Petrus: Fischer, Fels und Funktionär [3 ed.] 3374070353, 9783374070350

Simon, Sohn des Johannes, erhält von Jesus den Beinamen Petrus (Stein). Unter diesem Namen tritt der Fischer vom See Gen

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German Pages 289 [293] Year 2021

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INHALT
Vorwort
A. Einführung
1. Hahn oder Schlüssel?
2. St. Peter zu Rom
3. Quellen
B. Darstellung
1. Petrus als Anhänger Jesu von Nazaret
1.1. Herkunft aus Galiläa
1.1.1. Land und Leute
1.1.2. Betsaida und Kafarnaum
1.1.3. Familie und Beruf
1.2. Name und Beiname
1.2.1. Simon, Sohn des Jona/Johannes
1.2.2. Kephas/Petrus
1.3. Berufung und Beauftragung
1.3.1. Beziehung zum Täuferkreis
1.3.2. Berufung am See
1.3.3. Einsetzung der Zwölf
1.3.4. Auftragsworte an Petrus
1.4. Nachfolge und Profilierung
1.4.1. Petrus im Zwölferkreis
1.4.2. Petrus als Wortführer
1.4.3. Petrus als Hauptakteur
1.5. Diskurs über Christologie
1.5.1. Gerüchte um Jesus von Nazaret
1.5.2. Messiasbekenntnis und Satanswort
1.6. Erschütterungen in Jerusalem
1.6.1. Szenarien der Passionsgeschichte
1.6.2. Ansage der Verleugnung
1.6.3. Drama in Getsemani
1.6.4. Verleugnung und Reue
2. Petrus als Gestalt der frühen Christenheit
2.1. Zeuge am Ostermorgen
2.1.1. Ersterscheinung vor Petrus?
2.1.2. Auftragserneuerung
2.2. Organisator in Jerusalem
2.2.1. Leitungsfunktion
2.2.2. Verkündungsinitiative
2.2.3. Visitationsverantwortung
2.3. Protagonist der Mission
2.3.1. Jerusalem – Judäa – Samariën
2.3.2. Kornelius und Völkermission
2.4. Wundertäter durch Glauben
2.4.1. Taten und Erfahrungen
2.4.2. Bezüge und Parallelen
2.5. Wanderprediger auf Reisen
2.5.1. Abschied von Jerusalem
2.5.2. Wege im Unsichtbaren
2.6. Vermittler in Antiochia
2.6.1. Apostelkonvent in Jerusalem
2.6.2. Streit um die Tischgemeinschaft
2.7 Märtyrer in Rom?
2.7.1. Historische Rahmenbedingungen
2.7.2. Literarische Tradition
2.7.3. Archäologische Spuren
C. Wirkung
1. Petrusbilder der Evangelien
2. Petrusbriefe im Neuen Testament
3. Apokryphen und Legenden
4. Vicarius Christi und päpstlicher Primat
5. Petrusamt– Petrusfunktion – Petrusdienst?
Backmatter
D. Verzeichnisse
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Gesamtdarstellung
3. Kommentare
4. Einzelstudien
Abbildungsverzeichnis
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Petrus: Fischer, Fels und Funktionär [3 ed.]
 3374070353, 9783374070350

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Christfried Bottrich Petrus

Biblische Gestalten Herausgegeben von Christfried Bottrich und Riidiger Lux Band 2

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT Leipzig

Christfried Bottrich

Petrus Fischer, Pels und Funktionar

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT Leipzig

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

3., korr. u. erw. Auflage 2021 © 2001 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig Printed in Germany Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt. Umschlaggestaltung: Friedrich Lux, Halle/Saale Satz: Druckhaus Köthen GmbH & Co. KG; Steffi Glauche, Leipzig Druck und Binden: Hubert & Co., Göttingen ISBN 978-3-374-07035-0 // eISBN (PDF) 978-3-374-07036-7 www.eva-leipzig.de

INHALT Vorwort

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A. Einfiihrung 1. Hahn oder Schliissel? 2. St. Peter zu Rom 3. Quellen

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B. Darstellung 1. Petrus als Anhanger Jesu von Nazaret 1.1. Herkunft aus Galilaa 1.1.1. Land und Leute 1.1.2. Betsaida und Kafarnaum 1.1.3. Familie und Beruf 1.2. Name und Beiname 1.2.1. Simon, Sohn des Jona/Johannes 1.2.2. Kephas/Petrus 1.3. Berufung und Beauftragung 1.3.1. Beziehung zum Tauferkreis 1.3.2. Berufung am See 1.3.3. Einsetzung der Zwolf 1.3.4. Auftragsworte an Petrus 1.4. Nachfolge und Profilierung 1.4.1. Petrus im Zwolferkreis 1.4.2. Petrus als Wortfuhrer 1.4.3. Petrus als Hauptakteur 1.5. Diskurs iiber Christologie 1.5.1. Geruchte um Jesus von Nazaret 1.5.2. Messiasbekenntnis und Satanswort 1.6. Erschiitterungen in Jerusalem 1.6.1. Szenarien der Passionsgeschichte 1.6.2. Ansage der Verleugnung 1.6.3. Drama in Getsemani 1.6.4. Verleugnung und Reue 2. Petrus als Gestalt der friihen Christenheit 2.1. Zeuge am Ostermorgen 2.1.1. Ersterscheinung vor Petrus? 2.1.2. Auftragserneuerung

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2.2. Organisator in Jerusalem 2.2.1. Leitungsfunktion 2.2.2. Verkündungsinitiative 2.2.3. Visitationsverantwortung 2.3. Protagonist der Mission 2.3.1. Jerusalem – Judäa – Samariën 2.3.2. Kornelius und Völkermission 2.4. Wundertäter durch Glauben 2.4.1. Taten und Erfahrungen 2.4.2. Bezüge und Parallelen 2.5. Wanderprediger auf Reisen 2.5.1. Abschied von Jerusalem 2.5.2. Wege im Unsichtbaren 2.6. Vermittler in Antiochia 2.6.1. Apostelkonvent in Jerusalem 2.6.2. Streit um die Tischgemeinschaft 2.7 Märtyrer in Rom? 2.7.1. Historische Rahmenbedingungen 2.7.2. Literarische Tradition 2.7.3. Archäologische Spuren

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C. Wirkung 1. Petrusbilder der Evangelien 2. Petrusbriefe im Neuen Testament 3. Apokryphen und Legenden 4. Vicarius Christi und päpstlicher Primat 5. Petrusamt– Petrusfunktion – Petrusdienst?

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D. Verzeichnisse Literaturverzeichnis 1. Quellen 2. Gesamtdarstellung 3. Kommentare 4. Einzelstudien Abbildungsverzeichnis

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VORWORT »Es gibt viele Peter in der Welt.« - sagt der Volksmund. Aber nur von dem einen, auf den dieser Name zuriickfiihrt, soil dieses Buch handeln. Kefas/Petrus gehort ohne Frage zu den bedeutendsten Gestalten sowohl der Jesusbewegung als auch der fruhen Kirche. Das Neue Testament hat ein aufierordentlich facettenreiches Bild von ihm gemalt: Simon, Sohn des Johannes, der Fischer vom See Gennesaret und Anhanger Jesu, der Bekenner und Draufganger, der Leugner vom Karfreitag und Zeuge am Ostermorgen, der Organisator und Missionar, der Vermittler und Martyrer. Daran konnte sich die christliche Legende anschliefien, die Petrus nun in weitere Zusammenhange einfuhrte und zu einer Gestalt besonderer Verehrung und Autoritat erhob. Entsprechend vielfaltig sind die Beziige, in denen die Frage nach Petrus Bedeutung gewinnt. Die Beschaftigung mit seiner Personlichkeit fiihrt auf eine Entdeckungsreise, die immer neue Einblicke in die Verflechtung von Biblischer Uberlieferung und abendlandischer Kulturgeschichte gewahrt. Von alledem kann das vorliegende Buch nur einen kleinen Eindruck vermitteln. Vieles mufi unberiicksichtigt bleiben. Das Hauptinteresse richtet sich vor allem auf das, was die neutestamentlichen Texte berichten. Darauf basiert der Versuch, den Lebensweg des Simon Petrus nachzuzeichnen. Doch auch die Frage, inwiefern die verschiedenen Petrusbilder Konturen eines »Petrusdienstes« oder einer »Petrusfunktion« erkennen lassen, die fur die Kirche unserer Tage exemplarischen Charakter gewinnen konnten, liegt in der Zielrichtung dieser Darstellung. 7

Die Beschäftigung mit Petrus hat sich bei der Entstehung dieses Buches als ein Abenteuer erwiesen. Daran haben auch die Kommilitoninnen und Kommilitonen des Hauptseminars »Petrus im Neuen Testament« an der Theologischen Fakultät Leipzig im Wintersemester 1999/2000 einen entscheidenden Anteil. Ihre Ideen und Diskussionsbeiträge sind in die Konzeption des Buches eingegangen. Allen achtundzwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern gilt deshalb an dieser Stelle noch einmal ein herzlicher Dank! Danken möchte ich auch Frau Monika Silbermann und Frau Stud. Theol. Nicole Chibici-Revneanu für die Mühen des Korrekturlesens! Leipzig, im Januar 2001

Christfried Böttrich

VORWORT ZUR 3. AUFLAGE 2021 Seit der ersten und zweiten Auflage dieses Buches (2001, 2013) ist einige Zeit vergangen. Ruhiger geworden ist es um Petrus nicht. Vor allem die »Petrus-RomFrage« hat die Gemüter von neuem erregt. Wachsende Übereinstimmung gibt es im Bereich der Bibeldidaktik beider Konfessionen. Petrus bleibt im Gespräch. Die aktuelle Auflage dieser literarisch-theologischen Biographie belässt den Text weitgehend in seinem ursprünglichen Zustand. Im Literaturverzeichnis sind einige ausgewählte Titel ergänzt worden, die den Fortgang der Debatte dokumentieren. Mein herzlicher Dank gilt der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, die das Buch noch einmal auf den Weg bringt – und damit das Interesse an Petrus wach hält. Greifswald, im Juli 2021

Christfried Böttrich 8

A. EINFUHRUNG 1. HAHN ODER SCHLUSSEL? Wo Petrus auftaucht, da spielt er im buchstablichen Sinne des Wortes eine Schliisselrolle. Aufrecht stehend, in wiirdevoller Pose, gekennzeichnet durch das Attribut eines oder zweier ubergrofier Schliissel - so kennt man ihn aus unzahligen bildlichen Darstellungen.1 »Ich werde dir die Schliissel des Konigreiches der Himmel geben, und wenn du etwas bindest auf Erden, wird es in den Himmeln gebunden sein, und wenn du etwas lost auf Erden, wird es in den Himmeln gelost sein!« Diese Worte aus Mt 16,19 haben die Schliisselrolle des Petrus geradezu felsenfest begrundet. Wer die Schliissel in der Hand halt, der entscheidet iiber Zutritt und Ausschluss. Und im Falle des Petrus betrifft das nicht weniger als den Zugang zum »K6nigreich der Himmel«. Petrus als Zwischeninstanz auf dem Weg zum Heil? Binden und losen, verbieten und erlauben, behaften und freisprechen die Schliisselgewalt des Apostels hat eine unabsehbare Wirkungsgeschichte entwickelt, die seine Vollmacht nicht nur auf die Fragen von kirchlicher Lehre und Jurisdiktion bezogen, sondern auch in den Bereich von Volks- und Aberglauben hinein transformiert hat. Der Schliisselmann ist zur Schliisselfigur fur kirchliche Autoritat iiberhaupt geworden. ErschlieSt sich iiber dieses dominierende Symbol auch das, was es mit dem Petrus des Neuen Testamentes auf sich hat? 1 Ein reiches Bildmaterial findet sich bei G. SCHILLER, Ikonographie der christlichen Kunst, 5 Bde., Giitersloh 1966-1980. 9

Ein anderes Symbol tritt schon fruh in der Bildtradition neben die machtigen Schliissel des Kirchenmannes. Seit dem 4. Jh. erscheint Petrus regelmaSig in der Gesellschaft des Hahnes. Das Tier erinnert dabei an eines der dunkelsten Kapitel aus seinem Leben. »Amen, ich sage dir: Du wirst mich heute, in dieser Nacht, bevor der Hahn zweimal kraht, dreimal verleugnen!« (Mk 14,30) Keiner der Evangelisten hat daran irgendetwas beschonigt. Durch den Hahnenschrei, der den Anbruch des neuen Tages verkundet, wird Petrus unerbittlich an sein euphorisches Treueversprechen erinnert und muss nun das Ausmafi seines Versagens erkennen. Aber der Hahn spielt dabei durchaus nicht die Rolle eines Anklagers. Sein Schrei fungiert nicht als der Kampfruf, der nun die Integritat des Schlusselmannes attackieren will. Vor dem Hintergrund einer langen Tradition steht der Hahn, der den kommenden Tag ansagt, auch fur Fruchtbarkeit und Neubeginn. Petrus weint bitter, bereut und beginnt ein neues Leben. Der Hahn symbolisiert also in seiner Vita so etwas wie die entscheidende Wende, die tiefste Erschiitterung und den ehrlichen Neubeginn gleichermafien. Im Symbol des Hahnes deutet sich damit jener Punkt an, von dem aus die erstaunliche Geschichte des galilaischen Fischers ihre Konturen erhalt: Was er ist und was er erreicht, das verdankt er allein der bleibenden Bindung an Jesus Christus. Von keinem anderen der Anhanger Jesu haben die Evangelisten ein so farbiges und facettenreiches Bild gezeichnet wie von Petrus.2 Sein Lebensweg, der in enger Parallelitat zu dem Weg Jesu verlauft und nach Ostern mit den wichtigsten Stationen in der Geschich2 Zur Erstinformation vgl. O. BOCHER/K. FroEHucH, Art. Petrus I. II, TRE 26,1996, 263-278. 10

te der friihen Christenheit einhergeht, 1st reich an »Schliisselszenen« und exemplarischen Episoden. Die Rolle des historischen Petrus spiegelt sich darin ebenso wie die Aufarbeitung der Ostererfahrung in den ereignisreichen Jahrzehnten des 1. Jhs. wider. Auslegungsgeschichte, Liturgie, Kunst und Volksfrommigkeit haben sich von dern assoziativen Reichtum der neutestamentlichen Petrusszenen ergreifen lassen und damit zur weiteren Popularisierung des Petrus beigetragen. Zu den Schliisseln und dem Hahn gesellen sich andere Symbole hinzu: der Kreuzstab, die Schriftrolle und das Buch, der Fisch und das Schiff. Der Typos des bartigen Mannes mit den bauerlicheinfachen Ziigen, bald schon auch mit dem lichten Haupthaar, verbreitet sich rasch und bedarf kaum noch der Kennzeichnung durch nahere Attribute. Aus Bibel und Legende leiten sich die Zustandigkeiten des Petrus im Volksglauben ab. Das »Petri Heil!« der Fischer nimmt den Zunftkollegen in Anspruch. Die Schiffer berufen sich auf das Patronat des Bootseigentiimers, der den Kyrios selbst in seinem Boot gefahren hat. Fine fachverwandte Kompetenz gestehen die Schlosser, Schmiede und Uhrmacher dem Petrus zu, der aus Ketten befreit worden ist und mit Schliisseln umzugehen versteht. Die Brlickenbauer denken an den »Pontifex«. Und selbst die Metzger und Steinbrucharbeiter fiihlen sich dem Petrus als ihrem Schutzherrn verbunden.3

3 Fur einen schnellen Uberblick vgl. L. HODL/}. ENGEMANN/ V. SAXER, Art. Petrus, Apostel, LMA 6, Miinchen/Zurich 1993, 1954-1958; W. BRALJNFELS, Art. Petrus, Apostel, Bischof von Rom, LCI 8, 1990, 158-174; H. BACHTOLD-STAUBLI, HWDA 6, Nachdr. 1987,1522-1543. 11

©MDR

Abb. 1: Petrusfigur aus dem mdr-Wetterbericht

Nachdem es der Apostel und Martyrer schon fruh zur Ehre der Altare gebracht hat, 1st er in unserer modernen Mediengesellschaft inzwischen auch zur Popularitat der Bildschirme gelangt. Allabendlich schwebt im mdr-Fernsehen zu Beginn der Wetternachrichten ein kleiner Petrus ein, um aus seinern Aktenkofferchen die Wetterkarte zu entlassen. Im weifien Gewand, mit Rauschebart und Heiligenschein, den Schlussel flott am Giirtel, ist er ja als Comicfigur schon langst auf den Satireblattern jeder Couleur heimisch geworden. Ob kirchlich sozialisiert oder nicht - das wissen schon die Kinder, wen dieser freundliche alte Herr vorstellt. Mit dem Zugang zum Himmel hat er aufgrund seiner ehrfurchtgebietenden Schlussel zu tun. Nur seine Zustandigkeit fur das Wetter gibt einige Ratsel auf. Geht es dabei ebenfalls um offnen und 12

schliefien? Das Zutrauen zu Petrus als dem »Wetterregenten« bleibt offenbar auf Mitteleuropa beschrankt. Hat er in dieser Eigenschaft vielleicht den germanischen Donar beerbt? Oder findet sich darin eine polemische Anspielung auf seinen »wetterwendischen« Charakter wieder? Der Wetterhahn auf dem Turm, der sich nach dem Wind dreht - bildet er vielleicht eine assoziative Briicke zu Petrus als dem Wetterfachmann? Deutlicher als an diesem »Patronat«, fur das es jeder biblischen Begrtindung ermangelt, lasst sich die Verselbstandigung und Popularisierung der Petrusgestalt weit liber das biblische Zeugnis hinaus kaum veranschaulichen. Aufier den regelmafiigen Lesungen von Petrusgeschichten im Kontext des Gottesdienstes haben vor allem die Legende und die bildende Kunst Petrus zu einer der vertrautesten Gestalten der biblischen Geschichte gemacht. Schon in den friihesten Abbildungen der romischen Sarkophagplastik begegnet ein Zyklus von drei Szenen, der biblische Geschichte und Legendenstoff miteinander verbindet: Das Quellwunder des Petrus steht voran (Petrus lasst Wasser aus der Wand des Mamertinischen Kerkers quellen und tauft damit seine beiden Wachter), gefolgt von seiner Gefangennahme und einer Hahnen-Szene.4 Im Laufe der Zeit bildet sich dann ein breiteres Spektrum an Bildzyklen und festen Bildtypen aus, die vor allem die Hoheit und Autoritat des Petrus darstellen und damit auch die Autoritat der Nachfolger auf dem »Stuhle Petri« zu untermauern helfen. In der Legende wird er vor allem zum Wundertater, woran sich der Volksglaube dankbar anschliefit. Bis zur Zeit der Auf4 E. DINKLER, Die ersten Petrusdarstellungen, Marburger Jahrbuch fur Kunstwissenschaften 11,1938,1-80. 13

klarung hat Petrus in einer weitgehend verklarten Weise die Vorstellungswelt der Christenheit bestimmt. Mit dem erwachenden historischen Bewusstsein gerat Petrus indessen mehr und mehr in das Kreuzfeuer kritischer Riickfragen. Sein Charakterbild ist es nun, das zu psychologisierenden Interpretationen verlockt. Petrus tritt dabei als die ambivalente und zwiespaltige Personlichkeit in den Blick: Pels und Saule, Grundergestalt und Verantwortungstrager einerseits - Zauderer und Umfaller, Wendehals und Heuchler andererseits. Bieten die biblischen Erzahlungen nicht das Bild eines aufbrausenden, cholerischen und iibereifrigen Charakters, der schneller spricht und handelt als er denkt, der in Antiochia eine »Schaukelpolitik« betreibt (Gal 2,11-14) und von dem eine klare theologische Linie kaum erkennbar wird? Besonders in der belletristischen Literatur hat sich dieser Trend niedergeschlagen. Das Bild des Petrus, der meist nur im Zusammenhang literarischer Gestaltungen des Jesusstoffes auftaucht, erschopft sich in wenigen Stereotypen, die in der Kurzformel »einfach, treu und uberfordert« zum Ausdruck kommen.5 Dabei mag oft genug der Wunsch - bewusst oder nicht - nach der Demontage des unangefochtenen Sachwalters romischer Autoritat Vater der Dichtung sein. Dem Petrus des Neuen Testamentes aber kann weder die eine noch die andere Darstellung gerecht werden. Viele Wege fiihren nach Rom - und viele Zugange offnen sich fur eine Annaherung an die Petrusgestalt. Die neutestamentlichen Texte bleiben jedoch die Vgl. G. LANGENHORST, Die Apostel: Johannes, Petrus und Paulus, in: Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. II: Personen und Figuren, hg. v. H. SchMioiNGER, Mainz 1999, 435-453.

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wichtigste und mafigebliche Quelle. Auch wenn die verschiedenen Erwahnungen noch keine zusammenhangende Biographic ermoglichen, bieten sie doch wichtige Mosaiksteine fur ein ausreichend differenziertes Bild des Fischers Simon vorn See Gennesaret. Die tiefste Zasur in seinern Lebensweg stellen der Tod und die Auferstehung Jesu dar. Dadurch gliedert sich alles in ein davor und danach - in die Geschichte des Anhangers Jesu von Nazaret und die Geschichte einer der Hauptgestalten der friihen Christenheit. Beide Teile werden durch die Erfahrungen des Karfreitags und des Ostermorgens miteinander verbunden. Insofern erscheint der Hahn als das treffendste Symbol fur Petrus: Aus dem Scheitern in Jerusalem werden Aufbruch und Neubeginn. Der Hahn, postiert an der Grenze zwischen Nacht und Tag, ist kein Anwalt von schwarz-weifi-Bildern. Sein Schrei erfolgt zwischen Finsternis und Licht, in der Zeit der vielen Zwischentone - und kiindigt das an, was erst noch kommt.

2. ST. PETER zu ROM Zur Grundsteinlegung fur den Neubau der Peterskirche in Rom am 18. April 1506 verkiindete Donato Bramante, leitender Architekt des Unternehmens: »Ich werde die Kuppel des Pantheon iiber der Basilika des Konstantin errichten.« In einer beispiellosen Abbruchaktion (das Volk bezeichnete Bramante spottisch als »Maestro Ruinante«) musste die alte Konstantinische Basilika (319-350) der notigen Baufreiheit fur den neuen Petersdom weichen. Denn das neue Bauwerk sollte in seinen Ausmafien und durch den Reichturn seiner Ausstattung alle Kirchen der Christenheit 15

weit in den Schatten stellen. Ein Fixpunkt in dem ansonsten vollig neu gestalteten Grundriss blieb die Lage des Petrusaltars, der durch die Entwiirfe Berninis

Abb. 2: San Pietro, Rom 16

und Borrominis nun eine vollig neue, in barocken Formen schwelgende Ausfiihrung erhielt. Rom als das Zentrum einer weltweiten und machtigen Kirche, die sich im Zeitalter der Entdeckungen anschickte, ihren Fufi auch in die neue Welt zu setzen, gab in dem Bauwerk seinem Anspruch einen reprasentativen, programmatischen Ausdruck. Die gewaltige Kuppel, dem Pantheon nachempfunden, wird an ihrer Basis von einem Schriftband umzogen. In weithin sichtbaren Lettern sind dort auf goldenem Grund die Worte aus Mt 16,18-19 platziert: »Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam ...«. Um die Apsis des Chorraumes lauft ein weiteres Spruchband, auf dem sich in lateinischen und griechischen Lettern die Aufforderung Jesu an Petrus nach Joh 21,15-17 zum »Weiden der Schafe« findet. Den zentralen Punkt des weit ausladenden Raumes markiert der Altar iiber dem Petrusgrab, von einem aufstrebenden Saulenbaldachin iiberspannt. Ehrfurcht gebietend prasentiert sich die grofie, sitzende Bronzefigur des Petrus, der Glaubige wie Unglaubige durch ihre Beriihrung inzwischen den Fufi blank gescheuert haben. Der gesamte Raumeindruck vermittelt die eine Botschaft: Hier ist das Grab des Apostelfursten, an dem die weltweite Kirche ihren Mittelpunkt findet. Und hier ist der Ort des »Stuhles Petri«, von dem aus die weltweite Kirche regiert wird. Die Dimensionen des Bauwerkes und das Gewicht des Ortes setzen ihre Vorzeichen vor die Gestalt des Petrus und ergreifen die Besucher vor Ort ohne weitere Worte. Doch gerade dieser Bau, der den Anspruch der romischen Kirche mit der Berufung auf Petrus derart nachdrucklich verband, bot auch den Anlass fur den vehementesten Protest, der je dagegen erhoben wur17

de. Die Ablassbriefe, die zur Finanzierung des Bauprojektes in ganz Europa verkauft wurden, riefen 1517 im fernen Wittenberg den Monch Martin Luther auf den Plan. Seine Thesen gegen den Ablass brachten einen Stein ins Rollen, der auch die Autoritat des Papstes erfassen sollte. Dass Mt 16,17-19 das Papstturn als eine Institution gottlichen Rechtes begriindete, das bestritten die Reformatoren rundheraus. Seither ist die Gestalt des Petrus eine kontroverstheologische Reizfigur geworden. Wer darf ihn fur sich in Anspruch nehmen? Musste sich nicht auch Petrus in Antiochia offentlich von Paulus auf die »Wahrheit des Evangeliums« hinweisen lassen (Gal 2,11-14)? Petrus auf katholischer - Paulus auf protestantischer Seite? Dieser Dissens hat sich in den folgenden Jahrhunderten immer weiter verfestigt. Letztlich hat er die Koordinaten fur jede weitere Beschaftigung mit Petrus vorgegeben. Petrus, der die Exegeten zur konfessionellen Positionierung zwingt - unter dieser Pramisse standen die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit oft genug schon von vornherein fest. Seit auf dern Vatikanum I. (1869-1870) dann auch noch die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erhoben wurde, ist kaurn mehr eine Zeile liber den Petrus des Neuen Testamentes geschrieben worden, die nicht in irgendeiner Weise auf den papstlichen Primat Bezug genommen hatte. Die lange und wechselvoile Geschichte der »Nachfolger Petri« hat in einer Weise auf das Verstandnis ihres »Ahnherren« zuriickgeschlagen, der sich keiner der Ausleger neutestamentlicher Texte - gleich welcher Konfession - zu entziehen vermag. Die Diskussion um Mt 16,17-19 dominiert die Frage nach der Petrusgestalt auf eine geradezu iiberdimensionale Weise. Es ist kein Zufall, dass in dem wichti18

gen, auch das okumenische Gesprach anregenden Petrusbuch von Oscar Cullmann (1952) ein ganzes Drittel allein diesen drei Versen vorbehalten bleibt.6 Von Papst Johannes XXIII. wird das Bonmot iiberliefert, er habe bei einer Audienz den Autor des Buches mit den Worten empfangen: »Ah, M. le professeur Cullmann: Matthieu 16!«7 Die Zahl der exegetischen Untersuchungen hat seither einen kaum noch iiberschaubaren Umfang angenommen. Kein Stein ist dabei auf dem anderen geblieben, keine These nicht probiert, kein Bezug nicht beriicksichtigt worden. Inzwischen aber verlaufen hier die Fronten gerade in der Exegese quer durch die Konfessionen. Als ein Schlusseltext, von dem aus der entscheidende Zugang zu dem Bild des Petrus im Neuen Testament insgesamt erfolgen musste, wird Mt 16,17-19 heute kaum noch verstanden. Vielmehr greift die Einsicht Raum, dass sich die Verheifiung an den Felsenmann und Schliisseltrager umgekehrt erst aus dem Gesamtbild aller Aussagen liber Petrus begreifen lasst. Petrus tritt allmahlich aus dem Schatten von St. Peter zu Rom heraus und kehrt in die frische Landluft Galilaas zuriick. Es gehort zu den Hoffnungen okumenischer Aufbriiche, dass auch die Gestalt des Petrus in einem neuen Licht wahrgenommen werden kann. Integrationsfigur statt Reizfigur? Von dem »Fels des Anstofies«8, der immer wieder zur Zielscheibe kirchenkritischer Satire wird bzw. zu revolutionaren Gedankenspielen 6 O. CULLMANN, Petrus. Jiinger - Apostel - Martyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, Zurich 1952, 3 1970; darin 179-271 (Die exegetisch-theologische Frage). 7 Zitiert bei R. BRANDLE, Petrus und Paulus als nova sidera, ThZ 47,1992, 207-217, Zitat 207. 8 So der Titel des Sammelbandes von R. NIEMANN (Hg.), Petrus, der Pels des Anstofies, Stuttgart 1994. 19

veranlasst, konnte sich Petrus zu einem Anwalt fur die Verbindung von Bewahrung und Neuaufbruch wandeln. Zwischen Jerusalem, Antiochia und Rom sollte dafur auch ausreichend Raum sein. 3. Q U E L L E N

Was wissen wir von Petrus? Mehr als von alien anderen Personen im Umkreis Jesu berichten die neutestamentlichen Schriften gerade von diesem Jiinger. In einer Fulle einzelner Episoden tritt Petrus in den Evangelien auf. Die Apostelgeschichte zeichnet in ihrem ersten Teil sogar eine zusammenhangende Darstellung seiner Jerusalemer Aktivitaten. Paulus erwahnt ihn mehrfach in gewichtigen Zusammenhangen. Zwei spatere Briefe nehmen ausdriicklich auf Petrus Bezug. Dennoch gibt es - im Unterschied etwa zu Paulus - keine authentischen Selbstaussagen, in denen Petrus unmittelbar und sozusagen im Originalton zu Wort kame. Der alteste Autor des Neuen Testamentes, Paulus, verweist zwar wiederholt auf Petrus, gibt ihm selbst aber keine Stimme. Die gelegentlichen Versuche, aus der Rede des Paulus an die Adresse des Petrus in Gal 2,15-21 einen kleinen Dialog zu rekonstruieren, bleiben hypothetisch.9 Die Petrusreden der Apostelgeschichte greifen sicher auf entscheidende Anliegen der Verkiindigung des Petrus zuriick, aber in ihrer gegenwartigen literarischen Form sind sie Das Schweigen des Petrus in diesem offentlichen Disput ist schon immer aufgefallen. Doch der Abschnitt gibt allein die Grundlinien der pin. Rechtfertigungslehre wieder. Dass Paulus gerade in 2,15-16 auch auf Einwande des Petrus einzugehen scheint, ist rhetorisches Stilmittel.

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durchgehend von Lukas gestaltet worden.10 Auch die beiden Petrusbriefe geben nur sehr bedingt Auskunft iiber das theologische Profil des Apostels. Wahrscheinlich sind sie erst nach dem Tod des Petrus geschrieben und seiner Autoritat unterstellt worden (siehe unten). Charakteristische Anliegen des Petrus, die sie enthalten mogen, werden darin als Christuszeugnis fur eine spatere Zeit aktualisiert und bereits in einern neuen Kontext zur Sprache gebracht. Obwohl die Verweise auf Petrus in den Paulusbriefen nur sporadisch begegnen, sind sie von unschatzbarem Wert. Denn in ihnen spricht ein Zeitgenosse, der Petrus personlich gekannt hat und in verschiedenen Entscheidungssituationen der fruhen Christenheit mit ihm zusammengetroffen ist. Einige Fixpunkte irn Blick auf die Bedeutung und den Weg des Petrus lassen sich daraus schon mit grower Zuverlassigkeit ablesen. Dass auch Paulus nicht ohne Tendenz berichtet, seine Unabhangigkeit von Petrus und seine grundsatzliche Ubereinstimmung mit ihm gleichermafien betont, dazu auch uberlieferte Nachrichten von Petrus aufgreift - das unterstreicht den hohen Quellenwert dieser Aufierungen mehr als ihn zu mindern. Anders steht es mit den Nachrichten der Apostelgeschichte. Sie sind aus einem Abstand von 40 bis 60 Jahren niedergeschrieben und fugen sich im Riickblick bereits zu einem »Petrusbild« zusammen. Langst ist der Apostel eine unangefochtene GroSe der Vergangenheit. Lukas beschreibt als Theologe den Weg des Petrus so, dass er beispielhaft und vorbildlich in die Kirche seiner Zeit gegen Ende des 1. Jhs. hineinwirken kann. Konflikte (wie etwa den Streit in Antiochia) 10 Vgl. den Exkurs bei J. ROLOFF, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Gottingen 1981, 49. 21

ubergeht er oder stellt sie so dar, dass sie als Paradigmen innergemeindlicher Konfliktbewaltigung (wie der »Apostelkonvent«) erscheinen. Durchgangig gilt ihm Petrus als der Erstapostel und Wegbereiter, womit die Grundlinie des Evangeliums auch im zweiten Teil des Doppelwerkes ihre Fortsetzung findet (siehe unten). Dennoch enthalt gerade die Darstellung des Lukas auch viele historisch bedeutsame Mitteilungen. Mit dem Selbstverstandnis eines antiken Geschichtsschreibers hat er recherchiert (Lk 1,1-4), Quellen verarbeitet und verschiedene Uberlieferungen zusammengestellt. In den letzten Jahren ist aufgrund einer intensiveren zeitgeschichtlichen Forschung wieder die Bereitschaft gewachsen, den Quellenwert der Apostelgeschichte hoher als in friiheren Zeiten zu veranschlagen. Auch wenn Lukas manche Ereignisse nachweislich komprimiert, iibergangen oder in ihrer chronologischen Anordnung umgestellt hat, so hat er die berichteten Ereignisse doch nicht einfach »erfunden«. Im sorgfaltigen Vergleich mit den Paulusbriefen lasst sich hier ein durchaus zutreffendes und zuverlassiges Bild der geschichtlichen Ereignisse gewinnen.11 Eine Frage fur sich stellen die Petrusgeschichten in den Evangelien dar. Auch hier sind die einzelnen Episoden ganz klar durch das Verkundigungsanliegen des jeweiligen Evangelisten geformt. Die verschiedenen »Petrusbilder« der Evangelien zeigen an, in welcher Weise der Apostel den Gemeinden eines Markus, Matthaus, Lukas oder Johannes wichtig war (siehe unten). Aber bei aller literarischen Gestaltung und theo11 Vgl. vor allem M. HENGEL, Zur urchristlichen Geschichtsschreibimg, Stuttgart 21984; M. HENGEL/A. M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, WUNT 108, Tubingen 1998.

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logischen Einbindung fiihren diese Geschichten doch fraglos auf Uberlieferungen zuriick, die schon seit den friihesten Zeiten der Christenheit mundlich weitergegeben worden sind. Die Petrusgeschichten haben deshalb auch Teil an den Uberlieferungsbedingungen der Jesusgeschichte, mit der sie inhaltlich und erzahlerisch unlosbar verkniipft sind. Fiir die Ruckfrage nach dern »historischen Petrus« gelten deshalb die gleichen methodischen Grundsatze wie fiir die Ruckfrage nach dern »historischen Jesus«.12 Die historische Gestalt tritt hinter die verkiindigte Figur des Evangelisten zuriick, ohne dabei jedoch aus dem Bild zu verschwinden. In alien Szenen und Episoden, die von Petrus erzahlt werden, sind Uberlieferungen seiner Geschichte vor Ostern bewahrt geblieben. Der vorosterliche Petrus in den Evangelien ist nicht erst das Konstrukt der friihen Christenheit. Die Texte haben vielmehr die Erinnerung an eine der wichtigsten Gestalten im Umkreis Jesu festgehalten und so weitergegeben, dass sie fiir die Gemeinden ihrer Zeit exemplarische Bedeutung gewinnen konnte. Auch wenn man also die einzelnen Petrusgeschichten nicht einfach »pur« zu einer Art Biographic zusammenfugen kann, besteht grundsatzlich kein Anlass zu einer iibertriebenen Skepsis gegeniiber ihrem Quellenwert. Weitaus zuverlassiger als fiir viele andere Personlichkeiten der Antike lasst sich aus den Evangelien ein Gesamtbild entnehmen, das dem »historischen« Petrus sehr nahe kommt. Als um die Wende vom 19. zum 20. Jh. der Streit um das »Leben Jesu« Theologie und gesellschaftliche

12 Vgl. insgesamt G. THEISSEN/A. MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Gottingen 1996.

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Offentlichkeit gleichermafien bewegte,13 zog man auch die Existenz des historischen Jesus iiberhaupt in Zweifel. Autoren wie Bruno Bauer, Albert Kalthoff oder Arthur Drews versuchten, Jesus als das Produkt religioser Bedtirfnisse zu erweisen. In diesen Sog musste zwangslaufig auch die Gestalt des Petrus geraten. Der Karlsruher Philosophieprofessor Arthur Drews, der 1909 bereits mit seinern Buch »Die Christusmythe« fur Aufsehen gesorgt hatte, lieS 1910 eine weitere Schrift unter dern Titel »Die Petruslegende« folgen.14 Der Zusamrnenhang beider Bucher zeigt immerhin eine gewisse Konsequenz, derm fur Drews ist Petrus nun »... eine genauso mythische Personlichkeit, wie sein Herr und Meister Jesus. Man mufite denn etwa annehmen, dafi Herakles zwar dem Mythos, sein Wagenlenker und Gefahrte lolaos jedoch der Geschichte angehore.«15 Deshalb unternahm es Drews, nach einer Destruktion der biblischen Uberlieferung die Gestalt des Petrus aus der religiosen Welt der Spatantike abzuleiten: In einem bunten Reigen reichen sich dabei Herakles, Melkart, Mithra, Atlas, Proteus und Janus die Hand. Doch mehr als die assoziative Phantasie des Autors vermag an diesem Buch nicht zu beeindrucken. Dass Petrus, der Pels, »nicht Granit, sondern - Pappe« bzw. Petrus »eine ganz und gar im Nebel des Mythos verschwimmende Gestalt« sei, dafur liefern die nebulosen und willkiirlichen Kombinationen freilich nicht den geringsten Beleg. Mit dem Scheitern der historischen Skepsis gegeniiber der Existenz Jesu bricht auch jeder Zweifel an der Geschicht13 Eindrucksvoll dargestellt ist die Debatte bei A. SCHWEITZER, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tubingen 1906. 14 A. DREWS, Die Petruslegende, Jena 1910/31924. 15 A. DREWS, Petruslegende 1924,15. 24

lichkeit des Petrus zusammen. Die Evangelien als Quellen der Geschichte Jesu (und damit auch der des Petrus) verdienen die Skepsis nicht, die ihnen immer wieder entgegengebracht wurde und wird.16 Auch wenn sie als Glaubenszeugnisse zuerst der Verkundigung des Auferstandenen dienen, bieten sie doch im Rahrnen dessert, was man unter historischen Gesichtspunkten voraussetzen kann, ausreichend Gewissheit fur die Geschichtlichkeit Jesu und seiner Anhanger. Aufierbiblische Quellen uber Petrus liegen nicht vor. Das ware angesichts der Bedeutung, die er zunachst nur im Binnenraum der friihen Christenheit besitzt, auch nicht zu erwarten. Erst vom 2. Jh. an, als die entscheidenden Uberlieferungen in den spater zum Kanon des Neuen Testamentes vereinten Schriften schon fixiert sind, bildet sich eine apokryphe Literatur heraus. Darin wird Petrus nun auch von ganz verschiedenen Stromungen vereinnahmt. Historische Details, die unabhangig vom neutestamentlichen Zeugnis bewahrt geblieben waren, wird man hier jedoch kaum entdecken konnen. Ahnlich steht es mit den Nachrichten bei den Kirchenvatern. Was sie vom 2. Jh. an uber Petrus geschrieben haben, unterliegt zumindest dem Verdacht, aus neutestamentlichen Aufierungen kombiniert und abgeleitet zu sein.17 Ein unabhangiger Quellenwert kommt in begrenztem Mafie

16 Vgl. dazu vor allem die Argumente bei G. THEISSEN/A. MERZ, Der Historische Jesus 1996, 96-124. 17 Von besonderem Interesse sind dabei Irenaus, Tertullian, Hippolyt, Clemens Alexandrinus, Origenes und Eusebius (mit Zitaten alterer Autoren); einen gewissen Abschluss bietet Hieronymus (ca. 347-420), der in seiner Schrift »Uber beruhmte Manner« die bisherigen Aussagen zu Petrus zusammenfasst.

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noch verschiedenen archaologischen Spuren zu.18 Doch auch sie fiihren nicht vor das 2. Jh. zurlick. Alles, was sich liber den historischen Petrus ermitteln lasst, bleibt deshalb grundlegend auf die Analyse der neutestamentlichen Texte angewiesen. Unser Wissen um den Lebensweg des Petrus bleibt liickenhaft. Erst als erwachsener Mann betritt er die Szene. Von seiner Zeit mit Jesus sind nur bestimmte, pragnante Begebenheiten iiberliefert. Im Blick auf die Erschutterungen von Karfreitag und Ostern fallen die Nachrichten viel sparsamer aus, als es der Intensitat der Ereignisse entspricht. Fur die Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde bieten Lukas und Paulus ein dichteres chronologisches Geriist. Doch das Ende des Petrus verliert sich wieder im Dunkel der Geschichte. In der folgenden Darstellung soil es deshalb darum gehen, diese verstreuten Nachrichten zu einem Gesamtbild zusammenzufugen, in dem das Portrat des Petrus in seinen wichtigsten Konturen sichtbar wird.

18 So verbindet sich mit dem »Haus des Petrus« in Kafarnaum eine alte Lokaltradition; das grofite Interesse haben die Ausgrabungen unter San Pietro und San Sebastiano in Rom auf sich gezogen (siehe unten). 26

B. DARSTELLUNG 1. PETRUS ALS ANHANGER JESU VON NAZARET 1.1. Herkunft aus Galilaa 1.1.1. Land und Leute »Den See Gennesar entlang erstreckt sich eine gleichnamige Landschaft von wunderbarer natiirlicher Schonheit. Der Boden 1st so fett, dafi jede Pflanze wachsen kann, und die Bewohner haben ihn auch mit alien moglichen Arten bepflanzt, zumal das ausgezeichnete Klima zum Gedeihen der verschiedensten Gewachsarten beitragt. NuGbaume, die am meisten der Kiihle bediirfen, wachsen dort in grofier Menge ebenso wie Palmen, die nur in der Hitze gedeihen; nahe bei ihnen stehen Feigen- und Olbaume, denen eine gemafiigte Temperatur mehr zusagt. Was sich hier vollzieht, konnte man ebenso einen Wettstreit der Natur nennen, die das einander Widerstrebende auf einen Punkt zu vereinen trachtet, wie einen edlen Kampf der Jahreszeiten, von denen jede diese Landschaft in Besitz zu nehmen sucht.«19 Diese anmutige Landschaft, die der jiidische Historiker Flavius Josephus - ein jimgerer Zeitgenosse der Apostel - mit begeisterten Worten beschreibt, ist die Heimat des Petrus. Vom See Gennesaret her erhalt die Landschaft ihre Pragung.20 Mit ca. 1500 km2 ist Galilaa eine iiberschaubare Region, die im Osten durch den Jordangraben, im Norden und Westen durch das Gebiet von Tyrus und 19 FLAVIUS JOSEPHUS, Geschichte des Judaischen Krieges III 10,8. 20 Vgl. ausfiihrlich W. BOSEN, Galilaa. Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, Freiburg/Basel/Wien 21998.

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die Kustenebene, im Siiden schliefilich durch die Jesreelebene begrenzt wird. Im Ganzen betragt der Durchmesser nicht mehr als 40 km. Die Hohenunterschiede dieser bergigen Landschaft, die einen Teil des westjordanischen Gebirges darstellt, erreicht zwischen dem Spiegel des Sees und der hochsten Erhebung eine Differenz von 1400 m. Von den natiirlichen Gegebenheiten her gliedert sich Galilaa in die Landschaftsteile von Ober- und Untergalilaa sowie das Gebiet um den See Gennesaret. Schon diese geographischen Vorgaben deuten Eigenheiten an, die Galilaa von den Landschaften im unmittelbaren Umfeld unterscheiden. Politisch ordnete sich Galilaa schon von jeher anderen Strukturen zu als Judaa und Jerusalem im Siiden. Ursprimglich ein Teil des Nordreiches Israel, war Galilaa seit der assyrischen Eroberung 722 v. Chr. zu einer unbedeutenden Provinz im Schatten wechselnder Machtverhaltnisse herabgesunken. Erst durch den Freiheitskampf der Makkabaer gegen die syrische Fremdherrschaft im 2. Jh. v. Chr. rlickte es wieder naher mit Judaa zusammen und wurde schliefilich unter den Hasmonaern dem neu entstehenden jlidischen Staatswesen eingegliedert. Nach dem Tod Herodes des Grofien (4 v. Chr.) erfolgte eine Aufteilung seines Herrschaftsgebietes auf die drei Sohne Archelaus, Philippus und Herodes Antipas. Dabei fielen Galilaa sowie das raumlich getrennte, ostlich des Jordans gelegene Peraa an Herodes Antipas (4v. Chr.-39 n. Chr.). Herodes Antipas also wurde damit der unmittelbare Landesherr sowohl Jesu als auch des Petrus. Die 43 Jahre seiner Regierung erscheinen als eine Zeit relativer Stabilitat, in der auch das Arrangement mit den Romern Konflikte weithin fernhalten konnte. Erst mit seiner Verbannung nach Gallien zogen wieder unruhigere Zeiten herauf. Der Neffe des Antipas und Bruder 28

seiner Frau Herodias, Agrippa I., ubernahm im Jahre 39 n. Chr. die Oberhoheit iiber die Gebiete seines Onkels, nachdem er zwei Jahre zuvor schon von seinern hohen Conner Caligula rnit der Tetrarchie des Philippus betraut und mit dern Titel eines Konigs ausgestattet worden war. Im Jahre 41 n. Chr. gelang es ihrn, bei Regierungsantritt des Kaisers Claudius auch noch die restlichen Gebiete und damit das ganze ehemalige Territorium Herodes des Grofien unter seine Herrschaft zu bringen. Doch lange konnte er sich dieses raschen Aufstieges nicht erfreuen. Schon drei Jahre spater starb er eines unerwarteten und qualvollen Todes, wovon auch Apg 12,19-23 zu berichten weifi. Sechs Jahre stand ganz Palastina nun unter direkter rornischer Verwaltung, bis mit Agrippa II. (dem Sohn) noch einmal ein Herodianer zu begrenzter Macht gelangte. Seine Zeit fallt auf die Jahre 50-70 n. Chr., in denen er zunachst mit der Herrschaft iiber Chalkis sowie der Aufsicht iiber den Tempel, dann aber auch mit der Verwaltung der Philippustetrarchie und einiger Teile Galilaas betraut war. Das gesamte iibrige Gebiet aber, einschliefilich Judaa und Samarien, wurde nun endgiiltig Teil der romischen Provinz Syrien. Intrigen, Provokationen und fortgesetzte Willkiirakte der Besatzungsmacht schiirten eine wachsende Aufstandsstimmung. Als 66 n. Chr. der »jiidische Krieg« ausbrach, wurde Galilaa zum ersten Kriegsschauplatz. Hier hatten sich bereits vor dem Aufstieg Herodes des Grofien Freiheitskampfer um den »Rauberhauptmann« Hezekias gesammelt; hier brachen auch nach dem Tod des Herodes 4 v. Chr. die als »Rauberkrieg« bezeichneten Unruhen los; aus Galilaa rekrutierten sich schliefilich die Zeloten um die Gestalt des »Judas Galilaios«, als im Jahre 6 n. Chr. Judaa und Samarien unter direkte romische Steuerhoheit gerieten. Den 29

Ruf einer Unruheprovinz hatte sich Galilaa zweifellos zu Recht erworben. Von ihren Nachbarn im Siiden unterschied sich die Bevolkerung Galilaas durch eine eigene Geschichte und eine eigene Mentalitat. Seit dem alten Gegensatz zwischen Nord- und Sudreich Israel hatten sich die Bewohner Galilaas vor allem in der Nachexilszeit sehr viel starker mit ihren unmittelbaren nichtjudischen Nachbarn arrangiert als die Judaer, die sich nach der Riickkehr aus dem Exil mit dem Pathos eines radikalen Neubeginns um den Aufbau des Tempels scharten. Erst in der makkabaischen Erhebung festigte sich die Verbindung zwischen Judaa und Galilaa wieder, wahrend sich die religiosen und kulturellen Gegensatze zur Bevolkerung Samariens verscharften. Nach Zeiten einer Minderheitensituation begann nun auch der jiidische Bevolkerungsanteil in Galilaa von Neuem zu dominieren, die Beachtung der Tora pragte den Alltag, und die Orientierung am Jerusalemer Tempelkult wurde zur Selbstverstandlichkeit. Dennoch behielten die Galilaer ihre Eigenheiten, die man aus Jerusalemer Perspektive nicht ohne Argwohn betrachtete. Aufgrund der geographischen Lage zeigten sie sich gegeniiber den Einfliissen ihrer hellenistischen Umwelt durchaus aufgeschlossen. Als »Gebiet der Heiden« hatte schon Jes 8,23 den Siedlungsraum der Stamme Sebulon und Naftali bezeichnet, woran Mt 4,13-16 im Zusammenhang der Ubersiedlung Jesu nach Kafarnaum erinnert: Es ist betont »das Galilaa der Heiden«, in dem Jesus und Petrus einander begegnen. Der agrarische Charakter des Landes, das lediglich mit Sepphoris und Tiberias Stadte moderneren Zuschnittes aufweisen konnte, provozierte zugleich das Vorurteil einer mangelnden Bildung seiner Bevolkerung - die Zentren der Schriftgelehrsamkeit lagen ohne Frage in Judaa. Auch auf den Dialekt der Galilaer sah man in 30

Jerusalem mit einer gewissen Geringschatzung herab.21 Daran wird Petrus spater noch im Hofe des Hohenpriesters erkannt werden und muss sich nach Mt 26,73 sagen lassen: »Deine Sprache [lalia = Redeweise, Dialekt] verrat dich.« In ihrer Nachlassigkeit bei der Aussprache der Kehllaute oder dem Verschlucken ganzer Silben bis hin zu sinnentstellenden Missverstandnissen wurden die Galilaaer bei den Vertretern der Hochsprache leicht zur Zielscheibe herablassenden Spottes. Die Mitglieder des Synedrions in Jerusalem etwa betrachten nach Apg 4,13 Petrus und Johannes als »ungelehrte und einfache Leute«; sie konnen sich nur wundern, dass beide dennoch mit ihrer Predigt einen solchen Erfolg erzielen. In Jerusalem blieben Petrus und seine Gefahrten zeitlebens »Galilaer«,22 und das hatte einen durchaus abschatzigen Beigeschmack. Anerkennung erfuhren die Galilaer bei ihren Nachbarn indessen aufgrund ihrer Tapferkeit und Freiheitsliebe. In hohen Tonen werden sie deshalb von Josephus geriihmt: »Den Mannern fehlte es nie an Mut, und dem Lande nie an Mannern. «23 So haben die zelotischen Freiheitskampfer nicht ganz zufallig gerade hier ihre Heimat und Operationsbasis gefunden. Auch bei den Anhangern Jesu, die wie die Fischer vom See als handfeste Gestalten erscheinen, kann man dieses Lebensgefuhl voraussetzen.24 Die draufgangerischen Worte des Petrus im Angesicht der Passion Jesu zeichnen ihn ganz als Kind seiner Heimat. 21 Anschauliche Beispiele liefert P. BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch 1, Miinchen 1926,156-159. 22 Vgl. Apg 2,7: »Sind das nicht alles Galilaer, die hier reden?« 23 Flavius Josephus, Geschichte des Judaischen Krieges III 3,2. 24 Einer aus dem Zwolferkreis gibt durch den Beinamen »Simon Kananaus/Zelotes« (Mk 3,18/Mt 10,4/Lk 6,15) seine Vergangenheit noch deutlich genug zu erkennen. 31

Abb. 3: Palastina zur Zeit des Petrus

1.1.2. Betsaida und Kafarnaum Nach Joh 1,44 stammten Petrus, Andreas und Philippus aus Betsaida. Von diesern kleinen Fischerdorf, am Nordostufer des Sees und nahe der Jordanmiindung gelegen, sind heute kaum noch Spuren erhalten.25 Po25 Vgl. B. PIXNER, Wo lag Betsaida? Eine Studie, H1L 114, 1982, 25-31. Pixner lokalisiert den Ort bei dem heutigen Et-Tell.

