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German Pages [492] Year 1997
Daniel, Physik I
Η. Daniel
Physik I Mechanik - Wellen - Wärme
W DE
G
Walter de Gruyter Berlin · New York 1997
Prof. Dr. Η. Daniel Physik-Department, Ε 18 Fakultät für Physik Technische Universität München James-Franck-Straße 85748 Garching
Das Buch enthält 308 Abbildungen und 45 Tabellen.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme
Daniel, Herbert: Physik / H. Daniel. - Berlin : de Grayter. I. Mechanik, Wellen, Warme. - 1997 ISBN 3-11-010231-5 brosch. ISBN 3-11-015602-4 Gb.
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. lede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren und Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Satz, Druck und buchbinderische Verarbeitung: Druckhaus Thomas Müntzer GmbH, Bad Langensalza — Reproduktion der Abbildungen: drackpunkt, Berlin — Umschlagentwurf: Hansbemd Lindemann, Berlin Printed in Germany
Vorwort
Dieses Buch ist der erste Band eines insgesamt auf vier Bände angelegten Lehrbuchs über Physik. Das Lehrbuch sollte in etwa den Stoff des Grundkurses Physik überdekken, wie er an den meisten Hochschulen im deutschsprachigen Raum abgehalten wird. Darüberhinaus behandelt es einige Themen, die erst im Hauptstudium zur Sprache kommen werden; ferner enthält es Tabellenmaterial, das in der Vorlesung abschreckend wirken würde, aber zum Nachschlagen bei der praktischen Arbeit vielleicht von Nutzen ist. Es wendet sich vor allem an Studierende mit dem Studienziel Diplom in Physik, aber auch an Lehramtskandidaten; wenn es sich im späteren Beruf als Einführung in ein neues Gebiet, als Erinnerungshilfe und auch als Nachschlagewerk brauchbar erweisen sollte, würde mir das eine besondere Freude bereiten. Grundlage der Physik, wie sie hier dargestellt wird, ist das Experiment. Ich habe mich bemüht, den Leser durch zahlreiche Abbildungen von Meßkurven, Apparaturen und Geräten, darunter viele Photos, immer wieder auf diese unsere Erkenntnisquelle hinzuführen. Damit experimentelle Ergebnisse mehr sind als bloße Sammlungen von Ereignisdaten und Zahlen, braucht man eine Ordnung. Sie wird von der Theorie geliefert. Die dieser Ordnung unterliegenden Vorstellungen und Gedanken gehören ebenfalls zu dem Stoff, der im Grundkurs gebracht wird. Ich habe deshalb den Titel dieses Lehrbuchs nicht „Experimentalphysik", sondern „Physik" genannt; daneben besteht natürlich die Notwendigkeit, die Theorie weiterführend und vertiefend zu betreiben, was Anspruch und Aufgabe der Theoretischen Physik ist. Physik ist, wie jede exakte Naturwissenschaft und die ihr verwandte Mathematik, ihrem Wesen nach unhistorisch. Es zählt, was ist, und primär nicht, wie es dazu kam. „Geschichte der Physik" ist mehr Geschichte als Physik — so interessant sie für uns Physiker und so notwendig sie im allgemeinen Sinne auch ist. Geschichtliche Entwicklungen finden sich in diesem Buch nur spärlich eingestreut. Trotzdem habe ich viele historische Daten platzsparend mit aufgeführt, vor allem biographische, wenn die betreffenden Namen sich in physikalischen Gesetzen wiederfinden. Das geschah, um demjenigen, der das mag, diesen bequemen Weg zu einer gewissen Bildung im Umkreis seines Faches zu öffnen; Analoges gilt für die philologische Erklärung von Fachfremdwörtern. Physik ist, neben der Chemie, die Hauptgrundlage unserer Technik. Jemandem, der an einer technischen Universität wirkt, möge man es nachsehen, wenn die Technik in diesem Buch vielleicht etwas mehr betont wird als in manchen anderen Physikbüchern. Physik ist jedoch mehr als eine Wissenschaft von der unbelebten Natur und eine Grundlage der Technik, von der wir schließlich leben. Sie ist, ebenso wie die Technik, ein wesentliches Stück unserer Kultur. Sie darf zu Recht Bildungsanspruch erheben. Wir haben eine Kultur; die These von den zwei Kulturen, einer naturwissenschaftlichen und einer geisteswissenschaftlichen, halte ich für grundfalsch. Es sollte sich niemand gebildet nennen dürfen, der Unbestimmtheit und Indeterminiertheit
VI
Vorwort
nicht auseinanderhalten kann oder bei Abweichungen von der Größe des mittleren Fehlers auf Diskrepanzen schließt. Das Gesamtwerk folgt der vorherrschenden Aufteilung des Stoffes auf die Semester. Die einfachere Wärmelehre wird dabei von der komplizierteren Wärmelehre oder Thermodynamik und vor allem von der statistischen Mechanik getrennt. Das habe ich schweren Herzens in Kauf genommen. Grundlage des vorliegenden Bandes und zum mindesten der beiden folgenden Bände sind Vorlesungen, wie sie seit langem in ähnlicher Form, natürlich ständig auf neuen Stand gebracht, an der Technischen Universität München gehalten wurden. Vieles, vor allem bei den Experimenten, beruht auf Arbeiten von Kollegen; man kann das nicht aufteilen, es sei hier aber gebührend erwähnt. Mit unendlicher Geduld unterstützt hat mich meine Frau Gisela Daniel, die als Diplomingenieurin für physikalische Technik alles kritisch durchgelesen hat; ihr sei hierfür — und für das Opfer, das solche „Nebentätigkeit" von der Familie fordert — von ganzem Herzen gedankt. Prof. Dr. F. Heckelt, der ebenfalls das Manuskript unter die Lupe genommen hat, hat sich außerordentliche Verdienste vor allem bei der Ausmerzung von Fehlern erworben. Die Fehler, die das Werk noch enthält, gehen selbstverständlich ganz auf mein Konto. Herr P. Stoeckel fertigte die Zeichnungen an und war die Hauptkraft bei den photographischen Aufnahmen der Experimente. Frau J. Winzer investierte als Sekretärin viel, sehr viel Arbeit. Dr. E. Hechtl half bei den Aufnahmen mit und war beim Zusammentragen des Materials hilfreich. Mit großer Geduld hat Herr J. Kressierer die Demonstrationsversuche extra für die Photos aufgebaut. Ihnen allen sei mehr gedankt, als ich es hier ausdrücken kann. Danken möchte ich aber auch meinen Studenten, die mich durch Zwischenfragen während der Vorlesung auf Schwachstellen in der Argumentation oder der Darstellung aufmerksam gemacht haben, und ebenso meinen Mitarbeitern und Kollegen, die meine Absorption durch das Buch hinnehmen mußten. Den Firmen und Institutionen, die mir Abbildungen zur Verfügung gestellt haben, meist unentgeltlich, schulde ich Dank. Großer Dank gebührt dem Verlag, und hier besonders Dr. R. Weber, aber auch Frau G. £aglayan und Frau I. Ullrich für Unterstützung und große, sehr große Geduld; Frau Dipl.-Phys. D. Streubel hat sich bedeutende Verdienste durch ihr sorgfältiges Lektorieren erworben. Zum Schluß eine technische Bemerkung: Römische Ziffern vor der Nummer von Gleichungen, Abschnitten usw. weisen auf den Band hin, in dem das Betreffende steht; Angaben ohne römische Ziffern beziehen sich auf denselben Band. Garching, im Dezember 1996
H. Daniel
Inhaltsübersicht der Bände I—IV
Band I 1 1.1 1.2 1.3
Einführung Physikalische Naturbeschreibung Die Welt, in der wir leben Wechselwirkungen, Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze
2 2.1 2.2 2.3
Kinematik Bahn und Bahnbeschreibung Geschwindigkeit Beschleunigung
3 3.1 3.2 3.3
Kraft, Arbeit und Potential Die Newtonschen Axiome Träge und schwere Masse Energie
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Impuls und Drehimpuls Impuls Drehmoment, Drehimpuls und Rotationsenergie bei einem Massenpunkt Drehmoment, Drehimpuls und Rotationsenergie bei einem System Eindeutigkeit von Messung und Vorhersage
5 5.1 5.2
Bewegte Bezugssysteme Unbeschleunigte Systeme Beschleunigte Systeme
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Mechanik nichtstarrer Materie Elastische und nichtelastische Verformungen fester Materie Reibung Ruhende Flüssigkeiten und Gase Intermolekulare Kräfte in Flüssigkeiten Bewegte Flüssigkeiten und Gase Viskose Flüssigkeiten
7 7.1 7.2 7.3
Mechanische Schwingungen und Wellen Mechanische Schwingungen Grundlagen der Wellenlehre Stehende Wellen und Eigenschwingungen
VIII
Inhaltsübersicht
7.4 7.5
Wellenarten und Wellenausbreitung Interferenz und Huyghenssches Prinzip
7.6
Spezielles über Schall und Ultraschall und über Schallwellen in der Geophysik
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Wärmelehre Temperatur, Wärme und ideales Gas Thermische Zustandsänderungen idealer Gase Barometrische Höhenformel Mehrphasige Systeme und reale Gase Die drei Hauptsätze
Band II 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Elektrostatik Elektrische Ladung Coulombsches Gesetz und elektrisches Feld Gaußscher Satz Kapazität Leiter im elektrischen Feld Energie des elektrischen Feldes Isolatoren im elektrischen Feld
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13
Elektrischer Strom und Magnetismus Strom als Ladungstransport Elektrochemie Austrittsarbeit und resultierende Spannung Grundtatsachen des Magnetismus Magnetische Kräfte und Felder bei stromführenden Leitern Induktion Materie im Magnetfeld Ferrimagnetismus und Antiferromagnetismus Magnetfeld mit Materie Supraleitung Analyse von Netzwerken Wechselstrom und elektrische Schwingungen Verstärkung von Wechselspannungen und Wechselströmen
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
Maxwellsche Gleichungen und elektromagnetische Wellen Maxwellsche Gleichungen Elektromagnetische Wellen Telegraphengleichung Dämpfung elektromagnetischer Wellen in Leitern Poynting-Vektor und Energie- und Impulsfluß Hertzscher Dipol und Bremsstrahlung Streuung elektromagnetischer Strahlung an Atomen Ableitung einfacher wichtiger Gesetze aus den Maxwellschen Gleichungen
Inhaltsübersicht 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Relativistische Physik Nichtrelativistische Erwartungen und Michelson-Versuch Unmittelbare Folgerungen aus dem Michelson-Versuch Eigenzeit, Masse und Energie Die Relativitätstheorien und ihre experimentelle Überprüfung Lorentz-Transformationen des elektromagnetischen Feldes und Lorentz-Kraft Relativistische Mechanik in elektromagnetischen Feldern Beschleuniger und Speicherringe Relativistische Effekte bei elektromagnetischen Wellen
Band III 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8
Geometrische Optik Wellennatur des Lichts und geometrische Optik Einige Grundtatsachen der Lichtausbreitung Fermatsches Prinzip Brechende und spiegelnde Kugelflächen Abbildungsfehler und Abbildungsbegrenzung Zonenlinsen, Zylinderlinsen und Zylinderspiegel Abbildende optische Instrumente Visuelle optische Instrumente
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10
Wellenoptik Intensität und Kohärenz Interferometer Beugung von Licht Beugung von Röntgenstrahlen Auflösung Holographie Polarisation und Doppelbrechung Erzeugung und Nachweis polarisierten Lichts Brechzahl und Dispersion Photometrie und Kolorimetrie
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Thermodynamik Gas in statistischer Beschreibung Mehrstoffsysteme Direkte Konsequenzen der drei Hauptsätze Maschinen und Apparaturen zur Umwandlung von Arbeit und Wärme Entropie und Wahrscheinlichkeit Transportphänomene
4 4.1 4.2 4.3
Einführung in die Quantenphysik Quantencharakter elektromagnetischer Strahlung Wellencharakter von Materie Grundzüge der Quantenmechanik
IX
X
Inhaltsübersicht
Band IV 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Atome Einfache gebundene Zustände Bahndrehimpuls, Spin und magnetisches Moment Mehrteilchensysteme Wechselwirkung zwischen Atomen und elektromagnetischen Feldern
2 2.1 2.2
Zusammengesetzte Moleküle und chemische Bindung Zweiatomige Moleküle Mehratomige Moleküle
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Festkörperphysik Aufbau des Festkörpers Gitterschwingungen Bandstruktur Modellmäßige Betrachtung der Supraleitung
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Kernphysik Aufbau der Atomkerne Radioaktivität Streuung von Teilchen- und Quantenstrahlung an Atomkernen Kernkräfte und Kernmodelle Kernreaktionen Durchgang ionisierender Strahlung durch Materie
5 5.1 5.2 5.3
Teilchenphysik Teilchenzerfall infolge schwacher Wechselwirkung Starke Wechselwirkung: Innere Parität des π-Mesons, Hyperkerne und Teilchenresonanzen Quarks und Quarkstruktur von Teilchen
6 6.1 6.2
Altersbestimmungen und Kosmologie Altersbestimmungen Kosmologie
Inhalt
1
Einführung
1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6
Physikalische Naturbeschreibung Außenwelt, Sinne und Bewußtsein Wissenschaft Physik Physikalische Gesetze Physikalische Messungen Einteilung der Physik
1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3
Die Welt, in der wir leben Welt und Naturgesetze der Welt Aufbau der Welt Alter der Welt
8 8 10 13
1.3 1.3.1 1.3.2
Wechselwirkungen, Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze Wechselwirkungen Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze
14 14 17
2
Kinematik
2.1 2.1.1 2.1.2
Bahn und Bahnbeschreibung Bewegung Bahn
23 23 23
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5
Geschwindigkeit Durchschnittliche Geschwindigkeit Momentane Geschwindigkeit Geradlinige gleichförmige Bewegung Messung von Geschwindigkeiten Addition von Geschwindigkeiten
28 28 29 30 31 35
2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6
Beschleunigung Definition der Beschleunigung Zusammensetzung und Zerlegung von Beschleunigungen Gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung Gleichförmig beschleunigte Bewegung Gleichförmige Kreisbewegung Harmonische Schwingung
36 36 37 39 42 44 46
3 3 4 5 5 5 7
XII
Inhalt
3
Kraft, Arbeit und Potential
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3
Die Newtonschen Axiome Dynamik, Trägheit und Newtonsche Mechanik Die beiden ersten Newtonschen Axiome Das dritte Newtonsche Axiom
51 51 51 57
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
Träge und schwere Masse Messung von Kraft und träger Masse Gravitation und schwere Masse Die Keplerschen Gesetze
58 58 62 69
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7
Energie Historisches und Allgemeines Arbeit und Energie Gravitationspotential von Kugelschale und Kugel Gezeiten Äquipotentialflächen und Gradient Gleichgewicht und Prinzip der virtuellen Arbeit Leistung
4
Impuls und Drehimpuls
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
Impuls Präzisierung und Erweiterung des Reaktionsprinzips Impulserhaltung bei inneren Kräften Schwerpunkt und Schwerpunktsatz Stoßprozesse im Laborsystem Stoßprozesse im Schwerpunktsystem
109 109 111 112 119 127
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Drehmoment, Drehimpuls und Rotationsenergie bei einem Massenpunkt Drehmoment und Drehimpuls eines Massenpunkts Rutherford-Streuung Halbklassische Behandlung des Wasserstoffatoms Drehimpuls eines Massenpunktes um eine vorgegebene Achse
131 131 133 136 137
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6
Drehmoment, Drehimpuls und Rotationsenergie bei einem System Drehimpuls und Drehmoment für ein System Drehimpuls starrer Körper und Trägheitsmoment Steinerscher Satz und Hauptträgheitsachsen Reduzierte Pendellänge und Reversionspendel Der momentefreie Kreisel Kreisel unter Drehmoment
138 138 143 148 155 157 159
4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3
Eindeutigkeit von Messung und Vorhersage Eindeutigkeit von Messungen Eindeutigkeit von Vorhersagen in der klassischen Mechanik Allgemeine Bemerkungen über Vorhersagbarkeit in der klassischen Physik
167 167 169 173
75 75 77 86 93 96 100 104
Inhalt
XIII
5
Bewegte Bezugssysteme
5.1 5.1.1 5.1.2
Unbeschleunigte Systeme Inertialsy steme Geradlinig gleichförmig bewegte Inertialsysteme
177 177 179
5.2 5.2.1 5.2.2
Beschleunigte Systeme Geradlinig beschleunigte Bezugssysteme Rotierende Bezugssysteme
180 180 180
6
Mechanik nichtstarrer Materie
6.1 6.1.1 6.1.2
Elastische und nichtelastische Verformungen fester Materie Elastische Dehnung, plastische Dehnung und Abriß Andere Verformungen
