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German Pages 392 Year 2010
Pax perpetua
bibliothek altes Reich
baR herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal Band 8
R. Oldenbourg Verlag München 2010
Pax perpetua Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit herausgegeben von Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke
R. Oldenbourg Verlag München 2010
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der jenacon foundation gGmbH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagbild: Joachim von Sandrart: Das Friedensmahl im großen Rathaussaal zu Nürnberg, 25. 9.1649, Ausschnitt, © Gemälde- und Skulpturensammlung Nürnberg, Inv.-Nr.: Gm 0009. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach ISBN: 978-3-486-59820-9
Inhalt
Inhalt
Inken Schmidt-Voges/Siegrid Westphal, Der immerwährende Frieden als immerwährende Herausforderung
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I. Rückschau und Perspektiven Heinz Duchhardt, Der Westfälische Friede - neue Ansätze der Forschung im kritischen Rückblick Johannes Burkhardt, Die Entfesselung des Friedens. Für einen Aufbruch der historischen Friedensforschung Maximilian Lanzinner, Die „Acta Pacis Westphalicae" (APW) seit dem Gedenkjahr 1998 Martin Peters, Europäische Friedensverträge der Vormoderne online (1450-1789). Ein Projektbericht Renger E. de Bruin/Alexander Jordan, Commemorations compared: Münster-Osnabrück (1998) and Utrecht-Rastatt-Baden (2013-14)
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II. Der Westfälische Frieden Michael Rohrschneider, Neue Tendenzen der diplomatiegeschichtlichen Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses Ralf-Peter Fuchs, Normaljahrsverhandlungen als moralischer Diskurs Christoph Kampmann, Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis: Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg Kerstin Weiand, Auf dem Weg zum Reich als Friedensordnung? Reichsständische Zielkonzeptionen in Münster und Osnabrück am Beispiel Hessen-Kassels Frank Kleinehagenbrock, Die Wahrnehmung und Deutung des Westfälischen Friedens durch Untertanen der Reichsstände
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III. Vorstellungen von Frieden, Sicherheit und Ordnung in frühneuzeitlichen Gesellschaften Inken Schmidt-Voges, Das Haus und sein Frieden. Plädoyer für eine Ausweitung des politischen Friedensbegriffs in der Frühen Neuzeit Volker Arnke, Frieden in der Reichspublizistik. Nicolaus Schaffshausens Schrift als Beispiel für Friedenskonzepte im RömischDeutschen Reich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges Tobias Bartke, Zwischen Rechts- und Kulturtransfer. Die Funktion des Friedens in der versuchten Reform des schwedischen Rechts um 1600 Therese Schwager, Claude de Saumaises ,polybianische' militia. Ein Aspekt konzeptioneller Friedenssicherung im Vorfeld des Westfälischen Friedens
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IV. Zwischenstaatlicher Frieden in der Frühen Neuzeit Martin Peters, „Missverständnis" als Kategorie im europäischen Friedensprozess der Vormoderne? Ein Werkstattbericht Regina Dauser, „Dann ob Uns gleich die Kayserliche Würde anklebet" - Der kaiserliche Vorrang in Friedensverträgen des 17. und 18. Jahrhunderts David Onnekink, The perplexities of peace. Dutch foreign policy and the religious dimension of international relations around 1700 Andrea Weindl, Inter caetera, mare liberum und terra nullius - das europäische Völkerrecht und die außereuropäische Welt
Autorinnenverzeichnis
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Der Immerwährende Friede als immerwährende Herausforderung
Inken Schmidt-Voges/Siegrid Westphal Der Immerwährende Frieden als immerwährende Herausforderung1 Hat das 350. Jubiläum des Westfälischen Friedens in Osnabrück und Münster (1998) einen nachhaltigen Impuls auf die Erforschung des Friedens in der Frühen Neuzeit gegeben? Zehn Jahre nach den großen Feierlichkeiten von 1998 schien es an der Zeit, nicht nur eine Bilanz zu ziehen, sondern auch darüber nachzudenken, in welchen Bereichen die im Zusammenhang mit dem Jubiläum entwickelten Thesen und Ideen zur Bedeutung des Westfälischen Friedens fortgewirkt haben. Aus diesem Anlass traf sich 2008 an der Universität Osnabrück eine Reihe von Historikerinnen und Historikern, die entweder schon an den Jubiläumsfeierlichkeiten von 1998 maßgeblich beteiligt gewesen waren oder sich aber erst in den Jahren nach 1998 dem Westfälischen Frieden oder der Friedensthematik in der Frühen Neuzeit zugewendet hatten. Neben den Referentinnen nahmen auch Diskutantlnnen und Kommentatorinnen (Ronald G. Asch, Thomas Brockmartn, Horst Carl, Roland Czada, Jürgen Lüh, Hans Peterse, Esther Schinke, Wulf Eckhart Voß) teil, denen an dieser Stelle herzlich für ihre rege Beteiligung gedankt sei. In der Tat liegt nach den intensiven Forschungen der letzten Jahre ein erweiterter Kenntnisstand vor, der es auch erlaubt, nicht nur die herausragende Vorbildfunktion der Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück in verschiedenerlei Hinsicht zu untermauern, sondern auch ihre Bedeutung zu hinterfragen. Ein erster Blick auf die internationale Wahrnehmung der im Umfeld des Jubiläums geleisteten Forschungen fördert dabei Erstaunliches zu Tage. Auch wenn der Westfälische Frieden als ein europäisches Großereignis gefeiert wurde, so ist doch bemerkenswert, dass die zahlreichen Publikationen im Gefolge von 1998 außerhalb Deutschlands nur in vereinzelten Ländern rezipiert wurden, was sich nicht nur als ein sprachliches Problem darstellt. Hier sei beispielsweise auf die französische Forschung verwiesen, die zentrale Anregungen aufgriff und eigenständig weiterentwickelte.2 In maßgeblich an den Friedensverhandlungen beteiligten Staaten wie Spanien oder Schweden finden sich heute dagegen nur wenige eigenständige Beiträge zum Westfälischen Frieden. Dieses Thema ist ein in erster Linie von der deutschen Frühneuzeitforschung bearbeiteter Komplex geblieben, hat aber hier auf bestimm-
1 Die Herausgeberinnen danken den Tagungssponsoren, der DFG und der jenacon foundation, sowie den zahlreichen Helferinnen, insbesondere Ursula Berteis und Sebastian Bracke, für die intensive Unterstützung bei Organisation und Durchführung der Tagung sowie der Erstellung des vorliegenden Bandes.
Vgl. z.B. Luden Bély, L'art de la paix. Naissance de la diplomatie moderne XVI c -XVIII e siècle. Paris 2007; Arnaud Blin, 1648. La paix de Westphalie ou La naissance de l'Europe politique moderne. Brüssel 2006; Claire Gantet, La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVII e -XVIII e siècles. Paris 2001. 2
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ten Feldern durchaus innovative Impulse gegeben, wie gerade die Beiträge von Johannes Burkhardt und Heinz Duchhardt zeigen, die als wichtige Protagonisten der Jubiläumsfeierlichkeiten aus der rückschauenden Perspektive eine Bilanz ziehen. Dabei hat sich die Fülle der im Umfeld von 1998 erschienenen Publikationen zunächst bremsend ausgewirkt. Aus heutiger Perspektive gewinnt man den Eindruck, dass der Westfälische Frieden „überforscht" worden ist. Nicht nur in Osnabrück stieß man unmittelbar nach 1998 auf Zurückhaltung, das Friedensthema weiterhin zu behandeln, waren doch viele der Meinung, dass alles Relevante bereits gesagt worden sei. Erst nach einer gewissen Pause wagten sich einige wenige Frühneuzeithistoriker wieder an das Thema heran, jetzt aber mit einer deutlich relativierenden Tendenz der Erkenntnisse, die man 1998 glaubte gewonnen zu haben. Wie Gewinn bringend es sein kann, vermeintlich gesicherte Forschungserkenntnisse zum Westfälischen Frieden einem kritischen Blick zu unterziehen, zeigt Kerstin Weiand beispielhaft in ihrem Beitrag zu Zielkonzeptionen von Hessen-Kassel bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück. Bezogen auf die „innenpolitische" Wirkung des Friedensschlusses hat die Forschung lange Zeit unhinterfragt tradiert, dass der Westfälische Frieden eine befriedende Wirkung im Alten Reich entfaltet habe. Zehn Jahre nach den 350 Jahr-Feiern werden jedoch Bedenken laut, ob ein Teil der Forschung in der Jubiläumseuphorie nicht zu weit über das Ziel hinaus geschossen sei. Denn eine Reihe von Religionskonflikten und -prozessen an den höchsten Gerichten des Alten Reiches verweisen auf das nach 1648 weiterhin bestehende Konfliktpotential konfessioneller Gegensätze, wie Frank Kleinehagenbrock in seinem Beitrag anhand einiger regionaler Beispiele nachweisen kann. 3 Er zeigt, dass die These der „befriedenden" Wirkung des Westfälischen Friedens nicht wörtlich zu deuten ist - in dem Sinne, dass dann „wirklich Frieden war"-, sondern dass Konflikte zum einen aus den konkreten Regelungen erwuchsen, aber auch immer mit Bezug auf den Friedensschluss und darin entwickelten Friedenspunkten bearbeitet werden konnten. Dass sich konfessionelle Auseinandersetzungen mit dem Westfälischen Frieden „erledigt" haben, scheint vor dem Hintergrund der These einer Rekonfessionalisierung von Politik im 18. Jahrhundert - freilich mit anderen Vorzeichen als im 16. und 17. Jahrhundert - immer unwahrscheinlicher. Nicht zu-
Entsprechende Skepsis hatten bereits Christoph Schäfer und Jürgen Lüh vor 1998 geäußert. Vgl. Jürgen Lüh, Unheiliges Römisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806. (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches, Bd. 1.) Berlin 1995; Christoph Schäfer, Staat, Kirche, Individuum. Studie zur süddeutschen Publizistik über religiöse Toleranz von 1648 bis 1819. (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaft, Bd. 522.) Frankfurt am Main 1992; ders., Das Simultaneum. Ein staatskirchenrechtliches, politisches und theologisches Problem des Alten Reiches. (Europäische Hochschulschriften, Reihe 2, Rechtswissenschaft, Bd. 1787.) Frankfurt am Main 1995.
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letzt deshalb ist es wichtig, das Editionsprojekt der „Ada Pads Westphalicae" weiterzuführen, wie Maximilian Lanzinner (und andere) unter Verweis auf die noch ausstehende Bearbeitung der reichskirchlich relevanten Quellenbestände des Westfälischen Friedens betont. Erst auf dieser Basis ließen sich die religiösen beziehungsweise konfessionellen Aspekte im Kontext von späteren Friedensverhandlungen und -Verträgen im Reich und im europäischen Kontext stärker in den Blick nehmen und einordnen. Wie inspirierend dies sein kann, zeigt der Beitrag von David Onnekink, der auch den Utrechter Frieden als Religionsfrieden interpretiert und ihn damit von seiner Bedeutung her in die Nähe des Westfälischen Friedens rückt. Relativiert wurde die Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Alte Reich auch durch die Betonung langfristiger Kontinuitäten und Traditionslinien, die eng mit der spezifischen Entwicklung der Reichsverfassung zusammenhängen. Gerade aus Perspektive der neuen Verfassungsgeschichte wurde immer wieder betont, dass es eine Reihe von teilweise weit zurückreichenden Vorbildern für die Aushandlungstechniken und die Gestaltung von Friedensverträgen gab, die auf dem römisch-kanonischen Recht, dem Herkommen und dem mittelalterlich-christlichen Friedensverständnis basierten. Für das Alte Reich spielte speziell die seit dem späten 15. Jahrhundert einsetzende Reichsreformbewegung eine zentrale Rolle, der es einerseits um mehr politische Mitsprache für die Reichsstände im Reich, andererseits um die dauerhafte Wahrung des Friedens ging. Das Ringen zwischen Kaiser und Reichsständen mündete in den Wormser Reichstag von 1495, auf dem die zentralen Grundlagen für die Friedewahrung im Reich (Ewiger Landfrieden, Gründung des Reichskammergerichts, Reichstag als Kommunikationsforum, Gemeiner Pfennig) festgelegt wurden. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden weitere Reichsinstitutionen (Reichskreise, Reichshofrat), deren Hauptzweck die Erhaltung des Friedens darstellte. Für diese das Reich prägende Entwicklung kreierte Winfried Schulze den Begriff „Verrechtlichung", 4 womit die Verlagerung von ursprünglich gewaltsam ausgetragenen Konflikten auf den Rechtsweg gemeint ist. Die gesamte Frühe Neuzeit ist durch dieses Denken geprägt. Letztlich wurde dieses Prinzip auch der Schlüssel zur Lösung der konfessionellen Konflikte, die mit Ausbruch der Reformation das Reichsverfassungssystem auf eine harte Bewährungsprobe stellten. Das Reich sah sich vor eine doppelte Bedrohung des Friedens gestellt: Zum einen war der 1495 verkündete Ewige Landfrieden in Gefahr, zum anderen benötigte man ab der Reformationszeit eine dauerhafte Regelung für das Verhältnis zwischen den Konfessionen. Der Augsburger Religionsfrieden (1555) erneuerte nicht nur das Landfriedensgebot und schuf bessere Grundlagen zu dessen
Winfried Schulze, Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Der Deutsche Bauernkrieg 1524-1526. (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft Bd. 1.) Göttingen 1975,277-302, hier 281.
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Sicherung (Reichsexekutionsordnung), sondern erweiterte das Landfriedensgebot um einen Religionsfrieden. Angesichts der zentralen Bedeutung, die der Augsburger Religionsfriede in verschiedener Hinsicht hatte, ist es erstaunlich, dass erst 2004 im Zuge der 450 Jahr-Feier mit der Arbeit von Axel Gotthard die erste moderne Monographie zum Augsburger Religionsfrieden vorgelegt wurde. 5 Jedenfalls wurde in diesem Kontext noch einmal besonders deutlich, dass der Westfälische Frieden in einer langen Traditionslinie zu sehen ist, die 1495 mit dem Ewigen Landfrieden einsetzte. Die Gesandten der Westfälischen Friedensverhandlungen orientierten sich an der tradierten Reichsverfassung und dem Modell des Augsburger Religionsfriedens von 1555, den sie ausdrücklich im Westfälischen Frieden bestätigten. Sie schrieben die Reichsverfassung fest, wo sie sich bewährt hatte und ergänzten sie dort, wo neue Erfahrungen in den bereits vorhandenen Wissensbestand eingegliedert werden mussten. Nicht zuletzt die Neubewertung des Augsburger Religionsfriedens hat zu einer Relativierung der Bedeutung des Westfälischen Friedens beigetragen, auch wenn die Feierlichkeiten zum 450. Jahrestag des Augsburger Religionsfriedens nicht annähernd eine solche Forschungsvielfalt hervorgerufen haben. Wenngleich er durchaus als „europäisches Ereignis" 6 betrachtet wurde, so war er eben doch kein Friedensschluss zwischen kriegführenden Reichen oder Herrschern, wie Frieden immer noch entsprechend eines nationalstaatlich geprägten Vorverständnisses charakterisiert wird. Hinsichtlich der außenpolitischen und völkerrechtlichen Wirkungen trat auch eine gewisse Relativierung ein, indem neuere Forschungen darauf verwiesen, dass es mit dem ungelösten französisch-spanischen Konflikt eben auch einen gescheiterten Westfälischen Frieden gab. 7 Die traditionellen europäischen Mächtekonflikte verloren nichts von ihrer Bedeutung, sie entwickelten aufs Neue ihre kriegerische Dynamik. 8 Daher liegt es auf der Hand, die Wirkmächtigkeit des Westfälischen Friedens im Gefolge der machtpolitischen Auseinandersetzungen in Europa und weltweit zu untersuchen. Ein erster vielversprechender Versuch, der sich insbesondere auf die völkerrechtliche Behandlung außereuropäischer Souveräne und Bündnispartner nach 1648 fokussiert, wird im Beitrag von Andrea Weindl unternommen. Wichtig wäre auch ein Vergleich mit späteren Friedensverhandlungen und -Verträgen, der sich aber zur Zeit schwierig gestaltet, weil es noch zu wenige I Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Münster 2004. Heinz Schilling, Der Augsburger Religionsfriede als deutsches und europäisches Ereignis, in: Archiv für Reformationsgeschichte 98, 2007, 244-250; ders./Heribert Smolinsky (Hrsg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555. (Reformationsgeschichtliche Studien und Schriften, Bd. 149.) Münster 2007. 7 Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643-1649. Münster 2007. 8 Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart 2008. 5 6
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Untersuchungen über die einzelnen Friedensschlüsse in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert gibt. Nicht zuletzt deshalb besitzt das Mainzer Forschungsprojekt zur digitalen Erschließung europäischer Friedensverträge der Vormoderne so große Bedeutung, wie Martin Peters in seiner Projektbeschreibung zeigen kann. Hier liegt sicherlich ein wichtiges künftiges Forschungsfeld, um die Folgewirkungen und die häufig konstatierte Vorbildfunktion des Westfälischen Friedens in völkerrechtlicher Hinsicht noch stärker zu konturieren. Gerade die jetzt anlaufenden Vorbereitungen zur Feier des Utrechter Friedens, wie sie im Beitrag von Renger E. de Bruin und Alexander Jordan skizziert werden und die in diesem Kontext entstehenden Forschungen lassen wichtige Erkenntnisse zur Bedeutung des Westfälischen Friedens im europäischen Kontext erwarten. Beflügelnd haben die Feierlichkeiten von 1998 vor allem in einem Bereich gewirkt, nämlich in der Diplomatiegeschichte, da der Friedenskongress als beispielgebend für die europäische Diplomatie angesehen wird. Mit ihm seien Friedenskongresse zu einem probaten Mittel der Friedensstiftung geworden, wie Michael Rohrschneider in seinem Beitrag eindrucksvoll zeigen kann. In einer anderen Disziplin haben die Forschungen zum Westfälischen Frieden durchaus Früchte getragen. Wurde Johannes Burkhardt 1999 von einigen Historikern noch dafür kritisiert, ausgehend vom Friedensschluss Entwicklungslinien (Parlamentarismus, Föderalismus und Rechtsstaatlichkeit) bis in die Gegenwart gezogen zu haben, was seine Kritiker als vorschnelle Parallelen oder Aktualisierung zurückwiesen, 9 so hat die Politikwissenschaft damit offenbar sehr viel weniger Probleme. Vergleiche mit der EU 10 oder der Ver-
Vgl. hierzu die Diskussionsbeiträge von Paul Münch und Martin Tabaczek sowie die Antwort Johannes Burkhardts; Johannes Burkhardt, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49,1998, 592-618; Paul Münch, 1648 - Notwendige Nachfragen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47, 1999, 329-333; Martin Tabaczek, Wieviel tragen Superlative zum historischen Erkenntnisfortschritt bei?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50, 1999, 740-747; Johannes Burkhardt, Über das Recht der Frühen Neuzeit, politisch interessant zu sein. Eine Antwort an Martin Tabaczek und Paul Münch, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50,1999, 748-756. 9
10 Johannes Krause, Die Grenzen Europas. Von der Geburt des Territorialstaats zum europäischen Grenzregime. (Europäische Hochschulschriften, Reihe 31, Politikwissenschaft, Bd. 574.) Frankfurt am Main 2009; Volker Rittberger/Martina Fischer (Hrsg.), Strategies for Peace. Contributions of International Organizations, States and Non-State Actors. Opladen/Farmington Hills 2008; Dieter Chenaux-Repond, „Europa sieht Deutschland": Hat der Westfälische Friede das Europa von heute vorgeprägt? Vortrag zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1998 im Rathaus der Stadt, in: Der Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück/Der Präsident der Universität Osnabrück (Hrsg.), Zusammenprall der Kulturen im Zeichen der Globalisierung? (Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft, Bd. 6.) Osnabrück 1999, 79-86; Heinz Holzhauer (Hrsg.), Europa 1648-1998. Von Münster nach Maastricht. Symposium anläßlich des 350. Iah-
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such, die Entwicklung der internationalen Beziehungen vom Westfälischen Frieden aus durch ein „Westphalian System" zu konturieren, 11 demonstrieren den „historical turn", den diese Disziplin nach dem Ende des Kalten Krieges durchlaufen hat. Aber auch für andere Problemlagen soll der Westfälische Frieden fruchtbar gemacht werden. So steht die westliche, weitgehend säkularisierte Industriegesellschaft angesichts der Herausforderungen durch den Islam vor der Frage, wie sie mit religiös fundierten und aufgeladenen Konflikten innerhalb der eigenen Gesellschaft und weltweit umgehen soll. Dass man in diesem Kontext auf die Mechanismen des Westfälischen Friedens verweist und überlegt, ob sie sich auf die heutigen Problemlagen übertragen lassen, ist für einen Frühneuzeithistoriker zunächst verwunderlich. Will aber die Disziplin stärkere Relevanz in aktuellen Debatten gewinnen, so muss sie den frühneuzeitlichen „Elfenbeinturm" verlassen. Diese Schwerpunktbildungen im Bereich der Forschungen zum Westfälischen Frieden weisen eine starke Fokussierung auf politik-, verfassungs- und rechtsgeschichtliche Fragestellungen auf. Die Forschungen zum Jubiläumsjahr haben aber auch ein breites Spektrum an kulturhistorischen Fragestellungen hervorgebracht, die nicht nur ein neues Licht auf den Westfälischen Frieden und den vorangegangenen Kongress warfen, sondern den Blick auf übergeordnete Vorstellungen, Bilder und Konzepte von „Frieden" als Kern und Ziel aller weltlichen Ordnungsbemühungen richteten. Dazu zählen zum einen die Studien aus dem Bereich der engeren Kulturgeschichte, die sich mit Aspekten der Repräsentation und Gestaltung von Friedensvorstellungen, Friedenserwartungen in den Bildkünsten, in der Literatur oder der Musik beschäftigten. Die vielen neuen Blickwinkel, die sich daraus auf das kulturelle Umfeld, die Rezeption und Wahrnehmung des Westfälischen Friedens ergaben, lassen sich eindrucksvoll im Textband des Ausstellungskataloges nachlesen. 12 Dieser Impuls strahlte aus und brachte auch in den Folgejahren dezidierte Auseinandersetzungen mit der Friedensthematik in den kulturhistorischen Wissenschaften. 13 Zum anderen erwies sich die Einbindung der methodischen Ansätze, die im Kontext des „cultural turn" diskutiert wurden und werden, als sehr fruchtbar. Ausgehend von der Einsicht in die grundsätzliche Konstruiertheit aller soziarestages des Westfälischen Friedens. (Münsterische juristische Vorträge, Bd. 4.) Münster 1999. 11 Benno Teschke, The Myth of 1648. Class, Geopolitics, and the Making of Modern International Relations. London 2003. 12 Klaus Bussmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648: Krieg und Frieden in Europa. Teilbd. 2: Kunst und Kultur. Münster 1998. 1 3 Vgl. zum Beispiel Stefan Hanheide, Pace. Musik zwischen Krieg und Frieden. 40 Werkporträts. Kassel 2007; Kathryn Lowerre, A ballet des nations for English Audiences. Europe's revels for the peace of Ryswick (1697), in: Early Music 35, 2007,419-433; Wolfgang Augustyn (Hrsg.), PAX: Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens. München 2003.
Der Immerwährende Friede als immerwährende
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len und damit auch der politischen Wirklichkeiten öffnete sich der Blick für die Funktion der kommunikativen Prozesse vor den Friedensverhandlungen, in der Selbstdarstellung der beteiligten Verhandlungspartner, aber auch für die Wahrnehmung des Kongressgeschehens und der damit verbundenen Hoffnung auf Frieden durch diejenigen, die nicht am politischen Geschehen beteiligt waren. Die Untersuchungen der unterschiedlichen Thematiken, Bild- und Sprachlichkeiten der illustrierten Flugblätter und Flugschriften sind hier zu nennen, da sie in ihren kulturellen und sozialen Rückbindungen einen neuen Blick auf die Wahrnehmung der Friedensverhandlungen, der „Friedensfolgen" und Friedensfeiern frei gaben. So konnte durch einen Vergleich von Zeitungsabonnenten und Selbstzeugnissen nachgewiesen werden, dass gerade die medial vermittelten Hoffnungen und Erwartungen recht unmittelbar mit Stimmungslagen der Bevölkerung zusammenhingen und diese beeinflussen konnten, oder dass in den für die Mehrheit viel wichtigeren illustrierten Flugblättern erst der Nürnberger Exekutionstag als eigentlicher Friedensbeginn medial wahrgenommen wurde. 14 Vor allem aber fanden Fragen der Kommunikation, Medialität, Perzeption und Performativität in der Untersuchung der zahlreichen Friedensfeste so reiche Materialien, dass ein ganzes Forschungsfeld neu erschlossen wurde. Hier ließen sich Selbstdarstellung, Wissensvermittlung und Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen sehr deutlich in ihren Widersprüchlichkeiten und Doppeldeutigkeiten ablesen. 15 Und auch Friedensfeste außerhalb des 17. Jahrhunderts wurden bearbeitet, so dass man von einer nicht unerheblichen Ausstrahlung dieser neueren methodischen Ansätze sprechen kann. 16
14 Stephan Mayer-Gürr, „Die Hoffnung zum Frieden wird täglich besser". Der Westfälische Friedenskongress in den Medien seiner Zeit. Bonn 2007 [http://hss.ulb. uni-bonn.de/2007/0994/0994.htm; eingesehen am 19.05.2010]; ders., Münster oder Nürnberg? Das Ende des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel der zeitgenössischen Medien, in: Bengt Jörgensen/Raphael Krug/Christine Lüdtke (Hrsg.), Friedensschlüsse. Medien und Konfliktbewältigung vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Augsburg 2008, 149-168.
Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.), Das Augsburger Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen europäischen Toleranz-, Friedens- und Festkultur. Berlin 2000; Katrin Keller, Das „eigentliche wahre und große Friedensfest... im ganzen Sachsenlande", in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. München 1998, 661-677; Dorothea Schröder, Friedensfeste in Hamburg. 1629-1650, in: Martin Knauer/Sven Tode (Hrsg.), Der Krieg vor den Toren. Hamburg im Dreißigjährigen Krieg 1618-1648. Hamburg 2000,335-346. 15
16 Siegrid Westphal, Das Hubertusburger Friedensfest von 1763 in der Reichsstadt Nordhausen, in: Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen 27, 2002, 153-161; Etienne François, Vergangenheitsbewältigung im Dienst des Friedens und der konfessionellen Identität. Die Friedensfeste in Süddeutschland nach 1648, in: Johannes Burkhardt (Hrsg.), Krieg und Frieden in der historischen Gedächtniskultur. Studien zur
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Gerade diese Forschungen zu Bildlichkeit und Darstellungsmodi des Friedens haben das Bewusstsein dafür geweckt, dass hinter den ganz unterschiedlichen medialen Manifestationen von Friedensbildern ein gemeinsam geteilter Kern eines übergreifenden, religiös begründeten Friedensverständnisses steckt. In diesem engeren „kulturellen" Bereich der „Lebenswelten" und „Gelehrsamkeiten" wird also mittlerweile durchaus danach gefragt, wo sich ästhetische und theologische Friedensbilder überschneiden und ergänzen, wie sie in bildlichen Darstellungen umgeformt wurden, wie mit ihrer Hilfe die politischen Errungenschaften des Westfälischen Friedens vermittelt und in einen sinnstiftenden Zusammenhang gebracht wurden. Solche Fragen sind der Erforschung politischer und rechtlicher Friedenstechniken und -instrumente mittlerweile auch nicht mehr fremd, aber sie haben nur teilweise Eingang in die Forschungskonzeptionen gefunden. Denn mit der gleichen Berechtigung kann man fragen, wie die „kulturellen" Friedensbilder zu den juristischen Friedensverfahren passen, welche gemeinsamen Wurzeln sie nicht nur ideengeschichtlich, sondern auch im lebensweltlichen Kontext haben - denn auch die Mitglieder der Funktionseliten waren in ihren Denk- und Wahrnehmungsmustern ganz erheblich von ihren jeweiligen Lebenswelten geprägt, die später durch ihr professionelles „Expertenwissen" nicht übertüncht, sondern ergänzt und spezifiziert wurden. Hier setzt eine methodisch erneuerte Diplomatiegeschichte ein, welche vor allem die lebensweltlichen und politikkulturellen Prägungen der Diplomaten in den Mittelpunkt rückt. 17 Nicht sachliche und strategische Argumente standen unbedingt immer im Fokus der Verhandlungen, allzu oft waren diese vorgeprägt von Voreingenommenheiten, Vorurteilen und bestimmten Fremdbildern, welche die grundsätzliche Bereitschaft zum Frieden durchaus nachhaltig beeinflussten. Inwieweit dies auch für den Westfälischen Frieden von Relevanz ist, wurde erst jüngst von Michael Rohrschneider am Beispiel der französisch-spanischen Verhandlungen gezeigt. 18 Ihr Scheitern lasse sich unter anderem darauf zurückführen, dass bei den Gesandten tradierte Denkmuster und Argumentationsstrukturen dominierten, die als Reflex der langjährigen französischfriedenspolitischen Bedeutung historischer Argumente und Jubiläen von der Antike bis zur Gegenwart. München 2000,103-123. Michael Rohrschneider, „Holland kann die Tyranney Frankreichs nicht gnung beschreiben...". Die französisch-niederländischen Beziehungen 1672-1684 im Spiegel antifranzösischer deutscher Flugschriften, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56, 2006, 101-122; Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg. Berlin 2006; Arno Strohmeyer, Ideas of Peace in early modern Models of international Order. Universal Monarchy and Balance of Power in Comparison, in: Jost Dülffer/Robert Frank (Hrsg.), Peace, War and Gender from Antiquity to the Present. Cross-cultural Perspectives. Essen 2 0 0 9 , 6 5 - 8 0 . 17
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Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden (wie Anm. 7).
Der Immerwährende Friede als immerwährende
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habsburgischen Auseinandersetzungen gedeutet werden können und auf Feindbildern sowie nationalen Stereotypen beruhten. Auch Christoph Kampmann verweist in seinem Beitrag darauf, dass es im Zeitalter des Bellizismus durchaus Konzepte eines positiven, gerechten und ehrenvollen Friedens gegeben habe, die gerade aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit einer raschen Beendigung des Krieges im Wege gestanden haben. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen die Wirkmächtigkeit dieser lebensweltlichen Prägungen und damit auch deren Bedeutung für die Erforschung von Friedensverhandlungen und die jeweils gewählten Strategien jenseits politischer und machtstrategischer Interessen. Ebenso, wie solche unbewusst gebliebenen Fremdbilder die spanisch-französischen Bemühungen scheitern ließen, so konnten sie auf der anderen Seite in den Auseinandersetzungen um die Normaljahrsregelung gerade einen vertrauensbildenden, friedensfördernden Effekt bewirken, wie Ralf-Peter Fuchs in seinem Beitrag zu zeigen vermag. Welch spannende Erträge eine kulturhistorisch erweiterte Diplomatiegeschichte über die Betrachtung von politischen Leitbildern und lebensweltlichen Prägungen der Diplomaten hinaus noch erbringen kann, erweist sich in den Beiträgen von Martin Peters und Regina Dauser, die sich auf die Analyse von Texten und der Sprache in Friedensverträgen fokussieren. Während Peters auf die „missverständliche" Wirkung von fehlerhaften Übersetzungsleistungen aufmerksam macht, wendet sich Dauser dem Problem der Titulatur und den dadurch symbolisierten Hegemonieansprüchen in Friedensverträgen zu. « Diese Untersuchungen brechen die Bedeutung einer Forschungsperspektive auf, die aus einer etatistischen Perspektive heraus frühneuzeitliche Friedensverhandlungen und -bemühungen untersuchte. Ausgehend von einem älteren Staatsverständnis wurde der Staat mitunter fast schon als Akteur angesehen, ihm Motive, Interessen und Strategien unterstellt und gleichsam als handelndes Subjekt betrachtet. Sowohl die neuere Politikgeschichte als auch aktuelle Ansätze in den Politikwissenschaften haben dieser Sicht eine stärkere Betonung auf die politischen Institutionen, ihre decision-making Prozesse sowie die sie tragenden Akteure gegenübergestellt, gerade um das Problem der Definition von „Staat" und „Staatlichkeit" in den prä- und postnationalstaatlichen Epochen zu überwinden. Diese Perspektive hat sich auch für die Erforschung
1 9 Weitere Beispiele einer kulturgeschichtlich inspirierten Diplomatiegeschichte wie die nonverbale Kommunikation, das Zeremoniell, die Titulaturen oder der Umgang mit Geschichte wurden 2009 auf einer Tagung in Borin unter dem Titel „L'art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens" vorgestellt, die von Christoph Kampmann, Maximilian Lanzinner, Guido Braun, Antje Oschmarvn und Michael Rohrschneider in Zusammenarbeit mit den DHI Paris und Rom sowie der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. veranstaltet worden ist und deren Ergebnisse in nächster Zeit publiziert werden.
Inken Schmidt-Voges/Siegrid
Westphal
der frühneuzeitlichen Friedensschlüsse und -Verhandlungen als ausgesprochen produktiv erwiesen.20 Auch Juristen, Diplomaten und Verwaltungspraktiker funktionierten' nicht nur nach systemimmanenten Regeln der Rechtsgelehrsamkeit, sondern hatten ebenfalls umfassendere, kulturell geprägte Friedensvorstellungen im Hinterkopf. Das zeigt sich insbesondere dort, wo die Lösung allgemeiner Friedensprobleme neue Wege erforderte und dies nur durch Rückgriff auf fundamentale Friedensvorstellungen geschehen konnte, die aus anderen Kontexten als vorbildlich für das konkrete Problem angesehen werden, wie Volker Arnke in seiner Analyse einer juristischen Friedensschrift im Vorfeld des Westfälischen Friedens zeigt. Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt auch Therese Schwager, die sich der Polybiosrezeption durch Claude de Saumaise vor und während der Münsteraner Friedensverhandlungen widmet. Es ist aber nicht nur die Perspektive übergeordneter, politischer Friedenskonzeptionen, die hier angesprochen wird. Denn die innergesellschaftlichen Ordnungen wurden während der Frühen Neuzeit durchaus vor dem Hintergrund von Friedenskonzepten wahrgenommen und kommuniziert. Bisher hat die Forschung diesem Aspekt wenig Beachtung geschenkt - aus Sicht der klassischen Politikgeschichte war mit der Durchsetzung des Landfriedens begrifflich das Friedens- zu einem Sicherheitsproblem geworden. 21 Der Blick auf semantische Bezüge und bestimmte Friedensnarrative macht in diesem Bereich eine neue Perspektive möglich, indem die Bedeutung, Funktionalisierung und inhaltliche Füllung im rhetorischen Gebrauch von Friedensbegrifflichkeiten im Rahmen der politischen Kommunikation untersucht werden. Hier setzt der Beitrag von Tobias Bartke an, der die rhetorische Funktion eines Friedensbezuges innerhalb der Gesetzesreformkommissionen in Schweden untersucht und auf deren Legitimationsbedeutung abhebt. An der Schnittstelle zwischen politischen und sozialen Ordnungsprozessen kann Inken SchmidtVoges die Wirkmächtigkeit von Friedensnarrativen in häuslichen Konflikten aufdecken. Diese Beiträge machen deutlich, dass die innergesellschaftlichen Ordnungsprozesse, deren Friedensbezug in vielen Studien im Titel genannt wird, 22 mit
Als Beispiel sei hier auf die Studie zum schwedischen Gesandten Johann Adler Salvius verwiesen, die ganz deutlich zeigt, wie unterschiedlich die einzelnen Akteure sozial, kulturell und politisch eingebunden sind. Heiko Droste, Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. Berlin 2006.
20
Karl Härter, Sicherheit und Frieden im frühneuzeitlichen Alten Reich. Zur Funktion der Reichsverfassung als Sicherheits- und Friedensordnung 1648-1806, in: Zeitschrift für historische Forschung 3,2003,413-431.
21
Siehe unter anderen Steve Hindle, The Keeping of the Public Peace, in: Paul Griffiths/Adam Fox/Steve Hindle (Hrsg.), The Experience of Authority in Early Modern England. New York 1996, 213-249; Thomas Munck, Keeping the peace. Good Police' and civic order in 18th-century Copenhagen, in: Scandinavian Journal of history 32, 2007, 22
Der Immerwährende Friede als immerwährende
Herausforderung
einer entsprechenden Forschungskonzeption sehr viel stärker an unmittelbare Friedensbezüge anknüpfen können, als dies bisher angenommen wird. Um diesem grundlegenden Friedensverständnis auf die Spur zu kommen, bedarf es eines methodischen Instrumentariums, das aus den jeweiligen gesellschaftlichen Funktionssystemen heraus Rückkoppelungen auf gesamtgesellschaftlich prägende Vorstellungswelten aufzudecken vermag. Die semantischen und narrativen Mechanismen sind der Kern des Osnabrücker Forschungsprojektes, das sich auf die Ausbildung spezifischer, friedensbezogener Denk- und Wahrnehmungsstrukturen fokussiert. Ausgehend von einer Kernzeit in den Jahrzehnten um 1600 werden die zeitliche, kulturelle und soziale Gebundenheit zu den einzelnen konkreten Situationen in Beziehung gesetzt, in denen Friedenssemantiken und -narrative aktualisiert, formuliert und durchaus strategisch eingesetzt wurden. 23 Die Vielfalt der methodischen Instrumentarien kulturhistorischer Ansätze erweist sich damit gerade für die Vielschichtigkeit der Friedensthematik als fruchtbringend und weiterführend. Abhängig von den jeweiligen Forschungsperspektiven bieten etwa die politische Kultur- beziehungsweise Kommunikationsforschung Ansätze an, auch „klassische" politik-, verfassungs- und rechtsgeschichtliche Fragestellungen im Hinblick auf intertextuelle Bezüge zu befragen. Zusammen mit Ansätzen etwa aus der Wissenssoziologie, der Imagologie oder der Historischen Semantik können Wissens-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster aufgedeckt, als kommunikativer Prozess konzipiert und mit dem Interagieren von Akteuren in institutionellen Prozessen in Beziehung gesetzt werden. In Verbindung mit Semantiken von bildkünstlerischen Darstellungen und literarischen Werken wird neben der
38-62; Susanne Pohl, Uneasy Peace. The Practice of the Stallung ritual in Zurich 14001520, in: Journal of Early Modern History 7, 2003, 28-54; Petri Karonen, Coping with Peace after a Debacle, in: Scandinavian Journal of History 33, 2008, 203-225; Jérémie Foa, Making Peace. The Commissions for Enforcing the Pacification Edicts in the Reign of Charles IX (1560-1574), in: French History 18, 2004, 256-274; Daniella Kostroun, Putting Pascal to Practical Use. Jansenist Women at the Peace of Clement IX, in: Proceedings of the Western Society for French History 31, 2003, 50-64; Brent Whitted, Street Politics. Charles I and the Inns of Court's Triumph of Peace, in: Seventeenth Century 24, 2 0 0 9 , 1 25 oder John Harrison, The Justices of the Peace for Stirlingshire 1660-1706, in: Scottish Archives 1 2 , 2 0 0 6 , 4 2 - 5 2 . Das von der DFG geförderte Projekt „Friedensbildung. Das juristische Wissen um Frieden im Alten Reich und in Schweden um 1600" wird geleitet von Siegrid Westphal und Inken Schmidt-Voges und ist Teil eines übergreifenden Forschungsprogramms zu „Friedensbildem und Friedensvorstellungen um 1600" am Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück. Volker Arnke und Tobias Bartke bearbeiten hier Themen der reichischen bzw. schwedischen Geschichte. Das Projekt steht in engem Zusammenhang mit dem Habilitationsprojekt von Inken Schmidt-Voges zu „Mikropolitiken des Friedens. Häusliche Konflikte und soziale Ordnung um 1800". 23
Inken Schmidt-Voges/Siegrid
Westphal
konkreten Funktion im Rahmen politischer oder gesellschaftlicher Prozesse das Potenzial übergeordneter Friedensbilder deutlich. Es lässt sich also für die Frühneuzeitforschung festhalten, dass die Impulse von 1998 gerade im Hinblick auf die neueren methodischen Zugänge Früchte zu tragen beginnen. Dieser Befund zeigt deutlich die Notwendigkeit zur Reflexion über die epochenspezifischen Besonderheiten, Brüche und Traditionen im frühneuzeitlichen Friedensverständnis und Friedenshandeln im Übergang zu den Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Ereignisse um 1800, die Einordnung aufklärerischer Friedensideen und Friedensbilder im Kontext der napoleonischen Kriege sind als Scharnier zwischen beiden Epochen wichtige Anknüpfungspunkte, wie der Tagungsband des Arbeitskreises für Historische Friedensforschung von 2006 zeigt. 24 Nicht nur inhaltlich ist der Blick über die Epochengrenze für die Erforschung der Frühen Neuzeit durchaus angebracht, sondern auch für das theoretische Nachdenken über die Bilder vom Frieden in den Köpfen der Geschichtswissenschaft Betreibenden. Die neuen Ansätze in der sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung - wie auch die keineswegs unkontroverse Debatte über die Normativität von Friedensforschung insgesamt - könnten den Blick auf Frieden in der Frühen Neuzeit für dessen epochenbedingte Eigenheiten öffnen; wie auch umgekehrt die Rezeption der nicht gerade marginalen Forschungen zur Frühen Neuzeit durch die zeitgeschichtlich und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Friedensforschung das Bewusstsein für die historischen Tiefendimensionen dieses Kernthemas menschlicher Existenz über die Frage nach der Bedeutung des „Westphalian System" hinaus schärfen würde.
Thomas Kater (Hrsg.), „Der Friede ist keine leere Idee...". Bilder und Vorstellungen vom Frieden am Beginn der politischen Moderne. Essen 2006. 24
Rückschau und Perspektiven
Neue Ansätze der Forschung H e i n z Duchhardt
D e r W e s t f ä l i s c h e Friede -
F o r s c h u n g im kritischen R ü c k b l i c k
neue Ansätze der
D a s G e d e n k j a h r 1998 hat mit der
großen Europaratsausstellung in M ü n s t e r und O s n a b r ü c k , 1 mit
weiteren
Ausstellungen unter a n d e r e m in Paris 2 u n d den Niederlanden, die v o n e i n e m eigens eingesetzten Nationalkomitee vorbereitet w u r d e n , 3 mit zahlreichen Konferenzen, v o n denen die in M ü n s t e r 4 , O s n a b r ü c k 5 ,
Nimwegen/Kleve6
u n d Paris w o h l z u den ergiebigsten gezählt w e r d e n müssen, mit Vortrags7
zyklen, die hin u n d w i e d e r auch unter gegenwartspolitischen Perspektiven standen, 8 u n d mit einer Fülle weiterer Publikationen, die oft lokal oder regional ausgerichtet w a r e n , 9 in der nationalen u n d internationalen Geschichtswissenschaft eine tiefe Spur gezogen. 1 0 W i e oft bei Jubiläen dieser Art sind nicht alle Publikationen so beschaffen, sich einen festen Platz im K a n o n der relev a n t e n Fachliteratur zu sichern. A u s der kritischen Distanz drängt sich der Eindruck vielleicht sogar n o c h stärker als seinerzeit auf, dass die F o r s c h u n g über m a n c h e s w i e d e r rasch h i n w e g g e h e n wird. A b e r das G e d e n k j a h r w u r d e auf der anderen Seite d a n n aber doch a u c h genutzt, u m die Forschung in n e u e
1 Klaus Bußmann/Heinz Münster 1998.
Schilling (Hrsg.), 1648 - Krieg und Frieden in Europa, 3 Bde.
1648 - la paix de Westphalie. Vers l'Europe moderne, hrsg. v. Musée de la Monnaie. Paris 1998. 3 Jacques Dane (Hrsg.), 1648 - Vrede van Munster. Feit en verbeelding. Zwolle 1998. Weitere Ausstellungen fanden etwa in Delft und in Basel statt. 4 Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede - Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. München 1998. 5 Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. München 2001. 6 Hugo de Schepper/Christian L. Tümpel (Hrsg.), 1648. De Vrede van Munster. Handelingen van het herdenkingscongres te Nijmegen et Kleef. Hilversum 1997. 7 Luden Bély/Isabelle Richefort (Hrsg.), L'Europe des Traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l'esprit. Paris 2000. 2
Fernando Villaverde (Hrsg.), 350 años de la Paz de Westfalia. Del antagonismo a la integración en Europa. Ciclo de conferencias celebrado en la Biblioteca Nacional. Madrid 1999; weiterhin: 1648-1998. Der Westfälische Frieden und seine Bedeutung für Europa. Öffentliche Vorträge. Münster 1998.
8
Als Beispiele seien genannt: Gerd Steinwascher, Osnabrück und der Westfälische Friede. Die Geschichte der Verhandlungsstadt 1641-1650. Osnabrück 2000; Martin Knauer/Sven Tode (Hrsg.), Der Krieg vor den Toren. Hamburg im Dreißigjährigen Krieg 1618-1648. Hamburg 2000; Klaus Malettke (Hrsg.), Frankreich und Hessen-Kassel zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens. Marburg 1999; HansPeter Lühr (Hrsg.), Sachsen im Dreißigjährigen Krieg. (Dresdner Hefte 16, H. 56.) Dresden 1998; Hans-Georg Aschoff, Das Hochstift Hildesheim und der Westfälische Friede, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 66,1998,229-269. 9
1 0 Vgl. auch den Forschungsüberblick in dem Sammelbericht von Johanne s Arndt, Ein europäisches Jubiläum: 350 Jahre Westfälischer Friede, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1,2000,133-158.
Heinz Duchhardt
Richtungen zu lenken, an die bei den früheren Gedenkjahren noch niemand dachte. Im Rückblick von einem knappen Dutzend Jahren auf die Publikationen und sonstigen Aktivitäten des Gedenkjahrs 1998 mitsamt seines Vorlaufs erscheinen mir drei Themenschwerpunkte als besonders auffällig und auch ertragreich. Dass dies eine sehr subjektive Würdigung ist, versteht sich von selbst, und es ist mir auch klar, dass andere, die 1998 eine Mitverantwortung trugen, andere Aspekte stärker gewichten werden, etwa die Einbeziehung von Bildmaterial oder überhaupt die öffentliche Seite des Friedens. 1 . Zum einen hat die Erforschung der kulturalistischen Seite des Westfälischen Friedens erst durch den 350. Gedenktag einen nachhaltigen Aufschwung genommen, das heißt vor allem die Festkultur des mehrjährigen Kongresses und die sich anschließenden öffentlichkeitswirksamen Friedensfeste, die zwar nicht unmittelbar nach dem 24. Oktober 1648, aber dann doch in dem Moment - manchmal erst nach dem Nürnberger Exekutionstag einsetzten, in dem Regierungen und Bevölkerung definitiv glaubten, davon ausgehen zu können, dass dieser Friede nun wirklich Bestand haben würde. Wir wissen durch die Forschungen etwa von Bernd Roeck 11 , Katrin Keller 12 , Ciaire Gantet 13 und anderen 14 , dass sich diese Festkultur vor allem auf jene protestantischen Teile des Reiches konzentrierte, die - sei es, dass der Krieg sie besonders grausam und nachhaltig heimgesucht hatte, sei es, dass sie in spezifischer, meist rechtlicher Hinsicht von ihm profitiert hatten - einen besonderen Grund und Anlass hatten, Erleichterung und Dank zu artikulieren. Das gilt in ganz besonderer Weise für Augsburg, wo das Gedenken an den Krieg und den Frieden ja sogar in eine bis heute währende Gedächtniskultur überging, 15 aber es ist etwa auch an Kursachsen oder Nürnberg 16 zu denken. Dabei sind, sozusagen im Umkreis des cultural turn, vor allem die in früheren Zeiten oft unterschätzten symbolischen Formen der Dank- und Gedenkfeste aufgearbeitet worden, also die Auswahl der Predigttexte, die Kirchenmusik,
Bernd Roeck, Das Feiern des Friedens, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 633-659. 12 Katrin Keller, Das „eigentliche wahre und große Friedensfest ... im ganzen Sachsenlande". Kursachsen 1648 bis 1650, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 661-677. 11
13 Ciaire Gantet, La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVII C -XVIII C siècles. Paris 2001. 14 Heinz Duchhardt, Münster und der Westfälische Friede - Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur im Wandel der Zeiten, in: ders. (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 853-863. 15 Johannes Burkhardt/ Stephanie Haberer (Hrsg.), Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur. Berlin 2000. 16 Klaus Garber, Sprachspiel und Friedensfeier. Die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts auf ihrem Zenit im festlichen Nürnberg, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 679-713.
Neue Ansätze der Forschung
die Aufeinanderfolge von Besinnung und Freude. Den in aller Regel obrigkeitlich verordneten Festen wohnte ganz sicher ein herrschaftsstabilisierendes und auf Solidarität zielendes Interesse inne, man wird aber davon ausgehen können, dass die Untertanen ihre Teilnahme nicht nur als ein Muss absolvierten. In katholischen Regionen dagegen - das ist etwa für Münster, also die Friedensstadt selbst, aufgearbeitet worden 17 - hielt sich die positiv konnotierte Festkultur demgegenüber dann eher in bescheidenen Grenzen, weil das kollektive Bewusstsein dort doch sehr davon geprägt war, in dem Frieden vor allem einen „Erfolg" des deutschen und europäischen Protestantismus zu sehen. Davon stechen selbstredend die Niederlande ab, wo der Friede, der die endgültige völkerrechtliche Emanzipation erbracht hatte, rasch zu einem nationalen Erinnerungsort aufstieg. 18 Was die Festkultur des Friedenskongresses selbst betrifft, so ist die konsequentere Aufarbeitung dessen, was man heute als „symbolisches Handeln" im Rahmen eines größeren Forschungsfeldes zur politischen Geschichte als Kulturgeschichte bezeichnet, hervorzuheben. Die entsprechenden, vom cultural turn inspirierten Forschungen erlebten in den späteren 1990er Jahren eine erste Konjunktur, hier kam der mehrjährige Friedenskongress in den beiden westfälischen Bischofsstädten geradezu wie gerufen, um bestimmte Fragestellungen an einem immens reichhaltigen Material aus der Hochzeit des Festes als Repräsentation von Macht und Anspruch und der Zeremoniellstreitigkeiten zu prüfen. Die Dissertation von Anja Stiglic ist hier exemplarisch zu nennen, 19 aber auch andere Arbeiten, 20 die unter Beweis stellen, dass das lange Übergehen solcher barocker Feste zur Prätention und Versichtbarung politischen Prestiges und solcher Rang- und Zeremoniellstreitigkeiten durch eine frühere, stärker etatistisch orientierte Forschung ein falscher Weg war oder doch einer, der wesentliches Erkenntnispotential am Wegesrand liegen und unberücksichtigt ließ.21 In Münster wurden in zeremonieller Hinsicht zu-
Heinz Duchhardt, Das Feiern des Friedens. Der Westfälische Friede im kollektiven Gedächtnis der Friedensstadt Münster. Münster 1997. 18 Jaconelle Schuffei/Marc Temme/Marijke Spies, Festzüge und Bühnenstücke. Antwerpen, Haarlem, Dordrecht, in: Horst Lademacher/Simon Groenveld (Hrsg.), Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568-1648. Münster u.a. 1998, 325-345; Míete B. Smits-Veldt, Friedensfeiern in Amsterdam, in: ebd., 307-313. 19 Anja Stiglic, Ganz Münster ist ein Freudental...: Öffentliche Feierlichkeiten als Machtdemonstration auf dem Münsterschen Friedenskongress. Münster 1998; vgl. auch dies., Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreß-Stadt Münster, in: Bußmann/Schilling (Hrsg.), 1648 - Krieg und Frieden (wie Anm. 1), Textbd. 1., 391-396. 20 Konrad Repgen, Der Westfälische Friede. Ereignis, Fest und Erinnerung. Opladen/Wiesbaden 1999, Abschnitt 2.3. 2 1 Vgl. etwa auch noch: Gerd Dethlefs (Hrsg.), Der Frieden von Münster/De Vrede van Munster 1648. Teil 3: Die Berichte über die Ratifikationsfeiern. Münster 1998. 17
Heinz Duchhardt
nächst einmal Wegmarken gesetzt, an denen sich die späteren Friedenskongresse zu orientieren - oder von denen sie sich auch abzuheben - hatten. Das Beispiel Augsburg verweist bereits darauf, dass die dem Ereignis zeitlich nahen Feste in dem einen oder anderen Fall in eine längerfristige Erinnerungskultur übergingen; die Augsburger „Friedensgemälde" haben schon vor geraumer Zeit eine Publikation erfahren.22 Auch hier kommt der protestantischen Staatenwelt eine besondere Rolle zu; die vom Westfälischen Frieden begünstigten oberschwäbischen Reichsstädte etwa haben zu den Säkularfeiern des Ereignisses von 1648 regelmäßig Gedenkmedaillen herausgegeben. In den Niederlanden entwickelte sich zu den runden Jahrestagen eine auch literarisch und musikalisch besonders anspruchsvolle Fest- und Erinnerungskultur.23 Aber unter dem Strich bleiben hier doch noch beträchtliche weiße Flächen, etwa was die Erinnerungskultur in Schweden oder der Eidgenossenschaft betrifft. Ähnliches gilt auch für die Rezeptionsgeschichte ganz allgemein, die über einige wenige Eckpunkte dann doch noch nicht hinausgekommen ist. Stand die Dissertation von Bernd Mathias Kremer über den Westfälischen Frieden in der Deutung der Aufklärung hier lange Zeit ziemlich vereinzelt auf weiter Flur,24 so haben die Studien von Konrad Repgen25, Bernd Schönemann26 und anderen immerhin einige neue Felder erschlossen, die auch bis in die universitäre Praxis der Vormoderne hineinreichen.27 2 . Ein zweiter Punkt, der genannt werden sollte, ist - ebenfalls in einer wirkungsgeschichtlichen Perspektive - die Konkretion der reichsstaats- und
Horst Jesse (Hrsg.), Friedensgemälde 1650-1789. Zum Hohen Friedensfest am 8. August in Augsburg. Pfaffenhofen 1981. 23 Hugo de Schepper/jan J. V. M. de Vet, Die Jubiläen des Friedens von Münster 1748 und 1948. Kultur der Erinnerung und des Vergessens in den Niederlanden, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 827-851. 24 Bernd Mathias Kremer, Der Westfälische Friede in der Deutung der Aufklärung. Zur Entwicklung des Verfassungsverständnisses im Hl. Rom. Reich Dt. Nation vom Konfessionellen Zeitalter bis ins späte 18. Jh. Tübingen 1989; vgl. auch ders., Die Interpretation des Westfälischen Friedens durch die „Schulen" des „Jus Publicum", in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 757-778.
22
Wie oben Anm. 20, Abschnitt 3. Vgl. auch: Historikerpreis der Stadt Münster 1998 Prof. Dr. Konrad Repgen. Dokumentation der Feierstunde zur Verleihung am 30. Januar 1998 im Festsaal des Rathauses zu Münster. Münster 1998. 26 Bernd Schönemann, Zur Rezeption des Dreißigjährigen Krieges in Literatur und Schule vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Wolnzach 2000; vgl. auch ders., Die Rezeption des Westfälischen Friedens durch die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 805-825. 25
Heinz Duchhardt, Der Westfälische Friede im „öffentlichen Bewusstsein" der Vormoderne: lateinische metrische Merkverse, in: Helmut Neuhaus u.a. (Hrsg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift für Johannes Kunisch zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, dargebracht von Schülern, Freunden und Kollegen. Berlin 2002, 243-249.
27
Neue Ansätze der Forschung
völkerrechtlichen Strahlkraft der beiden Instrumenta pacis von 1648. Völkerrechtler, die in der Vormoderne arbeiten, sind im deutschen (und mitteleuropäischen) Raum eher selten geworden und um so mehr ist es zu würdigen, dass sich mit Heinhard Steiger und Randall Lesaffer zwei Juristen herausgefordert gefühlt haben, die immer wieder behauptete völkerrechtliche Signalwirkung des Westfälischen Friedens aufzuarbeiten. 28 Also: Wie wurden bestimmte Formeln des Osnabrücker und des Münsterschen Friedensvertrags von nachfolgenden Architekten von Friedensverträgen rezipiert, wie wurden Formeln und Schlüsselbegriffe - meist ein träger Prozess - dezent und subtil verändert, wie fanden sie Aufnahme in die Völkerrechtsliteratur der späteren Frühen Neuzeit, wo lagen die Gründe, dass nach allgemeiner Anschauung der Westfälische Friede der Nukleus der gesamten europäischen Völkerrechtsordnung sei? Es ist ja ein Phänomen - und als solches längst erkannt - , dass sich die vorrevolutionären Friedensverträge mit großer Konstanz auf das Vertragswerk von 1648 bezogen, ohne materiell aber in jeder Hinsicht deckungsgleich mit ihm zu sein. Das galt etwa schon für den Rijswijker Frieden von 1697, der Religionsbestimmungen des Westfälischen Friedens außer Kraft setzte, gleichwohl aber dessen unverbrüchliche Geltung beschwor, gleiches gilt aber dann auch für den Teschener Frieden von 1779, der sogar faktisch mit Russland eine neue Garantiemacht des Westfälischen Friedens einführte. Die Verortung des Westfälischen Friedens in der Geschichte des Völkerrechts, die auch von anderer Seite immer wieder einmal thematisiert wurde, 29 ist durch diese Forschungen sehr viel präziser als bisher geworden.
Heinhard Steiger, Der Westfälische Frieden - Grundgesetz für Europa?, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 4), 33-80; ders., lus bändigt Mars. Das klassische Völkerrecht und seine Wissenschaft als frühneuzeitliche Kulturerscheinung, in: Asch/Voß/Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg (wie Anm. 5), 59-85; ders., Die Träger des ius belli ac pacis 1648-1806, in: Werner Rösener (Hrsg.), Staat und Krieg. Göttingen 2000, 115-135; ders., Friedensschluß und Amnestie in den Verträgen von Münster und Osnabrück, in: Heinz Duchhardt/Patrice Veit (Hrsg.), Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Mainz 2000, 207-245; ders., Rechtliche Strukturen der Europäischen Staatenordnung 1648-1792, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 59,1999, 609-647; ders., Probleme der Völkerrechtsgeschichte, in: Der Staat 26, 1987, 103-126; Randall Lesaffer, War, Peace and Interstate Friendship and the Emergence of the lus Publicum Europaeum, in: Asch/Voß/Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg (wie Anm. 5), 87-113; ders., Vrede in de ontwikkeling van het internationaal recht, in: Onze Alma Mater 54, 2000, 226-250; ders., The Westphalia peace treaties and the development of the tradition of great European peace treaties prior to 1648, in: Grotinana 18, 1997, 71-95; ders., The international dimension of the Westphalia peace treaties: A juridical approach, in: Villaverde (Hrsg.), 350 años (wie Anm. 8), 291-310. 28
Karl-Heinz Ziegler, Der Westfälische Frieden von 1648 in der Geschichte des Völkerrechts, in: Meinhard Schröder (Hrsg.), 350 Jahre Westfälischer Friede: Verfassungsgeschichte, Staatskirchenrecht, Völkerrechtsgeschichte. Berlin 1999, 99-117; Meinhard Schröder, Der Westfälische Friede - eine Epochengrenze in der Völkerrechtsentwicklung, in: ebd., 119-132. 29
Heinz Duchhardt
3. Schließlich soll - drittens - eine für die Forschung höchst erfreuliche Entwicklung festgehalten werden, die sich auf die Zeit vor dem Friedensjubiläum zurückführen lässt, aber durch dieses Gedenkjahr einen neuerlichen Aufschwung erlebte: die Ermittlung, Erhebung und - wenigstens teilweise auch - Zugänglichmachung sogenannter Ego-Dokumente aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens. In Göttingen am damaligen Max-Planck-Institut sind diese Quellen gesammelt und auch ausgewertet worden,30 aber Auswertungen erfolgten auch von dritter Seite:31 Auswertungen, die Krieg und Frieden sozusagen aus der Perspektive von unten spiegelten und auf ihre Art illustrierten, wie groß die Nöte des Alltags, darin aber auch die Erleichterung waren. Die mikrohistorische Perspektive, die beispielsweise bereits Bernd Roeck für die Epoche des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel Augsburgs gewählt hatte, ist durchaus geeignet, auch auf die makrohistorischen Zusammenhänge vielfältiges neues Licht zu werfen. 4. Am Ende dieser - um es zu wiederholen: sehr subjektiven - Anmerkungen zur Forschungsgeschichte seit dem Gedenkjahr soll das Bedauern stehen, dass die große, auch moderne Fragestellungen aufnehmende Gesamtwürdigung des Westfälischen Friedens ausgeblieben ist. Fritz Diekmanns Synthese32 aus den ausgehenden 1950er Jahren, so wichtig sie forschungsgeschichtlich war und einer völlig verqueren Sicht des Westfälischen Friedens als des Anfangs vom Ende des Reiches und als Beginn einer verhängnisvollen Fremdsteuerung Einhalt gebot, hatte eben doch erhebliche Mängel, die weniger in der damals noch bescheideneren Quellengrundlage wurzelten, sondern in einem Geschichtsbild, das die Paradigma und Interpretamente der Zwischenkriegszeit noch nicht völlig hinter sich gelassen hatte. Sicher wären nur wenige Historiker der Gegenwart zu einer solch herkulischen Aufgabe in der Lage (gewesen), schon allein des riesenhaften Materials wegen, das die Acta Pads Westphalicae in den letzten 40 Jahren zur Verfügung gestellt haben (und die manche Überlieferungen ja noch nicht einmal in Angriff genommen haben). Aber die neue Gesamtsynthese bleibt auf der Tagesordnung - wobei man sich über die Mühe und Langwierigkeit eines solchen Vorhabens sicher keine Illusionen machen darf. Ein „Historical Dictionary" zum Westfälischen Frie-
Benigna von Krusenstjern/Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Göttingen 1999. 31 Matthias Asche/Anton Schindling (Hrsg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Münster 2001; Geoff Mortimer, Eyewitness Accounts of the Thirty Years War 1618-1648. Houndmills 2002. 32 Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden. Münster 1959. Das Buch erlebte etliche Neuauflagen, in denen in aller Regel neuere Literatur nachgetragen wurde. 30
Neue Ansätze der Forschung d e n , 3 3 so verdienstvoll es i m Prinzip auch ist, kann sie selbstredend nicht ersetzen.
Derek Croxton/Anuschka Westport/London 2002. 33
Tischer, The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary.
Die Entfesselung des Friedens
Johannes Burkhardt Die Entfesselung des Friedens. Für einen Aufbruch der historischen Friedensforschung Zwei Jahre nach dem großen historischen Friedensjubiläum in Westfalen im Jahre 1998 lud die Führungsakademie der Bundeswehr zu einem Clausewitz-Workshop ein. Die Veranstaltung widmete sich schon unmittelbar vor der Jahrtausendwende dem „Krieg im 21. Jahrhundert", für das so die immerwährende Präsenz des Krieges unterstellt und fortgeschrieben wurde, bevor es überhaupt angelaufen war.1 Ein solch unverhohlener Friedensdefätismus war als friedenspolitisch kontraproduktiv zu beanstanden,2 ja solche Prognosen können heute wie ,self-fulfilling prophecies' erscheinen. Nach der „Rückkehr des Krieges" an die europäische Peripherie haben wir weltweit die „neuen Kriege" 3 , die so neu nicht sind; die asymmetrischen, terrorbekämpfenden, interventionistischen Kriege, sogar wieder Kondottieretum4 und „präventive" Kriegsgewalt.5 Der transatlantische politische Klimawandel nach dem amerikanischen Terrorschock ist immer noch sichtbar, wenn selbst der Hoffnungs- und Friedenspreisträger der Welt in Oslo erklärte: „Krieg ist manchmal notwendig". 6 Auch wenn der deutsche und teilweise der europäische Antibellizismus zumindest sprachlich die Befolgung der „Einberufungsbefehle zum Wehrdienst im semantischen Weltbürgerkrieg"7 verweigerte und faktisch lange widerstand oder auswich, erscheint Kriegsgewalt wieder hinnehmbarer. Das prägt auch bereits den historischen Umgang mit ihr in der Geschichte. Nach Kriegskritik und langer Kriegsabstinenz der deutschen Geschichtswissenschaft im Gefolge der Weltkriege des 20. Jahrhunderts hat sich zu Recht eine durch Vereinsgründungen dokumentierte „Neue Militärgeschichte" der 1 Workshop des Internationalen Clausewitz-Zentrums am 7. Dezember 2000 in Hamburg. 2 In einem Schreiben habe ich auf die peinliche Parallele zum Kriegsapologeten Friedrich von Bemhardi (Deutschland und der nächste Krieg. Stuttgart 1913) verwiesen, der unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg den Krieg als unvermeidbar hinstellte, der dann auch kam, und auf das hoffentlich andersartige Selbstverständnis der Bundeswehr hingewiesen. Eine Reaktion darauf ist mir nicht bekannt. Vgl. Johannes Burkhardt, Brief an die Führungsakademie der Bundeswehr. Augsburg 16. November 2000. (Universitätsarchiv Augsburg, Korrespondenz Burkhardt, s.v. Clausewitz.). 3
Herfried Münkler, Die neuen Kriege. Reinbek 2002.
Stig Förster/Christian Jansen/Günther Kronenbitter, Einleitung, in: dies. (Hrsg.): Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung. Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn 2010,11-25. 5 Dieter Langewiesche, Wie neu sind die „Neuen Kriege"? in: Ulrich Lappenküper/Reiner Marcowitz (Hrsg.), Macht und Recht. Völkerrecht in den Internationalen Beziehungen. (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Bd. 13.) Paderborn 2010 (im Erscheinen). 6 US-Präsident Barack Obama, Friedenspreisrede am 10. Dezember 2009. Vgl. [http://www.tagesschau.de/ausland/nobelpreisredelOO.html; eingesehen am 05.05. 2010], 7 Peter Sloterdijk, Schröders Differenz oder Die Stimme Europas, in: Frankfurter Rundschau vom 27. September 2002,19. 4
Johannes Burkhardt
durch Verdrängung nicht ungeschehen zu machenden gewalttätigen Unkultur gestellt und sie gerade auch als Sozial- und Kulturphänomen erschlossen.8 Nach der kritischen und der soziokulturellen Aufarbeitung des Militärs kann man sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass Militärgeschichte wieder militärisch interessiert und mehr Faszination als kritische historische Reflexion auslöst. Beim Jubiläum der Schlacht von Höchstädt (2004) wurde noch das hinterlassene Leichenfeld von unglaublichen Ausmaßen veranschaulicht und insgesamt der Charakter des mahnenden Gedenkens gewahrt. 9 Aber es gab auch schon eine mitreißende, computerspielartige Dokumentation des Schlachtverlaufs. Vom Jubiläum der Schlacht von Minden im Siebenjährigen Krieg 2009 meldete ein militärhistorischer Erlebnisbericht der wissenschaftlichen Öffentlichkeit gar, dass die Bevölkerung ganz „unverkrampft" mit der preußischen Militärtradition umgegangen sei und sich „ohne verdruckste Verschleierungsmanöver rund um das militärische Geschehen" beteiligt habe. Darin sah dieser Kriegsberichter des Schlachtenjubiläums schon einen „Kulturwandel in Deutschland" und zog denn auch mit seiner „unterhaltsam" belehrten Studiengruppe und einer historisch angepassten Bundeswehrkarte „ins Feld". 10 Angesichts der Rückkehr des Krieges in die Geschichte und die Geschichtswissenschaft bis hin zu solch unbekümmerter wissenschaftlichen ,Schlachtenbummelei' bedarf es durchdachter Darstellungsweisen von historischen Kriegen und Schlachten, 11 aber auch einer neuen Anstrengung zur Erschließung des pazifizierenden Gegenpols im Geschichtsverlauf. In dieser Situation eines nicht immer unbedenklichen Interesses am Krieg und auch in wissenschaftlich einwandfreier Form eines Schubs der Kriegs- und Schlachtenforschung, ist schon die Thematisierung des Friedens in der Geschichte eine kritische Tat und ein wichtiges Korrektiv. Das galt nicht immer
Der „Arbeitskreis für Militärgeschichte e.V." ist 1995 in Freiburg gegründet worden und gibt alljährlich zwei Newsletter heraus. Im gleichen Jahr formierte sich der „Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit", Rundbrief Nr. 1, Sommer 1996. 8
Vgl. den Ausstellungskatalog Johannes Erichsen/Katharina Heinemann (Hrsg.), Brennpunkt Europas 1704 - Die Schlacht von Höchstädt. The Battle of Blenheim. Ostfildern 2004; Marcus Junkelmann, Theatrum belli. Die Schlacht von Höchstädt 1704 und die Schlösser von Schleißheim und Blenheim. Herzberg 2000. Vgl. auch die Presseberichterstattung z.B. Till Hofmann, Der lange Marsch zum ewigen Frieden. Wissenschaftler arbeiten Schlacht von Höchstädt auf und ziehen Schlüsse für die Gegenwart: „Welt ist kriegerischer geworden", in: Augsburger Allgemeine Zeitung vom 19.07.2004. 1 0 Bericht von Dr. Thomas Scheben an die Mitglieder des Arbeitskreises Militärgeschichte „Schlachtfeldexkursion Minden 1759", 13.07.2009. Die Kritik an der britischen „Heldenoper" beschränkt sich darauf, dass oft übersehen werde, dass die Hannoveraner mitgesiegt hätten.
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1 1 Vgl. hier den Versuch einer Aufarbeitung anderer Schlachten des Siebenjährigen Krieges bei Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763. (Gebhardt, Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 11.) Stuttgart 2006, darin: Der Krieg der Schlachten, 417-425.
Die Entfesselung des Friedens
uneingeschränkt, denn im antibellizistischen Deutschland des 20. Jahrhunderts konnte eine friedensdidaktisch wohlmeinende Überfokussierung auf Friedensentwürfe und Friedensbewegungen auch den Eindruck von einer immerwährenden Vergeblichkeit des Ringens um Frieden hervorrufen und so den Zielbegriff des ,Ewigen Friedens' gerade als utopisch delegitimieren. Da konnte es friedensstrategisch sinnvoller erscheinen, nach den Ursachen des Scheiterns zu suchen, die Kriegsgründe zu analysieren und sie so als historisch bedingt und damit überwindbar zu deklarieren. Das ist auch geschehen und die Ergebnisse bleiben wichtig,12 aber da einige der in die Vergangenheit verwiesenen Kriegsursachen wiederkehren, sich auf vertrackte Weise verändern und neue hinzutreten, macht es Sinn, nicht allein auf die Überwindung des Krieges zu warten, sondern komplementär auch die historischen Ressourcen des Friedens zu nutzen. Der „Entfesselung des Krieges", eine im Rückblick auf die Weltkriege viel gebrauchte Metapher, ist eine Entfesselung des Friedens auch in der historischen Erinnerungskultur entgegenzusetzen. Die Frühe Neuzeit, in deren Mitte der Westfälische Friede als größtes Friedenswerk und Modell eines Zeitalters steht, die darüber hinaus über das wohl umfangreichste Reservoir nicht nur von Kriegs- sondern auch von Friedensfällen verfügt, und in der die Weichen für bis heute weltweit verhandelte Probleme gestellt wurden, bietet hierzu besondere Chancen. Dazu aber muss die hochentwickelte frühneuzeitliche Friedensforschung sich ihrer Leistungen erinnern, ihre Erkenntnisse bündeln und - im nicht allein technischen sondern metaphorischen Sinne - nutzerfreundlich freischalten. Der Westfälische Friede mit seinem Zielbegriff einer Pax Perpetua bietet hier durchaus Fingerzeige für die Erkenntnis eines Friedensprozesses, der lange komplementär blieb, aber doch auch das Potential für eine neue Friedenskultur enthält. Das Friedenspotential staatlicher Organisationen Die etwas plakative, aber nicht falsche Jubiläumsbotschaft des Jahres 1998 war, dass der Westfälische Friede das europäische Staatensystem errichtet oder doch einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet habe. Gegenüber hierarchischen Vorstellungen von der Christenheit, seien es gradualistische (Heinz Schilling) oder universalmonarchische (Johannes Burkhardt), war der Friedenskongress - so in übereinstimmenden Pointierungen - eine „Gleichordnungsveranstaltung", die ein Nebeneinander von sich gegenseitig anerkennenden souveränen Staa-
12 Konrad Repgen, Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie, in: Historische Zeitschrift 141, 1985, 27-49; Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24, 1997, 509-574; Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten. 2. durchges. Aufl. Paderborn 2003; Bernd Kiesmann, Bellum Solemne. Formen und Funktionen europäischer Kriegserklärungen des 17. Jahrhunderts. Mainz 2007.
Johannes Burkhardt
ten als europäische Ordnung zur Norm erhoben hat. 13 Wie viel davon schon vorher gelaufen oder aber auch nachher noch keineswegs gelungen war, kann verschieden akzentuiert werden und ist weiter diskutiert worden. Namentlich Heinz Duchhardt stand und steht dem von völkerrechtlicher Seite sowie englischen und französischen Überblicksdarstellungen verbreiteten Begriff eines „Westfälischen Systems", das die an sich nicht bezweifelte Entwicklung von nach innen und außen völkerrechtlich souveräner Staaten bis an die Schwelle der Gegenwart punktgenau auf den Westfälischen Frieden zurückführt, eher skeptisch gegenüber, 14 ja neueste Forschungen bestätigen, dass selbst in den nachfolgenden Friedensverhandlungen des 18. Jahrhunderts hierarchische Rang- und staatliche Anerkennungskämpfe noch keineswegs ausgekämpft waren, sondern flexibel genutzt wurden. 15 Auch ist es nicht der vornehmlich auf deutsche Angelegenheiten beschränkte Vertragsinhalt, der die Dimension einer europäischen Grundordnung hineinbringt, sondern die formale Präsentation des Vertragswerks, seine Karriere als Referenzfrieden in späteren Friedensverträgen und seine mit Bedeutung angereicherte Mythologisierung. 16 Die Gleichordnung der Staatenwelt mag noch sehr unvollkommen gewesen sein und viele Herrschaften waren hier noch gar nicht einzuordnen, aber wenn die Kandidaten für die Spitzenstellung in Europa, die habsburgischen Kaiser, die allerchristlichste Krone Frankreichs und zeitweise auch der großgotizistische schwedische Konkurrenzimperialismus als vertragsschließende Parteien einander in einer Pax Perpetua als von gleich zu gleich anerkennen, dann war mit dieser Kernstruktur ein Modell des Umgangs von Staaten miteinander gesetzt. Damit ging es nicht mehr darum, wer in Europa eine Spitzenstellung einnehmen sollte, sondern ein solcher Anspruch war künftig delegitimiert, wie Ludwig XIV. in der korrigierenden Gleichgewichtspolitik Europas erfahren musste. Für die Geschichte der Staatsgewalt aber bedeutete das, wie in den Folgejahren des Jubiläums noch grundsätzlicher gefasst wurde, dass damit für Europa die EinStaatlichkeit keine Option mehr darstellte,
13 Heinz Schilling, Der Westfälische Friede und das neuzeitliche Profil Europas, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 26.) München 1998, 1-33, 25; Heinz Schilling, Krieg und Frieden in der werdenden Neuzeit - Europa zwischen Staatenbellizität, Glaubenskrieg und Friedensbereitschaft, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Teilbd. 1, Münster/Osnabrück 1998,13-23. Vgl. schon Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt am Main 1992. 14 Heinz Duchhardt, „Westphalian System". Zur Problematik einer Denkfigur, in: Historische Zeitschrift 269, 1999, 305-315. Vgl. ders., Der Westfälische Friede - ein europäischer lieu de mémoire?, in: Westfälische Zeitschrift 154,2004,399-406,404. 15 Regina Dauser, Kein König ohne Titel. Titulaturen als Verhandlungsgegenstand auf dem Westfälischen Friedenskongress und in nachwestfälischer Zeit, in: Christoph Kampmann/Maximilian Lanzinner (Hrsg.), L'art de la paix [erscheint 2010]. 16 Schilling, Der Westfälische Friede und das neuzeitliche Profil (wie Anm. 13).
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sondern es den keineswegs selbstverständlichen Weg der Mehrstaatlichkeit einschlug. 17 Was aber hieß das für den Frieden? Konnte angesichts der nachfolgenden Geschichte, die kaum kriegsfreie Jahre kannte, wirklich das „Staatensystem als Friedensrezept" gelten, wie ich selbst den Jubiläumsoptimismus auf den Punkt gebracht habe? 18 Eine solche Betonung der etatistisch-institutionellen Leistung traf im ausgehenden 20. Jahrhundert besonders in Deutschland nicht gerade auf Begeisterung. Der Staat stand vielfach nicht mehr hoch im Kurs, in der Gegenwart wie in der Geschichte, und er schien manchen gar als Sitz allen Übels. So hatte der friedensbewegte Politologe Ekkehard Krippendorf 1985 Staat und Krieg in Umkehrung eines zuvor beifällig oder neutral beschriebenen Zusammenhanges als eine unauflösliche Verkettung kritisiert, die gleichsam automatisch zum Einsatz institutioneller Gewaltapparate in Geschichte und Gegenwart führe. 19 Solche negative Einschätzung der Friedensfähigkeit eines Staatenplurals schien auch anderen Forschern für die Zeit nach dem großen Friedensschluss von 1648 zwingend. Denn zwar wurde der Friede damals von den Trägern der Staatsgewalt durchaus als Wert akzeptiert, ja eine neue Untersuchung zeigt, dass dies sogar für die Kriegserklärungen galt, die nicht etwa die Gewaltanwendung verherrlichten, sondern stets die Abweichung von der gemeinverbindlichen Friedensnorm begründeten und die Kriegsschuld mit einem austauschbaren Formelapparat dem Gegner zuschoben. 20 Aber defacto hatten die im Westfälischen Frieden angelegten und in der Kongresszeit noch einmal aufgenommenen Bemühungen um ein kollektives Sicherheitssystem keinen belastungsfähigen Erfolg, und das Ergebnis war eine mit dem „zweiten dreißigjährigen Krieg" 21 neu einsetzende Kriegsserie, die erst im Lauf des 18. Jahrhunderts ausdünnte, aber nicht zum Erliegen kam. Die „frühneuzeitliche Kriegsverdichtung" scheint sich nach 1648 ungebrochen fortzusetzen. Hier kann nun aber doch meine Theorie der frühneuzeitlichen Bellizität weiterhelfen, die schon vor dem Jubiläum zur Diskussion gestellt und 1998 in einigen Punkten, erst danach aber in ihrem Zusammenhang und mittlerweile auch international rezipiert und weitergeführt wurde. 22 Der vielfach aufge-
Burkhardt, Vollendung (wie Anm. 11), 25-32. Ders., Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Friede in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49,1998, 592-618. 19 Ekkehard Krippendorf, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft. Frankfurt am Main 1985. 17
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Kiesmann, Bellum Solemne (wie Anm. 12), 149-169. Vgl. hierzu Burkhardt, Friedlosigkeit (wie Anm. 12), 510f. 2 2 Ebd., japanische Übersetzung (von Tadashi Suzuki) in: Toin Law-Review 8.2, 2002, 198-255, 13.1 (2006), 91-146; Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg. Darmstadt 2003, 35-37, 67-69; Akira Shibutani, Johannes Burkhardt's theoretical framework of wars in early modern Europe and its range, in: ders., The Synthetic Study about the Formation of States and Identity 20
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nommene Begriff „Staatsbildungskrieg" wendet sich einerseits gegen die populäre Überakzentuierung des Dreißigjährigen Krieges als Religionskrieg, ist aber in seiner friedensgeschichtlich relevanteren Bedeutung als „Staatsbildungskrieg" zu betonen. Denn die Kriege der Frühen Neuzeit waren eben noch keine Staatenkriege, sondern Staatenbildungskriege. Das Kernmodell eines Staatensystems war 1648 aufgestellt worden, aber nun musste es erst einmal durchgesetzt und erweitert werden, und das ging angesichts der ludovizianischen Rückfälle in den alteuropäischen Universalismus und den militanten Nachbesserungen einrückender Aufsteigerstaaten bis hin zur Nachholstaatsbildung Preußens selbst nicht ohne Kriege ab. Das heißt aber nicht, dass die einzelstaatliche Organisation an sich verfehlt ist und auch ein entwickeltes Staatensystem eine besondere Kriegsaffinität aufweist. Die Theorie der frühneuzeitlichen Bellizität konnte vielmehr drei strukturelle Defizite nachweisen, die zum epochalen Sicherheitsrisiko geworden sind: ein Egalitäts-, ein Institutionalisierungs- und ein Autonomiedefizit früher Staatsbildung. 23 So sind es eigentlich nicht der vollentwickelte Staat und das vollentwickelte Staatensystem, die nach dem Westfälischen Frieden die erhöhte Bellizität generierten, sondern ihre Unterentwicklung in den Anfängen dieser etatistischen Weichenstellung. Bereits in der Frühen Neuzeit aber drängte auf der normativen Ebene die zeitgenössische politische Reflexion einschließlich des Diskurses um die Staatsräson und die gelehrte Politikberatung auf eine Stilllegung des Krieges als eines existentiellen Sicherheitsrisikos für den Staat. 24 Diese Erkenntnis verleiht dem etatistischen Ansatz historischer Friedensforschung heute eine besondere Aktualität. Denn der Ruf nach dem Staat in der Wirtschaftskrise am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist nur das Symptom eines schon zuvor vorhandenen aber nun öffentlich bewusst gewordenen Defizits. 25 Nach der institutionskritischen oder liberalen Abwertung und Reduzierung des Staates wird sein Interventionspotential im Banken-, Steuer-, Beschäftigungs- und Sicherheitsbereich neu verhandelt. Damit steht die Regulierungskompetenz eines autonomen, sich institutionell überordnenden Staates über problematische und gefährlich dominante Gesellfrom the Viewpoint of Wars in Early Modern Europe. A report of research project subsidized by Grants-in-Aid for Scientific Research of the Japan Society for the Promotion of Science. Shimane University 2010, 3 - 7 . Burkhardt, Friedlosigkeit (wie Anm. 12). Vgl. auch Johannes Burkhardt, Konfessionsbildung und Staatsbildung. Konkurrierende Begründungen für die Bellizität Europas?, in: Andreas Holzem (Hrsg.), Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens. Paderborn 2009, 527-552. 23
Vgl. grundlegend Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen Politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. (Studia Augustana, Bd. 4.) Tübingen 1992. 24
Vgl. schon das pessimistische Szenario im Ausgang von Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. 3. Aufl. München 2002.
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schaftsbereiche wie einst die konfessionelle Intoleranz oder das Kriegsunternehmertum wieder zur Debatte. Zugleich wird die dramatische Schwäche des Staates in den Krisengebieten der Welt immer offenkundiger. Die militärische Interventionspolitik legitimiert sich als Aufbau und Stützung staatlicher Strukturen, aber schon ist vielerorts von „gescheiterter Staatsbildung" die Rede. 26 Mittlerweile stellt sich auch in der praktischen Politik die Frage, ob nicht nur die Demokratisierung, sondern die Verstaatlichung nach westlichem Vorbild in vor- oder andersmodernen Staatengesellschaften überhaupt der richtige Weg zur Verfriedlichung der Welt ist. Dabei begegnen Probleme, aber auch Lösungsansätze im Übergang zu staatlichen Organisationen, die einer am Frieden interessierten Frühneuzeitforschung nicht unbekannt sind. Dieses neue Interesse an den Möglichkeiten und Grenzen des Staates, für das man, um in Deutschland gehört zu werden, wohl das Wort „etatistical turn" erfinden müsste, könnte die historische Friedensforschung inspirieren, wenn man sich einmal der Frage nach den friedenstauglichen Organisationsformen stellt. Mit dem berühmten politischen Imperativ von Kant, friedensfähige Staaten müssten „republikanisch" organisiert sein, ist die Welt zwar das dynastische Sicherheitsrisiko der Erbfolgekriege losgeworden, aber das hat nicht gereicht. Die Demokratie hat schon bei unseren Verfassungsvorvätern von 1848 gezeigt, wozu sie im patriotischen Eifer für ein ungeteiltes SchleswigHolstein höchst kriegerisch fähig war, 27 und erweist sich in unserer Zeit nicht nur als schwer exportierbar, sondern auch als zur kriegstreibenden Legitimierung pervertierbar. Das mindert in der westlichen Gemeinschaft nicht den Wert der demokratischen Staatsform, aber zu ihren relativen Vorzügen gehört nicht gerade eine Friedensgarantie. Auf der Suche nach einem friedensstützenden Merkmal unter den Staatsformen kann aber der Westfälische Friede durchaus eine Handreichung geben. Denn neben der Profilierung eines „Westfälischen Systems" der europäischen Staaten gelang im Jubiläum die Wiederentdeckung der Neuinterpretation besonders des Osnabrücker Vertrages als deutsches Verfassungsdokument. Die von den Historikern schon halb zurückgerufene alte Lesart von der 1648 angeblich erlangten Souveränität der Fürsten wurde mit rechtsgeschichtlichen
2 6 So zuletzt in der Preisarbeit der Körber-Stiftung (Deutscher Studienpreis) Berit Bliesemann de Guevara, Potemkin'sche Staaten - warum Statebuilding nicht funktioniert, o.O. 2009. Vgl. auch Hans Joachim Spanger, Die ordnungspolitische Herausforderung des Staatsverfalls, in: Egbert Jahn/Sabine Fischer/Astrid Sahm (Hrsg.), Die Zukunft des Friedens, Bd. 2: Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generationen. Wiesbaden 2005,213-234.
Reimer Hansen, Das Privileg von 1460 im deutsch-dänischen Nationalkonflikt des 19. Jahrhunderts, in: Johannes Burkhardt (Hrsg.), Krieg und Frieden in der historischen Gedächtniskultur. Studien zur friedenspolitischen Bedeutung historischer Argumente und Jubiläen von der Antike bis in die Gegenwart. (Schriften der philosophischen Fakultät der Universität Augsburg, Bd. 62.) München 2000. 27
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Expertenfundierungen weiter abgeräumt 28 und in den Folgejahren endgültig als Legende erwiesen. 29 Stattdessen fanden die im Verfassungsartikel wiederhergestellten und danach weiterentwickelten überterritorialen Institutionen und Reformaufgaben besondere Aufmerksamkeit und beflügelten die Forschungen zu den Leistungen der Reichskreise, zur höchsten Reichsgerichtsbarkeit und zur institutionellen Verstetigung des Reichstages, die sich direkt aus dem Auftrag zur Verfassungsänderung im Artikel VIII des Osnabrücker Friedens ergab. Damit aber wurde auch erkennbar, dass der Westfälische Friede nicht so sehr ein memento mori eines „partikularistischen" Reichs gewesen ist, sondern ein Meilenstein auf dem Weg zu einem wohlverstandenen deutschen Föderalismus. Gerade im Vergleich zum gleichzeitig entstandenen Gewaltmonopol verschiedener europäischer Einzelstaaten wird das andersartige Bauprinzip des deutschen Föderalismus erkennbar. Hier nämlich gelang die Verteilung der Gewalt auf zwei Ebenen, auf partizipatorische Landesgewalten einerseits und andererseits auf eine gesamtstaatliche Reichsgewalt, die nicht allein vom Reichsoberhaupt, sondern auch von diesen landesherrlichen Reichsständen in den Gremien mitgetragen wurde. Ist eine solche föderale Ordnung, die von dem Göttinger Staatsrechtler Stephan Pütter an ihrem vorläufigen Ende als ein „aus Staaten zusammengesetzter Staat" definiert wurde, friedensfähiger als andere? St. Pierre und Rousseau waren dieser Auffassung und umschreiben den Begriff der „strukturellen Nichtangriffsfähigkeit" (Johannes Burkhardt) in dem passiven Sinne, dass man ein solches, in seinen Teilen politisch handlungsfähiges Gemeinwesen schwer erobern könne, und im aktiven Sinne, dass man so viele partizipierende Gewalten nicht leicht selbst zu einem Angriffs- und Eroberungskrieg bringen kann. Zwar blieben dem Reich, das in dieser komplexen föderalen Organisationsform in Europa vorangeeilt war, Verteidigungskriege gegen weniger friedensverpflichtete Staatsbildungen nicht erspart, aber ein gestaffeltes Abwehrsystem armierter Reichsstände, Reichskreissicherungen und Kreisassoziationen und - wenn alles nichts half - der Reichsdefension blieb nicht ohne Abschreckungserfolge. Mit dem Sinn für die Verhältnismäßigkeit der Mittel war es der wohl am frühesten friedfertig gewordene Staat in dieser Größenordnung im frühneuzeitlichen Europa. Aber der Zusammenhang von Föderalismus und Sicherheitspolitik bedarf weiterer Studien, in die auch die Bewältigung des sicherheitspolitischen Risikos der konfessionellen Intoleranz
Heinhard Steiger, Konkreter Friede und allgemeine Ordnung. Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648, in: Bußmann /Schilling, 1648,1 (wie Anm. 13), 437-446. 29 Johannes Burkhardt, Der Westfälische Friede und die Legende von der landesherrlichen Souveränität, in: Jörg Engelbrecht/Stephan Laux (Hrsg.), Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag. (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 17.) Bielefeld 2004,199-220. 28
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einbezogen wird. 30 Denn auch die Abschaffung des Religionskrieges in Deutschland durch das Vertragswerk von 1648 war nach der Vorleistung des Augsburgischen Religionsfriedens ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu mehr Frieden. Es bleibt zu fragen, inwieweit diese außenpolitische Perspektive eines sich föderal entwickelnden Staates auf einer im Inneren erworbenen Friedensfähigkeit gründet. So wie im Ewigen Landfrieden von 1495 wurde das Gewaltmonopol mitsamt der zugehörigen Rechtspflege nicht von oben gesetzt, sondern in einer solidarischen Anstrengung der Reichsstände gemeinsam getragen. Entsprechend hat der Westfälische Friede es mit den ihre Admission erzwingenden Reichsständen wiederhergestellt und dem Ausbau der Rechtssicherheit im Inneren den Weg gewiesen. Dabei wird man bedenken müssen, dass die föderale Doppelstaatlichkeit zwar die beiden politisch besonders effektiven Ebenen bezeichnet, aber genau besehen das politische System von weit mehr partizipatorischen Ebenen getragen wurde, wie die herrschaftlichen und kommunalen, bündischen und korporativen Gliederungen der meisten deutschen Regionen erkennen lassen. Die von Georg Schmidt eingeführte Bezeichnung des „komplementären Reichs-Staates" ist hier offener, und es wäre durchaus denkbar, auch alles Aushandeln vor Ort, die eigentümlich abgefederte Konfliktfähigkeit und anderes mehr in das deutsche Friedenskalkül einzubeziehen und zu fragen, inwieweit diese Prädispositionen die föderalen Formationen unterfüttern. Der zur Debatte gestellte Friedensbezug des Hauses 31 kann über den Herrscher, der auch einen Haushalt zu führen hat, in dem schließlich das ganze Land aufgeht, durchaus zu den politischen Entscheidungsträgern gelangt sein. Die Erschließung von Elementen einer Friedenskultur auf allen Ebenen hat sicher ihren Eigenwert, aber sie kann zugleich auch Bedingungen und stützende Faktoren freilegen für die politische Umsetzung bis hin zu einer friedensfähigen Staatenwelt. Friedensverträge - Meilensteine auf dem Weg zu einer europäischen Friedenssprache Darüber hinaus ist die friedensgeschichtliche Bedeutung der Friedensverträge selbst zu erschließen. Im normalen historischen Geschäft sind Krieg und Frieden miteinander verbundene Handlungs-
Vgl. dazu ein Sektionsprojekt von Jürgen Overhoff für die 9. Arbeitstagung der AG Frühe Neuzeit 2011 in Marburg: „Religiös-konfessionelle Vielfalt als sicherheitspolitische Herausforderung in der Frühen Neuzeit: die strategischen Antworten der föderal verfassten Staaten." 30
Siehe den Beitrag von Inken Schmidt-Voges, Das Haus und sein Frieden. Plädoyer für eine Ausweitung des politischen Friedensbegriffs in der Frühen Neuzeit, in diesem Band, 197-217. Für die nachfolgende Perspektive Johannes Burkhardt, Das Haus, der Staat und die Ökonomie. Das Verhältnis von Ökonomie und Politik in der neuzeitlichen Institutionengeschichte, in: Gerhard Göhler (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen - Interdisziplinäre Perspektiven. Baden-Baden 1990,169-186. 31
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einheiten: Der Dreißigjährige Krieg brach im Jahre 1618 aus, nach endlosen Kämpfen folgte 1648 der abschließende Friedensschluss, und so ging es im Wechsel von Krieg und Frieden immer weiter. Eine solche umfassende Erschließung der Binnenzusammenhänge ist auch legitim, notwendig und die geschichtswissenschaftliche Grundlage. Aber so wie speziell die Ursachen der Kriege einer vergleichenden Untersuchung unterzogen wurden oder nach der Kriegsführung systematisch oder entwicklungsgeschichtlich gefragt werden kann, so bietet auch die Reihe der Friedensverträge eine eigene Betrachtungsund Vergleichsebene. Die Verträge beziehen sich auch aufeinander und durch den fast durchgängigen Rückbezug auf den Westfälischen Frieden, wie auch auf andere Verträge entsteht eine Art diachroner Diskurs. Schon längere Aufmerksamkeit gefunden haben dabei die Verstetigung und Bedeutung des Formulars, vor allem um die drei Kernklauseln - Ewigkeits-, Restitutionsund Oblivions- (oder Amnestie-)Klausel. In den letzten Jahren finden auch sich wandelnde Legitimationsbegriffe wie Europa, Freiheit und Sicherheit besondere Beachtung. Darüber hinaus interessieren auch das Zustandekommen der Friedensverträge, die Herausbildung des Instrumentariums und die Verhandlungsformen. Setzte diese Serie von Friedensverträgen durch Akkumulation oder in einer Entwicklung so etwas wie einen europäischen Friedensprozess in Gang? Realpolitisch wohl zunächst kaum, aber eine solche Annahme macht Sinn, wenn man die kommunikative und mediale Leistung von Friedensschlüssen und -Verträgen in Rechnung stellt. Der Westfälische Friede hat auch in mediengeschichtlicher Hinsicht einen gewaltigen Forschungsvorsprung und ragt wohl auch tatsächlich aus der Schrift- und Drucklandschaft heraus. 32 Unbeschadet der mit symbolischen Formen und Akten einhergehenden Friedensschlüsse 33 wurde in Europa schon früh die Schriftlichkeit zur Fixierung ausgehandelter Übereinkünfte eingesetzt. 34 Das gewaltige Editionsunternehmen der Acta Pacis Westphalicae (APW) bezeugt darüber hinaus das Ausmaß der zunehmenden Verschriftlichung der ganzen Verhandlungsführung. Zu anderen Friedensverträgen bergen Archive und Bibliotheken die handschriftlichen Ausfertigungen, aber die Serie der Friedensverträge in ihren authentischen Handschriften mit Transkriptionen und Begleitmaterial wird nun als Dienstleistung des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz der Wissenschaft mit den neuen Aus-
Heinz Duchhardt (Hrsg.), Bibliographie zum Westfälischen Frieden. Bearbeitet von Eva Ortlieb und Matthias Schnettger. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 26.) Münster 1996. 33 Michael Rohrschneider, Neue Tendenzen der diplomatiegeschichtlichen Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses, in diesem Band, 103-121. 34 Christoph Dartmann, Medien in der städtischen Öffentlichkeit: innere Friedensschlüsse in den italienischen Kommunen des Mittelalters, in: Bent Jörgensen/Raphael Krug/Christine Lüdke (Hrsg.), Friedensschlüsse. Medien und Konfliktbewältigung vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Augsburg 2008,23-53. 32
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wertungsmöglichkeiten des digitalen Mediums zur Verfügung gestellt. 35 Damit wird gleichsam nachträglich die Öffentlichkeit für einen Zentralbestand politisch aktueller historischer Friedenskultur hergestellt und es bleibt unbedingt zu wünschen, dass sich die noch zögernden Bibliotheken daran beteiligen. Von gesteigerter Öffentlichkeitswirkung schon in der Frühneuzeit selbst musste jedoch die Verbreitung der Friedensverträge im Druckmedium sein. Der Westfälische Friede ist in einer für die damaligen Verhältnisse fast unglaublichen Dichte publiziert worden. Zum Jubiläumsjahr 1998 berichtete Konrad Repgen von 42 verschiedenen Textausgaben der Westfälischen Friedensverträge in lateinischer und deutscher Sprache, vermutete aber schon, dass sich ihre Zahl noch weiter erhöhen dürfte. 36 In dem Band der APW mit Materialien zur Rezeption der Verträge, der 2007 erschien, konnten schon 74 Ausgaben angefügt werden, die Repgen und seine Mitarbeiter ausfindig gemacht hatten. 37 Bemerkenswert ist auch der hohe Anteil von deutschen Übersetzungen der lateinischen Originale, der für einen nicht allein akademischjuristischen, sondern auch praktisch-politischen Bedarf spricht. Durch die führenden Ausgaben des kaisernahen Wiener Druckes sowie der erzkanzlernahen Mainzer Druckerei, die sich von modernen Übersetzungen - untereinander aber nicht wesentlich - unterscheiden, entstand ein gleichsam offiziöser Text in deutscher Amtssprache. 38 Noch weitgehend unerschlossen sind allerdings Übersetzungen des Westfälischen Friedens in andere Sprachen, die zeitnah zu den Vertragsschlüssen gedruckt wurden. Repgen spricht schon von zeitgenössischen Übersetzungen wenigstens eines der Verträge ins Französische, Niederländische, Schwedische und Italienische.39 Von den öffentlichen Erwartungen über die Verhandlungsvorlagen bis zur Kommentierung
[http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php?site=site.htm&dir=&nav=85; eingesehen am 05.05.2010]. 3 6 Vgl. Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die zeitgenössische Öffentlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede: Studien und Quellen. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF., Bd. 81.) Paderborn/München/Wien u.a. 1998,723-765, hier: 755-758, 765. 35
Konrad Repgen unter Mithilfe von Antje Oschmann, Zeitgenössische lateinische und deutsche Drucke des IPO und IPM, in: Guido Braun/Antje Oschmann/Konrad Repgen (Bearb.), Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Teilbd. 2, Materialien zur Rezeption. (Acta Pacis Westphalica (APW) III Β 1.) Münster 2007,1-123, hier 1-3. 38 Vgl. Ebd., 212-505 (IPO) und 507-661 (IPM). 37
Konrad Repgen, Öffentlichkeit (wie Anm. 36), 756. Außerdem verweist er auf eine, freilich erst viel später gedruckte Übersetzung ins Russische, Englische und Spanische; vgl. Repgen/Oschmann, Zeitgenössische lateinische und deutsche Drucke (wie Anm. 37), 3. Mehrere Übersetzungen sind über die APW online abrufbar unter [http://www.paxwestphalica.de; eingesehen am 05.05.2010]. 39
Johannes Burkhardt
ist bei diesem Friedensschluss schon eine wohlinformierte druckgestützte Öffentlichkeit hergestellt.^ Andere Friedensverträge sind wohl kaum in solchen Dimensionen diskursiv vorbereitet, publiziert und übersetzt worden, aber Druckfassungen gibt es doch durchgehend und ihre Größenordnung bleibt zu ermitteln. Viele sind auch in diplomatische und journalistische Sammlungen eingegangen oder lagen in eigenen Sammelwerken vor, so dass das Korpus der Friedensinstrumente auch insgesamt präsent war. Von Expertenseite ist schon für 1648 darauf hingewiesen worden, dass als eine der Grundlagen des lus publicum, das ja nirgendwo je gesetzt oder beschlossen wurde, dieses Friedensvertragskorpus anzusehen ist. 41 Umgekehrt fragt ein neues Forschungsprojekt, das in der Kongressstadt Osnabrück selbst angesiedelt ist, nach der Herkunft des zum Friedenschließen nötigen juristischen Wissens und untersucht dazu den Transfer des dafür geeigneten Rechtswissens von den Universitäten in die Friedensverträge. Vielleicht können beide Beobachtungen als ein wechselseitiger akademisch-politischer Transferprozess gefasst werden, der das „Friedenswissen" hervorbringt, ein für dieses Projekt geprägter trefflicher und auch gesamtkulturell nutzbarer Begriff. Diesen Ansatz vertieft das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt „Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess. Europa 1450-1789" des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, des Instituts für Europäische Kulturgeschichte Augsburg und der Staatsgalerie Stuttgart. 42 Der Mainzer Projektteil geht von den sprachlichen und kulturellen Missverständnissen und Zweifelsfällen aus, die einem dauerhaften Frieden im Weg stehen können 43 und
Stefan Mayer-Gürr, „Die Hoffnung zum Frieden wird täglich besser". Der Westfälische Friedenskongress in den Medien seiner Zeit. Bonn 2007, online unter: [http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?idn=984508651&dok_var=dl&dok_ext=pdf& filename=984508651.pdf; eingesehen am 05.05.2010]; Franz Bosbach, Gedruckte Informationen für Gesandte auf dem Westfälischen Friedenskongress. Eine Dokumentation des Angebots, der Preise und der Verwendung, in: Rainer Babel (Hrsg.), Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. München 2005,59-137. 41 Heinhart Steiger, Der Westfälische Friede - Grundgesetz für Europa?, in: Duchhardt, Der Westfälische Friede (wie Anm. 13), 33-80. Vgl. auch Johannes Burkhardt, Zwischen Bellizismus und Kodifizierung. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven der Frühneuzeitforschung, in: Lappenküper/Marcowitz (Hrsg.), Macht und Recht (wie Anm. 5). 40
„Ubersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess. Europa 1450-1789", Verbundprojekt des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, des Instituts für Europäische Kulturgeschichte Augsburg und der Staatsgalerie Stuttgart. Gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Projektbeschreibung auf [http:/ / www.uebersetzungsleistungen.de; eingesehen am 05.05.2010]. Mainzer Projektleitung: Heinz Duchhardt und Martin Peters. 4 3 Vgl. Martin Peters, „Missverständnis" als Kategorie im europäischen Friedensprozess der Vormoderne? Ein Werkstattbericht, in diesem Band, 289-304. 42
Die Entfesselung des Friedens
erschließt friedensrelevante Vertragsbegriffe. Der Augsburger Ansatz rückt Friedensschluss und Friedensverträge ins Zentrum und setzt damit unmittelbar an Sprache und Übersetzungsleistungen an. Ausgehend von überraschenden Befunden44 werden die europäischen Sprachen erschlossen, in denen Friede ausgehandelt, abgeschlossen und in die er übersetzt wurde, zusätzlich wird diese Sprachenwahl in Beziehung zu anderen Variablen wie Kontrahenten und Ortswahl gesetzt. Hier zeichnet sich bereits ein weit vielfältigeres Bild als erwartet ab, das schon in der Zeit selbst thematisiert und analysiert wurde, aber es beeindrucken auch eine hohe Übersetzbarkeit und europäische Transferleistungen unter den Vertragssprachen.45 Des weiteren wird das publizistische Umfeld der Verträge erschlossen, die gedruckt, gesammelt, verbreitet, kommentiert und diskutiert wurden. 46 So kann sichtbar werden, dass Friedensverträge den harten Kern eines gesamtkulturellen Friedensdiskurses bildeten, der auch die damals neuen Informationsmedien, Periodika und Lexika erreichte. Zum Reflex in der Kunst, der 1998 das halbe Jubiläum dominierte47 in Weiterführung der beiden aussagekräftigsten Analysen der Westfälischen Bildkultur48 und beachtenswerten Nachbesserungen, 49 wird hier vor allem die öffentlichkeitsrelevante Druckgraphik für die Veranschaulichung von Frieden von Stuttgarter Expertenseite herangezogen. 50
Johannes Burkhardt, Sprachen des Friedens und was sie verraten. Neue Fragen und Einsichten zu Karlowitz, Baden und „Neustadt", in: Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling. (Historische Forschungen, Bd. 85.) Berlin 2007,503-519. 4 5 Augsburger Projektleitung: Johannes Burkhardt und Wolfgang E. J. Weber. Bearbeitet durch Kay Jankrift und Andrea Schmidt-Rösler. Zur Teilprojektbeschreibung vgl. [http://www.uni-augsburg.de/institute/iek/html/iek_projekte_Übersetzungsleistungen.html; eingesehen am 05.05.2010]. 4 6 Bearbeitet durch German Penzholz und Benjamin Durst. Teilprojektbeschreibung (wie Anm. 45). 44
Vgl. den umfangreicheren der beiden Teilbände Klaus Bußmann /Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. II: Kunst und Kultur. München 1998. 48 Hans-Martin Kaulbach, Das Bild des Friedens vor und nach 1648, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling, 1648. Krieg und Frieden in Europa (wie Anm. 47), 593-603; Johannes Burkhardt, Auf dem Wege zu einer Bildkultur des Staatensystems. Der Westfälische Friede und die Druckmedien, in: Duchhardt, Der Westfälische Friede (wie Anm. 13), 81-114. 47
Dorothee Linnemann, Die Bildlichkeit von Friedenskongressen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts im Kontext zeitgenössischer Zeremonialdarstellung und diplomatischer Praxis, in: Ralph Kauz/Georgio Rota/Jan Paul Niederkom (Hrsg.), Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte, Bd. 796.) Wien 2009,155-186. 5 0 Teilprojektleitung Hans-Martin Kaulbach, Teilprojektbeschreibung (wie Anm. 42). 49
Johannes Burkhardt
So wenig das in der Frühen Neuzeit schon wirklich durchgreifend auf die gesamteuropäische politische Realität durchschlägt, so entwickelte Europa auf der medialen Ebene pazifizierende Werte und Formen, in deren Zentrum die Serie der Friedensverträge steht. Angesichts der für eine Pax Perpetua prekären anthropologischen Ausstattung, der kämpferischen Standestraditionen und heroischen Tugendbilder, einer noch unterentwickelten Staatlichkeit und eines fehlenden zwischenstaatlichen Gewaltmonopols ist es keineswegs selbstverständlich, sondern eine kulturelle Errungenschaft, dass der Friede als die europäische Norm Geltung erlangte, der Krieg aber als temporäre Abweichung, wenn auch eine allzu häufige, einer Begründung bedurfte. Um den Frieden wieder herzustellen, wird fast durchweg der Verhandlungsweg per Kongress oder bilateral eingeschlagen. Dabei entfalteten sich Friedenswissen und Friedenssemantik, die interlingual zwischen den großen europäischen Einzelsprachen transferierbar waren und dank einer hoch entwickelten Übersetzungskultur eine gemeineuropäische Friedenssprache generierten. Kann diese Sprache des Friedens über die Frühe Neuzeit hinaus nutzbar gemacht werden? Für eine Öffnung der frühneuzeitlichen Friedensforschung Die vom Westfälischen Frieden beflügelte historische Friedensforschung muss drei Grenzen überwinden, um besser gehört zu werden. Martin Luther würde von drei Mauern sprechen, aber im Unterschied zu den römischen Mauern haben wir uns zum Teil selbst eingemauert und wundern uns, wenn niemand hinübersieht. Vor allem sind epochale, disziplinäre und nationale Pforten zu öffnen und die historischen Friedensressourcen in eine pazifizierende Öffentlichkeitsarbeit einzubringen. Zum ersten muss die Frühe Neuzeit mit den Nachbarepochen in ein Friedensgespräch kommen und bei diesem Thema besonders den vernachlässigten Kontakt zur Neueren und Zeitgeschichte suchen. Die Kriegs- und Schlachtenbände machen es vor und kennen keine Epochengrenzen, bieten aber freilich oft nur isolierte Spektakel.51 In einer sich verkürzenden historischen Perspektive der Neuesten und Zeitgeschichte wird oft die verhängnisvolle historische Vorbildfunktion älterer Kriegstaten und -Inszenierungen übersehen. Kann man wirklich leugnen, dass ein Mann wie Bismarck, der nach Ausweis seiner Memoiren und Reden mit Geschichte geradezu vollgesogen war und mit historischen Argumenten hantierte, die kriegstreibende Brisanz der Spanischen Thronkandidatur einer deutschen Dynastie wie einst Karl V. nicht erkannt und von Anfang an zur Inszenierung des Deutsch-Französischen Krie-
Vgl. von wissenschaftlich fundierter Seite Stig Förster/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hrsg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai. München 2004, sowie dies. (Hrsg.), Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Porträts. München 2006.
