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German Pages 264 [262] Year 2014
Ronald Hartz, Matthias Rätzer (Hg.) Organisationsforschung nach Foucault
Sozialtheorie
Ronald Hartz, Matthias Rätzer (Hg.)
Organisationsforschung nach Foucault Macht – Diskurs – Widerstand
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Einführung
Ronald Hartz/Matthias Rätzer | 7 Vom Ethos zum Verfahren – Diskursanalyse als Element einer kritischen Ontologie der Gegenwart
Ronald Hartz | 17 Die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive in der (kritischen) Organisationsforschung – Einige grundlegende Überlegungen am Beispiel des Diversity Managements
Andrea D. Bührmann | 39 »Widerstandspunkte im Machtnetz« – Facetten (m)einer Diskursgeschichte der BWL-Kritiken
Gertraude Krell | 61 Vielfalt repräsentieren. Eine postkoloniale Diskursanalyse in der diskurstheoretischen Tradition Foucaults
Isabel Collien | 85 Translation und Aneignungsweisen von Diskursen in Organisationen – Konzeptionen und Beispiel anhand der stationären Altenpflege
Matthias Rätzer | 107 Foucault in der Organisationsforschung – Eine technische Diskursanalyse
Rick Vogel/Nina Katrin Hansen | 127 Die Organisation(en) der Gesellschaft – Foucault und die Gouvernmentality Studies im Feld der Organisationsforschung
Lars Gertenbach | 151 Die Freiheit im Lichte der Kennzahl – Drohung und Verheißung in der gouvernementalen Programmatik der ›Bildungsautonomie‹
Niels Spilker | 169
Projekte als Nordwest-Passage – Zeit und Zeitlichkeit als Regierungsrationalität
Yannick Kalff | 191 Macht und Widerstand in Medienunternehmen aus Foucault’scher Perspektive
Anne-Kristin Lehmann/Irma Rybnikova | 211 Schulische Heterotopien – Schulräumliche Heterotopien – Pädagogische Organisationen im Spannungsfeld von Einsperrung und Ausschließung
Ina Herrmann | 233 Autorinnen und Autoren | 257
Einführung R ONALD H ARTZ /M ATTHIAS R ÄTZER
Noch ein Buch über Foucault? Noch eine Abhandlung zu den Fragen des Diskurses, der Macht und der Subjektivierung? Noch einmal ein Kommentar über Kommentare zum Schaffen Foucaults? Der/die geneigte Leser_in, welche_r mit den Arbeiten Foucaults ein wenig vertraut ist, mag einem solchen Unterfangen nicht nur aufgrund der inzwischen kaum mehr überschaubaren FoucaultRezeption mit Skepsis begegnen, sondern auch in zweierlei Hinsicht Vorbehalte äußern: Auch dieses Buch und die darin versammelten Beiträge rücken einen Autor ins Zentrum und berufen sich interpretierend und kommentierend auf dessen Texte. Neben dem ›Autor‹ gehört auch der ›Kommentar‹ zu jenen von Foucault in Die Ordnung des Diskurses diskutierten ›internen Prozeduren‹, welche der Kontrolle und der Verknappung des Diskurses zuträglich sind. So erscheint die ›Autor-Funktion‹ als »Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts« (Foucault 2007: 20). Die Unterscheidung und das Spiel von Primärtext und Kommentar »ermöglicht es (und zwar endlos), neue Diskurse zu konstruieren: Der Überhang des Primärtextes, seine Fortdauer, sein Status als immer wieder aktualisierbarer Diskurs, der vielfältige oder verborgene Sinn, als dessen Inhaber er gilt, die Verschwiegenheit und der Reichtum, die man ihm wesenhaft zuspricht – all das begründet eine offene Möglichkeit zu sprechen« (ebd.: 19). Allerdings, und dies macht die regulierende Funktion des Kommentars aus, hat dieser »die Aufgabe, das schließlich zu sagen, was dort schon verschwiegen artikuliert war« (ebd., Herv. i.O.). Dessen eingedenk, hoffen und denken wir, dass die Beiträge des vorliegenden Bandes mehr von der ›offenen Möglichkeit zu sprechen‹ erzählen denn von der ›schließlichen‹ Aufdeckung des von Foucault wirklich gemeinten und der vom ›Autor‹ Foucault ausgehenden Botschaften. Gleichwohl entstand auch dieser Band nicht außerhalb der Prozeduren des wissenschaftlichen Diskur-
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ses. Ausgangspunkt war der zweite Workshop des Forums ‚Kritische Organisationsforschung‘, welcher vom 19.-20. Mai 2011 in Chemnitz stattfand. Im Mittelpunkt des Treffens standen Perspektiven kritischer Organisationsforschung im Anschluss an die Arbeiten von Michel Foucault. Zwei Überlegungen führten zur Ausrichtung des Workshops: Erstens gehört Foucault zu den über die Disziplinen hinweg oft zitierten Autoren und Stichwortgebern zu den Themen der Macht, des Diskurses, der Subjektivation und zunehmend der Ethik und der Genealogie politischer Rationalitäten. Gleichwohl war unser Eindruck, dass das Foucault’sche Werk, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Veröffentlichung der kleineren Schriften und der Vorlesungen, kaum als abgearbeitet zu bezeichnen ist und noch nicht das immer etwas staubige Etikett eines soziologischen Klassikers trägt, dessen Originalschriften man allenfalls zur Überprüfung eines Zitates heranzieht. Zweitens stand für uns die generelle Prominenz und Präsenz Foucaults in den Sozial- und Kulturwissenschaften in einem problematischen Kontrast zur Situation in der deutschsprachigen Organisationsforschung und – analyse. Dort, so unser Eindruck, stand eine Auseinandersetzung mit Foucault noch weitgehend aus und erfolgte allenfalls sporadisch.1 Über die Gründe lässt sich spekulieren. Zwei denkbare Formen der Erklärung seien kurz angedeutet. Erstens mag das Foucault’sche Werk als dunkel, unsystematisch, polemisch, widersprüchlich, krypto-normativ, zu ›französisch‹, unseriös und nicht zuletzt schwer operationalisierbar erscheinen, als dass sich für die Organisationsforschung daraus Perspektiven gewinnen ließen. Dies – mit der unabdingbaren Spekulation bei solchen Dingen – einmal angenommen, wäre eine derartig exkommunizierende Sichtweise keine Besonderheit im Kontext der Organisationsforschung, sie schreibt sich ein in eine generelle Polemik, welche sich je nach Gusto und dominierenden Anschlüssen an generalisierenden Zuschreibungen wie Postmoderne oder Poststrukturalismus orientiert.2 Lassen wir die ›diskursive Polizei‹ beiseite, mag zweitens für die verhaltene Rezeption in der deutschsprachigen Organisationsforschung – und dies ist in systematischer Hinsicht der
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Vgl. jedoch bereits Ortmann 1984 sowie Laske/Weiskopf 1996, Neuberger 1997, Weik 1998, Nienhüser 2003, Weiskopf 2003a, 2005, Türk/Lemke/Bruch 2002 und Bruch/Türk 2005. Trotz dieser vereinzelten Bemühungen fehlt bei den im FoucaultHandbuch (Kammler/Parr/Schneider 2008) diskutierten Rezeptionslinien folgerichtig die Organisationsforschung, während u.a. dessen Aufnahme in die Politikwissenschaften, Pädagogik, Soziologie bis hin zu den Natur- und Sportwissenschaften diskutiert wird.
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Vgl. hierzu die lesenswerte Darstellung in Ortmann (2003: 53ff.), welcher vom »Affekt wider den französischen Poststrukturalismus« (ebd.: 53) spricht.
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interessantere Fall – ins Feld geführt werden, dass es bei Foucault an einer expliziten Ausarbeitung eines für analytische Zwecke geeigneten Organisationskonzeptes oder gar einer Organisationstheorie fehlt. Hierzu steht in Kontrast, dass viele Foucault’sche Texte und Analysen geläufige Formen der Organisation und des Organisierens thematisieren – Krankenhäuser, psychiatrische Anstalten, Gefängnisse, Kasernen, Fabriken, Manufakturen, Schulen etc. Diese erscheinen jedoch nicht als mehr oder weniger vorausgesetzter, diskurs- und disziplinenkonstituierender Gegenstandsbereich, sondern als Resultat historischer Formen der Problematisierung des sozialen Geschehens und den damit verbundenen Lösungsversuchen. Foucault unterläuft dabei unseres Erachtens einen a priori gesetzten Gegenstandsbereich ›Organisation‹ in zweifacher Hinsicht. So interessiert er sich erstens für die diskursive Verfasstheit von Problematisierungen des Sozialen, welche abgeleitet Regulationserfordernisse mit sich bringen. So erweisen sich der Wahnsinn, die Delinquenz, die Kindererziehung oder die Disziplinlosigkeit des Proletariats als Wissen generierende und diskursiv Bedeutsamkeit gewinnende Problembereiche bzw. Problematisierungen, welche Interventionsräume eröffnen und Machtverhältnisse konstituieren, seien dies Mechanismen des Ein- und Ausschlusses wie in Wahnsinn und Gesellschaft, Disziplinar- und Normalisierungstechniken wie in Überwachen und Strafen oder der Anreiz zu einem ökonomisch rationalen Verhalten und die Hervorbringung der Figur des Homo Oeconomicus im Kontext neoliberaler Gouvernementalität. Die Genealogie der modernen Organisationen wird rekonstruierbar und erschließt sich vor diesem Hintergrund gesellschaftlicher Problematisierungs- und Interventionsspiralen. So ist es für Foucault auch möglich, in Überwachen und Strafen zu konstatieren: »Daß das Zellengefängnis mit seinem Zeitrhythmus, seiner Zwangsarbeit, seinen Überwachungs- und Registrierungsinstanzen, seinen Normalitätslehrern, welche die Funktionen des Richters fortsetzen und vervielfältigen, zur modernen Strafanlage geworden ist - was ist daran verwunderlich? Was ist daran verwunderlich, wenn das Gefängnis den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern gleicht, die allesamt den Gefängnissen gleichen?« (Foucault 1977: 292) In einer zweiten, damit verbundenen Hinsicht richten eine Reihe von Foucaults Arbeiten den Blick auf die ›Mikrophysik‹ von Machtprozessen. Wiederum im Kontext der These der Disziplinargesellschaft wird eine »politische Anatomie des Details« (ebd.: 178) sichtbar welche auf »Bewegungen, Gesten, Haltungen, Schnelligkeit« (ebd.: 175) zielt: »Was in der Werkstatt, in der Schule, in der Armee überhandnimmt, ist eine Mikro-Justiz der Zeit (Verspätungen, Abwesenheiten, Unterbrechungen), der Tätigkeit (Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit, Faulheit), des Körpers (›falsche‹ Körperhaltungen und Gesten, Unsauberkeit), der Sexualität (Unanständigkeiten, Schamlosigkeit)« (ebd.: 230). Der Blick,
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welcher sich auf die alltäglichen »Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten« (ebd.: 181) richtet, erlaubt einerseits die konkrete Erfassung der Genealogie und Transformation organisationsförmiger Praktiken und Verfahren und den damit verbundenen Wissensordnungen und Subjektivierungsweisen, er eröffnet andererseits die Möglichkeit zur Differenzierung organisationaler Analysen (vgl. Burrell 1998), ohne dabei unseres Erachtens zwingend Rekurs auf die Modi der Disziplin nehmen zu müssen.3 Am Endpunkt dieses zweifachen Unterlaufens des Gegenstandsbereiches Organisation, welche man auch als ›Umwege‹ über die gesellschaftlichen Problematisierungen und der damit zusammenhängenden ›Anatomie des Details‹ verstehen kann, zeichnet sich eine Form sozialer Regulation ab, welche man landläufig als Organisation bezeichnen kann. Zurückgewiesen wird damit ein ahistorisches Verständnis von Organisation und sichtbar wird das Projekt einer ›kritischen Ontologie der modernen Organisationen‹. So entfällt »die Frage nach dem überzeitlichen ‚Wesen‘ von Organisation« (Neuberger 1997: 494) und der Blick richtet sich auf historisch spezifische Organisationsformen (ebd.). Das hier angedeutete Projekt einer ›kritischen Ontologie der modernen Organisationen‹ zielt in einen an Foucault anschließenden Sinne nicht nur auf die Rekonstruktion gesellschaftlicher Problematisierungen und Interventionsräume und den damit verschränkten Formen des Organisierens. Insofern die Rekonstruktion spezifisch verfährt und ihren Blick auf die Formen der Objektivierung und Subjektivierung und auf die Verschränkung von Wissen/Macht richtet, problematisiert diese zugleich die herrschenden Wissensordnungen, Machtmechanismen und Subjektivierungsformen. So sind dann »›Management‹ und ›Organisation‹ keine bloßen Objekte oder gegebene Einheiten, die man unvermittelt beobachten, beschreiben, vermessen oder klassifizieren könnte«, sondern »Produkte oder Effekte von Diskursen und Praktiken, die bestimmen, was gesehen wird und was nicht gesehen wird, was sichtbar und sagbar wird und zugleich, was unsichtbar und unsagbar wird« (Weiskopf 2003b: 14) Die historische Rekonstruktion wird damit zugleich zur Geschichte der Gegenwart und zu einer Form der ›Entunterwerfung‹. Wissenschaftliche Arbeiten in diesem Verständnis sind immer auch politische Projekte, gerichtet »gegen den Gedanken universeller Notwendigkeiten im menschlichen Dasein. Sie helfen entdecken, wie willkürlich Institutionen sind, welche Freiheit wir immer noch haben und wie viel Wandel immer noch möglich ist« (Foucault 2005: 961).
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In dieser zweiten Hinsicht liegt auch eine gewisse Affinität zu und Anschlussfähigkeit an Fragestellungen der Personalpolitik und des Human Resource Management (vgl. beispielhaft Ortmann 1984, Townley 1993, Neuberger 1997).
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ZU
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B EITRÄGEN
Mit dem Titel Organisationsforschung nach Foucault soll zunächst zweierlei adressiert werden: Einerseits geht es in den Beiträgen um direkte Anschlüsse an Foucault’sche Analysen und deren konzeptionelle und empirische Fruchtbarmachung für die Organisationsforschung. Andererseits geht auch um die produktive Weiterentwicklungen und Reinterpretationen Foucault’scher Überlegungen sowie um mögliche Anschlüsse an andere Autor_innen und Konzepte. Hinsichtlich der An-Ordnung und Gruppierung der Beiträge erschien es uns nach langer und kontroverser Diskussion sinnvoll, diese entlang von zwei großen Linien einer Organisationsforschung nach Foucault anzuordnen. Unsere vorgenommene An-Ordnung folgte letztlich der Intention, den Autor_innen und den Texten soweit als möglich gerecht zu werden und nicht durch (immer vereinfachende) Klassifikationen möglichen Lektüren den Weg zu weisen und andere unwahrscheinlicher werden zu lassen. In der ersten Linie setzt eine Reihe von Texten konzeptionell sowie empirisch zunächst in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlicher Akzentuierung am Diskurskonzept an und bringt zugleich mögliche Erweiterungen und Anschlüsse ins Spiel. Diese Beiträge bilden den ersten Teil des Bandes. Die Texte des zweiten Teiles rücken Konzepte der Macht und des Regierens stärker in den Fokus, welche auch hier je nach Perspektive und empirischen Interesse einer unterschiedlichen Bearbeitung und Auseinandersetzung unterliegen. Diese zwei Linien überkreuzen und überschneiden sich. Sie verweisen in vielfältiger Weise aufeinander – sowohl innerhalb als auch zwischen den Beiträgen. An ihren Kreuzungspunkten tauchen, unter anderem, immer wieder Fragen der Subjektivierung, der Aneignungsweisen und des Widerstandes auf. Damit soll auch gesagt werden, dass andere Lektüren zu anderen An-Ordnungen kommen werden, dass andere Linien denkbar sind. Ronald Hartz situiert in Vom Ethos zum Verfahren – Diskursanalyse als Element einer kritischen Ontologie der Gegenwart die Foucault’sche Auseinandersetzung mit Diskursen in den Kontext eines Schreibens einer ›Geschichte der Gegenwart‹, verstanden als permanenter Kritik unseres geschichtlichen Seins, und verortet diese zugleich in das Projekt einer kritischen Organisationsforschung. Ausgehend von dieser Lesart werden Implikationen einer Diskursanalyse als Verfahren hinsichtlich der Wahl des Gegenstandes, des Erschließungszusammenhanges und des Entdeckungszusammenhanges diskutiert. Andrea D. Bührmann diskutiert in Die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive in der (kritischen) Organisationsforschung – Einige grundlegende Überlegungen am Beispiel des Diversity Management den Mehrwert einer über die Fokussierung
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auf Diskurse hinausgehenden Dispositivanalyse, welche systematisch den Zusammenhang diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken und deren praktische Wirksamkeiten in den Blick nimmt. Am Beispiel des als Dispositiv konzeptualisierten Diversity Managements wird sowohl die Bedeutung des DiversityDiskurses rekonstruierbar, das dispositivanalytische Instrumentarium eröffnet jedoch zugleich den Blick auf Aushandlungs- und Implementierungsprozesse, anhand deren die Machtwirkungen von Diskursen erst zu bestimmen wäre. Gertraude Krell schreibt in »Widerstandspunkte im Machtnetz« – Facetten (m)einer Diskursgeschichte der BWL-Kritiken ihre im doppelten Sinne eigene Geschichte der Kritiken an und in der Betriebswirtschaftslehre. Über ein an Foucault anschließendes Verständnis von Kritik arbeitet sie verschiedene Diskursgeschichten der BWL auf und verdeutlicht in mithin auch anekdotischer Manier die ausgetragenen Deutungskämpfe, welche durch Einschreibungen und Exklusionen durch die BWL als Disziplin und/oder den Kritikdiskurs gekennzeichnet sind. Sichtbar werden dabei Formen der Objektivierung, greifbar etwa an den (Un-)Möglichkeiten akademischer Karrieren, und der Subjektivierung, sichtbar an ambivalenten und widerspruchsvollen Selbst- und Fremdzuschreibungen. Über die Darstellung der verschiedenen Traditionen erfolgt somit auch der Versuch einer Präzisierung des Kritikbegriffs innerhalb der BWL. Vielfalt repräsentieren. Eine postkoloniale Diskursanalyse in der diskurstheoretischen Tradition Foucaults lautet der Titel des Beitrags von Isabel Collien, in welchem Subjektpositionen in Artikeln zu Diversity Management in (Personal-)Managementzeitschriften hinterfragt werden. Unter Rekurs auf postkoloniale Studien und rassismustheoretische Überlegungen legt sie tradierte, jedoch weiterhin bediente Wissenssedimente frei, welche zur Markierung von Vielfalt herangezogen werden. Ihre Analyse von Repräsentationspraktiken in Sprache und Bildlichkeit erweitert damit sowohl konzeptionell als auch hinsichtlich des empirischen Materials eine in der Regel auf der textuellen Ebene ansetzende Diskursanalyse nach Foucault. In Translation und Aneignungsweisen von Diskursen in der Altenpflege – Konzeptionen und Beispiel anhand der stationären Altenpflege schlägt Matthias Rätzer eine andere Rahmung von Foucaults Diskursbegriff als ›diskursives Argument‹ vor. Unter Zuhilfenahme eines Modells zur Einbindung diskursiver Argumente in Organisationen verdeutlicht er am Beispiel der Gerontologie, welche diskursiven Argumente wie in Altenpflegeheimen übersetzt und angenommen werden können. Neben der Berücksichtigung der gesellschaftlichen und epistemologischen Ebene von Organisationen rücken in konzeptioneller Hinsicht Fragen der Translation, der Aneignung und letztlich auch des Widerstandes organisationaler Akteure ins Zentrum. Rick Vogel und Nina-Katrin Hansen begeben sich in ihrem Beitrag Foucault in der Organisationsforschung
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– Eine technische Diskursanalyse auf eine Suche nach Foucault’schen Spuren in der aktuellen Literatur zu Themen der Organisationsforschung. Mit Blick auf insbesondere englischsprachige Publikation des vergangenen Jahrzehnts bedienen sie sich der Bibliometrie als Analysemethode der Foucaultrezeption. Als Ergebnis können sie dabei sieben Subdiskurse identifizieren, welche von ihnen an drei Hauptachsen – Archäologie, Genealogie und Ethik – im Foucault’schen Werk rückgebunden werden. Den zweiten Teil des Bandes eröffnen zunächst Beiträge, welche an die in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Kontext breit diskutieren Studien zur Gouvernementalität anschließen. Lars Gertenbach erörtert in Die Organisation(en) der Gesellschaft. Foucault und die Gouvernementality Studies im Feld der Organisationsforschung zunächst den Stand der Rezeption Foucaults in der Organisationssoziologie und diskutiert insbesondere das Aufgreifen der genealogischen Arbeiten Foucaults im Zusammenhang von Überwachen und Strafen. Über eine generelle Darlegung des Gouvernementalitätskonzepts diskutiert er die Tragweite eines gouvernementalen Blickes auf organisationale Phänomene, welche mit dem Rekurs auf gesellschaftliche Veränderungen politischer Rationalitäten zugleich den damit in Zusammenhang stehenden, mehr oder weniger gebrochenen organisationalen Formwandel hin zu Mechanismen indirekter Steuerung und ›weicher Führung‹ in den Blick nehmen. In empirischer Hinsicht hieran anschließend rekonstruiert Niels Spilker am Beispiel der Volkshochschulen den gouvernementalen Charakter der Bildungsautonomie als bildungspolitische Programmatik. Unter dem Titel Die Freiheit im Lichte der Kennzahl – Drohung und Verheißung in der gouvernementalen Programmatik ›Bildungsautonomie‹ stellt er anhand einer eigenen empirischen Untersuchung dar, welche Deutungsfolien und Handlungslogiken im Spannungsfeld zwischen New Public Management und Erwachsenbildung existieren. Im Besonderen diskutiert er die Binnenansicht einer Bildungseinrichtung in Hinblick auf (Selbst-)Kontrolle, Verantwortungsverschiebung sowie der Ambivalenz zwischen Autonomie und Kontrolle unter dem Vorzeichen neoliberaler Gouvernementalität. In seinem Beitrag Projekte als Nordwest-Passage – Zeit und Zeitlichkeit als Regierungsrationalität stellt Yannick Kalff Projekte als wechselseitigen Konstitutionsmechanismus von Gesellschaft und Organisation dar. Die Nordwest-Passage dient ihm dabei als Metapher für die Schwierigkeiten des Projektmanagements, welches sich zwischen romantisierenden Phantasma und detaillierter Steuerung bewegt. Dabei diskutiert er die Probleme, welche durch die Erzeugung von Ordnung und der Organisation von Zeit entstehen. Unsicherheit und die permanente (Nach)Justierung während des Projektmanagements werden von ihm als spätmoderner Regierungsmechanismus rekonstruiert, in welcher die Erfahrung von Kontingenz
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und Befristung ihre rhetorische Entsprechung und ihre praktische Wirksamkeit entfaltet. Macht und Widerstand in Medienunternehmen aus Foucault’scher Perspektive lautet der Titel der Studie von Anne-Kristin Lehmann und Irma Rybnikova. Vor dem Hintergrund der Diskussion einer Reihe Foucault’scher Machtkonzeptionen und der Problematik des Verhältnisses von Macht und Widerstand, präsentieren die Autorinnen eine mögliche Klassifikation von Widerstandsformen und deren empirische Anwendung. Mit einer gesellschaftstheoretischen Rückbindung analysieren sie sowohl die Machtformen als auch die Widerstände in Medienunternehmen, dessen Erfassung sich auch in diesem Kontext als schwierig erweist. Den Band beschließt der Beitrag von Ina Herrmann. Unter dem Titel Schulische Heterotopien – Schulräumliche Heterotopien. Pädagogische Organisationen im Spannungsfeld von Einsperrung und Ausschließung begibt sich die Autorin auf die Suche nach ›anderen Orten‹ im schulischen Kontext. Vor dem Hintergrund des Heterotopiekonzeptes verdeutlicht sie die Differenz zwischen realen und imaginären ›anderen Räumen‹ in Schulen als im Foucault’schen Sinne Orte der Überwachung und Disziplinierung. Aus ihrer Untersuchung architektonischer und bildlicher Räume erarbeitet sie Charakteristika schulräumlicher Heterotopien, welche für verschiedenste Akteure innerhalb schulischer Organisationen als Ausdruck des jeweils Anderen dienen. Allen Autorinnen und Autoren gilt an dieser Stelle unser Dank. In den verschiedenen Phasen der Diskussion und Texterstellung haben sie unsere oft mehrmaligen Rückfragen, Anfragen und Bitten geduldig und offen ertragen. Ein weiterer großer Dank gilt Simon Kötschau und Susanne Rade, welche in der Endphase ebenso geduldig und ausdauernd die Texte überprüften, in das richtige Format brachten und oftmals den Anstoß für ein letztes inhaltliches Überdenken gaben.
L ITERATUR Bruch, Michael/Türk, Klaus (2005): »Organisaton als Regierungsdispositiv der modernen Gesellschaft«, in: Wieland Jäger/Uwe Schimank (Hg.), Organisationsgesellschaft. Facetten und Perspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 89-123. Burrell, Gibson (1988): »Modernism, Post Modernism and Organizational Analysis 2: The Contribution of Michel Foucault«, in: Organization Studies 9 (2), S. 221-235. Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
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Foucault, Michel (2005): »Wahrheit, Macht, Selbst«, in Daniel Defert/Francois Ewald (Hg.), Schriften in vier Bänden, Band 4, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 959-966. Foucault, Michel (2007): Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a. M.: Fischer. Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich Johannes (Hg.) (2008): Foucault Handbuch. Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart: J.B. Metzler. Laske, Stephan/Weiskopf, Richard (1996): »Personalauswahl – Was wird denn da gespielt? Ein Plädoyer für einen Perspektivenwechsel«, in: Zeitschrift für Personalforschung 10 (4), S. 295-330. Neuberger, Oswald (1997): »Individualisierung und Organisierung : die wechselseitige Erzeugung von Individuum und Organisation durch Verfahren«, in: Günther Ortmann/Jörg Sydow/Klaus Türk (Hg.), Theorien der Organisation: die Rückkehr der Gesellschaft., Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 487-522. Nienhüser, Werner (2003): »Macht«, in: Albert Martin (Hg.), Organizational Behaviour – Verhalten in Organisationen, Stuttgart: Kohlhammer, S. 139172. Ortmann, Günther (1984): Der zwingende Blick. Personalinformationssysteme, Architektur der Disziplin, Frankfurt a. M./New York: Campus. Ortmann, Günther (2003): Organisation und Welterschließung. Dekonstruktionen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Townley, Barbara (1993): »Foucault, Power/Knowledge, and its relevance for Human Resource Management«, in: Academy of Management Review 18 (3), S. 518-545. Türk, Klaus/Lemke, Thomas/Bruch, Michael (2002): Organisation in der modernen Gesellschaft. Eine historische Einführung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Weik, Elke (1998): Zeit, Wandel und Transformation. Elemente einer postmodernen Theorie der Transformation, München: R. Hampp Verlag. Weiskopf, Richard (2003): »Management, Organisation, Poststrukturalismus«, in: Richard Weiskopf (Hg.), Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analyse auf Management und Organisation, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 9-33. Weiskopf, Richard (2005): »Gouvernementabilität: Die Produktion des regierbaren Menschen in post-disziplinären Regimen«, in: Zeitschrift für Personalforschung 19 (3), S. 289-311. Weiskopf, Richard (Hg.) (2003a): Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analyse auf Management und Organisation, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Vom Ethos zum Verfahren Diskursanalyse als Element einer kritischen Ontologie der Gegenwart1 R ONALD H ARTZ
»definirbar ist nur Das, was keine Geschichte hat« NIETZSCHE, ZUR GENEALOGIE DER MORAL
E INFÜHRUNG Der ›Diskurs‹ gehört zu den am stärksten rezipierten Begriffen des Foucault’schen Werkes. Der Diskurs über den Foucault’schen Diskursbegriff, dessen Status und Analyse führte inzwischen zu einer kaum mehr überschaubaren, disziplinübergreifenden Anzahl von Überblicksdarstellungen, methodischen Handreichungen und empirischen Analysen, welche in einem unterschiedlichen Ausmaß und in unterschiedlicher Perspektivierung auf die Arbeiten Foucaults Bezug nehmen. Auch wenn man nicht allzu puristisch ist, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Berufen auf Foucault auch der akademischen Einschreibung dient und weniger durch die Auseinandersetzung mit dessen Arbeiten motiviert ist (Gehring 2004: 9). Der folgende Beitrag resultiert auch aus einem gewissem Unbehagen gegenüber dem Wuchern des Foucault’schen Dis-
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Für kritische Hinweise und Lektüre danke ich Gertraude Krell und Matthias Rätzer sowie den Teilnehmer_innen der 10. Jahrestagung des Arbeitskreises Empirische Personal- und Organisationsforschung (AKempor), 30.11.-01.12. 2012 in Graz, wo eine erste Fassung dieses Beitrages präsentiert wurde.
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kurses und möchte erstens den systematischen Platz der Rekonstruktion von Diskursen im Kontext des Projektes einer ›kritischen Ontologie der Gegenwart‹ offenlegen und zweitens, entlang einer Reihe von, im Foucault’schen Werk zum Teil verstreuten, methodologischen Überlegungen, skizzieren, was es bedeutet, sich bei der Untersuchung von Diskursen auf Foucault zu berufen. Abschließend sollen mit Blick auf die Archäologie des Wissens, die Ordnung des Diskurses und die Analyse der Kollektivsymbolik drei Perspektiven einer an Foucault anschließenden Diskursanalyse vorgestellt werden.2 Man kann die folgenden Überlegungen als gewisse Vorsichtsregeln verstehen oder – diese Lesart wäre mir lieber – als eine mögliche Perspektive der Schärfung der Foucault’schen Diskursanalyse als Verfahren, dessen Potenzial unter der Masse an Sekundärliteratur und einem Lesen aus zweiter Hand zu verwässern droht. Dabei basiert auch dieser Beitrag auf bestimmten Lektüren und Interpretationen, welche sowohl an dem spezifischen Ethos Foucaults als auch an Verfahrensfragen interessiert sind. Insofern wird das Ziel verfolgt, die humanwissenschaftliche ›Disziplinierung‹ und methodische Kanonisierung der Diskursanalyse ein wenig der Subversion auszusetzen, ohne zugleich jeden Anspruch auf eine auch intersubjektiv nachvollziehbare Diskursanalyse fallen zu lassen. Ein nicht unerheblicher Teil der kritischen Auseinandersetzung mit Foucault – und der Schwierigkeiten, eine ›Kanonisierung‹ herbeizuführen – entzündet sich an dem genuin dekonstruktivem Gestus, welcher viele Foucault’sche Texte durchzieht und den Eindruck einer Verweigerung und eines Ausweichens in Bezug auf die Offenlegung des eigenen methodischen Vorgehens hinterlässt. So spricht Foucault etwa davon »ein Experimentator und kein Theoretiker« (Foucault 2005a: 52) zu sein. Für den Experimentator gelte, in der Analyse und Arbeit eine Erfahrung zu machen und verändert hervorzugehen. Eine Erfahrung aber werde notwendig ausbleiben, wenn man die immer gleichen Theorien und Methoden, ungeachtet des Gegenstandes, zur Anwendung bringe.3 So gelte es dann auch, sich gegen die Forderung zu wehren, man »solle der gleiche bleiben« (Foucault 1973: 30). Daneben tritt das vielzitierte Motiv der Bücher als »Werkzeugkisten«, als »Träume« und die Selbstbeschreibung eines Stolperns von Buch
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Für andere Rahmungen und auch Erweiterungen von Diskursanalysen im Anschluss
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Hier liegen – an dieser Stelle nicht diskutierbare – Parallelen zur Position Adornos,
an Foucault vgl. Bührmann, Collien und Rätzer in diesem Band. wenn es in dessen Kritik eines Subjekt-Objekt Dualismus heißt: »Die Schlüsselposition des Subjekts in der Erkenntnis ist Erfahrung, nicht Form […]. Die Anstrengung von Erkenntnis ist überwiegend die Destruktion ihrer üblichen Anstrengung, der Gewalt gegen das Objekt« (Adorno 2003: 752).
