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German Pages 253 [254] Year 2022
Benjamin Alberts Nietzsches Problem der Rangordnung
Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung
Herausgegeben von Christian J. Emden Helmut Heit Vanessa Lemm Claus Zittel Begründet von Mazzino Montinari, Wolfgang Müller-Lauter, Heinz Wenzel Advisory Board: Günter Abel, R. Lanier Anderson, Keith Ansell-Pearson, Sarah Rebecca Bamford, Christian Benne, Jessica Berry, Marco Brusotti, João Constâncio, Daniel Conway, Carlo Gentili, Oswaldo Giacoia Junior, Wolfram Groddeck, Anthony Jensen, Scarlett Marton, John Richardson, Martin Saar, Herman Siemens, Andreas Urs Sommer, Werner Stegmaier, Sigridur Thorgeirsdottir, Paul van Tongeren, Aldo Venturelli, Isabelle Wienand, Patrick Wotling
Band 78
Benjamin Alberts
Nietzsches Problem der Rangordnung
Gedruckt mit Hilfe der Förderung durch die Trebuth-Stiftung zur Nachwuchsförderung in der Philosophie im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.
ISBN 978-3-11-077126-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077136-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-077139-8 ISSN 1862-1260 Library of Congress Control Number: 2022930414 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Dieses Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die die Philosophische Fakultät der Universität Greifswald im Wintersemester 2018/19 angenommen hat. Mein Dank gilt meinem Betreuer Werner Stegmaier, der die Arbeit von der ersten Idee bis zum Schluss umsichtig, rücksichtsvoll und ernsthaft begleitet und immer dort für Orientierung gesorgt hat, wo sie nötig war. Ohne seinen Rat, seine Unterstützung und Inspiration wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Seine Gedanken haben nicht nur diese Arbeit, sondern auch mein philosophisches Denken tief geprägt, wofür ich ihm herzlich danke. Paul van Tongeren gilt mein herzlicher Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch der Prüfungskommission, die neben den beiden Gutachtern aus Ekaterina Poljakova, Thomas Stamm-Kuhlmann und Micha Werner, der der Kommission vorsaß, bestand. Sehr dankbar bin ich Ines Mielke für ihre organisatorische Unterstützung. Für wertvolle inhaltliche Impulse danke ich insbesondere den Mitgliedern des internationalen Nietzsche-Forschungskolloquiums Greifswald um Werner Stegmaier, der Nietzsche-Forschungsgruppe Nijmegen um Paul van Tongeren und des Berliner Nietzsche-Colloquiums. Für ihre großzügige Förderung bin ich der Trebuth-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft zu großem Dank verpflichtet. Sie hat nicht nur die Entstehung, sondern auch die Veröffentlichung der Arbeit unterstützt. Für die Aufnahme in die Reihe Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung danke ich den Herausgebern Vanessa Lemm, Christian Emden, Helmut Heit und Claus Zittel. Dem Verlag De Gruyter danke ich für die Begleitung der Publikation. Meinen Eltern und meiner Frau Anja danke ich von Herzen für ihr Vertrauen, ihr Verständnis und ihre Geduld. Ohne Euren bedingungslosen Rückhalt hätte ich dieses Buch nicht abschließen können. Ich danke Euch, dass ihr mich zu dem gemacht habt, der ich bin. Wiesbaden, im Februar 2022
https://doi.org/10.1515/9783110771367-001
Benjamin Alberts
Inhalt Siglenverzeichnis . . .
XI
Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem 1 Stand der Forschung 8 Philosophischer Horizont: Nihilismus und „Tod Gottes“ 28 Methode und Aufbau
Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem 32 Die Erfahrung der Not als Voraussetzung aller . 35 Rangunterscheidung . Nietzsches persönliche Erfahrungen 36 37 .. Rangordnung als „Problem“ .. Erfahrungen des jungen Nietzsche 39 44 Rangordnung als Nietzsches „Aufgabe“ .. 45 .. Nietzsches Einsamkeit ... Einsamkeit ohne Halt an Moral und Wahrheit 45 47 Nietzsches persönlich erfahrene Einsamkeit ... .. Nietzsches Krankheit und „grosse Gesundheit“ 51 Nietzsches Erfahrungsvorsprung gegenüber seinen Lesern ..
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Philologische Anhaltspunkte: 55 Erschließung des einschlägigen Textbestands Semantisches Feld 55 59 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch Nietzsches Begriff der Rangordnung 68 Verteilung des Begriffs in Nietzsches Werk 68 Entwicklung des Begriffs in Nietzsches Werk 69 Nietzsches distanzierender, rangordnender Stil 75 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra 77 Die spezifische Erzählform von Za 80 Allegorien der Rangordnung in Za 80 Leitunterscheidung „Höhe – Tiefe“ 81 Leitgedanke „Einsamkeit“ 84 Leitgedanke „höhere Menschen“ 86 Leitgedanke „letzter Mensch“ 88 Leitgedanke „Neid“ 90 Leitgedanke „Mitleid“ 90 Die „Lehre von der Rangordnung“ als Bedingung der Unlehrbarkeit von Lehren 91
VIII
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Inhalt
Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung 95 98 Rangordnung in der Natur Rangordnung als biologischer Begriff 99 Entmoralisierung der Natur durch Rangordnung 104 Personifizierung des Problems: Goethe vs. Rousseau 106 Nietzsches „Theorie der Herrschaftsgebilde“ 108 Auf organischer oder physiologischer Ebene 109 111 Auf gesellschaftlicher Ebene Auf philosophischer Ebene: „Prinzip des Lebens“ 114 117 Rangordnung in der Religion 118 Religion als Schule der Rangordnung Die Kirche als auf Rang basierende Institution 118 Nietzsches Wertschätzung des „religiösen Wesens“ im dritten 122 Hauptstück von JGB Der „Typus Jesus“ als Irritation der Rangordnung 125 Die „Gleichheit vor Gott“ als Zersetzung der Rangordnung 128 Luther als Antipode der Rangordnung 136 Die „Ordnung der Kasten“ in AC 57 als Beispiel der 139 Rangordnung? Der Rang der Juden – ein Sonderfall 146 152 Rangordnung in der Moral Nietzsches Kritik der moralischen Gleichheit 152 Gleichheit als zentraler Wert der Moral und ihre historische 152 Entwicklung Nietzsches Umkehrung des Naturzustands 154 Gleichheit aus psychologischer Perspektive 156 Die Gefahren der Gleichheitsforderung 160 Rangordnung als Kritik an metaphysischen Gegensätzen und als 164 Gegenbegriff zur Gleichheit Die Rangordnung der Moralen und die Moral der Rangordnung 168 Rangordnung als Grundlage der Moral 168 Die Pluralität und die Rangordnung der Moralen 170 173 Die Moral der Rangordnung der Moralen Rangordnung in der Wissenschaft und in der Philosophie 174 175 „Ni dieu, ni maître“: Das wissenschaftliche Gleichheitsideal Forscherpersönlichkeiten und ihre verschiedene Kraft zur 179 Erkenntnis 184 Die Rangordnung zwischen Philosophen und Wissenschaftlern Philosophen als Befehls- und Orientierungsgeber 187
Inhalt
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Rangordnung unter Individuen 192 Aristokratie als Bedingung von Demokratie und herausragenden Individuen 193 Die Perspektivität der Rangordnung 198 „es ist der Glaube, der hier entscheidet“: Rangordnung ohne allgemeingültige Kriterien 201 Das „Pathos der Distanz“ als „Gefühl der Rangverschiedenheit“ 202 „Ehrfurcht vor sich“ 203 Guter Geschmack 205 207 Geistigkeit 208 Unser Problem der Rangordnung
Literaturverzeichnis Personenregister
212 233
Begriffs- und Sachregister
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IX
Siglenverzeichnis Nietzsches Schriften werden zeichengetreu nach KSA/KGW und KSB/KGB zitiert. Bei Zitaten aus längeren Abschnitten (mehr als drei Seiten) und dem Nachlass werden Band und Seite angegeben. Der Nachlass wird mit Verweis auf Jahr und Nummer des Notats zitiert, bei Zitaten nach KGW IX werden Signatur und Seite des Notizhefts bzw. der Manuskriptmappe nach Hans-Joachim Mette (vgl. KSA 14.24‒35) angeführt, Durch- und Unterstreichungen als solche kenntlich gemacht und nachträgliche Einfügungen Nietzsches in geschweiften Klammern wiedergegeben. Die Briefe werden mit Verweis auf Empfänger, Datum und Nummer des Briefes sowie Band und Seite der KSB/KGB zitiert. AC BA CV DS EH FW GD GM GT HL JGB KGB
Der Antichrist Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller Ecce homo Die fröhliche Wissenschaft Götzen-Dämmerung Zur Genealogie der Moral Die Geburt der Tragödie Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben Jenseits von Gut und Böse Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Norbert Miller und Annemarie Pieper, Berlin / New York 1975 ff. KGW Werke. Kritische Gesamtausgabe, begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Volker Gerhardt, Norbert Miller, Wolfgang Müller-Lauter und Karl Pestalozzi, Berlin / New York 1967 ff. KSA Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München / Berlin / New York 1980 KSB Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München / Berlin / New York 1986 M Morgenröthe MA Menschliches, Allzumenschliches (I und II) NW Nietzsche contra Wagner PHG Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen SE Schopenhauer als Erzieher SGT Sokrates und die griechische Tragoedie UB Unzeitgemässe Betrachtungen VM Vermischte Meinungen und Sprüche WA Der Fall Wagner WL Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne WS Der Wanderer und sein Schatten Za Also sprach Zarathustra
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem „Es giebt Etwas, das in einem Zeitalter des „gleichen Rechts für Alle“ unangenehm klingt: das ist Rangordnung.“ (Nachlass 1885, 34[156], KSA 11.473) Rangordnung ist ein Problem, über das man wenig spricht. Obwohl Nietzsche es ausdrücklich zu seinem Problem machte, hat es auch in der Nietzsche-Forschung bisher kaum eine Rolle gespielt. Für viele scheint die Rangordnung ein Reizwort zu sein, ein moralisch verdächtiges, anstößiges Thema. Zugleich ist sie aber auch, nüchtern betrachtet, ein grundlegender Zug im menschlichen Miteinander und damit im menschlichen Leben überhaupt. Es könnte daher lohnenswert sein, sich dem Problem mit Nietzsche neu zu stellen und die Rangordnungen, die nicht nur die Natur, die Moral, die Religion, die Wissenschaft und die Philosophie, sondern letztlich auch unseren Alltag maßgeblich beeinflussen, aufzudecken, sie sichtbarer und verständlicher, weniger bedrohlich und damit vielleicht auch produktiver zu machen. Nietzsche setzt die Rangordnung als Gegenbegriff zur Gleichheit, die er als den Grundwert der modernen und für ihn unaufhaltsamen Bewegung der Demokratie sieht. Ihre Moral beruht auf unbedingter Gegenseitigkeit und Gleichheit, und es ist diese universale Gleichheitsforderung, die für Nietzsche eine Bedrohung und Gefahr darstellt. Er warnt und befürchtet, dass sie Individualität, Anders-Sein und damit auch alle Größe verunmöglichen könnte. Mittlerweile ist die Gleichheit für uns selbstverständlich geworden, ist tief in uns verankert. Sie scheint nach einem langen Prozess der Modernisierung, in dem sie immer wieder heftig umkämpft wurde, untrennbar mit der Demokratie verbunden. Die Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 ist ein Zeugnis und Meilenstein dieser Bewegung, ebenso die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution von 1789. Heute ist die Gleichheit vielfach in Gesetz und Verfassung sowie verschiedenen Deklarationen kodiert, etwa in den ersten Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Charta der Vereinten Nationen, im dritten Titel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder in Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes. Nietzsche geht es keineswegs darum, diese modernen Errungenschaften wieder abzuschaffen. Wenn er der Demokratie sein Bild einer – geistigen, nicht politischen – Aristokratie entgegensetzt, so nicht als Alternative zur Demokratie, die für ihn ja ohnehin unvermeidlich war. Sein Problem der Rangordnung, wie wir es verstehen, rüttelt nicht an heutigen demokratischen Grundrechten, und seine Kritik an der Demokratie ist nur in der Nebensache politisch motiviert, in der Hauptsache jedoch eine Kritik an der kulturellen, sich gesamtgesellschaftlich auswirkenden Gleichheitsbewegung. Nietzsche geht es um die Gefahren, die einer alternativlosen Beschränkung der Perspektiven auf eine Moral, die er wie kein Zweiter sah, erwachsen können, und um Alternativen dazu, Alternativen, die die Demokratie keineswegs unterlaufen, die die Demokratie im Gegenteil sogar zu ihrem Bestand und zur ihrer Stärkung nötig https://doi.org/10.1515/9783110771367-003
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
haben könnte, weil sie neue Handlungsspielräume auftun.¹ Nietzsche hinterfragt die Selbstverständlichkeit, mit der die Gleichheitsmoral herrscht, wie sie entstand und warum sie sich durchsetzen konnte. Wie weit kann und soll sie gehen? Man fordert Gleichheit im juristischen Sinn, also als gleiche Rechte und Gleichheit vor dem Gesetz, im ökonomischen Sinn als Verteilungsgerechtigkeit, also als Gleichheit in Einkommens- und Vermögensverteilung, im sozialen Sinn, also als Gleichheit auch bei immateriellen Gütern wie Bildung und Gesundheit sowie als allgemeine Chancengleichheit, im religiösen Sinn als Gleichheit vor Gott, als Geschlechter- und Rassengleichheit, aber auch im ästhetischen Sinn als unterschiedslose Behandlung unterschiedlich attraktiver Menschen oder gar im philosophischen oder ethischen Sinn als fundamentale und natürliche Gleichwertigkeit aller Menschen. Nietzsche deckt auf, dass diese Forderungen selbst nicht interesselos sind, obwohl sich die Gleichheitsmoral als selbstlos inszeniert, und dass die Gleichheit überhaupt eine Forderung und keine Tatsache und damit auch nicht alternativlos ist. Er zeigt zudem, dass diese Moral selbst nicht jeden gleich behandelt, sondern jeden, der Kritik an ihr übt, ausschließt. So könnte gerade heute, in einer Zeit, in der die Moral der Gleichheit selbstverständlicher und alternativloser als je zuvor scheint, Kritik an der Perspektive der Gleichheit und der Gleichheit der Perspektiven wichtig sein. Gleichheit scheint gerecht, doch schlägt sie, wenn man ihren Anspruch zu absolut setzt, gerade in Ungerechtigkeit um. Zwischenmenschliche Konflikte lassen sich durch das bloße Prinzip der Gleichheit kaum gerecht lösen. Hans Kelsen weist darauf hin, dass das Prinzip „Gerechtigkeit als Gleichheit“ bloß eine „inhaltsleere Formel“ sei, ebenso die Gleichheit vor dem Gesetz – in absoluter Form könne es sie nicht geben. Das Prinzip besage lediglich, „daß nur Gleiche gleich behandelt werden sollen. Das heißt aber, daß die entscheidende Frage: was ist gleich, durch das sogenannte Prinzip der Gleichheit nicht beantwortet wird.“² Gleichheit ist nach Nietzsche selbst nur ein Wert, ein Wert unter vielen. Hinter einem Wert steht letztlich immer ein Individuum, das den Wert gesetzt hat, das dem Wert seinen Wert erst verleiht. Die Rangordnung der Werte richtet sich nach der Rangordnung der Menschen, der Individuen. Welche Werte sich durchsetzen, ist dann keine Frage von Wahrheit oder Vernunft, sondern, wie Werner Stegmaier es formuliert, eine Frage der „Orientierungs-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit“,³ also keiner bloß physischen, sondern vor allem einer geistigen Durchsetzungskraft. Genau hier setzt Nietzsches Problem der Rangordnung an. Er interessiert sich für eben diese Fähigkeit zur Entscheidung und zum Wertesetzen, für Willen zur Macht, für verschiedene Individuen mit verschie-
Vgl. Tongeren 2007, 15: „what Nietzsche fights in democracy is the monomania with which it brings forward one type of human being. What he opposes is not only, and not in the first place (even if it sometimes looks that way), another type, but a plurality of types, instead of the absolute power of only one type.“ Kelsen 2000, 35. Vgl. dazu Stegmaier 2011, 179 – 182, und Stegmaier 2012a, 252– 257 und 443, zum Begriff der Orientierung im Ganzen Stegmaier 2008b.
1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
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denen Perspektiven, die sich in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich orientieren, sich durchsetzen, sich über- und unterordnen, bis sich Ordnungen auf Zeit einspielen. So sorgen sie für Stabilität und Ordnung, an die man sich halten kann. Wie bestimmend die Rangordnung für den Menschen ist, zeigt sich schon daran, dass viele grundlegende zwischenmenschliche Beziehungen von ihr gekennzeichnet sind, etwa die Beziehung zwischen Eltern und Kind, zwischen Lehrer und Schüler bzw. Meister und Gesellen, zwischen Vorgesetzten und Angestellten usw. Doch ist sie nicht immer so klar geregelt und muss häufig erst ausgefochten werden. Dies geschieht im Regelfall nicht durch gewaltsame Auseinandersetzung, sondern durch Kommunikation, die in einem besonderen Verhältnis zur Rangordnung steht. Einerseits ist die Rangordnung ein maßgeblicher Faktor für die Kommunikation, denn mit Ranghöheren und Rangniederen spricht man oft sehr verschieden. Andererseits wird die Rangordnung selbst auch von der Kommunikation bestimmt und kann an ihr abgelesen werden, etwa an der Körpersprache, der Haltung, mit der man dem anderen begegnet usw. Man kommuniziert permanent seinen Rang. Kommunikation ist darüber hinaus häufig so ausgerichtet, überhaupt erst ein Rangverhältnis zu erschaffen, indem man die Verhältnisse vorsichtig auslotet und sieht, woran man ist. Rang kann sich schon daran zeigen, wer im Gespräch das Wort führt, den Ton angibt, die Themen bestimmt. Ist das Verhältnis einmal etabliert, kann man sich daran halten und weiß, wie man sich zu verhalten hat. Mit der Zeit kann sich Vertrauen aufbauen und die Ordnung weiter stabilisieren. Trotzdem kann es in der Rangordnung keine absolute Sicherheit geben, sie kann jederzeit kippen. Selbst eine scheinbar fraglose Rangordnung wie die zwischen Lehrer und Schülerin kann sich überraschend drehen, wenn eine ausnehmend begabte Schülerin ihren Lehrer durch ihre Kompetenz für alle sichtbar überragt, und es sagt dann wiederum viel über die Rangordnung aus, wie die Beteiligten mit der Situation umgehen. Weil Kommunikation für beide Kommunikationsteilnehmer stets anders ausfallen kann als erwartet, sie durch diese doppelte Kontingenz generell immer vom Missverständnis bedroht und unzuverlässig ist,⁴ profitiert sie sehr von geklärten Rangverhältnissen. Bestimmte Rangverteilungen führen zu bestimmten Rollenverteilungen, die wiederum zu erwartbarem Verhalten führen. Rang kommuniziert bestimmtes Verhalten und erleichtert so die Orientierung.⁵ Zur doppelten Kontingenz der Kommunikation, die Niklas Luhmann „zum Angelpunkt seiner soziologischen Theorie der Kommunikation gemacht“ hat, vgl. Stegmaier 2008b, 408 – 424. Vgl. de Waal 2005, 64: „[A]lthough positions within a hierarchy are born from contest, the hierarchical structure itself, once established, eliminates the need for further conflict. Obviously, those lower on the scale would have preferred to be higher, but they settle for the next best thing, which is to be left in peace. The frequent exchange of status signals reassures bosses that there is no need for them to underline their position by force. Even those who believe that humans are more egalitarian than chimpanzees will have to admit that our societies could not possibly function without an acknowledged order. We crave hierarchical transparency. Imagine the misunderstandings we would run into if people never gave us the slightest clue about their position in relation to us, either in terms of appearance or in how they introduce themselves. Parents would walk into their child’s school and
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Rangordnung reduziert also die Komplexität, mit der man permanent konfrontiert ist.⁶ Gerade im menschlichen Miteinander ist man auf möglichst geklärte Verhältnisse angewiesen, da der Andere, der Mensch für den Menschen das Irritierendste überhaupt ist. Der Andere kann aber auch Halt geben, indem man sich an ihn und seine Entscheidungen, seine Werte und Orientierung hält, und dabei kann die Rangordnung helfen. Insofern aber diese Ordnung durch Über- und Unterordnung zustande kommt, beruht sie auf Macht – sie ist eine „Machtordnung“, oder, wie Nietzsche es auch ausdrückt, ein „Herrschaftsgebilde“, basierend auf „Befehlen und Gehorchen“, um in seiner Sprache zu bleiben. Das klingt heute befremdlich, doch ist Macht nicht mit Gewalt zu verwechseln. Wie sich zeigen wird, geht es Nietzsche eben nicht um bloße Gewalt, sondern gerade um ihre Überwindung und Transformation in Geistigkeit. Nietzsche sagt ausdrücklich, dass die Macht der Rangordnung, von der er spricht, „[n]atürlich abseits von allen bestehenden Gesellschaftsordnungen“ liege (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.217). Dennoch übt eine Person Macht über andere aus, wenn sie sich an ihr orientieren. Diese Macht wird in der von Nietzsche kritisierten Moral abgelehnt und als grundsätzlich böse verdächtigt. Die Abneigung, die man der Macht und allen Formen der Herrschaft entgegenbringt, ist so ausgeprägt, dass Nietzsche sogar eigens einen Begriff dafür erfindet: „der moderne M i s a r c h i s m u s “ (GM II 12, KSA 5.315). Er benennt, wörtlich Hass auf Herrschaft, „[d]ie demokratische Idiosynkrasie gegen Alles, was herrscht und herrschen will“.⁷ Es verwundert daher nicht, dass Nietzsche den Mangel an Personen beklagt, die diesem Misarchismus trotzen und dazu imstande und von sich aus bereit sind, Verantwortung auf sich zu nehmen und zu tragen. Er nennt sie „Führer“, im Plural, und auch das klingt heute, zumal in Deutschland, aus sehr nachvollziehbaren Gründen höchst befremdlich. Das Zögern, die Angst und Verzagtheit als erste Reaktion im Umgang mit Nietzsches Problem der Rangordnung sind daher durchaus verständlich. Rangordnung bedeutet aber nicht Führerprinzip. Es geht nicht um die Unter-
might just as easily be talking with the janitor as the principal. We would be forced to continuously probe others while hoping not to offend the wrong person.“ Vgl. dazu Anter 2004. Anter drückt den Vorteil der Einordnung in die Rangordnung folgendermaßen aus: „Der Untergeordnete profitiert von ihr, weil sein Bedürfnis nach Entlastung befriedigt wird: Er reduziert Komplexität. Der Übergeordnete hingegen profitiert von ihr, weil sein Machthunger gestillt wird: Er bleibt der Anführer“ (99). Für beide Seiten ergebe sich der Vorteil der „Ordnungssicherheit“, der verschiedene Situationen durch eine gewisse vertrauensbildende „Erwartungssicherheit“ beherrschbarer mache. Es könne „keine Ordnung dauerhaft allein auf Zwang beruhen, sondern sie setzt ein Einverständnis über ihre Geltung voraus“ (95). Vgl. Hausdorff 2004 [1897], 122 f.: „wenn wir die Probleme einer socialen Rangordnung erwägen, so denken wir ,wider den Strich‘ und müssen durch wilde Paradoxenmacherei über den dumpfen Widerstand unserer Instincte Herr werden: aus unserer allzuberedsamen Vergötterung des souveränen Ich ist deutlich genug das noch unüberwundene schlechte Gewissen herauszuhören. Wir fleisch- und blutgewordenen Ideale von 1789, die wir mit Herz, Nieren und Rückenmark an das gleiche Recht Aller glauben und damit jeden cerebralen Gegenglauben niederstimmen, wir bedürfen ungeheurer Selbstverleugnung und Moralität, um uns das Zugeständniss vom ,Vorrecht der Wenigsten‘ abzuzwingen.“
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ordnung unter einen „Führer“, der allen sagt, wie sie zu leben hätten, sondern um einen permanenten und offenen Wettbewerb unter verschiedenen Führungspersönlichkeiten untereinander. Sie geben anderen Orientierung, die in bestimmten Situationen selbst nicht hinreichend zurechtkommen, so dass sie diese Führung begrüßen, sie brauchen und wollen.⁸ Auch heutige Demokratien sind in bestimmtem Maß auf Macht und damit auf solche herausragenden Führungspersönlichkeiten angewiesen. Da für Machtbefugnisse aber moralische Rechtfertigungen verlangt werden, müssen sich herausragende Individuen eher zurücknehmen, ihre Fähigkeiten hinter Gleichheitsrhetorik verbergen, um nicht moralisch anzustoßen.Wenn die herrschende Moral auf Gleichheit pocht, wird man vorsichtig, wird man zusehends versuchen, nicht aufzufallen, nicht herauszuragen. Die für unsere Orientierung so wichtigen Autoritäten werden immer weniger gehört.⁹ Weniger Rangordnung scheint mehr Demokratie zu bedeuten, doch könnte gerade auch das Gegenteil der Fall sein. Der eingangs erwähnten Gerechtigkeit könnte man sich vielleicht mit mehr Rangordnung nähern, da sie nicht jeden gleich behandelt, sondern Rücksicht auf die Individualität des Einzelnen und seine ihm je eigenen Perspektiven nimmt. Rangordnung im hier dargelegten Sinn basiert auf Pluralismus, Perspektivismus und Agonalität, also grundlegenden Merkmalen moderner Demokratien. Weil Rangordnung die Eigenheiten der Einzelnen nicht nivelliert, sondern schätzt und sie fördert, lässt sie Größe zu, die Nietzsche immer wieder zum Thema macht.¹⁰ Eben diese Größe, die anderen Orientierung bietet, lassen Demokratien, so fürchtet Nietzsche, nicht mehr zu, weil sie der Gleichheitsmoral widerspricht. „Die Demokratie repräsentirt den U n g l a u b e n an große Menschen und an Elite-Gesellschaft: „Jeder ist jedem gleich““ (Nachlass 1884, 26[282], KSA 11.224). Auf den ersten Blick scheinen Wettbewerb, Größe und damit unausgesprochen auch Rangordnung in modernen Demokratien jedoch vielleicht anerkannt und erwünscht. Sie basieren auf Vielfältigkeit und Leistungsbereitschaft in einem fast selbstverständlichen agonalen Umfeld, in vielen Lebensbereichen bekennt man sich geradezu zum Wettbewerb, etwa im Sport, im Beruf oder in der Bildung. Es fällt jedoch auf, dass diese Bekenntnisse in der Regel allgemein und abstrakt bleiben. Die offene Kommunikation von Rang hat weitreichende Konsequenzen für die betroffene Person im Ganzen und wird daher meist gemieden. Als Prinzip mag Wettbewerb ohne wei Vgl. Simon 2000. Mit Rangordnung könne „nicht gemeint sein, daß die Wenigen die Vielen ,bewußt‘ unterdrückten, sondern nur, daß die Vielen sich bestimmen lassen wollen, weil sie sich lieber an einem gewohnten System fester Begriffe orientieren“ (193). Vgl. Newmark 2020, die das menschliche Bedürfnis nach Autoritäten untersucht, aber nicht für eine bloße Wiederherstellung alter autoritärer Strukturen plädiert, sondern fragt, was Autorität heute bedeutet und bedeuten könnte und sollte. Vgl. etwa Nachlass 1885, 35[25], KSA 11.519 f.: „Problem: viele Arten von g r o ß e n M e n s c h e n sind vielleicht n i c h t m e h r m ö g l i c h ? Z. B. der H e i l i g e . Vielleicht auch der P h i l o s o p h . Endlich das G e n i e ? Die ungeheuren Distanz-Verhältnisse zwischen Mensch und Mensch haben vielleicht abgenommen? […] – Wir bedürfen eines neuen Begriffs der G r ö ß e des Menschen […]. – Wir müssen die G r ö ß e d e s M e n s c h e n dort suchen, wo wir am wenigsten zu Hause sind.“
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teres akzeptiert sein, doch je konkreter man ihre Auswirkungen betrachtet, desto problematischer und heikler wird sie. Rangordnung unter Menschen ist offenbar formalisiert und bis zu einem gewissen Grad institutionalisiert besser zu ertragen. Man hat es dann nicht mit ganz konkreten Personen zu tun, sondern mit einem Amt, einer Stelle, einer bestimmten Stufe einer festen Hierarchie. Der Vorgesetzte am Arbeitsplatz ist als Ranghöherer aufgrund seiner überprüfbaren Qualifikationen offiziell eingesetzt und als solcher auch zu erkennen, an seiner Bezeichnung, seiner Kleidung, seinem Gehalt, der Größe seines Büros usw. In diesem klar geregelten Rangverhältnis ist es nicht problematisch, die unterschiedlichen Rangstufen zu benennen, über sie zu sprechen, weil die Verhältnisse objektiv scheinen. Auch im Sport geht man unbefangen mit Rangordnungen um, man erstellt Tabellen, Punktesysteme, berechnet Marktwerte usw., alles aufgrund von sachlichen, neutralen, für jeden gut nachvollziehbaren und meist klar definierten und quantifizierbaren Leistungsmerkmalen. Problematisch wird die Rangordnung jedoch in ungeregelten Situationen, wenn nicht schon im Vorhinein jedem klar ist, wer welche Rolle einzunehmen hat und nach welchen Kriterien überhaupt zu werten ist. Es werden sich Routinen im persönlichen Umgang miteinander einspielen, doch bleiben diese unausgesprochen, besonders hinsichtlich der Rangverhältnisse. Es scheint geradezu unmöglich, hier eine öffentliche Rangordnung aufzustellen, bestimmten Personen einen bestimmten Rang zuzuweisen. Unmöglich zum einen, weil man sich schlicht nicht sicher sein kann, ob der eigene Eindruck der richtige ist und man sich und den anderen angemessen einschätzt, zum anderen aber vor allem, weil es moralisch so unangebracht, so anstößig erscheint. Rangordnung ist deshalb ein sensibles Thema, weil es immer auch um den eigenen Rang und um den Rang des Gegenübers geht. Es wird deutlich, wie subjektiv, wie persönlich das Problem der Rangordnung ist. Man scheut sich, hier eine Beurteilung zu treffen, einen Wert zu setzen und diesen mitzuteilen. Man spricht gerade deshalb nicht über Rang, weil man seine Mitmenschen damit unmittelbar tief verletzen und beschämen könnte. Die Gefahr ist offenbar groß, eine Person zu kränken, sie im Ganzen herabzusetzen. Man nimmt daher Rücksicht, um zu vermeiden, dass sich jemand degradiert oder angegriffen fühlt, und erwartet dies auch von anderen. Hält man sich nicht daran, wird man durch Gleichheitsmoral aus der Wertegemeinschaft ausgeschlossen, man wird, wie Nietzsche sagt, einsam. So ist man gezwungen, sich gegenseitig zu signalisieren und zu demonstrieren, dass man letztlich doch gleich, moralisch gleichwertig sei, und nutzt dazu eine regelrechte Rhetorik der Gleichheit. Doch nicht nur seine Mitmenschen, auch sich selbst kann man mit seinen Einschätzungen und Gefühlen zur Rangordnung kompromittieren. Weil man nie wissen kann, welchen Rang man hat, läuft man immer Gefahr, seinen eigenen Rang zu hoch anzusetzen, andere damit zu verprellen oder sich selbst bloßzustellen. Zudem fällt es oft schwer, andere in einer Situation als überlegen zu akzeptieren, sie nüchtern und ohne Neid und Missgunst wertzuschätzen. Nietzsche kritisiert genau diese fehlende Bereitschaft zur Rangordnung, zum Urteilen und Werten und auch zum Alleinstehen. Er will darauf aufmerksam machen, dass unser Blick auf die Rangordnung durch die auf Gleichheit pochende Moral ge-
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lenkt ist, dass wir davor scheuen und nicht die Kraft und den Mut dazu haben, Entscheidungen hinsichtlich einer Rangordnung unter Individuen zu treffen, dass man sich den Spannungen, die eine solche Rangordnung unweigerlich mit sich bringt, nicht mehr aussetzen will oder kann. Es geht ihm also keineswegs darum, eine bestimmte Rangordnung festzulegen und sie allen zu diktieren. Es sind die Bedingungen der Möglichkeit der Rangordnung, die ihn angehen, also die Fähigkeit und der Mut, auch gegen den Druck der Moral der Gleichheit für Rangordnungen einzustehen. Nietzsches Problem der Rangordnung ist daher auch ein unmittelbar ethisches: Es stellt eine Alternative dar zur egalitaristischen Einebnung von Individualität, für die Individuen gleich, nämlich gleich gültig und damit gewissermaßen auch gleichgültig sind. Die Gleichheitsmoral führt jedoch nicht schon dazu, dass es keine Rangordnungen mehr gäbe. Das Problem ist vielmehr, dass man nicht mehr über die Rangordnung sprechen kann, dass man sie, obwohl man sie in fast allen zwischenmenschlichen Bereichen antrifft, übersieht und übergeht, sie letztlich also immer mehr an Bedeutung verlieren. Gerade weil die Rangordnung für die Kommunikation so wichtig ist, wird man die Kommunikation durch ihre Nennung nicht gefährden. Man vergisst, wie wichtig Rangordnungen sind, wie sie funktionieren und welche Chancen sie bergen, man betrügt sich letztlich also selbst. Selbst in der Nietzsche-Forschung ist das Unbehagen groß, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.¹¹ Sie ist selbst schon immer moralisch verdächtig(t), und so muss sie bei einem moralisch verpönten Problem erst recht vorsichtig sein und Distanz Stellvertretend für das Zögern und die Abneigung gegenüber der Rangordnung in der Forschung sei Richardson 1996 genannt. Er spricht von „qualms“, also Bedenken oder Skrupel, gegenüber der Rangordnung Nietzsches: „we might be a bit less disturbed by his insistent rankings of persons when we bear in mind that they do not imply the sort of blaming of those they rank low that moral judgments might. Still, I think this doesn’t affect our main qualms against Nietzsche’s hierarchism. If anything, it might disturb us all the more that his inegalitarian politics and ethics so disvalue those who aren’t free to be otherwise“ (216). Freilich weist Nietzsche mehrfach auf die gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Ränge voneinander hin, die je ihre eigene Perspektive auf die Rangordnung haben, so dass nicht die Rede davon sein kann, er entwerte untere Rangstufen, was immer auch Auswirkungen auf die höheren hätte. Das Gegenteil ist der Fall: In der Annahme und Ausübung eines Rangs besteht für Nietzsche gerade eine wertvolle Aufgabe, unabhängig davon, um welchen Rang es sich konkret handeln mag.Vgl. die Rezension von Frank 2005. Frank zeigt auf, dass in Richardsons Untersuchung, trotz seiner Distanzierung von Nietzsches Anti-Egalitarismus, „gerade Hierarchie und Rangordnung zu wichtigen Bestimmungen [werden], um die Macht-Ontologie mit dem Perspektivismus vereinbaren zu können“ (413). Richardson hat seine Schwierigkeiten mit Nietzsches Betonung der Ungleichheit unlängst wiederholt, vgl. Rangordnung in der Demokratie vs. metaphysizierte Gleichheit, in: NietzscheStudien 43 (2014), 88 – 105, 103: „It has always seemed a problem for me as somebody with a kind of allegiance to Nietzsche’s thinking, how to reconcile my distaste for such inequality with my taste for Nietzsche“, jedoch auch eine sehr plausible Lösung angeboten: „I suppose that Nietzsche believed in opening up differences between people. But it occurred to me that his interest is in differences between types of people who are distinguished by different kinds of values that are appropriate for these different personal types.“ Auch Ottmann 1999 zählt die Rangordnung zu den „sperrige[n] Elemente[n] der Philosophie Nietzsches“ und konstatiert dementsprechend „die Härte seiner Rangordnungslehre“ (464).
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wahren. Diese Vorsicht im heutigen Umgang mit dem Problem, die mitunter zur Abneigung oder gar zur Verachtung werden kann, ist selbst vor dem Horizont des von Nietzsche beschriebenen modernen Wertgefüges zu verstehen. Die moderne Wissenschaft ist davon keine Ausnahme, sondern, so Nietzsche, vielmehr ein Ausdruck der Gleichheitsbewegung. Sie basiert auf Objektivität und Wahrheit und ignoriert die Forscherpersönlichkeiten, die sie doch eigentlich bestimmen. Man verlangt auch in der Philosophie nach allgemeinen Lehren, die für jeden gleichermaßen verständlich sein sollen. Auch und gerade Nietzsches Philosophie ist davon betroffen. Man hat in ihr über lange Zeit vor allem die vordergründigen, die lauten Themen gesehen, und aus ihnen systematisch die berühmten und vieldiskutierten Lehren gemacht: die Lehre vom Übermenschen, vom Willen zur Macht und von der ewigen Wiederkunft des Gleichen. Das Problem der Rangordnung ist so in den Hintergrund geraten. Von ihr kann es aber kein allgemeines, allgemeingültiges Verständnis geben. Rangordnung, so viel ist nun klar, ist ein perspektivisches Problem, ist immer nur in einer Perspektive gegeben, in einer anderen Perspektive kann sie immer auch ganz anders ausfallen. So kann man vor ihr nicht ein, sondern immer nur sein Verständnis haben, und das gilt auch für Nietzsches Verständnis der Rangordnung.¹² Weil sie also nicht in einer Lehre, einer Theorie oder einem System fassbar ist, bleibt Rangordnung immer problematisch.
1.1 Stand der Forschung Nietzsches Problem der Rangordnung ist in der Forschung bisher weitgehend übersehen oder zumindest übergangen worden, sowohl in der Nietzsche-Forschung als auch in der philosophischen Forschung im Allgemeinen.¹³ Obwohl Nietzsche es sein Problem nennt, ist es als solches kaum ernst genommen worden. Zwar taucht die Rangordnung in der Forschung gelegentlich auf, doch wird sie dann meist nur genannt oder oberflächlich behandelt, aber nicht weiter problematisiert, nicht als grundlegendes Problem Nietzsches anerkannt. Der tiefen Bedeutung, die das Problem für Nietzsche hat, wird der Stand der Forschung kaum gerecht. Tiefergehende Interpretationsversuche sind nur vereinzelt zu finden, die Rangordnung bleibt gerade auch im Vergleich mit anderen Themen Nietzsches Nebensache. Kurz: Über Rangordnung scheint man nicht gern zu sprechen. Die in der Einleitung erwogenen Gründe mögen auch für die Forschungslücke ursächlich sein.
Vgl. Stegmaier 2011, 182. Dies scheint auch außerhalb der Philosophie der Fall zu sein. Eine Ausnahme bildet Nicole Mizera mit ihrer Arbeit Eigenarten menschlichen Hierarchieverhaltens (1995), die unter dem Oberbegriff „Biopolitics“ evolutionstheoretische, ethnologische, soziobiologische, aber auch politische und kulturelle Perspektiven vereint. Sie stellt ihrerseits fest: „Eine Arbeit, die in angemessener Breite und Tiefe sowohl nach den Ursachen als auch den Funktionen menschlichen Hierarchieverhaltens sowie nach dessen Unterschieden im Vergleich zu dem bei Tieren fragt, liegt meines Wissens nicht vor“ (1).
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Die wohl erste konkrete Auseinandersetzung mit Nietzsches Problem der Rangordnung findet sich bei dem späteren Sprachwissenschaftler Franz Nikolaus Finck.¹⁴ Nietzsche beschreibt er als sein persönliches „Ereignis“ (6) und als den „bahnbrechenden Denker unserer Zeit“, der „die Zukunftsaufgabe der Philosophie, eine neue Rangordnung aller Werte, d. h. aller ethischen Begriffe“ (11), gestellt habe. Diese sei notwendige Voraussetzung für das „höchste […] uns erreichbare Ziel“, nämlich die „möglichst allgemeine Veredlung des Menschengeschlechts“ (35). Die alte „herrschende Moral steht der Verwirklichung des Ideals entgegen“ und müsse daher einer neuen, „wertvolleren Platz machen.“ Finck orientiert sich bei der Darlegung der neuen Moral wesentlich an einer zeitgenössischen medizinisch-neurologischen Publikation¹⁵ und argumentiert dementsprechend physiologisch: Die „dauernde Gesundheit“ des Nervensystems, „de[m] Sitz[ ] alles Lebens“ (26), sei aufgrund ihrer Vererbbarkeit die zentrale Bedingung für die Höherentwicklung des Menschen und Kern der neuen Moral. Die alte, laut Finck maßgeblich sozialistisch geprägte Moral habe „sexuelle Fehler“ (30) bedingt und so fast alle Kulturen krank gemacht. Gesundheit sei nur zu erlangen, wenn „natürliche[ ] und willkürliche[ ]“ Einflüsse des Nervensystems harmonisierten (27), wozu etwa „Selbstliebe“ und die „Ausweisung“ von Kranken in „Kolonien“ nötig seien (42 f.). – Finck verortet Nietzsches Rangordnung nahezu ausschließlich in der Physiologie, nicht in der Philosophie und wird ihr damit nicht gerecht. Auch wenn er das Problem als einer der Ersten erkannte, hat er es so zugleich verkannt. Der medizinisch-physiologische Unterbau seiner Untersuchungen ist wissenschaftlich unhaltbar und enzieht Fincks mitunter abwegigen moralischen Schlussfolgerungen ihre Grundlage. Er verfasste die in euphorischem, unkritischem Ton gehaltene schmale Abhandlung noch vor seiner Promotion,¹⁶ in seiner späteren, durchaus erfolgreichen Karriere als Sprachwissenschaftler widmete er sich gänzlich anderen Themen.¹⁷ Ausgerechnet in Frankreich, dem Land eben der Revolution, die die von Nietzsche bekämpfte Gleichheitsbewegung lostrat, das er aber für seine geistige Kultur und seinen feinen Geschmack zugleich auch tief verehrte, näherte und nähert man sich dem Problem eher als in anderen Ländern.¹⁸ Eine frühe und sehr politisch geprägte
Finck 1891 (Die Grundlage für eine neue Rangordnung der Werte). Damm 1891 (Neura. Handbuch für Ärzte und gebildete Nichtärzte. Ein System der ganzen medicinischen Wissenschaft). Das Handbuch ist im gleichen Jahr und beim gleichen Verlag erschienen wie Fincks eigene Schrift. Vgl. Steiner 1892, der die geistige Unselbstständigkeit von Fincks Abhandlung kritisiert und ihn als „Portsetzer und Ausbauer der Nietzscheschen Weltauffassung“ bezeichnet. Zu Fincks akademischem Werdegang vgl. den Nachruf von Harrington 1910. Rangordnungen scheinen in der französischen Gesellschaft generell eine größere Selbstverständlichkeit zu besitzen. So lassen sich eine (maßgeblich durch ein elitäres Hochschulsystem bedingte) Kopplung von staatlichen und wirtschaftlichen Eliten, ein ausgeprägtes Hierarchie-Empfinden in der Arbeitswelt, ein unbefangenerer Umgang mit Macht und ein starkes Elitebewusstein auch im Umgang mit anderen Kulturen und Sprachen beobachten. Dass Rang, Autorität und Distinktion in
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Rezeption von Nietzsches Rangordnungsgedanken findet sich dort in der nationalistischen, antisemitischen und antidemokratischen Action française, die 1898 als Reaktion auf die Dreyfus-Affäre gegründet wurde und mit militärischen Mitteln die Erbmonarchie wiederherstellen wollte. Der wichtigste Kopf der Gruppe, Charles Maurras, berief sich immer wieder auf Nietzsche. Der der Bewegung sehr nahestehende, politisch aber weniger stark engagierte Philosoph Jules de Gaultier veröffentlichte mehrere einflussreiche Bücher zu Nietzsche und befasste sich auch konkret mit der Rangordnung.¹⁹ Als Prinzip der Über- und Unterordnung ist sie ihm von enormer Bedeutung. Ihr zentrales Kriterium sei bloße Stärke, die sich biologisch und physiologisch manifestiere und schließlich auch politisch der bestimmende Faktor sei. Die Starken, das sind für ihn zugleich die Aristokraten, würden die Schwachen unterwerfen, versklaven, wie es auch überlegene Zellen mit unterlegenen täten – damit stünde die Rangordnung bereits fest. De Gaultier übersieht in seiner biologistischen Interpretation freilich, dass Rang bei Nietzsche gerade nicht einfach den körperlich Starken zukommt, sondern den entwickelten, komplexen Individuen, die im evolutionären Machtkampf eher die Schwachen sind. Nicht auf die Aristokratie des Blutes, sondern auf die Aristokratie des Geistes kommt es ihm an. Die deutschfeindliche Action française distanzierte sich darüber hinaus ausdrücklich von der „deutschen“ Idee des Werdens, des Flusses (FW 357), und wollte Nietzsche ohne diesen Gedanken denken. Mit der ständig im Fluss begriffenen Rangordnung ist das kaum zu vereinbaren. Die konservative und antirevolutionäre Haltung der Action française bestimmt letztlich also ihre Philosophie: Rangordnung dient ihr als Kampfbegriff gegen die Demokratie.²⁰ Der als Kulturpessimist bekanntgewordene Emil Hammacher,²¹ der u. a. auf Thomas Mann einigen Einfluss ausübte, beruft sich mehrfach und ausdrücklich auf Nietzsches Problem der Rangordnung. Er schlägt vor, Nietzsches Gedanken der Rangordnung zu übernehmen und ihn mit modernen Entwicklungen zu verknüpfen. Hammacher entwickelt dabei eine Ethik, die zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Rangordnung unterscheidet und diese schließlich in Einklang bringen will: „D a s s o z i a l e I d e a l i s t d i e m ö g l i c h s t e I d e n t i t ä t d e r p e r s ö n l i c h e n u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e n R a n g o r d n u n g “ (163). Nietzsche habe mit seiner Gleichheitskritik allerdings übersehen, dass es Marx und den Sozialisten keinesfalls um bloße Gleichheit, sondern ebenfalls um anti-individualistische Rangordnung gegangen sei. Man solle diese nur scheinbar unvereinbaren Überlegungen
Frankreich eine große Rolle spielten und weiterhin spielen, zeigt am Beispiel der Stellung des Adels Saint Martin 2003. Gaultier 1901 (Le Sens de la Hiérarchie chez Nietzsche) und Gaultier 1926, 138 – 148. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, Pierre Lasserre, widmet sich in seinem Werk La Morale de Nietzsche (1902), im Kapitel „Sur la Hiérarchie“ dem gleichen Thema und kommt zu recht ähnlichen Ergebnissen. Vgl. dazu Virtanen 1950. Vgl. auch Sagnol 2009, 114 f., Serra 1985 und Le Rider 1998, 375. Hammacher 1914 und bereits zuvor 1909a, 1909b und 1910.
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zur Rangordnung nun zusammendenken. Hammachers Vorschläge bleiben jedoch weitestgehend spekulativ. Etwas später greift Martin Meyer²² die Rangordnung als „positiv wertvollste[n] Ertrag der Nietzscheschen Philosophie“ auf (3), der „für die gegenwärtige Moralphilosophie von der weittragendsten Bedeutung sein könnte“ (71). Er hält Nietzsches Rangordnungsidee „für berufen, in der kommenden Entwicklung der Philosophie eine hervorragende Rolle zu spielen.“ Meyer schränkt seine Betrachtungen auf Nietzsches Werke ab Za ein, da „der Mittelpunkt seines Denkens“ sich „von der Zarathustrazeit an nicht mehr verändert“ habe (5). Meyer geht Nietzsches Philosophie hart an, so gebe sie nur vor, ohne letzten Halt souverän auszukommen. „In Wahrheit verwandelt sich diese [auf feste Begriffe nicht angewiesene] Souveränetät zu einem verzweifelten Hinund Hergeschlagenwerden auf einem offenen Meere, das seinen magnetischen Pol verloren“ (51). Meyer wirft Nietzsche zudem Werterelativismus vor: „Wir haben uns vorgeführt, wie das Aufgeben des letzten metaphysischen Grundes, einer höchsten Idealeinheit und die willkürliche Neusetzung des Ideals pervertierend einwirkt auf das Philosophieren unseres Denkers“ (65). Die Rangordnung jedoch sieht Meyer als „moralphilosophische Lieblingsidee Nietzsches und zugleich […] vielleicht die positiv wertvollste, die er geschaffen“ (40) habe. Damit ist er zwar einer der wenigen, die dieses Problem Nietzsches als solches erkannt haben, doch vermag seine Interpretation dieser Idee kaum zu überzeugen.²³ Meyer will Nietzsches Begriff der Rangordnung umdeuten und „in sein Gegenteil verkehren“ (71): „wir wollen versuchen, indem wir diesem Begriff die ihm gebührende Stelle eines Leitmotivs bei der Weltanschauungsbildung zuweisen, von religiös-moralischer Problemstellung aus allgemeinste, erste Grundlinien eines metaphysischen Weltbildes zu zeichnen“ (72). Alle Rangordnung sei letztlich doch wieder zurückführbar auf die „Idee der Gleichheit vor Gott“ (77), auch wenn sie, wie Meyer selbst einräumt, dazu umfassend umgestaltet werden müsse. Wollte Nietzsche dem Gedanken der Gleichheit vor Gott die Rangordnung als Alternative entgegenstellen, so will Meyer die beiden für Nietzsche unversöhnlichen Pole vereinen. „[D]ie Bedeutung der Gleichheit vor Gott“ liege darin, dass jedes Individuum „an seine Stelle in einem unendlich abgestuften Wertreich“ komme und dass so jedes Individuum „seine Stelle als ein Absolutes für sich empfindet, und jedem nur zuteil wird, was es selbst geschaffen vermöge seiner sittlichen Freiheit“. – Ein solches moralisch, metaphysisch und vor allem religiös geprägtes Weltbild könnte von Nietzsches eigenen mit der Rangordnung verbundenen Intentionen kaum weiter entfernt sein. Meyer hat sie, wie von ihm angekündigt, in ihr Gegenteil verkehrt. Die nächste Welle der Auseinandersetzung mit der Rangordnung kam im Zug nationalsozialistisch gesinnter Interpretationen. So bekennt sich Oskar Becker,²⁴ der zusammen mit Martin Heidegger Assistent bei Edmund Husserl war und später aka-
Meyer 1916. Vgl. bereits die Rezension von Braun 1920, 154. Becker 1942.
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demischer Lehrer von einflussreichen Forschern wie Karl-Otto Apel, Max Bense, Jürgen Habermas, Paul Lorenzen, Otto Pöggeler, Hermann Schmitz und Elisabeth Ströker wurde, in seiner Abhandlung über die Rangordnung klar zum Nationalsozialismus. Nietzsches Rangordnung sieht er als Machtordnung, lässt aber weitgehend offen, was konkret unter Macht zu verstehen sei. Becker stellt die Rangordnung in einen Zusammenhang mit Zucht und Züchtung, wirft Nietzsche hinsichtlich der Züchtung aber „verhängnisvolle[ ] Unklarheit“ (20) vor: „Zucht im Sinne von Erziehung und eigentliche Züchtung im biologischen Sinne fließt ihm häufig durcheinander.“ Becker führt dies auf Nietzsches angeblichen Lamarckismus und seine Unkenntnis der Mendelschen Regeln zurück. „Aber im obersten Grundsatz der Höherzüchtung selbst fühlen wir uns noch heute mit Nietzsche im tiefsten verbunden“ (21). Abschließend vergleicht Becker Nietzsches Gedanken über die Rangordnung „mit den grundlegenden Zügen der n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n We l t a n s c h a u u n g u n d S t a a t s a u f f a s s u n g “ (19) und stellt dabei verschiedene Distanzen fest: Neben seiner kritischen Haltung zu den Deutschen fehle Nietzsche überhaupt „der grundlegende Begriff des o r g a n i s c h e n Volks- und Staatsaufbaus“ (19). Auch lehnt Becker Nietzsches „Züchtungsziel“ von wenigen höheren Menschen ab, „weil es einen dauernden Bestand [des Volks] nicht verspricht“ (21). Dementsprechend kritisiert Becker Nietzsches Aristokratismus, der das Volk „in zwei ganz getrennte Schichten“ (19) teile. Gemein sei Nietzsche und den Nationalsozialisten jedoch die Ablehnung der Juden: Nietzsche habe „das verhängnisvolle Wesen des Judentums grundsätzlich auf das Klarste erkannt und erbittert bekämpft“ (20), verfüge über „klare rassenhygienische Einsicht“ (21). – Dass Nietzsche keineswegs Antisemit war, hat die Forschung immer wieder deutlich belegt (vgl. Kap. 4.2.3). Letztlich sieht Becker Nietzsche als ungeeignet für die nationalsozialistische Zielsetzung: „Für unsere gegenwärtige Betrachtung ist es nun entscheidend, daß Nietzsche an der Möglichkeit einer organischen Lösung des Problems der Führungsform, wie sie in unserer Zeit vom Nationalsozialismus (und in anderer Weise auch vom Fascismus) angestrebt und durchgeführt wird, verzweifelt“ (20 f.). Die Rangordnung Nietzsches erwies für nationalsozialistische Vereinnahmungsversuche offenbar als ungeeignet.²⁵ Das Rangordnungsproblem war inzwischen, nach mehreren Versuchen politischer Inanspruchnahme von rechts, bei eher links verorteten Interpreten in Verruf geraten. Georg Lukács²⁶ befasst sich mit Nietzsches Rangordnung als Gegenkonzept zur Gleichheit noch eher am Rande. Nietzsche liefere eine biologistische, rassistische, kapitalistische Philosophie, „eine Ethik für die klassenkämpferische Bourgeoisie und bürgerliche Intelligenz des Imperialismus“ (64). Der Sozialist Lukács kritisiert Nietz-
Neben Becker beriefen sich im Nationalsozialismus zwar noch weitere Forscher auf Nietzsches Thema der Rangordnung, beließen es zumeist jedoch bei bloßer Erwähnung des Themas, ohne eine weitere Interpretation zu wagen. Vgl. etwa Oehler 1936/37 und 1937, Kerber 1937, Glaser 1937, Römer 1940, der Nietzsche eine von Gobineau inspirierte, rassistisch begründete Rangordnung unterstellt, und Liebmann 1944. Lukács 1966.
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sches „Kampf gegen den Sozialismus“ (49), dessen Bestandteil auch die „militärische Über- und Unterordnung“ der Rangordnung sei. Lukács einseitige Kritik und unzureichende Interpretation Nietzsches wurden bereits hinlänglich widerlegt.²⁷ Heinz Malorny,²⁸ tief geprägt von Lukács’ marxistischer Nietzsche-Kritik, zählt die Rangordnung schließlich zu den „irrationalen Mythen“ Nietzsches (218). Mit „seiner biologistischen Auffassung“ der Rangordnung „mystifizierte“ Nietzsche „die völlig unhistorisch gefaßten sozialen Antagonismen der Klassengesellschaft, er erklärte sie für unaufhebbar und begründete somit etwa zu der gleichen Zeit wie die Sozialdarwinisten eine neue biologisch verbrämte Form der Apologetik der Klassenherrschaft“ (105). „Nietzsche plädierte für autoritäre und diktatorische Herrschaftsmethoden, Befehlen und Gehorchen waren für ihn aus der angeblich naturgegebenen Rangordnung entspringende gesellschaftliche Grundtatsachen. […] Nietzsche erweist sich eindeutig als entschiedener Verfechter dessen, was Lenin als die konservative Methode der Herrschaft der Bourgeoisie gekennzeichnet hat“ (112 f.). – Offenkundig greift Malornys stark ideologisch gefärbte Interpretation der Rangordnung Nietzsches zu kurz. Sie verzerrt Nietzsches Denken, wie wir es inzwischen zu verstehen gelernt haben, völlig. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seiner Philosophie findet kaum statt, vielmehr liefert Malorny eine weltanschauliche Be- und Aburteilung Nietzsches. Nach den nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuchen wurde die Rangordnung bei sozialistischen Interpreten zum Reizbegriff, von dem man sich möglichst zu distanzieren suchte. Eine weitere ideologiegeladene Interpretation findet sich bei Ludwig Trönle.²⁹ Rangordnung sei als „Grundgedanke“ der Philosophie Nietzsches „von solcher Größe, daß man wohl sagen kann, daß alles, was er schrieb, – wenn schon nicht aus ihm, so doch unter seiner wärmenden Sonne sich entfaltet hat“ (84). Selbst „dort, wo das Wort Rangordnung noch nicht vorkommt, ist doch sie der herrschende Gedanke“ (7). Trönles Ziel sei die Wiedergabe von „Nietzsches Lehre von der Rangordnung, wie wir glauben, sie aus den nachgelassenen Schriften herauslesen zu dürfen“ (9). Er liefert dabei wichtige und bis dato weitgehend neue Einsichten. So zeigt er, dass bei Nietzsche stets beide Schichten, die obere und die untere, wichtig seien, da sie nur im
Vgl. besonders Ottmann 1984. Vgl. auch Jung 1990 und Pourgouris 2002. Für „Nietzsche als Staatsfeind Nummer eins der DDR“ vgl. Ottmann 1999, 429 – 434. Vgl. auch Behler 1981/82 sowie die anschließende Diskussion (97– 110). Malorny 1989. Trönle 1958. Die Arbeit muss ursprünglich um die Jahre 1944/45 entstanden sein, weil sie, wie der Verlag Forum Humanum auf dem Umschlag mitteilt, „Mitte 1945“ ein Preisausschreiben „über das Thema R a n g o r d n u n g (E l i t e ) von der ,ARBEITSSTÄTTE FÜR NIETZSCHE-FORSCHUNG / HEINRICH STOLLWERCK-STIFTUNG SOPHIENHÖHE‘“ gewann. Das Preisausschreiben zum 100. Geburtstag Nietzsches am 15. Oktober 1944 über 1000 RM stand unter der Leitung des bekennenden Nationalsozialisten und Nietzsche-Herausgebers Richard Oehler. Inwieweit die vorliegende Publikation von 1958 dem beim Preisausschreiben eingereichten Manuskript entspricht, teilt der Verlag nicht mit. Eingriffe sind aber stark zu vermuten, Trönle zitiert in seinem Fazit beispielsweise Literatur von 1957. Zur Entstehung der Arbeitsstätte vgl. Krummel 1998, 516 – 518, und Hoffmann 1991, 113.
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Zusammenspiel fungieren könnten. Sie seien keine Gegensätze, die sich irgendwann überwänden, weder besiegten die Oberen die Unteren durch ihre Überlegenheit noch die Unteren die Oberen durch ihre Überzahl. Nietzsche sei zwar zweifellos mehr an den Ranghohen gelegen, doch sei ihm auch bewusst, dass es diese nur in Abhängigkeit von den Rangniederen geben könne, so wie es auch umgekehrt der Fall sei. Beide Schichten seien einander letztlich unentbehrlich, Befehlen und Gehorchen funktionierten nur zusammen. Auch zeigt Trönle, „daß es ganz unrichtig wäre, sich unter der ,unteren Schichte‘ etwas an sich Niedriges vorzustellen; es ist immer nur ein Niedriger in Hinsicht auf die höheren Menschen“ (28). Und, „um hier einem Mißverstehen sofort vorzubeugen“, fügt er hinzu, dass es sich „bei der Oberschichte in erster Linie […] um eine geistige Machtquantität“ handelt (18). Die Rangniederen richteten sich zudem meist gerne nach Ranghöheren, von einer gewaltsamen Unterdrückung könne keine Rede sein. – Trönles Verdienst besteht in einer gründlichen und umfassenden Bestandsaufnahme der verschiedenen Aspekte der Rangordnung, die zuvor in der Forschung noch nicht geleistet wurde. Erhebliche methodische Mängel sind jedoch auch zu verzeichnen: Die von ihm herangezogenen „nachgelassenen Schriften“ Nietzsches beinhalten veröffentlichtes Werk und nachgelassene Notate, zwischen denen Trönle in keiner Weise differenziert. Das größte Problem von Trönles Arbeit dürfte darin bestehen, dass er Nietzsche eine systematische Lehre von der Rangordnung unterstellt, er meint gar, dass im Nachlass „eine bis ins Kleinste durchdachte Lehre von der Rangordnung steckt“ (7). Trönle glaubt, sich daher auf „ein paar allgemeinste Sätze“ berufen zu können, „die im Wesen das ausmachen, was man seine [Nietzsches] Methode nennen kann“ (8). Doch Nietzsche gibt gerade keine abgeschlossene Lehre von der Rangordnung, weder im Nachlass noch im veröffentlichten Werk. Es ist daher gefährlich, sich auf einzelne Zitate zu berufen und diese zu systematisieren, ohne die jeweiligen Kontexte zu beachten. Ein weiteres gewichtiges Problem von Trönles Interpretation besteht darin, dass er die Rangordnung letztlich nicht neutral untersucht, sondern mit ihrer Darstellung einen bestimmten Zweck verfolgt, nämlich die im Titel genannte „Elitebildung durch agonale Auslese“: „Wenn wir die Lehre Nietzsches von der Rangordnung dargestellt haben, so stets in Hinsicht auf die Möglichkeit ihrer praktischen Verwirklichung“ (94). Trönle setzt sich für eine auf Agonalität beruhende Erziehung ein, um „höhere Menschen“ zu formen und „eine autoritative Elite zu schaffen“. Diese bedenklichen Absichten stehen einer rein wissenschaftlichen Untersuchung der Rangordnung im Weg.³⁰ Diese instrumentalisierende Interpretation ist symptomatisch. Auch Alain Boyer³¹ nutzt die Rangordnung, um ein Ziel zu verfolgen, nämlich die philosophische Diskreditierung Nietzsches. Er meint, „Nietzsche’s central obsession is hierarchy. […] We do find an eternal recurrence of the antiegalitarian obsession“ (2). Boyer geht gar so weit zu behaupten: „There is in fact no argument of Nietzsche’s that cannot be brought
Vgl. dazu die Kritik von Hoyer 2002, 59. Boyer 1997.
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back, at least in part, to his hierarchical obsession“ (6). Doch statt nun Nietzsches Gedanken zu interpretieren, ist er der Meinung: „We have to stop interpreting Nietzsche and start taking him at his word“ (2). Die Begründung: „Instead of arguments, we most often find brilliant metaphors, infinitely seductive, as they should be, but of little rational weight“ (10). Durch diese Methodik verunmöglicht Boyer schon im Vornhinein jegliche sinnvolle Auseinandersetzung mit Nietzsches Problem der Rangordnung. Boyer, der im Übrigen philologisch fragwürdig aus „The Will to Power“ zitiert, beschränkt sich auf bloße Vorwürfe und Vorurteile, eine wiederum rationale Auseinandersetzung mit seine Thesen scheint weder möglich noch lohnenswert. – Sämtliche bis hier diskutierte Interpreten haben mit ihrer Untersuchung der Rangordnung bestimmte Zwecke verfolgt, so verschieden die jeweiligen Intentionen auch sein mögen. Erst in jüngerer Zeit finden sich Ansätze eines rein wissenschaftlichen Umgangs mit Nietzsches Problem der Rangordnung. Ted Sadler³² befasst sich im Rahmen seiner Kritik am „postmodern Nietzsche“³³ ausführlich mit der Rangordnung. Sein Hauptanliegen dabei ist es, sie vor perspektivischen und pluralistischen Interpretationen zu schützen. Sadler sieht Rangordnung im Gegensatz zu den meisten vorangegangenen Interpreten nicht als politisches Problem: „it has, at bottom, nothing to do with political or socio-economic categories: it is a rank order of the spirit“ (72). Es gebe drei Klassen geistigen Rangs, „spiritual lower class, spiritual middle class, and spiritual aristocracy“ (75). Eine solche Rangordnung weise aber nicht einfach jedem einen festen Rang zu, denn „Nietzsche does not believe that anyone is purely of one spiritual rank or another. He acknowledges that he himself bears traces of the lower ranks“ (93). Dennoch reduziert Sadler die Rangordnung auf ein einzelnes Kriterium, die (absolute) Wahrheit: „Nietzsche’s measure of rank is truth“ (70). Wahrheit sei erst dann wirkliche Wahrheit, wenn sie unabhängig von bloßen Perspektiven sei – und um genau diese absolute Wahrheit gehe es Nietzsche, eben sie sei das Rangkriterium. In einer früheren Arbeit³⁴ erläutert Sadler dies bereits genauer: „,Rank-order‘ […] does not refer at all to a hierarchy of perspectives but to the degree in which perspectival existence and perspectival thinking is overcome“ (235). Rangordnung sei damit gar „somewhat of an embarrassment for the all-important message of pluralism“ (232). Zudem wirft Sadler
Sadler 1995, Kapitel „Hierarchy of the Spirit“ (67– 115). Die „postmodern“ genannte Interpretation Nietzsches wird häufig auf Gilles Deleuze zurückgeführt. In seinem einflussreichen Werk „Nietzsche und die Philosophie“ (Deleuze 1976), geht dieser selbst auf die Rangordnung ein, indem er den für ihn wesentlichen Begriff der ,Differenz‘ auf sie gründet: „Die Rangfolge ist die ursprüngliche Tatsache, die Identität von Differenz und Herkunft“ (12). Nietzsches „Philosophie des Willens“ basiere nicht mehr auf dem singulären Willen Schopenhauers, sondern beinhalte eine Pluralität von verschiedenen Willen, die zueinander immer in einem Verhältnis stünden, einem Verhältnis von Befehl und Gehorsam, eben der Rangordnung. Für ihn sei also „die Hierarchie, die Rangfolge […] das Verhältnis einer herrschenden zu einer beherrschten Kraft, eines Willens, der Gehorsam will zu einem, der gehorcht.“ Vgl. dazu Donaldson 2002. Sadler 1993, insbesondere das Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Rank-order and Supra-perspectival Truth“ (231– 237).
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Nietzsche vor, er habe mit seiner Kritik der Gleichheit vor Gott das Christentum in unzulässiger Weise vereinfacht. Sicherlich sei die Gleichheit ein wichtiger Aspekt für die Christen, doch sei auch die Rangordnung, die „hierarchy of the spirit […] one of Christianity’s most characteristic conceptions, reflected in both its theology and ecclesiastical structure“ (75). – Sadler übersieht freilich, dass Nietzsche, trotz seiner Attacke auf die Gleichheitsauffassung der Christen, selbst vielfach achtungsvoll auf hierarchische Züge der Kirche hinweist (vgl. Kap. 4.2.1). Ein weiteres Missverständnis Sadlers ist sein Vorwurf, „Nietzsche is himself resentfully obsessed with the spiritual plebs“ (82). Offensichtlich kritisiert Nietzsche die Rangniederen, doch nicht von Ressentiment motiviert, wie Sadler meint. Nietzsche schätzt sie stattdessen bereits dafür, dass sie den Ranghohen erst die Möglichkeit geben, sich von ihnen zu differenzieren. Beide können nur in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander existieren: „Die Rangordnung hat sich festgestellt durch den S i e g des Stärkeren und die U n e n t b e h r l i c h k e i t des Schwächeren für den Stärkeren und des Stärkeren für den Schwächeren“ (Nachlass 1884, 25[430], KSA 11.126). – Die Grundintention Sadlers, die sogenannten postmodernen Interpretationen Nietzsches zu kritisieren, bestimmt auch seinen Umgang mit dem Problem der Rangordnung. Da er Perspektivismus und Pluralismus als wesentliche Bestandteile postmoderner Philosophie sieht, distanziert er sich von ihnen soweit wie möglich – bis in unmittelbare Nähe zur Metaphysik.³⁵ Durch Sadlers dezidiert anti-perspektivische, dogmatische und absolute Wahrheitsauffassung ist freilich jeglicher Zugang zur Rangordnung in Nietzsches Sinn verstellt, die gerade dort einsetzt, wo absolute Ordnungen und Begriffe mit dem Tod Gottes versagen. Auch Fredrick Appel³⁶ übt Kritik an den vorrangig „postmodern interpretations“ Nietzsches, im Gegensatz zu Sadler jedoch ausdrücklich mit Bezug auf die Politik. Die postmodernen Interpreten suchten, so Appel, Nietzsches Philosophie mit modernen demokratischen und egalitaristischen Maßstäben zu vereinen, wobei sie die Betonung besonders auf Perspektivität und Agonalität legten. Solche Unternehmungen seien bloßes Zurechtmachen von Nietzsches Philosophie, während doch andere Denker für demokratische Zwecke geeigneter seien. Appel wolle Nietzsche beim Wort nehmen und sehe ihn als Vertreter eines „radical aristocratism“, der schlicht nicht mit demokratischer Theorie kompatibel sei. Die Rangordnung spielt in Appels Argumentation eine zentrale Rolle, da sie Nietzsches im Kern aristokratisches Gedankengut und seine Philosophie im Ganzen kennzeichne, sie also geradezu das Gegenstück zur auf Egalitarismus beruhenden Demokratie sei: „assumptions of rank order among human beings undergird not simply his political stance but also his epistemology and his understanding of concepts such as nature“ (6). Nach Nietzsche gebe es zwei unterschiedliche Menschentypen, höhere und niedere. „Only higher-order human beings (such as himself) can sense the truth of this normative ranking and courageously,
Vgl. Reckermann 2003, 199 – 202. Appel 1999.
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joyfully embrace the ,hard truths‘ that science provides us of a contingent life without God.“ Nur die Ranghohen, die „tiny minority“, seien „,natural‘ in the fullest, finest sense“, also Ranghohe von Natur aus, die als „paradigms for the species as a whole“ dienten. Appel nimmt Nietzsches Metapher von der Rangordnung als „N a t u r O r d n u n g “ (AC 57, KSA 6.242) allzu wörtlich und stützt seine Behauptung, Nietzsches Rangordnung sei eine natürliche, gänzlich darauf (24). Auch in einer weiteren Veröffentlichung³⁷ liefert Appel eine naturalistische Interpretation der Rangordnung, die die Aufgabe der von Nietzsche erhofften Philosophen als „a realization of the hierarchical natural order“ (54) bestimmt. Zuvor³⁸ unterstellte er Nietzsche bereits den Anspruch auf einen objektiven Standpunkt, der nur durch die natürliche Rangordnung erreicht werden könne. „Nietzsche’s conception of objective truth“ sei unmittelbar verbunden mit seinen „(rather dubious) assumptions of Rangordnung“ (484). Rangordnung ist für Appel „an ontological hierarchy of higher and lower types“, in der die wenigen Ranghohen allein das Recht und die Fähigkeit zu objektiver Wahrheit besäßen, während die vielen Schwachen auf Lügen angewiesen blieben. – Wir gehen im Folgenden von einem genau gegensätzlichen Verständnis aus, dass Nietzsches Rangordnung nämlich weder ontologisch noch objektiv noch naturalistisch ist, dass sie gerade nicht im Aufheben, sondern im Wissen um und Zulassen von Perspektiven besteht. Appels Methode des wörtlichen Verstehens aller Äußerungen Nietzsches lässt seinen Stil gänzlich außer Acht, der gerade im Zusammenhang mit der Rangordnung wichtig scheint. So ist Nietzsche denn auch kaum an der Einrichtung einer real-aristokratischen politischen Verwaltungskaste gelegen, wie Appel meint.³⁹ Zudem ist es keineswegs ausgemacht, dass Demokratie nicht auch ohne das von Nietzsche attackierte und mit seiner Rangordnung konterkarierte absolute Gleichheitspostulat möglich und eventuell gar funktionaler wäre. Mit einer solchen nicht mehr egalitaristisch fundierten Demokratie wäre Appels gesamte Mutmaßung hinfällig.⁴⁰ Brigitte Krulic⁴¹ hat die bisher einzige umfassende Monografie zum Thema Nietzsche und Rangordnung vorgelegt. Krulic, die sich sonst mit deutscher und französischer politischer Ideengeschichte befasst, liest Nietzsche, wie der Titel schon verrät, mit Tocqueville, der nicht etwa nur in einem Kapitel abgehandelt wird, sondern ständiger Bezugs- und Anhaltspunkt bleibt. Der erste Teil des Buchs widmet sich Nietzsche als Denker der „hiérarchie“, den zweiten und größeren Teil betitelt Krulic „La modernité désenchantée“. Er untersucht in sehr freier Methode grundlegende Aspekte von Nietzsches Kritik der Moderne. Krulic sieht in Nietzsches Gedanken zur
Appel 1997. Appel 1996. Vgl. Siemens 2008, 241: „[T]he philosopher-legislators are connected or supported by political rulers, but do not themselves rule […]. Their task is ,spiritual‘ (geistig), not political“. Für ein Demokratieverständnis, das Rangordnung gezielt zulässt, habe ich selbst bereits plädiert. Vgl. den Diskussionsbeitrag „Rangordnung in der Demokratie vs. metaphysizierte Gleichheit“ (Alberts 2014). Krulic 2002.
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Rangordnung in erster Linie ein Gegenkonzept zur modernen demokratischen Gleichheitsbewegung, die die Gleichheit vor dem Gesetz in den Mittelpunkt stelle. Nietzsches aristokratischer Gegenentwurf sei maßgeblich durch die Lektüre französischer Denker geprägt – Tocqueville gilt ihr dabei natürlich als wichtigster Einfluss – und dadurch einerseits traditionell, andererseits zugleich höchst originell. Tocqueville und Nietzsche sei beispielsweise gemein, dass beide die Rolle des Christentums in der Entwicklung zum Egalitarismus betonten. Ein Unterschied sei hingegen in der Einschätzung des Charakters der Gleichheit zu finden. Während Tocqueville sie als einen natürlichen Wert sehe, lehne Nietzsche einerseits jeglichen Naturalismus ab, rede andererseits jedoch von einer grundsätzlich grausamen und auf Ungleichheit basierenden Natur, die nicht durch die Fiktion der Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben werden könne. Rangordnung, so Krulic weiter, wirke nicht bloß im Miteinander Einzelner, sondern sei auch konstitutiv für das Verhältnis von Einzelnen und der Gemeinschaft sowie dem Staat. Im Grunde seien Nietzsches Gedanken zur Rangordnung als Entmystifizierung moderner Ideale und Illusionen zu sehen, etwa der Gleichberechtigung, der Befreiung durch Arbeit, der allgemeinen Menschenrechte und der ontologischen Gleichheit der Menschen. – Genau diese Kritik der Moderne ist Krulics eigentliches Thema, die Rangordnung wird fast zu einem Nebenaspekt. Durch die Fokussierung auf Tocqueville ist die Perspektive des Buchs sehr politiklastig und konzentriert auf staatstheoretische und gesellschaftliche Probleme. Die Kritik der Gleichheit bei Tocqueville geschieht im Rahmen seiner berühmten Untersuchung Über die Demokratie in Amerika und zielt letztlich darauf, einen zentralistischen Staatsaufbau zu verhindern, um die Freiheit der Bürger vor Egalitarismus, Konformismus und Uniformismus zu bewahren, während die Gleichheit bei Nietzsche zwar auch demokratischer Grundgedanke ist, darüber hinaus aber, neben einer persönlichen, auch eine ethische und vor allem philosophische Dimension beansprucht. Krulic beschränkt sich zudem zu weiten Teilen auf die Analyse historischer Kontexte, auch denen von Nietzsches eigener Kritik der Moderne. Dieser Ansatz birgt zwar viel Interessantes, etwa die Kritik des modernen homo oeconomicus als homo aequalis oder die Auseinandersetzung mit Nationalismus und Antisemitismus, die Krulic als „passions démocratiques“ bezeichnet – philosophisch bleibt die Monografie jedoch zu sehr an der Oberfläche.⁴² Nietzsches eigentliches Problem der Rangordnung zwischen Mensch und Mensch, wie er es nennt, scheint geradezu übergangen. Stellenweise zu kritisieren ist außerdem Krulics Handwerk: Ihr gesamtes Literaturverzeichnis weist lediglich drei deutsche Titel auf, darunter nur ein einziger zu Nietzsche. Dieser nahezu vollständige Verzicht auf deutsche Forschungsliteratur entspricht kaum dem Standard heutiger Nietzsche-Forschung. Darüber hinaus begeht Krulic den besonders im Französischen, aber auch in anderen Sprachen verbreiteten Fehler, ,Rangordnung‘ mit ,hiérarchie‘ zu übersetzen, was den Zugang zum Problem erheblich erschwert.⁴³
Vgl. die Rezension von Couture 2004. Zur Problematik der Übersetzung des Begriffs ,Rangordnung‘ vgl. Kap. 3.1.
1.1 Stand der Forschung
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Eine weitere gewichtige aus Frankreich stammende Publikation zur Rangordnung ist Stamatios Tzitzis⁴⁴ zu verdanken. Der Sammelband entstand im Anschluss an die Tagung „Nietzsche, Hiérarchie, Normes et Règles“, die 2007 vom Institut für Kriminologie der Universität Panthéon-Assas veranstaltet wurde. Die Teilnehmer der Tagung sind Forscher recht unterschiedlicher wissenschaftlicher Provenienz, so dass sieben interessante, philosophisch aber nicht immer relevante Beiträge entstanden sind.⁴⁵ Der Herausgeber und Koordinator der Tagung etwa, Stamatios Tzitzis, forscht eigentlich auf dem Gebiet der Geschichte der Rechtsphilosophie und des Strafrechts. In seiner Einleitung (5 – 14) befasst er sich hauptsächlich mit dem Willen zur Macht, Nietzsches Vorstellung der Aristokratie und dem Vergleich von Nietzsches „aristos“ mit seinem Übermenschen, dessen Rolle Tzitzis darin sieht, dem Nihilismus durch seine Wertrangordnung die Stirn zu bieten. Über die Rangordnung selbst ist jedoch nur wenig zu erfahren. – Der Jesuit Paul Valadier liefert den wohl interessantesten Beitrag⁴⁶: Er weist zunächst auf Nietzsches Stil hin, der gezielt provoziere und Distanz und Aufmerksamkeit zugleich schaffe, so aber auch zu vorschnellen Urteilen des Lesers führe. Für das Problem der Rangordnung gelte dies besonders. Es wirke überholt, unmodern, sei tatsächlich jedoch äußerst aktuell und in heutigen demokratischen Gesellschaften von großer Relevanz. Die übersteigerte Betonung des Egalitarismus lähme Kreativität und Anders-Sein und fördere zugleich Neid und Unzufriedenheit. Unterschiedlichkeit und Originalität begegne man in einem solchem Klima zusehends mit Hass, obwohl sie doch so wertvoll seien. Indem moderne Gesellschaften Rangordnung entwerteten, beschädigten sie die Lebensbedingungen ihrer Bürger. Nietzsches Philosophie weise hier Parallelen zu Tocqueville auf. Leben sei immer von Macht und Willen zur Macht bestimmt – Herrschaft, Über- und Unterordnung, Züchtung und gewissenmaßen auch Grausamkeit die unvermeidlichen Folgen. Dies werde von modernen Gesellschaften missachtet oder verleugnet, Nietzsche halte ihnen jedoch die Bedeutung von Rangordnung entgegen. – Der Rechtshistoriker François Vallançon⁴⁷ kontrastiert Nietzsches Konzept von Gleichheit und Rangordnung mit dem Rousseaus, sieht jedoch Gemeinsamkeiten mit Aristoteles. Ausgehend vom Begriff ,hiérarchie‘ wendet er sich dann dem „hieros“, dem Heiligen, zu, verkennt jedoch, dass nicht Hierarchie, sondern Rangordnung Nietzsches Problem ist. Überzeugend ist allenfalls, dass Vallançon abschließend im Tod Gottes kein Ende, sondern eine Revolution, eine Umkehr der Rangordnung sieht. Dies jedoch unvermittelt als ewige Wiederkunft des Gleichen zu interpretieren wird der Sache kaum gerecht. – Die Philosophin Angèle Kremer-Marietti⁴⁸ leistet, nach einem Vergleich mit
Tzitzis 2008. Der enthaltene Artikel Krulic 2008 beruht im Wesentlichen auf ihrer bereits besprochenen Monografie und muss daher nicht eigens erläutert werden. „L’ensemble nous offre une nouvelle lecture de la morale nietzschéenne qui pourrait permettre de mieux comprendre les enjeux moraux, juridiques et politiques des sociétés modernes“ (11). Valadier 2008. Vallançon 2008. Kremer-Marietti 2008.
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
Tocqueville und Mill, in der Hauptsache Begriffsarbeit und Philologisches, indem sie versucht, eine vollständige Aufzählung der verschiedenen Verwendungsarten der Rangordnung bei Nietzsche zu geben. So gebe es Rangordnung auf dem Gebiet der Leidenschaften, der Vernunft, der Geister und freien Geister, der moralischen Güter, innerhalb und zwischen Moralen, auf dem Gebiet der Größe, der Gedanken, der Philosophen, der Instinkte, der Organe, der menschlichen Handlungen, innerhalb und zwischen Seelen, auf dem Gebiet der Werte, des Leidens, der Angst, der Lebensweisen, der Kräfte, der Gesellschaften, der Menschentypen und, schließlich, zwischen Mensch, Tier und Natur sowie zwischen Mensch und Mensch. Kremer-Marietti weist jedem der Gebiete Textstellen zu, so dass sich die Liste als erste Übersicht zum Problem der Rangordnung als durchaus nützlich erweist. Ihre Interpretation bleibt meist an der Oberfläche und liefert kaum Neues und teilweise gar Missverständliches, wenn etwa davon die Rede ist, Nietzsches Rangordnung sei als „système axiologique du gouvernement de la terre“ (63) zu sehen, was sich kaum als haltbar erweisen lässt. – Ingeburg Lachaussée,⁴⁹ Germanistin und Philosophin, die sich vorwiegend mit ökomischen und politischen Themen befasst, fragt, ob Nietzsche mit seiner Kritik der Gleichheit, die Wesensmerkmal der Demokratie sei, als politischer Denker zu gelten habe. Letztlich sei dies der Fall, jedoch nicht im herkömmlichen Sinn etwa eines Anarchisten oder Naturrechtlers, sondern als „un penseur politique original“ (86): Die Fragen und Probleme der Moderne seien zugleich auch seine persönlichen. Das Problem der Rangordnung beschränkt sich bei Lachaussée freilich darauf, den Gegensatz zur thematisierten Gleichheit zu bilden. – Der Sprachwissenschaftler und Germanist Jean-Jacques Briu⁵⁰ befasst sich mit den Gedichten Nietzsches (in französischer Übersetzung), die er einer linguistischen und stilistischen Analyse unterzieht, um sich so dem Gedanken der Rangordnung zu nähern. Diese Methode ist sicherlich originell und liefert einiges linguistisch Aufschlussreiches, ist jedoch philologisch ungenau und letztlich in ihrer philosophischen Konsequenz fraglich. Auch Briu begeht den Fehler, Rangordnung wie selbstverständlich mit ,hiérarchie‘ zu übersetzen und zentrale Aspekte seiner Interpretation auf den Begriff des ,hieros‘ zu stützen. Gemein sei Nietzsches Gedichten ihre der Romantik entgegengesetzte Ästhetik. Bestimmte Begriffe und Ideen kehrten immer wieder und seien Ausdruck der Grundhaltung eben der „hiérarchie“, einem Streben nach höherem Leben, die einer ontologischen Ungleichheit geschuldet sei. – Der Band schließt mit einem interessanten Aufsatz der Germanistin und Ideenhistorikerin Angelika Schober,⁵¹ die sich mit Nietzsches paradoxer Faszination für die katholische Kirche befasst. Einerseits schätze er die hierarchische Organisation der Kirche sehr, ebenso die katholische Liturgie, deren feierlicher Ernst Gemeinsamkeiten mit verschiedenen Kulten antiker Gesellschaften aufweise: „Les deux développent des moyens pour élever l’homme au-
Lachaussée 2008. Briu 2008. Schober 2008.
1.1 Stand der Forschung
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dessus de la banalité du quotidien“ (143). Die Kirche transformiere die auf bloßer Gewalt basierende Hierarchie zu einer feineren, geistigeren, und weise damit aristokratische Züge auf. So sei auch Nietzsches Faszination für katholische Denker wie François Fénelon, Franz von Sales oder Armand Jean Le Bouthillier de Rancé zu erklären.⁵² Zugleich sei Nietzsche aber auch erbitterter Gegner des Christentums. Dieses Paradox löst Schober, indem sie aufzeigt, dass Nietzsche am Christentum vorrangig die Idee der Gleichheit vor Gott kritisiere, andere Aspekte, darunter vor allem den hierarchischen Gedanken, jedoch achte. Werner Stegmaier widmet der Rangordnung in seiner unlängst erschienen Monografie zu Nietzsche und Niklas Luhmann⁵³ das knapp 30-seitige Kapitel „Sich auszeichnende Orientierung: Persönlichkeit nach Hegel, Rang nach Nietzsche, Reputation nach Luhmann“.⁵⁴ Er stellt eine enge Verbindung zwischen dem Rangbegriff und dem der Persönlichkeit her. Während Hegel in seinem komplexen philosophischen System den „Begriff des Begriffs“ als Persönlichkeit fasse, werte Nietzsche den Begriff der Persönlichkeit, besonders in der Philosophie, auf: Es sei nicht mehr selbstverständlich, sondern zeichne aus, eine Persönlichkeit zu sein. Luhmanns soziologische Theorie schließlich fasse die Gleichheit, gegen die sich die Rangordnung richte, wie auch Nietzsche nicht als selbstverständlich, als gegeben, sondern als „Konstrukt“: „man kann sich jeweils entscheiden, ob man Gleichheit oder Ungleichheit beobachten und bewerkstelligen will“ (365). Dies sei, neben dem Recht, besonders sichtbar in der Wissenschaft, die „gezielt Gleichheiten her[stellt], um sie dann wieder nach (gleichen) Ungleichheiten zu differenzieren“ (366). Hier sei zudem deutlich zu erkennen, wie der Rang als „Orientierungsprinzip“ fungiere, das man im sich immer weiter ausdifferenzierenden und damit immer unübersichtlicher werdenden Wissenschaftssystem nötig habe. Man könne sich an den in der wissenschaftlichen Kommunikation zugeschriebenen Reputationscode halten, der den dort sonst bestimmenden Wahrheitscode überlagere. Persönlichkeiten orientierten, auch in der Wissenschaft. Luhmann teile jedoch nicht Nietzsches Hoffnung, die Philosophie werde mit ihrer „Gesetzgebung der Größe“ Sinn stiften, sondern habe im Gegenteil die „Sorge“, dass die funktional differenzierte Gesellschaft durch immer neu behauptete Rangordnungen zwischen den Funktionssystemen wieder neu stratifiziert zu werden drohe. Die Orientierungsfunktion der Rangordnung, die Stegmaier in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt, reiche bis weit über die Wissenschaft hinaus, nämlich in letzter Konsequenz dahin, dass Rangordnungen „zu anderen hinaufblicken lassen, zu solchen, die sich in dem, was man selbst am höchsten schätzt, besonders auszeichnen und der eigenen Orientierung starke Gesichtspunkte und Anhaltspunkte geben, Zeichen für sie setzen. Mehr ist in der Distanz der Orientierungen Vgl. UB III, SE 3, KSA 1.358, M 192, Nachlass 1880, 5[37], KSA 9.189, und Nachlass 1885, 44[6], KSA 11.707. Stegmaier 2016b. Das Kapitel ist eine überarbeitete Version des thematisch etwas anders orientierten Aufsatzes Stegmaier 2014b.
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
nicht möglich“ (373). – Stegmaier gehört zu den wenigen Interpreten, die den Stellenwert der Rangordnung für Nietzsche erkennen und philosophisch ernst nehmen, und gibt viele wichtige Impulse zu diesem Problem. So macht er deutlich, dass Nietzsche es „in erster Linie nicht in weltverbessernd-sozialkritischer, sondern in philosophisch-begriffskritischer Absicht“ (364) stelle und es ihm dementsprechend nicht, wie oft unterstellt, um eine Erneuerung der Ständeordnung gehe. Eine weitere zentrale Einsicht bestehe darin, dass es keine allgemeingültigen Kriterien für die Rangordnung geben könne, „sondern dass jeder unvermeidlich von seinem Rang aus seine Rangordnung entwirft, um seinen Platz in seiner Rangordnung zu finden“ (361). Zuletzt soll eine Übersicht über die verschiedenen Wörterbucheinträge zum Thema Rangordnung bei Nietzsche gegeben werden, weil man an diesen, wie uns scheint, ablesen kann, was und in welcher Dimension in der Forschung als Problem angesehen wird.⁵⁵ Während das Nietzsche-Handbuch⁵⁶ keinen Eintrag zur Rangordnung aufweist, ist dem Nietzsche-Lexikon⁵⁷ das Problem immerhin eine Seite wert. Der Autor des Artikels, Michael Skowron, meint, man könne die in MA I, Vorrede 7, genannten „Stufen auf drei reduzieren, die den in Zarathustras erster Rede genannten drei Verwandlungen des Geistes vom Kamel über den Löwen zum Kind entsprechen.“ Er weist den Stufen zudem „konkrete historische Personen zu[ ]“, belegt dies aber lediglich mit einer Nachlassstelle: „Als Exponenten der ersten Stufe nennt N. Naturen wie Wagner, Schopenhauer und Dühring. […] Während der zweiten Stufe keine konkreten Personen zugeordnet werden, erwägt N. für die dritte, die nur für Wenige sei, da die meisten schon im zweiten Gang zugrunde gingen, ob vielleicht Plato und Spinoza dafür in Frage kämen.“ Auch wenn die berühmte Verwandlung des Kamels über den Löwen zum Kind aus Za sicher mit den Stufen der Rangordnung in Verbindung zu bringen ist, darauf verkürzen lässt sich Nietzsches Problem der Rangordnung keineswegs. Die für Nietzsche so maßgebliche interindividuelle Dimension spart Skowron gänzlich aus, verweist abschließend lediglich auf Übermensch und ewige Wiederkunft des Gleichen, deren vermeintlicher Zusammenhang mit der Rangordnung aber nahezu unerläutert bleibt. – Ein weiterer Beitrag⁵⁸ aus Frankreich thematisiert die Rangordnung: Sie wird hier als relevantes Problem gewürdigt und erneut besonders unter dem Gesichtspunkt von Nietzsches Kampf gegen die Ideen der Moderne, allen voran die Gleichheit, behandelt. Rangordnung beschränke sich jedoch nicht aufs Politische und Soziale: „Elle est tout au contraire étendue à l’ensemble de la réalité, dont elle définit une caractéristique fondamentale“ (162). Die zentrale Stelle MA I, Vorrede 7, findet ebenso Berücksichtigung wie das hier maßgebliche Konzept des „freien Geistes“ (vgl. Kap. 2.2.4.2). Weniger überzeugend ist freilich die so nicht haltbare enge Verknüpfung von Rangordnung und Nietzsches Idee des „Übermenschen“, Es ist darauf hinzuweisen, dass das Nietzsche-Wörterbuch (= NWB) ein Lemma „Rangordnung“ plant. Ottmann 2000. Skowron 2009b. Art. Hiérarchie (Rangordnung), in: Denat / Wotling 2013, 162– 168.
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die der knappe Artikel insinuiert. Außerdem fällt erneut die vom Autor nicht thematisierte Übersetzung des Begriffs ,Rangordnung‘ mit dem eben nicht synonymen Ausdruck ,hiérarchie‘ auf. – Erst das Oxford Handbook to Nietzsche⁵⁹ setzt sich umfassend mit der Rangordnung Nietzsches auseinander. Robert Guay hebt mehrfach die grundlegende Bedeutung der Rangordnung für Nietzsche hervor: „Understanding order of rank is essential to understanding Nietzsche’s philosophical enterprise“ (485). Auch thematisiert er die inhärente Problematizität der Rangordnung, die sich für Guay in der Frage äußere, „how there can be normative authority at all, such that some things are better (or ,higher‘) than others, at least“ (487). Dabei grenzt er sich vom Naturalismus oder einer Interpretation der „Natural Aristocracy“ ab, denn „order of rank is something indeterminate, unstable, and constructed“, „processual“ und „dynamic“ (488), also gerade nicht natürlich, ewig und alternativlos festgelegt. Absolute Werte seien kein Thema für Nietzsche, ihm gehe es vielmehr darum zu untersuchen, wie moralische Werte entstehen. „Nietzsche makes explicit that order of rank is not a set of substantive values, but the normative background that makes moral distinction possible“ (493). Die Rangordnung spiele dabei letztlich immer eine Rolle, denn „Nietzsche takes order of rank to apply to everything, but primarily to values, and thence to persons“ (496). Guays Grundthese besteht in seiner von ihm „transcendental“ genannten Interpretation, die im Kern besagt: „Nietzsche presents order of rank not substantively, but as a condition for the availability of normative authority“ (486). Die Bedingungen der Möglichkeit normativer Autorität bestimmten also Nietzsches Interesse „rather than prescribing any specific hierarchy“ (505). Guay weiter: „order of rank is grounded as a constitutive condition. […] Order of rank makes possible the evaluative, self-relating activity distinctive of Life as such, not as a causal condition, but by contributing to the content by which persons distinguish themselves from the rest of nature“ (504). Zudem sei Rangordnung kein politisches Problem, es gehe Nietzsche nicht um „a particular, desirable political formation: order of rank, for Nietzsche, explains how the human world always works“ (501). – Es ist positiv hervorzuheben, dass Guay das Problem der Rangordnung und dessen Bedeutung für Nietzsche erkennt, wodurch er sich schon von den meisten Interpreten unterscheidet. Er distanziert sich durchgehend von zur Substantialisierung neigenden Interpretationen und versteht auch Rangordnung nicht als feste Hierarchie substanzieller Werte. Zudem entwickelt er kein System aus Nietzsches letztlich eher losen Gedanken zur Rangordnung. Guays Transzendentalismus erscheint zur Lösung des Problems der Rangordnung jedoch denkbar ungeeignet: Er sieht die Rangordnung als „grounded as a constitutive condition“, und zwar „a constitutive condition for the phenomenon of Life“ (504 f.). Auch wenn sein Konzept des Transzendentalen im Gegensatz zu Kants ohne „a set of uniquely necessary conditions, priority to experience, and derivation from the logical form of judgments“ auskomme, scheint ein transzendentaler Standpunkt bei Nietzsche nicht mehr möglich. Sicher sieht Nietzsche die Rangordnung als
Guay 2013.
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
grundlegend für Natur und Leben, doch betont er zugleich immer die Perspektivität seines Urteils. Ein transzendentaler Blick auf das Leben ist nur möglich, wenn man einen objektiven Standpunkt außerhalb jeder Rangordnung einnimmt, der nach Nietzsche aber gerade nicht möglich ist. Auch Guays These, Rangordnung „undermines the modern sense of individuality“ (506), ist problematisch: Nietzsche spricht in M 203 vom herkömmlichen gesellschaftlichen „Stand“: „man hat keinen Stand mehr! Man ist „Individuum“!“, was in Guays Übersetzung zu „One no longer has classrank! One is an ,individual‘!“ wird. Nietzsche spricht im Zusammenhang mit der Rangordnung für gewöhnlich nicht von ,Stand‘, und wie sich herausstellen wird, meint er mit Rang und Rangordnung gerade nicht den gesellschaftlichen Stand, eine bestimmte Klasse oder Schicht, die alle enthaltenen Individuen zusammenfasst und damit quasi entindividualisiert, sondern eine Ordnung, die jeden Einzelnen mit seinen individuellen Erfahrungen und seinem individuellen Rang ernst nimmt, die Individualität im Gegensatz zur modernen Gleichheit erst ermöglicht. Es ist festzuhalten, dass man sich mit Nietzsches Problem der Rangordnung im Vergleich zu anderen Themen seiner Werke nur wenig auseinandergesetzt hat. Musste die Rangordnung zunächst als antidemokratischer Kampfbegriff herhalten, so versuchten sich die Nationalsozialisten – vergeblich – an ihrer Vereinnahmung. Für Sozialisten wurde sie zum Reizbegriff, sie wurde angefeindet, meist aber, bewusst oder unbewusst, ausgespart, im Giftschrank belassen. Neben diesen politisch motivierten Instrumentalisierungversuchen verfolgte man mit der Rangordnung auch eine stark ideologisch gefärbte pädagogische Agenda sowie religiöse Intentionen. Schließlich wurde sie mit philosophischen Mitteln teils heftig bekämpft. Versuche, Nietzsches Problem der Rangordnung zu adaptieren, haben so zu den bizarrsten Zerrbildern seiner Philosophie geführt. Nicht nur die Rangordnung selbst, sondern auch die wenige Literatur zu ihr wurde letztlich kaum rezipiert und blieb in der Forschung weitgehend isoliert und randständig. Eine Anerkennung als gewichtiges Problem Nietzsches und eine produktive Auseinandersetzung erfuhr die Rangordnung erst in den letzten Jahren, und zwar fast ausschließlich in Frankreich. – So muss der Sinn der Rangordnung in Nietzsches Denken mitsamt ihrer politischen, moralischen und philosophischen Bedeutung für heute erst noch gezeigt werden. Das soll im Folgenden versucht werden.
1.2 Philosophischer Horizont: Nihilismus und „Tod Gottes“ Der Nihilismus ist bei Nietzsche nicht nur ein gewichtiges Thema, das besonders in seinen späten Werken und im späten Nachlass häufig auftaucht, er ist überdies der Horizont, vor dem sich seine Philosophie insgesamt abspielt, der Hintergrund, der Ausgangs- und ständige Bezugspunkt, vor dem man Nietzsche erst verstehen kann. Für Nietzsche bedeutet Nihilismus bekanntlich, „d a ß d i e o b e r s t e n We r t h e s i c h e n t w e r t h e n .“ (Nachlass 1887, 9[35], KSA 12.350) Für die Rangordnung hat er damit eine doppelte Bedeutung: Er ist Krise und Chance der Rangordnung zugleich.
1.2 Philosophischer Horizont: Nihilismus und „Tod Gottes“
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Krise ist er, eben weil sich die obersten Werte entwerten, die Rangordnung der Werte damit also umgeordnet wird. Diese Umordnung ist eine Um- und Entwertung der Rangordnung der Werte. Im Nachlass erwägt Nietzsche gar, dass diese Krise der Rangordnung ursächlich für den Nihilismus sei: „die Rangordnung fehlt, Ursache des Nihilismus“ (Nachlass 1888, 12[1], KSA 13.196).⁶⁰ Die obersten Werte sind unglaubwürdig geworden, man kann sich nicht mehr ohne weiteres an sie halten. Die Ordnungen und Routinen, die sich über lange Zeit eingespielt haben und sich auf diese Werte berufen, sind nicht mehr gangbar.⁶¹ Gott war der oberste und grundlegende Wert der alten, stabilen, metaphysischen Ordnung, doch mit seinem ,Tod‘ brechen Referenzpunkt und Fundament dieser Ordnung weg.⁶² Religiöse, philosophische,
Vgl. Nachlass 1887, 9[44], KSA 12.357. Tongeren 2018 geht noch einen Schritt weiter, indem er drei bzw. vier verschiedene Arten des Nihilismus unterscheidet: Die Absurdität des Lebens und der Welt sei die Basis für Nietzsches „nihilism1“. Der „nihilism-2“ bestehe in den schützenden Strukturen, die man erschaffen habe, um diese Absurdität zu verbergen. Diese umfassten die ganze europäische Geistesgeschichte seit Platon. Die Zersetzung dieser Strukturen im 19. Jahrhundert wiederum sei der „nihilism-3“. – Der Nihilismus besteht demnach nicht einfach im Ende der alten, festen Ordnungen oder im ,Tod Gottes‘. All diese Strukturen, Philosophie,Wissenschaft, Moral, Politik, Religion, die Ideen von ,Gott‘ und der ,Wahrheit‘, sind selbst bereits Teil und Ausdruck des Nihilismus, sind Mittel, ihn zu beherrschen und uns vor der Absurdität und der Einsicht zu schützen, dass es gar keine Wahrheit gibt, aber um den Preis, eine ,wahre Welt‘ hinter der wahrnehmbaren annehmen zu müssen. So könnte es nach Tongeren unmöglich sein, den Nihilismus ganz zu überwinden: Nietzsches eigener Nihilismus, der „nihilism-4“, sei eben dadurch gekennzeichnet, dass Nietzsches Kritik am Nihilismus selbst unauflöslich in die von ihm kritisierten Strukturen verwickelt sei und sie wiederhole. Mehr als diese Einsicht sei nicht möglich, dem Nihilismus sei nie ganz zu entkommen. – Auch die Rangordnung, die Halt in der Um- und Unordnung des Nihilismus bietet, wäre demnach kein finaler Ausweg aus dem Nihilismus, den es eben nie geben kann, sondern ein Mittel, sich im Nihilismus zurechtzufinden. Vgl. zuletzt auch den Sammelband von Bremmers / Smith / Wils 2018, der sich der Diskussion der von Tongeren gestellten Frage widmet, ob man „beyond nihilism“ gehen könne. Einen Zusammenhang zwischen Tod Gottes und Rangordnung erkennt auch Köster 1972. Er sieht die Rangordnung als „anthropologisches Axiom“ Nietzsches, auf dem „alles, was Nietzsche zur Größe des Menschen sagt“, basiere. „Anders formuliert: Nietzsches Begriff der menschlichen Größe gründet auf der nicht zu beweisenden Lehre, daß so etwas wie Größe […] existiert. Der erste und fundamentale Anspruch, den Nietzsche erhebt, läßt sich mit einfachen Worten ausdrücken: es gibt Größe. Das will sagen: es gibt den Rangunterschied zwischen höheren und niederen Menschen“ (50). Kösters eigene Perspektive ist entschieden christlich, seine „Grundthese geht dahin, daß im Tode Gottes die unmögliche Größe des Menschen gewollt und die mit diesem Wollen verbundene Tödlichkeit bewußt gesucht wird“ (132). Ohne Gott fehle den Menschen das Maß, sein Tod sei für sie grenzenloses „Prinzip eines hemmungslosen Experimentierens“ (69), das bis zur „Totalverfügung des Menschen über sich selbst“ (7) getrieben werde. Köster traut den Menschen keine selbstständige Orientierung zu, ohne Gottes Hilfe verfalle Rangordnung zu Chaos: „Der Sturz in die Nacht der Gottlosigkeit ist immer zugleich ein Sturz in das Chaos“ (162). Dass eine menschliche Rangordnung nie endgültig feststellbar sei, sondern immer wieder ausgefochten werden müsse, sieht Köster als gefährliche „Bodenlosigkeit“, letztlich gar als tödliche „Selbstvernichtung“, nicht als Möglichkeit der Selbstüberwindung. Seine insgesamt theologisch ausgerichtete Untersuchung, so klug sie – gerade in der Verbindung von Größe und Rangordnung – im Detail auch sein mag, wird den philosophischen Konsequenzen Nietzsches
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ethisch-moralische und damit letztlich auch alltägliche Unterscheidungen sind zusehends weniger asymmetrisch und ranggeordnet, schaffen so weniger Klarheit und verkomplizieren die Orientierung, statt sie zu verkürzen und zu vereinfachen. Durch diesen Verlust der bisher wichtigsten Anhaltspunkte der Orientierung macht sich Desorientierung breit: „Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendlichen Nichts?“ (FW 125)⁶³ In dieser Situation fehlt „die Kraft zur eigenen Orientierung und de[r] Mut zu deren unaufhebbaren Ungewissheiten“,⁶⁴ die Bereitschaft zum Alleinstehen, wo sie schwach ausgebildet war, schwindet noch mehr, man sucht sich noch mehr auf andere und ihre Werte zu verlassen. Die Entwertung der Werte verstärkt durch die Angst, die sie erzeugt, die Angleichung der Werte, die Fähigkeit, in Rangordnungen zu denken, geht weiter verloren, Realitäten des Lebens werden noch weniger wahrgenommen. Nietzsche spricht hier vom „Haß auf die Rangordnung.“ (Nachlass 1887, 9[107], KSA 12.397) Bedeutet der Nihilismus als Entwertung der Werte also einerseits die Auflösung der Rangordnung, so kann man ihn und den Tod Gottes andererseits als Ende der moralisch-metaphysischen Weltausdeutung auch als Anfang und Gelegenheit einer neuen Rangordnung begreifen: „läßt man Gott fahren, so fehlt uns ein Typus eines Wesens, das höher ist als der Mensch: und das Auge wird f e i n für die Differenzen d i e s e s „höchsten Wesens“.“ (Nachlass 1885/86, 1[66], KSA 12.28) Wenn man nicht mehr davon ausgeht, dass die alte Ordnung Allgemeinheits- und Ewigkeitscharakter habe, stellt sich mit ihrem Zusammenbruch erst das Problem der Rangordnung, und wenn eine feste Ordnung aufbricht und verschwindet, werden andere notwendig und ihre Möglichkeit überhaupt erst sichtbar, und zwar in sämtlichen Bereichen des Lebens – eben hier zeigt sich Nietzsches Problem und Aufgabe der Rangordnung.⁶⁵ „D i e U m k e h r u n g d e r R a n g o r d n u n g “ (Nachlass 1888, 15[44], KSA 13.438), die die religiös-moralische Perspektive herbeiführte, kann nun wieder korrigiert werden. Der Tod Gottes ist das Ende aller festen Glaubenssätze, aller allgemeinen Lehren und ewigen Wahrheiten, und auf die eine Zentralperspektive folgt nun eine Pluralität von individuellen Perspektiven, die je eigene Geltung erlangen können. Neue Unter-
dabei nicht gerecht, sondern verstellt einen angemessenen Zugang zum Problem der Rangordnung im Vorhinein. Vgl. dagegen die sehr positiv ausfallende Rezension von Taureck 1975. Vgl. Campioni 1999a, 338, wortgleich bei Campioni 2009, 249, und Campioni 2010, 95, der ebenfalls den Bezug zur Rangordnung herstellt: „Die Verkündigung des tollen Menschen bricht dramatisch herein und enthüllt die Entstehung der Unordnung, des Chaos. Es gab ein Oben und ein Unten, ein Zentrum und eine Peripherie, eine Rangordnung und einen Sinn, eine Sonne und einen Horizont: all dies gibt es nicht mehr. Der Tod Gottes spielt sich vor einem kosmischen Hintergrund ab: er bringt Verdunkelung, Aufhebung der Schwerkraft und progressive Abkühlung mit sich, ,fort von allen Sonnen‘. Die Folge ist das Gefühl eines absoluten Endes.“ Stegmaier 2011, 173. Vgl. Siemens 2008, 264: „The crisis of nihilism raises the problem of Rangordnung, conceived not as a programme of hierarchical political engineering, but as the philosophical task of determining the value, worth or quality of diverse human types.“
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scheidungen schaffen neue Handlungsmöglichkeiten. Dabei ist nach dem Tod Gottes Gewissheit nicht mehr ohne weiteres möglich, weder in der Religion, noch in der Wissenschaft, der Philosophie oder im menschlichen Miteinander. Nietzsche geht den impliziten metaphysischen Plausibilitäten dieser und anderer Lebensbereiche auf den Grund und deplausibilisiert sie, nimmt ihnen ihre Selbstverständlichkeit, entlarvt sie als Illusionen. Er stellt alle Bereiche auf Rangordnung um, auf die nüchterne Betrachtung des Lebens mit seinen Nöten, wie sie eben sind. Der Tod Gottes ist Entmetaphysizierung auf sämtlichen Gebieten. Es ist jetzt die Aufgabe der Menschen, für Werte und für Sinn zu sorgen. Wenn Gott tot ist, fällt die Verantwortung dafür nun an jeden Einzelnen, und wenn Gott als letzte Instanz fehlt, kann man sich nicht mehr vor ihm, sondern nur noch vor sich selbst und anderen rechtfertigen – doch sind einige eher fähig und willens als andere, eine solche Verantwortung ohne höchste Garantien zu übernehmen. Die Kraft zu dieser neuen Verantwortung ist ein Maß der Rangordnung. Wo bisher sicherer Halt in Gott oder letzten religiösen oder moralischen Werten gefunden wurde, tritt nun die Rangordnung zutage. Ohne diesen Halt ist jeder auf sich selbst gestellt, muss sich selbst Halt verschaffen. Nihilismus bedeutet, dass man sich nicht länger an die alten Werte halten kann, dass sie nun jeder, je nach seinem Maß, selbst setzen muss, dass Werte nicht mehr unhinterfragt akzeptiert werden, sondern dass man explizit nach ihrem jeweiligen Wert, dem Wert der Werte fragt. Jeder ist dazu verschieden befähigt, hat verschiedene Kraft dazu, die er oder sie immer wieder neu unter Beweis stellen muss. Die Desorientierung, die der Nihilismus und der Tod Gottes herbeiführen, nötigen zur Umorientierung, wenn man nicht der Verzweiflung verfallen will. Doch liegt in ihnen und der ihnen folgenden Umstellung auf Rangordnung auch etwas Befreiendes: Man ist gelöst vom blinden Glauben an Werte, nicht nur vom Glauben an die alten Werte, sondern an letzte Werte überhaupt. Die Umwertung der Werte hin zur Rangordnung besteht nicht einfach in neuen Werten, sondern in der Freiheit, selbst Werte wählen und setzen zu können. – Man kann die Rangordnung begreifen als Antwort auf den Nihilismus und die Probleme, die er aufwirft. Sie schafft Wege, mit der Orientierungslosigkeit nach dem Tod Gottes umzugehen. Und doch ist die Rangordnung nicht einfach eine Lösung, zumindest keine letztgültige. Sie ist ein Problem, das sich mit Aufkommen des Nihilismus nicht nur Nietzsche auf persönlicher und philosophischer Ebene stellt (vgl. Kap. 2.2.1), sondern jeden angeht, der die Haltlosig- und Abgründigkeit des Nihilismus und seine Konsequenzen, die Unmöglichkeit fester Letztbegriffe und universeller Werte, erfahren hat. Demnach kann es für den Nihilismus nicht die Lösung geben. Auch die Rangordnung kann keine solche letzte Lösung mehr sein, wie es vielleicht eine abgeschlossene Hierarchie wäre, sondern bleibt problematisch und fordert immer wieder neu heraus. Sie ist eine Antwort auf Zeit (vgl. Kap. 4.5.4). Am Umgang mit dem Nihilismus selbst zeigt sich schon eine neue Rangordnung: Je weiter und intensiver man sich seiner Abgründigkeit und Haltlosigkeit stellen kann, desto höher steht man in dieser Rangordnung.Wo die alte Moral Illusionen und Ideale setzte, um vor gefährlichen Wahrheiten zu schützen, ist man den abgründigen Gewissheiten nun mehr oder weniger unmittelbar ausgesetzt. Erst jetzt wird sichtbar, was
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
Nietzsche seinen „eigentliche[n] Werthmesser“ nennt: „„Wie viel Wahrheit e r t r ä g t , wie viel Wahrheit w a g t ein Geist?““ (EH, Vorwort 3) Eben das bestimmt seinen Rang.