51
Die Entfesselung des Friedens
ges von 1870/71 genutzt hat? 52 Manche Neuhistoriker können das. 53 Dass die deutsche Führung die Entfesselung des Ersten Weltkriegs bis ins groteske Detail dem Siebenjährigen Krieg nachgestellt hat, wusste schon Thomas Mann und ist samt weiteren historischen Kriegsvorbildern von frühneuzeitlicher Seite erforscht und umfassend belegt worden 54 - aber Weltkriegshistoriker nehmen es nicht wahr. 55 Mehr diachroner Kontext wird in den klassischen Sammlungen der Friedensrufe und Friedensutopien sichtbar, die ihr durchaus nicht unwirksames Zentrum in der Frühen Neuzeit haben, 56 aber friedensdidaktisch schon länger bis in die Gegenwart ausstrahlen. Das gilt umso mehr für die Reihe der tatsächlichen Friedensverträge, die sich von der Epochengrenze um 1800 nicht aufhalten lässt. Die Erschließung des frühneuzeitlichen Basisbestandes durch die genannten Editionen und Forschungsunternehmungen kann darum nur ein wichtiger erster Schritt sein, der nach Fortsetzung oder Kooperation mit der neuhistorischen Friedensforschung drängt. Einiges an Alterität zum einvernehmlich paktierten Frieden ist evident - die Kapitulation von Staaten, der Diktatfrieden und die Kriegsschuldzuweisung gibt es erst in neuerer Zeit - , aber auch langfristige Prozesse wie die sich von der Person zu Land und Institution verschiebenden Kontrahenten versprechen einen die Friedensmöglichkeiten erkundenden Dialog zweier Epochen. Doch die Tradition und diachrone Translation der in der Frühen Neuzeit entwickelten Sprache des Friedens ermöglicht es auch, dass der europäische Friedensprozess in der Gegenwart ankommt. Zum zweiten müssen Fachgrenzen weiter überwunden werden. Das ist keine der lustlosen Forderungen nach beliebiger Interdisziplinarität, sondern nach
Vgl. jetzt die Belege in Josef Becker (Hrsg.), Bismarcks spanische „Diversion" 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg. Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866-1932, 3 Bände. Paderborn 2003-2007. 5 3 Vgl. So die Besprechungen zu Beckers Edition (wie Anm. 52): Hans Fenske, 1870/71 Ein „provozierter Defensivkrieg" mit Frankreich?, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, NF. 13, 2003, 109-114 und NF. 18, 2008, 267-270; sowie die Rezension zu Becker durch Eberhard Kolb, in: Historische Zeitschrift 278, 2004, 486f. 54 Johannes Burkhardt, Kriegsgrund Geschichte? 1870,1813, 1756 - historische Argumente und Orientierungen bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in: ders. u.a. (Hrsg.), Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg. Vier Augsburger Beiträge zur Kriegsursachenforschung. (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, Bd. 49.) München 1996,9-86. 55 Wolfgang J. Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 19141918. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 17.), Stuttgart 2002. 56 Olaf Asbach, Die Reichs verfassung als föderativer Staatenbund. Das Alte Reich in der politischen Philosophie des Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseaus, in: ders. (Hrsg.), Altes Reich, Frankreich und Europa: Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001, 171-218. 52
Johannes Burkhardt
Austausch friedensrelevanter Perspektiven aus damit befassten Fächern. Vorzügliche wissenschaftliche Erfolge erzielte schon rund um das Jubiläumsjahr 1998 eine historisch kundige Rechtswissenschaft durch ihr analytisches Potenzial, mit dem Heinhard Steiger und andere die europäische Bedeutung der Verträge unter der Perspektive der nachfolgenden Kriegs- und Friedensfälle und des Völkerrechts erschlossen. 57 Konnten hier die Historiker viel lernen, so fragen sie nun aus ihrer Perspektive nach Generierung und Transfer dieses juristischen Wissens in die Friedenspolitik.58 Weniger eindrucksvoll ist bislang die Zusammenarbeit mit den Politologen. Herfried Münklers Thesen stehen in historischer Perspektive und werden von Historikern diskutiert, aber der Autor will die einschlägige fachhistorische Forschung nicht recht wahrnehmen. Generell ist das Vorurteil zu überwinden, dass die Politologen für die Theoriebildung, die Historiker für die Fakten und Details zuständig seien. Mehr genuin geschichtswissenschaftliche Theoriebildung tut Not und ist zu politologischer und soziologischer Friedensforschung ins Verhältnis zu setzen. 59 So ist die methodologische Wende zum Konstruktivismus in den internationalen Beziehungen, die vor allem die Konkurrenz um die unterschiedlichen Deutungen von Konflikt- und Friedensfällen zum Beispiel in der wechselseitigen Gewaltunterstellung in Selbstwahrnehmung und Öffentlichkeit in den Blick rückt, 60 mit den in der Frühneuzeitforschung eingeführten Formen der Diskursanalyse kompatibel. 61 Das friedenspolitische Konzept des „Global Governance" möchte den Staat auch bei transnationalen Konflikten zurückfahren, kommt aber erklärtermaßen am Ende auch nicht ohne ihn aus. Für gewaltfreie Konfliktlösungen aber sollen angesichts globaler Kommunikation transnationale Institutionen, Organisationen und friedensdienliche Normen verbreitende gesellschaftliche Akteure, aber auch völkerrechtliche Regeln und Verrechtlichung gestärkt werden was nun freilich in Europa alles eine wechselvolle Vorgeschichte hätte. 62
Heinhard Steiger, Rechtliche Strukturen der europäischen Staatenordnung 1648-1792, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 59,1999, 609-647. 5 8 Vgl. die Beiträge in diesem Band von Volker Arnke, Frieden in der Reichspublizistik. Nicolaus Schaffshausens Schrift als Beispiel für Friedenskonzepte im RömischDeutschen Reich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, 219-240 und Tobias Bartke, Zwischen Rechts- und Kulturtransfer. Die Funktion von Frieden in der versuchten Reform des schwedischen Rechts um 1600,241-256. 5 9 Thomas Jäger und Rasmus Beckmann planen einen Sammelband „Kriegstheorien", der politologische und historische Beiträge kombinieren soll. 60 Christoph Weiler, Internationale Politik und Konstruktivismus. Ein Beipackzettel, in: WeltTrends 41,2003,107-123. 61 Achim Landwehr, Diskurs - Macht - Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85,1, 2003, 71-117. Vgl. z.B. die Analyse der Rhetorik der Kriegsmanifeste bei Kiesmann, Bellum Solemne (wie Anm. 12). 62 Christoph Weller, Kein Frieden ohne Global Governance. Zur transnationalen Dimension von Gewaltkonflikten, in: Wissenschaft und Frieden 21,2003,23-26. 57
Die Entfesselung des Friedens
Wenn angesichts der Insti tu tionalisierungsansätze der Regierungen seit der Verabschiedung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" 2004 von einem politologischen Friedensforscher zwar die Bedeutung herausgestellt, aber beklagt wird, dass die Umsetzung darunter gelitten habe, dass es dieses neue Politikfeld in Regierung, Presse und Öffentlichkeit noch schwer habe, die volle Aufmerksamkeit zu bekommen, 63 dann sollte man sich daran erinnern, wie der Krieg es im 19. und 20. Jahrhundert geschafft hat, ins Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses zu rücken: durch eine wohlgepflegte historische Erinnerungskultur. 64 So wenig befriedigend auch in unserer Zeit wissenschaftliche Politikberatung auf dem Friedensfelde politische Praxis generiert, so werden immerhin etwa mit der Gründimg eines außenpolitischen Unterausschusses „Zivile Kriegsprävention und vernetzte Sicherheit" erste parlamentarische Konsequenzen sichtbar. 65 „Die Zukunft des Friedens", wie ein einschlägiger Sammelband heißt, 66 könnte mit etwas mehr historischem Anlauf auch mehr Dynamik in Kultur und Gesellschaft bekommen, aber unsere Wissenschaft von der Vergangenheit sollte sich auch zu dieser Zeitdimension hin öffnen. Ein besonderes Problem sind zum dritten die Internationalisierungsprobleme. Wie die deutsche Geisteswissenschaft überhaupt, rezipiert die friedensorientierte deutsche Frühneuzeitforschung zumindest englische und französische Publikationen weit besser als sie ihre eigenen Leistungen international vermitteln kann. Wie stark die internationale Forschung auf die vom Jubiläum angestoßenen Untersuchungen reagiert hat, wird unterschiedlich eingeschätzt, 67 aber die großen Anstrengungen zur Europäisierung des Jubiläums durch internationale Beiträge hätte nachhaltigere internationale Resonanz verdient. 68 Das jüngste Buch über den Westfälischen Frieden von einem französischen Publizisten zitiert fleißig französische und englische Forschung, 69 aber nicht ein einziges Beispiel aus dem Jubiläumsumkreis, ja mit Ausnahme des
63
Ders, Zivile Konfliktbearbeitung, in: Mir A. Ferdofsi (Hrsg.), Internationale Politik als
Überlebensstrategie. München 2009,275-296. 64
Vgl. Burkhardt, Kriegsgrund Geschichte (wie Anm. 54).
65
Vgl. Pressemitteilungen von Bündnis 9 0 / D i e Grünen im Bundestag, Bundestag stärkt
Aufmerksamkeit für Zivile Krisenprävention, PM 0 2 3 9 - 1 0 , 1 5 . März 2010. 66
Einen interessanten historischen Ansatz bietet: Ulrich Schneckener, Post-Westfalia trifft
Prä-Westfalia. Die Gleichzeitigkeit dreier Welten, in: Jahn/Fischer/Sahm (Hrsg.), Zukunft des Friedens (wie Anm. 26), 189-213. 67
Vgl. die Beiträge in diesem Band von Siegrid Westphal/Inken Schmidt-Voges, Einleitung,
in diesem Band, 7 - 1 8 und Heinz Duchhardt, Der Westfälische Friede - neue Ansätze der Forschung im kritischen Rückblick, in diesem Band, 21-27. 68
Vgl. die Einbeziehung der Forschung aus und zu mehreren Ländern in Duchhardt,
Der Westfälische Friede (wie Anm. 13). 69
Arnaud Blin, 1648. La Paix de Westphalie ou la naissance de l'Europe politique mo-
derne. Paris 2006.
Johannes Burkhardt
Zahlenwerks von Franz Bosbach über die Kosten des Friedensschlusses70 als neuestes Werk - Fritz Dickman 71 . Das ist offenkundig keine Qualitätsfrage, sondern ein Sprachproblem und man muss es einmal deutlich aussprechen: Wenn wir uns deutsch äußern, werden wir international ignoriert und wenn wir uns außerhalb unserer eigenen Wissenschaftssprache äußern, geht leicht etwas von der Kreativität und Überzeugungskraft der eigenen Sprachkultur und am Ende diese wichtige Wissenschaftssprache selbst verloren. Es bleibt nichts als zweigleisig zu fahren und mehr Übersetzungskultur und multilinguale Tagungen einzufordern. Gute Ansätze bieten hier generell wie auch zum Friedensthema die Deutschen Historischen Institute72 wie auch die bemerkenswert stark an europäischer Geschichte und nicht zuletzt deutscher Geschichtsforschung interessierten japanischen Universitäten und Zeitschriften. 73 Wenn man den multilingualen Friedensdiskurs seit dem Westfälischen Frieden und die nachwestfälische Übersetzungskultur ansieht, dann bleibt im Vergleich für die gegenwärtige europäische und transkontinentale historische Friedensforschung einiges nachzuholen. Dies gilt mit Blick auf die behandelten Friedensfälle im Zeichen der „Global History" auch für eine Erweiterung des geographischen Rahmens.
•
Auf dieser erweiterten wissenschaftlichen Grundlage vermag die Frühneuzeitforschung einen Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit für den Frieden zu leisten. Die drei großen deutschen Friedensstätten, die als historische Erinnerungsorte zentraler Vertragswerke der Frühen Neuzeit in die Geschichte eingegangen sind, haben die Chance bereits genutzt, sich als Friedensstädte zu profilieren. Allen voran Münster und Osnabrück, die mit dem Jubiläum von 1998 die Wende zu einem eindeutig positiv besetzten Verständnis des Westfälischen Friedens vollzogen und die Forschung inspiriert haben. 74 Sodann Nürnberg, das sich nicht allein demokratisch als Stadt der Menschenrechte und des Wahlkaisertums seit der Goldenen Bulle 1356 präsentiert, sondern über das authentische Großgemälde des festlichen Friedensmahls
Franz Bosbach, Die Kosten des Westfälischen Friedenskongresses. Eine strukturgeschichtliche Untersuchung. Münster 1984. 71 Fritz Dickman, Der Westfälische Frieden, Münster 1965. 70
Vgl. zuletzt Olaf Asbach/Peter Schröder (Hrsg.), War, the State an International Law in Seventeenth Century Europe. London 2009. 73 Vgl. die beiden deutschsprachigen Beiträge in einem japanischen Sammelband: Johannes Burkhardt, Krieg und Frieden im frühneuzeitlichen Europa, in: Shibutani (Hrsg.), Synthetic Study (wie Anm. 22), 47-66; Wolfgang E. ]. Weber, Übel und Mittel. Der Krieg in der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa, in: ebd., 67-80. Der Band zieht eine erste Zwischenbilanz einer Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg und dreier Tagungen an Universitäten in Tokio, Kyoto und Augsburg. 72
Heinz Duchhardt, Münster und der Westfälische Friede - Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur im Wandel der Zeiten, in: Duchhardt, Westfälischer Friede (wie Anm. 13), 853-864.
74
Die Entfesselung des Friedens
anlässlich des denkwürdigen Friedensexekutionskongresses von 1649/50 verfügt, 75 was mit einer symbolischen Friedenstafel der Stadtbürger regelmäßig ins öffentliche Bewusstsein tritt. Nicht zuletzt Augsburg, das sich durch den Religionsfrieden von 1555 und durch das seit dem Westfälischen Frieden bis heute alljährlich begangene Friedensfest und einen Friedenspreis als Friedensstadt qualifiziert. 76 Stets aber mehrt der regionale Friedenseifer nicht allein den Ruhm der Stadt, sondern den des Friedens. Ausstellen lässt sich bekanntlich der Krieg anschaulicher als der Frieden, aber selbst ein Kriegsmuseum wie das des Dreißigjährigen Krieges in Wittstock hat auf knappem Raum, aber mit gelungener Symbolik, ein Turmstübchen mit Ausblick auf Westfalen dem Frieden reserviert. 77 Die große Jubiläumsausstellung zum Westfälischen Frieden hat den Krieg und sein Personal leihweise sehr stark einbezogen und war zudem kunsthistorisch dominiert. Der eigentlich historische von den beiden Katalogbänden war der deutlich schmalere. Vor allem aber ist die Scheu vor historischen Inszenierungen um der Autonomie und Ästhetik der Kunst willen zu überwinden. 78 Politisch-rechtlich erhellende historische Akzente und Kontextualisierungen sind 2005 in der Ausstellung zum Augsburger Religionsfrieden gelungen, die unter dem auch zum aktuellen Nachdenken anregenden Titel stand: „Als Frieden möglich war". 7 9 Besonders starke historische Promoter in Wissenschaft und Öffentlichkeit, die gerade in puncto Frieden viel von den genannten Aktivitäten überhaupt erst ermöglicht haben, waren und sind Jubiläumsanlässe. Hier heißt es, nicht den noch zahlloseren Schlachten das „Feld" zu überlassen, sondern zugunsten der Verhandlungstische mitzurechnen. Der Friede von Kötzschenbroda bei Dresden schon vor dem Westfälischen Frieden 1645 war ein schönes Beispiel der aufmerksamen Sachsen und kooperierender Historiker. 80 Für die Zukunft
7 5 Vgl. zu Joachim von Sandrarts Gemälde im Fembohaus und zur Bildpublizistik Helmut Neuhaus, Bilder vom Nürnberger Exekutionstag aus zwei Jahrhunderten, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 60, 2000, 294-317. Zur Friedensleistung des Kongresses grundlegend Antje Oschmann, Nürnberger Exekutionstag 1649-1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Münster 1991.
Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.), Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur. (Colloquia Augustana 13.) Berlin 2000. 76
Bernhard R. Kroener, Vorwort, in: Museum des Dreißigjährigen Krieges Wittstock/Dosse, hrsg. vom Kreis Ostprignitz-Ruppin. Wittstock 1998,6f. 7 8 Vgl. zu einer nicht verwirklichten Inszenierung Johannes Burkhardt, Die entgipfelte Pyramide. Kriegsgrund und Friedenskompromiss der europäischen Universalmächte, in: Bußmann/Schilling, 1648 (wie Anm. 13), Bd. 2,51-60. 79 Carl A. Hoffmann u.a. (Hrsg.), Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung. Regensburg 2005. 80 Heinz Duchhardt, Kötzschenbroda 1645 - ein historisches Ereignis im Kontext des Krieges und im Urteil der Nachwelt, in: Sächsische Heimatblätter 41,1995,323-339. 77
Johannes Burkhardt
laufen schon die Überlegungen und Planungen zu dem großen dritten Säkularjubiläum des Friedens von Utrecht von 1713, der eine kleine Serie eröffnet. 81 Darüber hinaus nicht übersehen werden sollte im gleichen Jubiläumsjahr das 250-jährige Jubiläum des Friedens von Hubertusburg 1763, dessen Stellung in der deutschen Geschichte wie in der Friedensgeschichte dringend einer Neubewertung bedarf. 82 Das ist nur eine erste Auswahl. Eine besonders schöne Nutzung des Jubiläumspotenzials aber ist 2008 den Veranstaltern der Tagung „Pax Perpetua" gelungen, die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des 350-jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens einberufen wurde. Das Jubiläum des Jubiläums, das viel Nachdenken, neue Initiativen und auch diese Überlegungen angestoßen hat, wird so zu einem Beispiel kreativer Friedensarbeit.
Vgl. zu Utrecht den Beitrag in diesem Band, Renger de Bruin /Alexander Jordan, Commemorations compared: Münster-Osnabrück (1998) and Utrecht-Rastatt-Baden (201314), 81-100. 8 2 Vgl. Johannes Burkhardt, Vollendung (wie Anm. 11), 425-441. 81
Acta París Westphalicae seit 1998
Maximilian Lanzinner Die „Acta Pacis Westphalicae" (APW) seit dem Gedenkjahr 1998 1. Die Edition der APW, ihre Begründung und Konzeption Der folgende Beitrag informiert über den Stand der Bearbeitung der Acta Pacis Westphalicae (APW). Dem Wunsch der Herausgeber entsprechend, berichtet er - nach einem flüchtigen Blick auf den Beginn des Projekts - über das vergangene Jahrzehnt, den Zeitraum seit dem 350. Gedenkjahr 1998, nicht über das Unternehmen als Ganzes. Was wurde getan, welche Verhandlungsabschnitte wurden der Forschung seitdem erschlossen? Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus? Beantwortet wird damit auch, welches Editionsangebot die Geschichtswissenschaft bis zum Auslaufen der Projektförderung (2010/11) zu erwarten hat. Die Acta Pacis Westphalicae, die umfassend die Quellen zu den Verhandlungen und Verträgen des Westfälischen Friedenskongresses bereitstellen, zählen zu den wenigen europäischen Editionsprojekten der deutschen Geschichtswissenschaft.1 Die Gesandten, die sich in Osnabrück und Münster zwischen 1643 und 1648 einfanden, vertraten nahezu 150 europäische Staaten und Territorien. Die Friedensverträge mit Schweden und Frankreich, das Instrumentum Pacis Osnabrugense (IPO) und das Instrumentum Pacis Monasteriense (IPM), regelten am Ende Friedensvollzug und Friedensgarantie, Amnestie und Satisfaktion, dementsprechend die territorialen Entschädigungen, ferner Reichsreligionsrecht und Verfasstheit des Reiches. Gegenstand der Verhandlungen waren also die europäische Friedensordnung und die reichspolitischen Probleme, über die in den insgesamt 348 Artikeln
Andreas Kraus, Die Acta Pacis Westphalicae. Rang und geisteswissenschaftliche Bedeutung eines Editionsunternehmens unserer Zeit, untersucht an Hand der Elsaß-Frage (1640-1646). (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften, Vorträge G 269.) Opladen 1984; Antje Oschmann, L'édition des traités des paix avec la France et la Suède dans les „Acta Pacis Westphalicae", in: Rainer Babel (Hrsg.), Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. (Pariser Historische Studien, Bd. 65.) München 2005, 11-41; Konrad Repgen, Dokumentation eines Friedenskongresses: Die Acta Pacis Westphalicae, in: Akademie Journal 1994, 22-24; ders., Über die Publikation Acta Pacis Westphalicae (APW), in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann, 2. Auflage. Paderborn u.a. 1999,153-180; ders., Akteneditionen zur deutschen Geschichte des späteren 16. und 17. Jahrhunderts. Leistungen und Aufgaben, in: Lothar Gall/Rudolf Schleifer (Hrsg.), Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Histórica und der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, 22./23. Mai 1998. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 28.) München 1999, 37-79; ders., Die westfälischen Friedensverträge von 1648 und die editorische Erschließung ihrer Akten und Urkunden, in: Archive im zusammenwachsenden Europa. Referate des 69. Deutschen Archivtags und seiner Begleitveranstaltungen 1998 in Münster veranstaltet vom Verein deutscher Archivare. (Der Archivar, Beibd. 4.) Siegburg 2000, 23-52. 1
Maximilian Lanzinner
Vereinbarungen getroffen wurden. Leitendes Prinzip der Edition war und ist es, deren Zustandekommen Artikel um Artikel für die weitere Forschung zu erschließen. Dabei sollte die Konzentration auf den Verhandlungsgang verhindern, dass die Edition ins Uferlose wuchs. Dennoch erwies es sich als unumgänglich, die Masse des Überlieferten auszublenden, so die Überlieferungen der Kurie, Venedigs, Spaniens, der Niederlande und der Reichsstände, und auch auf deren Korrespondenzen zu verzichten, darüber hinaus generell auf manche thematische Bereiche, etwa auf Militaría, Zeremonielles oder Finanzen. Die Konzeption wurde schon am Anfang des Projekts 1957 entworfen. Sie schien sich wie selbstverständlich aus dem Vorhaben abzuleiten, nachdem einmal der Westfälische Friede zum Editionsgegenstand gewählt war. Ich erinnere also zunächst an die Gründungsgeschichte, um den Anspruch und die Zielsetzung des Editionsunternehmens deutlich zu machen. Bekannt sind die „Zufälle" 2 , wie Konrad Repgen formulierte, die den Start herbeiführten und das Editionsunternehmen im Jahr 1957 in Gang brachten. Schon 1956 zeichnete sich ab, dass mit dem kommenden Jahr Haushaltsüberschüsse zur Verfügung stehen würden, die Bundesfinanzminister Fritz Schäffer für den Aufbau der Bundeswehr thesauriert hatte. Der damalige Leiter der Kulturabteilung im Innenministerium Paul Egon Hübinger erkannte die Chance, aus den Überschüssen Forschungsmittel abzuzweigen. Hübinger, zugleich Honorarprofessor für mittelalterliche Geschichte in Bonn, plante für die Geschichtswissenschaft eine Historische Bundeskommission. Er stieß freilich auf wenig Gegenliebe bei den Historikern, die ihn berieten. Sie bezweifelten von Anfang an den Sinn einer solchen zentralen Kommission für die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik. Max Braubach hatte schon am 17. Dezember 1956, als Hübinger erstmals mit Historikerkollegen im Innenministerium über die Bundeskommission beriet, die Sorge geäußert, dass die Kommission die bestehenden Einrichtungen und Aufgaben der Geschichtswissenschaft nur „zersplittern", nicht aber konzentrieren könne. 3 Das Protokoll vermerkte, dass Braubach „als Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften" sprach, zu der tatsächlich eine neue Einrichtung in Konkurrenz treten musste. Denn die Historische Kommission, 1946 faktisch neu begründet, betrieb bereits zentrale Projekte der deutschen Geschichtswissenschaft,4 darunter Editionen, wie die
Repgen, Akteneditionen (wie Anm. 1), 59, 62. Zum Folgenden siehe auch Oschmann, L'édition (wie Anm. 1), 3f. 3 Dokument bei den Akten der „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte" (Abschrift Protokoll vom 17.12.1956), 4f. 4 Lothar Gall, 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: ders. (Hrsg.), „... für deutsche Geschichte- und Quellenforschung": 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 2008, 7-58, hier 36-45. 2
Acta Pads Westphalicae seit 1998
Reichstagsakten oder die Neue Deutsche Biographie. Vier der acht von Hübinger geladenen Historiker waren Mitglieder der Münchener Historischen Kommission. 5 Statt der Bundeskommission wurde 1957 schließlich ein Verein gegründet, die „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V.". Zweck des Vereins war gemäß seiner Satzung die Erforschung der allgemeinen Geschichte der Neuzeit vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Faktisch übernahm die „Vereinigung" später ausschließlich die fachliche und organisatorische Betreuung der Edition Acta Pads Westphalicae. Den Vorsitz hatte mit der Gründung am 29. Juli 19576 der Bonner Ordinarius Max Braubach. Mitglieder waren außerdem Werner Conze, Karl Dietrich Erdmann, Hans Herzfeld, Richard Nürnberger, Peter Rassow und Hans Rothfels. Es waren natürlich nicht bloße „Zufälle", sondern durchaus strukturelle Bedingungen, die ein Vorhaben zur historischen Friedensforschung begünstigten und dann doch in die Richtung einer Edition lenkten. Wir befinden uns 1956 grundsätzlich in einer Ära des Aufbaus von Forschungseinrichtungen, wobei die Geschichtswissenschaft in besonderem Maße profitierte. Winfried Schulze sprach von den „erfolgreichen Gründerjahre[n] der außeruniversitären historischen Forschungsinstitute und Forschergruppen" 7 . Die Mittel, die dem Innenministerium 1957 aus dem nicht aufgebrauchten Etat des Bundesministeriums für Verteidigung zuflössen, sollten nun weitere „Forschungsvorhaben zur neueren Geschichte" finanzieren. 8 Das Thema Friedensschluss war 1956/57 in vieler Hinsicht politisch aktuell, das muss hier nicht näher beschrieben werden. 9 Sich mit ihm zu beschäftigen lag nahe, zumal es ohnehin zum etablierten, noch beherrschenden Feld der Mitglieder der Kommission unter den Geladenen: Braubach (1951), Härtung (1946), Rassow (1946), Rothfels (1953), Conze (1959), Erdmann (1961) und Herzfeld (1961) wurden später Mitglieder. In Klammern Beginn der Mitgliedschaft; Karl-Ulrich Gelberg, Die ordentlichen Mitglieder der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Gall, Quellenforschung (wie Anm. 4), 271-303. 5
Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München 1993, 259; Repgen, Akteneditionen (wie Anm. 1), 61, spricht aus der „Erinnerung", die „Vereinigung" sei im „September" 1957 gegründet worden. Tatsächlich wurde am 29. Juli die Gründung beschlossen und im September die Satzung des Vereins von den Mitgliedern unterzeichnet. 6
7
Schulze, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 6), 263.
Protokoll einer Besprechung Hübingers vom 24.5.1957 im Bundesministerium des Innern mit geladenen Historikern. Bei den Akten der „Vereinigung", Anlage 3,1. Kopie bei den Akten der „Vereinigung". Hübinger hatte für den 24. Mai 1957 eingeladen: Max Braubach, Werner Conze, Karl Dietrich Erdmann, Fritz Härtung, Hans Herzfeld, Richard Nürnberger, Peter Rassow, Hans Rothfels. Erdmann und Rothfels konnten nicht teilnehmen. 8
Helmut Neuhaus, „Acta Pacis Westphalicae" (APW), in: ders. (Hrsg.), Erlanger Editionen. Grundlagenforschung durch Quelleneditionen: Berichte und Studien. (Erlanger Studien zur Geschichte, Bd. 8.) Erlangen/Jena 2009,47-64, hier 48. 9
Maximilian Lanzinner
Politik- und Diplomatiegeschichte gehörte. Die Edition konnte außerdem die positive Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft weiterführen, die in der NS-Zeit abgebrochen war. Zudem hielten die Historiker, die Hübinger berieten (Conze ausgenommen), Editionsprojekte als allein geeignet für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Aber den Gründern lag sehr daran, dass die Editionen nun nicht mehr mit nationalen, sondern mit europäischen Perspektiven verbunden und mit europäischen Kooperationspartnern erstellt wurden. Eine Denkschrift, die Peter Rassow in Fühlungnahme mit Max Braubach, Werner Conze und Fritz Härtung Ende Dezember 1956 erarbeitet hatte, empfahl noch Editionen zu folgenden Friedenskongressen: 10 dem Wiener Kongress, dem Frieden von Utrecht, Rastatt und Baden (1713-1714), den Verhandlungen zur Beendigung des Nordischen Kriegs in Stockholm und Nystadt (1720-1721), dann erst den Westfälischen Frieden und die Verträge zwischen Karl V. und Franz I. Doch schon am 24. Mai 1957 kamen Hübinger und die ihn beratenden Historiker überein, den Westfälischen Frieden in Angriff zu nehmen. Das hatte praktische Gründe. Für den Westfälischen Friedenskongress sei „ein Ansatzpunkt bereits gegeben", vermerkt das Protokoll. Maßgebend war, dass Max Braubach mit einem Editionsplan Konrad Repgens ein brauchbares Konzept zur Hand hatte.11 Das Projekt und der Plan hatten die internationale Dimension, die alle Beteiligten wünschten, indem es die Uberlieferung der Vertragschließenden (Frankreich, Schweden, Kaiser und Reich), Mitverhandelnden (Spanien, Niederlande) und Mediatoren (Venedig, Kurie) einbezog. Im Oktober 1957 begann die Arbeit an den Acta Pads Westphalicae. Das Ziel der „Vereinigung", wie es ihre Satzung beschreibt, blieb jedoch bis heute die Erforschung von Problemen der allgemeinen Geschichte der Neuzeit vom 16. bis zum 20. Jahrhundert und zwar „durch Aufspürung, Offenlegung, Bearbeitung und Edition der wichtigsten Quellen". Dazu ist es nicht gekommen, weil die Dimensionen des Überlieferten schon zum ersten großen Friedenskongress der Neuzeit alle Kapazitäten beanspruchten. Dies stellte sich, wie bei Editionen häufig, erst im Arbeitsprozess heraus. Das Editionsprojekt verblieb bis heute unter der Obhut der „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V." Die Projektskizze Konrad Repgens aus dem Jahr 1957 gab Leitlinien vor, die Bestand hatten: eine arbeitsteilige Organisation „unter Berücksichtigung des Provenienzprinzips" und die „Beschränkung auf das Wesentliche". 12 „Provenienz" ist hier nicht als archivarischer Begriff zu verstehen; gemeint war die Einteilung nach Mächten (Staaten oder Territorien) und Quellengruppen (also
10
Kopie bei den Akten der „Vereinigung". Anlage 2, 2.
11
Repgen, Publikation (wie Anm. 1), 153-180.
12
Repgen, Publikation (wie Anm. 1), 156.
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
eigentlich: „Pertinenz"). „Beschränkung" hieß, wie sich rasch im Arbeitsfortgang zeigte, Konzentration auf den Verhandlungsgang. Die Projektskizze nannte als Mächte, deren Quellen zu erschließen waren, noch den Kaiser, Frankreich, Spanien, die Generalstaaten, Schweden, den Papst und Venedig als Vermittler sowie größere Reichsstände. Demgemäß recherchierten die Mitarbeiter der „Vereinigung" 1958/1959 bereits in Wien, Stockholm, Paris und Simancas. Die Korrespondenzen der genannten Mächte wurden gesammelt und stehen bis heute auf dem Editionsplan. Tatsächlich jedoch zwang der Arbeitsfortgang, der von den Sitzungen der „Vereinigung" begleitet wurde, auch zur „Beschränkung" auf den Kaiser, Frankreich und Schweden. Dies ist hier jedoch nicht im Einzelnen zu verfolgen, ebenso nicht, wie es zur Einteilung in die Serien und Abteilungen kam. 2. Stand der Bearbeitung Im Arbeitsfortgang wurde die Edition nach Quellengruppen gegliedert, und zwar in drei Serien: I Instruktionen; II Korrespondenzen; III Protokolle, Verhandlungsakten, Diensttagebücher und persönliche Aufzeichnungen, Varia. Ebenso zeigte die Editionsarbeit, dass man das Prinzip, den Verhandlungsgang und die Genese der Friedensregelungen abzubilden, nicht aufgeben durfte. Dies bestätigten die Beratungen der Historiker in der „Vereinigung" und die Rezensionen schon zu den ersten Bänden. Scharf kritisierte etwa Eike Wolgast 1975 in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen" den alltags- und regionalgeschichtlichen Band zu den Stadtmünsterischen Akten, der sich weit vom Konzept entfernt hatte, mit dem Verhandlungsgang zugleich die europäische Politik zu dokumentieren. Das alles sei „überwiegend nur lokalhistorisch wichtig oder aber unter kulturhistorischem Aspekt von Wert", so Wolgast, werde aber dem Ziel und der Konzeption der APW nicht gerecht.13 Er folgte damit nicht der Argumentation der Herausgeber, die mit dem Band das „äußere Bild des Kongresses" die Bühne der europäischen Politik zeigen wollten.14 Die Ausführung des Projektplans erwies, wie anzunehmen war, dass die Serien I—III einen sehr unterschiedlichen Umfang haben mussten. In Serie I, den Instruktionen, ein ohnehin begrenzter Quellenbestand, erschien nur ein einziger Band, der erste überhaupt, jedoch nur zu den drei Hauptverhandlungsmächten.15 Dabei blieb es, da auch die Seriell, die Korrespondenzen, sich verständlicherweise auf diese Mächte konzentrierte (in drei Abteilungen: II A = Kaiser, II Β = Frankreich, II C = Schweden). Die anfangs für die Serie II 13 Eike Wolgast, Rezension von: Acta Pacis Westphalicae. Im Auftrage der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, hrsg. v. Max Braubach und Konrad Repgen. Sonderdruck aus: Göttingische Gelehrte Anzeigen 227,1975, Heft 1/2,57. 14 Konrad Repgen, Vorwort, in: Helmut Lahrkamp (Bearb.), Stadtmünsterische Akten und Vermischtes (Acta Pacis Westphalicae (APW) III A 1). Münster 1964, VII. 15 Fritz Dickmann u.a. (Bearb.), Frankreich - Schweden - Kaiser. (APW I I . ) Münster 1962.
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vorgesehenen päpstlichen, venezianischen, spanischen und niederländischen Korrespondenzen wurden nur verfilmt, die spanischen nur in Teilen bearbeitet, da ihr Umfang das Arbeits- und Finanzvolumen des Unternehmens gesprengt hätte. Lediglich zu den spanischen Korrespondenzen wurde ein Band entworfen, der aber nicht zum Druck kam. In die Serie III sind diverse Quellengruppen eingereiht, in Abteilung III A die wichtigste: die Protokolle der reichsständischen Gremien. Da die Acta Pads Westphalicae auf eine gesonderte Präsentation reichsständischer Korrespondenzen und Akten verzichten - verzichten mussten, um in dieser Überlieferung nicht zu versinken, bieten die Protokolle Ersatz. Sie sind in unterschiedlicher Qualität, wenn auch längst nicht lückenlos, überliefert zu denjenigen Gremien des Reiches, die während des Kongresses tagten: Kurfürstenrat, Fürstenrat in Osnabrück und Münster, Städterat, Corpus Catholicorum und Corpus Evangelicorum. Die Abteilung III Β nimmt die Friedensverträge und die Verhandlungsakten auf, also alle Vor- und Zwischenstufen der Verträge, darüber hinaus alle Dokumente, über die verhandelt wurde. Was zu dieser Gruppe gehört, lässt sich zwar definieren, ist aber erst jetzt beim nun erreichten Stand der Aktenerschließung überschaubar. Dazu später noch mehr. Die Abteilung III C der Diarien hingegen ist insofern offen, als hier nur ein Teil des Vorhandenen, Verfilmten und Transkribierten zur Veröffentlichung kam. Es waren bevorzugt Texte, die zum Verständnis der Verhandlungen (Volmar 16 ) oder des Gesandtenalltags (Lamberg 17 ) beitrugen. Die Abteilung III D Varia sollte einen Restetopf bilden, wurde aber nach dem erwähnten Band zu den Stadtmünsterischen Akten (1964) nicht weitergeführt. Jetzt ist für diese Abteilung III D noch ein Band mit den deutschsprachigen Presseberichten in Bearbeitung. Der aktuelle Bearbeitungsstand der Acta Pads Westphalicae lässt sich so zusammenfassen: Die Gesamtedition umfasst gegenwärtig (2010) 37 Bände in 46 Teilbänden. Die Edition wurde 1962 eröffnet mit dem Band (11) zu den Instruktionen des Kaisers, Frankreichs und Schwedens und erreichte mit dem Band (III Β 1/1) zu den Friedensverträgen mit Frankreich und Schweden zum 1 6 Dr. iur. Isaak Volmar (1582 oder 1583-1662), ab 1643 Geheimer Rat der tirolischen Vormundschaftsregierung und Präsident der Innsbrucker Hofkammer, vertrat Kaiser und Reich 1643-1649 als Sekundargesandter auf dem Westfälischen Friedenskongress, dann auf dem Nürnberger Exekutionstag. Matthias Schnettger, Der Reichsdeputationstag 1655-1663. Kaiser und Stände zwischen Westfälischem Frieden und Immerwährendem Reichstag. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 24.) Münster 1996,49-52. 1 7 Der Reichshofrat Johann Maximilian Graf von Lamberg (1608-1682) vertrat Kaiser und Reich 1644-1649 als Primargesandter auf dem Westfälischen Friedenskongress; Stefan Sienell, Die Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. Personelle Strukturen und Methoden zur politischen Entscheidungsfindung am Wiener Hof. (Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, Bd. 17.) Frankfurt am Main u.a. 2001,104-108.
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seit 1998
Gedenkjahr des Friedens 1998 den 24. Oktober 1648, als die Beauftragten des Kaisers, der Reichsstände, Frankreichs und Schwedens die Friedensverträge unterzeichneten. Jedoch waren die Jahre 1647 und mehr noch 1648 (bis 1998) nur wenig dokumentiert gegenüber der Zeit zuvor. Auch lag der Schwerpunkt des Veröffentlichten bei den Korrespondenzen und Diarien, während bei den Protokollen Vereinzeltes, bei den Verhandlungsakten noch nichts publiziert war. Die Verhandlungsakten und Protokolle wurden noch im Gedenkjahr 1998 begonnen beziehungsweise fortgesetzt und zwar mit der Edition der Verträge selbst
(III Β 1 / 1 )
und
einem
Band
zum
Fürstenrat
Osnabrück
1645^46
(III A 3/1-2). Bis dahin lagen 19 Bände in 23 Teilbänden vor. Seit 1998 erschienen 18 Bände in 23 Teilbänden; sieben weitere befinden sich im Druck oder in einem fortgeschrittenen Stand der Bearbeitung. Während bis 1998 der Verhandlungsgang am Beginn einschließlich der ersten Jahreshälfte 1647 deutlich intensiver erfasst war als die Schlussphase, füllen die Bände nach 1998 die Lücke bis zur Unterzeichnung der Friedensinstrumente und gehen noch darüber hinaus bis zum Austausch der Ratifikationsurkunden in Münster am 18. Februar 1649. 1 8
3. Die seit 1998 erschienenen Bände 3.1. Grundsätzliches
Seit 1998 werden also zum einen in Serie II die Abtei-
lungen der kaiserlichen und französischen Korrespondenzen fortgeführt, zum anderen in Serie III die Fürstenratsprotokolle Osnabrück und die Verträge/Verhandlungsakten. Was ist im Einzelnen erschienen? Welchen Ertrag und welche Möglichkeiten der Auswertung findet man vor? Z u den formalen Teilen aller erschienenen Bände ist zu sagen: Die Einleitungen geben eine Einführung in die Verhandlungen des Editionszeitraums und ihren politischen und militärischen Hintergrund. Anders als sonst bei Editionen werden bei den Acta Pads Westphalicae
drei Register geführt, nicht nur ein
Namensregister mit integrierten Sachbetreffen, wie es sich überwiegend in historischen Frühneuzeiteditionen findet, vielmehr zusätzlich ein chronologisches Aktenverzeichnis, das alle edierten und erwähnten Dokumente mit Archivhinweisen auflistet, außerdem ein Verzeichnis der Verhandlungsakten. Aktenverzeichnisse trifft man sonst in Mittelaltereditionen an. Sie erleichtern im Fall der Acta die Orientierung in den Massen von Schriftstücken, die beim Kongress anfielen. Das Verzeichnis der Verhandlungsakten weist dem Benutzer den W e g ins Archiv, ist aber zugleich eine Bestandsaufnahme für die systematische Zusammenstellung und spätere Dokumentation. Die Verhand-
18 In zwei Bänden zur kaiserlichen und französischen Korrespondenz, APW II A 10 bzw. APW II Β 10.
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lungsakten sind allerdings erst vollständig zu überblicken, wenn die Korrespondenzserien bearbeitet sind. Diese drei Register werden erst seit Band 4 der kaiserlichen Korrespondenzen (APW II A 4, 2001) angelegt; der zeitlich früher (1993) erschienene Band 5 folgt diesem Schema noch nicht, enthält aber das übliche chronologische Register der im Band nachgewiesenen oder edierten Akten. Bei den französischen Korrespondenzen (APW II B) sind die drei Register ab Band 3 (APW II Β 3,1999) vorhanden. Bis dahin finden sich in allen APW-Bänden nur ein chronologisches und ein Namensregister. Die (Namens-)Register wurden im Lauf der Zeit umfangreicher. In Band 4 der schwedischen Korrespondenzen (APW II C 4,1994) wurde das „Namensregister" tatsächlich zu einem Namens- und Sachregister erweitert. Die Schlagworte wurden seitdem zahlreicher, die Untergliederungen differenzierter. Neben Namen, abweichenden Schreibweisen und historischen Ereignissen sind auch Sachbetreffe aufgenommen, die nicht eindeutig Namen zuzuweisen sind; insbesondere wurden die in den Quellen vorkommende Begriffe der politischen Verkehrssprache aufgenommen. 3.2. Kaiserliche Korrespondenzen Zu den kaiserlichen Korrespondenzen sind seit 1998 vier Bände erschienen (APW II A 4 und 7-9); ein abschließender befindet sich in Bearbeitung, der vom 1. September 1648 bis Ende Februar 1649 reichen wird, also den Austausch der Ratifikationen einschließt. Die Bände enthalten vorrangig die Berichte der Gesandten Maximilian Graf von Trauttmansdorff, Johann Maximilian von Lamberg, Johann B. Krane und Dr. Isaak Volmar, ferner die Weisungen aus Wien. Hinzu kommen: Dekrete, Gutachten, Memoranden zum Verhandlungsgang; andere für die Friedensverhandlungen einschlägige Dokumente aus der kaiserlichen Kanzlei, insbesondere Protokolle und Beschlüsse des Geheimen Rats, schließlich die Verhandlungsakten und Vertragsentwürfe, die in Münster und Osnabrück anfieDarunter sind auch Texte, die eine eindringende und dichte Kommentierung verlangen, etwa die Hauptinstruktion Ferdinands III. vom 6. Dezember 1647, 19 in der nahezu jeder Gegenstand des späteren Friedensvertrags behandelt wird. Zu dieser Instruktion gehören sieben Gutachten, die wiederum in mehreren, voneinander abweichenden Fassungen überliefert sind. Deren Entstehungsstufen waren wie in vergleichbaren Fällen aufzuklären, auch die inhaltlichen Bezüge zur Instruktion. Eine Rekonstruktion und Zuordnung nur im Kommentar hätte den textkritischen Apparat überfordert, weshalb (wie auch sonst in den APW üblich) ein eigener, einleitender Text eingeschoben wurde.
19 APW II A 7, Nr. 29.
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
Was findet der Benutzer inhaltlich in den Bänden zu den kaiserlichen Korrespondenzen? Band 4 (APW II A 4) 2 0 erschien als Nachzügler, die Fertigstellung verzögerte sich wegen des mehrfachen Bearbeiterwechsels. Mit ihm wurde die Lücke vom 17. April bis zum 14. September 1646 geschlossen. In dieser Phase standen die Verhandlungen im Zeichen des kaiserlich-französischen Ausgleichs. Teils schriftlich, teils mündlich wurden in den Grundzügen die französischen Satisfaktionsartikel vereinbart, die später im Vorvertrag vom 11./14. November 1647 unbefristet fixiert und dann auch unterzeichnet wurden. Möglich wurden die Vereinbarungen vom September 1646 infolge der Kriegslage und des massiven bayerischen Drängens gegenüber dem Wiener Hof. Demgemäß kamen die kaiserlichen Unterhändler den französischen Wünschen weit entgegen. Unerfüllt blieb 1646-1647 noch die französische Forderung zu einer Sondervereinbarung ohne Habsburg-Spanien, das heißt zu einer Vereinbarung allein mit dem Kaiser zu kommen, die Spanien ausschloss. Aus den gleichen Gründen wie bei Band 4 verzögerte sich die Fertigstellung des 6. Bandes (APW II A 6) 21 , der die Korrespondenzen vom 29. März bis zum 15. November 1647 aufnimmt. Trauttmansdorff verhandelte bis zum Juli intensiv mit den Schweden über beiderseitige Gesamtentwürfe zum Frieden, zunächst in Osnabrück, ab Mai in Münster, um die französischen Gesandten einzubeziehen, verließ aber trotz der kaiserlichen Zugeständnisse am 17. Juli 1647 den Kongress, ohne eine Einigung zu erzielen. Die Korrespondenzen lassen erkennen, wie sehr die Forderungen Schwedens (Satisfaktion), Frankreichs (keine Assistenz Wiens für Spanien) und der „Maximalisten" unter den katholischen Reichsständen den Kongress ab August stagnieren ließen. Die Blockade löste sich, als im Herbst die französische Krone und Maximilian I. von Bayern energische Initiativen entwickelten, um ihre Friedensziele zu erreichen. Ergebnis war das Vorabkommen Frankreichs mit dem Kaiser über die Territorialsatisfaktion vom 14. November 1647. Band 7 (APW II A 7) 22 der kaiserlichen Korrespondenzen im Zeitraum vom 16. November 1647 bis zum 10. Februar 1648 ist wieder geprägt vom Geschehen in Osnabrück. Dem Wunsch der Protestanten folgend, bemühte sich der Kaiser unter Einbeziehung der Reichsstände den Ausgleich mit Schweden herbeizuführen, während die Verhandlungen mit Frankreich in Münster ruhten. Für den Verlauf maßgebend wurde die erwähnte Hauptinstruktion Ferdinands III. (Nr. 29), die den Gesandten Lamberg, Krane und Volmar am Hubert Salm/Brigitte Wiibbeke-Pfliiger (Bearb.) unter Benutzung der Vorarbeiten von Wilhelm Engels, Manfred Klett und Antje Oschmann, Die kaiserlichen Korrespondenzen 1646. (APW II A 4.) Münster 2001. 21 Antje Oschmann (Bearb.), Die kaiserlichen Korrespondenzen 1647. (APW II A 6/1-2.) [erscheint 2011]. 22 Andreas Hausmann (Bearb.), Die kaiserlichen Korrespondenzen 1647-1648. (APW II A 7.) Münster 2008. 20
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25. Dezember 1647 zuging. Die Weisungen brachten die kaiserlichen Interessen wieder stärker als zuvor zur Geltung mit den Zielen uneingeschränktes lus reformandi für das Reichsoberhaupt, keine Rückgabe des konfiszierten Eigentums in den Erb- und Kronlanden sowie Verhandlungen über die Satisfaktion der schwedischen Armee erst nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags. Die Schweden beharrten jedoch auf diametralen Gegenpositionen. Die Fronten kamen erst in Bewegung, als sich die „Prinzipalisten" um Kurmainz und Kurbayern formierten, die zum Frieden drängten und sich ohne den Kaiser mit den Protestanten zu einigen versuchten. Die Korrespondenzen in Band 8 ( A P W I I A 8 ) 2 3 vom 11. Februar bis zum 11. Mai 1648 spiegeln die Annäherung der Verhandlungsparteien bis hin zu einem kaiserlichen Gesamtentwurf für ein Instrumentum Pacis Osnabrugensis. Dass die friedensbereiten Reichsstände beider Konfessionen jetzt an einem Ort mit dem Kaiser und mit Schweden Vereinbarungen treffen konnten, die französischen Gesandten aber nicht beteiligt waren, beschleunigte offensichtlich den Einigungsprozess. Die kaiserlich-französischen Verhandlungen in Münster bewegten sich kaum von der Stelle, da der Kaiser weder Spanien im Stich lassen, noch den Herzog von Lothringen und den Burgundischen Reichskreis aus dem Frieden ausschließen wollte. In Osnabrück, begünstigt durch den Einfluss der „Prinzipalisten", kamen nun bis zum Friedensvertrag gültige Vereinbarungen zustande: zu den Zoll- und Handelsfragen, zur Amnestie im Reich, zur Satisfaktion Hessen-Kassels, zum Reichsreligionsrecht (Rechte der Untertanen und der Mediatstände), jedoch noch nicht zur schwedischen Militärsatisfaktion und zur Amnestie in den Erblanden. Band 9 (APW II A 9) 2 4 vom 12. Mai bis zum 31. August 1648 beginnt mit den Reaktionen auf den formellen Abschluss des niederländisch-spanischen Friedens. Die abschließende Einigung zwischen dem Kaiser und Schweden zur Militärsatisfaktion, zur Amnestie in den Erblanden und zum Friedensvollzug wurden am 6. August per Handschlag besiegelt. Eine Unterzeichnung des Vertrags mit Schweden unterblieb aus Rücksicht auf Frankreich, das am 10. August in Verhandlungen mit den Reichsständen eintrat, die den Kaiser isolierten. Darin kommt, wie im gesamten Band, die Verschiebung der Verhandlungsinitiative vom Kaiser auf die Reichsstände zum Ausdruck, die auf kaiserlicher Seite sogar zu Sondierungen für ein Bündnis mit den Vereinigten Niederlanden führten, die bislang nicht bekannt waren. 25 Mehr als in den
Sebastian Schmitt (Bearb.), Die kaiserlichen Korrespondenzen 1648. (APW II A 8.) Münster 2008. 24 Stefanie Fraedrich-Nowag (Bearb.), Die kaiserlichen Korrespondenzen 1648. (APW II A 9.) [erscheint Münster 2011]. 25 Dies., Kaiserlich-niederländische Friedensverhandlungen am Rande des Westfälischen Friedenkongresses, in: Maria-Elisabeth Brunert/Maximilian Lanzinner (Hrsg.), Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den Acta Pacis Westphalicae. Münster 2010,211-232. 23
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Bänden zuvor tritt die berichtende Perspektive gegenüber dem Handeln in den Vordergrund. 3.3. Französische Korrespondenzen Zu den französischen Korrespondenzen wurden seit 1999 drei Bände (APW II Β 4-6) publiziert, zu denen bis zum Jahr 2011 zwei weitere kommen werden (APW II Β 7-8); die beiden letzten Bände der Abteilung II Β befinden sich in Bearbeitung (APW II Β 9, 20.5. 10.8.1648; APW II Β 10, 11.8.1648-18.2.1649). Wie bei den kaiserlichen Korrespondenzen ist zentral der Schriftwechsel zwischen den Gesandten und dem Hof. Für die französische Krone waren als Gesandte tätig: Claude de Mesmes, Graf d'Avaux; Abel Servien, Graf von Roche des Aubiers; Henri Groulart, seigneur de La Cour (Resident Osnabrück); Henri (II.) d'Orléans Longueville, Herzog von. Sie berichteten aus Münster, Osnabrück oder anderen Orten (Den Haag) nach Paris. Korrespondenzpartner waren: Hugues de Lionne, Sekretär Mazarins; Henri-Auguste de Loménie, Graf von Brienne, secrétaire d'Etat für Äußeres; ferner Mazarin oder der König selbst. Ähnlich intensiv wie bei den kaiserlichen ist der Briefwechsel, den die französischen Gesandten untereinander hatten. Mit den zwischen 1999 und 2004 erschienenen Bänden (APW II Β 4-6) wurde der Verhandlungszusammenhang der wegweisenden Abkommen zwischen dem Kaiser und Frankreich erfasst, die dann Eingang in den Friedensvertrag von Münster fanden, vor allem die Vereinbarung über die Gebietsforderungen der Krone im Reich vom 13. September 1646 und der Vorvertrag vom 14. November 1647. Darüber hinaus wird das gesamte Feld der französischen Friedensdiplomatie sichtbar, insbesondere das Beziehungsfeld zu Spanien. Aus diesem Grund wurden zur Kommentierung zusätzlich die spanische Überlieferung sowie Akten der niederländischen Interpositoren ausgewertet. Mit dem Band 5 kommen zur Korrespondenz zwischen Münster und Paris die Sonderberichte d'Avaux' hinzu, der Anfang 1647 in Osnabrück mit den Schweden verhandelte, sodann die Korrespondenz Serviens, der vom 8. Januar bis zum 31. Juli 1647 in Den Haag weilte, um mit den Generalstaaten den französisch-niederländischen Garantievertrag auszuhandeln. Der Briefwechsel Serviens wird in Band 6 fortgeführt. Im Mittelpunkt von Band 4 (APW II Β 4) 26 mit dem Zeitraum vom 9. Juni bis zum 23. November 1646 steht die kaiserlich-französische Vereinbarung über die Gebietsforderungen der Krone vom 13. September 1646, die vor allem auf Drängen Bayerns die Forderungen aus Paris weitgehend erfüllte. Auch was die Verhandlungen mit Spanien betrifft, belegen die Korrespondenzen in Band 4 die zunächst erfolgreiche Annäherung. Dagegen entzogen sich die Generalstaaten zunehmend den französischen Wünschen, nachdem sie im Juli
Clivia Kelch-Rade/Anuschka Tischer (Bearb.) unter Mithilfe von Michael Rohrschneider und unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy, Die französischen Korrespondenzen 1646. (APW II Β 4.) Münster 1999. 26
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1646 eine vorläufige Vereinbarung mit Spanien erzielt hatten. Ebenso hinderlich für die französische Reichspolitik erwiesen sich in der zweiten Jahreshälfte 1646 die Territorialforderungen Schwedens, da sie den Spielraum Frankreichs verengten; darüber hinaus vertieften sie die Gegensätze zwischen d'Avaux und Servien. Die zunehmenden Schwierigkeiten der französischen Kongresspolitik gegenüber den Schweden und den Generalstaaten prägen wie ein Leitfaden die Korrespondenzen, die Band 5 (APW II Β 5) 27 ediert. Er reicht vom 24. November 1646 bis zum 24. Juni 1647. Nach den Fortschritten seit September 1646 verhärteten sich jetzt die Fronten gegenüber Spanien. Die Verhandlungen stagnierten mit der Unterzeichnung der sogenannten Provisional-Artikel durch die Niederlande und Spanien am 8. Januar 1647. Damit schieden die Niederlande faktisch aus dem Krieg aus, was Spanien größere Handlungsfreiheit verschaffte. Deshalb wurde die Stagnation der spanisch-französischen Verhandlungen auch nicht überwunden, als die spanischen Unterhändler im Februar 1647 Longuevilles 28 Gesamtentwurf für den Frieden von den niederländischen Interpositoren vorgelegt bekamen. Die wiederauflebenden kaiserlich-französischen Kontakte ab Mai 1647 mündeten schon im Juni in die scharfe französische Kritik am sogenannten Trauttmansdorffianum, mit dem der kaiserliche Prinzipalgesandte den bis dahin am weitesten reichenden Friedensentwurf für den Kongress zu Papier brachte. In Band 6 (APW II Β 6) 29 mit den Korrespondenzen vom 25. Juni bis zum 18. November 1647 stehen zunächst die wenig erfolgreichen Bemühungen der französischen Gesandten im Vordergrund, Schweden, Kaiserliche und Bayern im Sinn der eigenen Friedensziele zu beeinflussen. Immerhin sicherte die französische Delegation das bis dahin Erreichte, indem sie am 14. November 1647 mit den Kaiserlichen einen Vorvertrag unterzeichnete, der die für die Krone günstigen Satisfaktionsartikel von 1646 aufnahm. Die nun im Vorver-
Guido Braun (Bearb.) unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und Achim Tröster und unter Mithilfe von Antje Oschmann am Register, Die französischen Korrespondenzen 1646-1647. (APW II Β 5.) Münster 2002.
27
Henri II. d'Orléans, duc de Longueville (1595-1663), gebürtig aus einer illegitimen Seitenlinie der Dynastie Valois-Orléans, regierender Fürst und Graf von Neuchâtel, gehörte nach hohen militärischen Kommandos ab 1643 dem Regentschaftsrat des minderjährigen Ludwigs XIV. an und war von Juni 1645 bis Anfang Februar 1648 französischer Prinzipalgesandter auf dem Westfälischen Friedenskongress. Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 29.) Münster 1999, 99-105; Derek Croxton/Anuschka Tischer, The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary. Wesport/Connecticut /London 2002,173. 29 Michael Rohrschneider (Bearb.) unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen, Die französischen Korrespondenzen 1647. (APW II Β 6.) Münster 2004. 28
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
trag getroffenen Vereinbarungen wurden in den Münsteraner Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich mit nur noch geringen Veränderungen eingefügt. Servien wertete es zudem als Erfolg, dass er mit den Generalstaaten am 29. Juli 1647 den Garantievertrag abschließen konnte, der eine Allianz gegen eine künftige habsburgische Aggression vorsah. Das Inkrafttreten des Garantievertrags war freilich an den angestrebten spanisch-französischen Frieden gekoppelt, der nicht mehr zustande kam. Die Korrespondenzen des Bandes 7 (APW II Β 7)3° vom 19. November 1647 bis zum 5. Februar 1648 kreisten zum Jahresende um die folgenden Streitfragen mit Spanien: französisches Assistenzrecht für Portugal, Befestigungen in Katalonien, die von Spanien an Frankreich abzutretenden Eroberungen, die Garnison in Casale, spanisches Assistenzrecht für Herzog Karl IV. von Lothringen, die Freilassung des portugiesischen Prinzen Eduard. Die Briefe d'Avaux' und Serviens dokumentieren den inneren Streit der französischen Gesandten, ob man das alte Herzogtum Lothringen wenigstens mit geschleiften Festungen restituieren sollte. Die Münsteraner wie Pariser Positionen ließen sich jedoch nicht mit der weitergehenden Forderung Spaniens vereinbaren, die Festungen intakt zu lassen. La Court berichtete von den Verhandlungen zwischen dem Kaiser und Schweden. Allen Bemühungen und den bestehenden Allianzvereinbarungen zum Trotz waren die Niederländer nicht mehr von der Unterzeichnung des Friedens mit Spanien am 30. Januar 1648 abzuhalten. Die Einschätzung, dass damit der Ausgleich mit Spanien unmöglich war, veranlasste die Abreise Longuevilles aus Münster am 3. Februar 1648. Mit dem Schreiben dazu am 6. Februar beginnt Band 8 (APW II Β 8) 31 , der mit den Briefen endet, die vom Austausch der Ratifikationsurkunden des niederländisch-spanischen Friedens und seiner feierlichen Beschwörung am 15. Mai 1648 im Ratssaal zu Münster nach Paris berichteten. Die Verhandlungen über die letzten fünf strittigen Punkte im französisch-spanischen Vertragsprojekt wurden nun eingestellt, ebenso das Projekt eines niederländischen Schiedsspruchs. Der Band dokumentiert die Schuldzuweisungen, vor allem aber die Beilegung der großen Konflikte im Reich, vorangetrieben von den friedenswilligen evangelischen und katholischen Reichsständen in Osnabrück bis hin zum Vorabkommen über das Friedens-, Amnestie- und Restitutionsgebot im April 1648. Da Servien die Teilnahme La Courts an den Konferenzen der Schweden und der evangelischen Reichsstände durchsetzte, verfügen wir hier auch über die französische Perspektive. Außerdem unterrichteten die Gesandten Paris über die Einwirkung Frankreichs auf Kurbayern, Kurbrandenburg,
Christiane Neerfeld (Bearb.), Französische Korrespondenzen 1647/48. (APW II Β 7.) [erscheint 2010]. 31 Peter Arnold Heuser (Bearb.), Französische Korrespondenzen 1648. (APW II Β 8.) [erscheint 2011]. 30
Maximilian Lanzinner
Würzburg/Bamberg, Kurmainz, Hessen-Kassel und Kurtrier. Die immer schärfere Auseinandersetzung zwischen d'Avaux und Servien fand mit der Abberufung und Abreise d'Avaux' am 18. April ihr Ende. 3.4. Die Protokolle des Fürstenrats Osnabrück Zu den Sitzungen des Fürstenrats Osnabrück 32 erschienen ab 1998 vier aufeinander folgende Bände, ein fünfter ist im Druck (APW III A 3 / 3 - 6 ; im Druck APW III A 3 / 7 ) . Damit decken die Bände alle Sitzungen der Jahre 1646-1648 ab. 33 In Osnabrück verhandelten die protestantischen Reichsstände, zu denen wechselnd katholische Reichsstände hinzukamen (Österreich, Bayern, Pfalz-Neuburg, Salzburg, Würzburg, Bamberg, Basel, Münster, Freising, Trient, Brixen, Konstanz, Corvey, Prüm, Kempten). Die Sitzungen werden in den Bänden lückenlos durch Protokolle dokumentiert; als Druckvorlage wird die jeweils beste Protokollüberlieferung gewählt. Demgemäß ist der Leittext in den Teilbänden 3 (APW III A 3 / 3 ) und 4 (APW III A 3 / 4 ) , in denen die Sitzungen der Jahre 1645 bis 1647 enthalten sind, das offiziöse Gemeinschaftsprotokoll mehrerer evangelischer Gesandtschaftssekretäre. Sie waren, um die Mitschrift zu erstellen, neben den Gesandten zu den Sitzungen zugelassen. Die ausgearbeiteten Protokolle wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, durch Diktat vervielfältigt. Protokollserien katholischer Reichsstände, die im Osnabrücker Fürstenrat saßen, sind unvollständig und weniger genau als das evangelische Gemeinschaftsprotokoll. Jedoch wurde ein Gemeinschaftsprotokoll für die Sitzungen im Jahr 1648 nicht mehr erstellt. Textvorlage für die Edition war daher ab Band 5 die sehr ausführliche und zuverlässige Mitschrift Sachsen-Altenburgs. Varianten und Ergänzungen wurden Parallelüberlieferungen entnommen, insbesondere aus den Protokollserien Pfalz-Neuburg, Bamberg, Bayern, Österreich und Würzburg. Außer zu den Plenarsitzungen des Fürstenrats finden sich in den Bänden auch Hinweise und Texteditionen zu den Re- und Correlationen mit den Kurfürsten, Reichsstädten und ihren Kurien, zu den interkurialen Plena und zu den Deputationen, die mit den Kaiserlichen und den Schweden verhandelten. Besonders die Bamberger Überlieferung enthält exakte Mitschriften für die zahlreichen Deputationen. Mit Ausnahme von 17 Protokollen aus den Jahren 1646/47, die Meiern unkommentiert abdruckt, waren die Protokolle des Osnabrücker Fürstenrats bisher nicht publiziert, ebenso nicht die Akten zu den Re- und Correlationen,
Maria-Elisabeth Brunert, Reichsständische Protokolle vom Westfälischen Friedenskongress. Form, Inhalt und Möglichkeiten ihrer Auswertung, in: dies./Maximilian Lanzinner (Hrsg.), Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den Acta Pacis Westphalicae. Münster 2010, 253-315. 32
Die Zeiträume in den vier Bänden sind jeweils: 3.2.-27.4.1646, 7.5.1646-30.9.1647, 6.5.-17.6.1648,18.6.-28.7.1648. Der Band APW III A 3 / 7 wird die letzten Sitzungen vom 29.7.-24.9.1648 aufnehmen.
33
Acta París Westphalicae seit 1998
interkurialen Plena und Deputationen. Diese Akten sind als Ergänzung unverzichtbar, weil ohne ihre Kenntnis die Protokolltexte des Fürstenrats vielfach unverständlich sind. Die Kommentierung, die sich wie in allen APWBänden auf Personen und Sachen bezieht, wurde ab Band 4 (2006) verändert; seither enthält der Sachkommentar knappe Inhaltsangaben der wichtigsten Verhandlungsakten, um die Benutzung zu erleichtern und manche Voten erst verständlich zu machen. Denn die Protokolle und Akten zu den Sitzungen sollten so präsentiert werden, dass der Benutzer alle nötigen Verständnishilfen im Band vorfindet. Die Kommentierung wird intensiver in den Bänden zum Jahr 1648, als der Kampf um den Wortlaut die Beratungen prägte. Ein vorläufiges Personenregister, ein Verzeichnis der Verhandlungsakten und eine Übersicht über die Voten erschließen alle Bände zum Fürstenrat Osnabrück; ein ausführliches Gesamtregister ist erst als abschließender Teilband APW III A 3 / 8 vorgesehen. Band 3 der Fürstenratsprotokolle (APW III A S/3) 3 4 vom 3. Februar bis zum 27. April 1646 umfasst 24 Sitzungen des Fürstenrats, dazu die Re- und Correlation der Kurien. Gegenstand war das reichsständische Bedenken über die Einzelpunkte der Propositionen und Repliken, die von Frankreich, Schweden und vom Kaiser zwischen dem 11. Juni 1645 und dem 7. Januar 1646 vorgelegt wurden. Das Bedenken war von den Reichskurien in Münster am 30. Januar 1646 nach Beratung formuliert worden. Der Teilfürstenrat in Osnabrück berücksichtigte fortgesetzt auch die Haltung der katholischen Fürstengesandten in Münster, außerdem beteiligten sich Vertreter der Katholiken an den Sitzungen. So führte Österreich in Osnabrück das Direktorium, als katholische Reichsstände waren regelmäßig Bayern, Würzburg und Basel, bei zwei Sitzungen (17.4. und 19.4.) weitere sieben katholische Reichsstände vertreten. Verhandelt wurde über die Sicherung des Friedens, den Einschluss Spaniens in den Frieden, die Satisfaktion Schwedens, Amnestie, Restitution der Kurpfalz sowie über die Reichsverfassung (kaiserliche Reservatrechte, Königswahl, lus belli ac pacis, lus foederis, Erbverbrüderungen und -einungen). Ab dem 7. Mai 1646 trat der Osnabrücker Fürstenrat nicht mehr regelmäßig zusammen. Band 4 (APW III A 3/4) 3 5 ediert bis zum 30. September 1647 insgesamt 22 Sitzungen, ferner den Abgleich der Voten mit dem Fürstenrat Münster und den übrigen Reichskurien. Auf der Tagesordnung standen einerseits allgemeine Fragen des Friedens, die französische Territorialsatisfaktion und die pfälzische Restitution, speziell die rechtlichen und politischen Implikationen einer achten Kur, andererseits spezielle Gravamina zum Reichskammergericht. Erhebliche Beratungszeit beanspruchten wie schon bei
Maria-Elisabeth Brunert/Klaus Rosen (Bearb.), Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 3. Teil: 1646. (APW III A 3/3.) Münster 2001. 35 Maria-Elisabeth Brunert (Bearb.), Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 4. Teil: 1646-1647. (APW III A 3/4.) Münster 2006. 34
Maximilian Lanzinner
Reichstagen zuvor der Unterhalt und die Sicherheit des Reichskammergerichts, die Klagen über ausstehende Kammerzieler, der Rechtsstatus des Gerichtspersonals, weiterhin die Beschwerden der Stadt Basel und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Missachtung ihrer Exemtion. Nach dem 30. September 1647 folgte eine Beratungspause von sieben Monaten. Ab dem 6. Mai 1648, mit dem auch Band 5 (APW III A 3/5) 3 6 einsetzt, der bis zum 17. Juni reicht, beriet das Osnabrücker Gremium nahezu kontinuierlich bis zur letzten Sitzung überhaupt am 24. September 1648. Die insgesamt drei Bände (APW III A 3/5-7) zu dieser Verhandlungsperiode erfassen die Beratungen der Reichsstände in Osnabrück im Ganzen, obschon die Protokolle des dortigen Fürstenrats Kern der Edition bleiben. Denn die Reichsstände bildeten jetzt in Osnabrück drei gemischtkonfessionelle Kurien, deren Zusammensetzung in etwa gleich blieb. Auch diese Bände integrieren die kurialen Ausgleichsverhandlungen. Bei Kurmainz lag das Reichsdirektorium, bei Österreich oder Salzburg und bei Straßburg das Direktorium des Fürstenbeziehungsweise Städterats. Die Kurien blieben getrennt, aber entschieden gemeinsam, ohne noch die in Münster verbliebenen Reichsstände zu beachten. Die Ergebnisse wurden in den knapp fünf Monaten ab Mai 1648 mehr als zuvor von den Kaiserlichen und den Schweden beachtet; die Osnabrücker reichsständischen Gesandten einigten sich nahezu bilateral mit Schweden auf die Satisfaktionssumme von fünf Millionen Reichstalern. Die Sitzungen vom 18. Juni bis zum 28. Juli 1648 in Band 6 (APW III A 3/6) 3 7 behandelten erstens die Modalitäten der schwedischen Militärsatisfaktion, zweitens die Amnestie und Restitution in den kaiserlichen Erblanden, drittens die Direktiven für den Vollzug des Friedens. Die Reichsstände, maßgebend die Kurfürsten und der Osnabrücker Fürstenrat, beschleunigten jetzt die kaiserlich-schwedischen Verhandlungen durch direkte Kontakte und Vorschläge für Vertragstexte. Bis zum 10. Juli rangen die Reichsstände mit Schweden um die Modalitäten, wie die bewilligten fünf Millionen Reichstaler zu entrichten waren. Nach der Einigung darüber nahmen die Schweden ab Mitte Juli die Konferenzen mit den Kaiserlichen wieder auf, um den Friedensvertrag zu kollationieren; erneut moderierten reichsständische Delegierte, vor allem mit Textfassungen zum Artikel IV, 53 IPO (erbländische Satisfaktion) und zu den beiden letzten Artikeln des IPO (Vollzug und Sicherung des Friedens). Der Schlussband (APW III A 3/7) 3 8 umfasst 30 Sitzungen vom 29. Juli bis zum 24. September 1648, die letzte nicht mehr in Osnabrück, sondern in Münster.
Dies. (Bearb.), Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 5. Teil: Mai-Juni 1648. (APW III A 3/5). Münster 2006. 37 Dies. (Bearb.), Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 6. Teil: Juni-Juli 1648 (APW III A 3/6). Münster 2009. 38 Dies. (Bearb.), Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 7. Teil: Juli-September 1648. (APW III A 3/7.) Münster 2010.
36
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
Zum IPO wurden die Militärsatisfaktionen, die Ernennung der Exekutionskoirtmissare und die Unterfertigung durch Deputierte der Reichsstände oder durch alle Gesandte behandelt, außerdem wie die Ratifikation durch Schweden und die Reichsstände durchzuführen war; zum IPM fielen Entscheidungen über die Exemtion Basels und der Eidgenossenschaft, über die Assistenz des Kaisers für Spanien; ebenso wurde der reichsrechtliche Status des Burgundischen Reichskreises und Lothringens entschieden, ferner die Zugehörigkeit von Metz, Toul und Verdun und der Herrschaftsraum Frankreichs im Eisass (einschließlich der Frage, ob Frankreich Reichsstand werden sollte). Eine Abstimmung mit den in Münster verbliebenen katholischen Reichsständen wurde nicht mehr gesucht. 3.5. Verträge, Verhandlungsakten Die Serie III Abteilung B, also die Verhandlungsakten, wurde mit dem Band zu den Verträgen selbst erst spät (1998) in Angriff genommen. Die Verträge sind ja genau genommen keine „Verhandlungsakten", sondern das Ergebnis des Kongresses. Was heißt Verhandlungsakten? Gemeint sind erstens Akten, die als Ausgangspunkte, Vorlagen oder Ergebnis der verzweigten Verhandlungen entstanden, ob bei den Hauptmächten, den Mediatoren oder den Kurien und Corpora des Reichs, zweitens Dokumente aus der Zeit vor dem Kongress, die als Belege für die rechtlichen und politischen Bewertungen herangezogen wurden. Zu den Verhandlungsakten gehören also die Propositionen, Repliken und Dupliken, ferner die Gesamtentwürfe für beide Verträge und die Vorabkommen, aber ebenso ältere Urkunden, Gravamina, Gutachten oder aktuelle Textvorschläge und -entwürfe, Bedenken, Conclusa, Reichskammergerichts- oder -matrikularakten, Schreiben, Mandate und so weiter. Gegenwärtig sind circa 1 400 solcher Verhandlungsakten verzeichnet. Jedoch dürften es mehr als 1 500 werden, wenn alle bis zur Unterzeichnung der Verträge erfasst sind. Denn die Verhandlungsakten sind in keiner Überlieferung schon von den Zeitgenossen auch nur annähernd vollständig oder zuverlässig gesammelt worden. Sie müssen für die Edition aus dem Verhandlungsverlauf heraus erschlossen werden. Hinweise sind den Korrespondenzen zu entnehmen, besonders der kaiserlichen Korrespondenz; Ergänzungen liefern die französischen Korrespondenzen und die Fürstenratsprotokolle. Der erste Band (APW III Β l / l ) 3 9 in der Abteilung der Verträge und Verhandlungsakten ediert erstmals kritisch die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Eingearbeitet sind alle überlieferten Unterhändlerurkunden, Ratifikationen und Nebenurkunden, insgesamt 309 Texte. Die Nebenurkunden enthalten die Abmachungen, mit deren Hilfe Frankreich seine Territorialsatisfaktionen absicherte, um die fehlende Zustimmung Spaniens zu kompensie-
Antje Oschmann (Bearb.), Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 1. Teil: Urkunden. (APW III Β 1/1.) Münster 1998.
39
Maximilian Lanzinner
ren. Die Einleitung rekonstruiert die Texterstellung, ferner die Umstände der Unterzeichnung, Publikation und Ratifikation der Friedens Verträge. Dem Textband folgte ein Materialienband in zwei Teilen, der erstens rezeptionsgeschichtliche Forschungen und zweitens die inhaltliche Erschließung der Friedensinstrumente unterstützen soll. Der Teilband zur Rezeption (APW III Β 1/2) 4 0 beschreibt bibliographisch 75 deutsche und lateinische Drucke der Vertragstexte aus den Jahren 1648 und 1649 (mehr als im VD 17). Die weiteren 306 ermittelten Nachdrucke im Zeitraum von 1650 bis 1998 41 fallen zu 80 Prozent in die Ära des Alten Reiches bis 1800; nach 1945 wurden die beiden Texte noch 14 beziehungsweise 13 Mal publiziert. Der Erschließungsband (APW III Β 1/3) 4 2 bietet den synoptischen Abdruck „offiziöser" Ausgaben in Deutsch, Latein und Französisch. Beabsichtigt ist mit der Synopse nicht der Textvergleich an sich, sondern die Präsentation des lateinischen Textes und der Übersetzungen, wie sie in der europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Die mehrspaltige Gegenüberstellung Artikel für Artikel erleichtert die Detailanalyse. Die „Inhaltsbestimmungen" zu den Artikeln geben einen Leitfaden für die Einzelpunkte des Friedens. Das „Glossar", eine Art dreisprachiges Wörterbuch der Friedensverträge, ist eine unentbehrliche Hilfe für vertiefende Begriffs- und Sprachuntersuchungen, ob zu Verfassung, Völkerrecht, Politik oder Lebensverhältnissen. Die 2079 auf Druckseiten gebotenen Lemmata sind eine stark reduzierte Fassung des „Glossars", das in einer CD-Rom, die dem Band beiliegt, den gesamten Wortbestand enthält. Insgesamt handelt es sich um ein Wörterbuch zum Westfälischen Friedenskongress, das jede Forschung zum Kongress unterstützen kann. 4. Editionsangebot der APW nach dem Auslaufen der Förderung durch die Union der Akademien Welches Editionsangebot hat die Geschichtswissenschaft von den APW zu erwarten, wenn die Förderung durch die Union der Akademien 2010/11 endet? Werden die laufenden Arbeiten abgeschlossen und alle Bände zum Druck gebracht, sind die drei großen Korrespondenzserien des Kaisers, Schwedens und Frankreichs in 24 Bänden vollständig ediert. In diesen Bänden zu den Hauptverhandlungsmächten und Vertragschließenden sind neben den Korrespondenzen auch andere Akten enthalten. Sie bieten die Texte, die den Weg zum Frieden begleiteten und Detailforschungen bis hin zur Genese vieler einzelner Artikel ermöglichen, obgleich dazu ebenso Protokolle und Diarien heranzuziehen sind. Die Guido Braun/Antje Oschmann/Konrad Repgen (Bearb.), Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 2. Teil: Materialien zur Rezeption. (APW III Β 1/2.) Münster 2007. 4 1 171 Nachdrucke für das Instrumentum Pacis Osnabrugensis, 135 für das Instrumentum Pacis Monasteriensis. 42 Antje Oschmann (Bearb.), Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 3. Teil: Materialien zur Erschließung und Register. (APW III Β 1/3.) Münster 2007. 40
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
Korrespondenzen erlauben weiterhin kommunikationsgeschichtliche und mikropolitische, kirchen- oder rechtshistorische Studien. Vor allem aber sind sie bleibende Textgrundlage für ein Schlüsselereignis der europäischen Geschichte. Es ist ein Spezifikum der Acta Pacis Westphalicae, dass sie Quellen aus den Beständen mehrerer europäischer Mächte im großen Stil zusammenführt, während ansonsten nicht nur in Deutschland rein nationalhistorische Editionen üblich waren. Mit den kaiserlichen, schwedischen und französischen Korrespondenzen ist das zentrale Anliegen des Unternehmens, die europäische Politik zu dokumentieren, grundsätzlich erreicht worden. Bis zum Abschluss der Förderung dürften auch alle Bände zum Fürstenrat Osnabrück vorliegen, so dass die Protokollserie derjenigen Kurie zur Verfügung steht, die neben dem Kurfürstenrat die Entscheidungen zur Reichsverfassung und zum Reichsreligionsrecht in letzter Instanz beeinflusste. Der Fürstenrat Osnabrück ermöglicht auch insofern bereits eine Übersicht über die reichsständische Situation, als bei seinen Sitzungen neben den evangelischen stets zugleich katholische Reichsstände zugegen waren. Außerdem enthalten die Bände Material zu den Re- und Correlationen, vor allem mit dem Kurfürstenrat. Damit werden 2011/12 vier Abteilungen den gesamten Zeitraum von 1643 bis 1648/1649 umspannen; sie erlauben, den Verhandlungsgang im Ganzen zu überblicken. Dabei bieten die drei Abteilungen der Korrespondenzen des Kaisers, Frankreichs und Schwedens die europäische Perspektive, die Protokolle des Fürstenrats die reichspolitische Perspektive. In den Jahren des Beginns um 1960 freilich wurde mehr geplant, waren weitere Korrespondenzund weitere Protokollabteilungen vorgesehen. Wie ist, gemessen daran, der Stand der Arbeiten in den drei Serien der Instruktionen, Korrespondenzen und der übrigen Quellengruppen? Für Serie I, die Instruktionen, waren drei Bände geplant; zu den Hauptverhandlungsmächten, die die Verträge schlossen, dann zu Spanien, den Generalstaaten, dem Papst und Venedig, schließlich zu ausgewählten Reichsständen. Erschienen ist als erster Band der Acta überhaupt 1962 der Band zu Frankreich, Schweden und dem Kaiser, mehr nicht. Dennoch sollte man die Instruktionen nicht als Torso sehen. Denn eben auch in der Serie II, bei den Korrespondenzen, beschränkte sich die Edition auf die drei Vertragschließenden. Alle anderen am Beginn noch projektierten Vorhaben zu beteiligten europäischen Mächten unterblieben aus guten Gründen. Von Anfang an war ohnehin nicht an eine Bearbeitung der ausufernden reichsständischen Korrespondenzen gedacht, wohl aber der spanischen, niederländischen und italienischen. Wie ein Versuch, der Bandentwurf zum spanischen Briefwechsel zeigte, konnten die weiteren Mächte, die Mediatoren und Interpositoren nicht bewältigt werden, wollte man den hohen Standard der Editionen beibehalten. Weniger abgerundet als Serie II, die immerhin die für den Verhandlungsgang entscheidenden Korrespondenzen vollständig vorlegen kann, präsentiert sich
Maximilian Lanzinner
die Serie III mit den übrigen Quellengruppen. Deren Konzeption war freilich immer offen mit ihren Abteilungen Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien und Varia. Die überlieferten Protokolle dokumentieren die Beratungen von sechs Gremien: Kurfürstenrat, Fürstenrat Münster, Fürstenrat Osnabrück, Städterat Osnabrück, Corpus Catholicorum, Corpus Evangelicorum. Zum Kurfürstenrat und zum Corpus Catholicorum wurde bis 1975 je ein Band erarbeitet. Danach verlagerte sich die Protokolledition ganz auf den Fürstenrat Osnabrück, um hier einen Abschluss zu erreichen. Selbst wenn dies gelingt, wird die Ebene des Reichs schwächer dokumentiert sein als die europäische Ebene. Die Lücke bei den konfessionellen Corpora verweist auf das wesentliche Desideratum: das Reichsreligionsrecht. Dazu, aber darüber hinaus zu einer großen Breite von Forschungsanliegen, böten auch zahlreiche nicht publizierte Diarien eine Materialgrundlage. Sie wurden verfilmt und liegen nahezu vollständig bereits in Transkription vor. An dieser Stelle öffnet sich die Perspektive über 2011/2012 hinaus. Der Teilabschluss der Acta Pacis Westphalicae, der jetzt skizziert wurde, lässt Erweiterungen in mehrere Richtungen zu, wann immer die Geschichtswissenschaft und Mittelgeber dies wünschen. Gewiss wären die Protokolle der reichsständischen Gremien vordringlich, wären weitere Korrespondenzeditionen zum europäischen Geschehen wünschenswert, auch Diarien, um die Diplomatie vor Ort besser zu überblicken. Editionen dazu könnten gewissermaßen als neue Module angegliedert werden. An die vorliegenden Editionsserien ließen sich aber auch Dokumentationen zur bildhaften Repräsentation des Kongresses oder zur Publizistik anfügen. Die nun gefertigten Bände jedenfalls bieten der künftigen Forschung im Kernbereich der Überlieferung Textsicherheit für ein herausragendes Ereignis der europäischen Geschichte.
Acta Pacts Westphalicae seit 1998
Bandübersicht der Acta Pacis Westphalicae Serie I: Instruktionen Bd. 1
1962
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
Fritz Diekmann, Kriemhild Goronzy, Emil Schieche, Hans Wagner und Ernst Manfred Wermter
FrankreichSchweden-Kaiser.
Serie II: Korrespondenzen Bd.
Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
1
1969
Wilhelm Engels unter Mithilfe von Elfrie- 1643-1644 de Merla
2
1976
Wilhelm Engels. Mit einem Nachtrag von 1644-1645 Karsten Ruppert
3
1985
Karsten Ruppert
4
2001
Hubert Salm und Brigitte Wübbeke-Pflü- 1646 ger unter Benutzung der Vorarbeiten von Wilhelm Engels, Manfred Klett und Antje Oschmann
5
1645-1646
1993
Antje Oschmann
1646-1647
6/1-2 2010
Antje Oschmann
1647
7
2008
Andreas Hausmann
1647-1648
8
2008
Sebastian Schmitt
Februar-Mai 1648
9
2010
Stefanie Fraedrich-Nowag
Mai-August 1648
10
in Bearb.
Dorothée Goetze
September 1648Februar 1649
Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen Bd.
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
1
1979
Ursula Irsigler unter Benutzung der Vor- 1644 arbeiten von Kriemhild Goronzy
2
1986
Franz Bosbach unter Benutzung der Vor- 1645 arbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen
3/1-2 1999
Elke Jarnut (+) und Rita Bohlen mit einer 1645-1646 Einleitung und einem Anhang von Franz Bosbach unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy
4
Clivia Kelch-Rade und Anuschka Tischer 1646 unter Mithilfe von Michael Rohrschnei-
1999
Maximilian
Lanzinner
der und unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy 5/1-2 2002
Guido Braun unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und Achim Tröster unter Mithilfe von Antje Oschmann am Register
1646-1647
6
2004
Michael Rohrschneider unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen
1647
7
2010
Christiane Neerfeld
November 1647Februar1648
8
2010
Peter Arnold Heuser
Februar-Mai 1648
9
in Martina Wagner Bearb.
Mai-August 1648
10
in Peter Arnold Heuser und Christiane Bearb. Neerfeld
August 1648Februar1649
Abteilung C: Die schwedischen Korrespondenzen Bd.
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
1
1965
Ernst Manfred Wermter
1643-1645
2
1971
Wilhelm Kohl
1645-1646
3
1975
Gottfried Lorenz
1646-1647
Wilhelm Kohl unter Mitarbeit von Paul Nachtsheim
1647-1649
4/1-2 1994
Serie III: Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia kolle
Abteilung A: Proto-
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
Winfried Becker
Die Beratungen der kurfürstlichen Kurie. 1. Teil: 16451647
3/1-2 1998
Maria-Elisabeth Brunert
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 1. Teil: 1645. 2. Teil: 16451646
3/3
Maria-Elisabeth Brunert und Klaus Rosen
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 3. Teil: 1646
Bd.
1/1
1975
2001
Acta Pacts Westphalicae seit 1998 3/4
2006
Maria-Elisabeth Brunert
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 4. Teil: 1646/1647
3/5
2006
Maria-Elisabeth Brunert
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 5. Teil: 1648 M a i - J u n i
3/6
2009
Maria-Elisabeth Brunert
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 6. Teil: 1648 Juni-Juli
3/7
in
Maria-Elisabeth Brunert
Bearb.
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 7. Teil: 1648 Juli-September
4/1
1970
Fritz Wolff unter Mitwirkung von Hild-
Die Beratungen der
burg Schmidt-von Essen
katholischen Stände. 1. Teil: 1645-1647
1981
Günter Buchstab
Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück 1645-1649
Abteilung B: Verhandlungsakten Bd. 1/1
1998
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
Antje Oschmann
Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 1. Teil: Urkunden
1/2
2007
Guido Braun, Antje Oschmann und Kon- Die Friedensverträge mit Frankreich rad Repgen und Schweden. 2. Teil: Materialien zur Rezeption
1/3
2007
Antje Oschmann
Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 3. Teil: Materialien zur Erschließung. Register
Maximilian Lanzinner
Abteilung C: Diarien Bd. 1/1
1984
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
Konrad Repgen
Diarium Chigi 16391651.1. Teil: Text
2/1-3 1984 1993
Joachim F. Foerster und Roswitha Philip- Diarium Volmar 1643-1649.1. und 2. pe bzw. Joachim F. Foerster und Antje Teil: Text. 3. Teil: Oschmann Register
3/1-2 1987 1988
Joachim F. Foerster
Diarium Wartenberg 1644-1648 1. Teil: 1644-1646 2. Teil: 1647-1648
4
Herta Hageneder
Diarium Lamberg 1645-1649
1986
Abteilung D: Varia Bd. 1
1964
Bearbeiter
Titel/Zeitraum
Helmut Lahrkamp
Stadtmünsterische Akten und Vermischtes [16411653]
Friedensverträge der Vormoderne
Martin Peters Europäische Friedensverträge der Vormoderne online (1450-1789). Ein Projektbericht 1. Einführung Europäische Friedensverträge der Frühen Neuzeit sind ein historisches Erbe Europas. Schon bis ins 17. Jahrhundert reicht die Tradition zurück, Friedensverträge dieses Zeitraums zu erschließen und zu edieren. Besonders in den Disziplinen Geschichte, Völkerrecht und Politik wurde auf Friedensverträge als Quellengrundlage zurückgegriffen. Bis heute nutzt die Forschung Sammlungen wie zum Beispiel die von Frédéric Léonard (1624-1711), Thomas Rymer (1641-1713), Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716), Jacques Bernard (1658-1718), Georg Friedrich von Martens (1756-1821), Clive Parry (1917-1982) und allen voran Jean Dumont (16661727).1 Doch bieten diese würdevollen Arbeiten, die zumeist im Auftrag eines Souveräns oder im Rahmen gelehrter Studien entstanden, häufig nur einen Ausschnitt, sei es, dass eine bestimmte nationale Perspektive eingenommen, oder sei es, dass die Auswahl der Verträge durch den Westfälischen Friedenskongress von 1648 bestimmt wurde. Eine an Europa orientierte und den Zeitraum 1450-1789 abdeckende Friedensvertragssammlung existiert bislang noch nicht.2 2. Umfang und Definition Während einer knapp vierjährigen Förderdauer zwischen den Jahren 2005 und 2009/10 wurde im Rahmen des DFGgeförderten Projektes „Europäische Friedensverträge der Vormoderne - online" am Institut für Europäische Geschichte, Mainz, unter der Leitung seines Direktors, Heinz Duchhardt, eine Datenbank mit circa 1 800 europäischen Friedensverträgen der Jahre 1450 bis 1789 aufgebaut.3 Die Koordination und Umsetzung lag in den Händen von Martin Peters. Präsentiert werden Verträge, die zwischen den europäischen Dynastien und Gemeinwesen im genannten Zeitraum abgeschlossen wurden. Auch die osmanischen Verträge sind in diesem Corpus berücksichtigt. Nicht aufgenommen wurden Religionsfrieden und Friedensverträge zwischen deutschen Fürsten sowie Friedensverträge, die zwischen europäischen Mächten und Kolonialreichen unterzeichnet wur-
1 Die einschlägigen Friedensvertragssammlungen sind aufgeführt in: Denys Peter Myers, Manual of Collections of Treaties and of Collections Relating to Treaties. Cambridge 1922; und Dietrich Heinrich Ludwig von Ompteda, Litteratur des gesammten sowohl natürlichen als positiven Völkerrechts. 2 Bände. Regensburg 1785. 2 Über die Verortung des Mainzer Projekts vergleiche Heinz Duchhardt, Einführung. [http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php?site=site.htm&dir=&nav=102; eingesehen am 23.09.2009]. 3 Stand September 2009.
Martin Peters
den. 4 Diese Ausschlüsse mussten angesichts der Kapazitäten und Ressourcen, die zur Verfügung standen, vorgenommen werden. Nach der „Philosophie" des von dem Mainzer Frühneuzeithistorikers Hermann Weber Mitte der 1990er Jahre initiierten Projektes werden als Friedensverträge interdynastische und zwischenstaatliche Verträge gerechnet, die entweder Konflikte beendeten oder Frieden stabilisierten. Sofern diese beiden Aspekte im Vertragstext deutlich werden, zählen auch Handels-, Heirats-, Grenz- und Familienverträge hinzu. Ebenso werden Waffenstillstände und Präliminarverträge unter dem Begriff Friedensverträge subsumiert. Neben der aufwändigen Recherche in den projektrelevanten europäischen National-, Staats- und Landesarchiven 5 und neben der kostspieligen Digitalisierung der Verträge, von dem damit verbundenen zeitintensiven Bildqualitäts- und Rechtemanagement einmal abgesehen, hat sich die Projektgruppe 6 einer ganzen Reihe weiterer Aktivitäten gewidmet, von denen hier folgende gesondert vorgestellt werden sollen: 1. Onlinepräsentation der Verträge, 2. Suchfunktion und Thesaurus, 3. Forschungen und Publikationsportal, 4. Themenportale (historicum.net), 5. Vernetzung mit anderen Datenbanken. 2.1. Onlinepräsentation der Verträge Ziel des Vorhabens war es 1 500 Friedensverträge - möglichst Unterhändlerausfertigungen 7 - zur kostenlosen Nutzung online zu präsentieren. Auf Ratifikationen oder Kopien wurde nur dann zurückgegriffen, wenn Unterhändlerausfertigungen nicht überliefert sind. Die Verträge, die teils bereits auf Mikrofilm vorlagen oder eigens verfilmt wurden, wurden sowohl im Format jpeg wie auch im Format tiff digitalisiert. Die jpeg-Dateien wurden in die Datenbank eingespeist; die tiff-Dateien zur Archivierung auf CD-ROM verwendet. Zudem wurden Editionen und Transkriptionen von einzelnen Verträgen angefertigt, um die Volltextsuche zu ermöglichen. Die einzelnen Verträge wurden mit verschiedenen Informationsangeboten bestückt, die in den sogenannten Kopfdaten „Ausfertigungen", „Transkrip-
Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hrsg.), [http://www.ieg-mainz.de/friedensvertraege; eingesehen am 16.09.2009]. 5 Eine Liste der Archive vgl. [http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php7site =site.htm&dir=&nav=96; eingesehn am 23.09.2009]. 6 Die Projektgruppe umfasst den Projektleiter Heinz Duchhardt, den Koordinator und Sprecher Martin Peters sowie die nach Teilbereichen strukturierten Handschriftenbearbeiterinnen Bengt Büttner (Dänemark, Schweden, England), Peter Seelmann (Italien, Habsburg, Schweiz), Andrea Schmidt-Rösler (Deutsche Reichsstände, Polen, Siebenbürgen) und Andrea Weindl (Spanien, Frankreich, Portugal). 4
Waren Unterhändlerausfertigungen nicht überliefert, wurden Ratifikationen verwendet. Sollten auch diese nicht aufzufinden gewesen sein, wurden Abschriften aufgenommen. Die Unterhändlerausfertigung bestimmt Datum und Ort des Friedensvertrages, vergleiche u.a. Ludwig Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden. Stuttgart u.a. 1924, besonders 6,175,176-184. 7
Friedensverträge
der
Vormoderne
tion", „Edition", „Inhalt", „Kommentar", „Kontext" und „Literatur" präsentiert werden. Die Rubrik „Ausfertigungen" nennt den Standort des Friedensvertrages (Archiv, Signatur) und listet gegebenenfalls weitere Überlieferungen auf. Unter „Transkription" kann der nach spezifischen Regularien transkribierte Vertragstext aufgerufen werden. Mittels der Mouse-over-Technik lässt sich der Text auch direkt über dem handschriftlichen Digitalisât platzieren, so dass der Vergleich des handschriftlichen mit dem transkribierten Text erleichtert wird. Wenn der Button „Edition" angeklickt wird, erscheint die - ebenfalls nach bestimmten Richtlinien vorgenommene - Edition des Vertrages. Unter „Inhalt" verbirgt sich ein „Inhaltsverzeichnis" vom Vertrag und unter „Kommentar" eine knappe Beurteilung und inhaltliche Einordnung. Das Fenster „Kontext" enthält eine Chronologie zur zeitlichen Einordnung des Friedens Vertrages. Einen Mehrwert gegenüber Print-Editionen stellt die multimediale Ausrichtung von Onlineprojekten dar. Im Rahmen unseres Vorhabens haben wir uns auf die Erstellung von Karten konzentriert. Unterstützt von Andreas Kunz (IEG Mainz), der das IEG-Projekt „IEG-Maps" leitet, wurden auf der von Kunz zur Verfügung gestellten vektorbasierten Grundgeometrien Karten digitalisiert, die die geographische Situation Europas vor und nach ausgewählten Friedensschlüssen visualisieren. Detailkarten bilden die im Friedensvertrag vereinbarten territorialen Veränderungen ab. Zeigen die Europakarten den durch die optische Gestaltung hervorgerufenen analytischen Gehalt multimedialer Ressourcen („iconic turn"), ist hingegen die Einbindung von Friedensvertragskonzerten eher als Testphase zu verstehen. Bekanntlich wurden im Rahmen von Friedensfeierlichkeiten eigens Konzerte komponiert. Die Mainzer Datenbank bietet Passagen von Johann Stobaeus „Dankt Gott an allen Enden (Preußisches Alleluja)" zum Waffenstillstand von Stuhmsdorf (1635IX 12) an und auch Sigmund T. Stadens „Musicalische Friedensgesänge" zum Friedensrezess von Nürnberg (1650 VI 26). 2.2. Suchfunktion und Thesaurus Eine besondere konzeptionelle und technische Herausforderung ist die Suchmaske. Die Optionen und Hilfestellungen, einen gesuchten Friedensvertrag zu finden, sind sehr vielfältig. Gesucht werden kann zunächst nach dem Datum des Vertrages. Wenn der Nutzer jedoch das präzise Datum des Vertrages nicht kennt, kann er sich auch alle Verträge aufrufen lassen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen wurden. Die Eckdaten (von/bis) kann der Nutzer frei auswählen. Darüber hinaus bietet die Suchmaske noch weitere Möglichkeiten an, fündig zu werden. Es ist zum Beispiel möglich, einen Friedensvertrag nach dem Ort zu finden, an dem der Vertrag abgeschlossen wurde. So können sämtliche Friedensverträge aufgerufen und aufgelistet werden, die zum Beispiel in Den Haag oder Paris im oben genannten Zeitraum vereinbart wurden. Schließlich ist es möglich, Friedensverträge nach Vertragspartnern zu finden. So kann sich ein Nutzer - um nur ein Beispiel zu geben - über alle Schweizer Friedensverträge informieren. Er kann seine Suche sogar dahingehend eingren-
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zen, dass er sich alle Schweizer Friedensverträge, die mit Frankreich abgeschlossen wurden, anzeigen lässt. Bis zu drei Vertragspartner können in der Suchmaske bestimmt werden. Die Frage der Vertragspartner leitet zu einer weiteren technischen Option über - dem Thesaurus. Wird nämlich beispielsweise in die Suchmaske Schweiz eingegeben, erhält der Nutzer zunächst keine Trefferliste, sondern wird um eine Spezifizierung gebeten. Der Thesaurus berücksichtigt soweit möglich die politische und rechtliche Struktur eines frühneuzeitlichen Gemeinwesens. So wird am Beispiel der Schweiz unterschieden in Fürstentum Basel, Biel, Fürstentum Chur, Eidgenossenschaft, Genf, Graubünden, Fürstentum Konstanz, Stadt Konstanz, Mühlhausen und so weiter. Die Eidgenossenschaft wiederum wird untergliedert in Appenzell, Basel, Bern, Freiburg, Glarus, Luzem, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Unterwaiden Nidwaiden, Unterwaiden Obwalden, Uri, Zug und Zürich. Italien und Deutschland sind als Vertragspartner nicht aufgeführt, wohl aber die einzelnen italienischen (Stadt-)Staaten, Republiken bzw. der Kaiser, das Reich, die Reichsfürsten sowie die einzelnen Territorien. Es lassen sich auch sämtliche in der Datenbank präsentierten Friedensverträge durch Klicken der Suchfunktion aufführen. Darüber hinaus bietet die Mainzer Datenbank eine Volltextsuche an. Gerade dieses Instrument zeigt sich gegenüber Personen- und Sachregistern, wie sie in Printmedien verwendet werden, im Vorteil. Der Nutzer kann nämlich nach jedem beliebigen Begriffen und Metaphern - man denke an „Europa", „Gleichgewicht", „Territorium", „Land und Leute" oder auch „Missverstand" - suchen und sich so über ihre Erwähnung im Vertragstext informieren. Da jedoch die Volltextsuche nicht in der Lage ist, Digitalisate zu durchsuchen, können nur die transkribierten und edierten Verträge von der Volltextsuche erreicht werden. 2.3. Forschungen und Publikationsportal Neben dem Aufbau der Datenbank haben Projektleiter und -mitarbeiter auch einzelne projektrelevante Themen ausgewertet und ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht. Im Jahre 2005 wurde das Arbeitsgespräch „Kalkül - Transfer - Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne" an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel unter der Leitung von Heinz Duchhardt und Martin Peters durchgeführt, das im Rahmen der ein Jahr darauf geschaffenen Institutsreihe „Beihefte online" als Beiheft 1 publiziert wurde. 8 Die Tagung beschäftigte sich mit Fragen des politischen Kalküls, der Bedeutung von Symbolen und interdynastischem
Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hrsg.), Kalkül - Transfer - Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1.) [http://www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/012006.html; eingesehen am 23.09.2009]. 8
Friedensverträge der Vormoderne
und zwischenstaatlichem Austausch im vormodernen europäischen Friedensprozess. Waren an dieser Dokumentation nicht nur Projektmitarbeiter beteiligt, sondern auch Wissenschaftler und Experten aus Deutschland und den Niederlanden, wurde der zweite Sammelband „Instrumente des Friedens. Vielfalt und Formen von Friedensverträgen im vormodernen Europa" aus dem Jahr 2008, der ebenfalls in der Reihe „Beihefte online" erschien, ausschließlich von der Projektgruppe getragen. 9 Der Sammelband analysiert die Tradition von völkerrechtlichen Begründungsmetaphern, Schiedssprüchen, Gefangenenaustauschmodalitäten und beschäftigt sich mit vormodernen Friedensverträgen als weitgehend dynastischen Instrumenten der Friedensstiftung. Mit dem Ziel der Bündelung von Studien über vormoderne europäische Friedensverträge wurde zum Jahreswechsel 2008/2009 das Publikationsportal „Europäische Friedensverträge" freigeschaltet.10 Präsentiert werden Forschungsergebnisse von Experten der verschiedensten geisteswissenschaftlichen Disziplinen: Geschichte, Völkerrecht, Politikwissenschaft, Sprachwissenschaft und Kunstgeschichte. Aufsätze und Vortragsmanuskripte werden ebenso veröffentlicht wie Editionen von Friedensverträgen - in besonderen Fällen auch Dissertationen und Magisterarbeiten, ausgeschlossen sind Rezensionen. Die Inhalte, die bearbeitet werden können, umfassen Untersuchungsgegenstände, wie zum Beispiel Frühneuzeitliche Sicherheitspolitik, Völkerrecht, lus Publicum Europaeum, interdynastische und zwischenstaatliche Kooperationen (zum Beispiel Handel, Heiraten), Begründungsmetaphern (zum Beispiel Gleichgewicht), Rezeption von Friedensverträgen in Wissenschaft und Medien und viele weitere. Wie die Mainzer Datenbank ist auch das Publikationsportal mit einer spezifischen Filterfunktion versehen. Die Beiträge können nach verschiedenen Optionen gefunden werden: und zwar nach Epoche, so dass jeder Beitrag, der einen bestimmten Zeitraum behandelt, angezeigt wird; nach Autorin, nach Thema, nach Land, Gattung und Sprache. Die Beiträge, die im Portal veröffentlicht werden, können in jeder Landessprache verfasst sein. Allerdings werden Beiträge in Sprachen, deren Kenntnis nicht vorausgesetzt werden kann, um eine deutsche oder englische Zusammenfassung ergänzt. Derzeit sind bereits 14 Beiträge unterschiedlicher Gattung im Mainzer Publikationsportal veröffentlicht.11
Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hrsg.), Instrumente des Friedens. Vielfalt und Formen von Friedensverträgen im vormodernen Europa. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beihefte- online 3.) [http://www.ieg-mainz.de/viegonline-beihefte/03-2008.html; eingesehen am 23.09.2009]. 9
Publikationsportal Europäische Friedensverträge, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte, Mainz [http://www.ieg-mainz.de/publikationsportal/; eingesehen am 23.09.2009]. ISSN: 1867-9714. Kontakt: Martin Peters, [email protected]. 1 1 Stand August 2009. 10
Martin Peters
2.4. Themenportale (historicum.net) In der Laufzeit des Projektes konnten zwei Themenportale in Kooperation mit dem renommierten Fachportal „historicum.net" realisiert werden. Bei dem einen Themenportal „Europäische Friedensverträge der Vormoderne" handelt es sich um ein mit Abbildungen angereichertes Lexikon, in dem Grundbegriffe der Vertragsgestaltung erläutert werden. 1 2 Das zweite Themenportal behandelt anlässlich seines 350. Jahrestages im Jahre 2008 den Ersten Rheinbund von 1658. 13 Es werden nicht nur relevante Vertragstexte, wie der Rheinbundvertrag vom 14.8.1658 und der über den Beitritt Frankreichs vom 15.8.1658 gezeigt, sondern auch vielfältige relevante andere Informationen angeboten, wie zum Beispiel biographische Skizzen der Akteure und eine umfassende Bibliographie. Unter der Rubrik „Der Rheinbund in Geschichte und Gedächtnis" 1 4 werden spezifische Aspekte des Rheinbundes näher untersucht, so zum Beispiel die Vorgeschichte des Rheinbundes (Anuschka Tischer), die Kaiserwahl (Jurij Ivonin, Ljudmila Ivonina), Schwedens Beteiligung (Bengt Büttner), Spaniens Beziehungen (Andrea Weindl), Brandenburgs Beitritt (Andrea Schmidt-Rösler) und die Rezeption in der deutschen und französischen Historiographie und Geschichtswissenschaft (Martin Peters). 2.5. Vernetzung mit anderen Datenbanken Auch die Vernetzung mit anderen projektrelevanten Onlinedatenbanken ist ein Mehrwert gegenüber Printmedien. Auf diese Weise können schnell und kostengünstig relevante im Netz präsentierte Informationen an die Mainzer Datenbank gekoppelt werden. Friedensverträge, die von anderen Institutionen, wie zum Beispiel der Pariser „Base Choiseul" 1 5 , im Netz präsentiert werden, können auf diese Weise „verlinkt" werden. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit dem Dokumentenarchiv der Universitätsbibliothek Augsburg, das online Geschichtswerke des 16. bis 18. Jahrhunderts kostenfrei zur Verfügung stellt. So konnten die Abbildungen der frühneuzeitlichen Friedensvertragseditionen aus dem „Theatrum Europaeum" 1 6 und dem „Reichs-Archiv" von Lünig 1 7 denen der handschriftlichen Verträge der Mainzer Datenbank zugewiesen werden. Experten können nun die Unterhändlerausfertigung mit der Edition von Lünig und des
1 2 [http://www.historicum.net/themen/friedensvertraege-der-vormoderne/lexikon/; eingesehen am 23.09.2009]. 1 3 [http://www.historicum.net/themen/erster-rheinbund-1658/; eingesehen am 23.09.2009]. Idee und Konzept des Portals gehen zurück auf Peter Seelmann, M.A. 1 4 [http://www.historicum.net/themen/erster-rheinbund-1658/der-rheinbund-ingeschichte-und-gedaechtnis/die-vorgeschichte-des-ersten-rheinbundes-von-1658/; eingesehen am 23.09.2009]. 15 [https://pastel.diplomatie.gouv.fr/choiseul/; eingesehen am 23.09.2009]. 16 [http://www.bibliothek.uni-augsburg.de/dda/urn/uba000236-uba000256/; eingsehen am 23.09.2009]. 17 [http://www.bibliothek.uni-augsburg.de/dda/dr/hist/we_00022-00048/; eingesehen am 23.09.2009].
