareva proprio un cespo di viole senza ciocche, e tutto il suo volto insieme si confaceva a la alba sepolta ne la nebbia. 47
Hier wird ein menschliches Antlitz zu einer Anhäufung von Einzelheiten. Die Verselbständigung der Teile eines organischen Ganzen gehört wie die Verwendung rhetorischer Kunstgriffe zu jener Mechanisierung des Stils, die dann einige Jahrzehnte später in den Bildern Arcimboldis ihren augenfälligsten Ausdruck erhält. Der Verselbständigung der Teile in der äußeren Erscheinung entspricht die Vereinzelung intellektueller oder seeli45 48 47
L'Umanità di Cristo, ed. cit., 194. Ib., 194 f. Ib., 195.
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scher Äußerungen, die in der Regel im Dienst grandioser Überhöhung der Gestalt steht. Tod bedeutet bei Aretino nie Verwesung, immer nur schaueroder ehrfurchtgebietende letztmögliche Aufgipfelung der Person oder, wie im Fall der sterbenden oder toten Maria, Vorspiel der Verklärung, die mit petrarkistisdien Mitteln umschrieben wird. Einen Grenzfall stellt innerhalb von Aretinos religösen Schriften das 1540 im Auftrag des Marchese del Vasto verfaßte Leben der Heiligen Katharina von Alexandrien dar. 48 Hier werden die in den ersten prose sacre verwandten rhetorischen Schablonen zu einem Nonplusultra gesteigert. In seinem Widmungsbrief vom 26. November 1540 beklagt sich Aretino bei seinem Auftraggeber, „il quale ha voluto che io formi un libro intero d'una leggenda che non empie un foglio mezzo; tal ch'io vorrei che la sterilità di cotale istoria fusse stata imposta a lo studio di qualunche si voglia". 49 Der Generalissimus der kaiserlichen Truppen war wohl durch seine Stellung in einem künftigen Krieg gegen die Türken dazu bewogen worden, die Heilige, deren Kult vor allem in die Zeit der Kreuzzüge fällt, ganz besonders zu verehren. Katharina, Tochter des Königs Costo, wird durch einen Einsiedler für den christlichen Glauben gewonnen und vergeblich von ihrem Vater beschworen, den neuen Glauben aufzugeben. Das Ergebnis des Gesprächs ist die Bekehrung Costos. Der Kaiser Maxentius läßt Costo und andere Christen unter grausamen Torturen hinrichten, lädt seine Priester zu einer Disputation mit Katharina, die unerschüttert bleibt und ihre Widersacher bekehrt. Auch ein Heiratsantrag des Kaisers wird von Katharina standhaft abgewiesen, so daß auch sie hingerichtet wird. Neues bringt das Katharinenleben nicht, aber die bereits verwandten Stilschablonen werden nun systematisch erweitert und angehäuft. Katharina reiht in ihrem Gespräch mit der Kaiserin nicht weniger als vierundvierzig Substantive aneinander, um die Eitelkeit der Welt zu veranschaulichen : non si sente se non discordie, guerre, liti, querele, inganni, furti, nimistà, menzogne, guai, disturbi, rapine, superbia, invidia, falsita, tradimenti, insidie, homicidi, vituperi, insulti, crudeltà, ambitioni, perfidie, lussurie, 48
49
Das Werk erschien zunächst ohne Angabe des Druckers und des Orts, wahrscheinlich im Jahr des Widmungsschreibens, 1540. Nach dieser Ausgabe wird im Folgenden zitiert. Ein Jahr später veröffentlichte das Werk erneut Francesco Marcolini, und 1630 erschien es bei Ginammi unter dem üblichen Anagramm Partenio Etiro. Lettere, ed. Flora/Del Vita, 698. — Eine mittelalterliche Fassung der Katharinenlegende hat A. Mussafia in den Sitzungsberichten der phil.-hist. Kl. der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (Bd. 75, Jhg. 1873) nach einer Handschrift der Marciana veröffentlicht.
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fornicationi, incesti, adulteri, sacrilegi, heresie, bestemie, maladicentie, calumnie, ruine, sceleratezze, spergiuri, ansieta, oppressioni, nequitie, ingiustitie, ferri, ceppi, prigioni, tormenti, disperationi e morti.50 Hier wird die H ä u f u n g Selbstzweck, die Sprecherin wird zum hemmungslos funktionierenden Wortautomaten. Die lineare Wortbewegung wird komplexer, wo die Reihung zu einem scheinbaren Abschluß gelangt, um dann aufs neue loszubrechen: Costo ruft angesichts der Bekehrung seiner Tochter Zeus an: Toglimi o Giove ottimo massimo prima di terra coi fulmini, die costei per me si vegga battere da le verghe, sbranar da le fere, squasciar da gli uncini, strascinar da i cavalli, scorticar da i rasoi, incenerir da le fiamme, ismembrar da le tanaglie, acecar da gli stecchi, scannar da i ferri, aprir da i coltelli, consumar da le fami, profundar da le macine, e martorizzar da le spade, da le manaie, da i capestri, da gli oglij, da i veleni, da i piombi, da le caldaie, da i bastoni, da i pozzi, da le fordie, da le seghe, e da le prigioni. 51
Auf die Reihung von Verb und Substantiv folgt ab „martorizzar" eine bloße Substantivhäufung. Mitten im Satz wird dadurch das Tempo gewechselt, der Rhythmus, zunächst durch die Verbindung von Verb und Substantiv langsam voranschreitend, erhält eine unerwartete Beschleunigung. In keinem anderen Werk achtete Aretino so sehr auf eine sorgfältige Verzahnung einzelner Satzteile oder einzelner Sätze. Wie sonst nur nodi in der Orazia kennzeichnen chiastische Worverschränkungen den Text auf weite Strecken. (la costante fe) le fece dire, die ho io à far di queste carni? e, die cosa sono ossa? e la mia persona, die è? vanita, polvere, & ombra sono e la mia persona, e le mie ossa, e le mie carni; Si essendo ombra, vanita, e polvere questi, quelle, e quelle altre, à die mi servono le fragilità loro?52 Der ersten Reihung rhetorischer Fragen (a, b, c) folgt die Antwort (a', b', c') und rückläufige Aufzählung der in der ersten Fragenhäufung eingeführten Substantive (c, b, a) + chiastisch verschränkter Aufzählung der gegebenen Antwort (c', b', a') + abschließender Demonstrativ-Reihung. Die Erzählung rückt an solchen Punkten nicht von der Stelle, die rhetorische Bewegung schwingt hin und her und beruhigt sich erst mit der abschließenden Frage. Die vierfache Verschlingung trägt dabei keineswegs zur Klärung, eher zur Verwirrung bei. Das Spiel mit Worten wird zum Spiel mit Begriffen, die jeder konkreten Bedeutung entleert werden. Besonders deutlich wird dies bei einem Hinweis auf die Trinität, bei dem sich Aretino des Dreierschemas bedient. Costo belehrt den Kaiser: 50
51 52 53
La Vita di Catherina Vergine composta per M. Pietro Aretino, ed. cit., C 4 (die Ausgabe ist unpaginiert, die Seiten der Oktavblätter werden von mir von 1 bis 16 durchgezählt). Ib., B 2. Ib., 1 , 6 . Ib., C, 11.
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riprende la insania di dii crede die sia altra Deità, die quella del Padre, del Figliuolo e del Spirito Santo. Il creator mio e innanzi al tempo, in ogni tempo, e dopo il tempo, esso è ab eterno, in eterno Se in sempiterno, Sc i vostri Idoli non fur già, non sono hora, ne saran mai. 5 3
Die drei Zeitdimensionen, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, werden dreimal variiert, so daß Pietro ein durch das Zahlenschema gegebener Lobpreis auf die Dreieinigkeit gelingt. Neben dem Dreierschema finden sich besonders häufig Siebnerreihen, die nicht selten in chiastischer Wortfolge wiederholt werden: Penetra la calda, la semplice oratione di humile, e caldo zelo; tutte le sphere, tutti i
humile, la fedele, la religosa, la pia, la pura, e la Caterina con il suo semplice, puro, religioso, fedele, tutta l'aria, tutti i cieli, tutte le stelle, tutti i pianetti, segni, e tutti i circoli. 54
Wie in den anderen religiösen Schriften findet sich eine Unzahl gesuchter petrarkisierender Periphrasen. Freudentränen werden zum „humor della letizia", die Augen Katharinas sind „le luci della donzella", die Gesichtsfarbe wird mit „gigli bianchi" und „fiori vermigli" umschrieben.55 Die Lippen der schönen Märtyrerin treten miteinander in Wettstreit: Massentio tornando con lo sguardo à Caterina si dilettava in aspettare, die ella partisse la porpora dell'un de i labbri, dal cremisi dell'altro, nella cui tersa nettezza ripercotendo la sacra lingua, esprimeva detti angelici in suono celeste. 56
Aretino ist ohne jeglichen Sinn für mystische Verzückung. Dies zeigt die Beschreibung einer Vision der Heiligen, die in ihren Martern von Christus getröstet wird. Pietro wußte zwar, weldie Elemente eine religiöse Dichtung ausmachen, aber er zeigte seine Ohnmacht, sobald er sich an deren Verwendung machte. Christus bleibt bloßes Spruchband, zwischen dem Tröster und seiner Märtyrerin springt kein Funke über. Wichtiger als Verinnerlichung von Katharinas Haltung war für Pietro die pedantisch-gewissenhafte Anwendung seiner Bearbeitungsprinzipien. Tu sei amica mia, bellezza mia, colomba mia, e diletta mia. vieni à me, à me vieni o sposa cara, se vuoi di'io ponga il mio trono in te. vieni sposa poi, ch'io desidero la innocentia tua, la semplicità tua, e la puritade tua; e desiderandola rallegro gli ordini de i miei Angeli puri, semplici, S i innocenti. 57
Angesichts des Martyriums der Heiligen begnügt sich Pietro mit leeren rhetorischen Fragen: Ib., L, Ib., F, 5 » Ib., G, 57 I b . , E ,
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1. 12. 8. 15.
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Ma perche non piange questa penna? perche non lagrima questo inchiostro? perche non langue questa carta? perche non sospira chi legge? e perche non geme chi ascolta in che modo Caterina figlia di Re, paragon di beltade, eccellenza di natura, vaso di dottrina, erario di sapientia, pompa de i costumi, elegantia di laude, e luce se ne venne non al diporto de i giuochi; ma alla passion dei martirij o veramente infelici, o veramente inutili, o veramente miseri mortali.58
Nannas Wortschwall entzündet sich an ihrem Stoff, an ihrer Erfahrung, an ihrem Leben: der Autor verschwindet hinter seiner Gestalt. In den religiösen Schriften wird hingegen der „Stil" von außen herangetragen. Nach dem Leben der Heiligen Katharina von Alexandrien mutete der Marchese del Vasto Aretino einen Auftrag zu, für den er sich keinen Ungeeigneteren als den aller theologischen Bildung baren Pietro hätte auswählen können: das Leben des Heiligen Thomas von Aquin. Der Schriftsteller hätte, wie aus den Lettere hervorgeht, den Auftrag lieber abgelehnt, aber für Pietro steht eine Jahrespension des mächtigen kaiserlichen Statthalters auf dem Spiel. Dieser sorgte außerdem als Gouverneur von Mailand dafür, daß Pietro die Pension Karls V. regelmäßig zugestellt erhielt. Alfonso d'Avalos verpflichtete Pietro durch einen Vorschuß, für den sich der Schriftsteller bereits im Januar 1541 bei einem Bernardin Moccia aus der Umgebung des Marchese bedankte. Pietro ist die Angelegenheit eher peinlich als angenehm, wie aus einem Brief vom 23. Januar hervorgeht: Se fosse lecito die i servi riprendessero i padroni, io ardirei di riprendere il nostro circa i cento scudi datimi di presente e de gli altretanti ordinatimi lo anno in anno del futuro; conciosia che esso doveva prima legger l'opra, e poi remunerarmene in modo die la qualità del dono non recasse in lui pentimento e in me superbia.59
Es ermangelt nicht der Ironie, daß Pietro zum Gefangenen seiner eigenen Rolle wurde. Er, der bei keiner Gelegenheit versäumte, auf seine Bedeutung als Verfasser erbaulicher Schriften hinzuweisen, mußte nun feststellen, daß er in seine eigene Falle gegangen war. Ein Jahr nach Empfang des ersten Vorschusses muß sich Pietro bei dem wegen seiner Saumseligkeit erbitterten Alfonso entschuldigen (12. Januar 1542), und als der Markgraf einige Monate später droht, dem vertraglich gebundenen Experten in Erbauungsliteratur sämtliche Zuschüsse, einschließlich der kaiserlichen Pension, zu sperren, droht Pietro, er lasse sich mit derartigen Mitteln nicht drängen: Egli è certo die gli ingegni eletti son forme celesti e non asini vetturini, e mal per colui die gli dispera in cambio di consolargli, avvenga che le vendette de gli inchiostri son più eterne die l'offese ne i sangui.60 58 59 60
Ib., M, 13 f. Lettere, ed. Flora/Del Vita, 735. Ib., 837.
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Dieser biographische Hintergrund darf nicht übersehen werden, wenn man in Aretinos Thomas-Vita nicht ein gewandtes Manöver im Zeichen der Gegenreformation erblicken will. Den ihm so wenig gemäßen Stoff bewältigte Pietro durch Einschub umfangreicher Beschreibungen, durch eine Verführungsszene, durch eine Predigt des Aquinaten vor dem französischen König. Es konnte sich für Pietro nicht darum handeln, die auch heute noch nicht ganz überschaubaren Etappen im Lebenslauf des Heiligen kritisch zu überprüfen. Sie erlaubten es ihm, das biographische Gerüst mit freien Erfindungen zu umranken. Wieder einmal macht Pietro Anleihen bei der bildenden Kunst, als er einen Besuch Landolfos d'Aquiino bei einem Eremiten in der Nähe von Cuma schildert. Der Ort, an dem der Einsiedler haust, wird mit einer Tendenz zum Schaurig-Großartigen geschildert: „antro spaventoso", „L'erta del monte", „precipitato da balze stupende", „lo horribile albergo dell'antica Sibilla"61 sollen den Eindruck grauenhafter Öde beschwören. Nur eine Inschrift mit einem Hinweis auf die Auferstehung als Oberwindung des Schicksals bleibt von der Vegetation unberührt. Pietro beschreibt den Ort mit einer Anhäufung zweigliedrig angeordneter substantivierter Adjektive: „il salvatico, Sc il duro, il folto, e l'aspro, l'horrido, e l'irto de gli sterpi, de gli spini, e dell'herbe."
Im Gegensatz zu Tizians Hieronymus-Bildern, wo der Heilige „Gewächs wie die Bäume"82 wird, fehlt bei Aretinos Verwendung effektvoller Einzelheiten und ausgesuchter Vergleiche das Atmosphärische: die gedankliche Überfrachtung läßt den Unterschied zwischen bildender Kunst und Literatur nur um so deutlicher werden: Stavasi là il vecdiion giusto quasi cadavero di persona estinta, e non come corpo di persona vivente, egli con le braccia aperte, e con le ciglie tese teneva lo spirito astratto nella contemplation di Dio, e la vita assente dalla vision del mondo; e se nulla mancava al suo simigliarsi a un huom defonto, la vecchiaia, e la magrezza ce lo aggiugneva; la età, e la penitentia l'haveva condotto a tale, die lo spirito habitava seco più tosto per miracolo, die per natura, la gratia superna, e non la forza vitale già manteneva nel corpo l'anima; due ciocche di barba longa bianca, & inculta, e due altre di capegli inculti, lunghi, e bianchi gli pendevano giuso dal capo, e dal mento; & da uno straccio di cilicio povero, e ruvido gli celava quel, die non è lecito a scoprire; le ginocchia, in cui si fermava, con il resto de gli stinchi, e de i piedi, ritrahevano a quel secco, & a quello astenuato, die si scorge ne i piedi, negli stindii, e nelle ginocchia della decrepitudine, e del digiuno, nè si sarebbe
61 82
Partenio Etiro: Vita di San Tomaso d'Aquino, Venedig 1636, 7. Dagobert Frey: Manierismus als europäische Stilerscheinung — Studien zur Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts, hg. von Gerhard Frey, Stuttgart 1964, 56.
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mai conosciuto se lo ignudo del petto, die egli mostrava, fusse stato di creta, o di carne. 63 Die Häufung malerischer Einzelheiten entspricht der nahezu x-beliebigen Reihung von Substantiven und Adjektiven. Mit diesen Mitteln war die serienweise Herstellung erbaulicher Literatur sichergestellt. Die Taufe des kleinen Thomas gibt wieder einen Ausgangspunkt für seitenfüllende Beschreibungen im Zeichen des Petrarkismus. Verniedlichende Einzelheiten über Haar und Gesichtsfarbe des Kindes sind ein stilistisch-rhetorisches Gegenstück zu der Beschreibung von Einöde und Einsiedler. Stilistische Ähnlichkeit zwischen Ragionamenti und prose sacre kann der Vergleich einer Stelle aus dem Dialog mit einer aus der Vita dì San Tomaso d'Aquino belegen: . . . questi si maravigliavano de i capegli, che innanellati senza arto accennavano, tremando tuttavia, di cadérgli giù dalla testa con tutti i loro anelli, altri si dilettava delle rose vermiglie, e de i fiori bianchi, che gli facevano delle guance giardino, chi si perdeva nel por mente al profilo del naso di lui, alcuno si ammirava della dolcezza, che gli apriva la bocca senza aprirgliene, colui stava astratto nella soavità, die gli affigeva il guardo non gliene affigendo, e costui si trasecolava per parergli impossibile, che una età si puerile, mostrasse in se virilitade, e sapere, . . . 64 (la reverenda paternità) . . . le fece appoggiare la fronte ne la cassa del letto, e aprendole con le mani soavamente le carte del messale culabriense, tutto astratto contemplava il fesso, . . .65 Höhepunkt der Thomas-Vita ist die Schilderung der von den Brüdern des Heiligen veranlaßten Versuchung durch eine junge Frau. Die Episode spielt in der Tradition eine gewisse Rolle 66 , sie ist also keine willkürliche 63 64 65 66
Partenio Etiro: Vita di San Tomaso d'Aquino, ed. cit., 10 ff. Ib., 38. I Ragionamenti, ed. cit., 28. Cfr. P. Angelo Walz O. P. (San Tommaso d'Aquino — Studi biografici sul Dottore Angelico, Rom 1945): „Le lusinghe femminili dovevano, secondo loro (cfr. i fratelli), più facilmente di ogni altro tentativo, attirare agli allettamenti della libidine un giovane di diciotto anni o poco più. Tuttavia gl'insidiatori non fecero i conti col possibile intervento della grazia di Dio. Infatti la fanciulla che avrebbe dovuto sedurlo era appena entrata nella stanza di lui die fra Tommaso, vedendola e sentendo in sé, a quella inaspettata comparsa, gli stimoli della carne, afferrato dal focolare un tizzone, pieno di sdegno la mise in fuga. E poi ritiratosi in un angolo della stanza con la punta del tizzone che era stato lo strumento della sua vittoria, tracciò sulla parete un segno di croce, e prostrato a terra si abbandonò alla preghiera" (p. 43). Diesen blitzartigen Ablauf des Geschehens konnte Aretino für seine Darstellung nidit brauchen. Ihm kam es — wie den Malern seiner Zeit — auf die entkleidet auf dem „letto signorilmente fornito" ruhende Kurtisane an. Die klassizistisch verhaltene Schilderung des Frauenakts „sembrava non persona viva, ma creatura scolpita in una composizione di latte e d'ostro teneramente duro" wird Selbstzweck,
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Erfindung Pietros, gab ihm aber doch Gelegenheit, sein Können an einem ihm recht naheliegenden Argument unter Beweis zu stellen. Hier, wie in den Kindheitsszenen aus dem Leben Marias, ist ein leiser Anflug von Ironie unverkennbar, wenn Aretino den Heiligen mit einem vor einer reißenden Wölfin67 fliehenden, angstvoll blökenden Schaf vergleicht. Die Beschreibung der Verführungskünste ist aber befangen in einem ehrgeizigen ut pictura poesis und zielt auf einen klassizistischen Wettstreit mit den Malern von Giorgione bis Tizian ab, wenn Aretino die nackt auf dem Bett ausgestreckte Kurtisane mit distanzierter Objektivität zu schildern sucht: . . . si gettò nel letto signorilmente fornito, e spogliatasi tutta ignuda, faceva mostra del più bel proporzionato corpo die mai si vedesse in qual si voglia donna; ella, postasi una delle mani sul fiore guastatole da quel primo die le preruppe il verginal sigillo, si recò l'altra sotto la guancia nell'atto die si scorge in alcune Cleopatre di m a r m o pario; . . . Degli occhi, il cui lume ripercotendo ogni riflesso del suo splendore in una lucerna accesa facean aleggiarla, non favello, avvenga die mi abbaglino in m o d o del pensare alla lor rifulgenzia die non mi lasciano vedere dove mi ponga la penna; del riso medesimamente taccio, perché le cose impossibili a descrivere son di più meraviglia nel mettere in silenzio die nello esprimere in c a r t a ; duo soli piccoli senza gran lustro di raggi posti in u n cielo ¡svelato simigliavano le mammelle die le brillavano in seno; 68
Wie in den Dialogstellen der prose sacre der Sprechende sich fast nie auf den Angesprochenen einstellt, sondern sich in monologischem Narzißmus gefällt, so springt auch hier kein Funke zwischen dem Bild und seinem Betrachter über. Daher rührt der kalte, unsinnliche Ton der ganzen Szene. Aretino war ein Meister in der Darstellung der Strategie seiner Kurtisanen, solange ihre Künste in einer auf sie eingestellten Umgebung sich entfalten konnten und das Atmosphärische wie im päpstlichen Rom der Cortigiana oder in den Berichten Nannas miteingefangen war. Dies zeigt auch die Predigt des Aquinaten vor dem französischen König, die ein Sammelsurium frömmelnder Gemeinplätze aus den Lettere bringt. Hier glaubt sich Aretino in seinem Element; Ratschläge, Ermahnungen und Warnungen an die Adresse der Großen seiner Zeit gehörten zu seiner täglichen Beschäftigung. Nicht zufällig steht die Aufforderung zur Gebefreudigkeit an erster Stelle: „Impara o Re, primamente ciò die sia Überhat mit der H a n d l u n g — der V e r f ü h r u n g des jungen Mannes — nidits zu tun. Zwischen dem Kunstkritiker und dem Erzähler Aretino klafft hier, wie an
zahlreichen anderen Stellen seiner prose sacre, ein Abgrund. Die dann endlich eintretende Reaktion des Heiligen, der über der Schilderung vergessen wurde,
kommt daher überrasdiend und unerwartet. 67
I m Italienischen bedeutet lupa auch Kupplerin oder heißblütig-sinnliche F r a u ; „lupanare" ist das Bordell.
68
Die Verführungsszene ist abgedruckt in den Prose sacre, ed. cit., 159—164.
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tade". 69 Anaphern sorgen für emphatische Apostrophierung 70 : „O Re magnanimo, o Re singulare, o Re potente fà che tu ti schifi, fà che tu ti astenga, fà che tu ti fugga dallo spargere il sangue della generatione humana". Mit der Vita di San Tomaso d'Aquino beendigte Aretino seine Tätigkeit als religiöser Schriftsteller. Interesse und eine richtige Witterung für das literarische Gebot der Stunde waren der Anlaß für die Entstehung der prose sacre: sie haben ihre Zeit nicht überlebt. 71
69 70 71
Vita di San Tommaso d'Aquino, ed. cit., 241. Ib., 247. Giorgio Petrocchi (P. A. tra rinascimento e controriforma, op. cit.), der seine Monographie auf Aretinos Stellung zwischen Renaissance und Gegenreformation aufbaut, bleibt in seinem Kapitel Intorno alle prose sacre (264—297) die Antwort auf die von ihm aufgeworfene Frage nach Aretinos Quellen und Vorbildern schuldig. Er weist zwar wiederholt auf die Bedeutung der „scrittori religiosi del Tre-Quattrocento" (272) hin, beeilt sich aber dann sofort festzustellen: „Non sono certamente testi che l'Aretino si sia studiati con l'attenzione di chi indaghi liricamente e tecnicamente quelle fonti alle quali l'han portato il proprio naturale sentire e la comune materia letteraria. Si tratta, più che altro, di una interiore comunicazione del fondo originario, popolaresco, dell'Aretino con quella letteratura aurea che veniva tramandata dalle letture abituali delle persone di media cultura e dalla tradizione poetica del popolo. E anche dai modi dei predicatori del tempo, ché infatti lo scritto sacro dell'Aretino nasce ben spesso come emulazione e ripetizione dell'alta predica cinquecentesca, massime della scuola domenicana" (272/3). Belege für diese Hypothese werden von Petrocchi nicht geliefert. Ettore Bonora übersieht Aretinos literarischen Ehrgeiz, wenn er im Hinblick auf die scritti religiosi des Divino meint: „Essi non erano sicuramente destinati n¿ a chi sapeva trarre piacere dalla lettura dei versi elegantissimi del De partu Virginis e della Cristiade (von Sannazaro bzw. von Vida) né ai nobili spiriti che aspiravano a una riforma della Chiesa; erano piuttosto fatti per il pubblico più vasto e culturalmente poco qualificato, di coloro per quali storia sacra e vite dei santi restavano materia appassionante per la gran parte die vi prendeva il meraviglioso col racconto di miracoli, di tentazioni vinte, di esempi di fermezza eroica nel martirio" (Storia della Letteratura Italiana, voi. quarto: Il Cinquecento, Garzanti, Mailand 1966, 425). In Wirklichkeit wollte Aretino mit diesen prose sacre (wenn man von seinen kirchenpolitischen Ambitionen absieht) ähnlich wie mit seinen Briefen volkssprachliche, nicht volkstümliche Literatur geben.
Aretinos Oktavendichtungen I n den ersten venezianischen M o n a t e n suchte sich Aretino die G n a d e des Herzogs von M a n t u a durch einen epigonenhaften Einfall zu sichern: er wollte die Familie Gonzaga besingen wie Ariost das H a u s d'Este. Das P r o j e k t scheiterte an äußeren Umständen, aber sicher auch an Pietros Selbstkritik. Die erhaltenen Proben epischer Oktavendichtung aus der Feder Aretinos zeigen hinreichend, d a ß sein Versuch, mit Ariost in einen literarischen Wettstreit zu treten, Ergebnis finanzieller N o t u n d vorübergehender Selbstüberschätzung w a r . D e r Markgraf v o n M a n t u a griff allerdings Aretinos Einfall wohlwollend auf u n d d a n k t e bereits am 15. September 1527 f ü r die ersten Kostproben: Ho letto le stantie die mi havete mandate, principio della vostra Marphisa disperata, la quale so die sarà più presto finita die d'altri non seria principiata, et non serà manco bella nè manco dotta die si la fosse fatta in 25 anni. Le dotte stantie mi sono molto piaciute et con questo poco gusto die mi ne havete dato mi havete messo nel maggior desiderio del mondo di vederla finita: il quale desiderio non so se potrà esser prevenuto dalla velocità del vostro ingegno. Vi ringratio ben infinitamente de l'honore die mi fate in componermi questa opra et in farmegli tanto honore dentro quanto mi fate.1 Aretino setzte mit seinem Heldengedicht d o r t ein, w o Ariost seinen 46. Gesang beschlossen h a t t e : mit dem T o d Rodomontes und seiner H ö l l e n f a h r t . Die Episode w u r d e schon 1532 verbreitet: Opera nova del superbo Rodomonte Re di Sarza che da poi la morte sua volse signorizare l'inferno (In Vinetia, per Guilielmo da Fontaneto di M o n f e r r à , ad instantia de H i p o l i t o detto il Ferrarese, M D X X X I I ) . Ein weiteres F r a g m e n t De le Lagrime d'Angelica di M. Pietro Aretino due primi canti erschien 1538. A n f a n g 1530 w i r d der lebhafte Briefwechsel zwischen Federico Gonzaga u n d Pietro Aretino durch ungeklärte U m s t ä n d e plötzlich unterbrochen. Zahlreiche Szenen waren vorausgegangen. Einmal rüpelte Aretino im H a u s des französischen Botschafters in Venedig den mantuanischen Geschäftsträger, Gian Iacopo Malatesta, in ungehöriger Weise an. D e r Vertreter des M a r k g r a f e n blieb dem dreisten Literaten die A n t w o r t nicht schuldig, und Pietro gab plötzlich klein bei : 1
A. Luzio: P. A. nei primi suoi anni a Venezia . . ., op. cit. 72.
Aretinos Oktavendichtungen
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Et volendomi partire et uscito di la camera del detto ambass. di Franza, detto Aretino mi venne drieto, et con parole molto sumisse et humane me pregò che non volessi scrivere cosa alcuna allo Ill mo S., die quello havea detto di Sua Ex. procedea da gelosia et amore che gli porta, et che di la persona sua non intendea mai die in scritto nè altrimenti parli se non honoratamente, come Principe che lo merita et dal quale ha recevuto molti benefitii, non già equali alli meriti suoi perdiè ha meritato troppo ne l'opera che l'ha fatto in laude sua et de suoi antecessori, et che quando la vederà cognoscerà che gli è servitore, et che l'è per andare in Franza in breve et di là potrà intendere li boni officii et honorevoli laudi che attribuirà al p t 0 Ill m0 , come suo bon servitore che gli vole esser in ogni loco dove el si ritroverà. Io lo ringratiai del bono animo che l'havea di fare tanti boni effetti et lo exortai ad farlo et die se ne ritrovaria ogni giorno più contento. Elio mi soggionse che da qui inanti non haveria causa di dolersi di lui perdiè più non parlaria del S.r se non come era tenuto. Et mi pregò assai die non volessi scriver questo abatimento die era stato tra noi. 2
Trotz dieser Beteuerungen hatte Aretino das Interesse an einer großen Huldigungsdiditung auf die Familie Gonzaga verloren. Es fehlte nicht an theatralischen Gesten. So schickte Aretino beispielsweise dem Gesandten Malatesta die ihm von Marchese Federico zur Verfügung gestellte Genealogie des mantuanischen Geschlechts zurück ( „ . . . ditegli ch'io sono mutato di proposito, nè voglio più finir l'opra in honore di dii mi lasciarà morir di fame, et non mandiaranno patroni a Pietro Aretino" 3 ), und nach einigem weiteren Hin und Her suchte er seine Oktaven anderweitig anzubringen. Dies, nachdem Federico Gonzaga über den Bischof von Vasone, Girolamo Schio, bei Clemens VII. bereits das Privileg für den Druck der Dichtung erwirkt hatte. Aretino brachte es sogar über sich, bei einem Besuch des Datars Giberti in Venedig „per ispiratione divina" mit dem alten Feind vorübergehend Frieden zu schließen, und er beeilte sich, Federico davon in Kenntnis zu setzen. Dieser bezog sich in einem Brief an den Datar (8. Februar 1530) auf die Nachricht seines Schützlings und leistete sich eine unglückliche Anspielung auf das Attentat des Achille della Volta: „et benché pensassi di'ella non havesse fatto senza causa quello ch'haveva fatto contra lui, nondimeno sempre ho sperato che per humanità et benignità sua ella fusse per far quello ch'hora l'ha fatto, . . . " Giberti antwortete postwendend: „Et perchè nella lettera sua è una parola ch'io non vorrei che nella mente sua fusse tale per quanto ho cara la gratia non solo sua ma della S. ta di N . S. mio patrone e di tutto il mondo insieme, non posso lassarla passar senza pregarla ad esser certa, se è certa ch'io sia servitor suo, die se è stato mai fatto cosa alcuna contra m. Pietro è stata senza ordine, senza consenso e senza saputa mia, anzi di quel che fu » Ib., 82. » Ib., 79. sa Ib., 90. 10 Höste
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Aretinos Oktavendichtungen
fatto presi io tanto dispiacer che se non fussi stato sforzato dalli infiniti preghi ne facevo molto maggior dimostratione di quel che feci." 4 Der Datar gab also zu, daß er durch sein mißverständliches Schweigen in der leidigen Affäre Aretino-Delia Volta nicht näher bezeichnete Personen zu decken suchte. Dies alles hat zwar wenig mit Aretinos Versuch einer großen Dichtung in Stanzen zu Ehren der Familie Gonzaga zu tun, zeigt aber doch, wie entschieden Federico für seinen Dichter eintrat. Luzio gelang es nicht, an Hand der vorliegenden Dokumente zu erklären, warum es dann dodi plötzlich zu einem definitiven Bruch zwischen Federico und Pietro kam: der von Karl V. zum Herzog erhobene Herr von Mantua legte noch im Sommer 1530 ganz besonderen Wert auf die Dichtung. 5 Pietro wandte sich nun an den Herzog Alessandro in Florenz und schrieb diesem in einem in den Carte Strozziane im Staatsarchiv in Florenz a u f b e w a h r t e n B r i e f : „Canto
la genealogia
de Medici
non sanza sdegnio
de
Mantua". Herzog Alessandro schien aber keinen Wert darauf zu legen, so daß Aretino sein Machwerk schließlich Alfonso d'Avalos widmete. Sicher blieben die jahrelangen Bemühungen Aretinos, in die Fußstapfen Ariosts zu treten, nicht unbekannt. Der Dichter des Orlando furioso schien Aretino auf diesem Weg sogar zu ermuntern, sonst hätte er ihm nicht in der Ausgabe letzter Hand 1532 die Beinamen „divino" und „flagello de' principi" zugedacht. Aretino wußte allerdings aus dem Markgrafen von Mantua bis zum letzten Augenblick Kapital zu schlagen. Als am 12. August 1530 die Republik Florenz nach verzweifeltem Widerstand vor dem sie belagernden päpstlich-kaiserlichen Heer kapitulierte, befürchtete Arezzo, das sich in dem toskanischen Krieg kompromittiert hatte, Repressalien und wandte sich daher an Pietro Aretino um vermittelnde Hilfe. Aretino schrieb am 19. August an seinen Gönner. Der Brief, der nicht in die Lettere aufgenommen wurde, ist ein diplomatisches Meisterstück. Aretino suchte den Herzog von Mantua zu bewegen, bei seinem Bruder Ferrante, Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, zu Gunsten der Aretiner zu intervenieren: Ma qual premio potrà la cortesia vostra mai dare alle mie lunghe fatiche che pareggi il conservare per amore mio la mia patria intera? N o n un tesoro, non un Stato mi saria tanto caro, quanto la salute della patria; et però, Signor ottimo, adesso è il tempo die V. Ex. dimostri al mondo il qual sa che io vi adoro quanto cura tenete della servitù mia. Io vi chiedo cose honeste e sante, et vi ricordo die gli Aretini sono antichissimi toscani, et die Virgilio con4
Ib., 91.
5
Luzio macht darauf aufmerksam, daß die in den Lettere 1531 datierten Briefe im vorausgehenden Jahr geschrieben und abgesandt wurden.
Aretinos Oktavendiditungen
147
fessa Mantoa essere fondata da toscani, et chi sa che gli Aretini die aiutaro Roma a vincer Kartagine non aiutassero a fondarla! 8
Aretino wendet sich an dieser Stelle an den Mäzen Federico, bemüht Virgil, den Stolz Mantuas, und suggeriert damit indirekt die Parallele Virgil : Augustus = Aretino : Federico. Wie richtig er seinen Protektor eingeschätzt hatte, zeigt das Schreiben, das der Herzog von Mantua schon fünf Tage später an seinen Bruder richtete. Federicos Intervention bei Ferrante war ein voller Erfolg. Aretino sorgte dafür, daß in seiner Heimatstadt bekannt wurde, wem man die Rettung vom drohenden Krieg verdankte, und seine Landsleute wußten noch Jahre später Pietros Bemühungen wiederholt zu belohnen: im Januar 1552 konnte er ihnen für die Ernennung zum gonfaloniere danken. 7 Bedenkt man, daß es Aretino durch seine Arbeit an der Marfisa sogar gelang, in die geschichtlichen Ereignisse seiner Zeit einzugreifen, dann läßt sich ermessen, mit welcher Spannung das Werk erwartet wurde. Aretino will an die viertausend Oktaven verbrannt haben: „Non die tre, ma presso a quattro mila de i romanzi . . . si sono abbrusciati per mio ordine. Vero è che sento dolore solo del canto, dove introdussi Orlando et Aspramonte a combattere, del quale l'Unico Accolti stupì, massime delle stupende comparazioni, che ci erano." 8 Die erhaltenen zwei Gesänge der Marfisa (insgesamt 215 Oktaven), und die 181 Oktaven der Angelica lassen den Verlust dieses poema eroico leicht verschmerzen. Aretino lehnt sich mit seiner ersten Oktave eng an die durch Ariost in der Nachfolge Virgils sanktionierte Exordialtopik an: D ' A R M E e d'amor veraci finzioni vengo a cantar con semplici parole, tacendo come in ciel nascano i tuoni, gli error di Cintia, e '1 faticar del sole; perché '1 secreto de le gran cagioni de l'alme cose a noi celar si suole, e stassi in maestà de la natura; ella il fece, ella il sa, ella n'ha cura. 9
Vergleicht man diese Oktave mit der entsprechenden des Orlando furioso, so fällt der Kontrast zwischen dem Bekenntnis zu „semplici parole" und dem bombastischen Ton besonders auf. Von Marfisa wird in der Dichtung nur kurz der Name gestreift. Thema ist in erster Linie die Liebe 6
A. Luzio: P. A. nei primi suoi anni a Venezia
7
Lettere,
8
Zitiert von G. Sborselli, in der Einleitung zum zweiten Band der Poesie di Pietro Aretino (Band 1: Poesie burlesche, Lanciano 1 9 3 1 ; Band 2 : Poesie serie, Lanciano 1934).
9
Poesie serie, ed. cit., 11.
io»
. .
op. cit., 98.
Paris 1609, Bd. VI, 56 r . — 5 7 r.
148
Aretinos Oktavendiditungen
zwisdien Ruggiero und Bradamante, die unbeholfen zur Paradenummer ausstaffiert wird: la dolce innamorata Bradamante bacia al suo dio la vincitrice mano, (Marfisa, I, 13)
Wo sidi Aretino gar anschickt, lyrische Regungen zum Ausdruck zu bringen, wird er banal: Ella '1 divo Ruggier, die in terra adora, segue in disparte, e seco parla e dice: „Verrà mai quella dolce e beata ora, di'io sol de l'angel mio godo felice?" (Marfisa, I, 20)
Pietro, der eingescliworene Feind der Petrarkisten, übertrifft diese an Geschmacklosigkeit, sobald er sich in ihre Fußstapfen begibt. In den Beschreibungen der Liebesszenen zwisdien Bradamante und Ruggiero ist jene gestellte Pose Norm, von der es nur noch ein Schritt bis zur Parodie ist: apparve Bradamante e porse al collo le belle braccia al suo terreno Apollo. (.Marfisa, I, 33)
Auf engstem Raum übernimmt Aretino bereits benutzte Formulierungen für verschiedene Personen und Situationen. Die Begegnung Bradamante — Ruggiero hat eine Entsprechung in der Liebesszene Angelica — Medoro. Aretino gefiel sich wie alle Nachfahren Petrarcas im Gebrauch des Oxymorons („un vitale morir"). Oscar Büdel hat darauf hingewiesen, daß dieses konziseste und geraffteste aller Stilmittel auf eine antithetisch bestimmte Geisteshaltung schließen läßt. 10 Dies gilt zweifellos für die ernst zu nehmende Barockdichtung, die Ausdruck eines entsprechenden Lebensgefühls ist. Davon kann bei Aretino keine Rede sein. Das Oxymoron ist bei ihm lediglich ein rhetorisches Mittel unter anderen, das er ohne irgendwelche innere Beteiligung verwendet. Mit rhetorischen Spielereien füllt er seine Stanzen, wo es an Inspiration fehlt. Häufig walzt Pietro eine Anapher aus wie in Angelica I, 95, wo er fast wörtlich Marfisa II, 14 mit dem Oxymoron „un vitale morir" übernimmt, und ebenso entspricht Angelica II, 14 fast wörtlich Marfisa I, 14. In enger Anlehnung an Ariost gefällt sich Aretino auch in exemplarischer Beschreibung weiblicher Anmut und Schönheit: 10
Oscar Büdel: Francesco Petrarca und der Literaturbarode träge des Petrarca-Instituts Köln, XVII, Köln 1963), 11.