195 195 205
6.2 6.2.1 6.2.2
Reibung Klassifizierung und Modelle Reibungskraft bei äußerer Reibung
217 217 218
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3
Ruhende Flüssigkeiten und Gase Charakterisierung von Flüssigkeit und Gas Druck und Druckeinheiten Druck in Flüssigkeiten
221 221 223 225
6.4 6.4.1 6.4.2
Intermolekulare Kräfte in Flüssigkeiten Innere Kräfte und Oberflächenarbeit Adhäsion und Kohäsion
228 228 234
6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4
Bewegte Flüssigkeiten und Gase Nichtlineare Bewegungsgleichung Kontinuitätsgleichung Bernoullische Gleichung Auftrieb eines Flugzeugflügels
238 238 239 242 246
6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.6.5 6.6.6 6.6.7
Viskose Flüssigkeiten Innere Reibung Stromlinienbilder Reynolds-Zahl und Turbulenz Potentialströmung und Wirbel Grenzschicht Strömungswiderstand im Medium Widerstand in und auf Medium
249 249 255 260 261 272 274 276
7
Mechanische Schwingungen und Wellen
7.1 7.1.1
Mechanische Schwingungen Gedämpfter harmonischer Oszillator
281 281
XIV
Inhalt
7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6
Gütefaktor Erzwungene Schwingungen Gekoppelte Pendel Weiteres über gekoppelte Oszillatoren Fourier-Analyse
283 284 289 293 294
7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3
Grundlagen der Wellenlehre Seilwellen und Scherungswellen, Wellengleichung Reflexion von Wellen Sinusförmige Wellen
297 297 302 306
7.3 7.3.1 7.3.2
Stehende Wellen und Eigenschwingungen Entstehung stehender Wellen aus laufenden Wellen Eigenschwingungen
308 308 309
7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5
Wellenarten und Wellenausbreitung Longitudinale und transversale Wellen Wellenausbreitung in Ebene und Raum Doppler-Effekt Dispersion Stoßwellen
314 314 314 317 321 323
7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3
Interferenz und Huyghenssches Prinzip 324 Interferenz 324 Formulierung des Huyghensschen Prinzips 326 Anwendung des Huyghensschen Prinzips: Spiegelung, Brechung und Beugung 328
7.6 7.6.1 7.6.2 7.6.3
Spezielles über Schall und Ultraschall und über Schallwellen in der Geophysik 334 Schallsender und Schallempfänger 334 Ultraschall 338 Seismische Wellen und Impulse 340
8
Wärmelehre
8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6
Temperatur, Wärme und ideales Gas Temperatur und Wärme Thermische Ausdehnung und Thermometer Ideales Gas Qualitative mikroskopische Analyse des Gasdrucks Quantitative mikroskopische Analyse des Gasdrucks Wärmekapazität allgemein
8.2 8.2.1 8.2.2
Thermische Zustandsänderungen idealer Gase 359 Molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen 359 Verdrängungsarbeit und molare Wärmekapazität bei konstantem Druck.. 361
343 343 343 346 349 351 356
Inhalt
XV
8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.7
Verhältnis der molaren Wärmekapazitäten Isotherme Adiabate Polytrope Isochore und Isobare
363 365 368 371 373
8.3 8.3.1 8.3.2
Barometrische Höhenformel Ableitung der barometrischen Höhenformel Beispiele und Anwendungen für die barometrische Höhenformel
374 374 375
8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5 8.4.6
Mehrphasige Systeme und reale Gase Stoff und Phase Phasenübergänge Wärmetönungen bei Phasenübergängen Dampfdruck und Phasendiagramme Kräfte zwischen Gasmolekülen Reale Gase und van-der-Waalssche Zustandsgieichung
378 378 379 386 388 398 399
8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4 8.5.5 8.5.6 8.5.7
Die drei Hauptsätze Erster Hauptsatz Umkehrbare und nichtumkehrbare Prozesse Entropie, phänomenologisch Der Carnotsche Kreisprozeß des idealen Gases Zweiter Hauptsatz Gedankenexperimente zum zweiten Hauptsatz Dritter Hauptsatz
403 403 406 411 413 418 420 422
Anhang A A A A A A
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Anhang zu Kapitel 1 SI-Basiseinheiten Normalverteilung und Fehlerintegral χ2-Test Mittelwertbildung Anwendung des Linksgewindes
423 423 423 424 425 426
A A A A A A
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Anhang zu Kapitel 2 Vektoren und Differentialoperatoren Längeneinheiten Zeiteinheiten Vorsilben und ihre Bedeutung (international festgelegt) Zentripetalbeschleunigung
427 427 432 433 433 434
A3 Anhang zu Kapitel 3 435 A 3.1 Falsche Ausführung des in Abb. 3.1 gezeigten Versuchs zum Trägheitsprinzip 435 A 3.2 Naturkonstanten 435 A 3.3 Gezeitenkraftwerk St. Malo 438
XVI
Inhalt
A 3.4 Versuch zum Gleichgewicht an der Balkenwaage A 3.5 Einheiten für Arbeit (Energie) und Leistung
438 439
A 4 Anhang zu Kapitel 4 A 4.1 Ein weiteres Demonstrationsexperiment zur Kreiselpräzession
441 441
A 5 Anhang zu Kapitel 5 A 5.1 Der Badewannenstrudel
442 442
A 6 Anhang zu Kapitel 6 A 6.1 Zerreißfestigkeit von Werkstoffen
443 443
A 7 Anhang zu Kapitel 7 A 7.1 Schallgeschwindigkeiten in festen Körpern A 7.2 Schallgeschwindigkeiten in Flüssigkeiten
444 444 444
A A A A A
445 445 446 446 448
8 8.1 8.2 8.3 8.4
Anhang zu Kapitel 8 Koeffizienten der thermischen Ausdehnung Volumenbezogene Wärmekapazitäten Umwandlungsenthalpien und dazugehörende Daten Kritische Daten
Quellennachweis für Abbildungen
449
Häufig benutzte Symbole
451
Häufig gebrauchte Formeln
453
Konstanten der Mechanik und Wärmelehre
455
Wichtige Symbole und Einheiten
456
Verzeichnis der Tabellen
457
Register
459
Durchbruch des Menschen durch das Himmelsgewölbe und Erkenntnis neuer Sphären. Holzschnitt aus C. Flammarion, L'Atmosphere Meteorologie Populaire. Hachette, Paris 1888. Hersteller des Holzschnitts möglicherweise C. Flammarion. — Nach Angaben des Deutschen Museums München.
1
Einführung
1.1
Physikalische Naturbeschreibung
1.1.1
Außenwelt, Sinne und Bewußtsein
Fragen nach der Welt und der Stellung des Menschen in der Welt sind mindestens so alt wie die menschliche Geschichte, wahrscheinlich viel älter. Die Mehrheit der Philosophen unterscheidet zwischen einer Innenwelt, deren geistiger Sitz unser Bewußtsein ist, und einer Außenwelt, die außerhalb unseres Bewußtseins existiert. Mittler zwischen beiden Welten sind die Sinne, die dem Bewußtsein über den Zustand der Außenwelt Mitteilungen zukommen lassen. Unsere Sinneseindrücke sind teils mehr Gefühl, teils mehr gefühlsneutrale Übermittelung von „Tatsachen". Nicht alle Tatsacheneindrücke sind richtig. Abb. 1.1 zeigt den „Waterval" (Wasserfall) (1961) des
Abb. 1.1
Μ. E. Escher: Waterval.
4
1.1 Physikalische N a t u r b e s c h r e i b u n g
holländischen Künstlers M. Escher (1898—1972). Auf diesem Bild befindet sich das Wasser scheinbar in einem fortwährenden Kreislauf, der durch die Schwerkraft unterhalten wird: Das Wasser läuft ständig bergab. Wir haben es hier mit der Wiedergabe eines „Perpetuum mobile erster Art" zu tun, das es natürlich nicht gibt. Wir ziehen aus der Existenz der optischen Täuschungen und anderer Täuschungen unserer Sinnesorgane die Folgerung, uns, sofern wir Physik treiben wollen, von einer Naturbetrachtung etwa im Sinne Goethes abzuwenden und uns einer möglichst quantitativen Beschreibung zuzuwenden. Basis der quantitativen Naturbeschreibung ist das Messen. Ebenso unterlassen wir als Physiker Untersuchungen des Bewußtseins. Wir nutzen es jedoch und machen von ihm regen Gebrauch.
1.1.2
Wissenschaft
Die Wissenschaft versucht, wie oben ausgeführt, Gefühle und „Eindrücke" auszuschalten. Statt des Gefühls „heiß" fragt die Wissenschaft ζ. B. „wie heiß?". Die Antwort werden wir, soweit wir sie auf Erfahrung gründen wollen, durch eine Temperaturmessung erhalten. Naturwissenschaft ist jedoch mehr als Messen. Durch fleißiges Messen können wir bestenfalls eine Tatsachenkompilation erstellen. Solange wir uns auf reines Messen beschränken, ist keine Vorhersage möglich. Für eine Vorhersage brauchen wir eine Theorie, Theorie im weitesten Sinne des Wortes gemeint. Das Konzept der exakten Naturwissenschaften ist also im allgemeinen die Aufstellung einer auf den schon bekannten Tatsachen basierenden Theorie, die dann durch gezielte Experimente überprüft wird. Die Physik ist die exakte Naturwissenschaft par excellence. Die Physik hat also zwei Säulen: Experiment und Theorie. Die Frage, was von beiden wichtiger ist, ist ungefähr so sinnvoll wie die Frage, ob der Mann oder die Frau wichtiger ist. Der deutsche Philosoph I. Kant (1724—1804), den wir ausnahmsweise zitieren wollen, hat zu einem ähnlich gelagerten Komplex gesagt: Begriffe ohne Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. In den exakten Naturwissenschaften stellt man Naturgesetze auf, um eine Fülle von Tatsachen zu ordnen und zusammenzufassen sowie, vor allem, um Vorhersagen machen zu können, d. h. aus der Kenntnis des jetzigen Zustands neue (jetzt schon vorhandene oder sich in der Zukunft einstellende) Tatsachen erschließen zu können. Nach der mehrheitlich akzeptierten Anschauung über die Rolle von Theorie und Experiment, die auf den Philosophen (Sir) Karl Popper (1902—1994) zurückgeht, ist die Prüfung eines Naturgesetzes, natürlich vorausgesetzt, daß es in sich und in seiner Theorie widerspruchsfrei ist, ausschließlich Sache des Experiments. Dabei kann ein Experiment ein Naturgesetz oder eine Theorie nie „bestätigen", sondern nur entweder damit in Übereinstimmung sein oder nicht; mit anderen Worten: • Naturgesetze oder Theorien sind nicht verifizierbar, sondern nur falsifizierbar. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, daß die Experimente ,.richtig" sind, d. h. daß sich keine echten Meßfehler eingeschlichen haben (sogenannte „statistische Fehler" sind in Wirklichkeit keine Meßfehler, sondern Schwankungen, und ihre Bestimmung und Interpretation ist nicht immer einfach).
1.1.5 Physikalische M e s s u n g e n
5
Jeder Gedankengang in der Theorie muß durch andere, natürlich für dieses Gebiet kompetente Wissenschaftler nachvollziehbar sein. Ebenso muß jede Messung durch andere ebenfalls kompetente Wissenschaftler reproduzierbar sein. Über gewisse gedankliche Schwierigkeiten, die sich dadurch für „einmalige" Prozesse ergeben, etwa in der Kosmologie, wollen wir hier hinweggehen. 1.1.3
Physik
Physik ist, wie schon ausgeführt, die exakteste der Naturwissenschaften; evtl. wäre die Astronomie auf etwa gleichen Rang zu stellen. Mathematik hingegen, obwohl mit Physik und Astronomie durch Geschichte und Anwendung eng verbunden, ist eine reine Geisteswissenschaft. Von Alters her mißt man der Physik die Aufgabe zu, Körper und Felder (ζ. B. elektromagnetische Wellen) ohne wesentliche Änderungen in der Zusammensetzung aus den chemischen Elementen zu behandeln. Die Chemie hingegen beschreibt gerade diese Änderungen. Zieht man Biophysik und Biochemie ab, so beschäftigen sich Physik und Chemie hauptsächlich mit unbelebter Materie, obgleich die Naturgesetze auch für lebende Materie gelten müssen. Die Eigentümlichkeiten des Lebens, jedenfalls sofern nicht speziell das Bewußtsein betrachtet wird, sind das Privileg der Biologie im weiteren Sinne. Beispielsweise sind die Lichtwellen und -quanten sowie die Lichtbrechung in der Augenlinse Gegenstände der Physik. Die Farbempfindungen, die uns das Auge vermittelt, fallen aus der Physik heraus und gehören in die Physiologie und evtl. auch Psychologie. 1.1.4
Physikalische Gesetze
Betrachten wir physikalische Gesetze näher, so stellen wir fest, daß sie fast immer die Form einer mathematischen Gleichung haben. In seltenen Fällen liegt eine Ungleichung vor (ζ. B. Zunahme der Entropie S, s. Abschn. 8.5.5, bei nichtumkehrbaren Prozessen in abgeschlossenen Systemen: AS > 0). Fast nie werden Naturgesetze verbal formuliert, außer in Schlagworten wie „Erhaltung der Energie" oder „Zeitumkehrinvarianz". Physikalische Gesetze sind meist simplifiziert. So wird in vielen Gebieten der Mechanik die Reibung vollständig vernachlässigt, obgleich sie praktisch immer eine gewisse Rolle spielt. Im Rahmen ihrer Simplifikation müssen physikalische Gesetze immer gelten. •
Ein einziges richtiges Experiment ist imstande, die schönste Theorie zu widerlegen.
Im besten Fall muß dann das Gesetz modifiziert oder sein Geltungsbereich eingeschränkt werden. 1.1.5
Physikalische M e s s u n g e n
Bei den meisten physikalischen Messungen stellen wir empirisch fest, wie groß das Verhältnis der zu messenden Größe zur Einheit (gültig für diese Art von Messung) ist. Zum Beispiel sei die Länge l eines Menschen dividiert durch die hierfür gültige
6
1.1 Physikalische N a t u r b e s c h r e i b u n g
Einheit, das Meter, / / m = 1,8. Die Länge ist also / = 1,8 m. Das Ergebnis ist hier (und generell in den meisten Fällen) das Produkt aus einer Zahl, der Maßzahl (hier: 1,8) und einer Einheit (hier: m). Da l eine Länge ist, hat das Ergebnis die Dimension Länge. Mit dem Meter als Einheit können wir nicht alles erfassen. Die elektrische Ladung zum Beispiel ist auf keinerlei Weise in Metern auszudrücken. In der Physik hat man sich auf sieben Grundeinheiten (auch Basiseinheiten genannt) geeinigt; außerdem gibt es abgeleitete Einheiten. Das so aufgebaute Maßsystem ist das Internationale Einheitensystem, abgekürzt SI (von franz. Systeme international des unites), das in Deutschland (und den meisten Ländern der Erde) Grundlage des gesetzlichen Maßsystems ist. Die entsprechenden Einheiten heißen SI-Einheiten. Die sieben Grundeinheiten des Internationalen Systems sind das Meter für die Länge, das Kilogramm für die Masse, die Sekunde für die Zeit, das Ampere für den elektrischen Strom, das Kelvin für die thermodynamische Temperatur, das Mol für die Stoffmenge und die Candela für die Lichtstärke. Wir werden sie später im einzelnen kennenlernen; in Anhang A l . l sind sie zusammengestellt. Beim Messen sollte man seine „Sinne" möglichst ausschalten. Sofern die Messung nicht automatisiert ist, sollte man nur solche Tätigkeiten ausüben, die gefühlsneutral sind, ζ. B. eine Zahl ablesen. Das heißt allerdings nicht, daß man seine Apparatur nicht mit Auge, Ohr und Nase überwacht, um Schäden, ζ. B. einen elektrischen Kurzschluß, möglichst früh zu erkennen. Fast alle physikalischen Messungen sind mit einem bestimmten Fehler behaftet. Meist gibt es eine ganze Reihe von Fehlerquellen. Instrumentelle Unzulänglichkeiten verursachen ebenso Fehler wie Prozesse, die ihrer Natur nach statistischen Schwankungen unterliegen, wie radioaktiver Zerfall. In Ausnahmefällen führt die Interpretation einer Messung mit Hilfe einer gesicherten Theorie zu einem Ergebnis, das nicht fehlerbehaftet ist. So kann der Drehimpuls eines Elektrons in einem Atom ζ. B. Hl2, 3/z/2, 5H/2, usw. sein, nicht aber ζ. B. 0,4h\ h ist dabei die durch 2π geteilte Planck-Konstante h, benannt nach dem Begründer der Quantentheorie (1900), dem deutschen Physiker Max Planck (1858-1947). Mißt man einen Wert, der bei 0,4/z liegt, aber Werte größer als 0,6Η schon vollkommen ausschließt, so kann man sagen, daß man den Drehimpuls zu 0,5h = h/2 fehlerfrei gemessen hat. In fast allen Fällen haben wir es jedoch mit Messungen zu tun, die einen gewissen kontinuierlichen Bereich von Werten zulassen. Wir geben dann meist den sogenannten Bestwert und einen gewissen Fehler an, etwa für die Größe eines Menschen / = 1,800 ± 0,009 m. Eigentlich müßten wir (1,800 ± 0,009) m schreiben, die Klammern werden aber meistens fortgelassen. Im obigen Beispiel ist 1,800 m der Bestwert und 0,009 m der (in diesem Fall „symmetrische") Fehler. Meßwerte ohne Fehlerangabe sind häufig so zu verstehen, daß die letzte angegebene Ziffer (Stelle) unsicher ist. Näheres über Fehlerrechnung und verwandte Gebiete findet sich im Anhang Al. Hier nur so viel: Fehler sind häufig, aber nicht immer gemäß der Gaußschen Fehlerkurve (nach dem deutschen Mathematiker C. F. Gauß, 1777—1855) oder Normalverteilung (1795) y = / M
1
=
)2
e
~
(
i
.