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„Theatrum Europaeum" vergleichen und Fehler oder Übersetzungsvarianten feststellen. Laien, die nur mit Mühe die Handschriften entziffern, können mit Hilfe der publizierten Verträge den Text einfacher lesen. Zudem kann über eine „Verlinkung" auch auf Friedensverträge zugegriffen werden, die von Jean Dumont ediert wurden und von „gallica2" online angeboten werden.18 3 . Fazit und Ausblick Die Mainzer Datenbank, die einen Umfang von 12 Gigabyte umfasst, wird in Forschung und Lehre benutzt. Nicht nur deutsche und europäische, sondern auch amerikanische und japanische Wissenschaftler arbeiten mit ihr. Sie ist ein offenes System, so dass stets Ergänzungen - etwa neue Friedensverträge oder auch Editionen - nachgearbeitet werden können. Doch sollte nicht verschwiegen werden, dass das Projekt an Grenzen stößt. Die bedeutenden Archive in Wien, Berlin und Rom (Vatikan) erteilten ihre Freigabe zur Präsentation ihrer für das Vorhaben wichtigen Quellenbestände nicht oder knüpften sie an enorme Preisanforderungen. Einen Lichtblick hingegen stellte die Zusammenarbeit namentlich mit Warschau, Stockholm, Kopenhagen, Den Haag, Madrid, Budapest, Turin, Genua, Zürich, Luzern sowie den niedersächsischen, sächsischen, bayerischen und nordrheinwestfälischen Archiven dar. Zudem stießen viele europäische Archive ihrerseits an Grenzen bei der Digitalisierung, entweder weil der Auftrag sehr umfangreich oder weil die technischen Voraussetzungen noch nicht geschaffen waren. In den letzten vier Jahren befanden sich die projektrelevanten Institutionen erst noch in einer Umbruchphase. Dennoch kann konstatiert werden, dass mit der Mainzer Datenbank die Basis zur Verfügung gestellt wird, dass auch Friedensverträge im Rahmen multiperspektivisch akzentuierter Europa- und Friedensforschung19 auf ihren kulturhistorischen Gehalt neu ausgedeutet werden können.
18 19
[http://gallica.bnf.fr/; eingesehen am 23.09.2009]. Heinz Duchhardt, Europa am Vorabend der Moderne 1650-1800. (Handbuch der
Geschichte Europas, Bd. 6.) Stuttgart 2003.
Commemorations
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Renger E. de Bruin/Alexander Jordan Commemorations compared: Münster-Osnabrück (1998) and Utrecht-Rastatt-Baden (201314) 1. Introduction On October 24, 1998 it was not easy to move around in the Westphalian cities of Münster and Osnabrück. The historic centres of both cities were closed off and swarmed by police officers and other security staff due to the arrival of twenty elected and crowned heads of state from all over Europe. They had come to celebrate the 350th anniversary of the Treaty of Westphalia. Invited were also the representatives of the European countries involved in the Peace Negotiations in Münster and Osnabrück that had resulted in the Treaty of Westphalia in 1648, including successor states. Central in the celebration was the opening of the 26. Europaratsausstellung (Council of Europe Exhibition) Ί648, Krieg und Frieden in Europa' (1648, War and Peace in Europe). The venues of this exhibition were two museums and an exhibition hall in Münster and Osnabrück. The whole project, including other events like conferences and concerts, was under the auspices of a commemoration committee, the 'Veranstaltungsgesellschaft 350 Jahre Westfälischer Frieden mbh'. In The Netherlands a similar initiative was taken by a national committee, called 'Nationaal Comité Vrede van Munster'. Six museums participated in a common exhibition project. For the commemoration of another important peace treaty, the Treaty of Utrecht, preparations for the 300th anniversary in 2013 have started some years ago. This commemoration will extend to the two cities that were the stage for the succeeding treaties of Rastatt and Baden in 1714. In this article we intend to compare the commemorations of the two peace treaties that were so crucial in Early Modern Europe. We will focus on the exhibitions and their scholarly background. First we will deal with the triple exhibition in the two Westphalian cities and the series of exhibitions in the Netherlands in the commemoration of the Treaty of Westphalia in 1998. Next, we will sketch the plans being developed for the commemoration of the Treaty of Utrecht. We will focus on the interaction between research and exhibition. In the preparatory stage of the 1998 exhibitions new research was performed on a large scale. This gave peace research in early modern history (Friedensforschung in der Frühen Neuzeit) a strong impetus. This scholarly 'peace movement' is even gaining strength. It is not a coincidence that the conference 'Pax Perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit' was organized in Osnabrück by the Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN) at Osnabrück University, 2324 October 2008, at the 360th anniversary of the Treaty of Westphalia. This article is the elaboration of a presentation held at the conference by one of its
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authors. 1 For the peace treaties of 1713-1714 new research has started already in which the Universities of Utrecht and Osnabrück are involved. We will indicate the role of academic research in the preparations of the exhibitions. An important issue in both the academic research and the exhibition concept is the role of religion. For the Treaty of Westphalia this is quite obvious, but religious conflict is increasingly seen as a crucial factor in the wars that were ended by the peace treaties in 1713-1714. The first author of this paper underlined this element in the exhibition plans at a conference on 'Museums and Faith' in Luxembourg, May 2009. 2 In a volume of conference proceedings, this article is perhaps somewhat strange. Instead of reporting research results, it describes the process of two commemorations of peace treaties giving rise to research themselves. It indicates the role of research in the process and its contribution to the main event in the commemorations: the large international exhibition. However, this reflection on the role of research may emphasize the importance of peace research in the early modern period. 2. Münster and Osnabrück 1 9 9 8 · T h e solemn festivities on 24 October, 1998 crowned a long preparation project. The exhibition Ί648 Krieg und Frieden in Europa' in the Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, the Kulturhistorisches Museum in Osnabrück and the Kunsthalle Dominikanerkirche also in Osnabrück 3 opened that day, was a product of an intensive cooperation between a museum team and academic researchers. From the museum's side Prof. Dr. Klaus Bußmann, director of the Westfälisches Landesmuseum, was in charge of the exhibition. A project team led by Dr. Hermann Arnold, who later succeeded Bußmann as director of the Landesmuseum, collected thousands of objects for the triple exhibition. The close connection between the work of this team and academic research was the concern of an advisory board, the 'Wissenschaftlicher Beirat' headed by Prof. Dr. Heinz Schilling of the Humboldt University in Berlin. In the exhibition concept the advisory board stated two basic assumptions: "Die Ausstellung hat erstens der Vielschichtigkeit des Gegenstandes gerecht zu werden. Dabei sind drei Hauptdimensionen des Krieges und der Friedensschlüsse zu beachten - die deutsche, die europäische und die universalge-
1 Renger E. de Bruin, Commemorations compared: Münster-Osnabrück (1998) and Utrecht-Rastatt (2013), Osnabrück 23.10.2008. In this article we will refer to ourselves in the third person as the first and second author. 2 Renger E. de Bruin, 'Ending Religious Warfare. The Treaty of Utrecht.' Proceedings of the conference 'Museums and Faith'. Luxembourg May 2009 (to be published). 3 1648 - Krieg und Frieden in Europa/1648 - War and Peace in Europe. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Münster. Kulturhistorisches Museum. Osnabrück. Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück, 24 October 1998 - 17 January 1999.
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schichtliche, d.h. allgemeine Manifestationen, die über die konkreten Zusammenhänge der historischen Zeit und des historischen Ortes hinausweisen. Die Ausstellung hat zweitens in angemessener Weise die Bedeutung der mit dem Gedenken gewürdigten historischen Zusammenhänge für die historischpolitische Kultur der Gegenwart zu markieren." 4 The striving for the European dimension of the project was rewarded by the Council of Europe granting it the status of the Art Exhibition of the Council of Europe. Ί648 Krieg und Frieden in Europa' became the 26 th Art Exhibition of the Council of Europe. The European dimension was elaborated in several ways in the choice of objects, in the topics and in the selection of authors writing for the three volume catalogue. 5 The Treaty of Westphalia was clearly put into a European perspective, as a peace for the whole continent ending a long international conflict. The 1 260 objects described in the catalogue were borrowed from 317 listed institutions "und andere[n], die nicht namentlich genannt werden wollten." 6 Of this list 170 lenders came from Germany, the other 147 from 18 countries. Of these countries Sweden, the Netherlands, France, Italy, Austria, Belgium and the Czech Republic were best represented with ten or more lending institutions. Two lending institutions were transatlantic, one in Brazil and one in the USA. The handling of all the transports and couriers was an enormous task for Dr. Arnold and his team. The description of the 1 260 objects covered a complete volume of 498 pages. For the essays two other volumes were needed of 542 pages and 736 pages respectively. The first volume was dedicated to politics, religion, law and society and the second to art and culture. The first volume contained 50 essays divided into six sections: Europa zwischen Krieg und Frieden - zur Einführung; Staatenordnung und Ordnung der Staaten; Um Religion und Glauben; Leben in Krieg und Frieden; Der Weg zum Frieden; Die Friedensverträge und ihre Folgen. Volume two counted 71 essays, also subdivided into six sections: Kunst, Literatur und Musik in Krieg und Frieden - zur Einführung; Die Kunst im Dienst der Politik zwischen Hofkunst, Propaganda und Medium der Konflikte; Kunstzentren, Kunstproduktion und Kunstsammlungen während des Dreißigjährigen Krieges; Krieg und Frieden in der Literatur und der Musik; Krieg und Frieden als Thema der bildenden Kunst; Die Bewertung des Friedens und seiner Wirkungen in der Kunst. Such a catalogue offers a permanent reference for both academic researchers and museums, comparable to the
Heinz Schilling, Konzept zur Planung und Realisierung der historischen Ausstellung "1648 - Krieg und Frieden in Europa. 350 Jahre Westfälischer Friede", Berlin 22.05.1995,
4
1.
Klaus Bußmann /Heinz Schilling (eds.), 1648 - Krieg und Frieden in Europa, 3 vols. Münster 1998. 6 Ibid., vol. 3. Ausstellungskatalog, 484-488.
5
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catalogues of famous exhibitions such as Charlemagne in Aachen (1965) and the Hohenstaufen in Stuttgart (1977). 7 The lasting impact of the three volume Westphalian catalogue was expanded by the publication of a complete translation in English. The results were summarized on a CD-ROM in five languages: German, English, French, Dutch and Swedish. The authors of the three volume catalogue, the exhibition team, the advisory board, the academic board, the international advisors, the members of the commission for the European Council, and all the others who involved hundreds of German and foreign colleagues were thanked "für Rat und Tat, theoretische und praktische Hilfe, Inspiration und Kritik" 8 . Since their number was so large and the presence of many important guests limited the scale of the opening ceremony, the exhibition committee had to offer an alternative: "Since the ceremony on October 24 th is subject to protocol as well as security, it does not permit us to a general opening. It would therefore be a particular honour for us to welcome you to the preview in Münster and Osnabrück respectively." 9 The three shows in the two Westphalian cities were presented as one exhibition with one catalogue, but each venue could be visited in any sequence. Still each had its own line of approach. In the Westfälisches Landesmuseum in Münster themes that have both, art-historical and historical implications, were dealt with using major European works of art from the 17th century. An introduction recalled the historical context. In the Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück, the various aspects of warfare and its development were illustrated within its narrative framework of the actual events. In the Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück, finally, the focus was on the religious tensions that triggered the Thirty Years War. The connection between war and religion was a crucial issue, also in the other two venues. In general the division in topics between the three locations was rather blurred. The combined exhibition had twelve main topics, each divided into several sections. The most spectacular part of the Münster venue and perhaps of the whole exhibition was the section 'Dramatis personae, die Akteure von Krieg und Frieden' presented in the central hall of the Landesmuseum. Large scale portraits of the emperors Ferdinand II and III, and the kings Louis XIII of France, Philip IV of Spain, Christian IV of Denmark and Gustavus II Adolphus of Sweden, as well as of his daughter Queen Christina, represented high politics. The Stadtholder of Holland, Frederick Henry, politicians like Cardinal Richelieu or the duke of Olivares and the popes Urban VIII and Innocentius X
Wolfgang Braunfels (ed.), Karl der Große. Werk und Wirkung. Aachen 1965; Reiner Haussherr, Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur. Austellungskatalog, 4 vols. Stuttgart 1977; Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Götzmann (eds.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806,4 vols. Berlin 2006. 8 Bußmann/Schilling (eds.), 1648 (as in n. 5), 4 8 9 ^ 9 7 . 9 Letter by Prof. Klaus Bußmann, September 1998. 7
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completed the portrait gallery, the popes as busts from Rome. Absolute eyecatchers were famous paintings by masters like Velazquez or Rubens. In Münster the impact of war and peace on art was strongly elaborated, for instance in the soldier genre with paintings by masters like the Utrecht Jan van Bijlert or the French Mattieu Le Nain, or the peace allegories made in 1648 or shortly afterwards. Not allegorical but depicting The Swearing of the Oath of Ratification of the Treaty of Münster 15 May, 1648 is the famous painting by Gerard ter Borch from the National Gallery in London, one of the absolute highlights in the exhibition. 10 Warfare was the central issue in the Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück with heroic paintings of battles, such as Lützen, portraits of generals like Wallenstein and a fine selection of weapons from top collections such as the Veste Coburg, the Deutsches Historisches Museum, the Wehrgeschichtliches Museum in Rastatt and above all the Jagd- und Rüstkammer of the Kunsthistorisches Museum in Vienna. However, not only the heroic depiction of warfare was presented, but also the atrocities of war. This element was strongly elaborated in the Landesmuseum in section IV: The atrocities of war - "Die Schrecken des Krieges". Particular prints showed the gruesome effects of war for the population. Objects like plague carts illustrated the epidemics and starvation following the war. Most impressive was a little alabaster statue with a female cannibal "Menschenfresserin als Allegorie der Hungersnot" 11 . It is impossible to describe the outline of the triple exhibition in more detail remaining within the framework of this essay. It would take almost a book to summarize the topics and describe a selection of the artefacts. The exhibition was absolutely overwhelming. The first author saw it three times: as courier for the loans from several Dutch museums, during the preview, and finally when coming back to see it all at ease. During that last occasion, it took one and a half days to see it all. For reasons of space we will also refrain from outlining the wide range of activities organized in the two Westphalian peace cities over the year 1998, such as concerts and lectures. We only mention two scholarly conferences, one in Münster and one in Osnabrück. The conference organized by the University of Münster at the end of October 1996 opened the commemoration jubilee event "350 Jahre Westfälischer Friede". 12 Presided by the historian Prof. Dr. Heinz Duchhardt 45 speakers dealt with the topic "Entscheidungsprozesse, Weichenstellungen und Widerhall eines europäischen Ereignisses". Two years later the Interdisziplinäre Institut für KulturgeschichBußman/Schilling
(eds.), 1648 (as in n. 5), Kat.-Nr. 615,212f.
Ibid., Kat.-Nr. 442, 161: Leonhard Kern, Gäa mit Knaben (?) oder Allegorie der Hungersnot (?) oder Personifikation der Menschenfresserin (?), um 1625-1630, Elfenbein 20x11, 2x10 cm, Schwäbisch Hall, Hällisch-Fränkisches Museum, Dauerleihgabe des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart. 1 2 27.10.-2.11.1996. [http://www.uni-muenster.de/Rektorat/upm/upm61022.htm; accessed May 05, 2010]. 11
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te der Frühen Neuzeit (IKFN) of the University of Osnabrück organized an international conference "Der Frieden - eine Rekonstruktion der europäischen Vision". 13 This conference with 120 speakers took place in the other peace city, Osnabrück. 3. T h e Dutch Commemoration Project 1 9 9 8 · When a large delegation of Dutch museum directors, curators and university professors was invited to Münster in spring 1995, the German colleagues asked during the last meeting in the Kramer Amtshaus whether any plans existed for the commemoration of the Peace of Münster between the Dutch Republic and Spain, the part of the Treaty of Westphalia that was most relevant for the Netherlands, recognizing Dutch independence. The answer was in all honesty No, or at least not yet. In Münster it was decided to talk about possibilities and later that year a preparation group was constituted and chaired by Prof. Dr. Simon Groenveld of Leiden University. Seven museums and comparable institutions (the Prinsenhof and the Legermuseum both in Delft, the Catharijneconvent and the Centraal Museum both in Utrecht, the Mauritshuis in The Hague, the Atlas van Stolk in Rotterdam and the Royal Palace in Amsterdam) agreed to cooperate in a project with joint publicity and the publication of a book on the Peace of Münster in 1998. Also the University of Leiden, the University of Nijmegen and the National Archives in The Hague joined this project. The Westphälisches Landesmuseum was involved as well. Prof. Bußmann attended the first meeting in October 1995 and members of his team participated in following meetings. The initiative of the Dutch museums and research institutions was supported by the official 'Nationaal Comité Vrede van Munster' with the president of the First Chamber of the Dutch Parliament (comparable to the German Bundesrat) as chairman and crown prince Willem Alexander as honorary president. For the initiative group this fact brought considerable advantages with respect to finances and publicity. Moreover, the Ministry for Education, Culture and Science offered administrative assistance. The group worked on the ideas for the commemoration project for almost three years. The members met every two or three months. The first goal was the joint book on the Peace Treaty of Münster. The historian Jacques Dane was asked to act as editor. The book had to cover topics in both, history and art history, in order to reach a broad cultural historical approach like in the German project. However, the Dutch book was not as comprehensive as its threevolume counterpart. According to plan, the book was published in the anniversary year 1998 with a preface by the crown prince and a general introduction by Simon Groenveld. 14 Of course the contributions (on the Dutch army,
25.-29.10.1998. [http://www.um-protokolle.de/nachrichten/id/44571/; accessed May 05,2010], 14 Jacques Dane (ed.), 1648. Vrede van Munster, feit en verbeelding. Zwolle 1998. 13
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religious relations, the role of the province of Utrecht in the negotiations in Münster, the depiction of warfare in several types of art, the depiction of peace in prints and the Amsterdam city hall as temple of peace) were related to the Dutch situation. However, the international context was evident, most clearly in the article by Jan Piet Puype of the Legermuseum Delft dealing with the influence of the Dutch army on other European countries with respect to tactics and weapons. 15 There were even overlaps with the Münster-Osnabrück volumes, for instance the contribution to which the first author of this article was co-author. 16 While the work on the book edited by Dame was in progress, the University of Nijmegen (Professors Hugo de Schepper, Christian L. Tümpel and Jan J.V.M. de Vet) prepared an international conference on the Peace of Münster. The representatives of Nijmegen in the working group reported on the preparations in the meetings. The conference took place in Nijmegen and Kleve in August 1996. A wide range of topics in a broad field of cultural history dealt with history, science, literature and art history. Most speakers were Dutch, but there were contributions from other countries as well: Austria, Belgium, Denmark, Germany, Spain, Sweden and the USA. 17 The proceedings were published the following year as a special issue of the journal De Zeventiende Eeuw.is The 'Werkgroep Zeventiende Eeuw', an interdisciplinary group of researchers focusing on the seventeenth century co-organized the conference. By the time the Nijmegen-Kleve proceedings were published, the Groenveld group had made considerable progress with the book and the exhibitions. In September 1997 it was decided that Legermuseum, Prinsenhof, Catharijneconvent, Centraal Museum and Atlas van Stolk would open their exhibitions on 14 March 1998 and that the Royal Palace would follow in June. 19 This schedule was met the following year. The Legermuseum showed the development of the Dutch army during the decades preceding the Treaty of Westphalia. The exhibition in the Prinsenhof was on the artistic depiction of warfare with a separate catalogue. 20 The Atlas van Stolk showed the imagination
15 fan Piet Puype, Hervorming en uitstraling. Tactiek en wapens van het Staatse leger tot de Vrede van Munster en hun invloed in andere Europese landen, in: ibid., 47-82. 16 Dirk E. A. Faber/Renger E. de Bruin, Tegen de Vrede. De Utrechtse ambassadeur Godard van Reede van Nederhorst en de onderhandelingen in Munster, in: Dane (ed.), Vrede van Munster (as in n. 14), 107-134; Dirk E. A. Faber/Renger E. de Bruin, Utrecht als Gegner des Miinsteraner Friedensprozesses, in: Bußmann/Schilling (eds.), 1648 (as in n. 5), vol. 1. Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, 413-420. 1 7 Programm Kongress 'Vrede van Munster', Nijmegen-Kleve, 28.-30. August 1996. 18
De Zeventiende Eeuw, 13/1,1997,1-383.
Minutes of the meeting of the Werkgoep musea Vrede van Munster. Den Haag 15 September 1997. 20 Michel P. van Maarsseveen/Hos W. Hilkhuijsen/Jacques Dane (eds.), Beeiden van een strijd. Oorlog en kunst vóór de Vrede van Munster. Zwolle/Delft 1998. 19
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of peace in prints. The Catharijneconvent, the national museum for religious art and history, organized an exhibition on tolerance in the seventeenth century. For the Royal Palace in Amsterdam the building itself was the topic: built around 1648 as a city hall it was meant as a temple of peace. In order to remain within the boundaries of this essay, we will elaborate a little bit more only on the contribution of the Centraal Museum, for which the first author of this article was responsible. The venue was Utrecht Cathedral since the museum closed for renovation at the beginning of 1998. The story, also published in the above-mentioned Dutch and German books, was that of the Utrecht ambassador at the peace negotiations in Münster, Godard van Reede van Nederhorst. On 30 January 1648 he was the only Dutch delegate refusing to sign the peace treaty. After putting him under external pressure and a change of power in his Utrecht home base he gave finally in, so the swearing of the oath of the treaty could take place in May 15, 1648, the famous scene in the Münster city hall depicted by Gerard ter Borch. Van Reede van Nederhorst was not present at the ceremony because of illness. That was not a diplomatic flue: he died a few weeks later. The exhibition was about the core issue why the Utrecht ambassador tried to block the peace process. Step by step the visitors were offered the clues: personal interests (Van Reede owned canon factories and land near present day New York acquired in the war), feelings of revenge (being the grandson of an exile from the Spanish Netherlands and a personal victim of the Spanish invasion in 1629 when his land was destroyed), a political alliance with the city of Utrecht that was governed by orthodox Calvinists and consequently anti-Spanish faction and that as a centre of arms industry had an economic interest in the continuation of warfare, as the man himself. And if this was not enough he probably was bribed by French diplomats to plead for keeping on the war on the side of France. The religious, political and economic relations in Utrecht as well as the family ties in the Van Reede clan were shown. Paintings, drawings, prints, maps, coins, documents and texts told the story. The conditions in Utrecht Cathedral demanded solutions. The main problem was the size. To prevent the exhibition from disappearing in the gigantic church, graphic designer Lies Ros from Amsterdam suggested to build a scaffold holding an enormous newspaper with the paintings (in original) and prints (in reproduction) as illustrations with text telling the story around it. The curator of the exhibition got the unusual demand to write a large amount of text, which he happily did. The publication was in the same shape, both in Dutch and in English. 21 Objects like books and coins were shown, of course, in show cases.
Renger E. de Bruin/Dirk Faber, Tegen de vrede! Utrecht en de vredesonderhandelingen in Munster. Een tentoonstelling van het Centraal Museum in de Domkerk 14 maart t / m 7 juni 1998/Against Peace! Utrecht and the Peace Negotiations in Münster. An exhibition by the Centraal Museum, Utrecht, for the Cathedral of Utrecht. Utrecht 1998.
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The opening of the exhibition in Utrecht in March, also attended by a large Westphalian delegation, was one of the events in the commemoration year that was officially opened on 30 January (the day of the signing in Münster in 1648) by the Dutch crown prince, who minted a special coin. He was also present at the official commemoration service in Münster on 15 May. The 5 th of June, the day that the peace was officially announced, the central commemoration took place at the Binnenhof in The Hague, the centre of Dutch politics. The crown prince and this time also his mother, Queen Beatrix, attended the ceremony in the Ridderzaal, the assembly hall of the combined chambers of the Dutch Parliament. The next day a play by Joost van den Vondel, written for the occasion of the Peace of Münster, was performed in the Amsterdam city theatre in the presence of the Queen. It is impossible even to summarize the activities ranging from scholarly conference to a biking tour ending in Münster. We will end with the remark that the knowledge about the Treaty of Westphalia was furthermore enlarged by a lesson program for schools developed by the 'Stichting Leerplan Ontwikkeling', a national educational organization. 4. The commemoration in 2013 In 2003 the province and the city of Utrecht decided to commemorate the 300th anniversary of the peace treaty concluded in their city and region. To this end a foundation (Stichting Vrede van Utrecht) has been established. This commemoration initiative follows the celebration of earlier historical events, such as the Union of Utrecht in (15791979) and the Treaty of Westphalia (1648-1998) that drew large public attention and political support. A problem for this commemoration is that the Treaty of Utrecht, although a crucial event in European and even world history, is hardly known in the Netherlands. The organization has a hard job to do in explaining what has to be commemorated. In polls, most people have no idea about the Treaty of Utrecht. Much in contrast to Britain, where this peace treaty belongs to the well-known historical facts. The explanation for this lack of knowledge is actually quite simple. The Union of Utrecht more or less founded the Dutch state, at least with hindsight, and the Treaty of Westphalia recognized Dutch independence, marking the Dutch Golden Age. The Treaty of Utrecht, however, meant the end of the Dutch position as a great power, the end of the Golden Age. For Britain, on the contrary, the Treaty of Utrecht was an enormous success, in fact the start of the colonial empire and the breakthrough as a European great power, a position held until well into the twentieth century. For all involved in the commemoration there is the task to make the Treaty of Utrecht well known in the Netherlands as well. By means of exhibitions, publications, conferences and presentations the historical meaning of the Peace Treaty of 1713 will be explained as a watershed in European history. Its meaning as the end of the Wars of Religion will be underlined. The cultural aspect is an important element in the program that already has started. A central
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event is the annual performance in Utrecht Cathedral of the Utrecht Te Deum that was composed by Georg Friedrich Händel at the occasion of the Treaty of Utrecht. The commemoration program fostered by the Foundation (Stichting Vrede van Utrecht) contains a wide range of cultural activities. Most of these do not have a direct link with the historical event like the annual Händel concert. The Foundation and its commissioning authorities opted for a broad cultural program for a long period culminating in the commemoration year 2013. For the period until 2013 the emphasis is on theatre, concerts, performances and debates. Central issues are peace and tolerance. The Peace Treaty of Utrecht stands for mutual understanding and tolerance today. In the Netherlands this is a highly controversial issue, since after 9/11 and especially after the assassination of film director Theo van Gogh in 2004 the image of the country as a haven of tolerance has been put under heavy pressure. One of the manifestations organized by the Foundation 'Stichting Vrede van Utrecht' was a photo exhibition 'The Art of Reconciliation' in the Centraal Museum in 2007. 22 Perhaps the most touching picture was that of Pope John Paul II visiting Ali Agca in prison, the man who had tried to kill him. The further goal of the festivities in 2013 is the application of Utrecht to become European Capital of Culture five years later. In 2018 the Netherlands and Malta will have their turn for this honour. The local government of Utrecht has commissioned the Foundation (Stichting Vrede van Utrecht) to prepare the nomination of the city for the Dutch side. To improve the chances, Utrecht has started a cultural cooperation with Malta. In the official brochure issued by the Foundation with contributions of local and provincial leaders, the role of culture in society is underlined. The celebration of the Treaty of Utrecht and the nomination for Capital of Culture is seen as part of the objective "investing in culture is investing in the roots of society". The Foundation believes: "The celebrations in 2013 and 2018 are incentives for making fundamental investments in the society of tomorrow" 23 . 5. The exhibition project One of the elements in the plans for the Utrecht anniversary in 2013 is a large international exhibition, comparable to Ί648 - War and Peace in Europe', which was organized in the Peace cities of Münster and Osnabrück. Not as big, but broad in scope as well and even more international in the sense that this exhibition will be on show in other countries. Already in 2005 the first author started to find international partners for the exhibition. The same year in February he contacted the Wehrgeschichtliches Museum in Rastatt (WGM). The museum is housed in the palace
De Kunst der Verzoening, photo exhibition by Peter Stephan in the Centraal Museum, Utrecht, under the authority of Stichting Vrede van Utrecht. 20 April-6 May 2006.
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Vrede van Utrecht. Cultuur over grenzen. Utrecht 2009.
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of Rastatt and is one of the leading military history museums in Germany. Rastatt was an obvious choice since the Treaty of Utrecht found its German extension in the palace of Rastatt on 7 March 1714. Dr. Kai-Uwe Tapken, the then director of the museum, reacted positively. They met several times that year and decided to go for the project together. During Tapken's visit to Utrecht in January 2008 they came to the idea of a small presentation on the Treaty of Utrecht as part of the exhibition 'Extra Schön' (Extraordinarily Beautiful).24 Central figure in this exhibition was Margravine Sibylla Augusta of Baden-Baden, a born Princess of Sachsen-Lauenburg. She came to Baden as the wife of Margrave Ludwig Wilhelm of Baden-Baden, the so called 'Türkenlouis'. Ludwig Wilhelm built the Rastatt Residence as the first German palace based on the model of the absolutist Versailles. He was considered as an outstanding general and had done great service in warding off the Ottoman Army and the French in the late 17th century. Together with Prince Eugene of Savoy he was one of the most prominent and successful military commanders in those days and responsible for numerous victories of the Allies in the war of Spanish succession. Ludwig Wilhelm's valuable services to the Reich were recognized with territorial investments. He died in 1707 due to an old war injury from the Schellenberg battle. The Wehrgeschichtliches Museum dedicated a large exhibition to him in 2005. 25 In both exhibitions religion was an issue as a cause of war (against Islam) and as part of the court culture in Rastatt. The project on Sibylla Augusta was finished by Tapken's successor, Dr. Alexander Jordan, the second author of this contribution, who enthusiastically took over the Rastatt part of the project. War went on after Margrave Ludwig's death until the peace talks in Utrecht. Thus the allies were exempted from the war, the Spanish heritage was distributed, except for the Italian possessions which had fallen into Austrian hands during the war, and the Netherlands, which were expressly reserved to the emperor. Claims of the empire were not even discussed in Utrecht. The war between the emperor and empire on the one hand and France on the other hand continued. The frontiers on the Rhine and the fate of Bavaria and the Milanese were left to be decided by the continuing war. In spring 1713 Landau was lost to France and in October 1713 even Freiburg was lost. A
Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg/Wehrgeschichtlisches Museum. Rastatt 12July21 September 2008. Catalogue: Staatliche Schlösser und Gärten Baden Württembergs/ Grimm Ulrike (eds.), Extra schön: Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages. Petersberg 2008. 24
Zwischen Sonne und Halbmond. Der Türkenlouis als Barockfürst und Feldherr. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, Wehrgeschichtliches Museum. Rastatt 8 April25 September 2005. Catalogue: Daniel Höhrath/Christoph Rehm (eds.), Zwischen Sonne und Halbmond. Der Türkenlouis als Barockfürst und Feldherr. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden. Rastatt 2005. 25
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military victory over France was clearly no longer expected. However, France was still tired of war and wanted to come to peace. The young emperor in Vienna had to be convinced that the continuation of the war was not promising. The initiative for new negotiations came from France. During the siege of Landau in the beginning of August 1713, Marshal Villars submitted the Viennese court via Johann Wilhelm of the Palatinate the proposal that France was ready to negotiate. It was also hinted that France was ready to make significant concessions in contrast to the claims that had been placed in Utrecht. Vienna authorized Prince Eugene to conduct negotiations. As soon as he was in possession of his power of attorney, he gave note to marshal Villars and suggested as location for a meeting the Margrave's residence in Rastatt. Both representatives arrived in Rastatt on 26 November 1713 and lodged in the two opposing wings of the palace. Sibylla Augusta, who had invited the peace talks for the German Empire to her residence in Rastatt, retreated to her castle of Ettlingen for the duration of the negotiations to await the outcome. The treaty was signed March 7 th -1714 but it was still subject to ratification by the two governments. Moreover the peace was still subject to the approval of the German Empire because the Emperor was not entitled to conclude peace without the consent of the states of the Holy Roman Empire. Therefore it was agreed to convene a separate peace conference in Baden in Switzerland. Hence the peace between the belligerents was concluded for the third time in the Swiss town of Baden in September 1714. In preparation of the exhibition project the local 'Historisches Museum' of Baden was contacted whether it was interested to participate. The director, Barbara Welter, was happy to join. It is important for all the three or more participating museums to have support in their respective state and provincial governments. The Wehrgeschichtliches Museum as well as the Historisches Museum Baden is not capable to shoulder such a big project on its own. In case of the Wehrgeschichtliches Museum Rastatt the support of the State of Baden-Württemberg is indispensable. First talks with the State Palaces and Gardens are promising. The State Palaces and Gardens (Staatliche Schlösser und Garten = SSG) of Baden-Württemberg are responsible for supporting over 250 state-owned palaces, castles, gardens and monasteries. One of them is Rastatt. The SSG was founded in 1987 on a resolution of the Council of Ministers of the State of Baden-Württemberg as part of the Government Office of Property and Building Construction Administration with the objective of presenting the historical heritage of the State to a broad public in a continuously improved manner. The exhibition 'Extra Schön' (Extraordinarily Beautiful) was already a joint project of the SSG and the Wehrgeschichtliches Museum. The numerous exhibits lent by the Centraal Museum Utrecht gave a taste of the exhibition to come. The city of Rastatt has assumed another leading role in the commemoration activities, granting support. The City Council is already planning a possible programme with several cultural activities for the jubilee year 2014. The local Stadtmuseum (City Museum of Rastatt) may
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supplement the planned exhibition in the palace with a more focused part about everyday life around 1714 or show especially the impact of such a great congress on the people of Rastatt. In some way the city of Rastatt and its council has to replace and compensate the missing institution as founded in Utrecht (Stichting Vrede van Utrecht). Apart from the museums in the three peace cities we considered it to be essential to involve institutions from the main belligerent countries, Britain and France. We contacted several museums of which the National Maritime Museum in Greenwich gave a positive reaction. With its focus on British wars at sea, overseas trade and colonial Empire this institution fits in with the crucial role of the British navy in the War of Spanish Succession and the impact of the Treaty of Utrecht on the overseas world, in particular the ways Britain benefited from the treaty. Representatives of the Centraal Museum Utrecht, the Wehrgeschichtliches Museum Rastatt, the Historisches Museum Baden and the National Maritime Museum in Greenwich met in Utrecht on 7 August 2009 to start the mutual cooperation. We discussed the concept in which the matter of religious conflict plays a central role. This concept, which has to be outlined in the next section of this paper, will be elaborated by the partners in the project with variations for each museum. However, in September 2009 the museum in Greenwich decided not to join the project due to planning problems. It is being contemplated to inaugurate the exhibition in Utrecht on 11 April 2013 exactly 300 years after the treaty between France and the Dutch Republic was signed in the city hall of Utrecht. In Rastatt the exhibition will open on 7 March 2014 again exactly 300 years after the treaty between Louis XIV and Emperor Charles VI was signed in the palace of Rastatt. In the original concept with the participation of the National Maritime Museum and a possible French partner either of them may appreciate the time slot between Utrecht and Rastatt or host the exhibition after Rastatt. The exhibition in Baden (7 September 2014) will be considerably smaller and it will be possibly parallel in time with the last venue of the large exhibition. At the next meeting of the museums in Utrecht, Rastatt and Baden the schedule will be one of the topics to be discussed. The travelling exhibition will be based on recent research, strangely enough that the last monograph on the Treaty of Utrecht dates from 1891. 26 Prof. Jeroen Duindam, Dr. David Onnekink and the first author have started an
Ottocar Weber, Der Friede von Utrecht. Verhandlungen zwischen England, Frankreich, dem Kaiser und den Generalstaaten 1710-1713. Gotha 1891. An earlier monograph is: ¡ames Watson Gerard, The Peace of Utrecht. New York/London 1885; see: David Onnekink, Een generale, goede en duyrsame vreede: het Utrecht vredescongres vanuit Staats perpectief, in: Simon Groenveld/Maurits Eben/Raymond Fagel (eds.), Tussen Munster en Aken. De Republiek als grote mogendheid 1648-1748. Maastricht 2005, 4966. 26
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international research project to fill in the gap. This research involving Dutch, German, Belgian, French, Italian, Spanish, British and American scholars must result into new insights on international relations around the War of Spanish Succession and the Treaty of Utrecht. The element of religion is one of the fields. David Onnekink will analyze the negotiations in Utrecht between early 1712 and mid 1714. The Universities of Utrecht and Osnabrück and the Institute of History of the Superior Council of Scientific Research, Madrid will cooperate in this project, organizing workshops and conferences in Osnabrück, Madrid and Utrecht between 2010 and 2013. The results will be published in a book of proceedings, the catalogue of the exhibition and possibly a monograph. Dr. Onnekink participated in the meeting of 7 August and will be in permanent contact with the exhibition team. In his presentation at the meeting he underlined the important role of religion in the international developments during the second half of the seventeenth century and in the early eighteenth century. He explained that historians of foreign policy no longer take a view that the Wars of Religion ended with the Treaty of Westphalia in 1648. In addition to the international exhibition that will start in Utrecht, the 'Stichting Vrede van Utrecht' proposed a series of related exhibitions held by museums in the province of Utrecht. A working group has been constituted to coordinate the plans. 6. T h e story line of the 2013-2014 exhibitions The planned international exhibition on the Peace Treaties of Utrecht, Rastatt and Baden will not have the wide range of topics the 1998 exhibitions in Münster and Osnabrück had. The exhibition will be considerably smaller with a more condensed selection of topics along a chronological story line. On the other hand the time scope will be wider, emphasizing the meaning of the peace treaties of 1713-1714 in European and even global history. Since the Treaty of Utrecht will be presented as a watershed in European history, ending the Wars of Religion, the story line will start with the Reformation in the early sixteenth century. This schism in Western Christianity and the failed attempts to restore unity determined European history for the next 150 or 200 years. We are defending the position that the Wars of Religion only ended in Utrecht. The church reformers Martin Luther and John Calvin will be the protagonists in the first section of the exhibition. The Catholic reaction and the attempts of Charles V and his son Philip II to restore religious unity in a Catholic way will be dealt with elaborately. The goal of the Habsburgs was to do so under their leadership. This combination of striving for religious unity and striving for political hegemony would determine the course of European history for a long time. We will underline this fateful mixture of religious zeal and power politics. The extremely bloody Thirty Years War in Germany with all its atrocities against confessional dissidents has been chosen as the key example to make this point clear. For the Utrecht venue the Eighty Years War or Dutch
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Revolt against Spain will be an important episode as well. The Union of Utrecht (1579), the event often mixed up with the Treaty of Utrecht, was a crucial moment in this struggle. This treaty, serving as a constitution for the Dutch Republic until 1795, guaranteed freedom of conscience. Together with the Treaty of Augsburg (1555) and the Edict of Nantes (1598) the Union of Utrecht was an expression of tolerance or at least acceptance of religious dissent in a world of Holy Zeal. Both the Eighty Years War and the Thirty Years War ended in 1648 with the Treaty of Westphalia. Like the Treaty of Utrecht this treaty consisted of a series of bilateral peace treaties, concluded in the Westphalian cities of Münster and Osnabrück. After the great goal of restoring both Christian unity and imperial power by the House of Habsburg was given up, a compromise was reached, both in political and religious sense. In the German Empire Catholicism, Lutheranism and Calvinism were recognized as official religions. Following the Treaty of Augsburg German princes decided the religion of their subjects. Some cities, like Augsburg and Osnabrück, had an uneasy coexistence of Catholicism and Lutheranism. In our exhibition plans the Treaty of Westphalia will play the role of a first vain attempt to reach the goals that were finally realized by the Treaty of Utrecht: balance of power and acceptance of religious diversity. The Treaty of Westphalia turned out to be a short-lived peace. The main reason was the policy pursued by the French king Louis XIV. Like the Habsburg kings and emperors before him, he tried to restore Catholic dominance, of course under his leadership. In the exhibition concept we indicate him as 'the last crusader'. In France itself Louis XIV persecuted Protestants (Huguenots), finally revoking the Edict of Nantes that guaranteed religious freedom and driving out thousands of Huguenots. In the territories he conquered, he fostered Catholicism strongly. After Utrecht surrendered to his army in the summer of 1672 he turned the Cathedral into a Catholic church again after having been reformed for more than 90 years. A painting showing the Cathedral evidently in use for Catholic worship, in the possession of the Centraal Museum, can make the point of Catholicism as a French export product clear. 27 The adversary of Louis XIV was William III, Stadtholder of Holland and other Dutch provinces and, from 1689 onwards, king of England, after he deposed his Catholic father-in-law James II, at the request of the English Parliament. He saw the policy of Louis XIV as a threat for the balance of power in Europe, established in 1648, and he feared Catholic domination. He saw the struggle
Hendrick van Viiet (ca. 1611-1675), Interieur van de Dom in 1672 (Interior of the Dom in 1672), oil on canvas, 1674, Centraal Museum, Utrecht, inv. nr. 7330; see: Liesbeth M. Heimus, De verzamelingen van het Centraal Museum Utrecht V Schilderkunst tot 1850. Utrecht 1999,1484-1485. 27
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against the French king as his sole purpose in life. He saved the Dutch Republic from the French invasion of 1672, he tried to block French expansion everywhere in Europe, he gladly accepted the invitation to save England from the Catholic and absolutist James II, whom William suspected to be an agent of Louis XIV, and at the end of his life he forged a Europe-wide coalition against the French succession on the Spanish throne, starting the War of Spanish Succession. William III is still venerated as a Protestant hero in Northern Ireland. That has stamped his image as a religious fanatic. However, he was not a Protestant zealot at all. For the standards of the time he had very tolerant views in matters of religion. He even defended the rights of English, Irish and Scottish Catholics during the Anglican reaction after the deposition of James II. The two enemies William III and Louis XIV will be quite prominent in the exhibition with large scale portraits. Their court culture, which was highly similar because William III imitated Versailles in the Dutch Palace 'Het Loo' and at Hampton Court near Londen, using exiled French architects like Daniel Marot. Opting for an exiled Calvinist even in the choice of the architect religion played a role. Versailles and its counterparts 'Het Loo', Hampton Court, but also the palace of Rastatt, will be represented in the exhibition with a fine selection of furniture etc. The most stunning object we found was a massive silver table ordered by William III that survived, while Louis XIV had to melt his silver furniture into currency in order to finance his wars. The expansionist policy of Louis XIV seemed to be contained by the time of the Peace of Rijswijk (1697). However, one issue remained unsettled, that of the Spanish Succession. King Charles II of Spain had a poor health and no children. For the probable case of a death without heir, both Louis XIV and the emperor Leopold II claimed the Spanish throne for their offspring. The accession to the Spanish throne of a son or grandson of the French king would upset the uneasy balance of power that was reached after long wars. A union or at least an alliance, strengthened by close family ties, between two large Catholic powers threatened to bring a successful Counterreformation under French leadership over Europe. European powers, with William III first, tried to prevent this, but sought a peaceful solution. A possible compromise, the candidacy of a Bavarian prince, vanished because this prince died before the Spanish king. A partition of the Spanish Empire was the next solution. An agreement with the French was reached on this point, but when Charles II died at last in November 1700, his last will pointed Philip of Anjou, grandson of Louis XIV, as his only heir. Louis XIV accepted, against the agreements he had made before. War was inevitable now. William III managed to forge a broad alliance including Britain, the Netherlands, most German states, Portugal and Savoy. The resulting War of Spanish Succession (1701-1713/14) was fought on several theatres: on land in the Southern Netherlands (present-day Belgium and Luxembourg), Northern France, Southern Germany, Italy, Spain and at sea on the French and Spanish coasts, North and South America, India.
Commemorations
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The Allies were mostly successful, but they were not able to give the French a final blow. It will be quite a challenge to present the complicated war in an understandable way. Dealing with military history the Wehrgeschichtliches Museum Rastatt will contribute ideas, texts and special exhibits. The approach should keep in mind the accompanying research project. Two topics are essential: Military Change & Practice and War & Society. The exhibition aims at pointing out the pre-war circumstances, the topics logistics and lines of supplies and offers a glimpse into military life in those days. Perhaps it is even possible to find individual stories. Beside this it is inevitable to show how war was waged. To some extent the technical side of war will be exposed. The subject 'War and Society' deals with the position of war in society, its impact on local communities and how ordinary people were affected. Some strategic and technical changes should be stressed in the exhibition to show the art of war in the late 17th and beginning 18th century. For example the significance of fortresses with their storehouses and arsenals has to be illustrated. They had to fulfil two purposes: acting as a bolt on dominant geographical points and acting as supply and food bases for the army. Their expansion was carried out according to certain rules in the installation of the trenches, ramparts and bastions. The fortifications of the German Daniel Speckle, the Dutchman Menno van Coehoorn and Frenchman Sébastien Prestre le Marquis de Vauban are role models. Their geometrical skill and practical eye for ground enabled them to design fortifications in such a way that every face was flanked and supported by the works behind and beside it. Victory or defeat depended on the abilities of the commanders. Command was personal and direct; a commander-in-chief could survey his whole battle area, and transmitted his orders by a system of gallopers and orderlies. In battle, he sat his horse in the thick of the activity and often under fire, keeping in mind the position of every unit on a six or seven kilometre front, studying the enemy and adjusting his dispositions to the developing tactical situation. It was a great period of cavalry, even although open battles were comparatively rare and commanders put their main trust in infantry. The French cavalry still clung to the remnant of the sixteenth century tradition of the 'caracole', relying on firearms as much as on the sword. But the English cavalry as trained by Marlborough perfected the tactics of Gustavus and Cromwell, being trained to charge in a line three deep, advancing at a 'full trot' rather than at a gallop, and using only the sword. Two important changes had recently taken place in the equipment of infantry. Firstly, the flint-lock musket had replaced the match-lock since 1650 as the standard infantry weapon. It functioned better in wet weather and gave a higher rate of fire. Secondly, the bayonet had been developed. At first the knife was plugged in the muzzle of the musket. The vital change came with the invention of the ring bayonet in 1678; this clipped onto the outside of the barrel, allowing the soldier still to fire his weapon. It was not long then before pike men became redundant
Renger E. de Bruin/Alexander Jordan
because the musketeer could now perform their function for himself. For the next 150 years infantry soldiers were to fight armed only with flint-lock muskets and bayonets and wearing no defensive body armour. The new battalions, unencumbered with match and clumsy pikes, had a greater mobility than before. Mobility, and the reliance on firepower rather than shock, increased the possibility of good troops winning against numerical odds. To show all large paintings known of battles during this war would be too overwhelming for the visitor. Therefore we will concentrate on a few exemplary battles. We picked the battles of Höchstädt (better known as Blenheim) in 1704 and of Oudenaarde in 1708. Already Winston Churchill argued about Marlborough's overwhelming success in Blenheim: "All Europe was hushed before these prodigious events. Louis XIV could not understand how his finest army was not merely defeated, but destroyed. From this moment he thought no more of domination, but only of an honourable exit from the war he had provoked." 28 Both battles were singled out not only because of their importance, but also because of recent research relating to them. Especially with respect to Blenheim a wide range of artefacts is available. The victor of Blenheim, John Churchill, first duke of Marlborough (ancestor of Winston Churchill), will be a key figure in the whole story of the War of Spanish Succession. Marlborough was Captain-General of the Confederate Armies of Britain, the Dutch United Provinces, Austria, Baden and other minor German powers. He had seen a wide range of professional service, including service as a colonel of the infantry under the French Marshal Turenne in 1674-75. As a man he was difficult to get to know, and his private moral record has certain blemishes, but against this it can be set his devoted care at all times for the men under his command, and the tireless service for his country. This was a time when the art of command was coinciding increased complications. Furthermore, communications in Europe were slow and politics complex, so that a commander, particularly of an allied army, had many responsibilities as a diplomat. At the same time he had to deal with politicians in the home country. Marlborough and Margrave Ludwig Wilhelm are exponents of this. We will show in the exhibition that the war became more and more blindalley and that since about 1710 the awareness grew, that fighting on was pointless. Especially after the fiercely anti-Catholic Whigs lost the elections in England giving way to a Tory majority, voices pleading for peace became louder. After the fall of the duke of Marlborough in the autumn of 1711 the new British government decided to start formal peace talks. From January 1712 diplomats of the belligerent countries negotiated in the city hall of Utrecht. For a city of approximately 25 000 inhabitants the presence of hundreds of foreigners had an enormous impact. To please them the city government lifted the (Calvinist) ban on theatre temporarily. After more than a year
28
Winston Churchill, A history of the english-speaking peoples. London 2000,402.
Commemorations
compared
the negotiations resulted in a series of bilateral peace treaties. The treaty between the Dutch Republic and France, signed on 11 April 1713, is the one to be commemorated at the opening of the festivities in 2013. The opening of the exhibition is planned for the exact anniversary of that treaty: 11 April 2013. The last document to be signed in Utrecht was the treaty between the Dutch Republic and Spain in the summer of 1714. The atmosphere of the negotiations in Utrecht was of mutual respect. The location with two equal doors was symbolic. The outcome was the balance of power in Europe and the final acceptance of a multi-confessional continent. The peace was greeted all over Europe with great enthusiasm: celebrations with fireworks, concerts and plays. Pieces of art like engravings and medals are still witness of this joy. Of course a selection will be presented in the exhibition. The contemporaries expected a long lasting peace and, contrary to their grandparents in 1648, they were not really disappointed. In 1738, the 25th anniversary was celebrated. Shortly after a new European war broke out, the War of the Austrian Succession, but this war was by far not as devastating as the Wars of Religion in the 16th and 17th centuries, neither were the following conflicts. These wars were waged for limited goals, not for the true religion. We will draw the line from 1713 to the present day, but yet we are not sure about the exact format. The exhibition of authentic artefacts we want to end with the celebrations of 1713-1714 and the anniversary of 1738. To find artefacts for telling this story the Centraal Museum started research as early as 2005. The first author and his colleague Dr. Maarten Brinkman have collected, with the help of students, data from literature, printed catalogues, internet databases, files in museums etc., bringing these finds together into a database. Thus far, around 600 objects have been collected for the exhibition from this database, which contains over 900 records. The other partners have joined the research in the meantime. Talks with other museums in Britain, France, Germany, Belgium and the Netherlands about possible loans give good prospects on attractive loans. While several years to go we already have a good idea how the exhibition will look like in 2013. 7. Conclusion: similarities and differences The plans for celebrating the 300th anniversary of the Treaty of Utrecht show similarities with the 'Jubiläumsfeier 350 Jahre Westfälischer Friede' about a decade ago. Of course the occasion is identical: the commemoration of an historical fact of outstanding importance, a peace treaty that changed Europe. The cities involved (Utrecht, Rastatt and Baden) will celebrate that they were the stage of European politics for several years, as did Münster and Osnabrück. The festivities in the Westphalian cities started in October 1996 with a conference in Osnabrück and ended in January 1999 with the dismantling of the large triple exhibition. The celebrations of the Treaty of Utrecht have already started and will last until autumn 2014 with the commemoration in Baden. The festivities program in Utrecht that is being carried out has a wider and more contempo-
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rary scope than the festivities in Westphalia in the late nineties. Precise programs for Rastatt and Baden have not been developed yet. In both commemoration concepts a large cultural-historical exhibition plays a key role. In Westphalia it was a large exhibition in the Westphälisches Landesmuseum in Münster, Kulturgeschichtliches Museum and the Kunsthalle Dominikanerkirche, both in Osnabrück. The enormous exhibition dealt with the peace treaties and the wars they ended in a wide range of topics with many objects of many countries. The plans for the 1713-1714 exhibition envisages a more condensed scheme with less topics and, above all, far less objects. However, the origin of the artefacts and the scope of the topics will be as international as in Westphalia. In one respect even more so, since the 1713-1714 exhibition will, after its start in Utrecht, travel to England, Germany and Switzerland. In the concepts for both exhibitions, the one of 1648 and the one of 1713-1714, a solid base of recent scholarly research is essential. Contributions by scholars of various diciplines in the Humanities and of various countries will provide the basis for the exhibitions. Exchange of ideas will take place at conferences. The conference proceedings as well as the exhibition catalogue, presenting the research results, will remain a lasting monument.
Der Westfälische Frieden
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen
Friedenskongresses
Michael Rohrschneider Neue Tendenzen der diplomatiegeschichtlichen Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses Betrachtet man die im Zuge des 350. Jubiläums des Westfälischen Friedens und im nachfolgenden Jahrzehnt erschienene regelrechte Flut an Publikationen zum Westfälischen Friedenskongress und zu den Friedensschlüssen von 1648, so ist im Hinblick auf die im engeren Sinn diplomatiegeschichtliche Erforschung des Kongresses zu konstatieren, dass seit dem Jubiläumsjahr 1998 substanzielle Erkenntnisfortschritte zu verzeichnen sind, die in einem engen Zusammenhang mit der perspektivenreichen Neuausrichtung der traditionellen historischen Teildisziplin Diplomatiegeschichte stehen.1 Im Folgenden geht es nun darum, diese Ausgangsbehauptung anhand von einigen Beobachtungen genereller Natur und unter Heranziehung von ausgewählten Beispielen zu untermauern. Dabei ist zuvorderst ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es nicht das Ziel der folgenden Ausführungen sein kann, die neueren diplomatiegeschichtlichen Forschungen zum Westfälischen Friedenskongress möglichst lückenlos und in Gänze zu erfassen. Vielmehr geht es darum, bestimmte Forschungstendenzen zu akzentuieren, die sich durch ihren innovativen Gehalt und die Eröffnung neuer Perspektiven auszeichnen. Die Auswahl, die dabei vorgenommen wird, ist zweifellos subjektiv, aber sie ist, wie abschließend zu zeigen sein wird, begründ- und nachvollziehbar. Zunächst ist es in einem ersten Schritt erforderlich, die allgemeine Genese der jüngeren diplomatiegeschichtlichen Forschung darzustellen (1.), um auf diesem Fundament die nachfolgenden Befunde zum Westfälischen Friedenskongress genauer verorten zu können. Im Anschluss daran werden drei ausge-
1 Gute Überblicke zum Ertrag des Jubiläumsjahres 1998 liefern Johannes Arndt, Ein europäisches Jubiläum: 350 Jahre Westfälischer Friede, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1, 2000,133-158; Helmut Neuhaus, Westfälischer Frieden und Dreißigjähriger Krieg. Neuerscheinungen aus Anlaß eines Jubiläums, in: Archiv für Kulturgeschichte 82, 2000, 455-475; jean Bérenger, A propos d'une commémoration: quelques ouvrages sur la paix de Westphalie, in: Francia 28/2, 2001, 85-107; Armin Kohnle, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden. Ein Bericht über Neuerscheinungen anläßlich des Jubiläums von 1998 aus südwestdeutscher Perspektive, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 149, 2001, 199-228; Michael Kaiser, 1648 - Rückschau auf ein Jubiläum, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29,2002,99-105; Berthold Grzywatz, Der Westfälische Frieden als Epochenereignis. Zur Deutung der Friedensordnung von 1648 in der neueren historischen Forschung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50, 2002, 197-216; die einschlägige Literatur bis zum Jahr 1996 ist verzeichnet in Heinz Duchhardt (Hrsg.), Bibliographie zum Westfälischen Frieden. Bearbeitet von Eva Ortlieb und Matthias Schnettger. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 26.) Münster 1996; vgl. femer als Bilanz der jüngeren Forschung Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643-1649). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 30.) Münster 2007, hier 1-11.
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Michael Rohrschneider
wählte Themenkomplexe angesprochen, welche die diplomatiegeschichtliche Erforschung des Friedenskongresses gerade vor dem Hintergrund aktueller Strömungen der Frühneuzeitforschung besonders vorangebracht haben, nämlich die Fremdwahrnehmungen durch die am Kongressgeschehen beteiligten Diplomaten (2.), das Themenfeld Klientel und Patronage (3.) und das Forschungsgebiet Symbolische Kommunikation und Zeremoniell (4.), wobei es nicht zuletzt auch darum gehen wird, konkrete Desiderate zu benennen und Forschungsperspektiven aufzuzeigen. 1. Zur Genese der jüngeren diplomatiegeschichtlichen Forschung Bekanntlich war es für die Diplomatiegeschichtsschreibung im Verlauf des 20. Jahrhunderts ausgesprochen schwer, sich gegenüber den mitunter massiven Vorbehalten zu behaupten, die von verschiedenen historischen Schulen mit Vehemenz gegen sie vorgebracht wurden. An dieser Stelle möge der pauschale Hinweis auf die inhaltlichen, theoretischen und methodischen Implikationen genügen, die mit dem Geschichtsverständnis der Annales-Schule und dem Konzept der Gesellschaftsgeschichte einhergehen. Gerade in der deutschen Forschung führten die gegensätzlichen Auffassungen einiger ihrer Protagonisten, wie zum Beispiel Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand auf der einen und Hans-Ulrich Wehler auf der anderen Seite, die seit den politisch aufgeladenen Kontroversen der 1970er Jahre nahezu unversöhnliche Positionen bezogen,2 faktisch zu einer Art Blockadezustand, für den das treffende Diktum vom „Dialog der Taubstummen" 3 geprägt worden ist.
Vgl. insbesondere Andreas Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht, in: Historische Zeitschrift 216, 1973, 529-552; Hans-Ulrich Wehler, Moderne Politikgeschichte oder „Große Politik der Kabinette"?, in: Geschichte und Gesellschaft 1,1975, 344-369; Klaus Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte"? Die Notwendigkeit einer Politischen Geschichtsschreibung von den internationalen Beziehungen, in: Historische Zeitschrift 223, 1976, 328-357; Hans-Ulrich Wehler, „Moderne" Politikgeschichte? Oder: Willkommen im Kreis der Neorankeaner vor 1914, in: Geschichte und Gesellschaft 22, 1996, 257-266; vgl. zu dieser Kontroverse zwischen Hillgruber, Hildebrand und Wehler Wilfried Loth, Einleitung, in: ders./Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen - Ergebnisse - Aussichten. (Studien zur Internationalen Geschichte, Bd. 10.) München 2000, VII-XIV, hier VIII-IX; Eckart Conze, „Moderne Politikgeschichte". Aporien einer Kontroverse, in: Guido Müller (Hrsg.), Deutschland und der Westen. Internationale Beziehungen im 20. Jahrhundert. Festschrift für Klaus Schwabe zum 65. Geburtstag. (Historische Mitteilungen, Beiheft 29.) Stuttgart 1998,1930; ders., Abschied von Staat und Politik? Überlegungen zur Geschichte der internationalen Politik, in: ders./Ulrich Lappenküper/Guido Müller (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Köln/Weimar/Wien 2004,15-43, hier 15f. 2
Loth, Einleitung (wie Anm. 2), VIII; vgl. Friedrich Kießling, Der „Dialog der Taubstummen" ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 275,2002,651-680.
3
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
Inzwischen hat sich die Forschungslage j e d o c h fundamental verändert und z w a r nicht zuletzt im Z u g e der kulturalistischen W e n d e , die derzeit ganz maßgeblich d a z u beiträgt, das traditionelle Areal der Diplomatiegeschichte z u erweitern u n d sie inhaltlich u n d m e t h o d i s c h auf den Prüfstand z u stellen. 4 Es w ä r e jedoch ein Fehlschluss a n z u n e h m e n , dass sich die a n g e s p r o c h e n e fors c h u n g s h e m m e n d e Blockade erst infolge der Herausforderung durch die kulturalistischen Forschungsansätze der letzten Jahre gelöst hat. Vielmehr konstatierte Volker Press schon E n d e der 1980er Jahre mit guten G r ü n d e n , dass „eine gewisse Phobie gegen D i p l o m a t i e g e s c h i c h t e " 5
w o h l endgültig
ü b e r w u n d e n sei. H e i n z Duchhardt, g e m e i n s a m mit Franz K n i p p i n g Herausgeber des „ H a n d b u c h s der Geschichte der Internationalen B e z i e h u n g e n " , hat
Zu den neueren Forschungsansätzen zur Diplomatiegeschichte und zur Geschichte der frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen vgl. vor allem Michael Hochedlinger, Die Frühneuzeitforschung und die „Geschichte der internationalen Beziehungen". Oder: Was ist aus dem „Primat der Außenpolitik" geworden?, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 106, 1998, 167-179; Jens Siegelberg/ Klaus Schlichte (Hrsg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden. Wiesbaden 2000; Ursula Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte: Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, 394-423; Christian Windler, Diplomatie history as a field for cultural analysis: Muslim-Christian relations in Tunis, 1700-1840, in: The Historical Journal 44,2001, 79-106; ders., Diplomatie als Erfahrung fremder politischer Kulturen. Gesandte von Monarchen in den eidgenössischen Orten (16. und 17. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft 32, 2006, 5 44; Jessica C. E. Gienow-Hecht/Frank Schumacher (Hrsg.), Culture and International History. (Explorations in Culture and International History Series.) New York/Oxford 2003; Kürina Urbach, Diplomatic History since the Cultural Turn, in: The Historical Journal 46, 2003, 991-997 (Sammelbesprechung); Reiner Marcowitz, Von der Diplomatiegeschichte zur Geschichte der internationalen Beziehungen. Methoden, Themen, Perspektiven einer historischen Teildisziplin, in: Francia 32/3, 2005, 75-100 (Sammelbesprechung); Heidrun Kugeler/Christian Sepp/Georg Wolf, Einführung, in: dies. (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven. (Wirklichkeit und Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Bd. 3.) Hamburg 2006,9-35; Luden Bély, L'art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne XVI e -XVIII e siècle. Paris 2007; ders., La naissance de la diplomatie moderne, in: Revue d'histoire diplomatique 121, 2007, 271-294; Arno Strohmeyer, Wahrnehmungen des Fremden: Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert: Forschungsstand - Erträge - Perspektiven, in: Michael Rohrschneider/ Arno Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 31.) Münster 2007,1-50. 4
Volker Press, Reich und Habsburger Monarchie im europäischen Mächtesystem, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Die Bildung des frühmodernen Staates - Stände und Konfessionen. (Forum: Politik, Bd. 6.) Saarbrücken 1989,331-351, hier 331. 5
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in diesem Kontext sogar von einer ,,historiographische[n] Renaissance" 6 dieser historischen Teildisziplin gesprochen. In dem programmatischen Vorwort zu den einzelnen Bänden dieses Handbuchs heißt es, den Darstellungen werde „ein breit gefaßter Begriff des Politischen zugrunde gelegt, der die Diplomatiegeschichte alten Stils überholt und in multiperspektivischem Zugriff wirtschaftliche, kulturelle, konfessionelle, mentale, geopolitische, strategische usw. Gegebenheiten und Interessen in die Interpretation der Internationalen Beziehungen einbezieht." 7 Diese stimulierende Neuorientierung der jüngeren Forschung zur Diplomatiegeschichte und zur Geschichte der internationalen Beziehungen geht in auffälliger Weise mit den Bemühungen einher, Impulse benachbarter Disziplinen zu rezipieren und gewinnbringend für die eigenen Forschungen umzusetzen. So hat etwa jüngst Sven Externbrink in einem Überblicksbeitrag zum Thema „Internationale Politik in der Frühen Neuzeit" auf die vielversprechenden Möglichkeiten der Adaptierung von Systemtheorien bei der Erforschung der frühneuzeitlichen internationalen Politik hingewiesen. 8 Weitere Beispiele ließen sich anführen, etwa das von Wolfgang Reinhard vorgestellte Konzept einer politischen Historischen Anthropologie, das in integrativer Weise darauf abzielt, das bisherige Nebeneinander von Historischer Anthropologie und Politikgeschichte in ein fruchtbares Miteinander zu verwandeln. 9 Eine Umsetzung dieses verheißungsvollen Ansatzes wäre zweifellos gerade auch für die Erforschung diplomatiegeschichtlicher Themen von großem Gewinn. Unabhängig von dieser Modifikation und Weiterentwicklung traditioneller Themen und Fragestellungen ist es für die jüngere diplomatiegeschichtliche Forschung zu einer zentralen Aufgabe geworden, sich den Herausforderungen zu stellen, die im Zuge der kulturalistischen Wende und des damit einhergehenden „cultural approach to diplomatic history" in den Vordergrund getreten sind. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Bemühungen zu sehen, Kulturgeschichte und Politikgeschichte, die lange Jahre als kaum vereinbar galten, nicht länger als Gegensatzpaar anzusehen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang vor allem an die Auseinan-
Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 17001785. (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 4.) Paderborn/München/Wien/Zürich 1997,3. 6
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Heinz Duchhardt/Franz Knipping, Vorwort zum Gesamtwerk, in: edb., XI.
Vgl. Sven Externbrink, Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. (Historische Zeitschrift, Beihefte, NF., Bd. 44.) München 2007,15-39. 9 Wolfgang Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropologie, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, 593-616. 8
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
dersetzung mit dem Konzept einer „Kulturgeschichte des Politischen", das derzeit besonders in der deutschen Forschung ausgesprochen kontrovers diskutiert wird. 10 Verwiesen sei an dieser Stelle beispielhaft auf die mitunter stark divergierenden konzeptionellen Überlegungen von Thomas Mergel 11 , Achim Landwehr 12 , Hans-Christof Kraus, Thomas Nicklas 13 und Barbara Stollberg-Rilinger 14 , die diesbezügliche Standortbestimmungen vorgelegt und einige Perspektiven künftiger Forschung aufgezeigt haben. Abgesehen davon, dass beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch keine definitorische Einigkeit darüber herrscht, was unter einer „Kulturgeschichte des Politischen" eigentlich genau zu verstehen ist, 15 lässt sich für den Bereich der Diplomatiegeschichte, die als vergleichsweise selbständiger Teilbereich der Politikgeschichte mit einer gemeinsamen Schnittmenge zu verstehen ist, feststellen, dass die Möglichkeiten einer kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise gegenwärtig bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Dieser allgemeine Befund gilt auch und gerade für die diplomatiegeschichtliche Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses, die im Hinblick auf die Adaptierung neuerer kulturalistischer Fragestellungen zweifellos noch ausbaufähig ist. 2. Fremdwahrnehmung als Themenfeld der Forschungen zum Westfälischen Friedenskongress Ein Forschungsfeld, auf dem mit Blick auf den Westfälischen Friedenskongress allerdings bereits gelungene Versuche einer Rezeption von kulturgeschichtlichen Fragestellungen unternommen worden sind, ist der erste thematische Schwerpunkt, der nun etwas ausführlicher vorgestellt wird, nämlich der Themenkomplex der Wahrnehmungen des Fremden durch die am Kongressgeschehen beteiligten Ak-
1 0 Eine erste Zwischenbilanz liefert Andreas Rödder, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283, 2006,657-688. 11 Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, 574-606. 12 Achim Landwehr, Diskurs - Macht - Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85, 2003, 71-117; vgl. dazu die Replik von Thomas Nicklas, Macht - Politik - Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 86,2004,1-25. 13 Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Geschichte der Politik (wie Anm. 8), 1-12. 14 Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35.) Berlin 2005,9-24. 1 5 Dies liegt auch und gerade daran, dass schon der Terminus Kulturgeschichte alles andere als klar definiert ist; vgl. etwa Silvia Serena Tschopp/Wolfgang E. }. Weber, Grundfragen der Kulturgeschichte. (Kontroversen um die Geschichte.) Darmstadt 2007,2: „Trotz erheblicher Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, eine inhaltlich vollständige und belastungsfähige, allseits anerkannte Begriffsbestimmung zu finden, die den Ansatz von anderen Ansätzen trennscharf abzugrenzen in der Lage wäre."
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teure.16 Dieser Themenkomplex hat zumindest eine zweifache Dimension: Zum einen geht es dabei um die Frage, wie die Diplomaten ihr alltägliches Wirken in Westfalen, also in der Fremde, konkret wahrgenommen haben. Zum anderen wird mit diesem Sujet das in neuerer Zeit zunehmend erforschte Feld von nationalen Vorurteilen, Stereotypen und Feindbildern berührt, das bekanntlich nicht nur im Bereich der Geschichtswissenschaft, sondern zum Beispiel auch in der Ethnologie und der politikwissenschaftlichen Perzeptionsforschung stark beachtet wird. 17
1 6 Vgl. Guido Braun, Fremdsprachen als Fremderfahrung: Das Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses, in: Rohrschneider/Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen (wie Anm. 4), 203-244; Michael Rohrschneider, Terrible es este congreso: Wahrnehmungen der Fremde und Verhandlungsdispositionen im Spiegel der Berichte der spanischen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Rohrschneider/Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen (wie Anm. 4), 245-264; Anuschka Tischer, Fremdwahrnehmung und Stereotypenbildung in der französischen Gesandtschaft auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Rohrschneider/Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen (wie Anm. 4), 265-288. 1 7 Aus der Fülle der Literatur zu diesem Themenkomplex seien folgende Untersuchungen hervorgehoben: Franz Bosbach (Hrsg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. (Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 6.) Köln/Weimar/Wien 1992; Anne Katrin Flohr, Feindbilder in der internationalen Politik. Ihre Entstehung und ihre Funktion. (Bonner Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd. 2.) Münster/Hamburg 1991; Hans Henning Hahn (Hrsg.), Historische Stereotypenforschung. Methodische Überlegungen und empirische Befunde. (Oldenburger Schriften zur Geschichtswissenschaft, Bd. 2.) Oldenburg 1995, 190-204; ders. (Hrsg.) unter Mitarbeit von Stephan Scholz, Stereotyp, Identität und Geschichte. Die Funktion von Stereotypen in gesellschaftlichen Diskursen. (MitteleuropaOsteuropa, Bd. 5.) Frankfurt am Main u.a. 2002; ders./Elena Mannová (Hrsg.) unter Mitarbeit von Stephan Scholz und Tobias Weger, Nationale Wahrnehmungen und ihre Stereotypisierung. Beiträge zur Historischen Stereotypenforschung. (MitteleuropaOsteuropa, Bd. 9.) Frankfurt am Main u.a. 2007; Robert Jervis, Perception and Misperception in International Politics. Princeton/New Jersey 1976; Gottfried Niedhart, Perzeption und Image als Gegenstand der Geschichte von den internationalen Beziehungen. Eine Problemskizze, in: Bernd Jürgen Wendt (Hrsg.), Das britische Deutschlandbild im Wandel des 19. und 20. Jahrhundert. (Arbeitskreis Deutsche England-Forschung, Bd. 3.) Bochum 1984, 39-52; ders., Selektive Wahrnehmung und politisches Handeln: internationale Beziehungen im Perzeptionsparadigma, in: Loth/Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte (wie Anm. 2), 141-157; Sven Reichardt, Feindbild und Fremdheit Bemerkungen zu ihrer Wirkung, Bedeutung und Handlungsmacht, in: Benjamin Ziemann (Hrsg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung. (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 1.) Essen 2002,250-271; Andrea Reikat, Wir und die Anderen. Zur Frage nach der Fremdheit in der Ethnologie, in: Historische Zeitschrift 281, 2005, 281-305; Winfried Schulze, Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Zur Kultur der Wahrnehmung fremder Nationen in der europäischen Frühen Neuzeit, in: Wolfgang Schmale/Reinhard Stauber (Hrsg.), Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit. (Innovationen, Bd. 2.) Berlin 1998,23-49.
Diplomatiegeschichtliche Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses So hat Anuschka Tischer, die als Bearbeiterin eines Bandes französischer Korrespondenzen der „Acta Pacis Westphalicae"18 über breite diesbezügliche Quellenkenntnisse verfügt, in einem Beitrag zur „Fremdwahrnehmung und Stereotypenbildung in der französischen Gesandtschaft auf dem Westfälischen Friedenskongress" herausgearbeitet, dass sich in der französischen Kongresskorrespondenz überraschend wenige stereotype Aussagen über Deutschland und die Deutschen finden. 19 Dafür gibt es einen triftigen Grund: „Die französische Politik trennte zwischen Deutschland und dem Reich einerseits und dem Haus Habsburg und dem Kaiser andererseits." 2 0 Demzufolge fielen die französischen Werturteile über die Spanier merklich kritischer aus als über die Deutschen, aber immer noch subtil im Vergleich mit der vorurteilsbehafteten Wahrnehmung des erklärten Gegners, nämlich der Casa de Austria, also der österreichischen und spanischen Habsburger. 2 1 Hier herrschten auf französischer Seite traditionelle Feindbilder vor, die unter anderem in dem bekannten Vorwurf an die Adresse Habsburgs mündeten, nach der Universalmonarchie zu streben. 2 2 Auch spielte die Vorstellung von einer natürlichen Feindschaft zwischen Franzosen und Spaniern eine wohl nicht zu unterschätzende Rolle in der wechselseitigen Wahrnehmung beider Kongressgesandtschaften. 2 3
18 Acta Pacis Westphalicae (APW), hrsg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Verbindung mit der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. durch Max Braubach (+), Konrad Repgen und Maximilian Lanzinner, bisher 41 Bde. Münster 1962-2009, hier Clivia Kelch-Rade/Anuschka Tischer, Serie II: Korrespondenzen. Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen. Bd. 4., unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Michael Rohrschneider. Münster 1999. 19 Tischer, Fremdwahrnehmung (wie Anm. 16), 268. 2 0 Ebd. 270. 2 1 Vgl. ebd. 273-274. 2 2 Zur Universalmonarchie ist immer noch grundlegend Franz Bosbach, Monarchia Universalis. Ein politischer Leitbegriff der Frühen Neuzeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 32.) Göttingen 1988; vgl. zusätzlich in dem hier berührten inhaltlichen Kontext Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet". Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges. (Studien zur modernen Geschichte, Bd. 54.) Stuttgart 2001. 2 3 Zur wechselseitigen französisch-spanischen Wahrnehmung vgl. aus der inzwischen stark angewachsenen Forschung insbesondere folgende Untersuchungen: Helga Thomae, Französische Reisebeschreibungen über Spanien im 17. Jahrhundert. (Romanistische Versuche und Vorarbeiten, Bd. 7.) Bonn 1961; Asensio Gutiérrez, La France et les Français dans la littérature espagnole. Un aspect de la xénophobie en Espagne (1598-1665). (Publications de l'Université de Saint-Etienne.) Saint-Etienne 1977; Henry Méchoulan, L'Espagne dans le miroir des textes français, in: ders. (Hrsg.), L'État baroque. Regards sur la pensée politique de la France du premier XVIIe siècle. Étude liminaire de Emmanuel Le Roy Ladurie. Préface de André Robinet. (Histoire des idées et des idéologies.) Paris 1985, 421-446; Charles Mazouer (Hrsg.), L'âge d'or de l'influence espagnole. La
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Michael Rohrschneider Aufschlussreich ist ferner der H i n w e i s Tischers auf die spezifische W a h r n e h m u n g der Niederlande durch die an der französischen Kongresspolitik maßgeblich beteiligten Akteure. D i e Staatsform der Republik der Vereinigten Niederlande blieb den Franzosen i m W e s e n letztlich fremd u n d bedrohlich; die Niederländer w u r d e n sogar als inferior a n g e s e h e n . 2 4 Hier lassen sich weitreichende Kontinuitäten feststellen. N o c h L u d w i g XIV. glaubte, die von i h m gering geschätzte niederländische Republik für ihr vermeintlich a n m a ß e n d e s Verhalten züchtigen z u m ü s s e n , als er 1672 den Krieg gegen die Generalstaaten erklärte. 2 5 Sucht m a n frühe Zeugnisse dieser französischen Aversion gegenüber d e n im Dreißigjährigen Krieg mit Frankreich v e r b ü n d e t e n Niederländern, so ist m a n gut beraten, die K o r r e s p o n d e n z der französischen G e sandtschaft auf d e m Westfälischen Friedenskongress z u konsultieren. 2 6 Für die Diplomatie Spaniens auf d e m Westfälischen Friedenskongress liegt inzwischen eine U n t e r s u c h u n g vor, die sich der Frage w i d m e t , w i e die spanischen Kongressgesandten ihr langjähriges W i r k e n in der F r e m d e konkret w a h r g e n o m m e n h a b e n , und die aufzuzeigen v e r m a g , w i e sich kulturgeschichtlich geprägte Fragestellungen b e z i e h u n g s w e i s e in d i e s e m Fall insbesondere Fragestellungen der interdisziplinären Fremdheitsforschung
oder
France et l'Espagne à l'époque d'Anne d'Autriche 1615-1666. Mont-de-Marsan 1991; Rainer Babel, Frankreichs Gegner in der politischen Publizistik der Ära Richelieu, in: Bosbach (Hrsg.), Feindbilder (wie Aran. 17), 95-116; Mene Antonietta Visceglia, Gli „humori" delle nazioni. La rappresentazione della Spagna nella Francia del primo seicento (1590-1635), in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2,1995, 39-68; Alexandre Yali Haran, L'Espagne dans l'imaginaire français du XVIIe siècle: entre idéalisation et démonisation, in: XVIIe siècle 49, 1997, 305-323; Bartolomé Bennassar/Lucile Bennassar (Hrsg.), Le voyage en Espagne. Anthologie des voyageurs français et francophones du XVIe au XIX e siècle. (Bouquins.) Paris 1998; Michael Rohrschneider, Tradition und Perzeption als Faktoren in den internationalen Beziehungen. Das Beispiel der wechselseitigen Wahrnehmung der französischen und spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29, 2002, 257-282; Jean-Frédéric Schaub, La France espagnole. Les racines hispaniques de l'absolutisme français. (L'univers historique.) Paris 2003; die in diesem Kontext am häufigsten zitierte Quelle ist Carlos García, La oposición y conjunción de los dos grandes Luminares de la Tierra o La Antipatía de Franceses y Españoles (1617). Editions critiques établies par Michel Bareau. Edmonton/Alberta 1979. 24
Tischer, Fremdwahrnehmung (wie Anm. 16), 280-284.
Zu den Ursachen des Holländischen Krieges vgl. vor allem die einschlägigen Arbeiten von Paul Sennino, Louis XIV and the Dutch War, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis XIV and Europe. London/Basingstoke 1976, 153-178; ders., The Origins of Louis XIV's Wars, in: Jeremy Black (Hrsg.), The Origins of War in Early Modern Europe. Edinburgh 1987, 112-131; ders., Louis XIV and the Origins of the Dutch War. Cambridge/New York 1988. 25
Vgl. demnächst den Aufsatz von Michael Rohrschneider, Die beargwöhnte Republik. Die politische Kultur der Vereinigten Niederlande in den Gesandtschaftsberichten des französischen Diplomaten Abel Servien (1647) [erscheint in der Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V.]. 26
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
Xenologie mit eher traditionellen diplomatiegeschichtlichen Themen verbinden lassen. 27 Anhand der spanischen Kongresskorrespondenzen sind nämlich die Lebensumstände der spanischen Diplomaten in Münster gut rekonstruierbar und es ist zumindest in Ansätzen möglich, Antworten auf die Frage zu finden, wie die Spanier die nasskalte und der eigenen Gesundheit alles andere als förderliche westfälische Fremde konkret empfunden haben. Zur Erinnerung: Von den fünf Hauptgesandten Philipps IV. starben zwei während ihres Aufenthaltes in Münster; ein weiterer Gesandter erkrankte lebensgefährlich.28 Problematisch bleibt jedoch der Versuch, die lebensweltlichen Erfahrungen der spanischen Gesandten in dem fernen und fremden Westfalen mit der Verhandlungsebene zu verknüpfen. So finden sich in den Korrespondenzen des spanischen Prinzipalgesandten Peñaranda zwar Belege dafür, dass er nicht nur aus Gründen der Verhandlungsführung, sondern von einem gewissen Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Münster an auch aus privaten Gründen danach strebte, den Friedenskongress zu verlassen. Inwieweit aber seine persönlichen Belange - insbesondere seine schweren Erkrankungen und seine klärungsbedürftigen Privatangelegenheiten in seiner kastilischen Heimat seine jeweiligen Urteile über den Gang der Friedensverhandlungen tatsächlich beeinflussten, muss angesichts der begrenzten Aussagekraft der zur Verfügung stehenden Quellen letztlich offenbleiben. Hier stößt man an quellenbedingte Grenzen der Einbeziehung lebensweltlicher Fragestellungen in die konkrete Verhandlungsgeschichte. 29 Dessen ungeachtet ist die Einbeziehung der lebensweltlichen Umstände der Friedensgesandten in die Darstellung ihrer diplomatischen Tätigkeit in jedem Falle lohnenswert. Denn ein solches Vorgehen vermag exemplarisch aufzuzeigen, wie sehr die individuelle Wahrnehmung ihres alltäglichen Metiers durch frühneuzeitliche Diplomaten davon geprägt sein konnte, dass sie über lange Jahre hinweg in der Fremde persönliche Opfer im Dienste einer Sache erbringen mussten, deren Erfolg oder Misserfolg überhaupt nicht vorhersehbar war und die sie in der Regel sogar bis an die Grenze des finanziellen Ruins oder darüber hinaus brachte.
Vgl. Rohrschneider, Congreso (wie Anm. 16); zum größeren Zusammenhang vgl. die Überblicke von Michael Wimmer, Fremde, in: Christoph Wulf (Hrsg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim/Basel 1997, 1066-1078; Alois Wierlacher/Corinna Albrecht, Kulturwissenschaftliche Xenologie, in: Ansgar Nünning/Vera Nünning (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen Ansätze - Perspektiven. Stuttgart/Weimar 2003,280-306. 2 8 In Münster starben während der Friedensverhandlungen die beiden spanischen Kongressgesandten Lope Zapata, Conde Walter (1644) und Joseph de Bergaigne (1647); der spanische Prinzipalgesandte Peñaranda erkrankte in Münster lebensgefährlich. 2 9 Vgl. Rohrschneider, Congreso (wie Anm. 16), 250-260.
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3. Klientel und Patronage im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses Beim Themenkomplex Klientel und Patronage handelt es sich um ein Forschungsgebiet, das maßgeblich von Wolfgang Reinhard und seinen Schülern im Zuge mikropolitischer Studien zum frühneuzeitlichen Rom geprägt worden ist.30 In jüngerer Zeit haben die in diesem Forschungszusammenhang entwickelten Fragestellungen auch im Hinblick auf die Klientel- und Patronageverhältnisse von Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress Anwendung gefunden. Anuschka Tischer hat sich im Rahmen ihrer 1999 erschienenen Dissertation und in einer begleitenden Studie mit dem Einfluss personaler Verflechtungen in der französischen Kongressdiplomatie befasst und damit die Erforschung des politischen und diplomatischen Wirkens der betreffenden französischen Diplomaten auf eine neue Grundlage gestellt.31 Dies ist auch und gerade deshalb von besonderem Wert, da sich die Klientel- und Patronageforschung zum frühneuzeitlichen Frankreich lange Zeit primär mit den innenpolitischen Verhältnissen befasst hat, nicht aber in gleicher Intensität mit dem Einfluss personaler Verflechtungen im Rahmen der französischen Diplomatie und Außenbeziehungen.32 So ist das Verhalten der französischen Friedensgesandten Longueville und d'Avaux vor Ort in Münster gar nicht angemessen zu verstehen, wenn nicht berücksichtigt wird, dass beide zumindest latent in Opposition beziehungsweise in Konkurrenz zu Mazarin standen, was sich auch und gerade in dem Auf- und Ausbau eigener Klientelsysteme manifestierte.33 Und der maßgebliGrundlegend ist nach wie vor: Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. „Verflechtung" als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600. (Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg, Bd. 14.) München 1979; vgl. ferner die Bilanz von Nicole Reinhardt, „Verflechtung" - ein Blick zurück nach vorn, in: Peter Burschel u.a. (Hrsg.), Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002. Berlin 2002, 235-262; speziell zur Patronage-Forschung vgl. Heiko Droste, Patronage in der Frühen Neuzeit Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für Historische Forschung 30, 2003, 555-590 (mit kritischen Bemerkungen zum Konzept Reinhards); Birgit Emich/Nicole Reinhardt/Hillard von Thiessen/Christian Wieland, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32,2005,233-265. 31 Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 29.) Münster 1999, insbesondere 99-126; dies., Diplomaten als Patrone und Klienten: der Einfluss personaler Verflechtungen in der französischen Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Rainer Babel (Hrsg.), Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. (Pariser Historische Studien, Bd. 65.) München 2005,173-197. 30
Ein Beispiel für den angesprochenen Sachverhalt ist Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France. New York/Oxford 1986. 33 Tischer, Patrone (wie Anm. 31), 180-186; dies., Claude de Mesmes, Count d'Avaux (1595-1650): The Perfect Ambassador of the Early 17th Century, in: International Nego32
Diplomatiegeschichtliche Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
che Einfluss, den der Kongressgesandte Abel Servien auf die Gestaltung der französischen Kongresspolitik auszuüben vermochte, ist letztlich nur vor dem Hintergrund der Tatsache verständlich, dass er eine Kreatur Mazarins war und dass er durch seine direkte Korrespondenz mit seinem Neffen Lionne, einem engen Mitarbeiter Mazarins und Königin Annas, hervorragend über die jeweiligen Intentionen des Kardinalpremiers informiert war. 34 Für die schwedische Diplomatie des 17. Jahrhunderts hat Heiko Droste vergleichbare Studien zu Klientel und Patronage vorgelegt, darunter in kritischer Auseinandersetzung mit den Netzwerkanalysen Wolfgang Reinhards vor allem zu Johan Adler Salvius, der neben Johan Oxenstierna als Gesandter Schwedens auf dem Westfälischen Friedenskongress fungierte. 35 Salvius, laut Droste „der Homo novus Schwedens im 17. Jahrhundert" 36 , war ursprünglich ein Klient des Reichskanzlers Axel Oxenstierna. Als sich seine Beziehungen zu Oxenstierna gegen Ende der 1630er Jahre zunehmend verschlechterten, suchte und fand Salvius die Patronage von zwei weiteren bedeutenden Mitgliedern der schwedischen Regierung, nämlich die des Schatzmeisters Magnus Gabriel De La Gardie und des Reichstruchsesses Per Brahe. 37 Prägend für Salvius' facettenreiche politische und diplomatische Tätigkeit wurde es, dass er sich nicht nur stets der Protektion seiner Patrone versicherte, sondern dass er selbst als Patron ein sternförmiges Netz errichtete, mit dem er durchaus erfolgreich seine eigenen Interessen und die seiner Klienten und Verwandten zu wahren verstand. 38 Liegen somit für die französischen und ansatzweise auch für die schwedischen Kongressgesandten seit jüngerer Zeit Studien zu Klientel und Patronage vor, so stellen Verflechtungs- und Netzwerkanalysen für andere Gesandtschaften des Friedenskongresses ein dringliches Desiderat dar. Die Erfortiation 13, 2008, 197-209, hier 203-205; Peter Arnold Heuser, Ars disputandi: Kunst und Kultur des Streitens frühneuzeitlicher Diplomaten als Aufgabenfeld einer historischen Friedens- und Konfliktforschung. Prolegomena am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses 1643-1649, in: Uwe Baumann/Arnold Becker/Astrid Steiner-Weber (Hrsg.), Streitkultur. Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst. (Super alta perennis, Bd. 2.) Göttingen 2008, 265-315, hier 284f.; die jüngste Gesamtdarstellung der französischen Kongresspolitik behandelt das Thema Klientel und Patronage leider kaum: Paul Sonnino, Mazarin's Quest. The Congress of Westphalia and the Coming of the Fronde. Cambridge, Massachusetts/London 2008. 34
Tischer, Patrone (wie Anm. 31), 187-190.
Heiko Droste, Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. (Nordische Geschichte, Bd. 2.) Berlin 2006; ders., Patronage (wie Anm. 30); ders., Ein Diplomat zwischen Familieninteressen und Königsdienst: Johan Adler Salvius in Hamburg (1630-1650), in: Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit. (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 36.) Berlin 2005, 87-104. 35
36
Droste, Salvius (wie Anm. 35), 90.
37
Vgl. ebd. 92.
38
Vgl. ebd. 99.
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schung spanischer Klientel- und Patronageverhältnisse steckt bezogen auf den Westfälischen Friedenskongress noch in ihren Anfängen.39 Ebenso fehlen entsprechende systematische Gesamtuntersuchungen zu den kaiserlichen und den niederländischen Kongressgesandten, ganz abgesehen davon, dass das Wirken der zahlreichen reichsständischen Gesandten in Münster und Osnabrück für diesen Forschungskontext viele Ansatzpunkte liefert, die noch nicht hinreichend ausgelotet worden sind. 40 Hier bestehen also noch erhebliche Forschungslücken, die nicht allein mit dem edierten Quellenmaterial zu schließen sind, sondern die in der Regel erst nach intensiver Archivrecherche aufgearbeitet werden können. 4. Symbolische Kommunikation und Westfälischer Friedenskongress: Das Beispiel des französisch-spanischen Präzedenzstreits In einem letzten Schritt ist noch ein drittes Forschungsgebiet anzusprechen, das seit dem Jubiläumsjahr 1998 zunehmend an Gewicht gewonnen hat und besonders perspektivenreich ist. Seit der kulturalistischen Wende ist bekanntlich die Beschäftigung mit symbolischer Kommunikation, Zeremoniell, Ritualen und Präzedenzstreitigkeiten sprunghaft angestiegen.41 Es ist in diesem Kontext fast schon ein Topos, darauf hinzuweisen, dass Praktiken der symbolischen Kommunikation inzwischen grundsätzlich anders bewertet werden als in der älteren Forschung. Während etwa die Diplomatiegeschichtsschreibung älterer Prägung zumeist mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck brachte, dass Fragen des Zeremoniells letztlich nebensächliche und damit nicht erforschenswerte Äußerlichkeiten seien, hat die jüngere Forschung im Gegensatz dazu sehr zu Recht die große Bedeutung von symbo-
Vgl. dazu die biografischen Skizzen der spanischen Kongressgesandten in Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 1), 137-170. 4 0 Erste Befunde dazu im Hinblick auf Sachsen-Altenburg liefert Maria-Elisabeth Brunert, ...ich hatte ja auch luxaugen sowohl als andere: Der Augenzeugenbericht eines Teilnehmers am Westfälischen Friedenskongress über den Wallfahrtsort Rulle, in: Osnabrücker Mitteilungen 106,2001,127-143, hier 140-143. 4 1 Vgl. dazu die Überblicke von Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27, 2000, 3 8 9 ^ 0 5 ; dies., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe - Thesen - Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31,2004,489-527; dies., Herrschaftszeremoniell, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Bisher 9 Bde. Darmstadt 2005-2009, hier Bd. 5. Darmstadt 2007, 416-424; vgl. ferner jüngst dies./Matthias Puhle/Jutta Götzmann/Gerd Althoff (Hrsg.), Spektakel der Macht. Rituale im alten Europa 800-1800. Kooperationsausstellung des Sonderforschungsbereiches 496 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg 21. September 2008 bis 4. Januar 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg. Katalog. Darmstadt 2008. 39
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen
Friedenskongresses
lisch-zeremoniellen Praktiken in der v o r m o d e r n e n Diplomatie hervorgehoben.« Mit Blick auf den Westfälischen Friedenskongress gelangt m a n in diesem Z u s a m m e n h a n g allerdings zu e i n e m e t w a s ü b e r r a s c h e n d e n Befund. D e n n es liegt bislang keine G e s a m t u n t e r s u c h u n g in publizierter F o r m vor, die das in M ü n s t e r u n d O s n a b r ü c k befolgte diplomatische Zeremoniell auf der G r u n d lage der neueren Fragestellungen kulturalistischer P r ä g u n g umfassend behandelt hätte. Gleichwohl ist h e r v o r z u h e b e n , dass einige Einzelaspekte aus diesem inhaltlichen U m f e l d in der jüngeren F o r s c h u n g sehr wohl thematisiert w o r d e n sind. S o hat beispielsweise Anja Stiglic in ihrer 1998 erschienenen Dissertation die öffentlichen Feierlichkeiten des Friedenskongresses
unter-
sucht, 4 3 u n d es liegen auch n e u e r e Studien z u m A n s p r u c h der kurfürstlichen G e s a n d t e n auf den Exzellenztitel 4 4 sowie z u m französisch-spanischen Präzedenzstreit v o r . 4 5 Letztgenanntes Beispiel sei im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt, da die diesbezüglichen Befunde der jüngeren
Forschung
unter a n d e r e m A u s g a n g s p u n k t e dafür sein könnten, das auf d e m Westfälischen Friedenskongress a n g e w a n d t e zeremonielle „ T r a c t a m e n t " auf die Frage hin zu untersuchen, inwiefern das in M ü n s t e r u n d O s n a b r ü c k vereinbarte Prozedere a u c h für die n a c h f o l g e n d e n Friedenskongresse von Relevanz gew e s e n ist.
Vergleichsweise früh hat darauf William Roosen hingewiesen; vgl. William Roosen, Early Modern Diplomatie Ceremonial: A Systems Approach, in: Journal of Modern History 52, 1980, 452-476; vgl. darüber hinaus insbesondere Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte NF. 7, 1997, 145-176; dies., Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation. (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, NF., Beihefte 6.) Berlin 2002,1-26; dies., Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10, 2003,125-150. 42
Vgl. Anja Stiglic, Ganz Münster ist ein Freudental...: Öffentliche Feierlichkeiten als Machtdemonstration auf dem Münsterschen Friedenskongreß. (Agenda Geschichte, Bd. 13.) Münster 1998; dies., Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreß-Stadt Münster, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. München 1998,391-396. 43
Vgl. Günter Christ, Der Exzellenz-Titel für die kurfürstlichen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Parliaments, Estates and Representation 19, 1999, 89-102. 44
Vgl. Michael Rohrschneider, Friedenskongress und Präzedenzstreit: Frankreich, Spanien und das Streben nach zeremoniellem Vorrang in Münster, Nijmegen und Rijswijk (1643/44-1697), in: Christoph Kampmann/Katharina Krause/Bettina Krems/Anuschka Tischer (Hrsg.), Bourbon - Habsburg - Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700. Köln/Weimar/Wien 2008,228-240. 45
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Michael Rohrschneider
Fasst man Diplomatie als differenziertes und immer wieder neu auszutarierendes kulturelles Zeichensystem auf, dann ist es gerade angesichts der unter den Zeitgenossen verbreiteten Vorstellung einer natürlichen Feindschaft zwischen Frankreich und Spanien besonders interessant zu überprüfen, ob die weitreichenden wechselseitigen Vorurteile und die feindbildartige Perzeption der Gegenseite auch in der diplomatischen Praxis und der wechselseitigen zeremoniellen Behandlung der Franzosen und Spanier zum Ausdruck gelangten. Dieser zeremonielle Umgang, der sich auch und gerade in Form symbolischer Akte manifestierte, hatte eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die Genese der französisch-spanischen Friedensverhandlungen. Zitiert sei in diesem Zusammenhang Barbara Stollberg-Rilinger, die in jüngerer Zeit wiederholt und mit Nachdruck auf die große politische Bedeutung des ausdifferenzierten barocken Zeremoniells aufmerksam gemacht hat und deren nachfolgend zitierter allgemeiner Befund auch im Hinblick auf die spezifische Bedeutung des Zeremoniells in Münster geltend gemacht werden kann: „Das Zeremoniell beruhte auf der persönlichen Interaktion unter Anwesenden (auch wenn die solennen Akte anschließend in aufwendigen Druckwerken festgehalten wurden und so ein größeres Lesepublikum erreichten). Ein zeremoniell formulierter Anspruch hatte daher ein viel größeres Gewicht und stiftete größere Verbindlichkeit als ein theoretischer Traktat: Nicht nur, weil eine zeremonielle Botschaft ganz unmittelbar vor den Augen der Beteiligten lag. Vor allem auch deshalb, weil die zeremonielle Sprache von den Potentaten selbst, ihren Familienangehörigen und Repräsentanten gesprochen wurde, der zeremonielle Austausch also auf der politisch und sozial unmittelbar relevanten Bühne stattfand." 46 Für die französisch-spanischen Beziehungen beispielsweise war auf dem Westfälischen Friedenskongress die traditionelle Frage nach der Rangordnung der europäischen Mächte neu zu beantworten. Denn die beiden katholischen Kronen stritten seit langer Zeit erbittert um die Präzedenz und gerade die zunehmende Verdichtung und Intensivierung der diplomatischen Kommunikation in Münster hatte nahezu unausweichlich zur Folge, dass der Streit der beiden Mächte um zeremoniellen Vorrang offen zutage treten musste.·»7 46
Stollberg-Rilinger, Honores regii (wie Anm. 42), 3-4.
Zum französisch-spanischen Präzedenzstreit vgl. Blas Casado Quintanilla, La cuestión de precedencia España-Francia en la tercera asamblea del Concilio de Trento, in: Hispania Sacra 36,1984,195-214; Dietrich Briesemeister, Der publizistische Rangstreit zwischen Spanien und Frankreich in der frühen Neuzeit, in: Jörn Albrecht/Horst W. Drescher/Heinz Göhring/Nikolaj Salnikow (Hrsg.), Translation und interkulturelle Kommunikation. 40 Jahre Fachbereich Angewandte Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim. (FAS. Publikationen des Fachbereichs Angewandte Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim. Reihe A, Bd. 8.) Frankfurt am Main u.a. 1987, 315-338; Michael ). Levin, A New World Order: The Spanish Campaign for Precedence in Early Modern Europe, in:
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Diplomatiegeschichtliche Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
Europa blickte mit Spannung nach Münster, denn es war im Vorfeld der Friedensverhandlungen offen geblieben, wie in dieser Frage verfahren werden sollte. Beide Seiten instruierten ihre Gesandten jedenfalls dahingehend, dass dem Kriegsgegner keinesfalls die Präzedenz gestattet werden sollte.48 Eines war klar: Es musste angesichts der persönlichen Anwesenheit französischer und spanischer Diplomaten zu einer irgendwie gearteten Regelung kommen, wollte man die Friedensverhandlungen zwischen den beiden katholischen Kronen überhaupt ermöglichen. Das Problem bestand darin, dass jedweder Kontakt der beiden gegnerischen Kongressgesandtschaften im Rahmen von Zeremonien an neutralem Ort, an denen auch Dritte teilnahmen, unweigerlich dazu führen musste, dass eine Rangordnung sichtbar wurde. Solche Rangordnungen bildeten nicht nur die Hierarchie der europäischen Mächte ab, sondern diese gedachte Hierarchie bestand geradezu in ihrer Visualisierung, das heißt, sie wurde im performativen Sinn anlassbedingt immer wieder neu hergestellt. Denn politisch-soziale Ranghierarchien waren letztlich nichts anderes als bloße Fiktionen, die in sinnlich wahrnehmbarer Weise abgebildet werden mussten, wollte man ihnen im Konzert der Mächte sichtbare Geltung verschaffen. Diese konfliktträchtige Vorstellung einer universalen hierarchischen Rangordnung war im Selbstverständnis der frühneuzeitlichen europäischen Potentaten stark ausgeprägt, ja mit ihr ging bekanntlich sogar die Etablierung einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin einher, das sogenannte ius praecedentiae,49 Die jüngere Forschung hat in diesem Kontext herausgearbeitet, dass sowohl Franzosen als auch Spanier auf das Äußerste darauf bedacht waren, jedwede Visualisierung von Rangordnungen auf dem Friedenskongress zu verhindern, die den Präzedenzanspruch des Kriegsgegners sinnlich wahrnehmbar umgesetzt und damit konstituiert hätte.50 Barbara Stollberg-Rilinger hat diese ausJournal of Early Modern History 6, 2002, 233-264; Julia Zunckel, Rangordnungen der Orthodoxie? Päpstlicher Suprematieanspruch und Wertewandel im Spiegel der Präzedenzkonflikte am heiligen römischen Hof in post-tridentinischer Zeit, in: Günther Wassilowsky/Hubert Wolf (Hrsg.), Werte und Symbole im frühneuzeitlichen Rom. (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, Bd. 11.) Münster 2 0 0 5 , 1 0 1 - 1 2 8 ; Cornel Zwierlein, Normativität und Empirie. Denkrahmen der Präzedenz zwischen Königen auf dem Basler Konzil, am päpstlichen Hof (1564) und in der entstehenden Politikwissenschaft (bis 1648), in: Historisches Jahrbuch 125, 2 0 0 5 , 1 0 1 - 1 3 2 ; Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 1), 223-232; ders., Friedenskongress (wie Anm. 45), 230-234; ders., Das französische Präzedenzstreben im Zeitalter Ludwigs XIV.: Diplomatische Praxis - zeitgenössische Publizistik - Rezeption in der frühen deutschen Zeremonialwissenschaft, in: Francia 36,2009, 135-179. 48
Vgl. Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 1), 224-226; ders., Friedenskongress (wie Anm.
45), 231-233. 49
Vgl. insgesamt Stollberg-Rilinger, Wissenschaft (wie Anm. 42).
50
Vgl. Rohrschneider, Friedenskongress (wie Anm. 45), 232-234.
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Michael Rohrschneider
geprägte Vorsicht und Behutsamkeit der Zeitgenossen in anderem Zusammenhang treffend formuliert: „Weil jedes öffentlich sichtbare Agieren der Potentaten beziehungsweise Gesandten rechtliche Verbindlichkeiten erzeugte, war stets größte Wachsamkeit gefordert, damit einem Fürsten nicht durch irgend ein signifikantes Detail an seinen wohlerworbenen Rechten Abbruch geschah." 51 Bezeichnend für die Vehemenz, mit der die jeweiligen Rangprätentionen gerade vonseiten Frankreichs in Münster verfochten wurden, ist etwa die Tatsache, dass die französischen Friedensgesandten den eigenen Präzedenzanspruch notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen gedachten. Der Einzug des päpstlichen Mediators Fabio Chigi am 19. März 1644 zeigt dies exemplarisch, als es die Spanier nämlich vorzogen, dem Einzug fernzubleiben, da sie damit rechnen mussten, im Falle ihrer Anwesenheit von den Franzosen gewaltsam verdrängt zu werden. 52 Der spanische Verzicht auf Präsenz war hier allerdings gleichbedeutend mit einer ausdrücklichen Aufrechterhaltung des eigenen Anspruchs auf Präzedenz. Denn nur indem die spanischen Gesandten nach Möglichkeit konsequent Gelegenheiten mieden, bei denen ein Zusammentreffen mit den Franzosen an neutralem Ort unter Beteiligung Dritter unausweichlich gewesen wäre und die eine gewaltsame Visualisierung französischen Vorrangs zuungunsten Spaniens befürchten ließen, war es ihnen möglich, den französischen Präzedenzanspruch nicht zur Geltung kommen zu lassen. Dies war im vorliegenden Fall keine ausgesprochene oder gar schriftlich ausformulierte Forderung der spanischen Kongresspolitik, sondern ein Akt symbolischer Kommunikation, der auch und gerade auf den anerkannten Usancen bestimmter zeremonieller Codes gründete, die vor den Augen der Kongressöffentlichkeit von den Diplomaten virtuos für die eigenen Interessen eingesetzt wurden. Dass der bewusste Verzicht der Spanier auf offene Rangstreitigkeiten mit den Franzosen in Münster nur schwer umzusetzen war, ohne einen Gesichtsverlust zu erleiden, wird ersichtlich, wenn man sich die Fülle der öffentlichen Zeremonien in der Kongressstadt vor Augen führt. Der Kongress wurde be51
Stollberg-Rilinger, Honores regii (wie Anm. 42), 8.
Vgl. Stiglic, Ganz Münster (wie Anm. 43), 88-96; vgl. in diesem Zusammenhang exemplarisch d'Avaux an Königin Anna von Frankreich, Münster 25. März 1644, Druck in: Ursula Irsigler (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen. Bd. 1: 1644. Unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy. Münster 1979, 22: „Lorsque ledict Sieur Nunce [i.e. Chigi] arriva en cette ville, je fus advertí que les Ambassadeurs d'Espagne avoient concerté avec ceux de l'Empereur d'envoyer à sa rencontre. Cella m'obligea de faire monter Monsieur de Saint Romain à cheval avec vingt gentishommes pour prendre garde que ceux que j'envoyois aussy au devant du Nunce tinssent partout le rang qui convient. En une autre saison et un autre lieu j'en serois demeuré là. Mais estant icy pour faire la paix, je fis donner advis à Monsieur Contarmi que si quelques uns vouloient prendre place entre les Impériaux et nous, ilz seroient batus." 52
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen
Friedenskongresses
stimmt von zahllosen Einzügen diplomatischer Vertreter, von den obligatorischen Visiten und Revisiten der Gesandten, von geschickt inszenierten Festivitäten, Prozessionen, Kondolenz- oder auch Gratulationsbesuchen, also von verdichteter, in vielfältigen Erscheinungsformen gewandeter diplomatischzeremonieller Kommunikation. Den Franzosen auf neutralem Boden zu begegnen, vermied man auf spanischer Seite aufgrund des Präzedenzstreits nach Möglichkeit. Stattdessen inszenierte man bisweilen regelrechte Gegenveranstaltungen, bei denen unter Nichtbeteiligung der Franzosen sichergestellt war, dass eine für Spanien vorteilhafte Rangordnung hergestellt werden konnte. 53 Diese konkurrierenden und unvereinbaren Präzedenzansprüche Frankreichs und Spaniens wirkten sich sehr wohl auch auf die konkreten Friedensverhandlungen aus. Hier gelangte man zu dem verhandlungstechnischen Agreement, auf schriftlichem Weg über Mediatoren zu verhandeln, denn damit konnten drohende Präzedenzstreitigkeiten entschärft werden. 54 Eine der Folgen war, dass sich die Prinzipalgesandten Frankreichs und Spaniens, nämlich der Herzog von Longueville und der Graf von Peñaranda, auf dem Kongress nie begegnet sind. Infolge der ungeklärten Präzedenzfrage haben beide nicht vis-à-vis verhandelt. Liegen also für die französisch-spanischen Verhandlungen inzwischen entsprechende Untersuchungen zu Zeremoniell und symbolischer Kommunikation vor, so bleibt insgesamt gesehen jedoch festzuhalten, dass eine wirklich umfassende Untersuchung, die das diplomatische Zeremoniell auf dem Westfälischen Friedenskongress in seiner Gesamtheit und unter Berücksichtigung der jüngeren kulturgeschichtlichen Forschungsansätze analysiert hätte, bislang noch nicht publiziert worden ist. 55 Von daher darf man mit Spannung die in Entstehung begriffene Dissertation von Niels Fabian May zum Thema 53
Vgl. Stiglic, Ganz Münster (wie Anm. 43), 165-169.