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litisch gehorte es bereits zum Herrschaftsgebiet des Herodessohnes Philippus, der hier mit Betsaida-Julias eine hellenistische Stadt errichtete. In seiner Tetrarchie scheint die hellenistische Kultur noch pragender gewesen zu sein als im benachbarten Gebiet des Herodes Antipas. Die kurze Notiz bei Johannes bewahrt vermutlich die Erinnerung an jenen Ort auf, in dem Petrus geboren wurde und aufwuchs. Das konnte auch erklaren, warurn sich Jesus spater mit seinen Anhangern wiederholt in Betsaida aufhalt - in einem Ort also, der fur seine ersten Anhanger vertrautes Terrain darstellte. Hier findet nach Mk 8,22-26 eine Blindenheilung statt, nach Lk 9,10 liegt der Ort der Speisungsgeschichte in der Nahe des Dorfes. Auch das bedeutsame Messiasbekenntnis des Petrus, das Mk 8,27 bei dem ca. 35 km entfernten Casarea Philippi lokalisiert, erfolgt somit in der alten Heimat des Petrus. Aufierhalb des Zugriffs durch Herodes Antipas bot dieses Gebiet wohl immer wieder eine giinstige Riickzugsmoglichkeit, ohne lange Wege gehen zu miissen. Dass in den Wehe-Spruchen Jesu liber drei galilaische Stadte Chorazin und Betsaida noch vor Kafarnaum genannt werden (Mt 11,21-23/Lk 10,13-15), weist Betsaida noch einmal als einen bevorzugten Ort der Wirksamkeit Jesu und seiner Anhanger aus.26 Doch die grofien Erwartungen schlagen offensichtlich auch hier in Enttauschung um. Die anderen Evangelisten nennen ausschliefilich Kafarnaum als den Wohnort des Petrus. Hier jedenfalls lebt er mit seiner Familie, als er Jesus begegnet. 26 In Mt 11,20 wird das Wort mit der Bemerkung eingeleitet: »Dann fing er die Stadte zu schelten an, in denen die meisten seiner Machttaten geschehen waren, weil sie nicht umgekehrt waren.« 33

Der Evangelist Markus berichtet, dass Jesus nach der Berufung der Fischer und nach seinern ersten Auftreten in der Synagoge von Kafarnaum »in das Haus des Simon und Andreas« gegangen sei (Mk 1,29).27 Dort heilt er die Schwiegermutter des Petrus, die an einem Fieber leidet. Petrus wohnt also mit seiner Frau in Kafarnaum. Schwiegermutter (und Bruder?) teilen seine Wohnung. Von hier aus geht er seiner Arbeit als Fischer nach. Der Ort liegt am Nordwestufer des Sees. Bis Betsaida sind es nicht mehr als ca. 8 km. Dazwischen verlief jedoch die Grenze, die das Gebiet des Herodes Antipas von dem des Philippus trennte. Aus diesem Grund befand sich im Ort wohl auch eine Art kleiner Garnison, deren Centurio nach Mt 8,5-13/Lk 7,1-10 als ein »Gottesfurchtiger« mit der jiidischen Bevolkerung in gutem Einvernehmen lebt und so auch mit Jesus in Beriihrung kommt. Mk 2,13-17par erwahnt eine Zollstation in der Nahe des Ortes. Die verkehrsgunstige Lage am Ufer des Sees sowie an einer Nebenstrafie der via maris lasst Kafarnaum zu einem Zentrum der galilaischen Wirksamkeit Jesu werden. In Kafarnaum vollbringt er seine ersten Wundertaten, lehrt und kehrt immer wieder hierher zuruck. Mt 4,13 erweckt den Eindruck einer direkten Ubersiedlung Jesu von Nazaret nach Kafarnaum: »Und er verlieG Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen .. .«28 Die Spannungen mit seiner Familie und den alten Bekannten seines Heimatdorfes mogen dazu ebenso wie die neuen freundschaftlichen Beziehungen zu den Fischern vom See beigetragen haben. Auf jeden Fall aber kann man 27 Mt 8,14 nennt dann nur noch »das Haus des Petrus«, Lk 4,38 »das Haus des Simon«. 28 Auch Mt 17,24 setzt mit der gerade in Kafarnaum lokalisierten Anfrage, ob Jesus die Tempelsteuer bezahlt, den Wohnort voraus.

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schlussfolgern, dass das Haus des Petrus nun als eine Art Standquartier des Wanderpredigers und seiner Anhanger fungierte. Ganz so radikal, wie es die Berufungsgeschichte des Petrus darstellt, ist der Bruch mit der Familie dann also doch nicht gewesen. Die Schwiegermutter des Petrus jedenfalls schlieSt sich nach ihrer Heilung dem Kreis urn Jesus an, insofern das »dienen« in Mk 1,31 par mehr meint als nur die gastliche Bewirtung.29 An die haufigen Aufenthalte in Kafarnaum erinnert zudem auch der Sprachgebrauch in Mt 9,1, Jesus sei »in seine Stadt« gekommen. Um so scharfer fallt das Urteil uber Kafarnaum aus (Mt 11,23/Lk 10,15), dessen Bewohner sich nach anfanglicher Zustimmung in ihrer Mehrheit dann wohl doch noch von Jesus distanzierten. Als man 1968 mit systematischen Grabungen auf dem Gelande des alten Kafarnaum begann, kam aufier den schon im 19. Jh. gefundenen Resten einer Synagoge auch ein Komplex zum Vorschein, der sich als »Wohninsel« mit mehreren Gebauden und Hofen herausstellte. Hier vermutet man seither mit guten Griinden das Haus des Petrus.30 Denn wie die Rekonstruktion der Baugeschichte gezeigt hat, wurde eines der Hauser innerhalb dieser eher armlichen Wohnanlage zwischen 50-100 n. Chr. zu einem Versammlungsraum umfunktioniert. Davon zeugen der ansonsten ungewohnliche Verputz der Wande und die Befestigung des Bodens, dekorative Ausschmu29 Der Begriff beschreibt die Tatigkeit der Nachfolger; Paulus betrachtet seine Verkiindigung als »Dienst« oder »Miihe«, was auch fur Frauen in seinen Gemeinden gilt - vgl. z. B. Rom 16,1-6.12. 30 Vgl. J. F. STRANGE/H. SHANKS, Das Haus des Petrus, in: Das Petrusbild in der neueren Forschung, hg. v. C. P. Thiede, Wuppertal 1987,145-162.

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ckungen und Graffiti christlichen Inhaltes. Der Raum, der damit zunachst als »Hauskirche« erscheint, wurde dann im 5. Jh. mit einer achteckigen Kirche uberbaut, die bereits durch diesen zentral angelegten Grundriss die Hervorhebung eines bestimmten Ortes vermuten lasst. Von dieser Kirche sprechen schon die altesten Pilgerberichte und bringen sie mit dem Haus des Petrus in Verbindung. Auch wenn die wenigen steinernen Reste dafur keinen sicheren Beweis mehr erbringen konnen - dass sich hier eine alte Ortstradition etabliert hat, bleibt von Interesse. 1.1.3. Familie und Beruf tiber die Familienverhaltnisse des Petrus finden sich nur wenige verstreute Angaben. Sein Vater tragt nach Mt 16,17 den Namen Jona, nach Joh 1,42 und 21,15.16.17 Johannes. Die Existenz der Schwiegermutter in Mk l,29-31par lasst auch auf eine Ehefrau schliefien. Leider erfahrt man in den Evangelien nichts von ihr. Vermutlich bleibt sie in Kafarnaum und sorgt fur die Familie. Allerdings wird man die generalisierenden Worte vom Bruch der Nachfolger mit ihren Familien in Mk 10,28-30par nicht auf biographische Details hin festlegen diirfen.31 Immerhin weifi gerade Paulus in IKor 9,5 ganz nebenbei etwas anderes von dieser ansonsten unbekannten Frau zu berichten: Sie befindet sich inzwischen gemeinsam mit Petrus auf Wanderschaft. Dass auch die in IPetr 5,13 genannte »Mitauserwahlte« nicht die Gemeinde am Ort des Briefabsenders, sondern die Frau des Petrus sein soll31 Petrus konstatiert diesen Bruch, Jesus konkretisiert: Briider, Schwestern, Eltern, Kinder (Mk/Mt); Frau, Briider, Eltern, Kinder (Lk). Die Aufzahlung hat reprasentativen Charakter. 36

te, kann man indessen nur als Spekulation betrachten.32 Von der weiteren Familie kommt lediglich noch Andreas, der Bruder, in den Blick. Doch bei den Synoptikern bleibt er vollig farblos. Er gehort zwar zum »harten Kern« innerhalb des Zwolferkreises, spielt aber bestenfalls die Rolle eines Statisten. Allein der Evangelist Johannes streicht ihn heraus und lasst ihn noch vor seinem Bruder zu Jesus finden. In Joh 6,8 und 12,22 riickt er ihn gemeinsam mit Philippus sogar in eine besonders enge Vertrauensstellung zu Jesus.33 Darin erschopfen sich dann aber auch schon alle Angaben zur Familie des Petrus. Erst die spate Legende verspiirte hier ein Ungeniigen und ersann deshalb die moralisierenden Geschichten vom Martyrium der Frau des Petrus und von der bedeutungsvollen Krankheit seiner jungfraulichen Tochter.34 Ein genaueres Bild lasst sich von den Lebensverhaltnissen des Petrus gewinnen. Als Fischer gehorte er zur sozialen Unterschicht, ohne jedoch zu den Armsten am unteren Rand der gesellschaftlichen Pyramide zu zahlen. Er verfiigte liber ein Haus, das auch Gaste aufnehmen konnte. Er besafi mindestens 32 Die Schlussgrufie bringen die Gemeinde ins Spiel; schon 1,1 und 2,9 sind die »Erwahlten« die Glieder der Adressatengemeinden. Ebenso wenig hat auch »Markus, mein Sohn« eine familiare Beziehung im Blick. 33 K. Berger identifiziert deshalb sogar den »Lieblingsjimger« bei Johannes mit Andreas; vgl. K. BERGER, Im Anfang war Johannes, Stuttgart 1997, 96-106 (§ 13. Die Identitat des Lieblingsjiingers). 34 Die Geschichte von der Tochter ist Teil der apokryphen Petrusakten (siehe unten); in der Legenda aurea hat »Petronella« unter dern 31.5. ein eigenes Fest mit eigener Legende. Von der Frau des Petrus handeln die Pseudo-Clementinen (siehe unten) - spez. Homilien XIII 1,1; Recognitionen VII 25,3; 36,1; IX 38,11; auch Clemens von Alexandrien berichtet ihr Martyrium in Teppiche VII 11,63.

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Abb. 4: Wohnhaus des Petrus in Kafarnaum (Rekonstruktion)

ein Boot und die notwendige Ausriistung, urn sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Inwiefern das Briiderpaar Jakobus und Johannes, die Sohne des Zebedaus, wirtschaftlich mit ihm verbunden waren, lasst sich nur schwer beurteilen: Nach Mk 1,16-20 / Mt 4,18-22 begegnet Jesus den beiden Briiderpaaren nacheinander - nach Lk 5,1-10 indessen erscheinen die Zebedaussohne als Gefahrten des Petrus und 38

folgen seinen Anweisungen so, als ob er ihr Chef sei.35 Aufschlussreich 1st in diesem Zusammenhang die kurze Bemerkung in Mk 1,20, dass Jakobus und Johannes ihren Vater im Boot zuriickgelassen hatten, »gemeinsam mit den Tagelohnern«. Ihr sozialer Status gestattete es ihnen also, auch weitere Arbeitskrafte einzustellen. Wie muhsam und hart der Lebensunterhalt im Alltag eines Fischers zu erwerben war, das macht die Erzahlung von dem unerwartet reichen Fang in Lk 5,1-10 auf anschauliche Weise sichtbar. Aber Petrus, sein Bruder und seine Kollegen verfiigen immerhin liber die Mittel, die ihnen eine leidliche Existenz sichern.36 Wenn Petrus spater gegeniiber Jesus reklamiert: »Du weifit, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.« (Mk 10,28par), dann spricht er von einem wirklichen Verlust. Gleichzeitig bringt er seine ganze Berufserfahrung in die neue Existenzweise ein. Die provozierende Aufforderung Jesu, von jetzt an »Menschenfischer« zu sein (Mk 1,17/Mt 4,19/Lk 5,10), greift darauf zuriick. Geduld, organisatorisches Geschick und die Fahigkeit, mit Entbehrungen fertig zu werden, kommen Petrus bei seinen spateren Aufgaben sicher zugute. Die Bildung des Petrus wird seinen Lebensumstanden entsprochen haben. Dennoch darf man dem von Lukas referierten Vorurteil der Jerusalemer Autoritaten (Apg 4,13: »ungelehrte und einfache Leute«) sicher nicht zu viel Gewicht beilegen. Der Besuch der Syna35 Lk 5,7 nennt sie »Metochoi/Teilhaber«, 5,10 »Koinonoi/Genossen«. Beide Begriffe zielen eher auf Gleichrangigkeit. 36 Ein anschauliches und sorgfaltig recherchiertes Bild vom Leben der Fischer am See liefert G. DALMAN, Arbeit und Sitte in Palastina. VI: Zeltleben, Milch- und Viehwirtschaft, Jagd, Fischfang, Giitersloh 1939, 343-370. 39

goge am Ort bot ausreichend Gelegenheit, die Schriften und ihre Auslegung kennen zu lernen. Es lasst sich auch wahrscheinlich machen, dass Petrus zweisprachig aufgewachsen 1st. Denn abgesehen davon, dass im 1. Jh. n. Chr. die griechische Sprache schon in ganz Palastina verbreitet war, lag besonders Betsaida in einem von hellenistischer Kultur dominierten Umfeld. Im Blick auf den Absatz der gefangenen Fische auf dem Markt waren zumindest grundlegende Sprachkenntnisse im Griechischen niitzlich. Auch die doppelte Namensform »Simeon/Simon«37 konnte Indiz solcher Zweisprachigkeit sein. 1.2. Name und Beiname 1.2.1. Simon, Sohn des Jona/Johannes Der Mann, der als Petrus in die Geschichte eingegangen ist, trug ursprunglich den zur Zeit Jesu weit verbreiteten Namen »Simeon/Simon« (= Gott hat erhort). Sein guter Klang war durch die Erinnerung an den streitbaren Sohn des Erzvaters Jakob gesichert. Weitere illustre Namenstrager schlossen sich an.38 Dabei hatte es sich vermutlich schon fruh eingeburgert, neben der hebraischen Form Simeon auch den in griechischen Ohren angenehmer klingenden Namen Simon zu gebrauchen, der seine eigene, vom hebraischen Pendant unabhangige Geschichte besafi. Im 37 Dasselbe Phanomen begegnet auch bei »Saulus/Paulus« (Apg 13,9): Es bedeutet keinen Namenswechsel, sondern lediglich die Parallelitat einer hebr. mit einer ahnlich klingenden griech. Namensform. 38 So z. B. der Hohepriester Simon Sir 50,1-24 oder der Makkabaer Simon IMakk 13-15. Die Verbreitung des Namens zeigen etwa Mk 3,16par; 6,3par; 14,3par; 15,21par; Joh 6,71; 13,2.26; Apg 8,9-24; 9,43/10,6.17.32; 13,1.

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Abb. 5: Petrusikone, Katharinenkloster auf dem Sinai (6./7. Jh.)

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Neuen Testament finden sich beide Formen nebeneinander.39 Nach judischem Brauch wird Simon dabei durch den Vatersnamen naher bestimmt, wofiir Mt 16,17 die Transkription der aramaischen Form »Bar-Jona« (= Sohn des Jona), Joh 1,42 und 21,15.16.17 hingegen die wiederum griechisch gefalligere Form »Sohn des Johannes« bietet. Auffalligerweise gebrauchen die Evangelisten immer dann, wenn sich Jesus in direkter Anrede an seinen Jiinger wendet, den Namen Simon.40 Auch die alte Uberlieferung von der Ersterscheinung in Lk 24,34 belasst es dabei: »Der Herr ist wirklich auferstanden und dem Simon erschienen!« Ansonsten wechseln nach der Konstituierung des Zwolferkreises »Simon Petrus« und »Petrus« einander ohne erkennbare Unterscheidung ab. 1.2.2. Kefas/Petrus Im Unterschied zu »Simon« ist »Kefas/Petrus« kein Eigenname, sondern ein Beiname. Dass Simon einen solchen Beinamen erhalt, entspricht zunachst der schlichten Notwendigkeit einer Unterscheidung von einem anderen Simon im Jiingerkreis, der seinerseits griechisch »Zelotes« (Lk 6,15/Apg 1,13) bzw. mit dem entsprechenden hebraischen Aquivalent »Kananaus« (Mk 3,18/Mt 10,4) benannt und so als Anhanger der galilaischen Freiheitskampfer bezeichnet wird. Ahnlich verhalt es sich bei den weiteren Namensvettern unter den Zwolf: In dem einen Fall erfolgt die 39 »Simeon« steht nur in Apg 15,14 und 2Petr 1,1; ansonsten gebrauchen die Evangelien »Simon«. 40 Einzige Ausnahme ist Lk 22,34 - hier hat der Evangelist bei der Ansage der Verleugnung den Beinamen wohl bewusst eingefiigt (iiber Mk hinaus), um den Kontrast zu verscharfen. 42

Unterscheidung liber den Vatersnamen - Jakobus, Sohn des Zebedaus und Jakobus, Sohn des Alphaus; in dem anderen Fall stehen Vaters- und Herkunftsname nebeneinander - Judas, Sohn des Jakobus und Judas Iskariot (= Mann aus Kerijot). Auch fur Simon findet sich mit Bar-Jona/Sohn des Johannes gelegentlich der Vatersname. Doch er erhalt dariiber hinaus noch eine weitere Kennzeichnung: »Kefas/Petrus« (= Stein). Auch dies entspricht einer Eigenheit irn Jiingerkreis, wie der Beiname »Boanerges/Dormersohne« fur die beiden Bruder Jakobus und Johannes zeigt. Solche Beinamen sind im jiidischen wie im griechischen Bereich durchaus nichts AuBergewohnliches. Es liegt nahe, darin eine Anspielung auf besondere Eigenschaften oder Merkmale ihrer Trager zu sehen. Im Falle des Kefas/Petrus muss der Beiname jedenfalls auf einen positiven Ton gestimmt sein, derm ansonsten hatte er kaum eine so weite Verbreitung bzw. Akzeptanz erfahren konnen. Zunachst transkribierte man die aramaische Form »Kefa« ins Griechische und erganzte sie mit einer maskulinen Endung zu »Kefas«. Schon bald aber findet sich dann mit »Petros« auch die entsprechende griechische Ubersetzung, aus der im Lateinischen spater »Petrus« wird. Vor dieser Zeit ist Kefas/Petrus als Eigenname nirgends belegt. Er begegnet als Beiname erstmals bei jenem Fischer Simon, bis er sich allmahlich verschleift und nun sekundar zu einem Eigennamen wird. Bereits Paulus gebraucht Kefas/Petrus in diesem Sinne, bei den Evangelisten dominiert das alleinige Petrus, und auch fur IPetr 1,1 genugt dann schon die schlichte Absenderangabe »Petrus, Apostel Jesu Christi«.41 41 Vgl. jedoch 2Petr 1,1 - dabei gibt sich aber das hebr. »Symeon« eher als archaisierende Form zu erkennen.

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Lange Zeit hat der besondere Klang des Beinamens »Kefas/Petrus« ganz im Bannkreis des »Felsenwortes« von Mt 16,18 gestanden. Die Riickfrage nach seiner urspriinglichen Bedeutung muss jedoch unabhangig davon ermittelt werden,42 denn hier wird die Existenz dieses Beinamens schon vorausgesetzt (»Du bist Petrus ...«). Da es sich bei dem aramaischen »Kefa« um einen Begriff der Umgangssprache handelt, drangt sich bei alien Horerinnen und Horern als erste Assoziation vor allem dessen Hauptbedeutung auf. Die aber zielt klar und breit belegbar auf den »Stein« als ein einzelnes Stuck - nur ganz am Rande lasst sich dann auch die Sonderbedeutung »Fels« im Sinne des gewachsenen, in der Erde verankerten Blockes entdecken. Mit dem eigenartigen Beinamen des Simon ist also zunachst nur die Bezeichnung von Festigkeit intendiert. Nicht der Pels oder das Fundament, sondern lediglich der einzelne Brocken, der Stein, vielleicht sogar der Edelstein ist gemeint. Die semantische Spannweite des Begriffes verlockt freilich zu Wortspielen, und so lasst sich das »Felsen«-Wort auch am besten als nachtragliche Interpretation des urspriinglichen Beinamens in einer neuen Situation verstehen: »Du bist der Petros/Stein, und auf diesen Petra/Fels werde ich ...« Das Spiel, das im Aramaischen allein von der Mehrdeutigkeit des Begriffes »Kefa - Kefa« lebt, gewinnt dabei erst im Griechischen durch die Nuancierung von »Petros - Petra« seinen vollen Reiz, was sich im Deutschen am schonsten durch die Aquivalente »Stein - Gestein«43 wiedergeben lasst. 42 Ausfiihrlich P. LAMPE, Das Spiel mit dem Petrusnamen Matt. XVI. 18, NTS 25,1979, 227-245. 43 So U. Luz, Das Evangelium nach Matthaus 2, EKK 1/2, Zurich/Neukirchen 1990, 452.

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Seinen Beinamen hat Simon schon friih erhalten. Wie fest er bei den judenchristlichen Gemeinden in Palastina eingebiirgert war, zeigt die getreue Transkription des aramaischen Kefa(s) noch bei Paulus.44 Die sinnvollste Funktion findet er aber als unterscheidende Kennzeichnung im Jiingerkreis.45 In der Ruckfuhrung des Kefas-Namens auf Jesus sind sich auch alle Evangelisten einig. Differenzen zeigen sie nur hinsichtlich des Zeitpunktes der Benennung. Die friiheste Variante bietet Joh 1,42 - bei der ersten Begegnung riistet ihn Jesus bereits damit aus: »Du bist Simon, Sohn des Johannes. Du sollst Kef as heiSen (was iibersetzt >Stein< bedeutet)!« Einleuchtender platziert Mk 3,16 die Beinamensgebung wahrend der Berufung des Zwolferkreises (»Und er legte dem Simon den Namen Petrus bei.«), worin ihm Lk 6,14 (»Simon, den er auch Petrus nannte«) folgt. Allein Matthaus erweckt in 4,18/10,2 (»Simon, der sogenannte Petrus«) den Eindruck, als ob dem Genannten dieser Beiname schon immer angehaftet habe46 - allerdings nur, um die Namensdeutung auf den »Felsen« dann nach dem Messiasbekenntnis in 16,18 umso wirkungsvoller hervorheben zu konnen. Durch die Notwendigkeit der Unterscheidung und die Vorliebe Jesu fur iiberraschende Bildworte ist der Fischer Simon also zu einem Beinamen gekom44 IKor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5; Gal 1,18; 2,9.11.14. 45 Viele Ausleger haben den Beinamen erst der Urgemeinde zuschreiben wollen: Als erstem Zeugen des Auferstandenen (IKor 15,5; Lk 24,34) sei dem Simon damit die Bedeutung einer Griindergestalt bescheinigt worden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich durch dieses Ereignis der alte Name mit neuer Bedeutung gefiillt hat. 46 Joh 1,40 zeigt immerhin eine ahnliche Inkonsequenz - dort ist schon von »Simon Petrus« noch vor der Beinamengebung zwei Verse spater die Rede.

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men, der unter veranderten Umstanden mit neuer Bedeutung gefiillt wurde. Die erstaunliche Karriere zu einem der popularsten Mannernamen in der christlichen Welt47 war ihrn jedenfalls nicht in die Wiege gelegt. 1.3. Berufung und Beauftragung 1.3.1. Beziehung zum Tauferkreis Die eigenwilligste Darstellung von der ersten Begegnung des Petrus mit Jesus bietet der Evangelist Johannes (1,35-51). Sie unterscheidet sich von dem Bericht der Synoptiker durch den Ort des Geschehens, Reihenfolge und Namen der ersten Anhanger und vor allem durch die Art und Weise, wie die Nachfolge beginnt. Diese Eigenheiten sind eng mit der Rolle des Taufers verbunden: Anders als Markus, Matthaus und Lukas, die zwischen Taufe Jesu und Jiingerberufung einen Ortswechsel sowie weitere Episoden einschieben, sind bei Johannes beide Ereignisse unmittelbar miteinander verbunden.48 Mit dem Auftreten des Taufers, den der Prolog schon als den »Zeugen« des Christus eingefiihrt hat (1,6-8.15-16), beginnt die Jesusgeschichte des Johannes. Doch der Evangelist ist dabei viel weniger an dem Ereignis der Taufe Jesu, einem Dialog oder den 47 Seine Varianten in den grofien europaischen Sprachen sind zahlreich: Pietro, Piero, Pierre, Pierrot, Pedro, Perez, Peer, Peet, Pit, Pitter, Peko, Petz, Pierce, Petr, Piotf, Pietrek, Pjotr, Petruschka, Petar, Penco, Peto, Pekka - um nur einige zu nennen. Auch weibliche Formen wie Petra, Petje, Petke, Peekje, Pierrette, Piera, Pierina u. a. m. sind ihrn gefolgt. 48 Vgl. insgesamt S. O. ABOGUNRIN, The three variant accounts of Peter's call: A critical and theological examination of the texts, NTS 31,1985, 587-602.

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Umstanden der Begegnung interessiert als an dem verbalen »Zeugnis«/ das der Taufer nun im Blick auf Jesus ablegt. Alles Gewicht liegt darauf, den Kommenden als »das Lamm Gottes, das die Siinde der Welt tragt«, vorzustellen. In einer zweigliedrigen Passage (1,19-28.29-34) riickt der Taufer zunachst die Nachfragen zu seiner Person zurecht, um dann - als er Jesus kommen sieht - sein gewichtiges »Zeugnis« zu formulieren. Unmittelbar daran schlieSt sich die Berufung der ersten Jiinger an (1,35-51). Dass sie mit dem vorausgehenden Tauferzeugnis und dem nachfolgenden Weinwunder von Kana (2,1-12) eine groSe, zusammengehorige Erzahleinheit bildet, macht das durchgangige Tagesschema deutlich.49 Ihre eigene Dynamik aber entfaltet sich nun in Gestalt von vier aufeinanderfolgenden, exemplarischen Szenen (I: 35-39; II: 40-42; III: 43-44; IV: 45-51). Zum Ausloser des Geschehens wird wiederum der Taufer: Als sich »am nachsten Tag« (1,35) die Situation des Vortages wiederholt (der Taufer sieht Jesus kommen), da richtet er das Zeugnis von dem »Lamm Gottes« nun konkret an zwei seiner Jiinger. Die beiden schlieSen sich Jesus an, und auf die Frage »Was sucht ihr?« sowie die Aufforderung »Kommt, und ihr werdet sehen!« bleiben sie bei ihm. Erst zu Beginn der zweiten Szene erfahrt man, dass es sich bei dem einen der beiden um Andreas, den Bruder des Simon, handelt. Der wird nun seinerseits aktiv, sucht und findet seinen Bruder, berichtet ihm: »Wir haben den Messias gefunden!«, und fuhrt ihn zu Jesus. Jesus blickt ihn an und gibt ihm den Beinamen: »Du bist Simon, Sohn des Johannes. 49 1,29: am nachsten Tag; 1,35: am nachsten Tag; 1,43: am nachsten Tag; 2,1: am dritten Tag; die Zahlung umfasst also den Zeitraum einer ganzen Woche.

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Du sollst Kefas heifien (was ubersetzt >Stein< bedeutet)!« Die dritte Szene hebt sich sowohl durch die Zasur eines neuen Tages als auch durch einen Wechsel der Methode von den beiden vorausgehenden ab: Nun ergreift Jesus selbst die Initiative, findet Philippus und ruft ihn in die Nachfolge. Die vierte Szene kehrt zum Schema des Anfangs zuriick: Philippus findet Natanael und fiihrt ihn zu Jesus. Von den vielen wichtigen Einzelziigen, die diese Erzahleinheit auszeichnen,50 soil es hier nur um die Rolle des Petrus gehen. Derm trotz der unverkennbaren theologischen Absicht, mit der Johannes diese Erzahlung gestaltet, scheinen dabei auch einige historische Erinnerungen bewahrt zu sein. Den Ort des Taufers lokalisiert der Evangelist am unteren Lauf des Jordan. In 1,28 ist von Betanien (Variante: Betabara) die Rede, das man wie das in 3,23 genannte Anon etwa 6 km nordlich der Mundung des Jordans in das Tote Meer sucht. Jedenfalls findet die Geschichte nicht in Galilaa statt. Der Entschluss, nach Galilaa zu gehen, wird erst in 1,43 genannt und offenbar vor 2,1 ausgefiihrt. Andreas und Simon, Philippus und Natanael so wie der Anonymus von 1,35 haben ihre Heimat also schon verlassen. Sie sind Suchende. Dem Taufer haben sie sich aufgrund seiner Predigt angeschlossen. Sein Zeugnis lasst sie finden, was sie gesucht haben: den Messias/den Sohn Gottes/den, von dem im Gesetz des Mose geschrieben ist/den Konig Israels/den Menschensohn. Als Suchende sind sie vorbereitet und nehmen mit gescharften Sinnen den wahr, der ihnen nun von dem Taufer bezeugt wird. 50 Vgl. dazu CHR. BOTTRICH, »Suchen und finden«. Aspekte des johanneischen Menschenbildes nach Job 1,35-51, in: Menschenbild und Menschenwiirde, Giitersloh 2001. 48

Bezeichnend sind Namen und Reihenfolge. Simon und Andreas erscheinen auch bei den Synoptikern als Anhanger der ersten Stunde; Philippus taucht unbetont auch in den Jiingerlisten auf; Natanael jedoch begegnet nur bei Johannes; geheimnisvoll bleibt schliefilich der Anonymus vom Anfang.51 Uberraschenderweise aber tritt Simon Petrus hinter seinen Bruder Andreas zuriick. Andreas kommt ihm zuvor, und erst, nachdem er sich Jesus angeschlossen hat und zu der Erkenntnis gelangt ist: »Wir haben den Messias gefunden!«, fiihrt er auch seinen Bruder Simon zu Jesus. Dass Jesus nun sofort den Simon mit dem (ehrend gemeinten) Beinamen Kef as/Petrus auszeichnet, dokumentiert die auch fur Johannes unbestrittene Bedeutung des Simon. Doch schon hier wie auch im spateren Fortgang des Evangeliums ordnet er ihn ganz bewusst in kollegiale Beziehungen ein und relativiert damit eine alleinige Vorrangstellung. Andreas und Philippus stehen Jesus gelegentlich sogar naher als Petrus.52 Und in der Ostererzahlung ist es der »Lieblingsjunger«, der mit Petrus zu gleicher Zeugenschaft aufschliefit.53 Simon Petrus bleibt bei al51 Zu Simon und Andreas vgl. den folgenden Abschnitt; Philippus findet sich stets an fiinfter Stelle hinter den Bruderpaaren (Mk 3,18/Mt 10,3/Lk 6,15/Apg 1,13); Natanael hat man haufig mit Bartolomaus oder anderen Personen zu identifizieren versucht; in dem Anonymus konnte schon der »Lieblingsjiinger« angedeutet sein. Fur die beiden Letzteren muss es bei Vermutungen bleiben. 52 Joh 6,5.8 berat sich Jesus vor dem Speisungswunder mit Philippus und Andreas; Joh 12,22 vermitteln Andreas und Philippus zum Passafest die Frage der »Griechen« an Jesus. 53 Nach Joh 20,1-10 erfahren beide durch Maria Magdalena von dem leeren Grab; beide laufen los - der »Lieblingsjiinger« kommt eher an, lasst aber Petrus den Vortritt; der »Lieblingsjiinger« sieht und glaubt, beide zusammen aber vermogen das Geschehen noch nicht im Licht der Schrift zu 49

ler Autoritat in die Gruppe der anderen Zeugen eingebunden. Die starkste Eigenheit stellt jedoch die Art und Weise dar, wie hier Nachfolge beginnt. Anstatt durch den schroffen, unmittelbaren Ruf (»Auf, mir nach!«) kommen die Nachfolger durch die Vermittlung anderer zu Jesus. Sie werden auch nicht von der plotzlichen Aufforderung iiberrollt, sondern haben Zeit, »zu kommen und zu sehen«. Als solche, die sich bereits auf der Suche befinden, konnen sie ihre Erwartungen iiberprufen. Indem sie bei Jesus »bleiben«, bringen sie ihre Geschichte mit. Daran ist Johannes ganz besonders gelegen. Vermutlich war die Erzahlung urspriinglich noch viel konsequenter nach diesem Schema konstruiert (Andreas und Philippus werden vom Taufer motiviert und gewinnen ihrerseits Simon und Natanael) und ist erst nachtraglich mit dem Ergebnis jener vier exemplarischen Szenen uberarbeitet worden.54 Auf jeden Fall aber spiegelt sich darin ein Stuck der Gemeindeerfahrung zur Zeit des Evangelisten wider: Der Glaube an Jesus entsteht nicht voraussetzungslos, sondern durch die Vermittlung von Glaubenszeugen. Dafiir ist auch Simon Petrus ein Beispiel. Ganz am Rande deutet der Evangelist dabei noch etwas von der Vorgeschichte des Simon an: Mit seinem Bruder Andreas und seinem Landsmann Philippus gehort er offenbar schon zum Kreis des verstehen. Vgl. auch Joh 21,15-19 und 20-23: der erste Abschnitt betont Petrus als pastorale Autoritat, der zweite hebt den »Lieblingsjunger« als Traditionstrager hervor. 54 Vgl. etwa R HAHN, Die Jiingerberufung Joh 1,35-51, in: Neues Testament und Kirche. FS R. Schnackenburg, hg. v. J. GNILKA, Freiburg/Basel/Wien 1974,172-190. 50

Taufers Johannes.55 Das 1st der Kontext, in dem er Jesus begegnet. Jesus, der sich selbst der Taufe durch Johannes unterzieht, gewinnt seine ersten Anhanger aus einem vertrauten Urnfeld. Diese Konstellation hat viel an historischer Wahrscheinlichkeit fur sich. Sie konnte die besonders enge Gemeinschaft jener ersten Anhanger sowohl untereinander als auch rnit Jesus durch eine gemeinsame Vorgeschichte einleuchtend erklaren. Und sie wiirde darauf hinweisen, dass auch der Fischer Simon, Sohn des Johannes, langst schon zu den Suchenden seiner Zeit gehorte. 1.3.2. Berufung am See Im Unterschied zu Johannes haben die Synoptiker die Berufungsgeschichte in Galilaa lokalisiert. Nach dem Aufenthalt in der Wuste und seiner Taufe am Jordan ist Jesus in den Norden zuriickgekehrt, wo er nun 6ffentlich in Erscheinung tritt. Fur Markus (1,16-20) und Matthaus (4,18-22) ist die Berufung der Jiinger dabei nach einer summarischen Bemerkung die erste erwahnenswerte Episode. Lukas (5,1-10) indessen berichtet zuvor noch ausfiihrlich von der »Antrittspredigt« Jesu in seinem Heimatort Nazaret und verschiedenen Ereignissen in Kafarnaum, bevor er die Berufungsgeschichte erzahlt. Einig sind sich alle drei darliber, dass die Szene am Ufer des Sees Gennesaret stattfindet, wo die beiden Briiderpaare Simon und Andreas sowie Johannes und Jakobus als Fischer ihrer Arbeit nachgehen. In den Einzelheiten gibt es jedoch gravie-

55 Diesen Zusammenhang hat zuletzt wieder K. BACKHAUS, Die »Jiingerkreise« des Taufers Johannes, PaThSt 19, Paderborn u. a. 1991, 230-249, ausfuhrlich begrundet. 51

Abb. 6: Berufung am See, Ravenna, S. Apollinare Nuovo (520-526)

rende Unterschiede: Wahrend Markus und Matthaus beinahe gleichlautend erzahlen, gewinnt man bei Lukas den Eindruck einer ganz anderen Geschichte. Gerade an der Figur des Petrus wird dieser Unterschied sichtbar. Markus skizziert das Ganze mehr, als dass er es erzahlt. Die Handlung reduziert sich auf wenige, pragnante Satze und gliedert sich entsprechend den beiden Briiderpaaren in zwei streng parallel gebaute Szenen. Jesus geht am Meer entlang, sieht das erste Briiderpaar bei der Arbeit, ruft »Auf, mir nach!«, fiigt noch die Zusage »Ich werde euch zu Menschenfischern machen!« an - und sofort lassen die beiden alles stehen und liegen, um Jesus nachzufolgen. Nur wenig entfernt begegnen sie dem zweiten Briiderpaar 52

bei gleicher Tatigkeit.56 Fur diese zweite Szene, die nach dem selben Schema ablauft, genugt schon der pauschale Verweis »Und er rief sie ebenso.«, worauf dann aber noch der interessante Hinweis auf die Zuriickbleibenden - den Vater Zebedaus mit den Tagelohnern - erfolgt. Matthaus schliefit bei wenigen sprachlichen Varianten eng an den Markustext an. Als ein reales Geschehen lasst sich diese Episode kaum nachvollziehen. Der Ruf trifft hier die Nachfolger wie der Blitz aus heiterem Himmel. Eine Motivation wird nirgends erkennbar. Um so radikaler erfolgt dafiir der Bruch mit dem bisherigen Leben. Aber an der Schilderung einer einsichtigen, mit Lebenswirklichkeit erfullten Begebenheit ist Markus und Matthaus offenbar auch gar nicht gelegen. Sie heben mit knappen Strichen nur das hervor, was sie fur das Nachfolgegeschehen als wesentlich betrachten: Ausgangspunkt ist der Ruf Jesu; er trifft die Adressaten mitten in ihrer Alltagswelt; der Ruf verbindet eine Zumutung mit einer Zusage; er markiert zugleich eine einschneidende Lebenswende. Dabei ruft die sprachliche Gestaltung die Erinnerung an eine andere, wohlbekannte Berufungsgeschichte wach: In ahnlich iiberraschender Weise und mit vergleichbaren Worten hatte einst der Prophet Elija seinen Schiiler Elischa berufen.57 Historische oder gar psycho56 Dass Simon und Andreas die Netze gerade (offenbar im flachen Uferwasser) auswerfen, Jakobus und Johannes indessen ihre Netze zurechtmachen, ist lediglich eine erzahlerische Variante. 57 IKon 19,19-21 - die Assoziation scheint beabsichtigt zu sein und soil offensichtlich signalisieren: Jesus iiberbietet Elija. In diese Richtung weisen auch andere Anspielungen auf Elija/Elischa: Mt 11,14; Mk 9,2-13par; Speisungswunder (2K6n 4,42-44); Lk 7,1-11 (IKon 17,17-24/2K6n 4,18-37); Lk 9,54 (2K6n 1,9-15); Lk 9,61-62 (IKon 19,20); Lk 24,50-53 (2K6n 2,1-18).

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logische Details miissen also hinter dem Anliegen, das Typische bzw. Exemplarische zu beschreiben, zuriickstehen. Immerhin bewahrt auch diese Erzahlung historisch zuverlassige Erinnerungen. Jesus schart vom Beginn seines offentlichen Auftretens an Anhanger um sich. Die Fischer aus Galilaa, zu denen Simon gehort, werden seine ersten Schiller. Es fallt auf, dass Simon dabei seinem Bruder Andreas voransteht und die beiden wiederum den beiden Zebedaussohnen vorgeordnet werden. Aber das bedeutet noch keine besondere Hervorhebung. Die Zusage ist im Plural formuliert (»Ich werde euch zu Menschenfischern machen!«), und fur beide Szenen hat die parallele Struktur ein weitaus grofieres Gewicht als ihre zeitliche Abfolge. Simon Petrus erscheint als einer unter den Ersten - mehr nicht. Das andert sich grundlegend in der Fassung bei Lukas, die gezielt als eine Petrusgeschichte konzipiert ist. Uniibersehbar hat auch Lukas die Markusfassung vor Augen, aber er gestaltet sie unter Zuhilfenahme weiterer Uberlieferungen vollig neu. Zunachst macht sich das in der Ereignisfolge bemerkbar. Lukas riickt die Predigt Jesu in Nazaret nach vorn an den Anfang des offentlichen Auftretens, schiebt dafiir aber die Berufung der Junger um ein ganzes Stuck nach hinten. Als Jesus den Fischern am Ufer des Sees begegnet, hat er in Nazaret bereits programmatische Worte gesprochen und damit Ablehnung erfahren, in Kafarnaum hat er Heilungen vollbracht, bei der Volksmenge ist er bereits eine bekannte Grofie. Damit erreicht Lukas, dass nun auch Simon schon eine gemeinsame Geschichte mit Jesus vorweisen kann. Nach Lk 4,38-39 ist Jesus in dem Haus des Simon zu Cast gewesen und hat dessen Schwiegermutter geheilt. Simon weifi, wen er vor sich hat, als die Volksmenge am anderen Tag den Prediger aus Nazaret von neuem am 54

Ufer des Sees umringt. Dennoch geht er weiterhin seiner taglichen Arbeit nach. Lukas richtet deshalb sein ganzes Interesse auf das Moment der Lebenswende, und so fiigt er noch ein Wunder in die Berufungsgeschichte ein. Unter diesen Pramissen gewinnt die Erzahlung bei Lukas eine klare Struktur: Das Berufungsgeschehen wird in den beiden Rahmenteilen zur Sprache gebracht, im Mittelpunkt aber steht jetzt die Erzahlung von dern reichen Fischfang, die alles auf Petrus als Zentralfigur der Ereignisse konzentriert. Der Anfangsrahmen berichtet von einer Predigt Jesu am Seeufer, bei der er - um sich im Gedrange Gehor zu verschaffen - das Boot des Simon erbittet und sich ein Stuck vom Ufer wegrudern lasst. Hier hat offenbar Mk 4,1, wo eine ganz ahnliche Szene erzahlt wird, als Vorbild gedient. Der Schlussrahmen klingt wiederum an Mk 1,16-20 an, nur dass das andere Bruderpaar nun in die Petrusgeschichte eingefugt worden ist. Fur das Fischfangwunder aber findet sich eine enge Parallele in Joh 21,1-14. Bis in Einzelziige hinein lassen sich die Ubereinstimmungen erkennen - allerdings ist die Wundererzahlung bei Johannes eine Ostergeschichte, in der der Auferstandene erscheint und dabei von seinen Jungern erkannt wird. Sicher handelt es sich dabei um zwei unterschiedliche Uberlieferungen, die auf ein und dasselbe Ereignis zuruckfiihren. Was aber ist dann der ursprlingliche Kontext dieses Fischfangwunders - die galilaische Wirksamkeit Jesu oder die Situation des Jiingerkreises nach Ostern? In der Auslegung von Lk 5,1-10 ist diese Frage lange und intensiv diskutiert worden. Wie auch immer man sie beantwortet - die gestaltende Hand des Lukas, der hier verschiedene Uberlieferungen zusammenfiigt, ist unverkennbar. Sein Anliegen gilt es zunachst zu ermitteln. 55

Einleuchtender als bei Markus und Matthaus lasst sich der Schritt in die Nachfolge bei Lukas begreifen. Nicht nur die starke Motivation einer gemeinsamen Vorgeschichte bewegt Simon dazu, alles zu verlassen. Vielmehr ist es die Selbsterkenntnis in der Begegnung mit dem Kyrios, die sein Leben grundlegend verandert. Lukas hebt das Moment der Erfahrung hervor58 und stellt auf der Erzahlebene fur Petrus in aller Klarheit heraus, wer Jesus ist. Dennoch zeigen sich auf den zweiten Blick mehrere Bruche und Aporien im Text, die nach einer Erklarung verlangen. Zunachst fallt der unvermittelte Wechsel der Figurenkonstellationen auf: Wahrend am Anfang die Volksmenge alles Interesse auf sich zieht und Petrus scheinbar unbeteiligt abseits sitzt, lasst der Erzahler ab 5,4 die Menge ganz einfach am Ufer stehen; jetzt dreht sich alles nur noch um Jesus und Petrus; doch als es den Fang einzuholen gilt, tauchen plotzlich wie aus dem Nichts auch die Gefahrten des Petrus auf, die sich im Nachgang als die beiden Zebedaussohne entpuppen; die Rede Jesu schwankt zwischen »du« und »ihr«; das Menschenfischerwort sagt Jesus allein dem Petrus zu, aber im Schlussrahmen heifit es dann wiederum, dass sie (Plural) ihm nachfolgten. Dem korrespondiert ein Wechsel der Szenen: Die Menge am Ufer bleibt sich selbst iiberlassen; auf dem See scheint Jesus die Fischer auch wahrend des Fanges zu begleiten; den Kniefall des Petrus muss man sich im Boot vorstellen; am Schluss erfolgt mit der Nachfolgenotiz ein abrupter Abgang. Entsprechend wech58 Vgl. dazu M. BOHM, Nachfolge aus Erfahrung. Redaktionskritische Beobachtungen zur Berufung der ersten Jiinger bei Markus und Lukas, in: Gedenkt an das Wort. FS W. VOGLER, hg. v. CHR. KAHLER, M. BOHM und CHR. BOTTRICH, Leipzig 1999, 24-33.