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zu Buch. Mit diesem dekonstruktiven, auch anti-autoritären Gestus untergräbt Foucault nicht ohne Effekt das verhärtete Gelände der Gegenwart (und den Ernst der Wissenschaft), macht aber auch nicht vor den eigenen Verstrickungen halt: »Wenn die Leute sie [die Bücher, R.H.] öffnen und sich irgendeines Satzes, einer Idee oder einer Analyse wie eines Schraubenziehers oder einer Bolzenzange bedienen wollen, um die Machtsysteme kurzzuschließen, zu disqualifizieren oder zu zerschlagen, unter Umständen sogar diejenigen, aus denen meine Bücher hervorgegangen sind … nun, umso besser!« (Foucault 2002a: 887f.)
Gleichwohl gibt es Bemühungen der Konstruktion einer Werkeinheit oder zumindest Werkgenese – nicht zuletzt durch Foucault selbst. Geläufig etwa sind, mit jeweils begründbaren unterschiedlichen Werkzuordnungen, die Einteilungen entlang der Phasen der Archäologie, Genealogie und der Ethik oder – anders akzentuiert – entlang der Achsen des Diskurses, der Macht und der Subjektivierung (vgl. u.a. Burrell 1988, Dreyfus/Rabinow 1994, Deleuze 1997, im Überblick Kammler 2007). Eine einheitliche Methode jedoch, ob für die Analyse von Diskursen, Machtverhältnissen oder Subjektivierungsweisen, lässt sich nicht finden. Auffindbar ist jedoch ein kritisches und erkenntnisleitendes Motiv, insofern Foucault »die die Moderne prägenden Macht-, Diskurs- und Subjektverhältnisse in verschiedenen Varianten und Formen immer wieder neu und aus unterschiedlichen Perspektiven zu fassen versucht, so dass seine Bücher erkennbar um ähnliche Fragen kreisen, ohne dabei deckungsgleiche Antworten zu liefern.« (Sarasin 2006a: 13) Dessen ungeachtet sorgt »[d]er Kontrast zwischen der Imposanz der Texte und vorenthaltenem Herstellungswissen […] für Unmut« (Gehring 2009: 380) und nährten im Foucault-skeptischen Lager den Verdacht des Obskurantismus und der Unwissenschaftlichkeit. Davon eher unberührt, lassen sich auf Seiten der Foucault mit Sympathie begegnenden Autor_innen in leichter Zuspitzung zwei Linien ausmachen, welche jeweils anderen Foucault-Lektüren zugrunde liegen. So findet sich einerseits der Foucault der Subversion, des ›Denkens des Außen‹ und der Grenze. Andererseits bemüht man sich um eine kultur- und sozialwissenschaftliche Disziplinierung und ›Einhegung‹ Foucaults mit dem Ziel einer empirischen Fruchtbarmachung Foucaults im Rahmen einer ›normal science‹. Die folgenden Verfahrensvorschläge für eine Diskursanalyse im Anschluss an Foucault positionieren sich in gewisser Hinsicht zwischen den Stühlen. Sie folgen somit dem subversiven Impuls des Foucault’schen Schaffens, insbesondere hinsichtlich der Gegenstandswahl von Diskursanalysen und des Motivs der Dekonstruktion. Sie greifen andererseits die vorhandenen methodischen Bemühun-
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gen und Aussagen Foucaults auf, ohne das Foucault’sche Projekt in einer ›reinen Beschreibung‹ (Foucault 1973: 41) eines ›fröhliche[n] Positivist[en]‹ (ebd.: 182) enden zu lassen. Sich nicht zwischen den Seiten entscheiden zu müssen und es in kritischer Absicht auch nicht zu können, markiert meines Erachtens zugleich den hohen Einsatz des Foucault’schen Werkes, dessen inhärente Schwierigkeiten als auch die ›Probleme‹ des Umgangs mit den Arbeiten Foucaults.4 Die hier dargelegte Perspektive einer Diskursanalyse nach Foucault zielt schließlich auch darauf ab, den (Mehr-)Wert von Diskursanalysen für eine kritische Organisationsforschung aufzuzeigen.5 Drei grundlegende Verbindungslinien, welche das Spannungsverhältnis zwischen Subversion und empirischer Fruchtbarmachung für die Organisationsforschung übersetzen, seien hier kurz benannt: Versteht man Erstens mit Michael Bruch und Klaus Türk »Organisation nicht als neutrale und historische Ubiquität […], sondern als eine spezifische Regierungsform der Moderne« (2005: 120), können Diskursanalysen im hier verstandenen Sinn jene für die Organisationsforschung eingeforderte »gesamtgesellschaftlich und strikt historisch arbeitende Perspektive« (ebd.) einlösen helfen. Kritisch ist diese Perspektive, weil sie es ermöglicht »Differenzen zu denken, für selbstverständlich Gehaltenes zu irritieren und in diesem Sinne Räume für Kritik zu öffnen« (ebd.). Analog ermöglichen Diskursanalysen im Sinne der Critical Management Studies die Denaturalisierung von Organisation(en) und Management (vgl. u.a. Fournier/Grey 2000: 18), indem diese deren historische Gewordenheit – und damit auch immer die Möglichkeit des Andersseins und eines ›Denkens der Grenze‹ – in den Blick nehmen. Zweitens geraten in empirischer Hinsicht die mit und durch Organisationen und dem Prozess des Organisierens einhergehenden Machteffekte, Wissensformen und Subjektivierungsweisen in den Fokus, insofern Diskurse nicht als sprachliches Phänomen, sondern als Praktiken und Produktionsinstrumente der Strukturierung und (An-)Ordnung des Denk-, Sag- und Machbaren verstanden werden. Im Sinne von McKinlay und Starkey lenkt dies den Blick darauf, dass »[b]ehind the facade of efficiency, equity, or humanity which surrounds formal organization of all kinds lie distinct concentrations of power and knowledge« (McKinlay/Starkey 1998: 2). Schließlich sollte
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Thomas Lemke diskutiert konzise die sich entlang der im Foucault’schen Werk liegenden Widersprüche und Paradoxien entzündende Kritik von Autoren wie Taylor, Habermas oder Fraser – welche sich zuspitzend um die Gleichzeitigkeit der Kritik und eines umfassenden Machtverständnisses bewegen (Lemke 1997: 13–29, Seitenangaben nach der fünften Auflage 2011).
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Für den Status Foucaults in der Organisationsforschung vgl. auch Gertenbach in diesem Band.
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eine Diskursanalyse nach Foucault auch die Position des/der Forschenden, im Sinne einer Selbstreflexion der eigenen historischen Situiertheit, Leidenschaften und Interessen in den Blick nehmen. Betrachtet man erstens Organisation als Regierungsdispositiv und zweitens als Modi der (An-)Ordnung des Denk-, Sagund Machbaren erscheint dies konsequent, da auch die Institution Wissenschaft einerseits Akteurspositionen bereitstellt und andererseits wissenschaftliche Diskurse selbst eine spezifische Modalität des historisch jeweils gültigen Wissens darstellen (Foucault 1973: 260).6 Damit wird auch der Anspruch der Reflexivität im Kontext der Critical Management Studies (Fournier/Grey 2000: 19), verstanden als Herausforderung der akademischen »masquerade of neutrality and universality« (Grey/Willmott 2005: 6), in das Verständnis einer Diskursanalyse zwischen Ethos und Verfahren hineingenommen.
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Vor den Fragen nach einer Bestimmung des Diskursverständnisses im Anschluss an Foucault und der Durchführung von Diskursanalysen, ist es notwendig, das Ziel der Rekonstruktion diskursiver Praktiken bei Foucault näher zu beleuchten. Warum also Diskurse untersuchen? In der Einleitung zum Gebrauch der Lüste reklamiert Foucault als einfaches Motiv seines Schreibens eine »Art Neugier« und zwar »nicht diejenige, die sich anzueignen sucht, was zu erkennen ist, sondern die, die es gestattet, sich von sich selber zu lösen« (Foucault 2008: 15), verstanden als die einzige Neugier, welche die Mühen des wissenschaftlichen Arbeitens wert sei. Wieder findet sich das Bild des Experimentators, welcher verändert aus seiner Arbeit hervorgehen möchte. Dabei geht es nicht einfach um eine private Erfahrung und Idiosynkrasie: Ziel ist ein ›veränderter Blick‹ auf die Gegenwart (und deren Gewordenheit), welcher zugleich andere Lesarten unserer Existenz ermöglichen soll. Sich von sich selbst zu lösen heißt, unsere eigene Gewordenheit hinsichtlich ihrer ›Bedingungen der Möglichkeit‹ zu rekonstruieren und diese damit in ihrer historischen Kontingenz im Sinne eines ›auchanders-möglich-seiend‹ zu erhellen. Es geht mit anderen Worten darum »die Geschichte der Gegenwart zu schreiben« (Foucault 1977: 43), basierend auf einer philosophischen Haltung, deren Aufgabe sich als »permanente Kritik unseres ge-
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Exemplarisch verweist Foucault in Die Ordnung des Diskurses auf den Fall Gregor Mendels: »Mendel sagte die Wahrheit, aber er war nicht ›im Wahren‹ des biologischen Diskurses seiner Epoche: biologische Gegenstände und Begriffe wurden nach ganz anderen Regeln gebildet« (Foucault 2007: 25).
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schichtlichen Seins« (Foucault 2005b: 699), als »kritische Ontologie der Gegenwart« (Foucault 1992: 48) bezeichnen lässt. Foucaults Arbeiten lassen sich, mit anderen Worten, als ein Schreiben »aus den Notwendigkeiten der Gegenwart« (Sarasin 2006b: 11, zur Genealogie als Kritik vgl. Saar 2009) heraus begreifen. Diese generelle Haltung findet ihre Entsprechung in den materialen Arbeiten Foucaults. Exemplarisch lässt sich dies anhand von Überwachen und Strafen aufzeigen. Die Studie über die ›Geburt des Gefängnisses‹ ist weit mehr als eine historische Untersuchung über die Wandlung des Strafsystems von den Martern zu den Zellen. Überwachen und Strafen ist insofern zeitbezogen, da das Buch im Kontext der Gefängnisrevolten und des politischen Engagements Foucaults in der »Gruppe Gefängnisinformation« entstanden ist: »Daß die Bestrafungen und im besonderen das Gefängnis zu einer politischen Technologie des Körpers gehören, habe ich vielleicht weniger von der Geschichte als von der Gegenwart gelernt.« (Foucault 1977: 42). Erst der ›Umweg‹ über die Geschichte ermöglicht jedoch einen ›veränderten Blick‹ auf die Entwicklung des Strafsystems: »Die Erfahrung, die es uns gestattet, bestimmte Mechanismen zu verstehen (z.B. die Gefängnishaft, die Strafe usw.) und die Weise, in der wir fähig werden, uns von ihnen zu lösen […] sind nur die beiden Seiten derselben Medaille.« (Foucault 2005a: 57) Es gehört insofern zu den wichtigsten Effekten der Foucault’schen Studien, dass für den/die Leser_in im Nachvollzug der historischen Rekonstruktion deren Aktualitätsbezug erfahrbar wird. So konstatiert Foucault hinsichtlich der Rezeption von Überwachen und Strafen, dass man »das Gefühl [hatte], dass etwas Aktuelles in Frage gestellt worden war« (Foucault 2005a: 59). Zur Loslösung und Distanzierung von der eigenen Befangenheit im Gegenwärtigen zählt dann im Kontext der Gefängnisrevolten auch die Erkenntnis der eigenen Begrenztheit der Kämpfe gegen Hunger, Überfüllung, Isolierung, gegen die pädagogische Betreuung etc. im Sinne ihrer generellen Einordnung in der im Gefängnis emblematisch sichtbar werdenden »Technologie der Macht über den Körper« (Foucault 1977: 43).7 Die »Geschichte der Gegenwart« zu schreiben bedarf also der Hinwendung zu denen dieser zugrunde liegenden Wissensord-
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Dies heißt nicht, dass die Revolten ohne ›Sinn‹ waren. Dies verweist vielmehr auf die damit verbundenen praktischen Aporien und auf ein möglicherweise letztlich nicht auflösbares Dilemma praktisch wirksam werdender Kritik, welche in ihrer gesellschaftsverändernden Absicht ebenso gut in die Affirmation und Stärkung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse münden kann (vgl. beispielhaft im Kontext der historischen Transformationen des Kapitalismus Boltanski/Chiapello 2006).
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nungen und deren historischen Transformationen. Kurzum, es bedarf der Analyse von Diskursen. Das hier verfolgte Diskursverständnis folgt den Motiven des ›veränderten Blicks‹ und der ›Geschichte der Gegenwart‹.8 Versteht man in einer ersten Näherung und in Anlehnung an Margarete und Siegfried Jäger Diskurs als »Fluss von ›Wissen‹ bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit« (Jäger/Jäger 2007: 23), so ist die Analyse dieses Wissens insofern von Interesse, als es »Bedingung der Möglichkeit von Kenntnissen, Institutionen und Praktiken« (Foucault 2002b: 645) ist. Diskurse sind nicht Abbilder einer wie auch immer gearteten prädiskursiven Wirklichkeit. Insofern sind Diskurse nicht »als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte und Repräsentationen verweisen)« (Foucault 1973: 74) zu verstehen, sondern »als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (ebd.). In analytischer Hinsicht erscheint es jedoch möglich, die sprachliche und bedeutungsgenerierende Seite einer diskursiven Praxis zu erfassen. Diskurse erweisen sich dann als »Träger« von (historisch und räumlich jeweils gültigem) »Wissen« (Jäger 2012: 38). Gleichwohl muss eine empirische Fokussierung auf die sprachliche Seite und die Rekonstruktion der in den Diskursen liegenden Wissensbestände sich bewusst sein, dass damit die diskursive Praxis nur unzureichend beschrieben ist: »Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben« (Foucault 1973: 74).9 Im Sinne von Jürgen Link und Ursula Link-Herr (1990: 90) lässt sich unter einer ›diskursiven Praxis‹ »das gesamte Ensemble einer speziellen Wissensproduktion« verstehen, »bestehend aus Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen Sprechern bzw. Autoren, Regelungen der Versprachlichung,
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Eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Fassungen und Rezeptionen des notorisch weiten Diskursbegriffes kann hier nicht geleistet werden (vgl. für einen konzisen Überblick über unterschiedliche Fassungen des Diskursbegriffes Mills (2004) sowie für die unterschiedlichen Perspektiven der Diskursanalyse in den Sozialwissenschaften die Bände von van Dijk 1997a, 1997b; Keller/Hirseland/Schneider/ Viehöver 2010, 2011 sowie Keller 2011a).
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Dass die hier zitierte Archäologie des Wissens diesen Anspruch nicht einlöst und Scheitern muss, ist eine zentrale These von Dreyfus und Rabinow (1994). Die angedeutete Unterscheidung zwischen Diskurs und diskursiver Praxis markiert auch den Ausgangsimpuls für eine Erweiterung der Diskursanalyse zur Dispositivanalyse (vgl. den Beitrag von Andrea Bührmann in diesem Band sowie Jäger 2012).
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Verschriftlichung, Medialisierung.« Insofern ist die diskursive Praxis selbst als ein ›materielles Produktionsinstrument‹ zu konzeptualisieren, dessen Anteil an der Konstruktion der Wirklichkeit als ›Geschichte der Gegenwart‹ dann Gegenstand der Diskursanalyse ist. Zeigt die Bestimmung der diskursiven Praxis in ihrer Bezugnahme zu Institutionen, Verfahren und Sprechern die Verschränkung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen an, so rückt der für Foucault als unhintergehbar verstandene Zusammenhang von Wissen und Macht spätestens ab den 1970er Jahren in den Mittelpunkt des Interesses: »Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht – etwa mit dem System eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen und Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweckbeziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind« (Foucault 1992: 33).
Wiederum exemplarisch lässt sich dieses Grundverständnis diskursiver Praxis und des Zusammenhanges von Wissen/Macht an einer weiteren materialen Arbeit Foucaults, der Geburt der Klinik verdeutlichen. Richtete sich Überwachen und Strafen auf die Genese der Institution des Gefängnisses und verfolgte genealogisch die sich wandelnden Diskurse über die Delinquenz und die damit verwobenen institutionellen Verschiebungen und Materialisierungen (programmatisch zur Kenntlichkeit kommend im Benthamschen ›Panopticon‹), steht hier die Institution des Krankenhauses im Vordergrund. Statt einer reinen ›Ideengeschichte‹ geht es in der Geburt der Klinik nun um die »Bedingungen der Möglichkeit der medizinischen Erfahrung« (Foucault 1993: 17), deren eine Achse der Raum der Klinik und deren andere Achse der medizinische Diskurs über das Individuum bilden. Dass gerade die Hinwendung zur ›reinen‹ Empirie der Krankheit und des Körpers – vermeintlich gereinigt von theoretischen und philosophischen Spekulationen – im Raum der Klinik selbst mit einer spezifischen diskursiven Praxis zusammenfällt, gehört zu den wesentlichen Pointen der Studie: »Man beruft sich ständig auf den Empirismus der Klinik, auf ihre bescheidene Aufmerksamkeit und auf die Sorgfalt, mit der sie die Dinge lautlos in den Blick kommen läßt, ohne sie durch einen Diskurs zu stören. Indessen verdankt die Klinik ihre wirkliche Bedeutung der Tatsache, daß sie eine grundlegende Reorganisation nicht nur der medizinischen Erkenntnisse, sondern überhaupt der Möglichkeit eines Diskurses über die Krankheit ist.« (Foucault 1993: 17)
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Diskursanalyse interessiert sich also in einem weiten Sinne für eben jenes ›System spezifischer Regeln und Zwänge‹. Sie stellt die Frage nach der Regulation jenes »Flusses von Wissen durch die Zeit«, nach dessen – metaphorisch – Mäandern, Einbettungen, Abflüssen, Stauungen und möglicherweise Versiegen, wenngleich diese Rekonstruktion von Diskursen in unterschiedlicher und jeweils gut begründeter Gestalt erfolgen kann. Die folgenden Überlegungen zum Verfahren wollen hier nicht restriktiv sein und, dies sollte deutlich werden, möchten hinreichend offen sein für die jeweils konkreten, letztlich gegenstandsbezogenen Analyseinstrumente. Die Vorschläge verstehen sich als eine Konsequenz des bisher Dargestellten: der spezifischen Foucault’schen Neugier, der ›veränderte Blick‹ durch die Arbeit an einer ›Geschichte der Gegenwart‹, der Anteil der diskursiven Praxis an eben jener Gegenwart. Wenn man der Idee des ›veränderten Blickes‹ folgen möchte, bezeichnen Diskursanalysen unter Bezugnahme auf Foucault ein Vorgehen, welches nicht auf vorweg angebbaren Regeln beruht. Die Analyse ist vielmehr problemorientiert (die ›Notwendigkeiten der Gegenwart‹) und gerichtet auf die konkreten Gegebenheiten des interessierenden Gegenstandsfeldes. Diskursanalysen sind in dieser Hinsicht ›Entdeckungsverfahren‹, sie bedürfen »immer eines Kredits auf noch zu Leistendes« (Busse/Teubert 1994: 17). Mit den Worten Foucaults meint dies: »Für diese Beziehungen zwischen Wahrheit und Macht, zwischen Wissen und Macht interessiere ich mich. Aber diese Schicht von Objekten oder vielmehr Beziehungen ist schwer zu erfassen. Und da es dafür keine allgemeine Theorie gibt, bin ich gewissermaßen ein blinder Empirist, das heißt, ich bin in der denkbar schlimmsten Situation. Ich habe keine allgemeine Theorie und auch kein sicheres Instrument. Ich taste mich voran und fabriziere nach besten Kräften Instrumente, die Objekte sichtbar machen sollen« (Foucault 2003b: 521f.).
Dass, nicht zuletzt gemessen an den herrschenden Regeln und Standards des wissenschaftlichen Betriebes, dies als eine ›Anmaßung‹, als ein »Hochmut« (Foucault 2003b: 522) erscheinen mag, liegt auf der Hand.
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D ISKURSANALYSE
ALS
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Wahl des Gegenstandes Es sollte deutlich geworden sein, dass die Wahl des Gegenstandes für eine sich auf Foucault berufende Diskursanalyse der eigenen Reflexion bedarf.10 Folgt man der Idee des ›veränderten Blicks‹ und der Foucault’schen Neugier gilt es einerseits Fragestellungen und Gegenstände zu finden, welche generell eine Problematisierung historisch tradierter Wissensformen und Wirklichkeitskonstruktionen ermöglichen. In Bezug auf die Gegenwart stellt sich spezifischer die Frage nach den ›gesellschaftlich brisanten Themen‹ (Jäger 2012: 151) bzw. nach den ›Notwendigkeiten der Gegenwart‹. Was als ›brisant‹ erscheint, lässt sich andererseits kaum objektiv feststellen und hängt notwendig mit der eigenen Involviertheit in Probleme (bei Foucault u.a. sichtbar in dessen eigenen Bezügen zur Psychiatrie oder zu den Gefängnisrevolten), mit dem, was auch subjektiv als ein ›Drängeln der Gegenwart‹ wahrgenommen wird zusammen.11 Die Frage nach der ›Brisanz‹ kann jedoch insofern als eine Art Korrektiv wirken, da diese es erlaubt, eine kritische Distanz zu den Moden des wissenschaftliches Feldes als auch zu den politischen Konjunkturen einzunehmen. Der Wahl des Gegenstandes liegt dann das Paradox zugrunde, durch eine spezifische Gegenstandswahl und Forschungsfrage eine spezifische Problematisierung unserer Gegenwart herbeizuführen zu wollen, welche wiederum erst das Resultat der eigenen Analysen sein kann. In dieser Hinsicht sind Diskursanalysen auch an Erfahrungen gebunden, an eine Sensibilisierung für jene ›Notwendigkeiten‹ und der sozialen Konstruiertheit des Sozialen – kurzum an jene angeführte »philosophische Haltung« (Sarasin 2006a: 8) einer Kritik unseres geschichtlichen Seins. In dieser Hinsicht »gilt es die Fähigkeit zu trainieren, sich zu wundern – zu wundern darüber, dass bestimmte Aussagen in bestimmten Texten auftauchen, andere hingegen nicht, dass bestimmte Motive in Bildern immer wiederkehren, andere jedoch offensichtlich von weniger Interesse waren, dass bestimmte Handlungen als normal akzeptiert wurden, andere hingegen undenkbar schienen« (Landwehr 2008: 101). In etwas anderer Akzentuierung kann die Wahl des Gegenstandes auch von der
10 Dies kann als Unterscheidungskriterium für ein grundsätzliches Interesse an Diskursen vs. einer Diskursanalyse im Anschluss an Foucault gelten. In einer generellen Perspektive formulieren etwa Potter und Wetherell (1987: 161), dass »our research questions give priority to discourse, in any form, and ask about its construction in relation to its function«. 11 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Gertraude Krell in diesem Band.
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eigenen Betroffenheit angeleitet sein. Betrachtet man die materialen Studien und Dossiers Foucaults über den Mörder Pierre Rivière (Foucault 1975), den Fall des Hermaphroditen Alexina/Herculine Barbin (Foucault 1998) oder die Reflexionen über die »Lettres de cachet«12 in Das Leben der infamen Menschen (Foucault 2003a), so erweist sich jene Erfahrung des Betroffenseins als Ausgangspunkt der Aufarbeitung jener in den herkömmlichen Kategorien der Geschichtsschreibung ephemeren Ereignisse. In Das Leben der infamen Menschen heißt es: »[I]ch gestehe, dass diese ›Novellen‹ […] mich tiefer im Mark erschüttert haben als das, was man gewöhnlich die Literatur nennt« (Foucault 2003a: 311, Herv.i.O.). Im Fall Rivière liest man analog: »Der Ausgangspunkt der ganzen Arbeit war unsere Betroffenheit« (Foucault 1975: 9). Hiervon ausgehend entfaltet sich die Analyse der im Fall der Beurteilung des Mörders Rivière »aufeinandertreffenden Diskurse […], die als Instrumente eingesetzt werden, als Angriffs- und Verteidigungswaffen in den Beziehungen der Macht und des Wissens« (ebd.: 10). Erschließungszusammenhang: Probleme der Korpus- und Materialgewinnung Folgt man diesen Überlegungen hinsichtlich der Wahl des Gegenstandes, stellt sich zweitens die Frage nach der Korpus- und Materialgewinnung. Diskursanalyse basiert im Wesentlichen auf der Auswertung sprachlicher bzw. zeichenhafter Spuren i.w.S. Dies heißt, dass auch eine Analyse von Praktiken oder Institutionen oftmals nur vermittelt über sprachliche Zeugnisse und ›Dokumente‹ im umfassenden Sinn (Berichte, Interviews, Protokolle, Statuten, Abbildungen, Grafiken etc. pp.) geschehen kann: »All diese Praktiken, Institutionen und Theorien behandle ich auf der Ebene von Spuren, und das heißt fast immer von sprachlichen Spuren« (Foucault 2002b: 645). Damit sollte bereits bei der Themenwahl und der Entwicklung von Forschungsfragen reflektiert werden, inwiefern für die geplante Analyse ein geeignetes Korpus und eine entsprechende Materialsammlung aufgebaut werden kann. Betrachtet man zunächst die Frage nach dem Korpusumfang, lässt sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des i.d.R. kaum zu unterschätzenden zeitlichen Aufwandes der Analyse, einerseits konstatieren, dass »[f]or discourse analysts the success of a study is not at least dependent on
12 Die »Lettres de cachet« führten als königliche Erlasse zur Inhaftierung von ›Delinquenten‹ aller Art ohne Gerichtsverfahren. Die Basis der Auseinandersetzung Foucaults mit diesen Erlassen bilden die den »lettres« zugrunde liegenden Beschwerdeund Schmähbriefe von Nachbarn, Familienangehörigen etc., welche zur Inhaftierung führten (vgl. ausführlich Farge/Foucault 1989).
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sample size« (Potte/Wetherell 1987: 161, Herv.i.O.). Die Größe und Einheit des Korpus wird vielmehr vom Untersuchungszweck und der Wahl des Gegenstandes bestimmt (vgl. Busse/Teubert 1994, Jäger 2012: 91-95, Keller 2008: 66-68). Andererseits zeigt die angedeutete Komplexität der diskursiven Praxis und des Zusammenhangs von Wissen/Macht die Schwierigkeit einer gegenstandsangemessenen Korpuserstellung an. Diese sollte insofern offen für Erweiterungen und Revisionen während des Analyseprozesses sein. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch die angestrebte Perspektive eines ›veränderten Blicks‹, welche auch ein Misstrauen gegenüber überkommenen Klassifizierungen, Epocheneinteilungen und Strukturierungen diskursiver Felder induziert. Im Kontext des Erscheinens von Die Ordnung der Dinge konstatiert Foucault: »Es darf keine privilegierte Auswahl geben. Man muss alles lesen, alle Institutionen und Praktiken kennen« (2002b: 646). Auf die etwas erstaunte Nachfrage, wie man mit der Masse an Informationen denn umgehen soll, antwortet er eher unbescheiden: »Man kann durchaus alle Grammatiker lesen oder alle Ökonomen. Für Naissance de la clinique habe ich für die Zeit von 1780 bis 1820 alle medizinischen Arbeiten gelesen, die in methodischer Hinsicht Bedeutung besaßen.« (ebd.: 646)13 Gleichwohl meint die Perspektive des ›veränderten Blicks‹ nicht die umfassende Rekonstruktion eines Phänomens oder einer Epoche im herkömmlichen Sinne. Die Korpuserstellung ist vielmehr orientiert a) an den aufgeworfenen Forschungsfragen (exemplarisch etwa der Übergang von den Martern zu den Zellen) und b) den ›Notwendigkeiten der Gegenwart‹ (exemplarisch den ›Gefängnisunruhen‹ der 1970er Jahre): »Wer hingegen ein Problem [im Unterschied zu einer Periode, R.H.] untersuchen will, das zu einem bestimmten Zeitpunkt auftrat, muss anderen Regeln folgen: Auswahl des Materials nach Maßgabe der Gegebenheiten des Problems; Fokussierung der Analyse auf diejenigen Elemente, die zu einer Lösung geeignet erscheinen; Herausarbeiten von Verbindungen, die diese Lösung möglich machen. Und somit Gleichgültigkeit gegenüber der
13 Im Zusammenhang von Überwachen und Strafen meint dies konziser: »Für das Gefängnis hätte es keinen Sinn, sich auf die über das Gefängnis geführten Diskurse zu beschränken. Denn es gibt gleichermaßen die Diskurse, die aus dem Gefängnis stammen, die Entscheidungen und Reglementierungen, die konstitutive Elemente des Gefängnisses sind, und das eigentliche Funktionieren des Gefängnisses […]. Alles das muss sowohl gesammelt, als auch zum Erscheinen gebracht werden. […] [D]ie Arbeit besteht […] darin, diese Diskurse in ihren strategischen Verknüpfungen erscheinen zu lassen […]« (Foucault 2002c: 915).
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Forderung, alles zu sagen, und sei es auch nur, um die Jury der versammelten Spezialisten zufrieden zu stellen« (Foucault 2005c: 16–17).
Die Problematik der Korpusgewinnung abschließend sei noch angemerkt, dass gleichzeitig in genuin praktischer Hinsicht gefragt werden muss, wie dieses Korpus – etwa durch softwaretechnische Unterstützung – in eindeutiger, transparenter und (auch intersubjektiv) rekonstruierbarer Form hinsichtlich synchroner und diachroner Aspekte archiviert und zu jedem Zeitpunkt der Untersuchung modifiziert und neu analysiert werden kann. Entdeckungszusammenhang Folgt man dem Verständnis von Diskursanalyse als ›Entdeckungsverfahren‹, welches sowohl die Wahl des Gegenstandes, der Forschungsfrage(n) als auch das Korpus und die Materialgewinnung affiziert, ist nun noch die Frage nach den Möglichkeiten und den ›Werkzeugen‹ für eine Analyse des Materials zu stellen. Auch wenn hier nicht der Raum für eine entsprechende Diskussion im Einzelfall ist, eröffnet sich nun das Feld von unterschiedlich konkreten Vorschlägen und Analyseschritten, deren Akzentuierungen immer auch mit den zugrunde liegenden theoretischen Bezügen und Lesarten des Diskursbegriffes zusammenhängen.14 Die in der Literatur vorhandenen Vorschläge sind in der Regel selbst Ergebnis langjähriger Forschungspraxis in vielfältigen Projektzusammenhängen, unterliegen Weiterentwicklungen und Revisionen (vgl. etwa Jäger 2012) und bieten elaborierte ›Instrumente‹ für die eigene Analyse an. Die Wahl einzelner Analyseinstrumente ist dann abhängig vom Gegenstand und den Forschungsfragen. Im Sinne des Bildes des ›Experimentators‹ ist, analog zur Korpus- und Materialgewinnung, eine Flexibilität erforderlich, welche im Analyseverlauf auch bereit ist, Korrekturen an den analytischen Zugriffen zuzulassen. Folgt man den bisherigen Ausführungen, erweist sich als gemeinsamer Bezugspunkt einer Diskursanalyse als Entdeckungsverfahren die Rekonstruktion ›jener spezifischen Regeln und Zwänge‹, welche die Produktion von Wissen und weiterführend die ›Konstruktion von Wirklichkeit(en)‹ ermöglichen. Im Folgenden möchte ich drei
14 Vgl. u.a. die ›Kritische Diskursanalyse‹ sensu Jäger (2012), die stärker linguistisch orientierte ›Critical Discourse Analysis‹ sensu Fairclough (2003), eine stärker an der Archäologie des Wissens orientierte ›interpretative Analytik‹ (Diaz-Bone 2005), die ›wissenssoziologische Diskursanalyse‹ Kellers (2011b), die ›historische Diskursanalyse‹ (Landwehr 2008) sowie die Diskussionen um eine ›Diskurslinguistik nach Foucault‹ (Warnke 2007).
