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German Pages [216] Year 2017
Stephanie Witt-Loers
Nie wieder wir Weiterleben von Frauen nach dem Tod ihres Partners
V
Ich möchte dieses Buch allen Frauen widmen, die um ihren Mann trauern. Zugleich soll es an die verstorbenen Männer erinnern, deren Frauen an diesem Buch mitgearbeitet haben, in der Hoffnung, dass es anderen trauernden Frauen von Nutzen sein kann. Insbesondere sei das Buch darum gewidmet: Stefan, Markus, Werner, Stefan, Holger, Jürgen und Peter sowie ihren Frauen und Kindern. Dein Name bleibt Mit dem Herzen schrieb ich in den Sand Dein Name bleibt Auch wenn die Winde Tausend Tänze tanzen Und wilder Wirbel zu zerstören droht Was in mir nicht zerstörbar ist Dein Name bleibt Auch wenn’s im Muschelgang des Herzens Flüsternd raunt »Warum?« Auch wenn das Silberrad des Lebens Wie unbefragt und selbstverständlich Weiterläuft – Roulette des Seins? Du lebst in meinen Träumen fort Ganz wie ein Blütenbaum Voll duftender Erinnerungen Denn Du warst gestern Du wirst morgen sein Dein Name bleibt Und in mir die Atemwunde Weil ich in mir Dich nicht vergessen kann. (Drutmar Cremer)
Stephanie Witt-Loers
Nie wieder wir Weiterleben von Frauen nach dem Tod ihres Partners
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit einer Abbildung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40278-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Anton Watman/Shutterstock.com Die Hinweise in diesem Buch sind von der Autorin und vom Verlag sorgfältig geprüft. Autorin und Verlag können jedoch keine Garantie übernehmen und schließen jede Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus. © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Nie wieder: Wir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Mitten im Leben – und dann kam der Tod . . . . . . . . . . . 1.2 Du fehlst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Keine gemeinsame Zukunft mehr, alles vorbei – Maria erzählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Mein halbes Leben mit dir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Gefühls- und Gedankenchaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Quälende und unbeantwortete Fragen . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Quälende Gedankenspiralen durchbrechen . . . . . . . . . . 1.8 Ängste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Allein sein, allein leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Zärtlichkeit und Sex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11 Urlaub und Ausgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 15
2 Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse . . . . . . . . . . . . 2.1 Leben ohne dich – Dominique erzählt . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wie war unsere Beziehung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Trauer verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Trauerreaktionen und Trauerthemen . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Todestage und andere besondere Tage . . . . . . . . . . . . . . 2.6 F ortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 49 52 55 63 73
3 Gesellschaft und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Familie und Freunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Gesellschaftliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Beruf in der Trauer: Ressource oder Belastung? . . . . . . 3.4 Nachlass, Ämter und Renten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Finanzielle Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 89 93 101 108 110
16 23 27 28 33 35 37 39 44
78
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4 Todesumstände und Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Plötzlich warst du tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Aus unserem Leben gerissen – Stefanie erzählt . . . . . . . 4.3 Schwer krank – bald bist du tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 U nser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Fremdgegangen und andere Geheimnisse . . . . . . . . . . . 4.6 Suizid – mein Mann hat sich das Leben genommen 4.7 W arum hast du uns das angetan? – Christina erzählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 118 120 122 130 133 137
5 Mein Leben weiterleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.1 Was hilft mir, weiterzuleben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.2 Welche Anker und Rettungsringe gibt es? . . . . . . . . . . . 143 6 Alleinerziehend und trauernd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Alleinstehend und alleinerziehend . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Blick auf die Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Wir sind noch immer eine Familie – Iris erzählt . . . . . .
165 165 173 183
7 Leben ohne dich und leben mit dir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Neuer Kontakt, aber wie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Neue Beziehungen – neuer Lebenspartner . . . . . . . . . . . 7.3 Augenblicklich war die Zukunft weg – Silke erzählt . . .
186 186 188 195
8 Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungsangebote . . . 200 9 Kurzgeschichte: Der ungebetene Gast . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10 Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . 205 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
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Inhalt
Vorwort
Liebe Leserinnen, Das Schlimmste, Unvorstellbare ist passiert. Ihr Mann ist tot. Er lebt nicht mehr. In meiner Praxis als Trauerbegleiterin begegnen mir immer wieder Frauen, die mit diesem schrecklichen Lebensschicksal konfrontiert sind. Frauen, die sich nicht vorstellen konnten, diesen grausamen Schmerz des Verlustes zu überleben. Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Erwartungen an das Leben mit dem Mann, den sie liebten. Was kann in einer solchen Lebenssituation eigentlich überhaupt helfen? Wie kann ich es schaffen, zu überleben? Wie kann ich mein Leben neu ausrichten? Diese und viele andere Fragen werden in den Begleitungen immer wieder gestellt. In diesem Buch möchte ich ihnen noch einmal nachgehen. Ich möchte Wege aufzeigen, Informationen geben, dazu anregen, eigene Bedürfnisse und Ressourcen aufzudecken, und betroffene Frauen von ihren Erlebnissen erzählen lassen. Zugleich fließen Erfahrungen ein, die ich in den Begleitungen meiner Klientinnen machen durfte (Namen und Einzelheiten wurden zum Schutz der Betroffenen verändert). Ich orientiere mich in meinen Ausführungen an Erkenntnissen verschiedener Trauerforscher, wie zum Beispiel William Worden, Dennis Klass, David Trickey, Hansjörg Znoj, Chris Paul, Margaret Stroebe und Henk Schut. Zur besseren Lesbarkeit habe ich, wenn es um Ihr Kind oder Ihre Kinder geht, den Plural gewählt, auch wenn für Sie nur eines davon infrage kommt. Vielleicht fragen Sie sich: Warum eigentlich ein Buch ausschließlich für Frauen, die ihren Mann verloren haben, und kein Buch für Männer und Frauen? Zum einen: In den Begleitungen trauernder Frauen und Männer habe ich geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit dem Verlust des Partners/der Partnerin wahrgenommen, die Aufmerksamkeit benötigen. Die Frauen in der Trauergruppe bestätigten diesen Eindruck. Sie wollten lieber unter sich 7
bleiben und keine trauernden Männer in der Gruppe aufnehmen, damit Frauenthemen genügend Raum und Schutz bekommen. Das Buch richtet den Hauptfokus auf jüngere Frauen, auf deren Sorgen, Bedürfnisse und Neuausrichtungen. Dennoch sind die wesentlichen Themen auch für die Trauerarbeit älterer Frauen relevant. Zum anderen: Das Spektrum der wesentlichen Fragen in diesem Zusammenhang ist umfangreich, daher konnte ich selbst in diesem Buch nicht alle Aspekte zum Thema ansprechen oder vertiefen. Die Wahrscheinlichkeit für Frauen, irgendwann ein Leben als »Witwe« zu führen, ist hoch, weil ihre Lebenserwartung höher ist als die der Männer. Hinzu kommt, dass Männer in der Beziehung häufig die Älteren sind. Welche gesellschaftliche Bezeichnung gibt es eigentlich für Frauen, die ihren Partner verloren haben? Wenn sie verheiratet waren: Witwe? Eher ein antiquiertes Wort, das sich für viele junge Frauen, deren Mann gestorben ist, nicht richtig anfühlt. Und was ist mit all den Frauen, die unverheiratet zusammengelebt haben oder gerade auf dem Weg in eine gemeinsame Wohnsituation waren, als all das plötzlich wegbrach? Hier spüre ich wieder einmal mehr, wie schwer es ist, angemessene Worte für junge, hinterbliebene Frauen zu finden. Mit diesem Buch möchte ich Sie gern ein Stück begleiten. Den Schmerz kann ich Ihnen nicht nehmen. Die hier im Buch zusammengetragenen Informationen, Erfahrungen und Sichtweisen können Sie jedoch dabei unterstützen, einen Umgang mit Ihrem persönlichen Schmerz zu finden. Sie können entlasten und dabei helfen, das eigene Leben neu zu ordnen und andere Lebensperspektiven für sich zu entwickeln. Ein Patentrezept, wie die Trauer und der Schmerz am besten überlebt und bearbeitet werden können, gibt es nicht. Es ist ein langer, sehr individueller Prozess, den jede für sich mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten und in ihrem ganz persönlichen Tempo durchmacht. Denn jede Frau, jede Lebenssituation und jede Beziehung zum verstorbenen Mann war und ist anders. Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie, wie das Foto auf dem Buchcover zeigt, mit dem Riss in Ihrem Herzen leben und – auf welchen Wegen auch immer – wieder zu einem erfüllten, glücklichen, anderen Leben finden können. Stephanie Witt-Loers 8
Vorwort
1 Nie wieder: Wir
1.1 Mitten im Leben – und dann kam der Tod Erste Reaktionen »Das ist nicht wahr, das kann nicht sein!« Vielleicht waren das auch Ihre Gedanken. Es kann nicht sein, dass er nicht zurückkommt, dass er tot ist. Das war alles nur ein böser Traum. Gleich erwache ich und es ist vorüber. Es kann, darf einfach nicht sein, dass das wahr ist, dass das passiert ist und dass dies mein Schicksal sein soll. Alles fühlt sich fremd an. Sie können es nicht fassen, nicht glauben. Derartige Gedanken tauchen nach dem Tod eines nahestehenden Menschen häufig auf – auch dann, wenn Sie um den bevorstehenden Tod wussten. Zudem kann es sein, dass Sie weinen, schreien, frieren, schwitzen oder das Gefühl haben, alles durch eine Glas glocke oder wie durch Watte zu erleben. Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass Sie gar keine Gefühle mehr haben und dass sich alles taub oder unwirklich anfühlt. Vielen Menschen fällt es anfangs sehr schwer, etwas zu essen, zu trinken oder zu schlafen. Manche Trauernde reagieren mit gereiztem Magen, müssen sich übergeben, haben Bauchkrämpfe oder Herzrasen. Dies sind normale erste Reaktionen auf den Tod eines nahestehenden Menschen und/oder auf die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung. Denn Trauerreaktionen entstehen nicht nur nach dem Tod eines Menschen, sondern immer dann, wenn wir etwas verlieren, was uns wichtig war und womit wir uns innerlich verbunden fühlen – also auch nach dem Verlust von Lebensträumen, Lebensperspektiven, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Lebensraum, unserer Arbeit oder anderen Veränderungen, die wir uns so nicht gewünscht haben. Wir kennen zudem viele weitere mögliche körperliche, seelische und Verhaltensreaktionen auf einen schweren Verlust. Diese möchte ich Ihnen im Kapitel 2 noch einmal genauer beschreiben. Erfahrungsgemäß entlastet es Betroffene, etwas über solche Reaktionen sowie über Trauer 9
prozesse zu wissen. Das hilft, sich selbst und das Geschehen besser einordnen zu können. Auch das Lebensumfeld sollte über mögliche Reaktionen und Trauerverläufe informiert sein, um Trauernde bestmöglich zu unterstützen. Nie wieder Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass es Ihnen niemals möglich sein wird, mit dem Verlust leben zu können. »Wie kann ich überhaupt weiterleben?«, »Warum sollte ich weiterleben?«, »Nie wieder werden wir …! Kann ich jemals wieder glücklich sein?« Bitte vertrauen Sie darauf, dass es möglich ist. Vielleicht können Sie es jetzt noch nicht glauben. Viele Male durfte ich erfahren, wie Menschen nach unglaublichen Schicksalsschlägen gelernt haben, mit dem Erlebten zu leben. Ich durfte an neuen Lebenswegen, neuem Lebensglück teilhaben. Dabei haben die Frauen ihre verstorbenen Männer nicht vergessen, und die Trauer ist auch nie ganz verschwunden, denn sie gehören ganz natürlich zum Leben wie so vieles andere auch. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Silke im Kapitel 7.3.