(Schriften und Vor-
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Disciolto l'ondeggiante oro sottile e il vel, die lo copria, seco traendo, quest' aura d'un bel crin forma un monile, il candido di lei collo cingendo, quella dentro e di fuor del sen gentile un altro aurato crin fa gir serpendo; dii parte i bei capegli e chi gli preme, altra gli sparge, altra gli avvolge insieme. (Angelica, I, 97—98) Lessing hat in seinem Laokoon darauf hingewiesen, daß Beschreibungen, wie sie Ariost von seiner Alcina gibt, dichterisch unergiebig sind: Dolce in seinem Gespräch von der Malerei, läßt den Aretino von den angeführten Stanzen des Ariost (cfr. Orlando furioso, VII, 11—15) ein außerordentliches Aufheben machen; idi hingegen wähle sie als ein Exempel eines Gemäldes ohne Gemälde. Wir haben beide recht. Dolce bewundert darin die Kenntnisse, welche der Dichter von der körperlichen Schönheit zu haben zeiget; idi sehe aber bloß auf die Wirkung, welche diese Kenntnisse, in Worte ausgedrückt, auf meine Einbildungskraft haben können. Dolce schließt aus jenen Kenntnissen, daß gute Dichter nicht minder gute Maler sind; und idi aus dieser Wirkung, daß sich das, was die Maler durch Linien und Farben am besten ausdrücken können, durch Worte gerade am schlechtesten ausdrücken läßt. Dolce empfiehlet die Schilderung des Ariost allen Malern als das vollkommenste Vorbild einer schönen Frau; und idi empfehle es allen Dichtern als die lehrreichste Warnung, was einem Ariost mißlingen mußte, nicht noch unglücklicher zu versuchen.11 Aretino hat diese Vereinzelung der Komponenten weiblicher Schönheit in seinen ternarii In Gloria de la Regina di Francia mit pedantischer Konsequenz durchgeführt. Mit monotoner, litaneiartiger Aufzählung ihrer Vorzüge wird Caterina de' Medici in die Bestandteile ihres Körpers zerlegt, und Pietro schreckt auch nicht vor den abgedroschensten Wendungen der petrarkistischen Manier zurück: Chi la soave isvelta gola, aspersa di lattee perle, a tante gioie belle porge in colonna immaculata e tersa? Chi coniò le sacre sue mammelle che sembran fisse nell'eburneo petto, del cielo uman due nutritive stelle? Chi è suto l'Architetto venerando della macchina in muscoli viventi? chi un picciol mondo in lei va figurando.18 11
11
Lessing: Werke — Auswahl in sedis Teilen — Aufgrund der Hempelschen Ausgabe neu herausgegeben von Julius Petersen, Berlin — Leipzig — Wien — Stuttgart, o. J., Teil 4, 384 f. Poesie serie, ed. cit., 185 f. Der überraschende Vers „della macchina in muscoli viventi" könnte als „vorbarocke" Wendung aufgefaßt werden, würde diesem Gedidit nicht jeglicher
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Aretinos Oktavendichtungen
Mit Verwunderung nimmt man zur Kenntnis, daß der nämliche Aretino, der sich in seinem berühmten Brief gegen die Pedanten über deren „quinci" und „quindi" lustig macht, selbst diese antiquierten Formen verwendet und schließlich in seinen sechzig Stanzen für Angela Serena sogar zum Petrarkisten tout court wird. Die Stanze in lode della Sirena, die 1 5 3 7 Aretinos Freund Marcolini verlegte, verwenden die nämlichen Gemeinplätze wie die Angelica und Bradamante gewidmeten Oktaven und die ternarii für Caterina de* Medici, die Königin von Frankreich. Sie gehören zum schwächsten, was Aretino geschrieben hat. Immerhin brachte die Dichtung Pietro eine goldene Kette der Kaiserin Isabella ein (cfr. das Dankschreiben an Don Luigi Davila vom 20. August 1537). Aretino wollte aus der Venezianerin Angela Serena, eine neue Laura machen. In einem Brief vom 12. Mai 1537 rügt Aretino Angelas pflichtvergessenen Ehemann wegen seiner Päderastie und preist die Vorzüge Angelas im Stil der abgedroschensten petrarkistisdien Formeln: . . . rivolgetevi a l'amore de la compàgnia vostra, a la qual risplende la grazia del colore: le sue trecce, sparse sopra le spalle e per le tempie e per il collo, par die brillino quasi iacinti filati con la sottigliezza de l'arte, la cui maestria a lato de le orecchie e in cima de la fronte gli ha fatti ricci come le api de i prati : e il cristallo non è sì netto come sono le membra de la inviolabile castità sua, tesoro miracoloso a questi tempi senza vergogna. 13 Giannantonia Serena blieb Aretino die Antwort nicht schuldig, drehte den Spieß herum und verklagte den beredten Verfechter ehelichen Glücks wegen Sodomie und Gotteslästerung, worauf bereits in der bio-bibliographisdien Einführung hingewiesen wurde. Angela starb kurz nach der Veröffentlichung der Stanze. H ä t t e Aretino wirklich in die Fußstapfen Petrar-
13
Ernst fehlen, mag es audi nicht ausgeschlossen sein, daß Aretino durch die 1538 in Venedig veröffentlichten Tabulae anatomiae sex und das Werk De humani corporis fabrica (Venedig 1534) des Andreas Vesalius beeindruckt war. Es ist gut, im Zusammenhang mit dem immer wieder von der Kritik hervorgehobenen Barock ante litteram bei Aretino an André Chastels Ausführungen über Le baroque et la mort zu erinnern. Danach geht die barocke Geschmacksrichtung zwar eine natürliche Allianz mit der Rhetorik ein, aber erst durch die Leidenschaft erhält sie ihre unverkennbare Note: „L'art baroque ne se règle pas exactement sur la démonstration logique, c'est à dire la conduite raisonnable; on doit en emprunter une autre, celle des passions, et par là on reconnaît à ce domaine obscur et diffus de l'affectif et du sensible une validité profonde. Il s'agit de cheminer à travers le monde à la fois fugitif et absorbant, des „sentiments" au sens du „traité des Passions", c'est à dire le domaine complexe des réactions nerveuses, des attitudes vitales, de l'irritabilité foncière de l'âme." (Retorica e barocco — Atti del III Congresso Internazionale di Studi Umanistici a cura di Enrico Castelli, Rom 1955 (33—46; 34). Lettere, ed. Flora/Del Vita, 155.
Aretinos Oktavendichtungen
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cas treten wollen, so hätte es ihm also nicht an Elementen gefehlt, aber an Stelle von Gedichten in morte di Madonna Angela ließ er 1544 bei Marcolini Strambotti a La Villanesca / Freneticati Da La Quartana De L'aretino; Con le Stanze de la Serena appresso, in / comparatone de gli stili drucken. Alles lief also letzten Endes auf eine „comparatione de gli stili" hinaus, auf eine burleske Verzerrung der petrarkisierenden Reimerei zu Ehren der Serena, aber über keines seiner Werke hat sich Aretino häufiger geäußert als über die Stanze. Hier suchte er eine dichterische Leistung auf engstem Raum (sechzig Oktaven) zu komprimieren. Im Juni 1535 dankt Aretino Massimiano Stampa für Geschenke, von denen einige diejenige schmücken werden „che spero far vivere ne la memoria de le genti mille anni e mille". 14 Aretino ließ sich die Arbeit an der Dichtung sauer werden; wie er in einem Brief an Francesco Dall'Arme versichert, hat er sich mit dem Werk für die Serena sechs Monate lang herumgeplagt.15 Die Oktavendichtung bleibt weit unter dem Niveau der damaligen Lyrik in Nachahmung Petrarcas oder Ariosts. Wichtiger als für das Werk Pietros ist diese Dichtung für eine Beurteilung seiner Fähigkeit zur Selbstkritik, die immer dann ausblieb, wenn er sich durch ein ehrgeiziges Projekt blenden ließ. Im Fall Angelas stand kein materielles Interesse im Vordergrund wie bei den Oktaven für Federico Gonzaga, aber in Augenblicken der Vermessenheit glaubte Aretino mit jedem in die Schranken treten zu können. Der Name Angela Serena liefert das Material für Anspielungen in Nachahmung Petrarcas: was für den Dichter Lauras der Lorbeerbaum mit seiner reichen Symbolik war, das ist für Aretino das Spiel mit Sirena und Serena. So unselbständig ist dabei aber Pietro, daß er epigonenhaft die bei Petrarca häufige Anspielung auf den Namen Laura in Versen wie „L'aura celeste die 'n quel verde lauro", „L'aura che '1 verde lauro et l'aureo crine", „L'aura serena che fra verdi fronde" bereits in der ersten Oktave übernimmt, ohne daß vom Namen der Geliebten her dazu eine Anregung ausgeht: Aure, o aure die raggirate per questo disvelato Ciel sereno, e '1 puro del nostro aere temprate con spirar dolce di salute pieno, aure, che tra le frondi mormorate, spargendo i sonni a le fresche ombre in seno: non vaneggian più i fiati, die traete se altere meraviglie udir volete. 1 8
14
Ib., 59.
15
Ib., 156.
16
Poesie serie, ed. cit., 139.
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Aretinos Oktavendiditungen
In der fünften Oktave führt sich Aretino als „il toscano pastor die il vero tene / sculto nel fronte, sopra un tronco assiso / gli occhi al ciel v o l t i . . . " ein. Wahrscheinlich war es Tizian, der dem Freund für die Veröffentlichung ein entsprechendes Titelkupfer im Geschmack der damaligen Embleme entwarf. Die Stanzen enthalten geradezu läppische Geschmacklosigkeiten; so soll das nächtliche Firmament mit folgenden Versen suggeriert werden: „le buone stelle, che ascoltaro allegre / le lodi sue, vestite d'oro puro". 17 Im Vergleich zu diesem faden Petrarkismus der Stanzen zu Ehren Angelas und zu den schalen Beschreibungen der Liebesszenen zwischen Medoro und Angelica in den Oktaven der Marfisa und der Angelica sind die Kraftleistungen Rodomontes in der Unterwelt im ersten Gesang der Marfisa dichterisch bedeutender. Sie zeigen allerdings, wohin Aretino gegen seinen Willen tendierte: zum komisch-burlesken Heldenepos in der Nachfolge Pulcis und Folengos, mochte ihm auch die naive Frische des Florentiners und die philologische Akribie des Mantuaners fehlen. Rodomonte dringt in den Hades ein, wo ihm Charon den Weg vertritt. Der wütende Sarazene packt ihn daraufhin am Bart und wirft ihn ins Wasser. Aber auch hier verzichtet Aretino nicht auf aufgelesene klassizistische Reminiszenzen. Ohne jedes Gespür für die mythologische Welt der Antike häuft er sie zu einer Rumpelkammer von unbeteiligt zitierten Requisiten. Immer wieder sucht Pietro mit gesuchten Hyperbeln sich selbst zu übertrumpfen. Unter Aufbietung eines fortissimo-Wortschatzes sucht er zu betäuben, zu blenden, zu verblüffen: Ecco i folgori scender dal polo alto d'orror focoso e orribil foco armati, mugghiano i tuoni quei prendendo il salto, e i nuvoli disfànsi arsi e spezzati, crolla il furor tutto il terrestre smalto, son gl'infernali dèi si spaventati, die il padre lor dice tremante e fioco: „Qual foco è quel ch'il mio spegner vuol foco?"18
Ausgefallene Geschmacklosigkeiten wie dieser mit bebender Stimme lispelnde Zeus betrachtete Aretino als „originell". Daß es sich dabei um keine Entgleisung, sondern um bewußtes Stilwollen handelt, zeigt wenige Oktaven später die Reaktion Plutos: L'ode e crede Pluton di'altro Ercol vegna con nuovi eroi de la maggion terrena, per sua donna involar u' vive e regna; " Ib., 155. 18 Ib., 27.
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onde piange e si duol con forte pena, e, mentre nel dolor s'adira e sdegna, ogni alma gode di letizia piena, pianger vedendo in disusati accenti l'inventor de le pene e de i tormenti. 1 '
Der zitternde Jupiter, der weinende Pluto: hier wären Ansatzpunkte für ein komisch-burleskes Epos. Darauf kommt es Aretino aber in der Marfisa und in der Angelica nicht an. Die Burleske würde die Spannung entladen, während er im Gegenteil unter Beweis stellen will, daß es ein Bis-hierher-und-nicht-weiter für ihn nicht gibt. Wenn Rodomonte ein Maximum an kraftprotzendem Furor zu sein sdiien, so werden wir im zweiten Gesang der Marfisa eines Besseren belehrt. Hier wird der grausame Sarazene Aspromonte eingeführt: „un angelo a par suo fu Rodomonte". 80 Aspromonte beschließt, mit seinen Kämpen den Himmel zu stürmen. Die Kost der Athleten besteht aus Drachenherzen und Löwennerven. Mitunter entstehen groteske Effekte, die aber in der dilettantischen Gesamtanlage ohne Wirkung bleiben: Andrò là su, e tolti i fuochi ardenti di mano a Giove, abbrucierò sua prole; vo' dar legge io col cenno a gli elementi, la luna al giorno ed a la notte il sole; non spireran, s'io noi comando, i venti; vo' di'umane le fere abbian parole, vo' '1 mar senz'onde, e '1 ciel privo di lumi; torrò, per dargli a i monti, i piedi a i fiumi.'1
Die einzige Arbeit, die sich in neuerer Zeit eingehender mit Aretinos epischen Fragmenten auseinandersetzte, ist der Aufsatz Angelica ed, i „migliori plettri" von Ulrich Leo. Ulrich Leo beruft sich in seiner Abhandlung auf die berühmten Verse, mit denen sich Ariost von Angelica verabschiedet: Quanto, Signore, ad Angelica accada dopo ch'usci di man del pazzo a tempo; e come a ritornare in sua contrada trovasse e buon navilio e miglior tempo, e de l'India a Medor desse lo scettro, forse altri canterà con miglior plettro. Io sono a dir tante altre cose intento die di seguir più questa non mi cale." "
Ib., 28. Ib., 55. » Ib., 62. " Orlando furioso, canto X X X , 16 f. (Zitat nach der von Remo Ceserani besorgten Ausgabe in den Classici U.T.E.T., Turin 1962.) !0
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Die Tatsache, daß Angelica unbestraft blieb, bildete den Ausgangspunkt für die Fortsetzer. Ulrich Leo weist zunächst auf die von Cervantes zitierten spanischen Ariost-Nachfolger hin, auf Barahona de Soto und auf Lope de Vega, die dann ihrerseits in Balbuena und Quevedo ihre Epigonen fanden, setzt sich dann aber mit drei italienischen Ariostfortsetzern auseinander: „II primo dei tre ( . . . ) non conosciuti dal Cervantes, è Ludovico Dolce col suo Sacripante; la cui prima parte in 10 canti, restata l'unica, fu pubblicata nel 1536, ma composta già verso il 1520. Il secondo è Pietro Aretino colle Lagrime d'Angelica, frammento di soli due canti, pubblicato nel 1538. Il terzo è il conte Vincenzo Brusantini autore dell' Angelica Innamorata, poema completo in 37 canti, pubblicato nel 1550 e ristampato anche nel 1553, cui l'infaticabile autore desiderò persino di dare un seguito."23 Leo glaubt, seine Datierung des Sacripante durch eine in der Dichtung enthaltene „profezia scherzosa", die auf das Jahr 1520 anspielt (VIII, 60), erhärten zu können. 24 Ein Blick auf die Lebensdaten Dolces (1508—1568) zeigt, daß das von Leo angesetzte Jahr der Entstehung nicht haltbar ist. Die Ausführungen des um die Tasso-Forschung verdienten Literarhistorikers verlieren sich schließlich völlig im Reich der Phantastik, wo er auf das Verhältnis der drei Autoren und Werke zu sprechen kommt. Wieder einmal wird nicht der Faden der Aretino-Forschung, sondern jener der Aretino-Legende weitergesponnen: „Ora, dato che l'Aretino non ha voluto portare a termine il suo progetto non ci rimangono che le congetture. Molto probabile è che lui, da quel cinico che era, non si sarebbe contentato di un castigo, diciamo spirituale e lirico, come è il pianto di una donna abbandonata, ma avrebbe cercato un ,castigo addizionale', . . . E come col,castigo addizionale' della flagellazione il Dolce soddisfece il proprio sadismo e quello dei suoi lettori, così pare quasi logico (he l'autore dei Ragionamenti avrebbe inventato, ,oltra a l'oltraggio havuto da Medoro' nel caso suo, un ,castigo addizionale' consistente nella prostituzione d'Angelica, idea tanto vicina al suo mondo spirituale come lontana da quello del Brusantini." 25 Nach Leo wäre Brusantini nie und nimmer auf dieses „motivo piuttosto ripugnante" 26 verfallen; nur Aretinos schmutziger Phantasie konnte dieser Gedanke entspringen. Als Beweis seiner These führt Leo die Tatsache an, 23
Ulrich Leo: Angelica ed i „migliori plettri" — Appunti allo stile della Controriforma (Schriften und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln IV, Krefeld 1953, 12).
24
Ib., 42.
25
Ib., 35.
28
Ib., 36.
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daß im X X X I I . Gesang von Brusantinis Angelica Innamorata in einem allegorischen tempio della Virtù auf Aretino hingewiesen wird: Egli avrà in ascendente l'evangelo, diiamerassi censor del vizio orrendo, otterrà d'esser, per grazia del cielo, il flagello dei principi tremendo . . P Die Verse sind in Wirklichkeit nichts anderes als eine Paraphrase von Ariosts berühmter Formulierung im Orlando furioso. Wie abenteuerlich Leos Hypothesen sind, zeigt schließlich seine Meinung, der Einfall, einen Tempel der Tugend einzuführen, sei wie die Prostitution Angelicas eine Anregung des Divino: L'Aretino più die il Brusantini dovrebbe aver trovato nella letteratura platonizzante o umanistica del Quattrocento l'ispirazione di un tal Tempio, con Zoroastro e tutto l'altro armamentario. Non avendone poi fatto uso egli stesso, ne avrebbe ceduto al Brusantini la proprietà intellettuale, e, come ho già detto, non gratis.28 Nichts könnte besser beweisen als diese auf Sand gebauten Spekulationen, daß Aretino nach wie vor der große Sündenbock der Literaturkritik ist. Der Gedanke, daß der Florentiner Piatonismus über Aretino vermittelt werden mußte, gehört zum Abwegigsten, was sich vorstellen läßt. 28 Kongenialer war die burleske Verzerrung der Ritterepik, wie Aretino sie in seiner Astolfeida und in seinem Orlandino versuchte. Pierre Gauthiez entdeckte in der Bibliothèque Nationale unter den aus der Schenkung des Kardinals Ridolfi stammenden Büchern das einzige erhaltene Exemplar der Astolfeida, während der Text des Orlandino in einer undatierten Ausgabe („Stampato ne la stampa, pel maestro de la stampa, dentro da la Città, in casa, e non di fuora, nel mille, vallo cercha") von Gaetano Ro27 28 29
Ib., 31. Ib., 37. Wie sehr sich der „moralische" Gesichtspunkt bei der Auseinandersetzung mit Aretino immer wieder in den Vordergrund drängt, zeigt auch Francesco Fóffanos Untersuchung II poema cavalleresco dal XV al XVIII Secolo (Storia dei Generi Letterari Italiani), Mailand, Vallardi 1904. Nach einer detaillierten Inhaltsangabe von Aretinos epischen Fragmenten bemerkt Fóffano: „II racconto di Angelica e Medoro, nel quale, una volta almeno ,la musa dell'Aretino si è mostrata capace di compiacersi in una casta e serena idealità', è molto diverso da quanto ci saremmo potuti aspettare dallo spuderato scrittore. La elocuzione stessa, die negli altri episodi è piuttosto gonfia, o ammanierata, o scolorita, qui ha talvolta spontaneità e dolcezza; il poeta sente ciò die scrive e riesce perciò efficace" (136). Nach dem oben Ausgeführten dürfte klar geworden sein, daß es Aretino an keiner Stelle gelingt, den Gegensatz zwischen Schwulst (Rodomonte und Aspromonte) und Petrarkismus (Angelica und Medoro; Bradamante und Ruggiero) zu überwinden.
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magnoli in seiner Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XVII 1868 neu zugänglich gemacht wurde. Die 56 Oktaven des Orlandino (der zweite Gesang bricht schon nach der sechsten Stanze ab) und die 121 Oktaven der Astolfeida in drei Gesängen sind ein Kehraus der Karlsepik. G. Sborselli wies in seiner Ausgabe der Poesie burlesche darauf hin, daß für die Datierung der Astolfeida die Anspielung auf die Ermordung von Pierluigi Farnese (10. September 1547) einen wichtigen Anhaltspunkt gibt.®0 Der Orlandino
setzt ein mit einer Parodie der epischen Exordialtopik: Le erroiche pazzie, li erroichi umori le traditore imprese, il ladro vanto le menzogne de l'armi, e de gl'amori, di che il mondo coglion si inebria tanto, i plebei gesti e i bestiali onori de tempi antichi, ad alta voce canto, canto di Carlo, e d'ogni paladino le gran coglionerie di Cremesino. Sta cheto, ser Turpin prete poltrone, mentre squinterno il vangelo alla gente, taci di grazia, istorico ciarlone, ch'ogni cronica tua bugiarda mente, mercé vostra, pedante cicalone, ciascun poeta e ciarlatan valente dice tante menzogne in stil altiero che d'aprir bocca si vergogna il vero.®1
Unschwer hört man aus „ladro vanto", aus „mondo coglion", aus „prete poltrone" die Sprache Aretinos heraus. Aber bereits hier wird deutlich, daß eine größere burlesk-satirische Parodie Aretinos an seinem Mangel an Maß hätte scheitern müssen. Der dick aufgetragene Schimpf gegen die Ritter der Tafelrunde und ihren Chronisten ermüdet nach wenig Oktaven. Orlandino und Astolfeida sind sprachlich äußerst arm und dürftig. Dies zeigt sich vor allem an der Wortbildung.®8 Die stilistischen Mittel eines Folengo, der mit seinen Parodien der Ritterepik Aretino zeitlich vorausging, standen diesem nicht zur Verfügung.8® Pietro muß sich mit Platitüden Poesie burlesche, ed. cit., 48. Ib., 71. ®s Cfr. Leo Spitzer: Die Wortbildung als stilistisches Mittel exemplifiziert an Rabelais — Nebst einem Anhang über die Wortbildung bei Balzac in seinen jContes drolatiques" (Beihefte zur Zs. f. Rom. Phil., Heft X X X I X , Halle 1910). 33 Ich beziehe mich dabei auf die makkaronisdien Dichtungen, nicht auf den Orlandino von 1526, zu dessen Sprache Francesco De Sanctis bemerkt: „Una lingua cruda, che è una miscela di voci latine, lombarde, italiane e paesane, 30
Sl
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wie „erroiche pazzie" und „erroichi umori" behelfen, wenn er das geniale sprachliche Pastiche Merlin Cocais nachzuahmen sucht. Sprachlich bringt Aretino in seinen Ritterparodien nichts Neues. Sie liegen weit unter dem Niveau der Ragionamenti. Einige Beispiele sollen es belegen: Rinaldo un uom bestiai senza cervello masnadiero di bettole e bordello (Orlandino, I, 4) Fu Carlo Magno un bel cacca-pensieri (Orlandino, I, 7) Aretino schlägt lediglich einige stehende Wendungen seiner literarisdikulturellen Welt breit. Auch im Orlandino fehlt nicht die Anspielung auf die Kurtisane Zaffetta und den von Lorenzo Veniero beschriebenen „benemerito trent 'uno" (Orlandino, I, 41). Zu Astolfo fällt ihm keine bessere Bezeichnung ein als der aus den Komödien in verschiedenen Varianten eingeführte „milites glorioso" (Orlandino, I, 3 5 ) : Auch hier bleibt die Verballhornung der lateinischen Form auf dem Niveau des oben angeführten „erroico". Zum „miles gloriosus" gehört in Aretinos Komödien der Pedant, und dessen sprichwörtliche Päderastie, wie sie in den vierziger Jahren durch die poesia fidenziana Mode wurde:®4 Ora col favor tuo, Pasquarin divo di Iacinto più bello e di Narciso, del miser Carlo Imperadore scrivo la ladra istoria composta improviso; perdié tu sappia, fanciul mio lascivo, più presto te vorrei di'el paradiso
34
senza gusto e armonia; uno stile stecchito, asciutto, lordo e plebeo, spiegano la fredda accoglienza di un pubblico cosi colto e artistico" (Storia della letteratura italiana, ed. cit., II, 93). Mit Folengos Orlandino setzt die systematische Verwendung der Ritterepik zu parodistisdien Zwecken ein. In der Federico Gonzaga gewidmeten Dichtung meldet sich auch jener kecke und zudringliche Ton gegenüber fürstlichen Gönnern zu Wort, der zu Unrecht für eine Erfindung Aretinos gehalten wird: Magnanimo signor, se 'n te le stelle | spiran cotante grazie largamente, | piovan più tosto in me calde frittelle, | chè seco i' possa ragionar col dente: | dammi bere e mangiar, se vuoi più belle | le rime mie, di'io d'Elicon niente | mi curo, in fé di Dio; ché '1 bere d'acque | (bea chi ber ne vuol!) sempre mi spiacque. (Teofilo Folengo: Opere italiane a cura di Umberto Renda, vol. I, Bari 1911 Scrittori d'Italia, 15.) Während in der Literatur zu Camillo Scroffa und zu dessen Elegie e cantici del pedante appassionato in der Regel auf Aretinos Marescalco als Vorläufer der poesia fidenziana hingewiesen wird (Cfr. Camillo Scroffa e la poesia pedantesca, GSLI, Bd. 19, 1892, 304—334), ist der Orlandino mit seiner Parodie des Musenanrufs im Zeichen der Päderastie meines Wissens nodi nie in Betracht gezogen worden.
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Aretinos Oktavendichtungeri Carlo raccolse per Pasqua rosata l'alta dozzina della sua brigata. (Orlandino, I, 14)
Die Komik der burlesken Dichtungen beruht in erster Linie auf Fressen und Saufen und Vorgängen des skatologisdien Bereichs. Selten gelingt Pietro dabei ein wirklich komisches Bild wie in der Schilderung von Astolfos plötzlichem Aufbruch: „Io vengo, io scendo, a cavai monta, aspetta", gridava d'Inghilterra il Duca altiero, e con quella ruina, e quella fretta die trae del letto un infermo il cristero, scende le scale, e inanzi di'el piè metta i' nella staffa e il culo in sul destriero, ritorna in sala e dice piano e lento: „Vo confessarmi, e poi far testamento". (Orlandino, I, 38)
In der Astolfeida mengt Aretino kunterbunt Obszönes und Skatologisches. In der 11. Oktave ruft er den Seher Teiresias an: Te solo invoco, o Tiresia eccellente, di'avesti il naturale e la natura; tu fusti a un tempo agente e paziente, dicesti il vero a tutti a la sicura.
„Agente e paziente" ist eine der geläufigsten Umschreibungen Aretinos für Päderast. Aretino trieb mit jedem seiner Einfälle Wucher, er verwandte ihn in hundert Kombinationen. Gerade Orlandino und Astolfeida zeigen, wie beschränkt seine dichterische Schaffenskraft war. Auch in der Astolfeida bleibt die Wortbildung als stilistisches Mittel banal und dichterisch unergiebig: Vivian vivacchiava a scrocco in corte (Astolfeida, I, 24) Berlinghieri berlinga (Astolfeida, I, 37) Berlinghieri, lassando il berlingare (Astolfeida, II, 2)
An einigen Stellen (im Folgenden von mir hervorgehoben) erinnert der Wortschatz an die Ragionamenti oder an Pietros dichterisch engagierte Briefe. I Paladin babbion li sono attorno e da le risa ognun par che smascelle. (Astolfeida, II, 8) Carlo pur gracchia: „O paladin, fuor fuore". (Astolfeida, II, 9) Dice Pasquin, com'oggi son fra noi Sine fine dicentes puttaname,
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dell'oro più che dell'onore han fame. (Astolfeida, III, 24) Die Handlung der Astolfeida rankt sich um die Herausforderung der Paladine durch Arcifanfano (I), der zunächst vergeblich von Astolfo und Berlinghieri gestellt, dann aber vom Danese gefangen genommen (II) und schließlich in Paris entmannt und in der Seine ertränkt wird (III). Auf einem großen Karren wird der Riese festgebunden, um ihn herzustellen, müssen die ganzen Pyrenäen abgeholzt werden „e bastar quasi appena" (III, 3). In einer Geschichte des Grotesken, »ein durch seine Ungeheuerlichkeit Lachen erregendes"35 kommt der Astolfeida ein Platz zu. Die gelungensten Beispiele stammen aus dem skatologischen Bereich: Mentre il gigante in sala giace in terra, s'apparrecchia la Tavola Ritonda; i paladini, di'han vinta la guerra, fra '1 pacchio e '1 bere ognun di risa abbonda. Or ecco l'Arcifanfan ch'apre e sferra una correggia, una loffa gioconda, die la polvere alzò del mattonato, ed ogni paladino ha impolverato. (Astolfeida, II, 35) Zu dieser grotesken Ungeheuerlichkeit gehören wie bei Rabelais die Gelage. Auch hier gibt der Riese Arcifanfano wieder ein Beispiel, das selbst die ununterbrochen tafelnden Paladine und ihren Chronisten beeindruckt: Turpin, die fu presente, ratto e avaccio scrive che sei fagiani, una pernice, un porco arrosto, un bue ed un castrato gli entrò nel gozzo e non toccò il palato. {Astolfeida, II, 38) Die Parodie des Ritterwesens in der italienischen Literatur um 1500 ist reich an Schattierungen 36 ; Aretino kommt nach Pulci und Folengo 85 38
Heinrich Schneegans: Geschichte der grotesken Satire, Straßburg, 1894, 32. Diese Tatsache hätte in dem sonst vorzüglich informierenden Aufsatz von Wido Hempel Parodie, Travestie und Pastiche — Zur Geschichte von Wort und Sache, GRM, Neue Folge, Bd. XV, 1965, 150—176, nicht nur in einer Fußnote gestreift werden dürfen. Daß die Auseinandersetzung mit der Travestie von Ritterepen und der burlesken Verwendung ihrer Stoffe bei der italienischen Literatur um 1500 einzusetzen hat, wurde kürzlich von Erich Loos hervorgehoben (Allesandro [sie!] Tassonis „La Secchia rapita" und das Problem des heroisch-komischen Epos — Schriflen und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln XX, Krefeld 1967): „Tassonis theoretisches Postulat, der Wille, neue Wege zu finden, zeigen in der Verwirklichung den eindeutigen Sieg des burlesken Elementes. Damit verliert Tassoni seinen Platz als Neuerer in der Geschichte der Gattungen und tritt, wenn auch mit Einschränkungen, in die Nachfolge eines Teofilo Folengo" (27).
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(für die feine Ironie des Orlando furioso fehlte Pietro das kultivierte Raffinement Messer Lodovicos, für die naive Frische des Orlando innamorato der aufrechte Sinn des Conte) nur ein zweitrangiger Platz zu — ganz abgesehen von dem schmalen Umfang seiner fragmentarischen Dichtungen.®7 Mochte Aretino auch den größeren Teil seiner Oktaven verbrannt haben, so hinderte ihn diese Tatsache nidit daran, sich fortan als ebenbürtig neben Pulci, Boiardo und Ariost zu stellen: Questà è la verità, non dico fola, come ser Pulci, il Conte, e l'Ariosto, il mio sol Aretino che pel ciel vola con quel lume di'el sol da' a mezzo Agosto; (iOrlandino, I, 9) Neben der Parodie der Ritterdichtung gab Aretino in Oktaven auch eine Parodie der pastoralen Poesie mit seinen bereits zitierten Strambotti;38, die er einem gewissen Trippa, „Patritio Cantianense Staffieri Sc ogni cosa, Del senza Mendu Duca d'Urbino" widmete. Wie oft, wenn sich Aretino von seiner burlesk-komischen Seite gibt, entschuldigt er sich damit, daß das kleine Werk die Laune eines Traums sei: Ma per die s'in di qui odo riderti de le bufolarie diio mando, mi scuso con giurarti de haverle sputate in sogno, onde voglio die il premio di ciò sia il dignarti in mio scambio di riverire il Duca inginochioni.. . M Es ist kennzeichnend für die künstlerische Qualität dieser Szenen im Orlandino und in der Astolfeida, daß auf engstem Raum ihr Medianismus deutlich wird. Ein Vergleidi mit Rabelais kann dies bestätigen. Der Franzose verändert ständig die Dimension seiner Riesen, so daß immer neue Überraschungen und Situationen möglich werden. (Marcel Tetel: Étude sur le comique de Rabelais — Biblioteca dell'Archivium Romanicum — serie I, vol. 69 — Florenz 1964, 61). Für das enzyklopädische Genie Rabelais war auch nodi das aus größter räumlicher und zeitlicher Ferne Hergeholte aktuell und dichterisch verwendbar: Aretino hingegen fehlte der Sinn für die Verwurzelung seines Jahrhunderts in der Vergangenheit, dies ist nicht der unwesentlichste Grund für die Oberflächlichkeit seines Gesamtwerkes. 38 Mario Fubini (Metrica e poesia — Lezioni sulle forme metriche italiane, Bd. 1 : Dal Duecento al Petrarca, Mailand 1962, 162 f.) erinnert an den Unterschied zwischen dem sizilianischen strambotto und der ottava: „la forma metrica dello strambotto d'amore siciliano, formato da otto versi a rime alternate, che differisce dal rispetto toscano e poi dall' ottava classica, in quanto non ha la rima baciata alla fine" (136). Aretinos strambotti haben die Form der Oktave. " Zitate hier wie im Folgenden nach der höchst seltenen Ausgabe von 1544, von der sich auch ein Exemplar an der Trivulziana in Mailand befindet. Eugenia Levi (Dell'unica e rarissima edizione degli Strambotti alla Villanesca di M. Pietro Aretino, La Bibliofilia, Aprii/Mai 1909, 29—43) hielt hingegen das an der Biblioteca Marciana erhaltene Exemplar für das einzige uns überkommene. 57
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Der unpaginierte Text, den Francesco Marcolini „al Segno de la Verità" verlegte, besteht aus 147 Oktaven. Die erste Strophe soll einen Eindruck von dem Ton des Ganzen vermitteln: Viola mia, cara la mia Viola, Che a vagheggiarti tutto mi confetto; Sei Diavol voi, che ti trovi un dì sola Vò farmi tuo per via d'uno ¡scambietto. Di poi girò amparare a la scola A scomporre in tua laude un sonetto Che ciò facendo, la sua melodia Sara tra te, Se me come una spia. Verglichen mit den kurz vor den Strambotti entstandenen Werken Ruzantes, sind diese Verse, die wegen ihrer Seltenheit auch in den umfassendsten gattungsgeschichtlichen Kompendien nicht erwähnt werden, bestenfalls ein unflätiger Ulk, der mit massiven Metaphern wie „ispazzarti il camino" (Oktave 56) arbeitet und schließlich auf eine Obszönität im Stile der „poesia bernesca" hinausläuft: Viola Violina Violella Non istar più teco ¡stessa a sghignare, Ma poni il Pescio dentro la padella E lasciai quivi a suo modo ¡sguazzare, Ch'è gran piacer quando in l'olio saltella E passa poi sei comenci a mangiare, Perche come, die altrui lha divorato Rimansi la come un Porco sparato. (Oktave 95) Während Aretinos Schweifsonette und Terzinen im Dienste Pasquinos ihm einen hervorragenden Platz in der satirischen Literatur des Cinquecento sichern, sind seine Oktavendichtungen gemessen an den Werken seiner Zeitgenossen ein billiger Abklatsch gängiger Themen. 40 40
Von der Flut bernesker Literatur, die in den Jahren der Strambotti über Italien hereinbrach, läßt sich kaum eine Vorstellung vermitteln. Bernis capitoli über Anguille, Pesche, über Orinale und über Gelatina gaben den Anstoß zu obszöner Verwendung sämtlicher Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände des damaligen Lebens: 1540 erschienen bei Curtio Navò in Venedig Stanze in lode della menta, 1554. Il capitolo delle lodi del fuso von Girolamo Ruscelli aus Viterbo, kann eine Vorstellung davon vermitteln, wieviele derartiger Dichtungen in Oktaven oder Terzinen bereits zirkulierten: Io son per dimenarmi in suso, e'n giuso Con la lingua co i piedi, e con le mani Fin ch'habbia à voglia mia lodato il fuso. Poi die certi poeti ceretani, Scrisser di certe cose, ch'a fatica Le fiuteriano, unte di lardo, i cani.
11 Hosle
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Aretinos Oktavendichtungen Vedete il Bernia quanto s'affatica, In dir de l'aco; 81 è dal Fuso a quello, Quanto da l'elefante, à la formica. Non dico già, die non sia buono, e bello, Il celebrar le fave, e '1 Dio de gli orti, E '1 forno, e '1 naso, e i cardi, e' ravanello. Ma non mi par, die la ragion comporti, Che '1 più degno si taccia, e die si faccia In prima honor' à quel die meno importi. (Zitat nadi der Ausgabe von 1554).
Im gleichen Jahr erschien ein kleiner Sammelband bei Matthia Pagan in Venedig „all'insegna della Fede" : La Caccia d'amore del Bernia con la risposta del Molza. Et una Giostra da Cavallieri erranti. Con un Capitulo di Pietro Aretino contra le Donne. Et un'altro Capitulo, con un Sonetto Amoroso aggionto novamente.
Le Lettere Bereits in der bio-bibliographischen Einführung dieser Monographie wurde auf die Bedeutung hingewiesen, die Aretino seinen Briefen beimaß. Das Zerwürfnis mit Franco ist nur das augenfälligste Beispiel. Noch mehr als ein Jahrzehnt nach dieser Episode erboste sich Pietro wie sonst nur selten, als Bernardo Tasso, der Vater Torquatos, in einem Brief an Annibale Caro die Meinung vertrat, es fehle an nachahmenswerten Beispielen in der volkssprachlichen Briefliteratur: „Et poi die in questo nostro idioma non si leggono lettere di quegli huomini degni d'imitatione, che ci dimostrino la diritta strada, per la quale possiamo securamente caminare, perche non debbiamo noi più tosto i Latini imitare, approvati dalla commune opinione de gli huomini dotti, die l'abuso di questo secolo, in questa parte di poca auttorità, & di poco giudicio, Se ispecialmente in quelle cose, die ci persuade la ragione, & die tornano ad honore, Si a bellezza della lingua, Se a coltezza, Se candore della scrittura? . . . ma perche in questo più, che in tutti gli altri passati secoli regna l'adulatione, la malitia de gli huomini ha voluto anchor di questo veleno spargere le scritture . .
Aretino fühlte sich durch diese Äußerung persönlich angegriffen. Bis dahin war die Beziehung zwischen den beiden Männern durchaus korrekt. Pietro brauchte Bernardo, der als Sekretär des Fürsten von Salerno, Ferrante Sanseverino, dem Divino nicht selten Geschenke des Tributwilligen zustellte. Als aber die Jahrespension von hundert scudi nicht mehr pünktlich ausbezahlt wurde und sich Aretino mehrere Male wegen der Saumseligkeit des inzwischen wegen Einziehung seiner Güter verarmten Fürsten vergeblich beklagt hatte, kündigte er diesem mit theatralischer Geste die Gefolgschaft: Per non ritrovarmi nell'animo più divotione, nè affetto, per essere già gran tempo, die l'uno, & l'altra presentòvvi il mio cuore; vi mando adesso, ch'è Natale, per amorevolezza di buona mano, scudi cento, che per sua lettra, Si bocca del Tasso, la vostra si obbligò darmi eccelenza. 2
Man geht wohl kaum fehl, wenn man eine kausale Verbindung zwischen diesem Brief an den Fürsten vom Dezember 1548 und jenem Brief an Tasso vom Oktober 1549 sieht. Der Brief an Tasso schließt mit einem 1 2
11»
B. Tasso: Le lettere, Venedig 1612, 2 r. P. Aretino: Lettere, Paris 1609, V, 80 r. (Nr. 167).
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Le Lettere
Postskriptum, in dem Pietro Bernardo fordert. Hier wie im Brief an den Fürsten die große Geste: die Wahl der Waffen und den Ort des Duells stelle er seinem Gegner anheim. Wichtiger als diese Inszenierung von Aretinos Schreiben ist die Antwort auf Tassos Klage, es gebe keine nachahmenswerten Briefe in der Volkssprache. Ob Tasso so gewissenlos sei, die Briefe Bembos und Tolemeos für nichts zu erachten? Aretino wirft sich hier zum Verteidiger allgemein anerkannter Autoritäten auf, aus der persönlichen Kränkung macht er eine Beschimpfung der Literatur seiner Zeit und spielt sich als Paladin des verstorbenen Kardinals wie auch der „autorita del Vescovo" (gemeint ist Tolomeo) auf. Zur Ambition Bernardos, selbst normativ verbindliche Briefmuster zu verfassen, bemerkt Aretino: . . . supplite al mancamento del non mi potere con contrà fare in le sententie, nè in le comparationi, (die in me nascano, & in voi moiano) co i lisci, & co i belletti delle fertili conrispondentie, ch'io uso nell'ordine del come sarebbe a dire: egli vè ne renderà gratitudine, io vi terrò obligo, & voi ne ritrarete laude. In vero die nel contesto di simili andari mi venite drieto, a piè saldi; nè potreste però fare altrimenti, essendo il vostro gusto inclinato più all'odor de i fiori, die al sapore de i frutti, onde con gratia di stile angelico, & con (verbessert aus non) maniera d'harmonia celeste, risonate in gli epitalami, & ne gli hynni, le cui soavità di dolcezze; non si convengano in lettere, die a loro bisogna il rilievo della inventione, & non la miniatura dell'artifitio.3
Aretino postuliert also eine Gattung Brief mit einer spezifischen literarischen Form: nicht verkünstelte Miniatur, sondern das Relief, das eine schöpferisch tätige Phantasie zu geben vermag, ist das Entscheidende, nicht Blumenduft, sondern fruchtiger Geschmack. Pietro arbeitete mit massiven Effekten, wer sich wie er Gehör verschaffen wollte, durfte davor nicht zurückschrecken. Audi die ästhetische Wirkung seiner Lettere beruht in erster Linie darauf. Der berühmte Brief über den Tod des Condottiere Giovanni dalle Bande Nere ist ein Musterbeispiel für diese plastische Darstellungsweise, die einen lebendigen und unmittelbaren Eindruck verschafft. Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, wo Aretino nicht Erschütterung mimt, sondern wirklich ergriffen ist, und daher ganz darauf verzichtet, sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Er, der so oft Affekte aus Berechnung vortäuschte, ist hier am Totenbett des Freundes wirklich einmal betroffen. Hier 4 wird nicht reflektiert, sondern nur dargestellt. Aretino selbst ist nicht mehr als ein Zeuge unter anderen. Dies wird um so deutlicher, wenn man mit dieser plastischen Erzählung des Geschehenen den am gleichen Tag geschriebenen Brief an die Witwe des Verstorbenen vergleicht. Hier zeigt sich bereits jener rhetorische Wettstreit um Worte, jene Suche 3 4
Ib., 184 v.—187 r. P. A.: Lettere, ed. Flora/Del Vita, 9 f.
