Objekte des Krieges: Präsenz & Repräsentation 9783110608410, 9783110608090

Military objects are popular items in literature and the fine arts, and have often been elaborately designed. However, t

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German Pages 176 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Materielle Ritterschaft
Mensch – Waffe – Körperwissen
Choreografie der Lanzen
Shields in Early Modern Art Literature as Media of Re-Presentation
Sixteenth-Century Notklippen as Objects of Warfare?
Das Nachleben der Rüstung im sepulkralen Kontext des 16. Jahrhunderts
Zwischen informativer Präsenz und visuellem Effekt
Fantastische Rüstungen und kugelsichere Armbänder
Bildnachweis
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Objekte des Krieges: Präsenz & Repräsentation
 9783110608410, 9783110608090

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Objekte des Krieges

OBJECT STUDIES IN ART HISTORY Vol. 2 Edited by Philippe Cordez

OBJEKTE DES KRIEGES Präsenz & Repräsentation Herausgegeben von Romana Kaske und Julia Saviello

Ermöglicht wurde diese Publikation durch die großzügige Unterstützung seitens des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (Elitenetzwerk Bayern) und der Ludwig-Maximilians-Universität München.

ISBN 978-3-11-060809-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060841-0 Library of Congress Control Number: 2019948507 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliographie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Cover illustration: Pressefoto für die Ausstellung Power Games, 2014, Stockholm, Livrustkammaren © Foto: Erik Lernestål (seitenverkehrt) Typesetting: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Printing and Binding: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhalt

Romana Kaske, Julia Saviello 7 Einleitung Objekte des Krieges in Literatur und bildender Kunst zwischen Präsenz und Repräsentation

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Romana Kaske Materielle Ritterschaft Die Lanzen in Wolframs von Eschenbach Parzival Eric Burkart Mensch – Waffe – Körperwissen Die bildliche und textliche Repräsentation von embodied knowledge in vormodernen Kampfbüchern Jeannet Hommers Choreografie der Lanzen Hans Holbeins Schlachtenszene und die Ästhetisierung von Lanzen, Piken und Spießen in den nordalpinen Bildkünsten um 1500 Julia Saviello Shields in Early Modern Art Literature as Media of Re-Presentation

Allison Stielau 105 Sixteenth-Century Notklippen as Objects of Warfare? Realia, Representation, Narration Antje Kempe 123 Das Nachleben der Rüstung im sepulkralen Kontext des 16. Jahrhunderts

Raphael Beuing 141 Zwischen informativer Präsenz und visuellem Effekt Der Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums Joanna Nowotny 155 Fantastische Rüstungen und kugelsichere Armbänder Kriegsobjekte und die Performanz von Geschlecht in Superheldencomics 175 Bildnachweis

Romana Kaske, Julia Saviello

Einleitung Objekte des Krieges in Literatur und bildender Kunst zwischen Präsenz und Repräsentation

Krieg, Kampf und Gewalt sind als Faszinosum ein fester Gegenstand von Historiografie, Dichtung und Kunst.1 Diese Bereiche menschlichen Handelns sind geprägt von und wiederum prägend für Repräsentation und Imagination, sind sie doch mit grundlegenden Erfahrungen der conditio humana, wie Tod, Schmerz, Trauer oder Ekstase und Macht, verknüpft.2 Hier von menschlichem Handeln zu sprechen, übergeht indes rasch, dass der Mensch sich in den meisten Fällen Hilfsmitteln in Form materieller Objekte bedient. Sie eröffnen seinem Körper neue Möglichkeiten und lassen ihn über seine physischen Grenzen hinausgehen. Von mittelalterlichen Kettengeflechten bis zu modernen Kevlarwesten, von einfachen Holzprügeln bis zu perfekt ausbalancierten Schwertern umfasst diese Gruppe unterschiedlichste Objekte, die nicht immer unmittelbar als Waffe bestimmt und erkennbar sein müssen. Um sie können sich – wie um menschliche Kriegshelden oder Feindbilder – quasi-mythische Erzählungen und Formen von Glaubensgemeinschaften bilden; sie können aufs engste mit einem bestimmten Träger oder einer Personengruppe verbunden sein, als Attribut und Erkennungszeichen fungieren, kurz: sie sind für die Durchführung und damit auch für die künstlerische Darstellung von agonalem, gewaltsamem Handeln entscheidend. Objekte des Krieges, wie die eben skizzierten, stehen im Fokus des vorliegenden Bandes. ‚Krieg‘ ist in dieser Bezeichnung als Oberbegriff zu verstehen, der mit Waffen ausgetragene, physische Auseinandersetzungen zwischen menschlichen Akteuren meint.3 Auch der Kampf fällt selbstredend unter dieses agonale und gewaltsame Handeln, das auf die 1 Hiervon zeugen nicht zuletzt die jüngeren Publikationen zu diesem Themenbereich, wie zum Beispiel Hale 1990, Brunner 2002, Cuneo 2002, Braun / Herberichs 2005, Ulbrich / Jarzebowski / Hohkamp 2005, Nowosadtko / Rogg 2008, Emich / Signori 2009, Pawlak / Schankweiler / Schneider / Papenbrock 2013. 2 Vgl. Gudehus / Christ 2013, S. VII, die auch von der „mediale[n] Allgegenwart“ der Gewalt sprechen, ohne deren Thematisierung Menschliches kaum zu verstehen sei (S. VII). Siehe auch Hüppauf 2013, Einleitung. 3 Dagegen lässt sich ‚Gewalt‘ als allgemeiner Oberbegriff für jede Art der physischen oder psy­ chischen gewaltsamen Einwirkung auf einen anderen verstehen. Zu der langen und mitnichten zu klaren Definitionen führenden Forschungsgeschichte zu Gewalt siehe Gudehus / Christ 2013, S. 1–5.

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körperliche Integrität Anderer einwirkt. Wir verwenden daher die Wendung ‚Objekte des Krieges‘ mit dem Wissen, dass es sich um keine letztgültige Funktionsbeschreibung dieser Objektgruppe handelt, sondern um eine übergeordnete Kategorisierung.4 Von Objekten zu sprechen, impliziert zudem einen eigenen Bedeutungshorizont. Das ‚Objekt‘ positioniert sich seiner Wortherkunft nach in der Beziehung zu einem Subjekt:5 Es ist das Entgegengeworfene (lat. objectum, obicere), das dem Menschen entgegensteht, ihm unter Umständen nicht zuhanden ist oder sich für eine simple Nutzbarmachung nicht eignet. Anders als Werkzeuge, Instrumente oder Waffen im instrumentalen Sinne sind Objekte nach unserem Verständnis nicht primär Gegenstände, mit denen man etwas tut. Sie definieren sich vielmehr über Eigenschaften, insofern sie erfahren werden: Form, Gestaltung, Gewicht, Farbe und anderes, das haptisch, visuell, akustisch oder anderweitig sinnlich affiziert.6 Entscheidend ist jedoch das komplexe Verhältnis dieser Kategorien zueinander und damit letztlich die Frage, wie menschliches Erfahren und Wirken zusammenhängt. Der vorliegende Band nimmt diese Überlegungen zum Ausgangspunkt und untersucht, wie Waffen und andere ‚militärische‘ Objekte in der Literatur und bildenden Kunst thematisiert, verändert und instrumentalisiert werden. Eine zentrale Erkenntnis früherer Beiträge zur literarischen wie künstlerischen Reflexion des Themenkomplexes Krieg war, dass nur „in Bildern […] über Krieg geschrieben, gedichtet, gezeichnet und gemalt werden“ kann und dass allenfalls über Objekte, also Waffen oder Wappen, Wirklichkeitsbezüge in der Repräsentation aufscheinen könnten.7 Eben dieses Verhältnis zwischen real existierenden und repräsentierten Objekten und die durch letztere erzeugten Präsenzeffekte im textlichen wie bildlichen Narrativ stehen in den folgenden Beiträgen zur Diskussion.8 Diese ist von der Grundannahme geleitet, dass die künstlerische Beschäftigung mit Objekten, die dem Bereich von Krieg und Kampf zuzuordnen sind, und deren mediale Erfassung nicht im Sinne eines bloßen Abbildungsverhältnisses aufgelöst werden kann. Häufig werden ihnen durch Prozesse der Rekontextualisierung, Idealisierung oder Verfremdung vielmehr neue, teils unerwartete Gebrauchszusammenhänge und Bedeutungsebenen innerhalb bildlicher und textlicher Räume und Narrative zugeordnet.9

4 Diese ermöglicht vor allem dadurch Präzisierungen, weil durch die Bezeichnung ‚Krieg‘ einerseits der Kampf des Einzelnen, darüber hinaus aber auch politische Bestrebungen, kollektive Auseinandersetzungen und repräsentative Elemente oder die weiteren Auswirkungen auf eigentlich Unbeteiligte ins Blickfeld geraten. 5 Vgl. etwa Kohl 2003, S. 118f. Für eine differenziertere Analyse speziell des mittelalterlichen Objektbegriffs dagegen: Wöller 2018. 6 Vgl. dazu Cordez / Kaske / Saviello / Thürigen, The Properties of Objects, 2018, bes. S. 10–16. Zu Werkzeugen und Instrumenten als Objekte in Prozessen und Repräsentationen: Cordez 2012. 7 Emich / Signori 2009, S. 9. Vgl. auch Paul 2004. 8 Für frühere Überlegungen in diese Richtung: Geimer 2014. Werner 2005 behandelt dagegen den in diesem Zusammenhang nicht weniger relevanten Sonderfall eines im Kriegsgeschehen anwesenden Künstlers. 9 Für vergleichbare Beobachtungen zur Gattung des Stilllebens: Gockel 2011.

Einleitung    |

Als zentrale Bedingung für diese Neu- und Umcodierungen lassen sich die funktionalen wie kulturellen Zusammenhänge ausmachen, die die realen Waffen konstituieren, ebenso wie ihre materiellen Eigenschaften. Objekte des Krieges waren zu verschiedenen Zeiten und in vielfältigen Situationen funktional notwendig, und damit auch immer in bewegliche kulturelle Sinnsysteme eingespeist. Im europäischen Mittelalter wurden sie zum Beispiel gleichermaßen auf dem Schlachtfeld wie als Teil des höfischen Zeremoniells, im Kontext der Jagd und der adeligen Repräsentation eingesetzt. Verändern sich die symbolischen Bewertungen der Objekte, bleiben auch die künstlerischen und literarischen Darstellungen davon nicht unberührt. So wurden etwa mit der sich verändernden gesellschaftlichen Rolle des Rittertums aufgrund innovativer technischer Entwicklungen und sozialer Umbrüche ab dem späten Mittelalter auch die dazu gehörenden Objekte anders verstanden und wahrgenommen. Harnische, Schilde und Schwerter wurden nun weniger kriegerischen Funktionen zugeordnet, da sich neue Formen der Kriegsführung durchsetzten. Mit ihrem graduellen Verschwinden von den Schlachtfeldern der Frühen Neuzeit ging jedoch gerade nicht einher,10 dass diese Objekte auch aus der kulturellen Repräsentation und Imagination getilgt wurden. Stattdessen gewannen sie angesichts einer rein repräsentativen Nutzung und ihres symbolischen Gehalts sogar an Bedeutung.11 In ihren materiellen Eigenschaften sind Objekte des Krieges für Literatur und bildende Kunst nicht minder von Interesse. Die großen, glänzenden Oberflächen, die scharfen Kanten und herausragenden, spitzen Auswüchse der Ritterwaffen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, sind haptisch und visuell anziehend. Ob in Wirklichkeit, Literatur oder Kunst – sie besitzen immer auch einen sinnlich erfahrbaren Eigenwert, der in der historischen Entwicklung nach und nach ihre Funktion als Waffe überschreibt. Es geht nicht nur um die technische Qualität einer Rüstung, wenn etwa der Dichter ihre einzelnen Schichten, deren Farb- und Lichtwirkung oder konkreten Formen beschreibt, sondern zugleich um eine zusätzliche Dimension, um die evidente und anschauliche Gestaltung eines fiktionalen Objekts, das sich zwar dem tatsächlichen Ansehen oder Anfassen entzieht, jedoch im Text präsent gemacht wird. Möchte man diese Beobachtung präzisieren, muss man das Verhältnis der Realien zu ihren Repräsentationen, ob im Text oder im Bild, in den Blick nehmen. Das Begriffspaar ‚Präsenz und Repräsentation‘ erscheint besonders geeignet, dieses Verhältnis in seinen vielschichtigen Aspekten zu umschreiben. Etwas als präsent wahrzunehmen, heißt im Grunde nichts anderes als etwas sinnlich und/oder körperlich so wahrzunehmen, als sei

10 Damit sei die Forschungsdiskussion zum Niedergang des Rittertums nur am Rande erwähnt. Das bekannte Werk von Johan Huizinga zum ‚Herbst des Mittelalters‘ hat die metaphorisch gesättigte Vorstellung geprägt, es habe eine hochmittelalterliche Blütezeit des Rittertums gegeben, der unweigerlich ein Niedergang im 14. und 15. Jahrhundert folge. Die vielen kritischen Auseinandersetzungen mit Huizingas Darstellungen bündelt Prietzel 2006, S. 239–241. Bestechend ist die Beobachtung von Keen 1984 (S. 239), das Rittertum sei nicht verschwunden, sondern habe vielmehr sein Erscheinungsbild geändert. 11 Vgl. Stoichita 2012; Bodart 2018, S. 18.

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es gegenwärtig.12 Eine Repräsentation zielt hingegen darauf ab, mit verschiedenen, medial differenzierten Mitteln etwas Abwesendes zu vergegenwärtigen, es zu ‚re-präsentieren‘ – es eben präsent zu machen.13 Die Literaturwissenschaft und die Kunstgeschichte, aus denen die im vorliegenden Band versammelten Beiträge stammen, haben das Begriffspaar von ‚Präsenz und Repräsentation‘ bereits verschiedentlich fruchtbar gemacht. Beide Disziplinen verbindet die Frage nach Präsenzeffekten innerhalb der literarischen wie bildkünstlerischen Darstellung oder, mit Gottfried Boehm gesprochen, nach der „Präsenzleistung der Re-präsentation“.14 Mit dieser Frage gerät zunächst eine narrative beziehungsweise bildliche Verfahrensweise in den Blick, die dem antiken Stilideal der evidentia verpflichtet ist und die dem Leser oder Betrachter etwas vor Augen zu stellen vermag, das unmittelbar erscheint.15 Dies betrifft nicht nur die Vergegenwärtigung von abwesenden oder verstorbenen Personen, wie dies etwa Leon Battista Alberti 1435 als eine zentrale Aufgabe der Malerei beschrieben hat.16 Darüber hinaus steht das Verhältnis literarischer und bildlicher Darstellungen zu kulturell eingebundenen, real existierenden Objekten und deren spezifischen materiellen Eigenheiten sowie Handhabungen zur Diskussion, die in Bild wie Text auf unterschiedliche Weise rezipiert und transformiert werden.17 Präsenz und Repräsentation sind mithin nicht als Gegenbegriffe zu verstehen, sondern als zwei sich gegenseitig durchwirkende und bedingende Gefüge: Ebenso, wie sich Präsenzeffekte in medialer Vermittlung finden, wirken sich auch die kollektiven, imaginären Repräsentationen auf die historische Wirklichkeit aus. In einer weiteren Wendung verlagert sich schließlich der Fokus von den sinnlich erfahrbaren Eigenschaften des Repräsentierten auf jene des Wortoder Bildgefüges, durch das dieses hervorgebracht wird.18 12 Beinahe topisch ist hier mittlerweile der Verweis auf die „Präsenzphilosophie“ Hans Ulrich Gumbrechts, dessen Überlegungen innovative und produktive Forschungsperspektiven angeregt haben (zentral: Gumbrecht 2004, sowie etwa auch der Band von Fielitz 2012, in dem zehn Fachgebiete versammelt sind, S. xi für den zitierten Begriff). Das hier skizzierte Verständnis von Präsenz ist, ähnlich wie bei Gumbrecht (dort als ‚Präsenz der Welt‘) von der körperlichen Erfahrbarkeit der Welt und ihrer Gegenstände geprägt. Objekte des Krieges sind für Erwägungen zu ‚Präsenz‘ im Sinne einer unmittelbaren Einwirkung auf den menschlichen Körper (Gumbrecht 2004, S. 10f.) fruchtbar zu machen. Zugleich verstehen wir Präsenz nicht nur im Gumbrecht’schen Sinne als „räumliches Verhältnis zur Welt“ (ebd., S. 10), sondern auch im Boehm’schen Sinne als „gesteigerte Gegenwart“ (Boehm 2001, S. 6). Präsenz ist also nicht immer schon gegeben, sondern wird durch Intensivierung geschaffen – in der Repräsentation, aber auch in der Realität. 13 Vgl. Baschera / Bucher 2008. Für eine eingehende Analyse bildlicher Re-Präsentation unter Berücksichtigung des dafür zentralen Zeitfaktors: Nagel / Wood 2010. 14 Boehm 2001, S. 5. 15 Vgl. Müller 2007, S. 61f., sowie mit Blick auf die frühneuzeitliche Kunst und Theorie: Rosen 2000; Eck 2015, bes. S. 31–43. 16 Alberti 2011, § 25, S. 234. Vgl. Boehm 2001, S. 4–6; Krüger 2001, S. 205–211. Für eine breitere Analyse dieser durch die Kunst erzielten Vergegenwärtigung siehe etwa auch: Mitchell 1990; Ginzburg 1992; Maniura / Shepherd 2006. 17 Siehe zu dieser dichterischen Transformationsleistung Kaske 2018. 18 Vgl. Boehm 2001, S. 5; Kuchenbuch / Kleine 2006; Baschera / Bucher 2008, S. 9; Krüger 2001, S. 27–45; ders. 2018, S. 22–24.

Einleitung    |

1  Pressefoto für die Ausstellung Power Games, 2014, Stockholm, Livrustkammaren

Die besondere Eignung der Begriffe ‚Präsenz‘ und ‚Repräsentation‘ für die Analyse von Objekten des Krieges und ihrer Darstellung in Wort und Bild sei am Beispiel des Umschlagbildes genauer erläutert (Abb. 1). Der Antwerpener Goldschmied und Harnisch­ treiber Eliseus Libaerts verzierte zwischen 1560 und 1562 eine Rüstung samt Helm für den schwedischen König Erik XIV. Die einzelnen Teile wurden zuvor in Schweden, wohl in Arboga, gefertigt und dem Künstler zur weiteren Gestaltung übermittelt; bis auf den linken Panzerhandschuh ist die Garnitur vollständig erhalten und wird von zwei Schilden sowie einem Sattel ergänzt (Abb. 2).19 Über den gesamten Harnisch verteilt finden sich neben dichten Blumen- und Blattranken, die von Tieren, Masken, Trophäen, Fabelwesen, Gefangenen und Viktorien durchsetzt sind, auch heraldische Zeichen, die in verschiedener Weise auf ihren Auftraggeber und Träger verweisen: Auf den Schulterplatten erscheint der bekrönte Löwe, der seit 1448 das Wappentier Schwedens war, im Verbund mit dem aus einer Ährengabe bestehenden Wappen der königlichen Familie Vasa. Dieses

19 Vgl. Rangström 2004, S. 29f.; Renaudeau 2011, S. 225–235.

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2  Eliseus Libaerts, Harnisch Eriks XIV. von Schweden, 1560–1562, Stockholm, Livrustkammaren

Einleitung    |

findet sich außerdem im Geschübe der Armschienen, wo es von drei Kronen ergänzt wird, die ebenfalls zum Wappen des schwedischen Königs gehören.20 Weitere Kartuschen und Bildfelder zeigen außerdem Episoden aus dem Amazonenund dem Herkules-Mythos. Im Anschluss an den Geschichtsschreiber Johannes Magnus und seine Historia de omnibus Gothorum Sueonumque regibus (1554), in der die kriegerischen Frauen als Ahnen der Goten und damit auch der Schweden beschrieben werden, berief sich das schwedische Herrscherhaus auf die furchtlosen Streiterinnen. Daher verwundert es nicht, die Amazonen-Königinnen Lampeda und Marpesia in den ovalen Kartuschen auf der Brustplatte des Harnischs vorzufinden: Erik XIV. verstand sich gewissermaßen als ihr Nachfahre.21 Über den Rekurs auf Herkules wird der König zudem in die europäische Tradition des Herrscherlobes eingereiht.22 Es entsteht eine semantische Verschränkung des antiken Heros und seiner Attribute mit dem Träger des Harnisches und dessen protektiver wie repräsentativer Funktion, die einer genaueren Analyse bedarf. Auf der linken Seite des Visiers erscheint der Sohn des Zeus und der Alkmene zunächst als Säugling, der von der unwissenden Hera gesäugt wird und mit deren Milch Unsterblichkeit erlangt. Rechts ist der antike Heros dann ein zweites Mal dargestellt – nun halb liegend, halb sitzend als erwachsener Mann und in das Fell des Nemeischen Löwen gehüllt (Abb. 1). Der Sieg über dieses eigentlich unverwundbare Untier ist die erste von zwölf Aufgaben, die König Eurystheus Herkules stellte, um den von ihm selbst im Wahnsinn erwirkten Tod seiner zwölf Kinder zu sühnen. Die mächtige Keule, mit der Herkules der Geschichte nach das Tier zwar nicht erlegen, aber doch zunächst einschüchtern konnte, hält er mit beiden Händen. Dabei scheint er, den Kopf gänzlich ins Profil gedreht, an der Keule vorbei zu blicken und die Figur zu fixieren, die in den Wolken links daneben in kleinerem Maßstab erscheint. Wie der Adler nahelegt, dürfte es sich bei dieser um seinen Vater Zeus handeln, womit Herkules an prominenter Stelle als Halbgott in Erscheinung tritt.23 Das Herkules-Thema bestimmt auch andere Teile der Harnischgarnitur.24 In der zentralen Kartusche auf dem Rückenstück erscheint der antike Heros erneut in Verbindung mit dem Löwenfell, das ihn selbst unverwundbar machen soll, sowie mit seiner einfachen Waffe – dieses Mal aber wohl im Anschluss an die von ihm vollbrachten zwölf Taten. Auf

20 Rangström 2004, S. 33. Für einen Überblick zu Erik XIV. mit weiterführender Literatur: Schuckelt / Wilde 2014, S. 22–63. 21 Rangström 2004, S. 48f. Die weiblichen Figuren können anhand ihrer Attribute und der kürzlich rekonstruierten Inschriften eindeutig identifiziert werden. 22 Vgl. Quondam 2003, S. 116–208. 23 Vgl. Rangström 2004, S. 38. 24 Ebd., S. 20. Neben dem auf Abb. 1 zu sehenden Rundschild wird auch der in Schloss Skokloster aufbewahrte Kartuschenschild zu dieser Gruppe gezählt. Vgl. Cederström / Steneberg 1945. Die Rossstirn (im Bild oberhalb des Sattels) stammt hingegen aus einem anderen Zusammenhang. Vgl. Rangström 2004, S. 16.

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diese selbst könnten innerhalb des grotesken Dekors noch einzelne Details verweisen, wie die sich um einzelne Ranken windenden Schlangen und Vögel.25 Als repräsentatives Objekt vermittelt der Harnisch durch seine künstlerische Gestaltung ein bestimmtes Wissen. Während die dargestellten Wappen und heraldischen Motive auf den Besitzer des Ensembles und seine royale Abstammung hinweisen, wird dessen politischer und gesellschaftlicher Stand durch die schiere Pracht des visuell und haptisch affizierenden Harnischs anschaulich.26 Zugleich ist mit der Repräsentation des Herkulesmythos eine antike Überlieferung zugänglich gemacht, deren Darstellung mehrere zeitlich getrennte Momente vereint, nämlich zentrale Stationen einer fiktiven Biografie. Die Szenen lassen auf eine bewusste Selektion schließen, durch die in wenigen Bildern eine heroische Vita vermittelt wird, die sich gleichzeitig mit der Vita des Harnischträgers verbinden lässt: Der dargestellte Zeitstrahl führt von der göttlichen Erwählung im Säuglingsalter, ein außergewöhnliches Leben und ebensolche Fähigkeiten versprechend, zum erwachsenen Mann, der soeben seine erste heroische Tat ausgeführt hat, und weist auf das nicht abgebildete, nämlich die noch bevorstehenden elf Aufgaben. Diese Aussparung ließe sich nun mit materiellen Gründen des Platzmangels auf Helm und Harnisch erklären – doch können die noch zu erfüllenden Aufgaben auch auf den Träger des Harnischs selbst transferiert werden, der gleichsam in die Fußstapfen des antiken Heros zu treten scheint. Das Objekt vermag es also, eine bestimmte Vorstellung seines Trägers zu entwerfen, indem die heroische und historische Biografie enggeführt werden.27 Doch auch bezüglich der jeweiligen Körperbedeckung sind Heros und Herrscher miteinander assoziiert: Während das Fell des Löwen, mit dem Herkules auf dem Helm abgebildet ist, dessen heroische Qualitäten der Gewaltbereitschaft und der uneinholbaren Stärke sinnfällig macht, ist die frühneuzeitliche Rüstung Zeichen eines Herrschers, der das ungezähmt Wilde gebändigt hat.28 Als klassisches Tugendexempel scheint Herkules hier darüber hinaus ein frühneuzeitliches Modell von Herrschaft aufzurufen, in dem Gewalt- und Affektkontrolle eine Rolle spielen. Das, was der Harnisch durch seinen figürlichen Schmuck zu leisten vermag, kann mit ‚Anschaulichkeit‘, ‚Affizierung‘ oder ‚Repräsentation‘ umschrieben werden. Aus den Augen gerät damit indes die Bedingung für diese Effekte: der Harnisch in seiner eigenen Präsenz. Denn auch mit den materiellen Eigenschaften eines Kriegsobjekts verbin-

25 Ebd., S. 34, 38. 26 Vgl. mit Blick auf den von Desiderius Kolman Helmschmid geschaffenen Harnisch aus der sogenannten kleinen Mühlberg-Garnitur Kaiser Karls V.: Koller / Pawlak 2017. 27 In ähnlicher Weise argumentiert Posselt-Kuhli 2016, bes. S. 80–83, mit Blick auf den sogenannten Herkulesharnisch für Erik XIV., der ebenfalls von Libaerts gestaltet wurde. Zu dieser Harnischgarnitur, der auch ein Rossharnisch angehört: Schuckelt / Wilde 2014. 28 Neudeck 2016 verweist auf den frühneuzeitlichen politiktheoretischen Diskurs, vor dessen Hintergrund etwa die tierepischen Texte herrscherliches Gewalthandeln, soziale Ordnung und anderes verhandeln. Vgl. auch Waltenberger 2013. Für eine ähnliche Gegenüberstellung von Löwenfell und Körperpanzerung auf einem ebenfalls von Libaerts gestalteten Harnischensemble in Dresden außerdem: Stoichita 2012, S. 457f.

Einleitung    |

3  Domenicus Verwilt, Erik XIV. von Schweden, 1560–1566, Stockholm, Nationalmuseum

den sich bestimmte Konnotationen, die in Text und Bild rezipiert werden. Ein kurzer Blick auf das Porträt, das unscharf im Hintergrund des Coverbildes auszumachen ist (Abb. 1), mag dies verdeutlichen. Es wurde von dem ebenfalls aus Antwerpen stammenden, schwedischen Hofkünstler Dominicus ver Wilt (auch Domenicus Verwilt) angefertigt und zeigt Erik XIV. in Dreiviertelansicht mit leicht nach links gedrehtem Körper und aus dem Bild gerichteten Blick (Abb. 3).29 Der König trägt einen Halbharnisch mit geschobenen Beintaschen aus gebläutem Eisen und goldtauschierten Ornamentbändern mit abstrahierten Blumen sowie symmetrisch angeordneten Voluten. Ein Schwert mit goldenem Knauf ist

29 Die vom Kopf des Dargestellten unterbrochene Inschrift verleiht dessen Herrschaftsanspruch eine historische Perspektive: „SVEDORVM. GOTHORVM. VANDALORVMQ. REX“ (König der Schweden, Goten und Vandalen).

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am linken Oberschenkel auszumachen, in der rechten Hand hält Erik XIV. einen Kommandostab. Auch dieses Porträt lässt sich zunächst auf seine repräsentativen Werte hin befragen – schließlich bezeugen die militärischen Insignien nachdrücklich den politischen Anspruch des Dargestellten. Mit dem Glanz der Harnischoberfläche, der von Domenicus ver Wilt so gekonnt in Szene gesetzt wird, tritt jedoch eine weitere Bedeutungsebene hervor: Der Körper des Herrschers erhält hier nicht nur einen stählernen Schutz, der ihn unverwundbar macht, sondern auch eine reflektierende Hülle, die über den Spiegeleffekt eine seit der Antike bedeutsame Metapher des idealen Herrschers – die eines vorbildlichen Spiegels – aufruft. Diane H. Bodart hat eine solche Lesart spiegelnder Harnische erstmals für Por­träts italienischer Herrscher des 16. Jahrhunderts zur Diskussion gestellt.30 Als ein wichtiger Gewährsmann für eine solche Deutung dient ihr dabei Giorgio Vasari, der sein 1534 geschaffenes Porträt des Florentiner Herzogs Alessandro de’ Medici mit der besagten Metaphorik in Verbindung brachte, wie er selbst in einem Brief an Ottaviano de’ Medici erläutert: „Die blanken, glänzenden Waffen, die er trägt, sind wie der Spiegel des Herrschers, der so beschaffen sein sollte, dass sich sein Volk in ihm bei den Handlungen des Lebens spiegeln kann.“31 In dem Gemälde verbindet sich die materielle Präsenz des Harnischs aber auch mit maltechnischen Besonderheiten oder, im Anschluss an Klaus Krüger, mit Fragen der Materialität bzw. „ästhetischen Präsenz“ des bildlichen Mediums.32 So maß Vasari an der Imitation der „Glanzlichter der Waffen“ (lo abagliamento delle armi) und der „Spiegelungen der Figuren in ihnen“ (i rinverberi delle figure in esse) auch die mimetischen Fähigkeiten von Malerei und Bildhauerei, wobei letztere in seinen Augen aufgrund der mangelnden Farbigkeit aus dem Vergleich nur als Verlierer hervorgehen könne.33 Mit diesem maltechnischen Verständnis von Glanzeffekten steht der Kunstliterat in einer langen Tradition, die sich bis auf den griechischen Sophisten Philostrat zurückführen lässt und in der Frühen Neuzeit nicht nur von Alberti, sondern auch von Baldassare Castiglione und Ludovico Dolce aufgegriffen wurde.34 Die technische Herausforderung bei der malerischen Darstellung eines Harnischs war Vasari darüber hinaus selbst bestens vertraut, wie er in seiner Autobiografie von 1568 mit Blick auf das Porträt Alessandro de’ Medicis 30 Bodart 2012, S. 124f. Für weiterführende Überlegungen siehe auch Quondam 2003, S. 71–76; Bodart 2009, S. 232–249; Stoichita 2012, S. 458f. 31 Übers. JS nach Vasari 1923, S. 28: „L’armi indosso bianche, lustranti sono quel medesimo, che lo specchio del principe dovrebbe esser tale, che i suoi popoli potessino specchiarsi in lui nelle attioni della vita.“ Vgl. Campbell 1985, S. 352; Bodart 2012, S. 128. 32 Krüger 2001, S. 7, 27–45; ders. 2018, S. 22. Der Autor beschreibt diesen „Präsenzmodus“ hier auch als das „‚Wie‘ der Darstellung“, mit dem der Fokus auf „den Farbauftrag und dessen Materialität, Duktus und tonale Gradierung“, auf „das Format und die Stofflichkeit des Bildträgers“ etc. gerichtet werde (S. 23f.). 33 Vasari in: Varchi 2013, S. 210–221, hier S. 220f. 34 Ihr besonderes Augenmerk galt dabei der Imitation von Gold und seiner materiellen Eigenheiten im künstlerischen Werk, an der sie dessen illusionistische Wirkung bemaßen. Zu den entsprechenden Nachweisen und deren Kontext: Saviello 2017, S. 153–161.

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gesteht. Die hellschimmernde Politur des realen Körperschutzes habe ihn bei dem Versuch, sie mit Farbe und Pinsel zu imitieren, fast in den Wahnsinn getrieben. Sein Malerkollege Jacopo da Pontormo habe ihm daraufhin geraten, die gemalte nicht direkt mit der wirklichen Rüstung zu vergleichen, damit der nicht zu überwindende Gegensatz zwischen der Präsenz des harten, glänzenden Eisens und des zu seiner Repräsentation herangezogenen Bleiweißes ihn nicht länger irritiere.35 Auch in Literatur und Dichtung kann die Eigenschaft des Glanzes Teil einer Strategie werden, die die Objekte trotz ihrer sprachlichen Verfasstheit in möglichst eindringlicher Weise vergegenwärtigt und anschaulich erscheinen lässt. Rüstungen, Helme, Schilde und Schwerter bieten vor allem in der mittelalterlichen deutschsprachigen Dichtung und in der französischen Tradition der chansons de geste dem Dichter die Möglichkeit, Glanzund Lichteffekte signifikant einzusetzen.36 Wie stark dabei der Zusammenhang von Krieg, Objekt und Lichtwirkung narrativ genutzt werden kann, mag ein Beispiel aus Wolframs von Eschenbach Willehalm aus dem frühen 13. Jahrhundert zeigen. Der Heide Paufameiß, der in der Schlacht gegen den Christen Willehalm kämpft, trägt eine äußerst wirkungsvolle Rüstung: „Sein Rüstungsschmuck gab solchen Glanz von sich, dass es dem Markgrafen [Willehalm] in die Augen schnitt“ (sîn zimierde gap den glast, / daz dem marcgrâven diu ougen sneit).37 Der immaterielle Glanz kann hier in performativer Weise selbst zur Waffe werden und den Kampf mitbestimmen. Dem Harnisch kommt damit literarisch eine Wirkung zu, die ihn in besonderer Weise vereinzelt und aus der Masse der heidnischen Rüstobjekte hervorhebt – man könnte von einer gesteigerten Präsenz sprechen, die auf einer erzählerischen Intensivierung (der Strahlkraft) beruht. Die Beschreibung von Lichteffekten ist eines von vielen narrativen Mitteln, die auf Präsenzeffekte abzielen und eine bestimmte Wahrnehmung einfordern, durch die das Dargestellte als Gegenwärtiges erscheint.38 Solche (rhetorischen) Mittel lassen sich dem bereits genannten Stilideal der evidentia zuordnen.39 Wenn in der Repräsentation Präsenzeffekte wirken und Realien, wie der Harnisch Eriks XIV., ihre besondere Präsenz in der Welt durch repräsentative Momente entfalten, lässt sich die Grenzziehung zwischen diesen beiden Bereichen nur noch bedingt aufrecht35 Vasari 1966–1987, Bd. 6, S. 373: „Figliuol mio, insino a che queste arme vere e lustranti stanno a canto a questo quadro, le tue ti parranno sempre dipinte, perciò che, se bene la biacca è il più fiero colore che adoperi l’arte, e’ nondimeno più fiero e lustrante è il ferro. Togli via le vere, e vedrai poi che non sono le tue finte armi così cattiva, cosa come le tieni.“ Vgl. Campbell 1985, S. 347f. 36 Vgl. Klein 2014, S. 14: „Den Farb- und Glanzimaginationen kommt eine grundlegende Visualisierungsfunktion innerhalb der ästhetischen sowie poetologisch-narrativen Dimension der Textgestaltung zu, die es zu berücksichtigen gilt; beispielsweise dienen Farben der Stimulierung und Intensivierung visueller Eindrücke, der Verknappung des Erzählvorgangs, der Ästheti­ sierung etwa von Kampfschilderungen sowie der Markierung gesellschaftlicher Ordnung und Ordnungsstörungen […].“ 37 Heinzle 1991, V. 55,16f. 38 Evidentia ist in den Worten Jan-Dirk Müllers eine „Fiktion, die Präsenzeffekte auslösen soll“ (Müller 2007, S. 62). 39 Ebd., S. 61.

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erhalten. Mehr in Form einer gegenseitigen Durchdringung tritt das hervor, was anhand der Objekte des Krieges sichtbar und mithin von ihnen konstituiert wird: Geschaffen als Realien, finden sie in vielfältiger Weise Eingang in Literatur und bildende Kunst, während diese Transformationen ebenso für die Gestaltung und Konzeption von Realien inspirierend wirken kann. Bezeichnend für diese neuerliche Inspiration ist im Falle des europäischen späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit ferner eine kulturelle Entwicklung, die das Turnierwesen betrifft. Im 15. Jahrhundert entwickelte sich das ritterliche Turnier endgültig von der Kampfübung zu einem höfischen Spektakel, mit dem eine imaginäre Vergangenheit wiederbelebt werden sollte. Mithilfe aufwendiger Rahmenerzählungen, Abläufe, Kostüme und Requisiten berief man sich auf eine gemeinsame Geschichte und inszenierte ritterliche Identität als Kontinuum, dessen Wurzeln in den höfischen Romanen des Hochmittelalters liegen. Für das sogenannte pas de la joyeuse garde – benannt nach einer Burg, die mit den Liebespaaren der Artusromane assoziiert wurde – im französischen Saumur im Jahre 1446 wurde etwa eine hölzerne Burg vor den Stadttoren nachgebaut und eine Prozession abgehalten, bei der neben kleinwüchsigen ‚Zwergen‘ auch Löwen bestaunt werden konnten.40 Diese Art der vergegenwärtigenden Erinnerung bezog sich gerade nicht auf tatsächliche Lebensumstände oder Ereignisse der zurückliegenden Jahrhunderte, sondern re-präsentierte eine fiktive höfische Welt, die nicht zuletzt anhand der eingesetzten Objekte an Präsenz gewann: Die Turnierteilnehmer in Saumur trugen teils zeichenhafte Wappen, wie René d’Anjou, dessen schwarzer Schild mit goldenen Tränen und einer schwarzen Lanze auf vergangenes Unheil verweisen sollte.41 Die durchscheinenden literarischen Objektfiktionen können demnach historischen Ereignissen Gestalt geben, die selbst wiederum die Rezeption der Texte und Bilder steuern und durch die neue Potentiale für die Gestaltung historischer Artefakte frei werden. Der Harnisch Eriks XIV., sein gemaltes Porträt sowie die erzählten und in Turnieren eingesetzten Objekte lassen das komplexe Verhältnis von Präsenz und Repräsentation und die vielfältigen Transferprozesse zwischen Kriegskunst, bildender Kunst und Literatur sichtbar werden. Der vorliegende Band versucht dieser Komplexität Rechnung zu tragen, indem er ausgewählte Perspektiven auf dieses Verhältnis versammelt, die sich durch ihren disziplinären Hintergrund, ihren methodischen Zugriff und ihre inhaltliche Fokussierung unterscheiden. Die zeitlich (vom Mittelalter bis zur Postmoderne) voranschreitend geordneten Beiträge werden im Folgenden thematisch in das Spannungsverhältnis von Präsenz und Repräsentation eingeordnet, womit auch die Schwerpunkte des Bandes markiert sind. Die Beiträge von Antje KEMPE und Raphael BEUING sind vornehmlich der Erzeugung von Präsenzeffekten durch Objekte verpflichtet und nehmen dazu unterschiedliche Kontexte in den Blick. Kempe behandelt die Inszenierung von Harnischen in nordalpinen Grabmälern des 16. Jahrhunderts und befasst sich insbesondere mit dem Bedeutungswan40 Barber / Barker 1989, S. 116. 41 Ebd.

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del der eingesetzten Objekte, die zu einem zentralen Teil sepulkraler Erinnerungskultur werden. Dabei treten die Rüstungen in enge, mithin metonymische Beziehung zu dem jeweiligen Toten, dessen Biografie anhand der Objekte verdichtet und zugespitzt wird. Beuing hingegen untersucht die Objektinszenierungen im Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums in München und demonstriert anhand ihrer geschichtlichen Entwicklung und deren Leitmotiven, wie stark die Bedingungen für Präsenzeffekte im musealen Kontext von sich verändernden historisch-kulturellen Vorstellungen abhängen. Bei Kempe wie auch bei Beuing sind Aspekte der inszenierten Belebung von Harnischen und anderen, körpernahen Objekten zentral, deren nahezu mimetischer Konnex mit dem menschlichen Leib für die Vergegenwärtigung im sepulkralen und musealen Bereich von den Künstler*innen beziehungsweise Wissenschaftler*innen und Museograf*innen reflektiert und semantisiert wird. Mit oszillierenden Bewegungen zwischen Präsenz und Repräsentation beschäftigen sich Julia SAVIELLO und Allison STIELAU. Saviello untersucht die Behandlung von Schilden in der frühneuzeitlichen Kunstliteratur, insbesondere in den Schriften Giorgio Vasaris und Karel van Manders. Bei beiden Autoren erscheint die Schutzwaffe als ein Bildträger, mit dem sich so zentrale Fragen wie die Wirkung des künstlerischen Bildes oder auch seine Vergegenwärtigungsleistung verbinden. Als Referenzobjekte für diese Diskurse werden jedoch keine realen Schildbemalungen herangezogen, sondern antike Beschreibungen von solchen oder eigenständige Wortgebilde nach deren Vorbild. Die von Stielau gewählte Objektgruppe ist in anderer Weise an der Vermittlung und Vergegenwärtigung einer bestimmten Vergangenheit beteiligt: Die sogenannten Notklippen der Frühen Neuzeit, die während städtischer Belagerungen als behelfsmäßige Währung dienten, machen eindringlich die extreme Realität des historischen Kriegsgeschehens anschaulich. So wurden sie, wie Stielau zeigt, als Form der authentischen Vergegenwärtigung rezipiert und gingen bereits im 16. Jahrhundert in Münzsammlungen ein, in denen ihre grobe Gestaltung als besondere Form der Evidenz inszeniert wurde. Beide Beiträge hinterfragen letztlich die Art und Weise, in der Objekte des Krieges selbst zu Repräsentanten werden und dabei aufgrund ihrer Materialien, Formen und Funktionen in anderer und intensiverer Weise als geläufige Bildträger wirken. Obgleich sie als Medien vermitteln, bleibt ihre Objekthaftigkeit präsent und verleiht dem Vermittelten eine größere präsentische Wirkung. Wie repräsentierte Objekte des Krieges Verbindungen zu Realien, zu den entsprechenden Praktiken und dem involvierten Wissen konstituieren, analysieren Eric BURKART und Jeannet HOMMERS. Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fechtbücher, die Burkart als Ausgangspunkt dienen, sollten dem Rezipienten anhand der Darstellung von Waffen und Bewegungsabläufen Körperwissen und bestimmte Körpertechniken vermitteln. Der Versuch, von heutiger Warte aus diese Praktiken zu rekonstruieren, führt zu grundlegenden Überlegungen zum Verhältnis von Körper und Wissen. Burkart fragt nach dem Erkenntnisgewinn einer Übertragung moderner Körpererfahrungen auf vormoderne Bewegungsabläufe und hebt dabei die Relevanz experimenteller Archäologie

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hervor. Gerade die Objekte machen es möglich, die historisch-kulturelle Distanz durch vorsichtige, nachvollziehend-rekonstruktive Erfahrungen mit Waffen und Rüstungen zu überbrücken. Hommers widmet sich ihrerseits den ästhetischen Idealen und kompositorischen Konzepten, die bei der Übertragung von Waffen wie Lanzen, Piken und Spießen in künstlerische Bilder in den Vordergrund treten können. Sie wendet sich damit gegen eine Deutung von Schlachtenszenen als Zeugnisse historischer Wirklichkeit und erkennt in ihnen stattdessen eine sorgfältige Inszenierung von Kraft und Dynamik. In diesem Zusammenhang spielt nicht zuletzt der menschliche Körper eine wichtige Rolle: Inmitten der frühneuzeitlichen ‚Lanzenwälder‘ zeigt dieser sich in unterschiedlichsten Posen und Bewegungen – und mit einer gewissen Virtuosität, die Hommers bis in den künstlerischen Schaffensprozess verfolgt. Einblicke in die Fiktionalisierung von Objekten des Krieges in ihrer Darstellung geben die Beiträge von Romana KASKE und Joanna NOWOTNY. Kaske zeigt anhand der Lanzen im Parzival Wolframs von Eschenbach das weite Spektrum an Konzeptionen von Ritterschaft im 13. Jahrhundert auf. In der sinnlich-körperlichen Wahrnehmung der inszenierten Objekte durch einzelne Figuren entstehen Präsenzeffekte, durch die sich nach und nach vielfältige Perspektiven auf Ritterschaft auffächern. Dabei stehen die Objekte des Ritters im Zentrum einer Erzählstrategie, die deren materielle Eigenschaften immer wieder neu erfahrbar werden lässt. Das Ideal des Rittertums bildet auch einen Bezugspunkt für Nowotnys Analyse von Superheldencomics, in denen Rüstungen eine letzte Hochphase erleben. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin dabei auf das mit dem Körperschutz assoziierte Ideal von Männlichkeit und seinen prekären Status (Iron Man). Die weitaus freizügigere Aufmachung von Wonder Woman wird als Kontrastprogramm mit feministischem Ansatz vorgestellt, in dem das über die Kleidung wie die Waffen transportierte Geschlechterbild ausgehandelt wird. Beide Beiträge fokussieren dergestalt Objekte, die es über ihre historisch begründeten Deutungen und ihre stets gegenwärtige Erfahrbarkeit möglich machen, bestimmte, historisch wandelbare (und teils gender-bezogene) Vorstellungen, Verhaltensnormen und (Körper-)Ideale zu hinterfragen. Der Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im Dezember 2016 unter gleichem Titel im Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft in München stattfand. Tagung wie Sammelband sind im Rahmen der Forschergruppe ‚Vormoderne Objekte. Eine Archäologie der Erfahrung‘ unter der Leitung von Philippe Cordez entstanden, die von 2013 bis 2018 vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern) gefördert wurde und am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelt war. Unser herzlicher Dank gebührt zunächst diesen beiden Institutionen für die großzügige finanzielle Unterstützung. Wir freuen uns, dass mit Objekte des Krieges: Präsenz & Repräsentation nun nach Object Fantasies: Experience & Creation der zweite Band der von Philippe Cordez edierten Reihe Object Studies in Art History vorliegt.

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Sehr herzlich danken möchten wir darüber hinaus allen Kolleginnen und Kollegen, deren Vorträge in überarbeiteter Form Eingang in den vorliegenden Band gefunden haben oder die während der Tagung die Diskussion durch weitere Beiträge und die Übernahme der Moderationen bereichert haben: Philippe Cordez, Daniel Hohrath, Pia Selmayr, Susanne Thürigen, Herfried Vögel und Sixt Wetzler. Julia Oswald hat die englischen Texte mit sprachlichem und kunsthistorischem Feingespür in Form gebracht. Für die abschließende professionelle Betreuung des Buches danken wir Katja Richter, Anja Weisenseel, Kerstin Protz und Arielle Thürmel vom De Gruyter-Verlag.

Bibliografie Alberti, Leon Battista: De pictura, in: ders., Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, übers., hg., eingel. u. komm. v. Oskar Bätschmann u. Christoph Schäublin, Darmstadt ²2011, S. 193–333 Barber, Richard / Barker, Juliet: Tournaments. Jousts, Chivalry and Pageants in the Middle Ages, Woodbridge 1989 Baschera, Marco / Bucher, André: Zum Begriff der Präsenz in Literatur und Kunst, in: dies. (Hg.), Präsenzerfahrung in Literatur und Kunst. Beiträge zu einem Schlüsselbegriff der ästhetischen und poetologischen Diskussion, München 2008, S. 7–13 Bodart, Diane H.: Le reflet et l’éclat. Jeux de l’envers dans la peinture vénitienne du XVIe siècle, in: Delieuvin, Vincent / Habert, Jean (Hg.), Titien, Tintoret, Véronèse… Rivalités à Venise, Ausst.-Kat. Paris, Musée du Louvre, Paris 2009, S. 216–259 Dies.: Le prince miroir: métaphore optique du corps politique, in: Morel, Philippe (Hg.), Le miroir et l’espace du prince dans l’art italien de la Renaissance, Tours / Rennes 2012, S. 123–142 Dies.: Wearing Images. Introduction, in: Espacio, Tiempo y Forma 6, 2018, S. 15–31 Boehm, Gottfried: Repräsentation – Präsentation – Präsenz. Auf den Spuren des ‚homo pictor‘, in: ders. (Hg.), Homo pictor, München / Leipzig 2001, S. 3–13 Braun, Manuel / Herberichs, Cornelia (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen, München 2005 Brunner, Horst: Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 2002 Campbell, Malcolm: Il ritratto del duca Alessandro de’ Medici di Giorgio Vasari, in: Garfagnini, Gian Carlo (Hg.), Giorgio Vasari tra decorazione ambientale e storiografia artistica, Florenz 1985, S. 339–361 Cederström, Rudolf / Steneberg, Erik: Skoklosterskölden, Stockholm 1945 Cordez, Philippe: Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie, in: ders. / Krüger, Matthias (Hg.), Werkzeuge und Instrumente, Berlin 2012, S. 1–19 Ders. / Kaske, Romana / Saviello, Julia / Thürigen, Susanne (Hg.): Object Fantasies. Experience & Creation, Berlin / Boston 2018 Dies.: The Properties of Objects. Walt Disney’s ‚Fantasia‘, in: dies. 2018, S. 7–17 Cuneo, Pia F. (Hg.): Artful Armies, Beautiful Battles. Art and Warfare in Early Modern Europe, Leiden 2002 Eck, Caroline von: Art, Agency and Living Presence. From the Animated Image to the Excessive Object, Boston 2015 Emich, Birgit / Signori, Gabriela (Hg.): Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2009 Fielitz, Sonja: Vorwort der Herausgeberin, in: dies. (Hg.), Präsenz Interdisziplinär. Kritik und Entfaltung einer Intuition, Heidelberg 2012, S. xi–xxvi Geimer, Peter: Detail, Reliquie, Spur. Wirklichkeitseffekte in der Historienmalerei Ernest Meissoniers, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 41, 2014, S. 213–234 Ginzburg, Carlo: Repräsentation – das Wort, die Vorstellung, der Gegenstand, in: Freibeuter 53, 1992, S. 3–23

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Gockel, Bettina (Hg.): Vom Objekt zum Bild. Piktorale Prozesse in Kunst und Wissenschaft, 1600– 2000, Berlin 2011 Gudehus, Christian / Christ, Michaela (Hg.): Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart / Weimar 2013 Gumbrecht, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, übers. v. Joachim Schulte, Frankfurt am Main 2004 Hale, John R.: Artists and Warfare in the Renaissance, New Haven 1990 Hüppauf, Bernd: Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs, Berlin 2013 Kaske, Romana: Im Zeichen der Sirene. Eine Rüstungsfantasie in Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘, in: Cordez / Kaske / Saviello / Thürigen 2018, S. 49–66 Keen, Maurice H.: Chivalry, New Haven / London 1984 Klein, Mareike: Die Farben der Herrschaft. Imagination, Semantik und Poetologie in heldenepischen Texten des deutschen Mittelalters, Berlin 2014 Kohl, Karl-Heinz: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München 2003 Koller, Ariane / Pawlak, Anna: Stahl – Farbe – Photographie. Die medialen Inszenierungen der ‚Mühlberg-Rüstung‘ Kaiser Karls V. und die Materialität der Macht, in: Cremer, Annette Caroline / Mulsow, Martin (Hg.), Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, Köln / Weimar / Wien 2017, S. 93–112 Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001 Ders.: Bildpräsenz – Heilspräsenz. Ästhetik der Liminalität, Göttingen 2018 Kuchenbuch, Ludolf / Kleine, Uta (Hg.): ‚Textus‘ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, Göttingen 2006 Maniura, Robert / Shepherd, Rupert (Hg.): Presence. The Inherence of the Prototype within Images and Other Objects, Ashgate 2006 Mitchell, W. J. Thomas: Representation, in: Lentricchia, Frank / McLaughlin, Thomas (Hg.), Critical Terms for Literary Study, Chicago 1990, S. 11–22 Müller, Jan-Dirk: Evidentia und Medialität. Zur Ausdifferenzierung von Evidenz in der Frühen Neuzeit, in: Wimböck, Gabriele / Leonhard, Karin / Friedrich, Markus (Hg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Münster 2007, S. 59–84 Nagel, Alexander / Wood, Christopher S.: Anachronic Renaissance, New York 2010 Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer. Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik, in: Glück, Jan / Lukaschek, Kathrin / Waltenberger, Michael (Hg.), Reflexionen des Politischen in der europäischen Tierepik, Berlin / Boston 2016, S. 10–26 Nowosadtko, Jutta / Rogg, Matthias (Hg.): Mars und die Musen. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster 2008 Paul, Gerhard: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, München 2004 Pawlak, Anna / Schankweiler, Kerstin / Schneider, Norbert / Papenbrock, Martin (Hg.): Ästhetik der Gewalt – Gewalt der Ästhetik, Weimar 2013 Posselt-Kuhli, Christina: Die Hülle des Helden – Rüstungen und die Veränderbarkeit der Dinglichkeit, in: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4, Nr. 1, 2016, S. 79–90, URL: https://freidok.uni-freiburg.de/data/11531 (letzter Zugriff am 19. April 2019) Prietzel, Malte: Kriegsführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen, Paderborn / München / Wien / Zürich 2006 Quondam, Amedeo: Cavallo e cavaliere. L’armatura come seconda pelle del gentiluomo, Rom 2003 Rangström, Lena: King Erik’s Armour, Stockholm 2004 Renaudeau, Olivier (Hg.): Sous l’égide de Mars. Armures des princes d’Europe, Ausst.-Kat. Paris, Musée de l’Armée, Paris 2011 Rosen, Valeska von: Die Enargeia des Gemäldes. Zu einem vergessenen Inhalt des Ut-pictura-poesis und seiner Relevanz für das cinquecenteske Bildkonzept, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 27, 2000, S. 171–208 Saviello, Julia: Verlockungen. Haare in der Kunst der Frühen Neuzeit, Emsdetten / Berlin 2017

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Schuckelt, Holger / Wilde, Sabine: Triumph und Begehr. Prunkharnische des flämischen Goldschmieds Eliseus Libaerts im Dienste fürstlicher Selbstdarstellung, Köln 2014 Stoichita, Victor I.: ‚La seconde peau‘. Quelques considérations sur le symbolisme des armures au XVIe siècle, in: Micrologus 20, 2012, S. 451–463 Ulbrich, Claudia / Jarzebowski, Claudia / Hohkamp, Michaela (Hg.): Gewalt in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005 Varchi, Benedetto: Paragone – Rangstreit der Künste. Italienisch und Deutsch, hg., eingel., übers. u. komm. v. Oskar Bätschmann u. Tristan Weddigen, Darmstadt 2013 Vasari, Giorgio: Der literarische Nachlass, hg. v. Karl Frey, Bd. 1, München 1923 Ders., Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, 6 Bde., hg. v. Rosanna Bettarini u. Paola Barocchi, Florenz 1966–1987. Waltenberger, Michael: Die Legitimität der Löwen. Zum politischen Diskurs der frühneuzeitlichen Tierfabel und Tierepik, in: Höfele Andreas / Müller, Jan-Dirk / Oesterreicher, Wulf (Hg.), Die Frühe Neuzeit. Revisionen einer Epoche, Berlin / Boston 2013, S. 203–228 Werner, Elke Anna: Embedded Artists. Augenzeugenschaft als visuelle Strategie in Kriegsdarstellungen des 16. Jahrhunderts, in: Knieper, Thomas / Müller, Marion G. (Hg.), War Visions. Bildkommunikation und Krieg, Köln 2005, S. 57–79 Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text, Übersetzung, Kommentar, hg. v. Joachim Heinzle, Frankfurt am Main 1991 Wöller, Florian: Bewegen und Beendigen. Anmerkungen zum Objektbegriff in der spätmittelalterlichen Philosophie, in: Cordez / Kaske / Saviello / Thürigen 2018, S. 67–78

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Materielle Ritterschaft Die Lanzen in Wolframs von Eschenbach Parzival

In dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Parzival Wolframs von Eschenbach wird der mäandernde Weg Parzivals vom tumben (155,19)1 Jungen zum Gralskönig erzählt. Drei Lanzen2 werden ihm währenddessen an die Hand gegeben, die er bis zu seinem letzten Zweikampf verwendet.3 Diese Waffen besitzen ‚Objektbiografien‘,4 die ihre Herkunft, ihre Gestaltung und die Situationen ihrer Handhabung und Zerstörung umfassen. In unterschiedlicher Akzentuierung vermittelt der Erzähler Wissen über die Objekte: Anfänglich besitzt Parzival einen unhöfischen Wurfspieß, bis er die Lanze eines von ihm getöteten Ritters an sich nimmt, die in einem Zweikampf zer1 Der Parzival wird im Folgenden ohne Titelangabe mit einfachen Stellenangaben nach Wolfram von Eschenbach 1998 zitiert. Die Zitate der Vorlage Wolframs, des Le conte du Graal, stammen aus: Chrétien de Troyes 1991 und werden mit der Sigle CdG zitiert. 2 Die Erzählung benennt die Lanzen unterschiedlich, obwohl es sich in Aussehen und Funktion um dieselben Objekte handelt: Anfortas’ Lanze wird als glaevin (231,18) und später von Sigune als sper (255,11) bezeichnet. Glaevin wird auch für andere Lanzen verwendet, zum Beispiel für die des Gralsritters, gegen den Parzival kämpft (443,24), oder für die des Ritters Lischoys Gwelljus, dem Gegner Gawans (537,5). Obwohl im Parzival die Bezeichnung sper über lanze dominiert, benutze ich ‚Lanze‘ als Oberbegriff für die einzelnen Ausprägungsformen. Aufgrund der in der Forschung umstrittenen Unterscheidung von sper und lanze – der Speer scheint besser für den Wurf, die Lanze besser für den Stoß geeignet zu sein – richte ich mich nach der Funktion, die in der Erzählung überwiegt (für die militärgeschichtliche Forschung vgl. DeVries / Smith 2012, bes. S. 8–15). Die Erzählung beschreibt nicht, dass die Objekte geworfen werden, sondern das Anrennen des Gegners und die Verwendung in der Tjost, also typische Funktionen der Lanze. Daher erscheint es mir sinnvoll, nicht von Speeren, sondern von Lanzen zu sprechen, um die beschriebene Funktion bzw. Nutzung widerzuspiegeln. 3 Obwohl Parzival im Laufe der Handlung auch zwei Schwerter erhält, werden bis zu seinem letzten Kampf nur Tjosten geschildert. 4 Mit der Bezeichnung ‚Objektbiografie‘ fasse ich die Beobachtung, dass Objekte so durch die erzählte Welt wandern, wie es Figuren auch tun. Ohne ihnen damit zwangsläufig eine agency, eine Wirkmächtigkeit, zuzugestehen, geht es mir um ein ‚Ernstnehmen‘ der sequenzierten Situationen, in die sie eingebunden sind und in denen diverse Träger bzw. agierende Figuren, Handhabungen oder Funktionen eine Rolle spielen. Damit erscheinen Objekte nicht mehr als passives Material oder Requisiten, sondern sie können Figurenhandeln und -interaktion formen. Vgl. zu der Prägung des Begriffs in den Kulturwissenschaften Kopytoff 1986; in kritischer Perspektive Kreuz / Kienlin 2016.