Hinweis: Wir fangen gleich hier mit den wesentlichen Voraussetzungen an, damit Sie den Tod Ihres Mannes »überleben«. Trauern kostet körperliche und seelische Kraft. Deshalb ist es wichtig, diese Kraftquellen immer wieder aufzufüllen. Dazu gehört auch zu essen, zu trinken und auszuruhen. Wenn Ihnen das Essen schwerfällt, versuchen Sie bitte wenigstens über den Tag verteilt gesunde Kleinigkeiten zu sich zu nehmen. Trinken Sie Fruchtsäfte, Tee, Mineralwasser. Ihr verstorbener Mann hätte sicher nicht gewollt, dass Sie nicht mehr für Ihr eigenes Überleben sorgen. Du fehlst unendlich! Das Bett neben mir bleibt leer, Deine Zahnbürste unangetastet, Ich höre Deinen Schlüssel nicht mehr in der Haustür, Jetzt tut es weh, dass die Zeitung immer ordentlich auf dem Tisch liegt, Oder Deine T-Shirts gefaltet im Schrank, statt daneben liegen. 10
Nie wieder: Wir
Wir wollten doch unser Leben teilen – Unsere Freuden, unsere Sorgen und die Banalitäten des Alltags! Noch lange wollten wir das! Und wir hatten noch so viel geplant! Nie wieder wir: Das kann und will ich nicht begreifen! Ich will unser altes Leben zurück! Möglicherweise beschäftigen Sie ähnliche Gedanken und Gefühle nach dem Tod Ihres Mannes. Ihr Mann ist gestorben. Er wird nie wiederkehren. Das ist Ihre persönliche, schmerzhafte Realität. Der Tod Ihres Partners beeinflusst und verändert nahezu Ihr gesamtes Leben. Viele Lebensbereiche sind betroffen und es wird Zeit, Geduld und Kraft brauchen, sich ein anderes Leben aufzubauen. Angesichts des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels in den letzten Jahrzehnten haben sich neben der klassischen Ehe als privilegierte und normierte Lebensweise viele andere Lebensformen entwickeln können. Menschen leben in anderen Lebenskontexten und mit anderen Weltanschauungen als früher. Dennoch hat sich die Anerkennung solcher Lebensformen in letzter Konsequenz gerade in Bezug auf den Tod eines Lebenspartners noch nicht der Bedeutung angepasst, die sie für Betroffene haben. Zudem sind Ansprüche auf Schutz und Gleichstellung in rechtlicher und finanzieller Hinsicht nicht möglich und bedeuten eindeutig eine Benachteiligung für junge Frauen, die ihren Partner durch den Tod verlieren. Wer ist eine Witwe? Ich möchte in diesem Buch bewusst auf die Nutzung des Begriffs »Witwe« verzichten. Laut Wikipedia und gesellschaftlich gesehen ist eine Witwe »eine überlebende Person, deren Ehepartner verstorben ist«. Frauen, die unverheiratet waren und deren Partner gestorben ist, haben es aus meiner Sicht häufig schwerer, in ihrer Trauer um ihren geliebten Mann anerkannt zu werden. Sätze wie »Ihr wart doch noch nicht mal verheiratet«, »Ihr habt gar nicht zusammengewohnt« oder »Gut, dass ihr noch keine Kinder hattet« schmälern die Bedeutung des Verlusts und lassen den Eindruck entstehen, dass Mitten im Leben – und dann kam der Tod
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diese Frauen nicht das Recht haben, intensiv um den verstorbenen Mann zu trauern. Tatsächlich haben Frauen es in einer solchen Situation nicht nur hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Anerkennung ihres Verlusts, sondern auch formalrechtlich schwer, wenn es um Erinnerungsgegenstände oder Vermächtnisse geht. Judith (33) wohnt mit ihrem Mann Daniele unverheiratet in dessen Elternhaus. Die Eltern sind beide verstorben. Als Daniele an einem Hirntumor erkrankt, begleitet und pflegt Judith ihn bis zu seinem Tod. Die Geschwister von Daniele erben das Elternhaus. Judith muss ausziehen. Sie verliert neben ihrem Mann auch ihr Zuhause. Bemerkungen von Judiths Mutter, wie »Wenn er dich wirklich geliebt hätte, hätte er dich auch geheiratet, dann wärst du jetzt versorgt«, verletzen und verunsichern Judith in ihrem tiefen Schmerz zusätzlich.
Bedeutet »nicht zusammengelebt« weniger Verlustschmerz? Frauen, die nicht mit dem verstorbenen Mann zusammengelebt haben, werden als Trauernde häufig nicht wahrgenommen und anerkannt. Sie werden in Abschiedsplanungen nicht einbezogen, als Trauernde nicht benannt, nicht bedacht oder ganz bewusst ausgeschlossen, wenn es um Vermächtnisse geht. Es wird vielfach unterstellt, dass der Verlust von diesen Frauen als weniger schmerzhaft empfunden wird als von Frauen, die mit ihrem Mann zusammengelebt haben oder verheiratet waren.
Hinweis: Wenn Sie sich selbst in so einer Situation befinden, nehmen Sie bitte keine Bewertungen von außen an. Sie haben den wichtigsten Menschen an Ihrer Seite verloren – einen Menschen, mit dem Sie zwar nicht den Haushalt oder formale Papiere geteilt haben, aber jemanden, der Ihnen am nächsten stand, mit dem Sie Freuden und Sorgen geteilt, für den Sie Verantwortung übernommen haben und mit dem Sie Zukunftspläne hatten. Marita (49) trauert um ihren Mann Andy. Beide hatten Trennungen von anderen Partnern hinter sich. Sie waren seit acht Jahren ein Paar, hatten aber beschlossen, nicht zu heiraten und in den eigenen Wohnungen wohnen zu bleiben. Eigentlich hatten sie vor, ein Testament zu machen, 12
Nie wieder: Wir
um dem Überlebenden den Anspruch auf ein Erbe zu ermöglichen. Der Tod kam jedoch schneller als erwartet. Nach Andys Unfalltod erben seine Kinder den gesamten Nachlass und sind nicht bereit, Marita auch nur einen Erinnerungsgegenstand zu überlassen. Antje und Ingo (beide 32) waren seit einem halben Jahr ein Paar. Sie kannten sich zwar schon länger, hatten aber die Liebe zueinander erst später entwickelt. Sie hatten große Pläne miteinander, wollten heiraten, Kinder bekommen und zusammen alt werden. Bei einem Betriebsunfall kam Ingo zu Tode. Auf der Todesanzeige steht Antjes Name jedoch nicht. Sie gehört noch nicht »richtig« zur Familie und zudem sind sechs Monate ja noch keine lange Zeit der Beziehung, argumentiert Ingos Familie. Bei der Trauerfeier kondolieren die Trauergäste der Familie. Antje steht am Rand und wird kaum beachtet. Zwar bekommt sie einige Erinnerungsgegenstände an Ingo, wird aber an der Gestaltung von Ingos Grab nicht beteiligt.
Zerbrochene Lebensplanungen Susanne (31) hat vor vier Monaten ihren Mann Jörg (34) durch einen plötzlichen Arbeitsunfall verloren. Gerade hatten sie es sich in ihrem Reihenhaus mit einem kleinen Garten gemütlich eingerichtet. Sie hatten noch viele gemeinsame Pläne, wollten noch eine weite Reise machen, Kinder bekommen, zusammen alt werden und und und. Jetzt steht Susanne in der Küche vor dem Foto ihres Mannes und weint wie so häufig. Essen kann sie kaum etwas. Sie zwingt sich jedoch täglich dazu, weil sie weiß, dass Jörg nicht gewollt hätte, dass sie auch zu Grunde geht. Eigentlich wäre es aber genau das, was Susanne sich wünscht. Zu Jörg, wie auch immer. Sie möchte das eigene Leid beenden können, es beenden dürfen. Angela (28) ist vor sechs Monaten wegen Lars (36) von Stuttgart nach Köln gezogen. Die beiden hatten zuvor ein Jahr lang eine Wochenendbeziehung geführt und sich dann entschlossen, ihr Leben auch im Alltag zu teilen. Für beide ging ein großer Wunsch in Erfüllung, auch wenn Angela dafür in Stuttgart ihre Wohnung aufgegeben, ihr gewohntes Umfeld verlassen und ihr dort wichtige, enge Beziehungen ein Stück weit aufgeben musste. Lars stirbt nach sechs Monaten eines glückliMitten im Leben – und dann kam der Tod
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chen Zusammenlebens nach einer kurzen schweren Krankheit. Angela findet sich allein wieder in einer noch fremden Stadt, in der sie kaum Menschen kennt. Norbert (43) stirbt nach kurzer Krankheit. Marlene (43) bleibt mit den gemeinsamen Kindern Marcel (4) und Lisa (8), um die sie sich hauptsächlich gekümmert hat, zurück. Neben dem Schmerz um ihren Mann hat sie große finanzielle Sorgen, weil die Familie gerade ein Haus gekauft hatte. Sie muss das Haus verkaufen, mit den Kindern umziehen und sich eine Arbeit suchen.