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seln die Anliegen: Soil Jesus als Lehrer des Volkes dargestellt werden? - oder als Wundertater? - oder als einer, der Schuler um sich sammelt? Auffallig bleibt auch, dass ein Nachfolgeruf wie in Mk 1,17.20/Mt 4,19.21 fehlt: Dem Schrecken, der Simon und seine Gefahrten packt, begegnet Jesus mit dem bekannten Zuspruch: »Furchte dich nicht!«; auf das Menschenfischerwort hin wissen Simon und seine Gefahrten dann offenbar von selbst, was sie zu tun haben. Mit der Rekonstruktion eines historischen Ablaufes lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Sie finden ihre Erklarung jedoch in der Absicht des Lukas, Simon Petrus als den exemplarischen Nachfolger darzustellen. Am Anfang steht das Evangelium bzw. das Horen der Predigt, das als ein kollektives Ereignis eingeflihrt wird. Das entscheidende Moment aber stellt die personliche Begegnung dar. Diese Begegnung malt Lukas mit den Zugen einer Epiphanieschilderung aus - in Jesus begegnet Petrus Gott. Er erlebt eine Art Lebensfilm und erkennt sich selbst: »Geh fort von mir, Herr, denn ich bin ein siindiger Mann!« Erst von diesem Bekenntnis aus vermag er dann die Zusage Jesu als neue Aufgabe zu begreifen und schliefit sich ihm an - als Ausdruck eines veranderten Lebens. Lukas hat Petrus zum Prototyp des Nachfolgers gemacht. Aus diesem Grunde gestaltet er die Berufungserzahlung so, dass alle storenden Nebenziige wegfallen, andere Uberlieferungen aber verstarkend hinzukommen. Die Zebedaussohne werden zu Statisten, die nur fur die Mitarbeit bei dem grofien Fang und zum Beleg dafur, wie das Verhalten des Petrus sogleich Schule macht, vonnoten sind. Andreas fallt vollstandig aus, um die Einzelgestalt des Simon ohne den Bruder umso konkurrenzloser hervorzuhe57

ben.59 Petrus 1st der Erste, der den anderen auch zeitlich vorangeht und ihnen darin ein Beispiel gibt.60 Es lasst sich deshalb kaum von der Hand weisen, dass diese Darstellung schon mit dem Wissen um die grofie Bedeutung des Petrus in der friihen Christenheit geschrieben ist. Die Farben, mit denen Petrus hier von Lukas gemalt wird, sind nach Ostern gemischt worden. Beinahe zwangslaufig stellt sich somit aber die Frage ein, ob nicht das ganze Berufungserlebnis erst ein nachosterliches Ereignis sei.61 Darauf verweisen nicht nur die Parallele des Fischfangwunders als einer Ostererscheinung in Joh 21 oder der Epiphaniecharakter des ganzen Geschehens. Auch das Menschenfischerwort scheint in seiner lukanischen Fassung viel besser in einen nachosterlichen Kontext zu passen: »Von jetzt an wirst du Menschen fangen (- gewinnen)!«62 Denn nach Ostern wird Petrus nun in der Tat zum Initiator der Verkiindigung der Auferstehungsbotschaft. Immer wieder hat man die Ersterscheinung des Auferstandenen vor Petrus (IKor 15,5; Lk 24,34) als das Schliisselereignis identifiziert, von dem her Selbsterkenntnis und Beauftragung erst verstandlich wer59 Schon in Lk 4,38 war nur noch vom »Haus des Simon« die Rede - gegen Mk 1,29 »Haus des Simon und Andreas«. Bei Lukas kommt Andreas iiberhaupt nur in der Jungerliste Lk 6,14/Apg 1,13 vor. 60 Spater wird er als Erster das Messiasbekenntnis aussprechen (9,20); als Erster die Sammlung des Zwolferkreises initiieren (Apg 1,15-26), als Erster offentlich predigen (Apg 2), als Erster den Durchbruch zur Volkermission vollziehen (Apg 10-11). 61 Nachdriicklich vertritt diese Auffassung G. KLEIN, Die Berufung des Petrus, ZNW 58,1967,1-44. 62 Mk 1,17/Mt 4,19 blicken zeitlich voraus: »Ich werde euch machen ...«; Lukas betont die Gegenwart.

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den. Doch dabei besteht die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschutten. Trotz der unleugbaren theologischen Tendenz in Lk 5,1-10 lasst sich doch auch durch andere Uberlieferungen belegen, dass Petrus unter den ersten Anhangern Jesu eine besondere Rolle gespielt haben muss. Ob eine Beauftragung wirklich erst die Ostererscheinungen voraussetzt, musste an den anderen Auftragsworten sowie der Nachfolgeiiberlieferung insgesamt nachgepruft werden (siehe unten). Wenn Lukas die Berufung des Petrus irn Sinne seines Verkundigungsanliegens ausgestaltet, dann tut er es sicher nicht durch freie Erfindung. Vielmehr entfaltet er Ansatze, die in der Geschichte des Fischers Simon schon angelegt sind. Was damals noch weniger deutlich war, tritt erst im Riickblick spaterer Jahre hervor: Petrus ist der selbstkritische und die Initiative ergreifende Zeuge, der von Anfang an dabei war und sich bestandiger als andere mit seiner ganzen Person in den Dienst der Sache Jesu stellte. 1.3.3. Einsetzung der Zwolf Neben der Berufung einzelner Personlichkeiten berichten die synoptischen Evangelien ubereinstimmend auch von einem kollektiven Berufungsereignis, das man am zutreffendsten als die »Konstituierung des Zwolferkreises« bezeichnen konnte. Mk 3,13-19 schildert den Akt nach dem einleitenden Verweis, Jesus habe die gerufen, die er wollte, auf charakteristische Weise: »Und er machte [= bestimmte, konstituierte] die Zwolf ...«. Mt 10,1-4 formuliert zurlickhaltender: »Und nachdem er seine zwolf Jiinger herbeigerufen hatte ...«, was die Existenz eines festen Kreises schon vorauszusetzen scheint. Lk 6,12-16 wiederum verleiht der Szene dadurch Ge59

wicht, dass sie mit einer im Gebet durchwachten Nacht Jesu beginnt und dann als gezielte Auswahl der Zwolf aus einem weiteren Anhangerkreis dargestellt wird: »Und er wahlte von ihnen Zwolf aus, die er auch Apostel nannte.« Auf jeden Fall befinden sich die Zwolf, die bei alien drei Evangelisten daraufhin auch mit ihren Namen aufgelistet werden, schon einige Zeit im Umfeld Jesu. Worin der Sinn dieses Aktes besteht, das sagen vor allem Markus und Matthaus: Nach Mk 3,14-15 konstituierte Jesus die Zwolf, »damit sie bei ihm seien und damit er sie sende, um zu verkundigen und um Vollmacht zu haben, die Damonen zu vertreiben.«; ahnlich formuliert Mt 10,1: nachdem er sie herbeigerufen hatte, »gab er ihnen Vollmacht liber unreine Geister, so dass sie sie austrieben und jede Krankheit und jedes Gebrechen heilten.« Lukas verzichtet auf solche Konkretionen, macht aber durch die Reservierung des Apostelbegriffes (Apostolos = Gesandter) fur die Zwolf deutlich, dass auch er die Funktion dieser Einsetzung in der Teilnahme an der Wirksamkeit Jesu sieht. In Wort und Tat sollen die Zwolf als beauftragte Multiplikatoren der Sendung ihres Lehrers tatig werden. In diesem Kontext fallt dem Petrus wiederum eine besondere Rolle zu. Was sich in den anderen Berichten von seiner Berufung auf durchaus unterschiedliche Weise abzeichnet, verfestigt sich hier zu einer unangefochtenen Gewissheit: Simon Petrus fiihrt den Zwolferkreis an. In alien drei Listen (einschliefilich Apg 1,13) steht er an erster Stelle, gefolgt von Andreas und den Zebedaussohnen sowie Philippus (dem Landsmann - und Kollegen?). Im weiteren Verlauf variieren die Listen gelegentlich in der Reihenfolge. Aber am Ende steht dann wieder ubereinstimmend Judas Iskariot. Das hat Bedeutung. Spitzen- und 60

Schlussstellung markieren bereits Wertigkeiten. Hier erwahnen die Evangelisten auch bewusst die Verleihung des Beinamens »Petrus« durch Jesus. Und wahrend Markus eine solche Namensgebung auch noch bei den »Donnersohnen« Jakobus und Johannes vornimmt, bleibt sie bei Lukas ganz allein dem Simon vorbehalten.63 Nun ist gegen diese Uberlieferung wiederholt eingewandt worden, dass sie aufgrund ihrer starken Pragung durch die nachosterliche Perspektive fiir die historische Rtickfrage nur wenig aussagekraftig sei. Erweist sich der Zwolferkreis nicht insgesamt als ein viel spateres Phanomen - namlich als das alteste Leitungsgremium der Jerusalemer Gemeinde, das durch die Riickdatierung in die Zeit Jesu lediglich eine besondere Legitimation erhalten sollte? Gegen solche Einwande sprechen jedoch gewichtige Argumente:64 Bereits in den altesten Schichten des vormarkinischen Passionsberichtes wird Judas Iskariot als »einer von den Zwolf« (Mk 14,10.20.43) bezeichnet - ein problematisches Faktum, das nur deshalb beim Namen genannt wird, weil es der Gemeinde nach Ostern schon vorgegeben war. Vor allem aber lasst sich die Wahl eines Kreises mit der Symbolzahl Zwolf am einleuchtendsten als Zeichenhandlung Jesu verstehen, der sich bewusst an das Zwolfstammevolk Israel gesandt wusste; nach Ostern ist dieser Anspruch auf Israel dann schon bald durch den Beginn der Volkermission aufgebrochen worden. Zudem erreicht der Zwolferkreis dann 63 Matthaus beschrankt sich - schon mit Blick auf das Felsenwort Mt 16,18 - auf die Wendung »der sogenannte Petrus«. 64 Vgl. insgesamt W. TRILLING, Zur Entstehung des Zwolferkreises. Eine geschichtskritische Uberlegung, in: ders., Studien zur Jesusiiberlieferung, SBA 1, Stuttgart 1988,185-208. 61

als Leitungsgremium nach Ostern nur eine relativ kurze Lebensdauer; er ubernimmt Leitungsfunktionen wohl nur deshalb, well er ganz einfach da 1st, und muss schon bald anderen Leitungsmodellen weichen. Die Autoritat des Petrus irn Zwolferkreis hat also ihre Wurzeln bereits in der Anfangsphase seiner Jesusnachfolge. Als einer, der von Beginn an dabei ist, erscheint er auch als das »alteste« Mitglied des Zwolf erkreises. Die Aufgabenbestimmung der Zwolf entspricht dem, was sich insgesamt an der Nachfolgeuberlieferung ablesen lasst: Mit dem Ruf Jesu und dem radikalen Bruch gegeniiber Familie, Heimat und Besitz verbinden sich grundlegend auch VerheiSung und Beauftragung. Von vornherein ist die Teilnahme an der Verkiindigung des Evangeliums im Blick. Auch wenn diese Aufgabe erst nach Ostern zu voller Entfaltung gelangt, findet sie ihre Ansatze schon in der Jesusbewegung. Anders waren Radikalitat und Konsequenz, mit der die Nachfolger nun die Existenzweise Jesu im Unterschied zu seinen sesshaften Anhangern teilen, kaum zu verstehen - zumal man das Kommen Gottes in unmittelbarer zeitlicher Nahe erwartete. Die Zeit drangte, und insofern enthalten auch die Aussendungsuberlieferungen (Mk 6,7-13 / Lk 9,1-6; Lk 10,1-12.17-20; Mt 10,1-16) trotz aller erkennbaren Ubermalung durch fruhchristliche Missionserfahrung65 zweifellos die zutreffende Erin-

65 Besonders die Aussendung der 70/72 bei Lukas reflektiert in dieser Symbolzahl schon den Weg zu den Volkern. Ansonsten setzt die Aussendung der Zwolf bei Mk/Mt/Lk in Erzahlung um, was bei der Berufung der Zwolf als Zielbestimmung formuliert war.

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nerung an die Funktion der Nachfolger in der Jesusbewegung.66 In diesem Kontext hat auch Simon Petrus die ersten Erfahrungen in der Verklindigung des Evangeliums erworben und seine Berufung durch Jesus mit Leben erfullt. 1.3.4. Auftragsworte an Petrus Unabhangig voneinander haben die Evangelisten eine Reihe von Worten uberliefert, in denen sich Jesus ganz direkt an die Adresse des Petrus wendet. Sie vermitteln jeweils ein ganz bestimmtes Bild von der Rolle des Petrus und haben deshalb die Ausleger mehr als andere Details der Petrusgeschichte beschaftigt. Mit dem »Menschenfischerwort« sind Markus, Matthaus und Lukas vertraut (Mk 1,17/Mt 4,19/Lk 5,10) und verbinden es mit der Berufung des Petrus. Das Wort vom »Felsenmann« findet sich nur bei Matthaus (16,17-19), der es in den Kontext des Messiasbekenntnisses nahe Casarea Philippi einordnet. Die Aufforderung »Starke deine Briider!« uberliefert allein Lukas (22,31-32) unter den Tischgesprachen beim letzten Mahl. Der pastorale Auftrag »Weide meine Schafe!« ist Johannes zu eigen (21,15-17), der ihn im Rahmen einer Ostererscheinung platziert. Alle vier Worte sind unterschiedlichen Situationen zugeordnet und setzen jeweils eigene Akzente. Das »Menschenfischerwort« begegnet in einer doppelten Gestalt. Markus und Matthaus sind weitgehend parallel, Lukas weicht starker davon ab. Mk 1,17: »Auf, mir nach! Ich werde machen, dass ihr Menschenfischer werdet!« 66 Aufier dem Menschenfischerwort (siehe unten) kommt diese Beauftragung der Nachfolger etwa auch in Lk 9,60.62 zum Ausdruck.

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Mt 4,19: »Auf, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen!« Lk 5,10: »Furchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen!« Markus und Matthaus, die von der Berufung der beiden Briiderpaare am See berichten, formulieren das Wort im Plural. Lukas, der alles auf Petrus zuspitzt, gebraucht den Singular. Er hat auch den Wortlaut geandert: Anstelle der Verbindung »Fischer von Menschen« steht eine Wendung, die man wortlich mit »Menschen lebend fangen« ubersetzen musste. Die Anst66igkeit dieser metaphorischen Rede liegt offen zutage. Menschen zu fischen oder zu fangen - das assoziiert Freiheitsberaubung und ist in der alttestamentlich-judischen Uberlieferung auch eindeutig negativ besetzt (z. B. Jer 16,16). Hier wird das Bild jedoch umgebogen und mit einem positiven Sinn versehen. Denn es soil aussagen, dass die Fischer ihre bisherigen Berufserfahrungen (Ausdauer, Organisationstalent, Umgang mit Misserfolgen usw.) in die neue Aufgabe mit einbringen konnen. Es spricht sie in ihrer Arbeitswelt an und nimmt sie darin ernst. Die neue Aufgabe aber besteht darin, Menschen fur das Evangelium zu gewinnen und beschreibt damit eine Einbindung in die Tatigkeit Jesu. Dennoch ware auch hier eine andere Lokalisierung des Wortes denkbar. Gerade die Lukasfassung, die Jesus in seiner Hoheit erscheinen lasst und kein Wort von Nachfolge sagt, dafiir aber den Missionsauftrag »von jetzt an« terminiert, konnte auch auf einen Auftrag des Auferstandenen zuriickgefuhrt werden.67 Viel mehr spricht aber m. E. fur den Ort, den das Wort 67 So dezidiert Klein, der aufierdem auch die Prioritat der Lk-Fassung vor Mk/Mt vertritt: »deren spezifische Ziige fiihren einhellig in die Ostersituation als auf den Quellort der Tradition zuriick.« 64

in der Episode von der Berufung am See hat. Nach Ostern gewinnt die Aufgabe der Mission eine neue Dimension. Aber wie die Nachfolgeiiberlieferung zeigt, nehmen die Nachfolger auch schon zu Lebzeiten Jesu an der Evangeliumsverkundigung teil. Dass Markus und Matthaus das Wort futurisch formulieren (»Ich werde euch zu Menschenfischern machen!«), blickt erzahlerisch (und sachlich) zutreffend voraus auf die Konstituierung des Zwolferkreises. Mit seiner provozierenden Metaphorik fiigt sich das Wort der Vorliebe Jesu fur anstofiige Bilder stimmig ein und »ziindet« bei den Fischern am See auch viel uberzeugender als nach Ostern bei den Galilaern in Jerusalem, die ihren Beruf langst aufgegeben haben. Grundsatzlich aber gilt es festzuhalten: Der Auftrag zur Verkundigung schliefit Petrus mit den anderen Nachfolgern Jesu zusammen. Von der Geschichte der friihen Christenheit wird das vielfach bestatigt. Dass Lukas hier den Petrus hervorhebt, entspricht seiner besonderen Konzeption - fur ihn ist Petrus durchgangig der Erste, der den anderen vorangeht und damit ein Beispiel setzt. Den heftigsten Streit hat das »Felsenwort« in Mt 16,18 verursacht.68 Es bildet den Mittelteil einer kleinen 68 Aus der Fiille der Literatur vgl. hier nur R HAHN, Die Petrusverheifiung Mt 16,18f. Eine exegetische Skizze, in: Das kirchliche Amt im Neuen Testament, hg. v. K. KERTELGE, WdF 189, Darmstadt 1977, 543-563; A. VOGTLE, Zum Problem der Herkunft von »Mt 16,17-19«, in: Orientierung an Jesus. FS J. Schmid, hg. v. P. HOFFMANN u. a., Freiburg/Basel/Wien 1973, 372-393; P.Hoffmann, Der Petrus-Primat im Matthausevangelium, in: Neues Testament und Kirche. FS R. Schnackenburg, hg. v. J. GNILKA, Freiburg/Basel/Wien 1974, 94-114; CHR. KAHLER, Zur Form- und Traditionsgeschichte von Matt. XVI. 17-19, NTS 23, 1977, 36-58; J. GNILKA, »Tu es Petrus«. Die Petrus-Verheifiung in Mt 16,17-19, MThZ 38, 1987,3-17; U. Luz, Matthaus 2,1990,450-466.

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{Composition von drei weitgehend parallel strukturierten Logien: I. 16,17 beginnt mit einer Seligpreisung in der direkten Anrede (»Selig bist du ...«); II. 16,18 folgt mit der Deutung des Petrusnamens auf das Fundament der Kirche; III. 16,19 schliefit mit der Zusage der Binde- und Losegewalt an Petrus. »Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: I Selig bist du, Simon Barjona denn nicht Fleisch und Blut haben dir (das) offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln. Und ich aber sage dir: II Du bist >Stein< (Petros), und auf diesem >Gestein< (Petra) werde ich meine Kirche bauen, und die Tore des Hades werden nicht starker sein als sie. III Ich werde dir die Schliissel des Konigreiches der Himmel geben, und wenn du etwas bindest auf Erden, wird es in den Himmeln gebunden sein, und wenn du etwas lost auf Erden, wird es in den Himmeln gelost sein.« In alien drei Logien wird Petrus deutlich ausgezeichnet - sei es als Offenbarungstrager, als Griindergestalt oder als Inhaber besonderer Befugnisse. Trotz ihres formalen Zusammenhaltes in Gestalt einer kleinen Rede Jesu zeigen die Logien jedoch inhaltlich eine gewisse Eigenstandigkeit: Der Offenbarungstrager muss nicht zwangslaufig auch organisatorische Funktion ubernehmen; das Felsenwort gilt der Rolle des Petrus im Blick auf die Kirche, seine Schlusselgewalt aber bezieht sich wiederum auf die Himmel. Namentlich das Felsenwort im Zentrum des Abschnittes hat durch seine spatere Inanspruchnahme 66

fiir die Legitimierung des romischen Primates kontroverse Debatten ausgelost und eine uniiberschaubare Flut von Literatur hervorgebracht. Uber einige Punkte besteht inzwischen jedoch Konsens. An erster Stelle ist hier die Beobachtung zu nennen, dass die Verse 16,17-19 erst von Matthaus in den Kontext des Messiasbekenntnisses (16,13-23) eingefiigt worden sind. Sie verscharfen den Kontrast zwischen Petrus als dem Bekenner und Petrus als dem »advocatus diaboli« auf eine kaum noch zu uberbietende Weise. Wie ein roter Faden durchziehen jetzt drei markante DuBotschaften den ganzen Textabschnitt: »du bist der Christus« (16,16) - »du bist Stein/Petros« (16,18) »du bist ein Anstofi/Skandalon« (16,23). Dem grofien Bekenntnis des Petrus korrespondieren zwei widerspruchliche Reaktionen Jesu und machen dadurch die Ambivalenz in den Worten des Petrus hart und unerbittlich sichtbar. Dariiber hinaus gewinnt die kleine Spruchkomposition zugleich ihr Eigenleben, das ein ganz bestimmtes Verstandnis von Kirche widerspiegelt. Zum einen stellt sich deshalb die Frage, ob darin a) Jesus selbst, b) die Christenheit des Anfangs oder c) die Gemeinde des Matthaus zur Sprache kommt; zum anderen ist es von Belang, ob Petrus dafur in einer exklusiven oder in einer exemplarischen Weise in Anspruch genommen wird. Die Beurteilung der ganzen Spruchgruppe entscheidet sich an dem Felsenwort Mt 16,18. Dafur, dass es durchaus auf Jesus zuruckgefiihrt werden konnte, lassen sich einige Argumente nennen. Auffallig sind z. B. die Semitismen, die auf ein hohes Alter hindeuten.69 69 Dafiir gelten etwa der Vatersname »Barjona«, die Wendungen »mein Vater in den Hinimeln«/ »Fleisch und Blut«, »K6nigsherrschaft der Himmel«, »binden und losen«. 67

Dass Kefas/Petrus seinen Beinamen von Jesus erhalten hat, bestatigen auch die anderen Evangelisten. Konnte dann die Intention dieser Beinamengebung nicht schon die sachgemafie Grundlage ihrer Deutung in Mt 16,18 darstellen?70 Schlie61ich lasst sich auch wahrscheinlich machen, dass die Kirche/Ekklesia hier den hebraischen Begriff des »Kahal« aufnimmt; als Ausdruck fiir die Versammlung des Gottesvolkes und angesichts des auch in judischen Texten belegten Sprachgebrauchs vom Bauen der Gemeinde ware dann in 16,18 von der Sammlung Israels durch Jesus die Rede.71 Diese Uberlegungen werden jedoch durch schwerwiegende Gegenargumente relativiert. Die Semitismen sind langst nicht eindeutig genug, urn nicht auch als biblisierender Sprachgebrauch verstanden werden zu konnen.72 Dass der Beiname des Simon von Jesus stammt, sagt noch nichts uber sein Verstandnis aus; die Deutung in 16,18 aber setzt, wie sich schon oben gezeigt hat, mit der Bedeutung »Fels, Gestein« gerade einen ganz anderen, neuen Akzent als die durchgangige Hauptbedeutung »Stein«. Die Rede von »meiner Kirche/Ekklesia« im Munde Jesu stellt schliefilich das schwierigste Problem dar, das auch mit dem Verweis auf den hebraischen Begriff des »Kahal« nicht gelost werden kann. Das Nomen »Ekklesia« bleibt hier vollig singular; es kommt sonst weder in 70 So J. SCHMID, Petrus der »Fels« und die Petrusgestalt der Urgemeinde, in: Evangelienforschung. Ausgewahlte Aufsatze Deutscher Exegeten, Graz/Wien/Koln 1968,159-175. 71 So F. KATTENBUSCH, Der Quellort der Kirchenidee, in: FS A. von Harnack, Tubingen 1921,143-172. 72 »Mein Vater in den Himmeln« und »K6nigsherrschaft der Himmel« ist sprachliche Eigenheit des Matthaus; die »Tore des Hades« und das Verb »offenbaren« verraten eher griech. Sprachtradition.

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der Jesusgeschichte des Matthaus73 noch bei den anderen Evangelisten vor, wohl aber in den Briefen der fruhchristlichen Gemeindekorrespondenz. Vor allem aber musste im Blick auf das Gottesvolk von der »Ekklesia Gottes« die Rede sein, nicht jedoch von »meiner Ekklesia« im Munde Jesu. Jesus hat die Kirche nicht gegriindet - er hat vielmehr die Gottesherrschaft verkiindigt. Kirche entsteht erst aus der Verkiindigung der Auferstehungsbotschaft durch die Zeugen des Ostergeschehens. Aus dieser Perspektive heraus ist der Satz liber Petrus als Fundament der Kirche formuliert worden. Naheliegenderweise hat man deshalb auch hier die Situation der Ersterscheinung des Auferstandenen vor Petrus als den angestammten Ort dieses Auftrags- oder besser Verheifiungswortes gesehen. Die vorausgehende Seligpreisung spielt auf eine Offenbarung an, die sich dann in der Zusage eines neuen Anfangs (Fundament der Kirche) konkretisiert.74 Als Offenbarungs- und VerheiCungstrager wird Petrus daraufhin zum Griinder einer neuen Gemeinschaft. Aber auch ein solches osterliches Verstandnis vermag den Passus und seine Situation noch nicht hinreichend zu erklaren. Weder trifft das Wort eine Aussage, die nur fur Petrus gelten konnte, noch geht die Entstehung der Kirche einlinig von der Person des Petrus aus. Die Anfange der Christenheit gestalten sich vielfaltig und dezentral. Petrus 73 Mt 18,17 ist die einzige Ausnahme; hier steht der Begriff jedoch fur die konkrete Gemeindeversarnmlung. 74 Zur spateren Rolle des Petrus als des favorisierten Offenbarungsempfangers vgl. das umfangliche Material bei K. BERGER, Unfehlbare Offenbarung. Petrus in der gnostischen und apokalyptischen Offenbarungsliteratur, in: Kontinuitat und Einheit. FS F. MuGner, hg. v. P.-G. MULLER und W. STENGER, Freiburg/Basel/Wien 1981, 261-326.

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spielt dabei eine wichtige Rolle, doch er 1st nicht die einzige Autoritat der Friihzeit. Deshalb lasst sich die Formulierung des Wortes am ehesten aus einer anderen Situation heraus erklaren: In einer Zeit, in der die mafigeblichen Traditionstrager der Friihzeit nicht mehr da sind, gleichzeitig aber wachsende Zahlen und zunehmender Pluralismus fur immer uniibersichtlichere Verhaltnisse sorgen, bindet sich die Kirche in ihrem Ringen um Einheit zuriick an die »apostolischen« Anfange. Lehre und Leben der ersten Zeugen/der Apostel werden zum MaSstab in den zentrifugalen Bewegungen der Gegenwart.75 Das »apostolische Zeitalter« tritt nun als eine abgeschlossene Epoche der Anfange in den Blick, in der man die entscheidenden Normen gesetzt sieht. Eph 2,20 weifi, dass die Kirche »auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut« 1st, und in der grandiosen Vision des neuen Jerusalem schaut der Seher Johannes nach Offb 21,14 die zwolf Grundsteine, auf denen die Namen der zwolf Apostel geschrieben stehen. In diesem Kontext erschliefit sich auch der Sinn des Felsenwortes, indem es die buchstablich grundlegende, kirchengrlindende Funktion der apostolischen Uberlieferung in der Gestalt des Petrus verdichtet. Anhand seines »Lebensbildes« wird das Wissen darum, auf welchem Grund die Kirche steht, nachvollziehbar dargestellt. Die »apostolischen« Grundlagen der Kirche haften jedoch nicht exklusiv an der Person des Simon Petrus. Vielmehr erscheint er hier als ein Reprasentant, der das verkorpert, was auch fur andere gilt. Das macht sich bereits im Text selbst bemerkbar. Die Seligpreisung 75 Vgl. dazu CHR. KAHLER, Form- und Traditionsgeschichte 1977, der den Abschnitt formal als »Investitur des Offenbarungstradenten« charakterisiert. 70

hebt Petrus zwar aus dem Kreis der anderen Jiinger heraus, aber in Mt 13,16-17 hatten bereits alle Jiinger gemeinsam eine ganz analoge Auszeichnung erfahren.76 Gottliche Offenbarung wird nicht nur Petrus zuteil, sondern widerfahrt nach Mt 11,25 anstelle der Weisen und Klugen gerade den Unmlindigen. Petrus spricht zwar das Messiasbekenntnis allein (16,16), aber er wiederholt damit nur das, was die Gruppe der Jiinger bereits in Mt 14,33 ausgesprochen hat.77 Die Vollmacht zu »binden und losen« im Sinne von Lehr- und Entscheidungskompetenz wird sparer in 18,18 alien Jiingern zugesagt.78 Und im Ubrigen zeigt sich dann die Fehlbarkeit des Petrus - wiederum exemplarisch - in den folgenden Versen (16,21-23), wenn er den Leidensweg Jesu ablehnt und dafiir als »Satan« und »Anstofi/Skandalon« in die Schranken gewiesen wird. Alle diese Funktionen bleiben nicht ohne Anhalt an dem Leben des Fischers Simon. Seine Christus- und Gotteserkenntnis resultiert aus Begegnungen, die Offenbarungscharakter besitzen. Als Mann der ersten Stunde ist er der geborene Garant der Jesusuberlieferung. Sein Charisma, seine Ausstrahlung, seine Kompetenz entfalten sich in der Gemeinschaft mit Jesus. Insofern stehen Matthaus und seine Gemeinde auf sicherem Grund, wenn sie durch die kleine Jesusrede in 16,17-19 Petrus als eine Symbolfigur apostolischer Tradition der Kirche des ausgehenden 1. Jhs. ins Stammbuch schreiben. Doch Petrus bleibt dabei noch immer in die grofiere 76 »Aber selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie horen ...« 77 »Du bist wirklich Gottes Sohn!« - so unisono im Boot nach der Seewandelgeschichte. 78 »Amen ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet ...; vgl. auch Joh 20,23 - dort geht es analog um die Vollmacht zur Siindenvergebung, die alien Jiingern zugesagt wird. 71

Schar der iibrigen Garanten apostolischer Tradition eingereiht, ohne ihnen vor- oder ubergeordnet zu werden. Ein anderes Auftragswort an Petrus hat Lukas iiberliefert.79 Es fiigt sich der ihm eigenen Darstellung des letzten Mahles am Vorabend der Passion ein. Nach dem Bericht uber die Vorbereitung des Mahles (22,7-13), seinen Verlauf (22,14-20) und die Bezeichnung des Verraters (22,21-23) setzt Lukas - gema'G jiidischer und hellenistischer Mahlkonvention - noch eine Runde mit Mahlgesprachen an (22,24-38). Zwischen dem Rangstreit der Zwolf und einem Ausblick auf den nahen Tod Jesu findet sich darin auch ein kleiner Dialog mit Petrus (22,31-34), der aus jenem Auftragswort und der Ankundigung der Verleugnung besteht. Das Auftragswort (22,31-32) besteht wiederum aus drei zweigliedrigen Satzen: »Simon, Simon! Siehe, der Satan hat sich ausgebeten, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe fur dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhore. Und wenn du dich einst bekehrt hast: Starke deine Briider!« Der erste Satz verweist auf die bevorstehenden Erschiitterungen des Jiingerkreises wahrend der Passionsereignisse. »Sieben wie Weizen« - das lasst an Durcheinanderschiitteln und Auseinanderreifien, an Jiingerflucht und Lebensbedrohung denken. Wie in der Rahmenerzahlung des Ijob-Buches tritt dabei der Satan auf den Plan, der sich fur seine Aktionen 79 Vgl. besonders G. SCHNEIDER, »Starke deine Briider!« (Lk 22,32). Die Aufgabe des Petrus nach Lukas, in: ders., Lukas als Theologe der Heilsgeschichte. Aufsatze zum lukanischen Doppelwerk, BBB 59, Bonn 1985,146-152.

von Gott die entsprechende Freiheit ausgebeten hat. Sornit erscheint auch das Auseinanderfallen des Jiingerkreises als Erprobung, die sich nicht etwa nur den chaotischen Umstanden eines eilig durchgezogenen Prozesses verdankt. Vielmehr kommt darin gottliche Regie zum Vorschein. Wie der zweite Satz betont, erweist sich Jesus in diesem Geschehen als Anwalt des Petrus. Petrus geht einer harten Priifung entgegen. Doch trotz Angst und Verleugnung wird sein Glaube dank der Fiirbitte Jesu bestehen bleiben. Der dritte Satz flihrt deshalb schon liber die Zeit der Erschutterung hinaus und nimmt offenkundig die Ostererfahrung des Petrus (Lk 24,34) in den Blick: Nach Umkehr und Neubeginn, also durch die Erfahrung eigenen Versagens und gottlicher Bewahrung hindurch, soil Petrus den »gesiebten«, versprengten Kreis der Briider starken. Lukas hat bei dieser Aussage wohl die Wiederherstellung des Zwolferkreises vor Augen, die nach Apg 1,15-26 auf die Initiative des Petrus hin erfolgt.80 Die verangstigten und verunsicherten Anhanger, fur Lukas besonders durch die »zwolf Apostel« reprasentiert, finden zu einer neuen Gemeinschaft zusammen, die zum Ausgangspunkt eines missionarischen Aufbruchs von ungeahnten Dimensionen wird. Daran wirkt Petrus aufgrund seiner besonderen personlichen Erfahrung entscheidend mit. Zu dieser besonderen, geschichtlich einmaligen Aufgabe 80 Auch wenn der Sprachgebrauch dabei ein anderer 1st, lasst diese Initiative das Anliegen einer Sammlung und Selbstvergewisserung der Verunsicherten doch deutlich erkennen. Nach einer besonderen (singularen) Textlesart in Apg 11,2 »starkt« Petrus dann auch die Gemeinde im Haus des Kornelius noch einmal, bevor er nach Jerusalem zuriickkehrt.

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wird er beauftragt. Dass er »die Briider« starken kann, verdankt er der Fiirbitte seines Herrn, die ihn wahrend der satanischen Angriffe selbst gestarkt hat.81 Lukas unterstreicht rnit dem Auftragswort Jesu wahrend des letzten Mahles die Rolle, die Petrus bei der Uberwindung des Bruches zwischen Karfreitag und Ostern spielt. Kontinuitat und Neubeginn verbinden sich hier mit der Person jenes Jiingers, der in alien Phasen dieser bewegten Ereignisse Jesus am nachsten steht. Eine bleibende, den iibrigen Jesusanhangern kunftig iibergeordnete Position des Petrus lasst sich aus diesern Auftragswort jedoch nicht ableiten. Die »Starkung« anderer als seelsorgerliche Aufgabe nimmt nicht nur Petrus wahr. Darauf legt Lukas in der Apostelgeschichte grofien Wert: Auch Paulus, Barnabas, Judas, Silas oder Timotheus »starken« die Gemeinden, in denen sie tatig sind.82 Sie werden dazu nicht erst in Gestalt einer gezielten Einsetzung durch Petrus ermachtigt, sondern vollziehen das, was grundlegend zu Verkiindigung und Gemeindeaufbau hinzugehort. Petrus fiigt sich mit seiner seelsorgerlichen Arbeit in den Kreis derer ein, die fur die Ausbreitung des Evangeliums Verantwortung iibernehmen. Seine bleibende Bedeutung liegt allein darin, dass er in einer besonders schwierigen Situation - unter dem vernichtenden Eindruck des Karfreitags und nach den Verunsiche81 Judas erscheint darin als Gegentypos des Petrus: Sein Entschluss, Jesus auszuliefern, wird nach Lk 22,3 durch die Aktivitat des Satans ausgelost (»Der Satan aber ging in Judas hinein ...«). 82 Apg 14,21-22 (Paulus und Barnabas in Kleinasien); 15,32 (Judas und Silas in Antiochia); 15,41 (Paulus in Syrien und Zilizien); 16,4-5 (Paulus, Silas und Timotheus in Kleinasien); 18,23 (Paulus in Galatien und Phrygien).

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rungen des Ostermorgens - seine eigene Glaubenserfahrung mit den anderen geteilt und damit zu ihrer »Starkung« beigetragen hat.

Abb. 7: Auftrag an Petrus, Orationes des Anselm von Canterbury (um 1130) 75

Auch Johannes weifi von einer gezielen Beauftragung des Petrus zu berichten. Sie 1st im »Nachtragskapitel« seines Evangeliums im Anschluss an die Erscheinung des Auferstandenen am See Tiberias platziert (21,15-17).83 Auf die kurze Bemerkung »Als sie nun Mahl gehalten hatten .. .«84 folgt ein Gesprach zwischen Jesus und Petrus, das mit dem Auftragswort beginnt (21,15-17), sich in einern Vorausblick auf den Tod des Petrus fortsetzt (21,18-19) und schliefilich mit einem kurzen Disput iiber den »Lieblingsjunger« endet. Das Auftragswort am Anfang besteht aus drei mit stereotyper Gleichformigkeit strukturierten Gliedern, die alle dasselbe Frage- und Antwortspiel beinhalten: »Als sie nun das Mahl gehalten hatten, sagt Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er sagt zu ihm: Ja, Herr, du weifit, dass ich dich lieb habe. Sagt Jesus zu ihm: Weide meine Lammer! Sagt er zum zweiten Mai zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er sagt zu ihm: Ja, Herr, du weifit, dass ich dich lieb habe. Sagt Jesus zu ihm: Hute meine Schafe! 83 Vgl. U. WILCKENS, Joh 21,15-23 als Grundtext zum Thema »Petrusdienst«, in: Wege zum Einverstandnis. FS Chr. Demke, hg. v. M. BEINTKER, E. JUNGEL und W. KROTKE, Leipzig 1997, 318-333; J. PFAMATTER, Was Petrus nichts angeht. Ein Versuch, Joh 21,22 zu verstehen, in: Kirche Kultur Kommunikation. FS P. Henrici, hg. v. U. FINK und R. ZIHLMANN, Zurich 1998, 87-94. 84 Sprachgebrauch und Erzahlzusammenhang deuten darauf hin, dass mit dem »Mahl« noch jenes improvisierte Friihstiick am Ufer des Sees (21,9.12-13) gemeint ist.

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Sagt er zum dritten Mai zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, well er zum dritten Mai zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sagte zu ihm: Herr, du weifit alle Dinge, du weifit, dass ich dich lieb habe. Sagt Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!« Die dreimalige Wiederholung der Frage scheint an die dreimalige Verleugnung des Petrus zu erinnern und somit auch hier die Beauftragung in den Horizont von Versagen und Umkehr zu stellen. Dariiber hinaus aber gewinnen die Worte des Auferstandenen gerade durch die Wiederholungen an Gewicht. Ihre schematische, formelhafte Gestalt verleiht der Szene fast schon den Charakter eines feierlichen Aktes. Dabei liegt sicher viel weniger an den gelegentlichen sprachlichen Varianten85 als an der Intensivierung der Aussage. Fur den Auftrag bedarf es einer bestimmten Qualifikation, namlich der Liebe zu Jesus. Es verwundert allerdings, dass diese Liebe nun in ihrem Verhaltnis zu den anderen erfragt wird. Petrus kann eine solche Frage gar nicht beantworten und geht deshalb auch einer prazisen Antwort aus dem Weg. Falls in dem ungewohnlichen Vergleich (»mehr als diese«) auf die friiheren pathetischen Worte des Petrus angespielt sein sollte (»Mein Leben will ich fur dich einsetzen!« 85 Im griech. Text wechseln die Begriffe: »lieben«/»lieb haben«, »weiden«/»hiiten«, »Lammer«/»Schafe«; zudern variiert die Frage: »Liebst du mich mehr als diese?« - »Liebst du mich?« - »Hast du mich lieb?« Aber das scheint wohl nur stilistische Griinde zu haben; eine bewusste Sinnverschiebung lasst sich dadurch nicht erkennen.

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Joh 13,37)86, dann konnte hier in der Abfolge der Fragen ein Lernprozess beabsichtigt sein: So wenig, wie sich ein »Mehr« an Liebe von Petrus aus beurteilen liefie, so wenig lasst sich auch ein Mehr an Engagement von ihm verlangen oder beanspruchen. Der Auftrag grundet sich allein auf die Worte Jesu, der ohnehin »alle Dinge weifi«, und korrespondiert der Liebe zu Jesus, die nur ein entweder - oder kennt. Dafur aber bringt der Sprachgebrauch nun etwas zum Ausdruck, was iiber die »Starkung der Bruder« bei Lukas hinausgeht. Denn zwischen dern Hirten und seiner Herde gibt es einen unleugbaren Unterschied. Hier wird ein Bild gebraucht, das von einem klaren Gegeniiber bestimmt ist. Noch klingt die grofie Hirtenrede aus Joh 10 nach, in der sich Jesus selbst als den »guten Hirten« offenbart hatte. Muss man dann nicht beinahe zwangslaufig dieses Auftragswort an Petrus als eine Art Funktionsiibertragung verstehen, zumal wenn Jesus von »seinen Schafen/Lammern« spricht? Auch wenn man das »weiden« und »hiiten« in erster Linie als Ausdruck der Fursorge betrachtet, assoziiert das Hirtenamt vor dem Hintergrund der altorientalischen Konigsideologie deutlich herrschaftliche Ziige.87 Ein solches Verstandnis wird aber. sogleich wieder durch andere Beobachtungen relativiert. Es bleiben die Schafe/Lammer Jesu, die dem Petrus nur 86 Noch deutlicher wiirde das freilich an einer anderen Stelle (Mk 14,29/Mt 26,33 »Wenn auch alle Anstofi nehmen - ich aber nicht!«), deren spezielle Intention bei Joh jedoch nicht zu finden ist. 87 Dazu, dass Johannes diese Beziige im Gebrauch der christologischen Titel (»guter Hirte«/»K6nig Israels«) ganz bewusst aufnimmt, vgl. zuletzt J. KUGLER, Der andere Konig, SBS 178, Stuttgart 1999.

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anvertraut werden. Die Liebe zu Jesus als Voraussetzung der Hirtenfunktion kennt eben gerade kein eindeutig bestimmbares »mehr oder weniger« und damit auch keinen Vorrang. Der erste Gesprachsgang mundet in 21,19 in die erneute Aufforderung zur Nachfolge ein, und als Nachfolger erscheint ohne Unterschied im nachsten Vers dann auch der »Junger, den Jesus lieb hatte«. Uberhaupt wird im weiteren Kontext des Gespraches Petrus gegeniiber dem »Lieblingsjunger«, der nun seinerseits als der Garant der Uberlieferung hervortritt, auf seinen Platz verwiesen: »Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme - was geht es dich an?« (Joh 21,22). Vor allem aber fehlt jeder Hinweis darauf, dass nun eine kontinuierliche Weitergabe von Leitungsvollmacht in Gang gesetzt wurde. Aus einer besonderen Beziehung heraus wird Petrus beauftragt. Und dieser Auftrag bleibt auch auf eine konkrete Situation bezogen. Sein Anliegen ist die Betonung des Leitungsamtes. Im Hirten zeigt sich die Funktion des Gemeindeleiters,88 die zu der Zeit, als das Nachtragskapitel Joh 21 fixiert wird, immer starker auf das Bischofsamt zulauft. Das Interesse an einer Amtsfunktion bzw. einer Amtsautoritat und ihrer Legitimation ist unverkennbar. Der Auftrag an Petrus, die »Schafe zu weiden«, stellt ihn also als den Typos des Gemeindeleiters vor und halt fest, was dafur vor allem anderen notig ist: die Liebe zum Kyrios, die durch Irrungen hindurchgegangen ist und die sich im Vertrauen bewahrt. Alle Auftragsworte an Petrus, die von den Evangelisten iiberliefert worden sind, tragen ein osterliches Geprage. Auch wenn allein Joh 21,15-23 im Kontext einer Ostererscheinung steht, haben Bedeu88 Vgl. Apg 20,28; Eph 4,11; IPetr 5,1-2. 79

tung und Funktion des Petrus nach Ostern zweifellos auf die Uberlieferung der anderen Worte mit eingewirkt. Trotzdem darf man die Ostererfahrung nicht als die erste und alleinige Quelle aller anderen Auftragsworte verstehen. Denn der entscheidende Impuls des Ostermorgens trifft Petrus nicht voraussetzungslos. Seine Geschichte mit Jesus aus Nazaret war nicht nur die Geschichte eines Beobachters. Nachfolge bedeutete vielmehr aktive Teilnahme und Einbeziehung in den Sendungsauftrag Jesu. Insofern kann die Bereitschaft zur Verantwortung fur missionarische, seelsorgerliche und organisatorische Aufgaben schon auf altere Erfahrungen zuriickgreifen, auch wenn sie nach Ostern erst zur vollen Entfaltung gelangt. Die Auftragsworte geben in ihrer zeitlichen Streuung zutreffend wieder: Petrus wird von Anfang an mit verschiedenen Funktionen betraut. Auch andere nehmen entsprechende Funktionen wahr. An Petrus aber gewinnen sie exemplarisch Gestalt und Profil. 1.4. Nachfolge und Profilierung 1.4.1. Petrus im Zwolferkreis Die aktive Rolle, die Simon Petrus in der Nachfolge Jesu gespielt hat, wird auch an zahlreichen weiteren Indizien deutlich. Grundlegend stimmen alle Evangelisten darin uberein, dass sie ihn als die Zentralfigur im Zwolferkreis prasentieren. Mk 1,36 bringt es mit der Wendung »Simon und die mit ihm« auf den Punkt. Nun konnte man zwar auch hier eine Riickwirkung der Leitungsautoritat des Petrus vermuten, die er in der fruhchristlichen Gemeinde von Jerusalem besafi und die nur deshalb auch von den Evangelisten in 80

der Darstellung der Jesusgeschichte festgeschrieben worden ware. Doch sehr viel einleuchtender 1st der umgekehrte Weg: Weil Petrus bereits in dem vorosterlichen Zwolferkreis eine exponierte Stellung innehatte, fiel ihm auch nach Ostern zentrale Leitungsverantwortung zu. Unangefochten ist Petrus in den verschiedenen Jiingerlisten (Mk 3,16-19/Mt 10,2-4/Lk 6,14-16; Apg 1,13) die Nummer Bins, was Mt 10,2 noch besonders betont: »Als Erster Simon ...«. Dabei fallt auf, dass auch die weitere Reihenfolge zumindest in einigen Positionen den Charakter einer Rangfolge tragt. Die beiden Briiderpaare, die in den synoptischen Evangelien als die ersten Anhanger auftreten, bilden die Spitzengruppe aller Listen. Doch Andreas muss dabei in Mk 3,17-18 schon die offenbar hoher geachteten Zebedausbriider vorriicken lassen.89 Ubereinstimmend nimmt Judas Iskariot die Schlussposition ein, von der er sich dann auch am leichtesten abkoppeln lasst (Apg 1,13); zudem wird sein letzter Platz durch den stereotypen Zusatz »der ihn auslieferte« (Mk/Mt) bzw. »der sein Verrater wurde« (Lk) erlautert. Wenn Simon Petrus, der ebenfalls in alien Listen mit der viel ehrenhafteren Nennung seines Beinamens eingefuhrt wird, am Anfang steht, dann bedeutet das jedenfalls mehr als nur einen zufalligen Beginn. Von keinem anderen Mitglied des Zwolferkreises wissen die Evangelisten so viel und so Bedeutsames zu berichten, wie eben gerade von Petrus. Dieselbe Zuriicksetzung des Andreas begegnet noch einmal bei der Vierergruppe in Mk 13,3. Mt 10,2/Lk 6,14 haben in den Jiingerlisten die »natiirliche« Reihenfolge wiederhergestellt. 81

Die Vierergruppe der beiden Briiderpaare vom Anfang der Listen begegnen als eine Art »harter Kern« auch in einigen erzahlerischen Zusammenhangen. Schon in der Geschichte ihrer Berufung am See (Mk 1,16-20/Mt 4,18-22/Lk 5,1-10) hatte sich ja gezeigt, dass sie als Nachbarn, Kollegen oder »Teilhaber« (Lk 5,10) miteinander vertraut sind. Diese personliche Nahe setzt sich auch auf ihrem Weg mit Jesus fort. Nach der Einleitung zu der grofien Endzeitrede Jesu (Mk 13,3) befinden sie sich allein mit Jesus auf dem Olberg, fragen ihren Meister nach dem Geschick des Tempels und werden in diesem kleinen Kreis zu den Horern der folgenden Rede. Matthaus und Lukas haben diese Konstellation dann allerdings wieder getilgt; in ihrer Darstellung sind es pauschal »die Jimger« bzw. »sie«, die sich in dieser Situation bei Jesus befinden. Auffalligerweise verschwindet bei den Synoptikern dann Andreas aus der Gruppe der Briiderpaare, die sich damit auf eine Dreiergruppe reduziert.90 Als solche aber scheint sie eine besondere Vertrauensstellung gegenliber Jesus einzunehmen. In der Geschichte von der Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,22-24.35-43/Lk 8,41-42.49-56) sind es nur Petrus, Jakobus und Johannes, die Jesus in das Haus des Synagogenvorstehers begleiten.91 Zur Szene der Verklarung (Mk 9,2-10/Mt 17,1-9/Lk 9,28-36) nimmt Jesus lediglich diese drei mit auf den Berg. Und in Getsemani sind es wiederum nur Petrus und die beiden Zebedaussohne (Mk 14,32-42/Mt 26,36-46), die Jesus noch einmal gesondert um Unterstiitzung 90 Schon Lk 5,1-10 streicht den Andreas aus der Berufung der Briiderpaare heraus und etabliert damit von Anfang an die Dreiergruppe urn Jesus. 91 In der Parallele Mt 9,18-19.23-26 fehlt diese Notiz; hier betritt Jesus das Haus allein.