Zur Friedensvermittlung auf dem Westfälischen Friedenskongress vgl. Gottfried Lorenz, Die dänische Friedensvermittlung beim Westfälischen Friedenskongreß, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 12.) Münster 1981, 31-61; Konrad Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler beim Westfälischen Frieden, Wiederabdruck in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann. (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GörresGesellschaft, NF., Bd. 81.) Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, 695-719; ders., Friedensvermittlung als Element europäischer Politik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ein Vortrag, in: ebd., 799-816; speziell zur Vermittlung zwischen Frankreich und Spanien in Münster vgl. zuletzt Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 1), 250-264. 54
Eine knappe Skizze liefert Bernhard Jahn, ,Ceremoniel' und Friedensordnung. Das ,Ceremoniel' als Störfaktor und Katalysator bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, in: Klaus Garber u.a. (Hrsg.), Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion - Geschlechter - Natur und Kultur. (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 1.) München 2001,969-980. 55
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Michael Rohrschneider
„Norm und Praxis des diplomatischen Zeremoniells auf den Friedenskongressen von Münster/Osnabrück, Nimwegen und Rijswijk" erwarten. May hat bereits im Rahmen seiner bei Lucien Bély an der Pariser Sorbonne entstandenen, ungedruckten Abschlussarbeit56 das diplomatische Zeremoniell auf dem Westfälischen Friedenskongress untersucht und ist daher wie kaum ein Zweiter dafür prädestiniert, das Thema hinreichend zu behandeln. 5 . Fazit Anhand von drei Themenkomplexen wurden Tendenzen der jüngeren diplomatiegeschichtlichen Forschung zum Westfälischen Friedenskongress und zugleich einige damit einhergehende Perspektiven für zukünftige Untersuchungen aufgezeigt. Wenn eingangs der Untersuchung hervorgehoben wurde, dass die Auswahl der dargestellten drei Schwerpunkte zwar nach subjektiven Kriterien, aber nicht willkürlich und zufällig erfolgt ist, dann gilt es abschließend, die damit in Verbindung stehenden Beobachtungen genereller Natur auch konkret zu benennen. Für fast alle der herangezogenen Beispiele lässt sich nämlich konstatieren, dass die Verfasser in intensiver Weise die durch die Acta Pads Westphalicae (APW)57 bereitgestellten Quellen ausgewertet und zugleich aufgezeigt haben, dass die im Rahmen dieses Editionsunternehmens publizierten Quellen für die Fragestellungen der derzeitigen Forschung mit großem Gewinn herangezogen werden können. Allein im Zeitraum von 1998 bis Mitte des Jahres 2009 sind 18 stattliche Bände der APW erschienen.58 Damit hat sich die zur VerfüNiels F. May, Le cérémoniel diplomatique au XVIIe siècle comme expression politique. Les différends pendant les négociations de Westphalie (1643-1648). Genèse et développement. Mémoire de maîtrise d'Histoire moderne. Université Paris Sorbonne (Paris IV) 2006 (ungedruckt). 56
Zur Edition der Acta Pacis Westphalicae (wie Anm. 18) vgl. in diesem Sammelband den Beitrag von Maximilian Lanzinner, Die „Acta Pacis Westphalicae" (APW) seit dem Gedenkjahr 1998, 49-72; Konrad Repgen, Über die Publikation ACTA PACIS WESTPHALICAE (APW), in: ders., Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 54), 153-180; ders., Akteneditionen zur deutschen Geschichte des späteren 16. und 17. Jahrhunderts. Leistungen und Aufgaben, in: Lothar Gall/Rudolf Schieffer (Hrsg.), Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Histórica und der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, 22./23. Mai 1998. (Historische Zeitschrift, Beihefte, NF., Bd. 28.) München 1999, 37-79; ders., Die westfälischen Friedensverträge von 1648 und die editorische Erschließung ihrer Akten und Urkunden, in: Archive im zusammenwachsenden Europa. Referate des 69. Deutschen Archivtags und seiner Begleitveranstaltungen 1998 in Münster veranstaltet vom Verein deutscher Archivare. Siegburg 2000, 23-52; vgl. auch die Homepage der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., die mit der Edition der APW betraut ist: [http://www.pax-westphalica.de]. 5 8 Vgl. Hubert Salm/Brigitte Wübbeke-Pfliiger, Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 4: 1646. Unter Benutzung der Vorarbeiten von Wilhelm Engels, Manfred Klett und Antje Oschmann. Münster 2001; Bd. 7: 1647-1648. Bearbeitet von Andreas Hausmann. Münster 2008; Bd. 8: Februar-Mai 1648. Bearbeitet von Sebastian Schmitt. Münster 2008; Serie II: Korrespon57
Diplomatiegeschichtliche
Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses
g u n g stehende G r u n d l a g e a n historisch-kritisch edierten Quellen z u m Westfälischen Friedenskongress, verglichen mit der Situation v o r d e m Jubiläumsjahr 1998, in e i n e m U m f a n g verbreitert, w i e es w o h l für k a u m einen anderen Bereich der frühneuzeitlichen Geschichte zu verzeichnen ist. 5 9 Diese reichhaltigen u n d n u n m e h r allgemein zugänglichen Quellen bieten zweifellos m a n n i g faltige C h a n c e n , die es i m Sinne einer m o d e r n verstandenen Diplomatiegeschichtsschreibung künftig a u c h tatsächlich weiter z u nutzen gilt, u n d es ist sehr z u hoffen, dass n o c h W e g e u n d Mittel g e f u n d e n w e r d e n , die in ihrer Existenz bedrohten A P W fortzuführen. D e n n die Einstellung dieses Editionsu n t e r n e h m e n s w ä r e zweifellos ein schmerzlicher Verlust für die Frühneuzeitforschung.
denzen. Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen. Bd. 3/1.-2. Teil: 1645-1646. Unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy bearbeitet von Elke Jarnut (+) und Rita Bohlen mit einer Einleitung und einem Anhang von Franz Bosbach. Münster 1999; Bd. 4:1646 (wie Anm. 18); Bd. 5/1.-2. Teil: 1646-1647. Bearbeitet von Guido Braun unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und Achim Tröster sowie unter Mithilfe von Antje Oschmann am Register. Münster 2002; Bd. 6: 1647. Bearbeitet von Michael Rohrschneider unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen. Münster 2004; Serie III: Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia. Abteilung A Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. Teil 1-6. Bearbeitet von Maria-Elisabeth Brunert. Münster 1998-2009; Serie III: Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia. Abteilung B: Verhandlungsakten. Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 1. Teil: Urkunden. Bearbeitet von Antje Oschmann. Münster 1998; 2. Teil: Materialien zur Rezeption. Bearbeitet von Guido Braun, Antje Oschmann und Konrad Repgen. Münster 2007; 3. Teil: Materialien zur Erschließung und Register. Berarbeitet von Antje Oschmann. Münster 2007. 5 9 Vergleichbare Fortschritte auf dem Gebiet der Quelleneditionen zur frühneuzeitlichen Friedensforschung hat in jüngerer Zeit auch das Online-Projekt der „Europäischen Friedensverträge der Vormoderne" gemacht. Aus diesem Editionsunternehmen sind inzwischen mehrere Sammelbände hervorgegangen; vgl. insbesondere Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hrsg.), Kalkül - Transfer - Symbol: Europäische Friedensverträge der Vormoderne. Wolfenbütteler Arbeitsgespräch. In Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1.) Mainz 2006; dies. (Hrsg.), Instrumente des Friedens. Vielfalt und Formen von Friedensverträgen im vormodernen Europa. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 3.) Mainz 2008.
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Normaljahrsverhandlungen
Ralf-Peter Fuchs Diskurs
Normaljahrsverhandlungen
als
moralischer
1 . Was ist ein moralischer Diskurs? Die folgenden Ausführungen können vielleicht dazu beitragen, einen Begriff genauer zu fassen, der mir hilfreich erschien, um Friedensverhandlungsakten im Dreißigjährigen Krieg zu beschreiben und die Texte zu interpretieren. Insbesondere das Aushandeln eines Normaljahres, die Herausbildung der Lösung jenes Konfliktes, den man oft einen,Streit wegen der Religion' nannte, habe ich im Auge gehabt.1 Nicht nur der Verweis auf das allgemeine Beste, sondern auch der Verweis auf das Gerechte manifestiert sich in diesem Lösungsansatz. In diesem Kontext ist mir bewusst geworden, dass auch der Prozess des Feilschens, den man immer wieder zu profanisieren beziehungsweise zu bagatellisieren neigt, ganz wesentlich von moralischen Prinzipien getragen zu sein scheint. Ausgangspunkt meiner Ausführungen ist die vielleicht zunächst banal klingende Überlegung, dass die friedliche Form der Kommunikation, der Dialog, der zur Abstellung kriegerischer Handlungen geführt wird, eine gemeinsame Sprache voraussetzt, oder genauer: gemeinsame Wertvorstellungen, derer sich die Gegner, die sich auf ein Verhandeln einlassen, in ihren Gesprächen gegenseitig versichern können. Schließlich war es das Ziel, ein Band zu finden, mit dem Gemeinsamkeit hergestellt werden konnte. Dabei soll überhaupt nicht in Abrede gestellt werden, dass Friedensverhandlungen auch von anderen Diskursarten bestimmt sein können. Es war die Sprache der Juristen, die im Dreißigjährigen Krieg intensiv gepflegt wurde, wenn sich die Bevollmächtigten gegenseitig Zugeständnisse abrangen. Intensiv wurde auf tatsächliche oder vermeintliche Rechts- und Gesetzeslagen hingewiesen. Andererseits ergab sich aus der Situation des Verhandeins eben vielfach auch die Notwendigkeit, sich von bestehenden Sichtweisen zu lösen oder sogar neues Recht über den Kompromiss anzuvisieren. Dabei wurde eben nicht nur auf das Reservoir vorhandener Rechtsquellen - Gesetze, Reichstagsschlüsse oder das Schrifttum von Gelehrten zurückgegriffen - , sondern auch auf andere für beide Seiten nachvollziehbare Kriterien, die Forderungen und Vorschläge autorisieren konnten. Im Folgenden soll es somit darum gehen, das Kommunizieren über gemeinsame Wertvorstellungen anhand einiger Beispiele in den Blick zu nehmen, wobei ich das Konzept zunächst etwas allgemeiner beschreiben möchte, um im Anschluss daran konkreter auf die Friedensverhandlungen im 17. Jahrhundert einzugehen. Es sind dabei die Verhandlungen beziehungs1 Ralf-Peter Fuchs, Ein ,Medium' zum Frieden. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. München 2010. Zur Würdigung des Westfälischen Friedens im Hinblick auf seine originellen Konfliktlösungsansätze siehe Johannes Burkhardt, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 9,1998,592-612.
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Ralf-Peter Fuchs
weise protokollierten Friedensgespräche selbst, die ich als Diskurse begreife. Ich verwende somit nicht jenen spezifischen Diskursbegriff wie er bei Michel Foucault auftaucht. 2 Ebenso wenig möchte ich mich auf den Diskursbegriff von Jürgen Habermas festlegen, wenngleich dieser sogar den Begriff des „moralischen Diskurses" erläutert, so dass etwas genauer auf seine Ausführungen einzugehen ist. 3 Moralische Diskurse, wie ich sie verstehe, kann man keineswegs allein in Friedensverhandlungen ausmachen. Auch in Kriegserklärungen und Kriegsbegründungen tauchen sie offensichtlich auf.4 Das Reden darüber, was gut und richtig ist, wer sich entsprechend verhält oder das Gegenteil tut, ist konstitutiv für die soziale Welt. Auf diese Weise definiert, lassen sich für die Frühe Neuzeit moralische Diskurse in zahlreichen Quellen ausmachen, von denen ich hier nur Injurienklagschriften, gerichtliche Zeugenaussagen 5 oder jene französischen Gnadengesuche nennen möchte, die Natalie Zemon Davis untersucht hat, um dazu aufzurufen, solcherlei „fiction in the archives" stärker in der Forschung zu berücksichtigen: 6 Es handele sich insofern um wertvolle historische Quellen, als sie „moralische Wahrheiten" 7 darstellen beziehungsweise darstellen sollen. In der Tat stellen solche Wertediskurse für die Geschichtswissenschaft eine Chance dar, Grundwerten historischer Gesellschaften 8 und Mentalitäten näher zu kommen und in einem zweiten Schritt darüber erst Handlungen geschichtlicher Subjekte nachvollziehbar zu machen.
Ein Überblick über verschiedene Diskurstheorien (von Jürgen Habermas, Michel Foucault über Pierre Bourdieu zu Ernesto Laclau/Chan tal Mouffe) bei: Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse. Frankfurt am Main/New York 2008, 60-90. 3 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt am Main 1995,38-49. 4 Siehe etwa: Anuschka Tischer, Art. „Kriegserklärung", in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7. Stuttgart/Weimar 2008, 175-181. Zur Kriegsbegründung im Rahmen der Flugschriftenpolemik siehe jetzt Esther-Beate Körber, Krieg um Gottes willen? Kriegsbegründungen in Flugschriften des 30jährigen Krieges, in: Hans J. Heintze/ Anette Fath-Lihic (Hrsg.), Kriegsbegründungen. Wie Gewaltanwendung und Opfer gerechtfertigt werden sollten. Bochum 2008,33-42. 5 Es handelt sich hierbei um Quellen, mit denen ich mich selbst eingehender beschäftigt habe: Ralf-Peter Fuchs, Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht 1525-1805. Paderborn 1999; Ralf-Peter Fuchs/Winfried Schulze (Hrsg.), Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quellen für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit. Münster 2002. 6 Natalie Zemon Davis, Der Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler. Berlin 1988. ι Ebd., 10. 2
Hierzu Paul Münch, Grundwerte der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft? Aufriß einer vernachlässigten Thematik, in: Winfried Schulze (Hrsg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität. München 1988,53-72.
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Normaljahrsverhandlungen
Soviel zur Weite des Begriffes. Ist aber dann nicht geradezu alles, was wir in Quellen finden, als moralischer Diskurs ausdeutbar? Ich möchte mich zur Beantwortung dieser Frage zunächst auf Jürgen Habermas beziehen, der eine konzeptionelle Einbettung des Begriffs in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns" vorgenommen hat. 9 Habermas unterscheidet in der von ihm in diesem Kontext entworfenen „Argumentationstheorie" 10 verschiedene Typen von Diskursen: 1. den theoretischen Diskurs (zuzuordnen einem kognitiv-instrumentellen Bereich, der teleologisch-strategisches Handeln hervorbringt), 2. den praktischen beziehungsweise moralisch-praktischen Diskurs (zuzuordnen dem Bereich gesellschaftlicher Normen), 3. die ästhetische Kritik (das ist ein ästhetischer Diskursbereich, der Angemessenheit von Wertstandards etwa in der Kunst-, Literatur- und Musikkritik problematisiert), 4. die therapeutische Kritik (gleichbedeutend mit der psychoanalytischen Desillusionierung), 5. den explikativen Diskurs (Diskurs, der den Diskurs selbst problematisiert und Verständlichkeit beziehungsweise Regelrichtigkeit bestimmter Ausdrücke einfordert). Die Überlegungen zu den hier vorgestellten Diskurstypen sind einer Darlegung der Rationalität kommunikativer Handlungen geschuldet. Habermas sieht rationale Äußerungen als kritisierbar und damit zugleich verbesserungsfähig. 11 Den moralisch-praktischen Diskurs sieht er dadurch geprägt, dass Personen ihre „Handlungen mit Bezugnahme auf entsprechende normative Kontexte rechtfertigen" 12 und damit rational agieren. Dieser Diskurs bringt für ihn jene „Form der Argumentation" hervor, „in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema gemacht werden", 13 und schafft damit die Möglichkeit, einen unparteiischen Blick auf Problemlagen zu entwickeln. Ich möchte es nun gerade vermeiden, mich zu intensiv an die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns anzulehnen, da sie eine Erklärungstotalität anstrebt und Perspektiven anvisiert, denen gerecht zu werden hier den Rahmen völlig sprengen würde. 14 Darüber hinaus haben mich einzelne Beobachtungen gelegentlich zu Widerspruch gereizt: So erhält offenbar die DiJürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt am Main 1995.
9
"> Ebd., Bd. 1,44-46. 11
Ebd., 38.
12
Ebd., 39.
13
Ebd.
Achim Landwehr sieht in seinen Ausführungen zu Recht eher ein „philosophisch normatives" Ziel, die Entwicklung einer Diskursethik als ein analytisches Ziel. Landwehr, Historische Diskursanalyse (wie Anm. 2), 64. 14
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mension des Dissimulierens, die in der Frühen Neuzeit so überaus wichtig war, um schwierige Kompromisse eingehen zu können, 15 bei Habermas offensichtlich keinen Raum. Als Historiker, die Quellenkritik ausüben müssen, wissen beziehungsweise ahnen wir, dass „unparteiische Rationalität" vorgetäuscht sein kann. Andererseits scheint die Beobachtung von Habermas, dass derartige Diskurse wesentlich vom Anspruch geprägt sind, „ein allen Betroffenen gemeinsames Interesse auszudrücken", 16 grundsätzlich auf jene Quellen, die Friedensverhandlungen wiedergeben, anwendbar zu sein. Die Zugrundelegung eines kognitiv-instrumentellen Bereichs, der einhelliges teleologisch-strategisches Handeln hervorbringt, ist im Hinblick auf Friedensverhandlungen jedenfalls durchaus sinnvoll: Das Ziel ist offensichtlich die Beilegung von Streitigkeiten zweier Parteien, zumindest jedoch ihre Annäherung über Gespräche. Was bei Habermas aber nicht problematisiert wird, ist die Tatsache, dass sich Rationalität für die Akteure auf verschiedenen Ebenen manifestiert. Die während des Dreißigjährigen Krieges verhandelnden Vertreter der Religionsparteien im Reich waren jeweils an ein spezifisches Gruppeninteresse gebunden und gegenüber den Mitgliedern ihrer Gruppe für die erzielten Ergebnisse verantwortlich. Dies führte aber zu widersprüchlichen Handlungsleitlinien, eine Tatsache, die jeder wusste, die aber aus den Gesprächen mit dem Gegner auszuklammern war. Intern waren wiederum andere moralische Diskurse zu führen, um die Gruppenkohäsion trotz der Annäherung an den Gegner nicht zu gefährden. Wertediskurse beziehungsweise moralische Diskurse stellen sich vor diesem Hintergrund, so meine weitere Beobachtung, in der Regel als Ehrdiskurse dar, da es darum ging, das eigene ,Ich' in dieser Welt der gesellschaftlichen Normen zu positionieren. Dies mag, bezogen auf Friedensverhandlungsakten, zunächst problematisch erscheinen, da sich die Frage stellt, welches ,Ich' hier überhaupt zum Vorschein kommt. Die Quellen 17 lassen jedoch erkennen, dass sich die Akteure in diesem Rahmen durchaus zu inszenieren verstanden. Zum einen sind die verhandelnden Gesandten zu nennen, die immer wieder auch namentlich genannt werden, zum anderen die hinter ihnen stehenden heimischen Administrationen, in deren Mittelpunkt die Herrscher - Kaiser, Könige, Fürsten und andere Reichsstände - standen: Friedensverhandlungsakten, so meine These, erzählen Geschichten, deren Adressaten sich auf meh-
Hierzu Martin Heckel, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: ders., Gesammelte Schriften. Staat Kirche - Recht - Geschichte. 5 Bde., 1989-2004, hrsg. v. Klaus Schiaich, Bd. 1. Tübingen 1989,1-82, hier 33-37. 15
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Ebd.
Als Quellengrundlage meiner Untersuchungen zur Normaljahrsfrage sind in erster Linie die Acta Pacis Westphalicae zu nennen, die nach neueren Editionsgrundsätzen von der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. seit 1962 herausgegeben werden. 17
Normaljahrsverhandlungen reren Ebenen finden. Ihre Rezipienten waren zum einen die Gesandten selbst, darüber hinaus die adminstrativen Zentralen. Man kommunizierte miteinander, indem zum Beispiel die fürstlichen Räte oder auch der Fürst selbst die Gesandten instruierten oder umgekehrt die Gesandten ihre Auftraggeber über die Gespräche informierten. Überdies muss man sich jedoch auch der Tatsache bewusst gewesen sein, dass Verhandlungsakten beziehungsweise -protokolle eine breite Öffentlichkeit erreichen konnten. Ein Blick in die zahlreichen Bände des ,Theatrum Europaeum' 1 8 lehrt: Verhandlungsprotokolle wurden in großem Umfang in der zeitgenössischen Publizistik wiedergegeben. Was liegt näher, als die Überlegung, dass Fürsten, Räte und Gesandte ein Gespür dafür entwickelten, dass ihre Handlungen im Licht dieser Öffentlichkeit erschienen? Von diesem Punkt aus ist es nur ein kleiner Schritt, den Bereich der zeitgenössischen Öffentlichkeit noch um den Bereich der Nachwelt zu erweitern. Da die ,Geschichten der Verhandlungen' entweder in Akten festgehalten oder gedruckt wurden, wurden sie für spätere Generationen verfügbar gemacht, eine Tatsache, die auf Nachruhm oder das Gegenteil hinauslaufen konnte. Dass die Akteure im Bewusstsein agierten, dem Urteil späterer Zeiten ausgesetzt zu sein, vermittelt insbesondere der in den Verhandlungsakten immer wieder erwähnte Begriff der ,Posterität'. Einige Akteure, ich nenne hier den für das Normaljahrskonzept maßgeblichen Johann Georg I. von Sachsen und sein Umfeld, brachten ihn besonders häufig in den Diskurs ein. 19 Man verwies auf die Verantwortung gegenüber der Posterität' und legitimierte zuweilen auch darüber politische Handlungen. Ein wichtiger Adressat der Geschichten, die über Verhandlungsakten erzählt wurden, waren somit die Nachgeborenen, die Nachkommen der Fürsten, um deren Besitz und Besitzansprüche es ging. Dass diese sich über die Überlieferung in den eigenen Hausarchiven einmal über die Taten ihrer Vorfahren informieren würden, lag von daher nahe, als solche Erkundigungen über die Vergangenheit zeitgenössische Praxis darstellten. Die Posterität' umfasste aber, wie die Quellen manchmal deutlich zeigen, nicht nur diese Nachkommen im engeren Sinne, sondern die gesamte Nachwelt, die sich über Druckwerke wie das ,Theatrum Europaeum' eine Meinung über die Akteure bilden konnte. Allgemein stellte die Posterität', damit im engeren wie weiteren Sinne eine imaginäre Öffentlichkeit dar, eine Instanz, die das Verhalten der politischen Akteure einmal als
1 8 Theatrum Europaeum Oder Außführliche und Warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwürdigen Geschichten [...]. Der erste Band erschien 1635 in Frankfurt. 19 Der kursächsische Hof operierte mit diesem Begriff auch gegenüber den eigenen Gesandten, so etwa auf dem Frankfurter Kompositionstag: Wenn es bei der Zerrüttung des Reiches und beim Krieg bleibe, könne dies beiden Teilen zum Verderben, „auch bey der werthen posteritet zu ewigem verweiß und auffruck gereichen". Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimes Archiv, Friedensschlüsse 8098/1 (Frankfurter Kompositionstag: Ausschreiben etc.), fol. 73.
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richtig oder falsch, unter Umständen auch als ehrenhaft und weniger ehrenhaft bewerten sollte. Vor diesem Hintergrund erscheinen Verhandlungsakten - wie im übrigen auch andere Aktenbestände frühneuzeitlicher Regierungsprovenienzen, als Traditionsquellen - aus dem Wunsch heraus entstanden, der Nachwelt Vorgänge, Geschehenes, aber auch Motive zu vermitteln. Mit dem Bild des Herrschers beziehungsweise Fürsten im Zentrum lässt sich meines Erachtens mit Stephen Greenblatt von einem „fashioning of identity" sprechen, das diese Quellen sicherlich nicht allein formte, aber doch in den Entstehungsprozess einfloss.20 Sein Begriff des „self-fashioning" kann von daher hier sicherlich nicht greifen, als zahlreiche Personen an der Konstruktion des Bildes vom Herrscher, das Zeitgenossen und der Nachwelt vermittelt werden sollte, beteiligt waren. Die Identität des Herrschers, seine Ehre, wie auch die seiner Helfer, die im Einklang mit seiner Linie agierten, ist jedoch als wesentlicher Gegenstand dieser Form erzählter Geschichte zu begreifen. So wie das ,Theatrum Europaeum' Fürstenportraits in Form von Kupferstichen präsentierte, so präsentierten politische Akten sie in gewisser Hinsicht als ,res gestae'. Nun sind über das „fashioning of identity" politischer Größen zweifellos sehr unterschiedliche Charaktere, vom Kriegshelden bis zum geschickten Verhandlungspolitiker, auf uns gekommen. Dies liegt offensichtlich an einer Vielfalt an Möglichkeiten, Ehre zur Geltung zu bringen. Wenn wir Ehre hier lediglich als Zuschreibung von Identität auf der Basis gesellschaftlicher Normen verstehen 21 - so mein Vorschlag - , ist darauf zu verweisen, dass Fürstentugenden an einer Vielzahl an Ansprüchen gemessen wurden. Diese ergaben sich zum Teil allgemein aus der Adelskultur, zum Teil waren sie direkt auf die Rolle des Fürsten zugeschnitten. Hierzu gehörte die Sorge um das Wohlergehen und die Überdauerungsfähigkeit der eigenen Dynastie, des eigenen Besitzes beziehungsweise Territoriums. Daneben hatte ein Fürst sich jedoch auch um das Reich zu sorgen. Ein Fürst war nicht nur in dieser Hinsicht dem Frieden verpflichtet, auch in seinem Territorium war er aufgerufen ihn hochzuhalten. Andererseits konnten kriegerische Ambitionen die Ehre mehren. Die Bewahrung oder Mehrung von Eigentum über Tapferkeit und Kriegslist gehörte zu den besonderen Perspektiven eines Fürsten, Ruhm zu erwerben. Über die Spannungsfelder Reich-Territorium und Frieden-Krieg zeigen sich Paradoxien im Wertehaushalt der frühneuzeitlichen Gesellschaft, die ver-
Zur Kunst des „fashioning of identities" („fashioning as a manipulable, artful process") siehe Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago/London 1980,2. 20
Hierzu auch Hans Wellmann, Der historische Begriff der ,Ehre' - sprachwissenschaftlich untersucht, in: Sibylle Backmann/Hans-Jörg Künast/Sabine Ullmann/B. Ann Tlusty (Hrsg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Berlin 1998, 27-39, hier 38. 21
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ständlich machen, dass sehr unterschiedliche moralische Diskurse entstehen konnten. Dies bot auf der anderen Seite Möglichkeiten, sehr differente Handlungsmodelle zu entwerfen, indem man bestimmte Werte besonders konturierte beziehungsweise zu seinen ganz persönlichen Tugenden machte. Darüber hinaus war es von der Interpretation der Wirklichkeit abhängig, wie man den Normen und Werten der Gesellschaft am besten gerecht wurde. Religion und Konfession waren als Werte an sich unumstritten. Ob man ihnen am besten über Friedenspolitik oder kriegerische Handlungen dienlich war, war eine Frage einer spezifischen Sicht auf die Dinge, nicht zuletzt abhängig von unterschiedlichen Arten des „fashioning of identity". Johann Georg I., der bestrebt war, als Friedensfürst Ruhm bei der Nachwelt zu erwerben, gelang es auf dem Frankfurter Kompositionstag 1631 zum ersten Mal, die protestantischen Mitstände vom Friedensmedium eines Normaljahres beziehungsweise eines „terminus a quo" zu überzeugen, weil er über seine Gesandten überzeugend darlegen konnte, dass ein Nachgeben von ihrer Seite dem evangelischen Glauben aus der Not helfen und gegenüber der Posterität', insbesondere der Posterität' der Protestanten, als weiser Entschluss vertreten werden konnte.22 An diesem Beispiel deuten sich bereits die Möglichkeiten an, unter Berufung auf allgemeingültige Werte sehr unterschiedliche Handlungskonzepte zu entwickeln. Trotz ihrer Unterwerfung unter die Gebote der Ehre erscheinen die Akteure nicht als fremdbestimmt, sondern als Charaktere, die die Situation - über deren Analyse und die Berufung auf bestimmte zur Bewältigung angeblich notwendiger Tugenden - sehr unterschiedlich beurteilten, differente Leitlinien konstruierten, andererseits aber auch die Fähigkeit zur kritischen Reflexion über die Konfliktlagen und zum Aushandeln von Kompromissen mitbrachten. 2 . Damit ist nun zu den Friedensverhandlungen im Dreißigjährigen Krieg überzuleiten, die mit der Schwierigkeit verbunden waren, einerseits möglichst viel von dem einzubringen, was den Akteuren als berechtigtes Anliegen für die eigene Sache erschien, andererseits fähig zu sein, Kompromisse gegenüber einem Gegner einzugehen, der sich im Rahmen der offenen Situation des Aushandelns als ein antagonistischer Partner' darstellte. Dass der ,Streit wegen der Religion' auf der Tagesordnung stand, war ein bedeutendes Erschwernis angesichts der zweifellos überaus hohen Bedeutung der Konfessionen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Auch in diesem Kontext erscheint der Hinweis auf die Ehre als ein die adelige und die politische Kultur der Frühen Neuzeit umspannendes Band hilfreich.
Ralf-Peter Fuchs, Für die Kirche Gottes und die Posterität - Kursachsen und das Friedensmedium eines Normaljahres auf dem Frankfurter Kompositionstag 1631, in: Mitteilungen des Sonderforschungsbereichs ,Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit' 1,2007,19-27.
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Die Gespräche hatten auf einem allgemein gültigen, von der Konfession unabhängigen Tugendkanon zu basieren, sofern Verständigung eine Chance haben sollte. Für die Verhandlungen, die den ,Streit wegen der Religion' zum Gegenstand hatten, ergab sich die Bezugnahme zudem daraus, dass sich dieser Streit längst zu einem Ehrkonflikt entwickelt hatte, in dem es um das Eigentum zweier Religionsparteien unter den Reichsständen, eben den Katholiken und Protestanten ging, wobei bekanntlich die Frage, ob die Reformierten zur protestantischen Partei zu zählen seien, noch lange offen war. 23 Dass die ,possessio' eine bedeutende Rolle bei der Lösung des Konfliktes ,wegen der Religion' spielen sollte, ergab sich daraus, dass die Frage nach Besitz bereits in diesem Konflikt selbst angelegt war. Seit der Säkularisierung von Klöstern waren die protestantischen Fürsten mit der katholischen Forderung konfrontiert worden, eine Entwendung der Güter der Kirche zu unterlassen und das bereits Weggenommene wieder an den rechtmäßigen' Besitzer zurückzugeben. Die Forderung nach Restitution war zu einem programmatischen Anliegen der katholischen Partei geworden, die zumindest langfristige Wiedererlangung des Eigentums zu einem Ziel, das die Ehre gebot. Kurz gesagt: In der Sicht der Aufwiegler waren die Protestanten Diebe. Auf der anderen Seite sahen viele Protestanten die Katholiken als tyrannische Gegner an, die versuchten, die Menschen vom Übertritt zur ,wahren Kirche' abzuhalten. Sie selbst hatten zudem die Eigentumsfrage an den Kirchengütern zu einem zentralen Selbsterhaltungsanliegen gemacht. Über ein württembergisches Gutachten aus dem Jahre 1613 war zum Beispiel dargelegt worden, dass der „evangelischen Stände Wolfart und Untergang daran hafte" und „ihre ansehnlichen Häuser und Geschlechter [...] zugrunde gerichtet" würden, wenn ihnen der Zugang dazu versperrt werden würde. 24 Dies zeigt noch einmal, wie stark Konfessionspolitik, dynastisches Denken sowie die Ehr- und Eigentumsproblematik zusammengeführt wurden. Es soll hier nicht bezweifelt werden, dass die protestantische Forderung nach Freistellung' der Religion, verstanden zum einen als Recht, frei den evangelischen Glauben anzunehmen, und zum anderen als Recht der Protestanten, friedlich Besitz im Reich hinzuzuerwerben, auch wesentlich in der Konfession begründet lag. 25 Umgekehrt sah die Partei der Katholiken das Beharren auf
Noch am Beginn der Westfälischen Friedensverhandlungen war die Teilnahme der Mitglieder der reformierten Konfession höchst umstritten. Siehe etwa Johannes H. Gebauer, Kurbrandenburg und das Restitutionsedikt von 1629. Halle 1899,190. 23
Gutachten der württembergischen Räte für Herzog Johann Friedrich zum Rotenburger Unionstag, in: Anton Chroust (Bearb.), Der Ausgang der Regierung Rudolfs II. und die Anfänge des Kaisers Matthias. (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Bd. 10.) München 1906,209-226, hier 219.
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Zum Prinzip der Sicherstellung der „Dynamik der reformatorischen Bewegung" bei den protestantischen Ständen siehe Albrecht Pius Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552
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einer Fixierung des Besitzstandes, seit dem Augsburger Religionsfrieden der Garantie des Besitzstandes an Kirchengütern zum Zeitpunkt des Passauer Vertrages von 1552, als eine Frage des Überlebens der eigenen Konfession an. Das Restitutionsedikt, das Kaiser Ferdinand II. 1629 mit Blick auf die militärischen Erfolge katholischer Kräfte im Reich erließ, war jedoch in erster Linie ein Rechtsspruch, und zwar ein Rechtsspruch, der die katholische Rechtsauslegung und damit das katholische Gerechtigkeitsanliegen zur Geltung brachte. Der endgültige Vertrauensverlust, der damit im protestantischen Lager einsetzte und das Eingreifen König Gustav II. Adolfs in den Konflikt trugen letztendlich dazu bei, es zu einer „verlorenen Alternative der Reichskirchenverfassung" 26 werden zu lassen. Von diesem Zeitpunkt an ist das protestantische Bemühen erkennbar, sich aktiv in einen Diskurs zur Gestaltung von Recht, Gerechtigkeit und einer zukünftigen Reichsordnung einzubringen, in der auch den katholischen Ansichten Rechnung getragen und damit Religionspluralität stärker gefestigt wurde. Nun fand Religionspluralität als solche alles andere als Akzeptanz im Wertehaushalt der Frühen Neuzeit. Deren für den friedlichen Ausgleich erforderliche Verankerung wurde daher über einen Grundwert angesteuert, der bereits zuvor des Öfteren in den politischen Diskurs eingebracht worden war, um Konflikte zu erörtern: Vertrauen. Niklas Luhmanns These, dass sich Vertrauen als „Angebot einer gemeinsamen Zukunft" 27 darstellt, scheint die Situation seit 1630 sehr gut zu erfassen. Glaubwürdigkeit konnte die Vertrauenssuche ihrerseits durch eine Fundierung in einer immerhin schon mehrere Jahrzehnte umfassenden gemeinsamen Geschichte erhalten. Es waren von daher jene protestantischen Stände, die sich in der Vergangenheit als reichs- und kaisertreu profiliert hatten, welche den Vertrauensdiskurs einleiteten und die Suche
(Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg). Göttingen 1982, 173. Zur Bedeutung der ,Freistellung' und zur protestantischen Publikationtionstätigkeit zu diesem Thema siehe auch Ralf-Peter Fuchs, From Pluralization to True Belief? An Austrian Treatise on Freedom of Religion (1624), in: Andreas Höfele u.a. (Hrsg.), Representing Religious Pluralization in Early Modern Europe. Berlin 2007,113-131. Martin Heckel, Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629 - eine verlorene Alternative der Reichskirchenverfassung, in: Gerhard Köbler/Hermann Nehlsen (Hrsg.), Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag. München 1997, 351-376. Zum Edikt siehe ebenfalls Michael Frisch, Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung. Tübingen 1993 und Heike Ströler-Bühler, Das Restitutionsedikt von 1629 im Spannungsfeld zwischen Augsburger Religionsfrieden 1555 und dem Westfälischen Frieden. Regensburg 1991. 26
Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart 2000, 24. 27
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nach Vertrauen mit dem Hinweis auf Vertrautheit 28 stützten: Kursachsen und, als Juniorpartner', Hessen-Darmstadt. 29 3. Der hessen-darmstädtische Gesandte Antonin Wolff von Todenwarth sollte 1630 dem Kaiser ein erstes Normaljahrsangebot im Rahmen eines „privaten" Vorschlags unterbreiten: 30 Die Herstellung des Reichszustandes im Jahr 1555, so seine Vermittlungsidee, war der katholischen Forderung sehr nahe. Wolff sollte sich mit diesem und weiteren Vorschlägen, den,Hessischen Punkten', 31 die ein weiteres Normaljahr 1621 für die kursächsischen und kurbrandenburgischen Gebiete beinhalteten, grobe Kritik aus den Reihen der protestantischen Stände einhandeln. Auf dem Leipziger Konvent, der einberufen worden war, um ein einheitliches Vorgehen der Protestanten nach dem Restitutionsedikt zu erzielen, bezeichneten die kurbrandenburgischen Gesandten es nicht zuletzt als „schimpflich" für Kurfürsten und Stände, dass es jemandem „privato gestattet werden sollte", ohne ihr Vorwissen und ihren Befehl einen derartigen Vorstoß zu wagen. 32 Die ,Hessischen Punkte' wurden jedoch bei allem Unmut nicht vollends als Option fallengelassen. Nicht unterschätzt werden darf nämlich, dass sie die Bestimmungen des Restitutionsediktes modifizierten und mit dem Normaljahr 1555, das auf den Augsburger Religionsfrieden hindeutete, die Existenzberechtigung des Protestantismus im Reich stützten. In dieser frühen Phase der Vertrauenssuche hatten die Normaljahrsangebote eine Indexfunktion: Sie verwiesen auf Ereignisse oder auch .Zeiten des Vertrauens' und damit auf eine gemeinsame Geschichte. Zugleich verwiesen sie auf das Reich wie auf den Frieden als Grundwerte. Dass Johann Georg I. von Sachsen ein Jahr nach dem Angebot Wolffs, auf dem Frankfurter Kompositionstag das Jahr 1620 in die Verhandlungen einbrachte, lässt sich wohl dahingehend interpretieren, dass es sich bei diesem Jahr insofern um ein letztes Friedensjahr gehandelt hatte, als der Aufstand in Böhmen, die „Böhmischen Unruhen" gemeinsam, das heißt unter Beteiligung Kursachsens, niedergerun-
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Hierzu ebd., 20-27.
Zur hessen-darmstädtischen Friedenspolitik siehe Karl-Heinz Frohnweiler, Die Friedenspolitik Landgraf Georgs II. von Hessen-Darmstadt in den Jahren 1630/35, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, NF. 29,1965/66,1-186. 29
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Zu Wolffs Initiative siehe bereits Gebauer, Kurbrandenburg (wie Anm. 23), 115-119.
Siehe die Edition von Dieter Albrecht (Bearb.), Die Politik Maximilians von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Teilbd. 5: Juli 1629 - Dezember 1630. (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, NF., Bd. 2, 5.) München/Wien 1964, 680-685. 3 2 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimes Archiv, Friedensschlüsse 8097/1, fol. 72. 31
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gen worden war. 33 Ich sehe dieses Angebot daher auch als Versuch Johann Georgs I., sich im protestantischen Lager für seine damalige Politik der Kaisertreue zu rehabilitieren, die ihm nach Erlass des Restitutionsediktes als verfehlte, der protestantischen Sache abträgliche Politik vorgeworfen wurde: Eine Restitution nach dem Stichjahr 1620 sollte das, was danach geschehen war, ungeschehen machen und die Wiederaufnahme einer Brückenpolitik zwischen katholischer und protestantischer Religionspartei ermöglichen. 34 Das Zustandekommen konkreter Normaljahrsverhandlungen zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kursachsen nach dem Scheitern des Frankfurter Kompositionstages lässt erkennen, dass diesem ,Medium' spätestens seit dem Frankfurter Kompositionstag ein besonderes Potential für die Konfliktlösung zuerkannt wurde. Auf kaiserlicher Seite stellte man in den Verhandlungen zum Prager Frieden eine Suspension des Restitutionsediktes und ein immerhin befristetes Entgegenkommen hinsichtlich eines neuen Restitutionstermins in Aussicht. Damit tat sich neben der „terminus a quo"-Frage gleichzeitig eine „terminus ad quem"-Frage auf, die eine Einigung komplizierter machte, aber auch neue Möglichkeiten des Aushandelns eröffnete. Das von kursächsischer Seite in diesen Gesprächen zuerst angestrebte Indexjahr 1612, das sehr verklärend auf das Todesjahr und damit die Regierungszeit Kaiser Rudolfs II. als ,Zeit des Vertrauens' verwies, zeigt durchaus, dass Johann Georg I. von Sachsen versuchte, in den Verhandlungen möglichst viel für die protestantische Sache zu erreichen. Er war jedoch darauf angewiesen, dass seine Gesandten dieses Jahr als ein für beide Verhandlungsseiten vorteilhaftes Stichjahr darstellen konnten. Daher argumentierten diese, dass ein friedlicher Neuanfang nur mit dem Konsens der mittlerweile emigrierten böhmischen Stände zu erreichen war: „Ihre Kfl. Dt. [= der Kurfürst von Sachsen] begerten nur umbs fridens willen die religion zu restituiern. Dan sonsten wurden die emigranten nicht ruhen, sonder newe krieg erwecken. [...] Dz wollten nun S. Kfl. Dl. verhueten helfen." 35 Im Gegenzug stellte die kaiserliche Seite durch Maximilian Graf von Trautmansdorff das Stichjahr 1612, mit dem die Religionsfreiheit in Böhmen erzielt werden sollte, als ein Jahr heraus, das wenig Hoffnung auf Frieden versprach: „Dies sei aber die ursach der Bohemischen rebellion und unruhe im Reich gewest. Nimmermehr wehre Böheimb rebellisch worden noch diese grosse
Siehe hierzu Frank Müller, Kursachsen und der böhmische Aufstand 1618-1622. Münster 1997. 3 4 1620 verwies auf die sogenannte Mühlhausener Assekuration, die Kursachsen im Anschluß an die Beteiligung Johann Georgs an den militärischen Aktionen gegen die böhmischen Aufständischen erhielt. Siehe hierzu auch meine Darlegungen in Fuchs, Kirche Gottes (wie Anm. 22). 35 Kathrin Bierther (Bearb.), Die Politik Maximilians von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Teilbd. 10: Der Prager Frieden von 1635. (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, NF., Bd. 2,10.) München/Wien 1997, hier Teilbd. 3,1013. 33
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kriegsflammen entstanden, wann sie nicht dz Privilegium religionis gehabt hetten. Sollte mans ihnen ietzt widergeben, wurden sie newe rebelliones erwecken, erger alß zuvor." 36 Darüber hinaus argumentierten die kaiserlichen Gesandten mit dem Aspekt der Gerechtigkeit: Neben der Forderung nach einer Restitution gemäß des Stichjahres 1612 würde die Gegenseite auch jene Gebiete für die Protestanten beanspruchen, die in der Folgezeit an sie gelangt seien. Dies würde jedoch bedeuten, dass auch die schwedischen Eroberungen nach dem Einfall Gustav II. Adolfs ins Reich protestantisch blieben und die vertriebenen katholischen Reichsstände keine Restitution erhalten würden. Eine solche Regelung sei aber als „absurdum et iniquissimum" zu werten. 37 In dieser Position deutet sich bereits an, dass ein Nachgeben von beiden Seiten als Voraussetzung für den künftigen Frieden gesehen wurde. Ein moralischer Diskurs, der die Fähigkeit und Bereitschaft zum Frieden mit der Fähigkeit zum Nachgeben verband, manifestierte sich auch im späteren Verhandeln. Kursachsen verlegte sich erneut auf die Normaljahrsposition 1620, während die kaiserliche Seite dazu bewegt wurde, ihre eigene Position, das Stichjahr 1630, aufzugeben und sich mit weiteren Vorschlägen der Gegenseite anzunähern. Es waren nun Prinzipien, die Marcel Mauss als Moral des Gabentauschs beschrieben hat, welche Vertrauen konstituieren und Gerechtigkeit herstellen sollte: 38 Der Weg einer ,Ökonomie der Gerechtigkeit' im Rahmen von gegenseitigen Tauschangeboten wurde nun nicht zuletzt über ein Aufeinanderzubewegen von Zahlen beschritten. Bekanntlich führte allerdings die Schlacht von Nördlingen mit ihrem ungünstigen Ausgang für die schwedischen und die mit ihnen verbündeten Truppen die protestantischen Gesandten ins Hintertreffen, so dass der 12. November 1627, der als Indextermin auf den Mühlhausener Kurfürstentag dieses Jahres verwies, als Normaltag festgelegt wurde. Wie Michael Frisch dargelegt hat, war der Verweis auf ein an diesem Tag erstelltes Gutachten der katholischen Kurfürsten intendiert, in dem der Kaiser um die Einleitung von Restitutionen auf der Grundlage des Geistlichen Vorbehaltes gebeten worden war. 39 Dieses Gutachten hatte zum Restitutionsedikt geführt. Dass hiermit die Konstituierung von Vertrauen erheblich erschwert wurde, kann hier nur kurz erwähnt werden. Daraus, dass nach dem Scheitern des Prager Friedens die Normaljahrsfrage in den Hintergrund gedrängt wurde, ergibt sich ein größerer Sprung zu den Westfälischen Friedensverhandlungen: Diese bauten aber zunächst auf einer 3f> Ebd. 37
Ebd.
Mauss spricht von einer „Moral des Geschenkaustauschs". Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austausche in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main 1990, insbesondere 164. 39 Michael Frisch, Die Normaltagsregelung im Prager Frieden, in: Zeitschrift der Savigny-Stiitung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 87, 2001,442^154.
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anderen Terminfrage auf, mit der das Religionsproblem gelöst werden sollte: die Amnestiefrage. Mit dem rechtlichen Begriff der Amnestie umschrieb man „friedewirkendes Vergessen", 40 konkret den Verzicht auf eine Haftbarmachung und Bestrafung von Personen für Schäden, die sie im Krieg angerichtet hatten. Im Prager Frieden war 1630 als Amnestiejahr festgelegt worden. Dies entsprach der kaiserlichen Sichtweise, dass der unmittelbar aus den „Böhmischen Unruhen" erwachsene Krieg zu diesem Zeitpunkt bereits beendet gewesen war und sich in eben diesem Jahr ein neuer Krieg durch die Intervention des schwedischen Königs entsponnen hatte. Neben dieser Grundsatzfrage spielten weitere bedeutende Momente in die Amnestiefrage hinein. Mit dem Amnestiejahr verbunden waren besonders wichtige Entscheidungen im Hinblick auf die Restitution in weltlichen Dingen. Mit Blick auf Böhmen und die Folgen vermischte sie sich wiederum stark mit kirchlichen Fragen. Sollte der Kaiser jene Personen und ihre Familien, die gegen ihn rebelliert hatten, wieder in ihre Besitztümer und Rechte einsetzen, die sie einmal innegehabt hatten? Eine Frage, die wiederum Ehre und Gerechtigkeitssinn in höchstem Maße betraf. Sowohl Ferdinand II. als auch sein Sohn Ferdinand III. als Nachfolger setzten hier zunächst ein deutliches Nein. Die Westfälischen Friedensverhandlungen setzten bei zwei Amnestiejahrspositionen an. 41 Die Schweden vertraten für die Protestanten das Jahr 1618. Ihnen schlossen sich die französischen Gesandten an. Die Kaiserlichen vertraten dagegen das Jahr 1630 als Jahr, in dem ein „neuer Krieg", wie sie es nannten, begonnen hatte. 42 Es zeigte sich sehr bald, dass sich gerade diese gegensätzlichen Positionen im Rahmen der Verhandlungen der kaiserlichen und der schwedischen Gesandten nicht in Einklang bringen ließen, da sich darin sehr kontroverse Sichtweisen auf das Geschehene und die Ursachen des Krieges offenbarten, was auch auf die Verhandlungen unter den Religionsparteien, 43 der katholischen und der protestantischen Reichsstände abfärbte. Ein gemeinsamer moralischer Diskurs ließ sich gerade auf dieser Basis eben nicht führen. Die Katholiken waren zudem erneut allenfalls bereit, den Protestanten befristete Zugeständnisse zu machen und stellten 40 Jahre, später 60 Jahre, als „terminus ad quem" in Aussicht, während die Protestanten einen ewigen 40
Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Münster 1998, 6.
Als Quellengrundlage immer noch unentbehrlich, wenngleich nicht den modernen Standards für Editionen entsprechend: Johann Gottfried von Meiern (Hrsg.): Acta Pacis Westphalica Publica oder Westphälische Friedens-Handlungen und Geschichte. 6 Teile. Hannover 1734-1736. 4 2 Die protestantischen und die katholischen Reichsstände eröffneten ihre Verhandlungen mit den beiden Positionen 1618 und 1627. Siehe hierzu Fuchs, Medium (wie Anm. 1), 167. 4 3 Siehe hierzu auch: Georg May, Die Entstehung der hauptsächlichen Bestimmungen über das ius emigrandi (Art. V §§ 30-43 IPO) auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 74, 1988,436-494. 41
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Frieden ansteuerten. Der kaiserliche Hauptgesandte Trauttmansdorff, der instruiert war, zügig einen für Ferdinand III. äußerst dringlichen Waffenstillstand zu erzielen, sollte infolgedessen eine wichtige Rolle als Vermittler wie direkter Unterhändler für die katholische Seite einnehmen. 44 Er sorgte letztlich für das Zugeständnis an die Protestanten, dass der künftige Friedensvertrag „ewige" Gültigkeit haben sollte. Im Hinblick auf das strittige „terminus a quo"-Problem bestand dagegen ein wichtiger Schritt zur Lösung in der erneuten Entkoppelung von Amnestieund Kirchengutsfrage. Trauttmansdorff war instruiert worden, zunächst wieder die Stichtermine des Prager Friedens als katholische „terminus a quo"Forderung einzubringen, um, von diesem Punkt ausgehend, weitere Zugeständnisse zu machen. Nachdem er den schwedischen Unterhändlern eine Laufzeit des Friedens von 100 Jahren in Aussicht gestellt hatte, griff er auf einen Vorschlag der kursächsischen Vermittler Leuber und Pistorius vom 23. Juni 1646 zurück, um eine neue Position für den „terminus a quo" festzulegen. 45 Hier wurde zum ersten Mal das spätere Normaljahr 1624 genannt. Trauttmansdorff brachte diesen Termin als katholische Position in die Verhandlungen ein, woraufhin sich 1621 als protestantische Gegenposition ausbildete. Nach erbitterten Protesten einzelner katholischer Gesandter, einem Stichjahr 1624 nie zugestimmt zu haben, 46 stimmten die katholischen Stände letztlich doch zu und gingen am 20. November 1646 in direkte Verhandlungen mit den protestantischen Ständen im Bischofshof zu Münster, wobei Kurmainz und Sachsen-Altenburg als Wortführer auftraten. Das Protokoll verweist einmal mehr auf eine Verhandlungslogik des numerischen Aufeinanderzubewegens, wobei sich auch zeigt, welche Spielräume ausgelotet wurden, um eine rechnerische Mitte zu konstruieren: Sachsen-Altenburg:
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„Quoad terminum hetten sie verhofft, die herrn catholischen wurden sich mit dem iahr 1621 woll begnügt [...]. Aber doch, weiln man ihre erclerung begehr-
Zu Trauttmansdorff und zur kaiserlichen Politik, die mit den Interessen der katholischen Reichsstände zuweilen erheblich kollidierte, siehe Karsten Ruppert, Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643-1648). Münster 1979; Leopold Auer, Die Ziele der kaiserlichen Politik bei den Westfälischen Friedensverhandlungen und ihre Umsetzung, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte. München 1998,143-174. 44
4 5 Siehe „Der Churfürstlichen Sächsischen Abgesandten privat-Vorschläge, den 13ten Junii Anno 1646", in: Meiern, Acta Pacis (wie Anm. 41). Teil 3,188-189.
So ließ etwa der spätere Fürstbischof von Osnabrück Franz Wilhelm von Wartenberg verlauten: „Können sonsten nicht begreiffen, daß die protestierende den terminum anni 1624 tanquam a catholicis concessum anzihen dürfen; Ihre Fürstliche Gnaden wißen sich der bewilligungh nicht zu erinneren, dan obwol etwas davon von etlichen anregung gethaen, so seye doch ad annum 1627 geschloßen und dergestalt dießeitigen gutachten eingerucket." Fritz Wolff (Bearb.), Die Beratungen der katholischen Stände. Bd. 1.1645-1647. Münster 1970, Nr. 57,334f. 46
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te, ob unnd wie weit sie von dem termino deß besagten 1621. iahrs zu weichen gedechten, wehre es darvorgehalten worden, daß das intermedium temporis spatium zwischen dem iahr 1621 unnd 1624 solle getheilt unnd also der terminus uff 1622 V2 iahr reducirt werde." Kurmainz: „Bathen, sie wollten sich doch einmal vor all heraußlaßen unnd lenger nit auffhalten, man were solchem nach catholischentheilß nit ungeneigt, sich ferner zu erkleren, unnd wurde immittelß ebenergestalt daß intermedium zwischen dem iahr 1624 unndt 1627 dießfalß vorgeschlagen, unnd also der terminus ad annum 1625 Vi reducirt werden konnte." Sachsen-Altenburg: „Damit man sehe, daß sie mit ihren endtlichen vorschlagen nit ein vierthelstundt begerten zurückzuhalten, so wollten sie zur bezeigung ihrer friedfertigen intention es bey dem termino deß iahrs 1624, den 1. Ianuarii stylo veteri, in Gottes nahmen bewenden laßen, iedoch mit diesem außtrucklichen vorbehält, daß die antegravati der Augspurgischen confessionsverwandten, so vor selbigem termino ihrer possession entsetzt worden, ebenmeßig wiederumb sollen restituirt werden [...]." 47 Verweist dieses Protokoll zum einen auf einen Kompromiss mit historischer Tragweite, so deutet sich zum anderen in den Formulierungen der Verhandlungspartner bereits an, dass die Kontroversen damit keineswegs aus der Welt geschafft waren. In der Folgezeit entbrannte ein Streit darüber, welche Bedeutung diesem „terminus a quo" zukommen sollte. Die Protestanten beharrten darauf, dass sämtliche ihrer Konfessionsverwandten unabhängig von diesem Termin in den Genuss der Restitution kommen und also in den Stand des Jahres 1618 gesetzt werden sollten. Genau dies hatte nämlich die sachsenaltenburgische Formulierung beinhaltet, dass „die antegravati" ebenfalls „restituiert werden" sollten. 48 Darüber hinaus standen zähe Verhandlungen über besonders bedeutsame und strittige Fälle an: Böhmen, die Kurpfalz, Osnabrück et cetera. Am Ende wurden im Westfälischen Friedensvertrag zahlreiche Territorien von der Normaljahrsregel ausgenommen, für die Kurpfalz und die Markgrafschaft Baden wurde ein weiteres Normaljahr 1618 eingeführt. 49 Darüber hinaus wurde festgehalten: Niemandem, der aufgrund der Amnestie zu restituieren sei, solle der „terminus a quo" 1624 zum Nachteil ausgelegt werden können. Hier trat das protestantische Amnestiejahr
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Ebd., 423f.
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Ebd.
Verwiesen sei allgemein auf die Edition der Friedensverträge: Antje Oschmann (Bearb.), Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Bd. 1: Urkunden. (Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Abt. B.) Münster 1998. 49
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1618, das letztendlich in die Verträge aufgenommen wurde, in deutliche Konkurrenz zum zentralen kirchlichen Normaljahr.50 4 . Worin bestand angesichts solcher Einschränkungen dann aber die basale Funktion des Verhandeins über Normaljahre? Ich möchte jenen Teil, der die partielle Verlagerung der interkonfessionellen Auseinandersetzungen auf eine Ebene der Zeiten und Zahlen skizzieren sollte, nun beenden und, ausgehend vom letzten Quellenbeispiel, einige abschließende Gedanken äußern: Zunächst ist auf einen Aspekt hinzuweisen, der noch nicht angesprochen wurde: Das vom sachsen-altenburgischen Gesandten Thumbshirn angesprochene ,Viertelstündchen' zeigt, dass man mit den Normaljahrsverhandlungen einen Zeitgewinn verband. Insbesondere dem Kaiser war daran gelegen, langwierige Verhandlungen über einzelne Kirchenfragen im Reich zu vermeiden, um einen schnellen Waffenstillstand zu erzielen. Das Quellenbeispiel zeigt darüber hinaus recht gut, dass erneut der Weg zu einer ,Ökonomie der Gerechtigkeit' gesucht wurde: Die Praxis des Feilschens stellte sich als gangbarer Weg der Vertrauensbildung dar, wobei offensichtlich gerade nicht der sprichwörtliche Gegensatz , Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser' das System der Kommunikation beschreibt, ging es doch gerade um ein stetiges Abtasten, wie ernst es die Gegenseite mit dem Frieden meinte. Diese Ernsthaftigkeit ließ sich nur jeweils über Angebotsvorleistungen demonstrieren, die sich wiederum an die Bedingung knüpfen ließen, dass der Kontrahent in absehbarer Zeit mit entsprechenden Gegenleistungen aufwartete.51 Vertrauen wurde über Tauschprozesse generiert, denen dosierte b e schenke' beziehungsweise Zugeständnisse im Rahmen eines klaren numerischen Systems von Verteilungsansprüchen zugrunde gelegt wurden.52 Zur Unterstreichung des Sinngehalts dieses Gabentauschs wurde im Rahmen eines moralischen Diskurses auf den Friedenswillen als gemeinsame Basis verwiesen. So ist auch die in diesem Zusammenhang für Sachsen-Altenburg protokollierte Bemerkung zu verstehen, dass man mit seinem Entgegenkommen einen Beweis seiner „friedfertigen intention" ablegen wolle. Mit Blick auf die lange Zeit der Verhandlungen, die der Lösung vorausgegangen waren, ist noch einmal festzuhalten, dass Normaljahrsgespräche als moralische Diskurse beziehungsweise Ehrdiskurse den konfligierenden Parteien
Ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse des Westfälischen Friedens in: Konrad Repgen, Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 und ihre Lösungen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 62,1999,399-438. 5 1 Man könnte in diesem Kontext einen Vergleich zu den im ,Kalten Krieg' oftmals beschworenen ,vertrauensbildenden Maßnahmen' ziehen. Hierzu Gesa Bluhm, Vertrauensarbeit. Deutsch-französische Beziehungen nach 1945, in: Ute Frevert (Hrsg.), Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen 2003, 365-393, hier 368. 5 2 Hierzu auch James S. Coleman, Grundlagen der Sozialtheorie. Bd. 1: Handlungen und Handlungssysteme. München 1991. 50
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besondere Möglichkeiten eröffneten, jenseits ihrer Unterschiedlichkeit in der Religion Gerechtigkeit auszuhandeln und sich dabei auf gemeinsame Werte zu beziehen. Konstitutiv für die Gespräche waren Grundwerte der frühneuzeitlichen Gesellschaft, insbesondere solche, die auf die Herrscherethik bezogen waren. In den Verhandlungen während des Dreißigjährigen Krieges waren es konkret Werte wie das Reich, Frieden, Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Fürsorge für die Untertanen et cetera, die den Gesprächen zugrunde lagen, sei es, um den Verhandlungspartner damit zu ermahnen oder ihm gegenüber die eigenen Absichten zu konturieren. Eine enorme Schwierigkeit ergab sich dabei daraus, dass, während der Krieg weiter tobte, gegensätzliche Interessen, konfessionsgebundene wie dynastische Eigeninteressen, parallel zur Geltung gebracht werden mussten. Auch hinter den vorgeschlagenen Stichjahren für eine Restitution selbst steckten im Wesentlichen Vorstellungen, die den Parteien unterschiedliche Besitzmassen versprachen. Ausgangspunkt war dabei die Reflexion über den Kriegsverlauf von 1618 bis 1630, wobei ein möglichst frühes Stichjahr den Protestanten entgegenkam und den Katholiken dagegen ein Normaljahr, das möglichst nah vor dem Einfall des schwedischen Königs Gustav II. Adolf ins Reich anzusetzen war, den größten Vorteil in Aussicht stellte. Allerdings ist hervorzuheben, dass keine der beiden verhandelnden Parteien wirklich genau wusste, wie das Reich zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgesehen hatte. Das Verhandeln über Restitutionstermine war zunächst durch Diskurse bestimmt, die die Ursachen des Krieges und, davon ausgehend, die Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft problematisierten. Die vorgeschlagenen Normaljahre verwiesen als Symbole auf Ereignisse und ,Zeiten des Vertrauens'. In diesen Diskursen über Indexjahre taten sich allerdings unüberbrückbare Gegensätze auf, so dass die Vertrauensbildung letztlich über ein numerisches Aufeinanderzubewegen gesucht wurde. Dies hatte den Vorteil, unmittelbar zurückliegende Kriegsereignisse, die unterschiedlich bewertet werden mussten, aus den Gesprächen auszublenden. Das Ergebnis der Normaljahrsverhandlungen erschien damit schließlich als messbarer Kompromiss, der den Friedenswillen aller Beteiligten demonstrierte. Die Mitte zwischen beiden ursprünglichen Positionen, den Amnestiejahren 1618 und 1630, war mit dem Jahr 1624 erreicht. Es scheint, als hätte sich dadurch bei den für die Entscheidung zum Frieden maßgeblichen Herrschern und ihren Gesandten auf beiden Seiten die Gewissheit eingestellt, sich als historische Charaktere von Ehre positionieren und gegenüber einer zeitgenössischen Öffentlichkeit wie auch der Posterität' Ruhm mehren zu können.
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Der Ehrenvolle Friede
Christoph Kampmann Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis: Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg 1. Einleitung Die komparatistisch angelegte Erforschung von Frieden und Friedensvorstellungen in der Frühen Neuzeit, der das Osnabrücker Forschungsprojekt „Friedensbildung. Das juristische Wissen um Frieden im Alten Reich und Schweden um 1600" und die hier dokumentierte Konferenz gewidmet sind, ist erforderlich, um das politische Handeln in der Frühen Neuzeit in angemessener Weise zu verstehen. Dies gilt auch für die fortdauernde Präsenz des Krieges in dieser Epoche, ihre vielzitierte „Bellizität": Auch sie lässt sich wohl nur richtig erklären, wenn sie im Zusammenhang mit den Friedensvorstellungen der politischen Akteure gesehen wird. Gerade im Falle der unbestritten größten Kriegskatastrophe der Frühen Neuzeit, dem Dreißigjährigen Krieg, wird dies deutlich. Dass er solch zerstörerische Dimensionen erlangen konnte, hing eng mit den unterschiedlichen Konzeptionen des Friedens zusammen, die das Handeln der Kriegsparteien prägten. Diese These möchte ich in den folgenden Ausführungen entfalten, und zwar in drei Schritten. Zu Beginn möchte ich kurz darlegen, weshalb neuere Forschungen es sinnvoll erscheinen lassen, die alte Frage nach den Ursachen des Dreißigjährigen Krieges erneut zu stellen. Gibt es doch Hinweise, dass der prinzipielle Friedenswunsch der Kriegsparteien sowie die diplomatische Kommunikation und Flexibilität weit ausgeprägter waren, als lange Zeit angenommen worden ist. Im zweiten Schritt soll ein Erklärungsversuch unternommen werden, warum der Krieg gleichwohl solche Ausmaße erreichen und der Konflikt kaum eingehegt werden konnte - ein Punkt, der uns direkt in die Problematik frühneuzeitlicher Friedensschaffung und -Währung hineinführt. Denn es war das starre Festhalten an der jeweiligen Konzeption vom Frieden, das wesentlich zur Verlängerung des Krieges beigetragen hat. Als Drittes möchte ich versuchen aufzuzeigen, dass zwischen Flexibilität und Kommunikationsbereitschaft auf der einen und Starrheit bei der Verfolgung der Friedensziele auf der anderen Seite kein Widerspruch besteht, im Gegenteil: Das eine hat das andere in gewisser Weise bedingt. Um diesen Widerspruch aufzulösen, ist der Rückgriff auf die kulturgeschichtliche Kategorie des „Self-Fashioning", wie sie bei Stephen Greenblatt zu finden ist,1 hilfreich. Denn der Ehrenvolle Friede, für den jede Kriegspartei so nachdrücklich stritt, war Teil des (Selbst-)Bildes, das jede Kriegspartei im Verlauf der dichten diplomatischen und öffentlichen Kommunikation während der immer länger andauernden militärischen Konfrontation von sich entwarf und das in der Folge allgemein übernommen wurde. Diese Tatsache machte ein Abrücken
1 Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago/London 1980.
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von dem je eigenen Konzept des Ehrenvollen Friedens so schwer - ein Punkt, den ich im abschließenden Teil der folgenden Ausführungen erläutern werde. 2. Ein Staatensystem im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs: Neue Forschungen „System" und „Staatensystem" gehören spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu den Schlüsselbegriffen der Historiographie der internationalen Beziehungen. 2 Umso auffälliger ist, dass sich die politische Geschichte lange Zeit nicht eingehender mit dem Systembegriff selbst beschäftigt hat. Zunächst fand eine entsprechende Begriffsdiskussion vor allem in der Politikwissenschaft, Soziologie und politischen Philosophie statt. Der Vorwurf einer unkritischen Verwendung des Systembegriffs kam seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus der Mitte der politikhistorischen Forschung selbst, sehr pointiert zum Beispiel von Heinz Duchhardt. Er konstatierte, dass in der politischen Historiographie mit dem Begriff Staatensystem zuweilen völlig distanzlos umgegangen und der Begriff häufig von seinem eigentlichen Sinn entfremdet werde. Viele Historiker bedienten sich des Begriffs eher in dem Sinne wie vergangene Generationen von Historikern beziehungsweise Historiographen den Begriff Organismus der Staaten benutzt hätten. 3 Zugleich monierte Duchhardt, dass die sozialwissenschaftliche Diskussion über den Begriff System oft zu abstrakt geführt worden sei. Daher schlug er eine Definition des Begriffs „System" vor, die er auch im Rahmen quellennah arbeitender Historiographie für anwendbar hielt. Unter Staatensystem wird bei Duchhardt „eine durch zahlreiche kulturelle, ökonomische und politische Verflechtungen verbundene Vielheit von politischen Organismen verstanden, deren mehr oder weniger ausgeprägte Interaktion auf Dauer angelegt ist und nicht in erster Linie auf die Vernichtung des Partners und damit des Systems" 4 ziele. Damit führte Heinz Duchhardt eine eher flache Definition des Systembegriffs ein, deren Vorteil zweifellos ist, dass sie für die quellenorientierte Arbeit nutzbar ist.
Spätestens mit dem Werk von Arnold Hermann Ludwig Heeren, Handbuch der Geschichte des europäischen Staatensystems und seiner Colonien. Von der Entdeckung beyder Indien bis zur Errichtung des Französischen Kayserthrons. Göttingen 1809; setzte sich die Verwendung des System-Begriffs (noch unter enger Anknüpfung an die Gleichgewichtsvorstellung) in der Geschichtsschreibung zur internationalen Politik durch. Vgl. Christoph Kampmann, Gleichgewicht - Äquilibrium - Bilancia, in: Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hrsg.), Lesebuch Altes Reich, (bibliothek altes Reich, Bd. 1.) München 2006,107-112, hier 109. 2
Heinz Duchhardt, Das Reich in der Mitte des Staatensystems. Zum Verhältnis von innerer Verfassung und internationaler Funktion in den Wandlungen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Peter Krüger (Hrsg.), Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit. (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 35.) München 1996,1-9. 4 Duchhardt, Reich (wie Anm. 3), 2. 3
Der Ehrenvolle Friede
Doch für unseren Zusammenhang, den Dreißigjährigen Krieg, schien selbst eine so allgemeine, vielseitig verwendbare und flache Systemdefinition lange Zeit nicht anwendbar zu sein. Galt doch der Dreißigjährige Krieg als Zeit härtester, kompromissloser militärischer Konfrontation, die von einem „System" im genannten Sinne zu sprechen verbiete. Zum einen schienen die dauerhaften, stetigen Kontakte der Kriegsparteien untereinander zu fehlen, die im beschriebenen Sinne ein System erst konstituieren, andererseits schien auch die wenigstens prinzipielle Bereitschaft zur Anerkennung des Gegenübers nicht vorhanden gewesen zu sein. Schließlich waren die Kriegsgegner nach verbreiteter Ansicht im Wesentlichen nicht an einer friedlichen Lösung interessiert, sondern an der Auslöschung des Gegners, wenigstens als unabhängiger politischer Größe. In diesem Sinne stellte Johannes Burkhardt unzweideutig fest: „Mehrere Konfessionen erschienen [den politischen Akteuren im Dreißigjährigen Krieg] so inakzeptabel wie mehrere Monarchien; jede genügte sich selbst vollkommen [...]. Die hier angelegten Varianten der Konfliktverschärfung und des Bündnisverhaltens sind systematisch nicht auflösbar." 5 Diese Auffassung gründet entscheidend auf der Sicht des Konfliktes als erbitterter konfessioneller Auseinandersetzung, die keine irgendwie geartete Koexistenz zugelassen habe. Die jüngere Forschung hat dies durch moderne begriffliche Konnotationen noch unterstrichen. So spricht Robert Bireley vom „Holy War", wenn er den Charakter definieren will, den der Krieg für wichtige Akteure auf katholischer Seite besaß. 6 Und jüngst war vom „konfessionellen Fundamentalismus" die Rede, auch dies deutet sehr stark in diese Richtung. 7 Auch die neuen politischen Deutungen des Krieges jenseits der Religion scheinen mit dem Systembegriff im Kern unvereinbar. Hier ist vor allem die Betonung der universalistischen Zielsetzungen zu nennen, die besonders Johannes Burkhardt unter Aufnahme neuerer Forschungen herausgestellt hat. Danach strebten die Großmächte, jedenfalls Spanien-Habsburg, Frankreich und nach Burkhardt auch Schweden je auf ihre Weise nach Totalbeherrschung der Christenheit, einer dominatio totius mundi.8 Doch schaut der Beobachter auf die neu erschienene diplomatiehistorische Literatur, so gerät dieses Bild der vergangenen Jahre deutlich ins Wanken. Es sind zahlreiche auf profunder Auswertung diplomatischer Akten beruhende
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Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt am Main 1992,143.
Robert Bireley, The Thirty Years' War as Germany's Religious War, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 8.) München 1988,85-106, hier 95f. 7 Heinz Schilling (Hrsg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 70.) München 2007, Vllf. 8 Burkhardt, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 5), 30-63. 6
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Christoph Kampmann Studien entstanden, die insgesamt betrachtet doch einen anderen Eindruck des Verhaltens der Akteure liefern. Wichtig ist dabei, dass wir eine ganze Reihe von Arbeiten haben, die unsere Kenntnis der politischen und diplomatischen Entwicklung während der zweiten Kriegshälfte nach dem Prager Frieden deutlich erweitert haben 9 - eine Epoche, die lange Zeit aus forschungsgeschichtlichen Gründen gleichsam als Aschenputtel der Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg gelten durfte. 1 0 Diese Forschungen zeigen sehr eindrücklich, dass das Bild v o m schroffen gegenseitigen Vernichtungswillen der politisch Verantwortlichen doch etwas irreführend ist. Hier werden Vorstellungen radikaler Pamphletisten und Theologen auf die politischen Akteure in unhaltbarer Weise übertragen. Der Konfessionskonflikt blieb rechtlich eingehegt, selbst für radikalere Protagonisten bildete der Augsburger Religionsfrieden stets die Basis der Argumentation. So konnte die Studie von Thomas Brockmann jüngst herausarbeiten, dass die Regierung Kaiser Ferdinands II. auch auf dem Höhepunkt ihrer Macht nicht die heimliche oder offene Abschaffung des Augsburger Religionsfriedens betrieb, sondern sich für die jeweils eigene Auslegung des Friedens einsetzte. 11 Dies gilt auch mutatis mutandis für Schweden. 1 2
Zu nennen sind hier Studien zu Spanien von Randall Lesaffer, Defensor Pacis Hispanicae. De Kardinaal-Infant, de Zuidelijke Nederlanden en de europese politiek van Spanje: van Nördlingen tot Breda (1634-1637). Kortrijk-Heule 1994 und dem., Defensive Warfare, Prevention and Hegemony. The Justifications of the Franco-Spanish War of 1635, Part I—II, in: Journal for International Law 8, 2006, 91-123 und 141-179; zu Schweden von Jenny Öhman, Der Kampf um den Frieden. Schweden und der Kaiser im Dreißigjährigen Krieg. (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, Bd. 16.) Wien 2005 und Erik MacDonald Thomson, Chancellor Oxenstierna, Cardinal Richelieu, and Commerce. The Problems and Possibilities of Governance in EarlySeventeenth Century France and Sweden. Leiden 2007; zu Frankreich von Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 29.) Münster 1999 und Anja Victorine Hartmann, Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 27.) Münster 1998; sowie zum spanisch-französischen Verhältnis von Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643-1649). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 30.) Münster 2007. 10 Vgl. zur Forschungsentwicklung Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart 2008, 4f. 11 Jetzt sehr eindrücklich Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, NF., Bd. 25.) Paderborn 2009. 9
Der Ehrenvolle Friede
Zudem war die Vorstellung einer Monarchia Universalis weder für Frankreich noch für Spanien in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs wirklich handlungsleitend; handlungsleitend war eher die Furcht vor ihr. Monarchia Universalis diente als Feindbild und als polemischer Kampfbegriff, war aber nicht handlungsleitend im positiven Sinne. 13 Schon in dieser Hinsicht ist die Bezeichnung „System" in Duchhardtscher Verwendung durchaus auf die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs anwendbar, von einer gezielten Vernichtung kann nicht eigentlich die Rede sein. Dies gilt auch in anderer Hinsicht, nämlich in Hinblick auf die ständigen (politischen) Beziehungen untereinander. Die neuere Forschung hat sehr eindrücklich gezeigt, dass alle Konfliktparteien fast ununterbrochen politisch-diplomatische Beziehungen unterhielten. Die Friedensverhandlungen begannen mitnichten in Münster und Osnabrück, sondern zogen sich durch den gesamten Zeitraum. Die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs ist die Geschichte fast ununterbrochener, vielverzweigter Verhandlungen zwischen allen Seiten. Es bestand steter Gesprächskontakt, einerseits direkt oder indirekt über Diplomaten, andererseits etablierte sich auch ein öffentlicher Kommunikationsraum, der nicht nur weit über reine Kriegspropaganda hinausging, sondern auch dazu diente, den Gegner anzusprechen. 14 Besonders auffällig ist dabei, wie diese Verhandlungen abliefen. Es verhandelten nämlich auch Partner miteinander, die rechtlich kaum miteinander hätten verhandeln dürfen, und sie taten dies auf Wegen, die formal eigentlich inakzeptabel waren. Dass es zu diesen Verhandlungen kam, zeigt also, dass es allenthalben den Wunsch nach Erreichen des Friedens, nach einer friedlichen Beilegung der Konflikte gab. An anderer Stelle habe ich Beispiele für solch völlig irreguläre Verhandlungen genannt. 15 Besonders eklatant war die Wahl der reformierten Niederlande zu Mediatoren zwischen den katholischen Großmächten Frankreich und Spanien auf dem Westfälischen Friedenskon-
12 Michael Roberts, The Political Objectives of Gustav Adolf in Germany, 1630-1632, in: ders. (Hrsg.), Essays in Swedish History. London 1967, 82-110. 1 3 Eindrücklich für Frankreich die Studien von Tischer, Französische Diplomatie (wie Anm. 9) und Rohrschneider, Frieden von Münster (wie Anm. 9). Vgl. zur propagandistischen Bedeutung auch Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet". Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges. (Studien zur modernen Geschichte, Bd. 54.) Stuttgart 2001 und Rainer Babel, Frankreichs Gegner in der politischen Publizistik der Ära Richelieu, in: Franz Bosbach (Hrsg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. (Bayreuther Historische Kolloquien, Bd. 6.) Köln/ Weim a r / W i e n 1992,95-116. 14
Vgl. unten Anm. 33.
Christoph Kampmann, Friedensstiftung von außen? Die Problematik von Friedensvermittlung und Schiedsgerichtsbarkeit in frühneuzeitlichen Staatenkonflikten, in: Claudia Ulbrich/Claudia Jarzebowski/Michaela Hohkamp (Hrsg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit. (Historische Forschungen, Bd. 81.) Berlin 2005, 245-259. 15
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gress - eine Wahl, die im Konsens der Großmächte erfolgte, obwohl die Niederlande weder in konfessioneller Hinsicht (als reformiertes Staatswesen) noch politisch (als Bündnispartner Frankreichs und langjähriger Kriegsfeind Spaniens) als neutraler Mediator hätten in Frage kommen dürfen.16 Dass sich alle Beteiligten über diese Hindernisse hinwegzusetzen bereit waren, zeugt von einer beachtlichen Flexibilität. Ingesamt zeigen die neueren Ergebnisse zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges also in überzeugender Weise, dass für diese Periode durchaus von einem „Staatensystem" im genannten Sinne gesprochen werden kann. Dies hat auch Konsequenzen für die Einschätzung des Friedens und der Haltung der Verantwortlichen zum Frieden. Grundsätzlich ist bekannt, dass die Propagandisten aller Seiten den Frieden beschworen, ihn als das eigene Ziel angaben und der Gegenseite die alleinige Verantwortung für die Kriegsnöte zuschoben. Lange Zeit ist dies als reine Propaganda abgetan worden, die nichts mit den wirklichen Motiven der politisch Verantwortlichen zu tun gehabt habe. Die neuere Forschung vermittelt hier ein anderes Bild: Der Friedenswunsch war kein reiner Vorwand; er scheint tatsächlich das Ziel der politisch Verantwortlichen gewesen zu sein. Auf dieser Basis wird klar, weshalb die Frühneuzeitforschung vor der Notwendigkeit steht, eine neue Erklärung für das Geschehen zu liefern: Wenn wir konstatieren dürfen, dass im beschriebenen Sinne von einem Staatensystem gesprochen werden kann und der Friedenswunsch der am Krieg Beteiligten ernsthaft gewesen ist: Warum hat dann der Krieg tatsächlich solche zerstörerischen Dimensionen erreichen können? Es ist offenbar eine neue Erklärung auf eine alte Frage erforderlich. 3. Eine neue E r k l ä r u n g der alten Frage: Ehrenvoller Friede a l s Friedenshindernis Natürlich hatte jede Kriegspartei ihre je eigenen Gründe, den Krieg fortzusetzen. Doch gerade bei der vergleichenden Betrachtung der führenden Kriegsparteien, über deren Positionen wir dank der neueren Literatur mehr wissen, wird deutlich, dass Muster politischen Verhaltens zu erkennen sind, die auf deutliche Parallelen zwischen der Haltung der Parteien zur Kriegsbeendigung schließen lassen. Im Mittelpunkt steht dabei ein besonderes Verständnis von Frieden - ein Verständnis, das die politisch Verantwortlichen verband - jedenfalls auf Seiten der wichtigsten am Krieg beteiligten Großmächte. Es war nicht grundsätzlich mangelnder Friedenswille, sondern es mangelte am Willen und an der Bereitschaft, einen Frieden zu schließen, der nicht den jeweils eigenen Vorstellungen von einer gerechten Friedensordnung entVgl. Guido Braun, Einleitung zu Acta Pacis Westphalicae. Serie 2. Abteilung B. Bd. 5. Münster 2002, XCV-XCVI; Tischer, Französische Diplomatie (wie Anm. 9), 83-84.
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sprach. Denn der Frieden, nach dem allenthalben gestrebt wurde, war nicht in neuerer politikwissenschaftlicher Terminologie - der negative Frieden im Sinne der Abwesenheit von Krieg. Erstrebt wurde vielmehr ein Frieden, der gewisse, jeweils klar definierte Mindestbedingungen zu erfüllen hatte. Und an diesen je eigenen Mindestbedingungen hielten alle Kriegsteilnehmer starr und zäh fest, selbst noch in den größten Nöten. Bevor man einen Frieden schließen würde, der diese bekannten Mindestbedingungen nicht erfüllte, setzte man den Kriegseinsatz fort, im Extremfall noch unter widrigsten Umständen. Dieses unnachgiebige Festhalten an bestimmten Friedenskonzepten machte sich somit vor allem in Zeiten militärischer Krisen bemerkbar und führte dazu, dass die beteiligten Großmächte selbst dann, wenn ein weiterer Kriegseinsatz aussichtslos erschien oder gar aussichtslos war, ihre militärischen Anstrengungen fortsetzten. Und genau dieses Verhalten hat wesentlich zur Verlängerung der Schrecken dieses Krieges beigetragen. In dieser Hinsicht gab es bemerkenswerte Parallelen zwischen den wichtigsten Kriegsparteien - Parallelen, die bis in die Terminologie der Aktensprache reichen. In den Akten wird dieser Friede regelmäßig als „Ehrenvoller Friede" bezeichnet. Dieser Ehrenvolle Friede meint nicht etwa einen triumphalen Siegfrieden, sondern beschreibt den Frieden, der die genannten Mindestbedingungen erfüllt. Für das Verständnis dieses allenthalben angestrebten Ehrenvollen Friedens ist wichtig, dass Ehre hier etwas grundsätzlich anderes bedeutete als Ruhm. Dem Streben nach Ruhm kam sicher im Wertekanon der hochadlig geprägten politischen Führungsschichten des frühmodernen Fürstenstaates ein hoher Rang zu, aber Ruhm war nicht unverzichtbar. Dies galt gerade in politischmilitärischen Krisen. Die Regierungslehre empfahl den Herrschenden, in solchen Situationen ihr persönliches Streben nach Ruhm zugunsten anderer Ziele zurückzustellen. Diese Empfehlung war nicht nur in der theoretischen Regierungslehre zu finden, sondern spiegelte sich auch in internen Entscheidungsprozessen wider. Die politisch Verantwortlichen waren durchaus in der Lage, Flexibilität und Mäßigung (moderatio) zu zeigen. Ganz anders verhielt es sich bei der Ehre. Auf die Ehre als fundamentale Voraussetzung der eigenen politischen Geschäftsfähigkeit konnte offensichtlich nicht verzichtet werden. 17
Vgl. zur Ehre im politischen Raum der Frühen Neuzeit Sibylle Hofer, Art. Ehrverlust, in: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 3. Stuttgart 2006, 88-90; François Billacois, Honneur, in: François Bluche (Hrsg.), Dictionnaire du Grand Siècle. Paris 1990, 729-730; Klaus Graf, Art. Adelsehre, in: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1. Stuttgart 2005, 54-56, hier 56; Ralf-Peter Fuchs, Ein ,Medium zum Frieden'. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, (bibliothek altes Reich, Bd. 4.) München 2010; für die Unterscheidung zwischen Ehre und Ruhm siehe Art. ,Ruhm, öffentlich', in Johann Heinrich Zedier, Großes vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 32. Halle/Leipzig 1740, 1596. Demnächst auch Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem 17
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Bevor ein Friede geschlossen wurde, der nach Ansicht eines der Vertragschließenden auch nur im Ansatz die Gefahr des Ehrverlüste barg, wurde der Krieg selbst noch unter widrigsten Bedingungen fortgesetzt. Kurz gesagt: Ehre zielte auf das „Danach", zum Teil auf die Verhältnisse nach dem Friedensschluss, zum Teil auf ein sehr weit entferntes „Danach", die „Posterität", das Nachleben und war deshalb unverzichtbar. Die Undenkbarkeit eines ehrlosen Danach verlängerte den Krieg im Jetzt. 18 Hier wird auch das Spezifische des politischen Ehrbegriffs in der Frühen Neuzeit erkennbar, der bekanntlich gerade im Rückblick immer wieder Verständnisprobleme aufwirft. Anders als das moderne lebensweltliche Ehrverständnis war Ehre etwas Unaufgebbares, zwingend Erforderliches. Ehre konnte im Gegensatz zum Ruhm nicht individuell erworben werden, aber durchaus und unwiederbringlich verloren gehen. Dieses Ehrverständnis charakterisierte auch die pax honesta. Pax honesta bedeutete mehr und anderes als die Summe der wichtigsten Friedensbedingungen. Eine pax honesta war ein Friede, der die Reputation und den Rang einer Monarchie nicht beeinträchtigte. Dies hing oft an Bestimmungen und Klauseln, die aus heutiger Sicht zuweilen als weniger bedeutend erscheinen, für die politischen Eliten aber gerade in Hinblick auf ihre Reputation außerordentlich wichtig waren. Aber genau dafür hielt man gegebenenfalls am Kriegseinsatz fest, auch unter widrigsten und härtesten Umständen. Sie konnten gerade dann kriegsverlängernd wirken, wenn sich die Bedingungen, die Kriegsgegner an eine pax honesta stellten, jeweils widersprachen und daher ausschlossen. Wenn also das, was die eine Macht auf keinen Fall aus Reputationsgründen aufzugeben bereit war, jenes war, was die andere Macht forderte. Diese eher abstrakten Darlegungen möchte ich im Folgenden anhand zweier Beispiele konkretisieren. Sie verdeutlichen, auf welchen Voraussetzungen die pax honesta beruhte und wie sie sich kriegsverlängernd auswirken konnte. Das erste Beispiel widmet sich dem französisch-kaiserlichen Streit um den Universalfrieden, das andere befasst sich mit den militärischen Krisen der schwedischen Politik nach 1635. 3.1. Ehrenvoller Friede und Krieg I: Die französisch-kaiserliche Auseinandersetzung um den Universalfrieden Das Verhältnis des französischen Premierministers Richelieu zum Frieden wird in der neueren Literatur grundlegend neu bewertet. Die ältere Richelieu-Forschung, vor allem in Deutschland, hat Richelieu bekanntlich gerne als eine Art Machiavellisten in roter Robe beschrieben, dem es nicht um Frieden, sondern lediglich um zynisch verstandene Machterweiterung gegangen sei. Dies ist durch die breite internationale
Selbstverständnis. Habilitationsschrift Marburg 2010. Eine übergreifende Untersuchung politischer Ehrkonzepte steht noch aus. 1 8 Zur Ehre als diskursiv vermittelter politischer Größe und der Bedeutung der Ehre für das Nachleben vgl. Fuchs, Medium (wie Anm. 17), 45f.
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Richelieu-Forschung der vergangenen Jahre eindrucksvoll widerlegt worden. Daran haben auch deutsche Historiker wie Fritz Dickmann, Klaus Malettke und Hermann Weber wesentlichen Anteil gehabt. 19 Inzwischen darf es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass Richelieus politische Aktionen vordringlich auf den Frieden zielten. Zugleich wurde aber herausgearbeitet, dass der Kardinalpremier sehr differenzierte Vorstellungen vom Frieden hatte: Der Friede, den er anstrebte und den allein er mit der Ehre seines Königs für vereinbar hielt, war die Paix Universelle. Und das hieß konkret: Es musste ein Friede sein, der allen zentralen Streitfragen der französischen Monarchie gleichzeitig Rechnung trug und vor allem einer, der auch allen Bundesgenossen Frankreichs die Teilnahme ermöglichte. Letzteres war aus Richelieus Sicht für einen ehrenvollen Frieden unabdingbar. 20 Gerade diese Bedingung erwies sich als friedenspolitisch äußerst problematisch, denn sie stieß auf erheblichen Widerstand des Kaisers und der katholischen Mächte. 21 Dass dies im engen Kontext mit Ehre und Reputation zu sehen ist, zeigt sich eindrucksvoll daran, dass Richelieu diese Forderung auch schon zu einem Zeitpunkt erhob, als er praktisch noch keine Verbündeten im Reich besaß, die in irgendeiner Weise militärische Bedeutung hätten erlangen können: Nach dem Frieden von Prag (1635) gab es im Wesentlichen nur zwei Reichsfürsten, nämlich Kurtrier und Hessen-Kassel, die als Verbündete Frankreichs im Reich gelten konnten, und die beide überdies aus ihrem Land vertrieben waren. Gleichwohl hielt Richelieu es prinzipiell für unannehmbar, sich auf Friedensverhandlungen einzulassen, an denen seine Verbündeten nicht teilnehmen konnten beziehungsweise von vornherein ausgeschlossen waren. Wie wichtig diese Bedingung Richelieu war, zeigt sich daran, dass er an ihr trotz widrigster Umstände festhielt. Dies wurde im Jahre 1636 deutlich, als die spanischen und kaiserlichen Truppen bis weit nach Frankreich vorgestoßen waren. Der Kaiser in Wien arbeitete intensiv auf einen Separatfrieden (ohne Universalfrieden) mit Paris hin und war deshalb bereit, auf den König von Frankreich zuzugehen. Er verbot seinem Sohn Ferdinand (III.), dem Oberbe19 Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit. (Marburger Studien zur neueren Geschichte, Bd. 4.) Marburg 1994, 286-302; Fritz Dickmann, Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neu entdeckten Quellen, in: ders. (Hrsg.), Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der neueren Geschichte. Göttingen 1971, 36-78; Jörg Wollenberg, Richelieu. Staatsräson und Kircheninteresse. Zur Legitimation der Politik des Kardinalpremier. Bielefeld 1977.
Vgl. Hermann Weber, Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele 1634/35, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 8.) München 1988, 203-217; Malettke, Frankreich (wie Anm. 19), 286-302. 21 Kampmann, Europa (wie Anm. 10), 133. 20
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fehlshaber der kaiserlichen Truppen in Frankreich, eine Kriegserklärung gegen Frankreich zu verkünden. Formell ging der Kaiser sogar so weit, seine diplomatischen Beziehungen mit Paris aufrechtzuerhalten und bot dem französischen König an, die Truppen sofort aus Frankreich zurückzuziehen, wenn Frankreich nur seine Forderung nach einem Universalfrieden unter Einschluss seiner Verbündeten aufgebe. 22 Doch Richelieu blieb hart. Er überzeugte seinen Monarchen, dass ein Separatfrieden Frankreichs mit dem Kaiser, der nicht auch die französischen Verbündeten im Reich einschloss, unehrenhaft sei. Und Ludwig XIII. ließ sich überzeugen. 23 Auch Richelieu sehr positiv, sympathisierend gegenüberstehende Historiker haben nicht leugnen können, dass Richelieu mit seiner Forderung nach einem Universalfrieden wesentlich zur Kriegsverlängerung beigetragen hat, obwohl sein Wunsch nach Frieden prinzipiell ernst gemeint war. 24 Dies gilt umso mehr, als Richelieus Streben nach einer pax honesta, die nur durch einen Universalfriedenskongress unter Einschluss all seiner Verbündeten zu realisieren war, mit der Vorstellung des Kaisers von einem Ehrenhaften Frieden frontal zusammenstieß, sich die pax honesta Frankreichs und die pax honesta des Kaisers gegenseitig ausschlossen. Der Kaiser war - wie dargestellt - sehr an einem Frieden mit Frankreich interessiert, er wollte aber zu einem solchen Frieden gerade nicht die Reichsstände zulassen. Seiner Ansicht nach musste ein solcher Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich geschlossen werden. Vorstellbar war allenfalls noch die Zulassung der Kurfürsten und auswärtiger Mächte, nicht aber der Reichsstände. In dieser Angelegenheit den Reichsständen das Verhandlungsrecht zuzugestehen, hätte für den Kaiser eine Rangerniedrigung, einen (nicht wieder gutzumachenden) Ehrverlust bedeutet. 25 Diese Position hat die Politik des Kaisers in der Zeit des militärischen Gleichgewichts geprägt, aber auch darüber hinaus zu einer Zeit, als der Kaiser offensichtlich in eine militärische Krise geraten war. Dies geschah seit 1640/41, als Spanien keine nennenswerte Hilfe mehr leisten konnte. Seit dem Verlust seiner Hauptarmee 1642 konnte es keinen Zweifel mehr geben, dass der Kaiser seinen Gegnern militärisch nichts Gleichwertiges mehr entgegensetzen konnte. Dennoch lehnte der Kaiser einen Universalfriedenskongress gemäß den Vorstellungen Richelieus als akzeptablen, politisch gangbaren Weg zum Frieden nach wie vor beharrlich ab.
22
Hartmann, Regensburg (wie Anm. 9), 258-262.
23
Kampmann, Europa (wie Anm. 10), 117-127.
Hermann Weber, Une Paix sûre et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit. (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 1.) Köln/Wien 1991, 111-129, hier 128f. 25 Karsten Ruppert, Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643-1648). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 10.) Münster 1979, 75-79. 24
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Seit 1643 begannen sich die Botschafter in Münster und Osnabrück zu versammeln und noch immer baute die politische Führung am Kaiserhof darauf, den von Frankreich geforderten Weg nicht beschreiten zu müssen. Durch den gerade ausgebrochenen Krieg zwischen Dänemark und Schweden wollte der Kaiser 1644 zum militärischen Entscheidungsjahr gegen den Universalfrieden machen. Doch in demütigendster Weise wurde es zum regelrechten „annus horribilis" für die kaiserlichen Waffen. Die kaiserliche Hauptarmee löste sich aufgrund ihrer materiellen Schwäche auf, bevor sie den Kriegsschauplatz in Jütland erreichte. Leicht wurde sie von Schweden ausgespielt, und nur Reste kehrten nach Böhmen zurück - faktisch ohne Schlacht. Schweden triumphiertet Für unseren Zusammenhang ist entscheidend, wie der Kaiserhof auf dieses erneute Desaster reagierte. Nachdem nun die Schwäche des Kaisers notorisch war, hätte einiges darauf hingedeutet, dass der Kaiser sich den französischen Verhandlungsforderungen geneigter zeigte, doch das glatte Gegenteil geschah: Auf eine Rundfrage des Kaisers im Geheimen Rat erfolgte das einstimmige Votum, sich weiterhin nicht auf den Universalfriedenskongress unter Einschluss der Verbündeten einzulassen, weil ein solcher Kongress und besonders die Zulassung der Reichsstände unehrenhaft sei. Noch immer, nach dem Verlust mehrerer Armeen war der Kaiser nicht bereit, von der pax honesta abzurücken. Ergebnis der Beratungen des Geheimen Rates war, dass der Kaiser eine weitere, neue Armee aufstellen und noch einmal ins Feld ziehen solle, denn dies sei allemal besser als ein unehrenhafter Friede. 27 Ferdinand III. folgte diesem Ratschlag, stellte unter größten Opfern ein weiteres Heer auf und zog Schweden in Böhmen entgegen. Dort kam es im März 1645 zur Schlacht, die genau das Gegenteil von dem bewirkte, was die kaiserliche Regierung erhofft hatte: Erneut wurde die kaiserliche Armee vernichtet und jetzt stießen die schwedischen Truppen tatsächlich bis nach Wien vor. Der Kaiser stand nun definitiv vor dem Ruin, der Verlust seines Territoriums und seiner Würde wurde zur realen Möglichkeit. Angesichts dieser Lage stimmten nun auch seine treuesten Verbündeten, die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, einer Zulassung aller Reichsstände zum Friedenskongress zu. Und jetzt, aber erst jetzt, nach dem Verlust mehrerer Armeen, schloss sich auch die kaiserliche Regierung dieser Entscheidung an. Der Westfälische Friedenskongress konnte zu den Bedingungen Frankreichs schließlich wirklich beginnen. 28 Die Beharrlichkeit, mit der der Kaiser bis 1645 an seiner „Pax honesta"Konzeption festhielt, ist auch deshalb bemerkenswert, weil der sich fortsetzende Krieg eine ständige Provokation für seine Rolle als Reichsoberhaupt
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Kampmann, Europa (wie Anm. 10), 142-148.
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Ruppert, Kaiserliche Politik (wie Anm. 25), 75f.
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und oberster Friedenswahrer darstellte. Dies scheint aber für lange Zeit von geringerer Bedeutung gewesen zu sein als die Durchsetzung der eigenen Konzeption eines ehrenhaften Friedens. 3.2. Ehrenvoller Friede und Krieg II: Die schwedische Politik Die schwedische Friedenspolitik unterschied sich grundlegend von jener Frankreichs. Schweden ging es nicht um irgendwelche Universalfriedenspläne, im Gegenteil: Schweden stand den Universalfriedensplänen Richelieus skeptisch-ablehnend gegenüber. Die Regentschaftsregierung in Stockholm war entschlossen, sich der Einbindung in die Universalfriedenskonzeption zu entziehen, weil sie hellsichtig erkannt hatte, dass dies den Kriegseinsatz Schwedens erheblich verlängern konnte. 29 Doch wichtiger als dieses Ziel - die Nichteinbindung in die Universalfriedenskonzeption - war etwas anderes, nämlich auch hier die pax honesta, für die Schweden eigene Mindestbedingungen formuliert hatte: Die territoriale Satisfaktion, die finanzielle Kompensation und schließlich - schon eher verhandelbar - die Amnestie im Reich. Diesen Ehrenvollen Frieden zu erreichen, rangierte auch in diesem Fall in der Prioritätenskala der Stockholmer Regierung weit oben. Dies zeigte sich eindrücklich und mit für den Kaiser katastrophalen Folgen nach 1635, in einer der schwersten militärischen Krisen im Verlauf des Sommers und Herbstes 1637. Schweden war im Verlauf dieses Jahres vollständig in die Defensive geraten und auf die sogenannte „Seekante" in Pommern beschränkt. Damit war auch die Beschaffung der notwendigen Finanzen in Frage gestellt, da die territoriale Basis fehlte. Denn allein aus Pommern konnte die Armee nicht versorgt werden, was Auflösungserscheinungen unter den Mannschaften zur Folge hatte. Zu allem Unglück für Schweden konnte auch die Situation an der Spitze der Streitkräfte keinerlei Hoffnung eröffnen. Die beiden Befehlshaber Banér und Wrangel lagen in erbittertem Streit miteinander und ließen sich durch die Regentschaftsregierung kaum noch zur Räson rufen. Schweden stand am Rande des militärischen Zusammenbruchs. Es ist bemerkenswert, dass in dieser Hinsicht niemand in der schwedischen Führung, wie Jenny Öhman kürzlich noch einmal herausgearbeitet hat, die Option eines Friedens in Erwägung gezogen hat. Frieden war gerade jetzt kein Thema, weil ein Ehrenvoller Frieden nicht zu erhalten war. Aus diesem Grund sah man sich nun wieder gezwungen, dem Prinzip der Unvermeidlichkeit zur weiteren Kriegsteilnahme folgen zu müssen. 30 Die Krise erhöhte insofern gerade nicht die Friedensbereitschaft, sondern ließ sie geradewegs auf null sinken. In bezeichnender Weise hieß es in einer Weisung der Stockholmer Regierung an den Unterhändler Sten Bielke: „Wir trachten nach dem Frieden und haben keine Gelegenheit dazu ausgelassen, aber Frieden vom Vgl. jetzt Öhman, Kampf (wie Anm. 9). so Ebd., 115-124.
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Gegner zu erbetteln, ist nicht ehrenwert (,reputerligt'), da ist es fast besser und ehrenwerter, sich mit Gewalt hinausjagen zu lassen." 31 Anders formuliert: Solange sich Schweden in einer militärisch kritischen Situation befand, gab es aus schwedischer Sicht keine Möglichkeit für ernsthafte Friedensverhandlungen, weil der Abschluss eines Ehrenvollen Friedens unter den gegebenen Umständen ausgeschlossen war. Und so bewegte sich Schweden auf das Bündnis zu, welches es so lange abgelehnt hatte, jenes mit Frankreich. Zwar herrschte im schwedischen Staatsrat weiterhin Konsens, dass es grundsätzlich nicht wünschenswert sei, sich in den Dienst des beargwöhnten Universalfriedenskonzepts Frankreichs zu stellen. Aber der Ehrenvolle Friede hatte vor allen übrigen Abwägungen unbedingte Priorität - ein Punkt, über den der Staatsrat nicht einmal diskutierte. Im Jahre 1641, in der nächsten großen, vielleicht noch dramatischeren Krise der schwedischen Streitkräfte, in der meuternde Söldner gegen ihre eigene Führung mit Gewalt vorgingen und Schweden militärisch ganz daniederzuliegen schien, verhielt sich die schwedische Führung entsprechend: Erneut war Frieden gerade in einer solchen Lage kein Thema, es gab keine andere Friedensoption außer dem Ehrenvollen Frieden. 32 Man könnte zahlreiche weitere Beispiele anführen, die auf das gleiche Verhaltensmuster hindeuten. So hinterlassen diese Beispiele ein widersprüchliches, fast paradox erscheinendes Bild: Auf der einen Seite Gesprächs- und Friedensbereitschaft sowie erstaunlich hohe Flexibilität, auf der anderen Seite ein starres, vollkommen unbewegliches Festhalten am Konzept des Ehrenvollen Friedens, auch und gerade, wenn der Kriegsverlauf eigentlich Flexibilität auch in dieser Hinsicht erforderlich machte. 4. Kommunikation, Flexibilität und unbeugsames Beharren auf der pax honesta - ein Widerspruch? An dieser Stelle ist freilich zu fragen, ob nicht die bisherigen Darlegungen einen fundamentalen inneren Widerspruch aufwerfen. Wie ist die Tatsache einer beständigen Kommunikation, die gepaart ist mit einer hohen, sehr flexiblen Verhandlungsbereitschaft zwischen den Kombattanten im Dreißigjährigen Krieg, überhaupt vereinbar mit dem gleichzeitig geradezu dogmatischen, kriegsverlängernden Beharren auf dem jeweils für sinnvoll gehaltenen Ehrenvollen Frieden? Abschließend möchte ich zeigen, dass beides vereinbar ist, ja, mehr noch: beides einander geradezu bedingt. Dies gilt zunächst für die beständige politisch-diplomatische Kommunikation zwischen den Kriegsparteien - eine Kommunikation, die intern und öffentlich Weisung der schwedischen Regierung an Bielke, 7. August 1637, zitiert nach Ebd., 258. „Wij tracta effter freden, och hafve wij icke heller nàgon, occasion thertill utslagit, men att bettla den av wederparten är intet reputerligt, och fast bäther och reputerlicher at aldeles med vâld bliffua utjagad sig [...]." 32 Ebd., 152. 31
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stattfand. Das hatte auch Konsequenzen für die Konzeption des Ehrenvollen Friedens: Das, was für die einzelnen Kriegsparteien Grundbedingungen des Ehrenvollen Friedens waren, lag nicht verschlossen in diplomatischen Instruktionen verborgen, sondern war bekannt, war in gewisser Weise allen bekannt: Den Bündnispartnern und den Kriegsgegnern aus zahlreichen Verhandlungsrunden sowie der politischen Öffentlichkeit durch die Flugschriftenliteratur, mit der die Diplomatie intensiv arbeitete und die sie für ihre Zwecke einsetzte.33 Gerade die Bedeutung der politischen Öffentlichkeit ist nicht zu unterschätzen: Die neuere Forschung hat eindrücklich gezeigt, dass die Öffentlichkeit rasch und intensiv über die Verhandlungen informiert wurde und den Diplomaten dieser Zeit als ein „mitgestaltender Faktor" (Franz Bosbach) galt.34 Gerade das machte ein Abrücken, ein Fallenlassen der Grundbedingungen des Ehrenvollen Friedens so besonders schwer. Je länger der Krieg fortging, umso schwerer wurde dies. Denn die einzelnen Kriegsparteien hatten sich so öffentlich auf ihre Bedingungen eines Ehrenvollen Friedens festgelegt, diese waren allseits bekannt. Anders formuliert: Der Ehrenvolle Friede war Teil des Bildes und Selbstbildes, das jede einzelne kriegsbeteiligte Macht von sich entworfen hatte - ein Vorgang, den man in Anlehnung an die von Stephen Greenblatt entwickelte Begrifflichkeit als „Self-Fashioning" bezeichnen könnte. 35 Dies erklärt auch, weswegen Friedensbedingungen zum Konzept des Ehrenvollen Friedens gehörten, die im historischen Rückblick vielleicht als weniger bedeutsam erscheinen, für den zeitgenössischen Kriegsteilnehmer aber von entscheidender Bedeutung waren, weil bekannt und akzeptiert war, dass die jeweilige Kriegspartei dieses Konzept zur ständig wiederholten Grundbedingung des Friedensschlusses erhoben hatte. Ein Abrücken von solchen Bedingungen war nicht möglich ohne erhebliche Einbußen an der künftigen Reputation, die die politische Geschäftsfähigkeit in Zukunft ernsthaft in Frage stellen konnten. In Anlehnung an Greenblatts Ausführungen hat Ralf Peter Fuchs in seiner großen Arbeit zum Normaljahr die grundlegende Bedeutung dieses „Self-Fashioning" oder „Fashioning of Identity", das nur in
Die Verbindung von Diplomatie und Öffentlichkeit ist gerade für den Westfälischen Friedenskongress überzeugend herausgearbeitet worden; vgl. Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die zeitgenössische Öffentlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF., Bd. 81.) 2. Aufl. Paderborn 1999, 723-765; Franz Bosbach, Gedruckte Informationen für Gesandte auf dem Westfälischen Friedenskongreß - eine Dokumentation des Angebotes, der Preise und der Verwendung, in: Rainer Babel (Hrsg.), Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. (Pariser Historische Studien, Bd. 65.) München 2005, 59-137; vgl. Kampmann, Europa (wie Anm. 10), 132f.
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Vgl. Bosbach, Informationen (wie Anm. 33), 83.
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Greenblatt, Renaissance (wie Anm. 1).
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einem beständigen Kommunikationsprozess der Kriegsparteien entstehen konnte, für die Politik während des Dreißigjährigen Kriegs herausgearbeitet. 36 Wichtig war, dass dieses Selbstbild nicht einfach geschaffen wurde, sondern im Diskurs mit den Bündnispartnern und Kriegsgegnern erst entstand, insofern Produkt von politischer Kommunikation war. Hier liegt auch der Schlüssel, weshalb dieses Konzept des Ehrenvollen Friedens bei immer weiter und länger fortschreitendem Kriegsgeschehen eine ständig größere Wirkung entfaltete. Dieser Prozess des „Self-Fashioning" über die konkreten Bedingungen des Ehrenvollen Friedens - schritt ja bei beständig weitergeführter Kommunikation der Streitparteien miteinander und mit der Öffentlichkeit fort, der lange Kriegseinsatz und die wachsende Bekanntheit machten es je länger, je schwieriger, davon abzurücken. Deshalb zeitigte es gerade in der zweiten Hälfte des Krieges solche erheblichen Auswirkungen. Ein markantes Beispiel aus dem Kreis der prominenten reichsständischen Kriegsteilnehmer sei hier genannt: Dass für Maximilian von Bayern das Kernanliegen, die Grundvoraussetzung für einen Ehrenvollen Frieden die Bewahrung der pfälzischen Kurwürde war, war beileibe kein irgendwie geartetes Arkanwissen der Politik, es war Allgemeingut der gesamten politischen Öffentlichkeit. Die bayerische Forderung nach Erwerb bzw. Bewahrung der pfälzischen Kurwürde war im beschriebenen Sinne Teil des Selbstbildes des bayerischen Herrschers geworden. Er konnte mithin von dieser Forderung nicht mehr abrücken, wollte er nicht seine Reputation aufs Spiel setzen, und er hat dies auch nicht mehr getan. 37 Die dichte Kommunikation, die während des gesamten Krieges bestand, widerspricht nicht dem Konzept des Ehrenvollen Friedens, sie bedingt diese mit. Der andere Punkt ist die hohe politisch-diplomatische Flexibilität bei den Verhandlungen, die doch der Starrheit des Festhalten an diesem Ehrenvollen Frieden zu widersprechen scheint. Doch auch hier gilt, dass das eine das andere in gewisser Weise bedingt. Diese hohe Flexibilität in den Verhandlungsformen, die gerade aus heutiger Sicht erstaunlich ist, hing nämlich eng mit der Tatsache zusammen, dass vieles im Verhältnis der Staaten und Gemeinwesen im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges noch ungeklärt war. Es gab noch kein verbindliches Miteinander der Staaten. Die staatenpolitische Praxis, die über die Regeln entschied, war in Bewegung. Gerade dies ermöglichte beispielsweise, dass die Generalstaaten, die aus Sicht Madrids streng formal bis 1648 als feindliche „Rebellen" zu betrachten waren, auch einmal mit ausdrücklicher Billigung der spanischen Krone als neutrale Friedensvermittler tätig werden konnten. Fuchs, Medium (wie Anm. 17), 43f.; vgl. auch zu dieser kommunikativ entstandenen Ehre Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert. (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne.) Darmstadt 2001. 37 Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573-1651. München 1998,976 u.ö. 36
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Doch eben diese Offenheit, diese Unabgeschlossenheit wirkte sich auf die Haltung zum Ehrenvollen Frieden aus. Gerade weil die jeweilige Position im staatlichen Miteinander der europäischen Gemeinwesen noch ungeklärt war, wogen Ehre bzw. Reputation in einem so offenen, beweglichen System ungleich schwerer. Es ist bekannt, mit welcher Erbitterung über Rangfragen auf dem Westfälischen Friedenskongress gestritten wurde. Dies ist daraus zu erklären, dass die Stellung der einzelnen Teilnehmer des Staatensystems innerhalb des europäischen Staatensystems noch ungefestigt war. 38 In dieser Hinsicht halte ich die von Johannes Burkhardt entwickelte Interpretation des Dreißigjährigen Kriegs als eines Staatsbildungskriegs für sehr plausibel und ebenso weiterführend wie fruchtbar: Im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs gab es noch eine fundamentale Unsicherheit über die Struktur und Rangordnung der Gemeinwesen, 39 die kriegstreibend wirken konnte. Solange die eigene Stellung im Miteinander der christlichen Gemeinwesen unsicher war, reagierten alle Teilnehmer in dieser Hinsicht außerordentlich empfindlich. Gerade dies erklärt die hohe Sensibilität in allen Rang- und Ehrfragen und eben auch die Entschlossenheit, die eigene Stellung nicht durch einen Frieden zu gefährden, der unehrenhaft wäre. So waren die hohe Flexibilität und Beweglichkeit im Verhandeln und die Starrheit beim Beharren auf der pax honesta, auf dem Ehrenvollen Frieden nur zwei Seiten derselben Medaille. Am Ende stehen wir vor einem auf den ersten Blick paradox klingenden Ergebnis: Die Friedensbereitschaft, der Friedenswunsch der Akteure im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges war tiefempfundenes Bedürfnis, kein propagandistischer Vorwand. Aber gerade weil sehr differenzierte inhaltliche Vorstellungen von dem zu schließenden Frieden existierten, nach dem die Kriegsparteien jeweils strebten, war der Krieg so schwer zu beenden. Insgesamt hat dieses Resultat meines Erachtens auch forschungspolitische Konsequenzen, deutet es doch darauf hin, in welch hohem Maße die vergleichende Erforschung von Inhalt und Verwendung der frühneuzeitlichen Friedensvorstellungen eine zentrale und bleibende Aufgabe der Forschung ist.