Möglicherweise haben auch Sie Lebensräume und Beziehungen aufgegeben, sind umgezogen, um mit Ihrem Mann zu leben, haben Ihren Freundeskreis, Ihren Lebensrahmen und/oder sogar Ihren Beruf aufgegeben. Nun stehen auch Sie in einer anderen Stadt, kennen kaum Menschen, die Freunde Ihres Mannes sind Ihnen noch fremd und Sie fühlen sich allein. Wie auch immer: Er ist tot! Vielleicht haben Sie zusammen gewohnt oder hatten vor, zusammenzuziehen, planten eine Familie, eine gemeinsame berufliche Zukunft, hatten konkrete Vorstellungen zu Ihrer gemeinsamen Lebensgestaltung oder waren bereits verheiratet, hatten gemeinsame Kinder. Vielleicht haben Sie schon Ihr halbes Leben miteinander geteilt, hatten Pläne für den absehbaren Ruhestand – egal, in welcher der beschriebenen Wohn- und Lebenssituation Sie sich befunden haben. Sie wurden gegen Ihren Willen verlassen und müssen sich nun neu ausrichten und andere Lebensperspektiven entwickeln. Ich wünsche Ihnen deshalb, dass Sie in diesem Buch Hinweise darauf finden, die Ihnen dabei helfen, herauszufinden, was Sie jetzt brauchen und wie Sie die schwere Lebenssituation überstehen können.
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Nie wieder: Wir
1.2 Du fehlst »Der Tod hat mir das Herz zerrissen. Ich dachte, ich würde auch sterben. Aber das hätte Dario nicht gewollt. Mein Leben ist weitergegangen und ich empfinde es heute wieder als ein kostbares Geschenk.« Claudia (35)
Unsere Geschwister und Eltern haben wir uns nicht aussuchen können. Für unseren Partner konnten wir uns freiwillig entscheiden. Mit dem Tod des Partners sind die Freude der gemeinsamen Lebensplanung und die Hoffnung, viele Zukunftswünsche erfüllen zu können, nichtig geworden. Stirbt der Lebenspartner, verändert sich das Leben radikal. Alles, was bisher sicher erschien, ist durch den Tod fragwürdig oder beängstigend geworden. Ihr Leben ist unsicher und Sie wissen nicht, wie es weitergeht, wohin Ihr Weg Sie führen oder ob es überhaupt noch einen Weg geben wird. Vielleicht haben Sie den Eindruck, nicht normal zu sein, verrückt zu werden oder es zu sein. Sie kennen sich selbst nicht mehr. Das macht Angst. Deshalb möchte ich Sie beruhigen. All dies sind normale Reaktionen auf einen schweren Verlust. Nicht Sie sind unnormal, sondern die Situation. Sie befinden sich in einer ausgesprochenen Ausnahmesituation. Darauf reagieren Sie in einer Ihnen wahrscheinlich bisher unbekannten Form. Tiefe Lebenseinschnitte und gravierende Veränderungen zwingen betroffene Frauen nach dem Tod ihres Mannes dazu, das eigene Leben ganz neu zu gestalten. Meist ist es ein ganzes Bündel an gewaltigen Aufgaben, die für ein Überleben ohne den Partner erforderlich sind und neben dem unglaublichen Schmerz um den geliebten Menschen enorme Kraft kosten. Überleben nach dem Tod des Mannes ist schwer, sowohl für junge als auch für ältere Frauen. Die jüngeren waren mitten in der Lebensplanung und im Leben und lebten mit der Aussicht auf eine weitere gemeinsame Zukunft. Gerade das macht es schwer, mit dem Verlust zurechtzukommen, denn viele Lebensziele und zuweilen auch der Lebenssinn sind mit dem Tod ihres Mannes verloren gegangen. Auch für ältere Frauen kann es schwierig sein, neue Perspektiven zu entwickeln und nicht nur auf den eigenen Tod zu warten. Immer wieder berichten betroffene Frauen, dass ein Leben ohne den geliebten Menschen für sie unvorstellbar und Du fehlst
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unmöglich zu bewerkstelligen sei. Vielleicht empfinden Sie es zurzeit auch so. Möglicherweise ist es daher schon sehr viel, dass Sie sich überhaupt mit diesem Buch befassen. Möglicherweise haben Sie schon daran gedacht, dass Sie selbst nicht mehr leben möchten, weil alles zu schmerzhaft, zu anstrengend und aussichtslos erscheint. Dies sind erst einmal normale Gedanken und Empfindungen. Hinweis: Sollten Sie ganz konkret planen, sich das Leben zu nehmen, suchen Sie sich bitte sofort professionelle Hilfe. Psychologische Betreuung ist hilfreich und hat nichts mit Schwäche oder Versagen zu tun. Es gibt Wege und Möglichkeiten, die Sie jetzt aus Ihrer Perspektive heraus nur nicht wahrnehmen können. Wenden Sie sich deshalb unbedingt an Psychologen, an Kliniken in Ihrer Nähe oder an die Telefonseelsorge.
1.3 Keine gemeinsame Zukunft mehr, alles vorbei – Maria erzählt Maria (heute 38) verlor ihren Partner Stefan vor vier Jahren durch einen Unfall beim Bau an dem Haus, in dem sie gemeinsam leben wollten. Nach sechs Tagen auf der Intensivstation starb er mit 34 Jahren. »Endlich war ich mit dem Mann zusammen, in den ich schon Jahre verliebt war. Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein, und war extrem glücklich mit Stefan. Es lief alles leicht und es war klar, in welche Richtung der Weg für uns ging. Wir wollten zusammenziehen und bauten mit Hilfe unserer Freunde Stefans Haus um. Dass wir Kinder haben wollten, stand fest, und einen Namen für einen Jungen hatten wir uns auch schon überlegt. Alles schien so perfekt bis zu dem Unfalltag, der mein ganzes Leben abrupt veränderte. Aufgrund eines Besuchs meiner erkrankten Tante in Griechenland befand ich mich mit meiner Mutter am Unfalltag nicht in Deutschland. Einer von Stefans besten Freunden rief mich an und teilte mir mit, dass Stefan einen Unfall hatte. Ich ging in den ersten Sekunden davon aus, dass er sich vielleicht ein Bein gebrochen hätte, doch im Laufe des Gespräches wurde klar, dass die Verletzungen weitaus schlimmer waren. Ich war entsetzt und als Stefans Freund mir sagte, dass man nicht wisse, ob Stefan es überleben würde, war ich völlig schockiert. 16
Nie wieder: Wir
Unvorstellbar war für mich das, was ich da hörte. Meine Schwester buchte meiner Mutter und mir einen Rückflug nach Frankfurt. Innerhalb von zwei Stunden verließen wir Griechenland. Ich war unglaublich froh, dass uns mein bester Freund am Flughafen abholte und mich auf direktem Weg nach Köln ins Krankenhaus brachte. Dort traf ich auf Stefans Familie und viele von seinen Freunden. Als ich dann an Stefans Bett trat, fühlte sich alles so unwirklich an. Vor fünf Tagen hatte er mich doch noch zum Flughafen gebracht. Am Morgen des Unfalltages hatten wir telefoniert, viel gelacht und uns auf den Einzug in das Haus gefreut. Nun lag er im künstlichen Koma vor mir. Das kam mir alles unecht vor. Eine knappe Woche war ich mit Stefans Familie und meiner Mutter täglich im Krankenhaus. Es gab uns Kraft, dass auch Stefans Freunde sich mit Besuchen abwechselten, obwohl sie nicht zu ihm ins Zimmer konnten. Wir waren eine große Gemeinschaft, die bis zum Schluss die Hoffnung hatte, dass er wieder aufwachen würde. Leider war das Schädelhirntrauma so verheerend, dass man uns nach fünf Tagen das erste Mal mitteilte, dass keine Hirnaktivität mehr vorhanden sei. Dieser Moment zog mir den Boden unter den Füßen weg. Wir mussten noch einen weiteren Tag bis zur endgültigen Diagnose warten, da die Untersuchungen zur Sicherheit nochmals wiederholt werden sollten. Und obwohl mir hätte klar sein sollen, dass man uns am nächsten Tag keine besseren Nachrichten überbringen würde, hatte ich noch weiter ein kleines Stück Hoffnung. Leider wurde mir diese am nächsten Tag genommen, als man uns mitteilte, dass er tot sei. Die Gefühle in dem Moment sind kaum zu beschreiben. Es war eine Mischung von tiefer Traurigkeit, Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit. Es kam mir so vor, als würde alles wie in einem Film an mir vorbeiziehen. Die erste Woche habe ich mich gefühlt, als ob ich in einer Blase eingeschlossen gewesen wäre. Nichts drang wirklich zu mir durch. Weder von außen noch von innen. Ich habe in Berichten (zu anderen Themen) schon mal gehört, dass Menschen sich selber nicht mehr spüren können, womit ich bis zu Stefans Tod nichts anfangen konnte. Ich saß auf meinem Sofa vorm Fernseher und nahm weder wahr, was dort lief, noch nahm ich mich selbst wahr. Ich spürte tatsächlich nichts. Obwohl die Gedanken kreisten und ich auch immer wieder vor lauter Verzweiflung weinen musste, spürte ich überhaupt nichts. Keine gemeinsame Zukunft mehr, alles vorbei – Maria erzählt