L e Lettere
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nach ausgefallenen concetti, die sich besonders in den Kondolenzbriefen des Divino nicht selten zu albernen Geschmacklosigkeiten auswuchsen. Als der mantuanische Gesandte in Venedig, Benedetto Agnello, seinen Enkel verliert, tröstet ihn Aretino auf eine Weise, daß man sich zunächst fragt, ob er es nicht auf eine zynische Verspottung des schwer geprüften Mannes abgesehen hat: In quel' m o d o di verità, die la f a m a (die nè più nè meno è per in eterno essercitarsi in la memoria del gran' M. Giovanni) die si sia a f f a t t i c a t a in f a r ' noto al mondo il come andiora giovane s'è morto; mi ha conto in un tratto, non senza lagrime a gli occhi, & il fine del piccoP di voi nipote, che il padre in la fossa ha seguito, & il male, che tenendovi atterrato nel letto, se non ci usate per medico la p r u d e n z a ; sotterrerà il Signor Benedetto Agnello anchora. & bene s t a r à v v i ; & bene il meriterete, da che sete sì micidiale: die non potendo per via de i vostri ramaridii, & delle vostre disperationi ritornare quello, nè questo in vita, volete quasi per un' dispetto, che no'l paté, senza resuscitare l'un, nè l'altro; uccidere voi medesimo con la violenza del duolo; die vi provocate crudelmente contra(.) conciosia che niuna schiatta è, die non lasci di se herede. imperoche sendo il genere delle genti disceso tutto d'un ceppo, tutti siamo parenti, tal' die il prossimo ci è fratello, ci è figliuolo, & ècci nipote, si che rallegratevi di sì f a t t a prole; . . . 5
So peinlich Kondolenzschreiben dieser Art anmuten mögen: für Aretinos Zeitgenossen wurden sie zu Musterbeispielen. „Mi ricordo che vi scrissi ultimamente, acciò la vostra risposta avanzasse appresso la Marchesa del Vasto tutte l'altre lettere che de la sua grandissima perdita si sono condolte", kann Luca Contile 6 an Aretino nach Venedig berichten. Jacob Burckhardt irrte, als er meinte, die Art, wie Aretino Clemens V I I . nach dem Sacco aufforderte, nicht zu klagen, sondern zu verzeihen, sei „lauter Hohn eines Teufels oder Affen". 7 Ganz im Gegenteil: Aretino suggeriert dem Papst eine politische Linie, und er verzichtet sogar darauf, seinen Gegner Giberti für das Scheitern der philo-französischen Politik im Zeichen der Liga von Cognac verantwortlich zu machen. Es hänge jetzt alles davon ab, daß sich der Papst mit dem Kaiser versöhne, um gemeinsam mit ihm gegen die Türken zu rüsten: Così da lo inconveniente in cui vi ha posta la licenzia de i peccati del clero, con laude e gloria uscirà il premio de la pacienzia, che perciò ha s o f f e r t a la constantissima Vostra Santitade. 8
Der Maler fra Sebastiano (ab 1531 del Piombo) verschaffte Pietro die Genugtuung, ihm die Reaktion des Papstes auf die Ereignisse zu schildern: 5 P. A . : Lettere, Paris 1609, I I I , 117 V./118 r. • Lettere scritte a Pietro Aretino emendate per cura di Teodorico L a n d o n i voi. I l / p a r . II, Bologna 1875 (Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XII al XVII, B a n d 133/4, 92 f.). 7 J a c o b Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, op. cit., 113. 8 P. A . : Lettere, ed. Flora/Del Vita, 18 f.
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Le Lettere Son doi giorni die Papa Clemente, mangiando in castello più presto pan de dolori die vivande magnifidie, disse, con un sospiro die si fece sentire: se Pietro Aretino ci fusse stato appresso, noi forse non saremmo qui peggio che prigioni, però che ci avrebbe detto liberamente ciò che si diceva in Roma de lo accordo Cesareo, trattato per il Feramosca et il vice Re di Napoli; tal che noi non avremmo posto la nostra buona volontà in mano de tali. Sua Santità, compar caro, allegò in simil proposito il sonetto die gli deste nel caso de la presa del cristianissimo a P a v i a ; cosa die a pensarci fa tremare il cuore de tutti i vostri amici: perdiè non se udì mai, che uno uomo avesse tanto ardire de dare a un sì gran maestro le sue vergogne in iscritto.®
Es ist nicht damit getan, daß man Aretino in das Reich der Fauna verstößt, auch nicht damit, daß man sich mit der Korruption der Zeit den außergewöhnlichen Erfolg seiner Briefe erklärt. Pietro besaß wie sonst nur wenige die Fähigkeit, die komplizierten Gedanken und Hintergedanken, welche die Beziehungen zwischen den Fürsten regelten, in die Sprache des gesunden Menschenverstands zu übersetzen. Man wird nicht im Ernst glauben, daß Karl V. 1543 Pietro Aretino nur aus Interesse in Peschiera zu seiner Rechten reiten ließ. Aus dem Verhalten des Kaisers spricht sicher auch Bewunderung für einen Mann, der sich aus dem Nichts emporgearbeitet hatte und zu einem Monarchen der Feder geworden war. Als Aretino sieben Jahre später seinen Freund Tizian damit beauftragte, bei Karl V. auszuspüren, wie er sich zu seiner Kandidatur auf den roten Hut verhalte, kann ihm der Künstler aus Augsburg berichten: In questo Cesare mostrò segno di allegrezza nel viso, dicendo die molto gli piaceria, e die non potrà mancare di farvi a piacere; ed etiam soggiungendo altre parole nel caso di voi, onorate e grandissime. . . Il duca d'Alva non passa mai giorno die non parli meco del divino Aretino, perchè molto vi ama, e dice die vuole esser agente vostro appresso Sua Maestà. 1 0
Es mag dahingestellt bleiben, ob dieses „segno di allegrezza" des Kaisers nicht eine ironische Nuance enthielt: Tatsache ist, daß sich Papst und Kaiser einen Sekretär wie Aretino wünschten. Es war einer von Aretinos genialen Einfällen, als er 1537 seine Briefe zu einem Band zusammenstellte und seinem Freund Francesco Marcolini zur Veröffentlichung übergab. Fausto Nicolini, der die beiden ersten Briefbände Aretinos für die Scrittori d'Italia in beispielhafter Weise herausgab (1913—1916), gibt in seiner Nota zum ersten Band eine genaue Obersicht über die zu Lebzeiten Aretinos bei dem Verlegerfreund erschienenen drei Ausgaben. Die beiden 1538, im Januar beziehungsweise im September, erschienenen Editionen sind nahezu identisch, so daß Nicolini die Ergebnisse 9 10
Lettere scritte a Pietro Aretino, ed. cit., voi. 1/par. I, Bologna 1873, 12. Lodovico Dolce: L'Aretino ovvero Dialogo della pittura con l'aggiunta delle lettere del Tiziano a vari e dell'Aretino a lui {Biblioteca rara pubbl. da G. Daelli, Bd. 10), Mailand 1863, 79.
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seiner Kollation in der Feststellung zusammenfassen kann: „le due edizioni non presentano alcuna variante". 11 Damit war vor allem für die Biographie Aretinos gesichert, daß das Zerwürfnis mit Franco nach diesem Zeitpunkt anzusetzen ist. Erst in der dritten Auflage, die 1544 wieder bei Marcolini erschien, und die Ausgabe letzter H a n d darstellt, nahm Aretino bemerkenswerte Eingriffe vor. N a d i Aretinos Tod erschienen sämtliche Briefe in sechs Bänden 1609 in Paris bei Matteo il Maestro, „nella strada di S. Giacomo a la insegna dei quattro Elementi." Höchstens für die Geschichte der Zensur interessant ist die Neuauflage des ersten Briefbands durch Marco Ginammi, der fünfundvierzig Briefe ausschied und die übrigen verstümmelte, so daß Nicolini mit Recht bemerkt: „Meglio la morte letteraria, e cioè l'oblio, die una così dolorosa evirazione!" 12 Neben den von Aretino gebilligten Ausgaben seines Freundes Marcolini erschienen eine Reihe von Nachdrucken. Man wird sich nicht darüber wundern, wenn man Bernardino Teodolo Glauben schenkt, der am 3. Mai 1538" aus Forlì an Aretino schrieb: Messer Pietro: Non viddi mai, nell'aprire l'uscio de la Rota in Roma, tanta garra fra' litigiosi per essere i primi allo intrare, quale viddi in comprare l'opera vostra, all'ora die in un foglio di carta si lesse: Lettere del divino messet Pietro Aretino; ove subito v'abbondò tanta la gente, con tal rumore e calca, di'anco mi rassembrava la caritade ch'in alcune città a li ospedali si dà a li poveri il giovedì santo; e vi giuro die per essere de i primi, fui male acconcio; e tale fu il spaccio, per la moltitudine die v'era, di'assai restarono con le mani vote; . . . Al fine io mi partii con le vostre littere, et holle viste e lette, non una volta sola, ma diece e diece, e non è stato tanto il piacer, oltra l'utile, c'ho avuto in leggerle, quanto in udire commendarle da gran signori e da gentilissimi spiriti, quali concludeno ch'erano necessarie, e faranno grandissimo profitto apresso a gli studiosi de la volgare lingua, e ch'elle diminuiranno assai l'auttorità del Boccaccio; per il che voi ve n'avete a essaltare, e noi a gloriare ch'ai tempi nostri sia venuto il donatore delle belle virtuti e vere scienzie, et il dimostratore accerrimo de li vizii, come ancora meglio spera ogniun vedere per il secondo libro de le vostre littere . . .14 11
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P. Aretino: Il primo libro delle lettere a cura di Fausto Nicolini, Bari 1913, 418. Ib., 431. — Fausto Nicolini, der Aretinos Brief über den Tod Giovannis dalle Bande Nere mit einem begeisterten „Codesto significa essere scrittore" (403) kommentierte, scheint im Lauf seiner Arbeit das Interesse an seinem Gegenstand verloren zu haben, so blieben leider auch jene Lettere estravaganti e inedite, die er aus dem Archivio mediceo zusammenstellen wollte (und die Vergleiche zwischen den Originalfassungen von Aretinos Briefen und den gedruckten Texten erlaubt hätten) unveröffentlicht. Das Datum wurde bereits von T. Landoni aus 1532 zu 1538 verbessert (Lettere scritte a P. A., I, 1, ed. cit., 266 f.). P. A.: Il primo libro delle lettere, ed. cit., 263—265.
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Während Pietro Bembo sich in seinen Prose della volgar lingua (1525) nach dem Vorbild von Boccaccios Kunstprosa ausgerichtet hatte, kommt mit Aretino ein neuer Briefstil in Schwang, der nicht mehr bewußt Vorbildern nacheifert und nicht mehr der Rechtfertigung durch Autoritäten bedarf, um seine Existenzberechtigung nachzuweisen. Die großen volkssprachlidien Schriftsteller vor Aretino waren nicht auf den Gedanken gekommen, ihre Briefe könnten als Gegenstück zu einer von den Humanisten im Bann der lateinischen Klassiker gepflegten Gattung gesammelt vorgelegt werden. Wenn sich Aretino als Sekretär der Welt aufspielte, so konnte er das nur, wenn er sich im Besitz eines außergewöhnlichen Briefstils glaubte. Jacob Burckhardt wies bereits darauf hin, daß man nur einem H u m a nisten die Bildung und Begabung zutraute, welche f ü r einen Sekretär nötig ist. 15 Die Bewunderung, die Aretino von den verschiedensten Seiten gezollt wurde, zeigt, daß sich erst mit ihm die Volkssprache vollkommen von dem Vorbild der Lateiner und der im Zeichen der imitatio entstandenen toskanischen Kunstprosa Boccaccios emanzipiert hatte, denn — wie Burckhardt mit Recht hervorhebt — der klassische lateinische Briefstil Bembos ist zwar „eine völlig moderne, vom Lateinischen mit Absicht ferngehaltene Schreibart", aber „doch geistig total von Altertum durchdrungen und bestimmt". 1 8 Giuseppe Guido Ferrero trifft in seiner Einführung zu der von ihm besorgten umfangreichen Anthologie Lettere del Cinquecento einige stichhaltige Feststellungen über die „Gattung" Brief vor Aretino. 17 Er weist darauf hin, daß im fünfzehnten Jahrhundert die Epistolographie zwei klar unterschiedene Aspekte h a t : einerseits die lateinische Briefkunst der Humanisten, andererseits die Briefe in der Volkssprache, in denen nur Nachrichten praktischer Art im Ton und Stil der Umgangssprache mitgeteilt wurden und der Verfasser auf die rhetorischen Mittel der H u m a nisten verzichtete, auf ein kunstvoll ausgearbeitetes exordium u n d effektvolle conclusio, wie auch auf das simplex et unum des horazianischen Kanons. I m sechzehnten Jahrhundert setzten Pietro Bembo und Iacopo Sadoleto die humanistische Briefkunst fort, während hingegen in Paolo Giovio, der seine Briefe currenti calamo verfaßte, der Verzicht auf kunstvollen A u f b a u und gepflegte Komposition auffällt. So verbreitet die Epistolographie im 16. Jahrhundert war, es bleibt eine Tatsache, d a ß Aretino die Gattung zum ersten Mal bewußt als solche in der Volkssprache lancierte. Die Briefe Machiavellis sind zweifellos 15 18 17
Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, op. cit., 152. Ib., 154. Lettere del Cinquecento a cura di Giuseppe Ferrero (Classici italiani U.T.E.T.), Turin 1948, 9—26, passim.
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scharfsinniger, jene Michelangelos ergreifender, aber ihre damalige Wirkung war doch nicht annähernd so revolutionär wie die von Aretinos Lettere. Erst nachdem der Divino den entscheidenden Durchbruch geleistet hatte, kamen die gesammelten Briefe der führenden Literaten des Cinquecento, Pietro Bembos, Claudio Tolomeis, Anton Francesco Donis, Annibal Caros in ihrem Gefolge heraus, während die Briefe Machiavellis und Michelangelos jahrhundertelang unveröffentlicht blieben. Die Bedeutung der italienischen Briefliteratur für die anderen europäischen Länder ist von K. T. Butler in ihrer durch den Tod unterbrochenen Einleitung zu der von ihr betreuten Anthologie italienischer Briefe mit Nachdruck hervorgehoben worden. 18 U n d wieder gelang Aretino ein publizistischer Effekt, als er 1551 bei Giolito de' Ferrari in zwei Bänden Lettere scritte al Signor Pietro Aretino da molti Signori, Comunità, Donne di valore, Poeti, et altri Eccellentissimi Spiriti vorlegte. Paolo, Antonio und Aldo Manuzio il Giovane hatten zwar 1542 ff. in drei Bänden Lettere volgari di diversi noblissimi uomini verlegt, aber dabei handelte es sich lediglich um eine repräsentative Anthologie der „Gattung" Brief in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, die dann mit Lodovico Dolces Sammlung Lettere di diversi eccellentissimi uomini (Venedig 1554) und anderen fortgesetzt und erweitert wurde. Fer18
„There is indeed no doubt that the vernacular letter as a literary or semiliterary form began its career in Italy, and was already full-grown — a trifle full-blown even sometimes — befor other countries followed suit, and began to treat letter-writing as an art. So true is this that when printed letters in English and in Frendi begin to make a sporadic appearance, it is mainly in the guise of translations and adaptions from the Italian. Fulwood's Enemie of Idleness 1568, Fenton's Golden Epistles 1575, Fleming's Panoplie of Epistles 1576, all belong to this category. So to a large extent do Du Tronchete Lettres missives et familières 1567, Etienne Pasquier's Lettres 1586, and Daudiguier's Epistres familières et libres discours 1611." (The Gentlest Art in Renaissance Italy, an Anthology of Italian Letters 1459—1600 compiled by the late K. T. Butler, Cambridge, University Press, 1954, 2). Sehr vage sind hingegen die Hinweise, die Gustav Lanson in der Einführung zu der von ihm besorgten Choix de lettres du XVIIe siècle (Paris, o. J.) gibt. Alles, was er auf S. VII—XXV in seiner „Histoire de la littérature épistolaire" über Italien sagt, läuft auf ein paar allgemeine Feststellungen über die „vie de société" hinaus: „Elle naquit au XV e siècle, dans l'Italie corrompue et charmante, à Florence, à Urbin, à Ferrare, à Rome, partout où le plaisir de causer devint pour les hommes une partie essentielle du bonheur de vivre; et, comme toujours, les lettres intimes, où le coeur et l'esprit font causer la plume, vinrent à la suite" (XVII). Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß Aretinos Briefe mit „lettres intimes" nichts zu tun haben, wie es audi befremdend wirkt, von K. T. Butler gerade einige Briefe Aretinos dem „Gentlest Art" zugezählt zu sehen.
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rero übersieht, daß Aretino mit der Herausgabe der Briefe seiner K o r r e spondenten ein Pendant zu seinen Lettere gab, wie es sonst keiner zu bieten vermochte. Zum ersten M a l in der Geschichte der Literatur wurden hier Einblicke in das Archiv eines großen journalistischen Talents gestattet. So schlecht komponiert Aretinos Lettere und die Briefe an ihn als Bücher erscheinen mögen, so enthalten sie doch bei näherem Hinsehen alles, was eine gut redigierte Zeitung h a t : Leitartikel zur internationalen Lage, offene Briefe politischer oder literarischer Persönlichkeiten, den Klatsch und die Information des Feuilletons und die cronaca nera der Revolverjournalistik. Die Beileidsschreiben sind halb Todesanzeige, halb Nachruf. 1 9 Alle diese Eigenschaften machen aus den Lettere eine der wichtigsten I n f o r m a tionsquellen des sechzehnten Jahrhunderts. Aretino mußte in den Briefen an ihn wie der große Brennspiegel seiner Epoche erscheinen. Eine Zeit, die mehr als jede andere durch die litterae ewigen Nachruhm erhoffte und erstrebte, durfte sich in einem derartigen Unternehmen erkennen und versuchte daher mit allen Mitteln, in dieser großen Rundschau repräsentativer Namen vertreten zu sein. Die zahllosen Personen, die in den dreitausenddreihundert Briefen genannt werden, gehören zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zu jenem literarischen Unterholz des Cinquecento, von dem die großen Literaturgeschichten in der Regel keine N o t i z nehmen. M a n würde das O p f e r von Aretinos publizistischen Intentionen, würde man annehmen, seine Briefe seien lediglich das Produkt schöpferischer Laune. So unorganisch die sechs Bände angelegt scheinen, so läßt sidi doch unschwer erkennen, mit welchen Mitteln Pietro arbeitete. A m kennzeichnendsten ist aus naheliegenden Gründen der erste Band. D e r erste Brief enthält die Widmung an Francesco M a r i a della R o vere vom 10. Dezember 1537. Sie beginnt mit einer feierlichen Partizipialkonstruktion und einer Reihe jener Genitiv-Metaphern 2 0 , die bei Aretino oft ein Indiz für stilistisch bemühte Großartigkeit im Dienste eines G ö n ners sind: "
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Wie in der bio-bibliographischen Einführung bereits festgestellt wurde, hat Philarete Chasles zum „Journalismus" Pietros bereits alles zu diesem Thema Gehörende gesagt. Irrelevant ist hingegen der Abschnitt, den Adolf Dresler in seiner Geschichte der italienischen Presse, 1. Teil: Von den Anfängen bis 1815 (München und Berlin 1933), 3—5 „Peter Aretino" widmet. Man hätte erwarten dürfen, daß man in einem derart angelegten Werk über diesen „Vorläufer des Journalismus" genauer informiert wird. Dresler bringt jedoch nichts als die alten, seit Graf hinreichend widerlegten Legenden aus den früheren Jahrhunderten. Man vergleiche mit dieser Feststellung eine Äußerung von H. E. Holthusen, der im Zusammenhang mit Ingeborg Bachmanns Lyrikband Die gestundete Zeit bemerkt: „Auch wimmelt es noch von einer Sorte von billigen GenitivMetaphern, deren Herstellungsprinzip die reine X-Beliebigkeit des Verbindens von allem mit allem ist: ,Brot des Traumes', ,Saite des Schweigens',
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Essendo i meriti vostri le stelle del ciel de la gloria, una di loro quasi pianeta de l'ingegno mio lo inclina a ritrarvi con lo stil de le parole la imagine de l'animo, a ciò che la vera faccia de le sue virtù desiderata dal mondo, possa vedersi in ogni parte. 21 Diese Stillage wird beibehalten, Aretino gibt sich so „offiziell" wie möglich. Nicht nur wegen des Adressaten, sondern auch wegen der Anspielung auf das große Thema im Zeitalter Karls V. : die Liga gegen die Türken, den heiligen Krieg, den Francesco Maria della Rovere als Generalissimus anführen sollte. Aretinos politische Vorstellungen gipfelten in seinen offiziellen Schreiben in der Forderung nach einer anti-türkischen Liga. 22 Wenn man sich einen lautereren Schiedsrichter in den großen Entscheidungen des Jahrhunderts wünschen möchte, so darf das nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, daß Aretino diese Rolle einnahm und ausübte. Dies bestätigt der zweite Brief der Sammlung, den Aretino am 24. April 1525 an den gefangenen französischen König richtete. Pietro setzt ein mit einem selbstbewußten „Io non so". In der Regel pflegte Aretino seine Schreiben an gekrönte Häupter mit einer allgemeinen Feststellung, einer Maxime, einem concetto einzuleiten. Die Briefe an den Kaiser zeigen das. Zum ersten Mal wagt es Aretino, sein Ich an den Anfang eines Briefes zu setzen, als der Kaiser vor Algier einen großen Teil seiner Flotte verlor. Aretino bricht in seinem Brief vom 15. Januar 1542 dem Peinlichen des Arguments durch einen kühnen concetto die Spitze ab: Io mi congratulato con la inclita Maestade Vostra del fatale esito d'Algieri; e ben debbo io congratularmene, poi che ne gli accerrimi sinistri di sì fiero
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,Aufs Rad der Nacht gefloditen', ,Baum der Zeit', ,Keller des Herzens' usw. .. (Das Schöne und das Wahre — Neue Studien zur modernen Literatur, München 1958, 256). Lettere, ed. Flora/Del Vita, 3. Cfr. Fernand Braudel: La Mediterranée et le Monde méditerranéen à l'époque de Philippe II, Paris 1949, 521: „Tout ceci explique qu'entre l'Espagne des Rois Catholiques et celle de Philippe II, l'époque de Charles-Quint ait été chargée d'un sens plus universel. L'idée de croisade elle-même s'est alors modifiée. Elle a perdu son caractère espagnol, tout, presque tout ce qui, au temps des Rois Catholiques, la rattachait aux traditions de la Reconquête, à base populaire d'une verdeur assez drue. Après l'élection de 1519, la politique de Charles-Quint se détache du sol, s'enfle, devient démesurée, se perd en rêves de Monarchie Universelle . . . ,Sire, lui écrivait Gattinara au lendemain de son élection à l'Empire, maintenant que Dieu vous a fait la prodigieuse grâce de vous élever au-dessus de tous les Rois et tous les Princes de la Chrétienté, à un tel degré de Puissance que, seul jusqu'ici, avait connu votre prédécesseur Charlemagne, vous êtes sur le diemin de la Monarchie Universelle, sur le point d'assembler la Chrétienté sous un seul berger.'" Als Aretino seinen ersten Briefband publizierte, war er bereits endgültig auf diese offizielle antiprotestantische und gegenreformatorische Linie eingeschwenkt.
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Le Lettere caso si è mostro dal gran valor di Quella die un core come il suo prestante non può essere infelice. (Lettere ed. Flora/Del Vita, p. 823)
Was an Formulierungen dieser Art beeindruckt, ist die Ambivalenz. Es geht aus dem Text nicht hervor, ob es sich um Hohn oder um die Ergebenheitsadresse eines Höflings handelt. Aretinos Erfolg beruhte nicht zuletzt auf der rhetorischen Aufmachung von Gemeinplätzen der damaligen Politik. In einem Brief an Ferrante Montese über die Begegnung mit dem Kaiser in Desenzano kann Aretino erzählen, der Kaiser habe ihm versichert „che tutti i grandi di Spagna avevano copia di quanto gli scrissi ne la ritirata d'Algeri". 23 Die Ehrung Aretinos durch Karl V. erfolgte vor Zeugen, und Tizians Versicherung aus Augsburg, der Herzog von Alba erkundige sich angelegentlich nach Pietro, ist ein zusätzlicher Beweis für die Verläßlichkeit des Berichts über die Begegnung in Desenzano. In den Lettere traf Aretino den richtigen Ton, so daß der Kaiser seinem Gesprächspartner feierlich bestätigen kann „che solo la lettera mia in la morte di lei (cfr. Isabella) poteva porgergli conforto". 24 In diesem Beileidsbrief vom Mai 1539 mahnt Aretino den Kaiser, in den Wechselfällen des Schicksals seine Beständigkeit nicht zu verlieren: Sappia egli vincer la doglia, da che sa domar le genti; né sostenga in acquetarsi il core die la tardità del tempo facci l'uffizio die si richiede a la sollecitudine de la prudenzia. N o n hanno in Cesare a poter più gli infortuni die le prosperità. N o n debbe Cesare esser men constante die chiaro. N o n è lecito a Cesare turbarsi de gli ordini de i fati. Io non favello cotali cose per consigliar il saggio Augusto, ma gli ramento ciò perché anco i forti sono spaventati da l'orrore de i casi. E quando sia die il fine di questa e di quello vi sforzi l'affetto de la pietade a sospirarne, siamo certi die lo farete in modo die il valore e il senno, riserbato in voi per i bisogni de i popoli di Giesù, non si consumerà nel piangere quella donna die vivendo mai non offese alcuno e morendo ad ognuno ha fatto ingiuria. 25
Der Brief schließt mit einem trionfo der Verstorbenen. Geschickt versteht es Aretino, auch Beatrix, die 1531 mit der Grafschaft Asti belehnte und 1538 verstorbene Schwester der Kaiserin und Gemahlin des Herzogs Karl III. von Savoyen, in den trionfo miteinzubeziehen. Aretino war durch seine prose sacre für Schreiben dieser Art vorbereitet. Das Gefallen des Kaisers an diesen Bravourleistungen ist ein Beweis für den Erfolg, mit dem der Divino rechnen durfte. Selten mußte Aretino einen Rückzieher machen wie etwa bei Cosimo de' Medici, dem Sohn Giovannis dalle Bande Nere und der Maria Salviati, der nach der Ermordung Alessandros de' Medici Herzog der Tos23
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Lettere sull'urte, ed. cit., Bd. 2, 10. Ib., 9 f. Lettere, ed. Flora/Del Vita, 551.
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kana wurde. Wichtiger als Würde der Haltung war für Pietro die taktische Beweglichkeit — auch um den Preis der Charakterlosigkeit. So spricht er in seinem Brief an Cosimo vom Februar 1545 zerknirscht vom „furore insano del mio fallo" 26 und in einem gleichzeitig abgesandten Schreiben an Giuliano Salviati, den er als Mittler einzuschalten gewußt hatte, von seiner eigenen „semplice ignoranza". 27 Der Mangel an einer ordentlichen Kinderstube, Ausbildung und Erziehung wurde bei Aretino bald zum Fehdehandschuh, den er herausfordernd den Pedanten hinwarf, bald zum Schild, hinter dem er sich verschanzte. Auf den Brief an Franz I. folgt die meisterhafte Schilderung von den letzten Stunden Giovannis dalle Bande Nere, dann das Beileidsschreiben an dessen Witwe, das im exordium einen concetto einführt, der Pietros zudringliche Art kennzeichnet: Io non voglio, signora, contendere con voi di dolore. Non die io non vincessi, per dolermi la morte del vostro marito più die a persona che viva; ma perché la vincita mi saria perdita essendogli voi moglie, perché tutti i duoli nel mancar de i conforti si danno a loro. Né è perciò die la mia passione non preceda a la vostra, perché il vezzo che vi domesticò a star senza aveva indurato l'amore, tanto più tenero in me quanto non un'ora, non un momento, non uno attimo ho saputo né potuto stargli assente, e più son note le vertù sue a me die a voi. E mi si debbe credere avendole io sempre vedute e voi sempre udite; onde altri si compiace più ne la vertù de gli ocdii propri che ne i gridi de la fama. E, caso die io ceda con la passione al vostro patire, do cotal preminenza al valore e a la saviezza di die sete piena, di maniera die è più capacità de le cose in voi donna die in me uomo; ed essendo così, il duolo è maggior dal lato die più sa die da quello che men conosce. Ma diamisi il secondo luogo ne la doglia, la quale è sì giunta al sommo nel mio core che non ha di die più dolersi. (Lettere, p. 13)
Mit dem fünften Brief wird die offizielle zeitgeschichtliche Plattform verlassen und ein Brief an Vincenzo Guerrieri, Cavaliere da Fermo, eingeschaltet, in dem Aretino für hundert Dukaten, Brokat und Samt dankt, die ihm im Namen des Herzogs von Mantua ausgehändigt worden waren. Hunderte von Briefen variieren in den sechs Bänden dieses Thema, das Aretino bald mit kühnen concetti, bald mit dem Behagen des Feinschmeckers kommentierte. In einer der von Giammaria Mazzuchelli beschriebenen Münzen, die Aretino für sich prägen ließ, ist der Schriftsteller auf der Rückseite auf einem Thron sitzend dargestellt, „con un libro nella destra, ed alla sua presenza un uomo armato in atto di presentargli un vaso, ed un altro che il detto vaso sostiene con all'indietro due altre persone che ciò osservano, ed un vaso in terra, con questo detto: ,1 P R I N CIPI TRIBUTATI DAI POPULI — IL SERVO LORO TRIBU20 27
Lettere, Bd. III, Paris 1609, 93 v.—94 r. Ib., 102 v.
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T A N O " ' . 2 8 Nicht auf die Gesinnung seiner Geld- und Lebensmittelspender kam es Aretino an, sondern auf den Tribut, über dessen Motive sich Pietro ohnehin keine Illusionen machte: E perciò, se mi fusse lecito di far comparazione da coloro die mi tributano a quegli die danno l'offerta, direi die si come alcun di loro è mosso da la boria, altri da la superbia, altri da lo essempio e altri da la ipocresia; così questo mi dà per paura, quello per prosopopea, colui per parer di esserci e costui perdié egli ci è. Tal die i veramente incitati dal merito de le mie operazioni sono sì pochi che io gli potrei mettere co i pochissimi che offeriscono con zelo cristiano a lo aitar di Dio. (Lettere, p. 709)
Es ist erstaunlich, mit welcher Fähigkeit Aretino seine Dankschreiben immer wieder zu variieren verstand. Fürsten und Freunde schickten Pietro, der offensichtlich in gleicher Weise Gourmand und Gourmet war, das Beste aus Garten und Keller. Keine Geschichte der Gastronomie im Zeitalter Karls V. wird seine Briefe als Quelle übergehen dürfen. Mit beschwingter Redseligkeit verbreitet sich Aretino über die Qualität der Geschenke, die er zunächst als Stilleben genoß, ehe er sie sich einverleibte: ob es sidi um Oliven, Birnen oder Trüffeln handelte, Aretino schreibt darüber mit der Kompetenz des Kenners. Es ginge zu weit, wollte man annehmen, diese gastronomischen Briefe seien im Hinblick auf die Gesamtkomposition der Bände eingeschoben worden. Sie gehören durchaus zu Pietros menschlicher und künstlerischer Welt, aber es ist eine Tatsache, daß sie wie Ruhepausen zwischen den polemisch-satirischen und offiziell-hochtrabenden Lettere wirken. Aretino ordnete seine Briefe streng chronologisch an: die Mischung der Thematik, wie auch die damit verbundene Stilmischung geht darauf zurück. So unübersichtlich dadurch die Briefe werden, so abwechslungsreich wird gerade deshalb die Lektüre. Es ergeben sich perspektivische Effekte, die bei anderer Anordnung ausgeblieben wären, ganz abgesehen davon, daß die Stilhöhe der Briefe an Kaiser, Könige und Fürsten schnell ermüden würde. Nach dem Brief an den Cavaliere da Fermo folgt als sechstes Schreiben ein Brief vom 20. Mai 1527, mit dem Aretino den Kaiser auffordert, den in der Engelsburg gefangenen Clemens V I I . freizulassen, und darauf folgt die bereits erwähnte lettera an Clemens V I I . , die mit der Aufforderung schließt, mit dem Kaiser gemeinsame Sache gegen den Türken zu machen. Im achten Brief der Sammlung, der an den Herzog von Mantua gerichtet ist, verläßt Aretino wieder die Ebene der Politik, dankt für Ge28
La vita di Pietro Aretino, ed. cit., 68. — Die Aretino-Münzen aus der Sammlung Mazzuchellis sind heute im Besitz der Civici Musei in Brescia, leider aber in einer städtischen Bank unter Verschluß, so daß sie nicht ohne weiteres zugänglich sind.
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schenke (fünfzig Dukaten und ein golddurchwirktes Wams), erinnert an das Tizian versprochene H o n o r a r für ein Porträt Aretinos (das später verlorenging) und kündigt eine Venus Iacopo Sansovinos an, „si vera e si viva che empie di libidine il pensiero di ciascuno che la mira." 2 9 Schließlich weist er darauf hin, daß er bei Sebastiano (del Piombo) ein Bild für den Markgrafen bestellt habe. Aus dem kurzen Brief vom 6. O k t o b e r 1527 geht hervor, wie schnell es Pietro gelungen war, sich mit den führenden Vertretern der bildenden Künste in Venedig anzufreunden. Pietros Beziehungen zu Tizian und Sansovino sind hinreichend bekannt. Die Kunsthistoriker, deren Äußerungen über Aretino sich wohltuend von denen der Historiker des letzten Jahrhunderts unterscheiden, wußten und wissen, was sie dem genialen Kritiker schuldig sind. Die einschlägigen Tizian-Biographien sind ein beredtes Zeugnis dafür. Hans Tietze erinnert immer wieder daran, was Aretino für den Maler bedeutete: „. . . bis an die Briefe, die er (cfr. Tizian) von nun an an hochgestellte Personen schreibt, merken wir den Einfluß des schreibgewandten Einbläsers." 3 0 Allerdings bricht auch hier das Aretino-Klischee durch, wenn Tietze an anderer Stelle bemerkt: „(Aretino) betrachtete sich als Tizians literarischen Herold, als seinen Fürsprech bei den H ö f e n , als den Deuter, Lobpreiser, Propagandisten seiner Kunst so sehr, daß er in Augenblicken dreister Überhebung sich und anderen einreden mochte, er habe Tizian ,gemacht' . . .". 3 1 Tietze wird hier O p f e r der Aretino-Legende, denn die vierundvierzig Briefe, die Aretino während der sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Freundschaft an den größten Maler seiner Zeit richtete, beweisen hinreichend, daß es sich bei der Beziehung der beiden Männer um eine herzliche Freundschaft handelte. Das schließt nicht aus, daß Tizian Aretino auch als Makler, als Propagandisten, als Gastgeber und als Berater in Kunstfragen schätzte. Glücklicherweise ließ sich der Maler von seinem Freund nicht in der Tendenz pompöser Schaustellung bekräftigen. Wenn nach Tietze jede Kunst dazu gedrängt wird, ihren Wert dadurch zu erweisen, daß sie sich zeigt, so wird bei Tizian dieser Keim, der ins Theatralische auswuchern könnte, durch das große M a ß der Persönlichkeit gebändigt: „Tizian sieht religiöses oder weltliches Geschehen und die Menschen, die er darstellt, aus seiner eigenen N a t u r heraus so groß, daß in der Gehobenheit seines Stils kein unechter T o n mitschwingt." 3 2 29 30 31 32
Lettere, ed. Flora/Del Vita, 19. Hans Tietze: Tizian — Leben und Werk, Wien (1936), Textband, 35. Ib., 29. Tietze, op. cit., 259 f. Fritz Saxl (Lectures, Bd. I, 161—173, The Warburg Institute, Univ. of London, London 1957) hebt hingegen den entscheidenden Einfluß von Aretinos Kunstauffassung für Tizian hervor. Zweifellos ist das Jahr 1545 der Gipfelpunkt von Pietros an Rom orientiertem Klassizismus: damals entstand die Orazia und gleichzeitig arbeitete Tizian an Aretinos be-
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Eben darin unterscheidet sich der Maler von Aretino, der allzu oft Größe mit Pomp und Format mit Schau verwechselte. Tizians große Porträts bedürfen keiner allegorischen Exegese, um zu überzeugen. Es ist daher begreiflich, daß er den Vorschlag Aretinos nicht aufgriff, Karl V. auf dem berühmten Reiterbildnis von 1548 die Figuren der Religion mit Kelch und Kreuz und der Fama mit Flügeln und Trompete zur Seite zu geben: „Dennoch ist sein Bild nicht das Bild eines beliebigen Ritters zu Pferde, sondern das Denkmal des Kaisers als des Defensor fidei.. .°.33 Andererseits hat aber auch Aretinos oft zitierter Brief an Tizian vom Mai 1544, in dem Pietro einen Sonnenuntergang auf dem Canal Grande beschreibt, in der Literatur des sechzehnten Jahrhunderts nicht seinesgleichen. Er ist Aretinos schönstes Bekenntnis zum Kolorit des Malerfreundes. Verglichen damit sind die Bildbeschreibungen Giorgio Vasaris geradezu stümperhaft. Mit gutem Recht konnte daher Annibal Caro den Verfasser der Vite zurechtweisen: Parmi ancora bene scritta, e puramente, e con belle avvertenze. Solo vi desidero che se ne levino certi trasportamenti di parole, e certi verbi posti nel fine talvolta per eleganza, che in questa lingua in me generano fastidio. In una opera simile vorrei la scrittura appunto come il parlare, cioè ch'avesse più tosto del proprio, che del metaforico o del pellegrino; e del corrente die dell'affettato. 34
Diesen von Caro postulierten Ton der Umgangssprache finden wir hingegen in beispielhafter Weise in dem Brief an Tizian. Pietro erzählt, wie er nach seiner Krankheit sich lustlos zu Tisch gesetzt habe und von der Tafel „sazio de la disperazione con la quale mi ci posi" wieder aufgestanden sei. Da habe er sich ans Fenster gelehnt und auf den Canal Grande geblickt, wo eine festliche Menge vorbeizog. Und nun folgt eine Stelle, die für die Geschichte des Weltschmerzes in der italienischen Literatur nicht ohne Bedeutung ist : rühmtem Porträt für den Herzog von Florenz. Saxl vergleicht das Porträt von Palazzo Pitti mit einer römischen Kopie einer griechischen Sophoklesstatue des Lateranmuseums und kommt zu dem Schluß: „What has happened in the period between the suave and rather tame Venus of Florenz and this portrait of Aretino's created in 1545? Titian has gone a long way towards the ideal of his friend Aretino, that is, towards the ideal of greatness formed in Rome; . . (168). Vorsichtiger äußert sich Erwin Panofsky in seinem Aufsatz Classical Reminiscences in Titian's Portraits; another Note on his „Allocution of the Marchese del Vasto' (Festschrift für Herbert von Einem zum 16. Februar 196}, Berlin 1965, 188—202): „Titian, however, had no intention to evoke the classical past qua past, and nothing could be further from his mind than to aspire to archaeological fidelity" (198). 33
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Herbert von Einem: Karl V. und, Tizian, in Karl V. — Der Kaiser und seine Zeit, hg. von Peter Rassow und Fritz Schalk, Köln/Graz 1960, 77. ,The Gentlest Art' in Renaissance Italy, op. cit., 289.