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Richtungen der Analyse jener ›Regeln‹ skizzieren, welche in unterschiedlicher Weise immer auch nach der Wirkung von Diskursen fragen. Schließen die beiden ersten Perspektiven direkt an Foucault und hierbei an die Archäologie des Wissens und die Ordnung des Diskurses an, soll drittens die insbesondere von Jürgen Link vorgelegte Erweiterung des Foucault’schen ›Werkzeugkastens‹ zur Untersuchung diskursiver Symbolsysteme in knapper Form angesprochen werden. Letztere Perspektive erscheint mir insofern bedeutsam, da diese den analytischen Fokus auf die interessierende Wirkung von Diskursen (jenes ›mehr als Sprache‹) richtet, ohne zugleich die Ebene des sprachlichen Spuren i.w.S. verlassen zu müssen. In dem ersten hier zu adressierenden Zugriff steht die Analyse der diskursiven Praxis, konzeptualisiert als »Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche […] die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion« (Foucault 1973: 171) definieren. Unter Rückgriff auf Foucault wäre es eine analytische Strategie, auf diese in der Archäologie des Wissens entwickelten Analytik der historischen Formation von Diskursen zurückzugreifen. Die ›Archäologie‹ ermöglicht durch ihre Fokussierung (und zugleich Beschränkung), sich (stärker) auf die ›rein‹ sprachliche Seite der diskursiven Praxis zu konzentrieren. Foucault unterscheidet vier Formationsbereiche von Diskursen, deren Rekonstruktion ihrer Regelhaftigkeit Ziel der Analyse ist (vgl. Foucault 1973: 48-103): 1. Formation der Gegenstände: Nach welchen Regeln werden die Gegenstände
des Diskurses gebildet? Welche Klassifikationen werden verwandt (etwa hinsichtlich der Differenzierung von »Wahnsinnsarten« (ebd.: 64)? Welche wissenschaftlichen Disziplinen brachten in welcher Weise den »Diskursgegenstand in Erscheinung« (ebd.: 67)? 2. Formation der Äußerungsmodalitäten: Wer darf sprechen? Welche (legitimen) Sprecherpositionen stellt der Diskurs zur Verfügung? Welche Formen der Äußerung sind möglich? 3. Formation der Begriffe: Nach welchen Regeln werden Begriffe konstruiert und wie werden diese in Beziehung zu anderen Begriffen gebracht? Welche »Formen der Deduktion, der Ableitung, der Kohärenz, […] der Inkompatibilität, des Überkreuzens, der Substitution« (ebd.: 89). lassen sich auffinden? 4. Formation der Strategien bzw. der ›theoretischen‹/›strategischen Wahl‹: Welche Außenbezüge werden i.S. der Wahl von Themen und Theorien, der Bezugnahme auf andere Diskurse, der Inanspruchnahme der Lösung von ›Problemen‹ hergestellt? Welche Funktion des Diskurses wird sichtbar?
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Die von Foucault vorgeschlagenen Dimensionen der diskursiven Formation verstehen sich dabei nicht als abzuarbeitendes Analyseraster. Unterschiedliche Forschungsfragen implizieren hierbei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der analytischen Arbeit, wie Foucault im Vergleich der Untersuchungen von Wahnsinn und Gesellschaft, Die Geburt der Klinik und Die Ordnung der Dinge herausstellt (Foucault 1973: 95-96). In der Anlage der Rekonstruktion der Formationsregeln wird zugleich ein wichtiges (und oft missverstandenes) Motiv einer an Foucault orientierten Diskursanalyse deutlich: Nicht die Akteure, deren Interessen oder psychologische Motivation werden als konstituierend und formationsgebend für den Diskurs aufgefasst. Diese »methodologische Ausklammerung des subjektiven Sinns« (Diaz-Bone 2006: 76) meint aber nicht ein Negieren oder ›Verschwinden‹ des Akteurs, sondern bezeichnet dessen Dezentrierung, welche empirisch durch die Rekonstruktion der Formationsregel, etwa bezogen auf die zur Verfügung stehenden ›Sprecherpositionen‹, sichtbar gemacht werden kann. Gleichwohl bietet die Perspektive der ›Archäologie‹ nur eine Möglichkeit der Rekonstruktion von Diskursen, deren Stärke im Ausweis der diskursiven Konstruktionsregeln von vermeintlich evidenten Wissen und ›Wahrheiten‹ liegt. In dieser Perspektive setzt »[d]ie Wirkung des Diskurses […] ein, wenn eine Aussage die Schwelle der Positivität überschreitet« (Warnke 2007: 15). Die analytischen Grenzen der Perspektive der Archäologie zeigen sich jedoch in der Ausklammerung der oben skizzierten weiteren Elemente diskursiver Praxis und hinsichtlich der Modalitäten des Zusammenhanges von Wissen/Macht jenseits der ›Illusion des autonomen Diskurses‹ (Dreyfus/Rabinow 1994). Foucault selbst richtet in der Folge in Die Ordnung des Diskurses sein Augenmerk auf die (institutionellen) Prozeduren, mit denen in »jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird« (Foucault 2007: 10). Statt von ›Formationsregeln‹ lässt sich nun eher von ›Machtmechanismen‹ sprechen, welche die institutionelle Seite der diskursiven Praxis erheblich stärker akzentuieren. Analytisch lassen sich dabei drei Dimensionen der ›Verknappung‹ und von ›Ausschließungsmechanismen‹ unterscheiden (ebd.:10-30): Externe Prozeduren der Verknappung: Verbote (bezogen auf Themen, Situationen, Subjekte), Unterscheidung Wahnsinn/Vernunft, Unterscheidung wahr/falsch; 2. Interne Prozeduren der Verknappung: ›Kommentar‹ als Wiederholungsprinzip, ›Autorprinzip‹, ›(Fach-)Disziplin‹ (mit entsprechenden Bündeln von Theorien, Methoden, Definitionen);
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Verknappung der sprechenden Subjekte: akademische Laufbahnen, Prüfungen, Abschlussgrade; Einbindung in Netzwerke, Doktrinen etc.
Sichtbar wird, wie eine in der Perspektive der Ordnung des Diskurses verfolgte Analysestrategie die institutionelle Einbettung und Regulation der Produktion von Diskursen erheblich stärker, vereinfacht gesagt ›realitätsnäher‹ in den Blick nimmt. Der Diskurs ist dann »nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht« (Foucault 2007: 11). Exemplarisch lässt sich diese Perspektive am ›Fall Rivière‹ verdeutlichen. Es handelte sich um »ein Ereignis, das Anlaß und Gegenstand sich kreuzender Diskurse war, deren Ursprung, Form, Anordnung und Funktion ganz verschieden waren: der Diskurs des Friedensrichters, der des Staatsanwalts, des Schwurgerichtspräsidenten, des Justizministers; […] der der Dorfbewohner mit ihrem Bürgermeister und ihrem Pfarrer; schließlich der des Mörders selbst.« (Foucault 1975: 9) Die Texte stellen »einen Kräftevergleich, ein Gefecht um Worte und mittels Worten [dar]« (ebd.: 10). Ziel der Analyse ist es »die Struktur dieser verschiedenen Kämpfe zu klären« (ebd.). Als dritte analytische Perspektive möchte ich abschließend und in aller Kürze auf die Untersuchung der Symbolik, Metaphorik, Allegorien in Diskursen verweisen. Diese führt zugleich über Foucault hinaus. Die Ablehnung einer stärker an den semantischen Regelmäßigkeiten interessierten Diskursanalyse kann nachgerade als ein »Defizit« bei der »Analyse von Machtdispositiven« (Link 1985: 110, vgl. auch dort zu den Gründen) verstanden werden, da eine bedeutsame Dimension bei der Beantwortung der Frage nach der Wirkung von Diskursen ausgeklammert wurde. Lässt sich mit der Archäologie des Wissens der Raum des Sagbaren erfassen und mit den Dimensionen der Ordnung des Diskurses eine Annäherung an die institutionelle Seite der diskursiven Praxis herbeizuführen, ermöglicht eine Analyse insbesondere des Systems der Kollektivsymbolik bzw. der diskursiv vermittelten ›Bildlichkeit‹ einer Kultur eine erweiterte Perspektive auf die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit (vgl. grundlegend zur Kollektivsymbolik Drews, Gerhard & Link 1985; Becker, Gerhard & Link 1996, Jäger 2012: 53-63, im Kontext des Konzepts des Normalismus Link 2009a). Die Rekurrenz bzw. die Serialität kollektiver Symbole, insbesondere vermittelt im medialen Diskurs, erweist sich in dieser Perspektive als ein wesentlicher Mechanismus für Applikationsvorgaben für Individuen (exemplarisch sichtbar anhand der Körpersymbolik der Werbung) und die Integration von Kollektiven und Gesellschaften. Die Bedeutung einer solchen Perspektive soll hier anhand eines
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längeren Zitates von Jürgen Link verdeutlicht werden. Nach Link ist das System der Kollektivsymbolik eine Art »kitt der gesellschaft, es suggeriert eine imaginäre gesellschaftliche und subjektive totalität für die phantasie. während wir in der realen gesellschaft und bei unserem realen subjekt nur sehr beschränkten durchblick haben, fühlen wir uns dank der symbolischen sinnbildungsgitter in unserer kultur stets zuhause. wir wissen nichts über krebs, aber wir verstehen sofort, inwiefern der terror krebs der gesellschaft ist, wir wissen nichts über die wirklichen ursachen von wirtschaftskrisen, begreifen aber sofort, daß die regierung notbremsen mußte. wir haben keine politisch extremen medien, wissen aber sehr wohl, daß beim schaukeln auf dem linken ende nur das rechte ende hochgeschaukelt wird.« (Link 1982: 11; Kleinschreibung im Original)
Damit wird der genuin Foucault’schen Perspektive der diskursiven Produktion von Normalität und Abweichung, von gesellschaftlichen Mechanismen der Inund Exklusion in einer über Foucault hinausweisenden, diskursanalytischen Form Rechnung getragen. Diese Blickerweiterung kann auch dazu beitragen, eine an Foucault orientierte Diskursanalyse stärker auf die gegenwärtigen Alltagsund Mediendiskurse zu beziehen und deren Anteil an der diskursiven Fabrikation der Wirklichkeit zu bestimmen.15
S TATT
EINES
F AZITS …
Ausgangspunkt des Beitrages war, dass eine sich auf Foucault berufende Diskursanalyse sich zunächst mit den Motiven der Foucault’schen Auseinandersetzung mit Diskursen beschäftigen sollte. Mein Vorschlag war, dass man Foucault ausgehend von einer spezifischen Haltung, einem Ethos der ›permanenten Kritik unseres geschichtlichen Seins‹ und einem dekonstruktiven Gestus lesen kann. Sowohl die Frage nach Sinn und Zweck von Diskursanalysen als auch nach deren Gegenstand und Durchführung sollten vor diesem Hintergrund gestellt werden. Eine so verstandene Diskursanalyse nach Foucault sollte an dieser Stelle nicht explizit für die Organisationsforschung ›operationalisiert‹ werden. Viel-
15 In eine ähnliche Richtung weist die Arbeit von Susanne Kirchhoff (2010), welche für die Untersuchung massenmedialer Diskurse über den ›war on terrorism‹ diskursanalytische Überlegungen mit der Metaphernanalyse zusammenführt. Für eine Anwendung des Konzeptes der Kollektivsymbolik im Kontext der globalen Finanzkrise vgl. Hartz 2012, 2013 und Link 2009b.
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mehr sollte verdeutlicht werden, dass der Rekurs auf Foucault’sche Überlegungen (nach wie vor) für eine kritische, historisch und gesellschaftstheoretisch informierte Reflexion über Organisation(en) im Allgemeinen und für die Critical Management Studies Impulse liefern kann – gerade weil die Arbeiten Foucaults das Verhältnis von dekonstruktiven Gestus und empirischer Analyse in der Spannung halten. Der Anschluss an Foucault im Kontext der kritischen Organisationsforschung eröffnet darüber hinaus auch die Möglichkeit, dem ›schwierigen‹ und oftmals im akademischen Feld der Management- und Organisationsforschung mit Vorbehalten begegneten Begriff der Kritik – da er automatisch dem Mainstream eine ›unkritische‹ Haltung und Arbeitsweise unterstellt16 – eine spezifische programmatische Schärfung und Richtung im Sinne einer ›kritischen Ontologie der Gegenwart‹ (und deren Organisation und Organisationen) zu geben.
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16 Vgl. auch den Beitrag von Gertraude Krell in diesem Band.
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Die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive in der (kritischen) Organisationsforschung Einige grundlegende Überlegungen am Beispiel des Diversity Managements A NDREA D. B ÜHRMANN
E INFÜHRUNG Seit einiger Zeit ist in der Organisationsforschung, insbesondere aber in den Critical Management Studies (vgl. für die Rezeption im deutschsprachigen Raum Hartz 2011) sowie in der Wirtschaftssoziologie (vgl. für die Rezeption im deutschsprachigen Raum Diaz-Bone/Krell 2009), die Bedeutung von diskursiven Praktiken bzw. Diskursen – verstanden als Gesamtheit institutionalisierter Redeweisen (vgl. Link 1986) – erforscht worden. Dabei geht man davon aus, dass Diskurse auf machtvolle Weise Organisationen und ihre Umwelt (trans-)formieren (können) (vgl. z.B. Schmidt 2008; Alvesson/Kärreman 2000; sowie die Schwerpunktausgaben Discourse & Society 1999 (10) 1, Academy of Management Review 2004 29 (4) und 2005 30 (1)). Ausgehend von diesen Überlegungen haben sich mittlerweile unterschiedliche Forschungsschwerpunkte herausgebildet (vgl. dazu auch Grant/Iedema/Oswick 2009: 214ff.): Erstens haben sich Forschende für die (ritualisierten) Regeln des Gesagten und Ungesagten sowie deren situativen Ausformulierungen in spezifischen organisationalen Kontexten interessiert. In diesen vielfach konversationsanalytisch inspirierten Studien geht es primär um die Analyse von typischen Gesprächssituationen und den damit verbundenen praktischen Konversationsregeln im betrieblichen Alltag (vgl. dazu etwa Potter/Wetherell 1987; Matuschek/Kleemann
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2009). In verschiedenen Studien werden z.B. institutionalisierte Settings oder Typen sozialer Interaktion erforscht und die Strukturen der fundamentalen Verhaltens-, Denk- und Wahrnehmungsmuster relevanter Akteure in ihren Interaktionen freigelegt (vgl. etwa Grant 1999). Dabei verbleiben diese Studien allerdings oftmals auf einer interaktionistischen Ebene und abstrahieren so von den historisch gewordenen Macht- bzw. Herrschaftsverhältnissen, die sich in den erforschten Gesprächssituationen manifestieren. Zweitens ist im Rahmen Kritischer Diskursanalysen der Zusammenhang zwischen Diskursen und Machtformationen in den Mittelpunkt gerückt worden (Fairclough/Wodak 1997; Jäger 2004).1 Es geht also um die Strukturen des Denkbaren, Wahrnehmbaren und damit letztlich des Sagbaren und deren Relevanz für das Organisieren. In diesen Studien liegt der Fokus auf der Erforschung ›ideologischer Systeme‹ in Bezug auf Organisationen. Man geht dabei zwar davon aus, dass Diskurse Machtwirkungen haben. Diese werden aber in der Regel nicht systematisch in ihren empirisch-praktischen Konsequenzen analysiert; stattdessen konzentrierte man sich bisher weitgehend darauf, diskursive Strukturen in diachroner Perspektive zu rekonstruieren und in synchroner Perspektive nach Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Debatten zu fragen. So sind zum Beispiel in den letzten Jahren intensiv Ursprung und Verbreitung der Figur des ›homo oeconomicus‹ (Habermann 2008) oder auch des ›Spekulanten‹ (vgl. dazu Stäheli 2007) sowie die Bedeutung organisationaler Identifikationen erforscht worden. In dieser Perspektive ist aber auch gefragt worden, wer in organisationalen Kontexten welche Diskurspositionen einnehmen und so z.B. die soziale Wirklichkeit in Organisationen (trans-)formieren kann (vgl. etwa Mumby/ Clair 1997). Drittens sind ausgehend von poststrukturalistischen Ansätzen Organisationen als ›kollektive Erzählsysteme‹ (Boje 1991: 106) betrachtet worden. Dabei ist allerdings immer wieder herausgestellt worden, dass das stete und konflikthafte Kommunizieren über das Organisieren erst Organisationen formiert (vgl. etwa Grant/Keenoy/Oswick 1998). So wird deutlich, dass in Organisationen unterschiedliche organisationale Realitäten, basierend auf relativ autonomen Narrationen existieren. James Taylor und Elizabeth Van Every (1999) haben dies als ›Laminationen‹ beschrieben. Repper Chia (2000) machte darauf aufmerksam,
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Allerdings verfolgt die an Michel Foucault orientierte Kritische Diskursanalyse ein anderes Diskursverständnis als die konversationsanalytisch orientierten Studien (vgl. dazu auch Diaz-Bone/Krell 2009: 21). Stellen nämlich in konversationsanalytischer Perspektive die Subjekte Strukturen her, so können mit Foucault Subjekte als Effekte von dispositiven Strukturen und Strukturierungen verstanden werden.
D ISPOSITIVANALYSE ALS F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE
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dass dabei auch bestimmte Perspektiven auf das, was als organisationale Realität gilt, ausgeschlossen werden, und John Hassard (1993) stellte fest, dass auch kritische Diskurse über diskursive Praktiken in und über Diskurse wiederum soziale Realitäten (trans-)formieren. Deshalb haben z.B. Joyce Fletcher, Lotte Bailyn und Stacy Blake Beard (2012) vorgeschlagen, diskursive Räume in organisationalen Narrativen zu öffnen um neue Sichtweisen auf das Organisieren zu ermöglichen. Demgegenüber betonten andere im Anschluss an Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes Diskurstheorie (1985), dass nicht nur das Gesagte, sondern auch z.B. jegliches Organisiertes selbst als diskursive Praxen verstanden werden sollte (vgl. etwa Willmott 2005; Roberts 2005). Ob und ggf. wie diese Effekte zustande kommen, wurde allerdings nicht erforscht. Vielmehr wurden im Grunde die möglichen Folgen diskursiver Praktiken wiederum als diskursive Praktiken begriffen, so dass man Gefahr läuft in einen ›linguistischen Solipsismus‹ zu landen. In den letzten Jahren sind in den hier genannten Forschungsschwerpunkten innovative Befunde und wichtige Einsichten hervorgebracht worden. Dabei sind verschiedene Ansätze, die auf unterschiedlichen diskurstheoretischen Konzeptionen wie diskursanalytischen Methoden basieren zum Einsatz gekommen. David Grant, Rick Iedema und Cliff Oswick (2009: 228) wiesen in ihrem kritischen Überblick darauf hin, dass sie sich weitere produktive Einsichten von einer Verschiebung des Forschungsfokus hin zur Einkörperung diskursiver Praxen im Sinne relationaler, kreativer und affektiver Handlungen erhoffen. Über diese Verschiebung hinausgehend möchte ich eine grundlegende Erweiterung vorschlagen. Denn die bisherige Konzentration auf die diskursiven Praxen in Organisationen, über das Organisieren wie auch das Organisierte führt dazu, dass die zentrale Frage nach den empirisch praktischen (Aus-)Wirkungen diskursiver Praktiken und deren Werden und d.h. materialen Implikationen aus dem Blick geraten und so noch nicht systematisch erforscht worden ist. Eine poststrukturale Erweiterung des Diskursbegriffs auf das – aus einer dispositivanalytischen Perspektive – Nicht-mehr- oder auch Nicht-Diskursive hilft hier auch nicht weiter. Stellt man nämlich die Eigensinnigkeiten und auch Widerständigkeiten der beteiligten Akteure, aber auch der Dinge in Rechnung, so kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass bestimmte diskursive Praktiken auch quasi automatisch bestimmte intendierte Folgen haben, das sie also machtvoll wirksam werden. Vielmehr gilt es gerade diese möglichen Vermittlungen und ihre Implikationen zu erforschen. Genau an diesem Punkt setzt die Forschungsperspektive der Dispositivanalyse an, insofern sie systematisch nach dem Zusammenspiel diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken und deren empirisch-praktischen Wirksamkeiten fragt. Die
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besondere Relevanz dieser Fragen hat Michel Foucault schon früh in seinen Arbeiten zum organisationalen Wandel des Strafens, des Arbeitens sowie der Kriegsführung konstatiert (vgl. dazu Bührmann 2004). Er macht hier (Macht-) Dispositive aus, die er als Ensemble aus höchst heterogenen Elementen – bestehend aus »Diskursen, Institutionen, architekturalen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen oder philanthropischen Lehrsätzen, kurz: Gesagtem ebensowohl, wie Ungesagtem [...]« (Foucault 1978: 119) – bestimmt. Ausgehend von diesen Überlegungen gliedert sich der Beitrag in drei Abschnitte. Zunächst wird die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive und – stil vorgestellt. Dann wird am Beispiel der Diversity Managements das mögliche Mehr einer Dispositivanalyse dargelegt. Abschließend folgen ein knappes Fazit und eine Skizze weiterer Forschungsperspektiven.
D ISPOSITIVANALYSE 2 UND - STIL
ALS
F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE
Jene Forschungsarbeiten, in denen Foucault selbst den Dispositivbegriff nutzt, kreisen im Wesentlichen um Fragen nach dem historisch-konkreten Arrangement zwischen diskursiven und nicht-diskursiven – d.h. also sozialen – Prakti3 ken und deren Konsequenzen. Das Ziel seiner Dispositivanalysen besteht letztlich darin, deutlich zu machen, dass das vermeintlich Gegebene in Gestalt z.B.
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Für die folgenden Ausführungen vgl. ausführlicher Bührmann/Schneider (2012, 2010).
3
›Soziale Praktiken‹ werden hier in Anlehnung an Theodore Schatzki (1996) als die Gesamtheit verbaler und nonverbaler Aktivitäten verstanden, an der unterschiedliche Akteure beteiligt sein können, die ihr Handeln sowohl an impliziten Ablaufroutinen als auch an expliziten Regeln orientieren. Dabei können diese wiederholten oder auch wiederholbaren Aktivitätsketten und damit verbundene, intendierte wie nicht intendierte Folgen, analytisch betrachtet, keineswegs auf individuelles Handeln und daran geknüpfte Motive reduziert werden. Vielmehr können Entscheiden und Handeln als besondere Formen sozialer Aktivitäten begriffen werden. Der Begriff ›gesellschaftliche Praxis‹ zielt wiederum auf institutionelle Regimes als Zusammenhang mehrerer Institutionen (Berger/Luckmann 1987), die zum Beispiel die physische oder materielle Reproduktion von Gesellschaften (etwa die Bereiche (Aus-)Bildung oder Wirtschaft) umfassen.
D ISPOSITIVANALYSE ALS F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE
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von Subjektivationen oder auch Objektivationen unter bestimmten historischkontingenten Bedingungen über unterschiedliche Praktiken hervorgebracht worden ist und damit immer auch die Frage nach den Macht- und Herrschaftsverhältnissen, d.h. nach den Regierungsverhältnissen verbunden ist. Der Begriff des Dispositivs geht über den Diskursbegriff hinaus, insofern er erstens auf diskursive wie nicht diskursive Elemente und deren Arrangements zielt und zweitens die Frage nach den macht- und herrschaftsstrategischen Funktionen der (praktischen) Lösung diskursiv hervorgebrachter gesellschaftlicher/sozialer Problemstellungen systematisch adressiert. Unter Objektivationen werden die in und durch Praktiken hergestellten ›Dinge‹ verstanden – wie z.B. beobachtbare Handlungsergebnisse, materiale Gegenstände oder sonstige Artefakte – also in welcher Form auch immer objektivierte Wissensbestände. Objektivationen können strukturiert werden (durch diskursiv prozessierte und vermittelte normative Vorgaben etc.) sowie strukturierend wirken, indem sie gleichsam als gelebte Praxen auf diskursive Konstruktionsprozesse ein- bzw. rückwirken. Demgegenüber bezeichnet der Begriff Subjektivation allgemein den Prozess, ein 4 in, durch mit und/oder durch Praktiken hergestelltes Selbst zu werden. Schließlich werden diskursive und nicht diskursive Praktiken als sprachliche (diskursive) oder nicht-sprachliche (nicht-diskursive) Aktivitäten verstanden. Anders als etwa bei Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1985) wird hier also eine explizite – wohlgemerkt analytische – Differenzierung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken angenommen. Dabei wird davon ausgegangen, dass diskursive Praktiken zwar ursprünglich einem Diskurs bzw. bestimmten Diskursformationen zuzurechnen sind. Sie können sich im Laufe der Zeit jedoch auch davon abkoppeln und unabhängig und eigendynamisch in Praxisfeldern entwickeln. So wären bspw. im Feld rund um das Arbeiten in Organisationen diskursive Praktiken dann als Debattenbeiträge in wissenschaftlichen Diskussionen zu fassen – etwa zur Bedeutung von Diversity Trainings für ein ›gutes‹ Arbeitsklima, aber auch zu deren Einsatz im Arbeitsbereich und ihre Folgen für das Zusammenarbeiten. Hinzu kommt womöglich das alltägliche Gespräch über die unterschiedlichen, diversen anderen ›Naturen‹ von Menschen, die das Zusammenarbeiten in Organisationen zwar zunächst nicht einfacher, aber langfristig effektiver machen könnten. Demgegenüber können dann als nichtdiskursive Praktiken z.B. folgende Handlungen gefasst werden: die Praktiken zur Herstellung von (wissenschaftlichen) Journalen, in denen Debattenbeiträge über
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Im hegemonialen Leitbild moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften sehen sich derzeit wohl viele Menschen als autonome, sinnstiftende und weitgehend selbstbestimmte Subjekte, die von unterschiedlichen Begehren angetrieben werden.
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neue Formen des Diversity-Managements veröffentlicht werden ebenso wie die Teilnahme an Diversity Trainings, um bestimmten Stereotypen und Vorurteilen zu begegnen, aber auch zu lernen, sich ›angemessen‹ in anderen Kulturen zu bewegen. Darauf werde ich gleich noch näher eingehen. Nach welcher Logik sind nun diese Begriffe bzw. analytischen Unterschei5 dungen konzipiert? Den Ausgangspunkt bildet die folgende Überlegung: Die (soziale) Welt kann als eine komplexe Konfiguration von nicht aufeinander reduzierbaren Praktiken betrachtet werden, deren historisch-konkretes Zusammenspiel bestimmte Effekte hervorbringt, sie gleichsam ›be-wirkt‹ und somit wirklich werden lassen (kann). Dies können Praktiken der Formierung wie Transformierung von neuen oder bereits bestehenden Handlungsnormierungen oder auch deren konkrete Umsetzungen in den Alltagspraxen der Einzelnen sein. Anders formuliert: Diese wirk-lichen (weil wirk-samen) Effekte können, müssen keineswegs zwingend sein, sie können auch als Praktiken spezifische Objektivationen und/oder Subjektivationen implizieren bzw. in bestimmter Weise disponierte und/oder disponierende Objekte oder Subjekte wirklich werden lassen. Damit stellt sich die empirisch erst zu erforschende Frage: Was wird wie ›praxis- oder gar handlungswirksam‹ und damit ›wirk-lich‹? Zentral für die Überlegungen ist der Faktor Zeit und damit die Frage nach Kontinuität und Wandel: Zu einem bestimmten Zeitpunkt nämlich werden z.B. Objektivationen oder Subjektivationen über diskursive Praktiken hervorgebracht. Sie können dann inmitten bereits vorhandener gegebener, also auch vorgegebener Bedingungen bzw. Strukturen ›wirk-lich‹ weil ›wirk-sam‹ werden. Die angesprochenen Bedingungen verdanken ihre Existenz allerdings wiederum der Tatsache, dass sie in einer vorangegangenen Zeitspanne durch entsprechende Praktiken formiert oder transformiert worden sind, die wiederum selbst durch spezifische bedingende Strukturen erst ermöglicht worden sind. Mit Blick darauf wird auch davon ausgegangen, dass die im Forschungsprozess sich konstituierenden Gegenstände des Erkennens – also sowohl die empirisch zu analysierenden Praktiken als auch Subjektivationen und Objektivationen –, sowie die im Forschungsprozess involvierten Forschenden – also etwa die Autorin selbst –, durch die jeweiligen Erkenntnismittel und die Organisationen der Erkenntnisproduktion historisch hervorgebracht worden sind. In ontologischer Perspektive können also je spezifische Subjektivationen wie Objektivationen oder auch Differenzierungen zwischen Diskursivem und Nicht-Diskursivem wirklich sein. Zu fragen ist dann freilich immer, wie sie über bestimmte und insofern wirksame (Macht-)Praktiken und bedingende Strukturen – wenn man so will – wirklich
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Ich greife hier Gedanken des Critical Realism auf; vgl. dazu auch Archer et al. 1998.
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geworden sind. Empirisch zu erforschen ist somit, ob etwas (gleichsam als normatives Programm, entlang entsprechender Wissenspolitiken) ›bloß‹ wirksam sein soll oder in und durch entsprechende Praxis wirklich wird. Vor dem Hintergrund dieser gängigen – auch für die dispositivanalytische Forschungspraxis relevanten – Unterscheidung zwischen normativ programmatischer Vorgabe und wirklichen, empirisch praktischen Vollzug von Praktiken wird bei der Frage nach der Objektivierung und Subjektivierung ein mehrdimensionaler Begriff angelegt: Für die Objektivierung ist zwischen der diskursiven Hervorbringung eines bestimmten Objektbegriffs und seiner Objektivierung, d.h. Verdinglichung zu Objektivationen zu unterscheiden. Ein mehrdimensionaler Subjektzugriff soll es darüber hinaus ermöglichen, sowohl die Ebene der diskursiven Formierung und Vermittlung von Wissen als auch dessen wirkliche Relevanz für die Alltagspraxen und die dortigen ›Selbst-Verständnisse‹ der Akteure empirisch zu rekonstruieren: Hier werden wiederum zwei Dimensionen analytisch unterschieden: die Subjektformierung und die Subjektivierungsweise. Mit Subjektivierungsweise wird dabei die Art und Weise angesprochen, wie Menschen sich selbst und andere auf einer empirisch praktischen Ebene wahrnehmen, erleben und deuten. Demgegenüber zielt der Begriff Subjektformierung darauf, wie Menschen auf einer normativ programmatischen Ebene über bestimmte Praktiken oder (Übungs-)Programme lernen sollen, sich selbst und andere wahrzunehmen, zu erleben und zu deuten. Das Verhältnis zwischen diesen beiden analytischen Dimensionen ist somit ebenfalls ein empirisch zu klärendes gemäß den jeweils vorfindbaren Identitätsvorgaben und deren – wie nahtlos oder gebrochen auch immer – nachweisbaren Aneignungen als empirisch rekonstruierbare Identitätsmuster. Zur Erforschung dessen, ob etwas ggf. wirksam wird und damit auch wirklich und welche Praktiken, Subjektivationen und auch Objektivationen daran beteiligt sind, ist die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive besonders geeignet. Denn diese Perspektive orientiert sich an den folgenden vier, analytisch zu trennenden und keineswegs zwangsläufig immer vollständig zu bearbeitenden Leitfragen (vgl. auch Abb. 1): •
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Leitfrage nach den Praktiken: In welchem Verhältnis stehen diskursive Praktiken in Gestalt von zum Beispiel Spezialdiskurs(en), Interdiskurs(en) und/ oder Elementar- bzw. Alltagsdiskurs(en) und (alltagsweltliche) nicht-diskursive Praktiken? Leitfrage nach den Subjektivationen/Subjektivierungen: In welchem Verhältnis stehen diskursive Praktiken, nicht-diskursive Praktiken, symbolische wie materiale Objektivationen und Subjektivation/Subjektivierung?