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fur seinen Gebetskampf bittet.92 In dieser Vertrautheit spiegelt sich wohl am ehesten ein Stuck der gemeinsamen Geschichte wider, die von den ersten Anfangen in Galilaa an datiert und schliefilich in die Leidensnachfolge fiihrt.93 Viel mehr als mit dem eigenen Bruder scheint Petrus mit Johannes verbunden zu sein. Aber diese besondere Beziehung wird nur von Lukas berichtet. Uber die entsprechende Schilderung bei Markus und Matthaus hinaus sind es in Lk 22,8 Petrus und Johannes, die von Jesus zur Vorbereitung des Passamahles ausgesandt werden.94 Was sich darin schon andeutet, setzt sich dann in der Apostelgeschichte fort. Fur die Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde erscheinen Petrus und Johannes als eine Art Doppelspitze. Durchgangig werden beide gemeinsam genannt, auch wenn dann Petrus das Wort fiihrt und Johannes nur der schweigende Begleiter an seiner Seite ist. Bei der Heilung des Lahmen z. B. (Apg 3,1-11) und in dem anschliefienden Konflikt mit dem Synedrion (4,1-22) treten beide gemeinsam auf. Die Visitationsreise nach Samarien zu den von Philippus gegriindeten Gemeinden (Apg 8,14-25) wird von Petrus und Johannes durchgefuhrt. Paulus bestatigt in Gal 2,9 diese Konstellation: Auf dem sogenannten »Apostelkonvent« in Jerusalem ca. 49 verhandelt er mit »Jakobus, Kefas 92 Lk 22,39-46 lasst diese Notiz aus; insgesamt hat Lukas das Versagen der Jiinger in Getsemani abgemildert: Er verzichtet auf die dreifache Steigerung von Schlaf und Riickfrage und verschweigt auch den Tadel Jesu (siehe unten). 93 Vgl. insgesamt E. W. STEGEMANN, Zur Rolle von Petrus, Jakobus und Johannes im Markusevangelium, ThZ 42, 1986, 366-374. 94 Lukas konkretisiert hier die unbestimrnte Wendung Mk 14,13 »zwei seiner Jiinger«; in Mt 26,17-19 werden pauschal »die Jiinger« angesprochen und beauftragt. 83

und Johannes, die als die >Saulen< gelten«. Hier kommt also zu den beiden alten Weggefahrten inzwischen der Herrenbruder Jakobus hinzu. Bin ganz eigenstandiges Bild zeichnet in dieser Hinsicht das Johannesevangelium. Zwar steht auch hier aufier^ Frage, dass Petrus eine hervorgehobene Rolle im Jiingerkreis spielt. Aber starker als bei den Synoptikern erhalt Petrus dabei Konkurrenz. Andere Gestalten unter den Jungern Jesu gewinnen ein eigenes Profil, anstatt nur iiber ihre Zuordnung zu Petrus beschrieben zu werden. Uberhaupt erwahnt Johannes den Zwolferkreis als solchen nur ganz am Rande.95 Dafur ruckt er Namen in den Mittelpunkt, die bei den Synoptikern nicht oder nur ganz unbetont vorkommen. Gleich zu Beginn ist es in 1,35-42 nun gerade Andreas, der als der mafigebliche Akteur auftritt und seinem Bruder Simon in der Begegnung mit Jesus vorangeht. Gemeinsam mit Philippus, der in 1,43-51 diese aktive Rolle teilt, nimmt er auch spater noch eine Art Vermittlertatigkeit zwischen Jesus und der Volksmenge wahr.96 Geheimnisvoll erscheint die Gestalt des Natanael, der schon bei seiner Berufung 1,45-51 mit erstaunlich auszeichnenden Worten bedacht wird und dann auch in 21,2 noch einmal unter den Osterzeugen begegnet.97 Von grofier Autonomie gegeniiber Petrus ist dann aber vor allem die Position 95 Die »Erwahlung« der Zwolf setzt Joh 6,70 voraus, ohne davon zu berichten; einzig am Schluss der Brotrede (6,60-71) taucht die Gruppe der Zwolf auf; in 20,24 heifit noch Thomas »einer von den Zwolf«. 96 Joh 6,7-9; 12,20-23. 97 Zu den vielfaltigen Identifikationsversuchen vgl. den Uberblick bei C. E. HILL, The Identity of John's Nathanael, JSNT 67,1997, 45-61. Aber hier liegt wohl eine unabhangige Uberlieferung vor.

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des sogenannten »Lieblingsjungers« gekennzeichnet. Ab Job 13 tritt er im engeren Zusammenhang der Passionsereignisse auf und erscheint dabei in einer ganz einzigartigen Unmittelbarkeit zu Jesus.98 Selbst Petrus muss sich seiner Vermittlung bedienen und ihm schlieGlich das Feld iiberlassen. Diese Popularitat steht dann freilich in einem merkwiirdigen Gegensatz zu dem Geheimnis, das die Gestalt des »Jiingers, den Jesus liebte«, bis zum Schluss des Evangeliums umgibt. Nirgends wird seine Identitat geklart. Und immer wieder verliert sich die erzahlerische Gestaltung der wenigen Szenen in symboltrachtigen Andeutungen. Fiir die Ausleger des Johannesevangeliums stellt diese Situation von jeher eine Herausforderung dar: Lasst sich der »Lieblingsjunger« mit einer aus anderen Zusammenhangen bekannten Gestalt identifizieren?" Muss man ihn als eine symbolische oder literarische Figur verstehen? Welche geschichtlichen Konstellationen spiegeln sich in der Rolle, die er bei Johannes spielt, wider? Wie auch immer man diese Fragen im Einzelnen beantwortet: Auf jeden Fall steht hinter dem »Lieblingsjlinger« eine (den Insidern wohlbekannte) Autoritat, die in der johanneischen Gemeinde als Garant der Jesusiiberlieferung fungierte und dabei die Eigenstandigkeit dieser Uberlieferung durch eine unmittelbare Beziehung zu Jesus begrunden 98 Direkt genannt wird er 13,23-25 (Mahl); 19,26-27 (unter dem Kreuz); 20,2-10 (Wettlauf zum Grab); 21,2-8 (Erscheinung Jesu am See); 21,20-24 (Gesprach Jesu mit Petrus). Zu erschliefien ist er in 18,15-16 (Sprachgebrauch wie 20,2) und 19,35 (Bezug auf 19,26-27); eher unwahrscheinlich bleibt er in 1,37.40. 99 Seit Irenaus, Gegen die Haresien III 1,1-2 wurde er in der alien Kirche mit dem Zebedaiden Johannes gleichgesetzt und als Autor des Evangeliums verstanden. Andere dachten z. B. an Lazarus (Joh 11,5).

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konnte. Ihre Legitimation aber wurde gerade im Gegenuber zur gesamtkirchlichen Autoritat des Petrus auch in der Erzahlung der Jesusgeschichte erforderlich. Deshalb sind alle Szenen an einer sorgfaltig abgestimmten Zuordnung interessiert. Petrus etwa stellt beim letzten Mahl die heikle Frage nach dem Verrater - der »Lieblingsjunger« aber ist es, der sie diskret an Jesus weitervermittelt (13,23-25). Trotz der allgemeinen Jungerflucht in Getsemani bringt Petrus den Mut auf, Jesus noch bis in den Palast des Hohenpriesters zu folgen - doch jener »andere Junger« muss ihm dort erst dank seiner guten Beziehungen Einlass verschaffen (18,15-16). Unter dem Kreuz findet sich nur noch der »Lieblingsjunger«, dem Jesus seine Mutter anvertraut (19,26-27) und der nun zum glaubwlirdigen Zeugen der Ereignisse wird (19,34-35). Am Ostermorgen wendet sich Maria Magdalena mit ihrer besturzenden Mitteilung an Petrus und den »Lieblingsjiinger«, woraufhin beide zum Grab laufen. Der »Lieblingsjiinger« ist schneller, lasst aber Petrus den Vortritt - der wiederum findet nur die Fakten bestatigt, wahrend der »Lieblingsjiinger« angesichts dieser Fakten zum Glauben kommt (20,2-10). Bei der Erscheinung des Auferstandenen am See erkennt der »Lieblingsjunger« den Herrn zuerst - aber Petrus ergreift die Initiative (21,2-8). Petrus schliefilich erhalt den Auftrag, die Schafe zu weiden, wahrend der »Lieblingsjiinger« als Garant der Jesusuberlieferung bestatigt wird - die Nachfrage des Petrus nach dem Geschick des Lieblingsjiingers aber erhalt eine Abfuhr: »Was geht das dich an?!« (21,15-24). Dieses wohltemperierte Miteinander zeigt: Zwischen beiden Gestalten soil es weder eine Hierarchic noch eine Rivalitat geben. Beide haben ihre jeweils eigene Bedeutung und Funktion. Petrus und der »Lieblingsjiinger« 86

vertreten gleichberechtigte, wenngleich verschiedene Weisen, Jesus nachzufolgen. Daran 1st vor allem der johanneischen Gemeinde in ihrem besonderen Selbstverstandnis gelegen. Sie hat damit zugleich eine historisch wichtige Konstellation bewahrt: Petrus bleibt bei all seiner unangefochtenen Autoritat in das kollegiale Miteinander der anderen Junger Jesu eingebunden. 1.4.2. Petrus als Wortfuhrer Die besondere Rolle des Petrus wird von den Evangelisten vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie ihn als Wortfuhrer der Junger darstellen. Seine eindriicklichste Gestaltung erhalt dieser Sachverhalt in der Szene des Messiasbekenntnisses bei Casarea Philippi (Mk 8,27-30/Mt 16,13-20/Lk 9,18-21). Auf die Nachfrage Jesu »Wer sagen die Menschen, dass ich sei?« antworten ihm noch alle Junger. Bei der folgenden Zuspitzung - »Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?« - ist es dann Petrus allein, der sich ein Herz fasst und bekennt: »Du bist der Christus!« Die Situation lasst sich leicht nachvollziehen. Im Blick auf die vielfaltigen Meinungen tragen die Junger zusammen, was ihnen zu Ohren gekommen ist. Wo es aber um eine bestimmte, klare Position geht, ist es einer, der die Sache auf den Punkt bringt. Das ubernimmt Petrus. Er tritt als Reprasentant der Ubrigen auf, derm mit seiner Reaktion wendet sich Jesus sogleich wieder alien Jiingern gemeinsam zu. Lediglich Matthaus fiigt in 16,17-19 noch jene kleine, direkt an Petrus gerichtete Rede ein, die dessen Funktion als »Felsenmann« heraushebt. Die Grundkonstellation aber setzt sich dann im weiteren Verlauf der Szene fort. Die erste Ankiindigung des bevorstehenden Leidensweges adressiert Jesus an alle Junger. Petrus nimmt ihn da87

raufhin zur Seite und erhebt Einspruch. Im Abseits der personlichen Aussprache trifft ihn die scharfe Replik Jesu ganz personlich. Im unmittelbaren Anschluss aber folgen dann die Worte vom Kreuztragen, die eine Art Quintessenz aus der Kontroverse urn den Leidensweg darstellen und dabei wiederum die ganze Gruppe der Jiinger ansprechen. Alle drei Synoptiker haben in dieser kompositorischen Vernetzung die Funktion des Petrus als eines Sprechers der Zwolf festgehalten - und das in einer Szene, die fur ihre Jesusgeschichte einen entscheidenden Wendepunkt bedeutet. Wie fest dieses Bekenntnis mit der Person des Petrus verbunden war, zeigt die Variante in Joh 6,66-69. Obwohl Johannes einen anderen Ort und einen anderen Kontext voraussetzt, ist es auch hier Petrus, der zuerst Jesus aus Nazaret als den »Heiligen Gottes« bekennt und damit gerade in einer Krisensituation Festigkeit zeigt. Von dieser Schlusselszene aus gewinnen dann einige weitere Begebenheiten ihre Konturen, auch wenn die Evangelisten dabei unterschiedlich verfahren. Schon in Lk 8,45 tritt Petrus in der Wundererzahlung von der blutflussigen Frau als Wortfiihrer auf, der die Frage Jesu (»Wer hat mich beruhrt?«) beantwortet. Lukas erweckt damit den Eindruck, dass Petrus den Meister wie ein Leibwachter abschirmt und ihm deshalb im Gedrange auch als Erster Auskunft geben kann. Nach Mt 15,15 ist es ebenfalls Petrus, der die Frage nach einer Erklarung des Gleichnisses von den blinden Blindenfiihrern stellt; in Lk 12,41 erkundigt sich Petrus ganz analog nach der Intention des Gleichnisses von Hausherr und Dieb. Das Gleichnis vom »Schalksknecht« Mt 18,23-35 wird iiberhaupt erst durch die Frage des Petrus nach den Grenzen der Vergebung (18,21-22) ausgelost, wobei sich Petrus mit

seinem Vorschlag (»Herr, wie oft muss ich meinem Bruder, der sich gegen mich versiindigt hat, vergeben? Siebenmal«?) bereits als vorbildlicher Schiiler erweist. Eine Frage fiir sich stellt die Episode von der Verklarung Jesu (Mk 9,2-10/Mt 17,1-9/Lk 9,28-36) dar. Das ganze Szenario mutet an wie eine Ostererscheinung, nur dass die Begleitung Jesu durch Mose und Elija dabei aus dem Rahmen fiele. Fiir die Bedeutung des Petrus ist interessant, dass er wiederum von alien drei Synoptikern als derjenige geschildert wird, der zuerst die Situation zu bewaltigen versucht. Er setzt sich an die Spitze der Dreiergruppe und macht trotz seiner Furcht Vorschlage, auch wenn sie sich als untauglich erweisen: »Denn er wusste nicht, was er vorbringen sollte.« (Mk 9,6) Ubereinstimmung besteht auch hinsichtlich der Frage des Petrus nach dem Lohn der Nachfolge (Mk 10,28-31/Mt 19,27-29/Lk 18,28-30): Dem »Dienstaltesten« unter den Nachfolgern Jesu steht es einleuchtenderweise zu, diese Frage zu stellen. In der Episode vom Feigenbaum ist es Petrus, der nach Mk 11,20-25 Jesus an das Geschehen des Vortages erinnert. Auch Johannes liefert mit der Szene der Fufiwaschung (13,1-11) einen markanten Beitrag: Wahrend die iibrigen Jiinger diese Symbolhandlung Jesu offenbar schweigend geschehen lassen, exponiert sich Petrus und bricht einen Disput vom Zaun, indem er zunachst jenen Dienst vehement zurlickweist, dann aber nach der Erklarung Jesu umso heftiger einfordert. SchlieSlich macht er sich ein letztes Mai zum Wortfuhrer der anderen, als im Kontext des Mahles die Sprache auf die bevorstehende Todesbedrohung Jesu kommt. Auch wenn Abfolge und Formulierung hier groSere Differenzen zeigen (Mk 14,26-31/ Mt 26,31-35/Lk 22, 33-34/Joh 13,36-38), bleibt der Tenor ubereinstimmend derselbe. Die Vorhersage Jesu, 89

dass der Jungerkreis auseinanderfallen werde, kontert Petrus mit einem enthusiastischen Treueversprechen: Mk/Mt »Auch wenn alle (an dir) Anstofi nehmen ich nicht! ... Und wenn ich mit dir sterben miisste -

Abb. 8: Fufiwaschung, Ingeborg-Psalter (um 1200) 90

ich werde dich nie verleugnen.« - Lk »Herr, ich bin bereit, mit dir sogar ins Gefangnis und in den Tod zu gehen.« - Joh »Mein Leben will ich fur dich hingeben.« Bezeichnenderweise aber fiigen dann Mk/Mt noch hinzu: »Das Gleiche sagten auch alle (Jlinger).« Wahrend Lk/Joh den Petrus allein dieses Versprechen geben lassen, schildern ihn Mk/Mt als den, der nur etwas schneller ausspricht, was auch alien anderen langst auf der Zunge liegt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht mehr, dass in den Ostergeschichten die Mitteilung der Frauen dann zuerst dem Petrus iibermittelt wird. Nach Mk 16,7 tragt der Gottesbote im Grab den Frauen auf, die folgende Botschaft »seinen Jlingern und Petrus« auszurichten. Ganz analog sucht Maria Magdalena nach Joh 20,2 zuerst »Simon Petrus und den Junger, den Jesus liebte« auf. Nichts lag wohl naher, als gerade den Wortflihrer des Jlingerkreises von den Ereignissen auch besonders in Kenntnis zu setzen. 1.4.3. Petrus als Hauptakteur Dem Bild des Wortfiihrers entsprechen alle jene Episoden, die Petrus in seinen Initiativen als den Hauptakteur des Jiingerkreises zeigen. Dabei sind die Belege relativ gleichmafiig liber alle Evangelien verstreut, ohne dass hier eine Szene besonders hervortritt. Allein daran wird schon deutlich, wie selbstverstandlich den jeweiligen Erzahlern der Jesusgeschichte diese Rolle des Petrus war. Schon kurz nach der Berufung der beiden Brliderpaare lasst Markus den Petrus in Aktion treten: Als Jesus sich vor dem Andrang des Volkes in die Einsamkeit zuriickzieht, sind es »Simon und die mit ihm«, die ihn aufsuchen und liber die Lage informieren 91

(1,35-37). Simon 1st es, der hier von Anfang an das Heft in die Hand nimmt. Matthaus lasst ein besonderes Interesse daran erkennen, die Entscheidungsfreudigkeit und Tatkraft des Petrus hervorzuheben. Auf anschauliche Weise kommt dieser Zug in den Episoden von Petrus auf dem Wasser (Mt 14,28-31) und von der Entrichtung der Tempelsteuer (Mt 17,24-27) zum Tragen.100 Die erste ist von Matthaus in eine vorgegebene Uberlieferung eingefugt worden. Es handelt sich dabei zunachst um eine weitere Wundererzahlung, in der die Rettung aus Seenot im Mittelpunkt steht. Doch der Wundertater befindet sich nicht wie in dem friiher schon erzahlten Fall (Mk 4,35-41/Mt 8,18.23-27/ Lk 8,22-25) mit den Seinen im Boot, sondern kommt unerwartet tiber das Wasser zu ihnen. Mit der konkreten Rettung verbindet sich eine Epiphanie des Gottessohnes, die bereits osterliche Pragung - »Fasst Mut! Ich bin es! Fiirchtet euch nicht!« - tragt. Wahrend Markus und Johannes diese Wundererzahlung ganz auf die Erscheinung Jesu konzentrieren (Mk 6,45-52 / Joh 6,16-21), erweitert sie Matthaus um einen spektakularen Auftritt des Petrus (Mt 14,22-33). Es ist eine Szene voller Dramatik: Als Jesus den vor Entsetzen schreienden Jiingern noch Mut zuspricht, erfasst Petrus blitzartig die Situation. Wenn die Bedrohung 100 Vgl. besonders H. KLEIN, Christologie und Anthropologie in den Petruslegenden des matthaischen Sondergutes, in: Anfange der Christologie. FS F. Hahn, hg. v. C. BREYTENBACH und H. PAULSEN, Gottingen 1991, 209-220. Beiden Episoden ist die Verwendung von Motiven aus der religiosen Urnwelt bzw. aus volkstumlicher Tradition gemeinsam: Fur den Gang iiber das Wasser bietet die Religionsgeschichte zahlreiche Parallelen; auch das Fundstiick im Bauch oder Maul eines Fisches ist ein beliebtes Motiv. 92

durch die Elemente Jesus nichts anhaben kann, dann besteht auch fur seine Anhanger kein Grund zur Furcht. Diese Erkenntnis gilt es in die Tat umzusetzen. Petrus wendet sich an seinen Meister: »Herr, wenn du es bist, gebiete mir, iiber den Wassern zu dir zu kommen!« Er handelt durchaus nicht vorschnell, sondern macht seine Probe aufs Exempel von dem Gebot Jesu abhangig. Bei der Aufforderung »Komm!« kennt er dann kein Zogern rnehr und schwingt sich liber den Bootsrand. Solche Glaubensstarke tragt. Uber den Wassern und mitten im Sturm kommt er zu Jesus. Dass er dennoch zu sinken beginnt, macht seine Situation bewusst: Bei allem Vertrauen bleiben die Bedrohungen bestehen und erfassen Petrus in dem Augenblick, indem er den Blick von Jesus weg auf Wind und Wetter richtet - und so bleibt er auch als Glaubender auf Rettung im Sinne von Hilfe angewiesen, die ihm selbstredend gewahrt wird. Der abschliefiende Tadel Jesu: »Kleinglaubiger! Warum hast du gezweifelt?«, will deshalb gerade nicht den Petrus als einen halbherzigen oder wankelmutigen Charakter in die Kritik nehmen. Derm schon in der ersten Seenotgeschichte hatte Jesus nach Mt 8,26 die Jiinger insgesamt als »Kleinglaubige« angesprochen. Petrus wird hier zum Reprasentanten derer, die sich auf das Wagnis des Glaubens einlassen, das Boot besteigen oder sogar den Weg iiber die Wasser wagen. Unglaubige sind sie nicht. Aber ihr Glaube ermangelt noch der Stabilitat und ist als »Kleinglaube« Schwankungen unterworfen, in denen sie auf Hilfe angewiesen bleiben. In dieser Situation erscheint Petrus als der exemplarische Jiinger: Er fasst Mut und scheut sich nicht vor den Bedrohungen, aber er wird darin seinem Meister nicht einfach gleich. Anders als bei Markus und Johannes miindet die Erzahlung deshalb in Mt 14,33 in ein uni93

Abb. 9: Der Stater im Fischmaul, Otto Dix

sono gesprochenes Bekenntnis aller, die mit Petrus und ihrem Herrn im Boot schliefilich die Bedrohung uberstanden haben: »Du bist wirklich Gottes Sohn!« Aus einer anderen Perspektive schildert Mt 17,24-27 die exemplarische Aktivitat des Petrus. Wieder ist er mit Worten schnell voraus, die erst im Nachgang aufgearbeitet werden miissen und dabei sowohl Bestatigung als auch Relativierung erfahren. Und ahnlich wie in Mt 14 ubernimmt Petrus dabei die Rolle dessen, der im Mittelpunkt eines Fallbeispieles mit weiterreichender Bedeutung steht. Die Frage der judischen Beamten, ob Jesus derm nicht die Tempelsteuer bezahle, ist iiberraschend an Petrus gerichtet. Hier vermischt sich offenbar die Erinnerung daran, dass Jesus im Haus des Simon in Kafarnaum »wohnt« (Mt 4,13) mit einer Sichtweise, die Petrus als eine Art »personlichen Sekretar« Jesu betrachtet. Prompt und selbstbewusst bejaht Petrus die Frage, die offenbar auf der Strafie an ihn herangetragen wird. Bei seiner 94

Ruckkehr ins Haus stellt Jesus ihn jedoch in Gestalt eines kleinen Lehrer-Schuler-Gespraches zur Rede. Darin wird Petrus zwar bestatigt - jedoch nicht, ohne dass die Entrichtung der Steuer vorher als eine theologisch irrelevante und nur um des friedlichen Miteinanders willen vollzogene Ubung charakterisiert wurde. Daran schlieSt sich ein Wunder an, das aber nur in der Ankundigung Jesu erscheint und erst noch von Petrus zur Ausfuhrung gebracht werden muss: Dem ersten Fisch, den er angelt, wird exakt die geforderte Doppeldrachme im Maule liegen. Bei dieser Reflexion iiber Loyalitat und Gottes Gtite lernt Petrus jene Lektion, die fiir die Gemeinde des Matthaus bestimmt ist. Lukas verzichtet in seiner Darstellung der Jesusgeschichte auf alle spektakularen Aktionen des Petrus. Ansonsten aber riickt auch er ihn ganz selbstverstandlich an die Spitze der »Apostel«. Es entspricht dem heilsgeschichtlichen Konzept des Lukas, dass er zunachst ausschliefilich Jesus als den alleinigen Handlungstrager vorstellt, bevor dann in der Apostelgeschichte die Kamera auf Petrus als den mafigeblichen Akteur »im Kreis der Briider« schwenkt. Spatestens von Apg 1,15 an lasst Lukas jedoch keinen Zweifel mehr daran, wer nun in organisatorischer und theologischer Weise die Weichen fiir den Weg der Jerusalemer Gemeinde stellt. Ein bemerkenswertes Detail hat Johannes festgehalten. Wahrend der Verhaftung Jesu kommt es zu einem Handgemenge. Die Situation droht zu eskalieren, als einer der Anhanger Jesu das Schwert zieht und ein Mitglied des Verhaftungstrupps - ausgerechnet einen Sklaven des Hohenpriesters - am Ohr verwundet. Der Tater bleibt anonym: Es ist »einer der Dabeistehenden« (Mk 14,47), »einer derer 95

mit Jesus« (Mt 26,51) bzw. schlicht »einer von ihnen« (Lk 22,50). Joh 18,10 indessen luftet das Geheimnis, identifiziert den Kampfer als »Simon Petrus« und fiigt mit »Malchus« auch gleich noch den Namen des betroffenen Sklaven hinzu. Nach den Worten »Steck dein Schwert in die Scheide!« richtet Jesus in 18,11 nun noch eine Frage an Petrus, die den Disput um den Leidensweg in Erinnerung ruft: »Soll ich den Becher, den mir der Vater gegeben hat, etwa nicht trinken?« Der Einspruch, den Petrus nach Mk 8,32/Mt 16,22 mit Worten vorbringt, erfolgt in Joh 18,10 also durch die Tat. In beiden Fallen wird er von Jesus zuriickgewiesen. Die Streuung der Belege, die Petrus als Wortfuhrer oder Hauptakteur im Jiingerkreis zeigen, lassen ein festgefiigtes Bild bei den spateren Tradenten der Jesusuberlieferung bzw. bei den Evangelisten selbst erkennen. In der Endredaktion der Evangelien kann Petrus je nach Erzahlabsicht das eine Mai gegeniiber den Parallelen hervorgehoben, ein anderes Mai wieder in die Gruppe der Jiinger zuruckgenommen werden. Es ware aber sicher falsch, die exponierte Stellung des Petrus deshalb nur als eine Riickprojektion seiner Leitungsfunktionen nach Ostern in die Geschichte der Jesusbewegung zu verstehen. Nimmt man den Zwolferkreis als eine soziale GroSe ernst, dann lassen sich fur ihn die gleichen Prozesse voraussetzen, wie sie in alien anderen Gruppen mit einem hohen Grad an Nahe und Verbindlichkeit zu beobachten sind. Die Position des Petrus ist dann aufgrund seiner Personlichkeit, seiner kommunikativen Kompetenz und seiner Einsatzbereitschaft problemlos nachzuvollziehen. Darauf kann die neue Beauftragung, die Petrus zu Ostern erfahrt, aufbauen. 96

1.5. Diskurs iiber Chnstologie 1.5.1. Geriichte um Jesus von Nazaret Von seinem ersten offentlichen Auftreten an geriet Jesus ins Gerede. Eine Lehre in Vollmacht und erstaunliche Taten - das waren Dinge, die sich schnell herumsprachen und einen Ruf etablierten, der ihm vorauseilte. Vor allem aber losten diese Geriichte Fragen aus. An wandernden Predigern und Wundertatern gab es zur Zeit Jesu keinen Mangel. Gerade im Judentum des 1. Jhs. kam es aufgrund hochgespannter politisch-nationaler Erwartungen immer wieder zum Auftreten charismatischer Gestalten, die Anhanger um sich scharen und neue Hoffnungen wecken konnten. In dieses Spektrum musste man den Prediger aus Nazaret irgendwie einordnen. Die notigen Indizien lieferte sein Auftreten selbst, das sich von den Zeitgenossen am ehesten mit dem Typos des Propheten oder des Lehrers vergleichen liefi. Schon zu einem relativ friihen Zeitpunkt (Mk 6, 14-16/Mt 14,1-2/Lk 9,7-9) iiberliefern die synoptischen Evangelien ein aufschlussreiches Meinungsbarometer. Sie bringen es mit Herodes Antipas, dem galilaischen Landesherrn Jesu, in Verbindung. Die Geriichte iiber Jesus dringen auch an das Ohr des Herodessohnes, der mit Johannes dem Taufer gerade einen Kritiker aus dem Weg geraumt hat. Seine Zutrager berichten ihm, was man sich so erzahlt: Jesus sei Elija oder ein Prophet wie einer der (alten) Propheten. Gefahrlich werden die Mutmafiungen aber da, wo sie unangenehme Erinnerungen wachrufen: »Johannes der Taufer ist auferweckt von den Toten, und deshalb wirken diese Krafte in ihm!« Was immer Herodes Antipas davon halten mochte - Geriichte dieser Art spie97

gelten eine Volksmeinung wider, die es gait, im Auge zu behalten. Die Evangelisten schildern seine Reaktion differenziert: Nach Mk 6,16/Mt 14,2 scheint er dem Geriicht vom wiederkehrenden Taufer Glauben zu schenken, wahrend er in Lk 9,9 uniiberhorbar seine Zweifel anmeldet und schliefilich versucht, den Unruhestifter zu sehen. Jesus hatte alien Grund, sich vor diesem »Fuchs« (Lk 13,32) in Acht zu nehmen. Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, dass sich zuerst ein prophetisches Verstandnis der Person Jesu aufdrangte. Schon die radikale Art der Berufung von Schulern mochte an die Berufung des Elischa durch Elija (IKon 19,19-21) erinnern. Die Botschaft Jesu, mit einem hohen Anspruch vorgetragen, liefi den von Gott beauftragten und legitimierten Boten assoziieren. Auch Krafttaten gehorten zu den Eigenheiten prophetischer Verkiindigung hinzu. An zahlreichen Stellen der Jesusuberlieferung haben sich noch Spuren jener fruhen Etikettierung erhalten. Wenn etwa die staunende Menge in Lk 7,16 ruft: »Ein grofier Prophet ist unter uns aufgestanden!«, so ist das nur eines von vielen Beispielen. Die Zeitgenossen ordneten Jesus als Propheten ein - und wenn der in Nazaret das Sprichwort von dem »Propheten, der in seiner Vaterstadt nichts gilt« (Mk 6,4/Mt 13,57/Lk 4,24) aufgreift, dann hat er diese ihm zugedachte Rolle wohl auch nicht zuruckgewiesen. Eine andere Moglichkeit bestand darin, Jesus als Lehrer zu begreifen. Wer Schuler um sich versammelte, Dispute bestritt und markante Worte pragte, fugte sich von vornherein einem bekannten Personlichkeitsprofil ein. Die Titel, mit denen Jesus von Anhangern wie Gegnern bedacht wurde, sprechen hier schon eine deutliche Sprache: Didaskalos/Lehrer, Meister, Rabbi. Durch die Redekompositionen und -szenen der Evan98

gelisten sowie die zahlreichen Streitgespache werden diese Titel auf eindriickliche Weise bestatigt. Als einen »Lehrer in Israel« vermag auch jiidische Theologie Jesus zu akzeptieren. Jesus fiigte sich offenbar ganz bewusst in vorgegebene Rollenbilder ein, obwohl sich sein Selbstverstandnis darin noch nicht erschopfte. Doch genau an diesem Punkt setzt die Auseinandersetzung ein, die man etwas anachronistisch als »Diskurs liber Christologie« bezeichnen konnte. Die Anhanger Jesu formulieren bereits nach Mk 4,41par die Grundfrage der Christologie kurz und biindig: »Wer ist dieser?« Die naheliegenden Antworten (ein Prophet, ein Lehrer) geniigen nicht mehr. Das Auftreten Jesu provoziert neue Erwartungen, die vor Ostern jedoch zwangslaufig im Status der Vermutung, Erwagung und der Verunsicherung bleiben. Gerade im Jiingerkreis tauscht man sich im Licht fortgesetzter Erfahrungen dariiber aus. An diesem Diskurs hat Simon Petrus aufgrund seiner Nahe zu Jesus mafigeblich Anteil. 1.5.2. Messiasbekenntnis und Satanswort Die Szene mit dem Messiasbekenntnis des Petrus stellt fur Markus einen Wendepunkt seines Evangeliums dar.101 Zunachst gilt das in einem unmittelbar geographischen Sinn. Hatte sich Jesus bislang ausschliefilich in Galilaa aufgehalten, so beginnt ab hier der zielgerichtete Weg nach Jerusalem, der sich von Anfang an als ein Weg zur Passion gestaltet. Doch 101 Ausfiihrlich R. PESCH, Markus 2, 1991, 27-68; pointiert E. DINKLER, Petrusbekenntnis und Satanswort. Das Problem der Messianitat Jesu, in: Zeit und Geschichte. FS R. Bultrnann, hg. v. den Alten Marburgern, Tubingen 1964, 127153. 99

auch theologisch ereignet sich ein Umbruch. Die Hoheit Jesu kommt nun zunehmend deutlicher zur Sprache. Mit seinem Bekenntnis setzt Petrus dafiir ein erstes, folgenreiches Signal. Pragnant formuliert es Mk8,29: »Du bist der Christus!«; Mt 16,16 erweitert die Formel: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!«; Lk 9,20 kombiniert: »Du bist der Christus Gottes!« Damit ist es heraus, was im Jungerkreis vermutlich schon langst in der Luft lag und sich in dem Diskurs iiber die Person des Lehrers in den Vordergrund gedrangt hatte. Den Kontext des Messiasbekenntnisses bildet eine grofiere Gesprachseinheit, die von neuem mit einer Meinungsumfrage beginnt (Mk 8,27-33/Mt 16,1323/Lk 9,18-22)102. Diesmal ist es jedoch Jesus selbst, von dem sie in Szene gesetzt wird. Seine Jiinger fungieren dabei als Informanten, die das Ohr am Volk haben und wissen, was »die Menschen« sagen. Ihr Ergebnis unterscheidet sich freilich in nichts von dem Meinungsbarometer am Hofe des Herodes Antipas: Einige halten Jesus fur Johannes den Taufer, andere fur Elija oder einen der Propheten.103 Wieder scheint in den Antworten das ganze Spektrum prophetischer Erwartungen auf. Aber diese erste Runde stellt nur den Ausloser fur das eigentliche Anliegen der gesamten Einheit dar, die man formal als ein

102 Genau genommen gehoren dazu auch noch die folgenden Worte von der Kreuzesnachfolge, die an die Leidensweissagung anschliefien; Mk 8,34/Mt 16,24/Lk 9,23 setzen indessen eine Zasur und erweitern ab hier den Zuhorerkreis (Mk: »Und er rief die Menge zusammen mit seinen Jiingern ...«). 103 Nach Mt wird auch noch Jeremia genannt, nach Lk »irgendein Prophet von den alten«. 100

»Examinationsgesprach«104 bezeichnen musste. Denn hier werden die Schiiler von ihrem Lehrer befragt, der die Antworten aufnimmt, diskutiert und schliefilich einer Korrektur unterzieht. Petrus tritt als Wortfiihrer der Schiiler hervor und greift selbstandig in den Fortgang des Gespraches ein. Dass die Szene in Casarea Philippi stattfindet, rnag aufier einer alten Lokaltradition weitere Griinde haben. Fur den Weg nach Jerusalem ist das der nordlichste Ausgangspunkt. Fur die Wiederholung der Meinungsumfrage liegt der Ort aufierhalb des Machtbereiches von Herodes Antipas. Fur eine Hervorhebung des Petrus aber ist die Gegend urn die Jordanquellen insofern beziehungsreich, als hier nach Joh 1,44 dessen alte Heimat liegt. Dass Markus mit seiner Erzahlung kein Protokoll der Ereignisse liefert, liegt auf der Hand. Die ganze Einheit ist sorgfaltig komponiert und lasst die unterschiedliche Herkunft der einzelnen Traditionsstiicke deutlich erkennen. Am Anfang wird die Meinungsumfrage noch einmal aufgegriffen und mit der folgenden Zuspitzung zu einem zweigliedrigen Gesprachsgang entwickelt: A. »Wer sagen die Menschen, dass ich sei?«, B. »Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?« Das Schweigegebot in 8,30 erweist sich als ein Charakteristikum des Evangelisten Markus und fiigt sich seiner »Geheimnistheorie« ein.105 Auch die Leidensankiindi104 So H. KLEIN, Das Bekenntnis des Petrus und die Anfange des Christusglaubens im Urchristentum, EvTh 47, 1987, 176-192. 105 Sie kommt in den wiederholten Schweigegeboten an Geheilte, an Damonen und an die Junger, in dem Unverstandnis der Letzteren sowie in dem Verstandnis der Gleichnisrede als einer Form interner Belehrung (Mk 4,11-12) zum Ausdruck. 101

gung 1st wohl erst von Markus an diese Stelle gesetzt worden; ihre Verdreifachung (I. 8,31 => H. 9,30-32 => III. 10,32-34), iiberlegte Platzierung und sprachliche Ausgestaltung zu drei kleinen »Passionssummarien« zeigt das Bemuhen des Redaktors an, den Weg zum Leiden erzahlerisch zu strukturieren. Den Kern der Uberlieferung aber bildet ohne Frage das brisante Bekenntnis des Petrus, das zur Stellungnahme und zum Diskurs herausfordert. Die historische Riickfrage muss deshalb bei dem gewichtigen Titel ansetzen, den Petrus nun ausspricht. »Christus = Messias = Gesalbter« - mit diesem Begriff wird fur judische Horerinnen und Horer eine lange Hoffnungsgeschichte aufgerufen, in deren Mittelpunkt die sehnsuchtige Erwartung einer kiinftigen Heilsgestalt steht. Urspriinglich war die Salbung mit dem Konigtum in Israel verbunden, wurde aber auch an den Hohenpriestern und gelegentlich an Propheten vollzogen. In der Zeit nach dem Exil aber scheint sie aufier Gebrauch gekommen zu sein, so dass der »Gesalbte« nun ausschliefilich zum Hoffnungstrager einer kommenden Heilszeit wird. Diese Heilszeit erwartete man als eine grundlegende Wende von weltgeschichtlichen Dimensionen, die mit einer Errettung Israels aus den bedruckenden Verhaltnissen der Gegenwart einhergehen sollte. Derjenige, der sie herauffiihren wurde, miisste deshalb auch in einer unmittelbaren und uniiberbietbaren Nahe zu Gott stehen. In der Konkretion waren die Erwartungen indessen alles andere als einheitlich. Schon die prophetischen Texte, die auf eine kunftige Heilsgestalt Bezug nehmen, bieten ein differenziertes Bild und gebrauchen vielfaltige Umschreibungen: Held, Stern aus Jakob, Immanuel, Friedensfiirst, Reis, Spross, Hirte, Konig, Davidssohn. Als »Gesalbter/Messias« erhalt diese Heilsgestalt erst 102

seit dem 1. Jh. v. Chr. klarere Konturen. Doch das tut der Vielfalt der Vorstellungen, die sich daran anschlieGen, keinen Abbruch. In der Gemeinde von Qumran etwa ging man von zwei messianischen Gestalten aus, einem koniglichen und einem priesterlichen Messias. Andere Gruppen favorisierten weiterhin die Hoffnung auf einen »Propheten wie Mose« (Dtn 18,15) oder erwarteten den aus Gottes Welt kommenden endzeitlichen »Menschensohn« (Dan 7,13-14). Aus diesem Spektrum hebt sich jedoch als Hauptlinie die Erwartung eines koniglichen Herrschers aus der Davidsdynastie hervor, der als ein »Gesalbter des Herrn« die nationale und religiose Integritat Israels wiederherstellen wurde. Diese Erwartung erfuhr unter der Situation der romischen Fremdherrschaft eine zunehmende Intensivierung. Wer vor diesem Hintergrund mit der Botschaft von Gottes Nahe auftrat, den Anbruch der Gottesherrschaft verkundigte, die Sammlung des Gottesvolkes mit zeichenhaften Handlungen inszenierte und dabei durch Worte und Taten einen erstaunlichen Vollmachtsanspruch dokumentierte der musste unweigerlich die Erwartungen an einen Messiaspratendenten auf sich ziehen. Nichts liegt deshalb naher, als dass der Messiastitel an Jesus von Nazaret von verschiedenen Seiten herangetragen wurde. Bereits in Galilaa scheint er von seinen Anhangern damit konfrontiert worden zu sein, wie die Lokalisierung der Szene bei Casarea Philippi zeigt. In Jerusalem, wo die dynastischen Hoffnungen auf den »Sohn Davids« noch weitaus lebendiger waren, verdichteten sich offenbar die messianischen Erwartungen106 und 106 Kurz hinter Jericho tituliert der Blinde am Weg Jesus als »Sohn Davids« (Mk 10,47-48par); beim Einzug in Jerusalem gilt die Akklamation der Festpilger dem »Kommenden 103

griffen nun auch auf die Gegner Jesu iiber, die das Auftreten des Galilaers im Sinne politischer Anspriiche interpretierten.107 Fur die Hinrichtung Jesu bildete die Unterstellung messianischer Ambitionen (»K6nig der Juden«) jedenfalls die einleuchtendste Erklarung. Eine ganz andere Frage ist die, wie sich Jesus gegenuber solchen Erwartungen verhalten hat. Sie wird von der Theologie seit iiber zweihundert Jahren intensiv und kontrovers diskutiert. Nicht weniger kontrovers aber scheinen die Auseinandersetzungen um ein messianisches Verstandnis bzw. Selbstverstandnis schon zur Zeit Jesu selbst gewesen zu sein. Die Episode von dem Messiasbekenntnis des Petrus wirft jedenfalls ein Schlaglicht auf jenen Diskurs, an dem sich auch Jesus beteiligt hat. Nach allem, was die synoptische Uberlieferung erkennen lasst, kann man sagen: Die Haltung Jesu gegeniiber messianischen Erwartungen an seine Person war ambivalent. Weder bestatigte er sie einfach, noch wies er sie rundheraus ab. Das wird an den differenzierten Reaktionen sichtbar, die von den Evangelisten noch zu einer Zeit festgehalten worden sind, in der man den Titel »Christus« langst schon in abgeschliffener Weise nach der Art eines Eigennamens verstand. Dem Messiasbekenntnis des Petrus schliefit sich ein heftiger Disput an (Mk 8,31-33). Auf die enthusiastischen Akklamationen bei der Ankunft in Jerusalem reagiert Jesus provozierend gleichgultig und schaut sich lediglich wie ein Tourist den im Namen des Herrn«, dem »kommenden Reich unseres Vaters David«, dem »Sohn Davids«, dem »K6nig« (Mk 11,9-lOpar). 107 Im Verhor Jesu vor dem Synedrion wird der Messiastitel Gegenstand der Befragung (Mk 14,61par); der Titulus des Kreuzes bezeichnet unmissverstandlich einen politischen Kontext (Mk 15,26).

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Tempel an (Mk 11,11). In dem Verhor vor dem Synedrion beantwortet er die Frage des Hohenpriesters (»Bist du der Christus?«) ausweichend - nach Mk 14,62 bestatigt er zwar die Titulatur (»Ich bin es!«), geht aber sofort zu der Ankiindigung des kommenden Menschensohnes uber; in Mt 26,64 zeigt die Bestatigung noch eine viel offenere und durchaus mehrdeutige Form (»Du hast es gesagt!«); nach Lk 22,67 weist Jesus die Frage iiberhaupt ab unter dem Hinweis auf den Unglauben der Kontrahenten. Angesichts der Vielfalt, in der Messiaserwartungen zur Zeit des 1. Jhs. n. Chr. kursierten, kann die Zuruckhaltung Jesu auch nicht verwundern. Ohne Frage pragten messianische Ziige sein Selbstverstandnis insofern, als er mit der Botschaft von der Gottesherrschaft eine grundsatzliche Wende ansagte, die Gegenwart als Zeit der Freude und des Heils fur die Armen propagierte und fur die Sammlung des Gottesvolkes Israel warb. Alle politisch-nationalen Nebentone aber mussten davon ausgeschlossen bleiben - und das umso mehr, je naher sich die Gefahr eines gewaltsamen Endes abzuzeichnen begann. Die ganze Ambivalenz dieser Haltung Jesu gegeniiber messianischen Erwartungen spiegelt sich in der Szene bei Casarea Philippi wider. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafur, dass er den Titel in seiner Vieldeutigkeit zuriickgewiesen hat. Das Bekenntnis des Petrus und die schroffe Abfuhr, die ihm Jesus erteilt, konnten ursprimglich eine Einheit gebildet haben.108 Aber damit ware noch langst nicht alles gesagt. Derm das Auftreten Jesu, seine Taten und Worte, brachten ein Selbstverstandnis zum Ausdruck, das auch ohne den Titel messianische Ziige trug. Daruber hat man 108 So E. DINKLER, Petrusbekenntnis und Satanswort 1964. 105

ohne Frage diskutiert - ausfuhrlicher jedenfalls, als es die aphoristischen Bemerkungen der Evangelisten erkennen lassen. Petrus hat sich in dieser Diskussion besonders weit vorgewagt. Ohne den Disputanten noch unmittelbar uber die Schulter schauen zu konnen, zeichnet Markus in seiner Komposition der Erzahleinheit doch ein anschauliches Bild des ursprunglichen Disputes. Zunachst ist der Kontrast bestimmend, der durch die einleitende Meinungsumfrage aufgebaut wird: Wahrend die Volksrneinung in Jesus von Nazaret nur den Typos eines Propheten erkennt, sehen die engsten Weggefahrten klarer. Petrus spricht aus, was sie intern sicher schon langst erwogen haben: »Du bist der Christus!« Petrus und die anderen Jiinger sind in ihrer christologischen Erkenntnis (»Wer ist dieser?«) bereits weiter vorgedrungen als die Volksmenge. Aber diese knappe und beziehungsreiche Formulierung muss missverstandlich bleiben, solange der weitere Weg und das letztliche Geschick Jesu erst in Andeutungen erkennbar sind. Sie erweist sich sogar als gefahrlich, wenn sie mit triumphalen Hoffnungen einer Restitution der davidischen Herrschaft verbunden wird. Deshalb fallt die Reaktion Jesu auch so zwiespaltig aus. Grundsatzlich hat das Bekenntnis des Petrus gegeniiber der Volksrneinung sein unbestreitbares Recht. Markus halt dieses Recht fest, indem er Jesus das auch aus anderen Zusammenhangen bekannte Schweigegebot sprechen lasst. Es fungiert als eine Bestatigung. Allein aufgrund der Gefahren und Missverstandnisse, die dem Titel anhaften, sollen die Jiinger ihr Wissen vorlaufig noch fur sich behalten. Worin das entscheidende Missverstandnis liegt, macht Markus nun durch den unmittelbaren Anschluss der ersten Leidensansage deutlich. Wenn Jesus von seinen Anhangern als Messias be106

kannt wird, dann nicht im Sinne eines »starken Mannes«, sondern nur durch die Tiefen und durch das vordergrlindige Scheitern eines Leidensweges hindurch. Begreifen lasst sich das erst im Lichte der Osterbotschaft, derm von einem leidenden »Messias« weiC die alttestamentlich-jiidische Uberlieferung nichts zu berichten. Folgerichtig meldet sich auch der Einspruch der Junger. Wieder ist es Petrus, der das Wort ergreift und Jesus zu einem Gesprach unter vier Augen beiseite nimmt. An diesem Punkt kommt nun die Abwehr einer jeden Messiaserwartung, die das Leiden negiert, scharf und schroff zum Ausdruck: »Weg mit dir, hinter mich, Satan! Du sinnst nicht auf die Sache Gottes, sondern auf die Sache der Menschen!« Es ist klar, dass damit nicht der Titel als solcher abgewiesen wird, sondern seine Interpretation. Im Sinne Gottes fiihrt der Weg des »Messias/Christus« durch Leiden und Tod zu einem neuen Leben. Im Sinne der Menschen fiihrt der Weg des »Messias/ Christus« indessen durch Kampf und Sieg zu einer nationalen Wiedergeburt. Diese Hoffnung weist Jesus als geradezu satanische Verfuhrung ab und ruft Petrus von neuem zur Nachfolge: »Weg ... hinter mich ...«. Der Sprachgebrauch ist eindeutig: Petrus, der wie ein Wahlkampfstratege seine eigenen Planungen vorzutragen schien, wird wieder in die Spur zuruckgeholt, in die er sich bei seiner Berufung begeben hatte. Diese Spur »hinter« Jesus findet eine weitere Erlauterung, wenn Markus nun im unmittelbaren Anschluss noch die Worte von der Kreuzesnachfolge anfugt, die den Weg Jesu auch als den Weg seiner Anhanger beschreiben. Wie der erregte Disput an den Jordanquellen bei Casarea Philippi auch im Einzelnen abgelaufen sein mag - Markus hat die entscheidenden Sachverhalte kurz und pragnant zusammengefasst. 107

Noch deutlicher als Markus tragt Matthaus sein Wissen urn die nachosterliche Bedeutung des Messiasbekenntnisses in die Szene ein. In Mt 16,13-23 verscharft er die Kontraste. Zum Christustitel tritt in den Worten des Petrus noch der Titel »Sohn des lebendigen Gottes« hinzu. Eine Bestatigung dieser Erkenntnis erfolgt aber nicht mehr nur durch das Schweigegebot an alle Jiinger, sondern zusatzlich noch durch jene kleine Rede in 16,17-19, die den Petrus selig preist, sein Bekenntnis auf die Offenbarung Gottes zuriickfuhrt und darin letztlich das Fundament apostolischer Tradition erblickt. Doch auch die Abweisung erhalt klarere Konturen. Petrus widerspricht dem Leidensweg Jesu nun in direkter Rede: »Gnade dir (Gott), Herr! Das soil dir keineswegs geschehen!« Er verkennt damit Gottes Willen und wird deshalb nicht nur als Satan, sondern dariiber hinaus noch als »Skandalon / Anstofi« tituliert. Fur die Leserinnen und Leser des Matthausevangeliums musste sich dabei zugleich die Erinnerung an Jesu Versuchung in der Wiiste einstellen (»Weg mit dir, Satan!« Mt 4,10).109 Im Spannungsfeld dieser aufiersten Gegensatze wird Petrus zum Beispiel dafiir, wie dicht in der Christologie »erkennen« und »verkennen« beieinander liegen. Am wenigsten ist bei Lukas von der Brisanz des urspriinglichen Disputes zu verspiiren. Die Lokalisierung der Szene bei Casarea Philippi bleibt unerwahnt. Alles beginnt mit dem betenden Jesus, der aus der Gebetshaltung heraus seine Jiinger examiniert und belehrt (Lk 9,18-22). Dem Bekenntnis »Du bist der Christus Gottes!« folgen Schweigegebot und Leidens109 Es fallt auf, dass Jesus das Gesprach mit diesen Worten abbricht, als der Versucher ihm gerade die Weltherrschaft angeboten hat.