i
)
1.1.6 Einteilung der Physik
7
1.0
α 0.8
= 1.5 σ = 0.5 Q
0.6
0.2
— 0.0
Abb. 1.2
/ 0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
χ
Normalverteilung oder Gaußsche Fehlerkurve, Gl. (1.1), für a = 1,5
verteilt, wobei α der Bestwert von χ ist und a die Streuung, die Standardabweichung oder der mittlere Fehler. Abb. 1.2 zeigt die Gaußsche Fehlerkurve. Danach sind große Abweichungen vom Bestwert zwar sehr selten, aber nicht vollkommen unmöglich. Meist gibt man als Fehler einer physikalischen Messung den mittleren Fehler an. Als Faustregel merke man sich: •
Eine Abweichung von mehr als dem mittleren Fehler ist in rund einem Drittel aller Fälle zu erwarten.
Der dreifache mittlere Fehler wird nur in ca. drei Promille aller Fälle überschritten. Physikalische Beobachtungen und Messungen werden so gut wie immer mit Instrumenten ausgeführt. Große Experimentalphysiker waren fast ohne Ausnahme vorzügliche Instrumentenbauer. Instrumentelle Technik und, mehr noch, experimentelles Geschick kann man im wesentlichen nicht durch Bücherstudium erwerben. Im übrigen ist es mit Meßverfahren und Apparaturen wie mit Theorien: Man kann nie vollständig sicherstellen, daß sie richtig sind oder richtig arbeiten; eine einzige Prüfung kann jedoch ergeben, daß sie falsch sind oder falsch arbeiten. Ständiges Mißtrauen zumal den eigenen Arbeiten gegenüber ist am Platze. Andererseits sind der Phantasie, die mit neuen Ideen spielt, keine Grenzen gesetzt.
1.1.6
Einteilung der Physik
Das Gebiet der Physik kann man heuristisch einteilen in klassische Physik und Quantenphysik. Daneben gibt es die Unterscheidung zwischen nichtrelativistischer Physik (alle Geschwindigkeiten ν wesentlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeit c) und relativistischer Physik (alle Geschwindigkeiten kleiner oder gleich c zugelassen). Die klassische Physik kann als Grenzfall der Quantenphysik aufgefaßt werden, die durch die Quantentheorie Plancks begründet wurde und die ihren zweiten wesentlichen Entwicklungsstoß durch die Quantenmechanik vor allem (1925) von dem deut-
8
1.2 Die Welt, in der wir leben
sehen Physiker Werner Heisenberg (1901 — 1976) und (1926) dem österreichischen Physiker Erwin Schrödinger (1887—1961) bekam. Man kann sagen, daß mit dem (gedanklichen) Grenzübergang h 0 die Quantenphysik in die klassische Physik übergeht. Die nichtrelativistische Physik ist ein Grenzfall der (allgemeineren) relativistischen Physik, die (1905) von dem Physiker Albert Einstein (1879—1955) konzipiert wurde, eben der Grenzfall v/c ρ + e~ + v e in ein Proton, ein Elektron und ein Elektronen-Antineutrino. Für fast alle Fälle kann die schwache Wechselwirkung in genügender Genauigkeit als Punktwechselwirkung beschrieben werden, d. h. das Teilchen muß mit einem anderen Teilchen direkt zusammen sein, damit eine Wechselwirkung zustandekommt (im Gegensatz zur Gravitation, die ζ. B. zwischen der Erde und dem Mond wirkt, also zwischen zwei Körpern, die sich nicht am selben Ort befinden). Seit Anfang 1984 weiß man jedoch, daß, wie von der Theorie vorher vermutet, die schwache Wechselwirkung über eine gewisse Entfernung hinweg durch ein „intermediäres Boson" vermittelt wird; Bosonen sind Teilchen, die der Einstein-BoseStatistik folgen (s. Abschn. IV, 1.3.3), mitbenannt nach dem indischen Mathematiker R. Bose (1901 — 1974). Die dafür in Frage kommenden intermediären Bosonen haben eine sehr große Masse. Elektromagnetische Wechselwirkung Die elektromagnetische Wechselwirkung ist die bei weitem am besten bekannte Wechselwirkung von allen. Zwischen zwei ruhenden punktförmigen Ladungen q\ und 0, stoßen sich ab. Elektrische Ladungen sind gequantelt. Alle beobachteten Ladungen sind ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung e. Das steht nicht im Widerspruch zu den gebrochenen Ladungen ± e / 3 und ±2e/3, wie sie den Quarks zugeschrieben werden: Quarks treten offenbar nicht als freie Teilchen auf. Das Coulombsche Gesetz Gl. (1.5) ähnelt formal sehr dem Gravitationsgesetz Gl. (1.4). Im Gegensatz zum Gravitationsgesetz läßt es jedoch sowohl Anziehung als auch Abstoßung zu. Die Coulombsche Anziehung zwischen einem Elektronenpaar e + , e~ ist, unabhängig vom Abstand, um den Faktor 4 χ 1042 stärker als die Gravitationskraft. Erscheinungen der elektromagnetischen Wechselwirkung können beobachtbar sein, ohne daß eine Ladung in greifbarer Entfernung vorhanden ist. Man denke hier ζ. Β an elektromagnetische Wellen, zu denen die Lichtwellen und die Rundfunk- und Fernsehwellen gehören, aber auch etwa an den Zerfall des Tt°-Mesons in zwei γ-Quanten: π° —> 2 γ .
(1.6)
Die elektromagnetische Wechselwirkung bestimmt den Aufbau der Elektronenhülle um den Atomkern. Sie ist verantwortlich für die chemische Bindung und die Kristallisation. Alles Leben ist — jedenfalls soweit wir das Bewußtsein außer acht lassen — nur elektromagnetische Wechselwirkung! Wenn wir nach dem Grund der überragenden Bedeutung der elektromagnetischen Wechselwirkung fragen, so stoßen wir vor allem auf zwei Eigenschaften: die lange Reichweite bei „mittlerer" Stärke und die Absättigung, d. h. die Kräfte einer positiven und einer gleichgroßen negativen Ladung auf eine dritte entfernte Ladung heben sich praktisch vollständig auf. Moderne Theorien fassen schwache und elektromagnetische Wechselwirkung als elektroschwache Wechselwirkung zusammen. Starke Wechselwirkung Die starke Wechselwirkung, basierend auf dem Austausch von Gluonen („Kitt-Teilchen") zwischen Quarks, manifestiert sich meist in einer anziehenden Kraft zwischen allen mittelschweren Teilchen (Mesonen, von griech. mesos = mittel) und schweren Teilchen (Baryonen, von griech. baros = schwer): Nukleonen (von spätlat. nucleus = Kern) und Hyperonen (von griech. hyper- = über-), untereinander und gemischt; in einigen Fällen führt sie auch zu Abstoßung. Die auf starker Wechselwirkung beruhenden Kräfte zwischen Nukleonen werden Kernkräfte genannt. Als Beispiele wollen wir zwei Nukleonen betrachten. Die starke Wechselwirkung zwischen einem Protonenpaar (p + p) ist anziehend, ebenso die zwischen zwei Neutronen (n + n) und zwischen einem Neutron und einem Proton (n + p). Daneben gibt es zwischen den beiden Protonen eine elektromagnetische Abstoßung, die wir hier aber nicht betrachten. Man weiß seit langem, daß die starke Wechselwirkung in allen drei oben genannten Nukleonenpaaren ungefähr gleich stark ist. Bei genauerem
1.3.2 Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze
17
Hinsehen stellt man Unterschiede fest, die aber kleiner als 2% sind. Man spricht von der Ladungsunabhängigkeit der Kernkräfte. Die starke Wechselwirkung hat eine kurze Reichweite (ungefähr 2 χ 10~15 m).
1.3.2
Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze
Symmetrien spielen seit Alters her in der Kunst, aber auch in der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Man denke nur an Keplers „Harmonia mundi" (1619) (J. Kepler, deutscher Astronom, Astrologe und Mathematiker, 1571 — 1630). In den letzten drei Jahrzehnten hat die Bedeutung von Symmetrien in der Physik stark zugenommen. Als Beispiel für eine Symmetrie wollen wir die Spiegelsymmetrie betrachten, wie sie im täglichen Leben beobachtet werden kann, nämlich Symmetrie bei Spiegelung an einer Ebene. Abb. 1.4 zeigt einige Gegenstände und ihr Spiegelbild. Von den hier gezeigten Objekten ist nur das Bild des CHj-Moleküls identisch mit dem Gegenstand, eben dem CH4-Molekül, also spiegelsymmetrisch. Eine Rechtsschraube kann man im Räume drehen und wenden, wie man will, sie bleibt immer eine Rechtsschraube. Ihr Spiegelbild ist eine Linksschraube. Bei dem in Abb. 1.4 gezeichneten Dreibein x, y, ζ gehen y- und z-Achse bei der Spiegelung in sich über, während die x-Achse ihre Richtung umkehrt. Abb. 1.5 zeigt zwei Rechtsschrauben und ihre Spiegelbilder im Photo. Eine Anwendung des Linksgewindes ist in Anhang A 1.5 beschrieben. In der Physik sind Spiegelungen an einem Punkt (Raumspiegelungen), bei denen alle drei Koordinatenachsen ihre Richtung umkehren, also χ in —x übergeht, y in — y und ζ in —z, wichtiger als Spiegelungen an einer Ebene. Abb. 1.6 zeigt einige Beispiele.
y'
Abb. 1.4 Gegenstände (links) und ihre Spiegelbilder (rechts), Spiegelung an einem senkrecht zur Zeichenebene stehenden Spiegel (als gestrichelte Linie symbolisiert). Die Gegenstände sind von oben nach unten: CH4-Molekül (MethanMolekül), in der Mitte das C-Atom, außen die H-Atome; Rechtsschraube; rechtshändiges kartesisches Koordinatensystem (x, y, z) (vgl. Abschn. 2.1.2).
18
1.3 W e c h s e l w i r k u n g e n , S y m m e t r i e p r i n z i p i e n und Erhaltungssätze
Abb. 1.5 Rechtsschrauben und ihre Spiegelbilder im Photo.
y
x'
0, 0'
„ X
Abb. 1.6 Raumspiegelung am Punkt 0 ; oben CRt-Molekül, unten rechtshändiges kartesisches Koordinatensystem (x, y, z) mit Ursprungsort O. Das gespiegelte Koordinatensystem (x', y', z') mit dem Ursprungsort O' (der mit Ο zusammenfällt) ist linkshändig (vgl. Abschn. 2.1.2).
1.3.2 Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätze
19
Ein anderes Beispiel für Symmetrie finden wir in der Drehsymmetrie verwirklicht. Bei der Drehsymmetrie geht ein Gebilde nach einer Drehung um eine ortsfeste Achse um einen Winkel kleiner 2π in sich über. Für ein Zahnrad mit 36 Zähnen beispielsweise ist das der Fall nach Drehungen um die Winkel 2π/36, 2π/18, 2π/12, 2π/9, 2π/6, 2π/4, 2π/3 und 2π/2. Wir haben also eine 18fache, 12fache, usw. Drehsymmetrie. Die Mathematiker sprechen von endlichen Drehgruppen. Wenn wir alle Raumkoordinaten am Koordinatenursprung spiegeln, führen wir, wie oben beschrieben, eine Raumspieglung durch. In der Physik sagt man dazu, wir wenden die Paritätsoperation an. Wenn das raumgespiegelte Gebilde deckungsgleich mit dem ursprünglichen Gebilde ist, also, als neues reales Gebilde betrachtet, so im Raum gelegt werden kann, daß es mit dem ursprünglichen Gebilde überall übereinstimmt, heißt es invariant gegen die Paritätsoperation; die Parität bleibt erhalten. Es war eine Riesenüberraschung in der Physik, als man 1957 feststellte, daß die schwache Wechselwirkung die Parität nicht erhält oder, anders ausgedrückt, die schwache Wechselwirkung die Parität verletzt. Will man, in Gedanken, eine Zeitspiegelung durchführen, so muß man t durch —t ersetzen. Verlaufen die zeitgespiegelten Vorgänge nach denselben Gesetzen wie die ursprünglichen, so sind sie invariant gegenüber Zeitumkehr. Man spricht von Zeitumkehrinvarianz. Es war ebenfalls eine Riesenüberraschung in der Physik, als man 1964 beobachtete, daß es in der nichtstatistischen Physik, also in der Physik, die sich mit dem Verhalten weniger Teilchen usw. beschäftigt, einen Prozeß gibt, der nicht zeitumkehrinvariant verläuft (eine bestimmte Zerfallsart des K°-Mesons). Erhaltungssätze sind in der Physik erst in neuerer Zeit aufgekommen. Ein so wichtiger Satz wie der von der Erhaltung der Gesamtenergie in einem abgeschlossenen System, der uns heute selbstverständlich erscheint, ist noch keine 150 Jahre alt. Andere „klassische" Erhaltungssätze sind die von der Erhaltung des Gesamtimpulses in einem abgeschlossenen System, des Gesamtdrehimpulses und der elektrischen Ladung. „Moderne" Erhaltungssätze beziehen sich auf die Baryonenzahl (d. i. die Anzahl der Baryonen minus Anzahl der Antibaryonen), kurz Baryonenerhaltung genannt, der Leptonen und ζ. B. der e-Leptonen (Elektron, Elektronen-Neutrino). Andere wichtige Größen sind nicht erhalten. So gibt es keine Erhaltung der Anzahl der Lichtquanten in einem abgeschlossenen System oder der Anzahl der π-Mesonen. Ebenso ist die Ruhemasse nicht erhalten und auch nicht die Entropie. Die vorherrschende Tendenz der physikalischen Naturbeschreibung, jedenfalls soweit es sich um Grundlagenforschung und besonders solche in der Kern- und Teilchenphysik handelt, ist die Suche nach Symmetrieprinzipien und Erhaltungssätzen. Nach K. Popper heißt das für den Experimentalphysiker: Suche nach Symmetrieverletzung und nach Nichterhaltung scheinbar oder anscheinend erhaltener Quantitäten. Um unsere (ziemlich) einfache Beschreibung der Physik, die wir in Kap. 3 beginnen, sicherzustellen, fordern wir vom (leeren) Raum Homogenität und Isotropie und von der Zeit Homogenität. Das sind Forderungen, die mit den Erfahrungen, die wir im täglichen Leben und im physikalischen Labor machen, im Einklang sind. Ohne dieses Problem hier im Detail zu behandeln, sei so viel gesagt: Die Homogenität des Raumes erlaubt es uns, denselben Versuch mit demselben Ergebnis unter denselben Bedingungen irgendwo auszuführen, die Isotropie des Raumes gestattet es uns, unser Koordiantensystem dabei irgendwie im Raum zu orientieren, und die Homogenität der Zeit sorgt dafür, daß es gleichgültig ist, wann wir den Versuch beginnen. Wir kommen auf das Problem in Kap. 5 zurück.