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Leitfrage nach den Objektivationen: In welchem Verhältnis stehen diskursive Praktiken mit den vorherrschenden Wissensordnungen, wie sie sich in der ›Ordnung der Dinge‹ manifestieren (im Sinne von symbolischen wie materialen Objektivationen, insbesondere in Alltags-/Elementarkulturen)? Leitfrage nach dem sozialen Wandel: In welchem Verhältnis stehen diskursive Praktiken, nicht-diskursive Praktiken und Objektivationen – also kurzum: Dispositive – mit gesellschaftlichem Wandel (Umbruchsituationen) und dispositiven (auch nicht-intendierten Neben-) Folgen?
Abbildung 1: Dimensionen der Dispositivanalyse
Quelle: Bührmann/Schneider 2012: 94
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Diese Leitfragen prägen wiederum den dispositivanalytischen Forschungsstil. Also die Gesamtheit der mit dem Analysekonzept des Dispositivs verbundenen methodologischen Vorgaben, die damit einhergehenden methodisch-praktischen Instrumente sowie deren Einsatzmöglichkeiten. Dabei bezeichnet die Dispositivanalyse zwar keine eigenständige Methode oder eine bestimmte methodische Vorgehensweise. (Das bedeutet auch: Im Rahmen von Dispositivanalysen können unterschiedliche methodische Verfahren und Instrumente flexibel auf einzelne Forschungsfragen bzw. -prozesse angewendet und angepasst werden.) Jedoch gilt es zu beachten, dass nicht von einem ›ge-sicherten‹ Wissen oder gar ›Wahrheiten‹ über bestimmte Praktiken und ihre Vermittlungen mit anderen Subjektivationen und/oder Objektivationen ausgegangen wird. Vielmehr gilt es diese gerade zu erforschen. Um ein prägnantes Beispiel zu geben: Die Methode der Sequenzanalyse, wie sie in der objektiven Hermeneutik entwickelt worden ist, kann zwar fruchtbar gemacht werden, aber von deren als gesetzt unterstellten Gewissheiten über Subjekte, deren Motivlagen und Begehren, gilt es zu abstrahieren, sie sind einzuklammern. Mit Blick auf das Gesagte bietet die Dispositivanalyse als Forschungsperspektive und Forschungsstil eine begrifflich-konzeptionell weiterführende Ausbuchstabierung und methodologisch-methodisch ausgewiesene Grundlegung für die Erforschung dessen, worum es der Gouvernementalitätsforschung geht (vgl. dazu Näheres Bührmann/Schneider 2010 sowie Gertenbach in diesem Band). Denn in dispositivtheoretischer Perspektivierung werden nicht nur der produktive Charakter, sondern auch die polyvalenten Momente dispositiver Formierungen betont. Dies wird besonders deutlich bei der Frage nach der Implementierung neuer, anderer managerialen Regierungskünste in Organisationen. Dabei erscheint es wenig sinnvoll – wie dies etwa Giorgio Agamben im Rekurs auf Martin Heidegger vorgeschlagen hat (vgl. dazu Bührmann/Schneider 2010) – den Dispositivbegriff in eine Maschinenmetaphorik zu kleiden und so von den möglichen Eigensinnigkeiten und dem Eigenleben der Individuen zu abstrahieren. Vielmehr wird dieses Eigene – sofern es soziologisch relevant, weil praktisch wirksam und damit wirklich geworden ist – als Resultat, als Objektivation einer ›identitätsbezogenen Ausdruckspraxis‹ betrachtet, die erst empirisch zu rekonstruieren ist.6 Dieses Eigene ist somit die Folge von Praxen und nicht dessen
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Hier werden die Eigensinnigkeiten sowie das Eigenleben der Akteure gerade nicht als etwas gedeutet, dass so etwas wie inneren Metaphysiken von Subjekten geschuldet sei, deren Erschließung entweder nicht möglich ist oder nur durch jene Hermeneutik zu bewerkstelligen wäre.
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(außergesellschaftliche) Ursache. So können – um in der Terminologie von Jürgen Link zu sprechen – selbstverständlich Disponierende solche Aktivitäten entfalten, dass Disponierte selbst zu Disponierenden werden können (vgl. Link 2007). Ebenso können sich für Disponierte (in ihrer Positionierung) Optionen eröffnen, mit denen sie ihr Disponiertsein sich selbst und anderen anzeigen können. Gerade darin kann Widerständiges oder das genaue Gegenteil stecken: nämlich ein Sich-Ergeben. Diese Frage kann jedoch wiederum nur empirisch beantwortet werden.
D IVERSITY M ANAGEMENT : ›ANDERE ‹ › ANDERS ‹ REGIEREN ? Die bisherigen Ausführungen zeigten die Merkmale einer dispositivanalytischen Forschungsperspektive auf. Ihr möglicher Erkenntnisgewinn soll nun an einem Beispiel aus der Forschung über die Implementierung und Umsetzung von Diversity Management Konzepten zumindest ansatzweise expliziert werden. Dabei wird das Diversity Management – im Folgenden kurz DiM – selbst als Dispositiv verstanden. Ausgehend von der hier konturierten Forschungsheuristik wird das solchermaßen anstehende Forschungsprogramm skizziert und die bisher vorliegenden Forschungsbefunde in ihren Grundzügen benannt: In archäologischer Perspektive wäre zu klären: Woher stammt das Konzept des DiM, hier verstanden als ein Insgesamt von Strategien, Programmen und Maßnahmen für eine produktive Bearbeitung von Heterogenität in Institutionen bzw. Organisationen? Über welche Diskurse, also Spezial-, Inter- oder auch alltägliche Elementardiskurse, wird dieses Konzept hervorgebracht, welche Praktiken und Materialisierungen bzw. Objektivationen werden hier wichtig? Und: welche Figuren werden als relevante Akteure/Aktanten daran beteiligt? (vgl. Abbildung 1, n) Es liegen bereits einige Studien zur diskursiven Hervorbringung des DiM vor. Sie datieren den ›eigentlichen‹ Anfang eines reflektierten Umgangs mit Heterogenität im Milieu unterschiedlicher sozial-politischer Bewegungen – wie der Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung – in den USA der 1960er Jahre (vgl. dazu Jensen-Dämmrich 2011: 55 ff.). Während hier primär das Ziel soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gerückt worden ist, nutzten in der Folge Unternehmen das Konzept, um Vielfalt in Unternehmen produktiv/er zu nutzen7 (vgl. Cox 2001; Belinzki et al. 2003; Vedder 2004; Ab-
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David Thomas und Robin Ely (1996) haben die unterschiedlichen DiM Konzeptionen im US-amerikanischen Raum bis Mitte der 1990er Jahre erforscht und hier drei Para-
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dul-Hussain/Baig 2009). Ab den 1990er Jahren tauchten unterschiedliche DiMKonzepte dann auch in Deutschland auf (vgl. dazu etwa Krell 2008; Vedder 2009). Unternehmen sind im Rahmen von internationalen Fusionen oder Kollaborationen mit dem Konzept des DiM in US-amerikanischer Ausprägung zunehmend konfrontiert worden. Sie fungieren als Katalysatoren für die Verbreitung von DiM in der EU, aber besonders in Deutschland. Anders als in den USA oder auch z.B. Canada stellten diese die Kategorie Geschlecht ins Zentrum ihrer Aktivitäten (vgl. dazu etwa Lammert/Sarkofsky 2012). Seit ein paar Jahren schließlich finden sich DiM Konzepte nicht nur in Unternehmen oder auch NonProfit-Organisationen, sondern auch z.B. an Hochschulen. Dabei werden heterogene Ziele, mit Hilfe verschiedener Strategien und Taktiken bezogen auf unterschiedliche Fokuskategorien bzw. -dimensionen verfolgt. Deshalb ist das DiM als ›boundary object‹ (Star/Griesemer 1989) zu verstehen. Dessen theoretischkonzeptioneller Kern besteht darin, dass – in welcher Weise auch immer – erstens soziale Vielfalt anerkannt wird und zweitens versucht wird, diese konstruktiv zu bearbeiten. Bei der empirisch-praktischen Implementierung müssen die konkreten Ziele, Begriffe und die relevanten Kategorien eines Diversity Managements aber immer wieder neu konzipiert festgelegt und ausgehandelt werden. Darin liegen sowohl Chancen als auch spezifische Herausforderungen. Darum hat sich mittlerweile im Spezialdiskurs der Geschlechterforschung eine Kontroverse entsponnen: Während die einen sich ein Mehr an Chancengleichheit erhoffen (vgl. etwa Bruchhagen/Koall 2010; Belinszki et al. 2003) – und darin auch im Interdiskurs der bürgerlichen Presse unterstützt werden –, kritisieren andere eine drohende Ökonomisierung des und/oder der Anderen (vgl. Knapp/Klinger 2007; Sauer 2007). Schließlich werden aber auch neue Potentiale mit Blick auf eine Kombination von DiM und Gender Mainstreaming gesehen (vgl. dazu Andresen/Koreuber 2009). Offen bleibt freilich bisher, ob sich diese unterschiedlichen Diskurse eigentlich auch in ihren Strukturen unterscheiden. Ein wichtiger Hinweis darauf könnte in der unterschiedlichen begrifflichen Architektur zu finden sein. Gehen nämlich die einen – insbesondere in Pragma8 diskursen – davon aus, es gäbe natürliche Eigenschaften/Merkmale von Menschen, so kritisieren andere genau jene naturalisierenden Praktiken.
digmen identifiziert: ›discrimination and fairness paradigm‹, das ›acess-andlegitimacy-paradigm‹ und das ›learning-and-effectiveness-paradigm‹. 8
Unter Pragmadiskursen sollen hier im Folgenden mit Blick auf das DiM solche Diskurse verstanden werden, die sich in der Beratungs- und Trainingsliteratur finden. Ihre Funktion ist es zum einen diejenigen anzuleiten, die andere in unterschiedlichen Maßnahmen anleiten; zum anderen fungieren sie aber auch oftmals als Anleitung zum
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Damit stellt sich aber auch die Frage, wer als welcher Akteur im DiM adressiert wird (vgl. Abbildung 1, o). In den angesprochenen Pragmadiskursen und auch im Interdiskurs werden jedenfalls aus Beschäftigten Angehörige unterschiedlicher Gruppen, die aber wiederum je individuell Gemeinsamkeiten mit anderen sozialen Gruppen aufweisen können. Hier findet im Zuge der ›Anrufung‹ eine Diversifizierung statt. Nun stellt sich aber die Frage, ob aus dieser diversifizierenden Subjektformierung auch eine entsprechende Subjektivierungsweise wird. Kurz: Sehen sich die Beschäftigten – wie es von ihnen etwa im Gender Mainstreaming erwartet wird – entweder als Männer oder Frauen, oder aber betrachten sie sich nun auch mit Blick auf die Kategorien Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, religiöse Zugehörigkeit usw.? Grundlegend geht man hier davon aus, dass Diversity im Sinne von Vielfalt auf unendlich viele Merkmalsausprägungen bezogen werden kann und muss, – Judith Butler (1991: 210) spricht vom so genannten ›Etc.-Problem‹. In den Diversity Studies wird nun versucht dieses Problem zu bearbeiten, in dem Modelle besonders relevanter Kategorien und Dimensionen entwickelt werden. Das in den DiM-Trainings verbreitetetste Modell ist das ›Four-Layer-Modell‹ von Lee Gardenswartz und Anita Rowe (1998). Es unterscheidet ausgehend von einem Persönlichkeitskern zwischen ›internal dimensions‹ wie Alter, Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung und physische Befähigungen. Diese gelten als gegeben und unveränderbar. Dagegen hält man die ›external dimensions‹ für beinflussbar. Es handelt sich um Dimensionen wie Religionszugehörigkeit, Familienstand, Ausbildung etc. Die ›organisational dimensions‹ bezeichnen die äußerste Schicht. Hier geht es um die spezifischen Arbeitstätigkeiten, den Arbeitsort, aber auch z.B. die Gewerkschaftszugehörigkeit, die für den beruflichen Alltag relevant sind. Dieses Modell ist aus konstruktivistischer Perspektive dahingehend kritisiert worden, als dass hier einzelne Merkmale ontologisiert und in ihrer Relevanz positiviert werden (vgl. Bührmann 2009). Gertraude Krell (2008b: 17) spricht in diesem Kontext vom ›Diversity-Paradox‹: Denn Diskriminierungen können nur bekämpft werden, wenn man sie kennt. Um sie aber zu erkennen, müssen bestimmte Kategorien anerkannt werden. Dies ist ein bisher noch kaum erforschtes Terrain. Zudem stellt sich sicherlich auch die Frage nach den möglichen (Aus-)Wirkungen unterschiedlicher Maßnahmen, die bei der Implementierung von DiM häufig eingesetzt werden, vor allen aber von Diversity-Trainings. Zwar
Selbstlernen, insofern sie spezialdiskursives Wissen in ›Rezeptwissen‹ transformieren. Sie vermitteln also nicht wie der Interdiskurs spezialdiskursives Wissen, sondern das Wissen darüber, wie spezialdiskursives Wissen ›richtig‹ angewandt werden kann.
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ist es mittlerweile üblich, den Erfolg dieser Trainings zu evaluieren. Es ist bisher jedoch noch nicht systematisch erforscht, ob und wenn ja, welche Langzeitwirkungen sie haben. Freilich liegen einzelne Wirkungsstudien auf der Ebene der Individuen, der Arbeitsgruppen wie auch der Organisationen vor (vgl. Abbildung 1, p). Dass hier nicht nur über spezialdiskursive Debatten ›Theorie-Effekte‹ (Bourdieu) zustande kommen (können), sondern auch in Organisationen Unterschiede ›gemacht‹ werden, darauf haben zum einen ethnomethodologische Studien im Sinne eines ›doing differences‹ aufmerksam gemacht (vgl. Fenstermaker/West 2002) und mit den identitätspolitischen Folgen setzen sich seit einiger Zeit poststrukturalistisch informierte Forschende auseinander. Dabei wird vielfach auf ein intersektionales Forschungsdesign zurückgegriffen (Bührmann 2009; Smykalla/Vinz 2011). Überdies stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen in welchen Maßnahmen anleitet. Immer öfter finden sich auch im deutschsprachigen Raum Fortbildungen zur Diversity-Trainer_in. Wer diese Ausbildungen mit welchen Zielen anbietet, ist dabei genauso wenig erforscht, wie die Frage inwiefern sich ein_e Diversity-Trainer_in von anderen Trainer_innen unterscheidet, oder ob nicht auch ein Coach im Grunde mit Blick auf Diversitätsfragen agieren sollte (vgl. etwa Ahlers 2011). Interessant könnte es zudem sein zu erforschen, wie aus einem speziellen Training eine, wie auch immer anerkannte Berufsgruppe im umkämpften Feld der Beratungs- und Trainingsbranche erwachsen könnte. Denn gerade um den Markt, den Umgang mit Heterogenität zu (er-)lernen, konkurrieren unterschiedliche Konzepte wie etwa GenderManaging-Fortbildungen, Interkulturalitäts-Trainings, Kurse zu Social Justice und Antidiskriminierungsprogramme (vgl. dazu etwa die Trainings von Gardenswartz/Rowe; Rosenstreich 2011; Bruchhagen 2008; Perko/Czollek 2012; Weinbach 2008). Zu untersuchen wäre zudem nicht nur, wer in welcher Weise an welchen subjektivierenden Zuschreibungsprozessen beteiligt ist (also etwa Coaches, Trainer_innen, Kol9 leg_innen, Vorgesetze etc.). Zu erforschen wäre ebenfalls, welche Formierungen und Widerständigkeiten ›der Dinge‹ (der Körper, der Technik, der Apparaturen etc.) erkennbar sind, aber auch, was sich ›an‹ und ›in‹ den Individuen zeigt bzw. von ihnen gezeigt wird, so dass auch in den Blick genommen werden kann, ob und in welcher Weise sich das Zusammenspiel der Dinge, Körper und Selbst, der jeweils scheinbar ›angemessenen‹ Darstellung/Performanz des Anderen und der damit verbundenen Verhaltenserwartungen offen oder subtil verweigert werden (vgl. Abbildung 1, q).
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Hier macht es sicherlich Sinn an die Arbeiten von Cecile Ridgeway (2001) sowie Bettina Heintz und Eva Nadai (1998) anzuknüpfen.
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Aber zu erforschen gilt es nicht nur, ob und wenn inwiefern Subjektformierungen zu Subjektivierungsweisen werden könnten oder nicht und ob sich manche zu anerkannten Berufen professionalisieren oder ob es bei bloßen Berufungen bleibt. Zu fragen gilt es auch, welche Rolle an dieser Stelle symbolische und/oder materiale Objektivationen spielen. Hier kann man zwar den unterschiedlichen Paradigmen der DiM einige Informationen entnehmen und in der Literatur finden sich auch schon einige Darstellungen zu best practice-Beispielen (vgl. etwa www.ungleich-besser.de). Diese gilt es aber zum einen systematisch zu erforschen. Zum anderen wäre es sicherlich höchst interessant, hier Objektivationen und ihre Verdinglichungsprozesse in den Mittelpunkt zu stellen. Dies könnte zum einen für die Trainings selbst gelten, aber sicherlich auch für die architekturalen Veränderungen im Rahmen der Implementierung von DiMKonzepten. Wie sind also die Auswirkungen wenn religiöse Andachtsräume eingerichtet werden, alle, d.h. nicht nur christliche Feste und Rituale, gefeiert werden, aber auch nicht nur ›deutsche‹ Zeitregime im betrieblichen Alltag berücksichtigt werden oder gar in einem deutschen Unternehmen ob seiner multikulturellen Belegschaft Englisch zur Verkehrssprache erhoben wird. Wichtige Anknüpfungspunkte lassen sich hier sicherlich beim Konzept der ›gendered organisation‹ finden (Acker 1991), wie es in der Organisationsforschung breit diskutiert worden ist. In genealogischer Perspektive wäre schließlich zu fragen: Weshalb und aufgrund welcher gesellschaftlichen Auseinandersetzungen tauchen (welche) Konzeptionen des DiM eigentlich auf (vgl. Abbildung 1, q)? Gemeinsam ist den unterschiedlichen Konzepten des DiM der Anspruch, mehr Chancengerechtigkeit herzustellen, indem nicht von einer Gleichheit der Angehörigen einer Organisation, sondern davon ausgegangen wird, dass die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Beschäftigten anerkannt werden, wenn also ein ›valueing diversity‹ 10 (Abdul-Hussain/Baig 2009: 43ff.) stattfindet. Dieses Ziel wird einmal als Selbstzweck thematisiert; aber in ökonomischen Diskursen – auch und wohl vor allen Dingen – als Mittel dafür diskutiert, über einen anerkennenden Umgang 11 mit Vielfalt die ökonomische Performance von Unternehmen zu steigern.
10 An dieser Stelle bestehen scheinbar Nähen zum Befähigungs-Ansatz in der Tradition von Amarty Sen und Martha Nussbaum. Worin diese genau bestehen, gilt es aufzuklären. 11 Dabei werden in der Literatur zunächst unterschiedliche Push- und Pullfaktoren diskutiert. Genannt werden als Pushfaktoren u.a. die Notwendigkeit für Unternehmen angesichts des demographischen Wandels besser auf eine Diversifizierung der Beschäftigtenstruktur, aber auch der Märkte zu reagieren und die Kosten zu senken, die z.B.
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Kurz: Hier soll das ›Andere‹ ›anders‹ regiert werden. Verena Bruchhagen und Iris Koall (2008: 942) sehen so z.B. im Diversity Management selbst »ein trojanisches Pferd zur strategischen Einführung von Geschlechterpolitiken in der traditionell-kapitalistischen Ökonomie«. Mit der Implementierung solcher DiM Konzepte kann aber auch die organisationale Struktur von Unternehmen verändert werden, sodass bestehende Macht- und Herrschaftsstrukturen und damit verbundene Regierungsweisen transformiert werden könn(te)n. Allerdings weiß man bisher noch kaum etwas über die wirklichen Implementierungsprozesse von DiM-Konzepten und deren Folgen. Dies müssten erst Studien erkunden. Sie könnten z.B. von transdisziplinar angelegten Fallstudien zur Implementierung von Gender Mainstreamingprozessen profitieren (vgl. dazu für den Bereich der Hochschulen etwa Voß 2011; Macha et al. 2010). Darüber hinausgehend ist selbstverständlich in intersektionaler Perspektive zu fragen, welche Bedeutung es hat, dass soziale Heterogenität nicht mehr als soziale Ungleichheit diskutiert wird und nach den Möglichkeiten seiner Bekämpfung oder Reduzierung gefragt wird (vgl. dazu etwa Baker et al. 2009), sondern jene Heterogenität als gegeben betrachtet und davon ausgehend nicht zuletzt mit dem Konzept des DiM nach möglichen produktiven Bearbeitungsformen gefragt wird. Sollen hier gesellschaftliche Konfliktlagen über individualisierende Trainings stillgestellt werden oder aber geht es (auch) darum, das ›Andere‹ der ›Anderen‹ anzuerkennen. Schließlich ist zu fragen, welche von wem intendierten Ziele werden mit welcher Ausformung vom DiM verfolgt, werden diese auch wirklich erreicht und wenn, welche nicht-intendierten Folgen ergeben sich. Zum einen ist zu untersuchen, ob durch die Implementierung von DiM-Konzepten aus lose gekoppelten Institutionen erst Organisationen werden (könnten). Zum anderen stellt sich aber auch die Frage, ob Organisationen sozusagen erst zu sich selbst kommen, insofern über das DiM nun soziale Heterogenität explizit, statt wird bisher implizit bearbeitet wird. Aber was bedeutet dies zum Beispiel im Zusammenspiel mit anderen Dispositiven? Endlich ist zu fragen, ob spezifische Pfadabhängigkeiten in Bezug auf z.B. Organisationstypen und -größen bei der Implementierung und/oder Umsetzung von DiM-Konzeptionen zu beobachten sind.
durch ›unnötige‹ Krankentage entstehen. Als Pull-Faktoren werden die folgenden Gründe diskutiert: Unternehmen könnten mit Hilfe eines DiM-Konzeptes besser ihr Personal entwickeln, divers zusammengesetzte Teams könnte innovativere und kreativere Problemlösungen finden, flexibler auf Markterfordernisse reagieren und schließlich ein zielgerichtetes und effektives Marketing entwickeln (vgl. dazu etwa Aretz/Hansen 2003; Stuber 2009; Krell 2002; Stein/Koberwien 2008).
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F AZIT :
DAS MÖGLICHE
M EHR
EINER
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In diesem Beitrag ist das DiM als Dispositiv betrachtet worden. Dabei wurde deutlich, dass das DIM als ›boundary object‹ zu verstehen ist. D.h. es handelt sich um ein Dispositiv, das zwar verschiedene Akteursgruppen unterschiedlich interpretieren, jedoch beinhaltet es einen Kern, über den sich die beteiligten Akteure einigen können. Ausgehend von diesem theoretisch-konzeptionellen Kern, nämlich die konstruktive wie anerkennende Bearbeitung sozialer Vielfalt, müssen bei der empirisch-praktischen Implementierung je die konkreten Ziele, Begriffe und die relevanten Kategorien eines Diversity Managements immer wieder neu konzipiert, festgelegt und ausgehandelt werden. Genau darin besteht das mögliche Mehr einer Dispositivanalyse des DiM: nämlich diese empirischkonkreten Aushandlungs- und Implementierungsprozesse zu erforschen, um ihre Machtwirkungen erst zu bestimmen statt sie als immer schon wirklich und damit wirksam vorauszusetzen. Im Einzelnen impliziert dies: Erstens können mit Hilfe der dispositivanalytischen Heuristik mögliche offene Forschungsfragen identifiziert werden: Anstatt nämlich die Formierung von Dispositiven als ›automatisch‹ oder ›natürlich‹ vorauszusetzen, wird deutlich, dass zu fragen ist, weshalb sich welche Dispositive mit welchen intendierten und nicht intendierten Folgen formieren konnten und welche Akteure daran beteiligt sein könnten. Dabei wird gerade nicht davon ausgegangen, dass das diskursiv Hervorgebrachte entsprechende Folgen impliziert. Vielmehr wird erforscht was empirisch praktisch, und d.h. hier ›wirklich‹ in Organisationen passiert. Zweitens kann so das Zusammenspiel unterschiedlicher Praktiken und Subjektivationen wie Objektivationen kontextualisiert und historisiert werden. Welche historischen Machtkonstellationen ermöglichten die Formierung oder Transformierung eines bestimmten Dispositivs? Welche ›Problemstellungen‹ sollten so gelöst werden? Dies sind hier wichtig Fragen. Schließlich öffnen drittens Dispositivanalysen auch den Blick für die Eigensinnigkeiten und die Widerstände unterschiedlicher Akteure wie auch Aktanten. Menschen verstehen sich nämlich nicht nur weil dies in entsprechenden DiM Konzepten angenommen wird als ›anders‹, als ›Andere‹. Vielmehr können Sie sich gegen entsprechende Zuschreibungen wehren, diese unterlaufen oder auch konterkarieren. Diese Forschungsfragen sollten, das wurde ebenfalls skizziert, im Kontext transdisziplinärer Forschungsanstrengungen praxistheoretisch inspiriert und in intersektionaler Perspektivierung erforscht werden.
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»Widerstandspunkte im Machtnetz« Facetten (m)einer Diskursgeschichte der BWL-Kritiken G ERTRAUDE K RELL
ANNÄHERUNGEN : F ORSCHUNGSGEGENSTAND - PERSPEKTIVE ( N )
UND
Die BWL als Disziplin entstand im deutschen Sprachraum um die Wende zum 20. Jh. – zunächst als Handelswissenschaft oder auch -technik. Das neue Fach wurde in Deutschland und Österreich zunächst an eigens dafür gegründeten Handelshochschulen gelehrt, in der Schweiz, mit Ausnahme von St. Gallen, direkt an Universitäten (vgl. Burren 2010). Später wurde es in Privatwirtschaftslehre und schließlich in Betriebswirtschaftslehre umbenannt und konnte sich im gesamten deutschsprachigen Raum an Universitäten etablieren. Entstehung und Entwicklung der BWL wurden und werden begleitet und beeinflusst durch den heutigen Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) als Organisation der »wissenschaftlichen Gemeinschaft, die wir heute Betriebswirtschaftslehre nennen« (Burr 2012: 123). Nach Richard Whitley (2000: X) können auch Disziplinen selbst als »reputational work organizations« betrachtet werden. Die BWL rang und ringt um Reputation, denn diese Disziplin ist Gegenstand mehr oder weniger fundamentaler Kritik. Ekkehard Kappler (1980) unterscheidet zwischen »Kritik an der BWL« und »Kritik in der BWL«: »Was BWL und was Kritik in der BWL sein solle, bestimmten […] die Hochschullehrer für dieses Fach« (ebd.: 180); als Kritik-Übende sind noch Mittelbau und Studierende zu nennen. Kritik an der BWL kam und kommt aus der Praxis und den »sogenannten ›Nachbarwissenschaften‹« (ebd.). Von Anfang an gab es Kritik an der BWL seitens der Nationalökonomie, später VWL, die wiederum Entwicklungen und Auseinandersetzungen innerhalb der BWL bewirkte – und deshalb hier berück-
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sichtigt wird. Seit den 1970er Jahren kommen Kritik an der (herrschenden) BWL von gewerkschaftlicher Seite sowie Kritik in der BWL hinzu, letztere aus ganz verschiedenen Perspektiven wie Kritische Theorie, Marxismus, Feminismus, Poststrukturalismus, Diskursforschung, die einen weiteren Schwerpunkt dieses Beitrags bilden. Diese diversen BWL-Kritiken sowie deren Effekte kann ich hier allerdings nur facettenhaft beleuchten. Zur Forschungsperspektive: Während in einem neueren Sammelband zur Geschichte des VHB und der BWL (VHB 2012) das Aussparen der Entwicklungen nach 2000 damit begründet wird, diese seien »für eine gesamthafte Beurteilung noch zu jung« (Burr/Wagenhofer 2012: X), lenkt die hier eingenommene Perspektive den Blick darauf, dass es gar keine »gesamthafte Beurteilung« geben kann, weil die Vergangenheit nicht nur rekonstruiert, sondern dabei auch konstruiert wird. Ihre Wahrnehmung und Bewertung können bekanntlich ganz unterschiedlich ausfallen. Sabine Hark (2005: 259ff.), von der ich den Begriff übernommen habe, spricht in ihrer Diskursgeschichte des Feminismus von »Geschichten über die Geschichte« als »Politik der Erzählungen«. Dabei sind die (Re)Konstruktionen der Vergangenheit immer verwoben mit Erfahrungen und Positionierungen in der Gegenwart und Perspektiven auf die Zukunft. Demnach ist dies nur eine von vielen möglichen (Diskurs-)Geschichten über meinen Forschungsgegenstand. Andere haben andere geschrieben (dazu mehr im folgenden Teil) oder würden andere schreiben. Mit Michel Foucault (1981: 74) verstehe ich Diskurse »als Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen«. Die Diskursforschung nach Foucault konzipiert Diskurse als Arenen oder (Spiel-)Felder, in denen Vertreter_innen verschiedener Diskurspositionen, verstanden als deren politische Standorte, Deutungskämpfe austragen (Jäger/Jäger 2007; s.a. Link 2006) – hier um die (herrschende) BWL und ihre Kritik. In Was ist Kritik? konzipiert Foucault (1992) Kritik als »Haltung«, »Tugend« (ebd.: 9; s.a. Butler 2013) und »die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« (ebd.: 12). Er erklärt: »Wenn es sich bei der Regierungsintensivierung darum handelt, in einer sozialen Praxis die Individuen zu unterwerfen […], dann ist Kritik die Bewegung, in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin. […] In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung« (ebd.: 15). Die BWL-Kritiken können mit Foucault (1983: 116ff.) auch als »Widerstandspunkte im Machtnetz« betrachtet werden. Ebenso allgegenwärtig wie Macht ist für ihn auch Widerstand, aber nicht als der eine große, sondern als »Vielfalt von Widerstandspunkten […] überall im Machtnetz«. Diese Widerstandspunkte können
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zwar sich »verschiebende Spaltungen in eine Gesellschaft einführen, Einheiten zerbrechen und Umgruppierungen hervorrufen, die Individuen selber durchkreuzen« aber immer »nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren« und »niemals außerhalb der Macht« (Herv. GK). Dementsprechend bleibt die »kritische Bewegung […] ein Element innerhalb der Regierungspraktiken« (Lemke 1997: 348). Insofern handelt meine Diskursgeschichte der BWLKritiken von Regierungspraktiken und Kritik, Macht und Widerstand – geschrieben aus einer »Haltung« der Kritik, dabei Foucaults »Werkzeugkiste« verwendend, mit anderen kombinierend und zum Schluss auch problematisierend. Als Objektivierung nach Foucault (1976: 181ff.) betrachtet, geht es dabei um die »Kunst der Verteilungen«. Nach dem »Prinzip der elementaren Lokalisierung oder der Parzellierung« wird jedem Individuum ein Platz zugewiesen (ebd.: 183) – und damit zugleich ein »Rang« (ebd.: 187). Weiter gefasst kann als »Kunst der Verteilungen« auch die Zuweisung von Platz und Rang der BWL im akademischen Feld sowie die von kritischen Diskurspositionen innerhalb des (Teil-)Feldes der BWL betrachtet werden. Enger gefasst geht es darum, welche Plätze, Ränge oder Positionen im akademischen Feld Individuen (auch aufgrund ihrer Diskursposition) zugewiesen werden, wobei die »Politik der Wahrheit« und die »Kunst der Verteilungen« eng miteinander verflochten sind. Als Subjektivierung nach Foucault (1994: 246) betrachtet, erscheinen Zuordnungen zu Disziplinen und zu Diskurspositionen innerhalb dieser als Unterwerfungen und Identitätsangebote zugleich. Durch die Verschränkung von beidem entstehen »Gehäuse der Zugehörigkeit« – eine Bezeichnung, die Armin Nassehi (1999: 203ff.) mit Blick auf Ethnisierung verwendet. Als weitere Konstrukte aus der Ethnisierungsforschung lassen sich »negative Klassifikationen« und »Sippenhaft« (Sutterlüty 2010) übertragen: Ein Beispiel für die »negative Klassifikation« der BWL ist die verwerfende Verwendung des Etikettes Verbetriebswirtschaftlichung (vgl. z.B. PROKLA 2007). Von »Sippenhaft« berichtet z.B. ein Herausgeber dieses Bandes (Hartz 2011: 211): Für seine Vorlesung zum Internationalen Management habe er bei »den Politikwissenschaften« nach Weiterführendem zu postkolonialen Studien gefragt. Der Verweis auf den Semester(hand)apparat der/des Angeschriebenen enthielt den Zusatz: »›Ich glaube nicht, dass er eine größere Hilfe für jemand aus einem ökonomisch-begrenzten Bereich wie Management ist‹«. Solche Fremd- und Feindbilder blenden aus, dass es nicht die BWL oder die Managementlehre gibt, sondern – wie in anderen Disziplinen auch – verschiedene Diskurspositionen, inklusive kritischen. Diejenigen, denen das gegenwärtig ist, dürften wiederum bei BWL-Kritik vor allem an die aus dem angelsächsi-
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schen Sprachraum importierten Critical Management Studies (CMS) denken – charakterisiert als »cocktail of Marxism, labour process theory, symbolic interactionism, feminism, postmodernism and poststructuralism« (Fineman 2010: 25; s.a. Hartz 2011: 213, der noch die Kritische Theorie nennt). Angesichts dessen möchte ich mit meiner Diskursgeschichte nicht nur verdeutlichen, dass es überhaupt kritische Perspektiven in der BWL gibt, sondern auch, dass viele der genannten (plus weitere) dort schon seit den 1970er Jahren eingenommen wurden. Last, but not least: Diese Diskursgeschichte schreibe ich nicht in/aus einem »Gehäuse der Zugehörigkeit«, sondern als mehrfach-zugehöriges »Wissenschaftssubjekt«: Ich ›bin‹ Betriebswirtin, Vertreterin der Personallehre als Spezielle BWL und innerhalb dieses Teil-Feldes der Diskursposition Personalpolitik (vgl. z.B. Krell 1999), Frauen-, Geschlechter- und Diversityforscherin, Foucaultian sowie gewerkschaftlich organisiert und orientiert. Sowohl die Alltagserfahrung als auch die Forschungen zu Diversity, Intersektionalität oder auch Interdependenz (vgl. z.B. Walgenbach et al. 2007; Winker/Degele 2009; Smykalla/Vinz 2011) lehren uns, dass solche Zugehörigkeiten miteinander verschränkt sind und ihr Stellenwert kontextabhängig variiert (Stichwort: »shifting identities«). So kritisiere ich als BWLerin sowohl diskriminierende Praktiken gegenüber ›meinem‹ Fach als auch die (herrschende) BWL. Zuvor möchte ich noch kurz auf bereits existierende (Diskurs-)Geschichten zu meinem Forschungsgegenstand eingehen.