Zahlreiche Beispiele bei Fritz Dickmann, Der Westfälische Friede. 5. Aufl. Münster 1985,206-212. 3 9 Prägnant zusammengefasst in Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45, 1994, 487-499. Bedenken habe ich lediglich gegen die These, dass Frankreich, Spanien und Schweden Pläne einer gesamtchristlichen Herrschaft verfolgt hätten. Universalmonarchie war im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges ein Feind- und Schreckbild; es gibt keine Belege, dass es im positiven Sinne in dieser Zeit handlungsleitend geworden wäre; vgl. Kampmann, Europa (wie Arvm. 10), 182. 38
Das Reich als Friedensordnung?
Kerstin Weiand Auf dem Weg zum Reich als Friedensordnung? Reichsständische Zielkonzeptionen in Münster und Osnabrück am Beispiel Hessen-Kassels Die zahlreichen Arbeiten, die im Umfeld des Jubiläumsjahres 1998 entstanden sind,1 stellen in zweifacher Hinsicht einen Meilenstein in der Erforschung des Westfälischen Friedens dar: Zum einen im Hinblick auf die Erschließung neuer kulturgeschichtlich oder interdisziplinär orientierter Perspektiven und Fragestellungen.2 Zum anderen hinsichtlich der Bewertung des Friedensschlusses: die Hochschätzung, die sich in der Geschichtswissenschaft nach und nach etabliert hatte, brach sich mit ungewohnter Euphorie Bahn. Vor dem Hintergrund der europäischen Integration wurde die Aktualität des Westfälischen Friedens hervorgehoben, ja er wurde gleichsam zum Prototyp der Verfasstheit der Europäischen Union stilisiert.3 Mit Abstand zu der solennen Jubiläumsstimmung und im Kontext aktueller Reflexionen bezüglich des Potentials der europäischen Idee erscheint es angebracht, auch die Westfälische Friedensordnung im Lichte neuerer Forschung zu betrachten. Bislang führten nämlich auch neuere kulturgeschichtliche Ansätze zwar zu einer thematischen Verbreiterung der Forschung, ihr wesentliches Potential gerade für die Politikgeschichte, das im Aufdecken der Konstruiertheit überkommener Deutungsmuster und der systematischen Hinterfragung und Dekonstruktion angenommener Gewissheiten liegt, hat aber bislang wenig Niederschlag gefunden. Von zentraler Bedeutung für die Wertschätzung des Friedens von Münster und Osnabrück ist weniger seine friedensstiftende als die ihm zugeschriebene friedenserhaltende Wirkung.
1 Einen Überblick gibt Helmut Neuhaus, Westfälischer Friede und Dreißigjähriger Krieg. Neuerscheinungen aus Anlaß eines Jubiläums, in: Archiv für Kulturgeschichte 82, 2000, 455-475.
Stellvertretend für viele seien hervorgehoben: Heinz Duchhardt/Eva Ortlieb (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 26.) München 1998; Klaus Bußmann /Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, 3 Bde., Münster 1998. 2
Siehe Johannes Burkhardt, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, 529-618; dagegen Paul Münch, 1648 - Notwendige Nachfragen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47,1999, 329-333; Martin Tabaczek, Wieviel tragen Superlative zum historischen Erkenntnisfortschritt bei? Anmerkungen zum Beitrag von Johannes Burkhardt „Das größte Friedenswerk der Neuzeit". Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50, 1999, 740-747 sowie die Entgegnung Burkhardts: Johannes Burkhardt, Über das Recht der Frühen Neuzeit, politisch interessant zu sein. Eine Antwort an Martin Tabaczek und Paul Münch, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50,1999, 748-756; außerdem kritische Stellungnahme zum „Grundgesetz Europas": Heinhard Steiger, Der Westfälische Frieden Grundgesetz für Europa?, in: Duchhardt/Ortlieb (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 2), 33-80. 3
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Sicherlich ist der den Verträgen folgende Friedenszustand innerhalb des Reiches nicht allein schriftlich fixierten Normen, sondern ebenso mentalitätsbedingten Faktoren zu verdanken. Zudem wurde er begünstigt von nicht unmittelbar aus dem Friedensschluss erfolgenden und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht absehbaren Faktoren. 4 Im Zuge des Friedensschlusses etablierte sich jedoch im Reich ein System, das - wie etwa von Karl Otmar von Aretin und Anton Schindling herausgestellt wurde - zum einen die rechtliche Stellung der Reichsglieder stärker fixierte und zum anderen Ausgleichmechanismen zur Konfliktlösung bereit stellte. Für gut ein Jahrhundert konnte es die Ruhe innerhalb des Reiches weitgehend garantieren. Der Aufrechterhaltung des Friedens diente das Reichssystem dabei zunächst indem durch konsensorientierte Entscheidungsfindungen das Aggressionspotential des Reichs nach außen drastisch eingeschränkt wurde, aber auch die Rechte der Reichsglieder durch ihre Fixierung vor potentiellen Übergriffen geschützt wurden. Zudem waren in den gefestigten Reichsinstitutionen - wie etwa Reichsgerichte und Reichstag - wirksame Möglichkeiten zur aktiven Ausgleichsfindung und zur Balancewahrung gegeben. 5 Demnach gilt also die Regelung der Reichsverfassungsfragen als konstitutiv für die friedenswahrende Funktion der westfälischen Vertragswerke. Die Frage nach der Genese dieser Regelung kann folglich Aufschluss geben über das Wesen der schließlich geschaffenen Friedensordnung beziehungsweise der alternativen Konzeptionen, die im Umfeld der Friedensverhandlungen denkbar schienen. Gemäß diesen Prämissen soll ein Aspekt des Zustandekommens dieser Friedensordnung genauer beleuchtet werden. 6 Die Bestimmungen bezüglich der Reichsverfassung in den Verträgen von Münster und Osnabrück werden insgesamt als sehr ständefreundlich beurteilt, wenn auch die Stellung des Kaisers langfristig nicht zwangsläufig ge-
Zu berücksichtigen wären etwa die Friedensbereitschaft der Zeitgenossen, die allgemeine materielle Erschöpfung nach Ende des Krieges, die Bedrohung des Reiches durch Frankreich und der damit verbundene Wiederaufstieg des Kaisertums, sowie die Wahrung des Friedensschlusses durch den Kaiser. 5 Siehe etwa: Karl Otmar von Aretin, Das Reich. Friedensgarantie und europäisches Gleichgewicht. Stuttgart 1986, 55-75 u.ö.; Anton Schindling, Reichsinstitutionen und Friedenswahrung nach 1648, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2.) München 2001, 259-291; Karl Härter, Sicherheit und Frieden im frühneuzeitlichen Alten Reich. Zur Funktion der Reichsverfassung als Sicherheits- und Friedensordnung 1648-1806, in: Zeitschrift für historische Forschung 30,2003,413-432. 6 Die hier dargestellten Untersuchungsergebnisse sind Teil einer größeren Studie der Verfasserin zur Reichsverfassungspolitik Hessen-Kassels im Dreißigjährigen Krieg: Kerstin Weiand, Hessen-Kassel und die Reichsverfassung. Ziele und Prioritäten landgräflicher Politik im Dreißigjährigen Krieg. (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte, Bd. 24.) Marburg 2009. 4
Das Reich als Friedensordnung? schwächt w u r d e u n d b e s o n d e r s Leopold I. durch eine geschickte Ausgleichspolitik d e n kaiserlichen Einfluss auf die Reichspolitik w i e d e r zu neuer Geltung führen k o n n t e . 7 Verfassungsrechtlich w u r d e jedoch zunächst die Mitents c h e i d u n g s k o m p e t e n z der auf d e m Reichstag v e r s a m m e l t e n Stände in zentralen Fragen der Reichsadministration fixiert, das reichsständische Bündnisrecht sowie eine w e i t g e h e n d e territoriale Selbstbestimmung der Landesherren w u r d e n festgeschrieben. 8
Trotz der B e d e u t u n g dieser B e s t i m m u n g e n
für
W e s e n u n d Gestalt des Reiches w u r d e die Genese der V e r f a s s u n g s o r d n u n g in der neueren Forschung vergleichsweise w e n i g beachtet, gilt sie doch gemeinhin als „geklärt". 9 Zurückgeführt wird sie auf das entschiedene E n g a g e m e n t einer G r u p p e protestantischer
Reichsstände,
der sogenannten
„Aktionspartei". 1 0
Über
die
Struktur u n d F ü h r u n g dieser in der Literatur nicht selten als h o m o g e n e Fraktion dargestellten G r u p p e herrscht in der Forschung w e i t g e h e n d e Einmütigkeit: Die Landgrafschaft Hessen-Kassel - u n d an erster Stelle die Landgräfin A m a l i e Elisabeth - h a b e auf d e m Westfälischen Friedenskongress als unerm ü d l i c h e Vertreterin von Reichsreformplänen im radikal-reichsständischen Sinne den maßgeblichen Anstoß zu den letztendlichen V e r f a s s u n g s n o r m e n g e g e b e n u n d sei damit gleichsam eine Architektin der Friedensordnung ge-
7 Siehe dazu Volker Press, Die kaiserliche Stellung im Reich zwischen 1648 und 1740 Versuch einer Neubewertung, in: Georg Schmidt (Hrsg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd 29.) Stuttgart 1989,51-80.
Zu den ständefreundlichen Punkten des Westfälischen Friedens siehe etwa: Art. VIII § 2 Instrumentum Pacis Osnabrugense (IPO). Die Angelegenheiten des Reiches sollten nicht „nisi de comitiali liberoque omnium imperii statuum suffragio et consensu" entschieden werden. Art. VIII1 IPO: Die Stände sollten über das „libero iuris territorialis tarn in ecclesiasticis quam politicis exercitio" verfügen können. Art. VIII § 2 IPO: „ita tarnen ne eiusmodi foedera sint contra imperatorem et imperium pacem que eius publicam vel hanc imprimis transactionem fiantque salvo per omnia iuramento quo quisque imperatori et imperio obstrictus est" zitiert nach Arno Buschmann (Hrsg.), Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806. 2. Auflage Baden-Baden 1994,15-106; Volker Press etwa spricht von dem Westfälischen Frieden als der „Magna Charta der deutschen Landesfürsten": Volker Press, Denn der Adel bildet die Grundlage und die Säulen des Staates. Adel im Reich, in: Evelin Oberhammer (Hrsg.), Der ganzen Welt ein Lob und Spiegel. Das Fürstentum Liechtenstein in der frühen Neuzeit. Wien/München 1990,11-32, hier 11. 8
Dies meint beispielsweise Karsten Ruppert, Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß. 1643-1648. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bd. 10.) Münster 1979, 87, Anm. 102. 1 0 Zum Begriff ,Aktionspartei' und deren reichsständischem Engagement siehe unter anderem Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 7.) Göttingen 1966, 217f.; Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495-1806. Darmstadt 2003,67f.
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Kerstin Weiand w e s e n . 1 1 D i e zeitgenössische Stilisierung der Landgräfin als Heroina
Hassiaca
w u r d e d a z u herangezogen, dieses Bild der F o r s c h u n g zu stützen. 1 2 Tatsächlich eignet sich die Landgrafschaft auf den ersten Blick in ganz vorzüglicher W e i s e für diese Rolle einer Heroine
reichsständischen Rechts:
Nicht nur b e f a n d sie sich aktuell mit d e m Kaiser in offener Feindschaft, 1 3 aus Sicht der i m m e r n o c h w i r k m ä c h t i g e n protestantischen Reformationshistorie schien das H a u s Hessen auch durch seinen A h n h e r r n Philipp den Großmütigen historisch w i e genetisch geradezu prädestiniert für
reichständisches,
1 1 Zu der Einschätzung Hessen-Kassels als führendem Vertreter reichsständischer Verfassungsforderungen auf dem Westfälischen Kongress vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritz Dickmann, Der Westfälische Friede. 3. Aufl. Münster 1972,163,325 u.ö.; ders., Der Westfälische Friede und die Reichsverfassung, in: Forschungen und Studien zur Geschichte des Westfälischen Friedens. Vorträge bei dem Colloquium französischer und deutscher Historiker vom 28. April - 30. April 1963 in Münster. Münster 1965, 5-32, hier 21, 23, 26; Erwin Bettenhäuser, Die Landgrafschaft HessenKassel auf dem Westfälischen Friedenskongress 1644-1648. Wiesbaden 1983, 49 u.ö.; Klaus Malettke, Scheffers Gesandtschaft in Osnabrück: „Stände seyn nicht nur Rhäte, die man hören, sondern deren. Rhäten man auch folgen müsse", in: Duchhardt/Ortlieb (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 2), 501-522, hier 501, 510; ders., Die politische Organisation des Reiches zur Zeit des Simplicissimus, in: Etudes Germaniques, 1991, 3-20, hier 12, 14; ders., Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der frühen Neuzeit. (Marburger Studien zur neuren Geschichte, Bd. 4.) Marburg 1994,155; Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen. Kassel 1972, Neudruck Kassel 1980, 261; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715. (Neue deutsche Geschichte, Bd. 5.) München 1991, 255, 265; ders., Hessen im Zeitalter der Landesteilung (1567-1655), in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Das Werden Hessens. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 50.) Marburg 1986, 267-331, 318f.; Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg. 6. Aufl. München 2003, 72; Kurt von Raumer, Westfälischer Friede, in: Historische Zeitschrift 195,1962, 596-613, hier 602; Fritz Wolff, Hessen-Kassel auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 49, 1999, 111-125, hier 123; Schubert, Reichstage (wie Anm. 10), 321; Anton Schindling, Der Westfälische Friede und der Reichstag, in: Hermann Weber (Hrsg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich. (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 8.; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 2.) Wiesbaden 1980, 113-153, hier 113, 116f., 130, 136-138,141; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 297. 1 2 Zur Stilisierung der Landgräfin Amalie Elisabeth als Heroina Hassiaca siehe jetzt auch Pauline Puppel, „Heroina Hassiaca" oder „Schwester der Gorge"? Landgäfin Amelie Elisabeth und die Hessische Ritterschaft, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 57,2007,99-125. 1 3 Der Reichsvizekanzler Ferdinand von Kurz zählte Hessen-Kassel zu den fünf größten Feinden des Kaisers. Nach seiner Einschätzung stand Hessen-Kassel an dritter Stelle nach den Türken und den Schweden noch vor den Franzosen und den Niederländern, siehe Gutachten Ferdinands von Kurz vom 30. Januar 1645, abgedruckt in Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 386-400, hier 391f.
Das Reich als Friedensordnung? antikaiserliches Engagement. 1 4 A u c h der Vorgänger Amalie Elisabeths, Landgraf Wilhelm V., hatte sich für eine Umgestaltung der Reichsverfassung eingesetzt. 1 5 Z u d e m gehörte Hessen-Kassel der reformierten Konfession an, deren Vertretern die Forschung ohnehin gerne politische Radikalität zu unterstellen geneigt ist. 1 6 Auf d e m Friedenskongress kam ihr z u d e m als Verbündeter der Kronen Frankreichs und Schwedens von Beginn an eine gewisse Sonderstellung z u . 1 7 Vor diesem Hintergrund muss die Beurteilung Hessen-Kassels als H a u p t reichsständischer Reformbemühungen durchaus plausibel erscheinen. W e r hätte sich besser für diese Rolle eignen können? Einer solchen Logik folgend ist dieses Bild tradiert worden, ohne je hinterfragt w o r d e n zu sein. Gleichwohl soll an dieser Stelle der Versuch einer Neubewertung der landgräflichen Zielsetzungen auf d e m Westfälischen Friedenskongress unternommen werden, die bei näherer Betrachtung gewisse Widersprüche zur schließlich geschaffenen Friedensordnung aufweisen. Es soll damit auch gezeigt werden, dass es sich lohnt die angenommenen Zielkonzeptionen der Reichsstände in den Friedensverhandlungen zu hinterfragen, u m weiteren Aufschluss über Wesen und Genese der Friedensordnung zu erhalten.
14 Dickmann, Reichsverfassung (wie Anm. 11), 21, spricht von dem „Geist trotziger Opposition gegen kaiserliche Machtvollkommenheit und kurfürstliche ,Präeminenz', das Pochen auf fürstliche ,Libertät' und protestantische ,Autonomie'", welche die Politik der Landgrafen seit Philipp bestimmt hätten. Weniger pathetisch, in der Kontinuitätsannahme aber ähnlich Dieter Albrecht, Die Kriegs- und Friedensziele der deutschen Reichsstände, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik. 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 8.) München 1988, 241-273, hier 242f.; zu einer Relativierung der Relevanz Philipps und seiner Konstruktion als antikaiserlicher Heros der Reformation durch die preußisch-protestantische Geschichtsschreibung siehe Gabriele Haug-Moritz, Philipp und der Schmalkaldische Bund. 1530/31-1547, in: Ursula Braasch-Schwersmarvn/Hans Schneider/Wilhelm Ernst Winterhager (Hrsg.), Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reformation. Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen. Marburg/Neustadt an der Aisch 2004, 59-66, besonders 59.
Zu den Reichsverfassungsplänen Wilhelms V. siehe VJeiand, Hessen-Kassel (wie Anm. 6), 33-77. 1 6 Zur angeblichen politischen Radikalität der Reformierten im Reich siehe etwa Gotthard, Reich (wie Anm. 10), 63, 68; Schubert, Reichstage (wie Anm. 10), 215 u.ö. Nach Otto Hintze habe der Calvinismus „kühne Krieger" und „verschlagene Diplomaten" hervorgebracht und habe im Reich den ständischen Widerstand geleitet, siehe Otto Hintze, Kalvinismus und Staatsräson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: ders., Geist und Epochen der Preussischen Geschichte. (Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3.) Leipzig 1943,289-346, besonders 296f., 315f., Zitat 300. 15
1 7 Zu Hessen-Kassel als dem einzigen bedeutenden Verbündeten der Kronen siehe auch Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 165; Winfried Becker, Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongress. (Schriftenreihe zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 5.) Münster 1973,152.
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Kerstin Weiand I.
Die A u s g a n g s l a g e für die Landgrafschaft Hessen-Kassel z u Beginn des
Friedenskongresses w a r günstig. Z w a r w a r sie als Reichsfeind 1641 v o m Regensburger Reichstag verwiesen w o r d e n u n d in Folge dessen unter den Reichsständen
weitgehend
isoliert. 1 8
Ihre
Stellung
im
schwedisch-
französischen B ü n d n i s s y s t e m w a r d a g e g e n u m s o bedeutender: Z u m einen a u f g r u n d der Schlagkraft des landgräflichen Heeres, das z a h l e n m ä ß i g das der Franzosen im Reich übertraf, 1 9 z u m anderen besaß Hessen-Kassel wichtige legitimierende B e d e u t u n g als einer der letzten reichsständischen V e r b ü n d e t e n Frankreichs u n d S c h w e d e n s , die ja ihre Intervention i m Reich mit d e m K a m p f für die Libertät der Reichsstände rechtfertigten. D e s s e n w a r e n sich die H e s s e n durchaus b e w u s s t u n d sie verstanden diese Stellung i m Verlauf der V e r h a n d lungen mehrfach gezielt nutzbar z u m a c h e n . 2 0 Die innere L a g e der Landgrafschaft schien nach Jahren der Krise gefestigt: Die Regentschaft der Landgräfin A m a l i e Elisabeth hatte sich durchgesetzt u n d die
1 8 Als Reichsfeinde waren die hessen-kasselischen Gesandten etwa des Regensburger Reichstages verwiesen worden, Kathrin Bierther, Der Regensburger Reichstag von 1640/1641. (Regensburger historische Forschungen, Bd. 1.) Kallmünz 1971, 199f.; Christoph von Rommel, Geschichte von Hessen. Bd. 8. Kassel 1843, 611, Anm. 115. Die Isolierung unter den Reichsständen zeigt nicht zuletzt das Abmahnungsschreiben des Frankfurter Deputationstags an Amalie Elisabeth vom 23. Mai 1643, Michael Caspar Londorp, Der Römischen Kayserlichen Majestät und des heiligen Römischen Reichs Geist- und Weltlicher Reichsstände [...] acta publica und Schrifftliche Handlungen, Bde. 1 und 4-6. 4. Aufl. Frankfurt am Main 1668, hier Bd. 5, 830. In diesem warfen die deputierten Stände der Landgräfin vor, mit ihrem Verhalten den Fortgang der Friedensverhandlungen zu erschweren und die Amnestie für alle Reichsstände zu verhindern. Die Instruktion für die Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress vom 4. Juni 1644 gibt ausdrücklich die Einschätzung der Kasseler Regierung wieder, Hessen-Kassel habe durch sein Handeln bei „den mehrentheils der stände eine große offension gegen sich erwecket", folglich sei keine Unterstützung der eigenen Interessen von reichsständischer Seite zu erwarten, Staatsarchiv Marburg (StAM) 4h Nr. 2116, fol. 36v. Ähnlich: Instruktion vom 30. Januar 1645, ebd., fol. 62. 1 9 Schwierig ist es, genaue Angaben über die Truppenstärke der Armeen im Dreißigjährigen Krieg zu machen. Die Angaben über die Truppenstärke Hessen-Kassels unter Amalie Elisabeth schwanken zwischen 11 000 und 18 000 Mann, siehe Antje Oschmann, Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. (Schriftenreihe zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 17.) Münster 1991, 555f. Uberzeugend ist die Aussage von Oschmann, 556, 563f., die davon ausgeht, dass Hessen-Kassel während der Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses etwa 11 040 Soldaten unter Waffen hatte, damit hätte Hessen-Kassel allein über etwa 7,2 % aller im Reich agierenden Soldaten verfügt. Insgesamt war die hessen-kasselische Armee damit größer als die französische, die nur über etwa 9 000 Soldaten verfügte.
Die Kasseler Regierung war sich ihrer Bedeutung als einziger verbliebener potenter Bündnispartner durchaus bewusst. So gab sie in der Instruktion vom 4. Juni 1644 ihrer Vermutung Ausdruck, die eigenen Gesandten würden, „da dießes hauß mit den alliirten crohnenn biß noch, so vieil daß reich anreicht, alleinig in ohnaußertzlicher bundnüs verbliebenn, wegen der dannenhero rührende obligation bey deroselben plenipotentiarien vor andern attendirt und gefürt", StAM 4h Nr. 2116, fol. 30v. 20
Das Reich als Friedensordnung? eigene militärische Stärke ermöglichte es, auf Kosten anderer Reichsstände das eigene Territorium u m kontributionspflichtige Gebiete zu erweitern, sowie den Verlust der sogenannten Marburger Erbschaft zu revidieren. 2 1 Der Hamburger
Präliminarvertrag
hatte
den
Verbündeten
Frankreichs
und
Schwedens zudem die Teilnahme an den Friedensverhandlungen zugesichert, 2 2 lange bevor sich die Beteiligung aller Reichsstände durchsetzen sollte, und so trafen die Gesandten Hessen-Kassels Anfang Juni 1644 als erste reichsständische Gesandte in den Kongressorten ein; Reinhard Scheffer in Osnabrück beziehungsweise Adolf Wilhelm von Krosigk und Johann Vultejus in Münster. 2 3 Die Instruktion, die sie mit sich führten, ausgestellt auf den 4. Juni 1644, wird meist als Beleg für die verfassungsrechtliche Radikalität der landgräflichen Regierung und ihr äußerst weitgestecktes, ja umstürzlerisches Verfassungsprogramm herangezogen. 2 4 Tatsächlich betont die Instruktion, dass die Jura Majestatis allen Reichsständen gemeinsam zuständen und das Reich ein status aristocraticus mixtus sei. 2 5 Dagegen muten die konkreten politischen Forderungen recht konventionell an: Amnestie und Restitution nach dem Status quo Nach Volker Press stellte die „hessische Kriegsarmada" das „Pfund" der Landgräfin dar bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Press, Hessen (wie Anm. 11), 314. 2 2 Zur Teilnahme der Verbündeten der Kronen an den Friedensverhandlungen siehe den Hamburger Präliminarvertrag vom 25. Dezember 1641, Text in: Sverges traktater med främmande magter jemte andra dit hörande handlingar. Bd. 5, 2 (1632-1645), hrsg. v. Olof S. Rydberg/Carl Hallendorf, Stockholm 1909, 501-506, besonders 503; Johann Gottfried von Meiern, Acta pacis Westphalicae publica oder Westphälische FriedensHandlungen und Geschichte, 6 Bde., Hannover 1734-1736, hier Bd. 1, 8-10. Die Bestimmungen des Präliminarvertrages gibt auch die hessen-kasselische Instruktion vom 4. Juni 1644 wieder, zu der Frage der Verbündeten siehe StAM 4h Nr. 2116, fol. 22-22v. Unklar war jedoch noch, auf welche Weise Hessen-Kassel schließlich am Friedenskongress teilnehmen würde. Siehe auch Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 169; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 97. 21
Zum Eintreffen der Gesandten siehe die Ankunftsdaten der reichsständischen Gesandten in Osnabrück, Maria Elisabeth Brunert, Einleitung für Teil 1 und 2, in dies. (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia, Abteilung A: Protokolle. Bd. 3,1. Fürstenrat Osnabrück (1645-1646). Münster 1998, XLIV-CXXXII, CXLI-CXLIII. 2 4 Instruktion an die hessen-kasselischen Gesandten in Osnabrück und Münster vom 4. Juni 1644, Konzept, StAM 4h Nr. 2116, fol. 19-39. Die Einschätzung, in der Instruktion zeige sich die verfassungsrechtliche Radikalität Hessen-Kassels, vertreten etwa Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), 21, 28, 36, 39 u.ö.; Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 251; Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 514f., 517; Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 180f.; Wolff, Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 114. Zu der Behauptung, Hessen-Kassel habe auf dem Friedenskongress Pläne zur Umstürzung der Reichsverfassung vertreten, siehe unter anderen Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 249; Press, Kriege (wie Anm. 11), 265. Laut Anton Schindling seien die hessenkasselischen Forderungen als „umstürzlerisch" zu bezeichnen: Schindling, Reichstag (wie Anm. 11), 136. 25 StAM 4h Nr. 2116, fol. 31 ν. 23
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ante bellum26, Einschluss der reformierten Konfession in den Religionsfrieden 27 sowie die Rücknahme des Restitutionsedikts, des Prager Friedens und des Regensburger Reichsabschieds 28 . Andere zentrale Aspekte der Verfassung, wie etwa die Fragen der Reichsjustiz, übergeht die Instruktion als „zu weitläuftig". 29 Wirklich umstürzlerisch sind die hessischen Anliegen nicht: Sie zielen in keiner Weise auf eine Umgestaltung der Reichsverfassung, sondern allein auf die Statussicherung der Landgrafschaft. Eine Amnestie sollte verhindern, dass die Hessen für ihre feindlichen Handlungen im Reich zur Verantwortung gezogen werden konnten, während eine Restitution - die Hessen-Kassel in Bezug auf die von den eigenen Truppen besetzten Gebiete durchaus nicht wörtlich zu nehmen gewillt war - die Wiedererlangung der verlorenen Marburger Erbschaft versprach. 30 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die aristokratische Interpretation der Reichsverfassung keineswegs auf ein politisches Programm schließen lässt, vielmehr der Rechtfertigung der antikaiserlichen Aktionen der Landgrafschaft diente. Dem Engagement der Landgräfin wird es zugeschrieben, dass gegen den Widerstand des Kaisers alle Reichsstände stimmberechtigt an den Friedensverhandlungen teilnahmen und damit der Anspruch des Kaisers, das Reich alleine in außenpolitischen Fragen zu vertreten, hintertrieben wurde. Sie habe auf Frankreich und Schweden eingewirkt, die Zulassung der Reichsstände zur Bedingung der Friedensverhandlungen zu machen. 31 Amalie Elisabeths Einsatz ist nicht zu leugnen, allerdings ist dieser erst ab einem Zeitpunkt fassbar, als die Admissionsfrage bereits Thema des politischen Tagesdiskurses war. 32 Zudem wurde ihr Engagement durch die aus-
» E b d . , fol. 3 1 - 3 2 V . 27
Ebd., fol.
33.
E b d . , fol. 3 1 V - 3 2 .
Ebd., fol. 32v. Zur Geschichte des Kampfes um die Marburger Erbschaft zwischen HessenDarmstadt und Hessen-Kassel Kurt Beck, Der Bruderzwist im Hause Hessen, in: Uwe Schultz (Hrsg.), Die Geschichte Hessens. Stuttgart 1983,95-105. 31 Diese Einschätzung wird unter anderen vertreten von Dickmann, Reichsverfassung (wie Anm. 11), 23; ders., Friede (wie Anm. 11), 163f.; Wolff, Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 113; Demandt, Hessen (wie Anm. 11), 261; Dietmar Willoiveit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. 3. Aufl., München 1997, 143; Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 249. Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 660-663, 745f. Letzterer beurteilt die Rolle HessenKassels für die Zulassung der Reichsstände zurückhaltender. Bei Becker, Kurfürstenrat (wie Anm. 17), 133-213, der sich intensiv mit den Quellen beschäftigt hat, die den Streit um die Zulassung dokumentieren, fehlen Hinweise auf die überragende Bedeutung der Landgräfin in dieser Frage völlig. 3 2 Zum Streit um die Admission der Reichsstände zum Friedenskongress siehe unter anderen Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 86-97; Dickmann, Reichsverfassung (wie Anm. 11), 23f.; ders., Friede (wie Anm. 11), 163-178, 186-189; Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie 29
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Das Reich als Friedensordnung? drückliche Aufforderung v o n Seiten Schwedens initiiert. 33 Wie aus der internen landgräflichen Korrespondenz ersichtlich wird, erschien der Landgräfin an der Beteiligung der Reichsstände nicht allein die W a h r u n g reichsständischen Rechts reizvoll, sondern vielmehr die Aussicht, die eigenen Gesandten könnten sich auf diese Weise in stärkerem Maße auf die Durchsetzung der hessen-kasselischen Partikularforderungen konzentrieren. 3 4 Sein postulierter Einfluss auf Frankreich und Schweden dient auch über die Admissionsfrage hinaus als zentrales A r g u m e n t für eine Beurteilung HessenKassels als Friedens-Architekt. Noch während der Beratungen über den Inhalt ihrer Forderungen, die diese in ihren Propositionen v o m 11. Juni 1645 stellten, 3 5 hatten ihnen nämlich die hessen-kasselischen Gesandten ein Memorial z u k o m m e n lassen, u m die Behandlung der Reichsverfassungsfragen in den Friedenshandlungen zu garantieren. 3 6
Anm. 11), 34-37; Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 507-509; Konrad Repgen, Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedenshandlungen von 1648 und ihre Lösungen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 62, 1999, 399-438, 404f.; Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 660-663, 745f. Ausführlich, mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der Kurfürsten Becker, Kurfürstenrat (wie Anm. 17), 133-213. Zu der Aufforderung Schwedens an Hessen-Kassel, sich bezüglich der Admission der Reichsstände zu engagieren siehe unter anderen Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 165; Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 745; Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), 34. Dass Schweden bereits zuvor bestimmte Reichsstände aufgefordert hatte, sich bei den Reichsständen für eine ständische Beschickung des Kongresses einzusetzen, lässt die Bedeutung Hessen-Kassels in diesem Kontext weniger singulär erscheinen. 33
Aus diesem Grund drängte die hessische Landgräfin massiv auf eine Admission: „die stände selbstenn [sollten] aber auch ihre jura zue conserviren sich behörent bearbeitten undt daß jähr nicht über die hörner ziehen lassen." StAM 4h Nr. 2116, fol. 24 ν. 3 5 Französische Proposition vom 11. Juni 1645 siehe Meiern, Acta Pacis (wie Anm. 22). Bd. 1. 443-445 (frz. Fassung), 445-448 (lat. Fassung); schwedische Proposition vom 11. Juni 1645 siehe ders.,. Bd. 1. 435^438 (lat. Fassung), 4 3 9 ^ 4 2 (dt. Fassung). Zu den Propositionen Frankreichs und Schwedens vom 11. Juni 1645, ihrer Entstehung und ihrer Wirkung, siehe Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 180-185; ders., Reichsverfassung (wie Anm. 11), 21-23; Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 515-518; Leopold Auer, Die Reaktion der kaiserlichen Politik auf die französische Friedensproposition vom 11. Juni 1646, in: Rainer Babel (Hrsg.), Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. (Pariser Historische Studien, Bd. 65.) München 2005, 43-58, besonders 44-50; Franz Bosbach, Einleitung für Teil 2, in ders. (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae, Serie II, Korrespondenzen Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen Bd. 2 (1645). Münster 1986, XXVXLVII, XXXVII-XL; Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), 38-411; Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 250-252. Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 102-118 konzentriert sich stark auf die kaiserliche Reaktion auf die Propositionen. 34
Die Ausfertigungen dieser Schreiben waren leider nicht zugänglich. Im Hinblick auf den Entwurf für die schwedische Gesandtschaft wird Bezug genommen auf ein Schreiben Scheffers an Amalie Elisabeth, in dem er die Punkte, die er den Schweden zu überreichen gedachte, seiner Herrin zur Genehmigung vorlegte, StAM 4h Nr. 2117, fol. 420421. Da der Entwurf in dieser Form von der Landgräfin gebilligt wurde, siehe 36
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Aus Sicht der Forschung haben sich Frankreich und Schweden die hessenkasselischen Forderungen in ihren Propositionen zu Eigen gemacht. Der Landgräfin und ihren Räten sei es durch ihren Einsatz gelungen - so Klaus Malettke - ihr eigenes „weitgefasstes reichsständisches Verfassungsprogramm [...] zum amtlichen Programm der beiden Kronen" zu erheben, 37 damit hätten sie Frankreich und Schweden die „Stichworte" für deren Forderungen bezüglich der reichsständischen Rechte diktiert. 38 Somit aber hätte Hessen-Kassel in den Worten Fritz Dickmanns „den Keim der späteren Verfassungsbestimmungen" in den Friedenswerken gelegt. 39 Diese Annahme ist zentrales Konstituens der Beurteilung Hessen-Kassels als führendem Vertreter der radikal-reichsständischen Partei gewesen. 40 Im Zuge einer Prüfung der hessen-kasselischen Verfassungspolitik ist es daher unbedingt notwendig, den spezifischen Kontext der hessen-kasselischen Vorschläge sowie der französischen und schwedischen Propositionen zu betrachten. Erlaubt eine oberflächliche Ähnlichkeit der Gravamina in den Propositionen mit denen der hessen-kasselischen Gesandten bereits den Schluss, die Kronen hätten sich die eigenen Zielsetzungen von ihrem reichsständischen Verbündeten diktieren lassen? Das Papier der Hessen zählt elf Punkte auf, darunter sind die Forderung nach Generalamnestie und Restitution nach dem Stichjahr 1618, die Regelung der Streitpunkte des Augsburger Religionsfriedens und dessen Geltung für die Angehörigen der reformierten Konfession, die Fixierung und Erweiterung der Kompetenzen des Reichstags, unter die Gesetzgebung und -interpretation, Reichsachterklärungen und Entscheidungen über Kriegsführung und Steuererhebungen zu zählen sowie die paritätische Besetzung der Reichsgerichte. Gegenüber Schweden wurde noch das Verbot von Majoritätsentscheidungen in Konfessionsangelegenheiten eingefügt, ein Punkt, der gegenüber Frankreich durch das Bündnisrecht der Reichsstände ersetzt wurde.
StAM 4h Nr. 2117, fol. 425, ist nicht davon auszugehen, dass Scheffer daran noch etwas verändert hat. Für den hessen-kasselischen Katalog an Frankreich siehe die Wiedergabe dieses Schreibens als Beilage zu einem Brief Serviens an Lionne, Acta Pacis Westphalicae II Β 2,271. 37
Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 510.
38
Wolff, Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 116.
39
Dickmann, Reichsverfassung (wie Anm. 11), 23.
Diese Beurteilung der konstitutiven Bedeutung Hessen-Kassels für das Einbringen und das Diktat der Reichsgravamina ist Konsens in der Literatur, siehe Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), 39-^11; Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 184, 325, 327; ders., Reichsverfassung (wie Anm. 11), 23; Repgen, Hauptprobleme (wie Anm. 32), 410; Wolff, Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 116; Auer, Reaktion (wie Anm. 35), 45; Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 251; Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 510, 515-517; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 103; Bosbach, Einleitung (wie Anm. 35), XXXIX. 40
Das Reich als Friedensordrtung?
Betrachtet man die Formulierungen in den französischen und schwedischen Propositionen, so wird deutlich, dass sie sich keineswegs wörtlich an diesen Punkten orientierten: Nicht nur, dass sich Frankreich unter Auslassung aller Forderungen, die auf eine Stärkung des protestantischen Elementes in der Reichsverfassung zielten, allein auf die politischen Gravamina beschränkte, die Propositionen gehen sogar über die hessischen Gravamina hinaus. So fordern sie nicht allein Einstimmigkeit für Reichstagsentscheidungen und die Ratifizierung der Friedensverträge durch die Reichsstände, sondern auch das Verbot der Königswahl „pendente vita Imperatorum" zu Lebzeiten des Kaisers. 41 Aber selbst die Übereinstimmungen mit dem hessen-kasselischen Memorial auf landgräflichen Einfluss zurückzuführen greift zu kurz, denn Amnestie und Restitution nach dem Vorkriegsstand, Zustimmung des Reichstags zu zentralen Reichsangelegenheiten, allen voran zur Kriegsführung, sowie das Bündnisrecht der Reichsstände waren schon vor Erhalt des hessischen Papiers als Friedensziele von französischer und schwedischer Seite formuliert worden. 42 Es kann mithin keine Rede davon sein, dass Hessen-Kassel seinen Verbündeten die zu behandelnden Verfassungsfragen diktiert habe! Frankreich und Schweden hatten selbst ein spezifisches Interesse daran, die Gravamina der Reichsstände zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen. Zum einen, um den Kaiser zu schwächen, 43 zum anderen weil sie hofften, sich auf diesem Wege der Unterstützung der Reichsstände in der Satisfaktionsfrage versichern zu können. 44 Aus der französischen Korrespondenz
Die französische Proposition vom 11. Juni 1645 siehe bei Meiern, Acta pacis (wie Anm. 22), Bd. 1, 443-445 (frz. Fassung), 445-448 (lat. Fassung), der Text der schwedischen bei ebd., 435-438 (lat. Fassung), 4 3 9 ^ 4 2 (dt. Fassung). 41
Ernst-Wolfgang Böckenßrde, Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände, in: Der Staat 8, 1969, 4 4 9 ^ 7 8 , 467. Böckenförde nennt das Bündnisrecht der Reichsstände einen „zentralen Faktor französischer Politik". Zum Interesse der Kronen an Amnestie siehe einige Bemerkungen in der französischen Korrespondenz: D'Avaux und Servien an Brienne, 31. Januar 1645, APW II Β 2, 94-107, hier 104; Brienne an d'Avaux und Servien, 25. März 1645, APW II Β 2,196-200, hier 197, u.ö.
42
Siehe zu dieser Zielsetzung: Servien an Lionne, 15. April 1645, APW II B2, 260-271, hier 269: „Son intèrest estant d'abaisser l'authorité de l'Empereur qui sera toujours à la dévotion des Espagnolz, le plus asseuré moyen d'y parvenir est d'eslever celle des princes et estatz de l'Empire, qu'ilz ne demandent que des choses justes prescriptes par les anciennes constitutions et loix fondamentalles de l'Empire." Brienne an d'Avaux und Servien, 18. März 1645, APW II Β 2, 185-189, hier 186; Memorandum Ludwigs XIV. für d'Avaux und Servien, 6. April 1645, APW II Β 2, 225-234, hier 230; Königin Christina an Oxenstierna und Salvius, 24. Januar 1645, APW II C 1,462^465, hier 464.
43
Zu der Hoffnung auf Unterstützung der Satisfaktionsfrage durch die Reichsstände siehe die innerfranzösische bzw. innerschwedische Korrespondenz, z.B. Servien an Lionne, 15. April 1645, APW II Β 2,260-270, hier 270: „le soin qu'elle [la France] prendra de procurer le contement desdicts princes les obligera d'embrasser le poinct de cette satisfaction particulière avec chaleur non seulement pour la faire obtenir dans le traicté,
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wird zudem ersichtlich, dass man durch die Advokatur der reichsständischen Gravamina von der eigenen Satisfaktion ablenken wollte. 45 Aus diesem Grunde drängte man die anwesenden reichsständischen Gesandten, ihre Desiderate zu formulieren.46 Die Bedeutung der hessen-kasselischen Gravamina ist demnach zu relativieren: Konstitutiv für die Einbeziehung der Verfassungsfragen in die Friedensverhandlungen waren sie nicht.47 Vergleicht man die einzelnen Punkte des hessischen Papiers mit der Instruktion für die landgräflichen Gesandten, kommen zudem Zweifel an der alleinigen Autorenschaft der Hessen auf. Schließlich hatte sich die Kasseler Regierung zu keinem Zeitpunkt in vergleichbarer Ausführlichkeit zu Fragen der Reichsverfassung geäußert. Aufschluss darüber, wie die Kasseler Regierung die eigene Rolle bewertete, gibt die interne Korrespondenz. Auf die erwähnte Aufforderung, die reichsständischen Gravamina zu formulieren, reagierte man mit der Anweisung, „quoad publicum mit zuziehung ein unndt anderer ahnwesenden die gemeine sache wohlmeinenden unndt sonderlich der braunschweigischen gesandten alles reiflich zu überlegen". 48 Anstatt selbst vorher präzise Gravamina aufzuzeigen, verwies man in Kassel darauf, diese erst im gemeinsamen Diskurs mit den anderen Reichsständen auszuarbeiten. Über ein eigenes Verfassungskonzept schienen die Landgräfin und ihre Räte nicht zu verfügen. Die beste Lösung der Verfassungsfragen wäre es für Kassel gewesen, „wan die ständte in locis tractatuum bey rechter zeitt noch erscheinen unnd insgesampt daselbst ihre angelegenheiten wahren sollten". 49 Im widrigsten Fall aber, dass die Stände ausbleiben würden, mochten die Gesandten sich engagieren, „damais pour en garentir l'effect après qu'elle aura esté accordée"; d'Avaux und Servien an Brienne, 3. März 1645, APW II Β 2 , 1 5 0 - 1 6 6 , hier 152f.; Königin Christina an Oxenstierna und Salvius, 24. lanuar 1645, A P W II C 1, 462-165, Mer 463f. Die Frage der eigenen Satisfaktion wurde nämlich in den Propositionen nur sehr allgemein und oberflächlich behandelt, um die Reichsstände nicht bereits am Anfang zu verschrecken und von einer möglichen Unterstützung der Forderung der Kronen abzuhalten. Siehe u.a. Brienne an d'Avaux und Servien, 25. März 1645, APW II Β 2, 196-200, hier 197f.; Memorandum Serviens für Lionne, 15. April 1645, APW II Β 2, 260-271, hier 266: „Qu'on ne expliquera pas d'abord quelle est l'intention des deux couronnes sur leurs satisfaction particulière, mais qu'elle sera demandée seulement en termes généraux". 45
Siehe zu dieser Aufforderung von schwedischer Seite vom Januar 1645 Meiern, Acta pacis (wie Anm. 22), Bd. 1, 339f. 46
So waren die schwedischen Gesandten angehalten worden, zwar unbedingt die Kooperation mit den Reichsständen bezüglich der Verfassungsfragen zu suchen, falls diese jedoch ausbliebe, die Stärkung der reichsständischen Rechte auch im Alleingang zu forcieren. Siehe: Königin Christina an Oxenstierna und Salvius, 24. Januar 1645, APW II C 1 , 4 6 2 - 4 6 5 , hier 464.
47
48
St AM 4h Nr. 2116, fol. 61.
« Ebd.
Das Reich als Friedensordnung?
mit gleichwohl in denselbigen [den Hauptpropositionen] ratione publici der standte iura unnd interesse per generalia reserviret unndt gewahret" würden. 50 Hessen-Kassel sah sich selbst demnach keineswegs in der Rolle eines Vorreiters reichsständischer Forderungen: Die Reichsstände sollten sich nach Möglichkeit selbst um ihre Rechte kümmern. 51 50 klagte Scheffer, der hessische Vertreter in Osnabrück, gegenüber seiner Herrin, dass die meisten Gesandten bislang nur über mangelhafte Instruktionen verfügten und oftmals noch nicht ausdrücklich von ihren Regierungen bevollmächtigt seien, ihre Gravamina anzugeben. 52 Ausdrücklich betonte er, dass er die einzelnen Punkte, die er zur Ubergabe an die Kronen zusammengestellt hatte, lediglich „der ahnwesenden gesandten meynung nach" verfasst habe, da sich die Gesandten nicht „formaliter" äußern wollten. 53 Die Landgräfin betonte ihre Zufriedenheit mit seinem Vorgehen und gab ihrer Ansicht Ausdruck, dass es mit diesen Desideraten „vorerst biß der fürsten und stände gesandten die puncten hiernegst in ihrer proposition weiter außfuhren, gnugstenn seye". 54 Es handelte sich somit nicht um ein „genuin" 55 hessisches Projekt, sondern eher um ein Provisorium, bis sich die Reichsstände selbst um die Verfassungsfragen kümmern würden. 56 Schließlich ist zu erörtern, ob die von Hessen-Kassel weitergeleiteten Gravamina überhaupt geeignet gewesen wären, ihrem vermeintlichen Autor verfassungsrechtliche Radikalität zu attestieren. Die kaiserliche Antwort auf die Propositionen lässt daran zweifeln: Mit Ausnahme der Restitutionsfrage wurden alle von den Hessen angeführten Gravamina von kaiserlicher Seite im Kern gebilligt. Die über diese hinausgehenden Forderungen Frankreichs und Schwedens, allen voran das Verbot der Königswahl „vivente Imperatore" dagegen wurden kategorisch abgelehnt. 57
so Ebd. Vgl. dazu auch die Instruktion vom 4. Juni 1644: Die Stände sollten „selbstenn aber auch ihre jura zue conserviren sich behörent bearbeitten", StAM 4h Nr. 2116, fol. 24. 51
Siehe dazu Brief Scheffers an Amalie Elisabeth, 13. März 1645, StAM 4h Nr. 2117, fol. 415-116. 53 Brief Scheffers an Amalie Elisabeth, 17. März 1645, StAM 4h Nr. 2116, fol. 418-419, hier fol. 418. 54 Brief Amalie Elisabeths an Scheffer, 24. März 1645, StAM 4h Nr. 2117, fol. 425. 52
55
Dieser Ansicht ist Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 250.
Die Ansicht, dass es sich um ein reichsständisches Gemeinschaftprojekt handelte, findet sich auch in der französischen Korrespondenz: Siehe dazu Memorandum Serviens für Lionne, 15. April 1645, APW II Β 2, 260-271, 269: „On verra particulièrement leurs prétentions [des états d'Allemagne] dans un mémoire cy-joinct que nous a esté donné par les députez de madame la Lantgrave qui vraisemblement l'ont concerté avec tous les autres députez qui sont icy". 56
Kaiserliche Responsion auf die Proposition Schwedens, 25. September 1645, Meiern, Acta pacis (wie Anm. 22), Bd. 1, 618-623 (lat. Fassung), 623-628 (dt. Fassung); kaiserliche Responsion auf die Proposition Frankreichs, 25. September 1645, ebd., 628-632. Zu 57
170
Kerstin Weiand
Es ist festzuhalten: Die Auflistung der reichsständischen Gravamina, die gemeinhin die Bedeutung Hessen-Kassels für die Behandlung der Reichsverfassungsfragen auf dem Kongress belegen soll, ist 1. auf die Initiative Frankreichs und Schwedens hin erfolgt, die ein eigenes Interesse an der Aufnahme der Reichsverfassungsfragen hatten und die sich 2. ihre Forderungen keineswegs von Hessen-Kassel diktieren ließen. Es handelt sich 3. nicht um hessenkasselische Ziele, sondern um einen Kompromiss zwischen verschiedenen reichsständischen Positionen und 4. ist dieser Kompromiss verfassungsrechtlich als gemäßigt einzustufen. Aussagekraft besitzt er weniger für das Engagement, als vielmehr für die Gleichgültigkeit der landgräflichen Regierung gegenüber der Formulierung konkreter Verfassungsfragen! Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man den weiteren Verlauf des Kongresses betrachtet: Im Fürstenrat Osnabrück, dem wichtigsten Gremium zur Beratung der Reichsverfassungsfragen,58 fiel der hessen-kasselische Vertreter eher durch Abwesenheit auf denn durch radikale Reformprojekte.59 Oft schloss er sich dem Vorredner an 60 oder schwieg gänzlich aufgrund fehlender Instruktionen.61 An der Formulierung der Reichsgravamina, an denen ein Ausschuss des Fürstenrates seit Oktober 1645 arbeitete und die um ein Vielfaches weitreichender waren als die von Hessen-Kassel aufgestellten, beteiligten sich die landgräflichen Gesandten nicht.62
den kaiserlichen Responsionen und ihrer Abfassung siehe auch Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 102-119; Auer, Reaktion (wie Anm. 35), 49-58; Repgen, Hauptprobleme (wie Anm. 32), 410f.; Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 241-243,325-327 u.ö. Siehe zu der Bedeutung Osnabrücks für die Behandlung der Reichsverfassungsfragen unter anderen Repgen, Hauptprobleme (wie Anm. 33), 414f.; Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 193. 58
Siehe dazu auch Brunert, Einleitung für Teil 1 und 2 (wie Anm. 23), LXXXIV Anm. 221. Bei den Sitzungen Nr. 32-36 fehlte Scheffer, da sich die Reformierten zu dieser Zeit von den lutherischen Ständen im Fürstenrat separiert hatten, an den Sitzungen Nr. 75 und 85 nahmen ebenfalls nur lutherische Fürsten teil. Von der Sitzung Nr. 63 musste sich Hessen-Kassel fernhalten, da hier Verhandlungen geführt wurden, von denen Hessen-Kassel unmittelbar betroffen war. Ohne ersichtlichen Grund fehlte Scheffer jedoch auch bei den Sitzungen Nr. 48, 53, 54, 56, 59, 68, 76, 87, eventuell auch 73, 109, 110, 112, 113, 114, 115 u.ö. Die Sitzungen Nr. 41, 43, 80, 89 und andere verließ Scheffer vorzeitig, siehe dazu APW III A 3,1-3. 59
Zumeist schlossen sich die hessen-kasselischen Gesandten einsilbig dem Votum eines Vorredners - häufig dem Braunschweig-Lüneburgs - an. Siehe dazu die Sitzungen des Fürstenrates Osnabrück ab Sessio 16, APW III A 3,1,404; APW III A 3 , 2 , 1 . 61 Etwa gibt Scheffer bezüglich der Justizfragen mangelnde Instruktionen als Grund für seine Zurückhaltung an: APW III A 3, 2, 243. 60
Zu diesem Ausschuss und seiner Arbeit siehe vor allem Brunert, Einleitung für Teil 1 und 2 (wie Anm. 23), LXV-LXXI. Zu den Gravamina des Fürstenrates Osnabrück in ihrer Formulierung vom Dezember 1645 siehe Londorp, Majestät (wie Anm. 18), 10451058.
62
Das Reich als Friedensordnung? U m s o eifriger w a r e n sie d a g e g e n auf a n d e r e m Gebiet: A m 7. J a n u a r 6 3 u n d a m 25. April 1646 6 4 übergaben sie eigene Propositionen mit d e n Forderungen der Landgrafschaft: darunter n e b e n der Restitution der M a r b u r g e r Erbschaft auch umfangreiche Gebietsübertragungen durch katholische Reichsstände, sowie die Z a h l u n g einer Militärsatisfaktion. 6 5 Dies sowie der Versuch, sich die oberhessische Erbschaft g e w a l t s a m anzueignen, 6 6 löste E m p ö r u n g auch unter den protestantischen Reichsständen aus, w a s aber die Landgräfin u n d ihre Räte anscheinend nicht b e s o n d e r s beeindruckte. 6 7 Die hessische Politik konzentrierte sich auf d e m Westfälischen Friedenskongress n u n einmal auf die Durchsetzung der eigenen Interessen u n d nicht auf die Vertretung reichsständischer Rechte. Dies sollten andere besorgen. U m keine K o m p r o m i s s e eingehen z u m ü s s e n u n d die eigene Sonderstellung auf d e m Kongress aufrecht erhalten z u können, verzichtete m a n ausdrücklich auf eine stärkere Kooperation mit anderen Reichsständen. 6 8
Londorp, Majestät (wie Anm. 18), 1058 (lat. Text); Meiern, Acta pacis (wie Anm. 22). Bd. 2, 161-163 (dt. Fassung); auch StAM 4h 2095, fol. l - 2 v , dieses undatierte Schreiben ist auf das Jahr 1648 geschätzt worden. Aufgrund der Ähnlichkeit mit den Schreiben Hessen-Kassels zu Beginn des Jahres 1646 und aufgrund des Fehlens genauerer Spezifizierungen der Satisfaktionswünsche, die jedoch ab April 1646 detailliert vorlagen, ist es wohl eher auf die Jahreswende 1645/46 zu datieren. 63
64
Meiern, Acta pacis (wie Anm. 22), Bd. 2,978f.
Zu den hessen-kasselischen Satisfaktionsforderungen siehe auch Diekmann, Friede (wie Anm. 11), 380-382; Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 762f.; Fritz Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongress. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 2.) Münster 1966, 82, 116f.; ders., Frankreich, Hessen-Kassel und die konfessionellen Corpora auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Klaus Malettke (Hrsg.), Frankreich und Hessen-Kassel zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 46,5.) Marburg 1999, 189202,194; ders., Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 118f.; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 294-297. 65
Aus dem Angriff Hessen-Kassels auf das Gebiet Hessen-Darmstadts entwickelte sich um die Marburger Erbschaft der sogenannte Hessenkrieg zwischen den beiden verwandten Linien. Zum Verlauf dieser Auseinandersetzung siehe auch Demandt, Hessen (wie Anm. 11), 259; Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 691-698; Bettenhäuser, HessenKassel (wie Anm. 11), 65-69, und andere. 66
Siehe dazu unter anderen Diekmann, Friede (wie Anm. 11), 381; Rommel, Hessen (wie Anm. 18), 763; Wolff, Corpora (wie Anm. 65), 194; ders., Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 119; ders., Corpus (wie Anm. 65), 82; Bettenhauser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), 161f. 67
So reagierte schon die Instruktion vom 30. Januar 1645 auf einen Vorschlag Kurbrandenburgs, sich doch innerhalb der protestantischen Fürsten enger zusammenzuschließen, mit Vorbehalt. Keinesfalls nämlich dürfe Hessen-Kassel in der Wahrnehmung seiner eigenen Interessen - besonders auch im Hinblick auf das eigene Bündnis mit den Kronen - beeinträchtigt werden, siehe StAM 4h Nr. 2116, fol. 63. 68
171
172
Kerstin Weiand Fragt m a n d a n a c h , ob die landgräfliche Politik - w i e oftmals b e h a u p t e t w i r d 6 9 - v o n Erfolg gekrönt w a r , so ist festzustellen, dass z w a r der Satisfaktionsanspruch formal durchgesetzt w e r d e n konnte, die Entschädigung
jedoch
nicht - w i e geplant - zur Erweiterung des hessen-kasselischen S t a m m l a n d e s u n d damit der territorialen Machtbasis der Landgräfin u n d ihrer Nachfolger beitrug. 7 0
Somit lag für die Landgrafschaft
„die G e w i n n - u n d
Verlust-
r e c h n u n g also bei N u l l " verglichen mit d e m Vorkriegsstand. 7 1 G e r a d e bei d e m wesentlichen Kerninteresse der Kasseler Regierung, d e n territorialen Entschädigungen, blieb der Erfolg hinter d e n E r w a r t u n g e n u n d Forderungen zurück. II.
Dieser Befund führt z u r ü c k z u der B e w e r t u n g Hessen-Kassels als Archi-
tekt der Friedensordnung. W i e v e r m o c h t e sich das Bild v o m unermüdlichen, radikalen Reformeifer der landgräflichen Regierung über Jahrzehnte in der Historiographie z u halten? Die z u Beginn ausgeführten M e r k m a l e hessischer Politik - die Stilisierung A m a l i e Elisabeths als „Heroina H a s s i a c a " , die Verfassungsprojekte Landgraf W i l h e l m s V., das Erbe Philipps des G r o ß m ü t i g e n , die aktuelle Feindschaft z u m Kaiser sowie die angebliche Radikalität der A n g e h ö r i g e n der reformierten Konfession - diese Charakteristika m ö g e n die Plausibilität u n d Tradierung dieses Bildes erklären, erfunden h a b e n sie es nicht. Konstitutiv für die
Zu dieser Wertung siehe: Albrecht, Friedensziele (wie Anm. 14), 253; Press, Kriege (wie Anm. 11), 262; Wolff, Corpus (wie Anm. 65), 82; Gotthard, Reich (wie Anm. 10), 87. Zitat Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter. (Deutsche Geschichte, Bd. 5.) Göttingen 1983,196. Fritz Wolff relativiert seine Aussage bezüglich der Gewinne Hessen-Kassels in seinen späteren Arbeiten: Wolff, Corpora (wie Anm. 65), 196; Oers., Corpora (wie Anm. 56), 123. Relativierend auch Repgen, Hauptprobleme (wie Anm. 32), 427. 69
7 0 Im Westfälischen Friedenswerk gibt der Artikel XVIPO die Übereinkunft über die hessischen Angelegenheiten und die hessische Satisfaktion wieder. § 1 enthält die gewünschte SpezialVersicherung für die Landgräfin und ihre Untertanen bezüglich ihres Einschlusses in die neue Friedensordnung, besonders in die Amnestie und Restitution, aber auch die besondere Betonung der Gültigkeit des Religionsfriedens für die reformierte Landgrafschaft. Hinsichtlich der Verträge und Privilegien erhielt Hessen-Kassel eine Bestätigung der vertraglichen Vereinbarung mit dem Grafen von der Lippe über den Besitz an Schaumburg, des LehnsVertrages mit Waldeck von 1635 und des Einigkeitsvertrages mit Darmstadt, außerdem wurden das Jus primogeniturae garantiert. Darüber hinaus wurde der Landgräfin das Stift Hersfeld als Reichslehen zugesprochen und das Eigentum an einigen Ämtern der Grafschaft Schaumburg bestätigt. Auch ein Schadensersatz für die Landgrafschaft wurde festgeschrieben. Allerdings bestand dieser nicht aus der Übertragung territorialer Besitztümer, sondern in der einmaligen Zahlung von 600 000 Reichstalem, aufzubringen von den geistlichen Fürsten, deren Territorien Hessen-Kassel eigentlich beansprucht hatte. Die besetzten Gebiete sollten von den Hessen unverzüglich geräumt werden, allein einige Festungen durften vorläufig zur Sicherstellung des Satisfaktionsanspruchs unter hessischer Kontrolle verbleiben. 71
Wolff, Westfälischer Friedenskongress (wie Anm. 11), 123.
Das Reich als Friedensordnung? Beurteilung der Landgrafschaft in den Verhandlungen von Münster und Osnabrück ist dagegen ihre Darstellung bei Fritz Dickmann. 7 2 A n dieser Stelle soll die Bedeutung Dickmanns keineswegs geschmälert werden, der gleichs a m als Begründer der neuen historiographischen Auseinandersetzung mit d e m Westfälischen Frieden im Kontext sich wandelnder politischer Prioritäten in der jungen Bundesrepublik gelten kann. Seine Arbeit ist für die Beschäftigung mit den Friedensverhandlungen nach wie vor unverzichtbar. Jedoch scheint ihm im Fall v o n Hessen-Kassel, dessen Rolle er breiten R a u m gab, eine ungerechtfertigte Bewertung unterlaufen zu sein. 7 3 Eine mögliche Ursache
für
die
Überschätzung
der
Tragweite
des
reichsverfassungs-
politischen Engagements Hessen-Kassels könnte darin begründet sein, dass Dickmann selbst Marburger w a r 7 4 und dies mittelbar Einfluss auf seine Arbeit hatte. So fällt auf, dass er für seine Recherche neben den Archiven der Großmächte in Wien, Paris und Stockholm allein das Hessische Staatsarchiv Marburg besucht hat. 7 5 Damit aber ist Hessen-Kassel der einzige Reichsstand, dessen Akten Dickmann systematisch ausgewertet hat. 7 6 Dies m a g zu einem
Dickmann, Friede (wie Anm. 11). Die erste Auflage stammt von 1959. Das Lob dieses Werkes ist einhellig: siehe neben vielen anderen Gotthard, Reich (wie Anm. 10), 171; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 3; Heinz Duchhardt, Rezension zu Fritz Dickmann, Der Westfälische Friede, in: Archiv für hessische Geschichte und Landeskunde, NF. 44, 1986,496-497,496f.; Raumer, Friede (wie Anm. 11). 72
Zu der Konstituierung der Hochschätzung der verfassungsrechtlichen Relevanz Hessen-Kassels bei Dickmann siehe besonders Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 602; Wolff, Corpus (wie Anm. 65), 81, Anm. 211. Tatsächlich fehlt die diesbezügliche Hochschätzung Hessen-Kassels in Werken, die sich vor dem Erscheinen der Darstellung Dickmanns mit dem Westfälischen Frieden auseinander setzten, siehe dazu beispielsweise Max Braubach, Der Westfälische Friede. Münster 1948; Gerhard Schmid, Konfessionspolitik und Staatsräson bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses über die Gravamina Ecclesiastica, in: Archiv für Reformationsgeschichte 44, 1953, 203-223, hier 211, 219. Dieser nämlich schätzt die Bedeutung vor allem SachsenAltenburgs höher ein als die Hessen-Kassels, siehe 208f. u.ö. Die Hochschätzung der Rolle der sachsen-altenburgischen Gesandtschaft wird neuerdings bestätigt von Maria Elisabeth Brunert, Zum reichspolitischen Engagement Sachsen-Altenburgs am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Die Entstehung der Hauptinstruktion Herzog Friedrich Wilhelms II. für seine Gesandten zum Westfälischen Friedenskongress, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 78,2007,49-92. Zu der Einschätzung, durch Dickmann sei die Rolle Hessen-Kassels auf dem Westfälischen Friedenskongress geklärt, siehe auch Raumer, Friede (wie Anm. 11), 602; Ruppert, Politik (wie Anm. 9), 87, Anm. 102.; Malettke, Scheffer (wie Anm. 11), 501f.; Wolff, Corpus (wie Anm. 65), 81, Anm. 211. 73
Siehe zum Lebenslauf Dickmanns: Dickmann, Friede (wie Anm. 11); Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1, hrsg. v. Werner Schuder, 10. Aufl., Berlin 1966,382.
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75
Siehe Dickmann, Friede (wie Anm. 11), 578f.
Aufgrund seines Wohnsitzes in Marburg muss man davon ausgehen, dass er das dortige Staatsarchiv von allen Archiven am häufigsten frequentierte. Viele Archive, die interessantes Material zur ständischen Verfassungspolitik auf dem Westfälischen Friedenskongress bieten, wie etwa das Niedersächsische Hauptstaatsarchiv Hannover oder 76
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Kerstin Weiand
verengten Blick bezüglich der Relevanz der Landgräfin in Reichsverfassungsfragen und zu einer Überschätzung der Rolle Hessen-Kassels geführt haben. Da Dickmanns Arbeit schnell und zu Recht zum Standardwerk und zur maßgeblichen Lektüre für alle, die sich mit dem Westfälischen Frieden beschäftigten, avancierte, wurde diese Wertung allgemein übernommen, fortgeführt und sogar verstärkt.77 Dies geschah wohl umso bereitwilliger und unkritischer, als die Vorstellung von Hessen-Kassel als Vorreiter reichsständischen Rechts aufgrund der oben aufgeführten Gründe ja durchaus glaubhaft erscheinen konnte. I I I . Als Ergebnis lässt sich überspitzt formulieren, dass sich die Friedensordnung im Reich nicht wegen, sondern trotz des Engagements HessenKassels durchgesetzt hat. Diese Erkenntnis mag dazu beitragen, das Denken und Forschen in Antagonismen grundsätzlich in Frage zu stellen. Gerade im Hinblick auf die Entstehung der Westfälischen Friedensordnung sollte man der Differenziertheit der individuellen Positionen, die auf dem Kongress aufeinandertrafen und die sich keineswegs ohne Weiteres unter fixe Gruppen subsumieren lassen, in größerem Maße Rechnung tragen. Auf dem Westfälischen Friedenskongress standen sich in Fragen der Reichsverfassung eben nicht nur kaiserliche und ständische Positionen gegenüber. Hessen-Kassel verkörperte gleichsam einen dritten Weg: Bedacht auf Schwächung der Position des Kaisers, ohne aktiv für eine Stärkung des reichsständischen Elementes einzustehen, strebte es einen Friedenszustand an, in dem der eigene Status in erster Linie auf der Basis von territorialer Macht und militärischer Stärke gesichert würde und die verfassungsrechtliche Legitimierung nur mehr eine zusätzliche Absicherung darstellte. Dem Reich stand man eher gleichgültig gegenüber, solange es die eigene Stellung nicht beeinträchtigte. An einer Beteiligung an der Gestaltung der Reichspolitik war man nicht interessiert. Im Hinblick auf die Formung einer tragfähigen und stabilen Reichsordnung war die Rolle Hessen-Kassels demnach weniger konstitutiv als vielmehr destruktiv. Vor dem Hintergrund dieser alternativen - partikularistischen, antiinstitutionellen und territorialen - Konzeption einer künftigen Reichsordnung treten die spezifischen Leistungen der schließlich geschaffenen Friedensordnung hervor: Sie legte das Prinzip des rechtlichen Ausgleichs und des Kompromisses anstatt individueller Virilität einzelner Reichsstände als Fundament des Friedens und schuf somit eine Ordnung, die als Identifikationsba-
- aus verständlichen Gründen - das Thüringische Staatsarchiv Altenburg hat Diekmann dagegen nicht aufgesucht. 77 Ein Beispiel dafür ist die Dissertation von Bettenhäuser, Hessen-Kassel (wie Anm. 11), siehe unter anderen 49.
Das Reich als
Friedensordnung?
sis die Grundlage einer Integration aller Reichsglieder und damit einer langfristigen Stärkung des Reichs und der es verkörpernden Institutionen schuf.
Wahrnehmung und Deutung des Westfälischen Friedens Frank
Kleinehagenbrock
Westfälischen stände1
Die
Friedens
Wahrnehmung durch
und
Untertanen
Deutung der
des
Reichs-
Der Westfälische Frieden stellt bekanntlich ein Grundgesetz des
Heiligen R ö m i s c h e n Reiches dar. 2 Bei der historiographischen Beschäftigung mit d e m T h e m a überwiegen freilich Forschungen, die die europäischen Aspekte sowie die politischen Spielräume von Kaiser u n d Reichsständen mit unterschiedlichen Fragestellungen auszutarieren v e r s u c h e n . 3 A u c h mit kulturgeschichtlichen Ansätzen im weiteren Sinne w u r d e den Friedenswerken von M ü n s t e r und O s n a b r ü c k b e g e g n e t . 4 Die beiden umfänglichen u n d inhaltsreichen Katalogbände, die anlässlich der Europaratsausstellung, welche zur Feier des 350-jährigen J u b i l ä u m s in d e n beiden Kongressstädten 1998 stattfand, publiziert w u r d e n , geben darüber einen recht ausführlichen Überblick und fassen den Forschungsstand bis zur Mitte der 1990er Jahre z u s a m men. Mittlerweile hat sich die Forschung, w e n n auch nicht mit großen Schritten, weiterentwickelt. 5 So sollen im Folgenden Fragen aufgegriffen w e r d e n ,
1 Ich danke Herrn Alexander Bagus für die Unterstützung bei der Ausfertigung des Aufsatzmanuskripts. 2 So ist explizit im Instrumentum Pads Osnabrugense (Artikel XVII, § 2) formuliert: „Zur größeren Gewähr und Sicherheit sämtlicher Bestimmungen soll der gegenwärtige Vertrag als ein dauerndes Verfassungsgesetz des Reichs (perpetua lex et pragmatica imperii sanctio) wie alle anderen Gesetze und Grundgesetze des Reichs (lege et constitutiones fundamentales imperii) ausdrücklich dem nächsten Reichsabschied und der nächsten kaiserlichen Wahlkapitualtion einverleibt werden." Zitiert nach Arno Buschmann, Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten. Bd. 2: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806. 2. Aufl. Baden-Baden 1994, lOlf.
An dieser Stelle nur ein pauschaler Verweis auf Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. München 1988 und Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede - Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. München 1998.
3
Johannes Burkhardt/Stephanie Haberer (Hrsg.), Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur. Berlin 2000; Ciaire Gantet, La paix de Westphalie (1648). Une historie sociale, XVIIC-XVIIIC siècles. Paris 2001; Gerd Steinwascher, Osnabrück und der Westfälische Frieden. Die Geschichte der Verhandlungsstadt 1641-1650. Osnabrück 2000; Karl Georg Kaster/Gerd Steinwascher (Hrsg.), „... zu einem stets währenden Gedächtnis." Die Friedenssäle in Münster und Osnabrück und ihre Gesandtenporträts. Bramsche 1996; Heinz Duchhardt, Das Feiern des Friedens. Der Westfälische Friede im kollektiven Gedächtnis der Friedensstadt Münster. Münster 1997.
4
Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa. Ausstellungskatalog. 3 Bde. Münster 1998. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle ferner Heinz Duchhardt (Hrsg.), Bibliographie zum Westfälischen Frieden. Bearbeitet von Eva Ortlieb und Matthias Schnettger. Münster 1996. Zur Bilanz des Jubiläumsjahres vgl. Johannes Arndt, Ein europäisches Jubiläum: 350 Jahre Westfälischer Friede, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1, 2000, 133-158. Wiewohl die Forschung in Teilen Ergeb5
178
Frank Kleinehagenbrock die nach den Jubiläumsveranstaltungen und -publikationen einen Teil des neuen Interesses am Dreißigjährigen Krieg und am Westfälischen Frieden ausmachen. Wie wirkte sich das westfälische Friedenswerk für die Menschen im Reich, das heißt für die Untertanen und Einwohner in den Territorien des Reiches, die zu demselben nur in mittelbarem Kontext standen, aus? Welche Traditionsbildungen, die für die Menschen im Heiligen Römischen Reich bis 1806 (und vielleicht darüber hinaus) wirksam waren, lassen sich erkennen vor allem in Hinblick auf das Verständnis von Frieden generell? Denn Frieden war schließlich nicht der Normalzustand, in dem die Menschen der Frühen Neuzeit lebten. 6 Schon die Reichspublizisten, allen voran Johann Jacob Moser, haben die Rechte der Untertanen der Reichsstände etwa in Hinblick auf die Religionsbestimmungen des Instrumentum
París Osnabrugense, die auch im Folgenden im
Mittelpunkt stehen sollen, nicht aus dem Blick verloren, auch wenn die entsprechenden Bände und Abschnitte im „Neuen teutschen Staatsrecht" nur einen vergleichsweise geringen Teil ausmachen. 7 Und Christian Gottfried Oertel schrieb einleitend zu seiner Zusammenstellung der protestantischen Religionsgravamina
von 1775: „Jede der beyden Religions-Partheyen
in
Teutschland besteht, nach Maßgab der öffentlichen Verfassung, theils aus unmittelbaren Gliedern des Reichs, vornemlich denen, die einer Seits mit der Reichs-Standschaft, und anderer Seits mit der Landes-Hoheit begabt sind,
nisse revidiert hat, bleibt Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Münster 1997 das Standardwerk zum Thema. 6 Anton Schindling, Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsgeschichte und Konfessionalisierung, in: Matthias Asche/Anton Schindling (Hrsg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit". 2. Aufl. Münster 2002,11-51; ders., Die Deutschen und der Dreißigjährige Krieg. Zeiterfahrung des steten Wechsels und Reichspolitik, in: Helmut Neuhaus/Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift für Johannes Kunisch zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Berlin 2002, 185-200; ders., Gab es Religionskriege in Europa? Landfrieden und Völkerrecht statt Glaubenskampf und Strafgericht Gottes, in: Axel Gotthard/Andreas Jakob/Thomas Nicklas (Hrsg.), Studien zur politischen Kultur Alteuropas. Festschrift für Helmut Neuhaus zum 65. Geburtstag. Berlin 2009, 275-298; Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24,1997, 509-574. Verwiesen sei lediglich auf das hier zentrale Werk: Johann Jacob Moser, Neues teutsches Staatsrecht. Bd. 7: Von der Teutschen Religions-Verfassung. Frankfurt 1774. Daneben hat Moser zahlreiche einschlägige Spezialstudien verfasst, die an dieser Stelle nicht alle referiert werden können. Vgl. ferner: Johannes Christian Majer, Teutsches Geistliches Staatsrecht abgetheilt in Reichs- und Landrecht. Lemgo 1773. 7
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theils aus Unterthanen der teutschen Lande." 8 Der Westfälische Frieden beendete schließlich keinesfalls die konfessionellen Konflikte im Heiligen Römischen Reich, sondern verfestigte den verfassungsmäßigen Grund, auf dem sie ausgetragen wurden, sowie darüber hinaus das innerreichische Prinzip des Dissimulierens bei konträren Anschauungen und Zielsetzungen. 9 Gerade im Westen und Süden des Alten Reiches gehörten konfessionelle Antagonismen - zwar nicht flächendeckend, doch an vielen Orten - zum Alltag; in solchen Konfliktzonen vermengten sich die wegen der unterschiedlichen Auslegung der Reichskonfessionsrechte entstandenen Spannungen mit dem divergierenden Interesse von Territorialherrschaften untereinander oder zwischen Untertanen und ihren Landesherren. Ja durch den Rückbezug auf konfessionelle Aspekte, erhielten solche Konflikte erst überlokale beziehungsweise überregionale Bedeutung. Die stetige Bezugnahme auf das Recht des Heiligen Römischen Reichs, wie es 1648 im Instrumentum Pacis Osnabrugense festgelegt worden war, unterstreicht die friedwahrende Funktion desselben. Auch in späterer Zeit ist wiederholt an unterschiedlichen Stellen auf die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Untertanen der Reichsstände hingewiesen worden, wobei das Interesse an dieser Problematik im weiteren Umfeld der Jubiläumsveranstaltungen von 1998 nur leichte Impulse erhalten hat. 10 Auffallend sind in diesem Zusammenhang vor allem Studien zu Friedensfesten, die zumindest dazu dienten, den Friedensschluss als solchen einem breiteren Publikum kundzutun. 11 Entstanden doch etwa konkret für Christian Gottfried Oertel, Vollständiges Corpus Gravaminum Evangelicorum mit doppelten Registern. Nebst einer Einleitung Herrn Johann Christian Majer. Regensburg 1775. Zitat aus der unpaginierten Einleitung von Majer. 8
Vgl. dazu Frank Kleinehagenbrock, Ideen von 1648? Reichsverfassungsrecht als Quelle politischer Ideengeschichte, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 44.) München 2007, 399-419; sowie Schindling, Gab es Religionskriege? (wie Anm. 6) hier 292-294. 9
Verwiesen sei hier pauschal unter anderem auf Benigna von Krusenstjern/Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Göttingen 1999; Steinwascher, Osnabrück und der Westfälische Frieden (wie Anm. 4); Asche/ Schindling (Hrsg.), Strafgericht Gottes (wie Anm. 6); Horst Wernicke/Hans-joachim Hader (Hrsg.), Der Westfälische Frieden von 1648 - Wende in der Geschichte des Ostseeraums. Für Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Ewe zum 80. Geburtstag. Hamburg 2001; Philip Tober, Wismar im Dreißigjährigen Krieg 1627-1648. Untersuchungen zur Wirtschafts-, Bau- und Sozialgeschichte. Berlin 2007. Wenn den gesamten Arbeiten noch die Studien von Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643-1649). Münster 2007 und Kerstin Weiand, Hessen-Kassel und die Reichsverfassung. Ziele und Prioritäten landgräflicher Politik im Dreißigjährigen Krieg. Marburg 2009 hinzugefügt werden, zeigt sich die dürftige Bilanz des Jubiläums von 1998 als Impulsgeber für die Forschung, denn die wichtigsten seither erschienenen Titel sind damit angesprochen. 10
Bernd Roeck, Die Feier des Friedens, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 3), 633-659; Konrad Repgen, Die Feier des Westfälischen Friedens in Kulmbach (2. Januar 1649), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 58, 1995, 261-275; 11
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Augsburg ausführliche Studien zur Feier des Westfälischen Friedens, ferner sei an die zahlreichen Schriften von Ciaire Gantet erinnert, die sich der Friedensfeiern intensiv angenommen hat. 12 Sie hat freilich nahegelegt, dass derartige Feiern zwar kein ausschließliches, aber doch vorrangig lutherisches Spezifikum sind.13 Der Westfälische Friede und identitätsstiftende Ereignisse und Osnabrück an sich dürfte in den schen Reiches recht schnell bekannt
folgende Friedensschlüsse als Die Existenz des Friedens von Münster meisten Territorien des Heiligen Römigewesen sein.14 Doch scheinen es zu-
ders., Das Dankgebet für die Friedensfeiern des 2./12. Januar 1649 im Markgrafentum Brandenburg-Kulmbach, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 59, 1996, 185190; Gerd Steinwascher, Städtische Erinnerungskultur zwischen protestantischer Polemik und Marketing: Die Jubiläumsfeiern des Westfälischen Friedens in Osnabrück, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Städte und Friedenskongresse. Köln/Weimar/Wien 1999, 69-82; Kerstin Keller, Das „eigentliche wahre und große Friedensfest...im ganzen Sachsenlande." Kursachsen von 1648 bis 1650, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 3), 661-677; Andreas Klinger, Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen. Husum 2002, 326-332; Frank Kleinehagenbrock, Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen. Stuttgart 2003, 295319; ders., "Nun müßt ihr doch wieder alle katholisch werden." Der Dreißigjährige Krieg als Bedrohung der Konfession in der Grafschaft Hohenlohe, in: Asche/Schindling (Hrsg.), Strafgericht Gottes (wie Anm. 6), 59-122. 12 Ciaire Gantet, Friedensfeste aus Anlaß des Westfälischen Friedens in den süddeutschen Städten und die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg (1648-1871), in: Bußmann/Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa (wie Anm. 5), Bd. 2, 649656; dies., L'unité politique par la paix: les fêtes de la paix de Nuremberg, Weimar et Strasbourg, in: Jacques Thuillier/Klaus Bußmann (Hrsg.), 1648. Paix de Westphalie. L'art entre la guerre et la paix. Actes du colloque organisé par le Westfälisches Landesmuseum le 19. novembre 1998 à Münster et à Osnabrück et le Service culturel du musée du Louvre les 20 et 21 novembre 1998 à Paris. Paris/Münster 1999, 371-102; dies., „Dergleichen sonst an keine hohen festtag das ganzte Jar hindurch zue geschehen pfleget bey den Evangelischen inn diser statt." Das Augsburger Friedensfest im Rahmen der deutschen Friedensfeiern, in: Burkhardt/Haberer (Hrsg.), Friedensfest (wie Anm. 4), 209-225; dies., Les fêtes luthériennes de la paix de Westphalie, in: Revue de l'Historié des Réligions 217, 2000, 450-472; dies., Peace Festivals and the Culture of Memory in Early Modem South German Cities, in: Karin Friedrich (Hrsg.), Festive Culture in Germany and Europe from the Sixteenth to the Twentieth Century. Lewiston und andere 2000, 57-71; dies., La paix de Westphalie (wie Anm. 4), hier besonders 173-283. 1 3 Ein Beispiel für eine katholische Friedensfeier findet sich bei Franz Brendle, Der Westfälische Friede als Kompromiss. Intentionen, Grundsätze und Inhalte der Friedensverträge von Münster und Osnabrück, in: Florian Schuller/Peter C. Hartmann (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche. Regensburg 2010, 173-183, hier 180f. 14 Wilhelm Fleitmann, Postverbindungen für den Westfälischen Friedenskongreß 16431648, in: Archiv für deutsche Postgeschichte 1, 1972, 3-48; Heinz Neumann, Zur Geschichte der Post in Münster, in: Detlef Dreßler (Bearb.), 350 Jahre Post in Münster. Vom
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nächst nicht die inhaltlichen Bestimmungen gewesen zu sein, die die Menschen im Reich bewegt haben. Eher lakonisch wird der Frieden beispielsweise in Chroniken, Tagebüchern und ähnlichen Ego-Dokumenten erwähnt, war er doch zunächst noch mehr Hoffnung als Realität: „Nun [...] im Jar 1648 da ward nach des allerhöchsten Gottes seinem göttlichen Willen einmal der lang gehofften und gewünschten liben Friden getroffen und gemacht und einmal geschlossen zu Münster der werten Stadt in Westvallen, da aus allen Orten des Römischen Reiches Gesandten gewesen seind und wol neun gantze Jahr und an dem liben Friden traktiret. Wie nun der liebe Friden [...] einmal getroffen worden nach Gottes seinem lieben Willen, da wurden die Völker alle in dem gantzen deutschen Land ausgeteillet in Städten und Dörfer [...]." So heißt es in der bekannten Chronik des Strausebacher Bauern Caspar Preis, 15 die Wissensbestände zum Frieden offenbart, die auch in anderen, vergleichbaren Texten wiederzufinden sind. Vor allem fällt auf, dass die Friedensnachricht oftmals in den Berichten vom Alltag des Krieges, der bis über das Jahr 1648 hinaus von Einquartierungen gekennzeichnet blieb, quasi unterzugehen scheint. Maurus Friesenegger, der Abt des Kloster Andechs, fügt der Schilderung der von ihm erlittenen Kriegsdrangsale des Jahres 1648 die beiläufige Notiz hinzu: „Am Feste der Opferung Mariä befahl der Churfürst [...] ein Friedensfest, sowohl in choro, als in foro zu feiern, welches auch geschehen, und welcher Befehl auch auf dem Land erging." 16 Deutlicher noch lässt sich diese Beobachtung im „Zeytregister" des Hans Heberle aus dem Territorium der Reichsstadt Ulm machen: „Den 12 tag Wintermonet, als nun der friden beschloßen und die Völckher sollen verlegt werden, seyen [wir] wider nach der stat Ulm gwichen mit weib und kindt, roß und rieh, an einem sontag." Erst für das Jahr 1649 wird festgestellt, es sei „ein glückseliges außerweites jubel und frieden-
Friedensreiter zur Satellitenkommunikation. Ausstellung im Stadtmuseum Münster 15. Oktober 1993 bis 30. Januar 1994. Münster 1993. Die sogenannten Friedensreiter, über die kaum seriöse Literatur vorliegt, sind in Zusammenhang mit dem Jubiläum des Westfälischen Friedens 1998 gerade im westfälischen Raum Gegenstand kommerzieller Vermarktungsstrategien geworden, womit sie Eingang in populäre Vorstellungen vom Friedensschluss gefunden haben. 15 Wilhelm A. Eberhardt/Helmut Klingelhöfer (Hrsg.), Bauemleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636-1667. Marburg 1998,67. 16 Maurus Friesenegger, Tagebuch aus dem Dreißigjährigen Krieg. Nach einer Handschrift im Kloster Andechs. Herausgegeben von Pater Willibald Mathäser. München 2007, 104. Vgl. - um ein weiteres Beispiel herauszugreifen - auch Gerd Zillhardt, Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberies „Zeytregister" (1617-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten. Ulm 1975, 218-231, Zitate 224 und 226.
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jar", wiewohl die Schilderungen wiederum im Wesentlichen Truppenbewegungen umfassen. So verwundert es kaum, dass der Friede oftmals erst gefeiert wurde, nachdem die Soldaten, konkret die Schweden, abgezogen waren. Hatte es zuvor nur vereinzelte Friedensfeiern gegeben, nicht zuletzt jene in der Kongressstadt Münster anlässlich der Vertragsunterzeichnung, 17 wurde 1650 eine wahre Flut solcher Feiern initiiert. Diese prägten vor allem in den lutherischen Territorien die öffentliche' Wahrnehmung des Friedens. Griffen sie doch dort Formen von Feierlichkeiten auf, die bei den reformatorischen Jubiläen zum Thesenanschlag 1617 und zur Augsburger Konfession 1630 sowie bei zahlreichen Bußtagen während des Krieges, die sich ebenfalls in eine lange Tradition von Bußtagen seit den 1530er Jahren einordnen lassen, erprobt wurden. 18 Zumindest dort, wo sehr streng dem kursächsischen Vorbild bei der Durchführung der Friedensfeiern gefolgt wurde, wurden Bußtag und Friedensfest kombiniert. Die ganze Bevölkerung wurde durch Festumzüge, Musik und Böllerschüsse in das Geschehen involviert. Die Feier des Westfälischen Friedens - das sei an dieser Stelle eigens betont - entwickelte sich in der Kombination von Büß- und Bettagen mit dem Feiertag auf diese Weise zu einem Muster. So wurden nicht allein die Jubiläen von Augsburger Konfession und Augsburger Religionsfrieden begangen oder auch die Zentenarsfeier des Westfälischen Friedens. Sämtliche Friedensschlüsse späterer Zeit, seien es jene um 1700, das Ende des Polnischen Thronfolgekrieges oder des Siebenjährigen Krieges, wurden ebenso gleichförmig und ritualisiert gefeiert. 19 Hinzu treten
1 7 An dieser Stelle noch einmal explizit der Hinweis auf Heinz Duchhardt, Feiern des Friedens (wie Anm. 4), 15-28. 1 8 Vgl. dazu Ruth Kastner, The Reformer and Reformation Anniverseries, in: History Today 33, 1983, 22-26; Helga Robinson-Hammerstein, Sächsische Jubelfreude, in: HansChristoph Rublack (Hrsg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988. Heidelberg 1992, 460-495; Charles Zicka, The Reformation Jubilee of 1617. Appropriating the Past through Centenary Celebration, in: D. E. Kennedy (Hrsg.), Authorized Pasts. Essays in Official History. Parcville 1995, 75-112; Johannes Burckhardt, Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürgerlichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Reinbek bei Hamburg 1988, 212-236; ders., Die kriegstreibende Rolle historischer Jubiläen im Dreißigjährigen Krieg und im Ersten Weltkrieg, in: ders. (Hrsg.), Krieg und Frieden in der historischen Gedächtniskultur. Studien zur friedenspolitischen Bedeutung historischer Argumente und Jubiläen von der Antike bis zur Gegenwart. München 2000, 91-102. Zum Folgenden vgl. auch die genannte Stelle bei Kleinehagenbrock, Grafschaft Hohenlohe (wie Anm. 11). 1 9 Als Beleg für diese summarischen Aussagen dienen hier Findbuchrecherchen, die allein aus den Beständen des Hohenlohe-Zentralarchivs in Neuenstein sowie des Staatsarchivs Wertheim für den Zeitraum von 1648 bis 1809 (!) weit mehr als hundert Faszikel mit solchen Festgestaltungen im Betreff hervorgebracht haben. Sie im einzel-
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das Trauerfeiern anlässlich verstorbener Kaiser sowie die Gottesdienste zum Regierungsantritt ihres Nachfolgers. Die Veranlassung solcher Feiertage sowie die herrschaftliche Dekretierung der jeweiligen Durchführung in den Territorien gehörte zum kontinuierlichen Geschäft, das frühneuzeitliche Kanzleien und Konsistorien zu bewältigen hatten. Bei den Feiern des Friedens wurde in der Tat - wie bereits erwähnt - die ganze Bevölkerung einbezogen und zum Mittun verpflichtet. Der Ärger eines Mitgliedes der Rotgärberzunft in der Stadt Wertheim (an der Mündung der Tauber in den Main gelegen), Johann Michel Haas, über mehr als 3 fl. Strafe mag an dieser Stelle zunächst nur als Kuriosität erscheinen, verdeutlicht aber die Bedeutung solcher Feiern im Alltagsleben der Menschen, und zwar nicht nur in den zentralen Orten, sondern auch in den kleinen Städten und Dörfern, wie sie für das Heilige Römische Reich und seine Territorien prägend waren. Die Zunft hatte ihm die Strafe auferlegt, weil er die Feierlichkeiten anlässlich des Hubertusburger Friedens von 1763 nicht in erwartetem Umfang absolvieren wollte. Haas hatte sich der Prozession der Zunftmitglieder durch die Stadt in die Stifts- und Pfarrkirche entzogen. Er begründete dies mit einem Verweis auf seinem Gesundheitszustand, da er nur beschwerlich gehen könne und auf einen Stock angewiesen sei. Die Herrschaft untersuchte gründlich und befand nach einem Jahr Nachforschungen, dass er zuweilen auch ohne Stock in der Stadt unterwegs sei und deswegen die Strafe zu erlegen habe. 20 Deutlich wird aus dieser Episode, dass die Feier der Frieden eben nicht allein Ausdruck spontaner Freude war, sondern herrschaftlich organisierte Inszenierungen darstellten, welche die lokalen Bevölkerungen gleichsam aktiv am Weltgeschehen teilhaben ließ, sie aber zugleich auch in das bestehende System des Alten Reiches einband. Diese Feiern besaßen eine herrschafts- und gesellschaftsstabilisierende Funktion, priesen sie doch die bestehende Ordnung von Territorien und Reich und die allgemeinen Anschauungen von Guter Policey als Friedenszustand und damit als erstrebens- und bewahrenswert. Zumindest die Untertanen [= Haushaltsvorstände] und die Schulkinder konnten sich diesen Veranstaltungen kaum entziehen, auf ihnen lastete der Druck, sich gemäß bestimmter Erwartungen zu verhalten. Dieses galt eben nicht nur für die Friedensfeiern anlässlich des Westfälischen Friedens, zumal in lutherischen Territorien nach 1650. Diese Feiern besaßen ganz allgemein große Bedeutung für die vormoderne Gesellschaft in Deutschland. So hat sich das Heilige Römische Reich immer wieder in symbolischen und feierlichen Handlungen selber inszeniert. Wenn zunächst auf den Reichstagen des 16. Jahrhunderts, dann aber vor allem bei den Kaiserwahlen und Krönungen in Frankfurt am Main, Kaiser und Kurfürs-
nen hier anzuführen wäre müßig, inhaltlich zeugen die meisten von der Routine, die bei derlei Festvorbereitungen eingetreten war. 20
Vgl. hierzu Staatsarchiv Wertheim, F Rep 155, Nr. 231.
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ten sowie weitere Reichsstände ihre Präsenz zeigten und quasi als Reich in „solennen" Inszenierungen für jedermann vor Ort sichtbar oder durch die frühneuzeitliche Publizistik vor der reichischen Öffentlichkeit handelten, bestätigten sie damit die überkommene Ordnung.21 Im Grunde sind die lokalen Inszenierungen von Friedensfeiern, auch wenn sie etwa im lutherischen Bereich eindeutig auch konfessionell konnotiert waren, eine Fortführung kaiserlichen und reichsständischen Symbolhandelns an der territorialen Basis der reichischen Gesellschaft, die zumindest jene Personen, die als Untertanen für Ihren Besitz und die darauf und davon lebenden Menschen Verantwortung trugen, in das politische Geschehen des Reiches einband.22 Für die Ausgestaltung der Feiern wurde zumeist die „Solennität" herrschaftlich verordnet. Dabei ist zu bedenken, dass bis in die 1790er Jahre hinein die Grundordnung des Alten Reiches, wie sie in Münster und Osnabrück gestaltet wurde, direkt oder indirekt bestätigt wurde. Neben der religiösen Dimension solcher Friedensfeiern trugen diese auch zu einer reichischen Identifikationsstiftung bei, die über das bloße Bewusstsein vom Alten Reich als Rechtsraum hinausging und durch die von zahlreichen Teilnehmern getragene symbolische Handlungsweise an den unterschiedlichsten Orten durchaus zur Ausprägung einer spezifischen Identität in Deutschland beitrugen.23 Die Rezeption von Inhalten des Westfälischen Friedens Es stellt sich die Frage, welche Inhalte bei den Feierlichkeiten zum Westfälischen Frieden, bei Predigten und Reden, transportiert wurden? Gewiss ging es nicht intensiv um die Einzelheiten und Detailbestimmungen der Friedensinstrumente. Es ging um den Frieden als solchen, der als Geschenk, als Gnade Gottes aufgefasst wurde, während der Krieg Strafe für die Sündhaftigkeit der Menschen war (deswegen auch die Bußfeste). Ferner wird immer wieder auf das Überleben des lutherischen Bekenntnisses abgehoben, das allen Verfolgungen in der Zeit nach 1555 zum Trotz im Jahr 1648 Bestätigung gefunden habe. Dies ist ein zentraler Interpretationsansatz, wie er sich von den Jahren des Friedensschlusses an im lutherischen Deutschland, zumindest dort, wo die Orthodoxie vorherrschend blieb,24 verfestigte. Sie war politisch wirksam Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches. München 2008, hier besonders 299-305. 21
Vgl. dazu (allerdings am römischen Beispiel) die Überlegungen von Birgit Emich, Frühneuzeitliche Staatsbildung und politische Kultur. Für die Veralltäglichung eines Konzepts, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005,191-205. 2 3 Diesen Überlegungen anknüpfend Georg Schmidt, „Wo Freiheit ist und Recht ...", da ist der Deutsche Untertan?, in: Matthias Werner (Hrsg.), Identität und Geschichte. Weimar 1997, 105-124 sowie ders., Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert. München 2009, hier 73-85, besonders 80f. 22
Hierzu die „klassische" Perspektive bei Karl Holl, Die Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, in:
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bei den Auseinandersetzungen um die Regelungen des Westfälischen Friedens in Religionsdingen auf der Reichsebene und in den Territorien. 25 Sie wurde aber eben auch hineingetragen in die Dörfer und Pfarrgemeinden auf dem Land, die als Einheit zu sehen sind, zumindest nach der strengen lutherischen Auslegung der Normaljahrsregelung von 1624. 26 Aber nicht nur der Friede im Allgemeinen sowie die Selbstbehauptung der deutschen Lutheraner wurden nach 1648 einem weiter gefassten Rezipientenkreis vor Augen gehalten. Heinz Duchhardt hat explizit - Forschungserders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. III: Der Westen. Tübingen 1928, 302-384. Siehe aber vor allem Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur. Tübingen 1998. Das Bedrohungsgefühl, das für die Lutheraner prägend war und das sie den Frieden vor allem als ihr Bestehen in großer Gefahr interpretieren ließ, unterstreicht Sabine Holtz, Der Fürst dieser Welt. Die Bedrohung der Lebenswelt aus lutherischorthodoxer Perspektive, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 107,1996,29-49. Vgl. dazu auch Joachim Hahn, Zeitgeschehen im Spiegel der lutherischen Predigt nach dem Dreißigjährigen Krieg. Das Beispiel des kursächsischen Oberhofpredigers Martin Geier (1614-1680). Leipzig 2005, hier besonders 70-81. Wesentlich pessimistischer war die pietistische Deutung des Friedens, vgl. dazu beispielhaft Julian Kümmerle, Radikalpietistische Deutungsmuster der Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts. Gottfried Arnolds Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700), in: Franz Brendle/Anton Schindling (Hrsg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Münster 2006, 261-287, hier 285. Frank Kleinehagenbrock, Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648, in: Historisches Jahrbuch 126, 2006, 135156; ders., Konservierung oder Weiterentwicklung des Religionsfriedenssystems von 1648. Das Reichskammergericht in den Konflikten um die Besitzstände der Konfessionsparteien, in: Bernd Schildt (Hrsg.), Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten - Bilanz und Perspektiven der Forschung (im Erscheinen). 25
Zur Normaljahrsfrage sind vor allem die Forschungen von Ralf-Peter Fuchs einschlägig: Ralf-Peter Fuchs, Die Autorität von ,Normaljahren' bei der kirchlichen Neuordnung nach dem Dreißigjährigen Krieg. Das Fürstbistum Osnabrück und die Grafschaft Mark im Vergleich, in: Arndt Brendecke/Ralf Peter Fuchs/Edith Koller (Hrsg.), Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Münster 2007,353-374; ders., Gott läßt sich nicht verspotten. Zeugen im Parteienkampf vor frühneuzeitlichen Gerichten, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Konstanz 2000, 315-335; ders., Das ,Normaljahr' 1624 des Westfälischen Friedens. Ein Versuch zum Einfrieren der Zeit?, in: Arndt Brendecke/Wolfgang Burgdorf (Hrsg.), Wege in die Frühe Neuzeit. Werkstattberichte, eine Linksammlung sowie Bildmaterialien zu München im Dreißigjährigen Krieg und zur Hexenverfolgung auf CD-ROM. Neuried 2001, 215-234; ders., Verschiedene Normaljahre und die gemeinschaftliche Autorität zweier Fürsten im jülich-klevischen Kirchenstreit, in: Wulf Oesterreicher/Gerhard Regn/Winfried Schulze (Hrsg.), Autorität der Form - Autorisierung Institutionelle Autorität. Münster 2003,309-322; ders., Zeit und Ereignis im Krieg. Überlegungen zu den Aussagen Steinfurter Zeugen in einer Befragung zum Normaljahr 1624, in: Timothy Sodmann (Hrsg.), 1568-1648. Zu den Auswirkungen des Achtzigjährigen Krieges auf die östlichen Niederlande und das Westmünsterland. Vreden 2002, 65-85 und jetzt auch ders., Ein ,Medium zum Frieden'. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, (bibliothek altes Reich, Bd. 4.) München 2010. 26
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gebnisse aus dem Umfeld des Jubiläumsjahres 1998 bilanzierend - darauf hingewiesen, dass die Inhalte des Westfälischen Friedens recht rasch einem „breiteren Publikum" zugänglich gemacht wurden. 2 7 Es gibt eine Reihe von zeitgenössischen Drucken, in denen die Texte der Friedensinstrumente von Münster und Osnabrück (zumindest teilweise) publiziert wurden und die massenhaft Verbreitung fanden. 28 Schon Konrad Repgen konnte zeigen, dass der Inhalt des Westfälischen Friedens alsbald nach Abschluss in Schulen und Universitäten thematisiert wurde. 29 Heinz Duchhardt greift diese Beobachtung auf und schreibt von einem „selbstverständliche^] Bildungsgut", das Absolventen von Lateinschulen und Hohen Schulen geläufig war; die komplexen Inhalte wurden mittels Merkversen memoriert. Insofern verwundert es nicht, dass etwa ein Pfarrer, ein Hofprediger, im Jahre 1663 wie selbstverständlich die Inhalte des Westfälischen Friedens in die Argumentation eines Gutachtens über die Veränderung eines Kirchenliedtextes einfügte. In der hohenlohischen Herrschaft Kirchberg waren Kanzleiräte auf die Idee verfallen, das von Luther stammende Lied „Erhalt uns Herr bei Deinem Wort" abzuändern. Aus aktuellem politischen Anlass sollte nicht länger vom Papst an einschlägiger Stelle gesungen werden, sondern nur noch von den Türken: „Erhalt uns Herr bey deinem Wort und Steuer aller Türcken Mordt." Vorher hieß es: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort und Steuer des Pabsts und Türcken mord." 3 0 Der Hofprediger echauffierte sich fürchterlich in seinem Gutachten. Schließlich habe man das Lied und seinen angestammten Text „schon über 120 Jahr ohngehindert auch in den greulichen blutigen Verfolgungen des Evangelischen Bekenntnis in den kirchen erhalten und gesungen". Er hält eine Änderung für vollkommen unnötig, zumal weder Kaiser noch Papst danach begehrt hätten. Sollten sie es tun, erwartete er eine gemeinsame Front der evangelischen Reichsstände dagegen, die allesamt durch das Ansinnen der Räte brüskiert würden. Schließlich sei eine Veränderung des Liedtextes dem Religionsfrieden von 1648 zuwider, der den reichsrechtlich anerkannten Konfessionen erlaube, ungehindert Gottesdienst zu feiern. Daraus resultierte für
Heinz Duchhardt, Der Westfälische Friede im „öffentlichen Bewußtsein" der Moderne: lateinische metrische Merkverse, in: Neuhaus/Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Menschen und Strukturen (wie Anm. 7), 243-249. Daraus auch das folgende Zitat, 249. 2 8 Zur Überlieferungsgeschichte des Westfälischen Friedens vgl. im Überblick Buschmann, Kaiser und Reich (wie Anm. 2), 12. 29 Konrad Repgen, Ein Schulaufsatz zum Thema „Frieden" (1648/49), in: Theo Stammen u.a. (Hrsg.), Politik - Bildung - Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag. Paderborn u.a. 1996,109-115; Konrad Repgen, Der Westfälische Friede. Ereignis und Erinnerung, in: Historische Zeitschrift 267,1998,615-647, hier 636f. 3 0 Zu dem gesamten Vorgang vgl. Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein LA 5, Nr. 593, das erwähnte Gutachten des Hofpredigers Ludwig Casimir Die(t)zel datiert Langenburg, 20.11.1663. Siehe dazu ferner Kleinehagenbrock, Grafschaft Hohenlohe (wie Anm. 11), 308-310. 27
Wahrnehmung und Deutung des Westfälischen Friedens
Ludwig Casimir Dietzel, so der Name des Hofpredigers, auch das ungehinderte Recht zur Verwerfung der römischen Kurie, wobei Papst und Türken in der betroffenen Liedzeile für alle Feinde des Wortes Gottes stünden. Bei Verzicht auf die Nennung des Papstes würden Papst und Jesuiten Auftrieb erhalten und langfristig die im Westfälischen Frieden garantierten Handlungsspielräume der evangelischen Prediger eingeschränkt und diese bei Ihrer Aufgabe, die Wahrheit zu verkünden, behindert. In der Argumentation des Gutachters finden sich zum einen diejenigen Ansätze zur Friedensinterpretation, die seit den Friedensfeiern, die sich mancherorts jährlich wiederholten und langfristig mit den Erntedankfesttraditionen verbanden: Das Durchhalten der deutschen Lutheraner und ihr Bestand in den Wirren des Krieges angesichts größter Bedrohungen sowie der reichsrechtliche Schutz vor Eingriffen in die lutherischen Kirchenwesen. Zum anderen wird der Westfälische Friede als ein Schutzinstrument betrachtet, das ihm als Lutheraner Lehr- und Gewissensfreiheit sichere, in die weder Papst noch Kaiser (noch katholische Reichsstände) hineinwirken könnten. Hier lassen sich bei einem Theologen zumindest Ansätze einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den westfälischen Friedensinstrumenten erkennen. Zugleich wird jedoch deutlich, dass das, was heute politisches Tagesgeschäft genannt werden würde, selbst in den Kanzleien und in anderen Institutionen kleiner Territorien des Heiligen Römischen Reichs vom Westfälischen Frieden beeinflusst wurde. Wiewohl die Konfessionsproblematik ein Politikum blieb, erwies sich der Friede als Garant für politische Prozesse und deren mehr oder weniger reibungslosen Ablauf. Der Westfälische Friede als Quelle des persönlichen Rechtsschutzes Lässt sich eine Kenntnis von Inhalten des Westfälischen Friedens nun auch bei breiteren Kreisen von reichsständischen Untertanen erkennen? Hierfür finden sich immer wieder Beispiele, leider nicht in systematisch überlieferten Faszikeln oder Ähnlichem. In der Regel müssen hier Suppliken als Quellen dienen, Suppliken wie sie sich in territorialen Akten oder aber in den Unterlagen der höchsten Reichsgerichte finden lassen. Anschauliche Beispiele finden sich meist im Umfeld von Konversionen, die sich zu Streitfällen entwickelten. In einem spektakulären Fall argumentierte gar ein Kind aus einer Mischehe mit seiner aus dem Westfälischen Frieden resultierenden Religionsfreiheit und konnte sein lutherisches Bekenntnis gegenüber dem Landesherrn seines Vaters durchsetzen.31 Publik werden bedauerlicherweise nur solche Fälle, in denen sich Schwierigkeiten ergaben. In diesen Fällen stan-
Zu diesem Vorgang vgl. Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, Ga 25, Nr. 238, dazu ausführlich Frank Kleinehagenbrock, Möglichkeiten und Grenzen von konfessioneller Toleranz im System der Verfassung des Heiligen Römischen Reichs [im Erscheinen Prag 2011], 31
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den hinter den Beteiligten in der Regel Herrschaften, wenigstens aber juristisch geschultes Personal, oder zumindest Personen, die Bildungsgänge durchlaufen hatten, wie sie Heinz Duchhardt angedeutet hat. Ein aus Druckwerken bekanntes Beispiel ist die sogenannte „Bärenthaler Apostasie". 32 Im abseits gelegenen Bärenthal, im Bereich der jungen Donau im heutigen Landkreis Tuttlingen, kam es zu einem Bekenntniswechsel gleich mehrerer Familien, der initiiert wurde durch einen aus dem Ort stammenden Theologiestudenten namens Jakob Beck, dem es nicht gelang, auf eine Pfarrstelle berufen zu werden. Zunächst sprach er sich - eher im lutherischen Sinne - vor allem gegen Lehrsätze der katholischen Kirche aus, erst in familiärem Kreise, dann auch im Wirtshaus. Er wurde verhaftet, bereute, beichtete und wurde wieder in seine Heimat entlassen. Dort verhielt er sich zunächst wiederum einige Jahre unauffällig. Doch fing er unter dem Einfluss eines Züricher Predigers Johann Heinrich Ulrich, den er während der Haft in Konstanz kennengelernt hatte, und mit Unterstützung des Pfarrers im nahe gelegenen Württembergischen Tuttlingen erneut an zu predigen, diesmal im reformierten Sinne. Er konnte einige Bärenthaler für sein Anliegen gewinnen. Die Herrschaftsverhältnisse im Flußtal der Bära waren kompliziert. Der Ort Bärenthal gehörte zur habsburgischen Grafschaft Ober-Hohenberg, für ihn war die Obervogtei in Spaichingen zuständig; Hohenzollern-Sigmaringen hatte die niederen Gerichtsrechte inne. Kirchlich war die Diözese Konstanz zuständig, während die Pfarrei vom Augustiner Chorherren-Stift bei Fridingen an der Donau besetzt wurde. Alle diese Stellen wollten die Verbreitung einer landfremden Konfession nicht hinnehmen. Als von einigen Einwohnern zu Bärenthal gemäß den Bestimmungen des Westfälischen Friedens die Auswanderung begehrt wurde, eskalierte die Situation und zwar genau zu einem Zeitpunkt, an dem das Alte Reich ohnehin unter dem Druck politischer und konfessioneller Spannungen stand. 1718 wandten sich die Auswanderungs-
3 2 Dieses Beispiel ist der Habilitationsschrift des Verfassers entnommen: Frank Kleinehagenbrock, Konfessionelle Konflikte nach 1648. Gewissensfreiheit, konfessioneller Besitzstand und die Grenzen von Herrschaft im Verfassungssystem des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Würzburg 2009, 99f. und 104f. Vgl. hierzu Catholische Antwort, Auf die Unlängst von einem Zürchischen H. Praedicanten hervorgegebene, nit allein der Geistlichen zu Costantz Hoch-Bischöfflichen, Sondern auch der Weltlichen Ober-Oesterreichischen Hohen Obrigkeit wegen vermischten falschen Bericht und vermessenen Unwarheiten besonders verkleinerlichen Relation dero Titl und Innhalt gegenwärtiges umbgekehrte Blat vorweiset. Der Wahrheit zu Lieb und Schutz. Nach Intention und Meynung [...] In Druck verfertiget. Augsburg 1723; [Hermann] Mock, Die Berenthaler Apostasie, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 12, 1878-79, 1-11 (Nachtrag von [Anton] Birlinger, 120f.); [Joseph Anton] Eichl, Ansiedlung der Bärenthaler in Wirtemberg 1721, in: Diözesanarchiv von Schwaben 24, 1906, 191f.; H. Wagner, Die Gründung von Neubärental, in: Der deutsche Waldenser 22, 1939, 44—46; zum politischen Hintergrund auf Reichsebene vgl. Karl Bergmann, Der deutsche Religionsstreit der Jahre 1719/20. Berlin 1937.