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ankiindigung. Aber den Einspruch des Petrus und seine Zurechtweisung sucht man vergebens. Nichts deutet bei Lukas darauf hin, dass um die Christuserkenntnis noch gerungen werden musste. Petrus und die anderen erscheinen lediglich als stumme und zustimmende Horer der folgenden Belehrungen Jesu, die das Bekenntnis zum »Christus Gottes« durch den Weg des Leidens weiter entfalten. Dadurch erscheint auch Petrus in einem viel giinstigeren Licht. Zwischen seinem Bekenntnis und den bei Markus noch als Korrektur verstandenen Worten Jesu lasst sich keine Differenz mehr feststellen. Ein Nachklang der Szene ist auch im Johannesevangelium erhalten geblieben. Ahnlich wie bei Lukas fehlt der Bezug auf Casarea Philippi. Dafur erfolgt eine eigenstandige Lokalisierung durch den Hinweis auf die Synagoge von Kafarnaum. Den unmittelbaren Haftpunkt bildet die Brotrede Joh 6,22-59, die in ihrem Schlussteil auch eine Anspielung auf die Praxis des Abendmahles enthalt (6,51c-58). In einer fur jiidisches Empfinden unertraglichen Zuspitzung ist dabei die Rede vom »Fleisch essen« und »Blut trinken«, die bei dem versammelten Publikum auch das entsprechende Unverstandnis hervorruft. 6,60-71 berichtet daraufhin von den unterschiedlichen Reaktionen, die nun auch die Brotrede als eine Art Wendepunkt erscheinen lassen. Denn von jetzt an trennen sich die Wege der Anhanger Jesu. Die einen stellen fest: »Das ist eine harte Rede! Wer kann sie horen?«, und wenden sich ab (6,60-66). Die Zwolf aber schlieSen sich um so enger an Jesus an (6,67-71). Befragt, ob auch sie fortgehen wollten, antwortet Petrus als Wortfuhrer der Gruppe: »Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens! Und wir haben geglaubt und erkannt, 109

dass du der Heilige Gottes bist!« Das Bekenntnis resultiert in dieser Situation aus einer langst schon gewonnenen Einsicht. Es muss angesichts der aktuellen Herausforderung nur bekraftigt werden. Die konkrete Formulierung vermeidet den missverstandlichen Begriff des Messias und bringt stattdessen die umfassende Erkenntnis der gottlichen Hoheit Jesu im Titel des »Heiligen Gottes« zum Ausdruck. Dariiber gibt es auch nichts mehr zu diskutieren. Wenn dennoch die satanische Versuchung in diese Harmonie eindringen will, dann bleibt sie auf das Vorhaben des Judas beschrankt. Die niichterne Feststellung geniigt: »Einer von euch ist ein Teufel!« (6,70) Das Messiasbekenntnis des Petrus reflektiert den Diskurs um die Person Jesu von Nazaret. In dieser zentralen Frage, die vor Ostern schon die Gemiiter bewegte und doch erst nach Ostern giiltig beantwortet werden konnte, hat Petrus seine Position engagiert und vernehmlich zur Geltung gebracht. Er erweist sich darin als Kind seiner Zeit. Die Hoffnungen des Fischers aus Galilaa richteten sich auf einen Messias, der Grofie und Macht erwerben, nicht aber Leiden und Tod auf sich ziehen wurde. Was sich in Casarea Philippi ereignete, war nur der Auftakt eines Lernprozesses, der noch durch weitere Hohen und Tiefen fuhren sollte. Wie auch immer man diese Szene beurteilt: Petrus hat sich den brennenden Fragen schon friih gestellt, hat sich exponiert, hat das Gesprach vorangebracht, hat Irrtiimer nicht gescheut und hat sich schliefilich korrigieren lassen. Wenn man uberhaupt ein Charakterbild aus den verschiedenen Darstellungen der Evangelisten erheben will, dann ist Petrus hier der Suchende, der sich mit seinen Erwartungen zu Wort meldet und der sich dabei als lernfahig erweist. Auch diesen Sachverhalt hat der Evangelist 110

Markus auf eine diffizile Weise gestaltet. Unmittelbar vor dem Messiasbekenntnis erzahlt er die Heilung des Blinden bei Betsaida (8,22-26), dem Heimatort des Petrus. Der Blinde erhalt sein Augenlicht in einem zweistufigen Prozess wieder: Nach der ersten Beruhrung nimmt er die Dinge nur verschwommen wahr, doch bei der zweiten Beriihrung vermag er dann klar und deutlich zu sehen. Diese Geschichte liest sich wie ein Prolog zu dem folgenden Messiasbekenntnis: Dem Petrus ist in der Nachfolge bereits eine tiefere Wahrnehmung der Person Jesu zuteil geworden. Aber sein Sehvermogen bedarf noch der Scharfstellung, die letztlich erst zu Ostern erfolgt. 1.6. ErschiMerungen in Jerusalem 1.6.1. Szenarien der Passionsgeschichte Die Rolle, die Petrus in der Passionsgeschichte spielt, scheint kein besonders giinstiges Licht auf seine »Festigkeit« zu werfen. Es ist die Chronik einer angekundigten Verleugnung, die hier aufgeblattert wird. Den euphorischen Worten beim Mahl folgt der kleinlaute Ruckzug angesichts der konkreten Gefahr. Der Hahnenschrei schwebt als Memento uber dem ganzen Geschehen und droht die Schlusselgewalt des Felsenmannes ganz in den Hintergrund zu drangen. Schon Lukas hat die Erzahlung des Markus offenbar als so schwierig empfunden, dass er an einer ganzen Reihe von Stellen die Harten abmildert und Petrus behutsam zu entlasten versucht. Doch der grundsatzliche Eindruck ist bestehen geblieben. Warm immer sich die Dichtung der Petrusgestalt seither angenommen hat, nahm sie ihren Ausgangspunkt bei den Jerusalemer Ereignissen: Petrus, der ubereifrige, aber unstete Jiinger, ein innerlich zerrissener 111

Charakter, der liber das Ziel hinausschieCt und sich dann um so schmerzhafter auf dem Boden der Tatsachen wiederfindet. Aber damit geschieht ihm sicher Unrecht. Eine sorgfaltige Lekture der Texte kann ein so einseitig negatives Bild des Petrus nicht bestatigen. Zunachst setzt sich auch in der Passionsgeschichte fort, was schon in friiheren Episoden zutage trat. Petrus erscheint als Wortfuhrer und Hauptakteur des Zwolferkreises. Seine Worte und Aktionen reprasentieren in der Regel die Haltung der tibrigen. Das Treueversprechen beim letzten Mahl ist dafiir symptomatisch: Petrus findet zuerst die entsprechenden Worte - doch »das Gleiche sagten auch alle anderen.« (Mk 14,31/Mt 26,35) Gemeinsam mit dem »harten Kern« der Anhanger Jesu teilt er die Gefahr, die nun zunehmend bedrohlicher wird. Da, wo er mit einzelnen Aktionen hervortritt, beweist er durchaus Mut. Seine Todesbereitschaft ist aller Anerkennung wert. Mit dem Gang nach Getsemani bleibt er in der Nahe des Meisters. Joh 18,10-11 ist sogar bereit, den Schwerthieb bei der Verhaftung Jesu dem Petrus zuzuschreiben. Auch wenn das erst eine spatere Kombination sein diirfte, trifft sie doch einen Zug, der in der Folge seine Bestatigung findet. Wahrend alle anderen Jtinger nach der Verhaftung Jesu fliehen (Mk 14,50-52/Mt 26,56), wagt sich Petrus immerhin bis in den Hof des Hohenpriesters. Alle vier Evangelisten (Mk 14,54par) gebrauchen dafiir den terminus technicus »nachfolgen« und lassen den Petrus somit ausfuhren, was das Satanswort in Mk 8,33par mit dem schroffen Verweis auf die Leidensnachfolge gefordert hatte.110 110 »Weg ... hinter mich ...!« Mk 8,33/Mt 16,23. Die anschliefienden Worte von der Kreuzesnachfolge (Mk 8,34-38/ Mt 16,24-27/Lk 9,23-26) pragen ein: »Wenn einer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehrne sein Kreuz auf sich und folge mir nach!« 112

Dass ihm dann erst in der »H6hle des L6wen« das Ausmafi der Gefahr bewusst wird, sollte man aus der geschlitzten Position eines Schreibtischsessels heraus nicht verurteilen. Nur wer sich vorwagt, lauft auch Gefahr, zu scheitern. Petrus erscheint in der Passionsgeschichte gerade nicht als ein Zauderer oder als ein schwacher Charakter. Er traut sich mehr zu als die anderen und wird dann erst von der Angst eingeholt. Das zeigt ihn lediglich von einer sehr menschlichen Seite. Die Szenen, die hier von Bedeutung sind, lassen sich zu einer kleinen Trilogie zusammenstellen.111 Im Rahmen des letzten Mahles findet ein Gesprach zwischen Petrus und Jesus statt, in dem das Treueversprechen mit der Ansage der Verleugnung konfrontiert wird (Mk 14,26-31/Mt 26,30-35/Lk 22,31-34). Im unmittelbaren Anschluss folgt der Gang nach Getsemani, bei dem Petrus bereits die erste Chance zur Bewahrung seines Versprechens verspielt (Mk 14,32-42 / Mt 26,36-46/Lk 22,39-46). Den Abschluss bildet mit einigem Abstand dann der Bericht von der Verleugnung selbst (Mk 14,54.66-72/Mt 26,58.69-75; Lk 22,54-62). Parallel zu dem Erzahlstrang, der sich daraus ergibt, verlauft die Geschichte eines anderen Jiingers - des Judas Iskariot. Sie entwickelt sich in der vergleichbaren Szenenfolge von Vereinbarung, Ansage und Ausfuhrung der Auslieferung Jesu. Dass hier eine Entsprechung beabsichtigt ist, liegt nahe. Sie findet in dem abschlieCenden Gegensatz von der Reue des Petrus und 111 So P. DSCHULNIGG, Petrus im Neuen Testament, Stuttgart 1996, 24. Zwei friihere Petrus-Trilogien identifiziert er im Galilaateil: I. Berufung am See (Mk 1,16-20)/Heilung der Schwiegermutter (Mk 1,29-31)/Petrus sucht Jesus (Mk 1,35-39); II. Messiasbekenntnis (Mk 8,27-30)/erste Leidensankiindigung und Satanswort (Mk 8,31-33)/Verklarung (Mk 9,2-10).

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dem Selbstmord des Judas ihren grofiten Kontrast. Anders stellt sich die Geschichte bei Johannes dar. Treueversprechen und Ansage der Verleugnung finden sich bereits zu Beginn der Abschiedsreden (13,36-38). Die Szene in Getsemani fallt aus. Am chronologisch vorgegebenen Ort, aber mit einigem erzahlerischen Abstand, folgt dann die Verleugnung selbst - aber so, dass sie das Verhor Jesu vor dem Hohenpriester rahmt (18,15-18.25-27). Dadurch entsteht eine neue Spannung: Wahrend der Meister vor den Autorita'ten Israels als Bekenner auftritt, leugnet sein Schiiler unten im Hof, ihn zu kennen. 1.6.2. Ansage der Verleugnung Der Ort dieser ersten Szene wird von den Evangelisten unterschiedlich angegeben. Mk 14,26/Mt 26,30 haben an dieser Stelle das Mahl schon beschlossen und berichten vorn Aufbruch der Tischgesellschaft in die Nacht. Die folgenden Gesprache finden dann unterwegs auf dem Gang zum Olberg statt. Lk 22,24-38 schlieGt hingegen an die Mahlfeier noch ein kleines Symposium an, bei dem die Gesprache nun in der versammelten Runde fortgefuhrt werden. Ahnlich wird man sich die Situation in Joh 13,36-38 vorstellen mussen, wo das Mahlgeschehen ohne groSere Zasur in die Abschiedsreden Jesu iibergeht. Bei Markus und Matthaus werden die Weggesprache (Mk 14,26/Mt 26,30) von Jesus eroffnet. Seine Worte richten sich an alle Jiinger, die hier von der vorausgegangenen Mahlsituation her noch als die Zwolf bzw. Elf anzusehen sind. Relativ unvermittelt kiindigt Jesus die Zerstreuung dieses Kreises an. Dabei fallt ein gewichtiges Stichwort: »Ihr alle werdet Anstofi nehmen (an mir in dieser Nacht)!« Zumindest den Lese114

rinnen und Lesern des Matthaus mtissen an dieser Stelle die Ohren klingen, denn dasselbe Stichwort war schon in einem anderen Zusammenhang gefallen (Mt 16,23): »Weg mit dir, hinter mich, Satan! Du bist ein Anstoft fur mich .. .!«112 Als Anstofi musste sich Petrus seinerzeit deshalb bezeichnen lassen, weil er den Leidensweg Jesu nicht akzeptieren konnte. Jetzt aber sagt Jesus den Elf voraus, dass sie sich in gleicher Weise von dem unmittelbar bevorstehenden (Mt: »in dieser Nacht«) Leidensweg distanzieren warden. Die Ansage tragt freilich weniger den Ton des Vorwurfes als den des Bedauerns. Denn zur Begriindung wird mit Sach 13,7 ein Schriftzitat herangezogen: »Ich werde den Hirten erschlagen, und die Schafe werden zerstreut werden.« Die Schar der Anhanger zerfallt also nicht, weil sie sich enttauscht von Jesus abwenden wtirde, sondern weil sie fiihrerlos geworden ist. Genau an dieser Stelle ftihlt sich Petrus herausgefordert. Er beansprucht zwar nicht die vakante Fiihrungsrolle, weist aber zumindet fur seine Person und mit Seitenblick auf die anderen die Ansage Jesu zuriick: »Wenn auch alle AnstoC nehmen werden - aber ich nicht! «113 Doch anstatt einer dankbaren Replik konfrontiert Jesus den Petrus nun - wiederum unvermittelt - mit seinem kiinftigen Versagen. Liegt es daran, dass Petrus von neuem die Dinge in eigener Regie anzugehen versucht, diesmal nur in anderer Richtung? Auf das feierliche Amen-Wort Jesu hin beharrt Petrus nicht weniger feierlich bei der Bekraftigung seines Treueversprechens: »Wenn es sein musste, dass ich mit dir 112 Mt 16,23 gebraucht dabei das Substantiv »Skandalon/Anstofi«, Mt 26,31 gebraucht das Verb »skandalizo/Anstofi geben«. 113 Mk 14,29/Mt 26,33; Lk 22,33 andert den Wortlaut ab zum Ausdruck der Todesbereitschaft.

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sterbe - niemals werde ich dich verleugnen!«114 Damit behalt er zunachst das letzte Wort. Die anderen, die ja zu Beginn der Szene gemeinschaftlich angesprochen waren, stimmen ihm nun auch am Schluss zu und starken darin seine Front. Man sollte diese Worte jedoch nicht als »maClose Selbstuberschatzung« oder »Uberheblichkeit« abtun. Sie sind zweifellos aus einer ehrlichen Bereitschaft heraus gesprochen. Unweigerlich fiihlt man sich an den Mut und die Tapferkeit erinnert, die Josephus als Eigenschaften der Galilaer geriihmt hatte.115 Aber auf dem Weg der Leidensnachfolge ist es nicht mit besonderen Eigenschaften und hohen Vorsatzen getan. Auch das gilt es, im Jungerkreis zu lernen. An Petrus wird dieser Lernprozess wiederum exemplarisch sichtbar. Im Kontext der Tischgesprache bei Lukas (22,24-38) ist die Ansage der Verleugnung auf einen anderen Ton gestimmt. Auch hier schliefit sich das Gesprach mit Petrus an einen ersten Gesprachsgang mit alien Jiingern an, die iiber ihre interne Rangordnung in Streit geraten waren. Vor diesem Hintergrund leuchtet die seelsorgerliche Verantwortung, die dem Petrus nun ans Herz gelegt wird, auch besonders ein. Denn bevor die Ansage der Verleugnung iiberhaupt ausgesprochen wird, erhalt Petrus schon den Auftrag, »die Bruder zu starken«. Darin ist zwar implizit die nahe Bedrohung enthalten. Denn der Satan wird den Jungerkreis »wie Weizen sieben«, und auch Petrus wird sich einst erst bekehren mussen. Aber Jesus hat bereits fur seine Glaubensfestigkeit Flirbitte geleistet. Zuerst kommt also die gute Nachricht. Auf diesen vertrau114 Mk 14,31/Mt 26,35; bei Lk fallt die erneute Bekraftigung aus. 115 Siehe oben unter B. 1.1.1. 116

ensvollen Auftrag hin spricht Petrus dann sein Treueversprechen: »Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefangnis und in den Tod zu ziehen!« Das klingt weit weniger euphorisch und erklart nur die Bereitschaft, sich den angekiindigten Herausforderungen zu stellen.116 Beinahe nebenbei erfolgt nun noch die konkrete Ansage der Verleugnung, die in der erneuten Wendung Jesu zu den anderen fast schon unterzugehen droht. Eine Bekraftigung des Treueversprechens fallt aus. Lukas ist daran gelegen, das Versagen des Petrus auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Die Sundenerkenntnis hatte er grundlegend im Kontext der Berufung (5,8) formuliert. Hier richtet sich sein Blick schon viel starker auf die kunftigen Aufgaben des Petrus. Johannes stellt die Ansage der Verleugnung an den Anfang der Abschiedsreden (13,36-38). Sie erwachst dabei aus einem Dialog zwischen Petrus und Jesus, der das fur Johannes wichtige Stichwort vom »Hin-« oder »Weggehen« Jesu aufgreift. In der Stunde der »Verherrlichung« riickt auch der Abschied heran: »Ihr werdet mich suchen ... Wo ich hingehe, dahin konnt ihr nicht gelangen!« (13,33) Fur Petrus wird das zum Anlass, nachzufragen: »Herr, wohin gehst du?« Wieder gestaltet sich die Antwort ratselhaft; genau genommen wiederholt sie nur die bisherige Auskunft: »Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht nachfolgen. Du wirst mir aber spater nachfolgen.« Die Worte, die zunachst an alle gerichtet waren, werden damit noch einmal ganz personlich an Petrus adressiert. Doch statt des all116 Zugleich ist die Szene als personliche Unterredung gestaltet, an der die anderen (anders als bei Mk/Mt) offenbar nicht beteiligt sind. Dadurch treten die individuellen Ziige des Petrus starker als seine reprasentativen Ziige hervor. 117

gemeineren »hingelangen« 1st jetzt betont von »nachfolgen« die Rede. Vor allem aber offnet sich schon hier der Blick auf das kiinftige Todesgeschick des Petrus.117 Allein der Zeitpunkt bleibt noch offen. Petrus nimmt die Antwort deshalb auf und spitzt sie auf das »jetzt« zu: »Herr, warum kann ich dir jetzt nicht nachfolgen? Mein Leben will ich fur dich hingeben!« Daraufhin erst erfolgt die Ansage der Verleugnung. Sie schlieSt mit einer skeptischen Riickfrage an den vorausgegangenen Dialog an: »Dein Leben willst du fiir mich hingeben? ...« Johannes betrachtet die Ansage der Verleugnung unter dem Aspekt des Missverstandnisses.118 Der Weg zum Vater, der durch das Leiden fuhrt und schon darin »Verherrlichung« bedeutet, ist auch von einem Petrus nur in Andeutungen zu erfassen. Die Verleugnung resultiert aus der Befangenheit begrenzter Erkenntnis. Aber die kiinftige Leidensnachfolge des Petrus klingt auch bei Johannes schon in dieser Stunde an und lenkt den Blick uber die nahen Ereignisse hinaus. Ein Wort verdient schliefilich noch der Hahn, der sich von dieser Szene aus zu einem der markantesten Symbole des Petrus entwickelt hat. Jesus terminiert die Verleugnung mit dem Hahnenschrei - und er deutet ihre Schwere durch dreimalige Wiederholung an. In Mk 14,30 heifit es: »Du wirst mich heute, in dieser Nacht, bevor der Hahn zweimal kraht, dreimal verleugnen!« Mt 26,34/Lk 22,34/Joh 13,38 halten an der dreimaligen Verleugnung fest, belassen es aber bei nur einem Hahnenschrei. Fern aller symboli117 Noch deutlicher kommt es dann in Job 21,18-19 zur Sprache. 118 Die fortgesetzten Missverstandnisse gegeniiber den Worten Jesu sind ein charakteristisches Stilmittel, mit dem Johannes die gebrochene Gestalt vorosterlicher Christuserkenntnis beschreibt.

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schen oder gar mantischen Absichten119 1st der Hahn hier lediglich der Kiinder des neuen Tages. Die Zeit des ersten Hahnenschreis setzte man zwischen Mitternacht und 3.00 morgens an; bis zum zweiten Schrei sah man etwa eine Stunde vergehen.120 Da die Ansage der Verleugnung in die Nacht des letzten Mahles eingeordnet ist, markiert der Hahnenschrei somit die bedrangende Nahe ihrer Erfullung. Wenn Markus das zweimalige Krahen nennt, dann tut er das sicher aus einem doppelten Grund: Zum einen entsteht dadurch ein Zahlenspruch in der Manier der jiidischen Weisheitstradition,121 zum anderen gewinnt Markus damit ein zusatzliches Gliederungselement fur die folgende Erzahlung. Fiir Mt/Lk/Joh geniigt der schlichte Sachverhalt: Noch vor dem Morgen wird es soweit sein. 1.6.3. Drama in Getsemani Im dramatischen Aufbau der Passionsgeschichte stellt die Szene in Getsemani eine Art retardierendes Moment dar. Der Konflikt steht schon unmittelbar bevor, da eroffnet die Gebetsbitte Jesu noch einmal die unerwartete Moglichkeit, den »Kelch vorlibergehen zu las119 In den alten Kulturen wird der Hahn eng mit der gottlichen Verehrung der Sonne verbunden und gewinnt damit Anteil an verschiedenen religiosen Vorstellungen; da er den Aufgang der Sonne vorausahnt, gilt er haufig als Kiinder kunftiger Ereignisse. 120 Rabbinische Texte belegen, dass Geflugelzucht im Stadtgebiet von Jerusalem verboten war - in diesem Falle konnte der Hahn hier keine reale Bedeutung beanspruchen. Aber ein solches Verbot wird wohl kaum konsequent befolgt worden sein, zumal der Hahnenschrei auch ganz unabhangig von einem Hiihnerhof als das selbstverstandlichste und verbreitetste Signal des nahen Morgens gait. 121 Vgl. z. B. Spr 30,15-16; Sir 23,16; 26,28; 50,25-26. 119

sen« - bis die Schlussworte (»Es ist soweit ...«) dann anzeigen, dass diese letzte Chance unwiederbringlich vorbei ist. Doch auch die interne Struktur der Szene wird von einer sorgfaltig konzipierten Dramatik bestimmt, was vor allem fiir die Fassung in Mk 14,32^2 und Mt 26,36-46 gilt. Nach einem einleitenden Teil, der die Ankunft in Getsemani berichtet und die Verteilung der kleinen Gruppe vorstellt, entwickelt sich die Erzahlung in drei aufeinander folgenden Gebetsrunden. Der Schlaf der Jiinger, den man in der ersten Runde noch als einen verzeihlichen Fauxpas abtun konnte, steigert sich durch die Wiederholungen zu einer Klimax, die eine grundsatzliche Tendenz anzeigt: Jesus gerat in zunehmende Einsamkeit. Noch bevor sie alle fliehen werden, haben sie ihn innerlich schon verlassen. An diesem Verhalten ist auch Petrus beteiligt. Angesichts des euphorischen Treueversprechens, das er unmittelbar zuvor noch gegeben hat, muss die plotzliche Miidigkeit beschamend wirken. Sie lasst sich auch nicht durch den bei der Mahlzeit genossenen Wein entschuldigen.122 So sind es wenigstens zwei Kontraste, die der Szene ihre Spannung verleihen: Auf der einen Seite findet sich Jesus, der von Todesangst gepackt wird und mit Gott um sein Geschick ringt - auf der anderen Seite schlafen Petrus und die anderen einen scheinbar friedlichen Schlaf. Auf der einen Seite klingen noch die grofien Worte im Ohr, die von Todesbereitschaft und Standhaftigkeit sprechen auf der anderen Seite finden sich die vom Schlaf iiberwaltigten Jiinger, die den Meister noch nicht einmal im Gebet unterstutzen konnen. 122 Das ist eine Auskunft, die man immer wieder in der Kommentarliteratur nachlesen kann - die aber wohl eher dem Erfahrungsbereich der Ausleger entstammen diirfte. 120

Das Bild des Petrus, wie es durch Markus und Matthaus gezeichnet wird, bleibt farblos. Gerade darin unterscheidet es sich von dern Bild Jesu, auf den sich das ganze Interesse der Erzahlung konzentriert. Jesus 1st es, der anordnet, spricht, mahnt, bittet, handelt und der sich in standiger Bewegung befindet. Sein Gebet verra't Angst und Hoffnung ebenso wie ein grofies Vertrauen auf Gott. Petrus bleibt indessen stumm und reglos. Er riihrt sich nicht vom Fleck und weifi auf die Frage und die erneute Mahnung Jesu keine Antwort. Das fallt umso mehr auf, als Jesus ihn zu Beginn gemeinsam mit den Zebedaussohnen beiseite genommen und ausdriicklich um Unterstiitzung gebeten hat. Aufier Hor-, aber wohl in Sichtweite der Drei, denen der Ernst der Situation nicht verborgen geblieben sein kann (»Meine Seele ist betrlibt bis zum Tod!«), halt Jesus sein Gebet. Aber die Drei nehmen das in ihrer Miidigkeit gar nicht wahr. Die erste Gebetsrunde (Mk 14,35-38) malt die Situation noch aus: Jesus entfernt sich und fallt zum Gebet nieder, dann folgt der Wortlaut seines Gebetes; er kehrt zu den Schlafern zuriick und richtet seine Frage sowie eine erneute Mahnung an die Adresse des Simon. Fur die zweite (Mk 14,39-40) und dritte Runde (Mk 14,41-42) geniigen dann einige knappe Bemerkungen. Das Element der Steigerung liegt vor allem in der Wiederholung, ohne dass sich die Haltung der Schlafer dadurch andern wurde. In der ersten Runde wird Petrus ganz direkt angesprochen: »Simon, schlafst du? Konntest du nicht eine Stunde wachen?« Die folgende Mahnung »Wacht und betet...« ist indessen im Plural formuliert. Wieder erscheint Petrus als Reprasentant, diesmal der Drei. Aber in den beiden folgenden Runden findet er schon gar keine Erwahnung mehr. Er tritt in die Gruppe der Schlafenden zuriick. 121

Dass auch die ubrigen Acht in etwas grofierer Entfernung schlafen, wird nicht gesagt, wohl aber vorausgesetzt. Lukas (22,39-46) hat die Zurucknahme des Petrus in die Schar der Junger weiter verstarkt und dadurch die AnstoSigkeit der Szene fiir Petrus deutlich gernildert. Die Gruppe der Drei wird iiberhaupt nicht erwahnt, und auch die Anwesenheit des Petrus geht in der Rede von »den Jlingern« mit auf. Nun stehen sich lediglich Jesus und die schlafenden Elf gegeniiber. Ihre Miidigkeit wird von Lukas mit vornehmer Zuriickhaltung behandelt. Es gibt insgesarnt nur eine Gebetsrunde - einmal schlafend ertappt zu werden geniigt. AuCerdem bemerkt Lukas entschuldigend, dass sie »vor Traurigkeit« schliefen. Die Frage Jesu richtet sich dann auch an alle. Ein Tadel klingt nur ganz verhalten mit: »Warum schlaft ihr?« Nicht die Junger, sondern ausschliefilich Jesus steht hier im Mittelpunkt. Sein Gebet hat Lukas als einen regelrechten Gebetskampf dargestellt, bei dem der SchweiC des Betenden wie Blut auf die Erde tropft und ein Engel zur Starkung erscheinen muss. So enthalten die Schlussworte Jesu bei Lukas auch nicht mehr den Hinweis auf die nahe Verhaftung, sondern einzig die Mahnung zum Gebet: »Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet!« Ein Beispiel fiir solches Beten ist den Leserinnen und Lesern gerade vorgefiihrt worden. Auf der Erzahlebene ist dieses Beispiel den Elf einschliefilich Petrus allerdings entgangen, und so haben sie der nahen Versuchung nun auch nichts mehr entgegenzusetzen. Dass Petrus als Wortfiihrer und Hauptakteur des Zwolferkreises an dem allgemeinen Versagen der Junger teilhat, wird von den Synoptikern nicht ver122

schwiegen. Die Tendenz, ihn dabei zu entlasten, mag mit der folgenden Szene zusammenhangen, in der er mehr Mut als die anderen zeigt und dabei dann auch drastischer scheitert. Die Erinnerung an ein erschiitterndes Erlebnis in der Nacht der Verhaftung lasst sich in der Getsemaniszene noch verspuren, auch wenn historische Details hier zugunsten der beabsichtigten Gemeindeunterweisung zurucktreten rniissen. In erster Linie ist die Szene iiberliefert worden, urn der Mahnung zu Wachsamkeit und Gebet Nachdruck zu verleihen. Gerade bei Lukas durchzieht dieses Anliegen den ganzen Evangelientext wie ein roter Faden.123 Es entspricht dem eher kollektiven Charakter dieses Geschehens, dass hier viel starker die Gruppe der Jiinger als ein einzelner Typos dem betenden Jesus zugeordnet wird. 1.6.4. Verleugnung und Reue Einen Hohepunkt unter den Petrusepisoden der Passionsgeschichte stellt diese zugleich letzte Szene dar. Sie ist bereits durch die Ankiindigung der Verleugnung erzahlerisch vorbereitet worden und richtet nun ausschliefilicher als je zuvor das voile Scheinwerferlicht auf die Gestalt des Petrus. Ahnlich wie in der Getsemaniszene lebt auch hier die Dramatik von einer dreigliedrigen Steigerung. Mit dem Schluss dieser 123 Mit Simeon und Hannah werden in 2,25-38 schon friih zwei Beispiele wachsamer Erwartung vorgestellt; 6,12 zeigt Jesus als einen, der die Nacht im Gebet durchwacht; einen Hohepunkt stellen die Mahnungen zur Wachsamkeit auf dem Weg in 12,35-38 und 12,39^6 dar; im endzeitlichen Horizont steht die Mahnung 21,34-36. H. W. BARTSCH, Wachet aber zu jeder Zeit! Entwurf einer Auslegung des Lukasevangeliums, Hamburg 1963, hat sehr bewusst gerade diesen (programmatischen) Titel gewahlt. 123

Szene endet dann auch die Lebensphase des Petrus als eines Anhangers Jesu von Nazaret. Die wenigen Bemerkungen, die sich spater noch auf Petrus beziehen, stehen bereits im Kontext der Osterereignisse und lauten damit einen neuen Lebensabschnitt ein. Markus (14,66-72) und Matthaus (26,69-75) erzahlen wiederum weitgehend parallel. Schon zu Beginn des Verhors Jesu vor dem Synedrion fuhren sie Petrus ein. Sie berichten davon, wie er Jesus in den Hof des Hohenpriesters nachfolgt und sich dort mit den Bediensteten am Feuer warmt (Mk 14,54/Mt 26,58). Matthaus prazisiert, Petrus habe »das Ende«, also den Fortgang der Ereignisse sehen wollen und bescheinigt ihm damit ausdriicklich das Bemiihen, sein Versprechen einzulosen. An diese Einfuhrung kann die Erzahlung selbst dann leicht ankniipfen. Sie setzt bei Markus und Matthaus nach dem Verhor Jesu und seiner Verspottung durch die Truppe des Hohenpriesters wieder ein. Der Aufbau folgt einem stereotypen Schematismus: Dreimal wird Petrus auf seine Zugehorigkeit zu Jesus hin angesprochen, dreimal weist er jede Beziehung zuriick. Aktion und Reaktion wechseln einander ab, wobei sich Petrus von vornherein in der Defensive befindet. Dabei lasst sich jedoch eine deutliche Steigerung erkennen: Nach der ersten Frage stellt sich Petrus nur dumm: »Weder weifi ich noch verstehe ich, was du sagst!« (Mk 14,68); nach der zweiten Frage verneint er nach Markus seine Zugehorigkeit zu Jesus (14,70), was Matthaus noch durch einen Schwur verstarkt (26,72); das dritte Mai aber tritt zum Schwur der Fluch (im Sinne einer potentiellen Selbstverfluchung) hinzu, wobei Petrus sogar jedes Wissen von Jesus bestreitet: »Ich kenne diesen Menschen nicht (von dem ihr redet)!« (Mk 14,71/Mt 26,74).

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Dieser Steigerung korrespondiert ein vorsichtiger Riickzug: Vom Kohlebecken im Hof weicht Petrus in den Vorhof (Mk) bzw. zum Torgebaude hin (Mt) aus. Seine Kontrahenten variieren dabei leicht. Nach Markus wird er zweimal von einer Dienerin des Hohenpriesters angesprochen, bis das Gesprach offenbar Aufsehen erregt und sich das dritte Mai »die Dabeistehenden« einmischen; Matthaus erzahlt von zwei verschiedenen Dienerinnen. Zwischen der ersten und der zweiten Verleugnung gibt es eine kleine Zasur, die bei Markus durch den ersten Hahnenschrei, bei beiden Evangelisten durch den Riickzug aus dem Hof markiert wird. Mit groCer Gestaltungskraft schildern Markus und Matthaus die Eigendynamik, die das Geschehen entwickelt. Petrus verstrickt sich immer weiter in das Geflecht seiner Liigen, die ihm trotzdem niemand glaubt. Die Situation wird immer bedrohlicher. Den ersten Hahnenschrei (Mk) nimmt Petrus auf der Erzahlebene nicht wahr. Doch auf dem Hohepunkt der Szene, unmittelbar nach seiner Selbstverfluchung, wird er sich plotzlich der Situation bewusst. Der Hahnenschrei fungiert nun als Ausloser fur die Erinnerung. An dieser Stelle bricht die Erzahlung ab. Petrus weint. Bei Markus bleibt offen, ob es irgendeine Reaktion der Dabeistehenden gibt; nach Matthaus verlasst Petrus zuvor noch den Hof und weint dann bitter. Der kurze Verweis auf die Tranen setzt am Schluss der Erzahlung ein starkes Signal und deutet die folgende Reue an. Wieder hat Lukas (22,56-62) seine eigenen Akzente gesetzt. Da er die Reihenfolge von Verhor, Verspottung und Verleugnung umkehrt, steht auch die Bemerkung von der Nachfolge des Petrus bis in den Hof des Hohenpriesters gleich zu Beginn der Verleugnungsszene. Zugleich entsteht der Eindruck, dass Petrus gemeinsam mit den Bewaffneten am Kohle125

becken sitzt.124 Seine Kontrahenten sind eine Dienerin und zwei verschiedene, nicht welter benannte Manner. Die Abfolge der leugnenden Worte verlauft genau andersherum als bei Mk/Mt: Das starke »Ich kenne ihn nicht!« steht gleich am Anfang, der Ausdruck der Ahnungslosigkeit »Ich weifi nicht, was du sagst!« am Schluss. Damit tendiert das Ganze zu einer gewissen Bagatellisierung, was um so auffalliger ist, als Lukas auch jeden Fluch im Munde des Petrus sorgsam vermeidet. Zugleich verspurt man dadurch eher die Atmosphare einer permanenten Gefahr anstatt die einer zunehmenden Bedrohung.125 Auch bei Lukas erfolgt dann mit dem Hahnenschrei der Umbruch. Aber der Hahn riickt ins zweite Glied. Lukas weifi zu berichten, dass sich in diesem Augenblick »der Herr« umwandte und Petrus anblickte. Ist dabei an eine Situation gedacht, in der sich beide schon die ganze Zeit tiber in Sichtweite befanden? Oder wird der Verhaftete gerade uber den Hof gefuhrt? Durch diesen Blick erfahrt die ganze Szene eine einzigartige Emotionalisierung. Jesus selbst erinnert den Petrus an seine friiheren Worte, und der Hahn kraht nur noch zur Bestatigung. Wie bei Matthaus geht Petrus nun auch bei Lukas hinaus und weint bitter. An diesem Ende gibt es nichts zu beschonigen. Johannes tragt noch einige weitere Gesichtspunkte bei. In seiner Fassung (18,15-18.25-27) ist die Verleug124 Lk 22,54-55 berichtet von der Verhaftungstruppe, die Jesus in das Haus des Hohenpriesters fuhrt und daraufhin im Hof ein Feuer anziindet - Petrus aber setzt sich »mitten unter sie«. Diese Konstellation stellt ganz nebenbei noch einrnal den Mut des Petrus heraus, der sich hier viel deutlicher in Gefahr begibt. 125 Sie wird schon durch die Prasenz der Bewaffneten am Kohlebecken von Anfang an erkennbar. 126

nung geteilt und umschliefit das Verhor vor dem Hohenpriester. Vor allem aber gerat die Szene jetzt in das spannungsvolle Verhaltnis zwischen Petrus und dem »Lieblingsjiinger« hinein, der hier ganz offensichtlich mit dem »anderen Jiinger« gemeint ist. Nur dank der guten personlichen Beziehungen jenes »anderen« erhalt Petrus iiberhaupt Zutritt. Ist der »Lieblingsjiinger« also die ganze Zeit liber bei dem Verhor direkt dabei? So muss man die Konstellation wohl verstehen, derm er findet sich auch bei der Hinrichtung unter dem Kreuz wieder, als alle anderen Jiinger langst geflohen sind. Er bleibt durchgangig in der unmittelbaren Nahe Jesu, wahrend Petrus im Hof seinen Herrn verleugnet. Beide Ereignisse finden parallel statt. Entsprechend der anfanglichen Vermittlung ist es die Turhuterin, die Petrus zuerst konfrontiert. Ihr folgen einige Sklaven und Diener, bis schlieClich ein Verwandter des besagten Malchus (18,10.26) das Wort ergreift. Ansonsten aber bleiben Frage und Verteidigung relativ gleichformig. Die Worte des Petrus gewinnen ihr Gewicht nicht aufgrund einer dramatischen Steigerung, sondern aufgrund ihrer beziehungsreichen Formulierung: »Ich bin es nicht! «126 Diese Worte stehen im direkten Kontrast zu den Worten Jesu in der Verhaftungsszene (18,1-H): »Ich bin es!«127 126 Zweimal antwortet Petrus mit dieser stereotypen Wendung (18,17.25), das dritte Mai findet sich nur ein pauschaler Hinweis (18,27: »Wiederum leugnete Petrus ...«). »Ich bin es nicht!« hatte bereits der Taufer gesagt (1,21) - damit jedoch nur die messianischen Erwartungen an seine Person abgewiesen (1,20; 3,28). Petrus leugnet die eigene Identitat. 127 Zweimal spricht auch Jesus diese Worte aus (18,5.8; 18,6 ist erzahlerische Wiederholung). Dass auch die zahlreichen anderen, gerade fur Johannes so charakteristischen »Ichbin-Worte« Jesu im Hintergrund auftauchen, gibt der Wortwahl eine eigentiimliche Tiefe. 127

Wahrend der Meister mit seinem Bekenntnis offensiv agiert, gerat sein Anhanger durch die Verleugnung in die Defensive. Der Hahnenschrei schlieSt die Szene ab, ohne dass die Erinnerung, die er auslost, oder die Reue des Petrus noch Erwahnung fanden. Reue und Umkehr des Petrus klingen erst in jenem Passus des Nachtragskapitels (21,15-17) an, in dem durch die dreimalige Frage Jesu (»Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?«) und deren dreimalige Bestatigung auch die Uberwindung der dreimaligen Verleugnung dokumentiert wird. Zwei Ziige verdienen an dieser Szene noch besondere Beachtung. Der erste findet sich allein bei Matthaus und betrifft den Kontrast zwischen Petrus und Judas. Beide Jiinger erleben in den Jerusalemer Erschiitterungen ein besonders schmerzliches Scheitern. Doch Petrus findet den Weg zur Umkehr, wahrend Judas hingeht und sich erhangt (27,3-10). Die Reue des Petrus ist nur angedeutet: Er geht hinaus und weint bitter. In 28,16-20 befindet er sich dann wieder (ungenannt) unter den Elf, denen der Auferstandene in Galilaa erscheint. Von der Reue des Judas erfahrt man sehr viel mehr. Er versucht sogar, zumindest das Geld wieder loszuwerden. Doch schon seine Reue wird in Mt 27,3 nicht etwa mit dem theologisch gefullten Verb »metanoeo/den Sinn andern«, sondern nur mit dem Allerweltswort »metamellomai/leid tun« zum Ausdruck gebracht. Die abgewiesene Rucknahme des Lohnes treibt Judas in den Selbstmord.128 Anders als Petrus scheint er die Gemeinschaft der Jiinger vorher 128 Mt 27,11-14 (Tod durch Erhangen) berichtet davon noch im Kontext der Passionsgeschichte; Lukas weist erst im Riickblick in Apg 1,16-20 (Tod durch Sturz) darauf hin; eine eigenstandige Fassung iiberliefert der Kirchenvater Papias im 2. Jh. (Tod durch Krankheit). 128

schon verlassen zu haben,129 wahrend Petrus von dieser Gemeinschaft noch gehalten wird. Einen zweiten bedeutsamen Zug stellt der Verweis auf die Erinnerung dar. Beim Hahnenschrei bzw. bei dem unerwarteten Blickkontakt (Lk) erinnert sich Petrus an die Worte Jesu. Jetzt erst kann er sie verstehen. Schon hier, noch wahrend der Passionsereignisse, setzt das Erinnern ein, das dann zu Ostern eine ganz neue Bedeutung gewinnen wird. Die Gottesboten am Grab werden gegeniiber den Frauen wiederholen (Mk 16,7/ Mt 28,7), was Jesus bereits bei der Ankiindigung der Verleugnung gesagt hatte (»Ich werde euch vorangehen nach Galilaa!«). Noch deutlicher heifit es in Lk 24,6-8: »Erinnert euch, was er zu euch geredet hat, als er noch in Galilaa war ...«, woraufhin dann unmissverstandlich auf die Leidensankiindigungen zuriickverwiesen wird. Solche textinternen Querverweise setzen sich fort. Sie vermitteln die Einsicht, dass die iiberraschende Wende von Ostern mit der Geschichte Jesu verbunden bleibt und nun mit Hilfe der Erinnerung neu begriffen werden mufi. Petrus beginnt damit noch in der Nacht der Verleugnung. In diesem erzahlerischen Detail ist so ein geschichtlicher Sachverhalt festgehalten: Petrus als einer der wichtigsten »Erinnerungstrager« der Jesusgeschichte wird auch zu Ostern entscheidenden Anteil an der Bewaltigung der neuen Situation gewinnen. Auch der Verleugnungsszene ist schliefilich die Historizitat bestritten worden. Aufgrund kritischer 129 Matthaus bietet indessen keinen expliziten Hinweis auf einen solchen Schritt. Nach Lk 22,3 nimmt bereits bei der Planung der Auslieferung Jesu der Satan Besitz von Judas; in Joh 13,27-30 werden die Trennung des Judas von der Tischgemeinschaft der anderen und sein Gang in die Nacht eindriicklich dargestellt. 129

Analysen hat man den Versuch unternommen, sie als eine literarische Fiktion zu erweisen, deren Haftpunkt bei der »taktischen Behendigkeit« des Petrus und sei-

Abb. 10: Petrus und der Hahn, Otto Dix (1955) 130

ner »geschmeidigen Anpassungsfahigkeit« gelegen habe.130 Die ganze Szene sei dann in Kreisen entstanden, die darin ihre Kritik an dem wiederholten Positionswechsel des Petrus in der Friihzeit der christlichen Gemeinde festschreiben wollten. Aber ist es wirklich denkbar, dass eine solche Geschichte ohne Not »erfunden« worden ware? Dann hatte auch Markus, flir den Petrus eine unhinterfragte Autoritat darstellt, diesen antipetrinischen Affekt gar nicht bemerkt, als er die Szene mit dem Passionsbericht iibernahm! Die literarische Analyse spricht eine andere Sprache.131 Von der Verleugnung des Petrus ist wohl nur deshalb berichtet worden, weil sie auf ein Ereignis zuruckfiihrte, das sich nicht verschweigen liefi. Dass sie dann sekundar in der christlichen Gemeinde zu einer Reflexion iiber das Versagen im Glauben einladen konnte, steht auf einem anderen Blatt.

130 So besonders stringent G. KLEIN, Die Verleugnung des Petrus. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung, ZThK 58, 1961, 285-328. 131 Eine Uberpriifung der Argumente von G. Klein unternirnmt R. PESCH, Die Verleugnung des Petrus. Eine Studie zu Mk 14,54.66-72 (und Mk 14,26-31), in: Neues Testament und Kirche. FS R. Schnackenburg, hg. v. J. GNILKA, Freiburg/Basel/Wien 1974,42-62. 131

2. Petrus als Gestalt der friihen Christenheit 2.1. Zeuge am Ostermorgen 2.1.1. Ersterscheinung vor Petrus? Zwischen Karfreitag und Ostern liegt ein Bruch, der sich auch im Riickblick nicht leichthin uberspielen lasst. Fiir die Anhanger Jesu zerbricht mit der Hinrichtung ihres Lehrers alle Hoffnung. Seinen Tod am Kreuz erleben sie als eine Katastrophe, mit der alles zu Ende zu sein scheint. Alle fliehen. Die Fischer kehren nach Galilaa zuriick, um wieder ihrer friiheren Arbeit nachzugehen. Der Anhangerkreis lost sich auf. Offenbar kommt niemand auf den Gedanken, in aller Ruhe erst einmal drei Tage abzuwarten. Was immer Jesus vorausgesehen und vorausgesagt haben mag: Der Gedanke an die Auferstehung liegt seinen nachsten Vertrauten vollig fern. Selbst die Mitteilungen der Frauen am Ostermorgen losen noch kein allgemeines Durchatmen aus, sondern werden kurzerhand als »Geschwatz« abgetan. »Er lebt!« - diese Botschaft erscheint als etwas ganz Unerwartetes und uberraschend Neues. Es braucht einige Zeit, um sie zu erfassen und zu verarbeiten. Erst verschiedene Erscheinungen des Auferstandenen bestatigen, was ansonsten kaum glaubhaft ware. Und erst im gemeinsamen Austausch liber die personlichen Erfahrungen entsteht der Osterglaube, der nun in einem beispiellosen Aufbruch zu neuer Gemeinschaft Gestalt gewinnt. Dass der Auferstandene »sich sehen lasst«, wird zum Ausgangspunkt fur die Geschichte der Kirche. Jetzt erst fugen sich die Erinnerungen der friiheren Weggefahrten zu einem stimmigen Bild zusammen. 132

Erst im Riickblick auf den ganzen Weg Jesu, der zu Ostern von Gott bestatigt worden 1st, lasst sich nun auch die Frage »Wer 1st dieser?« angemessen beantworten. Das bleibt freilich eine kollektive Aufgabe. In die Antworten der friihen Christenheit flielKt dabei die Vielfalt der Erfahrungen mit dern Auferstandenen ein.132 Schon die Erscheinungsberichte im Neuen Testament lassen etwas von dieser Vielfalt spiiren. Als der alteste Gewahrsmann kann Paulus gelten, der in IKor 15,3-8 eine alte, den Korinthern schon bekannte Uberlieferung referiert. Sie enthalt im Anschluss an eine zweigliedrige Bekenntnisformel auch eine Liste von Zeugen des Auferstandenen: Kefas, die Zwolf, 500 Briider auf einmal, Jakobus, alle Apostel; zum Schluss fugt Paulus sich selbst mit seinem Berufungserlebnis als den letzten Osterzeugen noch hinzu. Nur zum Teil deckt sich diese Liste mit der Erzahltradition der Evangelien. Matthaus berichtet von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Frauen auf dem Riickweg vom Grab (28,9-10) und vor den Elf auf einem Berg in Galilaa (28,16-20). Lukas erwahnt kurz eine Ersterscheinung vor Petrus (24,34), entfaltet breit die Erscheinung vor zwei Jungern auf dem Weg nach Emmaus (24,13-35) und schliefit mit einer Erscheinung im Jiingerkreis (24,36-49). In der Apostelgeschichte setzen sich dann diese Erscheinungen noch uber 40 Tage hin fort (Apg 1,1-14) und enden erst mit der »Himmelfahrt«, die als eine letzte und abschliefiende Erscheinung (Lk 24,50-53/Apg 1,9-11) erzahlt wird. Noch differenzierter verfahrt Johannes: Auf eine erste Erscheinung vor Maria Magdalena (20,11-18) fol132 Eine Ubersicht liber die Quellen des Osterglaubens in Formeltradition und Erzahliiberlieferung vgl. bei G. THEISSEN/A. MERZ, Der historische Jesus 1996, 415^-43. 133

gen zwei Erscheinungen im versammelten Jiingerkreis (20,19-23.24-29) und schliefilich die Begegnung des Auferstandenen mit den Fischern am See Tiberias (21,1-14). Markus kommt nur in dem erst spater hinzugefugten Schlussteil 16,9-20 auf Erscheinungen zu sprechen; dabei erwahnt er die vor Maria Magdalena, spielt auf die Emmausjlinger an und berichtet von einer Erscheinung im Jiingerkreis. Einzel- und Gruppenerscheinungen stehen nebeneinander. Frauen und Manner werden gleichermafien genannt. Die Orte unterscheiden sich deutlich: Matthaus und Johannes verteilen die Erscheinungen auf Jerusalem und Galilaa, wahrend Lukas alles auf Jerusalem konzentriert. Paulus schweigt iiberhaupt hinsichtlich der Orte. Solche Vielfalt ist kein Indiz fur Widerspruche, sondern Beleg dafiir, dass erst aus einer Fiille von Einzelerfahrungen der gemeinsame Osterglaube entstehen konnte. Dennoch diirfte die Frage nach einer Ersterscheinung von erheblicher Bedeutung gewesen sein. Zumindest im Riickblick wird man danach gefragt haben. Sie lasst sich jedoch nicht ganz eindeutig beantworten. Zwei Personlichkeiten der Friihzeit konnen Anspruch auf die »Protophanie« erheben: Maria Magdalena und Petrus. Wahrend sich die Ersterscheinung vor Petrus im allgemeinen Bewusstsein der Christenheit relativ schnell durchgesetzt hat, ist Maria Magdalena ebenso schnell wieder in Vergessenheit geraten. Angesichts der patriarchalen Strukturen, unter denen die Uberlieferungen weitergegeben wurden, kann das auch nicht verwundern. Umso mehr ist heute eine genauere Rlickfrage geboten. Die Chancen fur Maria Magdalena stehen gut. Dass ihr Name in der alten Liste von IKor 15,5-7 fehlt, besagt noch nicht viel. Denn dort werden generell nur 134

Manner genannt - selbst die Gruppe der 500 besteht schlicht aus »Briidern«! In diesem Text, der den Charakter einer authorisierten Liste hat, sind dafur vermutlich Kriterien des Zeugenrechtes ausschlaggebend. Auch die Tatsache, dass die Berichte rait Maria Magdalena bei Matthaus und Johannes erst relativ spat fixiert worden sind, spricht eher fur als gegen ihre Zuverlassigkeit. Wahrend die Rolle von Frauen in der Friihzeit spater weithin verschwiegen worden ist, haben sich diese Uberlieferungen immerhin noch gegen Ende des 1. Jhs. durchsetzen konnen. Ohne einen festen Anhalt an alten Erinnerungen ware das wohl kaum geschehen. Unter den Frauen, die Jesus »von Galilaa an« begleiten, spielt Maria Magdalena ohnehin eine besondere Rolle. In alien Aufzahlungen steht sie an erster Stelle,133 und in Lk 8,2 klingt noch das Wissen um ihre besondere Lebensgeschichte nach. Mit dieser Gruppe von Frauen nimmt Maria Magdalena bei den Synoptikern auch die Passionsereignisse aus einer grofieren Nahe wahr als ihre mannlichen Kollegen: Bei der Kreuzigung beobachten die Frauen die Szene von feme (Mk 15,40-41par), registrieren spater den Ort der Grablegung (Mk 15,47par) und machen sich schliefilich am Ostermorgen als Erste auf den Weg zum Grab (Mk 16,lpar). Mt 28,9-10 aber weifi dariiber hinaus auch von einer Erscheinung vor den Frauen zu berichten. Erzahlerisch ist dieser Erscheinungsbericht mit der Grab133 Lk 8,2-3; Mk 15,40-41/Mt 27,55-56; Mk 15,47/Mt 27,61; Mk 16,1/Mt 28,1; Lk 24,10; allein Joh 19,25 bildet eine Ausnahme - hier ist die Aufzahlung offensichtlich nach dem Grad der Verwandtschaft geordnet. Vgl. insgesamt M. HENGEL, Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, in: Abraham unser Vater. FS O. Michel, hg. v. O. BETZ, M. HENGEL und P. SCHMIDT, Leiden/Koln 1963, 243-256. 135

geschichte verbunden.134 Wiederum befindet sich Maria Magdalena in Gesellschaft - seit Mt 28,1 ist sie in Begleitung der »anderen Maria«. Auf dem Riickweg vom Grab begegnen die beiden Frauen dem Auferstandenen, der sie mit einern Gru6 anspricht. Sie erkennen ihn, werfen sich vor ihm nieder und umfassen seine FuSe. Daraufhin wiederholt der Auferstandene den Auftrag des Engels vom Grab. Diese kurze Szene steht einigermafien isoliert in ihrem Kontext und bleibt auch inhaltlich denkbar karg. Aber daran lasst der Redaktor Matthaus keinen Zweifel: Die beiden Marien sind die ersten, die den Auferstandenen sehen. Bei Johannes steht Maria Magdalena dann ganz allein im Mittelpunkt des Geschehens. Zunachst geht sie allein zum Grab, findet es geoffnet und lauft mit dieser Mitteilung zu Petrus und dem »Lieblingsjiinger« (20,1-2). Nachdem sich die beiden zwischenzeitlich mit eigenen Augen von ihren Worten iiberzeugt haben, betritt Maria Magdalena erneut die Szene (20,11-18). Wieder ist sie allein am Grab. Jetzt erst nimmt sie in der Grabhohle zwei Engel wahr, die sie nach ihrem Kummer fragen. Noch bevor sich aber ein Gesprach entwickeln kann, steht der Auferstandene schon hinter ihr. Dass sie ihn zunachst fur den Gartner halt, mag noch an dem durch die Tranen getriibten Blick liegen. Doch als er sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt sie ihn. Dabei bleibt es - beriihren darf sie ihn nicht. Den Auftrag spricht jetzt der Auferstandene aus. Wieder iibermittelt Maria Magdalena 134 Traditionsgeschichtlich muss man die Erzahlung vom leeren Grab von den Berichten iiber Erscheinungen des Auferstandenen unterscheiden. Darauf legen auch alle Evangelisten den Ton, dass nicht die Entdeckung des (missdeutbaren) leeren Grabes, sondern die Erscheinungen des Auferstandenen den Osterglauben begriinden.