S CHON
VORHANDENE
(D ISKURS -)G ESCHICHTEN
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden hier Arbeiten vorgestellt, an die meine Diskursgeschichte anknüpft – und die dafür auch als Material verwendet werden. Im Vorwort seiner betriebswirtschaftlichen Dissertation Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre begründet Sönke Hundt (1977) die Wahl seines Forschungsgegenstandes mit »dem Bedürfnis, den Kritikprozeß, der […] gegen die heute herrschende Lehre angestrengt wird, mit historischen Argumenten zu ergänzen« (ebd.: 16). Er moniert, die BWL sei »im Bewußtsein ihrer führenden Vertreter so geschichtslos und uninteressiert am eigenen Werdegang […], wie kaum eine andere Sozialwissenschaft« (ebd.: 15). Ähnliche Feststellungen finden sich auch in den geschichtswissenschaftlichen Dissertationen von Heike Franz (vgl. 1998: 2) zur Entstehung und Entwicklung der BWL bis 1945 und Peter Mantel (2009: 1ff.), der auf Anregung des VHB eine institutionen- und personengeschichtliche Studie über die BWL im Nationalsozialismus anfertigte. Eine der Ausnahmen in Sachen (dogmen-)geschichtliche ›Abstinenz‹ in der
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BWL ist die Geschichte betriebswirtschaftlicher Theorie von Dieter Schneider (1981), der dadurch zum ›Fachhistoriker‹ wurde. In den beiden Sammelbänden zum 100. Geburtstag des Faches (Lingenfelder 1999; Gaugler/Köhler 2002) hat Schneider jeweils das ›erste Wort‹. Auch in dem schon erwähnten Band zur Geschichte des VHB und der BWL (VHB 2012) ist er prominent vertreten. Dieser Band enthält neben Überblicksbeiträgen auch aufschlussreiche »Kurzgeschichten«. Seitens der Wissenschaftsgeschichte und -soziologie wird ebenfalls konstatiert, dass dort die BWL als Forschungsgegenstand lange vernachlässigt wurde (vgl. z.B. Burren 2010: 15). Eine Ausnahme ist hier das Kapitel The Handelshochschulen and the Formation of Betriebswirtschaftslehre, 1889-1929 (Tribe 1995). Im Rahmen des Schwerpunktprogrammes Discourses on Society des Schweizerischen Nationalfonds galt ein Teilprojekt der Ausdifferenzierung und Konkurrenz von VWL und BWL (vgl. Honegger et al. 2007). Daraus entstand auch die Dissertation Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre von Susanne Burren (2010), die das Fach als »hybride Disziplin [geprägt] durch eine Doppelorientierung auf Wissenschaft und Praxis« betrachtet (ebd.: 11). Nun noch zu meinen eigenen Vorarbeiten: In einer soziologischbetriebswirtschaftlichen Koproduktion skizzieren wir in der Einleitung zu Diskurs und Ökonomie (Diaz-Bone/Krell 2009a) diskursive Kämpfe zwischen VWL und BWL und innerhalb der herrschenden BWL. In einem späteren Beitrag (vgl. Krell 2013) geht es darüber hinaus auch schon um kritische Perspektiven. Sowohl die »Kritik an der BWL« (zunächst seitens der VWL und später auch von gewerkschaftlicher Seite) als auch die »Kritik in der BWL« werden hier wieder aufgegriffen und vertiefend betrachtet.
S EIT E NDE DES 19. J H .: K RITIK AN DER BWL DER VWL ALS »S CHIMPFKLATSCH «
SEITENS
Das »Spiel, das man [mit Foucault] die Politik der Wahrheit nennen könnte«, heißt hier zunächst: Wer ist älter: Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre? (Schneider 1999). Der Autor erläutert: »Innerhalb der Wirtschaftswissenschaft haben nicht wenige Volkswirtschaftler den Irrtum verbreitet, die Volkswirtschaftslehre sei eine altehrwürdige Wissenschaft, die Betriebswirtschaftslehre eine junge (mit dem Hintergedanken: noch unreife). Jedoch sind wissenschaftliche Einsichten, die heute zur Betriebswirtschaftslehre zählen, älter als solche zu Volkswirtschaftslehre« (ebd.; Herv. i.O.), wozu auch diverse ›Belege‹ angeführt
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werden – beginnend mit der altgriechischen Ökonomik (vgl. dazu auch Krell 2013). Unbestritten bleibt (nicht nur) bei dieser Darstellung, dass die VWL bereits eine etablierte Disziplin war, als die – heutige – BWL entstand. Doch dazu gibt es außerhalb der Wirtschaftswissenschaften ganz andere Erzählungen: Ende des 19. Jh. war Nationalökonomie kein eigenständiger Studiengang, sondern Bestandteil der Ausbildung in den juristischen, staatswissenschaftlichen oder philosophischen Fakultäten (vgl. z.B. Tribe 1995). Das Fach wird als zwischen diesen Fakultäten »vagabundierend« und »Anhang« an die »juristischen Kernfächer« geschildert (Jurt 2007: 189), noch Anfang des 20. Jh. sei seine Stellung »umstritten« gewesen (Jost 2007: 50ff.). Dass die heutige VWL damals noch um ihre Etablierung als akademische Disziplin kämpfte, kann auch zur Erklärung dafür beitragen, dass sie die entstehende BWL besonders intensiv bekämpfte. In der Studie Etablierte und Außenseiter (Elias/Scotson 1993), die sich sehr gut mit Objektivierung und Subjektivierung nach Foucault verbinden lässt, werden die Sozio-Dynamiken zwischen »Etablierten« (dort: schon länger in einer Mittelklasse- und einer Arbeitersiedlung einer britischen Vorstadtgemeinde Ansässigen) und »Außenseitern« (dort: einem neuen Arbeiterviertel) wie folgt erläutert: »Ausschluß und Stigmatisierung der Außenseiter waren per se mächtige Waffen, mit deren Hilfe die Etabliertengruppe ihre Identität behauptete, ihren Vorrang sicherte und die anderen an ihrem Platz bannte« (ebd.: 12). Um ihren Platz und (Vor)Rang zu behaupten, schrieben die Etablierten sich »Gruppencharisma« zu (durch »›Lobklatsch‹ mit der Tendenz zur Idealisierung«) und den Außenseitern »Gruppenschande« (durch »›Schimpfklatsch‹ mit der Tendenz zur stereotypen Herabsetzung«) (ebd.: 185). Zum »Schimpfklatsch« der VWLer: Vom »gesamte[n] Programm an antibetriebswirtschaftlichen Vorurteilen und Vorwürfen« (Mantel 2009: 796) zeugt die Geschichte der Auseinandersetzung um die Besetzung eines Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Würzburg mit einem Volkswirt in den 1920er Jahren. Nachdem der Vorläufer des VHB protestiert hatte, dies schade der Reputation der BWL und ihrer Fachvertreter, konterte der Berufene, die Betriebswirte sähen wohl »lieber einen ihrer speziellen Fachkollegen vielleicht von einer Handelsschule oder Handelshochschule« auf der Stelle. Diese seien aber »nicht wirkliche Akademiker« und verstünden »nicht wissenschaftlich zu arbeiten«, während er diesen Nachweis erbracht habe. Zwar habe er bisher kaum etwas zur BWL veröffentlicht, sei aber durchaus in der Lage, »ein solches Gebiet« auch noch zu »bemeistern«. Im Übrigen würden die BWLer wohl selbst ihre Nicht-Gleichwertigkeit mit den übrigen Hochschul-
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professoren erkennen – »denn sonst hätte es ihnen niemals einfallen können, dass sie eine besondere Organisation bilden müssten« (zit. n. ebd.). Von Max Weber wird berichtet, er habe »den Schauder eines durchschnittlichen juristischen Geheimrates« beschworen, dem »in einer rechts- oder staatswissenschaftlichen Fakultät, zugemutet würde, mit einem Menschen in einer Fakultätssitzung sich zusammenzufinden, der ein so wenig salonfähiges […] Fach wie etwa Handelsbetriebslehre […] verträte« (zit. n. Schneider 2002: 49). Karl Bücher (1917: 282) kritisierte andere VWLer für deren »ausgesprochene Vorliebe für die von den Handelshochschulen ausgebrütete ›Wissenschaft‹ der Privatwirtschaftslehre« (zit. n. Schneider 2002: 54, der süffisant hinzufügt: »nebenher an der Handelshochschule Leipzig Geld verdienend«). Am häufigsten angeführt wird Lujo Brentano (1912), demzufolge es sich bei der Privatwirtschaftslehre – im Unterschied zum eigenen am Gemeinwohl orientierten Fach (soweit der »Lobklatsch«) – um eine nur privaten (Sonder-)Interessen verpflichtete »öde Profitlehre« handele (vgl. z.B. Schreyögg 2012: 193). Einer der Effekte der Kritik der VWLer an der Privatwirtschaftslehre war laut Schneider (1999: 18) die nochmalige Umbenennung in Betriebswirtschaftslehre als Name mit einem »gesellschaftspolitisch neutrale[ren] Klang«, wobei »in dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte« im Gegenzug der »gesellschaftspolitisch neutrale Klang« von »Volk« und »Nation« problematisiert werden könnte. Ein weiterer Effekt: In den 1920er und 1930er Jahren orientierten führende BWLer ihre Lehren an Konzepten wie »Gemeinschaft« (so Heinrich Nicklisch, verbunden mit Plädoyers für Mitbestimmung und materielle Beteiligung der Beschäftigten; vgl. Krell 1994: 52ff.) oder »Gemeinwirtschaft« (so Eugen Schmalenbach). Dieser betonte, »ein Betriebswirtschaftler seiner Richtung, fühle sich eher als Staatswissenschaftler«. Ihn interessiere »der wirtschaftliche Betrieb nur als ein Organ der Gemeinwirtschaft«. Deshalb könne für ihn »das Fach nicht ›Privatwirtschaftslehre‹ bleiben« (Schmalenbach 1931: 85; zit. n. Hundt 1977: 62). Die Auseinandersetzung mit der VWL bleibt prägend für die BWL: In den 1950er Jahren warf im sog. »Methodenstreit« Konrad Mellerowicz seinem Kollegen Erich Gutenberg vor, die »geistigen Väter« dessen Lehre von den Produktionsfaktoren seien Volkswirte1 und er wolle die BWL wieder mit der VWL
1
Andere Kritiker verweisen dagegen darauf, Gutenbergs Faktorsystem mit den »Elementarfaktoren« objektbezogene Arbeitsleistungen, Betriebsmittel und Werkstoffe entstamme der im Kern ingenieurwissenschaftlich orientierten Arbeitswissenschaft, konkreter »der von den Eisenhüttenleuten und dem Refa erarbeiteten Gedankenwelt«
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»verschmelzen«, was Gutenberg entschieden zurückwies (vgl. z.B. Hundt 1977: 142f.; Müller-Merbach 2012: 182f.). In jüngerer Zeit wird eine vergleichbare Auseinandersetzung darüber geführt, ob die BWL an den Verhaltenswissenschaften oder der Neuen Institutionenökonomik orientiert sein sollte. Dazu erklärt Georg Schreyögg (2012: 196), eine »Reihe von Fachvertretern« strebe an, die BWL »mikroökonomisch zu fundieren und […] in ihrer Selbständigkeit aufzulösen, d.h. […] zu verschmelzen«. Alfred Kieser (2002: 121f.) bezieht Position in Form einer Glosse If you can’t beat them, infiltrate them. Seine Narration lautet in Kürze: Zunächst konnten die VWLer nicht verhindern, dass die »verachteten Betriebswirte den Sprung vom Handelshochschul-Getto in die Universitäten« schafften. Die BWLer praktizierten ihre »öde Profitlehre« auch noch selbst und »stellten die Universitätsparklätze mit ihren fetten Autos zu, die sie über lukrative Nebentätigkeiten finanzierten«. Aber die VWLer heckten einen »teuflischen Plan aus: Tod der Betriebswirtschaftslehre durch Mikroökonomisierung!«. Sozusagen als Identitätsangebot an die BWLer, die unter der Verachtung der VWLer litten, sollten diese verleitet werden zu beweisen, dass sie auch ›richtige Wissenschaft‹ betreiben können. »Begeistert tappten die Betriebswirte in die Falle«. Sie luden William F. Oliverson2 als »Verkünder der wahren Lehre« zu einer ihrer jährlich stattfindenden Pfingsttagungen ein – und viele von ihnen wollten »Rechtgläubige werden«. Als zweite Stufe des »teuflischen Plans« folgte dann die Besetzung betriebswirtschaftlicher Professuren mit Mikroökonom_innen aus der VWL (s.a. Schreyögg 2012: 96) – womit einmal mehr auf die Verkoppelung der »Politik der Wahrheit« mit der »Kunst der Verteilungen« verwiesen ist.
(Bredt 1956: 20; zit.n. Hundt 1977: 146). Die von Gutenberg vorgenommene Unterteilung des »Produktionsfaktors menschliche Arbeitsleistung« in »dispositive« (= leitende) und »objektbezogene« (= ausführende) Arbeit wird später von kritischen Betriebswirten auf die Gedankenwelt Taylors zurückgeführt (vgl. z.B. Wächter 1979: 58ff.) – und als »Zwei-Klassenmodell« der menschlichen Arbeit kritisiert (Staehle 1975: 717). 2
Für ›Fachfremde‹: Gemeint ist Oliver F. Williamson.
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S EIT DEN 1970 ER J AHREN : P OLITISIERENDE P ERSPEKTIVEN ALS K RITIK AN UND IN DER BWL Das Spektrum im Überblick Unter politisierenden Ansätzen verstehe ich hier mit meinem Fachkollegen Werner Nienhüser (2004) solche, die »auf eine Kritik bestehender Strukturen, Prozesse und Praktiken abzielen« (ebd.: 1672; Herv. i.O.). Das ist der gemeinsame Nenner der Diskurspositionen, die Gegenstand dieses Teils sind.3 Mittels einer Aufzählung von Hundt (1977: 16) soll zunächst verdeutlicht werden, dass damals schon eine Vielzahl und Vielfalt politisierender Perspektiven existierte: • »von gewerkschaftlicher Seite das Konzept einer ›Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre‹ (AOEWL)«; • »von einer Tradition, die sich vielleicht als normativistisch oder institutionalistisch bezeichnen lässt« – hier fällt Hundt die Etikettierung offenbar schwer – bspw. durch Hartmut Wächter und Wolfgang Staehle (s.a. meine Anmerkung zur Kritik an Gutenberg); • »vom Standpunkt der kritischen Theorie« – bspw. durch Ekkehard Kappler; • »von Argumenten des consumerism beeinflusst« – bspw. durch Hans Raffée; • »vom Konstruktivismus der ‚Erlanger Schule‘ ausgehend« – die Gruppe um Horst Steinmann; • »von Autoren mit einem marxistischen Selbstverständnis« – bspw. Hundt selbst, Günther Ortmann, Dieter Schwiering und Axel Zerdick. • »Ausdrücklich sei auch auf die Ökonomismus-Kritik von Weisser und Albert hingewiesen«. Hinzu kam später noch Kritik in der BWL von Foucaultians (vgl. z.B. Ortmann 1984; Weiskopf 2003 sowie zusammenfassend Sieben 2009) und von Frauen-
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Als ein Vorläufer wenigstens erwähnt werden soll Hanns Linhardt, der schon Ende der 1940er Jahre massive »Kritik in der BWL« übte. Aufsehen erregte, Mantel (2012) zufolge, v.a. dessen auch öffentlich erhobener Vorwurf, BWL-Ordinarien versündigten sich »recht oft und recht umfangreich« in Sachen »geistiges Eigentum«, indem sie Erkenntnisse Abhängiger unter ihrem Namen veröffentlichten (Linhardt 1963 [1949]: 20). Damit am »Fach im Urteil der Allgemeinheit [nicht] etwas hängen« bleibt (zit.n. Mantel 2012: 85), reagierte der VHB mit einer internen Untersuchung und brachte den Whistleblower dazu, öffentlich zu bekennen, seine (Plagiats-)Kritik habe nur einem »inzwischen verstorbenen Kollegen« gegolten. Der Beitrag von Linhardt ist ein Paradebeispiel für jene Form von Kritik als ethische Praxis, die Foucault als Parrhesia bezeichnet (dazu ausführlicher: Weiskopf/Willmott 2013).
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und Geschlechterforscher_innen. Vertiefend betrachtet werden sollen nun die AOEWL als »Kritik an der BWL« und die Frauen- und Geschlechterforschung als ein Beispiel für »Kritik in der BWL«. Allerdings kam der kritische Impuls in beiden Fällen von Außerhalb (Gewerkschaften oder Frauenbewegung/Feminismus), was der Erklärung von Widerständen in wissenschaftlichen Feldern durch Pierre Bourdieu (1998) entspricht.4 Kritik an der BWL: Die AOEWL als Gegenlehre Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre contra Kapitalorientierte Betriebswirtschaftslehre hieß die Tagung, auf der 1973 die von einer interdisziplinären Projektgruppe5 im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des Deutschen Gewerkschaftsbundes erarbeitete AOEWL vorgestellt und mit Vertretern der BWL diskutiert wurde (WSI 1973). Anknüpfend daran fragten Mitglieder der Projektgruppe: Brauchen wir eine neue Betriebswirtschaftslehre? (Koubek/Küller/Scheibe-Lange 19806). Als Beitrag zur politischen Ökonomie der Unternehmung (Projektgruppe im WSI 1974) sollte die AOEWL einen »theoretischen Rahmen zur wirksameren Durchsetzung arbeitsorientierter Interessen« bieten (ebd.: 317). »Arbeitsorientiert« diente der Abgrenzung von der als »kapitalorientiert« kritisierten BWL, »Einzelwirtschaftslehre« wurde gewählt, um den »dogmengeschichtlich vorbelasteten Begriff ›BWL‹ […] abzulösen« (ebd.: 11). Die einzelwirtschaftlichen »Interessen der Arbeitnehmer« wurden bestimmt als »Arbeitsplatzsicherheit, Sicherung der Einkommen und optimaler Gestaltung der Arbeit« (ebd.: 320). Um
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»Diejenigen, die fernab des Feldes, dem sie angehören, ihre Einstellungen erworben haben, laufen deshalb Gefahr, immer verspätet, fehl am Platz, am falschen Platz zu sein, sich unwohl in ihrer Haut zu fühlen, gegen die Schwerkraft, gegen die Zeit anrennen zu müssen, mit all den Folgen, die sich wohl lebhaft ausmalen lassen. Doch sie können auch den Kampf mit den Kräften des Feldes aufnehmen, können sich ihnen widersetzen und versuchen, statt ihre Dispositionen den Strukturen zu beugen, diese Strukturen so abzuwandeln, daß sie sich schließlich ihren Dispositionen fügen« (Bourdieu 1998: 25). Insofern sind für Bourdieu solche Dispositionen, Einstellungen, Haltungen, die auch als Habitus bezeichnet werden, »ein starker Grund für die dauernd auftretenden Widerstände gegen die Kräfte des Feldes« (ebd.).
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Der Projektgruppe gehörten an: Ulrich Briefs, Ursula Engelen-Kefer, Mario Helfert, Gerhard Himmelmann, Heribert Kohl, Norbert Koubek, Hans-Detlev Küller, Bernd Mühlhaupt und Ingrid Scheibe-Lange.
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So heißt eine Rubrik in diesem Sammelband.
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sie in betrieblichen Entscheidungsprozessen besser berücksichtigen zu können, wurde der »kapitalorientierten Rationalität« eine »emanzipatorische Rationalität« gegenübergestellt – verstanden als »kollektiv-solidarische Interessenausrichtung« (ebd.: 97). Wie reagierten die geladenen BWLer auf die »negative Klassifikation« ihrer Disziplin? Hans-Detlev Küller (2011; zit.n. Laske 2011: 78) zufolge stimmten sie »sogar« ab – wobei sich nur ein Hochschullehrer »zur Charakterisierung der BWL als kapitalorientiert bekennen [wollte] «. Wolfram Engels erklärte »das, was hier betrieben wird, für groben wissenschaftlichen Unfug, unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten wohlgemerkt« (zit.n. WSI 1973: 237). Hartmut Wächter setzte dagegen, für ihn sei die AOEWL »Anlaß und auch Ansatzmöglichkeit« für eine notwendige Kritik der BWL (zit.n. ebd.: 251). Verständnis für das Anliegen der AOEWL signalisierte auch Klaus Chmielewicz (1973), plädierte aber dafür, nicht gegen die BWL, sondern mit ihr zusammen zu arbeiten. Ekkehard Kappler (1980: 189) kritisierte später, die AOEWL wolle die herrschende Lehre stürzen, »um selbst zu herrschen«; eine solche Kritik sei »nicht ›emanzipatorisch‹, sondern ›umfunktionierend‹« (ebd.: 189). Er postulierte mit Habermas eine »Öffnung zum Diskurs« (ebd.: 191) – und entwarf als Gegenentwurf zur AOEWL (s)eine an der Kritischen Theorie orientierte kritische Betriebswirtschaftslehre, die auch bei Hundt (1977) ›gelistet‹ ist. Die marxistisch orientierten BWLer Dieter Schwiering und Axel Zerdick (1973) übten »solidarische[r] Kritik« (WSI 1973: 148), die sich vor allem auf Fragen der Ermittlung und Durchsetzung von »Arbeiterinteressen« bezog. Erörtert wurde auch das Verhältnis von Arbeitsorientierter Einzel- und Gesamtwirtschaftslehre (vgl. z.B. ebd.: 73ff., 243ff., 323f.; Wächter 1973). Die Gegeneinladung an Norbert Koubek, 1975 auf der Jahrestagung des renommierten Vereins für Socialpolitik die AOEWL vorzustellen, wird als der Höhepunkt ihrer ›Karriere‹ betrachtet; heute sei sie nur noch eine »Fußnote in der Fachgeschichte« und werde höchstens in Überblicken über Ansätze der BWL erwähnt (Wächter/Metz 2010: 28f.).7 Auch in einer neueren Befragung zum Stellenwert von Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere der BWL (Laske 2011)8, wird davon ausgegangen, die AOEWL habe kaum Spu-
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In dem 2012 erschienenen VHB-Band taucht die AOEWL nicht einmal mehr in entsprechenden Überblicksbeiträgen auf, sondern nur in einer Kurzgeschichte Controlling als Zielscheibe der Kapitalismuskritik (Horváth 2012).
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Ich danke Stephan Laske dafür, dass er mir den noch unveröffentlichten Projektbericht zur Verfügung gestellt hat. Die dort im Anhang dokumentierten Stellungnahmen
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ren in deren »kollektiven Gedächtnis« hinterlassen (so z.B. Schramm 2011; zit.n. Laske 2011: 91). Die Frauen- und Geschlechterforschung als Beispiel für Kritik in der BWL Frauen- und Geschlechterforscher_innen in der BWL klassifizieren und kritisieren den Mainstream der BWL als ›male stream‹. Im Unterschied zur AOEWL geht es ihnen aber nicht um eine feministische BWL als Gegenlehre, sondern um eine Veränderung der BWL von innen heraus. So nennt Regine Bendl im Vorwort zu ihren beiden Sammelbänden Betriebswirtschaftslehre und Frauen- und Geschlechterforschung (Bendl 2006b) als ein Ziel die »Frauen und Geschlechterforschung aus ihrer marginalisierten Stellung in der BWL herauszuholen« (Bendl 2006a: 5). Zu diesem Zweck wurden auch eine Erhebung zum Stellenwert geschlechterbezogener Themen in der BWL vorgenommen und deren Ergebnisse an die Fachvertreter_innen rückgekoppelt – unter anderem im Rahmen des Sammelbandes Betriebswirtschaftslehre und Gender Studies (Krell 2005b).9 Ausgegangen war diese Kritik zunächst von der für »das Personal« zuständigen Speziellen BWL: Zu den Frühwerken gehören Dissertationen wie Das Bild der Frau in der Arbeitswissenschaft (Krell 1984), in dem auch die mit diesem Fach eng verbundene Personallehre thematisiert wird, und Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit (Jochmann-Döll 1990) sowie die Arbeiten über weibliche Fach- und Führungskräfte der Forschungsgruppe um Michel Domsch (vgl. z.B. Domsch/Regnet 1990), womit zugleich bis heute wichtige Themen auch jenseits der Kritik der eigenen Disziplin benannt sind. Wie die herrschende Personallehre kritisiert wurde, und wie deren Vertreter darauf reagierten, verdeutlicht unser 1992 als Schwerpunktheft der Zeitschrift für Personalforschung (ZfP) erschienener und 1993 neu aufgelegter Sammelband Personalpolitik aus der Sicht von Frauen – Frauen aus der Sicht der Personalpolitik (Krell/Osterloh 1993c). Als frischberufene Professorinnen für dieses Gebiet versammelten wir dort nicht nur Beiträge der Frauenforschung, die wir für die Personalforschung relevant fanden. Darüber hinaus griffen wir die von Karin
wurden z.T. auch in den Heften 1 und 2/2011 der Zeitschrift für Arbeitswissenschaft publiziert. 9
Nicht erfolgreich war allerdings ein Versuch, einen Beitrag über diese Erhebung in der Fachzeitschrift Die Betriebswirtschaft zu platzieren. Das ablehnende Review endete mit dem denkwürdigen Satz, die Beurteilenden gingen davon aus, ihre Kritik sei »geschlechtsneutral«.
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Hausen und Helga Nowotny (1986) formulierte Frage Wie männlich ist die Wissenschaft? auf und fragten Wie männlich ist die Personalpolitik? (Krell/Osterloh 1993b). Eruiert wurde dazu zunächst: Welchen Stellenwert haben Frauenthemen an Personallehrstühlen im deutschsprachigen Raum? (Krell/Osterloh 1993b) – mit dem Ergebnis, dass die von uns als »gemäßigt Aktive[n]« kategorisierten die größte Gruppe darstellten – und es immerhin mehr »Stars« als »Abstinente« in Sachen »Frauenthemen« gab (vgl. ebd.: 14). Für die zweite Bestandaufnahme (Wie) kommen Frauen in deutschsprachigen Personallehrbüchern vor? (Gerhard/Osterloh/ Schmid 1993) wurden 19 aktuelle Lehrbücher untersucht: In sieben kamen Frauen gar nicht vor, in fünf als »Störfaktor« und in acht als »besondere Arbeitnehmergruppe« (ebd.: 31). Deshalb unterstrichen wir einleitend, der »Weg zwischen der Scylla der Ignorierung und der Charybdis des Defizitmodells« sei schwer zu finden; hinzu komme inzwischen als weiteres Problem die »Verherrlichung von Weiblichkeit« (Krell/Osterloh 1993b: 10; s.a. den Diskussionsbeitrag Wie wünschenswert ist eine nach Geschlecht differenzierende Personalpolitik? [Krell 1993]). Um einen Diskussionsprozess zu initiieren, baten wir die Herausgeber der ZfP um Stellungnahmen zu diesen drei Beiträgen und nahmen diese in den Band auf. Überwiegend stießen wir auf positive Resonanz verbunden mit Detailkritik: Moniert wurden vor allem unsere mangelnde ökonomische Orientierung (vgl. Eckardstein 1993: 63; Wächter 1993: 74) und unsere Beschränkung auf »Frauenthemen«; hier wurde eine Ausweitung auf »die Geschlechter« (Eckardstein 1993: 62) und auch weitere Kategorisierungen (Neuberger 1993: 67; Weber 1993: 76) gefordert. Nur ein Kollege setzte sich massiv zur Wehr – vor allem gegen die Lehrbuchanalyse: Es sei eine »Anmaßung, wenn eine derartig unsaubere Arbeit letztlich in dem Vorwurf mündet, ich betrachte […] Frauen lediglich als Störfaktor«. Schlussendlich verwarf er den Band als »Abrechnung mit dem bisherigen ›falschen‹ Personalmanagement (der Männer)« (Scholz 1993: 69ff.). Eine spätere Befragung zu geschlechterbezogenen Themen in der gesamten BWL stieß bei einzelnen Fachvertretern (Frauen nicht mitgemeint) ebenfalls auf Unverständnis oder Widerstände in Form von ironisierenden Kommentaren, aber überwiegend auf Interesse (vgl. Krell 2005a: 24). Ob und ggf. welche Spuren die Frauen- und Geschlechterforschung in der BWL hinterlassen hat, und wie ihr aktueller Stellenwert (Platz und Rang) ist – auch im Kontext Diversity10 –, müsste durch erneute ›Bestandsaufnahmen‹
10 Nach einer 2006 dazu durchgeführten Befragung der Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission Personalwesen im VHB dominierte Geschlecht (vgl. Krell/ Pantelmann/Wächter 2006).
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eruiert werden. Eine spannende Frage finde ich auch, ob diese Perspektive in von anderen Criticals verfassten Beiträgen zu BWL-Kritiken oder Kritischer BWL überhaupt vorkäme.
Z UM S CHLUSS : »W AS »K RITISCHE BWL«?