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Mich beschäftigten Gedanken wie: Wie soll es ohne Stefan weitergehen? Ein Leben ohne Stefan kann einfach nicht möglich sein! Welchen Sinn hat mein Leben ohne Stefan? Fragen, auf die ich nur diese Antworten hatte: Ohne Stefan kann es für mich nicht weitergehen! Ein Leben ohne ihn ist nicht möglich für mich! Mein Leben hat ohne Stefan keinen Sinn! Am besten wäre es, wenn meins jetzt auch einfach vorbei wäre. Suizidgedanken hatte ich keine, aber ich wäre einfach auch gern gestorben. Mein großes Glück in dieser Situation war der Beginn mit den Sitzungen bei der Trauerbegleitung. Es tat gut, über die Trauer, die Ängste und Sorgen zu reden, die in den Anfängen ununterbrochen präsent waren. Als ob es nicht schwierig genug gewesen wäre, mit mir selbst und der schrecklichen Situation klarzukommen, machte es mir mein Umfeld teilweise auch nicht leicht. Für Außenstehende ist der Umgang mit einem trauernden Menschen sicher schwierig und man weiß auch selber, wie schwer es ist, die richtigen Sätze zum Thema Tod zu finden. Jedoch musste ich mir mehrmals verletzende Sätze anhören, wie ›Du bist doch noch jung, du findest einen neuen netten Mann‹. Mir ist bewusst, dass dies sicher nur tröstlich gemeint gewesen ist, aber wenn ich so einen Satz hörte, zog sich innerlich alles zusammen und es war, als ob mich ein Speer mitten ins Herz träfe. Zum Glück wurde ich im Rahmen der Trauerbegleitung auf viele solcher möglichen Sätze vorbereitet, sodass ich, als sie dann ausgesprochen wurden, besser mit ihnen umgehen konnte. Sie taten zwar auch weh, aber ich verstand, warum mein Gegenüber diesen Satz sagte. Auch Sätze, wie ›Jetzt weine doch nicht schon wieder‹ oder ›Oh nein, ich wollte dich jetzt nicht zum Weinen bringen‹, vermittelten mir oft, dass es falsch war, dass ich plötzlich in Tränen ausbrach. Meine Trauerbegleiterin sagte einmal den treffenden Satz: ›Jede Träne, die Sie vergießen, ist kostbar, denn Sie haben etwas sehr Kostbares verloren.‹ Das gab mir dann wieder das Gefühl, dass ich nichts Falsches tue. Die Tränen zurückzuhalten war meistens auch nicht möglich. Die Trauer brach einfach aus mir raus. Ein bestimmtes Wort, ein Lied oder ein Gedanke ließen die Tränen kullern. Da spielte es keine Rolle, ob ich in der Straßenbahn, beim Friseur, beim Zahnarzt, im Büro oder sonst wo war. In den Anfängen war mir dies immer sehr unangenehm, doch irgendwann war es mir gleich. Ich konnte die Tränen 18
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nicht zurückhalten und Grund genug zum Weinen hatte ich ja wohl. Allerdings kam ich nach circa einem Jahr an den Punkt, wo mich mein ständiges Weinen selbst störte. Es war nicht mehr so häufig wie am Anfang, oft weinte ich nur noch für mich allein. Dennoch nervte es mich. An dem Punkt wurde ich ungeduldig und wollte, dass einfach wieder alles normal sei und ich mich nicht mehr mit dem Thema auseinandersetzen müsste. Bedrückend für mich war auch, dass sich die Welt einfach weiterdrehte, obwohl sie für mich selber stehengeblieben war. Stefans Unfall war am 17.04.2013 und sein Todestag am 23.04.2013. Ich hatte das Gefühl, dass jeder Sonnenstrahl, jede sprießende Blume und die zwitschernden Vögel mich verhöhnen. Am liebsten hätte ich alle Blumen rausgerissen und alle Vögel vom Baum geschossen. An grauen, regnerischen Tagen habe ich mich meist etwas wohler gefühlt, wahrscheinlich weil sie besser zu meiner Stimmung passten. Ich verspürte immer eine Erleichterung, wenn der Himmel grau war. Nach einiger Zeit, ich kann gar nicht mehr genau sagen wann (vielleicht circa drei Monate später), kamen tatsächlich auch mal Tage, die sich entspannter anfühlten. Es gab plötzlich Tage, an denen ich nicht den ganzen Tag nur an Stefans Unfall dachte oder daran, wie es weitergehen sollte. Diese Tage waren auch nicht so tränenreich wie die anderen. Es gab sogar auch wieder Momente, die ich genießen konnte. Es war zum Beispiel plötzlich schön, mit einer Freundin einen gemütlichen Abend zu Hause zu verbringen. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen. Wenn ich jetzt auf die Fragen schaue, die ich mir direkt nach Stefans Tod gestellt habe – Wie soll es ohne Stefan weitergehen? –, dann würde ich sie aus heutiger Sicht so beantworten: Es geht anders weiter. Es war viel Arbeit und wird auch noch ein Stück Arbeit sein, ohne Stefan auszukommen. Meinen Alltag habe ich inzwischen im Griff. Meinen Beruf kann ich ohne große Schwierigkeiten ausüben. Ich kann mich auf nette Treffen mit Freunden, schöne Urlaube und so weiter einlassen, sie genießen und mich auch drüber freuen. Ein Leben ohne Stefan kann nicht möglich sein! – Das Leben geht tatsächlich ohne ihn weiter. In der ersten Zeit war es sehr schwer, aber nach viel Arbeit an mir und viel Auseinandersetzung mit dem Erlebten klappt es heute doch erstaunlich gut. Natürlich habe ich auch immer Keine gemeinsame Zukunft mehr, alles vorbei – Maria erzählt
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wieder Rückschläge. Oft fühlt es sich an, als ob sich doch nichts verbessert hätte, aber wenn ich wieder durch das Tief durch bin, dann sehe ich die Fortschritte, die ich bereits gemacht habe. Am liebsten hätte ich ihn natürlich zurück, dennoch kann ich mich heute wieder an meinem Leben erfreuen. Welchen Sinn hat ein Leben ohne Stefan? Nicht mehr denselben. Aber es hat einen anderen Sinn bekommen. Mir sind nach Stefans Tod Menschen begegnet, die unglaublich wertvoll für mich sind. In Stefans Familie bin ich integriert und ich habe das Gefühl, zu 100 Prozent dazuzugehören. Neben all den neuen wertvollen Menschen sind da auch noch die eigene Familie und die Freunde, die auch vor Stefans Tod da waren. All diese Menschen geben mir einen Sinn für mein Leben. Zudem habe ich meine Sicht auf viele Dinge geändert. Über einiges rege ich mich einfach nicht mehr auf, weil es mir unwichtig erscheint. Meine Freunde würden an dieser Stelle wahrscheinlich schmunzeln, da ich mich mittlerweile doch auch wieder über Unwichtiges aufrege. Im Großen und Ganzen würde ich behaupten, dass ich ein ganzes Stück ruhiger geworden bin und manches einfach mit einem Achselzucken abhake. Es ist schön, den Sonnenschein wieder genießen zu können. Ich freue mich sogar wieder über blühende Blumen und Vogelgezwitscher. Was mich besonders freut, ist, mich auch weiter für andere freuen zu können. Ich hatte Angst, ungerecht zu werden und mich über das Glück anderer nicht freuen zu können. Sicherlich gibt es mal ein freundliches Neidischsein, jedoch ist es nie mit Missgunst verbunden. In den zwei Jahren gab es Freundinnen, die Kinder bekommen oder geheiratet haben. Das waren dann die Momente, in denen ich dachte: ›Mensch, wie gern hätte ich das auch mit Stefan.‹ Trotzdem überwog letztendlich doch die Freude für meine Freundinnen und das macht mich sehr froh. Was meine Stimmung noch heute negativ beeinflusst, sind die grauen, regnerischen Tage. Sie machen mir das Leben oft schwer. Mein bester Freund sagte mir, dass er morgens, wenn er aus dem Fenster schaut, schon weiß, wie es mir an dem Tag geht und in welcher Stimmung er mich auf der Arbeit antreffen wird. Er hat Recht. Mir geht es eher an grauen Tagen schlecht, wobei die heutigen Tiefs nicht mehr so dramatisch sind wie vor einem Jahr. Sie werden nicht mehr von Panik und Verzweiflung begleitet. Sie sind vielmehr ein Gemisch aus 20
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Trauer und Sehnsucht, das besser auszuhalten ist als die Furcht und Verzweiflung von vor einem Jahr. Es gibt auch weiterhin noch Wochenenden, an denen ich niemanden sehen möchte. Ich bin dann lieber allein, weil meine Stimmung schlecht ist. Es ist ein großer Fortschritt, diese Momente ohne Hilfe aushalten zu können und sogar meist nicht mal Hilfe haben zu wollen. Über die schlechten Tage rede ich nicht mehr so gern. Auf die eine oder andere Person gehe ich schon noch zu, aber auch dies ist seltener geworden. Ich erzähle lieber schöne Stefan-Geschichten, die mich zum Schmunzeln bringen. Tatsächlich ist vieles wieder gut geworden, allerdings nicht in dem Sinne von ›gut‹, wie ich das Wort vor Stefans Tod benutzt habe. Ich habe lange gesagt, dass es nicht mehr gut werden kann, sondern dass es anders wird. Genauso ist es gekommen. In meinem Leben hat sich vieles verändert. Unter den neuen Lebensumständen, dem schweren Verlust und der Sehnsucht, die mich immer wieder packt, ist mein Leben dennoch auf eine andere Art und Weise gut geworden. Es ist einfach eine andere Art von gut. Nichtsdestotrotz hätte ich natürlich sehr gern Stefan wieder an meiner Seite! Ich weiß im selben Augenblick, dass es ohne ihn gehen muss. Ohne ihn auszukommen und wieder Spaß am Leben zu haben, habe ich gelernt. Was mir unter anderem sehr dabei geholfen hat, ist das Gefühl, von Stefans Familie aufgenommen worden zu sein. Seine Familie gibt mir Kraft und Halt. Für mich ist es ein schönes Gefühl, zu ihnen zu gehören. So bleibt ein Stück von ihm, durch seine Familie, bei mir erhalten. Wir verstehen uns alle sehr gut und ich habe das Gefühl, ein vollwertiges Familienmitglied zu sein. Die Begegnung mit einer anderen trauernden Frau, die ebenfalls ihren Partner verloren hat, hat mich sehr weitergebracht. Daraus hat sich eine sehr tiefe Freundschaft entwickelt, die mir viel Kraft, Verständnis und Freude bringt. Wir verstehen die Sätze der anderen ohne große Erklärungen. Das macht das Reden sehr viel leichter. Mit dieser neuen Freundin habe ich mir 2014 den langersehnten Traum erfüllt, die Westküste der USA zu bereisen. Diese Erlebnisse bereichern mein Leben und es war toll, diese genießen zu können. Für diese Begegnungen bin ich besonders dankbar! Alle meine tollen Freunde, ob alt oder neu, und meine Familie, ob alt oder neu, haben mir durch die schwere Zeit geholfen und sind auch heute noch Keine gemeinsame Zukunft mehr, alles vorbei – Maria erzählt