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diese Worte (wie schon in Mt 28,9-10) an die Jiinger somit aus erster Hand. Der sekundare langere Markusschluss beginnt in 16,9 mit der bundigen Information: »Als er aber morgens am ersten Tag der Woche auferstanden war, erschien er zuerst Maria Magdalena ...«. Das entspricht auch am einfachsten dem Gang der Ereignisse. Kefas/Petrus hat als erster Zeuge des Auferstandenen durch die Liste in IKor 15,5-7 eine starke Position. Die Spitzenstellung seines Namens wird durch den Fortgang der Aufzahlung mit »danach ... danach ... danach ... danach« noch unterstrichen. Wenn man bedenkt, dass die ganze Formel in IKor 15,3-7 von Paulus als Ausdruck eines urchristlichen Konsenses eingefiihrt wird, dann muss man auch in der Reihenfolge dieser Liste einen allgemein akzeptierten Sachverhalt sehen. Da Paulus schreibt, er selbst habe das Folgende bereits iibermittelt bekommen, konnte man an seine Zeit in der Gemeinde von Damaskus denken und kame dann auch zeitlich im gunstigsten Fall bis auf etwa drei oder vier Jahre an die Ereignisse heran. Erstaunlicherweise schweigt aber die Erzahluberlieferung von dieser Ersterscheinung vor Petrus. Nur bei Lukas findet sich eine kurze Notiz, die aber merkwiirdig nachgetragen wirkt. Im Schlussrahmen der Geschichte von den Emmausjiingern (24,13-35), die bei Lukas den ersten Erscheinungsbericht darstellt, wird auch Petrus ganz nebenbei noch mit eingefiihrt. Denn als die beiden bei ihrer Ruckkehr nach Jerusalem »den Elf und den mit ihnen (Versammelten)« von dem Erlebnis erzahlen, wissen die schon Bescheid und bemerken nur kurz und niichtern: »Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen!« (24,34). Die naheren Umstande dieser Erscheinung bleiben im Dunkel. Aber dass hier im Nachhinein die richtige 137

Reihenfolge hergestellt werden soil, 1st deutlich. Die Jiinger auf dem Weg nach Emmaus haben Petrus nichts voraus. Das gilt auch fur die Frauen: Noch auf dem Weg hatten die beiden Jiinger erzahlt, dass die Frauen wohl vom leeren Grab und der Engelsbotschaft berichtet hatten - »Ihn aber sahen sie nicht.« (24,24). Lukas, der die Briefe des Paulus wahrscheinlich nicht benutzt hat, greift hier also unabhangig von IKor 15,5 dieselbe Uberlieferung auf. Dabei gibt es auch fur Petrus einen Kontext, in dem die Ersterscheinung nachvollziehbar werden konnte. Wahrend die Frauen unbestritten die Ersten am Grab sind, erzahlen Lukas und Johannes davon, dass Petrus auf ihre Mitteilung reagiert habe und als Erster der Manner zum Grab gelaufen sei.135 Gottesboten begegnen ihm dabei nicht. In Lk 24,12 heifit es nur, dass Petrus in der Grabhohle die Leinenbinden sah und wieder fortging, »indem er bei sich iiber das Geschehen staunte.« Ganz ahnlich berichtet es Joh 20,3-10 als Zwischenakt zu dem Erlebnis der Maria Magdalena, nur dass Petrus hier in Begleitung des »Lieblingsjimgers« zum Grab lauft. Auch jetzt werden die Leinenbinden und das Schweifituch als Indizien eines offenbar planvollen Geschehens inspiziert, doch »sie verstanden noch nicht die Schrift, dass er von den Toten auferstehen musse.« Die Erscheinung des Auferstandenen am See Tiberias (Joh 21,1-14) geschieht dann vor alien Jimgern. Der »Lieblingsjunger« erkennt Jesus zuerst, aber Petrus ist es, der sich daraufhin ins Wasser sturzt und dem Meister als Erster entgegeneilt. Sein Engagement 135 Nach Mk 16,7 sollen die Frauen den Auftrag der Engel »seinen Jiingern und Petrus« iibermitteln. Darnit wird bereits suggeriert, dass der Erstinformierte auch irgendwie als Erster die Initiative ergreift.

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und seine Empfanglichkeit zu Ostern entsprechen dem Bild, das die Evangelisten auch sonst von ihm entwerfen. Die erkennbare Initiative des Petrus am Ostermorgen konnte die nachstliegende Gelegenheit fur jene Ersterscheinung geboten haben, von der Paulus weifi - auch wenn die Erzahluberlieferung nur sehr zuruckhaltend darauf eingegangen ist. Die Konkurrenz zwischen Maria Magdalena und Petrus kann unentschieden bleiben. Fur das Verstand-

Abb. 11: Petrus und Johannes am Grab, Rom, S. Maria Egiziaca (872-882)

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nis der Ereignisse geniigt es zu sehen, dass Petrus auch den Neuaufbruch des Ostertages von Anfang an miterlebt und mitgestaltet hat. Das musste fur seine weitere Biographic zu einern neuen Wendepunkt werden. 2.1.2. Auftragserneuerung Der historischen Riickfrage bleibt jeder Zugang zu den Erscheinungen des Auferstandenen verschlossen. Sie lassen sich iiberzeugend auch nicht als ein psychologisches Phanomen verstehen, bei dem es im Kontext eines Trauerprozesses um die erfolgreiche Uberwindung des erlittenen Verlustes ginge. Dass nach der Zerschlagung und Auflosung des Jiingerkreises plotzlich eine ganz neue Bewegung beginnt, die in erstaunlich kurzer Zeit den gesamten Mittelmeerraum erfasst - das lasst allerdings die Wucht einer Anfangserfahrung ahnen, die nicht aus innergeschichtlichen Kausalitaten abgeleitet werden kann. An dieser Erfahrung hat auch Petrus teil, und das in der ersten Reihe. Bei der Analyse der Petruserzahlungen in den Evangelien hat man dieser Ostererfahrung immer wieder einen besonders hohen Stellenwert zuerkannt. War die Uberlieferung einer Ersterscheinung vor Petrus erst einmal etabliert, dann musste sie auch einen starken Riickhalt fur seine Autoritat in der friihen Christenheit bieten. Dass sie zugleich auch ein neues Licht auf die Geschichte des Petrus vor Ostern werfen wiirde, liegt nahe. Schon die Berufung nach Lukas (5,1-10) ist in dieses osterliche Licht getaucht. Die verschiedenen Auftragsworte an Petrus sind bereits im Wissen um den Aufbruch des Petrus nach Ostern niedergeschrieben. Die christologische Erkenntnis des Petrus, die nach Mt 16,17 das Ergebnis gottlicher Of140

fenbarung 1st, reifit schon einen osterlichen Horizont auf. Dennoch darf man die Geschichte des Fischers Simon nicht einfach als eine Konstruktion von hinten her betrachten. Berufung und Beauftragung des Petrus durch Jesus von Nazaret sind mehr als nur eine erzahlerische Riickprojektion der Ostererfahrung. Andernfalls sollte man auch erwarten, dass die Ersterscheinung vor Petrus eindeutiger uberliefert worden ware.136 Mit den beiden so aufierst sparsamen Notizen in IKor 15,5 und Lk 24,34 lassen sich derart weitreichende Ableitungen kaum iiberzeugend begrunden. Sehr viel einleuchtender ist es deshalb, in dem Aufbruch des Petrus nach Ostern eine Art Auftragserneuerung zu sehen. Nach dem scheinbaren Ende am Karfreitag beginnt zu Ostern die Geschichte mit Jesus noch einmal neu. Das geschieht in Anknupfung an die friihere Geschichte, stofit aber zugleich in neue Dimensionen vor. Die Intention einer solchen Auftragserneuerung haben die beiden Auftragsworte in Lk 22,31-32 und Joh 21,15-17 (siehe oben) festgeschrieben. Beiden geht es um den Briickenschlag zwischen den Ufern von Karfreitag und Ostern. Lk 22,31-32 ist noch am diesseitigen Ufer, Joh 21,15-17 bereits am jenseitigen Ufer platziert. Aber beide thematisieren eine erneute Beauftragung des Petrus und lassen keinen Zweifel daran, dass diese ihr Profil erst durch die Erschutterungen des Karfreitags gewinnt. Ohne die Erfahrung des Petrus genauer beschreiben zu konnen, steht hinter 136 Die These, dass die Ersterscheinung vor Petrus aufgrund einer friihchristlichen Opposition gegen seinen Fuhrungsanspruch unterdriickt worden ware, ist wenig plausibel. Ebenso wenig will eine Konkurrenz von Seiten des Jakobus (IKor 15,7) einleuchten, von dem eine Protophanie lediglich in EvHebr 7 erzahlt wird. 141

den knappen Andeutungen bei Paulus und Lukas sicher das, was man als eine »Auftragserscheinung« zu bezeichnen pflegt. Denn wahrend einige der Ostererscheinungen in den Evangelien so geschildert sind, dass darin vor allem das Moment der Wiedererkennung und damit der Identitat des Auferstandenen im Mittelpunkt steht,137 konzentriert eine andere Gruppe von Erscheinungsberichten alles auf den Auftrag, den der Auferstandene ausspricht.138 Solche Auftragserscheinungen werden in der Erzahluberlieferung durchgangig mit Gruppen verbunden, sofern man auch in Mt 28,9-10 die beiden Frauen als eine Gruppe ansieht. Das einzige und zugleich prominenteste Beispiel fur einen individuellen Auftrag bietet Paulus. Auch er hat sich nach IKor 15,8 noch als (letzten) Zeugen des Auferstandenen betrachtet und beruft sich in Gal 1,15-16 darauf ganz klar im Sinne einer Beauftragung: »Gott, der... durch seine Gnade seinen Sohn offenbarte in mir, damit ich ihn unter den Volkern verktindigen sollte .. .«139 Wenn Paulus dann in Gal 2,8 137 »Rekognitionserscheinungen«: Lk 24,13-35 (der »Fremde« und die Emmausjiinger); Joh 20,11-18 (der »Gartner« und Maria Magdalena); Joh 21,1-14 (der »Unbekannte« am See Tiberias). 138 »Auftragserscheinungen«: Mt 28,9-10 (vor den Frauen auf dem Riickweg vom Grab - mit einem Auftrag an die Junger); Mt 28,16-20 (vor den Elf auf einem Berg in Galilaa mit dem Auftrag zur Volkermission); Lk 24,36^9 (im Jiingerkreis - »Ihr seid Zeugen dieser Dinge!«); Apg 1,1-14 (wiederholte Erscheinungen wahrend der 40 Tage - Unterweisung); Joh 20,19-23 (im Jiingerkreis - Sendungsauftrag und Vollmacht zur Siindenvergebung). 139 Die drei Berichte der Apostelgeschichte setzen hier unterschiedliche Akzente: in Apg 9,1-19 weist der Auferstandene Paulus lediglich an, in die Stadt zu gehen und alles Weitere abzuwarten (9,6) - allein Hananias erfahrt, dass Paulus ein »auserwahltes Werkzeug« sei (9,15); in 22,6-16 teilt Ha-

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konstatiert: »Der, der in Petrus wirksam gewesen 1st zum Apostolat fur die Juden, der ist es auch in rnir gewesen (zum Apostolat) fur die V6lker.«, dann setzt er bei sich und bei Petrus die gleiche Situation voraus namlich die einer Beauftragung.140 Was die Aufgabenteilung, die Paulus damit verbindet, konkret meint und ob sie auch das urspriingliche apostolische Selbstverstandnis des Petrus wiedergibt, mufi offen bleiben. Aber dass die Ostererfahrung des Petrus (wie die des Paulus) die Gestalt einer individuellen Beauftragung hatte, davon wird man sicher ausgehen konnen. 2.2. Organisator in Jerusalem 2.2.1. Leitungsfunktion Die alteste und in ihrem Gewicht kaurn zu uberschatzende Mitteilung iiber die Leitungsverantwortung des Petrus in der Jerusalemer Gemeinde liefert wiederum Paulus. In Gal 1,11-24 berichtet er von seinen missionarischen Anfangen. Dabei ist er sichtlich bemuht, den Galatern seine Unabhangigkeit von den Jerusalemern glaubhaft zu machen. Er ist »Apostel, nicht von Menschen oder durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat ...« (Gal 1,1). Deshalb hat er nanias dann dem Paulus mit, dass Gott ihn zum Zeugen bestimmt hat (22,14-16); in 26,12-18 beauftragt der Auferstandene Paulus schliefilich ganz direkt (26,16-18). Apg 22,17-21 berichtet von einer spateren Vision im Ternpel, in der ebenfalls der Auftrag zur Volkermission direkt an Paulus gerichtet wird. 140 Man kann annehmen, dass sich Paulus und Petrus bei ihrem ersten Treffen in Jerusalem (ca. 35) auch iiber ihre Ostererfahrungen ausgetauscht haben (Gal 1,18).

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auch das Evangelium, das er verkiindigt, »nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.« (Gal 1,12) Unmittelbar nach seiner Berufung, die er in Gestalt einer Auftragsvision erlebt, bricht er deshalb von Damaskus aus zu ersten missionarischen Unternehrnungen in die Arabia auf. Das geschieht ausdriicklich ohne vorherige Abstimmung rnit den Jerusalemern bzw. denen, die vor ihm Apostel waren. Erst nach drei Jahren, als Paulus wieder nach Damaskus zuriickkehrt, unternimmt er einen Kurzbesuch in Jerusalem. Dieser Besuch diirfte etwa im Jahr 35 stattgefunden haben. Paulus kommt mit dem Ziel, »um Kefas kennenzulernen« (Gal 1,18). Er bleibt allerdings nur 15 Tage bei ihm. Es klingt, als hatten die beiden ein Privatissimum absolviert. Paulus scheint die Wohnung des Petrus (aus Sicherheitsgrunden?) gar nicht verlassen zu haben: »Einen anderen von den Aposteln aber habe ich nicht gesehen, aufier Jakobus, den Bruder des Herrn. Was ich euch aber schreibe - siehe, Gott weifi, ich luge nicht!« (Gal 1,19-20) Was mag Paulus zu diesem Besuch bewogen haben? Bei aller Unabhangigkeit seiner Verkiindigung musste ihm daran gelegen sein, einen Konsens mit der Jerusalemer Gemeinde zu finden. Die einzige Person, auf die sich dabei das Interesse des Paulus zunachst richtet, ist Kef as/Petrus. Dafiir mag es verschiedene Griinde geben. Als einer der wichtigsten Traditionstrager vermittelte Petrus die Worte Jesu von Nazaret auf besonders authentische Weise, und Paulus wird in diesen 15 Tagen manches davon aus erster Hand erfahren haben. Gleichzeitig scheint Petrus schon friih jene Offenheit an den Tag zu legen, die Paulus mit seiner problematischen Vergangenheit ermutigt, gerade ihn aufzusuchen. Vor allem aber spricht dieses Treffen dafiir, dass Petrus zu 144

dieser Zeit in Jerusalem die entscheidende Figur ist. Wenn Paulus jetzt die Ubereinkunft mit Jerusalem sucht, genugt es, Petrus zu sprechen. Nicht weniger aufschlussreich ist das kurze Auftauchen des Jakobus: Er arbeitet um diese Zeit wohl schon eng mit Petrus zusammen, den er bald darauf in der Leitungsverantwortung ablest. Dass auch »die anderen Apostel« fur Paulus noch eine feste Grofie sind, steht ebenso aufier Frage. Dieses Bild wird durch die Darstellung der Apo stelgeschichte grundsatzlich bestatigt. Petrus scheint hier von Anfang an die organisatorische Hauptverantwortung in der Jerusalemer Gemeinde zu tragen. Er bleibt dabei jedoch stets in ein kollegiales Miteinander verschiedener Konstellationen eingebunden. Zunachst sind das wiederum die Zwolf bzw. die »Apostel«, als deren Reprasentant Petrus auftritt. Entweder wird Petrus ungenannt in diese Gruppe mit einbezogen, oder er steht eigens bezeichnet mitten in ihr: »Petrus und die Apostel« (2,37; 5,29). Ein groSerer Kreis kommt in den Blick, wenn von »Petrus und den Brudern« (1,15) die Rede ist. Dazu gehort seit 1,14 auch schon die Familie Jesu, ohne dass hier Jakobus namentlich hervorgehoben wiirde. In einer Reihe von Episoden agiert Petrus dann gemeinsam mit dem Zebedaussohn Johannes,141 der im Schatten des Petrus jedoch vollig blass bleibt. Insgesamt hat Lukas das Leben der christlichen Gemeinde in den Anfangszeiten unter das Stichwort der »Einmutigkeit«142 gestellt. Das gilt auch fur die Klarung organisatorischer Fragen. Aber wie 141 So bei der Heilung des Lahmen (3,1-10), der anschlieSenden Predigt (3,11-26) und der folgenden Konfrontation mit dem Synedrion (4,1-22); ebenso bei der Visitation in Samarien (8,14-25). 142 Apg 1,14; 2,46; 4,24; 5,12; 8,6; 15,25.

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selbstverstandlich 1st es dann immer wieder Petrus, von dem die Initiative ausgeht. Ein anschauliches Beispiel bietet die Episode von der Komplettierung des Zwolferkreises (Apg 1,1526). Es handelt sich dabei um das einzige Ereignis, das Lukas zwischen Himmelfahrt und Pfingsten berichtet. Fur ihn ist diese Phase durchaus keine Zeit untatigen Abwartens. Vielmehr bereitet sich die Gemeinde durch die Klarung ihrer internen Situation schon aktiv auf eine kiinftige Wirksamkeit nach auBen hin vor. Zunachst geht es in dieser Episode um den Zwolferkreis als den innersten Kern der Gemeinde. Die Liicke, die durch das Ausscheiden des Judas entstanden ist, soil wieder geschlossen werden. Daran wird deutlich, wie die neue Situation auch das Selbstverstandnis dieses Kreises zu verandern beginnt. Denn zum einen halt die Jerusalemer Gemeinde auch weiterhin an der symbolischen Bedeutung der Zwolfzahl fest, die urspriinglich den Anspruch Jesu auf die Sammlung ganz Israels zum Ausdruck brachte. Dieser Anspruch bleibt nach Ostern bestehen und wird durch die Nachwahl von neuem zur Geltung gebracht. Zum anderen aber gewinnt der Kreis nun zwangslaufig auch die Funktion eines Leitungsgremiums. Lukas deutet diese Funktion an, wenn er z. B. mit Hilfe eines Zitates von Ps 109,8 von der »episkope (= dem Aufsichtsamt)« des Judas spricht, das ein anderer erhalten solle, oder wenn er die ganze Geschichte als eine »Einsetzungserzahlung«143 stilisiert, die schon rein formal auf den Bereich von Orga143 Vgl. einige Beispiele aus dem AT: Gen 41,39-43 (Josef als Verwalter); Ex 18,13-26 (Heifer fur Mose); Num 11,1-25 (70 Alteste in Israel); Num 27,15-23 (Josua als Nachfolger Moses); Dm 1,9-18 (Heifer fur Mose). Dabei lasst sich als Formschema beobachten: 1. Situation - Defizit an Funk-

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nisation und Institution hinzielt. Das Losverfahren zeigt an, dass die Wahl als Gottesurteil verstanden wird und sich nach Art eines sakralrechtlichen Aktes vollzieht. Bei diesem ganzen Verfahren flihrt Petrus den Vorsitz. Er bringt den Sachverhalt auf die Tagesordnung, stellt in einer kleinen Rede Vorgeschichte und gegenwartige Problemlage dar, unterbreitet einen Vorschlag hinsichtlich der Wahlkriterien und findet offenbar allgemeine Zustimmung. Die Durchfuhrung wird dann von der Versammlung vollzogen, in die Petrus wieder zuriicktritt. Was fur das neue Verstandnis des Kreises von besonderer Bedeutung ist, lasst sich an den durch Petrus formulierten Kriterien (1,21-22) ablesen: Aufier der Weggemeinschaft mit Jesus von Nazaret, »angefangen von der Johannestaufe bis zu dem Tag, an dem er weggenommen wurde von uns«, geht es nun darum, »Zeuge seiner Auferstehung zu werden«. Damit ist die Verkiindigung der Osterbotschaft als die zentrale Aufgabe des Zwolferkreises beschrieben. In der Kompetenz zur Verkiindigung ist offenbar auch die Leitungsverantwortung mit eingeschlossen. Als merkwiirdig erweist sich indessen die Rolle, die Petrus in der Episode mit Hananias und Saphira spielt (5,1-11). Das Ereignis fugt sich an die summarische Darstellung des Gemeinschaftssinnes in der Jerusalemer Gemeinde an (4,32-35). Zwei gegensatzliche Fallbeispiele illustrieren die praktizierte »Ethik des Teilens«: Positiv wird Barnabas gezeichnet, der seinen Acker verkauft und das Geld abliefert; negativ erscheinen Hananias und Saphira, die zwar ebenso verfahren, jedoch einen Teil des Geldes einbehalten. Beitionstragern; 2. Vorschlag - Benennung von Kriterien; 3. Losung - Auswahl und Funktionsiibertragung.

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de Male heifit es, dass die Wohltater das Geld »zu den Fufien der Apostel niederlegten« (4,37; 5,2). Da fur Lukas die Apostel mit dem Zwolferkreis identisch sind, wird hier also mit der Verwaltung der Finanzen eine weitere Funktion dieses Gremiums beschrieben. Petrus aber ergreift nun auch im Falle solcher finanzieller Angelegenheiten das Wort. In prophetischer Klarsicht durchschaut er die Situation und sagt zuerst dem Mann, spater dann der Frau ihre heimliche Vorabsprache auf den Kopf zu.144 Es hat schon fast surreale Ziige, wenn Hananias daraufhin tot zu Boden stiirzt und im Eilverfahren bestattet wird, bevor Saphira, nun aber aufgrund direkter Androhung durch Petrus, dasselbe Schicksal erleidet. Strafwunder sind ansonsten in der Jesusiiberlieferung nirgends zu finden,145 und die rigorose Verfahrensweise will sich weder mit der beschriebenen Verfehlung noch mit der Haltung von Liebe und Vergebung zusammenreimen. Die theologischen Anliegen und Abgrunde dieser Geschichte stehen hier jedoch nicht zur Debatte. Fur die Person des Petrus ist es allein von Interesse, dass er darin auch als Autoritat in Fragen der Gemeindedisziplin an der Spitze der »Apostel« steht. Das Gerichtshandeln bleibt Gott iiberlassen, aber es ist Petrus, der es ansagt. 144 Nicht der einbehaltene Teil des Geldes ist Gegenstand der Kritik, sondern die vorherige Absprache, den reduzierten Betrag als den ganzen auszugeben. Es geht urn die Luge, nicht um die Quantitat der Summe. 145 Allein die »Verfluchung des Feigenbaumes« (Mk 11,1214.20-26/Mt 21,18-22) ware hier zu nennen; es bleibt allerdings fraglich, ob es in dieser Episode urspriinglich nicht anstatt eines Fluches um ein Wort des Bedauerns ging. Direkt abgelehnt wird ein Strafwunder von Jesus in Lk 9,51-56. 148

Eine weitere »Einsetzungserzahlung« zeigt, wie rasch sich diese Konstellationen dann verandert haben. In Apg 6,1-7 berichtet Lukas von einem Konflikt, der in der allmahlich grofier werdenden Jerusalemer Gemeinde zwischen »Hellenisten« und »Hebraern« aufbricht. Beide Begriffe bezeichnen Judenchristen, die sich jedoch hinsichtlich ihrer Sprachtradition unterscheiden. Vordergriindig geht es um Probleme bei der Witwenversorgung. Im Hintergrund aber stehen Differenzen grundsatzlicher Art. Denn vermutlich pflegen die »Hellenisten« auch in ihren gottesdienstlichen Zusammenkiinften die griechische Sprache und entwickeln dabei eigene theologische Ansichten. Hier verlangt das Gemeindewachstum nach neuen Organisationsformen. Wieder wird das Problem in einer Vollversammlung der Gemeinde zur Sprache gebracht. Der Losungsvorschlag, wie Lukas ihn schildert, zielt vordergrtindig auf eine Arbeitsteilung: Die Zwolf konzentrieren sich auch weiterhin auf den »Dienst des Wortes«, wahrend fiir den »Dienst der Tische« sieben bewahrte Manner aus dem Kreis der »Hellenisten« ausgewahlt und durch Handauflegung und Gebet in ihre Funktion eingesetzt werden. Im Hintergrund aber zeichnet sich ein anderer Prozess ab: Die Sieben reprasentieren das Leitungsgremium der Hellenisten. Sie engagieren sich, wie das Beispiel eines Stephanus oder eines Philippus zeigt, gerade nicht in der Sozialarbeit, sondern betreiben intensiv und erfolgreich die Verkiindigung des Evangeliums. Noch sind es in dieser Episode die Zwolf, von denen die Initiative zur Konfliktlosung ausgeht. Aber als Leitungsgremium miissen sie allmahlich anderen Strukturen weichen. Die Zwolf werden in 6,2 iiberhaupt zum letzten Mai genannt. Von 11,30 an ist dann nur noch 149

von den »Altesten« die Rede. Die Altestenverfassung wird zum dominierenden Modell, wahrend sich der Zwolferkreis auflost. Es fallt auf, dass Petrus in dieser ganzen Geschichte iiberhaupt keine Erwahnung findet. Vermutlich zieht er sich mit dem Zerfall des Zwolferkreises als seiner urspriinglichen Bezugsgruppe von organisatorischen Aufgaben zuriick und widmet sich zunehmend der Verkiindigung. Fur ihn ruckt allmahlich der Herrenbruder Jakobus in eine zentrale Position ein. Als Petrus nach Apg 12,17 Jerusalem verlasst, iibermittelt er noch eine letzte Nachricht an »Jakobus und die Bruder«. Von da an scheint dann in der Apostelgeschichte vor allem Jakobus die Geschicke der Gemeinde zu bestimmen. Paulus bestatigt diesen Wechsel der Leitungsverantwortung. In Gal 2,9 nimmt Kefas auf dem »Apostelkonvent« (ca. 49) bereits die zweite Position nach Jakobus ein, und bei dem Streit um die Tischgemeinschaft in Antiochia (Gal 2,11-14) sind es die »Jakobusleute« aus Jerusalem, die durch ihren Einfluss letztlich die Konfrontation zwischen Petrus und Paulus heraufbeschworen (siehe unten). Als Organisator hat Petrus in Jerusalem dank seiner Autoritat sicher manche Weichen gestellt. Aber er ist bei diesem Aufgabenbereich nicht stehengeblieben. 2.2.2. Verkundigungsinitiative Ein besonderes Charakteristikum der Apostelgeschichte zeigt sich in den zahlreichen Reden, die immer wieder in den Gang der Erzahlung eingefiigt sind und dort wichtige theologische Anliegen in komprimierter Form zur Sprache bringen. Petrus nimmt hier den Spitzenplatz ein. Insgesamt acht Reden gehen auf sein Konto, Paulus folgt mit sieben, Stephanus und Jakobus mit je einer. Besonders in 150

Apg 1-5 beherrscht Petrus vollig unangefochten das Jerusalemer Podium, wobei die Inhalte seiner Reden variieren: 1,15-22 begriindet die Notwendigkeit zur Komplettierung des Zwolferkreises; 2,14-36 stellt mit der Pfingstpredigt die Kernpunkte christlicher Verkiindigung zusammen; 3,12-26 prasentiert mit der Tempelpredigt ein weiteres Beispiel missionarischer Verkiindigung im Anschluss an die Heilung des Lahmen; 4,8-12 und 5,29-32 sind auf den Ton einer Apologie gegeniiber den Autoritaten Jerusalems gestimmt. Eine neue Qualitat der Verkiindigung wird in 10,34-43 erreicht, als Petrus zum ersten Mai vor Nichtjuden Christus verkiindigt. 11,4-17 dient der Verteidigung dieses Ereignisses in Jerusalem. In 15,7-11 tritt Petrus dann noch ein letztes Mai als Diskussionsredner auf dem Apostelkonvent auf. Wiederum ist Petrus in den dazugehorigen Erzahlungen der Wortfiihrer des Zwolferkreises (Apg 1-5). Doch nun profiliert er sich nicht mehr nur durch Fragen, Einwande oder pragnante Meinungsaufierungen, sondern er erscheint als Zentralgestalt urchristlicher Verkiindigung. Selbst da, wo das Evangelium nicht der Inhalt seiner Rede ist, erweist er sich als Initiator fur die Aufgaben der Verkiindigung: In der Nachwahlgeschichte gilt sein Interesse der Festigung jenes Kreises, der die »Zeugen der Auferstehung«, also die missionarische Kernmannschaft, versammelt; die beiden Reden vor dem Synedrion sind ein Stuck AuBenpolitik der Gemeinde, das ihr die weiteren Entfaltungsmoglichkeiten sichert; in Jerusalem verteidigt er gegeniiber den eigenen Leuten den Schritt zur Mission unter Nichtjuden (den eigenen und den der Antiochener), wodurch nun erst die Voraussetzung fur die Mission in Syrien und dariiber hinaus geschaffen wird. 151

Abb. 12: Petrus zu Pfingsten, Stammheimer Missale (1160/1180) 152

Natiirlich darf man in keiner der Reden einfach den Originalton des Petrus er war ten. Allein schon ihr Umfang macht deutlich, dass hier weder reale Predigtsituationen protokolliert noch ideale Modellpredigten intendiert sind. Vielmehr sind diese Reden literarische Passagen, in denen der Evangelist Lukas eine theologische Deutung der jeweiligen Ereignisse unternimmt.146 Ein anschauliches Beispiel bietet die kurze Rede in Apg 1,15-22: Es leuchtet iiberhaupt nicht ein, warum Petrus den kleinen Kreis der engsten Jesusanhanger, der noch unter dern unmittelbaren Eindruck der Passions- und Osterereignisse steht, erst iiber das Geschick des Judas informieren musste, das sich doch schon »in ganz Jerusalem herumgesprochen« hat; erst recht bleibt unverstandlich, warum er denen, die Aramaisch als ihre Muttersprache sprechen, ein aramaisches Wort (in der »dortigen Sprache«) iibersetzen musste. Hier werden vielmehr die Leserinnen und Leser der Apostelgeschichte angesprochen, fur die diese Dinge neu sind und die kein Aramaisch verstehen. Trotzdem ware es falsch, diese Reden deshalb rundheraus als freie Erfindungen abzutun. Lukas, der sich selbst als Historiker versteht, folgt auch hier den Konventionen der antiken Geschichtsschreibung. Danach ist es die Aufgabe des Historikers, sich so in die beschriebenen Personen hineinzuversetzen, dass durch die direkte Rede deren Personlichkeit sowie die kommunikative Situation angemessen zur Sprache kommen. Das tut auch Lukas auf eindruckliche Weise. Die Petrusreden haben einen anderen Duktus als die des Paulus oder Stephanus. 146 Vgl. dazu J. ROLOFF, Die Apostelgeschichte des Lukas, NTD 5, Berlin 1988, 49-51 (Exkurs: Die Reden der Apostelgeschichte). 153

Die Voraussetzungen des jeweiligen Publikums sind ebenso sorgfaltig aufgenommen wie die Vorgaben der Situation, in der die Rede stattfindet. Zweifellos hat Lukas dafiir Traditionen aufgegriffen und Nachrichten gesammelt, die in die Gestaltung der Reden eingegangen sind - auch wenn er dort vor allem sein eigenes theologisches Konzept zur Entfaltung bringt. So geben die Reden zwar nicht im Wortlaut, aber doch der Sache nach zuverlassig wieder, was die Rolle des Petrus in der Fruhzeit der Jerusalemer Gemeinde gekennzeichnet hat: Vom Wortfuhrer des Zwolferkreises wird er zum Vorreiter der missionarischen Verkundi8ungUnter den Petrusreden der Apostelgeschichte nimmt die Pfingstpredigt Apg 2,14-36 eine Sonderstellung ein. Mit ihrer Hilfe bringt Lukas den Umschwung zur Darstellung, der aus der geschlossenen Gesellschaft der Osterzeugen eine offene, missionarisch aktive Gemeinde macht. Die Predigt des Petrus findet sich dabei in die Ereignisse des Pfingsttages (2,1) eingebettet und ist zugleich deren Mittelpunkt. Sie wird nicht als Ergebnis einer genau kalkulierten Strategic in Szene gesetzt, sondern durch das uberraschende Kornmen des Geistes (2,1^1) veranlasst.147 Dieser Startimpuls von aufien erfasst die ganze Gruppe der Zwolf und bringt sie durch die AuCenwahrnehmung der Jerusalemer in Zugzwang (2,5-13). Wenn Petrus daraufhin aus dieser Gruppe hervortritt und das Wort ergreift, dann ist das eine Reaktion, die von den Umstanden bzw. vom Geist Gottes selbst ge147 Noch starker tritt dieser Sachverhalt dann in der Korneliusgeschichte Apg 10 zutage: Petrus wird hier geradezu iiberrumpelt - erst durch eine Vision, dann erneut durch das unerwartete Kommen des Geistes. 154

fordert wird. Das Podium, das er vorfindet, konnte freilich nicht giinstiger bereitet sein. Zum Wochenfest haben sich in Jerusalem jiidische Festpilger aus der ganzen Diaspora versammelt (2,9-11), die nun auch bewusst als die Horer der folgenden Predigt eingefuhrt werden. Am realen Ablauf der Ereignisse selbst zeigt Lukas wenig Interesse.148 Dafiir gilt alle Aufmerksamkeit dem Szenario einer programmatischen Predigt, vor der sich bereits ein weiter geographischer Horizont offnet. Diese Rede ist es dann auch, die den grofien Anfangsschub fur das Wachstum der Gemeinde bewirkt. Wenn Lukas hier von 3000 Menschen spricht, die sich mitten in Jerusalem taufen lassen (2,41), wird man dieser Zahl zumindest die Erinnerung an eine unerwartet grofie Zustimmung entnehmen konnen. Das alles aber ist erzahlerisch unlosbar mit der Person des Petrus verbunden, der im Zentrum des Geschehens steht. Seine Predigt kniipft bei der Situation an, greift die Verwunderung der Zuhorer auf und lenkt von da aus auf eine Erklarung der gegenwartigen Geisterfahrung hin. Ausgangspunkt ist der »Predigttext« aus Joel 3,1-5. Das hat bereits grundlegende Bedeutung. Alle Verkiindigung geht von »den Schriften« aus und stellt somit das Evangelium in das Licht der Glaubensgeschichte Israels. Daraufhin wird das Christusereignis von Tod und Auferstehung Jesu zur Sprache gebracht - so, wie es auch den Kern der Bekenntnistradition ausmacht. Auch hier er148 So bleibt etwa unklar, wie die Bewohner Jerusalems wahrnehmen konnen, was in einem geschlossenen Raum beginnt; ein Ortswechsel wird nicht erwahnt, dennoch stromt die Menge zusammen; die Szene einer Massentaufe von 3 000 Menschen mit den dazu notigen technischen Voraussetzungen lasst sich mitten in Jerusalem kaum nachvollziehen.

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folgt ein Bezug auf die Situation, indem die Jerusalemer direkt rait ihrer Verantwortung konfrontiert und ebenso direkt mit der befreienden Tat Gottes bekannt gemacht werden.149 Es geniigt, zum Abschluss auf die »vielen weiteren Worte« (2,40) nur noch sumrnarisch hinzuweisen. Die Pfingstpredigt hat fur die Leserinnen und Leser bereits die Kernpunkte christlicher Verklindigung benannt. In aller Deutlichkeit tritt Petrus damit als der erste Verkiindiger hervor, der in der Art seines Auftretens sowie der inhaltlichen Schwerpunktsetzung die Richtung vorgibt. Auch wenn die Hand des Lukas die erzahlerische Gestalt dieser ganzen Einheit uniibersehbar gepragt hat - das Wissen um die bahnbrechende Initiative des Petrus diirfte darin zutreffend aufbewahrt sein. Eine weitere Beobachtung erschlieSt sich erst bei mehrfachem Lesen der Apostelgeschichte: Die beiden grojSen Verkiindiger Petrus und Paulus werden von Lukas in einer auffallig parallelen Weise dargestellt. Auch Paulus beginnt seine zielstrebige Mission im pisidischen Antiochia mit einer programmatischen Rede (13,16-47)-, beide setzen konsequent bei einer jiidischen Horerschaft an, ohne dabei stehenzubleiben; beide geraten aufgrund ihrer Verkiindigung in Konfliktsituationen; beide verlassen ihre Basisgemeinden und gehen auf Wanderschaft; beide treten bei einer bis ins Detail gehenden Ubereinstimmung als Wundertater auf (siehe unten), wobei diese Wunder als Beglaubigung ihrer Worte verstanden 149 Dieses sogenannte Kontrastschema (»den habt ihr getotet den hat Gott auferweckt«) findet sich in insgesamt vier Petruspredigten: 2,23-24; 3,13-15; 4,10; 5,30-31; 10,39^0. Historisch und theologisch hat diese Redeweise ihre Grenzen; sie gibt wohl ein fruhes, bald schon iiberholtes Predigtschema wieder.

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werden; das Ende des Weges bleibt fur beide unerwahnt. Direkte Begegnungen zwischen Petrus und Paulus gibt es nach Lukas zwar nur wenige.150 Den Streit in Antiochia (Gal 2,11-14) iibergeht er. Doch insgesamt entwirft er das Bild einer allmahlichen Ablosung des Verkiindigers Petrus durch den Verkundiger Paulus. Dass beide dabei an einem Strang ziehen und dass Paulus die Initiative des Petrus fortfuhrt, steht fur Lukas und die Christen seiner Zeit aufier Frage. 2.2.3. Visitationsverantwortung Ein Indiz dafiir, dass sich die organisatorischen Initiativen des Petrus nicht nur auf Jerusalem beschrankt haben, bieten die in Apg 8-9 zusammengestellten Episoden. Das erzahlerische Anliegen dieses Abschnittes besteht zunachst darin, die Ausbreitung der Verkiindigung in einer geographisch nachvollziehbaren Schrittfolge (vgl. 1,8) vorzustellen. Dabei erfolgt aber auch in theologischer Hinsicht ein bedeutsamer Schritt: Durch die Mission des Philippus entstehen die ersten Gemeinden in Samarien. Fur Lukas gehoren die Samaritaner trotz aller historisch bedingten Spannungen zum Gottesvolk hinzu. Die Frage der Beschneidung steht hier nicht an, und das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels kann ebenso wie die Kenntnis der Tora vorausgesetzt werden. Der Wille zur Sammlung des in sich zerrissenen Gottesvolkes wird gerade in diesem Schritt noch einmal auf zeichenhafte Weise sichtbar. Noch immer verbleibt die christliche 150 Apg 9,27 und 11,30 setzt eine Begegnung indirekt voraus (Gal 1,18-2,1 widerspricht dieser Annahme); allein Apg 15 fiihrt beide auf dem Apostelkonvent zusammen (bestatigt durch Gal 2,1-10). 157

Mission damit aber bei den »verlorenen Schafen des Hauses Israel«, ohne schon den folgenschweren Schritt zu den Volkern zu wagen. Zum ersten Mai begegnet man Petrus in Apg 8,14-24 aufierhalb Jerusalems. Philippus hat in Samarien erfolgreich gepredigt, hat zahlreiche Taufen vollzogen und dabei sogar den einflussreichen Magier Simon gewonnen. Aber den Getauften mangelt es noch an der Gabe des Geistes. Als das den »Aposteln in Jerusalem« zu Ohren kommt, schicken sie Petrus und Johannes los, um diesem Mangel noch durch nachtragliche Handauflegung abzuhelfen. Diese Form einer Erganzung der Taufe ist verwunderlich, denn ansonsten gehoren Taufe und Geistverleihung nach urchristlichem Verstandnis immer zusammen.151 Ein Modellfall fiir die Taufpraxis der Anfangszeit wird hier also ganz gewiss nicht geboten. Aber vermutlich besteht auch das besondere Anliegen dieser Erzahlung darin, ein organisatorisches Problem zu beschreiben: Durch die nachtragliche Legitimierung soil die Verbindung der Philippusmission mit der Jerusalemer Gemeinde gewahrt oder iiberhaupt erst hergestellt werden. Das aber ist nun erneut Sache des Jerusalemer Fiihrungsduos Petrus und Johannes, die hier mit der Vollmacht einer zentralen Institution auftreten, von der aus ein grofierer Gemeindeverband zusammengehalten wird. Auffalligerweise vollstreckt Petrus nach 8,18-24 mit der Exkommunikation des Magiers Simon auch eine innergemeindliche Disziplinarmafinahme in dieser 151 Vgl. z. B. IKor 12,13; 2Kor 1,21-22; Eph 1,13; 4,4-5; 4,30; den Zusammenhang von der in der Taufe begriindeten Christusgemeinschaft mit der Einwohnung des Geistes Gottes betont IKor 6,17; Rom 8,9. 158

Region. Ob die Abhangigkeit neuer Gemeinden von Jerusalem tatsachlich so stark war, dass sie die Gestalt einer Unterordnung annahm und der Approbation ihrer eigenstandigen Aktivitaten bedurfte, bleibt zu hinterfragen. Aber das Bemuhen, von Jerusalem aus Einfluss auf die neu entstehenden Gemeinden im naheren Umfeld zu gewinnen, entspricht sicher den historischen Verhaltnissen. Wenn es dann in Apg 8,25 heifit, dass Petrus und Johannes auf dem Riickweg nach Jerusalem »in vielen Dorfern der Samaritaner« gepredigt hatten, dann wird damit kaum eine eigenstandige Mission hinter dem Riicken des Philippus gemeint sein. Vielmehr klingt ihre Inspektionsreise hier wohl in dem Besuch weiterer schon bestehender Gemeinden dieses neuen Gebietes aus. Die beiden Episoden in Apg 9,32-43 kniipfen an die nun schon eingefuhrte Mobilitat des Petrus an und zeigen ihn erneut auf Reisen: »Als Petrus iiberall herumzog ...«. Sein Besuch in den Gemeinden von Lydda und Joppe hat jedoch einen anderen Charakter als die Reise nach Samarien. Hier scheint es ganz direkt um die Visitation von Gemeinden zu gehen, die schon immer mit Jerusalem verbunden waren. An beiden Orten trifft Petrus auf Gemeindeglieder, die als »die Heiligen« (9,32.41) bezeichnet werden.152 Noch immer bewegt er sich dabei in einem judenchristlichen Kontext, auch wenn die Ge152 Moglicherweise verbergen sich hinter beiden Erzahlungen die Grundungslegenden von Lydda und Joppe. Petrus ware dann als Missionar und Griinder dieser judenchristlichen Gemeinden zu betrachten. In der vorliegenden Textgestalt wird indessen ein anderer Akzent gesetzt, der nicht weniger Anspruch erheben kann, einen historisch zutreffenden Sachverhalt wiederzugeben.

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meinden von Lydda und Joppe in der Kustenebene viel deutlicher durch ein hellenistisches Umfeld gepragt werden.153 Die Aufgabe des Petrus besteht hier allein in der Starkung der Gemeinden, die sich in Gestalt von zwei Wunderhandlungen realisiert. Sowohl Aneas als auch Tabita sind bewahrte Christen, deren Krankheit bzw. Tod in den Gemeinden eine schmerzlich empfundene Liicke entstehen lasst. In der Vollmacht Jesu Christi heilt Petrus den Aneas und erweckt die Tabita. Diese Ereignisse rlicken die Gemeinde dann in den Blick einer weiteren Offentlichkeit und erzielen damit zugleich einen missionarischen Effekt. Die interne Starkung der Gemeinden durch den »Visitator« Petrus tragt zu ihrem externen Wachstum bei. Die Fortsetzung der Erzahlung in der Korneliusgeschichte Apg 10 schlagt ein neues Kapitel auf. Jetzt erst geht es um den Durchbruch zur Volkermission, der zunachst noch ganz zogerlich beginnt. Aber die erzahlerischen Voraussetzungen fur diese Geschichte sind mit der Wandertatigkeit des Petrus schon geschaffen. Darin spiegeln sich reale Vorgange wider. Die Verantwortung des Petrus als Visitator und sein Bemuhen um die Stabilisierung missionarischer Gemeinden aufierhalb Judaas lassen bereits jene Flexibilitat erkennen, die fiir diesen nachsten Schritt notwendig ist. Die Bemerkung, dass er »noch einige Zeit« in Joppe blieb (9,43), deutet zugleich die zunehmende Verlagerung seines Wirkungsbereiches an.

153 Judenchristliche Gemeinden aufierhalb Jerusalems werden fiir einen friihen Zeitpunkt schon durch Gal 1,22 belegt.

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2.3. Protagonist der Mission 2.3.1. Jerusalem - Judaa - Samarien Die organisatorische Tatigkeit des Petrus in Jerusalem ist von Anfang an mit missionarischer Aktivitat verbunden. Seine Verkiindigungsinitiative setzt Bewegungen in Gang, die von anderen neben und nach ihm aufgenommen werden. Er ist nicht der einzige, der nun die Osterbotschaft verbreitet. Aber seine Unternehmungen haben sich als besonders innovative und beispielhafte Ereignisse in die Erinnerung der fruhen Christenheit eingegraben. Dabei bleibt Petrus anfangs noch ausschliefilich auf Israel bezogen. Die Komplettierung des Zwolferkreises spricht hier eine deutliche Sprache: Die Zielgruppe der christlichen Mission ist auch nach Ostern zuerst das »Zwolfstammevolk«,154 und die Entstehung der Kirche vollzieht sich zunachst als Fortsetzung der Sammlung Israels. Hier nimmt Petrus auf, was er bei seinem Meister vor Ostern gelernt hat. Seine erste grofie Predigt beginnt er mit der Anrede: »Ihr Manner, Juden, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt ...« (2,14). An dieser Adresse andert sich auch bis Apg 9 nichts. Petrus besucht weiterhin den Tempel (2,46; 3,1.11) und halt dort wie andere Lehrer auch seine Predigten (3,12-26). Die Gegner des Petrus finden offenbar keinen Anlass, seine Frommigkeit und Toratreue infrage zu stellen. Beide Konflikte mit dem Synedrion enden damit, dass der Fall zu den Akten gelegt wird (4,21; 5,34-40). Das unterscheidet Petrus von anderen Personlichkeiten, die 154 Noch Paulus beruft sich nach Apg 26,7 ausdriicklich darauf und setzt auch in der Diaspora irnmer bei den Synagogen an - und das nicht nur aus taktischen, sondern eben auch aus theologischen Griinden.