Auslauf-Wasseruhr Amenophis' III., um 1400 v. Chr. Museum Kairo. Aus: Bassermann-Jordan, Die Geschichte der Zeitmessung und der Uhren, 1920. Außenansicht des Gefäßes mit Darstellung von Sternbildern und Planeten und des Opfers eines Königs vor dem Sonnengott. — Nach Angaben des Deutschen Museums München.
2
Kinematik
2.1
Bahn und Bahnbeschreibung
2.1.1
Bewegung
Kinematik, von griech. kinema = Bewegung, ist Bewegungslehre. Die Bewegung, also die Ortsänderung im Raum als Funktion der Zeit, wird in der Kinematik nur beschrieben. Man fragt nicht danach, was die Bewegung veranlaßt. Ebenso allgemein ist die Kinematik im Hinblick darauf, was sich bewegt. Das kann zunächst ein Körper sein oder ein Zustand im Raum, d. h. ein Feld. Damit wir sinnvoll von Bewegung sprechen können, müssen wir den Körper oder den Zustand zu verschiedenen Zeiten als denselben im Hinblick auf die Bewegung identifizieren. Das ist ein Problem der Psychologie; in der Physik gibt es hierbei im allgemeinen keine Komplikationen. Am Rande sei bemerkt, daß „Bewegung" quantenmechanisch ein echtes Problem darstellt. Eine kontinuierliche Bewegung wird in gewissen Analysen als ein Springen von einem „Zustand" in den nächsten, mithin als eine Art Hüpfen aufgefaßt. Wir wollen hier zunächst die Bewegung eines Körpers betrachten. Häufig werden wir weiter abstrahieren: Der Körper schrumpft zum Massenpunkt zusammen. In der Kinematik ist die „Masse" dabei sogar überflüssig. Nichtsdestoweniger wollen wir von der Bewegung eines Massenpunktes sprechen.
2.1.2
Bahn
Wenn sich ein Massenpunkt im Raum bewegt, so bewegt er sich dabei auf einer Bahn, die eine Linie im Raum darstellt. Zu jeder Zeit t ist der Massenpunkt dabei an genau einer Stelle im Raumn, also auf einem Punkt auf der Bahn. Wir wollen zunächst eine solche Bahn beschreiben. Dazu haben wir zwei Möglichkeiten. Koordinatensystem Wir können die Bahn in einem Koordinatensystem beschreiben. Am gebräuchlichsten sind kartesische Koordinaten, benannt nach Rene Descartes oder Renatus Cartesius, einem französischen Philosophen und Mathematiker (1596—1650), in weiten Kreisen bekannt durch sein „Cogito, ergo sum". Abb. 2.1 zeigt eine Bahn in der x,y-Ebene. Im Raum braucht man drei Koordinaten. Üblich ist die Verwendung eines Rechtssystems: In Abb. 2.2 bilden x-Achse, y-Achse und z-Achse ein Rechtssystem. Eine Schraube mit Rechtsgewinde (Rechtsschraube), deren Achse in x-Richtung liegt, muß mit einem Schraubenzieher rechtsherum gedreht werden, damit sie in
24
2.1 Bahn und Bahnbeschreibung y
Abb. 2.1 Bahn in der χ,^-Ebene. Die Orte, an denen sich der Massenpunkt zu den Zeiten fι, h bzw. ?3 befindet, sind eingezeichnet (fi < f2 < h). χ
0
x-Richtung eingeschraubt wird (Abb. 2.2). Durch die Schraubbewegung geht die >-Richtung nach 90° in die z-Richtung über. Die durch zyklische Vertauschung aus (χ, y, z ) hervorgehenden Systeme (z, x, y) und (y, z, x) bilden dann ebenfalls Rechtssysteme. Die durch eine Inversion (Umkehr der Reihenfolge eines Paars) aus {x, y, z ) entstehenden Systeme (y, x, z ) , (x, z, y) und ( z , y, x) sind dagegen Linkssysteme. Andere gebräuchliche Koordinaten sind Zylinderkoordinaten und Kugelkoordinaten. Abb. 2.3 erklärt sie. Koordinatensysteme müssen nicht ortsfest sein. Wir werden weiter unten, nach Erklärung des Begriffs „Vektor", ein nichtortsfestes Koordinatensystem kennenlernen, das in der Physik eine große Rolle spielt, das begleitende Dreibein. Vektoren Ein Vektor („Fahrstrahl" von lat. vehere = fahren) ist eine gerichtete Größe. Die Länge des Vektors entspricht dabei dem Betrag der Größe. Ein Vektor wird durch einen Pfeil dargestellt, der vom Anfangs- oder Fußpunkt ausgehend zum Endpunkt t-
y
z
ζ
Abb.2.2 Oben: Bahn im Raum. Für t\, t2 und h s. Abb. 2.1. Unten: Verdeutlichung des Begriffs „Rechtssystem". x-, y- und z-Achse bilden in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem. Bei einer Bewegung entsprechend dem Eindrehen einer Rechtsschraube gehen die (ausgezogen gezeichneten) Achsen in die gestrichelt gezeichneten über.
2.1.2 Bahn
25
koordinaten r, ϋ, ζ hat der spezielle Punkt Ρ die Koordinaten rp, und ζρ· P' ist der durch Parallelprojektion in die x,_y-Ebene aus Ρ erhaltene Punkt, r, ζ bilden ein Rechtssystem: Bei Rechtsdrehung der r-Achse um die z-Achse entsprechend zunehmendem ϋ bewegt sich eine Rechtsschraube in positiver z-Richtung, also bilden (in dieser Reihenfolge) z, r, ϋ ein Rechtssystem, demnach auch r, ϋ, ζ. Wir können uns ϋ auch als Vektor (über den Vektorbegriff s. u. in diesem Abschnitt) in P1 in Gestalt der Tangente an den Kreis um Ο (mit dem Radius rp) vorstellen, diesen Vektor nach Ο verschieben und ζ und r ebenfalls als Vektoren auffassen; die Vektoren r, θ , ζ bilden dann ebenfalls ein Rechtssystem. In Kugelkoordinaten r, ϋ, φ hat der spezielle Punkt Ρ die Koordinaten rp, i?p und φΡ. Ρ1 ist der durch Parallelprojektion in die ;c,}>-Ebene aus Ρ erhaltene Punkt. Man erschließt wie oben mit der Vektorvorstellung, daß r, ϋ· und φ ein Rechtssystem bilden. verläuft. D a s Symbol eines Vektors ist meist ein Buchstabe mit darüber gesetztem Pfeil, ein unterstrichener Buchstabe oder ein fettgedruckter Buchstabe. Die in Abb. 2.1 gezeigte B a h n läßt sich durch einen veränderlichen Ortsvektor, wie in Abb. 2.4 ausgeführt, darstellen. In diesem Fall ist die L ä n g e des Vektors r / = |r| =
V ^ + 7 ·
Einige Rechenregeln f ü r Vektoren sind i m A n h a n g A 2.1 zusammengestellt. Hier heben wir nur die Addition zweier Vektoren, die natürlich die gleiche physikalische Dimension haben müssen, und die Multiplikation eines Vektors mit einer ungerichteten Größe, einem Skalar, also einer Zahl, hervor. Zwei Vektoren α und b werden a m einfachsten addiert, indem man b v o m Endpunkt von α aus aufträgt
„t
f
3
Abb. 2.4 Die in Abb. 2.1 gezeigte Bahn mit zusätzlich eingezeichneten Ortsvektoren r(/]), r(t2) und r(i 3 ). Der Ortsvektor führt von einem Ursprungspunkt Ο zum Ort in Ebene oder Raum. 0
X
26
2.1 B a h n u n d B a h n b e s c h r e i b u n g b
b
b
Abb. 2.5 Addition zweier Vektoren α und b zum Summenvektor c, oben durch Aneinandersetzen, unten mit Hilfe der Parallelogrammkonstruktion.
(Abb. 2.5): a + b = c. Eine andere Konstruktion ist die mit einem Parallelogramm (ebenfalls in Abb. 2.5). Ein Vektor b wird mit einer nichtnegativen Zahl α multipliziert, indem man seinen Betrag mit dieser Zahl multipliziert: ab = ab (wir benutzen hier ausnahmsweise den Pfeil als Symbol des Vektorcharakters).
Längenmessung Unabhängig davon, ob wir die Bahn in Koordinaten- oder Vektorschreibweise angeben, immer sind Längenmessungen nötig. Einheit der Länge ist das Meter (m). Das Meter ist definiert als „diejenige Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer von 1 / 2 9 9 7 9 2 4 5 8 s durchläuft". Die Längeneinheit ist damit auf eine Strecke zurückgeführt, die das Licht während einer gewissen Zeit durchläuft, also auf die Lichtgeschwindigkeit. Andere Längeneinheiten sowie weitere Angaben zu Maßsystemen sind im Anhang A 2 zusammengestellt. Zur genaueren praktischen Längenmessung im Labor bedient man sich neben der Schublehre der Mikrometerschraube, neuerdings auch Meßschieber bzw. Meßschraube genannt, der Endmaße und, zumal zum Übertragen auf größere Entfernungen, des Lasers. Mikrometerschrauben werden auf jederzeit gleichen Anpreßdruck mit einer Reibkupplung festgezogen. Die Stellung der Schraube wird, ähnlich wie bei der Schublehre, mit einem Nonius abgelesen. Endmaße sollten so gut gearbeitet sein und so rein gehalten werden, daß sie aneinander haften (Maßflächen nicht mit Fingern berühren! Auseinandernehmen durch seitliches Verschieben, nicht durch Auseinanderreißen!). Es gibt Genauigkeitsklassen, ζ. B. eine Genauigkeit von 0,7 μπι auf 0,1 m. In der Astronomie sind andere Verfahren als im Labor angezeigt. Für kürzere Entfernungen nimmt man die Triangulation mit dem Erdbahndurchmesser als Basis. Abb. 2.6 zeigt das Verfahren. Den Erdbahndurchmesser hat man dabei wiederum durch Triangulation bestimmt, wobei
2.1.2 Bahn Stern
P,
Erdbahn
27
Abb. 2.6 Triangulation in der Astronomie mit dem Erdbahndurchmesser als Basis (perspektivisch). Die beiden gestrichelten Geraden sind parallel. Die Parallaxe des Sterns ό, gemessen von denjenigen zwei gegenüberliegenden Punkten der Erdbahn aus, bei denen der Erdbahndurchmesser senkrecht zur Linie Sonne—Stern steht, gibt mit 2 ο Δί di
(2.4)
(Abb. 2.8). Aus der Definition von ν folgt: ν liegt in der Bahntangente. Indem wir den Tangenten-Einheitsvektor e als den Vektor definieren, dessen Länge gleich der Längeneinheit ist und der in Richtung der Tangente (und zwar in der Richtung, in der die Bahn durchfahren wird) liegt, können wir auch schreiben υ = ve, wobei ν wie üblich den Betrag des Vektors ν bedeutet; vgl. Anhang A 2.1.
(2.5)
30
2.2 Geschwindigkeit
Ar(At) Abb. 2.8 Geschwindigkeit ν als Grenzwert von Ar(At)/At. Zur Zeit t hat der Massenpunkt auf seiner Bahn s den Ortsvektor r(t), zur Zeit t + Ar den Ortsvektor r(t + At).
2.2.3
Geradlinige gleichförmige B e w e g u n g
In der Schreibweise von Gl. (2.5) charakterisieren wir die geradlinige Bewegung durch e = const und die gleichförmige Bewegung durch ν — const. Der Körper bewegt sich also mit konstanter Geschwindigkeit immer in derselben Richtung. Zur Vereinfachung legen wir im folgenden die Geschwindigkeit in Richtung der x-Achse.
Abb. 2.9 Bewegung einer Scheibe auf einem Luftkissentisch (Aufsicht). Die Bewegung ist praktisch kräftefrei, solange die Scheibe nicht den Rand berührt; Scheibenbewegung im Bild von links unten nach rechts oben, aufgenommen mit äquidistanten Lichtblitzen (neun Blitze auf dasselbe Negativ, Blitzabstand 0,06 s, Blitzdauer ca. 1 ms). Die Kräftefreiheit zeigt sich in äquidistanten Bildern auf gerader Linie; der Stoß am Rand rechts ist nicht vollkommen elastisch (vgl. dazu Abschn. 4.1.4).
2.2.4 Messung von Geschwindigkeiten
31
Wir integrieren die erste Gleichung in Gl. (2.3) und erhalten χ — x(t) — J ν dt = ν J di = vt + x(t — 0) = vt + Jto . Hierbei haben wir von der Konstanz der Geschwindigkeit Gebrauch gemacht. Eine geradlinige gleichförmige Bewegung ist in der Mechanik ohne Aufwendung irgendwelcher Kräfte von außen nicht zu verwirklichen. Es gibt immer hemmende Kräfte, ζ. B. die Reibung. Trotzdem läßt sich die besprochene Bewegung erstaunlich gut demonstrieren, wenn man die Reibung klein hält. Das gelingt mit einem Luftkissen. Abb. 2.9 zeigt die Bewegung einer Scheibe auf einem Luftkissentisch. Luftkissenlager spielen übrigens nicht nur in der Technik, hier vor allem im Maschinenbau, sondern auch gelegentlich in der Physik eine Rolle. Schwere Magnetspektrometer, die als Ganzes um eine senkrechte Achse gedreht werden sollen (um die Richtungsabhängigkeit der Spektren zu untersuchen), lagert man gern auf Luftkissen. In anderen Gebieten der Physik als der eigentlichen Mechanik gibt es sehr wohl reibungsfreie Bewegung, und zwar nicht nur solche, die gewissermaßen „von selbst" abläuft, wie die Bewegung der Elektronen in einem Atom, sondern auch solche, die wir künstlich erzeugen können. Man denke hier an elektrische Ströme in Supraleitern (vgl. Kap. II, 2.10) und an Bewegungen in suprafluiden Flüssigkeiten (vgl. Abschn. 6.5.3). Schließlich bewegen sich auch alle Licht- und, allgemeiner, γ-Quanten sowie die Neutrinos „reibungsfrei", die Neutrinos immer und die y-Quanten im Vakuum, mit der Lichtgeschwindigkeit von c = 2,9979 χ 108 m/s.
2.2.4
Messung von Geschwindigkeiten
Geschwindigkeiten kann man direkt gemäß Gl. (2.1) als Quotient aus der Wegstrecke As, die der Körper in der Zeitspanne At zurücklegt, und At messen. Wenn die Bewegung gleichförmig ist, kann Δί beliebig groß gewählt werden. Ist die Bewegung nicht gleichförmig, muß man At „genügend klein" wählen. Hierbei ist meist ein Kompromiß zu schließen zwischen dem Fehler, der durch die Größe von Δί infolge der Ungleichförmigkeit der Geschwindigkeit entsteht, und dem Fehler, der wegen der Kleinheit von At in der Zeitmessung oder, seltener, der Streckenmessung entsteht. Die erste Messung der Lichtgeschwindigkeit c durch den dänischen Astronomen Olaf Römer (dänisch R0mer) (1644—1710) geschah 1676 nach der direkten Methode. Römer beobachtete die Verfinsterung der Jupitermonde und stellte dabei Abweichungen von der einfachen Periodizität fest, die man naiv erwartet. Er deutete diese Abweichungen richtig als Folge der Entfernungsänderung zwischen Jupiter und Erde, die durch die verschiedene Bewegung beider Planeten um die Sonne zustandekommt, ein gar nicht so einfaches Unterfangen. Der Wert, den er erhielt, ist, auf heutige Einheiten umgerechnet, c = 2,1 χ 108 m/s. Kurze Zeiten, wie sie häufig bei großen Geschwindigkeiten zu messen sind, kann man mit Lichtschranken erfassen. Abb. 2.10 stellt eine solche Meßeinrichtung dar. Ein Körper unterbricht auf seiner Bahn den Lichtstrahl zweier Lichtschranken nacheinander. Die Durchbrechung des Lichtstrahls wird elektronisch registriert, wie, soll hier nicht ausgeführt werden. Die Zeitdifferenz zwischen den beiden entsprechenden elektrischen Signalen wird elektronisch gemessen. Das Prinzip solcher elektronischen Zeitmessungen besteht, vereinfacht ausgedrückt, darin, die Zahl der Schwingungen zu zählen, die ein Oszillator in der entsprechenden Zeit ausführt. Solche Oszillatoren werden wir später in Abschn. II, 2.13.7 kennenlernen.