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bricht. Parzival wechselt sie durch eine dritte aus, die er bei einer Klause im Wald findet und die schließlich in der sogenannten Blutstropfenszene zerbirst. Allen drei Waffen ist eigen, dass ihre Zerstörung in Szenen, die von der Forschung wiederholt als poetologische Zentren gefasst wurden, stattfindet.5 Obwohl der Parzival zu den augenscheinlich am besten erschlossenen mittelalterlichen Dichtungen zählt, haben diese Kriegsobjekte bislang wenig bis keine Aufmerksamkeit erfahren. Im Fokus standen vielmehr zwei andere Lanzen, die Parzivals Vater Gahmuret bzw. der Gralsgesellschaft zugehörig sind. Sie lassen sich jedoch schwerlich von den Lanzen Parzivals trennen: Durch die genealogische Verbindung wird die Lanze relevant, durch die Parzivals Vater in einer Tjost zu Tode kommt. Deren Spitze wird zuletzt anstelle seines Leichnams kirchlich bestattet.6 Auch die Gralslanze ist eng mit Parzival verknüpft. Sie wird ihm auf der Gralsburg Munsalvaesche präsentiert und vom Dichter immer wieder in Zusammenhang mit dem Gralskönigtum, für das Parzival vorbestimmt ist, aufgerufen. In Anbetracht der starken Exposition dieser Objektgruppe, deren einzelne Objektbiografien bis zur jeweiligen Zerstörung detailreich geschildert werden, ist eine interpretatorische Zusammenführung, wie sie hier erprobt wird, überfällig. Hierbei liegt der Fokus – chronologisch durch die Handlung gehend – auf den Lanzen, die in den Handlungsstrang Parzivals eingegliedert sind, also neben seinen drei Lanzen auch auf der Gralslanze. Es lässt sich beobachten, dass die Lanzen und weitere, mit ihnen szenisch verknüpfte Kriegsobjekte durch ein narratives Verfahren dargestellt werden, das Präsenzphänomene auf Figurenebene inszeniert. Ich fasse darunter, dass die Objekte von den mit ihnen agierenden Figuren insbesondere sinnlich-körperlich erfahren werden: Sie werden berührt, visuell und haptisch wahrgenommen, auf der bloßen Haut getragen und sind immer wieder in Situationen eingebettet, die Figurenwahrnehmung ins Zentrum stellen. Infolgedessen kommen den materiellen Eigenschaften des einzelnen Objekts ebenso wie seiner Benutzung eine wichtige Rolle zu, um solches figürliches Erleben narrativ zu inszenie5

Einerseits der Kampf mit Ither (Brüggen 2016 spricht von einer „Schüsselszene[]“, S. 129, die meist unter dem Aspekt der Schuld Parzivals behandelt wird, etwa von Neudeck 2007, Ridder 2007; auf die Farbigkeit der Objekte achtet Schausten 2008), andererseits die Blutstropfenepisode (dazu vor allem die Monografie von Bumke 2001, siehe auch Quast 2003, Hasebrink 2005, Mertens Fleury 2008). 6 In der Gahmurethandlung begegnet dem Leser freilich noch eine weitere Lanzenspitze: In Zazamanc verteidigt Parzivals Vater die Königin Belakane gegen Belagerer, die für ihren gefallenen Anführer Isenhart kämpfen. Nachdem Gahmuret den Sieg in der Tjost errungen hat, verspricht ihm der unterworfene Razalîc die Gefolgschaft. Er zeigt Gahmuret die Lanzenspitze, die Isenhart das herze brach (51,14) und die Razalîc seitdem um den Hals trägt, um jeden Tag die Wunden des Toten sehen zu können (51,13). Auch an Gahmuret wird nach seinem Tod mit der Lanzenspitze erinnert werden, die ihn getötet hat. Sie rückt sogar an die Stelle seines Körpers. Die Lanzenspitze von Razalîc deutet bereits früh – Gahmuret ist noch nicht mit Belakane verheiratet, weder Parzival noch Feirefiz sind geboren – auf den Tod von Parzivals Vater voraus. Gleichzeitig verweist sie auch auf die heidnische Lanze, die den Gralskönig Anfortas verwundet und ihm fortdauernde Schmerzen bereitet. Körperliches Leid, ritterlicher Zweikampf und Tod werden durch das Fragment der Waffe, das Razalîc am Körper trägt bzw. das Herzeloyde anstelle von Gahmurets Leib beerdigt, vergegenwärtigt.

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ren. Damit erweitert sich der Blick vom Objekt auf die wahrnehmende bzw. handhabende Figur, auf die Präsenzeffekte wirken bzw. durch deren Perspektive sie in die Erzählung einfließen können.7 Wie lässt sich diese Exposition und Aufwertung der Kriegsobjekte deuten? Thesenhaft kann formuliert werden, dass die Lanzen im Parzival zunächst stark mit der Figur des Ritters verbunden und als konstitutiver Teil der ritterlich-höfischen Welt gezeigt werden. ‚Ritter‘ kann sich nur derjenige nennen, der – wie es im Parzival formuliert wird – eine Rüstung trägt und sich mit Lanze und Schwert verteidigen kann.8 Indem Ritterschaft sich mittels der materiellen Ausstattung begründet, besitzen Waffen und Rüstung das Potential, verschiedene Konzepte von Ritterschaft auf der Figurenebene anschaulich zu machen. Was besonders die Lanzen, aber auch einzelne andere Kriegsobjekte des Parzival anzeigen, ist ein heterogenes, von den diversen Figurenperspektiven facettiertes Bild von Ritterschaft. Im Verlauf der Handlung fächert sich durch die Präsenzeffekte aufrufende Erzählung ein dynamisches Bild von Ritterschaft auf, das (und das mag das Entscheidende sein) keines theoretischen Überbaus bedarf. Parzival werden über seine Erfahrungen mit den ritterlichen Objekten verschiedene Zugänge zu und Konzepte von Ritterschaft vermittelt, die nicht hierarchisiert werden. Damit können die vielen Kämpfe Parzivals, die zu einem gewissen interpretatorischen Unbehagen führten,9 in ein neues Licht treten. Dass Wolfram kein statisches, eng definiertes Bild des Ritters in seinem Werk zeichnet, lässt sich zuletzt auch vor den Entwicklungen des Ritterstandes im 12. und 13. Jahrhundert plausibilisieren.

Parzivals gabilôt Die erste Waffe, die der junge Parzival benutzt, gilt als der unhöfische Verwandte der Lanze: Mit einem gabilôt[] (120,2), einem kleinen Jagdspieß,10 schießt er Hirsche in der Wildnis von Soltâne, wo ihn seine Mutter abseits des Hofes aufzieht. So will Herze­ loyde ihn vor dem Schicksal seines Vaters bewahren, der auf ritterlicher AventiureFahrt zu Tode kam. In mehreren Szenen wird anhand von Parzivals Umgang mit der  7 Als weniger relevant sehe ich dabei die für gewöhnlich mit der Wahrnehmung verbundene Erkenntnis- oder Reflexionsleistung, denn Parzivals Innenleben wird nur an wenigen Stellen einsehbar. Wie Bumke einsichtig macht, findet der erste innerlich ablaufende Erkenntnisprozess Parzivals, bei dem er seine eigenen Ziele begreift, erst im vierten Buch statt (vgl. Bumke 2001).   8 Vgl. 124,5–10.  9 Dabei gilt es seit langem als problematisch, dass keine sinnfällige Begründung von Parzivals zahllosen Kämpfen angeboten wird: „Er kämpft wahllos […]. Warum kämpft er eigentlich?“ fragt Mohr 1958, S. 4. Auch Bumke 2001 führt die „Beliebigkeit und moralische Indifferenz“ der Kämpfe an (S. 95). 10 Der gabilôt ist ein Jagdspieß (von altfrz. javelin), der nicht in Deutschland, aber in Frankreich zur adeligen Jagd eingesetzt und auch von Bürgern verwendet wurde (vgl. Heinig 2012, S. 21f.). Zuerst lernt Parzival den swanc (120,2) des Objektes, dann jagt er damit Hirsche (120,3). Später greift er in seinen kochaere (139,10), in dem viele scharphiu gabylôt (139,11) sind.

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Waffe demonstriert, wie unwissend und unerfahren er ist. Etwa zerlegt er die geschossenen Tiere nicht, um sie mithilfe eines Lasttieres zu transportieren, sondern schleppt das Wild immer im Ganzen nach Hause – eine fremdiu maere (120,7) erscheint das dem Erzähler. Nachdem seine Mutter Parzival von Gott und Teufel unterrichtet hat, glaubt er gar, im Wald dem Teufel selbst zu hören und will ihn mit dem gabilôt abschießen (120,14–23). Dass Parzival nicht die geringste Vorstellung von Ritterschaft oder ritterlichem Kampf hat, verdeutlichen nicht nur die Situationen, in denen er auf seinem Weg zum Artushof den Ratschlägen seiner Mutter wörtlich und irrigerweise folgt,11 sondern vor allem die wiederholte Erwähnung des gabilôt.12 Zum einen kennzeichnet die Waffe seinen vermeintlich niederen Stand,13 zum anderen illustriert sie die Differenzlosigkeit, mit der Parzival die höfische Welt und seine eigene gleichsetzt. Als er Sigune auf seinem Weg zum Hof fragt, ob ihr höfischer Geliebter von einem gabilôt getötet worden sei, korrigiert ihn die Trauernde schnell: disen ritter meit dez gabylôt: / er lac ze tjostieren tôt (139,29f.). Der Ritter und der Jagdspieß gehören nicht zusammen. Parzivals Fragen drehen sich immer wieder um die ihm vertraute Waffe, die er jederzeit unbedarft anwenden möchte und die ihm jede Wissenslücke füllt.14 Neben Parzivals Aussagen zum gabilôt machen die Objekte15 auch als Teil seiner äußeren Erscheinung evident, dass ihr Träger nicht in die höfische Sphäre passt: Auf dem Weg zum Artushof trägt Parzival statt eines höfischen Gewands (surkôt, 145,1) seine gabilôt am Leib.16 Vor der ersten Interaktion Parzivals mit der höfischen Gesellschaft zeichnet der Dichter eine Figur, die keine höfische Prägung aufweist. Oft hat die Forschung beobachtet,

11 Herzeloyde rät ihm, er solle, wenn er einer schönen Frau begegne, ihren Ring nehmen und sie küssen. So kommt es, dass er der adeligen Jeschute gewaltsam Ring und Brosche entreißt und sich ihr ungebührlich nähert. Herzeloydes zweiter Rat, Gewässer nur dort zu überschreiten, wo sie nicht dunkel (also tief) seien, behindert Parzivals Reise unnötig. 12 Vgl. so auch Harms 1963, S. 149: „An der Geschichte dieser Waffe wird – innerhalb einer längeren Szenenreihe voll scheinbefangener, stets zu neuem Verkennen neigender Erkenntnisfreudigkeit – das Eindringen des unhöfischen, zum Gralskönig bestimmten Parzival in die höfische Artuswelt deutlich.“ 13 So beteuert Jeschute ihrem Geliebten, sie habe sich Parzival gegenüber nicht unkeusch verhalten, als er sie in ihrem Zelt überrascht und ihren Ring an sich genommen hatte, denn sîniu ribbalîn, sîn gabilôt / wârn mir doch ze nâhen / […] fürstinne es übele zaeme, / op si dâ minne naeme (133,24– 28). Eigentlich ist Parzival jedoch adeliger Abstammung, was sich vor allem an seiner für alle sofort sichtbaren Schönheit äußert (vgl. etwa 124,17–20; 139,25–27; 143,11f.; 146,5–10; 148,22–28). 14 Wolfram verwendet einigen Platz, um Parzivals Unbedarftheit bzw. Naivität herauszustellen, die mit tumbheit bezeichnet ist: vgl. 124,19–21; 133,16; 138,9; 142,13. Sie wirke mithin als Parzivals „wesentlichstes Verhaltensmerkmal“ (Schuler-Lang 2014, S. 133), vgl. dazu Haas 1964. 15 Die Anzahl der Objekte schwankt mehrfach; in Figurenreden herrscht die Einzahl vor, während der Erzähler oft mehrere meint. 16 Dem Erzähler ist die Richtigstellung wichtig, dass Parzivals mangelnde Erziehung und Ausstattung nicht seine Schuld sind: in zôch nehein Curvenâl: / er kunde kurtôsîe niht (144,20f.). Mit der Spitze gegen Gottfried von Straßburg, dessen Tristan in höfischer Lebensart unterwiesen wird, macht Wolfram deutlich, dass Parzival für seine Defizite nichts kann. Vgl. zu dem Verhältnis von Parzival und Tristan Draesner 1993, bes. S. 228.

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dass gerade das limitierte Wissen Parzivals über die höfische Kultur es ermöglicht, das „Verhältnis von angeborenen Anlagen, […] Bildung und lebensweltlicher Erfahrung in zunehmenden Komplexitätsgraden“17 besonders hinsichtlich seiner Wahrnehmungsprozesse durchzuspielen. Mit Blick auf das gabilôt lässt sich formulieren, dass Parzivals mangelnde Bildung, seine genealogisch bedingten Anlagen und seine Weltwahrnehmung bzw. -erfahrung zum größten Teil an Kriegsobjekten, vor allem Lanzen, verhandelt werden. Im Umgang mit dem gabilôt zeigt sich, wie Parzival die Welt wahrnimmt und wie er selber wahrgenommen wird. Er besitzt keine höfische Bildung, was sich etwa daran zeigt, dass er seine Jagd nicht höfisch überhöht, sondern rein funktional abhandelt – weder das zeremonielle Zerlegen des Tieres wie bei Tristans Bast,18 noch die Abgrenzung von Jagd und Turnier spielen für Parzival eine Rolle. Andere Figuren können stattdessen anhand seiner ständigen Rekurse auf die Jagdwaffe und anhand seines Äußeren schnell erkennen, dass er kein Teil ihrer Lebenswelt ist. Die Waffe lässt sich daher als sein primäres Attribut verstehen, das seinem Unvermögen Ausdruck verleiht, zwischen sich und der ritterlich-höfischen Welt zu differenzieren.

Ithers Lanze und Rüstung Am Artushof angekommen, möchte Parzival von Artus zum Ritter ernannt werden. Dafür muss er gegen den Ritter Ither von Gaheviez kämpfen. Als Preis für den Sieg bedingt sich Parzival die Rüstung des Gegners aus.19 Ither ist in der erzählten Welt einzigartig ausgestattet:20 Der Erzähler berichtet ausführlich von der ganz und gar roten Rüstung, der roten Pferdecouvertüre, dem roten Schild, Speer und Schwert.21 Im Kampf 17 Bleumer 2003, S. 143, hier auch weiterführende Literatur. 18 Vgl. ebd., S. 144. 19 Ridder stellt fest, dass die Habsucht „Antriebspotential und Störfaktor der kulturellen Integration des Helden“ sei, die ihm die fremde Kultur des Hofes „verdingliche“ (Ridder 2007, S. 272 und 273). Parzival glaube also, sich die höfisch-ritterliche Kultur durch deren Objekte aneignen zu können. Wie zu zeigen sein wird, ist jedoch fragwürdig, inwiefern Ither als Teil dieser Kultur gelten kann. Die Rüstung verdeutliche laut Ridder zudem die Probleme der Artuswelt, indem Artus Parzival als Werkzeug benutze, um den Störfaktor Ither zu beseitigen (ebd., S. 278). 20 Bei Chrétien findet sich keine ausführliche Beschreibung Ithers, sondern nur ein kurzer Hinweis auf die seltsame Rüstung: Et ses armes bien li seoient, / Qui totes vermoilles estoient (CdG, V. 871f.), sowie ebd. V. 1066: Ither ist der Chevalier Vermoil. Wolfram baut die Beschreibung deutlich aus. 21 Siehe zu der Rüstung Ithers und ihrer Farbsemantik Schausten 2008. Das Monochrome der Rüstung verweise auf die Maßlosigkeit und Eitelkeit Ithers (ebd., S. 476), die als mangelnde Affektkontrolle für die höfische Welt problematisch werde (ebd., S. 477). Kraß 2006 hingegen liest die Rüstung als Zeichen für „ritterliche[] Vollkommenheit“ (S. 125). Dass die Rüstungsbeschreibung „kaum als descriptio einzustufen ist“ (Brüggen 2016, S. 137, Anm. 31), da die Fachtermini der Rüstungsteile lediglich aneinandergereiht werden, relativiert sich durch die Frage, wie Anschaulichkeit für den zeitgenössischen, mit den genannten Objekten vertrauten Hörer entsteht. Gerade durch die genaue Aufzählung der Einzelteile mit ihren technischen Bezeichnungen entsteht letztlich das detaillierte Bild Ithers.

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kann Parzival den erfahrenen Gegner – Ither ist Mitglied der Tafelrunde – mit seinem gabilôt töten.22 Danach nimmt er dessen Harnisch an sich und wird von dem Knappen Iwânet darauf hingewiesen, dass er ab sofort Schwert und Lanze benutzen müsse. Parzival lässt den Spieß schließlich zurück, der zum Grabkreuz Ithers umfunktioniert wird. Die großteils hinsichtlich der schwer zu deutenden Rüstung Ithers gelesene Szene23 wird im Folgenden auf die verschiedenen Zugänge zur Ritterschaft, die sich darin dinglich manifestieren, untersucht. In mehreren Hinsichten verweist die Szene auf die erste Begegnung Parzivals mit Rittern Artus’ im Wald von Soltâne. Dort begründet sich sein Begehr, Ritter zu werden, auf die visuelle und taktile Erfahrung der glänzenden Harnische. Schließlich findet dieser Wunsch ein spezifisches Ziel: Parzival möchte die Rüstung – er nennt sie zuerst gewant (148,15) – des ‚roten Ritters‘ haben, wan ez stêt sô rîterlîche (148,18). Damit könne er endlich auch ein Ritter werden, so glaubt Parzival.24 Eng sind die beiden Szenen vor dem Hof und im Wald kausal und durch Parzivals Umgang mit dem Objekt ‚Rüstung‘ verknüpft, das stets ein haptisches Be-Greifen ist. Seine fehlende Einsicht in die moralischen, kulturellen oder sozialen Implikationen von Ritterschaft ist bereits in der Karnahkarnanzszene angelegt und zeitigt im Kampf gegen Ither ihre Konsequenzen.25 Im Wald begegnet der junge Parzival dem Ritter Karnahkarnanz. Sofort ist er von dessen Rüstung fasziniert, die ihm ganz sinnlich erfahrbar wird – goldene Glöckchen erklingen an den Armen, der Wappenrock leuchtet.26 Parzival glaubt, die strahlende Erscheinung

22 durchz ouge in sneit dez gabylôt, / unt durch den nac (155,9f.) 23 Die Rüstung besitzt nach Schausten 2008 „multiple Sinndimensionen“ (S. 479), vgl. auch Anm. 21. Raudszus 1985 spricht etwa vom „Rot der Sünde, des Blutes und der Blutschuld“ (S. 112), das jedoch bei Ither als Zeichen höfischer Freude zu verstehen sei (ebd.). Besonders, dass Parzival nach dem Kampf die Rüstung des Toten über sein Narrengewand stülpt, hat zu divergierenden Deutungen geführt: Der Kleiderkontrast versinnbildliche einen misslungenen Kulturationsprozess (Schausten 2008, S. 477); die Rüstung kennzeichne die ambivalente Identität Parzivals, die Wildes und Höfisches miteinander verbinde (ebd., S. 481, sowie Schuler-Lang 2014, S. 157); im Verbergen des unhöfischen Unterkleids manifestiere sich die Überwindung des Narrenstadiums (Wapnewski 1982, S. 63). Die Rüstung fungiere als Zeichen für Parzivals Aufstieg am Artushof, wie sie auch seinen „ethische[n] Fall“ hinsichtlich seiner Bestimmung zum Gralskönig abbilde (Brüggen 2016, S. 131). Die heterogenen Deutungen lassen sich möglicherweise relativieren, wenn man die Rüstung zunächst als Gebrauchsgegenstand berücksichtigt, der kulturelles Wissen aktiviert. Parzival muss unter dem Harnasch (üblicherweise mit einem Gambeson) bekleidet sein, um das Kettengeflecht bzw. den Stahl nicht auf der bloßen Haut zu tragen. Erklärbar wird damit zudem, dass weder Iwânet noch der Erzähler das Narrenkleid kritisieren, sondern der Knappe nur die weiterhin sichtbaren bäurischen Stiefel Parzivals tadelt. 24 Er sagt zu Ither: ‚gip mir dâ du ûffe rîtes, / unt dar zuo al dîn harnas: […] / dar inne ich ritter werden muoz‘ (154,4–7). 25 Seinen Ausdruck findet dieses Unwissen auch darin, dass sich Parzival nach dem Gewinn der Rüstung nicht von der Artusgesellschaft in den Ritterstand erheben lässt, sondern einfach weiterreitet – mit der Ausstattung Ithers sieht er sich als Ritter an, ohne einen Gedanken an die rituelle Erhebung zu verschwenden. 26 ern hete sô liehtes niht erkant. / ûfem touwe der wâpenroc erwant. / mit guldîn schellen kleine / vor iewederm beine / wârn die stegreife erklenget […] (122,1–5).

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sei Gott. Wie Mohr feststellt,27 wird die Szene von dem Thema bestimmt, das Parzivals gesamten Weg durch die Handlung durchzieht: Das wechselnde Interesse an Gott und Rittern. Vor dem Heranreiten der Ritter glaubt Parzival an die bevorstehende Ankunft des Teufels und betet dann, von Angst gepackt, zu Gott. Als er den glänzend-schönen Karnahkarnanz sieht, meint er, dieser sei der erbetene Gott und ruft ihn an: nu hilf mir, hilferîcher got (122,26). Der Ritter antwortet: ich pin niht got, / ich leiste ab gerne sîn gebot (122,29f.); Parzival könne hie vier ritter sehn (123,1). Der Angesprochene fragt sogleich nach dem Verhältnis von Gott und Ritterschaft: du nennest ritter: waz ist daz? hâstu niht gotlîcher kraft, sô sage mir, wer gît ritterschaft? (123,4–6)

Nachdem Karnahkarnanz auf Artus verwiesen hat, wandert Parzivals Interesse erneut zu der Rüstung, die er zuvor als Zeichen Gottes gelesen hatte. Neben das visuell-akustische Erleben des glänzenden Metalls und der klingelnden Glöckchen tritt die taktile Erfahrung des Objekts. aldâ begreif des knappen hant swaz er îsers ame fürsten vant: dez harnasch begunder schouwen. (123,25–27)

Parzivals Be-Greifen des Harnischs führt mitnichten zu einem Verständnis des Objekts: war zuo ist diz guot (124,2), fragt Parzival. Der Ritter erläutert ihm den Zweck des Objekts, das Parzival sogleich in seine Welt integriert. Wenn die von ihm gejagten Hirsche auch ein solches Fell – gemeint ist das Kettenhemd – hätten, könne er sie mit dem gabilôt nicht verwunden. Damit greift Wolfram Chrétiens Conte du Graal auf, in dem die Rüstung auch als eine Art Fell bzw. Haut erscheint: Perceval fragt den Ritter, ob er mit Rüstung geboren sei (CdG, V. 281). Der Harnisch erscheint auch aus der Perspektive Parzivals als zweite Haut, die nicht künstlich, sondern in natürlicher Weise entsteht. Er nimmt die materielle Ausstattung also als Qualität der Hautoberfläche wahr. Wie später andere Figuren, beklagt Karnahkarnanz die Dummheit des schönen Knaben und reitet weiter. Dass Parzival bis zum Itherkampf kein Verständnis von Ritterschaft entwickeln kann,28 das über die Minimaldefinition des berittenen Kämpfers hinausgeht, liegt ebenso in dieser Szene begründet, insbesondere in dem Dialog zwischen Parzival und Karnahkarnanz.

27 Mohr 1958, bes. S. 208f. 28 Auch Brüggen 2016 stellt den Zusammenhang der Szenen fest, die durch das Objekt Rüstung verbunden werden. Parzival werde in der Karnahkarnanz-Szene ein „rudimentäre[s] Konzept[] von Ritterschaft“ (S. 139) vermittelt, das er zu begehren beginnt. Die Faszination für die Rüstung werde in der späteren Szene wieder aktiviert. Meines Erachtens wird Parzival gerade kein ‚Konzept‘ von Ritterschaft vermittelt; es geht vielmehr um den Begriff und das dafür einstehende Objekt (vgl. Anm. 30).

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der fürste im zeigete sâ sîn swert: ‚nu sich, swer an mich strîtes gert, des selben wer ich mich mit slegn: für die sîne muoz ich an mich legn, und für den schuz und für den stich muoz ich alsus wâpen mich.‘ (124,5–10) 29

Ritterlicher Kampf bedeutet hier die Verteidigung gegen Angreifer und weist den Kriegsobjekten damit eine zentrale Rolle zu. Die Erklärung vermittelt Parzival weder eine Vorstellung von den moralischen Anforderungen, dem sozialen Stand des Ritters oder der ritterlichen Erziehung. Daher muss Parzivals Erfahrung der Rüstung mangelhaft bleiben und es wird ihm aufgrund der fehlenden Informationen unmöglich gemacht, zwischen seinem gabilôt und der Rüstung oder dem Schwert zu unterscheiden. Beide sind, laut Karnahkarnanz’ Definition, gleichwertige funktionale Waffen. Aus ihrem kulturellen Kontext herausgelöst, stehen sie in Parzivals Wahrnehmung für einen Begriff von Ritterschaft, der durch Waffen seinen Ausdruck findet.30 Somit wird Parzival das (eingeschränkte) Wissen vermittelt, dass der Ritter über seine Kriegsobjekte und deren Benutzung definiert wird – aus diesem Grund begehrt er am Artushof Ithers Rüstung. Im Kampf mit Ither wird dieses Figurenwissen handlungslogisch funktionalisiert. Die Rüstung, die Parzivals Idee von Ritterschaft ‚materialisiert‘, bedingt die kurze agonale Begegnung. Nach nur einem Anritt Ithers mit der Lanze wird er von Parzival mit einem gabilôt durch das Helmvisier erstochen. Wie schon bei Karnahkarnanz werden die ritterliche (Lanze) und die unhöfische Waffe (gabilôt) sowie die jeweilige Kampftechnik zusammengeführt – allerdings nicht im Dialog, sondern im Figurenhandeln. Nicht anders als ein Hirsch wird Ither von dem getötet, der keine ritterliche Kampftechnik beherrscht.31 Die ritterliche Tjost nähert sich subtil einer Jagdszene an, was bereits von Keie am Hof vorausgedeutet wurde. Er befürwortete die Entscheidung, den jungen Parzival gegen Ither kämpfen zu lassen, denn man sol hunde umb ebers houbet gebn (150,22). Der Jagdhund Parzival solle den Eber Ither reißen; die Grenzen zwischen Tier und Mensch verschwimmen. Bestimmend für das Changieren des Kampfes zwischen Tjost und Jagd ist der gabilôt, der die überlegene Waffe bzw. Kampftechnik ist. Ither fällt sofort und ohne Gegenwehr. Angesichts des schnellen Todes des von den Figuren und dem Erzähler betrauerten kampferfah-

29 Bei Chrétien ist der Dialog knapper gehalten. Perceval fragt den Ritter nach Lanze, Schild und Harnisch, bekommt aber nur spottende Antworten. Brüsk wird ihm kundgetan, dass die Ausrüstung von Artus stamme (CdG, V. 69–71). Vgl. zur Komik der Szene Mohr 1958, S. 202–207. 30 Auch Bleumer 2003 spricht von einem „Begriff“ (S. 145), indem für Parzival fälschlicherweise die Selbstrepräsentation (die Rüstung) Ritterschaft selbst sei. 31 Vgl. auch die Wortwahl des Erzählers für den Rüstungserwerb: sîn [Parzivals] […] harnasch swaere, / die vor Nantes er bejagete (165,20f.). So stellt Brüggen 2016 knapp fest, der Unterschied zwischen Mensch und Tier werde nivelliert (S. 140). Mersmann 1971 bezeichnet in diesem Sinne den Kampf als „unritterliche[s] Geschehen“ (S. 127) und setzt die Verwendung des gabilôt als Maßstab an. Dass Ither als Symbiose von Mensch, Tier und Technik gelten kann, sieht Friedrich 2009 (S. 209).

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renen Ritters32 stellt der Erzähler die Geltung des ritterlichen Kampfes radikal in Frage. Ither bleibt jaemerlîche (159,6) liegen und der Erzähler fragt, ob sein Tod wohl auch dann beklagt werden würde, wenn er wie ein Ritter (das heißt: zer tjost durch schilt mit eime sper, 159,10) getötet worden wäre. Doch: er starp von eime gabylôt (159,12). Die unhöfische Waffe bedingt die Trauer um den Gefallenen, dessen Tod dadurch als wunders nôt (159,11) erscheint. Der Kampf endet mit einer Variation der Erfahrung Parzivals mit Karnahkarnanz’ Rüstung. Nachdem er Ither getötet hat, macht er sich unter Schwierigkeiten daran, ihm die Rüstung auszuziehen. Obwohl er den Leichnam dreht und wendet, vermag er weder helmes snüer (155,23) noch die schinnelier (ebd.) zu lösen oder abzuzwicken, wie er es bereits bei Karnahkarnanz versucht hatte. Erst der Knappe Iwânet kann ihm helfen, die Rüstung anzulegen. Zum zweiten Mal stellt der Erzähler eine Aneignung des Fremden durch Berührung dar, die – anders als noch bei Karnahkarnanz – zum Anlegen der Rüstung führt. Parzival kann sich diesmal das Objekt und damit auch (seiner Ansicht nach) Ritterschaft materiell zu eigen machen.33 Dabei steht die Rüstung ganz als sinnlich Erfahrbares im Mittelpunkt (mit sînen blanken handen fier / kund ers niht ûf gestricken, 155,24f.).34 Der Knappe gibt ihm Schwert und Lanze, wobei der frischgebackene Ritter mit letzterer nichts anzufangen weiß: er bôt im in die hant ein sper: / daz was gar âne sîne ger […] [Parzival fragt erneut:] war zou ist diz frum? (158,5–7). Iwânet hingegen problematisiert das, was den Erzähler immer wieder zu Beteuerungen von Parzivals tumbheit anregt, nicht. Für ihn ist der ein Ritter, der die passenden Objekte bei sich trägt: ich enreiche dir kein gabylôt: / diu ritterschaft dir das verbôt (157,19f.). Iwânet und Parzival setzen Kriegsgeräte und Ritterschaft in eins.35 Dementsprechend fällt auch die Antwort auf Parzivals Frage nach dem Nutzen der Lanze aus: swer gein dir zer tjoste kum, dâ soltuz balde brechen, durch sînen schilt verstechen. wiltu des vil getrîben, man lobt dich vor den wîben. (158,8–12)

32 Die Klage der Frauen fasst der Erzähler in die Bildlichkeit des Turnierkampfes: [wîbe] siufzen, herzen jâmers kratz / gap Ithêrs tôt von Gaheviez, / der wîben nazziu ougen liez. / swelhiu sîner minne enphant, / durch die freude ir was gerant, / unde ir schimpf enschumphiert, / gein der riuwe gecondewiert (155,12–18). Die Metaphorik des Turniers überschreibt gleichsam den Tod durch den unritterlichen gabilôt. Ither wird im Gedächtnis der Hörer gehalten, indem Parzival als ‚roter Ritter‘ benannt wird (170,2f.) und Ither erinnert wird (z. B. 559,5–10). 33 Parzival fragt den Knappen: wie bringe ichz ab im unde an mich? (156,17). Daraufhin wird Parzival eingekleidet: entwâpent wart der tôte man / aldâ vor Nantes ûf dem plân, / und an den lebenden geleget, / den dannoch grôziu tumpheit reget (156,21–24). 34 Brüggen 2016 betont, dass das Hantieren mit der Rüstung Parzivals Unwissenheit in den Vordergrund stelle (S. 143f.). Bei Chrétien findet sich kein so starker Bezug zu sinnlichem Anfassen und Berühren, sondern es wird die Unkenntnis in der Handhabung der Objekte betont. Parzival kann weder das Schwert abgürten noch den Helm aufschnüren (CdG, V. 1123–1129). 35 Anders als bei Chrétien will Parzival seinen gabilôt behalten, bis Iwânet es ihm ausdrücklich verbietet.

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Wie von Karnahkarnanz erfährt Parzival erneut von der Handhabung des Objekts, diesmal um den knappen Hinweis auf die Gunst der Frauen ergänzt, die dem Kämpfer zuteil wird. Die Ideologie und Praxis des Minnedienstes sind Iwânet offenbar nur leidlich bekannt und so nimmt Parzival lediglich eine mangelhafte Vorstellung davon mit. Ithers stark individualisierte Ausrüstung36 nimmt Parzival in der Überzeugung an sich, nun genauso wie Karnahkarnanz und Artus zu sein. Doch betrachtet man die Figur Ithers genauer, zeigt sich, dass er ein durchaus prekäres Ritterbild transportiert – und damit auch Parzivals Ritterdasein, das mit der Rüstung Ithers eingeleitet wird, dementsprechend einfärbt. Ither wird zwar ritter (145,7) genannt, aber er ist Aggressor und Störer des höfischen Friedens,37 setzt sich über den höfischen Verhaltenskodex hinweg und löst eine Krise des Artushofes aus.38 Seine Ausstattung ist höchst individualisiert und mag sich nicht recht in das homogene höfische Bild fügen, das noch nicht einmal Artus von seinem Gefolge abhebt: Parzival meint, am Hof mangen Artûs (147,22) zu sehen, während es den ‚roten Ritter‘ nur einmal gibt. Ither sticht aus der Artusgesellschaft heraus, die der Inbegriff höfischer Ritterschaft zu sein scheint, und stellt deren Grundsätze in Frage.39 Seine materielle Ausstattung geht in Form einer konterkarierten Schwertleite auf Parzival über – es handelt sich weder um eine verdiente Gabe oder um eine Ehrbezeugung, noch um den Aufstieg im sozialen System des Hofes oder des Krieges, sondern um ein geraubtes Objekt, dessen eigentlicher Besitzer schwerlich als idealer Ritter zu verstehen ist. Nachdem er es geschafft hat, sich die Rüstung und die Waffen anzueignen, reitet Parzival weiter. Der Knappe hingegen begräbt Ither und verwendet dafür den gabilôt:40 Er dructe en kriuzes wîs ein holz / durch des gabylôtes snîden (159,18f.), der nun nâch der marter zil (159,16) an den Toten gemahnt. Die unhöfische Waffe, die Ither getötet hat, wird zu seinem christlichen Gedenkzeichen. Hier endet die Objektbiografie des Jagdspießes. Über mehrere Stationen hinweg legte die Waffe in Soltâne und bis zum Artushof immer wieder die unzulängliche höfische Erziehung und das mangelnde Vermögen Parzivals offen, zwischen sich und der Welt des Hofes zu differenzieren. Dies beruht nicht zuletzt auf der funktionalen, objektzentrierten Definition des Ritters, die ihm Karnahkarnanz mitgibt. Parzivals Begehr der Rüstung ist auf seine Vorstellung von Ritterschaft zurückzuführen, die die Waffen ohne moralischen, sozialen oder kulturellen Überbau auf ihre Funktion reduziert. Letzten Endes ist der gabilôt nutzlos geworden. Parzival ersetzt

36 Beispielsweise gehen Ithers rote Haare nahtlos in das Rot der Rüstung über. 37 Er verschüttet mit ungefüeg[er] hant (146,22) Wein in den Schoß der Königin, um seine Erbforderung zu untermauern, und reitet mit dem Pokal fort. Dass keiner der Artusritter ihn zum Zweikampf fordern will, wundert Ither (wan holent sim [Artus] hie sîn goltvaz? / ir sneller prîs wirt anders laz, 147,7f.). 38 „Der Artushof wird bei seinem Eintritt in die Handlung […] in einem krisenhaften Zustand vorgestellt“ (Knaeble 2011, S. 250). Knaeble spricht von einer „Normparadoxie“ (S. 254), da Ither gleichzeitig als Artusritter dem Hof zugehörig ist, diesen aber auch beschädigt. 39 Schuler-Lang 2014 nennt Ither eine „ambivalente Figur“ (S. 156), die ebenso wie Parzival Wildes und Höfisches vereine. 40 Die Szene findet sich bei Chrétien nicht.

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ihn mit Lanze und Schwert, der Spieß bleibt vor Nantes zurück. Diese Kontrafaktur einer Schwertleite erzählt einen prekären Objektaustausch. Ebenso, wie Parzival ab diesem Zeitpunkt als ‚roter Ritter‘ unter Ithers Farbe durch die erzählte Welt wandert, wird Ither fortan durch den gabilôt, der sein Grab markiert, erinnert und betrauert.

Die Gralslanze Nachdem Parzival bei Gurnemanz in höfischen Sitten und im ritterlichen Kampf – nur im Lanzen-, nicht im Schwertkampf – unterwiesen wurde,41 bemerkt der Erzähler, er habe nun ritters site und ritters mâl (179,2), sei also nicht mehr nur äußerlich als Ritter erkennbar, sondern auch mit der angemessenen Bildung ausgestattet.42 Mit der Rüstung Ithers am Leib gelangt er schließlich auf die Gralsburg Munsalvaesche, ohne zu wissen, wo er sich befindet. Dort sieht er den siechen Gralskönig Anfortas, dessen Leiden Parzival zur sogenannten ‚Mitleidsfrage‘ bewegen soll: Parzival muss, um das Leiden von Anfortas zu beenden und die Gesellschaft zu erlösen, nach ebendiesem fragen. Ob es dabei um Mitleid oder um Erlösung geht, lässt der Erzähler im Dunkeln. Erst viel später erklärt Anfortas’ Bruder Trevrizent Parzival, derjenige sei sündig, der nicht frâgte des wirtes schaden (473,19). Am Ende der Erzählung wird er schließlich die Frage stellen (oeheim, waz wirret dier?, 795,29) und damit seine Bestimmung erfüllen, der nächste Gralskönig zu werden. Im Folgenden sollen aus der komplexen Ereignisfolge auf der Gralsburg nur die Aspekte herausgegriffen werden, die die Gralslanze und ihre Einbettung in das von der Gesellschaft ausgestellte Konzept von Ritterschaft betreffen. Auf der Gralsburg wird Parzival und den übrigen Anwesenden eine Lanze gezeigt: ein knappe spranc zer tür dar în. der truog eine glaevîn (der site was ze trûren guot): an der snîden huop sich pluot und lief den schaft unz ûf die hant, deiz in dem ermel wider want. dâ wart geweinet unt geschrît […] er truoc se in sînen henden alumb zen vier wenden. (231,17–28) 41 Gurnemanz gibt ihm den Namen roter Ritter, denn er kannte Ither und trauert um dessen Tod. Er will Parzival den Namen nicht erlassen (170,3–6), der damit gezwungen ist, den Namen des Toten in genealogischer Manier fortzuführen. Die Rüstung stiftet demnach eine identitäre Kontinuität. 42 Auffällig ist, wie Parzival seine Rüstung wahrnimmt. Zum ersten Mal beschreibt der Erzähler beim Abschied von Gurnemanz, dass Parzivals räumliche und farbliche Wahrnehmung sich verschiebt: im was diu wîte zenge, / und ouch diu breite gar ze smal: / elliu grüene in dûhte val, / sîn rôt harnasch in dûhte blanc: / sîn herze d’ougen des bedwanc (179,18–22). Für ihn ist die rote Rüstung weiß und farblos, denn er denkt unablässig an Liaze, die schöne Tochter von Gurnemanz; Herz und Augen vermitteln andere Welt- und Objektwahrnehmungen.

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Die blutige Lanze wird in einem rituellen Akt vor die Gralsgesellschaft getragen, die daraufhin in Trauer verfällt. Sobald das Schauspiel beendet ist, kehrt wieder Ruhe ein. Welche Bedeutung der Darbietung zugemessen werden kann, bleibt offen. Parzivals Innenleben wird nicht gezeigt, sodass auch durch Figurenperspektiven keine Sinnangebote gemacht werden. Da der Kontext der Szene – Parzivals Aufenthalt in der für ihn nicht als solche erkennbaren Gralsburg, das körperliche Leiden Anfortas und die Prozession vor dem Gral – erst im neunten Buch aufgeschlüsselt wird, treten Zeigen und Erklären auseinander. Die Beschreibung der Vorgänge um die Lanze ist zwar wiederholt durchbrochen von Erzählerkommentaren, jedoch bleibt Parzival ein Statist, dessen sinnliche Wahrnehmung keine Reflexion nach sich zieht.43 So wurde schon von Parzivals „habituelle[r] Wahrnehmungsschwäche“ gesprochen, die sich auf der Gralsburg zeige.44 Es scheint klar zu sein, dass die Lanze als ein Zeichen fungiert, welches Parzival nicht zu lesen vermag – sie solle zur Erlösungs- oder Mitleidsfrage anregen.45 Für die Gralsgesellschaft ist die Bedeutung der Lanzendemonstration verständlich, für Parzival bleibt sie ein Schauspiel, an dem er scheinbar als Statist beiwohnt, ohne eingebunden zu werden. Eigentlich ist er der Hauptdarsteller; alle warten darauf, dass er die entscheidende Frage stellt. Es muss offen bleiben, warum die Lanze als Zeichen so uneindeutig gestaltet ist, wenn es Möglichkeiten gegeben hätte, Eindeutigkeit zu erzeugen.46 Erklärungsversuche der versäumten Frage gehen dabei meist weniger auf das Objekt als vielmehr auf Parzivals Wahrnehmung sowie den Ritualcharakter der Szene ein.47 Dass die Stummheit Parzivals auf der Gralsburg die „Schlüssel-Frage der Parzival-Interpretation“ darstellt,48 liegt zu einem hohen Grad an der schwierigen Lesbarkeit der Lanze. Dass die Lanze ebenso wie der Gral zeichenhaft auf Anfortas’ Leiden hinweist bzw. metonymisch dafür steht, wird in der erzählerischen Darstellung nicht klar:

43 Die mangelnden Informationen haben mitunter zur interpretatorischen Füllung eingeladen. So erklärt Haug 2008 die fehlende Frage damit, dass Parzival „einer höfischen Regel folgt, d. h. er spielt die Möglichkeiten der dilemmatischen Situation wohlüberlegt durch und entschließt sich, nicht zu fragen“ (S. 153). Davon berichtet der Erzähler allerdings nichts. 44 Bumke 2001, S. 77; anders Haug 2008, S. 151–153. 45 Vgl. so zum Beispiel Bumke 2001, S. 69–71. Er weist auch darauf hin, dass in Chrétiens Perceval die geforderten Fragen naheliegender sind, also: Warum blutet die Lanze? Wen bedient man mit dem Gral? Wolfram macht es seinem Helden schwerer: Die verschiedenen Zeichen, die Parzival wahrnimmt, sind „alle nicht so eng mit der Erlösungsfrage verbunden“ (ebd., S. 69). Dass Parzival die rîcheit und das wunder grôz (239,9) durchaus bemerkt, erwähnt der Erzähler nach der Präsentation des Grals. Doch durh zuht in vrâgens doch verdrôz (239,10). Dies wird gewöhnlich mit den Lehren, die Parzival von Gurnemanz empfängt, in Zusammenhang gebracht (vgl. unter anderem Bumke 2001, S. 86; Henning 1975, S. 312–333). Beachtenswert scheint, dass der Erzähler sich nur einmal über die nicht gestellte Frage äußert und sie dann beklagt, nicht kritisiert, alle sonstigen Verurteilungen Parzivals jedoch in Figurenreden ausgesprochen werden. 46 Auch Quast 2003 stellt fest, es handle sich um einen „uneindeutigen Zeichengebrauch“ (S. 47). 47 Dadurch, dass Parzival gleichzeitig Betrachter wie auch Teilnehmer des Rituals sei, könne die Frage nicht gestellt werden, da diese Möglichkeit der Reflexion nur für den sich außerhalb des Rituals Befindenden möglich sei (vgl. Bleumer 2003, bes. S. 147f.). 48 Ebd. S. 71.

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So ist Anfortas’ Verwundung für Parzival nicht sichtbar, sondern wird nur durch den Erzähler angesprochen, und dass der Gral auf das körperliche Leiden hinweist, entbehrt ebenso zwingender Kausalität.49 Nur kurz sei auf die Gestaltung der Szene auf der Gralsburg eingegangen, in der die Geschehnisse in ihrer materiellen Dimension ausgebreitet werden und die den Fokus auf die Wahrnehmung Parzivals legt. Die Einrichtung des Burgpalas wird ebenso detailliert beschrieben wie die Kleidung von Anfortas sowie Details der Gralsprozession. Zusätzlich streut der Erzähler Aufrufe an das Publikum ein, das Erzählte unmittelbar wahrzunehmen. So werden dynamische Abläufe imaginiert (wil iuch nu niht erlangen, / sô wirt hie zuo gevangen / daz ich iuch bringe an die vart, 232,5–7) und (rechtes) Zusehen und Hinhören eingefordert (seht wâ sich niht versûmet hât, 233,12; nu hoert was ieslîchiu tuo, 234,30; nu hoert ein ander maere, 238,2). Der Rezipient wird zugleich als wahrnehmender Teilnehmer und als reflektierender Zuschauer eingefordert.50 Dieses narrative Verfahren beinhaltet, dass einzig das erzählt wird, was Parzival sieht und hört – das Wehklagen der Gesellschaft, das Blut an der Lanzenschneide und das Vorzeigen durch den Knappen. Erst die Erklärung Trevrizents im neunten Buch schlüsselt die Geschehnisse auf und bewirkt eine Verdoppelung der Szene. Zuerst ‚sieht‘ der Rezipient die Lanze und die Grals­ prozession als ungedeutete und nicht deutbare Abfolge von Ereignissen, bis sie in Trevrizents Bericht erneut erzählt und simultan gedeutet werden. In der Erläuterung der Geschehnisse durch Trevrizent wird die Geschichte der Verwundung von Anfortas auf Ritterfahrt nachgereicht. Sie zeigt, wie eng die Gralslanze mit Ritterschaft verbunden ist. Anfortas hielt sich nicht an die Gesetze des Grals und diente als Minneritter. Auf einer âventiure (479,5) wurde er von einem Heiden mit einer vergifteten Lanze an der heidruose51 (479,21) verletzt. Anfortas ritt mit der Lanzenspitze im Leib davon, die ihm zusammen mit einem Stück des hölzernen Schaftes aus der Wunde gezogen wurde. Jedoch stellte sich die Wunde des Gralskönigs als unheilbar heraus. Einzig das erhitzte Lanzeneisen in die Wunde zu stechen, vermag Anfortas kurzzeitig Linderung zu verschaffen.52 Trevrizent erklärt Parzival auch, dass erst ein Ritter, der ohne jeg-

49 Dieser brüchige Bezug erklärt die diversen Auslegungsmöglichkeiten der Lanze. Neben der Lesart als Verweis auf die Verwundung von Anfortas wurde sie als Longinuslanze bezeichnet, vgl. Kolb 1963, S. 96. 50 Dies ist für Bleumer 2003 der Berührungspunkt zwischen Parzival und dem Rezipienten, die beide gleichsam am ritualhaften Handeln teilnehmen, so wie sie dieses auch aufgrund des fehlenden Wissens von außen beobachten müssen (S. 148f.). 51 Dies wird üblicherweise mit ‚Hoden‘ übersetzt. Die Implikation der verhinderten weiterlaufenden Genealogie und entsprechenden Strafe für den Bruch des Keuschheitsgebots der Gralsritter ist deutlich. 52 Wie stark Objekte als Wissensträger dienen, zeigt nicht nur der Gral. Anfortas’ Schwert trägt einen segen (490,23), der die Linderungsmethode des Lanzenstichs kundtut. Parzival erhält es auf Munsalvaesche, ohne dass der Erzähler diese Besonderheit explizit macht (239,19–240,2).

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liche Hilfestellung nach dem Leiden des Königs frage, Anfortas heilen und seinen Platz einnehmen könne. Die Objektbiografie der Lanze, die Trevrizent ausfaltet, setzt eine heidnische, ritterliche Waffe ins Zentrum der Gralsgesellschaft. Sie erinnert an die sündhafte Verwundung im Minnedienst und ist gleichzeitig schmerzlinderndes Mittel. Damit grenzt sich die Gralsgesellschaft von der des Artushofes auch im Verständnis von Ritterschaft ab – während am Artushof Minnedienst nicht negativ konnotiert ist, stellt er für die Gralsritter höchste Verfehlung dar. Durch die religiöse Dimension wird neu perspektiviert, was Ritterschaft sein kann. Auch anderweitig gibt es Differenzen zur höfisch-ritterlichen Welt: Das Feld vor der Gralsburg ist kein Turnierplatz,53 der König ist unfähig zu handeln, während seine Ritter nicht auf Minne-âventiure ausreiten, sondern nur die Aufgabe haben, die Gralsburg zu beschützen. Sie führen kein eigenes Wappen, sondern sind alle mit dem Gralswappen gekennzeichnet. Im Gegensatz zu der individuellen Ausstattung Ithers gibt es in Munsalvaesche eine homogene Schar gleicher Ritter. Die Gralsritter stellen kein von höfischer Ideologie geprägtes Bild von Ritterschaft aus, sondern sind auf Herrschaft und Landessicherung ausgerichtet – die zum Gral Berufenen sind in den Worten Trevrizents ein werlîchiu schar (469,1), die einerseits Munsalvaesche verteidigen und andererseits in herrscherlose Länder geschickt werden, um dort unerkannt zu dienen. Wolfram stellt die Gralsritter in Aussehen und Verhalten in scharfen Kontrast zu dem, was Parzival in Nantes und Soltâne, bei Karnahkarnanz und Ither sieht. Hier trifft er auf ‚Soldaten des Grals‘, eine homogene Kämpfereinheit ohne individuelle Züge, die ihre Weisungen allein vom Gral empfängt.