1.3 Methode und Aufbau Die von Nietzsche aufgezeigte philosophische Unmöglichkeit von allgemeinen Lehren gilt auch und gerade für die Rangordnung. Nietzsche liefert keine Lehre von der Rangordnung, kein durchgängiges, allumfassendes System oder abstraktes Prinzip. Seine Gedanken zur Rangordnung wirken an einigen Stellen, besonders im Nachlass, wie Entwürfe oder Versuche, provisorisch, tastend. An anderen Stellen, besonders in JGB und den neuen Vorreden zu MA, erscheinen sie jedoch gefestigt und differenziert. In keinem Fall kann, aus sachlichen Gründen, die Rangordnung im Sinn Nietzsches objektiviert, für alle gleich gültig dargestellt werden, wie es in der Forschung mitunter versucht wurde. Weil die Rangordnung auf Perspektivität beruht, auf dem jeweils anderen Standpunkt jedes Individuums, jeder Persönlichkeit, entzieht sie sich der Theoretisierung. Sie stellt die Möglichkeit eines absoluten, unpersönlichen, rein theoretischen, ideal-wissenschaftlichen Standpunkts, der für alle gleiche Gültigkeit besäße, gerade in Frage. Nietzsche weist selbst darauf hin, dass schon das Publizieren der Rangordnung die Rangordnung gefährde: Sie würde dann „Gemeingut“, das andere interpretierten, bis sie etwas damit anfangen könnten, bis die Distanz, die Rangordnung zwischen Nietzsche und seinem Leser aufgehoben sei: Eine Vorrede über Rangordnung. / Dies sind meine Urtheile: aber und ich gebe {dadurch daß ich sie drucke, so} noch Niemandem so leicht das Recht, sie als die seinen in den Mund zu nehmen: am wenigsten halte ich sie für „öffentliches Gemeingut“, an dem sich Jeder vergreifen dürfte {u ich will dem auf die Finger klopfen, der sich an ihnen vergreift} (Nachlass 1885, 34[156], KSA 11.473 / KGW IX 1, N VII 1.88).⁶⁶
Rangordnung als stets persönliches, stets perspektivisches Problem steht geradezu paradigmatisch für Nicht-Lehrbarkeit, ist eine „Anti-Lehre“.⁶⁷ Eine Lehre ist dann eine Lehre, wenn ihr Inhalt zwischen verschiedenen Personen unverändert weitergegeben, also gelehrt werden kann, ohne dass diese Vermittlung Einfluss auf ihren Sinn hätte. Bei der Rangordnung ist dies gerade nicht der Fall, sie ist einerseits immer persönlich und damit nicht übertragbar, andererseits weist sie aber, indem sie bei den Personen oder Persönlichkeiten, nicht jedoch bei vermeintlich objektiven Inhalten ansetzt, auf das Problem von Lehrbarkeit überhaupt hin. So scheint es paradox, eine wissenschaftliche Arbeit über ein sich der Wissenschaft entziehendes Problem verfassen zu wollen. Doch eben solche Grenzen der Vgl. Nachlass 1885, 34[121], KSA 11.461: „Daß meine Werthschätzung oder Verurtheilung eines Menschen noch keinem anderen Menschen ein Recht giebt zu der gleichen Werthschätzung oder Verurtheilung: – es sei denn, daß er mir gleich steht und gleichen Ranges ist.“ Zum Begriff der ,Anti-Lehre‘ vgl. Stegmaier 2000.
1.3 Methode und Aufbau
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Verwissenschaftlichung wissenschaftlich aufzuzeigen, ist fraglos auch ein wissenschaftliches Anliegen. Die Frage ist dann nur, wie es methodisch angelegt werden kann. Wir folgen der Methode der kontextuellen Interpretation,⁶⁸ die von den Texten selbst ausgeht und sie in ihre Kontexte, sowohl was ihre Inhalte als auch was ihre bei Nietzsche so bedeutsamen schriftstellerischen Formen betrifft, entfaltet und so den Sinn der nietzscheschen Begriffe und Begriffsverflechtungen herausarbeitet, ohne sie dem Systemzwang zu unterwerfen. Soweit sie die schriftstellerischen Formen für die Deutung der Inhalte heranzieht, ist sie philosophisch und philologisch-literaturwissenschaftlich zugleich. Mit letzten Sicherheiten ist hier, dem Thema entsprechend, nicht zu rechnen. Hinzu kommen semantische und etymologische Untersuchungen insbesondere zu Nietzsches Gebrauch des Wortes ,Rangordnung‘. Die Textauswahl erfolgt mit Fokus auf den späten Nietzsche. In den Jahren 1884– 86 wurde Nietzsche die Rangordnung zum philosophischen Problem, das sich ihm und das er sich bzw. dem er sich stellte. Sie blieb es bis zum Schluss, doch erfolgte die intensivste Auseinandersetzung in den Werken dieser Jahre. Schwerpunkte werden daher gelegt auf JGB, wo Nietzsche seine Gedanken zur Rangordnung philosophisch am tiefsten ausführt, und auf die neuen Vorreden zu MA, wo er die Rangordnung eigens als persönliches Problem einführt und erläutert, wie sie ihm zum Problem wurde. Aber auch Za, insbesondere Za IV, das V. Buch der FW, GM, AC und EH müssen einbezogen werden. Der Nachlass aus diesen Jahren spielt ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Rolle.⁶⁹ An ihm lässt sich einerseits die Entwicklung von Nietzsches Gedanken nachverfolgen, andererseits wird aus dem Nachlass ersichtlich, „was Nietzsche nicht oder nicht so veröffentlichte, wie er es notierte, sei es, weil es ihm der Mitteilung nicht wert oder für sie nicht reif schien, sei es, weil ihm die Leser dafür nicht reif schienen und es ihm zu wertvoll für sie war.“⁷⁰ Für die Rangordnung ist das besonders auffällig, so fordert Nietzsche von sich in einer geplanten „Vo r r e d e z u r P h i l o s o p h i e d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t “ mit dem Titel „D i e n e u e R a n g o r d n u n g “: „Immer strenger fragen: für wen noch schreiben? —“ und stellt fest: „Für Vieles von mir Gedachte fand ich keinen reif“ (Nachlass 1884, 26[243], KSA 11.212– 214).
Werner Stegmaier ist der Urheber dieser Methode der Nietzsche-Interpretation. Vgl. dazu exemplarisch seine umfassende kontextuelle Interpretation des V. Buchs der FW Stegmaier 2012a, im Speziellen VI und 75 – 82, Stegmaier 2011, 103 – 105, und Stegmaier 2007. Der Methode der kontextuellen Interpretation ist inzwischen, mit mannigfachen Abwandlungen, vielfach gefolgt worden. Vgl. etwa Rupschus 2013, Born / Pichler 2013, Dellinger 2012 und 2015 sowie Pichler 2014. Die Notate aus dem Nachlass von 1885 an werden dann nach KGW IX nachgewiesen und zitiert, wenn signifikante Sinnverschiebungen im Vergleich zur KSA vorliegen. Die neue Edition der KGW IX macht durch die Darstellung der Arbeitsschritte Nietzsches sichtbar, dass die Notate aus dem Nachlass keine fertigen, abgeschlossenen Texte und auch keine Bruchstücke größerer unfertiger Texte und daher keine „Fragmente“ sind, sondern probende, experimentierende Schreibprozesse. Vgl. Röllin / Stockmar 2007 und Röllin / Haase / Stockmar / Trenkle 2008. Stegmaier 2012a, 82.
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1 Einleitung: Rangordnung als philosophisches Problem
Nach dem bereits dargelegten Stand der Forschung und der Behandlung des Nihilismus als philosophischen Horizont des Problems in Kapitel 1 befasst sich Kapitel 2 mit der Rangordnung als Nietzsches persönlichem Problem, mit seinen Erfahrungen, die ihn zu diesem Problem geführt haben, darunter seine Krankheit und seine Einsamkeit. Nietzsche spitzt, wie so oft, das Problem immer stärker auf seine Person zu. Ein biografistischer Zugriff wird jedoch vermieden. Persönliche Anhaltspunkte sind nur insofern von Interesse, als sie das eigentliche Problem, nämlich die philosophische Dimension der Rangordnung, einbetten, indem sie deutlich machen können, in welchen biografischen Spielräumen sich Nietzsches philosophische Plausibilitäten, also die unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten seines Denkens, formen konnten.⁷¹ Die Textgrundlage bilden hier Nietzsches persönlichste Werke, nämlich die neuen Vorreden und EH. Kapitel 3 gibt eine Übersicht über die philologischen Anhaltspunkte des Problems. Zunächst werden Etymologie, zeitgenössisches Wortfeld und aktueller Wortgebrauch untersucht. Das semantische Feld weist bereits auf den philosophischen Gehalt. So ist besonders die Unterscheidung zwischen Rangordnung und Hierarchie zu beachten, die hier etymologisch eingeführt und in Kapitel 4 philosophisch expliziert wird. Nach einer Untersuchung der Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch wird sein Begriff der Rangordnung dargelegt. Beschränkt der frühe Nietzsche den Begriff der Rangordnung noch auf bestimmte, eng gefasste Kontexte und verwendet ihn ansonsten eher beiläufig, kommt es ab 1884 zu einer Bedeutungsaufladung und Sinnverschiebung, die ihn das Problem wesentlich weiter fassen lässt. Die philosophische Dimension wird Nietzsche erst im Gang seines Schreibens klar, dann lässt sie ihn aber nicht mehr los – sein Spätwerk lässt sich in seiner philosophischen Tiefe aus dem Problem der Rangordnung neu und besser begreifen. Auch Zarathustra lässt Nietzsche sich eingehend mit der Rangordnung befassen, ohne dass jedoch das Wort selbst in Za Erwähnung fände. Besonders Za IV inszeniert mit lyrisch-dramatischen Mitteln die Rangordnung und Zarathustra als Lehrer dieser Rangordnung – Lehrer jedoch nicht mehr im herkömmlichen Sinn als Vermittler allgemeiner Lehren, sondern als Persönlichkeit mit überlegener und damit auch überzeugender Orientierungskraft verstanden. Kapitel 4 entfaltet schließlich, ausgehend von der Unterscheidung zwischen Rangordnung und Hierarchie, die philosophischen Anhaltspunkte des Problems. Hierarchie, wörtlich die „heilige Herrschaft“, ist eine stabile, klar definierte und nach festen Kriterien ausgerichtete, formalisierte und institutionalisierte Ordnung auf Dauer, die eindeutig und insofern nicht problematisch ist. Sie interessiert Nietzsche nicht oder nur am Rande. Rangordnung hingegen ist nicht stabil und damit nicht ohne weiteres verlässlich, sie bildet sich spontan, bleibt stets verhandelbar und damit
Zur Rolle von Plausibilitäten bei Philosophen verschiedener Nationalität vgl. Poljakova 2013, die die Plausibilitäten herausragender deutscher und russischer Denker in den Dialog miteinander bringt. Nietzsche steht mit seinen Plausibilitäten im Mittelpunkt der Untersuchung.
1.3 Methode und Aufbau
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problematisch. Sie kennt keine objektiven Kriterien, sondern lediglich situative Anhaltspunkte, die sich immer erst – wie auch die Rangordnung insgesamt – zeigen müssen. Es ist diese unsichere und flüchtige Rangordnung auf Zeit, die Nietzsche angeht und von der er handelt. Die Untersuchung nähert sich schrittweise von der scheinbar fraglosen Ordnung der Natur aus über die immer weniger sichere und immer weniger an Kriterien gebundene Ordnung der Religion, der Moral, der Wissenschaft und der Philosophie der fluktuanten Rangordnung unter Individuen, auf die sich Nietzsches Begriff der Rangordnung zuspitzt. Der Aufbau spiegelt zugleich Nietzsches Beurteilung der Bewegung der Moderne, die, so Nietzsche, ihren Ausgangspunkt beim Christentum und seinem Gleichheitsbegriff nimmt, diesen dann moralisch und politisch deutet und, zusammen mit der Wahrhaftigkeit vor Gott, in die Wissenschaft übernimmt. Der christliche „Begriff von der G l e i c h h e i t d e r S e e l e n v o r G o t t “ hat sich „tief[ ] ins Fleisch der Modernität vererbt“ und als „Prototyp aller Theorien der g l e i c h e n R e c h t e “ in sämtliche Lebensbereiche des Menschen verbreitet: „man hat die Menschheit den Satz von der Gleichheit erst religiös stammeln gelehrt, man hat ihr später eine Moral daraus gemacht: und was Wunder, daß der Mensch damit endet, ihn ernst zu nehmen, ihn p r a k t i s c h zu nehmen!“ (Nachlass 1888, 15[30], KSA 13.424) Wenn mit der Gleichheit vor Gott alle Rangordnung niedergeht, so ist der Tod Gottes auch das Ende des Prinzips Gleichheit: „„Ihr höheren Menschen, — so blinzelt der Pöbel — es giebt keine höheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott — sind wir Alle gleich!“ / Vor Gott! — Nun aber starb dieser Gott.“ (Za IV, Vom höheren Menschen 1, KSA 4.356) Dieser Prozess macht sich auch gesellschaftlich bemerkbar. Das hierarchische Weltbild löst sich mit der hierarchischen Ständegesellschaft auf,⁷² und diese Umordnung und Neuorganisation macht Rangordnung neu möglich: So ist Nietzsches „Zarathustra glücklich darüber, daß der Kampf der Stände v o r ü b e r ist, und jetzt endlich Zeit ist für eine Rangordnung der Individuen.“ (Nachlass 1885, 39[3], KSA 11.620) Der Nihilismus zeigt sich in allen Bereichen des Lebens. In der Religion war es nichts mit Gott, in der Moral nichts mit Gut und Böse, in der Wissenschaft nichts mit objektiver Wahrheit. Sie alle gründet Nietzsche nun auf die Rangordnung.
Nicht ohne Grund spricht Albert Camus über die Hinrichtung Ludwigs XVI., des letzten Königs des Ancien Régime und damit des letzten Vertreters der alten, absoluten, göttlichen Herrschaftsordnung, als vom Tod Gottes. Camus beruft sich dabei auf Louis Antoine de Saint-Just, dem Nietzsche 1862 im Rahmen der „Germania“ schon früh ein Gedicht widmete (KGW I 2.462 f.). Auch die Annäherung von Gott und König deutet er schon durch einen Vergleich des Opfertods Jesu und Ludwigs XVI. an (KGW I 2.455). Vgl. dazu Marsal 2001, bes. 133.
2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem „Hier — ein n e u e s Problem! Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, — die wir selbst irgend wann g e w e s e n sind! Hier ein Höher, ein Tiefer, ein Unteruns, eine ungeheure lange Ordnung, eine Rangordnung, die wir s e h e n : hier — u n s e r Problem!“ — — (MA I, Vorrede 7)
In den neuen Vorreden, die Nietzsche 1886 zu GT, MA I und II, M und FW schrieb, spricht er in einem sehr persönlichen Ton, der so in seinem Werk sonst kaum, vielleicht erst wieder in EH zu finden ist. Auch das Problem der Rangordnung präsentiert er hier wie nie zuvor als sein persönliches Problem. Durch seinen persönlichen Stil macht Nietzsche in diesen Vorreden zugleich den Zusammenhang von Philosophie und Person bzw. Persönlichkeit sichtbar.¹
Vgl. dazu Tongeren 2012, der klar und überzeugend darlegt, wie sich Nietzsche als Leser seiner eigenen Werke selbst finde und davon in den neuen Vorreden berichte. Er selbst sei die Sache seiner Philosophie, das „ipsissim u m“ (MA II,Vorrede 1). Anlass für Nietzsches Lektüre seiner eigenen Werke, die ihm dann zur Selbstfindung verholfen habe, könnte, so Tongeren, wiederum ein biografisches Erlebnis Nietzsches gewesen sein: nämlich „[d]ie Erfahrungen mit seinem Zarathustra (das Buch wurde kaum verkauft und der Verleger weigerte sich, den IV. Teil herauszubringen, so dass Nietzsche auf eigene Kosten 40 Exemplare drucken ließ) wie auch mit seinen weiteren Büchern“, die sich ebenfalls schlecht verkauften (10). Es sei jedoch wichtig, dass es Nietzsche niemals allein um das Persönliche um des Persönlichen willen gehe. „Stattdessen geht es in seiner Philosophie um die Singularität, die notwendig mit ihrer Aufgabe verbunden ist“ (14), der Aufgabe des „singulären Lebensexperiment[s]“ im Angesicht des Nihilismus. So „ergibt“ sich in letzter Konsequenz „[d]urch seine Vorreden […] seine Philosophie als das, was sie eigentlich ist: eine Vorrede zu einem Lebensexperiment, zum Leben“ (16).Vgl. auch Conway 1999: „In the prefaces of 1886, Nietzsche alone is subjected to criticism: he objects to his romanticism, his weakness for redemption, and so on. The critique of modernity that dominated his early writings is now transformed into a critique of Nietzsche himself“ (38).Vgl. auch Allison 2008, der Nietzsches „autocritique“ in den Vorreden als „a form of self-therapy“ sieht (13): „one uses oneself as an experiment, as an open-ended source of experiences for experiment in the construction of one’s developing hierarchy of values – one’s own considered construal of what really is important, what is significant, of worth and merit – what is worthy of admiration, affection, and esteem“ (21). Zur Vorrede von MA I vgl. auch Pichler 2012, der „für ein ,autoreflexives Lesen‘ von Nietzsches Schriften“ plädiert, „einer Lektüre, die einerseits durch den Einsatz deskriptiver philologischer und literaturwissenschaftlicher Methoden […] die eigentliche Auslegung möglichst lange zurückzuhalten versucht und sich andererseits der Tatsache bewusst ist, dass auch die im Rahmen dieses Vorgehens der eigentlichen Auslegung vorausgeschickten Deskriptionen der zu analysierenden Textsegmente sowie der intra- und transtextuellen Relationen zwischen denselben einem bestimmten Begriffsapparat und dessen Beschränkungen folgen“ (315). Weder Conway noch Allison noch Pichler gehen näher auf die Rangordnung ein. Scheier 1990 sieht die neuen Vorreden Nietzsches als „Höheund Wendepunkt seines Denkweges“, die wegen der enthaltenen „Selbstinterpretation“ als „Schlüssel zu allen folgenden Schriften Nietzsches“ gelten könnten. Die Rangordnung denke Nietzsche „,metaphysisch‘“ und „in ,Kasten‘ wie Marx szientifisch in ,Klassen‘ gedacht hatte“ (LXVIII). Dies wird der Sache freilich kaum gerecht und nährt durch den Vergleich mit Marx das Missverständnis, Rang sei bei Nietzsche eine bloß sozialwissenschaftliche, klassentheoretische Kategorie. https://doi.org/10.1515/9783110771367-004
2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
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Die neuen Vorreden sind für Nietzsche „vielleicht meine beste Prosa, die ich bisher geschrieben habe“ (Brief an Franz Overbeck, 14. November 1886, Nr. 775, KSA 7.282). Er war darum bemüht, „jeder dieser Vorreden einen so selbstständigen Werth zu geben, daß um ihretwillen allein schon die Werke gelesen werden müßten.“ (Brief an Ernst Wilhelm Fritzsch, 7. August 1886, Nr. 730, KSB 7.225) Noch im Dezember 1888 schreibt er an Köselitz von den „diversen Vo r r e d e n […] — Teufel, was steckt da drin!“ (9. Dezember 1888, Nr. 1181, KSB 8.515) Wie offen Nietzsche in diesen Vorreden über sich spricht, ist deutlich, er hebt es außerdem mehrmals in Briefen hervor: „In den langen „Vorreden“ […] stehen kuriose Dinge von einer r ü c k s i c h t s l o s e n Aufrichtigkeit in Bezug auf mich selbst“ (an Malwida von Meysenbug, 12. Mai 1887, Nr. 845, KSB 8.70), „sie deuten den Weg an, den ich gegangen bin — und, ernsthaft geredet, wenn ich selber nicht ein Paar Winke gebe, wie man mich zu verstehn hat, so müssen die größten Dummheiten passiren. —“ (Brief an Ernst Wilhelm Fritzsch, 29. August 1886, Nr. 740, KSB 7.237) Dem Leser fehlen zum Verständnis von Nietzsches Werken Nietzsches Erfahrungen, wie Nietzsche aus der enttäuschenden, fast nicht existenten Reaktion auf seine Werke schloss. Die gefühlte Distanz zwischen Leser und Autor scheint riesig. Die Vorreden vielleicht sind der Versuch, diese Erfahrungslücke provisorisch zu schließen, ein Verständnis zu ermöglichen, indem Nietzsche seine Erfahrungen zu vermitteln sucht. Weil Erfahrungen aber immer persönlich und damit eigentlich nicht vermittelbar sind, hegt Nietzsche auch an diesem Versuch seine „Zweifel“, mit denen er die neue Vorrede zu FW beginnt: „Diesem Buche thut vielleicht nicht nur Eine Vorrede noth; und zuletzt bliebe immer noch der Zweifel bestehn, ob Jemand, ohne etwas Aehnliches erlebt zu haben, dem Erlebnisse dieses Buchs durch Vorreden näher gebracht werden kann.“ (FW, Vorrede 1)² In den Vorreden zu MA beschreibt Nietzsche, wie ihm die Rangordnung zum Problem wurde,³ warum sie nicht nur ein, sondern sein Problem ist, dem sich andere
Für eine zusammenfassende Übersicht der Vorreden von FW vgl. Georg 2015. Es ist kein Zufall, dass Nietzsche die neuen Vorreden zur Rangordnung vor die beiden Teile von MA stellt, auch wenn die Rangordnung in MA selbst nur eine relativ untergeordnete Rolle spielt. Das liegt besonders an der Verbindung der Rangordnung zu den freien Geistern, die sich noch herausstellen wird. Ein weiterer Grund könnte aber darin liegen, dass MA, zusammen mit GM, das vielleicht am engsten mit JGB verwandte Werk Nietzsches ist. JGB entstand zeitlich in etwa parallel zu den neuen Vorreden und ist für die Rangordnung das grundlegende Werk Nietzsches (vgl. Kap. 3.3.1). Zugleich ist JGB wie die neuen Vorreden höchst persönlich, Nietzsche sagt gar, „es enthält den Schlüssel zu mir, w e n n es einen giebt.“ (Brief an Carl Spitteler, 10. Februar 1888, Nr. 988, KSB 8.247) Im Sommer 1885 plante Nietzsche zudem eine Umarbeitung von MA, sie „war von all den nicht verwirklichten Plänen des späten Nietzsche der ausgereifteste Plan“, wie Röllin 2012, 135, zeigt. Für eine detaillierte Aufarbeitung von Nietzsches Plänen zur Umarbeitung von MA vgl. 135 – 161. Es war JGB, „dem Nietzsche […] einen beträchtlichen Teil des zeitweilig für die MA-Neuauflage vorgesehenen Textmaterials einverleibte“ (137). „Insbesondere im Werkaufbau herrscht eine auffällige und zuletzt bestimmt nicht nur zufällige Übereinstimmung. Beide Bücher […] verfügen über neun Hauptstücke. Die Titel der Hauptstücke und ihre Abfolge entsprechen sich mitunter. Das zweite Hauptstück von JGB handelt vom ,freien Geist‘, MA war bekanntlich ein ,Buch für freie Geister‘“ (179). Zu einer möglichen gemeinsamen Ent-
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2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
Philosophen bisher noch nicht gestellt haben, noch nicht stellen „durften“. Offenbar muss man das Recht haben, über die Rangordnung zu reden. Auffällig häufig spricht Nietzsche in den Vorreden vom „Dürfen“: „Gesetzt, dass es d a s P r o b l e m d e r R a n g o r d n u n g ist, von dem wir sagen dürfen, dass es u n s e r Problem ist, wir freien Geister“ (MA I, Vorrede 7).⁴ „[D]er freie Geist“, dessen Problem die Rangordnung also ist und der sich, obwohl Nietzsche ihn sonst wie im vorangegangenen Zitat gezielt in den Plural, genauer die 1. Person Plural, setzt, als Nietzsche selbst herausstellen wird, „w e i s s nunmehr, welchem „du sollst“ er gehorcht hat, und auch, was er jetzt k a n n , was er jetzt erst — d a r f …“ (MA I, Vorrede 6). Man kann sich mit dem Problem nicht ohne weiteres auseinandersetzen, sondern muss es sich erst verdienen, erarbeiten, die in MA I, Vorrede 7, erwähnte „Leiter“ erklimmen: „Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, — die wir selbst irgend wann g e w e s e n sind!“ Erst oben auf der Leiter hatte Nietzsche die Übersicht, das Problem der Rangordnung als solches zu sehen. Die Leiter-Metapher taucht in Nietzsches Werk immer wieder auf. Zarathustra ist sein Beispiel für einen freien, souveränen Geist, der über eine lange Leiter verfügt und sich sicher auf ihr bewegen kann. „Die Leiter ist ungeheuer, auf der er auf und nieder steigt; er hat weiter gesehn, weiter gewollt, weiter g e k o n n t , als irgend ein Mensch.“ (EH, Za 6, KSA 6.343 f.) Offenkundig ist die Leiter-Metapher eng verbunden mit der Umfänglichkeit von Perspektiven, mit Übersicht und dem Ein- und Aushängen von Perspektiven: „— die Seele, welche die längste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann, die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen kann“.⁵ Die Leiter hat eine doppelte Bedeutung. Je umfänglicher die Perspektiven und damit die Handlungsmöglichkeiten, über die man verfügt, desto höher ist der eigene Rang, den man einnimmt, desto höher die Sprosse der Leiter, auf der man gerade steht. Je länger die Leiter ist, auf der man sich bewegt, je mehr Sprossen sie hat, desto mehr Möglichkeiten hat man, sich auf ihr zu bewegen, sich in unterschiedlichen Situationen zu orientieren. Die Leiter ist in diesem Sinn mit der Rangordnung identisch, eine höhere Sprosse bedeutet einen höheren Rang. Andererseits gelangt man erst, wenn man Rang und viele Stufen auf der Leiter erworben hat, zur Rangordnung als Problem. Man muss also in der Rangordnung aufsteigen, um die Rangordnung selbst sehen zu können und zu dürfen.
stehung der für die Rangordnung so grundlegenden neuen Vorreden von MA I und JGB vgl. Röllin 2013, 52. Vgl. Nachlass 1884, 25[298], KSA 11.87: „Vo m R a n g e . Die schreckliche Consequenz der „Gleichheit“ – schließlich glaubt jeder das Recht zu haben zu jedem Problem. Es ist alle Rangordnung verloren gegangen.“ Vgl. Za III, Von alten und neuen Tafeln 19, KSA 4.261.
2.1 Die Erfahrung der Not als Voraussetzung aller Rangunterscheidung
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2.1 Die Erfahrung der Not als Voraussetzung aller Rangunterscheidung Um Rang zu erlangen, um die Leiter zu erklimmen, benötigt man Erfahrungen: „Viele grosse innere Erfahrungen haben, und auf und über ihnen mit einem geistigen Auge ruhen, — das macht die Menschen der Cultur, welche ihrem Volke den R a n g geben.“ (M 198) Die stärkste, tiefste Erfahrung, die man machen kann, die die umfassendsten Änderungen hervorruft und dadurch Rang verleiht, ist die „Nöthigung: man muß die Wahl haben, entweder zu Grunde zu gehn oder s i c h d u r c h z u s e t z e n .“ (Nachlass 1887/88, 11[31], KSA 13.18) „Das tiefe Leiden macht vornehm; es trennt.“ (JGB 270) Diese eindringlichste aller Erfahrungen, die „K e n n t n i s s d e r N o t h“ (FW 48), macht den Unterschied.⁶ „Vielleicht werden die Menschen und Zeiten durch Nichts so sehr von einander geschieden, als durch den verschiedenen Grad von Kenntniss der Noth, den sie haben“. Im modernen Zeitalter der Gleichheit fehlen, „im Vergleich zum Zeitalter der Furcht“, diese Erfahrungen und Nöte und damit die Distanz zwischen den Menschen, „trotz unserer Gebrechen und Gebrechlichkeiten, aus Mangel an reicher Selbst-Erfahrung,“ sind „wir Jetzigen vielleicht allesammt […] Stümper und Phantasten“ in Bezug auf Nöte. Das „Recept“ gegen diese Not der Notlosigkeit, die „„Noth der Gegenwart““, es „lautet: N o t h .“ (FW 48) Nur eine tatsächlich nötigende Not vermag die Angleichung aller in schmerzmeidender Empfindlichkeit zu durchbrechen. Not zu leiden und zu überwinden, etwa durch das Aushalten von Einsamkeit oder Schmerz, verleiht demnach Rang, zeichnet aus. Die Erfahrung der Not ist die Bedingung der Möglichkeit der Rangordnung: Der geistige Hochmut und Ekel jedes Menschen, der tief gelitten hat — es bestimmt beinahe die Rangordnung, w i e tief Menschen leiden können —, seine schaudernde Gewissheit, von der er ganz durchtränkt und gefärbt ist, vermöge seines Leidens m e h r z u w i s s e n , als die Klügsten und Weisesten wissen können, in vielen fernen entsetzlichen Welten bekannt und einmal „zu Hause“ gewesen zu sein, von denen „i h r nichts wisst!“ . . . . . (JGB 270)
Die Summe der gemachten Erfahrungen steigert die Sicherheit der Orientierung. Der freie Geist, der nach MA I, Vorrede 7, die Rangordnung endlich als Problem erkennen durfte, nachdem er die Sprossen der Leiter „g e w e s e n“ ist und überstiegen hat, ist daher immer offen für Überraschungen, auf „Wanderschaft“ und „a u s s e r sich“ (MA I, Vorrede 5), um viele Erfahrungen zu sammeln, während sein Gegenteil, der „Eckensteher“, „immer „zu Hause“, immer „bei sich“ geblieben ist!“⁷ Eine Not, die
Zum Denken der Not als philosophisches Problem und tiefster Gedanke vgl.Wachendorff 1998, 169 – 171. Vgl. NWB, Bd. 1, Art. Eckensteher, 683 – 688: „Mit dem negativ konnotierten Wort ,Eckensteher‘ bezeichnet N. jene Menschen und Menschengruppen, die auf sich auf unterschiedliche, nicht akzeptable Weise ein- und beschränken, sei es durch Gebundenheit an einen Ort, ihre engere Heimat, ihre beschränkte Welt: an einen (den christlichen) Glauben, an eine (die tradierte) Moral, an den Idealismus; sowie durch lebenslängliche Spezialisierung auf ein Arbeitsfeld, so die Gelehrten und
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2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
man überwunden hat, ist in diesem Sinn eine Stufe auf der Leiter der Rangordnung. „Erst der grosse Schmerz ist der letzte Befreier des Geistes“ (FW, Vorrede 3), denn er zwingt, es nicht wie die anderen zu machen, sich nicht auf einer diesen Stufen niederzulassen und dort in festem Glauben und Gewissheit zu verharren. Der Schmerz zwingt uns, „in unsre letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmüthige, Verschleiernde, Milde, Mittlere, wohinein wir vielleicht vordem unsre Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu thun.“ Dieses Besteigen der Stufen ist kein moralischer Fortschritt, sondern führt tiefer, ist grundlegender: „Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz „verbessert“ —; aber ich weiss, dass er uns v e r t i e f t .“ (FW, Vorrede 3)
2.2 Nietzsches persönliche Erfahrungen Wenn Rangordnung auf Erfahrungen beruht und Rangordnung zugleich Nietzsches persönliches Problem ist, dann kann man Nietzsches persönliche Erfahrungen nicht missachten. Es geht dabei ausdrücklich nicht um eine biografistische Methode, die in der Nietzsche-Forschung nach wie vor häufig anzutreffen ist.⁸ Sie reduziert die Philosophie Nietzsches auf sein Leben, „Deutungsmöglichkeiten werden zuallererst auf Nietzsches Biographie zurückgeführt“, und verwendet ein Verfahren, das sich „primär mit der (oft höchst spekulativen) Freilegung von Gründen beschäftigt, die Nietzsche zu dieser oder jener Aussage motivierten.“⁹ Seine Philosophie erschöpft sich nicht in seiner Persönlichkeit, doch scheint es mitunter hilfreich, sich Nietzsches Philosophie über seine Persönlichkeit zu nähern, da Persönlichkeit eine tragende Rolle in seiner Philosophie spielt.¹⁰ „Man hat nämlich, vorausgesetzt, dass man eine Person ist, nothwendig auch die Philosophie seiner Person“ (FW, Vorrede 2). Es „ist an dem Philosophen ganz und gar nichts Unpersönliches“, seine Philosophie und seine Moral ,Spezialisten‘. Mit ,Eckensteher‘ wird demnach ein großer Teil der Personen und Personengruppen bezeichnet und benannt, deren Denken und Beschränktheit zur ,Selbstverkleinerung‘ des Menschen beiträgt, die N. mit seiner Philosophie des ,freien Geistes‘ bekämpft und aufzubrechen versucht.“ „N. betont bei dem Wort ,Ecke‘ vor allem [diesen] Aspekt: die ,Ecke‘ als abseits gelegener Platz, der nur eine einseitige und eingeschränkte Aussicht zulässt.“ Der Eckensteher könne gar gelten als „N.s Gegenpol“. Ein Beispiel für eine solche übermäßig biografisierende Deutungsweise ist Schmidt 1991, der Nietzsches Philosophie auf Erlebnisse aus seiner Kindheit und Jugend reduziert. Vgl. dazu Marti 1992, Figl 1994a und 1994b, Hödl 1998, Goch 2009 und Rupschus 2015, 538 – 542. Schubert 2012, 281. Darauf haben besonders Stegmaier 2014b sowie andere Beiträge des Sammelbands Müller / Benne 2014 hingewiesen. Nietzsche gestehe Persönlichkeit angesichts der demokratischen Bewegung der Moderne nur wenigen zu, sie sei eine „Auszeichnung“ im Gegensatz zur allgemeinen „Unpersönlichkeit“. Ein eigentlicher Philosoph sei nur derjenige, „wer das Begreifen im Ganzen auf neue Weise, also auf seine Weise begreift – damit ist jede Philosophie unmittelbar eine persönliche.“ Schließlich „ist nach Nietzsche der Rang von Persönlichkeiten im Begreifen das Letzte, bei dem wir im Philosophieren ankommen.“ Persönlichkeiten gingen jeder Theorie voraus, man könne diese dann letztlich zwar nicht mehr theoretisieren, sich aber immer noch erfolgreich an ihnen orientieren.
2.2 Nietzsches persönliche Erfahrungen
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zeigen, „w e r e r i s t — das heisst, in welcher Rangordnung die innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind.“ (JGB 6)¹¹ „— Aber lassen wir Herrn Nietzsche: was geht es uns an, dass Herr Nietzsche wieder gesund wurde? …“ (FW, Vorrede 2) „Herr Nietzsche“ ist hingegen der bloß persönliche, bloß biografische Nietzsche, die Privatperson, die dem philosophisch Interessierten nichts zu sagen und darum auch nichts anzugehen hat. Persönliche Anhaltspunkte, die uns angehen und etwas zu sagen haben, sind immer als zusätzliche Anhaltspunkte für die philosophische Interpretation zu sehen, als zusätzliche Perspektiven, die einen umfassenderen Zugang zum Problem erlauben. Diese Anhaltspunkte erweitern den Horizont der Untersuchung im Gegensatz zum beschränkenden Biografismus. Obwohl einige dieser persönlichen Anhaltspunkte in ihrer Bedeutung für Nietzsche und seine Philosophie in der Forschung bereits breit untersucht worden sind, so etwa seine Krankheit, hat man ihren Bezug zur Rangordnung bisher nicht hergestellt. Sie sollen uns zum Verständnis der Rangordnung beitragen, wie zugleich die Rangordnung zum Verständnis der persönlichen Anhaltspunkte beitragen soll.
2.2.1 Rangordnung als „Problem“ Es macht den erheblichsten Unterschied, ob ein Denker zu seinen Problemen persönlich steht, so dass er in ihnen sein Schicksal, seine Noth und auch sein bestes Glück hat, oder aber „unpersönlich“: nämlich sie nur mit den Fühlhörnern des kalten neugierigen Gedankens anzutasten und zu fassen versteht. Im letzteren Falle kommt Nichts dabei heraus, so viel lässt sich versprechen (FW 345).
Nietzsche ist zweifellos einer dieser Denker, die persönlich zu ihren Problemen stehen.Wenn er sagt: „Meine Philosophie ist auf Rangordnung gerichtet“ (Nachlass 1886/ 87, 7[6], KSA 12.280), dann muss auch das Problem der Rangordnung eine persönliche Bedeutung für ihn haben. Für Nietzsche ist ein ,Problem‘ etwas, demgegenüber man nicht frei ist, sondern das einen selbst angreift: im griechischen Wortsinn (von gr. προβάλλειν) räumlich etwas ,Vorspringendes‘ (z. B. ein Klippe),
In der ersten Fassung hieß es noch: „Dagegen sind die Philosophien g a n z u n d g a r n i c h t s U n p e r s ö n l i c h e s und die Moral zumal ist Person, und zwar ein Zeugniß davon, welche R a n go r d n u n g d e r T r i e b e in dem Philosophen besteht.“ (KSA 14.349) Nietzsche hat seine Betonung der Persönlichkeit also nochmals zugespitzt, indem er von „Philosophien“ zum „Philosophen“ gewechselt ist. Vgl. bereits Nietzsches Brief an Lou von Salomé, vermutlich vom 16. September 1882, Nr. 305, KSB 6.259, die einen sehr ähnlichen Einfall hatte: „Ihr Gedanke einer Reduktion der philosophischen Systeme auf Personal-Acten ihrer Urheber ist recht ein Gedanke aus dem „Geschwisterhirn“: ich selber habe in Basel in diesem Sinne Geschichte der alten Philosophie erzählt und sagte gern meinen Zuhörern: „dies System ist widerlegt und todt – aber die P e r s o n dahinter ist unwiderlegbar, die Person ist gar nicht todt zu machen“ – zum Beispiel Plato.“
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2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
militärisch zum Angriff oder zur Verteidigung ,Vorgehaltenes‘ (z. B. ein Bollwerk), diskursiv etwas ,Vorgeworfenes‘ (z. B. eine Beschuldigung).¹²
Das trifft auch für die Rangordnung zu, die Nietzsche eben darum zum Problem wird, weil sie ihn angeht, angreift: „Was mich angeht, das ist das Problem der Rangordnung“ (Nachlass 1888, 15[120], KSA 13.481). In diesem Sinn ist sie für auch ihn ein großes Problem, denn „Probleme, die den Fragesteller selbst in Frage stellen, nennt Nietzsche im Gegensatz zu den Problemen, die gewöhnlich dafür gelten, ,grosse Probleme‘“.¹³ Nietzsche stellt sich also nicht nur das – er stellt sich dem Problem der Rangordnung. Eben das verleiht ihm Rang, zeichnet ihn aus, denn [d]ie Stärke des Angreifenden hat in der Gegnerschaft, die er nöthig hat, eine Art M a a s s ; jedes Wachstum verräth sich im Aufsuchen eines gewaltigeren Gegners — oder Problems: denn ein Philosoph, der kriegerisch ist, fordert auch Probleme zum Zweikampf heraus. (EH, Warum ich so weise bin 7)
MA I, Vorrede 7, schließt damit, dass die Rangordnung „u n s e r Problem!“ sei. Nietzsche umrahmt „u n s e r Problem!“ gleich mit mehreren Gedankenstrichen, einer davor und zwei dahinter, sperrt das „u n s e r “ und verwendet darüber hinaus noch ein Ausrufezeichen. Die vorangegangenen Sätze weisen ebenfalls mehrere Gedankenstriche, Sperrungen und Ausrufezeichen auf. Schon dieser in derartiger Massierung bei Nietzsche eher seltene Einsatz von stilistischen Mitteln der Akzentuierung weist mit Nachdruck auf das Gewicht des Problems.¹⁴
Stegmaier 2012a, 163. Stegmaier 2012a, 163. Vgl. Simson 1995, 213, der das Ende der für das Problem der Rangordnung zentralen Vorrede 7 als Beispiel für Nietzsches Verwendung von doppelten Gedankenstrichen heranzieht: „viele Abschnitte [schließen] mit Auslassungspunkten oder doppelten Gedankenstrichen und versinnbildlichen dann die fragende Stille, in die der Redner sein Publikum entläßt. Das Thema ist dann meist noch nicht erschöpft, sondern – für Nietzsche typisch – erst aufgerollt, das Problem ist sichtbar geworden und Nietzsche läßt das Publikum mit ihm allein“. Die Satzzeichen „schaffen […] den Raum, in dem […] rhetorische[ ] Figuren ihre Wirkung entfalten und die entsprechenden Assoziationen evozieren können“. Nietzsche gibt seinen Lesern auf diese Weise also einen Spielraum zur Kenntnisnahme und Interpretation eines Problems und betont durch die Hervorhebung der Bedeutung des Problems zugleich die Notwendigkeit dieser Interpretation, lässt demjenigen Leser, dem das Problem zu groß ist, durch die offene Formulierung jedoch auch die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte der Interpretation, des Verstehens und Missverstehens zu setzen. Vgl. auch Stegmaier 2012a, 175 – 177, der Nietzsches Gedankenstriche als eine seiner schriftstellerischen Methoden analysiert. Sie „schaffen besonders lange und gewichtige Pausen, machen die Pause als solche auffällig. Sie lassen aufmerken: der Gedankengang könnte nun auch eine andere Richtung nehmen, er ist nie selbstverständlich, sondern immer entscheidbar, auch durch den Leser. Gedankenstriche und Auslassungspunkte sind Teil von Nietzsches engagierter Kommunikation mit dem Leser.“ Neben einer auf Überraschungen hinweisenden und einer gliedernden Funktion erfülle der Gedankenstrich auch eine dritte Aufgabe bei Nietzsche, nämlich einen Satz abzuschließen und den Schluss damit zugleich offen zu halten, etwas „versteckt“ zu halten. Nietzsche selbst sagt in einem Brief an seine Schwester vom 20. Mai 1885, Nr. 602,
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2.2.2 Erfahrungen des jungen Nietzsche In den Leipziger Studienjahren von 1865 bis 1869 und dem dazwischen liegenden Militärdienst machte Nietzsche „die entscheidenden geistigen Begegnungen, von denen und durch die hindurch er sich selbst und seine Aufgabe fand.“¹⁵ Darunter fallen die Entdeckung der Philosophie gegenüber der Philologie, der enge wissenschaftliche und persönliche Kontakt zu Ritschl, die intensive Freundschaft mit Rohde, die Entdeckung Schopenhauers und die Begegnung mit Wagner. Alle diese Erfahrungen sind Stufen im Sinn von MA I, Vorrede 7, Sprossen einer Leiter, die Nietzsche gewesen ist und die ihn so zur Rangordnung geführt haben, und nur als solche sind sie für uns interessant.¹⁶ Schon als Nietzsche noch ein kleiner Junge war, scheint es eine Distanz gegeben zu haben, die er zu seinen Mitschülern und seine Mitschüler zu ihm empfanden, sie „nennen ihn seines feierlichen Ernstes wegen den ,kleinen Pastor‘.“¹⁷ In seiner Zeit am Domgymnasium gab es zweimal im Jahr, Ende Januar und am 15. Oktober, dem Geburtstag des Königs Friedrich Wilhelm IV. und damit auch Nietzsches, ein „Bücherfest“, bei dem die besten Schüler öffentlich und mit Preisen, für gewöhnlich Büchern, ausgezeichnet wurden, so auch Nietzsche und sein Freund Wilhelm Pinder, nicht jedoch Gustav Krug. Vorträge wurden gehalten.¹⁸ Die jährlichen „Schulnachrichten“ umfassen eine Rangordnung der Schüler nach ihren Leistungen, Nietzsche befand sich mit Krug zumeist im Mittelfeld, Pinder stand etwas höher.¹⁹ Abseits der Schulnoten aber war Nietzsche führend: „Und die Freunde wußten um diesen Abstand. Nietzsche war ihnen von Anfang an der Überlegene und der Führer.“²⁰ Die agonale Atmosphäre in Schulpforta war noch ausgeprägter, und Nietzsche war in mehreren Semestern Primus der Klasse. Die Konkurrenz der Schüler führte zu hoher Produkti-
KSB 7.53: „Alles, was ich bisher geschrieben habe, ist Vordergrund; für mich selber geht es erst immer mit den Gedankenstrichen los.“ Janz 1978/79, Bd. 1, 172. Zur Symbolik des Höhersteigens im Kontext von Nietzsches eigenem Leben vgl. Zwick 1995, 96 – 98. Stegmaier 2011, 15. Brobjer 1999, 305. Vgl. Brobjer 2001, der mit dem, nicht zuletzt von Elisabeth Förster-Nietzsche propagierten,Vorurteil aufräumt, Nietzsche sei wegen seiner guten Noten, also wegen seines intellektuellen Rangs, am Domgymnasium nach Schulpforta eingeladen worden. Nietzsches Leistungen und Noten am Domgymnasium seien bloß durchschnittlich gewesen, bessere Schüler wurden nicht nach Schulpforta eingeladen. Der tatsächliche Grund sei der Tod von Nietzsches Vater: Das Domgymnasium sei nicht an bloßer schulischer Ausbildung interessiert gewesen, sondern habe sich die Erziehung und Lebensvorbereitung der Schüler und insbesondere von Waisen und Halbwaisen, die etwa ein Sechstel der Schülerschaft ausmachten, zum Ziel gesetzt. Janz 1978/79, Bd. 1, 60. Noch in Nietzsches Grabrede stellt Heinrich Köselitz fest: „Wie k o n n t e n wir Deine Freunde sein? Doch nur indem Du uns ü b e r s c h ä t z t e s t !“ (in: Janz 1978/79, Bd. 3, 357).
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vität.²¹ Nicht nur der Rang der Schüler untereinander, auch der Rang Schulpfortas selbst war für Nietzsche wichtig.²² Er gründet mit Krug und Pinder die „Germania“, ein Verein mit strengen Regeln, der zur Produktion dichterischer, wissenschaftlicher und musikalischer Werke dienen soll, die gegenseitig kritisiert werden. Die beiden Freunde Nietzsches sind zunächst zwar ebenfalls strebsam, aber nicht so sehr wie Nietzsche. Später gründet Nietzsche eine weitere auf Wettbewerb gerichtete Gruppe, in der Vorträge gehalten werden: den „Philologischen Verein“, in dem er seine TheognisArbeit vorträgt, die sich auch selbst inhaltlich mit der Agonalität auseinandersetzt, die er bei seinen Untersuchungen über die Griechen, speziell über den möglichen Wettkampf zwischen Homer und Hesiod, als deren Wesenszug entdeckt. Nietzsches Abschlussarbeit über Theognis von Megara (KGW I 3.415 – 464) stellt einen wichtigen Ausgangspunkt seiner Gedanken zu Aristokratie und Vornehmheit, zu Demokratisierung und Dekadenz dar.²³ Die Griechen bleiben ständiger Anschlusspunkt Nietz-
Vgl. Wollek 2010b, 269: „Das In- und Nebeneinander von schulischen Aufgaben und Privatlektüre im Rahmen des Internatlebens begünstigte […] eine ausgeprägte Konkurrenz der Schüler untereinander und wurde so, neben den offiziell anzufertigenden Aufgaben, Anlass für eigene Texte.“ „Es wurde uns eine Pförtner Alumnatstelle angetragen; mir wurde ganz anheimgestellt, ob ich sie annehmen oder ausschlagen wollte. Schon früher hatte ich immer eine Zuneigung für Pforte gehegt, theils weil mich der gute Ruf der Anstalt und die berühmten Namen dort gewesener und dort seiender Männer anzogen, theils weil ich ihre schöne Lage und Umgebung bewunderte. Ich entschied mich schnell für die Annahme der Stelle und habe es nie bereut.“ (KGW I 2.263) Schweizer 2007 zeigt, wie bereits der 20-jährige Nietzsche in seiner Valediktionsarbeit Adel und Volk gegenüberstelle. Das antike Megara sei Schauplatz einer grundlegenden politischen und sozialen Neuordnung, dem Niedergang des Adels und dem Aufstieg der Demokraten. Nietzsche stütze seine Beschreibung der Prozesse auf die poetische Darstellung des adligen Theognis, der, geradezu als „Mundstück“ des Adels (GM I 5), den Verfall der Aristokratie scharf kritisiere. Auch wenn Nietzsches Folgerungen somit verzerrt und historisch nicht exakt gewesen sein mögen – andere Quellen beschrieben und begründeten die Vorgänge in Megara durchaus abweichend –, der „Wertekonflikt zwischen Adelsgesellschaft und Demokratie“ (354) als ein Grundzug seiner Philosophie sei hier bereits gut sichtbar. „Nietzsche deutet nicht nur auf seine spätere Philosophie voraus, sondern spricht über ein zu seiner Zeit durchaus aktuelles ,Problem‘, nämlich das Gefühl, dass Kunst, Schönheit und Größe durch demokratische Werte zerstört werden“ (363) – und damit auch über das Problem der Rangordnung. Jedoch könne man daraus nicht folgern, dass Theognis’ Schriften Nietzsche den Anstoß für die Behandlung dieses Problem geliefert hätten. „Es lässt sich vielleicht nicht zu Unrecht vermuten, dass Nietzsche hier antike Verhältnisse in ein jüngeres Geschichtskorsett presst, nämlich den Aufstieg des Bürgertums im 18. Jahrhundert durch Reichtümer aus dem Handel, das sich durch ihr neu erworbenes Vermögen mit den Adligen an Macht- und Prachtentfaltung gleichgestellt fühlten (was zuletzt in der französischen Revolution und der Entmachtung des Adels mündete)“ (362). Ob Theognis erstmals Nietzsches Blick auf die Problematik gesellschaftlicher Neuordnung, der Dekadenz und Umund Entwertung von Werten lenkt oder ob Nietzsche „Theognis nur als Vehikel zur Bekräftigung eben angeführter Anschauungen“ heranzieht (363), in jedem Fall lässt sie ein Gespür für das Problem der Rangordnung erahnen. Vgl. auch Wollek 2010a, 273 – 290, der die inhaltliche, nicht bloß sprachliche Relevanz Theognis’ für Nietzsche hervorhebt. Wollek stellt zudem fest, dass Nietzsche mit seiner Abschlussarbeit bereits „als Schüler einen wissenschaftlichen Wettstreit mit Theophil Welcker, einem angesehenen Philologen seiner Zeit, auf[nimmt]“ (288). Eine solche Relevanz sehen auch Reibnitz 1992, Cancik 1995 sowie Cristi 2014 und 2015, der Theognis’ Schriften als Ursprung von Nietzsches
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sches. Nach dem Beitritt in Friedrich Ritschls „Philologische Societät“ hält er dort ebenfalls Vorträge, wie zuvor bereits in der Bonner Burschenschaft „Frankonia“. Nietzsche wurde 1869 promoviert, ohne eine eigentliche Dissertationsschrift verfasst oder eine Prüfung bestanden zu haben. Seine offensichtliche Begabung, sein wissenschaftlicher Rang schien der Leipziger Universität Anlass genug, Nietzsche die Doktorwürde zu verleihen. Die Basler Professur stand in Aussicht. Sein Freund Paul Deussen freute sich jedoch nicht für Nietzsche, wie dieser es erwartet hatte. Nietzsche spürte darin einen „lächerliche[n] Bauernstolz“, die Kleinheit Deussens, seine Größe nicht zu achten, „einen Höheren nicht anerkennen zu wollen“ (Briefentwurf an Paul Deussen, zweite Februarhälfte 1869, Nr. 623, KSB 2.375). Hier könnte Nietzsche die Rangordnung zum ersten Mal persönlich als Problem erfahren haben, als etwas, das nicht jeder, noch nicht einmal sein Freund, akzeptieren kann. Doch war die Distanz, die Nietzsche zwischen sich und Deussen wusste und fühlte, noch nicht unüberbrückbar. Er schickte den Briefentwurf nicht ab und ließ es, nach zunächst gekündigter Freundschaft, wieder zu einer Versöhnung kommen. Neid und Missgunst sollte er immer wieder erfahren. Auch Nietzsches Schwester, die ihn schon früh bewunderte und sich ihm unterordnete, habe – das war zumindest sein Eindruck – Schwierigkeiten mit seinem Rang gehabt und ihn daher mit bösen Absichten hintergangen. Nietzsches Erfahrungen als Professor und Lehrer haben ihn dazu geführt, sich Gedanken über Führung bzw. fehlende Führung zu machen, die für seine spätere Demokratiekritik wesentlich wurde. 1872, im fünften Vortrag Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten, beklagt er die damalige „Bildungsnoth“, nämlich den „Mangel eines Führers“, der „Jünglinge“ „zur Bildung aus einer Daseinsform in die andre“ führen könnte (BA V, KSA 1.744 f.). Der Schüler der Bildungslandschaft der 1870er Jahre „fühlt daß er sich selbst nicht führen, sich selbst nicht helfen kann“, dass „alle Sterne über ihm erloschen sind, nach denen er sein Schiff lenken könnte.“ Es ist aber nicht nur dieser Mangel an pädagogischen Führern, den Nietzsche beklagt. Besonders stört ihn das Bildungsideal der „Selbstständigkeit“, das die Bildungsanstalten mit aller Macht und damit auch viel zu früh durchsetzen, dem Schüler aufzwängen. [W]er hat ihm die unerträgliche Last aufgebürdet, allein zu stehen? Wer hat ihn in einem Alter zur Selbstständigkeit angereizt, in dem Hingebung an große Führer und begeistertes Nachwandeln auf der Bahn des Meisters gleichsam die natürlichen und nächsten Bedürfnisse zu sein pflegen. (BA V, KSA 1.745 f.)
Die „Wirkungen“ dieser „gewaltsame[n] Unterdrückung so edler Bedürfnisse“ seien fatal. Ohne die Rangordnung selbst zu nennen, ist sie dem jungen Nietzsche offenbar
,aristokratischem Radikalismus‘ begreift. Janz 1978/79, Bd. 1, 94, sieht Nietzsches Arbeit hingegen als „eine rein philologische Schulaufgabe ohne wesentliche innere Anteilnahme.“
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schon von großer Bedeutung.²⁴ Der Mangel an pädagogischer Führung kommt einem Mangel an Rangordnung zwischen Lehrer und Schüler gleich. Das Alleinstehen und die Selbstständigkeit sind zentrale Anforderungen oder Tugenden der Rangordnung, die der Ranghöhere erfüllen muss, die Nietzsche also zu verteidigen sucht, die sich aber erst ausbilden können, wenn man sich zuvor als Rangniederer in eine Rangordnung einfügen kann. Man muss das Gehorchen lernen, bevor man das Befehlen lernt, wie Nietzsche es später ausdrückt, man muss, um den Mut zur Führung zu lernen, zur Führung fähige Persönlichkeiten kennengelernt haben. Nietzsches Erfahrungen in den Bildungsanstalten seiner Zeit²⁵ haben sein Denken in diese Richtung vielleicht geprägt: „Die Aufgabe stand jetzt vor Nietzsche: den Führer oder die Führer zu finden […], um sich selbst und seine Aufgabe durch sie zu finden.“²⁶ Einer dieser geistigen Führer wurde ihm Schopenhauer. „Was Nietzsche zu Schopenhauer hinzog, war von Anfang an nicht dessen dogmatisches System, sondern […] die ethische Persönlichkeit.“²⁷ Schopenhauers geistiger Rang war für ihn ein wichtiger Orientierungspunkt, er sollte nicht nur „Erzieher“ der Welt sein, sondern war dies offenbar auch für Nietzsche. Auch Wagner hat Nietzsche als Ranghöheren stilisiert, dem er sich „in Verehrung“ unterordnen konnte.²⁸ Er nennt es später eine „List der Selbst-Erhaltung“ (MA I, Vorrede 1), sich nicht nur über Schopenhauer, sondern auch „über Richard Wagner’s unheilbare Romantik betrogen“ zu haben. In
Die Bedeutung von Rangordnung in Schulen nicht nur zwischen Lehrer und Schüler, sondern auch zwischen Schüler und Schüler betonte im direkten Anschluss an Nietzsche auch Hiller 1969, 25: „Bis tief in unser Jahrhundert hinein gab es an den preußischen Schulen, vermutlich an allen deutschen, ,Rangordnung‘ – ein Begriff, den Nietzsche mit Recht in die Philosophie gerettet hat. Es ist demokratisch, diese Einrichtung zu verwerfen, und zwar darum, weil alle Menschen gleich seien und niemand etwas für seine stets nur partielle Überlegenheit könne, so wenig wie für seine Unterlegenheit; eine Rangordnung in der Schule mache die Menschen, schon von Jugend an, teils neidisch und rachsüchtig, teils überheblich und anmaßend. Ich, ich finde ,Rangordnung‘ lobenswert.Vorzüge sollen unterstrichen werden, Begabte ermutigt,Wettkampf ist im intellektuellen Bereich genau so legitim und schön wie im sportlichen. Und der Schwächere hat die Bekanntgabe seiner schwächeren Position eben hinzunehmen. Gerade darin zeigt sich Charakter, daß der Stärkere seine Stärke nicht mißbraucht, der Schwächere seine Schwäche erträgt, sie vielleicht zu überwinden trachtet oder aber auf ihr seine Nützlichkeit für die Gemeinschaft aufbaut. Nein, man hat Beethoven nicht mit irgendeinem Geiger im Orchester auf eine Stufe zu stellen, aber auch der kleine Geiger im Orchester ist unentbehrlich.“ Nicht nur fand er in Ritschl einen pädagogischen Führer, er wurde auch selbst, wie Ritschl es ausdrückt, zum „Abgott und (ohne es zu wollen) Führer der ganzen jungen Philologenwelt“ in Leipzig und zum „jungen Gott“ als Lehrer am Basler Gymnasium, wie seine Schwester es formuliert (zitiert nach Janz 1978/79, Bd. 1, 254). Janz 1978/79, Bd. 1, 170.Vgl. EH, UB 3: „Ich m u s s t e eine Zeit lang auch Gelehrter sein“, denn erst so fand Nietzsche zum „D i s t a n z - G e f ü h l “, das „die tiefe Sicherheit darüber, was bei mir A u f g a b e , was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann“, ermöglicht. Janz 1978/79, Bd. 1, 196. Selbst in EH sagt Nietzsche noch: „Es giebt einen einzigen Fall, wo ich meines Gleichen anerkenne – ich bekenne es mit tiefer Dankbarkeit. Frau Cosima Wagner ist bei Weitem die vornehmste Natur; und, damit ich kein Wort zu wenig sage, sage ich, dass Richard Wagner der mir bei Weitem verwandteste Mensch war … Der Rest ist Schweigen …“ (Warum ich so weise bin 3)
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einem mehrfach überarbeiteten Notat „{Zur Rangordnung}“ hält Nietzsche fest: „Vielleicht, daß nunmehr erst {heute bereits} deutlich gemacht {verrathen} werden kann, wohin {Richard} Wagner gehört: nämlich nicht in die große Reihe der Eigentlichen und Ächten des höchsten Ranges, nicht an diesen {olympischen} „Hof der Höfe“.“ (Nachlass 1885, 41[2], KSA 11.676 / KGW IX 4, W I 5.10) Nietzsche hat sich im Rang Wagners geirrt, und damit wurde Wagner für ihn zum Problem: An ihm hat er erstmals erfahren, dass die Rangordnung sich umkehren kann, dass sie nicht sicher, sondern stets problematisch ist. „Daß ich Wagner seinen Parsifal […] nicht verzeihe“, so wendet Nietzsche sich in einer nicht veröffentlichten „Vo r r e d e “ über Wagner und das Christentum an den Leser, „wissen Sie. Das ist eine Frage der Redlichkeit — und wenn Sie wollen der Rangordnung.“ (Nachlass 1888, 15[17], KSA 13.416) Er ist Wagner aber zugleich dankbar, nämlich für die nun gewonnene geistige Freiheit. Auch Wagner war für Nietzsche nur eine Stufe, vielleicht seine größte.²⁹ Nietzsche hat sich sein Leben lang anders gefühlt, Gleichheit galt ihm als Beleidigung. Er hatte Instinkt für Rang, bezeichnet gar seine eigenen Werke als „Werke ersten Ranges“ (Briefentwurf an Franziska Nietzsche, 29. Januar 1888, Nr. 979, KSA 8.235). Rangordnung war ihm dennoch nichts Selbstverständliches. In FW, Vorrede 3, sagt Nietzsche: „Das Vertrauen zum Leben ist dahin: das Leben selbst wurde zum P r o b l e m .“ Etwas wird dann zum Problem, wenn es nicht mehr selbstverständlich, wenn das Vertrauen verloren ist. Dies scheint auch für die Rangordnung zu gelten. Nietzsche hat auf persönlicher Ebene die Vorzüge der Rangordnung, Sinn, Sicherheit und Stabilität, erfahren. Zugleich hat er jedoch miterlebt, dass auch sie keinen letzten Halt garantieren kann, dass sie sich nach den je eigenen Perspektiven mit all ihren Nöten richtet. Nietzsche war bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Seine persönlichen Anhaltspunkte haben ihn dazu geführt, das Problem schließlich tiefer und mit allen Konsequenzen, nämlich als philosophisches zu stellen. Weil Nietzsche „als der erste vollkommene Nihilist Europas, der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat, — der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat …“ (Nachlass 1887/88, 11[411], KSA 13.190), den Prozess der gesamteuropäische Angleichung wie niemand vor ihm erkannte, erkannte er auch die Notwendigkeit der Rangordnung wie keiner zuvor. Als erster und gründlichster Nihilist war er sich über die Tragweite des Wegfalls der alten, festen, jenseitigen Ordnung wie kein anderer im Klaren und konnte so auch die Rangordnung als Erster als Problem wahrnehmen.
Vgl. Rupschus 2013, 15: „Wie Nietzsche, so wie er sich zuletzt verstand, zum Schicksal der Menschheit wurde, ist ihm Wagner zum Schicksal geworden. Erst über den Bruch mit Wagner wurde Nietzsche zum Entdecker einer neuen Freiheit des Denkens“, und zwar, wie Rupschus es anhand seiner Fragestellung von Nietzsches Problem mit den Deutschen herausarbeitet, „vor einem europäischen Horizont.“ Dieses Problem Nietzsches sei „zum Prüfstein seines eigenen Denkens geworden“ (181) und letztlich gar für das philosophische Verständnis seines Denkens im Ganzen von Bedeutung. Vgl. auch Nicodemo 2016.
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2.2.3 Rangordnung als Nietzsches „Aufgabe“ Die tiefe Nothwendigkeit der Aufgabe, welche über dem {allen einzelnen} Schicksale{n} jedes M[enschen] waltet, dem {in dem} eine Aufgabe gestellt wird {leibhaft wird u „zur Welt kommt“} — in der Mitte des Lebens begreife ich, was das Problem der Rangordnung für Vorbereitungen nöthig hatte, um in mir {endlich} aufzusteigen: — wie ich die vielfachsten Zustände {Glücks-} u. Nothstände {an} der Seele {und} des Leibes erfahren mußte, nichts verlierend, alles auskostend {u auf den Grund prüfend}, Alles vom Zufälligen reinigend u. aussiebend. (Nachlass 1885/86, 1[238], KSA 12.63 / KGW IX 2, N VII 2.8)
Nietzsche sieht die Rangordnung als seine Aufgabe. In MA I,Vorrede 7, fällt der Begriff ,Aufgabe‘ dreimal, in der neuen Vorrede zu MA II siebenmal und mehrfach gesperrt.³⁰ Nietzsche musste die Aufgabe erst entdecken, musste sie sich durch seine Erfahrungen erarbeiten. Er sagt von ihr, dass sie ihn dränge, ihn nötige; sie sei ein „herrische[s] Etwas“, ein „Tyrann“ (MA II, Vorrede 4), der ihn „gebieterisch“ zwinge (EH, MA 3), seine „Bestimmung“, die über ihn „verfügt“ (MA I, Vorrede 7), sein „S c h i c k s a l “ (EH, Warum ich so klug bin 9). Ganz offensichtlich stilisiert Nietzsche seine „Aufgabe und das Welthistorische an ihr“ (EH, MA 6) zu einem möglichst hohen Ziel, das er sich nicht selbst setze, sondern das ihm aufgegeben sei. So kann sie ihm Halt und Sinn geben: „ohne diesen Zwang, der über mir steht, würde ich es leichter nehmen — nämlich längst nicht mehr leben.“ (Brief an Franz Overbeck, 14. August 1883, Nr. 450, KSB 6.424 f.) Ohne ein Ziel, welches ich nicht für unaussprechlich wichtig hielte, würde ich mich nicht oben im Lichte und über den schwarzen Fluthen gehalten haben! Dies ist eigentlich meine einzige Entschuldigung für diese Art von Litteratur, wie ich sie seit 1876 mache: es ist mein Recept und meine selbstgebraute Arzenei gegen den Lebens-Überdruß. (Brief an Erwin Rohde, Mitte Juli 1882, KSB 6.226)
Zur Aufgabe bei Nietzsche vgl. insb. Nicodemo 2021 sowie Stegmaier 2012a, 607– 609, und Stegmaier 1994, 48: „Er rechnet damit, daß die ,Aufgabe‘, die ihn ,krank gemacht‘ hat, ihn ,auch wieder gesund machen‘ wird, und tatsächlich wird er sich im Turiner Herbst 1888, als ihm die ,Aufgabe‘ mit Der Antichrist und Ecce homo erledigt scheint, gesund und völlig wohl fühlen. Einseitige Kausalitäten sind hier nicht herzustellen […]. Entscheidend für den philosophischen Zusammenhang ist nur, daß Krankheit so nicht mehr nur Niedergang und Schwäche sein muß, sondern gerade Durchgang zu neuen, stärkeren, ,geistigeren‘ Gesundheiten, wie Nietzsche sie nennt, sein kann“. Vgl. auch Ulmer 1962, der die Aufgabe Nietzsches als dessen „Antrieb“ sieht, als „einen einheitlichen Bezugspunkt“, der Nietzsches ganzem Werk auch „seinen einheitlichen Sinn“ verleihe (9). Zugleich „stellt das Werk Nietzsches vor eine Aufgabe, die das Wesen unserer Gegenwart selbst kennzeichnet“ (9), so dass Ulmer versucht, Nietzsches „Aufgabe als eine heutige zu bringen“ (11). Mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs ,Aufgabe‘ befasst sich Stelzer 1979, 44– 50, der die ,Aufgabe‘ Nietzsches mit der ,Aufhebung‘ Hegels verbindet.
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Die persönliche Bedeutung der Aufgabe für Nietzsche ist offenbar. Er hat sie nötig, um nicht aufzugeben, um sich nicht aufzugeben, sie „wurde buchstäblich zu seiner Lebensaufgabe.“³¹
2.2.4 Nietzsches Einsamkeit 2.2.4.1 Einsamkeit ohne Halt an Moral und Wahrheit Nietzsche thematisiert die Einsamkeit immer wieder,³² auch in den neuen Vorreden, besonders aber in M und der neuen Vorrede zu M.³³ Dort hatte er die Moral und den blinden Glauben an sie als solche problematisiert, kritisiert, ihre Entstehung und Wirkung untersucht und schließlich nach ihrem Wert gefragt – kurz: Nietzsche hat die „Moral als Vorurtheil“ entlarvt. Die Moral wurde wie noch nie zuvor in ihrer Selbstverständlichkeit und Gewissheit erschüttert. Nietzsche hat, wie er sagt, das „Ve r t r a u e n z u r M o r a l “ untergraben (M, Vorrede 2). Weil er der Moral mit Skepsis und Vorsicht begegnet, geht er dadurch auch auf Distanz zur Moralgemeinschaft und sie auf Distanz zu ihm. Weil Nietzsche wie kein Zweiter erfahren hat, dass die Moral unzuverlässig geworden ist, weil das Vertrauen in sie untergraben ist, muss er sich auf sich selbst verlassen. „Niemand kommt, ihm dabei zu helfen; mit Allem, was ihm von Gefahr, Zufall, Bosheit und schlechtem Wetter zustösst, muss er allein fertig werden. Er hat eben seinen Weg f ü r s i c h“. Weil Nietzsche der Moral und ihrem Wertesystem den Boden entzogen hat, kann er nicht mehr auf diesem Boden gehen, sich auf diesem nicht mehr tragfähigen Grund halten. Alte Gewissheiten sind ungewiss geworden, und diese neue, unentrinnbar scheinende Ungewissheit macht einsam. Für einen Immoralisten ist die Einsamkeit unausweichlich. Ohne sich an die alten „Lügenbrücken“ „Gott, Tugend, Wahrheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe“ (M, Vorrede 4) halten zu können, muss sich jeder selbst Halt geben. Stegmaier 2012a, 608. Zur Einsamkeit bei Nietzsche vgl. Lämmert 1987, Meyer 1990, Hutter 2009, Cussen 2009, Stuppner 2011 und Stegmaier 2016a. Maßgeblich für den Begriff der Einsamkeit bei Nietzsche dürfte aber besonders der bisher nur online publizierte, fast 100 Seiten umfassende Artikel „Einsamkeit“ von Gerd Schank sein (Schank 2013): „Das Phänomen und der Begriff der Einsamkeit nehmen einen zentralen Platz in N.s Werken und in seiner Philosophie ein. Auch sein Leben ist in vielerlei Hinsicht durch Einsamkeit als Lebens- und Existenzform geprägt. In N.s Verwendung des Wortes ‚Einsamkeit/einsam‘ lassen sich zwei große semantische Bereiche unterscheiden: eine traditionelle Verwendung dieses Wortes sowie nietzschespezifische Verwendungen, in denen dieses Wort eine grundlegende semantische Vertiefung und Umwandlung erfährt“ (1). Neben der traditionellen Verwendung, dem „zeitweilige[n] Alleinsein des Menschen“, stehe die Einsamkeit bei Nietzsche zum einen für die „monologische“ Einsamkeit „des Menschen nach dem Tod Gottes“, zum anderen für „Einsamkeit als Tugend“, nämlich als Aufgabe des höheren Menschen, „aus der monologischen Einsamkeit eine kreative Tugend zu machen. Er schafft neue Werte in der Erwartung, damit in der Zukunft Genossen und Freunde zu finden“ (2). Schank 2013, 1, sieht die Schwerpunkte des Auftretens der Einsamkeit neben M noch bei UB III und Za.
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Diese tiefe nihilistische Einsicht macht einsam. Die erste der sieben Einsamkeiten, auf die Nietzsche in seinem Werk mehrfach anspielt, die er aber nur an einer Stelle, in einem nachgelassenen Notat, versuchsweise beim Namen nennt,³⁴ besteht genau darin: „1. Die Einsamkeit in Scham und Schwäche und Schweigen vor einem großen Gedanken. Wozu Wahrheit!“ (Nachlass 1883, 16[64], KSA 10.521 f.) Wenn es keine Wahrheiten mehr gibt, auf die man sich und auf die sich jeder andere gleichermaßen berufen kann, wenn das Denken derart ungebunden und ohne letzte Bindung an Gemeinsames, etwa einen ,gesunden Menschenverstand‘, ohne „Trostgründe“ – so die zweite Einsamkeit – auskommen muss, dann macht es einsam. Es kann dann zur „Versuchung[ ]“ werden, so die dritte Einsamkeit, sich doch wieder auf auf Gemeinsames zu berufen, oder, im Gegenteil dazu, sich immer weiter vom Gemeinsamen zu entfernen und so, das ist die vierte Einsamkeit, alle „Freunde zu opfern.“ Dazu bedarf es, so die fünfte Einsamkeit, „der höchsten Verantwortlichkeit“, für sich, aber auch für andere, denn wer einen großen Gedanken wie den Nihilismus in die Welt setzt, riskiert, dass er sich anderen aufnötigt, riskiert, anderen ihren Halt an den alten Wahrheiten und der alten Moral zu nehmen. Die sechste Einsamkeit führt den Einsamen „j e n s e i t s d e r M o r a l “ und aus dem Leiden an ihr heraus, durch „das Schöpferische und die Güte“, zu dem sie zwingt, schließlich bis in die „Ewigkeit“. Die Einsamkeit nötigt zu neuen Werten und hat darin ihren Wert. Sie ist nötig, weil sie nötigt, und so ist die siebte Einsamkeit, da wird Nietzsche noch einmal sichtlich persönlich, die am stärksten nötigende, nämlich die „des Kranken. Trostlied. Müdewerden, Stillwerden. Geheiligt durch Leiden.“ Als sich ins Endlose steigernde Versuchung ist die Einsamkeit derart gefährlich, dass sie für Nietzsche leicht hätte tödlich enden können, und so hätte die „späte[ ] Vorrede“ zu M leicht „ein Nachruf, eine Leichenrede werden können“ (M, Vorrede 2). Weil die Einsamkeit kaum zu ertragen ist, warnt Nietzsche vor ihr: „Glaubt ja nicht, dass ich euch zu dem gleichen Wagnisse auffordern werde! Oder auch nur zur gleichen Einsamkeit!“ Die Kraft, die zum Alleinstehen nötig ist, traut Nietzsche nicht jedem in gleichem Maß zu. Hier kommt wieder die Rangordnung ins Spiel: „der soll der Grösste sein, der der Einsamste sein kann“ (JGB 212). Je höher man in der Rangordnung steht, desto einsamer ist man, und je einsamer man ist, desto mehr Rang hat man eben darin. Rangordnung macht einsam. Nietzsche kritisiert, dass heute kaum jemand mehr wirkliche Einsamkeit kenne. „We r i s t d e n n j e a l l e i n ! […] — Oh, wer die Geschichte jenes feinen Gefühls, welches Einsamkeit heisst, uns erzählen könnte!“ (M 249) Die Einsamkeit wird als Fähigkeit zum Aushalten der Rangordnung nicht mehr geachtet. Darum solle man wieder „E i n s a m k e i t l e r n e n“ (M 177). Nietzsche stellt sich gar eine Gesellschaft vor, die sich eine „Einsamkeitslehre“ zur Aufgabe macht (M 453). Ohne Sinn für Rangordnung ist man kaum mehr imstande, die Einsamkeit wertzuschätzen: „wo man den Glauben an die Rangordnung verlernt hat“, weiß man die mit ihr einhergehende
Vgl. dazu Stegmaier 2016a.
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„Einsamkeit nicht zu ehren und nicht zu verstehen“ (Nachlass 1885, 38[11], KSA 11.609). Wer hingegen „den Glauben an die Rangordnung“ nicht verlernt hat, wer Gleichheit ablehnt, der hat niemand, mit dem er sich gleichrangig fühlen könnte. Jeder hat nur eine bestimmte Kraft zur Rangordnung und damit zur Einsamkeit, die irgendwann aufgebraucht ist, und genau in diesem Moment wird man sich, auf Zeit oder auf Dauer, in die Gleichheit retten, sich bei Freunden, deren Ähnlichkeit und Vertrautheit man größtenteils erst in sie hineinsieht, ausruhen. Dies lässt sich auch bei Nietzsche beobachten.
2.2.4.2 Nietzsches persönlich erfahrene Einsamkeit Dort, wo Nietzsche die Rangordnung am prominentesten als sein Problem vorstellt, in den neuen Vorreden, thematisiert er auch seine eigene Einsamkeit. Der Grund für diese Einsamkeit liege, so Nietzsche, in seiner „ Ve r s c h i e d e n h e i t d e s B l i c k s “ (MA I,Vorrede 1). Diese „Ve r s c h i e d e n h e i t d e s B l i c k s “ hatte Nietzsche offenbar schon früh, er „litt schon als Kind, besonders seit dem Tod von Vater und Bruder, unter Einsamkeit und Vereinsamung“.³⁵ So schreibt bereits der 13-jährige Nietzsche 1858 in seinem frühen autobiografischen Versuch „Aus meinem Leben“³⁶: „Von Kindheit an suchte ich die Einsamkeit u. fand mich da am wohlsten, wo ich mich ungestört mir selbst überlassen konnte.“ (KGW I/1.288) Zunächst erscheint die Einsamkeit bei Nietzsche noch als gewählt: „Bis in den März 1870 gibt es bei N. nur Lob über die Einsamkeit“.³⁷ Doch wird sie immer drückender, belastender, was auch in seinen Briefen zum Ausdruck kommt, in denen er seine Einsamkeit häufig beklagt. Nietzsche betrachtet die Einsamkeit zusehends als schicksalhaft, „nicht als gewählt, sondern als gegeben“ (Brief an Heinrich Köselitz, 23. Juli 1885, Nr. 613, KSB 7.68). Es könnte eine Frage von Nietzsches Kraft, vielleicht sogar seiner Tagesform zu sein, ob er die Einsamkeit als selbst gewählt sehen kann oder sie, wie es immer mehr der Fall ist, als schicksalhaft betrachtet, um sie so besser zu verkraften, sie zu erklären, ihr einen Sinn zu geben. Gerade zum Zeitpunkt von Nietzsches schwerster Krise der Einsamkeit wird ihm die Rangordnung zum Problem, zumindest aber fällt sie mit dem Verfassen der neuen Vorreden zusammen. Seine „,incurable‘ solitude […] had reached a crisis of sorts in the autumn of 1886.“³⁸ Nietzsche betont in seiner Korrespondenz schon früh, dass der Einsame Freunde braucht, „w a h r e [ ] F r e u n d e !“ (Brief an Carl von Gersdorff, 11. März 1870, Nr. 65, KSB 3.106)³⁹ Es gibt jedoch nur wenige, die „als Kandidaten für das Prädikat ,Freund‘
Schank 2013, 75. KGW I/1.281– 311. Schank 2013, 79. Miller 1973, 222. Vgl. schon zuvor den Brief an Erwin Rohde, 10. Januar 1869, Nr. 607, KSB 2.357: „[W]er dazu die Einsicht hat, daß nicht die Flamme des Genies ihn zum Einsiedler macht […]: nein wer einsam ist
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in Frage kommen können. Zu nennen wären vielleicht Overbeck, Köselitz und Brandes. Als Freunde auf Zeit kämen in Frage: Rohde, Rée und Lou, auch Wagner“.⁴⁰ Rohde war Nietzsche zunächst „der Freund seines Lebens“,⁴¹ „der allein ihm gegenüber unter allen seinen Freunden nie einen überlegenen Ton anschlug, sondern wie von sich selbst auch von ihm das Höchste erwartete“⁴² – er sah ihn als seinesgleichen, als ranggleich.⁴³ Doch gab es auch hier einen Bruch, nachdem Rohde den von Nietzsche hoch geschätzten Hippolyte Taine „inhaltlos“ nannte.⁴⁴ Dies beschäftigte Nietzsche lange, weil ihn Rohdes Äußerung ahnen ließ, dass er sich in Rohdes Rang getäuscht haben könnte. Gerade von ihm, seinem vermeintlich ranggleichen Freund, hat er anderes erwartet: „Ihn [Taine] „inhaltlos“ zu nennen ist ganz einfach eine rasende Dummheit, […] und die Bemerkung dürfte am Platz sein, daß dort, wo Einer keinen „Inhalt“ sieht, deshalb doch recht wohl ein Inhalt sein könnte, nur eben kein Inhalt für i h n .“ (Brief an Erwin Rohde, 19. Mai 1887, Nr. 849, KSB 8.76) Nietzsche hinterfragt Rohdes Rang, weil Rohde Taines Rang hinterfragt. Taine stellt selbst die Rangfrage, indem er die Bedeutung einzelner Menschen hohen Rangs betont, die den Verlauf der Geschichte bestimmten (vgl. Kap. 3.2). Dass Rohde gerade hier zweifelt, kann Nietzsche ihm nicht verzeihen. Die Rangordnung zwischen den beiden hat sich so im Dissens über die Rangordnung gezeigt, ein Streit um den Rang hat die Rangordnung umgestellt. – Je weiter Nietzsche sich philosophisch entwickelte, je höher er auf der in MA I, Vorrede 7, genannten „Leiter“ stieg, je höher sein Rang damit wurde, desto einsamer wurde er, desto unmöglicher wurde ihm Freundschaft. Sie erfordert immer mehr Verstellung, Vertrautheit, Offenheit und Ehrlichkeit hingegen werden unmöglich.⁴⁵ Je bewusster sich Nietzsche der Rangordnung und damit auch seines
vermöge einer Naturmarotte, vermöge einer seltsam gebrauten Mischung von Wünschen Talenten und Willensstrebungen, der weiß, welch „ein unbegreiflich hohes Wunder“ ein F r e u n d ist“. Vgl. dazu Tongeren 2000a, der Nietzsche zwischen einer unerträglichen Einsamkeit und einer für ihn nicht akzeptablen „radical deceptive nature of friendship“ sieht. Letztlich könne Freundschaft bei Nietzsche „only have an intermediary function on the way to full realisation of friendship, which will be a friendship of an inner difference or plurality“. Schank 1999, 59. Janz 1978/79, Bd. 1, 207. Janz 1978/79, Bd. 1, 209. Vgl. Montinari 1991, 39: „Dies ist in Nietzsches Leben die erste Freundschaft unter Gleichrangigen.“ Vgl. die Briefe Franz Overbeck, 14. Juli 1886, Nr. 721, KSB 7.208, an Erwin Rohde, 19. Mai 1887, Nr. 849, KSB 8.76 f., 11. November 1887, Nr. 950, KSB 8.194 f., und selbst noch am 4. Januar 1889, Nr. 1250, KSB 8.576. Die Beziehung zwischen Nietzsche und Rohde wurde in der Forschung schon früh und umfassend untersucht, vgl. Crusius 1902 (zum Bruch siehe 155 – 157), Wyzewa 1902, Golther 1902 und 1903, Hofmiller 1903, Simchowitz 1903, Scholz 1903, Däuble 1976, Ross 1995, Treiber 2000, 38 – 40, und Cardew 2004. Vgl. Schank 1999, 58 f.: „Zu Nietzsches Konzept der Freundschaft gehört, neben der ,Nähe‘, auch die Forderung der ,Distanz‘.“ Grundlegend sei aber eben auch, „dass man sich gegenseitig verstanden fühlt“. Vgl. auch Tongeren 1999, der die vereinsamende Wirkung immer tieferen Wissens und die daraus folgende Not der Maskierung voreinander bei Nietzsche darlegt und aufzeigt, wie sich Ein-
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Rangs wird, desto weniger Freunde hat er, bis er allein dasteht. Seinesgleichen sollte er nicht finden. Weil Nietzsche Freunde braucht, aber keine hat, erfindet er sie sich, zur „Erholung“. „Meine Erholung sind die a l t e n Männer, solche wie J Burckhardt oder H Taine“, wie Nietzsche in einem Brief an Rohde hervorhebt (12. Mai 1887, Nr. 846, KSB 8.72), um ihm nochmals seinen Fehltritt bezüglich Taine vor Augen zu halten. Nietzsche hält die beiden „einstweilen für meine einzigen Leser […]. Wir sind in der That gründlich aufeinander angewiesen, als drei gründliche Nihilisten“ (Brief an Erwin Rohde, 23. Mai 1887, Nr. 852, KSB 8.80 f.). Er stellt sie sich als ranggleich vor.⁴⁶ Taine war Nietzsche so wichtig, dass er, wie gesagt, seinetwegen mit Rohde zu brechen drohte. Seine Stimme „war im Grunde die e r s t e Stimme, die ich hörte. Denn meine Einsamkeit war immer vollkommen.“ (Briefentwurf an Hippolyte Taine, 17. Dezember 1888, Nr. 1195, KSB 8.532). Doch auch bei diesen zurechtgemachten, als solchen erdachten Freunden, die seine Mitmenschen waren, fand Nietzsche keinen Halt. Er wusste, auch Burckhardt und Taine „haben weder die gleiche Noth noch den gleichen Willen mit mir gemein. — D i e s ist Einsamkeit: — ich habe Niemanden, der mit mir mein Nein und mein Ja gemein hätte!“ (Brief an Reinhart von Seydlitz, 26. Oktober 1886, Nr. 768, KSB 7.271) Seine letzte Zuflucht sind nun die „freien Geister“. Nietzsche erfindet sie sich, wie er in MA I,Vorrede 2, feststellt, weil er sie nötig hat, weil sie ihm als Gefährten Mut zum Schreiben und zu seinen Problemen geben.⁴⁷ Zunächst beziehen sie sich auf das Werk MA, das „Buch für freie Geister“, das Nietzsche schrieb, nachdem er sich schmerzhaft
samkeit und Verlangen nach Freundschaft auffällig häufig am Ende von Nietzsches Werken ausdrücken. Burckhardt sieht er vielleicht sogar mit höherem Rang, weil er sich Lob von ihm erhofft. Er hört sein „Urtheil als einen Richterspruch“ (Brief an Jacob Burckhardt, 2./3. August 1882, Nr. 277, KSB 6.235). Seine Hoffnungen auf Ranggenossen wiederholt er in seinen Briefen, vgl. etwa den Brief an Burckhardt, 14. November 1887, Nr. 952, KSB 8.198 f. In einem weiteren Brief an Georg Brandes gibt Nietzsche sich „glücklich[ ] […], daß zum „satis sunt pauci“ mir die pauci nicht fehlen und nie gefehlt haben.“ Unter diese „pauci“ rechnet er neben Burckhardt und Taine noch Hans von Bülow, Gottfried Keller, Bruno Bauer und Richard Wagner (2. Dezember 1887, Nr. 960, KSB 8.205). Nietzsche meint in einem weiteren Brief an Erwin Rohde, Taine wiederum könne „e h r l i c h von sich sagen“: „„satis sunt mihi pauci, satis est unus, satis est nullus“.“ (19. Mai 1887, Nr. 721, KSB 8.76) Im Sommer 1885 verfasst Nietzsche eine vierseitige Vorrede „Zur Umarbeitung von MA“ (KSA 14.729). Dort beschreibt er die Lösung von Wagner als Anlass seiner Einsamkeit und als Auslöser, sich freie Geister zu erfinden, in aller Deutlichkeit: „Es war im Sommer 1876. Damals stieß ich, wüthend vor Ekel, alle Tische von mir, an denen ich bis dahin gesessen hatte“. Er hatte das Gefühl, „unter lauter Cagliostros und unächte Menschen gerathen zu sein“. Die „„Entfremdung““ und „Loslösung“ von Wagner führte ihn zu „Wanderschaft“ und Einsamkeit (Nachlass 1885, 41[9], KSA 11.683). Warum er nach dem Bruch mit Wagner ein Buch der freien Geister schrieb, beantwortet er sich in der Retrospektion selbst: „Was aber in aller Welt dachte ich mir damals unter „freien Geistern“, nach denen ich den Angelhaken meines Buches auswarf? Es scheint, ich wünschte mir – Gesellschaft?“ (Nachlass 1885, 41[9], KSA 11.686) Ähnliches findet sich in weiteren ausgearbeiteten Vorreden im Nachlass, vgl. Nachlass 1885, 35[48], KSA 11.534, und Nachlass 1885, 40[65], KSA 11.663.
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von Wagner und seiner Gesellschaft gelöst hatte und so selbst ein freier Geist, zugleich aber auch noch einsamer geworden ist. Auch MA ist ein Buch der Einsamkeit,⁴⁸ „das Denkmal einer Krisis.“ (EH, MA 1) In der krisenhaften Einsamkeit Nietzsches 1886 tauchen die freien Geister erneut auf, in den neuen Vorreden zu MA. Die Rangordnung ist nun endlich ihr Problem, nachdem sie die vielen Sprossen der Leiter überschritten haben. Nietzsche spricht an dieser Schlüsselstelle von ihnen in der 1. Person Plural – nochmals zitiert: „Gesetzt, dass es d a s P r o b l e m d e r R a n g o r d n u n g ist, von dem wir sagen dürfen, dass es u n s e r Problem ist, wir freien Geister“ (MA I, Vorrede 7). Es sind „wir freien Geister“, die das zentrale Zitat sprechen, die „endlich sagen durften“: „Hier — ein n e u e s Problem! Hier eine lange Leiter, auf deren Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, — die wir selbst irgend wann g e w e s e n sind! Hier ein Höher, ein Tiefer, ein Unteruns, eine ungeheure lange Ordnung, eine Rangordnung, die wir s e h e n : hier — u n s e r Problem!“ — — (MA I, Vorrede 7)
Zwar stehen die freien Geister im Plural,⁴⁹ sie sind aber, wie Nietzsche selbst sagt, „e r f u n d e n“ (MA I, Vorrede 2): „dergleichen „freie Geister“ giebt es nicht, gab es nicht“. Nietzsche erfand sie, um Zuflucht bei ihnen zu nehmen und so sein Problem angehen zu können. Wenn es sie aber nicht gab und nicht gibt, dann gibt es auch diese letzte Zuflucht nicht mehr – und genau aus diesem Grund ist das Problem der Rangordnung nicht ihres, sondern Nietzsches persönliches Problem. Man kann diese Zuspitzung des Problems auf Nietzsche selbst besonders gut in der Genese der Vorrede 7 beobachten. In der Vorstufe führt er das Problem der Rangordnung mit jeder Ergänzung, jeder Korrektur immer weiter auf sich und seine Persönlichkeit hin. Er spricht hier nicht in der 1. Person Plural, sondern in der 1. Person Singular – er spricht unmissverständlich von sich: Gesetzt, daß es das Problem der Rangordnung ist {von dem ich sagen darf, daß es mein Problem ist}: jetzt, in dem Mittage des {meines} Lebens sehe ich, was für Vorbereitungen {(u selbst für Maskeraden)} das Problem nöthig hatte, ehe es vor mir aufsteigen durfte […]. Ich sehe die Leiter! {und} ich {selber – ich} saß auf jeder {ihrer} Sprosse! (KGW IX 5, W I 8.246, vgl. KSA 14.118)⁵⁰
In dem Nachlassnotat Nachlass 1885/86, 2[124], KSA 12.123, erstellt Nietzsche eine Übersicht zu seinen bisher verfassten Werken und charakterisiert jedes einzelne mit einem Schlagwort. „Der freie Geist“ ist dort das Kennzeichen von MA, „Einsamkeit als Problem“ das von WS. Das Stilmittel der 1. Person Plural ist bei Nietzsche häufig ein „irritierendes Identifikationsangebot“, so Stegmaier 2012a, 193 – 195. Nietzsche hält seine Leserschaft auf diese Weise zur Selbstreflexion an – „soll ich mich als Teil von ,wir‘ sehen?“ Oder, bezogen auf die Rangordnung: „Soll ich mich als einen der freien Geister sehen? Darf ich von mir sagen, die Rangordnung ist mein Problem?“ Nietzsche wirbt mit seinen erdachten freien Geistern so um Gefährten in seiner Leserschaft. Wie Nietzsche mit sich und dem Problem der Rangordnung ringt, muss auch der Leser um eine Antwort auf seine Fragen ringen und wird vielleicht nie eine eindeutige finden. Dellinger 2015, der in seinem wichtigen und aufschlussreichen Aufsatz zeigt, dass sich aus der sorgfältig inszenierten Vorrede von MA I keine Lehre des Perspektivismus herleiten lasse, interpretiert die Vorstufe anders: Nietzsche spreche nur in der Vorstufe, nicht aber in der veröffentlichten Vorrede
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2.2.5 Nietzsches Krankheit und „grosse Gesundheit“ Nietzsches „eigentliche Erfahrung“ ist seine Krankheit und sein Genesen von „der Kranken-Optik aus nach g e s ü n d e r e n Begriffen und Werthen“ (EH, Warum ich so weise bin 1). „Es ist […] auffallend, daß an allen entscheidenden Wendepunkten seines Lebens und Denkens die Krankheit auftritt, bisweilen auch als die Erlöserin aus Lagen, aus denen der untäterische Mensch Nietzsche sich nur sehr schwer hätte befreien können.“⁵¹ Während sich die Vorrede zu M mit der Moralkritik und der ihr folgenden Einsamkeit befasst, ist die Vorrede zu FW geprägt von „Dankbarkeit“, „G e n e s u n g “ und „Gesundheit“, die der „radikale[n] Vereinsamung“ folgen. „Dies ganze Buch ist eben Nichts als eine Lustbarkeit nach langer Entbehrung und Ohnmacht“ (FW,Vorrede 1). Nietzsche spricht vom „D r u c k der Krankheit“, der er sich wie in einem „Experiment“ „zeitweilig mit Leib und Seele“ ergeben habe (FW, Vorrede 2). Wegen seiner ihn nötigenden Krankheit hat Nietzsche, wie er in EH berichtet, Ressentiments entwickelt, stärkste Ressentiments, nämlich gegen das Leben selbst. Doch von sich in der 1. Person Singular, so dass man nicht einfach von der Rangordnung als Problem Nietzsches ausgehen könne. Für diesen Schluss bedarf es jedoch keines ausdrücklichen und durch Veröffentlichung sanktionierten Bekenntnisses von Nietzsche. Dass er Notate zur Rangordnung immer wieder umschreibt, er mit sich und der Rangordnung ringt, zeigt bereits, dass sie ihm problematisch und damit sein Problem ist. Dellingers Kontext beschränkt sich auf die Vorrede zu MA I und einige Notate, ist damit sehr eng gefasst. Im Gesamtkontext von Nietzsches Philosophie sind der Stellenwert und die Problematizität der Rangordnung mit gut 200 Belegen für Nietzsche unzweifelhaft (vgl. Kap. 3.3.1), ob mit Bezeichnung als „mein Problem“ oder ohne. Entscheidend ist also nicht, ob die Bezeichnung „mein Problem“ im veröffentlichen Werk fällt oder nicht, sondern dass die Problematizität der Rangordnung an Nietzsches Umgang mit ihr deutlich wird. Eben dafür ist die zitierte Vorstufe ein deutliches Indiz. „[B]iographistisch“ wirkt dieser Schluss nur dann, wenn man die Vorstufe wie Dellinger isoliert betrachtet (369 f.). Der Schluss verkürzt nicht den philosophischen Gehalt auf Persönliches, sondern entstammt gerade dem philosophischen Gesamtkontext. Dellinger warnt weiter, die Rede der freien Geister Nietzsche in den Mund zu legen, zeigt jedoch nicht, was eine alternative Lesart zu „unser Problem“ als „mein Problem“ wäre. Genauso wenig, wie man Nietzsche etwa mit Zarathustra schlicht gleichsetzen kann, kann man die inhaltliche Übereinstimmung von Nietzsche mit von ihm inszenierten Figuren kategorisch ausschließen. Vgl. auch Giorgio Colli, Nachwort zu MA, KSA 2.712: „Die Gegenstände regen ihn nicht an, und die Menschen haben ihn allein gelassen, so daß sich der Autor mehr für sich selbst zu interessieren vermag – wie […] der Wanderer, der gezwungen ist, mit seinem Schatten zu sprechen. Im Gespräch mit sich spricht man leichter von sich.“ Nietzsches Schatten sind, in diesem Fall, die freien Geister. Mit ihnen spricht er leichter von sich und von seinen Problemen. – Dass Dellingers entschiedener Fokus auf Nietzsches subversiven Perspektivenpluralismus und seine stilistischen Formen – bei all seiner Berechtigung – mitunter Gefahr läuft, Nietzsches Einzelperspektiven zu vernachlässigen oder gar zu verstellen, sieht ähnlich Navratil 2017, bes. 78 – 81. Zu ähnlichen Ergebnissen wie und im engen und expliziten Anschluss an Dellinger kommt Hilgers 2018, der die Rangordnung in einer textnahen Interpretation der neuen Vorrede von MA I im Zusammenhang mit dem Perspektivischen untersucht: So ist für ihn „das ‚Problem der Rangordnung‘ die Einsicht, dass es unmöglich ist, die Sprossen der Perspektivenleiter aus ihrer Hierarchie zu lösen“ (310). Was das im Gesamtkontext von und für Nietzsches Philosophie bedeuten könnte, erwägt Hilgers ebenso wenig wie die ethisch-moralische Dimension des Problems. Janz 1978/79, Bd. 1, 237.
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konnte er sich auch von diesen Ressentiments lösen, sie hinter, unter sich lassen: Er hat gelernt, dass Krankheit nur so zu ertragen ist, dass man gerade kein Ressentiment gegen sie entwickelt. So ist er seiner Krankheit schließlich dankbar. „Die Freiheit vom Ressentiment, die Aufklärung über das Ressentiment — wer weiss, wie sehr ich zuletzt auch darin meiner langen Krankheit zu Dank verpflichtet bin!“ (EH,Warum ich so weise bin 6) Sie hat ihn zunächst zwar gebunden, doch ihm dadurch auch die Möglichkeit zur Befreiung gegeben, sie hat ihn also weitere Stufen steigen lassen und „das Kommen und Gehen der Not gelehrt und ihm so den Spielraum verschafft, sich ihr auszusetzen oder zu entziehen.“⁵² Nietzsche war nun klar, dass man nie einfach gesund ist und sich dieser Gesundheit sicher sein kann. Sein Wort dafür ist „d i e g r o s s e G e s u n d h e i t — eine solche, welche man nicht nur hat, sondern auch beständig noch erwirbt und erwerben muss, weil man sie immer wieder preisgiebt, preisgeben muss!“ (FW 382)⁵³ Die Gesundheit wächst dann an weiteren Krankheiten, und mit jeder weiteren Einverleibung und Überwindung von Krankheit wachsen auch die Freiheit und der Rang. Doch muss man auch diesen, genau wie die Gesundheit, die man „immer wieder preisgiebt“, immer wieder aufs Spiel setzen, kann sich seiner nie sicher sein. Auch Rang bietet keine letzten Sicherheiten.
2.2.6 Nietzsches Erfahrungsvorsprung gegenüber seinen Lesern In EH beschreibt Nietzsche seine Erfahrungen, seine Nöte, den Weg zwischen Krankheit und Genesung, den er gegangen ist und weiter geht, also die Genealogie der Stufen, die er überschritten hat und die er war – es kann damit als Buch über die Rangordnung gelesen werden, über Nietzsches persönliches Problem der Rangordnung und die Entwicklung seines eigenen Rangs. Nietzsche beschreibt hier, wie er sein „souveraines Gefühl von Disktinktion“ entwickeln konnte (EH, Warum ich so weise bin 3), weil er „nie unter seines Gleichen lebte“ (EH, Warum ich so weise bin 5). Er beschreibt auch, warum er „in Fragen der décadence e r f a h r e n“ ist, wie er dazu gekommen ist zu sagen: „ich habe die Hand dafür, P e r s p e k t i v e n u m z u s t e l l e n“ (EH, Warum ich so weise bin 1) – oder, wie er es mit seinen Kapitelüberschriften ausdrückt, warum er „so weise“, „so klug“ ist, warum er „so gute Bücher“ schreibt und warum er schließlich „ein Schicksal“ ist. Alle einschneidenden persönlichen Erfahrungen Nietzsches waren Loslösungen, sei es von Schopenhauer, von Wagner, von Freunden, von Krankheiten, von moralischen Überzeugungen oder von philosophi-
Stegmaier 2012a, 148. Stegmaier sieht bei Nietzsche gar eine „Heuristik der Not“: „Eine Not ist eine unerträgliche Situation, die zum Handeln zwingt, um ihr zu entkommen; sie fixiert das Denken darauf, die Situation zu bewältigen oder einen Ausweg aus ihr zu finden“ (145 f.). „Nietzsche macht es entschlossen zu seiner Not, sich Nöten auszusetzen, um Tugenden aus ihnen zu machen“ (148), um so mit seiner „fröhlichen Wissenschaft“ die bisherige Wissenschaft und Philosophie von ihren Nöten zu befreien. Vgl. Faustino 2010 und Poltrum 2016.
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schen Gewissheiten. Jede neue Erfahrung brachte ihm neue Perspektiven, jede neue Perspektive neue Handlungsmöglichkeiten, die andere ohne solche Erfahrungen nicht haben können, und damit schließlich Rang und überhaupt erst ein Verständnis für Rangprobleme. Eben diesen Prozess lässt Nietzsche den freien Geist in den Vorreden zu MA I durchlaufen: Nach vielen Krankenheiten beginnt diesem „sich das Räthsel jener grossen Loslösung zu entschleiern“ (MA I,Vorrede 6), und er wird endlich „Herr“ über sich und seine „Tugenden“, die er nun als seine „Werkzeuge“ je nach einem „höheren Zwecke“ einsetzen kann, ohne von ihnen gesteuert zu sein. Weil er verschiedenste Perspektiven erfahren hat, lernt er zusehends „das Perspektivische in jeder Werthschätzung begreifen“ und damit „die n o t h w e n d i g e Ungerechtigkeit in jedem Für und Wider“ (vgl. Kap. 4.5.2), kann aus der Befangenheit seiner Einzelperspektive ausbrechen, die andere ohne vergleichbar tiefe Erfahrungen vielleicht nicht überwinden können, und damit über seine Perspektiven entscheiden, sie beherrschen, ohne von ihnen beherrscht zu werden. Nicht jeder hat diese Freiheit, und das ist dann notwendig ungerecht. Wer nie gezwungen war, seine eigenen Überzeugungen und „Tugenden“ zu hinterfragen, wer nie gelernt hat, seine Perspektive umzustellen, seinen Standpunkt zu verlagern, der bleibt stehen. Ein solches „Leben“ ist „am kleinsten, engsten, dürftigsten, anfänglichsten entwickelt“ und kann „dennoch nicht umhin […], s i c h als Zweck und Maass der Dinge zu nehmen und seiner Erhaltung zu Liebe das Höhere, Grössere, Reichere heimlich und kleinlich und unablässig anzubröckeln und in Frage zu stellen“. So kam der freie Geist schließlich dazu, „das Problem der R a n g o r d n u n g mit Augen [zu] sehn und wie Macht und Recht und Umfänglichkeit der Perspektive mit einander in die Höhe wachsen.“ Die immer zahlreicheren Perspektiven des freien Geistes heben ihn von anderen ab, verschaffen ihm Optionen, die andere nicht haben, und insofern auch „Macht“, zu der er aber durch seine Überwindungen und Loslösungen, in denen er sich immer wieder bewähren und beweisen musste, nun das „Recht“ hat. Er „w e i s s nunmehr […], was er jetzt k a n n , was er jetzt erst — d a r f …“ Das macht seinen Rang aus, seine „Höhe“, in die er aus der Tiefe seiner Erfahrungen gewachsen ist. Weil Nietzsche so viele Erfahrungen machte, die andere, auch seine Leser, nicht machten, war es seine „durchschnittliche Erfahrung“, die „O r i g i n a l i t ä t meiner Erfahrung“ (EH, Warum ich so gute Bücher schreibe 1), dass seine Bücher nicht verstanden wurden. „Wofür man vom Erlebnisse her keinen Zugang hat, dafür hat man kein Ohr.“⁵⁴ Seine Bücher bezeichnet er daher als „die e r s t e Sprache für eine neue Reihe von Erfahrungen“, die noch kein anderer beherrscht und daher zunächst unverstanden bleiben muss. Man versteht nichts und geht so auch davon aus, dass „N i c h t s d a i s t …“ Nietzsche unterscheidet sich also von seinen Lesern durch seine Erfahrungen, und, wenn gemachte Erfahrungen als überklommene, durchlebte Stufen Vgl. schon JGB 268: „Es genügt noch nicht, um sich einander zu verstehen, dass man die selben Worte gebraucht: […] man muss zuletzt seine Erfahrung mit einander g e m e i n haben.“ Um etwa Za „n a c h z u f ü h l e n , dazu bedarf es ganzer Geschlechter, die erst die inneren Erlebnisse n a c h h o l e n , auf Grund deren jenes Werk entstehen konnte.“ (Brief an Karl Knortz, 21. Juni 1888, Nr. 1050, KSB 8.340)
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2 Persönliche Anhaltspunkte: Rangordnung als Nietzsches persönliches Problem
der Rangordnung gesehen werden, auch und vor allem durch seinen höheren Rang. So hat Nietzsche die Rangordnung durch seine Werke, durch die Differenz zwischen sich und seinen Lesern ein letztes Mal persönlich erfahren und ausgesprochen. Die persönliche Dimension lässt sich vom Problem der Rangordnung nicht lösen, Nietzsche spitzt es ganz auf seine Person und Persönlichkeit zu. Es gibt für die Rangordnung keine allgemeinen oder sachlichen Kriterien, keine objektive Legitimation, keine Rechtfertigung – sie selbst ist es, die rechtfertigt. Nietzsche selbst ist mit seinem Rang das Kriterium, die Rechtfertigung und Begründung seiner Rangordnung. Er selbst steht dafür ein, nicht mit Gründen, sondern mit seiner Persönlichkeit und persönlichen Autorität.