IST
K RITIK ?«, »BWL-K RITIK ?«,
Foucaults (1992) Frage Was ist Kritik? lässt sich zunächst mit Foucault selbst (1981: 74) beantworten: Wenn Diskurse als Praktiken zu betrachten und behandeln sind, »die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen«, dann sind auch »Kritik« sowie »Kritik an der BWL«, »Kritik in der BWL« und »Kritische BWL« diskursive Fabrikationen – und damit Gegenstände und Produkte von »Deutungskämpfen« und »Wahrheitsspielen«. Und das gilt gleichermaßen für die Grenzziehungen zwischen »Kritik« und »Mainstream« oder »herrschender Lehre«, zwischen »Kritik« und »Affirmation« (vgl. z.B. Bröckling 2003; Krell 2013), zwischen »Gender Studies« und »Feminismus« (vgl. z.B. Hark 2005), zwischen Diversityforschung und »kritischer Diversityforschung« (vgl. z.B. Zanoni et al. 2010), zwischen Diskursanalyse und »kritischer Diskursanalyse« (vgl. z.B. Hartz in diesem Band) sowie nicht zuletzt zwischen »Kritik« (der BWL) und »Regierungsintensivierung« (durch die BWL). Mit Foucault (1983: 117) möchte ich hier noch einmal unterstreichen, dass es eine »Vielfalt von Widerstandspunkten […] im Machtnetz« gibt, aber eben »niemals außerhalb der Macht« – und auch nicht als den »einen Ort der Großen Weigerung«. Zu diesem »einen Ort der Großen Weigerung« wird die AOEWL fabriziert, wenn Hartmut Wächter und Thomas Metz (2010: 30) beklagen, mit dieser sei »auch das Projekt einer kritischen BWL untergegangen«. In einer Fußnote wird als »Schlaglicht hierzu« angeführt, eine Suche bei Google im Mai 2009 habe 284 Einträge zum Stichwort »AOEWL«, aber nur 102 zum Stichwort »Kritische BWL« ergeben. Letzteres kann aber auch daran liegen, dass kritische Perspektiven innerhalb der BWL nicht immer so etikettiert sind (wie z.B. die CMS). Meine (Gegen-)These ist, dass »Kritische BWLen« existieren, aber nicht als »das« = eine Projekt, als das sie auch Kappler (1980) konzipierte, sondern als vielfältige Projekte, Netzwerke und Foren, die in mehrfacher Hinsicht Grenzen
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überschreiten11 – und auch problematisieren. Das möchte ich einmal mehr am Beispiel der Frauen-, Geschlechter- und Diversityforschung skizzieren: • Kritische BWLen sind transdisziplinär im Sinne von Hark (2005: 380ff.): Durch problemorientierte Analysen, Kooperationen und Koalitionen überschritten werden die Grenzen zwischen Disziplinen sowie ›der Wissenschaft‹ und ›der Praxis‹ (vgl. z.B. Krell/Ortlieb/Sieben 2011), wo es ja ebenfalls – und auch außerhalb der Gewerkschaften – »Widerstandspunkte im Machtnetz« gibt. • Überschritten werden dabei auch die von vielen Criticals (vgl. z.B. Hartz 2011: 242f. mit Blick auf die CMS) gesetzten und geschützten Grenzen zwischen ›reiner‹ [!] Kritik der herrschenden Verhältnisse und Mitwirkung an deren Veränderung – und dabei einmal mehr die Grenzziehungen zwischen »Kritik« und »Mainstream«. Ein Paradebeispiel dafür ist Gender Mainstreaming; schon der Name ist ja diesbezüglich höchst entlarvend. Hier möchte ich ein Foucault-Zitat, als ›Trumpf‹ im Wahrheitsspiel verwenden: Dieser äußerte sich »verärgert […] über eine Haltung – die im Übrigen lange Zeit auch meine war –, die sich darauf beschränkt, anzuklagen und zu kritisieren« (Foucault 1977: 89; zit.n. Lemke 1997: 355). • Hinzu kommt: Die vielfältigen kritischen Perspektiven sind nicht fein säuberlich voneinander abgegrenzt, sondern miteinander verschränkt: So wird einerseits der Feminismus als eine Perspektive der CMS genannt (vgl. z.B. Fineman 2010) andererseits Diskursanalyse, Post-Strukturalismus, und Labour Process-Theorie und weitere als Perspektiven der »kritischen Diversityforschung« (Zanoni et al. 2010). Dass all diese »Widerstandspunkte […] sich verschiebende Spaltungen […] einführen, Einheiten zerbrechen, Umgruppierungen hervorrufen, die Individuen selber durchkreuzen [können] « (Foucault 1983: 117f.), impliziert prekäre (Diskurs-)Koalitionen verbunden mit »shifting identities«: So hatten wir schon viele Projekte für und mit Gewerkschaften durchgeführt (vgl. z.B. Bundesvorstand ver.di 2001; Krell/Ortlieb 2004). Aber als wir wagten zu fragen ›Chancen! Gleich‹ auch für die Beschäftigten der Gewerkschaften? (Apeloig/Krell 2005),
11 Beispiele hierfür sind das Forum kritische Organisationsforschung, aus dem auch dieser Band hervorgegangen ist (www.kritische-organisationsforschung.de/), das hbsforschungsnetzwerk personal, arbeit, organisation (www.hbs-netzwerk-pao.de/), das Netzwerk efas – economics feminism and science (www.efas.htw-berlin.de/), dessen Name allerdings nicht erkennen lässt, dass Betriebswirtinnen ›mitgemeint‹ sind wie Frauen beim generischen Maskulinum, sowie CMS und GDO (Gender & Diversity in Organizations) als Divisions der Academy of Management (www.aom.org/).
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reagierten viele Gewerkschafterinnen abwehrend. So verstehen sich Frauen- und Geschlechterforscher_innen in der BWL als Zugehörige nicht nur dieser Disziplin, sondern auch des Feldes der Gender Studies. Aber sie kritisieren auch, dass innerhalb der Gender Studies ihr Fach »negativ klassifiziert« und sie als BWLer_innen in »Sippenhaft« genommen werden (vgl. z.B. Krell 2005c). So verstehen sich Feminist_innen oder auch kritische Diversityforschende als eine Stimme im Chor der BWL-Kritiken oder der CMS. Aber sie kritisieren auch andere kritische Positionen für deren geschlechtsblinde, androzentrische oder andere diskriminierende Positionen und Praktiken. Im Rahmen der AOEWL bspw. werden Frauen unter »Problemgruppen« rubriziert (Projektgruppe im WSI 1974: 100), wird ein »kollektiv-solidarisches Konzept der Emanzipation« gegen die »Forderung nach Chancengleichheit« ausgespielt (ebd.: 96) und im »Interesse der abhängig Beschäftigten hinsichtlich der regionalen Mobilität« gefordert, »zunächst die lokalen Arbeitskraftreserven weitgehend auszuschöpfen, bevor auf Arbeitskräfte aus anderen Regionen bzw. ausländische Arbeitnehmer zurückgegriffen wird« (ebd.: 197). Insofern ist für Frauen-, Geschlechter- und Diversityforscher_innen »Kritik« nicht auf die Auseinandersetzung mit der herrschenden BWL – oder auch der herrschenden Praxis – begrenzt. Allerdings lässt Foucaults diskursive Fabrikation von »Kritik« als »kritische Haltung« oder »Tugend« offen, auf welcher »Vernunft«, »Rationalität« oder auch politischen Position diese basiert (s.a. Lemke 1997: 352ff.). Das wirft die Frage auf, ob auch diejenigen »Kritik als die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« im Sinne von Foucault praktizieren, die, »Überfremdung«, »Frauenquoten« oder auch »Quotenfrauen« (ein weiteres Beispiel für Stigmatisierung durch »Schimpfklatsch«) problematisieren – oder eben auch sich gegen BWL-Kritiken (ver)wehren.
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L ITERATUR Apeloig, Benjamin/Krell, Gertraude (2005): »»Chancen! Gleich« auch für die Beschäftigten der Gewerkschaften? Analyse vorliegender Studien und eigene Befunde, Diskussionsbeiträge des Instituts für Management«, in: Rudi Bresser/Gertraude Krell/Georg Schreyögg (Hg.), Folge 29/05, Berlin: Freie Universität. Bendl, Regine (2006a): »Betriebswirtschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung – Verortung und Standortbestimmung«, in: Bendl, Regine (2006b), Teil 1, S. 9-22. Bendl, Regine (Hg.) (2006b): Betriebswirtschaftslehre und Frauen- und Geschlechterforschung, Zwei Teile, Frankfurt a. M. et al.: Peter Lang. Bourdieu, Pierre (1998): Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes, Konstanz: UVK. Bredt, Otto (1956): Die Krise der Betriebswirtschaftslehre, Düsseldorf: Verlagsbuchhandlung des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Bröckling, Ulrich (2003): »Der anarchistische Manager: Fluchtlinien der Kritik«, in: Weiskopf (2003), S. 319-333. Bücher, Karl (1917): »Eine Schicksalsstunde der akademischen Nationalökonomie«, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 73, S. 255-293. Bundesvorstand ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (Hg.) (2001), Diskriminierungsfreie Bewertung von (Dienstleistungs-)Arbeit. Ein Projekt im Auftrag der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Autorinnen: Gertraude Krell/Andrea-Hilla Carl/Anna Krehnke, Stuttgart. Burr, Wolfgang (2012): »Zur Geschichte der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre«, in: VHB (2012), S. 121-138. Burr, Wolfgang/Wagenhofer Alfred (2012): »Geschichte des VHB und Geschichten zum VHB: Zielsetzung und inhaltliche Struktur«, in: VHB (2012), S. VIII-XI. Burren, Susanne (2007): »Betriebswirtschaftslehre: Von der Handelshochschulbewegung zur ›Business Administration‹«, in: Honegger, Claudia et al. (2007), S. 253-336. Burren, Susanne (2010): Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre: Aufstieg und Dilemma einer hybriden Disziplin, Bielefeld: Transcript. Butler, Judith (2013): »Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend«, in: Rahel Jaeggi/Tilo Wesche (Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Chmielewicz, Klaus (1973): »Interessen in der Betriebswirtschaftslehre aus wissenschaftstheoretischer Sicht«, in: WSI (1973), S. 4-25.
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Vielfalt repräsentieren. Eine postkoloniale Diskursanalyse in der diskurstheoretischen Tradition Foucaults I SABEL C OLLIEN
E INLEITUNG Auf sein Werk zurückblickend schreibt Foucault (1994: 243), es sei sein zentrales Anliegen gewesen, »eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden«. Ziel einer solchen »kritische[n] Ontologie der Gegenwart« (Foucault, 1992: 48) ist es, aufzuzeigen, dass »keine Form von Subjektivität existiert, die nicht das Resultat historisch kontingenter Konstitutionsbedingungen ist« (Bührmann, 2001: 129). Subjekte erscheinen aus dieser Perspektive als wandelbar und abhängig von spezifischen Macht-Wissen-Komplexen. Sie werden in alltäglichen Praktiken, so auch Managementpraktiken, diskursiv hervorgebracht wie sie diese hervorbringen. Dabei werden Individuen einerseits objektiviert, d.h. durch Differenzierung, Kategorisierung und Klassifikation zum Gegenstand eines spezifischen Wissens gemacht (vgl. Weiskopf, 2005a: 292). Andererseits werden sie subjektiviert, indem sie sich und andere vor dem Hintergrund der gebildeten Kategorien anerkennen (müssen) (vgl. Foucault, 1994: 246). Aus dieser Perspektive betrachtet, dienen objektivierende Klassifikationsraster des (Personal)Managements dazu, einen berechen- und kalkulierbaren Menschen hervorzubringen (vgl.Weiskopf, 2005a: 291f.). Inwiefern Managementpraktiken Regierungsweisen und Orte der Kontrolle von Subjekten darstellen (Knights, 2004), wird jedoch erst durch eine historische Kontextualisierung von Praktiken deutlich.
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Inspiriert von Foucaults kritischer Ontologie der Gegenwart problematisiere ich in diesem Beitrag aus postkolonialer Perspektive eine Form der Objektivierung/Subjektivierung durch Managementpraktiken: die Repräsentation ethnischer und/oder kultureller Vielfalt. Am Beispiel von Artikeln zu Diversity Management in deutschsprachigen (Personal-)Managementzeitschriften gehe ich der Frage nach, wie Individuen als ethnisch und/oder kulturell vielfältig kategorisiert werden und welche Rolle historisch tradierte Wissenssedimente in diesem Kontext spielen. Dabei zeige ich, wie bedeutsam eine postkolonial inspirierte, historische Kontextualisierung für die Organisations- und Managementforschung ist, um spezifische Macht-Wissen-Komplexe aufzudecken und Formen von »Menschenregierungskünsten« (Weiskopf, 2005b) zu problematisieren. In meiner Analyse überschreite ich die reine Textanalyse in zweifacher Hinsicht: Einerseits kombiniere ich Text- und Bildanalyseverfahren um interagierende Mikrodynamiken der sprachlichen und visuellen Repräsentation fassen zu können. Weiterhin zeige ich aus postkolonialer Perspektive beispielhaft, welche historischen Wissenssedimente die Repräsentationspraktiken beeinflussen.
V ON DER D ISKURSTHEORIE F OUCAULTS POSTKOLONIALEN D ISKURSANALYSE
ZUR
Um von der Diskurstheorie zur postkolonialen Diskursanalyse zu gelangen, kombiniere ich Foucaults Diskurs- und Machttheorie mit dem diskurstheoretischen Konzept der Knotenpunkte nach Laclau und Mouffe und postkolonialen Theorien zur Identitätsbildung. Diese Trias ermöglicht mir ein fundiertes Verständnis davon, wie Repräsentationspraktiken und Identitätsbildung zusammenhängen. Diskurs, Macht und Wissen bei Foucault Der Begriff des Diskurses durchzieht Foucaults Werk mit unterschiedlicher Intensität, Explizierung und Akzentuierung (vgl. Dreyfus/Rabinow, 1994: 232). So herrscht auch im Bereich der Management- und Organisationsforschung Uneinigkeit darüber, was Diskurs genau bedeutet (Phillips/Oswick, 2012: 442). Umso wichtiger ist es, den eigenen Diskursbegriff transparent zu machen. In Archäologie des Wissens schreibt Foucault (1988: 74, Herv. i.O.), dass Diskurse mehr seien als die Zeichen und die Sprache. Sie seien »als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (ebd.: 74). Diskursive Praktiken konstituieren soziale Wirklichkeit und weisen
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somit eine Materialität auf (vgl. Bublitz, 1999a: 23, Barad, 2007: 151f.). Foucault (vgl. 1978: 119f.) unterscheidet diskursive und nicht-diskursive Praktiken, wobei zu letzteren u.a. Architektur oder ökonomische Prozesse zählen. Von Bedeutung in Foucaults Werk ist weiterhin die Beziehung zwischen Macht und Diskurs. Einerseits sind Diskurse Ergebnis und Effekt von Machtbeziehungen (vgl. Seier, 1999: 78): Sie bilden ihre Gegenstände ausgehend von Formationsregeln (vgl. Foucault, 1988: 58ff.), wobei sie gleichsam kontrolliert und verknappt werden. Andererseits gehen von Diskursen machtvolle Wirkungen aus, indem in ihnen Macht und Wissen verbunden werden (vgl. Seier, 1999: 77). Machtverhältnisse selektieren Wahrheitsdiskurse, setzen diese durch und verleihen ihnen Stabilität (vgl. Bublitz, 2001: 31). Zu den machtvollen Wirkungen des Diskurses zählen objektivierende und subjektivierende Machtwirkungen. Foucault entwickelt in seinem Werk zwei Werkzeuge der Diskursanalyse, die archäologische und die genealogische Methode. Beide Methoden hat Foucault nicht vollständig ausformuliert, weshalb auch hier die eigene Lesart entscheidend ist. Das Anliegen der Archäologie ist die Beschreibung des Archivs, d.h. der Gesamtheit der Bedingungen für die Formation von Aussagen und Diskursen einer bestimmten Epoche (vgl. Bublitz, 1999b: 122). Ihre Aufgabe ist es, die Regeln und Regelmäßigkeiten eines Diskurses aufzudecken, indem sie sich auf das konzentriert, »was wirklich gesagt oder geschrieben wurde« (Dreyfus/Rabinow, 1994: 73). Für die Genealogie hingegen ist Wissen »durch und durch in die niedrige Bosheit des Kampfes um Herrschaft verstrickt« (ebd.: 143). Die Begriffe, denen sie folgt, sind die der Diskontinuitäten und Brüche (vgl. ebd.: 135). Identitätskonstruktion aus postkolonialer Perspektive Dass Subjekte und deren Identitäten diskursiv konstruiert sind, ist auch eine Grundannahme postkolonialer Theorien. Die Colonial Discourse Studies, als deren Begründer Edward Said (1978) gilt, sind maßgeblich durch Foucaults Diskurs- und Machttheorie geprägt, wenngleich deren Rezeption nicht unkritisch ist (vgl. Loomba, 2005: 49). Fokussierten sie in ihrer Analyse neben der materiellen vor allem die symbolische Funktionslogik der kolonisierenden Mächte (Do Mar Castro Varela, 2005: 24), wandten sich die Colonial Discourse Studies schließlich verstärkt den Widerständen der Kolonisierten und dem Fortwirken kolonialer Diskurse, zum Beispiel in heutigen Migrationsdiskursen, zu (vgl. Ha, 2007). Auch im Feld der Organisations- und Managementforschung findet sich eine von Foucaults Theorie geprägte, postkoloniale Forschungsrichtung (überblicksartig dazu Prasad, 2003, Konrad et al., 2006, Jack et al., 2011), die sowohl die For-
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schungspraxis selbst als auch organisationale Praktiken auf ihre ethnozentrischen Grundannahmen und kolonialen Kontinuitäten hin untersucht. Insbesondere Foucaults Konzept der Genealogie erlaubt es, Selbstverständliches zu problematisieren, indem es neue Perspektiven auf Sachverhalte eröffnet, die unter dominanten Wissensstrukturen vergraben liegen (vgl. Jorgensen, 2002: 42). Damit ist Foucaults Diskurstheorie anschlussfähig an postkoloniale Forschung, die sich als »eingreifende Wissenschaftspraxis versteht« (Ha, 2007: 46). Postkoloniale Forschung geht davon aus, dass der europäische Imperialismus und Kolonialismus globale Effekte bis in die Gegenwart haben: Aktuelle Migrationsbewegungen und Verteilungskämpfe werden folglich als davon beeinflusst begriffen und analysiert (u.a. Bojadžijev, 2008, Kilomba, 2008). Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der diskursiven Konstruktion der sogenannten »Anderen«, wie Kolonisierte oder Migrant_innen. Dabei wird die Identität der Kolonisierenden als untrennbar mit derjenigen der Kolonisierten verbunden begriffen (Fanon, 1967). (Post-)koloniale Diskursanalyse untersucht daher »[n]eben den offenkundigen materiellen Seiten kolonialer Herrschaft […] die gewaltvolle Macht der Repräsentation [der Anderen]« (Do Mar Castro Varela, 2005: 24), so auch in Managementpraktiken. Analyseebenen und Werkzeuge für die postkoloniale Diskursanalyse Um die Repräsentation von Subjekten zu problematisieren, muss die Diskurstheorie spezifisch operationalisiert werden: Erstens gilt es Regelmäßigkeiten und Brüche bei den Mikropraktiken der Repräsentation aufzuspüren. Hier eignet sich die linguistische Analyse von Schlüsselwörtern. Mit dieser Methode lässt sich die Bedeutungskonstitution von Wörtern herausarbeiten (vgl. Niehr/Böke, 2004: 328). Schlüsselwörter erhalten ihre Bedeutung über Kookkurenzen, d.h. Wörter und Wortverbindungen, die in ihrem Umfeld auftauchen. Sie können daher als Knotenpunkte nach Laclau und Mouffe (1991) betrachtet werden. Laclau und Mouffe gehen davon aus, dass Bedeutungen immer nur partiell fixiert werden können. Jeder Diskurs ist ein »Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen«, »ein Zentrum zu konstituieren« (ebd.: 164). Die Zentren dieser partiellen Fixierung bezeichnen sie als Knotenpunkte. Knotenpunkte erfüllen die Funktion leerer Signifikanten, d.h. sie sind von jeglicher spezifischer Bedeutung entleert. Welche Begriffe und Vorstellungen mit ihnen verknüpft werden, ist gesellschaftlich umkämpft. Laclau und Mouffe (ebd.: 187f.) unterscheiden zwei Logiken, die Bedeutungen diskursiv konstituieren und temporär fixieren. Die
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Logik der Differenz erzeugt die unterschiedlichen Elemente des Diskurses und macht sie zu unterscheidbaren Momenten. Die Logik der Äquivalenz fügt die Momente zu einer Äquivalenzkette zusammen und fixiert sie an einem Knotenpunkt. Sie hebt die Differenzen innerhalb einer imaginierten Gemeinschaft (Anderson, 1983), wie einer Ethnie oder Nation, auf und definiert die Grenze gegenüber einem Außen, welches gleichzeitig Existenzbedingung der konstituierten Identität ist (vgl. Glasze, 2008: 192). Ethnische und/oder kulturelle Vielfalt begreife ich davon ausgehend als Schlüsselwort bzw. leeren Signifikanten und rekonstruiere die Wörter, die in seiner Umgebung erscheinen. Zweitens sollen auch nicht-textuelle Praktiken der Repräsentation beachtet werden, da bei der Markierung von Anderen (›Othering‹) gerade »die Einschreibung unaufhebbarer Differenz in Körper« (Wollrad, 2004: 186) bedeutsam ist. Daher analysiere ich auch die Bilder, welche die Artikel begleiten. Die Bilder verstehe ich als visuelle Kookkurenzen, die ebenfalls die Bedeutung des Schlüsselwortes konstituieren. Als Analyseinstrument verwende ich van Leeuwens (vgl., 2001: 333ff.) Verfahrensvorschlag zur Analyse von Othering-Prozessen, der bei der Ergebnisdarstellung genauer erläutert wird. Drittens gilt es im Sinne der Genealogie neben dem konkreten Text den Kontext der Zeitschriftenartikel abzubilden um den Einfluss gesellschaftlicher Machtverhältnisse auf Repräsentationspraktiken zu berücksichtigen. Da sich hier ein potenziell endloser Raum von intertextuellen, historischen Bezügen eröffnet, fokussiere ich aus postkolonialer Perspektive auf umkämpfte Begriffe und deren historischen Bedeutungswandel. Auswahl des Analysematerials: Pragmadiskurse zu Diversity Management Diskursive Praktiken, die Vielfalt (re)produzieren und Individuen objektivieren, finden sich verstreut im »Raum«. Eine spezifische Form des Diversity-Diskurses sind Pragmadiskurse, wie Andrea Bührmann sie in diesem Band bezeichnet. Eine ihrer Funktionen besteht darin, Handlungsanleitungen für Führungskräfte zu bieten. Sie zeichnen sich durch eine spezielle begriffliche Architektur aus, wie sie nach Kieser (1996) auch für Managementmoden typisch ist: Die verwendete Rhetorik soll Machbarkeit signalisieren und damit Manager_innen die Angst vor einer immer komplexer werdenden Umwelt nehmen. Pragmadiskurse zu Diversity werden somit, Foucaults Formulierungen benutzend, von (teilweise) anderen Formationsregeln gebildet als beispielsweise wissenschaftliche Beiträge zu Diversity.
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Um Pragmadiskurse zu untersuchen, eignen sich Managementzeitschriften, die sich speziell an die Unternehmenspraxis richten. Sie folgen der Machbarkeitsrhetorik (vgl. Kieser, 1996: 23ff.) und bieten im Vergleich zu Managementbestsellern den Vorteil, dass sie einen Zeitraum und ein Akteursspektrum abbilden, wodurch kollektive Repräsentationen besser sichtbar werden. Da ich aus postkolonialer Perspektive den historischen Kontext mit einbeziehe, beschränkte ich mich auf Zeitschriften, die in Deutschland herausgegeben werden. Einzige Ausnahme war ein schweizerischer Artikel von Felixberger (2007), der sich explizit an deutsche Leser_innen richtete. Ich untersuchte den Zeitraum 2000 bis 2010, da hier die Popularität von Diversity Management im deutschsprachigen Raum signifikant anstieg (vgl. Süß/Kleiner, 2006: 524).1 33 Artikel entsprachen schließlich dem Kriterium des Pragmadiskurses. Die folgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über Zeitschriften, Anzahl der Artikel pro Zeitschrift und Autor_innen. Tabelle 1: Analysierte Artikel aus deutschsprachigen Managementzeitschriften zwischen 2000 und 2010 Zeitschrift Absatzwirtschaft Arbeit und Arbeitsrecht Aquisa Betriebswirtschaftliche Blätter Catering Inside Financial Times Deutschland Food Service GDI Impuls Lebensmittelzeitung Manager Magazin
1
Artikelanzahl 1 4
Autor_in(nen) (Jahr)
1 1
Tulay (2007) Burmeister (2010), Böhmer (2008a), Jablonski (2008), Elderhorst (2005) Klähn (2005) Nolte (2007)
3 1
Ehrlich (2007), o.V. (2006) Brochhagen (2007)
1 1 1
Pfannschmidt-Wahl (2009) Felixberger (2007) Hillemeyer (2008)
1
Rickens (2008)
Für meine Artikelrecherche wählte ich eine der etabliertesten Literaturdatenbanken im deutschsprachigen Raum (vgl. ebd.): WISO-NET. Als Suchebegriffe gab ich folgende Kombinationen ein: „ethni* kult* Vielfalt Diversity Management“, „kultur* Diversity Management“, „ethni* Diversity Management“ und „ethni* kult* Vielfalt“.
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Personal
4
Personalmagazin
7
Sparkasse Sparkassen Zeitung VDI Nachrichten
1 2 2
Werben und Verkaufen Wirtschaftspsychologie Gesamtzahl der Artikel
1
Stuber (2009), Böhmer (2008b), Klaffke (2008), Stuber (2002) Spilker (2010), Mohr/Schwirtz (2010), Furkel (2008), Stuber (2006b , 2006a), Myritz (2006), Jessl (2006) Seßler (2003) o.V. (2009), Reuter (2007) Henkel (2008), Schuldt-Baumgart (2007) Jahrfeld (2008)
1
Jablonski (2003)
33
Quelle: Eigene Darstellung
R EPRÄSENTATION ETHNISCHER UND / ODER KULTURELLER V IELFALT IN P RAGMADISKURSEN ZU D IVERSITY M ANAGEMENT Meine Analyse beleuchtet, wie (neo-)koloniale Muster Regelmäßigkeiten bei der Repräsentation von Vielfalt hervorbringen. Während im Pragmadiskurs auf der Textebene der Begriff »Rasse« verschwindet und durch Ethnie oder Kultur ersetzt wird, findet die visuelle Markierung von Vielfalt hauptsächlich über dunkle Hautfarben statt. Unmarkiert bleibt in den Artikeln eine weiße, deutsche Identität, die sich in Abgrenzung zur Äquivalenzkette um den Knotenpunkt Vielfalt konstituiert.
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Mikroebene der Repräsentation – Interaktion von Text und Bild Auf der Textebene wurden Individuen besonders nach drei Modi unterschieden: nationale, kulturelle und ethnische Differenzierung. Auf der Bildebene fand sich als weiterer Modus die »rassische« Differenzierung. Textuelle Kookkurenzen Im Kontext meines Schlüsselwortes ethnische und/oder kulturelle Vielfalt tauchten regelmäßig bestimmte Wörter und Wortgruppen auf. Zuerst filterte ich heraus, welche Personenbezeichnungen mit dem Schlüsselwort verbunden wurden. Das daraus resultierende Feld an Personenbezeichnungen erschien zunächst diffus. Bei genauerer Betrachtung folgerte ich, dass dieses anhand von nationalen, kulturellen und ethnischen Differenzierungen gebildet wurde. Die folgende Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Wörter und Wortgruppen, die den jeweiligen Differenzierungsmodi zugeordnet wurden. Tabelle 2: Zuordnung von Kookkurenzen zu den Differenzierungsmodi Modi der Differenzierung Nationale Differenzierung
Kulturelle Differenzierung
Ethnische Differenzierung
»Rassische« Differenzierung
Zugeordnete Kookkurenzen (exemplarisch) Ausländischer Pass, deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsbürgerschaft, deutscher Pass, fremde Staatsbürgerschaft, fremder Pass, Nationalitäten, Nationen, türkisch, chinesisch, Rumäne Andere Kulturkreise, unterschiedliche Kulturkreise, verschiedene Kulturkreise, westliche Kulturkreise Ethnische Herkunft, ethnische Identität, ethnische Zugehörigkeit, ethnischer Hintergrund Dunkle Hautfarbe, Hautfarbe, »Rasse«, weiß
Quelle: Eigene Darstellung
Nationale Differenzierung: Hier werden Personen ausgehend von deren Staatsangehörigkeit kategorisiert. Um zu illustrieren, wie vielfältig der Automobilhers-
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teller Ford ist, betont Jablonski (2003: 16), am Standort Köln arbeiteten »über 57 Nationalitäten« zusammen. Hillemeyer (2008: 43) unterstreicht, die Metro Group umfasse »in Deutschland Menschen aus 138 verschiedenen Nationen«. Unklar bleibt, ob es sich dabei um Menschen ohne deutschen Pass handelt oder, ob schlicht Deutsche gemeint sind, die einst nach Deutschland immigriert sind. Lediglich drei Artikel (Stuber, 2009, Hillemeyer, 2008, Felixberger, 2007) trennen zwischen Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Menschen mit Migrationshintergrund. Es wird jedoch nicht thematisiert, nach welchen Kriterien Migrationshintergrund definiert wurde. Felixberger (ebd.: 89) subsumiert die vorgenommene Unterscheidung schließlich unter eine Gruppe, nämlich »15,3 Millionen Nichtdeutsche«. Kulturelle Differenzierung: Diese Differenzierung verläuft entlang von Kulturen oder Kulturkreisen, wobei die Begriffe in keinem der Artikel erläutert werden. Bernhard und Kasper (2007: 58) verweisen im Rahmen eines Unternehmensbeispiels auf »80 Mitarbeiter des Unternehmens aus anderen Kulturkreisen« und Burmeister (2010: 73) hebt hervor, dass »Beschäftigte aus anderen Kulturen« Kund_innen mit Migrationshintergrund besser verstehen. Kultur wird hier als abgeschlossenes, statisches Gebilde gedacht. So soll ein »kreativer Dialog zwischen den Kulturen« (Bernhard/Kasper, 2007: 55) etabliert werden. Zwar schreibt Spilker (2010: 28), dass heutzutage die Grenzen zwischen den Kulturkreisen selten trennscharf seien, verbleibt letztendlich aber bei der Vorstellung getrennter Entitäten, wenn er sagt, dass diese früher meist »ohne Interaktion nebeneinander existiert haben«. Ethnische Differenzierung: Die Abgrenzung ist hier noch unklarer als bei den vorangegangenen Kategorien. »Ethnie« taucht in den Artikeln nicht als Einzelwort auf, sondern in Wortverbindungen wie »Beschäftigte mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft« (Burmeister, 2010: 72) oder »ethnische Minderheiten« (Stuber, 2006b: 67). Zusätzlich werden ethnische mit kulturellen Differenzierungen vermengt. Dies zeigt sich, wenn Stuber (2006a: 70) »Interkulturalität am Arbeitsplatz« thematisiert und berichtet, viele Unternehmen sehen in »ethnischen Minderheiten« kein besonderes Potential. Diese fehlende Trennschärfe findet sich auch bei Bernhard und Kasper (2007: 56), wenn sie anmerken, in Skandinavien sind »Führungskräfteschulungen zum Thema Interkulturelle Öffnung« erfolgreich gewesen. Externe Moderatoren haben einen »Dialog« initiiert, der »insbesondere die ethnische Vielfalt und den Umgang damit im Unternehmen fokussierte«. Deutsche als abhängige Identität: Fast alle Personenbezeichnungen wurden zu einer Äquivalenzkette um den Knotenpunkt ethnische und/oder kulturelle Vielfalt fixiert. Diese Äquivalenzkette wurde auch mit den Gruppenbezeichnun-
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gen »Nichtdeutsche« (Felixberger, 2007: 89) oder »nicht Deutsche mit Migrationshintergrund« (Hillemeyer, 2008: 43) gleichgesetzt. Damit wurden sie über eine Negativabgrenzung zur Gruppe der Deutschen gebildet. Letztere tauchten fast ausschließlich in Vergleichen auf: So stellt Böhmer (vgl., 2008b: 20) die Ausbildungssituation ausländischer derjenigen deutscher Jugendlicher gegenüber. Myritz (2006: 24) zitiert einen Personalchef, der hervorhebt, dass Fachkräfte mit Migrationshintergrund »durch Sprache, Erfahrung und ihre kulturelle Affinität das Kundenmanagement weitaus besser [beherrschen] als wir Deutschen«. Nolte (2007: 70) betont, ausländische Arbeitnehmer werden immer wichtiger für den Vertriebserfolg von Sparkassen, da sie »über einen anderen ethnischen Hintergrund als deutsche Mitarbeiter verfügen«. Indem Deutsche in den Artikeln nicht für sich allein stehen und zumeist nur in Vergleichen auftauchen, lässt sich ableiten, dass es sich um eine relationale, abhängige Identität handelt. Diese bildet sich in Abgrenzung zu den Identitätspositionen, die mit dem Schlüsselwort verknüpft werden. In den Praxisartikeln werden folglich zwei Identitäten konstruiert: eine ethnisch und/oder kulturell vielfältige, die expliziert und markiert wird, und eine deutsche, die nicht mit Vielfalt assoziiert wird. Visuelle Kookkurenzen Die visuelle Textstruktur unterstreicht häufig die Aussagen des Textes und wirkt ebenso kontextualisierend wie sprachliche Formen (vgl. Warnke/Spitzmüller, 2008: 31). Die Bilder analysierte ich gemäß eines Vorschlags von van Leeuwen (2001) zur Analyse von Othering-Prozessen. Bei neun Artikeln hatte ich über die Datenbank keinen Zugang zum Original, weshalb ich hier keine Aussagen über mögliche Text-Bild-Beziehungen treffen kann. Generell ist festzuhalten, dass sich alle Bilder im Umfeld des Schlüsselwortes auf Personen bezogen, wobei sie entweder abgebildet (inclusion) oder durch Symbole, wie bunte Kegel, auf sie referiert wurde (exclusion). Inclusion. Personen wurden häufiger in Gruppen (group), denn als Einzelpersonen (individual) abgebildet und öfter porträtiert als in spezifische Handlungen »verwickelt« (involved in action) dargestellt. Aus den Gruppenabbildungen lässt sich schließen, dass ethnische Vielfalt hauptsächlich über sozial bedeutsame, äußerliche Unterschiede wie unterschiedliche Hautfarben dargestellt wird. So bildet eine dunkelhäutige Person die Mittelachse eines Bildes, neben welchem Burmeister (2010:73) fragt: »Welche konkreten ökonomischen Vorteile bietet eine möglichst bunt gemischte Belegschaft?« Das Auge der Betrachtenden fokussiert auf diese Person und verbindet sie gleichzeitig mit dem Adjektiv bunt. Die Markierung findet hierbei nicht über kulturelle Merkmale (cultural categori-
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zation), sondern über biologisch zugeschrieebene Unterschiede (biological categorication) statt. Die textuelle Äquivalenzkkette wird somit visuell um »rassische« Differenzierungen erweitert. Abbildung 1: Vielfaltsmarkierung über biologisierte Unterschiede
Quelle: Burmeister (2010: 73)
Das einzige Gruppenbild (Abbildung 2), weelches Personen in Aktion zeigt, fokussiert auf einen schwarzen Mitarbeiter, derr Pakete auf ein Band lädt. Die übrigen Personen auf dem Bild sind lediglich von v hinten zu sehen. Die Bildunterschrift lautet: »Menschen unterschiedlicher Herkunft arbeiten zusammen: Vielfalt gehört in Unternehmen heute zum Alltaag«. Die Verknüpfung von Text und Bild deutete ich dahingehend, dass schwarzeen Menschen, und damit auch Afrodeutschen, eine andere Herkunft als die deuutsche zugeschrieben wird. Sie werden außerhalb Deutschlands verortet.