Taurians Lanze Nach seinem Aufenthalt auf der Gralsburg und der versäumten Frage reitet Parzival weiter und trifft zum zweiten Mal auf Jeschute und ihren Ehemann Orilus. Im Zweikampf mit diesem zerbricht die von Ither stammende Lanze. Kurz darauf findet Parzival bei der Klause von Trevrizent, seinem Onkel und Bruder von Anfortas, eine neue Lanze. Sie zerbricht in den Kämpfen gegen die Artusritter. Im Wald begegnet Parzival einer Frau, die in zerfetzter Kleidung auf einem zerschundenen Pferd reitet. Sie ist in Begleitung eines Ritters mit einer kostbaren Rüstung. Erst nach und nach wird klar, dass es sich bei der Dame um Jeschute handelt. Parzival hatte sie auf seinem Weg zum Artushof in ihrem Zelt überrascht, ihr einen Kuss aufgezwungen und Ring und Brosche an sich genommen. Seitdem wird sie von ihrem Mann Orilus

53 Parzival reitet in die Burg, deren Hof durch schimpf […] niht zertretet was / (dâ stuont al kurz grüene gras: / dâ was bûhurdiern vermiten) (227,9–12).

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bestraft, der ihr vor einem Jahr Tisch- und Bettgemeinschaft aufgekündigt hatte. Jeschute erkennt Parzival und erinnert ihn an seine Tat, er hingegen beteuert seine Unschuld, denn jane wart von mîme lîbe iu noch decheinem wîbe laster ie gemêret […] sît ich den schilt von êrst gewan und rîters fuore mich versan. (258,17–22)

Der zeitliche Zusammenfall von errungener Ritterschaft und dem Ende von Parzivals Verfehlungen gibt einen kleinen Einblick in das Ritterkonzept, das er sich mittlerweile erarbeitet hat. Tugendhaftes Verhalten gegenüber Frauen ist nun Teil seines Verhaltenskodex. Sobald Orilus ihn als vermeintlichen Schänder seiner Frau erkannt hat, fordert er ihn zum Zweikampf heraus, um Vergeltung zu üben. Zu Beginn des Kampfes zerbricht Parzivals Lanze, sodass er gezwungen ist, mit dem Schwert weiter zu kämpfen. Er besiegt Orilus letztlich, indem er ihn vom Pferd zieht und ihn gewaltsam fixiert, bis bluetes regen (265,28) aus seinem Visier spritzt. Erst jetzt ist Orilus bereit, Jeschute zu verzeihen. Nach dem Kampf gelangt die Gruppe zu der Klause des Einsiedlers Trevrizent. In Abwesenheit des Eremiten findet Parzival einen Reliquienbehälter und ein gemâlet sper (268,29) an dem Gemäuer. Parzival leistet einen Schwur auf das heiltuom (269,2), der seinen Anspruch auf Ritterschaft bekräftigt und ausführt: des namen ordenlîchiu kraft, als uns des schildes ambet sagt, hât dicke hôhen prîs bejagt: […] dirre worte sî mit werken pfant mîn gelücke vor der hoehsten hant: ich hânz dâ für, die treit got. (269,8–17)

Den hohen Wert von Ritterschaft, der sich im ruhmreichen Kampf äußert, verknüpft Parzival mit göttlicher Kraft und Hilfe. Dass er bei der ersten Begegnung mit Jeschute ihren Schmuck an sich nahm, kann er mittlerweile damit begründen, dass er ein tôre und niht ein man (269,24) gewesen sei. Parzival spricht sie nach seinem Eid vor ihrem Ehemann von Schuld frei und gibt ihr den gestohlenen Ring zurück. Auch Orilus erkennt nun sein falsches Handeln gegenüber Jeschute (ich hân unfuoge an ir getân, 271,7). Nun nimmt Parzival den sper von Troys (271,10) an sich.54 Der Eid Parzivals wird gerahmt von dem Sehen und Ergreifen der bemalten Lanze. So fasst das Objekt das erkennende Erinnern und ausgleichende Handeln Parzivals ein, das das Vergangene – sein Fehl54 Chrétien schildert das Ergreifen der Lanze vor dem Kampf mit Orilus (CdG, V. 3900–3910). Wolfram fügt die gesamte Szene an der Klause hinzu.

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verhalten Jeschute gegenüber – überschreibt.55 Parzival kann zum ersten Mal seine vergangenen Taten bewerten. Dies fällt zusammen mit einem der wenigen Einblicke in sein Innenleben, der deutlich macht, welches Gewicht er Ritterschaft beimisst. Parzival besitzt mittlerweile ein umfassendes Konzept davon, das über repräsentierende Objekte hinaus in den Bereich von Moral und Glauben reicht. Dass er an dieser Stelle die Lanze Taurians an sich nimmt und Ithers Lanze zerbricht, besitzt in diesem szenischen Zusammenhang Signalcharakter. Die Lanzen manifestieren eine Änderung in Parzivals Verständnis von Ritterschaft. Obwohl einiges an dem Kampf mit Orilus an Ither erinnert (die einzigartige Rüstung: Orilus’ Rüstung ist über und über mit kleinen Drachen verziert; das blutende Visier des Helmes, durch das Ither erstochen wurde), verhält sich Parzival jetzt anders. Er tötet seinen Gegner nicht, ist bereit für einen Dialog und verhandelt die Aussöhnung zwischen den Eheleuten. Zudem legt er den Got­ teseid ab, um seine Schuld gegenüber Jeschute abzuleisten. Daran zeigt sich eine Bewertung und Reflexion seiner Taten, die er vor Nantes nicht zu leisten imstande war. Wie ist in diesem Zusammenhang die neue Lanze zu deuten, die Parzival an sich nimmt? Sie ist die letzte exponierte Lanze, die er trägt. Der wilde Taurian, Dodines’ Bruder, vergaß sie an der Klause.56 Von der Identität des Lanzenträgers erfährt der Rezipient nichts weiter, allein Dodines ist als Artusritter aus Hartmanns von Aue Erec und Iwein bekannt. Erst bei dem zweiten Aufenthalt Parzivals bei Trevrizent im neunten Buch stiftet diese Lanze sinnhafte Zusammenhänge.57 Sie ist schon längst zerbrochen, als der Einsiedler sie zur Berechnung der Zeit benutzt, die vom Auffinden des Objekts bis zu Parzivals zweitem Aufenthalt in der Klause verstrichen ist. Im siebten und achten Buch, also zwischen diesen beiden Stationen, war Parzival aus der Erzählung verschwunden; an seine Stelle rückt Gawan, dessen Handlungsstrang verfolgt wird.58 Erst im neunten Buch erblickt Parzival zum zweiten Mal das Reliquiar an der Klause und erinnert sich: hêr, daz nam al hie mîn hant: / dâ mit ich prîs bejagte, / als man mir sider sagte (460,6–8). Wie ihm berichtet wurde, habe er damals nach Ehre gestrebt – aus gewandelter Perspektive

55 Durch den Eid entsteht laut Störmer-Caysa 2007 ein Ort einer „guten, richtigen und selbstbewußten Tat“ (S. 52). 56 Sie vergaz der wilde Taurîân, / Dodines bruoder, dâ (271,12f.). Die These Hufelands 1976, das Objekt fungiere als Symbol abgelegter Wildheit Taurians vor der Klause und Parzival übernehme bis zur folgenden Einkehr bei Trevrizent dieses Prinzip der Wildheit (S. 14), wurde bereits von Schuler-Lang 2014 angezweifelt (S. 151). 57 Dort wird auch die Gralsburgszene und der Itherkampf aufgegriffen und gedeutet. Der Tod des roten Ritters „wird zum Problem der Ritterschaft insgesamt“ (Schuhmann 2008, S. 173), da Parzival mit Ither seinen Verwandten tötet (dû hâs dîn eigen verch erslagn, sagt Trevrizent, 475,21). Diese Schuld gegenüber Gott manifestiert sich kurz vor Ende der Erzählung im Zerspringen von Parzivals Schwert während des letzten Kampfes gegen seinen Halbbruder Feirefiz (got des niht langer ruohte, 744,14). Nicht nochmal sollte er einen Verwandten töten. 58 Der Erzähler leitet das neunte Buch mit den Fragen nach Parzival ein, die er frou âventiure (433,7) stellt: wie vert der gehiure? / ich meine den werden Parzivâl […] / den selben maeren grîfet zuo, / ober an freuden sî verzagt, / oder hât er hôhen prîs bejagt? (433,8–18). Zuvor schwenkte der Blick auf den Handlungsstrang um Gawan.

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beschreibt Parzival seine damalige Begegnung, ohne sich selber recht erinnern zu können. Trevrizent erläutert ihm: des vergaz mîn friunt Taurîân hie: er kom mirs sît in klage. fünfthalp jâr unt drî tage ist daz irz im nâmet hie. (460,20–23)

Viereinhalb Jahre und drei Tage sind zwischen Parzivals erstem und zweitem Aufenthalt bei der Klause verstrichen. Die Leerstelle der Erzählung, die auch als solche markiert ist, wird anhand der Objektbiografie der verschwundenen Lanze bestimmt. Trevrizent faltet dem Gast die inzwischen vergangene Zeit anhand seines Psalters auf: ame salter laser im über al / diu jâr und gar der wochen zal (460,25f.). Damit wird die ‚verlorene‘ Zeit in die heilsgeschichtliche Ordnung eingegliedert – Parzival befindet sich nach seinen Irrfahrten der letzten Jahre wieder im Strom der von Gott geordneten Zeit. Die Erkenntnis folgt: alrêrst ich innen worden bin / wie lange ich var wîselôs, sagt Parzival (460,28f.). Das von Taurian vergessene Objekt markiert die Zeitspanne, während der Parzival einsam durch die Welt reiste. Das Vergessen ist das mit der Lanze Taurians verbundene Leitthema. Sie wurde von ihrem ersten Träger vergessen und macht in Trevrizents Klause (als erinnertes Objekt) einen Abschnitt der Erzählung kenntlich, in dem Parzival vom Erzähler vergessen wurde. Zuvor zerbricht sie in einem Kampf, den Parzival gegen das Vergessen führt: In der Blutstropfenszene zeigt sich, wie sinnlich-präsentisches Wahrnehmen mit dem Objekt enggeführt wird und welche Rolle die stattfindenden Kämpfe für die Konturierung der höfisch-ritterlichen Gesellschaft spielen. Nach dem Abschied von Jeschute finden wir Parzival im verschneiten Wald unweit des Artushofes wieder. Dort wird bereits nach dem unbekannten rîter rôt (280,9) gesucht, nachdem Orilus’ Bericht über die Geschehnisse im Wald und an der Klause Artus veranlasst haben, den Fremden zur Tafelrunde einzuladen. Nun verlagert sich der Blick des Erzählers wieder auf Parzival.59 Er sieht im Wald drei Blutstropfen im Schnee, die von einer verwundeten Gans stammen. Der Kontrast zwischen Rot und Weiß veranlasst ihn zu der Frage: wer hât sînen vlîz / gewant an dise varwe clâr? (282,26f.) und er beginnt, an seine ferne Ehefrau Condwiramurs zu denken: Condwîr âmûrs, hie lît dîn schîn. / sît der snê dem bluote wîze bôt (283,4f.). Die Wahrnehmung des Blutes löst Erinnerung aus, die die Geliebte vergegenwärtigt. Der Erzähler rekonstruiert die Imaginationsleistung Parzivals, der die drei Tropfen als Wangen und Kinn ihres Gesichts erblickt. Parzival versinkt derart in diesem Bild, dass er zu keiner anderen Wahrnehmung mehr fähig ist; er fällt aus der Welt heraus. 59 Zu dem poetologischen Hinweis auf die Art und Weise des Erzählens, die die Szene einleitet (diz maere ist hie vast undersniten, / ez parriert sich mit snêwes siten, 281,21f.) vgl. Trinca 2008, S. 13–21, Bumke 2001, S. 143f.

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Währenddessen wird seine erhobene Lanze von einem Knappen gesehen, der sogleich meint, einen kampfbereiten Ritter in gefährlicher Nähe zum Artushof vor sich zu haben. Die Lanze Taurians fungiert als Zeichen, das der Knappe dank Artus lesen kann: Dieser hatte seinen Rittern erläutert, dass uf gerihtiu sper (281,1) die Kampfbereitschaft des Gegners zeigen. Niemand seiner Ritter darf indes tjostieren, ohne zuvor seine Erlaubnis eingeholt zu haben. Artus kennt seine Ritter als vreche rüden (281,3), die sich gegenseitig auf die Füße träten, sobald sie die Möglichkeit sähen zu kämpfen. Der Knappe erinnert sich an diese Deutung der aufgerichteten Lanze und glaubt, auch Parzival handhabe das Objekt mit dieser Absicht, setzt also gemeinsames Wissen voraus. Er rennt zum Hof und hetzt die dort Anwesenden derart gegen den Unbekannten auf, dass er sîne kurtôsîe […] dran verlôs (284,11). Daraufhin bricht Tumult unter den Rittern aus; jeder will wissen, ob es schon einen Kampf gab und genuogen was [das] gelübde leit (284,28), das Artus von ihnen verlangte. Einer von ihnen, Segramors, rennt sofort zu dem Zelt des Königs. Artus schläft noch, wird aber unsanft geweckt: ein declachen zobelîn zuct er ab in diu lâgen und süezes slâfes pflâgen, sô daz si muosen wachen und sînre unfuoge lachen. (285,16–20)

Der im Bett liegende Artus belehrt ihn, er solle seine unbescheidenheit (286,4) zurückhalten; wenn er kämpfe, wolle schließlich jeder, und dann sei seine gesamte Streitmacht plötzlich im Wald verschwunden. Nach Ginovers Zureden darf Segramors dann doch ausreiten.60 Nachdem Parzival Segamors mit dem sper von Troys (288,16) aus dem Sattel gestochen hat, tritt alsbald Keie an. Auch ihn kann Parzival besiegen und versinkt danach wieder in der Betrachtung des Blutes, das ihn an den Gral und an Condwiramurs denken lässt. Sol diz âventiure sîn? (296,11) fragt der Erzähler und verneint – es ginge vielmehr um leidvolle Erfahrungen. Erst Gawan kann Parzival schließlich aus seiner Trance befreien: In Erinnerung an seine eigenen Erlebnisse vermag er es, Parzivals Blick zu den Blutstropfen zu folgen und diese zu verdecken. Daraufhin kehrt Parzivals Verstand zurück, jedoch nicht seine Erinnerung an die Kämpfe. Er fragt Gawan: ôwê war kom mîn sper, / daz ich mit mir brâhte her? (302,17f.) Wie Beck feststellt, verschwindet die Lanze mit ihrer Zerstörung nicht aus der erzählten Welt, sondern sie wird „zum Erinnerungsobjekt, das im Werk wie ein roter Faden ein Stück lang die Heterogenität der Ereignisse verknüpft“.61 Die Lanze löst den langsamen, fragenden Erkenntnisprozess von Parzival aus: Wo ist meine

60 An seiner Rüstung und Pferdedecke erklingen – wie bei Karnahkarnanz – viele kleine Glöckchen, sodass man ihn zur Jagd wol geworfen hân / zem fasân inz dornach (286,30–287,1). Segramors wird mit dem Beizvogel assoziiert, an dessen Fängen für gewöhnlich Schellen angebracht sind, die dem Falkner die Ortung ermöglichen. 61 Beck 1994, S. 186.

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Lanze? Gegen wen habe ich gekämpft? (302,21) Wer ist mein Gegenüber? (303,14). Gawan berichtet ihm, dass er Keie soeben sämtliche Gliedmaße gebrochen hat. Die Lanze wird dafür zum „Wahrheitsbeweis“62: hie ligent ouch trunzûne ûf dem snê / dîns spers, nâch dem du vrâgtest ê. (304,23f.) Nun erkennt Parzival die wârheit (304,25). Die Lanzensplitter füllen die Lücken seiner Erinnerung. Bei Trevrizent wird die Lanze im neunten Buch in ähnlicher Weise narrativ funktionalisiert: Das zerstörte Objekt vermittelt Parzival eine Vorstellung der Zeit, die während seiner Irrfahrten vergangen ist. Es dient wiederholt als zeitlicher Marker; es zerbricht an einer Stelle, die Parzivals Herausfallen aus der Zeitlichkeit erzählt und verortet ihn Jahre später wieder in der Zeitlichkeit der Handlung. Diese letzten Lanzenkämpfe Parzivals,63 die stark von zeitlichen Aspekten wie Vergessen und Erinnern geprägt sind, sind in einer Art und Weise modelliert, die an seine vergangenen Kämpfe erinnert. Wolfram verknüpft verschiedene Situationen, die von Lanzen bestimmt sind: Wie Karnahkarnanz ist auch Segramors ein ‚klingelnder‘, akustisch reizvoller Ritter; sein Streben nach âventiure lässt an Parzivals jugendliche Kampfbegierde denken; das rüde geweckte Königspaar mag an Parzivals Begegnung mit der schlafenden Jeschute erinnern; das ambivalente Zeichen der erhobenen Lanze verweist auf die Präsentation der Gralslanze (beide Male ist die Deutung erschwert und wird verzögert nachgereicht); Parzival ist wie Ither ein Störfaktor des Hofes. Die Lanze Taurians leitet einerseits Parzivals (kurzzeitige) Integration in die Artusgesellschaft ein, indem sie Instrument seiner Bewährung und Vergeltung ist; ist sie aus diesem Grund dem Verwandten eines Artusritters zugeschrieben? Andererseits bestimmt die Lanze auch Parzivals vorerst letzte Interaktion mit dem Hof. Nachdem er dort nach dem Kampf mit Orilus ehrenvoll aufgenommen und zur Tafelrunde geladen wird, trifft am Abend die Gralsbotin Kundrie bei der Gesellschaft im Wald ein. Sie hält eine lange Rede, in der sie Parzival jeglichen Ruhm abspricht und ihn als verachtenswerten Sünder bezeichnet. Daraufhin wendet sich der Geschmähte vom Hof ab und begibt sich auf die Suche nach dem Gral; während dieser Zeit ist er aus der Erzählung getilgt. Diese letzte narrativ exponierte Lanze, die Parzival mit sich trägt, fungiert somit als Scharnierstelle zwischen den ‚weißen Flecken‘, die Figurenerinnerung und Handlungskontinuum durchsetzen.

Schluss Parzivals Lanzen perspektivieren das Konzept und die Bedingungen von Ritterschaft wiederholt neu. Vom gabilôt, das Parzivals Weg einleitete, zum sinnlichen Be-Greifen des Ritters durch seine Objekte über deren Aneignung durch Ithers Rüstung und Lanze spannt sich der Bogen weiter zur verrätselten Präsentation der Gralsritterschaft, 62 Bumke 2001, S. 54–56. 63 Der spätere Kampf gegen Feirefiz wird großteils mit den Schwertern bestritten.

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die sich Gott verpflichtet und das Gegenstück zum höfischen Ritter bildet. Die Lanze Ithers und die Lanze Taurians zeigen anhand des Objektwechsels den Wandel an, wie Parzival Ritterschaft versteht. Für ihn besteht kein Widerspruch zwischen Rittertum und Gottesergebenheit; er bemüht sich um Wiedergutmachung vergangener Verfehlungen. Die Kämpfe mit Taurians Lanze stellen den ritterlichen Kampf schließlich in dysfunktionalem Licht dar. Die erhobene Lanze wird zum falsch gelesenen Zeichen und setzt eine Maschinerie der Agonalität in Gange, die die Artusritter und -gesellschaft ins Absurde abgleiten lässt.64 Der Erzähler inszeniert den Artushof als Ort des Chaos und der Grenzüberschreitung. Wenn der König die Ritter der Tafelrunde als freche, ungestüme Hunde bezeichnet, und der Erzähler Segramors als klingelnden Jagdköder ebenso wie als ungestümen, Artus die Decke wegziehenden unerfahrenen Knaben darstellt, scheint diese Art von Ritterschaft – die Parzival zu Beginn als Idealbild begreift – so problematisch und unvollkommen zu sein wie zu Beginn der Erzählung und ähnlich der Gralsgesellschaft: Dort erblickt Parzival einen handlungsunfähigen, wunden König, der voll und ganz auf seine Ritter angewiesen ist, die, bar jeder individuellen Identität, eine homogene, auf Verteidigung ausgerichtete gerüstete Masse sind. Der Erzähler modelliert eine Gesellschaft, deren Fortbestand ungewiss ist. Anfortas’ Wunde, die die Gralslanze geschlagen hat, führt sein Geschlecht in eine genealogische Sackgasse. Und auch die von Gott bzw. dem Gral gegebenen Regeln der Gralskönigsnachfolge führen nicht zur Erfüllung dessen, was Parzival vorbestimmt ist. Er verlässt Munsalvaesche, ohne die Frage zu stellen bzw. die Nachfolge anzutreten. Der Übergang der Gralsherrschaft von Anfortas zu Parzival wird nicht eingelöst; in dieser Zeit fällt Parzival ‚aus der Zeit‘ und taucht erst bei Trevrizents Klause wieder auf. Durch die mehrfach verlagerten figürlichen Konstellationen und Wahrnehmungsweisen verweisen die Lanzen auf variierende Konzepte von Ritterschaft. Blickt man auf historische Entwicklungen des 13. Jahrhunderts, der Entstehungszeit des Parzival, erschließt sich, warum Wolfram sich mit diesem Thema auseinandersetzt: Das für uns so geläufige Konzept des mittelalterlichen Ritters war zu Wolframs Zeit noch nicht statisch, sondern vielmehr in Bewegung und im Aufbau begriffen. Seine Fixierung in didaktischen, moralisch-ethischen und normativen Schriften lag im 13. Jahrhundert erst in den Anfängen.65 64 Bumke 2001 spricht von einer in der Szene angelegten „Komik“ (S. 4), die bei Wehrli unter dem Aspekt von Wolframs Humor behandelt wird (Wehrli 1966). Jedoch kann die affektiv-komische Wirkung auf Rezipientenseite auch dazu führen, das erzählte ritterliche Handeln hinterfragbar werden zu lassen. 65 Das früheste deutsche Beispiel eines Tugendkatalogs, der Ritterpflichten auflistet, findet sich im Tristan Gottfrieds von Straßburg (ca. 1200–1220), während der am weitesten verbreitete Fürstenspiegel des Mittelalters, der Traktat De regime principium von Aegidius Romanus, zwischen 1277 und 1279 im Auftrag Philippes III. von Frankreich entstand (Deutschländer 2012, S. 40). Der Welsche Gast von Thomasîn von Zerclaere, entstanden 1215/1216, fasst schließlich zum ersten Mal in Form eines Lehrgedichts die Tugenden eines Hofmannes und Ritters zusammen. Die lehrhaften Texte wie auch die Erzählungen beeinflussten die spätere Lebenswelt: „Am burgundischen Hof des Spätmittelalters finden sich Spuren literarischer Texte in politischen Programmen und Reden wieder. […] In diesem Zusammenhang ist zurecht darauf hingewiesen worden, dass das

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Der Ritterstand entwickelte sich ab dem 11. Jahrhundert, als unfreie Dienstleute, Ministerialen, zum berittenen Kriegsdienst herangezogen wurden und neben der militärischen auch eine herrschaftliche Funktion übernahmen.66 Das Gefüge dieser militia wuchs im 12. Jahrhundert zunehmend zu einer „einheitlichen Gesellschaftsschicht“67 zusammen, die sich am Adel orientierte und eine gemeinsame Lebensform und „Ethik“68 herausbildete. Die Bezeichnung miles bzw. militaris wurde mithin zu einer Qualität der Geburt und Genealogie, wodurch der Ritterbegriff als Ritterstand in ein Adelssystem eingefügt werden konnte.69 Schon früh, seit der ausgehenden Karolingerzeit, versuchte die Kirche, christliche Normen in der sich herausbildenden Gruppe zu implementieren. Als Höhepunkt dieser Bestrebungen können sicherlich die Kreuzzüge und die Kreuzzugsbewegung des ausgehenden 11. Jahrhunderts gelten.70 Das Verhältnis von Ritterschaft und Kirche war im 12. Jahrhundert schließlich nach den immer erfolgloser werdenden Bemühungen, im Heiligen Land dauerhaft Fuß zu fassen, zerbrechlich geworden. Wolframs Erzählung entstand in einer Zeit des Umbruchs, in der gesellschaftliche und politische Entwürfe zum Gegenstand literarischer Auseinandersetzungen und Diskussionen wurden. Das, was man vordergründig als brüchiges Ritterbild der Erzählung bezeichnen mag, kann als poetologisch zu denkendes (und historisch zu belegendes) Verfahren aufgefasst werden, dieses in verschiedenen Konstellationen und Zugriffen zwischen abstrakt und konkret, zeichenhaft und präsent, abgewiesen und begehrt sowie zwischen legitimiert und problematisch zu entwerfen. Dabei verändert sich die Gestalt des Ritters in der äußerlichen, materiellen Ausstattung und in der individuellen Hinwendung zu Gott oder der Welt. Ritterschaft wird für Parzival primär sinnlich erfahrbar, bevor sich sukzessive durch diverse Perspektiven und Erzähltechniken ein Spektrum an Möglichkeiten, den Begriff zu verhandeln, öffnet. Die Lanzen lassen sich insofern als materielle Möglichkeiten begreifen, Ritterschaft in ihrer Heterogenität zu erfassen, als dass sie notwendige Waffen und zentrale Erkennungszeichen des Ritters sind.

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Verhältnis zwischen Literatur und Lebenswirklichkeit nicht allein darin besteht, in welchem Maße der Adel in seinem Verhalten entsprechenden Anweisungen folgte, sondern ebenso darin, dass Handlungen an den literarischen Diskurs rückgebunden wurden“ (Deutschländer 2012, S. 39). So sollte die Hofgesellschaft das Schicksal von Helden der Vergangenheit wie Achill oder Caesar als Orientierungspunkt für eigenes Handeln nutzen (ebd., S. 45). Auch der Code für höfisches Verhalten im 12. bis Anfang des 13. Jahrhundert könne „not be regarded as a coherent whole except for the basic notion of dienst and lon, service and reward. The qualities we encounter in so many texts are the traditional ones of ere (honor), milte (generosity), triuwe (loyalty), staete (constancy), maze (measure), zuht (good conduct) and tapferheit (bravery), but the specific role they play varies with authors and contexts.“ Scaglione 1991, S. 141. Zu der Entwicklung des Rittertums vgl. Hechberger 2010, bes. S. 34–37; Arentzen / Ruberg 2011. Fleckenstein 1990, S. 309. Hechberger 2010, S. 34. Bumke 1986, S. 65f. sowie 70f. Hechberger 2010 weist darauf hin, dass im Zuge dessen der ursprünglich dem Mönch, Apostel und Märtyrer vorbehaltene Begriff des miles christianus auf den Ritter angewendet wurde und außerdem viele Heilige (unter anderem Georg und Mauritus) zu ‚Ritterheiligen‘ stilisiert wurden (ebd., S. 35).

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Bibliografie Primärliteratur Chrétien de Troyes: Der Percevalroman (Le conte du Graal), übers. u. eingel. v. Monica SchölerBeinhauer, München 1991 Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe, Mittelhochdeutscher Text nach der 6. Ausg. v. Karl Lachmann, übers. v. Peter Knecht, Einf. zum Text v. Bernd Schirok, Berlin / New York 1998

Sekundärliteratur Beck, Hartmut: Raum und Bewegung. Untersuchungen zu Richtungskonstruktionen und vorgestellter Bewegung in der Sprache Wolframs von Eschenbach, Erlangen / Jena 1994 Bleumer, Hartmut: Wahrnehmung literarisch. Ein Versuch über ‚Parzival‘ und ‚Tristan‘, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 137–157 Brüggen, Elke: Die Rüstung des Anderen. Zu einem rekurrenten Motiv bei Wolfram von Eschenbach, in: Mühlherr / Sahm / Schausten / Quast 2016, S. 127–144 Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Bd. 1, Nördlingen 1986 Ders.: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im Parzival Wolframs von Eschenbach, Tübingen 2001 Deutschländer, Gerrit: Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550), Berlin 2012 DeVries, Kelly / Smith, Robert Douglas: Medieval Military Technology [1992], Toronto 2012 Draesner, Ulrike: Wege durch erzählte Welten. Intertextuelle Verweise als Mittel der Bedeutungskonstitution in Wolframs Parzival, Frankfurt am Main / Berlin / Bern / New York / Paris / Wien 1993 Fleckenstein, Josef: ‚Miles‘ und ‚clericus‘ am Königs- und Fürstenhof. Bemerkungen zu den Voraussetzungen, zur Entstehung und zur Trägerschaft der höfisch-ritterlichen Kultur, in: ders. (Hg.), Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, Göttingen 1990, S. 302–325 Friedrich, Udo: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009 Haas, Alois M.: Parzivals ‚tumpheit‘ bei Wolfram von Eschenbach, Berlin 1964 Harms, Wolfgang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300, München 1963 Hasebrink, Burkhard: Gawans Mantel. Effekte der Evidenz in der Blutstropfenepisode des ‚Parzival‘, in: Andersen, Elizabeth / Eikelman, Manfred / Simon, Anne (Hg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin / New York 2005, S. 237–247 Haug, Walter: Warum versteht Parzival nicht, was er hört und sieht? Erzählen zwischen Handlungsschematik und Figurenperspektive bei Hartmann und Wolfram, in: ders., Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften, Tübingen 2008, S. 141–156 Hechberger, Werner: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2010 Heinig, Dorothea: Die Jagd im Parzival Wolframs von Eschenbach. Stellenkommentar und Untersuchungen, Stuttgart 2012 Henning, Ursula: Die Gurnemanzlehren und die unterlassene Frage Parzivals, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 97, 1975, S. 312–333 Hufeland, Klaus: Das Motiv der Wildheit in mittelhochdeutscher Dichtung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 95, 1976, S. 1–19 Knaeble, Susanne: Höfisches Erzählen von Gott. Funktion und narrative Entfaltung des Religiösen in Wolframs Parzival, Berlin / New York 2011 Kolb, Herbert: Munsalvaesche. Studien zum Kyotproblem, München 1963 Kopytoff, Igor: The Cultural Biography of Things: Commoditization as Process, in: Appadurai, Arjun (Hg.), The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective, Cambridge 1986, S. 64–91 Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel, Tübingen / Basel 2006

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Mensch – Waffe – Körperwissen Die bildliche und textliche Repräsentation von embodied knowledge in vormodernen Kampfbüchern

Kaum eine zwischenmenschliche Interaktion ist in der historischen Überlieferung so präsent wie das Kämpfen.1 Die physische Auseinandersetzung ist einerseits als konkrete Praxis belegt, auf die heute aufgrund ihrer Flüchtigkeit nur noch archäologische Knochenbefunde, im Kampf verwendete Artefakte oder nicht-fiktionale Texte wie Chroniken und Schlachtenberichte verweisen können. Andererseits zählt das Kämpfen zu den symbolisch am stärksten aufgeladenen Handlungen menschlicher Kultur, sodass Darstellungen des Kämpfens in mythischen und literarischen Texten eine zentrale Stellung einnehmen und zugleich wichtiger Bestandteil von Motiven der bildenden Kunst sind.2 Dabei sind es insbesondere Zeugnisse aus dem Umfeld der ritterlich-höfischen Kultur des europäischen Mittelalters,3 die der Kampfbefähigung und dem Kämpfen als Grundlage der männlichen Selbstbeschreibung einer gesellschaftlichen Elite einen besonderen Stellenwert beimessen.4

1 Kämpfen stellt vermutlich eine der am stärksten mit gender-Aspekten verknüpften menschlichen Praktiken überhaupt dar. Bis auf wenige Ausnahmen (wie etwa die Darstellungen von Gerichtskämpfen zwischen Mann und Frau oder die schwer zu deutende Abbildung einer als Walpurgis bezeichneten Fechterin im derzeit ältesten Kampfbuch aus den Royal Armouries) sind alle Kämpfenden in mittelalterlichen Kampfbüchern durch Darstellungsweise und Attribute dem männlichen Geschlecht zugeordnet. Im Gegensatz hierzu existiert heute eine große Anzahl von aktiven Kampfkünstlerinnen und Fechterinnen, was sich auch in aktuell entstehenden filmischen und literarischen Werken niederschlägt. Um für diese Diskrepanz zwischen unserer Perspektive und dem Untersuchungsgegenstand zu sensibilisieren sowie um auf das soziale Geschlecht als zentrale Dimension für die Erforschung von Kampfbüchern und Praktiken des Kämpfens hinzuweisen, verwende ich in diesem Beitrag in Bezug auf moderne Phänomene das generische Femininum. 2 Um dem Risiko einer analytischen Unschärfe zu begegnen, wird Kämpfen hier in erster Linie als eine physische Auseinandersetzung zwischen Menschen aufgefasst. Damit soll keinesfalls dem Kampf gegen nicht physische oder nicht menschliche Entitäten sowie einer metaphorischen Übertragung des Kampfbegriffs die Relevanz für mittelalterliche Zeitgenossen oder als Gegenstand der mediävistischen Forschung abgesprochen werden. Diese Kämpfe stehen lediglich nicht im Fokus des vorliegenden Beitrags. 3 Paravicini 1999. 4 Wrede 2012; Clauss / Stieldorf / Weller 2015.

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Eine Beschäftigung mit Objekten des Krieges legt vor diesem Hintergrund auch die Berücksichtigung von Praktiken des Kämpfens und den mit ihnen verbundenen Diskursen nahe. Wie zahlreiche Hinweise auf Kämpfe in bürgerlichem und bäuerlichem Umfeld belegen, lässt sich dieser Gegenstand jedoch nicht auf den ordo der bellatores beschränkt untersuchen. Gleichermaßen würde es eine perspektivische Verengung darstellen, das Kämpfen ausschließlich als ein Phänomen der Gewalttätigkeit5 im Sinne der violentia6 zu konzipieren. Die gemeinschaftsstiftende Funktion von Turnieren, die Popularität öffentlicher Fechtschulen im späten Mittelalter7 und die Belege für zahlreiche normierte Formen des Kämpfens und des kämpferischen Wettstreits8 außerhalb von Fehde und Krieg,9 Kriminalität,10 Gerichtskampf11 und Duell12 legen vielmehr die Verwendung eines weiten Kampfbegriffes nahe und verweisen darauf, Praktiken des Kämpfens in erster Linie als ein polysemisches und alle Gesellschaftsschichten durchdringendes Phänomen zu verstehen.13 Zugleich existiert seit dem späten Mittelalter eine Quellengattung, die das Erzählen und Imaginieren des Kämpfens auf ganz konkrete Weise mit der Praxis der physischen Auseinandersetzung verbindet: Anfang des 14. Jahrhunderts begannen Fechtmeister, mithilfe von Bildern und Texten ihr spezifisches Körperwissen und ihre didaktischen Praxislehren zum Waffengebrauch in Buchform aufzuzeichnen. Auf diese Weise entstanden mit den handschriftlichen und seit dem späten 15. Jahrhundert auch im Druck verbreiteten europäischen Fecht- oder Kampfbüchern14 faszinierende Zeugnisse, die soziale Kontexte des Kämpfens ebenso thematisieren wie ganz konkrete Strategien und Techniken im Kampf. Im Hinblick auf die im Fokus des vorliegenden Sammelbandes stehende Beziehung zwischen materiellen Objekten des Krieges und ihren medialen Repräsentationen verweisen die Kampfbücher mit der Beschreibung von zur Handhabung der Artefakte notwendigen Körpertechniken15 auf ein zusätzliches immaterielles Element. Sie thematisieren das verkörperte Wissen (embodied knowledge)16 der im praktischen Umgang mit Waffen und Rüstungen kompetenten Fechtmeister, das in Form von strukturierten Praxis-

  5 Zu Gewalt als Thema der mediävistischen Forschung vgl. u. a. Mauntel 2014; Braun / Herberichs 2005; Groebner 2003; Kaeuper 1999; siehe auch: Groebner 2007.   6 Zur Unterscheidung von violentia, vis und potestas: Braun 2006, S. 438–440; Dietl 2009, S. 43.   7 Jaquet, Die Kunst des Fechtens, 2016; Tlusty 2016.   8 Besonders der Ringkampf bietet hier die Möglichkeit für das Austragen von (relativ) unblutigen Wettkämpfen: Wetzler 2017, S. 227–231; vgl. grundlegend zum Ringkampf im Spätmittelalter: Welle 1993.   9 Contamine 1980; Prietzel 2006; Clauss 2010. 10 Schuster 2000. 11 Neumann 2010. 12 Ludwig / Krug-Richter / Schwerhoff 2012; Ludwig 2016. 13 Zur Variationsbreite kämpferischer Praktiken vgl. die Beiträge in: Israel / Jaser 2016. 14 Leng 2008; Boffa 2014; Jaquet / Verelst / Dawson 2016. 15 Grundlegend hierzu: Mauss 1935. 16 Vgl. u.a. Sørensen / Rebay-Salisbury 2013; Farrer / Whalen-Bridge 2011.

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lehren aufgezeichnet wurde. Häufig werden diese Lehrsysteme konkreten Meisterfiguren17 wie etwa Johannes Liechtenauer, Hans Talhofer oder Fiore dei Liberi zugeschrieben, deren Urheberschaft sie als gesicherte Wissensbestände autorisieren soll. Den wichtigsten Bestandteil dieser Lehren bilden einzelne Kampftechniken oder zusammenhängende Lektionen, die in der Regel die Form idealtypischer Lösungen für idealtypische Kampfsituationen annehmen. Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kampfbücher greifen zur Aufzeichnung dieser Techniken auf eine jeweils individuelle Kombination von drei grundlegenden Elementen zurück. Neben verkürzten und verdichteten Merkversen, die im wesentlichen Benennungen für komplexe Techniken im Sinne einer technischen Lexik aufzählen und zueinander ins Verhältnis setzen, kommen Prosakommentare zum Einsatz, welche die kryptischen Verse auslegen und in eine Beschreibung von Bewegungsabläufen und Aktion-Reaktion-Sequenzen überführen. Zudem setzen viele Kampfbücher auch auf eine Bebilderung, wobei im Normalfall ein entscheidender Moment in der Ausführung einer komplexen Technik zeichnerisch dargestellt und gegebenenfalls kommentiert wird, während nur in Einzelfällen ein Bewegungsablauf mithilfe einer kurzen Bildserie in einzelne Phasen zergliedert wird.18 Vor dem Hintergrund der Beziehung zwischen physischen Praktiken des Kämpfens und ihrer Repräsentation als imaginierte oder erzählte Kämpfe untersucht der vorliegende Beitrag Kampfbücher als Medien, die den Versuch unternehmen, körpergebundenes und zum großen Teil implizites oder „stummes“ Wissen19 zeitlich dauerhaft aufzuzeichnen. Obwohl es einige künstlerisch anspruchsvolle Kampfbücher gibt, die aufgrund der enthaltenen Federzeichnungen oder der qualitativ hochwertigen Holzschnitte und Kupferstiche auch für kunstgeschichtliche Fragestellungen im engeren Sinne Relevanz besitzen, handelt es sich bei diesen Zeugnissen in erster Linie um Ausprägungen von pragmatischer Schriftlichkeit.20 Das verbindende Element, das Kampfbücher als eine heterogene Gruppe von vormodernen Dokumenten konstituiert, besteht in der dezidierten Beschäftigung mit Körperbewegungen und der Organisation von praktischem Wissen. Zum Zwecke einer Annäherung an die hierbei zum Einsatz kommenden medialen Techniken gilt es zunächst, sich dem Verhältnis von Techniken des Körpers und den Möglichkeiten und Grenzen ihrer Repräsentation durch Text und Bild zuzuwenden. Durch den Versuch, Körpertechniken aufzuzeichnen, etablieren Kampfbücher komplexe Verweissysteme zwischen einer spezialisierten technischen Lexik, Bewegungsbeschreibungen und bildlichen Darstellungen von sich bewegenden Körpern, die auf praktisch auszuführende Körpertechniken verweisen. Das Unterfangen, diese Verweissysteme ganz grundlegend als Repräsentationen von Techniken zu verstehen, erfordert zugleich eine Reflexion über moderne

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Bauer 2014. Müller 1992; für weiterführende Literaturangaben vgl. Burkart 2014. Polanyi 1958. Keller / Grubmüller / Staubach 1992.

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Körperlichkeiten21 und das Verhältnis zwischen dem verkörperten Bewegungswissen der Forscherin und den in vormodernen Kampfbüchern dargestellten Techniken einer alteritären Bewegungskultur.

Mit dem Körper verstehen? Die zentrale Rolle subjektiver Körpererfahrung im Prozess der verstehenden Annäherung an das in den Kampfbüchern referenzierte Bewegungswissen lässt sich anhand einer Abbildung verdeutlichen, die aus einer aufwendig illustrierten Handschrift des Fechtmeisters Hans Talhofer stammt. Die Handschrift wurde um das Jahr 1467 angelegt und befand sich im Besitz des Grafen Eberhard V. von Württemberg, bekannt unter dem Namen Eberhard im Bart.22 Sie enthält durchweg großformatige Zeichnungen von bewaffneten und unbewaffneten Kämpferpaaren, die in einem für die Ausführung einer bestimmten Technik zentralen Moment dargestellt werden. Blatt 12 recto (Abb. 1) zeigt auf der linken Seite einen Kämpfer, der laut Beischrift einen Angriff mit dem zweihändig geführten Schwert zur unteren Körperhälfte seines Gegners ausführt (Der gryfft nach der underen bloß). Sein mit gleicher Bewaffnung ausgestattetes Gegenüber reagiert darauf mit einem Schnitt über die ungedeckten Unterarme des Angreifers (Der schnit von oben daryn) und bedroht zugleich dessen Kopf. Die Arme des Angreifers in der linken Bildhälfte sind durch die Rotation des Schwertgriffes auf eine Weise verschränkt, die aufgrund der ungewöhnlichen Körperhaltung die subjektive Bewegungsvorstellung der Betrachterin anspricht. Während die linke Hand im Vordergrund zu sehen ist und der linke Ellenbogen beinahe senkrecht nach unten weist, wird die rechte Hand perspektivisch vom linken Unterarm verdeckt und die Spitze des rechten Ellenbogens zeigt direkt auf die Betrachterin. Legt man diese Abbildung einer Person zum ersten Mal vor, so erfolgt häufig ein unwillkürliches Nachahmen der Haltung des linken Schwertkämpfers, um die Darstellung auf diese Weise besser zu verstehen. Als problematisch erweist sich jedoch, dass das linke Handgelenk des Angreifers derart verdreht gezeichnet ist, dass es der Betrachterin anscheinend die Außenseite der Hand mit Daumen und Zeigefinger zuwendet. Diese Haltung tatsächlich einzunehmen, ist anatomisch jedoch aufgrund der spiegelverkehrten Darstellung der Hand schlicht unmöglich. Aus dieser Beobachtung folgt nicht nur das Offensichtliche, dass nämlich zahlreiche Kampfbücher auch zeichnerische Ungenauigkeiten und perspektivische Fehler enthalten. Das Beispiel verdeutlich vielmehr in erster Linie, wie zentral der Bezug zur eigenen Körper-

21 Für einen Überblick über Studien zur Körpergeschichte vgl. u. a. Lorenz 2000; Moore / Kosut 2010; Sarasin 2016. 22 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 394a. Vgl. Leng 2008, S. 54–56. Weiterführend: Burkart 2014; ders. 2017.

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1  Hans Talhofer, Fechtbuch, 1467, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 394 a, fol. 12r

lichkeit ist, wenn man den Versuch unternimmt, sich verstehend dem in Kampfbüchern repräsentierten Körperwissen anzunähern. Der Vorgang der Interpretation wird umso komplexer, wenn man sich nicht auf die dargestellte Körperhaltung beschränkt, sondern die Momentaufnahme der Zeichnung als Verweis auf ein dynamisches Kampfgeschehen und damit auf eine im Kampf anzuwendende Technik versteht. Die kurzen Beischriften machen zwar deutlich, dass es sich bei dem linken Fechter um den Angreifer handeln muss, der die ‚untere Blöße‘ seines Gegners attackiert, wie man aus der verdrehten Armhaltung jedoch einen derartigen Angriff führen kann, bleibt wiederum ausschließlich der Bewegungsvorstellung der Betrachterin überlassen. Wie sich im Selbstversuch leicht überprüfen lässt, hängt es stark von der körperlichen Vorbildung, der individuellen Konstitution und der Vertrautheit mit den physikalischen Eigenschaften spätmittelalterlicher Schwerter ab, zu welcher Vorstellung eines möglichen Angriffs aus der dargestellten Position man gelangt. Aus epistemologischer Perspektive bildet damit die subjektive Körpererfahrung beim Schluss vom materiell vorliegenden Zeugnis auf die im Medium repräsentierte Technik als Form von verkörpertem Wissen eine entscheidende Bezugsgröße.

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Körpertechniken als Wissensform Um sich dem in vormodernen Kampfbüchern thematisierten Wissen anzunähern, bietet sich noch immer der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den französischen Soziologen Marcel Mauss geprägte Begriff der ‚Techniken des Körpers‘ an. Mauss definiert dieses Konzept in einem 1935 erschienenen Aufsatz als „die Weisen, in der sich die Menschen in der einen wie der anderen Gesellschaft traditionsgemäß ihres Körpers bedienen“.23 Entscheidend für Mauss’ Perspektive sind die sozialen Faktoren, die bedingen, wie Menschen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten ihre Körper einsetzen. Statt ausschließlich auf einen der menschlichen Physiologie inhärenten Funktionalismus zu rekurrieren, untersucht Mauss Körpertechniken als etwas sozial Erworbenes, das historisch variabel, semantisch aufgeladen und zugleich kulturellen Austauschprozessen unterworfen ist. Vermittelt über das Konzept der Technik stellt Mauss damit selbst die Mittel bereit, seinen im Grunde noch dem Essentialismus verhafteten Ansatz konstruktivistisch zu erweitern.24 Zugleich eignet sich der Blick auf Techniken, mit denen Menschen auf Grundlage ihrer eigenen Physis in Interaktion mit der materiellen Welt treten, um im Zuge der Kritik des new materialism25 am sozialkonstruktivistischen Paradigma der eigentümlichen Potenzialität und Eigengesetzlichkeit der Materie wieder zu einer stärkeren theoretischen Berücksichtigung zu verhelfen. Statt in Fortschreibung des cartesianischen Dualismus Geist und Materie als getrennte Einheiten zu konzeptualisieren und Materialität auf die Rolle einer bloß passiven Projektionsfläche für geistige Konstruktionen und Prozesse der Symbolisierung zu reduzieren, gilt es, die von der Materialität ausgehenden Irritationen und Dynamisierungen stärker in den Fokus zu nehmen.26 Ein wichtiger Beitrag, der sich vor diesem Hintergrund aus wissenssoziologischer Perspektive mit der Strukturierung von Praxis durch Technik als Form von embodied knowledge beschäftigt, stammt von Ben Spatz. Er definiert Technik folgendermaßen: „Technique […] differs from related concepts like performativity and habitus in that it emphasizes the epistemic dimension of practice. Embodied technique then refers to transmissible and repeatable knowledge of relatively reliable possibilities afforded by human embodiment.“27

Technik versteht Spatz als Ort einer „negotiation between socially defined or symbolic meaning and the concrete possibilities offered by the material world“,28 sodass hier die

23 Mauss 2010, S. 199. 24 Zur Gegenüberstellung essentialistischer und sozialkonstruktivistischer Ansätze auf dem Gebiet der Körpergeschichte, wenn auch auf dem Stand der theoretischen Debatte von 2000: Lorenz 2000, S. 15–31. 25 Coole / Frost 2010. 26 Folkers 2013; Clever / Ruberg 2014, S. 547–554. 27 Spatz 2015, S. 16. 28 Ebd., S. 31.

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Eigengesetzlichkeit des Materiellen in Momenten der Praxis immer wieder aufs Neue zum Tragen kommt. Der Begriff ‚Technik‘ bezieht sich in seinem theoretischen Konzept auf den Wissensgehalt spezifischer Praktiken, während ‚Praxis‘ bei Spatz ausschließlich auf konkrete Instanzen von Handlungen verweist, die jeweils durch die handelnde Person, den Zeitpunkt und den Ort der Handlung eindeutig bestimmt sind. Momente der Praxis sind demzufolge einzigartig und nicht wiederholbar. Ein von Spatz angeführtes Beispiel ist sein Schwimmen an einem bestimmten Tag, sein Schwimmen in einem bestimmten Jahr oder das Schwimmen in Nordamerika im Verlauf des 20. Jahrhunderts.29 All diese Praktiken werden vorläufig durch Technik strukturiert, in letzter Konsequenz aber nicht durch diese determiniert. Während sich historische Instanzen von Praxis nicht wiederholen lassen, ist Technik als diese Praktiken vorläufig strukturierendes Wissen jedoch in unterschiedlichen Kontexten und Situationen reproduzierbar und in der ereignishaften Auseinandersetzung mit physischer Materialität adaptierbar. Im Anschluss an Mauss ist Technik zudem nicht angeboren, sondern sozial erworben und verbreitet sich von Körper zu Körper und von Gesellschaft zu Gesellschaft weiter. Technik hat demnach Spatz zufolge bereits von sich aus einen hybriden Charakter, da im sozialen Kontakt neu erworbene Techniken immer auf bereits inkorporierte ältere Techniken treffen und diese verändern oder überformen.30 Um das von Spatz gewählte Beispiel des Schwimmens zu konkretisieren, bietet sich die Technik des Kraulschwimmens (front crawl) an.31 Es handelt sich um einen der heute am weitesten verbreiteten Schwimmstile, der in Europa und Amerika jedoch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Anwendung fand, nachdem er zuvor von amerikanischen Ureinwohnern übernommen und von australischen Schwimmern weiterentwickelt worden war. Die Technik des front crawl ist zudem interessant, weil sie trotz ihrer höheren Effektivität im Vergleich zum zuvor praktizierten Brustschwimmen zunächst von europäischen Athleten abgelehnt wurde: „Nonetheless, most Americans practiced colonial-style swimming, and it wasn’t until 1844 that the more effective crawl was introduced overseas, at an exhibition in London by Flying

29 Ebd., S. 41: „Practice, in this sense, is not repeatable. Every moment of practice is unique, no matter how small or large: my swimming on a given day, my swimming in a given year, and the swimming in North America during the twentieth century are all examples of practice that can be studied in their specificity. None can be repeated. As knowledge, on the other hand, technique is precisely repeatable and moreover it is not bound to a particular moment, place, or person. Technique is not ahistorical but transhistorical: It travels across time and space, ‚spreading‘ from society to society, as Mauss observed, and linking diverse practices to one another, whether or not its practitioners are aware of this connection. The question for theorists of practice is then not what does or does not count as an example of a given practice, but rather the extent to which different practices are structured by the same technique.“ 30 Ebd., S. 30–44. 31 Um die Anschaulichkeit der Ausführungen zu erhöhen, diskutiere ich an dieser Stelle in Anschluss an das Beispiel von Ben Spatz eine moderne Technik, da abgesehen von den Kampfbüchern nur relativ spärliche Aufzeichnungen zu mittelalterlichen Körpertechniken existieren. Mit Blick auf die Frühe Neuzeit erweitert sich das Spektrum dokumentierter Techniken: Mallinckrodt 2008.