3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands 3.1 Semantisches Feld Der Begriff ,Rangordnung‘ bezeichnet eine Ordnung dem Rang nach. Eine Rangordnung unterscheidet sich von einer bloßen Ordnung durch ihre Vertikalität, setzt eine Wertung nach höher und niedriger bzw. mehr oder weniger wertvoll voraus. In der Verhaltensbiologie ist sie auch als tierische und menschliche Hackordnung bekannt. Der Begriff ,Rang‘ bezeichnet die Stellung innerhalb einer solchen Ordnung, beim Menschen innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung, aber auch die Überlegenheit in bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten (z. B. ,Redner ersten Ranges‘).¹ Er wurde zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt und geht zuletzt auf frz. ,rang‘ (Reihe, Reihenfolge), das selbst von afrz. ,renc‘ (Reihe, Kampfreihe) stammt, zurück. Dieses ist wiederum entlehnt von germ. ,*hringa‘, das wie ahd. ,hring‘ und mdh. ,ring‘ eine ringförmige Versammlung, einen Kreis namentlich aufgestellter Personen oder einen kreisförmig aufgestellten Heeresverband bezeichnete. Auch ein Kreis von zu Gericht Geladenen sowie Zuschauerreihen bei Kampfspielen in einem Ring wurden unter dem Begriff gefasst. Entsprechend dem frz. Gebrauch stand das deutsche Wort ,Rang‘ zudem für Reihe, Schlachtordnung (seit dem 17. Jh.), Reihenfolge, Stufe der gesellschaftlichen Ordnung, Amt und Würde (seit dem 18. Jh.). Der Begriff hatte also ursprüngliche eine örtlichen Sinn, zeigte an, wer mit oder bei wem saß, stand (meist im Ring, im Kreis einiger Personen) oder ging. Im 17. Jh. während des Dreißigjährigen Kriegs wurde er in die Soldatensprache übernommen und behielt seine militärische bzw. kriegerische Konnotation für einige Zeit (etwa als Bezeichnung für in Schlachtordnung stehende Soldaten und Kriegsschiffe). Die gesellschaftlich-ständische Bedeutung ist seit dem 18. Jh. geläufig (zunächst etwa als Rang eines Fürsten oder Herrschers, daraus entwickelt sich der damals geläufige Begriff ,Hofrangordnung‘) und kann einerseits das Ansehen, andererseits auch die Stellung oder das Amt innerhalb eines Gesellschaftskreises ausdrücken. Der zugehörige Begriff des ,Rangierens‘, von frz. ,ranger‘ (aufstellen, einreihen, (ein)ordnen, in (eine) Ordnung bringen, vgl. arrangieren), afrz. ,rengier‘ (in Reihen stellen, ordnen), bedeutet seit der Mitte des 19. Jh. eine bestimmte Stelle in einer Rangordnung einnehmen. ,Einrangieren‘ heißt entsprechend in etwas einreihen oder rangmäßig einordnen, ,ausrangieren‘ hingegen etwas aussondern, ausscheiden, wegwerfen, Menschen außer Dienst stellen oder entlassen (seit Ende 18. Jh.). Die enorme Verbreitung des Begriffsfelds ,Rang‘ kann als sprachphänomenologischer Beleg für die Bedeutung
Die etymologische Aufschlüsselung folgt Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24., durchgesehene und erweitere Aufl., Berlin / New York 2002, 742 und 766, und Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Aufl., Bd. 2, Berlin 1993, 954 f., 1080 und 1129. https://doi.org/10.1515/9783110771367-005
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
der Positionierung innerhalb von Ordnungen und Gruppen für die alltägliche Orientierung gesehen werden. Sinnverwandte Ausdrücke sind beispielsweise Prestige, Ruf, Renommee, Leumund, Ansehen, Reputation, Status, Image und soziales Kapital. Der Begriff ,Ordnung‘ bezeichnet einen organisierten Zustand und ist „in erster Linie eine Frage der Beziehung zwischen einzelnen Elementen oder Menschen“.² Eine Ordnung ist eine Ausrichtung von Verschiedenem, das in eine Reihe gebracht und übersichtlich gemacht wird. Sie besteht in ihrer Relationalität, verdankt ihre Existenz den Elementen, die sie ordnet und die eben dadurch erst zu Elementen werden. Entfällt oder verändert sich nur eins der Elemente, verändert sich auch die Ordnung insgesamt – es sei denn, sie lässt Spielräume für solche Änderungen und ist dann schon eine andersartige Ordnung. Der Begriff ,Ordnung‘ stammt von lat. ,ordo‘ (Reihe, Reihenfolge, Regel, militärisch Glied, Reih und Glied, gesellschaftlich Stand, Klasse, Rang), das ursprünglich ein Fachwort der Weberei war (das angezettelte Gewebe, das Aufspannen der Längsfäden des Gewebes, also das Herrichten des Anfangs des Gewebes). Aus dem lat. ,ordinare‘ (in Reih und Glied bringen und von daher, besonders bei Soldaten, befehlen) leitet sich die Bedeutung der Anordnung, frz. des ,ordre‘, deutsch der ,Order‘ ab (vgl. Ordonnanz), die auch in anderen Sprachen erhalten ist (etwa ,to order‘ im Englischen, ,ordonner‘ im Französischen). Das Ordnen ist im Sinn von Aufräumen zudem ein Räumlichkeit insinuierender Begriff, weil er Ordnung als gleichzeitiges Nebeneinander vorstellt. In der Philosophie hat der Ordnungs- bzw. ordo-Gedanke eine lange Tradition.³ In der griechischen Antike ist der Kosmos (κόσμος) die aus dem Chaos entstandene natürliche, vollkommene, harmonische und schöne Ordnung, in der alles seinen Platz hat. Aus ihr folgen die Gesetze des Handelns, alles ihr Widerstrebende ist widernatürlich (παρὰ φύσιν). In der lateinischen Antike umfasst der ordo-Begriff nicht nur eine kosmologische, sondern besonders auch eine gesellschaftliche Dimension und ist stark normativ belegt. Die frühen Christen übernehmen diesen Wortgebrauch und übertragen ihn auf die göttliche Schöpfung, begründen die Ordnung also transzendent. Auch in der mittelalterlichen Scholastik spielt der metaphysisch geprägte kosmologische und teleologische ordo-Gedanke eine tragende Rolle. Gleiches gilt für die Neuzeit und Renaissance, auch hier ist Gott Architekt der alles umfassenden Ordnung, in der alles seinen natürlichen Ort, seinen Rang hat.⁴ Allmählich, auch mit der Reformation und ihrem neuen Gottesverständnis, verschiebt sich der Schwerpunkt auf die innerweltliche Ordnung. War bisher Gott alleiniges Maß, gerät der Mensch immer mehr in den Mittelpunkt. Ordnung erscheint immer weniger als natürlich, ewig und schicksalhaft, sondern als gestaltbar, zeitlich und prozesshaft. Sie ist nicht objektiv gegeben, sondern wird in die Dinge erst hineingelegt; sie ist, wie dann besonders mit Anter 2004, 35. Vgl. dazu ausführlich Meinhardt / Hübener / Dierse / Steiner 1984 und Krings 1982. Dieser Ort wurde auch als ,Rangort‘ bezeichnet. Vgl. etwa Johann Gottfried Herders Zur römischen Literatur (Herder 1829, 144): „Lernt, ihr Elenden, lernt! Die Natur der Dinge zu forschen: Was wir sind? und wozu wir geboren wurden? den Rangort, den die Natur uns setzte!“
3.1 Semantisches Feld
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Nietzsche deutlich wird, Orientierungsleistung. Die Sicherheit der göttlichen Ordnung ist damit verloren, Ordnung wird jetzt zu etwas, das man selbst immer wieder neu schaffen muss.⁵ Der Begriff ,Hierarchie‘, wörtlich die heilige Herrschaft oder die Herrschaft des oder der Heiligen, bezeichnet ebenfalls eine Abstufung, eine Über- und Unterordnung. Er stammt aus dem religiösen Bereich und wurde erst später auf andere Phänomene übertragen. Pseudo-Dionysius Areopagita hat den Begriff Ende des 6. Jh. aus ,ἱερὸς‘ (heilig)⁶ und ,ἄρχειν‘ (herrschen) zusammengesetzt und in die christliche Theologie eingeführt.⁷ Er bezeichnet „den gestuften Weg von Gott zu den Geschöpfen und von diesen zurück zu Gott und erscheint als heilige Urstiftung, als ordnendes Grundprinzip, durch welches die göttliche Erleuchtung auf die Geschöpfe Gottes weitergeleitet wird.“⁸ Die Ordnung der Kirche ist das Abbild dieser göttlichen Ordnung; der Begriff ,Hierarchie‘ bezeichnet zusehends die Herrschaft der Priester und Reihenfolge untereinander.⁹ Um in der kirchlichen Ordnung eine Stellung zu erlangen, muss man sich ,ordinieren‘, also sakramental weihen lassen. Wechselt die Person, die das geweihte Amt bekleidet, ändert sich die göttliche Ordnung bzw. Hierarchie dadurch nicht, sie ist ewig, unveränderlich und von einzelnen Personen, die ein Amt ausfüllen, unabhängig. Die Reformation, die sich gegen kirchliche Hierarchien wandte, gebrauchte den Begriff entsprechend kritisch.¹⁰ Mit der späteren Aufweichung der
Auch in den Wirtschaftswissenschaften vollzog der ordo-Gedanke diesen Bedeutungswandel. Ging Adam Smith noch von einer natürlichen, sich selbstständig einstellenden Ordnung unter den Wirtschaftsteilnehmern aus, so sah der ,Ordoliberalismus‘ um Walter Eucken die Aufgabe und Notwendigkeit, die ökonomische Ordnung bewusst zu gestalten. Zur genaueren Etymologie des Begriffs ,ἱερὸς‘ vgl. Benveniste 1993, 445 – 450. Vgl. Hathaway 1969. Rausch 1974, 1124. Vgl. zur Begriffsgeschichte auch Verdier 2006. Für weitere Begriffsanalysen vgl. Fischer 2005, der „vier Ordnungstypen“ unterscheidet: „die linearen oder Voll-Ordnungen, die Teilordnungen, die Hierarchien und die Rangordnungen / Dominanzen bzw. Hackordnungen“ (41). Fischer definiert die Hierarchie als „eine durch eine lineare Ordnung bewertete Teilordnung von Äquivalenzklassen (je gleichartiger Elemente). Die lineare Ordnung wird dabei inhaltlich als Rangordnung interpretiert, in der die Dominanzbeziehung (die Über- bzw. Unterordnung) der Elemente der Klassen zum Ausdruck kommt. Das teilgeordnete System der Äquivalenzklassen ist dadurch in Rangordnungsstufen gegliedert“ (48). Die Rangordnung hingegen sei „[e]in Ordnungsprinzip, ohne das sich ein organisiertes Gemeinschaftsleben höherer Tiere und des Menschen offenbar nicht entwickeln kann […]. Sie besteht darin, dass von den in einer Gemeinschaft lebenden Individuen jedes einzelne weiß, welches stärker und welches schwächer ist als es selbst, welche anderen Individuen es dominiert und von welchen es dominiert wird“ (49). Zur Hierarchie in der Kirche vgl. Kap. 4.2. Auch Johann Gottlieb Fichte 1854, 152, spricht in antiklerikaler Absicht von der „furchtbaren Gewalt der Hierarchie“. Zur Kritik an einer solchen Kritik der Hierarchie vgl. Art. Hierarchie, in: Staatsund Gesellschaftslexikon, hg. von Herrmann Wagener, Bd. 9, Berlin 1862, 416 – 419: „Hierarchie gehört zu denjenigen Wörtern, deren sich, besonders in der neueren Zeit, die Menge bedient, um irgend etwas ihr Mißfälliges, Widriges zu bezeichnen, ohne daß sie sich darum bekümmerte oder nur bekümmern wollte, was die betreffenden Wörter eigentlich bedeuten, ja auch nur darum, worin das ihr Mißfällige eigentlich bestehe. […] Es verbirgt sich unter der Anwendung des Namens H[ierarchie] in sehr vielen, ja
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
Ständeordnung, also der gesellschaftlichen Hierarchie, verlor anscheinend auch das streng hierarchische Weltbild an Bedeutung. „Die Ausweitung des H[ierarchie]-Begriffes vom inner- und antikirchlichen Bereich auf den weltlichen erfolgte frühestens am Ende des 18. Jh.“¹¹ Statt von der Hierarchie im Singular war zusehends die Rede von den Hierarchien im Plural. Noch zur Zeit Nietzsches war allerdings die religiöse Konnotation des Begriffs dominant.¹² Heute ist die religiöse Färbung des Begriffs weitgehend verschwunden; er wird nun vorwiegend säkular gebraucht.¹³ Begriffsäquivalente zur ,Rangordnung‘ finden sich in verschiedenen Sprachen. Übersetzungen von Nietzsches Werken verwenden jedoch weitgehend Begriffsäquivalenten zur ,Hierarchie‘: So kann man im Englischen sehr wohl von ,rank order‘ und ,order of rank‘ sprechen, dennoch wird häufig ,Rangordnung‘ bei Nietzsche mit ,hierarchy‘ übersetzt. Im Französischen sind die Worte ,rang‘ und ,ordre‘ durchaus gebräuchlich, auch die Kombination ,ordre du rang‘ ist möglich. Halten sich im Englischen und Amerikanischen die Varianten noch ungefähr die Waage, so übersetzt man im Französischen fast ausnahmslos mit ,hiérarchie‘. Im Italienischen hat man ,ordine di rango‘, übersetzt ,Rangordnung‘ aber regelmäßig mit ,gerarchia‘, im Spanischen gebraucht man ,orden de rango‘, aber übersetzt mit ,jerarquía‘ usw.¹⁴ Das
in den meisten Fällen der tiefe Widerwille unserer revolutionären Zeit gegen die Kirche, ja gegen Christus selbst, und schließlich gegen alle und jede Auctorität.“ Rausch 1974, 1124 f. Selbst die letzte zu Nietzsches Lebzeiten erschienene Auflage des Brockhaus behandelt unter dem Stichwort ,Hierarchie‘ (Art. Hierarchie, in: Brockhaus’ Konversations-Lexikon, 14. vollständig neubearbeitete Aufl. in 16 Bänden, Bd. 9, Leipzig / Berlin / Wien 1894, 159 f.) allein die Hierarchie der Weihen der Kirchenämter, ohne auf die heute geläufige, abstrakte Bedeutung der Über- und Unterordnung hinzuweisen. Die von Nietzsche geschätzte Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (Art. Hierarchie, in: Johann Samuel Ersch / Johann Gottfried Gruber (Hg.), Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Achter Theil. Hibo bis Hirudines, Leipzig 1831, 23 – 45) verwahrt sich ausdrücklich gegen den neuen, „nicht eben zu billigende[n]“ Sinn des Worts ,Hierarchie‘, „wornach es mit völliger Aufgebung der Grundbedeutung zuweilen auch von der Rangordnung solcher Ämter und Stände in Anwendung kommt, welche mit dem Heiligen nichts zu thun haben, auch nicht eben in dem Rufe der Heiligkeit stehen; so erklären sich Verbindungen der Art, wie p o l i t i s c h e H i e r a r c h i e , m i l i t ä r i s c h e H i e r a r c h i e “ (45). Vgl. dazu Conrad 2009, der zeigt, dass der Begriff der Heiligkeit, also des ,hieros‘, in soziologischen Kontexten und speziell bei Max Weber nicht auf Transzendenz beruhe, sondern zunächst all das bezeichne, was als tendenziell unantastbar gelte. Eine Herrschaftsform etwa könne schon aufgrund ihrer langen Tradition als unantastbar gelten. Die Funktion dieser Heiligkeit bzw. Unantastbarkeit liege besonders darin, die Zustimmung zu einer Herrschaft zu erleichtern und so ihren Erhalt zu sichern. Zugleich sehe sich jede heilige Herrschaftsform vor das Problem gestellt, ihre Heiligkeit auch im und gegenüber dem Alltag zu wahren, wenn sie sich auf Dauer, und damit im Alltäglichen, einrichten wolle – denn das Heilige sei gerade das vom Alltäglichen Unterschiedene. So müsse die eigene Heiligkeit immer wieder neu bewiesen werden, um die Herrschaft aufrecht zu halten – doch das ist nun schwer geworden. Eine „Krise des hierarchischen Systems“ sieht auch Schwarz 2007, der mit seiner sozialwissenschaftlichen Interpretation der Hierarchie Wege aus dieser Krise zu finden sucht. Ein positives Gegenbeispiel ist der brasilianisch-portugiesische Artikel von Paschoal 2013. Paschoal verweist in seiner Übersicht von Nietzsches Kritik an der Moderne eigens auf die Schwie-
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch
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wirft erhebliche Probleme bei der Interpretation auf.¹⁵ Die für Nietzsche so wichtigen Nuancen gehen verloren. Dass sie so leicht verloren gehen, könnte schon ein Symptom dafür sein, wie sehr der Sinn für Rangordnung in Nietzsches Verständnis tatsächlich geschwunden ist.¹⁶ Eine Rangordnung unter Personen entwickelt sich spontan im direkten Umgang miteinander, kann mehr oder weniger lang bestehen bleiben, sich manchmal auch dauerhaft festigen. Nietzsche verwendet den Begriff, wie sich zeigen wird, in diesem Sinn. Hierarchien dagegen sind, sakral oder nicht, fest sanktioniert. Nietzsche spricht kaum und mit einer Ausnahme nur im Nachlass von ihnen, es sei denn ihrem ursprünglichen Sinn entsprechend fast immer in religiösen Kontexten. Die Hierarchie ist eben die singuläre, göttliche und ewige Ordnung, die im Nihilismus unglaubwürdig und durch eine Pluralität verschiedener individueller Rangordnungen ersetzt wurde.
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch Obwohl Nietzsche die Rangordnung als sein Problem bezeichnet, sind verschiedene Einflüsse denkbar. Als antike Quellen kommen neben Theognis¹⁷ besonders Platon und Aristoteles in Betracht. Wie sich bei der Untersuchung von Nietzsches Begriffsgebrauch zeigen wird (vgl. Kap. 3.3), stehen viele der Stellen, in denen der junge Nietzsche den Begriff ,Rangordnung‘ verwendet, im Kontext der platonischen Philosophie. Diese ist selbst maßgeblich vom Hierarchiegedanken geprägt. So unterscheidet Platons dualistisches Weltbild die sinnliche Welt von der übersinnlichen Welt der Ideen und ordnet sie ihr ontologisch unter. Die Ideen sind untereinander abgestuft: Je allgemeiner sie sind, desto höher stehen sie. Die Idee des Guten ist die allgemeinste, damit auch die höchste, die alle anderen Ideen umfasst. Das Liniengleichnis, das Platon Sokrates vortragen lässt (Politeia, 509d – 513e), impliziert eine Abstufung der Erkenntnisarten nach dem Grad der Wahrheit und der Annäherung an die Realität. Auch das Höhlengleichnis (Politeia, 514a – 520a) ist klar hierarchisch aufgebaut und differenziert zwischen bloßem Abbild und der Realität. Zuletzt ist Platons Idealstaat selbst ein hierarchischer. Sind die Kinder noch gleich, so unter-
rigkeiten der Übersetzung mit ,hierarquie‘ und verwendet stattdessen den Begriff ,precedência‘ (in etwa: Vorrang) bzw. das Wort ,Rangordnung‘ selbst. Das ist, um nur ein Beispiel zu nennen, exemplarisch zu beobachten im Band Tzitzis 2008, in dem ,Rangordnung‘ durchgehend als ,hiérarchie‘ übersetzt und aufgrund dieser Übersetzung teilweise fehlinterpretiert wird (vgl. Kap. 1.1). Eine seltene Ausnahme macht Lemm 2011. Lemm hält ausdrücklich fest, „that the order of rank is not a hierarchical order in the traditional sense“ (91). Vgl. dazu Kap. 1.2.2.2. Auch Jensen 2008, 325, erwägt Theognis als Quelle hinsichtlich der Rangordnung: „The notion that cultural values were mutable according to material conditions and relations of power, that rhetorical advice could affect change more effectively than institutional involvement, and that Rangordnung was essential for a flourishing culture – each of these themes the young Nietzsche found in Theognis.“
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
scheidet Platon bei den Erwachsenen drei Stände,¹⁸ die den drei Seelenteilen und ihren Tugenden entsprechen, die ihrerseits hierarchisch geordnet sind. – Das Verhältnis von Platon und Nietzsche ist komplex und seit langem ein kontroverser Forschungsgegenstand.¹⁹ Ein nicht unwesentlicher Einfluss hinsichtlich der Rangordnung ist beim jungen Nietzsche jedoch wahrscheinlich; er zeigt sich deutlich etwa in Der griechische Staat (CV 3, KSA 1.764– 777, vgl. Kap. 3.3.2). Nietzsches Verständnis der Rangordnung reicht jedoch bald über das Platons hinaus. Es geht Nietzsche gerade nicht um ontologische Abstufungen oder um eine feste gesellschaftliche Hierarchie. Das Problem der Rangordnung, das Nietzsche Mitter der 1880er Jahre entdeckt, hat schließlich nur noch wenig mit Platon gemein.
Nietzsche befasst sich im nachgelassenen „Fragment einer erweiterten Form der „Geburt der Tragoedie““ (Nachlass 1871, 10[1], KSA 7.333 – 349) mit den verschiedenen Ständen in Platons Staat und benutzt dabei den Begriff ,Rangordnung‘ im Sinn von ,Stelle in der Hierarchie‘ (KSA 7.349). Auch hinsichtlich der Rangordnung wurde der Einfluss Platons auf Nietzsche breit diskutiert. Eine Differenz zwischen beiden stellt Lee 1992, 226 f., fest: „Im Gegensatz zur platonischen Idee, die sich auf eine ontologische, d. h. von Natur aus gegebene Rangordnung bezieht, konstituiert sich Nietzsches Rangordnung als Kristallisation des unerschöpflichen Geschehens zu einer perspektivischen Interpretationseinheit“. Für Lee ist „Rangordnung kein statisches Herrschaftsgebilde, vielmehr ist sie von einer machtbestimmten Prozessualität geprägt“ (260 f.). McIntyre 1992 sieht hingegen eine ähnliche Auffassung von Rangordnung bei Platon und Nietzsche, die gerade nicht durch bloße Macht bestimmt sei. Vgl. ferner Ottmann 1999, 280: „Nietzsches Moralphilosophie löst den Begriff der ,einen‘ Menschheit auf. Sie führt eine ,Rangordnung‘ ein, die, wie die Antike, Grade des Menschseins selbst ansetzt. Das ist antikisierend auf eine ungeheuerliche Weise. Aber wie sehr Nietzsche mit Platon und gegen Platon zurück wollte zur Antike, er war vielleicht mehr noch ein moderner Platoniker, der von der letzten Spitze der Moderne zur Rangordnung der Alten zurückstrebte.“ Knoll 2009 und 2016 sieht Platon als klares Vorbild für Nietzsches politische Gerechtigkeitsauffassung, die auf dem „anthropologischen Fundament“ der Ungleichheit und Rangordnung zwischen den Menschen beruhe. Platon gehe aus „von einer fundamentalen Ungleichheit der Seelenteile und der Menschen […]. Diese Ungleichheit besteht für Platon von Natur aus und bildet die Grundlage für die Wertdifferenz und Rangordnung, die ihm zufolge zwischen den Menschen besteht“ (164). Knoll fasst Rangordnung auch bei Nietzsche als primär politisches, staatliches, gesellschaftliches Problem: „Nietzsche rechtfertigt seine Vision einer hierarchischen Gesellschaft und deren extreme Ungleichheit mittels seiner anthropologischen Grundüberzeugung, dass die Menschen nicht nur fundamental ungleich, sondern auch von extrem ungleichem Wert sind“ (174). Er übersieht, dass Nietzsche sich im Nachlass ausdrücklich notierte, dass es ihm um eine Rangordnung geht, die sich „[n]atürlich abseits von allen bestehenden Gesellschaftsordnungen“ befindet (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.217). Zudem erscheint Knolls Unterstellung einer „anthropologischen Grundüberzeugung“ Nietzsches problematisch. Wie Bertino 2011, ausführlich und überzeugend gezeigt hat, verlässt sich Nietzsche gerade nicht mehr auf eine „Anthropologie eines zeitlosen Wesens des Menschen“ (22). Wenn Nietzsche also von der Ungleichheit der Menschen überzeugt ist, sollte sie nicht als ewiger, ontologischer Wesenszug, als metaphysisches Residuum oder menschliche Konstante oder Substanz verklärt werden. Vielmehr bleiben Gleichheit und Ungleichheit, vielleicht im Gegensatz zu Platon, für Nietzsche Perspektiven, Kategorien der Beurteilung, die je nach Situation ihre Berechtigung zur Anwendung finden. Zum Einfluss von Platons Gerechtigkeitskonzept mit Rücksicht auf die Rangordnung vgl. auch Zachriat 2010, 263 f.
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch
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Dass auch Aristoteles, durch Vermittlung auch über Friedrich Albert Lange, dessen Geschichte des Materialismus (1866) Nietzsche bekanntlich stark beeindruckt und geprägt hat, als Quelle in Betracht kommt, hat bereits George J. Stack gezeigt: En passant, Lange shows himself quite sympathetic to at least one conception of Aristotle’s, that of the belief that there are natural Rangverhältnisse or relations of ,rank‘ that are arranged by degrees according to value. Lange is sympathetic to such a scheme because it is not based upon human opinions but is rooted in the ,nature of things.‘ In a note to a previous reference to Aristotle, this general conception is called a Rangordnung. There is no doubt that this summary of Aristotle’s conception of gradations of rank in accordance with Wert or ,value‘ was the primitive inspiration for Nietzsche’s later conception of a Rangordnung. ²⁰
So lässt sich bei Lange über Aristoteles finden, daß alles in der Welt sich nach Rangstufen und Wertbegriffen ordnen lasse: ein Prinzip, welches Aristoteles sodann nicht ermangelt, auf die abstraktesten Verhältnisse, wie oben und unten, rechts und links usw. anzuwenden und zwar mit der unzweideutigen Meinung, daß alle diese Rangverhältnisse nicht etwa nur in der menschlichen Auffassung, sondern in der Natur der Dinge begründet seien.²¹
In der von Stack erwähnten Fußnote Langes heißt es: Es gibt aber auch eine große Zahl anderer ethischer Begriffe, welche Aristoteles in die Naturbetrachtung hineingetragen hat, zum größten Nachteil für die Weiterführung der Forschung; so vor allen Dingen die Rangordnung aller Naturdinge und sogar der abstrakten Verhältnisse des „oben“ und „unten“, „rechts“ und „links“²².
Auch wenn Langes Einschätzung von Aristoteles’ Konzept der Rangordnung sicherlich keineswegs so ungetrübt positiv oder „sympathetic“ ist, wie Stack behauptet, dürfte hier eine nicht unwesentliche Quelle von Nietzsches Problem der Rangordnung liegen. Doch auch in diesem Fall geht Nietzsche weit über seine Quelle hinaus. Für ihn ist die Rangordnung gerade nicht mehr „in der Natur der Dinge begründet“, sondern in der jeweiligen Perspektive eines Individuums. Ein weiterer Einfluss durch Aristoteles dürfte in dessen Konzept der „Megalopsychia“ (μεγαλοψυχία, lat. magnanimitas) liegen, die er in seiner Nikomachischen Ethik expliziert (1123b – 1125a16).²³ Es hat Nietzsches Bild des wohlgeratenen Menschen sicherlich maßgeblich beeinflusst und liegt nahe bei seiner Vorstellung einer Persönlichkeit von Rang (vgl. etwa EH, Warum ich so weise bin 2). Die Vorrede seines Vortrags Ueber die Zukunft unserer Bildungs-
Stack 1983, 143. Lange 1974, 66 f. Lange 1974, 137. Darauf hat besonders Walter Kaufmann hingewiesen (Kaufmann 1982). Kaufmann meint, Aristoteles’ „Vorstellung von der megalopsychia hat zweifellos einen kaum zu überschätzenden Eindruck auf Nietzsche gemacht“ (446).Vgl. auch Magnus 1980, Mette 1987, Tongeren 1989, 156, und Leiter 2002, 121.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
anstalten, der sich auch auf die Rangordnung beruft (vgl. Kap. 2.2.2 und 3.3.), beschließt Nietzsche mit folgendem Aufruf: „Ihr Hochsinnigen, denen Aristoteles nachrühmt, daß ihr zögernd und thatenlos durch’s Leben geht, außer wo eine große Ehre und ein großes Werk nach euch verlangen! Euch rufe ich auf.“ (KSA 1.763) Auch die Idee, dass die Rangniederen, die Schlechtweggekommenen die Rangordnung verleugnen und stattdessen die Gleichheit aller fordern, lässt sich ebenfalls bereits bei Aristoteles finden: „Stets sind es die Schwächeren, die nach Gleichem und Gerechtem suchen, während sich die Stärkeren nicht darum kümmern.“ (Politika, VI 1318b) Der frühe Einfluss Platons könnte teilweise durch Schopenhauer vermittelt worden sein. In seiner Vorlesung Einführung in das Studium der platonischen Dialoge (SS 1871/72–WS 1874/75, KGW II 4.5 – 188) verweist Nietzsche auf ihn: §. 12. Eine falsche Ableitung der platonischen Ideenlehre. Verzweiflung am Wissen, nachher Überzeugung von der Möglichkeit des Wissens, die Dialektik als Weg dazu — das ist die historische Genesis der Ideenlehre. Neuerdings nimmt man oft eine andre Genesis an, vom aesthetischen Anschauen her; der Ausdruck „p l a t o n i s c h e I d e e “ (idealisiren) hat in der A e s t h e t i k Bürgerrecht bekommen: was meint man da? Schopenhauer Parerga II 78. „die richtige Scala zur Abmessung der Hierarchie der Intelligenzen liefert der Grad, in welchem sie die Dinge bloß i n d i v i d u e l l oder aber mehr und mehr a l l g e m e i n auffassen. Das Thier erkennt nur das Einzelne als Solches, bleibt also ganz in der Auffassung des Individuellen befangen. Jeder Mensch aber faßt das Individuelle in Begriffe zusammen und diese Begriffe werden immer allgemeiner, je höher seine Intelligenz steht. Wenn diese Auffassung des A l l g e m e i n e n nun auch in die i n t u i t i v e Erkenntniß dringt und nicht nur die Begriffe, sondern auch das Angeschaute unmittelbar als ein Allgemeines erfaßt wird, so entsteht die Erkenntniß der Platonischen Ideen.“ Also intuitives Erfassen des Allgemeinen — Genesis der platonischen Idee. Ist das historisch wahr? (KGW II 4.156)²⁴
Schopenhauer greift mit seiner „Hierarchie der Intelligenzen“, die sich nach der Fähigkeit zum allgemeinen, abstrakten Denken richtet, Platons hierarchische Erkenntnis der Ideen auf. Nietzsche bleibt gerade hier skeptisch und fragt, ob das „historisch wahr“ sein könne. Schopenhauer spricht auch an weiteren Stellen von Hierarchien, jedoch eher oberflächlich. So gebe es eine Hierarchie der Begriffe, die ebenfalls dadurch bestimmt sei, wie speziell oder allgemein die Begriffe seien (Die Welt als Wille und Vorstellung II, Erstes Buch, Kapitel 6). Auch komme eine „Hierarchie der Urteile“ zustande, wenn „die Vielen sich der Autorität der Wenigen unterwerfen“ (Parerga und Paralipomena II, § 20: Über Urteil, Kritik, Beifall und Ruhm). Schopenhauer führt dies nicht weiter aus. Die soziale Bedeutung des Rangs lehnt er strikt ab: Der Rang, so wichtig er in den Augen des großen Haufens und der Philister, so groß sein Nutzen im Getriebe der Staatsmaschine sein mag, läßt sich für unsere Zwecke mit wenigen Worten abferti-
Die von Nietzsche zitierte Stelle befindet sich im Anhang von Parerga und Paralipomena II (1851), § 51.
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch
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gen. Es ist ein konventioneller, d. h. eigentlich ein simulierter Werth: seine Wirkung ist eine simulierte Hochachtung, und das Ganze eine Komödie für den großen Haufen.²⁵
Schopenhauer kommt daher, abgesehen von einer möglichen Vermittlerrolle, hinsichtlich der Rangordnung kaum als Einfluss auf Nietzsche in Frage.²⁶ Dass Jacob Burckhardt sowohl auf philosophischer wie auf persönlicher Ebene erheblichen Einfluss auf Nietzsches Denken hatte, ist lange bekannt und von Nietzsche selbst attestiert: „er hat etwas Unwiderlegbares in seiner Persönlichkeit“ (Brief an Lou von Salomé, vermutlich vom 16. September 1882, Nr. 305, KSB 6.259). Auch hinsichtlich der Rangordnung scheinen seine Werke und Vorlesungen einen gewissen Quellencharakter zu besitzen. Burckhardt fragt stets nach menschlichem Rang und hat, vielleicht schon deshalb, Rang für Nietzsche. Besonders in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen befasst Burckhardt sich mit historischer Größe und mit „Menschen ersten Ranges“, denen er eine „hohe[] Seltenheit“ zuschreibt.²⁷ Er führt Beispiele an, denen auch Nietzsche stets ehrfurchtsvoll begegnet, etwa Thukydides,²⁸ Napoleon und Kolumbus,²⁹ und hebt die Größe der Philosophen sowie die Rangordnung von Philosophie und Einzelwissenschaften hervor.³⁰ Die Bedeutung, die Burckhardt dabei einzelnen Ranghohen zumisst, ist bemerkenswert.³¹ Er stellt zudem die Bedeutung des Agons bei den Griechen heraus, der für Nietzsches Gedanken der Rangordnung wichtig ist. Auch der Begriff ,Rangordnung‘ selbst taucht in Burckhardts
Schopenhauer 1946, 348. Später wird Nietzsche Schopenhauer aufgrund seines „neminem laede“ gar eine „sklavenhaftsentimental[e]“ „F o r d e r u n g “ der „Gleichsetzung aller Menschen“ vorwerfen, die alle „Rang-Ordnung“ sträflich missachte (Nachlass 1884, 26[85], KSA 11.171 f.). Siehe auch Nachlass 1888, 12[1], KSA 13.204: „gegen Schopenhauer der Schurken und Gänse castriren will. Zur „Rangordnung“.“, und dazu Nachlass 1887, 10[104], KSA 12.513. Burckhardt 1978, 158. Burckhardt 1978, 15: „Es kann sein, daß im Thukydides z. B. eine Tatsache ersten Ranges liegt, die erst in hundert Jahren jemand bemerken wird.“ Burckhardt 1978, 155: „Von den Entdeckern ferner Länder ist nur Columbus groß, aber sehr groß gewesen, weil er sein Leben und eine enorme Willenskraft an ein Postulat setzte, welches ihn mit den größten Philosophen in einen Rang bringt. Die Sicherung der Kugelgestalt der Erde ist eine Voraussetzung alles seitherigen Denkens, und alles seitherige Denken, insofern es nur durch diese Voraussetzung frei geworden, strahlt auf Columbus unvermeidlich zurück.“ Burckhardt 1978, 157: „Mit den großen Philosophen erst beginnt das Gebiet der eigentlichen Größe, der Einzigkeit und Unersetzlichkeit, der abnormen Kraft und der Beziehung auf das Allgemeine.“ Sie „vermögen […] den einzelnen Wissenschaften die Richtungen und Perspektiven anzugeben. Gehorcht wird, wenn auch oft unbewußt und widerwillig; die Einzelwissenschaften wissen oft gar nicht, durch welche Fäden sie von den Gedanken der großen Philosophen abhängen.“ Burckhardt 1978, 170: „Schicksale von Völkern und Staaten, Richtungen von ganzen Zivilisationen können daran hängen, daß ein außerordentlicher Mensch gewisse Seelenspannungen und Anstrengungen ersten Ranges in gewissen Zeiten aushalten könne.“
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
Werken auf.³² Burckhardts Frage nach menschlichem Rang und menschlicher Größe hat Nietzsche fraglos besonders beeindruckt.³³ Auch inhaltlich sind Burckhardts einschlägige Ausführungen erheblich näher an Nietzsches späterem Problem der Rangordnung als etwa die Platons und Aristoteles’. Dass Burckhardt später Anstoß an Nietzsches Aphorismus „W a s z u r G r ö ß e g e h ö r t “ (FW 325) nimmt,³⁴ schließt seinen Einfluss auf ihn nicht aus. Es zeigt vielmehr, dass Nietzsche auch nicht bei Burckhardts Auffassungen über die Rangfrage stehenbleibt. Sie mögen ein Anstoß gewesen sein, sich ihr zu widmen, doch geht Nietzsches philosophisches Problem der Rangordnung letztlich weit über Burckhardts historisches Problem hinaus. War Rang für Burckhardt ein Thema, so stellt er sich Nietzsche als Problem. Mit Burckhardt in einem Atemzug nennt Nietzsche den Historiker Hippolyte Taine, den er in einem Brief an seine Schwester als einen „Leser […] vom Range Jakob Burckhardts“ (3. November 1886, Nr. 773, KSB 7.279) bezeichnet;³⁵ zusammen halte er die beiden „einstweilen für meine einzigen Leser“ (Brief an Reinhart von Seydlitz, 26. Oktober 1886, Nr. 768, KSB 7.271). Ähnlich wie Burckhardt hebt Taine die historisch prägende Größe weniger herausragender Individuen hervor. Die Aufgabe, das „Produktive“ eines Historikers sei, notiert Nietzsche sich, die „R a n g o r d n u n g der facta f e s t [z u ]s t e l l e n“ (Nachlass 1884, 26[424], KSA 11.264). Der dazu nötige „[h]istorische[ ] Sinn […] ist den Franzosen gut gelehrt durch Taine“. Nietzsche berichtet zudem, dass er „die Schule von Tocqueville und Taine durchgemacht habe“ (Brief an Franz Overbeck, 23. Februar 1887, Nr. 804, KSB 8.28).³⁶ Alexis de Tocqueville, den Nietzsche So spricht Burckhardt in seinem ersten Hauptwerk Die Zeit Constantins des Großen (1853) etwa von der „Rangordnung der Götter“, der „Dämonen“ oder „Geister“ und vom „Titelwesen als Symbol der Rangordnung“ in der römischen Gesellschaft. Vgl. Nietzsches Brief an Carl von Gersdorff, 7. November 1870, Nr. 107, KSB 3.155: „Gestern Abend hatte ich einen Genuß, den ich Dir vor allem gegönnt hätte. Jacob Burckhardt hielt eine freie Rede über „historische Größe“, und zwar völlig aus unserm Denk- und Gefühlskreise heraus. […] Ich höre bei ihm ein wöchentlich einstündiges Colleg über das Studium der Geschichte und glaube der Einzige seiner 60 Zuhörer zu sein, der die tiefen Gedankengänge mit ihren seltsamen Brechungen und Umbiegungen, wo die Sache an das Bedenkliche streift, begreift.“ Vgl. dazu Janz 1978/79, Bd. 1, 387 f. Vgl. auch Martin 1947, 113 – 121 und 262, Martin 1948, 29, und Salin 1948, 69 – 71 und 146. Besonders der Abschnitt: „nicht an innerer Noth und Unsicherheit zu Grunde gehn, wenn man grosses Leid zufügt und den Schrei dieses Leides hört – das ist gross, das gehört zur Grösse“ (FW 325) veranlasste Burckhardt dazu, Distanz zu nehmen und in einem Brief vom 13. September 1882 an Nietzsche ihm „[e]ine Anlage zu eventueller Tyrannei“ zu unterstellen, die ihn, Burckhardt, aber „nicht irre machen“ solle (Burckhardt 1974, 87). Vgl. dazu Löwith 1984 und Martin 1947, 120 – 126. Salin 1959, 132, zitiert einen Brief Heinrich Wölfflins, dem Schüler und Nachfolger Burckhardts am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Basel, vom 14. April 1938 an ihn: „Sehr deutlich erinnere ich mich, wie er [Burckhardt] sagte, daß ihm die Zusendungen des späteren Nietzsche immer mehr eine Verlegenheit gewesen seien und wie er von ihm abgerückt sei, ,als er den Kampf gegen das Mitleid eröffnete.‘ (Hier stehe ich für den Wortlaut.) ,Ich meine, er habe es noch brauchen können‘, fügte er bei.“ Zu Nietzsche und Taine vgl. Campioni 1999b. Laut Marti 2000 ist dieser Hinweis Nietzsches „glaubhaft.“ Als weitere Einflüsse seien John Stuart Mill und Ernest Renan denkbar. Auf Mill verweist auch NWB, Bd. 1, Art. Aristokratie, 127: „Gegen J. St. Mill und dessen Lehre von der ,Äquivalenz der Werthe von Handlungen‘ verteidigt N. auch für die
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch
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unter die „feinsten Köpfe des vorigen Jahrhunderts“ (Nachlass 1885, 34[69], KSA 11.442) rechnet, hielt bekanntlich gegenüber der Tendenz zur Gleichsetzung aller in Demokratien an persönlichem Rang fest. Dass auch er hier als Quelle in Frage kommt, wurde bereits nachgewiesen.³⁷ Die Einflüsse dieser drei Historiker auf Nietzsche scheinen kaum klar voneinander zu trennen, da sie hier ähnliche Positionen vertreten. Urs Marti hebt beispielsweise den gemeinsamen Einfluss am Beispiel von Nietzsches Kritik der Französischen Revolution hervor, die auch das Problem der Rangordnung betrifft. Sie sei möglicherweise in einigen Punkten von Burckhardt inspiriert. Burckhardt hat sich in seiner Einschätzung der Französischen Revolution verschiedentlich auf Tocqueville, später auch auf Taine gestützt. Nietzsche nimmt sich 1878 oder 1879 die Lektüre von Taines Revolutionsstudie vor. Hippolyte Taines großangelegte Geschichte der Ursachen, des Verlaufs und der Folgen der Französischen Revolution gilt nach übereinstimmendem Urteil der Historiker als der heftigste und wirkungsvollste Angriff, der seit Burke gegen die Revolution geführt worden ist […]. Die eigentliche Sünde der Revolution liegt nach Taine in der Aufhebung jeder Rangordnung und in der Vernichtung jeder traditionellen Autorität.³⁸
Zuvor hatte schon der schottische Historiker Thomas Carlyle die These aufgestellt, es seien heroische Individuen, die die Geschichte prägten. Er charakterisierte fünf verschiedene Typen heroischer Führungspersönlichkeiten; Napoleon, Friedrich der Große und andere dienten ihm als Beispiel. Carlyle gilt als Urheber dieser im Englischen als great man theory bekannten Position.³⁹ Auch wenn Nietzsche ihn wegen seines mutmaßlichen Moralismus und Heroismus, der im Grunde doch „ein Abkömmling der Religion und ein Feind der Wahrheitssuche ist“,⁴⁰ mehrfach scharf kritisiert, könnte er doch von ihm beeinflusst worden sein. Nietzsches Problem der Rangordnung beschränkt sich allerdings nicht auf das Theorem des großen Mannes, dem die genannten Historiker anhängen. Zwar betont auch er den Wert großer Individuen, doch verweigert Nietzsche sich einerseits der ihm klein erscheinenden Anbetung großer Männer und setzt andererseits die Rangordnung weit tiefer und umfassender an, bezieht etwa die Rangordnung der Organe, der Instinkte, der Werte, der Moralen und generell zwischen Mensch und Mensch, nicht nur zwischen historischen Größen und der Masse, mit in das Problem ein (vgl. Kap. 3.3.2).
neuere Zeit den Vorrang der aristokratischen Wertordnung, da nur durch sie die für die ,Erhöhung‘ des Menschen erforderliche Rangordnung aufrecht erhalten werden kann“, vgl. Nachlass 1887/88, 11[127], KSA 13.60. Vgl. Krulic 2002 und dazu Kap. 1.1.1. Marti 1990, 325 f. Vgl. auch Marti 1993, 74. Auch Ralph Waldo Emerson könnte hinsichtlich des „großen Menschen“ einigen Einfluss auf Nietzsche ausgeübt haben. Vgl. dazu bes. KSA 14.279, sowie Stack 1990 und Cameron 1998. Zum Einfluss von Emerson auf Nietzsche generell vgl. Stack 1992, die Sonderausgabe „Emerson / Nietzsche“ des Emerson Society Quarterly 43 (1997) und Zavatta 2005. Campioni 2000b, 251 f.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
Gustav Naumann deutet an, Nietzsches Rangordnungsgedanke könne „von Shakespeare […] ableitbar erscheinen (Troilus und Kressida I 3)“.⁴¹ Er will aber ausdrücklich kein „nothwendiges Abhängigkeitsverhältniß“ zwischen beiden Autoren sehen und enthält sich daher „der allzu überzeugten Aussprache nur m ö g l i c h e r Einflüsse“. Shakespeares Troilus und Cressida ist ein recht handlungsarmes Drama und gilt als eines seiner philosophischsten Werke. Die von Naumann angeführte Stelle ist berühmt für die politische Rede des Odysseus, des klügsten aller Griechen, in der er die tragende Rolle von Hierarchie und Rang („degree“) für die Gesellschaft betont und sie mit der natürlichen Ordnung der Sonne und der Planeten vergleicht: O, when degree is shaked, / Which is the ladder to all high designs, / Then enterprise is sick! How could communities, / Degrees in schools and brotherhoods in cities, / Peaceful commerce from dividable shores, / The primogenitive and due of birth, / Prerogative of age, crowns, sceptres, laurels, / But by degree, stand in authentic place? / Take but degree away, untune that string, / And, hark, what discord follows!
Ohne diese Rangordnung werde alles zu Chaos und Selbstvernichtung: „Then every thing includes itself in power, / Power into will, will into appetite; / And appetite, an universal wolf, / So doubly seconded with will and power, / Must make perforce an universal prey, / And last eat up himself.“⁴² Das Drama war Nietzsche offenbar tatsächlich bekannt, schon früh notiert er sich: „Als Grundmangel des Griechenthums charakterisirt Shakespeare in Troilus und Cressida die noch nicht erstarkten sittlichen Gewalten.“ (Nachlass 1869, 1[58], KSA 7.28) Laut BN, 552 und 556 f., besaß Nietzsche Troilus und Cressida sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihm die einschlägige Stelle bekannt war, dennoch ist hier ein Einfluss fraglich: Mit der festen, gesellschaftlichen oder gar elisabethanischen Ordnung, die Odysseus beschreibt, hat die interindividuelle Rangordnung, die Nietzsche vorschwebt, nicht viel gemein.⁴³ Es liegt nahe, dass Nietzsche auch mittelbare Anregungen aus verschiedenen Quellen bezog, die sich nicht direkt mit der Rangfrage befassen. Der Themenkomplex der Moderne, der Demokratie und der Gleichheit beispielsweise steht natürlich in enger Verbindung zu ihr. In diesem Zusammenhang könnte die damals berühmte Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von Johann Ersch und Johann
Naumann 1900, 5 f. Vgl. Greene 1981, 271: „Troilus and Cressida offers the quintessential expression of the Elizabethan idea of order, Ulysses’ degree speech, amidst a context of chaos and at a time in history when it has all but ceased to apply. Troilus and Cressida is concerned with the breakdown of order, the hierarchical ideal which had served for centuries.“ Vgl. auch Hillman 1997, der eine Verbindung zu Nietzsche zieht. Eine abweichende Sichtweise vertritt Taureck 2008, 197, der die Rede des Odysseus durchaus einleuchtend ironisch liest, Nietzsches Rangordnung jedoch in offensichtlichem Widerspruch zum Textbefund aufs Politische beschränkt: „Nietzsche wants Rangordnung unconditionally and without irony to dominate in present and future society. There should be one government, but two different orders in society; one for the rulers, another for the herd.“
3.2 Quellen von Nietzsches Begriffsgebrauch
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Gruber eine indirekte Quelle sein. Angela Holzer sieht hier einen möglichen Einfluss auf Nietzsches Adelsbegriff. Zum dort enthaltenen Artikel ,Adel‘ schreibt sie: This extraordinarily long encyclopedia article points out the universal, political and anthropological necessity for, and historical evidence of, Adel as a separate caste in all known ,civilized‘ and ,uncivilized‘ societies. Gradual social ,ranking or order of rank‘ (Rangordnung) is seen here as the foundation of the political ,order of things‘.⁴⁴
Nietzsche hat die Enzyklopädie häufig genutzt, und Holzer vermutet, dass sein genealogischer Zugriff auf den Adel von dem Artikel geprägt sein könnte. „He might even have learned the etymology that was introduced at the beginning of the Genealogy of Morality from this encyclopedia.“⁴⁵ Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre auch ein Einfluss hinsichtlich der Rangordnung möglich. Eine von Holzer nicht zitierte Stelle des Artikels lautet: Der Unterschied der Stände kann nicht von der Art seyn, daß nicht jeder geehrt würde. Dies ließe sich nur denken, wenn es einen unfreien Theil des Volkes gäbe, auf dem alle Lasten ruhen, oder dem wenigstens der Weg der Vertretung fehlte, um seine Lage zu verbessern. Aber eine A b s t u f u n g d e s R a n g e s ist mit der Würde und Freiheit Aller wohl vereinbar, ja ist von Erbmonarchien nicht füglich zu trennen, weil in diesen der Rang von dem Thron ausgeht und durch Nähe an demselben sich bestimmt.⁴⁶
Adel erscheint hier, im Kontext monarchischer Staatsformen, und generell im Artikel als ordnungsstiftendes, selbstverständlich auf Ungleichheit basierendes Prinzip, das dennoch „Würde und Freiheit Aller“ wahrt und nicht allein, wenn auch hauptsächlich auf Geburt basiert. Später wird Nietzsche schreiben: „Jede Erhöhung des Typus „Mensch“ war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft […], welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Werthverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt“ (JGB 257). Diese „Erhöhung“ sei nur „aus dem eingefleischten Unterschied der Stände“ möglich gewesen, habe sich dann aber von ihr gelöst. Es ist möglich, dass Nietzsche in der Allgemeinen Encyclopädie eine weitere Komponente seines Problems der Rangordnung entdeckt hat. Man kann also von einer Vielzahl möglicher Einflüsse ausgehen. Es hat sich jedoch für keinen der Vorgänger Nietzsches das Problem auf die Weise gestellt, wie es sich ihm stellte. Auch wenn er sich einzelnen Ideen angeschlossen haben mag, dass „das Ziel der Menschheit“ beispielsweise „in ihren höchsten Exemplaren“ liege (UB II, HL 9, KSA 1.317), ist das Problem bei ihm doch erheblich umfassender. In Burckhardt
Holzer 2008, 381. Holzer 2008, 381. Art. Adel, in: Johann Samuel Ersch / Johann Gottfried Gruber (Hg.), Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Erster Theil. A bis Aëtius, Leipzig 1818, 379 – 394, 392 f. Einen Artikel zum Stichwort ,Rangordnung‘ gibt es in der Enzyklopädie nicht, da die Reihe 1889 nach 167 Bänden mit dem Lemma ,Phyxios‘ eingestellt wurde.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
und Taine suchte Nietzsche vor allem Leser und darum suchte er das Rangproblem, das so einsam macht, vielleicht auch bei ihnen. Dass er es bei ihnen nicht in seiner ganzen Tiefe fand, mag ihn veranlasst haben, es als sein Problem zu bezeichnen. In seiner philosophischen Tiefe ist es originär und daher, wie Nietzsche sagt, „ein n e u e s Problem“ (MA I, Vorrede 7).
3.3 Nietzsches Begriff der Rangordnung 3.3.1 Verteilung des Begriffs in Nietzsches Werk Insgesamt lassen sich knapp über 200 Belege für den Begriff ,Rangordnung‘ bei Nietzsche im gesamten Zeitraum seiner schriftstellerischen Aktivität von 1870 bis Dezember 1888 finden.⁴⁷ Bis in die frühen 1880er Jahre tritt der Begriff eher vereinzelt auf, ab 1884 nimmt die Häufigkeit stark zu, 1885 liegt, im Zuge der Beschäftigung mit JGB, der Höhepunkt. 1886 bis 1888 nimmt die Häufigkeit zwar wieder merklich ab, der Begriff bleibt jedoch weiter präsent. Ungefähr 75 % der Nennungen entfallen auf den Nachlass, in Nietzsches Briefen kommt das Problem dagegen nur äußerst selten zur Sprache.⁴⁸ Im veröffentlichten Werk steht JGB mit 16 Nennungen weit vor MA und FW. Sonst ist der Begriff verstreut zu finden, von den frühen Texten wie SGT und GT bis in die späten wie AC, EH und NW. Schreibvarianten, sinnverwandte Wörter und Metaphern sind ,Rang-Ordnung‘, ,Gradation‘, ,Leiter‘, ,Stufenleiter‘, ,Treppe‘ und ,Kastenordnung‘, mit ,Rang‘ gebildete Komposita ,Ordnung des Ranges‘, ,Rangfrage‘, ,Rangfolge‘, ,Rangabfolge‘, ,Rangdistanz‘, ,Rangkluft‘, ,Rangverschiedenheit‘, ,Rangklasse‘, ,Rangniveau‘, ,Ranggrade‘, ,Ranggefühl‘ und ,Rangverschiebung‘. Der Begriff ,Rang‘ (ohne ,-ordnung‘) findet sich über 250-mal und ist erheblich gleichmäßiger über das Werk verteilt als ,Rangordnung‘. Mit dem Problem der Rangordnung im engeren Sinn hängt er nur selten direkt zusammen – anders in der Kombination ,ersten Ranges‘, ,zweiten Ranges‘ (stellenweise auch ,fünften Ranges‘), ,gleichen Ranges‘, ,überlegenen Ranges‘, ,höheren Ranges‘, ,höchsten Ranges‘, ,allerersten Ranges‘, ,obersten Ranges‘, ,niederen Ranges‘, ,geringsten Ranges‘, ,letzten Ranges‘ usw. Der Begriff ,Hierarchie‘ findet sich 14-mal, davon nur einmal im veröffentlichten
Schon 1862 ist in Nietzsches Jugendschrift Fatum und Geschichte (KGW I/2.431– 437) die Rede von einer „Stufenfolge“ (KGW I/2.437). Vgl. Ottmann 1999, 14: „Die Vorträge ,Fatum und Geschichte‘ und ,Willensfreiheit und Fatum‘ (beide 1862) lassen einen schon erstaunlich philosophischen Nietzsche erkennen.“ Meist sind die Adressaten Vertraute Nietzsches, denen er das Problem zutraut, von denen er sich Verständnis erhofft, so etwa Köselitz, dem er in zwei Briefen zur Rangordnung schreibt: „Mein Glaube ist, daß es höhere und tiefere Menschen giebt, und viele Stufen und Distanzen“ (Brief an Heinrich Köselitz, 3. August 1883, Nr. 447, KSB 6.418, zuvor am 30. März 1881, Nr. 97, KSB 6.79), und später Brandes (Briefentwurf an Georg Brandes, Anfang Dezember 1888, Nr. 1170, KSB 8.502), doch auch seine Schwester (an Elisabeth Nietzsche, Anfang November 1883, Nr. 471, KSA 6.452).
3.3 Nietzsches Begriff der Rangordnung
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Werk (AC 27), ,hierarchisch‘ nur als Zitat von David Strauss (UB I, DS 12, KSA 1.229 f.). Im Ergebnis legt die Statistik nahe, dass Nietzsche sich das Problem der Rangordnung ab dem Jahr 1884, besonders aber 1885 gestellt hat und es ihn bis Ende 1888 nicht mehr losließ. Die Hierarchie bleibt ein Randphänomen.
3.3.2 Entwicklung des Begriffs in Nietzsches Werk Nach dieser statistischen bzw. quantitativ-philologischen Untersuchung des Begriffs ,Rangordnung‘ soll nachfolgend die Begriffsverschiebung bzw. Entwicklung des Problems in Nietzsches Werk Schritt für Schritt nachgezeichnet werden. Die Methode ist somit eine chronologische, weil die inhaltliche Entwicklung dieser Chronologie folgt, jedoch zugleich auch eine systematische. Es lässt sich zwar, wie bereits erläutert, kein exaktes System der Rangordnung bei Nietzsche feststellen, doch wird bei Betrachtung der Begriffsentwicklung eine gewisse Systematik deutlich, die die Rangordnung als klar umrissenes Motiv besonders von Nietzsches Spätphilosophie erscheinen lässt. Beim frühen Nietzsche finden sich verstreute Stellen zur Rangordnung, die, wie erwähnt, im Kontext der platonischen Philosophie stehen. Sie wirken zuweilen noch unreif und philosophisch oberflächlich. So referiert Nietzsche in einer Vorlesung eine „populäre“ Meinung zur Rangordnung der Tugenden, auf denen Platons Staat beruhe.⁴⁹ Weitere Stellen befassen sich mit der Rangordnung zwischen Mann und Frau bei Platon (Nachlass 1870/71, 7[122], KSA 7.173), der Rangordnung als Bezeichnung der Stufen der Politeia (Nachlass 1871, 10[1], KSA 7.349) und der Rangordnung im Kontext von Platons Form philosophischer Schriftstellerei als Unterordnung der „Poesie“ unter die „dialektische[ ] Philosophie“ (GT 14, KSA 1.94). Der Anschluss an Platon bleibt etwa bis UB II, HL, bestehen, dann scheint sich Nietzsches Begriffsgebrauch aus dem platonischen Kontext zu lösen. Erheblich später findet sich gleichwohl noch die Eintragung: „Ich stelle das Problem von der Rangordnung (Plato) des Künstlers neu“ (Nachlass 1884, 26[42], KSA 11.158), das eine zwischenzeitliche Entwicklung vermuten lässt und philosophisch selbstständiger wirkt: Nietzsche stellt das Problem neu aus seiner von ihm selbst erarbeiteten Perspektive. Weitere Belege im Kontext von Nietzsches früher Auseinandersetzung mit den Griechen lassen sich vereinzelt finden.⁵⁰
„Es soll der Staat also auf die ungetheilte Tugend gegründet werden. Rangordnung: ϕρόνησις das erste aller göttl. Güter. σωϕροσ., δικαιοσ. ἀνδρ. Diese Gradation ist populär im Verhältniß zur eig. platon. Lehre, daß sie alle einander gleichstehen, weil in jeder einzelnen alle anderen enthalten sind.“ (Einführung in das Studium der platonischen Dialoge, KGW II 4.81) Vgl. die Vorlesung Der Gottesdienst der Griechen, KGW II 5.357– 520, die eine Rangordnung der Weihgeschenke bzw. Gottesopfer nennt, also der ἀναθήματα im Gottesdienst der Griechen: „Weil das Götterwesen nicht organisirt war, war es auch das Priesterthum nicht, es fehlte die Rangordnung, für die bestimmten Cultusfeste war der leitende Priester immer der höchste u. einzige Priester“ (461) und „die Rangordnung unter den priesterl. u. religiösen Würden in Olympia: θεοκόλοι, Ὀλυμπικοί, σπονδοϕόροι, μάντεις ἐξηγηταὶ ὑποσπονδοϕόροι σπονδαῦλοι ξυλεύς γραμματεύς“ (473).
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
In Der griechische Staat, der dritten von den Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, die Nietzsche Cosima Wagner als verspätete Geburtstags- und Weihnachtsgabe im Januar 1873 sendet, äußert er sonst in seinem Werk so kaum zu findende militärische Ansichten, die vor dem Hintergrund der „eben erst verrauschten Schrecken des deutsch-französischen Krieges, denen sich Nietzsche seelisch so gar nicht gewachsen gezeigt hatte“,⁵¹ um so mehr überraschen. Nietzsche hebt hier besonders die „grausam klingende Wahrheit“ hervor, „daß z u m We s e n e i n e r K u l t u r d a s S k l a v e n t h u m g e h ö r e “ (CV 3, KSA 1.767). Damit geht die Ablehnung „der angeblichen „Gleichberechtigung Aller““ und der „sogenannten „Grundrechte[ ] des Menschen““ einher (CV 3, KSA 1.766); denn wo es Sklaven gibt, gibt es auch Menschen, die, wie Nietzsche ausdrücklich sagt, von diesen Sklaven profitieren, die also in ihrem Rang wesenhaft unterschiedlich sind. Der „Staat“ dient Nietzsche hier als „Werkzeug“, als „das Mittel“, das „jetzt jene chemische Scheidung der Gesellschaft, mit ihrem neuen pyramidalen Aufbau“, in Gang setzen „m u ß “ (CV 3, KSA 1.769). Die Grundlage dieses Staats sei laut Nietzsche militärisch, die Griechen hätten sich über seinen „entsetzlichen Ursprung“ keine Illusionen gemacht: „Die Gewalt giebt das erste R e c h t , und es giebt kein Recht, das nicht in seinem Fundamente Anmaßung Usurpation Gewaltthat ist.““ (CV 3, KSA 1.770) Die „Wirkung der Kriegstendenz“ sei „eine sofortige Scheidung und Zertheilung der chaotischen Masse in m i l i t ä r i s c h e K a s t e n , aus denen sich pyramidenförmig, auf einer allerbreitesten sklavenartigen untersten Schicht, der Bau der „kriegerischen Gesellschaft“ erhebt.“ (CV 3, KSA 1.775) Ziel sei dabei immer „die Erzeugung des m i l i t ä r i s c h e n G e n i u s “. Auch hier ist Platon Gewährsmann: „in der Gesammtconception des platonischen Staates [liegt] die wunderbar große Hieroglyphe einer tiefsinnigen und ewig zu deutenden G e h e i m l e h r e v o m Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n S t a a t u n d G e n i u s “ (CV 3, KSA 1.777). Zwar erscheint der Genius in CV 3 bereits als Vorläufer von Nietzsches Kritik der gleichmachenden Moral, quasi als personalisierter Gegenbegriff, doch wird er hier nur militärisch begründet. Rangordnung ließe sich hier als tatsächliche, auf bloßer Gewalt basierende Kastenordnung verstehen, als hierarchische, „chemisch“ gestufte Gesellschaft.⁵² Schon in der fünften Vorrede, Homer’s Wettkampf, kehrt Nietzsche davon merklich ab. Hier betont er, „daß, in einer natürlichen Ordnung der Dinge, es immer Janz 1978/79, Bd. 1, 500. Janz erwägt, „[o]b das nicht die Sehnsucht des Ohnmächtigen war nach Kraft und Härte, die er im Leben nie besaß?“ Schmid 2000, 77, hebt zudem hervor, dass CV 3 teilweise, beispielsweise in seinen – tatsächlich anklingenden – „antisemitischen Untertönen“, ein „Echo dessen, was sich etwa im Tagebuch der Adressatin Cosima Wagner findet“, sei. Nietzsche hatte zuvor Wagners Einladung, das Weihnachtsfest gemeinsam in Bayreuth zu verbringen, abgelehnt. Es ist bei der Untersuchung der als Geschenk konzipierten Vorreden also auch zu berücksichtigen, dass Nietzsche sie vielleicht aus einem Gefühl der Schuld schrieb, dass er die Wagners mit ihnen möglicherweise entschädigen oder beruhigen wollte. Vgl. Ruehl 2004, der den Rangordnungsgedanken in CV 3 zum ersten Mal bei Nietzsche sieht. Nietzsches spätere radikale Abkehr von der militärischen, starr-hierarchischen Kastenstruktur der Gesellschaft übersieht Ruehl dabei freilich.
3.3 Nietzsches Begriff der Rangordnung
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mehrere Genies giebt, die sich gegenseitig zur That reizen, wie sie sich auch gegenseitig in der Grenze des Maaßes halten.“ (CV 5, KSA 1.789) So finde sich bei den Griechen „als S c h u t z m i t t e l gegen das Genie — ein zweites Genie.“ Wieder beruft Nietzsche sich auf Platon, doch geht es nun nicht mehr um militärischen, sondern um künstlerischen Wettkampf: „von besonderer künstlerischer Bedeutung an seinen Dialogen ist […] meistens das Resultat eines Wetteifers mit der Kunst der Redner, der Sophisten, der Dramatiker seiner Zeit“ (CV 5, KSA 1.790). Die enge Verbindung von Agon und Rangordnung zeigt sich auch am „ursprünglichen Sinn des O s t r a k i s m o s “ (CV 5, KSA 1.788), wie Nietzsche ihn versteht. Er sei „Stimulanzmittel[ ]: man beseitigt den überragenden Einzelnen, damit nun wieder das Wettspiel der Kräfte erwache“ (CV 5, KSA 1.789). Man ficht die Rangordnung im Wettkampf unerlässlich neu aus, doch geschieht dies nur bei Personen gleichen oder ähnlichen Rangs. Ein überragender Einzelner stünde unerreichbar außerhalb der Rangordnung und damit außerhalb jeder Konkurrenz. Erst seine Beseitigung durch das Scherbengericht ermöglicht weiteren Wettkampf und verhindert auf diese Weise den Zerfall der Rangordnung. Rangordnung erscheint nun weder militärisch noch „chemisch“, sondern durch offene Agonalität bestimmt und beruht statt auf einzelnen Genies auf dem Mitund Gegeneinander mehrerer Genien.⁵³ Auch in den von Nietzsche zuvor im gleichen Jahr gehaltenen Vorträgen Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten spielt der Begriff des Genius eine tragende Rolle. Nietzsche beklagt hier die dekadente Nivellierung der Bildung nach unten, die unterschiedlichste Gründe, etwa wirtschaftliche, religiöse und staatliche Interessen, habe.⁵⁴ Die moderne, massenhafte Volksbildung missachte die eigentlich aristokratische Ordnung der Bildung – denn „nicht Bildung der Masse kann unser Ziel sein: sondern Bildung der einzelnen ausgelesenen, für große und bleibende Werke ausgerüsteten Menschen“ (BA III, KSA 1.698) – und zersetze so „die natürliche Rangordnung im Reiche des Intellekts“ (BA III, KSA 1.699). Dagegen stellt Nietzsche seine „Metaphysik des Genius“ (BA III, KSA 1.700). Dieser Genius sei einerseits in der überzeitlichen Metaphysik beheimatet, andererseits entspringe er direkt aus dem Volk, aus der Masse. Er ist schöpferisch, gestalterisch und schafft die Werte, an denen sich das Volk orientieren kann. Insofern ist es ihm „strengen Gehorsam“ schuldig (BA II, KSA 1.680). Nietzsche ist hier noch deutlich von Schopenhauers Geniekult beeinflusst und hat Wagner als Beispiel klar vor Augen.⁵⁵ Nietzsche will die Rangordnung zurück in die Bildungsanstalten bringen, um den dekadenten Tendenzen der Massenbildung entgegenzuwirken und so eine höhere Kultur zu ermöglichen. Rangordnung ist hier über den Genius noch ausdrücklich an „einen metaphysischen Ur-
Zum Genie bei Nietzsche vgl. Gedo 1978, Tanner 1989, Joisten 1995 und Campioni 2000a. Vgl. den Abschnitt zu BA in Kap. 1.2.2.2. Vgl. dazu im Allgemeinen Blass 1977, zum Genie-Begriff im Speziellen Schmidt-Millard 1982 und zu Nietzsches Quellen Schneider 1992 und Niemeyer 1999.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
sprung, eine metaphysische Heimat“ gebunden (BA III, KSA 1.699).⁵⁶ Nur wenig später wendet Nietzsche sich jedoch entschieden gegen den „Aberglaube[n] vom Genie“ (MA I 164), der letztlich nur die Realität verleugne. Mit Nietzsches Lösung von Schopenhauer und Wagner als romantisch-idealistischen Denkern beginnt auch die Lösung vom metaphysischen Begriff der Rangordnung. Dies wird besonders in MA deutlich. War die Rangordnung bisher am Genius orientiert und mit erzieherisch-moralischer Absicht verbunden, so setzt Nietzsche sie nun am Beispiel der „Rangordnung der Güter“ (MA I 42) tiefer an. Sie ist als Grundlage und Maßstab der Moral zu verstehen, sie „entscheidet jetzt über das Moralisch-sein oder Unmoralisch-sein.“ Diese Güter- oder Wertrangordnung, die „keine zu allen Zeiten feste und gleiche“ – und damit auch keine metaphysische – sei, „wird nicht nach moralischen Gesichtspuncten auf- und umgestellt“. – Statt von einer moralisch intendierten und metaphysisch fundierten Rangordnung spricht Nietzsche von einer nicht schon moralischen, sondern die Moral orientierenden Rangordnung, die sich im Fluss befinde. Von der „Rangordnung der Güter […], wonach er [jeder Einzelne] seine Handlungen bestimmt und die der Anderen beurtheilt“, meint er: „Aber dieser Maasstab wandelt sich fortwährend“ (MA I 107, KSA 2.104). So kommt es nicht zu einem singulären oder substanziellen Kriterium, nach dem alle Moral bzw. alle Moralen zu beurteilen wären. Nietzsche zweifelt inzwischen ausdrücklich an einer solchen universalen und metaphysischen begründeten Rangordnung⁵⁷ und siedelt sie stattdessen in der konkreten Lebenswelt der Betroffenen an: Wo wir eine Moral antreffen, da finden wir eine Abschätzung und Rangordnung der menschlichen Triebe und Handlungen. Diese Schätzungen und Rangordnungen sind immer der Ausdruck der Bedürfnisse einer Gemeinde und Heerde: Das, was i h r am ersten frommt — und am zweiten und dritten —, das ist auch der oberste Maassstab für den Werth aller Einzelnen. (FW 116)
Statt von einer eindeutigen und festen Rangordnung zwischen Genius und Masse spricht Nietzsche jetzt von einer „R a n g o r d n u n g d e r G e i s t e r “ (MA II, VM 362) und „Denker“ (M 446). Diese „Rangordnung der Geister ist“, wie er mehrfach hervorhebt,⁵⁸ gerade „noch nicht gemacht!“ (Brief an Heinrich Köselitz, 30. März 1881,
Vgl. Nachlass 1872, 18[3], KSA 7.413: „Absicht der Natur zur Vo l l k o m m e n h e i t zu kommen. Der Genius ist insofern zeitlos. […] Das Ziel der B i l d u n g ist die Unterstützung der Natur für diese zeitlose Vollkommenheit“. Die metaphysische und zudem teleologische Natur von Nietzsches Gedanken zum Genie wird hier besonders deutlich. Vgl. Nachlass 1880, 1[73], KSA 9.23: „giebt es überhaupt eine Rangordnung der Moralität? Giebt es einen Kanon, der über allen waltet, das Sittliche definirt ohne Rücksicht auf Volk, Zeit, Umstände, Erkenntnißgrad? Oder ist eine Ingredienz aller Moralen, der Grad von Anpassung an die Erkenntniß, vielleicht das, was eine Rangordnung der Moralen ermöglicht?“ Vgl. Nachlass 1880, 4[305], KSA 9.176, korr.: „Die R a n g ordnung der denkenden Geister ist erst noch zu machen.“ Die Wirkung der Befreiung von Schopenhauer und Wagner auf Nietzsches Sicht der Rangordnung ist in diesem Notat besonders auffällig: „Bisher hat man die Philosophen zu sehr als
3.3 Nietzsches Begriff der Rangordnung
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Nr. 97, KSB 6.79) Nun setzt Nietzsche sich umgekehrt im Rahmen der Rangordnung kritisch mit dem Genie-Begriff auseinander, setzt „„Genie““ in Anführungszeichen (M 548). Und wieder: „Noch immer ist die Rangordnung der Grösse für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.“ (M 548) Nietzsches Begriff der Rangordnung differenziert sich nun zusehends aus, er taucht immer häufiger und in verschiedenen Kontexten auf. Rangordnung besteht zwischen „Gütern“, „Handlungen“ (MA I 132), zwischen „Geistern“ und „Gelehrte[n]“ (FW 373), also einzelnen Individuen, aber auch zwischen Mensch und Tier (FW 115) und ist als Rangordnung der „Triebe“ (JGB 6, Nachlass 1880, 6[204], KSA 9.251, Nachlass 1883, 7[62], KSA 10.263, Nachlass 1883, 15[51], KSA 10.493), der „Leidenschaften“ (Nachlass 1883, 9[51], KSA 10.363), der „seelische[n] Zustände“ (JGB 213) und der „Organe“ (Nachlass 1884, 25[411], KSA 11.119, Nachlass 1884, 25[426], KSA 11.124) auch ein intraindividuelles und „physiologisches“ Phänomen. Während Nietzsche Za verfasste, wurde ihm das Problem der Rangordnung merklich wichtiger. Doch obwohl es in Za eine tragende Rolle spielt, fällt der Begriff ,Rangordnung‘ dort nicht (vgl. Kap. 3.5). Nietzsche denkt in den Jahren 1883 – 85 stattdessen ausgiebig in seinen Notaten über die Rangordnung nach; die Bandbreite reicht von kurz hingeworfenen Notizen bis zu stärker ausgearbeiteten Texten. Offenbar ist ihm die Rangordnung inzwischen als Problem bewusst geworden,⁵⁹ nicht im alten Sinn einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, sondern ausdrücklich als „[n]eue Rangordnung der Menschen und neue Vertheilung der Rechte.“ (Nachlass 1883, 21[4], KSA 10.600)⁶⁰ Oft erprobt er nun auch Buchtitel oder Kapitelüberschriften mit dem Begriff ,Rangordnung‘, die in verschiedenen seiner Werkpläne auftauchen. Ein eigenständiges Werk zur Rangordnung ist letztlich nicht entstanden, und die Titelentwürfe „vom Sommer 1885 lassen
Künstler behandelt, ihre Gabe der Darstellung, ihre Phantasie, ihr Coloritgebenkönnen als Argumente ihrer Genialität behandelt: aber den Grad ihrer Gerechtigkeit, Selbstbändigung außer Acht gelassen: eigentlich sie außerhalb der Moral beurtheilt. I h r e W i r k u n g entschied, und wer auf die empfänglichsten Menschen, solche welchen ihr Dank rhythmisch über die Lippen quoll, wirkte, galt als der größte: also der B e g e i s t e r e r d e r J u g e n d !“ Vgl. bereits Nachlass 1880, 1[18], KSA 9.11: „Wenn man ein so außerordentliches Wohlgefallen an seinen Werken hat und ihretwegen sich selber überhebt, so setzt man sich in der Rangordnung der Geister herab: denn es liegt nun nicht mehr viel daran, was man über andere Werke und Menschen urtheilt. Man hat die große Feuer-Probe der Gerechtigkeit nicht bestanden und darf nicht mehr auf dem Richterstuhl sitzen wollen.“ Er nennt sie mittlerweile auch ein ,Problem‘. Siehe neben den neuen Vorreden zu MA I u. a. Nachlass 1884, 26[42], KSA 11.158, Nachlass 1885/86, 1[232], KSA 12.62, Nachlass 1885/86, 1[237] f., KSA 12.63, Nachlass 1886/87, 7[42], KSA 12.309, Nachlass 1886/87, 7[50], KSA 12.311, Nachlass 1888, 15[120], KSA 13.481. In JGB 213 spricht Nietzsche überdies von der „Rangordnung der Probleme“. Siehe dazu Nachlass 1882, 21[3], KSA 9.683, Nachlass 1883, 14[1], KSA 10.475, Nachlass 1883, 15[48], KSA 10.491, Nachlass 1884, 26[243], KSA 11.212, Nachlass 1884, 26[297], KSA 11.229, Nachlass 1884, 26[298], KSA 11.230, Nachlass 1884, 26[353], KSA 11.243, Nachlass 1885/86, 2[72], KSA 12.94.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
sich“, wie Beat Röllin feststellte, „nicht genauer bestimmen, weil ein entsprechender Kontext entweder fraglich oder nicht erkennbar ist.“⁶¹ Stattdessen sind Nietzsches Notate zur Rangordnung in großem Umfang in JGB eingeflossen; erst hier teilt er das Problem in seiner vollen Bandbreite der Öffentlichkeit mit. Besonders im neunten Hauptstück „was ist vornehm?“ ist die Thematik auffällig.⁶² Von größter Bedeutung ist Nietzsche „die abgründlich verschiedene Rangordnung und Rangkluft zwischen Mensch und Mensch“ (JGB 62), die Rangordnung im zwischenmenschlichen Zusammenleben in seiner ethischen, psychologischen und auch politischen Dimension. Da für ihn jeder Mensch aufgrund seiner individuellen Lebensbedingungen seine Moral hat, gibt es eine Rangordnung wie „zwischen Mensch und Mensch“ auch „zwischen Moral und Moral“ (JGB 228). Die Rangordnung der Güter als Maßstab der Moral richtet sich daher nach der ursprünglicheren Rangordnung der Individuen. So sind es letztlich einzelne, souveräne Persönlichkeiten, ranghohe Individuen, an deren Wertungen sich andere orientieren, und daraus können dann von den Persönlichkeiten gelöste Moralen entstehen. Die interindividuelle Rangordnung liegt danach jedem moralischen Urteil zugrunde, Nietzsche führt so die Moral auf Persönlichkeiten zurück. Werte werden erst dadurch wertvoll und glaubwürdig, dass Personen von Rang sie vorleben und verkörpern. „Moral ist die Lehre von der Rangordnung der Menschen, und folglich auch von der Bedeutsamkeit ihrer Handlungen und Werke f ü r diese Rangordnung“ (Nachlass 1885, 35[5], KSA 11.510). Der moralischen Forderung der Gleichheit, die dies ignoriert und Souveränität stattdessen mit Ressentiment begegnet, setzt Nietzsche nun verstärkt die Rangordnung als Gegenbegriff entgegen. Das Problem wird immer umfassender: So geht es Nietzsche auch darum, „die O r d n u n g d e s R a n g e s in der Welt aufrecht zu erhalten, unter den Dingen selbst — und nicht nur unter Menschen.“ (JGB 219) Im Nachlass erwägt Nietzsche die Rangordnung schließlich auch im Blick auf die Geschichte und sogar zu Außerirdischen: „Rangordnung: nicht nur zu unseren Nächsten, sondern, unter Umständen, zur Nachwelt, ebenso zu den Bewohnern anderer Sterne“ (Nachlass 1885, 40[18], KSA 11.636). Mit JGB ist das Problem für Nietzsche keineswegs erledigt. Im Nachlass finden sich, auch im Rahmen seines nicht realisierten Werks Der Wille zur Macht, in den Jahren 1887– 88 weiter mehrere die Rangordnung nennende Titelentwürfe.⁶³ Die Rangordnung bildet dabei meist ein Kapitel im vierten und letzten Buch. Nietzsches Begriff der Rangordnung ändert sich nach JGB nur noch wenig. In AC verschärft Nietzsche allerdings den Ton, in dem er die Rangordnung fordert, nämlich mit der stark provozie-
Röllin 2012, 171. Zur Rangordnung als Titelentwurf vgl. 172 f. Nietzsche habe im Sommer 1885 etwa zehn Werkpläne entworfen, die Rangordnung zähle zu den nur wenig verfolgten. Vgl. auch Janz 1978/ 79, Bd. 2, 380 und 426. Vgl. Nachlass 1884, 26[468], KSA 11.274, und Nachlass 1885/86, 2[16], KSA 12.74. Vgl. etwa Nachlass 1887, 10[58], KSA 12.491, Nachlass 1888, 13[2– 4], KSA 13.213 – 215, Nachlass 1888, 18[17], KSA 13.538, sowie Nachlass 1886/87, 7[61], KSA 12.315 f., wo Nietzsche die „Rangordnung“ zu den „[v]o r l ä u f i g e [n] Ü b e r s c h r i f t e n v o n C a p i t e l n“ zählt.
3.4 Nietzsches distanzierender, rangordnender Stil
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renden Metapher der „Kaste“: Die „R a n g o r d n u n g “ als „O r d n u n g d e r K a s t e n“ und „N a t u r - O r d n u n g “ trage mit ihrer Priorisierung der „U n g l e i c h h e i t “ „zur Erhaltung der Gesellschaft, zur Ermöglichung höherer und höchster Typen“ bei (AC 57, KSA 6.242 f.). Damit ist keine tatsächliche, auf Geburt basierende Kastenordnung gemeint (vgl. Kap. 4.2.2.2). Nachdem sich Nietzsches Begriff der Rangordnung von 1870 an unmissverständlich immer weiter von einer starr-hierarchisch institutionalisierten Gesellschaftsordnung entfernt hat, ist ein derartiger Rückfall in der Sache kaum denkbar. Bei Nietzsches späterem, immer provokanterem Stil ist die Gefahr, vor den lauten Tönen die leisen zu überhören, groß. Man muss hier den Kontext der Kritik am Christentum berücksichtigen, in den Nietzsches Rede von der Kastenordnung eingebettet ist. Es geht ihm in erster Linie darum, die christliche Tugend der Gleichheit der Menschen vor Gott zu attackieren. Die ihr konträre, vermeintlich natürliche Kastenordnung des (zweifelhaften) Manu-Gesetzbuchs dient ihm dabei lediglich als erfolgsversprechendes Mittel zum Zweck. Nietzsche befasst sich bis zuletzt, noch im Dezember 1888, mit der Rangordnung. In einem nicht abgeschickten Briefentwurf an Georg Brandes (Nr. 1170, KSB 8.502) schreibt er: „Wir haben die absurden Grenzen der Rasse Nation und Stände überwunden: es giebt nur noch Rangordnung zwischen Mensch und Mensch und zwar eine ungeheure lange Leiter von Rangordnung.“ Dies ist sein letzter Satz zur Rangordnung – er scheint auch der letztgültige zu sein. An ihm lässt sich exemplarisch die Entwicklung von seinem Begriff der Rangordnung nachvollziehen. War die Rangordnung auch für Nietzsche zunächst eine feste und hierarchische, militärisch, „chemisch“ oder metaphysisch begründete und auf Genien beruhende gesamtgesellschaftliche Ordnung, so löst er sie zusehends aus diesen engen Grenzen. Im Zuge zugleich der Lösung von Platon, Schopenhauer und Wagner entwickelt er sein eigenes Konzept der Rangordnung, ohne daraus eine einheitliche Lehre oder ein einheitliches System zu machen. Der Verzicht auf metaphysisch-moralische Voraussetzungen ermöglicht ihm schließlich einen realistischen Blick auf das, was ständiges Problem bleibt: Rangordnung sieht Nietzsche letztlich als offene, auf Agonalität beruhende, immer nur auf Zeit festgestellte und aller Moral vorausgehende Unter- und Überordnung von Persönlichkeiten und Perspektiven, aber auch von Gütern, Handlungen, Trieben usw., all dessen, was letztlich nicht festgelegt werden kann.
3.4 Nietzsches distanzierender, rangordnender Stil Die Rangordnung ist nicht nur Gegenstand in Nietzsches Werk, sie spielt auch dort eine Rolle, wo sie nicht eigens thematisiert wird: in seinem Stil. Nietzsche spricht nicht nur über die Rangordnung, er zeigt sie und macht sie dadurch performativ. Durch seinen Stil macht er sie seinen Lesern spürbar und so auch begreiflich. „Daß alle einander gleichermaßen verstehen sollten und könnten, war nach Nietzsche ein moralisches Vorurteil der europäischen Philosophie, ein Vorurteil, aus dem sie über Jahrtausende hinweg ihre Begriffe von Vernunft, Metaphysik und Moral
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
entwickelte.“⁶⁴ Nietzsche befreit von diesem moralischen Vorurteil, indem er die Verständlichkeit seiner Schriften eigens thematisiert, besonders in JGB 27, FW 371 („W i r U n v e r s t ä n d l i c h e n .“) und FW 381 („Z u r F r a g e d e r Ve r s t ä n d l i c h k e i t . “). Danach will er gerade nicht von jedem gleich verstanden werden, dies wäre für ihn geradezu eine Beleidigung. In einer Vorstufe zu JGB 27 heißt es: „Verstanden zu werden? Ihr wißt doch, was das heißt? — Comprende c’est égaler.“ (Nachlass 1885/86, 1[182], KSA 12.51) Nietzsche fühlt eine Kluft zwischen sich und seinen zeitgenössischen Lesern, die jedes Verständnis verunmöglicht: „Wie k ö n n t e ich, mit d i e s e m Gefühle der Distanz, auch nur wünschen, von den „Modernen“, die ich kenne —, gelesen zu werden!“ (EH, Warum ich so gute Bücher schreibe 1, KSA 6.299) Allzu verständige, ebenso „bequem[e]“ (JGB 27) wie aufdringliche, sich mit dem Autor gleichstellende Leser wehrt Nietzsche ab, distanziert sich von ihnen, will von ihnen insofern „auch n i c h t verstanden werden“ (FW 381). Er „wählt sich“ stattdessen „seine Zuhörer“, indem er die „feineren Gesetze“ seines „Stils“ einsetzt: „sie halten zugleich ferne, sie schaffen Distanz, sie verbieten „den Eingang“, das Verständniss, wie gesagt, — während sie Denen die Ohren aufmachen, die uns mit den Ohren verwandt sind.“ Es sei „ein Vorrecht ohne Gleichen“, so Nietzsche über sein Werk Za, „hier Hörer zu sein“, ein Vorrecht der „Auserwähltesten“ (EH,Vorwort 4). Nietzsche schafft so nicht nur eine Rangordnung zwischen sich und seinen Lesern, sondern auch unter den Lesern selbst und dies dann wiederum nach dem Grad ihrer geistigen Verwandtschaft mit ihm selbst. Die ranghohen Leser sind nicht nur „irgend Jemand“ (FW 381).⁶⁵ Es kommt gerade darauf an, wer sie sind, welche Erfahrungen sie haben, ob und in welchem Grad sie die hohen, mitunter gefährlichen Anforderungen, die Nietzsche an sie stellt, erfüllen können. Ranghohe Leser in diesem Sinn wissen, dass sie Nietzsche nie abschließend oder „an sich“, sondern immer nur auf ihre eigene Weise in ihren eigenen Perspektiven aufgrund ihrer eigenen Nöte verstehen können. Je umfänglichere und freiere Perspektiven sie haben, desto eher werden sie Nietzsches Anforderungen gerecht werden können. Er erläutert selbst „[d]ie Bedingungen, unter denen man mich versteht und mit N o t h w e n d i g k e i t versteht“ (AC,Vorwort), und zählt darunter etwa die „Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen Niemand heute den Muth hat“, den „Muth zum Ve r b o t e n e n“, „die Vorherbestimmung zum Labyrinth. Eine Erfahrung aus sieben Einsamkeiten. Neue Ohren für neue Musik. Neue Augen für das Fernste“ und „[d]ie Ehrfurcht von sich; die Liebe zu sich; die unbedingte Freiheit gegen sich …“ So verweist Nietzsche, indem er auf seinen anspruchsvollen Stil verweist, die Leser zurück auf ihre eigenen Ansprüche und Fähigkeiten im Verstehen.Wer Nietzsche liest, muss sich selbst als Leser reflektieren. Wenn Nietzsche schreibt, seine Bücher seien nur den Wenigsten zugänglich, dann ist dies nicht schlicht elitär, sondern warnend gemeint: warnend vor dem Glauben, jeder habe den Rang, Nietzsche zu verstehen,
Stegmaier 1997, 404. Vgl. Za I, Vom Lesen und Schreiben: „Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken.“
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra
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und daher das Recht, zu beurteilen, was er schreibt. Und eben wer Nietzsche in diesem Sinn selbstkritisch liest, hat die Chance, seinem Rang näherzukommen. Aber Nietzsche kommt denen, die solchen Ansprüchen nicht gerecht werden können oder wollen, auch entgegen. Er zwingt solchen bequemen Lesern ausdrücklich kein Verständnis auf, sondern will ihnen, die es sich leicht machen – er nennt sie „„die guten Freunde““ –, „einen Spielraum und Tummelplatz des Missverständnisses zu[ ]gestehn“ (JGB 27).⁶⁶ Das gilt für „Freunde“ (JGB 27) ebenso wie für „die Esel und die alten Jungfern beiderlei Geschlechts“ (FW 381),⁶⁷ die nicht in ihrer „Unschuld“ verdorben werden sollen. Nietzsche will sie sogar „zur Tugend ermuthigen“, in dem, wie sie sind und nur sein können, bestärken. Nietzsche nimmt seine Leser auf diese Weise also in ihrer Individualität ernst. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen und seine eigenen Nöte, aus denen heraus er oder sie Nietzsche interpretieren wird – und damit auch seinen Rang, wie Nietzsche frei genug zu sagen ist. Je mehr die Erfahrungen der Leser denen Nietzsches näher kommen, je mehr sich ihre „Bedingungen“ des Verstehens, von denen Nietzsche sagt, dass er „sie nur zu genau“ kenne (AC, Vorwort), ähneln, je größer ihre Verwandtschaft darin, desto größer die Chance auf das Verständnis seiner Texte. Denn „um sich einander zu verstehen“, muss man „seine Erfahrung mit einander g e m e i n haben.“ (JGB 268) Aber niemand kann wirklich wissen, ob und in welcher Weise er Erfahrungen mit Nietzsche (oder irgendeinem andern) gemein hat, er hat immer nur seine eigenen. Jenseits aller Gleichsetzung seiner Leser mit ihm und seiner selbst mit ihnen setzt Nietzsche auf ihre und seine Individualität auch im Verstehen, damit auf unüberbrückbare Distanzen und also – auf Rangordnung. Verständnis beruht auf und schafft Rangordnungen.
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra Im Nachlass der Jahre 1883 – 85 finden sich mehrere Notate, die zwischen dem Thema der Rangordnung und Za, besonders Za IV und dem nicht realisierten Plan zu Za V, der, so Beat Röllin, gar „in der Hauptsache von der neuen ,Rangordnung‘“ handelt,⁶⁸
Vgl. Stegmaier 2012a, 68 f.: Die guten Freunde „rechnen nicht mehr mit Überraschungen, verlassen sich ,bequem‘ auf die alte Bekanntschaft, als Leser Nietzsches auf ihre ,gute‘ Kenntnis seiner Schriften. Gerade sie kann ihr Verständnis gefährden, nämlich dann, wenn sie sich auf bewährte Methoden und Routinen ihrer Interpretation verlässt.“ Vgl. auch Nachlass 1885/86, 1[182], KSA 12.51. Der Esel steht bei Nietzsche nach Salaquarda 1973, 189, vorrangig für „Überzeugungen, also festgestellte und nicht mehr infragegestellte Perspektiven bzw. deren Träger.“ Genau diese Leser, die sich von ihren Überzeugungen nicht mehr lösen können, sondern alles, auch Nietzsches Texte, starr aus ihnen bewerten, will Nietzsche nicht zum eventuell gefährlichen Umdenken und Umwerten zwingen, sondern es ihnen freistellen, ihre gewohnten Perspektiven beizubehalten. Röllin 2012, 110. Vgl. 106: Nietzsche musste „eine Fortsetzung dessen, was mit den bisherigen vier Za-Teilen begonnen war, aber nicht abgeschlossen schien, als ein neues, eigenständiges Werk planen. Ein solches Projekt verfolgte er (wiederum) unter dem Titel ,Mittag und Ewigkeit‘. Die zwei mit ,Z. 5‘ überschriebenen Werkskizzen vom Sommer 1885 können als Teile davon gelesen werden.“ Für
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
eine Verbindung herstellen: „Zarathustra 4 die n e u e R a n g o r d n u n g d e r M e n s c h e n“ (Nachlass 1883, 15[48], KSA 10.491), und, nach einem „Plan zu Zarathustra 4“: „Neue Rangordnung der Menschen und neue Vertheilung der Rechte.“ (Nachlass 1883, 21[4], KSA 10.598 – 600) Wie sehr Nietzsche der vierte Teil am Herzen lag, lässt seine bekannt komplizierte Editionsgeschichte erahnen.⁶⁹ Dessen Themen sind offenbar so privat und intim, dass Nietzsche sie geradezu geheim halten und nur den wenigsten anvertrauen möchte, denen, die er, auch unter dem Gesichtspunkt ihres Rangs, explizit als Leser auswählt. Auf die Rückseite des Titelblatts schreibt er im Druckmanuskript: „Für meine Freunde und nicht für die Öffentlichkeit.“ (KSA 14.326)⁷⁰ Obwohl der Begriff ,Rangordnung‘ im ganzen Werk nicht fällt, spielt das Problem sichtlich eine entscheidende Rolle in ihm. Das wurde in Ansätzen bereits verschiedentlich erkannt, doch nie wirklich dargelegt.⁷¹ Ein weiterer Hinweis darauf
Nietzsches Pläne zu „Mittag und Ewigkeit“ vgl. 103 – 112. Zur neuen Rangordnung im Zusammenhang mit den Za-Werkplänen vgl. auch Hödl 2009, 473 f. Vgl. dazu Schaberg 2002, 141– 150. Vgl. Nietzsches Brief an Carl von Gersdorff, 12. Februar 1885, Nr. 572, KSA 7.9: „Es giebt einen vierten (letzten) Theil Zarathustra, eine Art sublimen Finale’s, welches gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist (das Wort „Öffentlichkeit“ und „Publikum“ klingt mir, in Bezug auf meinen ganzen Zarathustra, ungefähr so wie „Hurenhaus“ und „öffentliches Mädchen“ – Pardon!). Aber dieser Theil soll und muß jetzt gedruckt werden: in 20 Exemplaren, zur Vertheilung an mich und meine Freunde, und mit jedwedem Grade von Discretion.“ Vgl. bereits Naumann 1900, 5 f., der die „Rangordnung“ als „Zarathustragedanke[n]“ bezeichnet. Laut Heller 1992, 107, schreibt Nietzsche seinen Zarathustra gar deswegen, um die Rangordnung als Problem überhaupt angreifen zu können. Er sieht sie als „Nietzsches hartnäckigstes Problem. Denn es bleibt ja die Frage von dem Rang der Deutung, wo sich die nach der Wahrheit perspektivisch erübrigt, weil es doch für Nietzsche höhere und niedrigere, bessere und schlechtere Denk-Charaktere gibt. Montaigne etwa ist unvergleichlich höheren Ranges als David Strauss. Die Bestimmung des Ranges tritt jetzt in der Hierarchie der Werte an die Stelle der Wahrheit, und für dieses Problem gibt es keine philosophische Lösung. Also erfindet Nietzsche schließlich eine ,übermenschliche‘ Instanz: Zarathustra, und trifft im Namen Zarathustras seine oft verwegenen aristokratischen Entscheidungen.“ Hellers Grundgedanke, die Umstellung von Wahrheit auf Rang und ihre Inszenierung in Za, ist sicherlich zutreffend. Dass Nietzsche jedoch keinesfalls mit Zarathustra gleichgesetzt werden darf, dass er, Nietzsche, seine Entscheidungen gerade nicht einfach „im Namen Zarathustras“ trifft, dürfte in der Nietzsche-Forschung mittlerweile als selbstverständlich gelten.Vgl. dazu vor allem Nietzsches Brief an seine Schwester, 7. Mai 1885, KSB 7.48: „Glaube ja nicht, daß mein Sohn Zarathustra m e i n e Meinungen ausspricht. Er ist eine meiner Vorbereitungen und Zwischen-Akte.“ – Rosen 2004, passim, bes. 5, 21, 41– 44, 47, 55, 151 f., verweist ebenfalls auf die Bedeutung der Rangordnung in Za, die der Unterscheidung hoch – tief unweigerlich folge. Sein Verständnis der Rangordnung richtet Rosen gezielt gegen Deleuze und ihm nahestehende pluralistische, postmoderne Deutungen (vgl. Kap. 1.1). Seine eigene Interpretation der Rangordnung vermag jedoch kaum zu überzeugen, so erklärt er etwa: „It is a guiding thesis of this study that most of the incoherences in Nietzsche’s doctrines stem from his unsuccessful attempt to combine a poetic version of Kantian world constitution with a Platonic conception of the philosopher as prophet and lawgiver who understands human nature and how its fundamental types are to be rank-ordered“ (xiii). Platons ontologische Hierarchie kann kaum als Hauptquelle von Nietzsches Rangordnung gelten (vgl. Kap. 3.2). Und statt Nietzsche pauschal Inkohärenzen zu unterstellen, sollten Interpreten eher versuchen, etwa durch Kontextualisierungen von
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra
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ist Nietzsches Bemerkung über JGB, dass es „dieselben Dinge sagt, wie mein Zarathustra, aber anders, sehr anders —“ (Brief an Jacob Burckhardt, 22. September 1886, Nr. 754, KSB 7.254). Da die Rangordnung ein maßgebliches Motiv von JGB darstellt, lässt dies bereits vermuten, dass es auch in Za zur Sprache kommt, wenn auch eben „anders, sehr anders“. Auch ein Notat Nietzsches legt dies nahe: So gewiß auch dies „Vorspiel einer Philosophie der Zukunft“ keinen Commentar zu den Reden Zarathustra’s abgiebt und abgeben soll, so vielleicht doch eine Art vorläufiges Glossarium, in dem die wichtigsten Begriffs- und Werth-Neuerungen jenes Buchs […] irgendwo einmal vorkommen und mit Namen genannt sind.“ (Nachlass 1886/87, 6[4], KSA 12.234)⁷²
Schon im Frühjahr 1884 fasst Nietzsche einen solchen „E n t s c h l u ß . Ich will reden, und nicht mehr Zarathustra“ (Nachlass 1884, 25[277], KSA 11.83). Betrachtet man die Entwicklung von Nietzsches Begriff der Rangordnung in den frühen 1880er Jahren, wird plausibel, dass gerade bei der Arbeit an Za der Rangordnungsgedanke für Nietzsche Vorrang gewann (vgl. Kap. 3.3.2). Zarathustra könnte „der L e h r e r v o n d e r R a n g o r d n u n g “ geworden sein (Nachlass 1885, 35[74], KSA 11.542).
Nietzsches Äußerungen selbst für kohärente Interpretationen zu sorgen. – Müller 2005 hält zu Za treffend fest: „Nietzsches Zarathustra sensibilisiert für das Trennende zwischen den Menschen, sein interindividuelles Gefüge ist dasjenige einer ,Rangordnung‘. Ränge sind dabei nicht auf eine Hierarchie ausgelegt, sondern ihrerseits lediglich durch das Gefühl für die Verschiedenartigkeit, durch das ,Pathos der Distanz‘ bestimmt“ (240). – Skowron 2009a, 148 f., meint: „Zarathustras ,Problem‘ stellt sich im Nachlass als ein Zwiespalt zwischen H[errschen]-Müssen und dem Grauen davor dar, damit anderen möglicherweise seinen Typus aufzunötigen. […] Die Lösung könnte“ für Skowron in der „Rangordnung zu sehen sein“. Sommer 2013a mahnt zur Skepsis gegenüber Nietzsches eigener Einschätzung von JGB in seinem Gesamtwerk. Einer kritischen Betrachtung halte sie kaum stand, vielmehr wolle Nietzsche mit seinen Äußerungen eine Einheitlichkeit seines Werks suggerieren, es also bewusst inszenieren. Dies ist in der Tat kaum von der Hand zu weisen, besonders angesichts von Nietzsches drängendem Problem einer mangelnden Leserschaft, das Sommer zu Recht hervorhebt. Dennoch stellt Nietzsches wohl gezielte Inszenierung keine pauschale Einschränkung seiner behaupteten Nähe von Za und JGB dar. Um hier zu einem belastbaren Urteil zu kommen, müsste man die Themen von Za, die sich keinesfalls auf Zarathustras Lehren beschränken, und JGB im Einzelnen näher untersuchen und vergleichen – eine Arbeit, die bisher nicht geleistet wurde und die auch hier nicht geleistet werden kann. Hinsichtlich der Rangordnung jedenfalls scheint die Sache klar: in Za wird sie vorgeführt, in JGB auf Begriffe gebracht. Sommers Mahnung zur Vorsicht mag also zwar in Teilen berechtigt sein, wirkt stellenweise jedoch überzogen, so wenn er etwa behauptet: „Es bedarf der hermeneutischen Kunststücke ausgewiesener Esoteriker (sprich: Straussianer), um sie [die Themen von Za] aus dem Text von JGB herauszuzaubern, und zu behaupten, diese Themen bestimmten nicht nur insgeheim die labyrinthischen Denkwege von JGB“ (71).
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
3.5.1 Die spezifische Erzählform von Za Nietzsche nutzt in seinem Werk eine Vielzahl von Formen philosophischer Schriftstellerei.⁷³ Geht man davon aus, dass er diese Formen bewusst wählt und mit einer bestimmten Form bestimmten Lesern bestimmte Inhalte auf bestimmte Weise vermitteln will, so muss man fragen, warum er Za seine typische Erzählform gibt. So muss es von Bedeutung sein, dass es sich um eine Erzählung handelt, die eine Handlung aufweist. Sie ist an sich zwar „ereignisarm und blaß […]. Dennoch hat sie wohl ihre Bedeutung, und sie könnte, so arm sie sein mag, ihre Bedeutung einfach darin haben, daß sie eine Handlung ist.“⁷⁴ Eine Geschichte wird vom Leser mit Sinn erfüllt, aber, je nachdem, wie er die Geschichte versteht, wie er sie einordnet, was er wie in ihr gewichtet, mit seinem Sinn. Zu einer Erzählung trägt der Leser deutlich mehr eigenen Sinn bei als zu einer wissenschaftlichen Abhandlung, die gerade daraufhin angelegt ist, wenig Spielraum zu eigenen Interpretationen zu lassen. Ihr Ziel liegt in der möglichst eindeutigen Vermittlung einer klaren Bedeutung, die für jeden gleich gelten soll. „Der Reiz von Geschichten liegt [dagegen] gerade darin, daß jeder sie auf seine Weise verstehen kann, und jeder wird sie so verstehen, wie seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse es ihm nahelegen.“⁷⁵ So wird man keine eindeutigen Schlüsse aus Za ziehen können – es ist auch darin „ein Buch für Alle und Keinen“. Wenn es aber die persönlichen Erfahrungen des Lesers sind, die das Verständnis einer Geschichte und damit auch von Za zumindest mitbestimmen, dann ist hier erneut die Rangordnung maßgeblich. Für Za gilt damit verschärft, was für Nietzsches Werk insgesamt gilt: Es stellt den Leser auf sich und seine Erfahrungen und fordert damit heraus, auf allgemeine, für alle gleich geltende Lehren zu verzichten. Der Rang des Lesers zeigt sich dann wiederum an seiner Kraft, die eigene Interpretation selbstverantwortlich vertreten zu können. Verständnis beruht auf und schafft Rangordnungen.
3.5.2 Allegorien der Rangordnung in Za Nietzsche inszeniert, das wird die Hauptthese des folgenden Kapitels sein, gezielt die Rangordnung in Za, besonders in Za IV. Er macht sie dort episch-dramatisch erfahrbar, visualisiert und illustriert sie auf vielfältige Weise. Die poetische Bearbeitung und Ästhetisierung⁷⁶ der Rangordnung transportiert ihren philosophischen und ethischen Gehalt auf einer nicht nur abstrakt-theoretischen Ebene, der der Reden, macht sie nicht bloß begrifflich begreiflich und auch nicht bloß episch-dramatisch verständlich,
Vgl. ausführlich Stegmaier 2011, 98 – 113, für die „episch-dramatisch-lyrische Lehrdichtung“ Za 105 – 107. Stegmaier 1997, 407. Stegmaier 1997, 407 f. Zur ästhetischen Dimension von Za vgl. Zittel 2011, der allerdings nicht näher auf die Rangordnung eingeht.
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra
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sondern arbeitet zugleich mit Bildern und Metaphorisierungen, im Ganzen mit einer hoch dichterischen, ihre Höhe ständig demonstrierenden Sprache, die das Problem erlebbar machen, es veranschaulichen. Die Geschichte ebenso wie der gern angegriffene, sehr hoch gegriffene pathetische Stil sollen sensibel machen für Rangdifferenzen. Nietzsche beeindruckt in Za zunächst mit der Rangordnung, bevor er sie dann in JGB begrifflich und begreiflich macht. Ihre Metaphorisierung verläuft auf verschiedenen Ebenen. Zwei für die Rangordnung entscheidende Leitunterscheidungen in Za, Höhe – Tiefe und Größe – Kleinheit, werden schon in der Szenerie, in die Nietzsche die Handlung versetzt, plastisch gemacht, etwa an der Höhe der Berge und der Tiefe des Meeres oder der Höhe Zarathustras, der der Sonne auf Augenhöhe begegnet, und der Kleinheit der „letzten Menschen“ und ihrer Häuser, die wie „Spielschachtel[n]“ aussehen (Za III, Von der verkleinernden Tugend, KSA 4.211). Am bedeutsamsten ist jedoch fraglos der betonte Rangunterschied zwischen Zarathustra und den „höheren Menschen“ im IV. Teil. Nietzsche lässt Zarathustra die Rangordnung in seinem Umgang mit ihnen demonstrieren – so braucht er sie ihnen nicht zu lehren, was nicht nur überflüssig, sondern auch unhöflich wäre. Im Folgenden greifen wir einige der für die Rangordnung wichtigsten Leitgedanken und Leitunterscheidung in Za heraus.
3.5.2.1 Leitunterscheidung „Höhe – Tiefe“ Die Unterscheidung zwischen Höhe und Tiefe ist eine omnipräsente Allegorie in Za.⁷⁷ Die räumliche Veranschaulichung und Vergegenwärtigung von Rang als Höherstel-
Vgl. Luke 1978, der seine Untersuchung auf Za beschränkt, dessen literarische Qualität er freilich bezweifelt: Nietzsche „is certainly at his worst when writing verse“ (104). Luke listet eine Reihe mit der Höhe verwandter Themen und Bilder auf, etwa „climbing, flying and dancing“, „seafaring“, „the attainment of exceptional height by growth (aristocratic tall stature) [„Hochwüchsigkeit“], tall trees with deep roots, tall mountains rising from deep seas“ und „the height of the sky and the stars, and the ascent and descent of the sun“ (111). Nietzsche betone weniger den Status der Höhe als die Bewegung zur Höhe. Lukes Interpretation vermag jedoch kaum zu überzeugen. Er unterstellt Nietzsches Philosophie ohne weitere Erläuterung metaphysische Strukturen und stellt zudem eine Nähe zwischen Nietzsches Stil in Za und seiner vermeintlichen Geisteskrankheit her. So erinnere sein Stil an den „Icarus complex“, eine Persönlichkeitsstörung, die der Psychologe Henry A. Murray in den 1950er Jahren unter dem Begriff „ascensionism“ beschrieb. Diese wahnhafte Fixierung auf Erhobensein und Höhe kennzeichne „the wish to overcome gravity, to stand erect, to grow tall, to dance on tip-toe, to walk on water, to leap or swing in the air, to climb, to rise, to fly, or to float down gradually from on high and land without injury, not to speak of rising from the dead and ascending to heaven“ (111). Luke schließt mit ähnlich unterkomplexen, psychoanalytischen Spekulationen, die Nietzsche „primitive castration-fear“ (121) vorwerfen. – Vgl. ferner Wood 2010: „Nietzsche has a definite and, above all, largely defensible set of criteria for determining high and low values“ (357), die Wood in Za, für ihn „the world’s greatest work“, nachzuweisen sucht. Zarathustras Suche nach Kriterien des Hohen orientiere sich an drei Typen, dem „Übermenschen“, seinem Gegensatz, dem „letzten Menschen“, und den „höheren Menschen“. Unter den Kriterien des Hohen oder der Höhe, die Wood expliziert, sind „fidelity to the earth […], truthfulness, broad vision, the unity of conscious and unconscious, of bodily ,reason‘
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lung zieht sich durch die ganze Handlung. Im ersten Satz des Buchs wird davon berichtet, dass Zarathustra von der Ebene in die Höhe stieg, er verließ „seine Heimat und den See seiner Heimat und gieng in das Gebirge.“ (Za I, Zarathustra’s Vorrede 1) Dort befindet sich seine Höhle, die hoch gelegen und zugleich tief ist.⁷⁸ Höhe und Tiefe sind auch im weiteren Verlauf eng verknüpft. Die Sonne steigt auf, und sie kann nur beglücken, weil sie hinableuchten, ihre Strahlen nach unten senden und so ihren „Überfluss“ abgeben kann, bis sie untergeht und schließlich „noch der Unterwelt Licht“ bringt. So geht es Zarathustra selbst, der seiner „Weisheit überdrüssig“ wurde wie der überfließende Becher, dessen Inhalt immer höher steigt und sich schließlich ergießt, und nun „in die Tiefe steigen“, „u n t e r g e h e n“ muss, um den Menschen unter ihm zu begegnen: „Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thäler.“ (Za II, Das Kind mit dem Spiegel, KSA 4.106) Zarathustra kann nicht einsam in der Höhe bleiben, er scheint auf die Menschen angewiesen. Auf seinem „Weg der Grösse“ sind „Gipfel und Abgrund […] in Eins beschlossen!“ (Za III, Der Wanderer, KSA 4.193) Er weiß, dass „die höchsten Berge […] aus dem Meere“ kommen: „Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen. —“ (Za III, Der Wanderer, KSA 4.195) Dies ist ein abenteuerlicher, gefährlicher Weg, denn wer tief, gar bis auf den Grund taucht, droht zu ertrinken, und wer sich in die Höhe wagt, droht abzustürzen. Der Rang einer Person wird von Nietzsche zunächst an seinen Aufenthaltsort gekoppelt. Der offensichtlich Ranghöchste, Zarathustra, lebt hoch im Gebirge, denn er ist „ein Bergsteiger“, so „sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht“ (Za III, Der Wanderer, KSA 4.193).⁷⁹ Die rangniederen Menschen leben in der Stadt im Tal, ihnen fehlt die Übersicht. Etwas über den niederen Menschen lebt der greise Einsiedler, der sich zwar vom Volk fern, aber noch an Gott festhält. Die höheren Menschen weisen schon durch ihren Namen auf ihren höheren Rang hin, und so erklimmen sie in Za IV auch das Gebirge. Die beiden Tiere Zarathustras scheinen ebenfalls hohen Rang zu haben, da Zarathustra sie erstmals in der Höhe und dazu mittags,
and explicit reason, and the love of eternity in tandem with affirmation of even the least thing“ (381). Kriterium des Niederen sei alles, was sich dem Genannten entgegenstelle. Es ist freilich fraglich, ob sich die Unterscheidung hoch – tief ohne weiteres auf einige bestimmte Kriterien reduzieren lässt. Auch wenn Wood einiges Interessantes liefert, übergeht er weitestgehend die Form der episch-dramatischen Lehrdichtung von Za und abstrahiert theoretische Kriterien, die Nietzsches Inszenierung der Unterscheidung und ihre Einbettung in eine konkrete Handlungssituation missachten. Vgl.Wood 2010, 364: „in a curious inversion of Plato’s allegory, there also, high on the mountain top and not down below, Zarathustra has his cave. In fact, the combination of the mountaintop and the cave draws upon the symbolic equivalence of ,deep‘ thought and ,elevated‘ thought, a metaphorical coincidentia oppositorum.“ Das Motiv der Berge und des Gebirges in Nietzsches Werk und Leben wurde bereits gründlich erforscht.Vgl. Bertram 1911/12, Walcher 1948, Bolland 1996, 11: „The mountain’s pyramidal shape can be seen to represent inequality and the hierarchies that are consequent upon this“, Hüser 2003, Kowal 2008 und Ireton 2009.