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Abbildung 2: Schwarzer Mitarbeiter repräsentiert andere Herkunft als die deutsche
Quelle: Spilker (2010: 29)
Die Bilder mit Einzelpersonen (Abbildung 3) repräsentieren Vielfalt auch über die Namen der abgebildeten Personen (specific). Dr. Halima Alayian, Orthopädin, und Prof. Recep Keskin, Hersteller von Fertigbetonteilen, sind dabei jeweils vor dem Hintergrund der Deutschlandfahne abgebildet und die dazu gehörigen Texte erzählen die Geschichte gelungener Integration (vgl. Böhmer 2008: 9f.). Die Einzelbeispiele individualisieren Integration und Erfolg und vermitteln den Eindruck, soziale Ungleichheiten und Benachteiligungen spielten keine Rolle. So schreibt Böhmer (ebd.): »Erfolgreiche Karrieren zeigen: Wer sich beruflich engagiert, der kommt in unserem Land auch voran« und darf unter diesen Voraussetzungen dazu gehören, wie der Hintergrund der deutschen Nationalflagge vermuten lässt.
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Abbildung3: »Gelungene« Integration
Quelle: Böhmer (2008a: 9; 11)
»Rassische« Differenzierung. Die Bildanalyse zeigt, wie die Äquivalenzkette visuell erweitert wird, indem das Schlüsselwort mit sozial bedeutsamen äußeren Merkmalen, wie dunklen Hautfarben, verbunden wird. Gleichzeitig wird damit die Verknüpfung von nicht vielfältig mit einer deutschen Identität zusätzlich um helle Hautfarben ergänzt. Weiße, deutsche Personen gelten folglich nicht als ethnisch und/oder kulturell vielfältig.
P OSTKOLONIALE UND RASSISMUSTHEORETISCHE L ESART DER E RGEBNISSE UND S CHLUSSBETRACHTUNGEN Aus postkolonialer wie aus rassismustheoretischer Perspektive ist die Repräsentation von Vielfalt kein neutraler Prozess, sondern durchzogen von historischen Wissenssedimenten. Die Kookkurrenzen des Schlüsselwortes ethnische und/oder kulturelle Vielfalt tragen ein historisches Erbe, welches sich in das kollektive Gedächtnis (Assmann, 2003) einschreibt und beim Lesen nicht spezifizierter Begriffe reaktiviert wird. Eine postkoloniale Betrachtung der Analyseergebnisse
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wirft ein kritisches Licht auf Begriffe, die zur Markierung von Vielfalt verwendet werden. Am Pragmadiskurs wird deutlich, dass tradierte »Rassen«vorstellungen nach wie vor wirkmächtig sind, wenngleich der Begriff »Rasse« aus dem bundesdeutschen Diskurs verschwindet. So wurde der Begriff »Rasse« nur im Rahmen des AGG verwendet und durch die Konjunktion »oder« mit ethnischer Herkunft verbunden. Die Konjunktion weist sowohl auf eine Abgrenzung als auch auf eine Nähe zwischen den beiden Begriffen hin. Diese Nähe erklärt sich durch die umfassenden antirassistischen Aktivitäten der UNESCO nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Kerner, 2009: 105ff.). Damals setzten sich Wissenschaftler_innen mit dem Erbe kolonialer und nationalsozialistischer »Rassen«-Theorien auseinander. In ihrer ersten Stellungnahme (Unesco, 1950) lehnten sie den Begriff »Rasse« ab und sprachen sich für eine Verwendung der Terminologien »Ethnizität« oder »Ethnie« aus. Dass die beiden Begriffe ineinander übergehen, zeigt sich in der Stellungnahme daran, dass »ethnisch« dafür verwendet wird, um auf eine Gruppe zu verweisen, die sich über Bande der »Rasse« und der Nationalität identifiziert (vgl. Montagu, 1972: 69). Die Verwendung der Wortverbindungen ethnische Herkunft kann vor diesem Hintergrund als eine Form der Substituierung des Begriffs »Rasse« auf der Textebene interpretiert werden. Neben der beschriebenen Nähe zwischen den Begriffen ethnisch und »Rasse«, wurden bei der ethnischen Differenzierung Ethnie und Kultur vermengt. Der Begriff Ethnie wird folglich auf der Textebene semantisch in Richtung (Inter)Kultur und auf der Bildebene in Richtung »Rasse« verschoben. Aus dekonstruktiver, rassismustheoretischer Perspektive (vgl. Dietze, 2006: 219) könnte diese multiple Verschiebung auf das Phänomen des »Rassismus ohne Rassen« (Balibar, 1990) oder des »differenziellen Rassismus« (Bojadžijev, 2008) hindeuten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden statt biologischer »Rassen«Unterschiede kulturelle Differenzen betont, wobei diese als unüberwindbar und natürlich gegeben konstruiert werden (vgl. Kerner, 2009: 135). Weniger Überlegenheit als Unvereinbarkeit der Eigenen mit den Anderen behauptend, werden bei Multikulturalismus oder Interkulturalität kulturelle Identitäten und Differenzen tendenziell konserviert (vgl. Bojadžijev, 2008: 23). Dieser Konservierungseffekt wurde im untersuchten Pragmadiskurs durch den Begriff Kulturkreis verstärkt, dessen Bedeutung maßgeblich während der deutschen Kolonialzeit geprägt wurde. Die Kulturkreislehre, die auch bei Kant (vgl., 1912: 174) zu finden ist, wurde von dem deutschen Kolonialforscher Leo Frobenius (1989) entwickelt. Der Mensch wird hier als Pflanze imaginiert, deren Stamm in einem Kulturboden wurzelt und diesem überzeitlich verhaftet ist. Das geobotanische Menschenbild erscheint noch immer wirkmächtig, worauf die im
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Umfeld des Begriffs Kulturkreis auftauchenden Kookkurenzen wie Abstammung oder Wurzeln hinweisen. So schreiben Mohr und Schwirtz (2010: 31), Ikea betreibe ein strategisch ausgerichtetes Diversity Management um den Bedürfnissen seiner »– aus vielen Kulturkreisen stammenden – Belegschaft gerecht zu werden«. Nach wie vor suggerieren solche Verknüpfungen, dass als ethnisch und/oder kulturell vielfältige markierte Menschen territorial und/oder kulturell überzeitlich mit einem anderen Raum als dem deutschen verbunden sind. Garde und Meyer (2009: 5) verweisen darauf, dass Zugehörigkeit (belonging) mit Vorstellungen von Stabilität und Verwurzeltsein verknüpft ist und besonders auch in territorialen Klassifikationen ihren Ausdruck findet. Die Repräsentation von Differenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen oder Fremden verleiht Nationen im Sinne kollektiver Subjekte Stabilität. Einen ähnlich naturalisierenden Effekt auf Differenzen wie die Kulturkreismetapher haben Aussagen zur Mentalität von Migrant_innen. So empfiehlt Nolte (2007: 70) ausländischen Kund_innen Bankberater_innen zur Seite zu stellen, die sie »sowohl sprachlich als auch mental verstehen«. In Abgrenzung zur Äquivalenzkette um den Knotenpunkt ethnische und/oder kulturelle Vielfalt wurde eine weiße, deutsche Identitätsposition gebildet, wie meine Analyse zeigte. Dass (weiß) deutsch oder Deutsche dabei unspezifiziert blieb und hauptsächlich in textuellen Vergleichen und visuellen Abgrenzungen zu dunkler Hautfarbe auftrat, kann aus der Perspektive postkolonialer Studien und der Kritischen Weißseinsforschung als Funktionslogik von Weißsein begriffen werden. Als relationale, abhängige Identität bringt die weiße (deutsche) Identität fortwährend die Anderen hervor und markiert diese, wobei sie selbst unmarkiert bleibt (Kilomba, 2008 , Frye, 1983). Wollrad (2004: 190) bezeichnet Weißsein daher als »Motor von Rassialisierungsprozessen«. Die Bildanalyse zeigte eine Form der Doppelmarkierung von Vielfalt sowohl über dunkle Hautfarben als auch über die Nennung fremd klingender Namen. Ein Grund für diese doppelte Markierung der Anderen könnte sein, dass Deutschsein historisch bedingt weniger über eine Schwarz-Weiß-Dichotomie wie in den USA, gebildet wurde, sondern bspw. während der NS-Zeit eine »verwaltungsmäßig organisierte Markierung des Anderen«, wie durch den »Judenstern« oder das Wort »OST«, dominierte (Gerbing/Torenz, 2007: 385f.). Diese tradierten Markierungspraktiken als deutsch bzw. nicht deutsch könnten nach wie vor die hegemoniale Konstituierung von Vielfalt in Deutschland beeinflussen. Mein Ziel in diesem Beitrag war es, den Nutzen einer kontextsensiblen, postkolonialen Perspektive für die Organisations- und Managementforschung zu verdeutlichen. Gerade die Repräsentation von Identitäten kann, begreift man (Personal-)Management als Form der Menschenregierung, weitreichende objek-
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tivierende und subjektivierende Machteffekte haben und muss problematisiert werden, möchte man erreichen, »nicht so, nicht dermaßen, nicht um jeden Preis regiert zu werden« (Foucault, 1992: 52). Meine Untersuchung fokussierte auf die Subjektformierung, das heißt »darauf, wie Menschen auf einer normativ programmatischen Ebene über bestimmte Praktiken oder Programme lernen sollen, sich selbst und andere wahrzunehmen, zu erleben und zu deuten« (Bührmann, 2012: 146). Offen bleibt die spannende Frage, die auch Andrea Bührmann in diesem Band aufwirft, wie Subjektformierung und Subjektivierungsweise zusammenhängen: Wie gehen die Rezipient_innen der Zeitschriftenartikel letztendlich mit den Kategorisierungsangeboten der Autor_innen um?
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Translation und Aneignungsweisen von Diskursen in Organisationen Konzeptionen und Beispiel anhand der stationären Altenpflege M ATTHIAS R ÄTZER
E INFÜHRUNG In diesem Beitrag möchte ich den Versuch unternehmen, aufzuzeigen, wie die Gerontologie als Disziplin mit Mitteln der Organisationsforschung untersucht werden kann. Damit folge ich im Grundzug Türk, welcher als analytische Dimensionen organisationaler Kontrolle neben der Verwertungsperspektive, die Einbindungs- und die Stratifikationsperspektive angibt (1995: 22f.). Im Besonderen besteht der Versuch darin, darzustellen, wie Altenpflegeeinrichtungen auf ihr diskursives Umfeld reagieren. Innerhalb der Lebenswelt einer stationären Altenpflegeeinrichtung ist eine starke Fokussierung auf pathologische Aspekte auffällig. Damit wird zwar dem originären Ziel, der Versorgung und professionellen Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner, Rechnung getragen (was bei Türk der Verwertungsperspektive entspräche), jedoch geraten andere Aspekte wie das Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (bei Türk die Einbindungsperspektive), die kritische Reflexion von Praktiken und die Rezeption der organisationalen Umwelt aus dem Blickfeld. Durch die Marxsche Fokussierung legt Türk mit der dritten Perspektive das Augenmerk auf »die Erhaltung gesellschaftlicher Schichten- und Klassenstrukturen« (1995: 23, Herv. i.O.). Der darin formulierte Niederschlag des ›Überorganisationalen‹ auf die arbeitenden Personen ist aus meinem Blickwinkel im Diskursiven zu suchen und in diesem Beitrag herauszuarbeiten.
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Im Folgenden werde ich zunächst darstellen, wie ich von dem Begriff des Diskurses bei Foucault zu einem meines Erachtens besser nutzbaren Konzept – dem diskursiven Argument – komme. Im Anschluss daran stelle ich ein Modell vor, welches es ermöglicht, die Aneignung dieser diskursiven Argumente auf der organisationalen Ebene zu verdeutlichen. Daran anschließend möchte ich abschließend einen kurzen Einblick in eine mögliche Anwendung auf die Gerontologie geben. Exemplarisch zeige ich damit mögliche Zugänge und Interpretationsmöglichkeiten auf, welche diskursiven Argumente von Relevanz für Translationen und Aneignungsweisen in Altenpflegeheimen sind.
V OM F OUCAULT ’ SCHEN D ISKURS ARGUMENT
ZUM DISKURSIVEN
Im Spiel des Michel Foucault ist Diskurs die »Gesamtheit der Dinge […], die man sagt und […] die Art und Weise, wie man sie sagt« (Foucault 1976a: 164). Diskurs ist demnach das konstitutive Element der Kommunikation zwischen Individuen sowie ein sich eigenständig verbreitender Fluss von Non- als auch Verbalitäten. Für Subjekte ergeben sich daraus Machtbeziehungen, alsbald sie in Produktions- und Sinnbeziehungen eingebunden sind (vgl. Foucault 1982: 270). Darüber hinaus werden individuelle Realitäten produziert und neue Rationalitätsfelder eröffnet (vgl. Foucault 1977). Sowohl Foucaults archäologische Methodologie (vgl. 1973) als auch seine genealogischen Annäherungen (vgl. 1976b) sind eher auf der gesellschaftlichanalytischen Ebene zu verorten. Für mich hier von größerem Interesse ist eine Zuwendung zur Diskurs- und Kommunikationstheorie, um dort Anleihen für eine handhabbarere Operationalisierung für die Organisationsforschung zu finden. Mit van Dijk ist eine erste genauere Annäherung möglich. Er erachtet Diskurs 1) als »obviously a form of action« und 2) »mostly intentional, controlled, purposeful« (1997: 8). Damit verlieren die schwer fassbaren Begriffe Autonomie und Ubiquität, die bei Foucault als Basen des Diskurses fungieren (1970: 43f.) an Gewicht. Für Habermas ist das der Ausgangspunkt seiner Kritik an Foucault. Für ihn ist Diskurs »die durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation […], in der problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden« (1972: 130)1. Inso-
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In seinem Hauptwerk (1981) entwickelte Habermas den Gedanken des herrschaftsfreien Diskurses als Sinnbild der auf Argumentation beruhenden idealen Kommunikation in einer Gesellschaft. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf Habermas’
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fern Diskurs derart verstanden ist, liegt der Gedanke alltäglicher Kommunikation mit Narrationen und Stories2 – zwischen Individuen – nahe. Aushandlungen zwischen Individuen erfolgen somit über ›routinierten‹ Austausch im Rahmen dieser Kommunikation als Thematisierung von Argumentationen. So richtet sich Habermas‘ genereller Kritikpunkt auf »den subjektlosen Willen einer im kontingenten und ungeordneten Auf und Ab der Diskursformationen wirksamen Macht«, welchen er im Denken Foucaults und seinem Diskursverständnis zugrunde liegend zu erkennen glaubt (1985: hier 298). Bezogen auf deren Wirksamkeit und Beziehungen untereinander versteht van Dijk Stories und argumentative Auseinandersetzungen als kommunikative Akte des Storytellings und Disputierens und nicht als Abstraktionen, welche ausschließlich auf mentalen Repräsentationen und Prozessen basieren (1997: 3). Stories sind logisch – im Verständnis von zielgerichtet angewendet – verknüpfte Ereignisse, welche bedacht weitergetragen werden, wenn sie bei den Kommunikationsteilnehmenden anschlussfähig sind. Stories als eher anekdotische Narrationen sind demnach intentional, einsichtig sowie mithin persuasiv, wobei die Elemente der Kommunikation sozial relevant sind (vgl. van Dijk 1997: 8). Dadurch verändert und determiniert sich das Verständnis der Welt, zumindest solang ein spezifisches Verständnis weitergetragen wird. Die Kommunizierenden werden über die aufeinander bezogenen argumentativen Strukturen – die Stories – in Verbindung gesetzt (Boje/Dennehy 1993: 156). Darüber erfolgt ein Austausch und somit auch ein Abgleich von Erfahrungen. Diese Herleitung ist für den weiteren Verlauf wichtig, da ein narratives Diskursverständnis meines Erachtens die persuasiven Strukturen von Argumentationen in Organisationen aufdecken kann. In der Konzeption von Argumentation folge ich damit wiederum Habermas, welcher Argumente als pragmatische Gebilde im Sinne von Sprechakten erachtet (1981: 45). Pragmatismus begreife ich hierbei als objekt-interne Dienlichkeit einer Aussage. Die Semantik – oder Logik, s.o. – eines Arguments steht in stetigem Fluss mit dessen Pragmatik, in der Gestalt, dass Plausibilität von Kontexten, gruppenspezifischen Konventionen sowie Anschlussfähigkeit bei den Kommunizierenden Einfluss auf das Argument ausüben (vgl. Barth 1987: 44; Parret 1987: 172). Kienpointner spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Semantik und Argumentation »diachron eng
Postulat im Allgemeinen eingehen, sondern konzentriere mich hier ausschließlich auf die Aspekte seiner Herleitung bzgl. der Argumentation. 2
Ich nutze hier das englische Wort ›Story‹, da deutsche Begriffe wie ›Geschichte‹ oder ›Schwank‹ in der Alltäglichkeit des intendierten Verständnisses für mich eine pejorative Tendenz zu haben scheinen.
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verwoben« (1992: 135) sind, was die Kontextsensibilität der argumentativen Narration aufzeigt. Um diesen Aspekt für die (organisationale) Diskursforschung einzufangen, spreche ich von diskursivem Argument.
D IE NARRIERENDE O RGANISATION ALS ANEIGNUNGS WEISE AUF DER M ESOEBENE Um eine Möglichkeit der Übertragung diskursiver Argumente in Organisationen zu betrachten, möchte ich den Begriff der narrierenden Organisation vorschlagen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Stories und Narrationen, eben der intraorganisationale Diskurs, das Verständnis über die Welt prägen und innerhalb von Organisationen die Basis für individuelle Annahmen, Entscheidungen und Handlungen bilden. Dahinter steht, dass »a corporate discourse […] shapes the way people behave, in so far they incorporate that discourse into their working lives« (Watson 1995: 113) und damit auch in das organisationale Gefüge im Allgemeinen mit allen sozialen Beziehungen (vgl. auch Boje 1991: 106; Boje/Dennehy 1993: 156).3 Stories sind dabei niemals abgeschlossen und zu Ende erzählt, sondern unterliegen einer steten Erweiterung/Abänderung innerhalb des organisationsweiten Informationsweitergabe-Systems. Dabei wird an verschiedenen Stellen auf die zentrale Rolle Einzelner verwiesen, welche den Narrationsprozess beeinflussen. Watson gibt vor »Managers have to function as narrators, therefore – as storytellers« (1995: 113 mit Bezug auf Anthony). Sowohl Beech (2000) als auch Brown und Humphrey (2003) verweisen hingegen auf Unterschiede in den narrativen Mustern hinsichtlich der hierarchischen Position von Manager_innen und Arbeiter_innen, besonders im Hinblick auf emotionsbasierte Persuasionen. Im Kontext der Umsetzung organisationalen Wandels sprechen Whittle und Kolleg_innen von change agents, welche über die Nutzung von Diskursen als Schlüsselressourcen Wandel in Organisationen bestimmen können, indem sie als Übersetzende der Elemente des Wandels und Mediator_innen zwischen konträren Argumenten fungieren (2010: 18). Wenngleich sie dabei weniger auf die hierarchische Position der Führungskraft verweisen, wird den change agents eine besondere – wenn auch ambivalent erachtete – Machtpo-
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Drew und Sorjonen (1997: 92) bezeichnen die Einbindung der diskursiven Elemente in die organisationale Lebenswelt und deren (organisationsbezogene) Interaktionen als ›institutionellen Dialog‹. Dieser kann wiederum nach verschiedenen Gesichtspunkten analysiert werden: u.a. dem lexikalischen, dem syntaktischen, dem prosodischen, dem sequenziellen.
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sition attestiert (S. 23). Hardy und Kollegen kommen, wenn auch mit einem empirisch ›monologischen Ansatz‹4, zu einem ähnlichen Schluss: »actors must hold subject positions that warrant sufficient voice, as recognized by others« (2000: 1245), um der ›Ressource Diskurs‹ habhaft zu werden. Das von ihnen aufgestellte Model (Abb. 1) ist insofern gut operationalisierbar, als dass neue Aspekte individuell, vereinzelt und fragmentarisch in einen organisationalen Diskurs eingebracht werden. Abbildung 1: A model of discourse as a strategic resource
Quelle: Hardy et al. 2000: 1235
Da es mir jedoch vielmehr um Narrationen und Stories in Organisationen von alltäglicher Relevanz geht, kann der Ansatz nur in gesonderten Situationen zum Tragen kommen. Im Versuch, die oben präsentierten Aspekte zu verbinden, ist die narrierende Organisation charakterisiert durch: • soziale (Re-)Konstruktion der organisationalen Lebenswelt und deren Bezüge zu Sinn und Wahrheit • einen stetigen Austausch von Argumentationen innerhalb der Organisation und über deren Grenzen hinaus • eine enge Verwobenheit von Semantik und Argumentation
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S. 1244 mit Verweis auf Keenoy et al. 1997.
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Personen mit ausreichend Stimmgewalt innerhalb der Organisation zur Initiierung ›neuer‹ Argumentationsfelder Daraus ergibt sich eine veränderte Darstellung des Models von Hardy et al. (2000). Möchte man versuchen, die stete Weitergabe von Argumentationslinien zu erklären, liegen die Unterschiede für die narrierende Organisation im Circuit of Activity in (1), wo neue diskursive Argumente aus den Argumentationslinien in die Organisation aufgenommen werden sowie im dritten Schritt, in welchem die diskursiven Argumente mit der organisationalen Lebenswelt verbunden werden. Im Circuit of Performativity werden (4) die Argumente in den größeren Kontext der narrierenden Organisation eingebunden. Über die anhaltende Bedienung der Stories sedimentieren sich (5) die narrierten Argumentationen. Im sechsten Schritt weisen die genutzten Symbole, Metaphern etc. Aufnahmefähigkeit auf. Abbildung 2: Aufnahme von Argumentationslinien in einer narrierenden Organisation
Quelle: eigene Darstellung
Schließlich werden im Circuit of Connectivity über die Stories (7) die Argumentationslinien und Beziehungen bzw. die lebensweltlichen Objekte in alltägliche Situationen rückgebunden, so dass sich weiterhin (8) konkrete Positionen und Praktiken der Subjekte herausbilden und (9) durch die Akkumulation der diskur-
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siven Argumente in den Narrationen die Basis für zukünftige Stories gelegt wird. Über die Stories mit den diskursiven Argumenten wird die narrierende Organisation erst mit Leben gefüllt. Sowohl gesellschaftliche als auch epistemologische Elemente – nach der oben verfolgten Schneidung – werden in die Organisation aufgenommen, weitergetragen, modifiziert und neu aufgegriffen (vgl. Abb. 2). Exemplarisch für die Gerontologie möchte ich dies im Folgenden durch eine Rekonstruktion der überorganisationalen Felder verdeutlichen. Durch die dargestellten narrativen Elemente werden die organisationalen Strukturen mit Sinn und Wert versehen.
G ERONTOLOGIE ALS ANWENDUNGSBEISPIEL T RANSLATIONEN UND ANWENDUNGSWEISEN
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1995 wurde in Deutschland mit Verabschiedung des elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) das Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der Bundesrepublik keine allgemeine Pflegeversicherung. Durch die dadurch entstanden sozialen und finanziellen Folgen wurde oftmals Rückgriff auf Transferleistungen genommen, was wiederum zu einer starken Belastung der Sozialhilfeträger durch die Beihilfe zur Finanzierung der stationären Altenpflege führte (vgl. Rothgang/Pabst 1997: 12). Relevante gesellschaftliche Phänomene für die Gerontologie Altenpflegeeinrichtungen und deren Mitglieder bewegen sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Ich gehe davon aus, dass Organisationen im Allgemeinen aus der sie umgebenden Gesellschaft neue Einflüsse erfahren und ihre Ziele gesellschaftsreferenziell festlegen. Versucht man sich an einer analytischen Trennung, steht auf der ›obersten‹ Ebene die Gesellschaft im Allgemeinen – das Makro – mit den entsprechenden juridischen Elementen, medialen Umläufen etc. Die Organisationsmitglieder unterliegen diesen Einflüssen ebenso, wie sie ihre individuellen Zieldeterminationen mit Bezug auf die gesellschaftliche Situation treffen. Innerhalb des Makros wiederum sind mehrere Analysebereiche vorstellbar. So kann unter der Rubrik 1) der gesellschaftliche Diskurs beforscht werden, welcher in der Gerontologie bspw. die vorherrschenden Vorstellungen über das Altern, die Anzahl der Alten, die Unterbringung dieser und den Umgang mit ihnen in den Fokus setzt. Dieser Bereich ist jedoch schwer zu erfassen, da er sehr heterogen ausfallen kann. Schroeter z.B. diskutiert das »gerontologische Credo:
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erfolgreiches und produktives Altern« (2000: 87). Alt-Sein im Alter ist kein Standard mehr. Es ist individualisiert, optimiert und aufgeschoben, oder soll es werden. Für die Pflegenden, welche mit dem Alter umgehen, wird Alter zum Objekt. Sie setzen die Dienstleistung um dieses in den Vordergrund. Mit Hilfe einer Diskursanalyse (z.B. Jäger 1994, Fairclough 1995) kann an dieser Stelle versucht werden, sich dem Gegenstand weiter zu nähern und ihn zu systematisieren. Jedoch sind selbst bei einem stark zugeschnitten Themenbereich wie dem der Gerontologie Aussagen über das Altern oder die Situation in der stationären Altenpflege, aufgrund der Vielschichtigkeit des Objektbereichs, über die konkrete Datenbasis hinaus oftmals nur begrenzt verallgemeinerbar. Selbst im oben gezeichneten Bild wäre beispielsweise eine Medien- oder eine kulturanthropologische Analyse zum Thema Altern an gewissen Punkten umfassender; andere Aspekte hingegen gerieten aus dem Blickfeld. Desweiteren kann 2) die entsprechende Jurisdiktion, welche besondere Vorschriften in Kraft setzt und Wirkung entfaltet, untersucht werden. So wie in §14 Abs. 1 konkret die Pflegebedürftigkeit festgeschrieben ist, gibt das SGB XI auch das Ziel5 vor, Strukturen innerhalb bereits bestehender Strukturen zu schaffen, welche es ermöglichen, auf Erfahrungswerte zurückzugreifen und Kosten durch die Etablierung eines komplett neuen bürokratischen Gefüges zu sparen (vgl. auch BTDrS 12/5262: 2ff.). Darüber hinaus wurde die Erbringung von Pflegeleistungen an Stufen gebunden, in welchen der Schweregrad der Pflegebedürftigkeit zum Ausdruck kommen soll (vgl. SGB XI §15 Abs. 1). Neben der Festsetzung des Pflegebedarfs und den damit verbundenen Leistungen wird ebenso die Zahl der zu beschäftigenden Pflegekräfte in den Altenpflegeeinrichtungen (Fachkraftquote) über die Pflegestufen ausgedrückt. Für die Altenpflegeeinrichtungen bedeutet dies eine starke Bindung an die Bewohner_innenstruktur. Dazu kommen die Personen, welche in den Einrichtungen wohnen, jedoch keiner Pflegestufe zugeordnet werden. Als weiterer Kernpunkt wurde ebenso festgehalten, dass durch die Gesetzesnovelle »ein wesentlicher Beitrag geleistet [wird], eine leistungsfähige und wirtschaftliche Pflegeinfrastruktur aufzubauen«, in dem Sinne, dass der Pflegesektor mit Hilfe des Pflegeversicherungsgesetzes Wettbewerbsprinzipien folgen, Leistungsfähigkeit vor einem qualitativ hochwertigen und humanitären Hintergrund erreichen und unabhängiger von einer öffentlichen Finanzierung werden soll (BTDrS 12/5262: 3). Im Wortlaut des Gesetzestextes bedeutet dies, dass »Pflegekassen, Pflegeeinrichtung und Pflegebedürftige darauf
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Zu einer umfassenden Diskussion der Ziele verschiedener Akteursgruppen und zum Konsensfindungsprozess vor Einführung des PflegeVG vgl. Hopfe 1993; Meyer 1996; Rothgang/Pabst 1997: 9-38.