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Gull and Tobacco, two Native Americans from the Ojibwa nation. The Europeans deemed this splashy stroke to be ‚un-European‘ due to the violent thrashing of the arms and legs it involved and refused to pay attention to it, despite its obvious advantages. It would take about 40 years for the stroke to truly be accepted.“32

Das Beispiel des Kraulschwimmens illustriert zugleich einen weiteren zentralen Aspekt, nämlich dass Selbstverständnisse und Selbstbeschreibungen grundlegend durch Technik strukturiert und organisiert werden.33 Die Inkorporierung einer Vielzahl von Techniken erfolgt implizit im Zuge der Sozialisation,34 der front crawl verweist jedoch darauf, dass auch im Kontext einer expliziten Diskussion über die Vorteile konkurrierender Techniken die einer Technik zugeschriebene symbolische Bedeutung und ihre Verknüpfung mit kulturellen Selbstbeschreibungen eine wesentliche Rolle spielen kann. Bei der Beschäftigung mit Quellen wie den Kampfbüchern als Spuren vergangener Techniken und beim Schluss von der medialen Repräsentation auf eine dargestellte Technik ist es daher meiner Ansicht nach zentral, die simplifizierende Annahme eines ‚biomechanischen‘ Funktionalismus zu vermeiden. Der aus moderner Perspektive vermeintlich effektivste Weg etwas zu tun, muss nicht zwangsläufig derjenige gewesen sein, den die Zeitgenossen auch eingeschlagen haben. In der Begegnung mit der materiellen Welt muss Technik zwar über eine gewisse Viabilität35 verfügen (ein Schwimmstil, bei dem die Praktizierenden untergehen und ertrinken, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht langfristig durchsetzen), entscheidend ist jedoch, vergangene Technik nicht rein funktionalistisch im Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Optimierung zu konzipieren, sondern deren symbolische Dimensionen ebenso wie die Verknüpfung mit kulturellen Selbstverständnissen zu berücksichtigen und sie zugleich als komplexes Feld der Variation zu begreifen.36

Annäherungen an vormoderne Körpertechniken Kehren wir von diesen theoretischen Überlegungen zu der Repräsentation von embodied knowledge in vormodernen Kampfbüchern und zur Frage nach der Rolle der subjektiven Körpererfahrung bei der verstehenden Annäherung an diese Zeugnisse zurück, dann fallen eine ganze Reihe epistemologischer Probleme ins Auge. Zunächst stellt sich beim Schluss von den überlieferten Texten und Abbildungen auf die repräsentierten

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Jinnah 2012, S. 400. Spatz 2015, S. 36–37, 157–159, 171–214. Bourdieu 2015, S. 190; Fröhlich 1999. Glasersfeld 1997, S. 43. Spatz 2015, S. 43: „The concept of technique presumes no universal or ideal body. Instead, it approaches embodiment as a field of variation, between individuals and also within the lifetime of an individual being. This field of relative reliability and variation is what affords embodied technique as an area of knowledge.“

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Körpertechniken das grundlegende Problem der hermeneutischen Zirkularität.37 Die Kampfbücher enthalten mit verkürzten und teilweise codierten Merkversen, knappen Bewegungsbeschreibungen und bildlichen Darstellungen von zentralen Momenten der Ausführung einer Technik nur eine sehr begrenzte Anzahl von Informationen, die aber auf außerordentlich komplexe Bewegungsmuster verweisen.38 Wie beim eingangs angeführten Beispiel aus der Talhofer-Handschrift, müssen diese Verweise von einer modernen Rezipientin auf Grundlage ihrer eigenen Körpererfahrung mit einem bereits bekannten oder über Analogiebildung erschlossenen Bewegungsmuster verknüpft werden, um als Repräsentation einer Bewegung ‚verstanden‘ zu werden. Der moderne Körper mit seiner eingeschriebenen sozialen und lebensweltlichen Prägung ergänzt damit die Informationen, die im eigentlichen Medium entweder fehlen oder die als ‚Können‘ auf praktischer Körpererfahrung basieren und sich nicht als explizites Wissen aufzeichnen lassen.39 Trotz dieser schwierigen Ausgangslage gibt es derzeit sowohl auf sportlicher als auch auf wissenschaftlicher Ebene eine ganze Reihe von Initiativen, die sich einer praktischen Rekonstruktion der in den Kampfbüchern referenzierten Techniken widmen. Auf sportlicher Ebene hat dieses Projekt bereits seit dem Ende der 1990er Jahre an Fahrt aufgenommen und sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts unter der Bezeichnung Historical European Martial Arts (HEMA)40 als Mischung aus historisch inspirierter Kampfkunst und modernem Kampfsport etabliert.41 Auf wissenschaftlicher Seite werden im Zuge des37 Grondin 2016. 38 Selbst unter idealen Bedingungen einer kleinschrittigen Dokumentation wäre es zudem fraglich, ob sich implizites und an die subjektive Körpererfahrung gebundenes Wissen überhaupt als explizites Wissen in einem Medium aufzeichnen lässt. Michael Polanyi zufolge ist die wesentliche Komponente dieses praktischen Wissens ‚stumm‘ und nur durch persönlichen Kontakt übertragbar. Die Fechtbücher können daher schlicht nicht alle wesentlichen Informationen enthalten, die zu einer exakten Ausführung der referenzierten Techniken im Sinne der mittelalterlichen Fechtmeister notwendig wären. Vgl. Polanyi 1958, S. 50, 53. 39 Burkart 2016, S. 17–21. 40 Jaquet / Sørensen 2015. 41 Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive müssen diese Versuche einer modernen Aneignung mittelalterlicher und explizit als ‚europäisch‘ klassifizierter Techniken immer im Kontext des wesentlich durch das Hong Kong-Kino der 1970er Jahre geprägten (Asian) Martial Arts-Diskurses der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden werden, der im Westen eine seitdem andauernde Popularisierung von Kampfkunst und Kampfsport ausgelöst hat. Das durch diese Entwicklung verstärkte Interesse an vornehmlich asiatischen Kampfsystemen und die Verbreitung von Jiu Jitsu, Judo, Karate, Kung Fu, Aikido, Kendo, Taiji, Escrima, Silat und anderen Kampfkünsten im Westen legte zugleich die Grundlage für ein vermehrtes Interesse an der Geschichte der ‚eigenen‘ Kampfkunsttradition. Im 20. Jahrhundert wurden mit (olympischem) Ringen, Boxen und Fechten fast ausschließlich stark versportlichte Disziplinen praktiziert, die deutliche Unterschiede zu den immer populärer werdenden asiatischen Kampfsystemen aufwiesen. Die seit dem Ende der 1990er Jahre wachsende Auseinandersetzung mit vormodernen europäischen Praktiken des Kämpfens und die Entstehung des Historical European Martial Arts-Diskurses kann daher als Reaktion auf das westliche ‚Defizit‘ einer lebendigen und den asiatischen Bewegungslehren ähnlichen Kampfkunsttradition verstanden werden. Entscheidend ist in diesem Kontext besonders die ‚Nationalisierung‘ von Kampfkunst, die mit einer impliziten Gegenüberstellung von asiatischer

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sen von Forscherinnen, die ebenfalls in der HEMA-Szene aktiv sind und Kampfkunst trainieren, Versuche unternommen, Methodologien für eine systematische und ‚wissenschaftlich‘ überprüfbare Rekonstruktion vormoderner Techniken zu entwickeln.42 Ich habe an anderer Stelle gegen diese Methodologien eine Reihe von Einwänden vorgebracht und argumentiert, dass eine authentische Rekonstruktion vormoderner Bewegungskulturen und ihrer spezifischen Körpertechniken des Kämpfens epistemologisch nicht möglich ist.43 An diese Überlegungen anknüpfend sollen im vorliegenden Beitrag am Beispiel der Rekonstruktion einer Ringkampftechnik des späten 15. Jahrhunderts44 und einer Langzeitstudie zu den Auswirkungen des Tragens einer gotischen Rüstung auf den Bewegungsapparat45 zwei Annäherungen an mittelalterliche Techniken diskutiert werden, die zur näheren Bestimmung des Verhältnisses von Körper, Objekt, Technik und medialer Aufzeichnung beitragen können. Das Ziel der ersten Untersuchung, die für eine ‚praktisch perspektivierte‘ Analyse der Kampfbücher und die stärkere Berücksichtigung ihrer pragmatischen Aspekte plädiert, besteht in der exemplarischen Rekonstruktion einer Ringkampftechnik aus einem Kampfbuch des späten 15. Jahrhunderts. Der Eintrag aus einer anonymen Augsburger Handschrift46 beschreibt einen „Armbruch gegen einen Schlag ins Gesicht“47 und besteht aus einer kolorierten Federzeichnung mit einem erläuternden Text von vier Zeilen. Im Zuge der Analyse und Interpretation wird diese relativ kurze Quelle zunächst in eine technische Verlaufsbeschreibung als Abfolge von Aktion und Reaktion der beiden Opponenten überführt, an die sich eine Erörterung der praktischen Interpretationsprämissen sowie eine Diskussion der aus Sicht des Autors „essentiellen Kriterien der technischen Fertigkeit“48 anschließen. Hierzu zählen Überlegungen zu der Reichweite des abzuwehrenden Schlags ins Gesicht und zu der kämpferischen Situation, in der die rekonstruierte Technik des „Armbruchs“ erfolgreich angewendet werden könnte. Hierbei wird deutlich, wie viele Setzungen nötig sind, um von der kurzen, nahezu kontextlosen Beschreibung im mittelalterlichen Kampfbuch zu einer Umsetzung als moderne Technik zu gelangen. Der rekon-

(= im Diskurs bislang dominanter) und historisch-europäischer (= nicht-asiatischer, aus der ‚eigenen‘ kulturellen Tradition stammender) Kampfkunst im Sinne einer ‚invention of tradition‘ einhergeht. Aus diesem Grund muss bei der Beschäftigung mit Phänomenen der praktischen Aneignung vormoderner europäischer Kampfkünste immer auch eine Berücksichtigung postkolonialer Perspektiven erfolgen. Verwiesen sei an dieser Stelle auf das aus dem Umfeld der Cultural Studies hervorgegangene Martial Arts Studies Research Network mit dem zugehörigen Martial Arts Studies Journal (http://masjournal.org.uk/, 29.05.2018) sowie auf die 2011 im Rahmen der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) gegründete Kommission Kampfkunst und Kampfsport (http://www.sportwissenschaft.de/index.php?id=kkk, 29.05.2018). 42 Jaquet, Experimenting, 2016; Price 2015; Walczak 2011. 43 Burkart 2016. 44 Wilkens 2016. 45 Jaquet, Les apports, 2016. 46 Vgl. die Faksimileausgabe und die kodikologische Untersuchung der Handschrift: Welle 2014. 47 Wilkens 2016, S. 49. 48 Ebd., S. 53.

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struierte Bewegungsablauf als Ergebnis der Interpretation wird im Anschluss mit einer Serie von vier Fotografien moderner Übungspartner illustriert und im Text beschrieben. Das Problem, das sich bei diesem Rekonstruktionsversuch stellt, lässt sich mit einer mathematischen Metapher als eine in letzter Instanz nicht aufzulösende Gleichung beschreiben. Bei Praktiken des Kämpfens handelt es sich um reziproke Begegnungen, bei denen zwei Körper mithilfe bestimmter Techniken miteinander in Interaktion treten. Die Funktionalität einer Kampftechnik ist dabei wesentlich von den Reaktionen und der (historisch geprägten) Körperlichkeit des Gegenübers abhängig. Techniken des Kämpfens unterscheiden sich daher grundlegend von Techniken des Schwimmens oder etwa den im Rahmen der experimentellen Archäologie rekonstruierten Handwerkstechniken, bei denen nur ein einzelner Körper mit der als relativ konstant zu denkenden materiellen Welt in Interaktion tritt und durch das Experiment eine ausschließlich auf Materie einwirkende zeitgenössische Technik erschlossen werden soll. Die Rekonstruktion historischer Techniken des Kämpfens stellt sich hingegen als eine Gleichung mit zwei Unbekannten dar, da zwei kulturell geprägte Körper im Rahmen einer durch zeitgenössische Techniken strukturierten Auseinandersetzung interagieren. In Ermangelung eines mittelalterlichen Gegners lässt sich die auf Grundlage moderner Körperlichkeiten entstehende Interpretation der Technik des „Armbruchs“ daher nur in der Konfrontation mit ebenfalls modern geprägten Körpern entwickeln und auf ihre Funktionalität hin testen. Nimmt man die historische Prägung menschlicher Körper ernst, dann verliert das praktische Experiment damit jedoch seine Aussagekraft hinsichtlich der Erschließung eines spezifischen Bewegungswissens der Vergangenheit. In der Untersuchung zum „Armbruch“ wird zwar auf den Einfluss des verkörperten Wissens der Interpretierenden und damit zugleich auf deren moderne Körperlichkeiten verwiesen, wie dieses Wissen im Sinne einer empirischen Rekonstruktion kritisch reflektiert und methodologisch kontrolliert werden soll, bleibt jedoch offen.49 Ebenso wenig wird berücksichtigt, dass auch die physische Materialität menschlicher Körper in Relation zu zeitgenössischen Praktiken steht und somit historisch variabel ist. Die Anwendung von Technik verändert ganz konkret die materielle Struktur einzelner Körper und damit deren Vermögen in der Interaktion mit Objekten und anderen Körpern. Das gilt sowohl für alltägliche Techniken des Gehens, Stehens oder Sitzens als auch für komplexere Tätigkeiten wie Kampfkünste. Ein Beispiel für derartige Veränderung an historischen Körpern liefern etwa osteoanthropologische Untersuchungen an den Skelettfunden aus dem Kriegsschiff

49 Wilkens 2016, S. 53f.: „Die Anfertigung solcher Interpretationen muss von Wissenschaftlern mit Spezialkenntnissen übernommen werden. Der Interpret muss über mediävistisches und kampfkünstlerisches Wissen verfügen. Zudem benötigt er ein hohes Maß an Bewegungserfahrung. Diese muss vermutlich in einer etablierten Kampfkunst oder -sportart erworben worden sein […]. Damit nicht die Gefahr einer unreflektierten Projektion konditionierter Bewegungsmuster und Taktiken auf den Inhalt der Quelle entsteht, die eine Verzerrung der Ergebnisse zur Folge hätte, muss der Interpret über ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit verfügen und jedes Detail seiner Interpretation argumentativ an der Quelle belegen.“

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Mary Rose, das 1545 in einer Schlacht vor der Südküste Englands mit einer spezialisierten Besatzung aus Seeleuten und Soldaten sank. Die Skelette einer Reihe von Toten weisen Spuren an den Schulterblättern und den Knochen der Arme auf, die sehr wahrscheinlich durch den regelmäßigen Gebrauch schwerer Bögen entstanden sind.50 Die konkreten Auswirkungen zeitgenössischer Techniken und Artefakte auf menschliche Körper lassen sich aus anthropologischer Perspektive jedoch nur schwer rekonstruieren, da die physischen Veränderungen des Körpers in erster Linie Muskeln und Sehnen betreffen, deren Struktur sich anhand der archäologisch erhaltenen Skelette nur sehr bedingt nachvollziehen lässt.51 Die erhaltenen Hinweise auf physische Anpassungen des Körpers an den Gebrauch spezifischer Artefakte – wie in diesem Fall des englischen Langbogens – in Kombination mit bestimmten Techniken verweisen aber in jedem Fall darauf, dass Körperlichkeit auch in ihrer Materialität nicht ahistorisch konzipiert werden darf. Die Archäologin Joanna Sofaer geht sogar so weit, den durch Praktiken und Artefakte geformten Körper selbst als eine Form der materiellen Kultur anzusprechen: „While archaeologists are familiar with the idea that objects are created by bodies and that ideas and attitudes, rather than occupying a separated domain from the material, may be inscribed in objects, they are perhaps less routinely aware that the body is itself created in relation to a material world that includes objects as well as other people. Throughout the life course the human skeleton may be modified through intentional or unintentional human action. During the human ‚career’ bodies are literally created through social practices. The body can be regarded as a form of material culture.“52

Die Notwendigkeit einer konsequenten Historisierung des Körpers, die zusätzlich zu Aspekten der Performativität und Diskursivierung auch die materielle Struktur der jeweils in Interaktion mit zeitgenössischen Artefakten und Techniken entstehenden Körperlichkeiten berücksichtigt, wird nochmals deutlicher, wenn man sich zum Vergleich den uns aus eigener Anschauung bekannten modernen Sportkulturen zuwendet.53 Praktiken wie das olympische Gewichtheben illustrieren dies sehr anschaulich. Ein hohes Gewicht über den Kopf zu stemmen mag ohne vorangehendes Training unmöglich erscheinen. Mit der Anwendung bestimmter Techniken im Zuge sukzessiver Trainingspraxis verändert sich jedoch der individuelle Körper mit der Zeit und passt sich der Belastung sowohl durch sensomotorische als auch durch ganz konkrete physische Veränderungen an. Die Auswirkungen aktueller Trends aus den Bereichen Fitness, Diätetik und Bodybuilding54 sowie Lebensfaktoren wie Fabrik- oder Büroarbeit verweisen auf weitere Interaktionen von Diskursen, Artefakten, Techniken und den daraus

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Stirland 2005, S. 118–135; dies. 1998. Vgl. weiterführend: Jurmain / Alves Cardoso / Henderson / Villotte 2012. Sofaer 2006, S. XV. Fenske / Stieglitz 2012. Scheller 2012.

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resultierenden Körperlichkeiten, für die Ben Spatz den Begriff der „sedimented agency“ geprägt hat: „In these examples, the physical body itself is transformed by the practice of technique over time, so that the range of what a given body can do is substantially altered. […] It is therefore no exaggeration to say that different kinds of technique produce different bodies in a literal as well as metaphorical sense. The plasticity of embodiment – the degree to which it can be shaped by technique – is not unlimited. But to whatever extent the anatomy of the body is shaped through technique, physiology can be understood as a form of sedimented agency.“55

Aus historischer Perspektive mahnen diese Beispiele daher zu grundlegender Vorsicht, wenn man sich Aufzeichnungen vormoderner Techniken auf der Grundlage einer modernen Körpererfahrung annähert. Was ein durch vormoderne Techniken geformter Körper der Vergangenheit konnte und wie er sich in verschiedenen Situationen verhalten hat, muss nicht mit dem Verhalten und den Möglichkeiten heutiger Körper übereinstimmen. Rekonstruktionsversuche zu Techniken des Kämpfens wie das oben angeführte Beispiel des „Armbruchs“ ergäben epistemologisch daher nur Sinn, wenn Körperlichkeit nicht als komplexes Feld der Variation und des Wissens begriffen, sondern letztlich überzeitlich und damit essentialistisch konzipiert würde. Hinweise auf die Verbreitung eines essentialistischen Körperverständnisses im Umfeld der HEMA-Praktizierenden liefert indes eine aktuelle soziologische Analyse zur französischen living history-Szene, die sich unter anderem mit Praktiken des Experimentierens bei der Rekonstruktion von mittelalterlichen Kampftechniken befasst: „Les mises en situation motrice qui découlent de l’expérimentation font appel à une corporéité moderne. Le corps est pensé par les pratiquants rencontrés lors de stage, par exemple, en fonc­ tion d’une permanence biomécanique qui autorise la re-création de gestes temporellement situés.“56

Um die oben angeführte mathematische Metapher wiederaufzunehmen, lösen die aktiven Fechterinnen der HEMA-Szene die Gleichung mit zwei Unbekannten daher auf, indem sie vermeintliche Konstanten einsetzen. Einerseits wird der menschliche Körper als biomechanische und damit zeitlich invariable Größe gedacht und andererseits werden Praktiken des Kämpfens nicht als reziproke soziale Phänomene konzipiert, die historischer Entwicklung und kultureller Varianz unterworfen sind, sondern es wird eine überhistorische Grundstruktur des Kämpfens ‚an sich‘ angenommen.57

55 Spatz 2015, S. 56. 56 Tuaillon-Demésy 2016, S. 27. Der Aufsatz basiert auf ihrer Dissertation: dies. 2011. 57 Hier lassen sich auch Parallelen zu modernen Konstruktionen des ‚realistischen Kämpfens‘ in Diskursen über Formen der ‚realistischen Selbstverteidigung‘ ziehen, die ebenfalls von einer invariablen Grundstruktur des ‚echten‘ Kämpfens im Ernstfall (‚auf der Straße‘) ausgehen und

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Die zweite zu diskutierende Annäherung an mittelalterliche Techniken – das oben erwähnte Projekt zum Tragen eines gotischen Harnischs58 – zeigt jedoch, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema auch ohne die implizite Essentialisierung des menschlichen Körpers möglich ist. Im Gegensatz zur Rekonstruktion der Ringkampftechnik des „Armbruchs“ steht hier nicht die Interaktion zweier Körper, sondern das Verhältnis von Körper, Artefakt und Technik im Mittelpunkt der Analyse. Mithilfe eines nach Methoden der experimentellen Archäologie angefertigten und den Körpermaßen einer Testperson angepassten Nachbaus einer vollständigen Plattenrüstung aus der Mitte des 15. Jahrhunderts widmet sich das Projekt den Auswirkungen dieses Objekts auf den Bewegungsapparat. Als Verfahren kommen hierbei Methoden aus der Medizin und Sportwissenschaft zum Einsatz, mit deren Hilfe Bewegungsradius und Energiehaushalt gemessen und einer weiterführenden Analyse unterzogen werden. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Tragen der Rüstung aufgrund der gleichmäßigen Gewichtsverteilung nicht so stark auf den Energieverbrauch auswirkt, wie man es zunächst vermuten könnte. Darüber hinaus ist die Beweglichkeit im direkten Vergleich zu den Messungen ohne Rüstung nur minimal eingeschränkt. Hinter den wenigen signifikanten Bewegungseinschränkungen lässt sich zudem eine taktische Absicht vermuten, da sie verhindern, dass ungeschützte Stellen im Kampf exponiert bzw. Gelenke des Trägers durch Hebel geschädigt werden können.59 Zentral für ein Nachdenken über die Annäherung an mittelalterliche Techniken und durch sie geformte Körperlichkeiten erscheinen jedoch die beinahe beiläufigen Angaben des Autors, dass die maßgefertigte Rüstung über einen längeren Zeitraum wiederholt getragen worden sei, damit sich der Körper auf motorischer Ebene an das Artefakt gewöhnen konnte. Verwiesen wird auf das körperliche Training durch das zusätzliche Gewicht, auf die Gewöhnung an den veränderten Körperschwerpunkt und die zusätzliche Masse der einzelnen Gliedmaßen, auf den veränderten Bewegungsradius sowie auf die Herausbildung einer für bestimmte Bewegungen nötigen Muskulatur.60 In der Interaktion mit der modernen Körperlichkeit des Testsubjekts hat das Tragen der rekonstruierten Rüstung damit eine Transformation ausgelöst. Heutige Techniken des Gehens, Stehens, Sitzens mussten sich verändern, um in Relation zum Artefakt wieder funktional zu sein. Gleichzeitig hat sich durch Muskelwachstum und gesteigerte Ausdauer auch eine ganz konkrete physische Transformation vollzogen, die in direkter Relation zu der im Artefakt verdinglichten Technik steht. Obwohl diese Ebene vom Autor der Studie nicht reflektiert wird, ermöglicht dieser Ansatz daher eine Annäherung an bestimmte Aspekte historischer Körperlichkeies von ästhetisierten Formen der Kampfkunst oder dem durch Regeln normierten Kampfsport abgrenzen. Vgl. Bowman 2014; Gong 2015. 58 Jaquet, Les apports, 2016; vgl. weiterführend: ders. / Bonnefoy Mazure / Armand / Charbonnier / Ziltener / Kayser 2016. 59 Jaquet, Les apports, 2016, S. 95–97. 60 Ebd., S. 91f.

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ten, ohne hierzu auf ein essentialistisches Körperverständnis zurückgreifen zu müssen. Bezieht man in diese Beobachtung die bereits erwähnten theoretischen Angebote aus dem Umfeld des new materialism61 mit ein, so ergeben sich interessante Ansätze für weiterführende Fragestellungen. Statt Körperlichkeit ahistorisch und statisch aufzufassen, kann sie als kontinuierlicher Prozess des Werdens62 gedacht werden. Körperlichkeiten würden so im Zuge einer durch verkörperte Techniken strukturierten Praxis63 und im Wechselverhältnis mit Artefakten als Ding gewordene Praktiken64 ständig neu hervorgebracht und verändert. Verkörperte Technik bildet dabei im Anschluss an die Arbeit von Ben Spatz einen zentralen Ort, an dem die Eigengesetzlichkeit des Materiellen in Momenten der Praxis zum Tragen kommt. Insbesondere die aktuell zu beobachtende Vielfalt moderner Körperlichkeiten65 verweist auf die Tragfähigkeit eines derart offenen Konzeptes. Kampfkünstlerinnen, Kraftsportlerinnen, Apnoetaucherinnen, Gedächtniskünstlerinnen, Bodybuilderinnen, Akrobatinnen usw. transformieren mithilfe bestimmter Techniken heute beständig ihre Körper und überschreiten dabei die Grenzen dessen, was man auf Grundlage eines unreflektierten Alltagsverständnisses für den Rahmen des Möglichen erachtet hätte. Diese Beobachtungen mahnen daher zu grundlegender Vorsicht bei dem Versuch, sich von modernen Körperlichkeiten und einer Sozialisation durch moderne Körpertechniken ausgehend einer Rekonstruktion der fragmentarischen Aufzeichnungen zu mittelalterlichen Techniken des Kämpfens zu widmen. Einer der faszinierendsten Aspekte spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kampfbücher ist und bleibt deren Bezug zur Bewegungs- und Kampfkultur ihrer Entstehungszeit. Mit der Rekonstruktion mittelalterlicher Kampftechniken über die Abkürzung eines essentialistischen Körperverständnisses begibt man sich epistemologisch jedoch in eine Sackgasse. Versteht man die Kampfbücher hingegen als komplexe Verweissysteme und als Repräsentationen von vergangener Technik, dann eröffnen sich vielfältige und spannende Perspektiven auf das Verhältnis von gegenwärtigen und vormodernen Körperlichkeiten in Relation zu materiellen Artefakten und verkörpertem Wissen.

61 Coole / Frost 2010. Für einen Überblick vgl. Folkers 2013. 62 Bischoff 2013, S. 202–206. 63 Siehe die bereits angeführte Definition von verkörperter Technik als „transmissible and repeatable knowledge of relatively reliable possibilities afforded by human embodiment“, Spatz 2015, S. 16. 64 Folkers 2013, S. 20–23. 65 Netzwerk Körper 2012.

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Jeannet Hommers

Choreografie der Lanzen Hans Holbeins Schlachtenszene und die Ästhetisierung von Lanzen, Piken und Spießen in den nordalpinen Bildkünsten um 1500

Obwohl es keine neue Auffassung ist, dass Bilder an der Schnittstelle von epistemischen und ästhetischen Strategien angesiedelt sind und daher nicht als bloßes Abbild der Realität verstanden werden dürfen, ist man bei einer Vielzahl frühneuzeitlicher Kriegs- und Schlachtenbilder bis heute geneigt, diese als historische Belege der damaligen Kriegsund Waffentechnik anzusehen.1 Dies ist oftmals selbst bei solchen Bildern der Fall, in denen Lanzen, Piken und Spieße2 ein ästhetisches Eigenleben zu entwickeln beginnen, wie in Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht (Schlacht bei Issos),3 in Paolo Uccellos Schlacht von San Romano oder in zahlreichen Holzschnitten des Weißkunigs, einer der inszenierten Autobiografien Kaiser Maximilians I.4 Die Vielzahl von derartigen Lanzenbildern in der nordalpinen Kunst um 1500 lässt sich zuvorderst auf die Schlachtenführung der Reisläufer und Landsknechte zurückführen, die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts von den Schweizer Eidgenossen angewandt und daran anschließend um 1500 auch von den deutschen Landsknechten übernommen wurde. Solche ‚Lanzenwälder‘ waren den zeitgenössischen Betrachtern folglich durchaus vertraut und doch werden Lanzen, Piken und Spieße in einer Vielzahl von Bildern nicht ausschließlich als Requisit der Kampfhandlung und detailgetreues Abbild der realen Objekte eingesetzt, sondern sie werden zum wesentlichen kompositorischen und bildstrategischen Bestandteil.5 Ausgehend von einer lavierten Federzeichnung von Hans Hol1 Vgl. einführend Knauer 2009. 2 Zur Geschichte und Entwicklung dieser Waffen siehe u. a. Seitz 1965–1968; zur Handhabung siehe Müller-Hickler 1906–1908. Der Begriff ‚Lanze‘ wird im Rahmen dieses Beitrags als Sammelbegriff verwendet, unter dem die unterschiedlichen Stangenwaffen, also Lanzen, Piken und Spieße, vereint werden. Dies geschieht nicht nur aufgrund der besseren Lesbarkeit, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die Begriffe im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ebenfalls nicht immer scharf getrennt worden sind, wenn etwa in einem Zeugbuch Kaiser Maximilians I. die Eisen von Langspießen als „Lanzeneisen“ bezeichnet werden (Innsbruck, Zeugbuch Kaiser Maximilians I., um 1502, Bayerische Staatsbibliothek Cod. icon 222, fol. 71). 3 Albrecht Altdorfer, Alexanderschlacht, 1529. München, Alte Pinakothek. 4 Vgl. hierzu die Faksimile-Ausgabe von Musper 1956. 5 Erste Überlegungen hierzu am Beispiel von Albrecht Dürer bei Waldmann 1906 und bei Müller 2002, S. 167–183.

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1  Hans Holbein d. J., Schlachtenszene, um 1524, Basel, Kunstmuseum

bein d. J. (Abb. 1) mit der Darstellung einer Schlachtenszene soll daher im Folgenden gezeigt werden, dass Lanzen, Piken und Spieße in den nordalpinen Bildkünsten um 1500 auch deshalb äußerst beliebte Bildgegenstände waren, weil ihre Objekteigenschaften und ihre Handhabung innovative Potentiale für die Gestaltung der Bilder boten und weil sie aufgrund der formalen als auch semantischen Bedeutung dem künstlerischen und kunsttheoretischen Anspruch jener Zeit entgegenkamen.

Hans Holbeins Schlachtenszene Die Federzeichnung von Hans Holbein d. J., die heute im Kunstmuseum Basel aufbewahrt wird, zeigt den Kampf zweier Heere, die von beiden Seiten des Bildes kommend im rechten Drittel des Vordergrundes aufeinandertreffen. Dicht gedrängt sind zahlreiche Kämpfer in einen tumultartigen Nahkampf verwickelt, bei dem zahlreiche Figuren so neben- und hintereinander angeordnet wurden, dass es schwer ist, sich zurechtzufinden. Drei Männer mit Hellebarde, Schwert und Dolch im Vordergrund stehen jedoch hervor: Einer sticht mit seinem Dolch auf einen anderen ein, was dieser dadurch zu verhindern versucht, dass er den Kopf des Angreifers mit ganzer Kraft abwehrt und zum Schlag mit dem Schwert ausholt, wobei ihm ein weiterer Mann mit Hellebarde zur Hilfe kommt.

Choreografie der Lanzen    |

2  Kopie nach Hans Holbein d. J. (?), Schweizerschlacht, nach 1524, Wien, Albertina

Weder die Datierung noch die genaue Aufgabe der Federzeichnung ist gesichert. Vermutet wurde lange Zeit, dass sie um 1530/1532 entstand, als Holbein nach seinen ersten Tätigkeiten in England für einige Jahre nach Basel zurückkehrt war.6 Johann Eckart von Borries hat diese späte Datierung jedoch in Frage gestellt und äußert, man könne „die fragliche Zeichnung vielleicht um 1525 entstanden denken“7, also zeitlich unmittelbar nach Holbeins Frankreichreise. Wozu Holbein diese Zeichnung anfertigte, ist ebenfalls nicht gesichert, zumal sie innerhalb seines Gesamtwerkes eine Sonderstellung einnimmt. Möglicherweise ist sie ein „verhinderte[s] Fresk[o]“8 oder der Entwurf für ein Wandbild im Großratssaal des Baseler Rathauses,9 mit dessen Ausmalung Holbein 1521 beauftragt wurde. Vielleicht ist sie aber auch der Entwurf für eine Festdekoration in Greenwich von 1527 für die französischen Gesandten,10 eine „Umzeichnung für einen Holzschnitt“11 oder einfach nur ein Studienblatt, eventuell sogar „nur aus Freude an der Sache entworfen“.12 Die recht ungewöhnliche Komposition der Federzeichnung erklärt sich durch den Umstand, dass das Blatt beschnitten wurde. Glücklicherweise hat sich aber in der Albertina in Wien eine Federzeichnung (Abb. 2) mit einer beachtlichen Größe von 276 × 958 Millimetern erhalten, die zeigt, wie wir uns die ursprüngliche Bildkomposition vor-

  6 Vgl. Bätschmann / Griener 1997, S. 63; Müller 1988, S. 232. Zum Leben Holbeins siehe ausführlicher Hans Holbein 2006; Sander 2005, bes. S. 15–33; Bätschmann / Griener 1997, bes. S. 7–10; Sandrart [1675] 1925, S. 98–103; Mander [1604] 1906, Bd. 1, S. 168–193.  7 Borries 1997, S. 175. Christian Müller, der in seinem Katalog der Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Öffentlichen Kunstsammlung Basel 1988 noch die späte Datierung favorisierte, hat etwa in seinem Katalogeintrag im 2006 erschienenen Ausstellungskatalog seine alte Datierung aufgrund dessen revidiert. Vgl. Müller 1988, S. 232f.; Hans Holbein 2006, Kat. 102, S. 320.   8 Waetzold 1938, S. 137. Vgl. auch Pinder 1951, S. 54.   9 Vgl. Müller 1988, S. 232. 10 Hans Holbein 2006, Kat. 102, S. 321. 11 Vgl. unter anderen Schilling 1934, S. XVIII, Nr. 55. Dies könne zwar aufgrund der „Anbringung der Waffen“ (vgl. Stix 1933, S. 194, Nr. 46) ausgeschlossen werden, doch ist dies kein überzeugender Grund, zumal die Spiegelung des Blattes eine ebenso überzeugende Komposition als Holzschnitt ergeben würde. 12 Knackfuß 1897, S. 76.

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stellen müssen. Dieses Blatt stammt möglicherweise aus der Sammlung des deutschen Malers, Kupferstechers und Kunsttheoretikers Joachim von Sandrart, der dieses unter den Original-Handrissen Holbeins folgendermaßen aufführt: „Eine grosse Feldschlacht von Schweitzern zu Fuss, mit der Feder aufs allerfleissigste ausschraffirt, verwunderlich, voll Kunst und Arbeit, in Fol.“13 Man erkannte hierin lange Zeit die Wiener Federzeichnung,14 die neuerdings jedoch mit der Nennung einer Schlacht in einem Inventar der Prager Schatz- und Kunstkammer aus dem Jahre 1621 in Verbindung gebracht wird und damit möglicherweise aus der Sammlung Rudolfs II. stammt.15 Während ein Großteil der älteren Forschung diese Zeichnung Holbein zuschrieb,16 hat sich die neuere Forschung den knappen Ausführungen von Alfred Woltmann angeschlossen, dass es sich um keine eigenständige Arbeit Holbeins handele,17 doch die Anlage der Gesamtkomposition sehr wohl auf Holbein zurückzuführen sei.18 Infolge der bis heute umstrittenen Frage nach der Datierung, der Zuschreibung und nicht zuletzt der Funktion der Baseler Federzeichnung hat die Forschung es in den meisten Fällen versäumt, die gestalterischen Qualitäten des Blattes beziehungsweise der beiden Blätter hervorzuheben. So sehr man nämlich die Baseler Federzeichnung auf den ersten Blick als visuellen Beweis ansehen mag, wie ein Langspießkampf um 1500 ausgesehen habe, lässt sich unter Hinzunahme der Wiener Federzeichnung schnell erkennen, dass hier wohl kaum die wirklichkeitsgetreue Darstellung eines Kampfes angestrebt wurde. Vielmehr offenbart etwa die Komposition des Wiener Blattes, dass Holbein eine ästhetisierte Kampfhandlung dargestellt hat, in der der Fokus auf die unterschiedlichen Hiebund Stichwaffen und die verschiedenen Bewegungsmomente und -abläufe gerichtet ist. Ihm kam hierbei der Umstand entgegen, dass die „Zahl unterschiedlicher Formen der zum Hieb und zum Stoß ausgebildeten Stangenwaffen für Fußkämpfer im 15. Jahrhundert wesentlich zunahm“.19 Während in der Basler Zeichnung der Nahkampf das eigentliche Thema zu sein scheint, tritt das Aufeinandertreffen der beiden Heere in der Wiener Zeichnung noch viel deutlicher hervor. Von beiden Seiten strömen zahlreiche Männer herbei, wobei die große Anzahl an Kämpfern durch die Anzahl der Piken verdeutlicht

13 Sandrart [1675] 1925, S. 333. Die Wiener Federzeichnung wurde fortan als Schweizer Langspießkampf betitelt, als Gewalthaufen oder als Landsknechtschlacht sowie heute nun allgemeiner als Schlachtenszene. 14 Vgl. unter anderen Hans Holbein 2006, Kat. 102, S. 322. 15 Vgl. Kopie nach Hans Holbein d. J.: Schweizerschlacht, Inv.-Nr. 17243, Katalogtext 2008, in: Albertina Sammlungen Online, http://sammlungenonline.albertina.at/?query=Inventarnummer= [17243]&showtype=record (letzter Zugriff am 8. Juni 2018). 16 Vgl. etwa Schilling 1934, S. XVIII, Nr. 55. 17 Vgl. erstmals Woltmann 1868, Bd. 2, S. 472 sowie daran anschließend Stix 1933, S. 194, Nr. 46; Schmid 1948, Textbd., 2. Halbbd., S. 341. 18 Einzig Schmid äußerte diesbezüglich seine Zweifel. Vgl. Schmid 1948, Textbd., 2. Halbbd., S. 341. Im Rahmen des Beitrags kann und soll die Frage der Zu- beziehungsweise Abschreibung nicht weiter behandelt werden. Wie schwierig zudem die Zu- und Abschreibung vor allem aufgrund der Provenienz der Sammlungen ist zeigt etwa Sander 2005, S. 36–47. 19 Müller 2002, S. 167.

Choreografie der Lanzen    |

wird. Vor allem aber ist deutlich, welchen Anteil die Piken an der Gestaltung des Bildes haben: Sie veranschaulichen die Größe der Heere, lenken den Blick und tragen wesentlich zur Ästhetisierung des Geschehens bei. Die damit einhergehenden künstlerischen Intentionen und kunsttheoretischen Implikationen sollen im Folgenden im Zentrum stehen.

Zwischen Naturnachahmung und geistreicher Erfindung Die Nachahmung der Natur (mimesis) galt seit der Antike als eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst.20 Beginnend bei dem von Plinius d. Ä. beschriebenen Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasius, wer der beste Maler sei,21 hatte auch Aristoteles die Nachahmung der Natur als die wichtigste Aufgabe der Kunst benannt.22 In der Kunsttheorie des 15. Jahrhunderts tritt allerdings neben die Naturnachahmung zunehmend die Idee der künstlerischen Erfindung (inventio) als weitere wichtige Aufgabe des Malers hinzu.23 Leon Battista Alberti hatte die inventio in seinem 1435 zunächst auf Latein verfassten Traktat De Pictura erstmals zu den wesentlichen schöpferischen und geistigen Fähigkeiten des Malers erklärt.24 Das maßgebende Vorbild für den Maler sei jedoch weiterhin die Natur, die er durch sorgfältige Studien nachzuahmen habe.25 Auch Leonardo da Vinci beschreibt in seinen Notizen, die von Francesco Melzi posthum als Trattato della pittura zusammengefügt wurden, die Notwendigkeit des Malers, zunächst die Natur nachzuahmen und Studien anzufertigen, indem er empfiehlt, der Maler: „sei oft und gern aufgelegt, beim Spazierengehen die Situationen und Stellungen der Leute anzuschauen und zu beobachten, wenn diese mit einander reden, streiten, lachen oder raufen, welche Geberden dann an ihnen hervorkommen, und welche Geberden die Umstehenden machen, die sie auseinander bringen wollen, oder sich die Sache mit anschauen. Und die bemerke dir mit flüchtigen Strichen, in dieser Weise, in ein kleines Büchelchen, das du stets bei dir tragen musst.“26

20 21 22 23

Siehe ausführlicher Suthor 2001. Vgl. Plinius d. Ä., Naturalis Historia, XXXV, 65, hier: S. 56–58. Vgl. Aristoteles, Poetik, 1447a–1448. Ohne an dieser Stelle die höchst komplexen Verzahnungen und die bisweilen unterschiedlichen Auffassungen einzelner Künstler ausführen zu wollen, meint Mimesis ohnehin in den meisten Fällen nicht nur die Kopie von Bestehendem, sondern die eigenständige Nachahmung. Zum Verhältnis von Mimesis und inventio siehe einführend Kemp 1977 sowie weiterführend Pfisterer 2005; Hänsli 2008. 24 Alberti 2011, Buch III, § 53, hier: S. 294f. Der Begriff wird bei Alberti jedoch nicht konkreter definiert. Indem Alberti sich nämlich in seinem Traktat vornehmlich auf die praktischen Fähigkeiten des Malers konzentriert, verwendet er diesen Begriff ausschließlich in einem Nebensatz, um zu erläutern, wie die Komposition einer historia gelingen könne. Schon vor Leonardo und Alberti hatte Cennino Cennini um 1400 betont, dass der Maler sowohl die Fantasie als auch das handwerkliche Geschick benötige. Vgl. Cennini 1871, S. 4. Zu Cennini siehe Löhr / Weppelmann 2008. 25 Alberti 2011, Buch II, § 42, hier: S. 270f. 26 Leonardo 1882, Bd. 1, II. Teil, Kap. 183, S. 211.

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Dieses Büchlein diene dem Maler dazu, die natürlichen Bewegungen und Stellungen zu studieren, die so vielfältig seien, dass kein Gedächtnis im Stande sei, sie zu behalten.27 Dies sei aber besonders wichtig, um sie zu einem späteren Zeitpunkt verwenden zu können. Es sei nämlich die Aufgabe des Malers, die im Inneren verborgenden Bildfindungen (inventio) nach außen zu kehren und somit sichtbar zu machen. Und so beschreibt Leonardo: „eine neuerfundene Art des Schauens [...], die sich zwar klein und fast lächerlich ausnehmen mag, nichtsdestoweniger aber doch sehr brauchbar ist für den Geist zu verschiedenerlei Erfindungen zu wecken. Sie besteht darin, dass du auf manche Mauern hinsiehst, die mit allerlei Flecken bekleckt sind, oder auf Gestein von verschiedenem Gemisch. Hast du irgend eine Situation zu erfinden, so kannst du da Dinge erblicken, die diversen Landschaften gleich sehen, geschmückt mit Gebirgen, Flüssen, Felsen, Bäumen, grossen Ebenen, Thal und Hügeln in mancherlei Art. Auch kannst du da allerlei Schlachten sehen, lebhafte Stellungen sonderbar fremdartiger Figuren, Gesichtsminen, Trachten und unzählige Dinge, die du in vollkommene und gute Form bringen magst.“28

Der Maler hat also mittels der Betrachtung der Natur die Möglichkeit, seinen Geist zu neuen Erfindungen anzuregen, und soll diese Mannigfaltigkeit durch ein sorgfältiges Studium in seinen Bildern sichtbar machen. Für die Betrachter dieser Bilder gelte jedoch nicht, dass ihr Geist zu neuen Erfindungen angeregt werden solle, sondern – beinahe im Gegenteil – „damit Neuheit und Reichthum das schauende Auge anziehe und ergötze“.29 Dass man, wie Leonardo schreibt, auch Schlachten in diesen Teilen der Natur entdecken könne, führt deutlich die künstlerischen Interessen vor Augen und weniger einen mimetischen Anspruch. Das Verhältnis von Wirklichkeit und Kunstwerk sowie von Mimesis und inventio in der nordalpinen Kunst um 1500 ist jüngst für einen Großteil nordalpiner Künstler herausgestellt worden.30 Dies wird auch in Albrecht Dürers Aquarell Großes Rasenstück von 1503 (Abb. 3) anschaulich vor Augen geführt, das in der Aufrichtung der Halme an Holbeins Schlachtenszene mit den aufgestellten Piken erinnert. Das Rasenstück, bestehend aus unterschiedlichen Gräsern und Kräutern, ist nicht, wie man zunächst annehmen dürfte, ein konkretes Abbild der Natur, sondern wurde, wie die Forschung ausführlich dargelegt hat, nach dem goldenen Schnitt komponiert und so erklärt sich, dass hier zahlreiche Pflanzen versammelt sind, die in der Natur niemals zusammen blühen würden.31 Dürer ahmte die Natur also nicht nach, sondern versuchte diese mit den Mitteln der Kunst zu übertreffen. Das Aquarell mit dem darauf dargestellten Rasenstück wird damit 27 Ebd., S. 213. 28 Ebd., Bd. 1, II. Teil, Kap. 66, S. 125. Er empfiehlt daher im folgenden Abschnitt: „[…] manchmal stehen zu bleiben und auf die Mauerflecken hinzusehen oder in die Asche im Feuer, in die Wolken, oder in Schlamm und auf andere solche Stellen; du wirst, wenn du sie recht betrachtest, sehr wunderbare Erfindungen in ihnen entdecken.“ Ebd. 29 Ebd., Bd. 1, II. Teil, Kap. 183, S. 219. Vgl. auch Alberti 2011, Buch II, § 40, hier: S. 264f. 30 Für Holbein vgl. Bätschmann / Griener 1997, bes. S. 16; für Albrecht Altdorfer siehe ausführlicher Wagner 2012. 31 Vgl. erstmals ausführlicher Hoppe-Sailer 1986.

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3  Albrecht Dürer, Das große Rasenstück, 1503, Wien, Albertina

zum Gegenstand ästhetischer Wahrnehmung und kunsttheoretischer Reflexion. Sicherlich wäre ein ‚reales‘ Rasenstück weitaus authentischer gewesen, aber auch umso langweiliger – und dies kann ebenso für Holbeins Schlachtenszene gelten.

Dynamik und Kraft – Bewegung und Komposition Das künstlerische Interesse an ‚Lanzenwäldern‘ liegt daher vielmehr in der künstlerischen Übertragung von deren Bewegtheit, Kraft und Dynamik ins Bild.32 Ähnlich wie 32 In seinen Notizen hat Leonardo dies ebenfalls beschrieben, indem er für das Malen einer Schlacht das Malen von Dampf, Rauch und Staub in den Vordergrund rückt. Vgl. Leonardo 1882, Bd. 1, II. Teil, Kap. 148, S. 188–193. Dies entspricht seinem Interesse an Bewegung (moto) und Kraft (forza, impeto) – zwei Elemente, die nicht nur insgesamt zu den für ihn wesentlichen Grundlagen der Natur zählen, sondern die er auch in einer Schlacht enthalten sieht. Zu Bewegung und Kraft bei Leonardo siehe vor allem die einzelnen Beiträge in Fehrenbach 2002 sowie Zöllner 2010 und

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4  Albrecht Altdorfer, Sieg Kaiser Karls des Großen vor Regensburg, um 1518, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

bei den „dekorativen Schlachtenbildern“ des Barock, wie sie Matthias Pfaffenbichler untersucht hat: „interessierten taktische, historische Einzelheiten kaum, wichtiger war ihnen [den Malern, Anm. d. Verf.] das Aufeinanderprallen schwer gepanzerter Reiter, der schonungslose Nahkampf mit Degen und Pistole und das Aufbäumen der Pferde. [...] Diese Bewegungsbilder boten dem Maler die Möglichkeit, seine virtuose Beherrschung der künstlerischen Mittel, von Farbe und Linie zu zeigen. Das oft nicht mehr zu entwirrende Knäuel von Kämpfern erlaubte ihm das Arrangement nach rein ästhetischen Gesichtspunkten.“33

Diese ästhetischen Gesichtspunkte sind jedoch vielmehr eine visuelle Strategie, um die Kampfhandlung lebhaft vor Augen zu führen und dadurch mithin Evidenz zu erzeugen. Lanzen, Piken und Spieße sind für die Darstellung von Lebhaftigkeit und Bewegtheit besonders gut geeignet,34 wie das Beispiel des legendären Siegs Karls des Großen gegen die Awaren vor Regensburg (Abb. 4) von Albrecht Altdorfer zeigt. Das 1518 entstandene Tafelgemälde, das in der älteren Forschung noch als Tischplatte betitelt Cole 2014. In seiner Anghiarischlacht für die Sala dei Cinquecento im Palazzo della Signoria, von der nur noch der Karton durch mehrere Kopien überliefert ist, lässt sich dieses Interesse ebenfalls beobachten. Vgl. etwa Cederlöf 1959; Zöllner 1991; ders. 1998; Borgo 2013; Cole 2014 und Fehrenbach 2007. 33 Vgl. Pfaffenbichler 1998, S. 498. 34 Vgl. Müller 2002, S. 167.

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wurde,35 offenbart die gestalterischen und bildstrategischen Möglichkeiten der Lanzen, die – unterstützt durch die beinahe skizzenhafte Ausführung des Gemäldes36 – maßgeblich zur Dynamisierung des Schlachtengetümmels beitragen, indem sie den Blick des Betrachters in Bewegung halten: Das Aufeinandertreffen der beiden Heere mündet in eine kreisförmige Bewegung, wie ein Strudel, in dem die einzelnen Kämpfer wie in einem Meer aus metallisch glänzenden Lanzen verschwinden. Aufgrund ihrer Länge und Handhabung bieten sich Stangenwaffen besonders an, um unterschiedliche Bewegungsmomente festzuhalten, indem durch sich hebende und senkende Waffen die Vorwärtsbewegung der Heere veranschaulicht wird. Durch Schwerter lassen sich zudem unterschiedliche Wendungen des einzelnen Körpers hervorbringen. So liest sich auch die Federzeichnung von Holbein in erster Linie wie eine Zusammenstellung unterschiedlicher Hieb- und Stichwaffen zur Darstellung verschiedener Körperbewegungen: Lanzen, Piken, Schwerter und Hellebarden werden eben nicht nur eingesetzt, weil sie zu den Grundbestandteilen der Gewalthaufen gehören, sondern um unterschiedliche Bewegungsmomente des Körpers sowohl in der Gruppe als auch im Einzelnen festzuhalten. In der Baseler Federzeichnung von Hans Holbein d. J. ist daher die Aufmerksamkeit auf das Aufeinanderprallen der beiden Heere gerichtet, das in dieser Dichte und Verschlungenheit an Leonardos Anghiarischlacht erinnern mag.37 Dargestellt ist das Auseinanderbrechen der geschlossenen Gruppe, was vor allem deshalb der spannende Moment ist, weil die gezeigte Schlachtenformation durch die geordnete und in sich geschlossene Gruppe gekennzeichnet ist. Bei einem Gewalthaufen handelt sich um eine Art Massenkörper, der durch zahlreiche Individuen mit einheitlicher Bewaffnung gekennzeichnet ist, bei denen weniger die Piken, als vielmehr die dichtgedrängten Körper die zielführende Waffe sind.38 Es ist daher nur allzu passend, dass man als ‚Lanze‘ auch eine militärische organisatorische Einheit bezeichnet, die aus mehreren Kämpfern besteht.39 Indem die Nahkampfhandlung bei Holbein in die rechte Bildhälfte verlegt wird, wie es vor allem die Wiener Zeichnung vor Augen führt, kommt zudem Holbeins Interesse für ungewöhnliche Kompositionen, verschobene Sichtachsen und verdrehte Ansichten zum Ausdruck. Die Menge und die taktische Ordnung der teilnehmenden Männer wird offengelegt und gleichzeitig findet, wie Christian Müller für eine Reihe früher Werke Holbeins herausgestellt hat,40 eine geringfügige Verschiebung der optimalen Betrachterposition statt: Der Betrachter muss sich selbst in Beziehung zur Kampfhandlung setzen, muss sich gewissermaßen in die rechte Position zu dem Bild rücken und seine Sichtweise auf das

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Überzeugend widerlegt wurde diese Annahme erstmals von Hess 2005. Vgl. vor allem auch mit Hinblick auf die künstlerische Intention Hess / Mack 2012. Vgl. Waetzold 1938, S. 137. Zum Gewalthaufen siehe ausführlicher Warburg 2008, S. 98–104. Poten 1877–1880, Bd. 5, S. 177, Kavallerie. Vgl. Müller 2001.

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5  Hans Holbein d. J., Die Gesandten, 1533, London, National Gallery

Geschehen verändern. Derartige ‚schräge Ansichten‘41 dienen als Experimentierfeld in der Kunst um 1500 und bezeugen das Interesse einer Vielzahl von Künstlern an Perspektiven sowie an der Wahrnehmung und Bewegung des Betrachters, der seinen eigenen Standort verändern muss. Dass Holbein sich ebenfalls für diese Themen interessiert hat, bezeugt neben den frühen Werken vor allem sein Gemälde Die Gesandten (Abb. 5), entstanden im Jahr 1533, heute in der National Gallery in London. Es zeigt die beiden Gesandten Jean de Dinteville (links) und Georges de Selves (rechts)42 vor einem grünen Vorhang stehend an einem Tisch, auf dem zahlreiche wissenschaftliche Instrumente, Musikinstrumente und Bücher angeordnet sind.43 Auffällig ist der Totenkopf in der unteren Bildhälfte, eine Anamorphose, die ursprünglich vornehmlich als Zeichen der vanitas gelesen wurde. Die neuere Forschung hat ausgehend von den Beobachtungen Jacques Lacans

41 So lautet die passende Überschrift eines einführenden Katalogtextes von Daniela Bohde in Roller / Sander 2014, S. 85–87. 42 Vgl. Hervey 1900. 43 Das Bild ist oftmals und zu Recht für seine detailgetreue Wiedergabe von Personen, Gegenständen und stofflichen Oberflächen gerühmt worden, vor allem die höchst komplexe Ikonografie ist in vielerlei Hinsicht und mit Bezug auf die Schriften des Erasmus von Rotterdam ausführlich behandelt worden. Siehe unter anderen Roberts 2009; North 2002; Foister / Roy / Wyld 1997; Hervey 1900; Weddigen 2005.

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zudem herausgearbeitet,44 dass es sich hierbei um eine selbstreflexive beziehungsweise selbstkritische Bildform handelt.45 Die Anamorphose versetzt den Betrachter in Erstaunen und dient nicht nur der Zurschaustellung malerischer Fähigkeiten, sondern ist außerdem eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und Bewegung des Betrachters. Dass Holbein in seinem Gemälde dem Blick, vor allem aber der Bewegung des Betrachters eine solch prominente Bedeutung zuspricht und die Möglichkeiten der Kunst offenbart, mag man als ein wesentliches Argument dafür nehmen, dass er auch in seinem Gewalthaufen mittels der aufgefächerten Lanzen den Blick des Betrachters, vor allem aber dessen Blickbewegung zu lenken versucht. Der Umstand, dass Lanzen in den Bildern eine derart wichtige Position einnehmen, ist neben dem Bezug zur historischen Kriegstechnik der Reisläufer und Landsknechte demnach immer auch eine künstlerische beziehungsweise bildstrategische Entscheidung. Dies entspricht auch der etymologischen Bedeutung des Wortes ‚Lanze‘, das von lancer (frz. für ,schleudern‘, ‚stoßen‘ oder ‚vorwärtsschnellen‘) stammt.46 Wie bei zahlreichen Begriffen der Kriegstechnik und der Kampfspiele, wie dem turnier (mhd. für ‚wenden‘, ‚drehend bewegen‘) oder dem mêlée (frz. für ‚Getümmel‘), ist die Dynamik des Geschehens damit bereits im Wort enthalten und wird mittels der tumultartigen Anordnung der Kämpfer und ihren Waffen von den Künstlern in die Bilder übertragen.47 Aus bildstrategischer Sicht sind darüber hinaus ebenso die Lanzen als „beweglicher Maßstab“48 entscheidend, denn mittels der Lanzen und Hellebarden lassen sich sowohl die Tiefe und Weite des Raumes als auch die Größe der Menschen und Tiere nachvollziehen. Dies ist jedoch keineswegs als konkrete Maßangabe zu verstehen, denn weil ein Langspieß etwa fünf Meter lang war,49 seien sie, so Heinrich Müller, „in den wenigsten Fällen für bildliche Darstellungen“ geeignet.50 In Holbeins Federzeichnung beziehungsweise in der Wiener Federzeichnung dienen die Piken folglich auch dazu, um die Höhe der Schlachtenordnung zu charakterisieren sowie insbesondere eine ungefähre Größenvorstellung des Gewalthaufens anzugeben, da man ausschließlich anhand der Zahl der Lanzen die Anzahl der beteiligten Männer nachvollziehen kann. Der Fokus liegt damit weniger auf den indi-

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Vgl. Lacan 1987, S. 91–95. Vgl. zusammenfassend Weddigen 2005, S. 375–378. Vgl. Kluge 1989, S. 174, Elan. Ausführlicher hat Matteo Burioni die semantischen Bedeutungen der Lanze auf Paolo Uccellos dreiteiliger Schlacht von San Romano aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (heute in Florenz, London und Paris) nachgezeichnet: die semantische Verbindung etwa von Bildfeld und Schlachtfeld sowie die Bezeichnung des gefallenen Ritters als „zerbrochene Lanze“. Vgl. Burioni 2012, S. 118f. und S. 122. Besonders anschaulich wird dies auf der Tafel in der National Gallery in London, auf der im Vordergrund der gefallene Körper eines Ritters mit der daneben liegenden gebrochenen Lanze parallelisiert wird. 48 Ebd, S. 119. 49 Nickel 1974, S. 213. 50 Müller 2002, S. 167. Derartige Stangenwaffen seien daher nur gestalterische Staffage, die den Hintergrund beleben sollen. Für grafische Blätter seien daher vor allem die etwas kürzeren Spieße für Fußkämpfer geeignet. Vgl. ebd., S. 172.