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wenn die Sonne am höchsten steht, erblickt: „als die Sonne im Mittag stand: da blickte er fragend in die Höhe — denn er hörte über sich den scharfen Ruf eines Vogels.“ (Za I, Zarathustra’s Vorrede 10)⁸⁰ Doch ist Nietzsches Spiel mit Höhe und Tiefe komplexer. Wie keine Höhe ohne Tiefe gibt es auch keinen an sich Ranghohen. Erst die Rangordnung zwischen den Ranghohen und Rangniederen macht beide in ihrem gegenseitigen Konstitutionsverhältnis zu dem, was sie jeweils sind. Wenn Zarathustra sagt, er „liebe die Ebenen nicht“, so wird damit angezeigt, dass er die nivellierende Moral der Gleichheit überwinden will. In Ebenen gibt es nichts Herausragendes, nichts Hohes und Tiefes, nichts Großes, sie ist überschaubar, bietet aber auch keine Überraschungen, keine Risiken und weniger Möglichkeiten. Ebenen symbolisieren Gleichförmigkeit und Monotonie, die dem Sicherheitsbedürfnis der meisten entgegenkommen.⁸¹ Im Plan zu „Zarathustra 5“ hält Nietzsche fest: „G r u n d e i n s i c h t : „gut“ und „böse“ wird jetzt als vom Auge des „Heerdenthiers“ betrachtet. Gleichheit der Menschen als Z i e l . Dagegen i c h […] der L e h r e r v o n d e r R a n g o r d n u n g .“ (Nachlass 1885, 35[74], KSA 11.542) Zarathustra stellt die vertikale Rangordnung mit all ihren Höhen und Tiefen, Gefahren und Chancen der uniformen Ebene entgegen. Er will nicht zulassen, dass die Moral der Gleichheit alle Unterschiede einebnet und lehrt daher die Rangordnung. Nietzsche macht das Problem auf diese Weise plastisch. Mit seiner räumlichen Orientierungsmetaphorik liefert er eine Alternative zur moralischen, setzt gegen die flache, einseitige Unterscheidung „gut“ und „böse“ die mehrdimensionale, multilaterale und nicht klar zu wertende „hoch“ und „tief“. Nicht nur die Handlung und die Szenerie von Za verweisen auf das Motiv von Höhe und Tiefe, Nietzsche meint gar über das Buch selbst, es sei „nicht nur das höchste Buch, das es giebt, das eigentliche Höhenluft-Buch — die ganze Thatsache Mensch liegt in ungeheurer Ferne u n t e r ihm —, es ist auch das t i e f s t e “ (EH, Vorwort 2). Tief ist es, weil es hinunter bis zum Grund, zu den Gründen geht. Es untergräbt
Zu Nietzsches Adler vgl. Rosen 2004, 75, der ihn als Symbol der Rangordnung interpretiert: „the eagle represents the natural foundation of the rank-ordering of human values. This representation makes sense because the look of the eagle is one that we associate with proud persons, and in the eagle this look is concentrated, much purer or more intense than it is in human beings.“ Vgl. FW 59: „wir steigen offenen Auges und kalt gegen alle Gefahr auf den gefährlichsten Wegen empor, hinauf auf die Dächer und Thürme der Phantasterei, und ohne allen Schwindel, wie geboren zum Klettern – wir Nachtwandler des Tages! Wir Künstler! Wir Verhehler der Natürlichkeit! Wir Mondund Gottsüchtigen! Wir todtenstillen unermüdlichen Wanderer, auf Höhen, die wir nicht als Höhen sehen, sondern als unsere Ebenen, als unsere Sicherheiten!“ – Nietzsche berichtet in einigen Briefen selbst davon, dass er sich im Gegensatz zur Ebene fühle, in der Freunde und Familie wohnten. Vgl. die Briefe an seine Mutter, 5. März 1885, Nr. 577, KSB 7.16, 26. Juni 1885, Nr. 606, KSB 7.56, und an Resa von Schirnhofer, Juni 1885, Nr. 607, KSB 7.58. Früh hält Nietzsche jedoch auch nach einer Reise durch die Alpen, in der ihn erstmals die „Höhenluft! Hochalpenluft! Centralhochalpenluft!“ begeistert, in einem Brief an seine Schwester fest, dass er „n i c h t in Bergluft schreibe“, sie seine Texte jedoch, „das Ebenen-erzeugniß mit Bergluft-Empfindung empfangen und verklären“ möge (vermutlich 18. Oktober 1872, Nr. 263, KSB 4.66 f.).
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das Fundament der bisherigen Werte und Ideale und wird dadurch abgründig. Zugleich ist es erhaben über alles Zeitgemäße und zeichnet seinen Leser daher aus: „sechs Sätze daraus verstanden, das heisst: e r l e b t haben, hebe auf eine höhere Stufe der Sterblichen hinauf als „moderne“ Menschen erreichen könnten.“ (EH, Warum ich so gute Bücher schreibe 1, KSA 6.299) Offenbar hat das Buch selbst für Nietzsche höchsten Rang, „das erste Buch aller Jahrtausende, die Bibel der Zukunft, der höchste Ausbruch des menschliches Genius, in dem das Schicksal der Menschheit einbegriffen ist.“ (Brief an Paul Deussen, 26. November 1888, Nr. 1159, KSB 8.492) Er illustriert die Bedeutung von Höhe und Tiefe für Za schließlich auch noch an seiner Entstehungsgeschichte. So sei Nietzsche bekanntlich die „Grundconception des Werks […] 6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit“ gekommen (EH, Za 1). „Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke.“⁸² Weitere Teile von Za seien in der Höhe entstanden: „Auf einer loggia hoch über der genannten piazza [Piazza Barberini], von der aus man Rom übersieht und tief unten die fontana rauschen hört, wurde jenes einsamste Lied gedichtet, das je gedichtet worden ist, das N a c h t l i e d “ (EH, Za 4), und: „Viele verborgne Flecke und Höhen aus der Landschaft Nizza’s sind mir durch unvergessliche Augenblicke geweiht; jene entscheidende Partie, welche den Titel „von alten und neuen Tafeln“ trägt, wurde im beschwerlichsten Felsenneste Eza gedichtet“. Das mittelalterliche Städtchen Èze liegt 430 m über der Côte d’Azur.
3.5.2.2 Leitgedanke „Einsamkeit“ Za ist ein Buch der Einsamkeit⁸³: Es „giebt keinen Begriff von der Distanz, von der a z u r n e n Einsamkeit, in der dies Werk lebt.“ (EH, Za 6)⁸⁴ Zarathustra „genoss“ seine Einsamkeit zehn Jahre lang (Za I, Zarathustra’s Vorrede 1) in der Abgeschiedenheit seiner Höhle,⁸⁵ bis er ihrer überdrüssig wird und ein Bedürfnis nach Mitteilung ent-
Vgl. Nachlass 1881, 11[141], KSA 9.494. Das Notat zum Gedanken der „W i e d e r k u n f t d e s G l e i c h e n“ ist mit „6000 Fuss über dem Meere und viel höher über allen menschlichen Dingen! —“ unterschrieben. In einem Brief an Heinrich Köselitz stellt Nietzsche später fest: „Sils-Maria ist allerersten Ranges, als Landschaft“ (2. September 1884, Nr. 529, KSB 6.525). Vgl. Brall 1990, 32, der eine kurze Ideengeschichte der Einsamkeit entwirft. Za ist für Brall „der Kulminationspunkt der Einsamkeitsreflexion im 19. Jahrhundert […]. Das Werk legiert die überkommenen Denk- und Sprachfiguren aus Religion, Philosophie und Dichtung miteinander und setzt sie in unerhört dramatische Bewegung. So radikal und unbarmherzig wie im ,Zarathustra‘ […], so unerschrocken […] ist das Leiden an der Existenz gedanklich noch nicht ausgelotet worden.“ Zur „a z u r n e n Einsamkeit“ vgl. Bonesio 1983. Zarathustras Höhle scheint generell die Einsamkeit zu symbolisieren, vgl. den Beginn von Za II: Zarathustra ging „wieder zurück in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen“ (Za II, Das Kind mit dem Spiegel, KSA 4.105).
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wickelt, das ihn veranlasst, zu den Menschen zu gehen. Seine Einsamkeit könnte damit gar als Anlass des ganzen Buchs aufgefasst werden.⁸⁶ Der „Baum am Berge“, auf den Zarathustra stößt, als er durch das Gebirge um die Stadt „„die bunte Kuh““ wandert (Za I, Vom Baum am Berge, KSA 4.51 f.), illustriert einerseits, wie Rang und Einsamkeit zusammenhängen, und ist andererseits wieder Ausdruck der Unterscheidung von Höhe und Tiefe: „Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in’s Dunkle, Tiefe, — in’s Böse.“ „Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über Mensch und Thier. / Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: so hoch wuchs er.“ Höhe macht einsam, herausragender Rang isoliert und singularisiert. Dies gilt in erster Linie für Zarathustra selbst, den Nietzsche als offenbar Ranghöchsten und Einsamsten zugleich inszeniert. Auf seiner Suche nach Mitmenschen trifft Zarathustra auf die Menschen vom Markt. Seine Einsamkeit könnte er hier nur überwinden, wenn er sich mit den kleinen Menschen vom Markt gemein machen oder wie sie schauspielern und so seinen Rang und damit sich selbst aufgeben würde: „Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen.“ (Za I, Von den Fliegen des Marktes, KSA 4.65) Es scheint Zarathustra unmöglich, in der Menge, die niemand über sich akzeptiert und alle Rangordnung verachtet, seine Größe und seinen Willen zu wahren: „auf dem Markt glaubt niemand an höhere Menschen. […] Der Pöbel aber blinzelt „wir sind Alle gleich.“ / „Ihr höheren Menschen, — so blinzelt der Pöbel — es giebt keine höhere Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch“ (Za IV, Vom höheren Menschen 1). Einsamkeit wäre so nicht nur Folge, sondern auch Bedingung von Rang. Zarathustra sieht nun ein, dass er andere Wege gehen muss: „Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu Gefährten!“ (Za I, Zarathustra’s Vorrede 9) Zu Gefährten, „die mir folgen, weil sie sich selber folgen wollen“, weil sie, wie Zarathustra offenbar hofft, mehr Sinn für Rangordnung haben. Doch auch dieses Vorhaben wird scheitern. Die Jünger, die sich schließlich um ihn versammeln, achten Zarathustras Rang zwar tatsächlich, doch sind sie ihm keine Gefährten auf Augenhöhe. Statt „sich selber“ wollen sie ausschließlich Zarathustra folgen: „Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich.“ (Za I, Von der schenkenden Tugend 3) Weil Zarathustra weiß, dass die Jünger selbst noch nicht genug Rang haben, dass sein Rang zur Gefahr für sie zu werden droht, schickt er sie schließlich fort: „Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfällt? Hütet euch, dass euch nicht eine
Zu Zarathustras Einsamkeit vgl. Rauh 1969. Der Aufsatz hält freilich nicht, was der Titel Die Einsamkeit Zarathustras. Eine Untersuchung des 4. Teiles von Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ verspricht. Die Einsamkeit Zarathustras wird kaum thematisiert, Rauh verkürzt sie und seinen Aufsatz im Ganzen auf die notorischen Lehren, die Teil von „Nietzsches Metaphysik“ seien (56). Auch sieht er Nietzsche und Zarathustra, mit dem Nietzsche ausdrücklich nicht verwechselt werden will, zusammen als „Nietzsche-Zarathustra“ (69), Zarathustra selbst sei gar, so das Fazit Rauhs, „die Wiederkehr, der Übermensch, der große Mittag“ (72).
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Bildsäule erschlage!“ Wie der einsame „Baum am Berge“ kann auch Zarathustra nur allein in die Höhe wachsen. Im Volk, dem dichten Wald, gedeiht er nicht, und kleineren Gewächsen unter ihm, den Jüngern, droht er Licht und Nahrung zu nehmen.⁸⁷ Nach weiteren Reisen als einsamer Wanderer entschließt sich Zarathustra im letzten Teil, nicht mehr selbst zu den Menschen zu gehen, sondern sie zu sich kommen zu lassen. Die nun auftretenden „höheren Menschen“ sind offensichtlich zur Rangordnung fähiger als alle anderen Menschen, auf die Zarathustra bisher traf, doch auch sie erlösen Zarathustra nicht von seiner Einsamkeit, weil sie nicht imstande sind, das „Zeichen“, das allein das Zeichen Zarathustras ist, zu verstehen (vgl. Kap. 3.5.2.3). Im Verlauf der Geschichte zieht sich ein immer engerer Kreis um Zarathustra. Seine Einsamkeit motiviert ihn, zuerst auf den Markt zu gehen, sich dann zeitweilig mit Jüngern zu umgeben und schließlich die höheren Menschen zu sich kommen zu lassen. Am Ende der Handlung ist Zarathustra wieder, oder besser: immer noch einsam. „Zarathustra hat ein ewiges Recht zu sagen: „ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer höhere Berge, – ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen.““ (EH, Za 6) Er hat niemand seines Rangs gefunden, weil es offenbar niemand seines Rangs gibt, er wird „unter Menschen immer wild und fremd sein“ (Za III, Die Heimkehr, KSA 4.231). Nietzsche demonstriert so die zwangsläufige Einsamkeit, die hohem Rang folgt. Diese Einsamkeit, die unvermeidlich auf dem „Wege des Schaffenden“ liegt, ist zutiefst quälend: „einst wird dich die Einsamkeit müde machen, einst wird dein Stolz sich krümmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst „ich bin allein!““ (Za I,Vom Wege des Schaffenden, KSA 4.81) Zugleich nennt Zarathustra die Einsamkeit aber auch seine „H e i m a t “ (Za III, Die Heimkehr, KSA 4.231), die Heimat des Ranghohen. Er wird sie schließlich akzeptieren und lieben lernen, weil er seine Aufgabe über sein Glück stellt (vgl. Kap. 3.5.2.6).
3.5.2.3 Leitgedanke „höhere Menschen“ Im dritten Teil von Za heißt es, dass Zarathustra, der bereits einige Reisen hinter sich hat, nun „in Erfahrung bringen [will], was sich inzwischen m i t d e m M e n s c h e n zugetragen habe: ob er grösser oder kleiner geworden sei.“ (Za III, Von der verkleinernden Tugend, KSA 4.211) Auf seinen Wanderungen sieht er sich schließlich mit einem allgemeinen Trend der Angleichung und Verkleinerung der Menschen kon-
Zur Baum-Metapher vgl. Nachlass 1884/85, 33[1], KSA 11.420: „Dem Pinien-Baum vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst, lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich —“. Nur so kann er gedeihen und anderen Halt bieten: „Oh Zarathustra, nichts wächst Erfreulicheres auf Erden als ein starker hoher Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume. […] Deines Baumes hier, oh Zarathustra erlabt sich auch der Düstere, der Mißrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt sein Herz.“ Vgl. auch Nachlass 1883, 22[1], KSA 10.612: „seinen Willen einpflanzen, daß er ein hoher Baum werde und ein Schattenbringer für ferne Geschlechter noch“.
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frontiert und ist darüber bekümmert.⁸⁸ Jahre später, Zarathustra ist mittlerweile alt, entscheidet er sich, nicht mehr hinunter zu den Menschen in die Tiefe zu gehen, sondern sie zu sich heraufzuholen, „ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend“, als Menschenfischer, als „Zieher, Züchter und Zuchtmeister“: „Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen in m e i n e Höhe“ (Za IV, Das Honig-Opfer, KSA 4.297). Die Menschen, denen er nun begegnet, sind die „höheren Menschen“. Sie sind offenbar über die generelle Verkleinerung erhaben und stehen daher in der Rangordnung über den verkümmernden Menschen. Sie scheinen jeweils etwas Besonderes an sich zu haben, das sie von anderen distinguiert.Vielleicht ist es ihre „Erziehung“: „die Rangordnung der Menschen: er [Zarathustra] scheidet die Hinzuströmenden nach Gruppen von sich ab, er bezeichnet zuletzt damit die Grade der Erziehung des Menschen (durch Generationen)“ (Nachlass 1885, 34[199], KSA 11.488). Die Rangordnung der höheren Menschen untereinander wurde mitunter chronologisch, also nach ihrem Auftreten aufsteigend, interpretiert,⁸⁹ doch lassen sich dafür kaum hinreichende Belege finden. Der „Gewissenhafte des Geistes“ scheint in dem Augenblick, in dem er als Einziger dem „Lied der Schwermuth“ des „Zauberers“ widersteht, höheren Rang als die anderen zu haben, doch wird auch seine Gegenrede sogleich von Zarathustra auf den Kopf gestellt. So scheint die Rangordnung der höheren Menschen uneindeutig oder im Fluss zu sein – oder es gibt unter ihnen gar keine. Ausschlaggebend scheint nur die Rangdistanz zu Zarathustra einerseits, zu den letzten Menschen andererseits zu sein. Was die höheren Menschen vereint und kennzeichnet, ist vor allem ihre Hochschätzung Zarathustras. Sie sind die ersten, die sich zu ihm in die Höhe begeben und ihm so Achtung, ja fast Devotion erweisen, seinen überlegenen Rang erkennen und anerkennen und darüber hinaus wissen, wie sehr sie seiner bedürfen. Auffällig an einigen der höheren Menschen ist zudem, dass sie aus ihrer bisherigen Rangordnung gefallen sind und so nun endlich die eingangs zitierte „[n]eue Rangordnung der Menschen und neue Vertheilung der Rechte“ (Nachlass 1883, 21[4], KSA 10.600) sichtbar wird, die Nietzsche immer wieder betont und in den Zusammenhang mit „Zarathustra 4“ stellt (Nachlass 1883, 15[48], KSA 10.491). Die beiden Könige, auf die Zarathustra zuerst trifft, sind inzwischen machtlos, waren einst jedoch die Mächtigsten und geradezu ein Symbol für die alte Machtordnung. Sie wiederholen, was zuvor schon Zarathustra sagte: „Was liegt noch an uns Königen!“ (Za IV, Gespräch mit den Königen 1, KSA 4.305), und sie wissen: „Wir s i n d nicht die Ersten“, die sie
Vgl. dazu Brusotti 1997, 576 – 586, bes. 576 – 578. Vgl. etwa Naumann 1901, 24: „Er [Zarathustra] trifft die höheren Menschen in aufsteigender Linie an: zuerst die Gewalthaber der äußeren Macht, dann diejenigen geistiger Gebiete; so den wissenschaftlichen, den künstlerischen, den christlich-skeptischen und den gottlos-religiösen Menschen; den Stifter des alten Glaubens in Person und endlich den eigenen Schatten.“ Vgl. auch Gramzow 1907, 52: „Sie [die höheren Menschen] kommen in einer Reihenfolge, die eine aufsteigende Rangordnung bedeuten soll.“
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anscheinend oder scheinbar einst waren. Dennoch müssen sie ihre Rolle weiter spielen, sie „doch b e d e u t e n : dieser Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden.“ Sie sind sich darüber im Klaren und können sogar schätzen, dass nichts mehr an der alten Rangordnung liegt, dass sie sich umgekehrt hat, dass der Bauer, der einstmals größtmögliche Gegensatz zu einem König, nun der „vornehmste“ unter den Menschen ist: „Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.“ Auch der Papst ist „ausser Dienst“. Er weiß, dass auch seine Rangordnung keinen Bestand mehr hat, dass Gott, wie Zarathustra schon zuvor berichtet hat, tot ist und er so nicht mehr Stellvertreter von Gottes Sohn auf Erden sein kann. Stattdessen sucht er nun bei Zarathustra Zuflucht. – Die höheren Menschen haben damit immerhin bewiesen, dass sie wandlungsfähig und zur Neuorientierung imstande sind, dass sie bereit sind, Werte umzuwerten und sich darin selbst zu überwinden. Schon vor dem Auftritt der höheren Menschen deutet Zarathustra neue Ideale an, etwa den „Adel“ (Za III, Von alten und neuen Tafeln 12). Dies ist jedoch weder der alte Adel noch ein neuer Geldadel: „Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! […] Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt — was liegt noch an Fürsten!“ Die Fürsten sind Relikte der alten Rangordnung, sie halten sich an die alten Tafeln, während der neue Adel schon neue Tafeln aufgestellt hat. Die neue Rangordnung ist auch keine staatliche Ordnung: „Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise.“ (Za I, Vom neuen Götzen, KSA 4.63) Die alten ständischen, religiösen und moralischen Machtstrukturen haben sich als überholt erwiesen. „Zarathustra glücklich darüber, daß der Kampf der Stände v o r ü b e r ist, und jetzt endlich Zeit ist für eine Rangordnung der Individuen.“ (Nachlass 1885, 39[3], KSA 11.620) Letztlich unterscheiden sich jedoch auch die höheren Menschen hinsichtlich ihres Rangs deutlich von Zarathustra, sie bedürfen seiner Führung: „Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber für mich — seid ihr nicht hoch und stark genug.“ (Za IV, Die Begrüssung, KSA 4.350) Deutlich wird dies besonders beim „Zeichen“, das sie nicht verstehen: „sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während i c h wach bin: d a s sind nicht meine rechten Gefährten!“ (Za IV, Das Zeichen, KSA 4.405) So stehen sie in der Rangordnung zwar höher als die meisten, doch fraglos unter Zarathustra.
3.5.2.4 Leitgedanke „letzter Mensch“ Nietzsches Gleichnis für den Verlust der Rangordnung, die vollständige Nivellierung der Menschen, ist der „letzte Mensch“.⁹⁰ Er ist der Kontrast zum höheren Menschen
Vgl. dazu Ottmann 1999, 300 – 303, der den letzten Menschen als Nietzsches Gleichnis für den
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und dient Nietzsche als warnende Schreckensvision, als drohender Endzustand des beobachtbaren Prozesses des Rangordnungsverlusts. An ihm wird die inhibitorische Wirkung der Gleichheit ersichtlich.⁹¹ Der letzte Mensch ist nicht mehr bereit, Rangunterschiede hinzunehmen, er will es nicht riskieren, herausragend zu sein: „Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in’s Irrenhaus.“ (Za I, Zarathustra’s Vorrede 5, KSA 4.20) Der letzte Mensch setzt sich keine großen Ziele mehr, da er keinen ausreichend langen Willen hat, an etwas Dauerhaftem zu arbeiten. Er ist nicht zur Härte gegen sich oder andere fähig, sondern wegen seiner „L e h r e v o n G l ü c k u n d T u g e n d “ nur an „Behagen“ und „M i t t e l m ä s s i g k e i t “ interessiert (Za III, Vor der verkleinernden Tugend, KSA 4.211– 215). Jede Herausforderung und jedes Risiko stellt, statt einer Chance, eine Gefahr für das eigene Glück dar, und so geht der letzte Mensch kein Wagnis, erst recht kein Abenteuer mehr ein und verarmt schließlich an Erlebnissen. Weil die Rangordnung aber der vielleicht herausforderndste aller Gedanken ist, weil er immer wieder neu herausfordert und immer problematisch bleibt, hat der letzte Mensch ihn abgeschafft. Jeder der letzten Menschen ist völlig gleich, Rangdifferenzen gibt es nicht – ein Zustand, an dem sich nichts mehr ändert. Der letzte Mensch hat sich auf diese Weise letztgültig über seine Gleichheit definiert, weil er dabei am besten wegkommt: Er muss sich nun nicht mehr anderen gegenüber behaupten, muss andere und vor allem sich selbst nicht mehr in seiner Individualität ertragen, die ihn eigentlich ausmacht, die eben aber nicht immer leicht zu ertragen ist – er muss sich also den Herausforderungen der sich stets im Fluss befindlichen und damit immer neu herausfordernden Rangordnung nicht länger stellen, weil er letzten Halt an der Gleichheit aller findet. Schließlich wird er immer kleiner, bis er zum Durchschnitt geworden ist, sich völlig an ihn angepasst hat. Zarathustra muss, als er den Menschen, die auf dem Weg sind, zum letzten Menschen zu werden, nach längerer Zeit wieder begegnet, „betrübt“ feststellen: „„Es ist A l l e s kleiner geworden!““ Die letzten Menschen haben sich gegenseitig vollständig zueinander heruntergezogen, bis sie auf einem, nämlich dem geringstmöglichen Niveau waren. Alle sind nun gleich; es gibt keine Größe, denn Größe ist nur durch Rangordnung und Rangdifferenz möglich. Im Nachlass spricht Nietzsche vom „Sand der Menschheit: Alle sehr gleich, sehr klein, sehr rund, sehr verträglich, sehr langweilig.“ (Nachlass 1880, 3[98], KSA 9.73) Die Rangordnung ist dem letzten Menschen der fremdeste aller Gedanken.
„bürgerlichliberalen, sozialistisch-anarchistischen ,modernen‘ Menschen überhaupt“ sieht, der von den Idealen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ geleitet sei. Vgl. Nachlass 1883, 7[21], KSA 10.244: „Die e i n e Bewegung ist unbedingt: die Nivellirung der Menschheit […] / Die a n d e r e Bewegung: meine Bewegung: ist umgekehrt die Verschärfung aller Gegensätze und Klüfte, Beseitigung der Gleichheit […] / J e n e erzeugt den letzten Menschen. M e i n e Bewegung den Übermenschen.“
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3.5.2.5 Leitgedanke „Neid“ Zarathustra weiß, dass mit dem Rang auch der Neid kommt: „je höher du steigst, um so kleiner sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst.“ (Za I, Vom Wege des Schaffenden, KSA 4.81) In Za sind die „Taranteln“ das Symbol des Neids, sie sind diejenigen, die von ihrem Neid auf die Ranghöheren getrieben sind.⁹² „Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid […]: aus euch bricht’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.“ Aus „Ohnmacht“ und aus „Eifersucht“ schreien sie „gegen Alles, was Macht hat“. Als „Prediger der G l e i c h h e i t “ instrumentalisieren sie schließlich die Moral, ihr „Gift“, um sich an den Ranghohen für die Kränkung der Unterlegenheit zu rächen.⁹³ Sie spinnen ihre Netze, um die „Fliegenden“ auf ihr Niveau herunter zu zwingen: ihre „heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte!“ Als „Gift-Spinnen“ sind sie „abgekehrt vom Leben“, das „Höhe“ will und braucht (Za II, Von den Taranteln, KSA 4.128 – 130). Die Tarantel steht bei Nietzsche also nicht nur dafür, die Rangordnung nicht zu achten, sondern sie aus Neid und Rachsucht gar noch aktiv zu bekämpfen. Damit ist sie eine Gefahr für die ohnehin gefährdeten Ranghohen und damit auch für den Fortgang des Lebens selbst.
3.5.2.6 Leitgedanke „Mitleid“ Das Mitleid bzw. Zarathustras Überwindung seines eigenen Mitleids mit den höheren Menschen scheint ein oder der Leitgedanke des vierten Teils von Za zu sein.⁹⁴ Nietzsche stellt dem Teil ein Zitat aus Za II (Von den Mitleidigen, KSA 4.115) voran, das das Mitleid zum Thema hat. Im zweiten Abschnitt erfährt Zarathustra seine „letzte Sünde“, das „M i t l e i d e n“, das durch den „Nothschrei“ der höheren Menschen ausgelöst wird (Za IV, Der Nothschrei, KSA 4.301). Zarathustras Aufgabe ist es nun, die Rangordnung zwischen sich und den höheren Menschen zu wahren, ohne in Mitleid zu verfallen: ich habe als „Versuchung Zarathustra’s“ einen Fall gedichtet, wo ein grosser Nothschrei an ihn kommt, wo das Mitleiden wie eine letzte Sünde ihn überfallen, ihn von s i c h abspenstig machen will. Hier Herr bleiben, hier die H ö h e seiner Aufgabe rein halten von den viel niedrigeren und kurzsichtigeren Antrieben, welche in den sogenannten selbstlosen Handlungen thätig sind, das ist die Probe, die letzte Probe vielleicht, die ein Zarathustra abzulegen hat — sein eigentlicher B e w e i s von Kraft … (EH, Warum ich so weise bin 4)
Schon früher nennt Nietzsche das Mitleid „eine Schwäche, wie jedes Sich-verlieren an einen s c h ä d i g e n d e n Affect. Es v e r m e h r t das Leiden in der Welt“ (M 134). Es missachtet mit seiner Zudringlichkeit Distanz und damit die Rangordnung, weil es den Mitleidenden zwingt, sich mit dem Bemitleideten gemein zu machen, so dass beide Zur Spinne bei Nietzsche vgl. Schrift 2004. Vgl. M, Vorrede 3, KSA 3.14: „die Moral-Tarantel Rousseau“ habe Kant gebissen und ihn und Robespierre mit seinem lebensfeindlichen Gift, dem „moralischen Fanatismus“, angesteckt. Zu Zarathustras Mitleid vgl. Cartwright 1993 und Bestvater 1994.
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra
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erniedrigt werden. Wenn sich der Ranghöhere um die Nöte des Rangniederen kümmert, sich von seinen Nöten nötigen lässt, droht er, sich selbst aus den Augen und damit seinen Rang zu verlieren. „Ich werfe den Mitleidigen vor, dass ihnen die Scham, die Ehrfurcht, das Zartgefühl vor Distanzen leicht abhanden kommt, das Mitleiden im Handumdrehn nach Pöbel riecht und schlechten Manieren zum Verwechseln ähnlich sieht“ (EH, Warum ich so weise bin 4). Auch Zarathustra sieht sich dieser Gefahr ausgesetzt. Er weiß, dass er gegen die Not anderer nicht immun ist, und will daher, wenn das Mitleid ihn überkommt, wenigstens nur „aus der Ferne“ mitleiden (Za II, Von den Mitleidigen, KSA 4.113). Es liegt, so scheint es, für Nietzsche Rang in diesem Bemühen, sich vom Mitleid zu distanzieren und sich gegen die Ansprüche der Moral zu behaupten. Als Zarathustra schließlich den „hässlichsten Menschen“ trifft, verliert er für einen Moment die Beherrschung: „D a s M i t l e i d e n f i e l i h n a n“ (Za IV, Der hässlichste Mensch, KSA 4.328). Er schämt sich sogleich seines Mitleids und will sich abwenden, weiß er doch um die schädigende Wirkung seines Mitleids für sich und den Bemitleideten. Anders hingegen Gott, den der hässlichste Mensch ermordete, weil er sein Mitleid nicht ertrug: „er sah mit Augen, welche A l l e s sahn, – er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Hässlichkeit. / Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste sterben.“ (Za IV, Der hässlichste Mensch, KSA 4.331) Erst mit dem „Zeichen“, das Zarathustra am Ende von Za erscheint, ist sein Mitleid völlig überwunden und damit die Rangordnung wiederhergestellt. „M i t l e i d e n ! D a s M i t l e i d e n m i t d e m h ö h e r e n M e n s c h e n ! schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! D a s — hatte seine Zeit!“ (Za IV, Das Zeichen, KSA 4.408) Er lässt sich nun nicht weiter durch sein Behagen und sein „G l ü c k e “ von seiner Aufgabe, dem „We r k e “, fernhalten, sondern nimmt Schmerz und Einsamkeit in Kauf. „Mein Leid und mein Mitleiden — was liegt daran! Trachte ich denn nach G l ü c k e ? Ich trachte nach meinem We r k e !“
3.5.3 Die „Lehre von der Rangordnung“ als Bedingung der Unlehrbarkeit von Lehren Im Nachlass nennt Nietzsche die Rangordnung in einem Plan zu „Zarathustra 5“ ausdrücklich eine „Lehre“ (Nachlass 1885, 35[75], KSA 11.542) und Zarathustra den „L e h r e r v o n d e r R a n g o r d n u n g . “ ( Nachlass 1885, 35[74], KSA 11.542) „Zarathustra kann nur b e g l ü c k e n , nachdem die Rangordnung hergestellt ist. Zunächst wird diese g e l e h r t .“ (Nachlass 1885, 35[73], KSA 11.541) Zwar sind diese drei Notate nur in bestimmtem Maß belastbar, weil sie nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Nachlassstellen zu einem nicht realisierten Plan Nietzsches sind – dennoch könnten sie über Nietzsches Begriff der Lehre bzw. über Zarathustra als Lehrer Aufschluss geben.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
„Lehren sind das, was einer dem andern übermitteln kann, ohne daß der Sinn sich verändert, das, was alle trotz unterschiedlicher Voraussetzungen gleich verstehen können.“⁹⁵ Dies macht die Lehre der Rangordnung paradox: Eine Lehre, die als solche für jeden gleichermaßen gelten und jedem gleich vermittelbar sein soll, widerspricht Nietzsches Idee der Rangordnung, die auf Perspektivität und Individualität beruht, für die es also nichts geben kann, das für jeden gleich gilt, gleich ist. Nietzsche bringt Zarathustras übrige „Lehren“, die oft im Zentrum des Forschungsinteresses standen, kaum in Verbindung zur Rangordnung. Der „Übermensch“ etwa, neben dem höheren und dem letzten Menschen der dritte Menschentypus in Za, hat mit Nietzsches Problem der Rangordnung wohl nicht viel gemein. Nietzsche schreibt kaum über den Übermenschen im Zusammenhang mit der Rangordnung.⁹⁶ Die Rangordnung zwischen Mensch und Mensch, die er ausdrücklich problematisiert, ist keine Rangordnung zwischen Mensch und Übermensch oder gar zwischen Übermenschen selbst. Der Übermensch ist außerordentlich: Wenn er sich über den Menschen befindet, dann auch außerhalb ihrer Rangordnung: „[E]s bedarf eben einer langsamen Grad- und Rangverschiedenheit: n u r die Nächstverwandten können sich verstehen und folglich kann es hier Gehorsam geben.“ (Nachlass 1885/86, 2[69], KSA 12.92) Was Nietzsche über den Menschen stellt, ist vielmehr ein anderer Mensch, ein Mensch höheren Rangs, an dem man sich noch orientieren kann, eben weil es eine Rangordnung zwischen beiden gibt. Der Übermensch, der sich aufgrund seiner Höhe allen bisherigen Ordnungen entzieht, hat keinerlei gemeinsames Maß mehr mit den Menschen und ist damit vielleicht zu weit entfernt, um anderen noch Ziel zu sein. Allenfalls die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ scheint mitunter im Nachlass mit der Rangordnung gekoppelt.⁹⁷ Nietzsche bezeichnet sie auch als „a u s w ä h l e n d e s Princip“ (Nachlass 1883/84, 24[7], KSA 10.646), als den „große[n] z ü c h t e n d e [ n ] Gedanke[n]“ (Nachlass 1884, 26[376], KSA 11.250), der also gerade der Selektion dienen soll und so rangordnend wirkt. Zarathustras Lehren, die nicht schon Nietzsches Lehren sind, werden von ihren Adressaten nicht oder nur kaum angenommen, Zarathustra scheitert offenkundig mit ihnen. Zwar hat es den Anschein, dass sie von seinen Tieren und den höheren Menschen wenigstens in Ansätzen verstanden werden, doch verfälschen sie sie zugleich, auch sie scheinen ihnen nicht gewachsen. Zarathustra fehlt jemand auf Augenhöhe, mit ähnlichen Erfahrungen und ähnlichem Rang, mit dem er sich austauschen könnte. Nietzsche inszeniert also das Scheitern des Lehrers Zarathustra, und so könnten nicht
Stegmaier 1997, 405. Vgl. Nachlass 1883, 7[21], KSA 10.244. Hier meinte Nietzsche, „die Verschärfung aller Gegensätze und Klüfte“ und die „Beseitigung der Gleichheit“ erzeuge „den Übermenschen“. Vgl. etwa Nachlass 1884, 26[243], KSA 11.212– 214: Eine „Vo r r e d e z u r P h i l o s o p h i e d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t “ betitelt Nietzsche mit „D i e n e u e R a n g o r d n u n g “ und befasst sich darin mit der „Ungleichheit der Menschen“, „der Schaffenden“ und „der höheren Menschen.“ Den möglichen Zusammenhang zwischen Rangordnung und Wiederkunft arbeitet Nietzsche nicht weiter aus.
3.5 Inszenierung der Rangordnung in Also sprach Zarathustra
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nur die Lehren an sich, sondern besonders auch das Lehren selbst Gegenstand von Za sein. „Die Lehren Zarathustras müßten dann Anti-Lehren, Lehren gegen das Lehren, sein, Lehren, die die Unmöglichkeit des Lehrens über die Distanz im Verstehen hinweg deutlich machen.“⁹⁸ Rangordnung wäre damit aber die Grundlage einer jeden solchen Anti-Lehre, denn sie verkörpert ja gerade die Distanz zwischen Individuen, die Rangdistanz, die, mal mehr, mal weniger, doch letztlich immer gegeben und unüberbrückbar ist. Sie beruht auf Erfahrungen, und Erfahrungen sind immer individuell und niemals auf andere übertragbar. Man kann seine Erfahrungen zwar mitteilen, doch fasst jeder diese Mitteilungen dann aufgrund seiner eigenen Erfahrungen anders auf, macht aus ihnen wiederum eigene Erfahrungen. Rangordnung stützt sich auf die Individualität eines jeden Individuums, verzichtet damit auf die gleichmachende Voraussetzung, „daß Individuen irgend etwas a priori verbindet.“⁹⁹ So wird jedes Lehren im herkömmlichen Verständnis unmöglich: Sinn kann niemals für alle gleich mitgeteilt werden, wenn ihn jeder von einem anderen, von seinem Standpunkt aus aufnimmt. Innerhalb der Rangordnung aber hat jeder einen anderen Standpunkt, eine eigene Perspektive, jede Mitteilung wird daher anders aufgefasst, hat für jeden einen anderen Sinn. Zarathustra ist aus eben diesem Grund mit seinen Lehren gescheitert, er hat niemand gefunden, zu dem die Distanz nicht zu groß gewesen wäre. Dennoch spricht Nietzsche von ihm als Lehrer.¹⁰⁰ Aber Zarathustra ist kein Lehrer im herkömmlichen Sinn als bloßer Vermittler von allgemeinen Lehren. Nietzsche inszeniert ihn stattdessen gezielt als große Persönlichkeit mit überlegener und damit auch überzeugender Orientierungskraft, an der sich diejenigen orientieren können, die es wollen und brauchen. Seine Lehre ist ein „G e s c h e n k “ für sie, eine Gabe: „Mein G e s c h e n k ist erst zu empfangen, wenn die Empfänger da sind: d a z u Rangordnung.“ (Nachlass 1885, 35[74], KSA 11.541)¹⁰¹ Anders als andere Geschenke ist das Geschenk, das Angebot des Halts an Zarathustras überlegener Orientierung nicht auf Augenhöhe, sondern nur durch die Rangordnung möglich. Nur weil er höheren Rangs ist, kann er diesen Halt bieten, und nur weil die höheren Menschen niederen Rangs sind, haben sie diesen Halt erst nötig. Umgekehrt gilt dies ebenso: Weil Zarathustra anderen Halt bieten kann, hat er höheren Rang, und weil die höheren Menschen Halt an ihm nötig haben, sind sie niederen Rangs. Eine einseitige Definition von Rang in Nietzsches Sinn kann es nicht geben. Dass die höheren Menschen Zarathustra als ihnen überlegen, als Ranghöheren anerkennen und dass sie geradezu auf ihn angewiesen sind, inszeniert Nietzsche sehr deutlich: Kaum tritt Zarathustra zu seinen Tieren aus der Höhle, um Luft zu holen, die er bei den versammelten höheren Menschen und dem Esel offenbar nicht bekommt, sagt der alte Zauberer: „schon fällt mich mein schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel“ (Za IV, Das Stegmaier 1997, 406. Stegmaier 1997, 406. Zu Zarathustra als Lehrer vgl. Gordon 1980 und Schacht 1995, die allerdings beide nicht näher auf die Rangordnung eingehen. Zu Zarathustras Geschenk als Nietzsches Geschenk vgl. Alderman 1977.
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3 Philologische Anhaltspunkte: Erschließung des einschlägigen Textbestands
Lied der Schwermuth 2), und so singt er das Lied der Schwermut, „und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen Wollust.“ (Za IV, Von der Wissenschaft, KSA 4.375) Was Zarathustra sagt und tut, was er ist, seine Maßstäbe und Plausibilitäten, kurz: seinen Rang akzeptieren die höheren Menschen unhinterfragt, weil er persönliche Autorität besitzt, die keiner weiteren Begründung außer der Persönlichkeit, dem persönlichen Rang selbst mehr bedarf. „Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf.“ (Za II, Von den Dichtern, KSA 4.163) Anders als die höheren Menschen, die Zarathustra nicht nach seinem „Warum“ fragen und seinen Rang erkennen, und seine Jünger, die zwar nach seinem „Warum“ fragen, jedoch seinen Rang erkennen, hinterfragen die Menschen vom Markt Zarathustra durch ihr eisiges Lachen im Ganzen, sie „hassen“ ihn (Za I, Zarathustra’s Vorrede 5, KSA 4.21).¹⁰² Die Rangordnung zwischen den drei Adressatenkreisen scheint deutlich: Die Menschen vom Markt haben den tiefsten Rang; sie sind nicht dazu fähig, Zarathustras Rang zu erkennen, sondern täuschen sich in ihm und stellen sich in der Rangordnung grob und selbstsüchtig weit über ihn, sie erniedrigen ihn. Die Jünger erkennen den Rang Zarathustras zwar an, haben aber selbst noch zu wenig Persönlichkeit, so dass sie ihn nur naiv „verehr[en]“ und an ihn „glaub[en]“ (Za I, Von der schenkenden Tugend 3), bis Zarathustra sie heißt: „mich verlieren und euch finden“. Sie erniedrigen sich selbst. Erst den höheren Menschen ist im Gegensatz zu den Menschen vom Markt klar, dass sie Zarathustras überlegene Orientierung nötig haben, und sie haben genügend Rang, um sich im Gegensatz zu den Jüngern nicht selbst zu verleugnen.¹⁰³ Sie sind dazu in der Lage und vornehm genug, die Rangordnung zwischen sich und Zarathustra zu akzeptieren und zu respektieren, sind gar dankbar für und glücklich über sie. Zarathustra ist Nietzsches stärkstes Beispiel für Rang, den er mit seiner überlegenen Orientierungsfähigkeit vorlebt, während andere, etwa die nun machtlosen Könige oder der Papst außer Dienst, mit ihren Werten und Orientierungen scheiterten. Zarathustra hat also schließlich „die R a n g o r d n u n g hergestellt“ und „kann“ nun endlich die höheren Menschen „beglücken“ (Nachlass 1885, 35[71], KSA 11.540).¹⁰⁴
Vgl. Za IV, Das Eselsfest 1: „durch Lachen tödtet man“. Diese Rangordnung im Adressatenkreis Zarathustras macht sich vielleicht auch in der Art, wie Nietzsche mit ihnen spricht, bemerkbar. Vgl. Stegmaier 2012a, 17, der darauf hinweist, dass schon an den Titeln von Zarathustras Reden deutlich werde, „dass Zarathustra sich Schritt für Schritt vom Lehren zurückzieht. Abschnitte mit Lehren sind stets ,Von …‘ (,Von den drei Verwandlungen‘, ,Von den Lehrstühlen der Tugend‘ usw.) überschrieben. Im I. Teil sind das noch alle, im II. Teil zwei Drittel, im III. Teil etwa die Hälfte, im IV. Teil ein Zehntel. An die Stelle der Lehren treten Schilderungen und Lieder (,Das Kind mit dem Spiegel‘, ,Auf den glückseligen Inseln‘, ,Das Nachtlied‘, ,Das Tanzlied‘ usw.), am Ende ,Das Zeichen‘.“ Vgl. MA I 496: „Vo r r e c h t d e r G r ö s s e . – Es ist das Vorrecht der Grösse, mit geringen Gaben hoch zu beglücken.“ Vgl. auch Nachlass 1876/77, 23[92], KSA 8.436.
4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung Die philologisch eingeführte Unterscheidung zwischen Hierarchie auf der einen und Rangordnung auf der anderen Seite bildet auch den philosophischen Ausgangspunkt und Leitfaden dieses Kapitels. Eine Hierarchie ist eine stabile, klar definierte und nach festen Kriterien ausgerichtete, formalisierte und institutionalisierte Ordnung auf Dauer, die eindeutig entschieden und insofern nicht problematisch ist. Sie ist überindividuell und verbindlich legitimiert, etwa durch „Gott“ oder „die Natur“, und durch den hohen Grad ihrer Institutionalisierung sind Einzelne in der Hierarchie ersetzbar.¹ Sie abstrahiert vom Persönlichen. Solche anscheinend fraglosen und objektiven Ordnungen sind in der Natur etwa im sozialen Bereich, in menschlichen und tierischen Ständegesellschaften, und im biologisch-chemisch-physikalischen Bereich, auf organischer, zellulärer, biomolekularer, molekularer, atomarer und subatomarer Ebene, zu finden. Die Natur scheint unabhängig vom Menschen zu funktionieren und nach verschiedenen Gesetzen klar und unveränderlich geregelt zu sein – nicht nach von uns gemachten, sondern eben nach „Naturgesetzen“. Auch der übernatürliche, religiöse Gedanke der Hierarchie lässt nicht viel Spielraum. Er bestimmt das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen sowie die Ordnung innerhalb der Kirche strikt und verlässlich. Die Rangordnung im Sinn Nietzsches hingegen ist nicht stabil und damit nicht ohne weiteres verlässlich. Sie bildet sich vielmehr spontan, besteht nur auf Zeit und bleibt stets mutabel, veränder-, verhandel-, entscheidbar und damit problematisch. Sie hat keine vermeintlich objektiven Kriterien, sondern hängt von situativen Anhaltspunkten ab, die sich immer erst zeigen, in der jeweiligen Situation als solche erweisen müssen. Diese Form der Rangordnung beruht auf genau den individuellen Diese Art von Hierarchie kritisiert Max Stirner in seinem im Oktober 1844 erschienenen Der Einzige und sein Eigenthum scharf. Schätzt Nietzsche, wie sich zeigen wird, die Rangordnung als auf Geistigkeit beruhende Ordnung, so lehnt Stirner die Hierarchie als „Gedankenherrschaft“ ab: „Hierarchie ist Gedankenherrschaft, Herrschaft des Geistes! Hierarchisch sind Wir bis auf den heutigen Tag, unterdrückt von denen, welche sich auf Gedanken stützen“ (Stirner 2009, 82 f.). Wovor man „Respekt“ oder „Ehrfurcht“ habe, sei „das Heilige“, an das man „glaubt“ und das so Herrschaft über einen gewinne. Hierarchie sei demnach, auch etymologisch, die Herrschaft des Heiligen. Stirners Ausweg aus dieser Unterdrückung ist, neben gezielter „Erziehung“, die „Empörung“. Sie sei keine gesellschaftliche „Revolution“ mit politischen Absichten, die selbst wieder nur neue Einrichtungen schaffen würde, sondern „egoistisch“: sie „führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten, und setzt auf ,Institutionen‘ keine glänzende Hoffnung. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende […], sie ist nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden“ (319 f.). Empörung sei ein Emporheben, eine Bewegung nach oben, ein Schritt aus dem Bestehenden und damit aus allen Ordnungen heraus. Der Einzelne stehe außerhalb jeder Rangordnung und erkenne keine Autoritäten über ihm an. Stirner illustriert dies, indem er seine Vorrede mit dem Goethe-Zitat „Mir geht nichts über Mich!“ (15) abschließt. Während es Nietzsche um das Wieder-Ermöglichen von Rangordnung geht, will Stirner alle Hierarchien mit seinem egoistischen „Umsturz“ also gerade verlassen. https://doi.org/10.1515/9783110771367-006
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Persönlichkeiten, aus denen sie sich aktuell zusammensetzt, und so ist sie, anders als die Hierarchie, der konkrete Ausdruck der situativ und tatsächlich vorherrschenden Verhältnisse. Ersetzbarkeit von Einzelnen gibt es hier nicht. Man kann Ordnungen festlegen, sie können sich aber auch emergent, also von selbst, von sich aus bilden und festigen, sich einspielen. Eine Hierarchie ist immer schon entschieden, während eine Rangordnung immer erst und immer wieder entschieden werden oder sich entscheiden muss bzw. sich ohne bewusstes Zutun ergibt. Solche unsicheren Rangordnungen begegnen uns im zwischenmenschlichen Alltag permanent. Gerade bei einer noch ungewissen zwischenmenschlichen Orientierung, die ihren Ausgang in einer bestimmten, einer kontingenten Situation nimmt und zunächst flüchtig und unzuverlässig ist, hat man Struktur und Stabilität besonders nötig. Eine solche interindividuelle Rangordnung geht uns daher am meisten an, erfordert die höchste Aufmerksamkeit. Ihr Halt ist nicht, wie bei der Hierarchie, von Dauer, sondern nur auf Zeit zu finden. Irritationen in der Begegnung mit anderen sind weiterhin möglich und auch zu erwarten. Dennoch hilft die Rangordnung entscheidend, sich im Umgang mit anderen zurechtzufinden, sich in der doppelten Kontingenz der Kommunikation zu behaupten. Die Integration in eine Rangordnung durch Überoder Unterordnung ist eine bewährte Strategie der Komplexitätsreduktion und Kontingenzbewältigung: Rangordnung stabilisiert unsere Orientierung. Doch nicht immer lässt sich eindeutig zwischen Hierarchie und Rangordnung unterscheiden; mitunter scheint der Übergang zwischen den beiden fließend. So kann etwa die Rangordnung im Zwischenmenschlichen durchaus auch unproblematisch sein, nämlich gerade dann, wenn sie bereits eine eingespielte Ordnung mit klarer Rollenverteilung ist, so dass jeder weiß, woran er beim anderen ist. Hier hat die Hierarchisierung bereits eingesetzt. Ein hoher Grad an Institutionalisierung kann nun dazu führen, dass die Stellung, die einer Person in dieser Hierarchie zukommt, nicht mehr mit ihrer Befähigung, ihrer Kompetenz zusammenfällt. Von den Eigenschaften des Individuums wird in der Hierarchisierung gerade abstrahiert. Dieser Prozess lässt sich häufig erst dann beobachten, wenn er bereits stattgefunden hat, wenn sich die Erwartungen ans eigene und ans Verhalten anderer weitestgehend geklärt haben. Rangordnung und Hierarchie sind also keine schlichten, sich gegenseitig ausschließenden, absoluten oder metaphysischen Gegensätze. Auch zwischen den Begriffen ,Rangordnung‘ und ,Hierarchie‘ gibt es eine eine graduelle Abstufung. Sie sind die beiden Pole einer Unterscheidung, von der die eine Seite, die der Hierarchie, durch Abgeschlossenheit, Starrheit, Sicherheit und Dauer, die andere Seite, die der Rangordnung, durch Offenheit, Beweglichkeit, Unsicherheit und Zeitlichkeit gekennzeichnet ist und die viele mögliche Zwischenstufen kennt. Daraus ergibt sich für das Problem der Rangordnung ein ständiges Spannungsfeld. „Der Beobachter steht zwei scheinbar widersprüchlichen Phänomenen gegenüber. Einerseits erscheint Ordnung als fragile Angelegenheit, die oft genug von Auflösung und Zerfall bedroht ist“ – die jeweilige Rangbeziehung wird sich irgendwann aufspalten, und so „bleibt es den Menschen überlassen“, die von ihnen ausgehende
4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
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Ordnung „unter beträchtlichem Aufwand immer wieder neu herzustellen.“² Andererseits soll die Ordnung gerade Sicherheit gewähren, auf die man sich verlassen kann, soll Planbarkeit und Entlastung garantieren – und dies kann nur geschehen, wenn sie für eine gewisse Dauerhaftigkeit der menschlichen Rangbeziehungen sorgt. Nietzsches Vorstellung von Rangordnung vereint diese beiden Extreme: Die Organisation von Rangordnungen auf Zeit hält die Situativität von Rangbeziehungen für eine gewisse Dauer fest und vermittelt so zwischen der chaotischen Kurzlebigkeit von Rangbeziehungen und dem Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion durch längerfristige Ordnung. Eine solche Organisation muss „einer paradoxen Formel folgen: Stabilität durch Flexibilität.“³ So ist es die Grundbedingung der Rangordnung, dauernd zwischen Rangordnung und Rangordnung zu oszillieren. Darüber hinaus ist der Begriff ,Ordnung‘ ohnehin ein selbstbezüglicher: Jeder Begriff ist ein Ordnungsversuch, und das gilt auch für den Begriff ,Ordnung‘ selbst. Offenbar setzt man immer schon einen Ordnungsbegriff voraus, wenn man über Ordnung spricht – man kann nicht hinter ihn zurückgehen. Im Folgenden nähern wir uns schrittweise der unsicheren Rangordnung zwischen Individuen, die Nietzsche mit seinem Problem der „Rangordnung zwischen Mensch und Mensch“ vorschwebt. Ausgangspunkt ist die scheinbar stabile und fraglose Ordnung der Natur, an der der alte Hierarchie-Gedanke am deutlichsten wird. Mit jedem Schritt vom alten Hierarchie-Gedanken weg wird die Rangordnung problematischer, gibt es weniger Kriterien, denen sie folgt. Ist sie in der Religion noch an Gott gebunden, so hat sie sich in der Moral schon davon befreit und zusehends pluralisiert: Es gibt nun viele mögliche Rangordnungen der Werte. In der Wissenschaft unterläuft Nietzsche mit der Rangordnung die Vorstellung einer objektiven Wahrheit, die, so Nietzsche, nur der „Schatten“ des „toten Gottes“ ist, und stellt die Bedeutung von Forscherpersönlichkeiten dagegen. In der Philosophie wird die Rangordnung vollends zu einem unumgänglichen Problem, dem sich jeder Philosoph als Individuum mit seiner Persönlichkeit zu stellen hat. Zuletzt zeigt sich im Zwischenmenschlichen die ethische Dimension des Problems der entscheidbaren Rangordnung unter Individuen, auf die sich Nietzsches Begriff der Rangordnung zuspitzt. Damit wäre das ganze Spektrum der Unterscheidung von Hierarchie und Rangordnung ausgelotet, die Rangordnung zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung abgeschritten und eine stufenweise Lösung der Paradoxie der Rangordnung vollzogen: Die starre Hierarchie wird zusehends komplexer, beweglicher und entscheidbarer, damit aber auch problematischer. Die interindividuelle Rangordnung bietet jedoch weiter Sicherheit und Orientierung auf Zeit und bleibt daher, so Nietzsche, entgegen allen Anfeindungen unverzichtbar.
Anter 2004, 42. Ordnung ist für Anter ein genuin paradoxes Konzept. Zu dieser „Paradoxie der Ordnung“ vgl. 50 – 57. Anter 2004, 53.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
4.1 Rangordnung in der Natur Die Ordnung der Natur scheint unveränderlich und durch verschiedene „Naturgesetze“ und „Naturkonstanten“ klar und auf ewig geregelt zu sein. Sie hat, so nimmt man an, Bestand auch ohne das Zutun des Menschen, sei schon lange vor ihm gültig gewesen und werde dies auch lange nach ihm noch sein. Die natürliche Ordnung erscheint objektiv, die Natur autonom, als ob sie sich ihre Gesetze selbst gebe. Für den Menschen ist sie daher auf den ersten Blick unproblematisch. Nietzsche ist hier jedoch vorsichtig: „Hüten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe. Es giebt nur Nothwendigkeiten: da ist Keiner, der befiehlt, Keiner, der gehorcht, Keiner, der übertritt.“ (FW 109) Er weist darauf hin, dass es die Menschen sind, die diese Gesetze schreiben und der Natur zuschreiben, und dass sie dabei auf ihre Sprache, ihre Grammatik, ihre Weise zu denken und zu handeln beschränkt sind. Man projiziert die menschliche Perspektive auf die Natur und vergisst dann diese Projektion.Weil man es gewohnt ist, in bestimmten grammatischen und moralischen Kategorien zu denken, etwa in der Objekt-Subjekt-Unterscheidung, zwingt man sie auch der Natur auf, in der es dann etwas oder gar jemand geben soll, das oder der „befiehlt“ und „gehorcht“.⁴ So sei letztlich das „„N a t u r g e s e t z “ e i n Wo r t d e s A b e r g l a u b e n s “ (MA II,VM 9), und „[d]ie Nothwendigkeit in der Natur wird durch den Ausdruck „Gesetzmässigkeit“ menschlicher und ein letzter Zufluchtswinkel der mythologischen Träumerei.“⁵ Im Grunde bewundere man lediglich „die Moralität der Natur“. Am schärfsten kritisiert Nietzsche die Kernforderung der Moral nach Gleichheit, die noch in der verbreiteten Vorstellung der Natur zu finden sei. Auch die physikalische Vorstellung einer Gesetzmäßigkeit der Natur sieht er als den Ausdruck der Gleichheitsmoral, als „eine naiv-humanitäre Zurechtmachung und Sinnverdrehung, mit der ihr [Physiker] den demokratischen Instinkten der modernen Seele sattsam entgegenkommt!“ (JGB 22) So laute der „Hintergedanke“ der vorgeblich neutralen und objektiven Physiker, die Nietzsche stellvertretend für die modernen Naturwissenschaften nimmt⁶: „„Überall Gleichheit vor dem Gesetz, – die Natur hat es darin nicht anders und nicht besser als wir““. Nicht das Interesse an Wahrheit oder Erkenntnis leitet sie an, sondern die
Vgl. Abel 1998, 24, der festhält, dass eine „vollkommen geregelte Ordnung des Universums in Nietzsches Philosophie gerade nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Solche Ordnungsvorstellungen sind Projektionen seitens des Menschen. Sie dienen der theoretischen und praktischen Orientierung und Entlastung in der Welt und möchten den Charakter fehlender metaphysischer Ordnung, den ChaosCharakter der Welt als ganzer mit Hilfe einer moralischen Ontologie verborgen halten, die als Palliativ und Therapeutikum gegen den Nihilismus wirkt.“ Vgl. Nachlass 1885, 39[14], KSA 11.625: „Wie naiv tragen wir unsere moralischen Werthschätzungen in die Dinge z. B. wenn wir von N a t u r g e s e t z e n reden!“ Zu Nietzsches Kritik an der Vorstellung eines objektiven Naturgesetzes vgl. auch Nachlass 1881, 11[293], KSA 9.554, und Nachlass 1887, 11[394], KSA 13.184. Auch die „Biologen s e t z e n die moral Werthschätzungen f o r t (der an sich höhere Werth des Altruismus, die Feindschaft gegen die Herrschsucht, gegen den Krieg, gegen die Unnützlichkeit, gegen die Rang- und Ständeordnung).“ (Nachlass 1886/87, 7[9], KSA 12.295) Vgl. Kap. 4.4.
4.1 Rangordnung in der Natur
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Moral. Um sich den Machtkämpfen der Natur zu entziehen, um sich nicht behaupten und nichts und niemand über sich anerkennen zu müssen, verleugnen sie, so Nietzsche, die Rangordnung.
4.1.1 Rangordnung als biologischer Begriff Das Problem der Rangordnung wird am ehesten dann akzeptiert, wenn es sich aus biologischer Perspektive stellt. Hier scheint es weniger problematisch, durch den wissenschaftlichen Zugriff mit seinen empirischen Methoden abgemildert, natürlicher, weniger anstößig zu sein.⁷ In der Biologie zeigt sich das Problem der Rangordnung auf unterschiedliche Weise. Schon früh versuchte man, sämtliche Lebewesen systematisch in einer hierarchisch abgestuften Ordnung zu klassifizieren. So beschrieb Aristoteles in seiner zoologischen Schrift Tierkunde (Historia animalium, Περὶ τὰ Ζῷα Ἱστορίαι) die Idee einer Stufenleiter der Natur.⁸ Der Gedanke einer scala naturae findet sich später u. a. auch bei Leibniz, Bonnet und Lamarck.⁹ Carl von Linné hat den Rangordnungsgedanken mit seiner taxonomischen Erfassung allen Lebens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich in die modernen Naturwissenschaften bzw. die Biologie eingeführt. In seinem Werk Systema Naturæ (1735) entwickelt er eine Taxonomie, die Lebewesen in verschiedene über- bzw. untergeordnete Ränge, die ,Taxa‘, klassifiziert (in der Form Klasse > Ordnung > Gattung > Art > Varietät). Auch heute ist diese systematische Klassifikation noch gebräuchlich (für Säugetiere etwa zumeist in der mehrfach revidierten Form Domäne > Reich > Stamm > Klasse > Ordnung > Familie > Gattung > Art), wenngleich es mittlerweile verschiedene und teilweise untereinander konkurrierende Taxonomie-Konzepte gibt. Die Unveränderlichkeit und Gottgegebenheit der Arten, wie Linné sie noch annahm, gilt seit Darwin als obsolet. Man berücksichtigt nun statt den „essentiellen Merkmalen“ Linnés vorwiegend evolutionäre Verwandtschaftsbeziehungen, die mittels genetischer Untersuchungen festge-
Selbst das Historische Wörterbuch der Philosophie listet die Rangordnung als „Begriff biologischer Klassifikation“ (Homann 1992). Für Homann bedeutet Rangordnung „weder Abbild der Natur noch Objektivierung von Sachverhalten; der Begriff bezeichnet den methodischen Aspekt faßbarer Beschreibung von Regularitäten in einer systematischen Darstellung der belebten Natur“ (24). Es war dabei jedoch nicht Aristoteles’ primäres Ziel, eine umfassende Klassifikation aller Arten zu versuchen. Vgl. Lennox 2001. Die Entwicklung dieses im Angelsächsischen als The Great Chain of Being (1936) bekannten Gedankens einer natürlichen Stufenleiter hat Arthur O. Lovejoy ausführlich beschrieben (Lovejoy 1993). Der Ausdruck ,The Great Chain of Being‘, zugleich der Originaltitel des als Gründungswerk der Ideengeschichte geltenden Buchs, geht zurück auf Alexander Popes berühmtes Gedicht Essay on Man von 1734. Vgl. Mahoney 1987. Zur Aktualität des Gedankens vgl. Nee 2005, der am Beispiel der Evolutionsbiologie zeigt, dass auch unser heutiges Denken noch von der Idee einer großen Kette der Wesen bestimmt sei und „that we have some deep psychological need to see ourselves as the culmination of creation.“
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stellt werden. Die Idee einer umfassenden und systematischen Taxonomie wurde inzwischen vielfach kritisiert.¹⁰ Der taxonomische Rang berührt Nietzsches Problem der Rangordnung nur am Rand, weil er sich nach den Klassifikationen der biologischen Systematik richtet, aber nicht auf Herrschaftsverhältnissen innerhalb der Natur basiert. In der Biologie ist die Rangordnung nicht nur zwischen den Arten, sondern besonders auch innerhalb einer Art von Bedeutung.¹¹ Der Zoologe Thorleif SchjelderupEbbe hat mit seiner grundlegenden Forschung zur Rangordnung bei Hühnern in den 1920ern den für die spätere Verhaltensbiologie so wichtigen Begriff der ,Hackordnung‘ geprägt, den man gelegentlich auch im übertragenen Sinn für Hierarchien in Menschengruppen nutzt. Eine Vielzahl von Publikationen untersucht im Anschluss an diese Forschung hierarchisches Verhalten bei Tieren und versucht Rückschlüsse auf den Menschen.¹² Die Rangordnung bestimmt man als Über- und Unterordnung in
Vgl. Foucault 1974, bes. 107– 113 (Unterkapitel „,Mathesis‘ und ,Taxinomia‘“), der den universellen Anspruch der Klassifikation Linnés kritisiert, weil jeder Klassifikationsversuch, auch ein naturwissenschaftlicher, an bestimmte räumliche und zeitliche Entstehungsbedingungen gebunden sei und auch nur mit den stets beschränkten Möglichkeiten der Grammatik einer bestimmten Sprache ausgedrückt werden könne. Die Genese von Linnés Taxonomie zeige, dass sie streng logischen Ansprüchen nicht in dem Maß gerecht werden könne, wie es das Vorhaben einer umfassenden Systematik impliziere. Vgl. auch Ereshefsky 1994 und 2001. Zum Übergang und zur Schnittmenge dieser beiden Dimensionen vgl. Menzel 1962. Hier sei stellvertretend der renommierte Zoologe und Verhaltensforscher Frans de Waal genannt, der sich mit Kultur und Moral bei Tier und Mensch sowie der Organisation sozialen Verhaltens bei Menschenaffen befasst und dabei tierisches und menschliches Verhalten gegenüberstellt, um Rückschlüsse auf evolutionäre Gemeinsamkeiten zu ziehen. In seinem Werk Our Inner Ape. A Leading Primatologist Explains Why We Are Who We Are (de Waal 2005) befasst er sich ausgiebig mit Dominanz und Rangordnung: „Given the obvious ,will to power‘ (as Friedrich Nietzsche called it) of the human race, the enormous energy put into its expression, the early emergence of hierarchies among children, and the childlike devastation of grown men who tumble from the top, I’m puzzled by the taboo with which our society surrounds this issue. […] Everyone seems in denial“ (54). Bei Schimpansen sei die grundlegende Bedeutung der Rangordnung jedoch klar ersichtlich: „hierarchy permeates everything“ (56). „In chimpanzees, a stable hierarchy eliminates tensions so that confrontations become rare: subordinates avoid conflict and higher-ups have no reason to seek it. Everybody is better off“ (63). Der Rang richte sich nicht nach der bloßen körperlichen Stärke, sondern besonders auch nach der Fähigkeit zu effizienter Kooperation im richtigen Moment, nach einer „sensitivity to power dynamics“ (58), die so auch beim Menschen zu finden sei. Über- und Unterordnung werde schon durch die Stimme signalisiert. „Below the radar of consciousness, we thus communicate status every time we talk with someone, whether in person or on the telephone. On top of this, we have ways of making the human hierarchy explicit, from the size of our offices to the price of the clothes we wear. In an African village, the chief has the largest hut and a golden robe, and at university commencement ceremonies, professors in academic regalia proudly march past students and their parents. In Japan, the depth of the greeting bow signals precise rank differences not only between men and women (with women bowing more deeply), but also between senior and junior family members. Hierarchy is most institutionalized in male bastions such as the military, with its stars and stripes, and the Roman Catholic Church, where the pope dresses in white, cardinals in red, monsignors in purple, and priests in black“ (59 f.). Schimpansen wiesen einen für ihre Verhältnisse ähnlichen Grad an Formalität bei der Kommunikation
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Dominanzverhältnissen, deren Kriterien nicht immer eindeutig sind. Sie wird je nach Art nicht allein durch physische Auseinandersetzungen und Imponierverhalten ausgefochten, sondern durch ein komplexes Zusammenspiel physischer und psychischer Dispositionen, dazu zählen etwa Geschlecht, Alter, Intelligenz oder Aggressivität, bestimmt. Auch die biochemische Dimension spielt eine gewichtige Rolle, etwa durch Pheromone, die Informationen zum Rang kommunizieren.¹³ Die Mitglieder einer sozialen Gruppe, in denen sich diese Dominanzverhältnisse entwickeln, sind, so die gängige Sicht der Verhaltensforscher, wiederum bestimmt von Aggression einerseits und Angst andererseits. Dieses Spannungsfeld führt zu Kämpfen innerhalb der Gruppe, deren Ausgang sich die einzelnen Gruppenmitglieder merken, so dass sie ihr Verhalten danach richten können. Sind die Verhältnisse geklärt, bleiben Kämpfe zwar weiterhin möglich, sind aber meist nicht mehr nötig – es bleibt für gewöhnlich bei der Drohung, um die Ordnung wiederherzustellen. Finden Kämpfe statt, dann meist nur noch zwischen direkten Rangnachbarn. Dieses Verhalten beruht auf Instinktgrundlagen, die als genetisch verankert gelten; sie haben sich aufgrund ihrer Vorteile evolutionär bewährt.¹⁴ So ermöglichen sie etwa schnelle Entscheidungen: Wo von Rang auf. Hierarchien, so de Waal, seien für das Zusammenleben von Menschen und anderen Primaten letztlich unverzichtbar: „we simply could not live without them. Some people may wish them away, but harmony requires stability, and stability depends ultimately on a well-acknowledged social order“ (62). Man könne unterscheiden zwischen „HE and HA personalities. HE stands for ,HierarchyEnhancing‘ […], HA, on the other hand, stands for ,Hierarchy-Attenuating‘“ (249). Individuen neigten jeweils zu einer dieser Richtungen, vielleicht könne man sogar ganze Spezies mit Hilfe dieser Unterscheidung charakterisieren (so seien Schimpansen eher als HE, Bonobos eher als HA anzusehen). Insgesamt jedoch sei der Mensch ein Hybrid, ein „bipolar ape“, für den beide Seiten der Unterscheidung unerlässlich seien. Vgl. Moritz / Lattorff / Crewe 2004: Arbeiterbienen bestimmen ihre Rangordnung durch die Produktion eines Pheromons, der sogenannten „queen substance“ 9ODA (98). „The dynamics of pheromone production in paired workers suggests that they engage in a pheromonal contest.“ Es wird ein regelrechter Wettkampf um die Rangordnung ausgetragen: in den ersten beiden Tagen ist sie noch im Fluss, dann jedoch, am dritten Tag, festigt sie sich rasch, der Wettkampf gilt als beendet. Die unterlegenen Bienen sterben nicht wie bei der bloßen physischen Auseinandersetzung, sondern fügen sich in ihre Rolle ein und verlieren ihre Fruchtbarkeit. Vgl. Frank 1969 (APO und Establishment aus biologischer Sicht). Der Naturwissenschaftler Frank beleuchtet aus biologischer Perspektive die ideologischen Gleichheitsforderungen, die im Zuge der APO der Sechzigerjahre aufkamen, und setzt ihnen naturwissenschaftliche „Gegebenheiten“ entgegen. „Wollte man die Tiergesellschaft mit menschlichen Herrschaftssystemen vergleichen, könnte man […] auf keinen Fall die Diktatur, den Absolutismus, den Feudalismus oder die Oligarchie heranziehen, sondern am ehesten die Aristokratie, sofern diese nicht starr, sondern dynamisch begriffen und praktiziert wird und einen ständigen Auf- und Abstieg in der Rangordnung gewährleistet. […] Ohne das Prinzip der hierarchischen Organisation wäre den höheren Wirbeltieren jenes Leben in individualisierten Sozialverbänden nicht möglich gewesen, das die entscheidende Voraussetzung für jede Kooperation und Aufgabenteilung und damit einer geistigen Höherentwicklung bis zum Menschen gewesen ist. […] Wir müssen es […] als Faktum hinnehmen, daß unser Sozialverhalten genetisch auf eine hierarchische Gesellschaftsordnung festgelegt ist“ (28 f.), auch wenn „die menschliche Hierarchie nicht ohne weiteres mit den gleichen Maßstäben gemessen werden kann wie die ungleich einfachere und unkompliziertere der Tiere“ (32).
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immer mehrere Individuen in Gruppen zusammen sind, werden sie nur dann schnelle Entscheidungen treffen können, wenn so etwas wie eine Rangordnung entsteht. Je größer dabei die Not, je knapper die Ressourcen, desto ausgeprägter ist das Rangordnungsverhalten: „A chain of command beats democracy any time decisive action is needed. We spontaneously switch to a more hierarchical mode depending on the circumstances.“¹⁵ Die Rangordnung schont Ressourcen, da Rangkämpfe Rollen, Aufgaben und Privilegien vorerst unbefristet zuweisen, statt permanent ausgefochten werden zu müssen.¹⁶ Sie schafft erst die Voraussetzungen für Arbeitsteilung, kommt den Bedürfnissen der Gruppenmitglieder nach Ordnung und Sicherheit entgegen und ermöglicht ihnen zudem ein Ausleben aggressiver Triebe. Die verantwortungsvollsten und schwierigsten Aufgaben, etwa der Schutz vor Feinden und das Auffinden von Nahrung, werden im Agon den fähigsten Gruppenmitgliedern zugewiesen, so dass letztlich alle davon profitieren.¹⁷ Auch die besonderen Rechte der Ranghohen, besonders das Recht auf Partnerwahl und Fortpflanzung überhaupt sowie die Privilegien bei der Nahrungsaufteilung, sorgen dafür, dass sich die überlebensfähigsten Gene durchsetzen und so den Bestand der Art effektiv sichern. Rangordnungsverhalten hat sich in der Auslese also gerade auch deshalb durchgesetzt, weil es die Auslese selbst befördert und in geordnete Bahnen lenkt. Es schafft Ordnung auf Zeit, ist aber auch offen für Veränderungen und Anpassungen an neue Gegebenheiten, sei es innerhalb der Gruppe oder aus der Umwelt. Zu den Rangordnungen, die sich tatsächlich in der Natur beobachten lassen, zählen lineare Ordnungen, in der A über B, B über C, C über D steht, intransitive Relationen, in der A über B, B über C, C über A steht, polygone Ordnungen, also Mehrecks-Beziehungen, despotische Ordnungen, in
De Waal 2005, 64. Vgl. Mizera 1995, die beim Menschen „verschiedene spezielle angeborene Verhaltenstendenzen […] zu hierarchischem Verhalten“ sieht (14). Der Hauptvorteil der Hierarchie liege in der Komplexitätsreduktion und sei ein Selektionsvorteil, da die Mitglieder durch die Hierarchie meist die Position zugewiesen bekämen, die ihren Fähigkeiten am ehesten entspräche. Menschen seien zudem „nicht dauerhaft zu gänzlich hierarchiefreiem Verhalten in der Lage“ (133), was im besonderen Maß auch für Kinder gelte. Dennoch seien Menschen „in der Lage, hierarchische Strukturen sowie hierarchisches Verhalten bewußt zu mildern“ (134). Dies sei in Demokratien zu beobachten, „die Hierarchien nicht wirklich abschaffen, sondern lediglich formal kaschieren. Wesen und Wert sowohl politischer Demokratien als auch moderner bürokratischer Organisationen liegen darin, daß sie die formale Struktur für möglichst viele Menschen akzeptabel machen, indem sie deren Auswirkungen mildern“ (134 f.). Der Vorteil hierarchischen Kooperationsverhaltens gelte auch für Menschen. Vgl. Ronay / Greenaway / Anicich / Galinsky 2012, die nachweisen, dass hierarchisch differenzierte Gruppen bei der Lösung von „procedurally interdependent tasks“ effizienter arbeiten als nicht hierarchisch differenzierte. Sie minimieren ihre Konflikte untereinander und maximieren ihre Produktivität umso mehr, je ungleicher sie organisiert sind. Die Autoren folgern: „Despite the overt appeal of egalitarian social structures, humans have an enduring implicit preference for hierarchy […]. Our data suggest that this preference may have its roots in the utilitarian value of distributed power. Pecking orders, it seems, are not just for the birds“ (676).
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denen A über allen steht und alle außer A gleichrangig sind, und komplexe Ordnungen mit vielschichtigen Beziehungsgefügen.¹⁸ Die Rangordnung spielt nicht nur auf interindividueller Ebene, sondern auch im Organischen eine Rolle. Einerseits lassen sich Organismen als hierarchisch aufgebaute Systeme verstehen, etwa nach dem Schema „Individuum (Vielzeller) > Organkomplex > Organ > Gewebe (Zellverband) > Zelle (Individuum Einzeller) > Organell > Molekülmodell > Makromolekül“.¹⁹ Andererseits ist die Rangordnung auch auf einzelnen dieser Ebenen zu finden, beispielsweise als Hierarchie des Nervensystems,²⁰ der Gene²¹ oder der Hormone.²² Ein Organismus wäre so ein System untereinander rangordneter Systeme. Abschließend stellt sich aus biologischer Perspektive noch die Frage, ob die Rangordnungen, die sie empirisch beobachtet und beschreibt, tatsächlich real vorliegen oder ob sie durch die menschlichen Denkmuster erst in die Natur gelegt wer-
Zur Struktur von Gleichheits- und Ordnungsrelationen, ihrer Reflexivität bzw. Irreflexivität, ihrer Symmetrie bzw. Asymmetrie, ihrer Transitivität und Konnexivität vgl. Fischer 2005, 42– 46 und 50. Vgl. Hildebrand 2005. Der einflussreiche englische Neurologe John Hughlings Jackson stellte schon in den 1870ern die Theorie auf, dass das Nervensystem eine Hierarchie mehrerer sensomotorischer Zentren darstelle. Er unterschied drei Stufen in dieser Ordnung, niedrige, mittlere und höchste Zentren. Der philosophisch interessierte Jackson griff den in den Wissenschaften modisch werdenden Evolutionsgedanken Darwins auf und erklärte das Zusammenspiel der Nervenzentren mit evolutionären Prinzipien. Er ließ sich zudem von Herbert Spencer beeinflussen und vertrat an dessen Evolutionsgedanken angelehnt die Meinung, die höchsten Nervenzentren hätten sich aus den niederen entwickelt. Jacksons Theorem der neurologischen Hierarchie ist auch in der modernen Neurologie noch relevant, vgl. Kennard / Swash 1989 und Wiest 2009. Vgl. Hildebrand 2005, 17: „Eine besondere Stellung in der hierarchischen Ordnung eines Organismus kommt den Genen zu. Als informationstragende und steuernde Elemente könnte man ihnen den höchsten hierarchischen Rang zuweisen […]. Gene sind aber noch aus einem anderen Grund für unsere Betrachtung interessant: Neben den sogenannten Strukturgenen, die für die Synthese bestimmter Proteine zuständig sind, gibt es spezielle regulatorisch wirksame Gene, welche die Aktivität der Strukturgene an- und abschalten. Hier finden wir tatsächlich eine hierarchische Ordnung im engeren Sinne von ,Machtausübung‘.“ Zum Zusammenhang von Rangordnung und Genen vgl. auch Fischer 2013. So gilt der Hypothalamus als oberster Regulator des hormonellen Regelkreises, die Hypophyse als zweiter Regulator und die untergeordneten Hormondrüsen wie Nebennieren und Schilddrüse als unterste Stufe dieser Hierarchie. Hormone sind für die Rangordnung insgesamt von großer Relevanz: Einerseits beeinflussen sie sie, indem sie aggressives Verhalten und, damit im Tierreich oft korrelierend, einen höheren Rang bewirken. Andererseits beeinflusst die Rangordnung aber auch den individuellen Hormonhaushalt: Ist sie instabil, verändert sich der Hormonspiegel, bis der eigene Rang und der der Nächsten neu bestimmt ist. Gerade die Ranghohen haben aufgrund vermehrter Stresshormone oft größere gesundheitliche Risiken zu verkraften. Bei ranghohen Primaten sei, so De Waal 2005, 49, gar eine Häufung von Geschwüren und Herzanfällen feststellbar, die ähnlich auch bei hauptverantwortlichen Geschäftsführern zu finden sei. Vgl. Sapolsky 2005, der untersucht, „whether it is high- or low-ranking animals that are most stressed in a dominance hierarchy; this turns out to vary as a function of the social organization in different species and populations.“ Vgl. auch Beaulieu / Mboumba / Willaume / Kappeler / Charpentier 2014, die diese Ergebnisse bestätigen.
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den. Die gängigste Erklärung scheint die Rangordnung als phylogenetisches Aposteriori zu sein: so habe sich der hierarchische Wahrnehmungsapparat erst aufgrund der tatsächlich hierarchischen Umgebung ausgebildet.²³
4.1.2 Entmoralisierung der Natur durch Rangordnung Die eingangs erklärte Vermenschlichung und Vermoralisierung der Natur über Jahrtausende hinweg hat einen unbefangenen Umgang mit ihr nahezu unmöglich gemacht. Eine nüchterne Betrachtung der Natur scheint durch ihre anthropomorphe Idealisierung und Mythisierung inzwischen undenkbar. Das zentrale Kennzeichen dieser „m o r a l i s c h e [n] Welt-Betrachtung“ ist, so notiert Nietzsche sich, dass man „[d]ie sozialen Rangordnungs-Gefühle […] ins Universum verlegt“: „die Unverrückbarkeit, das Gesetz, die Einordnung und Gleichordnung werden, weil am höchsten geschätzt, auch an der höchsten Stelle g e s u c h t , über dem All, oder hinter dem All, ebenso — — —“ (Nachlass 1886/87, 7[3], KSA 12.257). Nietzsche will wieder einen unverstellten Zugang zur Natur finden, abseits der herkömmlichen Moral. „Meine Aufgabe: die Entmenschung der Natur und dann die Vernatürlichung des Menschen, nachdem er den reinen Begriff „Natur“ gewonnen hat.“ (Nachlass 1881, 11[211], KSA 9.525)²⁴ Das Projekt der „Vernatürlichung“ zeigt sich hier als sachliche Betrachtung der Welt, ohne moralische Verzerrung. Dazu gehört auch, dass das als unmoralisch empfundene Problem der Rangordnung wieder möglich und statthaft wird. Nietzsche löst sich jedoch bald von dem Gedanken, dass Natur gänzlich ohne Moral denkbar sein, dass es einen „reinen Begriff „Natur““ geben könne. Einen solchen „Glaube[n] an die absolute Immoralität der Natur, an die Zweck- und Sinnlosigkeit“
Vgl. Riedl 2000. Der Zoologe und Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie stellt die Frage, „ob nicht der Umstand, daß wir hierarchisch denken, uns die Welt einfach nicht anders als hierarchisch gegliedert erscheinen lassen muß“ (136). Er hält fest, „daß alle unsere Denkmuster so komplex und den Naturmustern nachgerade spiegelbildlich sind, daß der Zufall als Erklärung ausscheidet. Es mußte darum erstens eines die Ursache des anderen sein und in solchem Falle, zweitens, das Ältere die Ursache des Jüngeren. Dann aber war, drittens, der Schritt der möglichen Erklärung für einen Biologen nicht mehr groß: Ich sagte mir, die Übereinstimmung müsse ein Produkt der Adaptierung sein. Unter allen Verrechnungsweisen, die der Struktur eines Gehirns möglich sind, müssen sich jene durchgesetzt haben, die den Grundstrukturen dieser Welt am besten entsprechen.“ Vgl. bereits Riedl 1975, bes. 153 – 221 (Kapitel „Die Ordnung der Hierarchie“). Hildebrand 2005, 21, beantwortet die Frage ähnlich: „Es besteht kein Zweifel, dass die […] hierarchischen Ordnungen real vorhanden und nicht lediglich von unseren Denkmustern erfunden sind. Doch woher stammt dann die überraschende Übereinstimmung von gedachten und realen Ordnungsmustern? Weshalb passen unsere Denkkategorien so gut auf die Realkategorien? Die beste Erklärung scheint mir, dass unsere Denk- und Anschauungsformen auch im Fall der Hierarchien die reale Ordnung der Dinge widerspiegeln, weil wir sie als ein phylogenetisches Aposteriori in unseren kognitiven Apparat inkorporiert haben, wie es die Evolutionäre Erkenntnistheorie postuliert.“ Auf Nietzsches Aufgabe der „Vernatürlichung“ hat in letzter Zeit besonders Bertino 2011 hingewiesen.
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bezeichnet er in seinem Lenzer-Heide-Entwurf als einen „psychologisch nothwendige[n] A f f e k t “, nämlich als die Reaktion darauf, dass „der Glaube an Gott und eine essentiell moralische Ordnung nicht mehr zu halten ist.“ (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.212) Der Mensch kann aufgrund seines Menschseins die Natur gar nicht anders als menschlich betrachten, kann seine eigene Perspektive nicht hinter sich lassen. Nietzsche geht es darum, Spielraum gegenüber und Alternativen zur bisherigen starren, von der abendländischen Moraltradition beherrschten, geradezu dogmatischen Perspektive auf die Natur zu schaffen. Sein „Ziel bei der Vernatürlichung des Menschen ist nicht eine bestimmte Form der anthropomorphen Artikulation der Welt, sondern Spielräume für einen Wechsel der Vermenschlichungen offen zu halten.“²⁵ Dazu will Nietzsche die Rangordnung der Werte neu bestimmen: „An Stelle der m o r a l i s c h e n We r t h e lauter n a t u r a l i s t i s c h e Werthe“ (Nachlass 1887, 9[8], KSA 12.342).²⁶ Nietzsche beginnt seine Aufgabe damit, die Immoralität der Natur vorzuführen. Sie sei „verschwenderisch ohne Maass, gleichgültig ohne Maass, ohne Absichten und Rücksichten, ohne Erbarmen und Gerechtigkeit, fruchtbar und öde und ungewiss zugleich“ (JGB 9). Sie sei „die Indifferenz selbst als Macht“ und damit das Unmoralische schlechthin. Mit moralischen Maßstäben kann man ihr also nicht gerecht werden: „Jede Moral ist […] ein Stück Tyrannei gegen die „Natur““ (JGB 188). Doch gerade in dieser Indifferenz und Immoralität sei die Natur „vornehm“: „überall zeigt sich „die Natur“, wie sie ist, in ihrer ganzen verschwenderischen und g l e i c h g ü l -
Bertino 2011, 21. Bertino zeigt, wie Nietzsche, ähnlich wie zuvor schon Herder, die Rhetorik von Natur und Vernatürlichung in pragmatischer Absicht nutzt, um sich von Ideologien zu distanzieren und diese zu entidealisieren. „Bei der Vernatürlichung der Moral kann es nur um Distanznahme zur tradierten Moral, die vorgab, die natürliche Moral zu sein, und ihren Voraussetzungen gehen“ (60). Die „Entnatürlichung der Moral“ und „Entmoralisierung der Natur“ vollziehen sich dabei immer zugleich „moralisch und moralkritisch“. Eine andere Sicht vertritt Platt 1988, der zu den wenigen NietzscheForschern gehört, die bisher auf den Zusammenhang von Rangordnung und Natur hingewiesen haben. Rangordnung sei, so Platt, ein von Grund auf natürliches Phänomen, unabhängig von Gott, Gesetzen oder menschlichen Werten. Doch wirke sie auch „pugnacious and political“: Ranghohe Personen „have a duty to rule the world, declare war and to shelter the earth, so that nobility shall not perish from its face“ (153). Die Natur dient Platt als Ausgangs- und Bezugspunkt seiner gesamten Interpretation, Natürlichkeit sei das wesentliche Rangkriterium: „although Nietzsche foresaw that the ,death of God‘ would lead to nihilism, he saw it might also lead to the rediscovery of nature. Men who lose an authoritative truth will be tempted to believe there are no truths. There are. […] Certain it is that nature in Nietzsche is to be worshipped. To reach nature men must worship it“ (164). Mit dem Tod Gottes wählt Platt einen plausiblen und interessanten Ansatz, doch setzt er die Natur bloß als neue letzte Wahrheit, statt Gottes Tod als Ende aller definitiven Antworten und Wahrheiten zu begreifen.Von einer Anbetung der Natur durch Nietzsche kann keine Rede sein – er will die Natur im Gegenteil gerade von solchen Idealisierungen befreien. Platts Fokus auf Nietzsches vermeintlichen Naturalismus missachtet zudem den für die Rangordnung elementaren Perspektivismus, der eben keine natürlichen, von der individuellen Perspektive unabhängigen Wahrheiten mehr kennt. Vgl. Nachlass 1888, 14[38], KSA 13.322 f. Hier zählt Nietzsche zu einer geplanten „R e i n i g u n g d e r b i s h e r u n t e r l e g e n e n We r t h e “ die „Theorie ihrer E n t n a t ü r l i c h u n g und W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r N a t u r : moralinfrei“. „Moralinfrei“ bedeutet nicht gelöst von sämtlicher Moral, sondern in Opposition zur bisherigen.
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t i g e n Grossartigkeit, welche empört, aber vornehm ist.“ (JGB 188) Offenbar lässt sich die Natur mit der herkömmlichen Moral nicht angemessen beschreiben. Sie hat sich über lange Zeit zu ihrer jetzigen Form entwickelt und evolviert auch weiterhin. Die künstlichen Gesetze und Prinzipien der Anspruch auf alleinige Gültigkeit erhebenden und darin aufdringlichen Moral lassen sich ihr nicht aufzwingen. Nietzsches Alternative basiert auf der Rangordnung. Nach seiner Kritik der moralischen Werte setzt er nun mit seiner „Theorie der Herrschaftsgebilde“ und der „Theorie des Lebens“ (Nachlass 1888, 14[38], KSA 13.323) eigene, nämlich naturalistischen Werte. Indem er diese neuen Werte ins Spiel bringt, macht er sichtbar, wem welche Werte plausibel sind. Um die Vornehmheit der Natur zu erkennen, bedarf es offenbar selbst einer gewissen Vornehmheit. Die Fähigkeit zur Rangordnung scheint hier den Ausschlag zu geben. Nietzsche illustriert dies exemplarisch am Rang Goethes und Rousseaus.
4.1.3 Personifizierung des Problems: Goethe vs. Rousseau Nietzsches Kritik an der Vermoralisierung der Natur wird gut sichtbar am Beispiel von Rousseau und seiner – von Nietzsche unterstellten – Forderung von der „Rückkehr zur Natur“.²⁷ Nietzsche feindet ihn regelrecht an, wird, zumindest auf den ersten Blick, beleidigend, nennt ihn eine „Missgeburt“: Rousseau — wohin wollte d e r eigentlich zurück? Rousseau, dieser erste moderne Mensch, Idealist und canaille in einer Person; der die moralische „Würde“ nöthig hatte, um seinen eigenen Aspekt auszuhalten; krank vor zügelloser Selbstverachtung. (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 48)
„Ich hasse Rousseau noch i n der Revolution“, bekennt Nietzsche öffentlich und präzisiert: „was ich hasse, ist ihre Rousseau’sche M o r a l i t ä t “. Nietzsches Attacke auf Rousseau ist also nicht auf dessen Person, sondern auf dessen „M o r a l i t ä t “ gerichtet. Rousseau verdirbt die Natur, indem er sie moralisiert. Diese Moralisierung der Perspektive auf die Welt ist, so Nietzsche, noch heute deutlich zu spüren. Es sind „die sogenannten „Wahrheiten“ der Revolution, mit denen sie immer noch wirkt und alles Flache und Mittelmässige zu sich überredet. Die Lehre von der Gleichheit!“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 48) Rousseaus Wertsetzung und Wertschätzung der Gleichheit, auf die sich die Französische Revolution berufen sollte, entzieht der Rangordnung den Boden. Die Revolution habe, so Nietzsche, mit ihrer respektlosen Auflösung jeglicher Rangdistanz und dem Umsturz lang gewachsener Ordnungen die moralischen Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zum Konsens erhoben und damit wie kein historisches Ereignis zuvor dem Kulturverfall und der Verunmöglichung von Größe Vorschub geleistet. Nietzsche bringt sein Bild der Natur daher gezielt in Gegensatz zur Gleichheit: „Auch ich rede von „Rückkehr zur Natur“, obwohl es Zu Nietzsche und Rousseau vgl. Ansell-Pearson 1991, Ogrodnick 1995 und Klaiber 2009.
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eigentlich nicht ein Zurückgehn, sondern ein H i n a u f k o m m e n ist — hinauf in die hohe, freie, selbst furchtbare Natur und Natürlichkeit“, nämlich in „eine solche, die mit grossen Aufgaben spielt, spielen d a r f …“²⁸ Nietzsches „Natur und Natürlichkeit“ baut auf Größe und Rangunterschiede, nicht auf Gleichheit. Neben ihm selbst habe es, so Nietzsche, bisher nur einen gegeben, der ein ähnliches Urteil über die Revolution gefällt und damit einen ähnlichen Geschmack wie er bewiesen habe: „Ich sehe nur Einen, der sie empfand, wie sie empfunden werden muss, mit E k e l — Goethe …“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 48)²⁹ Auch Goethe will nach Nietzsche zurück zur Natur, jedoch in ganz anderer Form als Rousseau. Er beruft sich nicht auf die Moral der Gleichheit, hat sie nicht nötig und bewahrt in dieser Hinsicht einen unverstellten Blick auf die Dinge. Sein Verdienst ist es, die Natur von der Moral befreit zu haben, die das 18. Jahrhundert, das Nietzsche mit Rousseau personifiziert, in sie hineingelegt hatte. So sei Goethe „ein grossartiger Versuch, das achtzehnte Jahrhundert zu überwinden durch eine Rückkehr zur Natur“, und zwar „durch ein H i n a u f kommen zur Natürlichkeit der Renaissance“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 49). Das 18. Jahrhundert charakterisiert Nietzsche „als Gefühls-Romantik, als Altruismus und Hyper-Sentimentalität, als Feminismus im Geschmack, als Socialismus in der Politik“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 50).³⁰ Anders als die Renaissance, die wie Nietzsches eigener Naturentwurf noch Größe kannte, sei es gänzlich vom Gleichheitsgedanken geleitet. Einer der „stärkste[n] Instinkte“ dieses Jahrhunderts sei „die Natur-Idolatrie“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 49). „Goethe war, inmitten eines unreal gesinnten Zeitalters, ein überzeugter Realist […], der sich den ganzen Umfang und Reichthum der Natürlichkeit zu gönnen wagen darf, der stark genug zu dieser Freiheit ist“, der „[d]as, woran die durchschnittliche Natur zu Grunde gehen würde, noch zu seinem Vortheile zu brauchen weiss“. Die „unreale“ Verklärung der Natur durch Rousseau steht im Gegensatz zur „realistischen“ Betrachtung durch Goethe. Nietzsche spitzt das Problem der Moralisierung der Natur so auf die beiden Personen Goethe und Rousseau zu – und damit auf die Rangordnung. Er typisiert und instrumentalisiert sie derart, dass beide je eine Seite der Unterscheidung zwischen Natur und Moral einnehmen, und nimmt dabei die Gefahr in Kauf, die tatsächlich vielleicht differenzierteren Standpunkte der beiden Denker zu übergehen.³¹ Nietzsche bringt den Gegensatz zwischen Rangordnung und Zur Idee einer „Rückkehr zur Natur“ bei Nietzsche vgl. Bertino 2011, 42 und 263. Zur Revolution und Goethe vgl. Montinari 1982, 56 – 63. In einer Vorstufe beurteilte Nietzsche es noch „als Romantik, als Altruismus, als Feminismus, als Naturalismus“ (Nachlass 1887, 9[179], KSA 12.444). „Naturalismus“ bezeichnet offenbar auch hier die Idealisierung und Moralisierung der Natur. Zu „Nietzsches Umgang mit Goethe“ vgl. Pestalozzi 2012, der ebenfalls zeigt, dass Nietzsche sich kaum auf Goethe und seine Eigenarten einlässt. „Er benutzt Goethe vielmehr stets dazu, seine Ideen seinem Lesepublikum wirkungsvoll zu präsentieren oder gegen die damals im Deutschen Reich gängige Goethe-Verehrung zu polemisieren“ (42). Vgl. auch Stegmaier 2012a, 223, der darauf hinweist, wie „Nietzsche Figuren der Geschichte wie Sokrates und Jesus, Goethe und Napoleon“ bewusst als Typen einführt und dabei diese Typisierung in ihrer Überhöhung als solche auffällig macht. Ein Typus „ist ein
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Gleichheit kurzerhand auf den Gegensatz zwischen Natur und Moral und diesen wiederum auf den persönlichen Gegensatz zwischen Goethe und Rousseau. Goethe selbst hatte zwischen der gesunden Klassik und der kranken Romantik unterschieden.³² Nietzsche greift dies offenbar auf, wenn er die beiden Typen gegenüberstellt und ihnen Attribute wie klassisch/modern, realistisch/unrealistisch, einzeln/durchschnittlich, aktiv/reaktiv usw. zuschreibt. Letztlich begründet Nietzsche, und das ist entscheidend, die Unterscheidung wieder mit der Rangordnung: Goethe handelt „aus Stärke“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 49), er hat darum den höheren Rang. Rousseau hingegen handelt aus Schwäche und hat so den niedrigeren Rang, denn er hat den Menschen im vorzivilisatorischen Zustand, in den er sie zurückversetzte, das Ideal der Gleichheit übergestülpt, um ihm so größeres Gewicht zu verleihen. Nietzsche sieht darin jedoch keine haltbare philosophische Entscheidung, sondern eine bloße Verklärung, die Rousseau persönlich „nöthig“ hatte.³³
4.1.4 Nietzsches „Theorie der Herrschaftsgebilde“ Nietzsche befasst sich in den Jahren 1885 bis 1888 im Zuge seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Rangordnung auch mit einer „Theorie der Herrschaftsgebilde“, in die er die organische Natur einfügen will, und liefert damit einen Gegenentwurf zu den bisherigen, vorrangig auf Moral basierenden Naturbetrachtungen, die er so scharf kritisiert. Nietzsche siedelt die Theorie der Herrschaftsgebilde zunächst im konkret Organischen an, doch umfasst sie auch die Gesellschaft und als Organisation der „Willen zur Macht“ letztlich sämtliche Abläufe der Natur.³⁴ Die Gedanken Nietzsches zur Herrschaftstheorie finden sich zu größeren Teilen im Nachlass, doch konnte er sie in den späteren Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit so weit entwickeln, Begriff auf Zeit“ und „erlaubt Verallgemeinerungen auch dort, wo sie auf Dauer nicht haltbar sind, also bei allem Lebendigen in Natur und Geschichte.“ Vgl. MA II, WS 217, und FW 370, KSA 3.619. Vgl. AC 54: Nietzsche nennt hier Rousseau einen „Mensch[en] der Überzeugung“, „in keinem Punkte unbefangen […], Partei […] durch und durch“, er habe „eine strenge und nothwendige Optik in allen Werthen“: „Die pathologische Bedingtheit seiner Optik macht aus dem Überzeugten den Fanatiker“. Dieser Typus Mensch der „k r a n k e n Geister“ sei „der A n t a g o n i s t des Wahrhaftigen, – der Wahrheit …“, und zugleich der „Gegensatz-Typus des starken, des f r e i gewordnen Geistes“, dessen Paradebeispiel bei Nietzsche gerade Goethe ist. Vgl. Gerhardt 1996, 259 f.: „Organisation ist für Nietzsche mit Herrschaft synonym. […] Das Problem der Organisation bildet ein Leitmotiv in Nietzsches spätem Denken. Nicht erst die enge Verbindung mit dem Problem der Macht ließe es zu, die Lehre vom Willen zur Macht als eine Philosophie der Organisation zu bezeichnen. Das Organisationsprinzip rückt das Leben in eine Perspektive, auf die sich Nietzsche im Laufe der achtziger Jahre immer stärker einstellt. Das Prinzip reicht in seiner Sicht weit über die Phänomene des organischen Lebens hinaus, indem es einerseits auf das Ordnungsgefüge des Anorganischen und andererseits auf gesellschaftliche und kulturelle Erscheinungen übergreift“. Vgl. zur Thematik des Organischen und der Organisation auch Abel 1998, 110 – 132, der besonders den „Übergang vom alten Organismus-Gedanken zum Vorgang der Kräfte-Organisation“ herausstellt (113).
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dass sie unter dem Begriff der Willen zur Macht in nicht geringem Ausmaß Eingang auch in die zur Veröffentlichung vorgesehenen Werke fanden und daher philologisch wie philosophisch belastbar erscheinen. Man kann sie als die von Nietzsche geplante naturalistische und gegen die Moral der Gleichheit gerichtete Wertsetzung begreifen.
4.1.4.1 Auf organischer oder physiologischer Ebene Nietzsche setzt ausdrücklich am „Ausgangspunkt vom L e i b e und der Physiologie“ an, um die „Bedingungen der Rangordnung“ zu verstehen (Nachlass 1885, 40[21], KSA 11.638). Er notiert sich zur „T h e o r i e d e r H e r r s c h a f t s g e b i l d e : Entwicklung der Organismen.“ (Nachlass 1886/87, 6[26], KSA 12.244) Der Sinn des Organischen ist hier tatsächlich auf körperlicher, leibhaftiger Ebene zu verstehen. Nietzsche schlägt vor, „unseren Organism in seiner vollkommenen Unmoralität zu studiren“ (Nachlass 1887, 11[83], KSA 13.40), und nennt als Beispiel das „Herrschaftsgefühl in den Muskeln“ (Nachlass 1888, 14[117], KSA 13.294). Dem menschlichen Organismus ist nach Nietzsches Herrschaftstheorie nicht mit der gewohnten Moral beizukommen. Er ist offenbar in Herrschaftsverhältnissen strukturiert, durch Machtbeziehungen, Über- und Unterwerfung geordnet, während die Moral Kooperation und Gleichheit verlangt. Nietzsche verwendet mehrfach politische Metaphern, um diese Ordnung zu beschreiben: „unser Leib ist ja nur ein Gesellschaftsbau vieler Seelen“ (JGB 19, KSA 5.33), und „unser Organismus ist oligarchisch eingerichtet“ (GM II 1). Es drohe im Gegenzug „Anarchie“, wenn dieser „Grundbau der Affekte“ und „Instinkte“ korrumpiert werde (JGB 258). Im Nachlass spricht Nietzsche sogar von einer „Art A r i s t o k r a t i e von „Zellen““ (Nachlass 1885, 40[42], KSA 11.650) und erwähnt in einem weiteren Notat, das er mit „Vo n d e r R a n g o r d n u n g “ überschreibt, „[d]ie Aristokratie im Leibe, die Mehrheit der Herrschenden (Kampf der Gewebe?“ (Nachlass 1885/86, 2[76], KSA 12.96)³⁵ Das Problem der Rangordnung ist hier konkret im Physiologischen angesiedelt. Die Zellen, das Gewebe, die Organe, der ganze Leib und Organismus seien ranggeordnet. Das
Zur „aristocracy of the body“ vgl. Moore 2002. Moore zeigt, wie Nietzsche von der biologischen und medizinischen Sprache seiner Zeit beeinflusst worden sei, besonders hinsichtlich der Diskussionen zu Evolution und Degeneration, und wie er durch Metaphern und Ironie Distanz zu diesen Einflüssen schaffe und so ein eigenständiges Denken entwickle. So sei etwa Nietzsches Konzept einer Rangordnung befehlender und gehorchender Organe angestoßen worden von Roux und seinen „militaristic metaphors“: Nietzsche „links biological evolution to an aristocracy of the body“ (38). Weitere maßgebliche Einflüsse seien mit Ernst Haeckel, Michael Foster, Ewald Hering und Samuel Butler auszumachen. Moore übersetzt ,Rangordnung‘ zwar konsequent mit ,hierarchy‘, weist jedoch darauf hin, dass diese bei Nietzsche wie auch bei Roux ständig unter Druck stehe und somit nicht statisch verstanden werden dürfe. Zudem seien die befehlenden Elemente nicht einfach übermächtig, sondern nur in Interdependenz zu ihren Gegenstücken, den Gehorchenden, zu denken. Vgl. dazu auch MüllerLauter 1999: „Rangordnungen erwachsen aus Kämpfen, die sich bis in die einfachsten organischen Prozesse hinab verfolgen lassen. Aber auch derartige Prozesse will Nietzsche ursprünglicher begreifen als die Naturwissenschaftler seiner Zeit“ (120). Die Erklärungen der Naturwissenschaftler, von Roux im Besonderen, seien Nietzsche letztlich noch zu mechanistisch und teleologisch. Vgl. ferner Ioan 2014.
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Prinzip der Gleichheit hat im Physiologischen für Nietzsche keine Berechtigung: „Am Leitfaden des Leibes […] lernen wir daß unser Leben durch ein Zusammenspiel vieler sehr ungleichwerthigen Intelligenzen und also nur durch ein beständiges tausendfältiges Gehorchen und Befehlen […] möglich ist.“ (Nachlass 1884, 37[4], KSA 11.578)³⁶ Außerdem diskreditiert Nietzsche auf organischer Ebene die für die Moral so grundlegende Vorstellung eines Bewusstseins oder einer „Bewusstheit“. „Die Bewusstheit ist die letzte und späteste Entwicklung des Organischen und folglich auch das Unfertigste und Unkräftigste daran.“ (FW 11) Diese Kritik ist aus zwei Gründen folgenreich. Zum einen dachte man bisher, „hier sei d e r K e r n des Menschen; sein Bleibendes, Ewiges, Letztes, Ursprünglichstes!“ Auf diese Grundannahme der Moral verzichtet Nietzsches Herrschaftstheorie. Sie kennt keine zentrale Steuereinheit mehr, sondern nur noch Rangordnungen, also dezentralisierte, bewegliche Netzwerke, miteinander konkurrierende, sich ständig neu organisierende, über- und unterordnende Machtquanten. Dank Nietzsches Aufgabe der Bewusstheit als „„Einheit des Organismus““ wird so auch der zweite Aspekt seiner Kritik ersichtlich. Statt eines Befehlenden und vieler Gehorchenden gibt es nun eine Vielzahl Befehlender und Gehorchender. Die Einheit des Organismus ist nicht mehr an eine zentrale Steuereinheit gebunden, sondern an das Funktionieren des Organismus selbst: „Alle Einheit ist n u r als O r g a n i s a t i o n u n d Z u s a m m e n s p i e l Einheit“ (Nachlass 1885/86, 2[87], KSA 12.104). Nietzsche Theorie der Herrschaftsgebilde betont Offenheit und Differenz stärker als Geschlossenheit und Gesamtheit. Ein Organismus ist „somit ein H e r r s c h a f t s - G e b i l d e , das Eins b e d e u t e t , aber nicht eins i s t .“ Nietzsches Rede von Herrschaftsverhältnissen im Organischen hat mitunter zur Ontologisierung und zur Beschränkung seines Problems der Rangordnung auf das Physiologische geführt.³⁷ Offenbar nahm Nietzsche das Risiko eines solchen Missverständnisses zumindest teilweise in Kauf. Die entsprechenden Stellen sind, wie erwähnt, zwar häufig im Nachlass zu finden, vielleicht gerade weil Nietzsche sich ihrer Missverständlichkeit bewusst war. Letztlich hat er einige seiner Gedanken zu dieser Thematik doch publiziert, wissend um ihre Missverständlichkeit, die er vielleicht auch gezielt zur Provokation nutzen wollte, als Mittel zum Zweck. Missverständlich sind die Stellen und das physiologische Vokabular, wenn man sie isoliert betrachtet, gelöst vom Kontext von Nietzsches Gleichheitskritik. Sein Problem ist in erster Linie, dass man Rangordnungen aus moralischen Gründen vor allem im Menschlichen nicht mehr sieht oder sehen will. Das betrifft vorrangig die interindividuelle Dimension, doch geht die Fokussierung auf Gleichheit für Nietzsche inzwischen so weit, dass sie selbst den biologischen Blick aufs Organische beherrsche.
Auf den „Leitfaden des Leibes“ und die Bedeutung des Physiologischen für die Philosophie Nietzsches hat bereits Schipperges 1975 ausführlich hingewiesen. Zum Leib als Herrschaftsgebilde vgl. 69 – 71, sowie Müller-Lauter 1999, 126 – 136. So etwa bei Finck 1891, der nahezu alle der vielfältigen Aspekte der Rangordnung auf die Dimension des konkret Medizinisch-Physiologischen begrenzt und ihr damit nicht gerecht wird.Vgl. dazu Kap. 1.1.