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wenig spater in den Verdacht geraten, zum Abfall von der Tora aufzurufen: Stephanus wirft man vor, er rede gegen Tempel und Gesetz (6,13), und Paulus gilt seinen Kontrahenten rundheraus als jiidischer Apostat (18,13; 21,21.28; 23,29; 24,5-6). Dass Petrus in besonderer Weise fur die Mission unter Juden verantwortlich zeichnete, weifi auch Paulus in Gal 2,7-8 zu berichten: »Als sie (die Jerusalemer) aber sahen, dass mir das Evangelium fur die Unbeschnittenen anvertraut war wie dem Petrus (das Evangelium) fur die Beschnittenen ...«. Mit einer Aufteilung der Verantwortlichkeiten (»wir zu den Volkern, sie zu den Juden«) wird dieser Sachverhalt in Gal 2,9 dann auch noch einmal bestatigt. Dennoch darf man Petrus nicht als einen strengen Vertreter des Judenchristentums - wie etwa den Herrenbruder Jakobus - betrachten. In der Erinnerung an seinen Meister hat Petrus wohl schon fruh eine grofiere Toleranz und Aufgeschlossenheit in Fragen der Toraobservanz an den Tag gelegt als andere Vertreter der Jerusalemer Gemeinde. Die Bereitschaft zu Grenziiberschreitungen jedenfalls scheint bei Petrus latent vorhanden zu sein, noch bevor er dazu herausgefordert wird. Sein weiterer Weg lasst erkennen, dass er den »Hellenisten« viel naher steht als den »Hebraern«. Wie sie muss auch er schliefilich Jerusalem verlassen, wenngleich das mit einer gewissen zeitlichen Verzogerung geschieht. Diesen Horizont reifit Lukas schon friihzeitig auf, wenn er bei der Beschreibung der Pfingstgemeinde als dem ersten Publikum des Petrus einen weiten Rundblick auf die jiidische Diaspora wirft (2,9-11). Petrus erscheint als ein Mann, der keine Probleme mit dem Kontakt zu Diasporajuden und deren gelegentlich kritischer Haltung gegeniiber ihren Glaubensgenossen im Mutter162

land kennt.155 Das Treffen mit Paulus (Gal 1,18-19), der in Jerusalem zeitlebens eine Reizfigur blieb, steht im Zeichen der Suche nach Konsens - auch von Seiten des Petrus. Bei seinen Visitationsreisen pflegt Pe~ trus die Verbindung zu judenchristlichen Gemeinden in der Kiistenebene. In Apg 9,43 fallt die Bemerkung, dass Petrus langere Zeit im Haus eines gewissen Gerbers Simon gewohnt habe. Der Beruf des Gerbers gait als unrein. Petrus hatte auch ein anderes Quartier finden konnen. Lukas notiert diesen Sachverhalt sicher bewusst, um im Blick auf die folgende Korneliuserzahlung schon die Problematik von rein und unrein vorzubereiten. Aber vermutlich hat er damit zugleich einen charakteristischen Zug in der Personlichkeit des Petrus getroffen: Die Freiheit gegeniiber einer engeren Auslegung der Reinheitsgebote in der Tora.156 Unter den Herausforderungen der Mission legt Petrus jedenfalls eine »Liberalitat« an den Tag, die ihn offen sein lasst fur neue Erfahrungen. Die Episode, die Petrus und Johannes auf Inspektionsreise in Samarien zeigt (8,14-25), unterstreicht diese Beobachtungen. Auch hier verbleiben beide zwar noch im Rahmen des Gottesvolkes, ziehen aber wie der »Hellenist« Philippus dessen Grenzen doch ein Stuck weiter als viele ihrer damaligen jiidischen Zeitgenossen.157 Aktiv unterstiitzen sie diese Mission und bemuhen sich um die Integration der jungen christli155 Solche kritischen Tone lassen sich etwa in der Rede des Stephanus Apg 7,48.53 vernehmen. 156 Es drangt sich auf, hier an Jesu Wort iiber Reinheit und Unreinheit Mk 7,15 zu denken. Petrus ist ganz sicher damit vertraut gewesen. 157 Vgl. zu dieser ganzen Problematik ausfuhrlich M. BOHM, Samarien und die Samaritai bei Lukas, WUNT 111, Tubingen 1999.

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chen Gemeinden Samariens in den Verband der Gemeinden von Jerusalem und Judaa. Die Angst vor einem urchristlichen Pluralismus jedenfalls scheint nicht die Sache des Petrus gewesen zu sein. Nach der programmatischen Schrittfolge der Mission mit den Stationen »Jerusalem - Judaa - Samarien - die Enden der Erde« (1,8) ist Petrus an alien Brennpunkten der Anfangszeit zu finden. 2.3.2. Kornelius und die Volkermission Die Frage nach dem Durchbruch zur Volkermission ist sicher auf breiterer Front zu beantworten, als Lukas dies mit der Korneliusepisode in Apg 10-11 tut. Fur ihn ist es jedoch wichtig, dass der durchaus nicht selbstverstandliche Weg zur Volkermission anhand einer geradlinigen Entwicklung von zwingender Stringenz, bei der ein Schritt folgerichtig aus dem anderen hervorgeht, verstehbar wird. Die christliche Mission zieht nach Lukas erst allmahlich ihre Kreise. Und dabei sind es dann jeweils besondere Schlusselereignisse, die den VorstoS in neue Bereiche erklaren. Dass Petrus den ersten Schritt iiber die Grenzen Israels hinaus vollzieht, ist im Rahmen dieser Konzeption nur konsequent. Tatsachlich aber werden die Akteure und VorstoSe, die schliefilich zu der vollendeten Tatsache getaufter Nichtjuden also der ersten »Heidenchristen« - gefiihrt haben, vielfaltiger gewesen sein. Uber die Zielgruppe der ersten missionarischen Unternehmungen des Paulus lasst sich nur wenig Sicheres ausmachen. Mit dem Aufbruch in die »Arabia« (Gal 1,17) bewegte er sich in ein Gebiet, das sudostlich von Damaskus lag und politisch zum Herrschaftsbereich des Nabataerkonigs Aretas IV. gehorte. Hier gab es zwar auch jiidische Gemeinden, 164

aber sie befanden sich in einem stark hellenistisch gepragten Umfeld. Hatte Paulus bereits zu diesem frlihen Zeitpunkt Kontakte zu Nichtjuden?158 Nach seiner Riickkehr und Flucht aus Damaskus missionierte er in seiner alten Heimat Syrien und Zilizien (Gal 1,21). Beschrankte sich Paulus dabei allein auf die jiidischen Diasporagemeinden?159 Seinem missionarischen Selbstverstandnis nach war er jedenfalls schon »vom Mutterleib an dazu auserwahlt ... das Evangelium unter den Volkern zu verkiindigen« (Gal 1,15-16). Im Jahre 49 fand in Jerusalem der sogenannte Apostelkonvent statt, auf dem die Frage der Beschneidung fur Heidenchristen geklart werden sollte. Das Phanomen des Heidenchristentums existierte also schon langst. Paulus vertrat mit Barnabas und Titus jene Position, die fur Heidenchristen die Freiheit von der Beschneidung forderte. Er erscheint dabei als der mafigebliche Vorkampfer dieser Position (Gal 2,6-10). Auch Lukas lasst den Paulus auf der ersten Missionsreise (Apg 13-14) noch vor dem Apostelkonvent unter Nichtjuden in Syrien und Kleinasien missionieren. Aber er ordnet diese Reise zeitlich nach der Korneliusgeschichte ein. Er kann dabei zwar nicht verschweigen, dass sich der Kreis der Hellenisten schon nach dem Stephanusmartyrium zerstreut hat und mit missionarischen

158 Die Verfolgung durch Aretas und seine Leute in Damaskus (2Kor 11,32-33) scheint das nahezulegen; allerdings waren hier auch innerjiidische Konflikte denkbar, die Aretas unterbinden will. 159 Hier spielt vor allem die Frage eine Rolle, ob man die Mission in Syrien und Zilizien (Gal 1,21) mit der sog. ersten Missionsreise in Apg 13-14 identifiziert und wie man sie iiberhaupt zeitlich einordnet.

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Aktionen bis Phonizien, Zypern und Antiochia gelangt 1st (11,19). Dieses chronologische Dilemma lost Lukas jedoch so, dass diese Hellenisten zunachst nur unter ihren jiidischen Glaubensgenossen in der Diaspora gepredigt hatten, bevor dann - nach der Korneliusgeschichte - in einem zweiten Schub nun auch Nichtjuden mit einbezogen worden waren (11,20-21). Daraufhin ware dann Barnabas von den Jerusalemern nach Antiochia geschickt worden, um die Verhaltnisse zu regeln; er schliefilich habe den Paulus nach Antiochia geholt (11,22-25). Das Bemuhen um Zuordnung im Sinne eines zeitlichen Nacheinanders lasst sich dieser Schilderung deutlich anmerken. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die Hellenisten in Zypern und Antiochia ebenso wie Paulus und auch Petrus etwa zeitgleich und unabhangig voneinander ganz ahnliche Erfahrungen machten: AuGerhalb von Jerusalem und Judaa kamen sie mit Nichtjuden in Beruhrung, die ihre Verkiindigung annahmen und von ihnen daraufhin in die Gemeinden aufgenommen wurden. Dass Lukas allein Petrus als den Ersten zeigt, der diesen Schritt vollzieht, geschieht aus einem doppeltem Grund: Zum einen wird an der Korneliusgeschichte die ganze Problematik dieser Grenziiberschreitung exemplarisch sichtbar, zum anderen verhalf gerade die Autoritat des Petrus der umstrittenen Entscheidung zu ihrer notwendigen Legitimation. Zunachst ist die Zielgruppe der ersten Schritte zur »Heidenmission« noch einmal genauer in den Blick zu nehmen. Denn die Hellenisten aus Jerusalem oder Paulus versuchten nicht von sich aus, Nichtjuden als neue Adressaten zu gewinnen. Sie fanden sie vielmehr schon vor, wenn sie das Podium der Synagogenpredigt fur ihre Verkiindigung nutzten. 166

Langst hatte sich um die Synagoge hemm ein Kreis von Interessenten nichtjlidischer Herkunft gebildet, der sich von dem konsequenten Monotheismus des Judentums sowie von seiner klaren Ethik beeindrucken liefi. Dieser Kreis, den man mit dem Begriff der »Gottesfurchtigen« bezeichnete, hatte sich dem Glauben Israels zugewandt, ohne jedoch den letzten und schwerwiegenden Schritt der Beschneidung zu vollziehen. Am Gottesdienst der Synagoge, fur den es keinerlei Zutrittsbedingungen gab und der als reiner Wortgottesdienst aller kultischen Elemente entbehrte, nahmen sie teil.160 Mit der Tora und den Propheten waren sie vertraut. Das Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Schopfer des Himmels und der Erde, teilten sie. Aber erst durch die Beschneidung hatten sie als sogenannte Proselyten dann auch im rechtlichen Sinne zu Gliedern des Bundesvolkes werden konnen.161 Dass sie sich deshalb der christlichen Verkiindigung gegenliber besonders aufgeschlossen zeigten, sofern diese auf die Beschneidungsforderung verzichtete, liegt auf der Hand. Zudem bedurfte es gegeniiber den Gottesfurchtigen nicht erst der grundsatzlichen Klarung, wer derm der eine Gott Israels sei. Der Schritt der christlichen Verkiindigung iiber die Grenzen Israels hinaus setzte deshalb zuerst bei dieser dem Judentum verbundenen Zielgruppe an, bevor dann in einem spateren 160 Als Horer der Synagogenpredigt werden sie vorausgesetzt und auch direkt angesprochen z.B. in Apg 13,16.26.43.50 (Antiochia in Pisidien); 17,4 (Thessalonich); 17,17 (Athen). IKor 14,16.24 setzt die Anwesenheit von »Unglaubigen« oder »Unkundigen« auch im christlichen Gottesdienst voraus. 161 Vgl. dazu insgesamt B. WANDER, Gottesfurchtige und Sympathisanten, WUNT 104, Tubingen 1998. 167

Stadium der Weg auch zu denen fiihrte, die ohne jede »Vorbereitung« aus dern Umfeld einer polytheistischen Religiositat heraus die christliche Verkiindigung horten.162 Die Korneliusgeschichte in Apg 10 liefert ein Beispiel dafiir, wie der Weg eines solchen Gottesfurchtigen in die christliche Gemeinde vonstatten ging.163 An der Haltung des Petrus lasst sich ablesen, wie zogerlich die christlichen Missionare dabei zunachst mit dieser Zielgruppe umgingen. Deshalb ist die ganze Erzahlung auch daraufhin angelegt, den Widerstand des Petrus als einen begrlindeten Widerstand zu beschreiben, dann aber seine Uberwindung durch Gott selbst umso nachdriicklicher vor Augen zu fiihren. Die theologischen Gewichte, die daran hangen, werden bereits am formalen Aufbau spiirbar: Das in 10,1-48 geschilderte Ereignis erfahrt in 11,1-18 noch einmal eine ausfiihrliche Rekapitulation und muss von Petrus vor den »Aposteln und Briidern« in Jerusalem gegen alle Einwande verteidigt werden; durch zahlreiche Querverweise, die der Wiederholung, Verkniipfung, Vertiefung oder Absicherung dienen, wer162 Den Thessalonichern etwa bescheinigt Paulus, dass sie sich von den Gotzen zu Gott bekehrt hatten (IThess 1,9). In Apg 14,11-18 wird auf drastische Weise erzahlt, wie die Leute von Lystra Barnabas und Paulus fur Jupiter und Merkur ansahen und ihnen op fern wollten; in 17,16-34 diskutiert Paulus mit Epikureern und Stoi'kern; in Ephesus hat er mit Vertretern paganer Magie (19,19) und mit Anhangern des Dianakultes (19,23-40) zu tun. 163 Die Geschichte erinnert an den Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,5-13/Lk 7,1-10), der ebenfalls als Gottesfiirchtiger eingefiihrt wird und dem Jesus Glauben bescheinigt. Im Licht neuer Missionserfahrungen konnte man darin den eigenen Schritt durch die Offenheit Jesu legitimiert sehen.

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den die entscheidenden Sachverhalte den Leserinnen und Lesern didaktisch geschickt immer wieder eingepragt. Unmissverstandlich macht schon die erzahlerische Anlage klar, dass es hier um eine heikle Angelegenheit geht, die nicht in dramatischer Kurze, sondern nur in ausflihrlich reflektierter Gestalt berichtet werden kann. Dem entspricht auch die Einbettung der Erzahlung in den Gesamtkontext der Apostelgeschichte: Abgesehen von der Seefahrtserzahlung Apg 27-28 handelt es sich um die langste Erzahleinheit iiberhaupt. Sie ist zudem an einem Wendepunkt platziert, an dem Petrus nach getaner Arbeit die Szene raumt und von nun an ausschliefilich Paulus das Feld iiberlasst. Dass die Verschrankung beider Lebenswege an dieser Stelle auch als eine Art Staffeliibergabe erscheinen konnte, liegt sicher in der Absicht des Lukas. Den Hauptakzent der Erzahlung tragen die beiden Visionen am Anfang (10,1-8.9-16), die durch Querverweise aufeinander bezogen sind. Aus dieser Korrespondenz wird schon ersichtlich, dass die Begegnung zwischen Kornelius und Petrus gottlicher Regie folgt. Weder die beharrliche Zudringlichkeit des Kornelius noch die erfolgsorientierte Strategic des Petrus bringen den Stein ins Rollen, sondern allein Gott, der hier wie auch in anderen Schliisselsituationen den entscheidenden Impuls vermittelt.164 Aus dem bisherigen Verstandnis seines Auftrages heraus kann Petrus diesen Schritt also nicht vollziehen. Er bedarf dazu noch einmal eines erneuten Anstofies. Die beiden Visionen 164 Der missionarische Aufbruch zu Pfingsten wird durch den Geist Gottes ausgelost (2,1-4); den Beginn der Europamission des Paulus setzt eine Vision in Gang (16,6-8.9); im Ruckblick begriindet Paulus seine missionarische Tatigkeit unter Nichtjuden rnit einer Vision des Auferstandenen im Tempel (22,17-22).

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werden deshalb auch immer wieder zur Selbstvergewisserung bzw. als Hauptargument der Verteidigung ins Spiel gebracht: Noch tiber die Vision hinaus lenkt der Geist Gottes die Gedanken des Petrus (10,17-20); die Boten setzen Petrus schon vorab uber die Vision des Kornelius in Kenntnis (10,22); bei ihrer Begegnung tauschen sich beide ausfuhrlich uber ihre Visionen aus (10,28-33); in Jerusalem begriindet Petrus sein Verhalten dann wiederum mit den gottlichen Weisungen beider Visionen (11,5-10.13-14). Wenn der Umschwung des Petrus also schon von den Anstofien jener Visionen her in Gang gesetzt wird, so vollzieht er sich dann vollends durch das Kommen des Geistes im Hause des Kornelius (10,44). Man hat deshalb diese Geschichte gelegentlich auch als »das Pfingsten der Heiden« bezeichnet: Hier wie schon in Apg 2 ist es der Geist Gottes, der Petrus in die Pflicht nimmt; hier wie dort spricht die Predigt knappe Kernpunkte der Verkiindigung an; hier wie dort kommt es abschliefiend zu Taufen und zur Grundung einer Gemeinde. Noch starker tritt in Apg 10-11 jedoch die Durchsetzung des gottlichen Planes hervor: Dem Petrus bleibt gar keine andere Wahl, als Kornelius und die in seinem Haus versammelten Gottesfurchtigen »im Namen Jesu Christi zu taufen« (10,48). Er wird von den schon vollendeten Tatsachen formlich iiberrollt. Seine Aufgabe besteht nur noch darin, den neuen Weg mitund weiterzugehen. Der eindrucksvollen Dynamik des gottlichen Handelns sind in der Erzahlung freilich einige Widerstande entgegengesetzt, die auch ausreichend zur Sprache kommen: Schon in der einleitenden Vision formuliert Petrus seine auf die Reinheitsgebote der Tora gestiitzten Bedenken (10,14); im Hause des Kornelius thematisiert er zunachst die Hemmnisse, die einer solchen Begegnung entgegen170

stehen (10,28); die anwesenden Judenchristen aufiern ihr Entsetzen liber die Geistbegabung der Gottesfurchtigen um Kornelius (10,45-46); in Jerusalem wird Petrus mit dern Vorwurf unerlaubter Tischgemeinschaft konfrontiert (11,1-3). Anstatt den Gang der Ereignisse aber wirksam aufhalten zu konnen, dienen diese Einwande nur seiner weiteren Forcierung. In ihrer erzahlerischen Struktur und ihrern sachlichen Anliegen lasst die Korneliusgeschichte eine ganze Reihe von Eigentiimlichkeiten lukanischer Theologie erkennen. Dazu gehort auch die Hervorhebung des Petrus, der hier im Blick auf die Volkermission zurn Ersten wird.165 Mit diesem Verdienst, das in Apg 15 dann nur noch eine gesamtkirchliche Absicherung erfahrt, lasst ihn Lukas aus dem Gesichtskreis der Apostelgeschichte heraustreten. Dennoch darf man das Ganze nicht pauschal als eine literarische Fiktion abtun. Sicher war Petrus nicht der Erste, der sich der Volkermission offnete. Aber daran, dass er diesen Schritt iiberhaupt vollzogen hat, kann kein Zweifel bestehen.166 Die Korneliusgeschichte, die auf entsprechenden Uberlieferungen aufbaut, bietet dafur nur ein Indiz - wobei sie im Besonderen verdeutlicht, wie wichtig gerade die Beteiligung des Petrus fur die Akzeptanz der Volkermission gewesen sein muss. Andere Indizien treten hinzu. Dass Petrus z. B. nach Apg 12,1-17 wahrend der Repressalien unter Herodes Agrippa I. in Haft gerat und daraufhin Jerusalem verlassen muss, er165 Der Bezug zu seiner Berufimg in Lk 5,1-10 und dem reichen Fischfang des kiinftigen Menschenfischers liegt auf der Hand. 166 Vgl. auch M. HENGEL, Petrus und die Heidenmission, in: Das Petrusbild in der neueren Forschung, hg. v. C. P. THIEDE, Wuppertal 1987,163-170. 171

klart sich am besten aus seiner zunehmenden Offenheit fur die Mission unter Nichtjuden: Fur »Jakobus und die Briider« (Apg 12,17) mit ihrem streng judenchristlichen Profil wird er zu einem Unsicherheitsfaktor, weil er die ohnehin unter Druck stehende christliche Gemeinde mit einer solchen »liberalen« Haltung verstarkt in die Schusslinie ihrer Gegner bringt. Paulus bestatigt, dass Petrus auf dem Apostelkonvent in Jerusalem die Freiheit von der Beschneidungsforderung unterstiitzt hat (Gal 2,6-10). Und wenn das nach Apg 15,7-11 noch mit dem Rekurs auf eigene Erfahrungen unterstrichen wird, so liegt diese Darstellung sachlich gewiss auf der richtigen Linie. Aus der Vereinbarung in Gal 2,9 (»wir zu den Volkern, sie zu den Juden«) darf man keine strikte Trennung zwischen Zielgruppen oder Missionsgebieten schlussfolgern - eher geht es dabei wohl um die Frage der Verantwortlichkeit fur zwei miteinander kooperierende Missionsbewegungen. Petrus bleibt dabei ebenso wenig auf Juden beschrankt wie Paulus auf Nichtjuden.167 Entscheidend ist, dass Petrus die Volkermission vorbehaltlos mittragt. Durch seine Tischgemeinschaft mit Nichtjuden in Antiochia hat er diese Haltung dann auch in der Alltagspraxis des Gemeindelebens bewiesen (Gal 2,11-14). Als Protagonist der Mission hat Petrus auf jeden Fall dazu beigetragen, auch den folgenreichen Schritt zu den Volkern so zu gehen, dass die Einheit des friihen Christentums dariiber nicht zerbrach. 167 Das zeigt die Ankunft des Petrus in Antiochia Gal 2,11; Paulus wiederum beginnt seine Predigten stets in der Synagoge und nutzt die jiidischen Gemeinden der Diaspora als Anlaufpunkte.

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2.4. Wundertater durch Glauben 2A.I. Taten und Erfahrungen Petrus tritt in der Apostelgeschichte nicht nur als Prediger, sondern auch als Wundertater auf. Dieser Zug nimmt nach der theologischen Konzeption des Lukas auf und fiihrt fort, was bereits in der Aussendungsiiberlieferung seiner Jesusgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hatte: Mit dem Auftrag zur Verkimdigung des Evangeliums an die Zwolf war auch die Vollmacht fur die Ausfiihrung von Krafttaten verbunden.168 Folgerichtig wird die Verkundigung der Apostel nach Ostern von weiteren Krafttaten begleitet. Fur Lukas sind solche Taten Zeichen der Heilszeit. Sie kiindigen sich im Wirken der Propheten schon an, erreichen im Auftreten Jesu ihren H6hepunkt und begleiten schliefilich den weiteren Weg der Kirche in die Zeit. In diesen Taten wird die Gegenwart Gottes erfahrbar, so dass Worte des Heils und Taten der Heilung einander unmittelbar entsprechen. Wenn Petrus in seiner Pfingstpredigt sagt, dass Jesus von Nazaret von Gott durch Krafttaten, Wunder und Zeichen ausgewiesen worden sei (2,22), dann hat er damit auch den entscheidenden Bezugspunkt fur die eigene Wundertatigkeit benannt. Der unaufhaltsame Weg des Evangeliums findet seine Bestatigung in den Zeichen der Gegenwart Gottes, die seine Boten begleiten. Das trifft auf Petrus ebenso wie auf alle anderen zu, die sich in der Evangeliumsverkiindigung engagieren. 168 Ausdrucklich wird diese Parallelitat bestatigt in Lk 9,1-2.6. (vgl. Mk 6,7.13; Mt 10,7-8). Der sekundare Markusschluss bringt dies als Verheifiung im Taufbefehl des Auferstandenen zur Sprache (16,17-18).

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Die Zahl der Wundertaten, die von Petrus berichtet werden, bleibt uberschaubar. Dafiir umfasst sie jedoch ein relativ breites Spektrum. Den ersten Hinweis liefert das Summarium (2,42-47), das die Pfingstgeschichte abschliefit. Zu dem Bild der Jerusalemer Gemeinde als einer einmutigen, in Gebet, Brotbrechen und Giiterausgleich lebenden Gemeinschaft gehort es demnach auch hinzu, dass »viele Zeichen und Wunder durch die Apostel geschahen« (2,43). Das klingt wie ein Vorverweis auf jene umfanglichere Erzahlung, die sich nun unmittelbar anschliefit und der im Aufbau der Apostelgeschichte eine ahnlich programmatische Bedeutung zukommt wie der Pfingstgeschichte zuvor. In der Erzahlung von der Heilung des Lahmen an der schonen Pforte des Tempels (3,1-11) werden zunachst Petrus und der Zebedaussohn Johannes gemeinsam als Wundertater eingefuhrt, wenngleich dann im weiteren Verlauf nur noch Petrus allein agiert.169 Das deutet schon darauf hin, dass Johannes hier wohl erst nachtraglich hinzugefugt worden ist. In der vorliegenden Gestaltung wird das Gewicht dieser Heilung dadurch erhoht, dass die Tempelrede des Petrus (3,12-26) ausdriicklich daran ankniipft, dass wahrend des Verhors der Apostel vor dem Synedrion (4,1-22) eine ausfuhrliche Besprechung des Falles erfolgt und dass selbst in dem abschliefienden Gemeindegebet (4,23-31) noch ein Nachklang in der Bitte um weitere »Heilungen, Zeichen und Wunder« zu vernehmen ist. Die Wundererzahlung selbst lasst alle Elemente des Gattungsschemas erkennen: Die Einleitung 169 Beide betreten gemeinsam das Tempelarreal (3,1); beide werden von dem Lahmen genreinsam um Almosen angesprochen (3,3-5); Petrus gebraucht anfangs auch noch den Plural: »Sieh uns an!« (3,4). Spater werden beide fur diese Tat zur Verantwortung gezogen (4,1-22).

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schildert das Auftreten des Wundertaters und die Notsituation des Kranken (1-2), in der Eroffnung kommt es zu einem Wortwechsel, der zunachst falsche Hoffnungen bei dem Gelahmten erweckt und damit die Spannung steigert (3-6 a), der Vollzug hat die Gestalt eines Wortes und einer helfenden Geste (6 b-7) sowie der Demonstration des Heilerfolges (8), zum Abschluss wird das Staunen der Menge konstatiert (9-10). Der Gelahmte bleibt zunachst vollig passiv. Sein Wunsch richtet sich auch nicht auf die Heilung, sondern auf ein Almosen. An dieser Stelle gewinnt die Erzahlung ihre charakteristische Besonderheit: Petrus wird von dem Gelahmten zunachst gar nicht als Wundertater erkannt. Ihm und den iibrigen Aposteln geht noch kein Ruf voraus. Einen Ruf muss er erst erwerben, und das tut er nun durch diese Heilung, bei der er sich auf den »Namen Jesu Christi, des Nazoraers« beruft. Wie in der Pfingstgeschichte die vollmachtige Predigt der Galilaer in Jerusalem Staunen erregt und von da an Kreise zu ziehen beginnt, so wird auch ihre Wunderkraft, die durch Jesus Christus vermittelt ist, mit dieser Geschichte erst bekannt gemacht. Die wiederholte Reflexion des Ereignisses in der anschliefienden Predigt, durch das Synedrion und im Gebet der Gemeinde fuhrt dieses Anliegen erzahlerisch weiter aus. Wiederum aber bleibt Petrus die Schlusselszene vorbehalten. Die Geschichte von Hananias und Saphira (5,1-11) ist nicht um des merkwurdigen Strafwunders willen erzahlt worden. Im Zentrum steht die Frage nach der Integritat der Gemeinde (siehe oben). Diese Integritat wird durch den Tauschungsversuch des Ehepaares verletzt und daraufhin durch ein Gottesurteil wieder hergestellt. Dem Petrus fallt dabei die Aufgabe zu, mit prophetischer Klarheit den Tatbestand zu erfassen 175

und gegenliber den Delinquenten auszusprechen. Im Falle des Hananias erfolgt der abrupte Tod zwar direkt auf die Blofistellung durch Petrus hin, jedoch ohne dass Petrus denselben in irgendeiner Weise angekundigt hatte. Etwas anders liegen die Dinge bei Saphira: Unter Verweis auf den Tod ihres Marines sagt ihr Petrus das gleiche Geschick an. Aber das ist nur eine Form prophetischen Vorherwissens und nicht der Urteilsspruch eines vollmachtigen Wundertaters. Den Namen Jesu Christi fiihrt Petrus dabei nicht im Mund. Die Luge der beiden richtete sich gegen Gottes Geist bzw. gegen Gott selbst (5,3.4.9). Petrus fungiert in dem Geschehen lediglich als derjenige, der die Zusammenhange erkennt, bekannt gibt und deutet. Das bleibt auch so bei dem Strafwunder gegeniiber dem Magier Simon in Samarien (8,18-24). Dessen Versuch, das Charisma der Apostel kauflich zu erwerben, weist Petrus mit einer Verwiinschung ab, durch die Simon aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen wird. Aber sie beinhaltet ebenfalls nur eine Feststellung jener Trennung, die Simon selbst schon vollzogen hat und deutet aufierdem noch die Moglichkeit der Umkehr an. In dem dritten Summarium (5,12-16) wird die vorausgegangene Geschichte offenbar zum Anlass genommen, noch einmal zusammenfassend auf die vielen »Zeichen und Wunder« hinzuweisen, die durch die Hande der Apostel unter dem Volk geschehen. Dabei entsteht nun aber ein iiberraschend neues Bild: Die heilige Scheu, die man der Gemeinde von aufien entgegenbringt, Iie6e sich noch mit dem vorausgegangenen Gottesurteil erklaren. Ohne Ubergang erfolgt nun jedoch die Charakterisierung des Petrus als eines Wundertaters, der sogar liber magische Krafte verfligt: Mit seinem Schatten vermag er im Vorlibergehen 176

Abb. 13: Auferweckung der Tabita, Elfenbein (5. Jh.)

die Kranken zu heilen, die man dazu in Betten und auf Tragen eigens am Strafienrand postiert. Die Massen stromen aus der ganzen Umgebung herbei - und alle werden geheilt. Hier wird das Bild einer grofien Ausstrahlung mit Farben des heidnischen Volksglaubens gemalt170 und pauschalisiert. Petrus bleibt zwar in die Schar der wunderwirkenden Apostel eingebunden, ragt aber zugleich aufgrund besonderer Fahigkeiten daraus hervor. Einen eigenen Stellenwert haben die beiden Wundererzahlungen von der Heilung des Aneas (9,32-35) und von der Auferweckung der Tabita (9,36-43). Sie sind nicht nur in geographischer Hinsicht miteinander verkniipft (9,38), sondern folgen auch einer gemeinsamen Intention. Die Notsituation entsteht unter den »Heiligen« bzw. »Jiingern«, so dass Anbahnung und Verlauf des Geschehens ein interner Vorgang zur Starkung der Gemeinden bleibt. Dennoch verbreitet sich die Kunde uber deren Kreis hinaus und fiihrt dazu, dass »viele zum Glauben an den Herrn kamen«. 170 P. W. VAN DER HORST, Peter's Shadow, NTS 23,1977, 204-212, hat eine Sammlung von entsprechenden Belegen aus der antiken Literatur zusammengestellt. 177

Im Falle des gelahmten Aneas geht die Initiative von Petrus aus. Die Erzahlung bleibt denkbar knapp und auf das Notwendigste beschrankt. Im Mittelpunkt steht das Wort: »Aneas, dich heilt Jesus Christus!« Kunstvoller ist die zweite Erzahlung aufgebaut. Es geht dabeijum nichts Geringeres als um eine Totenauferweckung! Petrus wird dazu erst an den Ort des Geschehens gerufen. Bei seiner Ankunft erfahrt er dann von dem Ausma6 des Verlustes, den der Tod der Tabita bedeutet. Offenbar hatte sie sich mit ihrem Vermogen fur die Witwen der Gemeinde eingesetzt, die deshalb von dem Tod ihrer Wohltaterin existenziell betroffen sind. Dass man von Petrus ein Wunder erwartet, wird nicht ausdriicklich gesagt, wenngleich die Erwartung in der Bitte der Boten (»Komm sofort zu uns heruber!«) mitschwingen mag. Petrus aber weiS, was er zu tun hat. Nach einem Gebet spricht er die Worte: »Tabita, steh auf!«, woraufhin die Tote wieder zum Leben erwacht. Die Vollmacht zur Totenauferweckung stellt eine letzte Steigerung dar, die das Bild von Petrus als Wunder tater erfahrt. Erwahnung verdienen noch zwei Ereignisse mit wunderhaften Ziigen, in deren Mittelpunkt ebenfalls Petrus steht. Beide Male sind es Befreiungsaktionen, die durch einen Engel Gottes in Szene gesetzt werden. 5,17-26 berichtet von der Verhaftung des Petrus und Johannes. Ein »Engel des Herrn« offnet die Gefangnistiiren und fordert die Apostel auf, von neuem im Ternpel aufzutreten. Mehr als auf diesem Wunder ruht das erzahlerische Interesse dann auf der anschliefienden Verwirrung, die dadurch ausgelost wird. 12,1-19 betont hingegen viel starker das Wunder selbst. Durch Agrippa I. inhaftiert, befindet sich Petrus in einer prekaren Lage. Detailliert werden seine Fesseln und die scharfe Bewachung geschildert, die ein Entkommen 178

als unmoglich erscheinen lassen. In der Nacht vor seinem Prozess aber, die von der Gemeinde unterdessen im Gebet durchwacht wird, tritt ein Engel des Herrn zu Petrus. Er weckt ihn und erteilt ihm Anweisungen, die Petrus nun befolgt. Die Fesseln fallen ab, die Tiiren offnen sich, die Wachposten verharren ohne Reaktion. Auf diese Weise geleitet der Engel Petrus bis in die Stadt, aus der er nach einem kurzen Abschied von der Gemeinde selbstandig entfliehen kann. Beide Geschichten lassen auf historische Erinnerungen schliefien: Petrus ist in Konfliktsituationen mehrfach lebensbedrohlichen Gefahren entkommen. Darin eine Bewahrung durch Gottes Hand zu sehen, musste angesichts der anderen Wundererzahlungen um Petrus als zwingend erscheinen. Alle Episoden und summarischen Andeutungen, die in der Apostelgeschichte von Wundertaten durch oder an Petrus berichten, haben eins gemeinsam: Was geschieht, geschieht durch den Glauben an Jesus Christus. Zeichen und Wunder ereignen sich durch die Apostel (2,43; 5,12), die somit nur Werkzeuge gottlichen Handelns sind. Den Lahmen an der Tempelpforte heilt Petrus »im Namen Jesu Christi, des Nazoraers« (3,6). In der anschliefienden Rede weist er den Gedanken strikt von sich, etwa »aus eigener Kraft oder Frommigkeit« diese Heilung bewirkt zu haben (3,12) und macht dafur allein den Glauben an Christus als den »Urheber des Lebens« verantwortlich (3,13-16); vor dem Synedrion bekennt Petrus auf die Frage, durch welche Kraft oder in wessen Namen er gehandelt habe: »Im Namen Jesu Christi, des Nazoraers ...!« (4,7.10); noch das Gemeindegebet reflektiert, dass Heilungen und Zeichen und Wunder »durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus« geschehen (4,30). Die Worte an Aneas sagen es ganz 179

direkt: »Dich heilt Jesus Christus!« Nichts anderes bringt auch das kniefallige Gebet vor der Auferweckung der Tabita zum Ausdruck (9,40). Es 1st der Glaube an den Auferstandenen, der sich in diesen Worten ausspricht und damit den Grund fiir die »Krafttaten« des Petrus bezeichnet. Allein die Wunderkraft seines Schattens in 5,15 fallt aus dieser Linie heraus und erweist sich als ein Fremdkorper in dern Bild, das die Uberlieferung ansonsten von dem Wundertater Petrus gezeichnet hat. Aber das andert nichts an der Erkenntnis, dass allein der Glaube der Grund fiir die Befahigung des Petrus zu ungewohnlichen Taten bleibt. Als einen Heroen hat ihn die fruhe Christenheit nicht verstanden. 2.4.2. Beziige und Parallelen Petrus wird auch in seiner Wundertatigkeit von Lukas noch deutlich als Nachfolger Jesu gezeichnet. Nicht allein, dass er dabei »im Narnen Jesu Christi des Nazoraers« handelt - auch die Erzahlungen selbst erinnern irnrner wieder an Vorbilder in der Jesusiiberlieferung. Die summarischen Aussagen heben ganz analog zu den Heilungssummarien bei den Synoptikern ein Wesensmerkmal hervor, das Petrus rnit seinern Meister verbindet. Wenn Petrus zweimal einen Gelahmten heilt, dann lasst das an die Heilungen Gelahmter durch Jesus171 und deren Bedeutung als Zeichen der Heilszeit (vgl. Lk 7,22/Jes 35,5-6) denken. Mit der Auferweckung der Tabita klingen die Auferweckungswunder Jesu an, wobei sich gerade bei Lukas 171 Die Aufforderung an Aneas Apg 9,34 gleicht auch im Duktus der Aufforderung Jesu in Lk 5,24par. Vgl. insgesamt Mk 2,l-12par; Mt 8,5-13 (hier 1st der Diener des Hauptmanns gelahmt); Joh 5,1-18; dazu die Hinweise Mt 11,5/ Lk 7,22; Mt 15,30-31; 21,14; Lk 14,13. 180

der Bogen beabsichtigter Anspielungen noch welter zuriick bis zu den Auferweckungen durch die Propheten Elija und Elischa spannt172 Selbst die magischen Krafte, die ohne eigenes Zutun von Petrus ausgehen, finden ein Vorbild in entsprechenden Szenen, die von Jesus iiberliefert sind.173 Fur die wundersame Befreiung des Petrus aus der Haft konnte man noch einen Bezug auf die Starkung Jesu durch einen Engel in Getsemani erkennen.174 Jedenfalls ist Lukas daran interessiert, Petrus auch in seinen »Krafttaten« erkennbar fortsetzen zu lassen, was rnit Jesus begonnen hat. Dieser Zug bleibt jedoch nicht auf Petrus beschrankt. Ahnlich wie bei der Verkiindigung lasst sich auch im Blick auf die Wunderwirksamkeit eine auffallige Parallele zu Paulus beobachten. Das Strafwunder des Paulus an dem Magier Elymas auf Zypern (13,6-12) folgt demselben Schema wie das Strafwunder des Petrus an dem Magier Simon in Samarien, wobei sich lediglich die Art der Strafe (befristete Blindheit fur Elymas, Exkommunikation fur Simon) unterscheidet. Einen Gelahmten heilt auch Paulus in Lystra (14,8-10), wobei er ebenfalls in Gemeinschaft 172 Lukas fiigt zur Auferweckung der Tochter des Jairus (Lk 8,40-42.49-56par) noch die des Jiinglings von Nain (LkS 7,11-17) hinzu. Die Anklange an IKon 17,17-24 und 2K6n 4,18-37 sind deutlich: Vom Obergemach als dem Ort des Geschehens bis hin zu Gestus und Gebet gibt es zahlreiche Analogien. 173 In der Geschichte von der blutflussigen Frau (Mk 5,2534par) geniigt die heimliche Beruhrung des Gewandes; in einern Summarium (Mk 6,56/Mt 14,36) wird auf den Wunsch vieler Kranker verwiesen, wenigstens den Gewandsaum Jesu im Vorbeigehen beruhren zu diirfen. 174 Nur Lk 22,43-44 fiigt das Erscheinen eines Engels in die Szene ein; Engel geleiten auch in Apg 5 und 12 den Petrus durch alle Gefahren hindurch.

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erscheint und die Folgen dieser Heilung dann auch gemeinsam mit Barnabas auszustehen hat. In Troas bewirkt er die Auferweckung des Eutychus (20,7-12), die sich in manchen Einzelheiten mit der Auferweckung der Tabita beruhrt. Summarische Hinweise auf weitere Heilungen begleiten ebenso die Schilderungen der paulinischen Tatigkeit (15,12; 28,9). Besonders auffallig ist die Parallele zur magischen Wunderkraft des Petrus: In Ephesus bemiihen sich die Kranken sogar urn die Schweifi- und Taschentiicher des Paulus, um durch deren Beriihrung Heilung zu erlangen (19,11-12). Der wundersamen Errettung des Petrus aus der Haft entspricht die Befreiung des Paulus aus gleicher Situation in Philippi (16,23-40). Diese deutliche und beabsichtigte Parallelitat halt auch hier fest, dass beide derselben Sache verpflichtet sind und sie in gleicher Weise vertreten. Einen Vorrang hat Petrus nicht. Vielmehr zeigt sich, dass die von Paulus berichteten Wunder die des Petrus an Zahl und Vielfalt noch iibersteigen.175 Alles kommt fur Lukas darauf an, dass der Weg des Evangeliums auch weiterhin von den Zeichen der Heilszeit begleitet wird. Diejenigen, durch die solche Zeichen geschehen, treten dahinter zuriick. Petrus und Paulus stehen mit ihren Wundern nicht allein. Einige wenige Beispiele konnen das verdeutlichen. Die Summarien in 2,43 und 5,12 nennen pauschal »die Apostel«, durch die bzw. durch deren Hand Zeichen und Krafttaten geschehen. Von Stephanus heifit es in 6,8, dass er »voll Gnade und Kraft 175 Vgl z.B. noch Exorzismen: 16,16-18; 19,12.13-17; Immunitat: 28,2-6; Heilung von Fieber: 28,7-8. Bemerkenswert ist auch das Selbstzeugnis des Paulus: IThess 1,5; IKor 2,4-5; 2Kor 12,12; Rom 15,18-19.

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grofie Wunder unter dem Volk tat.« Philippus steht ihm darin nicht nach: Auch er tut nach 8,6-7 Zeichen, die dann summarisch als Exorzismen sowie Heilungen von Gelahmten und Versehrten bezeichnet werden. Das sind sicher nur Streiflichter, die eine ursprtinglich grofiere Zahl an Uberlieferungen verniuten lassen. Die spatere Legendenbildung hat daran angekniipft, um Petrus und die anderen Personlichkeiten der Frlihzeit mit immer spektakulareren Wundertaten auszuriisten.176 Im Blick auf den historischen Petrus aber ist festzuhalten: »Krafttaten« sind als Teil seiner Tatigkeit von Anfang an uberliefert worden mit dem Ziel, die Kontinuitat seiner Verklindigung gegeniiber der Wirksamkeit Jesu zum Ausdruck zu bringen. Doch auch darin bleibt Petrus in den weiteren Kreis der »Zeugen« seiner Generation eingebunden. 2.5. Wanderprediger auf Reisen 2.5.1. Abschied von Jerusalem In seinem ersten Brief an die Gemeinde von Korinth, der etwa im Jahr 54/55 geschrieben ist, weifi Paulus bereits von der Wanderschaft des Petrus zu berichten: »Haben wir denn nicht auch die Freiheit, eine Schwester als Ehefrau mit uns zu fuhren - wie die iibrigen Apostel und die B ruder des Herrn und Kef as?« (!Kor9,5) Paulus, der selbst ehelos lebt (IKor 7,7) 176 Das steigert sich bis zur Absurditat bereits in den apokryphen ActPetr: Petrus bringt einen Hund zum Sprechen, einen Saugling ebenso, macht einen geraucherten Thunfisch lebendig, fugt durch Besprengen mit Wasser eine zertriimmerte Marmorstatue wieder zusammen, erweckt Tote am laufenden Band usw. 183

und damit zugleich Unterhaltskosten sparen hilft (IKor 9,12), verweist hier auf seine verheirateten Kollegen. Die Frau des Petrus wird also ihrem Ehemann spatestens dann aus Kafarnaum gefolgt sein, als sich sein neuer Lebensmittelpunkt nach Jerusalem verlagerte. Dass sie ihn auf seinen Reisen begleitet habe, lasst sich aus dem griechischen Begriff fur »mit sich (herum)fuhren« schlussfolgern, der das Moment der Bewegung enthalt. Damit ist freilich noch nichts iiber den Radius und die Richtung solcher Bewegungen gesagt, und moglicherweise ist Paulus hier auch nur an der Existenz der Ehefrauen als solcher interessiert. Doch aus dem Vergleich mit seiner eigenen Situation und der Frage des Unterhaltsrechtes, die im Kontext diskutiert wird, ist der Status von Wandermissionaren bei den Genannten dann wohl doch deutlich vorauszusetzen.177 Die Mobilitat des Petrus kommt schlieSlich auch in anderen Zusammenhangen zur Sprache. Aus verschiedenen sporadischen Notizen setzt sich das Bild einer allmahlichen Ablosung des Petrus von Jerusalem zusammen. Hier hat er zuerst Leitungsverantwortung ubernommen, die Initiative zur Verkiindigung ergriffen und durch seine Wirksamkeit der Gemeinde einen Ruf erworben. Aber alle diese Aktivitaten bleiben in Jerusalem zeitlich begrenzt.178 Bei den wiederholten Repressalien, denen die Gemeinde ausgesetzt ist, gerat offenbar auch Pe177 Der Ubergang des Zwolferkreises zur Wandermission ist aufgrund seines raschen Bedeutungsverlustes in Jerusalem anzunehmen; von den Briidern des Herrn fehlen zuverlassige friihe Nachrichten; allein der Herrenbruder Jakobus hat nachweislich Jerusalem nicht verlassen. 178 Die Uberlieferung einer 12-jahrigen Wirksamkeit (z. B. Kerygma Petrou 3; ActPetr 5,1) scheint eher an der idealen Zahl interessiert zu sein. 184

trus zunehmend in Gefahr. Dieser Prozess spiegelt insgesamt eine Verschlechterung des Verhältnisses zu den politisch-religiösen Autoritäten wider. Während man am Anfang die kleine Gruppierung der Jesusanhänger noch zu ignorieren versucht (Apg 5,34–40), löst bereits die erfolgreiche Missionstätigkeit der »Hellenisten« die ersten gezielten Aktionen gegen die Gemeinde aus (Apg 6,11–15; 7,54–59; 8,1–3), an denen auch Saulus aus Tarsus beteiligt ist. Von der Vetreibung der »Hellenisten« aus Jerusalem (8,1.4) bleibt Petrus offenbar dank unangefochtener Toratreue verschont. Aber seine immer stärker werdende Zuwendung zu den Gemeinden in Samariën und in der Küstenebene, vor allem aber die Öffnung und der eigene Vorstoß in Richtung »Heidenmission« bringen ihn in Bedrängnis. Die nächste größere Welle von Repressalien im Jahr 44 erfasst auch ihn. Agrippa I., ein Enkel des Herodes des Großen, der gerade erst drei Jahre zuvor von Roms Gnaden die Herrschaft über das alte Territorium seines Großvaters erhalten hatte, versuchte mit diesen Repressalien innenpolitischen Boden gut zu machen. Durch solche Maßnahmen spekulierte er auf Sympathien in Jerusalem (12,3). Aufgrund eines ausschweifenden Lebensstiles und seines Gebahrens als Herrscher (12,20–23) hatte er das auch bitter nötig. Eines der ersten prominenten Opfer wurde der Zebedäussohn Jakobus, den er mit dem Schwert hinrichten ließ (12,2).179 Das musste schließlich auch für Petrus höchste Gefahr bedeuten. Nur noch kon-

179 Aus der Ankündigung des Todes der beiden Zebedäussöhne in Mk10,39 könnte man die Kenntnis von dem gemeinsamen Tod beider Brüder schließen – Apg 12,2 nennt allerdings nur Jakobus.