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viduellen Kämpfern als vielmehr auf der militärischen Einheit der Lanzenträger, die nur mittels der Lanze aus dem Schlachtengetümmel herausragen können.

Pinsel und Lanze. Die kunsttheoretische Bedeutung der Lanzen, Piken und Spieße In dieser Art von Lanzenbildern geht es folglich nicht um die Materialbeschaffenheit der Lanzen, Piken und Spieße und in den meisten Fällen noch nicht einmal um eine in allen Details korrekte historische Darstellung der Waffe und ihrer Handhabung. Allein schon die Schwere und Unhandlichkeit der Waffen kommt in ihnen nicht zur Sprache, sondern vielmehr werden ihnen Leichtigkeit und Beweglichkeit zugesprochen.51 Dies geschieht etwa dadurch, dass Lanzen, Piken und Spieße beinahe mühelos fächerartig aufgespannt werden können und somit zur Dynamisierung der dargestellten Kampfhandlung beitragen. Betont wird demnach vor allem der mit diesen Waffen einhergehende Elan sowie die Eleganz der Lanzen, was deshalb passend ist, weil sich sowohl das Wort ‚Lanze‘ als auch das Wort ‚Elan‘, beide vom frz. lancer ableiten lassen.52 Aus kunsttheoretischer Perspektive ließe sich diese Übertragung ins Bild mit der sprezzatura (,Lässigkeit‘) vergleichen, mit der Baldassare Castiglione in seinem 1528 erstmals gedruckten Libro del Cortegiano das ethische Ideal des Höflings beschrieben hatte. Dieser solle stets „eine gewisse Nachlässigkeit [zumeist übersetzt mit Lässigkeit, Anm. d. Verf.] zur Schau tragen, die die angewandte Mühe verbirgt und alles, was man tut und spricht, als die geringste Kunst und gleichsam absichtslos hervorgebracht erscheinen lässt.“53 Dass dieser Begriff auf die Leichtigkeit des Pinselstrichs angewendet wurde und damit als Künstlerlob galt, ist hinlänglich bekannt.54 Die Pinselführung von Holbeins Federzeichnung deutet eine solche Lässigkeit an, beziehungsweise ist die Federzeichnung an sich geeignet, um die Lässigkeit des Pinselstriches in den Bildern zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt insbesondere für die Darstellung einer Schlachtenszene, die überdies den Vergleich zur bravura möglich macht – eine Auszeichnung für diejenigen Künstler, die in der Lage waren, ihre Pinsel so kühn zu führen wie Fechter ihre Degen.55 Alessandro Guarini schrieb etwa in seinem Farnetico savio von 1610 über Tintoretto, er sei „schnell wie ein guter Fechter, der kunstvoll allein mit zwei Pinselhieben das lebhaft zur Erscheinung bringt, wofür andere tausend Mal ansetzen, um es nur

51 Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch in der Literatur beobachten. Pedro Calderón de la Barca beschreibt etwa in seiner Schilderung über die Belagerung von Breda (1625) die Infanterie als „Ähren aus Stahl“ (espigas de acero) und greift damit diesen vermeintlichen Gegensatz von Beweglichkeit und Standfestigkeit der Lanzen auf. Vgl. Calderón de la Barca [1625] 2008, S. 30. 52 Siehe Suthor 2010. 53 Castiglione [1528] 1996, Buch I, Kap. 26, S. 35. 54 Vgl. Rosen 2003, bes. S. 336. 55 Siehe Anm. 52 in diesem Beitrag.

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annähernd zu umreißen.“56 Eine der wenigen Aussagen über die Engführung von Pinsel und Lanze beziehungsweise Pinselführung und Lanzenführung findet sich bei Lodovico Dolce, der ausgehend von der Konkurrenz zwischen Sebastiano del Piombo und Raffael von den folgenden Worten Fabrinis berichtet: „Es ist wahr, daß Bastiano keinen gleichen Kampf mit Raffael führte, obgleich er die Lanze Michelangelos in der Hand hatte; und zwar, weil er sie nicht zu benutzen wußte.“57 Indem das Malutensil Michelangelos als Lanze bezeichnet wird (lancia di Michelagnolo), wird deutlich, dass der Pinsel die eigentliche Waffe in diesem Wettstreit ist und der Konkurrenzkampf der beiden Künstler im wahrsten Sinne des Wortes zum Ausdruck gebracht wird. Obwohl es ansonsten nur wenige Aussagen gibt, in denen man die Pinselführung der Künstler mit der Führung von Lanzen, Piken und Spießen vergleicht, ist anzunehmen, dass die Pinselführung durchaus mit der Lanzenführung verglichen werden kann und wurde,58 zumal das Halten eines Degens dem Halten einer Lanze recht ähnlich ist.

Zusammenfassung: Lanzen als Konstruktion von (Bild)Wirklichkeit Auch wenn Lanzen, Piken und Spieße wichtige Objekte der Kriegsführung waren und blieben und das Bild des Schlachtfeldes bestimmten, wurden sie innerhalb des nordalpinen Bildes zugleich eingesetzt, um die visuellen Eigenschaften des Krieges zur Schau zu stellen. Hierbei wurden ihnen zwar keineswegs vollkommen neue Objekteigenschaften und Gebrauchszusammenhänge zugeschrieben, doch erzeugten oder förderten sie innovative Bildmuster und neue ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten. Dafür ist vor allem die Ambivalenz der Lanzen entscheidend: Sie changieren zwischen Naturnachahmung und Augentäuschung, zwischen realem und semantisch aufgeladenem Bildgegenstand, sie können die Blicke gleichzeitig lenken und stören und sind damit kalkulierte Objekte der (Un-) Ordnung. Vor allem aber offenbaren sie das Interesse am Körper, seinen Proportionen und Formationen, und zugleich den Erfindungsreichtum des Künstlers und sind damit nicht zuletzt ostentative Demonstration des künstlerischen Könnens.

56 Alessandro Guarini, Il franetico savio ovvero, Ferrara 1610. Zit. nach Suthor 2010, S. 74f. 57 Dolce [1557] 2008, S. 244. 58 Eine solche Verbindung zwischen den Werkzeugen des Malers und einer Lanze ist keineswegs abwegig, wenn man etwa bedenkt, wie häufig man die Pinselführung mit den Fähigkeiten eines Fechters gleichsetzt oder aber dass, wie Andreas Plackinger gezeigt hat, die Parallelisierung zwischen künstlerischer und kämpferisch-kriegerischer Tätigkeit durchaus üblich war. Vgl. Plackinger 2016, S. 116–118. Wie vielfältig die gewählten Instrumente und Waffen waren, mit denen man die Tätigkeiten der Maler zu beschreiben versuchte, zeigt am Beispiel der Karikatur ausführlicher Grosskopf 2016, S. 25–27.

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Shields in Early Modern Art Literature as Media of Re-Presentation Julia Saviello

Shields in Early Modern Art Literature as Media of Re-Presentation*

Introduction: Militant Flies In early modern times, fictitious flies landed on paintings, but not only.1 They also landed on shields, as for example in Julius Wilhelm Zincgref’s emblem book Emblematum Ethico-Politicorum Centuria (1619). Underneath the 13th motto reading COMMINUS ACCEDET (“In close combat he will advance”), the pictura shows two arms descending from a heavy cloud, one holding a sword and the other an oval shield (fig. 1).2 While the thrusting weapon is placed diagonally within the round image field, thereby pointing to the camp in the background, the defensive weapon and the fly depicted on it are oriented towards the observer. Through this direct address, the pictura refers to a central aspect of the antique text that served as the model for the emblem: 3 As the Greek writer Plutarch transmits in many of his works, a certain Spartan, whose name remains unknown, used to carry the image of a fly on his shield. In doing so, he intended to convey his great courage, for the tiny animal, as Plutarch goes on to explain, could only be seen by the enemy when the soldier engaged him closely in battle.4 Like the Spartan, the fly was also ascribed great courage in ancient and early modern (art) literature. Following the Greek satirist Lucian of Samosata, Leon Battista Alberti in his encomium Musca (c. 1441–1443) elevates the tiny insect to a descendant of the Roman The text is part of my ongoing book project, Der Schild als Bildträger und ‘Tropaion’ der Kunst, which deals with European painted shields of the 15th to 17th centuries and the discussion of shields as image-carriers in ancient sources and early modern art literature. I am very indebted to Julia Oswald for carefully proofreading the text, and would also like to thank Ulrike Kern and AnnSophie Lehmann for their hints at relevant sources as well as Philippe Cordez, Romana Kaske and Alberto Saviello for their helpful remarks. 1 For an overview of its pictorial appearances see: Chastel 1984; Eörsi 2001; and a more general view on the insect: Geimer 2018. 2 Zincgref 1619, XIII. 3 Cf. Kemp 1997, col. 1204–1205. 4 Plutarch, Moralia, 234c; id., Apophthegmata laconica, 216c, 217e, 234c; id., Lycurgus, 19. Cf. for further early modern receptions: Philipp 2004, pp. 118; Camerarius 2009, pp. 370–371, 597, no. LXXXIIII. *

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1  Matthaeus Merian, COMMINUS ACCEDET, from: Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria, Frankfurt 1619

goddess of war, Bellona, and allots to it military virtues such as courage and combative spirit.5 The size of the fly would become more important still. While Plutarch made reference to the fly’s minuteness as proof of the Spartan’s courage, in the early modern period the size of the fly made it a ready motif for optical illusion, drawing the observer into close contact with artistic representation. Indeed, the insect occupies the surface of the painting in works by Petrus Christus, Carlo Crivelli and Sebastiano del Piombo, to name just some examples. Often countering the scale of the figures and figural scenes depicted on the image-carrier and casting a shadow of its own, the fly appears to belong more to the realm of the real than to that of the pictorial. The impact of this artifice is already described by

5 Alberti 2000, pp. 196–199. Cf. Böhme 2014, pp. 67–70.

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the Italian architect, artist and writer Antonio Averlino (alias Filarete) in his Trattato di architettura (c. 1460–1464). He reports that Giotto once painted a fly on the nose of a figure by the hand of his master Cimabue, and that the insect looked so deceptively real that the latter repeatedly tried to swipe it away.6 As is the case with the one painted by Giotto, fictitious flies confuse the opposition of presence and representation, the very opposition that distinguishes the beholder from the work of art being beheld.7 As “meta-pictorial signs” they thus point to the image’s ability to imitate real things and beings in such a way that the beholder receives the impression of the depicted being present.8 At the same time, a certain self-reflexive moment unfolds in relation to the painted insects: As soon as the optical illusion and its mechanism are unmasked, it is artistic ability that comes to the fore.9 In what follows, not the fly, but the first transmitted carrier of its artistic representation shall attract our attention: the shield. Apart from the weapon’s function in protecting the human body from assaults, such as sword or lance thrusts, the shield served as a veritable image-carrier already in antiquity.10 This tradition was equally taken up by Giorgio Vasari and Karel van Mander. In this essay various ancient sources that treat the shield as a medium of artistic representation are discussed and probed with respect to their impact on early modern art theory, in particular the Vite dei più eccellenti pittori, architettori e scultori (1550 and 1568) and the Schilder-boeck (1604). Antique authors made various associations with the defensive weapon: for Homer, it was the main object of ekphrastic description within the Iliad, while Pliny the Elder construed the shield carrying a portrait of the deceased, the so-called imago clipeata, as an important percursor of portraiture in general. As will be shown, Vasari and Van Mander had quite different intentions in focusing on the shield – respectively using it as an example of the visual impact of a vivid and lifelike painterly representation and of its ability to make someone (or something) present.11 By referring to ancient exempla, both authors distanced themselves from the larger field of heraldry that since the 14th century had been an important occupation for painters but that apparently was not deemed appropriate for art theoretical reflections on the origin and potential of painting.

  6 Averlino 1972, vol. 2, p. 665. In this regard, the fly belongs to the tradition of ancient tales, such as the one about Zeuxis’ grapes and Parrhasius’ curtain. Cf. Pliny, Naturalis historia, XXXV, 65. The anecdote about Giotto’s fly was later adopted by Giorgio Vasari (Vasari 1996–1987, vol. 2, p. 121). Cf. Böhme 2014, pp. 60–66; Land 2014, pp. 87–89; Degler 2015, pp. 71–77.   7 Cf. Jurkovic’ 2004, pp. 6, 8. See also Krüger 2001, pp. 27–29; Rawlings 2008, pp. 7–8.   8 Böhme 2014, p. 60.   9 Cf. ibid., pp. 65, 71. 10 Archeological studies have shown the rich variety of shield decorations. See, i. e., Philipp 2004; Nabbefeld 2008, pp. 33–41. 11 The alternative form of spelling ‘re-presentation’ chosen for the title of this contribution seems to be suitable to insinuate both connotations. Cf. Boehm, Repräsentation, 2001, pp. 5–6.

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Medusa and the Petrifying Impact of Vivid Representation In his account of Giotto’s life, Vasari refers not only to Filarete’s anecdote about the fly in order to highlight the artist’s wit and skill, but also – shortly before the virtuoso image of the insect is mentioned – to the anecdote about Giotto’s decoration of a pavise (palvese). The latter, transmitted only in the second edition of the Vite (1568), was coined by Franco Sacchetti in his Trecento novelle of around 1400.12 In tale LXIII, Sacchetti describes the artistic treatment of a pavise as a task not suitable for a painter like Giotto, whom he considers to be “the greatest of all painters” (gran dipintore sopr’ ad ogni altro).13 He embeds this claim in the following story: Approached by a crude artisan and asked to paint his coat of arms on the shield carried for him by a servant, Giotto is first taken by surprise, having never been confronted with such a demand before, and then annoyed at the arrogant man’s behaving “as if he were the king of France” (come se fosse de’ reali di Francia). To teach a lesson to the commissioner, who belonged to a lesser social rank than he, Giotto himself drafts a coat of arms on the pavise, but lets one of his pupils execute the painting. The newly invented heraldic device combines various parts of a suit of armor such as “a helmet, a gorget, a pair of bracelets, a pair of iron gauntlets, a pair of breast-plates, armor for both legs” with military arms such as “a sword, a knife and a lance” to create a very unusual emblem.14 When the artisan complains about the odd decoration of his pavise, Giotto mockingly questions his right to bear arms at all, since he was neither equal to a member of the Bardi family nor to the Duke of Bavaria. Further, Giotto says, the man had no right to complain, as the decorated pavise showed a complete suit of armor – and if any part of the suit were missing, one of his assistants could easily add it.15 In the end, Giotto’s dispute with the artisan is brought to court, that is, to the Grascia, the body in charge of the regulation of the various Florentine guilds at the time.16 While the artisan accuses Giotto of having ruined his pavise, the artist demands the outstanding payment for his work. According to Norman E. Land, this bold reaction, which leads ultimately to Giotto’s exoneration, attests to his great eloquence, but it also offers rare insight into the early modern appreciation of artistic skill. As Francesco da Barberino pointed out 12 Vasari 1966–1987, vol. 2, pp. 120–121. 13 Sacchetti 2014, pp. 137–139. Vasari’s opinion about the artistic rendering of coats of arms remains ambivalent within the Vite. Cf. Hablot 2018, pp. 39–40. 14 Transl. Land 2014, p. 85; Sacchetti 2014, p. 137: “La qual dipintura fu una cervelliera, una gorgiera, un paio di bracciali, un paio di guanti di ferro, un paio di coraze, un paio di cosciali e gamberuoli, una spada, un coltello e una lancia.” 15 Ibid., p. 138: “Anzi sta il male che Dio ti dea; e devi essere una gran bestia, che, chi ti dicesse: ‘Chi sè tu?’, appena lo sapresti dire; e giungi qui e di’: ‘Dipingimi l’arme mia.’ Se tu fossi stato de’ Bardi, serebbe bastato. Che arma porti tu? Di quai sei tu? Chi furono gli antichi tuoi? Deh, che non ti vergogni! Comincia prima a venire al mondo, che tu ragioni d’arme, come si tu fossi il Dusnomo di Baviera. Io ti ho fatta tutta armatura in sul tuo palvese; se ce n’è più alcuna, dillo, e io la farò dipingere.” 16 Cf. Vasari 2015, pp. 223–224, note 229.

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in his Documenti d’amore, a plain panel gained monetary value only when painted by artists like Cimabue and Giotto.17 In line with this, Sacchetti’s anecdote contrasts the value of the image-carrier itself with that of artistic representation, and links this to the design of coats of arms, a field of duties very common, although poorly documented, among late medieval and early modern artists.18 By handling this task creatively, Giotto utilizes the pavise to demonstrate his own intellectual skill and his self-confidence as an already renowned artist, thereby foiling the plans of the artisan who had sought to have his own genealogy documented.19 Within the Vite, the shield is once more addressed as a common carrier of arms and of more elaborate images, this time in the life of Leonardo da Vinci. Vasari draws here upon the long tradition of ekphrasis, going back to Homer’s famous description of the shield of Achilles – produced by the god of fire, Vulcan – in the Iliad (XVIII, 478–608).20 In the Proemio delle Vite, Vasari praises the artistic design of Achilles’ shield and counts it as proof of the high quality of both painting and sculpture at the time. Moreover, he lauds Homer’s ability to verbally describe the object with a vividness comparable to sculpture or painting.21 In doing so, Vasari takes up a central criterion of ancient rhetoric, namely, the ideal of enargeia by which a vibrant description stirs the imagination of the listeners and spurs mental images.22 It is well known that Vasari dedicated himself to an art of describing comparable to that of his antique model.23 Although he often described real paintings that he had seen himself or had at least heard about, in the case of the round shield (rotella) painted by Leonardo one can assume that Vasari – like Homer – invented the object with his words alone.24 The shield’s construction and figural composition are exposed in great detail; none other of Leonardo’s works is treated as comprehensively within the Vite. Vasari starts with a precise description of the object’s origin and its first owner, thereby characterizing it as an early work by an emerging artist.25 A peasant had consigned a wooden shield that he 17 18 19 20 21

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Francesco da Barberino 1912, p. 94. Cf. Land 2014, p. 86. Cf. Savorelli 2018, pp. 207–208. For this central function of coats of arms: Pastoureau 2004, pp. 213–243. For this and later ekphrases concerning shields: Becker 1995; Simon 1995; Putnam 1998, pp. 119– 188; Wandhoff 2003, pp. 39–68; Barolsky 2010, pp. 12–31; Lecoq 2010. Vasari 1966–1987, vol. 2, p. 6: “[…] insino a’ tempi d’Omero si vede essere stato perfetta la scultura e la pittura, come fa fede nel ragionar dello scudo d’Achille quel divino poeta, che con tutta l’arte più tosto sculpito e dipinto che scritto ce lo dimostra.” Around 1565, three years before the second edition of the Vite was completed, Vasari in fact painted his own version of Vulcan’s forge in which the antique tale is reinterpreted with reference also to Virgil’s Aeneis (VIII, 626–728) and with the aim of praising the Medici family as the ruling dynasty of Florence at the time. Cf. Lecoq 2011, p. 348. Cf. i. e. Quintilian, Institutio Oratoria, VIII, 3, 62. The ancient rhetorician terms this ideal enargeia (VI, 2, 32). For an in-depth discussion of enargeia in ancient ekphrasis: Webb 2009, pp. 87–130; and with regard to early modern art: Eck 2015, pp. 31–43. Cf. Alpers 1960; Barolsky 2010, pp. 31–33. Cf. Pfisterer 2003, p. 271; Vasari 2006, p. 68, note 38, with further references. For a discussion of the shield as proof of Leonardo’s talent: ibid., pp. 271–276.

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had made to Piero da Vinci, Leonardo’s father, imploring him to take it to Florence to have it decorated. Piero willingly complied with this wish and asked his son to attend to the task of decorating the simple weapon, but gave precise details neither about the object’s origin nor about its owner. Before the shield could be painted, a preparation of the wooden weapon was necessary: “One day when Leonardo picked up the shield and saw that it was crooked, badly worked, and crude, he straightened it over the fire and gave it – as rough and crude as it was – to a turner who made it smoother and even.”26 As can be seen in this passage, the shield must be of a certain quality in order to be used as a carrier of artistic images. This is no surprise, since the more usual wooden panels, too, were rasped “until they are totally smooth” (donec omnino finat plana), according to the Schedula diversarum artium (c. 1120), in which various artistic techniques and habits are treated.27 In his prefatory chapters on artistic techniques, Vasari also stresses the need to smooth the panels and canvases or the priming layer applied to such surfaces before applying the colors.28 Yet, with regard to the peasant’s rotella, the process of straightening implies a nobilization of the image-carrier – handled in the manner of a common panel painting, the shield is made worthy to be painted on.29 This assumption may be strengthened by looking back on Vasari’s life of Giotto: Here, no preliminary preparation of the pavise is referred to. After having smoothed and primed the shield, Leonardo uses it – quite similarly to Giotto, but with a far more ambitious plan in mind – for nothing less than a pictorial demonstration of the efficacy of art and of his own artistic skill. Vasari reports accordingly: “And after he had covered it with gesso and prepared it in his own manner, he began to think about what he could paint on it that would terrify anyone who encountered it and produce the same effect as the head of the Medusa.”30 The disembodied head of Medusa – able to petrify anyone who looked upon it even after its separation from the body and, as Ovid describes in his Metamorphosis, henceforth carried by Athena on her shield or aegis to reinforce the weapon’s defensive function31 – had been a common decorative element in antiquity. This is testified to not only

26 Vasari 2008, p. 288; id. 1966–1987, vol. 4, p. 21: “Lionardo, arrecatosi un giorno tra le mani questa rotella, veggendola torta, mal lavorata e goffa, la dirizzò col fuoco; e datala a un torniatore, di roz[z]a e goffa che ella era, la fece ridurre delicata e pari […].” 27 Brepohl 1999, vol. 1, I, chap. 17, p. 64. Cf. Straub 1984, p. 146. 28 Vasari 1966–1987, vol. 1, pp. 133–134: “Ma per mettere in opera questo lavoro si fa così: quando vogliono cominciare, cioè ingessato che hanno le tavole o quadri, gli radono, e datovi di dolcissima colla quattro o cinque mani con una spugna, vanno poi macinando i colori con olio di noce o di seme di lino […].” 29 Cf. Kruse 2003, p. 388, who stresses the inability of the peasant to construct an image-carrier of high quality. 30 Transl. Vasari 2008, p. 288; id. 1966–1987, vol. 4, p. 21: “[…] et appresso ingessatala et acconciatala a modo suo, cominciò a pensare quello che vi si potesse dipignere su, che avesse a spaventare chi le venisse contra, rappresentando lo effetto stesso che la testa già di Medusa.” 31 Homer, Ilias, V, 738–742.

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by archaeological finds,32 but also by Homer’s description of the shield of Agamemnon (in the 11th song of the Iliad) with Medusa’s face, the so-called gorgoneion, depicted as an apotropaic sign on its umbo – “grim of aspect, glaring terribly.”33 Following this tradition, in early modern times such stylized, mask-like gorgoneia were often placed on pageant shields, as can be seen, for instance, on the round shield by the Milanese armorer Filippo Negroli made for king Charles V and displayed today in the Kunsthistorisches Museum in Vienna.34 Aside from its functional alliance with the gorgon’s head, a shield also played a major role in Medusa’s decapitation. As Ovid transmits, Perseus was able to avoid her petrifying gaze only thanks to the polished surface of the shield he had received from Athena, which enabled him to indirectly see and approach the gorgon.35 While many narrative scenes – such as Baldassare Perruzzi’s fresco in the Villa Farnesina (c. 1510–1511) and Annibale Carracci’s fresco in the Palazzo Farnese (c. 1595–1597) – attest to the central role of the shield in this crucial moment of the story, the rotella painted by Michelangelo Merisi da Caravaggio around 1598 (and probably in two versions) distinctively depicts Medusa’s face as though reflected in Perseus’ specular shield at the very moment of the decapitation.36 According to this reading, offered for instance by Louis Marin, Christiane Kruse and Klaus Krüger, the image-carrier becomes identical with the weapon by which the gorgon is defeated.37 In other words: The shield belonging to the type of round shields or rotelle, which in early modern times were decorated in various, very sophisticated ways, self-referentially points to its own physical presence, appearance, and function in the narrative.38 According to Vasari, Leonardo neither painted a gorgoneion nor a reflection of the gorgon’s head on the shield consigned to him by his father.39 With its decoration, he intended instead to achieve an effect similar to that of Medusa’s gaze.40 The “Medusa effect” – as John Shearman describes this topos of art critique with regard to Benvenuto Cellini’s bronze sculpture of Perseus and the gorgon, finished in 1554 and placed in the Loggia dei Lanzi at the Piazza Signoria in Florence – has a long tradition reaching back as far as the

32 Cf. Philipp 2004, pp. 93 and 198–216, no. 22. 33 Homer, Ilias, XI, 36. Cf. Simon 1995, pp. 128–129. 34 Cf. Leydi 2012. 35 Ovid, Metamorphoseon libri, IV, 782–783. 36 See for general information on the two versions Caneva 2002; Bona Castellotti 2004; Zoffili 2011. 37 Marin 1977, pp. 138–139; Kruse 2003, p. 399; Krüger 2006, pp. 25–26; id. 2007, pp. 50–52; Barolsky 2013. See also Heikamp 1966, p. 63, who already points to the differences between the shield’s decoration and antique depictions of gorgoneia. For a contrary interpretation: Rossi 2004, pp. 47–49; Hager 2016. 38 It therefore seems not appropriate to call the object a feigned shield (Kruse 2003, p. 397) or a tableau (Rossi 2004, p. 47; Hager 2016, p. 44). In my ongoing research project, I discuss further examples for this kind of thematic interaction between image-carrier and image. For a rather unusual example of this kind: Saviello 2017. 39 Later in his career, Leonardo is said to have painted Medusa’s head (Vasari 1966–1987, vol. 4, p. 23). Cf. Varriano 1997. 40 Cf. Kruse 2003, pp. 388–389.

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Roman elegiac poet Propertius.41 The topos was revived with great resonance by Fran-­ cesco Petrarca, connecting it to the unattainable woman petrifying the suitor in his famous Canzoniere; starting with Celio Calcagnini and Antonfrancesco Doni it was also applied to sculpture.42 Marble statues, like Michelangelo Buonarroti’s Aurora in the New Sacristy of San Lorenzo, for example, were said to petrify the beholder due to their life-like rendering by the artist.43 Vasari was the first to apply the “Medusa topos”44 to painting, too, and Leonardo’s shield is the most prominent example of this within the Vite.45 Here again, the petrifying power of the work of art is closely linked to the ideal of vivacità or lifelikeness, which Vasari regards as an important criterion of art in general.46 The artist, so the author goes on to explain, chose to depict on the odd image-carrier a highly fantastic being – a fire spouting, chimera-like monster that, however, remained tied to nature as a result of its composition from the body parts of various animals such as lizards, locusts, snakes and bats.47 Vasari refers here to a concept of artistic fantasy already discussed earlier by Cennino Cennini, who in his Libro dell’arte (c. 1400) demands that various forms internalized from nature be drawn upon when creating fictive beings.48 In one of his notebooks, Leonardo, too, explicitly encourages his readers to combine parts of existing animals when creating a dragon, so that the resulting form retains a semblance of nature.49 In Vasari’s ekphrastic description of the rotella, Leonardo’s recourse to natural forms ultimately results in an evocation of the monster so vivid and with such enargeia that it

41 Shearman 1992, p. 49. For an overview on this topos see also Kruse 2003, pp. 379–400. 42 Shearman 1992, pp. 47–50. Both modes of reception seem to be closely linked to the myth. While in Petrarch’s application of it to the beloved lady the primary beauty of the gorgon seems to resonate (Ovid, Metamorphoseon libri, IV, 794–797), Doni seemingly refers to the petrifying abilities of her head, transforming Phineus and his followers into a sculpture garden (ibid., IV, 780–781, V, 183, 199 and 211). Cf. Kruse 2003, p. 383. 43 Doni 1928, vol. 2, pp. 20–21. For later adoptions of the topos: Eck 2015, pp. 123–125. 44 Shearman 1992, p. 48. 45 Cf. Kruse 2003, pp. 386–387. According to Eck 2015, pp. 25–26, the Medusa topos is more often applied to the art of sculpting than to painting. Two striking exceptions are the sonnets of Gaspare Murtola (1603) and his rival Giambattista Marino (1620) equally praising the ‘Medusa effect’ of Caravaggio’s painted shield. Cf. Cropper 1991; Krüger 2006, p. 28. 46 Cf. Fehrenbach 2005, pp. 18–27; and with special attention to Leonardo’s portrait of Mona Lisa also discussed by Vasari: Jacobs 2005, pp. 105–132. 47 Vasari 1966–1987, vol. 4, p. 21: “Portò dunque Lionardo per questo effetto ad una sua stanza, dove non entrava se non egli solo, lucertole, ramarri, grilli, serpe, farfalle, locuste, nottole et altre strane spezie di simili animali, da la moltitudine de’ quali variamente adattata insieme cavò uno animalaccio molto orribile e spaventoso, il quale avvelenava con l’alito e faceva l’aria di fuoco, e quello fece uscire d’una pietra scura e spezzata, buffando veleno da la gola aperta, fuoco dagl’occhi e fumo dal naso sì stranamente, ch’e’ pareva monstruosa et orribile cosa affatto […].” Cf. Krüger 2006, p. 27. 48 Cennini 2006, chap. 1, p. 62. Cf. Löhr 2008, pp. 182–184. 49 Leonardo 1990, fol. 109r (Ash. 29r). Cf. Kemp 1977, p. 376; Vasari 2006, p. 68, note 36. Furthermore, the impression of vitality and its generation through colors and forms are recurring themes in Leonardo’s writings. Cf. Fehrenbach 2005; Frosini 2018.

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terrifies the artist’s father, who takes the depiction for reality.50 The shield’s slightly elevated presentation on an easel in a room with dimmed light is central to this experience, as the author explains in detail: “When the work was finally completed, it was no longer sought after by either the peasant or his father, to whom Leonardo announced that as far as he was concerned, the work was complete, and he could come to pick it up at his convenience. Therefore, one morning Ser Piero went to his room for the shield, and when he knocked at the door, Leonardo opened it to him, asking him to wait for a moment; and returning inside the room, he arranged the shield on his easel in the light and shaded the window to dim the light, and then he had Ser Piero come inside to see it. At first glance Ser Piero, who was not thinking about it, was immediately shaken, not realizing that this was the shield, nor that what he saw depicted there was a painting.”51

His father’s reaction upon seeing the shield confirms for Leonardo that he has reached his goal – namely, to demonstrate the central purpose of art – that is, its potential to capture and petrify the beholder like Medusa did.52 Although not depicting the gorgon’s head itself, Vasari strengthens the connection to the ancient myth by choosing a round shield as the carrier of this programmatic image. In doing so, he may have had in mind that in the end Medusa’s head was transferred to Minerva’s shield, maintaining its efficacy and thus endowing the weapon with more power.53 Through painting the shield in this most effective manner, as Vasari describes at the end of his ekphrasis, Leonardo ennobled the object of utility to such an extent that to Piero it did not seem an appropriate object for a peasant anymore. He thus bought another ordinary shield painted with a heart and an arrow, without telling his son, and gave it to the peasant. The shield painted by Leonardo, on the contrary, is said to have been sold in Florence for not less than 100 ducats to some merchants, and then given to the duke of Milan.54 Here too Vasari makes reference to the minor value of common shields painted either with arms or simple symbols.

50 For the transfer of the ideal of enargeia to painting in early modern art theory see Rosen 2000. Following Caroline van Eck, Leonardo’s shield design entails agency (as defined by Alfred Gell) rather than enargeia. Cf. Eck 2015, pp. 45–66. 51 Transl. Vasari 2008, p. 288; id. 1966–1987, vol. 4, pp. 21–22: “Finita questa opera, che più non era ricerca né dal villano né dal padre, Lionardo gli disse che ad ogni sua comodità mandasse per la rotella, che quanto a lui era finita. Andato dunque ser Piero una mattina a la stanza per la rotella, e picchiato alla porta, Lionardo gli aperse dicendo che aspettasse un poco; e ritornatosi nella stanza, acconciò la rotella al lume in sul leggìo, et assettò la finestra che facesse lume abbacinato; poi lo fece passar dentro a vederla. Ser Piero nel primo aspetto non pensando alla cosa, subitamente si scosse, non credendo che quella fosse rotella, né manco dipinto quel figurato che e’ vi vedeva; e tornando col passo adietro […].” 52 Ibid., p. 22. 53 Homer, Ilias, V, 738–742. For a later reception of this aspect of the myth in Barthélémy Aneaus’ Picta Poesis (1552): Pfisterer 2003, p. 273. 54 Vasari 1966–1987, vol. 4, p. 22. No documentary proof for these whereabouts has survived, for which reason it is generally assumed that the shield did not really exist. Cf. id. 2006, p. 68, note 38.

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Imagines clipeatae and the Art of Making Present In his Schilder-boeck (1604), the Flemish painter and art historian Karel van Mander critically deals with the Vite, taking into consideration a great number of Italian artists while also trying to expand the artistic canon into northern art.55 From Vasari’s descriptions of artistic shield decorations he selects the detailed ekphrasis on the rotella painted by Leonardo, abbreviating it only in certain places.56 Yet, the pavise designed by Giotto and painted by one of his assistants, which remains in the Vite a rather unworthy image-carrier, is not mentioned at all.57 This comes as a surprise: given that Van Mander generally seems to be very interested in anecdotes concerning early Italian artists,58 this one – coined by Sacchetti and quoted by Vasari in the second edition of the Vite – would seem to have been an appropriate addition. Van Mander had good reason to exclude the pavise from Giotto’s life, however. Painting arms was common practice among late medieval artists not only in Italy, but also north of the Alps. As Piet Bakker has shown for 17th-century Leiden, the terminological distinction between “artist painters” (kunstschilders) and “coarse painters” (kladschilders) – the latter being responsible for all kinds of signs, also shop signs, memorial tablets and coats of arms – did not take place before 1650.59 In line with this is the traditional derivation of the verb schilderen (to paint) and the corresponding nouns schilder (painter) and schildrij (painting) from the term designating a shield (schild).60 Marc Gil recently presented an archival document dating to 1308 in which the term scilder (painter) is explicitly drawn from the term scutarius (manufacturer of shields).61 It is as a result of this etymology and its roots within the broader field of duties of late medieval and early modern painters that, according to Friedrich Warnecke, from the 14th century on the artists’ heraldic device comprised three plain shields.62 On the title page of Van Mander’s Schilder-boeck, this emblem is also shown. In a fictive dialogue, preceding the lives of the ancient painters (Het Leven der Oude Antijcke doorluchtighe Schilders, soo wel Egyptenaren, Griecken als Romeynen) that are presented in the Schilder-boeck for the first time in individual chapters,63 Van Mander himself attempts to clarify the etymology of the terms schilder (painter) and schil-

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Cf. Melion 1991, pp. 21, 95–125. Van Mander 1604, fol. 112r-v. Ibid., fol. 97r. Cf. Noë 1954, p. 327. Van Mander not only selected and paraphrased many of Vasari’s biographies, but also added the lives of some Italian artists he had met during his stay in Italy from 1573/74 to 1577. Cf. ibid., pp. 7, 31, 111–174. Bakker 2017, especially pp. 320, 326, 333. See also for a more general statement on this coherence Belting 2001, pp. 115, 133. For early references to this etymology: Preimesberger 1991, p. 484. Gil 2018, pp. 47–48. The document was already published by Mathieu 1953, p. 221, note 1. Warnecke 1887, p. 21. See also Belting 2001, p. 133; Oswald 2011, p. 242. Cf. Thielemann 2015, pp. 40–41.

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drij (painting). In response to a question posed by his brother Adam, he identifies the word for shield (schild or schilt) as the common root of both terms.64 The Flemish poet and humanist Cornelis Kiliaan seems to have offered within easy reach an example of this etymological derivation, for in his Dictionarium Teutonico-Latinum (1574) and the closely connected Etymologicum Teutonicae Linguae (1599), respectively, he points to the close relation between the terms designating a shield and the art of painting, as Thijs Weststeijn has shown.65 The noun schild, so Kiliaan explains, denotes a “painted shield” (scutum pictum) or “the painting and image of a shield” (scuti pictura & imago) in the first place. The verb schilderen, on the other hand, is translated into the Latin pingere (to paint) and depingere (to depict) – and as a means of clarifying this further, here Kiliaan adds the idiom “to design or paint a shield” (clypeum formare sive pingere).66 Continuing the rhetorical dialogue with his brother, Van Mander is not prepared to accept this simple explanation. Rather, he looks to Pliny the Elder, who in his Naturalis historia transmits a different history of the shield and its depiction.67 In doing so, he elaborates upon an aspect already stressed by Kiliaan in reference to the antique origin of the connection between shield and painting.68 The Greek heroes drawn into the war against Troy, so Van Mander explains, had their shields depicted neatly, while the Romans preserved and venerated the shields of their ancestors in public places, such as their governmental buildings or temples, in commemoration of the deeds of their forefathers. Among these shields were many with portraits “from life” (nae t’leven). One would say, Van Mander clarifies, that “these shields depict” (dit Schilde schildren), and this idiom has become so firmly established that the terms for painting (schildry) and for painters (schilders) might be traced back to this origin.69 The Greek word for shield is clypeus, so Van Mander notes by way of conclusion.70 With this short mention, he once more alludes to the source central to his argument, that

64 Van Mander 1604, fol. 58v: “Siet, Adam, Broeder weerdt, ick achte dat dit woordt / Van Schilder, of Schildry, comt van den Schilden voort […].” Cf. Brusati 2003, p. 70. For more information on Van Mander’s brother: Noë 1954, pp. 3–4. 65 Weststeijn 2012, pp. 61–62; id. 2015, p. 175. 66 Kiliaan 1599, p. 466. 67 For general information on Van Mander’s adoption of the Naturalis historia: Melion 1991, pp. 20–22. 68 Cf. Kiliaan 1599, p. 466: “veteribus, imago picta aut pictura in clypeis dicta est.” 69 Van Mander 1604, fol. 58v. 70 Ibid.: “Want d’edel Helden cloeck van in den krijgh voor Troyen / Hun Schilden lieten schoon met beeldewerck vermoyen, / Romeynen insghelijcx, jae hinghen hier en daer / Hun Voorders Schilden op, in plaetsen openbaer, / In Stadthuys, eyghen sael, oft in der Goden Kercken, / Om daer ghedencken by hun Ouders vrome wercken: / Want stonden veel daer op nae t’leven self ghedaen. / Dit Schilde schildren, siet, en is sindt noyt vergaen, / Waer uyt dat is ghevolght, en voort en voort ghecommen, / Te segghen Schildery, en Schilders ons te nommen, / Ghelijck Clypeus t’woordt op Griecks is eenen schilt […].”

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is, the 35th book of Pliny’s Naturalis historia in which the ancient author likewise connects the custom of depicting heroic portraits on shields with the term clipeus and its meaning:71 “[…] for the shields [scutis] which contained the likenesses resembled those employed in the fighting at Troy; and this indeed gave them their name of clupei, which is not derived from the word meaning ‘to be celebrated’ [cluere], as the misguided ingenuity of scholars has made out. It is a copious inspiration of valour for there to be a representation on a shield of the countenance of him who once used it.”72

This is only a short excerpt of Pliny’s far more comprehensive analysis of the so-called imago clipeata (image or portrait on a round shield).73 In addition to the mythological objects – the shields stemming from the Trojan War – Pliny gives an account of historical characters such as Appius Claudius Pulcher and Marcus Aemilius Lepidus, who had round shields (clipei) bearing portraits of their ancestors consecrated and exhibited “in a temple or public place” (in sacro vel publico).74 Consequently, in the Naturalis historia, the shield used as an image-carrier turns out to be an important medium of hero worship as well as of ancestor veneration. Van Mander seems to be aware of this double function of clipei, as in his fictive answer to his brother he points generally – without naming a concrete example in this case – to the adoration of shield portraits in temples.75 Beyond that, Pliny’s comments on the etymology of the shield and on the imago clipeata, as well as his recourse to the city of Troy, provide ideal links to the shields of the Trojan heros Achilles and Agamemnon discussed in the preface to the lives of the ancient painters subsequent to the dialogue with Adam.76 The shields belonging to Minerva, Agamemnon and Achilles, all described in the Iliad, are important for Van Mander as proof of the great age of painting. In the preface to the lives of the ancients, he traces the origins of this art farther back than Pliny did in his Naturalis historia, and does not miss the chance to disparage the Roman author for his misjudgment.77 As could be extracted from Homer’s writings, the Trojan women had achieved admirable results in the art of weaving and, beyond that, the three shields would attest to the high degree of execution in painted “histories” (Historien) at this time. Especially the shield of Achilles, whose elaborate decoration in Van Mander’s 71 Furthermore, Van Mander uses the term clypeus to shift the focus from the art of painting to that of engraving. See also ibid., fol. 65v. Cf. Melion 1991, p. 206, note 15, p. 249, note 39; Brusati 2003, p. 70. 72 Transl. Pliny 1952, pp. 268–271; id., Naturalis historia, XXXV, 13–14: “Scutis enim, qualibus apud Troiam pugnatum est, continebantur imagines, unde et nomen hauere clupeorum, non, ut perversa grammaticorum subtilitas voluit, a cluendo. Origo plena virtutis, faciem reddi in scuto cuiusque, qui fuerit usus illo.” 73 For this iconographic tradition in general: Elderkin 1938; Gross 1954; Winkes 1969. 74 Pliny, Naturalis historia, XXXV, 12. Cf. Gross 1954, pp. 67–70, 77–79. 75 Van Mander 1604, fol. 58v. 76 Cf. Melion 1991, p. 206, note 15. 77 Van Mander 1604, fol. 60v: “Maer dat Plinius schrijft, datmen daer ten tijde der Troyanen niet af en wist, dat is meer te verwonderen, als te gelooven […].”

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opinion challenged even the best painters of the world, serves as proof that already during the Trojan War the art of painting had reached its peak.78 Different from Vasari who addresses the object rather cursorily – even despite the fact that the art of vivid description strongly linked to it is very important in his writing – Van Mander delineates Achilles’ shield with greater detail. He pays special attention to every part of the complex iconographic program of Vulcan’s “divine work” (Godlijk werck), which presents a unified visual program incorporating heaven, earth and sea, a city at peace and another at war, as well as a series of distinct actions taking place; the presentation of the shield is developed over almost an entire page. Aside from Homer’s famous shield-ekphrasis, Van Mander even takes into consideration the shield design attributed to Phidias. It is striking that this Greek artist, mostly known for his sculptures, is inserted into the Schilder-boeck solely in connection to the art of painting.79 The main stimulus for this is, again, Pliny the Elder, who in his Naturalis historia lists Phidias among the first Greek painters.80 Pliny verifies the artist’s painterly endeavours by broaching very imprecisely a shield he had painted in Athens.81 In Van Mander’s mention of this artwork, one can detect a certain insecurity with respect to his source: after assuring his readers that the shield was highly esteemed by the Athenians and that Phidias’ pupil Colotes had designed the object’s inner surface, he admits that he cannot determine what exactly was depicted on it – very likely it could have been “the head of Medusa with all kinds of snakes” (Medusen hooft, met alderley aerdt van slanghen), so he concludes.82 After this first tentative reference to a shield decoration attributed to Phidias, Van Mander describes a second one, again following Pliny, who in the 36th book of his Natural History alludes to another, allegedly distinct shield made by Phidias that was included in a gilded ivory sculpture of Athena Parthenos, praised by the ancient author as testimony to the artist’s great skill in the art of sculpting.83 Other ancient authors commenting upon Phidias’ work usually name only one shield of this kind.84 Van Mander, on the contrary, follows the ancient author very closely – also when describing the iconographic programme of the sculpted shield combining the battle between Theseus and the Amazons, depicted in a frieze covering the object’s obverse, and that between the Olympian gods and the giants, on the reverse.85

78 Ibid., fol. 60v–61r. 79 Cf. Thielemann 2015, p. 38. 80 Cf. Aurenhammer 2001, pp. 385–388; Thielemann 2015, p. 43. 81 Pliny, Naturalis historia, XXXV, 54: “[…] cum et Phidian ipsum initio pictorem fuisse tradatur clipeumque Athenis ab eo pictum […].” 82 Van Mander 1604, fol. 65r. 83 Pliny, Naturalis historia, XXXVI, 18. 84 Cf. Preisshofen 1974. 85 Van Mander 1604, fol. 65v: “In den Schildt die sy droegh, graveerde hy in den omloopenden boort oft frijse den strijdt tusschen d’Amasonen en den Vorst Theseus: in’t binnenste van den Schildt den strijdt, die de Reusen teghen den Goden aenrichteden […].”

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Van Mander comes back to this shield at the end of his account of the life of Phidias, now also mentioning the portraits of Pericles and of the artist himself hidden within the battle of the Amazons. He notes that even if Phidias had seemingly tried to blur the Greek statesman’s likeness by partly covering his features with his raised hand holding a pike, it was nevertheless recognizable from all sides.86 This very detail of the description points to Plutarch, whom Van Manders cites previously, and more precisely to his Life of Pericles as the main source for the addition.87 The sculptor’s trick of signing his work with his self-portrait instead of with his name was not only transmitted by the Greek biographer.88 Cicero and Valerius Maximus – among others – also make reference to it, but, rather than praising Phidias for his witty idea, they criticize him for his exaggerated pride. To support their judgment, they cite a certain mechanism with which the artist supposedly endowed the statue that would have caused the destruction of the shield in the case of any attempt to remove his self-portrait from the object’s surface89 – however, this very curious effect was obviously not known to Van Mander. Both Vulcan’s famous shield and Phidias’ complex shield decoration seem to be important counterparts to the etymological analysis proving the close relations between the defensive weapon and the Netherlandish verb schilderen (to paint), while at the same time establishing a connection between the art of Van Mander’s own time and that of the early heyday of painting in which the treatment of shields does not seem to have been understood as an unworthy task at all.90 Moreover, by seizing on Pliny’s thoughts concerning the imago clipeata and its terminological origins, priority is given to the aspect of commemorative visualization – in contrast to the apotropaic impact of art, discussed above and strongly connected to Medusa’s head. The shield worked by Phidias and enriched by his self-portrait as well as by the portrait of Pericles is just another example of this mnemonic function. This is likewise deemed the very foundation of painting by Leon Battista Alberti when he writes: “In fact, painting certainly has in itself a truly divine power, not only because, as they say of friendship, a painting lets the absent

86 Ibid., fol. 66r: “Dit was oock een oorsake van hun benijdinghe, dat Phydias op den Schildt van Minerva hadde ghemaeckt, in den strijdt der Amasonen, zijn eyghen conterfeytsel, makende een oudt Man (ghelijck hy was) die met beyde handen eenen steen droegh, en dat hy daer in oock seer aerdich hadde te weghe ghebracht de ghedaente van Pericles, strijdende teghen den Amasonen, en hadde met een wonderlijcke Conste te wege ghebracht, dat de handt, in welcke hy de pijck hiel, quam ghenoech voor t’Aenschijn, als of hy de ghelijckenisse van Pericles hadde willen bedecken, t’welck nochtans van alle sijden hem ghenoech openbaerde.” 87 Plutarch, Pericles, 31. Cf. Preisshofen 1974, pp. 65–69. 88 Some authors situate within this tradition Jan van Eyck’s alleged self-portrait in a reflection on St. George’s shield in the Paele Madonna (1434–1436) and the reflecting shield within the depiction of the archangel Michael attributed to Juan Sanchez de Castro (Museo del Prado). Cf. Carter 1954; Preimesberger 1991, pp. 483–485; Stoichita 2001. For a critical appraisal of this interpretation: Brine 2018. For the adoption of Phidias’ self-portrait by Italian artists: Pfisterer 1999, pp. 69–73. 89 Cicero, Tusculanae disputationes, I, 15, 34; Valerius Maximus, Factorum et dictorum memorabilium libri IX, VIII, 14, 6. Cf. Preisshofen 1974, pp. 56–58. 90 For the central meaning of the connection with ancient art: Melion 1991, pp. 15–37.

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be present, but also because it shows [to] the living, after long centuries, the dead, so that [these] become recognized with the artist’s great admiration and the viewer’s pleasure.”91 On that score Van Mander differs from Franciscus Junius, who in his De Schilder-Konst der Oude (1641) parallels the etymology of the verb schilderen far more strongly with acts of war, citing the ancient grammarian Maurus Servius Honoratius and the Roman theorist of war Vegetius, each of whom elaborates upon the historical contexts of shield painting within their writings.92 Contrary to this reading, in the Schilder-boeck the shield appears as an early medium of representation suitable equally for commemorating the deceased and making them present as for complex figural scenes that visualize artistic skill or even the artist’s own presence as in the case of Phidias.

Conclusion: The Shield’s Presence Vasari and Van Mander approach shields from very different angles. The Italian art theorist focusses on two late medieval and early modern painters, namely, Giotto and Leonardo, who both occupy a central position within the artistic development reconstructed in the Vite. While with regard to Giotto Vasari only quotes an anecdote coined by Sacchetti in order to prove the artist’s wit and eloquence, in the life of Leonardo he autonomously creates an elaborate ekphrasis in the tradition of Homer, whom he briefly praises in the preface to the Lives for his description of the shield made by Vulcan. In addition to emphasizing his own authorial skill – shown by putting Leonardo’s shield design before the reader’s inner eye with great enargeia – Vasari convincingly transfers the ideal of vividness to the art of painting, conjoining it with the gaze of Medusa that implies a certain rigidification of the observer overwhelmed in wonder in front of the artwork. Van Mander, on the contrary, does not pay much attention to shield decorations of either his direct contemporaries or of artists belonging to slightly earlier generations. The shield design attributed to Leonardo is probably only taken into account by him because of its central role within Vasari’s account of the life of the artist. When it comes to northern art, Van Mander concentrates on shields mentioned in ancient literature and tries to claim these as precursors of Netherlandish schilder-const. Homer’s ekphrasis is therefore paraphrased in detail and even complemented by the shields of Minerva and Aga91 Transl. Alberti, On Painting, 2011, § 25, p. 44; id., De pictura, 2011, p. 234: “Nam habet ea quidem in se vim admodum divinam non modo ut quod de amicitia dicunt, absentes pictura praesentes esse faciat, verum etiam defunctos longa post saecula viventibus exhibeat, ut summa cum artificis admiratione ac visentium voluptate cognoscantur.” Cf. Boehm, Repräsentation, 2001, pp. 4–6; Jacobs 2005, pp. 174–176. 92 Referencing both late antique authors, Junius states that young, inexperienced soldiers were not allowed to decorate their shields since only daring exploits entitled them to carry such highly esteemed objects (Junius 1641, p. 143). This interpretation and contextualization of the etymology of schilderen is also confirmed by Samuel van Hoogstraten (1678, pp. 328–329). Cf. Brusati 2003, p. 86, note 32, and Weststeijn 2015, p. 175.

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memnon, each enhanced with the gorgoneion. Most notably, Van Mander collects various information on the shield decorated by Phidias that shows the artist’s own portrait and thus serves as another stunning example of the shield’s connection to portraiture already exposed in the discussion of the imago clipeata in the fictive dialogue between the author and his brother. What connects Vasari and Van Mander ultimately is that they both call upon shields to elucidate various ways of creating presence through the paintbrush. It is striking, however, that both authors barely take into account the objects as such – their own presence, to seize an idea formulated by Klaus Krüger with regard to early modern painting in general.93 Although Vasari notes the inferior quality of the “round shield from the wood of a fig tree on the farm” that the peasant had constructed himself94 and that needed a further treatment by Leonardo, he does not expound upon the round format of the shield and its convex shape nor upon the way in which these material features affect the painterly decoration.95 In this sense, Vasari and Van Mander appear to be close followers of Homer, who gave no hint at the distribution of the many different scenes featured on the weapon forged by Vulcan – a problem addressed and solved, for instance, by Jean Boivin in his Apologie d’Homère et Bouclier d’Achillle (1715).96 One reasonable explanation for this lacuna might be found in Vasari’s description of the ideal image area in his technical introduction. Here he defines a painting as a planar surface – on a wall, panel or canvas – that is to be covered with lines and colors and which through the just division of light and shadow gives the impression of three-dimensionality.97 A similar definition was already given by Alberti, who in his De pictura (1435 and 1436) compares the picture to a window, thus underscoring the transparency of the image-carrier, while at the same time demanding an illusionistic effect like the one described by Vasari and achieved through perfect chiaroscuro.98

93 Cf. Krüger 2001, p. 7; id. 2018, pp. 22–24, 28. See also Belting 2001, p. 120, who draws attention to the “physical body” of shields carrying arms. 94 Transl. Vasari 2008, pp. 287–288; id. 1966–1987, vol. 4, p. 20: “Dicesi che ser Piero da Vinci, essendo alla villa, fu ricercato domesticamente da un suo contadino, il quale d’un fico da lui tagliato in sul podere aveva di sua mano fatto una rotella, che a Fiorenza gnene facesse dipignere […].” 95 For thoughts on the way the curvature of an antique vessel interacts with painterly decoration: Philipp 2001, p. 99. 96 Cf. Lecoq 2010, pp. 118–123. 97 Vasari 1966–1987, vol. 1, p. 113: “Ell’è dunque un piano coperto di campi di colori, in superficie o di tavola o di muro o di tela, intorno a’ lineamenti detti di sopra, i quali per virtù di un buon disegno in linee girate circondano la figura. Questo sì fatto piano, dal pittore con retto giudizio mantenuto nel mez[z]o chiaro e negli estremi e ne’ fondi scuro et accompagnato tra questi e quello da colore mez[z]ano tra il chiaro e lo scuro, fa che, unendosi insieme questi tre campi, tutto quello che è tra l’uno lineamento e l’altro si rilieva et apparisce tondo e spiccato, come s’è detto.” Cf. Krüger 2001, p. 122. 98 Alberti, De pictura, 2011, § 19, p. 224, § 46, p. 282. Cf. Belting 2001, p. 126; Krüger 2001, pp. 29–30. In his Lehrgedicht, serving as a preface to the lives of ancient, Italian and Netherlandish painters, Van Mander describes a similar effect as central to painting. Cf. Van Mander 1604, fol. 48v, § 27.