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Indem er die Rangordnung auch im Organischen thematisiert, lenkt er die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem, die durch die Moral der Gleichheit verzerrte Wahrnung der Realitäten. So schlägt Nietzsche in einem weiteren Notat die Brücke von der Rangordnung im Physiologischen zur „Ethik“: „Rangordnung der Organe und Triebe, dargestellt durch Befehlende und Gehorchende. / Aufgabe der Ethik: die Werthunterschiede als p h y s i o l o g i s c h e Rangordnung von „höher“ und „nieder““ (Nachlass 1884, 25[411], KSA 11.119).³⁸ Damit rückt aber auch die gesellschaftliche Ebene des Problems weiter in den Fokus.
4.1.4.2 Auf gesellschaftlicher Ebene Nietzsche überträgt das Organisationsprinzip des Organischen auf den Bereich des Sozialen.³⁹ Auch hier sei eine Rangordnung-bildende Kräfte-Organisation zu finden. „Wer befehlen kann, wer von Natur „Herr“ ist, wer gewaltthätig in Werk und Gebärde auftritt“, den rechnet Nietzsche zu den „geborenen Organisatoren“ (GM II 17). „[I]n Kürze steht etwas Neues da, wo sie erscheinen, ein Herrschafts-Gebilde, das l e b t , in dem Theile und Funktionen abgegrenzt und bezüglich gemacht sind, in dem Nichts überhaupt Platz findet, dem nicht erst ein „Sinn“ in Hinsicht auf das Ganze eingelegt ist.“ So wie die Organe im Organismus nach ihren Funktionen, nach ihrem Sinn abgegrenzt sind, so seien es auch die zwischenmenschlichen Herrschaftsgebilde. Ranghohe schaffen „instinktiv[ ]“ als „die unfreiwilligsten, unbewusstesten Künstler“ Rangordnungen und damit Sinn für alle in der Rangordnung Eingeschlossenen. Halt findet man dann nicht an allgemeiner Moral, sondern ganz konkret am Anderen und seiner überlegenen Orientierung, die er in diesem Sinn „befiehlt“. Sogar in der Familie lasse sich dieses Organisationsprinzip entdecken: „man gründet die Ehe n i c h t [ … ] auf die „Liebe“, – man gründet sie […] auf den H e r r s c h a f t s -T r i e b , der sich beständig das kleinste Gebilde der Herrschaft, die Familie, organisirt, der Kinder und Erben b r a u c h t , um ein erreichtes Maass von Macht, Einfluss, Reichthum auch physiologisch festzuhalten“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 39). Man hat heute⁴⁰ und hatte offenbar auch zu Nietzsches Zeit große Schwierigkeiten mit dieser Vorstellung. Es fehlen Mut und Kraft, um den Menschen „zurück[zu]
Vgl. Nachlass 1884, 25[426], KSA 11.124. Zur Rangordnung der Triebe vgl. Wotling 2010, 49 – 54. Die Idee eines Organismus in gesellschaftlicher Dimension hat maßgeblich Herbert Spencer in seinem Aufsatz Der soziale Organismus (1860) geprägt. Er integriert sie in sein Konzept einer allumfassenden Evolution, der nicht nur biologische Organismen, sondern auch Kultur, Gesellschaft und die physische und psychische Welt insgesamt unterworfen seien. Gesellschaften entwickeln sich, so Spencer, nach den gleichen evolutionären Prinzipien wie biologische Organismen: Sie seien ebenfalls der Bedingung des survival of the fittest ausgesetzt, entwickelten sich von einfachen zu immer komplexeren Zuständen, und ihre Bestandteile seien jeweils so geschaffen, dass sie zur Stabilität des Gesamtorganismus beitrügen. Vgl. Simon 1960. Zur Soziologie des Körpers vgl. Turner 2008, der auch ausführlich auf Nietzsche eingeht. Wolfgang Müller-Lauter konstatiert in einer Diskussion mit Ernst Behler, Günter Abel, Jörg Salaquarda, Volker Gerhardt u. a. auf einer Nietzsche-Tagung mit dem Titel Aufnahme und Auseinander-
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übersetzen in die Natur“ und den „schreckliche[n] Grundtext homo natura“ zu lesen (JGB 230, KSA 5.169).⁴¹ Nietzsche macht sich auch dies zur „A u f g a b e “. Er will gar die „Rangordnung der Menschen“ daran messen, „wie sehr sie die Kraft haben, die furchtbare Naturthatsache M zu ertragen“ (Nachlass 1885, 34[240], KSA 11.500 f.). Zu dieser Aufgabe gehört auch, den Rang des Menschen in der Natur zu revidieren. Nietzsche bezeichnet es als Irrtum des Menschen, dass „er sich in einer falschen Rangordnung zu Thier und Natur“ fühlte (FW 115),⁴² dass er sich selbst den höchsten Rang zusprach.⁴³ Doch inzwischen ist er „in allen Stücken bescheidner geworden“, er hat sich „unter die Thiere zurückgestellt. […] Er ist durchaus keine Krone der Schöpfung, jedes Wesen ist, neben ihm, auf einer gleichen Stufe der Vollkommenheit …“ (AC 14) „Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigartigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen ist dahin, – er ist T h i e r geworden, Thier, ohne Gleichniss, Abzug und Vorbehalt, er, der in seinem früheren Glauben beinahe Gott („Kind Gottes“, „Gottmensch“) war …“ (GM III 25, KSA 5.404) Nun müsse der Mensch sich noch vom Fortschrittsglauben lösen und lernen, dass er „als Gattung […] keinen Fortschritt im Vergleich zu irgend einem anderen Thier dar[stellt]. Die gesammte Thiersetzung. Friedrich Nietzsche im 20. Jahrhundert im Anschluss an den Vortrag von Baier 1981/82: „Nietzsches Lehre von den Herrschaftsgebilden steht doch in eindeutigem Gegensatz zum allgemeinen Bewußtsein in unserer Zeit. Wo heute einer von sozialer Gleichheit als Niedergangserscheinung spricht, hat er doch alle Welt (ob im Osten oder Westen oder auch im Nord-Süd-Dialog) gegen sich. Nichts ist uns doch derzeit ferner, als die Überzeugung von der Notwendigkeit ‚aristokratischer Sozietäten‘, die Nietzsches Zukunftsvision speist. Nirgends auf der Welt bildet sich doch jene lange Leiter der Rangordnung, die Nietzsches Erwartung ausgemacht hat“ (Diskussion, in: Nietzsche-Studien 10/11 (1981/82), 30 f.). Das deckt sich mit unserer eingangs aufgestellten These, dass man heute mit Nietzsches Problem der Rangordnung nichts anfangen kann, es übergeht und verpönt. Zum Begriff der „homo natura“ bei Nietzsche vgl. ausführlich Lemm 2020, die ihn als eine „paradoxical formula“ sieht „in which the human is caught in a movement whereby the more natural it is, the more overhuman it becomes“ (1). Vgl. Groff 2004, der am Beispiel des Affen zu zeigen sucht, dass auch Nietzsche selbst mehrfach diese „falsche Rangordnung“ zwischen Mensch und Tier annehme, obwohl er sie zugleich scharf kritisiere. Tatsächlich spricht Nietzsche in WL noch davon, dass die Fähigkeit zur Abstraktion „den Menschen gegen das Thier abhebt“, die Fähigkeit also, „eine pyramidale Ordnung nach Kasten und Graden aufzubauen“ (WL 1, KSA 1.881). Zum Verhältnis von Mensch und Tier bei Nietzsche allgemein vgl. Lemm 2009. Vgl. jüngst exemplarisch Höffe 2012 und 2014 (Kapitel „Biozentrische Anthropozentrik. Hierarchie des Lebendigen“ (38 – 53)), der den von Nietzsche kritisierten anthropozentrischen Ansatz des Menschen als Gipfel der natürlichen Rangordnung unter Berufung auf Aristoteles, Descartes und Kant ausdrücklich verteidigt. Höffe entwirft eine „Hierarchie des Lebendigen“, in der „der Mensch in dreierlei Hinsicht als deren exklusive Spitze verstanden werden kann: Erstens als nützlicher Naturforscher, als Forscher zum Zweck von Technik und Medizin; zweitens als nutzenfreier Naturforscher, als jemand, der das Wissen bloß als Wissen sucht; und schließlich drittens als Moralwesen, das für sich und die Welt Verantwortung übernimmt.“ – Aus naturwissenschaftlicher Sicht wird diese Spitzenposition des Menschen hingegen zusehends hinterfragt. Selbst in der Nahrungskette, also der Rangordnung trophischer Beziehungen, rangiert der Mensch, entgegen seiner Selbstwahrnehmung, nur im Mittelfeld, auf einem „level similar to anchoveta and pigs“, so Bonhommeau / Dubroca / Le Pape / Barde / Kaplan / Chassot / Nieblas 2013.
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und Pflanzenwelt entwickelt sich nicht vom Niederen zum Höheren … Sondern Alles zugleich, und übereinander und durcheinander und gegeneinander.“ (Nachlass 1888, 14[133], KSA 13.316 f.) Es gebe zwar vereinzelt „[h]öhere Typen“ und damit eine Rangordnung innerhalb der Gattung Mensch, doch steige „der Mensch als Gattung“ damit nicht in der Rangordnung der Natur auf. „Das Niveau der Gattung wird n i c h t gehoben.“ Nietzsche kritisiert die zeitgenössische Gesellschaftstheorie dafür, dass sie sich der Gleichheitsmoral beuge und gar ihr Werkzeug werde, dass sie nicht den Mut aufbringe, sich den unangenehmen Realitäten sei es der Natur, sei es der Gesellschaft zu stellen, dass sie die Augen vor der Bedeutung von Herrschaft und Rangordnung verschließe und auch gar nicht das Gespür für Feinheiten, für Ausnahmemenschen habe. Die Soziologie sei eine ,moderne‘ und ,demokratische‘ Erscheinung und habe gar kein Interesse daran, sich den Ausnahmemenschen zu widmen, weil sie nur den Durchschnitt der Gesellschaft sehe und mit ihm auch sich selbst erhalten wolle.⁴⁴ Sie „kennt gar keinen anderen Instinkt als den der Heerde, d. h. der s u m m i r t e n N u l l e n … wo jede Null „gleiche Rechte“ hat, wo es tugendhaft ist, Null zu sein …“ (Nachlass 1888, 14[40], KSA 13.238) Dieser Instinkt stehe im Gegensatz zu „einer a r i s t o k r a t i s c h e n S o c i e t ä t “ und sei in seiner Abneigung gegenüber höherem Leben „antibiologisch“. So ist Nietzsches „Einwand gegen die ganze Sociologie in England und Frankreich“, wie er dann in GD schreibt, dass sie statt der Herrschafts„nur die Ve r f a l l s - G e b i l d e der Societät aus Erfahrung kennt und vollkommen unschuldig die eigenen Verfalls-Instinkte als N o r m des sociologischen Werthurteils nimmt.“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 37) Nicht die Rangordnung und das Organische, sondern gerade „[d]as n i e d e r g e h e n d e Leben, die Abnahme aller organisirenden, das heisst trennenden, Klüfte aufreissenden, unter- und überordnenden Kraft formulirt sich in der Sociologie von heute zum I d e a l …“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 37) Aus diesem Grund fordert Nietzsche „[a]n Stelle der „Sociologie“ eine L e h r e v o n d e n H e r r s c h a f t s g e b i l d e n“ (Nachlass 1887, 9[8], KSA 12.342).⁴⁵
So ließe sich Zarathustras Diktum „das Beste soll herrschen, das Beste w i l l auch herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da – f e h l t es am Besten.“ (Za III,Von alten und neuen Tafeln 21) vielleicht auch auf die Soziologie anwenden: Eben weil es ihr „am Besten“ mangelt, weil sie durchschnittlich ist und gar nicht herrschen will, unterwirft sie sich der Moral. Vgl. Nachlass 1886/87, 5[61], KSA 12.208: „Theorie der Herrschaftsgebilde statt: Sociologie“. Vgl. dazu Solms-Laubach 2007, 13, der festhält: „in opposing sociology as his main competitor in the field of analyzing ,social structures‘, Nietzsche tried to preserve the credibility of his own counter-theory by defending it resolutely against the fundamental ideological flaws he discovered in sociology and its object of analysis.“ Vgl. auch Sommer 2012, 508: „Die Soziologie wird […] nicht als objektive Wissenschaft verstanden, sondern als eine Disziplin, die sich ihre Wertungsgrundsätze nicht bewusst macht, um aus ihrem Untersuchungsgegenstand, dem gesellschaftlichen Durchschnitt, schließlich ein Ideal zu folgern.“ Die beiden Nachlassnotizen plädierten „für eine Ersetzung der Soziologie durch eine an den Gestaltungsformen von Herrschaft interessierte Disziplin“, um „damit der Verabsolutierung des
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4.1.4.3 Auf philosophischer Ebene: „Prinzip des Lebens“ Nietzsche weitet das Organisationsprinzip der Herrschaftsgebilde im späten Nachlass wiederum aus auf die Natur insgesamt, auf „d i e n a c k t e N a t u r, wo die M a c h t Q u a n t i t ä t e n als e n t s c h e i d e n d einfach zugestanden werden (als r a n g b e s t i m m e n d )“ (Nachlass 1887, 9[75], KSA 12.375). Vollends bestimmt er damit „[d]ie Rangordnung als Machtordnung […]. Das grandiose Vorbild: der Mensch in der Natur, das Schwächste Klügste Wesen sich zum Herrn machend, die dümmeren Gewalten sich unterjochend“ (Nachlass 1885/86, 2[131], KSA 12.132). Nietzsches Theorie der Herrschaftsgebilde gründet auf der Unterscheidung Macht – Ohnmacht bzw. überund unterlegener Macht.⁴⁶ Ein Herrschaftsgebilde formt sich dort, wo sich eine Macht der anderen längerfristig über- oder unterordnet und die andere zu ihrer Funktion macht: „sobald die Übermacht über eine geringere Macht erreicht ist und letztere als Funktion der größeren arbeitet“, entsteht „eine Ordnung des R a n g s , der Organisation“ (Nachlass 1887, 9[91], KSA 12.386). Macht ist rangbestimmend, ist Ursprung und Ausdruck von Rang. „Über den Rang entscheidet das Quantum Macht, das du bist“ (Nachlass 1887/88, 11[36], KSA 13.20). Eben diese „Kräfte-Organisation ist Grundvorgang.“⁴⁷ Das bedeutet folglich: Rang- als Machtordnung ist Grundvorgang. Außerdem ist damit klar, dass eine Rangordnung immer einen organischen Prozess darstellt und jede Ordnung wieder in Bewegung geraten, Herrschaft zerfallen kann. Die Überordnung der einen Macht über die andere ist kein unumkehrbarer und permanenter Zustand der Unterwerfung, sondern, im äußersten Fall, situativ, eine Momentaufnahme bzw. ein Momentereignis. Ein erstarrter, Änderungen nicht mehr zugänglicher Organismus stirbt ab. Die Rangordnung hingegen hält zwar auch Herrschaftsverhältnisse auf Zeit fest, bleibt aber offen für Änderungen von innen oder außen: „„Herrschafts-Gebilde“; die Sphäre des Beherrschenden fortwährend wachsend oder periodisch abnehmend, zunehmend; oder, unter der Gunst und Ungunst der Umstände“ (Nachlass 1887/88, 11[73], KSA 13.36).⁴⁸ Sie evolviert.
demokratischen Durchschnitts entgegenwirken“ zu können. Vgl. ferner Häußling 2000 und Staten 2007. Vgl. Gerhardt 1996, 261: „Macht und Herrschaft sind synonym. Wo immer die Etablierung einer Macht gelingt, geschieht dies in der Form der Herrschaft.“ Freilich liegt gerade in dieser „Etablierung“ der Macht auch ein Unterschied: Herrschaft ist bereits fixierte Macht. Abel 1998, 113. Vgl. auch Kaulbach 1979, der die Organisationsfunktion von Nietzsches Rangordnung mit Leibniz’ Monaden in Verbindung bringt: „In Übereinstimmung mit Leibniz geht Nietzsche von dem Gedanken einer Rangordnung zwischen den lebendigen Wesen im Sinne einer Abstufung der Kraft und Mächtigkeit ihrer Perspektiven aus“ (137 f.). Vgl. Abel 1998, 123, der zeigt, „daß der hinter der anscheinenden Zweckmäßigkeit stehende Grundcharakter der Geschehensvollzüge selbst, das sich fortwährend in, an, und mit den Macht-Organisationen als Prozesse der Fest-stellung und des Um- und Neu-Organisierens der Kräfteverhältnisse ateleologisch vollziehende Kampf-Spiel von befehlenden und gehorchenden Machtordnungen der entscheidende Vorgang ist.“
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Mit Nietzsches Theorie der Herrschaftsgebilde lässt sich auch die Idee des Naturgesetzes, die Nietzsche eingangs kritisierte, genauer erklären.⁴⁹ Er versteht das „„Naturgesetz“: als Formel für die unbedingte Herstellung der Macht-Relationen und Grade.“ (Nachlass 1885/86, 1[30], KSA 12.17)⁵⁰ Auch ein Naturgesetz beschreibt letztlich also nichts anderes als Machtverhältnisse, nur dass es sie für unveränderlich erklärt, von der eigentlich zugrundeliegenden Rangordnung abstrahiert und so metaphysiziert.⁵¹ Nietzsches Begriff für die sich durch Über- und Unterordnung organisierenden Machtquanten ist bekanntlich der „Wille zur Macht“ bzw. die „Willen zur Macht“. Nietzsche fragt, ob man nicht letztlich „alle organischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zurückführen könnte“ (JGB 36).⁵² Damit wäre „alle wirkende Kraft eindeutig zu bestimmen als: W i l l e z u r M a c h t . Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren „intelligiblen Charakter“ hin bestimmt und bezeichnet — sie wäre eben „Wille zur Macht“ und nichts ausserdem. —“ Wollte man das natürliche Prinzip der Kräfte-Organisation in Rangordnungen selbst als Gesetz fassen, so wäre man eben auf diesen Willensbegriff verwiesen, wie Nietzsche es vorläufig in einem Notat formuliert: „Wille zur Macht als „Naturgesetz““ (Nachlass 1888, 14[71], KSA 13.254). Anders als die bisherigen Naturgesetze verzichtet Nietzsches Begriff des Willens zur Macht und damit auch seine Theorie der Herrschaftsbilde und der Rangordnung im Ganzen auf die „ü b e r f l ü s s i g e n teleologischen Principien“ (JGB 13). Die Organisationsprozesse laufen nicht auf ein Ziel hinaus, wie man bisher annahm, sind nicht bloß auf Selbsterhaltung gerichtet. Nietzsche kommt ohne metaphysische Illusionen
Vgl. zum Zusammenhang von Hierarchie und Naturgesetz Alfred North Whiteheads Process and Reality (1929) (Whitehead 1979), 83 – 109, der sich ausführlich mit der „order of nature“ und der ihr eigenen „hierarchy of societies“ auseinandersetzt. Whitehead entwickelt in seiner prozessphilosophischen Metaphysik eine ausdrücklich hierarchische Naturordnung, die Entwicklung und Evolution nicht nur zulässt, sondern gar auf ihnen basiert. Sie strukturiert die Welt und die Gesellschaften, Zellen und Moleküle, ist für diese jedoch nicht als objektives, ewiges Naturgesetz gültig. Vielmehr sind auch die Naturgesetze selbst zeitlich und einem Werden unterworfen, und es ist paradoxerweise erst dieses Werden und Vergehen von Ereignissen, das laut Whitehead eine gewisse Stabilität überhaupt ermöglicht. Vgl. Nachlass 1885, 34[247], KSA 11.504, und Nachlass 1885, 39[13], KSA 11.623. Gleiches gilt für das Naturrecht, von dem Nietzsche sagt: „Es giebt weder ein Naturrecht, noch ein Naturunrecht.“ (MA II, WS 31) Wie das Naturgesetz schreibt man auch das Naturrecht der Natur zu, um eine befriedigende Erklärung für sie zu finden und sich besser in ihr zurechtzufinden. Vgl. Ottmann 1999, 227: „Der Machtbegriff löst bei Nietzsche den Naturbegriff als Begriff der Rechtsbegründung ab. Die Folge davon ist, daß die Unterscheidung der Rechte keine prinzipielle […], sondern nur eine graduelle sein kann.“ – Eben damit sind sie ein Problem der Rangordnung. Zum „Recht als ästhetische Rangordnung des Leibes“ vgl. Kerger 1988, 197– 202, der zeigt, wie sich Recht und Moral nach Nietzsche aus dem leiblichen Herrschaftsgebilde, der organischen Rangordnung, entwickeln und organisieren. Vgl. Nachlass 1885/86, 1[30], KSA 12.17: „d e r W i l l e z u r M a c h t (um den Ausdruck vom stärksten aller Triebe herzunehmen, der alle organische Entwicklung bis jetzt dirigirt hat) / – Reduktion aller organischen Grundfunktionen auf den Willen zur Macht“. Vgl. auch Nachlass 1886/87, 6[26], KSA 12.244.
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aus und sieht anders als die bisherige Wissenschaft mit ihren „ewigen“ Naturgesetzen nicht von der Zeit ab.⁵³ Er zeichnet ausdrücklich kein ontologisches Bild der Natur, er vertritt keinen festgestellten, essentialistischen „Naturalismus“, wie er ihm mitunter, besonders in der anglophonen Forschung, unterstellt wird.⁵⁴ Nietzsche ist sich bewusst, dass auch seine Theorie „nur eine Interpretation ist“ (JGB 22). Er notiert sich: „In Wahrheit ist I n t e r p r e t a t i o n e i n M i t t e l s e l b s t , u m H e r r ü b e r e t w a s z u w e r d e n .“ (Nachlass 1885/86, 2[148], KSA 12.140) Damit ist Nietzsches Herrschaftstheorie Ausdruck ihrer selbst, sie beinhaltet sich selbst und erklärt sich mit sich selbst. Sie ist selbstbezüglich, dadurch aber nicht selbstwidersprüchlich, sondern vielmehr selbstbestätigend. Wenn sich alles als Ausdruck von miteinander konkurrierenden Willen zur Macht begreifen lässt, dann muss dies auch für Nietzsches Theorie von miteinander konkurrierenden Willen zur Macht selbst gelten. Sie wäre damit eine Interpretation, die sich in Konkurrenz zu anderen stellt, um sich mit ihnen zu messen und so ihren Rang auszufechten. Nietzsche bezieht in einem letzten Schritt das „Leben“ überhaupt in seine Theorie ein: „Leben selbst ist Wille zur Macht“ (JGB 13).⁵⁵ Der Lebensbegriff ist für ihn nicht schon ohne weiteres im traditionellen, von der Gleichheitsmoral geprägten Naturbegriff enthalten. Im Gegenteil: „Leben — ist das nicht gerade ein Anders-sein-wollen, als die Natur ist? Ist Leben nicht Abschätzen, Vorziehn, Ungerechtsein, Begrenzt-sein, Different-sein-wollen?“ (JGB 9) Und doch sieht sein letzter Plan zum nie ausgeführten Hauptwerk unter dem Titel „Willen zur Macht“ im vierten und letzten Buch „D e r g r o s s e M i t t a g “ als erstes Kapitel vor: „D a s P r i n c i p d e s L e b e n s „ R a n go r d n u n g “.“ (Nachlass 1888, 18[17], KSA 13.538)⁵⁶ Wie die Rangordnung ist auch der Lebensbegriff ein prinzipiell unabgeschlossener, nicht abschließend definierbarer
Vgl. Stegmaier 2011, 168: „Die Anti-Lehre des Willens zur Macht ist […] gegen die Bildung von scheinbar zeitlosen Begriffen gerichtet. Nietzsche versucht mit ihr die Realität jenseits metaphysischer Illusionen zu denken. Wird auf die metaphysische Illusion allgemeingültiger, zeitloser Begriffe überhaupt verzichtet, bleiben Willen zur Macht (im Plural) zurück. Dann ist alles einander unmittelbar ausgesetzt, reagiert jedes auf alles Übrige, verbindet sich mit anderem und trennt sich von ihm, wird von ihm einverleibt oder ausgestoßen, wird von anderem überwältigt oder überwältigt anderes.“ Exemplarisch sei Brian Leiter genannt. Vgl. Leiter 2002 und 2013 und dazu die kritische Rezension von Johnson 2014, 237. Für eine überzeugendere Lesart von Nietzsches Naturalismus vgl. Tongeren 2003 und 2000b, 197– 202, der darlegt, dass „Nietzsche’s ,naturalism‘ is not a reductionism which reduces reality to one pattern but the opposite. It is an attempt to bring the prevailing uniformity of cultural products back to nature, nature being conceived of as a plural wealth of possibilities“ (197 f.). Auch Emden 2018 betont, dass Nietzsches philosophischer Naturalismus „easily invites misunderstanding“ und dieser „dangerously close to a reductionist position“ erscheine „that he simply does not wish to hold and that he vehemently criticizes“ (235). Vgl. Nachlass 1886/87, 7[9], KSA 12.295: Das „Princip des Lebens“ laute: „Leben ist n i c h t Anpassung innerer Bedingungen an äußere, sondern Wille zur Macht, der von innen her immer mehr „Äußeres“ sich unterwirft und einverleibt“. Vgl. zuvor schon Nachlass 1886/87, 7[9], KSA 12.294.
4.2 Rangordnung in der Religion
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Begriff.⁵⁷ Leben ist Evolution und darum in einem undeterminierbaren Fluss. Es besteht geradezu darin, sich selbst immer wieder zu überwinden, wie Nietzsche seinen Zarathustra sagen lässt: „Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden.“ (Za II, Von den Taranteln, KSA 4.130) Der Lebensbegriff, den Nietzsche entwickelt, ist ein Begriff für Vornehme. Wie er die Natur in JGB 188 in ihrer Immoralität als vornehm begreift, so lässt sich auch sein Begriff des Lebens selbst begreifen. Es bedarf einer gewissen Vornehmheit, eines gewissen Rangs, um das Leben insgesamt nicht wieder bloß moralisierend, sondern nüchtern und „natürlich“ als unabgeschlossenen und unabschließbaren Organisations- und Rangordnungsprozess zu begreifen. Dazu ist nicht jeder imstande, hat nicht jeder die, wie Nietzsche es formuliert, ausreichende „Geistigkeit“. Hat man sie aber, entzieht man sich nicht durch Moralisierung der Auseinandersetzung, dem ständigen Zwang zur Selbstbehauptung und damit dem Problem der Rangordnung, sondern betrachtet sich selbst als Lebendigen, als Teil des Prozesses und der Rangordnung. Man sucht dann in der Moral keinen Schutz mehr, sondern begibt sich in Gefahr, nimmt Teil am Spiel der sich immer wieder neu organisierenden Machtquanten und setzt sich dadurch selbst aufs Spiel. Die dazu notwendige „hohe Geistigkeit“ ist „eben die Vergeistigung der Gerechtigkeit und jener gütigen Strenge […], welche sich beauftragt weiss, d i e O r d n u n g d e s R a n g e s in der Welt aufrecht zu erhalten, unter den Dingen selbst — und nicht nur unter Menschen.“ (JGB 219)
4.2 Rangordnung in der Religion Nietzsches Haltung gegenüber den Religionen, speziell dem Christentum, ist hinsichtlich der Rangordnung zwiegespalten⁵⁸: Einerseits kritisiert er die jüdisch-christliche Vorstellung der Gleichheit vor Gott heftig, weil vor ihr die menschliche Rangordnung verblasse. Dies Gleichheitsideal habe sich in alle Bereiche der modernen Gesellschaft verbreitet und sei über seinen Einfluss auf die Moral zum selbstverständlichen Wert sogar in der Politik und der Wissenschaft geworden. Andererseits hebt Nietzsche immer wieder und mit erstaunlicher Offenheit die vornehmen Züge von
Vgl. Borsche 1997, 245: „Der Begriff des Lebens, den wir philosophisch zu reflektieren und wissenschaftlich zu explizieren versuchen und dabei immer schon als gegeben voraussetzen, ist seinerseits historisch gewachsen; auch er – lebt.“ Borsche sieht in Nietzsches Lebensbegriff einen „Gegenbegriff gegen den Begriff des Seins, den Grundbegriff der traditionellen Metaphysik“ (260). Nietzsche setze auf diese Weise keinen neuen metaphysischen Letztbegriff, sondern führe lediglich eine neue Interpretation in den „Kampfplatz der Interpretationen“ ein. „Hier tritt das Leben also nicht einfach an die Stelle des Seins, es erzeugt vielmehr eine neue Rangordnung der Begriffe.“ Zum Lebensbegriff Nietzsches, besonders im Zusammenhang mit seinem Willensbegriff, vgl. auch Hogh 2000. Vgl. Schober 2008 und dazu Kap. 1.1.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Religion und Glauben hervor.⁵⁹ Er nimmt die Kirche gar als Modell für eine gelungene geistige, auf Gewalt verzichtende Rangordnung, die unbefangen mit den tatsächlichen Ungleichheiten der Menschen umgeht. Diese kirchliche Herrschaftsform lässt sich mit Nietzsches Theorie der Herrschaftsgebilde gut beschreiben. Religion erscheint hier gar als eine Schule der Rangordnung.
4.2.1 Religion als Schule der Rangordnung Nietzsche nennt die „Religion“ im Nachlass „wesentlich Lehre der R a n g o r d n u n g , sogar Versuch einer k o s m i s c h e n Rang- und Machtordnung“ (Nachlass 1885/86, 2[78], KSA 12.99),⁶⁰ und präzisiert: „Religion bedeutet uns die Lehre von der Rangverschiedenheit der Seelen, der Züchtung und Ermöglichung der höheren Seelen“ (Nachlass 1886/87, 3[13], KSA 12.174). Er sieht Herrschaftsgebilde gerade auch im Religiösen, etwa in der Ordnung der Kirche (die für Nietzsche in der Hauptsache die katholische ist). Besonders empfänglich für das Problem der Rangordnung mache der jüdisch-christliche Gott. Zwischen ihm und den Menschen herrscht die ultimative Rangdifferenz. Gott ist unvergleichlich anders und uneinholbar groß, man hat kein gemeinsames Maß mit ihm (vgl. Jes 40,12 – 26). Über seine Größe und Herrlichkeit kann man nur erstaunen (wie Augenzeugen der Heilung eines Jungen durch Jesus, vgl. Lk 9,43) und sich vor ihm niederknien (wie Paulus, vgl. Eph 3,14): „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“ (Jes 55,8 f.) Neben der Gleichheit der Menschen vor Gott ist auch diese die Ungleichheit von Mensch und Schöpfer im Angesicht Gottes ein Problem der Rangordnung. Das Gespür für die Größe Gottes und die entsprechende Kleinheit der Menschen findet Ausdruck in der christlichen Ästhetik, etwa der sakralen Architektonik, und war dem Pfarrerssohn Nietzsche wohlbekannt. Auch Abstufungen des Rangs sind im christlichen Glauben geläufig, beispielsweise in Form der Hierarchie der Engel. So liegt der Schluss nah, dass Rangunterschiede für Christen etwas Selbstverständliches sind.
4.2.1.1 Die Kirche als auf Rang basierende Institution Die hierarchische Verfassung der katholischen Kirche ist klar geregelt und im Katechismus der Katholischen Kirche kodiert (KKK 874– 896). Ihre Legitimität soll unmittelbar von Jesus ausgehen: „Christus selbst ist der Urheber des Amtes in der Kirche. Er Auf die Ambivalenz von Nietzsches Beziehung zum Christentum hat besonders Jaspers 1952 hingewiesen.Vgl. auch Schank 2000, 196 f., der feststellt, „daß Nietzsche die Bedeutung der Religionen für Europa in einem immer wieder neu einsetzenden Abwägen des ,Für und Wider‘ differenziert zu bestimmen versucht. Von einer einseitigen Ablehnung kann keine Rede sein.“ Das Wort ,Rangordnung‘ unterstreicht Nietzsche jeweils in zwei Ansätzen, vgl. KGW IX 5, W I 8.136.
4.2 Rangordnung in der Religion
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hat es eingesetzt, ihm Vollmacht und Sendung, Ausrichtung und Zielsetzung gegeben.“ (KKK 874) Im Verständnis der katholischen Kirche hat Jesus Petrus an die Spitze der zwölf Apostel gestellt. Als Beleg dafür führt man bekanntlich die in ihrer Auslegung freilich nicht eindeutige Stelle Mt 16,18 heran, in der Jesus Petrus zusagt, auf ihn seine Kirche zu bauen. Der Papst als höchste Autorität der Kirche und die Bischöfe, die unter ihm an der Spitze der Hierarchie stehen, sehen sich in dieser Tradition als Nachfolger Jesu bzw. seiner Apostel (KKK 880 – 887).⁶¹ Von ihnen geht die gesamte herrschaftliche Struktur der katholischen Kirche mitsamt des Lehr-, Heiligungs- und Leitungsamts aus. Die Grundlagen der Kirche beruhen damit auf der Rangordnung zwischen Jesus und seinen Aposteln.⁶² Die Ordnung der katholischen Kirche könnte die stabilste und langlebigste sein, die die Kultur bisher überhaupt hervorgebracht hat – das allein mag bereits ein Grund für Nietzsche gewesen sein, sie zu achten. In FW 358, mit M 60 der vielleicht wichtigste Aphorismus, der Nietzsches Achtung der Kirche dokumentiert, sagt er, sie sei „der letzte Römerbau“ gewesen (FW 358, KSA 3.602). Das „i m p e r i u m R o m a n u m“ wiederum nennt er „die grossartigste Organisations-Form unter schwierigen Bedingungen, die bisher erreicht worden ist“ – „sein Bau war berechnet, sich mit Jahrtausenden zu b e w e i s e n“ (AC 58). Auch wenn die Christen dieser Organisation „ein Ende“ hätten machen wollen, sei ihre Kirche doch der letzte Ausdruck dieses römischen Anspruchs auf Ewigkeit. Auch sie könnte sich mit ihrer Dauer „b e w e i s e n“. Nietzsche sieht in ihr vor Allem ein Herrschafts-Gebilde, das den g e i s t i g e r e n Menschen den obersten Rang sichert und an die Macht der Geistigkeit soweit g l a u b t , um sich alle gröberen Gewaltmittel zu verbieten, – damit allein ist die Kirche unter allen Umständen eine v o r n e h m e r e Institution als der Staat. — (FW 358, KSA 3.605)
Vgl. Can. 330 des Codex Iuris Canonici, dem Gesetzbuch des Kirchenrechts der katholischen Kirche: „Wie nach der Weisung des Herrn der heilige Petrus und die übrigen Apostel ein einziges Kollegium bilden, so sind in gleicher Weise der Papst als Nachfolger des Petrus und die Bischöfe als Nachfolger der Apostel untereinander verbunden.“ Zur kirchlichen Hierarchie vgl. Reingrabner 2005. Vgl. auch Rausch 1974, 1124: „Als Abbild der geistig-kosmischen Ordnung ist auch die kirchliche Ordnung hierarchisch gegliedert. Die hier angelegte Verbindung von Weltordnung und sittlich-religiöser Heilsordnung wird zu einem Strukturelement mittelalterlichen Weltbewußtseins und äußert sich in vielen Dionysios-Kommentaren unter anderen von Johannes Scotus Eriugena, Robert Grosseteste, Albertus Magnus und Thomas von Aquin, denen allen die Anschauung der H[ierarchie] als Antwort auf die Frage nach der Eingrenzung der dem Menschen vom göttlichen Willen zugemessenen Stellung im Ordo sowie – im engeren Sinne – als Bezeichnung des Herrschaftsverhältnisses in der Kirche eigen ist.“ Vgl. ferner Weber 1980, 701: „Eine voll entwickelte kirchliche Hierarchie vollends mit festem Dogmenbestand und, vor allem, durchgebildetem Erziehungssystem ist nicht zu entwurzeln. Ihre Macht steht auf dem Satz: daß man – im Interesse sowohl jenseitigen wie diesseitigen Wohlergehens – ,Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen‘, der ältesten und bis in die Zeiten der großen puritanischen Revolution und der ,Menschenrechte‘ weitaus festesten Schranke aller politischen Gewalt.“
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
„Das Christenthum“ nennt Nietzsche ausdrücklich „eine sehr g e i s t r e i c h e Religion“ (M 60). Seine späten Attacken auf das Christentum scheinen zwar Gegenteiliges auszusagen – es stehe „im Gegensatz zu aller g e i s t i g e n Wohlgerathenheit“ (AC 52) und sei zu verurteilen, weil es „die obersten Werthe der Geistigkeit als sündhaft, als irreführend, als Ve r s u c h u n g e n empfinden lehrte“ (AC 5) –, müssen aber im Kontext von Nietzsches „Fluch auf das Christenthum“ gelesen werden. Seine Meinung von der Kirche ist zumeist ebenfalls sehr kritisch, in FW 358 jedoch ist seine Wertschätzung für sie deutlich sichtbar: Sie nimmt die Geistigkeit als ihr Rangkriterium und zeichnet sich so gegenüber anderen Institutionen aus.⁶³ Anders als der Staat, auch der römische, verzichtet sie auf Gewalt und ist darin vornehm.⁶⁴ Schon früher betonte Nietzsche, dass gerade der „S i e g ü b e r d i e K r a f t “ den „Grad von Ve r e h r u n g s w ü r d i g k e i t “ bestimmt (M 548). Es ist „nur d e r G r a d d e r Ve r n u n f t i n d e r K r a f t entscheidend: man muss messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist“. In der Kirche ist das offenbar der Fall. Ihre Ämter beruhen vor allem auf der Befähigung und Eignung des Einzelnen, auf seiner Orientierungs-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, oder, in Nietzsches Sprache, eben auf seiner Geistigkeit (vgl. Kap. 4.5.3.4). Wer in dieser Organisation Macht ausüben will, der muss sich mit seinem Können, seinem Rang durchsetzen, nicht aber mit Gewalt. Damit geht die Kirche, und das ist alles andere als selbstverständlich, überhaupt von einer Rangordnung ihrer Mitglieder aus, wenigstens hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, bestimmte Ämter auszuüben. Ihre Ordnung ist insofern auf dem Rang ihrer Mitglieder begründet, nicht auf deren Gleichheit. Die Kirche erlaubt mit ihrer meritokratischen Rangordnung also denjenigen, die aufgrund ihres Rangs dazu besonders befähigt sind, Einfluss und „Herrschaft“ auszuüben und gerade dort ihre besonderen Kenntnisse einzusetzen, wo es angemessen erscheint. Sie profitiert davon im Ganzen. Das Verdienst der kirchlichen Ordnung ist, dass sie mit ihrer hierarchischen Struktur die Voraussetzungen für die Ranghohen schafft, ihre individuellen Leistungen und Fähigkeiten zu entfalten und schließlich zu konservieren. Eben dies bewundert Nietzsche an ihr. Er sieht große „Institutionen als N a c h w i r k u n g e n großer Einzelner und als Mittel, die großen Einzelnen e i n z u s e n k e n und e i n z u w u r z e l n — bis endlich Früchte entstehen.“ (Nachlass 1883, 16[65], KSA 10.523) Im Fall der Kirche
Vgl. Trillhaas 1983, 40, der, freilich etwas überspitzt, festhält: Es bleibe dabei, „daß die Kirche ursprünglich ein Herrschaftsgebilde ist – der ,letzte Römerbau‘ – von dem Nietzsche […] mit der Leidenschaft eines katholischen Apologeten in Abwehr der Lutherischen Reformation, ihres Unverständnisses der Kirche sprechen kann.“ Wenn Nietzsche also sagt „Rangordnung ist Machtordnung. Über den Rang entscheidet das Quantum Macht, das du bist“ (Nachlass 1887/88, 11[36], KSA 13.20), dann ist Machtordnung gerade nicht als bloße Gewaltordnung zu verstehen. Vgl. Becker 1942, 4: „Man beachte: Macht, die du b i s t – nicht: Macht die du h a s t . Es ist nicht eine äußere, von höherer Stelle jemandem übertragene Macht gemeint, sondern innere Seinsmächtigkeit.“ Innere Seinsmächtigkeit bedeutet nichts anderes als erworbene Orientierungsfähigkeit, die nicht übertragen werden kann, sondern selbst einverleibt werden muss. Man übersteigt die durchlaufenen Rangstufen, die Sprossen der Leiter nicht einfach, sondern muss sie gewesen sein, wie Nietzsche, wie gesagt, in MA I, Vorrede 7, schreibt.
4.2 Rangordnung in der Religion
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sind „die großen Einzelnen“ Religionsstifter und -erneuerer. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Lage sind, dem „Leben eine I n t e r p r e t a t i o n zu geben, vermöge deren es vom höchsten Werthe umleuchtet scheint, so dass es nunmehr zu einem Grunde wird, für das man kämpft und, unter Umständen, sein Leben lässt.“ (FW 353)⁶⁵ Ihre Leistung ist, eine neue Rangordnung der Werte aufzustellen und mit ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Kraft zur Orientierung, mit ihrem Rang derart zu verkörpern, dass sich andere an sie halten können und wollen⁶⁶ und gar Kirchen auf sie begründen, die sich auf diesen Rang berufen und ihn über Generationen überliefern, ihn zeitlos machen. Der agonale Aufbau der Kirche erhält nicht nur Rang, er fördert auch seine Ausbildung. So habe sie „vielleicht die feinsten Gestalten der menschlichen Gesellschaft a u s g e m e i s s e l t , die es bisher gegeben hat: die Gestalten der höheren und höchsten katholischen Geistlichkeit“ (M 60). Sie würden „durch die beständige Ebbe und Flut der zwei Arten des Glücks (des Gefühls der Macht und des Gefühls der Ergebung) hervorgebracht“. Diese beiden Gefühle sind typische, durch Über- und Unterordnung erzeugte Rangordnungsgefühle. In der Kirche sind sie ins Extrem gesteigert. Das Machtgefühl ist als „Gefühl einer übermenschlichen Mission in der Seele“ begründet durch das „Segnen, Sündenvergeben und Repräsentiren der Gottheit“, durch das Auserwähltsein von Gott, selbst noch „i m L e i b e “.⁶⁷ Es hat in seiner starken Ausprägung „[d]ie mächtige Schönheit und Feinheit der Kirchenfürsten“ ermöglicht, die „für das Volk die W a h r h e i t der Kirche bewiesen“. Auch im kirchlichen Gefühl der Ergebung vor Gott sieht Nietzsche vornehme Züge, denn „man hat im Gehorchen seinen S t o l z , was das Auszeichnende aller Aristokraten ausmacht“ (M 60). So ist es nur folgerichtig, wenn er in einem Notat auf die Frage „Was ist vornehm?“ antwortet: — das Wohlgefallen an den Frommen u. {Fürsten u} den Priestern, weil sie den Glauben an {eine Verschiedenheit der menschlichen Werthe, kurz an} die Rangordnung der M[enschen], wenigstens {selbst noch in der histor. Abschätzung der Vergangenheit zum Mindesten} symbolisch {u im
Vgl. dazu Stegmaier 2014c, der den Aphorismus in die Sprache der Orientierung übersetzt und die Leistung der Religionsstifter darin sieht, „eine grundlegend neue Orientierung zu schaffen, wo ein Bedürfnis danach besteht“ (129). „Wer fähig ist, eine Religion zu stiften, muss […] eine außerordentliche Orientierungsleistung vollbracht, mit überlegenem Blick neuartige Muster von Anhaltspunkten ,gesehen‘, ,ausgewählt‘ und in ihnen neue Handlungs- und Lebensmöglichkeiten ,erraten‘ haben, die großen Gruppen einer Gesellschaft so unmittelbar plausibel werden“, dass sie sich im Ganzen an sie halten können (131). Vgl. zur Rolle der Religionsstifter bei Nietzsche auch Figl 2007, 312– 318. Vgl. Nachlass 1887/88, 11[295], KSA 13.116: Nietzsche zählt diese „Hierarchie, eine Form der Gemeindebildung“, ausdrücklich zu den „Bedürfnisse[n] […] der damaligen r e l i g i ö s e n M a s s e “. Vgl. Nachlass 1887/88, 11[286], KSA 13.111: Nietzsche stellt hier den „Stolz auf die Distanz des Clans, das Sich-Ungleich-fühlen, die Abneigung gegen Vermittlung, Gleichberechtigung, Versöhnung“, allesamt Gefühle der Rangordnung, gleich mit dem Gefühl, das entsteht, „wenn das Individuum sich als We r k z e u g u n d S p r a c h r o h r d e r G o t t h e i t “ sieht.
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Ganzen u Großen sogar thatsächlich} aufrecht erhalten haben {können} (Nachlass 1885, 35[76], KSA 11.543 f. / KGW IX 4, W I 3.64 f.).⁶⁸
Nietzsche rückt Kirche und Aristokratie nah zusammen, weil beide für die Rangordnung empfänglich sind und auf ihr beruhen. In der Vorrede von JGB heißt es, dass es „der Kampf gegen Plato, oder, um es verständlicher und für’s „Volk“ zu sagen, der Kampf gegen den christlich-kirchlichen Druck von Jahrtausenden“ gewesen sei, der „in Europa eine prachtvolle Spannung des Geistes geschaffen“ habe (JGB,Vorrede). In der stark bearbeiteten Vorstufe schreibt Nietzsche noch: „Der kirchliche {u andererseits der fürstliche} Druck {von Jahrtausenden} hat {in Europa} eine prachtvolle Spannung des Bogens {Geistes} geschaffen“ (Nachlass 1885, 34[183], KSA 11.475 / KGW IX 1, N VII 1.81).⁶⁹ Ob es nun der kirchliche Druck selbst oder der Kampf gegen ihn war, in jedem Fall erscheint die Kirche als Institution, die geistige Spannung und damit eine Grundbedingung für die Ausbildung von Rang schafft. Bisher sei zwar „diese Spannung als Nothstand“ (JGB, Vorrede) empfunden worden: so habe man „zwei Mal im grossen Stile versucht […], den Bogen abzuspannen, einmal durch den Jesuitismus, zum zweiten Mal durch die demokratische Aufklärung“, und so Spannung vergeudet. Doch erhofft Nietzsche sich, die durch den Druck der Kirche erzeugte Spannung nun besser zu nutzen, denn dazu hat er – „vielleicht“ – „den Pfeil, die Aufgabe, wer weiss? das Z i e l . . . . . . “
4.2.1.2 Nietzsches Wertschätzung des „religiösen Wesens“ im dritten Hauptstück von JGB Dass Nietzsche Religion, bei aller Kritik, nicht nur geringschätzt, lässt sich besonders dem dritten Hauptstück von JGB, „das religiöse Wesen“, entnehmen.⁷⁰ Viele Aphorismen weisen auf vornehme Züge der Religion hin.
Vgl. Nietzsches Brief an Heinrich Köselitz, 23. Juli 1885, Nr. 613, KSB 7.68: „Ich notirte mir gestern, zur eigenen Bestärkung auf dem einmal eingeschlagenen Wege des Lebens, eine Menge Züge, an denen ich die „Vornehmheit“ oder den „Adel“ bei Menschen herauswittere – und was, umgekehrt, Alles zum „Pöbel“ in uns gehört (In allen meinen Krankheits-Zuständen fühle ich, mit Schrecken, eine Art Herabziehung zu pöbelhaften Schwächen, pöbelhaften Milden, sogar pöbelhaften Tugenden – verstehen Sie das? Oh Sie Gesunder!)“ Vgl. bereits Nachlass 1875, 6[24], KSA 8.107: Nietzsche spricht hier von einer „S c h ä r f u n g d e s G e i s t e s durch den Druck einer Hierarchie und Theologie“. Vgl. Tongeren 2000b, 271: „What strikes the reader is the sympathetic tone in which Nietzsche speaks of religion. […] [T]he religious answer can itself have nobility (BGE 49 and 52) and beauty (BGE 59 and 60). This positive tone can be recognized in several sections and is most clearly explained in section 58.“ Nur wenig später wird Nietzsche im fünften Buch der FW fragen, was freie Geister immer noch von religiösen Menschen lernen können. Er scheint hier die katholische Kirche („Z u E h r e n d e r h o m i n e s r e l i g i o s i “, FW 350) und die Priester („Z u E h r e n d e r p r i e s t e r l i c h e n N a t u r e n“, FW 351) zu würdigen, lässt aber offen, ob die Würdigung vielleicht in Teilen ironisch gemeint ist.
4.2 Rangordnung in der Religion
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An den Beginn des Hauptstücks stellt Nietzsche die notwendigen Bedingungen, um der Psychologie des religiösen Wesens nachspüren zu können. Es „bedürfe“ zunächst eines „ausgespannten Himmels von heller, boshafter Geistigkeit“ (JGB 45), der „von Oben herab“ für Übersicht und Ordnung sorgen müsse. Auch die Untersuchung des religiösen Wesens bedarf offenbar eines gewissen Rangs. Dieser sei bisher noch nicht erreicht worden, und so muss Nietzsche „Alles s e l b e r thun“. Im nächsten Schritt begrenzt Nietzsche Umfang und Inhalt seiner Kritik. Für ihn gibt es nicht das Christentum an sich; vielmehr unterscheidet Nietzsche das frühe vom späteren, vor allem vom protestantischen Christentum. Die christliche Religion im Anfangsstadium hebt er positiv ab von der Weltanschauung Martin Luthers, beide sollen nicht miteinander verwechselt werden: „Der Glaube, wie ihn das erste Christenthum verlangt und nicht selten erreicht hat, […] ist n i c h t jener treuherzige und bärbeissige Unterthanen-Glaube, mit dem etwa ein Luther oder ein Cromwell oder sonst ein nordischer Barbar des Geistes an ihrem Gotte und Christenthum gehangen haben“ (JGB 46). Offenbar führt Nietzsche eine Rangunterscheidung innerhalb des Christentums ein. In seiner Entstehungsphase hatte das Christentum, „inmitten einer skeptischen und südlich-freigeisterischen Welt, die einen Jahrhunderte langen Kampf von Philosophenschulen hinter sich und in sich hatte“, noch Rang nötig, es musste sich beweisen. Über das Mittelalter hat sich der christliche Glaube jedoch so sehr etabliert, dass er keine hohen Anforderungen mehr stellen musste, er war gemein, eine Massenangelegenheit geworden. Nietzsche typisiert diese Entwicklung mit der geografischen Unterscheidung zwischen Nord und Süd, die sich oft bei ihm findet.⁷¹ Während der Norden stets für flache, grobe, naive, kränkliche, hässliche, auf Gleichheit pochende und insofern „gemeinere Naturen“ steht, symbolisiert der Süden Tiefe, Feinheit, Argwohn, Gesundheit, Schönheit,Vornehmheit und Rang. Beispiel für eine südliche Religion sei die „Religiosität der alten Griechen“: was an ihr „staunen macht, ist die unbändige Fülle von Dankbarkeit, welche sie ausströmt: – es ist eine sehr vornehme Art Mensch, welche s o vor der Natur und vor dem Leben steht!“ (JGB 49) Auch im Umgang der „mächtigsten Menschen“ mit der Religion habe sich bisher ein vornehmes Gespür für Rangordnung gezeigt, denn sie hätten sich immer „verehrend vor dem Heiligen gebeugt“ (JGB 51). Nietzsche nennt als Grund nicht Schwäche oder Notwendigkeit zur Unterwerfung, sondern im Gegenteil eben das Gespür für
Schon im kurz darauf folgenden Aphorismus JGB 50 meint Nietzsche, „der ganze Protestantismus entbehrt der südlichen delicatezza“, dem Feingefühl auch für Fragen des Rangs. Vgl. auch FW 149, JGB 48, JGB 240, MA II, Vorrede 3, und besonders FW 350: „Die ganze römische Kirche ruht auf einem südländischen Argwohne über die Natur des Menschen, der vom Norden aus immer falsch verstanden wird: in welchem Argwohne der europäische Süden die Erbschaft des tiefen Orients, des uralten geheimnissreichen Asien und seiner Contemplation gemacht hat. Schon der Protestantismus ist ein Volksaufstand zu Gunsten der Biederen, Treuherzigen, Oberflächlichen (der Norden war immer gutmüthiger und flacher als der Süden).“ In einem Briefentwurf an Marie Köckert, Mitte Februar 1885, Nr. 574, KSB 7.13, nennt Nietzsche Za das „südlichste“ Buch, „das es giebt“.
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Rang: „Sie ahnten in ihm […] die überlegene Kraft, welche sich an einer solchen Bezwingung erproben wollte, die Stärke des Willens, in der sie die eigne Stärke und herrschaftliche Lust wieder erkannten und zu ehren wussten“, kurz: „sie ehrten Etwas an sich, wenn sie den Heiligen ehrten.“ Die Mächtigsten unterwerfen sich nicht dem Rang des Heiligen, sondern schätzen in ihrer Unterordnung ihren eigenen Rang: „der „Wille zur Macht“ war es, der sie nöthigte, vor dem Heiligen stehen zu bleiben.“ Ein weiterer positiver Zug des „eigentlich religiösen Leben[s]“ sei der „Müssiggang“ etwa im „„Gebet““ oder in „der Selbstprüfung“ (JGB 58): „Müssiggang mit gutem Gewissen, von Alters her, dem das Aristokraten-Gefühl nicht ganz fremd ist, dass Arbeit s c h ä n d e t , – nämlich Seele und Leib gemein macht“. Religiosität verhilft, anders als sonst von Nietzsche betont, zumindest in dieser Hinsicht zur Selbstbehauptung, zur Distanzierung gegen die modernen Ansprüche der „Arbeitsamkeit“, aber auch generell gegen moralische Ansprüche, wozu auch die vom „„Vaterlande““ und die „„Pflichten der Familie““ zählen. Sie zeigt eine Dimension jenseits von „Geschäft“ und „Vergnügen“ auf und erweitert so den eigenen Horizont und Handlungsspielraum. Lebenserhaltend sei die Religion paradoxerweise auch darin, dass sie die höchste Kunst entwickelt habe, das Leben zu „f ä l s c h e n“ (JGB 59). Vielleicht gebe es hier „eine Ordnung des Ranges: man könnte den Grad, in dem ihnen das Leben verleidet ist, daraus abnehmen, bis wie weit sie sein Bild verfälscht, verdünnt, verjenseitigt, vergöttlicht zu sehn wünschen, – man könnte die homines religiosi mit unter die Künstler rechnen, als ihren h ö c h s t e n Rang.“ Religiöse Menschen haben, so Nietzsche, einen „Instinkt[ ], welcher ahnt, dass man der Wahrheit z u f r ü h habhaft werden könnte, ehe der Mensch stark genug, hart genug, Künstler genug geworden ist …“ Die religiöse Verklärung des Lebens beschreibt Nietzsche damit als Orientierungsfunktion, als Methode, nicht am Leben zugrunde zu gehen. Sie ist als Verneinung des Lebens zugleich auch ein Wille zum Leben, der Ausdruck eines nach wie vor gesunden, starken Lebensdrangs. Gerade weil die Religiosität in ihrer Lebensverneinung noch lebensbejahend ist, verleiht sie Rang. Die „Frömmigkeit“ erscheint Nietzsche „dabei als die feinste und letzte Ausgeburt der Fu r c h t vor der Wahrheit […]. Vielleicht, dass es bis jetzt kein stärkeres Mittel gab, den Menschen selbst zu verschönern, als eben Frömmigkeit“. Und so erwägt Nietzsche: Vielleicht ist am Christenthum […] nichts so ehrwürdig als ihre Kunst, noch den Niedrigsten anzulehren, sich durch Frömmigkeit in eine höhere Schein-Ordnung der Dinge zu stellen und damit das Genügen an der wirklichen Ordnung, innerhalb deren sie hart genug leben, – und gerade diese Härte thut Noth! – bei sich festzuhalten. (JGB 61)
Das Christentum hat die Verklärung der realen Ordnung zur Scheinordnung kultiviert und so die reale Ordnung und Rangordnung erträglicher, das Leben leidlicher gemacht – darin zeichnet es sich für Nietzsche aus. Ein zusätzlicher vornehmer Zug der Religion sei, dass sie „die feinste Art des Herrschens (über ausgesuchte Jünger oder Ordensbrüder)“ entwickelt habe (JGB 61).
4.2 Rangordnung in der Religion
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Jünger bzw. Apostel folgen Religionsstiftern, stehen in der Rangordnung unter ihnen, gelten in der Glaubensgemeinde gegenüber den anderen Anhängern jedoch selbst als Ranghöhere. Nach dem Tod des ursprünglichen Stifters verwalten und repräsentieren sie als Augenzeugen seinen einstigen Rang. In der Bibel ist immer wieder die Rede davon, dass Jesus den Jüngern befiehlt (vgl. etwa Mt 10,5, Mt 26,19). Auch unter ihnen kommt die Rangfrage auf (vgl. Mt 18,1– 5, Mk 9,33 – 37, Lk 9,46 – 48), die Jesus aber nicht einfach beantwortet, wie sie es vielleicht erwartet oder erhofft haben, sondern in Umkehrung der bisherigen Maßstäbe neu stellt.⁷² In jedem Fall hebt Nietzsche das Bewusstsein und die Empfindung für Rangordnung, wie sie sich in der Beziehung zwischen Lehrer und Jünger, auch zwischen Zarathustra und seinen Jüngern, entwickeln, positiv hervor. Überhaupt gebe „die Religion auch einem Theile der Beherrschten Anleitung und Gelegenheit, sich auf einstmaliges Herrschen und Befehlen vorzubereiten“ (JGB 61), sie biete „Anstösse und Versuchungen genug, die Wege zu höherer Geistigkeit zu gehen, die Gefühle der grossen Selbstüberwindung, des Schweigens und der Einsamkeit zu erproben“. Die Religion lehre „Asketismus und Puritanismus“, die „fast unentbehrliche Erziehungs- und Veredelungsmittel“ seien, „wenn eine Rasse über ihre Herkunft aus dem Pöbel Herr werden will und sich zur einstmaligen Herrschaft emporarbeitet.“ Vor allem aber „giebt die Religion“ den „Allermeisten“ und „gewöhnlichen Menschen“ „eine unschätzbare Genügsamkeit mit ihrer Lage und Art, vielfachen Frieden des Herzens, eine Veredelung des Gehorsams, ein Glück und Leid mehr mit Ihres-Gleichen und Etwas von Verklärung und Verschönerung“ – sie macht die Rangordnung erträglich. „Religion und religiöse Bedeutsamkeit des Lebens legt Sonnenglanz auf solche immer geplagte Menschen“ und „wirkt, wie eine epikurische Philosophie auf Leidende höheren Ranges zu wirken pflegt, erquickend, verfeinernd, das Leiden gleichsam a u s n ü t z e n d , zuletzt gar heiligend und rechtfertigend.“ Die Religionen züchten also nicht nur Befehlende, sie geben zugleich den Gehorchenden einen Sinn, mit dem sie ihre Lebenssituation gut aushalten können. Damit haben die Religionen einen grundlegenden Beitrag dazu geleistet, das Funktionieren der Rangordnung zu gewährleisten. Bei aller Kritik an der Religion, die Nietzsche sonst in größter Schärfe übt – hier scheint er sie aufrichtig zu achten, ihr dankbar zu sein.
4.2.1.3 Der „Typus Jesus“ als Irritation der Rangordnung Nietzsche entwirft in der Mitte von AC (AC 28 – 35) den „psychologische[n] Typus des Erlösers“, den „Typus Jesus“ (AC 29).⁷³ Die Bibel beschreibt die Menschwerdung Jesu
Jesus „nahm ein Kind und stellte es neben sich und sprach zu ihnen: Wer dieses Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Denn wer der Kleinste ist unter euch allen, der ist groß.“ (Lk 9,47 f.) Zum „Typus Jesus“ vgl. Stegmaier 2014a, dessen These, Nietzsche setze „seinen aggressiven Kampf gegen das Christentum“ mit seiner Beschreibung des Typus Jesus aus und lege „darin, fast ungewollt, Grundzüge der aktuellen strukturalistischen Zeichentheorie, konstruktivistischen Erkenntnistheorie,
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als Aufhebung der Hierarchie zwischen Gott und den Menschen: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“ (Phil 2,6 f.) Nietzsche greift dies auf. Er sieht mit dem Typus Jesus „jedwedes Distanz-Verhältniss zwischen Gott und Mensch […] abgeschafft, – e b e n d a s i s t d i e „ f r o h e B o t s c h a f t “.“ (AC 33) Jesus „hat jede Kluft zwischen Gott und Mensch geleugnet, er l e b t e diese Einheit vom Gott als Mensch als s e i n e „frohe Botschaft“ … Und n i c h t als Vorrecht!“ (AC 41) Mit dem Verzicht auf das Vorrecht der Göttlichkeit gab Jesus allen Rang, alle Privilegien auf.⁷⁴ Nietzsche sieht dies nicht als freie Entscheidung, sondern als „Folge einer extremen Leid- und Reizfähigkeit“ Jesu (AC 30). Er sei „zu allem Ringen, zu allem Sich-in-Kampf-fühlen“ (AC 29), zu „a l l e r A b n e i g u n g , a l l e r F e i n d s c h a f t , a l l e [n] G r e n z e n u n d D i s t a n z e n i m G e f ü h l “ (AC 30), kurz: zur Rangordnung und ihren Bedingungen nicht in der Lage, weil ihm dies sein übersensibler „I n s t i n k t “ verbiete. Es kennzeichne den Typus Jesus, „[d]ass er dem, der böse gegen ihn ist, weder durch Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Dass er keinen Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen, zwischen Juden und Nichtjuden macht“ (AC 33). Er kann – nach dieser Typisierung – weder befehlen noch gehorchen. Damit aber ist die gesamte auf Rang und Wille zur Macht basierende „K i r c h e n -Lehre […] in der „frohen Botschaft“ verneint“ (AC 33) – man habe gar „aus dem Gegensatz zum Evangelium die K i r c h e aufgebaut …“ (AC 36) Man „verstand“ Jesus daher aufgrund seiner außerordentlich anderen Art „als i m A u f r u h r g e g e n d i e O r d n u n g .“ (AC 40)⁷⁵ Man sagte, „[e]r
antimetaphysischen Zeichenphilosophie und Philosophie der Orientierung frei“, überzeugt. Die Irritation der Rangordnung, die vom Typus Jesus ausgeht, sind daher im positiven Teil der Untersuchung der Rangordnung in der Religion (4.2.1) verortet, nicht im kritischen (4.2.2). Im Kontext von AC erfüllt die Passage zum Typus Jesus auch die Funktion, den charismatischen Christus und seine Persönlichkeit dem abstrakten Christentum als institutionalisierte Lehre und System gegenüberzustellen. Insofern ließe sie sich als Teil von Nietzsches Kampf gegen das Christentum verstehen. Die Ausführlichkeit und Originalität der Aphorismen zum Typus des Erlösers und die Sorgfalt, die Nietzsche ihnen widmet, zeugen jedoch von einem philosophischen Eigenwert der Passage, der – im Gegensatz etwa zur schemenhaft bleibenden Darstellung der Kastenordnung in AC 57 – über ein bloßes Mittel zum Zweck des Angriffs auf das Christentum hinausgeht. Vgl. zum Typus des Erlösers auch Poljakova 2013, 465 – 498: Man könne ihn, so Poljakova, als eine Art Synthese aus Kant, Tolstoi, Dostojewski verstehen, er sei ganz offenkundig von der russischen Romanwelt beeinflusst. Zugleich erfinde Nietzsche „ihn als seinen Gegner, aus dem Gegensatz zu den eigenen ‚Lehren‘ – zur Lehre über die Welt als ,Wille zur Macht‘ und zu seiner ,letzten Moral‘“ (495). Diese Erfindung des Typus des Erlösers biete letztlich die Möglichkeit zur Entmoralisierung der Welt und auch noch von Nietzsches eigener Moral. Vgl. auch Jaspers 1952, 19 – 25 und 70 – 72, Kühneweg 1986, Havemann 2002, 146– 204, Pfeuffer 2008, 122– 127, und Detering 2012, 41– 61. Er vollzog zudem den Schritt vom Jenseits ins Diesseits.Vgl. Figl 2000, der ausführlich die religiöse Situation 100 Jahre nach Nietzsches Tod, die „radikale Neuorientierung“ vom Jenseits auf das Diesseits, bespricht und erkennt, dass heute die „[r]eligiöse Weltorientierung“ kein bloßer Gegensatz mehr zur „Diesseitsorientierung“ sei, denn durch sie „soll das diesseitige Leben nicht ärmer, sondern reicher gemacht werden“ (73 f.). Vgl. Nachlass 1887/88, 11[378], KSA 13.176.
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bekämpft […] die Hierarchie innerhalb der Gemeinde“ (Nachlass 1887/88, 11[279], KSA 13.106). Tatsächlich aber kämpft der Typus Jesus nicht, er ist kein Aufrührer, der eine neue Ordnung und Rangordnung anstrebt: „Das Ve r n e i n e n ist eben das ihm ganz Unmögliche.“ (AC 32) Seine „Moral“ besteht im Gegenteil gerade in der „Unfähigkeit zum Widerstand“, in der „Seligkeit im Frieden, in der Sanftmuth, im Nicht-feind-seink ö n n e n .“ (AC 29) Dies betrifft nicht nur die nun aufgehobene Rangordnung zwischen Gott und Mensch, sondern auch diejenige zwischen dem Menschgewordenen und seinen Mitmenschen, denen er, so Nietzsche, ausschließlich mit Liebe begegnete. Die „„frohe Botschaft““ ist eben auch das „Leben in der Liebe, in der Liebe ohne Abzug und Ausschluss, ohne Distanz. Jeder ist das Kind Gottes — Jesus nimmt durchaus nichts für sich allein in Anspruch — als Kind Gottes ist Jeder mit Jedem gleich …“ (AC 29)⁷⁶ Die Liebe der frohen Botschaft löst alle Rangordnung auf. Schon früh beschreibt Nietzsche, dass durch Liebe Gleichheit entstehen kann,⁷⁷ besonders dann, wenn wir beim Geliebten „finden, dass er l e i d e t “ (M 138), wie es beim so leidensfähigen Typus Jesus mehr als je der Fall war: Die „Kluft“ zwischen Menschen „scheint sich zu überbrücken, eine Annäherung an Gleichheit scheint Statt zu finden.“ Für Jesus galt „die Liebe als einzige, als l e t z t e Lebens-Möglichkeit“ (AC 30), er entwickelt gar die „R e l i g i o n d e r L i e b e “. Die „Liebe zum Nächsten ist“, wie Kierkegaard es in Der Liebe Tun ausdrückt, „die ewige Gleichheit im Lieben“.⁷⁸ Das Gebot der Nächstenliebe – „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18), von Jesus auf die Feindesliebe ausgedehnt (Mt 5,43 – 48) und zusammen mit dem 1. Gebot als das höchste aller Gebote bezeichnet (Mk 12,31) – überwindet individuelle Distanzen und Unterschiede. Dem Typus des Erlösers ist jeder der Nächste, in seiner Liebe sind alle gleich, sind alle Rangunterschiede aufgehoben. „Die Liebe“ ist aber auch „der Zustand, wo der Mensch die Dinge am meisten so sieht, wie sie n i c h t sind. Die illusorische Kraft ist da auf ihrer Höhe, ebenso die versüssende, die v e r k l ä r e n d e Kraft.“ (AC 23) Der Typus Jesus ist insofern auch ein Anti-Realist, „ein ganz in Symbolen und Unfasslichkeiten schwimmendes Sein“ (AC 31). Äußere Realitäten, auch Realitäten der Rangordnung, gibt es für ihn nicht, nur „i n n e r e “ (AC 34). Nietzsche geht sogar so weit, ihn daher einen – „mit einiger Toleranz im Ausdruck“ – „„freien Geist““ zu nennen: „er macht sich aus allem Festen nichts“ (AC 32).⁷⁹ Seine Sprache ist eine
Vgl. AC 32: „Die „gute Botschaft“ ist eben, dass es keine Gegensätze mehr giebt“.Vgl. dazu Piazzesi 2012, die zeigt, wie Nietzsche die Gegensätze Liebe und Verachtung im „Spannungsfeld der großen Liebe“ vereint und so moralische Differenzen und Gegensätze überwindet. Vgl. auch M 532: „„ D i e L i e b e m a c h t g l e i c h . “ — Die Liebe will dem Andern, dem sie sich weiht, jedes Gefühl von F r e m d s e i n ersparen, sie ist folglich voller Verstellung und Anähnlichung, sie betrügt fortwährend und schauspielert eine Gleichheit, die es in Wahrheit nicht giebt.“ Kierkegaard 1979, 66. Vgl. Schenkel 1864 (BN): „Sein [Jesu] innerliches, auf Geistesfreiheit begründetes Himmelreich war allerdings mit der überlieferten Satzung, der hierarchischen Anstalt, mit Tempel-, Opfer- und Sabbath-
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bloße Zeichensprache und Semiotik, er begreift alles als Gleichnis und teilt sich nur noch in Gleichnissen mit. Dies gilt auch für sein Leben und sein Sterben, für seine „P r a k t i k , die eigentlich evangelische Praktik“ (AC 33), die „er der Menschheit hinterliess“ (AC 35). Der Typus Jesus wurde so selbst zum „Zeichen“, zum „Symbol“ (AC 34), das andere durch seine Unfasslichkeit irritiert. Er „ist die gänzliche Fremdheit – sein Symbolismus wird gerade durch sein Nicht-begriffen-werden-Können bestimmt. Nietzsche versteht den Typus Jesus so, daß er nicht verstanden werden kann.“⁸⁰ Sein „Widerwille gegen jede Formel, jeden Zeit- und Raumbegriff, gegen Alles, was fest, Sitte, Institution“ ist (AC 29), entzieht sich jeder Rang- und Einordnung. Der Typus Jesus ist der schlechthin Außerordentliche, Nicht-Dazugehörige und darum auch der schlechthin Einzige, im ursprünglichen Wortsinn ein „Idiot“ (AC 29).⁸¹ Dieser Einzige, „Einzelne[ ], Einmalige[ ]“ ist er aber nicht als „concrete Person, die in die Geschichte gehört“ (AC 33). Er ist, so Nietzsche, vielmehr „eine „ewige“ Thatsächlichkeit, ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol.“ Der Typus Jesus irritiert als zeitloses Symbol die zwischenmenschlichen Routinen – um seine Irritation zu erfahren, muss man nicht dem historischen Jesus begegnen, sondern allein dem Zeichen. Man ist Distanz im Umgang mit anderen gewohnt, das Austarieren von Rangverhältnissen, die das fremde und das eigene Verhalten erwartbar, planbar machen. Jesus entzieht sich diesen Routinen, mit ihm kann man nicht wie mit anderen umgehen. Im Umgang mit ihm erfährt man keinen Widerstand und keine Distanz, es lässt sich mit ihm keine Rangbeziehung eingehen, er ordnet sich nicht über und nicht unter.⁸² Er zwingt durch diese Irritation zum Überdenken der eigenen Routinen und des festgefahrenen Rangordnungsverhaltens. Der Typus Jesus, der den größtmöglichen und starrsten Rangunterschied, den zwischen Gott und Mensch, aufgebrochen hat, ist als Zeichen permanenter Irritation der Rangordnung ein weiterer Schritt in der Enthierarchisierung der Rangordnung.
4.2.2 Die „Gleichheit vor Gott“ als Zersetzung der Rangordnung Nachdem Nietzsche im dritten Hauptstück von JGB auf die vornehmen Züge der Religionen aufmerksam gemacht hat, will er, im letzten Aphorismus zum „religiösen Dienst, insbesondere auch mit den Zukunftsplänen des nationalen Judenthums unverträglich.“ Vgl. dazu Sommer 2013b, 170. Havemann 2002, 237. Vgl. zum Begriff ,Idiot‘ bei Nietzsche Stellino 2007. Für eine abweichende, eher psychiatrisch-pathologische Deutung des Begriffs vgl. Sommer 2013b, 75, 155 – 157 und 163 f., und Morillas 2012. Dies hat, so Nietzsche in einem Notat, derart irritiert, dass man Jesus durch künstliche Überhöhung doch wieder in eine Rangordnung zwingen musste: „die {wildgewordene} Verehrung dieser der ganz aus dem Gleichgewicht gerathenen Seelen hielt es nicht aus, jene gütige evangelische Gleichberechtigung von Jedermann zum „Sohn Gottes“, wie sie J. gelehrt hatte, {mehr} zu glauben: ihre Rache war, auf eine ausschweifende Manier Jesus emporzuheben, {von sich abzulösen}“ (Nachlass 1887/88, 11[378], KSA 13.177 / KGW IX 7, W II 3.19).
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Wesen“, den „Religionen auch die schlimme Gegenrechnung […] machen und ihre Gefährlichkeit an’s Licht […] stellen“ (JGB 62). Seine „Gesammt-Abrechnung“ ergibt, dass die „bisherigen […] Religionen zu den Hauptursachen“ gehörten, „welche den Typus „Mensch“ auf einer niedrigeren Stufe festhielten“. Nietzsche macht dabei sehr deutlich, dass die christliche Vorstellung der Gleichheit aller Menschen vor Gott die Hauptschuld daran trage: Menschen, nicht vornehm genug, um die abgründlich verschiedene Rangordnung und Rangkluft zwischen Mensch und Mensch zu sehen: – s o l c h e Menschen haben, mit ihrem „Gleich vor Gott“, bisher über dem Schicksale Europa’s gewaltet, bis endlich eine verkleinerte, fast lächerliche Art, ein Heerdenthier, etwas Gutwilliges, Kränkliches und Mittelmässiges, herangezüchtet ist, der heutige Europäer ....
Die christliche Missachtung und gezielte Bekämpfung der Rangordnung stellt nicht nur die Christen selbst, sondern gar „den Typus „Mensch““ insgesamt tief in der Rangordnung und hindert ihn am Aufstieg.⁸³ Nietzsche macht dies zu einem Hauptkritikpunkt an der Religion.⁸⁴ Der Kodex des kanonischen Rechts gibt der Kirche zwar eine hierarchische Verfassung, doch stellt er auch die Gleichheit aller Mitglieder der Glaubensgemeinschaft fest: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“ (Can. 208) Zwar kann sich bei den Mitgliedern der Kirche eine Rangordnung aufgrund ihrer Geistigkeit, ihrer Orientierungs-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit bilden, die sie für unterschiedliche Aufgaben befähigt, doch sind sie in christlicher Perspektive letztlich doch wesensgleich: „Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.“ (Röm 2,11)⁸⁵ Nietzsche kritisiert an der „M e n s c h e n l i e b e d e r C h r i s t e n“ gerade, dass sie „keinen Unterschied macht“: Sie sei erst möglich bei der fortwährenden Anschauung Gottes, im Verhältniß zu dem die Rangordnung zwischen Mensch und Mensch verschwindend klein wird, und d e r Mensch selber überhaupt so unbedeutend wird, daß die Größenverhältnisse kein Interesse mehr erregen: wie von einem ho-
Vgl. Nachlass 1888, 15[110], KSA 13.470 / KGW IX 9, W II 6.40: „Vor Gott werden „die alle Seelen“ gleich: {das ist geradezu die aber das ist gerade die} gefährlichste aller möglichen Werthschätzungen! Mit dem Gleichsetzen {der Einzelnen} Setzt man die Einzelnen gleich, so stellt man die Gattung in Frage, man begünstigt eine Praxis, welche auf den Ruin der Gattung hinausläuft: das Christenthum ist das Gegenprincip gegen die Selektion.“ Im Nachlass formuliert Nietzsche überdeutlich: „daß v o r G o t t die Menschen gleich stehn: was das non plus ultra des Blödsinns bisher auf Erden gewesen ist!“ (Nachlass 1884, 25[344], KSA 11.102) Vgl. auch Gal 3,28: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Auffällig ist, dass beide Stellen den Briefen des Paulus entstammen, dessen Prägung des Christentums Nietzsche scharf kritisierte. Vgl. zu Nietzsche und Paulus Havemann 2002, Vitiello 2006, Barba 2010 und Acampora 2013, Kapitel „Contesting Paul: Toward an Ethos of Agonism“, 110 – 150, die der paulinischen Moral den Agonalitätsgedanken Nietzsches entgegenstellt.
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hen Berge aus Groß und Klein ameisenhaft und ä h n l i c h wird. (Nachlass 1885/86, 1[66], KSA 12.27)
Die Rangordnung zwischen Mensch und Gott ist so groß, dass sie die zwischenmenschliche Rangordnung unsichtbar und uninteressant werden lässt. Es sei, so Nietzsche, kein Zufall, dass die Christen von der Gleichheit vor Gott ausgehen: „„E i n s ist noth“ … Dass Jeder als „unsterbliche Seele“ mit Jedem gleichen Rang hat“ (AC 43).⁸⁶ Die Vorstellung sei für die Christen schlicht eine Notwendigkeit. Wenn man nicht die Kraft zur Realität, besonders zur Realität der Rangordnung hat, sich seine eigene Position in ihr nicht eingestehen kann, ist man auf eine Lüge angewiesen: „die Seelen-Gleichheits-Lüge“, die die Realität erträglicher macht.⁸⁷ Sie erlaubt es, sich nicht mehr der Demütigung und Scham der Unterlegenheit und Machtlosigkeit aussetzen zu müssen, und so nennt Nietzsche sie den Ausdruck einer „erbarmungswürdigen Schmeichelei vor der Personal-Eitelkeit“. Die Gleichheitslüge stehe im Kern des Christentums, mit ihr habe es systematisch „alles Missrathene, Aufständisch-Gesinnte, Schlechtweggekommene, den ganzen Auswurf und Abhub der Menschheit […] zu sich überredet.“ Letztlich sei es nichts weiter als „ein Aufstand alles Am-Boden-Kriechenden gegen das, was H ö h e hat“ (AC 43) – und damit ein Aufstand gegen die Rangordnung insgesamt. Im Nachlass spricht Nietzsche gar von einer „Todfeindschaft der Heerde gegen die R a n g o r d n u n g “ (Nachlass 1887, 9[85], KSA 12.379 f.). Er macht dies dem Christen aber nicht zum Vorwurf, denn dieser „hat keine Wahl“ (AC 46). Nietzsche sieht die psychologische Notwendigkeit, sich dann den Realitäten zu entziehen, wenn sie nicht mehr auszuhalten sind. Ein Christ sei gerade deswegen ein Christ, weil er die christliche Verklärung der Welt und der Rangordnung nötig habe. Seine Nöte aber sucht man sich nicht aus, und auch Christ wird man, so Nietzsche, nicht aus freier Entscheidung: „Es steht Niemandem frei, Christ zu werden: man wird nicht zum Christenthum „bekehrt“, – man muss krank genug dazu sein …“ (AC 51) Nietzsche verurteilt die Christen also nicht für ihren ihnen unentbehrlichen Glauben. Ihre Umwertung der Werte schafft eine neue Ordnung, in der der Gläubige höher steht als in tatsächlichen gesellschaftlichen Ordnung. Dies muss jedoch nicht schon eine Verleugnung der gesellschaftlichen Ordnung sein. Es ist auch denkbar, dass der neue Rang, die bloß gedachte Stellung in der jenseitigen Ordnung eine Einordnung in die diesseitige gesellschaftliche Ordnung erleichtert, dass man sich durch diesen Trost eher mit der aktuellen Stellung zufriedengibt.⁸⁸ Nietzsche gesteht dies jedem zu, der es nötig hat.
Vgl. Nachlass 1887/88, 11[126], KSA 13.88: „Für jede Seele gab es nur Eine Vervollkommnung; nur Ein Ideal; nur Einen Weg zur Erlösung … Extremste Form der G l e i c h b e r e c h t i g u n g “. Vgl. EH, GT 2: „die décadents haben die Lüge n ö t h i g , sie ist eine ihrer Erhaltungs-Bedinungen.“ Vgl. Sommer 2013b, 313: „Die ,Gleichheit der Seelen vor Gott‘ kann ein Argument gegen die Aufhebung von gesellschaftlichen Ungleichheiten sein, weil ja im Jenseits abgerechnet und je nach Bewährung im vorausgegangenen Erdenleben belohnt oder bestraft werde.“
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So sei die christliche Gleichheitsforderung nicht Kalkül, sondern vor allem „Instinkt“, nämlich ein „Instinkt des T o d h a s s e s gegen Alles, was steht, was gross dasteht, was Dauer hat, was dem Leben Zukunft verspricht …“ (AC 58). Christen haben für Nietzsche einen unweigerlich der Rangordnung widersprechenden Instinkt. Er sei die Ursache für ihre christliche Gleichheitsmoral. Diese Moral, die alles Überlegene zu sich herab- und alles Unterlegene, also vor allem sich selbst, hinaufzieht, bis Gleichheit entsteht, dieses „moralische Urtheilen und Verurtheilen ist […] eine Art Schadenersatz dafür, dass sie von der Natur schlecht bedacht wurden“ (JGB 219). Es tue den Christen „im Grunde ihres Herzens wohl, dass es einen Maassstab giebt, vor dem auch die mit Gütern und Vorrechten des Geistes Überhäuften ihnen gleich stehn: — sie kämpfen für die „Gleichheit Aller vor Gott“ und b r a u c h e n beinahe dazu schon den Glauben an Gott.“ Der „c h r i s t l i c h e [ ] G o t t e s b e g r i f f [ ]“ (AC 16) selbst sei Ausdruck ihrer mangelnden Fähigkeit zum Eingeständnis von Rangordnungen unter den Menschen. Die Christen haben, so Nietzsche, den Glauben an sich selbst verloren, sie können und wollen sich nicht behaupten. Einem Christen erscheine „die Unterwerfung als erste Nützlichkeit“, und so „m u s s sich auch sein Gott verändern.“ (AC 16) Zunächst sei er noch „Ausdruck des Macht-Bewusstseins, der Freude an sich, der Hoffnung auf sich“ (AC 25) gewesen. „Man v e r ä n d e r t e “ dann jedoch „seinen Begriff“ (AC 25), und er „wird Gott für Jedermann“ und damit beliebig (AC 16). „Ehemals stellte er ein Volk, die Stärke eines Volkes, alles Aggressive und Machtdurstige aus der Seele eines Volkes dar: jetzt ist er bloss noch der gute Gott“, verkörpere nur noch „Ohnmacht zur Macht“ statt „Wille zur Macht“.⁸⁹ Die Götter einer Kultur, also die Götter, die sie sich selbst gibt, sind für Nietzsche auch Ausdruck ihrer Fähigkeit zum Umgang mit Rangordnungen. Als positives Gegenbeispiel nennt er schon früh die Griechen, die sich mit ihren Göttern Anreize zur Tätigkeit, zum Wettbewerb schufen. Sie waren Ausdruck ihres Selbstbewusstseins, nicht ihrer Selbstverleugnung: „Die Griechen sahen über sich die homerischen Götter nicht als Herren und sich unter ihnen nicht als Knechte“; sie sahen stattdessen „nur das Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer eigenen Kaste, also ein Ideal, keinen Gegensatz des eigenen Wesens. Man fühlt sich miteinander verwandt, es besteht ein gegenseitiges Interesse, eine Art Symmachie. Der Mensch denkt vornehm von sich, wenn er sich solche Götter giebt“ (MA I 114). Der christliche Gott hingegen sei „ein Werkzeug in den Händen priesterlicher Agitatoren“ geworden (AC 25). Damit wird auch deutlicher, worin Nietzsches Vorwurf besteht. Er kritisiert nicht, dass die Christen die Gleichheitslüge nötig haben, dass sie ihr „Schadenersatz“ oder moralischer Ausweg aus ihren Nöten ist – ihm geht es darum, dass sie die Vorstellung der Gleichheit vor Gott zum Angriff auf andere in organisierter und institutionalisierter
Vgl. Santaniello 2000, die sich mit der in AC angedeuteten Rangordnung zwischen dem ursprünglichen und starken Gott der Juden, dem dekadenten, schwach gewordenen Gott der Christen sowie Dionysos befasst.
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Weise instrumentalisieren. Er greift das Christentum an, weil er sich von ihm angegriffen fühlt.⁹⁰ Weil es der Annahme der Gleichheit widerspricht, dass es große, herausragende Individuen, dass es Exzellenz gibt, weil hoher Rang die Gleichheitslüge entlarven würde, attackiert das christliche Ressentiment alles, was überlegen scheint, so Nietzsche. Das Christentum habe sich aus diesem „Ressentiment der Massen […] seine H a u p t w a f f e geschmiedet gegen u n s , gegen alles Vornehme, Frohe, Hochherzige auf Erden, gegen unser Glück auf Erden …“ (AC 43) Es erniedrige gezielt alles Hohe, „das Evangelium der „Niedrigen“ m a c h t niedrig …“ Da vor Gott kein Ansehen der Person ist, spielt auch ihr Rang keine Rolle mehr: „Die „Unsterblichkeit“ jedem Petrus und Paulus zugestanden war bisher das grösste, das bösartigste Attentat auf die v o r n e h m e Menschlichkeit.“ Nietzsche spricht daher vom „Gift der Lehre „g l e i c h e Rechte für Alle““, das „das Christenthum“ eben mit seiner Vorstellung der Gleichheit vor Gott „am grundsätzlichsten ausgesät“ habe. Es „hat jedem Ehrfurchts- und Distanz-Gefühl zwischen Mensch und Mensch, das heisst der Vo r a u s s e t z u n g zu jeder Erhöhung, zu jedem Wachsthum der Cultur einen Todkrieg aus den heimlichsten Winkeln schlechter Instinkte gemacht“ (AC 43). So wurde die Gleichheitsvorstellung ein Hemmschuh der Kultur: Weil der Rang keine Rolle mehr spielt und die Rangordnung damit aufgehoben ist, hat man keinen Anreiz mehr, einen höheren Rang anzustreben. Glaubt man an die in diesem Sinn lähmende Gleichheit aller, gibt es keinen Anlass für Wettbewerb. Mit ihrer Gleichheitsforderung wirken die Christen für Nietzsche demotivierend und lähmend auf die europäische Kultur. Sie nehmen den Mut zum Herausragen, zu eigenverantwortlichem Handeln, hindern so die Menschheit an Wachstum und Größe und entziehen damit letztlich der Rangordnung ihre Grundlage. Eine Methode der Christen, um Gleichheit zu schaffen, sei das Mitleid, neben der Nächstenliebe ihre wichtigste Tugend. Man habe gar „aus ihm d i e Tugend, den Boden und Ursprung aller Tugenden gemacht (AC 7). Nietzsche nennt das Christentum daher die „„Religion des Mitleidens““ (vgl. besonders FW 338, JGB 202, FW 377 und AC 7). Auch hier kritisiert Nietzsche nicht so sehr den Affekt oder den Instinkt, sondern vor allem seine gezielte Kultivierung, Kanonisierung und Idealisierung, die es erlauben, das Mitleid gezielt als Instrument einzusetzen, um Rangdifferenzen einzureißen und Gleichheit herzustellen. Im Mitleid „wird unser Leiden flach ausgelegt; es gehört zum Wesen der mitleidigen Affection, dass sie das fremde Leid des eigentlich Persönlichen e n t k l e i d e t “ (FW 338, KSA 3.566). Insofern ist Mitleid immer indiskret, taktlos, zudringlich, plump und missachtet alle Rangordnung. Eine weitere Methode zur Herstellung der Gleichheit sei die christliche Demut. An ihr zeige sich die „Sklaven-Gesinnung zum {als} christl. Gehorsam“ (Nachlass 1887, 10[144], KSA 12.537 / KGW IX 6, W II 2.43). Die Demut der Christen sei eine permanente
Vgl. Nachlass 1884, 25[491], KSA 11.143: „Man muß die vorhandenen Religionen vernichten, nur, um diese absurden Schätzungen zu beseitigen, als ob ein Jesus Christus überhaupt neben einem Plato in Betracht käme, oder ein Luther neben einem Montaigne!“
4.2 Rangordnung in der Religion
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Demütigung, Ergebung und Selbstaufgabe vor Gott. Als bloße Fähigkeit zur Unterordnung könnte man die Demut auch als Rangordnungstugend, geradezu als Funktionsbedingung der Rangordnung sehen. Man empfindet sie nicht nur gegenüber anderen Menschen oder Gott, sondern etwa auch vor der Größe und überwältigenden Komplexität des Kosmos. Demut ist eine Orientierungsweise, um mit solchen überwältigenden Eindrücken der Größe umzugehen, mit dem Gefühl oder der Gewissheit der eigenen Unterlegenheit und Kleinheit, des niederen Rangs. Sie schützt vor der drückenden Schande der eigenen Minderwertigkeit und ermöglicht, den, die oder das Andere(n) als ranghöher zu akzeptieren. Damit sorgt die Demut auch dafür, dass man nicht alle Selbstachtung verliert, dass man nicht verzweifelt oder sich in einem hoffnungslosen Wettkampf aufreibt. Nietzsche wirft den Christen jedoch vor, dass sie auch die „Demuth“, „das Sklave-sein, das Beherrschtwerden, das Armsein, das Kranksein, das Unten-stehn“ zum „Ideal“ gemacht hätten (Nachlass 1888, 14[29], KSA 13.232). Im Christentum sei die Demut als Kult des Dienens ins Extrem gesteigert, sie sähe von aller Selbstbehauptung ab.⁹¹ Rang sei daher für die Christen gar kein Wert mehr: „Der christliche Glaube ist von Anbeginn Opferung: Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Geistes; zugleich Verknechtung und SelbstVerhöhnung, Selbst-Verstümmelung.“ (JGB 46) Seine Ziele seien: „die Starken zerbrechen, die grossen Hoffnungen ankränkeln, das Glück in der Schönheit verdächtigen, alles Selbstherrliche, Männliche, Erobernde, Herrschsüchtige, alle Instinkte, welche dem höchsten und wohlgerathensten Typus „Mensch“ zu eigen sind, in Unsicherheit, Gewissens-Noth, Selbstzerstörung umknicken“ (JGB 62). Das Ideal der Demut habe so dafür gesorgt, dass man in der Rangordnung gar nicht mehr aufsteigen wolle, und damit eine ihrer Grundbedingungen unterminiert. An der Demut zeige sich außerdem, dass das christliche Prinzip der Gleichheit nicht immer aufrichtig verfolgt werde. Die Demut sei vielmehr ein Mittel gewesen, sich selbst höher und über andere zu stellen: „Das Christenthum hat das N i e d r i g k e i t s g e f ü h l (die Demuth)
Vgl. Conrad 2009, 4, der auf die „eigenartige Doppelnatur“ der kirchlichen Hierarchie im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Hierarchien hinweist: Einerseits sei sie durch die für Hierarchien typischen Weisungs- und Machtbefugnisse gekennzeichnet, andererseits sei sie jedoch zugleich eine „Hierarchie des Dienens“. Dies sei klar im Katechismus der katholischen Kirche geregelt (vgl. KKK 876: „Mit der sakramentalen Natur des kirchlichen Amtes hängt innerlich sein Dienstcharakter zusammen.“): „Je höher man die Leiter der kirchlichen Hierarchie emporsteigt, desto stärker wird die Dimension des Dienens betont. Kirchliche Hierarchie besitzt somit eine inverse Dimension […]. Die Menschen sind nicht nur alle gleich vor Gott, sie sind gleicher: unten ist oben, schwach ist stark usw.“ Schon beim Abendmahl, als unter den Aposteln Rangstreitigkeiten ausbrechen, beantwortet Jesus diese mit der Forderung „einer Umkehrung der säkularen Herrschaftsverhältnisse“. Vgl. Lk 22,25 f.: „Er aber sprach zu ihnen: Die Könige herrschen über ihre Völker, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener“.Vgl. auch Mt 19,30: „Die Letzten werden die Ersten sein“, sowie Mk 10,43 f., Mt 23,12, Lk 6,20 – 26 und Lk 14,11. Jesus sah sich selbst unter den Aposteln als Diener. Conrad folgert: „Die Umkehrung der Rangfolge ist also nicht nur das Proprium der eschatologischen Gottesherrschaft […]. Die hierarchische Umkehrung soll auch das kirchliche Leben im Hier und Jetzt prägen.“
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
g u t genannt: eine Leidenschaft daraus gemacht! Dadurch sich gehoben!“ (Nachlass 1880, 7[3], KSA 9.317) Die Christen seien – um hier Notate aus verschiedenen Zeiten zusammenzustellen – in der Verfolgung ihres Ideals zudem noch äußerst inkonsequent: „Der Fromme fühlt sich dem Unfrommen überlegen: an christliche Demuth will ich glauben, wenn ich sehe daß der Fromme sich vor dem Unfrommen erniedrigt.“ (Nachlass 1876, 19[48], KSA 8.341) Neben Jesus nennt Nietzsche vor allem Franz von Assisi als Beispiel rangzersetzender Demut: Er „kämpft gegen die Aristokratie [und] {Hierarchie Rangordnung} der Seelen zu Gunsten der Niedersten.“ (Nachlass 1887, 9[19], KSA 12.347 / KGW IX 6, W II 1.120)⁹² Nietzsche nimmt für sich in Anspruch, dieses Phänomen der schleichenden Zersetzung der Rangordnung der Werte entdeckt zu haben. Damit habe er zugleich den „grössten Werth-Gegensatz, den es giebt“, nämlich die Unterscheidung „[d]ie christlichen — die v o r n e h m e n Werthe“, „wiederhergestellt! — —“ (AC 37) Die christliche Attacke auf alles Ausgezeichnete hat Nietzsche selbst als Auszeichnung begriffen.Weil der Christ nach Gleichheit strebe, sei für ihn „jedes a n d r e Princip der Auswahl, zum Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des Herzens, einfach „Welt“, – d a s B ö s e a n s i c h …“ (AC 46) All dies sind für Nietzsche rangverleihende Eigenschaften. „[W]e n“ der Christ also „hasst, w a s er hasst, d a s h a t We r t h … Der Christ, der Priester-Christ in Sonderheit, ist ein K r i t e r i u m f ü r We r t h e — —“ Der Hass des Christen zeichnet also aus, ist Ausdruck und Indikator eines hohen Rangs. Die Rangordnung der Werte lässt sich nach Nietzsche am christlichen Ressentiment ablesen. Zuletzt aber warnt Nietzsche nochmals eindringlich vor den gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen der Zersetzung der Rangordnung durch das christliche Gleichheitsideal: „U n d unterschätzen wir das Verhängniss nicht, das vom Christenthum aus sich bis in die Politik eingeschlichen hat! Niemand hat heute mehr den Muth zu Sonderrechten, zu Herrschafts-Rechten, zu einem Ehrfurchts-Gefühl vor sich und seines Gleichen […]. Unsre Politik ist k r a n k an diesem Mangel an Muth!“ (AC 43) Die ursprünglich christliche Idee der Gleichheit beschränkt sich nicht auf die religiöse Dimension, sondern breitet sich bis in die Politik aus. Es sei nun „dahin gekommen, dass wir selbst in den politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen einen immer sichtbareren Ausdruck dieser Moral finden: die d e m o k r a t i s c h e Bewegung macht die Erbschaft der christlichen.“ (JGB 202) Dieser Vorwurf lässt sich in Nietzsches Werken besonders ab JGB immer wieder finden, und auch in AC formuliert er ihn noch ein letztes Mal.⁹³ Im letzten Aphorismus attackiert er dort erneut die „„Gleichheit der
Vgl. Nachlass 1885/86, 2[177], KSA 12.154: „Franz von Assisi: Leugnung der Seelen-Hierarchie, vor Gott Alle gleich.“, und Nachlass 1888, 12[1], KSA 13.196: „F r a n z v o n A s s i s i gegen die Hierarchie kämpfend“. Vgl. auch Nachlass 1888, 15[30], KSA 13.424: Nietzsche kritisiert hier den christlichen „Begriff von der G l e i c h h e i t d e r S e e l e n v o r G o t t “, der sich „tief[ ] ins Fleisch der Modernität vererbt“ und als „Prototyp aller Theorien der g l e i c h e n R e c h t e “ in sämtliche Lebensbereiche verbreitet hat: „man hat die Menschheit den Satz von der Gleichheit erst religiös stammeln gelehrt, man hat ihr später eine
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Seelen vor Gott“, diese Falschheit, dieser Vo r w a n d für die rancunes aller Niedriggesinnten, dieser Sprengstoff von Begriff, der endlich Revolution, moderne Idee und Niedergangs-Princip der ganzen Gesellschafts-Ordnung geworden ist“ (AC 62). Diese Attacke auf die Rangordnung sei „c h r i s t l i c h e r Dynamit …“⁹⁴ Nietzsche könnte hinsichtlich der politischen Konsequenzen an John Locke gedacht haben, der die Gleichheit der Menschen explizit auf eine christliche, konkrete biblische Grundlage stellt. Locke beruft sich auf die sogenannte Gottebenbildlichkeitslehre, die besagt, Gott habe den Menschen nach seinem Abbild geschaffen: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (Gen 1,27). Es komme daher jedem Menschen prinzipiell die gleiche Würde, das gleiche Recht zu.⁹⁵ Lockes Staatslehre setzt bei dieser Gleichheit an und beeinflusste maßgeblich und folgenreich den amerikanischen Demokratisierungsprozess und damit die Grundlagen der modernen Menschenrechte. So lautet das zentrale, von Thomas Jefferson und Benjamin Franklin formulierte Bekenntnis der Unabhängigkeitserklärung von 1776: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness.“ Schon zuvor forderten die Levellers, also die „Gleichmacher“, und die Diggers, die gesellschaftliche Ungleichheiten „untergraben“ wollten, Mitte des 17. Jahrhunderts in England die Gleichheit aller vor dem Gesetz mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Gleichheit vor Gott.⁹⁶
Moral daraus gemacht: und was Wunder, daß der Mensch damit endet, ihn ernst zu nehmen, ihn p r a k t i s c h zu nehmen! will sagen politisch, demokratisch, socialistisch, entrüstungs-pessimistisch …“ In seinen Notaten erwägt Nietzsche auch die umgekehrte Reihenfolge: „Religion als Fortsetzung und Vertiefung der politischen Grundlehre gedacht, welche immer die Lehre der ungleichen Rechte, der Nothwendigkeit eines Gesellschafts-Baus mit Hoch und Niedrig, mit Gebietenden und Gehorchenden ist“ (Nachlass 1886, 3[13], KSA 12.173 f.). Vgl. Sommer 2013b, 313: Die Dynamit-Metapher „schließt an die in АС 57 und 58 behauptete Nähe von Anarchismus und Christentum an: Die Anarchisten wurden in den 1880er Jahren insbesondere mit Dynamit-Attentaten in Verbindung gebracht“. Nietzsche vertritt eine genau entgegengesetzte Auffassung der menschlichen Würde: Menschenwürde muss individuell gesetzt und immer neu verteidigt werden, ist damit eine Frage der Rangordnung. Als ontologische Wesenseigenschaft des Menschen ist sie für ihn eine Illusion.Vgl. Sorgner 2010, 228: Nietzsche „vertritt […] einen hierarchischen, graduellen Würdebegriff“. Schon bei Cicero findet sich ein ähnlicher, nämlich abgestufter, abgeleiteter und eigenverantwortlicher Begriff der „dignitas“. Für den Übergang von der religiösen zur politischen Gleichheit vgl. Berman 2008, der die Bibel „in a novel way“ lese, nämlich „as a document of political and social theory. […] While ancient Greece is often considered the cradle of modern political thought, the patrimony of modern political thought rests no less squarely in the texts of the Bible“ (3). Seien im „ancient Greece“ und „ancient Near East“ sozial-politische Rangordnungen noch selbstverständlich gewesen, so habe die Bibel, speziell der Pentateuch, damit erstmalig gebrochen und den Wert der Gleichheit theologisch und daraus folgend sozial-politisch derart wirkungsvoll etabliert, dass sich noch Denker des 17. Jahrhunderts wie Locke darauf beriefen und er heute in der Moderne für uns so fraglos geworden sei wie einst die Rangordnung. Vgl. auch Cancik 1983. Für eine abweichende Sichtweise vgl. Pfahl-Traughber 1999, der meint, „daß sich die christlichen Religionsvorstellungen und säkularen Menschenrechte auf unterschiedli-
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4.2.2.1 Luther als Antipode der Rangordnung An Martin Luther exemplifiziert und personifiziert Nietzsche die Zersetzung der Rangordnung durch die Gleichheitslehre, er dient ihm geradezu als Prototyp dieser Entwicklung.⁹⁷ Nietzsches Bild von Luther als Antipode der Rangordnung ist offensichtlich stark typisiert und überspitzt. Dennoch scheint es aufschlussreich. Nachdem die Renaissance, so Nietzsche, wieder höhere Menschen hervorbrachte und sich ein Sinn für Größe entwickelte, habe Luther den christlichen Egalitarismus reinstalliert, indem er gegen die kirchliche Hierarchie, gegen die auf Geistigkeit beruhende Institution rebellierte.⁹⁸ Ausschlaggebend für diesen „B a u e r n a u f s t a n d d e s G e i s t e s “ (FW 358, KSA 3.602) sei Luthers „abgründliche[r] Hass auf den „höheren Menschen“ und die Herrschaft des „höheren Menschen“, wie ihn die Kirche concipirt hatte“ (FW 358, KSA 3.604), gewesen.⁹⁹ Nietzsche psychologisiert die Reformationsbestrebungen Luthers. Sein Instinkt laufe der Rangordnung und aller Größe auf Erden zuwider, und zugleich mangele es ihm „als Mann aus dem Volke, dem alle Erbschaft einer herrschenden Kaste“ abgehe, am „Instinkt für Macht“ (FW 358, KSA 3.603). Darin sei er ein „Bauer“ – jemand, der aus Grobheit, aus gleichmachendem und daher unvornehmem Instinkt Widerstand gegen alles Ausgezeichnete, Herausragende, gegen die Rangordnung insgesamt leistet. Nietzsches Urteil über ihn mag auch deshalb so verheerend ausfallen, weil Luther mit seinem öffentlichen Aufruf zur Gewalt gegen die Aufständischen das von Nietzsche in FW 358 beschriebene kirchliche Kriterium der Geistigkeit, nämlich gerade die Überwindung der bloßen Gewalt, und damit auch das Prinzip der kirchlichen Rangordnung als solcher unterlief.
chen Ebenen artikulierten und demgemäß gar keine originäre Bedingtheit im Verhältnis von beidem bestand“ (67). – Zu Nietzsche und den Menschenrechten vgl. Altun 2007 und Mineau 1989. Zu Nietzsche und Luther vgl. Hirsch 1986, Benz 1937, Bluhm 1956, Ibsch 1984, Baeumer 1985, Beutel 2005, Large 2009 und zuletzt insbesondere den Sammelband von Heit / Sommer 2020. Tatsächlich spielt der Gedanke der Hierarchie auch bei Luther noch eine nicht unbedeutende Rolle. Vgl. Maurer 1970. Luther hinterfragt durch die „Freiheit“, die er jedem „Christenmenschen“ zubilligt, zwar die kirchliche Hierarchie und damit die heilige Ordnung, hielt bekanntlich aber weiterhin an der irdischen Ständeordnung fest. Im Deutschen Bauernkrieg, auf den Nietzsche anspielt, haben Bauern in Memmingen mit den Zwölf Artikeln von 1525 erstmals in Europa Menschen- und Freiheitsrechte schriftlich fixiert.Viele ihrer Forderungen sind vergleichbar mit den Grundideen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution, die besonders die Gleichheit der Menschen hervorheben. Die Bevölkerung zur Zeit der Reformation war zusehends der Ansicht, dass man auch ohne hierarchische Kirche zu Gott finden könne. In der mittelalterlichen Ständeordnung bürdete man der untersten Schicht die gesamtgesellschaftlichen Lasten auf, Leibeigenschaft, lebenslange schwerste körperliche Arbeit ohne Aussicht auf gesellschaftlichen Aufstieg war für viele die Regel. Aus dieser Not heraus entstand die Forderung nach Gleichheit – und zwar schon auf Erden, nicht erst im Himmel. Luther distanzierte sich scharf von der Bewegung. Zur Gleichheitsforderung im Bauernkrieg vgl. Vogler 1983. Für mögliche Quellen von Nietzsches Überlegungen zum Bauernkrieg vgl. Orsucci 1996, 352– 356.