32
2.2 Geschwindigkeit
i start Digital stop
f
-0-2
Abb. 2.10 Prinzip der Kurzzeitmessung mit Lichtschranken. Wird der von der Lampe kommende Lichtstrahl zwischen den beiden Sammellinsen, die die Lampe auf die Photodiode (mit Pfeilen symbolisiert) abbilden, unterbrochen, entsteht ein elektrisches Signal, das digital verarbeitet wird. Ist die Bewegung wie in der Abbildung angenommen von oben nach unten, startet das erste Signal (oberer Zweig) die Digitaluhr, und das zweite (unterer Zweig) stoppt sie.
Eine im wesentlichen mechanische Methode zur Messung kurzer Zeiten ist in Abb. 2.11 für den Fall der Messung der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel dargestellt. Auf einer schnell rotierenden Welle befinden sich zwei Scheiben aus leicht durchschießbarem Material (Papier). Die Bahn der Gewehrkugel verlaufe parallel zur Achse. Während der Zeit At, die die Kugel braucht, um von der ersten Scheibe zur zweiten zu fliegen, drehen sich beide Scheiben um den Winkel Αφ. Αφ kann man nach Stillstand der Scheiben mit einem Winkelmesser messen (sofern man nicht vergessen hat, die Stellung der Scheiben auf der Achse vor dem Abnehmen zu markieren!). Das Hauptproblem ist jedoch die Bestimmung der Winkelgeschwindigkeit def Α φ
ω = — άί
Abb. 2.11 Prinzip einer mechanischen Kurzzeitmessung (im vorliegenden Beispiel Messung der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel). Zur Messung der Umdrehungszahl vw der Welle wird die Stroboskopscheibe S von der Blitzlampe L mit Blitzen der Frequenz VB beleuchtet; vB wird mit dem elektronischen Steuer- und Versorgungsgerät Ε eingestellt. Kommen zwei aufeinanderfolgende Blitze zu Zeiten, in denen die Scheibe deckungsgleiche Muster zeigt (nicht notwendig nach genau einer Umdrehung), so scheint die Scheibe stillzustehen; im gezeichneten Beispiel ist der kleinste Wert von vw, bei dem das bei sich drehender Scheibe passiert, v w = V b /2. Ist VB etwas kleiner (etwas größer) als eine Frequenz, bei der die Scheibe stillzustehen scheint, so dreht sie sich scheinbar langsam vorwärts (langsam rückwärts). Mit der stroboskopischen Methode lassen sich also schnelle periodische Vorgänge „in aller Ruhe" verfolgen. Wir messen mit j = 0,3 m Scheibenabstand bei ν = 50 s" 1 Αφ = 30° = 2π/12, d. h. eine Flugzeit von t = 1 /600 s. Daraus errechnen wir ν = s/t = 0,3 m χ 600 s _ 1 = 180 m/s.
2.2.4 M e s s u n g v o n G e s c h w i n d i g k e i t e n
33
Das kann mit für diese Zwecke hinreichender Genauigkeit über die Netzfrequenz von 50 Hertz geschehen, wenn man die Scheibe mit einem Synchronmotor oder mit einem Asynchronmotor (vgl. Abschn. II, 2.12.2), letzterer mit geringem „Schlupf', antreibt. Genauer ist die stroboskopische Methode. Sie ist in vielen Gebieten der Physik anwendbar, nicht etwa nur zur Messung mechanischer Winkelgeschwindigkeiten, und sei deshalb hier erläutert. Im Versuchsaufbau von Abb. 2.11 wird die Achse mit den beiden für unsere Gewehrkugel transparenten Scheiben mit einem Elektromotor angetrieben, dessen Drehzahl, ζ. B. mit einem Schiebewiderstand, regelbar ist. Ferner benötigen wir eine Lichtquelle (Blitzlampe), die kurze Lichtblitze periodisch aussendet. Die Steuerung der Blitzfrequenz machen wir elektrisch. Wenn nun Winkelgeschwindigkeit (Umlauffrequenz) der Scheiben und Blitzfrequenz in einem einfachen konstanten Verhältnis zueinander stehen, ζ. B. beide gleich sind, so scheint das Muster der Stroboskopscheibe in der Anordnung Abb. 2.11 stillzustehen. Da wir die elektrische Frequenz aus den Daten unseres elektrischen Zeitgebers kennen, können wir die Winkelgeschwindigkeit ω ermitteln. Theoretisch mögliche Mehrdeutigkeiten lassen sich in praxi, ζ. B. durch Beobachten des beim Hochfahren der Umlauffrequenz ersten stehenden Bildes, das identisch mit dem der ruhenden Stroboskopscheibe ist, leicht ausschließen. Stimmen Umlauffrequenz und Blitzfrequenz nicht genau, aber ungefähr überein, so dreht sich das Bild der Scheibe langsam; man kann somit die Bewegung (hier schnelle Drehung der wirklichen Scheibe) in Zeitlupe beobachten. Auf praktisch dem gleichen Prinzip wie die Messung der Geschwindigkeit der Gewehrkugel beruht die erste terrestrische Messung der Lichtgeschwindigkeit c (1849) durch den französischen Physiker A. Fizeau (1819—1896). Abb. 2.12 erläutert das Prinzip. Der Lichtstrahl läuft parallel zu einer Welle, die ein rotierendes Zahnrad trägt. Der Strahl wird einige Entfernung hinter dem Zahnrad von einem Spiegel genau in die entgegengesetzte Richtung reflektiert. Ist die Umdrehungszahl des Zahnrades ζ. B. gerade so groß, daß das Licht durch eine Zahnlücke auf dem Hinweg das Zahnrad passiert und durch die nächste Zahnlücke auf dem Rückweg, so läßt sich bei bekannter Umdrehungszahl ähnlich wie bei der Anordnung Abb. 2.11 die dazugehörige Zeit ermitteln. Zur Messung der Lichtgeschwindigkeit gibt es heutzutage wesentlich genauere Methoden als die von Römer und Fizeau. Das Fizeausche Prinzip hat jedoch vor allem mit dem Auftreten der Forschungsreaktoren wieder Einzug in die experimentelle Physik gehalten. Man benutzt schnell rotierende Räder (Chopper) sowohl zur Erzeugung zeitlich eng begrenzter Neutronenstrahlen, wobei die Neutronen meist aus einem Kernreaktor kommen, als auch zur Messung der Geschwindigkeiten von Neu-
Spiegel
Messung der Lichtgeschwindigkeit nach Fizeau.
34
2.2 Geschwindigkeit
Abb. 2.13 tronen.
Tab. 2.1
Chopper für Neu-
Geschwindigkeiten (in m/s)
Phasengeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen in metallischen Hohlleitern bei Grenzfrequenz* Licht (in Luft oder Vakuum) Elektrisches Signal im Kabel* Phasengeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen auf Lecherleitung* Licht (in Glas) Fluchtgeschwindigkeit entfernter Galaxien Elektron in Fernsehbildröhre (beim Auftreffen auf Leuchtschirm) Sonne gegenüber Milchstraßenzentrum Erde auf Bahn um Sonne thermisches Neutron (Neutron bei Zimmertemperatur) Schall in Wasser Gewehrgeschoß Stickstoffmolekül (in Luft bei Zimmertemperatur) Schall in Luft Jumbojet Signal in Nervenleitung Schwalbe Tennisball („Kanonenaufschlag") 100 m-Läufer (Rekord) 100 m-Kraulschwimmer (Rekord) Mensch (normaler Gang) Schnecke Elektron in Cu-Draht (höchstbelastete verlegte Hausleitung) Haar (Wachstum) Signalgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen in metallischen Hohlleitern bei Grenzfrequenz*
oo 3 χ 108 < 3 χ 108 < 3 χ 108 2 χ 108 2 χ 108 1 χ 108 2 χ 105 3 χ 104 2,5 χ 103 1,5 χ 103 9 χ 102 5 χ 102 3,3 χ 102 2,5 χ 102 1 χ 102 7 χ 101 6 χ 101 1,0 χ 101 2,0 1,4 1 χ 10" 3 7 χ 10" 4 3 χ 10" 9 0
* über Phasengeschwindigkeit, Signalgeschwindigkeit, Grenzfrequenz, Hohlleiter und Lecherleitung vgl. Abschnitte 7.4.4 und II, 3.2.5.
2.2.5 Addition von Geschwindigkeiten
35
tronen, aber auch anderer Strahlen neutraler Teilchen, vor allem Atome und Moleküle. Abb. 2.13 zeigt einen Chopper für Neutronen. Der Methodenreinheit halber bemerken wir noch: Die Messung der Lichtgeschwindigkeit c im Vakuum ist heutzutage obsolet, da ja die Längeneinheit über c definiert ist und die Zeiteinheit eine Basiseinheit ist. In praxi ändert sich fast nichts: Man bestimmt experimentell 5 = et = c · 1 s und teilt die Strecke s in 299792458 gleiche Teile. Ein Teil ist dann 1 m. Typische Geschwindigkeiten sind in Tab. 2.1 zusammengestellt. Hierbei handelt es sich zum großen Teil um sehr approximativ angegebene Werte, da die wirklichen Werte, ζ. B. bei den Elektronen in der Fernsehröhre, von Fall zu Fall stark variieren. 2.2.5
Addition von Geschwindigkeiten
Obwohl wir uns, außer im Falle der Geschwindigkeit des Lichts selber, bisher fast ausschließlich mit Objekten befaßt haben, deren Geschwindigkeit ν wesentlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeit c ist, wollen wir in diesem Abschnitt explizit » « c voraussetzen. Wir betrachten drei Massenpunkte 1, 2 und 3. 2 habe gegenüber 1 die Geschwindigkeit Vq, 3 gegenüber 2 die Geschwindigkeit (Relativgeschwindigkeit) 1/. Die Relativgeschwindigkeit von 3 gegenüber 1 nennen wir v. Unsere Frage lautet nun: Wie groß ist vi Zur Erläuterung des Sachverhalts diene das folgende Beispiel (Abb. 2.14). Punkt 1 sei fest auf der Erdoberfläche zwischen zwei Eisenbahnschienen. Punkt 2 befinde sich im fahrenden Eisenbahnwagen an einem festen Platz dieses Wagens. Punkt 3 befinde sich fest auf einem Reisenden, der im Wagen in Fahrtrichtung geht. Mit vo = 100 km/h und v' — 4 km/h bewegt sich dann der Mann gegenüber der Landschaft, also auch gegenüber Punkt 1 mit ν = 100 km/h + 4 km/h = 104 km/h. Indem wir den Sachverhalt des obigen Beispiels verallgemeinern, postulieren wir ν — VQ + v'.
(2.6)
Der Beweis hierfür folgt einfach aus der Addition der in der Zeit di zurückgelegten Strecken: ds = ds 0 + di' = v0 dt + v' dt = (v 0 + v') dt — ν dt. Hierbei haben wir von der vektoriellen Natur der Geschwindigkeit und den Gesetzen der Addition von Vektoren Gebrauch gemacht. 1
2
3
v' ^o Abb. 2.14
Zur Addition von Geschwindigkeiten (s. Text).
36
2.3 Beschleunigung
y
Abb. 2.15 Zusammensetzung und Zerlegung von Geschwindigkeiten. Eingezeichnet sind sowohl kartesische Koordinaten als auch aufeinander senkrecht stehende Einheitsvektoren ex und ey. χ Hat ein Körper in x-Richtung die Geschwindigkeit vx = vxex und in y-Richtung die Geschwindigkeit vy — vyey, so ist seine Gesamtgeschwindigkeit ν die vektorielle Summe der beiden (s. Abb. 2.15). Ebenso kann man die Geschwindigkeit υ in ihre beiden Komponenten zerlegen.
2.3
Beschleunigung
2.3.1
Definition der Beschleunigung
Wenn ν = v(t) nicht konstant ist, so liegt eine beschleunigte Bewegung vor. Insonderheit nennen wir auch eine Abbremsung, also eine Verzögerung, eine Beschleunigung; die Beschleunigung ist dann negativ. Das ist anders als im täglichen Leben: Ein „beschleunigter Personenzug" ist ein schnellerer Personenzug, auch wenn er mit konstanter Geschwindigkeit fährt oder gerade im Bahnhof hält. Des weiteren liegt auch dann eine Beschleunigung in der Physik vor, wenn der Betrag der Geschwindigkeit, v, konstant ist, aber die Richtung geändert wird. • Richtungsänderung
ist immer eine
Beschleunigung.
Wir definieren die Beschleunigung α durch def .. Δυ dv a — h m —— = — = υ . Δι—>0 Δ ί dt Aus der Bedeutung von v, Gl. (2.4), ergibt sich
In kartesischen Koordinaten schreiben sich die Beschleunigungskomponenten folgendermaßen : άνχ
d2x
und entsprechend für die y- und z-Komponente.
2.3.2 Zusammensetzung und Zerlegung von Beschleunigungen
2.3.2
37
Zusammensetzung und Zerlegung von Beschleunigungen
Solange wir uns im nichtrelativistischen Gebiet bewegen (ν c), und das wollen wir auch in diesem Abschnitt explizit voraussetzen, können wir das in Abschn. 2.2.6 über die Addition von Geschwindigkeiten Gesagte direkt auf die Addition von Beschleunigungen übertragen. Haben wir insonderheit in einem bewegten System, in bezug auf dieses bewegte System gemessen, die Beschleunigung a' und ist das ganze System gegenüber einem Ruhesystem mit der Beschleunigung üq beschleunigt, so ist die Gesamtbeschleunigung α = αο + a'. In kartesischen Koordinaten kann man die Beschleunigung schreiben als a = axex + ayey + azez, wobei ex, ey und ez wie üblich Einheitsvektoren in x-, y- und z-Richtung sind. Wichtig ist die Zerlegung von α in eine Tangentialkomponente und eine Normalkomponente. Die Tangentialkomponente liegt dabei in Richtung der Bahntangente und die Normalkomponente senkrecht dazu („normal" hat hier die Bedeutung von „senkrecht"). Die Bezeichnungsweisen sind a
'
=
fdv\ l\ ah7 ) ' l / tangential
Ua =
/dv\ \ \ H7 α Γ ) / normal
Im folgenden wollen wir uns anschauen, wie die Komponenten auszurechnen sind. Mit ν — ve haben wir d» d , . di) de a = — = — (ve) = — e + ν — . dt dt dt dt
.. (2.7)
Wie man der Gleichung ansieht, läßt sich α in der Tat als Vektor angeben, der nur aus zwei Komponenten besteht: eine in Richtung von e und eine in Richtung von de/dt. de/dt ist nur in Sonderfällen wieder ein Einheitsvektor. Liegt die Beschleunigung in Richtung der (nichtverschwindenden) Geschwindigkeit, so muß de/dt nach Gl. (2.7) der Nullvektor (s.Anhang A 2.1) sein. Den zweiten Term in obiger Gleichung können wir auf jeden Fall als Produkt eines Einheitsvektors mit einem Skalar schreiben, de υ — = ann. dt Der Vektor n, der hier zunächst als Einheitsvektor in der Richtung von de/dt definiert sei, muß dabei senkrecht auf der Bahnkurve stehen: Ist nämlich dv/dt = 0, so darf α keine Komponente in Geschwindigkeitsrichtung haben, und eine Beschleunigung in e-Richtung (dv/dt φ 0) ändert e nicht. Die Verhältnisse lassen sich im zweidimensionalen Fall leicht veranschaulichen, also wenn die Bahn in einer Ebene verläuft, die wir dann zweckmäßig als Zeichenebene nehmen (vgl. Abb. 2.16). η steht hier, wie oben ausgeführt, senkrecht auf der Bahn. Um die Richtung von η eindeutig festzulegen, machen wir eine Anleihe bei der Differentialgeometrie, die uns lehrt, daß es unter gewissen, von den Mathematikern präzisierten Voraussetzungen, die in unserem Falle erfüllt sind, an jedem Punkt
38
2.3 Beschleunigung Abb. 2.16 Zerlegung der Beschleunigung eines Massenpunktes, der sich auf einer gekrümmten Bahn s befindet, die in der Zeichenebene (χ, yEbene) verläuft. Zum betrachteten Zeitpunkt befindet sich der Massenpunkt am Ort P. at Tangential-, a>nn Normalbeschleunigung. at zeigt in Richtung von e, dem Tangenten-Einheitsvektor an s, an in Richtung von «, dem Normalen-Einheitsvektor. Der dünn eingezeichnete Kreis mit Mittelpunkt Ο ist der Schmiegungskreis an s im Punkt P.
y
( X
der Bahnkurve einen sogenannten Schmiegungskreis gibt. Er ist derjenige Kreis, der die Bahnkurve in nächster Umgebung des betrachteten Punkts am besten approximiert. Wir legen η in Richtung des Mittelpunktes des Schmiegungskreises. Einen solchen Schmiegungskreis gibt es nun nicht nur im zweidimensionalen Fall, sondern auch im dreidimensionalen. Zur weiteren Behandlung unseres Problems benötigen wir einen neuen mathematischen Begriff, den des Skalarprodukts. Wir unterbrechen unsere Physik also, um etwas Mathematik zu betreiben bzw. zu rekapitulieren. Mathematisches Intermezzo 1: Skalarprodukt Das Skalarprodukt zweier Vektoren α und b ist für den Fall a + 0, 6 + 0 durch def
a b — ab cos ϋ
(2.8)
definiert, wobei 0 ^ $ ^ π der zwischen α und b eingeschlossene Winkel ist (vgl. Abb. 2.17). Für den Fall a = 0 oder b = 0 definieren wir
α Abb. 2.17
Zur Verdeutlichung des Skalarprodukts.