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2  Giovanni Stradano, Rotella Odescalchi, 1574, Rome, Museo Nazionale del Palazzo di Venezia

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Contrary to a planar surface, convex shields like the one painted by Caravaggio with the head of Medusa are themselves invested with plasticity.99 Their curvature impedes the illusionistic effect connected to the metaphor of the window, as can be seen in a rotella painted by Jan van der Straet (also known as Giovanni Stradano), born in Bruges but active in Florence and in collaboration with Vasari from 1550 on.100 In 1574 he painted a round shield for the late Cosimo I de’Medici, Duke of Florence and Grand Duke of Tuscany.101 A tendril-ornamented frame enrircles the round picture field in the center (fig. 2). Its convex surface is covered with an illusionary treatment of a deep and spacious landscape. Three equestrian figures shown in the foreground are about to ride down the hill, thus leading the eye of the beholder towards the battle between the troops of Cosimo and those of Siena (the latter supported by the city’s French allies) that took place near Scannagallo and ended with the Florentine victory on 2 August 1554. As indicated by the dissolving formations in the middle ground and the soliders fleeing in the background, the scene on the shield depicts exactly this glorious day.102 By showing the battlefield in a steep perspective, Stradano seemingly counteracts the “physical body”103 of the image-carrier. Yet, the shield remains clearly present both due to its contour as well as to various distortions within the painting. Stradano himself reflected on the qualities of his exceptional image-carrier in deliberately placing the four horses’ buttocks squarely in the foreground. With this, he echoes the round shape of the object;104 meanwhile, the minute depiction of the battle unfolding beyond this threshhold attracts the viewer in a similar way as did the fly on the Spartan’s shield.

 99 In this case, a particular reflection on the shield’s ‘presence’ is constituted by the fact that the artist transferred the convex vaulting of the weapon into a fictive concave hollow through the shadow looming underneath the gorgon’s head. Cf. Heikamp 1966, p. 63; Krüger 2006, p. 26. 100 For general information about the artist: Baroni / Sellink 2012. 101 The dating is verified by the inscription. Cf. ibid., pp. 194–195, no. 6 (Alessandro Cecchi). 102 For an extensive discussion of the object: Boccia 1969. 103 Belting 2001, p. 120. 104 Cf. Pichler / Ubl 2014, p. 145.

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Allison Stielau

Sixteenth-Century Notklippen as Objects of Warfare? Realia, Representation, Narration

Introduction: The Coin as an Object of Warfare In a discussion of the many sixteenth-century portrayals of German and Swiss mercenary soldiers gambling or arguing over payments owed, the historian J. R. Hale observed that “no other occupational group, apart from merchants, was shown by artists so frequently in circumstances involving money as were soldiers”.1 Urs Graf’s drawing of a Landsknecht striding homewards, for example, alludes to money by way of its loss (fig. 1).2 The sword hefted to the shoulder and pointing backwards carries the candid inscription al mein gelt verspilt (all my money gambled away), indicating the impoverished status of the purse dangling from it and, by implication, a previous time of plenty. Money mattered to soldiers in sixteenth-century Europe because it was the engine of military action, enticing men to enlist and to travel farther and farther from their homes in search of greater riches. The motivating role of money in the mercenary lifestyle was the well-known subject of satirical critique by Graf and his contemporaries.3 Yet money had long been understood as inextricable from martial existence, an interdependence evident in the very word ‘soldier’ (Soldat), indicating a person paid to fight and derived from coin-names in various languages connected ultimately to the Latin solidus, a late Roman gold currency.4 In early modern Europe, post-feudal systems of payment developed in which, as Fritz Redlich demonstrated, military commanders operated as proto-venture capitalists, putting up funds at great risk in the hope of large-

I thank Romana Kaske and Julia Saviello for organizing the Objekte des Krieges conference, and for the opportunity to share my work there, in stimulating discussion with international colleagues. I appreciate Julia Oswald’s graceful editorial eye, which helped refine some of the language in this text. Adam Eaker deserves thanks as well for giving my words a final polish. Hale 1986, pp. 92–93. 2 Basel, Kupferstichkabinett, inv. no. U.X.69. On this drawing, see Rogg 2002, pp. 159–160. 3 See Andersson 1978; for extensive bibliography, see Rogg 2002. 4 See the entries on ‘soldier’, in Soukhanov 1992 and Stevenson 2010, p. 1697; and ‘Soldat’ in the online Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Soldat (accessed 10 May 2018). 1

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1  Urs Graf, Landsknecht who has gambled away his money, 1519, Basel, Kupferstichkabinett

scale future profits.5 Many were ruined in the process, but the memoirs of successful military campaigners read at times like accountants’ ledgers, listing the thousands of thalers gained as a result of this or that battle.6 When payments failed to materialize, as they so often did when the military ambitions of cash-poor rulers outstripped their ability to remunerate forces, soldiers gave up and went home or resorted to looting to recover their missing wages. The latter could have significant consequences. The proximate cause of the Sack of Rome in 1527, which decimated the city physically, culturally, and financially, was the delayed payment of soldiers on campaign in the Italian peninsula over many months.7 For imperial forces owed back wages, the plunder of Roman churches, private homes, and civic institutions was a means by which to extract value, in whatever form they could find it.

5 Redlich 1964. 6 Schertlin von Burtenbach 1858. 7 Hook 2004.

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2  Siege coin minted in Haarlem, 1572, London, British Museum

Coins, however, were the period’s most common physical instantiation of payment and were often signaled metonymically by the purses designed to contain them, as in the case of the Geldbeutel swinging behind Graf’s profligate soldier. Despite the acknowledged centrality of money to early modern warfare and its appearance in scenes of enlistment, coins themselves do not feature prominently in literary and visual conceptions of the category of ‘war objects’, which tend to privilege, perhaps for obvious reasons, arms and armor, especially those alluding to the ancient and medieval past.8 The relative absence of coins in martial material culture might be explained in part by their overdetermined nature. Circulating across lines of class and profession, coins signified variously in visual and textual representation. In the sixteenth century, however, a genre of ersatz currency developed that can be associated explicitly with military events and thus with the soldiers who fought in them. Notgeld – emergency money – was produced during sieges and while on campaign, often quickly and with limited minting resources.9 Precious metal vessels were transformed into usable tokens or Klippen: either shorn directly into rough quadrilaterals, or melted down, flattened into sheets, cut, and struck with a die, as in the case of tokens produced during the siege of Haarlem in 1572 (fig. 2).10 These metal pieces, which were often intentionally distinct from contemporary currency, served as temporary payment, securing the continued cooperation of soldiers who might otherwise mutiny or turn to looting. The modern terminology applied to these numismatic objects calls attention to the mar-

  8 On depictions of enlistment and payment, see Rogg 2002, pp. 22–33.   9 The standard reference catalogues remain Mailliet 1868–1873; Brause-Mansfeld 1897–1903. 10 British Museum, London, inv. no. G3, SSP2.2

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tial contexts in which they were produced: emergency coins, siege coins, war currency, and even field coins, referring to the field of battle.11 Unlike the traditional symbols of warfare, emergency coins were not usually carefully designed and crafted in anticipation of battle. Instead, they were made within the context of ongoing military struggles, a product of, rather than a preparation for, war. Their irregular forms and often abbreviated legends were indices of emergency both in the sense of the physical hardships that arose on campaign as well as the socio-economic upheaval caused by war. Unlike the medals struck after the fact to memorialize early modern sieges, Notgeld served urgent, practical needs in the context of a still unfolding martial event. Intended to be taken out of circulation and recoined when the crisis ended, examples of emergency coins nevertheless survive in relatively large numbers. This unintended longevity resulted from a tendency to save Notmünzen as souvenirs of significant martial events. Because of their origins within the conflicts themselves, siege coinage claimed a higher degree of authenticity than manufactured commemorative objects. The special status accorded emergency coins in the possessions of private citizens and within numismatic collections was located not in visual or textual characteristics, but in the coins’ material history. By ‘material history’ I mean the processes of physical transformation that the coins’ metal underwent as it was converted – most often, from church plate to soldiers’ pay – in wartime conditions of scarcity. Having undergone radical formal change within the midst of the historical event, the metal has a particular claim as material witness to that event, a status I conceive of as metallic presence. As I will argue in this essay, knowledge of the emergency coin’s metallic presence drove the preservation, and later explication and illustration, of these intentionally ephemeral objects. While such coins have most often been approached from a numismatic perspective, considering them as distinctly early modern ‘objects of war’ reveals something crucial about their original context and reception. Surviving Klippen and instances of their portrayal in early modern prints demonstrate that contemporary beholders recognized the origins of these objects in sieges and battles, valuing them as keepsakes rather than coins. The representation of emergency coins – in images, in texts reporting on their creation, and even in the words later inscribed on their very surfaces – played a role in constructing them as historical narrators whose authority originated not simply in their material properties, but in the transformational experiences that shaped those properties.

11 Emergency coins (German Notmünzen, Dutch noodmunten, French pièces de nécessité); siege coins (German Belagerungsmünzen, English obsidional, French pièces obsidionales, Italian monete ossidionali); Kriegsklippen; Feldklippen. As an example of the deployment of such adjectives and their potential interchangeability, see Brause-Mansfeld 1897–1903.

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Emergency Coins in Early Modern Warfare and Numismatic Representation The history of emergency coins does not begin in early modern Europe, but flourished at that time and place for at least two reasons. The first is that modes of military engagement and financing created the conditions for the production of temporary currency. Mercenary soldiers fought in years-long operations, often with very little food, clothing, or necessary equipment. Their motivation for fighting was not ideological, patriotic, or a matter of mere survival, but rather financial, and if they were not paid, they could simply lay down their weapons or refuse to continue to the next battlefield. As armies became geographically more dispersed, paymasters no longer traveled with individual companies; captains became responsible for paying their soldiers themselves, doling out the money when it arrived, or fronting soldiers cash from their own purses while awaiting funds from superiors.12 Paying troops in coin, even if it meant liquidating a commander’s personal treasure or ransacking local stores of plate to do so, was a high priority because it reduced the likelihood that soldiers would go on plundering sprees, which not only devastated local populations but could put troops in a state of mania and disorganization that distracted from broader military goals.13 During sieges, when currency circulated in a closed system and cities were dependent on soldiers for their vigilant defense, the need for adequate payment could become acute, which explains the large numbers of coins produced in such contexts during an era of continued and innovating siege warfare. The second reason that early modern emergency coins survive in great numbers from this period has to do with opportunities for preservation. By the early sixteenth century, numismatic collections were beginning to absorb coins that related directly to contemporary figures and events. This interest in the present, as well as in recent European history, expanded what had been the dominant prior focus on ancient Greek and Roman specimens. Siege coinage and other ersatz currency thus began to find lasting homes in elite and humanistic collections; in these new repositories, emergency coins could survive for centuries as earlier examples had not.14 Collections also created new ‘publics’ for siege coins beyond their original mercenary recipients, which included coin connoisseurs and currency theorists.15 For the latter, emergency coins significantly expanded the conceptual possibilities for monetary systems by suggesting the viability of fiat money.16 Early illus12 Redlich 1964, vol. 1, p. 33; Mallett / Shaw 2012, p. 210. 13 Hook 2004, p. 158. On plunder in late medieval and early modern warfare, see Contamine 2000. 14 The comprehensive catalogues of Mailliet and Brause-Mansfeld show that emergency coinage does survive from earlier historical moments, but these examples are far rarer than their sixteenthcentury counterparts, suggesting that they were not as easily preserved over centuries. 15 For the applicability of Michael Warner’s concept of ‘publics’ to the circulation of early modern coins and medals, see Benzan 2009. 16 The value of fiat currency is not intrinsic (like the commodity currencies of gold and silver) or representative (as in paper currency backed by gold), but is rather determined and maintained by

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3  The Pavia siege coin, from: Johann Jakob Luck, Sylloge numismatum elegantiorum, Strasbourg 1620, p. 55

trated publications produced by and for these audiences served to stabilize siege coinage for posterity by means of the printed image. The early case of Pavia offers an instructive example of the circumstances in which sixteenth-century emergency coins were produced and the context of their later preservation and representation. In 1524, during the wars on the Italian peninsula that preceded the Sack of Rome, the imperial garrison at Pavia mutinied because of conditions in the town, as nine thousand waited to engage French forces. The commander Antonio de Leyva seized church treasures and, liquidating this collection of precious metal objects, had coins struck for his men.17 These coins are among the earliest surviving sixteenth-century Notmünzen. Uniface ducats, they bear only the initials of De Leyva (A. L.) and the year.18 A numismatic publication of 1620 illustrated the Pavia coin in a small engraving indicating its blunt quadrilateral borders and succinct legend (fig. 3).19 The intended ephemerality of the coin is made clear by its non-standard shape (and thus weight) and its obscure markings, which would have been unfamiliar to those beyond the original context of creation. Emergency coins usually looked crude because they represented a rupture in the systems by which early modern currency circulated. By the sixteenth century, coins were fairly regular in size and facture across a single type, and bore elaborate images and legends referring to the authorities securing monetary systems; they also sported bordered edges that were designed to discourage the practice of clipping.20 Emergency coins, on the

17 18 19 20

a government. Fiat refers to the currency’s function as a medium of exchange simply by decree. On the possibility of fiat currency suggested by emergency coins in materials like paper, lead, and leather, see Sargent / Velde 2001. Sherer 2017, pp. 43–44. Traina 1975–1977, vol. 2, pp. 203–217. Luck 1620, p. 55. Clipping involved the careful shaving-off of edges to win bits of precious metal without noticeably altering the coin’s appearance.

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other hand, show none of these refinements and in several respects appear to return to a more primitive form of coinage. They are often single-sided, lumpy, unevenly sized, with large fields of unmarked metal. It is important to note that, despite their common name, Notmünzen are not actually, by modern numismatic standards, coins. Instead, they reside in the category of tokens “representing value or coin” on account of the fact that, unlike true coins, their minting was usually non-standard and they were designed for only temporary usage.21 However, long before numismatists developed the special category of ‘tokens’ or Klippen to refer to emergency currency, early modern observers described them simply as coins or, in some cases, even “war coins”.22 If the Pavia Feldklippe were truly an ephemeral object – ineffective as a standard coin and destined to have its precious metal repurposed for its commodity value – what explains the longevity suggested by its appearance in representation almost a hundred years later? While the coin was intended to serve as temporary currency, it swiftly developed a commemorative function that made it worthy of preservation – first by those immediate witnesses to the military context of its making, and later by connoisseurs whose collections would become the basis for illustrated numismatic publications. As a physical product of extreme wartime conditions necessitating the transformation of ecclesiastical treasure into rough coinage, the Pavia coin would have been a particularly potent memento of those events, perhaps even more specific than a weapon, which was likely to have been used on multiple occasions. When, in February 1525, imperial troops handily defeated the French and captured Francis I, the 1524 siege coins might be understood to have undergone a transition in signification. For the imperial soldiers before the victory, the coins constituted a small token of value with the promise of future redemption and, perhaps, a material reminder of the instability that often characterized military service. But after the victory, the coins became something more: attainable souvenirs of milestone achievement. In this way, the Pavia emergency coins might be seen as rank-and-file equivalents of the singular trophies captured by elite commanders, like the French pennant and sacred relics taken and carefully preserved by the Spanish Juan Lopez Quixada.23 The seizure and transformation of church plate by De Leyva the previous year became part of the narrative of triumph at Pavia, a noteworthy anecdote in accounts appearing even decades after the event.24 After periods in the possession of those who had direct contact to the event, emergency coins eventually made their way into numismatic collections. In certain cases the

21 Grierson 1975, p. 165. 22 Fickler 2004, p. 105, no. 1018 a/16. 23 A leather box that once held these objects, which bears an inscription recording the origins of its former contents, resides in the collection of the Walters Art Museum, Baltimore. Bagnoli / Klein / Mann / Robinson 2010, p. 235, no. 139. 24 For example, mention of De Leyva’s emergency currency appeared in the account of Pavia in a much later biography of Georg von Frundsberg, another imperial commander: “[…] hat Antonius de Leua der Kirche Kleynot angegriffen / und muentz dem Kriegsvolck geschlagen”, Reißner 1572, p. 62.

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4  Friedrich Brentel, Frontispiece to Johann Jakob Luck’s Sylloge numismatum elegantiorum, Strasbourg 1620

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transition into the collector’s cabinet could be rapid – a gold coin minted during the siege of Vienna in 1529, for example, was sent to a humanist coin collector within weeks of the event’s conclusion, suggesting the historical value that siege coins were understood to have even in the immediate aftermath of their production.25 This historical value derived not simply from a geographical and temporal connection to significant events like battles and sieges, but rather from the fact of the coins’ having been physically precipitated out of those events as repurposed precious metal vessels. An awareness of the transformational experience undergone by siege coins is evinced by early modern inventories that record the metallic origins of Notmünzen in ecclesiastical and secular treasures.26 By the time the Pavia coin appeared in Johann Jakob Luck’s Sylloge numismatum elegantiorum in 1620, it was clearly understood as a material instantiation of the famous battle in which Frances I had been captured by imperial forces.27 In Luck’s text, coins are the driving evidentiary force for a history of Europe in the years 1500 to 1600, serving not as mere material footnotes but as a narrative itinerary for epochal events. The frontispiece designed by Friedrich Brentel announces the military context: the armored figures of Charles V and Henry II stand on a pediment, flanked by piles of weapons and pennants, the decorative architectural ovals filled with scenes of a naval battle (below) and the siege of a city (above) (fig. 4).28 Two female allegorical figures flank the vignette of the siege. Fame grasps a trumpet whose banner bears images of ears, eyes, and tongues, while Plenty holds an overturned cornucopia, from which falls a pile of medals and coins, including several Klippen.29 Brentel’s figure of Plenty is an updated version of a device used by the sixteenth-century Flemish artist and numismatist Hubert Goltzius in his publications on coins.30 The inclusion in her horn of Klippen – a clearly early modern form – brings the numismatic approach to historical narrative into the seventeenth-century present. Fame’s sensory organs of perception and expression suggest that coins are a means of witnessing and communicating significant events, like those portrayed in the inset cartouches. By setting the coins – the subject of the ensuing text – into relation with the royal armor and traditional weapons ornamenting the lower section and with the scenes of modern warfare in the cartouches, the frontispiece suggests that they too are ‘objects of warfare’ that act as unique witnesses to, or at least prompt the narration of, more recent martial histories. In Luck’s endeavor to narrate a recent history of Europe by way of coins, emergency currency played an outsized role. As the direct products of military clashes, they could bring the narrative close to the field of battle, unlike more commemorative coins and med-

25 26 27 28

Stielau 2015, p. 249. Ibid., p. 253. On Luck and the Sylloge, see Dekesel 2003, vol. 2, pp. 1665–1666. Friedrich Brentel produced the title page and the work was published by Peter Aubry of Strasbourg. Wegner 1966. 29 Ibid., p. 153. 30 Woodall 2017, p. 668.

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als. Luck’s enthusiasm for this quality of authentic connection caused him to over-apply the designation of ersatz military coin. Later numismatists would criticize his Sylloge not only for forcing connections between extant coins and significant historical events, but also, and perhaps more egregiously, classifying too many examples as emergency currency, even going so far as to describe clearly commemorative medals as nummi castrenses or (military) camp money. The entry on Pavia 1524 appears under precisely this heading. Its illustrations include both known emergency coins produced in Pavia as well as medals of relevant kings and commanders – Emperor Charles V, Francis I, Antonio de Leyva.31 The identification of clearly commemorative artifacts as ‘field money’ is, as Frederick Stopp aptly noted, “open to obvious objections, firstly that such items clearly could not be produced in extemporized field conditions, and secondly that no sane leader strikes a medal commemorating a victory or warlike episode before the fortunes of war have decided the outcome.”32 The 1620 Sylloge also exemplifies some of the problematics involved in transforming three-dimensional numismatic artifacts into two-dimensional images in early modern printed publications. For many of the true emergency coins included, this was their first appearance in printed illustration. But the images could be extremely loose interpretations of authentic coins and medals, or even wholesale inventions.33 Some early illustrations seem to slightly misinterpret siege coins, for they depart from surviving examples in orthography, image, and even the identification of the coin’s original material.34 There are also cases of ‘apocryphal’ emergency coins – illustrations based on descriptions of coins that may never have existed but which, through their repetition over time, take on the force of historical reality.35

Representation vs. Metallic Presence The modifications produced in the transformation of coin to print were reinforced by the copying of printed illustrations for subsequent publications. The replicated image of the coin now existed separately from its original metal source. Flattened and simplified, this iconic form took the place of what had been rough, irregular, even ugly individualities. John Cunnally has argued that early numismatic publications of the sixteenth century separated ancient coin types from their material substrates, “the mind from the

31 Luck 1620, pp. 53–55. 32 Stopp 1970, pp. 139–140. On Luck’s other categorizations for coins, see the entry in Cupperi / Hirsch / Kranz / Pfisterer 2013, p. 132, no. 34. 33 Stopp found seventy examples in which the Sylloge engravings borrowed reverse types from a famous book of Renaissance devices. Stopp 1970, p. 140. 34 See the case of illustrations of the 1529 Vienna siege coins in Stielau 2015, pp. 257–264. 35 For one example of this phenomenon from the emergency currency issued by Pope Clement VII, see Traina 1975–1977, vol. 3, p. CCCV.

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matter”, allowing them to circulate as images in a variety of materials and sizes.36 This approach departed significantly from the interests of earlier Renaissance numismatists, “who looked for the numen in the nummus, and the aura in the aurum, and convinced themselves that the spirits of the ancients were somehow preserved and conveyed in these bits of metal.”37 Whereas ancient coins had once been relics of the past, their physical characteristics (alloy, heft, evidence of wear) allowing them to serve as almost amuletic portals to history, by the sixteenth century the meaning of ancient coins resided less in their material – their ancient metal – and more in the images that could be extracted from their surfaces to be reproduced across the artistic field.38 The early modern dematerialization of the numismatic artifact was not, I contend, at work to the same extent for siege coins, despite their appearance in print. The characteristic that made Notmünzen valuable – first to soldiers and other witness-participants, and later to collectors – was not the image borne on their surfaces, but rather the coarse unevenness of their metal substrates. The rough materiality of Klippen indexed the emergency situations that necessitated their making and acted as the connective tissue between the possessor of the coin and the significant historical event from which the coin emerged. This process of transmission is a function of what might be called ‘metallic presence’, in which the provenance of metal and the process of its transformation lends the coin or metal artifact a special status. Evidence that siege coins functioned as physical transmitters of metallic presence can be located in their use as a keepsake worn on the body. Many surviving examples bear holes or metal frames converting them into pendants.39 A mid-seventeenth-century portrait print indicates both how siege coins might have been worn and, more importantly, how they were understood to connect historical actors to events, as mute but potent chunks of realia (fig. 5).40 Pieter Adriaansz. van der Werff was Leiden’s burgomaster in 1573–74 when the city was besieged by Spanish forces during the Dutch Revolt. Based on earlier sculpted and printed portraits, the engraving by Pieter Philippe accompanied verses in Latin and Dutch.41 Van der Werff is captured with his face turned slightly towards the right, in a recessed space behind a parapet with an inscription recording, after his name, the years of his birth and death. Surmounting the recess is a rectangular frame with a pair of martyrs’ palms that form an oval around the burgomaster’s bust, their thick stems tied together and jutting out illusionistically over the base of

36 Cunnally 1999, p. 144. 37 Ibid., p. 145. 38 Amuletic powers are usually understood to come from an object’s material, whereas talismanic powers derive from an image or inscription. On this distinction, see Láng 2008, p. 81. On prints as paper ‘surrogates’ for ancient coins that had become difficult and expensive to procure, see Viljoen 2003, p. 223. 39 On the non-currency function of coins, see Maué / Veit 1982. 40 Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-P-OB-60.185. 41 See the drawing by Jan de Bisschop based on the sculpted bust by Hendrik de Keyser (Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-T-2015-29) and the later print by Hendrik Bary (Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-P-1888-A-12753).

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5  Pieter Philippe, Portrait of Pieter Adriaansz. van der Werff, detail, 1661, Amsterdam, Rijksmuseum

the frame. On a wide ribbon draped around his neck, Van der Werff wears one of the coins produced during the siege. Some of the Leiden coins were a subject of particular fascination because they had been made of paper, specifically the repurposed pages of religious texts.42 The square coin around Van der Werff’s neck is probably not intended to represent one of the paper coins, which would have been round in shape, but rather one of the silver Klippen produced in the later stages of the siege from church plate. Many of these coins

42 Van Gelder 1955, pp. 21–25. The paper siege coins were interesting to monetary theorists, for example, because they opened up the possibility of a nonmetallic fiat currency. See Budel 1591, book I, p. 8.

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were preserved and later given elaborate, personalized embellishment that included gilding, additional engraved decoration, and fittings to become pendants.43 The siege coin – recognizable by the heraldic lion that grasps a liberty pole, flanked by the year ‘1574’ – breaks the fiction of the static portrait’s framing parapet by appearing to fall out and over the lettering below the figure. Situated between the second and third units of the Latinized moniker Petrus Adriani Werfius and over the bookend dates of his life, the coin intrudes inescapably into these personal details. The connection made here between insignia and name exceeds that of traditional heraldry, which links individual identity with a codified image asserting family or political affiliation. Instead, here the coin has swung into the field of Van der Werff’s identifying inscription – a material object that casts a slim shadow and overlaps by a smidgen the “W” to its right. A previous state of the engraving, printed before the addition of the lettering, shows that the coin in fact preceded the words it appears to rest on; the shadow was added later, to heighten the three-dimensional effect.44 The inscription was thus designed to accommodate and emphasize the materiality of the siege coin, confirming its significance to Van der Werff’s identity as a historical figure. The portrait depicts the Leiden Klippe in this manner, I suggest, because its status as a piece of realia – an object for which physical space has to be made, rather than a dematerialized image – more effectively associates Van der Werff with his role in the defense of the city during the siege. A commemorative medal struck in 1574 offers an instructive comparison to the siege coin’s particular claims as material witness.45 Bearing on one side an aerial view of the city’s fortifications, with the Spanish forces in retreat beneath an inscription marking the date of the end of the event, the medal provides much more textual and visual information than the siege coin itself. One might expect Van der Werff to be portrayed wearing this type of medal, which, because it was produced after the conclusion of the siege, could more confidently reflect on the event’s successful outcome for the Dutch. And yet the commemorative medal lacks the crucial characteristic of the siege coin, its metallic presence, which derives from the knowledge that it was made in the direst of circumstances, when Leiden’s citizens were starving and perishing from the plague. Van der Werff attempted to keep morale up and to resist surrender, even offering, famously, his own body to be taken and eaten in order to subdue the people’s hunger.46 The siege coin is an artifact from this moment, when the city’s fate still hung in the balance. It thus has the testimonial force of the eyewitness – or, in this case, of the material witness – to the severe conditions of wartime existence.

43 See the eighteenth-century print that records a Leiden siege coin set into a frame, Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-P-OB-79.583. 44 Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-P-OB-60.184. 45 British Museum, London, inv. no. G3, FD.131. 46 Pollmann 2017, p. 63.

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The Emergency Coin as Narrator The ability of the siege coin to communicate its special provenance as the product of climactic events was restricted by the very characteristics that gave it its potent authenticity: rough facture, as well as limited image and textual fields. The initials of military commanders (‘A. L.’ on the Pavia coin, for example) or other abbreviations appearing on Klippen often assumed a temporary and narrow ‘readership’ and were thus, for later observers, opaque and prone to misinterpretation.47 Some coins, like the examples from Leiden, came to be illustrated and described in printed materials decades after the events for which they were struck, creating an auxiliary archive that made the coins and their stories known to ever-widening audiences.48 For the majority of early modern emergency coins, however, narrative contextualization came only with the advent of systematic numismatic catalogues.49 With little textual information to explain their origins, they could be fairly inarticulate historical witnesses, leaving them vulnerable to simple obscurity, if not outright destruction. As if to overcome their muteness, some Klippen received embellishment that reasserted their role as eyewitnesses to, or even material actors in, the upheaval of war. Owners of siege coins found ways to identify and transmit the origins and meanings of these tokens by way of engraved inscriptions and other framing devices. These narratives opened up a wider and more articulate existence for what were often otherwise obdurate chunks of metal. The blank reverse of the siege coin offered something that standard coins did not, that is, space for further marking. Ideally, all coins of a given issue were identical in form and weight, which is what allowed them to circulate freely, functioning equally for every user. Fully imprinted, they resisted the inscriptions commonly added to other precious metal artifacts, like silver plate, to record details of ownership and provenance. Countermarking is one form of intervention on the coin’s surface, but the countermark must always compete with the original images and words on the imprinted surface. Coins have a long history as adventurous protagonists in so-called thing-narratives because, as media of exchange, they travel at greater speed and to greater distances, and change owners more often than functional objects like clothes and furniture. But the imagined itineraries of coins belie, or are perhaps enabled by, their inability to manifest or express experiences beyond their origins in a specific mint in a specific year, information which is usually encoded visually on a coin’s surface.50

47 Stielau 2015, p. 254, note 51. 48 See for example the illustration in Budel 1591, p. 8, or seventeenth-century illustrations like Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP-P-OB-79.591. 49 Klotz 1765; Duby 1786. See also the articles on siege coins in the numismatic periodical Johann David Köhlers … wöchentlich herausgegebener historischer Münz-Belustigung, which was published between 1729 and 1765. 50 On so-called ‘it-narratives’, see Lamb 2016; Blackwell 2007.

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The blank reverses of siege coins, conversely, invited narrative elaboration of the circumstances in which they were produced. These ranged from the simplest of phrases – GOTHA EROBERT (Gotha Conquered) – to more historically specific details of places and dates.51 Such additions helped secure the continued existence of emergency coins by giving information that might otherwise have remained illegible to the common observer. The blank reverse was evidence of the Klippe’s authenticity as well as an opportunity to verbally shore up that authenticity by way of an inscription. It was a reminder that these coins were not just images to be circulated in various media, but were also materially specific objects with individual provenances. A siege coin from Jülich bears on its reverse the engraved inscription: “Besieged / the 5th of September / taken 3rd February / year 1622.”52 The reverse of a Feldklippe produced during the siege of Schweinfurt relays yet more detail of the events surrounding the siege: “June 6 1553 Margrave Albrecht of Brandenburg took Schweinfurt / June 20 1554 he burned down Bamberg, Würzburg, Nuremberg.”53 Were these lines written in pride, by a soldier who had participated? Or is the list a condemnation of the margrave’s path of destruction? Whoever was responsible for the engraved message on the Schweinfurt coin likely had different associations with this cointype than did the female members of Albrecht’s family, who kept an example of it in their personal collections, where it served, as Miriam Hall Kirch suggests, “as a remembrance” of their kinsman.54 A coin from Middelburg in Zeeland, dating to the time of its siege between 1572 and 1574, was inscribed with the following lines on its blank reverse: “When I was struck, Middelburg was under siege, so that the citizens ate out of hunger their own horses, dogs, and, as the length of the emergency increased, cats, rats and linseed waffles instead of bread.”55 These lines emphasize the material transformations, occurring under duress, that were a standard detail in early modern siege narratives.56 Hunger caused the citizens of Middelburg to transform pets and vermin into food; the financial strain of defending their city required them to convert accumulated treasure into coin. Another Klippe from Haarlem in 1572 bears an inscription incorporating the coin into a first-person narrative that refers directly to its function as wages with a phrase that reiterates linguistically the close

51 Brause-Mansfeld 1897–1903. 52 On the Jülich Klippen of 1621, see Neumann 1974. 53 1553 6. IVNII HAT M[arkgraf] A[lbrecht] V[on] BRAN[denburg] SCHWINFVRT INGENOMEN 1554 20 VNII VON BOM[berg] WIRTZ[burg] NVRNBER[g] VERBRENT. The current location of this coin is not known, but a cast of it resides in the Staatliche Münzsammlung in Munich. See Jordan 1979, p. 212. 54 Kirch 2017, pp. 110–111. 55 DOEN IC VVAS GESLAGEN VVAS MIDDELBURGH BELEGEN SO DATTER TVOLC AT VAN HONGERS VVEGEN PAERDEN HONDEN HVEN DVER NOOT KATTEN RATTEN ENDE LINSETVVAFELEN VOOR BROOT. Van Gelder 1955, pp. 18–19, no. 38a. 56 In Münster in 1534 to 1535, for example, hunger supposedly forced the besieged “to turn into food things that were shunned by human nature under other circumstances”. See Kerssenbrock 2007, vol. 1, p. 673.

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link between payment and military labour: “When Haarlem was besieged by the Duke of Alba’s tyranny, I was given to the soldiers (soldate) in payment (soldie).”57 The “I” in these two engraved inscriptions does not endow the Klippen with interiority so much as it offers the beholder access to a narrative that might otherwise remain unexpressed by the objects’ physical appearance, akin to what Jesper Svenbro has called in a different context “egocentric inscriptions”.58 We might be tempted to relate their narration of experience to that of figures appearing in early modern verse, like the Landsknechte who speak in the first person from mid-sixteenth-century woodcuts explaining their martial roles and boasting of the payments they will earn.59 By contrast, the Klippen narrate the hardships and material transformations that produced them and identify the perpetrators and victims of military conflicts. These inscribed narratives are ‘self-representations’ that construct the emergency coins not as the mere, mute product of conflict, but as articulate material witnesses to upheaval and ensuing suffering. Like the sword in Urs Graf’s drawing of a homeward-bound fighter, with its jagged edge evidencing wear and its own egocentric epigraph, the inscribed Klippen are objects that continue to declaim the story of war – down to the very ‘mercenary’ facts of food and money – even when its protagonists are unable, unavailable, or disinclined to do the same.

57 DOEN HAERLEM BELEGERT WAS DOOR DUCDALVES TIRANIE WAS ICK DE’ SOLDATE GEGEVEN TOT SOLDIE. Van Gelder 1955, p. 13, no. 2b. 58 Svenbro 1993, pp. 26–43. 59 On printed series of German soldiers explaining their roles, see Rogg 2002, pp. 260–268; Moxey 1989, pp. 67–71.

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Antje Kempe

Das Nachleben der Rüstung im sepulkralen Kontext des 16. Jahrhunderts

Die Zurschaustellung und Inszenierung von Waffen und Rüstungen jenseits des Kampffeldes stellte für den Adel eine Form der Selbstlegitimation wie auch der Symbolisierung des eigenen Handelns seit der Antike dar. In diesem Rahmen kam der Materialisierung der Schlachtenmemoria und Herrschaftsrepräsentation in Form von Schlachtengemälden und der architektonischen Setzung von Erinnerungszeichen eine konstitutive Rolle zu. Darüber hinaus wurde auch Grabmälern eine bedeutende Funktion zuteil, da sie sowohl individuelle Ansprüche als auch gesellschaftsbedingte Konformität aufzuzeigen vermochten.1 Die gerüstete Figur des Verstorbenen wurde hierbei über die Jahrhunderte hinweg zu einem Signum standesgemäßer Repräsentation im Grabbild. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind allerdings vereinzelte Beispiele im nordalpinen Raum zu verzeichnen, bei denen Mannequins als Träger der Rüstungen des Verstorbenen in unmittelbarer Nähe der Grabmäler Aufstellung fanden. Diese Art der memorialen Figuration regt dazu an, nach einem semantischen Bedeutungswandel von Rüstungen bei ihrem Übergang aus der Sphäre des militärischen und adeligen Alltags in ein sepulkrales Umfeld zu fragen. Ist die Rüstung zu Lebzeiten ihres Trägers primär über ihre Schutzfunktion wie auch ihren repräsentativen Charakter zu bestimmen, steht nach dem Tod die Historisierung des Verstorbenen und seine Stellvertretung mittels der Rüstung im Vordergrund, so die These des Beitrages.2 Der Status der Rüstung speist sich aus dem Oszillieren zwischen ihrer Wahrnehmung als Körperbild und dem eines militärischen wie auch künstlerischen Objekts.3 Das getriebene Ornament, wie es die Plattner aus der Familie Negroli aus Mailand, der Flame Eliseus Libaerts oder der Augsburger Desiderius Helmschmid perfektionierten, ließen Rüstungen

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Bredekamp / Karsten / Reinhardt / Zitzlsperger 2001. Siehe zur Begrifflichkeit und Unterscheidung von Objekt und Ding: Hahn 2005, vor allem S. 18–21. Es wird mit dem Begriff des Objekts oder Artefakts operiert, wenn dieser einen von Menschen geschaffenen Gegenstand meint, wohingegen der Begriff des Dings jeglichen materiellen Gegenstand umschreibt. 3 Siehe hierzu unter anderen Lanzardo 1990; Beyer 2008; Belozerskaya 2005, S. 135–183; Pfaffenbichler 2013; Schuckelt / Wilde 2014.

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1  Peter Paul Rubens, Jan Brueghel d. Ä., Der Tastsinn, 1617/1618, Madrid, Museo del Prado

zu begehrten Prestige- und Kunstobjekten an den europäischen Fürstenhäusern werden. Als Objekt künstlerischer Raffinesse nimmt sie daher beispielsweise ihren Platz in dem dem Tastsinn gewidmeten Gemälde aus dem Fünf-Sinne-Zyklus (1618/1619) ein, das von Jan I. Brueghel und Peter Paul Rubens für das Statthalterehepaar der habsburgischen Niederlande, Erzherzog Albrecht VII. und Isabella von Spanien, geschaffen wurde (Abb. 1).4 Die im Bild vorgenommene Differenzierung zwischen einer Anhäufung von verschiedenen, wahllos aufeinandergestapelten Rüstungsteilen im Vordergrund und den geordnet ausgestellten Harnischen mit Helmen im Hintergrund verdeutlicht den unterschiedlichen Stellenwert, den man der Rüstung hinsichtlich ihrer Funktion und ihres Status als Prestigeobjekt beimaß. Nicht nur wird hier der mythisch konnotierte Herstellungsprozess in der Schmiede des Vulkans betont, sondern diese wird selbst als eine „Waffenproduktionsstätte“ gekennzeichnet, vergleichbar dem Arsenal in Venedig.5 Während dort Waffen für die Landesverteidigung angefertigt und gesammelt wurden, lag der Schwerpunkt in den höfischen Rüstkammern auf Turnier- und Jagdwaffen sowie historischen Rüstungen. Im Bild selbst wird dieser frühneuzeitliche Sammlungskontext durch eine exponierte Präsentation von Harnischen in einem rahmenden Schaugestell hinter einer Gemäldewand ver-

4 Zum Bild und zu Aspekten der Sammlung von Rüstungen siehe Welzel 2004; dies. 1998. 5 Siehe hierzu Neumann 1991–1992, Bd. 1, insbesondere S. 23f.; Klatte 2017, insbesondere S. 89 zum Arsenal. Ansonsten setzt sich der Beitrag mit der Bestimmung einer Rüstkammer anhand der Dresdner und Berliner Sammlung auseinander und beinhaltet eine Liste mit Rüstkammern im Deutschen Reich wie auch weiteren europäischen Beispielen.

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2  Grabmal Engelbrechts II. von Nassau und seiner Frau Cimburga von Nassau, 1529–1538, Breda, Liebfrauenkirche

deutlicht. Mittels dieser räumlichen Separierung werden die Rüstungen nicht nur als den Bildern gleichwertig dargestellt, sondern wird darüber hinaus ihr eigenständiger Wert als Sammlungsobjekte hervorgehoben. Gesammelt wurden sie wegen ihres materiellen, technischen wie historischen Wertes.6 Insbesondere letzterer dürfte, ergänzt durch den Aspekt der Evozierung von Erinnerung, auch für die Einbindung von Rüstungen im sepulkralen Umfeld ausschlaggebend gewesen sein. Einen Einstieg in die Problematik der Semantisierung von Rüstungen in einem sepulkralen Umfeld bietet zunächst das Grabmal für Engelbrecht II. von Nassau (1451–1504), dem habsburgischen Statthalter von Flandern und der Grafschaft Holland, und seiner Frau Cimburga von Baden (1450–1501) in der Liebfrauenkirche in Breda (Abb. 2). Das von Hendrik III. von Nassau für seinen Onkel gestiftete Monument fand zwischen 1529 und 1538 seine Aufstellung in der Prinzenkapelle im Chorumgang der Kirche.7 Das Freigrabmal setzt sich aus zwei übereinander angeordneten schwarzen Marmor6 Ebd., S. 90. 7 Die Frage der Zuschreibung dieses Monuments, das von Hendrik III. von Nassau für seinen Onkel gestiftet wurde, ist noch ungeklärt; in der Forschung neigt man dazu, es Jean Mone zuzuschreiben. Engelbrecht war militärischer Befehlshaber und Statthalter von Flandern, Gouverneur von Lille für Maximilian I. Siehe hierzu Hensler 1923, der allerdings besagtes Grabmal nicht erwähnt, es somit nicht als ein Werk Mones ansieht; in seinem Eintrag zu Mone im Allgemeinen Künstlerlexikon

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platten zusammen, von welchen die obere an den Ecken von niederknienden Schildträgern gehalten wird. Auf der Sockelplatte, deren Ränder mit Wappen besetzt sind, liegen auf zwei ausgerollten Strohmatten die Transi-Figuren von Engelbrecht und Cimburga. Vor der schwarz-glänzenden Oberfläche des Sockels treten die Körper aus weißlichem Marmor akzentuiert hervor. Nichts lenkt von der ungeschönten Wiedergabe zweier Leichname ab. Die Leichentücher umspielen die Körper und unterstreichen durch ihre Faltenstruktur die Fragilität des menschlichen Leibes. Dies steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Vitalität der Schildträger in ihrem antikisierenden Kostüm wie auch zu den plastisch gestalteten Rüstungsteilen, die auf der oberen Platte abgelegt sind: Dem Helm am Kopfende folgt der aufgestellte Harnisch, dazu sind die Arm- und Beinschienen seitlich angeordnet und wirken wie lediglich temporär abgelegt – bereit, jederzeit wieder angezogen zu werden. Das Grabmal gewinnt seine Dynamik in einer bewusst vorgenommenen Kontrastierung von einer veristischen Darstellung des verwesenden Leichnams und der Darstellung einer fragmentierten Rüstung, die in diesem Fall allerdings kein mimetisches Körperbild nachzuformen vermag. Damit entzieht sich das Monument zugleich einer reflexartigen Zuschreibung an jenen von Erwin Panofsky als Doppeldeckergrabmal bezeichneten Grabmaltypus, der sich durch eine zweifache Darstellung des Toten auszeichnet: Während auf einer unteren Platte der Leichnam bzw. Transi liegt, wird die obere Platte von einem Priant oder Gisant des Verstorbenen eingenommen.8 Durch Ernst Kantorowiczs paradigmatisches Buch The King’s Two Bodies erfuhr diese Darstellungsweise eine – wenn auch nicht so kategorische, wie es die heutige Kunstgeschichte zu sehen vermag, – Verquickung mit der staatspolitisch aufgeladenen Zwei-Körper-Lehre und ihrer Differenzierung eines body natural und eines body politic.9 In letzterem Körperbegriff erkennt Kantorowicz mit Blick auf Grabmäler weniger ein juristisch formatiertes Verständnis von Dignität als ein Schwanken zwischen „der echten Sterblichkeit“ und einer „fiktiven Untersterblichkeit“. Ein von Menschenhand geschaffenes Abbild wird dazu dem von Gott gemachten, sterblichen Körper gegenübergestellt.10 Das Breda-Monument ist dagegen vielmehr typologisch der Gruppe der Tischgrabmale zuzuordnen. Die Rüstung erhält in diesem Kontext den Status eines Weiheobjektes.11 Diese Art der Darbringung ist dem hochmittelalterlichen Ritus des ‚Heergewätes‘, dem Waffenvermächtnis von Rittern an Kirchen, verpflichtet.12 Die Rüstung wird dabei als Legat zu einem individuellen Gut deklariert, das dem ökonomischen Kreislauf entzo-

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erwähnt er jedoch eine Zuschreibung an die Werkstatt Mones, vgl. ders. 1961, S. 60; Rijpert 1991; Kavaler 1995, S. 17; Wezel 2003; Stumpel 2005. Panofsky 1992, S. 64f. Kantorowicz 1994, S. 415–432. Panofsky selbst verweist in Form einer Fußnote auf das Buch von Kantorowicz und führt es als Referenz „for the whole Problem of the ‚double-decker tomb‘“ an (Panofsky 1992, S. 65). Zur kritischen Auseinandersetzung siehe Blunk 2011, insbesondere S. 46–62. Kantorowicz 1994, S. 430f. Weckwerth 1957, S. 289. Siehe hierzu maßgeblich Brückner 1964/1965, insbesondere S. 167f.

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gen wird. Der damit einhergehende Funktionswandel lässt sie zu einem Artefakt werden, dessen einzige Aufgabe darin besteht, als Bild ihrer selbst betrachtet zu werden. Gerade der Akt der Betrachtung lässt solche autonom gewordenen Objekte zu Vermittlungsinstanzen zwischen der Kultur, die sie repräsentieren, und den jeweiligen, ihr zeitlich entfernten Betrachtern werden.13 Die Wiedergabe der zerlegten Rüstung am Breda-Monument erscheint dementsprechend wie eine Anatomie des Rittertums. Einzeln wie in ihrer Gesamtheit verkörpern die Fragmente einen spezifischen ritterlichen Tugend- und Wertekanon. Die strukturellen Züge einer Ritterkultur vervollständigen sich am Grabmal zudem durch die Historisierung der Schildträger mittels ihrer Rüstungen im all’antica-Stil und ihrer dazu passenden Benennung als antike Helden: Cäsar, Regulus, Philipp II. von Makedonien und Hannibal. Dieser fiktiven ‚Ahnenreihe‘, die in der Tradition der seit dem 14. Jahrhundert verbreiteten uomini famosi-Zyklen einen individuellen Wertekanon vermittelt, kommt in statischer wie übertragener Hinsicht die Aufgabe zu, als Stütze für eine Positionierung des Verstorbenen in einem sozial und historisch konstituierten System zu fungieren. In einem großen Bogen erfolgt damit die Selbstverortung in einer Ritterkultur, deren Anfänge mittels etablierter Vorbilder in der Antike gesucht werden. Die Schildträger sind daher nicht als Teilnehmer eines abgebildeten Trauerzuges, wie bei dem vergleichbaren, von Maximilian Colt geschaffenen Grabmal für den 1609 verstorbenen Sir Francis Vere in Westminster Abbey in London zu betrachten (Abb. 3).14 Die dort in zeitgenössischer Tracht dargestellten Schildträger sind in der Tradition der Darstellung von Pleureurs zu verorten, wie sie insbesondere mit dem von Claus Sluter geschaffenen Grabmal für Philipp den Kühnen in der Charteuse de Champmol in Dijon in die neuzeitliche Grabmalkunst Eingang fanden. In Anlehnung an das von Augustin Vincent (gest. 1626) verfasste Zeremonienbuch, in dem das Mitführen der ritterlichen Insignien im Trauerzug ebenso wie das Niederknien der Sargträger neben dem Leichnam im Kirchenraum beschrieben wird, erscheinen die Figuren am Grabmal als in Stein gebannter Reflex der Performativität eines Trauerzuges.15 Auch der wiederum auf der oberen Platte fragmentiert wiedergegebenen Rüstung kommt dadurch eine andere Bedeutung zu. Anders als am Breda-Monument erfüllt sie nicht die Funktion eines Legates, sondern die einer ständischen Repräsentation. Kristin Marek verwies in ihrer Darlegung über die Funktion der Effigie im königlichen Trauerzeremoniell bereits auf das weitgefasste Verständnis von Repräsentation, das nicht nur eine körperliche Stellvertretung einschloss, sondern auch eine Stellvertretung durch Standessymbole. Zu diesen können insbesondere Schwert, Harnisch und Helm gezählt

13 Pomian 2001, S. 22, S. 43. 14 Vere nahm, im Dienste Elisabeths I. stehend, an der Erstürmung von Breda unter Philip von Nassau in den Jahren 1589 und 1590 teil. Er könnte hier das Monument selber gesehen haben. Vgl. White 1992, S. 40. Siehe auch Pope-Hennessy 1972, S. 349, Abb. 225, der das Grabmal Colt zuschreibt. 15 Siehe hierzu White 1992, S. 40. Das Manuskript befindet sich heute im College of Arms, London, Ms. 151. In diesem wird für einen standesgemäßen Trauerzug die Mitführung der ritterlichen Insignien erwähnt, etwa das Niederknien der Sargträger neben dem Leichnam im Kirchenraum.

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3  Maximilian Colt (zugeschr.), Grabmal Sir Francis Veres, um 1609 (?), London, Westminster Abbey

werden. Obgleich in den zeitgenössischen Quellen diese Art der Inszenierung ständischer Insignien bisweilen unter den Begriff der Repräsentation gefasst wurde, wird damit auf den kollektiv vereinbarten, durch die Objekte erzeugten symbolischen Verweis auf die gesellschaftliche Stellung des Verstorbenen abgehoben und nicht auf die körperliche Stellvertretung, die durch eine Effigie oder andere Art des Abbildes erzeugt wird.16 Durch Schrift- und Bildquellen ist das Mitführen von Rüstungsteilen wie Helm, Harnisch und Handschuhen im Trauerzeremoniell und die vermutlich daraus hervorgehende Tradition, diese in unmittelbarer Nähe der Grablege im Kirchenraum aufzuhängen, nachweisbar.17 Das bekannteste Beispiel hierfür dürfte die durch zwei Zeichnungen überlie-

16 Ginzburg 1999, S. 97f. Marek 2005, S. 50; dies. 2009, S. 249f. Marek führt in Anlehnung an Martin Schulz (2009) hierfür auch den Begriff der Re-Präsenz ein, die jene Form der Substitution durch ein körperliches Abbild meint. 17 Siehe von Rohr 1729, S. 313–317. Das Traité des pompes funebres von Jean Lemaire de Belges (1473–1524) legt ebenfalls die antiken Bezüge des Brauches dar, vgl. Lemaire de Belge (1891) zit. nach Kavaler 1995, S. 32f. Zu weiteren Quellen siehe auch Brückner 1964/1965. Zum Brauch des Aufhängens von Rüstungsteilen siehe unter anderen Hainhofer [1617] 1834, S. 19f., der dies in Bezug auf die Harnische der Greifen-Herzöge in Stettin beschreibt.

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ferte Präsentation von Hemd, Helm, Schwert, Dolch und Handschuhen des sogenannten Schwarzen Prinzen, Edward Plantagenet (1330–1376), in der Kathedrale von Canterbury sein.18 Sie wurden in unmittelbarer Nähe zur Tumba mit dem aufliegenden bronzenen Gisant aufgehängt, flankiert von Wappenschilden, die an den angrenzenden Säulen angebracht wurden. Neben einer derartig raumgreifenden, den Ort der Tumba deutlich sichtbar machenden Markierung fanden die auf Wappenschilden montierten Rüstungsteile auch als eigenständige Erinnerungszeichen weitreichend Verbreitung. In dieser Form wurden sie bis in das beginnende 18. Jahrhundert hinein zu einem festen Bestandteil eines adligen Grabmals und brachten nobilitas und Ritterethos zum Ausdruck.19 Beide angeführten Beispiele für die Nachbildung von Rüstungen in Breda und London stellen allerdings keinesfalls nur skulpturale Neuinterpretationen von praktizierten Bräuchen des Legats und dem funeralem Gebrauch von Rüstungen dar. Vielmehr legen sie Zeugnis von der bereits von Julius von Schlosser mit Blick auf Votivfiguren, Fahnen und Schwerter geprägte Aussage einer Musealisierung des Kirchenraumes ab.20 Wie lässt sich jedoch das Phänomen der von Mannequins getragenen Rüstungen, die in unmittelbarer Nähe des Grabmals aufgestellt wurden, in der bisher aufgezeigten Spanne des Gebrauchs der Rüstung im sepulkralen Umfeld zwischen Legat und Standesrepräsentation verorten? Interessanterweise vergleicht Marek in ihrer bereits erwähnten Untersuchung zum rechtlichen und bildhaften Status der Effigie diese mit Mannequins, als welche sie jene Reiter bezeichnet, die mit der Rüstung des Verstorbenen angetan im Funeralzeremoniell lediglich die Garderobe, sprich die Rüstung von diesem vorführe. „Im Unterschied zu diesen fremden Körpern, mit anderen, unähnlichen Gesichtern, sah die Effigies dem König ähnlich, führte seine körperliche Existenz fort und nicht allein die Zeichen seines Standes vor.“21 Die Reiter würden in diesem Kontext vielmehr die Existenz des Toten bildlich stellvertretend vorführen.22 Auch wenn Marek in diesem Kontext Mannequins als Schauspieler und Doubles auffasst, eröffnet sich damit ein gedanklicher Anschluss, den Einsatz der verdinglichten Erscheinung des Mannequins, die Gliederpuppen, jenseits der Funeralien zu betrachten.23 Solche fanden ihre Aufstellung auch innerhalb des Kirchenraumes in unmittelbarer Nähe zum Grabmal des Verstorbenen, bekleidet mit dessen Rüstung, was zu einer Verdoppelung der sepulkralen Präsenz des Toten führte. So wurde beispielsweise

18 Collinson / Ramsay / Sparks 1995. 19 Zajic 2004, S. 180–182. Ebenso Durian-Ress 1974, die in der Verwendung von Waffen und Rüstungen im barocken castrum doloris einen Reflex dieser Tradition sieht. 20 Schlosser 1908, S. 16. 21 Sie bezieht sich auf die Funeralzeremonien für den ungarischen König Robert von Anjou im Jahr 1342, für Günter von Schwarzburg 1349 und Casimir Jagiełło 1492. In allen drei Fällen nahmen Gefolgsleute, angetan mit der Rüstung des Verstorbenen, an dem Trauerzug teil, um diesen zu vergegenwärtigen. Vgl. Marek 2009, S. 249. 22 Ebd. 23 Zur begrifflichen Auseinandersetzung mit und Gleichsetzung von Gliederpuppe und Mannequin siehe Wipfler 2014; Rath 2016.