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Dieser „P l e b e j i s m u s d e s G e i s t e s “ (FW 358, KSA 3.605) scheint Nietzsche typisch für die Deutschen, für die Luther geradezu paradigmatisch steht.¹⁰⁰ Der feine Geschmack der Kirche auch für Rangunterschiede war „ihm nicht d e u t s c h genug“, er war ein „Rüpel[ ], den die g u t e E t i q u e t t e der Kirche verdross, jene EhrfurchtsEtiquette des hieratischen Geschmacks, welche nur die Geweihteren und Schweigsameren in das Allerheiligste einlässt und es gegen die Rüpel zuschliesst.“ (GM III 22, KSA 5.394 f.) „[D]ie Deutschen“ insgesamt „verstehen das Wesen einer Kirche nicht“ (FW 358, KSA 3.603), auch ihnen mangelt es offenbar am Instinkt zur Rangordnung.¹⁰¹ Und so folgert Nietzsche in EH: „Man erniedrigt sich durch den Verkehr mit Deutschen: der Deutsche s t e l l t g l e i c h …“ (EH, WA 4) Das lässt sich in doppelter Hinsicht verstehen: Einerseits stellt der Deutsche andere gleich, andererseits stellt man sich mit ihnen gleich, indem man mit ihnen verkehrt. „[D]ie Deutschen sind canaille“, gerade weil sie kein „Gefühl für Distanz im Leibe“ haben, weil sie nicht „Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch“ sehen, weil sie nicht „d i s t i n g u i r [en]“, weil sie nicht „gentilhomme“ sind. Das sind fraglos sehr grobe, verletzende Verallgemeinerungen. Nietzsches konkreter Vorwurf an Luther ist, dass seine Eingriffe ins Priestertum dem Priester seinen Status als „Ausnahme-Mensch“ (FW 358, KSA 6.304) und damit seinen Rang genommen hätten.¹⁰² Er gab ihm „den Geschlechtsverkehr mit dem Weibe zurück“, nahm ihm damit zugleich jedoch etwas „Uebermenschliches im Menschen, […] das Wunder“, das für den „Volksglauben“ (FW 358, KSA 3.603 f.) so wichtig war. Luther versetzte den Priester ins Volk zurück, nahm ihm seine Sonderstellung. Mit ihr verlor der Priester auch an Autorität, an Glaubwürdigkeit: „drei Viertel der Ehrfurcht“ des Volks kamen so abhanden. Der Priester bot den Gläubigen keinen Halt mehr. Die
Vgl. KSA 14.274: Nietzsches ursprünglicher Titel für FW 358 lautete „D i e D e u t s c h e n u n d d i e R e f o r m a t i o n“. Vgl. zu Luther und den Deutschen bei Nietzsche auch Rupschus 2013, 134– 140. Kant vertrat die genau gegenteilige Meinung. Er kritisiert die Deutschen für ihre „Methodensucht, sich mit den übrigen Staatsbürgern nicht etwa nach einem Princip der Annäherung zur Gleichheit, sondern nach Stufen des Vorzugs und einer Rangordnung peinlich classificiren zu lassen und in diesem Schema des Ranges, in Erfindung der Titel (vom Edlen und Hochedlen, Wohl- und Hochwohl-, auch Hochgeboren) unerschöpflich und so aus bloßer Pedanterei knechtisch zu sein; welches alles freilich wohl der Form der Reichsverfassung Deutschlands zugerechnet werden mag; dabei aber sich die Bemerkung nicht bergen läßt, daß doch das Entstehen dieser pedantischen Form selber aus dem Geiste der Nation und dem natürlichen Hange des Deutschen hervorgehe: zwischen dem, der herrschen, bis zu dem, der gehorchen soll, eine Leiter anzulegen, woran jede Sprosse mit dem Grade des Ansehens bezeichnet wird, der ihr gebührt, und der, welcher kein Gewerbe, dabei aber auch keinen Titel hat, wie es heißt, Nichts ist“. Dieses müsse „andern Völkern lächerlich vorkommen“ und verrate „in der That als Peinlichkeit und Bedürfniß der methodischen Eintheilung, um ein Ganzes unter einen Begriff zu fassen, die Beschränkung des angebornen Talents“ (Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Absicht, AA 7.319, vgl. auch Kants Reflexionen zur Anthropologie, AA 15.586 – 589). Zur bisherigen Selbststilisierung des Priesters und seines Ausnahmecharakters vgl. Nachlass 1888, 14[199], KSA 13.383: „Alle andere Art von Vortrefflichkeit ist r a n g verschieden von der des Priesters […] C o n s e q u e n z : wenn der Priester der h ö c h s t e Typus sein soll: so muß die G r a d a t i o n zu seinen T u g e n d e n die Werthgradation der Menschen ausmachen.“
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Rangordnung zwischen Priester und Volk hob Luther schließlich vollends auf, indem er die Beichte abschaffte: „damit war im Grunde der christliche Priester selbst abgeschafft, dessen tiefste Nützlichkeit immer die gewesen ist, ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Brunnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ (FW 358, KSA 3.604) Luther „zerschlug“ damit „ein Ideal, das er nicht zu erreichen wusste“, und so „stiess er, der unmögliche Mönch, die H e r r s c h a f t der homines religiosi von sich“. Letztlich versteht Nietzsche Luthers Formel „„Jedermann sein eigner Priester““¹⁰³ als Aufhebung religiöser Rangordnungen und damit als schwerwiegenden Eingriff in die stabile Ordnung der katholischen Kirche, die Gläubigen über Jahrhunderte als fester Anhaltspunkt ihrer Orientierung Halt bot. Nietzsches Kritik an Luther wirkt an dieser Stelle fast, als ob er von einem katholischen Standpunkt aus argumentierte. Doch wenn er den reformatorischen „Angriff“ auf die katholische Kirche verurteilt, dann nicht um der Kirche willen: Es ist auch hier das Prinzip der auf Geistigkeit beruhenden Rangordnung, um das es Nietzsche geht und für das ihm die Kirche lediglich ein gut fassbares und deutliches Beispiel bietet. Auch Nietzsches Kritik an Luther ist im Kontext seiner sonstigen Äußerungen zu ihm zu sehen. Als Heinrich Romundt, ein langjähriger und engvertrauter Freund, ankündigte, zum katholischen Glauben konvertieren und sogar katholischer Priester werden zu wollen, reagierte Nietzsche, für ihn völlig untypisch, geradezu empört. In einem Brief an Rohde klagt er sein Leid und gibt sich gar persönlich verletzt: Ich bin etwas innerlich verwundet dadurch und mitunter empfinde ich es als das Böseste, was man mir anthun konnte. […] Unsre gute reine protestantische Luft! Ich habe nie bis jetzt stärker meine innigste Abhängigkeit von dem Geiste Luthers gefühlt als jetzt, und allen diesen befreienden Genien will der Unglückliche den Rücken wenden? […] [A]uch ich glaube etwas Heiliges zu vertreten und ich schäme mich tief, wenn ich dem Verdachte begegne, dass ich irgend was mit diesem mir grundverhassten katholischen Wesen zu thun hätte. (Brief an Erwin Rohde, 28. Februar 1875, Nr. 430, KSB 5.27)
Offenbar kam Nietzsche von seinen protestantischen Wurzeln nicht los. So war es für ihn sicherlich keine leichte und leichtfertige Entscheidung, in FW 358 öffentlich für die katholische Kirche einzutreten – umso wichtiger scheint es vor diesem Hintergrund, die Stelle ernst zu nehmen. Zugleich macht es den Eindruck, als ob sich Nietzsche, zumindest in seiner privaten und vielleicht auch spontanen und affektiven
Tatsächlich hob der Protestantismus die Grundlagen der kirchlichen Hierarchie auf, indem er die Lehre von der göttlichen Einsetzung des bischöflichen und priesterlichen Stands verwarf und ihr den Grundsatz des Priestertums aller Gläubigen nach 1. Petr 2,9 gegenüberstellte: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1 Petr 2,9). Vgl. auch 1 Petr 2,5: „Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.“
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Äußerung Rohde gegenüber, als Vertreter des Protestantismus in einem Rangstreit mit dem Katholizismus fühlt. Das könnte, vor allem innerhalb des Protestantismus, ein verbreitetes Phänomen sein. Nach dem Abwerfen der einen unverrückbaren, allumfassenden und klar geregelten Hierarchie der katholischen Kirche tun sich im Protestantismus neue, informellere Rangordnungen auf. Der Pietismus beispielsweise legt sein Augenmerk auf die Frömmigkeit des Einzelnen, durch die er sich vor anderen Pietisten auszeichnet und von Angehörigen anderer Glaubensrichtungen distanziert. Ein weiteres Beispiel für eine gewisse Agonalität in der Glaubenspraxis ist der Methodismus, dessen Anhänger sich besonders durch ihr soziales Engagement abzuheben versuchen.¹⁰⁴ So bilden sich informelle Rangordnungen je nach Art und Maß der Gläubigkeit. Auch Nietzsche war vielleicht nicht ganz frei davon, wie sich an seiner Reaktion zur geplanten Konvertierung seines Freundes zeigt.
4.2.2.2 Die „Ordnung der Kasten“ in AC 57 als Beispiel der Rangordnung? „Die Ordnung der Kasten, die R a n g o r d n u n g , formulirt nur das oberste Gesetz des Lebens selbst“, sie „ist nur die Sanktion einer N a t u r - O r d n u n g , Natur-Gesetzlichkeit ersten Ranges, über die keine Willkür, keine „moderne Idee“ Gewalt hat.“ (AC 57, KSA 6.242 f.) Nietzsche scheint hier das indische Kastensystem,¹⁰⁵ das das
Gestützt wird dieses Phänomen durch die kongregationalistische Gemeindeverfassung einiger Kirchen, die ihren einzelnen Gemeinden höchste Autonomie zugesteht (so etwa bei den Täufern und den Baptisten) und so einen gewissen Wettstreit nicht nur innerhalb von, sondern auch zwischen Gemeinden ermöglicht. Vgl. zum Kastensystem in Indien Dumont 1976, der – unter dem Originaltitel Homo hierarchicus – den Versuch unternimmt, die Verbindung des Hierarchie-Gedankens mit dem Kastensystem aufzuzeigen. Er geht nicht auf Nietzsche ein, spricht aber dennoch wie dieser davon, dass die Moderne den Bezug zur Hierarchie verloren habe: „Der moderne Mensch ist sozusagen unfähig, sie voll zu erkennen. Zunächst einmal sieht er sie überhaupt nicht. […] Er neigt dazu, sich ihrer zu entledigen wie eines Epiphänomens“ (13). Mit seiner Untersuchung der Kasten will Dumont, der sich selbst klar zur Gegenposition, dem Egalitarismus oder der Theorie der Gleichheit, bekennt, „zum Nachdenken über die modernen Werte an[ ]regen“ (20), will sich so selbst und „die Grenzen und die Bedingungen der Verwirklichung des moralischen und politischen Egalitarismus“ (18) besser verstehen. Er hält deutlich fest: „Das egalitäre Prinzip und das hierarchische Prinzip sind Realitäten ersten Ranges und zählen zu den zwingendsten realen Wesenszügen des politischen oder sozialen Lebens überhaupt“ (19) und konstatiert zudem, „daß die moderne Ablehnung der Hierarchie das bedeutsamste Hindernis ist, das sich dem Verständnis des Kastensystems entgegenstellt“ (35). Die Hierarchie sei im indischen Kastenwesen „etwas, das praktisch nur mit religiösen Werten zu tun hat“, und beruhe auf „dem Gegensatz zwischen Rein und Unrein“, einem „rein religiöse[n] Gegensatz“ (91). Selbst die Wortbedeutung von ,Kaste‘ verweise auf diesen Gegensatz (lat. ,castus‘ = rein). Im späteren Werk setzt sich Dumont genauer mit dem Prinzip der Gleichheit auseinander (Homo Æqualis I und II, Dumont 1978 und 1991).Vgl. dazu kritisch Appadurai 1988, 36 – 49. Laut Gerhardt 1992, 18, führt schon Montesquieu „,différences des rangs‘ als Erklärung der Eigentümlichkeiten […] in der indischen Kastengesellschaft […] an.“ Vgl. Montesquieus De L’esprit des Loix (1748), Livre 14, Chapitre 22.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
„Gesetzbuch des Manu“ beschreibe, geradezu synonym zur Rangordnung zu sehen.¹⁰⁶ Untersucht man die Stelle jedoch genauer und berücksichtigt ihren Kontext in AC und in Nietzsches Philosophie insgesamt – die Kenntnis seiner Schriften setzt Nietzsche bei seinen Lesern stets voraus –, wird man sie nicht mehr bloß vordergründig und wortwörtlich begreifen können. Offenbar verbergen sich hinter dem lauten Ton, den Nietzsche in AC anschlägt, auch leisere, unauffälligere Themen, die es nicht zu überhören gilt. Nietzsche will mit seiner Wort- und Themenwahl sichtlich provozieren – und doch ist ihm nicht an purer Provokation gelegen. Es liegt am Leser, ob er sich mit der nächstliegenden Interpretation zufriedengibt oder sich näher auf die Kontexte einlässt.¹⁰⁷ Gerade AC 57 lässt, wie sich zeigen wird, sehr verschiedene Interpretationen zu, was sich auch im auffällig uneinigen Forschungsstand widerspiegelt. Der Begriff der Kaste taucht bei Nietzsche (mit über 150 Stellen) häufig und mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen auf.¹⁰⁸ Dass er sich nicht auf den klassischen Sinn der Kaste als einer strikt geschlossenen und auf Geburtsrecht basierenden gesellschaftlichen Klasse innerhalb einer streng hierarchischen Organisation beschränkt, ist schon früh ersichtlich. Im Aphorismus „C u l t u r u n d K a s t e “ (MA I 439) unterscheidet Nietzsche zwei Kasten, „die der Arbeitenden und die der Müssigen, zu wahrer Musse Befähigten“, und fordert ausdrücklich den „Austausch der beiden Kasten“, der einen „Zustand“ bewirken könne, „über den hinaus man nur noch das offene Meer unbestimmter Wünsche sieht.“ Der Austausch zwischen den beiden Gruppen, dessen Maß Nietzsche offenlässt, widerspricht dem eigentlichen Kastengedanken. Es war ganz offenbar nicht Nietzsches Ziel, eine tatsächliche Standes- oder Kastenordnung einzuführen. Ihm war vielmehr daran gelegen, die verschiedenen Werte und Perspektiven einer Gesellschaft stärker voneinander abzugrenzen, sie in größtmöglichen Gegensatz zueinander zu bringen, um so die nötige Spannung zu erzeugen, die Kultur insgesamt zu steigern.¹⁰⁹ Die Kaste dient Nietzsche dafür in erster Für Nietzsches erste Kontakte mit dem Manu-Gesetzbuch vgl. Figl 1989, besonders für seine fragwürdige Textgrundlage, eine unzuverlässige Übersetzung von Louis Jacolliot, vgl. Etter 1987, Brobjer 2004, sowie Berkowitz 2005/06. Vgl. auch Sommer 1999, Vanderheyde 2005, Elst 2008 und zuletzt Sommer 2013, 264– 278. Poljakova 2013, 470, sieht AC insgesamt „als Prüfstein einer […] Lektüre“, die sich nicht mit dem Auffinden von oberflächlichen Widersprüchen zufriedengibt, sondern diese Widersprüche „als eine Art Anweisung zu einer komplexeren Auslegung“ nimmt. Vgl. etwa WL 1, KSA 1.881 f. Die Kastenordnung hat hier als Teil von Nietzsches Überlegungen zur Metapher eine eigentümliche grammatische Bedeutung. In UB II, HL 8, KSA 1.305, spricht Nietzsche wiederum von einer „wissenschaftliche[n] Kaste“. Vgl. Nachlass 1883, 7[21], KSA 10.244: Nietzsche unterscheidet zwischen einer auf Gleichheit und einer auf Rangordnung zielenden Bewegung, die „möglichst getrennt“ sein sollen, „wie d i e e p i k u r i s c h e n G ö t t e r , s i c h u m d i e a n d e r e n i c h t k ü m m e r n d .“ Später erwägt Nietzsche die „Rangordnung durchgeführt in einem System der Erdregierung“ als „eine neue herrschende Kaste […], ganz epicurischer Gott“ (Nachlass 1885, 35[73], KSA 11.541). Epikur und speziell seine sorglosen Götter stehen für die Ablehnung aller Politik, so dass man die „Erdregierung“ und die „herrschende Kaste“ hier kaum vorrangig politisch begreifen kann.Vgl. zur Kultursteigerung durch Gegensätzlichkeit
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Linie als Metapher, als Stilmittel. Er verfolgt mit ihr philosophische und kulturelle, nicht politische Absichten. Nietzsche zweifelt schon früh, im gleichen Aphorismus, ob es „noch Ohren“ (MA I 439) für seine unbequemen und unbequem präsentierten Wahrheiten gebe: Ohren, die noch direkt, ohne moralische Störgeräusche hören. Der Ruf nach Gleichheit scheint so stark, dass er jeden Zugang zur Rangordnung übertönt. Nietzsche musste immer mehr erfahren, dass es die Ohren für ihn nicht mehr oder noch nicht gibt, und so rief er selbst immer lauter, um doch noch gehört zu werden. Den vielleicht lautesten Ton schlägt er in dem langen Aphorismus AC 57 an, seinem wohl letzten großen Versuch, die Rangordnung philosophisch zu problematisieren. Das Kastensystem ist hier für ihn nicht Zweck, sondern Mittel: Es dient ihm – um die Metapher der Lautstärke beizubehalten – als Verstärker für sein Problem der Rangordnung und soll diesem, endlich, die nötige Aufmerksamkeit verschaffen. Nietzsche geht damit ganz gezielt das Risiko ein, die Rangordnung als konkrete hierarchische Kastenordnung erscheinen zu lassen: besser, das Problem wird von einigen (oder keinem) verstanden und von vielen (oder allen) missverstanden als von allen missachtet. Ein zentrales Motiv stellt das „Gesetzbuch des Manu“ dar, die grundlegende Textquelle des altindischen Kastensystems. Es entstand, so Nietzsche, „wie jedes gute Gesetzbuch: es resümirt die Erfahrung, Klugheit und Experimental-Moral von langen Jahrhunderten, es schliesst ab, es schafft Nichts mehr.“ (AC 57, KSA 6.241)¹¹⁰ Nietzsche sieht den Nutzen des Gesetzbuchs besonders darin, dass es eine gewisse Rangordnung der Werte fixiert, die sich in natürlichen Prozessen über lange Zeit entwickelt, sich immer wieder bewährt und so letztlich durchgesetzt hat, und zwar in einer Form, in der man sich leicht an sie halten kann. Das Buch gibt verbindliche Orientierung an erprobten Werten in Form von verpflichtenden Gesetzen und verhindert so „das Noch-Fort-Experimentiren, die Fortdauer des flüssigen Zustands der Werthe, das Prüfen, Wählen, Kritik-Üben der Werthe in infinitum.“ Um die im Gesetzbuch geforderte Ordnung zu plausibilisieren, zu sanktionieren und zu legitimieren, um sie vertraut und wirksam zu machen, „stellt man“ dem endlosen Experiment, der ständigen Umordnung der Rangordnung der Werte „eine doppelte Mauer entgegen: einmal die O f f e n b a r u n g “, also „die Behauptung, die Vernunft jener Gesetze sei n i c h t menschlicher Herkunft“, sondern „göttlichen Ursprungs, ganz, vollkommen, ohne Geschichte, ein Geschenk, ein Wunder, bloss mitgetheilt …“ Zum anderen erfindet man „die T r a d i t i o n“, also „die Behauptung, dass das Gesetz bereits seit uralten Zeiten bestanden habe, dass es pietätlos sei, ein Verbrechen an den Vorfahren
schon Nachlass 1875, 5[199], KSA 8.96: „Denkt man an die ungeheure Masse von Sklaven auf dem Festlande, so waren G r i e c h e n immer nur sporadisch zu finden. Eine h ö h e r e Kaste von Nichtthuern Politikern usw. Ihre F e i n d s c h a f t e n hielten sie in leiblicher und geistiger Spannung. Sie mußten ihre S u p e r i o r i t ä t an Q u a l i t ä t festhalten – das war ihr Zauber über die Massen.“ Zur Gegensätzlichkeit der Werte vgl. Kap. 4.3.1.2. Vgl. Nachlass 1888, 14[221], KSA 13.394: „die O r d n u n g d e r K a s t e n […] ist nur die Sanktion der Erfahrung, sie geht ihr nicht voraus, noch weniger hebt sie dieselbe auf …“
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sei, es in Zweifel zu ziehn“ – oder kurz: „Gott g a b es, die Vorfahren l e b t e n es.“ (AC 57, KSA 6.241 f.) Das Gesetz muss somit „u n b e w u s s t g e m a c h t w e r d e n : dies der Zweck jeder heiligen Lüge.“ (AC 57, KSA 6.242) „Unbewusst“ bedeutet, dass man nicht mehr über es nachdenkt, dass es Routine wird, über die man nicht mehr entscheiden muss, „dass der vollkommne Automatismus des Instinkts erreicht wird“. Außerdem invisibilisiert die „Lüge“ die den Gesetzen vorausgegangene Evolution der Werte und lässt sie so alternativlos erscheinen. Wenn man der Lüge glaubt und annimmt, es habe noch nie andere Werte gegeben, wird man kaum die Möglichkeit erwägen, dass es auch anders sein könnte, dass es andere Werte geben könnte („T r a d i t i o n“). Wenn man zudem den zweiten Teil der Lüge, die Heiligkeit, glaubt, wird man darüber hinaus einen Frevel an den göttlich sanktionierten Gesetzen nicht riskieren wollen („O f f e n b a r u n g “). Die Lüge verleiht den Gesetzen durch die beiden Mythen der Tradition und der Offenbarung Autorität und Rang und damit Stabilität und Wirksamkeit. Sie hilft, den über Jahrhunderte sedimentierten Erfahrungsschatz zu überliefern, zu stabilisieren und zu konservieren – insofern ist sie, das ist für Nietzsche entscheidend, lebensfördernd. „Ein Gesetzbuch nach Art des Manu aufstellen heisst einem Volke fürderhin zugestehn, Meister zu werden, vollkommen zu werden, – die höchste Kunst des Lebens zu ambitioniren.“ Gerade darin sieht Nietzsche die Lüge gerechtfertigt, dies schätzt er an ihr. Der Kastenordnung widmet Nietzsche sich als bedeutendstem Teil des Gesetzbuchs intensiv. Er unterscheidet nicht mehr, wie sie sonst meist bei ihm zu finden sind, zwei, sondern „drei physiologisch verschieden-gravitirende Typen“: die obere Kaste oder „d i e We n i g s t e n“, die mittlere Kaste, „das sind die Wächter des Rechts, die Pfleger der Ordnung und der Sicherheit“, „die vornehmen Krieger“ und gar „der K ö n i g “, sowie die untere Kaste oder die „M i t t e l m ä s s i g e n“, also „Handwerk, der Handel, der Ackerbau, die Wissenschaft, der grösste Theil der Kunst, der ganze Inbegriff von Berufsthätigkeit“ (AC 57, KSA 6.242– 244).¹¹¹ Das Kriterium dieser Ordnung ist erneut die Geistigkeit: „Die geistigsten Menschen“ sind in der oberen Kaste, während die mittlere Kaste „die Exekutive der Geistigsten“ darstellt. Die Geistigkeit zeigt sich in den Eigenschaften der Obersten: an ihrem „Jasagende[n] Instinkt“, „in der Härte gegen sich und Andre“, an „ihre[r] Lust zur Selbstbezwingung“, an ihrer „Verantwortlichkeit“ und an ihren „schwere[n] Aufgaben“ (AC 57, KSA 6.243 f.). All dies
Vgl. zur dreiteiligen Kastenordnung Benveniste 1993: „Das Iranische, Indische, Griechische und Italische belegen durch parallele, von Sprache zu Sprache verschiedene und oft aufschlußreiche etymologische Reihen das gemeinsame indoeuropäische Erbe einer gemäß drei grundlegenden Funktionen strukturierten und hierarchisierten Gesellschaft: den Funktionen des Priesters, des Kriegers und des Bauern.“ Diese „Gliederung der Gesellschaft in drei Bereiche ist die älteste, zu der wir vorgedrungen sind“ (218 f.). Zu unterscheiden sei bei dieser Gliederung aber immer zwischen Funktion und Zugehörigkeit. Keineswegs lasse sich aus der bloßen Funktion einer Person ihre Stellung innerhalb einer Gesellschaft verorten: Die „funktionale Dreiteilung deckt sich keineswegs mit den Kreisen der Zugehörigkeit; diese stellen politische Unterteilungen dar, die sich auf die Gesellschaft in ihrer räumlichen Ausdehnung beziehen“ (230).
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sind Eigenschaften, die sich kaum im Rahmen eines traditionellen, auf Geburtsrecht basierenden Kastensystems vererben. Es ist zudem auffällig, dass die genannten Eigenschaften geradezu zum Verwechseln ähnlich sind mit denen, die Nietzsche generell bei Ranghohen sieht. Die Kastenordnung steht bei Nietzsche für Differenz, für auf Kraft- und Rangunterschieden basierendes Leben. Dass er die Kastenordnung tatsächlich will, wie man bei einer isolierten Betrachtung des Aphorismus noch folgern könnte, scheint damit bereits höchst unwahrscheinlich.¹¹² Nietzsche nutzt sie vielmehr als Metapher und als Tarnung für seine eigenen philosophischen Zwecke.¹¹³ Nietzsches eigentliches Ziel wird erst dann vollständig sichtbar, wenn man den Kontext des Aphorismus betrachtet: seine Kritik am Christentum. Dass Nietzsches Ausführungen zur indischen Kastenordnung gerade in Der Antichrist zu finden sind, ist kein Zufall. Nietzsche schätzt das Prinzip der „U n g l e i c h h e i t “ (AC 57, KSA 6.243), der Rangordnung als wesentlichen Wert des Gesetzbuchs des Manu und will es gegenüber dem Prinzip der Gleichheit, ihrem christlichen Gegenstück, problematisieren und stärken. Nietzsche sagt dies zu Beginn von AC 57 so deutlich, dass man sich wundert, wie wenig Berücksichtigung seine eigens angekündigte Motivation in der Forschung findet: „Man ertappt die U n h e i l i g k e i t der christlichen Mittel in flagranti, wenn man den c h r i s t l i c h e n Z w e c k einmal an dem Zweck des Manu-Gesetzbuchs misst, – wenn man diesen grössten Zweck-Gegensatz unter starkes Licht bringt.“ (AC 57, KSA 6.241) Entscheidend ist für ihn, dass die Lüge des Gesetzbuchs lebensfördernd, die Lüge der Christen hingegen lebensfeindlich wirke.¹¹⁴ Das zeigt sich besonders an den beiden Aphorismen AC 56 und 58, die die Darstellung des Kastensystems umrahmen. So lautet schon der erste Satz: „Zuletzt kommt es darauf an, zu welchem Z w e c k gelogen wird. Dass im Christenthum die „heiligen“ Zwecke
Vgl. schon Trönle 1958, 23: „Die Bezeichnung der Schichten als ,Kasten‘ ist bei Nietzsche nicht in der aus der Geschichte geläufigen Bedeutung zu nehmen, sondern als stärkerer Ausdruck für eine Rangordnung, die ein Heraustreten einer höheren Art von Menschen aus den Daseins- und Erhaltungsbedingungen der großen Masse in andre, i h r angemessene Bedingungen vorsieht. Dabei soll durchaus nicht eine in der Geschichte einmal dagewesene kastenmäßige Schichtung aufgegriffen und wiederholt werden, sondern etwas ganz Neues entstehen, wie es in dieser Art bisher noch nicht dagewesen ist.“ Vgl. auch Conway 1997, 34: „Nietzsche recommends the law of Manu not as a blueprint for political reform in late modernity, but as evidence of the importance ,noble‘ cultures have traditionally attached to the morality of breeding. While the restoration of political aristocracy is simply out of the question for late modernity, a (modified) morality of breeding […] is not. […] The ethical motivation behind Manu’s system is the perfectionism that Nietzsche too advocates“, und Brobjer 1998, 318: „A more correct interpretation of sections 56 to 58 in The Antichrist than to see them as expressing Nietzsche’s political ideal, is to see them as part of his critique of Christianity and modernity.“ Eine ähnliche Einschätzung vertritt auch Elst 2008, 576: „His fondness for Manu was a purely theoretical position, less concerned with India’s quaint social divisions than with the underlying spirit of elitism and of accepting the inequality that nature has imposed on mankind.“ Auch Leiter 2002 hebt den rhetorischen Aspekt gegenüber dem politischen hervor: „the rhetorical context of the passage is crucial, though it is completely ignored by all those commentators bent on inventing a Nietzschean political philosophy“ (294). Zu Nietzsche Kritik der lähmenden Wirkung der christlichen „Gleichheitslüge“ vgl. Kap. 4.2.2.
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fehlen, ist m e i n Einwand gegen seine Mittel.“ (AC 56) Direkt im Anschluss an AC 57 heißt es dann: In der That, es macht einen Unterschied, zu welchem Zweck man lügt: ob man damit erhält oder z e r s t ö r t . […] Lernten wir eben eine religiöse Gesetzgebung kennen, deren Zweck war, die oberste Bedingung dafür, dass das Leben g e d e i h t , eine grosse Organisation der Gesellschaft zu „verewigen“, das Christenthum hat seine Mission darin gefunden, mit eben einer solchen Organisation, w e i l i n i h r d a s L e b e n g e d i e h , ein Ende zu machen. (AC 58)
Man könnte es einen Zufall nennen, dass Nietzsche für diese Kritik ausgerechnet zum Gesetzbuch des Manu greift: Er las die Übersetzung des Buchs Ende Mai 1888,¹¹⁵ AC entstand nur kurz darauf. Wenn das Kastensystem für Nietzsche aber nur Vorwand ist, dann ist auch klar, dass er in AC 57 nicht blauäugig Gesellschaftspolitik betreibt oder sich naiv-nostalgisch fremde Sozialstrukturen herbeiwünscht, wie man ihm vorgeworfen hat.¹¹⁶ Dass Nietzsche, trotz aller zur Schau gestellten Begeisterung, kritische Distanz zum Gesetzbuch des Manu wahrt, zeigt sich deutlich im Nachlass. Hier notiert er ausdrücklich eine „K r i t i k M a n u s “ und wirft dem Gesetzbuch die „Reduktion der N a t u r auf die Moral“ vor – es sei daher gar „eine Schule der Ve r d u m m u n g “ (Nachlass 1888, 14[203], KSA 13.385).¹¹⁷ Auch in GD befasst er sich mit dieser Thematik,
Vgl. Nietzsches Brief an Heinrich Köselitz, 31. Mai 1888, Nr. 1041, KSB 8.325. So etwa Sommer 2000, der die metaphorische Ebene und die stilistische Eigenart des Aphorismus (oder Paragrafen) im Wesentlichen übergeht. Zwar meint Sommer, Nietzsches Rekurs auf die „Dreiklassengesellschaft will vor allem eines: Provozieren“ (574), nimmt ihn dann aber doch allzu sehr beim Wort und verharrt bei einem nur vordergründigen, oberflächlich-verkürzenden Kommentar, der das Gesetzbuch des Manu als bloßen „Vorwand für eine eigene gesellschaftspolitische Phantasmagorie“ (583) sieht. Sommer macht sich kaum die Mühe des Verstehens, geht stattdessen zum (Gegen‐)Angriff über: So spricht er etwa von Nietzsches „Nostalgik“, „die sich eine Gesellschaftsordnung nach dem Muster Manus herbeiwünscht“ (570), von „physikoteleologische[n] Träumereien“ (582) und Nietzsches „Höhenrausch“ (583). Auch kritisiert er „das ganze Gerede“ (573) Nietzsches von einer „N a t u r O r d n u n g “ und rückt ihn in die Nähe „eines naturalistischen Substantialismus, der, freundlich ausgedrückt, vorkritisch ist“ (574).Vgl. von Inhalt und Ton ähnlich bereits Sommer 1999, bes. 211 f., und zuletzt Sommer 2013b, 269 – 279 und 310 f. Vgl. ähnlich Knoll 2014 (und schon zuvor Knoll 2009), der Nietzsche vorwirft, „das Problem, dass in Indien die Kastenzugehörigkeit auf der Geburt und nicht auf den persönlichen Qualitäten basiert, nicht an[zusprechen]“ (180), ohne zu erwägen, warum Nietzsche darauf verzichtet haben könnte und was das für seine eigene Interpretation bedeuten möge. Vgl. ähnlich Nachlass 1888, 15[42], KSA 13.433, und 15[45], KSA 13.439. Vgl. dazu überzeugend Ottmann 1999, 252 f.: „Nietzsches Beschreibung dieser Kastenordnung […] könnte bei flüchtiger Lektüre so klingen, als ob er in solcher altindischer Religion die exemplarisch ,arische‘ und vorbildliche gesehen habe, der dann die so verworfene semitische Religion, Judentum und Christentum, gegenübertrat. Wer Nietzsches Exzerpte aus dem ,Gesetzbuch des Manu‘ studiert, die sich im Nachlaß finden, wird eine ganz andere Schlußfolgerung ziehen müssen. Denn es ist diese arische Religion, die für Nietzsche das erste Beispiel für die ,pia fraus‘ der Moralisten und ,Verbesserer‘ der Menschheit bot, und unter diesem Obertitel ,‚Verbesserer‘ der Menschheit‘ tauchte die Beschreibung der Manu-Religion auch in der ,Götzen-Dämmerung‘ auf. Man kann nur bedauern, daß Nietzsche in seinem veröffentlichten Werk die Kritik an dieser ,arischen‘ Religion nicht so einbrachte, wie er der Kritik an Judentum und Christentum Raum gab. Denn der Nachlaß zeigt in aller Deutlichkeit, daß ihm, noch vor Judentum
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mit dem „grosse[n], d[em] u n h e i m l i c h e [n] Problem, dem ich am längsten nachgegangen bin: d[er] Psychologie der „Verbesserer“ der Menschheit.“ (GD, Die „Verbesserer“ der Menschheit 5) Die durch Lügen erreichte Zurechtmachung und Verschleierung der natürlichen Evolutionsprozesse der Werte, die er in AC 57 gerade als Stärke des Gesetzbuchs hervorhebt, sieht er hier nüchtern als Ausdruck der „Moral der Z ü c h t u n g “ und „der Z ä h m u n g “. „Weder Manu, noch Plato, noch Confucius, noch die jüdischen und christlichen Lehrer haben je an ihrem R e c h t zur Lüge gezweifelt“, und darin seien sie selbst „von Grund aus u n m o r a l i s c h .“ Nietzsches emphatisches Lob des Gesetzbuchs des Manu in AC 57 sollte also nicht seine viel grundsätzlichere Kritik an einer vorgeblich moralischen „„Verbesserung““ der Menschen durch eine „pia fraus, das Erbgut aller Philosophen und Priester“ (GD, Die „Verbesserer“ der Menschheit 5), überdecken. Manu und christliche Priester stehen für Nietzsche in einer Reihe. Das Gesetzbuch instrumentalisiert er, lädt es philosophisch auf und überhöht es stilistisch, wo er nur kann, um es im größtmöglichen Kontrast zum Christentum erscheinen zu lassen. Seine überspitzte Darstellung der Kastenordnung, die fast wie eine Karikatur von Platons Politeia anmutet, soll also letztlich die Lebensfeindlichkeit der christlichen Gleichheitslüge betonen. Auch Nietzsches vermeintlicher Naturalismus wird anders verständlich, wenn man den Kontext der Kritik am Christentum berücksichtigt: Nietzsche beruft sich im gesamten Werk AC immer wieder auf die Natur und die Natürlichkeit als Grundwerte, jedoch immer in bewusster Opposition zum Christentum. Dieses habe die Natur völlig entwertet: „Nachdem erst der Begriff „Natur“ als Gegenbegriff zu „Gott“ erfunden war, musste „natürlich“ das Wort sein für „verwerflich““ (AC 15). Schon die Juden hätten eine „radikale F ä l s c h u n g aller Natur, aller Natürlichkeit, aller Realität, der ganzen inneren Welt so gut als der äusseren“ unternommen, „sie schufen aus sich einen Gegensatz-Begriff zu n a t ü r l i c h e n Bedingungen“ (AC 24). Ihre Geschichte sei „unschätzbar als typische Geschichte aller E n t n a t ü r l i c h u n g der Natur-Werthe“ (AC 25). Und: „in allen natürlichen Vorkommnissen des Lebens, bei der Geburt, der Ehe, der Krankheit, dem Tode, gar nicht vom Opfer („der Mahlzeit“) zu reden, erscheint der heilige Parasit, um sie zu e n t n a t ü r l i c h e n“ (AC 26, KSA 6.196). Nietzsche greift diese jüdisch-christliche Unterscheidung von Gott und Natur lediglich auf und wertet sie, durch seine Neu-Aufwertung der Natur, um – dies ist zweifellos Teil seiner „Umwerthung aller Werthe“, die er mit AC bekanntlich als erfüllt ansah.¹¹⁸ Wenn Nietzsche hier also von Naturordnungen spricht, dann ist dies kein Rückschritt in einen plumpen, ontologisch-fundamentalistischen Naturalismus, sondern ein strategischer wie provokanter Eingriff in die Rangordnung der Werte, der die Natur nach ihrer Abwertung durch das Christentum wieder aufwerten soll.¹¹⁹ Das trifft auch und Christentum, die altindische Religion als erstes Exempel der moralisch-religiösen-priesterlichen Verkehrung der Natur gegolten hat.“ Vgl. KSA 14.434 f., Winteler 2009 und Brobjer 2011. Anders sieht das Ansell-Pearson 1994, der Nietzsche eben doch Naturalismus unterstellt: „Nietzsche’s political theory makes the classic move of resting a theory of the political on a theory of
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für seine Aussage zu, die Kastenordnung sei „nur die Sanktion einer N a t u r - O r d n u n g , Natur-Gesetzlichkeit ersten Ranges, über die keine Willkür, keine „moderne Idee“ Gewalt hat“ (AC 57, KSA 6.242). Nietzsche unterscheidet hier offenbar zwischen der Natur und den „modernen Ideen“, der Moral. Er signalisiert damit, dass die Rangordnung selbst nicht einfach nur eine „Idee“ ist, der man mit herkömmlichen moralischen Maßstäben beikommen könnte. Sie ist keine Erscheinung, die sich erledigen wird oder die man übergehen könnte, sondern ein unumgängliches Problem, dem man sich nicht entziehen kann, wie man sich auch den Naturgesetzen nicht entziehen kann. Diese „Natürlichkeit“ des Problems lässt sich eben in der Natur leicht beobachten, diese scheint ohne Rangordnung undenkbar (vgl. Kap. 4.1). Nietzsche lenkt den Fokus des Lesers auf das Problem der Rangordnung, indem er es als Realität, als Gegebenheit, als natürliches Phänomen präsentiert, und fordert ihn damit heraus, sich dem Problem zu stellen.
4.2.3 Der Rang der Juden – ein Sonderfall Nietzsche hat sich oft zum Judentum geäußert. Sein Verhältnis zu ihm insgesamt scheint inzwischen gut aufgearbeitet, doch hat man Nietzsches Äußerungen speziell zum Rang der Juden und zu ihrem von lange her erworbenen Sinn für Rangordnung in ihrer philosophischen Tiefe noch nicht ernst genommen. Die Juden sind für ihn, gerade auch hinsichtlich der Rangordnung, ein besonderer Fall: Ihr „Fall ist ersten Rangs“ (AC 27). Weil die Juden sich selbst als „das „heilige Volk“, das „Volk der Ausgewählten““, das durch Gottes Bund erwählte Volk sehen, ist für sie ein ausgeprägtes Gefühl für Rangordnung und Distanz und eine damit verbundene Verantwortlichkeit geradezu selbstverständlich – man könnte die Juden gar als das Volk der Rangordnung betrachten. Nietzsche sieht sie in der Rangordnung der Völker ganz oben: „man vergleiche nur die verwandt-begabten Völker, etwa die Chinesen oder die Deutschen, mit den Juden, um nachzufühlen, was ersten und was fünften Ranges ist.“ (GM I 16, KSA
nature“ (41) und diese These allein mit dem Zitat von AC 57 zu belegen versucht. Eben diesen vermeintlichen Naturalismus macht er Nietzsche im nächsten Schritt zum Vorwurf: „The weakness of Nietzsche’s aristocratism is that it justifies itself in terms of an untenable naturalism.“ Gerade im Nihilismus sei eine solche Haltung nicht mehr vertretbar, Nietzsche widerspreche sich damit selbst. – Ansell-Pearsons Kritik an Nietzsche wirkt sehr konstruiert. Er geht davon aus, dass Nietzsche eine naturalistisch legitimierte „theory of politics“ entworfen habe, die Aristokraten nicht als geistige, sondern als tatsächlich politisch herrschende, durch „force and violence“ an die Macht gekommene Klasse sehe. Aus AC 57 lässt sich bei näherer Betrachtung jedoch gerade kein Naturalismus und auch kein gesellschaftspolitisches Postulat ableiten. Vgl. zuletzt auch Hatab 2019, der feststellt, dass Nietzsches Kritik der christlichen Abwertung der Natur nicht zum Atheismus führen muss, sondern im Gegenteil den Weg zu anderen Göttern und Religionen öffnen könnte, die in ihrer Achtung der Natur lebensfördernd sind, ohne auf einen letzten naturalistischen Glauben angewiesen zu sein. Nietzsches Dionysos könne ein solcher Gott sein.
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5.286)¹²⁰ Auch schätzt er den Tanach, in dem ein Sinn für Größe und Rang erfahrbar sei: „Im jüdischen „alten Testament“ […] giebt es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen hat.“ (JGB 52) Der Umgang mit dem Alten Testament könne gar als Gradmesser für den Rang seines Lesers gesehen werden: „der Geschmack am alten Testament ist ein Prüfstein in Hinsicht auf „Gross“ und „Klein““. Man muss die Größe zur Größe dieses Buchs haben. Dem modernen Geschmack jedoch sei die Grausamkeit des Alten Testaments zuwider und der Gedanke der Rangordnung zu fremd: „wer selbst nur ein dünnes zahmes Hausthier ist und nur Hausthier-Bedürfnisse kennt“, der findet keinen Zugang zu ihm. Im Nachlass bewertet Nietzsche das Judentum des Alten Testaments als die „J a s a g e n d e semitische Religion, die Ausgeburt der h e r r s c h e n d e n Classen“ (Nachlass 1888, 14[195], KSA 13.380). Der Grund für Nietzsches Hochachtung der Juden ist vor allem ihre „Anpassungskunst“ (FW 361), die sie aufgrund ihrer historisch einzigartigen Nöte entwickeln mussten. „Die Juden sind aber ohne allen Zweifel die stärkste, zäheste und reinste Rasse, die jetzt in Europa lebt; sie verstehen es, selbst noch unter den schlimmsten Bedingungen sich durchzusetzen (besser sogar als unter günstigen)“ (JGB 251, KSA 5.193). Sie lebten als ausgeschlossene Minderheiten in Ghettos, zerstreut durch die Diaspora, und mussten immer wieder bestimmte und oft schlecht angesehene Berufe und Sonderrollen annehmen. Die so erworbene Anpassungsfähigkeit und Geistigkeit erlaubte es ihnen, „sich aus eigener Kraft neue Lebensmöglichkeiten zu schaffen, die für sie Überlebenschancen waren“, bis „sie sich dadurch beharrlich an die Spitze der Modernität setzten“.¹²¹ Die „„Aristokratie des Geistes““ nennt Nietzsche gar „ein Leibwort für Juden“ (Nachlass 1885, 35[76], KSA 11.543). Vielleicht schätzte er an den Juden auch ihre Fähigkeit, sich in dauerhaften Familiendynastien zu organisieren, sowie das damit verbundene genealogische Selbstbewusstsein, wie es sonst wohl nur beim Adel zu finden ist. Nietzsches Metapher von der Rangordnung als einer langen Leiter, die es zu erklimmen gilt, ist im Fall der Juden besonders anschaulich: Sie hatten die längste und steilste Leiter mit den meisten Sprossen zu erklimmen, haben sich durch den Aufstieg aber auch den höchsten Rang erworben. „Ihre Organisation setzt ein reicheres Werden, eine gefährlichere Laufbahn, eine größere Zahl von Stufen voraus, als alle andren Völker aufweisen können. Aber das ist beinahe eine Formel für Überlegenheit.“ (Nachlass 1888, 18[3], KSA 13.532) So verdanke man der „leidvollste[n] Geschichte unter allen Völkern […] den edelsten Menschen (Christus), den reinsten Weisen (Spinoza), das mächtigste Buch und das wirkungsvollste Sittengesetz der Welt“ (MA I 475). Im gleichen Atemzug weist Nietzsche darauf hin, dass die jüdische „Thatkräf Vgl. Nachlass 1888, 15[80], KSA 13.456: „Welche Wohlthat ist ein Jude unter Deutschen!“ Vgl. Schank 2000, 142– 147, der die Juden bei Nietzsche als „höhere Rasse“ sieht und zeigt, „daß die Juden meist an der Spitze“ von Nietzsches wenngleich immer vorläufigen und in Bewegung bleibenden Versuchen zu einer Rangordnung der Völker stehen. Stegmaier 2012a, 333.
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tigkeit und höhere Intelligenz, ihr in langer Leidensschule von Geschlecht zu Geschlecht angehäuftes Geist- und Willens-Capital“ jedoch auch „in einem neid- und hasserweckenden Maasse zum Uebergewicht kommen“ können. Wer mit dem höheren Rang des anderen nicht zurechtkommt, der wird missgünstig – in diesem Fall: antisemitisch. Die Juden stehen erfolgreicher da als die meisten und werden dafür verachtet und erbittert bekämpft. Der Antisemitismus ist, so Nietzsche, kennzeichnend für die durch „Ressentiment“ und Reaktion motivierten „Schlechtweggekommenen“, die nicht mit ihrer eigenen dürftigen Lage, mit ihrem niedrigeren Rang fertig werden – und dies wiederum ist kennzeichnend und ein besonders starkes Beispiel für das Problem der Rangordnung. Am Antisemitismus wird deutlich, wozu die Unzufriedenheit mit dem eigenen Rang führen kann. „Die Antisemiten vergeben es den Juden nicht, daß die Juden „Geist“ haben — und Geld: der Antisemitismus, ein Name der „Schlechtweggekommenen““ (Nachlass 1888, 14[182], KSA 13.365). Nietzsche wehrt sich strikt dagegen, „die Juden als Sündenböcke aller möglichen öffentlichen und inneren Uebelstände zur Schlachtbank zu führen“ (MA I 475).¹²² Man beschuldigt sie für eigene Unzulänglichkeiten, und wenn die Not der Unterlegenheit, wenn Neid und Ressentiment zu groß werden, versucht man, sich den drückenden Realitäten zu entziehen und „S c h u l d i g e […] zu finden. Denn darum handelt es sich: man braucht Schuldige.“ (Nachlass 1888, 15[30], KSA 13.423) Das können „die gesellschaftliche Ordnung, oder die Erziehung und der Unterricht, oder die Juden, oder die Vornehmen oder überhaupt G u t w e g g e k o m m e n e irgend welcher Art“ sein.¹²³ Man flüchtet sich dann in die Moral, empört sich über die, die über einem stehen, und fordert die Gleichstellung mit ihnen oder gar ihre Ausweisung oder Vernichtung.¹²⁴ Auch dagegen wehrte sich
Nietzsches vermeintlicher eigener Antisemitismus war trotz aller Entschiedenheit seines „AntiAntisemitismus“ immer wieder Gegenstand der Forschung und ist es auch weiterhin. Nietzsche weist selbst darauf hin, dass er sich im Umfeld Wagners zunächst von dessen Antisemitismus anstecken ließ, und spricht von „einem kurzen gewagten Aufenthalt auf sehr inficirtem Gebiete“, von einer „politischen Infektion“ (JGB 251, KSA 5.192 f.). Die verführerische Kraft des Antisemitismus war ihm daher umso klarer – er hat, könnte man sagen, antisemitische Antikörper gebildet. Nach der Lösung von Wagner stellt sich Nietzsche denn auch unmissverständlich gegen allen Antisemitismus und fordert mit der größtmöglichen Deutlichkeit, „die antisemitischen Schreihälse des Landes zu verweisen.“ (JGB 251, KSA 5.194) Er spricht gar davon, dass er „dem Antisemitismus einen schonungslosen Krieg mache“ (Nachlass 1888, 24[1], KSA 13.623). Auch seine Schwester warnt Nietzsche bekanntlich vor dem antisemitischen Agitator und späteren Mann Bernhard Förster, dazu distanziert er sich so weit wie möglich von seinem offen antisemitischen Verleger Ernst Schmeitzner. Vgl. Nachlass 1880, 6[214], KSA 9.254: „Junge Menschen, deren Leistungen ihrem Ehrgeize nicht gemäß sind, suchen sich einen Gegenstand zum Zerreißen aus Rache, meistens Personen, Stände, Rassen, welche nicht gut Wiedervergeltung üben können […]. So ist der Kampf gegen die Juden immer ein Zeichen der schlechteren, neidischeren und feigeren Natur gewesen“. Vgl. Aly 2011, der zu klären sucht, warum der Holocaust gerade die Juden und er sie gerade in Deutschland getroffen hat. Hauptgrund seien der Neid und die Gleichheitsforderung der Deutschen den Juden gegenüber: Die Juden seien mit den vielschichtigen Anforderungen der Moderne durch ihre „Gewandtheit“, ihren „Bildungswillen“ und ihre „Geistesgegenwart“ (20) schlicht besser zurechtge-
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Nietzsche nach Kräften: „seinen Neid gegen die Geschäfts-Klugheit der Juden unter Moralitäts-Formeln zu verstecken ist antisemitisch, ist gemein, ist plump canaille“ (Nachlass 1887, 10[62], KSA 12.494). Die Moralisierung der eigenen Unterlegenheit und des höheren Rangs des anderen ist ein typisches Rangordnungsphänomen. Nur wenige sind dazu in der Lage, sich die eigene Unterlegenheit einzugestehen: „„Er missfällt mir.“ — Warum? „Ich bin ihm nicht gewachsen.“ — Hat je ein Mensch so geantwortet?“ (JGB 185) „Wer das Hohe eines Menschen nicht sehen w i l l , blickt um so schärfer nach dem, was niedrig und Vordergrund an ihm ist — und verräth sich damit selbst.“ (JGB 275) Auch der Antisemitismus lässt sich mit Nietzsche als Unfähigkeit zur Rangordnung verstehen. Nietzsche kritisiert die Juden allerdings auch scharf. Diese Kritik ist jedoch, wie sich zeigen wird, vor allem vor dem Horizont seiner Kritik am Christentum zu verstehen. Nietzsches Hauptkritikpunkt an den Juden scheint zu sein, dass gerade sie die Rangordnung der Werte umgekehrt haben: „In dieser Umkehrung der Werthe […] liegt die Bedeutung des jüdischen Volks: mit ihm beginnt der S k l a v e n -A u f s t a n d i n d e r M o r a l . “ (JGB 195) Nietzsche nimmt mit dem Ausdruck „S k l a v e n -A u f s t a n d “ Bezug auf die historische Versklavung der Juden im babylonischen Exil und ihre Aufstände gegen die demütigende Herrschaft der Römer. Besonders in GM konstruiert er, wie und warum sich die Juden gegen die Römer aufgelehnt haben: „„Rom gegen Judäa, Judäa gegen Rom“: – es gab bisher kein grösseres Ereigniss als d i e s e n Kampf, d i e s e Fragestellung, d i e s e n todfeindlichen Widerspruch.“ (GM I 16, KSA 5.286) Die Juden hätten gegenüber der römischen Übermacht vor allem „Ohnmacht“ (GM I 7) empfunden, aus der sich ein „Hass“ entwickelt habe, der mit der Zeit „in’s Ungeheure und Unheimliche, in’s Geistigste und Giftigste“ gewachsen sei. Weil sie sich gegen die Römer mit den Mitteln herkömmlicher Macht nicht wehren konnten, weil ihnen die „That versagt ist“ (GM I 10, KSA 5.270), mussten die Juden neue, nämlich religiöse, jenseitige Werte entwickeln und damit zugleich die Werte der Römer in Frage stellen. Galten diesen Vornehmheit, Stärke, Schönheit und Glück als höchste Güter, so waren für die Juden „die Elenden […] allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen […], die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen“ (GM I 7). Diese Umwertung sei ein Angriff auf das Fundament Roms gewesen, ein „Akt der g e i s t i g s t e n R a c h e “, der den Juden endlich „Genugthuung“ brachte und ihnen ihren Rang zurückgab. Die jüdische Rache an Rom war also aus der Demütigung der römischen Missachtung ihres Rangs motiviert. Der Zurücksetzung und Degradierung innerhalb der Rangordnung durch die römische Gewaltherrschaft wussten die
kommen, während die Deutschen im Angesicht der Umbrüche und neuen Möglichkeiten im Vergleich zu ihnen desorientiert, überfordert und träge reagiert, soziale, politische und ökonomische Änderungen eher als Risiken denn als Chancen gesehen und aus Angst vor den neuen Freiheiten Zuflucht im Volkskollektivismus und in der Moral, insbesondere der Forderung nach Gleichheit, gesucht hätten. Die Deutschen seien den auch wirtschaftlich oft gut situierten Juden mit „Neid- und Sozialantisemitismus“ begegnet, weil sie ihnen ihren Erfolg nicht gönnen konnten. Neid und Missgunst seien schließlich zu Rassenhass geworden, der dann den Holocaust nach sich gezogen habe.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Juden nur durch die Umkehrung der Rangordnung der Werte zu begegnen. – Ohne die Rangordnung ist der Ursprung der von Nietzsche entfalteten Genealogie der Moral also nicht zu begreifen. Nietzsche führt die Juden im Nachlass sogar als „klassisches Beispiel“ für „[d]ie Erfindung n e u e r We r t h t a f e l n“ an (Nachlass 1886/87, 7[6], KSA 12.275) und nennt, mit der eben erläuterten Genealogie im Einklang, als ihre Kennzeichen „das Pflichtgefühl, das Gewissen, der imaginäre Trost, zu einem h ö h e r e n Rang zu gehören als die thatsächlich Gewalthabenden; die Anerkennung einer Rangordnung, die das R i c h t e n erlaubt, auch über die Mächtigeren“. Sich selbst als das heilige Volk zu sehen war, so Nietzsche, eine Möglichkeit für die Juden, sich über die eigentlich Mächtigeren zu erheben. Sie haben sich in der Rangordnung über sie gestellt, indem sie ihr mit Gott ein neues Maß gegeben, sie von irdischen auf heilige Werte umgestellt haben: Wenn man heilige Aufgaben hat, zum Beispiel die Menschheit zu bessern, zu retten, zu erlösen, wenn man die Gottheit im Busen trägt, Mundstück jenseitiger Imperative ist, so steht man mit einer solchen Mission bereits ausserhalb aller bloss verstandesmässigen Werthungen, – selbst schon geheiligt durch eine solche Aufgabe, selbst schon der Typus einer höheren Ordnung! … (AC 12)
Es ist jedoch gerade diese Fähigkeit zur Umwertung, die Nietzsche an den Juden auch schätzt. Sie sei gar als eine der „maskirten A r t e n d e s W i l l e n s z u r M a c h t “ (Nachlass 1886/87, 7[6], KSA 12.275) Teil „einer wahrhaft g r o s s e n Politik“ (GM I 8) gewesen. Die Umwertung habe es den Juden ermöglicht, sich weiter als das „auserwählte Volk“ sehen zu können und sich so von anderen, von Andersgläubigen abzuheben – dieser Wille zur Rangordnung sei „die j ü d i s c h e Realität selbst“ (AC 27). Erst das Christentum entledigt sich in einem Akt der „Selbstverneinung“ auch dieser „letzte[n] Form der Realität“. Nietzsche spricht bei den Christen von der „Erfindung einer noch a b g e z o g e n e r e n Daseinsform“, von „einer noch u n r e a l e r e n Vision der Welt, als sie die Organisation einer Kirche bedingt. Das Christenthum v e r n e i n t die Kirche …“ Die Kirche war die Ordnungsform, die den Kontakt zur Realität, zum Leben, zur Welt – und damit letztlich auch zur Rangordnung – gehalten, geradezu gebündelt hat. Daher nennt Nietzsche den christlichen „Aufstand“ gegen sie einen Aufstand „gegen die Hierarchie der Gesellschaft“ und „gegen die Kaste, das Privilegium, die Ordnung“,¹²⁵ denn „es war der U n g l a u b e an die „höheren Menschen““ und damit auch an die Rangordnung, der die Christen hier antrieb. Diese „Hierarchie“ nennt Nietzsche den „Pfahlbau, auf dem das jüdische Volk, mitten im „Wasser“, überhaupt noch fortbestand, die mühsam errungene l e t z t e Möglichkeit, übrig zu bleiben, das residuum seiner politischen Sonder-Existenz“ (AC 27).¹²⁶
Vgl. Nachlass 1887/88, 11[280], KSA 13.106 f. Nietzsche könnte diesen Gedanken einer politischen Hierarchie im Judentum von dem Historiker Heinrich Leo, einem Schüler Hegels, übernommen haben. Leo untersucht in seinen Vorlesungen über
4.2 Rangordnung in der Religion
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Damit ist aber auch ersichtlich, dass Nietzsches Kritik einer Umwertung der Werte und Verklärung der Realität aus Ohnmacht nicht so sehr die Juden, die den Wert von Rang ja noch schätzten, sondern vor allem die Christen trifft, die gerade diese die Juden auszeichnende, an Rangordnungen festhaltende Weltorientierung attackieren. Nietzsche kritisiert das Judentum in dem Maß, in dem es Grundlage des Christentums ist. „Man weiss, w e r die Erbschaft dieser jüdischen Umwerthung gemacht hat …“ (GM I 7) Dass Nietzsche die Christen meint, wird besonders deutlich an der „Paradoxie der Formel „Gott am Kreuze““ (JGB 46): „Es hat bisher noch niemals und nirgendswo eine gleiche Kühnheit im Umkehren, etwas gleich Furchtbares, Fragendes und Fragwürdiges gegeben wie diese Formel: sie verhiess eine Umwerthung aller antiken Werthe.“ (JGB 46) Es war Jesus selbst, der „gegen die herrschende Ordnung aufrief“, und darum ist er für Nietzsche auch der „heilige Anarchist“ (AC 27).¹²⁷ – Nietzsche deutet damit die Entstehung des Christentums aus dessen Opposition zur Rangordnung. In seinen späten Schriften, besonders in AC, nutzt er die Juden, wie schon das Gesetzbuch des Manu, als Folie und Horizont, vor dem er seine Kritik am Christentum inszeniert. Er stellt die Juden geradezu als Inbegriff von Rang und Rangordnung dar¹²⁸ und bringt sie damit bewusst in Opposition zum Christentum als der Religion der
die Geschichte des jüdischen Staates (1828) das Judentum nicht nur in seiner religiösen, sondern besonders in seiner politischen Dimension. Als spezifische Staatsform der Juden sieht er die Hierarchie, nämlich als Herrschaft einer abstrakten, jenseitigen Idee (den üblicheren Begriff ,Hierokratie‘ verwendet Leo nicht). Leo macht eben dies den Juden zum Vorwurf und will die von ihm unterstellten hierarchischen Tendenzen seiner Zeit abwehren. Hierarchische Herrschaft sei immer eine fanatische Herrschaft und an Ethik nicht interessiert: „Während nun jede andere Verfassung in ihrer Entwickelung und in ihren Postulaten menschliche Verhältnisse achtet, menschliche Gefühle, menschliche Neigungen respectirt, ist es die Natur der Hierarchie, von allen diesen nichts zu respectiren. Sie beruft sich auf ihren göttlichen Ausgangspunct, auf ihre g e i s t l i c h e Begründung, und hat ihrer Ansicht nach durch diese Berufung gegen jede menschliche Prätension absolut Recht. / Jede Hierarchie ist deshalb schneidend consequent, gefühllos und fanatisch“ (Leo 1828, 56 f.). Vgl. Hoffmann 1988, 42– 73. – Nietzsche kannte Leo. Er lieh sich am 1. Juli 1871 den ersten Band von Leos Lehrbuch der Universalgeschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten (2. Aufl. von 1839) aus (vgl. Crescenzi 1994, 408), der sich auch umfassend mit der Geschichte der Juden befasst. Zudem schreibt Carl Fuchs Nietzsche am Neujahrstag 1874 einen Brief, in dem er Leo beiläufig erwähnt (KGB II 4.365, vgl. KGB II 7/2.576). Schon Ende des 19. Jahrhunderts wies der marxistische Historiker Franz Mehring darauf hin, dass Nietzsches Kritik am Sozialismus wesentlich vom reaktionären Leo geprägt und geradezu ein Plagiat sei. Vgl. Behler 1984, 514. – Auch Julius Wellhausen, dessen Einfluss auf Nietzsche und speziell sein Bild von den Juden schon bekannt ist (vgl. Ahlsdorf 1991 und Sommer 2000), käme als Quelle in Frage. Er nennt den Begriff ,Hierarchie‘ in seinen von Nietzsche gelesenen Prolegomena zur Geschichte Israels an einigen Stellen, führt ihn jedoch nicht weiter aus und spricht statt der Hierarchie vorwiegend von der „Hierokratie“. Vgl. Poljakova 2013, 482, die auf Tolstoi und seinen „christlichen Anarchismus“ als Quelle Nietzsches hinweist. Tolstoi habe „gerade das Antipolitische, den Aufstand gegen alle Kasten-Privilegien als großen Verdienst des Christentums hervorgehoben“, „für ihn stand der ursprünglichchristliche Anarchismus eindeutig im Gegensatz zur jüdischen Gesellschaftsordnung.“ Nietzsches Gedanke der Rangordnung selbst nahm wiederum Einfluss auf das jüdische Denken. Vgl. Voigts 1997, 182 f.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Gleichheit, um so seine Kritik an ihrer Vorstellung der Gleichheit vor Gott zu verschärfen. Dass sich Nietzsches Achtung des Rangs der Juden jedoch nicht auf die späte strategische Inszenierung beschränkt, machen die zahlreichen angeführten Stellen, die zeitlich vor AC liegen, mehr als deutlich.
4.3 Rangordnung in der Moral Mit seiner Kritik der Moral schließt Nietzsche nahtlos an seine Kritik der Religion an. Die moralische Kernforderung der Gleichheit aller sieht er, wie gezeigt, als Erbschaft der christlichen Vorstellung der Gleichheit vor Gott. Erst in ihrer moralischen Dimension entfalte die Gleichheitsforderung jedoch ihr gesamtes hemmendes und destruktives Potential. Nietzsches Begriff von Gleichheit ist vorrangig ein moralischer, kein ökonomischer, politischer, juristischer o. ä., dennoch sieht Nietzsche Auswirkungen der moralischen Gleichheit bis in die Politik, die Wissenschaft und schließlich auch in den menschlichen Alltag hinein. Wie Nietzsche die Möglichkeit der Rangordnung auch im Religiösen zu zeigen sucht, setzt er sie im Bereich der Moral, und das wird nun vollends deutlich, gezielt als Gegenbegriff zur Gleichheit. Er kritisiert nicht die Moral an sich, sondern ihre bisherigen Ausprägungen, will sie von ihrem Zentralwert der Gleichheit auf Verschiedenheit, Differenz, Pluralität und Individualität – oder kurz: auf Rangordnung umstellen. „Moral“ begreift er in dieser Hinsicht, so notiert Nietzsche es sich im Nachlass, gar als „die Lehre von der Rangordnung der Menschen“ (Nachlass 1885, 35[5], KSA 11.510).
4.3.1 Nietzsches Kritik der moralischen Gleichheit 4.3.1.1 Gleichheit als zentraler Wert der Moral und ihre historische Entwicklung Schon im antiken Griechenland gab es mit der ἰσονομία einen Begriff für Gleichheit,¹²⁹ der die Gleichbehandlung vor dem Gesetz, aber auch eine auf gleichem Mitsprache-
Eine erschöpfende Klärung des Gleichheitsbegriffs mit allen seinen philosophischen und gesellschaftlichen Implikationen kann hier ebenso wenig geleistet werden wie eine vollständige Begriffsoder Ideengeschichte. Im Folgenden geht es in erster Linie um Anhaltspunkte für denjenigen Gleichheitsbegriff, den Nietzsche im Auge hat. Für begriffsgeschichtliche Aspekte vgl. Dann 1980, der festhält, „daß die Durchsetzung des sozialen Gleichheitspostulats zu den wichtigsten Errungenschaften der europäischen Neuzeit und zu den konstitutiven Elementen einer demokratischen Gesellschaft gezählt werden muß“ (5). Dann weist gesondert auf Nietzsche hin, in dem er den „radikale[n] Verkünder einer Moral der Ungleichheit“ sieht (216 f.). Gerade im 19. Jahrhundert sei die Gleichheit ein umkämpftes Prinzip gewesen, das sich zwar einerseits vermehrt im Rechtssystem niedergeschlagen habe, das andererseits im Zuge des aufkommenden Sozialdarwinismus aber auch wieder gehäuft abgelehnt worden sei. – Für eine philosophische Verteidigung des klassischen Gleichheitsbegriffs vgl. Cohen 2008, der sich kritisch mit John Rawls’ Gerechtigkeitstheorien auseinandersetzt. Groß 2009 entwickelt eine politisch-philosophische „Vision“ der Gleichheit innerhalb von Gesellschaften und
4.3 Rangordnung in der Moral
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recht aller Bürger einer πόλις basierende Staatsform beschrieb, vor allem also politische Gleichheit umfasste.¹³⁰ Gleichheit war ein Wert, für den man sich einsetzen, den man gegen die ursprünglichere Ungleichheit durchsetzen musste. Im Zeitalter der Aufklärung gewann das Konzept der Gleichheit aller zusehends an Bedeutung, jedoch in anderer Form: Sie ist nicht mehr zu erkämpfender Ausnahme-, sondern der Naturzustand.¹³¹ Jean-Jacques Rousseau entwirft in seinem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter der Menschen) von 1755 im Anschluss an Hobbes einen vorgesellschaftlichen Naturzustand, der ausdrücklich keine moralische oder politische Ungleichheit zwischen den Menschen kennt. „Rousseau sieht ein Kennzeichen des naturverbundenen Menschen darin, daß dieser kaum in der Lage ist, eine R[ang]ordnung zu unterscheiden (,à peine distinguer les rangs‘)“.¹³² Der Zustand der Gleichheit hielt laut Rousseau an, bis sich ein Mensch als erster Besitz, Privateigentum
zwischen Staaten. Für Groß „ist Ungleichheit das Natürliche, das Gegebene“, Gleichheit hingegen „eine menschliche Leistung“, gar „die denkbar größte menschliche Leistung“ und „der höchste menschliche Wert“ (9). Auch sei Gleichheit „eine originär menschliche Leistung. (Innerhalb der Tierwelt wird um eine Rangordnung […] gekämpft, nicht um Gleichheit)“ (19). – Für Gleichheit bzw. Ungleichheit als Forschungsgegenstand der Soziologie vgl. Ralf Dahrendorfs Tübinger Antrittsvorlesung „Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“ (Dahrendorf 1961). Gleichheit sei „die erste Frage der soziologischen Wissenschaft“ (4). Dahrendorf schätzt sie als einen „Stachel, der soziale Strukturen in Bewegung hält […]. Daß es aber überhaupt Ungleichheit unter den Menschen gibt, ist […] ein Moment der Freiheit. Die völlig egalitäre Gesellschaft ist nicht nur ein unrealistischer, sie ist auch ein schrecklicher Gedanke: denn in Utopia wohnt nicht die Freiheit, der stets unvollkommene Entwurf in das Unbestimmte, sondern die Perfektion entweder des Terrors oder der absoluten Langeweile“ (32). Vgl. auch Wiehn 1973 und Berger 2004, der zeigt, dass es in der Soziologie gerade keine „schlüssige und allseits anerkannte Theorie“ (354) der Ungleichheit gebe, obwohl sie dort ein zentrales Thema sei. Vgl. auch die Sammelbände Müller / Schmid 2003 und Berger / Schmidt 2004. – Für ökonomische Implikationen der Ungleichheit vgl. Stiglitz 2012 und Atkinson 2014, für soziale Implikationen Schwinn 2007. Vgl. Hansen 1989 und 1995. Diese Idee der natürlichen Gleichheit wird, nachdem sie schon Samuel von Pufendorf im 17. Jahrhundert andeutete, besonders deutlich in Diderots berühmter Enzyklopädie. Hier lässt sich bereits 1755 die Gleichsetzung von „moralischer“ und „natürlicher Gleichheit“ beobachten, die zugleich als Fundament der Moral überhaupt diene. Vgl. Louis de Jaucourts Artikel Natürliche Gleichheit (Egalité naturelle) (Jaucourt 2001): „Das ist die Gleichheit, die zwischen allen Menschen aufgrund der Beschaffenheit ihrer Natur besteht. Diese Gleichheit ist das Prinzip & die Grundlage der Freiheit. Die natürliche oder moralische Gleichheit beruht also auf der Beschaffenheit der menschlichen Natur, die allen Menschen gemeinsam ist, die in der gleichen Weise geboren werden, heranwachsen, leben & sterben. Da die menschliche Natur sich bei allen Menschen als gleich erweist, ist es klar, daß jeder die anderen achten & behandeln muß wie ebensolche Wesen, die ihm von Natur aus gleichgestellt sind, das heißt, die ebensogut Menschen sind wie er.“ Jaucourt begründet „auf dem unanfechtbaren Prinzip der natürlichen Gleichheit alle Pflichten der Nächstenliebe, der Menschlichkeit & der Gerechtigkeit, die die Menschen einander schuldig sind“, verwehrt sich aber gegen das „Trugbild der absoluten Gleichheit“: „Ich kenne zu gut die Notwendigkeit der Standesunterschiede, der Rangstufen, der Ehren, der Auszeichnungen, der Vorrechte, der Unterordnung“. Gerhardt 1992, 18.
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zuschrieb. Dies war möglich, weil sich die Menschen nun nach und nach in gesellschaftlichen Strukturen zusammenfanden, etwa um gemeinsam zu jagen. Natürliche Unterschiede in Fleiß und Fähigkeiten wurden erstmals ersichtlich, aus ihnen folgten letztlich Unterschiede im Besitz. Eine Rangordnung bildete sich, basierend auf der Anerkennung dieses Eigentums. Einmal entstanden, ist das Eigentum ein Faktum und als solches nicht mehr aus dem menschlichen Leben zu streichen – die Ungleichheit ist unumkehrbar. Die von Natur aus Starken haben die Ungleichheit schließlich rechtlich sanktioniert, um ihre Besitzverhältnisse abzusichern, indem sie Gesetze einführten, mit denen sie den Schwachen bloß vormachen wollten, die Gleichheit wiederherzustellen. Der von Rousseau angestrebte Gesellschaftsvertrag jedoch soll die entstandene Ungleichheit auf ein Minimum reduzieren, soll für rechtliche Gleichheit dort sorgen, wo die Natur physische Ungleichheit, etwa beim Alter, bei Kraft oder Befähigung, hervorgerufen hat. John Millars The Origin of the Distinction of Ranks. Or, An Inquiry into the Circumstances which Give Rise to Influence and Authority, in the Different Members of Society (Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft) von 1778 geht ebenfalls von der Gleichheit in einem Naturzustand aus und entfaltet eine, teils juristisch gefärbte, Theorie der sich entwickelnden Herrschafts- und Machtverhältnisse, die wiederum besonders den Einfluss des ökonomischen Systems auf die sozialen Verhältnisse hervorhebt. Millar sieht, im Gegensatz zu Rousseau, die sich ausbildenden und merklich diversifizierenden Rangordnungen als Fortschritt, nämlich als Grundlage einer jeden bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Machtverhältnisse nun nicht mehr gewaltsam ausficht. Ein ähnlicher Argumentationsverlauf findet sich auch bei Kants Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte von 1786: Kant bezeichnet dort die „Ungleichheit unter Menschen“ als „reiche Quelle so vieles Bösen, aber auch alles Guten“ (AA 8.119). Er geht wie Rousseau und Millar von einem Naturzustand der Gleichheit aus, den die menschliche Kultur beendet. Diese Kultur entspringt den „ersten Bedürfnisse[n] des Lebens“, deren Befriedigung „eine verschiedene Lebensart erfordert“. Arbeitsteilung und Kooperation sind der Ursprung von Kultur und Kunst und damit schon der Ungleichheit. Dieser Prozess, der „Gang[ ] menschlicher Dinge im Ganzen, der nicht vom Guten anhebend zum Bösen fortgeht, sondern sich vom Schlechten zum Besseren allmählig entwickelt“ (AA 8.123), ist unumkehrbar. Ein jeder soll eigenverantwortlich zu diesem Fortschritt je nach seinem Rang, „so viel in seinen Kräften steht“, beitragen.
4.3.1.2 Nietzsches Umkehrung des Naturzustands Nietzsche weicht von diesem klassischen Schema der Entstehung von Rangordnung aus der Gleichheit ab und kehrt es um.¹³³ Bei ihm ist die Ungleichheit der ursprüng-
Die Literatur zur Gleichheit bei Nietzsche ist nicht sehr umfangreich. Vgl. Himmelmann 2001 und Wilson 2007, der Nietzsche freilich als „opponent“ sieht (222) und die Gleichheit als Kern des ethischen
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lichere Zustand,¹³⁴ den nicht die Starken, sondern gerade die „Schlechtweggekommenen“ mit ihrer Forderung nach umfassender Gleichheit aufheben. Schon früh stellt er fest, dass „das Siegen- und Hervorragenwollen ein unüberwindlicher Zug der Natur ist, älter und ursprünglicher, als alle Achtung und Freude der Gleichstellung“ (MA II, WS 226). Im „Naturzustand“ herrsche „die unbekümmerte, rücksichtslose Ungleichheit“ (MA II,WS 31).¹³⁵ „[D]ie Menschen“ hätten nur „ihrer Sicherheit wegen sich selber als einander g l e i c h gesetzt“, was „aber im Grunde wider die Natur des Einzelnen geht“. Indem Nietzsche die mythisierende Erzählung vom durch Gleichheit geprägten Urzustand des Menschen durch sein eigenes Narrativ von der Natürlichkeit der Rangordnung umkehrt und konterkariert, macht er vor allem die Entscheidbarkeit der
Denkens bewahren will. Nietzsches „order of rank“ missversteht Wilson als „a natural pecking order of human beings“: „those at the top of the pecking order are superior as human beings to those at the bottom of the pecking order“ (225). Vgl. auch Taureck 2010, der sich zum Ziel setzt, „den Antiegalitarismus zu widerlegen“ und „kritisch begründete Gleichheitsvorschläge“ zu liefern (15). Nietzsche ist für Taureck der Antiegalitarist par excellence und damit zugleich sein Feindbild. Er sei „zum Star des deutschen und nach 1945 zum Star des internationalen Antiegalitarismus“ geworden, zu einer Zeit, in der „spätromantische, christlich-metaphysische und sozialdarwinistische Ordnungs- und Ungleichheitsfantasien erbrütet“ worden seien (81). „Die ungebrochene Aufmerksamkeit, die ihm seit vielen Jahrzehnten international entgegengebracht wird, dürfte zu großen Teilen von antiegalitären Einstellungen ausgehen, die er so virtuos wie kein anderer zu bedienen wusste“ (89). Und weiter: „Die tragisch intonierten Klagen der Antiegalitaristen über eine Neidgenossenschaft, welche Rangordnung, Schönheit, Erfolg, Prächtigkeit, Glück und so fort verhindert, klingen komisch. Am meisten komisch ist hier Nietzsche“, dem Taureck eine „Mischung aus Hohlheit […] und Anmaßung“ vorwirft, die zum „Opium der Antiegalitaristen“ geworden sei (83). Dass Taurecks dogmatisierend-verkürzte und zurechtgelegte Sichtweise Nietzsche nicht gerecht werden kann, ist offenbar. Er sieht Nietzsche nicht nur als Antiegalitaristen, sondern gar als Militaristen, begreift dessen Rede von „Eroberung, Feind, Kampf, Sieg, Verlust, Kommando“ (90) allzu vordergründig und beruft sich dabei auf Schlaffer 2007 und Losurdo 2002, die in ihren philologischen und philosophischen Gehalten als ungenügend zu gelten haben, wie die Rezensionen von Stegmaier 2008a, 343 – 346, und Gentili 2004 nachgewiesen haben. Die einseitige Nietzsche-Interpretation Taurecks zeigt sich besonders auch in Taureck 2000. Dort wird Nietzsche nicht nur in die Nähe zum Faschismus gebracht: „Nietzsches Gegenideal [zur Gleichheit] heißt: Sklaverei, Rangordnung, Kastenordnung, Machiavellismus, Krieg. Damit sind wir mitten im Faschismus“ (14). Nietzsches Rangordnung sei zudem von Grund auf rassistisch. – Man kann nur mit Ottmann 1999 fragen: „Wo soll man da beginnen, wenn man Nietzsches Denken wieder an seinen Ort stellen will? […] Und wie kann man denn Nietzsches politische Philosophie überhaupt interpretieren, wenn man dabei Nietzsches Philosophie außer acht läßt?“ (442 f.). Ähnliches schlägt auch die moderne evolutionsbiologische Forschung vor. Vgl. de Waal 2005, 87: „There is an influential school of thought which believes that we started out in a state of nature that was harsh and chaotic, ruled by the ,law of the jungle.‘ We escaped this by agreeing on rules and delegating enforcement of these rules to a higher authority. It is the usual justification of top-down government. But what if it was entirely the other way around? What if the higher authority came first and attempts at equality later? This is what primate evolution seems to suggest. There never was any chaos: we started out with a crystal clear hierarchical order and then found ways to level it. Our species has a subversive streak.“ Vgl. Nachlass 1877, 25[1], KSA 8.482: „Im Naturzustande gilt der Satz nicht: „was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig“, sondern da entscheidet die Macht.“
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Gleichheit sichtbar. Es geht ihm nicht darum, bloß einen neuen, auf Rangordnung basierenden Ursprungsmythos einzuführen, schon gar nicht um Tatsachenberichte oder Geschichtsschreibung. Indem er die Rangordnung gegenüber der Gleichheit als ursprünglicher, als natürlicher charakterisiert, macht Nietzsche in erster Linie darauf aufmerksam, dass die Gleichheit kein alternativloser Wert ist. Man kann sich nun nicht mehr fraglos auf die Erzählung vom durch Gleichheit geprägten Naturzustand verlassen, um die Gleichheit als absoluten Wert zu legitimieren. Nietzsche offenbart die Konstruiertheit der Gleichheitsforderung, indem er zeigt, dass man die Geschichte vom Naturzustand auch anders erzählen kann und noch immer wieder anders erzählen könnte. Eben weil man jede Geschichte auch anders erzählen kann, kann keine Geschichte – auch nicht Nietzsches eigene – absolute Verlässlichkeit beanspruchen. Nietzsche unternimmt einen ersten Schritt zur Entabsolutierung und Entmetaphysizierung der Gleichheit.
4.3.1.3 Gleichheit aus psychologischer Perspektive Nietzsche fragt auch nach den psychologischen Gründen der Gleichheitsforderung. Gleichheit und Gleichsetzung ist zunächst das Bedürfnis einer jeden Orientierung. Man muss sich in neuen Situationen zurechtfinden und führt dazu das Neue und Unbekannte, also das, was von vorherigen Situationen abweicht und damit ungleich ist, auf Altes, Bekanntes, also auf Gleiches zurück. Gleiches wirkt beruhigend, eben weil es schon bekannt und damit berechenbar ist. Ungleiches hingegen wirkt beunruhigend, weil es noch unbekannt ist, weil es gefährlich oder auch nützlich sein könnte. Mit Gleichem muss man sich zunächst nicht weiter befassen, es verschafft Zeit und befreit von unmittelbaren Handlungszwängen – man nimmt es daher als wünschenswert wahr. Der Hang zum Schluss auf Gleiches habe gar evolutionäre Vorteile, so Nietzsche: „Wer […] „das Gleiche“ nicht oft genug aufzufinden wusste, in Betreff der Nahrung oder in Betreff der ihm feindlichen Thiere,“ der „hatte nur geringere Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als Der, welcher bei allem Aehnlichen sofort auf Gleichheit rieth.“ (FW 111) Ungleiches hingegen zwingt zur Aufmerksamkeit, man kann es nicht ohne weiteres beiseitelassen, sondern muss sich mit ihm auseinandersetzen. Es irritiert so lange, bis es schließlich wieder auf Gleiches, Bekanntes zurückgeführt werden kann, bis die Situation also bewältigt und sicher ist und sich Beruhigung einstellt. Nietzsche fragt: ist unser Bedürfniss nach Erkennen nicht eben dies Bedürfniss nach Bekanntem, der Wille, unter allem Fremden, Ungewöhnlichen, Fragwürdigen Etwas aufzudecken, das uns nicht mehr beunruhigt? Sollte es nicht der I n s t i n k t d e r Fu r c h t sein, der uns erkennen heisst? Sollte das Frohlocken des Erkennenden nicht eben das Frohlocken des wieder erlangten Sicherheitsgefühls sein? … (FW 355)
Dies gilt auch und in besonderem Maß im menschlichen Miteinander. Hier sind die Gefahren und dementsprechend die Anlässe zur Furcht am größten und mit ihr das Bedürfnis, nicht nur Unbekanntes, sondern Unbekannte zu Bekannten zu machen, die
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man einschätzen, mit deren Verhalten man rechnen kann. Gerade weil für Menschen andere Menschen das Faszinierendste und Irritierendste sind, ist man in interindividuellen Situationen dazu gezwungen, gleichzusetzen, das Individuelle der Individuen abzukürzen, soweit man es jeweils nötig hat. Diese Abkürzung durch Absehen von Unbekanntem, die zugleich eine Verallgemeinerung ist und ungleiche Einzelne zu Gleichen generalisiert, verschafft Übersicht und gesteigerte Handlungsfähigkeit, Beruhigung stellt sich auch hier wieder ein. Die Forderung menschlicher Gleichheit scheint aus dieser Perspektive also zunächst von situativer Furcht und Unsicherheit motiviert, in mangelnder Orientierungsfähigkeit begründet.¹³⁶ Je weniger man mit Individuellem und Individuen zurechtkommt, desto eher verlangt man nach der Sicherheit der Gleichheit, desto eher wird sie notwendig, also die Not der überfordernden Ungleichheit wendend. Die Moderne mit ihrer Betonung der Gleichheit ist für Nietzsche dementsprechend eine „s c h w a c h e Zeit“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 37, KSA 6.138). Rangordnung hingegen ist, wenn sie auf die Individualität der Individuen Rücksicht nimmt, anstrengend und beunruhigend und dementsprechend „jeder s t a r k e n Zeit zu eigen.“ Sie bedeutet, dem Anderen in seiner Andersartigkeit zu begegnen, sich der Differenz zu dem und den Fremden nicht zu entziehen, sondern sie gezielt wahrzunehmen. Dieses Ideal ist aufgrund der Andersartigkeit fremder Orientierungen nie vollständig einzulösen. Jedoch kann man ihm eben nach seinen wiederum individuellen Kräften gerecht werden, die Rangordnung anerkennen, soweit man es, zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Situation, vermag. Man könnte von einer Rangordnung zweiter Ordnung sprechen, die sich nach der Fähigkeit bemisst, mit Rangordnung selbst umzugehen. Von Rang wäre, wer sich der entlastenden Gleichheitsforderung möglichst erwehren, ohne das mit ihr einhergehende Sicherheitsgefühl auskommen und anderen mit ethischer Toleranz begegnen könnte. Die öffentliche Empörung und der moralische Ruf nach Gleichheit sind zudem paradox: Die moralische Selbstdarstellung beruft sich zwar auf die Gleichheit aller, zielt aber gerade durch die auffällige Zurschaustellung der eigenen Güte, Moral- und Tugendhaftigkeit auf die Erhöhung des eigenen Stands innerhalb der Moralgemeinschaft, also auf Rangordnung qua Achtung. Es kann zu einem regelrechten Wettkampf um moralische Überlegenheit kommen, der umso besser funktioniert, je mehr er seine eigentliche Intention verleugnet – je lauter der Ruf nach Gleichheit, desto stärker die Ungleichheit.¹³⁷
Für die Christen, denen Nietzsche die Gleichheitsforderung ursprünglich zuschreibt (vgl. Kap. 4.2.2), ist Gleichheit ein Trostbegriff und damit ein Anzeichen ihrer Orientierungsschwäche. Ein Christ „beruhigt sich ein Wenig bei dem Satze: Wir Alle sind Einer Art.“ (MA I 117) Zuletzt wurde vor allem im anglophonen Bereich der Begriff ,virtue signaling‘ für ein solches öffentliches Signalisieren der eigenen Tugendhaftigkeit geprägt. Das virtue signaling erschöpfe sich im rein repräsentativen Bekunden von Werten und der Darstellung der eigenen Moralität, ohne eine relevante moralische Handlung zu erfordern. Es ginge dann nur noch um letztlich folgenlose moralische Selbstdarstellung und nicht mehr um die Realisierung der eingeforderten Werte. Freilich kann schon
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Es ist besonders das in vielen Situationen des alltäglichen Miteinanders wahrgenommene Gefühl der Über- und vor allem der Unterlegenheit, das die Rangordnung so herausfordernd und mitunter verletzend macht. Überlegenheit kann mit Freude als Bestätigung einer souveränen Orientierung aufgefasst werden, aber auch Scham, Schuldgefühle oder ein schlechtes Gewissen auslösen. Sie kann sich bis zur Verachtung des Unterlegenen steigern, über die man selbst erschrickt, kann aber auch ein Verantwortungsgefühl hervorrufen oder schmerzlich daran erinnern, dass man auf sich selbst gestellt ist, und damit überfordern. Unterlegenheit hingegen kann ein Gefühl der Ehrfurcht, Achtung und Bewunderung, aber auch des Ungenügens, der Erniedrigung, Deklassierung und Herabsetzung, der Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit verursachen, das wiederum positiver Ansporn sein oder sich zu Ressentiments steigern kann. Nietzsche nennt es eine „Probe“ für die „Feinheit, Güte und Höhe einer Seele […], wenn Etwas an ihr vorüber geht, das ersten Ranges ist“ (JGB 263). Ein Ranghöherer sei „wie ein lebendiger Prüfstein“, der entweder „die Gemeinheit mancher Natur“ oder ihre „Ehrfurcht“ sichtbar werden lässt. Gefühlter Abstand kränkt: „es scheint, dass Nichts tiefer beleidigt als plötzlich eine Distanz merken zu lassen“ (EH, Za 5). Die geringste Andeutung von Überlegenheit im Alltag kann reichen, um den Anderen zu kränken, ihm seinen momentan unterlegenen Rang vor Augen zu führen, und so geht man zumeist stillschweigend über Rangunterschiede hinweg. Takt und Höflichkeit schützen vor Demütigung, sie invisibilisieren die Rangordnung auf vornehme Weise. Je größer die Unfähigkeit aber ist, den Tatsachen ins Auge zu sehen, mit der Realität und den vorhandenen Unterschieden umzugehen, desto größer ist der Groll, den man dann hegt – „Différence engendre haine“ (JGB 263) –, und desto größer ist das Bedürfnis nach Gleichheit. Die moralische Gleichheit tröstet über die empfundene Wertlosigkeit hinweg und „behütete die S c h l e c h t w e g g e k o m m e n e n vor Nihilismus, indem sie Jedem einen unendlichen Werth, einen metaphysischen Werth beimaß und in eine Ordnung einreihte, die mit der der weltlichen Macht und Rangordnung nicht stimmt“ (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.215). Sie führt aber auch zu Neid: „Wo die Gleichheit wirklich durchgedrungen und dauernd begründet ist, entsteht jener […] Hang, der im Naturzustande kaum begreiflich wäre: der N e i d .“ (MA II,WS 29) Er kann Anreiz sein, in der Rangordnung aufzusteigen, und wirkt dann im sozialen Gefüge exzitatorisch, dynamisierend und damit Hierarchisierungen entgegen.¹³⁸ Statt eines Wettstreits kann der Neid aber auch Missgunst und Ressentiments auslösen, die den Überlegenen auf das eigene Niveau herunterzwingen wollen. „Der Neid fühlt jedes Hervorragen des An-
das Bekenntnis zu moralischen Werten ihre Stärkung bewirken und damit eine moralische Sprachhandlung sein. Die positive Wertung von Neid findet sich schon sehr früh bei Nietzsche. In der Vorrede zu Homer’s Wettkampf hält er über die Griechen fest: „Der Kampf und die Lust des Sieges wurden“ bei ihnen „anerkannt“. „Der Grieche ist n e i d i s c h und empfindet diese Eigenschaft nicht als Makel, sondern als Wirkung einer w o h l t h ä t i g e n Gottheit: welche Kluft des ethischen Urteils zwischen uns und ihm!“ (CV 5, KSA 1.787) Zum Neid bei Nietzsche vgl. Shapiro 1983. Vgl. auch Kap. 3.5.2.5.
4.3 Rangordnung in der Moral
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deren über das gemeinsame Maass und will ihn bis dahin herabdrücken“ (MA II, WS 29). Gerade in dieser Situation ist das Bedürfnis nach Gleichheit am stärksten. Ein Ausdruck dieses Neids sei, so Nietzsche, die Schadenfreude. Sie entsteht daher, dass ein Jeder in mancher ihm wohl bewussten Hinsicht sich schlecht befindet, Sorge oder Reue oder Schmerz hat: der Schaden, der den Andern betrifft, stellt diesen ihm g l e i c h , er versöhnt seinen Neid. […] Die auf Gleichheit gerichtete Gesinnung wirft also ihren Maassstab aus auf das Gebiet des Glücks und des Zufalls: Schadenfreude ist der gemeinste Ausdruck über den Sieg und die Wiederherstellung der Gleichheit, auch innerhalb der höheren Weltordnung. (MA II, WS 27)
Die Schadenfreude dient zum Abbau von Neid und Unzufriedenheit über die eigene Lage, die sich mit der Zeit angestaut hat. Diejenigen mit einer „auf Gleichheit gerichtete[n] Gesinnung“ haben ein Problem damit, dass andere höheren Rangs als sie selbst sind. Sie suchen dann bei jeder Gelegenheit nach Anhaltspunkten für die eigentliche Gleichheit zwischen sich und den anderen. Jede Situation wird nach Hinweisen auf Gleichheit abgetastet, jeder Zufall und jedes Missgeschick soll als Nachweis der Gleichheit herhalten, die Missgeschicke anderer werden geradezu verlangt. Passiert anderen dann tatsächlich ein Unglück, sei dies Beweis der Gleichheit: Jeder noch so kleine Schaden wird totalisiert auf den Wert der Person im Ganzen, die nun „auf den Boden der Realität“ zurückgeholt werde. Eine auf Rangordnung gerichtete Gesinnung hingegen wird die Missgeschicke anderer eher als das nehmen, was sie sind, zufällige Unglücke nämlich, die nichts über den Rang einer Person aussagen. „„Er missfällt mir.“ — Warum? „Ich bin ihm nicht gewachsen.“ — Hat je ein Mensch so geantwortet?“ (JGB 185) Mit diesem kurzen Aphorismus verdeutlicht Nietzsche, wie gefühlte Unterlegenheit zur Abwertung anderer, wie Rang zu Ranküne führen kann. Ist die Erniedrigung zu stark, um sich seine Unterlegenheit einzugestehen und sie zu verantworten, verschafft die Abwertung des Überlegenen Genugtuung. Empfindet man die eigene Unterlegenheit als andauernde Ohnmacht und Ungerechtigkeit, kann sie sich in Groll und Ressentiments niederschlagen und zur Moralisierung der Rangordnung führen. Es muss dann einen Schuldigen für sie geben, der sich zu verantworten hat und an dem man Rache üben kann: „{Kurz,} Der Entrüstungs-Pessimismus erfindet Verantwortlichkeiten, um {sich} ein Recht auf Rache zu haben {sich möglich zu machen …} {um sich ein angenehmes Gefühl zu schaffen}“ (Nachlass 1888, 15[30], KSA 13.423 / KGW IX 9, W II 6.94). Dazu sucht er einen „Sündenbock“, das „kann Gott sein […] oder die gesellschaftliche Ordnung, oder die Erziehung und der Unterricht, oder die Juden, oder die Vornehmen oder überhaupt die {alles} Gutweggekommenen jeder {irgend welcher} Art.“ Wenn die vermeintliche Schuld bestraft wird, empfindet der Strafende dabei einen „Genuss“ (GM II 5), der „um so höher geschätzt wird, je tiefer und niedriger der Gläubiger in der Ordnung der Gesellschaft steht“, nämlich „als Vorgeschmack eines höheren Rangs“, den er anders nicht erlangen könnte. Das Ressentiment der „Schlechtweggekommenen“ ist Ressentiment gegen die Rangordnung selbst. Im Moment der Not geben sie die eigene Verantwortung ab und bürden sie anderen auf, bringen sie damit in Not. Moralische
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Empörung ist gerade deshalb so attraktiv, weil sie sofort und umfassend von der Schwere der eigenen Verantwortlichkeit befreit. Wer den moralischen Ausweg nötig hat, dem fehlt die Kraft zur Rangordnung, und wer vornehm darauf verzichten kann, gibt gerade dadurch seinen Rang zu erkennen: „Die m o r a l i s c h e P r ä o c c u p a t i o n stellt einen Geist tief in der Rangordnung“ (Nachlass 1887, 9[152], KSA 12.424). Wer selbst keine Verantwortung übernimmt, erwartet das schließlich auch nicht mehr von anderen. Es geht nur noch um „k l e i n e[ ] Erfolge“, „kleine[ ] Verdienste“, jeder ist nachsichtig mit sich und anderen – Gleichheit führt so zu „g r e n z e n l o s e r B i l l i g k e i t .“ (Nachlass 1885, 40[26], KSA 11.642)¹³⁹ Jedoch ist diese moralische Perspektive nur eine gefühlte Befreiung, tatsächlich kann sie schnell befangen machen und die eigenen Horizonte bis zur völligen Hilflosigkeit verengen. Nimmt man etwas Unpersönliches persönlich, betrachtet beispielsweise eine Krankheit bloß moralisch und fragt, warum nicht der andere krank sei oder welche Schuld man denn auf sich geladen habe, um eine solche Krankheit zu „verdienen“, kann man schnell daran verzweifeln, der Krankheit einen Sinn zu geben, den es nüchtern betrachtet nicht geben kann. Man leidet dann an seiner Krankheit und an seinen Ressentiments.
4.3.1.4 Die Gefahren der Gleichheitsforderung Die Unfähigkeit zur Rangordnung der „Schlechtweggekommenen“ wird auch für die „Gutweggekommenen“ zur Gefahr: „Von der R a n g - O r d n u n g . Wo „moralisch“ geurtheilt wird, höre ich die f e i n d s e l i g e n Instinkte, Abneigungen, verletzte Eitelkeiten, Eifersucht Worte wählen“ (Nachlass 1884, 25[492], KSA 11.143). Wer durch seine Leistung, durch seine Persönlichkeit herausragt, ist in einer auf Gleichheit ausgerichteten Gesellschaft potenzielles Ziel der nicht Herausragenden.¹⁴⁰ Die Durchschnittsmoral ist die Moral einer konformen Mehrheit und damit zumeist auch die herrschende Moral. Sie kann als Werkzeug, als Waffe eingesetzt werden, nämlich gegen die „Gutweggekommenen“. So habe etwa „der Mensch des Ressentiment“ „die Erfindung des „schlechten Gewissens“ auf dem Gewissen“ (GM II 11, KSA 5.311). Das schlechte Gewissen dient den „Schlechtweggekommenen“ als Werkzeug zur Einflussnahme auf die „Gutweggekommenen“, die sich ihren moralischen Standards entziehen, und soll sie zwingen, sich wieder an sie anzugleichen. Da die Moral selbst definiert, was gut ist, immunisiert sie sich gegen Angriffe und verbirgt zugleich ihre feindselige Absicht hinter ihrer vorgeblichen Güte: Die „heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich […] in Tugend-Worte!“ (Za II,Von den Taranteln, KSA 4.129) Die
Auch im Kleinen mache die „G l e i c h h e i t “ nachlässig und nachsichtig, sie „ mildert auch unsere kleinen Verschiedenheiten zu einem Anschein von Gleichheit herab und will, dass wir Manches uns nachsehen, was wir nicht m ü s s t e n .““ (MA II, WS 32) Schon Heraklit stellte fest: „Recht täten die Ephesier, wenn sie sich alle Mann für Mann aufhängten und den Unmündigen ihre Stadt hinterließen, sie, die Hermodoros, ihren wackersten Mann, aus der Stadt gejagt haben mit den Worten: ,Von uns soll keiner der wackerste sein oder, wenn schon, dann anderswo und bei andern.‘“ (DK 22 B 121)
4.3 Rangordnung in der Moral
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Gleichheit „s c h e i n t von der Gerechtigkeit selbst gepredigt, während sie das E n d e der Gerechtigkeit ist …“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 48)¹⁴¹ Doch, notiert Nietzsche sich: „Niemand […] {will etwas davon wissen}, daß es eine Rangordnung der Menschen giebt, daß {folglich Eine Moral für Alle geben die Unbill Beeinträchtigung der höchsten Menschen ist}“ (Nachlass 1885, 35[34], KSA 11.525 / KGW IX 4, W I 3.110). So ist Nietzsches Sorge zuletzt, dass die Gleichheitsmoral, unbemerkt und daher unaufhaltsam, die Orientierungs- und Überlebensfähigkeit der Menschheit insgesamt beeinträchtigt. Gleichheit führt zu Anmaßung und einem plumpen, unrealistischen Blick auf die feineren, die tatsächlichen Kraftverhältnisse. Jeder glaubt, sein Urteil sei vom gleichen Wert wie das des anderen, auch wenn der andere vielleicht erfahrener, kompetenter ist. Souveräne Orientierungsleistungen werden dann nicht mehr geschätzt, sondern verachtet und bekämpft. Wenn keiner mehr leitende Werte setzt, wenn alle Werte gleich viel wert sind, sind alle Werte wertlos und taugen nicht mehr zur Orientierung. Der Wert der Rangordnung ist in dieser Hinsicht, dass sie eine Rangordnung der Werte vorgibt.¹⁴² Sie wirkt maßgebend, gibt also das Maß für angemessene Urteile und Unterscheidungen, während Gleichheit Urteilsfähigkeit und die Kraft zum Werten und Distinguieren nimmt: „dass jeder Wille jeden Willen als gleich zu nehmen habe, wäre ein l e b e n s f e i n d l i c h e s Princip, eine Zerstörerin und Auflöserin des Menschen, ein Attentat auf die Zukunft des Menschen, ein Zeichen von Ermüdung, ein Schleichweg zum Nichts. —“ (GM II 11, KSA 5.313) Als „G r u n d p r i n c i p d e r G e s e l l s c h a f t “ ist die Gleichheit die „Ve r n e i n u n g des Lebens“ (JGB 259).¹⁴³
Zur Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Rangordnung vgl. François 2009/10, der zwischen moralischer Gerechtigkeit, die Nietzsche kritisiere, und außermoralischer Gerechtigkeit, der ,großen Gerechtigkeit‘ Nietzsches, unterscheidet. Dieses eigene Gerechtigkeitskonzept Nietzsches sei keine bloße Wertumkehrung, sondern basiere auf der Anerkennung einer graduellen Wertrangordnung, mit der man jedem erst gerecht werden könne. Zum Werten bei Nietzsche vgl. Heller 1976, der es sich zum Ziel macht, „eines der Grundprobleme von Nietzsches Denken, das Problem des Wertschätzens, dessen Klärung besonders im Hinblick auf Nietzsches Frage nach der Rangordnung der Werte große Bedeutung gewinnt, ontologisch auszulegen“ (7). Hallers Fragestellung orientiert sich freilich übermäßig an Heidegger, den er zwar auch stark kritisiert, dessen Unterscheidung von ,ontisch‘ und ,ontologisch‘ er aber doch als Leitgedanke übernimmt. Die Rangordnung gilt Haller etwa als „Schlüsselbegriff der ,ontologischen Differenz‘“ (8). – Bereits Max Scheler hat u. a. in seinem Hauptwerk Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (1913 – 16) ein ontologisches Stufensystem der Werte entwickelt und sich dabei auf Nietzsche berufen. Die von Scheler entworfene Wertrangordnung soll objektiv, ewig und „einsichtig wie die Wahrheiten der Mathematik“ sein und damit ganz anders, als Nietzsche sie versteht. Vgl. Henckmann 1998, 107– 109, und Suda 2005, 233: „Der Begriff der Rangordnung ist einer der wichtigsten in der Wertethik Max Schelers. Rangordnung kommt nämlich nach Scheler nicht erst zu den Werten hinzu, sondern ist mit den Werten selber gesetzt.“ – An die Wertethik Schelers schloss wiederum Nicolai Hartmann an, der ebenfalls eine hierarchische Wertestruktur entwickelt. Zum Einfluss von Nietzsches Wertrangordnung auf Hartmann vgl. Heidemann 1972, 113 – 115. Vgl. Acampora / Ansell-Pearson 2011, 151: „Nietzsche’s great worry, in BGE and other texts, is that [the modern idea of equality] means we no longer know how to properly value anything, be it ourselves
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
Als Beispiel für eine solche Gleichheitsmoral führt Nietzsche den Utilitarismus englischer Prägung an, den er abschätzig auch als „die e n g l i s c h e Moralität“ und das „e n g l i s c h e [ ] Glück“ bezeichnet (JGB 228).¹⁴⁴ Dieser messe jeden nach dem gleichen Maßstab, nämlich nach „dem „allgemeinen Nutzen“ oder „dem Glück der Meisten““, und ist für Nietzsche gerade darin unvornehm, dass er sich der vielfältigen Wertrangordnung entzieht¹⁴⁵ und sie durch seinen ausschließlich ökonomisierenden, berechnenden und quantifizierenden Zugriff auf einen einzelnen Wert beschneidet, jedem sein Maß aufzwingt und damit niemand mehr gerecht werden kann.¹⁴⁶ Im Nachlass bezeichnet Nietzsche den Utilitarismus daher gar als „ein Ideal zum Erbrechen“ für denjenigen, „der die Auszeichnung hat, nicht zu den Meisten zu gehören.“ (Nachlass 1885, 35[34], KSA 11.524) Im Utilitarismus lässt sich auch ein weiterer Kernwert der Moral beobachten, die „G e g e n s e i t i g k e i t “. Ihre „Vo r a u s s e t z u n g “ sei „unvornehm im untersten Sinn: hier wird die Ä q u i v a l e n z d e r We r t h e v o n H a n d l u n g e n vorausgesetzt bei mir und dir“ (Nachlass 1887/88, 11[127], KSA 13.60 f.). Fordert die Moral Gegenseitigkeit, so verleugnet sie jede Rangordnung. Gleiches kann man nur dann mit Gleichem vergelten, wenn es Gleiche gibt, die Gleiches tun können – absolut Gleiches und vor allem Gleiche kann es nach der Rangordnung aber nie geben. So sei die Gegenseitigkeit letztlich nichts anderes als eine „Hinterabsicht auf Bezahltwerden-wollen“ und darin „eine der verfänglichsten Formen der Werth-Erniedrigung des Menschen.“ (Nachlass 1887/88, 11[258], KSA 13.98) Die Hauptkritikpunkte Nietzsches sind zusammengefasst zum einen die durch Neid und Ressentiment motivierte Instrumentalisierung der moralischen Gleichheit durch die „Schlechtweggekommenen“ zu einer auf Egalisierung zielenden Attacke auf die „Gutweggekommenen“, zum anderen die metaphysische Überhöhung und der generalisierte Anspruch der Gleichheitsforderung, die ihre psychologischen und situativen Entstehungsgründe ausblendet und damit die Distinktions- und mit ihr in letzter Konsequenz die Überlebensfähigkeit der Menschen beeinträchtigt. Gerade
as creatures who fashion ends for ourselves, or things in the world itself – and this is largely because we forbid ourselves the right to make value distinctions and shape the value of things in terms of some rank ordering.“ Er erweitert seinen Vorwurf auf die englischen Denker insgesamt, denen an dem fehle, was Rang verleiht, „an eigentlicher M a c h t der Geistigkeit, an eigentlicher T i e f e des geistigen Blicks, kurz, an Philosophie.“ (JGB 252) Zum Anti-Utilitarismus bei Nietzsche vgl. Ottmann 1999, 130 – 137, der ebenfalls Nietzsches Abgrenzung von den utilitaristischen Grundsätzen Gleichheit und Gegenseitigkeit hervorhebt. Vgl. auch Schank 2000, 126. Vgl. Nachlass 1885/86, 1[123], KSA 12.39: „[D]ie R a n g o r d n u n g der Menschen“ ist gegen „die Gefahr der Verkleinerung, des Ausruhens […], g e g e n das spinozistische oder epikureische Glück“ gerichtet. Nietzsche lässt seinen Zarathustra an prominenter Stelle sagen: „„Was liegt am Glücke! […] ich trachte lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.““ (Za IV, Das Honig-Opfer, KSA 4.295) und „Mein Leid und mein Mitleiden – was liegt daran! Trachte ich denn nach G l ü c k e ? Ich trachte nach meinem We r k e !“ (Za IV, Das Zeichen) und demonstriert damit eine ganz andere Wertsetzung, die nach utilitaristischer Perspektive gänzlich unzugänglich bleiben müsste.
4.3 Rangordnung in der Moral
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Nietzsches Kritik an der Gleichheit und seine Verteidigung der Ungleichheit, der die heute herrschende Moral mit Misstrauen und Missachtung begegnet, könnte wesentlicher Grund für das häufig sehr negative Bild Nietzsches auch über die Wissenschaft hinaus sein.¹⁴⁷ Abseits von dieser Kritik weist Nietzsche ausdrücklich auch auf den Wert der Gleichheit hin. So könne man bei einem bestimmten Grad an Gleichheit, bei Ranggleichen den Wettbewerb auf Zeit aussetzen. In solchen Gemeinschaften ist es mitunter sinnvoll, „[s]ich gegenseitig der Verletzung, der Gewalt, der Ausbeutung [zu] enthalten“, also dass „die Einzelnen sich als gleich behandeln — es geschieht in jeder gesunden Aristokratie“ (JGB 259, vgl. JGB 265). Letztlich bleibt dies aber Ausnahme – wie eben der Sinn für das Aristokratische zur Ausnahme geworden ist –, passiert es doch nur in der „a u s e r w ä h l t e s t e n S p h ä r e der „meines Gleichen“, inter pares“ (Nachlass 1887/88, 11[127], KSA 13.61). Nietzsche setzt „„meines Gleichen““ in Anführungszeichen, weil er weiß, dass es Gleiche eben nicht absolut, sondern immer nur annäherungsweise geben kann. – Andererseits sei, so Nietzsche, eine gewisse Gleichheit gerade die Voraussetzung, dass es überhaupt zum Wettkampf kommen könne: „Gleichheit vor dem Feinde — erste Voraussetzung zu einem r e c h t s c h a f f n e n Duell. Wo man verachtet, k a n n man nicht Krieg führen; wo man befiehlt, wo man Etwas u n t e r sich sieht, h a t man nicht Krieg zu führen.“ (EH, Warum ich so weise bin 7)
Beispielhaft genannt sei Tugendhat 2000, der Nietzsches Philosophie das „Axiom“ unterstellt, „die Menschen zerfielen in zwei blutsmäßig geschiedene Klassen“, und von „genetisch bestimmten Übermenschen gegenüber genetisch bestimmten Untermenschen“ spricht. Statt um Gleichheit gehe es Nietzsche schlicht um „Stärke im physischen Sinn“ und „Macht im Sinn von Gewalt“. Auch wenn er Differenzen aufzeigt, rückt Tugendhat Nietzsche damit vor einem breiten Publikum ausdrücklich „in die Nachbarschaft Hitlers.“ Nietzsches Betonung der Ungleichheit war auch Anlass, ihm Rassismus und eine Beeinflussung durch Arthur de Gobineaus Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen (Essai sur l’inégalité des races humaines, 1853 – 55) zu unterstellen, der die Existenz verschiedener, ungleich zu bewertender „Menschenrassen“ sowie die Überlegenheit der „weißen Rasse“ bzw. der „Arier“ behauptet. Vgl. etwa Young 1968 und dazu kritisch Niemeyer 2009, 339 f. Schank 2000, 426 – 441, zeigt deutlich, dass bei genauer Untersuchung „von den angeblichen Einflüssen Gobineaus auf Nietzsches Werk kaum noch etwas übrig [bleibt]. Gobineaus Rassetheorie findet bei Nietzsche keinen Niederschlag“ (441). – Nietzsches Ablehnung der Gleichheit wurde auch politisch vereinnahmt, etwa durch den Rechtsextremen Pierre Krebs, siehe dazu Krebs 1981. Nietzsches „Theorie“ von Übermensch und Rangordnung führe „zu einer Definition der organischen Staatsform, einer pyramidenförmigen Struktur, die von einer zuoberst befindlichen aristokratischen Einheit regiert wird“ (160 f.). Eine solche Reduzierung auf staatspolitische Gesichtspunkte ist die Umkehrung von Nietzsches Vorstellung der Rangordnung. Hans Jürgen Eysenck, Verfasser des Vorworts (9 – 12) und vielzitierter und einflussreicher Psychologe, hat sich in The Inequality of Man (1973) selbst mit der Ungleichheit besonders hinsichtlich der laut ihm hauptsächlich genetisch bedingten Intelligenz auseinandergesetzt.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
4.3.1.5 Rangordnung als Kritik an metaphysischen Gegensätzen und als Gegenbegriff zur Gleichheit Nietzsches Darstellung der psychologischen Herausforderungen der Rangordnung macht verständlich, warum man ihrer Überkomplexität oft ausweicht und sie simplifiziert, in Gegensätze abkürzt.¹⁴⁸ „Unsere B e g r i f f e sind von unserer B e d ü r f t i g k e i t inspirirt. Die Aufstellung der Gegensätze entspricht der Trägheit (eine Unterscheidung, die zur Nahrung, Sicherheit usw. g e n ü g t , gilt als „w a h r “) simplex veritas! — Gedanke der Trägheit.“ (Nachlass 1885/86, 2[77], KSA 12.97) Es sei mit der Zeit zur „schlechte[n] Gewohnheit“ geworden, diese Gegensätze zu sehen, „wo keine Gegensätze, sondern nur Gradverschiedenheiten sind.“ (MA II, WS 67) Diese Gewöhnung an Gegensätze ist gerade bei der moralischen Beurteilung anderer problematisch. Zur Entlastung und Vereinfachung der Orientierung werden die graduellen Unterschiede der Menschen nicht so gesehen, wie sie tatsächlich sind, sondern abgekürzt in die Werte Gut und Böse, die Grundunterscheidung der Moral.¹⁴⁹ Diese zweiwertige Unterscheidung ist die ultimative Zu- und Überspitzung bestehender gradueller Rangordnungen auf unvereinbare Gegensätze.¹⁵⁰ Die Ablehnung der komplexen und komplizierten Rangordnung erfolgt aus Trägheit, ist geradezu ein Orientierungsbedürfnis: „Gegensätze orientieren klar, lassen ein Ja oder Nein zu, trennen die Seiten aber voneinander und lassen sie als isolierte Gegenstände erscheinen, metaphysizieren, was sie unterscheiden.“¹⁵¹ Weil man sich an diese verkürzende Bewertung gewöhnt hat, übersieht man zusehends die Zwischenstufen und vergisst darüber die Gradualität überhaupt und mit ihr die auf Gradualität beruhende Rangordnung. Aus einem „Ve r l a n g e n n a c h G e w i s s h e i t “, das wiederum dem „I n s t i n k t d e r S c h w ä c h e “ entstammt, will man die Gegensätze „fest haben“ (FW 347). „Wie viel einer G l a u b e n nöthig hat, um zu gedeihen, wie viel „Festes“, an dem er nicht gerüttelt haben will, weil er sich daran h ä l t , – ist ein Gradmesser seiner Kraft (oder, deutlicher geredet, seiner Schwäche).“ Je starrer man Gegensätze also festlegt, je mehr man den Glauben an sie nötig hat, desto schwächer ist man, auf desto mehr Abkürzung der Orientierung ist man angewiesen.