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für mich da. Ich bin froh, dass wir nun auch wieder schöne Dinge teilen können und nicht mehr nur der Schmerz des Verlustes im Vordergrund steht. An Stefan denke ich jeden Tag! Meistens erfasst mich eine Leichtigkeit, wenn ich an sein Lächeln denke und an unsere Liebe zueinander. Da wird mir ganz warm ums Herz, weil ich meinem Seelenverwandten begegnet bin. So zaubert Stefan mir auch heute noch ein Lächeln ins Gesicht. Generell denke ich kaum noch an den Unfall oder die Krankenhauszeit. Es geht mittlerweile eher um gemeinsam erlebte Momente und Geschichten, die ich mir mit Freunden und Familie über ihn erzähle. Wie schon erwähnt gibt es weiterhin Tage, an denen ich an Stefan denke und traurig werde. Manchmal habe ich die traurige Stimmung unter Kontrolle und kann mich meinem Alltag stellen, manchmal schaffe ich das nicht, könnte den ganzen Tag nur weinen und würde am liebsten nur unter meiner Bettdecke liegen bleiben. Dann ist die Sehnsucht nach Stefan wieder so groß und die Erkenntnis, dass wir nie mehr zusammen lachen und reden werden, ist einfach nur schrecklich. Was mich erst seit Stefans Tod begleitet, sind extreme Verlustängste. Ich habe eigene Todesangst und Sorge, noch andere Menschen zu verlieren. Sobald ein Anruf zu einer ungewöhnlich Zeit kommt oder eine Stimme am Telefon anders klingt als sonst, denke ich direkt, dass was Schlimmes passiert ist. Bei einem Kribbeln im Zeh befürchte ich, dass es eine Thrombose ist. Bei plötzlichen Stichen im Kopf habe ich Angst, einen Schlaganfall zu erleiden. Diese Gedanken zeigen mir, dass noch nicht alles bearbeitet ist und dass ich noch ein großes Stück Arbeit vor mir habe. So gemischt es auch immer wieder sein mag, ist mir bewusst, dass ich große Schritte nach vorne gemacht habe und die Abstände zu den extrem traurigen Momenten immer größer werden. Ich mache weiter wie bisher und die Zeit wird sicher noch einiges verbessern. Stefan wird für immer einen kostbaren Platz in meinem Herzen haben. Für die gemeinsame und kostbare Zeit mit Stefan bin ich unendlich dankbar!«
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1.4 Mein halbes Leben mit dir Es ist keine Seltenheit mehr, dass Paare schon 25 Jahre oder noch viel länger zusammen gelebt haben, bevor der Partner stirbt. Allein die in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegene Lebenserwartung ermöglicht diese Entwicklung, trotz der zugleich gestiegenen Scheidungsraten. Stirbt der Partner nach einer solch langen gemeinsamen Lebenszeit, stellt sich für hinterbliebene ältere Frauen die Frage, wie es weitergehen soll, anders als für jüngere Frauen, deren Partner gestorben ist. Lebensplanungen, wie eine Familie zu gründen, sind verwirklicht oder bereits verworfen und zukünftig aufgrund des Alters auch ausgeschlossen. Berufliche Einstiege oder eine Umorientierung sind ab 50 zudem deutlich schwieriger als in jüngeren Jahren. Zwar stellt sich die finanzielle Situation meist nicht so drastisch dar wie häufig bei jungen Frauen, weil Eigentum bereits erworben wurde und berufliche Entwicklungen weitgehend abgeschlossen sind, dennoch verringert dies nicht den Schmerz um den verstorbenen Mann. Es sind andere Aspekte, die den Trauerprozess in vielfacher Weise bestimmen. Eine Trauernde sein dürfen für kurze Zeit Stirbt Ihr Partner und Sie haben bereits eine längere Beziehung geführt und sind selbst nicht mehr ganz jung, dann hat das meist zur Folge, dass Ihre tiefe Trauer zumindest eine Zeit lang rein gesellschaftlich gesehen akzeptiert wird. Der »echte Witwenstatus« ist eher anerkannt als bei Paaren, die keine zeitlich lange Beziehung geführt haben, was sich auch in der Höhe der Witwenrente niederschlägt. Und dann fünftes Rad am Wagen Schwierig für Sie können Freundschaften zu anderen Paaren sein, mit denen Sie früher gemeinsam mit Ihrem Mann Dinge unternommen haben. Es kann sein, dass Sie sich in solchen Beziehungen besonders unwohl fühlen und das Gefühl haben, nicht wirklich willkommen zu sein als »Hälfte« und/oder in Ihrer neuen Rolle nicht sensibel wahrgenommen zu werden.
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Hinweis: Es können scheinbare Kleinigkeiten (z. B. nicht wie versprochen anrufen) oder größere Enttäuschungen sein, die solche Freundschaften für Sie jetzt auf einen neuen Prüfstand bringen. Bitte erlauben Sie sich, Freundschaften zu hinterfragen. Sind es tatsächlich Freundschaften? Was hat uns bisher miteinander verbunden? Wie wichtig sind mir die Menschen? Wie viel Verletzung aus derartigen Beziehungen kann ich ertragen? Kann ich meine Enttäuschung zum Ausdruck bringen und werde ich verstanden? Möchte ich die Beziehung erhalten? Neuausrichtung wie weit? Nicht immer haben Frauen nach dem Tod ihres Mannes ein Interesse daran, ihr Leben in einer umfassenden Art neu auszurichten. Manche richten sich bewusst auf ein Leben allein ein und möchten an ihrer Wohnsituation und an möglichst wenigen Gewohnheiten etwas verändern. Häufig ist das auch nicht notwendig. Jüngere Frauen sind aus finanziellen Gründen eher dazu gezwungen, den Wohnort zu wechseln. Es kann eine Ressource sein, die Wohnsituation und damit wichtige soziale Kontakte zu erhalten. Manche Frauen leben »noch einmal auf«, weil sie sich unerfüllte Träume und Wünsche erfüllen (z. B. eine neue Frisur, ein neuer Kleidungsstil, Renovierung des Hauses, neue Möbel, ehrenamtliche Tätigkeit, ein neuer Partner). Vielleicht war auch bei Ihnen, wie oftmals in langjährigen Beziehungen, die Aufgabenverteilung relativ klar definiert. Dann müssen Sie sich jetzt möglicherweise sehr mühsam in die Arbeitsfelder Ihres Partners einarbeiten, die existenziell weiter erhalten bleiben müssen. Über Jahrzehnte gewachsen Wenn Beziehungen schon sehr lange bestehen, haben sich Paare häufig aufeinander eingespielt. »Unarten« und positive Charaktereigenschaften sind bekannt – man kennt sich recht gut und weiß, womit man zu rechnen hat. Es gibt (möglicherweise hart erarbeitete, aber inzwischen bewährte) Übereinkünfte, nach welchen Regeln die Beziehung so funktioniert, dass beide miteinander leben können. Vielleicht vermissen Sie gerade diese gewohnte Art des Umgangs, dieses über Jahrzehnte gewachsene Sichkennen mit allen Kleinigkei24
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ten und die gemeinsam erlebte Vergangenheit mit all ihren Lebensfacetten, die sie so eng verbunden hat. Wer sorgt sich jetzt um mich? Wer versorgt mich? Wer kennt Sie so gut wie Ihr Mann? Niemand? Deshalb nimmt auch niemand Sie so sensibel wahr wie Ihr Mann. Es fällt niemandem so genau auf, wie Sie sich heute fühlen oder was Sie brauchen, und niemand fragt danach. Klientinnen mit langjährigen Beziehungen berichten davon, dass es unendlich schmerzt, dass diese tiefe Vertrautheit verloren gegangen ist. Vielleicht sind Ihre Gedanken nach dem Tod Ihres Partners auch stärker auf die eigene Endlichkeit ausgerichtet, weil die persönliche zu erwartende Lebenszeit schon begrenzter ist. Klientinnen berichten, wie schwer Entscheidungen fallen, nach dem Tod des Partners für die eigene Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Wer kommt überhaupt infrage? Wem vertraue ich mich an? Das war bisher doch mein Mann! Selbst wenn Kinder da sind, die theoretisch dafür sorgen könnten, erlebe ich immer wieder Frauen, die auf keinen Fall jemandem zur Last fallen wollten, schon gar nicht den Kindern, die ihr eigenes Leben leben sollen. Viele trauernde Frauen sind sehr einsam und wissen oft nicht, mit wem sie diese Fragen besprechen sollen. Kinder und Enkelkinder Vielleicht haben Sie Kinder, die schön älter sind. Möglicherweise sind sie am Ende ihrer Ausbildungszeit oder haben vielleicht schon eigene Familien. Vielleicht haben Sie Enkel, die Ihnen und Ihrem Mann viel bedeutet haben – eine neue Beziehungsebene Ihrer Familie, die Sie gemeinsam entdeckten und Sie auf neue Art sehr miteinander verbunden und erfüllt hat. Jetzt müssen Sie Ihren Enkeln vielleicht gegenübertreten und ihnen erklären, dass der Opa nie wiederkommen wird. Wenn Sie unsicher sind im Umgang mit Kindern, können Sie in Kapitel 6.2 einige Hinweise zur Orientierung nachlesen. Vielleicht fühlen Sie sich jetzt sehr allein mit der Verantwortung für die erweiterte Familie und Ihr Mann fehlt Ihnen sehr an Ihrer Seite.