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sequente Vertreter des Jerusalemer Judenchristentums wie etwa der Herrenbruder Jakobus vermochten die Repressalien zu iiberstehen. Apg 12,1-19 geht ausfiihrlich auf diese Situation ein. Die Verhaftung des Petrus wird dabei auf den Beginn des Passafestes datiert, so dass ein entsprechender Schauprozess bis auf die Zeit nach dem Fest verschoben werden muss. Diese Spanne der Inhaftierung wird nun zum Haftpunkt, um die Geschichte von der wunderbaren Befreiung des Petrus einzufiigen.180 Sie gab dem Erzahler Lukas zugleich die Gelegenheit, ein wichtiges Anliegen seiner theologischen Konzeption zu entfalten: Nichts vermag die Ausbreitung des Evangeliums aufzuhalten - und da, wo sich Hindernisse in den Weg stellen, werden sie durch gottliches Eingreifen uberwunden. Diesem Anliegen dient sowohl das Rettungswunder, das von Petrus berichtet wird, als auch die anschliefiende Erzahlung vom grauenhaften Ende des Christenverfolgers Agrippa I. (12,20-23). Reich an dramatischen Details kommt die lebensbedrohliche Situation des Petrus gleich zu Beginn in den Blick. Sein Prozess ist schon beschlossene Sache und findet hier nur Aufschub. Eine beachtliche Mannschaft (vier mal vier Soldaten) hat die Bewachung ubernommen, die durch die zusatzliche Fesselung mit zwei Ketten und die Prasenz von Wachposten unmittelbar am Lager des Petrus als eine Hochsicherheitsverwahrung erscheint. Um so mehr kommt der Kontrast zur Wirkung, der durch das Auf180 Durch die Analogie zu 5,17-26 sind die Leserinnen und Leser schon darauf vorbereitet; in 16,23^0 werden sie sich bei dem Geschick des Paulus in Philippi daran erinnern. Die spatere Legende von der Haft des Petrus im Mamertinischen Kerker in Rom (Legenda aurea) hat sicher an diese Vorbilder angekniipft. 186

treten des Engels hervorgerufen wird. Die Ketten fallen ab, die Wachposten nehmen uberhaupt nichts wahr, die Turen (selbst das »eiserne Tor«) offnen sich von allein. Petrus bleibt vollig passiv. Der Engel muss inn zu jeder Vorbereitung erst einzeln auffordern (»Steh auf!« - »Binde den Giirtel um und zieh deine Sandalen an!« - »Zieh deinen Mantel an und folge mir!«). Das ist mit Bedacht erzahlt. Denn somit wird klar, dass Petrus das Martyrium nicht scheut und nicht etwa mit zitternden Knien der Freiheit entgegenhastet. Der Gottesbote muss ihn geradezu notigen, die Chance zur Rettung zu ergreifen. Petrus soil von vornherein gegen jeden Vorwurf der Leidensscheu in Schutz genommen werden. Die gegllickte Flucht entspricht dem Willen Gottes. Deshalb verschwindet Petrus auch nicht heimlich aus der Stadt, sondern nimmt noch Abschied von den im Haus der Maria (der Mutter des Johannes Markus) Versammelten, die in der Nacht fur seine Rettung gebetet hatten. Sein AbschiedsgruB gilt »Jakobus und den Briidern«. Die Leitungsverantwortung hat bereits eine neue Regelung gefunden. Hinter dieser Erzahlung stehen zweifellos geschichtliche Ereignisse. Petrus gerat wahrend der Repressalien unter Agrippa I. in Haft und vermag unter dramatischen Umstanden zu fliehen. Gemeindeglieder einer Hausgemeinde sind ihm behilflich beim Verlassen der Stadt. Die Gemeinde erfahrt diese Rettung als Erhorung ihrer Gebete und erkennt darin die Bewahrung des Petrus fur neue Aufgaben. Wohin sein weiterer Weg fiihrt - dariiber fehlt dann freilich jede Auskunft. Der viel umratselte Schlusssatz der Szene in 12,17: »Dann ging er hinaus und begab sich an einen anderen Ort.« bietet zwar immer wieder Anlass fur Spekulationen, lasst aber keine sicheren 187

Schliisse zu.181 Es liegt nahe anzunehmen, dass Petrus zunachst untertauchen musste. Im Jahre 49 1st er dann auf dem Apostelkonvent in Jerusalem wieder zur Stelle. Aber da 1st Agrippa I. schon tot, und es scheint, als sei Petrus auch nur voriibergehend zuruckgekehrt. Das deutet sich in Gal 2,9 durch die Reihenfolge der Namen »Jakobus, Kef as, Johannes« an, bei der Petrus dem Herrenbruder den Vortritt lasst. Auch die in vielen Details abweichende Darstellung in Apg 15 stellt Jakobus inzwischen als den mafigeblichen Redner heraus. Das konnte der Reflex eines langst vollzogenen Leitungswechsels sein. Nach dem Apostelkonvent jedenfalls taucht Petrus dann schon bald in Antiochia auf: »Als aber Kefas nach Antiochia kam ...« (Gal 2,11). Und wenig spater erwahnt Paulus den Kefas, der sich mit seiner Frau auf Wanderschaft befindet (IKor 9,5). Gegen Ende der 40-er Jahre ist die Zeit des Petrus in Jerusalem abgelaufen. 2.5.2. Wege im Unsichtbaren Mit dem Abschied aus Jerusalem beginnt noch einmal eine neue Phase im Leben des Petrus. Aber sie verliert sich bereits im Dunkel der Geschichte. Die einzige sichere Nachricht liefert Gal 2,11-14. Demnach hat sich Petrus relativ kurz nach dem Apostelkonvent, also Anfang der 50-er Jahre, fur einige Zeit in Antiochia aufgehalten. Wie lange dieser Aufenthalt dauerte und was Petrus von dort aus unternahm, dariiber schweigen die Quellen. Die spatere Uberlieferung hat ihn 181 Ein Beispiel phantasievoller Konstruktionen bietet C. P. THIEDE (Babylon, der andere Ort: Anmerkungen zu IPetr und Apg 12,17, in: THIEDE (Hg.), Petrusbild 1987, 221-229), der die Notiz als einen Hinweis auf Rom versteht.

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zum ersten Bischof von Antiochia erklart, 1st sich aber liber seine Aufenthaltsdauer am Ort im Unklaren.182 Uber weitere Unternehmungen 1st nichts bekannt. Aus der Notiz in IKor 9,5 lasst sich bestenfalls die Wanderschaft des Petrus als solche entnehmen.183 Die Vereinbarung des Apostelkonventes nach Gal 2,7-9 konstatiert noch einmal die Mitverantwortung des Petrus fur die missionarische Arbeit unter gebiirtigen Juden184 und zielt dabei sicher auch auf die Diaspora. Aber konkrete Wege und Ziele bleiben Gegenstand der Spekulation. Eine verlockende Spur konnte die Existenz einer »Petruspartei« in Korinth darstellen. Gleich das erste Problem, mit dem sich Paulus in IKor 1,10-17 auseinandersetzen muss, betrifft interne Kontroversen. Sie werden mit deutlichen Worten als »Spaltungen« und als Ausdruck von »Streitigkeiten« beim Namen genannt. Es geht dabei nicht um die Vielfalt verschiedener Frommigkeiten, fur die man nur etwas Toleranz aufbringen musste. Vielmehr brechen hier gegensatzliche Positionen auf, die das Selbstverstandnis der Gemeinde uberhaupt infrage stellen. 182 Nach Eusebius (Kirchengeschichte III 36,2) war Bischof Ignatius (gest. um 110) der zweite Nachfolger auf dem Stuhl des Petrus in Antiochia; nach Hieronymus (Uber beruhmte Manner 1) predigte er nach Antiochia in Kleinasien, bevor er nach Rom ging, wo er bis zum letzten Jahr des Nero (68) immerhin noch 25 Jahre gewirkt habe. 183 Petrus und seine Frau waren als ein »Apostelpaar« wie Priska und Aquila (IKor 16,19; Rom 16,3-4; Apg 18,13.18.26) oder Andronikus und Junia (Rom 16,7) zu verstehen. 184 Diese Zustandigkeit wird durch das Verhalten des Petrus in Antiochia illustriert (Gal 2,11-15); Apg 9,32-43 schildert die Visitationstatigkeit des Petrus unter judenchristlichen Gemeinden.

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Wenn Paulus den Korinthern vorhalt: »Ist Christus denn etwa zerteilt?« (1,13), dann bringt er die theologische Tragweite dieser Gruppenstreitigkeiten auf den Punkt.185 Uber die theologischen Profile der Rivalen erfahrt man so gut wie nichts. Allein ihre »Parteihaupter« werden in Gestalt von Parolen genannt: »Ich gehore zu Paulus! - Ich gehore zu Apollos! Ich gehore zu Kefas! - Ich gehore zu Christus!« (1,12). Kefas ist in Korinth also eine Autoritat und verfugt liber eine eigene Anhangerschaft, die sich als selbstandige Gruppierung innerhalb der Gemeinde formiert. Setzt dieser Umstand einen (zeitweisen) Aufenthalt des Petrus in Korinth voraus?186 Zwei Argumente konnten dafiir sprechen. Zum einen: Von Paulus und Apollos ist ein Aufenthalt in Korinth sicher belegt. Beide konnten ihre Anhangerschaft durch personlichen Kontakt gewinnen.187 Deshalb sollte man auch fur Petrus die gleiche Ausgangssituation annehmen. Zum anderen: In der folgenden Argumentation bringt Paulus die Berufung der Gruppen auf die genannten Autoritaten mit dem Faktum der Taufe in Verbindung und weist in diesem Zusam185 Das Bild von der Gemeinde als »Leib Christi« wird dann erst in 10,16-17 und zentral in 12,12-27 zur Entfaltung gebracht, steht aber hier schon irn Hintergrund: Die Einheit der Gemeinde wird durch die Zugehorigkeit jedes einzelnen Gliedes zu Christus konstituiert. 186 Zustimmend aufiern sich z. B. CH. K. BARRET, Cephas and Corinth, in: Abraham unser Vater. Juden und Christen im Gesprach uber die Bibel. FS O. Michel, hg. v. O. BETZ, M. HENGEL und P. SCHMIDT, Leiden/Koln 1963,1-12; PH. VIELHAUER, Paulus und die Kephaspartei in Korinth, NTS 21, 1975, 341-352. 187 Fur Paulus ist das der Griindungsaufenthalt (IKor 3,6; 4,15; Apg 18,1-18); Apollos trat nach Paulus in Korinth auf (IKor 3,6; Apg 18,27), bei Abfassung des IKor befand er sich wieder bei Paulus in Ephesus (IKor 16,12). 190

menhang darauf hin, dass er gliicklicherweise nur wenige getauft habe und dass die Korinther schliefilich auf den Namen Jesu Christ! getauft seien. Sollten die Gruppierungen in Korinth also dadurch entstanden sein, dass man sich auf den jeweiligen Taufer berief? Dann miisste auch die Anwesenheit des Petrus vor Ort vorausgesetzt werden. Gegen beide Argumente erheben sich jedoch Einwande. Wenn Paulus in IKor 3,1-17 das Thema der Gruppenstreitigkeiten noch einmal aufnimmt, spricht er plotzlich nur noch von sich und von Apollos als von denen, die in der Gemeinde gearbeitet haben: »Ich habe gepflanzt,

Abb. 14: Petrus und Paulus, Glasmedaillon (4./5. Jh.) 191

Apollos hat begossen, aber Gott hat es wachsen lassen.« (3,6). Wo bleibt hier Kef as? Paulus nennt ihn wohl nur deshalb nicht, well er eben nicht in Korinth war - zumindest nicht bis zu diesem Zeitpunkt. Noch komplizierter werden die Dinge im Blick auf jene »Christuspartei«. Hat ihre Aufzahlung realen, ironischen oder korrigierenden Charakter? Auf jeden Fall mahnt sie hinsichtlich der vorausgehenden Zuordnungen zur Zuriickhaltung. Die Existenz einer Anhangerschaft muss die unmittelbare Anwesenheit der Bezugsperson noch nicht zwingend voraussetzen. In 3,21-23 bringt Paulus dann noch einmal Kefas ins Spiel: »Denn alles gehort euch - sei es Paulus oder Apollos oder Kefas, sei es die Welt oder das Leben oder der Tod, sei es Gegenwartiges oder Zukiinftiges - alles gehort euch, ihr aber gehort Christus, Christus aber gehort Gott.« In diesem weiten Horizont werden alle personlichen Beziehungen ohnehin relativiert. Was die Frage der Taufe angeht, so mlisste man die Pauluspartei angesichts der wenigen Taufen (1,14-17) als ein vollig unbedeutendes Haufchen betrachten; von Apollos vermittelt Apg 18,24-28 das Bild einer unklaren Position gerade in Sachen Taufe. Fragios gab es in Korinth auch noch andere Personen, die Taufen vollzogen (IKor 15,29), so dass man dann ein viel breiteres Gruppenspektrum erwarten musste. Wie konnte die Kefaspartei aber sonst entstanden sein? Musste man dann nicht inhaltliche, programmatische Anliegen benennen, durch die sich diese Gruppierung gegeniiber den anderen profilierte? Die einleuchtendste Erklarung scheint es noch immer zu sein, in der Kefaspartei zugereiste Vertreter einer Mission zu sehen, die in der Verantwortung des Petrus stand. Um das Jahr 170 schreibt spater der Bischof Dionysios von Korinth in einem Brief nach Rom, Pe192

trus und Paulus hatten »die Pflanzung« in Korinth begonnen.188 Aber diese Worte sind schon von deutlich erkennbaren kirchenpolitischen Interessen diktiert. Im Blick auf den IKor zeigt das Fiir und Wider der Argumente nur, dass sich die Wege des Petrus iiber Antiochia hinaus nicht mehr aufhellen lassen. Eine andere Frage ist die nach der Autoritat und dem Einfluss, den Kefas in Korinth bzw. im paulinischen Gemeindekreis besafi.189 Obwohl der erste Korintherbrief nach dem Konflikt um die Tischgemeinschaft in Antiochia (Gal 2,11-14) geschrieben ist, lasst Paulus keine Ressentiments gegeniiber Petrus erkennen. In die Abweisung von Parteibildungen schliefit er sich und Apollos mit ein. Die Erwahnungen des Kefas in IKor 9,5 (Wandermissionar) und 15,5 (Liste der Osterzeugen) bekunden Achtung und Ubereinstimmung. Kritische Tone konnte man allenfalls aus 3,4-11 herauslesen.190 Spricht Paulus im Blick auf die Gemeindearbeit in Korinth vielleicht nur deshalb ausschliefilich von sich und Apollos (gepflanzt - begossen), weil er dem Petrus keinen konstruktiven Beitrag zuerkennen will und kann? Klingt dann nicht in 3,11: »Ein anderes Fundament kann niemand legen aufier dem, das gelegt ist - namlich Jesus Christus.« die verhohlene Kritik an einem besonderen Anspruch des Petrus oder seiner Parteiganger an? Dann miisste man allerdings annehmen, dass solche Primatsanspriiche (wie im Anschluss an Mt 16,17-19) schon fruh formuliert und weit iiber Palastina hinaus vertreten worden waren. Die Kefaspartei ware in diesem Falle der Hauptgegner des Paulus in dem Kampf um die An188 Eusebius, Kirchengeschichte II 25,8. 189 Vgl. M. KARRER, Petrus im paulinischen Gemeindekreis, ZNW 80,1989, 210-231. 190 So z. B. Ph. VIELHAUER, Paulus und die Kephaspartei 1975.

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erkennung seines Apostolates gewesen.191 Doch sicher nachweisen lasst sich das nicht. Genauso vage bleibt die Vermutung, dass die Gegner des Paulus in 2Kor 10-13 mit Petrus in Verbindung gestanden hatten. Dass sie bei ihrer Ankunft in der Kefaspartei schon eine Plattform vorfanden, von der aus sie die apostolische Legitimation des Paulus erfolgreich angreifen konnten, ist denkbar, wirft aber wieder neue Fragen auf. Das besondere Profil einer petrinischen Theologie oder gar einen direkten und bleibenden Gegensatz zwischen Petrus und Paulus kann man aus der Korintherkorrespondenz jedenfalls nicht ableiten. Seit dem Kirchenvater Hieronymus (4./5.Jh.) hat man eine Reiseroute des Petrus vor allem aus IPetr 1,1 rekonstruieren wollen. Das Praskript des Briefes beginnt: »Petrus, Apostel Jesu Christi, an die auserwahlten Fremdlinge in der Zerstreuung, in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asia und Bithynien ...«. Hieronymus sieht Petrus deshalb nach der Zeit seines »Bischofsamtes« in Antiochia als »Diasporaprediger derer aus der Beschneidung« in den genannten Gebieten, bevor er sich nach Rom begeben habe. Denn von dort aus sei der Brief an diese Gemeinden ja geschrieben (5,13 Babylon = Rom). Aber auch diese Spur verliert sich im Ungewissen. Denn Erstens nimmt man mit guten Griinden an, dass der IPetr nicht von Petrus selbst geschrieben worden ist (siehe unten). Und Zweitens umfassen die aufgezahlten funf Provinzen fast das ganze Kleinasien, so dass hier eher eine pauschale Zuordnung als eine konkrete Linie zu finden ist. Immerhin muss aber der 191 Hier lasst sich IKor 9,3 ins Feld fuhren: »Das ist rneine Verteidigung gegeniiber denen, die tiber mich urteilen ...« - in diesem Kontext vergleicht sich Paulus in 9,5 dann mit den ubrigen Aposteln und Kef as.

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Autor, der hier im Namen des Petrus geschrieben hat, von einer Beziehung des Petrus zu diesen Gebieten gewusst haben. Auffallig 1st, dass sie sich weitgehend mit dem paulinischen Gemeindebereich iiberschneiden und dass die Situation im Brief selbst spezifische Probleme von Heidenchristen betrifft. Dass Petrus Kleinasien durchwandert hat, erscheint dann wahrscheinlich, wenn man sein Ende in Rom annimmt. Den Aufenthalt in der Metropole des Imperiums setzt IPetr 5,13 mit dem Decknamen »Babylon« ja vermutlich voraus. Aber das ist wieder ein neuer Problemkreis. Das Ende des Petrus in Rom gilt der kirchlichen Tradition als ein sicheres Faktum. Doch weder sein Weg dorthin noch sein Aufenthalt in Rom selbst lassen sich aus den alteren Quellen zweifelsfrei nachweisen. Die Apostelgeschichte des Lukas verschweigt den Tod des Petrus ebenso wie den des Paulus. Mitteilungen liber einen Romaufenthalt setzen erst gegen Ende des 2. Jhs. ein. Doch es spricht auch vieles dafur, dass die Wege des Petrus tatsachlich bis nach Rom gefiihrt haben (siehe unten). Ob sie dabei durch Kleinasien verliefen, Korinth bertihrten, die Schiffsroute nahmen, oder wann uberhaupt Petrus Rom erreichte - das alles sind Fragen, deren Beantwortung wohl fur immer die Domane der Romanciers bleiben wird. 2.6. Vermittler in Antiochia 2.6.1. Apostelkonvent in Jerusalem In die turbulenten Anfangsjahre der christlichen Mission, die auch von Petrus und Paulus vorangebracht wird, fallt (ca. 49) ein Ereignis von kaum zu iiberschatzender Tragweite: der sogenannte »Apostelkon195

vent«192 in Jerusalem. Aus den Berichten des Paulus (Gal 2,1-10) und des Lukas (Apg 15,1-35), die bei einer gemeinsamen Generallinie auch markante Differenzen aufweisen,193 lasst sich davon ein relativ klares Bild gewinnen. Im Mittelpunkt steht eine Streitfrage, von der die wichtigste Weichenstellung fur den weiteren Weg der fruhen Christenheit abhangt: Miissen sich Nichtjuden, die zum Glauben an Jesus Christus finden, beschneiden lassen - also nach Mafigabe der Tora zunachst rechtlich vollgiiltige Mitglieder des Gottesvolkes Israel werden? Sollen die Christusanhanger darnit eine innerjudische Erneuerungsbewegung bleiben, oder soil ihre Verkundigung den Weg zu den Volkern unter Verzicht auf die Beschneidungsforderung antreten? Alles beginnt mit einer Kontroverse, die zwischen Jerusalem und Antiochia aufbricht. Jerusalem spielt als Ort der Passions- und Osterereignisse sowie als Zentrum erster missionarischer Erfolge unter den christlichen Gemeinden dieser Zeit noch immer die wichtigste Rolle. Aber inzwischen hat sich auch in Antiochia, der syrischen Metropole und drittgrofiten Stadt im romischen Reich, eine aktive und rasch 192 Meist findet sich der missverstandliche Begriff »Apostelkonzil«: unter Konzilien verstand die alte Kirche Versammlungen der Bischofe aller Regionen - hier geht es jedoch um die bilaterale Beziehung zweier Gemeinden; aufierdem sind es durchaus nicht nur »Apostel«, die bei diesem Ereignis auftreten. »Apostelkonvent« ist ein sinnvoller Kompromiss angesichts des eingefuhrten Sprachgebrauchs. 193 Die Darstellung des Paulus verdient dabei den Vorzug: Er berichtet aus erster Hand und ist gegeniiber den Galatern, die iiber eigene Informationen verfugen, zu prazisen Angaben genotigt. Dennoch schreibt auch Paulus nicht ohne Tendenz; den Streitfall schildert er als Paradigma fur die Konflikte in Galatien.

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wachsende Gemeinde etabliert. Durch einige der aus Jerusalem geflohenen »Hellenisten« (Apg 11,19-21) sowie Barnabas, der dort offenbar in leitender Funktion tatig 1st (Apg 11,22-26), gibt es gute Kontakte. Doch die Antiochener gehen zunehmend ihre eigenen Wege. Die missionarischen Aktivitaten eines Paulus und Barnabas, die hier ihren Stiitzpunkt haben, fiihren irnmer haufiger zu Grenziiberschreitungen gegeniiber Nichtjuden. Noch bevor es in dieser Frage einen theologischen Konsens gibt, schaffen die Antiochener vollendete Tatsachen: Sie nehmen auch Nichtjuden, die sich als »Gottesfurchtige« (siehe oben) dem jtidischen Gottesglauben geoffnet haben, ohne Beschneidung in ihre Gemeinschaft auf. Durch die Taufe sind Juden und Nichtjuden in einer Weise verbunden, die im Blick auf Christus keinen Statusunterschied mehr kennt.194 In Jerusalem, in einem ganz anderen Umfeld, beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge und Skepsis. Den Anlass fur die Zusammenkunft beurteilen Lukas und Paulus auf unterschiedliche Weise. Nach Apg 15,1-3 tauchen in Antiochia Agitatoren aus Judaa auf und erheben die Beschneidungsforderung. Da der Konflikt zu eskalieren droht, entsendet die Gemeinde eine Delegation unter der Leitung von Paulus und Barnabas nach Jerusalem. In Gal 2,2 bemerkt Paulus lediglich, er sei aufgrund einer Offenbarung nach Jerusalem gegangen und habe dabei Barnabas und Titus mitgenommen. Von Titus schweigt Lukas - bei Paulus wiederum spielt er eine fur den Fortgang der Ereignisse aufierordentlich wichtige Rolle: Titus, ein Grieche, soil als Prazedenzfall fur die anstehende Entschei194 Paulus hat diesen Zusammenhang gerade in Gal 3,26-28 dann in aufierster Dichte formuliert. 197

Abb. 15: Petrus und Paulus, Medallion (2. Halfte 4. Jh.)

dung fungieren. Harmonisch verlauft das Treffen nicht. Paulus erwahnt in Gal 2,4-5 »nebenbei eingeschlichene Falschbruder«, gegen die er sich zur Wehr setzen muss. Lukas verweist in Apg 15,5 auf eine Gemeindefraktion ehemaliger Pharisaer, die mit der Forderung vollstandiger Toraobservanz einschliefilich Beschneidung auftreten. Der Vollversammlung in der Gemeinde mit einer offentlichen Darlegung der jeweiligen Positionen folgt dann eine Beratung im kleineren Kreis der Verantwortungstrager. Hier verzichtet Paulus in seinem Bericht auf alle Einzelheiten. Aber er lasst keinen Zweifel daran, dass er als einer der Hauptakteure seine Evangeliumsverkundigung vorgelegt und verteidigt habe. Bei Lukas hingegen kommt Paulus nur als Delegationsmitglied vor.195 Pe195 In 15,4 1st er unter die Berichte der Delegation mit subsumiert: »Und sie verkiindeten ...«. In 15,12 heifit es dann noch einmal pauschal, dass die Menge Paulus und Barnabas zuhorte.

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trus 1st es, der jetzt das Wort ergreift (15,7-11), an die Korneliusgeschichte erinnert und sich zum Anwalt fur die Position der Antiochener macht. Diese Darstellung fugt sich der lukanischen Konzeption ein, nach der eben Petrus den ersten Vorstofi zur Volkermission unternommen hat und deshalb auch die Kompetenz besitzt, jetzt fur die Antiochener zu sprechen. Daraufhin meldet sich dann Jakobus als Redner (15,13-21), bestatigt das Anliegen des Petrus, unterbreitet aber in den »Jakobusklauseln« (15,20) einen Kompromissvorschlag. Den Heidenchristen solle lediglich ein Minimalkatalog von kultisch rituellen Forderungen abverlangt werden: Enthaltung von Gotzenbefleckung, Unzucht, Ersticktem und Blut. Schon der Verlauf deutet an, dass die Beschlusse des Konventes in der Darstellung des Lukas dann vollig anders ausfalien als bei Paulus. Ausgangspunkt ist ubereinstimmend die Beschneidungsfrage - bei Lukas verschwindet sie aber im Verlauf der Verhandlung still und fast unbemerkt aus dem Blick. Mit Nachdruck konzentriert indessen Paulus alles auf diese eine zentrale Frage: Ihm haben die Jerusalemer keine Auflagen gemacht (Gal 2,6). Die Beschneidungsforderung ist also vom Tisch, was man auch an Titus erkennen kann (Gal 2,3). Eine Einigung erfolgt miindlich, bekraftigt durch den Handschlag zwischen Paulus und Barnabas auf der einen, Jakobus, Petrus und Johannes auf der anderen Seite. Aufier dem wichtigen Negativergebnis (»keine Auflagen«) gibt es dann auch noch zwei positive Absprachen: Die Antiochener und die Jerusalemer teilen sich ihre Missionszustandigkeiten auf: »wir zu den Heiden/Volkern, sie zu den Beschnittenen/Juden« (Gal 2,9); dazu kommt die lockere Vereinbarung der Kollektensammlung fur Jerusalem 199

(Gal 2,10).196 Ganz anders Apg 15,22-29: In einer Vollversammlung werden die »Jakobusklauseln« in Gestalt eines Schlussdokumentes schriftlich niedergelegt, ohne dass die Frage der Beschneidung noch einmal eigens zur Sprache kame; in Begleitung der beiden Jerusalemer Judas und Silas kehrt die Delegation dann wieder nach Antiochia zurtick und iiberbringt jenes »Aposteldekret«. Sicher ist das keine lukanische Erfindung. Aber der historische Ort dieses Dekretes, von dem Paulus in Gal 2 keine Kenntnis hat,197 muss ein anderer sein. Viel sinnvoller fiigt sich das Schriftstiick als spaterer Vermittlungsversuch den folgenden Streitigkeiten um die Tischgemeinschaft in Antiochia an (siehe unten). Die Ereignisse in Jerusalem werfen zugleich ein Schlaglicht auf den Weg des Petrus Ende der 40-er Jahre. Noch ist er Exponent der Jerusalemer Gemeinde, zahlt zu jenen, »die das Ansehen haben« (Gal 2,2.6) bzw. zu jenen drei, »die dafur gelten, Saulen zu sein« (Gal 2,9). Doch bei ihrer Aufzahlung steht inzwischen schon Jakobus voran. Bemerkenswerterweise kann sich Paulus gegenuber diesen Dreien eine kritische Glosse nicht versagen: »was sie fruher waren, ist mir gleichgiiltig, Gott sieht die Person des Menschen nicht an« (Gal 2,6), die immerhin sein Selbstbewusstsein und seine missionarische Eigenstandigkeit noch einmal unterstreicht. Ansonsten aber 196 Paulus formuliert so, dass diese Vereinbarung eher als eine freiwillige Selbstverpflichtung erscheint: »... allein, dass wir der Armen gedenken sollten, was ich mich auch zu tun beeilt habe.« (Gal 2,10) 197 Dass Paulus diesen Text wissentlich verschweigen wiirde, ist ausgeschlossen: Er hat in Galatien Feinde und darf sich keine offenen Flanken leisten (»Siehe vor Gott: Ich luge nicht!« Gal 1,20). 200

vermag er sich mit ihnen zu einigen. Petrus wird dabei von Paulus in Gal 2,7-9 als derjenige hervorgehoben, dem im Besonderen die Evangeliumsverkimdigung fur die Juden anvertraut sei.198 Er betrachtet ihn also noch als den profiliertesten Vertreter der Jerusalerner Mission unter Juden. Dennoch diirfte der Konvent aber gerade deshalb zur Einigung gefuhrt haben, weil auf Jerusalemer Seite rait Petrus ein Protagonist oder zumindest ein Sympathisant der Volkermission beteiligt war. Das wird durch die Darstellung des Lukas bestatigt. Petrus steht mit seinen eigenen missionarischen Erfahrungen den Antiochenern sehr viel naher, auch wenn er zunachst noch fur die Jerusalemer Gemeinde Verantwortung tragt. Nach Apg 15 ist es Jakobus, der mit seinen Klauseln das bedingungslose Votum des Petrus (»kein Joch auf ihren Hals«) wieder einschrankt (»keine Last aufblirden, aufier ...«) und damit den judenchristlichen Standpunkt vertritt. Jedenfalls gelingt es in Jerusalem, die bisherige Missionspraxis der Antiochener ohne Beschneidungsforderung auf die Basis eines gesamtchristlichen Konsenses zu stellen. Sie wird nun von Jerusalem aus mitgetragen - wenn auch nicht selbst ubernommen. Paulus ist nicht »vergeblich gelaufen« (Gal 2,2), die Einheit bleibt gewahrt. Aufierdem hat die Zusammenkunft (zumindest aus der Sicht des Paulus) gezeigt, dass Jerusalem nicht die oberste Aufsichtsbehorde mit Weisungsbefugnis ist. Auch Petrus bleibt dabei in das »Kollegium« der drei »Saulen« (Gal 2,9) eingebun198 Paulus stellt sich hier mit Petrus auf eine Stufe: »Im Gegenteil. Als sie sahen, dass mir das Evangelium fur die Unbeschnittenen anvertraut ist wie Petrus fur die Beschnittenen - denn der in Petrus wirksam gewesen ist zum Apostolat unter den Beschnittenen, der ist es auch in mir (zum Apostolat) unter den Vblkern gewesen -...«. 201

den; Apg 15 stimmt mit diesem Bild gemeinsamer Entscheidungsfindung uberein. Der schwerste Konfliktfall der Friihzeit bringt die beiden fiihrenden Gemeinden samt ihren Reprasentanten in einem partnerschaftlichen Verhaltnis zusammen. Allerdings legt ein Teil der Vereinbarung schon den Grund fiir einen Folgekonflikt, der vor allem Petrus in eine neue personliche Krise stiirzen sollte. 2.6.2. Streit um die Tischgemeinschaft Nach der Chronologic von Apg 12-15 hat Petrus wahrend der Repressalien unter Agrippa I. Jerusalem verlassen und kehrt lediglich (nach dessen Tod) noch einrnal zur Teilnahme an dem Apostelkonvent zuriick. Aus Gal 2,11 lasst sich entnehmen, dass Petrus nach dem Konvent in Antiochia eintrifft und sich dort fur einige Zeit aufhalt. Die zeitliche Differenz wird eher gering gewesen sein. In das Leben vor Ort fugt sich Petrus offenbar problemlos ein. So wie alle anderen Judenchristen in Antiochia sitzt auch er in der Gemeinde mit den Heidenchristen an einem Tisch. Zunachst geht es dabei wohl um die Feier des Herrenmahles, das als ein Sattigungsmahl gehalten wird. Aber selbst diese Form der Tischgemeinschaft ist alles andere als eine Selbstverstandlichkeit, auch wenn sie von den Antiochenern offenbar schon seit langerem praktiziert wird. Denn grundsatzlich schliefien die Speisevorschriften der Tora gemeinsame Mahlzeiten von Juden und Nichtjuden aus.199 Das hat vor allem 199 Lukas reflektiert diesen Konflikt im Kontext der Korneliusgeschichte: Bedenken des Petrus hinsichtlich unreiner Speise (10,14); Thematisierung des Problems (10,28); Vorwurf, mit Heiden gegessen zu haben (11,3). Den Streit in Antiochia iibergeht er wohl bewusst.

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mit der Reinheit der Speisen zu tun, die nach strenger Auslegung auch durch unvorschriftsmafiige Zubereitung oder durch Beruhrung beeintrachtigt wird.200 Seit der Nachexilszeit gehoren die Speisevorschriften zu den entscheidenden, auch in der Aufienperspektive wahrgenommenen Identita'tsmerkmalen des Judentums.201 Dabei gibt es zwar auch Ausnahmebestimrnungen sowie weitere und engere Auslegungen. Aber die regelmafiige Tischgemeinschaft mit Nichtjuden - das konnte nur als Abfall von der Tora und Verrat an den Uberlieferungen der Vater verstanden werden. Uber die Geschichte dieser erneuten Grenzuberschreitung macht Paulus keine weiteren Mitteilungen. Vermutlich hat sich die Tischgemeinschaft im Alltag einer gemischten Gemeinde einfach aufgedrangt und damit erneut vollendete Tatsachen geschaffen.202 Die Entscheidung des Apostelkonventes konnte dann von den Antiochenern noch einmal als Bestatigung verstanden worden sein. Auch Petrus stimmt dieser Praxis zu. Am einfachsten lasst sich das mit seinen eigenen Erfahrungen und missionarischen Vorstofien erklaren. Die Situation andert sich erst, als »einige von Jakobus« in der Gemeinde auftauchen.203 Aufgrund der Wendung »von 200 Einzelheiten bei J. D. G. DUNN, The Incident at Antioch (Gal. 2:11-18), JSNT 18,1983, 3-57. 201 Hinzu kommen noch Beschneidimg, Sabbatobservanz und Mischehenverbot. 202 A. M. SCHWEMER, Paulus in Antiochien, BZ 42, 1998, 161180, bietet eine Skizze der Gemeindesituation. 203 Vgl. W. PRATSCHER, Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition, FRLANT 139, Gottingen 1987; A. WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie uber den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11-14), BZNW 62, Berlin/New York 1991. 203

Jakobus« wird man sie als direkte Abgesandte betrachten miissen. Allerdings sagt Paulus nichts iiber irgendwelche Forderungen oder Vollmachten, mit denen sie auftreten. Was die Gemiiter erregt, ist vielmehr das Verhalten des Petrus, der beim Erscheinen der Jakobusleute den Heidenchristen die Tischgemeinschaft wieder aufkiindigt. Dieser Riickzug hat Sogwirkung insofern, als schliefilich der ganze judenchristliche Gemeindeteil einschliefilich Barnabas dem Beispiel des Petrus folgt. Das aber ruft Paulus auf den Plan, der nun - selbst Judenchrist - die Partei der Heidenchristen ergreift und Petrus offentlich (»vor allen«) angreift. Es ist eine Szene, deren Erregung in der gerafften Darstellung des Paulus (Gal 2,11-14) immer noch nachklingt. Die beiden so wichtigen Gestalten der Friihzeit geraten hart aneinander, bis an den Rand des Bruches. Plotzlich wird offenbar, dass die Beschliisse des Apostelkonventes noch keine Klarheit in dem Verhaltnis zwischen Juden- und Heidenchristen geschaffen haben. Wahrend die Jerusalemer den Verzicht auf die Beschneidungsforderung wohl als aufierstes Zugestandnis betrachten, scheinen die Antiochener dies als eine prinzipielle Regel verstanden und auch auf die anderen durch die Tora sanktionierten jiidischen Identitatsmerkmale ausgedehnt zu haben. Jetzt, im Alltag, stellt sich die Frage der Tischgemeinschaft als ein Testfall fur die Interpretation der Jerusalemer Beschliisse heraus. Zunachst entfaltet sich der Konflikt auf der Beziehungsebene.204 Es sind schwere Vorwiirfe, die Paulus gegen Petrus erhebt (2,1-14): Er »hat sich selbst ins Un204 Zu den Einzelheiten vgl. etwa T. HOLTZ, Der Antiochenische Zwischenfall (Galater 2.11-14), NTS 32,1986,344-361; M. STOWASSER, Konflikte und Konfliktlosungen nach Gal 1-2. Aspekte paulinischer Konfliktkultur, TThZ 103,1994, 56-79. 204

recht gesetzt«; er handelt aus »Furcht« vor den Judenchristen; sein Verhalten, in das er die anderen Judenchristen mit hineinzieht, ist »Heuchelei«; er »geht nicht gerade im Blick auf die Wahrheit des Evangeliums«. Der letzte Vorwurf wiegt am schwersten, wenn man bedenkt, was Paulus den galatischen Gegnern im Eingangsteil des Briefes vorgehalten hatte (1,6-9): Sie wollen das Evangelium verdrehen; wer aber ein »anderes Evangelium« verkiindet, der zieht den Fluch Gottes auf sich! So weit geht er gegeniiber Petrus nicht. Aber es ist horbar schweres Geschutz, das Paulus auffahrt. Die Jakobusleute beachtet er dabei mit keinem Wort. Das fallt auf. Wie muss man sich ihre Intervention vorstellen? Alles spricht dafur, dass sich die Jakobusleute nur an den judenchristlichen Gemeindeteil wenden. Auf dem Konvent war eine Aufteilung der Zustandigkeiten vereinbart worden. Die nimmt Jakobus nun von Jerusalem aus wahr. Ihm geht es nicht darum, dass die Heidenchristen ohne Beschneidung zur Gemeinde gehoren durfen. Soweit hatte man sich ja geeinigt. Er kann es jedoch nicht dulden, dass die Judenchristen in Antiochia nun ihrerseits die Gebote der Tora verletzen. Diese Frage fallt in seine Zustandigkeit. Und damit gerat Petrus zwischen alle Stiihle. Denn auf dem Konvent hatte er gemeinsam mit Jakobus und Johannes die Zustandigkeit fur die Mission unter den Juden ubernommen. Aus Jerusalemer Sicht wird er dieser Verantwortung nicht mehr gerecht, wenn er mit Nichtjuden isst. Der Konflikt gewinnt an Brisanz, wenn man die Zeitumstande bedenkt: Sowohl im Mutterland als auch in der syrischen Diaspora geraten die jiidischen Gemeinden zunehmend unter Druck. Gegen die Ubergriffe der Romer und den machtigen Einfluss der hellenistischen Kultur regt sich so etwas wie eine fundamentalistische Reaktion. Christliche Gemeinden, in denen Juden permanent die Tora missach205

ten, setzen sich deshalb in besonderer Weise der Anfeindung durch ihre judischen Landsleute aus. Um das nach Moglichkeit zu verhindern, 1st Jakobus an einer strengeren Verpflichtung der Judenchristen auf die Tora interessiert. In einer gemischten Gemeinde wie in Antiochia bedeutet das dann allerdings eine interne Grenzziehung. Der Streitfall des Apostelkonventes kommt damit also noch einmal ganz neu - und nun erst im Blick auf das ganze Ausmafi seiner Folgen - zur Verhandlung. Paulus greift Petrus nicht etwa aufgrund seiner Toratreue an. Petrus ist kein Vertreter jenes Jerusalemer Judenchristentums, dessen Geschicke Jakobus inzwischen leitet. Es geht auch nicht darum, ob Judenchristen weiterhiri nach der Tora leben diirfen oder nicht. Der Vorwurf zielt vielmehr darauf ab, dass Petrus den einmal vollzogenen Schritt wieder zurucknimmt. Damit stellt er sich erneut auf jenen Standpunkt, den Paulus in Gal 2,15 als Ankniipfungspunkt fur seine Darlegung formuliert: Es gibt einen Unterschied zwischen geburtigen Juden und »Siindern aus den V6lkern«. Aber Petrus wei6 inzwischen ebenso wie Paulus, dass ein Mensch nur durch den Glauben an Christus Gerechtigkeit vor Gott erlangt - beide haben das in ihrem Leben auf jeweils eigenstandige Weise erfahren. In dem »wir« von Gal 2,16 halt Paulus dieses Wissen als gemeinsame Glaubensgrundlage fest. Wenn Petrus nun zu der Position von 2,15 zuriickkehrt, unterstellt er seinen fruheren Tischgenossen, nach wie vor einen minderen Status vor Gott zu besitzen. Das kann Paulus nicht hinnehmen. »Dann« - so schlussfolgert er am Ende seiner pragnanten Rede in Gal 2,21 - »ist Christus vergeblich gestorben.« Mit dem Ruckzug des Petrus steht die Gemeinschaft »in Christus« auf dem Spiel. Wider besseres Wissen (»sie heuchelten«!) beziehen Petrus und die von ihm beeinflussten Judenchristen eine Position, mit der 206

sie die Eindeutigkeit der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus in Frage stellen. Und damit ist la'ngst schon die Sachebene des Konfliktes erreicht. An dieser Stelle kann Paulus, der ansonsten sehr wohl »den Juden ein Jude ... den Gesetzlosen ein Gesetzloser ... den Schwachen ein Schwacher ... alien alles« zu werden bereit ist (IKor 9,19-23), keine Zugestandnisse machen und riskiert den Eklat. Denn hier geht es nicht um Rucksichtnahme und Toleranz. Hier geht es um die Grundlagen des Heils in Christus, um »den geraden Weg im Blick auf die Wahrheit des Evangeliums« (Gal 2,14). Petrus schneidet in der Darstellung des Paulus nicht besonders gunstig ab. Dennoch liegen beide auch in dieser Konfliktsituation naher beieinander, als es scheint. Beiden geht es um die Bewahrung von Einheit - bei Petrus ist das die Einheit des Gottesvolkes Israel, bei Paulus die Einheit der Gemeinde/Kirche aus Juden und Nichtjuden. Setzt sich Petrus durch, dann droht der Gemeinde die Trennung von den christusglaubigen Nichtjuden. Behalt Paulus Recht, dann droht die Abgrenzung der Gemeinde gegeniiber Israel. Beides bedeutet schmerzliche Verluste. Petrus ist in dieser Situation gerade nicht der wankelmutige Charakter, der nicht weifi, was er will, der Umfaller, Leugner und Kleinglaubige. Er unternimmt vielmehr - an seine Verpflichtung erinnert - den schwierigen Versuch einer Vermittlung zwischen judischer Identitat und dem neuen Status des Glaubens an Christus. Allerdings tut er das aus einer defensiven Haltung heraus und ohne erkennbares Konzept.205 205 Zumindest lasst Paulus nichts davon erkennen. Er gesteht dem Petrus noch nicht einrnal eine Verteidigung zu. Die Versuche, aus Gal 2,15-21 einen Dialog herauszulesen, konnen kaurn iiberzeugen. 207

Wie die Kontroverse ausgeht, teilt Paulus in Gal 2 nicht mehr mit. Aus seinem Schweigen muss man schlieSen, dass er zunachst unterliegt. Zu seiner Europamission bricht er nun ohne Barnabas auf. Auch Apg 15,36-41 weifi davon zu berichten, dass Paulus im Streit von Antiochia abreist, wenngleich Lukas dabei nur einen Nebenschauplatz des Streites aus Gal 2,11-21 erwahnt.206 Nach seinem Fortgang scheint dann die Tischgemeinschaft durch das »Aposteldekret« (Apg 15,29) als Kompromissvorschlag von judenchristlicher Seite wiederhergestellt worden zu sein.207 Erst in diesem Kontext lassen sich seine Bestimmungen begreifen. Paulus hatte in Antiochia nur die Kraft der Argumente in die Waagschale zu werfen. Und deren Wirksamkeit steht sogleich bei der Auseinandersetzung in Galatien auf dem Prtifstand. Hat demnach Petrus kurzfristig, Paulus aber langfristig gesiegt? Entscheidend ist, dass beide Apostel trotz der Differenzen grundsatzlicher Art einander die Gemeinschaft nicht aufkiindigen. Selbst in seiner scharfen Attacke bezieht Paulus den Petrus noch in das »wir« einer gemeinsamen Glaubensbasis mit ein (Gal 2,16). Dadurch, dass beide Seiten diesen Konflikt aushalten, kommt es schliefilich zu einer integrativen Losung: Noch verbleiben Judenchristen durch das Zugestandnis des »Dekretes« im Bereich kultischer Rein206 Die Auseinandersetzung urn Johannes Markus, die Lukas in Apg 15,36-41 als Grund der »Erbitterung« zwischen Paulus und Barnabas angibt, gehort in das Umfeld des Streitfalles. 207 Vgl. etwa A. STROBEL, Das Aposteldekret als Folge des antiochenischen Streites. Uberlegungen zum Verhaltnis von Wahrheit und Einheit im Gesprach der Kirchen, in: Kontinuitat und Einheit. FS E Mufiner, hg. v. P.-G. MULLER und W. STENGER, Freiburg/Basel/Wien 1981, 81-104. 208

Abb. 16: Petrus und Paulus, Palermo, Capella Palatina 209

heit; gleichzeitig bleiben Heidenchristen vollgultige Glieder der christlichen Gemeinde. Erst zu Beginn des 2. Jhs. wird das anders: Nun lehnt Bischof Ignatius von Antiochia allein schon das Ansinnen, Christ zu sein und »nach jiidischer Weise« zu leben, rundheraus ab (IgnMagn 8,1; 10,1-3). Das theologische Ringen des Petrus ist langst in Vergessenheit geraten. Paulus ubrigens spricht auch nach jenem Streitfall noch mit Respekt von Petrus (IKor). Auf die Dauer ihrer Beziehung sind die beiden rnehr Partner als Kontrahenten gewesen - oder »Pole der Einheit«.208 Der Streitfall hat den Auslegern der ersten Jahrhunderte erhebliche Muhe bereitet. Mit Petrus stand dabei immerhin der »Fels«, die Griindergestalt der Kirche, der Sachwalter kirchlicher Vollmacht, der Garant apostolischer Tradition in der Kritik. Die Versuche, den Konflikt zu minimieren, lassen an Phantasie nichts zu wiinschen iibrig:209 Entweder sah man in jenem Kefas nur einen Namensvetter des Fischers Simon (Clemens Alexandrinus), spielte den Gegenstand der Auseinandersetzung als Nebensache herunter (Irenaus), verwies auf das uberschiefiende Temperament des Paulus (Tertullian) oder sah in dem Streit sogar eine fingierte, lediglich zur Belehrung der Gemeinde inszenierte Auffuhrung (Origenes). Der Sache am nachsten kommt sicher noch die Auffassung, dass Petrus mit dieser Episode ein Zei208 Vgl. L. WEHR, Petrus und Paulus - Kontrahenten und Partner, Minister 1996; R MUSSNER, Petrus und Paulus - Pole der Einheit, Freiburg/Basel/Wien 1976. 209 Eine umfangliche Auswertung findet sich bei R OVERBECK, Ueber die Auffassung des Streites des Paulus mit Petrus in Antiochien (Gal 2,11 ff) bei den Kirchenvatern, Basel 1877, Nachdr. Darmstadt 1968; vgl. auch den materialreichen Exkurs bei R MUSSNER, Galaterbrief 1974,146-167. 210

chen der Demut und Kritikfahigkeit gesetzt habe (Cyprian). Eines steht jedenfalls fest: Petrus 1st zu seiner Zeit nicht die liber jede Kritik erhabene, unantastbare Autoritat. Mit den anderen Verantwortungstragern der Friihzeit ringt er um den Weg der Evangeliumsverkiindigung und gerat dabei auch wie konnte es anders sein - gelegentlich in Sackgassen oder auf gefahrliches Glatteis. Der Galaterbrief hat ihn in dieser Gestalt rnit in den Kanon des Neuen Testamentes eingebracht. Den Petrusbildern der Evangelisten und der beiden Petrusbriefe (siehe unten) tritt diese Momentaufhahme aus Antiochia als ein wichtiger Bezugspunkt gegeniiber. 2.7. Martyrer in Rom? 2.7.1. Historische Rahmenbedingungen Uber den Tod des Petrus wussten die Autoren des Neuen Testamentes sicher mehr, als sie sagen. Das wird man besonders fur Lukas annehmen konnen, der den Petrus nach Apg 15 ganz sang- und klanglos abtreten lasst. An den Konflikten, die Petrus und Paulus von da an zu bestehen haben und die gerade durch die Paulusbriefe gut belegt sind, zeigt er jedoch kein Interesse. Ihm geht es um den unaufhaltsamen Siegeszug des Evangeliums und nicht um Streitigkeiten oder Ruckschlage. Deshalb klingt anstelle des Streites in Antiochia bei ihm lediglich der Zwist zwischen Paulus und Barnabas an. Dass Paulus nur deshalb nach Jerusalem reist, um die Kollekte abzuliefern, erwahnt Lukas mit keinem Wort - vermutlich, weil diese Ubergabe scheiterte. Zum Abschluss aber entwirft er wieder ein eindrucksvolles Bild: Paulus predigt das Evangelium in Rom »ungehindert« (Apg 28,31). Ein Bericht vom gewaltsamen Tod der bei211

den wichtigsten Gestalten ware nach dem Konzept der Apostelgeschichte kontraproduktiv gewesen. Einige wenige Andeutungen lassen das Wissen vom Tod des Petrus dennoch erahnen. Die ausdriickliche Todesbereitschaft, die Petrus im Kontext der Verleugnungsansage formuliert (Mk 14,31/Mt 26,35/ Lk 22,33), kann dafiir noch nicht in Anspruch genomrnen werden;210 allein Joh 13,36-38 bildet hier eine Ausnahme: »Wo ich hingehe, dahin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber spater folgen.« Dem entspricht dann auch jener Passus, der sich im Nachtragskapitel des Johannesevangeliums an den Auftrag, »die Schafe zu weiden« anschliefit (Joh 21,18-19). Dabei werden die Worte Jesu, die zunachst ohne Ubergang fortfahren, abschliefiend noch vom Erzahler kommentiert: »>Amen, amen, ich sage dir: Als du jiinger warst, giirtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hande ausstrecken, und ein anderer wird dich giirten und (fiihren), wohin du nicht willst!< Das aber sagte er (Jesus), um anzudeuten, mit welchem Tod er (Petrus) Gott verherrlichen werde. Und nachdem er das gesprochen hatte, sagte er zu ihm: >Folge mir nach!