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4  Grabmal für Karel von Egmond (1467–1538), um 1540 (?), Arnhem, Eusebiuskirche

die um 1540 errichtete Tumba für Karel von Egmond (1467/1492?–1538) in der Eusebiuskirche in Arnhem/Arnheim im ehemaligen Herzogtum Geldern um ein an einem nahen Chorpfeiler hängendes Gehäuse mit einem Mannequin ergänzt (Abb. 4).24 Während der Verstorbene auf der Tumba als Gisant mit zum Gebet gefalteten Händen wiedergegeben ist, vollgerüstet und mit am Kopfende abgelegtem Helm, verharrt das Mannequin barhäuptig mit polychromiertem Kopf und Händen, den Helm zur Seite gelegt, in der Haltung des ewigen Gebets in der Rüstung des Verstorbenen, die vermutlich um 1518 von Johan Harnischmaicker (Jan Harnasmaker) angefertigt wurde.25 Der polychromierte Kopf 24 Vos / Leeman 1986, S. 162f. 25 Ebd., S. 163.

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des Mannequins wie die Rüstung kreieren ein äußerst veristisches Bild des Verstorbenen, das ihn als Individuum auftreten lässt, wobei zunächst unklar bleibt, ob die Rüstung der Erzeugung einer Porträtähnlichkeit dient oder der farblich gefasste Kopf die Rüstung als die historische, einst von Egmond getragene, ausweisen soll. Somit haftet der Figur in ihrer medialen Verfasstheit ein ambivalentes Verhältnis von Anspruch auf Ähnlichkeit und Authentizität an. Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, inwieweit gerade dieses Verhältnis den Mannequins eine Funktion verleiht, in einer Gebetshaltung eine Teilnahme am Sakrament zu substituieren.26 Die Figur wird – obgleich durch das Gehäuse separiert – für alle nachfolgenden Zeiten in die Gruppe der an der Liturgie teilnehmenden realen Personen eingebunden, in einem Moment des Stillhaltens, der sowohl die Lebenden wie die Repräsentation während der Adoration miteinander verbindet. Damit wird der tiefere Sinn der Repräsentation der Figur sichtbar: Sie versinnbildlicht als statisches Bild eine Handlung, die sich nur im Inneren vollzieht. Dieser Moment der Bewegungslosigkeit schafft den Rahmen für die Wahrnehmung des Mannequins als handelndes, körperlich agierendes Substitut einer Person. Die Rüstung selbst übernimmt dadurch die Rolle des potentiell leiblichen Körpers, indem sie das Mannequin als eigentliches Körperbild bis auf das Gesicht umhüllt. Die Akzente zwischen Bild, Körper und deren Verhüllung verschieben sich dementsprechend und die mittels des Porträts erzeugte Ähnlichkeit dient lediglich einer Bewahrheitung der Rüstung als ‚Bekleidung‘ einer konkreten historischen Person. Diese wird allerdings nicht unbedingt aufgrund des Porträts identifizierbar, sondern aufgrund der Rüstung, die von den Zeitgenossen als das einstige Eigentum des Verstorbenen erkannt wurde. Darin drückt sich die Potenz der Rüstung aus, nicht nur eine personelle Identität und somit einen sozialen Körper zu kreieren, sondern auch eine mediale Stellvertretung des Verstorbenen zu schaffen – eine Übertragung der Subjekthaftigkeit auf ein formbares und aufstellbares Objekt. Diese Art der Inszenierung ist nur bedingt mit dem Brauch der Zeremonialrüstungen in den Funeralien in Verbindung zu bringen. Durch einen lediglich simulierten leiblichen Bezug wird die metallene Hülle zum Agieren befähigt, sie spielt eine ‚Rolle‘ und wird dergestalt als ‚sprechendes‘ Requisit zu einem Stellvertreter.27 Die Rüstung steht dabei nicht per se für die Idee des Rittertums und ist damit das Exemplum eines Wertekanons. Vielmehr ermöglicht sie das Erkennen eines Individuums, wie es beispielsweise in Shakespeares Hamlet paradigmatisch vorgeführt wird. Mit der Identifizierung der Rüstung als die des alten Königs durch Horatio im ersten Akt wird aus dem namenlosen Ding, das das Schloss heimsucht, ein konkreter Geist.28 So stellt sie

26 Die Idee wurde durch einen Aufsatz von Leo Bruhns eingeführt, vgl. Bruhns 1940. 27 ‚Eine Rolle spielen‘ wird hier in Anlehnung an Ernst Kantorowicz’ Ausführungen zur Effigies übernommen. Vgl. Kantorowicz 1994, S. 423. 28 In der ersten Szene des ersten Aktes fragt Horatio zunächst die beiden Wachleute: „Nun ist das Ding heute wiederum erschienen?“ Nachdem der Geist die Bühne betritt und wieder verschwindet, reagieren Horatio und einer der Wachleute auf die Erscheinung: „MARCELLUS: Gleicht’s nicht unserm König? HORATIO: Wie du dir selbst. / So war genau die Rüstung, die er trug, / Als er sich

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zwar eine „Art technische Prothese“ für den gespenstigen Leib dar, wie Jacques Derrida in seinen Überlegungen zur historischen Bestimmung des Gespenstischen darlegt, jedoch „maskiert“ sie eben nicht nur die Identität, sondern hebt sie gleichzeitig hervor, gibt ihr eine Gestalt.29 Die autonome Hülle verleiht dem Unsichtbaren eine Möglichkeit, zu sprechen und angesprochen zu werden. Eben diese Form der Subjektivierung wird in der zeitlich parallel erfolgenden Praxis der Einbindung von Rüstungen in den Grabmalkontext und in der sich etablierenden Sammlungstätigkeit deutlich. Dieser Aspekt tritt insbesondere im Kontext des Grabmals für Ferdinand II. von Tirol (1529–1595) hervor, der schriftlich die Aufstellung seiner Rüstung neben seinem Grabmal in Innsbruck verfügte.30 Ferdinand II. ließ sich durch den flämischen Bildhauer Alexander Colin (1527/29–1612) in der Silbernen Kapelle der Innsbrucker Hofkirche ein Grabmal errichten, das als Antithese des nur wenige Meter entfernten Monuments seines Bruders Maximilian gesehen werden kann. In einer von einem Rundbogen überfangenen Nische ruht der Gisant ebenerdig auf einem als Grabplatte fungierenden Marmorboden. Die Wände sind mit vier Reliefs gegliedert, die Szenen aus dem Leben des Verstorbenen darstellen, und im Weiteren mit schwarzem Marmor verkleidet.31 Der vom Hofplattner Jakob Topf gefertigte Feldkürass Ferdinands fand seine Aufstellung auf einem schmalen Podest an einem angrenzenden Pilaster in der Geste der ewigen Anbetung, auf den Silberaltar der Kapelle hin ausgerichtet (Abb. 5).32 Obgleich die Figur vollgerüstet und somit nur ein kleiner Ausschnitt der Kopfpartie sichtbar ist, bestimmte Ferdinand die Ausführung eines geschnitzten und farblich gefassten Kopfes, ohne dabei eine Porträtähnlichkeit einzufordern: „darain ain geschnitzter hülzerner Kopf, mit einem Angesicht gemacht werde.“33 Angesichts der stetig mit dem Totenkult verbundenen Frage nach Präsenz und Repräsentation scheint dabei der Rüstung in stärkerem Maße eine präsenzerzeugende Wirkung zugeschrieben worden zu sein als dem als Repräsentation wahrgenommenen Porträt. Denn der Harnisch und nicht das Grabbild ist sowohl bei Egmond wie auch bei Ferdinand in die liturgischen Handlungen auch über den Tod hinaus ein-

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mit Ehrgeizling Norweg schlug. / So grimmte er einst, als er im bösen Streit / Die Polen einst aufs Eis warf samt dem Schlitten. / ’s ist seltsam.“ Shakespeare 2008, S. 15. Derrida 1995, S. 24. Krapf 1973. Egg 1974, S. 91f. Dargestellt werden: am Kopfende die Schlacht von Mühlberg, Herzog Friedrich von Sachsen kniet vor dem Kaiser, daran anschließend an der Langseite die Verleihung der Statthalterschaft in Böhmen an den Erzherzog (1548) und die Erstürmung einer Stadt (Korothna?) im Türkenfeldzug 1556, in der die türkischen Kommandeure vor dem Erzherzog knien. Am Fußende schließlich eine Schlachtenszene aus dem Türkenkrieg von 1566. Inschriften in goldenen Lettern erläutern die Szenen. Ebd., S. 93 sowie Abb. 148. Ferdinand soll selber verfügt haben: „[...] Unnd das allsadann [...] unnser Laibharnisch, so in unserer Camer ist, samit dem Helbmelin, darain ain geschnitzter hülzerner Kopf, mit ainem Angesicht gemacht werde, und dann unnden auf die Fueß, bis unnder die Rüstung, mit aufgefülten schwarz Sameten Hosen, zusammen gebunden gemacht, und ab solchem Leibharnisch, ain schwerdt gehengt, auch ain Fanen, von der Maur in die Cappeln hangend, aufgesteckht werden [...].“ Primisser 1816, S. 68, zitiert nach Krapf 1973, S. 201f.

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5  Alexander Colin, Grablege für Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, 1588–1596, Innsbruck, Hofkirche, Silberne Kapelle

gebunden und damit im kollektiven Gedächtnis eingeschrieben. Die Vergegenwärtigung erfolgt somit nicht über ein Bild, das dem Verstorbenen einen Körper zurückgibt. Vielmehr agiert sie als eine dem Körper entzogene Hülle, wodurch ihr eine gewisse Autonomie zuteil wird, da sie nicht auf diesen ‚Träger‘ angewiesen ist. Nicht die Referenz auf den Körper, welche das Objekt in seiner Form in sich birgt, sondern das Momentum des Handelns stellt das entscheidende Kriterium dar. Die Rüstung wird damit zu einer Vermittlungsinstanz zwischen dem Lebenden und dem Toten. Bereits zu Lebzeiten des Verstorbenen erzeugte sie eine Art Projektionsfläche für Ruhm und Erinnerung an militärische Erfolge, die auch bei Prunkrüstungen mitzudenken ist.34 So überformt sie ihn mit einer Hülle, die jenseits des strikt materiellen Wertes als eine zur Schau gestellte Materialisie-

34 Diane Bodart spricht in diesem Kontext sogar davon, dass sich der Träger der Rüstung in eine heroische Statue verwandelt, vgl. Bodart 2014, S. 309. Vgl. hierzu auch Quondam 2003, S. 71–114; Posselt-Kuhli 2016. Die Autorin schreibt der Rüstung eine heroische ‚agency‘ wie auch heroische Objekthaftigkeit zu.

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rung von sozialem Rollenbild und historischer Überlieferung zur eigenen Person aufzufassen ist. Die Rüstung stellt dergestalt ein Gegenbild zu der von Kantorowicz apostrophierten Idee eines von Menschenhand geschaffenen idealen unsterblichen Körpers dar. Aufgrund dieser wechselseitigen Bedingtheit zwischen Geschichte und Individuum, eingebettet in einen breiteren kulturellen und sozialen Kontext, eignet sich die Rüstung als Mittel zur Rollendarstellung und verankert die Repräsentation des Trägers im Leben. Im Gegensatz zu der im körpermimetischen Potential verhafteten Vorstellung, die Geschichte der Rüstung als Geschichte der Effigies zu lesen, im Sinne einer Stellvertretung und eines Korrelats des Leibes,35 ließe sich daher argumentieren, dass es die Objektbiografie ist, die Rüstung und Träger miteinander verbindet und die Einbettung in ein sepulkrales Umfeld befördert.36 Insbesondere letzterer Aspekt zeigt die Rückbindung von symbolischen Werten an ein Objekt auf. Der Rückgriff auf ein Mannequin als Träger der Rüstung kann in diesem Zusammenhang als eine Technik des Ausstellens betrachtet werden, wodurch sich ein Konnex zu den sich im höfischen Umfeld des 16. Jahrhunderts etablierenden Rüstkammern herstellen lässt. Das bekannteste Beispiel dürfte die von Ferdinand II. selbst initiierte Sammlungstätigkeit zum Aufbau einer Heldenrüstkammer auf Schloß Ambras (Innsbruck) sein. Ebenso begannen die albertinische und die ernestinische Linie der Wettiner mit der Einrichtung von Rüstkammern in ihren jeweiligen Stammschlössern, die von Harnischmeistern beaufsichtigt wurden.37 Über die Rüstkammer in Stuttgart berichtet Philipp Hainhofer in seinem Reisebericht.38 Wie unterschiedlich dabei die Intentionen waren, offenbart der Vergleich von Ambras mit der von Philip II. zusammengestellten Real Armería in Madrid.39 Ferdinand II. schuf dabei in der Kombination von Rüstungen bedeutender Persönlichkeiten mit deren Porträts in der Sammlung ebenso wie in dem von ihm verfassten Armamentarium heroicum (1601/1603) eine erste Form der Porträtgalerie, in der Geschichte an konkrete Objekte zurückgebunden wird. Die Madrider Sammlung zeichnete sich demgegenüber durch einen memorialen Charakter aus, da es sich größtenteils um Rüstungen handelte, die vom vormaligen König Karl V. getragen worden waren. Für Philip II. stand daher die Schaffung eines Kontextes, in dem die Rüstungen zu unveräußerlichen Objekten des Herrscherhauses werden konnten, im Vordergrund.40 Neben Ambras sind auch in der Stuttgarter Rüstkammer und im Tower von London, wo die zuvor in Greenwich beherbergten Rüstungen ihre Zusammenführung zur soge35 Beyer 2008, S. 58. 36 Zum Konzept der Objektbiografie, an der immer auch die Biografie ihrer Verwender abzulesen sei, siehe Hahn 2005, S. 40–45. Zu diesem Konzept der Bestimmung einer materiellen Kultur auch: Boschung / Kreuz / Kienlin 2015. 37 Warnke 2005, S. 50. Ich danke Wolfgang Brückle für den Hinweis auf diesen Artikel. 38 Hainhofer [1617] 1834, S. 280. 39 Sandbichler 2012; Belozerskaya 2005, S. 155f. 40 Schrenck von Notzing 1601/1603. Die Kupferstiche wurden von Domenicus Custos nach Vorzeichnungen von Giovanni Battista Fontana angefertigt. Siehe hierzu Seipel 2002, Kat. 33. Zu Madrid siehe Belozerskaya 2005, S. 162.

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6  Figurine des Kurfürsten Moritz im Harnisch und Moritzmonument, 1539, Freiberg, Dom

nannten Line of Kings während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfuhren, eine Präsentation der Rüstungen von polychrom gefassten Mannequins nachweisbar.41 Marte Kretzschmar sieht in ihrer Dissertation über das Phänomen von Wachspuppen den Bildstatus dieser geharnischten Gliederpuppe „zwischen Abbild, Funktion als Figurine für die wertvolle Rüstung und Kuriosität“ oszillieren und ruft damit sehr unterschiedliche Kategorien auf.42 Die der Kuriosität mag im Zusammenhang mit dem angefügten Beispiel der geharnischten Figur des Hofriesen Bon aus der Sammlung Schloss Ambras greifen, bezieht sich aber weniger auf die getragene Rüstung als vielmehr auf das Interesse an den

41 Zu Stuttgart siehe Hainhofer [1617] 1834, S. 280 „[...] die Rüst Kammer, welliche ob der Stallung, inn dern vnns der Zeugwarth aufgewartet, darjnnen zuesehen auf beeden Seitten durchab eine guete Antzahl Rüstungen, auf der Fürsten Leiber gerichtet, vnnd inn der Mitte, stehn etliche Pferdt mit Rüstungen, vnd geharnischten Männern darob, [...] Item, zwo Rüstungen, darinn ein Graf von Hochenloe von einem Fürsten von Anhalt ist zue todt gerent worden, zwo andere Rüstungen, darinnen Graf Craft vonn Hochenlohe, vnnd ein Schauelitzky so starckh auf einander gerennt, das beede Pferdt gleich todt gepliben.“ Auf die Aufstellung hölzerner Porträtfiguren in Harnischen in Rüstkammern wie jenen von Ambras, Stuttgart und London verweist bereits Marthe Kretzschmar im Rahmen ihrer Dissertation über Herrscherbilder aus Wachs, vgl. Kretzschmar 2014, S. 76–78. Zu London siehe Borg 1976, S. 317–319. 42 Kretzschmar 2014, S. 77.

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Erscheinungen der Natur und insbesondere deren Abweichungen.43 Wie der Leib zu Lebzeiten hinter der Rüstung verschwindet, seine Identität nicht preisgibt, sondern lediglich als verborgener Träger fungiert, der von außen durch heraldische Zeichen erkennbar wird, stellt auch das Mannequin ein Phantom dar, das an sich lediglich eine Erinnerung an den einst die gleiche Hülle füllenden Körper wachruft. Eindringlich wird dies beispielsweise im Falle Moritz von Sachsens (1521–1553) deutlich, dessen Rüstung im Freiberger Dom in unmittelbarer Nähe seines Freigrabmales aufgehängt wurde (1563), auf dem er kniend vor einem Kreuz mit dem Kurfürstenschwert in Form einer lebensgroßen Figur wiedergegeben ist (Abb. 6).44 Hier dient die Figurine mit der Rüstung, die Moritz in der für ihn tödlich ausgehenden Schlacht trug, nicht der Erzeugung eines Ritterideals oder eines präsenzerzeugenden körperlichen Substitutes seiner Person, sondern der Visualisierung seines Todes mittels des sichtbaren Schussloches in seinem Harnisch.45 Diese Situation, in der sich das ‚Biografische‘ medial verbreitet, verdankt sich der Dinghaftigkeit der Rüstungen, die im Sinne der Erinnerungsspeicher mit ihren verschiedensten Bedeutungskonnotationen die Evidenz ihres einstigen Trägers als historische Personen zu leisten vermochten.46 Dergestalt trägt sie zur Verlebendigung von Geschichte bei.

43 Die Figur mit der Rüstung stammt aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vgl. Wipfler 2014; Kretzschmar 2014; Seipel 2008, S. 40. 44 Zuletzt zum Grabmal: Meys 2009, S. 109–111, 423–429, der auch die unterschiedlichen Interpretationsansätze sowie die ältere Literatur vorstellt. 45 Siehe hierzu Schulze 2005; Bäumel 1993; Haenel 1923/1925. 46 Siehe Pomian 2001, Laube 2011, S. 5, S. 204f., hier vor allem in Bezug auf die Ausdifferenzierung einer neuzeitlichen profanen Dingkultur gegenüber einer vorreformatorisch sakral aufgeladenen Reliquienkultur.

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Raphael Beuing

Zwischen informativer Präsenz und visuellem Effekt Der Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums

Die heutige Erscheinung und ihre Narrative Der Besucher des Bayerischen Nationalmuseums befindet sich in den Räumen des Hauptgeschosses seit jeher auf einem kulturhistorischen Rundgang. Er durchschreitet zunächst 17 Säle zur Kunst des Mittelalters, die in ihren Dimensionen stark variieren, aber stets eine Mischung von Werken der Skulptur und der Malerei zeigen, hier und dort aufgelockert von Möbeln und anderen kunsthandwerklichen Arbeiten. Mit dem 18. Saal ändert sich das Bild, denn nach einem vorhergehenden niedrigen Raum steht der Besucher im hochgewölbten Waffensaal, der von einer stattlichen Anzahl von auf vier Podesten platzierten Harnischen bevölkert ist (Abb. 1). Erst auf den zweiten Blick gewahrt der Besucher die zahlreichen weiteren Exponate zwischen den Harnischen und in Wandvitrinen. In ihrer Massierung wirken gerade die auf dem ersten Podium aufgestellten sogenannten Riefelharnische wie eine kleine Armee, zumal sie mit variantenreichen Schrittfolgen, Gesten und Kopfwendungen wie bewegt erscheinen. Das Bayerische Nationalmuseum verfügt über eine verglichen mit den übrigen Harnischen bemerkenswert große Zahl dieser Art von Rüstungen mit den für die Jahre 1510–1530 charakteristischen vertikalen Riefeln oder Kanneluren, bereichert hier noch durch die verschiedengestaltigen, maskenartigen und verfremdenden Visierhelme. Auf den weiteren drei Podesten stehen diverse einzelne Harnische aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert, die den stilistischen und modischen Wandel und die fortschreitende Technologie der Plattner veranschaulichen und dabei aufwendigere Harnische des Adels ebenso umfassen wie einige wenige einfachere Stücke, die in der Waffenkunde meist als ‚knechtisch‘ apostrophiert werden. Die heutige Aufstellung datiert aus dem Jahr 1974, konzipiert durch den damaligen Waffenkurator und Leiter der Restaurierungswerkstätten, Rudolf H. Wackernagel. Narrative Schilderungen sind mit dieser Präsentation nicht angestrebt, bewusst wurden keine Bewegungsabläufe im Kampf oder im Turnier nachgestellt und den körperlosen Harnischen keine Waffen in die Hand gedrückt, um „belehrende Demonstrationen“1 und historische Unstimmigkeiten zu vermeiden. Diese zumindest in Teilen ästhetisierende Präsentation wird in einer „belebenden Akzentu-

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1  Der Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums im Jahr 2016

ierung“12 durch dichtgestellte Stangenwaffen, die ihrerseits auf blauen Sockelplatten auf den ausladenden schwarzen Podesten aufragen, bereichert. Sieben Vitrinen reihen sich an den Wänden auf, von denen fünf blau gestrichen sind und die gegenüber den Harnischen, Stangenwaffen und größeren Feuerwaffen kleinere und konservatorisch empfindlichere Objekte aufnehmen, nämlich 1) Helme, 2) Harnischteile sowie 3) weitere Schutz- und Schlagwaffen, 4) diverses Zubehör für Ross und Reiter und 5) kostbare Schwerter sowie als Fernwaffen eine Armbrust und ausgewählte Feuerwaffen. Die beiden letzten Wandvitrinen nehmen 24 Einzelteile der umfangreichen Harnischgarnitur des Salzburger Fürsterzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau (1559–1617, reg. 1587–1612) auf (Abb. 2). Zwar waren einzelne Teile nach 1868 zu einem Harnisch zusam-

1 Wackernagel 1975, S. 43. Der Beitrag Wackernagels bietet ohnehin eine ausführliche Kommentierung der gegenwärtigen Aufstellung. Die gleichwohl große Variationsbreite in der Montage der Harnische ist einem flexibel anzupassenden Stahlgestell zu verdanken, das eine Weiterentwicklung eines starren Systems des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg ist. – Umfassend zur Waffensammlung des Hauses und ihrer Aufstellung siehe Seelig 2006. Im Jahr 2015 wurde der Waffensaal verschiedenen kleineren ‚kosmetischen‘ Korrekturen unterzogen und mit neuen Ausstellungstexten versehen; Eikelmann 2016, S. 90f. (Raphael Beuing). 2 Wackernagel 1975, S. 43.

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2  Kastell-Meister, Harnischgarnitur des Salzburger Fürsterzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau. Detail: Wappen, um 1587–1590, München, Bayerisches Nationalmuseum

mengesetzt auf einer Pferdepuppe präsentiert, aber da sich einige Elemente der Garnitur in anderen musealen Sammlungen befinden und daher in München für eine historisch korrekte Kombination als Turnierharnisch fehlen, ging man 1974 neue Wege. Nunmehr erinnert die Präsentation der weitgehend nebeneinander gereihten und nur in geringem Maße zusammengesetzten Harnischteile eher an eine Garderobe, aus der der Turnierkämpfer das für den jeweiligen Zweck geeignete auswählen kann. Die Hintergrundfarbe dieser zwei Vitrinen ist hier nicht das übliche Blau, sondern „ein helles, spätmanieristischem Geschmack entsprechendes Gelb“ als Fond für die Rüstungsstücke, um „eine juwelierhafte Präsentation der prunkenden schwarzgoldenen Garnitur-Teile“3 zu vermeiden. Die Stücke lassen sich für die drei am weitesten im 16. Jahrhundert verbreiteten Turnierarten kombinieren, das Plankengestech, das Freiturnier und das Fußturnier. Turniere sind am fürstbischöflichen Hof in Salzburg allerdings ebenso wenig bezeugt wie sich Porträts eines geharnischten Wolf Dietrich erhalten haben, und zudem zeigt der Harnisch keine eindeutigen Kampfesspuren. Womöglich handelte es sich bei der Garnitur daher um

3 Ebd., S. 46.

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ein vorwiegend repräsentatives Ensemble: eines Landesfürsten angemessen, gleichzeitig unziemlich für einen geistlichen Herren – eine Spannung, die wohl nur einem Fürstbischof im Heiligen Römischen Reich eigen sein konnte.4 Bei diesem Stück ist dank des Wappens und der Provenienz aus Salzburg wenigstens der Erstbesitzer und Auftraggeber bekannt, was die Harnischgarnitur ansonsten nur mit wenigen anderen Stücken der Sammlung teilt, bei denen gelegentlich Wappen einen Hinweis auf die Herkunft geben mögen.5 Nur ein einziges der Objekte des Waffensaals, eine Harnischbrust des Pfalzgrafen Ottheinrich von 1532/36, ist in Quellen zur Entstehungsgeschichte greifbar.6 Mit ihren historisch wenig zu kontextualisierenden Exponaten unterscheidet sich die Waffensammlung des Bayerischen Nationalmuseums von dynastischen Sammlungen wie der Dresdner Rüstkammer oder der Hofjagd- und Rüstkammer in Wien, die zahlreiche besser dokumentierte Harnische und Harnischgarnituren sowie andere Prunkwaffen bewahren. Anders als die Rüstkammern der Wittelsbacher waren jene Sammlungen seit jeher bedeutender und hatten auch geringere spätere Einbußen zu verzeichnen.7 In Ausnahmefällen wurde im Bayerischen Nationalmuseum im 19. Jahrhundert die Herkunft aus einer bestimmten Sammlung wie jener aus Schloss Ambras bei Innsbruck oder Schloss Hohenaschau im Chiemgau festgehalten, doch tieferreichende Informationen sind damit nie verbunden. Ein Schild vom Typus einer Flügeltartsche ist zwar mit dem Namen und Wappen des Eigentümers, Kaspar Aspach, und der Jahreszahl 1480 versehen, aber da von dem Träger dieses Namens aus einer steiermärkischen Adelsfamilie nichts weiter bekannt ist, lassen sich diese an sich sehr konkreten Parameter nicht mit einem bestimmten Ereignis und einer Geschichte hinter dem Schild verknüpfen, dessen Wege nach Bayern vollkommen unbekannt sind. Ob Kaspar Aspach in diesem Jahr geheiratet hat oder der Schild ein Turnierpreis war, lässt sich auch nicht aus den wenigen anderen, ansatzweise vergleichbaren Schilden andernorts deduzieren.8 Das Gros der Objekte kann aus den Wittelsbacher Sammlungen oder aus dem Handel stammen, erscheint seltsam geschichtslos und hat offenbar auch nie als Material für literarische oder

4 Dazu umfassend zuletzt: Beuing 2016. 5 Außen vorgelassen wird in dieser Abhandlung die bedeutende Jagdsammlung des Museums, präsentiert ehedem im ersten Stock im heutigen Saal 94 und neuerlich in Auswahl seit Juli 2018 in Saal 86; dazu: Wackernagel 1975, S. 52–55; Seelig 2006, passim. Durch Wappen, Herstellerbezeichnungen und bildliche Darstellungen sowie dank zahlreicher Erwähnungen in Inventaren zeichnet sich bei den Gewehren ein viel dichteres Bild der historischen Umstände ab als bei den übrigen, hier im Vordergrund stehenden Waffen. 6 Inv.-Nr. W 646, mit zugehörigem Bart Inv.-Nr. W 4748, gefertigt von dem Plattner Hans Ringler in Nürnberg. Weitaus bedeutender als dieses Fragment sind die anderen Teile aus dieser Garnitur, die sich vor allem im Musée de l’Armée in Paris und in der Wallace Collection in London befinden; Reitzenstein 1964. 7 Unter den Rüstkammern an diversen Höfen und Residenzen der Wittelsbacher wurde allein die Geschichte jener von Neuburg an der Donau genauer beleuchtet; ders. 1940–1942. 8 Inv.-Nr. W 314. Bekannt ist lediglich, dass die Flügeltartsche 1874 als Schenkung von Nikolaus Beauharnais, Herzog von Leuchtenberg (1843–1891), aus Schloss Stein an der Traun nach München kam.

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bildliche Darstellungen gedient.9 Primär illustrieren die Werke des Bayerischen Nationalmuseums daher seit der Gründung des Hauses die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kultur- und Formgeschichte der Waffen und vermögen so mannigfach über ihren Verwendungszweck, ihre Materialität und ihren Stil zu erzählen. Ein eigenes Narrativ scheint jedoch der Prunkharnisch des Hans Christoph von Pienzenau zu bilden (Abb. 3). Dieser ist zwar im Kontext der Harnische auf den Podien zu sehen, wurde aber separat aufgestellt, da er aufgrund seiner farbig gefassten Holzfigur unter den Harnischen hervorsticht und eine viel stärkere Präsenz entwickelt. Dieses in Quellen nirgends dokumentierte Ensemble stand über Jahrhunderte in der Pfarrkirche St. Peter und Paul von Peterskirchen in der Gemeinde Dietersburg (Landkreis Rottal-Inn), bis es 1904 durch das Museum erworben wurde. Der Harnisch ist ein für einen Vertreter des niederen Adels selten prachtvolles Exemplar, beeindruckender aber noch ist die annähernd zeitgenössische Holzfigur. Diese ist an den freiliegenden Pluderhosen zwar etwas summarischer und in den verdeckten Partien gar nicht, am Kopf jedoch umso naturalistischer ausgearbeitet. Der lange Hals und der relativ kleine Kopf sind offenbar Konzessionen, um den Harnisch gut anpassen zu können, das rechte Standbein und das linke, vorgesetzte Spielbein machen aber zugleich die bildhauerischen Ambitionen der Figur deutlich. Der etwas sonderbare Gestus der angewinkelten Arme mit nach oben gewendeten Handrücken erklärt sich vermutlich durch Waffen, auf die der stumme Krieger einmal die Hände legte; erhalten hat sich in den Museumsdepots zumindest ein rein dekorativer Holzschild mit dem Pienzenauer Wappen und der Datierung 1846, der sich unter die linke Hand schieben ließe, und nach einer Beschreibung von 1891 hielt die Rechte ehedem eine (moderne) Lanze.10 Offenbar trug der Ritter auch in der Kirche den Helm auf seinem Haupt, was dem Dekorum und der gebotenen Barhäuptigkeit in der Kirche widerspricht, auch wenn der Orant mit der originalen Rüstung Erzherzog Ferdinands II. von Österreich in der Silbernen Kapelle der Innsbrucker Hofkirche eine weitere Ausnahme bildet.11 Eine betende Haltung hat der Pienzenauer nicht eingenommen, und aufgestellt war er einst in einer Nische hoch in der Nordwand der Kirche und mithin nicht zum Altar ausgerichtet. Ohnehin ist festzuhalten, dass ein steinerner oder metallener Orant auch nur die Frömmigkeit und Gottergebenheit des nunmehr Verstorbenen zeigt, dem Seelenheil   9 Eine kleine Ausnahme ist ein 1908 entstandenes Aquarell eines Stechhelmes aus der Sammlung, das der Landschaftsmaler Edward Harrison Compton (1881–1960) malte und das sich auch im Museum befindet (Inv.-Nr. 92/1); Seelig 2006, S. 427. Vergleiche die sichtlich eindrucksvollere GouacheSerie Rüstkammerphantasien von Adolf Menzel (1815–1905), gemalt 1866 nach Harnischen im Berliner Stadtschloss, oder die Aquarelle der im Unteren Belvedere in Wien einschließlich der Waffen ausgestellten Ambraser Sammlungen, die Carl Göbel (1824–1899) zwischen 1875 und 1889 malte. 10 Inv.-Nr. W 4752. BNM Dokumentation, Erwerbungsakten ER1700; Wackernagel 1975, S. 44; Seelig 2006, S. 241. 11 Siehe auch den vergoldeten und einschließlich des Helms vollständigen Harnisch Hermann Wrangels (1587–1643) in der Kirche von Skokloster, dort allerdings ohne Puppe und lediglich auf ein Holzgerüst montiert. Siehe ebenso die behelmte kniende Figur des Edward Despenser (gest. 1375) in Tewkesbury Abbey, Gloucestershire, die allerdings eine reine Bildhauerarbeit ist.

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3  Nürnberg (?), Küriss des Hans Christoph von Pienzenau, Mitte 16. Jahrhundert, München, Bayerisches Nationalmuseum

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aber nichts hinzuzufügen vermag, denn dieses wäre allein durch liturgische Memoria zu erlangen, die man gegebenenfalls durch Stiftungen zu sichern versuchte.12 Die Pfarrkirche von Peterskirchen war die Grablege der Pienzenauer, und der Verstorbene hat seine Rüstung der Kirche vermutlich im vagen Sinne einer Votivgabe hinterlassen, aber auch als unübersehbares Denkmal für seine Person. Damit kommen wir einer profaneren Intention wiederum näher, denn sonst haben sich vergleichbare Figuren mit Harnischen gelegentlich aus dem Kontext von Rüstkammern erhalten.13

Die historische Aufstellung und ihre Leitmotive Gabriel Seidl (1848–1913, seit 1900 Gabriel von Seidl) hat das Museum von innen nach außen geplant, das heißt, er richtete die Größe und den Charakter der Säle nach den sie bestimmenden Themen und Objekten aus, ohne aber die Fassadengestaltung zu vernachlässigen.14 Ob im großen Maßstab und der Platzierung seiner Bauten im Stadtbild oder in der Innenraumdisposition, war ihm stets an der Wirkung des gesamten Ensembles gelegen. Stimmung zu erzeugen ist keine spätere, womöglich triviale oder abwertende Interpretation des Baugedankens Seidls, sondern war ein zeitgenössischer Gedanke, überliefert zwar nicht durch Seidl selbst, der sich höchst selten schriftlich zu seinem Schaffen äußerte, aber durch seinen Schüler Fritz Schumacher (1869–1947).15 Seidl bemühte sich um eine „reiche Abwechslung“ der Räume, „um nicht allzurasch zu ermüden“16. Die Besucher sollten beim Entlangschreiten der „Führungslinie“17, des durch die Architektur nahegelegten Rundganges von einem Saal in den nächsten, nicht durch frontal einfallendes Licht geblendet werden. Entsprechend tritt der Gast des Museums von dem niedrigeren vorhergehenden Saal ein paar Stufen hinab in die seinerzeit so genannte Große Waffenhalle, ein großer quadratischer Saal mit einer Kantenlänge von 15,85 Metern, in der Mitte ein kräftiger Pfeiler aus Muschelkalk, der die Gurtbögen und Rippen der vier Gewölbejoche aufnimmt. Mit einer Scheitelhöhe von 8,90 Metern ist dieser Saal der höchste aller Sammlungsräume.18 Das Licht fällt comme 12 Zur Unterscheidung von liturgischer und profaner Memoria siehe Beuing 2010, S. 15–30. 13 Vgl. vereinzelte Beispiele der Habsburger in der Hofjagd- und Rüstkammer in Wien (Philipp II.), in der Rüstkammer von Schloss Ambras (die hölzerne Gliederpuppe des Hofriesen Bartlmä Bon [auch: Giovanni Bona] mitsamt Knechtharnisch) und in der Real Armeria in Madrid (Karl V., Philipp II.); Thomas / Gamber / Schedelmann 1963, Taf. 30f., 34; Auer / Gamber 1981, S. 70; Gamber 1981, S. 43. Vgl. in England die im späten 17. Jahrhundert unter Charles II. eingerichtete Line of Kings im Tower of London, mit königlichen Porträtköpfen auf (zumindest teilweise) königlichen Harnischen; Blackmore 2016, S. 12f. 14 Schickel, Bedeutung, 2000, S. 52, die die Entstehung des Neubaus umfassend erläutert und charakterisiert. 15 Dies., Architekt, 2000, S. 99. 16 Seidl / Striedinger 1902, S. 19. 17 Ebd., S. 16. 18 Ebd., S. 52.

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il faut von der Seite durch große Fenster ein, die dem eintretenden Besucher überraschend großzügige Ausblicke in den malerischen Innenhof gewähren. Im Wettbewerbsentwurf Seidls war – wie auch in den anderen konkurrierenden Projekten von Leonhard Romeis und Georg Hauberrisser – eine andere Disposition vorgesehen gewesen, denn hier war die Waffenhalle noch als eine zentral gelegene Ruhmeshalle skizziert. Den drei Architekten standen offenbar die Pläne für das Schweizerische Landesmuseum in Zürich vor Augen, die 1890 publiziert worden waren und als Agglomeration verschiedener Baukörper eine Abkehr von den höchst repräsentativen und durchweg symmetrisch angelegten Museumsneubauten in Wien (Kunsthistorisches Museum) und Prag (Nationalmuseum) darstellten, aber mit der Waffenhalle nach außen und innen ein eindeutiges Zentrum definieren. Das erste Haus des Bayerischen Nationalmuseums an der Maximilianstraße hatte zwar keine Waffenhalle, wie ohnehin die einzelnen Säle nicht sonderlich akzentuiert und – was ein gewichtiger Kritikpunkt an diesem Bau war – architektonisch nicht auf die Sammlungen abgestimmt waren, aber gleichwohl wurden hier Trophäen aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 aufgestellt, in den Folgejahren um Beispiele der zeitgenössischen Bewaffnung der bayerischen Streitkräfte vermehrt. Die Einrichtung der Schausammlung zur Bayerischen Heeresgeschichte 1879, ab 1881 unter dem Namen Bayerisches Armeemuseum bekannt, und die dort stärker militärhistorisch orientierte Sammlungspraxis machten eine Ruhmeshalle für das Haus an der Prinzregentenstraße obsolet, was zudem nachträglich durch den 1905 vollendeten Bau des Armeemuseums mit der Kuppelhalle am Münchner Hofgarten bestätigt wurde.19 Und während eine Anzahl von Schlachten als bedeutende Meilensteine des Werdens der Schweizerischen Eidgenossenschaft gelten können und in der Zürcher Ruhmeshalle die Schlacht von Marignano 1515 in Fresken Ferdinand Hodlers verewigt wurde, sind vergleichbare nationale Mythen in der bayerischen Geschichte nicht derart gepflegt worden. Der Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums sticht nicht nur in seiner Höhe zwischen den übrigen Sälen hervor. Er unterbricht, wie eingangs schon erwähnt, die Folge des kulturhistorischen Rundgangs des Hauptgeschosses als ein auf eine bestimmte Objektgruppe konzentrierter Raum, wie dies sonst den sogenannten Fachsammlungen im ersten Stock des Museums vorbehalten gewesen ist. Wiewohl Seidl allenthalben zahlreiche Architekturzitate platzierte und Details bestehender älterer Bauten aufgriff, lässt sich sodann für die Waffenhalle stärker als für die anderen Säle ein unmittelbares historisches Vorbild benennen, nämlich der sogenannte Dollingersaal in Regensburg. Im Original befand sich dieser um 1260/70 erbaute Saal im Dollingerhaus, das als Stammsitz der gleichnamigen Familie galt. Diesen hatte Seidl „im eigenschöpferischen Sinne“20 umgeformt, indem er etwa seine gedrückten und museal ungeeigneten Dimensionen beträchtlich vergrößerte. Seidl übernahm in Kopien ebenso den skulpturalen Schmuck in Gestalt von Stuckreliefs mit dem Reiterkampf des Hans Dollinger gegen den Hunnen Krako im 19 Himmelheber 1972, bes. S. 190–194, 200f.; Seelig 2000, S. 163–166. 20 Ebd., S. 162.

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Beisein von König Heinrich I. und der Figur des heiligen Königs Oswald. Explizit begründet hat Seidl die Wahl des Dollingersaals als Vorbild für die Waffenhalle nicht. Jedoch galt dem Dollingerhaus in Regensburg in jenen Jahren eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, da das mittelalterliche Gebäude 1889 abgerissen und gleichzeitig ausführlich dokumentiert und publiziert wurde, bevor der Saal an anderer Stelle wiederaufgebaut wurde. Zudem ist der Dollingersaal ein rares Beispiel der frühgotischen Profanarchitektur auf dem Gebiet des heutigen Bayerns, das im Museum zwischen diversen kirchlich anmutenden Sälen und spätmittelalterlichen Stuben besonders geeignet scheinen musste, die Waffensammlung des Museums aufzunehmen. In Kauf genommen wurde dabei auch der chronologische Rückschritt von über 200 Jahren, der sich mit dem Übergang von der vorhergehenden spätgotischen Halle zum Waffensaal auftut, und die mindestens ebenso große zeitliche Diskrepanz zwischen der architektonischen Hülle und den Exponaten.21 Die eigentliche Einrichtung des Waffensaals unterschied sich sehr von der heutigen, nahezu puristischen Aufstellung, da im Wesentlichen die gesamten Bestände und damit auch nachrangige Stücke ausgestellt waren. Die Waffenhalle, wie sie in der Festschrift von 1902 publiziert ist, zeigte dem sich auf der „Führungslinie“ bewegenden Besucher ein Bild der Fülle (Abb. 4): Zwei Holzpferde mit Harnischen stehen vor dem Mittelpfeiler, von dem zwei Balken zu den Kapitellen an der Nord- und Südwand ausgehen, auf denen wiederum Schilde und Sättel präsentiert werden. Blank- und Stangenwaffen stehen dicht gereiht in Stellagen, weitere Stangenwaffen hängen wie auch diverse Totenschilde in größerer Höhe an den Wänden unter den Schildbögen, darunter stehen Harnische, hier und dort ragen Fahnen auf. Der Saal sollte ein „lebendiges Bild alter Rüstkammern mit ihrem wechselvollen Inhalt der Schutz-, der Angriffs-, der Fern- und der Turnierwaffen“22 vermitteln. Triumphalistisches Gehabe war dieser Aufstellung fremd, und auch die seriell erscheinenden Waffen wurden nicht, wie gelegentlich in barocken Schlössern und noch im ersten Gebäude des Bayerischen Nationalmuseums an der Maximilianstraße, in dekorativen Mustern oder in symmetrischen Arrangements montiert. Der Schöpfer der gesamten Inneneinrichtung des Museums war Rudolf Seitz (1842– 1910, ab 1900 Rudolf von Seitz), ausgebildeter Maler, seit 1883 Konservator und seit 1888 Ehrenkonservator des Museums. Leitgedanke der Ausstattung war ‚das Malerische‘, ein

21 Umfassend zur Übernahme des Dollingersaales ebd., S. 160–162. Erst die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben die Dollingerlegende als eine nachträgliche Erklärung der im späten Mittelalter unverstandenen Stuckfiguren entlarvt. Das sogenannte Dollingerhaus ist ursprünglich nicht das Stammhaus einer Familie, sondern ein Bau mit öffentlichen Funktionen, womöglich die städtische Münze, gewesen. Der hl. König Oswald wurde insbesondere in der Münzerschaft und dem städtischen Adel verehrt. Der wiederkehrende Topos des Kampfes eines christlichen Ritters gegen einen Heiden und der königliche Reiter spielen vielleicht auf den Besuch König Rudolfs von Habsburg im Jahr 1281 an. Ausführlich zum vermeintlichen Programm und zur tatsächlichen Bestimmung des Dollingersaals zuletzt Hoernes 2002. 22 Führer durch das Bayerische Nationalmuseum 1900, S. 58; siehe auch Wackernagel 1975, S. 42. Diese Formulierung wird in den wiederholt neu aufgelegten Museumsführern der Jahre ab 1900 stets wiederholt.

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4  Der Waffensaal des Bayerischen Nationalmuseums im Jahr 1902

seit den 1880er Jahren in München etablierter Begriff für die Präsentation von Kunstwerken, was das architektonische Konzept Seidls in der dekorativen Wirkung der Objekte im Innern fortführte. Das Gestaltungskonzept des Museums entsprach allgemeinen zeitgenössischen Einrichtungsprinzipien, propagiert in München zuvörderst von Seidl, Seitz und Franz von Lenbach, und war nicht allein für das Museum entwickelt worden. Es sollte also nicht lediglich nur ein Bild der Vergangenheit evoziert werden, aber gleichfalls war man von einer informativen musealen Präsentation der Objekte weit entfernt. Diese dezidiert künstlerische Gestaltung geschah nicht notwendig im engen Austausch mit den anderweitig hinreichend ausgelasteten wissenschaftlichen Konservatoren am Haus und war nicht frei von Konflikten mit diesen.23 Außerhalb des Museums fand die neue Aufstellung insbesondere des Waffensaals bereits kurz nach der Neueröffnung Kritik, sowohl von allgemein kunsthistorischer als auch von explizit waffenkundlicher Seite, da das einzelne Objekt zu sehr gegenüber der Gesamtwirkung zurücktrete, teilweise schlecht zu sehen und kaum beschriftet sei; Kritikpunkte übrigens, die auf die gesamte Neueinrichtung ausgedehnt

23 Zu Seitz und ‚dem Malerischen‘ ausführlich: Sangl 2000.

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wurden. Dies führte zumindest im Bereich des Waffensaals jedoch allenfalls zu minimalen Änderungen, soweit sich Katalogen und frühen Fotografien entnehmen lässt, so dass durchgreifende unmittelbare Reaktionen auf diese Missbilligung zumindest bis ins zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und damit wenigstens bis zum Tod Gabriel von Seidls, der zusammen mit Seitz zugunsten eines Erhalts der Aufstellung intervenierte, ausblieben.24 In der Zwischenkriegszeit ist die Situation im Waffensaal kaum dokumentiert, und daher lässt sich erst wieder die Aufstellung im dritten Jahrhundertviertel greifen. Vor der Neugestaltung von 1974 war der Waffensaal etwas schütter mit Objekten bespielt, in wenig akzentuierter gleichförmiger Reihung von Harnischen vor und Schwertern und Stangenwaffen an den Wänden, während die Raummitte überwiegend frei blieb.25 Innerhalb der Säle des Bayerischen Nationalmuseums hat es im Verlauf der Jahrzehnte manche Verschiebungen von Kunstwerken gegeben, die nicht auf einen bestimmten Standort und allenfalls lose auf einen durch die Innenarchitektur stilistisch vorgegebenen Bereich festgelegt waren. Der Waffensaal hat hingegen seinem Namen stets entsprochen, während die Räume davor und danach einer größeren Flexibilität unterworfen wurden.26

Zeitgenössische Verfremdung Eine temporäre Belebung hat der Waffensaal im Jahr 2016 über vier Monate als Teil der Ausstellung Überleben. Installationen im Dialog mit dem Mittelalter des Künstlers Christoph Brech (geb. 1964) erfahren. In der Installation Himmelwärts? stiegen an Silberschnüren Dutzende Spiegelkugeln, also mit Helium gefüllte Ballone mit einer aufgedampften Aluminiumoberfläche, von den Harnischen in unterschiedliche Höhen auf (Abb. 5). Den stahlharten Rüstungen und den scharfen Schneiden und Spitzen der Stangenwaffen standen die verletzlichen Ballone gegenüber, die ihrerseits die Gefährlichkeit der Waffen spielerisch konterkarierten; dem glänzenden Stahl der schweren Harnische antworteten die

24 Zur Rezeption des Neubaus des Bayerischen Nationalmuseums und insbesondere des Waffensaals: Koch 2000, S. 217–219; Seelig 2000, S. 166f. 25 BNM Dokumentation, Saalaufnahmen Dok. 1667. 26 Vgl. den anschließenden Saal mit der heutigen Nummer 21, der – in Formen der Renaissance des frühen 16. Jahrhunderts errichtet – ursprünglich Skulptur und Malerei dieser Epoche aufnehmen sollte, dann als Kleiner Waffensaal die Bestände des städtischen Zeughauses als Leihgabe des Magistrats der Stadt München präsentierte, nach der Rückgabe der städtischen Bestände ab den frühen 1920er Jahren für die Werke des Bildhauers Hans Leinberger genutzt wurde und erst seit 1993 mit Werken der deutschen Frührenaissance seiner ursprünglichen Bestimmung entspricht. Vgl. ebenso den sich hinter dem Waffensaal nach Norden anschließenden Saal 19, errichtet 1905/06 zur Erweiterung oder Übernahme der Waffensammlung, jedoch zunächst zur Präsentation von Skulpturen und Gemälden der Spätgotik genutzt. Erst im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde er, seiner ursprünglichen Bestimmung entsprechend, analog zum Waffensaal lose mit Waffen bestückt. Seit 1973 wird Saal 19 von der monumentalen Bronzegruppe von Mars und Venus dominiert, die seither für diesen Saal namensgebend ist; Seelig 2000, S. 166f. Während dieser Saal nunmehr überwiegend für Veranstaltungen dient, haben die Waffen seit jeher in Saal 18 ihren Fixpunkt.

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5  Christoph Brech, Himmelwärts?, 2016 München, Bayerisches Nationalmuseum

schwebeleichten, vermeintlich ebenfalls metallenen und zu Beginn perfekt runden Kugeln. In diesen spiegelten sich die Rüstungen und der ganze Raum, bis nach und nach das Gas entwich und die Oberfläche der Ballone schrumpeln ließ und einzelne Ballone schließlich auf den Boden sanken.27 Vor allem aber war Himmelwärts? eine umfassende Rauminstallation, die das große Volumen zwischen den Podien und dem hohen Gewölbe einnahm und gewissermaßen nutzte, die den Blick der Besucher in einen ansonsten leeren und nunmehr verfremdeten Bereich führte und hinter der die Waffen zurücktraten. In gewisser Weise schließt Himmelwärts? an die erste Einrichtung des Waffensaals an, indem die Waffen mehr zu einer dekorativen Hintergrundfolie für eine neue Stimmung und einen veränderten Raumeindruck werden. Ansonsten geht es bei der Aufstellung der Harnische und übrigen Waffen primär um die Präsentation einzelner Objekte und Objektarten, in diesem Fall der Waffen; weniger aber wird einzelnen Werken eine gesteigerte Präsenz verliehen, da die Objektbiografien in den meisten Fällen eher schmal ausfallen. In ihrer Massierung und ihren menschlichen Proportionen und ihren individualisierten Standmotiven bieten die Harnische per se ‚Präsenzeffekte’ von großer Eindringlichkeit.