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E mentre queste turbe e quelle con lieto applauso se ne andavano a le sue vie, ecco ch'io, quasi uomo che fatto noioso a se stesso non sa che farsi de la mente non che dei pensieri, rivolgo gli occhi al cielo; il quale, da die Iddio lo creò, non fu mai abbellito da così vaga pittura di ombre e di lumi. 3 5
Das Bewußtsein Pietros, in der von mir hervorgehobenen Selbstanalyse Vakuum, das jedem einströmenden Eindruck offensteht, ist für einen Augenblick in dem Zustand des Romantikers, der sich der Natur hingibt, fängt sich aber sofort wieder in einer objektiven Beschreibung, die damals nur das einmalig sensible Subjekt Pietro Aretino zu geben vermochte. Der Brief klingt aus in einer Würdigung von Tizians Kolorit. Hier wird das Prinzip der imitatio der Natur an einem konkreten Beispiel gezeigt, Tizian zum Schüler der „maestra dei maestri". Wenn Aretino immer wieder Natürlichkeit gegen grammatikalische Norm ausspielte, immer wieder sein spontanes toskanisches Sprachempfinden als oberste Instanz betrachtete, so gilt dies in ähnlicher Weise auch für seine Einstellung zur bildenden Kunst. Lionello Venturi hat darauf hingewiesen, daß Michelangelos theoretische Einstellung, verglichen mit der Leonardos, reaktionär ist, da für ihn einziges künstlerisches Ideal die plastische Form der florentinischen Tradition des fünfzehnten Jahrhunderts war. 36 Anders in Venedig: „I veneziani discutevano d'arte, non per scoprire, come i fiorentini, una verità scientifica, ma per raffinare la loro sensualità." 37 Es ging also bei der Auseinandersetzung Aretinos mit Michelangelo nicht nur um persönliche Angelegenheiten, sondern um die Überwindung des toskanischen Anspruchs, in Fragen des Kunstgeschmacks letzte Norm zu sein. Der wichtigste Niederschlag dieser venetianischen Position findet sich in Aretinos Lettere und in dem ein Jahr nach Pietros Tod erschienenen Dialogo della pittura intitolato l'Aretino nel quale si ragiona della dignità di essa pittura, e di tutte le parti necessarie che a
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Lettere sull'arte, ed. cit., Bd. II, 17. Das Gefühl der noia ist bei Aretino nur eine flüchtige Stimmung, deren physiologischer Anlaß außerdem mitgeteilt wird. Umso erstaunlicher ist die Diagnose des Phänomens, wenn sich auch Aretino noch an den Antipoden von Leopardi befindet, für den die Langeweile zur Grundlage einer trügerischen Selbstrettung wurde: „Wenn wir uns die unendliche Zahl der Welten und das All selbst vorzustellen versuchen und fühlen, daß unser Geist und unsere Sehnsucht noch viel größer sind als eben dieses Universum; und wenn uns das Ganze immer noch ungenügend und nichtig vorkommt und wir Mangel und Leere und darauf Langeweile verspüren, so dünkt midi, es könne keinen klareren Beweis für die Großartigkeit und den Adel der menschlichen N a t u r geben." (zitiert nach Walter Rehm: Experimentum medietatis, München 1947, 104 f.). Lionello Venturi: Storia della critica d'arte, Turin 1964, 108. Ib., 112. Hösle
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perfetto pittore si acconvengono. Con esempi di pittori antichi e moderni; e nel fine si fa menzione delle virtù e delle opere del divin Tiziano.3* M a n wird gut daran tun, die Äußerungen Aretinos, der seinen G e sprächspartner Giovan Francesco Fabrini davon zu überzeugen sucht, daß die Stellung Michelangelos nicht konkurrenzlos ist, nicht ohne weiteres als wörtliche Zitate aus Gesprächen mit dem verstorbenen Freund zu betrachten. Dolce, ein gewandter Polyhistor, stattete Aretino mit K e n n t nissen aus antiker und moderner Traktatliteratur aus, die Pietro wahrscheinlich nie besaß. Es ist schließlich typisch für Aretinos Position zwischen Spontaneität und Rhetorik, daß er, der in seinen „offiziellen" Schriften seinen Stil in die Richtung der „Überfunktion" drängte, Michelangelo vorwirft, er verstehe es nicht „la troppo diligenza" 3 9 zu vermeiden. Aretino, der sich immer wieder in der Schaustellung seines Könnens gefiel, wirft Michelangelo vor, er habe seine nudi als Beweis seines unbegrenzten technischen Könnens auch an heiligen Orten angebracht: Ma die direte voi della onestà? Pare a voi die si convenga, per dimostrar le difficultà dell'arte, di scoprir sempre senza rispetto quelle parti delle figure ignude, che la vergogna e la onestà celate tengono, non avendo riguardo né alla santità delle persone die si rappresentano, né al luogo ove stanno dipinte?40 Dolce-Aretino beruft sich hingegen auf jenes Ideal der „sprezzatura", das in Castigliones Cortegiano zum ersten M a l für unaffektiertes V e r halten des idealen Hofmanns verwendet wird. 4 1 D e r Aretino des Dialogo della pittura verwirft damit indirekt audi die gesuchte Paradekunst seiner prose sacre und gewisser Briefe. M a n wäre berechtigt, in dieser Polemik gegen Michelangelo den Ausdruck persönlichen Grolls zu sehen, hätte Pietro nicht gleichzeitig durch seine Entdeckung Tintorettos den Beweis geliefert, daß er für die „impressionistische" Technik des jungen Malers ein außergewöhnlich sensibles Organ besaß. I m Februar 1545 dankt Aretino Tintoretto in einem Brief für zwei Gemälde, die der damals sechs- oder siebenundzwanzigjährige Maler Pietro überlassen hatte. Drei 38
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Der Dialog wurde von Paola Barocchi in den Scrittori d'Italia neu herausgegeben: Trattati d'arte del Cinquecento, vol. primo: Varchi — Pino — Dolce — Danti — Sorte, Bari 1960. Ib., 185. Ib., 188. Bruno Maier umschreibt den Begriff in seiner Ausgabe des Cortegiano : „Ossia una sorte d'intelligente noncuranza, di abile e simpatica disinvoltura, die dia l'impressione della spontaneità e della naturalezza e che sia tuttavia sorretta ed accompagnata, ma senza darlo apertamente a vedere, dallo studio e dall'arte" (Baldesar Castiglione: Il libro del Cortegiano con una scelta delle Opere minori a cura di Bruno Maier, Classici Italiani U.T.E.T., seconda edizione, Turin 1964, 124.)
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Jahre später, im April 1548, wiederholt Aretino den Ausdruck seiner Bewunderung für die Schnelligkeit, mit der Iacopo Robusti arbeitet, schränkt das Lob allerdings mit einem „E beato il nome vostro, se reduceste la prestezza del fatto in la pazienzia del fare" ein.42 Aretinos Interesse für den jungen Maler scheint sogar vorübergehend das Verhältnis zu Tizian getrübt zu haben. Offensichtlich hat Aretino seiner Freundschaft zu Tizian seine Bewunderung für Iacopo Robusti geopfert. Nur so erklärt sich der Ausklang des Dialogs von Dolce: „percioch^ de' giovani non si vede risorgere alcuno che dia speranza di dover pervenire a qualche onesta eccellenza."43 Aretino, der mit radikaler Konsequenz davon Kenntnis genommen hatte, daß alles und jeder einen bestimmten Wert hatte, war einer der Wegbereiter des eigentlichen Kunsthandels, der um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts entsteht. Arnold Hauser hat diese Zusammenhänge in seinem Manierismus-Buch eingehend untersucht und kommt zu dem Schluß: „Dies ist aber die Geburtsstunde des Kunsthändlers und Kunstsammlers im modernen Sinne, und damit auch des Künstlers, der für seine größere Unabhängigkeit mit einem höheren Maß von Unsicherheit zu zahlen hat, und dessen Wert die Zeitgenossen, wie nie vorher, in Ziffern auszudrücken sich versucht fühlen." 44 Aretino war sich dieser Tatsache bewußt. Tizian war sein gelehriger Schüler in finanziellen Fragen. Wo sich aber Schriftsteller und Künstler als Wertpapier verstanden, dessen Kurswert Schwankungen unterworfen war, ließen sich materieller und geistiger Aspekt einer schöpferischen Leistung nicht mehr voneinander trennen. Aretinos publizistische Strategie wurde zur Börsenaktion: was er bei der Papstwahl nach dem Tod Leos X. auf kirchenpolitischem Sektor durchschaut hatte, das setzte er in den venezianischen Jahren für die Literatur durch. Literatur wurde zur gefragten Ware, es war daher nur billig, daß sie entsprechend honoriert wurde. 46 42
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Lettere sull'arte, ed. cit., 205. — Auf die Bedeutung von Aretinos Urteil wiesen Eridi von der Bercken und August L. Mayer in ihrer Tintoretto-Monographie hin (München 1923): „Uber die von Aretin öfters hervorgehobene Schnelligkeit der Arbeitsweise des Meisters, die .Flüchtigkeit', mit der Tintoretto seine Arbeiten auszuführen schien, wird noch ein besonderes Wort zu sagen sein. Der Künstler hat es verstanden, bei allen seinen Werken, auch den kompliziertesten Schöpfungen, die Frische des ersten Bildgedankens zu wahren, so daß man glauben könnte, er habe sich gar nicht übermäßig lange mit Einzelheiten und Kompositionsentwürfen abgegeben" (23). Trattati d'arte del Cinquecento, op. cit., Bd. 1, 206. Arnold Hauser: Der Manierismus — Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964, 101. Lettere sull'arte, ed. cit., II, 273. Zur Stellung von Literaten und Künstlern in der Renaissance cfr. Edgar Zilsel: Die Entstehung des Geniebegriffs, Ein Beitrag zur Ideengeschichte der
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Die zahllosen „Geschäftsbriefe" Aretinos sind wenigstens für die Literatursoziologie interessant. Im neunten Brief des ersten Bands dankt Pietro für Geschenke, im zehnten Brief macht er Abate Gonzaga ein in Mantua zurückgebliebenes Berberpferd zum Geschenk, im elften dankt er Giovanni Gaddi für einen Goldstoff, im vierzehnten bestätigt er dem gebefreudigen Guido Rangone den Empfang eines Gewands aus Atlas, im fünfzehnten einem anderen Korrespondenten den Empfang von Wein, im sechzehnten dankt er Massimiano Stampa für eine „veste di damasco, sopra e sotto di velluto nero, dentro e fuora listata del medesimo velluto" 4 7 , im siebzehnten dem Marchese Bonifazio di Monferrato für eine goldene Kette und hundert Dukaten. Im achtzehnten Brief schreibt er dem Herzog von Mantua, er habe am Himmelfahrtstag die ihm von dem fürstlichen Gönner überlassene Robe aus schwarzem Samt mit Goldkordeln und Goldfutter wie auch einen Umhang und ein Wams aus Brokat getragen. Im neunzehnten Brief bestätigt er dem Bischof von Vasone den Empfang einer Kette. Erst hier bricht die Serie von Dankschreiben ab. Bedenkt man, daß die ersten zwanzig Briefe einen Zeitraum von fünf Jahren umfassen ( 1 5 2 5 — 1 5 3 0 ) , dann leuchtet ein, welche Bedeutung Aretino seinen Dankschreiben beimaß. Sie waren im Augenblick der Veröffentlichung schon ein Jahrzehnt alt und an und für sich völlig uninteressant, aber Aretino erreichte mit ihrer Veröffentlichung zweierlei: er belegte damit schriftlich die Tributwilligkeit seiner Korrespondenten und unterstrich, daß diese Geschenke ihn, den Divino, erfreuten, erfrischten oder zierten. Und nicht nur das! Auf engstem Raum konnte er zeigen, wie virtuos er den gleichen Gegenstand zu behandeln verstand. In der Regel führt sich Pietro mit einem ausgefallenen concetto ein, der einen gewohnten Sachverhalt auf den Kopf stellt (ein Verfahren, das wir bereits aus den Kondolenzschreiben und dem Brief an K a r l V . nach dem Verlust der Flotte bei Algier kennen) : Essendo, signor mio, maggior la felicità del donare che quella del ricevere, io ho caro fuor di modo die dal presente de gli scudi de la impresa e del saio di raso bianco die mi fate, nasca in voi il sommo grado de la consolazione. E d è vostra gran ventura die tanto possa la vertù della cortesia;
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Antike und des Frühkapitalismus, Tübingen 1926. „Die merkwürdige Rückständigkeit der Maler gegenüber den Literaten hat ihre Ursache in der sozialen Entwicklung. Während nämlich die Literaten, . . ., nicht von Bänkelsängern abstammen, sondern im 13. und 14. Jhdt. aus der sozialen Oberschicht hervorwachsen und sidi bald zu einem Stand von hochangesehenen Ruhmverleihern verselbständigen, hat sich der Stand der bildenden Künstler viel langsamer von kleinbürgerlichen Handwerkerzünften losgelöst — genau wie in der Antike" (145). Lettere, ed. Flora/Del Vita, 25.
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perché facendo voi l'essercizio de la liberalità nel donar continuo, continuamente sete felice. Per la qual cosa farei ingiuria a la Signoria Vostra prolungandomi in ringraziarla di quello die, per avere accettato i suoi doni, merito di esser ringraziato io. 48
Guido Rangone, an den der Brief gerichtet ist, gehörte zu Aretinos großzügigsten Gönnern. Pietro hatte keinerlei Veranlassung, ihn zu kränken. Der kurze Brief ist also lediglich eine Bravourleistung, wie sie die zitierten Beileidsbriefe an den mantuanischen Gesandten und an die Witwe Giovannis dalle Bande Nere sind. Man wird gut daran tun, Aretinos rhetorisches Stilwollen zu berücksichtigen, ehe man hinter jeder Hyperbel, jedem Oxymoron und jeder Metapher versteckten Hohn erblickt. Besonders aufschlußreich für Aretinos außergewöhnliche kritische Begabung ist ein Brief an den Kanonikus Giovan Pollio Lappoli aus Arezzo, der seinem Landsmann ein 1 trionfi betiteltes Werk zu widmen wünschte. Pietro hatte keinerlei Veranlassung, den ihm wohlgesinnten Pollastra zu brüskieren. Nach einigen konventionellen Komplimenten und dem üblichen Bescheidenheitstopos („dico che io che son senza giudicio, non debbo giudicarlo" — cfr. il vostro libro — perché di conscienza, di prudenza e di esperienza voi esser composto il giudice: altrimenti la colpa de la sua ignoranza pone altrui in publico biasimo"), setzt Aretino zu einem rücksichtslosen Verriß an: Mi par ben nuovo die ne l'ultime sue fatidie un uomo dotto non distingua il nome dal verbo, e per compiacere a la rima dica Yerra per gli errori e sono per sonno, faccendo relligion di tre sillabe, cosa che è aspra ad ascoltare e difficile a esprimere. E più mi maraviglio de la borra die spesso trovo mescolata con la durezza de le costruzioni.
Hier begründet Pietro einmal bis in Einzelheiten seine Abneigung gegenüber den Pedanten, welche die lebendige Sprache ihrem schalen Formalismus zu unterwerfen suchen und verkrustete und veraltete Wendungen und Ausdrücke als Fetische einer an Petrarca anknüpfenden Tradition übernehmen: Sterpate da le composizioni vostre i temali del Petrarca; e poi che non vi piace di caminare per si fatte strade, non tenete in casa vostra i suoi ,unquanchi', i suoi .soventi' e il suo ,ancide', stitiche superstizioni de la lingua nostra, e nel replicare l'istorie e i nomi discritti da lui, allontanativigli più die potete, perché son cose troppo trite. 49
Die Zahl der Beispiele dieser revolutionären Haltung in Fragen der Literaturkritik ließe sich vermehren. Soviel ist aber aus den angeführten Zitaten klar: N o r m bedeutete für Pietro nicht etwas aus nahen oder fernen Autoritäten Geholtes, da er seine N o r m bei sich selbst und seinem 48 49
Ib., 24. Ib., 220—222.
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unverderbten sprachlichen Instinkt fand. Aretinos Polemik gegen Pedanten war Ausdruck einer auf gesundem Menschenverstand beruhenden Weltanschauung. Kunst ist Aretino suspekt, und er hat diese Überzeugung vielleicht am prägnantesten in seinem Brief vom 25. November 1537 an Lodovico Dolce formuliert: — Io — disse Gian Giordana — non se né ballar né cantare ma diiavarei come un asenazzo. — SI die leggendo le mie coglionerie scusatimi con voi stesso, per ch'io son più tosto profeta che poeta. 50
Sobald Aretino gegen die Pedanten eifert, erhält sein Stil die plastische Anschaulichkeit der Reden Nannas, „Ma io vi giuro bene che de l'unghia de l'invidia che m'hanno cotali spenacchia fama non spero di scappar mai né vivo né morto"51, schrieb er Lorenzo Veniero. Die Pedanten sind für Aretino verantwortlich für alles Unheil. Sie sind ihm „asini de gli altrui libri, i quali, poi che hanno assassinato i morti e con le lor fatiche imparato a gracchiare, non riposano fino a tanto che non crocifiggano i vivi." 52 Auch in dem durch Lorenzino de' Medici an Herzog Alessandro verübten Attentat sieht Aretino nichts anderes als das Ergebnis von pedantisch interpretierten Beispielen von Tyrannenmord, und „(pedanteria) ha provocata l'eresia contra la fede nostra per bocca del Lutero pedantissimo."53 Pedanterie wird für Aretino — wenn der Anachronismus hier gestattet ist — zur Donquichotterie. In der Tat sieht man sich an den hidalgo aus der Mandia erinnert, wenn Aretino in seinem berühmten, zunächst an Franco und später an Dolce gerichteten Brief vom Juni 1537 gegen die Verwendung altertümelnden Wortschatzes protestiert: Perdié le orecchie altrui sono oggi mai sazie de gli „uopi" e de gli „altresì", e il vedergli per i libri movano a riso ne la maniera die moveria un cavaliere comparendo in piazza in giornea tutta tempestata di tremolanti d'oro e con la berretta a tagliere, onde si crederebbe che egli fosse impazzito o mascarato. 5 4
Und dann bricht er in den leidenschaftlich engagierten, durch einen Vokativ eingeleiteten Ruf aus: O turba errante, io ti dico e ridico die la poesia è un ghiribizzo de la natura ne le sue allegrezze, il qual si sta nel furor proprio, e mancandone, il cantar poetico diventa un cimbalo senza sonagli e un campanil senza campane. 55
Und wieder einmal gelingt Aretino eine seiner suggestiven Formulierungen, wenn er mit stolzem Hinweis auf seine toskanische Heimat und mit herausfordernder Haltung auf seine unverbildete Natur hinweist: 50 51 52 53
« 55
Ib., Ib., Ib., Ib., Ib., Ib.,
312. 253. 223. 224. 193. 193.
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L a natura istessa de la cui semplicità son secretario mi detta ciò die io compongo, e la patria mi scioglie i nodi de la lingua, quando si ragroppa ne la superstizione de le chiacchiere forestieri. 56
Erst mit Giordano Bruno kam dann ein halbes Jahrhundert später ein Temperament, das mit ähnlich revolutionärer Selbstbewußtheit Natur vor Bildung stellte und damit den humanistischen Autoritätsglauben liquidierte. Die zentrale Frage der imitatio wurde für Aretino hinfällig; „È certo ch'io imito me stesso", kann er seine Ausführungen an Franco/Dolce abschließen. Wo immer Aretino gegen die Pedanten zu Felde zieht, wird er zum rücksichtslosen Polemisten: „pedante" wird bei ihm wie „frate" zum Schimpfwort schlechthin.57 Es wäre aber völlig falsdi, aufgrund dieses Sachverhalts anzunehmen, Pietro sei ohne Sinn für die volkssprachliche Kunstprosa eines Bembo gewesen. Es ist erstaunlich, wie objektiv Pietro in Fragen des Geschmacks ist. Karl Voßler hat in seinem Aretino-Aufsatz mit hinreichendem Nachdruck die Originalität von Pietros Stellung im Rahmen der Literaturkritik des sechzehnten Jahrhunderts hervorgehoben, die Äußerungen des Divino aber nicht in ihrer Verbindung zu seinem Gesamtwerk untersucht. Es ist kennzeichnend, daß Aretinos Sprache in den Tonfall der Ragionamenti verfällt, sobald er ein ihm so sehr am Herzen liegendes Thema wie das der Pedanterie behandelt. Die Aretino-Kritik machte es sich aber zu leicht, wenn sie etwa in Pietros respektvollen Äußerungen über Pietro Bembo nur ein Zeichen seiner Servilität sah. Sie hätte besser daran getan, das Verhältnis Pietros zu der größten literarischen Autorität seiner Zeit genauer und vorurteilsloser zu untersuchen. Als in der Umgebung des 56
Ib., 194.
57
Zur Polemik gegen Pedanten jeder Schattierung kam ein Ausfall gegen die Ärzte „la sufficenza de l'arte di Galeno si ferma tutta ne la malva d'un cristero" (Lettere, ed. Flora/Del Vita, 368). Die Stelle ist im Hinblick auf Tizians Laokoon-Karikatur nicht uninteressant, die wahrscheinlich durch das Werk De humani corporis fabrica von Andreas Vesalius (1543) veranlaßt wurde. Vesalius griff Galenos an, weil der als große Autorität verehrte Mediziner seinen Studien Affen und nicht Menschen zugrundegelegt hatte. Vesalius lehrte in Padua und hatte daher Verbindung zu Venedig und zu Tizian. Nach H . W . Janson: Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance (The Warburg Institute, London 1952, 3 5 5 — 3 5 6 ) wäre der Sinn von Tizians Karikatur so zu interpretieren: „This is what the heroic bodies of classical antiquity would have to look like in order to conform to the anatomical specifications of Galen" (361). Tietze, dem diese Zusammenhänge noch nicht bekannt waren, erklärt sich das merkwürdige Werk noch mit einer direkten oder indirekten Anregung Pietros: „vielleicht hat gerade die Einseitigkeit des von Pedanten und Antiquomanen mit ihm (cfr. Laokoon) getriebenen Kults den Freund Aretins gereizt" (Tizian, op. cit., 190).
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Kardinals jemand bemerkte, man könne wohl, was die Kunst der Epistolographie anbelange, Bembo mit Cicero und Aretino mit Plinius vergleichen, antwortete der Kardinal: „Pur che Pietro se ne contenti". Pietro bezieht sich in seinem Brief vom 9. August 1538 auf dieses Bonmot des eleganten Literaten, versichert diesem, er fürchte seiner nicht würdig zu sein, und setzt dann zu einer Selbstkritik an, in der man wohl die Kehrseite zu Pietros Überheblichkeit erblicken darf : N i u n o mi stimi in si mal senno di'io non conosca i difetti de le figure abozzatemi da la debolezza del disegno e guastemi dal triviale del colorito; onde sono senza p u n t o di rilievo. Io con l o stile de la pratica naturale f a c c i o d'ogni cosa istoria, ed èmmi forza secondare l'alterezza de i grandi con le gran lodi, tenendogli sempre in cielo con l'ali de le iperboli, n o n avertendo a lo studio de l'arte, il decoro de la quale, con la giocondità dei numeri, esprime i concetti, intona le parole e adorna le materie. A m e bisogna trasformare digressioni, metafore e pedagogarie in argani die m o v a n o e in tanaglie die aprano. Bisognami fare sì die le v o c i de i miei scritti rompino il sonno de l'altrui avarizia, e quella battezzare „invenzione" e „locuzione", die mi reca corone d'auro e non di lauro. 5 8
Die Briefe an die Großen sind also nach Pietros ungeniert offenem Geständnis nichts anderes als Mittel zum Zweck. Man wird aber die Gegenüberstellung von „stile de la pratica naturale" und „studio de l'arte" nicht zu wörtlich nehmen dürfen: „l'ali de le iperboli", mit denen er die Großen seiner Zeit in den Himmel hebt, haben nicht viel mit „pratica naturale" zu tun, wenn man darunter nicht überhaupt „praktisch angewandten Stil" verstehen will. Wie es mit Aretinos Gleichgültigkeit gegenüber Lorbeerkränzen in Wirklichkeit stand, das zeigt seine Reaktion auf Tassos polemische Feststellung. Pietro kam aus Mittelitalien, hatte dort in seiner Jugend Einblick in das handwerkliche Können der Maler bekommen und dann in Rom die unter Julius II. und Leo X. erbauten Werke der Kunst und Architektur aus nächster Nähe studieren können. Sein Hang zu monumentalen stilistischen Bravourleistungen ist durch dieses Romerlebnis mitbedingt. Auf dem Gebiet der bildenden Kunst ist Aretinos kritischer Sinn durch keine persönliche Ambition beeinträchtigt. Er kann mit ungetrübter Freude das Entstehen von Meisterwerken verfolgen und kommentieren. Auch die Ausnahme Michelangelo bestätigt hier nur die Regel. Pietros angebliche Zudringlichkeit hat zu einer Reihe von Kommentaren Anlaß gegeben, die alle für Michelangelo Partei ergreifen, ohne die Zusammenhänge genauer zu untersuchen. Die Nachwelt hat sich darüber entrüstet, daß Aretino sich überhaupt an die genialste Begabung seiner Zeit zu wenden wagte: in Wirklichkeit wäre es eher merkwürdig gewesen, wenn der 58
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ed. F l o r a / D e l Vita, 504.
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angesehenste Kunstkritiker und Bildermakler dies nicht getan hätte. Die Michelangelo-Biographen stellen in der Regel die Episode, oder besser den sich über Jahre erstreckenden Streitfall als weiteren Beweis für die bodenlose Verderbtheit Pietros dar. 59 Der Schriftsteller benahm sich aber in der Affäre Michelangelo nicht besser und nicht schlechter als bei seinen sonstigen Kontakten mit den Großen seiner Zeit. Aretino bewunderte Michelangelo aufrichtig, wie nicht nur die an den Künstler gerichteten Briefe zeigen. Interesse mag im Spiel gewesen sein, als sich Pietro am 16. September 1537 zum ersten Mal an den „Divino Michelangelo" wandte. Wie der geschraubte Ton des Briefs zeigte, wußte Aretino, was er seinem Zeitgenossen schuldig war. Der Tenor dieses Schreibens ist rhetorisch bemüht wie seine Briefe an gekrönte Häupter, sogar eine Wendung aus der Naturalis historia des Plinius wird übernommen: „Ne la man vostra vive occulta l'idea d'una nuova natura" 60 und, indem er die Maler der Antike mit dem Zeitgenossen Michelangelo vergleicht, nennt er ihn „unico scultore, unico pittore e unico architetto". 61 Nach dieser ausführlichen captatio benevolentiae setzt Aretino zu einem seiner anspruchsvollsten Briefabschnitte an, indem er eine visionäre Schilderung des im Entstehen begriffenen Jüngsten Gerichts gibt. Man sah in dem Versuch Aretinos, Michelangelo mit Vorschlägen zu behelligen, einen Beweis seiner maßlosen Arroganz und vergaß darüber, daß Maler wie Tizian und Sebastiano del Piombo Atelier-Gespräche mit dem Schriftsteller keineswegs verschmähten. Im Stil seiner Heiligen-Vitae, in geradezu ekstatischer künstlerischer Verzückung, schildert Aretino Michelangelos grandioses Werk: Or chi non spaventarebbe nel porre il pennello nel terribil soggetto? Io veggo in mezzo de le turbe Anticristo con una sembianza sol pensata da voi. Veggo lo spavento ne la fronte dei viventi, veggo i cenni die di spegnersi fa il sole, la luna, e le stelle; veggo . . . etc.
Das vierzehnmal anaphorisch verwandte „veggo" soll das sprachlose Erstaunen vor der Fülle der Gesichte unterstreichen. „Natura, Tempo"; „Vita, Morte", „Speranza e Disperazione" werden als allegorische Gestalten eingeführt und als antithetische Hell-Dunkel-Kontraste benutzt. Am Schluß macht Aretino gar ein halbes Versprechen, er werde vielleicht trotz seines Gelübdes, nie mehr nach Rom zu kommen, die Reise antreten, 69
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Eine Ausnahme bildet der in seiner Michelangelo-Biographie überraschend objektive Giovanni Papini ( V i t a di Michelangelo, Mailand 1964, 381—385 und passim). Auf das Plinius-Zitat machte zuerst G. Becatti aufmerksam (Plinio e l'Aretino, in Arti figurative, I—II, 1946) wie Ettore Camesasca in seinem MichelangeloArtikel hervorhebt (Lettere sull'Arte di P. Aretino, III/2, pp. 378—386). Lettere sull'arte, ed. cit., I, 64—66.
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um „cotale istoria" zu sehen. Michelangelo ließ Aretino mit der Antwort nicht warten. Der kurze Brief ist eine „risposta a tono" und lautet: Magnifico messer Pietro, mio signore e fratello — Nel ricever della vostra lettera ho avuto allegrezza e dolore insieme; sonmi molto allegrato per venire da voi, die siete unico di virtù al mondo: et ancor mi sono assai doluto, perciò die avendo compita gran parte della istoria, non posso mettere in opera la vostra immaginazione, la quale è si fatta, die se '1 di del Giudizio fosse stato, et voi l'aveste veduto in presenza, le parole vostre non 10 figurerebbono meglio. Or per rispondere allo scrivere di me, dico che non solo l'ò caro, ma vi supplico a farlo; da die i Re e gli Imperatori hanno per somma grazia, die la vostra penna gli nomini. In questo mezzo, se io ho cosa alcuna die vi sia a grado, ve la offerisco con tutto il cuore. E t per ultimo, 11 vostro non voler capitare a Roma non rompa, per conto del veder la pittura die io faccia, la sua deliberazione, perché sarrebbe pur troppo. E t mi raccomando. 6 2 (Hervorhebung von mir)
Wie der hervorgehobene Satz zeigt, hatte Michelangelo mit diesem Brief einen Wechsel ausgestellt und Aretino ein Pfand übergeben. Pietro brauchte aus Reklamegründen ein Werk von Michelangelo. Er wollte damit auftrumpfen wie mit der Pension des Kaisers und der goldenen Kette des französischen Königs. Bei keinem Fürsten geduldete sich Aretino so lange wie bei Michelangelo, mit zunächst scherzhaften Formulierungen mahnte er den säumigen Schuldner an sein Versprechen. Nodi im April 1545 schreibt er an Michelangelo, von dem außer dem zitierten kein Brief an Aretino bekannt ist, er wundere sich nicht, daß die versprochenen Zeichnungen nodi nicht eingetroffen seien: „Perché, chi non ottien ciò die vuole, diane la colpa al volere quel che non debbe." Aber gleich darauf unterstellt er Michelangelo ein unverzeihliches crimen lesae maiestatis: „La libertà dei nostri arbitrii desidera il più de le volte cose impertinenti a la sua condizione." 83 Für Aretino wurden die Zeichnungen Michelangelos nun eine Prestigefrage: falls er sie nicht erhielt, blamierte er sich. Er ging mit der gleichen Taktik vor wie zwei Jahrzehnte früher bei Federico Gonzaga. Als Mittelsmann schaltete er Iacopo Cellini ein, bei dem er im Mai 1545 ohne viel Federlesens anfragte: „In somma ditemi a la libera se debbo tenere fidanza nel Buonaruoto, o no; se non volete ch'io rivolga seco l'affezione in disdegno".64 Erst im November 1545 schrieb Aretino dann jenen berüchtigten Brief, in dem der Verfasser der Ragionamenti den Schöpfer des Jüngsten 62
Midielangelo Buonarrotti, Lettere scelte e annotate da Irving e Jean Stone, Charles Speroni, Mailand 1963, 188.
63
Lettere sull'arte, ed. cit., II, 62.
64
Ib., 66.
Le Lettere
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Gerichts der Obszönität zeiht. Das Original wurde von Gaye publiziert. 9 5 Aretino veröffentlichte dieses Dokument seiner gekränkten Eitelkeit dann im vierten Band seiner Lettere unter dem Datum J u l i 1547 mit mehreren Varianten. Adressat ist nun nicht mehr Michelangelo, sondern Alessandro Corvino, bei dem er sich mit geradezu gegenreformatorischem Eifer über die Schamlosigkeit von Michelangelos Gestalten ausläßt. D a ß Aretino mit Michelangelo nichts verband, zeigt das Postskriptum zur Originalfassung des Briefes: „Or ch'io mi sono un poco isfogato la colera contra la crudeltà vostra, usa a la mia divozione, e che mi pare avervi fatto vedere die, se voi séte divino, io non so' d'acqua, stracciate questa, ché anch'io l'ho f a t t a a pezzi, e risolvetevi pur ch'io son tale che anco e' re e gli imperadori respondon a le mie lettere." 6 6 Der „göttliche" Michelangelo hatte den nicht weniger „göttlichen" Aretino gekränkt und ignoriert. Der gefürchtete Freund der Tributwilligen konnte Buonarotti die Antwort nicht schuldig bleiben. D a ß sie im Sinn des Konzils von Trient erfolgte, zeigt, wie schnell sich der wendige Weltsekretär mit den neuen Gegebenheiten abgefunden hatte. Die Briefe sind Aretinos letzter publizistischer Wurf. Er verfügte nun über ein ausgedehntes Register von Gattungen, die ihm fortan als Vehikel für seine literarischen Äußerungen zur Verfügung standen. 67 Die schöpferische Periode Pietros umfaßt kaum eineinhalb Jahrzehnte. Nach der Veröffentlichung der Lettere füllte Aretino fast nur noch neuen Wein in die alten Schläuche. Dieses Urteil gilt mit Einschränkungen auch für die Orazia und die späten Komödien.
65 68 67
Carteggio inedito d'artisti dei secoli XIV, XV e XVI, Florenz 1839/40 (Band II, 332.). Lettere sull'arte, ed. cit., II, 177. G. Petrocchi (P. A. tra rinascimento e controriforma, op. cit. 323) vergleicht recht willkürlich die Briefe Pietros mit jenen „journals, che gli scrittori moderni usano tenere più o meno tutti, e ai quali il fine della pubblicazione mutua l'impegno letterario e la sincerità della confessione, così come il mestiere dell'Aretino faceva passare sopra tutte le lettere l'identica vernice di opportunismo e di calcolo". Audi die daran geknüpfte Feststellung, diese Autobiographie in Briefen eröffne in der italienischen Literatur „il lungo filone delle memorie personali" ist nicht haltbar (327/28).
Die kleinen Dialoge : Il Ragionamento delle Corti, Le carte parlanti Durch Aretinos ganzes Werk zieht sich wie ein roter Faden die Polemik gegen die Höfe und das Lob Venedigs. Seine Komödie La Cortigiana ist eine erste große Auseinandersetzung mit dem päpstlichen Hof. Aretino hat in Rom unter den mannigfachen Demütigungen, die keinem Schmarotzer erspart blieben, sicher gelitten. Die Tatsache, daß er Venedig nicht mehr verließ, ist ein beredtes Zeugnis dafür. Um keinen Preis gab er die in der Republik des Heiligen Markus erreichte Unabhängigkeit je wieder auf. Der Groll gegen den römischen Hof saß so tief, daß er immer wieder zum Durchbruch kam, und Aretino eine große Abrechnung mit dem dortigen Leben und Treiben literarisch zu gestalten suchte. Er versuchte den Wurf mit dem Ragionamento nel quäle M. Pietro Aretino figura quattro suoi Amici che favellano delle Corti del Mondo e di quella del Cielo} Der Don Luigi D'Avila gewidmete Dialog nimmt seinen Ausgangspunkt von dem Entschluß des jungen Francesco Coccio, sein Studium aufzugeben und Höfling zu werden. Er wird aber von Lodovico Dolce, Pietro Piccardo und Giovanni Giustiniano dazu überredet, bei seinen Studien zu bleiben. Das Thema ist keineswegs neu, aber der enttäuschte Hofschmarotzer Aretino hat so viel persönliche Erfahrung und persönlich Erlebtes verarbeitet, daß die literarischen Vorbilder, die allenfalls dafür in Frage kommen, unerheblich sind, ganz abgesehen davon, daß kaum anzunehmen ist, Pietro habe Kenntnis von ihnen gehabt. Immerhin entspricht die Schlußfolgerung des Dialogs jener früherer Traktate und ihrer „Verleugnung des aristokratischen Lebensideals, sei es, daß man ihm im Studium, in einsamer Ruhe oder in der Arbeit entfliehen will." 2 1
Zitate im Folgenden nadi der von Guido Battelli besorgten Ausgabe des Verlags Carabba, Lanciano 1923.
2
Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters — Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hg. von Kurt Köster, 9. Aufl., Stuttgart 1965, 178. Huizinga erinnert an der gleichen Stelle an die Traktate De nugis curialium von Johannes von Salisbury und Walter Mapes, welche die Beschwerlichkeit des Hoflebens zum Gegenstand haben: „Im Frankreich des vierzehnten Jahrhunderts fand es seinen klassischen Ausdruck in einem Gedicht Philipps de Vitry, des Bischofs von
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Giustiniano gibt gegen Schluß des Gesprächs Coccio einige Vorschläge für gesundes Studium: vor dem Tagesanbruch solle er aufstehen, „ché in tal punto il pasto è digesto e lo stomaco sincero, onde lo spirito, tutto purgato e tutto leve, fa ciò che vuole de l'intelletto." 3 Hier haben wir ein Bekenntnis zur Natürlichkeit in geistigen Dingen und die für Aretino kennzeichnende Polemik gegen das Muffige und Ungesunde des Pedantentums. Am Schluß stellt Dolce den Wert des Studiums überhaupt in Frage: Di quanto studio feci, mai non ho ritratto quello die ritrarrò da i ragionamenti avuti. Io confesso die più s'impara parlando die facendo, né so dove si potesse leggere una particella di quel die si è detto.4
Nicht gründliches Studium, sondern schnell aufgegriffene und weitergegebene mündliche Information. Diese Einstellung steht an den Antipoden des Humanisten Petrarca, der in seiner Studierstube vom Tod überrascht wurde, mag diese Überlieferung auch ebenso legendär sein wie die vom Ende Aretinos. Dolce plünderte zwar mit der intellektuellen Raffsucht des Polyhistors alles handschriftlich oder gedruckt Verbreitete, aber es fehlte ihm, wie in noch viel höherem Maß seinem Freund Aretino, der Sinn und das Organ für die Autorität der Klassiker. 5 Benedetto Croce hat in einem kurzen Aufsatz Libri sulle corti in allzu großer Vereinfachung der verschiedenen literarischen Zeugnisse festgestellt, den Büchern über das Hofleben komme keine politische Bedeutung zu: „mettono capo non in altro che nel sospiro verso la campagna e la vita rustica e la rinunzia alle ambizioni, ossia alla lotta sociale, e il contentarsi di poco." 6 Merkwürdig, daß Croce nicht sieht, wie wenig diese Definition auf das Ragionamento delle Corti zutrifft, das er ebenfalls in diese Darstellung mit einbezieht. Von Sehnsucht nach dem Landleben ist bei Aretino keine Spur. „Natur" fand Pietro, wo immer er seinem Temperament keine Zügel anzulegen brauchte. Nicht weniger willkürlich scheint es, angesichts eines Verschwenders von Genügsamkeit zu Meaux, der Musiker und Poet zugleich war und von Petrarca gepriesen wurde: Le Dit de Franc Gontier." 3 ¡Ragionamento de le Corti, ed. cit., 141. * Ib., 142. 5 Cfr. Hermann Gmelin: Das Prinzip der Imitation in den romanischen Literaturen der Renaissance (Romanische Forschungen, XLVI, 1932, 83—360): „Petrarca las mit derselben Andacht, mit der ein Mönch die heiligen Schriften las, seine Klassiker, und wir wissen, daß er die Gewohnheit der Antike wieder aufgenommen hat, von der uns sein großer Antipode Augustinus zum letztenmal berichtet: nicht nur mit den Augen, sondern laut mit Mund und Stimme zu lesen" (103). 6 Poeti e scrittori del pieno e del tardo rinascimento, Bd. 2, 2. Aufl., Bari 1958, 198—207; 198.