Zur Gegensätzlichkeit bei Nietzsche vgl. Skowron 2009c. Vgl. auch Piazzesi 2012, die zeigt, wie Nietzsche die Gegensätze Liebe und Verachtung im „Spannungsfeld der großen Liebe“ vereint und so moralische Gegensätze überwindet. Vgl. Nachlass 1887, 10[57], KSA 12.490: „der Begriff des Lebens – es drücken sich in dem anscheinenden Gegensatze (von „gut und böse“) M a c h t g r a d e v o n I n s t i n k t e n aus, zeitweilige Rangordnung, unter der gewisse Instinkte im Zaum gehalten werden oder in Dienst genommen werden“. Dies gilt nicht nur im Umgang mit anderen, sondern auch für die moralische Beurteilung menschlicher Triebe: „An sich sind die Triebe weder gut noch böse für die Empfindung. Aber es bildet sich doch eine Rangordnung, dadurch daß die Befriedigung einiger mit Furcht verbunden ist, und diese stehen im Gefühle n i e d r i g e r als die welche lustvoll sind. Dieser Gradunterschied wird im moralischen Urtheil zu einem G e g e n s a t z .“ (Nachlass 1880, 6[204], KSA 9.251) Stegmaier 2012a, 436.
4.3 Rangordnung in der Moral
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Am nötigsten hatten bisher, neben den Christen,¹⁵² die „Metaphysiker“ den Glauben an absolute Gegensätze, so Nietzsche: „Der Grundglaube der Metaphysiker ist d e r G l a u b e a n d i e G e g e n s ä t z e d e r We r t h e .“ (JGB 2) Sofern sie von der individuellen Bedingtheit und Perspektivität ihrer eigenen Erkenntnis absehen und ihre Orientierung, die vielleicht mehr als andere auf Abkürzung angewiesen ist, verallgemeinern, denken sie metaphysisch.¹⁵³ Während andere Beobachter mit anderen Perspektiven mehr als Gegensätze, nämlich auch die Übergänge, die Abstufungen wahrnehmen, sind die Ohren der Metaphysiker, wie Nietzsche sie vor Augen hat, zu grob für Zwischentöne. Sie überhöhen ihre eigenen Wahrnehmungen zu „Tatsachen“, sind von ihren Überzeugungen zu überzeugt, um sie noch hinterfragen und in ihrer eigenen Bedingtheit sehen zu können, obwohl sie „vielleicht nur Vordergrunds-Schätzungen sind, nur vorläufige Perspektiven“ (JGB 2). Mit Metaphysiker meint Nietzsche, zumindest an dieser Stelle, also nicht einfach einen Vertreter der klassischen philosophischen Disziplin der Metaphysik, sondern jemand, der aus Orientierungsnot verkürzende zweiwertige Unterscheidungen trifft, die in seiner Lebenslage sinnvoll sind, aber nun für jeden und auf alle Zeit gültig sein sollen und so die tatsächliche Rangordnung übergehen. Diese Urteilsschwäche ist für Nietzsche Kennzeichen seiner Zeit: „Gegensätze eingelegt an Stelle der natürlichen Grade und Ränge. Haß auf die Rangordnung. Die Gegensätze sind einem pöbelhaften Zeitalter gemäß, weil leichter f a ß l i c h“ (Nachlass 1887, 9[107], KSA 12.397).¹⁵⁴ Damit sind sie aber auch, so Nietzsche, ein „P r o b l e m d e r S t ä r k e u n d d e r S c h w ä c h e “, also wiederum der Rangordnung. Wer grobe, allzu grobe Unterscheidungen nicht nötig hat und sie anderen nicht aufzwingt, gibt auch damit seinen Rang zu erkennen. Nietzsche spricht an vielen Stellen jedoch auch sehr positiv über Gegensätze. Für seine „Aufgabe einer U m w e r t h u n g d e r We r t h e “ etwa seien nie dagewesene „Vermögen“ nötig gewesen, „vor Allem auch Gegensätze von Vermögen, ohne dass diese sich stören, zerstören durften. Rangordnung der Vermögen; Distanz; die Kunst zu trennen, ohne zu verfeinden; Nichts vermischen, Nichts „versöhnen“; eine ungeheure Vielheit, die trotzdem das Gegenstück des Chaos ist“ (EH, Warum ich so klug bin 9).¹⁵⁵ Hier geht es Nietzsche nicht um verkürzende, zweiwertige Gegensätze,
Vgl. Nachlass 1887, 10[72], KSA 12.497 f.: So würden Christen „nicht eine Rangordnung der Werthe ansetzen, sondern G e g e n s ä t z e : „wir“ und „die Welt““. Auch ihr Glaube an eine „unmittelbare[ ] A u f e i n a n d e r f o l g e v o n G e g e n s ä t z e n , von moralisch entgegengesetzt gewertheten Zuständen der Seele“ vom „„schlechten Menschen““ zum „Heiligen“ sei für sie kennzeichnend (JGB 47). Vgl. Glatzeder 2000, die Nietzsches Kritik des Wertdualismus als Kern seiner Metaphysikkritik und damit als Schlüssel zu seiner Philosophie insgesamt interpretiert, die Rangordnung jedoch bloß am Rande thematisiert. Vgl. Nachlass 1887, 9[96], KSA 12.388: „Gegensätze a n S t e l l e d e r Rangordnung“. Vgl. Nachlass 1887, 10[63], KSA 12.494: „Hauptgesichtspunkt: D i s t a n z e n aufreißen, aber k e i n e G e g e n s ä t z e s c h a f f e n .“ Vgl. auch Nachlass 1885, 36[17], KSA 11.559: „Wir neuen Philosophen aber: wir beginnen nicht nur mit der Darstellung der thatsächlichen Rangordnung und WerthVerschiedenheit der Menschen, sondern wir wollen auch gerade das Gegentheil einer Anähnlichung, einer Ausgleichung: wir lehren die Entfremdung in jedem Sinne, wir reißen Klüfte auf, wie es noch
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
sondern um das produktive Spannungsfeld, das Gegensätze öffnen. Um die Spannung zu halten und auszuhalten, damit es nicht zum „Chaos“ kommt, benötigt man Kraft: „Die Synthesis der Gegensätze und Gegentriebe ein Zeichen von der Gesamtkraft eines Menschen: w i e v i e l kann sie bändigen?“ (Nachlass 1885/86, 1[4], KSA 12.11) Die „Herrschaft über G e g e n s ä t z e “ schätzt Nietzsche gar als „die höchste Kraft“ (Nachlass 1884, 25[408], KSA 11.119), und „der h ö c h s t e Mensch“ ist für ihn derjenige, „welcher d e n G e g e n s a t z - C h a r a k t e r d e s D a s e i n s am stärksten darstellte, als dessen Glorie und einzige Rechtfertigung …“ (Nachlass 1887, 10[111], KSA 12.519 f.).¹⁵⁶ Sein Beispiel dafür ist Zarathustra, der sich aufgrund seiner „Zugänglichkeit zum Entgegengesetzten als die h ö c h s t e A r t a l l e s S e i e n d e n“ fühle, „in ihm sind alle Gegensätze zu einer neuen Einheit gebunden.“ (EH, Za 6) Auch „G o e t h e “ gilt Nietzsche „als schönster Ausdruck des Typus“, in „dem die verschiedenen Kräfte zu Einem Ziele unbedenklich in’s Joch gespannt sind.“ (Nachlass 1887, 9[119], KSA 12.404) Ein Ranghoher muss also nicht ohne Gegensätze auskommen, sondern kann sie als zwei Extreme einer Sache sehen, zwischen denen eine graduelle Abstufung, eine Rangordnung existiert, und unbefangen mit ihnen umgehen – genau dies ist „die Kunst zu trennen, ohne zu verfeinden“ (EH, Warum ich so klug bin 9), ohne aus natürlichen Gradunterschieden metaphysische Wesensunterschiede zu machen.¹⁵⁷ Die Rangordnung schafft durch die vielen Abstufungen Alternativen zum Entweder-Oder der Gegensätze, mit denen man arbeiten, etwas anfangen, die man immer neu unterscheiden kann und die so immer neue Handlungsspielräume öffnen.¹⁵⁸ Die im Umgang mit Gegensätzen nötige Kraft ist
keine gegeben hat“. Zur Gegensätzlichkeit in Nietzsches Philosophie vgl. auch Müller-Lauter 1971, der jedoch kaum die Auflösung der Gegensätze ins Graduelle sieht. Vgl. Nachlass 1884, 27[59], KSA 11.289. Grau 1984, liefert eine gänzlich entgegengesetzte Interpretation, die die Rangordnung in Nietzsches „Ideologie“ als „Strukturmoment des absoluten Anspruchs“ begreift. Sie sei „die Dichotomie der Menschheit in zwei Reiche, Rassen oder Klassen von Anhängern oder Verweigerern des wahren Glaubens“ (330). Diese beiden Reiche seien nicht graduell, sondern absolut voneinander getrennt, denn die von Nietzsche „propagierte Rangordnung“ impliziere einen „absolute[n] Gegensatz zwischen den Menschen“ (339), eine „ideologische Klassifizierung der Menschen“, eine „mystische Kollektivierung“ (346). Grau unterstellt Nietzsche, Partei für eine Seite zu ergreifen, immer nur eine von ihnen werde Nietzsches „absolutem Anspruch“ gerecht. Rangordnung sei gar die „Voraussetzung parteilicher Moral“ überhaupt (230). – Graus „ideologische“ Klassifizierung ist zwar differenzierter als Tugendhats „blutsmäßige“, doch übergeht auch sie die Gradualität der Rangordnung. Zudem geht es Nietzsche mit der Rangordnung gerade darum, eine bloße Parteinahme für eine bestimmte Moral zu überwinden. Wenn er sich der einen Seite, den Vornehmen, zuwendet, dann vor allem aus dem Grund, dass die Vornehmen dazu in der Lage sind, verschiedene Perspektiven und Moralen gelten zu lassen, ohne anderen die eigene aufzudrängen. Vgl. Skowron 2009c, 272: „Man kann sich daher […] fragen, ob man [Nietzsches] berühmte Gegensatzformel am Schluss von Ecce homo: ,Dionysos gegen den Gekreuzigten‘ richtig verstanden hat, wenn man sie als einseitige Option für Dionysos liest und nicht auch als ein Spiel mit Gegensätzen, wofür seine wechselnden Unterschriften in seinen letzten Wahnsinnsbotschaften sowohl mit ‚Dionysos‘ als auch mit ‚der Gekreuzigte‘ sprechen würden. Dionysos und der Gekreuzigte sind äußerste
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gerade die Fähigkeit, die immer neuen Handlungsmöglichkeiten, die die Orientierung verkomplizieren, sie schwieriger, anstrengender machen, sie durch ihre Widersprüchlichkeit verunsichern, ihr Entscheidungen abnötigen und sie zwingen, ständig neu abzuwägen, als Bereicherung, als lebensdienlich zu sehen und nicht an ihnen zugrunde zu gehen. Nietzsche schafft mit seinem Problem und Begriff der Rangordnung schließlich einen eigenen, einen neuen Gegensatz. Er inszeniert sie gezielt als Gegenbegriff zur Gleichheit, sie steht damit im Zentrum seiner Gleichheitskritik. Zur Gleichheit finden sich bei Nietzsche gut 150 Stellen, die in ihrem Auftreten chronologisch mit einem Höhepunkt um 1885 sehr ähnlich zu denen der Rangordnung verteilt sind. Die Gegensätzlichkeit von Rangordnung und Gleichheit spricht Nietzsche mehrfach gezielt an, etwa im Entwurf einer Vorrede „D i e n e u e R a n g o r d n u n g “: „Ich fühle mich im Gegensatz zur M o r a l d e r G l e i c h h e i t .“ (Nachlass 1884, 26[243], KSA 11.212); „Neue Rangordnung. Gegen die Gleichheit“ (Nachlass 1884, 26[353], KSA 11.243). Im Rückblick auf sein eigenes Philosophieren hält Nietzsche im Oktober 1888 fest, dass er solche „starken Gegen-Begriffe nöthig“ habe, „die L e u c h t k r a f t dieser GegenBegriffe, um in jenen Abgrund von Leichtfertigkeit und Lüge hinabzuleuchten, der bisher Moral hieß.“ (Nachlass 1888, 23[3], KSA 13.603) Gegenbegriffe Nietzsches sind in diesem Sinn kritische Begriffe, die Freiheit und Spielraum gegenüber festen, selbstverständlich gewordenen, scheinbar alternativlosen allgemeinen und zeitlosen Werten der Moral verschaffen. Durch den Begriff der Rangordnung macht Nietzsche die Gleichheit als Leitbegriff der europäischen Moral sichtbar und kennzeichnet zugleich ihre Entscheidbarkeit, enttarnt sie als einen möglichen, aber nicht alternativlosen Wert. Mit der Rangordnung führt Nietzsche keine neue zweiwertige Unterscheidung Rangordnung versus Gleichheit ein, schafft keinen absoluten Gegensatz zwischen ihnen – durch die Einführung der Rangordnung sind solche metaphysischen Unterscheidungen ja gerade nicht mehr sinnvoll. Er stellt vielmehr eine Rangordnung der Begriffe zwischen der Gleichheit und der Rangordnung her, erzeugt ein Spannungsfeld zwischen ihnen. In diesem Spannungsfeld kann sich jeder nach seinen Fähigkeiten bewegen und so durch den neuen Horizont, den Nietzsche geöffnet hat, ein breites Spektrum an neuen Perspektiven gewinnen. Wer dazu nicht in der Lage ist, kann die Rangordnung ablehnen und sich weiterhin auf die moralische Gleichheit berufen – wie es dann auch meist geschehen ist.
Gegensätze, aber gerade deshalb wesentlich aufeinander bezogen und dürfen nicht wieder dualistischmetaphysisch getrennt und verselbständigt werden.“
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
4.3.2 Die Rangordnung der Moralen und die Moral der Rangordnung 4.3.2.1 Rangordnung als Grundlage der Moral Nach Nietzsches Bloßlegung der Gleichheit als Zentralwert der Moral stellt er die Moral ganz auf Rangordnung um: „Moral ist die Lehre von der Rangordnung der Menschen, und folglich auch von der Bedeutsamkeit ihrer Handlungen und Werke f ü r diese Rangordnung“ (Nachlass 1885, 35[5], KSA 11.510). Moral beruht auf Rangordnung, weil jede Moral eine Ordnung von Wertschätzungen ist, also von Werten, die Individuen gesetzt und die sich dann gegen andere Werte von anderen Individuen durchgesetzt haben. Die „Rangordnung der Güter“ werde bestimmt, „je nachdem ein niedriger, höherer, höchster Egoismus das Eine oder das Andere will“ (MA I 42). „Die Rangordnung der Güter selber wird nicht nach moralischen Gesichtspuncten auf- und umgestellt“. Rangordnung ist also ursprünglicher als die Moral, sie ist vor- und außermoralisch, nicht gut oder böse, sondern einfach gegeben, unter bestimmten Bedingungen aus verschiedenen Gründen entstanden. Sie ist der unmoralische Maßstab der Moral, grundlegender als die Moral und zugleich grundlegend für sie. Wenn Moral auf Rangordnung, auf Persönlichkeiten gründet, dann entzieht sie sich rein rationalen (Letzt‐)Begründungen.¹⁵⁹ Bisher hätten die Moralphilosophen ausschließlich an einer solchen „B e g r ü n d u n g der Moral“ gearbeitet, die Moral selbst aber „als „gegeben““ hingenommen (JGB 186). Alle Moralphilosophie sei daher Ausdruck „des guten G l a u b e n s an die herrschende Moral“ gewesen. Erst wenn man sich den moralischen Ansprüchen verweigere, bekäme man „die eigentlichen Probleme der Moral“ zu Gesicht. Um sich diesen Problemen zu nähern, begreift Nietzsche die Moral vor allem „als Lehre von den Herrschafts-Verhältnissen […], unter denen das Phänomen „Leben“ entsteht.“ (JGB 19, KSA 5.34) Moralische Wertordnungen entstehen nicht zufällig, sondern sind bedingt durch die jeweiligen Lebensumstände einer Moralgemeinschaft, sind Reaktion auf ihre jeweiligen Nöte. Nietzsche nennt als Bei-
Jürgen Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns (1981) strebt mit der „idealen Sprechaktsituation“ im Gegensatz dazu die Abschaffung oder zumindest das Ausblenden aller Rangordnung an. Im „herrschaftsfreien Diskurs“ sollen sämtliche Teilnehmer gleich sein, ohne dass Macht und Hierarchien eine Rolle spielten. Nur auf diese Weise könne es einen „rationalen“ und „intersubjektiven Konsens“ geben, zu dem alle grundsätzlich bereit sein sollen. Die „Diskursregeln“ verlangen also von den Akteuren der Kommunikation, von ihrer Person bzw. Persönlichkeit abzusehen, bei der Nietzsches Rangordnung ansetzt, und nur dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ zu folgen. Ist für Habermas die Rangordnung eine „Verzerrung“ der Kommunikation, so ist es für Nietzsche gerade ihre Aufhebung. Vgl. dazu Alberts 2014, 93. Vgl. auch Braatz 1988, 94: „Die Hoffnung oder das Hinarbeiten auf einen ,herrschaftsfreien Diskurs‘ hätte Nietzsche für illusorisch und die Forderung nach einer solchen Kommunikation selbst für den verpuppten Ausdruck eines bestimmten Machtwillens gehalten.“ Zu Nietzsche und Habermas vgl. Babich 2004. – Ähnlich wie Habermas meint auch Ernst Tugendhat, Moral sei nie auf Autorität zu begründen, da die Autorität selbst nicht begründet, gerechtfertigt werden könne, vgl. etwa Tugendhat 2007. Dies ist die Umkehrung von Nietzsches Rangordnung, die ihren Ausgang eben bei der persönlichen Autorität nimmt, die sich situativ im Umgang mit anderen zeigt und selbst nicht weiter begründet werden kann oder muss. Vgl. auch Rosenthal 2006.
4.3 Rangordnung in der Moral
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spiel Bedingungen „des Klima’s, des Bodens, der Gefahr, der Bedürfnisse, der Arbeit“ (JGB 268). Zur Bewältigung dieser Umstände bildet sich eine Wertordnung, die das Zusammen- und damit das Überleben der Moralgemeinschaft organisiert. Je klarer die Werte ranggeordnet, je eindeutiger sie sind, desto mehr vereinfachen sie die Orientierung in Notsituationen und desto lebensfördernder sind sie. Eine Moral sagt damit etwas aus über die Erfahrungen einer Moralgemeinschaft: „Wo wir eine Moral antreffen, da finden wir eine Abschätzung und Rangordnung der menschlichen Triebe und Handlungen. Diese Schätzungen und Rangordnungen sind immer der Ausdruck der Bedürfnisse einer Gemeinde und Heerde“ (FW 116). Eine solche Rangordnung gibt Auskunft über die Nöte der Vorfahren, ihre Werte und Wertschätzungen als Reaktion auf diese Nöte. Das gilt nicht nur für eine Moralgemeinschaft, sondern auch für Einzelpersonen: „Die Werthschätzungen eines Menschen verrathen etwas vom A u f b a u seiner Seele, und worin sie ihre Lebensbedingungen, ihre eigentliche Noth sieht.“ (JGB 268) Individuelle Wertordnungen hängen von der individuellen Reaktion in bestimmten Situationen ab: „Welche Gruppen von Empfindungen innerhalb einer Seele am schnellsten wach werden, das Wort ergreifen, den Befehl geben, das entscheidet über die gesammte Rangordnung ihrer Werthe, das bestimmt zuletzt ihre Gütertafel.“ So wird auch deutlich, warum Nietzsche theoretische Moralbegründungen fremd sind. Sie haben kein Verständnis für die je individuellen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen einer Moral, sondern generalisieren, universalisieren und vergröbern sie, weil sie von der gleichen Gültigkeit einer Moral für alle ausgehen, damit jedem die gleichen Nöte und letztlich die Gleichheit aller Menschen unterstellen. Die Rangordnung ist für Nietzsche also auch deshalb so wichtig, weil sie Antwort gibt auf „[d]ie Frage nach der Herkunft der moralischen Werthe“, die für ihn „eine Frage e r s t e n R a n g e s “ ist (EH, M 2). Darüber hinaus will Nietzsche aber die „M o r a l a l s P r o b l e m“ betrachten, denn bisher gab es „[n]iemanden, der eine K r i t i k der moralischen Werthurtheile gewagt hätte“ (FW 345).¹⁶⁰ Ein Problem ist für Nietzsche immer eine Frage der Persönlichkeit, etwas, das einen persönlich angeht (vgl. Kap. 2.2.1). Wenn man die Moral bisher nicht problematisiert hat, heißt das, dass es bisher niemand gab, „der zur Moral in dieser Stellung als Person stünde, der die Moral als Problem und dies Problem als s e i n e persönliche Noth, Qual, Wollust, Leidenschaft“ empfand (FW 345). Indem Nietzsche die Moral als Problem nimmt, bringt er sich selbst ins Spiel, geht die Moral auf Grundlage seiner Person und Persönlichkeit an. Sie ist auch deshalb eine Frage der Rangordnung.
Vgl. GM, Vorrede 6. Nietzsche stellt hier, parallel zu MA I, Vorrede 7, in der Nietzsche die Rangordnung als neue Aufgabe bezeichnet, eine „n e u e F o r d e r u n g : wir haben eine K r i t i k der moralischen Werthe nöthig, d e r We r t h d i e s e r We r t h e i s t s e l b s t e r s t e i n m a l i n F r a g e z u s t e l l e n“.
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
4.3.2.2 Die Pluralität und die Rangordnung der Moralen Wenn Moralen Ausdruck bestimmter Lebensbedingungen sind, folgt daraus, dass sie nicht ewig und nur begrenzt verallgemeinerbar sind, weil sich die Lebensbedingungen mit der Zeit zwangsläufig wandeln: „Die Rangordnung der Güter ist […] keine zu allen Zeiten feste und gleiche“ (MA I 42). Es folgt aber vor allem, dass es verschiedene Moralen gab und gibt: „Da die Bedingungen der Erhaltung einer Gemeinde sehr verschieden von denen einer anderen Gemeinde gewesen sind, so gab es sehr verschiedene Moralen“ (FW 116).¹⁶¹ Eine Pluralität von Moralen kann es aus moralischer Perspektive selbst nicht geben, sie muss böse und unmoralisch sein. So „wehrt sich“ die Moral gegen andere Moralen „mit allen Kräften: sie sagt hartnäckig und unerbittlich „ich bin die Moral selbst, und Nichts ausserdem ist Moral!““ (JGB 202)¹⁶² Die Moral des absoluten, universellen Gültigkeitsanspruchs nennt Nietzsche die „H e e r d e n t h i e r - M o r a l “, die „h e u t e i n E u r o p a“ die Norm sei, obwohl sie nur „Eine Art von menschlicher Moral [ist], neben der, vor der, nach der viele andere, vor Allem h ö h e r e Moralen möglich sind oder sein sollten.“ Nietzsche gibt zu bedenken, dass sich eine solche Moral wegen ihrer Forderung nach Allgemeingültigkeit als moralisch empfindet, damit aber gerade das Gegenteil bewirken könnte: Man muss die Moralen zwingen, sich zu allererst vor der R a n g o r d n u n g zu beugen, man muss ihnen ihre Anmaassung in’s Gewissen schieben, – bis sie endlich mit einander darüber in’s Klare kommen, das es u n m o r a l i s c h ist zu sagen: „was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig“. (JGB 221)
Die universelle Moral ist universell geworden, weil sie den Nöten der meisten, also der „Herde“, wie Nietzsche sie nennt, entsprochen hat. Natürlich hat aber nicht jeder diese Moral in gleicher Weise nötig, weil er nicht derselbe, auch kein ähnlicher, sondern vielleicht ein ganz anderer Mensch, ein Individuum abseits der „Herde“ ist, mit individuellen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Die universelle Moral übergeht diese Individuen, zwingt ihnen ihr für sie unangemessenes Maß auf und missachtet damit alle Rangordnung. So ist es Nietzsches zentrale Einsicht, „dass, was dem
Vgl. Kelsen 2000, 19 f.: „Die Antwort auf die Frage nach der Rangordnung der Werte – wie Leben und Freiheit, Freiheit und Gleichheit, Freiheit und Sicherheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit, Individuum und Nation – muß verschieden ausfallen, je nachdem die Frage sich an einen gläubigen Christen richtet, der sein Seelenheil, d.i. sein Schicksal nach dem Tode, für wichtiger hält als irdische Güter, oder an einen Materialisten, der nicht an eine Unsterblichkeit der Seele glaubt; und die Antwort kann nicht dieselbe sein, wenn sie unter der Annahme gegeben wird, daß Freiheit der höchste Wert ist, d. i. vom Standpunkt des Liberalismus, oder unter der Voraussetzung, daß wirtschaftliche Sicherheit das letzte Ziel einer Gesellschaftsordnung ist, d. i. vom Standpunkt des Sozialismus.“ Vgl. Nachlass 1885, 35[5], KSA 11.510: „Die unbedingte Wichtigkeit, die blinde Selbstsucht, mit der sich jede Moral behandelt, will, daß es nicht viele Moralen geben könne, sie will keine Vergleichung, keine Kritik: sondern unbedingten Glauben an sich.“
4.3 Rangordnung in der Moral
171
Einen billig ist, durchaus noch nicht dem Andern billig sein k a n n , dass die Forderung Einer Moral für Alle die Beeinträchtigung gerade der höheren Menschen ist, kurz, dass es eine R a n g o r d n u n g zwischen Mensch und Mensch, folglich auch zwischen Moral und Moral giebt.“ (JGB 228) Beispielhaft nennt Nietzsche „zwei Grundtypen“ von Moralen, die berühmt gewordene „H e r r e n - M o r a l und S k l a v e n - M o r a l “ (JGB 260, KSA 5.208). Sie stellen gerade keinen neuen metaphysischen Gegensatz als Abbild zweier gänzlich getrennter Stände dar, weil es „in allen höheren und gemischten Culturen auch Versuche der Vermittlung beider Moralen“ gebe und „noch öfter das Durcheinander derselben […], ja bisweilen ihr hartes Nebeneinander — sogar im selben Menschen“.¹⁶³ Auch ihr „Grundunterschied“ lässt sich in eine abgestufte, aber trotzdem zweipolige Rangordnung auflösen, die sich „innerhalb Einer Seele“ findet. So seien es auf der einen Seite, bei der „Herren-Moral“, „die erhobenen stolzen Zustände der Seele, welche als das Auszeichnende und die Rangordnung Bestimmende empfunden werden.“ (JGB 260, KSA 5.209) Diese „vornehme Art Mensch fühlt s i c h als werthbestimmend“ und ist „w e r t h e s c h a f f e n d .“ Die „Sklaven-Moral“ auf der anderen Seite „ist wesentlich Nützlichkeits-Moral“ und gekennzeichnet durch einen „Instinkt für das Glück“ (JGB 260, KSA 5.210). Nietzsche sieht die Einzelnaturen in Gefahr, gerade weil sie sich instinktiv von der Herde distanzieren, sie damit zwangsläufig in der Minderheit und ihre Werte, die sie selbst setzen, noch nicht erprobt sind: „sie haben den Instinkt der Heerde, die Tradition der Werthe gegen sich“ und können nur durch die „Gunst des Zufalls […] g e d e i h e n .“ (Nachlass 1887, 10[61], KSA 12.493) Der entgegengesetzte Herdentypus hat dementsprechend die Macht der Mehrheit und nutzt sie, um den Einzelnaturen seine Werte aufzuzwingen. Dies könne gar in einen „Kampf […] gegen die S o l i t ä r - P e r s o n“ münden. Genau darin ist die Moral der Herde unvornehm. Sie kann die Andersheit der Einzelnaturen nicht verstehen, sie ihnen nicht zugestehen, weil für sie alle Menschen gleich sind und ihr Rangordnung unbegreiflich ist. Die Einzelnatur ist dagegen vornehm, weil sie ihre Moral als individuellen Ausdruck ihrer Persönlichkeit versteht und auch allen anderen Naturen eigene, ganz andere Moralen einräumt und sogar gutheißen kann. So ist für Nietzsche die „E r s t e F r a g e in Betreff der R a n g o r d n u n g : wie s o l i t ä r oder wie h e e r d e n h a f t Jemand ist“ (Nachlass 1887, 10[59], KSA 12.492). Diese Moraltypisierung ist das Ergebnis von Nietzsches bisherigen Moralvergleichen. Weil „die eigentlichen Probleme der Moral […] alle erst bei einer Vergleichung v i e l e r Moralen auftauchen“ (JGB 186) und diese Vielheit der Moralen die ganze „Verschiedenheit der Menschen“ (JGB 194) aufzeige, entwirft Nietzsche ein großangelegtes Forschungsprogramm mit der von der Wissenschaft bisher missachteten Aufgabe, die Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen von historischen und modernen Moralen zu untersuchen: „Man sollte, in aller Strenge, sich eingestehen, w a s hier auf lange hinaus noch noth thut“ (JGB 186), „nämlich Sammlung des Ma-
Vgl. JGB 215: „wir modernen Menschen“ sind „durch v e r s c h i e d e n e Moralen bestimmt“.
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terials, begriffliche Fassung und Zusammenordnung eines ungeheuren Reichs zarter Werthgefühle und Werthunterschiede“. Dies sei die „Vorbereitung zu einer T y p e n l e h r e der Moral.“ In einer ausführlichen und bei ihm fast einzigartigen „A n m e r k u n g “¹⁶⁴ drückt Nietzsche seinen „Wunsch“ nach einer institutionell gestützten, interdisziplinären „Förderung m o r a l - h i s t o r i s c h e r Studien“ aus (GM I 17, Anmerkung).¹⁶⁵ Mitarbeiten sollen „Philosophen“, „Philologen und Historiker“, Etymologen, die „d i e E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e d e r m o r a l i s c h e n B e g r i f f e “ untersuchen, „Physiologen und Mediciner“. Das Problem der Rangordnung geht also auch Wissenschaftler an: „A l l e Wissenschaften haben nunmehr der Zukunfts-Aufgabe des Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph das P r o b l e m v o m We r t h e zu lösen hat, dass er die R a n g o r d n u n g d e r We r t h e zu bestimmen hat. —“¹⁶⁶ Komplementär zu dem wissenschaftlichen Projekt ist für Nietzsche der „h i s t o r i s c h e S i n n“ (JGB 224, KSA 5.157) als „die Fähigkeit, die Rangordnung von Werthschätzungen schnell zu errathen, nach welchen ein Volk, eine Gesellschaft, ein Mensch gelebt hat“.¹⁶⁷ Er sei eine europäische „Besonderheit“ (JGB 224, KSA 5.158) und nur „durch die demokratische Vermengung der Stände und Rassen“, also durch das Aufeinandertreffen verschiedenster kultureller und moralischer Perspektiven im Demokratisierungsprozess Europas, möglich geworden. Bei einem „Mangel an historischem Sinn“ (Nachlass 1885, 35[5], KSA 11.510) wird man „nur die g e g e n w ä r t i g e herrschende Rangordnung“ untersuchen, man wird dann „von der Moral beherrscht, welche das Gegenwärtige als das Ewig-Gültige lehrt.“ Der historische Instinkt schafft Spielraum gegenüber der herrschenden Moral und ermöglicht so das Verständnis, dass Rangordnungen von Werten nicht einfach gegeben und alternativlos, sondern historisch gewachsen sind und sich auch weiter ändern können. Zugleich liege im historischen Sinn aber auch „eine beleidigende Scepsis gegen die Rangverschiedenheit von Mensch und Mensch, und [der] unverschämte Anspruch auf „Gleichheit“ wird sogar in Hinsicht auf die Todten ausgedehnt“ (Nachlass 1885, 35[43], KSA 11.529). Der historische Sinn ist „ein u n v o r n e h m e r Sinn“ (JGB 224, KSA 5.158), weil er sich
Weitere, weniger elaborierte Anmerkungen finden sich etwa bei WA 9, KSA 6.32, und WA, Epilog, KSA 6.52. Vgl. Nachlass 1888, 14[105], KSA 13.282 f. Vgl. Brusotti 2012, 106, der fragt, was es hier bedeute, Werte zu bestimmen: „(Wissenschaftlich) ,ermitteln‘ oder im Gegenteil ,beschließen‘, d. h. eine Entscheidung treffen? Die Ausdrucksweise suggeriert ersteres, aber letzteres ist gemeint: Der Philosoph kann das ,Problem vom Werthe‘ nur lösen, indem er die neuen Werte setzt.“ Schacht 2012, 176, sieht die Anmerkung im Gegensatz dazu als Beleg für Nietzsches vermeintlichen Naturalismus: „One could hardly ask for a more revealing indication of the character and larger agenda of Nietzsche’s naturalism.“ Heidegger 1997, sah zuvor das „Entscheiden über Rangordnungen von Werten“ als „metaphysische Auseinandersetzung“ (272). Vgl. Nachlass 1885, 35[2], KSA 11.509. Vgl. zum historischen Sinn auch MA I 2, FW 337, EH, JGB 2, Nachlass 1873, 29[57], KSA 7.652, und Nachlass 1884, 26[424], KSA 11.264.
4.3 Rangordnung in der Moral
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anmaßt, alles und jeden zu vergleichen und so auch anzugleichen.¹⁶⁸ Er hat „Sinn und Instinkt für Alles, den Geschmack und die Zunge für Alles“ und ist daher „nicht sehr „geschmackvoll““, ist an allem gleich interessiert, „seine unterwürfige PlebejerNeugierde“ (JGB 224, KSA 5.158 f.) kennt keine Scheu. Selbst „die kleinen kurzen und höchsten Glücksfalle und Verklärungen des menschlichen Lebens, wie sie hier und da einmal aufglänzen“, bleiben ihm daher fremd. Der historische Sinn ermöglicht zwar Zugang zu vergangenen Rangordnungen, doch mangelt es ihm selbst an vornehmer Urteils- und Distinktionsfähigkeit. Das durch ihn erlangte Verständnis vergangener Rangordnungen ist nur um den Preis zu haben, selbst keine Rangordnungen mehr ansetzen zu können.
4.3.2.3 Die Moral der Rangordnung der Moralen Weil eine Rangordnung der Moralen immer auf die Vielzahl der Moralen verweist, befreit sie vom befangenen Standpunkt der eigenen Moral und den universalen Ansprüchen der herrschenden Moral. Sie öffnet die Augen dafür, dass von eigenen moralischen Vorstellungen abweichende Handlungen nicht einfach böse sind, sondern sie als Teil einer anderen Moral sinnvoll, gar lebenswichtig sein können – jenseits von Gut und Böse. Die Rangordnung ermöglicht alternative Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, und so könnte es überlebensnotwendig sein, sich offen mit dem Problem der Rangordnung auseinanderzusetzen, um den sich ständig ändernden Lebensbedingungen immer wieder neu gerecht werden zu können. Während herrschende Moralen allgemeine Gültigkeit für alle beanspruchen und bestimmte Handlungsweisen erzwingen wollen, macht eine Konfrontation mit anderen Moralen, die andere, widersprechende Werte und Handlungsweisen vorgeben, auf die Entscheidbarkeit von moralischen Werten aufmerksam. Nimmt eine einzelne Moral Verantwortung ab, weil sie Handlungsentscheidungen vorgibt, so führen mehrere, sich ausschließende Moralen zu mehr Verantwortung, weil sie neue Handlungsentscheidungen fordern. Die herrschende Moral kommt denen entgegen, die diese Verantwortung nicht tragen wollen oder können und eine möglichst geregelte Orientierung an der Moral mit möglichst klaren Handlungsspielräumen innerhalb der Moralgemeinschaft nötig haben. Eine Mehrzahl von Moralen hingegen fordert heraus, sie vereinzelt, reißt den Einzelnen aus der Sicherheit der Moralgemeinschaft und öffnet einen ganz neuen Horizont voller Handlungsmöglichkeiten, vor dem man sich zurechtfinden muss. Man muss sich dann neu orientieren, nämlich im Umgang mit den verschiedenen Moralen.¹⁶⁹ Die Fähigkeit dazu ist individuell ganz verschieden
Vgl. Nachlass 1887/88, 11[374], KSA 13.167: „Unser Vorrang: wir leben im Zeitalter der Ve r g l e i c h u n g , wir können nachrechnen, wie nie nachgerechnet worden ist: wir sind das Selbstbewußtsein der Historie überhaupt … Wir genießen anders, wir leiden anders: die Vergleichung eines unerhört Vielfachen ist unsere instinktivste Thätigkeit …“ Stegmaier 2008b, 544, hat dafür den treffenden Begriff einer „Moral im Umgang mit Moral“ geprägt.
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und damit gerade eine Frage der Rangordnung. Eine Moral im Umgang mit Moral nimmt darauf Rücksicht, schreibt nicht jedem die gleichen Werte vor wie eine herrschende Moral, sondern wird vornehm so viel Pluralität zulassen, wie man verkraften und verantworten kann – auch darin zeigt sich der Rang einer jeden Persönlichkeit. Man könnte in diesem Sinn von einer Rangordnung von Rangordnungen sprechen. Eine Rangordnung der Moralen zielt nicht darauf, die Pluralität der Moralen durch eine neuerliche Auswahl zu beschränken. Sie konserviert vielmehr diese Pluralität, weil eine Rangordnung immer nur durch jedes einzelne ihrer Elemente bestehen kann. Die Pluralität ist für die Rangordnung konstitutiv. Weil, wie sich gezeigt hat, jeder nach seiner Perspektive verschiedene Kraft zum Aufstellen und Aushalten der Rangordnung hat, muss es auch verschiedene Rangordnungen geben.¹⁷⁰ Die Bedeutung einer einzelnen Rangordnung wird so relativiert, sie ist eben nur auf Zeit, nur für bestimmte Individuen und nur in ihren Perspektiven maßgeblich. Die Rangordnung ist aufgrund ihrer inhärenten Pluralität kein Problem einer ewigen Werteskala, einer Hierarchie, und taugt daher auch nicht zum Letztbegriff.
4.4 Rangordnung in der Wissenschaft und in der Philosophie Die Moral der Gleichheit reicht, so Nietzsche, bis tief in die Wissenschaft, und auch das moralische Ideal der Selbstlosigkeit wurde von ihr übernommen. Ein Wissenschaftler strebt nach objektiver Wahrheit und vergisst darüber leicht sich und seine Persönlichkeit, was letztlich zu einem Gleichheitsideal innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft führt, das alle Herrschaft und Autorität ablehnt und damit auf Nietzsche geradezu anarchistisch anmutet. Er zeigt hingegen die un- und vorwissenschaftlichen Bedingungen jeder Wissenschaft auf, ihre verschwiegenen, vergessenen Voraussetzungen. Statt um bloße Wahrheit geht es Nietzsche nun um die Kraft zur Entscheidung über die Wahrheit und ihre Kriterien, um Forscherpersönlichkeiten, die miteinander in Konkurrenz stehen, und damit wieder um Rangordnung. Die größte Kraft zur Unabhängigkeit von allgemeinen Begriffen und Theorien und damit zu eigenverantwortlichen Entscheidungen haben für Nietzsche die Philosophen. Sie müssen sich und ihre Glaubenssätze immer wieder aufs Spiel setzen, leben damit gefährlicher als die Wissenschaftler, haben auch aber umfassendere Perspektiven und damit letztlich auch einen höheren Rang als sie gewonnen. Die Werte der Philosophen können den Wissenschaftlern Impulse geben, können ihnen schließlich zum Halt werden oder, mit Nietzsches Wort, ihnen „befehlen“.
Zur Pluralität der Rangordnungen vgl. Tongeren 1989, 65 (sowie 85 – 90): „eine Rangordnung ist nicht nur auf eine Vielfalt von Moral bezogen […], es ist überdies auch unwahrscheinlich, daß es lediglich eine Rangordnung geben solle, ebenso wie jetzt eine Moral herrscht. Nietzsche spricht ausdrücklich davon, daß die künftigen Philosophen ihre Wahrheit (ihre Rangordnung) nicht zum Gemeingut werden lassen wollen […]. Die von Nietzsche vorbereitete Rangordnung wirft sich nicht als die einzige auf.“
4.4 Rangordnung in der Wissenschaft und in der Philosophie
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4.4.1 „Ni dieu, ni maître“: Das wissenschaftliche Gleichheitsideal Der Fortschritt der modernen Wissenschaft hat die Lebensbedingungen der Menschen mit der Zeit in erheblichem Maß verbessert und ihr alltägliches Leben vereinfacht. Durch ihre Nützlichkeit hat die Wissenschaft zusehends an Glaubwürdigkeit gewonnen und so als Sinngebungs- und Welterklärungsinstanz der Religion den Rang abgelaufen oder, in Nietzsches Worten, den „Tod Gottes“ mit herbeigeführt.¹⁷¹ Getrieben vom ursprünglich selbst christlichen Wert der Wahrhaftigkeit hinterfragte die Wissenschaft Gott und den Glauben an ihn und ersetzte ihn durch Wahrheit und den Glauben an sie. Der wissenschaftliche Wahrhaftigkeitstrieb will alle menschlichen Illusionen aufdecken, macht aber gerade beim Glauben an die Wahrheit als Grundlage der Wissenschaft selbst halt, nimmt sie inkonsequent als gegeben hin und hinterfragt ihren Wert nicht weiter. Dieser naive Glaube an die Wahrheit sei, so Nietzsche, „ein m e t a p h y s i s c h e r G l a u b e “ , und in diesem Glauben seien auch die Wissenschaftler „ n o c h f r o m m“ (FW 344, KSA 3.574– 577). In der Unfähigkeit der Wissenschaft, ihre eigenen Grundlagen zu reflektieren und sich so vom Glauben zu lösen, manifestierten sich die „Schatten“ des toten Gottes (FW 343).¹⁷² In GM wiederholt und präzisiert Nietzsche: Wissenschaftler „g l a u b e n n o c h a n d i e W a h r h e i t “, „an einen m e t a p h y s i s c h e n Werth, einen Werth a n s i c h d e r W a h r h e i t “ (GM III 24, KSA 5.399 f.). Dieser „unbedingte Wille zur Wahrheit“ sei „der G l a u b e a n d a s a s k e t i s c h e I d e a l “.¹⁷³ Wenn die Wahrheit einen Wert „an sich“ hat, ist es egal, wer sie entdeckt. Es kommt dann nicht mehr auf die Person, den einzelnen Wissenschaftler an, die Persönlichkeit tritt hinter die Wahrheit zurück, verblasst vor ihr. Eine solche Wahrheit ist objektiv, für alle gleich gültig und für jeden durch gemeinschaftliche wissenschaftliche Methoden gleich zugänglich, für den Bachelorstudenten wie für die Nobelpreisträgerin – sie ist eine „Wahrheit für Jedermann“ (JGB 43). „„Objektivität““ und „„Wissenschaftlichkeit““ nennt Nietzsche in einem Atemzug (JGB 208, KSA 5.139), der wissenschaftliche Anspruch auf „O b j e k t i v i t ä t “ sei nichts anderes als der Anspruch „auf kalte Unpersönlichkeit“ (Nachlass 1885, 35[32], KSA 11.522).¹⁷⁴ Jeder persönliche, subjektive Einfluss wäre eine Verfälschung der Wahrheit und der Tatsachen, und so soll in wissenschaftlichen Arbeiten jede Spur des Persönlichen vermieden werden.¹⁷⁵ Das gilt auch für Nietzsches Problem der Rangordnung selbst, das sein zutiefst persönliches Problem und damit wissenschaftlich nur begrenzt zugänglich
Vgl. Brusotti 2010. Vgl. Gentili 2010 und ausführlich Stegmaier 2012a, 91 f. und 121– 136. Vgl. Heit 2016. Vgl. Nachlass 1887, 9[165], KSA 12.432: „Objektivität = Mangel an Person, Mangel an Willen“. Der typisch unpersönliche Stil der Wissenschaft zeigt sich etwa im Vermeiden der 1. Person und der Nichtansprache der Leser. Ein gewisser Spielraum für Persönliches wird zwar in Danksagungen u. ä. zugestanden, doch sind solche unwissenschaftlichen Elemente deutlich von den wissenschaftlichen getrennt und nur in engen Grenzen zulässig.
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ist. Die Wissenschaft geht von gemeinschaftlichen Problemen aus und sieht nur das als problematisch, was für die meisten als problematisch und durch gemeinsame Methoden lösbar erscheint. Wer neue Probleme aufwirft, die sich nicht gleich nach einheitlichen Standards erschließen lassen, macht sich innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft mit der Zeit fragwürdig, und es droht der Ausschluss, wenn die Probleme zu eigen sind.¹⁷⁶ Wissenschaft sieht systematisch von allem Persönlichen ab und schafft so eine grundsätzliche Gleichheit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, eine Gleichheit durch Abstraktion. ¹⁷⁷ Damit blendet sie auch alle Rangordnung aus.¹⁷⁸ Die Wissenschaft schließt darin an die Moral an, die ebenfalls auf Selbstlosigkeit abzielt.¹⁷⁹ Ein Forscher soll sein Selbst hinter die Sache zurückstellen wie ein moralischer Akteur sich hinter dem Gemeingut, der „gemeinsamen Sache“. Ein Wissenschaftler muss daher, so Nietzsche, ein bestimmter Typ Mensch sein, nämlich „ein Mensch ohne Gehalt und Inhalt, ein „selbstloser“ Mensch.“ (JGB 207, KSA 5.134– 137) Dieser „objektive Mensch“ müsse durch „Entselbstung und Entpersönlichung“ den „o b j e k t i v e n Geiste“ der Wissenschaft verkörpern und nach „„interesselose[m] Erkennen““ streben. Erst wenn er „nicht mehr flucht und schimpft“, ist er „der i d e a l e Gelehrte“. „Was von „Person“ an ihm noch übrig ist, dünkt ihm zufällig, oft willkürlich, noch öfter störend: so sehr ist er sich selbst zum Durchgang und Wiederschein fremder Gestalten und Ereignisse geworden.“¹⁸⁰ Unfähig zu „Liebe und Hass“, ist der Wissenschaftler auch unfähig zur Rangordnung: „er befiehlt nicht“, „er geht Niemandem voran, noch nach“ und hat „nichts Derbes, Mächtiges, Auf-sich-Gestelltes, das Herr sein will“, an sich. Seinem Naturell entspricht vielmehr die „geduldige Einordnung in Reih und Glied“, die „Gleichmässigkeit“, das „Maass im Können und Bedürfen“ und der „Instinkt[] der Mittelmässigkeit“ (JGB 206). Gerade darin ist er das Gegenteil des wertsetzenden Philosophen, für den er nur „ein Werkzeug, ein Stück Sklave“ ist (JGB 207, vgl. Kap. 4.4.3). Der Wissenschaftler hat den Drang, sich selbst weg von den Dingen zu stellen, „er stellt sich überhaupt zu Ähnliches ist Nietzsche mit seiner Geburt der Tragödie bekanntlich selbst passiert, durch die er mit seinem Verständnis von den Problemen der Philologie in der Auffassung seiner Fachkollegen die Grenzen seines Fachs in einem Maß überstieg, dass sie Nietzsche für „wissenschaftlich tot“ erklären mussten und er seine wissenschaftliche Reputation verlor. Luhmann 1990, 324, spricht in diesem Sinn von der „Fiktion der Gleichheit der Forscher“, die etwa dazu diene, die Zusammenarbeit der Wissenschaftler zu erleichtern und gegenseitige Kritik durch gesteigerte Konflikttoleranz zu ermöglichen. Vgl. Stegmaier 2016b, 224 f. Nicht als persönliches Problem, sondern als abstrakten Forschungsgegenstand hat Auguste Comte die Hierarchie in die Wissenschaft eingeführt. Vgl. Rausch 1974, 1125: Seit Comte sei Hierarchie „ein geläufiger Terminus der Philosophie zur Kennzeichnung von Rangordnung und Abstufung“, er machte sie „zum wissenschaftstheoretischen Grundbegriff“. Vgl. auch Goerdt 1974 und Brose 1977. Vgl. FW 21. Die Selbstlosigkeit reiche bis in die Kunst, die wie die Wissenschaft, so Nietzsche, als „„l’art pour l’art““ an der „Krankheit des Willens“ leide (JGB 208, KSA 5.139). Vgl. JGB 254 und GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 24. Zarathustra drückt es unfreundlicher aus: Gelehrte seien „[g]leich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben.“ (Za II, Von den Gelehrten)
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ferne, als dass er Grund hätte, zwischen Gut und Böse Partei zu ergreifen.“¹⁸¹ Seine Selbstlosigkeit ist vor allem sein Bedürfnis, das Nietzsche selbst gut nachvollziehen kann: „wer wäre nicht schon einmal alles Subjektiven und seiner verfluchten Ipsissimosität bis zum Sterben satt gewesen!“¹⁸² In diesem Sinn, sich selbst vergessen zu machen, nennt Nietzsche die „Wissenschaft“ auch ein „Mittel der Selbst-Betäubung“ (GM III 23, KSA 5.397) und eine solche „Ve r a r m u n g d e s L e b e n s “ ausdrücklich „die Voraussetzung“ der Wissenschaft: „die Affekte kühl geworden, das tempo verlangsamt, die Dialektik an Stelle des Instinktes, der E r n s t den Gesichtern und Gebärden aufgedrückt“ (GM III 25, KSA 5.403). Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, „bedarf“ die Wissenschaft, das hält Nietzsche schon früh in MA fest, „e d l e r e r Naturen“ (MA II, VM 206). Sie „müssen einfacher, weniger ehrgeizig, enthaltsamer, stiller, nicht so auf Nachruhm bedacht sein und sich über Sachen vergessen“ und bereit sein, ein solches „Opfer[ ] der Persönlichkeit“ zu erbringen. „[D]ie Art ihrer Beschäftigung, die fortwährende Aufforderung zur grössten Nüchternheit schwächt ihren W i l l e n“. Diese Eigenschaften werden in der Wissenschaft regelrecht gezüchtet: „die Zucht des wissenschaftlichen Geistes“ besteht gerade darin, „sich keine Ueberzeugungen mehr zu gestatten“ (FW 344, KSA 3.575), die immer der Persönlichkeit des Wissenschaftlers entspringen und bloße „Glaubensartikel“ sind (Nachlass 1887, 9[35], KSA 12.350).¹⁸³ In seinem Zarathustra lässt Nietzsche ein riesiges Ohr getragen von einem winzigen Menschen auftreten (Za II, Von der Erlösung). Man könnte es als Versinnbildlichung, als Allegorie des selbstlosen Wissenschaftlers begreifen, der nur hört, aber nicht genug Persönlichkeit hat, das Gehörte einzuverleiben. Aus all dem folgt Nietzsches scharfe Kritik daran, „daß die Wissenschaft im Bunde mit der {Gleichheits-Bewegung vorwärts geht,} Demokratie ist, daß alle Tugenden des Gelehrten die Rangordnung ablehnen“ (Nachlass 1885/86, 2[179], KSA 12.155 / KGW IX 5, W I 8.54).¹⁸⁴ Er spricht sogar von seinem „Kampf gegen die Ü b e r h e r r s c h a f t d e r H e e r d e n - I n s t i n k t e , nachdem die Wissenschaft mit ihnen gemeinsame Sache macht; gegen den neuerlichen Haß, mit dem alle Art
Vgl. Za II, Von den Gelehrten: „Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur Zuschauer sein und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt.“ Trotzdem sind Nietzsches „Schriften“ gerade der Ausdruck seiner persönlichsten, intimsten Erfahrungen und „Ueberwindungen“ und damit das Gegenteil herkömmlicher Wissenschaft: „„ich“ bin darin, mit Allem, was mir feind war, ego ipsissimus, ja sogar, wenn ein stolzerer Ausdruck erlaubt wird, ego ipsissim u m .“ (MA II, Vorrede 1). Vgl. Tongeren 2012. Zum Begriff der ,Überzeugung‘ bei Nietzsche vgl. Stegmaier 2012a, 129 – 132: „Nietzsche führt die Überzeugungen als Gegenbegriff zur wissenschaftlich-kritischen Orientierung, nämlich als persönliche Orientierung ein. […] Durch Überzeugungen legt man seine persönliche Orientierung so fest, dass man auch dann nicht von ihnen ablässt, wenn starke Anhaltspunkte gegen sie sprechen. Überzeugtheit ist die Entschiedenheit, an etwas nicht Ausweisbarem festzuhalten.“ Das betrifft nicht nur die Rangordnung unter den Gelehrten selbst, sondern auch innerhalb der Natur. Vgl. schon Johann Gottfried Herders Briefe zur Beförderung der Humanität (1797) (Herder 1883, 248): „Der Naturforscher setzt k e i n e R a n g o r d n u n g unter den Geschöpfen voraus, die er betrachtet; alle sind ihm gleich lieb und werth. So auch der Naturforscher der Menschheit“ (10.116).
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Rangordnung und Distanz behandelt wird.“ (Nachlass 1887, 10[2], KSA 12.454) Wissenschaftler als „beredte und schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks“ sind für Nietzsche „N i v e l l i r e r “ (JGB 44, KSA 5.61). Wie die Christen die Gleichheit vor Gott und ihre Gemeinde, die Demokraten die Gleichheit vor dem Gesetz und die Gemeinschaft im Staat, so betonen die Wissenschaftler die Gleichheit vor dem Naturgesetz und die Gemeinschaft der vielen wissenschaftlichen Arbeiter, der scientific community. So sei jene „Gesetzmässigkeit der Natur“, von der ihr Physiker so stolz redet, […] nur eine naiv-humanitäre Zurechtmachung und Sinnverdrehung, mit der ihr den demokratischen Instinkten der modernen Seele sattsam entgegenkommt! „Überall Gleichheit vor dem Gesetz, – die Natur hat es darin nicht anders und nicht besser als wir“: ein artiger Hintergedanke, in dem noch einmal die pöbelmännische Feindschaft gegen alles Bevorrechtete und Selbstherrliche, insgleichen ein zweiter und feinerer Atheismus verkleidet liegt. „Ni dieu, ni maître“ — so wollt auch ihr’s: und darum „hoch das Naturgesetz“! (JGB 22)¹⁸⁵
„„Ni dieu, ni maître““ war und ist eine Losung des Anarchismus.¹⁸⁶ Nietzsche nennt sie auch „eine socialistische Formel“ (JGB 202) und „Anarchisten-Motto“ (Nachlass 1885, 1[226], KSA 12.60). Ein Anarchist lehnt alle Herrschaft und Autorität und damit auch alle Rangordnung ab, weigert sich, Autoritäten anzuerkennen und Autorität zu sein, entzieht sich, mit Nietzsches Begriff, allem Befehlen und Gehorchen. Der Anarchismus ist die Gegenbewegung zur Rangordnung par excellence, und es ist kein Zufall, dass Nietzsche die Wissenschaft mit dessen Losung charakterisiert.¹⁸⁷ Als Atheist glaubt der Wissenschaftler nicht an Gott, aber als „zweiter und feinerer“ Atheist glaubt er an gar keine Autoritäten mehr, nur noch an objektive Tatsachen und Naturgesetze. Damit sitzt aber gerade er, der Illusionen aufklären will, dank seiner „schlechte[n] Interpretations-Künste“ (JGB 22) einer Illusion auf. Auch ein Naturgesetz ist nur „Interpretation, nicht Text“, und mit dem gleichen Recht könnte man „aus der gleichen Natur […] gerade die tyrannisch-rücksichtslose und unerbittliche Durchsetzung von Machtansprüchen heraus[ ]lesen“. Es ist, und das widerspricht dem wissenschaftlichen Gleichheitsideal, gerade nicht egal, wer die Natur interpretiert, da letztliche jede Interpretation an Person und persönliche Moral gebunden ist. „Die demokratische Idiosynkrasie gegen Alles, was herrscht und herrschen will, der moderne M i s a r c h i s m u s “ habe „sich allmählich dermaassen in’s Geistige, Geistigste umgesetzt und verkleidet, dass er heute Schritt für Schritt bereits in die strengsten, anscheinend objektivsten Wissenschaften eindringt, eindringen d a r f “
Zum Naturgesetz bei Nietzsche vgl. MA II,VM 9, Nachlass 1885, 34[247], KSA 11.504, Nachlass 1885, 39[13 f.], KSA 11.623 – 625, und Nachlass 1885/86, 1[30], KSA 12.17. Vgl. Guérin 1965. Die Losung geht zurück auf die sozialistische Zeitschrift Ni Dieu ni maître, die der französische Revolutionär Louis-Auguste Blanqui ab 1880 herausgab. Blanqui war Nietzsche wegen dessen Schrift L’éternité par les astres (1872) ein Begriff, die Parallelen zu seiner ewigen Wiederkunft aufweist. Vgl. Nachlass 1883, 17[73], KSA 10.560, und dazu Montinari 1991, 86 – 88. Zum Zusammenhang von Anarchismus und Wissenschaft vgl. Babich 2010b.
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(GM II 12, KSA 5.315). „M i s a r c h i s m u s “ ist eine Wortschöpfung Nietzsches, „ein schlechtes Wort für eine schlechte Sache“, und bedeutet Hass auf Herrschaft und damit auch auf alle Rangordnung. Nietzsche fasst mit diesem Neologismus die moderne Ablehnung der Rangordnung, die sich nun bis in die Wissenschaft ausgewirkt habe, in einen paradigmatischen Begriff, und dass er sich dazu genötigt sah, ist vielleicht schon ein Ausdruck von der Schwierigkeit, der Fremdartigkeit und dem Umfang des Problems, für das die Sprache noch nicht einmal passende Begriffe hat. Wenn Nietzsche einerseits vom Anarchismus, andererseits von der Demokratisierung der Wissenschaft¹⁸⁸ spricht, ist das nur ein scheinbarer Widerspruch. In beiden ursprünglich politischen Begriffen drückt sich für Nietzsche vor allem die auf Gleichheit gerichtete Gesinnung und die Feindschaft gegenüber aller Herrschaft und Rangordnung aus, also ein eher kulturell-psychologisches Problem, kein streng politisches. Er warnt vor den Gefahren der Demokratisierung der Wissenschaft: Wenn der Wissenschaft alles Persönliche und alle individuelle Autorität abgehen, ist jeder gleich und jede Meinung gleich wichtig, und der einzige Anhaltspunkt, an den man sich halten kann, ist dann die Mehrheitsmeinung, der scientific consensus, die communis opinio, die wiederum als Grundlage für politische und rechtliche Entscheidungen fungieren kann. Maßgeblich sind dann nicht die fähigsten, sondern die zahlenmäßig überlegenen Wissenschaftler, ihr kleinster gemeinsamer Nenner entscheidet über die Wahrheit. Wenn die Wissenschaft demokratisch ist, schafft sie Wahrheit durch Mehrheit.
4.4.2 Forscherpersönlichkeiten und ihre verschiedene Kraft zur Erkenntnis Nietzsche hält den wissenschaftlichen Idealen die Realität entgegen, indem er die bisher ungenannten un- und vorwissenschaftlichen Voraussetzungen der Wissenschaft zur Sprache bringt und sie damit über ihre eigenen Illusionen aufklärt: „das Problem der Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden“ (GT, Versuch einer Selbstkritik 2). Alle Wissenschaft ist menschengemacht und so letztlich als Ausdruck menschlicher Bedürfnisse und Nöte zu sehen und nicht als objektives, rein sachliches, interesseloses, mit allgemeiner Vernunft für jeden gleich zu erlangendes Wissen. „Es giebt, streng geurtheilt, gar keine „voraussetzungslose“ Wissenschaft, der Gedanke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch“ (GM III 24, KSA 5.400). Zuerst müsse immer „eine Philosophie, ein „Glaube“ […] da sein, damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen Sinn, eine Grenze, eine Methode, ein R e c h t auf Dasein gewinnt.“
Vgl. GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 2: „la science gehört zur Demokratie, das greift sich doch mit Händen.“ Vgl. auch Nachlass 1887, 9[20], KSA 12.347: „Die W i s s e n s c h a f t u n d d i e D e m o k r a t i e gehören zusammen“.
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Schon in MA entlarvt Nietzsche die illusionären Ideale der Unpersönlichkeit und des vermeintlich interesselosen Erkennens in der Wissenschaft. Tatsächlich sind auch Wissenschaftler Persönlichkeiten mit individuellen Nöten, die gerade wegen und nicht trotz ihrer Nöte Wissenschaft betreiben: „Wenn die Wissenschaft nicht an die L u s t der Erkenntniss, an den N u t z e n des Erkannten geknüpft wäre, was läge uns an der Wissenschaft?“ (MA II, VM 98) „Wenn wir nicht in irgend einem Maasse u n w i s s e n s c h a f t l i c h e Menschen geblieben wären, was könnte uns auch nur an der Wissenschaft liegen!“ Damit ist auch das interesselose Erkennen, auf das alle Wissenschaft abzielt, nur Fiktion: „f ü r e i n r e i n e r k e n n e n d e s We s e n w ä r e d i e E r k e n n t n i s s g l e i c h g ü l t i g .“ Gleiches gilt für die scheinbar objektiven, wertfreien Naturgesetze. „Wie naiv tragen wir unsere moralischen Werthschätzungen in die Dinge z. B. wenn wir von N a t u r g e s e t z e n reden!“ (Nachlass 1885, 39[14], KSA 11.625) Unsere je individuelle Wertrangordnung, also „u n s e r m o r a l i s c h e r K a n o n (Vorzug von Wahrheit, Gesetz, Vernünftigkeit usw.)“, „r e g i e r t “, so Nietzsche, „in unserer g a n z e n s o g e n a n n t e n W i s s e n s c h a f t “. Ändern sich die Werte des Erkennenden, so ändert sich das Erkannte. Wenn die wissenschaftliche Erkenntnis, also die Wahrheit, von individuellen moralischen Werten und Vorentscheidung abhängt, dann ist sie nicht objektiv. Ein „„reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntniss““ (GM III 12) kann es nicht geben, und sein überindividueller, rein theoretischer, göttlicher Standpunkt ist gerade auch durch den Erfolg der Wissenschaft und den allmählichen Niedergang der Religion unglaubwürdig, nicht mehr an- oder einnehmbar geworden. Statt weiter diesen Illusionen anzuhängen und die individuellen Nöte und Bindungen der Wissenschaftler zu ignorieren oder gar zu leugnen, macht Nietzsche sie gezielt zum Thema und untersucht etwa den Einfluss „d e r H e r k u n f t d e r G e l e h r t e n“ und ihrer „intellektuelle[n] I d i o s y n k r a s i e “ (FW 348) auf ihre Erkenntnisse.¹⁸⁹ Die moralisch-vorwissenschaftlichen Einflüsse auf die Wissenschaft bündeln sich in der Persönlichkeit des Forschers, und sie ist, wie sich zeigen wird, für Nietzsche der Maßstab der Wahrheit. „Der Mangel an Person“ hingegen „rächt sich überall; eine geschwächte, dünne, ausgelöschte, sich selbst leugnende und verleugnende Persönlichkeit taugt zu keinem guten Dinge mehr“ (FW 345). Weil die Wissenschaft Persönlichkeiten nicht zulässt, hat sie keinen Zugriff auf „die grossen Probleme“, denn zu ihnen sind nur die starken, runden, sicheren Geister fähig, die fest auf sich selber sitzen. Es macht den erheblichsten Unterschied, ob ein Denker zu seinen Problemen persönlich steht, so dass er in ihnen sein Schicksal, seine Noth und auch sein bestes Glück hat, oder aber „unpersönlich“: nämlich sie nur mit den Fühlhörnern des kalten neugierigen Gedankens anzutasten und zu fassen versteht. Im letzteren Falle kommt Nichts dabei heraus, so viel lässt sich versprechen.
Vgl. Stegmaier 2012a, 121– 191, der die „Bindungen der Gelehrten“ und die „Moral als Bindung der Wissenschaft“ behandelt.
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Nur wer ein Problem „als s e i n e persönliche Noth, Qual, Wollust, Leidenschaft“ (FW 345) empfindet, wie es bei Nietzsche und seinem Problem der Rangordnung der Fall ist und wie es bei einem gewöhnlichen Wissenschaftler nie der Fall sein kann und darf, hat überhaupt das Recht zu ihm – ein Problem kann nur anrühren, wen das Problem anrührt: „Es folgt den Gesetzen der Rangordnung, dass Gelehrte, insofern sie dem geistigen Mittelstande zugehören, die eigentlichen g r o s s e n Probleme und Fragezeichen gar nicht in Sicht bekommen dürfen“ (FW 373).¹⁹⁰ An diesem Punkt kommt die Rangordnung mit ihren „Gesetzen“ ins Spiel. Sie verbieten es dem „geistigen Mittelstande“, sich die – sich den eigentlichen Problemen zu stellen. Diese Probleme sind nicht einfach neue Forschungsgegenstände, die einem letztlich fremd bleiben, sondern berühren immer auch die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Erkenntnis, verraten etwas über den, dem sich das Problem stellt. Sie stehen nicht bloß auf dem wissenschaftlichen Prüfstand, sondern stellen auch ihre Prüfer mit auf den Prüfstand.¹⁹¹ Die Forscher aus dem „geistigen Mittelstande“ entziehen sich diesem, weil „ihr Muth und ebenso ihr Blick“ nicht bis zu den eigentlichen Fragen reichen, und, „vor Allem, ihr Bedürfniss, das sie zu Forschern macht, ihr inneres Vorausnehmen und Wünschen, es möchte s o u n d s o beschaffen sein, ihr Fürchten und Hoffen kommt zu bald schon zur Ruhe, zur Befriedigung.“ Wer die Welt rein „wissenschaftlich“, und das heißt „eigentlich m e c h a n i s t i s c h“ erklären, sie in allgemeingültige Theorien und Gesetze fassen will, der will sie, so Nietzsche, vor allem ihres „v i e l d e u t i g e n Charakters entkleiden“ und sich so ihren ebenso vielfältigen Ansprüchen und Gefahren entziehen, der Aufgabe immer neuer, herausfordernder Interpretationen entledigen. Wissenschaftler dieser Art richten ihre „Welt-Interpretation“ so ein, dass sie dabei vor allem selbst zu ihrem „Rechte“ kommen. Das Bedürfnis, der Trieb zur Forschung ist bei ihnen vorrangig die Beruhigung und die Sicherheit, und so nennt Nietzsche sie im Nachlass „schwache Persönlichkeiten“ (Nachlass 1881, 11[65], KSA 9.466).
Vgl. zum Aphorismus ausführlich Stegmaier 2012b. Auch „das P r o b l e m d e r W i s s e n s c h a f t selbst“ geht Nietzsche als ein solches großes, persönliches Problem an. Bei ihm sei sie „zum ersten Male als problematisch, als fragwürdig gefasst.“ (GT, Versuch einer Selbstkritik 2) Im Versuch einer Selbstkritik von 1886 legt Nietzsche dar, was er damit auch über sich selbst verrät. Vgl. Borsche 2012, 466: „Die kritische Haltung zur Rolle der Wissenschaft ist Nietzsches erster eigenständiger philosophischer Gedanke, sie begleitet ihn durch alle Phasen seines philosophischen Denkens.“ – Borsche rekonstruiert die Rangordnung der Wissenschaften bei Nietzsche, die Philologie an der Spitze, darauf folgend die Historie, Lebensphilosophie, Psychologie und Physik. Als Kriterium diene Nietzsche die „Selbstreflexion“ der jeweiligen Wissenschaften: „Je mehr Selbstreflexion und je mehr genealogisches Bewusstsein bei einem Wissenschaftler anzutreffen ist, desto philosophischer (ranghöher im Sinne Nietzsches) wird seine Wissenschaft ausfallen“ (477). „Als ranghöher anerkannt werden solche Wissenschaften, die sich unter kontingenten Bedingungen – notwendigerweise immer nur hier und jetzt, an gewissen Orten, für eine gewisse Dauer – durchsetzen und behaupten“ (478). Vgl. auch Orsucci 2012, der die Rolle der Wissenschaften im Umbruch des 19. Jahrhunderts diskutiert, und zur Wissenschaft als Problem Heit 2012 und Babich 2010a.
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Es geht Nietzsche in der Wissenschaft nicht um bloße Wahrheiten und objektive Erkenntnisse, sondern, wie nun deutlich wird, auch um den, der etwas für wahr hält, genauer um den Rang des Erkennenden und seine Kraft zu seinen Erkenntnissen. Nietzsche stellt die Wissenschaft von ihrer Grundunterscheidung zwischen Wahr und Falsch um auf die Rangordnung, wie er auch die Moral von Gut und Böse auf Rangordnung umgestellt hat. Rang selbst kann nicht wahr oder falsch sein, er kann sich nur in verschiedenen Graden zeigen oder nicht zeigen. In ihrer Grundintention, dem „Entbehrenk ö n n e n von heilenden tröstlichen Illusions-Welten“, ist die „W i s s e n s c h a f t “ zunächst vor allem ein „Zeichen von Stärke und Selbstbeherrschung“ und damit von Rang (Nachlass 1887, 9[60], KSA 12.368).¹⁹² Als Beispiel für solche Illusionen nennt Nietzsche die mit der Zeit immer stärker „einverleibten“ und „irrthümliche[n] Glaubenssätze […], dass es dauernde Dinge gebe, dass es gleiche Dinge gebe, dass es Dinge, Stoffe, Körper gebe, dass ein Ding Das sei, als was es erscheine, dass unser Wollen frei sei, dass was für mich gut ist, auch an und für sich gut sei.“ (FW 110) Nach diesen Irrtümern habe sich bisher die Wahrheit bemessen. Dass aber nicht jeder die gleiche Kraft zum Hinterfragen von scheinbar fundamentalen Gewissheiten, zum Leben ohne Illusionen hat, ist offenbar. An irgendeinem Punkt wird man das gefährliche Experiment der ständigen Selbstprüfung abbrechen müssen, und eben hier zeigt sich der Rang: „Wie viel einer G l a u b e n nöthig hat, um zu gedeihen, wie viel „Festes“, an dem er nicht gerüttelt haben will, weil er sich daran h ä l t , – ist ein Gradmesser seiner Kraft (oder, deutlicher geredet, seiner Schwäche).“ (FW 347)¹⁹³ Im Lenzer-Heide-Entwurf spricht Nietzsche in diesem Sinn von „e i n e r R a n g o r d n u n g d e r K r ä f t e “: „Welche werden sich als die S t ä r k s t e n dabei erweisen? Die Mäßigsten, die, welche keine extremen Glaubenssätze n ö t h i g haben“ (Nachlass 1886/ 87, 5[71], KSA 12.217) Je weniger hat man extreme Glaubenssätze nötig hat, desto höher steht man in der Rangordnung. Wahrheiten sind für Nietzsche keine Letztaussagen mehr, die gemäß der Korrespondenztheorie mit der vermeintlich objektiven Welt übereinstimmen, sondern gefährliche Einsichten in die eigenen Illusionen über die Welt.¹⁹⁴ Der Rang ist auch daran gebunden, wie viele solcher gefährlichen Wahrheiten man aushalten, einverleiben kann: „Inwieweit verträgt die Wahrheit die Einverleibung? — das ist die Frage, das ist das Experiment.“ (FW 110)¹⁹⁵ Es „bemässe“ sich „die Stärke eines Geistes Im Nachlass sagt Nietzsche gar, er wolle „es dahin bringen, daß es der h e r o i s c h e n S t i m m u n g bedarf, um sich der W i s s e n s c h a f t z u e r g e b e n !“ (Nachlass 1880, 7[159], KSA 9.349 f.) Vgl. Nachlass 1887, 9[52], KSA 12.361: „Darüber, wo Einer stehen bleibt oder n o c h nicht, wo Einer urtheilt „hier ist die Wahrheit“, entscheidet Grad und Stärke seiner Tapferkeit“. Zur Gefährlichkeit der Einsicht in Illusionen vgl. FW 154: „Ve r s c h i e d e n e G e f ä h r l i c h k e i t d e s L e b e n s . – Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken durch’s Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir Anderen! Für uns ist das Leben eine grössere Gefahr: wir sind von Glas – wehe, wenn wir uns s t o s s e n ! Und Alles ist verloren, wenn wir f a l l e n !“ Vgl. auch JGB 276. Zur Einverleibung vgl. Pippin 2000.
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darnach […], wie viel er von der „Wahrheit“ gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grade er sie verdünnt, verhüllt, versüsst, verdumpft, verfälscht n ö t h i g h ä t t e .“ (JGB 39) Umgekehrt ließe sich auch eine „Ordnung des Ranges“ (JGB 59) aus „Fu r c h t vor der Wahrheit“ denken. Wessen „erhaltender Instinkt“ dominiert, wird das Leben und die Wahrheit „f ä l s c h e n“, wo er nur kann. Nietzsche nennt sie die „geborenen Künstler“: „man könnte den Grad, in dem ihnen das Leben verleidet ist, daraus abnehmen, bis wie weit sie sein Bild verfälscht, verdünnt, verjenseitigt, vergöttlicht zu sehn wünschen“, und die „homines religiosi“ als äußerste Verklärer der Welt hätten den „h ö c h s t e n Rang.“ Noch in EH fragt Nietzsche: „Wie viel Wahrheit e r t r ä g t , wie viel Wahrheit w a g t ein Geist? das wurde für mich immer mehr der eigentliche Werthmesser.“ (EH, Vorwort 3)¹⁹⁶ Die Einverleibung der Wahrheit ist als sukzessive und nachhaltige Integration in die eigenen Orientierungsroutinen und damit letztlich in die eigene Person die persönlichste Stellung, die man zu ihr beziehen kann. Nietzsches neue Wahrheiten beanspruchen nicht normativ gleiche Gültigkeit für alle, sondern sind persönliche und persönlich errungene, vom jeweiligen Rang abhängige und den jeweiligen Rang bestimmende Wahrheiten. Gerade weil die bisherigen Wahrheiten als objektiv galten, musste man nicht persönlich für sie einstehen, sie vor anderen verantworten, und insofern waren sie billige, beliebige Wahrheiten. Ohne den Anspruch auf Objektivität und ohne die Wissenschaftsgemeinschaft mit ihrem übergreifenden, die Verantwortung diffundierenden Ethos muss jeder sich und seine Wahrheiten persönlich und nur auf sich stehend vor sich und anderen rechtfertigen. Gerade daraus gewinnen die neuen, persönlichen Wahrheiten ihren rangordnenden Wert. Die „ K r a f t “ solcher „E rkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung.“ (FW 110) Kraft können diese Einsichten dann auch für andere haben, in doppelter Hinsicht. Einerseits stellen sie die bisher fraglosen Plausibilitäten und Standards der Wissenschaftsgemeinschaft in Frage und müssen daher auf einige geradezu zwangsläufig gefährlich wirken. „Unsre höchsten Einsichten müssen — und sollen! — wie Thorheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen, wenn sie unerlaubter Weise Denen zu Ohren kommen, welche nicht dafür geartet und vorbestimmt sind.“ (JGB 30) Wer für diese Einsichten nicht die Kraft hat, wer sie als Bedrohung für die Wissenschaft und sich selbst empfindet, wird sie ablehnen und bekämpfen. Andererseits können sie auch gerade Anreiz zur Überprüfung wissenschaftlicher Standards und Prinzipien sein und so neue Perspektiven in das Wissenschaftssystem einbringen, die den Wissenschaftsbetrieb am Laufen halten und zur ständigen Neubestimmung von Wissenschaft führen. Die Frage, was innerhalb der Wissenschaft von Bedeutung ist und Bestand haben kann, was bleibt und damit, was Wissenschaft ist und wo ihre
Vgl. Nachlass 1885, 35[69], KSA 11.540: „Wie viel Einer aushält von der W a h r h e i t , ohne zu e n t a r t e n , ist s e i n M a a ß s t a b . Ebenso wie viel G l ü c k — — ebenso wie viel F r e i h e i t und M a c h t !“
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Grenzen liegen, kann selbst nicht mit wissenschaftlichen Kriterien, kann nicht objektiv beantwortet werden. Man richtet sich stattdessen zumeist nach herausragenden Forschern, die durch ausgezeichnete Forschungsleistungen Glaubwürdigkeit und Autorität, kurz: Reputation erworben haben.¹⁹⁷ Weil man niemals die Gesamtheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse, für gewöhnlich nicht einmal innerhalb spezialisierter Fachrichtungen überblicken kann, hält man sich an diese komplexitätsreduzierende Reputation, die den wissenschaftlichen Orientierungsprozess abkürzt. Man kann dies als Zwang empfinden, doch wird man in seiner Orientierungslosigkeit meist dankbar sein, wissenschaftlichen Persönlichkeiten vertrauen zu können. Wissenschaft beruht damit letztlich auch auf dem Wettbewerb von Forscherpersönlichkeiten, die um Rang und Reputation ringen.
4.4.3 Die Rangordnung zwischen Philosophen und Wissenschaftlern Im Rahmen seiner Wissenschaftskritik will Nietzsche „wagen, einer ungebührlichen und schädlichen Rangverschiebung entgegenzutreten“ (JGB 204, KSA 5.129 – 132), nämlich einer Angleichung der Wissenschaft und der Philosophie.¹⁹⁸ Die Wissenschaft maße sich an, auf der gleichen Ebene wie die Philosophie oder gar über ihr zu sprechen. Weil sie alle Herrschaft über sich ablehne, wolle sie sich auch von der Philosophie emanzipieren: „„Los von allen Herren!“ — so will es auch hier der pöbelmännische Instinkt“. Diese „Selbstverherrlichung und Selbstüberhebung des Gelehrten“ sei eine Umkehrung der Rangordnung zwischen Philosophie und Wissenschaft, begründet vor allem in der „Armseligkeit der neueren Philosophen“, etwa Eugen Dührings oder Eduard von Hartmanns, gegenüber einstigen philosophischen Persönlichkeiten wie Heraklit, Platon und Empedokles. An diesen Philosophen war „ganz und gar nichts Unpersönliches“ (JGB 6), während die neuen Philosophen die wissenschaftliche Selbstlosigkeit übernehmen. Weil die moderne Wissenschaft dem demokratischen Zeitgeist entspricht und sie durch ihre Erfolge alternativlos scheint, orientiert sich die neue Philosophie zusehends an ihren Maßstäben und begibt sich so in die „Botmässigkeit der Wissenschaft“. Dies ist auch der Grund, warum, so Nietzsche, Philosophen nun oft „mit dem wissenschaftlichen Menschen und idealen Gelehrten“ verwechselt werden (JGB 205). Damit hat die Philosophie ihre „Herren-Aufgabe und Herrschaftlichkeit“ (JGB 204), ihre eigentliche Aufgabe aufgegeben und ihren eigentlichen Rang eingebüßt. Zu dieser herrschenden Position fehle der Wissenschaft aber das „Recht“, denn „man muss von seiner E r f a h r u n g aus — Erfahrung bedeutet, wie mich dünkt, immer schlimme Erfahrung? — ein Recht haben, über eine solche höhere Frage des Zum Begriff der Reputation als Rang von Wissenschaftlern, den Niklas Luhmann gerade in diesem Sinn als funktionsnotwendiges Orientierungsprinzip einführt, vgl. ausführlich Stegmaier 2016b, 368 – 372. Zum Verhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft vgl. Lossi 2012.
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Rangs mitzureden“. Ein Wissenschaftler als „Spezialist und Eckensteher“ kann im Schutz seiner Nische kaum Erfahrungen sammeln,¹⁹⁹ ebenso wenig die „philosophischen Arbeiter“ (JGB 211), die Nietzsche nicht zu den Philosophen, sondern zur Wissenschaft zählt. Die „wirklichen Philosophen“ hingegen müssen „auf allen diesen Stufen einmal gestanden“ haben, auf denen die Wissenschaftler „stehen bleiben, – stehen bleiben m ü s s e n“, weil ihre Kraft nicht weiter reicht.²⁰⁰ Nur so können sie „den Umkreis menschlicher Werthe und Werth-Gefühle […] durchlaufen und mit vielerlei Augen und Gewissen, von der Höhe in jede Ferne, von der Tiefe in jede Höhe, von der Ecke in jede Weite“ blicken und so in der Rangordnung aufsteigen. Dies ist eine deutliche Parallele zur zentralen Stelle MA I, Vorrede 7: „Hier eine lange Leiter, auf der Sprossen wir selbst gesessen und gestiegen sind, – die wir selbst irgend wann g e w e s e n sind! Hier ein Höher, ein Tiefer, ein Unter-uns, eine ungeheure lange Ordnung, eine Rangordnung“. Wer diese Erfahrungen nicht macht und nicht machen kann, der kann aus seiner dann nur beschränkten Perspektive philosophische Probleme nicht nachvollziehen. „Was ein Philosoph ist, das ist deshalb schlecht zu lernen, weil es nicht zu lehren ist: man muss es „wissen“, aus Erfahrung, – oder man soll den Stolz haben, es n i c h t zu wissen.“ (JGB 213) Dieser Stolz fehlt dem modernen Wissenschaftler, der sich über die Philosophie erheben will. Er maßt sich mindestens gleichen Rang an, ohne dafür etwas zu riskieren oder preiszugeben, sich den Gefahren des Lebens auszusetzen. Er ist unvornehm, weil er, im Schutz seiner spezialisierten Nische sicher eingerichtet, aus seiner Ecke heraus gleiche Rechte fordert, ohne sich die gleichen Pflichten aufzubürden. Der Philosoph hingegen verfügt über „Überblick, Umblick, N i e d e r b l i c k “, die er „aus den umfänglichsten — vielleicht störendsten, zerstörendsten — Erlebnissen“ gewonnen hat (JGB 205). Er musste unter diesen Erlebnissen leiden, ist aber nun in der Lage, „vermöge seines Leidens m e h r z u w i s s e n , als die Klügsten und Weisesten wissen können“ (JGB 270), ist „in vielen fernen entsetzlichen Welten bekannt und einmal „zu Hause“ gewesen“. So „bestimmt“ es für Nietzsche „beinahe die Rangordnung, w i e tief Menschen leiden können“. Auch „das Alleinstehn und Sichverantworten-können“ (JGB 210) hat der Philosoph mehr als jeder andere gelernt, „er würde sogar den Werth und Rang darnach bestimmen, wie viel und vielerlei Einer tragen und auf sich nehmen, wie w e i t Einer seine Verantwortlichkeit spannen könnte.“ (JGB 212) Ein Philosoph im Sinn Nietzsches bleibt nicht stehen, sondern
Vgl. NWB, Art. Eckensteher. Dies gilt auch für Nietzsche selbst. In EH rekapituliert er, dass zunächst sein „Handwerk das eines Gelehrten war“, dass er es zunächst nötig hatte, Gelehrter zu sein, um diese Stufe überwinden zu können. So sei in „den Unzeitgemässen“ noch „ein herbes Stück Psychologie des Gelehrten“ zu finden, das genau in dieser Hinsicht, dem Aufstieg innerhalb der Rangordnung durch Erfahrung, zu verstehen ist: „es drückt das D i s t a n z - G e f ü h l aus, die tiefe Sicherheit darüber, was bei mir A u f g a b e , was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann. Es ist meine Klugheit, Vieles und vielerorts gewesen zu sein, um Eins werden zu können, – um zu Einem kommen zu können. Ich m u s s t e eine Zeit lang auch Gelehrter sein. —“ (EH, Die Unzeitgemässen 3)
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muss sich und seine Glaubenssätze, seine Plausibilitäten, bei denen andere früher oder später zum Halt kommen, immer wieder neu überwinden. Dazu muss er, anders als der Wissenschaftler, der immer ernst und in seinem Ernst befangen bleibt, auch „lachen“ können. Nietzsche will sich „sogar eine Rangordnung der Philosophen erlauben, je nach dem Range ihres Lachens — bis hinauf zu denen, die des g o l d n e n Gelächters fähig sind.“ (JGB 294)²⁰¹ Wer lachen kann, ist unbefangen, gelöst, befreit sich durch sein Lachen von festen Glaubenssätzen und bleibt so beweglich. Weil der Philosoph aber nie zur Ruhe kommt, sich nie in Sicherheit wähnen kann, lebt er gefährlich, „u n k l u g , und fühlt die Last und Pflicht zu hundert Versuchen und Versuchungen des Lebens: – er risquirt s i c h beständig, er spielt d a s schlimme Spiel …..“ (JGB 205) Seine Orientierung wurde auf harte Proben gestellt und kam gestärkt mit neuen, vielfältigen Perspektiven aus diesen Erfahrungen hervor – bisher. Jede neue Erfahrung, jedes neue Erlebnis kann das letzte, kann die letzte Sprosse auf der Leiter sein. Der Aufstieg in der Rangordnung ist für den Philosophen immer ungewiss, unberechenbar. Jeder Schritt nach oben ist ein abenteuerlicher Sprung mit unbekanntem Ausgang, weil der sichere Grund, die bewährten Plausibilitäten aufs Spiel gesetzt werden und neuer, zumindest auf Zeit verlässlicher Grund erst ausgemacht werden muss. Diese unerhörte, kühne, fast selbstmörderische Risikobereitschaft ist das Gegenteil des auf Sicherheit gerichteten Antriebs der Wissenschaft und gibt der Philosophie ihren Rang und Vorrang gegenüber der Wissenschaft.²⁰² – Auch wenn Nietzsche den Rangunterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft stark polarisierend einführt, bleibt es ein Rang-, kein Wesensunterschied oder metaphysischer Gegensatz. Wenn die Kraft zur Selbstüberwindung und die aus ihr resultierende Erfahrung und Perspektivenvielfalt das Maß ist, dann ist auch klar, dass es Übergänge und graduelle Abstufungen zwischen den Polen gibt. Der Vorrang der Philosophie äußert sich schließlich darin, dass die Wissenschaft ihr „Werkzeug“ (JGB 207) sein soll.²⁰³ Ein konkretes Beispiel dafür gibt Nietzsche in Ein nur unter der Abkürzung E. H. bekannter Autor greift dies in seiner abfällig-spottenden Rezension E. H., Jenseits von Gut und Böse, in: Neue Preußische Zeitung [Kreuzzeitung] Nr. 44, 31.10.1886, Sonntagsbeilage, auf: „Wer wagt zu lächeln? Wehe ihm, in der Rangordnung der Lachenden wird Friedrich N i e t z s c h e ihn auf die Armsünderbank setzen. Nur das goldene Gelächter sitzt obenan.“ Vgl. KGB III 7/3,1.863, Reich 2013, 632, der Eduard Hanslick als Autor erwägt, und Sommer 2012, 179. In Za visualisiert Nietzsche das Ranggefälle zwischen Zarathustra und den Gelehrten wieder durch die Metapher von Höhe und Tiefe, wie sie auch in den Begriffen vom „Überblick, Umblick, N i e d e r b l i c k “ (JGB 205) und der Leiter zum Ausdruck kommt: „Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen.“ (Za II, Von den Gelehrten) Das Herrschaftsverhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft thematisiert Nietzsche schon sehr früh, vgl. Nachlass 1872/73, 19[24], KSA 7.424: „Es handelt sich nicht um eine Vernichtung der Wissenschaft, sondern um eine B e h e r r s c h u n g . Sie hängt nämlich in allen ihren Zielen und Methoden durch und durch ab von philosophischen Ansichten, v e r g i ß t d i e s a b e r l e i c h t . D i e beherrschende Philosophie hat aber auch das Problem zu bedenken, bis zu w e l c h e m G r a d e d i e W i s s e n s c h a f t w a c h s e n d a r f : s i e h a t d e n We r t h z u b e s t i m m e n !“ Vgl. auch MA II, WS 171: „Die eigentlich tüchtigen und erfolgreichen Gelehrten könnte man insgesammt als „Angestellte“ bezeichnen.“
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seiner Anmerkung zu GM I 17: „ A l l e Wissenschaften haben nunmehr der ZukunftsAufgabe des Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph das P r o b l e m v o m We r t h e zu lösen hat, dass er die R a n g o r d n u n g d e r We r t h e zu bestimmen hat. —“ (vgl. Kap. 4.3.2.2) Ein Philosoph muss zunächst den „Thurmbau der Wissenschaften“ (JGB 205) erklimmen, das von ihnen bereitgestellte Material erschließen, um damit sein Problem der Rangordnung angehen und eigene Werte setzen zu können. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es dann wiederum, die Werte, „welche herrschend geworden sind und eine Zeit lang „Wahrheiten“ genannt werden — festzustellen und in Formeln zu drängen […], übersichtlich, überdenkbar, fasslich, handlich zu machen“ (JGB 211). Nietzsche nennt sie ausdrücklich „eine ungeheure und wundervolle Aufgabe, in deren Dienst sich sicherlich jeder feine Stolz, jeder zähe Wille befriedigen kann.“ Auch wenn dies nur „Vorarbeit“ zu ihrer Aufgabe ist, urteilen die Philosophen „nicht über die Wissenschaften“ (JGB 205), sondern „schonen und ehren“ (JGB 207) sie, messen nur sich an ihren eigenen Maßstäben und verurteilen andere nicht an ihnen.
4.4.4 Philosophen als Befehls- und Orientierungsgeber Nietzsche treibt den Herrschaftsanspruch der Philosophie so weit, dass er folgert: „D i e e i g e n t l i c h e n P h i l o s o p h e n a b e r s i n d B e f e h l e n d e u n d G e s e t z g e b e r : sie sagen „so s o l l es sein!““ (JGB 211) Befehle erteilen nur Ranghöhere, und so sind die eigentlichen Philosophen für Nietzsche die Ranghöchsten. Mit Philosophen meint Nietzsche keine Vertreter der akademischen, institutionalisierten, wissenschaftlichen Philosophie, die wieder an bestimmte kollektive Standards gebunden wären, sondern gerade diejenigen Geister, die gemeinsame Begriffe und Werte nicht mehr nötig haben, sondern die Kraft besitzen, ganz auf sich allein zu stehen und so wieder anderen die Möglichkeit geben, sich an dieser Kraft und an ihrem Rang zu orientieren.Vielleicht sind erst die „Philosophen der Zukunft“ (JGB 210) vollends dazu fähig,²⁰⁴ auf die Nietzsche hofft: „wohin müssen w i r mit unsren Hoffnungen greifen? — Nach n e u e n P h i l o s o p h e n , es bleibt keine Wahl“ (JGB 203). Philosophen der Zukunft sind sie nicht nur, weil es sie vielleicht noch gar nicht gibt, erst künftig geben wird oder sie überhaupt nur als anzustrebendes, aber nie zu erreichendes Ideal existieren, sondern auch weil ihre Philosophie selbst auf die Zukunft gerichtet ist, weil „der Philosoph als ein n o t h w e n d i g e r Mensch des Morgens und Übermorgens sich jederzeit mit seinem Heute in Widerspruch befunden hat und befinden m u s s t e : sein Feind war jedes Mal das Ideal von Heute.“ (JGB 212) Seine Werte sind immer Umwertungen, seine Orientierung immer Neuorientierung, weil seine Aufgabe gerade darin besteht, ohne den Halt schon bestehender, selbstverständlich gewordener Werte und Ideale auszukommen und neue, eigene zu setzen, die, vielleicht erst nach langer
Zum Aspekt der Zukünftigkeit von Nietzsches Philosophie vgl. Frischmann 2014 und Nielsen 2014.
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Zeit, wieder für andere zum selbstverständlichen Halt werden und darin als Befehle wirken. Nietzsches Begriff des Befehlens ist sehr weit gefasst und geht weit über den militärischen, befremdlich klingenden Sinn hinaus, an den man vielleicht zunächst denkt.²⁰⁵ Der Wortstamm findet sich bei Nietzsche an mehr als 200 Stellen und zieht sich durch sein gesamtes Werk. Zu den „Befehlenden“ zählt Nietzsche beispielsweise auch „Eltern, Lehrer[ ], Gesetze[ ], Standesvorurtheile[], öffentliche Meinungen“ (JGB 199). Letztlich führt für ihn jede Art von Herrschaftsgebilde zum Befehlen und Gehorchen, jeder ist davon betroffen, nicht nur inter-, sondern auch intrapersonal,²⁰⁶ es ist „Grundthatsache“ (Nachlass 1884, 26[85], KSA 11.171).²⁰⁷ Um den Philosophen als Befehlenden zu verstehen, ist zunächst Nietzsches Vorstellung vom Philosophen selbst zu vertiefen. In einem Notat mit der Überschrift „Wo r a n i c h m e i n e s G l e i c h e n e r k e n n e “ (Nachlass 1888, 16[32], KSA 13.492) hält Nietzsche fest: „Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Aufsuchen auch der verwünschten und verruchten Seiten des Daseins. […] Eine solche Experimental-Philosophie, wie ich sie lebe, nimmt versuchsweise selbst die Möglichkeiten des grundsätzlichen Nihilismus vorweg“. Solche Philosophen bewegen sich am Abgrund des Nihilismus, weil sie den Halt und die Sicherheit aller bewährten Werte hinter sich lassen und sich so in die völlige Haltlosigkeit begeben. Ihre „Leidenschaft“ (JGB 210) treibt sie instinktiv zum „Versuchen“ und zur „Lust am Versuchen“. Sie empfinden es als ihre Aufgabe, ohne bestehende Werte und Sicherheiten auszukommen, die sie mit anderen gemein machen würden, und neigen daher immer zur Einsamkeit (vgl. Kap. 2.2.4.1). Im Nachlass nennt Nietzsche die Philosophen gar „Versuchs-Stationen der Menschheit“ (Nachlass 1880, 1[38], KSA 9.14), die so viel auf sich nehmen, bis sie eben nicht mehr können: „die höchsten Menschen als Erd-Re-
Zum Befehlen besonders in physiologischer Hinsicht vgl. Wotling 2010. Gerhardt 1996, 233, sieht in der Befehlsmetaphorik einen Ausdruck „gesellschaftlicher Organisation. Am stärksten prägt sich der gesellschaftliche Charakter im Befehlsverhältnis aus. Es ist das alte, im 18. und 19. Jahrhundert zu philosophischem Selbstbewußtsein gelangte Paradigma von Herr und Knecht, das Nietzsche hier psychologisch fruchtbar macht. […] Das sichtbarste Zeichen der Entsprechung zwischen Herrschaftsund Befehlsstruktur ist natürlich das Ranggefälle.“ Vgl. Nachlass 1885, 34[123], KSA 11.461 f.: „Daß der Mensch eine Vielheit von Kräften ist, welche in einer Rangordnung stehen, so daß es Befehlende giebt, aber daß auch der Befehlende den Gehorchenden alles schaffen muß, was zu ihrer Erhaltung dient, somit selber durch deren Existenz b e d i n g t ist. […] [D]ie Dienenden müssen, in irgendeinem Sinne, auch Gehorchende sein, und in feineren Fällen muß die Rolle zwischen ihnen vorübergehend wechseln, und der, welcher sonst befiehlt, gehorchen.“ Vgl. dazu Kap. 4.1.4.1. Vgl. auch Schank 2000, 303: „Befehlen und Gehorchen ist nicht auf unterschiedliche Personen verteilt.“ Vgl. ferner Himmelmann 2000, 333: „Selbstbestimmung als Selbstgesetzgebung“ sei bei Nietzsche ein „Verfahren vernünftiger Begründung“, Vernunft wiederum die Transzendierung der Situation durch „über den Augenblick hinaus“ gültige Gründe. Himmelmanns Ansatz bei allgemeiner Vernunft hebt Nietzsches Rangordnung freilich gerade auf, weil sie jeder rangübergreifenden Vernunft vorausgeht. Vgl. Tongeren 1989, 145: „Es gibt kein Menschsein, das diesem Unterschied, dieser Rangordnung voraufginge.“
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gierer und Zukunft-Schöpfer. (zuletzt sich zerbrechend —)“ (Nachlass 1884, 26[258], KSA 11.218). Sie erproben, wie viel abgründige Wahrheit sie einverleiben und wie viel Illusionslosigkeit sie ertragen können (vgl. Kap. 4.4.2), und testen so sich und ihre Kraft, Orientierung in der Orientierungslosigkeit zu finden.²⁰⁸ Die den Notsituationen abgerungenen Erkenntnisse sind dann nicht einfach neue, allen zugängliche Wahrheiten, sondern zunächst individuelle Heilmittel für die individuellen Nöte der Philosophen: „bei allem Philosophiren handelte es sich bisher gar nicht um „Wahrheit“, sondern um etwas Anderes, sagen wir um Gesundheit, Zukunft, Wachsthum, Macht, Leben …“ (FW, Vorrede 2)²⁰⁹ Gerade „diese Kunst der Transfiguration i s t eben Philosophie.“ (FW, Vorrede 3)²¹⁰ Im Nachlass erwägt Nietzsche gar „e i n e R a n g o r d n u n g d e r K r ä f t e , vom Gesichtspunkte der Gesundheit […]: Befehlende als Befehlende, Gehorchende als Gehorchende.“ (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.217) Nietzsche stellt das Befehlen und Gehorchen immer wieder in einen engen Zusammenhang mit der Rangordnung: „Das Befehlen und das Gehorchen ist die Grundthatsache: das setzt eine Rang-Ordnung v o r a u s “ (Nachlass 1884, 26[85], KSA 11.171). Ein Befehl in diesem Sinn ist für Nietzsche keine bewusst geplante, explizit formulierte, sorgfältig auf Zweck- und Rechtmäßigkeit erwogene und mit guten Argumenten begründete oder auch nur begründbare Anordnung, sondern setzt schon viel früher, nämlich beim Willen an: „Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen“ (JGB 19, KSA 5.33). Das gilt auch für die Gesetzgebung der Philosophen, die ganz offenbar keine juristische, legislative Dimension hat²¹¹: „die {neuen} Werthe müssen erst geschaffen werden — dies bleibt {uns} nicht erspart! Der Philosoph als {muß wie ein} Gesetzgeber {sein}.“ (Nachlass 1885, 35[47], KSA 11.533 / KGW IX 4, W I 3.80) Die Werte, die ein Philosoph setzt, halten seine Erfahrungen fest und machen sie für andere zugänglich, machen sie zu Anhaltspunkten für ihre Orientierung.²¹² Bezogen auf die Wissenschaftler könnte das bedeuten, dass Vgl. Nachlass 1888, 14[161], KSA 13.346: Eine solche „harte Schule“ ist für Nietzsche eine „g u t e S c h u l e “, denn: „— Was l e r n t man in einer harten Schule? G e h o r c h e n und B e f e h l e n , — — —“. Vgl. Kap. 2.2.5. Genau in diesem Sinn nennt Nietzsche MA II auch „eine G e s u n d h e i t s l e h r e “ (MA II, Vorrede 2). Zur Bedeutung der Transformation bei Nietzsche vgl. Strong 2000. Eine andere, sehr wörtliche Auslegung findet sich bei Mess 1930. Sein „Buch soll zwei Zwecken dienen: es sucht einerseits die J u r i s t e n davon zu überzeugen, daß die heutige Rechtsphilosophie von Nietzsche ausgehen muß. Und es will unter der G e f o l g s c h a f t N i e t z s c h e s die Lehre des Meisters in Erinnerung bringen, daß der Philosoph ein Gesetzgeber ist, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, woraus wir folgern müssen, daß es für des Philosophen Schüler kein nützlicheres Werk gibt, als das philosophische Lebensgesetz in wirkliche Rechtsnormen zu übersetzen“ (VII). Zum Aspekt des Festhaltens von Werten zur Orientierung vgl. in beispielhafter Klarheit Simon 1992, der „mit Kants Hilfe der Schreibart Nietzsches den Eindruck des Schrillen und Irrationalen […] nehmen“ will (203) und zum gesetzgebenden Philosophen betont: „Er weiß, daß Bestimmungen […] gegen die Zeit festgehalten werden müssen und daß Ist-Sagen solch ein Festhalten der Perspektive ausdrückt. Eine bestimmte wird als letzte gesetzt. ,Philosoph‘ ist nun derjenige, der die Macht dazu hat und anerkennt, auch wo er sie ,selbst‘ nicht (mehr) hat. Denn er erkennt die Notwendigkeit solch eines Setzens um der Orientierung im ,Leben‘ willen an und damit auch die Unmöglichkeit einer perma-
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die Werte der Philosophen die Richtung ihrer Forschung weisen, dass bahnbrechende philosophische Erkenntnisse neue wissenschaftliche Probleme aufwerfen und neue Arten der Problemlösung anstoßen, die sich dann, mit Thomas Kuhn gesprochen, zu neuen „Paradigmen“ ausformen können,²¹³ oder, mit Ludwik Fleck gesprochen, dass die Philosophen einen neuen „Denkstil“ prägen, eine gemeinsame Richtung der Wahrnehmung, was innerhalb eines „Denkkollektivs“ als Problem und als Wahrheit akzeptiert wird.²¹⁴ Als Ausdruck ihrer Nöte geschehen die Wertsetzungen der Philosophen nicht gezielt, um andere durch sie zu steuern und zu beeinflussen. „Ihr „Erkennen“ ist S c h a f f e n , ihr Schaffen ist eine Gesetzgebung, ihr Wille zur Wahrheit ist — W i l l e z u r M a c h t .“ (JGB 211) Wille zur Macht bedeutet bei Nietzsche nicht, dass ein mächtiger Wille alle anderen dominieren soll, sondern steht für einen Pluralismus von Willen, für Willen gegen Willen, die miteinander im ständigen Wettbewerb stehen und auf Zeit Rangordnungskonstellationen ausbilden, die sich mit der Zeit wieder auflösen und umordnen.²¹⁵ Das gilt auch für die Philosophen. Weil sie sich immer wieder den härtesten Nöten ausgesetzt und sie so reiche Erfahrungen und Perspektiven gesammelt haben, können sie sich zumeist souverän orientieren und werden dann von anderen als überlegen wahrgenommen – Rang folgt Handlungsfähigkeit. Wer nicht über ihre Handlungsmöglichkeiten verfügt und in einer Situation nicht mehr zurechtkommt, kann sich dann an die Werte der Philosophen halten – Rang ermöglicht Handlungsfähigkeit. Die Orientierung kann nicht darauf verzichten, Rang zu achten, er weist die Orientierung derjenigen, die es nötig haben, geradezu an. Weder das Geben noch das Nehmen von Anhaltspunkten muss bewusst geschehen, und wenn man es gar nicht bemerkt, es selbstverständlich abläuft, funktioniert es am effektivsten. Je drückender die Orientierungslosigkeit, desto empfänglicher wird man für die Orientierungsmöglichkeiten an anderen sein, die dann als alternativlos erscheinen, und gerade dann kann man sie auch als Befehle begreifen, denen man gehorcht – „je weniger Einer zu befehlen weiss, um so dringlicher begehrt er nach Einem, der befiehlt“ (FW 347). Der nötigende Zwang des Befehls entsteht also in erster Linie durch die Situation, den Druck der Orientierungslosigkeit, und wird weniger gezielt von einer anderen Person ausgeübt.²¹⁶ Wer hingegen ohne den Halt an anderen
nenten Selbstbehauptung. Er ist in diesem Sinne ,Gesetzgeber‘“ (206). „Wenn dann der Philosoph ,die Rangordnung der Werte zu bestimmen hat‘, geschieht das nicht aus Willkür, sondern damit unter veränderten Bedingungen überhaupt weiterhin in einer für das Leben orientierenden Weise gedacht und begrifflich bestimmt werden kann“ (212). Zum Begriff des wissenschaftlichen Paradigmas vgl. Kuhn 1967. Vgl. Fleck 1980 und dazu Zittel 2017. Vgl. Kap. 4.1.4.3. Vgl. auch Tongeren 1989, 152 f.: „Herrschen und Gehorchen stellen keine Beilegung des Kampfes dar, sondern dessen Formen […]. Die vornehme Rangordnung ist daher gleichsam ein Kampfverhältnis.“ Vgl. Pippin 2010, 118: „The ability to bully and tyrannize someone into cooperation is one thing, the ability to inspire true service is another […]; being unimpeded in the satisfaction of one’s desires is one thing, being able to order one’s desires in a ,hierarchy of rank‘ is another; commanding is one thing, being ,strong‘ enough to ,yield‘ command is another.“
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auskommt, wer also nicht gehorchen muss, wird die Werte und Entscheidungen der anderen gar nicht erst als Befehl sehen. Ein Befehl erfordert keine Dankbarkeit und auch keine moralischen Gegenleistungen, weil man ihm aus Pflicht folgt. Er lässt die Überlegenheit produktiv werden, ohne zu beschämen. Nietzsches Sorge ist, dass die Gleichheitsmoral diesen Prozess unterminiert, weil sie die Autorität überlegener Orientierung nicht mehr akzeptiert, sondern sie moralisch fragwürdig, verdächtig macht, sie damit aber auch denen nimmt, die sie als Halt nötig hätten. Die Bereitschaft, sich unterzuordnen, in die Rangordnung einzufinden, muss man daher zusehends gegen Widerstände erwerben wie auch die Fähigkeit zum Befehlen, das in einer auf Gleichheit gerichteten Gemeinschaft ebenso anrüchig ist: „Man muß befehlen lernen, bei Zeiten —, ebensogut als gehorchen.“ (Nachlass 1888, 15[98], KSA 13.464) Die Befehlenden „leiden innerlich am schlechten Gewissen und haben nöthig, sich selbst erst eine Täuschung vorzumachen, um befehlen zu können: nämlich als ob auch sie nur gehorchten.“ (JGB 199) Nietzsche Forderung nach Rangordnung ist gezielt auch gegen diese wegen des Gleichheitsideals nötig gewordene „moralische Heuchelei der Befehlenden“ gerichtet. Wer die Rangordnung bejahen kann, der wird mehr und mehr auch zum stolzen Befehlen ohne Heuchelei und zum stolzen Gehorchen fähig sein, wird die Überlegenheit anderer akzeptieren, sogar schätzen und wünschen können. Nietzsche lässt seinen Zarathustra aber berichten, „dass Befehlen schwerer ist, als Gehorchen […], dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt“, dass ein „Wagniss […] in allem Befehlen“ liege (Za II, Von der Selbst-Ueberwindung, KSA 4.147).²¹⁷ Wenn ein Gehorchender sich auf die Orientierung des Befehlenden stützt, lastet auf dem Befehlenden die Verantwortung für beide, er muss „das Gewicht einer solchen Verantwortlichkeit“ (JGB 203) allein tragen und ertragen. Nietzsche steigert damit nicht nur den Herrschaftsanspruch der Philosophen bis fast ins Unendliche, sondern auch ihre Verantwortlichkeit. Ihre Werte sollen nicht nur hier und heute, sondern so umfassend und dauerhaft wie nur möglich gelten. „R a n g o r d n u n g : der die Werthe b e s t i m m t und den Willen von Jahrtausenden lenkt, dadurch daß er die höchsten Naturen lenkt, ist d e r h ö c h s t e M e n s c h .“ (Nachlass 1884, 25[355], KSA 11.106)²¹⁸ Diese unerhörte Verantwortlichkeit fordert Nietzsche nicht einfach von anderen, sondern nimmt sie vor allem auf sich selbst: Er philosophiere „mit einer Verantwortlichkeit für alle Jahrtausende nach“ sich (EH, Warum ich so klug bin 10), und Za bezeichnet er als „Buch […] mit einer Stimme
Vgl. schon Michel de Montaigne in seinen Essais (I.42, Kapitel „Über die zwischen uns bestehende Ungleichheit“, 135): „Was aber das Befehlen betrifft, das so angenehm scheint, bin ich in Anbetracht unsres unzulänglichen Urteilsvermögens und der Schwierigkeit, sich beim Auftauchen neuer und zweifelhafter Dinge zu entscheiden, der festen Überzeugung, daß es wesentlich leichter und bequemer ist zu folgen als zu führen, und daß es den Geist ungemein beruhigt, wenn man sich nur an einen vorgezeichneten Weg zu halten hat und nur für sich selbst Verantwortung trägt“. Vgl. M 530: Nietzsche nennt die „Griechen“ als Beispiel, die „nach ihrem Untergange noch Jahrtausende lang gleich manchen Sternen fortleuchten.“
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über Jahrtausende hinweg“ (EH, Vorwort 4). Auch das ist ein „Zeichen der Vornehmheit: nie daran denken, unsre Pflichten zu Pflichten für Jedermann herabzusetzen; die eigne Verantwortlichkeit nicht abgeben wollen, nicht theilen wollen“ (JGB 272). Die höchste Verantwortung würde nach Nietzsches Gesetzen der Rangordnung auch den höchsten Rang bedeuten. Nietzsche verzichtet jedoch vornehm darauf, seinen Rang zu nennen.