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willigen an den König in Preußen mit der Bitte um Unterstützung. Auch der württembergische Herzog als vorherrschende protestantische Kraft des benachbarten Schwäbischen Reichskreises wurde einbezogen, um Druck auf die zuständigen Herrschaften auszuüben. Jakob Beck und einige andere Bärenthaler wurden dennoch vom Obervogt in Spaichingen verhaftet und von einer Kommission vernommen; einige bekannten sich wieder zum katholischen Glauben und durften zurückkehren. In Bärenthal wurde schlussendlich eine Mission durchgeführt. Beck und ein weiterer Bärenthaler wurden jedoch nach Wien geführt. In der dortigen Haft formulierte der ehemalige Theologiestudent unter dem Einfluss des Züricher Predigers Ulrich seine Glaubensinhalte und trotzte so den ständigen Besuchen von Jesuiten. Am Ende des Verfahrens stand die Ausweisung Becks aus den kaiserlichen Erblanden; für dessen Freilassung hatte sich das Corpus Evangelicorum eingesetzt. Auf dem Rückweg machte er jedoch 1720 in Regensburg Station und wandte sich direkt an jenes Corpus des Reichstages, das sich seiner Sache annahm und seine Religionsgravamina in Druck brachte. 33 Es ging schließlich grundsätzlich darum, reichsrechtlich verbriefte Rechte durchzusetzen, genaugenommen aber ging es um die Etablierung der protestantischen Interpretation des Reichsrechts bezüglich der Bekenntnisse. Das Bärentahler Beispiel ist wegen der gegenläufigen Argumentationen bezüglich der aus dem Westfälischen Frieden resultierenden Gewissensfreiheit hervorzuheben. Jakob Beck hielt sich nach seinem Regensburger Aufenthalt zwar trotz des Verbots noch einmal kurz in Bärenthal auf, von wo rund zehn Familien ebenfalls ausgewiesen wurden und in Württemberg Aufnahme fanden. Dort gründeten sie im Jahre 1721 den Ort Neubärental (in der Nähe von Leonberg). Im Ergebnis konnten die zum Reformiertentum Konvertierten zwar aus ihrer angestammten Herrschaft auswandern, doch hatten sie um die reichsrechtliche Bewertung ihres Tuns zu kämpfen, was durchaus mit Vermögensfragen zusammenhing, denn bei landesherrlicher Ausweisung griff der Vermögensschutz des lus emigrandi nicht. Gegen den eigenen Anspruch der Bärenthaler, das Auswanderungsrecht des Westfälischen Friedens in Anspruch zu nehmen, wurde katholischerseits angeführt, dass Jakob Beck und den ausgewanderten Bärenthalern gar nicht das Recht der Gewissensfreiheit und auch nicht das lus emigrandi zustünde: „[...] daß seine Bärenthaler weder das frye Religions-Exercitium, weder das flebile jus emigrandi auß dem Westphälischen FriedenSchluß zustehen, daß Sie weder eines noch deß andern wegen übertrettenen Reichs-Satzungen fähig, daß Sie das Reich-Privilegium wegen öfterer Glauben-Aenderung mit So nach Catholische Antwort (wie Anm. 32), 106. Vgl. dazu Erhard Christian Wilhelm von Schauroth, Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandelungen Des Hochpreißlichen Corporis Evangelicorum. Von Anfang Des jetzt fürwährenden Hochansehnlichen Reichs-Convents Bis auf die gegenwärtige Zeiten, 3 Bde. (in 6 Teilen.), Regensburg 1751-52, hier Bd. 1,1, 68-81. 33
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dem jure emigrandi nur ein Blindes vor Augen machen, und hierin nichts nöthigen zu begehren haben." 34 Wegen der wechselnden Inhalte der Predigt Becks wurde den Bärenthalern also Wankelmütigkeit unterstellt. Da sie offenkundig nicht genau wussten, was sie taten, genossen sie auch nicht den Schutz des Reichsrechts und konnten deswegen wie Straftäter ausgewiesen werden. Seitens des Corpus Evangelicorum wurde hingegen das Unrecht betont, dass den Bärenthalern widerfahren sei. Das Corpus Evangelicorum war die ständige Konferenz der auf dem Reichstag vertretenen protestantischen Reichsstände, die sich im Vorfeld des jüngsten Reichstages von 1653/54 gebildet hatte und fortan kontinuierlich tagte, um ihre Interessen, aber auch die einzelner protestantischer Einwohner des Alten Reiches zu vertreten. Im Corpus Evangelicorum wurden rechtliche Positionen manifestiert und insbesondere ein politisches Gegengewicht gegen den Kaiser und die katholische Partei im Reich herausgebildet. 35 Die Bärenthaler hätten sich „in den Herzoglich-Württembergischen Flecken Mönßheim [Mönchsheim], Amts Leonberg, begeben müssen, in der Hoffnung, es würden die wider sie vorgenommene harte Verfolgung und Gewissens-Zwang aufhören, und man ihnen ihre geringe Mittel und Gütergen nicht vorenthalten." Zudem seien noch Familien in Bärenthal, die nicht mitgekommen seien und die nun „auf allerley herbe Art und Weiß bedrängt und zum Römisch-Catholischen Glauben zurück zu kehren gezwungen worden." 36 An diesem Beispiel wird deutlich, dass einzelne Untertanen und Einwohner von Reichsständen tatsächlich Rechte, die ihnen aus dem Westfälischen Frieden erwuchsen, in Anspruch nehmen wollten. Die Durchsetzung ihrer Ansprüche hing freilich stark von den hinter ihnen stehenden Ratgebern und politischen Größen ab. Zumindest aber verstanden sich die Untertanen der Reichsstände durchaus als Teil der Religionsparteien, wie schon aus der eingangs von Ortel zitierten Textstelle ersichtlich wurde. Mitunter scheint in Suppliken auch eher subtil durch, dass die Einwohner des Heiligen Römischen Reiches mit den Regularien des Westfälischen Friedens vertraut waren. So etwa wenn ein Einwohner des hohenlohischen Billingsbachs Ende der 1660er Jahre um die Aufnahme als Untertan nachsucht, was ihm von der lutherischen Herrschaft gewährt wird, wiewohl er Katholik blei-
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Catholische Antwort (wie Anm. 32), 49.
Zum Corpus Evangelicorum sei an dieser Stelle lediglich auf Gabriele Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum und deutscher Dualismus, in: Volker Press (Hrsg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der frühen Neuzeit? München 1995, 189-207 und Andreas Kalipke, „Weitläufigkeiten" und „Bedenklichkeiten" - Die Behandlung konfessioneller Konflikte am Corpus Evangelicorum, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35, 2008, 405^147 hingewiesen. 36 Schauroth, Vollständige Sammlung (wie Anm. 33), Bd. 1,1, 69. 35
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ben möchte. 37 In seinem Text hebt er hervor, dass er die in Osnabrück aufgestellten Regeln, insbesondere in der lutherischen Auslegung verinnerlicht beziehungsweise erkannt hat. Zumindest ist er in der Lage, durch entsprechende Wiedergabe derselben, den Erfolg seines Anliegens zu befördern. Der Supplikant verweist nämlich nicht nur auf sein Vermögen und seinen stetigen Lebenswandel, sondern auch auf die lutherische Erziehung seiner Kinder durch seine Ehefrau. Er betont ferner, sich in die lutherische Pfarrei am Ort integriert zu haben und in der Kirche regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen. Nur gelegentlich wünscht er zum Empfang der Kommunion in die nächstgelegene würzburgische Pfarrei Mulfingen gehen zu dürfen. Jedoch sind im Allgemeinen Fälle, in denen sich Untertanen explizit auf den Religionsfrieden in Hinblick auf ihre Gewissensfreiheit beziehen, seltener als Konflikte, in denen der Bezug zum Westfälischen Frieden in Auseinandersetzungen mit Herrschaften um deren Herrschaftsausübung oder mit Vermögensfragen verbunden ist. Gewiss dürfte im gemischtkonfessionellen Dorf Bissendorf in Osnabrück sowohl der Inhalt des Westfälischen Friedens wie auch der für dessen Umsetzung in Osnabrück so wichtigen Capitulatio Perpetua angesichts ständiger Differenzen der beiden Religionsparteien und deren juristischer Austragungen bekannt gewesen sein. 38 In Bissendorf blieb den Katholiken der Gemeinde die Pfarrkirche, während für die Lutheraner eine Kapelle auf adeligem Grund zur Verfügung stand, welche diese aus eigenen Mitteln neu erbauten und nutzten, hier nach und nach pfarreiähnliche Strukturen zu errichten. Fortan blieben die Baulasten der katholischen Kirche beziehungsweise die Beteiligungspflicht der Protestanten daran ein dauerhafter Streitgegenstand, der aus der Interpretationsbedürftigkeit des Osnabrücker Friedensinstrumentes und der Capitulatio Perpetua entsprang. Dies ging so weit, dass vor dem Reichskammergericht um die Kosten des Geläuts anlässlich des Todes Kaiser Karls VII. gestritten wurde, an denen sich die Lutheraner zu beteiligen hatten, wiewohl sie selber ihre Glocken geläutet hatten. In den geschilderten Auseinandersetzungen kamen Untertanen der Reichsstände am ehesten mit den Regelungen des Westfälischen Friedens in Religionsangelegenheiten direkt in Kontakt, was Niederschlag zum einen in territorialer Überlieferung, zum anderen in den Prozessakten von Reichskammergericht und Reichshofrat gefunden hat. Hier überwiegen Streitfälle, die sich im Grunde auf unterschiedliche Interpretationen der Normaljahrsregelung und der daraus resultierenden Besitzverhältnisse zurückführen lassen. In den
Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, La 75, Supplik des Johannes Spieß von Weingarten, Langenburg, 30. April 1669, mit Resolution vom 5. Mai 1669. 37
Vgl. dazu Niedersächsisches Landesarchiv-Staatsarchiv Osnabrück, Rep 900, Nr. 129. Vgl. zu den Hintergründen ausführlicher die Habilitationsshrift des Verfassers: Kleinehagenbrock, Konfessionelle Konflikte (wie Anm. 32), 168-171. 38
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Argumentationen der beteiligten Untertanen beziehungsweise Untertanengruppen und der von ihnen beauftragten Juristen wird dies deutlich. Ein typisches Problem stellte etwa die Neugründung katholischer Pfarrgemeinden nach Fürstenkonversionen dar, gegen die die betroffenen lutherischen (Pfarr-)Gemeinden Klage erhoben. Nach katholischem Verständnis erlaubte die Normaljahrsregel durchaus die Neugründung einer Pfarrei neben der schon bestehenden lutherischen. 39 Auch das ius reformandi der Fürsten aus dem im Westfälischen Frieden bestätigten Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde katholischerseits durchaus in diesen Zusammenhängen betont. Die Lutheraner beharrten auf der Festschreibung zum 1. Januar 1624 und duldeten schon aus ihrem Kirchenverständnis heraus keinerlei Veränderungen an der bestehenden Pfarreistruktur. Sah sich doch die lutherische Kirche in der Tradition der überkommenen Kirche und ihrer organisatorischen Entfaltung seit dem Mittelalter. Solche Argumente müssen in den betroffenen Gemeinden und den zu ihnen gehörenden Untertanen sicherlich publik gewesen und diskutiert worden sein, immerhin finden sich unter Suppliken oftmals Dutzende von Unterschriften. Details der konkreten Rezeptionsprozesse lassen sich freilich kaum erschließen. Als Fazit kann aus den wenigen hier geschilderten Beispielsfällen festgehalten werden, dass der Westfälische Friede als Tatsache und auch in Hinblick auf seine wesentlichen inhaltlichen Festlegungen sowohl rasch als auch vergleichsweise weit im Alten Reich Verbreitung gefunden hat. Freilich wurden die Inhalte des Friedensschlusses nicht in umständlichen ideengeschichtlichen Diskursen rezipiert, sondern als juristische Fakten, deren Auslegung Gegenstand letztlich politischer Debatten wurde. So wurden Probleme angesprochen, die nicht nur Herrschaften und ihre Kanzleiräte tangierten, sondern vielmehr die „kleinen" Lebenswelten der Untertanen und Einwohner der Reichsstände betrafen. Weltliche und religiös-konfessionelle Aspekte lassen sich dabei oftmals nur schwer trennen. Die Rezeption, auch die durchaus kontroverse Auslegung der Bestimmungen des Westfälischen Friedens lassen sich an entscheidenden Punkten festmachen. So eignen sich die Religionsbestimmungen des Osnabrücker Friedensinstruments als gutes Arbeitsfeld für die Suche nach der zeitgenössischen Wahrnehmung des Friedens von 1648. Diese trifft man vor allem in solchen Regionen des Heiligen Römischen Reichs an, welche von Konfessionsgrenzen gekennzeichnet waren. Der Rekurs auf die Regelungen des Westfälischen Friedens und somit auf der Ebene der Reichsverfassung konnte oftmals lokal begrenzte Konflikte zu allgemeiner Popularität und den protestantischen Beteiligten zu prominenter
Dazu nun zusammenfassend Helmut Neumaier, Simultaneum und Religionsfrieden im Alten Reich. Zu Phänomenologie und Typologie eines umkämpften Rechtsinstituts, in: Historisches Jahrbuch 128, 2008,137-176. 39
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Unterstützung verhelfen. Das Alte Reich erweist sich so als komplexer politischer Raum, dessen Verfasstheit das Leben der Einwohner prägte. Dies gilt umso mehr, als dass ausgehend von Mustern der Reformationsjubiläen die Feier des Westfälischen Friedens, zumindest im deutschen Luthertum, Ausgangspunkt für eine Feierkultur war, die durch ritualisierte Handlungen und symbolische Akte lokale Führungsgruppen aktiv und für jedermann sichtbar sowohl in die Strukturen des Heiligen Römischen Reiches integrierte als auch am Weltgeschehen teilnehmen ließ. Dieser Umstand verfestigte das Alte Reich als Identifikationsraum. Die vielfach genutzte Möglichkeit, sich auf zentrale Verfassungsbestimmungen zu berufen, verstärkte überdies den Charakter des Alten Reichs als Rechtsraum. Der Westfälische Frieden hat diesen - trotz aller fundamentalen inneren Konflikte - bekräftigt und gefestigt, darin liegt sein Ruf als größtes Friedens werk der Neuzeit begründet. 40
Johannes Burkhardt, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Friede in neuen Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49,1998,592-612. 40
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III. Vorstellungen von Frieden, Sicherheit und Ordnung in frühneuzeitlichen Gesellschaften
Das Haus und sein Frieden
Inken Schmidt-Voges Das Haus und sein Frieden. Plädoyer für eine Ausweitung des politischen Friedensbegriffs in der Frühen Neuzeit 1. Einleitung Das Friedensproblem frühneuzeitlicher Gesellschaften war mit der Durchsetzung des Landfriedens und eines obrigkeitlichen Gewaltmonopols keineswegs gelöst - im Kontext häuslicher Ordnung blieb es mindestens bis zum Ende des Alten Reiches und seiner Gerichtsstrukturen virulent. Gleichwohl ist es keines, dass sich unmittelbar aus der Lektüre des theoretischen Schrifttums oder völkerrechtlicher Verhandlungen erschließen ließe; selbst in der normativen Literatur ist es nur auf den zweiten Blick zu finden. Ein Blick in die Quellen zur gerichtlichen Verhandlung häuslicher Konflikte offenbart jedoch einen Friedensbegriff, der auf der Mikroebene - an der Schnittstelle zwischen sozialer und politischer Ordnung - eine regulierende und stabilisierende Funktion erfüllte. Das hier aufscheinende Friedensverständnis geht weit über die Abwendung oder Wiedergutmachung von Gewalttätigkeiten hinaus, denn wenn in zivilrechtlichen Prozessakten von Frieden gesprochen wurde, verwiesen die Konfliktparteien - Hausväter, Ehemänner, Ehefrauen, Hausmütter, Nachbarn oder Verwandte - immer auch auf die soziale Erwünschtheit bestimmter Verhaltens- und Handlungsnormen, die im christlichen Tugendkatalog der Friedfertigkeit verankert waren. Deren Umsetzung im häuslichen Rahmen - vor allem gutes Haushalten, gottesfürchtige Kindererziehung, Konfliktregulierung unter Nachbarn - hatte unmittelbare Bedeutung für den Bestand des sozialen Friedens und der politischen Ordnung eines Gemeinwesens. Es galt nämlich für die Konfliktparteien wie für die Obrigkeit, nicht nur die materiellen und physischen Grundlagen der Existenz sicherzustellen, sondern auch über die konkrete Ausgestaltung und Verteilung von Macht und Kompetenz im Haus zu diskutieren und diese in den Rahmen der geltenden Normen einzubinden. Hier tritt ein Friedensbegriff zu Tage, der aus seiner ethischen Begründung heraus die Wahrnehmung und Deutung von sozialer Interaktion im Alltag prägte und diese direkt auf die übergeordnete politische Ordnung rückbezog. Es ist also davon auszugehen, dass sich hier ein lebensweltliches Friedensverständnis finden lässt, dessen Konsequenzen für das eigene alltägliche Handeln nicht nur abstrakt auf das Jenseits gerichtet, sondern ganz konkret im Diesseits politisch ordnend verstanden wurden. Wenngleich es vielleicht vorschnell wäre, hier von einem „positiven Friedensbegriff"1 zu sprechen, so
1 Zur Kritik an Begriff und Ansatz des „positiven Friedens" und der darauf aufbauenden Forschungstradition vgl. zum Beispiel Lothar Brock, Was ist das „Mehr" in der Rede, Friede sei mehr als die Abwesenheit von Krieg?, in: Astrid Sahm/ Manfred Sapper/Volker Weichsel (Hrsg.), Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden 2002,95-114.
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kann man immerhin festhalten, dass hier Friedensvorstellungen zum Ausdruck kommen von „Menschen im Parterre der Gesellschaft, die häufig ihren Eigensinn gegenüber Herrschaftsansprüchen ,νοη oben' zum Ausdruck brachten". 2 Welche Deutungspotenziale einem solchen Friedensverständnis innewohnten, wie und wo diese für die politische Ordnung fruchtbar gemacht wurden, wo ein solches Friedenswissen mentalitäts- und ideengeschichtlich verankert war, wie es medial verbreitet wurde, wie es in die politische Kultur und Kommunikation unterhalb reichsständischer Akteure eingebettet war - darum wird es in den folgenden Ausführungen gehen. Sie müssen gleichwohl skizzenhaft bleiben, denn diese Dimension des Friedensbegriffs wurde bisher nicht oder nur am Rande in den Fokus der historischen Forschung gerückt. Vom ,Haus' und seinem Frieden in der Frühen Neuzeit ist meist im Sinne des heute gebräuchlichen ,Hausfriedensbegriffs' die Rede, der auf die gewalttätige Bedrohung des ,Hauses' von außen abzielt.3 Frieden als Gegenbegriff zur Bedrohung der häuslichen Ordnung von innen durch eheliche oder häusliche Gewalt wurde bisher nur im Zusammenhang mit explizit ehelichen Ordnungsidealen wie der amicitia und der caritas behandelt.4 Gleichwohl tauchen Begriffe wie ,Frieden', friedlich' oder ,friedsam' immer wieder in Quellenzitaten von Studien auf, die sich mit der Praxis der politischen Regulierung häuslicher und ehelicher Beziehungen befassen.5 Die kommunikative Kontextualisierung einer solchen Friedensbegrifflichkeit wurde dabei nicht eingehender untersucht.
Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg. Darmstadt 2003, 47. Wolfrum weist hier dezidiert auf die Lücken hin, die eine kulturhistorische Friedensforschung mit Hilfe eines neuen methodischen Instrumentariums schließen könnte. 2
Eduard Osenbrügge, Der Hausfrieden. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte. Erlangen 1857 (Neudruck Aalen 1968); Joachim Trabandt, Der kriminalrechtliche Schutz des Hausfriedens in seiner geschichtlichen Entwicklung. Hamburg 1970. Walter Hartinger, Hausfriede!? Von Einbrüchen und dem unfriedlichen Leben im Haus der Frühen Neuzeit, in: Herbert May/Kilian Krellinger (Hrsg.), Alles unter einem Dach. Häuser, Menschen, Dinge. Festschrift für Konrad Bedal zum 60. Geburtstag. Petersberg 2004, 87-96; Joachim Eibach, Das Haus: Zwischen öffentlicher Zugänglichkeit und geschützter Privatheit (16.-18. Jahrhundert), in: Gerd Schwerhoff/Susanne Rau (Hrsg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume im Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Köln 2004,183-205, hier 190. 3
Dorothea Nolde, Gattenmord. Macht und Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe. Köln/Weimar/Wien 2003, 89-93; Beatrix Basti, Caritas Conjugalis. Der Begriff des Friedens in der Ehe, in: Wiener Geschichtsblätter 54,1999, 221-233; Andreas Holzem, Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570-1800. Paderborn 2000,311-321. 5 Inge Kaltwasser, Ehen vor Gericht. Kriminalfälle und zivilrechtliche Ehesachen aus den Akten der Frankfurter „Criminalia" und des Reichskammergerichts, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68, 2002, 235-273, hier 236, 247; Evelyne Luef, „Vom 4
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Bisher konzentrierte sich die Friedensthematik in der Frühneuzeitforschung auf zwei große Schwerpunkte: Auf der einen Seite steht Frieden als Kernziel politischer Bemühungen im Mittelpunkt, sei es in der Durchsetzung eines obrigkeitlichen Gewaltmonopols seit dem hohen Mittelalter oder vor allem in den diplomatischen Verhandlungen der zahlreichen Friedensschlüsse, sei es im Kontext des entstehenden Völkerrechts, der Festigung internationaler Beziehungen und der Ausbildung eines spezifischen diplomatischen Dienstes. 6 Auf der anderen Seite steht Frieden als Ideal und Utopie in philosophischen und theologischen Konzeptionen sowie in deren bildkünstlerischen und literarischen Verarbeitungen. 7 Alltags- und lebensweltbezogene Friedensvorstellungen spielten bisher eine untergeordnete Rolle, die Analyse von Friedensfesten allein reicht nicht und reduziert das Friedenswissen der Menschen auf die Rezeption von Friedensschlüssen und Kriegserfahrungen.8 Ist es aber nun eine rhetorische Floskel oder Leerformel, wenn im Zusammenhang mit häuslichen Lebenswelten, Beziehungen und Konflikten von ,Frieden' die Rede ist, den es im Hinblick auf den Frieden und die Ordnung des Gemeinwesens zu wahren und wiederherzustellen gilt? Warum wurde 1777 in einem österreichischen Ratsprotokoll die Regulierung eines häuslichen Konfliktes mit den Worten vermerkt, „auf den abend aber herr marktrichter selbst sie wiederum nach hauß führen, und friden zu stiften trachten wolle"? 9 Oder warum wurde in einem Frankfurter Strafrechtsprozess 1685 drohen ist noch niemand gestorben...". Häusliche Gewalt im 18. Jahrhundert, in: Inken Schmidt-Voges (Hrsg.), Ehe - Haus - Familie. Soziale Institutionen im Wandel 17501850. Köln/Weimar/Wien 2010, 99-120, hier 105, 108, 111, 114, 116; Alexandra Lutz, Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 2006,81. 6 Vgl. hierzu die Angaben zum Forschungsstand in den Beiträgen von Regina Dauser, Michael Rohrschneider und Kerstin Weiand in diesem Band.
Paradigmatisch für diese Zweiteilung der frühneuzeitlichen Friedensforschung mögen die im Umfeld des 350jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens erschienenen Sammelbände stehen. So gliedert sich das große Werk „Der Frieden - Rekonstruktion einer europäischen Vision" in Bd. 1: Klaus Garber u.a. (Hrsg.), Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion - Geschlecht - Natur und Kultur und in Bd. 2: Ronald G. Asch u.a. (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. München 2001. Auch der begleitende Ausstellungskatalog Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Münster 1998, unterscheidet zwischen den ,hard facts' der hohen Politik und den ,soft skills' von Theologie, Philosophie und Künsten. 7
8 Dass dem „Frieden" in sozialen und politischen Ordnungsprozessen auf der untersten Stufe gleichwohl eine wichtige kommunikative Funktion zukam, darauf hat bisher lediglich Heinrich-Richard Schmidt hingewiesen: Heinrich-Richard Schmidt, Pazifizierung des Dorfes. Struktur und Wandel von Nachbarschaftskonflikten vor Berner Sittengerichten 1570-1800, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. Berlin 1994, 91-128; Wolfrum, Krieg und Frieden (wie Anm. 2), 47. 9
Luef, Gewalt (wie Anm. 5), 114.
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die Haftstrafe damit begründet, dass der gewalttätige Ehemann schon früher „kaum 8 Tage den Hausfrieden habe halten können"? 10 Ganz offensichtlich werden hier Wert- und Normenkontexte aufgerufen, die den Zeitgenossen selbstverständlich und unhinterfragt gültig waren, so dass sie nicht näher erläutert wurden. Gerade diese unausgesprochenen, inneren Funktionszusammenhänge gilt es offen zu legen, um die Wirkmächtigkeit des Friedensbegriffs auf dieser Ebene sozialer und politischer Aushandlungsprozesse zu erklären. Die enge Verknüpfung ethischer Maximen mit juristisch-politischen Ordnungszielen sollen dabei zunächst in ihrer ideengeschichtlichen und politiktheoretischen Entwicklung und medialen Einbettung aufgezeigt werden (2), bevor anhand eines Fallbeispiels von 1720 aus der Stadt Osnabrück auf mikrohistorischer Ebene die politischen Ordnungsprozesse und deren Verbindung mit Friedensvorstellungen im Einzelnen analysiert werden (3). Abschließend gilt es die Ergebnisse im Hinblick auf das Friedensverständnis der Frühen Neuzeit hin zusammenzuführen und Forschungsperspektiven aufzuzeigen, die sich aus diesen Überlegungen ableiten lassen (4). 2. ,Häuslicher Friede' in der Ideengeschichte und frühneuzeitlichen Politiktheorie Die für die frühneuzeitliche Theorie des ,Hauses' prägenden Vorstellungen verdichteten sich unter den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen im 15. Jahrhundert und wurden dann im 16. Jahrhundert durch die reformatorische Theologie im Rahmen der Drei-StändeLehre in ihrer gesellschaftsbildenden Bedeutung mit transzendentalem Gehalt aufgeladen. 11 In dieser Phase bildeten sich die grundlegenden Vorstellungen von hierarchischen Strukturen und Handlungsmaximen aus, die für die ganze Frühe Neuzeit bestimmend bleiben sollten. Der Kern dieser oeconomia Christiana - die Ausgestaltung der häuslichen Beziehungen - änderte sich kaum, wenngleich seit dem frühen 17. Jahrhundert in den Hauslehren der Anteil zu Fragen des Landbaus, der Viehzucht, Produktverarbeitung und Krankheitsheilung ethische Fragen bald deutlich überlagerte. 12 Gerade in der für die
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Kaltwasser, Ehen (wie Anm. 5), 236.
Luise Schorn-Schütte, Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit: Obrigkeitskritik im Alten Reich, in: Geschichte und Gesellschaft 32, 2006, 273-315; Robert James Bast, Honour your Fathers. Catechisms and the Emergence of a patriarchal ideology in Germany 1400-1600. Leiden/New York 1997; Susanna Burghartz, Ordering Discourse and Society. Moral Politics, Marriage and Fornication during the Reformation and the Confessionalization Process in Germany and Switzerland, in: Herman Roodenburg/Pieter Spierenburg (Hrsg.), Social control in Europe 1500-1800. (History of crime and criminal justice series.) Ohio 2004, 78-98; Lyndal Roper, The Holy Household. Women and Morals in Reformation Augsburg. Oxford 1991. 11
1 2 Vgl. hierzu Inketi Schmidt-Voges, Oíko-nomía - Wahrnehmung und Beherrschung der Umwelt im Spiegel adeliger Haushaltungslehren im 17. und 18. Jahrhundert, in: Heike
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politica Christiana typischen Ableitung der Herrschaftstheorie aus der oeconomia Christiana als Leitbild aller weltlichen Ordnung lässt sich das Konzept häuslichen Friedens und häuslicher Friedfertigkeit als Basis aller politischen Friedensordnung besonders deutlich herauslesen, was aber nicht bedeutet, dass es in den anderen Herrschafts- und Gesellschaftskonzeptionen nicht vorkäme. 13 Auch wenn in den politiktheoretischen Debatten und Entwicklungen des 17. Jahrhunderts die politica Christiana von anderen Denkrahmen abgelöst wurde, blieb sie als prägende politische Kultur im Rahmen des tagtäglichen Bemühens um ,gute Policey' im häuslichen Bereich bis an das Ende des Alten Reiches und seiner Gerichtsstrukturen präsent. Die Entwürfe des 15. und 16. Jahrhunderts entwickelten sich vor dem Hintergrund einer intensiven Augustinus-Rezeption, so dass der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen zum einen die Kernproblematik des augustinischen Hausfriedenskonzeptes aufzeigt und dann vor allem auf den Entwürfen des 16. Jahrhunderts liegt. Ausgangspunkt aller vormodernen Friedensvorstellungen ist Augustinus' große Friedenssystematik im neunzehnten Buch der Civitas dei. In dieser Ordnung spielt das ,Haus' als Bezugsgröße eine entscheidende Rolle. Es bildet jenen Raum primärer gesellschaftlicher Organisation, in dem sich individuelles Handeln und Streben nach Seelenfrieden in sozialen Beziehungen und hierarchischen Machtstrukturen zu bewähren hat. Die Fehlbarkeit und Unberechenbarkeit menschlichen Handelns und Fühlens sind es nach Augustinus, welche die fragilen menschlichen Beziehungen immer wieder gefährdeten und die gerade unter den Hausgenossen besonders mühsam zu pflegen seien. 14 Dies drückt sich in der besonderen Betonung eines verantwortungsvollen, pflichtbewussten Umgangs mit Machtbefugnissen aus, die Augustinus Düselder/Olga Weckenbrock/Siegrid Westphal (Hrsg.), Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit. K ö l n / W i e n / W e i m a r 2008,403-429. 1 3 Vgl. hierzu etwa Julie Hardwick, The Practice of Patriarchy Gender and the Politics of Household Authority in Early Modern France. Pennsylvania State University Press 1998 für den französischen Bereich. 1 4 „Jedoch in der Mühsal dieses sterblichen Lebens wird die Menschheit in ihren Gemeinschaftsformen überflutet von Übeln, so zahlreich und schwer, dass man in der Aufzählung erlahmen, in der Abwägung sein Unvermögen eingestehen müsste. [...] Denn das, was derselbe Terenz als Gebrechen der Liebe anführt: ,Kränkungen, Verdacht, Feindseligkeiten, Krieg, dann wieder Friede', hat das nicht die menschlichen Beziehungen allüberall förmlich durchsetzt? [...] Darum vernimmt man auch mit großer Betrübnis des Herzens jenen göttlichen Ausspruch: ,Und des Menschen Feinde sind seine Hausgenossen' [...] Wenn also nicht einmal die Familie, überall bei den Menschen die Zufluchtsstätte in den sie bedrängenden Nöten, Sicherheit bietet, wie erst die Stadt, deren Gerichtsplatz, je größer sie ist, umso lauter widerhallt von bürgerlichen und Strafhändeln.", Aurelius Augustinus, De Civitate Dei, lib. XIX, cap. 5, übers, ν. Alfred Schröder (Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften 1-3, Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 1, 16, 28.). Kempten 1911, 228-233. Eine kritische zweisprachige Ausgabe der Werke Augustinus' ist zur Zeit am Tübinger Augustinus-Zentrum in Bearbeitung und steht für „De civitate dei" noch nicht zur Verfügung.
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vor allem den patres familias angelegen sein lässt. 15 Denn aus der Friedensordnung des Hauses, welche die Hausväter durch gerechtes Leiten und Führen aufbauen und bewahren sollen, erwächst die innere Ordnung und Stabilität, kurz der Frieden eines Gemeinwesens. 16 Ganz deutlich wird in Augustinus' Ausführungen, dass der innere Frieden eines Gemeinwesens nicht in erster Linie als ein Zustand, sondern als ein spezifisches, ethisch begründetes Handlungsprogramm und Interaktionsmuster charakterisiert wird, das diesen Zustand hervorbringt und erhält. Nicht umsonst finden sich diese umfassenden Ausführungen im 19. Buch, das sich mit den zeitgenössischen Bedingungen der Möglichkeiten zur Verwirklichung der ausgeführten christlichen Ethik im römischen Reich am Beginn des fünften nachchristlichen Jahrhunderts auseinandersetzt. 17 Die besondere Mischung aus Bibelexegese, griechischer (aristotelischer) Gesellschaftstheorie und römisch-rechtlichen Grundlagen 18 machte Augustinus zu einem intensiv rezipierten Autoren vom hohen Mittelalter bis in das 16. Jahrhundert. Dies war eine Zeit besonders intensiver gelehrter Bemühungen, den gesellschaftlichen Wandel vor allem im Hinblick auf die Ausgestaltung des Ehe- und Familienlebens zu reflektieren, dem vor allem im Kontext der entstehenden städtischen Lebenswelten eine neue gesellschaftsbildende Funktion zuteil wurde. 19
1 5 Ebd., lib. XIX, cap 14: „Daraus entspringt also weiterhin der Hausfriede, d.i. die geordnete Eintracht der Angehörigen in Bezug auf Befehlen und Gehorchen. [...] Indes im Hause des Gerechten, der aus dem Glauben lebt und noch fern von jener himmlischen Stadt auf der Pilgerschaft ist, dienen auch die Befehlenden denen, welchen sie scheinbar befehlen. Sie befehlen ihnen ja nicht aus Herrschsucht, sondern in der dienstwilligen Beihilfe, nicht aus übermütigem Streben nachVorrang, sondern aus erbarmender Fürsorge." 1 6 Ebd., lib. XIX, cap 16: „Weil nun die menschliche Familie den Anfang oder ein Teilchen des staatlichen Gemeinwesens bilden soll, [...] so folgt daraus ganz klar, dass der Hausfriede zum Frieden des Gemeinwesens, d.h. dass die geordnete Eintracht der Hausgenossen im Befehlen und Gehorchen zu der geordneten Eintracht der Bürger im Befehlen und Gehorchen eine Beziehung hat." 17 Literaturhinweise zur Zeitaktualität Augustinus' vgl. Michael Erler, Die helfende Hand Gottes. Augustine Gnadenlehre im Kontext des kaiserzeitlichen Piatonismus, in: Cornelius Mayer (Hrsg.), Augustinus. Ethik und Politik. Würzburg 2009, 87-108, Wilhelm Geerlings, Augustinus. Leben und Werk. Eine bibliographische Einführung. Paderborn 2002,27-35; Ulrich Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des,Hauses'. Ökonomik in der Spätantike und im frühen Mittelalter. Göttingen 1998, 71-99; Timo Weissenberg, Die Friedenslehre des Augustinus. Theologische Grundlagen und ethische Entfaltung. Stuttgart 2005. Bei Weissenberg tritt das /Haus' nicht als eigene Analysekategorie hervor. Gleichwohl werden die oben angeführten Zusamenhänge zwischen pax, caritas und ordo ausführlich behandelt. 1 8 Vgl. hierzu die Beiträge in Mayer, Augustinus (wie Anm. 17) und Geerlings, Augustinus (wie Anm. 17). 1 9 Zur Bedeutung der Ehe als Ort einer spezifischen ethisch orientierten Lebenshaltung in der Philosophie des Spätmittelalters und städtischen „Befriedungsprozessen" vgl.
Das Haus und sein Frieden S o n i m m t es nicht w u n d e r , dass sich in den entsprechenden Texten - größtenteils verschriftlichte Predigten von Minoriten - eine intensive B e z u g n a h m e auf Friedensvorstellungen als ethische G r u n d l a g e ehelicher und häuslicher Beziehungen finden lässt. S o nannte bereits Berthold von R e g e n s b u r g ( 1 2 1 0 1272) in seinen Ehepredigten als erste V o r a u s s e t z u n g einer erfolgreichen Ehe, dass die Eheleute „friedlich", geduldig und fürsorglich miteinander leben m ü s s t e n . 2 0 D i e A m b i v a l e n z zwischen häuslicher Herrschaft und christlicher Nachsicht lässt sich a u c h bei i h m erahnen. Gleichwohl bleibt die Betonung des Ehefriedens ganz auf die Binnenbeziehung zwischen M a n n u n d Frau beschränkt, o h n e in e i n e m größeren gesellschaftlichen Friedenskontext betrachtet z u w e r d e n . W ä h r e n d der A s p e k t des häuslichen Friedens in den volkssprachlichen Ökon o m i k e n nicht vertreten ist, 2 1 findet sich ein topischer Rekurs darauf in den frühhumanistischen Geschlechterdiskursen, deren Schauplatz das Eheleben ist. Unmittelbar von der sehr populären u n d in diversen Drucken bis in das 16. J a h r h u n d e r t hinein verbreiteten Schrift De re uxoria
von 1415 n a h m e n
Albrecht v o n Eyb, M a r c u s v o n W e i d a u n d Erhart G r o ß die T h e m a t i k des Friedens in der Ehe auf. S o schrieb e t w a Erhart G r o ß im Laien
doctrinale
(ca. 1460) über die A u f g a b e n der Frau i m , H a u s ' : „ w o die frauwe in d e m h u ß e richtig ist die ist irem m a n n nutz z u o fryde v'sehen das h ü ß v n sie ist des
Rüdiger Schnell, Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften in der Frühen Neuzeit. Tübingen 1998; Michael Dallapiazza, Minne, hûsêre und das ehlich leben. Zur Konstitution bürgerlicher Lebensmuster in spätmittelalterlichen und frühhumanistischen Didaktiken. Frankfurt am Main 1981, 28f.; Gabriela Signori, Fürsorgepflicht versus Eigennutz. Die Verfügungsgewalt über das Errungenschaftsgut in den Eheschriften des 15. Jahrhunderts, in: Andreas Holzem/Ines Weber (Hrsg.), Ehe Familie - Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt. Paderborn 2008,181-190. Berthold von Regensburg, Von dem fride, in: ders., Deutsche Predigten Bd. 2, hrsg. v. Kurt Ruh. Berlin 1965, 124-136; Rüdiger Schnell, Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs. Textsorten und Geschlechterkonzepte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt 1998, 59. Zum Prozess der Adaption häuslicher Handlungsmaximen auf das klösterliche Leben in der Spätantike und zur Readaption dieser klösterlichen Verhaltensmaßregeln auf die „neuen" Ehevorstellungen um 1500 vgl. Meyer, Soziales Handeln (wie Anm. 17), 257-317 und Dirk Müller, Gesellschaft und Individuum 1300 in volkssprachlicher franziskanischer Prosa. Köln 2003, 45-52; Albrecht Hagenlocher, Der guote vride. Idealer Friede in deutscher Literatur bis ins frühe 14. Jahrhundert. Berlin 1992, 75-78; Bernd Moeller, Die frühe Reformation in Deutschland als neues Mönchtum, in: Stephen Buckwalter (Hrsg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Gütersloh 1998,76-91. 20
Diese Feststellung gilt für die volkssprachlichen Bearbeitungen der „Epistola de cura rei familiaris" (ca. 1410), „Die Lehre von Haushaben" (ca. 1450) und die „Haussorge" (ca. 1460), alle ediert und kommentiert in Clive Cossar, The German Translations of the Pseudo-Bernhardine „Epistola de cura rei familiaris". Göppingen 1975. Auch das bekannteste Werk, die „Yconomica" des Konrad von Megenberg von 1458 spricht nicht von Friedensszenarien. (MGH SS Staatsschriften des späteren Mittelalters III, 5). 21
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mannes leben." 22 Albrecht von Eyb ergänzt in seiner Schrift „Ob einem manne sey zunemen ein eeliches weyb oder nicht" (1472) den Zusammenhang von friedlichem Eheleben und dem innergesellschaftlichen Frieden: „Die E ist ein nützs heilsams ding durch die werden die landt stet und heuser gepawen gemeret und fride behalten." 23 Der im 15. Jahrhundert aufkommenden Verknüpfung des ,Friedens' als Kennzeichen der zwischenmenschlichen Beziehungsgestaltung mit Fragen der gesellschaftlichen Ordnung und Stabilisierung entsprach eine zunehmende Engführung beziehungsweise Assoziation mit dem rechtlichen Hausfrieden', der verstärkt in den spätmittelalterlichen Stadt- und Landrechten sowie einigen Landfriedensvereinbarungen auftauchte. 24 Seit der römischen Antike ist der Schutz des Hauses' und seiner Bewohner Bestandteil des geschriebenen Rechts, wobei es offenbar erst in den Synopsen der karolingischen Kapitularien zu einer Verknüpfung mit dem Begriff ,Frieden' kam. 25 Der rechtlich fixierte Schutz des ,Hauses' war also nicht zwingend mit dem Friedensbegriff verknüpft, denn oft lässt sich auch eine Beschreibung des Deliktes finden, die ohne den Friedensbegriff auskommt und sich auf die ,Heimsuchung' konzentriert, wie in der Pax Bavarica (1244) oder der Wormser Reformation (1498). 26 Diese Tendenz blieb auch während der Frühen Neuzeit bestehen, erst im 19. Jahrhundert setzte sich im Zuge der Rechtskodifikationen der allgemeine Sprachgebrauch des ,Hausfriedens' beziehungsweise Hausfriedensbruches' durch, wie er heute noch besteht. 27
Erhart Groß, Der Laien Doctrinale, Cap. XVIII, zit. nach Dallapiazza, Minne (wie Anm. 19), 156. 23 Albrecht von Eyb, Ehebüchlein. Neudruck Wiesbaden 1966. 22
Vgl. die zahlreichen Einträge im Deutschen Rechtswörterbuch. Bd. 5. Weimar 1960. Trabandt, Schutz des Hausfriedens (wie Anm. 3), 110-114. Hierzu zählen etwa die Pax Dei incerta aus dem späten 11. Jahrhundert oder die Pax Alemannica von 1104. Zum Zusammenhang mit der Gottesfriedensbewegung vgl. Wolfgang Huber, Friedensethik. Stuttgart 1990,55. Hierzu nehmen auch Stellung Gerhard Dilcher, Friede durch Recht, in: Johannes Fried (Hrsg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter. Sigmaringen 1996, 203-229 und Ulrich Meyer, Pax et tranquilitas. Friedensidee, Friedewahrung und Staatsbildung im spätmittelalterlichen Florenz, in: ebd., 489525. 24
Vgl. Trabandt, Schutz des Hausfriedens (wie Anm. 3), 96. Da zu dieser Frage noch keine genaueren Untersuchungen vorliegen, können hier nur Indizien angeführt werden. Der enge Zusammenhang zwischen der Verschriftlichung von Recht in den Skriptorien der frühmittelalterlichen Klöster und der Übernahme christlicher Denkmuster und Begriffe wurde vielfach festgestellt. Vgl. die Aufsätze in Gerhard Dilcher/Eva-Marie Distler (Hrsg.), Leges - Gentes - Regna. Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur. Berlin 2006. 2 6 Vgl. Trabandt, Schutz des Hausfriedens (wie Anm. 3), 132. 27 Vgl. Ebd., 131-178. 25
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Um 1500 herum war also das Bewusstsein in den übergreifenden gesellschaftlichen Ordnungsdebatten präsent, dass das ,Haus' aufgrund seiner sozialen Kernfunktion einen im besonderen Maße zu schützenden Raum darstellte durch die Herstellung von Sicherheit gegen Übergriffe von außen einerseits wie durch die Herstellung von Stabilität in den inneren Beziehungen andererseits. Anders als die ständischen Institutionen, deren Funktionieren durch die zunehmende Ausbildung politisch-rechtlicher Verfahren abgesichert wurde, war man für die gesellschaftliche Ordnungsfunktion des ,Hauses' auf stabile persönliche Beziehungen angewiesen - sanktioniert durch soziale Kontrolle sowie kirchliche und weltliche Obrigkeiten. 28 Das zentrale Ordnungsziel des ,Friedens' prägte daher auch im Rahmen der Drei-Stände-Lehre die politica Christiana und die sich aus ihr ableitenden politikpraktischen Ausarbeitungen
für eine ,gute Policey'. 29 Die enge Verzahnung von Religion und Politik, von gesellschaftlicher Ordnungsfunktion und christlicher Lebensführung lässt sich bei Luther sehr deutlich nachvollziehen und kann in der Rezeptionswirkung durch die gelehrten Politikberater der Höfe und Räte im Alten Reich kaum überschätzt werden. Die Vielschichtigkeit des Friedensbegriffs in Luthers Theologie ist bekannt; gerade im Kontext der gesellschaftsbildenden Bedeutung einer christlich geführten Ehe und Haushaltung kommt aber immer wieder die spezifische Ambivalenz des augustinischen Friedensverständnisses zum Ausdruck, die eine unauflösliche Verbindung zwischen einem auf Ausgleich ausgerichteten individuellen Handeln und der Pflichterfüllung im Rahmen gesellschaftlicher Hierarchien eingeht. Stellvertretend für die unzähligen Bezugnahmen in Luthers Schriften sei hier ein längerer Abschnitt aus der Hauspostille von 1544 über die siebte Seligpreisung zitiert, in welchem diese Zusammenhänge erkennbar werden:
Vgl. hierzu Wolfgang Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptualisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, in: Luise Schorn-Schütte (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 39.) München 2004,13-123, hier 110-118. 28
Zur Kategorisierung der „politischen" Sphäre sehr präzise und prägnant, wobei sie die besondere Wirkmächtigkeit aus Luthers Verknüpfung der spätmittelalterlichen Denktraditionen mit den zeitgenössischen Problemstellungen ableitet, Luise SchornSchütte, Luther et la politique, in: Jean-Paul Cahn/Gérard Schneilin (Hrsg.), Luther et la réforme 1525-1555. Le temps de la consolidation religieuse et politique. Paris 2 0 0 1 , 1 6 2 170, hier 163; dies., Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in: Bernd Moeller (Hrsg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Heidelberg 1998, 435-461. Auch Thomas Simon hat aus rechtshistorischer Perspektive auf die Wirkmächtigkeit der reformatorischen ,Drei-Stände-Lehre' im Hinblick auf die Politik- und Ordnungsziele der ,guten Policey' hingewiesen, Thomas Simon, „Gute Policey". Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 2004,126-151,218-225. 29
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„Fridfertig sein heyst zu friden und söne gern helffen und rathen, zorn, unfrid, Unwillen und anders alltenhalb gern verhueten. [...] Dise tugent kann und soll man üben in allen Stenden und unter allen leuten, das man zorn verhuette und zur soene helffe. Man sihet im hause, das Man und Fraw nit allweg zu gleich mit einander einziehen, [...] Aber was sagt Christus? Du Ehman, Du Ehfraw, bist du mein Jünger, so wisse, meine jüngern sind fridfertige leut, sie haben nicht lust zum zancken, schelten, fluchen, Und ob sie schon bißwehlen der zorn erhaschet, das sie mit eim bösen wort herauß faren, bald besinnen sie sich und lassens jn leid sein und dencken, wie man die sache wider auff gute weg unnd einigkeyt bringen möge. Also thu du jm auch, Gib nicht ursach, das der unwille sich einreisse, Suche ursach, das die eynigkeit wider new und gantz wer. [...] So aber im haußhalten dise tugent so hoch von nöten ist, wie vil mer will es im Regiment und höcheren Stenden von nötten sein, das man nicht zu zorn reytze, sonder, wo ymmer mer möglich, grosse Herrn auff gelindigkeyt und zum fride weyse?" 3 0 Was bei Luther ganz ungeordnet an vielen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen abgehandelt wurde, haben vor allem seine Schüler und die Reformatoren der zweiten Generation in den so genannten ,Hauslehren' als oeconomia Christiana systematisiert und für den alltagspraktischen Gebrauch in Seelsorge und Gemeindearbeit aufbereitet. 31 Ganz prägnant auf das Ordnungsziel des Friedens zielt Paul Rebhun in seinem „Haußfried" von 1559. 32 Denn gerade die Forderung nach einer konsensgestützten Hausherrschaft
Martin Luther, Hauspostille. Am Siben unnd Zweyntzigsten Sontag nach der Trifeltigkeyt (1544), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Weimarer Ausgabe.) Bd. 52. Weimar 1961, 561f. 31 Justus Menius' Oeconomia Christiana von 1526 ist sicherlich die bekannteste, Johann Colers Haußbuch von 1591 verband erstmals Verhaltensmaßregeln mit haus- und landwirtschaftlichen Ausführungen, die im Laufe des 17. Jahrhunderts den größten Anteil in diesen ,Hauslehren' ausmachten. Verhaltensmaßregeln hatten im ausgehenden 16. Jahrhundert vor allem in der so genannten „Teufelliteratur" Konjunktur. Vgl. hierzu Philip Hahn, Das Colersche Hausbuch und seine Leser aus dem Nürnberger Raum. Benutzerspuren an den Exemplaren im Germanischen Nationalmuseum, der Nürnberger Stadtbibliothek und der Bibliothek der Universität Erlangen-Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Nümbergische Geschichte 94, 2007, 81-108; Renate Dürr, Herrschaft und Ordnung. Zum Stellenwert normativer Literatur für sozialhistorische Forschung, in: Gisela Engel/Heide Wunder (Hrsg.), Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit. Königstein 1998, 337-347; Gudrun Schröder-Lembke, Die Hausväterliteratur als agrargeschichtliche Quelle, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 1,1953,109-119. 32 Paul Rebhun, Haußfried. Was fuer Ursachen den Christlichen Eheleuten zubedenken, den lie- ben Haußfriden in der Ehe zu erhalten. In Kurtzer Summa gepredigt, unnd schriftlich weyter erklert durch Paulum Rebhun, Pfarrherr zu Olßnitz. Nürnberg 1559. Zu Kontext und Rezeption vgl. Paul F. Casey, Paul Rebhun: Das Gesamtwerk, 2 Bde. Frankfurt am Main 2002. 30
Das Haus und sein Frieden zwischen M a n n u n d Frau bei gleichzeitiger Vorrangstellung des H a u s h e r r n stellte ein K e r n p r o b l e m in theoretischer w i e praktischer Hinsicht dar. 3 3 W e n n g l e i c h sich i m R a h m e n der A u s b i l d u n g lutherischer Theologie b e s o n d e re Synergieeffekte im Hinblick auf die E r g ä n z u n g zwischen innerweltlicher Neupositionierung von Ehe- u n d Hausleben u n d aristotelischer Gesellschaftslehre ergaben, w a r das Postulat einer friedlichen H a u s h a l t u n g doch nicht deren Spezifikum. A u c h in d e n Ehelehren aus d e m reformierten u n d katholischen U m f e l d finden sich die i m H u m a n i s m u s ausgebildeten ethischen M a ximen, ebenfalls verknüpft mit d e m Friedensbegriff. 3 4 W a s also als konfessionsübergreifender selbstverständlicher Baustein häuslicher u n d gesellschaftlicher O r d n u n g im 16. J a h r h u n d e r t begriffen w e r d e n kann, findet sich neben der religiös-theologischen Literatur in zahlreichen medialen Kontexten w i e d e r , so etwa in e i n e m Flugblatt zur „christlich und friedsamben H a u ß h a l t u n g " v o n 1645, 3 5 in einer Streitschrift z u m tum París:
„Instrumen-
oder V e n u s u n d V u l k a n u s Kriegs- u n d Friedenstractaten" 3 6 von
1666 oder in e i n e m Hochzeitsgedicht von 1771: „Die Liebe wird v o n einer beständigen U n r u h e der Eifersucht begleitet; welche sich gar nicht z u m Ehestande schickt; w e l c h e r ein Stand des G e n u s s e s u n d des Friedens i s t . " 3 7
Vgl. etwa Gerta Scharffenorth, „Im Geiste Freunde werden". Mann und Frau im Glauben Martin Luthers, in: Christina Vanja/Heide Wunder (Hrsg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Frankfurt am Main 1991, 97-108. Zur praktischen Durchsetzung und Austarierung der häuslichen Normen im Rahmen gerichtlicher Verhandlungen vgl. Heinrich-Richard Schmidt, Hausväter vor Gericht. Der Patriarchalismus als zweischneidiges Schwert, in: Martin Dinges (Hrsg.), Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Spätmittelalter und früher Neuzeit. Göttingen 1998, 213-236 und David Sabean, Das zweischneidige Schwert. Herrschaft und Widerspruch im Württemberg der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1990. 33
So etwa in der deutschen Übersetzung von: Juan Luis Vives, De officio mariti, übers, v. Christoph Bruno. Frankfurt am Main 1566. 35 Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Bd. 1: Die Sammlung der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, Teil 1: Etìlica, Physica. Tübingen 1985,27. 34
Samuel Sturm, Instrumentum Pads oder Venus und Vulcanus Kriegs- und Friedens Tractaten: Worin mit fleissiger Anmerckung beschauet/und mit Klug- und Sinnreichen Lehr-gründen angeführt und erwiesen wird/aus wasserley Haupt-quelle die Mißhelligkeiten Streit- und Ungeneigtheiten/so zwischen denen Ehelich-Verliebten/dem Mann- und Weiblichen Stande in dem Hauß-Reiche und Regimente zu entspringen pflegen/mit vernünfftigen Sitten-Lehren und anmuhtigen Geschichten außgezieret und beglaubiget. Aus welchen das Frau-Zimmer so wohl als Manns Bilder nutz und fruchtende Lehr-Sprüche und Hauß-Regeln zu ihren Unterricht und Belustigung herführen und anmercken kann. Mit eylfertiger und Politischer Feder beschrieben und dem Deutschliebenden Leser vorgestellt. Bremen 1660. 36
Fridrun Freise, Das,Etikett' der idealen Ehe und Familie. Wie Gelegenheitsgedichte im 18. Jahrhundert einen neuen Wertekanon repräsentieren, in: Schmidt-Voges (Hrsg.), Ehe (wie Anm. 5), 259-284, hier 278.
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Als Leitbild weltlicher Ordnung wurde der Frieden im Hause auch nicht diskursiv verhandelt, vielmehr scheint er in politischen und rechtlichen Schriften eher als Hintergrundfolie auf, vor der die weitergehenden gesellschaftlichen Ordnungsprozesse aufzubauen waren. So nennt etwa der Helmstedter Rechtsgelehrte Henning Arnisäus (1575-1636) pax domestica als Ausdruck des ordo naturae,38 während er die bewaffnete Selbsthilfe, zu der auch das Eindringen in fremde Häuser gehörte, als crimen laesis majestatis brandmarkt. 39 Während die Praxis der zivilrechtlichen Konfliktregulierung im Rahmen der kirchlichen und weltlichen Sittenzucht noch im 18. Jahrhundert den tradierten Vorstellungen folgte, änderte sich im gleichen Zeitraum die Einbindung des Hauses in die politische Theorie ganz entscheidend. Da obrigkeitliche, staatliche Aufgabenfelder und Kompetenzbereiche nun jenseits konfessioneller oder religiöser Begründungszusammenhänge entworfen wurden, war das ,Haus' mit seinem ,Frieden' in der politischen Ökonomie der Kameralistik hauptsächlich Gegenstand des Schutzes vor äußeren Einwirkungen. Das ,Haus' galt dem auf Sicherheitsgewährung ausgerichteten Staat vor allem als Raum, für dessen äußeren Schutz er zuständig ist, nicht mehr aber für die Gestaltung der das Innen strukturierenden persönlichen Beziehungen. In Krünitz' „Oekonomischer Encyklopädie", die 1781 den Stand der Dinge zusammenfasste, heißt es dazu: „Es ist nicht möglich, daß der Staat selbst eine jede Familie regieren kann, weil er weder eine Kenntniß von den Angelegenheiten der Familie haben kann, noch es der Wohlfahrt der Familien und der bürgerlichen Freyheit gemäß ist, daß er sich darum bekümmert. [...] Folglich muß der Staat die innere Regierung der Familien den Familien selbst überlassen. [...] Die häusliche Gewalt gebührt ohne Zweifel dem Hausvater, vermöge des Rechtes der Erzeugung und Ernährung, und, in dessen Ermangelung, der Hausmutter. [...] Der Staat muß die Häupter der Familien, oder die Hausväter, nicht aber die Familien selbst, regieren." 40 Während Krünitz den ,Hausfrieden' selbst als Kernaufgabe der bürgerlichen Verfassungen' sah, durch den die äußeren Rahmenbedingungen für die häusliche Regierung' sichergestellt werden sollten, zeigen die langen Ausführungen zu gesetzlichen Regelungen der hausväterlichen Herrschaftspraxis
Henning Arnisaeus, De Iure Connubiorum Commentarius Politicus. In quo Pleraeque, Quae Circa Sponsalia & Nuptias moveri soient Controversiae a Theologis, Ictis, & Philosophie, Politicis argumentis, suo quaeq[ue] loco, disputantur & deciduntur. Frankfurt 1613.
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Vgl. zur Auseinandersetzung mit Arnisäus' Friedensvorstellungen Simon, Gute Policey (wie Anm. 29), 222. 40 Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staat-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft in alphabetischer Ordnung. Bd. 22. Berlin 1781,41 lf. 39
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und deren Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl, dass es schlicht „nicht leicht" sei. In jedem Falle betont Krünitz, dass insbesondere durch die Gerichtsbarkeiten eine produktive hausväterliche Regierung nicht möglich sei, „weil die Gerichte alle Streitigkeiten vor sich ziehen, und die Familien=Angelegenheiten aufdecken" 41 . Die Ablehnung gerichtlicher Einmischung in häusliche Konflikte begründete Krünitz vor allem damit, dass die Gerichte gerade die inneren Angelegenheiten, Verhältnisse und Umstände nicht kennen könnten. 42 Damit offenbarte sich der aufgeklärten, säkularisierten politischen Theorie das Problem der Regulierung zwischenmenschlicher Beziehungen, die sich in den Schemata der zeitgenössischen Institutionenlehre nicht abbilden ließ. Nicht abbilden ließ sich auch die Bedeutung der sozialen Umwelt, die für die Regulierung der Beziehungen ganz maßgeblich war und in dieser Funktion auch als Wissensträger vor Gericht auftrat. Diese Form der (zumeist erstinstanzlichen) Rechtsprechung, die im Wesentlichen auf Billigkeitsnormen beruhte und unter Einbeziehung der Deutungsmuster der Konfliktparteien und ihrer sozialen Umwelt auf einen Ausgleich zielte, passte daher kaum in neue aufgeklärt-säkulare Vorstellungen von Rechtsprechung. Gerade aber in diesen Aushandlungsprozessen zur individuellen Gestaltung der in den normativen Ordnungsvorstellungen gegebenen Handlungsspielräume spielte der theoretisch eher unterbelichtete häusliche Friedensbegriff eine wichtige Rolle. Aus der folgenden Fallanalyse wird auch deutlich werden, warum hier in erster Linie zivilrechtliche Fälle in Betracht kommen, die im Gegensatz zu Scheidungs- oder Strafrechtsprozessen - nicht auf eine rechtlich korrekte Abwicklung einer gescheiterten Ehe abzielen, sondern auf die Wiederherstellung häuslicher Ordnung. 3. Rechtsprechung als politische Praxis Im Oktober 1720 hielt der Schreiber des Osnabrücker Stadtkonsistoriums die gütliche Beilegung eines eskalierenden Konfliktes im Hause des Kaufmannes Johann Henrich Gülich mit folgenden Worten fest: „Nach vielen ernstlichen christl. Zurehdungen, hatt Johan Henrich Gülich stipulatio angelobet, daß er sich inskünfftig schiedund friedlich begehen und zu keine Mißhelligkeiten anlaß geben wolle. Dabey Er dan mittels gegebenen Handtschlag seine frau umb christl. Verzeihung
41
Ebd., 413.
Ebd., 416: „Die Regierung kann den Hausvätern nichts vorschreiben, wenn sie von der Sache nicht urtheilen kann, ohne den Zustand des Vermögens und die irvnern Angelegenheiten der Familie zu erforschen, weil dieses eine jedermann verhaßte Sache ist, und zu tausend Ungerechtigkeiten und Tyranneyen, von Seiten der Regierung und ihrer Bedienten, Anlaß gibt, wenn sich die Regierung einmahl eine solche Macht anmaßet. Aus diesem Grunde muß die Regierung geschehen lassen, daß sich viele Familien zu Grunde richten, weil sie die Folgen ihrer Handlungen, ohne Erforschung und Aufdeckung ihres Zustandes und Vermögens, nicht beurtheilen kann."
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gebethen, worauff ihm die frau die Handt hinwieder gereichet und zu einem schied- und friedlichen comportement gegen ihren Eheman sich anzuschicken, ebenmässig anzuschicken stipulatio ad manus Dnorum Consistorialium angelobet." 43 Die Betonung der Friedfertigkeit als Richtschnur im künftigen Umgang miteinander ist in diesem kurzen Ausschnitt ebenso augenfällig wie die symbolische Besiegelung des Friedensschlusses durch öffentliches gegenseitiges Handreichen und Verzeihen. Auch die unmittelbare Anbindung an die religiösen Kontexte ist nicht zu übersehen. Wo bleibt also das Politische, die politischen Ordnungspraktiken? Diese erschließen sich erst aus der Vorgeschichte des Konflikts. Johann Henrich Gülich hatte am 26. September 1720 beim Rat der Stadt eine schriftliche Klage gegen seine Frau und seinen „ungerahtenen Sohn" eingereicht, in welcher er ausführlich die verbalen und körperlichen Übergriffe der beiden auf ihn schilderte. Der Rat verwies den Fall an das Stadtkonsistorium, welches noch am selben Tage zusammentrat und sowohl den Sohn als auch die Ehefrau abmahnte. Daraufhin ließ Catharina Margaretha Elisabeth geborene Eilers am folgenden Tag eine schriftliche Gegenklage verfassen, in der sie ihren Ehemann als schlechten Haushalter darstellte, der mit seinem jahrelangen schlechten Lebenswandel und Gewaltausbrüchen ihre Existenz und die ihrer Kinder bedrohe. Am 30. September 1720 wurde der Fall vor den Gerichtsherren 44 verhandelt, der Konflikt zwischen Vater und Sohn wurde geschlichtet. Am 3. Oktober 1720 wurde schließlich der Konflikt zwischen den Ehepartnern vor dem Stadtkonsistorium verglichen, dessen Kern oben zitiert wurde. Die Aktenüberlieferung bietet zwar nur einen ganz kleinen Einblick in die zugrundeliegenden Konflikte - die Geschehnisse von etwa einer Woche sowie natürlich eine stark gefilterte Darstellung und Rhetorik. Dennoch lassen sich entscheidende Zusammenhänge aufdecken, die im Folgenden vorgestellt werden sollen: a) die rhetorische Verknüpfung von Ordnung und Frieden beziehungsweise Unordnung und der Abwesenheit von Frieden, b) die enge Einbindung des ,Hauses' in soziale Netzwerke sowie schließlich c) die Interessen der Beteiligten an der Konfliktlösung und deren Bezug zur Ordnung im Gemeinwesen.
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Niedersächsisches Landesarchiv Staatsarchiv Osnabrück (im Folgenden NLA StA OS) Dep 3b VI, Nr. 209 o. fol. 44 Die Gerichtsherren stellten eine Art Unterausschuss des Ratsgerichts dar, das sich vor allem mit den kleinen, „summarischen causae" befasste, die nicht eines ordentlichen Zivilprozesses bedurften. Laut Gerichtsordnung der Stadt Osnabrück aus dem lahre 1645 waren alle häuslichen und familiären Angelegenheiten als „summarische causae" zu behandeln. Vgl. NLA StA OS Dep 3b IV, Nr. 3353, fol 78v.
Das Haus und sein Frieden
a) Frieden und Ordnung Bereits in den beiden schriftlichen Klagen der Ehepartner - vom Sohn liegen keine schriftlichen Stellungnahmen vor - wird der enge Zusammenhang von Ordnungsvorstellung und Friedensbegriff deutlich, wie auch der Interpretationsspielraum, der sich aus den verschiedenen Positionen in der Herrschaftsstruktur ,Haus' erklärt. Für den,Hausvater' Johann Herman Gülich manifestierte sich der Verlust der Ordnung nicht darin, dass sein Sohn ihn „mit schimpflichen Worten, in [s]einem Hause angetastet", sondern in der Tatsache, dass dieser sich - „wie denselben darüber mit Worten corrigiren wollen" - der hausväterlichen potentia der Zurechtweisung widersetzte und ihn darüber hinaus nun verbal und körperlich attackierte. Verschärfend kam hinzu, dass seine Ehefrau nicht etwa vermittelnd intervenierte, sondern den Sohn aktiv durch eigene Angriffe unterstützte. Damit sah er nicht nur die häusliche Ordnung bedroht, sondern gar sein Leben in Gefahr: „Wan denn nun weder von meinem ungerathenen söhn noch meiner frauen im hause keine friedige stunde habe, ja so gahr ein groß ungelücke täglich befürchten muß." 45 Johann Herman Gülich sah demnach die Ursachen des Ordnungsverlustes und der daraus resultierenden violentia im Ungehorsam seines Sohnes und seiner Ehefrau, so dass er folgerichtig die Obrigkeit aufforderte, entweder ihn von seiner Frau „zu separiren, oder den ungerathenen Sohn so lange zu incarceriren, bis er deßhalb caution stelte, daß er [...] seinen Vatter, nach den zehen Geboten Gottes, den kindlichen Respect leisten wolle". Eine etwas andere Sicht der Dinge kommt in der Gegenklage der Ehefrau zum Vorschein. Als Reaktion Catharina Gülichs auf die Abmahnung durch das Konsistorium lässt sich ihre Gegendarstellung lesen. Dieses hatte sie „zu einem friedlichen compartement nachdrücklich angemahnet, und ihr bedaütet, bey straffe des gefängnisses sich weder ihn wordt, noch werck an ihrem mann zu vergreiffen, und in liebe und frieden mit ihm zu leben". Ganz offenkundig widersprach dieser Bescheid ihrer eigenen Wahrnehmung des Konfliktes so eklatant, dass sie sich zur Gegendarstellung veranlasst sah. Der Verlust der häuslichen Ordnung, den sie keineswegs abstritt, lag ihrer Meinung nach darin begründet, dass ihr Mann ein schlechter Haushalter war. 46 Seit einigen Jahren führe er einen schlechten Lebenswandel, doch trotz wiederholter Versprechen der Besserung konnte sie nur konstatieren, „daß Er Im sauffen schelten schlagen und anderen ohnanständigen anschlagen nicht allein fortfahre, sondern In allen noch tholler wie vorhin sich anstelle". Die Verletzung seiner Pflichten und Aufgaben, seiner Verantwortung habe aber
Dieses und alle folgenden Zitate aus der Prozessakte finden sich unter NLA StA OS Dep 3b VI, Nr. 209, nicht paginiert. 45
Zum Prinzip des ,Hausens' als dynamischem Ordnungsprozess vgl. jüngst HeinrichRichard Schmidt, "Nothurfft vnd Hußbruch" - Haus, Gemeinde und Sittenzucht im Reformiertentum, in: Holzem/Weber (Hrsg.), Ehe (wie Anm. 19), 301-328.
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auch langfristige Konsequenzen, sähe sie sich doch nicht in der Lage sicherzustellen, dass „die kindere auch zur Gottesfurcht, welche durch sein tagliches fluchen, und continuirendes ärgerliches leben, verhindert wird, auferzogen werden moegen". Folgerichtig interpretierte sie die Übergriffe gegen ihren Mann, die sie keineswegs leugnete, nicht als Ungehorsam, sondern als unerlässliche Gegenwehr, um „das wenige so für meine arme Kindere noch übrig sein mögte" zu schützen. Diese Pflicht zum Widerstand drückt sich ganz explizit aus, wenn sie schrieb, dass „mein mann von einigen Jahren hero mich nicht mehr alß seine frau, sondern auff barbarisch [Weise] tractiret". Diese Formulierung, die sie auch auf ihren Sohn bezogen wiederholte, schloss unmittelbar an die Semantik des legitimen Widerstandsrechtes an und rechtfertigte ihr Handeln. 47 Die Gottlosigkeit ihres Mannes machte sie in ihrer abschließenden Bitte noch einmal explizit: „Also daß mihr ohnmoeglich seye mit Einen solchen Manne zu leben, mit welchen taglich nuhr die Hölle auff Erden habe, [...] Verordnung dahin ergehen zu laßen, damit wir beyde wenigst so weith alß Hauß bedte und Tisch anbelanget von einander geschieden werden; damit [...] ich auch nebst meinen Kindern wan schon in Armuth dan noch in Ruhe und Friede leben". Vor dem Hintergrund dieses kleinen Ausschnittes aus dem zugrundeliegenden Konflikt wird die tiefere Bedeutung der Friedensrhetorik im abschließenden Konsistorialurteil deutlich. Es geht sowohl um die Wiederherstellung der häuslichen Ordnung - im Sinne der anerkannten potentia des Hausvaters - als auch um die Restabilisierung der persönlichen Beziehungen, da Einvernehmlichkeit und Aufeinanderangewiesensein von Hausvater und Hausmutter Grundannahme aller Vorstellungen vom ,guten Hausen' waren. Die Friedensbegrifflichkeit bezog sich also immer unauflösbar sowohl auf ,Frieden' als die Ruhe der Ordnung als auch auf den Appell der Friedfertigkeit, mit Hilfe derer dieser Zustand wiederherzustellen und zu erhalten war. b) Häuslicher Friede und soziale Umwelt Die Verständigung darüber, wie häusliche Ordnung zu gestalten sei und wer im Falle der Störung derselben zur Besserung angehalten werden sollte, war - wie gesehen - bereits zwischen den Konfliktparteien und der regulierenden Obrigkeit ein Aushandlungsprozess, dessen Ausgang nicht pauschal im Sinne uneingeschränkter patriarchaler Hegemonie vorherzusagen war. Eine weitere wichtige Rolle
Vgl. hierzu Luise Schorn-Schiitte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht, in: Luise Schorn-Schütte (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 39.) München 2004,195-232, hier 215-217,230f. und Robert von Friedeburg, Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht. Die ,Politica' des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption, in: Ebd., 149-194. Dieses Widerstandsrecht findet sich übrigens auch in fast allen ehe- und hausdidaktischen Schriften, wenngleich auch nur ganz leise formuliert. 47
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spielte aber auch die soziale Umwelt der entsprechenden ,Haushaltung', die zumeist tief in das Geschehen involviert war. Wie oben ausgeführt, war das ,Haus' als Herrschafts- und Rechtsinstitution die Zugriffsgröße für alle obrigkeitliche Regulierung, in der sozialen Praxis des Alltagslebens aber war das ,Haus' nicht isoliert von den vielfältigen sozialen Netzwerken der Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freund- und Patenschaften denkbar. Häusliche Konflikte, die über „normale" Auseinandersetzungen hinausgingen, existentieller waren, blieben nicht auf den Raum des ,Hauses' beschränkt - sie waren meist sieht- und hörbar für die Nachbarn, die Kunden, die Passanten. Diese betonte Sichtbarkeit und Hörbarkeit tritt in den Gerichtsakten geradezu als sprachliche Markierung für die Entgrenzung eines Konfliktes auf und damit der Rechtfertigung eines Eingreifens von außen. Auch hier spielt die Einbeziehung einer über das Haus hinausgehenden Gruppe von Menschen eine wichtige Rolle. Zuerst weist Johann Herman Gülich darauf hin, dass es viele Leute gesehen hätten, wie ihm nach einem Schlag mit dem Pantoffel seiner Frau das Blut über den Kopf gelaufen sei, außerdem habe er diesen Vorfall ja bei der Obrigkeit zur Anzeige gebracht. Augenzeugenschaft als Stütze seiner Version war als Argument von großer Bedeutung, da die Richter und Konsistorialräte nicht immer selbst ausreichend über Hintergründe, Lebenswandel und Konfliktsituation informiert waren. Die Aussagen der Nachbarn, Familienangehörigen und Augenzeugen konnten daher viel Gewicht bei der Entscheidungsfindung erlangen. Auch Catharina Gülich führte in ihren Schilderungen mehrfach diese Aspekte an. Ihr Mann habe sie „auch einstmahlß auff offendtlicher gaßen In der waßer rinnen niedergeworffen, und mitt fußen, getretten", auch würden „alle nachbahren Zeugnuß geben können" vom schlechten Lebenswandel ihres Mannes; zudem hätte „Er auch annoch Vorgestern den 25ten dieses also gehauset daß alle nachbahrn sich darüber geärgert". Die besondere Bedeutung der nachbarlichen Zeugen, die in den meisten Fällen über einen längeren Zeitraum Einblick in das eheliche und häusliche Beziehungsleben hatten, ergab sich für die Richter also zum einen aus der Notwendigkeit, nicht nur einen aktuellen Konflikt, sondern die längere Entwicklung der häuslichen Beziehungen zu eruieren, um diese möglichst im Kern und damit nachhaltig zu restabilisieren. Zum anderen war die Autorität der Gerichtsherren davon abhängig, vor den Augen der Nachbarn eine Regelung zu finden, die mit deren Gerechtigkeitsempfinden und den Billigkeitsvorstellungen in Übereinstimmung war. Darüber hinaus stand auch das soziale Ansehen der Kontrahenten zur Disposition, denn es entschied auch in der Folgezeit über die Gewährung oder Verweigerung von notwendigen Hilfe-
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leistungen und Unterstützungen (wozu im Übrigen durchaus die Aussage vor Gericht zählte). 48 Wenngleich in diesem Falle die nachbarlichen Aussagen zumindest nicht protokolliert wurden, waren sie doch oft in die Aushandlungsprozesse vor Gericht mit eingebunden, zumal sie zuvor in den allermeisten Fällen bereits im Rahmen informeller Interventionsmaßnahmen Teil der Konflikte waren. Das Verhandeln häuslicher Ordnung und häuslichen Friedens war demnach kein Akt der Normdurchsetzung der Obrigkeit oder einer ,privaten' Angelegenheit zwischen Ehepaar und Obrigkeit. In solchen Fällen bildeten ,Haus', ,Nachbarschaft' und ,Obrigkeit' (die oft genug selbst Nachbarn waren) eine litigation community - wie Julie Hardwick sie nennt, 49 denn hier wurde auf unterster Ebene darüber debattiert, wie Ordnung, Macht und Herrschaft im ,Haus' zu gestalten seien und damit im zeitgenössischen Verständnis Frieden zu schaffen sei. c) Die Interessen der Beteiligten und der Frieden im Gemeinwesen „Frieden" in einem Hause auszuhandeln lag durchaus im Interesse aller Beteiligten. Für den Ehemann wie für die Ehefrau stellte der eigene Haushalt eine Kernressource dar, welche die Sicherstellung der ,Nothdurfft', die Bildung von Eigentum und Vermögen, von Alterssicherung, sozialem Ansehen und Netzwerken ermöglichte. Diese Ressource war prekär, wenn man sich die hohen Hürden einer Heirat vor Augen führt. So drängen beide nicht auf eine eigentliche Scheidung, sondern auf eine „Separierung", eine „Trennung von Tisch und Bett" - was meist als zeitliche Trennung verstanden wurde, um danach einen neuen Anfang zu machen. 50 Das Interesse der Obrigkeit ergab sich aus den Kernfunktionen, die das ,Haus' im Rahmen eines Gemeinwesens zu erfüllen hatte: die Sicherstellung der ,Nahrung' für die Hausgenossen, einen wirtschaftlichen Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt und natürlich die Aufzucht und Erziehung der kommenden Generation in Ubereinstimmung mit den geltenden Normen und Werten. Fielen aufgrund fortwährender Konflikte immer mehr Menschen aus diesem fundamentalen Versorgungssystem, wären nicht nur die ohnehin überstrapazierten Armenkassen völlig überlastet. Vielmehr stände dann auch die Funktionsfähigkeit des städtischen Gemeinwesens insgesamt auf dem Spiel, denn die Erfahrungen des elterlichen Ehe- und Hauslebens prägten die Kinder deutlich.
Vgl. hierzu ausführlicher Inken Schmidt-Voges, Die Grenzen der „guten Nachbarschaft". Grenzüberschreitung und Friedewahrung in nachbarlichen Konflikten im 18. Jahrhundert, in: Christine Roll (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Stand und Perspektiven der Frühneuzeitforschung [erscheint Köln 2010]. 49 Julie Hardwick, Family Business. Litigation and the Political Economies of Daily Life in Early Modern France. Oxford 2009, 90-92. 5 0 Vgl. hierzu Lutz, Ehepaare (wie Anm. 9), 79-86. 48
Das Haus und sein Frieden Das war den Stadtoberen so präsent, dass sie das Friedegebot in die Osnabrücker Eheordnung von 1648 einschreiben ließen, die bis zur Eingliederung in das Königreich Westfalen 1807 gültig blieb. Dort heißt es im einzigen Abschnitt, der sich mit dem Ehealltag, dem Eheleben befasst: „Daß auch darneben alle EheLeute der Jugend zum Exempel Christlich friedsamb und einig miteinander leben vnd haußhalten, allen Hader, Zanck vnd Widerwillen verhüten, abstellen vnd gebührlich beysammen bleiben. Dann wo solches nicht in acht genommen, vnd die Eheleute sich vnter einander außschlagen, wegjagen oder sonsten leichtfertig von einander lauffen, vnd darduch der Jugend ärgerlich Exempel vnd sonsten zur Boßheit, Sünde vnd Schande Vrsach vnd Anlaß geben würden, So sollen nicht allein nach Befindung die schuldige Personen, sondern auch diejenige, so darzu einigen Fürschub thun, andern zum Exempel ernstlich vnd vnnachlessig gestraffet werden."« Genau auf diese Zusammenhänge weist die Klageschrift der Ehefrau hin, wenn sie einerseits die Verschwendungssucht ihres Mannes beklagte, auf der anderen Seite betonte, dass die gewünschte Erziehung „in Gottesforcht" so nicht gewährleistet werden könne - während der Ehemann allein auf den punktuellen Ungehorsam in einer bestimmten Situation abzielte, nicht auf die persönlichen Beziehungen insgesamt. Gerade hier zeigen sich die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer solchen Form der gerichtlichen Konfliktlösung, wie sie Krünitz aus der Perspektive der aufgeklärten Kameralisten so vehement angriff. Die Engführung mit der kirchlichen Jurisdiktion und ihren Formen der infrajustiziellen Intervention ermöglichte im Rahmen der Seelsorge tatsächlich einen gewissen Einfluss auf die persönlichen Beziehungen. 52 Gleichwohl standen als Möglichkeiten einer Sanktionierung oder Erzwingung lediglich die Androhung härterer Strafen zur Verfügung - mit allen Konsequenzen des Ehrverlustes, den solche Strafen mit sich brachten. Wenngleich das in vielen Fällen kaum von Bedeutimg zu sein schien und viele Eheleute oft über Jahrzehnte hinweg immer mal wieder vor Gericht zitiert wurden, gibt es Hinweise, dass im hier vorgestellten Fall der völlige Ruin des ,Hauses' abgewendet werden konnte. Denn offenbar spielte sich der Konflikt vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Krise ab. Während Gülich von 1700 bis 1715 konstant mit 3 Rth. 10 ß 6 Pf. in den drei Schatzungsansätzen jedes Jahres geführt wurde und damit zu den oberen Einkommensgruppen der städtischen Kaufmannschaft wie auch seiner Nachbarschaft zählte, sank der Ansatz 1716 auf 3 Rth., 1717 auf 51 NLA StA OS Dep 3b VI, Nr. 5 o. fol. 5 2 In einem ähnlichen Fall aus dem Jahre 1768 schilderte der von seinem Vater beklagte Sohn diese Vorgänge folgendermaßen: „es ist der Herr Magiester Hickmarvn [Hauptpastor des zuständigen Kirchspiels] auch ein paar mahl darzwischen gewäsen und hat uns wollen den frieden bringen wir haben uns auch vertragen mit unseren Vatter und meine mutter mit Ihren Mann." NLA StA OS Dep 3b IV, Nr. 237 fol. 157v.
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2 Rth. 10 ß 4 Pf. und 1718 dann deutlich auf nur noch 14 ß, was bis 1720 - dem Jahr des Prozesses - so blieb. 1721 musste er das Haus verkaufen, zog zweimal um und wurde mit 0 Pf. Abgabe geführt. Ab Juli 1722 waren aber immerhin schon wieder 7 ß zu veranschlagen, ab 1723 konstant 1 Rth. 53 Natürlich sagt das kaum etwas darüber aus, ob Catharina die Jahre in „Ruhe und Frieden" verlebt hat oder Vater und Sohn ihre Autoritätskonflikte in konstruktiver Weise austragen konnten. Aus städtischer Perspektive konnte aber immerhin erreicht werden, dass die Familie statt in den Armenrechnungen zwei Jahre später wieder auf der Schatzliste und damit auf der „HabenSeite" eingetragen werden konnte. Die Ermahnung zum friedlichen Leben seitens der Obrigkeiten wie die Einforderung eines friedlichen Verhaltens beziehungsweise der Wahrung des Friedens durch die Hausangehörigen besaß demnach eine sehr konkrete ordnende Funktion mit Auswirkungen auf die Lebensführung der Konfliktparteien wie auch auf das Funktionieren der civitas osnabrugensis. Deutlich wurde aber auch die Diskrepanz zwischen der ethischen Maximalforderung und der praktisch umsetzbaren Minimalforderungen an ,Frieden', nämlich die Abwesenheit von Gewalt (körperlicher und verbaler). 4. Schlussbemerkungen Im Hinblick auf die eingangs aufgeworfenen Leitfragen lässt sich also festhalten, dass dem umfassenden Gültigkeitsanspruch des Friedensbegriffs wie auch seiner Ambivalenz eine Vielzahl an Deutungspotenzialen innewohnen, die es möglich und notwendig machen, die Interessen und Perspektiven mehrerer Beteiligter in Übereinstimmung zu bringen: die des Hausvaters, die der Hausmutter und Ehefrau, die der Kinder, des Gesindes, der Nachbarn und schließlich auch die der Obrigkeiten. Dieser Anspruch wurde vor allem in den erstinstanzlichen Zivilprozessen immer wieder von allen Seiten formuliert, um die eigenen Ressourcen an Einkommen, Vermögen, Ansehen und Chancen zu erhalten und auszubauen und um diese für das Gemeinwohl nutzbar zu machen. Dabei ist es weder Zufall noch Notlösung, wenn sich diese politische Dimension des Friedensbegriffs vor allem in Zivilprozessakten wiederfinden lässt. Denn hier, in der Verhandlung vor Gericht, wurden auf der untersten Ebene die Fragen diskutiert, wie Ordnung und Herrschaft in je ganz konkreten Fällen zu gestalten seien. Hier entschied sich die Reichweite und Gültigkeit der abstrakten Normen vor dem Gerechtigkeits- und Billigkeitsempfinden der Litigation communities'. In diesem Sinne stellten diese Prozesse Formen der politischen Kommunikation
Zu den Schatzungsansätzen vgl. die städtischen Hebungsregister der Jahre 1700-1725 in NLA StA OS Dep 3b II, Nr. 549-554. Die Abgaben in der Nachbarschaft der Marktund Haseleischaft blieben im Vergleichszeitraum relativ konstant, so dass man nicht von einer konjunkturbedingten Krise ausgehen kann.
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Das Haus und sein Frieden
dar, in denen ,Frieden' als Kernbegriff immer wieder auf die Rückbindung an die obersten Ordnungsziele fungierte. Dieses Friedenswissen war konfessionsübergreifend unmittelbares Verbindungsglied
und Grundelement
z w i s c h e n oeconomia
Christiana
und
politica
Christiana, es wurde in Predigten, Trauungs- und Einsetzungsliturgien sowie Flugblättern verbreitet und erhielt so Eingang in die politische Kultur und Kommunikation unterhalb reichsständischer Akteure - der Untertanen, Nachbarn, Richter, Ehemänner, Ehefrauen, Kinder, Lehrlinge und des GesinBemerkenswert scheint dabei zu sein, dass dieser Denkrahmen zumindest im Rahmen häuslicher Ordnungen seine Wirkmächtigkeit bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinein behielt. In den Stadt-Osnabrücker Gerichtsakten lassen sich bis 1807 in über 90% der häuslichen Konflikte solche rhetorischen Bezüge auf diese Friedensvorstellung finden. 54 Wenngleich das zunächst nur etwas über das späte 18. Jahrhundert in der Stadt Osnabrück aussagt, zeigt es doch eine Dimension des frühneuzeitlichen Friedensverständnisses auf, das sich in dieser Engführung von politischen und theologischen Bedeutungsgehalten der Forschung bisher nicht erschlossen hat. Die Untersuchung dieser Formen von Friedenspolitik auf der Mikroebene eröffnet nicht nur eine weitere Perspektive auf das frühneuzeitliche Wissen vom Frieden, sondern zeigt ein weiteres Mal, dass eine retrospektive Einschränkung des Politischen auf staatliche Institutionen nur einen eingeschränkten Blick auf die frühneuzeitlichen Verhältnisse zulässt - in denen auch das Gesellschaftliche politisch ist.
Die Angabe beruht auf einer quantifizierenden Auswertung der überlieferten Gerichtsherrenprotokolle des Osnabrücker Ratsgerichts von 1759 bis 1807 in NLA StA OS Dep 3b IV, Nr. 235-266.
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Volker Arnke Frieden in der Reichspublizistik. Nicolaus Schaffshausens Werk als Beispiel für Friedenskonzepte im Römisch-Deutschen Reich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges 1. Einleitung Der Westfälische Friede wird in der historischen Forschung vornehmlich in zweierlei Hinsicht als besonders wirkmächtig angesehen. Zum Einen betont die Geschichtsschreibung seine Bedeutung für den zwischenstaatlichen Frieden. Hierbei wird das Vertragswerk weniger als Synonym einer pax perpetua der europäischen Staaten verstanden, die er offenkundig nicht begründete, sondern er gilt vielmehr als ein Meilenstein auf dem Weg der Herausbildung des Völkerrechts und der über Jahrhunderte sich etablierenden modernen europäischen Staatenordnung.1 Zum Anderen wird der Westfälische Frieden als eine entscheidende Grundlage für das politische Gebilde des Heiligen Römischen Reiches angesehen. Dieser innerreichische Aspekt des Friedenswerks und dessen integrierende Wirkung für die Reichsglieder ist mit ähnlich großem Forschungsaufwand2 herausgearbeitet worden wie der zwischenstaatliche Aspekt. Es fällt allerdings auf, dass Einflüsse der Politiktheorie des späten 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts auf die innerreichischen Regelungen des Westfälischen Friedens nicht in dem Maße berücksichtigt worden sind, wie es auf zwischenstaatlicher Ebene der Fall war.3 Dieser Umstand ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass mit Hugo Grotius' Werk De iure belli ac pacts (1625) eine bedeutende Grundlage des Völkerrechts entstand, dessen Einfluss auf den Westfälischen Friedenskongress
1 Vgl. u.a. Randall Lesaffer, War, Peace, Interstate Friendship and the Emergence of the ius publicum Europaeum, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Friedensordnung und die außereuropäische Welt. (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2.) München 2001, 87-113; Heinhard Steiger, lus bändigt Mars. Das klassische Völkerrecht und seine Wissenschaft als frühneuzeitliche Kulturerscheinung, in: ebd., 59-85; Meinhard Schröder, Der Westfälische Friede - eine Epochengrenze in der Völkerrechtsentwicklung?, in: ders. (Hrsg.), 350 Jahre Westfälischer Friede. Verfassungsgeschichte, Staatskirchenrecht, Völkerrechtsgeschichte. Berlin 1999, 119-132; Karl-Heinz Ziegler, Der Westfälische Frieden von 1648 in der Geschichte des Völkerrechts, in: ebd., 99-117.
Arno Buschmann, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Reichsverfassung nach 1648, in: Schröder (Hrsg.), 350 Jahre Westfälischer Friede (wie Anm. 1), 43-70; Peter Krause, Die Auswirkungen des Westfälischen Friedens auf das Reichsstaatsrecht, in: ebd., 9-42; Georg Schmidt, Der Westfälische Friede als Grundgesetz des komplementären Reichs-Staats, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648: Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. Münster 1998, 447-454; Heinhard Steiger, Konkreter Friede und allgemeine Ordnung - Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648, in: ebd., 437-446. 2
Eine Ausnahme ist Dieter Wyduckel, Reichsverfassung und Reichspublizistik vor den institutionellen Herausforderungen des Westfälischen Friedens, in: ebd., 77-84. 3
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prägend war. 4 Ein vergleichbares wissenschaftliches Werk für den innerreichischen Kontext des Vertrages existiert nicht. Unstrittig allerdings ist, dass auch für das Reich politiktheoretische Grundlagen bestanden, die sich in Bezug zum Westfälischen Frieden setzen lassen. Dies hat bereits 1998 Dieter Wyduckel in seinem Beitrag zur Reichspublizistik im Vorfeld des Westfälischen Friedens gezeigt. 5 Überblicksartig benannte er Grundlagen der reichsverfassungsrechtlichen Debatte der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die auf Inhalte des Westfälischen Friedens gewirkt haben könnten, beispielsweise die reichspublizistische Diskussion über die Verortung der maiestas bei Kaiser und/oder Reichsständen, die sich in den Friedensverträgen widerspiegelt. Spezifisch reichsrechtliche Diskussionsstränge als mögliche Grundlagen des Westfälischen Friedens zu beleuchten, soll auch zentrales Anliegen dieses Beitrages sein. Insbesondere ist vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges die Frage von Interesse, in welchen Kontexten der Frieden als übergeordnetes Prinzip in damaligen juristisch-politischen Debatten diskutiert worden ist.6 Dabei soll es nicht um eine Untersuchung der Werke der großen Vertreter des ius publicum imperii romano-germanici gehen, 7 die schon ausführlich behandelt worden sind - auch wenn die Friedensthematik in diesem Zusammenhang noch nicht ausdrücklich analysiert worden ist. Vielmehr wird ein in seiner Ausrichtung besonderes Werk der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Blick genommen, das den Frieden dezidiert in das Zentrum der wissenschaftlich-gelehrten Betrachtung rückt.
Edgar Müller, Hugo Grotius und der Dreißigjährige Krieg. Zur frühen Rezeption von De jure belli ac pacis, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 77, 2009, 499-538. Vgl. zur Verbindung Grotius' zum Westfälischen Friedenskongress weiterhin Heinz Holzhauer, Hugo Grotius und Münster, in: Schröder, 350 Jahre Westfälischer Friede (wie Anm. 1), 133-137. 5 Wyduckel, Reichsverfassung und Reichspublizistik (wie Anm. 3). 4
Dass die Friedensthematik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ein bedeutender Debattengegenstand war, hat jüngst im Kontext interkonfessioneller Aussöhnung und des „Irenic Patriotism" Alexander Schmidt herausgestellt: Alexander Schmidt, Irenic Patriotism in Sixteenth- and Seventeenth-Century German Political Discourse, in: The Historical Journal 53,2,2010,243-269.
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7 Zur Geschichte des ius publicum imperii romano-germanici und der Reichspublizistik vgl. u.a.: Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 50.) Berlin 1997; Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens. Bd. 3. Neuzeit, Teilbd. 1. Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen, Stuttgart/Weimar 2006, 385-403; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1.: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. München 1988; ders. (Hrsg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 3. Aufl. 1995; Dieter Wyduckel, lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft. (Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 471.) Berlin 1984.
Frieden in der Reichspublizistik
Das Werk De pace iti genere8 des Wittenberger Juristen Nicolaus Schaffshausen, das in drei Auflagen von 1629 bis 1640 erschien, bietet die Möglichkeit juristische Friedensvorstellungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Interessant ist dabei der zeitgenössische Entstehungskontext des Werkes an der kursächsischen Universität Wittenberg. Denn bis 1629 engagierte sich das protestantische Kursachsen unter Johann Georg I. auf kaiserlicher Seite. Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629, das protestantischerseits als Bedrohung der reichsständischen Libertät empfunden wurde, verschärfte die kaiserliche Politik gegen die protestantische Union massiv. Kursachsen wechselte deshalb in der Folge von 1631 bis 1634 die Fronten und unterstützte die Schweden, bevor es von 1635 bis 1644 erneut mit den Kaiserlichen koalierte.9 Inwieweit De pace in genere als eine Reaktion auf die kaiserliche Politik zu lesen ist, wird im Hinblick auf die explizite Friedensbegrifflichkeit zu erörtern sein. 10 Neben den politischen Hintergründen ist Schaffshausens Schrift ideengeschichtlich im Rahmen des sich etablierenden Rechtsgebiets des ius publicum imperii romano-germanici einzuordnen. Diese gleichsam reichsrechtliche Strömung bildete sich seit etwa 1600 als Zweig der Jurisprudenz im Reich heraus 11 und befasste sich anhand reichsrechtlicher Quellen - den leges fundamentales, wie etwa der Goldenen Bulle und dem Augsburger Religionsfrieden - mit Fragen der Kompetenzen und Zuständigkeiten der einzelnen Institutionen sowie mit Fragen des politischen Verfahrens, der Entscheidungsfindung und deren Durchsetzung. Die maßgebliche Rolle des ius publicum imperii romano-germanici für Sicherung und Bestand der pax civilis kann als eine gewisse Parallele zu der von der Forschung konstatierten etwa zeitgleichen Entwicklung des ius publicum europaeum im Rahmen des Völkerrechts gesehen werden, das aber im Wesentlichen auf römisch-rechtliche Quellen rekurrierte.12
Das Werk erschien in drei Auflagen mit leichten Titelvariationen: Nicolaus Schaffshausen/Johann Neander, Dissertatici juridico-politica de pace in genere. Wittenberg 1629; Nicolaus Schaffshausen, Discursus academicus de pace constituenda firmanda & conservanda. Wittenberg 1632; ders., Tractatus de pace constituenda, firmanda & conservanda. Hamburg 1640. 9 Zur Politik Kursachsens im Dreißigjährigen Krieg vgl. Dieter Albrecht, Die Kriegs- und Friedensziele der deutschen Reichsstände, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8.) München 1988, 241-273; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg - Einfluß der sächsischen Politik auf die deutsche Geschichte, in: Dresdner Hefte 56,4,1998,3-12, hier 3. 10 Burkhardt, Einfluß der sächsischen Politik (wie Anm. 9), 5f. 8
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Vgl. Anm. 7.
Der Einfluss des römischen Rechts auf das Völkerrecht und zwischenstaatliche Friedensschlüsse wird insbesondere über Hugo Grotius' De iure belli ac pads ersichtlich. Lesaffer, War, Peace, Interstate Friendship (wie Anm. 1). Benedikt van Spyk, Vertragstheorie und Völkerrecht im Werk des Hugo Grotius. Unter besonderer Berücksichtigung 12
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Inwieweit diese enge zeitliche Koinzidenz von politischen Ereignissen sowie rechtswissenschaftlichen Entwicklungen Einfluss darauf hatte, dass Schaffshausen juristische Spezialfragen als Kernproblematik des Friedens abhandelte, soll im Folgenden anhand von vier Fragen erörtert werden: Welche (innerreichischen) juristischen Friedensvorstellungen haben in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bestanden? Inwiefern lassen sie sich in die reichspublizistische Debatte um die Verortung der Souveränität (maiestas) im Reich einordnen? Warum wurden Aspekte des ius publicum im Kontext der Friedensthematik abgehandelt? Inwiefern lassen sich Bezüge zu den damaligen politischen Ereignissen feststellen? Dabei soll Schaffshausens Werk in Anlehnung an die Cambridge School 13 als eine Form der „politischen Kommunikation" 1 4 auf Gelehrtenebene angesehen werden, deren „political language" analysiert werden soll. 15 Nicht nur weil sich Schaffshausen in die „Debatten um die Legitimität politischer Ordnungen" 16 einordnen lässt, eignet sich das genannte Konzept für die Analyse von De pace in genere, sondern auch weil die Herausarbeitung des juristischpolitischen Friedensbegriffs eine semantisch-analytische Methode erfordert. Schaffshausens Werk wurde bisher lediglich in Fußnoten historiographischer Arbeiten erwähnt. Wie der Autor selbst ist die Schrift trotz ihrer oben dargestellten Forschungspotenziale kaum behandelt worden. Schaffshausen taucht
von "De iure belli ac pacis" (1625). (Schriften zur Rechts- und Staatsphilosophie, Bd. 7.) Hamburg 2005, passim, besonders 29-48. 1 3 Vgl. zu diesen Konzepten und der Cambridge School die jüngst erschienene Sammlung von Aufsätzen J. G. A. Pococks und Quentin Skinners: J. G. A. Pocock, Political Thought and History: Essays on Theory and Method, Cambridge 2009; Eckhardt Hellmuth/Christoph von Ehrenstein, Intellectual History made in Britain. Die Cambridge School und ihre Kritiker, in Geschichtliche Grundbegriffe 27, 2001, 149-172. Zur historischen Semantik vgl. Raingard Eßer, Historische Semantik, in: Günther Lottes/Joachim Eibach (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2002, 281-292. 14 Luise Schorn-Schiltte, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theorie - Res PublicaVerständnis - konsensgeschützte Herrschaft. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 39.) München 2004, 1-12; dies./Sven Tode, Debatten über die Legitimation von Herrschaft: Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit. Einleitende Bemerkungen, in: dies. (Hrsg.), Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit. (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Bd. 19.) Berlin 2006. Maissen benutzt die Methode im Kontext des eidgenössischen Republikanismus: Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. (Historische Semantik, Bd. 4.) Göttingen 2 0 0 6 , 3 1 - 3 6 , besonders 34f.
Ersteres meint die Erforschung politischer Sprachen anhand der Analyse von Begriffsverwendungen und Letzteres bezieht sich auf die Verbindung von politischer Wirklichkeit und politischer Sprache. Vgl. hierzu insbesondere: Luise Schorn-Schiitte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica Christiana als Legitimitätsgrundlage, in: dies. (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 14), 195-232. 15
™ Ebd., 4.
Frieden in der Reichspublizistik
erstmals in der Geschichtsschreibung zur Universität Wittenberg bei Walter Friedensburg im Jahr 1917 auf. 17 Zuletzt - und erstmals auch mit seinem Werk - wurde Schaffshausen von Dieter Wyduckel erwähnt, der ihn zugleich in den Kontext der Etablierung des ius publicum imperii romano-germanici an der Universität Wittenberg stellte. 18 Neben diesen Werken geben nur noch frühneuzeitliche Lexika über Nicolaus Schaffshausens Leben Aufschluss. 19 Auch die Quellenlage zu Leben und Werk Schaffshausens ist nicht sehr umfangreich. Neben den Beständen im Archiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Immatrikulationsverzeichnis, Dekanatsbuch der juristischen Fakultät, Visitationsprotokolle sowie Korrespondenzen zwischen Rektor, Fakultät und dem Landesherrn) finden sich Schriftwechsel im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden und Bestallungsreverse im Staatsarchiv Hamburg sowie im Schleswig-Holsteinischen Hauptstaatsarchiv Schleswig, die aus seinem späteren Beamtenverhältnis im Herzogtum SachsenLauenburg stammen. Darüber hinaus geben ein Hochzeitsgedicht 20 und die Leichenpredigt 21 Auskunft über Schaffshausens Lebenslauf. Die biographischen Informationen, die sich hier finden lassen, stellen für die Analyse der aufgeworfenen Fragen wichtige Rahmenbedingungen dar, weshalb eine kurze Skizze seiner wichtigsten Lebensstationen vorangestellt sein soll. 2 . B i o g r a p h i e Nicolaus Schaffshausen wurde am 29. Mai 1599 auf der Insel Ösel vor der livländischen Küste als Sohn der Adeligen Anna von Elsen und des Bürgermeisters der Stadt Arensburg Konrad Schaffshausen geboren. 22 Er immatrikulierte sich 1619 an der Universität Wittenberg, wo er 1623
17 Walter Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg. Halle an der Saale 1917, 435 Anm. 4,442 Anm. 1. 18 Dieter Wyduckel, Wittenberger Vertreter des lus Publicum, in: Heiner Lück (Hrsg.), Wittenberg. Ein Zentrum europäischer Rechtsgeschichte und Rechtskultur. Köln/Weimar/Wien 2006,291-359. 19 O.A., Art. Schaffshausen, (Nicolaus), in: Johann Heinrich Zedier (Hrsg.), Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste [...], Bd. 34. (SaoSchla), Leipzig/Halle 1742, Sp. 804f.; Mol. Thom., Art. Schaffshausen (Nie.), in: Christian Gottlieb Jocher (Hrsg.), Allgemeines Gelehrtenlexicon, Vierter Theil (S-Z), Leipzig 1751, Sp. 211; Otto Beneke, Art. Schaffshausen, in: ADB 30,1890,550f. 20 Stadtarchiv Wedel, S 04-2-906.1. „Hochzeitsgedicht auf Nicolaus Schaffshausen und Elisabeth Wehtken von Johann Rist, 1640." 21 Georg Greflinger, Herzliche Klagen/Über Den wiewol noch all zu frühen/dennoch sanfft und Seeligen Tod des Wol Edlen/Vesten/Großachtbarn und Hochgelehrten Herrn/D. Nicolai Schaffshausen/Berühmten ICti. Com. Pal. Caes, auch Fürstl. NiederSächsischen Geheimbten Raths und Hoff-Cantzlers/auch Praesidenten zu der Lauenburg. Hamburg 1657. 2 2 Ebd., 1; Beneke, Schaffshausen, (wie Anm. 19).
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Volker Arnke promoviert w u r d e . 2 3 Die a k a d e m i s c h e L a u f b a h n Schaffshausens b e g a n n allerdings mit Erschwernissen. I m Z u g e der Universitätsvisitation der Jahre 1623 u n d 1624 2 4 fiel d e m zuständigen kursächsischen Oberkonsistorium Nicolaus Schaffshausen negativ auf, so dass die Befürworter seiner Promotion innerhalb der Juristenfakultät „ w e g e n d e ß notorischen stupri Nicolaus Schafh a u s e n " 2 5 abgestraft w u r d e n . Offenbar hatte sich Schaffshausen im Vorfeld seiner P r o m o t i o n der U n z u c h t schuldig g e m a c h t , 2 6 letztlich aber lässt sich der Fall aus d e n Quellen nicht vollständig rekonstruieren. Infolge dieses Vorfalls w u r d e Schaffshausen „anfangs z w a r , c o m m u n i consensu, von der Juristen Facultet reiicirt [entfernt], hernach aber uf D. U n r u h e n antreiben, von d e n Professoribus z u m h o h e n gradu a d m i t t i r t " 2 7 . Dieses und die öffentliche Verteidigung Schaffshausens - die als „factum s c a n d a l o s u m " 2 8 bezeichnet w u r d e - in „loco S a n c t o " 2 9 d u r c h den Rechtsprofessor L u c a s B e c k m a n n führte dazu, dass der gesamten juristischen Fakultät Strafzahlungen nicht geringen A u s -
Bernhard Weissendorn (Bearb.), Album Academiae Viteberensis. Jüngere Reihe Teil 1 (1602-1660), 232. Die Abkürzung Livon. steht für Livonia=Livland. Ein weiterer Beleg für die Verleihung der Doktorwürde findet sich im Dekanatsbuch der juristischen Fakultät; UA Halle, Rep. 1, Nr. XXXXIII, 01. Im Abschnitt „Catalogue Promotorum Doctorum, Licentiatorum et Baccalaureorum a Facúltate Jurídica." ist „Nicol. Schafhaus" für das Jahr 1623 vermerkt. 23
Der Grund für die Visitation lag in einer offenbar mangelhaften Lehrtätigkeit insbesondere an der Wittenberger Juristenfakultät. Vgl. hierzu das Visitationsdekret Johann Georgs I. von Sachsen in Johann Christian Lünig, Codex Augusteus, oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici [...]. Erster Theil. Leipzig 1724, Sp. 969-974; UA Halle-Wittenberg, Rep. 1, Nr. 337. „Kurfürst Johann Georgs I. Visitations-Dekret für die Universität Wittenberg. d. Dresden, d. 9 Januar 1624."
24
SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 10596, „Wie die beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg visitiert, befunden und was der Professorn und anders halben daruff angeordnet worden. Anno 1623/24", fol. 14R. Der Begriff „Stuprum" bezeichnet „die Schwächung, oder Hurerey, [und] ist ein unzulässiger Beyschlaff mit einer Jungfrau oder Wittib, die sonsten von Huren-Leben nicht Posession gemacht, sondern sich durch die allzu grosse Affection zu jemanden, zur Unzucht hat verleiten lassen." Samuel Oberländer (Hrsg.), Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum. Neudruck der 4. Aufl. Nürnberg 1753, hrsg. v. Rainer Polley, Köln/Weimar/Wien 2000,665. 2 6 Auch Friedensburg spricht von einem „argen Sittenverbrechen" Schaffshausens. Friedensburg, Universität Wittenberg (wie Anm. 17), 442, Anm. 1. 25
2 7 Ebd. Nicolaus Schaffshausen wurde unter der Betreuung des Wittenberger Professors Jeremias Reusner am 23. August 1623 promoviert. Die Dissertation trägt den Titel De cambiis. Vulgo Wechsel und Wechselbriefen. Erasmus Unruh (1576-1628) war Professor an der Wittenberger Juristenfakultät, der er mehrfach als Dekan vorstand - so auch zur Zeit der Promotion Schaffshausens - und 1613 sowie 1621 zum Rektor der Leucorea avancierte. O.A., Art. Unruh (Erasmus), in: Zedier (Hrsg.), Universallexikon (wie Anm. 19), Bd. 49. (Vit-Vin). Leipzig/Halle 1746, Sp. 992; Fr. W., Art. Unruhe (Erasmus), in: Jöcher (Hrsg.), Gelehrtenlexicon (wie Anm. 19), Sp. 1683; SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 10596 (wie Anm. 25), fol. 21R. M Ebd., fol. 22V. 29
Ebd., fol. 14R. Gemeint ist die Wittenberger Schlosskirche.