2.3.3 Gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung
39
Ist α ein beliebiger Vektor und e ein Einheitsvektor, so ist das Produkt a • e = a cos •& — ae
die Projektion des Vektors α auf den Einheitsvektor e oder die Komponente von α in e-Richtung. Sind α und b beide ungleich null und ist a • b = 0, so stehen nach Gl. (2.8) α und b senkrecht aufeinander; sind sie parallel (ϋ = 0), so gilt a b — ab. Haben zwei Vektoren α und b die kartesischen Komponenten ax, ay und az bzw. bx, by und bz, so ist, wie leicht einzusehen ist, ihr Skalarprodukt durch a b = axbx + ayby + azbz
gegeben. Speziell hat man a
a = a2 cos 0 = a2
und a • a — αλΎ + az y + a, ζ = a .
Mathematisches Intermezzo 2:
de/dt
Wir haben weiter oben in diesem Abschnitt gesehen, daß die Ableitung d e / d t des TangentenEinheitsvektors e in ν = ve senkrecht auf der Bahntangente, also auf v, also auch auf e steht. Wir wollen denselben Sachverhalt auf eine andere, mehr formale Weise ableiten: dl
de2
die • e)
de
de
„ de
dt di di df dt dt Wir beenden unsere mathematischen Intermezzi und benutzen die Ergebnisse bei der Ausrechnung der Beschleunigung a. Dazu multiplizieren wir Gl. (2.7) einmal mit e und das andere Mal mit η : dt; dv e t = ~r dt' · = dt di
a
an=—
dw dt
υ2 η = — , ρ
wobei ρ der Radius des Schmiegungskreises ist. In der letzten Gleichung haben wir ein Resultat vorweggenommen, das wir erst später in Abschn. 2.3.5 ableiten werden. Zusammengefaßt haben wir also dv a = — e di
2.3.3
ν2 Λ—η. ρ
Gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung
Da geradlinig e = const heißt, ist de/dt und damit auch an null. Folglich hat α, s. Gl. (2.7), nur eine Komponente in e-Richtung. Gleichförmig beschleunigt heißt dann, daß die Beschleunigung konstant ist: dv
a = — — const. di
40
2.3 Beschleunigung
Diese Konstanz der Beschleunigung ermöglicht es uns, ν = v(t) einfach zu integrie-
V = di> =
' du — dt = dt
•
adt = a
di
v(t) = at + v0, wobei t'o die Geschwindigkeit zur Zeit t = 0 ist. Eine zweite Integration liefert für den Weg s = s(t) s(t) =
j " 2 v dt — — t + v0t + so ,
(2.9)
wobei so den Weg zur Zeit t = 0 bedeutet. In genügender Genauigkeit finden wir die gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung beim freien Fall mit den speziellen Anfangsbedingungen VQ — 0, so — 0 verwirklichkeit (Abb. 2.18). Hierüber hat Galileo Galilei (1564—1642), italienischer Physiker und Astronom, seine berühmten Fallversuche, wie berichtet wird am Schiefen Turm zu Pisa, angestellt (der Turm war zu Lebzeiten Galileis nicht so schief wie jetzt, aber schon schief genug). Nach neuen
Abb. 2.18 Fallversuch. Haltebolzen der Kugel schnellt nach EntSperrung einer Feder zurück. Mehrfachbelichtung, Lichtblitze, Blitzabstand 0,1 s; eine Einheit des Maßstabs ist 1 dm. Man erkennt das quadratische Anwachsen der Fallstrecke mit der Zeit; eine kleine Abweichung gegenüber Tab. 2.2 erklärt sich u. a. aus der marginalen Verzögerung der ersten Aufnahme gegenüber Fallbeginn.
2.3.3 Gleichförmig beschleunigte geradlinige B e w e g u n g Tab. 2.2 (= 0,1 s)
41
Freier Fall. Strecke s für Fallzeit t, gerechnet, s in m bzw. cm für t in s bzw. ds
t in s bzw. ds s in m bzw. cm
1 4,9
2 19,6
3 4 44 78
5 123
6 7 176 240
8 314
9 397
10 490
historischen Forschungen ist der Ort der Versuche allerdings fraglich. Bezeichnen wir die Beschleunigung, die von der Anziehungskraft der Erde herrührt, mit g, so ist unter unseren Anfangsbedingungen s = ~t
2
.
Die Beschleunigung g, die wir Fallbeschleunigung oder auch nennen wollen, hat in unseren Breiten den ungefähren Wert 8
=
(2.10) Erdbeschleunigung
9)81 -γ ; s
für die Variation von g mit der Höhe über der Erdoberfläche und mit dem Ort auf der Erdoberfläche vgl. Abschn. 3.2.2. Das Entscheidende an den Versuchen Galileis ist, daß, sekundäre Einflüsse wie ζ. B. Luftwiderstand ausgeklammert, alle Körper gleich schnell fallen. Das widersprach und widerspricht immer noch der naiven Ansicht. Wir veranschaulichen uns die beim freien Fall zurückgelegte Strecke in der Tabelle 2.2. Wir können g durch Messung an einem frei fallenden Körper unter Benutzung von Gl. (2.10) bestimmen. Wir messen ζ. B. die Zeit, die der Körper braucht, um eine bekannte Strecke zu durchfallen. In praxi gibt es viel genauere Methoden zur Messung von g (vgl. Abschn. 4.3.4). Zur bequemeren Demonstration der gleichförmig beschleunigten Bewegung unter dem Einfluß der Schwerkraft bedient man sich ζ. B. eines Wagens, der eine schiefe Ebene hinabfährt (Abb. 2.19). Hier wirkt offensichtlich nur die in Bahnrichtung zeigende Komponente von
Abb. 2.19 Wagen auf der schiefen Ebene. Die nach unten zeigende auf den Wagen der Masse m wirkende Gewichtskraft G = mg wird in eine Komponente senkrecht der Ebene, G cos φ η, und in eine parallel dazu, G sin φ e, zerlegt. Die letztere bewirkt eine Beschleunigung a = g sin φ.
42
2.3 Beschleunigung
Am
ü
Abb. 2.20 Atwoodsche Fallmaschine (Prinzip). Zur Beschleunigung der Gesamtmasse mges = 2m\ + Am trägt nur die Schwerkraft bei, die auf Am wirkt. Im Demonstrationsversuch wird die Bewegung der Rolle und des Seils sowie die Reibung vernachlässigt.
g, a = g sin φ. Eine andere Möglichkeit bietet die Atwoodsche Fallmaschine (Abb. 2.20), nach dem englischen Physiker und Mathematiker G. Atwood (1746—1807), bei der die Beschleunigung im Verhältnis Am/mges reduziert ist; hierbei ist Am die Massendifferenz zwischen den Massen auf der rechten und auf der linken Seite und mges die Gesamtmasse. Bei den letzteren beiden Beispielen vernachlässigt man gewöhnlich die Reibung und die Masse der Räder bzw. des Rades und des Seils, um die Verhältnisse, wenn auch etwas auf Kosten der Genauigkeit, zu simplifizieren. Ähnlich wie die Atwoodsche Fallmaschine arbeitet die Luftkissenbahn (Abschn. 3.1.2).
2.3.4
Gleichförmig beschleunigte Bewegung
In diesem Abschnitt wollen wir uns mit der allgemeinen gleichförmig beschleunigten Bewegung beschäftigen, bei der wir also nicht mehr voraussetzen, daß die Beschleunigung in Bewegungsrichtung liegt. Ein praktisch wichtiger Fall ist der Wurf, bei dem unter Vernachlässigung vor allem des Luftwiderstandes die konstante Beschleunigung die Fallbeschleunigung g ist. Sie ist immer nach unten gerichtet, während sich die daraus resultierende Geschwindigkeitskomponente mit der ursprünglich, beim Abwurf, vorhandenen Geschwindigkeit VQ überlagert. Zur Vereinfachung wäh-
-Ov y Abb. 2.21 Wurfparabel, mit Komponentenzerlegung von Anfangsgeschwindigkeit VQ und allgemeiner Bahngeschwindigkeit v.
2.3.4 Gleichförmig beschleunigte Bewegung
43
len wir, s. Abb. 2.21, yo = 0 und v0 in der >'.z-Ebene. Wir haben dann y = VOyt und daraus t =
(2.11)
sowie Z = Z0 + v0zt - γ
t2
oder, t aus Gl. (2.11) eingesetzt, , v0i ζ = Zo + — yV0y
8 2 -r-γz y 2v 0y
für die Bahn (für Würfe auf der Erde; Kosmonauten auf dem Mond müssen mit der auf dem Mond herrschenden Fallbeschleunigung rechnen). Abb. 2.22 zeigt eine Wurfparabel, aufgenommen mit einer Holzkugel. Abb. 2.23 gibt die Form eines aus einer Düse austretenden Wasserstrahls wieder. Der wirkliche physikalische Gehalt von Versuchen wie denen, die gerade beschrieben wurden, ist nicht so sehr in der Bestätigung der Rechnungen zu sehen, sondern in der Bestätigung der zugrunde gelegten Unabhängigkeit der Geschwindigkeitskomponenten. Eine praktische Anwendung unserer oben gebrachten Formeln kann in der Beantwortung der Frage bestehen, in welche Richtung man bei gleicher Anfangsgeschwindigkeit vq werfen muß, um maximale Weite zu erzielen. Für zo = 0 ist diese Antwort einfach zu finden. Das Resultat,
Abb. 2.22 Experimentelle Demonstration einer Wurfparabel. Holzkugel, aus Federkanone abgeschossen; Mehrfachbelichtung mit Blitzen, Blitzabstand 0,07 s, erster Blitz unmittelbar nach Auslösen des Abschusses. Man beachte die (praktisch) konstante Geschwindigkeitskomponente in der Waagerechten und die sich ändernde Geschwindigkeitskomponente in der Senkrechten.
44
2.3 Beschleunigung
Abb. 2.23 Experimentelle Demonstration einer Wurfparabel: Wasserstrahl vor vorgezeichneter Parabel (untere, symmetrische Kurve); oben nur (andere) vorgezeichnete Parabel. Strahl und vorgezeichnete (symmetrische) Kurve decken sich weitgehend. Es ist überraschend, wie gut man Flüssigkeitsstrahlen im Freien (in Luft) nach den einfachen Gesetzen der Punktmechanik behandeln kann, obwohl der Strahl von einem Massenpunkt sehr verschieden ist!
Abwurfwinkel 45° zur Waagrechten, ist aus der Schulphysik bekannt. Komplizierter wird die Rechnung für zo > 0, also für die Verhältnisse etwa eines Kugelstoßers. Ohne lange Rechnung erkennen wir qualitativ, daß der optimale Abwurfwinkel kleiner als 45° ist. Das sieht man, wie häufig in Fällen, bei denen es nur um das Vorzeichen der Auswirkung einer Veränderung geht, an dem Extremfall „zo = unendlich": Bei „unendlicher" Höhe zo ist es offensichtlich unerheblich, ob man die beim Wurf erreichte Maximalhöhe (Scheitelpunkt der Wurfparabel) noch durch eine senkrecht nach oben zeigende Komponente von vo vergrößert. Dagegen ist es wichtig, maximale Geschwindigkeit in der Waagrechten zu haben. Bei Sportarten mit leichten Wurfkörpern, die mit hoher Geschwindigkeit in Bewegung gesetzt werden (Golf, Tennis, Tischtennis, Federball, aber auch Hand- und Fußball) ist der Luftwiderstand nicht zu vernachlässigen. Die Bahn ist keine Wurfparabel. Bei Tennis und Tischtennis, in Spezialfällen auch beim Fußball, kommt noch eine bei Drehung des Balles um seine Achse auftretende Kraft hinzu. Sie wirkt nicht, wie der Luftwiderstand, rein hemmend, sondern im wesentlichen normal (senkrecht) zur Flugrichtung; Näheres darüber in Abschn. 6.6.5.
2.3.5
Gleichförmige Kreisbewegung
Bei der gleichförmigen Kreisbewegung bewegt sich der Massenpunkt auf einem Kreis mit Radius R, und der Betrag der Geschwindigkeit bleibt konstant: R = const,
ν — const
2.3.5 Gleichförmige Kreisbewegung
45
Abb. 2.24 Zur Kreisbewegung. Bei Änderung des Winkels φ um άφ wird auf dem Kreis die Strecke ds durchlaufen. Der Vektor ω steht auf der Zeichenebene senkrecht und zeigt nach oben (aus der Zeichenebene heraus).
(Abb. 2.24). Der Zusammenhang zwischen den Polarkoordinaten R und φ einerseits und den kartesischen Koordinaten χ und y andererseits ist durch x — R cos φ ,
y = /?sintt^eH>S'
Erstes Perpetuum mobile nach Villard de Honnecourt, um 1235. Aus: H. R. Hahnloser, Villard de Honnecourt, Wien 1935. — Nach Angaben des Deutschen Museums München.
3
Kraft, Arbeit und Potential
3.1
Die Newtonschen Axiome
3.1.1
Dynamik, Trägheit und Newtonsche Mechanik
In Kap. 2 haben wir uns mit der Beschreibung von Bewegungen begnügt. Wir haben außer acht gelassen, wodurch die Bewegung verursacht worden ist oder verändert wird. Jetzt werden wir genau nach dieser Ursache fragen und die Antwort in einer Kraft finden. Wir untersuchen dabei die Bewegung einer Masse, die wir uns der Einfachheit halber zunächst als Massenpunkt vorstellen können. Das Gebiet, das sich mit den Kräften befaßt, wird Dynamik genannt, von griech. dynamis = Kraft. Wirkt keine Kraft, so bleibt es beim „Status quo". Grund dafür ist nach Galilei die Trägheit. Wir demonstrieren sie mit einem überraschenden Versuch; die volle Erklärung kann erst später in Abschn. 6.2.2 gegeben werden. Wir ziehen ein Tischtuch schnell unter dem Kaffeegedeck weg (Abb. 3.1). Das Geschirr bleibt praktisch ortsfest; nur der Kaffee in der Kanne schwappt etwas. Könnten wir die Trägheit abschalten, würde das Gedeck natürlich mit dem Tischtuch vom Tisch gezogen werden; vgl. dazu auch Anhang A 3.1. Die Dynamik, die wir hier besprechen wollen, geht im wesentlichen auf den großen Isaac Newton zurück, der u. a. auch staatlicher Münzdirektor war (damit man ihn angemessen bezahlen konnte). Newton hat drei Axiome aufgestellt, eben die Newtonschen Axiome, die die Grundlage der Newtonschen Mechanik sind. Obgleich die Axiome so formuliert sind, daß man sie als auch bei relativistischen Geschwindigkeiten geltend interpretieren kann, also bei Geschwindigkeiten, die vergleichbar der Lichtgeschwindigkeit sind, hat sich aus den Newtonschen Axiomen doch eine Mechanik entwickelt, die nur bei Geschwindigkeiten klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit gültig ist. Wir werden also, allgemeinem Sprachgebrauch folgend, unter Newtonscher Mechanik die typisch nichtrelativistische Mechanik verstehen. Wegen ihrer überragenden Bedeutung geben wir die drei Newtonschen Axiome auch in der Originalsprache, dem Lateinischen, wieder, wie sie in Newtons „Philosophiae naturalis principia mathematica" 1687 angegeben sind.
3.1.2
Die beiden ersten Newtonschen Axiome
Das erste Newtonsche Axiom lautet in Newtons Originalformulierung: LEX
I.
Corpus omne perserverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directum, nisi quatenus a viribus impressis cogitur statum illum mutare.