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sprechen, und die Kategorie „lotta sociale" ist im Fall Aretinos ein Anachronismus. Der Schriftsteller fühlte sich nie als Vertreter einer Klasse, sondern handelte immer in eigener Sadie. Auch im Ragionamento delle Corti herrscht der monologische Gesprächstenor vor. Coccio, der bereits am Ende des ersten Teils von der Richtigkeit der vorgebrachten Einwände überzeugt ist, wird sehr schnell bloß bekräftigender oder schüchtern protestierender Statist, und mit dieser Rolle begnügt sich auf weite Strecken auch Dolce. Die beiden dozierenden, erfahrenen und weltmännischen Warner vor dem Verdruß des Hoflebens (im ersten Teil Piccardo, im zweiten Teil Giustiniano) begegnen sich nicht und sind übrigens so sehr gleicher Meinung, daß sich das Gespräch keineswegs hätte dialektisch gestalten können. Giustiniano tritt für die gemischte Form literarischer Gespräche ein, die in der Tat den eklektischen Ton des Ganzen ausmacht: Ora, per dirvi, io vi parlo familiarmente ne le cose domestiche, riserbando le parole di peso ne le materie pesanti; sempre non si possono tessere sentenzie, figure, colori e comparazioni nel ragionamento; questo dico perché noi siamo in un'età die tanto si tassa il parlare a caso, quanto il consultato. 7
In Wirklichkeit fehlt es in diesem Dialog nicht an Sentenzen und Figuren, an Farben und Vergleichen im Stil von Aretinos offiziellen literarischen Äußerungen. Das Gespräch klingt aus in ein Lob auf den himmlischen Hof. Ein so hoher Gegenstand wird von dem Autor der prose sacre in deren rhetorisch bemühtem Stil abgehandelt, Substantivserien werden aneinandergereiht bis zum Maximum von achtzehn: „Intanto la ignoranza, la fraude, l'avarizia, la prodigalità, l'arroganza, l'odio, il furore, la concupiscenza, l'adulazione, l'invidia, la menzogna, l'ingratitudine, l'ingiuria, la temerità, la perfìdia, la simulazione, l'instabilità, la calunnia si allontanano da lo albergo de i Cortigiani di Cristo, la perfezione de i quali, sì come non mira l'oro, così non guarda il dubbio, . . . (hier rollt die Konstruktion mit fünfzehn weiteren Substantiven weiter.) 8 Dolce kann am Schluß des Gesprächs feststellen: „Non si disdirebbe sì fatta striscia di parole calde e veementi ne la chiusa di qualche predica".* Neben dieser rhetorisch anspruchsvollen Stilebene erinnern die Novelleneinlagen an den unverwechselbaren Gesprächston Nannas, an ihren hemmungslosen Wortschwall und ihre toskanische Redseligkeit. Einer der Großen des Hofes ist erkrankt: Ogni cosa è in moto, dii trotta qua, chi sale suso, chi corre là, chi scende giuso, niuno mangia, niuno dorme, niuno favella, niuno si spoglia e niuno è 7
Ragionamento Ib., 144. • Ib., 150. 8
delle Corti, ed. cit., 122.
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in niuno, ed ella, tutta impiastri, tutta unzioni, e tutta abbandonata, arrabbia, non potendo fare con Dominedio quel die fa co' i servidori, i quali nel toccarla sono ringraziati dal: piano, furfanti, e dallo: adagio, cagnacci: soggiungendo: credete voi di'io sia di sasso, asinoni? ed essi chiotti.10
Das kleine Werk ist reich an derartigen Stellen, in denen Aretinos größte sprachliche Errungenschaft, das unverbildete, wirklichkeitsnahe und doch von phantastischem Leben erfüllte Toskanisch Nannas durchbricht, aber gerade hier zeigt sich der stilistische Dilettantismus, dem dieses Werk entsprang. Es steht zwischen der in den Ragionamenti verarbeiteten Welt römischer Erinnerungen und ihres sprachlichen Ausdrucks und der nurliterarischen Welt der prose sacre. Die Ragionamenti sind, verglichen mit diesem aus heterogenen Elementen zusammengeklitterten kleinen Dialog, aus einem Guß, sie erschlossen Aretino eine unverwechselbare sprachliche Dimension, während das Ragionamento delle Corti ein epigonales Werk ist, in dem Aretino Abfallprodukte seiner beiden stilistischen Ebenen zu einem Ganzen zusammenzufügen suchte. Neben der mechanischen Rhetorik findet sich daher bei dem nämlidien Gesprächspartner immer wieder und unvermittelt die griffige und plastische Sprache Nannas. „Eccoti spuntare in Corte uno dipinto di scienze"11, „Ecco a la Corte un secretario savio e di destra sottigliezza ne l'interpretare le sue volontà" 12 sind typisch für die demonstrative Redeweise Nannas, wie auch jenes volkstümlichweltläufige: „Ho conosciuto uno Reverendo" 13 oder „Vorrei che vedeste i poveracci ondeggiare intorno a una credenza e a una tavola apparecchiata". 14 Wie in den Ragionamenti bezieht sich Aretino wiederholt auf eigene frühere Werke, wie dort profaniert er die Sprache der Bibel und der Liturgie: „disse, inclinato capite: Bascio la mano a la vostra Signoria reverendissima".15 Offen gesteht hier Aretino, daß er mit Lukian wetteifert: Dol.: È necessario die dii ha due anime abbia due corpi ancora. Pie.: Così ha la Corte; quello è dispensa da vivande e questo magazzino da lussuria.
Coc.: Luciano è spacciato. Dol.: Se non è spacciato va a pericolo.1'
Die von mir hervorgehobenen bewundernden Kommentare Coccios und Dolces werden im Ton Antonias oder Pippas abgegeben, sieht man von der gelehrten Reminiszenz ab. 10 11 1S 1S M 15
"
Ib., Ib., Ib., Ib., Ib., Ib., Ib.,
56 f. 35. 103. 50. 55. 62. 48.
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Das Ragionamento nähert sich durch seine Identifizierung von corte und cortigiana, von H o f und Kurtisane, ganz besonders der Umwelt von Aretinos großem Dialog. Wie eine Dirne versteckt der H o f seine Habgier hinter heuchlerischen Manövern. Ziel bleibt dabei im einen wie im anderen Fall die Beschlagnahme eines lockenden Besitzes. L a „Corte" (im Italienischen weiblichen Geschlechts) wird personifiziert: sie ist launisch und unberechenbar wie eine Kurtisane: Ella non istà mai in un proposito, oggi ti abbraccia e domani ti perseguita, a terza te si affratella ed a vespro non ti conosce, vuole ciò che non vede, e ciò die vede non vuole. E senza por mente al buono, al dilettevole ed al conveniente, nulla le piace, nulla le aggrada, e nulla le appartiene, attendendosi sempre al tristo, a lo schifo ed al biasimabile.17 Mit einer geschickten Verkehrung des biblisdien „Qui habet aures audiendi, audiat" (Matth., 11, 15) suggeriert Aretino-Piccardo den perversen gottlosen Sinn, der an den Höfen herrscht: „Onde sono beati quelli che non hanno orecchie, né occhi, né lingua, perché soli i sordi, i ciechi ed i muti sono il cocco de la Corte". 1 8 Mit unübertrefflicher Meisterschaft beschreibt Aretino das Leben eines Pagen, der am H o f in wenigen Tagen korrumpiert wird : Pie.: (. . .) Se ne va in Corte un fanciullo simile a una perla nel bambagio, ornato di grazia, pieno di gentilezze e sempliciotto, tutto modestia e tutto purità, con i suoi vestimenti doppi ed ugnoli, secondo che la facultà e la magnificenza del padre comporta, e salendo le scale, chi lo squadra di dietro e chi lo squadra dinanzi, ed egli ne la innocenza nativa pare un Agnusdeo. Dol.: Mi par vedere un'anima die scesa dal cielo viene a imprigionarsi dentro al muro de la carne, onde si smentica le intelligenzie divine nel recarsi in memoria le terrene. Pie.: Dico die egli, fatto rosso da la nobiltà de la vergogna, timido e pauroso, bascia la mano del nuovo padrone, il quale, datogli un'ocdiiatina sotto coperta, lo ricoglie con due risa mascoline, e venutogli a noia in tre di, è dedicato al votare de i cessi, al brunire de gli orinali, a lo accendere de le candele, a lo spazzare de le camere ed a lo sponsalizio de i cuochi e de i canovai, la bontà dei quali lo ricama e trapugne di lebra e di mal francioso; in questo mezzo le camiscie sudice non se gli imbucatano, le calze stracciate non se gli acconciano, le scarpe rotte non se gli rinnuovano, ed il capo lendinoso non se gli lava, onde il tanfo del lezzo che ammorbarla dieci stufe fa segno col molesto del suo odore che la pidocchieria va in corso, ed il buon putto, tacendosi e ristringendosi, non è differente da un pomo che, gittato via con due fitte di denti suso, se lo mangiano le mosche.19 In dieser beispielhaften Prosakomposition gibt Aretino einen ergrei17 18 19
Ib., 119 f. Ib., 57 f. Ib., 28 f.
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fenden caractère. Der Einsatz mit seiner koordinierenden Satzstruktur gibt die ahnungslose Sorglosigkeit des unschuldigen Pagen wieder, die abschließenden Substantiv- und Verbalreihen sind hingegen Ausdruck für das unsägliche Elend, in dem das Opfer seiner höfischen Umgebung verkommt. Es wäre jedoch verfehlt, wollte man das Ragionamento delle Corti an seinem menschlichen und stilistischen Höhepunkt messen. In Wirklichkeit bringt das Werk nichts Neues. Es ist ein Zeichen für den Beginn des Epigonentums im Zeichen der literarischen Großmacht Pietro Aretino. Aretinos letztes ragionamento erschien 1543 erstmals unter dem Titel Dialogo del divin P. Aretino nel quale si parla del giuoco con moralità piacevole. Zwei Jahre später erschien in Venedig per Bartolomeo detto rimperador eine Neuauflage. Nach dem Tod des Schriftstellers druckte das Werk Andrea del Melagrano (John Wolfe), und 1650 gab Ginammi unter dem üblichen Pseudonym Partenio Etiro die für mehrere Jahrhunderte greifbarste Edition des Dialogs. In neuerer Zeit wurde diese verhältnismäßig späte Prosa Pietros nur von dem Verlag Carabba in Lanciano 1914 herausgegeben.20 Gesprächspartner sind ein gewisser Padovano Cartaro und die von ihm entworfenen und mit großem Erfolg auf den Markt gebrachten Spielkarten. Aretino wollte sich dem anscheinend recht großzügigen cartaio gegenüber erkenntlich zeigen, indem er ihn als Gesprächspartner seiner Karten einführte. Wie dankbar ihm dafür der in Florenz lebende Paduaner war, zeigt eine Reihe von Briefen („Imperocché la fortuna che, nel fare, sempre mai non seppe quel die si facesse, ha fatto i Principi con l'animo di Cartai e i Cartai con l'animo dei Principi"). 21 Das kleine Werk ist über Gebühr positiv beurteilt worden, in der Regel aus moralischen Gründen. Wie schon im Dialogo delle Corti vermeidet Aretino nun die obszönen Argumente. Ginammi brauchte nur wenige parodistisch gebrauchte Bibelzitate zu tilgen, um das Werk in der Mitte des 17. Jahrhunderts neu auflegen zu können. In Wirklichkeit fehlt 20
21
13
Den Text (nach dem im Folgenden zitiert wird) besorgte F. Ciampi, der in seiner Einleitung bemerkt: „La lezione die diamo del libro è accurata, secondo il buon testo del Ginammi; le edizioni secentesche veneziane dell'Aretino, malfide per le altre opere di lui, rimaneggiate e troncate, manomesse nel secolo XVII, sono abbastanza sicure per quel die riguarda le prose sacre e queste Carte ParlantiPräziser ist G. G. Ferrerò in seiner Ausgabe der Scritti scelti di Pietro Aretino e di Francesco Doni (Turin 1962), der für seine vorzüglich kommentierte Auswahl im Falle der Carte parlanti die Ausgaben von 1545 und 1650 kollationierte. Ferrerò führt allerdings zu einer anthologischen Lektüre (in unserem Fall handelt es sidi um zehn Anekdoten bzw. Novellen), die keine Beurteilung des Gesamtwerks erlaubt. Le carte parlanti, ed. cit., II f. Hösle
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D i e kleinen D i a l o g e : Il R a g i o n a m e n t o delle C o r t i , Le carte p a r l a n t i
mit der Obszönität auch Aretinos authentische dichterische Welt. An die Stelle der saftigen Sprache Nannas rückt die mechanische Schreibweise des Rhetors und Literaten Aretino, der das Beste in einigen gut erzählten Anekdoten und Novellen gibt, im übrigen aber seitenlange Ovationen an die Großen seiner Zeit aneinanderreiht und zum Pedanten wird, wo er sophistische Argumente anführt, um das Kartenspiel zu verteidigen. Im großen und ganzen zehrt er immer noch von seinen römischen Erlebnissen und Eindrücken, auch jetzt nach fast zwei Jahrzehnten, wie es überhaupt merkwürdig ist, daß der lange venezianische Aufenthalt für Aretinos dichterische Welt wenig „Stoff" hergab, wenn man von den Briefen absieht. Le carte parlanti geben ebensowenig wie die Ragionamenti echte Dialektik. Der Padovano beschränkt sich wie Antonia, Pippa und die Amme in den Ragionamenti darauf, den Gesprächspartner zu ermuntern, voranzutreiben, ihm beizupflichten: dies alles zum großen Teil mit Ausdrücken und Redewendungen, die wir bereits aus den ersten Dialogen kennen. Der Padovano bleibt eine reine Abstraktion, ganz im Gegensatz zu der pastosen Nanna. 22 Aretino weiß mit dem „surrealistischen'' Einfall der sprechenden Karten nichts anzufangen. Sehr viel mehr als den erstaunten Ausruf „Oh, Dio buono, le carte favellano" zu Beginn des Dialogs weiß er aus der Situation nicht zu holen. Zu Unrecht meint daher Francesco Flora im Zusammenhang mit Aretinos Dialog „le vicende del vivere, le lor sorti ed arcani" seien in diesem Werk „trasferite nelle figure delle carte, e affidate al dominio di un Caso immaginoso e fiabesco in cui la realissima vita d'ogni giorno si piace di diventare una favola d'immaginazione". 23 Die märchenhafte Komponente vermag Aretino literarisch nicht zu verwerten. Nicht wenig abwegig scheint mir, wenn Flora feststellt, die Karten verstünden es, die verschiedenen Spielertemperamente zu beschreiben. In Wirklichkeit han22
G. Petrocchi (P. A. tra Rinascimento e Controriforma, op. cit., 204—215) verwickelt sich bei der Interpretation und Analyse der Carte parlanti in Widersprüche. Einerseits versichert er „Conseguono un punto intermedio tra l'obiettività narrativa dei Ragionamenti ( . . . ) e l'energico sfogo delle Lettere ( . . . ) E dei primi conservano quella veloce freschezza di immagini e di soluzioni narrative, mentre hanno delle seconde l'importanza del documento storico-ambientale e la felicità del ritratto fisico o culturale", andererseits kommt er zu dem Schluß: „II mondo dell'Aretino si f a ricercato ed astratto, di quanto era prima esterno e concreto. Ma se, liberandosi dei suoi peggiori umori, lo scrittore appare più calcolato e cosciente, qualcosa è andato perduto: la sfrenata, ma istintiva ed autentica passione dell'arte e della natura è avviluppata e freddata. L'altezza poetica dei Ragionamenti, quel suo confuso e ardentissimo clima umano, non si ritrova nelle Carte Parlanti."
23
P. A. Lettere, ed Flora/Del Vita, L X I I I .
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deh es sich um ein leeres Jonglieren mit Worten, die mit den „diverse nature dei giocatori" 24 nicht viel zu tun haben: Car. Simigliava (cfr. un giuocator vecchio) a diverse specie di volatili le nature dei giocatori d'Italia. Pad. Come chiamava quei di Puglia? Car. Mosdie. Pad. I Siciliani? Car. Vespe. Pad. I da Napoli? Car. Farfalloni. Pad. I Romaneschi? Car. Zanzare. Pad. I Sanesi? Car. Codetriemele. Pad. I Fiorentini? Car. Pàssare. Pad. Quei da Bologna? Car. Cacalori. Pad. I da Ferrara? Car. Picchi. Pad. I da Venezia? Car. Ragni. Pad. I da Mantova? Car. Cornacchie. Pad. I da Milano? Car. Barbagianni. Pad. Quei di Savoia? Car. Gufi. Pad. E quei di Piamonte? Car. Allocchi. Pad. Per che aveva i Todesdii? Car. Per Corbi. Pad. Per che i Franciosi? Car. Per Galli. Pad. Per che gli Spagnuoli? Car. Per lucciole. Pad. E gl'Italiani raccolti in massa? Car. Per grillorum grillarum. Pad. Comentatemi perchè gli Spagnuoli, i Todesdii, e i Francesi, sono nel giuoco e galli, e corbi, e lucciole, acciocché io possa conietturare gli andari dei nostri passi da me stesso. Car. Secondo la esposizione di lui, i Todesdii paion corbi nell'austerità. Pad. Mi piace. Car. I Francesi, galli nella larghezza. Pad. Mi aggrada. Car. E gli Spagnuoli, lucciole nella veemenzia. Pad. Mi diletta. 24
13»
Ib., LXIV.
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Die kleinen Dialoge: Il Ragionamento delle Corti, Le carte parlanti Car. Preste, larghe, e austere si dimostrano sì fatte nazioni, e con le carte e con l'armi e con l'altre cose. 25
Nicht um Märchenelemente handelt es sich hier, nicht um realistische Darstellung objektiver Sachverhalte, nicht um die Suche einer allgemein verbindlichen Wahrheit auf dem Weg der Dialektik, sondern um ein leeres, unverbindliches Wortgeplänkel, bei dem der Padovano passiver Zuhörer bleibt, der geradezu servil die Meinungen und Ansichten der Karten hinnimmt und sich als Claqueur gebärdet. Die Äußerungen über Deutsche, Franzosen und Spanier werden am Schluß noch einmal in diiastischer Korrelation zusammengefaßt (so wenig Aretino hier sonst von diesem in den prose sacre häufigen rhetorischen Kunstgriff Gebrauch macht). Nicht um Märchenelemente geht es, sondern um „Surrealismus" auf sprachlicher Ebene, wie das Beispiel „grillorum grillarum" zeigt. Die Verwendung des gleichen Wortstamms soll nicht so sehr den Sachverhalt klären, sondern den Zuhörer betäuben. Verhältnismäßig harmlos ist das angeführte „grillorum grillarum" oder das von den Karten geäußerte „Confusioni da confondere l'inconfuso". 28 Einen Grenzfall stellt hingegen eine Anspielung des Padovano auf einen orthographischen Neuerungsvorschlag der Accademia degli Umidi dar: „Bene è lo sicurarsi dalla tracutezza delle bagaglie; perchè anco i Signori umidi hanno voluto alleggiare la gazza, la tazza, la piazza, la pazza, la mazza, e la cazza, d'uno dei due zeti." Die Karten reagieren darauf mit einem betroffenen „die vocaboli son questi, che tu sputi a fette?" 27 Aretino will sich hier nicht in müßige Streitfragen der „Pedanten" mischen. Der Streit der Grammatiker liefert ihm lediglich einen Anlaß zu seinem unverbindlichen ironischen Spiel mit Worten, das zum Selbstzweck wird. Die Tendenz zur Abstraktion zeigt sich besonders deutlich in der allegorischen Verwendung der Zeitgenossen. Die Namen sind vertauschbar wie die italienischen Regionen bei dem Vergleich mit Vögeln und Insekten. Aretino arbeitet vor allem bei seinen Ovationen an die regierenden Häupter mit rhetorischen Mitteln. Die für Nannas „volkstümliche" Sprache kennzeichnenden zusammengesetzten Substantive fehlen fast völlig, an ihre Stelle rücken nun Hyperbeln, concetti und mythologische oder emblematische Bilder. Zu Unrecht führt sich Aretino auch in diesem Dialog als „flagello dei Principi" 28 ein. In Wirklichkeit ist ein reichliches Drittel der Carte parlanti Huldigung an die großen und an die kleinen Fürsten, die sich Aretino verbinden wollte. Wo die Inspiration versagte, hielt sich Pietro an ein 25 26 27 28
Le carte parlanti, Ib., 94. Ib., 86. Ib., 143.
ed. cit., 164/5.
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mechanisch angewandtes ut pictura poesis wie in dem keineswegs isolierten Lob des Marchese del Vasto und seiner Gemahlin. Paradoxerweise wird er auch in seiner Polemik gegen die „Pedanten" selbst zum Pedanten. Ohne die deftige Sprache Nannas werden seine Seitenhiebe zu doktrinären und trockenen Bruchstücken einer ungeschrieben gebliebenen Abhandlung gegen die Schulmeister. Aretinos heftiges und leidenschaftliches Temperament war monologisch. Andere Meinungen ließ er nicht gelten. Aretino verzichtet auch nicht auf die abgedroschensten Formeln und Metaphern, wenn es sich um Fürstenlob handelt: Car. Che apparenza di celeste divinità, che spettacolo di mirabile gentilezza, die piacere di pura modestia è il mirare, con che vaghe maniere, con die innate attitudini, e con die alte magnificenze giuoca la eccelsa, la singolare, e la immortale Tampes. Pad. Si lauda per una Fenice. Car. Vaneggiano i lumi dei tortili ripercossi dalla luce, die folgora d'intorno agli occhi dell'inclita Madama. Pad. Mi abbagliano fin di qua. Car. Il venerabile viso di lei, colorito dal candido latte, e dal vermiglio delle rose, risplende con tanta giocondità di grazia soave; die non pur la gente intenta al veder, come ella si trastulla nel giuocare; ma noi die siamo carte, ci perdiamo là dentro. . . .2*
Die Komplimente an die Adresse Madames sind damit nicht zu Ende, variieren aber lediglich den hier zitierten Eingang: das Dreierschema des Auftakts, den billigen concetto, daß selbst die abstrakten Karten sich in ihrem Anblick verlieren und die bereits damals ausgelaugten Metaphern mit Milch und Rosen. An solchen und ähnlichen Stellen wird Aretino „gewöhnlich", nicht in den vielgeschmähten „obszönen" Abschnitten der Ragionamenti, die in der Regel dichterisch bewältigt sind. Kurtisanen, Zuhälter und Künstler: sie waren Pietros täglicher Umgang und literarische Welt, nicht der französische Hof, über den er vielleicht manches wußte, dessen Lebensstil er aber nicht verstand. Die Carte parlanti können zu einer enthusiastischen Stellungnahme führen, solange ihre Beurteilung auf einem Dutzend novellistischer oder anekdotischer Erzählungen beruht (die mit der Dialogform nichts zu tun haben)30, aber als „Dialog" sind sie wie der Dialogo delle corti mißlungen. 29 80
Ib., 72. Typisdi dafür ist Sergio Ortolanis Einführung in eine Auswahl von Aretinos Briefen (Turin 1945, V I I — X X X ; X X V I I ) : „E dell'Aretino poeta che resta? N o n certo la vacua figuratività delle prose sacre — . . . — . N é troppo — . . . — nello spettacoloso cosmorama dei Ragionamenti, delle Commedie, dei dialoghi de „Le Corti" e „Le Carte parlanti", benché quest'ultimo sia forse il suo capolavoro, . ..". Merkwürdig, daß die Kennzeichnung als „capolavoro" durch ein ausweichendes „forse" zurückgenommen wird, bevor sie fällt.
Die späten Komödien: LaTalanta, Lo Ipocrito, Il Filosofo Als Aretino sich in den vierziger Jahren wieder als Verfasser von Komödien hervortat, lag seine große schöpferische Phase hinter ihm. Die letzten Werke sind in erster Linie Ergebnis der noch weiterwirkenden Trägkraft. Sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Originalität des Schriftstellers inzwischen weitgehend versiegt war. Er wurde nun häufig zum Epigonen seiner selbst und verwechselte immer mehr Effekt mit Ursprünglichkeit. Cortigiana und Marescalco waren der schöpferische Niederschlag seiner Erlebnisse in Rom und in Mantua, die gelungene Gestaltung und dramatische Artikulierung eines riesigen Rohmaterials. Der Aretino der vierziger Jahre hingegen stellt nun in seinem künstlerischen Labor nach einer feststehenden Formel literarische Erzeugnisse her, wenn er auch nach wie vor nicht unter ein gewisses Niveau sinkt. Der Divino gab sich übrigens selbst Rechenschaft über seine verhältnismäßig frühe Senilität. In einem Brief vom 15. Mai 1537 bekennt er: La vecchiaia mi impigrisce l'ingegno, e Amor che me lo dovria destare me lo adormenta. Io soleva fare quaranta stanze per mattina: ora ne metto insieme a pena una. In sette mattine composi i Salmi, in dieci la Cortigiana e il Marescalco, in quarantotto i due Dialoghi, in trenta la Vita di Cristo. H o penato poi sei mesi ne l'opra de la Sirena. Io vi giuro per quella verità che mi guida, che da qualche lettra in fuora, non scrivo altro. 1
In der Widmung der Komödie Talanta an Alessandro Piccolomini trumpft er zwar wieder auf, er habe „ne le ore da me furate al sonno di forse venti notti" die ihm dedizierte Komödie und den Ipocrito geschrieben, aber das Eingeständnis der schöpferischen Impotenz in dem zitierten Brief wird dadurch nicht beseitigt. Aretino lehnt sich nun eng an Vorbilder aus der Antike an. Die Handlung der Talanta ist reichlich verworren und unübersichtlich. Sie besteht aus einem Mosaik aus Terenz und Plautus. Vor allem das Vorbild des Eunuchus lieferte den Stoff für die Verwicklungen mit ihren nur schwer überschaubaren Überschneidungen. Das Bühnenbild zur Talanta fertigte Giorgio Vasari, der vom 6. Oktober 1541 bis zum 28. August 1542 in Venedig weilte, ohne dort übrigens bei Aretinos Malerfreunden großen Anklang zu finden. Pietro war von der Compagnia della Calza, deren Mitglieder sich „i Sempiterni" nannten, 1
Lettere, ed. Flora/Del Vita, 156.
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aufgefordert worden, für den Karneval 1542 ein Stück zu schreiben. Wenn man einem Brief des Schriftstellers an den Herzog von Florenz Glauben schenken will, war es der Wunsch „che Giorgio facesse conoscere le sue virtù qui", der Aretino veranlaßte „in otto giorni" seinen Text zu schreiben. Die Tatsache, daß Vasari ein Landsmann war, ist nicht ohne Bedeutung. Pietro mußte es immer wieder darauf ankommen, daß man in seiner Heimat von seinem Ruhm und seinem Ansehen erfuhr. In Vasari fand er einen geradezu unterwürfigen Verehrer, der sich an Pietro in den dreißiger Jahren wie an einen Monarchen wandte. 2 Lionello Venturi hat übrigens überzeugend nachweisen können, daß Aretinos Polemik gegen Michelangelo, die sich Vasari in der Ausgabe der Vite von 1550 noch nicht zu eigen machte, dann in der Neuauflage des Werks von 1558 unverkennbare Spuren hinterließ.® Schauplatz der Talanta ist wie schon in der Cortigiana Rom. Die Protagonistin ist wieder eine Kurtisane, die sich von drei (bzw. vier) Männern aushalten läßt: von Orfinio, den sein Mentor Pizio vergebens von dieser kostspieligen Leidenschaft abzuhalten sucht, von dem Venezianer Messer Vergolo, der eigentlich im Interesse seines Sohnes Marchetto nach Rom gekommen ist, und von dem säbelrasselnden Neapolitaner Tinea, den sein Parasit Branca und seine Tochter Marmilla begleiten. Im großen und ganzen handelt es sich bei den erwähnten Personen um Bekannte aus der Cortigiana: dem tölpelhaften Messer Maco aus Siena entspricht der senile Messer Vergolo und der neapolitanische miles gloriosus Signor Parabolano findet sein Gegenstück in dem Windbeutel Tinea. In der Cortigiana genügten diese dramatis personae, um die Handlung in Bewegung zu brin8
Im 9. Band der im letzten Jahrhundert von Gaetano Milanese in die Wege geleiteten Vasari-Ausgabe des Verlags Sansoni (Florenz 1933, 244/245) findet sich Giorgios in Aretinos Briefstil verfaßte Ergebenheitsbezeugung: „Sì come Febo con i suoi lucentissimi raggi, scoprendosi dopo la venuta dell'Aurora, lumeggia col suo lampeggiare chiarissimo i colli, ed universalmente la gran Madre nostra antica, dando quel nutrimento die dà il vitto alle figure create da lei, cosi mi hanno illuminato l'animo, cosi mi ha ingagliardito le forze la virtù del romore della voce da voi tinta da si avventurati inchiostri; . . ® Lionello Venturi: Pietro Aretino e Giorgio Vasari (Mélanges Bertaux, Paris 1924, 323—338) belegt durdi detaillierte Vergleiche, daß für Vasari 1550 die Renaissancekunst nodi einen fortschreitenden Prozeß darstellte, der seine „perfezione assoluta sovrumana" in Michelangelo fand (338), während er sich 1568 sogar Aretinos moralische Vorbehalte gegen Michelangelos Giudizio Universale zu eigen machte, als er in der Vita des Beato Angelico bemerkte: „Non vorrei die alcuni credessero, che da me fussero approvate quelle figure che nelle chiese sono dipinte poco meno die nude del tutto: . . (337). Es muß einer Aretino-Biographie vorbehalten bleiben, Pietros Rolle als Kunstkritiker und Bildermakler darzustellen. Wichtige Vorarbeit ist bereits geleistet in den von Fidenzio Pertile und Ettore Camesasca besorgten volume terzo/ tomo secondo der bereits zitierten Lettere sull'arte di Pietro Aretino.
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gen. Der späte Aretino kommt damit nicht mehr aus. Wie sich seine Sprache immer mehr in rhetorischen Prunk- und Paradenummern gefällt, so erhofft er nun auch für seine Theaterstücke durch Komplikation und Übernahme klassizistischer Komponenten eine Steigerung des künstlerischen Ergebnisses. In Wirklichkeit handelt es sich um mühsam kaschierte Sterilität. Wie weit diese Entwicklung gediehen war, zeigt der Vergleich mit dem Marescalco, in dem Aretino noch durchaus souverän mit einem Element aus Plautus und der zeitgenössischen italienischen Komödie umgesprungen war. Nun folgt er auf weite Strecken dem Vorbild des Eunuchus von Terenz, das er mit Anregungen aus den plautinischen Menaechmi kombiniert. Der Venezianer Messer Vergolo hofft, die Gunst Talantas durch einen saracino zu erlangen, den er der Kurtisane als Geschenk übergeben will (in Venedig war die Sklaverei noch nicht abgeschafft, aber der Einfall stammt doch eher aus Terenz als aus einer realistischen Situation). Vergolos Sohn Mardietto sträubt sich gegen diese Transaktion. Er weiß es besser als sein Vater: der saracino ist in Wirklichkeit ein verkleidetes Mädchen. Der miles gloriosus Tinea hofft, den Venezianer durch eine Sklavin zu übertrumpfen, zum Leidwesen seiner Tochter, der nicht unbekannt ist, daß sich hinter der weiblichen Vermummung ein Junge verbirgt. Die Auflösung der Verkleidungskomödie wird durch das Erscheinen des Vaters der beiden Sklaven, Blando, möglich. Ihm war in orientalischen Wirren von seinen Drillingen nur die als Knabe verkleidete Oretta verblieben: nun findet er in der Sklavin seinen verloren geglaubten Sohn Antino und in dem Sarazenen seine vermißte Tochter Lucilla wieder. Die Jungen kommen zu ihrem Recht: Mardietto darf Lucilla heiraten und Antino Marmilla, die Tochter des Neapolitaners. Armileo, ein Römer, der scheinbar ebenfalls der Kurtisane den Hof machte, in Wirklichkeit aber Lucilla liebte, sieht sich zwar um diese betrogen, erhält aber an ihrer Stelle die Hand Orettas, die der Schwester ohnehin wie ein Ei dem anderen ähnelt. Die beiden galanten Väter bezahlen Talanta eine Abfindung in Geld als Entschädigung für die verlorenen Prestigeobjekte aus dem Orient. Talanta verbleibt nun ausschließlich ihrem Liebhaber Orfinio. Um dieses Gerüst wuchert noch eine Reihe von Sproßhandlungen, von Szenen, die um ihrer selbst willen da sind und zweifellos zu den gelungensten Aspekten dieser umfangreichsten Komödie Aretinos gehören.4 Zur Sterilität des alternden Aretino gehört die rein quantitative Potenzierung seiner Werke, wie vor allem die Analyse seiner religiösen Schriften zeigt. Pizios Feststellung: „in fine retorica b ne la lingua di dii 4
U. Fresco gibt in seiner eingehenden positivistischen Untersuchung (Le commedie di P. A.y op. cit) die einschlägigen Belege aus Terenz. Verwiesen sei außerdem auf die Arbeit von K. v. Reinhardtstöttner: Plautus — Spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele, Leipzig 1886.
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ama, di chi inganna e di chi ha bisogno" (I, 13) gilt nicht nur für den Erpresser, sondern auch für den Schriftsteller Aretino. Sein rhetorischer Aufwand, was ist er anderes als ein Versuch, dem Leser und Hörer Sand in die Augen zu streuen! Rhetorik war in den Versen des verliebt schmachtenden Aretino der Gedichte für Angela Serena, in den Widmungen an den „perpetuo Duca di Fiorenza", dem er mit dem Auftakt „Ecco, o verace Idolo mio" die Talanta zueignete, in den Bettelbriefen an die Großen seiner Zeit. Die immer wieder von Aretino (und der Kritik) aufgegriffene Formel seiner Spontaneität trifft nur eine Seite seines Schaffens. Nicht nur Aretino spielt eine Rolle, auch seine dramatis personae rezitieren sie mit Abstand zu sich selbst. So kann Orfinio von sich behaupten: „Io che non son Fedria di Taide, se ben paio, perché anche egli non è di Terenzio, benché sia tenuto, . . . " . Der von Aretino in den prose sacre bis zum Überdruß benutzte Kunstgriff des Chiasmus und der Korrelation charakterisiert die Sprache von Armileos philosophischem Präzeptor Peno, der in mancher Hinsicht eine Wiederaufnahme des Pedanten aus dem Marescalco ist und den verschrobenen Plataristotile der Komödie 11 Filosofo antizipiert. Eine Unterhaltung Armileos mit seinem Lehrer über die Liebe gipfelt schließlich in einer kunstvoll verzahnten rhetorischen Tirade Penos: N o n si nega, die non ¡sforzi, non disturbi, e non levi e la memoria, e la mente, e la ragione, che non ci pasca di promesse, di gelosie, di crudeltà, di menzogne, di pensieri, d'inganni, di rancori, di pravità, di disperazioni e di pene; pure la somma d'ogni sua natura è duolo allegro, torto giusto, stoltizia saggia, timidità animosa, avarizia splendida, infirmità sana, asprezza agevole, odio amicabile, infamia gloriosa ed iracondia placida. Arm. Che debbo io far dunque?
Peno. Imita la prestanzia di quegli, die ciedii veggono, pentiti perseverano, languendo godono, gridando tacciono, perduti si trovano, negando consentono, partendo restano, prigioni son liberi, digiunando si saziano e morti risuscitano. (II, 10) Armileo lehnt sich zwar gegen diesen „unguento di sentenzie" auf 5 , aber weite Strecken der Talanta sind doch nichts anderes als ein leeres Spiel mit Worten, nicht mehr Parodie einer auf eine Person beschränkten salbadernden oder pedantischen Sprache. Orfinios Vertrauter Pizio drückt sich nicht sehr viel anders aus als Peno, wenn er siebenmal drei Synonyme gegen die Verblendung seines Herrn und die Verführungskünste Talantas und ihresgleichen riditeti È possibile die si elegante gentiluomo, come è Orfinio, sia cotanto immerso in costei, die non pensi mai ad altro? ma die ne può far egli, se il mele, il s
Nidit einleuchtend scheint mir die Behauptung M. Barattos, Peno sei „un filosofo liberale, die definisce l'amore con una estrosa, aretinesca, filosofia degli opposti" (Tre studi sul teatro, op. cit., 140), w o es sich doch eindeutig um eine Parodie des Petrarkismus handelt, so daß der Begriff „liberale" in diesem Zusammenhang unergiebig bleiben muß.
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Die späten Komödien: La Talanta, Lo Ipocrito, Il Filosofo zuccaro e la manna, che unge, condisce e confetta i gesti, le voci e le parole de le cortigiane, è il veleno, il napello, e l'arsenico, die guasta, corrompe ed uccide i meschini, e semplici e gl'insensati, die le seguitano, che le sopportano e che gli credono? (II, 4)
Diese rhetorische Inflation ergreift nahezu alle Personen der Talanta, ohne Rücksicht auf ihre Bildung und ihr Alter. Marchetto, der Sohn Messer Vergolos verflucht in einem Monolog (II, 9) die Alten: Cosi se ne spegnesse (sono stato per dire il seme), come i vecchi son la più trista razza che viva! essi, oltre lo essere maliziosi, fastidiosi, dispettosi e cavillosi, non restano mai di consumare, con le grida, con le minacce, con le villanie e con le reprensioni, i poveri giovani;
und Raspa, der Diener Armileos, bricht in eine ähnliche Verwünschung der Kurtisanen aus: „O fuoco, o tanaglie, o scope, o mannaie, o capestri, che state voi a fare" (II, 13). Aretino verlor immer mehr die Fähigkeit zu sprachlicher Individualisierung. Die Äußerungen der Personen werden austauschbar, wo Diener wie ihre Herren reden. Immer aufdringlicher setzt sich der Großschriftsteller Pietro Aretino an die Stelle seiner Gestalten. Handlungsablauf und Gestalten sind nicht mehr komplementär, sondern verselbständigen sich. Jene bereits im Auftritt des istrione im Marescalco sich ankündigende Typisierung der Personen greift immer weiter um sich. Die geradezu unerschöpfliche Fülle von Gestalten in den Werken Aretinos läßt sich letzten Endes auf einige immer wiederkehrende Personen reduzieren. Der Parasit Branca tritt in die Fußstapfen des extemporierenden istrione und entwirft daneben den Protagonisten von Aretinos nahezu gleichzeitg entstandener Komödie Lo Ipocrito: ecco l'ipocrito, torce il collo, abbassa il guardo, ingialla il volto, sputa in fazzoletto, mastica salmi ed incrocicchia mani, se ne va serrato ne' suoi stracci, né si curando die i pescivendoli, i beccai, gli osti, i pizzicagnoli ed altri simili gli vadino incontra, lo festeggino, lo invitino e lo intertengano, entra per tutte le case de' grandi, e ristringendosi ne le spalle de la carità, è sempre a l'orecchie di questo e di quello, . . . (II, 5)
Theatralische Situationen werden in der Talanta nur nodi selten auf der Bühne gespielt, sondern nur nodi sprachlich skizziert. Ein Nonplusultra in dieser Richtung gibt audi hier wieder der Prolog, in dem der istrione („io, die sono il minimo de la compagnia) erzählt, wie er im Traum („mentre russava da zappatore") in den Olymp entrückt und dort aufgefordert wurde, die Rolle eines Gottes zu übernehmen: In somma, venutosi in sul caso di ser Cupido, ci diedi subito il si, e dandocelo, mi sentii l'ale alle spalle, il turcasso al fianco e l'arco in mano: e cosi io già tutto ferro e tutto fuoco, desideroso di sapere ciò die si fa in amore, do d'una occhiata a le turbe die amano; onde veggo chi ha la posta, die è piantato, chi si raggira intorno la casa de l'amica, chi v'entra per la dritta, chi si aggrappa per le mura, chi vi monta con la scala di corda, chi salta de le finestre, chi s'asconde in una botte, chi è scoperto dal bastone, chi castrato
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dal coltello, chi è messo in zambra da la fante, chi trattone dal famiglio, dii arrabbia di martello, chi crepa di passione, chi si consuma spettando, chi fa le fica a la speranza, chi non se ne vuol chiarire, chi dona a la sua donna per grandezza, dii le toglie per impeto, chi la tenta con le minacce, chi la scongiura con preghi, dii divulga il fine ottenuto, chi non confessa il suo gaudio, dii si vanta de la bugia, dii dissimula la veritade, dii celebra il suggetto die l'arde, dii vitupera la cagione che l'ha infiammato, chi non mangia per dispiacere, chi non dorme per letizia, chi compone versi, chi scrivacchia pistole, chi sperimenta incanti, chi rinnova imprese, chi consulta con le ruffiane, chi si lega al braccio un favore, chi basciucchia un fioretto tocco da la manza, dii trimpella il liuto, chi biscanta un mottetto, chi assalta il rivale, chi è ucciso dagli emuli, chi si cruccia per una madonna e dii spasima per una baldracca. Hier wird die Aufzählung zu einem prasselnden Feuerwerk: mehr als vierzigerlei Verliebte oder vierzig Situationen, in die ein Verliebter verwickelt werden kann, werden entworfen. Bei der Rezitation müßte der Text selbstverständlich einer stetigen Beschleunigung unterworfen werden: nidit den Situationen sind irgendwelche Grenzen gesetzt, sondern dem Vermögen der menschlichen Lunge. Der Abbruch der Aufzählung wird willkürliche Unterbrechung einer unendlichen Kette von beliebig addierbaren Gliedern. Nicht der Erfindungsreichtum und das rhetorische Können Pietros stößt auf irgendwelche Schranken, sondern die Geduld und die Aufnahmebereitschaft seines Theaterpublikums. Hier bricht sich bereits jene künstlerische Monomanie Bahn, die dann im Manierismus ihre Triumphe feierte. 6 Bereits Mario Baratto weist mit Recht darauf hin, daß die Personen der Talanta gespalten sind und zitiert in diesem Zusammenhang den an' Wertvolle Beobachtungen zu Aretinos Stil finden sich in der unter Anleitung Mario Fubinis verfaßten tesi von Roberto Tissoni über Aspetti dello stile di Giordano Bruno — Studi sulla prosa bruniana. Der Verfasser stellte mir liebenswürdigerweise ein maschinenschriftliches Exemplar seiner (zum größeren Teil) ungedruckten Arbeit zur Verfügung, in welcher er eingehend auf Aretino als stilistisches Vorbild Brunos die Sprache bringt. Wenn ich auch sein Urteil über die für seine Untersuchung besonders ergiebige Talanta nicht teile („per noi, col Croce e contro il Parodi, . . . la migliore fra le commedie aretinesche"), so tut dies der Bedeutung seiner Beobachtungen doch keinen Abbruch, wenn er zu dieser Stelle bemerkt: „È la ,commedia umana', il Decameron visto in iscorcio, in una cinematografica sequenza di quadri, schizzati alla brava, ciascuno nel breve giro di un inciso, e susseguentisi nell'incredibile numero di 42. Ogni quadro-inciso varia al massimo il suo materiale lessicale, offrendo il destro all'Aretino a virtuosistidie variazioni sul tema dato, l'eterno sempreuguale tema dell'amore; ma nel contempo — mediante una spettacolosa anafora — inizia sempre con la medesima parola (chi), producendo come un effetto di basso continuo, a sottolineare appunto, nell'infinita varietà degli effetti, la perennità e l'identità della causa: l'amore onnipotente che ha in pugno la salute degli umani. — In ultimo poi la sonora parolaccia — come un colpo di timpano — suggella questo spettacolo giocondamente realistico. Pen-
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geführten Hinweis Orfinios auf sein Vorbild aus Terenz: „Ii personaggio tende a sdoppiarsi: al personaggio della trama, soggetto dell'azione, si sovrappone il personaggio cosciente della sua qualità di produttore di parole, della vita effimera ma originale che gli trasmette l'autore." 7 In der Tat, wenn der marescalco in der fünften Szene des vierten Akts der nach ihm betitelten Komödie sein Gelächter mit einem „che facezia da Commedia" kommentiert, so tritt er damit nicht neben seine Rolle. Das Gleiche gilt für Rom als Schauplatz in der Cortigiana. Messer Maco, der die Wunder der päpstlichen Residenz begafft, läßt an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln, nicht an der Realität der ihm unvertrauten Wirklichkeit. Anders in der Talanta. Hier wird Rom zur Kulissenstadt, zu einer Theaterwelt, und die Menschen bewegen sich entsprechend. Personen und Handlung der Cortigiana waren das Ergebnis dieses einmaligen Raums, in dem sie agierten. Sie spielten auf der Bühne, hatten höchstens Distanz zu ihrer Umgebung (Rosso), waren sich aber nicht darüber im Zweifel, daß sie in diesem hic et nunc sich zu behaupten hatten. Schon der Auftakt der ersten Szene mit ihrem Gespräch zwischen Talanta und ihrer serva Aldella wirkt hingegen reichlich gespreizt: Tal.