Frieden in der Reichspublizistik
maßes aufgebürdet wurden. 30 Die Folgen der Visitation für die Karriere Schaffshausens waren ausgesprochen nachteilig, da die Reaktion Kurfürst Johann Georgs von Sachsen auf das Visitationsprotokoll und die Vorschläge des Oberkonsistoriums strikt ausfiel. So sollte „namentlich Nicolaus Schafhausen" nicht in die Juristenfakultät aufgenommen, „oder zu Professionen vorgeschlagen" 31 werden. Erst sechs Jahre später konnte Schaffshausen seine akademische Laufbahn uneingeschränkt fortsetzen. Aus den Korrespondenzen zum Jahreswechsel 1628/29 zwischen Kurfürst Johann Georg und dem kursächsischen Oberkonsistorium geht hervor, dass Schaffshausen „seiner Aussöhnung und künfftiger beförderung wegen" 3 2 aufgrund positiver Gutachten „und weil D. Schafhausen öffentlich fur Sechs Jharen der Kirchen das gegebene ärgernis abgebeten, auch 1 000 Thlr. ad pias causas deßwegen gegeben worden" 33 sind, rehabilitiert werden sollte. Fürderhin war er nicht nur akzeptiertes Mitglied der juristischen Fakultät, sondern kam auch bei Auswahlverfahren für rechtswissenschaftliche Lehrstühle in Betracht.34 Bemerkenswert ist die Unterstützung der Rechtsfakultät, die Schaffshausen zukam. Im Falle Beckmanns, der Schaffshausen 1623 öffentlich verteidigt hatte und dafür eine hohe Geldstrafe in Kauf nahm, kann dies mit der verwandtschaftlichen Beziehung zu Schaffshausen begründet werden, da Beckmann sein Schwiegervater war. 35 Dass aber die gesamte Fakultät trotz der Strafen, die fast alle ihre Mitglieder betrafen, Schaffshausen unterstützte und mittels positiver Gutachten seine Rehabilitation erwirkte, spricht für eine hohe Wertschätzung seiner Person. Kurze Zeit nach der Aufhebung seiner Strafe veröffentlichte Schaffshausen die erste Ausgabe von De pace in genere als Betreuer der gleichnamigen Disser-
Im Vergleich zur offiziellen Besoldung der Professoren, die von 25 bis 45 Talem pro Quartal reichte, entsprechen die Strafzahlungen bis zu mehreren Jahresgehältern. UA Halle-Wittenberg, Rep 1, Nr. 2372 „Rechnung über die Besoldungen. 1626/27". So wurden von Bartholomäus Reusner und Erasmus Unruh je 40, von Jeremias Reusner und Conrad Carpzov je 20 sowie von Lucas Beckmann, der die Rehabilitierung Schaffshausens als dessen Schwiegervater mit besonderer Vehemenz betrieb, 200 Reichstaler eingefordert. Zusätzlich sollte Beckmann 1 000 Gulden dem Wittenberger Hospital zur Verfügung stellen. Ob der Bitte B. Reusners und Carpzovs auf Erlass der Schuld stattgegeben worden ist, bleibt offen. Vgl. SHStAD Geh. Rat, Loc. 10596 (wie Anm. 25), fol. 27V (Die Akte ist fehlerhaft paginiert, korrekt wäre 37V). 30
31
Lünig, Codex Augusteus (wie Anm. 24), Sp. 971.
SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 7424/2 „Universität und Consistorialsachen Ao. 1617-1629", fol. 223V.
32
33
Ebd., fol. 225V.
So erkennbar in Unterlagen eines Auswahlverfahrens aus dem Jahr 1629, bei dem Schaffshausen als letztgenannter Kandidat auftaucht: UA Halle-Wittenberg, Rep. 1, Nr. 1542, „Korrespondenz mit dem Landesherrn betr. Besetzung von Professuren und anderer Lehrstellen (1600-1640)", fol. 202Vf. und 207V. 3 5 Greilinger, Herzliche Klagen (wie Anm. 21). 34
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tation von Johann Neander. 36 Die zugehörige Disputation wurde am 17. Mai 1629 in Wittenberg abgehalten. 37 Wenige Monate danach bewarb sich Schaffshausen um eine Professur, indem er auf die „des verstorbenen Gallicae linguae Profeßoris Salarien" 38 als zur freien Verfügung stehende Besoldungsmittel anspielte und zudem bei Kurfürst Johann Georg einen Vorschlag für einen neuen Lehrstuhl einreichte. 39 Dieser Vorschlag steht in engem Zusammenhang mit der zuvor publizierten Erstausgabe von De pace in genere und bietet zugleich einen wichtigen Beitrag für die Analyse der Schrift. Da die „Studien juris publici in dero löblichen Vniversiteten, sonderlichen alhie zu Wittenb e c k bishero nichtt excoliret [ausgebildet] worden/' 4 0 bot Schaffshausen seine Dienste als Dozent für die Lehre des ius publicum imperii romanogermanici an. Hierzu fühlte er sich berufen „mitt denen gaben die [ihm] Gott verliehen" 41 , weil er „ad Jurisprudentiam publicam allewegen eine sondere beliebung getragen" und weil er „verspüre, daß [...] vile in solchen studio gerne unterrichtett sein wolten". 42 Darüber hinaus biete die neue Form des ius publicum im Reich, welche die „von etzlichen hochverstendigen patrioten wiederumb hervorgesuchett[en]" antiken römisch-rechtlichen Grundlagen „nach der norm der fundamental gesetze undt ReichsConstitutionen" ausrichte, „in arte regendae respublicae" an „Chur- und Fürstlichen Höfen" viel Heilsames und Vorteilhaftes. 43 Dieses klare Bekenntnis zur Lehre des ius publicum imperii romano-germanici lässt sich in Beziehung zu den Inhalten seiner Schrift De pace in genere setzen. Beides verdeutlicht, dass Schaffshausen das „neue" spezifisch deutsche Reichsrecht rezipierte, das erst wenige Jahre zuvor durch Gelehrte wie Henning Arnisäus (1575-1636), Dominicus Arumaeus (1579-1673) oder Dietrich Reinkingk (1590-1664) 44 an Universitäten des Reiches Gestalt angenommen hatte und dem durch ihre stark rezipierten Schriften wie De iure maiestatis libri tres (1610), De república s eu relectionis politicae (1615), Discursus academicus de iure publico (1620-1623) oder Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico (1619) Wirkung innerhalb der römischdeutschen Jurisprudenz verliehen wurde. Schaffshausen rekurriert auf diese
3 6 Johann Neander taucht in den zwei späteren Ausgaben von De pace in genere der Jahre 1632 und 1640 nicht mehr auf. 37 Schaffshaiisen, De pace in genere (wie Anm. 8), Titelseite.
SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 7425/1 „Universität und Consistorial Sachen Anno 1630-1640", fol. 80V.
38
m Ebd., fol. 71Vf. und 80V. « Ebd., fol. 71R. « Ebd. fol 80V. 42
Ebd., fol. 71R.
43
Ebd., fol. 71V.
Vgl. zu diesen bedeutenden Reichspublizisten Friedrich, Staatsrechtswissenschaft (wie Anm. 7), 3 7 ^ 0 ; Ottmann, Politisches Denken (wie Anm. 7), 386f.; Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker (wie Anm. 7); Wyduckel, lus Publicum (wie Anm. 7), 144f., 154-156.
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Autoren in seiner Schrift und lässt sich so in diese neue Rechtsschule einordDer Vorschlag Schaffshausens zur Lehre des ius publicum wurde allerdings mit dem Vermerk abgelehnt, dass nicht „de Arcanis Principum et Statuum" öffentlich debattiert werden sollte, sondern diese besser „in geheim behalten" werden müssten - eine damals offenbar übliche Argumentation. 45 Wenngleich Schaffshausen noch bis 1632, dem Erscheinungsjahr der zweiten Ausgabe seiner Friedensschrift, an der Universität Wittenberg nachweisbar ist, 46 bleibt unklar, wie lange er tatsächlich an der Leucorea gewirkt hat. Fest steht in jedem Fall, dass er weder in Wittenberg noch an einer anderen Universität jemals eine Professur bekleidete. Möglich ist, dass Schaffshausens Fortgang aus Wittenberg im Kontext des neuerlichen Wechsels der kursächsischen Politik vor dem Hintergrund des Prager Friedensschlusses von 1635 zu sehen ist. 47 Die Widmung der zweiten Auflage „ad Invictissimum Sveciae Regem" 48 (Gustav II. Adolf von Schweden) verortet Schaffshausen klar bei der protestantischen Partei des Dreißigjährigen Krieges. Daneben belegt auch der Titel einer von Schaffshausen verfassten, allerdings verschollenen Lobrede auf den schwedisch-sächsischen Bündniserfolg in der Schlacht bei Breitenfeld im Jahr 1631 die politische Prägung des Autors. 49 Angesichts dieser klaren Stellungnahme Schaffshausens könnte er mit dem Politikwechsel Kursachsens von 1635 zu einer politisch unliebsamen Person geworden sein - mit der Folge des Ausscheidens aus der Universität Wittenberg. Für 1637 lässt sich Schaffshausens Umzug nach Hamburg nachweisen. Waren zuvor sämtliche Schriften in Wittenberg erschienen, so publizierte er nunmehr in Hamburg. 50 Darunter war auch die letzte Ausgabe von de pace in genere (1640) 51 , die er nunmehr in der sich im Dreißigjährigen Krieg neutral verhaltenden Stadt überarbeiten und neu auflegen konnte. Die Widmung von 1640 richtet sich an den Herzog von Holstein - den dänischen König Christian IV. -
SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 7425/1 (wie Anm. 38), fol. 73R. Zu der Argumentation, die Lehre des ius publicum würde Staatsgeheimnisse gefährden, vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft (wie Anm. 7), 45; Wyduckel, Wittenberger Vertreter (wie Anm. 18), 323f.
45
46
Schaffshausen, Discursus Academicus de Pace (wie Anm. 8), Titelseite.
47
Burkhardt, Einfluß der sächsischen Politik (wie Anm. 9), 3-10.
48
Schaffshausen, Discursus Academicus de Pace (wie Anm. 8), Titelseite.
Panegyrica, qua victoriam Sueco-Saxonicam, 7 Septembr. intra horam primam & faxtam pomeridian. prope Lipsiam felicissime partam in florentissima ad Albim Academia 26 Septembr. celebravit, 1631. Zitiert nach O.A., Art. Schaffshausen, in: Zedier (Hrsg.), Universallexikon (wie Anm. 19). 49
Ebd. Der Zedier gibt hierzu an: „Als er schon in Lauenburgischen Diensten war, gab er diese Schriften heraus: 1) Consiliu [...] trium questionum, Hamburg 1637. 2) Dissert. Jurídica von [...] Versicherungen, eben daselbst 1638." Das zweite hier genannte Werk lässt sich auch im VD 17 nachweisen. 51 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8). 50
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was aufgrund der territorialen Nähe wie auch der Vermittlerrolle und Selbstdarstellung Christians als „Friedensfürst" im Rahmen des Hamburger Präliminarfriedens nicht verwundert. 52 Und so bezeichnet Schaffshausen den dänischen Herrscher auch als ruhmvollsten König, der dem zerrütteten Frieden die Heiterkeit zurückbringen werde. 53 Drittens aber ist auch diese Widmung ein Beleg dafür, dass Schaffshausen der protestantischreichsständischen Partei des Dreißigjährigen Krieges nahe stand. Über Schaffshausens Leben in Hamburg gibt auch ein Gedicht aus Anlass seiner zweiten Hochzeit Aufschluss. 54 Für seine berufliche Tätigkeit in dieser Phase gibt es jedoch keine Hinweise mit Ausnahme des Vermerks in Jöchers Gelehrtenlexicon, er habe sich „durch seine [juristische] Praxin in Hamburg hervor [getan]" 55 . Greifbarer wird Schaffshausens Profession erst wieder mit seiner Anstellung bei Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg, für den er seit 1646 als ,,geheimbte[r] Rhadt von Hauß auß" 5 6 und ab Ostern 1656 als Hofkanzler tätig war. 57 Bereits ein Jahr nach dieser Ernennung verstarb Schaffshausen am 20. Mai 1657. Die Leichenpredigt betont Schaffshausens Verdienste für die Rechtswissenschaft auf einer allgemeinen Ebene. 58 Sein Hauptwerk aber erfuhr eine literarische Würdigung im Jahre 1640. In oben
Mara R. Wade, ,Große Hochzeit' und Gipfeltreffen' in Kopenhagen 1634. Dänische Repräsentationspolitik im Dreißigjährigen Krieg, in: Benigna von Krusenstjem/Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Göttingen 1999,113-131, hier 115f. 52
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), Widmung an Christian IV. (nicht paginiert). „Regem gloriosissimum, tempestate pacis serenitatem postliminio reduxit!" 5 4 Stadtarchiv Wedel, S 04-2-906.1 (wie Anm. 20). Schaffshausen heiratete am 16. November 1640 Elisabeth Wetken. Greflirtger, Herzliche Klagen (wie Anm. 21). 55 Thom., Art. Schaffshausen (wie Anm. 19), Sp. 211. 53
StAHH, 622-1-449 Schaffshausen 3. „Bestallungsurkunde für Nicolaus Schaffshausen, seine Ernennung zum Geheimen Rat des Herzogs Julius Heinrich von Sachsen, Engern und Westfalen betreffend. 1646." Die Bezeichnung „von Hauß auß" impliziert eine Tätigkeit von der Wohnstatt des Rates, in diesem Fall also Hamburg. Siehe hierzu: O.A., Art. „Von Haus aus", in: Zedier (Hrsg.), Universallexikon (wie Anm. 19), Bd. 50. (VoVrh), Sp. 691. Schaffshausens Hauptaufgabe war es, die Sukzession Julius Heinrichs im Herzogtum Sachsen-Lauenburg vorzubereiten. Hierzu führte er Verhandlungen mit den Landständen. StAHH, 622-1-449 Schaffshausen 1, „Vollmacht für Dr. Nicolaus Schaffshausen, im Namen Julius Heinrichs, Herzogs zu Sachsen, Engem und Westfalen, dessen Rechte beim Ableben seines Bruders August wahrzunehmen und insbesondere seine Ansprüche auf die Nachfolge in der Regierung des Fürstentums Sachsen in geeigneter Weise zu sichern. 6. Nov. 1646." 56
StAHH, 622-1-449 Schaffshausen 5, „Bestallungsurkunde für Dr. Nikolaus Schaffshausen, seine Ernennung zum Hofkanzler des Herzogs Julius Heinrich von Sachsen, Engern und Westfalen betreffend. Ostern 1656." 58 Greflinger, Herzliche Klagen (wie Anm. 21). 57
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genanntem Hochzeitsgedicht für Nicolaus Schaffshausen aus der Feder Johann Rists59 heißt es: Ihr habt ein edles Buch vom Frieden ausgegeben Herr Doctor/wolte Gott/wir möchten alle streben Nach solcher Seeligkeit wie ewre schöne Schrift Uns lehret/da mein Hertz gantz mitzusammen trifft.60 3. Nicolaus Schaffshausens Hauptwerk De pace in genere erschien in drei Auflagen 1629, 1632 und 1640. Abgesehen von der Dissertationsschrift 1629 gab Schaffshausen die überarbeiteten Ausgaben von De pace in genere in alleiniger Autorenschaft heraus.61 Da die letzte Ausgabe die umfangreichste ist, dient in erster Linie sie der folgenden Analyse. Grundlage von Schaffshausens Ausführungen zur Friedensthematik ist das breite Quellenkorpus von juristischen, theologischen und historiographischen Schriften, die von der griechischen Antike bis in seine Gegenwart des beginnenden 17. Jahrhunderts reichen. Aus diesem ausgiebigen Spektrum von über 150 rezipierten Werken entwickelte Schaffshausen eine allgemeine Friedensidee, auf deren Basis die späteren reichsrechtlichen Ausführungen aufbauten. Hieran lässt sich erkennen, dass Schaffshausen insbesondere für den grundlegenden Einstieg seines Werkes die seinerzeit noch gebräuchliche kompilatorische Methode nutzte und existente Vorstellungen von antiken Juristen, Grammatikern und Historikern zusammenstellte.62 Das Werk gliedert sich in neun Sektionen, die mit einer Etymologie, Definition und Unterteilung des Friedensbegriffs beginnen. Anschließend werden
Johann Rist verfasste während und nach dem Dreißigjährigen Krieg verschiedene literarische Werke zur Friedensthematik, insofern ist es nicht verwunderlich, dass er sich in diesem Gedicht auf das Hauptwerk Schaffshausens, das überdies in jenem Jahr zum dritten Mal erschien, bezog. Vgl. hierzu Martin Brecht, Evangelische Friedensliteratur: Der Bußruf Johann Rists, in: Bußmann/Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden (wie Anm. 2), 251-258. 59
60
Greflinger, Herzliche Klagen (wie Anm. 21).
Die Frage nach der Autorenschaft frühneuzeitlicher Dissertationen ist nicht generell zu beantworten. Insbesondere bei juristischen und medizinischen Dissertationen war der Betreuer häufig der eigentliche Autor der Schrift. Grundsätzlich allerdings ist die Autorenschaft stets im Einzelfall zu prüfen. Hanspeter Marti, Dissertation und Promotion an frühneuzeitlichen Universitäten des deutschen Sprachraums. Versuch eines skizzenhaften Überblicks, in: Rainer A. Müller (Hrsg.), Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne. Köln 2001, 1-20, hier 11-14; Karl Härter, lus publicum und Reichsrecht in den juristischen Dissertationen mitteleuropäischer Universitäten der Frühen Neuzeit, in: Jacques Krynen/Michael Stolleis (Hrsg.), Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (XIII e -XVIII e siècles). Frankfurt am Main 2008,485-528, hier 485f. 61
Vgl. zur Kompilatorik Dirk Werte, Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580-1630. Thüringen 2007,128-170.
62
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Grundlagen und Träger des Friedens benannt: „Deus & Poenitentia" 63 , „Imperator & Alii mutuo bella gerentes" 64 sowie „alii [...] principes" 65 . In der Gliederung deutet sich auch eine Teilung des Friedensbegriffs in jenseitigen und diesseitigen an. Im Kontext des Letzteren wird die Frage nach der Trägerschaft des weltlichen Friedens gestellt und das Recht zur Friedeschaffung und -Währung bei den Fürsten des Römisch-Deutschen Reichs verortet. Hierin wird erneut ein Bezug zum Dreißigjährigen Krieg erkennbar, der ganz wesentlich von der Frage nach der Gestalt der Reichsverfassung, nach den Rechten und Befugnissen des Kaisers auf der einen und den Reichsständen auf der anderen Seite bestimmt wurde. 66 Bevor im Folgenden jene Abschnitte De pace in generes genauer betrachtet werden, die einen Bezug zu der politischjuristischen Debatte um die Reichsverfassung aufweisen, ist es wichtig, Schaffshausens Friedensvorstellungen herauszuarbeiten, da sie den Legitimationsrahmen seiner reichsrechtlichen Überlegungen bilden. 3.1. Der Friedensbegriff Wie für juristische Dissertationen seiner Zeit üblich, beginnt Schaffshausen seine Abhandlung mit einer Darlegung von Etymologie und Definition des Friedensbegriffs. In seiner ersten These stellt Schaffshausen das Wort,Frieden' in engen Zusammenhang mit dem Begriff pactum, wie er bei dem römischen Rechtsgelehrten Ulpian 67 verwendet worden ist. 68 Wie dieser deriviert auch Schaffshausen pax von pactum.69 Er verweist ebenfalls auf andere Herleitungen wie die von Matthäus Wesenbeck, der eine Ableitung über paciscor vornimmt. Weiterhin würden „alii" pax „a verbis pago" 7 0 entwickeln. Zur Festigung der Aussage, pax sei in erster Linie auf pactum zurückzuführen, zieht Schaffshausen den römischen Grammatiker Sinnius Capito heran, der sich zu Beginn des ersten Jahrhunderts mit der Etymologie von pax auseinandergesetzt hatte. Hier wird der von Ulpian benannte Zusammenhang zwischen pactum, pactione und pax bestätigt. Doch nicht nur antike Autoren, sondern auch frühneuzeitliche Gelehrte führt
63
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 80.
64
Ebd., 102.
65
Ebd., 252.
66
Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg. 6. Aufl. München 2006, 7-11, 21-27, 96.
Ulpian stellt für Schaffshausen offenbar eine der bedeutendsten antik-römischen Rechtsgelehrten dar. So rekurriert er zu allererst auf diesen („der berühmte [...] Vlpianus") in seinem oben genannten Vorschlag, an der Universität Wittenberg die Lehre des IMS publicum einzuführen. SHStAD, 10024 Geheimer Rat, Loc. 7425/1 (wie Anm. 38), fol. 71V. 67
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 1: „Pacis [...] appellationem a pactione verbo nominali cum Ulpiano JCto [...] verius arbitrar derivatam." «* Ebd., lf. 68
Ebd. 1. Konkret rekurriert Schaffshausen auf Matthäus Wesenbeck, Tractatus de pactis & fide instrumentorum. Zitiert nach Sw. Müll., Art. Wesenbec (Matthaeus), in: Jocher (Hrsg.), Gelehrtenlexicon (wie Anm. 19), Sp. 1907-1909.
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Schaffshausen zur Belegung seiner Friedensetymologie an. So werden beispielsweise der in Wittenberg lehrende Rechtswissenschaftler Valentin Wilhelm Förster mit einem Werk zum Vertragsrecht (Tractatus methodicus de pactis, 1601) oder auch der Marburger Linguist Johannes Goeddaeus mit seiner Schrift Pandectarum de verborum et rerum significatione (1602) genannt. Im zweiten Kapitel seiner Schrift behandelt Schaffshausen die Frage, „Quid PAX" 7 1 , und definiert pax als einen Zustand, der nicht durch bewaffnete Konflikte oder feindliche Handlungen beeinträchtigt sei, sondern in dem Ordnung und ewige Ruhe herrschten. 72 Insbesondere für den letzteren Aspekt beruft sich der Wittenberger auf Augustinus und dessen Werk De civitate dei, indem er die die zweite Sektion einleitende Passage aus dem Augustinuszitat „pax est tranquillitas ordinis" 73 herleitet. Er rekurriert insbesondere auf Augustinus' Auffassung, der jenseitige Frieden sei langfristiges Ziel auch für das Diesseits. 74 Schaffshausen rezipiert weiterhin Cicero, wenn er ausführt, dass nach einem Krieg dann wieder Frieden eintrete, wenn sich die Konfliktparteien per Vertrag einigten, oder aber wenn ein Gegner gänzlich ermüdet - also niedergekämpft sei. Zur Illustration des letzteren Falls werden antike Beispiele wie die Siege Alexander des Großen über den Perserkönig Darius und den indischen König Poro, aber auch das Ende des Byzantinischen Reichs durch die osmanische Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 angeführt. An späterer Stelle des Werks äußert sich Schaffshausen eher ablehnend gegen das rigorose Niederkämpfen einer Kriegspartei, wenn er ausführt, dass der Sieger zusammen mit dem Besiegten einen Frieden schließen müsse, der sich durch Anstand, Milde, Ehrenhaftigkeit und Rechtmäßigkeit auszeichne. 75 Damit deutet der Autor im Umkehrschluss an, dass die vollständige Unterwerfung eines Gegners kaum zu einem dauerhaften Friedensschluss führen könne, da
71
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 7.
Ebd. „Missa vocis originatione definió Pacem (a) quod sit ab inimica (b) armorum (c) collisione & cunctis hostilibus actionibus (d) ordinata (e) & perpetua (f) quies (g)." 72
Aurelius Augustinus, De civitate dei, lib. 19, cap. 15. [http://www.hsaugsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost05/Augustinus/aug_cd00.html; eingesehen am 29.05.2010]. 74 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 45f. Zur augustinischen Friedenslehre vgl. Wolfgang Huber, Art. Frieden, in: Gerhard Krause/Gerhard Müller u.a. (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie. Bd. XI., 599-646, hier 621f; Stephan Nitz, Theorien des Friedens. Kommentierte Bibliographie zur Theoriegeschichte, Bd. 1: Altertum bis 1830. (Studien der hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 7.) Baden-Baden 2010, 164-170; Christian Schwaabe, Augustine/Augustinus (354-430), in: Peter Cornelius Mayer-Tasch (Hrsg.), Philosophers of Peace. Friedensdenker - Friedenskämpfer, München 2007, 33-40; Timo Weissenberg, Die Friedenslehre des Augustinus. Theologische Grundlagen und ethische Entfaltung. Stuttgart 2005. 75 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 153. „Debet autem victor in danda pace respicere ad decorum (a) & tutum (b) ac proin, mitem (c) sive justam dare: Victus in accipienda ad honestum (d) atq; ideo non nisi apertam (e) accipere." 73
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eine solche den oben genannten Kriterien widerspricht. Im Kontext des Vertragsrechts nennt Schaffshausen auch Bartolus de Saxoferrato und Baldus de Ubaldis, die wichtigsten Vertreter der römisch-rechtlichen italienischen Kommentatorenschule des 14. Jahrhunderts. Hier wird ersichtlich, dass Schaffshausen dem Friedensvertrag eine gewichtige Rolle für die Friedeschaffung und -wahrung zuspricht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Schaffshausens Friedensvorstellungen zum Einen aus dem römischen Vertragsrecht (vor allem Ulpian) und zum Anderen aus der christlichen Theologie (vor allem Augustinus) zusammensetzten. Dass sich Schaffshausen am römischen Vertragsrecht orientierte und es als bedeutende Grundlage des Friedens darstellte, ist ein Hinweis, dass sich das ius publicum imperii romano-germanici, nicht ausschließlich auf spezifisch deutsche Rechtsquellen berief, sondern zu einem gewissen Teil auf römischen Rechtstraditionen aufbaute. 76 Auch das Rezipieren christlichtheologischer Friedensvorstellungen lässt sich als üblich für juristischpolitische Schriften der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verstehen, wie im folgenden Kapitel aufgezeigt wird. 3.2. Der Frieden im Reich In engem Bezug zu Augustinus' Friedenslehre konzipiert Schaffshausen den Fortgang seiner Abhandlung, indem er auf die Zweireichelehre des Kirchenvaters anspielt. Zu Beginn seiner dritten Sektion „Quotuplex PAX" 7 7 unterscheidet er zwischen theologischem und politischem Friedensbegriff. Bei der Erläuterung des Ersten führt Schaffshausen Augustinus' Zweireichelehre genau aus, um auf den Vorbildcharakter des jenseitigen Friedens („Alia interna sive spiritualis" 78 ) für den diesseitigen Frieden („Pax alia externa sive terrestris" 79 ) zu rekurrieren. Hier wird eine enge Verzahnung von theologischen und politischen Denkmustern erkennbar, wie sie im 17. Jahrhundert für politische Gelehrtendiskussionen kennzeichnend war. Insbesondere Luise Schorn-Schütte hat unter dem Begriff der politica Christiana aufgezeigt, wie stark politische Debatten der Frühen Neuzeit mit christlich-theologischen Inhalten korrespondierten. Eine rein säkulare juristisch-politische Wissenschaft ist zumindest für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts noch nicht feststellbar.80 Bezogen auf die jüngst von Axel Gotthard aufgeworfene Frage nach dem Zeitpunkt des Einsetzens einer Säkularisierung des Kriegs- und Friedensrechts lässt sich für Schaffshausen also
76
Wyduckel, lus Publicum (wie A r m . 7), 147-153.
77
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 53.
78
Schaffshausen, Discursus Academicus de Pace (wie Anm. 8), 48.
79
Ebd., 49.
Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. Eine Einführung. München 2006, 86-103; dies./Robert von Friedeburg, Einleitung. Politik und Religion: Eigenlogik oder Verzahnung?, in: dies. (Hrsg.), Politik und Religion: Eigenlogik oder Verzahnung? München 2007,1-31, insbesondere 2. 80
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feststellen, dass in seiner Schrift eine enge Verbindung zwischen christlicher Theologie und Politiktheorie vorherrschte.81 Ebenfalls zeigt sich an der Verwendung der augustinischen ,Ordo-' 82 und ,Friedensgedanken', dass der Kirchenvater Begriffe geprägt hatte, die - insbesondere vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges besehen - gesellschaftliche Ziele auch für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts formulierten. Für die Frage nach Schaffshausens innerreichischen politisch-juristischen Friedensvorstellungen besonders interessant sind seine Ausführungen über die „pacem publicam" 83 , da hier Schaffshausen den Friedensbegriff erstmals auf die spezifische politische Konstellation im Reich anwendet. Auffällig ist die dreiteilige Vorgehensweise bei der Darstellung des öffentlichen Friedens in „Generaliter", „Specialiter" und „Specialissime". So fasst Schaffshausen unter Generaliter „den allgemeinen Frieden inn un[d] ausserhalb Deutschland^]" 8 4 , der zwischen dem Kaiser und Herrschern anderer Reiche aufrechterhalten werde. 85 Der unter Specialiter abgehandelte gemeine Landfrieden werde „in Imperio nostro" zwischen dem Kaiser, den Reichsfürsten sowie allen übrigen Ständen geschlossen und richte sich gegen einen inneren Aufstand. 86 Unter Specialissime verweist Schaffshausen auf den Frieden in jeder Provinz oder jedem Territorium, der sich ebenfalls grundsätzlich gegen jede Form des Aufstandes richte. 87 Sowohl die Ausführungen zu Generaliter als auch jene zu Specialissime bleiben recht abstrakt. So wird bei Ersterem nicht klar, ob der Kaiser allein oder im Bund mit den Reichsfürsten zur Erhaltung „des allgemeinen Friedens" befugt sei. Eine reichsfürstliche Mitverantwortung für die Friedewahrung erscheint allerdings angesichts dessen, dass der Frieden auch innerhalb „Deutschland[s]" 88 gelte, Voraussetzung. Dennoch betont Schaffshausen in diesem Abschnitt dezidiert die kaiserlichen Rechte und Pflichten, zwischenstaatlichen Frieden zu schaffen und zu sichern. Unter Specialissime führt Schaffshausen mit Cicero 89 eine antik-römische allgemeine Beschreibung von Provinzfrieden
Axel Gotthard, Krieg und Frieden in der Vormoderne, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007,67-94, hier 72f. 81
82
Schorn-Schiitte, Historische Politikforschung (wie Anm. 80), 86-103.
83
Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 59.
84
Ebd., 60.
85
Ebd., 59f. „[...] vel cum Imperatore aut reliquie Imperii Dynastae sustentant."
Ebd., 60f. „Specialiter & proprie pro ilia pace quam in Imperio nostro vel Imperator cum Imperii Principibus & reliquis statibus, vel hi cum ilio, aut demum inter se invicem sánete colunt & servant, quam vernacula nostra den gemeinen Land-Frieden vocitat, [...]." 86
87
Ebd., 61f. „[...] pro cujusque provinciae sive civitatis pace, cui opponi potest seditio."
88
Ebd., 60.
89
Ebd., 62. „Cie.[ero] lib.[er] 6. de Republ.[ica]".
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an, die zwar auf einer theoretischen Ebene bleibt, sich aber bezogen auf das politische Konstrukt des Römisch-Deutschen Reiches als Verweis auf die Verhältnisse in den einzelnen Territorien interpretieren lässt. Die Ausführungen unter Sipecialiter formulieren nun einen deutlichen Reichsbezug. Besonders beachtenswert sind sowohl die Erwägung, dass Kaiser, Reichsfürsten und übrige Stände gemeinsam Träger des Landfriedens seien, als auch die Aufzählung zahlreicher leges fundamentales des Reichs wie etwa des Ewigen Landfriedens von 1495 oder aber des Augsburger Religionsfriedens von 1555. 90 Diese Rechtsquellen werden in der Schrift Iuris publici imperii romanogermanici91 des Jenaer Juristen Johannes Limnäus (1592-1663), die etwa zeitgleich mit Schaffshausens Werk erschien, als Grundlagen des Reichsrechts definiert. 92 Schaffshausen rezipiert Limnäus nicht unmittelbar, lässt sich aber inhaltlich in einem ähnlichen rechtswissenschaftlichen Kontext einordnen. So findet sich zum Beispiel ein Verweis auf Dominicus Arumäus in Schaffshausens Schrift, 93 der als Lehrer des Limnäus wie dieser ein bedeutender Vertreter der Jenaer Schule des ius publicum war. 94 Jena gilt als erste Universität, welche die Entwicklung des ius publicum zum akademischen Fach nachdrücklich förderte. 95 Die Ausprägung des in Jena vorherrschenden Reichsrechts gilt in der Verfassungsgeschichtsschreibung als diejenige, die dem Reich besonders deutlich eine Mischverfassung aus Monarchie und Aristokratie zuschrieb. Diese Definition des status mixtus ist als Vehikel zu verstehen, um die Aristotelische Staatsformenlehre (gegliedert in Monarchie, Aristokratie und Demokratie) auf das Heilige Römische Reich anwenden zu können. Die Lehre des Aristoteles nahm noch im 17. Jahrhundert eine Vorbildfunktion in der Staatsrechtswissenschaft ein und wurde, gekoppelt mit der Souveränitätslehre Jean Bodins, vielfach in der Reichspublizistik verwendet, 96 so auch bei Schaffshausen. 97 Die oben angeführten Inhalte zu den Trägern des Friedens auf unterschiedlichen politischen Ebenen zeigen, dass auch Schaffshausen der
Ebd., 61. Weiterhin führt Schaffshausen Reichsabschiede von 1522, 1548 und 1551 sowie 1557,1559 und 1566 an. 91 Johannes Limnäus, Iuris publici imperii romano-germanici. Straßburg 1629-1635. 90
Zu Quellen des ius publicum imperii romano-germanici vgl. Wyduckel, lus Publicum (wie Anm. 7), 147-153. 93 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 297. 92
Rudolf Hoke, Johannes Limnaeus, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker (wie Anm. 7), 100117. 95 Friedrich, Staatsrechtswissenschaft (wie Anm. 7), 45f. 94
Vgl. hierzu Henning Ottmann, Protestantische Schulphilosophie in Deutschland: Arnisaeus und Conring, in: Christoph Horn/Ada Neschke-Hentschke (Hrsg.), Politischer Aristotelismus. Die Rezeption der aristotelischen Politik von der Antike bis zum 19. Jahrhundert. Stuttgart 2008, 218-231; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft (wie Anm. 7), 47-49, besonders 54-57. 97 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 25, 80, 87,140,158,174,187-190. In den meisten Fällen bezieht sich Schaffshausen auf Bodin.
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Auffassung nahe gestanden haben muss, die Reichsverfassung sei ein status mixtus, da er sowohl dem Kaiser als auch den Reichsständen Befugnisse bei der Friedeschaffung und -wahrung einräumte. Die reichsrechtliche Komponente von De pace in genere wird im fünften Kapitel des Werks durch weitere Bezüge zum ius publicum imperii romano-germanici und zur Reichspublizistik noch greifbarer, wenn Schaffshausen hier erneut die Frage nach den Rechten des Kaisers und der Reichsstände behandelt. 98 Vor dem Hintergrund des seinerzeitigen Kriegsgeschehens im Reich wendet sich der Autor im Abschnitt (c) der Diskussion um ein reichsfürstliches Recht auf Kriegführung z u . " In fünf Punkten zeigt er zu diesem Zweck die Machtfülle der Reichsfürsten auf: Erstens seien die Fürsten in ihren Territorien Herrscher (imperatores). Mit diesem Standpunkt rekurriert Schaffshausen unter anderen auf Henning Göden 100 und den Wittenberger Rechtswissenschaftler Matthäus Wesenbeck 101 . Auffällig ist, dass Schaffshausen in diesem ersten Punkt seiner Beweisführung den Terminus imperatores verwendet. Diese Wortwahl ist ein deutlicher Hinweis auf die Ähnlichkeit der Machtfülle, die Schaffshausen Kaiser und Reichsfürsten zuspricht. Mit der Randbemerkung „Imperii Principes multacum Imperatore communia habent" 102 bringt Schaffshausen diese Auffassung auf den Punkt. Die zweite Herleitung des Rechts auf Kriegführung für die Reichsfürsten nimmt Schaffshausen durch den Verweis auf den Titel „Wir von Gottes Gnaden" vor, wie er von den deutschen Territorialherrschern verwendet werde. Als Referenzgröße wird auf die Zustände im Nachbarkönigtum Frankreich verwiesen. Hier sei es anderen Fürsten außer dem König bei Strafe verboten sich auf ein Gottesgnadentum zu berufen, das ausschließlich dem dortigen Alleinherrscher zustünde. Da die politischen Verhältnisse im Römisch-Deutschen Reich diametral waren, leitet Schaffshausen aus dieser Argumentation indirekt das Kriegführungsrecht für die Reichsfürsten her, da hierzulande beide den gleichen Titel nutzten. Drittens argumentiert Schaffshausen, dass die Beeinträchtigung beziehungsweise Teilung der Herrschaft (maiestas) im Reich durch den Kaiser selbst bekräftigt Ebd., 102. „Paris Causa. Imperator & Alii mutuo bella gerentes, sive Víctores, sive vieti." 9 9 Ebd., 114. „[...] sive alius quisquam, cui belli gerendi jus [...] competit." 100 Henning Coden, Consilia reverendi et clarissimì ac ingenio eruditione & usu [...]. Wittenberg 1544. Göden (auch Göde) war seit 1510 Professor für Kirchenrecht an der Leucorea in Wittenberg. Theodor Muther, Art. Göde, Henning, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 9,1879,314-316. 98
Matthäus Wesenbeck, Tractatus et response quae vulgo Consilia appelantur. Basel 1575. Wesenbeck (1531-1586) war seit 1568 Professor für römisches Recht an der Universität Wittenberg. Sw. Müll., Art. Wesenbec (wie Anm. 70); Johann August Ritter von Eisenhart, Art. Wesenbeck, Matthäus, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 42, 1897, 134-138. 102 Schaffshausen, Discursus Academicus de Pace (wie Anm. 8). Frei übersetzt: Die Reichsfürsten haben mit dem Kaiser Vieles gemeinsam. 101
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und auf diese Weise intendiert war. Zum Beleg verweist er auf die Goldene Bulle Karls IV. und die darin enthaltene Regelung der Königswahl durch die Kurfürsten. 103 Viertens rekurriert Schaffshausen auf das Recht der Fürsten, im Falle von Kapitalverbrechen Gnade walten zu lassen. Abermals erfolgt der Vergleich mit französischen Verhältnissen. Die französischen Fürsten hätten ebenfalls das alleinige Recht auf Begnadigung des französischen Königs geleugnet. Als weiteres Argument führt Schaffshausen die Bedeutung der Erbfolge in den Territorien an. Ohne Einflussnahme des Kaisers als oberstem Lehnsherrn regelten die Landesherren qua Testament ihre Nachfolge in Eigenregie, wie dies beispielsweise in Brandenburg und Sachsen geschehe. Diese fünf Argumente dienen im spezifischen Kontext des Abschnittes zur Herleitung eines reichsfürstlichen Kriegsrechts. Es wird allerdings rasch ersichtlich, dass die Implikationen weit darüber hinausgehen. Schaffshausen betont die Rechte der Reichsfürsten, die innerhalb ihres jeweiligen Territoriums eine mit dem Kaiser vergleichbare Machtfülle besäßen und bewegt sich damit eindeutig in der reichspublizistischen Debatte seiner Zeit. Insbesondere Schaffshausens Interpretation der Römisch-Deutschen maiestas begründet hier das Recht der Fürsten auf Kriegführung. Solche Äußerungen zur reichsfürstlichen Machtfülle tauchen in der Reichspublizistik häufiger auf und sind in ihrer Bedeutung insofern nicht überzubewerten, als dass sie eine allumfassende Souveränität der Territorialherren implizierten. Sie dienten vielmehr dazu, die reichsständische Libertät im jeweiligen Territorium festzustellen, nicht aber dazu, die Landesherren mit der kaiserlichen Macht auf eine Stufe zu stellen, was gleichsam die politische Verfassung des Reiches ad absurdum geführt hätte. Der Kaiser wird von Schaffshausen als oberste politische Autorität des Reiches nicht infrage gestellt, was an der Bezeichnung „summus princeps" 104 klar ersichtlich wird. Seine rechtlichen Befugnisse auf die Landesherrschaften sollten lediglich durch die der Territorialfürsten eingeschränkt werden. Die Reichspublizistik kannte unterschiedliche Akzentsetzungen in der Betonung von kaiserlicher gegenüber reichsständischer Macht. Vertrat das Gros der Gelehrten die Auffassung, dem Reich läge eine Mischverfassung zu Grunde, die in der historischen Forschung unter verschiedenen Begriffen wie etwa dem „komplementären Reichs-Staat" 105 oder dem „zwei-
103 Schaffshausen, Tractatus de Pace (wie Anm. 8), 115. „[...] ut de Electoribus est textus expressus in A.[urea] B.[ulla] Carol. IV. titul. 24."
Ebd., 106. 105 Der Begriff wurde von Georg Schmidt geprägt. Vgl hierzu Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806. München 1997; ders.; Das frühneuzeitliche Reich - Sonderweg und Modell für Europa oder Staat der deutschen Nation? in: Matthias Schnettger (Hrsg.), Imperium Romanum - Irreguläre Corpus - Teutscher Reichs-Staats. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 57.) Mainz 2002, 247-277; ders., Der 104
Frieden in der Reichspublizistik stöckigen Herrschaftssystem" 1 0 6 wiedergegeben wird, gab es daneben Extrempositionen. Diese formulierten wahlweise einen stärkeren kaiserlichen Einfluss auf die Landesherrschaften beziehungsweise ein größeres Gewicht der Territorialfürsten auf die Reichspolitik. 107 Doch auch diese Maximalforderungen stellten den komplementären Reichsverband als solchen nicht infrage. Weder monarchische noch aristokratische Extrempositionen bestritten die Mischverfassung des Reiches fundamental, wie Johannes Burkhardt betont hat. 1 0 8 Angesichts der von Schaffshausen vorgenommenen Herleitung eines Kriegführungsrechts der Reichsfürsten drängt sich die Frage auf, wie dieses in Einklang mit dem Titel des Gesamtwerks De pace in genere zu bringen ist. Mehrere Gründe scheinen als Erklärung für diese Vorgehensweise Schaffshausens denkbar. Zunächst war offenbar eine wesentliche Intention des Gesamtwerkes und dieser Sektion im Speziellen, eine Stellungnahme z u m damaligen Krieg im Reich abzugeben. Wenngleich Schaffshausen zumeist auf abstrakter Ebene argumentiert, steht doch ein Zusammenhang zum Dreißigjährigen Krieg außer Frage. Dieser wird nicht zuletzt deutlich durch den direkten Bezug auf die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen sowie den Kaiser im Kontext der Herleitung des Kriegführungsrechts. Wenn Schaffshausen nun auf das Widerstandsrecht der Fürsten anspielt, wie es Johannes Althusius formuliert hat, 1 0 9 und Martin Luther zitiert: „ D e n n / w e n n das andere Theil gleich das höheste Recht h ä t t e / u n n d billich Zorn fürwenden könte [...]/unnd damit das Gegen theil zur Noth-Wehr dringet/Unnd also dann soll das Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 66), 21-27, besonders 22; ders., Grundgesetz des komplementären Reichs-Staats (wie Anm. 2). Der Begriff „komplementärer Reichs-Staat" hat eine Forschungsdiskussion ausgelöst. Vgl. hierzu ders., Das frühneuzeitliche Reich (wie Anm. 105), 247, Anm. 2f. Der Begriff des „Reichs-Staats" wird von Johannes Burghardt explizit in einen verfassungsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Johannes Burkhardt, Europäischer Nachzügler oder institutioneller Vorreiter? Plädoyer für einen neuen Entwicklungsdiskurs zur konstruktiven Doppelstaatlichkeit des frühmodernen Reiches, in: Schnettger (Hrsg.), Imperium Romanum (wie Anm. 105), 297-316, besonders 301. 106 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, München 1999,55. Als bekanntester Vertreter einer eher monarchischen Auffassung des Reichssystems gilt Diedrich Reinkingk, die extreme aristokratische Opposition dazu wird in der Forschung stets Hippolithus a Lapide, alias Bogislaw Philipp von Chemnitz (1605-1678) zugeschrieben. Vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft (wie Anm. 7), 47-59. 108 Johannes Burkhardt, Der Westfälische Friede und die Legende von der landesherrlichen Souveränität, in: Jörg Engelbrecht/Stephan Laux (Hrsg.), Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag. (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 18.) Bielefeld 2004,199-220, hier 217. 109 Schaffshausen, Tracta tus de pace (wie Anm. 8), 81. Vgl. zum Widerstandrecht SchornSchütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 15) und Robert von Friedeburg, Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht. Die ,Politica' des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption, in: Schorn-Schütte (Hrsg.), Politische Kommunikation (wie Anm.14), 149-194. 107
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Theil/so Recht und Friede suchet/getrost und frölich sich wehren"110, dann diente dies zur Legitimation der damaligen Kriegführung der Reichsstände gegen den Kaiser.111 Diese Passage weist also einen deutlichen Aktualitätsbezug auf, der sich wiederum durch die damalige schwedisch-sächsische Bündnispolitik erklärt. Sie lässt sich außerdem auf das kaiserliche Restitutionsedikt projizieren, das von der protestantischen Kriegspartei als die reichsständische Libertät gefährdend interpretiert wurde. Vor diesem Hintergrund nahm Schaffshausen die spezifische politische Situation als einen Notstand an, der auf Basis des Widerstandsrechts, wie es hier von Althusius und Luther übernommen wird, die Kriegführung gegen den Kaiser legitimieren sollte. Das Anführen des Widerstandsrechts ist auch neuerlicher Ausdruck von Schaffshausens Positionierung innerhalb der Reichspublizistik, stärkte es doch die reichsständische Libertät gegenüber einem als übermäßig empfundenen Einfluss des Kaisers auf die Territorialpolitik.112 Nachdem Schaffshausen das Kriegsrecht der Reichsfürsten hergeleitet hat, schlägt er einen Bogen zurück zur Friedensthematik. Aus dem Recht auf Kriegführung generiert er im Laufe des Abschnitts V.(c) mutatis mutandis ein Recht auf Friedeschaffung und -Währung, das eng mit dem Recht auf Kriegführung einherging, wie auch an der damals gebräuchlichen Begrifflichkeit ius belli ac pacism klar ersichtlich wird. So stellt er an relevanter Stelle fest: „Ius belli & pacis pari passu ambulant."114 Damit betont Schaffshausen die Rechte und Pflichten der Reichsfürsten und des Kaisers, den Frieden zu bewahren und - vor dem spezifischen Kriegshintergrund - diesen wiederherzustellen. 4 . Rezeption Einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die bisherige Forschung De pace in genere kaum beachtet hat, liegt sicherlich in der geringen Rezeption der Schrift. Abgesehen von der Universität Wittenberg ließ sich die Verbreitung von Schaffshausens Friedensschrift nur in einem Fall nachweisen. So befand sich ein Exemplar von Discursus academicus de pace in der Privatbibliothek des Helmstedter Polyhistors und Begründers der deutschen
110
Schaffshausen, Tractatus de pace (wie Anm. 8), 79.
Ebd., 117. „[...] in consulto militem cogere delectum agere arma defensiva praescitu ducis circularis." 112 Wyduckel bezeichnet Althusius wegen seiner dynamischeren und weniger starren Gemeinwesensdefinition als nahezu ebenso bedeutend für die Reichspublizistik wie die Souveränitätslehre des Jean Bodin. Wyduckel, Reichsverfassung (wie Anm. 3), 78f. 111
113 Zum ius belli ac pacis vgl. Heinhard Steiger, Die Träger des ius belli ac pacis 1648-1806, in: Werner Rösener (Hrsg.), Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne. Göttingen 2000,115-135. 114 Schaffshausen, Discursus Academicus de Pace (wie Anm. 8), 111. Frei übersetzt: Das Recht des Krieges und des Friedens gehen eng miteinander her.
Frieden in der Reichspublizistik
Rechtsgeschichte Hermann Conring.115 Nachweisbar rezipiert wurde De pace in genere an der Universität Wittenberg auch nach Schaffshausens Ausscheiden aus der Fakultät in den 1630er Jahren. Für die Jurisprudenz an der Leucorea war das Thema Frieden weiterhin von Bedeutung. So lassen sich im 17. Jahrhundert mehrere der Friedensthematik zuzuordnende Schriften finden, die nach Schaffshausens De pace in genere erschienen sind. Darunter ist der Discursus iuridicus de pace des Rechtsprofessors Jeremias Reusner aus dem Jahr 1649 besonders auffällig. Reusner hatte nachweislich eng mit Schaffshausen zusammengearbeitet und war unter anderem Betreuer von dessen Dissertation im Jahre 1623 gewesen.116 Reusners Schrift zum Frieden ist ein sechzehn Seiten umfassendes Werk, das sich in mehreren Punkten an Schaffshausens Schrift anlehnt. Bisweilen nimmt es sogar Züge einer Zusammenfassung von De pace in genere an. Reusner stellt die rezipierten Inhalte Schaffshausens in engen Zusammenhang mit solchen des Johannes Limnäus, womit die spezifische Prägung von Schaffshausens Hauptwerk durch das ius publicum imperii romano-germanici noch einmal verdeutlicht wird. 5. Fazit 1. Nikolaus Schaffshausens Friedensvorstellung wird bestimmt durch die Begriffe pactum, ordo und quies - oftmals mit dem Zusatz perpetua. Damit leitet er den Frieden zum Einen juristisch her, indem er Ulpians pactum-Begriff verwendet sowie in diesem Kontext Cicero rezipiert. Außerdem betont er auf diese Weise die Bedeutung des römischen Vertragsrechts für die Friedeschaffung und -Währung. Zum Anderen zeigt sich eine starke theologische Prägung des Friedensbegriffs, die insbesondere durch die Verwendung des Augustinus-Zitats „pax est tranquillitas ordinis" und die vorbildhafte Funktion der augustinischen Zweireichelehre, die Schaffshausen seinen Ausführungen zum Frieden überordnet, ersichtlich wird. Damit stellt das umfangreiche Werk auch ein Kompendium von Friedensvorstellungen von der griechischen Antike bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts dar. 2. Schaffshausen untergliedert den Frieden in göttlichen und menschlichen, sowie Letzteren in externen und internen. Bei der Beschreibung des internen Friedens, die den Schwerpunkt seiner Schrift ausmacht, bezieht sich Schaffshausen unmittelbar auf das Römisch-Deutsche Reich und betont bei der Einhaltung des Landfriedens die Bedeutung der Reichsstände - insbesondere die der lutherischen Fürsten. Damit lässt sich Schaffshausen in der seinerzeitigen Debatte der Reichspublizistik bei derjenigen Gruppe verorten, die einen status mixtus für das Reich annahm - es also weder als Monarchie noch als Aristokratie interpretierte, sondern als eine Mischform verstand. Kann die politiktheoretische Debatte um die Verfassungsform des Römisch-Deutschen Rei-
115 Hermann Coming, Catalogue Bibliothecae Conringianae Variis in omni genere doctrinae eximiisque libris refertae. Helmstedt 1694. 1 1 6 Vgl. Anm. 27.
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ches sicherlich besser anhand der klassischen Werke der Reichspublizisten nachgezeichnet werden, so stellt sich Schaffshausens Werk durch seinen Friedensbezug und die Verweise auf den Dreißigjährigen Krieg als eine von wenigen Schriften dar, die sich unter juristisch-politischem Gesichtspunkt sowohl der Reichsverfassungsfrage als auch der nach Friedeschaffung und -Währung widmete. 3. Dieser Beitrag hat gezeigt, dass im Vorfeld des Westfälischen Friedens konkrete juristische Friedensvorstellungen und Konzepte bestanden, die nicht in erster Linie auf römisch-rechtlichen Quellen basierten und dem Völkerrecht - oder dem ius publicum europaeum - zuzuordnen sind, sondern primär auf deutsches Reichsrecht rekurrierten. Lässt sich die Genese des Völkerrechts als Grundlage des zwischenstaatlichen Friedens sehen, so soll dieser Beitrag dazu anregen, das ius publicum imperii romano-germanici und die in dieses integrierten Friedenskonzepte als Vorbedingung des innergesellschaftlichen Friedens zu interpretieren. Der Vergleich De pace in generes mit weiteren reichsrechtlichen Schriften zum Frieden wird es möglich machen, eine juristische Debatte um den Frieden nachzuzeichnen, die sich in die Reichspublizistik integrierte und das Recht auf Friedeschaffung und -wahrung als Frage politischer Partizipation - letztlich also als Machtfrage - begreift. Neben der im vierten Abschnitt dieses Beitrags erwähnten Schrift Discursus academicus de pace Jeremias Reusners wird hierzu unter anderem die Dissertationensammlung Spicilegia politico-juridica, de legatis, (2) de sessiones praecedentia, ac item (3) de pacts jure (4) deque arcanis rerumpublicarum (Straßburg 1624) des Tübinger und Ingolstädter Rechtsgelehrten Christoph Besold (1577-1638) dienen. 4. Es wurde aufgezeigt, dass die damals aktuellen politischen Umstände des Dreißigjährigen Krieges auf De pace in genere Einfluss genommen haben und Schaffshausen Bezüge zum Kriegsgeschehen für seine Argumentation nutzbar machte. Mehr noch: Seine Ausführungen waren in der Intention verfasst, auf die Tagespolitik einzuwirken. Indem er die aktuelle Genese des ius publicum imperii romano-germanici mit dem Friedensaspekt - dem übergeordneten Ziel der christlichen Gesellschaft, das Schaffshausen von Augustinus übernahm koppelte, führte er die Bedeutung der reichsständischen Libertät auf eine friedewahrende Ebene. Das ius belli ac pads und das Widerstandsrecht, die Schaffshausen beide den Reichsfürsten zusprach, legitimierten den Krieg gegen den Kaiser, der - nach Auffassung der Protestanten - die ständische Freiheit unter anderem mit dem Restitutionsedikt von 1629 einzuschränken drohte. Vor diesem Hintergrund stilisierte Schaffshausen die Reichsfürsten zu Wahrern der Verfassung und damit entscheidenden Friedensgaranten des Reichs.
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
Tobias Bartke Z w i s c h e n Rechts- und Kulturtransfer. Die Funktion des Friedens in der versuchten Reform des s c h w e d i s c h e n Rechts um 1600 1 . Das schwedische Reich gilt in der Forschung gemeinhin als eine der bestimmenden Mächte Europas im 17. Jahrhundert. 1 Nicht selten wird die Effektivität seiner Verwaltung, Struktur und nicht zuletzt seines Militärsystems hervorgehoben. Der Blick auf die innerschwedischen Voraussetzungen dieser Entwicklungen bleibt jedoch meist nur oberflächlich und die Formierungsphase Schwedens somit wenig beachtet. Bei näherer Betrachtung ist in der Zeit um 1600 nur wenig von der so genannten stormakstid2 - der Phase schwedischer Dominanz - zu erkennen. Das schwedische Reich hatte seit der Krönung Gustav Vasas 1523 fast durchgängig im Krieg zuerst mit Dänemark und später auch mit Polen gestanden. Im Inneren wurde das Land durch Aufstände, Thronkämpfe und konfessionelle Spannungen dauerhaft in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand versetzt. Die Bedrohung, die von diesen inneren Konflikten und Instabilitäten für das schwedische Reich ausging, spitzte sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu und wurde allgemein als existenziell wahrgenommen; ein Zustand, dem nicht mehr die „Qualität von ,Frieden'" 3 zukam. 4 Vgl. stellvertretend David Kirby, Northern Europe in the Early Modern Period. The Baltic World 1492-1772. L o n d o n / N e w York 1998; Werner Bucholz, Schweden und Finnland, in: Matthias Asche / A n t o n Schindling (Hrsg.), Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession 1500 bis 1600. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 62.) Münster 2 0 0 3 , 1 0 6 - 2 3 7 ; Paul Douglas Lockhart, Sweden in the Seventeenth Century. (European history in perspective.) Basingstoke 2004; M/s Runeby, Monarchia mixta. Maktfördelningsdebatt i Sverige under den tidigare stormaktstiden. (Studia histórica Upsaliensia, Bd. 6.) Stockholm 1962; Gösta Hasselberg, Kompendium i svensk rättshistoria. Samhällsutveckling och rättskällor frän medeltid tili nutid. Stockholm 1989; Jörg Peter Findeisen, Schweden von den Anfängen bis zur Gegenwart. Regensburg 2003, 90. 1
Die schwedische stormakstid (Großmachtszeit) umfasst in der Regel die Regentschaft Gustav II. Adolf (1611-1632) und reicht bis zum Tode Karls XII. (1718). Da der Kampf Schwedens um das dominum maris baltici aber bereits mit der expansiven Außenpolitik unter Erik XIV. seit 1561 beginnt, setzen einige Darstellungen den Beginn der Großmachtszeit entsprechend früher an. Eine Übersicht zur Diskussion der Periodisierung findet sich bei Sten Äke Nilsson, Imperial Sweden. Nationbuilding, War and Social Change, in: Arne Losman u.a. (Hrsg), The age of New Sweden. Stockholm 1988,9-39. 2
lnken Schmidt-Voges, Mediale Strategie und kommunikative Tradition. Die Vermittlung des konfessionellen Friedensschlusses 1593/1594 als Paradigma politischer Kommunikation in Schweden, in: Bent Jörgensen/Raphael Krug/Christine Lüdke (Hrsg.), Friedensschlüsse. Medien und Konfliktbewältigung vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. (Documenta Augustana, Bd. 18.) Augsburg 2 0 0 8 , 1 2 3 - 1 4 7 , 1 2 5 .
3
4
Die Funktion von ,Frieden' in den innerschwedischen Entwicklungen im 17. Jahr-
hundert stellt in der Forschung bisher ein Desiderat dar. Eine explizite Ausein-
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Der Herrschaftsantritt Karls IX. 1598 muss in diesem Zusammenhang als Klimax dieser Entwicklung verstanden werden. Zwar hatte er noch im Kampf gegen den Thronanspruch Sigismunds III. mit den adligen Ständen paktiert, jedoch war diese Allianz nur von kurzer Dauer. In den folgenden Jahren gelang es Karl seine Stellung im Reich auf Kosten des Adels sukzessive auszubauen. Geschickt mobilisierte er - wie schon seine Vorgänger - auf den Reichstagen von Söderköping (1595) und Arboga (1597) die freien Bauern für seine Zwecke und schuf sich eine nahezu königliche Machtfülle auf Kosten des im Reichsrat vertretenen Adels. 5 Das sogenannte Blutbad von Linköping, bei dem Karl oppositionelle Mitglieder des Reichsrates hinrichten ließ,6 war nicht nur Höhe-, sondern auch Wendepunkt des Konfliktes. So waren die Jahre nach 1600 vom Bemühen um eine Aussöhnung mit dem Adel geprägt, was sich nicht zuletzt 1602 in der Restitution des Reichsrats als beratendes Gremium niederschlug. 7 Zugleich muss die Wiedererrichtung des rïksràds als ein Versuch gewertet werden, das Königsrecht und das Ständerecht wieder mit den Vorgaben des mittelalterlichen Landrechts (landslags) in Einklang zu bringen. Trotz dieses Schrittes ist in der bisherigen Forschung Karls Politik auch nach 1600 stets als fundamental anti-aristokratisch charakterisiert worden. 8 Dieses Pauschalurteil bedarf allerdings einer Revision. Zwar war der Konflikt um die Fülle der königlichen Macht so alt wie das schwedische Reich selbst und bereits beim Herrschaftsantritt Gustav Vasas virulent. Anders als seine unmittelbaren Vorgänger war Karl IX. allerdings noch stärker auf das Wohlwollen der Stände angewiesen: Zum einen konnte er nur mit ihrer Hilfe sein eigentliches Ziel, die Königskrönung, erreichen. Zum anderen galt es für den Usurpator über die eigene Regentschaft hinaus den Thronanspruch für seine Nachkommen zu erhalten. Beide Ansprüche waren allerdings nur durchsetzbar, andersetzung mit dem Thema ,Frieden' und Friedensvorstellungen findet sich lediglich in den Forschungen zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte und zum Westfälischen Friedensschluss. Vgl. Beschluss des Reichstages von Söderköping 1595, Svenska Riksdagsakter (SRA) III, 544-581; Beschluss des Reichstages von Arboga 1597, SRA III, 805-810; ferner bei Michael Roberts, The Early Vasas. A History of Sweden 1523-1611. Cambridge 1968, 353-367. 5
Opfer des Blutbades von Linköping waren unter anderen: Erik Larsson Sparre (15501600), Hogenskild (1538-1600) und Ture Nilsson Bielke (1548-1600), Sten (1546-1600) und Gustav Axelsson Banér (1547-1600).
6
Äke Hermansson, Karl IX och ständerna. Tronfrâgan och författningsutvecklingen i Sverige 1598-1611. (Studia histórica Upsaliensia, Bd. 7.) Uppsala 1962,127-130. 7
Roberts sieht in dem Sieg Karls über seinen Neffen sogar den Bankrott der politischen Mitwirkung der schwedischen Stände, Roberts, Early Vasas (wie Anm. 5), 426; ders., Gustavus Adolphus and the rise of Sweden. (Men and their times.) London 1973, 24; Findeisen, Schweden (wie Anm. 1), 110; Robert Murray, A Brief History of the Church of Sweden. Origins and Modern Structure, Stockholm 1969, 34; Hermansson, Karl IX (wie Anm. 7), 159. 8
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
wenn es ihm gelang seine Legitimität als rechtmäßiger König zu beweisen. Die Abstammung als Sohn des Reichsgründers allein reichte hierfür nicht aus, vielmehr musste er sich durch Taten diese Rechtmäßigkeit verdienen. Eine von ihm angestrebte umfassende Reform des alten landslag und insbesondere des konungs balker (Königsrecht) bot somit die Gelegenheit seine Ansprüche zu untermauern, war doch die Gesetzgebung von je her Ausdruck monarchischer Legitimität. Darüber hinaus erwies sich das Verhältnis zwischen Karl und dem Adel als zu sehr beschädigt, um einfach zum status quo ante zurückzukehren. Nach wie vor beäugten sich beide Seiten mit Misstrauen. Der so vertiefte ,Unfrieden' kann als Ausdruck einer instabilen politischen Kultur angesehen werden. Begreift man politische Kultur einerseits als „Weltbild", das das politische Denken prägt und andererseits „als ungeschriebene Verfassung", die das öffentliche Reden und Handeln der politischen Akteure konditioniert,9 kann zwar im Zusammenhang des sogenannte Uppsala Kyrkomöte von 1593 noch von einer verlässlichen politischen Kultur mit gemeinsam geteilten Selbstbildern, Rhetoriken und Kommunikationsformen für das schwedische Reich gesprochen werden. 10 Für die Zeit um 1600 ist dies dagegen nicht mehr möglich. Abgesehen von der Bedrohung durch äußere Feinde sowie der Berufung auf die Reformation gab es kaum von Adel und König gemeinsam geteilte Grundwerte und Vorstellungen. Ein gemeinsamer Diskursrahmen, innerhalb dessen sich das Denken und Handeln der politischen Akteure vollzieht und der letztlich entscheidend für das Vorhandensein einer politischen Kultur ist,11 existierte damit nur noch sehr eingeschränkt. Für beide Seiten galt es daher eine neue Basis der Zusammenarbeit und des Miteinanders zu finden, um dauerhaft den inneren Frieden des Reiches und den Bestand der Ordnung zu garantieren. Vor diesem Hintergrund fand 1602 in Stockholm der erste große Reichstag nach dem Blutbad von Linköping statt. Nach heftigen Diskussionen einigten sich Adel und König darauf, dass eine politische Zusammenarbeit auf Basis des alten landslags von 1442 durch die veränderte Ausgangslage seit 1600 nicht mehr möglich sei, weshalb ein neues Grundgesetz' für das schwedische Königreich zu erarbeiten sei.12 So heißt es im Beschluss zu Stockholm, alle Versammelten seien übereingekommen, dass ein dauerhafter Friede der „Erneuerung der alten schwedischen Gesetze" bedürfe, weshalb eine von den Ständen einzurichtende Kommission „binnen eines Jahres" ein neues Geset-
Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse, in: Andreas Dornheim/Sylvia Greiffenhagen (Hrsg.), Identität und politische Kultur. Stuttgart 2003,110-126,111. 9
10
Schmidt-Voges, Mediale Strategien (wie Anm. 3).
11
Rohe, Politische Kultur (wie Anm. 9), 111.
Fredrik August Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag i Carl den Niondes Tid. (Handlingar rörande Sveriges historia, Andra serien, Bd. 1.) Stockholm 1864, IX. 12
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zeswerk vorlegen sollte.13 Dieses auf Konsens beruhende Postulat, besaß sowohl hohes Integrationspotenzial, gleichzeitig aber auch große politische Sprengkraft. Einerseits wurden hier die zukünftigen Rahmenbedingungen der politischen Ordnung des schwedischen Reiches verhandelt, andererseits berührte die Reform des landslag einen Bereich, dem ein hoher symbolischer Identitätsgehalt beigemessen wurde und der damit konstitutiv für das politische Selbstverständnis in Schweden war. So betrafen die angestrebten Reformen des mittelalterlichen Gesetzeskodex' neben Fragen des Bau-, Erb- und Handelsrechts vor allem den so genannten konungz balker, der unter anderem die spezifischen Rechte und Pflichten des Königs als obersten Friedenswahrer festlegte.14 Die fundamentale Bedeutung, die diesem Ordnungsprozess zugemessen wurde, spiegelt sich in der Formulierung wider, dass es „ja gar unmöglich [...] sei, ein Regiment bei friedsam und ruhigen Wesen zu erhalten, wo nicht einem Jedwesen gleiches Recht wiederfahre, und mitgeteilt wird" 1 5 , weshalb es Karl IX. als seine „heilige Pflicht" empfand, das „verehrungswürdige Gesetz von dem glorwürdigsten König Chistopher" einer Überarbeitung zu unterziehen. 16 Auch wenn die Wahrung des Friedens stets teil christlicher Herrscherprogramme war, wird hier die besondere Bedeutung, die Karl IX. der Friedenssicherung beimaß, deutlich. Es ist daher umso erstaunlicher, dass dieser Beschluss von der bisherigen Forschung ebenso vernachlässigt wurde, wie das sich anschließende Ringen um die Wahrung und institutionelle Absicherung der Ordnung und des inneren Friedens.17 Da die Stände der Aufforderung Karls nur zögerlich nachkamen, setzte dieser noch im gleichen Jahr ein eigenes Reformgremium ein. Die Arbeit der beiden Kommissionen verstrickte sich jedoch derart in inhaltliche Konflikte, dass schließlich im Jahre 1608 die Arbeit an der Gesetzesreform endgültig eingestellt und lediglich eine einheitliche, mit modernen Kommentaren versehene Version des mittelalterlichen landslags herausgegeben wurde.
13
Ebd.
H. Ehrhardt, Art. Christoffers Landslag, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2. München 2002, Sp. 1921f. 14
15
Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 3f.
16
Ebd.
Die Überblickswerke zur schwedischen Rechtsgeschichte streifen diese Reform nur am Rande. Ein Grund hierfür mag im vordergründigen Scheitern zu suchen sein. Auch die neueste Biographie Karls IX. berücksichtigt diesen Aspekt nicht: Lennart Hedberg, Karl IX. Företagarfursten & enväldshärskaren, Stockholm 2009. Bisher erschien lediglich eine in weiten Teilen unkommentierte Edition der Gesetzesvorschläge Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12). 17
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
Die Erfolglosigkeit dieses Reformvorhabens wird in der älteren Forschung meist auf einen Konflikt zwischen Karl IX. und den Reichsständen reduziert.18 In der Tat lässt sich dieses Scheitern auf den ersten Blick aus unvereinbaren Rechtsvorstellungen des Adels und des Königs ableiten, wenn man Scheitern als Verfehlung des Ziels eines neues Grundgesetzes' definiert. Dieses verfehlte Ziel lässt sich letztlich - so die These dieses Aufsatzes - darauf zurückführen, dass die von der königlichen Kommission versuchte Umstrukturierung der „Verfassung" in Anlehnung an damalige politiktheoretische Debatten im Alten Reich nicht konsensfähig war und somit auf einen gescheiterten Rechtstransfer zurückzuführen ist. Auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass sich in den Verhandlungen und Auseinandersetzungen etwas herausbildete, das für die kommende Jahrzehnte von integrativer Bedeutung sein sollte. Denn für das Verständnis der schwedischen Politik und der Formierung der politischen Kultur des 17. Jahrhunderts ist die Betrachtung und Analyse dieses Ringens um innenpolitische Ordnung und damit die Frage nach der „richtigen" Art und Weise der Friedenssicherung ausgesprochen aufschlussreich. Die Fokussierung auf die hinter den Auseinandersetzungen stehenden Konzeptionen von Frieden und dessen Sicherung hilft den Charakter der politischen Prozesse nachzuvollziehen, da die Wahrung des innenpolitischen Friedens die einzige von allen Akteuren unwidersprochene Grundkonstante dieser Zeit war. Der Funktionalisierung des Friedensnarrativs kommt daher eine tragende Bedeutung zu, da es die politische Kommunikation nicht nur bestimmte, sondern diese konturierte und legitimierte. Die Rede vom Frieden als einziger gemeinsamer Kosens der Verhandelnden konstituierte argumentativ somit den Institutionalisierungsprozess Schwedens. Bei der vorliegenden Analyse des ,Verhandeins über den Frieden' geht es darum, dass politische (Selbst-) Verständnis und das politische Denken der Akteure deutlich zu machen. Die verwendete Rhetorik wird hier als das ,Medium' verstanden, in dem sich das eigene Selbstverständnis nicht nur manifestiert, sondern auch gleichzeitig modifiziert werden muss, als Anpassungsleistung an die veränderten politischen Gegebenheiten um 1600. 19 Die Frage nach den Mechanismen und Logiken dieser Kommunikation über den Frieden steht daher im Vordergrund der Untersuchung. Damit verlagert sich der Fokus gegenüber bisherigen eher rechtsgeschichtlichen und -dogmatischen Forschungsansätzen in Richtung einer Analyse der Folgen von Kommunikation über Recht für die Herausbildung von Rechtsnormen und deren Geltungsbereich. Es erscheint 18 So etwa bei Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), Vorwort, I-XXIV; Hermansson, Karl IX (wie Anm. 7); Runeby, Monarchia mixta (wie Anm. 1); Nils Fredrik Lilliestrâle, Riksdagarna 1609 och 1610. Nàgra bidrag tili Karl IXs historia under sista âren af hans regering. Nyköping 1888; Kirby, Northern Europe (wie Anm. 1), 132.
Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. (Historische Semantik, Bd. 4.) Göttingen 2006, 37. 19
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daher als besonders fruchtbringend die Untersuchung auf der Ebene der Akteure (Karl IX., seine bürgerlichen Sekretäre, der oppositionelle Adel) anzusiedeln. Sie bestimmten durch ihre Denkmodelle den Charakter der Kommunikation um die Ausgestaltung und Wahrung des Friedens und bildeten so die Pole zwischen denen die Konsensfindung erfolgen musste. Bevor jedoch einzelne Aspekte der Arbeits- und Kommunikationsprozesse innerhalb und zwischen beiden Kommissionen in den Blick genommen werden, um die Zusammenhänge der Gesetzesreform mit der Erfordernis nach einer erneuerten politischen Kultur aufzuzeigen, sollen zum besseren Verständnis kurz die mittelalterliche Rechtstradition Schwedens und die soziale Zusammensetzung der beiden Kommissionen skizziert werden. 2. Im mittelalterlichen Schweden existierten nur wenige reichsweit einheitliche Institutionen, unter denen dem Bereich der Rechtspflege und der Rechtsprechung eine bedeutende, weil gesellschaftskonstituierende Relevanz zukam.20 Die mittelalterlichen Rechtssammlungen des lands- und stadslag von 1350 beziehungsweise 1442 bildeten die übergreifenden, integrierenden Elemente.21 Oder anders ausgedrückt, gab es für Schweden in dieser Zeit kein über Stammes- und Siedlungsverbände hinausgehendes, übergreifendes Gesellschaftsmodell jenseits des Rechtes und der Rechtsprechung.22 Daher muss das Recht nicht nur als den innergesellschaftlichen Frieden sichernd, sondern auch als konstitutiv für das schwedische Reich als politische Einheit und kongruente Gesellschaftsordnung definiert werden. Politische Kernfunktion besaß wie erwähnt der konungz balker, der die Beziehungen des Königs zu Reich, Adel und Reichsrat definierte. Kern dieses Königsrechts war die Festlegung auf ein Wahlkönigtum, was dem Adel eine starke Position innerhalb des Herrschaftsgefüges zusicherte.23 Die Wahl Gustav Eriksson Vasas 1523 durch die Versammlung der Männer des Reiches' des landslag ist damit auch als Teil einer symbolischen Politik zu verstehen, um an schwedische' Traditionen jenseits der Kalmarer Union anzuknüpfen. Die Versammlung der Männer des Reiches' meinte ursprünglich die Zusammenkunft aller freien Männer, die entweder einen neuen König wählten, über Krieg und Frieden entschieden oder Steuern bewilligten. Gustav Vasa nutzte in den folgenden Jahrzehnten seiner Herrschaft dieses Instrument immer wieder, um entweder
Eva Österberg/Erling Sandmo, Introduction, in: Eva Österberg/Solvi Bauge Sogner (Hrsg.), People meet the Law. Control and conflict-handling in the courts. The Nordic countries in the post-Reformation and pre-industiral period. Oslo 2000, 9-26, 9. 20
Ditleν Tamm/Jens Christian V. Johansen/Hans and the Judicial System, in: ebd., 27-56.
21
Eyvind Nxss/Kenneth
22
Österberg/Sandmo,
23
Ehrhardt, Art. Christoffers Landslag (wie Anm. 14), 1921.
Introduction (wie Anm. 20), 9.
Johansson, The Law
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seiner Politik Legitimität zu verleihen oder politischen Druck zu erzeugen. 24 Der betonte Rekurs auf die im landslag vorgesehenen Formen der politischen Kommunikation wurde gezielt eingesetzt, um Einigkeit und Legitimität zu erreichen und damit den Frieden im Reich zu sichern. 25 Unter den Nachfolgern Gustav Vasas wurde die Versammlung der freien Männer des Reiches zunehmend dazu genutzt, um mit Hilfe der freien Bauern politische Entscheidungen gegen den oppositionellen Adel zu fällen, so dass sich keine stabilen Institutionen politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung zwischen Adel und Monarch ausbilden konnten. 26 Abgesehen vom symbolischen Wert war das mittelalterliche Recht kaum noch den Erfordernissen des frühneuzeitlichen schwedischen Staates angemessen, so dass bereits während des 16. Jahrhunderts der Gedanke aufkam, das geltende Recht zu vereinheitlichen und einer Revision zu unterziehen.27 So beschäftigte sich Olaus Petri (1493-1552) in den 1520ern mit dem Gedanken einer umfassenden Rechtsreform. Er schrieb im Vorwort zu seiner Richterregel: „Wenn auch das alte Gesetzt wert ist, verehrt zu werden, kommt es bisweilen dahin, dass das Gesetz geändert werden müsse, um böser Menschen Sitten zu berichtigen und um mit Gerechtigkeit die Zwietracht der Menschen beizulegen." 28 Besonders die Einführung der Reformation und die mit ihr verbundene Ablösung der geistlichen Gerichtsbarkeiten schufen rechtliche Lücken, die durch das profane, weltliche Recht nicht geschlossen werden konnten, was um 1600 zu einer zeitweiligen Blockade der schwedischen Gerichte führte und damit die innere Ordnung bzw. den Frieden zusätzlich destabilisierte. Als weitaus folgenreicher erwies sich jedoch, dass die im landslag verankerte politische Ordnung keineswegs mehr der politischen Realität entsprach. Schrieb doch die alte Gesetzessammlung ein Wahlkönigtum vor, welches aber defacto unter den jüngeren Vasakönigen in ein Erbkönigtum übergegangen war, so dass
Herman Schück, Sweden's Early Parliamentary Institutions from the Thirteenth Century to 1611, in: Michael Metcalf (Hrsg.), The riksdag. A History of the Swedish Parliament. Stockholm 1987,3-60,42. 24
25
Schmidt-Voges, Strategie (wie Anm. 3), 133.
26
Die große Ausnahme bildete das sogenannte Uppsala Kyrkomöte von 1593. Vgl. ebd.
Cöran Inger, Rättsutvecklingen i Sverige under 1600-talet, in: Sven Lundström (Hrsg.), Gustaf II. Adolf och Uppsala Universitet. Uppsala 1982, 59-76, 73f.; Michael jacoby, Germanisches Recht und Rechtssprache zwischen Mittelalter und Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des skandinavischen Rechts. Gegenthese zu J. Grimm und zu romantischer Auffassung im 20 Jahrhundert. Lexemdistribution und Lexemverhalten in Textsorten und Dialekten innerhalb historischer Sprachstufen, Bd. 1. New York u.a. 1986,138. 27
28
Zitiert nach ebd., 116.
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einer der Kernbereiche des schwedischen Rechts, der konungz balker, einer dringenden Reform bedurfte.29 3. Die 1602 beschlossene Reform des landslags wurde bereits von den Zeitgenossen als dringlich und notwendig angesehen, wie die Vorrede zum ersten Gesetzesentwurf von 1602 deutlich macht. Dort heißt es: „Am 20. September im Jahre 1603 begann der großmächtige, hochgebohrene Fürst und Herr Carl, des Reiches Schweden auserkorener König [...] nach dem löblichen Exempel vieler vorhergehender Könige, das schwedische Recht durchzusehen, zu korrigieren und zu verbessern."30 Ein entscheidender Faktor, der die von der königlichen Kommission versuchte Umstrukturierung der ,Verfassung' nach Rechtsvorstellungen aus dem Alten Reich behinderte, war die soziale Struktur der beiden Kommissionen. Während die von den Reichsständen bestellte, nach ihrem Vorsitzenden Ture Jakobsson Rosengren (1548-1611) benannte Kommission sich ausschließlich aus Vertretern des alten schwedischen Adels zusammensetzte, waren die Mitglieder der königlichen Kommission allesamt Juristen bürgerlicher Herkunft. Sie hatten ihre Ausbildung an den Universitäten des Alten Reiches genossen und waren nach ihrer Rückkehr in die Dienste Karls getreten, wo sie versuchten ihr erlerntes Wissen in praktische Politik umzusetzen.31 Es ist daher davon auszugehen, dass ihre im Studium erworbenen ,modernen' Kenntnisse des römisch-deutschen Rechts im Konflikt mit den alten Rechtstraditionen des schwedischen landslags standen. Solchen neuen Rechtsvorstellungen konnten die traditionellen Eliten nur wenig abgewinnen, sie mussten sie sogar ablehnen, da neben der noch jungen Identitätsbildung durch die 1593 eingeführte lutherische Konfession, die gemeinsame Rechtstradition als das Kernelement schwedischen Selbstverständnisses angesehen wurde.32 Die 1602 von den Ständen eingerichtete Kommission bestand aus neun Migliedern,33 als deren Wortführer sich schnell Ture Jakobsson Rosen-
29
Vgl. Inger, Rättsutvecklingen (wie Anm. 27); Roberts, Early Vasas (wie Anm. 5), 437f.
30
Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 3.
Einen ersten Überblick über diese bürgerlichen Sekretäre' liefert Simone Ciese, Studenten aus Mitternacht. Bildungsideal und peregrinatio académica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung. (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 68.) Stuttgart 2009. 31
Vgl. Tamm/johansen/Nsess/Johansson, Law (wie Anm. 21); Schmidt-Voges, Strategie (wie Anm. 3), 124. 3 3 Die Rosengren-Kommission bestand laut Dahlgren aus Ture Jakobsson Rosengren, Arfwid Swaan, Bengt Knutsson, Muritz Jöransson, Michel Arffwedsson, Michel Oloffson, Per Bengtsson uns Mattz Andersson; Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 253. Hermansson gibt darüber hinaus noch Seved Ribbig als Unterzeichner des ersten Entwurfes des Rosengren-Vorschlages an; Hermansson, Karl IX (wie Anm. 7), 197.
32
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gren 34 herauskristallisierte. Als Adlige verfügten sie über eine zeitgemäße Bildung und ein hohes Maß an Rechts- und Verwaltungspraxis. Sie hatten zumindest teilweise ein Collegium besucht oder waren durch einen Hauslehrer unterrichtet worden, ohne allerdings ein anschließendes Studium aufzunehmen. Zudem bekleideten sie alle ein Amt in der Staatsverwaltung, sei es als Burggrafen des Königs, der Verwaltung einzelner Provinzen oder als lagläsare. Ihre Kompetenz, die bestehenden Gesetze weiterzuentwickeln und anzupassen leiteten sie aus ihrem Rechtsverständnis ab, demzufolge sie sich als Adlige von je her als Wahrer der schwedischen Rechtstraditionen verstanden.35 Dagegen bestand die von Karl IX. eingerichtete Kommission lediglich aus vier Personen: Nils Chesnecopherus 36 , Peder Nilsson 37 , Peter Petrejus38 und Johan Bengtsson Skytte. 39 Sie alle können als homines novi bezeichnet werden, die als Sprösslinge von Kaufmanns- oder Verwaltungsfamilien an ausländischen, überwiegend deutschen Universitäten eine professionalisierte Ausbildung absolviert hatten und eine Verwaltungskarriere anstrebten. Besonders unter ihnen hervorzuheben ist der spätere Reichsrat Johan Bengtsson Skytte (15771645). Zwar war 1602 offiziell Peder Nilsson zum Vorsitzenden der königlichen Kommission ernannt worden, doch schon bald entpuppte sich Skytte als der wahre Wortführer der Gruppe und muss schließlich auch als federführend für den ersten Reformvorschlag angesehen werden. 40 Skytte wurde 1577 als Sohn des Bürgermeisters von Nyköping geboren. Die Familie stand in engem Kontakt mit Herzog Karl, so dass er bereits in jungen Jahren Erfahrungen in der Verwaltung sammeln konnte und von diesem protegiert wurde. Die Ausbildung Skyttes zielte von Anfang an auf eine spätere Tätigkeit im Staatsdienst: Nach seiner Gymnasialzeit in Stockholm ging er für ein Jahrzehnt auf Studienreise, welche ihn nach England, Frankreich und ins Alte Reich führte. Im Reich sind Studienaufenthalte in Frankfurt/Oder, Köln und Marburg nachweisbar, wo er sich intensiv mit den Leh-
Eine umfassende Biographie Rosengrens existiert bisher nicht. Daher sei hier auf Stefan Östergren, Art. Ture Rosengren, in: Svenkst Biografiskt Lexikon, Bd. 30. Stockholm 1998,519-521 verwiesen. 34
35
Hermansson, Karl IX. (wie Anm. 7), 196-202.
Eine umfassende Biographie zu Chesnecopherus liegt bisher nicht vor, daher sei verwiesen auf: Tor Berg: Art. Nils Chesnecopherus, in: Svenkst Biografiskt Lexikon, Bd. 8. Stockholm 1929,426-439. 36
37
Biographisches bei: Nils Runeby, Monarchia Mixta (wie Anm. 1), 47.
38
Ebd.
Johan Skytte ist bisher von der Forschung eher als Randfigur wahrgenommen worden. Einzig umfassend zu ihm: Tor Berg, Johan Skytte. Hans ungdom och verksamhet under Karl IX's regering. Stockholm 1920. Skyttes Beteiligung an der Gesetzesreform wird hier allerdings nur am Rande gestreift; auch endet die Untersuchung bereits mit dem Tode Karls IX. 1611. 4 ° Ebd., 136-144, besonders 136, hier Anm. 163. 39
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ren des Petrus Ramus (1515-1572) auseinandersetzte.41 Johan Skytte war bereits in jungen Jahren in der Lateinschule von Nyköping und später am Collegium Regium in Stockholm nach ramistischen Vorstellungen erzogen worden. In diesem Sinne prägend waren während seiner Peregrinatio Académica auch die Jahre an der Marburger Universität, an der er schließlich 1598 bei dem Ramisten Rudolf Göckel, auch Goclenius genannt, (1547-1628) zum Magister Artium promovierte. Auch sind mehrere Disputationen und Orationen Skyttes von den Marburger Aufenthalten erhalten, in denen er als Verfechter der Lehre Ramus' auftrat.42 Dem Werk des Petrus Ramus entlehnte er einige der wichtigsten Gedanken seiner Reformvorschläge.43 Besondere Kritik übte er an der Kirche und dem Adel, welche in der Vergangenheit häufig eine eigene Politik verfolgt hätten und so das Gemeinwohl des Reiches gefährdet hatten. 44
•
Doch nicht nur der in Marburg gelehrte Ramismus prägte Skyttes Politikverständnis.45 Durch den an der Marburger Juristenfakultät lehrenden Hermann Vultejus 46 (1555-1634) kam Skytte erstmals mit staatsrechtlichen Fragen der Zeit in Berührung. Vultejus hatte 1599 in seiner Schrift Ad títulos Codicis, qui sunt de iurisdictione et foro competenti Commentarius die Verfassung des Römisch-Deutschen Reiches als Monarchie mit starken aristokratischen Elementen charakterisiert.47 Auch wenn Skytte allerdings denjenigen Juristen zuzuordnen ist, die die Macht dem Kaiser bzw. dem Monarchen zusprechen - wie auch in seinen Ausführungen zur Gesetzesrevision deutlich wird - bildete die Auseinandersetzung mit Vultejus 48 wohl den Beginn seiner gezielten Überlegungen zum Verhältnis von Monarch und Aristokratie. Ebenfalls einen weite-
Erland Sellberg, Johan Skytte. The originator of the Swedish Model?, in: Bo Andersson (Hrsg.), Cultura Baltica. Literary culture around the Baltic 1600-1700. (Studia Germanistica Upsaliensia, Bd. 35.) Stockholm 1996,13-22,19. 41
Giese, Peregrinatio (wie Anm. 31), 523; vgl. Erland Sellberg, Filosofili och nyttan. Pertus Ramus och Ramismen. (Gothenburg Studies in the History of Science and Ideas, Bd. 1.) Göteborg 1979; beispielhaft sei hier auf johan Skytte, Een Oration om the Svenskes och Göthers första Ursprung och mandom j Krijgh hállen pá Latijn uthi then wijdhberömde Academien j Marpurgh uthi Hessen.... Stockholm 1604, gehalten an der Marburger Universität im Januar 1599, verwiesen.
42
43
Sellberg, Skytte (wie Anm. 41), 22.
44
Ebd.
Emil Wolff, Riksrádet Johan Skyttes kommentar tili stadslagens, Göteborg 1905, XVII; vgl. Berg, Skytte (wie Anm. 39), 14-86. 45
Roderich von Stintzing/Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Abt. 2. 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Neudruck Aalen 1978,452-464. 46
Diese Auffassung bildete den Auftakt für den acht Jahre später aufkommenden Gelehrtenstreit zwischen den juristischen Fakultäten in Marburg und Gießen über die Verfasstheit des Alten Reiches. Vgl. Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 50.) Berlin 1997,49-52. 47
48
Wolff, Riksrádet (wie Anm. 45), XVII.
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
ren Grundgedanken seines Lehrers, dass Recht ein Mittel zur Einhegung politischer Gegensätze sei, verinnerlichte Skytte während seines Studienaufenthalts.49 Darüber hinaus prägten andere staatstheoretische Konzepte wie etwa die Politica von Justus Lipsius (1547-1606) und die darin gepriesene starke Macht des Königs das politische Denken Skyttes.50 Nach seiner Rückkehr nach Schweden trat Skytte 1602 in die Dienste Karls, zuerst als Erzieher des Thronfolgers Gustav Adolf und kurze Zeit später auch als politischer Berater. Während dieser Zeit kritisierte er bereits zunehmend die mangelnde Kenntnis gedruckter Rechte durch den Adel,51 was wohl auch ein Grund für seine Berufung in die königliche Reformkommission gewesen sein dürfte. 4 . Der 1603 von königlicher Seite präsentierte Entwurf eines neuen landslag52 trägt maßgeblich Züge der Denkweise Skyttes. So beinhaltete dieser erste Entwurf neue, bisher nicht im schwedischen Recht verankerte zentralistische Tendenzen und zielte auf die Stärkung der Königsmacht ab. Alte Vorrechte des Adels und der Kirche in Steuerfragen, Rechtsprechung und der Wahrung des allgemeinen Friedens sollten beschnitten werden, um die Ordnung und damit den Frieden (beide Begriffe werden nicht selten synonym verwand) im schwedischen Reich zu gewährleisten.53 Aufgabe sowohl der Kirche als auch des Adels war ein ausschließliches Handeln zum Wohle des Staates, wobei das Staatswohl allein vom Herrscher definiert wurde. In den Augen Skyttes wäre „nicht nur die Ordnung, sondern auch der Friede beständig in Gefahr"54, würden beide Gruppen eine eigene Politik verfolgen. Dem König oblag es, den Frieden in allen Teilen der Gesellschaft zu gewährleisten. Dies umfasste sowohl die Landfriedenswahrung (Tingsfridh) als auch die Wahrung des kirchlichen Friedens (Kyrkiofridh) bis hin zum Hausfrieden (Hemfridh) auf der Mikroebene der Gesellschaft. Aufgabe des Monarchen war es auf all diesen Ebenen den Frieden zu gewährleisten, etwaigen Friedensbruch zu ahnden und anschließend wieder einen „Zustand des Friedens wiederherzustellen"55.
Heinrich Hermelink/Siegfried A. Kaehler, Die Philipps-Universität zu Marburg 15271927. Fünf Kapitel aus ihrer Geschichte. Marburg 1927,202.
49
50
Sellberg, Skytte (wie Anm. 41), 19.
Besonders deutlich tritt diese Kritik am Adel in der 1604 verfassten Erziehungsschrift für Gustav II. Adolf hervor: Johan Bengtsson Skytte, En kort underwijsning: uthi huad konster och dygder en furstlig person skall sigh öfwe och bruke then ther tencker medh tijdhem lyckosaligheen regere Land och Rijke. Stockholm 1604.
51
Die Bedeutung des konungz balker innerhalb des Gesetzesvorschlages zeigt sich schon an dessen Umfang. So bildete das Königsrecht mit 62 Kapiteln den weitaus umfangreichsten Aspekt der Gesetzgebung, vgl. Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12). 52
53
Sellberg, Skytte (wie Anm. 41), 18.
Königlicher Entwurf des Konungz Balker von 1602, Kap. 7; zitiert nach Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 15.
54
55
Ebd.
252
Tobias Bartke
Als oberster custos legum (Hüter der Gesetze) wurde ihm die alleinigen Rechtssprechungsbefugnisse innerhalb des schwedischen Reiches zuerkannt. Darüber hinaus sollte das auf ihn fokussierte Gewaltmonopol sowie die strikte Verneinung eines Widerstandsrechtes das Instrumentarium für seine Rolle als Garant des Friedens bilden. Auch die Entscheidung über Krieg und Frieden sollte, von der Zustimmung des riksdâgs abgekoppelt, allein dem Monarchen zugestanden werden. 56 Eine Pflicht des Königs Frieden mit anderen Mächten zu wahren, sah der Entwurf allerdings nicht vor. 57 Mit seinem Entwurf griff Skytte gerade in der Definition der Königsmacht auf Gedanken zurück, die bereits im späten 16. Jahrhundert in den staatsrechtlichen Debatten des Alten Reiches eine Rolle spielten. Er wendet sich gezielt gegen die Konzeption von Vultejus, da nur ein starker, von den Ständen weitgehend unabhängiger König seiner Rolle als Friedenswahrer gerecht werden könne. 58 Die Friedenssicherung bekommt hierdurch eine entscheidende Rolle für das Funktionieren des schwedischen Königreiches. Sie bleibt keine bloße rhetorische Leerformel, sondern wird zum politischen Ziel erhoben, das als Garant für Ordnung und Wohlergehen des Reiches steht. Die Deutungsmacht, welcher Zustand als ein friedlicher und wer als Friedensbrecher zu definieren sei, gesteht Skytte allein dem Monarchen zu, der gleichzeitig auch für die Wahrung desselben verantwortlich ist. Eine philosophische oder theologische Einordnung dieses Friedenskonzeptes findet im Entwurf genauso wenig statt, wie eine historische Herleitung. Wie kaum anders zu erwarten, stieß der königliche Entwurf auf brüske Ablehnung von Seiten der vom riksdag eingesetzten Kommission. Allein schon die Tatsache, dass Karl „niedere Juristen" 59 bürgerlicher Herkunft samt ihrer „fremden und neuen" Vorstellungen mit der Revision der „altehrwürdigen Gesetzessammlung" betraute, hatte die Adligen von Beginn an in Opposition zu dem Entwurf gebracht, da sie einerseits um die Tradition und den Ursprung des schwedischen Rechts und andererseits um ihre Standesprivilegien fürchteten.60 Darüber hinaus waren die meisten Bestimmungen des Reformvorschlages für die Aristokraten unannehmbar. Die Umwandlung der traditionellen Wahlmonarchie in eine Erbmonarchie,61 was im Grunde seit Gustav Vasa bereits praktiziert worden war, galt zwar noch als akzeptabel, der Anspruch, der König habe „das alleinige Recht Hüter und Wahrer des Friedens
56
Ebd., 16.
57
Ebd., Kap. 13,24, Anm. 34.
58
Skytte, En kort underwijsning (wie Anm. 51), 7-11.
Vorrede zum Rosengren-Vorschlag, in: Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 11), 254. 59
60
Ebd.
61
Rosengren-Vorschlag, Konungz Balken, Kap. 3-5, in: ebd., 272-276.
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
zu sein" 62 , stieß allerdings auf breite Ablehnung. Als „besonders schändlich und [ihrer] adeligen Freiheit nicht entsprechend" empfanden sie die Beschneidung der von „Zeiten der Gothen herkommenden" Vorrechte, die sie genossen.63 Ein solcher Vorschlag könne „keinesfalls den Zustand des Friedens bewahren, sondern lediglich einen des Unfriedens schaffen"! 64 Allerdings hielt sich die Rosengren-Kommission mit der Erarbeitung eines eigenen Vorschlages für ein neues ,Grundgesetz' aus nicht näher bestimmbaren Gründen bis 1604 zurück. Der schließlich präsentierte sogenannte Rosengren-lagföreslag war wesentlich umfangreicher als der königliche Entwurf. In der Präambel geben seine Autoren vor, nicht nur die Interessen des schwedischen Adels, sondern auch des gesamten Volkes zu repräsentieren.65 Inhaltlich wurden im Bereich konungz balker vor allem weitgehende innen- und außenpolitische Mitspracherechte gefordert. Besonders die Kontrolle über das Steuerbewilligungsrecht66 war ein Hauptanliegen der Unterzeichner des Entwurfes. Mit Hilfe dieses Instruments sollte die Macht des Königs dauerhaft durch die Stände kontrolliert werden können. Eine der Hauptforderungen der Rosengren-Gruppe war, die von König und Reichstag „gemeinsam und in Eintracht" zu erfolgende Wahrung des „allgemeinen Friedens" nach innen und nach außen. 67 Auffällig hinsichtlich des Friedensbegriffes ist die Tatsache, dass Frieden und Ordnung im Gegensatz zum Vorschlag des Königs nicht synonym gebraucht werden. Eine Erhöhung zum allgemeinen Ordnungsziel erfährt der Frieden nur in wenigen Passagen zu Beginn des Entwurfes und am Ende der Passage zum Königrecht, 68 dennoch spielt die Einhaltung, Schaffung und Wahrung des Friedens eine gewichtige Rolle in der Gesetzeskonzeption. Zwar sind philosophische oder theologische Argumentationen in diesem Gesetzesentwurf ebenfalls nicht nachweisbar, allerdings beriefen sich seine Autoren auf die Tradition der „alten ehrwürdigen Rechte" 6 9 , welche seit jeher Teil der schwedischen Identität seien und schlossen eine Adaption „fremder, nicht schwedischer" Rechtsgedanken kategorisch
Königlicher Entwurf des Konungz Balker von 1602, Kap. 7; zitiert nach Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 15.
62
Zur Bedeutung der Goten und des Gotizismus für die frühneuzeitliche Identitätsbildung in Schweden vgl. Inken Schmidt-Voges, De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden. (Imaginatio Borealis, Bd. 4.) Frankfurt am Main 2004. 63
Vorrede zum Rosengren-Vorschlag, in: Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12); 256. 64
65
Ebd.
66
Rosengren-Vorschlag, Konungz Balker, Kap. 7, in: ebd., 281.
67
Ebd., Kapitel 3,272.
68
Ebd. 257,301.
Vorrede zum Rosengren-Vorschlag, in: Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 255.
69
253
254
Tobias Bartke
aus. 70 Diese Ablehnung beruhte wohl zum Teil auch auf einer von Lindberg für das 17. Jahrhundert konstatierten Ablehnung fremder Einflüsse durch die traditionellen Eliten des schwedischen Reiches und ist im Kontext eines umfassenderen Kulturtransfers zu sehen.71 Insgesamt entpuppte sich der Rosengren-Entwurf nicht als der von Skytte erhoffte Kompromissvorschlag, weshalb ihn der König vehement zurückwies und kurzer Hand die Suche nach einem neuen Grundgesetz' für beendet erklärte, so dass 1608 lediglich eine erweiterte Version des alten landslags von 1442 erschien. Die wesentliche Neuerung dieser kommentierten Sammlung bestand darin, dass ein Teil der Bücher Mose als Anhang abgedruckt und den Richtern in beigefügten Richterregeln aufgetragen wurde, gemäß dem Gesetz Gottes zu urteilen.72 Der Friedensbegriff und der Modus der Friedenssicherung im Inneren werden hier nur am Rande thematisiert. So heißt es zwar, der König habe „die Pflicht für die Wahrung [des] Frieden[s]" innerhalb des schwedischen Reiches einzustehen, konkrete Instrumente und Rechte zur Friedenswahrung werden allerdings nicht thematisiert.73 In Rückbezug auf die eingangs aufgestellte These, zeigt sich an dieser Stelle das vermeintliche Scheitern der Gesetzesreform. Karl IX. und seinen bürgerlichen Sekretären war es nicht gelungen einen Reformkonsens mit dem oppositionellen Adel zu erzielen, so dass der Transfer von Rechtsvorstellungen aus dem Alten Reich letztlich scheiterte. Bezieht man allerdings die zwischen den beiden Kommissionen ergangenen Briefwechsel und Gutachten 74 in die Ana-
Ging die ältere Forschung noch davon aus, dass es sich bei den älteren schwedischen Gesetzen um autochthone, aus germanischer Rechtstradition gewachsene handele, gilt diese Ansicht heute als überholt: So muss schon bereits für das ,Ältere Västgötalag' aus dem 13. Jahrhundert Gedankengut, das dem Geist der römisch-kanonischen Jurisdiktion entstammte, konstatiert werden. Die Rezeption „fremden" Rechtes ist also keine prinzipielle Neuerung des 17. Jahrhunderts, sondern in der Entwicklung des schwedischen Rechtssystems durchaus normal. Vgl. Jacoby, Recht (wie Aran. 27), 89,93; vgl. S tig Jägerskiöld, Studier rörande receptionen av främmande rätt i Sverige under den yngere landslagen tid. Lund 1963. 70
Bo Lindberg, Die gelehrte Kultur in Schweden im 17. Jahrhundert: Das Problem der Rezeption, in: Robert Bohn (Hrsg.), Europa in Scandinavia. Kulturelle und soziale Dialoge in der Frühen Neuzeit, (studia septemtrionalia, Bd. 2.) Frankfurt am Main 1994, 9-18, 9. 71
Schwedisches Land-Recht, Wie dasselbe vor Zeiten von dem Großmächtigsten und Hochgebohrnen Fürsten und Herrn, Carl dem Neundten, Der Schweden, Gothen, Wenden, Finnen, Carelen, Lappen in den Nordtlanden, der Kajaner und Ehsten in Lieffland König, übersehen, confirmiret, und Anno 1608 publiciret. Frankfurt/ Leipzig 1709, Vorrede. 72
73
Ebd., 7.
Exemplarisch sei hier auf die Korrespondenz im Vorfeld des Reichstages von 1603 verwiesen, in: Deposito Skytteana, SRA E 5411, A:4, vol. VIII. Weitere Korrespondenz findet sich allerdings lediglich in paraphrasierter Form in: Becchius-Palmcrantz Juridiska Samligar, SRA SE, A 753,753.1., vol. 35. 74
Zwischen Rechts- und Kulturtransfer
lyse mit ein, so wird deutlich, dass durch das Reden beziehungsweise Schreiben über den Frieden Ansätze einer sich erneuernden politischen Kultur herausbildeten. Die Frage nach der richtigen Art und Weise den Frieden zu erhalten bildete einen Diskursrahmen, innerhalb dessen sich die Akteure austauschten und so neue Formen der politischen Kommunikation entwickelten. Zwar wird in den Korrespondenzen noch einmal die Unvereinbarkeit beider Standpunkte deutlich, so warfen sich beide Seiten vor, mit ihren Vorschlägen oder der Ablehnung eigener Vorschläge den Frieden zu brechen beziehungsweise gar nicht in der Absicht zu handeln, einen dauerhaften Frieden etablieren zu wollen. Das übergeordnete Leitziel,Frieden' wurde mit solcher Vehemenz verteidigt, dass lieber ein Scheitern der gesamten Gesetzesreform in Kauf genommen wurde, als durch „ungerechte" Gesetze die eigene Sichtweise des Friedens und damit seinen dauerhaften Erhalt zu gefährden.75 Es wäre jedoch falsch eine pauschale Ablehnung der Vorschläge der Gegenseite anzunehmen oder gar von einer kommunikativen Blockade zu sprechen. Durch den regen Austausch verfestigten sich Kommunikationsstrukturen, wurden konkrete Probleme und Ziele formuliert. Auch konnten in weniger konfliktgeladenen Bereichen der Gesetzgebung, wie etwa des Handels-, Erb-, Bau- oder Eherechts durchaus Reformkonsense erzielt werden. 76 5. Wie gezeigt werden konnte war der Frieden - wenn auch in seiner konkreten Ausformung und Absicherung nur vage definiert - das zentrale Argument innerhalb der Debatte um die Reform des landslags und blieb gleichwohl als das einzige von beiden Seiten stets anerkannte Ordnungsziel in der Auseinandersetzung präsent, konturierte diese sogar und kann daher als prägend für die Reformbemühungen sowie die schwedische Innenpolitik am Beginn des 17. Jahrhunderts angesehen werden. Aus einer rein ergebnisbezogenen Perspektive heraus betrachtet, muss die Reform als eine gescheiterte angesehen werden: Trotz des gemeinsamen Zieles - der Wahrung des Friedens - verfolgten der König und die adlige Opposition unterschiedliche Konzepte der politischen, in den Fundamentalgesetzen festgelegten Friedenssicherung und zeigten sich daher in der Reformdebatte als wenig kompromissbereit. An dieser mangelnden Passgenauigkeit, die jeweiligen Vorstellungen in die politische Kultur des schwedischen Reiches integrieren zu können, misslang letztlich die zuvor postulierte notwendige Reform der alten Gesetze. Diese Deutungsweise greift allerdings zu kurz, da durch den inhaltlichen Dialog zwischen König und Adel sich aber eine neue Form der politischen
Gutachten Skyttes zum Rosengren-Vorschlag 1604, Deposito Skytteana, SRA E 5414, B:l. 75
Beispielhaft sei hier auf die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Vorschlägen zum Eherecht verwiesen: Dahlgren (Hrsg.), Lagförslag (wie Anm. 12), 116— 131, bzw. 302-318. 76
255
256
Tobias Bartke Kultur entwickeln konnte, welche den Umgang miteinander für die Zukunft konturierte und damit den innergesellschaftlichen Frieden letztlich sicherte. Obwohl der bereits unter Gustav Vasa ausgebrochene Konflikt zwischen Adel und König erst in der Wahlkapitulation Gustav II. Adolfs 1612 seine vorläufig endgültige Lösung fand, war dies möglich geworden, weil es in den Jahren zwischen 1602 und 1608 gelungen war, wieder ein gemeinsam geteiltes politisches „Weltbild" von Aristokratie und Monarchie zu etablieren und gleichsam die Strukturen des politischen Austausches zu verfestigen. Dennoch stand die Reform der alten Gesetze weiterhin auf der politischen Agenda des schwedischen Reiches, 77 wenn auch auf unbestimmte Zeit in die Zukunft vertagt. In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben dürfen die ab 1614 nach dem Vorbild des Reichskammergerichtes des alten Reiches eingerichteten Hofgerichte (hovrätter). Ihnen kam eine nicht unbedeutende friedens- beziehungsweise ordnungsstiftende Funktion zu. Zum einen wurde der König als oberste Rechtsinstanz abgelöst und damit ein Konfliktpunkt der Reform um die Verfasstheit Schwedens gelöst. Zum anderen waren mit ihnen Institutionen der Friedenssicherung entstanden, ohne den konfliktgeladenen Bereich des landslag zu berühren. Die Tatsache, dass eine umfassende Gesetzesreform erst 1734 zustande kam, deutet darauf hin wie tragfähig sich die im Konflikt in den Jahren nach 1602 gewachsenen Formen der politischen Kommunikation erwiesen.