4.5 Rangordnung unter Individuen Nach Nietzsches Darlegungen der Rangordnung in ihren festen, recht klar definierten und eher hierarchischen Ausprägungen etwa in der Natur oder in der Religion löst er sie schrittweise aus ihren engen und tendenziell starren religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Kontexten. Das Problem der Rangordnung stellt sich ihm zuletzt vor allem als von solchen Bindungen befreite „R a n g o r d n u n g zwischen Mensch und Mensch“ (JGB 228). In seinem Lenzer-Heide-Notat hält Nietzsche ausdrücklich fest, dass es sich um eine Rangordnung „[n]atürlich abseits von allen bestehenden Gesellschaftsordnungen“ handelt (Nachlass 1886/87, 5[71], KSA 12.217), und noch Anfang Dezember 1888 heißt es in einem Briefentwurf an Georg Brandes: „Wir haben die absurden Grenzen der Rasse Nation und Stände überwunden: es giebt nur noch Rangordnung zwischen Mensch und Mensch und zwar eine ungeheure lange Leiter von Rangordnung.“ (Nr. 1170, KSB 8.502) Nietzsche führt die Rangordnung gezielt auf ihre interindividuelle Dimension in ihre dann flüssigste Form hinaus.²¹⁹ Sie ist für ihn ein prinzipiell perspektivisches Problem und immer nur perspektivisch gegeben. Nietzsches Rangordnung lässt sich nicht abschließend definieren oder mit allgemeingültigen Kriterien festhalten, sondern zeigt sich situativ an bestimmten Anhaltspunkten wie dem Pathos der Distanz, der Ehrfurcht vor sich, dem guten Geschmack und der Geistigkeit. Das hat zuletzt auch ethische Konsequenzen für den Einzelnen.
Diese philosophische Hinführung aufs Individuelle hat eine kompositionelle Entsprechung im Aufbau vom letzten Hauptstück von JGB, so Tongeren 1989, 139, der festhält, „daß sich in diesem Hauptstück eine Zuspitzung im Sinne einer Individualisierung erkennen läßt: zunächst ist von Gesellschaften, Ständen, Kasten, Kulturen, Gruppen (die Aristokratie, die Barbaren) etc. die Rede (257– 260); nach und nach wird mehr über psychologisch-moralische Charakterisierungen von Individuen gesprochen, anfänglich als Glieder der Gruppe (259 – 268), später ohne diesen Hinweis (270 – 288). Dieses Individuum erscheint in der Folge stets mehr als der Philosoph (289 ff.), in dem schließlich Nietzsche selber zu erkennen ist“. Vgl. auch Tongeren 2000b, 228.
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4.5.1 Aristokratie als Bedingung von Demokratie und herausragenden Individuen Es scheint paradox, dass Nietzsche die Rangordnung im ersten Aphorismus des letzten Hauptstücks von JGB trotz seiner Hinführung auf herausragende Invididuen demonstrativ in einen Zusammenhang mit der Aristokratie stellt. Wie kann die Rangordnung interindividuell, jenseits von Politik und sozialen Schichten und zugleich gesellschaftstheoretisch gedacht werden? Jede Erhöhung des Typus „Mensch“ war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft — und so wird es immer wieder sein: als einer Gesellschaft, welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Werthverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt und Sklaverei in irgend einem Sinne nöthig hat. (JGB 257)
Es scheint Nietzsche jedoch weniger um die Aristokratie als solche, sondern vielmehr um das zu gehen, was sie bewirkt hat, nämlich eine „Erhöhung“ des Menschen durch Akzeptanz von „Rangordnung“ und „Sklaverei“.²²⁰ Die Aristokratie ist offenbar Mittel zum Zweck und gerade deswegen von Interesse, weil sie „das P a t h o s d e r D i s t a n z “ (vgl. Kap. 4.5.3.1) hervorbringen konnte.²²¹ Wenn für Nietzsche eine Gesellschaft dann aristokratisch ist, wenn sie an Rangordnung glaubt, hat das nichts mit dem gewöhnlichen politischen Begriff von Aristokratie im Sinn einer adligen Oberschicht zu tun.²²² Für Nietzsche ist die Rangordnung der Maßstab der Aristokratie, jedoch kein ständisches Geburtsrecht, keine garantierte politische Machtstellung, die immer Ausdruck starrster Hierarchien wären und völlige Wettbewerbslosigkeit zur Folge hätten. Seine Rangordnung will genau das vermeiden. Wenn Nietzsche von der „unverrückbar[ ] eingeborne[n] Rangordnung“ (JGB 263) spricht, meint er die Rang Nietzsches Forderung einer neuen Sklaverei „in irgend einem Sinne“ war wiederholt Gegenstand der Forschung und soll daher nicht erneut behandelt werden. Sie ist ausdrücklich nicht auf eine Wiedereinführung der alten Sklaverei gerichtet, ist keine Frage des Stands oder Eigentums, sondern thematisiert den – gerade in der modernen Demokratie, wie Nietzsche sie kommen sah – ohnehin unvermeidlichen Zwang zur Arbeit und den Umgang mit ihm. Vgl. Ottmann 1999, 295 f., und, mit leicht abweichender Sichtweise, die besonders die Provokation Nietzsches durch den Begriff ,Sklaverei‘ betont, aber auch seinen „normalen Sprachgebrauch“ nicht übergehen will, Christians 1998. Sommer 2016, 729, sieht hier ebenfalls „in erster Linie nicht normative, sondern historische Thesen formuliert – nämlich zu den das Persönlichkeitsprofil bestimmenden Folgen, zur selektorischen Wirkung sozialer Distanzgewinne“.Vgl. auch Zamosc 2019, der die Kompabilität vom Pathos der Distanz zur Demokratie zu zeigen sucht. Vgl. dazu überzeugend Lemm 2008 sowie Lemm 2011, 91: „I hold that Nietzsche’s aristocratic notion of an order of rank is not part of his conception and legitimization of the political. Rather, the political view of the notion of order of rank consists in counteracting the egalitarianism of modern mass societies in view of fostering the practice of individual self-responsibility.“ Rangordnung „requires not the institution of an aristocratic political order, but, on the contrary, the enhancement of aristocratic culture and education“ (85).Vgl. auch Lemm 2013 und dazu die Rezension von Alonso 2018, der resümiert: „This discussion of rank ordering, hierarchy and plurality is one of the most interesting in the field of Nietzschean studies today“ (491). Auch Fossen 2008 sieht eher eine kulturelle statt einer politischen Bedeutung in der Aristokratie.
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ordnung als Prinzip der Über- und Unterordnung, der Ungleichheit, und keine bestimmte, konkrete Rangordnung, die allein durch Geburt bestünde. Der „GeschlechtsAdel“ interessiert ihn in erster Linie aufgrund „dessen psychologischem Grundhange, Rangordnungen anzusetzen“ (GM II 20).²²³ Die herkömmlichen „F ü r s t e n“ sind für ihn hingegen „ unter allen Umständen Menschen zweiten Ranges“, denn „die g a n z h o h e n M e n s c h e n herrschen über Jahrtausende und können sich nicht für die gegenwärtigen Dinge so interessiren. Die Fürsten sind ihre We r k z e u g e […]. Ü b e r dem Bilde des Fürsten“ sei „das Bild des höchsten Weisen zu zeigen.“ (Nachlass 1884, 25[354], KSA 11.106)²²⁴ Nietzsches Aufmerksamkeit gilt also nicht dem Stand der Aristokratie, sondern der aristokratischen Geisteshaltung, die aus der „beständigen Übung im Gehorchen und Befehlen, Nieder- und Fernhalten erwächst“ (JGB 257). Er betont das schon früh: „Vo n G e b l ü t . – Das, was Männer und Frauen von Geblüt vor Anderen voraus haben und was ihnen unzweifelhaftes Anrecht auf höhere Schätzung giebt, sind zwei durch Vererbung immer mehr gesteigerte Künste: die Kunst, befehlen zu können, und die Kunst des stolzen Gehorsams.“ (MA I 440) Das „Befehlen“ gehöre inzwischen „zum Tagesgeschäft“, etwa „in der grossen Kaufmanns- und IndustrieWelt“, nicht jedoch „die vornehme Haltung im Gehorsam“, die aufgrund der Gleichheitsmoral „in unserem Cultur-Klima nicht mehr wachsen will.“²²⁵ Noch in AC hält Nietzsche fest: „Der Aristokratismus der Gesinnung wurde durch die Seelen-Gleichheits-Lüge am unterirdischsten untergraben“ (AC 43). Das „Geblüt“ besteht für ihn also vorrangig in der Fähigkeit zum Befehlen und vor allem zum Gehorchen, nicht in Titeln oder Wappen.²²⁶ Die bedrohte und selten gewordene Fähigkeit zum Gehorchen, zum Unter- und Einordnen in eine Rangordnung erfordert „Ehrfurcht“ (JGB 260, KSA 5.212), und gerade diese „Kunst und Schwärmerei in der Ehrfurcht, in der Hingebung“ bezeichnet Nietzsche als „das regelmässige Symptom einer aristokratischen Denkund Werthungsweise.“ Eben die „L u s t an den Nuancen der Ehrfurcht“ (JGB 263) lässt, so Nietzsche, „auf vornehme Abkunft und Gewohnheiten schließen“. Ehrfurcht bedeutet die Achtung eines Anderen, seiner Persönlichkeit, seiner Werte, Erfahrungen, Perspektiven, seines Rangs – sie ordnet und festigt Ordnungen und erfüllt damit eine wesentliche zwischenmenschliche Funktion. Gehorchen kann nur, wer den Rang anderer anerkennt. Das ist kein Vorgang einer passiven Unterwerfung, sondern als aktive Unterordnung eine Orientierungsleistung, die Größe erfordert, weil man sich Vgl. Nachlass 1887/88, 11[127], KSA 13.61: Die Ablehnung der „„Gleichheit““ sei die „Grundüberzeugung“ der Aristokratie und zugleich „die Ursache der aristokratischen Absonderung von der Menge“, die den Glauben an die Gleichheit nötig habe. Vgl. Nachlass 1887, 10[61] KSA 12.493: Die Ranghohen, „d i e stärkeren Naturen“ findet man gerade nicht in der aristokratischen Oberschicht: „sie gedeihen in den niedrigsten und gesellschaftlich preisgegebensten Elementen am häufigsten: wenn man nach P e r s o n sucht, dort findet man sie“. Vgl. Nachlass 1887/88, 11[142], KSA 13.66: „Zur w i r k l i c h e n Psychologie der Freiheits- und Gleichheits-Societät: was nimmt ab? […] der Sinn der E h r f u r c h t , der Unterordnung, des Schweigenkönnens.“ Vgl. Nachlass 1885, 41[3], KSA 11.678: „Ich rede hier nicht vom Wörtchen „von“ und dem Gothaischen Kalender: Einschaltung für Esel.“
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seinen eigenen niederen Rang ohne Illusionen eingestehen muss. Wer sich unterordnet, übt zudem immer auch Deutungsmacht aus, weil er den anderen erst durch seine Unterordnung zum Übergeordneten, zum Ranghöheren seiner persönlichen Rangordnung macht. Der Glaube an die Rangordnung als wesentliches Merkmal der Aristokratie verdeutlicht vor allem, dass sich die aristokratische Moral der sich durchsetzenden Gleichheitsmoral entzieht. Ohne die gemeinsame Moral der anderen „steht“ man allein „da, genöthigt zu einer eigenen Gesetzgebung, zu eigenen Künsten und Listen der Selbst-Erhaltung, Selbst-Erhöhung, Selbst-Erlösung […], keine gemeinsamen Formeln mehr“ (JGB 262, KSA 5.216). Auch das ist für die Aristokratie kennzeichnend, kein gemeinsames Maß mit anderen zu haben. „Das Wesentliche an einer guten und gesunden Aristokratie ist aber, dass sie sich n i c h t als Funktion (sei es des Königthums, sei es des Gemeinwesens) […] fühlt“ (JGB 258). Die Stärke zu besitzen, sich der herrschenden Moral zu widersetzen und ihr eigene Werte entgegenzustellen, ist für Nietzsche aristokratisch. Es ist kein Widerspruch, dass er einerseits eine mögliche Funktion der Aristokratie auch in demokratischen Gesellschaften aufzeigt, andererseits aber feststellt, „dass sie sich n i c h t als Funktion […] fühlt“. Wer sich als Diener eines Gemeinwesens empfindet, es ganz bewusst und gezielt verbessern will und in seinen Maßen denkt und handelt, der hat eben kein ganz eigenes Maß, wie Nietzsche es von einem Aristokraten erwartet, sondern ist Teil der Gemeinschaft und ihrer Moral. Entscheidend ist, dass sich ein Aristokrat nicht als Instrument fühlt. Die Werte, die er setzt, müssen seine eigenen und aus seiner Not entstanden sein, müssen ihm selbst Halt geben, müssen seinen Lebensbedingungen entsprechen, müssen – zunächst – nur für ihn sein. Gerade hier muss der Aristokrat die Rangordnung achten, muss unterscheiden zwischen sich und den anderen, die eine andere Moral und andere Werte nötig haben. Er fühlt sich nie als Mittel, sondern immer als Zweck. Wenn er sich in den Dienst der Gemeinschaftsmoral stellen, zu ihrem Mittel und so mit ihr gemein machen würde, dann würde er die Rangordnung missachten, den Unterschied zwischen sich und den anderen und damit letztlich sich selbst aufgeben. Wenn aber von den Werten des Aristokraten Impulse für die Gemeinschaft und ihre Moral ausgehen, die sie tatsächlichen gebrauchen kann, die ihr neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen, dann ist der Aristokrat für das Gemeinwohl Mittel und Werkzeug, ohne sich je so gefühlt oder es beabsichtigt zu haben. Er kann sein Maß und seinen Rang wahren und zugleich dennoch und gerade deswegen im Ermessen der anderen nützlich sein, kann Orientierung stiften, kann einen Unterschied zwischen sich und den anderen und zugleich für die anderen den Unterschied machen. Es wird zusehends deutlich, dass Nietzsche nicht an der Einrichtung einer alten oder neuen aristokratischen Staatsform gelegen ist, sondern er Begriffe wie ,Aristokratie‘ und ,Adel‘ auch ins Spiel bringt, um seinem Problem der Rangordnung die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen – und das wiederum nicht bloß auf gesellschaftlicher Ebene, sondern auch auf Individuen bezogen: Mit seinem provozierenden Aphorismus JGB 257 zielt er schließlich nicht auf politische Revolutionen, sondern auf „jenes Verlangen nach immer neuer Distanz-Erweiterung innerhalb der Seele selbst,
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die Herausbildung immer höherer, seltnerer, fernerer, weitgespannterer, umfänglicherer Zustände, kurz eben die Erhöhung des Typus „Mensch“, die fortgesetzte „Selbst-Überwindung des Menschen““ (JGB 257). Ob reale historische Aristokratien tatsächlich solche Geisteshaltungen hervorgebracht haben oder nicht, ist letztlich unerheblich. Nietzsches einleitende Aussage „Jede Erhöhung des Typus „Mensch“ war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft — und so wird es immer wieder sein“ hat eben nicht zur Folge, dass jede weitere „Erhöhung des Typus „Mensch““ nur durch eine real aristokratische Gesellschaft und Staatsform denkbar sei. Es ist gerade das Gegenteil der Fall: Nietzsche bietet die aristokratische Geisteshaltung, die sich im Glauben an die Rangordnung manifestiert, als Bedingung der „unaufhaltsam“ kommenden „Demokratisirung Europa’s“ (MA II, WS 275) an, die die Gleichheitsforderung zum Dogma erhebt.²²⁷ Nietzsche warnt vor den Gefahren der Demokratie, sieht aber auch klar ihre Chancen.²²⁸ Wie die Aristokratie, ist auch die Demokratie für Nietzsche kein vorrangig politischer Begriff, und seine Kritik an ihr ist „vor allem Zeit-, Gesellschafts- und Kulturkritik“.²²⁹ Nietzsches politisches Vokabular allein macht seine Philosophie nicht politisch, er nutzt es vor allem in philosophischer Perspektive, und so kann man ihn und seine Philosophie mit Paul van Tongeren als „überpolitisch“ begreifen.²³⁰ Nietzsche gilt „die demokratische Bewegung nicht bloss als eine Verfalls-Form der politischen Organisation, sondern als Verfalls-, nämlich Verkleinerungs-Form des Menschen […], als seine Vermittelmässigung und Werth-Erniedrigung“ (JGB 203). Durch die Übernahme der Gleichheitsmoral mache sie „die Erbschaft der christlichen“ Bewegung (JGB 202). Ihr fehle dadurch der Sinn für Differenz und Distanz, und durch die Totalisierung ihres Gleichheitsanspruchs lasse die Demokratie ihre Werte als alternativlos erscheinen.²³¹ Nietzsche befürchtet, dass herausragende Individuen und ihre Werte in einer demokratischen Gemeinschaft nicht mehr anerkannt und geachtet werden. Solchen „eigentlich großen Menschen […] wird man heute und wahrscheinlich für lange noch umsonst nachgehen: sie f e h l e n“ (Nachlass 1885, 37[8],
Zur Unausweichlichkeit dieser demokratischen Bewegung und den „unaufhaltbaren Selbstdurchsetzungskräften der Idee der Demokratie“ vgl. Lübbe 2004. Die Literatur zur Demokratie bei Nietzsche ist äußerst umfangreich. Für einen Überblick vgl. Ottmann 1999, 462– 466, und Siemens 2008, der verschiedene Haltungen Nietzsches zur Demokratie von „Incompatibility“ über „Ambivalent“ zur „Compatibility“ bis schließlich zur „Deep Compatibility“ darlegt. NWB, Bd. 1, Art. Demokratie, 569. Der Artikel zeigt, dass Nietzsche „sich in den ,Demokratie‘Belegen hauptsächlich mit der modernen Demokratie [befasst], in der das Volk der Souverän ist und die auf der Gleichheit aller vor dem Gesetz beruht“. Die Hauptkritikpunkte Nietzsches an der Demokratie seien dabei „,Uniformirung‘, Mittelmäßigkeit bzw. ,Vermittelmässigung‘, ,Nivellirung‘, Herrschaft der ,grossen Zahl‘, Schauspielerei, Ablehnung von Größe, Aufhebung der Rangordnung und Niedergang der ,organisierenden Kraft‘“. Vgl. Tongeren 2008. Vgl. Tongeren 2007, 8. Der demokratische Geschmack bestehe gerade im „denial of difference. Difference for Nietzsche is always a difference in rank.“
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KSA 11.581). Das ist ein Problem für solche herausragenden Individuen, denen die Demokratie keinen Platz mehr einräumt, aber auch für die Demokratie im Ganzen. Wenn sie keine Wertsetzer und Orientierungsgeber zulässt, keine Stellen für sie schafft, untergräbt sie die Rangordnung der Werte und das Prinzip der Organisation von unvermeidlichen Ungleichheiten überhaupt: „Demokratismus war jeder Zeit die Niedergangs-Form der organisirenden Kraft“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 39).²³² Neben dieser Gefahr sieht Nietzsche auch eine Chance für „die d e m o k r a t i s c h e Bewegung Europa’s“ (JGB 242). Ihre „Bedingungen, unter denen im Durchschnitt eine Ausgleichung und Vermittelmässigung des Menschen sich herausbilden wird […], sind im höchsten Grade dazu angethan, Ausnahme-Menschen“ hervorzubringen. Um in einer auf Gleichheit gerichteten Gesellschaft bestehen zu können, müsse „der s t a r k e Mensch stärker und reicher gerathen […], als er vielleicht jemals bisher gerathen ist“. Je stärker die Gleichheit gefordert wird, desto stärker treten die tatsächlichen Ungleichheiten hervor, desto sichtbarer wird die Rangordnung. Nietzsche beschreibt diesen Prozess auch im Nachlass: Nach vorläufig ausgefochtenen Rangordnungskämpfen komme man „über „Gleichheit der Rechte“ überein„ – „ist das erreicht, so treten die thatsächlichen U n g l e i c h h e i t e n d e r K r a f t in eine v e r g r ö ß e r t e W i r k u n g (weil im Großen Ganzen der Friede herrscht und viele kleine Kraft-Quanta schon Differenzen ausmachen, solche, die früher fast gleich null waren).“ (Nachlass 1887, 10[82], KSA 12.504) Dies führe zur Destabilisierung der Übereinkünfte und schließlich zu neuen Rangordnungen. Für die Demokratie bedeutet das, dass der Prozess der „ A u s g l e i c h u n g des europäischen Menschen“ (Nachlass 1887, 9[153], KSA 12.425) „nicht zu hemmen ist: man sollte ihn noch beschleunigen. Die Notwendigkeit für eine K l u f t a u f r e i ß u n g , D i s t a n z , R a n g o r d n u n g ist damit gegeben: n i c h t , die Notwendigkeit, jenen Prozeß zu verlangsamen“. Gerade weil die Demokratisierung sich so unaufhaltbar durchsetzt, sieht Nietzsche die Notwendigkeit der Rangordnung als Gegenbewegung. Er will nicht die Demokratie an sich bekämpfen, sondern ihre totalisierten, metaphysizierten Glaubenssätze, allen voran ihren Gleichheitsanspruch.²³³ Seine Betonung des aristokratischen Sinns für Rangordnung soll den Demokratien neue Möglichkeiten der Selbstorganisation geben. Ihr Erfolg könnte davon abhängen, ob sie offen für außergewöhnliche Individuen und ihre Wertsetzungen sind, denn gerade in Demokratien ist man offensichtlich auf solche herausragenden Führungspersönlichkeiten angewiesen. Damit ist natürlich
Zur organisierenden Funktion von der Rangordnung in Demokratien vgl. Treml 2005. Dass Demokratien ohne eine solche überhöhte Gleichheit auskommen können, zeigt sehr plausibel Hatab 1995, bes. 55 – 77. Selbst wenn Demokratien etwa auf Gleichheit vor dem Recht oder gleichem Zugang zu politischer Partizipation beruhten, bedeute dies keine Notwendigkeit von „any version of substantive ,sameness‘ in human beings“ oder „any kind of substantive or intrinsic equality“ (57). Hatab hält im Gegenzug eine nietzscheanische, postmoderne, postmetaphysische Demokratie für möglich, die auf Pluralismus, Perspektivismus und Agonalität setze und so auf die bisherigen Substantialisierungen verzichten könne. Vgl. auch Alberts 2014 und Reckermann 2003, 253 – 255.
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nicht gemeint, dass man wieder „Führer“ bräuchte. Nietzsche geht es um eine Vielzahl von Führungspersönlichkeiten, die untereinander im Wettbewerb bleiben. Der agonale Anspruch der Rangordnung fordert zu Wettkampf und Selbstüberwindung heraus, stabilisiert die gegebenen Ungleichheiten nicht als unveränderliche Hierarchien, sondern stellt eben diese in Frage und hält damit Machtstrukturen beweglich. So könnte es angesichts der Herausforderungen der Moderne für Demokratien überlebensnotwendig sein, sich auf Nietzsches Problem der Rangordnung einzulassen.
4.5.2 Die Perspektivität der Rangordnung Nietzsche nennt „das P e r s p e k t i v i s c h e “ in JGB „die Grundbedingung alles Lebens“ (JGB, Vorrede), und auch sein Problem der Rangordnung ist eng mit der Perspektivität verbunden. Einerseits führen, wie gezeigt, gemachte Erfahrungen zu neuen Perspektiven, über die man verfügen kann, und die steigende Vielfalt der einverleibten Perspektiven zu höherem Rang (vgl. Kap. 2.1). Neue Perspektiven sind für Nietzsche in dieser Hinsicht wie Werkzeuge, die sich in bestimmten Situationen einsetzen lassen, und mit der Umfänglichkeit der Perspektiven und der Fähigkeit, die „P e r s p e k t i v e n u m z u s t e l l e n“ (EH, Warum ich so weise bin 1), wächst dann die eigene Handlungsfähigkeit: „du solltest das Problem der R a n g o r d n u n g mit Augen sehn und wie Macht und Recht und Umfänglichkeit der Perspektive mit einander in die Höhe wachsen.“ (MA I, Vorrede 6)²³⁴ Die Moral „lehrt“ hingegen „das Bedürfniss nach beschränkten Horizonten“ und „die Ve r e n g u n g der P e r s p e k t i v e “ (JGB 188). Wer eng begrenzte Perspektiven nötig hat, weil ihm die Kraft fehlt, die Spannung eines breiten Perspektivenreichtums und entgegengesetzter Perspektiven auszuhalten, schränkt damit seine Handlungsmöglichkeiten ein, gewinnt aber auch Sicherheit (vgl. Kap. 4.3.1.2). Wer die Kraft hat, sich nicht vorschnell moralisch festzulegen und auch anderen Perspektiven auszusetzen, entzieht sich so den universalen Gültigkeitsansprüchen der Moral und ihrer jeweiligen Wertrangordnung, da er einen Standpunkt außerhalb der Moral nicht mehr einfach als böse sieht, sondern als eine andere, in ihrer Perspektive ebenso zulässige Sichtweise. Andererseits, und das ist für die Enthierarchisierung der Rangordnung durch ihre Individualisierung entscheidend, ist auch jede Rangordnung an sich perspektivisch. Nietzsche präsentiert sein Problem der Rangordnung nicht als allgemeingültige Lehre, er liefert auch keine umfassende Theorie oder systematische Darstellung von ihr. Indem er die Rangordnung stattdessen als persönliches Problem einführt, demonstriert er die Perspektivität des Problems und zeigt, dass es sich immer um sein Verständnis von Rangordnung handelt, selbst wenn er, in Einzelfällen, ganz konkrete
Vgl. Dellinger 2015. Zur Perspektivität bei Nietzsche vgl. auch Gerhardt 1989 und Ibáñez-Noé 1999, die jedoch beide nicht näher auf das Problem der Rangordnung eingehen.
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Rangordnungen vorgibt.²³⁵ Rangordnung ist immer nur in einer Perspektive gegeben, in einer anderen Perspektive kann sie auch ganz anders ausfallen. Man kann vor ihr nicht ein, sondern immer nur sein Verständnis haben.²³⁶ Das gilt für jede Erkenntnis, jede Wertschätzung: Du solltest das Perspektivische in jeder Werthschätzung begreifen lernen — die Verschiebung, Verzerrung und scheinbare Teleologie der Horizonte und was Alles zum Perspektivischen gehört; auch das Stück Dummheit in Bezug auf entgegengesetzte Werthe und die ganze intellektuelle Einbusse, mit der sich jedes Für, jedes Wider bezahlt macht. (MA I, Vorrede 6).
Jede Wertschätzung und Wertsetzung ist eine Verallgemeinerung der je persönlichen Erfahrungen, ist in der Perspektive des je Persönlichen behaftet, kann in ihrer Befangenheit also keine Objektivität beanspruchen. Damit ist sie nicht nur anfällig für Selbsttäuschungen und daher stets unsicher, sondern auch inhärent ungerecht: „Du solltest die n o t h w e n d i g e Ungerechtigkeit in jedem Für und Wider begreifen lernen, die Ungerechtigkeit als unablösbar vom Leben, das Leben selbst als b e d i n g t durch das Perspektivische und seine Ungerechtigkeit.“ Das gilt dann auch für die Rangordnung, die jeder nach eigenen Gesichtspunkten aufstellt. Während eine Hierarchie objektiv und allgemeingültig ist oder wenigstens sein soll, klar und sachlich nach eindeutigen Kriterien definiert, ist die Rangordnung in Nietzsches Sinn immer vom jeweiligen Standpunkt und Betrachter abhängig. Von ihr kann es keine neutrale, sachliche Formalisierung als für jeden gleich gültige Tabelle geben. Ohne einen eindeutigen, letztgültigen Maßstab für eine Rangordnung kann es zudem weder „richtige“ noch „falsche“ Rangordnungen geben. Daraus folgt aber keine relativistische Beliebigkeit.²³⁷ Nur weil alle Wertschätzungen perspektivisch sind, muss nicht jede so gut wie die andere sein. Zu einer solchen Feststellung bedürfte es nicht nur einer unmöglichen Zentralperspektive, die alle anderen Perspektiven von außen betrachten und beurteilen könnte und damit gerade keine gleichberechtigte Perspektive mehr wäre. Auch würde ein solches Urteil die Gleichheit aller Deutungen und Wertschätzungen und damit völlige Orientierungslosigkeit bedeuten, die Nietzsche mit seiner
Vgl. etwa Nachlass 1885, 34[25], KSA 11.429: „Leonardo da Vinci steht höher als Michelangelo, Michelangelo höher als Rafael.“ Nietzsche gibt mit dieser Wertung weniger über die beurteilten Personen, die man in einer anderen Perspektive, mit einem anderen Maßstab ganz anders beurteilen könnte, sondern vor allem über sich selbst etwas zu erkennen, nämlich welchen Maßstab er an diese Rangordnung anlegt, was ihm wichtig ist, nämlich die „ganz verschiedene Kraft und Beweglichkeit dazu, in einem unvollendeten System, mit freien unabgeschlossenen Aussichten, sich festzuhalten: als in einer d o g m a t i s c h e n Welt.“ Vgl. auch Nachlass 1888, 15[96], KSA 13.463. Vgl. Stegmaier 2011, 182, und Stegmaier 2016b, 361. Vgl. Irlenborn 2016 (Kapitel „Nietzsches relativistischer Perspektivismus“, 36 – 40). Maurer 1979 macht Nietzsche seinen vermeintlichen „totalen Perspektivenrelativismus“ hingegen zum Vorwurf: „Die Rangordnung müßte je nach Perspektive freilich anders aussehen, und das je Eigene wird in der je subjektiven Rangordnung den obersten Platz einnehmen“ (126).
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Rangordnung gerade bekämpft.²³⁸ Das Fehlen allgemeingültiger Kriterien zieht also keine Beliebigkeit nach sich, sondern zwingt im Gegenteil zu immer notwendigen individuellen Urteilen und Wertungen. Unterschiedliche Perspektiven können unterschiedlichen Erfolg haben und so unterschiedliche Geltung erlangen, was letztlich zu einer Rangordnung von Perspektiven führt.²³⁹ „Alles Geschehen, alle Bewegung, alles Werden als ein Feststellen von Grad- und Kraftverhältnissen, als ein K a m p f … “ (Nachlass 1887, 9[91], KSA 12.385) Wer herausragende Perspektiven und Wertrangordnungen setzt, fällt damit auf, sie können so zu horizonterweiternden Anhaltspunkten für andere werden. Nietzsche will daher „zuletzt […] nicht undankbar gegen“ solche „Umkehrungen der gewohnten Perspektiven und Werthungen“ sein (GM III 12). Die Wichtigkeit eines Perspektivenpluralismus ist auch daran ersichtlich, dass sie eine graduelle Abstufung von „„Objektivität““ ermöglichen kann: Zwar gibt es „n u r ein perspektivisches Sehen, n u r ein perspektivisches „Erkennen““, doch „j e m e h r Affekte wir über eine Sache zu Wort kommen lassen, j e m e h r Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser „Begriff“ dieser Sache, unsre „Objektivität“ sein.“ Nietzsche setzt Objektivität in Anführungszeichen, weil es sich nicht mehr um das herkömmliche Verständnis von Objektivität geht, bei der eine Sache gerade nicht von den einzelnen Beobachtern abhängig ist. Je mehr und je entgegengesetztere Perspektiven auf eine Sache geworfen werden, desto umfassender ist das Verständnis von ihr. Auch eine bestimmte Rangordnung kann auf Zeit zur dominanten Perspektive werden, wenn sie sich bewährt, und dann objektiv wie eine Hierarchie wirken, weil sie von vielen als solche empfunden wird. Je stärker der Glaube an eine Rangordnung, desto höher ihre Autorität und Wirkung, desto effektiver gibt sie Halt und Orientierung, wenn sie nötig ist. Da sich aber die Lebensbedingungen und Nöte in einem ständigen Wandel befinden, wird sich, früher oder später, auch der Blick auf die Rangordnung ändern und diese sich damit destabilisieren und neuordnen. Die Rangordnung bleibt ein perspektivisches Phänomen, denn „der perspektivische Charakter des Daseins“ lautet, dass die Welt „u n e n d l i c h e I n t e r p r e t a t i o n e n i n s i c h s c h l i e s s t .“ (FW 374) Auch die Perspektivität der Rangordnung kommt nie zu einem Ende, die Rangordnung selbst sieht je nach Perspektive auf sie und aus ihr heraus, je nach Rang in ihr anders aus. Dennoch wird man
Vgl. Za IV, Der Nothschrei, KSA 4.300: Der „Wahrsager“ als „Verkündiger der grossen Müdigkeit“ lehrt: „„Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.““ Vgl. Ibbeken 2008, die „Nietzsches Philosophie des Perspektivismus“ auch als Problem der Rangordnung sieht: „Erst die bewusste Einstellung zur Perspektivität lässt überhaupt Alterität und Pluralität von Perspektiven zu und impliziert ihre Anerkennung. Das ist eine Frage der Höhe des Standpunktes, insofern kommt der Gedanke der Rangordnung ins Spiel“ (14). Dies bedeute unweigerlich, dass man den „Perspektivismus als Konkurrenzkampf“ sehen müsse, eine jede Perspektive stehe permanent in einem solchen Konkurrenzkampf mit anderen. Auch wenn einzelne Perspektiven den Kampf zeitweilig beherrschten, seien sie dadurch keineswegs wahrer als andere, denn jede einzelne Perspektive habe als solche Anspruch auf eine eigene Wahrheit.
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an irgendeinem Punkt genötigt sein, eine Rangordnung festzulegen, um sich, wiederum auf Zeit, Halt und Orientierung an ihr zu verschaffen. Man kann dies im Wissen tun, dass die Rangordnung eine als solche festgelegte und keine objektive, dass sie eine individuelle Perspektive ist, von deren Perspektivität man um der Orientierung willen auf Zeit absieht – wenn man die Kraft dazu hat. Hat man sie nicht, wird man distanzlos an die Rangordnung „glauben“, sie als Hierarchie wahrnehmen und nötig haben und damit etwas über seinen Rang verraten. Mit jeder Rangordnung, die man festlegt, gibt man etwas über sich und seinen Rang preis. Wer es nötig hat, sich an der Spitze einer Rangordnung zu sehen und dies auch noch sichtbar zu machen und anderen aufzuzwingen, ist, mit Nietzsches Begriff, unvornehm.²⁴⁰ Wer Ungleichheiten nicht aushält und überlegenen Rang nicht anerkennt, gibt auch damit seine eigentliche Motivation und mit ihr seine Unvornehmheit und seinen unterlegenen Rang zu erkennen: „Wer das Hohe eines Menschen nicht sehen w i l l , blickt um so schärfer nach dem, was niedrig und Vordergrund an ihm ist — und verräth sich selbst damit.“ (JGB 275) Eine solch ungerechtfertigte Abwertung von Höherem und Höheren aus Schwäche, Neid und Missgunst, letztlich aus Unfähigkeit zur Rangordnung offenbart die eigene Gemeinheit. Wer die Ungleichheiten hingegen angemessen bewerten, anderen auch höheren Rang wohlwollend einräumen kann und damit einen Sinn für Rangordnung beweist, wird in ihr weiter oben stehen, ohne es nötig zu haben, seine Perspektive anderen aufzudrängen: „Es giebt einen I n s t i n k t f ü r d e n R a n g , welcher, mehr als Alles, schon das Anzeichen eines hohen Ranges ist“ (JGB 263).
4.5.3 „es ist der G l a u b e , der hier entscheidet“: Rangordnung ohne allgemeingültige Kriterien Mit diesem „I n s t i n k t f ü r d e n R a n g , welcher, mehr als Alles, schon das Anzeichen eines h o h e n Ranges“ (JGB 263) sein soll, gibt Nietzsche anscheinend ein Kriterium für die Rangordnung vor. Was genau Instinkte sind, lässt sich aber kaum exakt definieren, und um zu erkennen, ob jemand Instinkt für Rang hat, bräuchte man ihn auch selbst schon.²⁴¹ Instinkt kann daher kaum als allgemeines Entscheidungsmerkmal für die Rangordnung herhalten. Nietzsche liefert immer wieder Anhaltspunkte zur Beurteilung von Rang,²⁴² die aber alle gemeinsam haben, dass sie gerade
Vgl. etwa Nachlass 1887, 10[96], KSA 12.511: „Das neue Testament ist das Evangelium einer gänzlich u n v o r n e h m e n Art Mensch; ihr Anspruch, mehr Werth zu haben, ja allen Werth zu haben, hat in der That etwas Empörendes, – auch heute noch.“ Nietzsches Instinktbegriff vollzieht zudem selbst einen Bedeutungswandel, vgl. Vinzens 1999. Vgl. Schank 2000, 299 – 314, der eine Liste von Bewertungsmaßstäben für das „,Gerathen‘ des Menschen“ aufstellt, die sich untereinander beeinflussen und ergänzen: „Zustände der Seele, die zum Teil physiologisch bestimmt sind, zum Teil aber auch ,erarbeitet‘ werden, bestimmen […] den ,Rang‘ des Menschen“ (305).
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
keine normative Allgemeingültigkeit beanspruchen, die die Rangordnung unterlaufen würde, sondern jeweils auf den Urteilenden und seinen Rang zurückverweisen. Allgemeingültige, universelle, abstrakte Kriterien, die jedem gleich zugänglich sind und jedem ein gleiches Urteil zugestehen, entbinden von der Verantwortung für die Entscheidung über Rangordnungen. Urteile über den Rang sind aber, wie gezeigt, stets äußerst heikle Urteile, die Wertungen über Personen im Ganzen beinhalten und ihre gesellschaftliche Stellung maßgeblich beeinflussen. Die offenen Kriterien, die Nietzsche vorschlägt, zwingen daher, das je individuelle Urteil über den Rang selbst zu verantworten. Statt die Rangordnung aufzuheben, gründen sie auf ihr. Für Rangordnungen in Nietzsches Sinn kann es keine allgemeinen, sachlichen, un- oder überpersönlichen, rangübergreifenden Gründe oder Rechtfertigungen geben – die Rangordnung selbst ist das, was rechtfertigt. ²⁴³
4.5.3.1 Das „Pathos der Distanz“ als „Gefühl der Rangverschiedenheit“ Nietzsche bezeichnet das „Pathos der Distanz“ im Nachlass ausdrücklich als „das Gefühl der Rangverschiedenheit“ (Nachlass 1885/86, 1[10], KSA 12.13).²⁴⁴ Das Pathos lässt sich nicht auf Begriffe bringen, sondern ist „bloßes ,Pathos‘ – ,Pathos‘ im ganzen Sinnspektrum des deutschen Fremdworts von ,Gefühl‘ über ,Leiden‘ bis zu hohem ,Ernst‘. Das Pathos der Distanz ist die ethische Aufmerksamkeit auf die Andersheit moralischer Orientierungen.“²⁴⁵ Als Gefühl für Rangunterschiede erleichtert es, den Anderen als Anderen wahrzunehmen und ihm in seiner Andersheit gerecht zu werden. Noch in EH macht Nietzsche es zum entscheidenden Kriterium: „Das Erste, worauf hin ich mir einen Menschen „nierenprüfe“, ist, ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguirt: damit ist man gentilhomme“ (EH, FW 4). Das „P a t h o s d e r D i s t a n z “ lässt sich als „heisses Herausquellen oberster rang-ordnender, rang-abhebender Werthurteile“ nicht allgemeingültig definieren oder an einem gemeinsamen Maß wie der „Nützlichkeit“ aufrechnen (GM I 2). Nietzsche nennt es auch „das dauernde und dominirende Gesammt- und Grundgefühl einer höheren herrschenden Art im Verhältniss zu einer niederen Art, zu einem „Unten““. Die jeweils Oberen der Rangordnung, die Befehlenden, Wertesetzenden, fühlen ihre
Schröder 2005, bemängelt „[d]ie Zirkularität dieses Testverfahrens“ (61) und unterstellt Nietzsche an dieser Stelle „unfreiwillige Komik“. Schröders Haupteinwand besteht in der vermeintlichen Unklarheit der Kriterien für Vornehmheit und Rang, die „positive[n] Gehalt“ vermissen ließen. Er übersieht dabei freilich, dass es Nietzsche gerade darum geht, ein solches Fragen nach möglichst festen Kriterien hinter sich zu lassen und ihm mit rein logischen Methoden kaum beizukommen ist.Vgl. dazu auch die treffende Rezension Viesenteiner 2009, 457 f. Vgl. NWB, Bd. 1, Art. Distanz, 663. Das Pathos der Distanz sei „eine Kurzformel für das als selbstverständlich betrachtete Gefühl der Überlegenheit des Vornehmen, das aus einer langen Kultivierung von Rangunterschieden hervorgeht.“ Stegmaier 2008b, 600. Vgl. auch Gerhardt 1989.
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Distanz zu den jeweils Unteren der Rangordnung, den Gehorchenden, Wertenehmenden, und bejahen sie, ohne sich durch ein schlechtes Gewissen, das die Gleichheitsmoral ihnen aufdrängen will, beeinflussen zu lassen. Sie sind im Gegenteil stolz auf die gefühlte Distanz, die mit der Zeit zur einverleibten wird und dann, das ist Nietzsches eigene Erfahrung mit Wagner, bis ins Physiologische reicht: „Ein physiol. Widerstands- {Distanz-Gefühl} Gefühl {das zuletzt physiologisch sein möchte} bin ich in der allernächsten Nähe W’s nie los geworden“ (Nachlass 1888, 22[29], KSA 13.597 / KGW IX 10, W II 8.66). Wer diese Distanz nicht oder als Belastung empfindet, wird sich wieder auf Gemeinsames berufen. Wer aber auf gemeinsame Begriffe angewiesen ist, denen sich das Pathos der Distanz gerade widersetzt, dem wird das Gefühl der Rangverschiedenheit und damit Nietzsches Problem der Rangordnung unzugänglich bleiben. Die zwischenmenschliche Distanz ist für Nietzsche nicht begrifflich oder verstandesmäßig zu fassen oder zu überbrücken.²⁴⁶ Gerade ihre „Unmittheilbarkeit“ macht die Rangdistanz und ihren Wert aus (Nachlass 1888, 16[39], KSA 13.498). Nietzsche sieht auch in ihr einen Maßstab für Rang: „die „höhere Natur“ des großen Mannes liegt im Anderssein, in der Unmittheilbarkeit, in der Rangdistanz, – n i c h t in irgend welchen Wirkungen: und ob er auch den Erdball erschütterte. —“ Größe ist für Nietzsche also nicht größtmöglicher Nutzen oder größtmögliche Macht, sondern eine möglichst rangabhebende Natur. Das macht auch verständlich, warum Nietzsche die Dauer, nach der die Distanz eingeholt wird, zum Kriterium erhebt: „„Wie viel Jahrhunderte braucht ein Geist, um begriffen zu werden?“ — das ist auch ein Maassstab, damit schafft man auch eine Rangordnung […], wie sie noth thut“ (JGB 285).
4.5.3.2 „Ehrfurcht vor sich“ Gegen Ende des letzten Hauptstücks von JGB fragt Nietzsche noch einmal gezielt: „— Was ist vornehm?“ (JGB 287)²⁴⁷ „Es sind nicht die Handlungen“, die „immer vieldeutig“ und damit auch „immer unergründlich“ seien. Und „auch die „Werke““ seien es nicht, die zwar häufig auf „eine tiefe Begierde nach dem Vornehmen“ schließen ließen. Jedoch sei „gerade dies Bedürfniss n a c h dem Vornehmen […] von Grund aus verschieden von den Bedürfnissen der vornehmen Seele selbst“ und gar „Merkmal ihres Mangels.“ Stattdessen hält Nietzsche fest: „es ist der G l a u b e , der hier entscheidet, der hier die Rangordnung feststellt“, „irgend eine Grundgewissheit, welche eine vornehme Seele über sich selbst hat, Etwas, das sich nicht suchen, nicht
Vgl. Kelsen 2000, 16 f., der die Rangordnung der Werte, mit der er sich eingehend befasst, auf das Gefühl und den individuellen Willen zurückführt: „Es ist, letzten Endes, unser Gefühl, unser Wille, nicht unser Verstand, das emotionale, nicht das rationale Element unseres Bewußtseins, das den Konflikt“ zwischen unvereinbaren Werten „löst.“ „Nur eine subjektive Antwort“ sei auf „die Frage nach der Rangordnung der Werte“ möglich, „eine Antwort, die nur für das urteilende Subjekt gültig ist“. Vgl. Tongeren 1989, 138 f.: „der Gedankenstrich, der vor der Frage steht, deutet möglicherweise darauf hin, daß an dieser Stelle der Weg, der bisher zurückgelegt wurde, noch einmal zusammengefaßt wird und daß die Beantwortung der Frage hier – zumindest vorläufig – beendet ist.“
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finden und vielleicht auch nicht verlieren lässt. – D i e v o r n e h m e S e e l e h a t E h r f u r c h t v o r s i c h . —“ Mit dem Glauben als Maßstab nimmt Nietzsche „eine alte religiöse Formel“ auf, die sich wie das Gefühl vom Pathos der Distanz nicht weiter begrifflich fassen lässt.Vom Glauben spricht man dort, wo die Vernunft keinen Zugriff hat, sondern man etwas ohne weiteres Prüfen als Voraussetzung hinnehmen und für wahr halten muss, wie ein Gläubiger an Gott glaubt und dabei ohne letzte Gewissheiten für seinen Glauben auskommen muss. Mit der Wendung der „Ehrfurcht vor sich“ lehnt Nietzsche sich wohl an Goethe an, der sie in Wilhelm Meisters Wanderjahren (2. Buch, 1. Kapitel) als höchste von mehreren Arten der Ehrfurcht darstellt.²⁴⁸ Goethe, „der letzte Deutsche, vor dem“ er „Ehrfurcht habe“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 51), bezeichnet Nietzsche selbst als einen „vor sich selber ehrfürchtigen Menschen“ (GD, Streifzüge eines Unzeitgemässen 49). Ehrfurcht vor sich selbst hat in den Wanderjahren, wer „zum Höchsten gelangt, was er zu erreichen fähig ist“, und „sich selbst für das Beste halten darf, was Gott und Natur hervorgebracht haben“, ohne „wieder ins Gemeine gezogen zu werden.“ Das liegt dicht bei dem, was Nietzsche mit der Ehrfurcht vor sich selbst gemeint haben könnte. Ehrfurcht ist eine hohe Form der Achtung, und Achtung ist das neidlose Anerkennen des Rangs des anderen. Wer Ehrfurcht vor sich selbst hat, weiß um seinen Wert, kennt und achtet seinen eigenen Rang innerhalb der Rangordnung. Der vor sich selbst Ehrfürchtige kann auf seine eigene Orientierungsfähigkeit vertrauen und hängt nicht von der Bestätigung und vom Urteil anderer ab. Gerade dadurch erfährt er wieder Achtung von anderen, weil man sich paradoxerweise dann vor anderen auszeichnet, wenn man sich nicht vor ihnen, sondern vor allem vor sich selbst auszeichnen will. Selbstachtung erzeugt Achtung durch andere. Als „Grundgewissheit“ kann man sie „nicht suchen, nicht finden“ (JGB 287), sondern sie nur haben oder nicht haben. Sie ist nicht objektiv begründbar und daher nicht für jeden gleich zugänglich, sondern stets individuell.²⁴⁹ Ihr Gegenteil ist die „Eitelkeit“ (JGB 261): Eitel sind Personen, „die eine gute Meinung über sich zu erwecken suchen, welche sie selbst nicht von sich haben — und also auch nicht „verdienen“ —, und die doch hinterdrein an diese gute Meinung selbst g l a u b e n .“ Aus ihrem „Instinkte der Unterwerfung“ machen sie sich zum Sklaven, abhängig vom Urteil der anderen.²⁵⁰ Sie täuschen ihren Rang vor, ohne an ihn selbst zu glauben. „[D]ie vornehme Seele“ hingegen „w e i s s s i c h i n d e r H ö h e . —“ (JGB 265) Die Fähigkeit dazu ist so selten geworden, weil sie sich im Widerstand gegen die erstarkende Gleichheitsmoral behaupten muss. „Niemand hat heute mehr den Muth […] zu einem Ehrfurchts-Gefühl vor sich und seines Gleichen, – zu einem P a t h o s d e r D i s t a n z …“ (AC 43) Wer an sich und seinen höheren Rang glaubt, wer seinen Rang Vgl. Sommer 2016, 794 f. Vgl. Wolf 2004, Kapitel „Selbstachtung und Achtung vor anderen“, 131– 145. Vgl. Tongeren 1989, 229: „Der Eitle ist derjenige, der nicht an sich selbst glaubt und sich daher an das, was andere von ihm denken, festklammert.“
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angemessen beurteilen kann, der macht sich zwangsläufig verdächtig, weil er sich dafür über andere stellen muss. Dieses harte Urteil vor anderen und sich selbst zu rechtfertigen, traut Nietzsche den wenigsten zu. Der moralische Zwang, sich anderen nicht überzuordnen, ob von außen oder verinnerlicht als schlechtes Gewissen, lässt die „Grundgewissheit“ über sich und seinen Rang kaum und nur um den Preis der Anrüchigkeit zu. Wer Ehrfurcht vor sich hat, bleibt immer der goetheschen Gefahr ausgesetzt, „wieder ins Gemeine gezogen zu werden.“ Sich auch gegen seine eigenen moralischen Vorbehalte nicht klein zu machen, erfordert schließlich ständige Selbstüberwindung und Oszillation zwischen Selbstzweifel und Selbstüberzeugung.²⁵¹
4.5.3.3 Guter Geschmack Ein weiterer Maßstab für Rang ist der „g u t e Geschmack […], der Geschmack der Ehrfurcht vor Allem, was über euren Horizont geht!“ (FW 373) So wie Nietzsche den Glauben als eine religiöse Formel bezeichnet, kann man den Geschmack als ästhetischen Begriff mit einer ethischen Dimension auffassen. Nietzsche verwendet ihn häufig, besonders auch in JGB.²⁵² So sei es etwa „zuletzt eine Frage des Geschmacks“, dass „Einer, der vor sich selbst die Ehrfurcht verloren hat, […] nicht mehr befiehlt, nicht mehr f ü h r t “ (JGB 205) und so kein Philosoph mehr sein könne.²⁵³ Guter Geschmack ist bei Nietzsche ein Zeichen für Vornehmheit, mit dem sich der Vornehme aktiv von anderen unterscheidet, mit dem er wählt und so Rangordnungen schafft. Dem gegenüber steht der schlechte Geschmack, der kein eigenständiges Urteil, sondern passive Mehrheitsmeinung ist, der man sich bequem anschließen kann. Nietzsche bezeichnet ihn auch als „demokratischen Geschmack[ ]“ (JGB 44, KSA 5.61) und „N o r m a l g e s c h m a c k “, der durch „U n i f o r m i t ä t d e r E m p f i n d u n g [ … ] die feineren Formen, den idiosyncrasischen G e s c h m a c k ausscheiden und tödten“ wolle und so „gegen die I n d i v i d u a l i s i r u n g “ und damit auch gegen Rangord-
Vgl. Steinmann 2000, 159: Nietzsche „gibt mit der Ehrfurcht vor sich selbst zwar eine inhaltliche Bestimmung [der Vornehmheit], diese bezeichnet aber keine Eigenschaft, sondern ein Verhalten zu sich selbst.“ Vgl. auch Poljakova 2013, 171– 177, die, entgegen Lesarten der vornehmen Ehrfurcht vor sich als bloße Stärke, Selbstsicherheit und Souveränität, besonders den Aspekt der immer wieder neu zu erringenden Selbstüberwindung betont, und Poljakova 2010, 139: „Es ist das Wagnis, auch gegen die tiefsten eigenen Wünsche Partei zu nehmen, das Wagnis, das den Glauben einer vornehmen Seele an die eigenen Kräfte zum Ausdruck bringt.“ Zum Geschmack bei Nietzsche vgl. Hanza 1999 und Mayer Branco 2010. Vgl. schon PHG 3, KSA 1.816: „Das griechische Wort, welches den „Weisen“ bezeichnet, gehört etymologisch zu sapio ich schmecke, sapiens der Schmeckende, Sisyphos der Mann des schärfsten Geschmacks; ein scharfes Herausmerken und -erkennen, ein bedeutendes Unterscheiden macht also, nach dem Bewußtsein des Volkes, die eigenthümliche Kunst des Philosophen aus.“ Vgl. auch MA II,VM 170.
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nungen arbeite (Nachlass 1881, 11[156], KSA 9.501).²⁵⁴ Kennzeichnend für den „schlechten Geschmack“ sei also, „mit Vielen übereinstimmen zu wollen.“ (JGB 43) Dagegen lässt Nietzsche seinen Zarathustra Stellung beziehen: „Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, welche „Ich“ und „Ja“ und „Nein“ sagen lernten.“ (Za III, Vom Geist der Schwere 2, KSA 4.243) Geschmack kann man als individuelle Urteilskraft und feinfühliges Unterscheidungsvermögen nicht auf klar benennbare Kriterien festlegen. Geschmackliche Nuancen gehen über das Sagbare hinaus und sind damit logisch unscharf, sind kein begriffliches, aber dennoch sicheres Wissen, und gerade darin liegt für Nietzsche ihr rangordnender Wert²⁵⁵: „Ein Mensch mit seinem eignen Geschmack auf der Zunge, umschlossen und versteckt durch seine Einsamkeit, unmittheilbar, unmittheilsam — ein u n a u s g e r e c h n e t e r Mensch, also ein Mensch einer höheren, jedenfalls a n d e r e n Species: wie wollt ihr den abwerthen können, da ihr ihn nicht kennen könnt, nicht vergleichen könnt?“ (Nachlass 1887, 9[55], KSA 12.362) Wie das Pathos, das Gefühl und der Glaube, entzieht sich der Geschmack jedem Vergleich durch allgemeine Begriffe. Es lässt sich über ihn zwar sprichwörtlich nicht streiten, doch gerade weil er sich nicht letztgültig definieren lässt, gibt er immer wieder Anstoß zum Streit: Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! / Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Wägende leben wollte! (Za II, Von den Erhabenen)²⁵⁶
Vornehmer Geschmack distinguiert, er ist anders, auffällig anders, und führt so zu Rangordnungen.²⁵⁷ Auch das ist eine Form des Wertesetzens, an das sich andere
Vgl. GD, Das Problem des Sokrates 5: Ein Beispiel dafür sei Sokrates, der den „griechische[n] Geschmack“, der ursprünglich ein „v o r n e h m e r Geschmack“ gewesen sei, umgekehrt habe. Nietzsche spricht ähnlich abwertend auch von Wagner und dem „deutschen Geschmack“, vgl. etwa WA, Der Turiner Brief 5 – 8, und Rupschus 2013, 66. Vgl. FW 132: „Jetzt entscheidet unser Geschmack gegen das Christenthum, nicht mehr unsere Gründe.“ Vgl. dazu Sommer 2011. Vgl. Nachlass 1883, 12[43], KSA 10.411: „Und ich selber, meine thörichten Freunde! – was bin ich denn, wenn ich nicht das bin, worüber zu streiten ist: ein Geschmack!“ Auch Bourdieu 1982 sieht einen engen Zusammenhang von Rang und Geschmack. Vgl. FuchsHeinritz / König 2011, 46: „Soziologisch interessant ist, wie sich in der sozialen Wertschätzung der Gegenstände bzw. der kulturellen Praktiken die soziale Hierarchie der Konsumenten spiegelt, wie die herrschende Klasse ihre Praktiken als die legitimen und ,hohen‘ definiert und durchsetzt.“ Bourdieu zeigt, wie unterschiedliche gesellschaftliche Umfelder den Geschmack nutzen, um sich von anderen abzuheben – man pflegt einen gewissen Kleidungsstil, hat einen ähnlichen Bildungshintergrund, konsumiert bestimmte Unterhaltung, spricht eine charakteristische Sprache, hat gewisse kulinarische Vorlieben usw. Mit dem über die Zeit gebildeten Geschmack, dem erworbenen „Habitus“ findet man wiederum Zugehörigkeit zur jeweiligen Gesellschaftsgruppe. Vgl. dazu Rahkonen 1999, der in dem
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halten können: „Wie verändert sich der allgemeine Geschmack? Dadurch, dass Einzelne, Mächtige, Einflussreiche ohne Schamgefühl i h r hoc est ridiculum, hoc est absurdum, also das Urteil ihres Geschmacks und Ekels, aussprechen und tyrannisch durchsetzen“ (FW 39). Tyrannisch heißt nicht mit Gewalt, sondern ohne Rücksicht auf, ohne Beeinflussung durch den Durchschnittsgeschmack, allein aus eigener Verantwortung und eigener Perspektive. Wessen „Geschmack“ und „schöpferische Kraft auf eine wunderliche Weise für sich stehn, für sich stehn bleiben und ein Wachsthum für sich haben“ (FW 369), der hat „eine unheimliche Verschiedenheit“ in sich, die ihn zum „Künstler“ und damit zum willkommenen Orientierungsgeber für andere macht.
4.5.3.4 Geistigkeit Nietzsches Begriff der Geistigkeit, der schon an einigen Stellen angeklungen ist, bündelt zentrale Einsichten zur Rangordnung in einem Kriterium. Verteilt über Nietzsches Werk, findet er sich an über 100 Stellen und ist besonders im Spätwerk präsent. Nietzsche verwendet den Begriff in ganz verschiedenen Kontexten und liefert keine präzise Definition von ihm, die es – nach allem, was nun über die Rangordnung deutlich geworden ist – auch nicht geben kann. Wesentliches Kennzeichen der „hohe[n] Geistigkeit“ ist vor allem, dass sie „sich beauftragt weiss, die O r d n u n g d e s R a n g e s in der Welt aufrecht zu erhalten“ (JGB 219). Geistigkeit ist nicht „die Lehre von der r e i n e n G e i s t i g k e i t “ (M 39), die bloß die Abgrenzung des Geistlichen vom Körperlichen meint. Man kann sie auch nicht als absoluten Begriff denken, denn „„absolute Geistigkeit““ ist ein Widerspruch in sich, ist „contradiktorisch[ ]“ (GM III 12). Man bräuchte dazu „ein Auge […], das gar nicht gedacht werden kann, ein Auge, das durchaus keine Richtung haben soll, bei dem die aktiven und interpretirenden Kräfte unterbunden sein sollen, fehlen sollen, durch die doch Sehen erst ein Etwas-Sehen wird“. Absolute Geistigkeit wäre die unmögliche Losgelöstheit von jeglicher Perspektive. Geistigkeit in Nietzsches Sinn hingegen ist immer perspektivisch (vgl. Kap. 4.5.2) und damit auch nicht lehrbar, also ohne Sinnverschiebung mitteilbar (vgl. Kap. 3.5.3). „Die hohe unabhängige Geistigkeit“ wird als „Wille zum Alleinstehn“ meist „als Gefahr empfunden“, weil sie „den Einzelnen über die Heerde hinaushebt“ (JGB 201). Sie wirkt gegen „die billige, bescheidene, sich einordnende, gleichsetzende Gesinnung“, gegen „das M i t t e l m a a s s “ und damit gegen den moralischen Zentralwert der Gleichheit (vgl. Kap. 4.3.1.1). Auch die Geistigkeit ist nicht billig zu haben: „Ein gewisser Ascetismus […], eine harte und heitere Entsagsamkeit besten Willens gehört zu den günstigen Bedingungen höchster Geistigkeit“ (GM III 9, KSA 5.356). Nietzsche traut sie besonders den Juden zu, sie „allein haben im modernen Europa an die supremste Form der Geistigkeit gestreift“ (Nachlass 1888, 18[3], KSA 13.532), weil ihre
Kapitel „Taste as a Struggle: Bourdieu and Nietzsche“ (43 – 61) Nietzsches und Bourdieus Geschmackskonzepte vergleicht.
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leidvolle Geschichte sie zur Anpassungsfähigkeit gezwungen hat (vgl. Kap. 4.2.3).²⁵⁸ Durch diese Erfahrungen (vgl. Kap. 2.1) haben sie gelernt, sich verschiedene, auch gegensätzliche Perspektiven anzueignen und sich souverän zwischen ihnen zu bewegen, ohne auf eine endgültige Fixierung bestimmter Perspektiven angewiesen zu sein, und damit herausragende Urteils-, Orientierungs- und Entscheidungsfähigkeiten erworben. Über gegensätzliche Werte, insbesondere „die scharfe Gegensetzung von Gut und Böse“ zu verfügen (vgl. Kap. 4.3.1.2), ist für Nietzsche „ein Zucht-Mittel, den Menschen zum Herrn über sich zu machen, eine Vorbereitung zur Geistigkeit.“ (Nachlass 1884, 26[398], KSA 11.255) Als rangordnendes Vermögen unterscheidet die Geistigkeit Philosophen von Wissenschaftlern und ihre Fähigkeit, an verschiedenen Problemen zu rühren (vgl. Kap. 4.4.3): Es giebt zuletzt eine Rangordnung seelischer Zustände, welcher die Rangordnung der Probleme gemäss ist; und die höchsten Probleme stossen ohne Gnade Jeden zurück, der ihnen zu nahen wagt, ohne durch Höhe und Macht seiner Geistigkeit zu ihrer Lösung vorherbestimmt zu sein. (JGB 213)
Die „Macht“ der Geistigkeit führt zu Herrschaftsgebilden (vgl. Kap. 4.1.4), liegt aber vor allem in der Orientierungs-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, ist also keine bloße Gewalt. Im Gegenteil ist ein klarer Anhaltspunkt für „die Macht der Geistigkeit“ gerade der Verzicht auf „alle gröberen Gewaltmittel“ (FW 358, KSA 3.605). Rang entsteht nicht durch Gewalt, sondern durch den Verzicht auf sie, was Nietzsche am überraschenden Beispiel der Kirche vorführt (vgl. Kap. 4.2.1.1). Wer über solche Geistigkeit verfügt, fällt durch seine souveräne Orientierung, sein Urteils- und Handlungsvermögen auf, an das sich andere halten können. Sie ermöglicht, mit Nietzsches Begriffen, Befehlen und Gehorchen (vgl. Kap. 4.4.4). Ein letzter Anhaltspunkt für Rang könnte damit schlicht sein, wer sich an wem orientiert. Damit wäre auch erklärt, warum die Geistigkeit nie absolut sein kann. Sie ist nicht an sich, sondern in bestimmten Situationen überlegen, und das auch nur, wenn sie so wahrgenommen wird. Auch wenn sie sich wiederholt bewährt und so die Rangordnung stabilisiert, ist sie nicht auf Dauer, sondern nur auf Zeit von Bestand und muss sich immer wieder neu zeigen.
4.5.4 Unser Problem der Rangordnung Die Rangordnung zwischen Mensch und Mensch hat schließlich auch eine ethische Dimension. Eine Hierarchie als fest sanktionierte, singuläre, unveränderliche Ordnung gibt klare Positionen bzw. Ämter vor, die Einzelne bekleiden (vgl. Kap. 3.1).
Vgl. Nietzsches Brief an Köselitz, 20. Juli 1886, Nr. 724, KSB 7.214: „es ist toll, wie sehr diese Rasse jetzt die „Geistigkeit“ in Europa in den Händen hat“.
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Dieser Einzelne ist austauschbar und für den Bestand der Hierarchie selbst nicht relevant. Seine Stelle kann immer wieder neu besetzt, sein Ausscheiden ausgeglichen werden, ohne dass dies einen Einfluss auf die Hierarchie im Ganzen hätte. Damit rücken die Persönlichkeit und Individualität des Einzelnen in den Hintergrund und verblassen vor seiner jeweiligen Stelle in der Hierarchie. Die Singularität der alternativlosen Hierarchie übergeht die Pluralität ihrer individuellen Elemente. Es kommt dann nicht darauf an, wer man ist oder was man tut, sondern welche Stelle der Hierarchie man innehat. Bei der Rangordnung, um die es Nietzsche letztlich geht, kommt es im Gegensatz dazu gerade auf den unersetzlichen Einzelnen und seine Persönlichkeit an. Da Rang immer perspektivisch ist und Rangordnungen sich nicht überindividuell fixieren lassen, ist der Einzelne nicht beliebig und austauschbar wie in der Hierarchie. Die Rangordnung im Ganzen richtet sich nach und ändert sich mit der persönlichen Perspektive auf sie. Der Rang ergibt sich aus der Persönlichkeit, nicht die Persönlichkeit aus dem Rang. Jede Perspektive ist, eventuell zwar von verschiedener, aber doch von Bedeutung, „weil man etwas E i n m a l i g e s i s t und nur E i n m a l i g e s t h u t “ (Nachlass 1887/88, 11[127], KSA 13.61). Nietzsches Problem der Rangordnung legt den größten Wert auf die Einzigartigkeit, die Singularität der Persönlichkeiten, die die Rangordnung ausmachen und die die Rangordnung wiederum in pluraler Form organisiert.²⁵⁹ In einem nachgelassenen Plan zur Fortführung von Za notiert Nietzsche sich: „Zarathustra glücklich darüber, daß der Kampf der Stände v o r ü b e r ist, und jetzt endlich Zeit ist für eine Rangordnung der Individuen.“ (Nachlass 1885, 39[3], KSA 11.620)²⁶⁰ Es ist diese interindividuelle Rangordnung, auf die Nietzsches Problem und mit ihm seine Philosophie im Ganzen hinausläuft: „Meine Philosophie ist auf Rangordnung gerichtet: nicht auf eine individualistische Moral.“ (Nachlass 1886/87, 7[6], KSA 12.280) Es geht ihm nicht um bloßen Individualismus, denn auch dieser „kennt die Rangordnung nicht und will dem Einen die gleiche Freiheit geben wie allen.“ Hinter die Rangordnung, die Individuen auf Zeit in bestimmte Beziehungen zueinander stellt und ihr Zusammenleben strukturiert und organisiert, geht Nietzsche nicht zurück. Sie ist und bleibt bis zuletzt seine große Hoffnung: wir glauben {noch} an eine Rangordnung der Menschen {u. Probleme} u. wünschen uns die Macht {begehren noch warten die Stunde ab, wo sich} diese Lehre {vom Range u. von der Ordnung} denselben mit mit dieser {der} pöbelhaften Gesellschaft von heute {wieder} ins breite Gesicht
Auch Lemm 2008 resümiert: „Wenn Nietzsche auf der Bedeutung der Rangordnung besteht, auf dem Abstand-Halten und dem Schweigen angesichts des Wertes eines Anderen (sich selbst eingeschlossen), dann geht es ihm […] um die Wahrung der Singularität durch die Distanz“ (379). Statt von einer „Rangordnung der Individuen“ spricht Nietzsche sonst meist von der „Rangordnung zwischen Mensch und Mensch“, die letztlich das gleiche bedeutet, aber ohne die semantischen Schwierigkeiten auskommt, die der Begriff des Individuums mit sich bringt. Auch Individuen sind letztlich Dividuen (vgl. MA I 57), also keine letzten atomistischen, unteilbaren Einheiten, sondern zurückführbar etwa auf vielfältige, bewegliche Rangordnungen innerer Triebe.Vgl. JGB 6: „w e r e r i s t – das heisst, in welcher Rangordnung die innersten Triebe seiner Natur zu einander gestellt sind.“
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4 Philosophische Anhaltspunkte: Von der Hierarchie zur Rangordnung
einzubrennen einschreiben u. {vielleicht} einbrennen wird.Vielleicht ist diese Stunde auch unsere Stunde. (Nachlass 1885, 35[42], KSA 11.529 / KGW IX 4, W I 3.89)
Die Rangordnung ist kein isoliertes Problem von Nietzsche, sondern durchzieht seine gesamte Philosophie und liefert neue Antworten auf ihre Kernfragen, etwa zum Nihilismus, zum Tod Gottes, zur Kritik am Christentum, an Gleichheit, Ressentiments und Mitleid, zur Aristokratie und Demokratie, zur Agonalität, zur Vornehmheit, zur Persönlichkeit, zur Einsamkeit, zum Wahrheitsbegriff, zur Gegensätzlichkeit, zur Perspektivität und zur Natur, Religion, Moral, Wissenschaft und Philosophie im Ganzen. Es wirft aber auch ein neues Licht auf Nietzsches Persönlichkeit und seinen persönlichen Stil des Philosophierens. Indem er das Problem der Rangordnung als sein persönliches Problem einführt und es so selbst mit seiner Persönlichkeit verantwortet, lehrt er die Rangordnung nicht, sondern demonstriert, zeigt sie. So könnte das Problem der Rangordnung ein Schlüssel zum Verständnis von Nietzsches Philosophie überhaupt sein – nicht als von der Verantwortung der Interpretation entbindender Letztbegriff, sondern als immer neue Herausforderung, sich der Philosophie mit seiner Persönlichkeit zu stellen. Damit geht Nietzsches Problem auch uns an. Die Rangordnung ist ein immer aktuelles Problem, dem man sich nicht, zumindest nicht auf Dauer, entziehen kann. Rangordnungen sind prinzipiell revisionsfähig und müssen es auch sein. Sie strukturieren und organisieren das menschlichen Zusammenleben, vereinfachen Kooperation, regen aber auch zum Wettbewerb an. Jede Rangordnung basiert auf ständiger Veränderung und Selbstüberwindung, denn unvermeidliche Ungleichheiten regen an, nicht nur ausgeglichen, sondern übertroffen zu werden, und führen so zu neuen Ungleichheiten – die Rangordnung ist ein autopoietischer, nie abschließbarer Prozess, kennt keine definitiven Lösungen, lässt sich nicht auf letzte Begriffe bringen und bleibt daher immer problematisch. Aus heutiger Sicht erscheint Nietzsches Problem der Rangordnung und insbesondere seine harsche Kritik an der Gleichheit fremd, mitunter gar abschreckend. Weil er erkannte, dass die Gleichheit in den europäischen Kulturen immer selbstverständlicher und zusehends als moralischer Zentralwert begriffen wurde, hebt er nicht ihre Vorteile, die ohnehin schon jeder gesehen hat und für die es keiner Überzeugungsarbeit mehr bedurfte, sondern ihre Gefahren hervor. Eben diese polemische Beschränkung auf die negativen Aspekte der Gleichheit verstört. Es beeinträchtigt heute massiv den Zugang zum Problem der Rangordnung, dass Nietzsche es angesichts der von ihm angenommenen Selbstverständlichkeit der Gleichheit kaum für nötig hielt, auch auf ihre unbestreitbar positiven Aspekte einzugehen. Er sagt zwar ausdrücklich, dass Gleichheit die „Voraussetzung zu einem r e c h t s c h a f f n e n Duell“ (EH, Warum ich so weise bin 7), für jeden Wettbewerb und damit für jede Rangordnung ist (vgl. Kap. 4.3.1.4), aber so selten, dass man es neben seiner vernichtenden Kritik an der Gleichheit leicht übersieht. Sich seinem Problem der Rangordnung zu öffnen, heißt jedoch keinesfalls, sich von demokratischen Grundprinzipien verabschieden zu müssen. Das Gegenteil könnte der Fall sein: In einer Zeit, in der die von
4.5 Rangordnung unter Individuen
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Nietzsche kritisierte auf Gleichheit zielende Moral präsent wie vielleicht nie zuvor ist, könnte auch sein Problem der Rangordnung dringlich wie nie zuvor sein. Viele Lebensbereiche scheinen zusehends von dieser herrschenden Moral und ihrem Totalitätsanspruch betroffen. Moralische Verfehlungen führen immer schneller zu immer größeren Skandalen und ziehen in den von Massenmedien geprägten und moralisch hypersensiblen Gesellschaften des digitalen Zeitalters sofort weite Kreise.²⁶¹ Man wird immer vorsichtiger, scheut Risiken und Verantwortung. Gerade hier könnte die Rangordnung im Sinn Nietzsches neue Perspektiven und neue Handlungsspielräume öffnen. Uns fehlt heute weitgehend der Zugang zu Nietzsches Problem der Rangordnung. Vielleicht haben wir ihn nötiger denn je.
Einen überbordenden Moralismus der Gegenwart erkennt bereits Arnold Gehlen in seinem Werk Moral und Hypermoral (Gehlen 2016). Er kritisiert die alle Lebensbereiche umschließende „Moralhypertrophie“ und „humanitär-masseneudaimonistische Gesinnungsmoral“. Vgl. im engen Anschluss daran zuletzt Grau 2017.
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Personenregister Abel, Günter 98, 108, 111, 114 Acampora, Christa Davis 129, 161 Ahlsdorf, Michael 151 Alberts, Benjamin 17, 168, 197 Alderman, Harold 93 Allison, David B. 32 Alonso, Oscar Quejido 193 Altun, Damla 136 Aly, Götz 148 Andreas-Salomé, Lou 37, 48, 63 Anicich, Eric M. 102 Ansell-Pearson, Keith 106, 145 f., 161 Anter, Andreas 4, 56, 97 Apel, Karl-Otto 12 Appel, Fredrick 16 f. Aristoteles 19, 59, 61 f., 64, 99, 112 Atkinson, Anthony B. 153
Bonnet, Charles 99 Born, Markus 29 Borsche, Tilman 117, 181 Bourdieu, Pierre 206 f. Boyer, Alain 14 f. Braatz, Kurt 168 Brall, Helmut 84 Brandes, Georg 48 f., 68, 75, 192 Braun, Otto 11 Bremmers, Chris 25 Briu, Jean-Jacques 20 Brobjer, Thomas H. 39, 140, 143, 145 Brose, Karl 176 Brusotti, Marco 87, 172, 175 Bülow, Hans von 49 Burckhardt, Jacob 49, 63 – 65, 67, 79 Butler, Samuel 109
Babich, Babette E. 168, 178, 181 Baeumer, Max L. 136 Baier, Horst 112 Barba, Francesco 129 Barde, Julien 112 Bauer, Bruno 49 Beaulieu, Michaël 103 Becker, Oskar 11 f., 120 Beethoven, Ludwig van 42 Behler, Ernst 13, 111, 151 Benne, Christian 36 Bense, Max 12 Benveniste, Emile 57, 142 Benz, Ernst 136 Berger, Johannes 153 Berger, Peter A. 153 Berkowitz, Roger 140 Berman, Joshua A. 135 Bertino, Andrea Christian 60, 104 f., 107 Bertram, Ernst 82 Bestvater, Lutz 90 Beutel, Albrecht 136 Blanqui, Louis-Auguste 178 Blass, Josef Leonhard 71 Bluhm, Heinz 136 Bolland, Mark Edmund 82 Bonaparte, Napoleon 63, 65, 107 Bonesio, Luisa 84 Bonhommeau, Sylvain 112
Cameron, Kenneth Walter 65 Campioni, Giuliano 26, 64 f., 71 Camus, Albert 31 Cancik, Hubert 40, 135 Cardew, Alan 48 Carlyle, Thomas 65 Cartwright, David E. 90 Charpentier, Marie J. E. 103 Chassot, Emmanuel 112 Christians, Ingo 193 Cicero, Marcus Tullius 135 Cohen, Gerald Allan 152 Colli, Giorgio 51 Comte, Auguste 176 Conrad, Burkhard 58, 133 Conway, Daniel W. 32, 143 Couture, Yves 18 Crescenzi, Luca 151 Crewe, Robin M. 101 Cristi, Renato 40 Cromwell, Oliver 123 Crusius, Otto 48 Cussen, Ken 45
https://doi.org/10.1515/9783110771367-008
Dahrendorf, Ralf Damm, L. Alfred Dann, Otto 152 Darwin, Charles Däuble, Hedwig
153 9 99, 103 48
234
Personenregister
De Waal, Frans 3, 100 – 103, 155 Deleuze, Gilles 15, 78 Dellinger, Jakob 29, 50 f., 198 Denat, Céline 22 Descartes, René 112 Detering, Heinrich 126 Deussen, Paul 41, 84 Diderot, Denis 153 Dierse, Ulrich 56 Donaldson, Ian 15 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch Dreyfus, Alfred 10 Dubroca, Laurent 112 Dühring, Eugen 22, 184 Dumont, Louis 139
Fritzsch, Ernst Wilhelm Fuchs, Carl 151 Fuchs-Heinritz, Werner
126
Elst, Koenraad 140, 143 Emden, Christian J. 116 Emerson, Ralph Waldo 65 Empedokles 184 Epikur 125, 140, 162 Ereshefsky, Marc 100 Ersch, Johann Samuel 58, 66 f. Etter, Annemarie 140 Eucken, Walter 57 Eysenck, Hans Jürgen 163 Faustino, Marta 52 Fénelon, François 21 Fichte, Johann Gottlieb 57 Figl, Johann 36, 121, 126, 140 Finck, Franz Nikolaus 9, 110 Fischer, Ronald 103 Fischer, Walther L. 57, 103 Fleck, Ludwik 190 Förster, Bernhard 148 Förster-Nietzsche, Elisabeth 38 f., 41 f., 64, 68, 78, 83, 148 Fossen, Thomas 193 Foster, Michael 109 Foucault, Michel 100 François, Arnaud 161 Frank, Fritz 101 Frank, Hartwig 7 Franklin, Benjamin 135 Franz von Assisi 134 Franz von Sales 21 Friedrich II. (Preußen) 65 Friedrich Wilhelm IV. 34 Frischmann, Bärbel 187
33 206
Galinsky, Adam D. 102 Gaultier, Jules de 10 Gedo, John E. 71 Gehlen, Arnold 211 Gentili, Carlo 155, 175 Georg, Jutta 33 Gerhardt, Volker 108, 111, 114, 139, 153, 188, 198, 202 Gersdorff, Carl von 47, 64, 78 Glaser, Ludwig 12 Glatzeder, Britta 165 Gobineau, Arthur de 12, 163 Goch, Klaus 36 Goerdt, Wilhelm 176 Goethe, Johann Wolfgang von 95, 106 – 108, 204 f. Golther, Wolfgang 48 Gordon, Haim 93 Grau, Alexander 211 Grau, Gerd-Günther 166 Gramzow, Otto 87 Greenaway, Katharine 102 Groff, Peter S. 112 Groß, Jürgen 152 f. Gruber, Johann Gottfried 58, 66 f. Guay, Robert 23 f. Guérin, Daniel 178 Haase, Marie-Luise 29 Habermas, Jürgen 12, 168 Haeckel, Ernst 109 Hammacher, Emil 10 f. Hansen, Mogens Herman 153 Hanslick, Eduard 186 Hanza, Kathia 205 Harrington, John P. 9 Hartmann, Eduard von 184 Hartmann, Nicolai 161 Hatab, Lawrence J. 146, 197 Hathaway, Ronald F. 57 Hausdorff, Felix 4 Häußling, Roger 114 Havemann, Daniel 126, 128 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 21, 44, 150 Heidemann, Ingeborg 161 Heidegger, Martin 11, 161, 172
Personenregister
Heit, Helmut 136, 175, 181 Heller, Erich 78 Heller, Friedrich Wilhelm 161 Henckmann, Wolfhart 161 Heraklit 160, 184 Herder, Johann Gottfried 56, 105, 177 Hering, Ewald 109 Hesiod 40 Hildebrand, Eilo 103 f. Hilgers, Jan F. 51 Hiller, Kurt 42 Hillman, David 66 Himmelmann, Beatrix 154, 188 Hirsch, Emanuel 136 Hitler, Adolf 163 Hobbes, Thomas 153 Hödl, Gerald 36, 78 Höffe, Otfried 112 Hoffmann, Christhard 151 Hoffmann, David Marc 13 Hofmiller, Josef 48 Hogh, Alexander 117 Holzer, Angela 67 Homann, Heide 99 Homer 40, 131 Hoyer, Timo 14 Hübener, Wolfgang 56 Hüser, Andreas 82 Husserl, Edmund 11 Hutter, Horst 45 Ibáñez-Noé, Javier 198 Ibbeken, Claudia 200 Ibsch, Elrud 136 Ioan, Razvan 109 Ireton, Sean 82 Irlenborn, Bernd 199 Jackson, John Hughlings 103 Jacolliot, Louis 140 Janz, Curt-Paul 39, 41 f., 48, 51, 64, 70, 74 Jaspers, Karl 118, 126 Jaucourt, Louis de 153 Jefferson, Thomas 135 Jensen, Anthony K. 59 Jesus Christus 31, 58, 107, 118 f., 125 – 129, 132 – 134, 138, 147, 151 Johnson, Dirk 116 Joisten, Karen 71 Jung, Werner 13
235
Kant, Immanuel 23, 78, 90, 112, 126, 137, 154, 189 Kaplan, David M. 112 Kappeler, Peter M. 103 Kaufmann, Walter 61 Kaulbach, Friedrich 114 Keller, Gottfried 49 Kelsen, Hans 2, 170, 203 Kennard, Christopher 103 Kerber, Franz 12 Kerger, Henry 115 Kierkegaard, Søren 127 Klaiber, Tilo 106 Knoll, Manuel 60, 144 Knortz, Karl 53 Köckert, Marie 123 Kolumbus, Christoph 63 Konfuzius 145 König, Alexandra 206 Köselitz, Heinrich 33, 39, 47 f., 68, 72, 84, 122, 144, 208 Köster, Peter 25 Kowal, Grzegorz 82 Krebs, Pierre 163 Kremer-Marietti, Angèle 19 f. Krings, Hermann 56 Krug, Gustav 39 f. Krulic, Brigitte 17 – 19, 65 Krummel, Richard Frank 13 Kuhn, Thomas 190 Kühneweg, Uwe 126 Lachaussée, Ingeburg 20 Lamarck, Jean-Baptiste de 12, 99 Lämmert, Eberhard 45 Lange, Friedrich Albert 61 Large, Duncan 136 Lasserre, Pierre 10 Lattorff, H. Michael G. 101 Le Pape, Olivier 112 Le Rider, Jacques 10 Lee, Jon-Woo 60 Leibniz, Gottfried Wilhelm 99, 114 Leiter, Brian 61, 116, 143 Lemm, Vanessa 59, 112, 193, 209 Lenin, Wladimir Iljitsch 13 Lennox, James G. 99 Leo, Heinrich 150 f. Leonardo da Vinci 199 Liebmann, Kurt 12
236
Personenregister
Linné, Carl von 99 f. Locke, John 135 Lorenzen, Paul 12 Lossi, Annamaria 184 Losurdo, Domenico 155 Lovejoy, Arthur O. 99 Löwith, Karl 64 Lübbe, Hermann 196 Ludwig XVI. 31 Luhmann, Niklas 3, 21, 176, 184 Lukács, Georg 12 f. Luke, F. D. 81 Luther, Martin 120, 123, 132, 136 – 138 Magnus, Bernd 61 Mahoney, Edward P. 99 Malorny, Heinz 13 Mann, Thomas 10 Marsal, Eva 31 Marti, Urs 36, 64 f. Martin, Alfred von 64 Marx, Karl 10, 13, 32, 151 Maurer, Reinhart K. 199 Maurer, Wilhelm 136 Maurras, Charles 10 Mayer Branco, Maria João 205 Mboumba, Sylvère 103 McIntyre, Alex 60 Mehring, Franz 151 Meinhardt, Helmut 56 Mendel, Gregor 12 Menzel, Randolf 100 Mess, Friedrich 189 Mette, Hans Joachim 61 Meyer, Martin 11 Meyer, Theo 45 Meysenbug, Malwida von 33 Michelangelo Buonarroti 199 Mill, John Stuart 20, 64 Millar, John 154 Miller, Charles Anthony 47 Mineau, André 136 Mizera, Nicole 8, 102 Montaigne, Michel de 78, 132, 191 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 139 Montinari, Mazzino 48, 107, 178 Moore, Gregory 109 Morillas, Antonio 128 Morillas, Jordi 128
Moritz, Robin F. A. 101 Müller, Enrico 36, 79 Müller, Hans-Peter 153 Müller-Lauter, Wolfgang 109 – 111, 166 Murray, Henry A. 81 Naumann, Gustav 66, 78, 87 Navratil, Michael 51 Nee, Sean 99 Newmark, Catherine 5 Nicodemo, Nicola 43 f. Nieblas, Anne-Elise 112 Nielsen, Cathrin 187 Niemeyer, Christian 71, 163 Nietzsche, Franziska 43, 83 Oehler, Richard 12 f. Ogrodnick, Margaret 106 Orsucci, Andrea 136, 181 Ottmann, Henning 7, 13, 22, 60, 68, 88, 115, 144, 155, 162, 193, 196 Overbeck, Franz 33, 44, 48, 64 Paschoal, Antônio Edmilson 58 Paulus von Tarsus 118, 129, 132 Pestalozzi, Karl 107 Pfahl-Traughber, Armin 135 Pfeuffer, Silvio 126 Piazzesi, Chiara 127, 164 Pichler, Axel 29, 32 Pinder, Wilhelm 39 f. Pippin, Robert B. 182, 190 Platon 22, 25, 37, 59 f., 62, 64, 69 – 71, 75, 78, 82, 122, 132, 145, 184 Platt, Michael 105 Pöggeler, Otto 12 Poljakova, Ekaterina 30, 126, 140, 151, 205 Poltrum, Martin 52 Pope, Alexander 99 Pourgouris, Marinos 13 Pseudo-Dionysius Areopagita 57 Pufendorf, Samuel von 153 Rancé, Armand Jean Le Bouthillier de Raffael 199 Rahkonen, Keijo 206 Rauh, Manfred 85 Rausch, Heinz 57 f., 119, 176 Rawls, John 152 Reckermann, Alfons 16, 197
21
Personenregister
Rée, Paul 48 Reibnitz, Barbara von 40 Reich, Hauke 186 Renan, Ernest 64 Richardson, John 7 Riedl, Rupert 104 Ritschl, Friedrich 39, 41 f. Robespierre, Maximilien de 90 Rohde, Erwin 39, 44, 47 – 49, 138 f. Röllin, Beat 29, 33 f., 74, 77 Römer, Heinrich 12 Ronay, Richard 102 Rosen, Stanley 78, 83 Rosenthal, Jacob 168 Ross, Werner 48 Rousseau, Jean-Jacques 19, 90, 106– 108, 153 f. Roux, Wilhelm 109 Ruehl, Martin A. 70 Rupschus, Andreas 29, 36, 43, 137, 206 Sadler, Ted 15 f. Sagnol, Marc 10 Saint-Just, Louis Antoine de 31 Salaquarda, Jörg 77, 111 Salin, Edgar 64 Santaniello, Weaver 131 Sapolsky, Robert M. 103 Schaberg, William H. 78 Schacht, Richard 93, 172 Schank, Gerd 45, 47 f., 118, 147, 162f., 188, 201 Scheier, Claus-Artur 32 Scheler, Max 161 Schenkel, Daniel 127 Schipperges, Heinrich 110 Schirnhofer, Resa von 83 Schjelderup-Ebbe, Thorleif 100 Schlaffer, Heinz 155 Schmeitzner, Ernst 148 Schmid, Holger 70 Schmid, Michael 153 Schmidt, Hermann Josef 36 Schmidt, Volker H. 153 Schmidt-Millard, Torsten 71 Schmitz, Hermann 12 Schneider, Jörg 71 Schober, Angelika 20 f., 117 Scholz, Hermann 48 Schopenhauer, Arthur 15, 22, 39, 42, 52, 62 f., 71 f., 75 Schrift, Alan D. 90
237
Schröder, Winfried 202 Schubert, Corinna 36 Schwarz, Gerhard 58 Schweizer, Frank 40 Schwinn, Thomas 153 Serra, Maurizio 10 Seydlitz, Reinhart von 49, 64 Shakespeare, William 66 Shapiro, Gary 158 Siemens, Herman 17, 26, 196 Simchowitz, Sascha 48 Simon, Josef 5, 111, 189 Simson, Wojciech 38 Skowron, Michael 22, 79, 164, 166 Smith, Adam 57 Smith, Andrew 25 Sokrates 59, 107, 206 Solms-Laubach, Franz Graf zu 113 Sommer, Andreas Urs 79, 113, 128, 130, 135 f., 140, 144, 151, 186, 193, 204, 206 Sorgner, Stefan Lorenz 135 Spencer, Herbert 103, 111 Spinoza, Baruch de 22, 147, 162 Spitteler, Carl 33 Stack, George J. 61, 65 Staten, Henry 114 Stegmaier, Werner 2 f., 8, 21 f., 26, 28 f., 36, 38 f., 44 – 46, 50, 52, 76 f., 80, 92 – 94, 107, 116, 121, 125, 147, 155, 164, 173, 175 – 177, 180 f., 184, 199, 202 Steiner, Hans Georg 56 Steiner, Rudolf 9 Steinmann, Michael 205 Stellino, Paolo 128 Stelzer, Steffen 44 Stiglitz, Joseph 153 Stirner, Max 95 Stockmar, René 29 Strauss, David 69, 78 Ströker, Elisabeth 12 Strong, Tracy B. 189 Stuppner, Ivan 45 Suda, Max Josef 161 Swash, Michael 103 Taine, Hippolyte 48 f., 64 f., 68 Tanner, Michael 71 Taureck, Bernhard 26, 66, 155 Theognis von Megara 40, 59 Thukydides 63
238
Personenregister
Tocqueville, Alexis de 17 – 20, 64 f. Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 126, 151 Tongeren, Paul van 2, 25, 32, 48, 61, 116, 122, 174, 177, 188, 190, 192, 196, 203 f. Treiber, Hubert 48 Treml, Alfred K. 197 Trenkle, Franziska 29 Trillhaas, Wolfgang 120 Trönle, Ludwig 13 f., 143 Tugendhat, Ernst 163, 166, 168 Turner, Bryan S. 111 Tzitzis, Stamatios 19, 59 Ulmer, Karl
44
Valadier, Paul 19 Vallançon, François 19 Vanderheyde, Alphonse 140 Verdier, Nicolas 57 Viesenteiner, Jorge L. 202 Vinzens, Albert 201 Virtanen, Reino 10 Vitiello, Vincenzo 129 Vogler, Günter 136 Voigts, Manfred 151 Wachendorff, Elke Angelika Wagener, Herrmann 57
35
Wagner, Cosima 42, 70 Wagner, Richard 22, 39, 42 f., 48 – 50, 52, 70 – 72, 75, 148, 203, 206 Walcher, Sepp 82 Weber, Max 58, 119 Welcker, Theophil 40 Wellhausen, Julius 151 Whitehead, Alfred North 115 Wiehn, Erhard R. 153 Wiest, Gerald 103 Willaume, Eric 103 Wils, Jean-Pierre 25 Wilson, James 154 f. Winteler, Reto 145 Wolf, Jean-Claude 204 Wölfflin, Heinrich 64 Wollek, Christian 40 Wood, Robert E. 81 f. Wotling, Patrick 22, 111, 188 Wyzewa, Teodor de 48 Young, Earl J.
163
Zachriat, Wolf 60 Zamosc, Gabriel 193 Zavatta, Benedetta 65 Zittel, Claus 80, 190 Zwick, Jochen 39
Begriffs- und Sachregister Adel 40, 67, 88, 122, 147, 193 – 195 Agonalität 5, 14, 16, 39 f., 63, 71, 75, 102, 121, 129, 139, 197 f., 210 Altruismus 98, 107 Anarchismus 20, 89, 109, 135, 151, 174, 178 f. Aristokratie 1, 10, 12, 15 – 19, 40, 67, 71, 78, 101, 109, 121 f., 124, 134, 143, 146 f., 163, 193 – 198, 210 Ästhetik, ästhetisch 2, 20, 62, 80, 115, 118, 205 Aufgabe 9, 17, 26, 32, 39, 42, 44 f., 86, 90 f., 102, 104, 107, 112, 122, 129, 142, 150, 165, 169, 172, 184, 187 Autorität 5, 23, 54, 62, 65, 94 f., 119, 137, 142, 168, 174, 178 f., 184, 191, 200 Bauer 41, 88, 136, 142 Befehlen 4, 13, 42, 109 – 111, 125, 175, 178, 187 – 192, 194 Bildung 2, 5, 39, 41 f., 61, 71, 148, 206 Biologie 10, 12 f., 55, 98 – 104, 109 – 113 Böse 4, 31, 41, 83, 85, 134, 154, 164, 168, 170, 173, 177, 182, 198, 208 Chaos 25 f., 56, 66, 70, 97 f., 155, 165 f. Christentum 16, 18, 21, 31, 56, 75, 117 – 120, 122 – 126, 129 – 136, 143 – 145, 149 – 152, 175, 178, 196, 206, 210 Dekadenz 40, 71, 131 Demokratie 3 – 5, 10, 16 – 20, 40, 102, 135, 172, 177 – 179, 193 – 198, 210 Demut 132 – 134 Distanz 5, 7, 19, 21, 28, 33, 35, 39, 41 f., 48, 64, 75 – 77, 84, 90 f., 93, 121, 126 – 128, 132, 137, 146, 158, 165, 178, 192, 195 f., 202 f., 209 – Pathos der Distanz 79, 192 f., 202 – 204 Ehrfurcht 63, 76, 91, 95, 132, 134, 137, 158, 192, 194, 203 – 205 Eifersucht 90, 160 Einsamkeit 6, 45 – 51, 76, 84 – 86, 91, 125, 188 Elite 5, 9, 14, 76, 143 Entscheidung, Entscheidbarkeit 2, 4, 7, 21, 38, 53, 78, 95 – 97, 101 f., 108, 126, 130, 142, 155, 167, 172 – 174, 179, 191, 201 f. https://doi.org/10.1515/9783110771367-009
Entwertung 19, 24 – 26, 40, 145 Erfahrung 30, 33, 35 – 37, 39 – 45, 47 – 54, 76 f., 80, 92 f., 141 f., 169, 177, 184 – 186, 189 f., 194, 198 f., 203, 208 Erziehung 12, 14, 39, 42, 72, 87, 95, 119, 125, 148, 159 Ethik, ethisch 2, 7, 9 f., 18, 26, 42, 51, 61, 74, 80, 97, 111, 161, 192, 202, 205, 208 Europa 25, 43, 76, 118, 122, 129, 132, 147, 167, 170, 172, 196 f., 207 f., 210 Forscher 8, 97, 112, 174, 176 f., 179 – 184 Freier Geist 20, 22, 33 – 36, 49 – 51, 53, 122, 127 Freundschaft 39 – 41, 45 – 49, 52, 77 f. Gegenbegriff 1, 70, 74, 117, 152, 164 – 167, 177 Gegensatz, Gegensätzlichkeit 14, 89, 92, 96, 107 f., 127, 134, 139 – 141, 143, 145, 164 – 167, 171, 186, 208, 210 Gegenseitigkeit 1, 162 Gehorsam, gehorchen 4, 13 – 15, 34, 42, 71, 89, 92, 98, 109 – 111, 114, 121, 125 f., 132, 135, 137, 178, 188 – 191, 194, 203, 208 Geistigkeit, geistig 1 f., 4, 14, 17, 21, 95, 117 – 120, 123, 125, 129, 136, 138, 142, 147, 162, 192, 207 f. Gelehrter 35, 42, 73, 176 f., 180 f., 184 – 186 Genie, Genius 47, 70 – 73, 75, 84, 138 Gerechtigkeit, gerecht 2, 5, 45, 53, 60, 73, 117, 152 f., 161, 170, 199 Geschmack 9, 107, 137, 147, 173, 178, 192, 196, 205 – 207 Gesellschaft 1, 4, 10, 13, 18 – 21, 24, 31, 40, 46, 55 f., 58, 60, 66 f., 70, 73, 75, 95, 101, 108, 111 – 113, 121, 130, 134 – 136, 140, 142, 144, 148, 150, 152 – 154, 159, 188, 192 – 197, 211 Gesetz, Gesetzgebung 1 f., 18, 21, 75, 95, 98, 104, 106, 115, 119, 135, 139 – 147, 152, 154, 178, 180 f., 188 – 190, 192, 195 Gesundheit 2, 9, 37, 44, 51 f., 103, 108, 123, 163, 189, 195 Gewalt 3 f., 14, 21, 57, 70, 87, 111, 118 – 120, 136, 146, 149, 154, 163, 207 f. Gewissheit 26 f., 35 f., 45, 53, 133, 182, 203 – 205
240
Begriffs- und Sachregister
Glaube 26 f., 35 f., 45 – 47, 68, 104 f., 112, 118, 121, 123, 129 – 133, 137 – 139, 164 – 166, 170, 174 f., 177 – 179, 182, 186, 194 – 197, 200 f., 203 – 206 Gleichheit 1 f., 5 – 7, 18, 21, 31, 35, 43, 47, 60, 62, 83, 89, 98, 106 – 108, 118, 127, 136, 143, 152, 155 – 163, 167, 191, 194, 197, 210 – moralisch 2, 5 – 7, 83, 98, 107, 109, 111, 113, 116, 131, 152 – 154, 158, 161 f., 167, 174, 191, 194 – 196, 203 f. – vor dem Gesetz 2, 18, 98, 178, 197 – vor Gott 7, 11, 16, 21, 31, 75, 117 f., 128 – 135, 152, 178 – wissenschaftlich 175 – 179 Gott 2, 11, 16, 19, 21, 24 – 27, 31, 42, 45, 56 f., 75, 82, 88, 91, 95, 97, 105, 112, 117 – 119, 121, 123, 126 – 136, 140, 142, 145 f., 150 – 152, 175, 178, 204 – Tod Gottes 16, 19, 24 – 27, 31, 45, 88, 97, 105, 175, 210 Größe 1, 5, 20 f., 25, 40 f., 63 – 65, 81, 85, 89, 106 f., 118, 132 f., 136, 147, 194, 196, 203 4, 11, 25, 27, 43 – 46, 49, 86, 89, 93, 96, 111, 137 f., 174, 186 – 188, 190 f., 195, 200 f. Hass 4, 19, 94, 106, 134, 136, 138, 148 f., 176, 179 Herrschaft 4, 13, 19, 57 f., 95, 108 – 116, 118 f., 124 f., 133, 136, 151, 168, 178 f., 184, 186 – 188 Hierarchie 6, 14 – 21, 30 f., 57 – 60, 62, 68 f., 75, 95 – 97, 100 – 104, 115, 118 f., 133 – 136, 139, 150 f., 174, 192 – 194, 198 – 201, 208 f. Historischer Sinn 172 f. Höher Mensch 14, 16, 25, 31, 45, 68, 81 f., 85 – 88, 90, 92 – 94, 136, 143, 150, 171 Halt
Individuum, Individualität 1 f., 5, 7, 10, 22, 24, 28, 31, 57, 62, 64 f., 73 f., 77, 88 f., 92 f., 95 – 97, 101 – 103, 132, 152, 157, 168 – 170, 180, 189, 192 f., 195 – 197, 209 Instinkt 4, 20, 43, 65, 98, 101, 107, 109, 111, 113, 124, 131 – 133, 136 f., 142, 160, 171 – 173, 177 f., 183 f., 201 Inszenierung 30, 50 f., 77 – 82, 85, 92 f., 151 f., 167 Irritation 4, 50, 128, 156 f. Jude
12, 117 f., 126, 128 f., 131, 144 – 152, 159, 207
Kaste 17, 32, 67 f., 70, 75, 112, 126, 131, 136, 139 – 146, 150 f., 155, 192 Kirche 16, 20 f., 57 f., 95, 118 – 123, 129, 133, 136 – 139, 150, 208 Klein, verkleinern 36, 41, 65, 81, 85 – 87, 89, 118, 129 f., 133, 147, 160, 162, 196 Kommunikation 3, 5, 7, 21, 96, 100 f., 168 Komplexität 4, 96 f., 102, 133, 164, 184 Kosmos 26, 56, 119, 133 Krankheit 9, 30, 37, 44, 46, 51 – 53, 81, 108, 122, 129 f., 133, 145, 149, 160 Kränkung 6, 90, 158 Kriterium 6, 10, 15, 22, 30 f., 54, 72, 81 f., 95, 97, 101, 105, 120, 136, 142, 174, 181, 184, 192, 199 – 203, 206 f. Kultur 9, 71, 100, 106, 119, 131 f., 140, 154, 193, 196, 210 Kunst, Künstler 40, 69, 71, 83, 111, 124, 142, 147, 154, 176, 183, 189, 194 f., 207 Lachen 94, 186 Leben 1, 19, 24 – 27, 32, 36, 43 – 45, 51, 53, 90, 106, 108, 110, 113 – 117, 121, 124, 127, 139, 142 – 144, 150, 154, 161, 164, 168, 177, 182 f., 198 f. – Lebensbedingung 19, 74, 169 f., 173, 175, 183, 195, 200 Lehre, Lehrer 3, 8, 14, 26, 28, 30, 42, 75, 79 – 83, 85, 91 – 94, 116, 125 f., 185, 188, 198, 207, 210 Leib, Einverleibung 44, 51 f., 109 f., 115, 121, 124, 137, 141, 182 f., 189, 198, 203 Letzter Mensch 81, 87 – 89, 92 Liebe 45, 76, 82, 111, 127, 132, 153, 164, 176 Lüge, lügen 17, 45, 130– 132, 142 – 145, 167, 194 Macht, Machtordnung 4 f., 7, 9, 12, 14, 53, 60, 87 f., 90, 108 – 111, 114 – 121, 131, 133, 136, 149, 189, 198, 208 – Wille zur Macht 2, 8, 19, 74, 108 f., 115 f., 124, 126, 131, 150, 154 f., 163, 168, 190 Mehrheit 109, 160, 171, 179, 205 Metapher 17, 34, 68, 75, 86, 109, 135, 140 f., 143, 147, 186 Metaphysik 11, 16, 25 – 27, 32, 60, 71 f., 75, 85, 96, 98, 115 – 117, 156, 158, 162, 164 – 167, 171, 175, 186, 197 Mitleid 64, 90 f., 132, 162, 210 Moderne, modern 1, 4 f., 8, 10, 16 – 20, 22, 24, 31 f., 35 f., 58, 60, 66, 76, 84, 89, 98, 102,
Begriffs- und Sachregister
106, 108, 113, 117, 124, 134 f., 139, 143, 146 – 148, 157, 161, 171, 178 f., 184 f., 193, 196, 198, 207 – postmodern 15 f., 78, 197 Natur, natürlich 1 f., 13, 16 – 18, 20, 23, 31, 56, 60 f., 66, 72, 95, 97 – 117, 139, 144 – 146, 153 – 156, 177 f. – Naturgesetz 95, 98, 115 f., 146, 178, 180 – Naturalismus 18, 23, 105, 107, 116, 145 f., 172 – Naturzustand 153 – 156, 158 Neid 6, 19, 41 f., 90, 148 f., 155, 158 f., 162, 201, 204 Nihilismus 19, 24 – 28, 31 f., 43, 46, 49, 59, 98, 105, 146, 158, 188, 210 Not 27, 35 – 37, 43 – 46, 49 f., 52, 64, 76 f., 90 f., 102, 106 – 108, 130 f., 136, 147 f., 157, 159, 164 f., 168 – 170, 179 – 182, 189 – 191, 195, 200 f., 211 Objektivität, objektiv 6, 8, 17, 24, 31, 54, 56, 95, 97 f., 113, 174 – 176, 178 – 180, 182 – 184, 199 f., 204 Ohnmacht 51, 70, 90, 114, 131, 149, 151, 159 Ökonomie, ökonomisch 2, 57, 149, 152 – 154, 162 Organ, Organismus 20, 65, 73, 95, 103, 108 – 111, 113, 115 Persönliches, Persönlichkeit 5 f., 8 – 10, 20 f., 28 – 30, 32 f., 36 f., 42, 47, 50, 52, 54, 63, 65, 74, 93 – 97, 108, 121, 160, 168 f., 171, 174 – 184, 197 – 199, 202, 209 f. Perspektive, Perspektivismus 2 f., 5, 7 f., 15 – 17, 24, 26, 28, 34, 50 f., 53, 76 – 78, 92 f., 98, 105, 114, 140, 165, 173 f., 185 f., 190, 192, 197 – 201, 207 – 211 Physiologie 9 f., 73, 109 – 111, 142, 172, 188, 201, 203 Plausibilität 27, 30, 94, 106, 121, 183, 186 Pluralismus 2, 5, 15 f., 26, 48, 51, 59, 78, 97, 152, 170 – 174, 190, 193, 197, 200, 209 Politik 1, 9 f., 12, 15 – 20, 22 – 24, 31, 40, 60, 66 f., 74, 95, 102, 105, 109, 117, 134 f., 139 – 141, 143 – 146, 150 – 153, 163, 179, 193, 195 f. Priester 57, 69, 100, 121 f., 131, 134, 137 f., 142, 145 Problem, problematisch 1, 6 – 8, 22 f., 27 – 38, 41, 43, 47, 50 f., 59, 64, 67 – 69, 73 f., 78,
241
89, 95 – 97, 141, 145 f., 168 f., 172, 175 f., 179 – 181, 198, 208 – 211 Psychologie, psychologisch 74, 81, 99, 104, 123, 125, 128, 130, 136, 145, 156 – 160, 162, 164, 179, 181, 188, 192, 194 Rasse, Rassismus 2, 12, 75, 147 – 149, 155, 163, 172, 192 Religion 1, 11, 25 – 27, 31, 57 f., 65, 95, 97, 117 – 152, 180, 192, 204 f., 210 Renaissance 56, 107, 136 Reputation 21, 56, 176, 184 Ressentiment 16, 51 f., 74, 132, 134, 148, 158 – 160, 162, 210 Revolution 1, 9 f., 19, 40, 58, 65, 95, 106 f., 135 f., 178, 195 Romantik 20, 32, 42, 72, 107 f., 155 Routine 6, 25, 77, 128, 142, 183 Schönheit 40, 56, 121, 123 – 125, 133 f., 149, 155 Seele 20, 31, 34, 44, 51, 60, 73, 82, 98, 109, 118, 121, 124, 128 – 130, 134 f., 158, 165, 169 – 171, 178, 194, 203 f., 208 Situation, Situativität 3 – 6, 26, 31, 34, 52, 60, 82, 95 – 97, 114, 125, 156 – 159, 162, 168 f., 188 – 190, 192, 198, 208 Sklaverei 10, 70, 132 f., 141, 149, 155, 171, 176, 178, 193, 204 Sozialismus 9 f., 12 f., 24, 89, 107, 135, 151, 170, 178 Soziologie 3, 8, 15, 21, 58, 111, 113, 153, 206 Staat 12, 18, 59 f., 62, 67, 69 f., 88, 119 f., 135, 151, 153, 163, 178, 195 f. Stil 17, 19, 32, 38, 44, 50 f., 75 – 77, 81, 141, 144 f., 175, 190, 210 Süden 112, 123 System 8, 14, 20 f., 23, 28 f., 37, 42, 69, 75, 99 f., 103, 198 f. Typus, Typisierung 2, 16 f., 26, 65, 67, 81, 92, 107 f., 113, 123, 125 – 129, 136 f., 142, 166, 171, 176, 193, 196 Übermensch 8, 19, 22, 78, 81, 85, 89, 92, 121, 137, 163 Unterscheidung, unterscheiden 26, 35 f., 81 – 84, 95 f., 107 f., 114, 123, 129, 134, 140, 142, 153, 161, 164 – 167, 182, 195, 205 f., 208
242
Begriffs- und Sachregister
Urteilskraft, urteilen 2, 6, 62, 74, 107, 113, 120, 129, 158, 161, 165, 173, 187, 191, 200 – 202, 204 – 206, 208 Verantwortlichkeit 4, 27, 43, 46, 80, 102, 112, 132, 135, 142, 146, 159 f., 173, 183, 185, 191 f., 202, 210 f. Vornehmheit 35, 40, 74, 88, 105 f., 117, 120 – 124, 129, 149, 158 – 160, 162, 166, 171, 173 f., 185, 192, 194, 201 – 206
Wahrheit, Wahrhaftigkeit 2, 8, 15 – 17, 21, 25 – 28, 31, 45 f., 59, 78, 97 f., 105, 108, 124, 141, 170, 174 f., 179 f., 182 f., 187, 189 f., 200, 210 Wissenschaft 1, 8, 21, 27 – 29, 31, 80, 97 – 99, 113, 116 f., 140, 142, 152, 163, 171 f., 174 – 192, 208, 210 Zucht, Züchtung 208
12, 19, 87, 118, 125, 145, 177,