Tuttavia die la festa di Testaccio si fa, in Roma non riman persona; ma poi die non ci si vede alcuno, spasseggiamo un poco ragionando. Aid. D i grazia. Tal. Che ti parve del pianto, nel quale iersera entrò quel corrivo, perdi'io gli giurai di ficcarmi ne le Convertite? Aid. Egli se la bevve.
Talanta gibt zwar vor, die Rolle der Kurtisane zu „spielen", in Wirklichkeit aber vermag sie nur noch über ihre Rolle zu räsonnieren. Sie kann nicht mehr „aus der Rolle fallen", weil sie nicht mehr in ihr lebt. Aretino treibt jetzt die beredinende Kälte bis zum Extrem, so daß man sich fragen kann, worin nun eigentlich Talantas Verführungskünste bestehen. Talanta ist ohne Charme und Sinnlichkeit, auch ohne dieses Minimum, das Teil ihrer Strategie sein müßte. Ihr Metier gerinnt ihr zu einem Traktat über die erfolgreiche Kurtisane, die sich nichts vergibt und sich keinen Augenblick vergißt. Ihr gebricht es ganz an der derb-volkstümlicli zupackenden Vitalität Nannas, die trotzdem stets auf ihre Rechnung kommt. N a n n a ist eine runde, in sich ruhende Persönlichkeit, Talanta nur eine sexuelle Attrappe, eine Abstraktion, ohne Leben und Wärme. Vitalität äußert sidi in der Talanta nur bei den Dienern: bei ihnen findet sidi jene genüßliche Freude am gesprochenen Wort, welche die besten siamo un po': se l'Aretino avesse voluto esprimere qualcosa di simile con il tornito periodo subordinante boccaccesco e bembesco gli sarebbero occorso molte pagine . . . -e si sarebbe perduto quel carattere di immediato, istantaneo realismo spettacolare die è, secondo noi, lo spirito della pagina" (95/96). 7
Tre studi sul teatro, op. cit., 140.
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Seiten Aretinos kennzeichnet. Ein gelungenes Beispiel dafür findet sich in dem Gespräch zwischen Fora, dem Diener Messer Vergolos und Costa, dem Diener Orfinios in der ersten Szene des zweiten Akts: Cost. Fora. Cost. Fora. Cost. Fora. Cost. Fora. Cost.
Fora. Cost.
Fora.
O die sfoggiato isturione die vi si vendeva! Si, an? N o n me ne vorrei ricordare. Era bello, eh? Che mastichi tu? Il boccone, die di lui mi pare avere in bocca. Certo egli è l'amostante de' pesci: o die bel nome, isturione! senti, come rimbomba nel palato. Quel tintinnio die ci fa u u ne le orecchie, tosto die una campana si resta di sonare, nacque da la risonanza del nome dello sturione. Io non farei patti con Orlando, se mi si dicesse sturione, e non il Fora. N é m'anderebbe cosi per lo cervello, l'essere diiamato: triglia, varuolo, orata, cefalo, dentale, tonno, trutta, lampreda, anguilla ed ostriga. Nomi stitidii e sminutivi a petto a quel di sturione, il quale empie la lingua di tutta botta. Sappi die i signori non ci pensano; dié se ci pensassero, sariano lontani da' loro titoli sciaguratini; o come io sarei tenuto uomo degno, dicendomisi la maestà, la eccellenza e la signoria del Re, del Duca e del Conte Storione. Ah, ah, ah!
Trotz diesen für Aretinos außergewöhnliche sprachliche Kunst kennzeichnenden Szenen ist die Talanta seine schwächste Komödie. Bei seiner Ambition, mit den Vorbildern der Antike zu wetteifern, schoß er über das Ziel hinaus, verstrickte sich in dem labyrinthischen Gewirr seiner Handlung. Auf weite Strecken spürt man, daß die Komödie ohne inneres Bedürfnis, sondern auf Auftrag entstand. Die distanzierte Kälte, mit der Talanta ihren Beruf ausübt, erinnert in manchem an die Haltung des Divino, der das ehrende Angebot der Compagnia de la Calza nicht ablehnen konnte und wollte (vgl. I, 3). Zu der nahezu gleichzeitig mit der Talanta entstandenen Komödie Lo Ipocrito lieferte wieder eine antike Vorlage den Stoff. Aus den Menaechmi und dem Stichus von Plautus baute Aretino das Handlungsgerüst auf. Liseo hat fünf Töchter zu versorgen und befürchtet, sein verschollener Zwillingsbruder könne eines Tages zurückkommen und den ihm zustehenden Teil des väterlichen Erbes beanspruchen. Doch das Gegenteil tritt ein : der von dem Parasiten Ipocrito aufgestöberte Bruder erweist sich als großzügiger reicher Onkel, und die fünf Töchter kommen alle zu einem Mann. Der Blaustrumpf Porfiria braucht den aus Arabien mit den Federn des Vogels Phönix heimgekehrten Prelio nicht zu heiraten und kann sich mit Corebo vermählen. Prelio gibt sich gerne mit Porfirias Schwester Sveva zufrieden. Auch bei Tranquillo, der zunächst mit Tansilla verlobt war, wird eine Umstellung nötig. Er begnügt sich mit einer Schwester, Angizia,
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und Tansilla heiratet Artico. Die Paare wechseln (mit Ausnahme von Zefiro und Annetta) ihre Partner wie bei einem Menuett. Irgendwelche sentimentalen Komplikationen entstehen dadurch nicht. Die Frau ist, auch in dieser in bürgerlicher Umgebung spielenden Komödie, austauschbares O b jekt. Die geradezu spielerische Kombination der Paare zeigt, wie wichtig das Schema und wie sekundär die individuelle Persönlichkeit in dieser Komödie ist. Willkürlich und im Vergleich zu den früheren Komödien beliebig verlegbar erscheint auch der O r t der H a n d l u n g : Mailand. Zwischen Brizio und seinem Diener T a n f u r o werden nur einige Gemeinplätze über die Stadt ausgetauscht (I, 9) : Tanf. Parliam di Milano. Bri. Io ne stupisco, ed è una brava terra. N é so come si possa essere, die in tante rovine di eserciti e Taliani e Spagnuoli e Francesi e Tedeschi ella sia anco in piedi. Tanf. Per Dio, die chi guarda l'arti per le botteghe, e le robe che ci si vendono, giurarà die non ci sia stata mai altro die pace. Bri. Tu vedi bene die il mondo è sempre sotto sopra per conto suo. Tanf. C'è tanta vittovaglia in su le piazze, che la impattarebbe a sette Napoli. Bri. Parli la verità.
Es fehlt auch nicht an einigen Einsprengseln typisch mailändischer Wendungen: so antwortet zum Beispiel der Diener Guardabasso Liseos Frau Maja mit einem „ N o n minga" (IV, 6) und Ipocrito gebraucht die dem spanischen Plural entsprechende und in Mailand und Umgebung übliche Form „noi altri ipocriti" (V, 16). Aber all diese Elemente sind nicht integrierender Teil der Komödie, sie sind lediglich dekorativ und nicht ausreichend, um die Atmosphäre einer Stadt einzufangen. In der Talanta war Rom nodi imponierende Kulisse, im Ipocrito hingegen würde es genügen, die wenigen auf Mailand und das Mailändische bezüglichen Stellen zu tilgen, und die Komödie könnte an jedem anderen Schauplatz spielen. Trotz diesen Vorbehalten ist der Ipocrito gelungener als die Talanta.8 Im Gegensatz zu dieser wäre eine A u f f ü h r u n g auch heute noch denkbar. Den fünf Töchtern entsprechen in ihrer Bündelung die drei Diener Liseos, die Aretino mit den N a m e n Guardabasso, Malanotte, Perdelgiorno eindringlich gekennzeichnet hat. So sehr sich die Personen in Aretinos Komödien einem präfabrizierten Schema unterzuordnen haben: Aretinos Dienergestalten sind nie ohne verve, ohne Vitalität und ohne gesunden Men-
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Luigi Tonelli verwechselt geschickte Montage mit einem genialen Wurf, wenn er über den Ipocrito schreibt: „. . . una notevolissima commedia, degna della
Cortigiana e magari superiore a questa" (Il teatro italiano dalle origini ai giorni nostri, Mailand 1924, 108).
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sdienverstand. Dies ganz im Gegensatz zur Titelfigur des Ipocrito, einer gelungenen ersten Szene effektvoll eingeführt w i r d :
die in
Lis. Va', dimmi a messer Ipocrito, ch'io vorrei dirgli quattro parole. Guar.Non lo conosco. Lis. Quel che parla si adagio e si pensato. Guar.Non mi ricordo. Lis. Che pende tra '1 prete e tra '1 frate. Guar. Lo pesco. Lis. Con un certo mantello stretto, spelato, e die si affibbia dinanzi. Guar. Un magro lungo? Lis. S i . . . i . . . i. Guar. Che affigge il viso in terra, e col brevial sotto al braccio? Lis. Tu l'hai. Guar. D o v e il trovarò io? Lis. O per le chiese, o per le librarie. Guar. Vado per di qua. Lis. Sarò in casa.
Aber das Erscheinen Ipocritos hält nicht, was der Dialog zwischen Liseo und Guardabasso verspricht. Dieser Scheinheilige fällt nicht aus der Rolle wie Molières Tartuffe. Dazu ist er viel zu schematisch konzipiert. Ihm fehlt die kupplerische Regsamkeit von Aretinos Betschwestern. Er ist ein langweiliger Schleicher, den alle durchschauen, als Parasiten erkennen und akzeptieren. Durch ihn entstehen keine komischen Situationen, er ist lediglich medianisches Triebwerk, das die H a n d l u n g vorantreibt. Ipocrito verkörpert nicht „den vollkommenen, gleichsam idealen Typus des Scheinheiligen, der nichts anderes ist als scheinheilig, und der ohne jede menschliche Schwädie oder Lücke, in unausgesetzter, vernunftbeherrschter Wachsamkeit den aus kalter Überlegung gefaßten Plan, der zu der Rolle des Scheinheiligen gehört, folgerichtig durchführt", wie er La Bruyère vorschwebte: dazu fehlt ihm die diabolische Statur. Ipocrito ist aber noch viel weniger der „kräftige und gesunde Bursche" Tartuffe „mit seinem starken Appetit" ( . . . ) „und seinen nicht minder entwickelten sonstigen sinnlichen Bedürfnissen", der „seine Rolle spottschlecht" spielt: dazu fehlt ihm das komische Format. 9 • Idi beziehe midi auf das Kapitel „Der Scheinheilige" in Erich Auerbach: Mimesis — Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 3. Aufl., Bern 1964, 343 f. — Über Aretino als Quelle Molières ist wiederholt geschrieben worden (Cfr. L. Moland: Molière et la Comédie italienne Paris 1867). Wenig ergiebig ist der Artikel Molière et l'Arétin von P. G. Dublin (Mercure de France, 15. Okt. 1935, 289—311), der auf die verallgemeinernde Feststellung hinausläuft: „. . . presque toutes les oeuvres de notre grand auteur comique sont plus ou moins empreintes du théâtre de l'Arétin" (297). K. H . Hartley: Pietro Aretino and Molière, AUMLA u. 20, 1963, 309—317, scheint mir den Schluß der Komödie zu ernst zu nehmen, wenn er anläßlich Liseos Reaktion von „sombre ending" spricht und seinen Vergleich mit Molières Tartuffe
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In der Cortigiana und im Marescalco ist fast jede Szene mit dramatischem Leben erfüllt. Auch im Ipocrito verzichtet Aretino nicht auf geradezu kabarettistisch anmutende Skizzen. Der Arzt Messer Biondello, der Porfiria das Rattengift für ihren dann fehlgeschlagenen Selbstmordversuch gibt, ist eine Wiederaufnahme des Pedanten (III, 6 und IV, 4), und das von Perdelgiorno entworfene Bild seiner Padrona (II, 8) steht für sich da, ohne Zusammenhang mit der Handlung des Ipocrito. Mühelos könnte man diesen und andere Texte Aretinos zu einer Sammlung von Caractères in der Art La Bruyères zusammenstellen. In der Tat hat die v o n Perdelgiorno entworfene Paradenummer nicht sehr viel mit Maja zu tun: auf der Bühne erleben wir sie nie als Betschwester. Perd. Non è pila d'acqua die elle non intorbidi con le dita, né predella d'altare che non logori con le ginocchia, né figura di santo che non istracdii con le raccomandazioni. Tutte le messe fiuta, tutti i monisteri visita, e tutti, i conventi scopa; né passa per la strada persona die non si affermi con essa: se incontra un Soldato, domanda ciò che si dice de la guerra; se un fanciullo, esclama: quante sculacciate e quanti basci ti ho dati; se una bambina, dice: la tua madre ed io siam carne ed unghia; insegna al chierico la voce da risponder al prete; al villano il modo di seminare i cavoli; al sarto di risparagnare il panno; a lo speziale di pestare il pepe; a la vedova di orare per il marito; ed al canchero di mangiarsele fino a l'osse de lo spirito. 10
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auf die Feststellung zuspitzt: „. . . Aretino's work is more complex psydiologically, more modem, closer akin to us who have no King to send us justice." Interessant ist der Hinweis Hartleys auf Molières Bekanntschaft mit Nicolas Chorier (1612—1692) in Grenoble. Chorier war ein Kenner Aretinos und Verfasser einer erfolgreichen Publikation im Geist der Ragionamenti: Aloysiae Sygeae satira sotadica de arcanis Amoris et Veneris. Tissoni, op. cit. 98 ff. bemerkt zu dieser Stelle: „II pezzo è, tra l'altro, interessante perchè ci mostra la stretta parentela, anzi la continuità formale e insieme emotiva, tra i moduli del parallelismo e della serie. Il parallelismo è una serie a tempo aggravato, con elementi a loro volta divisibili e, nel modo della loro divisione, paralleli. La serie è a movimento più rapido, regge solitamente un maggior numero di elementi, e contribuisce ad effetti di maggior vivacità. — Dapprima, nel periodo citato, domina il parallelismo a ritmo ternario, con moto ora più lento: . . . ora più rapido: . . .: ora di nuovo più lento come prima: . . . poi, ecco la svolta al vivace ritmo seriale (non più ternario, ma senario, tenendo anche conto dell'ultimo comma, die con effetto di appendice, per la sua maggiore lunghezza e il contenuto inatteso, conclude la seguenza". Tissoni entgeht es nicht, daß diese glückliche Verwendung der serie nidit gerade die Regel ist: „Altrove poi il libero e aperto modulo della serie viene da lui coercito in giochi complicatissimi di simmetrie, parallelismi, rispondenze etc., cosicché perde il maggior vantaggio che esso possedeva sullo stile subordinante, quello della portanza infinita e della grande duttilità. È superfluo far rilevare che in tali casi il modulo della serie ha, nella prosa aretinesca, un valore in tutto negativo, potenziandone in un modo o nell'altro quei lati di malgusti, di artificiosità che fanno di Pietro Aretino un precursore del Secentismo."
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Die Geschichte Tisbinas, Iroldos und Prasildos im zwölften Gesang des ersten Buchs von Matteo Boiardos Orlando Innamorato enthält den Stoff für die Verwicklungen zwischen Porfiria, Corebo und Prelio. Es handelt sich dabei um das Wandermotiv des nach dem bei der Abreise fixierten Datum heimkehrenden fahrenden Ritters, Pilgers oder Kreuzfahrers, das sich in der fünften Novelle des zehnten Tages im Decameron findet. Prelio kommt mit den von Porfiria verlangten Federn des Vogels Phönix aus Arabien zurück, gibt sich zunächst nicht zu erkennen und erzählt Porfiria, er bringe die Asche ihres Verlobten. Aretino weiß jedoch mit diesem „romantischen" Thema nichts anzufangen. Es ist nicht mehr als ein Vorwand zu einer unpassenden rhetorischen Parade. Die sentimentale Geschichte sollte offensichtlich als Neuheit des Künstlers Aretino überraschen: wollte man daher die Dialoge zwischen Porfiria und Prelio ironisch oder parodistisch rezitieren, so würde man den Absichten des Autors nicht gerecht. Porfiria und Prelio sind lediglich Statisten, die mit ihrer Rolle und mit sich selbst nichts anzufangen wissen: sie sind ein dekorativer Schnörkel, der den Ipocrito seiner komischen Kraft beraubt. Preziose Wortdrechseleien sind das einzige, was sich die lange Getrennten zu sagen haben. Ein Beispiel zeigt hinreichend, daß Aretino der Situation nichts abzugewinnen vermag. Die an seine Huldigungsbriefe und Widmungen erinnernde Sprache sagt mehr über ipocrisia aus als ipocritos stereotypes Gerede über „carità" und „caritade". Die beiden Verlobten glauben sich vergiftet zu haben. Der Dialog zwischen ihnen ist bereits eine Vorausnahme des hohen Tragödienstils der Orazia, die Aretino vier Jahre später veröffentlicht: Porf. Perché indugio a chiuder questi occhi? Prel. Per il piacere die vi prenderete di vedermi in agonia, e perché io non mi vendichi de le crudeltadi usatemi con le armi de la cortesia. Come non doveva bastarvi d'avermi tolto la via del possedervi, senza aggiungerci l'offesa die avete fatto a la mia magnanimitade, solo col non degnarvi di chiederle in dono l'obbligo del quale mi sete tenuta? ma voglio castigarvi de la diffidenza e de la ingratitudine, con la bontà e con la gentilezza, e per tanto vi restituisco nel grado die eravate innanzi a si fallace promessa, e questo bascio, die la castità del mio desire vi stampa ne la gota, ratifica l'assoluzione die vi rimanda al donde venite. Porf. Ora si, che mi duole la morte, non perché io la tema, ma perché morendo non posso rendervene una continua frequenza di grazie: ma farà l'anima l'uffizio che dovea far la lingua: ella notificando a gli inferi la qualità de la cortesia, vi aquisterà tanta lode appresso di loro, quanto appresso de i viventi cosi notabile atto dee acquistarvi onore. Prel. Perché il sentire le lodi che mi darete voi, mi sarà più dolce, che l'udire quelle die in ciò mi potriano dar gli uomini, mi vo' trasferire anch'io ne lo inferno, e con questa risoluzion vi lascio. (V, l) 1 1 11
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I. Sanesi (La Commedia, Bd. I., op. cit., 243) verweist mit Recht darauf, daß es sich bei der Porfiria-Prelio-Corbeo-Episode um den einzigen Fall einer Hösle
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Für die Geschichte des Vorbarocks in Italien sind die zwischen Porfiria, Prelio und Corebo spielenden Szenen nicht unerheblich. Es kam Aretino immer mehr darauf an, unter Beweis zu stellen, daß er jeder literarischen Gattung gewachsen war, und daß ihm kein stilistisches Niveau unerreichbar sei. Die sentimentalen Episoden des Ipocrito wollen nicht petrarkisierendes Schmachten und Seufzen persiflieren, wie Aretino das in seinen früheren Komödien tat, sondern etwas Neues bringen. Dieser Ehrgeiz, mit seinen humanistisch gebildeten Zeitgenossen zu wetteifern und sie zu übertrumpfen, ist eines der wichtigsten Kennzeichen von Aretinos Schriftstellerlaufbahn. Ihm ging es darum, seine Leser zu verblüffen, indem er mit den großen Renaissancekünstlern wetteiferte. Er wollte als unerschöpflicher Artifex überraschen, wollte uomo universale der Dichtkunst sein, was diejenigen übersehen, die in erster Linie den wirtschaftlichen Aspekt seiner Produktivität hervorheben. Aretinos immer wieder eingestreute Hinweise auf die zauberhafte Schnelligkeit seines Schaffens haben ihre zeitgenössische Parallele in Benvenuto Cellinis prahlerischen Aufschneidereien.12 Immer deutlicher wird der Versuch, die fehlende Bildung mit „Genie" zu kompensieren, während andererseits der Hinweis auf Terenz in der Talanta als Ausweis für die Vertrautheit mit den antiken Quellen zu verstehen ist. Ansatz zu Neuem enthält im Ipocrito vor allem der Charakter Liseos, der sich aus einem besorgten Familienvater zu einem Sein und Schein der Dinge, der Worte und der Situationen nicht mehr unterscheidenden Kauz entwickelt, als er seinem verschollenen Bruder begegnet. Der Wendepunkt fällt in die zehnte Szene des vierten Akts: Brizo. Sento sonare la mia favella ne la bocca de l'uomo che ragiona colà. Lis. Questo tale, die se ne vien via, ha la berretta di velluto, il robbon di domasco ed il sajo di raso, come porto anch'io.
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Mischung von „elemento romanzesco e sentimentale" mit dem „elemento comico e ridicolo" handelt, allerdings ohne auf die komplexen Ursachen für Aretinos „falsi" hinzuweisen. Bedenklich scheint mir daher Karl Maurers Cellini-Interpretation im Nachwort zu der von ihm besorgten Ausgabe von Goethes Vita-Übersetzung (dtvGesamtausgabe, München 1963, 213—231). Cellini mit dem picaro in Verbindung bringen, heißt die von den Renaissancekünstlern zur Schau gestellte Göttlichkeit übersehen. Idi werde in einer eigenen Untersuchung auf die bewußte Verklärung von Cellinis Geburt, Kindheit und Künstlerlaufbahn zurückkommen. Die Beziehungen zum Dädalus-Mythos sind so eindeutig, daß mir sdion aus dieser Perspektive eine Querverbindung zum spanischen Schelmenroman sehr unwahrscheinlich scheint. — Die Hinweise Gustav René Hodies auf Aretino (Die Welt als Labyrinth — Manier und Manie in der europäischen Kunst, Hamburg 1966, passim) verzeichnen das Bild dieses „ersten genialen background' — Journalisten Europas" (172), weil dieser allzu sehr aus der Perspektive der Moderne anvisiert und dadurch in falscher Weise aktualisiert wird.
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Brizo. Se non die io sono in buon senno, direi che questo non fusse Milano, ma il giardino de gl'incanti d'Orlando. Lis. A fè, die s'io non fussi io, giurarei di esser costui. Brizo. Sto a vedere se la presunzione sua vorrà esser me.
Die beiden Brüder erkennen einander auch jetzt nodi nicht. Ihre Verblendung grenzt an Verzauberung. Der Laune der Fortuna gegenüber beschränkt sich Liseo in den drei Schlußszenen auf den alternierenden, sich am Absurden berauschenden Kommentar „Todos (sie!) es nada" und „Nada es todos" (sie!) und ein hemmungsloses Gelächter. Auf der volkssprachlichen italienischen Bühne wird es erst mit den Stücken Pirandellos wieder ein derartiges Schillern zwischen Schein und Sein geben. Der Liseo des fünften Akts erscheint wie ein früher Vorläufer von Laudisi in Così è (se vi pare) und von Ciampa in II berretto a sonagli. Die Feststellung Mario Barattos, im Ipocrito sei Aretino „una felice contraffazione comica dei linguaggi teatrali" 13 gelungen, scheint mir die disparaten zentrifugalen Elemente der Komödie auf einen zu einfachen Nenner zu bringen. In der Cortigiana beruhte der revueartige, kabarettistische Wechsel der Szenen auf der „offenen" dramatischen Form, im Ipocrito hingegen gelingt es Aretino auf der Suche nach einer an antiken Vorbildern geschulten dramatischen Kunst nicht, die Elemente zu einem wirkungsvollen Ganzen zu verschmelzen. Die italienischen Komödien des Cinquecento sind in der Regel Neubearbeitungen der Stücke von Plautus und Terenz oder Theaterfassungen toskanischer Novellen. Die Analyse der Talanta und des Ipocrito haben gezeigt, daß Aretino die klassischen Vorbilder nicht verschmähte, es kann daher nicht überraschen, daß er nun auch eine Novelle (bei näherem Hinsehen sind es sogar zwei Novellen) des Decameron für die Bühne bearbeitete. Im Prolog des Filosofo erzählt der istrione, er habe in der vergangenen Nacht („russando da maledetto senno") die ganze Komödie geträumt (es ist nicht das erste Mal, daß Aretino diesen Topos verwendet). Gegenstand der Komödie sei „la baia del Perugino Andreuccio in sul Cento novelle", aber auch „la diiacchiara di un filosofastro, la buona memoria del quale, rinchiuso il vece marito de la moglie di lui ne lo studio proprio, mentre corse a staffetta per mostrare il suo cornucopia a la suocera, la presta astuzia de la consorte cara gli fece vedere in cambio de l'amante una tresca da smascellarne". Auch dieser zweite Handlungsstrang findet sich in ähnlicher Form im Decameron in der achten Novelle des siebten Tags: „Un diviene geloso della moglie, ed ella, legandosi uno spago al dito la notte, sente il suo amante venire a lei. Il marito se 13
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M. Baratto, Tre studi sul teatro, op. cit., 147.
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n'accorge, e mentre seguita l'amante, la donna mette in luogo di sé nel letto un'altra femina, la quale il marito batte, e tagliale le trecce, e poi va per li fratelli di lei, li quali, trovando ciò non esser vero, gli dicono villania." Aretino kombiniert geschickt die beiden Handlungen. Il Filosofo ist ein Musterbeispiel theatralischen Schnitts. Einerseits die Atmosphäre einer nächtlichen Stadt14 mit ihren hin und herrennenden Dieben, Schergen, Zuhältern als eine Art musikalisches „presto assai", andererseits das umständliche und weitschweifende Gerede des Philosophen Plataristotile als ritardando und Gegenbewegung. Boccaccio, so heißt Andreuccio bei Aretino, ist dreimal drauf und dran, bei seinen nächtlichen Abenteuern ein böses Ende zu nehmen: die Kurtisane Tullia (es handelt sich hier um einen der zahlreichen Seitenhiebe Pietros gegen die Edelhetäre Tullia d'Aragona) hat von dem Aufenthalt des Juweliers Boccaccio aus Perugia gehört, sich über seine Lebensumstände informiert, ihn ins Haus gelockt, als Verwandten begrüßt und schließlich, als sie ihrer Beute sicher ist, in einen Abort fallen lassen. Boccaccio protestiert vergeblich, und Tullias Zuhälter Cacciadiavoli vertreibt den völlig desorientierten Juwelier, der nun auf zwei Diebe stößt, die den kostbaren Ring des toten Patriarchen stehlen wollen. Boccaccio soll ihnen dabei helfen, sich aber zuerst in einem Brunnen waschen. Kaum haben die Diebe ihren neuen Kumpan in den Brunnen hinabgelassen, da tauchen Häscher auf, und Boccaccio wird im Stich gelassen. Die sbirri haben Durst, wollen trinken, betätigen das Ziehrad und rennen in panischem Schrecken davon, als sie Boccaccio an Stelle des Eimers erblicken. Der Juwelier erreicht noch rechtzeitig die beiden Diebe, um ihnen behilflich zu sein. Er steigt in das Grab hinab, plündert den Leichnam, aber nun tauchen drei andere Diebe auf (Mezzoprete, Chiepino, Lo Sfratato), so daß Boccaccio wieder im Stich gelassen wird. Als Mezzoprete sich in den Sarg hinabläßt, packt ihn Boccaccio am Bein, und die drei Diebe suchen schleunigst das Weite.15 Die eingehende Schilderung des Handlungsver14
M. Baratto ( T r e studi sul teatro, op. cit., 151) stellt zwar mit gutem Grund fest, der O r t der Handlung sei „una pura dimensione scenica", aber die T a t sache, daß es sidi bei den Dieben um Leichenfledderer des toten Patriarchen handelt, verweist doch wohl auf Venedig und nicht auf Neapel (wo die N o velle Boccaccios spielt).
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Auf den theatralischen Zuschnitt der Abenteuer Andreuccios da Perugia im Decameron ist wiederholt hingewiesen worden, zuletzt von Carlo Muscetta: Storia della letteratura italiana, Bd. 2, Il Trecento, Mailand 1965, 3 9 0 : „In questa Napoli die la notte medievale rende sconfinata, Andreuccio si aggira per luoghi die in realtà sono molto vicini tra loro. Ma le distanze diventano enormi, fantastische, e la città ignota è come un mare nel quale egli .andava senza saper dove'".
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laufs w a r unvermeidlich, wenn eine Vorstellung von dem „Tempo" der Geschehnisse vermittelt werden sollte. Handlung wird in diesen Szenen zum sichtbaren Ergebnis einer Kadenz, die im Theater Aretinos ihresgleichen sucht. Nirgends hat Pietro einen gelungeneren Rhythmus auf der Bühne erreicht, als in diesen Szenen. Die massive Satire gegen das päpstliche R o m in der Cortigiana ist hier einem spielerischen l'art pour l'art gewichen, einem Formalismus, der seine Mittel souverän beherrscht und benutzt. Beispiel dafür ist auch der Monolog Boccaccios in der ersten Szene des fünften Akts, ein unverkennbares Glanzstück von Aretinos Prosa: profaner, parodierender Gebrauch der Liturgie, Verwendung theatralischer Topoi, Korrelationen, die Sprache der „hohen" Prosa, der K o mödien, der Pasquille. Aretino beherrscht seine Mittel in diesem Monolog mit virtuoser Sicherheit: Ci salirò pure. Isbalzami in su persona; perdonami ginocchio, s'io ti stroppio col premermiti tutto sopra. Uno iscambietto vo' farci in laude del mio resurrexit, et non est hic. Boccaccio, povero ghisello, benché è suto d'ora, die non mi pensava iscampar via fino al tertia dies . . . Ma dissi io infra me stesso, mentre la paura de la morte mi toglieva dal core quella die mi faceva prima il morto: e che ho io aguzzato/le freccie, i pettini ed i coltelli/ die saettorno, graffiorno ed iscorticorno/ San Bartolomeo, San Biagio e San Bastiano? il cacatoio, dove io caddi per pazzia, ed il pozzo du fui calato per necessità, era suto u' in zuccaro a petto al monimento, in cui mi spinse la disperazione, mista con la bravata die fecero i due traditori a me, die sono stato stupito un pezzetto; si mi rallegrai de lo aprirmisi de la buca, de la qual sono uscito senza aspettare il Lazzaro veni foras. Ma perché le commedie die fanno gli scolari, ta poscia forniscono in gaudeamus, con il dire a me proprio, valete e plaudite, mi congratulo tu diesto con me medesimo . . . (Hervorhebungen von mir). Durch die spielerischen Elemente der Komödie wird nicht nur die Handlung, sondern auch die Sprache zum Rohmaterial für eine sinnbetäubende Kunst. Handlung und Sprache werden zu Funktionen im Dienst eines rhythmischen Duktus. Ein sprechendes Beispiel ist der M o nolog von Polidoros Diener Radicchio in der dritten Szene des vierten Aufzugs: Ma die nottata aveva la consolazione mia, se la Madonna m'avesse mandato con Nepitella? glie ne accoccavo certo: fui per proferir me stesso a cotal servigio, ma egli è il diavolo a impacciarsi con simili donne astute talmente, die distrigano intrighi, die non gli distrigarebbe il distriga i distrigamenti delle distrigaggini distrigate da le distrigature de la distrigaggine distrigatoia. Ma ecco il disgabbiato. H i e r erreicht Aretino einen sprachlichen lazzo: Höhepunkt eines scheinbar spontan übersprudelnden, in Wirklichkeit aber bis ins einzelne beherrschten technischen Könnens. Die dramatis personae von Aretinos Komödien verdichteten sich im L a u f der J a h r e zu festen, unveränderlichen Typen, die zu immer
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neuen Kombinationen und „Handlungen" verwendet werden konnten. Radicchio glänzt mit seiner Zungenfertigkeit wie dann in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Zanni und Arlecchini mit ihrem artistischen Können. In Aretinos Komödien läßt sich der von Silvio d'Amico beschriebene Weg zur commedie dell'arte auf einigen wichtigen Stationen verfolgen: „Ii comico dell'arte (salvo rarissime eccezioni), per raggiungere l'eccellenza, rinuncia all'illusione di potersi rinnovare sera per sera; e decide una volta per sempre di limitarsi, in perpetuo, a una sola parte. Per tutta la vita e in tutte le commedie die reciterà, il comico dell'arte sarà un solo personaggio: sarà unicamente Pantalone e Arlecchino, Rosaura o Colombina". 1 8 Das bewundernswerte Gleichgewicht in der Komposition der Komödie wird nur durch eine Szene gestört. Es handelt sich dabei um die Unterhaltung zwischen Plataristotiles' Schwiegermutter Mona Papa und der Gevatterin Donna Druda. Donna Druda ist wie Nanna die führende Gesprächspartnerin, Mona Papa beschränkt sich wie Pippa lediglich auf Ausrufe der Bestätigung oder Entrüstung, um ihr Gegenüber in Stimmung und Rage zu halten. Die Behäbigkeit, mit der Aretino diese Szene in die Länge walzt, zeigt, wie sehr er hier aus dem Vollen schöpft: Drud. Mangiati quattro bocconi strozzati, si avventano in la cucina; iscagliano gli occhi, die gli strabuzza la perdita; siccome ella gliene avesse vinti, raitono: die scudelle male allogate, che conche sottosopra, che paiuoli in lo spazzo, die candellieri sporchi? leva di qui questa padella; attacca là quel treppiei; che spedoni in Emausse; quante legne in sul fuoco, mille lucerne accese? tu noi compri tu, madonna, non die non lo compri tu: oh, t'avess'io a torre, fusse pure; non so ciò die mi tiene die non ti scanni, puttana dell'osteria, rinego del trespolo. Papa. Che gli tiri di sotto il boia! Drud. Che di' tu d'alcuni die non solamente dicono ogni sporcaria in presenzia de le mogli, ma cercano anco di fargliene? Papa. Infornaciagli Giustizia. (I, 6)
Wie sekundär die gesellschaftskritische Satire in Aretinos letzten Komödien wird, zeigt die dilettantische Verführung Boccaccios durch Tullia. Selten spielen Aretinos Kurtisanen ihre Rolle so schlecht wie Tullia mit ihrer Dienerin Lisa in der vierzehnten Szene des zweiten Akts. Nicht auf weibliche Strategie kommt es hier an, sondern auf eine Kadenz, der sich die Handlung unterzuordnen hat. 17 Komik entsteht hier durch die schlechte Interpretation einer übernommenen Rolle: 16 17
Silvio d'Amico: Storia del teatro drammatico, vol. II, Milano-Roma 1 9 3 9 , 1 0 3 . Giuliano Innamorati {Lo stil comico di P. A., Paragone, Juni 1963, 6 — 2 8 ) übersieht diese neue Dimension in Aretinos letzten Komödien. Es stimmt zwar, daß etwa in der Talanta die ursprüngliche Stoßkraft vollkommen verloren gegangen ist (12) die Komödien der vierziger Jahre durch eine „tensione
Die späten Komödien: La Talanta, Lo Ipocrito, Il Filosofo Tul. Lisa. Bocc. Lisa. Bocc. Tul.
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Messer fra . . . Tello, non ha potuto dire; si la tira la carne de la tenerezza. Du' so io. La non ci ricoglie fiato. Io sogno vegghiando. Bo . . . bo . . . ca . . . a . . . accio mio ca . . . caro.
Die Affäre zwischen Madonna Tessa und ihrem Geliebten Polidoro ist auf ein Minimum beschränkt: sie ist nur Mittel zum Zweck bei der Heilung des Philosophen. Als Plataristotile mit Monna P a p a ankommt, um die vermeintlich eingesperrten Ehebrecher der Schwiegermutter in flagranti zu zeigen, stößt er auf einen Esel. Tessa nimmt den glücklichen Ausgang der Geschichte zum Anlaß, um ihrem Mann die Leviten zu lesen. Sie macht sich zum Sprachrohr des Pedantenfressers Pietro Aretino: Dimmi, lunacone trasognato, credevimi tu contentare quel tanto, die colcatomi a lato, non ci potevi dormire con le zizanie de le filosomie? che è a me, se'il fuoco de le lucciole è aerio o incorporio? tormi il cervello col farmi incapace, se la cicala canta col culo o con le rene ed infracidandomi il capo con il perché il baco da la seta entra nel bocciuolo vermine con tante gambe, e poi escene farfalla con l'ale. È cosa crudele, e non importa a le mogli il sapere la cagione del vedersi per i fessi più con un occhio, che con tutti due; e se la formica ha in sé fantasia. Abbiasela, se non, si stia . . . (IV, 9). W o sich die Personen einem Rhythmus unterzuordnen haben, darf nicht überraschen, daß Plataristotile von seiner Spintisiererei geheilt wird, so daß die als Ehebrecherin ohnehin nicht überzeugende Tessa wieder unter seine Obhut zurückkehrt. Die verkorkste pedantische Sprache bleibt allerdings auch nach der Sinnesänderung unverändert. Ganz im Gegenteil. N u n redet auch Tessa plötzlich im Ton von Aretinos prose sacre und Ovationen: Plat. Tes.
Non lagrime, ma risi, o mio Simposio Platonico, e mia Politica Aristotelica. La serva, die sarà schiava de le fanti vostre, vi dimanda quasi in limosina il perdon de la colpa (V, 8)
Ungeklärt bleibt (und in einem T e x t Aretinos ist es überraschend), wo der sonst so lendenlahme Philosoph plötzlich die Kraft herbringen will, um die Lebenslust seiner Frau zu befriedigen: astratta" gekennzeichnet sind (12) und Aretinos „vecchie collere" (13) verraucht sind, aber die Schlußfolgerung des Kritikers, daß Aretinos „ritorno alla commedia" lediglich „una aventura sterile", „una ennesima operazione di sfruttamento del già detto e del già fatto" sei (27), scheint mir dodi zu negativ. Die formale Kunst Pietros ist an zahlreichen Stellen zugleich imponierendes Können, das nicht nur in der Parabel des Komödiendichters Aretino, sondern auch in dem Verlauf der „Gattung" Komödie im Cinquecento einen hervorragenden Platz einnimmt.