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Alte Wunden reißen wieder auf – Trauern um mehrere Verluste Nicht immer sind aus den langen Beziehungen Kinder hervorgegangen. Vielleicht haben Sie auch keine Kinder. Möglicherweise paart sich jetzt die Trauer um Ihren Mann mit einem unerfüllten Kinderwunsch. Vielleicht flammen innerlich alte Konflikte und Verletzungen wieder auf, weil Ihr Mann keine Kinder wollte, Sie jetzt allein dastehen und auch keine Kinder mehr bekommen können. Vielleicht tut es Ihnen leid, dass Sie keine Kinder wollten, oder Sie trauern parallel um ganz andere verpasste Chancen, die nicht mehr nachzuholen sind (z. B. um berufliche Pläne, die Sie für Ihren Mann oder Ihre Familie hintangestellt haben). Dann kann es möglich sein, dass Sie irritiert sind, weil Sie gar nicht wahrnehmen, dass Sie um verschiedene Verluste gleichzeitig intensiv trauern. Vielleicht trauern Sie auch um Reisen oder Auslandsaufenthalte, die Sie als jüngere Frau nie gemacht haben, weil Ihr Mann lieber zu Hause war. Vielleicht tut es Ihnen leid, dass Ihre berufliche Karriere immer Priorität hatte und Sie die gemeinsame Lebenszeit mit Ihrem Mann auf das Rentenalter geschoben haben, das es nun nicht mehr geben wird. Oder Gedanken darum beschäftigen Sie, dass Sie sich viel zu intensiv um die Pflege Ihrer oder seiner Eltern gekümmert und nicht bemerkt haben, dass die eigene Lebenszeit verrinnt. Wie dem aus sei: Vielleicht können Sie die verpassten Lebensträume nicht nachholen. So schwierig das neue Leben sein mag: Es birgt auch neue, andere Chancen – egal, wie alt Sie sind! Sie können sich noch einmal neu orientieren, alte Interessen und Wünsche aufleben lassen oder neue entdecken. Ergänzend möchte ich festhalten, dass es, obwohl es sicherlich Unterschiede in der Art der Sorgen sowie der Möglichkeiten einer Neuausrichtung bei jüngeren und älteren Frauen nach dem Tod des Partners gibt, sich die Themen der Trauer und die Orientierungshilfen im Umgang mit ihr, die wir im Folgenden anschauen werden, nicht wesentlich unterscheiden.
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1.5 Gefühls- und Gedankenchaos Viele Frauen, die ich nach dem Tod des Partners begleiten durfte, waren wütend und verzweifelt und wollten unter allen Umständen die Trauer und den Schmerz ganz schnell loswerden oder ihnen erst gar keinen Raum geben. Ich kann das gut verstehen. Immer wieder zu weinen und sich unendlich elend, wund und hilflos zu fühlen ist anstrengend, das möchte niemand gern. Keiner kann Ihnen den Schmerz abnehmen. Es gibt kein Mittel, um die Trauer schnell zu beenden, wenn Sie sich mit Ihrem Partner eng verbunden gefühlt haben. Die Trauer muss durchlebt werden. Das bedeutet nicht, dass ein zeitweiliges Verdrängen nicht durchaus wichtig und hilfreich ist, um neue Kraft zum Trauern zu sammeln. Es ist sogar wichtig, sich Zeiten und Räume zu schaffen, in denen die Trauer nicht bestimmend ist. Zudem sind Sie der Trauer nicht ohnmächtig ausgeliefert, auch wenn es Ihnen zunächst so scheinen mag. Was Sie selbst tun können und wie Sie selbstbestimmt Ihren Trauerprozess gestalten können, darauf möchte ich später genauer mit Ihnen schauen. Einen wesentlichen Hinweis möchte ich Ihnen aber jetzt schon geben: Seien Sie geduldig mit sich selbst, gehen Sie behutsam mit sich um und versuchen Sie nicht, gegen sich und Ihre Gefühle zu arbeiten. Das ist am Ende anstrengender, als sich der Trauer zu stellen. Durch Ihre »Trauerarbeit« können Sie einen Umgang mit dem Verlust finden und lernen, Ihre Gefühle zu kontrollieren und neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie andere betroffene Frauen auch, wie lange Sie sich denn mit dieser unsäglich anstrengenden und schmerzhaften Trauer befassen müssen. Auch hier möchte ich den Vorschlag machen, mit sich Geduld zu haben. Trauerprozesse brauchen länger, als man früher angenommen hat. Lassen Sie sich auch später nicht von Forderungen aus Ihrem Lebensumfeld verunsichern, wenn Sie Kommentare hören wie »Jetzt musst du nach vorn schauen, du hast lange genug getrauert«, »Langsam könntest du aber mal aufhören zu trauern, es ist doch schon genug Zeit vergangen« oder »Du bist noch jung, du musst jetzt mal endlich wieder einen neuen Mann kennenlernen«. Solche meist gutgemeinten Ratschläge, die Sie als Betroffene vielleicht als verletzend empfinden, entstehen häufig aus Gefühls- und Gedankenchaos
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Sorge oder Unsicherheit heraus. Sie sollten diese jedoch nicht als Maßstab nehmen, in welcher Art und über welchen Zeitraum Sie trauern dürfen. Freunde und Verwandte möchten meist gern helfen und etwas tun, damit es Ihnen besser geht. Sie sind häufig selbst überfordert und haben keine eigenen Erfahrungen und wenig Informationen darüber, was es bedeutet, wenn Menschen einen schweren Verlust betrauern. Niemand kann sagen, wie lange und intensiv Sie Ihren Verlust betrauern müssen. Sie werden es mit Zeit und Geduld selbst herausfinden. Wahrscheinlich erleben Sie gerade eine Trauer, die Sie so von früheren Verlusten noch nicht kannten. Deshalb kennen Sie sich selbst nicht mehr. Sie müssen nach und nach erspüren und ausprobieren, was Sie brauchen, was Ihnen guttut und was nicht. Dabei werden sich Ihre Bedürfnisse immer wieder verändern. Hinweis: Wenn Sie es schaffen, kann es für Ihre Verwandten, Freunde oder Arbeitskollegen hilfreich sein, von Ihnen zu hören, dass Sie im Augenblick selbst noch nicht so genau wissen, was Sie brauchen, und dass sie Geduld mit Ihnen haben mögen. Geben Sie ruhig die Rückmeldung, dass Sie die Fürsorge aus Ihrem Umfeld wahrnehmen und dass Sie sich darüber freuen (nur, wenn Sie es auch so empfinden).
1.6 Quälende und unbeantwortete Fragen In den Begleitungen trauernder Frauen habe ich immer wieder die weiter unten aufgeführten Fragen gehört, die quälend eine Antwort suchten. Vielleicht beschäftigen auch Sie sich mit ähnlichen Fragestellungen und hängen in Grübelschleifen fest, aus denen Sie nicht herausfinden. Solche Fragen können zur Verzweiflung bringen. Ich möchte Ihnen dazu das Bild des Puzzles anbieten. Manche Stellen auf dem Lebenspuzzle Ihres Mannes sind bereits gefüllt, diese Teile kennen Sie, andere werden leer bleiben, wieder andere können auch im Nachhinein noch gefüllt werden. Es kann beruhigend sein, noch Antworten, wenn auch nicht immer schöne, auf offene Fragen zu finden. Mögliche andere Antworten und Bilder können dann ausgeschlossen werden. Es ist weniger anstrengend 28
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und kräftezehrend, sich mit einer Antwort auseinandersetzen zu müssen und damit leben zu lernen als mit einer Vielzahl von möglichen Antworten. »Habe ich für meinen Mann alles getan, was möglich war?« »Habe ich zu wenig Zeit mit ihm verbracht?« »Warum habe ich Pläne auf die Zukunft verschoben, anstatt sie mit ihm zu verwirklichen?« »Warum waren mir andere Sachen wichtiger als er?« »Was hätte ich noch für ihn tun können?« »Hätte ich das Unglück noch verhindern können?« …
Es kann als tröstend empfunden werden, noch einmal zu schauen, was Sie doch alles für Ihren Mann getan haben. Vielleicht möchten Sie das sogar aufschreiben. Zudem kann es helfen, sich klar zu machen, dass die Beantwortung solcher Fragen immer aus heutiger Sicht mit aktuellen Kenntnissen erfolgt. Das bedeutet, dass Sie in Ihre Antworten Wissen einbeziehen, welches Sie damals gar nicht hatten, nicht haben konnten. Hätten Sie gewusst, dass Ihr Mann sterben würde, dann hätten Sie ganz bestimmt manches anders gemacht. Und: In den wenigsten Fällen hätte der Tod sich verhindern lassen. »Warum gerade er?« »Warum jetzt?« »Welchen Sinn hat das Ganze?« »Warum werde ich so gestraft?« »Was habe ich getan?« …
Auf solche und ähnliche Sinnfragen »Warum er, warum jetzt, warum überhaupt?« kann es nur individuelle Antworten geben. Vielleicht müssen am Ende solche Fragen auch offen bleiben. Dann kann die Aufgabe im Trauerprozess sein, zu lernen, mit offenen Fragen zu leben. Dies ist ein Lernprozess, der Zeit braucht. Gestehen Sie sich diese Zeit zu und seien Sie geduldig mit sich selbst. Quälende und unbeantwortete Fragen
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»Was hat er vor seinem Tod gemacht?« »Wer war bei ihm? Hat er noch etwas gesagt?« »Hat er noch gelitten, hatte er Schmerzen?« »War er bei Bewusstsein?« »Was war die Todesursache?« »Wie hat er ausgesehen?« …