27 Bayerisches Nationalmuseum 2016, S. 87 (Julia Thoma).

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Bibliografie Auer, Alfred / Gamber, Ortwin: Kurzer Katalog der Rüstkammern Erzherzog Ferdinands, in: Die Rüstkammern, 1981, S. 60–82 Bauer, Ingolf (Hg.): Das Bayerische Nationalmuseum. Der Neubau an der Prinzregentenstraße 1892– 1900, München 2000 Bayerisches Nationalmuseum / DG Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e.V. (Hg.): Überleben – Christoph Brech. Installationen im Dialog mit dem Mittelalter, Ausst.-Kat. München, Bayerisches Nationalmuseum und DG Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e.V., München 2016 Beuing, Raphael: Reiterbilder der Frührenaissance. Monument und Memoria, Münster 2010 Ders.: Mailand – Salzburg – München. Die Harnischgarnitur des Wolf Dietrich von Raitenau, in: Laub, Peter (Hg.), Bischof. Kaiser. Jedermann. 200 Jahre Salzburg bei Österreich, Ausst.-Kat. Salzburg, Salzburg Museum, Salzburg 2016, S. 278–289 Blackmore, Howard L.: Arms and Armour in the Royal Collection, in: Norman, Alexander Vesey B. / Eaves, Ian (Hg.), Arms and Armour in the Collection of Her Majesty the Queen. European Armour, London 2016, S. 1–42 Die Rüstkammern. Kunsthistorisches Museum, Sammlungen Schloß Ambras, Wien 1981 Eikelmann, Renate (Hg.): Jahresbericht Bayerisches Nationalmuseum München 2014–2015, München 2016 Führer durch das Bayerische Nationalmuseum in München. Neue officielle Ausgabe, München 1900 Gamber, Ortwin: Führer durch die Rüstkammern Erzherzog Ferdinands, in: Die Rüstkammern 1981, S. 33–59 Himmelheber, Georg: Gabriel Seidls Bau des Bayerischen Nationalmuseums, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 23 (3. Folge), 1972, S. 187–212 Hoernes, Martin: Stuckplastiken in einem städtischen Repräsentationsraum. Zur Deutung der sogenannten „Dollingergruppe“ in Regensburg, in: ders. (Hg.), Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck. Material – Technik – Stil – Restaurierung, Regensburg 2002, S. 163–181 Koch, Michael: Das Museum als Gesamtkunstwerk. Gabriel von Seidls Neubau im Spiegel der Kritik, in: Bauer 2000, S. 209–232 Reitzenstein, Alexander von: Die Harnische der Neuburger Rüstkammer, in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde 16, 1940–42, S. 41–51 Ders.: Der Ringlersche Harnisch des Pfalzgrafen Ottheinrich, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 1964, S. 44–56 Sangl, Sigrid: „… die Wände geblümelt im Sinne der Zeit …“. Die Innendekoration des Bayerischen Nationalmuseums und die Rolle von Rudolf Seitz, in: Bauer 2000, S. 101–128 Schickel, Gabriele: Die architekturhistorische Bedeutung von Gabriel Seidls Neubau des Bayerischen Nationalmuseums, in: Bauer 2000, S. 37–72 Dies.: Der Architekt Gabriel von Seidl, in: Bauer 2000, S. 73–100 Seelig, Lorenz: Die Große und die Kleine Waffenhalle des Bayerischen Nationalmuseums, in: Bauer 2000, S. 159–172 Ders.: Waffen, in: Eikelmann, Renate / Bauer, Ingolf (Hg.), Das Bayerische Nationalmuseum 1855– 2005. 150 Jahre Sammeln, Forschen, Ausstellen, München 2006, S. 417–432 Seidl, Gabriel von / Striedinger, Ivo: Der Neubau des Bayerischen Nationalmuseums in München, München 1902 Thomas, Bruno / Gamber, Ortwin / Schedelmann, Hans: Die schönsten Waffen und Rüstungen aus europäischen und amerikanischen Sammlungen, Heidelberg / München 1963 Wackernagel, Rudolf: Zur Neuaufstellung der Waffensammlung des Bayerischen Nationalmuseums, in: Waffen- und Kostümkunde 17, 1975, S. 41–60

Joanna Nowotny

Fantastische Rüstungen und kugelsichere Armbänder Kriegsobjekte und die Performanz von Geschlecht in Superheldencomics

„Hey! That’s enough!“1 Steve Rogers alias Captain America unterbricht im Superheldenfilm The Avengers (2012) durch einen gezielten Wurf seines Schilds einen Kampf zwischen Iron Man und Thor und fordert letzteren auf, seinen Hammer niederzulegen. Iron Man wirft ironisch ein: „Bad call, he loves his h-“,2 bevor er durch einen Schlag desselben weggeschleudert wird. Die Szene, die einen Höhepunkt des Films darstellt, exemplifiziert die Wichtigkeit von Waffen im Superheldengenre. Die drei Helden sind untrennbar mit drei fantastischen, unterschiedlich codierten Kriegsobjekten verbunden: Ein durch die nordische Mythologie inspirierter Hammer trifft auf eine hochtechnisierte Rüstung und einen Schild in den Nationalfarben US-Amerikas, der zur Entstehungszeit Captain Americas im Zweiten Weltkrieg die Verteidigung dieser Nation und ihrer Werte symbolisierte. Die ‚Liebe‘ Thors für seinen Hammer spielt nicht zuletzt humoristisch auf die sexuelle oder geschlechtlich aufgeladene Dimension an, die den superheldischen Waffen immer auch eignet, verweist die englische Bezeichnung hammer doch auch auf das männliche Geschlechtsorgan. Der vorliegende Aufsatz wirft anhand zweier Beispiele die Frage auf, wie Kriegsobjekte in Superheldencomics Geschlechterbilder transportieren. Analysiert wird in einem ersten Teil das anthropomorphste Kriegsobjekt überhaupt in einer modernen Version, nämlich die dezidiert ‚männliche‘ Rüstung Iron Mans. Ein zweites Unterkapitel nimmt sich den ‚weiblichen‘ Waffen in frühen Wonder Woman-Comics an, die ihrerseits über Umwege auf mythologische Intertexte verweisen. Nachgespürt wird den verschiedenartigen historischen und mythologischen Quellen, aus denen sich die Darstellung dieser sehr unterschiedlichen Kriegsobjekte jeweils speist. Die Zweiteilung erlaubt es, nach dem subversiven Potenzial von Superheldencomics zu fragen: Werden geschlechtliche Dichotomien und stereotype Rollenvorstellungen unterlaufen oder zementiert?

1 Joss Whedon, The Avengers, 2012, 49:27–30. 2 Ebd., 49:42–44.

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Iron Man: Das prekäre Rittertum Die Karriere von Rüstungen als Symbolgegenstände höchsten Werts geht einher mit einem zumindest teilweisen Verlust ihrer Funktion als Kriegsobjekt. Zu Beginn der Neuzeit ließ die Erfindung von Feuerwaffen Harnische an Funktionalität verlieren, da sie nicht mehr genügend Schutz boten; schwere Metalllegierungen schränkten die Mobilität ein, womit sie auf dem Schlachtfeld nur noch bedingt einsetzbar waren. Rüstungen verschwanden damit allerdings nicht, sondern gewannen an symbolischem Kapital an Höfen, in politischen und sozialen Kontexten.3 In Superheldencomics sind Rüstungen nicht nur höchst aufgeladene Symbolgegenstände − in ihrer hyperbolischen Narrativierung wird ihnen wieder größte Funktionalität in Kämpfen zugesprochen, sowohl als Defensiv- wie auch als Offensivwaffen. Der Prototyp des gewappneten Superhelden ist Iron Man aus dem Hause Marvel, der sich durch die erfolgreichen filmischen Adaptionen (2008, 2010, 2013) längst von den Seiten der Comichefte emanzipiert hat. Als Comicfigur trat Iron Man zum ersten Mal im März 1963 auf, mitten im Kalten Krieg. Seine damalige origin story spiegelt diesen Kontext wider: Der geniale Erfinder und Waffenhersteller Tony Stark gerät in Vietnam in einen Hinterhalt, erleidet eine schwere Wunde in der Brust und wird von gegnerischen Guerillas entführt, die sich seine Fähigkeiten als Ingenieur zunutze machen wollen. Sein Mitgefangener, der Nobelpreisträger und Physiker Ho Yinsen, baut eine Art metallisches Korsett für Stark, welches die Überreste der Artilleriegranate in Starks Brust daran hindert, sein Herz zu erreichen und ihn zu töten. Im Geheimen konstruieren Stark und Yinsen einen durch das Herzstück des Korsetts angetriebenen Ganzkörperanzug mit Rüstungselementen und Waffen, in dem Stark entkommen kann, während Yinsen sein Leben opfert, um die Entführer abzulenken. Wieder zurück in Amerika und von Schuldgefühlen geplagt, entdeckt Stark, dass die Überreste der Artilleriegranate chirurgisch nicht entfernt werden können und er somit auf das Korsett, die sogenannte chest plate, angewiesen bleibt. Aus diesem Trauma und der Energiequelle, die Stark also immer mit sich trägt, entsteht seine geheime Doppelidentität als Superheld Iron Man, den er zuerst als seinen Bodyguard ausgibt. Die Heldenidentität ist in ein Objekt ausgelagert; sie ist untrennbar mit einer hochtechnologisierten Rüstung verbunden, deren genaue Materialität in der Comicgeschichte verschieden benannt wird, von Eisen4 (ein Metall, das in der Realität viel zu schwer und unflexibel wäre) über „tough extruded aluminum“5 bis hin zur Nanotechnologie, seit den Neunzigern die favorisierte pseudowissenschaftliche Erklärung für die fantastischen Eigenschaften der Rüstung.6

3 4 5 6

Vgl. dazu Springer 2010, S. 5f. Tales of Suspense 39, 1963. Tales of Suspense 47, 1963; Hervorhebung im Original. Vgl. zum Beispiel The Invincible Iron Man, Jahrgang 4, Heft 4, 2006.

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Als „modern knight in shining armor“7 wird Stark in ein Paradigma ritterlicher Männlichkeit eingeschrieben, das aktualisiert, umgedeutet und problematisiert wird. Der Mitschöpfer von Iron Man, Stan Lee,8 gibt an, dass Stark als moderner König Artus konzipiert war. Um den historischen Transfer erfolgreich zu vollziehen, musste die Rüstung selber mit fantastischen Fähigkeiten ausgestattet werden: „I was thinking armor, a man wearing twentieth century armor that would give him great power“. Die Figur sollte auf „the days of King Arthur“ verweisen, ein Artus allerdings, dessen Rüstung ihn „as strong as any Super Hero“ mache.9 Auch in den Comics wird immer wieder auf den mythologischen Subtext der Artussage verwiesen.10 Eine Geschichte zeigt den jungen Tony Stark, der Mallorys Mort D’Arthur – in der korrekten historischen Schreibweise Le Morte d Arthur – für sich entdeckt, was ihm eine ganze Welt aus „armored heroes“ zugänglich macht,11 die zu seinem Ideal werden. Die Funktionen von Starks Heldenrüstung referenzieren simultan mythologische Intertexte und die tatsächliche Geschichte der Rüstung als Kriegsobjekt. So dienten mittelalterliche und frühneuzeitliche Harnische nicht nur dem physischen Schutz ihrer Träger, sondern entmenschlichten sie gleichsam und erfüllten damit eine Abschreckungsfunktion. In dieses Paradigma fallen diverse ‚groteske‘ Rüstungen, mit Helmvisieren, die aus monströsen Fratzen bestehen.12 Rüstungen sind also spätestens ab der frühen Neuzeit in einem Spannungsfeld zwischen Funktionalität und Repräsentanz angesiedelt. Diese Dimension des Kriegsobjekts wird schon in der zweiten Comicfolge reflektiert und variiert, in der Iron Man auftritt. Gehüllt ist er in sein klassisches silbernes Exoskelett, das auf einen anderen metallischen Mann verweist, den ‚herzlosen‘ Blechmann aus Lyman Frank Baums Der Zauberer von Oz (Abb. 1).13 Stark sieht sich mit Zivilisten konfrontiert, die über sein Aussehen trotz seiner heroischen Taten erschrecken. Frauen und Kinder schreien auf, Iron Man sei „dreadful looking“, wie „a creature in one of those science fiction films“. Ein kleines Mädchen fleht: „Momma! Momma! ‹sob›… Save me from the ugly man!“, ein Junge bittet seinen Vater inständig: „Dad… please… don’t let him come near me!“14 Die Szene erinnert an eine Passage aus der Ilias, in der Hektors Sohn vor seinem Vater zurückweicht. Das Kind erkennt den voll gewappneten Vater nicht, er wird ihm zur monströsen Erscheinung:

  7 Die Phrase wird auf den Titelblättern oder ersten Seiten alter Comics wieder und wieder verwendet, zum Beispiel in Tales of Suspense 42, 1963.   8 An der Schöpfung war außerdem Larry Lieber beteiligt, der die Figur weiterentwickelte; visuell gestaltet wurde Iron Man durch die Künstler Don Heck und Jack Kirby.   9 Zitiert bei Mangels 2008, S. 4. 10 Vgl. etwa Doomquest (Iron Man 149–150, 1981). 11 Iron Man 287, 1992. 12 Springer 2010, S. 54–72. 13 Vgl. dazu auch Nowotny 2016, S. 71. 14 Alle Zitate aus Tales of Suspense 40, 1963; Hervorhebungen im Original.

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1  Marvels Blechmann (Tales of Suspense 39, 1963)

„Also der Held, und hin nach dem Knäblein streckt’ er die Arme. Aber zurück an den Busen der schöngegürteten Amme Schmiegte sich schreiend das Kind, erschreckt von dem liebenden Vater, Scheuend des Erzes Glanz und die flatternde Mähne des Busches, Welchen es fürchterlich sah von des Helmes Spitze herabwehn.“15

Hektor legt seinen Helm ab, entledigt sich also zeitweilig eines Teils seiner Rüstung, um den Sohn zu beruhigen. Doch die Szene mündet ausdrücklich in eine Lobpreisung einer furchteinflößenden kriegerischen Männlichkeit. Hektor beschwört die Götter, sei-

15 Homer 2016, S. 108.

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nen Sohn „so stark an Gewalt“ werden zu lassen wie den Vater: „Und man sage hinfort: der ragt noch weit vor dem Vater, / Wann er vom Streit heimkehrt, mit der blutigen Beute beladen / Eines erschlagenen Feinds!“16 Stark reagiert in der humoristischen Comicszene ganz anders auf die erschrockenen Kinder: „Great Scott! I never noticed it before… But my appearance terrifies women and children as if I were a monster!“ Anstatt dies nun als Vorteil seiner Rüstung zu betrachten, da sie potenziell auch Feinden Angst einjagen könnte, zieht Stark ein neues Design für Iron Man in Betracht; „I must remember to alter my costume so I don’t look like a walking nightmare!“ Um Iron Man „attractive“ zu machen, konsultiert Stark natürlich die Expertise einer weiblichen Begleiterin. Diese expliziert das Rittermotiv Iron Mans − da er „menaces like a hero in olden times“ bekämpfe, eben ein „modern knight in shining armor“ sei,17 schlägt sie „golden metal“ vor. Der ‚golden Avenger‘ ist geboren, der sich einbildet, nur noch seinen „foes“ Angst einzujagen,18 nicht aber seinen Bewunderern. Die Abneigung gegen die Entmenschlichung des Helden durch das Tragen der Rüstung in diesen frühen Comics ist wohl ihren intendierten Adressaten geschuldet, als deren fiktionale Vertreter die Kinder in der Geschichte selber betrachtet werden können. Gelesen wurden Comichefte vor allem von einem jungen Publikum,19 was eine ungebrochene Beziehung des Helden zu seinen zivilen Verehrern nahe gelegt haben mag. Dass Stark gleichzeitig aber seine „foes“ immer noch ängstigen will, demonstriert die Ambivalenz, die seiner Rüstung innewohnt. Obwohl eine historisch verbürgte und mythologisch nobilitierte Funktion von Rüstungen negiert oder sogar ironisiert wird, nämlich ihre Fähigkeit, jedem Betrachter Angst einzujagen, sagt sich der Superheld doch nicht von ihr los; sie wird vielmehr den Rahmenbedingungen des Genres entsprechend abgewandelt. Die Spannung zwischen der ‚monströsen‘ und der ‚attraktiven‘ Rüstung wird wieder zum Thema, als Stark in Folge 48 von Tales of Suspense seinen Anzug ein weiteres Mal ändert. Um „fear in the hearts“ seiner Feinde zu säen, fertigt Stark eine Maske, die seine „expression“, seinen Gesichtsausdruck also auf der Oberfläche des Kriegsobjekts sichtbar werden lässt (ob damit gemeint ist, dass unter dieser Maske ein relativ großer Teil von Starks Gesicht sichtbar ist, oder ob das Metall tatsächlich den Gesichtsausdruck des Trägers imitieren soll, bleibt unklar).20 Somit ist es nicht mehr die Rüstung, die aufgrund materieller Eigenschaften entweder Angst einjagt oder das Vertrauen in den Hel-

16 Ebd. 17 Die Phrase wird auch auf Covern oder den ersten Seiten der frühen Comics verwendet, zum Beispiel Tales of Suspense 42. 18 Tales of Suspense 40, 1963; ohne Hervorhebung des Originals. 19 Jason Dittmer bemerkt, dass die Leserschaft von Superheldencomics seit den späten 1930ern stetig älter geworden sei, bis ältere Fans und Sammler in den 1980ern Prominenz erlangt hätten (Dittmer 2013, S. 4f.). Aus welchen Bevölkerungsgruppen genau sich die Leserschaft in den 1960ern zusammensetzte, ist schwer zu eruieren. Es wird sich wohl um eine Zeit des Übergangs gehandelt haben. Offensichtlich stand aber ein junges Publikum, das mittels harmloser, mit dem Comics Code vereinbarer Inhalte angesprochen werden sollte, noch im Zentrum des Interesses der Verlage. 20 Tales of Suspense 48; ohne Hervorhebung des Originals.

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2  Die Expressivität der Maske wird zum Problem (Tales of Suspense 48, 1963)

den stärkt. Stattdessen wird die Gemütsverfassung des Mannes im Harnisch zum Bedeutungsträger. In manchen der nächsten Comicfolgen nimmt die Maske in ihrer visuellen Repräsentation besonders anthropomorphe Qualitäten an; die Rüstung selbst zeigt Angst und Schmerz und gewinnt dadurch eine Handlungsmacht, die ihren Status als bloßes Objekt transzendiert (Abb. 2). Diese expressive Maske mag auf Bedenken zurückzuführen sein, dass sich Leser und Leserinnen nicht genug mit einer Figur – oder genauer dem heldischen Teil seines dualen Wesens – identifizieren können, deren Emotionen sich nicht auf ihrem ‚Gesicht‘ abzeichnen. Die Ambivalenz aus Monster und attraktivem, verehrtem Helden ist nicht nur ein äußerliches Merkmal Iron Mans. Sie wird vielmehr in der fiktiven Psychologie Starks und in den Narrativen gespiegelt, in denen die Rüstung einerseits einen Fluch, andererseits aber auch einen Segen darstellt. Am Anfang der Publikationsgeschichte ist der Harnisch – oder zumindest sein Herzstück, die chest plate – tatsächlich eine lebensnotwendige Prothese, da der gesundheitlich instabile Stark ohne die Brustplatte nicht überleben kann. In späteren Geschichten wird ausführlich thematisiert, dass die Rüstung zudem als emotionale Prothese funktioniert. Starks Alkoholismus, der ihn fast in den Suizid treibt,21 seine Depressionen und seine Unfähigkeit, sich anderen Menschen zu öffnen, lassen ihn den ‚harten‘, heldischen Iron Man als Ego-Ideal erleben. Die Rüstung wird notwendiges Konstrukt einer Figur mit schweren psychischen Problemen, die verzweifelt die Kontrolle über ihr Leben gewinnen will. So möchte ein betrunkener, am Boden zerstörter Stark nicht etwa seine superheldische, sondern seine „civilian identity“ aufgeben; „from now on

21 Iron Man 182, 1984.

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there’ll be no more Anthony Stark! There’ll just be – Iron Man!“22 Die Flucht in die Alkoholsucht und die Sucht nach vermeintlicher Vervollkommnung, Verbesserung und Kontrolle des Selbst durch Technologie werden enggeführt.23 Iron Man, die moderne, geradezu belebte Ritterrüstung, ist Starks Ego-Ideal auch in einem Sinn, der traditionelle Männlichkeits- und Heldenentwürfe problematisiert. Starks Geschichte steht in einer langen Reihe amerikanischer Fiktionen über Kriegsheimkehrer, die sich, psychisch und physisch versehrt, nicht mehr voll in die Gesellschaft integrieren können. Gerade der Vietnamkrieg, auf den Starks origin story anspielt, sollte eine Generation traumatisierter Veteranen hinterlassen. Starks Verletzung, die durch die ‚Prothese‘ Iron Man überdeckt wird, kann als „wound to his masculinity“ gelesen werden.24 Die Männlichkeit dieses Superhelden wird auf vielerlei Weise in Frage gestellt,25 in Einklang mit den Beobachtungen, die Springer in ihrer Monografie Armour and Masculinity zur Funktion von Rüstungen als Konstruktionen von Geschlecht in der Renaissance anstellt. Die Männlichkeit, die sich wappnet, ist demnach inhärent gefährdet. Springer schreibt: „All armour is simultaneously an affirmation of power and an admission of vulnerability. In presenting an idealized double to the world, the armoured knight admits his own insufficiency; by publicly displaying this prosthesis he expresses his need for physical protection. In this sense armour is inevitably paradoxical.“26

In Starks Fall besitzt diese „insufficiency“ von Anfang an handfeste sexuelle Konnotationen. Durchaus genretypisch ist, dass der scheinbar hypermaskuline Superheld durch sein Doppelleben keine sexuellen Beziehungen pflegen kann.27 In Starks Fall verschärft sich das Problem, da seine Superheldenidentität sein Intimleben körperlich tangiert – weil Stark in den frühen Comics die chest plate tragen muss, kann er seinen nackten Oberkörper vor niemandem entblößen. Obwohl Stark schon bei seinem ersten Auftritt als charmanter „playboy“ beschrieben wird,28 ist sein Intimleben somit alles andere als aufregend oder „unregulated“, wie Robert Genter behauptet.29 In späteren Geschichten wird Starks sexuell defizitäre Männlichkeit explizit zum Thema, wenn etwa erek-

22 Iron Man 128, 1979; Hervorhebungen im Original. 23 Diesen Punkt macht auch Saunders in seiner Diskussion von Iron Man als Projektionsfigur moderner Befindlichkeiten; vgl. Saunders 2011, S. 104–141. 24 Genter 2007, S. 968. Vgl. zu Iron Man als Symptom einer Krise der Männlichkeit auch Sanderson 1996, S. 112. 25 Barbara Brownie und Danny Graydon ignorieren die subversiven Elemente des Narrativs und behaupten, Starks „virility“ werde nirgends in Frage gestellt (Brownie / Graydon 2015, S. 149). 26 Springer 2010, S. 5. 27 Vgl. Weltzien 2005, S. 232. 28 Tales of Suspense 39, 1963. 29 Genter meint, Lee habe in Tony Stark ein Modell der unregulierten männlichen Sexualität entworfen, wie es damals in den Seiten des Playboy-Magazins propagiert wurde; Genter 2007, S. 969.

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tile Dysfunktion30 oder andere Probleme, im Bett ‚seinen Mann zu stehen‘,31 behandelt werden. Von Zeit zu Zeit werden Starks psychische Probleme und seine kompensatorischen Heldentaten als Mann aus Eisen an seine Kindheit zurückgebunden. Die Beziehung der Figur zu ihrem Vater Howard wird als problematisch beschrieben; dem sensiblen Jungen sei es nicht gelungen, den rigiden Männlichkeitsstandards des Vaters Genüge zu tun: „I was seven when my father decided I was a disappointment to him.“32 Die Folge sind verbale und wahrscheinlich auch physische Misshandlungen.33 In einer Geschichte verletzt sich der sehr junge Tony etwa an der Hand, während er mit elektronischen Teilen bastelt, und beginnt zu weinen. Howard Stark ermahnt ihn: „it’s just a scratch, boy. […] You don’t want to be a sissy, now do you? Stark men are made of iron!“34 In der Comicfolge baut der kleine Tony dann sogar eine Miniaturversion seiner späteren Rüstung als Repräsentation der „things I wanted to be, but couldn’t – […] Powerful. Emotionless. Indestructible“.35 Eine andere Geschichte wiederum enthüllt, dass der Harnisch im Grunde nichts anderes als eine Veräußerlichung der toxischen Männlichkeitsbilder sei, die Tony als Kind internalisierte.36 Somit geraten auch die „armoured heroes“ wie Artus als Ideal des jungen Tony in ein eher zweifelhaftes Licht. Tony Stark selber ist eben gerade nicht ein eiserner Mann, was ihm sein Vater wieder und wieder vorwirft („be a man!“).37 Noch als Superheld ist Stark zerrissen zwischen der Projektion, Iron Man, und der Fragilität des Manns unter der Rüstung: „Sometimes I wonder which is the real me… This splendid metal skin I’ve created – or the frail thing of flesh that wears it“.38 Als männliches Ego-Ideal erfüllt die superheldische Rüstung eine zentrale, aber auch instabile Funktion in der fiktiven Psyche Starks, so wie jede Identitätsstiftung durch eine aus heterogenen Einzelteilen bestehende Rüstung zwingend prekär bleiben muss.39 Wie sein Alkoholismus ist Starks Sucht nach seinem suit of armor (Abb. 3) äußerst zerstörerisch: Iron Man ist eben nicht nur attractive, sondern auch dreadful. Er bedroht Starks Leben ganz direkt, da er immer wieder ein unheimliches Eigenleben annimmt, zum Beispiel, wenn die künstliche Intelligenz der Rüstung die Kontrolle an sich reißt und Starks Heldentum usurpiert.40 In einer besonders frappierenden Episode gewinnt die Rüstung ein Bewusstsein und verliebt sich sofort in ihren Träger. Die Situation eskaliert, als sie – oder 30 Iron Man 301, 1994. 31 Vgl. Guardians of the Galaxy 4, 2014. 32 Iron Man 287, 1992; Hervorhebung im Original. 33 Physischer Missbrauch wird zum Beispiel in Iron Man 287, 1992, nahegelegt. 34 Iron Man 286, 1992; Hervorhebung im Original. 35 Ebd. 36 Iron Man 300, 1994. 37 Ebd.; Hervorhebung im Original. Howard Stark beschimpft Tony in Iron Man 313, 1995, wieder als „sissy“; Tony solle „tough“, „strong“, „a man“ sein. In diesem Kontext zwingt Howard Tony, Whiskey zu trinken. 38 Iron Man 164, 1982. 39 Diesen Punkt macht Springer mit Blick auf die Renaissance; Springer 2010, S. 4. 40 Zum Beispiel Iron Man 307–309, 1994.

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3  Zwei Arten von Sucht – der ‚unbesiegbare‘ Iron Man und Tony Stark, der Alkoholiker (Iron Man 3/27, 2000)

er, das gendering bleibt ambivalent – Stark einsperrt, physisch misshandelt und auf sexuell doppeldeutige Weise verlangt, dass ihr Schöpfer („you’re mine, Tony! Mine! MINE!“)41 Eins mit ihr werde.42 Die Angst vor Iron Mans Monstrosität wird wieder und wieder mit der Angst vor Technologie überhaupt und besonders vor einer durch sie bedingten Einschränkung der menschlichen Handlungssphäre kurzgeschlossen. Lee betonte noch, er

41 Iron Man, Jahrgang 3, Heft 29, 2000; Hervorhebung im Original. 42 Iron Man, Jahrgang 3, Heft 30; die ganze Geschichte umfasst Iron Man, Jahrgang 3, Heft 26–30.

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habe bei der Schöpfung Iron Mans überhaupt nicht an einen „robot“,43 sondern eben an die Sagenwelt des Artus gedacht. Doch schon in den 1980ern ist Stark von Ängsten gequält, sich in einen grotesken Cyborg zu verwandeln.44 In diesem Kontext finden sich visuell bestechende Bilder, die Stark als Sklaven einer Maschine zeigen oder dystopische Zukunftsvisionen aufs Papier bannen, in denen „the machine“ die Menschheit versklavt hat.45 Nicht nur die Rüstung, sondern Stark selbst, die „living high-tech weapon“,46 wird zunehmend technisiert. In der Extremis-Storyline aus dem Jahr 200647 verschmilzt das Exoskelett geradezu mit dem Körper des Helden; Stark wird zu einer Art posthumanem Computer, der das operating system für Iron Man in seinem Kopf trägt. Doch auch diese Symbiose aus Mensch und Maschine führt keine Heilung Starks herbei. Hinter der Rüstung, hinter Iron Man lauert stets die menschliche – und eben besonders männliche − Fragilität ihres Trägers.

Wonder Woman: Dominanz und Unterwerfung Im europäischen Mittelalter und in der frühen Neuzeit trugen Frauen keine Rüstungen; 48 die einzigen Frauen im Harnisch waren entweder allegorische Repräsentationen von Konzepten oder fiktionale Figuren, wie Bradamante aus der Renaissance-Poesie oder Britomart aus Edmund Spensers The Faerie Queene. Dieses essenziell männliche gendering der Rüstung49 ist noch in den Superheldencomics des 20. und 21. Jahrhunderts spürbar. Als Wonder Woman, eine der ersten50 und sicherlich die bis heute berühmteste Superheldin, im Jahr 2015 ein neues Design erhielt und auf einem Cover voll gewappnet erschien, waren viele Fans empört.51 Das klassische Kostüm bestand aus kurzen, mit Sternen verzierten Shorts, hohen roten Stiefeln, einem knappen rot-goldenen Mieder und einer Tiara. Schon in der zweiten Geschichte, in der Diana alias Wonder Woman auftrat (publiziert 1941), wurde ihre freizügige Kleidung zum Thema gemacht: 43 Zitiert bei Mangels 2008, S. 4. 44 Vgl. etwa den Albtraum in Iron Man 232, 1988, mit dem Titel Intimate Enemies, in dem Stark von einer grotesken Cyborg-Version seiner Selbst verfolgt wird, „draining“ Stark wie ein „lover“. 45 Iron Man 281, 1992; Iron Man, Jahrgang 3, Heft 58. 46 Eine Formulierung, die in der zweite Hälfte des dritten Jahrgangs der Iron Man-Serie konsequent zur Anwendung kommt. 47 The Invincible Iron Man, Jahrgang 4, Heft 1–6, 2006. 48 Die Legende, derzufolge Königin Elizabeth I in einer Rüstung in Tilbury die Truppen befeuerte, ist wohl nicht mehr als eine Fantasie aus jakobinischer Zeit; vgl. Springer 2010, S. 13. Es gab allerdings möglicherweise weibliche Kleidungsstücke, die bestimmte Eigenschaften mit Rüstungen teilten: Im Ausstellungskatalog Fashioning the Body (2015) wird eine kleine Gruppe von Metallkorsetts besprochen, die mit ziemlicher Sicherheit für Frauenkörper bestimmt waren und die eine gewisse Ähnlichkeit zu Harnischen haben. Freundlicher Hinweis von Julia Saviello, November 2017. 49 Vgl. auch Springer 2010, S. 13. 50 Die erste Superheldin ist möglicherweise „Olga Mesmer, the Girl with the X-Ray Eyes“, die 1937 in einem Comicstrip erschien; Daniels 2000, S. 18. 51 Vgl. etwa Smith 2015.

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„The hussy! She has no clothes on!“, „the brazen thing!“, rufen zwei betont unattraktiv gezeichnete Frauen, als die frisch aus ihrer Heimat angereiste Wonder Woman arglos durch die Straßen spaziert und, „always the woman“, in Schaufenstern die Frauenkleidung Amerikas bestaunt („there’s so much material to their dresses... But they are cute!“). Ein Mann darf die Kritikerinnen zurechtweisen und ihr vernichtendes Urteil als bloße weibliche Eifersucht entlarven: „Ha! Sour grapes sister, don’t you wish you looked like that!“52 Auch auf der Metaebene wurde Wonder Womans Kleidung schon in den 1940ern debattiert. Eine frühe Kontroverse rund um die Comics betraf „the woman’s costume (or lack of it)“.53 Wonder Woman in voller Rüstung war aber auch im Jahr 2015 nur ein kurzes Intermezzo – schon nach wenigen Monaten kehrte DC (Detective Comics) zu einem Kostüm zurück, das mehr Haut zeigt.54 Die verführerische, jede Prüderie irritierende Kraft, die der Figur Wonder Woman von Anfang an innewohnt, kommt nicht von ungefähr. Die Superheldin ist aufs Engste mit dem idiosynkratischen Feminismus ihres (Mit-)Schöpfers,55 des Harvard-Absolventen William Moulton Marston, und damit auch mit der Geschichte des Feminismus überhaupt und der Suffragettenbewegung im 20. Jahrhundert verbunden.56 Sie wurde von Feministinnen wie Gloria Steinem zur Ikone der Bewegung erhoben. Und doch ist sie eben auch „always the woman“ und verbringt ihren ersten Tag in der Welt der Menschen in betont knapper Kleidung mit „window shopping“.57 Diese Ambivalenz ist kennzeichnend für Marstons essenzialistischen Feminismus, den er in einer Vielzahl an Medien zu propagieren suchte. Er war Autor von psychologischen Traktaten (wie Emotions of Normal People, 1928), schrieb einen Roman, der Caesars Taten an seine erotischen Abenteuer zurückbindet (Venus with Us, 1932),58 machte sich stark für das erzieherische Potenzial von Comics,59 arbeitete als Berater für Detective Comics (heute DC) und verstand Comics als Wunscherfüllung: „Comics speak, without qualm or sophistication, to the innermost ears of the wishful self.“60 Das „wishful self“ war für Marston, in gut psychoanalytischer

52 Sensation Comics 1, 1941; Hervorhebungen im Original. 53 Zitiert bei Daniels 2000, S. 61; die frühen Kontroversen rund um Wonder Woman, bondageThemen und sexuelle Untertöne werden besprochen auf S. 61–72. 54 Vgl. zu anderen Kostümveränderungen in Wonder Womans Geschichte Madrid 2009, S. 183–217 (ein Abriss der Comicgeschichte Wonder Womans überhaupt); Brownie / Graydon 2015, S. 100. Vgl. zum gendering der Kostüme von Superheldinnen und zum male gaze ebd.; Reynolds 1992, S. 37. 55 Er erfand die Figur wahrscheinlich zusammen mit seiner Frau, Elizabeth (Sadie) Holloway Marston. Wie diese Kollaboration funktionierte und wem welcher Anteil an der Genese Wonder Womans zukommt, ist nicht klar; vgl. Daniels 2000, S. 20–22. 56 Diesen Kontext erhellt Lepore 2014. 57 Sensation Comics 1, 1941. 58 Vgl. dazu Hanley 2014, S. 62–68. 59 Vgl. Olive Richard, Don’t Laugh at the Comics, in: The Family Circle; abgedruckt in: Daniels 2000, S. 21. 60 Zitiert in ebd., S. 12; vgl. Saunders 2011, S. 43 f.

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Tradition, nicht zuletzt sexuell kodiert. Damit legte er ein erotisches Potenzial der Superhelden(innen)figuren frei, das in den Vierzigern provozieren musste. Marstons Feminismus speist sich aus zwei Quellen: Einerseits aus Fantasien über ein utopisch-friedfertiges Matriarchat, andererseits aus einem Verständnis der Psyche als triebhaft, das sich beispielsweise an die Psychoanalyse Freuds anlehnt. Die matriarchale Dimension ist in Wonder Womans erster origin story explizit. Sie stammt aus paradise island, einer matriarchalen Gesellschaft von Amazonen fern von der kriegsgeplagten Welt der Menschen. Ihr Ursprungsmythos bedient sich damit aus dem Vokabular früher feministischer Fantasien, wie Charlotte Perkins Gilmans Roman Herald (1915) oder Inez Haynes Gillmores Angel Island (1914), zwei Narrative über Frauengesellschaften und die Gefahr männlicher Einflussname.61 Der matriarchatstheoretische Kontext von Marstons Denken, verbunden mit Namen wie Johann Jakob Bachofen62 oder Joseph Campbell,63 geht Hand in Hand mit einem utopisch-politischen Anliegen. Schon im November 1937 prognostizierte Marston in einem Interview: „the next one hundred years will see the beginning of an American matriarchy – a nation of Amazons in the psychological rather than physical sense“.64 Nur in einer solchen „matriarchy“ liege die Hoffnung, Kriege und Zerstörung zu überwinden. Wonder Woman, „beautiful as Aphrodite, wise as Athena, stronger than Hercules and swifter than Mercury“,65 bringt Amerika einige Jahre später „a new hope for salvation from old world evils, conquest and aggression“.66 Im Zweiten Weltkrieg wurden Figuren wie Wonder Woman selber zu ‚Kriegsobjekten‘, da sie, als patriotische Pin-ups zu Tausenden vervielfältigt, die Spinde zahlreicher amerikanischer Soldaten zierten.67 Paradoxerweise schrieb Marston der Figur und seinen Comicgeschichten aber eine heilsame, pazifistische Wirkung zu, obwohl gerade die

61 Lepore 2014, S. 86 f. Im deutschen Sprachraum griff Gerhart Hauptmann das Motiv in seiner Insel der Großen Mutter (1924) auf, allerdings mit antifeministischem Impetus. Für eine kritische Relektüre des Romans mit Blick auf das Denken Bachofens siehe Boss 2017. 62 1972 druckte das feministische Ms.-Magazin von Steinem in einer Hardcover-Sonderausgabe eine Sammlung früher Wonder Woman-Comics nach (Marston 1972). Phyllis Chesler trug einen Essay bei, in dem sie ein Gespräch über die Amazone zwischen sich selbst, Helen Diner und Johann Jakob Bachofen imaginiert (Phyllis Chesler, The Amazon Legacy, in: ebd.). 63 Der matriarchale Kontext wird heute noch referiert, wenn etwa die neue Filmversion von Wonder Woman aus Batman vs. Superman: Dawn of Justice (2016) ein Schwert handhabt, in das ein Zitat aus Joseph Campbells Goddesses: Mysteries of the Feminine Divine eingraviert ist: „Life is killing life all the time and so the goddess kills herself in the sacrifice of her own animal“ (Newell / Gosling 2016, S. 171.). 64 Interview mit der New York Times; zitiert bei Daniels 2000, S. 19; Lepore 2014, S. 170. 65 Stärker und schneller als die männlichen Götter ist sie erstmals in Sensation Comics 17, 1942. In früheren Folgen wurde Diana ihnen gleichgestellt. 66 Sensation Comics 2, 1942. 67 Vgl. Chapman / Hoyles / Kerr / Sherif 2016, S. 125–149, wobei Wonder Woman selber nicht unbedingt ein populäres Pin-up gewesen zu sein scheint. An ihrer Stelle waren Figuren aus extra für die Soldaten produzierten Comicstrips verbreitet, beispielsweise Miss Lace aus dem Comic Male Call. Vgl. zur Kriegsthematik in den frühen Wonder Woman-Comics allgemein ebd., S. 29–34.

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Comics aus Kriegszeiten willig an aggressiv xenophoben Diskursen partizipierten.68 Wonder Woman sei als essenziell friedliche und liebende Figur gesellschaftspolitisch relevant, wie Marston in einem Brief an den Comic-Historiker Coulton Waugh schreibt: „Frankly, Wonder Woman is psychological propaganda for the new type of woman who should, I believe, rule the world. There isn’t love enough in the male organism to run this planet peacefully. Woman’s body contains twice as many love generating organs and endocrine mechanisms as the male. What woman lacks is the dominance or self assertive [sic] power to put over and enforce her love desires. I have given Wonder Woman this dominant force but have kept her loving, tender, maternal and feminine in every other way.“69

Das Zitat zeigt deutlich an, dass Marstons eigenwilliges Denken eben nur in bestimmten Belangen progressiv war – so fordert er auf den letzten Seiten von Emotions of Normal People etwa, dass der Mann „equally, at least, in the home work and the care of children“ engagiert sein solle.70 Gleichzeitig blieb sein Denken Essenzialismen verhaftet und sexualisierte jede Form weiblicher Macht zuletzt,71 was einer Art Fetischismus gleichkommt.72 Die Ambivalenz aus Wonder Womans ‚weiblichen‘ und ‚männlichen‘ Qualitäten prägt die Waffen und Kampftechniken dieser Kämpferin für „freedom, democracy, and womankind“.73 Im traditionellen Sinn feminin ist die Superheldin immer dann, wenn sie nicht mit Gewalt kämpft. Schon in ihren ersten beiden Geschichten – All-Star Comics 8 und Sensation Comics 1 – fungiert Diana unter anderem als Krankenpflegerin ihres Schwarms Steve Trevor, der auf paradise island strandete und den sie in die Welt der Menschen begleitete. Ihre „tender care“ geht mit professionellen Fähigkeiten einher, denn: „I’m a trained nurse, too“, wie sie erklärt, „a very feminine woman“.74 Die Krankenschwesterrolle als ‚Diana Prince‘ (die, passend zur Subversion von Geschlechterklischees, einen männlich konnotierten Nachnamen trägt) wird zum zweiten, zivilen Bestandteil ihrer superheldischen Doppelidentität. Kurioserweise – und wahrscheinlich inspiriert durch Supermans Zweit­ identität, Clark Kent – sieht Diana in ihrer zivilen Rolle Wonder Woman als erotische Rivalin, da Trevor nur Augen für die Heldin hat. Die Doppelung der weiblichen Rolle gibt Gelegenheit zu Spielen mit geschlechtlich codierten Erwartungen, wenn Diana etwa als Krankenschwester vermeintlich weiblich ungeschickt agiert, während sie in Wahrheit als Wonder Woman Verbrechen verhindert (Abb. 4). Wonder Woman posiert nicht zuletzt als

68 Um nur ein einziges Beispiel aus einer Reihe propagandistischer Comics zu nennen: In Sensation Comics 10, 1942, kämpft Wonder Woman gegen „enemy agents“, „Nazis“ und „Japs“, die sämtliche abwertende Heterostereotypen bedienen. Der Japaner etwa ist betont hässlich, seine Haut ist schmutzig gelb, sein ausgeschriebener Akzent gleicht dem Zischen einer Schlange („is-ss good!“). 69 Marston, Brief an Coulton Waugh; zitiert bei Daniels 2000, S. 22 f. 70 Marston 1928, S. 395. 71 Vgl. auch Marstons Rede über „there being a far greater number of adequate stimuli to sex-emotion in the female organism“; zitiert bei Lepore 2014, S. 111. 72 Vgl. auch Hanley 2014, S. 16 f. 73 Sensation Comics 1, 1941. 74 Ebd.

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4  Die doppelte Diana. Spiele mit Rollenbildern (Sensation Comics 5, 1942)

Zivilistin, da sie als ‚normale‘ Frau andauernd unterschätzt wird. Die Opposition aus kriegerischer, physisch allen Männern überlegener Amazone, die den Namen mit der Göttin der Jagd und Beschützerin der Frauen und Mädchen aus der römischen Mythologie teilt, und harmloser, rollenkonformer Krankenschwester wird auf den Punkt gebracht, wenn ein Schurke entsetzt erkennen muss, dass die Pflegerin eher einem Boxweltmeister gleicht: „She’s no nurse! She’s a Jack Dempsey!“75 Die erste Waffe Dianas, die schon auf dem Cover der ersten Ausgabe von Sensation Comics in Szene gesetzt wird, sind ihre „bracelets“, ihre silbernen Armbänder, die wahlweise aus „amazonium“76 oder, in der Fernsehserie der 1970er, aus „feminum“ bestehen.77 Als Schmuckstück im Entstehungskontext der Comics ohnehin weiblich codiert, exemplifizieren die demonstrativ nicht phallischen bracelets die Funktion, die Frauen in Marstons Vision zukommt. Diese defensiven ‚Waffen‘, mit denen Diana mühelos die Kugeln von Banditen abwehrt, zeigen die Stärke der fast unverwundbaren Amazonen an und markieren gleichzeitig ihre Unterwerfung unter Aphrodite, die Göttin der Liebe. In Marstons Adaptation des Amazonen-Mythos betrog Herkules die Amazonenkönigin Hippolyta im Kampf um ihren Gürtel und versklavte sie und ihre Untertaninnen. Erst nach langer Leidenszeit erbarmte sich Aphrodite und befreite die Amazonen mit der Weisung, auf einer Insel fern der Welt der Menschen ihre eigene Zivilisation zu gründen. Die Armbänder tragen sie als Mahnung:78 Aphrodite will ihnen nicht nur „the folly of submitting to men’s dominance“ einbläuen, indem etwa die amazonische Stärke erlischt, wenn ein Mann die 75 Sensation Comics 2, 1942. Dempsey war ein US-amerikanischer Boxer und in den Zwanzigern Schwergewichts-Boxweltmeister; er bekundete als Werbeträger seine Unterstützung für Wonder Woman auf der ersten Seite von Sensation Comics 2. 76 Wonder Woman 52, 1952. 77 Wonder Woman: The Feminum Mystique (2 Teile), erstmals ausgestrahlt am 6. November 1976. 78 All-Star Comics 8, 1941.

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Bänder aneinanderschweißen und sie damit zu einer Art Fessel machen kann.79 Sie sind im gleichen Maß Symbole der Macht Aphrodites, der die Amazonen sich beugen müssen. Somit sind die bracelets simultan „an amazon’s greatest strength and weakness“,80 Zeichen ihrer emanzipierten Selbstbestimmung und der Unterwerfung unter ein höheres weibliches Prinzip.81 Diese Gleichzeitigkeit aus Dominanz und Submission ist charakteristisch für die geradezu widersinnige Aufgabe, die Marstons psychologisch-utopisches Denken dem weiblichen Geschlecht auferlegt. Am ausführlichsten legt Marston in Emotions of Normal People Rechenschaft über sein Verständnis der menschlichen Psyche und der geschlechtlichen Unterschiede ab. Kernbegriffe seines Systems sind Dominanz und Unterwerfung. Die männliche Vorstellung von Freiheit sei antagonistisch und gewalttätig. Die ihr entgegengesetzte weibliche Kraft dagegen, „love allure“,82 begünstige einen idealen Zustand der Unterwerfung unter die liebende Autorität. Zivilisationsprobleme wie Krieg und Gewalt gegenüber Mitmenschen und Natur allgemein ließen sich lösen, wenn die Männer lernten, sich freiwillig zu unterwerfen, was einem geheimen natürlichen Verlangen ent- und damit erotischen Lustgewinn verspreche. Trotz dieser binären und essenzialistischen Struktur seiner Argumente betont Marston die flexible Natur erotischer und gesellschaftlicher Machtdynamiken. Besonders Frauen wird zugestanden, Gratifikation aus sexuell kodierten Machtspielen mit anderen Frauen zu ziehen. Damit könnte Marstons Vorstellung von Sexualität als im modernen Sinn ‚queer‘ gelesen werden.83 Frauen könnten sowohl Dominanz als auch Unterwerfung genießen, sowohl mit Männern als auch untereinander, wie eine Erzählung des „annual punishment of the freshmen girls“ durch „sophomores and upper class girls“ in einem College verdeutlichen soll.84 Die tatsächlichen moralisch-sexuellen Gegebenheiten der Gesellschaft zu Marstons Zeit stehen also nach Emotions of Normal People völlig quer zu den natürlichen Impulsen. Ein utopisches Projekt der „Emotional Re-Education“85 unter der Anleitung von Frauen – die freilich zuerst von Männern wie Marston als ‚re-educators‘ über ihre psychische Verfasstheit aufgeklärt werden müssen86 – sei unumgänglich. Um die paradoxale Struktur auf den Punk zu bringen: Frauen müssen lernen, durch Dominanz zu dienen,87 um die Männer durch ihre freiwillige Unterwerfung von 79 Zum ersten Mal erwähnt in Sensation Comics 4, 1942. Sensation Comics 10, 1942, enthüllt, dass Frauen die Armbänder zusammenschweißen können, ohne dass die betroffene Amazone ihre Kräfte verliert. 80 Sensation Comics 4, 1942. 81 Saunders versteht dieses Prinzip auch im religiösen Sinn; Saunders 2011, S. 36–71. 82 Marston 1943, S. 44. 83 Call 2013, S. 28f.; vgl. auch Saunders 2011, S. 60. 84 Marston 1928, S. 299–301. 85 Wie ein ganzes und als Abschluss des Buchs besonders exponiertes Kapitel aus Emotions of Normal People überschrieben ist; ebd., S. 389–397. 86 Ebd., S. 395f. 87 Der Konnex von liebender Unterwerfung und weiblicher Stärke wird in Comic Cavalcade 14, 1946, explizit gemacht, in einer Episode mit dem Titel The Severed Bracelets.

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ihrer fehlgeleiteten, aggressiven Vorstellung von Unabhängigkeit zu erlösen. Diese Ambivalenz ist verantwortlich für die seltsame Gleichzeitigkeit von durchaus feministischen Visionen88 und zahlreichen submissiven Fesselszenen in den Wonder Woman-Comics der frühen Jahre.89 Bevorzugtes Instrument dabei ist Dianas magisches Lasso, eine zweite Waffe, die aus den Einzelteilen des Zaubergürtels der Hippolyta gefertigt ist.90 Das Lasso, „flexible as rope, but strong enough to hold Hercules“,91 hat einen utopischen Zweck und dient, in Marstons psychologischem Vokabular, der besagten ‚emotional re-education‘: „I can make bad men good, and weak women strong!“92 Als Symbol der liebenden Autorität ist ihm in den Comics die Peitsche der Nazi-Schergin Paula von Gunther entgegengesetzt, die Mädchen gegen ihren Willen zu ihren Sklavinnen macht und die die heilende Macht der Unterwerfung aus freien Stücken nicht kennt. Dianas Lasso besitzt die gleiche ambivalente Struktur wie ihre Armbänder, da es die Bindung der Heldin durch Liebe und Weisheit symbolisiert, durch Aphrodite und Athena, die ihr das Lasso zum Geschenk machen: „Having proved thyself bound by love and wisdom, we give thee power to control others! Whomsoever thy magic lasso binds must obey thee!“93 Die Simultaneität von Binden und Gebundenheit ist die Quelle von Wonder Womans Superheldentum. Als Diana ihre Armbänder verliert, gibt sie sich destruktiven Impulsen hin: „The bracelets bound my strength to good purposes – now I’m completely uncontrolled! I’m free to destroy like a man!“94 Eine seitenlange Sequenz zeigt das „unbound amazon girl“, die ihren Zerstörungs-, sogar Tötungstrieb frei walten lässt (Abb. 5) und nur durch die Fesselung mit ihrem eigenen Lasso durch eine andere Frau wieder zur Vernunft kommt. In den Worten des Psychologen Marston fällt Diana damit zeitweise ihren „destructive […] gratifications“ zum Opfer, welche die weiblichen „Love Leaders“95 zu beherrschen lernen müssen; „woman must be taught to use her love power exclusively

88 Der Feminismus der frühen Comics erstreckte sich auch auf den Paratext, da die Editorin Alice Marble regelmäßig ein feature zu den Wonder Women of History beitrug; Sensation Comics 23, 1947, widmete sich etwa der Pilotin Amelia Earhart. Vgl. zu diesem feature Lepore 2014, S. 221– 225. 89 Hanley hat die Bondage-Szenen in den ersten zehn Folgen des Comics gezählt und mit der gleichzeitig erscheinenden Serie Captain Marvel verglichen. Wonder Woman beinhaltet tatsächlich weit mehr Fesselszenen (Hanley 2014, S. 45; vgl. S. 53–56 und S. 59–62 für die Kontroverse). Vgl. auch Saunders 2011, S. 51. 90 Sensation Comics 6, 1942. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Ebd. Die Fähigkeit des Lassos, jeden Menschen die Wahrheit sagen zu lassen, ist durch Marstons wissenschaftliches Interesse am Lügendetektor beeinflusst. Er entwickelte mit Elizabeth Holloway Marston ein Verfahren des systolischen Blutdrucktests, das in einer Form des Lügendetektors eingesetzt wurde. Vgl. dazu Bunn 1997; Daniels 2000, S. 13. In Sensation Comics 3 führt Diana übrigens selber einen Test durch, der auf Basis des steigenden Blutdrucks unfehlbar eine Lügnerin entlarvt; in Sensation Comics 7 darf Steve Trevor Lügner überführen. 94 Sensation Comics 19, 1943; Hervorhebung im Original. 95 Marston 1928, S. 394, passim.

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5  Die dunkle Seite der Macht (Sensation Comics 19, 1943)

for the benefit of humanity and not for her own destructive, appetitive gratifications, as so many women are doing, under the present appetitive regime.“96 Diana hat diese Aufgabe gemeistert und erlebt die erneute Bindung durch ihre eigene Waffe willig und glücklich: „It’s wonderful to feel my strength bound again – power without self-control tears a girl to pieces!“97

Schluss Wonder Womans mythologisch aufgeladene Weiblichkeit und Iron Mans technisierte Männlichkeit werden in den Comicnarrativen performativ über das Handhaben von (Kriegs-) Objekten hergestellt. Solche Objekte eignen sich hervorragend als Bedeutungsträger, da sie in eine lange kulturelle Tradition eingeschrieben sind, und zwar besonders in eine Heldentradition, auf die Superheldencomics sich immer wieder kreativ beziehen. Die Comics stehen damit im Spannungsfeld historischer und mythologischer Diskurse über Kriegsobjekte, führen sie produktiv weiter und befragen sie auf jeweils zeitgenössische Problemstellungen. Die produktionsästhetischen Bedingungen, unter denen Superheldencomics in US-Amerika gemeinhin entstehen, machen sie zu einem besonders geeigneten Trägermedium für dynamische und vieldeutige Objekt- und Heldendarstellungen. Als Text-Bild-En-

96 Ebd., S. 396. 97 Sensation Comics 19, 1943. Die Armbänder dienen übrigens nicht nur dem Kämpfen; Wonder Woman verwendet sie schon in Sensation Comics 5, um Freundinnen beispielsweise Signale zu senden, indem sie die Sonne in ihnen reflektiert.

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titäten sind Superheldencomics oft bis in ihren Kern kollaborativ; verschiedene Schreiber und Zeichner setzen zu verschiedenen Zeiten und in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Lektorat der Verlage ihre (vielleicht auch konträren) Visionen um. Dazu kommen formalästhetische Eigenheiten des Mediums: Da Objekte und Figuren in jedem Panel neu erscheinen, sozusagen neu erschaffen werden, schränkt die Diegese die Darstellungsmodi weniger ein als beispielsweise in ‚traditionellen‘ Romanen oder Filmen. Die Rüstung Iron Mans und die Armbänder Wonder Womans bleiben somit unendlich beweglich, werden andauernd transformiert und transportieren vielstimmige, teilweise höchst aktuelle Bedeutungen. Auch wenn sie über mythologische Reminiszenzen in die Vergangenheit weist, ist Marstons feministische Vision wie die gefährdete Männlichkeit des Kriegsheimkehrers Stark im Kontext von Geschlechterdiskursen des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Den Comics eignet ein subversives Potenzial: Die frühen Wonder Woman-Comics sind explizit auf eine Veränderung der Geschlechterordnung in der Gesellschaft gerichtet, während viele Iron Man-Comics implizit tradierte Männlichkeits- und Heldenbilder unterlaufen. Die Figur des Superhelden, dessen Geschlecht so oft schon in seinem Namen markiert ist – Iron Man, Wonder Woman –, kann also verwendet werden, um jeweils gängige Geschlechtervorstellungen zu destabilisieren. Eine solche Destabilisierung mag allerdings ambivalent bleiben. Sowohl Dianas Armbänder und ihr Lasso als auch Iron Mans Rüstung symbolisieren Versuche, Kontrolle über die eigene Psyche zu erlangen. Iron Man scheitert wieder und wieder an diesen Kon­ trollversuchen; sein objektgebundenes Heldentum bleibt prekär. Als moderner Ritter wird Stark in ein Paradigma kriegerischer Männlichkeit eingeschrieben, das zwar einerseits idealisiert, andererseits aber auf vielfältige Weise problematisiert wird. Der eiserne Mann ist ein stets gefährdetes Ego-Ideal der Figur Tony Stark, eine narzisstische Projektion, die sie zuletzt nicht von ihren Problemen zu befreien vermag. Das Ideal des harten, männlichen Helden bleibt aber insofern bestehen, als es als Wunschbild Starks wieder und wieder beschworen wird. Ähnlich zweideutig ist Dianas ‚Feminismus‘ oder das Plädoyer der frühen Comics für die Emanzipation der Frauen. Wonder Womans essenzialistisch weibliches (und zumindest implizit sexualisiertes) Heldentum ist auf die Befreiung des Selbst und der Gemeinschaft ausgerichtet. In der Unterwerfung unter ein höheres weibliches Prinzip findet Diana ihr heldisches Agens. Die Selbstkontrolle, die in ihren Waffen manifest wird, muss allerdings zuletzt so widersinnig bleiben wie die Rolle, die Marston der Frau in seinen utopisch-psychologischen Theorien zugesteht.

Fantastische Rüstungen und kugelsichere Armbänder     | 173

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176 |   Bildnachweis

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