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Si dicono i testi venerei, i quali allegano assai mogli, die per esser Fate, convertono i mariti in cervi e gli amanti in somari; ed in quanto a lo interesse di me, che ho la elezione di potermi trasformar d'uomo in tauro, in ariete o in capricorno, do a la cagione di ciò titolo di Maga. (V, 8)
Nicht Psychologie (und noch weniger Physiologie), sondern zwei Possen sind Gegenstand dieser letzten Komödie Aretinos, die eine, wie mir scheinen will, geniale Schlußszene hat. Aretino endet den Filosofo nicht wie sonst mit dem abschließenden Auftritt der dramatis personae, sondern mit einem kleinen satirischen Nachspiel, das als grotesk-komischer Auftakt, zu der neu zu vollziehenden Ehe zwischen Tessa und Plataristotile verstanden werden muß: Madonna P a p a ist der Rosenkranz auf den Boden gefallen. Salvalaglio und Massara, die allein auf der Bühne bleiben, sollen ihn auf dem Boden suchen: Salv. Mass. Salv. Mass. Salv. Mass. Salv. Mass. Salv.
Voi state molta queta. Che volete ch'io dica? Che per non ci si vedere, la non debba esser caduta quinci oltra. E forse anco. Ma non ha questo core il vostro? Che ne so io? Egli è desso certo. E die volete ch'io ne facci? Essendo le donne sparvieri die non mangian d'altro perdié non tome un bocconcino? Mass. O eccola fra i vostri piei. Salv. Accostatevi a ricoglierla. Mass. Non mi correte. Salv. Aspetta, che la ricoglierò io. Mass. A Lucca ti vidi. Salv. Che non ti giugnerò. Mit dieser kleinen, meisterhaften Szene zwischen den sich balgenden und jagenden Dienern schließt Aretino seine Laufbahn als Komödiendichter. 18 18
Idi würde nicht wie Mario Apollonio (Storia del teatro italiano, Bd. 2, Il teatro del Cinquecento— commedia, tragedia, melodramma, Florenz 1951, 86) in Aretinos Komödien, sondern in seinen Dialogen den aufrichtigsten und vollkommensten Teil seiner künstlerischen Produktion erblidken. Immerhin ist dieser Aspekt von Pietros Werk am leichtesten zu „aktualisieren", wenn es auch bis jetzt bei einigen wenigen Versuchen blieb. — Rein informativ und ohne kritisches Interesse ist der Aufsatz von Max J . Wolff, Die Komödien des Pietro Aretino, GRM, 1911 (3.Jg.) 257—272, der dem Theater des Divino nur literarhistorische Bedeutung zumißt und seinen „Kunstwert" für „sdiwadi" hält. Audi Wilhelm Creizenadi (Geschichte des neueren Dramas, 2. Bd., Renaissance und Reformation, 1. Teil, 2. vermehrte u. verbesserte Auflage, Halle a.S. 1918) gibt nidit sehr viel mehr als eine Inhaltsangabe von den Komödien Aretinos, die er „als dramatische Kunstwerke" „mangelhaft" findet (243). Unerklärlich ist mir, wie Creizenadi über die Cortigiana schreiben konnte, ihr Tempo sei „weniger lebendig und rasch" (244) als das des Marescalco.
Aretinos Tragödie: La Orazia Es kann nicht überraschen, daß Aretino, der sich immer mehr in der Rolle des repräsentativen Schriftstellers seiner Zeit gefiel und in den Komödien der vierziger Jahre bewußt antiken Vorbildern nacheiferte, sich schließlich auch in der Tragödie versuchte. Man wird dieser Tatsache nur dann gerecht werden können, wenn man sich über die Bedeutung der Rhetorik für den „offiziellen" Aretino klar geworden ist. Aretino war es einige Male gelungen, eine literarische Mode zu schaffen: wo ihm andere zuvorgekommen waren, wollte er sich wenigstens einschalten und durch einen originellen und außergewöhnlichen Einfall überraschen. Dies gibt auch seiner Orazia, mit der er die Kapitel 26—28 des ersten Buches von Titus Livius in den rhetorisch bemühten Stil der Tragödie übertrug, ihre besondere Note. Bereits ein Zeitgenosse Dantes, Albertino Mussato (1261—1329), gab im Anschluß an die Seneca-Studien von Nicholas Trevet und Lovato dei Lovati mit seiner lateinisch-geschriebenen Ecerinis um 1314 die erste an der Antike orientierte europäische Tragödie. Protagonist der Handlung ist Ezzelino da Romano, Schwiegersohn Friedrichs II. und Statthalter des Kaisers in Ravenna. Den blutrünstigen Tyrannen Senecas steht dieser nach der Legende von Luzifer gezeugte Gewaltmensch in nichts nach. Mussato gab mit seiner Tragödie zugleich ein „engagiertes" Werk: es kam ihm darauf an, die Tyrannei des Can Grande della Scala anzuprangern, in dem er einen neuen Ezzelino da Romano erblickte.1 In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab schließlich Angelo Poliziano mit seinem Orfeo das erste volkssprachliche nicht-religiöse Drama. Es wurde 1472 in Mantua aufgeführt, und Poliziano stieß damit die Tür auf „durch welche nun mehr und mehr die weltlichen heidnischen Stoffe auf die geistliche Bühne strömen". 2 Dazu kam 1498 die von Giorgio Valle besorgte Übersetzung der Poetik des Aristoteles ins Lateinische,
1
Cfr. Federico Doglio: Ii teatro tragico tragico in Italia, Parma 1960.
2
Karl Voßler: Die Dichtungsformen Stuttgart 1961, 254.
italiano — Storia e testi del teatro
der Romanen,
hg. von Andreas Bauer,
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Aretinos Tragödie : La Orazia
und seit 1508 lag der künftig für die Diskussionen um die Tragödie verbindliche Text auch im Druck vor. 3 Aretino erinnerte sich an das Vorbild Trissinos, als er in seinem Widmungsschreiben an Paul III. vom Januar 1546 feststellte: Non per imitare l'unico Tressino, die dedicò quella (cfr. tragedia) di Sofonisba e di Massinissa a Leone, ma sono stato ardito in far ciò in onore della felicità die vi auguro adesso (die militate in gloria del trono apostolico) la vittoria riportatane dal gran giovane, per la qual cosa Roma, non solo confermossi ne l'altezza de 1' antica sua libertade, ma si rimase regina di quella Alba die voleva diventarle imperatrice. Certo Iddio mi ha spirato lo ingegno circa il comporre in si egregio soggetto, nei frangenti di si duri tempi. La di lui Providenza l'ha permesso acciò die vi pronostichi il trionfo, die dee ritrar Carlo da i Luterani, nel modo die Orazio ritrasse de gli Albani. Ecco: la materia tratta de i Romani, e voi Romano sete; il caso successe in accrescimento del Re loro, e voi a loro sete non pur tale, ma tre volte si fatto. Sicdié favorite un si propizio annunzio, col prender l'opra con lieto fronte, se non per altro, almeno per darvela io, die in esser fervido ecclesiastico non cedo a la essenza de la ¡stessa chiesa; e fanno di ciò fede insieme co i Salmi e col Genesi, die di mio si legge, e la vita di Gesù Cristo, e la di Maria Vergine, e la di Tommaso d'Aquino, e la di Caterina Santa: volumi da me composti quando si giudicava per i tradimenti usatimi da la Corte, di'io più tosto dovessi scrivere il ciò die mi dettava lo sdegno che il quanto mi consigliava la coscienza."4 Der Brief ist das eindrucksvollste Zeugnis für Aretinos Regie des eigenen Ruhms im Zeichen des Tridentinums: aufs geschickteste versteht er es, seine literarischen Ambitionen mit den politischen zu verbinden. Er preist sich dem Farnese-Papst als repräsentativen Schriftsteller der Gegenreformation an. In dieser Perspektive wird die Orazia zur rhetorischen Huldigungsdichtung im Dienste des Papstes. Selten mochte sich Pietro dem roten H u t näher fühlen als jetzt nach der Eröffnung des Konzils von Trient, auf dem er eine ideale Plattform gefunden hätte, um mit seinen •weitverzweigten Beziehungen aufzutrumpfen. 6 3
4 5
Eine sorgfältige Darstellung der Frühgeschichte des italienischen Dramas gibt August Buck (Italienische Dichtungslehren vom Mittelalter bis zum Ausgang der Renaissance, Beihefte zur Zs. f. rom. Phil. 94, Tübingen 1952). Allerdings vermag ich Budes Urteil über Aretinos Orazia nicht zu teilen: „ein einziges Drama ragt aus dieser umfangreichen, aber unbedeutenden Produktion von Tragödien heraus: die „Orazia" des Pietro Aretino, die sich durch ihren straffen Aufbau, die Vermeidung aller Greuelszenen und eine klare, relativ einfache Sprache auszeichnet; der einzige gelungene Versuch, das antike Erbe auf der Bühne zu verlebendigen" (163/4). Pietro Aretino: Teatro, vol. III, ed. cit., 70 f. Aretino schien vergessen zu haben, daß Paul IV. keine Veranlassung hatte, ihn mit Beweisen seiner Gunst zu überhäufen. Im Jahr der Konzilseröffnung (1545) hatte Pietro den Papst mit einem Pasquino in colera betitelten Schweifsonett bedacht, das der mantuanisdie Gesandte Benedetto Agnello am
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Vor dem Hintergrund der klassizistischen Poetik wurde die Orazia nicht selten ungebührlich überschätzt. Adolf Gaspary 9 sah in ihr „das interessanteste Stück des Jahrhunderts und Pietro's vollkommenstes Werk", und Francesco Flora schrieb 1960: „Costruita con impegno maggiore (cfr. della commedie) è la tragedia Orazia die nel teatro a me 12. Juni 1545 aus Venedig mitteilte und Alessandro Luzio in seiner Besprechung von Vittorio Rossis Pasquinate veröffentlichte (Giornale storico della letteratura italiana, Bd. 19, 1892, 103): Tanto havesse mai fiato chi lo crede Che se facia concilio o cosa buona, O che l'Imperator, Re, né persona Si dia pensier di Christo o della fede. O chiesa, anzi spelonca, o santa sede Di mille sètte favola e canzona, O diiavi, o manto, o chierica poltrona, Tu l'hai pur fitta in chiasso, ognun lo vede. Che '1 diavol per me soffi In c . . . acciò ch'io canti et facci honore Al Papa che al suo gregie cava il core, Et n'empie il traditore Le mule e i muli tolti dal letame, Questi son duchi e quelle son madame! Simulator infame, Manda pur ciò die vuoi a Carlo in poste, Che ne farai ben conto un di con l'hoste, Nè staran sempre ascoste Le tue ribalderie, vecchio crestoso, Vendicativo, iniquo, seditioso, Brutto lussurioso, Nato d'incesto, Papa per un conno, A' figli de tua figlia padre e nonno. Ma se piegar non ponno Queste opre il ciel a punir tanta offesa, Chi vendicherà mai l'afflitta Chiesa? „Papa per un conno" spielt, wie der im Cinquecento geläufige Schimpfname Cardinal Fregnese, auf die Tatsache an, daß Alessandro Farnese seinen Kardinalshut dem Liebesverhältnis seiner Schwester Giulia mit dem Kardinal Rodrigo Borgia und späteren Alexander VI, verdankte (cfr. Ludwig von Pastor: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. V, Paul III. 1534—1549, Freiburg 1909). — Zahlreiche Ausdrücke aus dem Bereich des Skatologischen und Obszönen bei Nora Galli de' Paratesi : Semantica dell'eufemismo — l'eufemismo e la repressione verbale con esempi tratti dall' italiano contemporaneo (Publicazioni della facoltà di lettere — Università di Torino, voi XV, fase. 1), Turin 1964. 6
Geschichte
der italienischen
Literatur,
2. Bd., Berlin 1888, 562.
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pare conti più di tutte le altre opere dell'Aretino" 7 und übersah, daß „impegno" im Schaffen Aretinos immer verdächtig ist. Die lobende Feststellung Floras geht dann auch im Lauf seiner Interpretation wieder verloren. Er kommt zu dem Schluß: „La vera poesia dell 'Orazia, più die nel rivivimento dell'Aretino, è ancora nel ricordo del racconto di Livio, che qui non si muta veramente in azione."8 Er wiederholt damit das Ergebnis, zu dem schon Jahrzehnte vorher Tommaso Parodi gelangt war.8 Die Gleichgültigkeit, auf die Aretinos Tragödie bei seinen Zeitgenossen stieß, ließ sich auch nicht brechen, als das Werk des inzwischen durch den Index der römischen Kirche gebrandmarkten Pietro 1604 in Venedig bei Barezzo Barezzi unter dem Namen Giuliano Goselinis und mit dem Titel L'Amore della Patria neu aufgelegt wurde.10 Aretinos literarischer Stern war in den vierziger Jahren im Sinken: sein Ruhm war eine Institution geworden, der die Stoßkraft der schöpferischen zwanziger und dreißiger Jahre fehlte. Gleichzeitig mit der Orazia veröffentlichte er den Filosofo: danadi erschienen nur noch nach dem Gesetz der produktiven Trägkraft die weiteren Bände der Lettere. Gewidmet wurde die Orazia dem Papst und die Neuauflage von 154911 mit einem neuen Schreiben an Paul III. und einer Reihe von Briefen an Zeitgenossen aufgeputzt. Aretino kam es darauf an, sich als Mann mit Kunstverstand und Geschmack auszuweisen. Er war für das Lob der „Pedanten" durchaus empfänglich, gesteht sogar seinem Korrespondenten Trifone dei Gabrielli, der auf den Colli Euganei und in seiner Wohnung in Venedig die Literaten der Umgebung empfing, er habe für die Neuauflage der Orazia den Text hier und dort dank seiner Ratschläge geändert: „Voi, subito posto mente alle opere di chi esercita la penna in poesia, notate i vizi e le avvertenze delle parole e delle cose, notando con istupore e meraviglia della natura e dell'arte il dove il parlare ha 7
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Pietro Aretino, Tutte le opere a cura di Francesco Flora, con note storiche di Alessandro Del Vita, Mailand 1960, L U I . Ib. L I V . Tommaso Parodi: Poesia e letteratura, op. cit., 162: „ . . . quando l'Aretino mette in bocca a Marco Valerio (Io atto) . . . e ne prende di peso tutti i particolari (crudi particolari storicamente precisi di riti e ceremonie) dal cap. X X I V di Livio, non s'accorge che tutto ciò che in Livio interessa come reale storia, nella tragedia rimane inutile, insipido, estrinseca citazione." Cfr. A. L. Stiefel: Ein unbekannter Betrug im italienischen Drama des 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für vergi. Literaturgeschichte, 1892, 4 7 2 — 4 7 6 ) . Stiefel nimmt an, daß Corneille Amore della Patria kannte: „Italienische Dramen waren zu Corneilles Zeiten noch sehr verbreitet in Frankreich . . . Schon der schöne Titel mag ihn gereizt haben, nach dem Stüde zu greifen . . ." (476). „. . . tranne lievissime mutazioni formali — e alcune sono dovute ai tipografi — , la tragedia rimase proprio quella nella ristampa del 1 5 4 9 " (Ferdinando N e r i : La tragedia italiana del Cinquecento, Florenz 1904, 79).
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regola e il du' lo stile non tiene ordine". 12 Aretino sammelt wie sonst nur noch im Fall seiner prose sacre die Reaktionen seiner Zeitgenossen: er wird ein literarischer Heuchler, während er nie ein moralischer Hypokrit war. Die Orazia wird im Lichte von Aretinos literarischen und politischen Ambitionen zu einem seiner anspruchsvollsten „falsi": die rhetorische Forcierung ist das Kennzeichen dieses als Monumentaltragödie angelegten Werks, in dem man vergeblich Anklänge an den lyrischen Schmelz und die vornehme Verhaltenheit von Trissinos Sofonisba suchen würde. Dies gilt auch für die reimlosen Elfsilbler, die zu den schwerfälligsten der italienischen Literatur gehören, wodurch allerdings gelegentlich effektvoll der rohe gerade Sinn der alten Römer unterstrichen wird. In der Orazia fehlt, im Gegensatz zum Horace Corneilles, die dramatisch effektvolle Antithese, die dem Werk des Franzosen seine ausgeklügelte dialektische Bewegung und Folgerichtigkeit gibt. Bei Aretino tritt kein Curiatier auf, während Corneille die durch die beiden Frauen Camille und Sabine verschwägerten Gegner auch auf der Bühne gegenüberstellt. Sabine, die Schwester des Curiatiers und Frau von Horace hat bei Aretino keine Entsprechung. In der Orazia konzentrieren sich die Konflikte ausschließlich auf die Tötung Celias im dritten Akt durch den erbosten Bruder und die Auseinandersetzung Orazios mit dem römischen Volk und seinen Vertretern im vierten und fünften Akt. Die Handlung wird dadurch zwar linearer, aber auch ärmer und unmotivierter. Angesichts der Tatsache, daß es sich bei den beiden Werken um nicht vergleichbare Größen handelt, erübrigt sich eine komparatistische Untersuchung der beiden Tragödien 13 , auch weil Corneille die im Hinblick auf die Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts originellen Züge der Orazia nicht übernahm. Prunkvoller Auftakt ist der Prolog, den Aretino der Fama in den Mund legt. Dies gibt ihm nicht nur die Möglichkeit, in „barock" anmutender Feierlichkeit das Lob der Zeitgenossen unterzubringen (Paolo III und dessen Sohn Pierluigi „in questa etade/principe veramente/di bona volontade" 14 werden besonders ausführlich bedacht), sondern auch kurz auf das stilistische Problem hinzuweisen, welches der Gegenstand aufwarf: ma il tutto tra di Voi considerate, e poi 12 13
14
P. Aretino, Teatro, Bd. 3, ed. cit., 74. D i e Arbeit von E. Stocchi: L'Orazia dell'Aretino e l'Horace de Corneille, Neapel 1912, war mir nidit zugänglich. Der gute Wille Pierlugi Farneses bezog sich vor allem auf Aretinos Ambition, die Kardinalswürde zu erreichen.
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Aretinos Tragödie : L a Orazia giusta sentenza dando circa lo stil di si preclara istoria, acciò chiaro s'intenda se più menano in sé lode di gloria de la Natura i discepoli o vero gli scolari de l'arte. 1 5
Wie sehr sich Aretino unter die „scolari de l'arte" zählte, zeigt die pedantisch bemühte Anwendung einiger rhetorischer Kniffe. Sie erreichen allerdings nie den zu einer regelrechten Sprachparade gedehnten Umfang der prose sacre. Am leichtesten macht es sich Pietro, wo er seine Verse einfach mit Wortserien bestreitet: Non vi par che '1 degno uom, del qual voi sete spirto, sangue, vigor, carne, ossa e pelle, v'abbia con amor dolce imposta cosa cara ed onesta? 10
Er verwendet die in den prose sacre häufige Oberkreuzstellung im Vers oder im Enjambement: Oimé, thè con questi occhi aperti e chiusi, con questi chiusi ed aperti occhi all'alba 17
Certo ch'anima e spirto e cor mi sono gli Orazi illustri e i Curiazì soli; ma e vita, e salute, e membra, e senso; e senso, e membra, e salute, e vita emmi lo sposo mio, il mio sposo diletto, lo sposo che io adoro; e s'egli more, anch'io morrommi, e viverò s'ei vive. 1 8
Aretino kombiniert und verschränkt hier Synonymenhäufung, Uberkreuzstellung und gipfelt sie durch Anapher und Antithese zu „dramatischer" Wirkung auf. Die rhetorischen Register Aretinos sind damit erschöpft. Sie sind ein sprechendes Beispiel für seine Fähigkeit, unverbindlich mit der Sprache zu spielen und seine Texte nach einem festen Sdiema „herzustellen". Nicht um „Poesie" ging es dem Aretino der Orazia, sondern um „Rhetorik". In der kulminierenden „Szene" des dritten Akts (die Orazia ist nur in fünf Aufzüge ohne Auftritte aufgeteilt — jeder Akt wird durch einen „coro di virtù" abgeschlossen) bei der Ermordung Celias sorgt eine Anapher für pathetische Linienführung der Verse, aber der Gruß Orazios an das römische Volk bei seinem Abgang stößt hart an den Ton seiner burlesken Oktavendichtungen.
15 16
" 18
P. A . : Teatro III, ed. cit. 80 f. Ib., 89. Ib., 92. Ib., 91.
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Vanne o d'affetto maritale ingorda col tuo pur troppo frettoloso amore, vanne al marito, die del Leteo fiume su la riva t'aspetta, vanne insana, dimenticata dei fratelli morti, di quel die vive, e della Patria, e d'altri; ma tal finisca chi osarà più mai pianger la morte dei nimici nostri. Corri Ancilla or da Celia, e col tuo fiato ritieni il suo, s'ella ne ha punto, e poi con la Nutrice pia sana la piaga, che il giusto sdegno mio nel cor le ha impressa. Io andrommene intanto a spogliar l'armi nella magion natia: Popolo, vale! 1 9
Wie nahe Orazio letzten Endes den säbelrasselnden milites gloriosi von Aretinos Komödien kommt, zeigt der fünfte Akt, in dem der Protagonist den trockenen und gespreizten Tragödienton nun plötzlich satt ist und den Liktor, der ihn unters Joch zwingen will, beim Bart packt. Hier fällt Aretino in die Manier seiner Mar fisa, wo sich Rodomonte mit Kraftleistungen dieser Art in der Unterwelt bei Charon einführt. Der Schritt von der Tragödie zur Burleske ist nicht weit. Eine geistesgeschichtlich angelegte Untersuchung, wie sie Lilo Ebel in seiner in vieler Hinsicht vorzüglichen Arbeit Die italienische Kultur und der Geist der Tragödie (Freiburg i. Br., 1948) gab, wird Aretinos Tragödie immer hoch bewerten. Nach Ebel ist die Orazia „die einzige italienische Tragödie, in welcher die Macht positiv aufgefaßt wird und siegreich erscheint.", da es Aretino als einziger unternahm, „die Lösung des Konflikts in die Hände des Volks zu legen." 20 Ebel erinnert mit Recht daran, daß bei Corneille das Volk in den Augen der Protagonisten hingegen als wankelmütige, unzuverlässige Masse erscheint, die kein wahres Urteil über den Wert eines Helden haben kann: Horace, ne crois pas que le peuple stupide Soit le maître absolu d'un renom bien solide, Sa voix tumultueuse assez souvent fait bruit, Mais un moment l'élève, un moment le détruit, Et ce qu'il contribue à notre renommée Toujours en moins de rien se dissipe en fumée. C'est aux rois, c'est aux grands, c'est aux esprits bien faits, A voir la vertu pleine en ses moindres effets, C'est d'eux seuls qu'on reçoit la véritable gloire, Eux seuls des vrais héros assurent la mémoire . . . (V, 3)
Bei Aretino ist im wahrsten Sinn des Worts des Volkes Stimme Gottes Stimme, die den hartnäckigen Orazio unter das Joch zwingt. Aber 19 20
Ib., 1 1 8 . L. Ebel: Die
ital. Kultur und der Geist der Tragödie, op. cit., 73.
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läßt sich deshalb behaupten, Aretinos Orazia wirke „in der einfachen Gradlinigkeit der Handlung und dem strengen Ernst der Charaktere größer und machtvoller als die kunstvoll komponierten Konflikte und die sorgsam abgestuften, weicheren Charaktere Corneilles"? 2 1 Der abschließende Theaterdonner mit der Voce udita in aria, was ist er mehr als die akustische Aufgipfelung der rhetorischen Effekte, mit denen Aretino sein Stück ausstattete! Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Orazia den Schlußstrich unter Aretinos literarische Entwicklung bedeutet, mögen auch einige Besonderheiten der Tragödie weitergewirkt und verblüfft haben. 22 Das folgende Jahrzehnt stand im Zeichen der Sterilität des Divino: schöpferische Impulse gingen fortan nicht mehr von ihm aus.
21
Ib., 74. — Beherzigenswert scheint in diesem Zusammenhang Karl Voßlers Feststellung: „Es scheint in der Tat, daß in Italien die Bühnendichtung am besten gedeiht, wenn sie sich einer lyrischen oder melodischen Haltung nähert, daß sie in Frankreich das dialektische Gegeneinander bevorzugt und in Spanien das Kampfspiel, das tätige Leben als Illusion oder Abenteuer." (Die Antike und die Bühnendichtung der Romanen in: Aus der romanischen Welt, III, Leipzig 1942, 78). — Cfr. außerdem Kurt Wais: Die nationalen Typen des neueren Dramas im genetischen Zusammenhang (An den Grenzen der Nationalliteraturen — Vergleichende Aufsätze, Berlin 1958, 8/9): „Wie vom Unstern verfolgt scheinen alle Versuche in Italien, eine monumentale Tradition der Bühnendichtung aufzubauen. Vielleicht darf man die hauptsächliche Schuld daran in einer besonderen Begabung des italienischen Volkes suchen, im elementaren Übergewicht der schauspielerischen Darbietung. Dieses Temperament mußte es von jeher hart ankommen, sich einem papierenen, vorgeschriebenen Bühnentext unterwerfen zu sollen; noch am Bühnenschicksal Manzonis und D'Annunzios gewahrt man die Unfähigkeit, den Abgrund zwischen Bühnendichter und Schauspieler zu überbrücken; durch Pirandello gar ist diese Kluft zum eigentlichen Diskussionsthema der Bühne gemacht worden." Das „Papierene" an Aretinos „Orazia" wird übersehen, wenn sie nicht an den Komödien und Dialogen des Divino gemessen, sondern gattungsgeschichtlich mit den anderen Tragödien des Cinquecento verglichen wird. Bereits jetzt sei auf die in Arbeit befindliche Habilitationsschrift von Wolf gang Drost (Beiträge zur Geschichte der italienischen Tragödie im Zeitalter des Barode) verwiesen.
22
Marvin T. Herrick: Italian tragedy in the Renaissance, The University of Illinois Press, Urbana 1965, 135—144 widmet der Orazia ein ausführliches Kapitel. Er hebt vor allem hervor, daß Aretino auf Monologe verzichtete. Für die dramatische Spannung ist damit allerdings nicht viel gewonnen, wenn der vom König Tullo gesandte Tito den Zweikampf zwischen Horatiern und Curiatiern in nicht weniger als 166 Versen schildert, ohne einmal von Publio oder Spurio unterbrochen zu werden. Interessant ist der Hinweis auf die Tatsache, daß Aretino jeden Akt in einer „climactic scene" (138) aufgipfelt und den in den meisten Tragödien des 16. Jahrhunderts dramatisch unergiebigen vierten Akt dadurch spannend gestaltet, daß die Duumviri Orazio an die Stelle führen, an der er seine Schwester erstach (140).
Bibliographisch-technische Bemerkung Während in den Scrittori d'Italia und anderen italienischen Klassikerausgaben das Druckbild von Texten des 16. und 17. Jahrhunderts weitgehend modernisiert wird, suchte ich bei Zitaten von Editionen des 16. und 17. Jahrhunderts die Patina von Orthographie und Interpunktion beizubehalten — mit wenigen Ausnahmen: — u und v wurden normalisiert, — £ für per und Tilde für n (cösente > consente) wurden aufgelöst.
15
Hösle
Bibliographische Hinweise Kritische Untersuchungen, denen ich für meine Arbeit Anregungen verdanke, sind in der bio-bibliographischen Einführung oder in den Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln aufgeführt. Sie hier noch einmal zu zitieren, hätte keinen Sinn, da bereits mehrere Aretino-Bibliographien existieren: Giorgio Petrocchi veröffentlichte als Anhang zu seinem Buch Pietro Aretino tra Rinascimento e Controriforma (Mailand 1948) eine detaillierte Bibliografia degli scritti sull'Aretino in zehn Kapiteln (S. 343 bis 380): Le fonti — Monografie — Opere generali — Saggi sull'opera e la personalità dell'Aretino — Studi storico-biografici — Sul teatro — Sull'Aretino poeta — Sugli scritti sacri — Sull'epistolario — Sui rapporti con la pittura. Die zitierten Werke sind innerhalb dieser Kapitel in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Alphabetisch angelegt ist das Repertorio bibliografico, welches Fidenzio Pertile und Ettore Camesasca im zweiten Halbband des volume terzo der von ihnen betreuten Lettere sull'arte di Pietro Aretino geben (Mailand 1960, S. 539—570). Im gleichen Halbband veröffentlichten die um die Erhellung von Aretinos Verhältnis zur bildenden Kunst seiner Zeit hochverdienten Herausgeber auch Biografie degli artisti citati (S. 281 bis 532), in denen eine Fülle wertvoller Forschungsergebnisse verarbeitet ist. Giuliano Innamorati steuerte neben seinem Aufsatz Per la storia della critica (Pietro Aretino — Studi e note critiche, Messina/Florenz 1957, S. 7—89) einen wichtigen Beitrag für die Geschichte der Aretino-Literatur bei: aus seiner Feder stammt der Artikel Aretino Pietro im vierten Band des Dizionario biografico degli italiani der Fondazione Treccani (Rom 1962). Der umfangreiche Aufsatz wirkt wie ein erster Entwurf zu jener Aretino-Monographie, die Innamorati trotz wertvoller Einzeluntersuchungen bis heute nicht zu geben vermodite. Die Werke Bei Petrocchi und Innamorati finden sich nur gelegentlich Hinweise auf die Ausgaben von Aretinos Werken. Die Aufstellung bei Pertile/ Camesasca ist oberflächlich. Diese Tatsache mag die Ausführlichkeit der
Bibliographische Hinweise
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folgenden Übersicht rechtfertigen. Wertvolle Bestätigung oder Ergänzung meiner Forschungen an italienischen Bibliotheken (Mailand: Biblioteca Nazionale Braidense, Biblioteca comunale, Biblioteca Trivulziana, Biblioteca Ambrosiana — Florenz: Biblioteca Nazionale — Venedig: Biblioteca Marciana — Rom: Biblioteca Vaticana) fand ich in den gedruckten Katalogen der großen europäischen Bibliotheken und in den einschlägigen Bibliographien: Catalogue général des livres imprimés de la Bibliothèque Nationale, Auteurs, Bd. 3, Paris 1899; Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken mit Nachweis des identischen Besitzes der Bayerischen Staatsbibliothek in München und der Nationalbibliothek in Wien, Bd. 6, Berlin 1934; British Museum — General Catalogue of Printed Books, Bd. 189, London 1963; Theodore Graesse: Trésor de Livres rares et précieux, Bd. 1: A—B, Dresden, Genf, London, Paris 1859; Friedrich Adolf Ebert: Allgemeines bibliographisches Lexikon, Bd. 1: A—L, Leipzig 1821; Jacques-Charles Brunet: Manuel du libraire et de l'amateur de livres, Bd. 1, Paris 1860; Bibliographie des ouvrages relatifs à l'Amour, aux femmes, au mariage et des livres facétieux, pantagruéliques, scatologiques, satyriques, etc. par M. Le C. d'I***, 3 me Édition entièrement refondue et considérablement augmentée, Bd. 1, Turin J. Gay et fils éditeurs, 1871. Die von A.(dolf) G.(erber) veröffentlichte Kurze Übersicht über die mir bekannten reichlich 200 Aretino-Ausgaben und Übersetzungen des 16. und 17. Jh.s, Freudenstadt 1922, war auf dem Weg des innerdeutschen Leihverkehrs nicht zu beschaffen. Wenig Zünftiges enthält eine Broschüre von Domenico Fusco: L'Aretino sconosciuto ed apocrifo, Turin 1953.
Erste Veröffentlichungen,
pronostici
und
Satiren:
Opera Nova del Fecundissimo Giovene Pietro Pictore Arretino zoe Strambotti Sonetti Capitoli Epistole Barzellete et una Desperata, per Nicolo Zopino, Venedig 1512. Das einzige erhaltene Exemplar befindet sich an der Biblioteca Marciana in Venedig. Pasquinate di P. A. ed anonime per il conclave e l'elezione di Adriano VI, Turin—Palermo, 1891. Canzone in laude del Datario, bei Lodovico Vicentino und L. Perugino, Rom 1524. 15*
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Bibliographische Hinweise
Laude di Clemente VII Max. Opt. P. bei Lodovico Vicentino und L. Perugino, Rom 1524. Die beiden unbedeutenden Huldigungsdichtungen entstanden kurz vor dem Bruch mit Datar und Papst, der dann im Sommer 1525 zum Attentat Adiille della Voltas führte. Sonetti lussuriosi. Die angeführten Bibliographien verbreiten sich ausführlich darüber. Die sächsische Regierung veranlaßte laut Ebert 1781 die Zerstörung des an der Bibliothek in Dresden vorhandenen Originaldrucks. Seit dem 18. Jh. wurden die Sonette, erweitert um zehn von unbekannten Verfassern stammende Stücke wiederholt aufgelegt. Die erste gedruckte Neuausgabe fällt in die Mitte des 18. Jh.s, große Verbreitung fanden die Dubbj amorosi, altri dubbj e Sonetti lussuriosi di P.A.... Edizione più d'ogni altra corretta, Roma, nella stamperia Vaticana con privilegio di Sua Santità (Paris, Girouard), 1792. Deutsche Übersetzungen wurden um 1920 beschlagnahmt, so unter anderen Die sechzehn wollüstigen Sonette. In deutscher Ubers, frei nach d. ital. Orig. von Sigmund Frh. v. Fried (Leipzig-Rendnitz: H. Osterloh) 1920. Aretinos ungedruckte Satiren machte Alessandro Luzio in seinen beiden grundlegenden Untersuchungen über Pietros Aufenthalt in Mantua und seine ersten venezianischen Jahre zugänglich. Zu Lebzeiten des Schriftstellers erschienen bei Curtio Navò 1540 Capitoli del Signor Pietro Aretino, Ludovico Dolce, Francesco Sansovino. Eine weitere Ausgabe erschien im gleichen Jahr bei Comin da Trino in Venedig und 1541 ohne Ortsangabe als Raubdruck. Komödien
und
Orazia
Il Marescalco. Erstausgabe 1533, laut Katalog des Britischen Museums bei Bernardino de Vitali (Venedig). Die Komödie gehört zu den meistgedruckten Werken Pietros: 1534 erschien sie als Raubdruck, 1535 bei Jo. Ant. da Castel Liono in Mailand, 1536 als Raubdruck und bei Marcolini, der sie 1539 und 1542 noch einmal druckte. Bindoni veröffentlichte den Marescalco 1550 in Venedig und ebenda 1553 auch Giolito de' Ferrari. Gay und Graesse verzeichnen weitere Drucke zu Lebzeiten des Schriftstellers. Im 17. Jh. veröffentlichte Jacopo Doroneti die Komödie unter Änderung von Namen und Titel (// cavallarizzo, comedia ingegnosa del Sig. Luigi Tansillo) in Vicenza bei Bertelli (Drucker war G. Greco) 1601 und 1608. Eine französische Übersetzung erschien 1892 in Paris. Übersetzer war A. Bonneau.
Bibliographische Hinweise
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La Cortigiana. Diese Komödie war mit dem Marescalco die erfolgreichste Theaterdichtung des Divino. Die Erstausgabe erschien 1534 bei Nicolini da Sabbio in Venedig. Im folgenden Jahr publizierte sie dann Francesco Marcolini, der mit diesem Werk seine Tätigkeit als Verleger und Drucker begann. Gleichzeitig erschien La Cortigiana bei Antonio da Castel Liono in Mailand und ohne Angabe von Drucker und Ort „alla macchia". Marcolini verlegte die Komödie noch einmal 1536 und 1542, der Katalog der Trivulziana verzeichnet einen Raubdruck von 1545, und Giolito de* Ferrari veröffentlichte sie 1550. Im 17. Jh. erschien eine von Francesco Buonafede besorgte verstümmelte Ausgabe bei Collosini (bzw. Combi) in Venedig (1604 bzw. 1628). Titel und Verfasser wurden geändert in Cesare Caporali: Lo Sciocco. Lo Hipocrito. Erstausgabe bei Agostino Bindoni, Venedig 1540, Neuauflagen brachten Marcolini (1542) und Giolito de' Ferrari (1553). Im 17. Jh. erschien das Werk bei P. Bertelli unter geändertem Titel und Namen in einer von Doroneti besorgten Ausgabe. Luigi Tansillo: Il finto, Vicenza 1601 und 1610. Eine niederländische Übersetzung von Pieter Hooft erschien 1869. La Talanta. Erstausgabe in Venedig 1542 bei Marcolini: TalantaComedia di messer Pietro Aretino. Composta a petitione dei magnanimi Signori Sempiterni. E recitata da le Lor proprie Magnificentie, con mirabile superbia di apparato (il mese di Marzo nel M D X X X X I I ) . Im 17. Jh. erschien die Komödie unter dem Titel La Ninnetta unter dem Pseudonym Cesare Caporali in einer von Francesco Buonafede besorgten Ausgabe bei Collosini in Venedig. Der Hochschätzung Croces für diese Komödie wird wohl die einzige Ausgabe eines Werks von P. A. in der Biblioteca Universale Rizzoli verdankt: La Talanta. A cura di Carla Cremonesi, Mailand 1956. Il Filosofo. Erstausgabe der 1544 entstandenen Komödie bei Giolito de* Ferrari, Venedig 1546. Neuauflage ebenda 1549. Im 17. Jh. erschien die Komödie unter dem Namen Luigi Tansillos und dem Titel II sofista 1601 und 1610 in Vicenza. Wie Graesse dazu kam, eine Ausgabe des Filosofo von 1533 zu zitieren („à Venise chez Bern, de* Vitali") erklärt sich wohl mit einer Verwechslung: bei de' Vitali erschien 1533 der Marescalco. Pertile/Camesasca übernahmen diese Angabe ungeprüft in ihr Repertorio bibliografico. Ausgaben der Komödien Quattro Comedie, l'Hipocrito. Novellamente don 1588.
in Sammelwerken
und
Teilsammlungen:
cioè, il Marescalco, la Cortigiana, la Talanta, ritornati .. . a luce, . . . bei John Wolfe, Lon-
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Bibliographische Hinweise
Zugänglich sind Aretinos Komödien auch im Teatro italiano antico (8 Bände, London 1786—1789) und im Teatro italiano antico (10 Bände, Mailand 1808—1812). Eugenio Camerini besorgte im vergangenen Jahrhundert für die billige Klassikerreihe des Mailänder Verlags Sonzogno Commedie di Pietro Aretino nuovamente rivedute e corrette aggiuntavi L'Orazia tragedia del medesimo autore (2a edizione stereotipa, Mailand 1876). Im Text wird nach der dreibändigen Ausgabe des Verlags Carabba, Lanciano 1914, zitiert. Für die Scrittori d'Italia bereitet Mario Baratto eine Edition von Aretinos Theater vor. L'Horatia. Beide zu Lebzeiten Aretinos erschienen Ausgaben dieser Tragödie bei Giolito de' Ferrari, Venedig 1546 und Venedig 1549. Die Erstausgabe befindet sich an der Trivulziana in Mailand. Eine Neuausgabe des Textes besorgte im vergangenen Jahrhundert A. G. C. Galletti: La Orazia tragedia di M. P. Aretino terza ed. tratta da quella rarissima di Vinegia appresso Gabriel Giolito, MDXLIX, Florenz 1855. Ein Abdruck der Erstausgabe erschien 1950 in den Edizioni teatrali della S. T. D. (Mailand, Memo e figli). Die im 17. Jh. von Goselini redigierte Bearbeitung der Orazia erschien unter dem Titel L'Amore della Patria. Die
Dialoge In absehbarer Zeit wird in den Scrittori d'Italia eine kritische Ausgabe der Ragionamenti erscheinen [Cfr. G. Aquilecchia: Per l'edizione critica delle Sei Giornate (Prima e seconda parte dei ,Ragionamenti') di Pietro Aretino, in: Italian Studies, XVII, 1962, 12 bis 34]. Im Folgenden seien nur die wichtigsten Ausgaben zitiert: Ragionamento della Nanna, e della Antonia, fatto in Roma sotto una ficaia, composto dal divino Aretino per suo capriccio a correttione de i tre stati delle donne, Paris (aber Venedig) 1534. Der dritte Tag des ersten Teils erschien noch 1534 in Neapel als Raubdruck unter dem Titel : Opera nova del divo & unico signor Pietro Aretino: la qual scuopre le astutie: scelerita, frode, tradimenti ... Et le grandi fintion, & dolce paroline che usano le Cortigiane o voi dir Tapune per ingannar li semplici gioveni, etc. Mit noch längerem Titel erschien diese Ausgabe des dritten Tags 1535 auch in Venedig. Wahrscheinlich gelangte die napoletanische Ausgabe des dritten Tags nach Spanien, wo 1548 (in Sevilla?) eine spanische Übersetzung erschien, die ihrerseits die Vorlage für die Latinisierung des Textes durch Kaspar Barth bildete (cfr. bio-bibliographischer Teil).