Fragen, die um das Geschehen vor dem Tod und/oder um das Befinden des Sterbenden oder die Todesursache kreisen, lassen sich manchmal noch beantworten. In einigen Fällen lassen sich die Antworten leicht im Gespräch mit Menschen finden, die bei dem Verstorbenen waren. In anderen Fällen braucht es Mut, Zeit, Unterstützung und Recherche, um Antworten zu finden. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es häufig hilfreich ist, neben eventuellen Freunden und Arbeitskollegen auch Pflegepersonal, Notärzte oder Menschen zu befragen, die in unmittelbarer Nähe waren, als Ihr Mann starb, oder die Auskunft darüber geben können, was er vor seinem Tod gemacht, wie er sich möglicherweise gefühlt und ob er Schmerzen gehabt hat. Trauen Sie sich ruhig zu fragen und diese Menschen anzusprechen. Bei Unfällen, Suizid oder Verbrechen kann durch einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft noch einmal Einsicht in die polizeilichen Akten genommen werden. Hier können Sie wichtige Hinweise auf Ihre Fragen bekommen. Meine Erfahrung in diesem Zusammenhang ist, dass es entlastend und kraftsparend sein kann, eine Antwort oder ein Bild zu haben, anstatt sich mit vielen möglichen Antworten und Bildern auseinandersetzen zu müssen. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen, die in das Geschehen involviert waren, ob privat oder beruflich, sehr verständnisvoll und hilfsbereit waren (lesen Sie auch Kapitel 4). Hinweis: Gerade bei einem gewaltsamen Tod (Unfall, Suizid, Verbrechen) oder wenn der Verstorbene in einer entstellten Situation von Ihnen gefunden wurde, kann es entlastend sein, den Ort noch einmal zu besuchen, ihm die Gewalt zu nehmen und ihn friedlich zu gestalten. Sie können zum Beispiel eine Kerze, Blumen oder ein Foto des Verstorbenen aufstellen. 30
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Oder es sind Fragen, die die finanzielle Situation betreffen: »Warum hat er mir so ein Chaos hinterlassen?« »Warum hat er nicht für uns vorgesorgt im Fall, dass ihm etwas passiert?« »Warum hat er Vereinbarungen nicht eingehalten?« »Warum hat er ohne mein Wissen Schulden gemacht?«
Diese Fragen zur finanziellen Situation sind häufig mit viel Scham besetzt. Wenn die finanzielle Lage schief hängt, wissen Frauen häufig nicht, mit wem sie darüber sprechen können. Sie möchten einerseits den verstorbenen Mann nicht in schlechtem Licht erscheinen lassen, andererseits erleben sie durch die finanzielle Situation häufig ganz existenzielle Sorgen. Hinzu kann die Enttäuschung über den Partner kommen, der nicht, wie vielleicht erwartet, für eine solche Krise vorgesorgt hat. Immer wieder erlebe ich Klientinnen, die hin- und hergerissen sind in ihrem Schmerz um den verstorbenen Mann und zugleich eine unendliche Wut auf ihn haben, weil er sie so »fahrlässig« in dieses Fiasko manövriert hat. Hinweise: Sie dürfen wütend auf Ihren Mann sein. Schimpfen Sie ruhig mit ihm. Das schmälert nicht die Liebe, die Sie zugleich für ihn empfinden. Es kann entlastend sein, der Wut und Enttäuschung Ausdruck zu geben. Zusätzlich kann es helfen, Menschen, denen Sie vertrauen, zu erzählen, in welcher Situation Sie sich finanziell befinden. Die Erfahrung ist, dass sich durch solche Gespräche häufig neue Perspektiven und Möglichkeiten der Unterstützung zeigen können. Bitte suchen Sie sich zudem fachliche Hilfe auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. Bank, Verbraucherberatungsstelle, Caritas, Knappschaft, Steuerberater), um die Situation bestmöglich zu lösen. Hier kommt von mir noch eine »liebevolle, kritische Frage« an Sie: Haben Sie denn daran gedacht, Ihren Mann auf anderen Ebenen, die für ihn wichtig gewesen wären, im Fall Ihres Todes abzusichern? Vielleicht ist in Ihrem Fall auch eine Sichtweise möglich, die eigene Anteile in die aktuelle Lage einbezieht und zu einer versöhnlichen Haltung führen kann.
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Liebte er mich wirklich? »Hat er mich wirklich geliebt?« »War er ehrlich zu mir?« »Warum ist er bei mir geblieben?« »Hatte er ein Verhältnis mit einer anderen Frau, mit einem Mann …?«
In den Gesprächen mit Klientinnen, die ihren Mann verloren haben, machen sich immer wieder Unsicherheiten breit. Es tauchen Fragen auf, die der Verstorbene nicht mehr beantworten kann. Die Gefühle der trauernden Frauen schwanken zwischen tiefer Liebe zum Verstorbenen und Unsicherheit, ob diese Liebe tatsächlich so umfassend und ehrlich erwidert wurde. Hintergrund solcher Gedanken können Erlebnisse in der Vergangenheit mit dem Partner sein, die Anlass für solche Gedankenspiralen geben, und/oder eigene Unsicherheit und mangelndes Selbstwertgefühl. Der Verlust von Selbstvertrauen kann ohnehin eine normale Reaktion auf den Verlust sein. Das bedeutet, dass Sie versuchen sollten, Ihr Selbstvertrauen wenn immer möglich zu stärken. Hinweise dazu finden Sie im Kapitel 5. Hinweis: Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Selbstwert über längere Zeit sehr gering ist, Sie sich nichts mehr zutrauen und nicht glauben, dass Sie die Anforderungen, die das Leben an Sie stellt, schaffen können oder Sie sich sogar selbst entwerten, sollten Sie, um ein neues Selbstbewusstsein aufzubauen, professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen. Auch solche Fragen können quälende Gedankenspiralen auslösen: »Habe ich ihm wirklich genug gezeigt, wie wichtig er mir war?« »Habe ich genügend Zeit mit ihm verbracht?« »Hat er gewusst, wie sehr ich ihn geliebt habe?« »Warum erkenne ich erst jetzt, wie sehr ich ihn geliebt habe?«
Hinweis: Trauer ist meist komplexer, als wir glauben. Sie trauern nach dem Tod Ihres Mannes wahrscheinlich nicht nur um 32
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ihn als Menschen, sondern auch um verlorene Lebensperspektiven und um nicht gelebtes, verpasstes Leben mit Ihrem Mann. Insgesamt kann dadurch unermesslicher Schmerz ausgelöst werden, der Zeit, Raum und Ausdruck benötigt.
1.7 Quälende Gedankenspiralen durchbrechen Die nie endenden Schleifen können quälend und kräfteraubend sein. Welche Möglichkeiten gibt es, sie zu durchbrechen? Aus der Psychotherapie kennen wir verschiedene Methoden, die hilfreich sein können, die Ihnen jedoch vielleicht zunächst etwas merkwürdig oder banal erscheinen mögen. Imaginationen, innere Fantasiebilder oder Traumreisen können helfen, schwere Zeiten im Leben zu überstehen. Viele Opfer der NS-Zeit konnten nur so den Horror überleben. Zudem kennen wir Imaginationen, die zur Entspannung und Erholung beitragen (z. B. Autogenes Training, Qigong). Quälende Gedankenspiralen lösen Angst und Spannung aus, ebenso wie negative Bilder und Erinnerungen. Positive Bilder hingegen haben eine aufbauende Wirkung auf unsere Psyche und unser Gehirn (z. B. die Erinnerung an einen schönen Urlaub mit Ihrem geliebten Mann, ein besonders schönes Ereignis oder Fest mit Ihrem Mann oder ganz andere schöne Vorstellungen …). Neurobiologen konnten inzwischen die Wirksamkeit solcher Übungen auf das Gehirn bzw. Neuronenverbände nachweisen. Ich möchte Ihnen vorschlagen, die Übungen auszuprobieren und nicht sofort aufzugeben, wenn es beim ersten Mal nicht funktioniert. Hilfreich kann es sein, mit einer CD von Luise Reddemann zu arbeiten. Medientipps: Kast, V. (2012). Imagination – Zugänge zu inneren Ressourcen finden. Ostfildern: Patmos. | Reddemann, L. (2003). Imagination als heilsame Kraft. Hör-CD mit Übungen zur Aktivierung von Selbstheilungskräften. Audio-CD – Audiobook. Stuttgart: Klett-Cotta. | Reddemann, L. (2011). Der Weg entsteht unter deinen Füßen. Achtsamkeit und Mitgefühl in Übergängen und Lebenskrisen. Freiburg: Kreuz.
Quälende Gedankenspiralen durchbrechen
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Imaginationsübung: Stellen Sie sich vor, Sie würden die quälenden Gedanken in einen Tresor sperren. Wie könnte Ihr Tresor aussehen? Bestimmen Sie seine Größe, stellen Sie sich den Ort vor, wo er steht/liegt/vergraben ist …, in einem sicheren Raum, tief unter der Erde, weit weg auf dem Mond, einer einsamen Insel. Aus welchem Material besteht der Tresor? Wie ist er verschlossen? Haben Sie einen Schlüssel, einen Zahlencode, ein Schloss oder alles? Immer, wenn quälende Gedanken kommen, gehen Sie zum Tresor, öffnen ihn, legen die quälenden Gedanken hinein und verschließen den Tresor ganz sicher. Stellen Sie sich das Geschehen bildlich deutlich vor: den Hin- und Rückweg, die einzelnen Handlungen: Tresortür öffnen, Hineinlegen der Gedanken (Wie sehen sie aus? Wie fühlen sie sich an? Wie groß sind sie? …). Haben Sie das Gefühl, die Gedankenspiralen kommen immer wieder heraus? Möglicherweise ist der Tresor zu klein oder er muss besser abgesichert werden. Versuchen Sie, Probleme mit dem Verbleib der Gedankenspiralen auf der bildlichen Ebene zu lösen. Imaginieren Sie sich passende Lösungen, um die Gedankenspiralen sicher zu verschließen. Sie können darüber bestimmen, wann Sie sie annehmen möchten und wann nicht. Sie können auch ein Erinnerungsobjekt (z. B. einen alten Schlüssel, einen kleinen Stein oder eine Karte, die Sie immer bei sich tragen) zur Hilfe nehmen. Wenn quälende Gedanken kommen, können Sie diesen Gegenstand in die Hand nehmen wie eine Art Stoppsignal und mit Hilfe der Imagination dafür sorgen, dass die Grübelschleifen unterbrochen werden. Weitere Möglichkeiten, um die quälenden Gedanken zu unterbrechen, kann eine körperliche Beschäftigung (z. B. Gartenarbeit, Laufen, Skaten, Fahrrad fahren, Wandern, Schwimmen, Tanzen, Reiten, Volleyball, Aerobic, Walken, Krafttraining, Boxen) oder das Lösen von Kreuzworträtseln, Sudoku, Kakuro oder anderen Zahlenrätseln sein. Sie können es zudem mit Hirn-Flick-Flack (z. B. von 0 bis 100 zählen, dabei 3 und dann 5 überspringen) versuchen oder indem Sie Assoziationsketten bilden, ein Puzzle machen, singen oder etwas auswendig lernen.