52
3.1 Die N e w t o n s c h e n A x i o m e
Abb. 3.1 Versuch zum Trägheitsprinzip. Das Tischtuch wird schnell fortgezogen. Das Geschirr wird nur wenig in Zugrichtung versetzt. Der Kaffee in der Kanne kommt nur mäßig in Bewegung (mittleres Bild), und das Tischtuch bleibt sauber.
Das können wir ins Deutsche etwa folgendermaßen übertragen: • Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung, sofern er nicht durch aufgeprägte Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern. Auf die Frage, wie die Bewegung zu bestimmen sei, also modern ausgedrückt, gegenüber welchem Bezugssystem wir den Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung messen oder berechnen sollen, antwortet Newton: gegenüber dem „absoluten Raum". Wir Heutigen sagen statt dessen: gegenüber dem „Universum", d. h. gegenüber „allen (andern) Massen".
3.1.2 Die beiden ersten Newtonschen Axiome
20 g
53
Abb. 3.2 Federwaage. Feder durch ihr Symbol nach DIN-Norm dargestellt. Bei richtiger Auswahl des Federmaterials und nicht zu starker Auslenkung ist die Auslenkung proportional der Kraft; Genauigkeit gering. Neuere (physikalische) Federwaagen, wie die abgebildete, sind nicht in Kilogramm, sondern in Newton (N) geeicht (s. Abschn. 3.2.1). Zeichnungen nach DIN-Norm sind für physikalische Zwecke nicht immer geeignet!
Die Frage, was wir uns unter „Kraft" vorzustellen haben, ist, zum mindesten scheinbar, einfacher zu beantworten. Kräfte kennen wir aus einer Grunderfahrung, die jeder Mensch hat: Wir haben ein körperliches Gefühl für die Kraft, die wir mit unseren Muskeln ausüben. Kräfte kann man einfach mit einer Federwaage messen (Abb. 3.2). Wir möchten Kräfte aber nicht durch ihre Wirkung auf eine Federwaage definieren. Wir werden sie vielmehr durch ihre Wirkung auf einen beweglichen Körper, d. h. durch ihre Beschleunigung definieren. Auf dieselbe Art und Weise werden wir sie auch, jedenfalls im Prinzip, messen. Das erste Newtonsche Axiom ist gleichbedeutend mit dem Trägheitsprinzip, das auf Galilei zurückgeht. Die Gültigkeit des Trägheitsprinzips bei Bewegung wird nicht durch direkte Beobachtungen auf der Erde nahegelegt. Vielmehr scheinen alle Beobachtungen dem Trägheitsprinzip zunächst zu widersprechen. Es gibt ja keinen Versuch, der im Labor an makroskopischen Objekten, also an mit bloßem Auge sichtbaren Gegenständen ausgeführt werden kann und dem Trägheitsprinzip, unmittelbar und naiv angewandt, nicht widerspräche. Die Gültigkeit des Trägheitsprinzips läßt sich nur recht unvollkommen, jedoch besser als man zunächst erwartet, mit einer Scheibe auf dem Luftkissentisch demonstrieren, vgl. Abschn. 2.2.3. Alle diese dem Trägheitsprinzip scheinbar widersprechenden Beobachtungen im Makroskopischen erklären wir jetzt durch die Wirkung hemmender Kräfte, die auszuschalten wir eben nicht in der Lage sind. Für den mitttelalterlichen Beobachter mögen die Bahnen der Planeten und Fixsterne, gemessen von der Erde als Bezugssystem, als „ewig unveränderlich" erschienen sein. Im Kopernikanischen Weltsystem spiegeln die unveränderlichen Fixsternbahnen an unserem Himmel nur die Konstanz der Erddrehung wider (heute wissen wir, daß die Winkelgeschwindigkeit der Erde nicht genau konstant ist). Auch die Bewegungen der Planeten können nicht gut zur Stützung des Trägheitsprinzips herangezogen werden: Planetenbahnen sind ja keineswegs Gerade, sondern (näherungsweise) Kreise. Körper auf solchen dauernd gekrümmten Bahnen benö-
54
3.1 Die Newtonschen Axiome
tigen dauernd eine Normalbeschleunigung, die nur von einer Kraft herkommen kann. Was passiert, wenn eine „aufgeprägte" Kraft wirkt, sagt das zweite Newtonsche Axiom: LEX
II.
Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae, & fieri secundum lineam rectam qua vis illa imprimitur. Deutsch heißt das: • Die Änderung der Bewegungsgröße ist der aufgeprägten bewegenden Kraft proportional und geschieht in Richtung derjenigen geraden Linie, in welcher jene Kraft aufgeprägt ist. Bezeichnen wir die „Bewegungsgröße" Newtons mit p, so lautet das zweite Newtonsche Axiom als Gleichung, wenn wir noch „proportional" durch „gleich" ersetzen,
mit ρ = mv;
(3.2)
wir nennen ρ den Impuls, m ist wie üblich die Masse und υ die Geschwindigkeit. Was Masse ist, wollen wir hier nicht behandeln. Wir charakterisieren sie vielmehr dadurch, daß zu ihrer Bewegungsänderung Kraft nötig ist. Das hat natürlich quantitativ zu geschehen. Masse und Kraft sind also zunächst in ihrer Relation zueinander definiert; um aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit herauszukommen, legen wir die Einheit der Masse fest (vgl. Abschn. 3.2.1). Bevor wir das tun, wollen wir jedoch zu entscheiden versuchen, ob das erste Newtonsche Axiom nur ein Spezialfall des zweiten ist, sich also im Sinne einer logischen Ökonomie als unnötig erweist, oder nicht. In der Literatur sind die Meinungen darüber geteilt. Setzt man nämlich F = 0, so ist auch die Änderung der Bewegungsgröße und, so können wir hinzufügen, der Bewegung null. Ergo müßte das Trägheitsprinzip, das erste Newtonsche Axiom, aus dem zweiten folgen und somit überflüssig sein. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen, weil das zweite Newtonsche Axiom das Verschwinden eines ζ. B. ruhenden Körpers an einem Ort und sein simultanes Wiederauftauchen an einem anderen Ort nicht verbietet. Das erste Newtonsche Axiom hingegen scheint mir so etwas ausschließen zu wollen.
Die Wirkung einer Kraft F (die zeitlich variieren kann) über einen Zeitraum At = t2 — t\ nennt man einen Kraftstoß. Durch Integration von Gl. (3.1) erhält man
t\ Es ist also gar nicht nötig, Einzelheiten von F — F{t) zu kennen, um zu können. Wir wollen die Form Gl. (3.1) des zweiten Newtonschen Axioms wir die Differentiation an ρ wirklich ausführen. Hierbei wollen wir voraussetzen, und damit begeben wir uns definitiv auf das Gebiet der
Δρ ausrechnen ändern, indem einschränkend nichtrelativisti-
3.1.2 Die beiden ersten Newtonschen Axiome
55
sehen Mechanik, daß die Masse konstant ist. Wir erhalten dann F = ma,
(3.4)
wobei α die in Abschn. 2.3.1 eingeführte Beschleunigung ist. Analog zu Gl. (3.3) ergibt sich h j F dt — m(v2 — v\) = m Av. '1
(3.5)
In der Form F — m d2s/dt2 geschrieben, sehen wir dem zweiten Newtonschen Axiom sofort die aus ihm folgende Invarianz der Newtonschen Mechanik gegenüber Zeitumkehr an: Die Form dieser Gleichung ändert sich nicht, wenn man t durch —t ersetzt, da dann das Minuszeichen zweimal eingeht. Dasselbe erkennen wir natürlich auch aus der ursprünglichen Formulierung Gl. (3.1) mit Gl. (3.2). Setzt man in Gl. (3.4) als Beschleunigung die Fallbeschleunigung g ein, also die Beschleunigung, die ein frei fallender Körper aufgrund der Schwerkraft erfährt, so erhält man eine Kraft F, die wir das Gewicht G nennen wollen (wenn Verwechslungen mit der Gravitationskonstanten G zu befürchten sind, werden wir die Kraft mit FG bezeichnen): G = mg. Meist gibt man für das Gewicht nur den Betrag von G an: G = mg. Indem wir an eine Federwaage verschiedene „Gewichte", präziser Gewichtsstücke, also Körper mit verschiedenen Massen hängen, erhalten wir verschiedene Auslenkungen (Abb. 3.3). Für nicht zu große Auslenkungen ist die Auslenkung proportional dem angehängten Gewicht, also proportional der Kraft. Wir haben den Zu-
Abb. 3.3 Auslenkung Α einer Federwaage als Funktion der Kraft G, Meßkurve.
56
3.1 Die Newtonschen Axiome
Abb. 3.4 Beschleunigungsmessung mit Luftkissenbahn. Der Schlitten (auf dem Bild links) wird mit konstanter Kraft nach links gezogen. Drei Lichtschranken messen die Zeit. Startposition unmittelbar rechts von der rechten Schranke. Schrankendistanz 1 m. Gesamtmasse 480 g, beschleunigende Kraft G = 20 g χ g. Die Zeiten zum Durchlaufen von einem Meter sind mit den* Stoppuhren zu 2.1 bzw. 0.9 s gemessen.
sammenhang F = Cz,
(3.6)
wenn wir die Auslenkung gegenüber der Ruhelage bei unbelasteter Federwaage mit ζ bezeichnen. Die Proportionalitätskonstante C zwischen F und ζ heißt Federkonstante. Wir können also Kräfte direkt mit einer Federwaage messen. Zur experimentellen Prüfung von Gl. (3.4), ob bei konstanter Masse Kraft und Beschleunigung zueinander proportional sind, bedienen wir uns jedoch eines Gewichts zur Erzeugung der Kraft. In Abb. 3.4 ist eine Versuchsanordnung mit einer Luftkissenbahn dargestellt. Wir messen die als konstant vermutete Beschleunigung mit Hilfe der Zeit, die zum Durchlaufen eines bestimmten Weges benötigt Tab. 3.1 Meßdaten und errechnete Fallbeschleunigung für den Versuch Abb. 3.4. Streckenlänge je 1 m. Beschleunigende Masse (Gewicht) m = 20 g, Gesamtmasse Μ = 480 g. g errechnet sich gemäß g = aMjm
t in s α in m/s 2 g in m/s 2 a
Erste Strecke
zweite Strecke
2,1 0,45 lla
0,9 0,44 10 a
Der große Unterschied zwischen beiden Werten für g trotz kleinen Unterschieds zwischen den Werten für α kommt durch Abrunden zustande und würde bei Angabe von mehr Stellen fast verschwinden. Diese weiteren Stellen wären bei unserer Meßgenauigkeit aber bedeutungslos; ebenso bedeutungslos ist der Unterschied der tabellierten Werte für g, und ebenso bedeutungslos wäre die gute Übereinstimmung der Werte mit mehr Stellen.
3.1.3 Das dritte Newtonsche A x i o m
57
ν m/s
0.5
2
3
t/s
Abb. 3.5 Ergebnis des Versuchs Abb. 3.4. Geschwindigkeit ν als Funktion von Zeit t aufgetragen. Die waagerechten Balken geben den Zeitbereich an, über den die Geschwindigkeit jeweils gemittelt ist, die senkrechten den durch die Zeitablesung gegebenen Fehler von v. wird. Tab. 3.1 enthält die für die Verhältnisse des Versuchs Abb. 3.4 gemessenen Zeiten, Abb. 3.5 die entsprechende berechnete Kurve. Wir prüfen Gl. (3.4) (unter Benutzung von F = const und υ = at): Wenn alles „stimmt", muß υ linear mit t wachsen; das ist (im Rahmen unserer Fehler) der Fall. Zur Prüfung der Kraft- und Massenabhängigkeit der Beschleunigung benutzen wir dieselbe Apparatur, ändern aber bei konstanter Kraft, d. h. bei konstantem Zuggewicht, die Masse des Wagens und bei konstanter Masse das Zuggewicht. In beiden Fällen finden wir innerhalb unserer Meßgenauigkeit Gl. (3.4) bestätigt.
3.1.3
Das dritte Newtonsche Axiom
Das System der Newtonschen Axiome, so weit wir es bisher behandelt haben, ist noch nicht vollständig. Wenn wir ζ. B. ein Gewicht an unsere Federwaage hängen, müssen wir die Federwaage selber so aufhängen, daß sie nicht „herunterfällt". Die Aufhängung muß dabei die Federwaage und das daran aufgehängte Gewicht tragen. Jede Kraft erfordert eine Gegenkraft. Dem widerspricht die naive Erfahrung mit der Schwerkraft: Man sieht keine Aufhängung, keinen Punkt also, an dem die Schwerkraft ihrerseits aufgehängt ist. Wie wir später genauer sehen werden, stellt die Erde diesen Gegenkörper dar, und man kann als Aufhängepunkt den Mittelpunkt der Erde nehmen. Ähnliche Verhältnisse liegen vor, wenn man Kräfte „von außen" ausschließt, aber Kräfte „von innen" zuläßt. So etwas nennt man in der Mechanik ein abgeschlossenes System. Genauer gesagt wollen wir als abgeschlossenes mechanisches System eine gewisse Menge physikalischer Dinge, vor allem Körper, verstehen, auf die keinerlei Kraft von außen wirkt, oder anders ausgedrückt, bei denen alle wirkenden Kräfte ihren Ursprung im System selber haben. Ein solches System verbleibt nach dem ersten Newtonschen Axiom in Ruhe oder gleichförmiger Bewegung, da insgesamt keine Kraft auf das System wirkt. Wenn also innerhalb des Systems Kräfte
58
3.2 Träge und s c h w e r e M a s s e
Abb. 3.6 Versuch zum Reaktionsprinzip. Zwei Männer von ungefähr gleichem Gewicht stehen auf zwei gleichen Wagen. Der rechte Mann zieht am Seil, das am linken fixiert ist. Beide Männer bewegen sich unter Zurücklegen praktisch gleicher Wege aufeinander zu. auftreten, so müssen sie sich insgesamt kompensieren. Diesen Tatbestand präzisiert das dritte Newtonsche Axiom und spezifiziert ihn für jede einzelne auftretende Kraft. Das Axiom lautet auf lateinisch:
Corporum duorum actiones in se mutuo semper esse aequales & in partes contrarias dirigi. Auf deutsch heißt das: • Die Wirkungen zweier Körper aufeinander setzter Richtung.
sind stets gleich und von
entgegenge-
Dieses Axiom, auch Reaktionsprinzip genannt, wird häufig mit den Schlagworten actio = reactio oder Aktion — Reaktion beschrieben. Abb. 3.6 zeigt dazu einen Demonstrationsversuch.
3.2
Träge und schwere M a s s e
3.2.1
M e s s u n g v o n Kraft u n d träger M a s s e
Bisher haben wir Wort und Begriff „Masse" in gewisser Hinsicht unkritisch gebraucht. Jetzt wollen wir zwischen träger Masse und schwerer Masse unterscheiden.