Dies wird insbesondere in der Vorrede zum 1608 erschienenen Landrecht deutlich; Schwedisches Land-Recht (wie Anm. 72). 77
Saumaises ,polybianische' militia
Therese Schwager Claude de Saumaises ,polybianische' militia. Ein Aspekt konzeptueller Friedensbildung im Vorfeld des Westfälischen Friedens Im Jahre 1634 beauftragte der Statthalter der Vereinigten Niederlande Friedrich Heinrich von Oranien den französischhugenottischen Gelehrten Claude de Saumaise (1588-1653) von der Universität Leiden mit einem gelehrten Kommentar zur antik-römischen militia. Im Vorfeld des offiziellen Kriegseintritts Frankreichs und einer in diesem Kontext geplanten Kooperation zwischen Frankreich und den Generalstaaten war der Bedarf nach theoretischen Konzepten von Kriegführung und politischer Stabilisierung besonders hoch. Seine Untersuchungen zielten auf eine Rezeption und Revision bisheriger Traditionsaneignung antiker Militärtheorie und deren Einbindung in die durch Polybios überlieferten taktischen Theoreme und topologische Ordnung des VI. Buches der Historien, die sich von der Kriegslehre, den militärpolitischen und strategisch-taktischen Konzeptionen des späthumanistischen Gelehrten Justus Lipsius abheben. Seine Konzeptionen, die, wie der Gelehrtenkorrespondenz zu entnehmen ist, zwischen ca. 1635 und ca. 1644 verfasst wurden, sind in einem Traktat zur römischen militia versammelt, das in einer posthum publizierten lateinischen Fassung wie in einer Kopie des französischen Textes, einem „Abrégé de la milice des Romains" 1 , niedergelegt wurde. Dieser französische Text ist im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Friedens- und Ordnungskonzeptionen im zeitlichen Vorfeld des Westfälischen Friedens zu verorten. Im vorliegenden Beitrag wird zu zeigen sein, dass Entstehungsgeschichte, politischer und kultureller Kontext sowie die Rezeption von Saumaises Milice romaine eine neue Perspektive auf das bisher in der Forschung vertretene Spannungsverhältnis zwischen machtpolitischem Realismus und utopischen Friedensentwürfen im 17. Jahrhundert eröffnet, welches deutlich zu relativieren sein wird.2 Es wird zu zeigen sein, dass die Verzahnung von Friedensbil-
Philibert Papillon (Bibliothèque des auteurs de Bourgogne, Dijon 1745, 272f.) gibt folgenden Abriss der Geschichte der französischen Handschrift: „Traité de la Milice Romaine. C'est une Traduction abregée de son Ouvrage Latin sur la même matière. Il la fit en faveur du Prince d'Orange. Elle contient 140 pages in folio. L'original étoit autrefois chez Loiiis Saumaise, de Saint-Loup, fils de l'Auteur. M. Lantin, Doyen du parlement de Bourgogne, en a une copie. Saumaise vouloit faire imprimer cette Version, comme il paroît par ces paroles: [I] Brevi, ut spero, proditurus. Elle est loiiée dans une Lettre Ms. de Sorbière à M. de la Mare, datée du 11. Novembre 1661, laquelle j'ay vue chez ce dernier."; Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die lateinische posthume Edition und die vernakularsprachliche Fassung, die sich im fonds fr. der französischen Nationalbibliothek befindet: Ms. f. fr. 9741, „Abbregé de la milice des Romains, par M. de Saumaise [1588-1653]". XVIIIe siècle. 144 pages. 305 sur 195 millimètres. Cartonné. (Provient des Jésuites de Paris. - Supplément français 4011.). Notiz am Rand, fol. 1: arraché au désir de Harrert au 5 juillet 1703 Mesnil. Neben diesen handschriftlichen französischen Fassungen (Abrégés) liegt auch noch eine Fassung aus dem 17. Jahrhundert in der Bibliothèque de Dijon, Fonds Baudot, 1152 (200) vor: Abbrégé de la milice des 1
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Therese Schwager d u n g u n d Kriegführung nicht so sehr i m Kontext v o n
Staatsbildungsprozessen
zu verorten ist, w i e dies in der Historiographie des 20. Jahrhunderts lange ein vorherrschendes P a r a d i g m a war. 3 Sie ist vielmehr in der sich i m Kriegskontext intensivierenden Politisierung des S p ä t h u m a n i s m u s anzusiedeln, 4 w a s darin in der Folge a u c h z u n e u e n Perspektiven auf den W i r k u n g s z u s a m m e n h a n g v o n politischer Geschichte, konzeptuellen Ansätzen einer Friedensbild u n g u n d militärpolitischen K o n z e p t i o n e n führt. Bevor jedoch der enge Z u s a m m e n h a n g zwischen der Entstehung v o n Saumaises' Militärpolitik mit d e m französisch-niederländischen
Militärbündnis
seit 1635 u n d den Friedens Verhandlungen, also zwischen Kriegführung u n d Friedensverhandlung aufgezeigt w e r d e n soll, gilt es den Blick auf die Forschungstraditionen zu richten; d e n n deren Fokussierung und Einbettung v o n Heeresbildung in einen übergeordneten, ü b e r h ö h t e n Staatsbildungsprozess führte zu einer Vernachlässigung v o n Z u s a m m e n h ä n g e n , die nicht unmittelbar mit der Staatsbildung z u v e r k n ü p f e n sind. Die Linien d e r F o r s c h u n g s t r a d i t i o n : S t r u k t u r - , Politik- u n d Militärgeschichte
Die Frage n a c h d e m Verhältnis v o n H e e r u n d Staat hat
sich tief in die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung des zwanzigsten Jahrhunderts eingeschrieben. N e b e n d e n Klassikern v o n H a n s Delbrück, Otto
Romains, copie du manuscrit de Saumaise. XVIIe siècle. Papier. 140 pages. 270 sur 177. cartonné (Provient de Jean-Baptiste Lantin de Damerey (1680-1756), Doyen du Parlement de Bourgogne und Mitglied der Akademie von Dijon); die lateinische Fassung liegt in gedruckter und in handschriftlicher Form vor. Die handschriftliche Form trägt den Titel De militia Romanorum (Ms. in 4), während die gedruckte Ausgabe den Titel De re militari romanorum liber, opus posthumum (Lugd. Bat. 1657) trägt und posthum von dem in Leiden lehrenden deutschen Historiker Georg Horn (1620-1670) herausgegeben wurde; vgl. Luden Poznanski, La polémologie pragmatique de Polybe, in: Journal des savants 23,1994,19-74, Fußnote 34: „F. H. d'Orange avait commandé à C. Saumaise un ouvrage résumant l'art militaire des Anciens. Celui-ci l'écrivit en latin, langue dans laquelle il fut publié un an après sa mort. C. Saumaise fit pour le prince une étude en français, considérée comme perdue. L'ayant retrouvée, nous préparons la publication de ce manuscrit." Vgl. Kurt von Raumer, Heinz Schilling, Klaus Malettke. Klaus Garber/jutta Held (Hrsg.): Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision; Bd. 1: Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion - Geschlechter Natur und Kultur. München 2001; Bd. 2: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, hrsg. v. Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede. München 2001. Vgl. Wolfgang Reinhard, Das Wachstum der Staatsgewalt. Historische Reflexionen, in: Der Staat 28,1992,59-75. 2 3
Vgl. Roger Zuber, De Scaliger à Saumaise. Leyde et les grands critiques français, in: Bulletin de la société de l'histoire du protestantisme français 126, 4, 1980, 461-488, hier 485; Die militärische Allianz, die das Geburtsland Saumaises mit seinem Gastland verband, erleichterte dessen Übersiedlung. Gegen Spanien erhofften sich die Holländer und Franzosen dieselben Siege und kalkulierten die gleichen Schläge. Der Gelehrte verfasste damals mit martialischer Feder regelrechte Kommuniqués. 4
Saumaises,polybianische'
militia
Hintze, Fritz Härtung oder Werner H a h l w e g bestimmte vor allem das Werk Gerhard Oestreichs ein Forschungsparadigma, das Staats-, Heeres- und Friedensbildung im Sinne eines politischen Stabilitätsgewinns durch Territorialstaatsbildung 5 versteht und innergesellschaftliche Befriedung und das Entstehen des bürokratischen Staates als ineinandergreifende Prozesse betrachtet. Die Historiker der militärischen Revolution wie Michael Roberts oder Geoffrey Parker
thematisieren
militärgeschichtlicher
die Staatsbildungsprozesse
Umbrüche 6
und
richten
das
im
Zusammenhang
Augenmerk
auf
Herausbildung des stehenden, v o m Staat unterhaltenen Heeres, des perpetuus.7
die miles
Während sich Studien, die sich d e m Militär und der Militärpolitik
im Vorfeld des Westfälischen Friedens annehmen, eher sozial- und strukturgeschichtlichen Fragestellungen widmen, 8 heben Wolfgang Reinhard
und
Johannes Burkhardt in ihrer Charakterisierung des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens w i e d e r u m auf den Z u s a m m e n h a n g
von
Staatsbildung u n d Kriegführung beziehungsweise Staatsbildungskriege ab. 9
Vgl. eine der jüngeren Studien hierzu: Derek Croxton, The Peace of Westphalia of 1648 and the origins of sovereignty, in: The international history review 21, 3,1999, 569-592. Vgl. Ronald G. Asch, Einleitung, in: Asch/Voß/Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg (wie Anm. 3), 21: „Trotz der teilweise sehr weitgehenden Delegation der Kriegführung samt den damit verbundenen logistischen Aufgaben an Kriegsunternehmer, die den Staat partiell entlastete und oft einstweilen weiter mit eher traditionellen Verwaltungs- und Steuersystemen auskommen ließ, läßt sich der Dreißigjährige Krieg als eine wesentliche Phase des Staatsbildungsprozesses in Europa interpretieren." Vgl. auch: Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999, 346-359. 5
Vgl. Geoffrey Parker, The Military Revolution and the Rise of the West, 1500-1800. Cambridge 1988; Clifford Rogers (Hrsg.), The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe. Boulder 1995; David A. Parrott, Strategy and Tactics in the Thirty Years' War. The "Military Revolution", in: Clifford Rogers (Hrsg.), The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe. Boulder Col. 1995; ders., Strategy and tactics in the Thirty Years' War. The 'military revolution', in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 18,1985, 7-25. 6
Vgl. Bernhard Sicken, Der Dreißigjährige Krieg als Wendepunkt. Kriegführung und Heeresstruktur zum miles perpetuus, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 26.) München 1998,581-598. 8 Vgl. ebd. und Bernhard R. Kroener, „Der Krieg hat ein Loch ...". Überlegungen zum Schicksal demobilisierter Söldner nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede (wie Anm. 7), 599-630; ders. (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit. Paderborn 1996. 9 Wolfgang Reinhard, Kriegsstaat und Friedensschluß, in: Asch/Voß/Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg (wie Anm. 3), 47-57; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt am Main 1992; ders., Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45,1994,487-499. 7
260
Therese Schwager
Dieser Prävalenz des Konzepts der „Staatsbildung" steht Derek Croxton, ein Schüler Geoffrey Parkers, kritisch gegenüber. Croxton hält fest, dass in der Argumentation der militärischen Revolution dem politisch-diplomatischen Aspekt kein Raum eingeräumt wurde und in der klassischen Diplomatiegeschichte die Rolle der Kriegführung im Hinblick auf den politischen Entscheidungsprozess ins Hintertreffen geraten sei.10 In seiner Untersuchung der politisch-diplomatischen Aktivität des Kardinalpremiers Jules Mazarin im Vorfeld des Westfälischen Friedens (1643-1648) konnte er deren enge Verflechtung mit der kriegsgeschichtlichen Dynamik aufzeigen.11 Der leitende Minister Mazarin verstand es, aus der Kriegführung politisches Kapital für den Friedensprozess als diplomatischen Verhandlungsprozess zu schlagen. Damit sieht Croxton die Friedensbildung im Vorfeld des Westfälischen Friedens vorrangig mit der Kriegführung verschränkt. 12 Krieg und Kriegführung dieses Zeitabschnitts stellt er nicht in Bezug auf die Staatsbildung dar, sondern in Bezug auf die Möglichkeiten ihrer Instrumentalisierung zu politischen Zwecken. Auch wenn Croxton die Verbindung von Militärgeschichte und politischer Geschichte aus dem modernen Staatsbildungsprozess herauslöst, bleibt er aber dennoch einem engen Begriff des Politischen verhaftet, da er sich auf die diplomatische Ereignisgeschichte, die diplomatische Praxis des leitenden Ministers beschränkt und die zeitgenössischen strategischpolitischen Motive und Legitimationsmuster13 unbeachtet lässt.14 Dabei spiel-
10 Vgl. Derek Croxton, A Territorial Imperative? The Military Revolution. Strategy and Peacemaking in the Thirty Years War, in: War in History 5, 3, 1998, 253-279. In Bezug auf die Autoren der militärischen Revolution konstatiert Croxton aus Seite 254f.: „Most of these historians are speaking of strategy in its narrower sense of the planning and execution of military campaigns, but military strategy holds the key to the entire war effort, and hence to the making of peace as well. In the first place, failure at the strategic level tends to negate all the other improvements going on at the tactical level. [...] In the second place, several scholars have claimed that statesmen either ignored the peculiar importance of early modern strategy or reacted to it inappropriately; in either case, the result was longer wars and more destruction than there might have been with a more effective military." 11 Oers., Peacemaking in Early Modern Europe. Cardinal Mazarin and the Congress of Westphalia. 1643-1648. London 1999. 12 Vgl. ebd., Teil 1: Peacemaking and Warmaking in Mazarin's France, 21-96. 13 Vgl. hierzu: Konrad Repgen, Kriegslegitimation in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie, in: Historische Zeitschrift 241, 1985, 27-^9; vgl. ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görresgesellschaft, NF., Bd. 81.) 2. Aufl. Paderborn u.a. 1999; Hermann Weber, Dieu, le roi et la Chrétienté. Aspects de la politique du Cardinal de Richelieu, in: Francia 13, 1985, 233245; ders., Zur Legitimation der französischen Kriegserklärung von 1635, in: Historisches Jahrbuch 108, 1988, 90-113; ders., Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8.) München 1988,203-217.
Saumaises ,polybianische' militia
te die Ausarbeitung militärpolitischer und strategischer Theorien in dem von Croxton bearbeiteten Zeitraum zwischen 1630 und 1644 eine zentrale Rolle.15 Es gilt sich dieser Strategie- und Friedensbildung unter dem Gesichtspunkt einer erneuerten Geschichte des Politischen zu nähern. In diese Zeit fällt nicht nur die Beteiligung Frankreichs vom verdeckten Krieg zum Konferenztisch, sondern vor allen Dingen eine entscheidende Entwicklung innerhalb der späthumanistischen Gelehrtenkultur. Diese politisierte sich zunehmend, indem sie Dokumente und Lehren für die politischen und militärischen Entscheidungs- und Herrschaftsträger ausarbeitete und bereitstellte. Da dieser Kontext wesentlichen Einfluss auf Saumaises Überlegungen und Arbeiten hatte, soll er im Folgenden kurz dargestellt werden. Die Politisierung des Späthumanismus - militärische Strategielehre als Kabinettsdoktrin im Kontext des Dreißigjährigen Krieges Claude de Saumaise war 1631 an die Universität Leiden berufen worden, wo er in der Nachfolge von Joseph Justus Scaliger philologische Studien betrieb. Das intellektuelle Klima war geprägt von einem zunehmenden Krisenbewusstsein, das sich in einer Politisierung des Humanismus äußerte. Man suchte nach Antworten auf die konfessionellen Zerrüttungen und formulierte Gegenentwürfe und neue Modelle politischer und gesellschaftlicher Stabilität. Im Hinblick auf die militärpolitische und strategische Theoriebildung vollzog sich diese innerhalb späthumanistischer gelehrter Netzwerke, die ihre Gravitationszentren auf der einen Seite an der Universität Leiden, im Kabinett der Brüder Dupuy in Paris und in der Person des Antiquars Claude Fabri de Peiresc in Aix-en-Provence hatten, und auf der anderen Seite in Herrschaftsträgern wie Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien und Armand-Jean du Plessis de Richelieu. Diese theoretischen, durch den Wissens- und Quellentransfer gekennzeichneten gruppengeschichtlichen Konstitutionszusammenhänge von Strategietrak-
]ohn A. Lynn (Hrsg.), Tools of War. Instruments, ideas, and institutions of warfare. 1445-1871. Urbana 1990. Vgl. auch Luise Schorn-Schütte, Kommunikation über Politik im Europa der Frühen Neuzeit. Ein Forschungskonzept, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2007, 2008, 3-36; dies., Politische Kommunikation als Forschungsfeld. Einleitende Bemerkungen, in: Angela de Benedictis (Hrsg.), Die Sprache des Politischen in actu. Zum Verhältnis von politischem Handeln und politischer Sprache von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. (Schriften zur politischen Kommunikation, Bd. 1.) Göttingen 2009, 7-18; Sven Externbrink, Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Hans-Christof Kraus, Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 44.) München 2007, 15-40, hier 19: „Einfluß von Akteuren und Strukturen jenseits der staatlichen Ebene" auf die internationale Politik. 14
15 Croxton, Peacemaking (wie Anm. 11), „The Road to Peace: From Guerre couverte to the Conference Table, 1630-1644", 97-201.
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taten zur Feldherrnkunst standen also im Kontext protestantischen französisch-niederländischen Zusammenwirkens, was jedoch weder für die sich mit der Politisierung des Späthumanismus befassenden Studien, noch für eine Politikgeschichte relevant war, die sich der Dynamik von Friedensbildung und Kriegführung widmete. Die Frage nach der konzeptionellen Politik- und Strategiebildung, die in den gelehrten Netzwerken und Kabinetten vor dem Hintergrund kultureller Transferprozesse erfolgte, wurde bislang nicht thematisiert. Der „politische Antiquarianismus", wie ihn Peter N. Miller im Anschluss an John G. A. Pocock aufgrund der antiken Textgrundlagen für die Politikberatung diagnostizierte, 16 hatte dabei einen dezidiert militärtheoretischen Flügel. Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge sei hier auf eine Anfrage aus dem Kabinett des französischen Gelehrten und Politikberaters Jacques-Auguste de Thou verwiesen, auf die Scaliger mit einer Skizze des militärtheoretischen Problems reagierte. 17 Ein Zeitgenosse, der französische Übersetzer von Scipione Ammiratos Tacitus-Kommentar, spricht im Zusammenhang seiner Übertragung der Discorsi [...] sopra Cornelio Tacito aus dem Italienischen von einer „doctrine militaire que l'on apprend au cabinet" 18 . Die Politisierung des Späthumanismus, deren intellektuelle Grundlagen und Traditionsbildung, 19 wie sie Klaus Garber im Hinblick auf das Kabinett der Brüder Jacques und Pierre Dupuy herausgearbeitet hat, 20 ist gleichermaßen 16 peter N. Miller, Peiresc's Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century. New-Haven/London 2000,90f. 17 Philippe Wolfe (Hrsg.), Peiresc. Lettres à Naudé. 1629-1637. (Biblio 17, 12: Papers on French Seventeenth Century Literature.) Paris/Seattle/Tübingen 1983, 97. 18 Scipione Ammirato, Discours politiques et militaires, übers, v. Melliet, 495f.: „Quand donc le Roy auroit tant de soldats qu'il en pourroit enuoyer dehors, & en acco(m)moder vn Prince son amy, les faisant (sous sa protection, sous son ordre, & sous es Capitaines) payer dés l'heure de leur départ iusques à celle de eur [sic] retour, il me semble que par vne grande suffisance, sans endommager ny incommoder le Roy, ains auec son grand honneur, & aduantage, ils pourroient mettre en vsage & practiquer la doctrine militaire qu'on apprend au cabinet." 1 9 Vgl. neben Klaus Garber Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit. (Marburger Studien zur Neueren Geschichte, Bd. 4.) Marburg 1994,174-176. 20 Klaus Garber, A propos de la politisation de l'humanisme tardif européen. Jacques Auguste de Thou et le „Cabinet Dupuy" à Paris, in: Christiane Lauvergnat-Gagnière/ Bernard Yon (Hrsg.), Le Juste et l'injuste à la Renaissance et à l'âge classique. Saint Etienne 1986, 157-177; ders., Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy, in: Sebastian Neumeister, Conrad Wiedemann (Hrsg.), Res publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, Teil I. Wiesbaden 1987, 71-92. In Garbers auf Deutsch verfasstem Beitrag kommt der Begriff „Politisation", „Politisierung" nicht mehr vor. Dennoch erscheint es sinnvoll, diesen Prozess der Politisierung, der sich um 1635 intensivierte, an Stelle einer vom Neustoizismus als politisches System des Späthumanismus getragenen
Saumaises ,polybianische' militia bedeutsam für die Begründung von Politik und die theoretisch-begriffliche Strategiebildung. Gerade der Austausch von Politikern, Gelehrten und Militärs im Hinblick auf die konzeptuelle Genese der Militärtheorie in der Antikerezeption und der sich daraus ergebenden „sicherheitspolitischen" Konzepte, 2 1 wie das von Saumaise, ist für die Verbindung von Strategie- und Friedensbildung von äußerster Wichtigkeit. Der sich hier abzeichnende Kommunikationszusammenhang steht in Widerspruch zur Kernthese Gerhard Oestreichs, der politische Neustoizismus habe nicht nur den Kern der „Niederländischen Bewegung" konstituiert, 22 sondern auch das „politische System des Späthumanismus" gebildet. Denn die im Rahmen der Politikbildung maßgeblichen strategischen Konzeptionen wurden in einem intensiven Austausch innerhalb gelehrter Zirkel und intellektuell-politischer Netzwerke herausgebildet, „kommuniziert" und von politischen Entscheidungsträgern wie dem Kardinalpremier Richelieu wenn nicht rezipiert, so doch wahrgenommen. Die Bedeutung Netzwerke für die „Politikberatung"
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gelehrt-humanistischer
ist zwar auch im Hinblick auf die kon-
Elitekultur anzunehmen, kommt darin doch zum Ausdruck, dass die Politisierung kein einheitliches Theorienarsenal hervorbrachte, sondern unter anderem eine strategische Kultur, die unterschiedliche Texte versammelte und unterschiedliche Theorien generierte. Die über die Polybios-Rezeption herzustellende Verbindung zwischen den Texten von Saumaise und Sully verweist auf eine spezifische strategische Kultur. Im Späthumanismus kam es jedoch noch zu vielfältigen weiteren Ausprägungen dieser „Politisierung" auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. 2 1 Vgl. Anja Victorine Hartmann, Rêveurs de paix? Friedenspläne bei Crucé, Richelieu und Sully. (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, Bd. 12.) Hamburg 1995; vgl. Hermann Weber, Une paix sure et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit. (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 1.) Köln/Wien 1991, 111130, hier 129: „Die Konzeption eines Friedens der Christenheit dominierte diese Friedenspolitik, und die wesentlichen Bedingungen, die zur Verwirklichung dieses Zieles erreicht werden sollten, wurden unbeirrt durch alle Jahre hindurch von ihr verfolgt." Vgl. Gerhard Oestreich, Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaats, in: Historische Zeitschrift 181, 1956, 31-78, hier 34; ders., Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, in: ders. (Hrsg.), Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969, 101-156. Vgl. auch Kurl Siedschlag, Der Einfluß der niederländisch-neustoischen Ethik in der politischen Theorie zur Zeit Sullys und Richelieus. Berlin 1978. 2 3 Luise Schorn-Schütte hat sich im Hinblick auf die „politische Kommunikation" zwar der Politikberatung im Reich angenommen, aber dabei nicht auf die „außenpolitische", politisch-strategische respektive „sicherheitspolitische" Dimension abgehoben. Vgl. Luise Schorn-Schütte, Politikberatung im 16. Jahrhundert. Zur Bedeutung von theologischer und juristischer Bildung für die Prozesse politischer Entscheidungsfindung im Protestantismus, in: Armin Kohnle/Frank Engehausen (Hrsg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2001, 49-66, hier 49; dies. (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie - Res 22
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Therese Schwager zeptuellen G r u n d l a g e n der Kriegführung kein N o v u m - bislang stand aber insbesondere die e n g e V e r b i n d u n g der nassau-oranischen Prinzen und des Gelehrten Justus Lipsius i m Z e n t r u m . 2 4 Die Fokussierung auf eine in d e n übrigen europäischen Staaten rezipierte u n d imitierte M o d e l l a r m e e hatte zur Folge, dass die Komplexität u n d grenzüberschreitende Verflechtung der sich i m m e r n e u v o r e i n e m sich w a n d e l n d e n sicherheitspolitischen Horizont vollziehende Strategiebildung aus d e m Blick geriet. Die aus der o b e n skizzierten verfassungsgeschichtlichen Tradition h e r v o r g e g a n g e n e Historiographie der „oranischen H e e r e s r e f o r m " führte z u einer V e r e n g u n g der Perspektive auf den Einfluss lipsianischer militärpolitischer T h e o r e m e u n d damit einhergeh e n d eine E n g f ü h r u n g der moralphilosophischen Schrift De Constantia d e m politisch-neustoischen K o m p e n d i u m Politicorum
mit
libri VI auf den orani-
schen H e e r e s r e f o r m k o m p l e x der Jahre 1590 bis 1600. 2 5 D o c h in der späthumanistischen Gelehrtenkultur der 1630er Jahre in Frankreich u n d d e n Niederlanden erfolgte eine erneute Aufarbeitung u n d H i n w e n d u n g z u der antiken militärtheoretischen Tradition 2 6 - n u n m e h r mit e i n e m deutlichen S c h w e r p u n k t bei den französischen Gelehrten u n d in Paris. 2 7 D a Publica-Verständnis - konseAsgestützte Herrschaft. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 39.) München 2004. 2 4 Vgl. vor allem die grundlegenden Arbeiten von Gerhard Oestreich, seine Artikel aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen diese Verbindung besonders deutlich wird: Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: Historische Zeitschrift 176,1953,17-43; ders., Justus Lipsius (wie Anm. 22). 2 5 Siehe neben vielen anderen Arbeiten die folgenden einschlägigen Studien: Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier und die Antike. Studien zur Geschichte des Kriegswesens der Niederlande, Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens, Spaniens und der Schweiz vom Jahre 1589 bis zum Dreißigjährigen Kriege. Ein um ein neues Vorwort des Autors, einen Lebensabriß und eine Bibliographie erweiterter Neudruck der Habilitationsschrift. Berlin 1941. (Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung, Bd. 35.) Osnabrück 1987; Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus (wie Anm. 24); ders., Justus Lipsius (wie Anm. 22); Wolfgang Reinhard, Humanismus und Militarismus. Antike-Rezeption und Kriegshandwerk in der oranischen Heeresreform, in: Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus. (Mitteilung XIII der Kommission für Humanismusforschung - Acta Humanoria, Bd. 13.) Weinheim 1986; Werner Hahlweg, Die oranische Heeresreform, ihr Weiterwirken und die Befreiung und Etablierung der Niederlande. Studien und Betrachtungen, in: Nassauische Annalen 80,1969,137-157. 2 6 Daran beteiligt waren neben den Gelehrten Claude Fabri de Peiresc (Aix-enProvence), Gabriel Naudé, Nicolas Holste (Rom), Isaac Vossius und viele andere. Vgl. unter anderem Alphonse Dain, Luc Holste et la collection romaine des tacticiens grecs, in: Revue des Etudes Anciennes 71, 1969, 342: Lucas Holstenius interessierte sich insbesondere für die Manuskripte von Arrian und Asklepiodotos. Eine besondere Rolle hierin spielten das Kabinett der Brüder Dupuy in Paris und der in Aix-en-Provence ansässige Antiquar Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1637). Vgl. Jérôme Délateur, Les frères Dupuy, thèse pour le diplôme d'archiviste paléographe, 3 Bde. (Positions de thèses soutenues par les élèves de la promotion 1996 pour obtenir le diplôme d'archiviste paléographe, Paris, Ecole des chartes, 1996.); ders., Les frères Du27
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von legen sowohl Hugo Grotius' um 1635 sprunghaft ansteigende Korrespondenz, seine Übersiedlung als Diplomat Christines von Schweden nach Paris als auch die Fragment gebliebenen militärwissenschaftlichen Forschungen zur antiken militia von Claude de Saumaise beredtes Zeugnis ab. Diese sind sehr viel stärker in diesem spezifischen Kommunikationszusammenhang zu verorten. Gerade an Saumaises Militärdoktrin, die 1657 postum in Leiden unter dem Titel De re militari Romanorum publiziert wurde, lässt sich ablesen, welche katalytische Wirkung die Kriegsereignisse und die politische Notwendigkeit einer raschen militärischen Kriegsentscheidung als Wegbereiter einer neuen Friedensordnung, in der die Interessen der französischen Monarchie gewährleistet sein sollten, neben die Gelehrtenkorrespondenz über neu entdeckte antike Handschriften - wie etwa die von Vegetius, Urbicius oder eben Polybios - auf die Entstehung politisch-militärischer Stabilitätskonzeptionen anhand der Erforschung antiker militärtheoretischer Handschriften hatten. 28 Militärtheoretische Texte und Strategietraktate, die Niederlegung, Um- und Neuformulierung politischer Methodenlehren und ordnungspolitischer Vorstellungen sind in der kriegsgeschichtlichen und politisch-strategischen Dynamik des dritten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts und dessen strategischer Kultur zu verorten. Lipsius' moralphilosophische und militärpolitische Schriften hatte Oestreich eine tragende Rolle in der frühmodernen Heeres- und Machtstaatsbildung zugeschrieben. Lipsius' moralphilosophische Schrift De constantia in publicis malis (1584) und seine politisch-militärischen Klugheitsund Herrschaftslehre Politicorum libri sive civilis doctrinae libri sex (1589) legten eine neustoische disciplina der Bürger und Soldaten sowie eine prudentia militaris als Herrschaftskompetenz nahe, 29 die im Zusammenhang europäischer, puy, in: Christiane Berkvens-Stevelinck/Hans Bots/Jens Häseler (Hrsg.), Les grands intermédiaires culturels de la république des lettres. Etudes de réseaux de correspondances du XVI e aux XVIIe siècles. Paris 2005, 61-101; Peter Miller, Peiresc's Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century. New-Haven/London 2000; Jean Thornton Tolbert, A Case Study of a Seventeenth-Century Gatekeeper. The Role of NicolasClaude Fabri de Peiresc in the Dissemination of Science through the Correspondence Networks. Diss. Univ. of Florida 1992. Vgl. Agnès Bresson, Guerre moderne et érudition: Peiresc et le traité de la milice de Saumaise (1635-1637), in: Histoire, économie & société 11, 2, 1992, 187-196, hier 189; Lucien Poznanski, Les Scholies d'Elien le Tacticien copiées par Claude Saumaise (Paris, gr. 2528), in: Revue d'histoire des textes 1 4 - 1 5 , 1 9 8 8 , 3 6 7 - 3 6 8 . 28
Vgl. Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (15471606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hrsg. u. eingel. von Nicolette Mout. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 38.) Göttingen 1989; ders., Neostoicism and the Early Modern State. (Cambridge Studies in Early Modern History.) Cambridge 1982. In der Verzahnung von Heeres- und Staatsbildung bzw. von Heeresverfassung und Staatsverfassung greift er ein Forschungsparadigma seines Lehrers Fritz Härtung auf. Dieses wurde von Johannes Kunisch „reaktiviert": Vgl. Johannes Kunisch/Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Staatsver29
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vor allem westeuropäischer, konfessioneller Bürgerkriege zu sehen sind. Hier tritt die römisch-stoische Disziplin als militärisches und sozial stabilisierendes Ferment, als Befriedungsfaktor in den konfessionellen Bürgerkriegen und als wesentliches Moment einer inneren Konsolidierungsphase besonders in Frankreich und den Niederlanden auf. 3 0 Lipsius unterschied systematisch zwischen innerem Krieg bellum internum und äußerem Krieg bellum externum. Als Antidotum gegen den konfessionellen Bürgerkrieg verlagert der Leidener Gelehrte den Krieg „zwischen" die europäischen Herrschaftssysteme. In den Interpretationen wurde dabei oft vernachlässigt, dass Lipsius in den Politicorum libri sex (1589) unter dem Eindruck eines als Anarchie empfundenen konfessionell-ideologisch motivierten europäischen Bürgerkriegs vorrangig die politische Herrschafts- und Verhaltenslehre des römischen Historikers Tacitus rezipierte. Damit lässt er sich in einen deutlichen ideengeschichtlichen Umbruch um 1600 einordnen, der sich in der Rezeption zwischen den Historikern der republikanischen und der kaiserlichen Geschichte Roms, Tacitus und Polybios, abzeichnete,31 was zugleich auf unterschiedliche in der Historiographie gründende „neorömische" 32 politische Lehren hindeutet. Anders als Tacitus, der eine Typologie der Klugheit und der Kriege nahelegte, Maximen vom Verhalten im Bürgerkrieg, verweist der griechisch-römische Historiker Polybios auf eine Vorlage für eine föderative politische Ordnung unter einer hegemonialen Macht, entsprechende taktische und strategische Theoreme sowie eine historisch-kritisch fundierte, den politischen Stabilitätsgedanken implizierende Mischverfassungslehre. Im Verhältnis zur prudentiellen militärpolitischen Lehre von Justus Lipsius markiert die Polybios-Rezeption von Saumaise eine einschneidende Zäsur in der strategischen Lehre und Kultur. Diese impliziert eine bei Machiavelli vorgezeichnete „Legitimität" der Kriegführung und negiert kei-
fassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit. (Historische Forschungen, Bd. 28.) Berlin 1986. Vgl. zur Lipsius-Rezeption im Frankreich Heinrichs IV.: Günter Abel, Stoizismus und Frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik. Berlin 1978. 30
Vgl. Arnaldo Momigliano, Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, Bd. 2: Spätantike bis Spätaufklärung, hrsg. von Anthony Grafton, übers, v. Kai Brodersen und Andreas Wittenburg. Stuttgart/Weimar 1999, 125; Arnaldo Momigliano, Polybius' Reappearance in Western Europe, in: Entretiens sur l'Antiquité classique (Hardt) 20, 1973, 347-372 = Sesto contributo, Bd. 1, Rom 1980, 103-123 = Problèmes d'historiographie ancienne et moderne, Paris 1983,186-209. 31
Quentin Skinner hat den Begriff des „neo-Romans" geprägt, der hier nur insofern Geltung beanspruchen kann, als die Rhetorik der Freiheit auch noch bei Saumaise aufscheint. Das mit dem klassischen Republikanismus und dessen Rhetorik verbundene Konzept von „neurömisch", aber auch „neustoisch" bzw. „politischer Neustoizismus" (Gerhard Oestreich) sind vereinfachende Deutungsmuster; insbesondere blenden sie die Wissensordnungen und die nicht abbrechende Reflexion theologischer respektive theologiepolitischer Deutungsmuster aus. 32
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neswegs eine Kriegsoffensive im Zusammenhang einer möglichen Intervention in den Krieg in Deutschland. Die Gegenwartsbezogenheit solcher konkurrierender gelehrt-fundierter militärpolitischer Konzeptionen wird in der französisch-schwedischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs (1635-1648) besonders deutlich. In diesem Kontext erlangt die in Form des Traktats von Saumaise übermittelte militärpolitische und die politisch-strategische Polybios-Rezeption im Späthumanismus ihren wissenschaftlichen und „normativen" Höhe- und Endpunkt. Text und Kriegskontext: Saumaises Milice im Kontext der französisch-schwedischen Phase des Dreißigjährigen Kriegs Die Entstehungsgeschichte der Milice romaine von Claude de Saumaise, der nach Lipsius und nach Joseph Justus Scaliger auf den Leidener Lehrstuhl für Geschichte folgte, lässt sich in zeitlicher Nähe zur französisch-schwedischen Phase respektive der französisch-niederländischen Kriegführung im Dreißigjährigen Krieg nachzeichnen. Die intensive Arbeit an einem Kompendium zur antiken militia, eine Auftragsarbeit Friedrich Heinrich von Oraniens, setzte zu einem Zeitpunkt ein, da sich kriegsgeschichtliche Ereignisse und strategische Planungen verdichteten. Am 5. Juni 1634 legte der niederländische Gesandte in Paris, François van Aerssen, einen Plan vor, der Frankreich dazu bewegen sollte, Spanien in den Niederlanden anzugreifen. Am 18. August 1634, wenige Tage nachdem der ehemalige Chef der Hugenotten Henri de Rohan sein Dedikationsschreiben „De l'interest des Princes et Estats de la Chrestienté" an Richelieu gerichtet hatte (5. August), schrieb van Aerssen an Friedrich Heinrich von NassauOranien, dass der König von Frankreich dazu veranlasst werden solle, mit Spanien zu brechen.33 Auf den 4. August 1634 datiert ein Brief Ludwigs XIII. aus den Tagen, in denen der Entschluss fiel, in den großen europäischen Krieg einzugreifen.34 Eine einschneidende Zäsur bildete die Niederlage der protestantischen Mächte in der Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634. Hier scheint die „politisch-strategische" Geschichte eines humanistischen Texts zu beginnen, markierte diese Niederlage doch die Entscheidung Frankreichs, aus einer verdeckten in eine offene Kriegführung mit den katho-
Guillaume Groen van Prinsterer (Hrsg.), Archives ou correspondance inédite de la Maison d'Orane-Nassau, 2. Reihe, Bd. 3. Utrecht 1835-1837, 72f. 34 Fritz Dickmann, Rechtsgedanke und Machtpolitik bei Richelieu. Studien an neu entdeckten Quellen, in: Historische Zeitschrift 196, 2,1963,265-319, hier 317: „Diesmal, um die Jahreswende 1641/42 ging es darum, die Bedingungen, die Frankreich auf dem bevorstehenden Friedenskongreß stellen sollte, zu formulieren. Jahrelange Vorarbeiten hatten stattgefunden, und zweifellos lagen Richelieus eigene Ansichten in allen wichtigen Punkten fest. Es war vorauszusehen, daß Frankreich zwar viel gewinnen, aber auch einige Verluste werde hinnehmen müssen, d.h. trotz glänzender Waffenerfolge einen Teil seiner Eroberungen nicht werde behaupten können." 33
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lischen Habsburgern überzugehen, eine Intervention 35 in den europäischen Krieg außerhalb des Territoriums der französischen Krone und der französischen Monarchie. 1634 beauftragte Friedrich Heinrich von Oranien Claude de Saumaise mit einem gelehrten Kommentar zur antik-römischen militia,36 Am 6. April 1635, noch vor der französischen Kriegserklärung an Kaiser Ferdinand II. am 19. Mai 1635, lag ein Plan Ludwigs XIII. vor, Truppen in der Picardie, an der Nordostgrenze Frankreichs zusammenzuziehen. Auf den 22. Mai 1635 datiert der inoffizielle Beginn der militärischen Operationen der Franzosen in Flandern. Dem Vertrag vom 8. Februar 1635 zufolge sollten Frankreich und die Generalstaaten zwei Armeen von jeweils 25 000 Fußsoldaten und 5 000 Reitern bereitstellen, um nach Gutdünken im Verbund oder getrennt zu operieren. 37 Am 1. Juni 1635 begann Saumaise über die römische militia zu arbeiten. Gleichfalls im Juni 1635 setzte Saumaise sich in der Interpretation der militia von den robes, dem Amtsadel, ab, 38 was auf eine „Militarisierung" seiner Position im Kontext der Politisierung späthumanistischer Gelehrtenkultur verweist. 39 Im Juli 1635 kritisierte Friedrich Heinrich von Oranien die Terminologie, die Saumaise in seinem Entwurf verwandte. Diese nähere sich nicht hinlänglich den modernen Methoden der Kriegführung und dem Stil der Kriegsleute, 40 so der Oranierprinz. Mitte Juli desselben Jahres erhielt Saumaise von den Kuratoren die Erlaubnis nach Frankreich zu reisen. 41 Im Sommer desselben Jahres präzisierte er sein Projekt und begab sich im September nach Frankreich. 42 Am 15. Oktober 1635 eröffnete er in einem Brief eine militärtheoretische „Entdeckung", die sich auf die erste von Polybios beschriebene militia bezieht: Die in Regimenter eingeteilten Korps befolgten in der Schlacht
Vgl. zur „Intervention" vor der Herausbildung souveräner Staaten: Ebd., 271: „In den Anfangszeiten des europäischen Staatensystems, bevor der Souveränitätsgedanke alles beherrschte, gab es nicht nur eine Interventionspraxis, sondern auch so etwas wie ein Interventionsrecht."; Vgl. ders., Der Westfälische Frieden. Münster 1959,44f., 148f. 35
36
Papillon, Bibliothèque (wie Anm. 1), 272f.
Henri Lonchay, La Rivalité de la France et de l'Espagne aux Pays-Bas. 1635-1700. Étude d'histoire diplomatique et militaire. Brüssel 1896,68.
37
Philippe Tamizey de Larroque (Hrsg.), Les Correspondants de Peiresc. V. Claude de Saumaise Lettres Inédites, Ecrites de Dijon, de Paris et de Leyde, à Peiresc (1620-1637). Dijon 1882,32f. 38
39
Vgl. auch Saumaises rigide Haltung im Hinblick auf die Militärgerichtsbarkeit.
Vgl. Saumaise an Rivet, Leiden, in: Pierre Leroy/Hans Bots/Els Peters (Hrsg.), Correspondance échangée entre 1632 et 1648. Amsterdam/Maarssen 1987, 75f. Lettre originale autographe, UB Leyde, BPL 283f., 262-263.
40
Hugo Grotius, Briefwisseling van Hugo Grotius, hrsg. v. Philip Christiaan Molhuysen, Bernardus Lambertus Meulenbroek. Bd. 6. (Rijks geschiedkundige publicatiën: Grote serie 124.) Den Haag 1967,89.
41
Saumaise an Rivet, Sommer 1638, in: Leroy/Bots/Peters (Hrsg), Correspondance (wie Anm. 40), 98f.
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militia
dieselbe Schlachtordnung: Das könne er durch geradezu geometrische Beweisführung belegen, unter den Kaisern und selbst bei Caesar finde man keine in dieser Weise angeordnete Schlachtordnung mehr. 43 Im September 1636 wurde die Befürchtung geäußert, seine Milice sei „plus de saison", wenn sie nicht vor dem Eintritt eines Friedensschlusses fertig gestellt werde. 44 Nicht nur die Kriegsereignisse wirkten auf die Genese des Texts ein. Saumaise hatte auch noch an der Front der historisch-kritischen Forschung zu kämpfen, bemühte er sich doch in diesem Zeitraum noch stets um bessere Handschriften des Vegetius und griechisch-byzantinischer Taktiker. Am 2. März 1637 schrieb Saumaise, er könne sein Werk nicht vollenden ohne die Einsicht in den Urbicius und die Kapitel des Africanus. 45 Im Mai 1637 erwartete er die Handschrift des Vegetius. Ende 1642, während seines zweiten Aufenthalts in Florenz, transkribierte Isaac Vossius zwei Werke zur militärischen Strategie von Urbicius und Arrianus für Saumaise. 46 Im Sommer 1638 drängte Henri de Bourbon, der Prinz von Condé (1588-1646) Saumaise, ihm seine Milice zu widmen. Von 1640 bis 1643 hielt sich Saumaise in Dijon in Burgund auf. Im Dezember 1643 kehrte er endgültig in die Niederlande zurück. Ende Mai 1644 vermerkte Claude Sarrau: „Sa Milice Latine [...] est encore une conception françoise qui se produira en Hollande." 47 1643, in dem Jahr, in dem die Friedensverhandlungen zwischen Spanien und Frankreich ihren Anfang nahmen,
Extrait d'une lettre de Saumaise an Peiresc, Leiden, 15. Okt. 1635, Paris, BN, Dupuy 583 (copie), zitiert in: Agnès Bresson (Hrsg.), Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, Lettres à Claude Saumaise et son entourage. 1620-1637. Florenz 1992,389f.
43
Saumaise an Pereisc, Paris, 12. Sept. 1636, in: Les correspondants de Peiresc. Lettres inédites publiées et annotées par Philippe Tamizey de Larroque, Bd. 1, Genf 1972, 285: „Pour m'y faire aller tant plustost [sic], j'attens l'Urbicius et les chapitres de l'Africanus. Il faut sortir de cette milice avant que nous ayons la paix; autrement elle ne seroit plus de saison."
44
Saumaise an Peiresc, Leiden, 2. März 1637, in: Les correspondants de Peiresc (wie Anm. 44), 288f.: „Je porte encore avec une grande impatience l'effect de la promesse qu'on vous a faite, touchant les tactiques d'Urbicius et les chapitres de l'Africanus. Je ne sçaurois mettre fin à mon ouvrage, que je les eye veus. Cependant le prince d'orange me presse de lui donner ce que je lui ai promis sur cette matière, et m'en a desjà fait escrire plusieurs fois depuis que je suis arrivé, sans ceux qui me l'ont dit de bouche de sa part. [...] Il veut m'entretenir à ce qu'il m'a fait dire sur tout plein de difficultés qu'il trouve dans les livres, sur la milice romaine, attendant que je lui présente mon escrit."
45
Henk Th. van Veen/Andrew McCormick, Tuscany and the Low Countries. An Introduction to the Sources and an Inventory of Four Florentine libraries. (Italia e i Paesi Bassi, Bd. 2.) Florenz 1985,29. 47 Claude Sarrau, 27. Mai 1644, in: A. Rivet/Cl. Sarrau, Correspondance intégrale d'André Rivet de Claude Sarrau, hrsg. von Hans Bots und Pierre Leroy, Bd. 2: La République des lettres au début de la régence (mai 1643-décembre 1644). Amsterdam 1980, 279. 46
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verfasste Saumaise mehrere Kapitel und überließ sie den Druckern Elzevier in Leiden.48 Am 26. Juli 1646 fuhr er jedoch mit der Milice fort.49 Erst 1657 sollte De re militari romanorum (Lugd. Batav. 1657), die lateinische Fassung des Traktats, posthum veröffentlicht werden. So komplex der Ausgang des Kriegs war, der sich zwischen Frankreich und Spanien noch bis zum Pyrenäenfrieden 1659 hinziehen sollte, so unvollendet blieb der Strategietraktat Saumaises, der zu Lebzeiten des Verfassers nicht publiziert wurde. Ein französischer „Abrégé", in dem sich die Axiome verdichten, ist als unveröffentlichtes, dennoch sehr aussagekräftiges posthumes Manuskript überliefert, so Von Justus Lipsius zu Claude de Saumaise: Ein Bruch in der militärtheoretischen Polybios-Rezeption Bislang wurde der Komplex der politischen Stabilisierung in den Konfessions- und Staatsbildungskriegen noch weitestgehend der von Justus Lipsius geprägten politischneustoischen Lehre zugeschrieben, die das „politische System des Späthumanismus", so die These Gerhard Oestreichs, bildete.51 Dass es in Abgrenzung von der von spätscholastischen Kriegslehren (bellum iustum) und vegetischer Kriegskunst und disciplina geprägten politischmilitärischen Klugheitslehre des Justus Lipsius zu einer anderen, dem Militär einen entscheidenden Rang einräumenden Stabilitätskonzeptionen kam, lässt sich an der um 1600 erstarkenden und auf philologisch-kritischem Feld umstrittenen Polybios-Rezeption festhalten.52 Spätestens mit der Niederlage der schwedisch-protestantischen Truppen bei Nördlingen im September 1634 bedurfte die schwedisch-protestantische Taktik, die in der Militärgeschichte
48
Lettre CLXXXVI.
De briefwisseling van Constantijn Huygens. 1608-1687, Teil 4, hrsg. v. J. A. Worp, Den Haag 1915,334. 5 0 Das im Fonds Français der Bibliothèque Nationale überlieferte Dokument ist ein „Abrégé" der französischen Fassung der „Milice romaine" des hugenottischen Gelehr-
49
Gerhard Oestreich, Justus Lipsius und der politische Neustoizismus in Europa, in: Barbara Neymeyr/Jochen Schmidt/Bernhard Zimmermann (Hrsg.), Stoicism in European philosophy. Literature, Art and Politics. A Cultural History from Antiquity to Modernity/Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis in die Moderne. Berlin/New York 2008, 575630. 51
Vor allem die französischen Gelehrten Joseph Justus Scaliger und Isaac Casaubon kritisierten die Polybios-Interpretation des Leidener Latinisten. Besonders ins Visier geriet in den französischen Gelehrtenzirkeln De militia romana. Commentarius ad Polybium. Vgl. die hierzu bereits von Anthony Grafton vorgelegten Ergebnisse zu Joseph Justus Scaliger: Anthony Grafton, Rhetoric, Philology and Egyptomania in the 1570th. J. J. Scaliger's Invective against M. Guilandius's Papyrus, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 42, 1979, 167-194, besonders Scaliger on Lipsius and the Militia Romana, 193f. 52
Saumaises ,polybianische' militia als eine Weiterentwicklung der oranisch-niederländischen Taktik dargestellt w i r d , 5 3 einer Revision. Diese manifestierte sich in einer mit der Lipsianischen Militärdoktrin brechenden theoretischen Grundlegung nach der systematischtopologischen Ordnung des Buches VI der „Historien" von Polybios. Dabei spielte die Polybios-Rezeption im Allgemeinen 5 4 u n d insbesondere der strategisch-politische Polybios-Strang eine zentrale Rolle. Tatsächlich bildete die Polybios-Rezeption sowohl ein entscheidendes Moment in der dynastischen Kultur der Nassau-Oranier, insbesondere Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien, 5 5 als auch in der republikanisch-oligarchischen Verfassung der Generalstaaten. 5 6 Die Schilderung des griechischen Bundesstaates bei Polybios w a r für die E i n d ä m m u n g der partikularistischen Tendenzen und für die taktische Theorie gleichermaßen bedeutsam. 5 7 Darüber hinaus konstituierte sie auch eine Gemeinsamkeit in der philologisch-praktischen Gelehrtenkultur in den nördlichen Niederlanden und im hugenottischen Frankreich.
Diese Interpretation findet sich bei Hans Delbrück und wird von Michael Roberts in der Argumentation der Militärischen Revolution fortgeführt. Vgl. Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Bd. 4: Die Neuzeit. Vom Kriegswesen der Renaissance bis zu Napoleon. Berlin 2000 (Neuausgabe des Nachdruck von 1962; 1. Auflage 1920), 221. 53
Martin van Gelderen (The Political Thought of the Dutch Revolt. 1555-1590. Cambridge 2002) geht hierauf nicht ein, da sein Buch früher einsetzt und über die Wende vom sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert nicht hinausgeht. Auch der Band zum Republikanismus in der Frühen Neuzeit spart dieses Thema aus. Vgl. Martin van Gelderen (Hrsg.), Republicanism and constitutionalism in early modern Europe, Cambridge 2002. 54
Max Jahns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland. Bd. 2. (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Neure Zeit, Bd. 21.) 3 Bde. München/Leipzig 1888-1891, 869f.: „Von der höchsten Wichtigkeit aber wurde es, daß Polybios, der seit des Lipsius' Veröffentlichungen dem bis dahin fast allein herrschenden Vegetius den Rang abgelaufen hatte, als Lehrer der römischen Treffentaktik in Deutschland, ja auch in Frankreich geradezu wie eine Offenbarung wirkte. Und nirgends wurde diese neue Lehre lebendiger, nirgends übte sie unmittelbareren Einfluß auf die praktische Kriegsführung als in den Niederlanden, wo Polybios den leitenden Männern des großen Unabhängigkeitskrieges, zumal dem Prinzen Moritz von Oranien und dem Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau bedeutungsvolle taktische Anregungen gewährte und wo derselbe Autor sogar in den Vordergrund der wissenschaftlichen Jugenderziehung des fürstlichen Geschlechts trat. Die Staatsbibliothek (Berlin): Diarium eines Vortrage den Prinz Heinrich von Oranien (1584-1647) als Knabe hörte. Titel: Annotationes et excerptae in militaribus und ist in französischer Sprache geschrieben. Der Vortrag liegt in einzelnen Teilen, z.B. im 5. Kapitel (des usages du compartiment de l'armée) ausführlich von der Hand des Lehrers, auszugsweise von der Hand des Prinzen vor. [nicht in ms. fol. Germ., befindet sich nicht mehr in der Staatsbibliothek]." 55
Willem den Boer, The Dutch Republic and Antiquity, in: Bijdragen en Medelingen Betreffende de Geschiedenis der Nederlanden, 9 4 , 3 , 1 9 7 9 , 4 1 9 ^ 3 6 , hier 431. 5 7 Ebd., 425: „We must return to Polybius if we wish to deal with the confederation of the Greeks. Since the beginning of the sixteenth century the relevance of his work in the field of control of particularism has been just as great as that on military tactics."
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Dass es nicht zuletzt aufgrund diverser Vernetzungsschwerpunkte und sich verschiebender Sicherheitshorizonte zu unterschiedlichen Deutungen der antiken Traditionen - insbesondere des Polybios - kam, verdeutlichen die beiden späthumanistischen Gelehrten Justus Lipsius und Claude de Saumaise in paradigmatischer Weise. Lipsius stand zwischen den von den protestantisch-oranisch dominierten nördlichen und katholisch-habsburgisch monarchisch regierten südlichen Niederlanden. Der reformierte Claude de Saumaise hingegen oszillierte zwischen den nördlichen Niederlanden und der französischen Monarchie während der Regierungszeit des Kardinalpremiers Richelieu und Ludwigs XIII. Die beiden späthumanistischen Gelehrten hatten demnach einen unterschiedlichen „Sicherheitshorizont" im Blick, der neben der philologisch-kritischen und wissenshistorischen Binnendifferenzierung den gelehrten Auseinandersetzungen im Späthumanismus die unterschiedlichen strategischen Lehren der beiden Gelehrten beeinflusste, gar begründete. Brüche und Kontinuitäten in ihren Schriften markieren die Veränderungen, Umf o r m u n g e n u n d U m s c h i c h t u n g e n in d e n K o n z e p t e n d e r respublica
Christiana
und der pax romana. Die Texte entstanden meist ad hoc und im Kontext eines je zu rekonstruierenden zeitgenössischen „Sicherheitshorizonts", und beanspruchten ihre normative Gültigkeit nur in Bezug auf spezifische gelehrte Praktiken sowie strategie-, stabilitätspolitische sowie gegebenenfalls herrschaftsstabilisierende Ziele. Während Lipsius sowohl christliche Theoreme eines bellum iustum als auch die pax romana des römischen Kaiserreichs verband, die er wesentlich über einen kulturhistorischen Antiquarianismus und den Historiker Tacitus erschloss, rückte Saumaise vor dem Hintergrund veränderter strategischer und politischer Verhältnisse dessen aus Vegetius abgeleitete disciplina-Konzeption und dessen Kriegslehre ins Zentrum seiner Kritik: Da Lipsius entgegen seiner Behauptung noch Vegetius folge, habe er den Unterschied zwischen „Kriegskunst" respektive „Kriegswissenschaft" und „Disziplin" nicht verstanden. 58 Die Disziplin bezeichne, so Saumaise, lediglich ein Verhalten im Krieg und in der Armee, eine Lebensform und keine Theorie der Kriegführung.59 Strebte Lipsius noch die Vereinbarkeit der doctrina Christiana mit der stoischen Moralphilosophie an 60 und verwendete er militärische Metaphern zur Konsti-
Vgl. BN Paris, Ms. f. fr. 9742, Claude de Saumaise, Abrégé de la Milice romaine, fol. 3 4 , fol. 5. s? Ebd. 58
Vgl. Jacqueline Lagrée, Juste Lipse. La restauration du stoïcisme. Etude et traduction de divers traités stoïciens. Paris 1994,119: „Ce qui permet de qualifier la position lipsienne de néostoïcisme, et non pas seulement de stoïcisme chrétien, c'est le fait que, dans son exposition, stoïcisme et christianisme ne sont pas seulement juxtaposés mais bien synthétisés. L'ensemble des modifications apportées à la philosophie originelle du Portique, pour render ce système compatible avec certaines thèses maîtresses du christianisme, est à la fois cohérent et rattaché à des possibilités offertes par la tradition stoï60
Saumaises ,polybianische'
militia
tuierung einer neustoisch zivilen und militärischen Lebensform, 61 war dies in den 1630er Jahren bei Saumaise, Henri de Rohan, Maximilien de Béthune oder dem Duc de Sully jedoch nicht mehr in einem umfassenden Sinn gewährleistet. Gleichwohl findet sich die Semantik des orbis christianus, des christlichen Weltkreises einer respublica Christiana, einer république très chrétienne weiterhin in den militärwissenschaftlichen Traktaten auch und gerade der Rezipienten des neurömischen taktischen und strategischen Modells. 62 Dabei lässt sich eine ideengeschichtliche Fragmentierung beziehungsweise Pluralisierung der res publica Christiana, der „chrétienté" 63 konstatieren, auf die semantische Fragmente des christlichen Republikanismus in den Texten hinweisen. Saumaise fasst die Feldherrnkunst in die Figur des Kreises, in deren Gestaltung man eine trinitarische Metapher erkennen kann. Die Qualität des Generals, seine Kompetenz in der Kriegskunst (ars /scientia militaris), entspricht einem großen Kreis („grand cercle"), der einen kleineren Kreis („cercle plus petit") umspannt. Die beiden Kreise hängen an einem ,Nagel' („clou"), nämlich an der vom Volk errichteten Militärverfassung („forme établie par le peuple"), die sich auf die Aushebung („levée des gens de guerre") und die verschiedenen Ordonnanzen („ordres différens") bezieht. 64 Einschneidend ist hier die neue, auf alte Denkmuster zurückgreifende Legitimität der Kriegführung. Es geht dabei nicht mehr um eine Regelhaftigkeit entsprechend der bellum-iustum-Lehre oder um eine auf Grundlagen von strategemata-Traktaten erfolgende Normierung eines Verhaltens im Krieg, sondern um eine neue Legitimität, um eine Umformung der Mischverfassungslehre, um deren Verengung auf eine strategische Doktrin und deren Anreicherung mit politischtheologischer beziehungsweise ekklesiologischer Lehre (doctrine-discipline). Der mit historisch-kognitiven Kompetenzen ausgestattete polybianische Feldherr als Formgeber der militia auf der einen Seite und das Volk im mittel-
cienne e l l e - m ê m e . " Jan Papy, Lipsius' (Neo-)Stoicism: C o n s t a n c y between Christian faith and Stoic virtue, in: Grotiana, NS. 2 2 / 2 3 , 2 0 0 1 / 2 0 0 2 , 4 7 - 7 3 , hier 51. 61
Vgl. Andreas
Urs Sommer, Vivere militare est. Die Funktion und philosophische Trag-
weite militärischer Metaphern bei Seneca und Lipsius, in: Archiv für Begriffsgeschichte. Bausteine z u einem historischen W ö r t e r b u c h der Philosophie 4 3 , 2 0 0 1 , 5 9 - 8 3 . 62
Vgl. Henri de Rohan, Intérêt d e s princes et des Etats d e la chréstienté, 1633, pubi. 1634.
63
Vgl. Klaus Malettke, G r u n d l e g u n g und Infragestellung eines Staatensystems. Frank-
reich als d y n a m i s c h e s Element in Europa, in: Peter Krüger (Hrsg.), Das europäische Staatensystem im W a n d e l . (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 35.) München 1996, 45: „In seinen [Richelieus] politischen G r u n d ü b e r z e u g u n g e n spiegeln sich a u c h Elemente der mittelalterlichen 'Universitas Christianorum'. Dies gilt w o h l für sein Verständnis v o n Universalmonarchie. Generell lässt sich feststellen, dass die Zeitgenossen des Dreißigjährigen Krieges mit d e m m e h r und m e h r z u m Kampfbegriff g e w o r d e nen Terminus Universalmonarchie klare, auf die jeweils aktuelle europäische Politik bezogene Bedeutungen verknüpften." 64
Saumaise, Milice (wie A n m . 58), fol. 36.
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alterlichen Sinne der communitas65 als Urheber der Form des Militärs sind Garanten dieser neuen von reformiert-theologischen Kategorien (doctrinadisciplina66) durchsetzten Legitimität der Kriegführung. Der Lipsianischen Amalgamierung von politischer Klugheitslehre, der Lehre vom gerechten Krieg und Frontinischer strategemata respektive Consilia67 stellt sich damit eine neue Legitimität und Normativität der Kriegführung entgegen: die Dialektik des „polybianischen" Feldherrn als eines Formgebers der militia und der militia als einer „forme établie par le peuple" 68 . Die Kriegslehre von Saumaise markiert einen Bruch zwischen der Regelhaftigkeit (so nach den „regulae bellorum generales" von Vegetius) oder Rechtmäßigkeit der Kriegführung (ius in bellum) - einer an Augustinus und den Aquinaten anknüpfenden Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts (ius ad bellum), die mit der bellum-íustum-Ooktrín durch den legitimen Fürsten als auctor gewährleistet sein sollte - , und der Klugheit zu Gesetzen der Kriegführung („lois de la milice romaine" 69 ), wie sie Saumaise vor dem ideengeschichtlichen Hintergrund des neorömisch-polybianischen Verfassungs- und Geschichtsdenkens einführt. Die genannte Dialektik zwischen Volk und Formgeber der militia und die neuartige Legitimität von Kriegsbegründung und Kriegführung ist nicht mit dem „klassischen Republikanismus" zu fassen oder bruchlos in den Kontext eines Staatsbildungsprozesses einzuordnen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt des von Saumaise gezeichneten polybianisch-hellenischen Feldherrnideals liegt in der Lehre Machiavellis. Machiavelli führte erstmals die Mischverfassungslehre aus dem VI. Buch der „Historien" des Polybios ein. 70 Allerdings verlagert Saumaise den Schwerpunkt von der politischen Verpflichtung des Feldherrn auf die guten, weil politisch stabilen Verfassungsformen - wie es im Vorwort von Dell'arte della guerra ange-
William J. Grace, Milton, Salmasius, and the Natural Law, in: Journal of the History of Ideas 24,3,1963,323-336, hier 333.
65
Herman J. Selderhuis, Der Begriff ,Doctrina' in der reformierten Tradition des 16. Jahrhunderts, in: Philippe Bütten/Ruedi Imbach/Ulrich Johannes Schneider/Herman J. Selderhuis (Hrsg.), Vera Doctrina. Zur Begriffsgeschichte der Lehre von Augustinus bis Descartes. L'idée de doctrine d'Augustine à Descartes. (Wolfenbiitteler Forschungen, Bd. 123.) Wiesbaden 2009,265-267. 66
Politica, V, 16, „Consilia". Diese bezeichnet Lipsius als wichtigstes strategisches Instrument in der Kriegführung. In der franzöischen Ubersetzung der „Politicorum libri ..." (1590,363) werden diese als „le plus necessaire instrument de la guerre" bezeichnet. 68 Saumaise, Milice (wie Anm. 58), fol. 36. 67
69
Wolfe (Hrsg.), Peiresc. (wie Anm. 17), 96f.
Vgl. unter vielen anderen Gennaro Sasso, Machiavelli e Polbio. Costituzione, potenza, conquista, in: ders. (Hrsg.), Machiavelli e gli antichi e altri saggi. Milano/Napoli 1988, Bd. 1, 67-118; Herfried Münkler hat in seiner Machiavelli-Monographie ausgiebig darüber gehandelt: Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz. Frankfurt am Main 1982,123. 70
Saumaises ,polybianische' militia
legt ist 71 - auf eine genuin militärische, historisch fundierte Formenlehre der antik-römischen militia. „Mischung" und „Form" bleiben auch die kontinuierlichen Kriterien einer nicht nur nach der topologischen Ordnung (dilectus, ordo, arma, acies, disciplina) entwickelten militia, sondern einer Feldherrnkunst, die aus einem in Bezug zu Vegetius veränderten epistemischen Standpunkt resultiert. Dieser legt nahe, jegliche Kontingenz, jegliches Verhalten im Krieg auszuschalten. Sie sieht hingegen im Feldherrn oder im Herrscher den Formgeber der militia. Aufgrund seiner historisch-kognitiven Kompetenz ist es diesem möglich, die Formen der militia und die jeweilige Mischung von Kriegskunst und Disziplin in der Lektüre antiker Schlachtengeschichte zu erkennen beziehungsweise herauszulesen (ars historia legendi).72 Der im Späthumanismus an dem die römische Geschichte deutenden griechischen Historiker Polybios entwickelte „epistemische Standpunkt", wie er sich bereits in dem Methodus ad facilem historiarum cognitionem (1566) von Jean Bodin abzeichnet 73 und in dem pragmatischen an Polybios geschärften Philosophiebegriff, den Casaubon nahelegte, 74 liegt damit am Ursprung der militiaInterpretation von Saumaise. Die deutlich unterschiedenen Kategorien von Kriegskunst und -Wissenschaft auf der einen und der Disziplin auf der anderen Seite sind in der Hermeneutik antiker militärtheoretischer Tradition gewonnen; sie verweisen auf Analogien in der Religion, „le mesme se voit en la religion" 75 , schrieb Saumaise. Neben der reformierten theologischen Lehre spielen diese Begriffe besonders in der Theologie der „Réunion des Eglises" eine besondere ekklesiologische Rolle, wie sie die Zeitgenossen Jacob von
Vgl. Niccolò Machiavelli (übers, v. Joh. Ziegler), Machiavelli's sämmtliche Werke, Bd. 3: Die Kriegskunst in sieben Büchern nebst den kleinen militärischen Schriften. Karlsruhe 1833,11. 71
72
Vgl. Saumaise, Milice (wie Anm. 59), fol. 7f.
Vgl. Marie-Dominique Couzinet, Histoire et méthode à la Renaissance. Une lecture de la Methodus ad facilem historiarum cognitionem. Paris 1996, 158. Die griechischen Historiker stellen die Kriterien der Geschichtslektüre bereit. 7 4 Vgl. ¡ean Jehasse, La Renaissance de la critique. L'essor de l'Humanisme érudite de 1560 à 1614. Saint-Etienne 1976, 392. 75 Vgl. Saumaise, Milice (wie Anm. 58)), fol. 1: „Ceux qui auiourd'huy semblent en approcher de plus près, si on les compare, et qu'on les admette auec ce qu'en ont sceu et pratique les Romains, se trouueront comme le ciel est de la terre, ce qui paroistra clairement par le discours de toute la milice Romaine, que nous auons diuisée en deux membres en la discipline et en l'art ou science: car tout ce qui s'en peut dire depuis le commencement iusques à la fin, soit que l'armée marche, soit qu'elle campe, soit qu'elle combatte, toutes les actions et motions de la discipline la volonté y préside, à celles de l'art l'entendement. Le mesme se voit en la Religion, qui refere tout ce qu'elle a, ce qu'elle fait, ou ce qu'elle croit à la discipline ou à la doctrine. Laissant aux Theologiens à traitter ce qui est de leur gibbier, quand ie viens à considérer pour ce qui est de la guer73
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England nahelegten. 76 Saumaise trat demnach für eine militärpolitische Stabilitätskonzeption im Sinne der „anakyklosis"-Lehre des Polybios ein (der Kreislauf der Verfassungen im VI. Buch Hist, von Polybios), die im Unterschied zur aristotelischen Mischverfassungslehre den Ethos der distributiven Gerechtigkeit und damit der Verteilungsproblematik weniger entscheidend, als die in einer in der historischen Heuristik gründenden Stabilitätskonzeption im Sinne eines Gleichgewichts der sozial-politischen und strategischen Kräfte nachordnet. 77 Das Paradigma Machiavellis, eine Theorie des Feldkriegs, die eine kurze politisch entscheidende Schlacht impliziert, begründet bei Saumaise die Feldherrnkunst vor dem Hintergrund einer polybianischen Mischverfassungslehre und Stabilitätskonzeption, die eine längerfristige innere Befriedung zur Folge haben sollte. Saumaise vereinte in seiner Analyse damit eine strategiepolitische Polybios-Rezeption im Sinne eines neorömischen Exemplums, eine technisch-taktische Ausdifferenzierung der Kommandostruktur der Legion und er zog konzeptuelle Analogien zu einem theologischen Ordnungsmuster. Diese Merkmale und Denkrahmen lassen sich auch in weiteren zeitgenössischen Texten zu Strategie- und Politikkonzeptionen finden, die für die Rezeption von Saumaise von Bedeutung sind. S a u m a i s e s Milice und w e i t e r e z e i t g e n ö s s i s c h e s t r a t e g i s c h e und politische T e x t e Die Milice von Saumaise steht in einem Netz von Texten: zum einen mit dem strategiepolitischen Traktat von René Lenormant (a); zum anderen (b) rückt er über die Polybios-Rezeption in die Nähe des Grand Dessein von Sully und damit einer europäischen, von Polybios inspirierten föderalen Staatenordnung konzipierten Friedensordnung, die ideengeschichtliche Fragmente der Semantik der respublica Christiana aufweist; und zum Dritten liegt eine Verbindung zu den militärpolitischen Reflexionen des Kardinalpremiers Richelieu vor (c). Es soll gezeigt werden, dass die unterschiedlichen Friedensbegriffe, für die Sully und Armand Richelieu verantwortlich zeichnen, aufgrund der Rezeption des von Saumaise vorgestellten neurömischen Modells einer pax romana weder in die reine Utopiesphäre, noch in die reine machtpolitische Arena zu verweisen sind, sondern eher
W. Brown Patterson, King James VI and the reunion of Christendom. Cambridge 1997, 273f., 279, 285f., 287 zur doctrine und discipline in der Kirche von England. Hermann J. Selderhuis, Doctrina (wie Anm. 66); Markus Wriedt/Herman J. Selderhuis, Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung. Tübingen 2006; Joseph S. Freedman/Herman ]. Selderhuis u.a., Späthumanismus und reformierte Konfession. Tübingen 2006; Gangolf Schrimpf/Gabriel Jüssen, ,Disciplina, doctrina', in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 2, 1972, Sp. 256-261. Der Artikel geht nicht über das Mittelalter hinaus. 77 Vgl. Arno Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit. Wien/Köln/Weimar 1994: Polybios als beschreibender Theoretiker einer Gleichgewichtslehre in der Politik (116) und dessen Einfluss auf Giovanni Botero um 1605 (121). 76
Saumaises ,polybianische' militia einen militärgestützten, p r a g m a t i s c h e n Frieden u n d politische Stabilität versprechen. Die strategisch-politischen O r d n u n g s m u s t e r der Kreise sind als Charakteristik u m dieser spezifischen, eine Kriegsoffensive n a h e l e g e n d e n polybianischen Kultur a n z u n e h m e n . I m Restablissement
neorömisch-
de la milice de
France78
( 1 6 3 1 / 3 2 ) v o n R e n é L e n o r m a n t , Sieur de Montissuc, der gleichfalls die polybianische strategische Heuristik zweier Kreise a m E x e m p l u m der Schlacht von C a n n a e entwickelte, bezeichnen der innere u n d der äußere Kreis zwei unterschiedliche Verfassungsformen. Der kleinere Kreis bezieht sich auf die Militärverfassung der Generalstaaten, der größere Kreis entspricht der französischen Monarchie. Letztere solle die Generalstaaten zunächst als Ausg a n g s p u n k t n e h m e n , diese aber in einen äußeren Kreis, einen Offensivkrieg überführen, der v o n d e m französischen K ö n i g geführt w e r d e n solle. I m Zeitraum der Jahre 1 6 3 5 - 1 6 4 0 / 1 6 4 5 entstanden nicht n u r weitere Texte einer spezifischen „sicherheitspolitischen" Kultur; es lassen sich auch Textbeziehungen rezeptionsgeschichtlicher u n d inhaltlicher Art herausarbeiten. Das „politische T e s t a m e n t " v o n Richelieu w u r d e in den Jahren 1634 bis 1649 7 9 in
78 René Lenormant, sieur du Bois, Discours pour le restablissement de la milice de France. Contenant les fonctions depuis le simple soldat iusques à celles du General d'armée, ensemble les exercices tant de l'Infanterie que Cauallerie: La forme de ranger les armées en bataille en raze Campagne, & lieux Montueux: Le moyen pour recognoistre la capacité des Ingenieux en la Theorie & pratique de la Fortification, Castrametation, feux d'Artifices & autres choses dépendantes de la deffensiue & offensiue de guerre. La maniere de bien establir la Nauigation Françoise, pour les armées nauales & le commerce: Et autres voyes & moyens extraordinaires pour mettre la Milice de France à son periode [...]. Rouen/Charles Osmont 1632. BN V 18021.
Vgl. Françoise Hildesheimer, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Testament politique. Paris 1995, 15: „Le terme provisoire de ces discussions intervint en 1947 avec l'édition du texte par Louis André qui estimait qu'il avait été composé de 1634 à 1638, dans le secret, pour l'essentiel par le Père loseph."; Ein Hinweis in dem für die verfassungstheoretischen die Militärverfassung betreffenden Maximen (2. Teil, Kap. 9, Sektion 4) relevanten Abschnitt zeigt jedoch, dass zumindest dieser Textteil nach 1639 datiert: Testament politique. 1995, 313 : „Si, avec une borine règle qui ne peut estre estimée trop austère par ceux mesmes qui en souffrent, on a un soin particulier des soldats, si on leur donne le pain tout le long de l'année, six monstres et un habit, si l'on continue les missions militaires pratiquées en 1639 pour les empescher de tomber malades, si, lorsqu'ils le sont, on a des hospitaux qui suivent l'armée en tous lieux, ainsy qu'on a fait en la mesme année, et qu'on asseure la vie de ceux qui auront esté estropiez en servant le roy dans la commanderie de Saint-Louis destinée à cette fin, j'ose répondre que l'infanterie de ce royaume sera bien disciplinée à l'avenir."; Vgl. Richelieu, Testament politique d'Armand du Plessis Cardinal duc de Richelieu [...], 3 e édition. Amsterdam, Henry Desbordes, M.DC.LXXXIX, s.p.: „Pour le temps auquel cet Ouvrage a été fait, il est à presumer qu'il y a travaillé à diverses reprises. Dans les premier Chapitre il conduit le récit des Actions du roy jusques en 1638. Cependant en d'autres endroits il partait qu'il écrivoit en 1635, puis qu'il ne donne alors au Roy que vingt-cinq ans de Règne." 79
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Therese Schwager seinem Kabinett n a c h seinen A n w e i s u n g e n niedergeschrieben. 8 0 U n d Sully hat die verschiedenen Teile des Grand Dessein wahrscheinlich erst 1635 konzipiert und in den folgenden Jahren das M a n u s k r i p t der „ M e m o i r e n " 8 1 für die Veröffentlichung überarbeitet u n d ergänzt, deren erster Teil i m Jahr 1638 erschien. Beide Texte stehen in der F o r s c h u n g für eine N e u k o n z e p t i o n einer „république c h r é t i e n n e " 8 2 unter der H e g e m o n i e Frankreichs gegenüber der spanischen Universalmonarchie. Klaus Malettke handelte diese wesentlich v o m Kardinalpremier Richelieu u n d Maximilien Sully vertretenen Konzeptio n e n unter d e m Projekt zur Errichtung eines „dauerhaften F r i e d e n s " in Europ a ab. 8 3 Die große zeitliche, personelle u n d inhaltliche N ä h e z u Saumaises Polybios-Ausarbeitungen legen eine maßgebliche Beeinflussung durch die strategische u n d militärpolitische Lehre des reformierten Gelehrten C l a u d e de Saumaise nahe.84
Hildesheimer, Introduction (wie Anm. 79), 16: „On admet donc que la pensée est bien de Richelieu, non la réalisation matérielle." 8 1 Vgl. Bernard Barbiche, La première édition des (Economies royales de Sully (16381640), Travaux de littérature, L'Ecrivain éditeur 1. Du Moyen Age à la fin du XVIII0 siècle, hrsg. ν. François Bessire, XIV. Genf 2001, 205-214, 205: „Ecarté du pouvoir à la fin de janvier 1611 après avoir gouverné la France pendant une douzaine d'années aux côtés de Henri IV, Maximilien de Béthune, duc de Sully, est le seul des grands ministres du Grand Siècle qui ne soit pas mort en charge. Au cours d'une longue retraite de trente années, il a eu tout loisir d'écrire et de réécrire ses Mémoires, les Oeconomies royales, pour justifier son action politique et imposer à la postérité la vision qu'il voulait qu'elle garde de lui. Ce n'est pas ici le lieu de retracer en détail les conditions dans lesquelles ce long texte a été élaboré [On en trouvera le récit dans notre ouvrage: Bernard Barbiche et Ségolène de Dainville-Barbiche, Sully. L'homme et ses fidèles, Paris 1997, 349-353 und 276-390]." 206: „II confia cette tâche à un imprimeur d'Auxerre, Jacques Bouquet, avec qui il passa contrat le 7 décembre 1638." 80
Klaus Malettke, Die Entwicklung eines Systems der europäischen Außenpolitik im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert aus französischer Perspektive, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/Winfried Schulze (Hrsg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. (Innovationen, Bd. 10.) Berlin 2003, 285-305; Vgl. auch ders., Europabewußtsein und europäische Friedenspläne im 17. und 18. Jahrhundert, in: Francia 21,2,1994, 63-93. 83 Malettke, Entwicklung eines Systems (wie Anm. 82), 299: „Unter den Konzepten zur Schaffung eines dauerhaften Friedens sind für den uns hier speziell interessierenden Zeitraum der ,Grand Dessein' Sullys und Richelieus Entwurf eines Systems kollektiver Sicherheit ohne Zweifel die bekanntesten und auch die - konzeptionell betrachtet kohärentesten Pläne."; Vgl. inhaltlich: Klaus Malettke, Richelieus Außenpolitik und sein Projekt kollektiver Sicherheit, in: Peter Krüger (Hrsg.), Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. (Marburger Studien zur neueren Geschichte, Bd. 1.) Marburg 1991, 47-68; ders., Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit. (Marburger Studien zur Neueren Geschichte, Bd. 4.) Marburg 1994, 263-302. 84 Virgilio Illari, Imitatio, Restitutio, Utopia: la storica militare antica nel pensiero strategico moderne, in: Marta Sordi (Hrsg.), Guerra e diritto nel mondo greco e romano. 82
Saumaises ,polybianische' militia D e r Traktat v o n S a u m a i s e ist nicht zuletzt in Bezug z u diesen umfassenderen europäischen Stabilitätskonzeptionen z u sehen, die sich gegen einen universalen-hegemonialen Herrschaftsanspruch der spanischen Habsburger richtete. S o w e n d e t sich etwa die Schrift des hugenottischen Ersten Ministers Heinrichs IV. mit d e m Plan einer protestantischen Fürstenallianz gegen H a b s b u r g an den englischen K ö n i g J a m e s I. und schlägt die Bildung von 15 gleich starken Staaten vor. Die in Teilstücken verfasste Schrift ist in über 1 000 Seiten seiner M e m o i r e n verstreut; zwei erste Abschnitte aus d e m Jahr 1638 w u r d e n erst 1662 z u s a m m e n mit d e m dritten Abschnitt veröffentlicht. Als Grand sein d'Henri
des-
VI präsentierte Sully 1641 seinen Entwurf einer „république très
chrétienne", der eine p e r m a n e n t e europäische B ü n d n i s a r m e e in e i n e m „guerre continuelle" der Christenheit gegen die O s m a n e n eingesetzt wissen will. 8 5 C a s a u b o n hatte seinen P o l y b i o s - K o m m e n t a r neben Heinrich IV., vor allem J a m e s I. u n d Sully zugedacht; und Sully, dessen erste Fassung des „Grand D e s s e i n " zeitgleich z u m P o l y b i o s - K o m m e n t a r ( 1 6 0 6 - 1 6 0 7 ) des n a c h d e m T o d Heinrichs IV. nach England übersiedelten Isaac C a s a u b o n entstanden war, hat sich, folgt m a n Virgilio Ilari, im Wesentlichen an d e m griechisch-römischen Historiker orientiert.
Contributi dell'Istituto di storia antica. Mailand 2002, 346f.: „Ma lo stesso Isacco Casaubono (1599-1614) accena, in una lettera a Giuseppo Giusto Scaligero, che l'edizione critica di Polibio - pubblicata nel 1606-07 assieme ad nuova traduzione Latina - gli era stata ordinate dall'alto. Non necessariamente dal re Enrico IV (che non leggeva il reco); piuttosto da Maximilien de Béthune, duca di Sully (1559-1641). Stavolta infatti l'interesse del committente non sembra di carattere militare, ma politico. Nel Polibio di Casaubon (non quidem intergrum, sed qualem tarnen nemo adhuc vidit) si cercavano infatti scientia civilis e imperatorius stilus: e sopratutto tornavano alla luce gli excerpta polibiani de legationibus, funzionali alla stesura segreta del grande progetto di pax Europaea ideato da Sully. / Le Grand Dessein fu pubblicato nel 1662, nell'edizione postuma delle Economies Royales di Sully, che lo attribuì a Enrico IV. Il piano era ispirato a tre principi politici: a) prevenzione dei conflitti interni (mediante riequilibrio dei differenziali di potenza e risoluzione arbitrale delle controversie); c) individuazione di un nemico esterno (ovviamente il Turco). Si prevedeva la ristrutturazione dell'Europa in quindici Stati sovrani di uguale potenza e ricchezza (sei monarchie ereditarie, cinque elettive e Quattro repubbliche). Gli excerpta polibiani furono tenuti presenti anche nel Nouveau Cynée, ou Discours des Occasions et Moyens d'établir une paix générale et la liberté du commerce pour tout le monde (1623) di Emeryc Crucé (1590-1648) che prevedeva un'Assemblea permanente degli Stati, non limitata all'Europa ma estesa anche al Gran Mongolo, agli imperatori della Cina e del Giappone e ai sovrani della Persia e dei Tartari, incaricata di far regnare la pace nel mondo mediante l'arbitrato e di reprimere ogni turbativa anche con l'uso della forza." Vgl. Maximilien de Sully, duc de Béthune, Le Grand Dessein de Henri IV et de Sully (extraits des Économies royales de Sully), zitiert in: André Puharré, L'Europe vue par Henri IV et Sully. D'après le ,Grand Dessein' des Economies Royales. Avec de Larges Extraits des Mémoires de Sully. Oloron-Sainte-Marie 2002, 143: „[...] à établir de bons orders de police et malice pour la subsistence d'une guerre continuelle contre les infidèles [...]." 85
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Die Friedenskonzeptionen von Sully und Richelieu Sowohl die Friedenskonzeptionen Richelieus als auch Sullys gaben zu Diskussionen darüber Anlass, inwiefern sie stärker machtpolitisch und weniger utopisch ausgerichtet seien. Es ist anzunehmen, dass beide Kriterien die frühneuzeitliche Amalgamierung von Friedens- und Stabilitätskonzeptionen vor dem Hintergrund einer historisch spezifischen kriegsgeschichtlich-politischen Realität nicht fassen. Die Verbindung von „paix perpétuelle" 86 (der Christenheit) und pax romana, lassen die strikte Trennung in utopisch und realpolitisch, wie sie beispielsweise von Heinz Schilling oder Klaus Malettke vorgenommen wurden, obsolet erscheinen. Die pax romana findet sich, wenn auch jeweils in gänzlich unterschiedlicher Ausformulierung, sowohl bei Justus Lipsius als auch bei Claude de Saumaise. Fritz Dickmann versuchte sich bereits diesem politischen Friedensbildungskomplex nicht mit den Begriffen von Staatsbildung oder Sozialdisziplinierung zu nähern, sondern über den Begriff eines „Systems kollektiver Sicherheit". Zur politischen Organisation des angestrebten Systems kollektiver Sicherheit87 in Europa machte Sully im Unterschied zu Richelieu präzisere Angaben, die er in seinem Grand Dessein entwickelte.88 Generelles und eigentliches Ziel Sullys war die Schaffung eines europäischen Gleichgewichts föderierter Staaten, um die Gefahr der Etablierung einer Universalmonarchie „einer einzelnen Macht" für die Zukunft zu bannen. Die Neuordnung Europas und die Gewährleistung eines „dauerhaften Friedens" - demnach eine pax perpetua - sollte durch die Errichtung einer „Christlichen Republik" erreicht werden.89 Kurt von Raumer hat auf die Ambivalenz von Sullys Friedensprojekt hingewiesen, die er darin begründet sah, dass Sullys Sicherheitskonzeption Elemente einer pax romana aufnimmt, des römisch-republikanischen Den-
8 6 Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Jugement sur le Projet de Paix Perpétuelle de l'abbée de Saint-Pierre. Paris 1821, 200, zitiert in: André Puharré, L'Europe vue par Henri IV et Sully. D'après le ,Grand Dessein' des Economies Royales. Avec de Larges Extraits des Mémoires de Sully. Oloron-Sainte-Marie 2002, s.p.: „Sans doute, la paix perpétuelle est à présent un projet bien absurde: mais qu'on nous rende un Henri IV et un Sully la paix perpétuelle redeviendra un projet raisonnable." 8 7 Heinz Schilling und Klaus Malettke differieren im Hinblick auf die Zuordnung Sullys und Richelieus zu einem „System kollektiver Sicherheit". Schilling schreibt lediglich Richelieu zu, ein solches geschaffen zu haben. Vgl. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen: internationale Beziehungen. 1559-1660. (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen.) Paderborn u.a. 2007, 279.
Ebd., 278f.; Klaus Malettke, Entwicklung (wie Anm. 82), 301; vgl. O. T. O'Connor, Politique et utopie au début du XVII e siècle. Le grand dessein de Henri IV et de Sully, XVIIe siècle, 174,1992,33-42. Zur Quelle des Grand Dessein. Vgl. Sully, Mémoires, 216. 89 Malettke, Entwicklung (wie Anm. 82), 301. Vgl. Theodor Kiickelhaus, Der Ursprung des Planes vom ewigen Frieden in den Memoiren des Herzogs von Sully. Berlin 1893. 88
Saumaises,polybianische'
militia
kens. 90 Diese „Christliche Republik" sollte durch den vertraglichen Zusammenschluss der auf 15 „Dominationen" zu reduzierenden europäischen Staaten gebildet werden. Im Kern enthalte auch Sullys „Großer Plan" Ansätze für die Errichtung eines „Systems kollektiver Sicherheit" 91 (Klaus Malettke). Zwar teilte Saumaise mit Sully eine republikanische Konzeption: Die Analogien militärtheoretischer Theoreme („discipline"-„science"/„art militaire") in der Religion und die vom Volk institutionalisierte militia bei Saumaise ver-
weisen darauf. Diese erscheinen, wenngleich sie Fragmente einer theologischen Sprache assimilieren, jedoch nicht mehr christlich fundiert. Der Text tritt mit der Darlegung einer offensiven Strategie, dem mehr realpolitischen Konzept eines Systems kollektiver Sicherheit auf, wie es vor allem Richelieu reflektierte. 92 Dass diese respublica Christiana kein normatives Gerüst darstellt,
sondern militärpolitisch, politik- und diplomatiegeschichtlich fundiert ist und nicht zuletzt mit Begriffen der Staatsräson Machiavellis 93 neu ausgefüllt wird, zeigt eine Wandlung in der Friedensbildung unter dem Eindruck des „Sicherheitshorizonts" der Jahre 1630 bis 1643. Die Perzeption, wenn nicht reflektierte Rezeption, die die Umstände der Zeit mit in Betracht zieht und die freilich auch von der Sorge um den persönlichen Machterhalt des Kardinalpremiers bestimmt war, der theoretisch weiterentwickelten Legion als Grundlage einer französischen Militärorganisation, schlägt sich im politischen Testament des Kardinalpremiers nieder. Der in dem ordnungspolitischen System Sullys gegebene föderative Aspekt schlägt sich bei Richelieu in der Organisation des Militärs nieder. Neben Militäralli-
Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. (Orbis Academicus. Geschichte der politischen Ideen in Dokumenten und Darstellungen.) Freiburg/München 1953, Vllf.: „Eine ernste Frage für alle Geschichte der Friedensidee ergibt sich aus der Notwendigkeit, echtes Friedensstreben zu unterscheiden von den Tarnmitteln gesteigerter Machtpolitik, die den Frieden zum Vorwand nimmt. Ich habe mich im ganzen bemüht, in meiner Darstellung diejenigen Friedenspläne zurückzudrängen, die sich dem schärferen Blick nur als Verschleierungsform im Kampf um den Besitz der Macht und im Spiel der Diplomatie ergeben - so schwierig die Unterscheidung im einzelnen Fall auch immer sein kann und so gewiss dieser innere Zwiespalt mit in die Natur unseres Problems hineingehört und unter Umständen seinen besonderen Reiz ausmacht. An einem einzelnen großen Muster, den Memoiren Sullys, suchte ich die ganze Problematik, die in diesem Widerstreit steckt, deutlich zu machen; unwiederholbar verdeutlichen sie an der Schwelle von konfessionalem [sie] und staatlichem Zeitalter das Ineinanderfließen nationaler und universaler Ordnungsgedanken."
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Der Begriff wird unter anderem von Anja Victorine Hartmann verwendet.
Heinz Duchhardt, Zwischenstaatliche Friedens- und Ordnungskonzepte im Ancien Régime: Idee und Realität, in: A s c h / V o ß / W r e d e (Hrsg.), Frieden und Krieg (wie Anm. 3), 39. 92
Die Traktate von Henri de Rohan, „De l'intérêt des Etats de la Chrétienté" und der „Parfaict capitaine" sind darunter ebenso zu fassen wie der Traktat von Saumaise, und das politische Testament von Richelieu.
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anzen, so das Bündnis Frankreichs mit den Generalstaaten und dem Oranierprinzen, waren aber auch „klientele" Formen 94 der Truppenorganisation verbreitet. In der französischen Übertragung von Scipione Ammiratos Discours politiques et militaires (1633) ist zu lesen: Wenn der König so viele Soldaten habe, dass er sie in einem äußeren Krieg einsetzen könne und mit einem befreundeten Fürsten („prince") übereinkomme („acommoder"), sie (unter dessen Protektion, Ordonnanz und Kapitänen) vom Zeitpunkt ihres Einsatzes bis zu ihrer Rückkehr zu bezahlen, scheine es ihm, dass diese, ohne den König zu beschädigen oder gar in eine schwierige Lage zu bringen und zu seiner großen Ehre („honneur") die im Kabinett gelehrte Militärdoktrin umsetzen und praktizieren können. 95 Unmittelbar nach der Verwerfung des Konzepts der Legion schließt Richelieu folgende Überlegung an: Die von den Fürsten gesandten Truppen, die von ihren Offizieren geführt und unterhalten werden, was er zwei Mal in diesem letzten Krieg gesehen habe, hätten das Doppelte gekostet und hätten ebenso viel, wenn nicht mehr, Unordnung gestiftet als die anderen. Sie vermochten sich kaum in der Weise zu unterhalten wie die auf Kosten des französischen Königs operierenden Einzelnen („particuliers"). Diese Betrachtungen haben ihn davon überzeugt, dass anstelle der Provinzen die Souveräne die Aushebung und den Unterhalt der Kriegsleute besorgen sollen. 96 Dass Richelieu sowohl das Legions-Konzept, als auch das damit einhergehende Militärbündnis verwarf - die Sendung der Truppen aus den Provinzen erschien ihm wenig praktikabel und er lancierte stattdessen einen rhetorischen Appell an die einem römisch-griechischen Konzept der Militärorganisation entgegenstehenden Werte des Schwertadels 97 - , korrespondiert mit Richelieus Differenz zu einer europäischen ordnungspolitischen Vorstellung. Im
David A. Parrott, Richelieu, the Grands, and the French Army, in: Joseph Bergin/Laurence Brockliss (Hrsg.), Richelieu and his Age. Oxford 1992,146. 95 Ammirato, Discours politiques et militaires (wie Anm. 18), 495f. 96 Armand-Jean Du Plessis, duc de Richelieu, Testament politique, 310: „Outre que je puis dire avec vérité que, lorsque les nécessitez urgentes de l'Estat (s)ont contraints de recourir à des troupes envoyées par des princes, conduites et payées par leurs officiers, ce que j'ay veu deux fois pendant cette dernière guerre, elles ont toujours cousté le double et ont fait autant et plus de désordre que les autres, et moins subsisté que celles qui estaient en mesme temps levées et conduites par des particuliers à vos despens. /Ces considérations m'ont fait voir clairement qu'au lieu de charger des provinces de la levée et de l'entretènement des gens de guerre, les souverains en doivent prendre le soin." 94
Ebd., 303: „II n'y a personne qui ne comprenne aisément qu'il y a différence entre les esprits qui montent en haut par leur nature et les plus grossières parties des corps qui demeurent en bas. / L'excellence de la noblesse qui cherche la guerre volontairement sont ces esprits qui montent en haut, estimez de tout le monde, et celle qui n'y va que par la nécessité des loix du royaume est, sinon la lie, au moins le vin qui est au-dessous de la barre, qui sent le bas et dont on fait si peu de cas qu'à peine peut-il servir pour des valets."
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Unterschied zu Sully berücksichtige Richelieu, wie Klaus Malettke konstatiert, die Vielfalt und die Vielgestaltigkeit der historisch gewachsenen Staaten, die Sully durch ein von der abstrakt konstruierenden ratio geschaffenes System weitgehend gleichgroßer und gleichstarker Mächte ersetzen und die gewachsene europäische Staatenwelt in eine sozusagen auf dem Reißbrett des Architekten entworfene „République très chrétienne" einbinden wollte. 98 Richelieus Haltung gegenüber der „république très chrétienne" Sullys ist vergleichbar derjenigen gegenüber der nach Kriterien einer klaren Kommandostruktur und Befehlskette durchorganisierten Legion, die Saumaise theoretisch weiterentwickelt hatte. Besonders heikel für die Herrschaftspraxis des Kardinalpremiers war daher, dass das Volk die militia errichtet, wie es die militärpolitische Lehre Saumaises nahelegte. Das militärische Reformmodell, wenngleich es mit der nationalfranzösischen Tradition vereinbar war, war nicht zuletzt aus Gründen der politischen Kultur für den nach monarchischer Herrschaftszentrierung strebenden Kardinalpremier unannehmbar. Das Konzept der Legion weist in der Vorstellung Richelieus, wie sie in seinem politischen Testament nachzuvollziehen ist, eine nicht ausschließlich organisatorische Seite (idilectus und ordo) auf, sondern auch eine taktische Funktion (acies). Der Kardinalpremier sah in der Legion offensichtlich ein politisches Instrument, die Militärverfassung grundlegend zu reformieren. Dem Reformmodell der Legion konnte er mit dem Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg offensichtlich auch eine taktische Reform abgewinnen, für die eine Synthese der Taktik der Alten als Grundlage dienen konnte. Er glaubte mitunter, dass das beste Mittel, das man ergreifen könne, um die Kriegsleute in Disziplin zu halten, die Einrichtung der Legionäre („establissement des légionaires") sei, die bereits in der Vergangenheit in der französischen Monarchie eingeführt worden s e i . " Man müsse ihr jedoch noch einige besondere, für deren Sicherheit notwendige partikulare Ordonnanzen („ordres particuliers") hinzufügen. 100 Vernunft und Erfahrung veranlassten ihn jedoch letztendlich diesen Gedanken fallen zu lassen. 101 Diese Überlegung wird im zweiten Teil im neunten Kapitel des politischen Testaments geäußert, der von der Macht des Herrschers handelt („Qui traite de la puissance du prince") und unter dem
Malettke, Entwicklung (wie Anm. 82), 302. 1534 errichtete Franz I. sieben Legionen; eine Ordonnanz vom 27. März 1558 versuchte diese wiederzubeleben, aber nach 1568 war davon nicht mehr die Rede. Vgl. auch David Potter, Renaissance France at War. Armies, Culture and Society, c. 1480-1560. (Warfare in History.) Woodbridge 2008,112-117. 100 Richelieu, Testament politique (wie Anm. 96), 309: „J'ay quelquefois estimé que le meilleur expédient qu'on pourroit prendre pour faire subsister les gens de guerre et les maintenir en discipline estait de mettre l'establissement des légionaires, qui estait autrefois pratiqué en ce royaume, y ajoutant quelques ordres particuliers tout à fait nécessaires pour le rendre asseuré, mais la raison et l'expérience m'ont fait perdre cette pensée." 101 Ebd. 98
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Titel des Unterhalts der Armeen („Remède pour faire subsister les armées") dargelegt wird. Die Heeresbildung wird demnach nicht wie bei Saumaise dem Volk eingeräumt - nicht im Sinne einer „levée en masse", dazu ist der Volksbegriff Saumaises noch zu sehr mittelalterlichen politisch-naturrechtlichen Vorstellungen von Herrschaft verhaftet, sondern tritt als Moment der Herrschaftslehre auf. Dennoch gibt es Übereinstimmungen zwischen den beiden Konzepten. Tatsächlich hatte Saumaise sich im Abrégé de la milice des Romains gleichfalls auf die Einführung der römischen Legion in Frankreich durch Franz I. bezogen, dabei jedoch die Befehlsstruktur weiter ausdifferenziert. ^102 Da Richelieu in Betracht der strukturellen Schwächen der französischen Monarchie 103 und im Hinblick auf seine eigene Position im französischen Herrschaftssystem eine ebenso konservative Haltung im Hinblick auf die Reform des Militärs im Innern Frankreichs einnahm, wie er es in der „äußeren" Politik tat, wurde die Revision der Taktik im Rahmen einer polybianischen Heuristik der Milice verworfen. Dass diese jedoch nicht schlechthin in eine Kriegsoffensive, sondern an die in der Mischverfassungslehre implizite Stabilitätskonzeption eingebunden war, die einer gewandelten Konzeption einer respublica Christiana zugeordnet werden konnte, berechtigt zu der Annahme, dass die dargelegte strategisch-taktische Konzeption im Vorfeld des Westfälischen Friedens zweierlei Ziele implizierte: eine rasche politische Kriegsentscheidung durch die in eine offensive Kriegführung eingebettete offene Feldschlacht, einen zeitlich begrenzten Feldkrieg („guerra campale") und damit
102 Saumaise, Milice (wie Anm. 58), fol. 141. „Nous auons discouru au traitté praecedent, des principaux chefs de l'armée Romaine à commencer des le General iusques aux mareschaux de camp, et mestres de camp, voyons maintenant des autres chefs & officiers, qui estaient au dessus des susits corps composé de plusieurs autres petits corps, qui sont les me(m)bres lesquels n'estans pas attachés à ce corps, comme nos bras et nos iambes le sont au nostre, ils ont aussi leurs mouuemens séparés, qui pourraient aller à contresens et le porter à gauche ou il seroit besoin de se remuer à droit et reculer en arrière ou II faudroit auancer. C'est pourquoy il leur faut à chacu(n) d'eux, des chefs particuliers à les guider et faire mouuoir selon l'intelligence du premier et principal chef qui iette les influences de ses commandemens par tous ces petits corps, par le moyen de ses chefs subalternes qui les reçoiuent du supérieur, pour les communiquer à leurs inférieurs, iusqu'au plus bas etaux derniers. Nous parlerons premièrement des centurions, qui suiuent en ordre par les Tribuns iusqu la que le premier Centurion de la Legion pouuoit s'egaler aux Tribuns tant pour l'honneur que pour le profit." 103 vgl David A. Parrott, The Causes of the Franco-Spanish War of 1635-1659, in: Jeremy Black (Hrsg.), The Origins of War in Early Modern Europe. Wars as products of bellicose elites. Edinburgh 1987, 82-90, hier 88. Die Kritiker des Kardinals betonten insbesondere nach 1635, dass der Krieg eines der Mittel war, sich selbst und seine Kreaturen an der Macht zu halten und alle anderen vom König fernzuhalten. In einem beträchtlichen Maß lagen sie damit richtig: Richelieus Autorität und diejenige seines Nachfolgers Mazarin konnten nur aufgrund der Notwendigkeit des Krieges gerechtfertigt werden; vgl. Jay M. Smith, The Culture of Merit. Nobility, Royal Service, and the Making of Absolute Monarchy in France. 1600-1789. University of Michigan Press 1996,94.
Saumaises ,polybianische' militia
eine militärpolitische Konzeption, die die Dauer des Krieges nicht überschreiten sollte - dieses subsidiär organisierte Militär sollte nicht zum dauerhaften Instrument des Fürstenstaates werden. Vielmehr schreibt sich diese ausdifferenzierte Formenlehre der römischen militia in eine „Théorie de la guerre de campagne" ein. Neu an dieser ist, dass sie im Kontext der mit Isaac Casaubon eine neue universalhistorische und historisch-kritische Qualität erlangende Polybios-Rezeption zu verorten ist. Die polybianische Militärtheorie tritt als Moment einer umfassenden europäischen Ordnungskonzeption, eines universalhistorisch begründeten Gegenmodells zur spanischen Universalmonarchie auf, die die Semantik der respublica Christiana aufgreift. Schlussbemerkung Die Friedensbildung im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges lässt sich nicht auf die diplomatische Praxis in Verbindung mit der Kriegführung oder die Verzahnung von Heeres- und Staatsbildung reduzieren. Vielmehr greifen Friedensbildungs- und ideengeschichtlich festzumachende Strategiebildungsprozesse ineinander. Vor diesem Hintergrund und in den aufeinander verweisenden Texten von Saumaise, Lenormant, Sully und Richelieu ebnet sich die vermeintliche Spaltung in konzeptionelle Friedensentwürfe und machtpolitischer Interessenpolitik sowie machtpolitischem Realismus ein. Ein Indikator und verbindendes Moment dieser konzeptuellen Friedensbildung ist die Polybios-Rezeption.
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IV. Zwischenstaatlicher Frühen Neuzeit
Frieden
in
der
Missverständnis" Martin
Peters
„Missverständnis"
als
Kategorie
im
als Kategorie
europäi-
s c h e n F r i e d e n s p r o z e s s d e r V o r m o d e r n e ? Ein W e r k s t a t t b e r i c h t 1 1.
Der , D ä m o n der M a c h t ' spielt in der Erforschung des v o r m o d e r n e n Frie-
dens gewiss eine zentrale Rolle. Z u den Orten, in d e n e n grenzüberschreitend u n d auf „internationaler" 2 E b e n e politische u n d machtpolitische Entscheid u n g e n getroffen w u r d e n , gehörten in der Frühen Neuzeit b e s o n d e r s Friedenskongresse u n d -Verhandlungen. D a m i t politische Interessen auf Fried e n s v e r h a n d l u n g e n durchgesetzt w e r d e n konnten, m u s s t e n sie k o m m u n i ziert w e r d e n . Verhandlungsrelevante Ansichten, Interessen, Entwürfe sowie K o n z e p t e w u r d e n vermittelt b e z i e h u n g s w e i s e verständlich gemacht. Insofern fand und findet auch h e u t e n o c h auf Friedensverhandlungen ein intensiver A u s t a u s c h v o n „Bildern", (Vor-)Urteilen, Vorstellungen sowie Einschätzung e n statt. 3 Diese kristallisierten sich e t w a in spezifischen B e g r ü n d u n g s m e t a phern, w i e „christianitas",
„ E u r o p a " , „ G l e i c h g e w i c h t " u n d „ K o n z e r t " , 4 die i m
Laufe der Zeit eine unterschiedliche Bedeutungsdichte erhielten u n d v o n Region z u Region unterschiedlich konnotiert w u r d e n .
1 An dem seit Juli 2009 bestehenden BMBF-geförderten Verbundprojekt „Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien. Europa 1450-1789" sind Prof. Dr. Heinz Duchhardt, Dr. Martin Peters (Institut für Europäische Geschichte, Mainz), Prof. Dr. Johannes Burkhardt, Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber (Institut für Europäische Kulturgeschichte, Augsburg) und PD Dr. Hans-Martin Kaulbach (Staatsgalerie Stuttgart) beteiligt.
Wenn im Folgenden von internationaler oder zwischenstaatlicher Ebene gehandelt wird, ist die Verzahnung der dynastischen Dimension mit der Ausbildung des modernen Staates berücksichtigt, vgl. Johannes Kunisch (Hrsg.), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates. (Historische Forschungen, Bd. 21.) Berlin 1982. 2
Allgemein dazu: Robert Jervis, Perception and Misperception in International Politics. Princeton 1976. Für die politische Literatur vgl. z.B. Klaus Malettke (Hrsg.), Zur Perzeption des Deutschen Reiches im Frankreich des 17. Jahrhunderts: Theodore Godefroy: Description dAllemagne. (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge, Bd. 4.) Münster 2002. Für die Bildende Kunst vgl. z.B. Hans-Martin Kaulbach, Europa in den Friedensallegorien des 16.-18. Jahrhunderts, in: Klaus Bussmann/Elke Anna Werner (Hrsg.), Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder. Wiesbaden 2004,53-77. 3
Heinz Duchhardt, The Missing Balance, in: Journal of the History of International Law 2, 2000, 67-72; ders., „Europa" als Begründungsformel in den Friedensverträgen des 18. Jahrhunderts: von der „tranquillité" zur „liberté", in: ders./Martin Peters (Hrsg.), Instrumente des Friedens. Vielfalt und Formen von Friedensverträgen im vormodernen Europa. Mainz 25.06.2008. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 3.), Abschnitt 5-11, [http://www.ieg-mainz.de/viegonline-beihefte/03-2008.html; eingesehen am 16.09.2009]; ders., Concert of Europe, in: Publikationsportal Europäische Friedensverträge, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte, Mainz 27.07.2009, Abschnitt 1-7, [http://www.ieg-mainz.de/ publikationsportal/duchhardt07200901/index.html; eingesehen am 16.09.2009]. 4
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Martin Peters
Gewissermaßen der „Kitt", der den kommunikativen Austausch - auch heute noch - ermöglicht, sind spezifische Übersetzungs- beziehungsweise Translationsleistungen, die sehr vielschichtig sein können.5 Auch für den europäischen Friedensprozess der Vormoderne lassen sich diese Übersetzungsleistungen herausfiltern. Denn unterschiedliche Sprachen der Vertragspartner, differente Wahrnehmungen von politischen Situationen und rechtlichen Regelwerken mussten vereinheitlicht werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Die Frage, die im folgenden Beitrag erörtert werden soll, lautet daher, ob Missverständnisse eine Kategorie des europäischen Friedensprozesses der Vormoderne waren. Denn die Frühe Neuzeit war keine friedliche Zeit. Johannes Burkhardt hat die „Bellizität" als ihr Merkmal umfassend beschrieben.6 So gab es im 17. Jahrhundert nur ein Jahr, in dem in Europa nicht Krieg geführt wurde.7 Angesichts dieses Befundes der scheinbaren Erfolglosigkeit der Friedensbemühungen stellt sich automatisch die Sinnfrage: Was lief verkehrt im vormodernen Friedensprozess? War es ausschließlich die Dominanz der Machtpolitik, die Friedensverträge zu wertlosem Papier herabstufte, sodass Macht vor Recht und Frieden ging? Oder gab es ein eklatantes Translationsdefizit, das Missverständnisse verursachte? 2. Etwa 2 000 Friedensverträge - bi- und multilaterale Vereinbarungen wurden in Europa zwischen 1450 und 1789 unterzeichnet.8 Die vorrangigen Ziele, so sie in den Präambeln vormoderner Friedensverträge erwähnt werden, bestanden darin, Frieden wieder herzustellen oder den Ausbruch von Krieg präventiv zu verhindern. Dass in vormodernen Friedensverträgen auf bereits abgeschlossene Vertragsinstrumente zurückgegriffen wurde, lässt erkennen, dass Frieden durchaus als Prozess, ja sogar als jenseits militärischer Handlungen fortlaufender Prozess begriffen wurde. Es lassen sich für diesen Zeitraum nur wenige Jahre benennen, in denen kein Friedens-, Allianz-, Heirats-, Familien- oder Handelsvertrag in Europa abgeschlossen wurde. Dies war nur möglich dank einer komplexen, zeit- und Uber die Bandbreite von Übersetzungen und Translationsleistungen vgl. Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hrsg.), Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration. Frankfurt am Main/New York 2002. 6 Johannes Burkhardt, Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24,1997,509-574. 5
Heinz Duchhardt, Zwischenstaatliche Friedens- und Ordnungskonzepte im Ancien Regime: Idee und Realität, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2.) München 2001,37-45, besonders 38. 8 Derzeit sind 1 745 Friedensverträge des Zeitraums 1450-1789 einsehbar in: Heinz Duchhardt/Martin Peters, [www.ieg-mainz.de/friedensvertraege; eingesehen am 10.09.2009]. 7
„Missverständnis" als Kategorie
kostenaufwändigen friedenswahrenden und -stiftenden Diplomatie, eines ausgeklügelten Rechtssystems, Friedenszeremonien, Instrumenten sprachlicher Verständigung sowie dank eines - auf welche Motive auch immer zurückzuführendes - Vermittlungs-, Repräsentations- und natürlich Verhandlungsbedürfnisses. Es sind hierbei verschiedene Ebenen der Translationsleistungen zu unterscheiden: die völkerrechtliche und zwischenstaatliche Ebene des Vermittlers, der zwischen Vertragsparteien moderiert; die diplomatische Ebene des Gesandten, der die Instruktionen seines Fürsten umsetzt und die philologische Ebene des Dolmetschers, der sich dem sprachlichen Transfer von Texten widmet. Denn nicht nur zwischen den Mächten waren Translationsleistungen zu erbringen, sondern auch zwischen den Fürsten und ihren Diplomaten sowie Botschaftern. Dabei haben Dolmetscher Texte sowie mündliche Informationen in eine andere Sprache möglichst inhaltsgetreu übersetzt und auch weitergetragen, eventuell aber auch bewusst oder unbewusst verändert und verformt. Dies prädestinierte sie für Spionagetätigkeiten, für Kodierungen und Dekodierungen. 9 Auf der Ebene der Informationsvermittlung ist schließlich auch die „wissenschaftliche" Perzeption und Bewertung spezifischer politischer und rechtlicher Situationen anzusiedeln, durch die Handlungen und Strategien im Friedensprozess vorbereitet werden. 10 Es lassen sich weitere Ebenen denken, etwa zeremonielle Translationsleistungen, wissenschaftliche (Editionen) und mediale (Bilder) Übersetzungsleistungen. Übersetzungen fanden also statt, wenn es um die Deutung von Phänomenen, also von politischen Ereignissen und Sachverhalten, ging. Dabei konnten die Medien durchaus gewechselt, transmedialisiert, werden, etwa wenn literarische Darstellungen von Frieden visualisiert wurden. Vormoderne Übersetzungsleistungen sind durchaus sichtbar. So wurden Friedensverträge in den Sprachen der beteiligten Vertragspartner ausgefertigt und sogar zweisprachig ausgestellt, womit der Übersetzung eine besondere völkerrechtliche Qualität zukam. Das Beispiel eines bilingualen Friedensvertrages, der beide Sprachen der Vertragspartner kolumnenweise präsentiert, ist der „Ewige Frieden" von Moskau aus dem Jahr 1768 zwischen Polen und Russland. 11
Lucien hély, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV. Saint-Amand-Montrond 1990. 1 0 Über vormodeme Information vgl. jetzt Arndt Brendecke/Markus Friedrich/Susanne Friedrich (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände, Strategien. (Pluralisierung & Autorität, Bd. 16.) Berlin 2008. Malettke, Theodore Godefroy (wie Anm. 3). 11 Andrea Schmidt-Rösler, Der »Ewige Friede« zwischen Polen und dem Russischen Reich, geschlossen am 24. Februar 1768 zu Warschau. Edition und Übersetzung, in: Publikationsportal Europäische Friedensverträge, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte, Mainz 18.11.2008, Abschnitt 1-39, 9
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Martin Peters i Ausfertigungen
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