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hinzuwirken [haben], daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden« (SGB XI § 4 Abs. 3). Neben den umfassenden Verbesserungen in der Versorgungslage und der Schaffung einer komplett neuen Grundlage (vgl. auch Schneekloth/Müller 2000: 13) ist im SGB XI als weiterer elementarer Bestandteil festgeschrieben, dass Prävention und Rehabilitation Vorrang vor der Pflege haben (§ 5).6 Diese Festlegung bedeutet für Altenpflegeeinrichtungen eine überwiegende Konzentration auf die pathologischen Aspekte der Bewohnerinnen und Bewohner, weg vom Residenzgedanken. Einen weiteren Ausganspunkt bilden 3) Deleuzes Überlegungen zu Politik, wonach sich die Gesellschaft in einem gewandelten Kapitalismus der Überproduktion befindet, in welchem das Erzeugnis im Vordergrund steht (vgl. Deleuze 1993: 259f.). Diese Phase seit Beginn der 1970er Jahre kann synonym als Postfordismus bezeichnet werden (Opitz 2004: 97). Die Arbeit an dem Produkt ist dabei nicht mehr gekennzeichnet durch Kraft, sondern verstärkt durch das Wissen um selbiges.7 Professionalität und somit auch Professionalisierung geht mit einer zunehmenden Flexibilisierung der Subjekte einher. Organisationsstrukturen werden immer netzwerkartiger, wobei an die Stelle der Fabrik das Unternehmen tritt, welches als Zentrum, oder Seele, die Dienstleistung um das Produkt aufweist (Deleuze 1993: 260). An Foucault (1976b) anschließend führt Deleuze als post-disziplinäre Gesellschaft den Begriff der Kontrollgesellschaft ein (Deleuze 1993: 250, 255).8 Die postfordistische Organisations- und Gesellschaftsform der
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Dabei wird jedoch im Großen auf die ›Vorpflegephase‹ rekurriert und von daher nicht weiter betrachtet.
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Vgl. diesbezüglich auch Bells (1976) Gedanken zur Wissensgesellschaft und
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Deleuze (1993) bezieht sich in dem kurzen Beitrag Postskriptum über die Kontrollge-
Hardt/Negri (2002, i. Bes. S. 296f.) zur Informatisierung der Gesellschaft. sellschaft häufiger auf Foucault und bindet auch die Bezeichnung Kontrollgesellschaft und deren Analyse, unter Vermeidung genauer Verweise, an ihn. Link (2008) greift das als Kritikpunkt auf und führt ihn aus. Über einen semantischen Exkurs zur Bedeutung des französischen Wortes normalisation kommt er zu dem Befund, Deleuze hat, im Glauben Foucault zu folgen, den Begriff der Kontrollgesellschaft falsch gewählt. Inhaltlich identifiziert er keine Differenzen, jedoch spielt Kontrolle auch in der Disziplinargesellschaft (vgl. i. Bes. »Totale und asketische Institutionen« (Foucault 1976b: 295-329) eine entscheidende Rolle (vgl. Link 2008: 246)). Da aber in der postfordistischen Gesellschaft Kontrolle einen »integralen Aspekt« (ebd.) hinsichtlich der Informatisierung (vgl. Hardt/Negri 2002: 296f.) und der »unmittelbaren Kommunika-
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Kontrollgesellschaft ist, sowohl was Machtmechanismen, als auch was die Ausdifferenzierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung betrifft, anders als die Disziplinargesellschaft. Sie ist gekennzeichnet durch »unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation« und stete Unabgeschlossenheit (Deleuze 1993: 250f.). Starre Strukturen und Routinen werden aufgelöst und mutieren zu einer allgegenwärtigen Dispersion (vgl. Enzensberger 1988: 50; Sennett 2000: 10). Institutionen als feste Gebilde mit apodiktischen Regeln treten in den Hintergrund und scheinen mehr Raum für Freiheit und Entfaltung zu liefern. War Macht in der Disziplinargesellschaft noch offenkundig und zentriert, indem sie Möglichkeiten des Agierens und Denkens beschränkte, ist sie in der Kontrollgesellschaft »demokratisiert«, verteilt und »zunehmend von den Subjekten internalisiert« (Hardt/Negri 2002: 38). Flexibilität und Selbstkontrolle sind allgegenwärtig und idealisiert. Die Subjekte in der Kontrollgesellschaft sehen sich einer »unhintergehbaren Rivalität [konfrontiert], die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst spaltet« (Deleuze 1993: 257). Noch für die Disziplinargesellschaft hält Foucault fest, dass der Körper nur »zu einer ausnutzbaren Kraft wird […], wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist« (Foucault 1976b: 37, eigene Hervorhebung). In der Kontrollgesellschaft erfolgt die Unterwerfung des Körpers aus freien Stücken heraus und ist eher als freiwillige Unterordnung zu verstehen. Die alten Regeln der Unterwerfung der Disziplinargesellschaft sind nicht abgeschafft, sondern in einem schwerer zu durchschauenden Geflecht erweitert (Sennett 2000: 11). Es erfolgt eine Verschiebung von einer Normung der Subjekte hin zu einer Produktion von »subjektiven Normalitäten mit Streubreiten« (Link 2008: 246, 243-246). Flexibilität und die Professionalität betreffen aber nicht nur die arbeitenden Teile der Gesellschaft. Es tangiert Jede und Jeden, Junge und Alte. Auch im Alter ist das Subjekt in der postfordistischen Kontrollgesellschaft flexibel und unternehmerisch (vgl. Bröckling 2007) genug, um einen effektiven und produktiven Beitrag zum Erhalt der Gesellschaft zu leisten. Epistemologische Phänomene in der Gerontologie Die wissenschaftliche Diskussion in der Gerontologie kann in verschiedenen Argumentationslinien konzeptionalisiert werden. Dabei lassen sich die erörterten Inhalte in die Kategorien ökonomische, akademische und soziale Argumentation ordnen.
tion« (Deleuze 1993: 250) sensu Deleuze einnimmt, halte ich der Einfachheit und Gebräuchlichkeit des Begriffes halber daran fest.
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Unter ökonomischer Argumentation fasse ich hauptsächlich die Logik des Marktes, wobei der Hintergrund dafür in der demografischen Entwicklung liegt. Blinkert und Klie (2008) prognostizieren einen Anstieg der pflegebedürftigen Personen auf das Dreieinhalb- bis Vierfache bis 2050. Daraus ergeben sich für die Altenpflegeeinrichtungen zum einen Marktpotentiale, im Umkehrschluss jedoch auch wachsender Wettbewerb. Um dem zunehmenden Pflegebedarf der Bevölkerung zu begegnen, wurden Restrukturierungsmaßnahmen ergriffen, die dazu führen sollen, die steigenden Kosten abzufedern. Im Sinne der Rationalität und der besseren Vergleichbarkeit beinhalteten diese Instrumente eine quantitative Minderung der Pflegekräfte, Budgetkürzungen und Reduzierungen in der Verfügbarkeit von Leistungen und technischen Einrichtungen (vgl. Baumann/Blythe 2003; Kälble 2005: 32; Attree 2007: 400; Sachs 2007: 113). ›Forschung‹ steht im ökonomisch-argumentativen Zusammenhang für die Nutzung von Ergebnissen quantitativer, objektiver Studien, welche hauptsächlich BestPractice-Lösungen aus dem privaten Sektor sind (Görres et al. 2006: 161). Die Aufnahme von medizinischen und pflegerischen Innovationen, fachspezifischer Sprache und Handlungsbildern aus »wahren« Wissenschaften wie den Naturwissenschaften bezeichne ich als akademische Argumentation. Für Hasseler (2007) sowie Simon (2007) erfüllt die Orientierung am Akademischen, dem Medizinischen, für die Gerontologie den Zweck der Akzeptanz- und Legitimitätssicherung. Auf der einen Seite versucht sich die Pflegewissenschaft stärker an der Medizin als naturwissenschaftlich-fundierte Wissenschaft auszurichten und deren Erkenntnisse hinsichtlich Heilungs- und/oder Behandlungserfolgen aufzunehmen (Lauer 2000; Schroeter 2005: 385; Görres et al. 2006: 160; Twenhöfel 2007). Dabei tritt Evidenzbasiertheit medizinischen und pflegerischen Wissens in den Vordergrund (vgl. Simon 2007; Ziebland/Herxheimer 2008). Zum Anderen grenzt sich die Gerontologie von der Medizin ab, um als eigenständige Disziplin zu erscheinen und den Handlungsbegriff stärker in den Fokus zu rücken (vgl. Görres/Friesacher 2005: 34; Sachs 2007: 113, 115; Voges 2002: 147). Stark damit verbunden ist der Ruf nach einer lauteren ›Stimme der Pflege‹ (vgl. Bauch 2005; Kleve 2005; Dewing 2008). Als letzte Argumentationslinie in der gerontologischen Literatur fasse ich die soziale Argumentation, welche sich hauptsächlich mit der »Entwicklung der Haltung zum Klienten«9 (Behrens 2005: 51) trägt (vgl. auch Bräutigam et al. 2005;
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Zu beachten ist die sich wandelnde Bezeichnung der Zupflegenden/Bewohner_innen als Konsument_innen und eben Klient_innen (vgl. Tierney 2006: 111). Trotz der eher betriebswirtschaftlich anmutenden Notation der Begriffe ist die inhaltliche Ausdiffe-
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Dunkel 2005; Gerlach 2005). Die Zupflegenden und die auf sie bezogenen Handlungen stehen im Fokus der Tätigkeit. Der Hauptgedanke hinter der sozialen Argumentation ist die bei der Bewohnerin und dem Bewohner wahrgenommene Qualität (vgl. Attree 2007). Die Professionalisierung des Pflegeberufs nimmt somit eine zentrale Position in dieser Argumentation ein. Für die Pflegenden entwickeln sich dadurch erweiterte Rollen (vgl. Bollinger 2005; Sachs 2007: 113), fernab eines Verständnisses der ›Pflege als Handwerk‹ (vgl. Michaelis 2005: 268; Bartholomeyczik 2007). Im Zuge dessen wird neben dem Berufsbild an sich auch das professionelle Verständnis der Ausbildung neu definiert (Hanns et al. 2005; Bartholomeyczik 2007; Themessl-Huber et al. 2007). Sowohl die präsentierten gesellschaftlichen als auch die gerontologischen Phänomene finden niemals in Gänze Niederschlag in einer Altenpflegeeinrichtung. Bzgl. der Argumentationslinien ist das schon aufgrund der unterschiedlichen Hintergründe und der verschiedenen Fokusse offensichtlich. Gleiches gilt auch für die verschiedenen gesellschaftlichen Bilder über das Altern oder auch kontrollgesellschaftliche Aspekte. Mit Hilfe des Modells aus Abb. 2 ist es möglich, in verschiedenen stationären Altenpflegeeinrichtungen zu untersuchen, welche Argumentationslinien oder einzelne Ausprägungen dieser genauso wie Gesichtspunkte aus dem gesellschaftlichen Phänomenbereich über die drei Circuits Niederschlag finden.
S CHLUSSBETRACHTUNGEN Wofür können die hier angestellten Überlegungen genutzt werden? Ich habe dargestellt, wie sich die Situation in der stationären Altenpflege in Deutschland und dem entsprechenden relevanten diskursiven Bereich geändert hat und welche Folgen daraus für das Tätigkeitsfeld, man mag sagen u.a. eine Entwicklung hin zu einer Branche, resultierten. Zweifelsohne schlossen sich daraus auch Entwicklungen in der organisationalen Lebenswelt für die Arbeitenden an (vgl. dazu Braverman 1974: 139-151). Der Einstieg in den Beitrag erfolgte über Türk mit Hinblick auf organisationale Kontrolle und deren Analyse. Wenn Braverman als zentrales Ziel des Managements in kapitalistischen Organisationen »the displacement of labor as the subjective element of the labor process and its transformation into an object« (1974: 180) angibt, wird darin zum einen die Objekti-
renzierung in der dritten Argumentationslinie deutlich different im Vergleich bspw. zur ersten.
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vierung und Vereinheitlichung der Arbeit zur besseren Kontrolle dieser deutlich. Zum anderen versteckt sich darin jedoch auch – was jedoch eine generelle Prägung der Vertreter_innen der Arbeitsprozesstheorie ist – die ablehnende Haltung, diese Entwicklung stünde mit einer Zunahme managerialer Autorität in Zusammenhang (vgl. auch Thompson 1983: 123). Auch wenn an dieser Stelle, durch die Nichtberücksichtigung empirischer Ergebnisse, keine Untersuchung der Türkschen Verwertungsperspektive stattgefunden hat, so glaube ich, exemplarisch eine Möglichkeit aufgezeigt zu haben, wie der ›überorganisationale Einfluss‹ der Makro- und Metaebene mit der Einbindung der Arbeiterinnen und Arbeiter untersucht werden kann. Dabei ist deutlich geworden, dass ein erweitertes Verständnis von Diskurs, hin zu einem narrativen Zugang von Argumentation, hilfreich für die Betrachtung innerorganisationaler Lebenswelten sein kann. Auch wenn es zunächst vielleicht nicht in jedem Zugang nachvollziehbar scheint, warum ich mich in einem Sammelband zu Organisationsforschung nach Michel Foucault dessen nur als Ausgangspunkt bediene, sind meine Beweggründe in der zugänglicheren Operationalisierbarkeit für die Organisationsforschung hoffentlich einsichtig. Gerade für wissensintensive Organisationen scheinen der präsentierte Ansatz und das dargestellte Modell (Abb. 2) von Nutzen in der Analyse organisationaler Kontrollstrukturen zu sein. Durch den starken Rekurs auf Argumentation, dessen elementare Bedeutung für Sinnstiftung und darüber die etwaige Herabwürdigung anderer Argumentationen außerhalb des Sinnes, steht dieser Beitrag jedoch nicht so weit entfernt von Foucaults Gedanken, begreift man Argumentationslinien in gewissem Sinne als Grenzziehungen des Willens zum Wissen, welcher sich auf eine institutionelle Basis stützt (Foucault 1970, i.Bes. S. 15). Exemplarisch habe ich mich dabei der Gerontologie und den stationären Altenpflegeeinrichtungen zugewandt, um einen möglichen Zugang über zwei unterschiedliche Wissensordnungen aufzuzeigen. Über das Modell der Aufnahme von Argumentationslinien in einer narrierenden Organisation kann die Einbindung der diskursiven Argumente und darüber deren Einfluss verdeutlicht werden. Die Argumente durchlaufen die Organisation in der Gestalt, dass zukünftige Stories und damit auch Praktiken beeinflusst werden. Je nach organisationalem Kontext (z.B. Trägerschaft der stationären Altenpflegeeinrichtungen) werden verschiedene Elemente aus den Argumentationslinien weitergetragen, was wiederum großen Einfluss sowohl auf die Einbindung der Pflegekräfte als auch auf die Verwertungsperspektive innerhalb der Einrichtung hat. Wie sich dieser Aspekt im Detail empirisch ausgestaltet, habe ich an dieser Stelle nicht darstellen können. Weiterhin von großem Interesse ist die Frage des Widerstandes in narrierenden Organisationen. Eine Möglichkeit, Widerständlichkeiten zu fassen sehe ich dabei in dem Heterotopiekonzept, auf welches ich hier jedoch
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leider ebenso nicht eingehen konnte. Eine Heterotopie wäre dabei verstanden als ein Ort, welcher isolierte Zuflucht vor der herkömmlichen Lebenswelt sein kann, »deren Sinn vom Vorhandensein symbolischer Elemente abhängig ist, er kann mit einer ›verstandenen‹ konkreten Umwelt kommunizieren oder in Beziehung zu einer idealen, imaginierten Welt stehen« (Norberg-Schulz 1982: 63, Herv. i.O.). Vorteil des Entwurfs wäre meiner Ansicht nach die Möglichkeit, Widerstand gegen diese, sich durch die Translation und Aneignung der Argumentationen ergebenden, Kontrollformen auf organisationaler Ebene zu betrachten, denn ausschließlich auf der individuellen.
L ITERATUR Attree, Moira (2007): »Factors influencing nurses’ decisions to raise concerns about care quality«, in: Journal of Nursing Management 14 (4), S. 392-402. Barth, Else M. (1987): »Logic to some Purpose: These Against the DeductiveNomological Paradigm in the Science of Logic«, in: Frans H.van Eemeren/Rob Grootendorst/J. Anthony Blair/Charles A. Willard (Ed.), Argumentation. Proceedings of the Conference on Argumentation 1986, Dordrecht [u.a.]: Foris, S. 33-45. Bartholomeyczik, Sabine (2007): »Pflegezeitbemessung unter Berücksichtigung der Beziehungsarbeit«, in: Pflege & Gesellschaft, 12 (3), S. 240-248. Baumann, Andre/Blythe, Jennifer (2003): »Restructuring, Reconsidering, Reconstructing: Implications for Health Human Resources«, in: International Journal of Public Administration, 26 (14), S. 1561-1579. Beech, Nic (2000): »Narrative styles of managers and workers: A tale of starcrossed lovers?« In: The Journal of Applied Behavioral Science 36 (2), S. 210-228. Behrens, Johann (2005): »Soziologie der Pflege und Soziologie der Pflege als Profession: die Unterscheidung von interner und externer Evidenz«, in: Klaus R. Schroeter/Thomas Rosenthal (Hg.), Soziologie der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven, Weinheim: Juventa, S. 51-70. Bell, Daniel (1976): The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting, New York: Basic Books. Blinkert, Baldo/Klie, Thomas (2008): »Die Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen vor dem Hintergrund von Bedarf und Chancen«, in: Ullrich Bauer/Andreas Büscher (Hg.), Soziale Ungleichheit und Pflege. Beiträge sozialwissenschaftlich orientierter Pflegeforschung, Wiesbaden: VS Verlag, S. 238-258.
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Foucault in der Organisationsforschung Eine technische Diskursanalyse R ICK V OGEL /N INA K ATRIN H ANSEN
E INFÜHRUNG Der 1984 verstorbene Philosoph, Soziologe und Historiker Michel Foucault ist einer der herausragenden französischen Denker des 20. Jahrhunderts (vgl. Erdmann/Forst/Honneth 1990; Fink-Eitel 2002). Die philosophische Fragestellung Foucaults lässt sich als Analyse der Konstitution des modernen Individuums innerhalb der Macht- und Wissensgeschichte charakterisieren; »Macht« fungiert hierbei als »Entwicklungs- und Integrationsprinzip« der Gesellschaft (ebd.). Mit diesen Topoi gehört Foucault auch zu den wesentlichen Wegbereitern der kritischen Organisationsforschung. Im vorliegenden Beitrag gehen wir der Frage nach, welche Spuren Foucault in der zeitgenössischen Organisationsforschung hinterlassen hat. Wenn Wissenschaftler_innen auf den Schultern von Riesen stehen – wo stehen Organisationsforscher_innen heute auf den Schultern Foucaults? Unter dieser Leitfrage legen wir im Folgenden eine Diskursanalyse der Organisationsforschung nach Foucault vor. Da das Werk Foucaults eine bemerkenswerte Breite aufweist, dient uns eine grundlegende Periodisierung seines Schaffens als Bezugspunkt unserer Analyse. In Anlehnung an Burrell (vgl. 1988) kann eine Einteilung in drei Phasen erfolgen: (1) Archäologie, (2) Genealogie und (3) Ethik. Diese Phasen haben ihren Ursprung in der theoretischen Verlagerung der philosophischen Fragestellung, die durch drei Aspekte gekennzeichnet ist: Wissen, Macht und Subjektivität (vgl. Fink-Eitel 2002). Sie markieren zugleich wichtige Schritte in Foucaults Entwicklung vom Strukturalisten zum Poststrukturalisten.
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(1) Die archäologische Phase ist gekennzeichnet durch Foucaults frühe Schriften Wahnsinn und Gesellschaft (1969), Die Geburt der Klinik (1973a), Die Ordnung der Dinge (1971) und Die Archäologie des Wissens (1973b), in denen er die strukturalistische Methode auf die Ideengeschichte anwendet (vgl. Münkler/Roesler 2000). Die Archäologie als besondere Art der Geschichtsschreibung beschäftigt sich nicht mit der Kontinuität, sondern mit der Diskontinuität historischer Entwicklungen; hier überschreitet Foucault bereits die Grenzen des Strukturalismus (vgl. Münkler/Roesler 2000). (2) Obgleich Foucaults Position als ambivalent bezeichnet werden kann, beginnt ab Die Ordnung der Dinge (1971) eine Entwicklung vom Strukturalisten hin zum Poststrukturalisten, und durch den Entwurf seiner Genealogie kann Foucault endgültig als Poststrukturalist bezeichnet werden (vgl. Münkler/ Roesler 2000). Ausgangspunkt seiner genealogischen Geschichtsschreibung ist der Verzicht auf das Bestimmen eines Ursprungs; ihr Ziel ist die Analyse der Herkunft einmaliger Ereignisse. Die Inauguralvorlesung Die Ordnung des Diskurses (1974), Überwachen und Strafen (1977a) sowie Der Wille zum Wissen (1977b) sind die zentralen Werke der genealogischen Periode. (3) Anfang der 1980er Jahre ist die Kritik am Strukturalismus, der seine zentrale Rolle in der Philosophie bereits verloren hat, vollendet. Allerdings entfernen sich nun auch Vertreter des Poststrukturalismus immer mehr von ihrem ursprünglichem Denken. Als Konsequenz wird das poststrukturalistische Denken von seinen Vertretern über das eigentliche »poststrukturalistische Paradigma hinaus getrieben« (Münkler/Roesler 2000: 172). Foucault befasst sich in dieser Phase mit dem Thema der Subjektivität in der Antike (vgl. FinkEitel 2002). Für die ethische Phase stehen die Werke Der Gebrauch der Lüste (1986a) und Die Sorge um sich (1986b). Obwohl dieses diskontinuierlich entwickelte Programm keineswegs schon als erschöpft gelten kann, hat die Foucault-Rezeption in der Organisationsforschung längst ein beachtliches Ausmaß erreicht. Das stetig wachsende Publikationsaufkommen macht es jedoch selbst involvierten Expert_innen schwer, einen Überblick zu behalten. In Ergänzung zu qualitativen Rezeptionsanalysen (vgl. z.B. Jones 2002) wählen wir deshalb für unsere Diskursanalyse den technischen Ansatz der Bibliometrie, mit dem sich große Literaturmengen systematisch auf emergente Muster und Strömungen reduzieren lassen. Damit ist Foucault zwar der analytische Gegenstand, nicht aber der methodische Vorlagengeber unserer Studie. Im nächsten Abschnitt führen wir die Daten und Methode unserer empirischen Diskursanalyse ein. Im Wesentlichen verarbeiten wir Zitationsdaten der
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Jahre 2000-2012 mit dem Verfahren der bibliographischen Kopplung, wodurch Frontverläufe der Organisationsforschung sichtbar werden. Die Ergebnisse werden im dritten Abschnitt anhand der aus der Literatur extrahierten Publikationscluster dargestellt. Wir weisen sieben untereinander vernetzte Subdiskurse nach und skizzieren sie in der gebotenen Kürze. In der Schlussbetrachtung ziehen wir eine Bilanz der aktuellen Rezeption von Foucault in der kritischen Organisationsforschung und führen sie auf seine drei Schaffensperioden zurück. Es zeigt sich, dass insbesondere die genealogische Phase tiefe Abdrücke in den Zitationsstrukturen des Fachs hinterlassen hat. Der Preis für Prominenz ist jedoch auch bei Foucault ein folkloristisches Zitieren bei nur flüchtiger Auseinandersetzung mit dem Originalwerk.
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Unser Ansatz bedient sich der Methodenfamilie der Bibliometrie, die mit statistischen Verfahren große Mengen bibliographischer Daten verarbeitet und mit bildgebenden Verfahren visualisiert (vgl. im Überblick Verbeek et al. 2002). Zu diesem Zweck werden insbesondere die Querverweise zwischen wissenschaftlichen Texten analysiert, die durch eine der zentralen Praktiken der Wissenschaft – das Zitieren herangezogener Quellen – entstehen. Aufgrund des technischen Ansatzes der Bibliometrie bedürfen ihre Ergebnisse sorgfältiger Interpretationen auf der Grundlage der Fachkenntnisse ihrer Anwender_innen. Bibliometrische Vermessungen eines wissenschaftlichen Feldes können deshalb die Selbstreflexionen wissenschaftlicher Gemeinschaften nicht ersetzen, sondern nur um eine Vogelperspektive auf die aggregierten Zitationsstrukturen des Fachgebietes ergänzen. Als Datengrundlage unserer Rezeptionsanalyse haben wir den Social Science Citation Index® (SSCI) des Informationsanbieters Thomson Reuters herangezogen. Diese Datenbank erfasst bibliographische Informationen von mehr als 3.000 wissenschaftlichen Zeitschriften aus allen Teilgebieten der Sozialwissenschaften. Da der SSCI – wie sein Name verrät – auch Zitationsdaten enthält, lässt sich die Wirkungsgeschichte von Autor_innen anhand der kumulierten Verweise auf ihre Werke rekonstruieren. Zu diesem Zweck haben wir unsere Suche zunächst auf alle Dokumente eingeschränkt, deren Literaturverzeichnisse Arbeiten von Michel Foucault enthalten. Fehlerhafte Schreibweisen und Homonyme können zu Fehlselektionen führen, fallen aber umso weniger ins Gewicht, je höher der Bekanntheitsgrad eines_einer Autor_in ist. Im nächsten Schritt haben wir die beiden Forschungsgebiete »Business & Economics« sowie »Public Administration«
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ausgewählt, weil in diesen Kategorien die höchste Abdeckung der Organisationsforschung zu vermuten ist. Jedes Dokument wird unabhängig von der Zeitschrift, in der es erschienen ist, einem oder mehreren Forschungsgebieten (»Research Areas«) zugeordnet. Durch Mehrfachzuordnungen ist gewährleistet, dass auch Schnittstellen der Organisationsforschung mit anderen Feldern (z.B. Soziologie, Gender Studies) erfasst werden. Um unsere Analyse auf originäre Forschungsbeiträge zu beschränken, haben wir außerdem nur die Dokumenttypen »Article«, »Review« und »Proceedings Paper« berücksichtigt und andere Arten der Veröffentlichung (z.B. Rezensionen, Editorials, Nachrichten) ausgeschlossen. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich über die Jahrgänge 2000 bis 2012.1 Mit diesen Parametern führt unsere Datenbankabfrage zu einem Datensatz mit 2.207 zitierenden Dokumenten, die 149.139 Verweise auf 99.184 zitierte Dokumente enthalten. Diese Rohdaten haben wir mit der Methode der bibliographischen Kopplung weiterverarbeitet (vgl. Kessler 1963). Dokumente sind bibliographisch gekoppelt, wenn sich in ihren Literaturverzeichnissen mindestens eine gemeinsame Quelle finden lässt. Die Methode beruht auf der Annahme, dass sich die Größe von Schnittmengen in Literaturverzeichnissen als Indikator für inhaltliche Ähnlichkeiten der gekoppelten Arbeiten interpretieren lässt. Je enger Dokumente bibliographisch gekoppelt sind, je mehr Referenzen sie also gemeinsam haben, desto enger ist ihre thematische Verwandtschaft. Diese Annahme kann im Einzelfall grotesk falsch sein, z.B. weil nicht zwischen positiven (zustimmenden) und negativen (ablehnenden) Zitationen unterschieden werden kann; sie erweist sich auf der Grundlage sehr großer Datenmengen jedoch als zuverlässig. Da eine bibliographische Kopplung die Eigenschaft von zitierenden und nicht von zitierten Dokumenten ist, eignet sich die Methode insbesondere, um den Verlauf aktueller Forschungslinien nachzuzeichnen (vgl. Jarneving 2005). Dies deshalb, weil zitierende Dokumente stets jünger sind als die in ihnen zitierten Arbeiten (von der Ausnahme »im Druck« zitierter Werke abgesehen). Mit der Methode der bibliographischen Kopplung werden Dokumente unabhängig von der Anzahl erhaltener Zitationen analysiert. Das vermeidet eine Verzerrung zugunsten älterer »Klassiker«, hat aber den Nachteil, dass auch Arbeiten miterfasst werden, die sich später als wenig relevant für das Fachgebiet erweisen werden.
1
Der vollständige Suchterm lautete also: Cited Author=(FOUCAULT M OR FOUCAULT MICHEL); refined by: Document Types=(ARTICLE OR REVIEW OR PROCEEDINGS PAPER) AND Research Areas=(BUSINESS ECONOMICS OR PUBLIC ADMINISTRATION); Timespan=2000-2012; Databases=SSCI.
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Technisch führt die Anwendung der Methode im ersten Schritt zu einer symmetrischen Datenmatrix mit den zitierenden Dokumenten als Zeilen- und Spaltenköpfe und der Anzahl gemeinsamer Referenzen als Werte. Die Werte der Hauptdiagonalen haben wir als fehlend behandelt. Da bei einer Gesamtzahl von 2.207 Dokumenten die Kopplungsmatrix sehr groß ist und deshalb noch nicht die angestrebte Komplexitätsreduktion leistet, haben wir als zweiten Schritt einen Schwellenwert für die Kantengewichte – eine Mindeststärke der bibliographischen Kopplung – eingeführt, durch den der Netzwerkkern schrittweise herausgelöst wurde. Im Einklang mit dem Standardrepertoire bibliometrischer Analysen haben wir im dritten Schritt eine Faktorenanalyse durchgeführt, um innerhalb des verbleibenden Netzwerks thematisch zusammenhängende Arbeiten zu gruppieren (vgl. McCain 1990). Da in der Faktorenanalyse bessere Gruppierungsergebnisse erzielt werden, wenn nicht absolute Häufigkeiten, sondern relative Korrelationen verarbeitet werden, haben wir die Ähnlichkeitsmaße zuvor auf der Grundlage von Pearsons Korrelationskoeffizienten transformiert. Im letzten Schritt folgt eine Visualisierung des Netzwerks mit Hilfe eines SpringEmbedding-Algorithmus (vgl. Wasserman/Faust 2009).
E RGEBNISSE : D IE F OUCAULT -R EZEPTION IN O RGANISATIONSFORSCHUNG , 2000-2012
DER
Abbildung 1 zeigt das bibliographische Netzwerk der Foucault-Rezeption in der aktuellen Organisationsforschung. Jeder Knoten des Netzwerks repräsentiert einen Zeitschriftenartikel, der in seinem Literaturverzeichnis mindestens ein Werk von Foucault ausweist. Die Größe der Knoten ist proportional zu ihrer Zentralität im Netzwerk. Wir haben zu diesem Zweck die Degree-Zentralität herangezogen, die sich als Quotient aus der Anzahl tatsächlich realisierter Verbindungen eines Knotens und der Anzahl aller potenziell realisierbaren Verbindungen berechnet (vgl. Wasserman/Faust 2009). Jede Kante ist ein Hinweis darauf, dass die verbundenen Knoten auf identische Dokumente verweisen. Die Stärke der Verbindungslinien spiegelt das Kantengewicht – also die Anzahl gemeinsamer Quellen – wider. Für das Diagramm haben wir nur Artikel berücksichtigt, die mit mindestens zwei anderen Artikeln mehr als acht gemeinsame Quellen aufweisen. Durch die Anwendung dieser Schwellenwerte tritt der Netzwerkkern klarer hervor, indem die Gesamtmenge der ursprünglich selektierten Dokumente auf die am dichtesten untereinander verbundenen Dokumente reduziert wird.
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Abbildung 1: Bibliographisches Netzweerk
Quelle. Eigene Darstellung
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Anhand der Ergebnisse der Faktorenanalyse kann diese Teilmenge wiederum in inhaltlich relativ homogene Cluster zerlegt werden (vgl. Tabelle 1). Anhand des Ellbogenkriteriums haben wir sieben Faktoren extrahiert, die latente Strömungen in der Foucault-Rezeption repräsentieren. Artikel ohne signifikante Ladungen (ĞŐŝƚŝŵ;ŝĞƌƚͿ͗
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