3.2.1 Messung von Kraft und träger Masse
59
Wir werden dann sehen, daß wir beide Arten Masse gleichsetzen können, und danach wieder allgemein von „Masse" reden. Mit träger Masse haben wir es zu tun, wenn wir Körper beschleunigen wollen, wenn also das zweite Newtonsche Axiom und damit Gl. (3.4) anzuwenden ist. Mit schwerer Masse haben wir es zu tun, wenn wir Effekte der Gravitation betrachten. Träge Masse Um die träge Masse m\ eines Körpers 1 mit der trägen Masse wi2 eines Körpers 2 zu vergleichen, lassen wir auf beide Körper dieselbe Kraft F wirken. Wir haben dann mit α als Beschleunigung F — m\a\ = m2ü2 und daraus a\ m\ . a.2 Unter Physikern (und zwischen den Staaten, in denen die Physiker wohnen) ist die Verabredung getroffen worden, als Masse m\ das Urkilogramm zu nehmen, das durch einen Zylinder aus Platin-Iridium (im wahrsten Sinne des Wortes) verkörpert wird. Er wird im Bureau international des poids et mesures in Sevres bei Paris aufbewahrt. Vom Urkilogramm wurden Sekundärstandards erstellt und unter den einzelnen Ländern verlost. Der deutsche Standard, der ab und zu mit dem Urkilogramm verglichen wird, trägt die Nummer 52. Mit ihm werden in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig von Zeit zu Zeit die Hauptnormale der PTB verglichen, an denen Bezugsnormale, ζ. B. zu Eichdirektionen und Firmen gehörend, geeicht werden. Die Masseneinheit wurde seinerzeit so gewählt, daß sie unter bestimmten Bedingungen gleich der Masse von einem Liter (1 1 = 10~3 m 3 ) flüssigem Wasser ist. Wie die schon früher eingeführten Einheiten Meter und Sekunde ist auch das Kilogramm eine Grundeinheit des SI. Die sieben Grundeinheiten, die man in der Physik verwendet, sind im Anhang A 1.1 zusammengestellt. Das Kilogramm ist die einzige Grundeinheit, die den Vorsatz „kilo" trägt. Wäre man ganz konsequent, so müßte man, da man die Grundeinheit der Masse Kilogramm nennt, das Gramm in „Millikilogramm" umbenennen. Aber so konsequent sind nicht einmal die penibelsten Physiker, nämlich die, die sich mit Maßsystemen und Einheiten befassen. Durch Zehnerpotenzen vom Kilogramm abgeleitete Masseneinheiten sind das Gramm (g) (1 g = 10 - 3 kg) und die Tonne (t) (1 t = 103 kg). Masseneinheiten mit Vorsätzen (vgl. Anhang A 2.4) leiten sich von g (und nicht etwa von kg!) ab, z.B. 1 = 10"6 g. Neben den durch Zehnerpotenzen vom Kilogramm oder Gramm abgeleiteten Masseneinheiten gibt es Masseneinheiten, die aus praktischen, vor allem meßtechnischen Gründen auf andere Gebilde als das Urkilogramm bezogen sind. In der Atom- und Kernphysik verwendet man als Masseneinheit häufig die atomare Masseneinheit u, den zwölften Teil der Masse eines Kohlenstoffatoms der Massenzahl 12, das also 12 Nukleonen enthält (vgl. Abschn. IV, 4.1.1): m2=
—
lu = ~
m ( 12 C-Atom)
60
3.2 Träge und schwere Masse
In atomaren Massenspektrometern kann man nämlich Massen sehr genau vergleichen, aber nicht so genau absolut bestimmen. Gäbe man die Massen in der Einheit Kilogramm an, so ginge in Wert und vor allem Fehler jedesmal der Umrechnungsfaktor von atomarer Masseneinheit zu Kilogramm bzw. dessen Fehler ein. Dadurch müßten nicht nur bei jeder Neubestimmung des Umrechnungsfaktors alle atomaren Massen neu umgerechnet werden, sondern man erhielte vor allem bei jeder einzelnen Masse einen viel zu großen Fehler. Man kann ungefähr denselben Sachverhalt auch anders formulieren: Die atomare Masseneinheit ist über das 12C-Atom in einem Massenspektrometer leicht zu reproduzieren, das Kilogramm hingegen nicht. Die Wahl von 1/12 des 12C-Atoms als Einheit und nicht etwa die vom Protium (Wasserstoff der Massenzahl 1, nicht zu verwechseln mit dem natürlichen Gemisch nat H) hat rein meßtechnische Gründe. nat H enthält 0,015 Atom-Prozent ( = Prozentsatz bezogen auf Anzahl der Atome) 2 H, Deuterium (D) und etwas 3 H (Tritium, radioaktiv). In der Atom- und Kernphysik verwendet man häufig die relative Atommasse, früher Atomgewicht genannt. Sie ist definiert als die Masse eines Atoms, dividiert durch die atomare Masseneinheit: def ^Atom
AT =
.
U
Die relative Atommasse ist also eine unbenannte Zahl. Analog dazu ist die ebenfalls in der Physik, aber vor allem in der Chemie und Biologie häufig benutzte relative Molekülmasse definiert, früher Molekulargewicht genannt: . . def «Molekül
Mr =
u
.
Die relative Molekülmasse ist also ebenfalls eine unbenannte Zahl. Die Einheit der Stoffmenge, Symbol n, ist das Mol. Sie ist nur anwendbar, wenn die betrachtete Materie aus lauter als gleich anzusehenden, wohldefinierten Teilchen, ζ. B. Atomen oder Molekülen, besteht. Ein Mol (1 mol) ist diejenige Stoffmenge, die genau so viele Teilchen enthält, wie Atome in 0,012 kg Kohlenstoff der relativen Atommasse 12 enthalten sind. Daneben ist noch das Kilomol (kmol) gebräuchlich. Etwas lax kann man sagen, ein Mol liegt dann vor, wenn die Masse eines Stoffes MT Gramm beträgt. Die Anzahl der Teilchen in einem Mol nennen wir Loschmidt-Zahl L, die Anzahl der Teilchen (allgemein) dividiert durch die Stoffmenge Avogadro-Konstante NA, ZU Ehren des österreichischen Physikers J. Loschmidt (1821—1895) bzw. des italienischen Mathematikers und Physikers (Graf) A. Avogadro (1776-1856). Die Werte sind L = 6,02 χ 1023 bzw. NA = 6,02 χ 10 23 /mol (genauer Zahlenwert im Anhang A 3.2). Die Masse eines einzelnen Teilchens ist dann offenbar der 6 χ 1023te Teil der Masse eines Mols: _ ™Mo\ __ WMOI "^Teilchen — ;— — 7
L
NA mol
3.2.1 Messung von Kraft und träger Masse Tab. 3.2
61
Massen m in kg (wenn nicht anders angegeben)
Universum unsere Galaxie Sonne Erde Mond Jumbojet (vollbeladen) Größter Meteorit (Fund) Liter Wasser (größte Dichte) Rotes Blutkörperchen des Menschen Eiweißmolekül Uranatom ( na, U) Stickstoffmolekül ( nat N 2 ) Kohlenstoffatom ( 12 C) Proton Elektron Elektronen-Antineutrino Lichtquant
«10 5 3 einige 1042 (einige 1012 m S o n n e ) 1,993 χ 1030 (3,32946 χ 105 m Erde ) 5,970 χ 1024 7,350 χ 1022 (0,0123 mErdc) 3,86 χ 105 6,0 χ 104 0,99997 « 4 χ 10~ 10 einige 10"23 3,952565 χ 10"25 2,325868 χ 10"26 1,992648 χ 10"26 1,672623 χ 10~27 9,109390 χ ΙΟ"31 0 [ 0) unterliegen müssen. Indem wir uns jetzt wieder makroskopischen Objekten zuwenden, mit denen wir einfacher experimentieren können, schauen wir uns das Demonstrationsexperiment für den freien Fall im Vakuum an: In Abb. 3.9 fallen eine Vogelfeder und ein Pfennig im ausgepumpten Rohr „um die Wette". Beide Körper fallen gleich schnell. In der praktischen Ausführung ist es wichtig, Kleben oder Reiben der Feder an den Glaswänden zu vermeiden. Allgemein haben wir beim freien Fall FG = msgs
(3.9)
als Kraft, die auf die Masse m s wirkt. Dieselbe Kraft wirkt aber auf die träge Masse m T und beschleunigt sie: FG=mTgT.
(3.10)
Abb. 3.9 Freier Fall von Feder und Pfennig in Luft (links) und im Vakuum (Mitte und rechts). Das Rohr wird schnell „auf den Kopf gestellt", so daß die Körper in etwa zur selben Zeit zu fallen beginnen. Die Bilder Mitte und rechts gehören zwei verschiedenen Einzelversuchen an. Rechts ist die Feder dem Pfennig noch etwas voraus: Vor Fallbeginn liegt sie im Mittel über ihre Masse genommen etwas tiefer als der Pfennig (wegen ihrer größeren räumlichen Ausdehnung).
3.2.2 Gravitation und schwere Masse
65
Der Index „T" steht dabei für „trag". Um es noch einmal deutlich zu sagen: gs ist die aus der Erdanziehung herrührende Beschleunigung, mit der die schwere Masse MS angezogen wird. Die Kraft FC kann ζ. B. mit einer Federwaage gemessen werden, wenn die Masse m$ ruht, gj ist die Beschleunigung, die die Masse mT erfährt, wenn sie der Kraft Fq ausgesetzt wird (wir nehmen natürlich an, und alle Erfahrung berechtigt uns zu dieser Annahme, daß die Schwerkraft unabhängig davon ist, ob der Körper, auf den sie wirkt, ruht oder sich bewegt), gs können wir auch aus unserer Formel Gl. (1.4) errechnen, wenn wir G kennen und, ein Ergebnis von Abschn. 3.3.3 vorwegnehmend, für r den Abstand zwischen ms und dem Erdmittelpunkt einsetzen: m Erde gs = G
(3.11)
gx ist die Beschleunigung im freien Fall, mit Metermaß und Stoppuhr gemessen. Aus Gin. (3.9) und (3.10) erhalten wir m ms
_
gj
(3.12)
gs '
Solche Fallversuche sowie ähnliche, aber wesentlich genauere Experimente ergeben das Resultat gj = gs- Nach Gl. (3.12) sind dann auch beide Massen gleich: mj — ms
.
Natürlich können wir, wenn wir genügend ungeschickt sind, für die träge Masse und für die schwere Masse verschiedene Einheiten festlegen, ζ. B. die träge Masse in kg und die schwere Masse in amerikanischen Pfund messen. Das würde aber nichts an dem Ergebnis ändern, daß schwere und träge Masse in der Tat gleich sind. Ein genaues Experiment zur Überprüfung der Gleichheit von träger und schwerer Masse hat der ungarische Physiker Lorant Eötvös (1848—1919) 1909 angestellt. Der Versuch ist in Abb. 3.10 skizziert. Man hängt eine Masse m an einem Faden auf. m
Abb. 3.10 Prinzip des Eötvös-Versuchs zur Überprüfung der Gleichheit von träger und schwerer Masse. Hier und in der folgenden Abbildung haben wir die Erdachse senkrecht gezeichnet, weil wir Physiker und keine Astronomen sind, also die Schrägstellung der Erdachse gegenüber der Ebene der Erdbahn um die Sonne für uns irrelevant ist.
66
3.2 Träge und schwere Masse
unterliegt dabei der Erdanziehung und, im System der sich um ihre Achse drehenden Erde gemessen, der Zentrifugalkraft (vgl. Abschn 5.2.1). Die Gravitationskraft zeigt zum Zentrum der Erde, die Zentrifugalkraft senkrecht zur Achse nach außen. Insgesamt resultiert ein gewisser Winkel α zwischen Faden und Linie zum Erdmittelpunkt. Das Entscheidende am Experiment ist nun, Veränderungen von α zu mesen oder auszuschließen, wenn verschiedene Massen m aufgehängt werden. Das Ergebnis des Eötvös-Versuches und von ähnlichen Versuchen, die später ausgeführt wurden, ist
Auf eine kurze Form gebracht drücken wir den Sachverhalt verbal so aus: • Schwere und träge Masse sind gleich. Weil kein Unterschied zwischen schwerer und träger Masse trotz sehr großer Meßgenauigkeit festgestellt wurde, wollen wir von jetzt ab die in diesem Kapitel eingeführte Unterscheidung zwischen schwerer und träger Masse wieder fallen lassen und von Masse schlechthin sprechen. Die Größe der Fallbeschleunigung g ist räumlich nicht konstant. Wenn wir uns weit vom Erdmittelpunkt entfernen, werden wir gemäß Gl. (3.11) einen kleineren Wert messen. Die Drehung der Erde um ihre Achse verursacht, wie oben ausgeführt, eine zusätzliche Beschleunigung, eben die Zentrifugalbeschleunigung und damit eine Reduzierung von g. Dieser Effekt ist auf der Erdoberfläche am Äquator am größten und an den Polen null. Den Haupteffekt in der örtlichen Variation bringt aber, wenn wir von Höhenänderungen gegenüber der Meereshöhe Null (NN) und kleinräumigen (lokalen) Einflüssen (s. u.) absehen, die Abweichung der Erdform von der Kugelgestalt: Die vor allem in äquatornäheren Zonen wirkende Zentrifugalbeschleunigung, immer in einem mit der Erde rotierenden System gemessen, verformt die Erde, wenn auch nur schwach, in Richtung einer Scheibe, die sich um ihre Achse kleinsten Durchmessers dreht. Dadurch kommen die polnahen Gebiete näher an den Erdmittelpunkt, und die Erdbeschleunigung wird dort größer. Tab. 3.3 gibt Daten über die Abplattung der Erde und die Fallbeschleunigung an. Abb. 3.11 stellt die Verhältnisse dar. Neben diesen, im wahrsten Sinne des Wortes, globalen Einflüssen gibt es lokale Einflüsse. In der Nähe von Gebieten größerer Dichte, wo also das Verhältnis von Masse zu Volumen größer ist, wird man größeres g erwarten. Direkt über dem Zentrum dieser Massenanhäufungen wird g dem Betrag nach, nicht aber der Richtung Tab. 3.3 Erdabplattung und Fallbeschleunigung g (in einem mit der Erde rotierenden System auf Meereshöhe). (rÄquator) mittlerer Erdradius am Äquator, (rPoi) mittlerer Erdradius an den Polen
Abplattung [( o AV dV ' Ist die so definierte Dichte innerhalb eines bestimmten Volumens V konstant, so kann man statt dessen natürlich auch schreiben
(? = y ;
(3.39)
in Worten: • Dichte ist Masse durch Volumen. Als Beispiele seien Wasser und Eisen angeführt. Ein Liter, also 10~ 3 m 3 Wasser hat die Masse 1 kg (die genaue Masse von 1 l Wasser hängt von der Temperatur ab; ursprünglich war beabsichtigt, das Urkilogramm gleich der Masse von 1 t Wasser bei größter Dichte, die bei 4 °C erreicht wird, zu machen; es besteht jedoch eine kleine Abweichung). Die Dichte von Wasser ist also ρ = 1 kg/10~ 3 m 3 = 1000 k g / m 3 = 1 kg/dm 3 = 1 g/cm 3 . Die meisten Metalle sind dichter als Wasser. Eisen hat eine Dichte von ρ = 7,9 g/cm 3 . Tab. 3.5 gibt typische Dichten an. Im folgenden wollen wir das Gravitationspotential einer aus konzentrischen Kugelschalen bestehenden Kugel ausrechnen. Jede Kugelschale soll eine konstante Dichte haben; die Dichte ist also nur eine Funktion des Radius, nicht aber der Breite und Länge auf der Kugel, ρ = ρ(Γ).
(3.40)
Diese Aufgabe wollen wir in einzelnen Schritten bewältigen. Tab. 3.5
Typische Werte der Dichte in kg/dm3
Gase unter Normbedingungen* Wasserstoff (na,H) Luft (H 2 0- und COi-frei) Kohlenstoffdioxid Xenon
0,00008989 0,001293 3 0,0019769 0,0058971
bei Sättigungsdruck** Wasserstoff (natH) (f = -253,24 °C) Sauerstoff (t = -182,0 °C) Wasser (t = 100 °C) Wasser (f = 20 °C) Kohlenstoffdioxid (f = 18,82 °C)
0,00116 0,0051 0,0005977 0,00001729 0,181
88
3.3 Energie
Tab. 3.5
Fortsetzung
Flüssigkeiten Wasserstoff ( nat H) (t = -253,24 °C) Kohlenstoffdioxid (t = 18,82 °C) Wasser (i = 20 °C) Sauerstoff (t = - 1 8 2 , 0 °C) Quecksilber (t = 20 °C)
0,07137 0,783 0,9982 1,1455 13,546
Feste Stoffe bei t = 20° C, wenn t nicht angegeben Wasserstoff ( nat H) (t = - 2 5 9 , 2 °C) Kohlenstoffdioxid (t = - 1 9 0 °C) Lithium Eis {t = 0 °C) Magnesium Graphit Aluminium Eisen Kupfer Silber Blei Wolfram Gold Platin
0,089 1,63 0,534 0,92 1,74 2,25 2,702 7,87 8,96 10,5 11,34 19,27 19,29 21,45
Bau- und Werkstoffe Fichtenholz (lufttrocken; Mittelwert) Glas (Duran 50 Nr. 8330, Schott) Beton (Kiesbeton, lufttrocken; Mittelwert) Messing (Mittelwert) Stahl (V2A; 74% Fe, 18% Cr, 8% Ni) Polyethylen (hochpolymer)
0,47 2,23 2,2 8,5 7,9 1,0
Himmelskörper Sonne (gemittelt) Mond (gemittelt) Erde (gemittelt) Neutronenstern (Zentrum)
1,41 3,341 5,52 5 χ 1014
Kerne und Teilchen Kohlenstoffkem (für rms-Radius***) Proton (für rms-Radius) Elektron (für rms-Radius)
3,3 χ 1014 8 χ 1014 oo(>4xl020)
* ρ = 1,01325 bar Druck und t = 0 °C Temperatur, s. Abschn. ΙΠ, 3.1.3 ** s. Abschn. 8.4.4 *** s. Abschn. IV, 4.1.1
3.3.3 Gravitationspotential von Kugelschale und Kugel
89
Potential außerhalb einer dünnen Kugelschale Aus der dünnen Kugelschale, dR