Bibliographische Hinweise
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Der zweite Teil der Ragionamenti wurde 1536 in Venedig mit falscher Ortsangabe (Turin) veröffentlicht: Dialogo di Pietro Aretino, nel quale la Nanna, il primo giorno, insegna a la Pippa sua figliuola a esser puttana; nel secondo, gli conta i tradimenti che fan gli uomini a le meschine che gli credono; nel terzo e ultimo, la Nanna e la Pippa, sedendo nell'orto, ascoltano la comare e la balia che ragionano de le ruffianerie. In Bengodi (d. h. bei John Wolfe in London) erschien 1584 wiederholt die Ausgabe, welche für fast alle Neuauflagen der Ragionamenti die Grundlage bildete. Auf die Bedeutung der in Cosmopoli (Jan Elzevir: Leyden) 1660 veröffentlichten Edition wurde im Text hingewiesen. Die deutsche Ausgabe von Heinrich Conrad erschien 1903 im Insel Verlag und 1924 bei Georg Müller. Alfred Semerau veröffentlichte 1921 in Leipzig seine Fassung der Ragionamenti unter dem Pseudonym Ernst Otto Kayser. Semerau verdanken wir auch eine auf Kolorit bedachte Biographie Pietros: Pietro Aretino — Ein Bild der Renaissance. Die Erstausgabe von Aretinos Dialog über die Höfe erschien wahrscheinlich bei Marcolini: Ragionamento nel quale M. Pietro Aretino figura quattro suoi amici che favellano de le Corti del Mondo e di quella del Cielo, Venedig 1538. Marcolini druckte das Werk noch einmal 1539. Die Ausgabe Novara 1538 erschien wahrscheinlich in Venedig als Raubdruck. Der Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken verzeichnet außerdem Drucke von 1540 und 1541 ohne Ortsangabe. Die äußerst seltene Erstausgabe von Aretinos Kartendialog erschien 1543 bei G. Farri in Venedig. Ein Exemplar befindet sich an der Trivulziana in Mailand: Dialogo nel quale si parla del giuoco con moralità piacevole. Zwei Jahre später erschien das Werk wieder in Venedig „per Bartolomeo detto l'Imperador, ad instantia di Melchior Sessa". Im 17. Jh. erschien das Werk 1650 und 1651 unter dem Pseudonym Partenio Etiro bei Ginammi in Venedig. Gio. Andrea del Melagrano (i. e. John Wolfe, London) gab 1589 die beiden kleinen Dialoge Aretinos als „terza et ultima parte de ragionamenti del divino Pietro Aretino" heraus. Prose sacre Aretino begann die Veröffentlichung der religösen Schriften 1534 mit der Leidensgeschichte Jesu : Per testimonio della bontà e della cortesia del divino Aretino, Francesco Marcolini da Forlì ha fatto imprimere queste cose in Vinegia da Giovanni Antonio de Nicolini da Sabio M D X X X I I I I del mese di Giugno.
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Bibliographische Hinweise
Noch im gleichen Jahr wurde eine Neuauflage notwendig, und 1536 brachte Marcolini, der 1535 seine Tätigkeit als Drucker mit einer Neuausgabe der Cortigiana begann, die Schrift noch einmal heraus. Obwohl das Werk 1538 als Buch III in die Humanità di Christo übernommen worden war, erschien es 1545 noch einmal als Sonderdruck in Venedig. Die französische Ubersetzung des Werks erschien 1539 bei M. et G. Trechsel in Lyon in der von Jean de Vauzelles verfaßten Version: La Passion de Jesus-Christ, vivement descrite par le divin engin de Pierre Aretin italien et nouvellement traduite en français. I sette salmi de la penitentia di David. Erstausgabe bei Nicolini veranlaßt durch Marcolini im November 1534. Marcolini druckte das Werk dann selbst 1539. Einen weiteren Druck verzeichnet der Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken (Venedig 1545), Graesse zitiert einen venetianischen Druck von 1536 und einen Florentiner Druck von 1537. Unter dem üblichen Anagramm Partenio Etiro erschienen die Bußpsalmen 1629 und 1635 bei Ginammi in Venedig. Barbier in Lyon wagte 1648 die Nennung des geächteten Autors: Aretino pentito, o sia Parafrasi sopra i sette salmi della penitenza di David. Die französische Ubersetzung von Jean de Vauzelles erschien 1541 in Paris bei Denis Janot: Les Sept Pseaumes de la penitence de David, par Pierre Aretin. Eine neue Version der Bußpsalmen erschien 1605 bei A. Saugrain in Paris: Les VII Psalmes de la Pénitence de David, traduicts de l'italien de P. I'Aretin par François de Rosset. Aretinos Leben Jesu erschien 1535 in drei Büchern, dann 1538 in vier Büchern bei Marcolini in Venedig: I tre libri de la Humanita de Christo di M. Pietro Aretino (datiert: „Maggio MDXXXV"). I quattro libri de la Humanità di Christo di M. Pietro Aretino nuovamente stampata (datiert: „1538"). Die Fassung in drei Büchern erschien 1539 in der Übersetzung von Jean de Vauzelles bei M. et G. Trechsel in Lyon: Trois livres de l'Humanité de Jésuchrist, divinement descripte et au vif représentée par Pierre Aretin ... Nouvellement traduictz en français. Diese französische Version erschien 1604 in einer von De Larivey überarbeiteten Fassung in Troyes, zu der Brunet bemerkt: „Reproduction de la traduction de Jean de Vauzelles, dont Larivey s'est contenté de retoucher le style. Le nom de l'Arétin a été prudemment omis sur le titre." Raubdrucke der Umanità erschienen 1539, 1541, 1545. Ginammi verlegte das Werk unter dem Anagramm Partenio Etiro 1633 und 1645. Marcolini, der die Humanità 1539 und 1540 neu auflegen konnte, brachte 1539 auch Pietros Genesis-Paraphrase heraus:
Bibliographische Hinweise
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Il Genesi di M. Pietro Aretino con la visione di Noè ne la quale vede i misterii del Testamento vecchio et del nuovo diviso in tre libri. Im folgenden Jahr erschien ein Raubdruck, Brunet verzeichnet eine Ausgabe von 1541, der Katalog der Brera eine von 1545. Die französische Ausgabe von Jean de Vauzelles erschien 1542 bei S. Gryphius in Lyon. Unter dem üblichen Pseudonym Partenio Etiro und unter geändertem Titel (Dello specchio delle opere di Dio nello stato di natura libri tre) erschien das Werk bei Ginammi 1628,1629, 1635 und 1639. Die drei Bibelparaphrasen erschienen 1551 gesammelt bei den Söhnen Aldos: Al beatissimo Giulio III papa come il II ammirando; il GENESI, l'HUMANITÀ D I CHRISTO e i SALMI — Opere di M. Pietro Aretino. Die Heiligenvitae Pietros hatten weniger Erfolg als seine Bibelparaphrasen. Sie wurden auch nicht ins Französische übersetzt. Marcolini verlegte 1539: La Vita di Maria Vergine di Messer Pietro Aretino. Der Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken verzeichnet zwei Drucke ohne Ortsangabe (um 1540) und 1545. Ginammi veröffentlichte das Werk 1633 unter dem üblichen Anagramm. La Vita die Catherina Vergine composta per M. Pietro Aretino, Venedig 1540. Im folgenden Jahr erschien das Werk noch einmal, wahrscheinlich bei Marcolini. Cfr. Lettere sull'arte, III, 2, S. 372 f.: „ristampa sicuramente marcoliniana, secondo die attestano i tipi, dell'opera impressa da ignoto nel '40 (come risulta dalla dedica al marchese del Vasto)". La vita di S. Tommaso signor d'Aquino. Opera di M. Pietro Aretino (datiert: 1543). Das Werk erschien gleichzeitig bei Farri und Marcolini, dann erst wieder im 17. Jh. bei Ginammi (1628 und 1636). Die Söhne Aldos veröffentlichten die drei Heiligenvitae des Divino 1552: A la somma bontà di Giulio III al par del II invitiss. La VITA D I MARIA VERGINE di CATERINA SANTA e di TOMASO AQUINATE BEATO. Compositioni di M. Pietro Aretino.
Die
Briefe
Lediglich für die beiden ersten von Aretinos sechs Briefbänden liegt bis heute eine kritische Ausgabe vor. Fausto Nicolini besorgte für die Scrittori d'Italia des Verlags Laterza Band 1 (1913) und Band 2 (1916). Die nämlichen Bände wurden dann 1960 in den Classici Mondadori veröffentlicht: Tutto le opere di Pietro Aretino: Lettere — Il primo e il se-
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Bibliographische Hinweise
condo libro a cura di Francesco Flora con note storiche di Alessandro del Vita. Durch den Tod der beiden Herausgeber geriet das Unternehmen wieder ins Stocken. Die sechs Bände von Aretinos Briefen erschienen zwischen 1538 und 1557. Lettere di M. Pietro Aretino, Marcolini, datiert 1538, das Widmungsschreiben „AI Magno Duca d'Urbino" ist vom 10. Dezember 1537. Noch vor Nicolini und Flora/Del Vita gab Daelli in seiner Biblioteca Rara 1862 eine Neuausgabe dieses ersten Bands, über dessen Textgeschichte die modernen Herausgeber genau unterrichten. Al Sacratissimo Re d'Inghilterra il secondo Libro de le Lettere di M. Pietro Aretino (datiert: „ M D X X X X I I . Del mese d'Agosto), Marcolini, Venedig. Band III erschien 1546 bei Giolito de' Ferrari, Band IV (1550?) bei Cesano (?) in Venedig, Band V „In Vinegia, per Comin da Trino di Monferrato, l'anno 1550", Band VI 1557 postum bei Giolito de' Ferrari: Ecco che al come Magno, Magnanimo Hercole Estense; ha dedicato Pietro Aretino per divina gratia huomo libero; il sesto de le scritte lettere volume. Die sechsbändige Pariser Edition „Appresso Matteo il Maestro, nella strada di S. Giacomo, a la insegna de i quattro Elementi. M.D.C.IX" ist immer noch die am leichtesten zugängliche Ausgabe der Briefbände III—VI. Ergänzend dazu sei verwiesen auf : Lettera ... al generoso messer Vicentio Vecellio, pubblicata a cura di Edoardo Coletti e Achelle Vecelli (Per nozze Cian-Tabacchi), Bassano 1888.
Una lettera di P. A. ai priori delle arti di Perugia, pubblicata nella sua integrità (a cura di A. Fabbretti), Turin 1890. Für die Herausgabe der an ihn gerichteten Briefe traf Pietro Aretino rechtzeitig Vorsorge: Lettere scritte al Signor Pietro Aretino da molti signori, Comunità, Donne di valore, Poeti et altri Eccellentissimi Spiriti. Divise in due libri sacre al rever. mo Cardinale Di Monte (datiert: „Di luglio MDLI"), Marcolini Venedig. Zwei weitere Bücher erschienen 1552. Eine Neuausgabe dieser Briefe erschien im letzten Jh. : Lettere scritte a P. A. emendate per cura di T. Landoni, Bologna, Romagnoli 1873—1875.
Bibliographische Hinweise Die
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Oktavendichtungen
Opera nova del superbo Rodomonte Re di Sarza che da poi la morte sua volse signoreggiare l'inferno, Venedig 1532. Der Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken verzeichnet eine Ausgabe von 1535: Tre primi canti di Marfisa, nuovamente stampati et historiati (Vinegia: Nicolò d'Aristotile Zoppino), das British Museum einen Druck von 1537, Ebert einen weiteren von 1544. — Das Fragment erschien auch im 17. Jahrhundert. D'Angelica
due primi canti, Venedig 1538 (de' Vitali).
Astolfeide: die einzige erhaltene Ausgabe befindet sich an der Bibliothèque Nationale (Rés. Yd. 882). Li due primi canti de Orlandino (ohne Ort und Jahr): der Text wurde von G. Romagnoli in der Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XVII (Band 95) wieder zugänglich gemacht. Stanze di M. Pietro Aretino (datiert „ M D X X X V I I a li X X I I I di Genaio"). Das von Marcolini veröffentlichte Bändchen enthält: Stanze in lode di Madonna Angela Sirena, Sonetto di M. Pietro Aretino alla medesima Sirena und ein Sonetto della Signora Veronica Gambara Contessa di Coreggio a la Sirena. Strambotti a La Villanesca Freneticati tino; Con le Stanze de la Serena appreßo, Marcolini, Venedig 1544.
Da La Quartana De L'arein comparatione de gli stili,
Mit Ausnahme der Strambotti erschienen Aretinos Oktavendichtungen in den von G. Sborselli zusammengestellten zwei Gedichtbändchen des Verlags Carabba (Lanciano 1930), die auch die von V. Rossi edierten Pasquinate, die in den Briefen enthaltenen Sonette, Ternari, Capitoli, Canzoni und Madrigale bringen. Zu Lebzeiten des Dichters erschien ohne Jahres- und Ortsangabe, aber wahrscheinlich in Venedig, ein schmales Büchlein, das auch Sonette, Madrigale, Capitoli Pietros (und seiner Freunde) enthält: Giardino di Amore composto gegnii col divo Pietro Aretino.
da più Famosissimi
& speculativi
in-
Keine überraschenden Neuentdeckungen über Aretino brachte der erste Band von Paul Oskar Kristellers Iter Italicum — A Finding List of Uncatalogued or Incompletely Catalogued Humanistic Manuscripts of the Renaissance in Italian and Other Libraries, London/Leiden 1963, Bd. I : Italy, Agrigento to Novara.
si- *
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Bibliographische Hinweise
Eine umfangreiche Auswahl aus den Schriften Pietros mit Bibliographie und Anmerkungen zum Text gab 1962 Giuseppe Guido Ferrerò in den Classici Italiani der U.T.E.T. (Turin) heraus: Scritti scelti di Pietro Aretino e di Anton Francesco Doni. •s * #
Biographische
Untersuchungen
Bei der von Giorgio Petrocchi unter dem Titel Monografie zusammengestellten Aretino-Literatur seit Mazzuchelli steht in der Regel die Persönlichkeit, nicht das Werk des Schriftstellers im Vordergrund: soweit es sich um Literatur des 20. Jahrhunderts handelt, divulgiert sie die Forschungsergebnisse Luzios und anderer Mitarbeiter des Giornale storico. Dies gilt ganz besonders für das Aretino-Porträt von Antonio Fosdiini (Mailand 1931), das der Verlag dall'Oglio für seine Ragionamenti-Ausgab e (Mailand 1960) als Einführung neu abdruckte. Eigene Forschungsergebnisse konnte Alessandro del Vita in seinen Aretino-Biographien verarbeiten: L'Aretino — Le cause della sua potenza e della sua fortuna (Arezzo 1939) und L'Aretino — ,Uomo libero per grazia di Dio' (Arezzo 1956). In die vom vergangenen Jahrhundert überkommene Kategorie „Renaissance-Mensch" eingeordnet wurde Pietro Aretino von C. Antoniade (L'Arétin, Guichardin, Benvenuto Cellini — Trois figures de la Renaissance, Brügge 1937), R. Roeder (The man of the Renaissance — four lawgivers: Savonarola, Machiavelli, Castiglione, Aretino, New York 1933), P. G. Dublin (La vie de l'Arétin, Paris 1937), T. C. Chubb (Aretino, Scourge of Princes, New York 1940). Dem von Aretino bewußt aufgebauten image des unverderbten und aufrichtigen Naturburschen saß Massimo Bontempelli auf, als er in einem Vortrag erklärte: „L'A. è una figura facile. L'A. non si sorveglia, è tutto spontaneo e impudico così del suo bene come del suo m a l e ; . . . " (Nuova Antologia, Sept./Okt. 1940, S. 58—67). Zutreffende Feststellungen traf Bontempelli hinsichtlich der Bedeutung des Obszönen in Aretinos Werk: „La carne non gli appare mai splendida e gioconda, egli non riesce a considerarla se non nella miseria die nasce dalla sua corruttibilità . . . L'oscenità in lui non è scopo, è sempre uno strumento. Fa parte del suo attrezzamento di vendicatore" (Ib., 65 f.). Keine neuen Perspektiven eröffnet der Aufsatz, den Luigi Russo kurz vor seinem Tod dem Schriftsteller aus Arezzo widmete (Belfagor, Jan. 1967,1—17). Russo faßt lediglich einige Ergebnisse der Aretino-Forschung zusammen, ohne Komödien und Dialoge gebührend zu berücksichtigen. Die Schlußfolgerung des Italianisten steht im Zeichen seines politischen
Bibliographische Hinweise
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Wunschdenkens: „Dobbiamo a malincuore dire per questo geniale antipedante la intendeva (cfr. la antinomia del secolo) in senso di retrogrado, perché per lui la decadenza era rappresentata da ,messer Archibuso e da Don C a n n o n e ' , . . . Per l'Aretino dunque la decadenza del Cinquecento è nell'invenzione delle armi da fuoco" (Ib. 16). Mir ging es bei der vorliegenden Untersuchung nicht darum, Feststellungen „a malincuore" zu treffen: wichtiger schien mir der Respekt vor dem Phänomen seines außergewöhnlichen Werks, wenigstens da, wo es künstlerisch bewältigt ist. Zum Thema Antipetrarkismus vgl. Jörg-Ulrich Fechner: Der Antipetrarkismus — Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik, Heidelberg 1966 und J.-U. Fechner: Von Petrarca zum Antipetrarkismus — Bemerkungen zu Opitz' „An eine Jungfraw" in Euphorion 62 (1968), 54—71, und Johannes Hösle: Texte zum Antipetrarkismus in Europa in der Sammlung romanischer Übungstexte (im Druck).
Namenverzeichnis Aegidius von Delfi: 127 Ageno, F. 57 Agnello, B. 29, 165, 218 Albicante, G. A. 10 Albizzi, F. degli 53 Aldo s. Manuzio Alighieri, D. 108, 217 Allodoli, E. 116 Alunno, F. 110 Amelung, P. 47 Andrea (Maler) 47, 49, 74 Antoniade, C. 236 Apollinaire, G. 2, 18, 114 Apollonio, M. 216 Aquilan, Z. B. 40 Aquilano, S. 36, 37, 38 Aquilecdiia, G. 230 Ariosto, L. 1, 6, 26, 69, 70, 72, 144, 146, 148, 149, 151, 155, 160 Arcimboldi, G. 135 Aristoteles 217 Ashbee, H . Spencer 2 Audiguier, V. d' 169 Auerbach, E. 83, 107 Augustinus 189 Avalos, A. d' 60, 66, 67, 80, 136, 139, 146, 165, 197 Avalos (Aragona), Maria d' 132, 165
Barocchi, P. 178 Barth, K. 18, 230 Baschet, A. 29, 49, 55 Bataillon, M. 105 Battisti, E. 113 Battelli, G. 188 Bayle, P. 20, 21, 22 Beatrix von Portugal 9, 172 Becatti, G. 185 Becker, Ph. A. 126, 127 Bellay, J. du 18 Belli, G. G. 90 Bembo, P. 26, 38, 41, 72, 91, 100, 105, 108, 164, 168, 169, 183, 184 Benseier, F. 176 Berni, F. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 13, 15, 65, 90, 161 Bernini, G. 125 Berr, H . 17 Bertani, C. 31, 32 Bercken, E. von der 179 Bertelli P. 228, 229 Bibbiena, B. 36, 69, 70, 80 Bindoni, A. 228, 229 Binni, W. 93, 94 Bianco, M. G. 85 Blessing, M. L. 94 Boccaccio, G. 78, 82, 100, 112, 113,
Bacci, L. 14 Bachmann, I. 170 Balbuena, B. de 154 Balzac, G. de 8 Baratto, M. 71, 77, 81, 84, 201, 203, 211, 212, 229, 230 Barahona de Soto 154 Barbagrigia Stampatore s. Wolfe Bàrberi—Squarotti G. 112 Barbier (Drucker) 115, 232 Barbosa du Bocage, M. M. 21 Barclay, J. 18 Barezzi, B. 220
Boiardo, M. 160, 209 Bonci, T. 12 Bongi, S. 12, 31 Bonifaz VIII 43 Bonifazio di Monferrato 180 Bonneau, A. 95, 228 Bonora, E. 143 Bontempelli, M. 236 Borgia, R. (Alexander VI.) 219 Borlenghi, A. 70 Borsellino, N . 70 Bossuet, J.-B. 124, 125, 126 Bramante, D. 40
168, 2 1 2
Namensverzeidinis Brandi, K. 62 Bray, R. 37 Braudel, F. 171 Brusantini, V. 154, 155 Brunei, J. C. 2, 227, 232, 233 Bruno, G. 91, 112, 183, 203 Buck, A. 218 Büdel, O. 148 Buloz, F. 24 Buonafede, F. 229 Burckhardt, J. 25, 26, 43, 165, 168 Butler, K. T. 169 Caldas Barbosa, D. 21 Camerini, E. 230 Caraesasca, E. 2, 185, 199, 226, 229 Caporali, C. 229 Carafa, O. 42 Caretti, L. 6 Cariteo 37 Carducci, G. 37 Caro, A. 15, 89, 91, 163, 169, 176 Cases, C. 61 Casa, G. della 6, 85, 105 Castelli, E. 150 Castel Liono, J. A. da 228 Castion, J. da 63 Castiglione, B. 41, 44, 52, 55, 70, 91, 101, 105, 108, 122, 123, 178 Castilione C. de 45 Castiglioni, M. 94 Cellini, I. 186 Cellini, B. 6, 32, 210 Cervantes, M. de 125, 154 Cesano (Drucker) 234 Cesareo, G. A. 51 Cesarini, R. 153 Chasles, Ph. 23, 24, 25, 27, 29, 170 Chastel, A. 150 Chiapelli, F. 12 Chigi, A. 7 Chorier, N . 208 Christine von Dänemark 62 Chubb, T. C. 236 Cian, V. 43, 46, 52 Ciampi, F. 193 Cicero, M. T. 184 Cinotto 72 Ciocchi, G. M. del Monte s. Julius III. Clemens VII. 2, 5, 25, 41, 42, 43, 44, 49, 52, 53, 55, 59, 63, 64, 77, 84, 145, 165, 166, 174
239
Cocai, M. s. Folengo T. Coletti, E. 234 Collisini (Drucker) 229 Colonna, V. 25, 60, 72, 83 Colonna, P. 45, 51 Comin da Trino di Monferrato 228, 234 Conrad, H . 231 Contile, L. 165 Contini, G. 100, 108 Corneille, P. 220, 221, 223, 224 Cornaro, L. 85 Cornaro, M. 44 Corregio, V. da s. Gambara, V. Corvino, A. 186 Creizenach, W. 216 Cremonesi, C. 229 Croce, B. 30, 33, 34, 37, 85, 88, 93, 94, 97, 101, 123, 189 Curtius, E. R. 97, 113 Daelli, G. 234 Dall'Arme, F. 151 D'Amico, S. 214 D'Ancona, A. 36, 39, 88 D'Annunzio, G. 224 Daudiguier s. Audiguier Della Volta, A. 69, 146, 228 Dell'Arco, M. 42 Delicado, F. 95, 114 Del Vita, A. 4, 14, 34, 234, 235, 236 Desportes, Ph. 125 De Sanctis, F. 24, 27, 28, 29, 31, 33, 50, 92, 156 Doglio, F. 217 Dolce, L. 149, 154, 166, 169, 178, 179, 182, 183, 189 Donatello 123 Domenichi, L. 12 Doni, A. 10, 11, 12, 14, 100, 169 Donne, J. 16 Doroneti, J. 228, 229 Dovizi, B. s. Bibbiena Dresler, A. 170 Drost, W. 224 Dublin, P. G. 236 Dujardin, B. 23 Du Tronchet, É. 169 Ebel, L. 223 Ebert, F. A. 227, 228, 235 Einem, H . von 176 Elzevir, J. 231
240
Namensverzeidinls
Englisdì, P. 19, 20 Este, Alfonso d' 60 Este, Isabella d' 25, 44, 50, 51, 55 Etaples, L. d' 127, 228 Eusebi, A. degli 8, 65, 127 Fabbretti, A. 234 Fabi, M. 27 Fanfani, P. 12 Farnese, P. L. 156, 221 Farnese, A. s. Paul III. Farnese, G. 219 Farri, G. 231, 233 Fassò, L. 17 Febvre, L. 17 Fechner, J.-U. 236 Fenton, G. 169 Ferdinand I. 130 Ferrerò, G. G. 168, 193, 236 Ferrari, G. de' 11, 169, 228, 229, 230, 234 Feuerbach, A. 13, 25 Firenzuola, A. 41, 98, 100 Fleming, A. 169 Flora, F. 194, 219, 220, 234 Fóffano, F. 155 Folengo, T. 85, 117, 152, 157, 159 Folena, G. 90 Fontaneto, G. da 144 Foschini, A. 89, 236 Franco, N . 5, 7, 9, 24, 98, 163, 182, 183 Franz I. 5, 50, 52, 53, 57, 59, 62, 65, 84, 173 Fraxi, P. s. Ashbee H . Spencer Freher, P. 21 Fresco, U. 69, 88, 200 Frey, D. 140 Fricke, G. 61 Friedrich, H . 107, 123 Fried, S. von 228 Fubini, M. 90, 160, 203 Fulwood 169 Fusco, D. 227 Gabrielli, T. dei 220 Gaddi, G. 180 Gaddi, N . de' 65 Gaeta, F. 54 Galenus 183 Galletti, A. G. C. 230 Gambara, V. 25
Gardani 8 Gargiulo, A. 93, 94 Gaspary, A. 33, 219 Gattinara, M. 171 Gauricus, L. 58, 59 Gauthiez, P. 31, 155 Gay, I. 2, 228 Gaye, G. 187 Gerber, A. 227 Getto, G. 37 Giberti, G. M. 2, 3, 4, 5, 55, 63, 69, 145, 165 Giordana, G. 182 Giorgione 142 Giovio, P. 43, 80, 168 Ginammi, M. 19, 136, 167, 193, 232, 233 Ginguené, P. L. 23, 24 Giulio Romano 2, 54 Glapthorne, H . 16 Gmelin, H . 189 Gnoli, D. 42 Göpfert, G. G. 61 Goethe, J. W. von 61, 210 Gòngora y Argote, L. de 125 Goselini, G. 220, 230 Gotendorf, A. N . 19 Gonzaga, E. 50 Gonzaga, A. 180 Gonzaga, Federico 44, 49, 50, 51, 52, 53, 56, 58, 60, 66, 80, 105, 144, 145, 146, 147, 151, 157, 180, 186 Gonzaga, Ferrante 146 Gonzaga, Fr. 50, 55 Gonzaga, S. 44 Göritz, J. von Luxemburg 47 Graf, A. 28, 30, 31, 51, 80, 170 Gracian, B. 125 Graesse, Th. 227, 228, 229, 232 Grasso, D. 82 Gergorovius, F. 15, 25, 26, 46 Grève, M. de 17 Grimm, H . 25, 26, 27 Gringoire, P. 127 Gritti, Andrea 58 Gritti, Aluigi 64 Gryphius, A. 10, 233 Guidobaldo II. s. Rovere Guicciardini, F. 27, 28, 51, 63, 64, 76 Guerrieri, V. 173, 174 Guglielminetti, M. 123
Namensverzeichnis Hadrian VI. 39, 42, 43, 46, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 55 Hartley, K. H. 207, 208 Hatzfeld, H. 125 Hauser, A. 179 Hayn, H. 19 Hempel, W. 159 Heine, H. 25 Heinrich II. 15 (franz. König) Herrick, M. T. 224 Hibbard, G. R. Hirzel, R. 93 Hocke, G. R. 125, 210 Holthusen, H. E. 170 Hooft, P. 229 Huizinga, J. 188 Ignatius von Loyola 16 Innamorati, G. 1, 11, 20, 24, 25, 36, 37, 39, 42, 69, 72, 73, 214, 226 Isabella v. Portugal 150 Janot, D. Janson, H. Jedin, H. Julius II. Julius III.
232 W. 183 50, 63 50, 184 13, 26, 51
Karl der Große 171 Karl III. 172 (Herzog v. Savoyen) Karl V. 4, 5, 9, 13, 14, 46, 49, 52, 57, 62, 84, 85, 107 139, 146, 166, 170, 171, 180 Karl VIII. 27 (franz. König) Karl Emanuel I. 122 (Herzog v. Savoyen) Kraus K. 61, 62 Kristeller, P. O. 235 La Bruyère, J. de 125, 207, 208 Landoni, T. 165, 167, 234 Lanson, G. 169 Lappoli, G. P. 181 Larivey, P. de 232 Lazarowicz, K. 61 Leblanc, P. 128 Le Clerc, J. V. 18 Lefèvre d'Etaples siehe Etaples Lehmann, P. 97 16
Höste
241
Leiner, W. 91 Lelio, A. 43 Leo, U. 153, 154, 155 Leo X. 15, 39, 40, 41, 43, 45, 49, 50, 51, 52, 55, 71, 74, 96, 179, 184 Leonardo da Vinci 177 Leopardi, G. 177 Lessing, G. E. 61, 124, 149 Leva, A. da 127 Leva, G. da 84 Levi, Eugenia 160 Levi, Eugenio 76 Levin, A. 23 Lewis, C. S. 9 Lichtenberg, G. Chr. 61 Liedstrand, F. 16 Lionardo, G. 6 Liscow, Chr. L. 61 Liseux, I. 95, 114 Livius, T. 217, 220 Loos, E. 8, 159 Lope de Vega 154 Lorenzini, A. 22 Lovati, Lovato dei 217 Lukas 106 (Evangelist) Lukian 94, 95, 191 Luther, M. 14 Luzio, A. 4, 28, 29, 30, 36, 43, 50, 57, 58, 59, 60, 65, 80, 82, 101, 106, 144, 147, 219, 228, 236 Macarone, N. 71 Macchia, G. 4 Machiavelli, N. 15, 16, 27, 28, 51, 54, 69, 70, 76, 79, 103, 104, 124, 168, 169 Maier, B. 179 Malatesta, G. I. 105, 144 Manuzio, A. 15 Manuzio, Aldo il Giovane 169, 233 Manuzio, Antonio 169, 233 Manuzio, P. 169, 233 Manzoni, A. 224 Mapes, W. 188 Maraviglia, A. 62, 63 Marcolini, F. 115, 136, 150, 151, 161, 166, 167, 228, 229, 231, 232 233, 235 Marcuse, L. 31 Marguerite 127 (Königin von Navarra)
242
Namensverzeichnis
Mari, G. 31, 32 Marino, G. B. 39, 122, 123, 125 Mariano, f r a 30, 43, 51, 111 Marot, C. 126, 127 Martelli, N . 11, 116 Matremia non vole 42 Matteo il Maestro 167, 234 Maurer, K. 210 Mauriac, F. 9 Mauro, G. 4, 5, 6, 7, 9 Mayer, A. L. 179 Mazzuchelli, G. 2, 10, 16, 20, 22, 23, 24, 25, 173, 174, 236 Mazzocchi, G. 43 Mercati, A. 7 Medici, Alessandro de' 4, 146, 172, 182 Medici, Casio de' 72 Medici, Caterina de' 15, 84, 149, 150 Medici, Cosimo de' 66, 172, 173 Medici, Giovanni dalle Bande Nere 50, 53, 54, 57, 66, 104, 164, 167, 172, 173, 181 Medici, Giulio de' s. Clemens VII. Medici, Lorenzino de' 182 Melagrano, G. A. del s. Wolfe J. Menéndez y Pelayo, M. 18 Mercati, A. 7 Mersenne, M. 16, 20 Meun, J. de 113 Michel, P. H . 37 Michelangelo 25, 34, 107, 125, 169, 177, 178, 184, 185, 186, 187, 199 Middleton, Th. 16 Migliorini, B. 102, 108 Milanesi, C. 53 Moccia, B. 139 Moisè, F. 53 Moland, L. 207 Molza, F. M. 15, 72, 89 Molière 207, 208 Momigliano, A. 108 Morgante 53 Montaigne, M. de 17, 20 Monte del s. Julius III. Montese, F. 172 Montemerlo, G. S. 11 Muzio, G. 13 Nashe, T. 16, 17 Navò, C. 161, 228 Neri, F. 220
Nestle, E. 117 Neubert, F. 8 Nicolini, F. 35, 115, 166, 167, 232, 233, 234 Novati, F. 28, 96 Ochino, B. 83 Ortolani, S. 197 Pagan, M. 162 Pallavicino, F. 5, 19, 20, 131 Panofsky, E. 176 Papini, G. 9, 185 Parenti, M. 7, 90 Paratesi, N . Galli de' 219 Parini, G. 37 Parodi, T. 88, 220 Pascal, B. 125 Pastor, L. von 219 Pasquier, E. 169 Pasquino 40, 42, 45, 46, 51, 52, 55, 72 Paul III. 6, 14, 46, 58, 85, 218, 219, 220, 221 Paul IV. 13, 14, 83, 218 Pèrcopo, E. 31 Perionius, J. 10 Pertile, F. 2, 199, 226, 229 Perugino, L. 227, 228 Pescara, Marchesa di s. Colonna, V. Petersen, J. 149 Petrarca, F. 9, 36, 37, 46, 71, 100, 148, 151, 181, 189 Petrocchi, G. 95, 43, 187, 194, 226, 236 Philipp II. 171 Piccardo, P. 58 Piccolomini, A. 198 Pichois, C. 24 Pighi, G. B. 5 Pirandello, L. 211, 224 Platon 93, 94 Plautus 79, 198, 205, 211 Plinius, d. A. 185 Plinius d. J. 184 Poliziano, A. 217 Ponchiroli, D. 100 Prato, M. 41 Praz, M. 15, 16 Prezzolini, 91 Pulci, L. 152, 160
Namensverzeidinis Quevedo y Villegas, F. de
154
Rabelais, F. 17, 160 Radaeli, A. 57 R a f f a e l 43, 55, 179 Raimondi, E. 54 Raimondi, M. 2, 54 Rangone, G. 180, 181 Regler, G. 23 Régnier, M. 18 Rehm, W. 177 Reinhardtstöttner, K. von 200 Renda, U. 117 Renier, R. 28, 50 Reusdi, H. 14, 15 Rheinfelder, H . 96 Ricci, P. 7 Ricottini Marsili-Libelli, G. 13 Ridolfi, N. 155 Rigutini, O. 71 Robusti, J. s. Tintoretto Roeder, R. 236 Romagnoli, G. 235 Rossi, V. 36, 39, 40, 43, 44, 47, 48, 219, 235 Rovere, F. M. della 170, 171 Rovere, Guidobaldo II. 12 Roversi, R. 90, 99 Ruscelli, G. 161 Ruth, E. 25 Russo, L. 27, 70, 79, 104, 236 Ruzante 161 Sabbio, N. da 229 Sade, D. marquis de 24 Sadoleto, I. 168 Sales, F. de 125, 126 Salisbury, J . von 188 Salviati, M. 172 Salza, A. 32, 87 Sampietro, E. R. 89, 114 Sander, M. 2 Sanesi, I. 209 Sanga, G. B. 3 Sannazaro, J . 143 Sansovino, I. 175 Sanseverino, F. 66, 163 Sanudo, M. 42 Sapegno, N . 124 Saxl, F. 175, 176 Saugrain, A. 232 Sborselli, G. 66, 147, 156, 235 16*
243
Scala, C. della 217 Scroffa, C. 157 Sebastiano del Piombo 165, 175, 185 Segre, C. 92, 100, 124 Semerau, A. 231 Seneca 217 Serafino von Aquila 37, 38 Serena, A. 122, 123, 150, 151, 152, 201 Serena, G. 150 Seroni, A. 41 Sessa, M. 231 Settembrini, L. 23 Sforza, F. 62 Sforza, I. 82 Sicardi, E. 7 Silenzi, R . und F. 42 Simiani, C. 7 Sinigaglia, G. 31 Sirena, G. 7 Skilton, Ch. 2 Sozzi, B. T. 108 Spagnoletto, G. 37 Spatola, A. 108 Spingarn, J . E. 32 Spini, G. 46 Spira, F. 7, 9 Spitzel, T. 20 Spitzer, L. 156 Stampa, M. 151, 180 Stella, A. P. 91, 97, 101 Stiefel, A. L. 220 Stocchi, E. 221 Stone, J. und I. 186 Swift, J. 61 Sylvester, J . 16 Schneegans, H. 159 Schenda, R. 57 Schiller, Fr. 61 Sdiillmann, F. 26 Schio, G. 5, 145 Schlegel, F. 61 Schleiermacher, F. 30 Schönberg (Schömberg), N . 5, 63 Tansillo, L. 229 Tasso, B. 24, 72, 163, 164 Tasso, T. 24, 73, 93, 125 Tassoni, A. 159 Tebaldeo, B. 167 Terenz 196, 200, 204, 211 Tetel, M. 160
Namensverzeichnis
244
Tietze, H . 175, 183 Tintoretto (I. Robusti) 178, 179 Tiraboschi, G. 22 Tissoni, R. 203, 208 Tita siehe Bonci Tizian 8, 28, 34, 140, 142, 152, 166, 172, 175, 176, 177, 178, 179, 183, 185 Tizio, S. 43 Toffanin, G. 85, 126 Tolemeo, C. 164, 169 Tollemadie, F. 102 Tonelli, L. 206 Toscanini, W. 2 Trechsel, M. und G. 9, 127, 232 Trevet, N . 217 Trissino, G. G. 41, 218, 221 Ursino, F.
52
Valle, G. 217 Varchi, B. 83 Varese, C. 131 Vasari, G. 12, 176, 198, 199 Vasto, Marchese del s. Avalos, A. d' Vasto, Marchesa del s. Avalos, M. d' Vauzelles, J. de 9, 127, 131, 232, 233 Vecelli, A. 234 Veniero, L. 67, 101, 114, 157, 182 Venturi, L. 177, 199
Vesalius, A. 150, 183 Vicentino, L. 227, 228 Vida, M. G. 143 Virgil 146, 147 Virgili, A. 5, 49 Vitale, M. 108 Vitali, B. de 228 Vitry, P. de 188 Volta, A. della 2, 7, 69, 228 Vofiler, K. 6, 32, 33, 34, 89, 183, 217, 224 Wais, K. 224 Waltz, A. P. 141 Wandruszka, M. 62 Wart, J. 20 Weise, G. 124, 125, 126 Weisbach, W. 123 Wildbolz, R. 94 Winkler, J. 47 Wolfe, J. 15, 89, 112, 193, 229, 231 Wolff, M. J. 216 Wyatt, T. 9 Xuaresius, F.
19
Zatta, A. 5 Zatti, B. 54 Zilsel, E. 179 Zonta, G. 91 Zopino (Zoppino), N .
36, 94, 235
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Zeitschrift für vergleichende Literaturwissenschaft
Unter diesem Titel erscheint ab 1966 ein neues Fadiorgan für Komparatistik. Ohne die Aufgaben der Erforschung der Nationalliteraturen in Frage stellen zu wollen, bekennen sich seine Herausgeber zu Goethes Idee der Weltliteratur und zu Friedrich Schlegels Wort: »Wenn die nationeilen Teile der modernen Poesie aus ihrem Zusammenhang gerissen und als einzelne für sich bestehende Ganze betrachtet werden, so sind sie unerklärlich. Sie bekommen erst durcheinander Haltung und Bedeutung." A R C A D I A nimmt die seit 1 9 1 0 unterbrodiene Tradition der Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur wieder auf und läßt alle komparatistisdien Methoden der Gegenwart zu Worte kommen. Sie pflegt auch solche Gebiete, die in der internationalen Komparatistik und in den national gebundenen Disziplinen am Rande stehen, so etwa die Rezeption der klassischen und orientalischen Literaturen des Altertums in den europäischen Nationalliteraturen, besonders auch während des Mittelalters, Wesen und Geschichte des europäischen Humanismus, die Wechselwirkungen zwischen den slawischen und den westlichen sowie zwischen den europäischen und den. afro-asiatischen Literaturen, literaturvergleichende Fragestellungen der Volkskunde, Theorie und Geschichte des Ubersetzens, die Probleme einer .Weltliteratur', der übernationalen Gattungen, der Rhetorik, der literarischen .Konstanten' und Topoi usw. A R C A D I A ist eine spezifisch literarhistorische und literaturwissenschaftliche Zeitschrift; sie meidet alle ahistorischen, nur auf Vermutung beruhenden ,Parallelen', die dem Ruf der Komparatistik schaden könnten.
wird von Horst Rüdiger (Bonn) unter Mitwirkung von Roger Bauer (Saarbrücken-Straßburg), Erik Lunding (Aarhus) und Oskar Seidlin (Columbus, Ohio) herausgegeben. Die Beiträge erscheinen in deutscher, englischer oder französischer Sprache. ARCADIA
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Walter de Gruyter & Co • Berlin 30