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1.8 Ängste Angst vor neuem Verlust Sie haben eine einschneidende Lebenserfahrung gemacht. Sie mussten erleben, dass ein nahestehender Mensch plötzlich oder absehbar durch eine Krankheit zu früh sterben musste. Diese Erfahrung hat Ihnen Ihr Grundvertrauen in die Welt (»es wird schon gutgehen, mein Leben und das meiner Lieben ist sicher«) genommen. Wenn Ihnen das Schlimmste, was Sie denken können, zustoßen konnte, ist es möglich, dass noch ein so großes Unglück passiert und Sie es nicht verhindern können. Vielleicht hilft es Ihnen ein Stück, zu wissen, dass diese Reaktion auf den Verlust erst einmal normal ist und dass Sie nach und nach wieder Sicherheit empfinden werden. Bedürfnis nach Sicherheit Hinter Ihrer Angst steckt ein Bedürfnis nach Sicherheit. Sorgen Sie deshalb für Sicherheiten, die Ihnen helfen, den Alltag möglichst angstfrei zu überstehen. Erklären Sie anderen Menschen Ihr gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit. Dann werden andere auch eher bereit sein, auf eine Bitte einzugehen, anstatt genervt zu reagieren (z. B. eine kurze Nachricht schreiben, dass sie gut angekommen sind, oder Bescheid geben, wenn sie sich verspäten). Andere Reaktionen, die ebenfalls aus dem Bedürfnis nach Sicherheit entstehen, können zum Beispiel darin bestehen, dass Sie nachts Licht in einem Raum oder den Fernseher anlassen. Sorgen Sie sich dann nicht, diese Reaktionen werden sich wieder verändern. Im Augenblick ist es einfach nur wichtig, dass Sie da, wo Sie für Sicherheiten sorgen können, diese auch schaffen.
Hinweis: Um die Unsicherheit zu überwinden, kann es helfen, eine Imagination eines sicheren Ortes zu üben. Hinweise dazu und den Buchtipp der Autorin Luise Reddemann dazu haben wir in Kapitel 1.7 kennengelernt. Imaginationsübung: Durch den erlebten Verlust kann es sein, dass Sie sich und Ihre Umwelt als unmittelbar durch den Tod bedroht empfinden. Die Imagination kann dabei unterstützen, neue Erfahrungen von Sicherheit und Geborgenheit zu erleben. Stellen Ängste
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Sie sich dazu einen Ort vor, an dem Sie sich absolut geschützt und geborgen fühlen. Malen Sie sich diesen Ort (z. B. Insel, Haus, Zimmer, Boot, anderer Planet, eine Märchenwelt) in allen Facetten genau aus. Richten Sie es sich dort so ein, dass Sie sich sicher und wohlfühlen und es sich stimmig für Sie anfühlt. Welche Schutzgrenzen brauchen Sie? Wie gelangen Sie dort hin? Gibt es Bewacher? Hinweis: Manchmal hilft es auch, einen Gegenstand bei sich zu tragen, der Sicherheit gibt. Das kann ein Erinnerungsgegenstand Ihres Mannes sein oder ein kleiner Stein, den Sie, wenn Sie mögen, selbst gestalten können, zum Beispiel mit dem Wort »Mut« oder einem Symbol, welches Ihnen passend erscheint. Nutzen Sie dazu Eddingstifte oder Acrylfarbe. Angst vor dem eigenen Tod Die Angst, selbst sterben zu müssen, ist mit der Erfahrung des Todes Ihres Mannes greifbar geworden. Vielleicht war Ihr Mann der erste Mensch aus Ihrem nahen Umfeld, den Sie verloren haben. Die eigene Endlichkeit und die der noch lebenden Menschen, die Ihnen wichtig sind, werden durch den Tod im direkten Umfeld bewusster und können beängstigen. Radikal leben Vielfach werden persönliche Wertesysteme noch einmal infrage gestellt und drücken sich in Fragen aus wie »Was ist eigentlich wichtig in meinem Leben?«, »Wer ist mir wichtig?«, »Welchen Sinn soll mein Leben haben?« oder »Was möchte ich aus meinem Leben machen?«. Der Verlust verändert häufig die Sicht auf das eigene Leben und auf Lebensvorstellungen. So seltsam es klingen mag: Viele Menschen leben nach dem Verlust eines nahen Menschen intensiver, bewusster und auch ein Stück radikaler. Radikaler in dem Sinne, dass sie ihre wertvolle Lebenszeit nicht mehr mit Dingen und Menschen verschwenden möchten, die zu oberflächlich erscheinen oder den persönlichen Werten völlig entgegenstehen.
Hinweis: Vielleicht machen Ihnen körperliche oder seelische Symptome jetzt schneller Angst als zuvor. Auch hier benöti36
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gen Sie Sicherheit. Es spricht nichts dagegen, einmal mehr zum Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen. So bekommen Sie eine fachliche Rückmeldung zu Ihrer gesundheitlichen Verfassung. Zudem kann der Arzt schauen, ob Ihr Körper oder Ihre Seele Unterstützung brauchen. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass es vielen anderen Trauernden auch so geht. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass Sie deshalb hypochondrisch seien.
1.9 Allein sein, allein leben Eine große Herausforderung, die der Tod Ihres Mannes mit sich bringt, ist, jetzt ohne ihn leben zu lernen und viele Dinge allein tun zu müssen. Aus meiner Erfahrung mit meinen Klientinnen kann ich sagen, dass sich Frauen mit oder ohne Kinder nicht unbedingt darin unterscheiden, schlimme Gefühle der Einsamkeit und das schmerzhafte Alleinsein zu spüren. Möglicherweise hindert die Existenz der Kinder daran, sich selbst zu vernachlässigen oder den eigenen Lebenswillen ganz zu verlieren. Frauen mit Kindern sind eher in unterschiedlichen sozialen Netzen durch Kindergarten, Schule oder Hobbys der Kinder eingebunden und können leichter neue soziale Kontakte knüpfen. Andererseits ist es für sie häufig schwierig, ihrer Trauer Raum und Ausdruck zu verleihen oder neue geschlechtliche Beziehungen aufbauen, weil kaum freie Zeit zur Verfügung steht. Fakt bleibt, dass es unglaublich schwer ist, nach dem Tod des Lebenspartners das Leben mit seinen täglichen Anforderungen allein zu bestehen. Für viele Frauen ist es zunächst undenkbar, den Alltag allein zu bewältigen, am Abend allein zu Hause zu sein und so manches Wochenende allein (mit und ohne Kinder) zu verbringen. Es bedeutet, mühsam zu lernen, das Leben wieder allein zu gestalten. Es fühlt sich ver-kehrt an, Dinge allein zu tun, die Sie zuvor gern mit Ihrem Mann unternommen haben (z. B. spazieren gehen, fernsehen, essen). Das erste Mal Zudem ist es äußerst anstrengend, immer wieder »das erste Mal, seit mein Mann gestorben ist« zu erleben und zu durchleben (z. B. das erste Frühstück, das erste Einkaufen, der erste Friseurbesuch, das Allein sein, allein leben
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erste Mal auf dem Friedhof, die erste Autofahrt zu Freunden, zu denen Sie früher immer zusammen gefahren sind, das erste Mal im Kino, Freunde treffen). Bereiten Sie sich, wenn möglich, innerlich auf diese »Erste-Mal-Situationen« vor, und überfordern Sie sich nicht. Es kostet Kraft und ist meist mit viel Schmerz verbunden, solche Situationen zu durchleben, weil durch sie deutlich wird, dass das Leben ohne Ihren Mann einfach weitergeht. Keine Rückmeldung, keine liebevolle kritische Stimme Das Leben ohne Ihren Mann kann auch deshalb so schwer sein, weil er vielleicht derjenige war, der die kleinen Dinge in Ihrem Alltagsleben wahrgenommen hat und Sie dafür gelobt hat (z. B. für die Weihnachtsdekoration, das neue Kleid, das leckere Essen, den Erfolg im Beruf). Der Sie liebevoll umsorgt hat, wenn Sie krank waren, und der sich gefreut hat, dass Sie wieder gesund waren. Der Mensch, dem Sie Ihr Leid und Ihre Sorgen klagen konnten und der Sie tröstend in den Arm genommen hat, Ihnen in schweren Entscheidungen zur Seite stand und auch der kritische liebevolle Ratgeber war. All das und noch viel mehr fehlt Ihnen jetzt. Gehen Sie gerade darum mit Ihrem Mann in Zwiesprache. Sie können, ähnlich wie bei den zuvor kennengelernten Imaginationen, positive Gefühle anregen und Antworten auf Ihre Fragen finden, weil Sie die Perspektive Ihres Mannes einnehmen (mehr dazu in Kapitel 2.6). Rückkehr ins Elternhaus Ich habe mehrfach erlebt, dass Klientinnen nach dem Tod ihres Mannes wieder zu ihren Eltern gezogen sind. Manchmal nur für die erste Zeit, um mit der neuen Situation zurechtzukommen, versorgt zu sein und in den Nächten nicht allein sein zu müssen. Andere Frauen sind für einen längeren Zeitraum zu ihren Eltern zurückgegangen oder in deren Nähe gezogen. Die eigenen Eltern oder ein Elternteil können gerade dann eine wichtige Unterstützung sein, wenn Frauen mit kleinen Kindern nach dem Tod ihres Partners zurückbleiben. Die neue Lebenssituation, das Sorgen für die Kinder und die finanzielle Existenz beanspruchen maximale Kraft und sind für viele Frauen häufig allein sehr schwer zu bewältigen. Auf Bezugspersonen zurückgreifen zu können, die im Alltag Aufgaben übernehmen können (z. B. Kin38
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der zum Kindergarten, zur Schule oder zum Hobby zu bringen oder sie abzuholen, die Hausaufgaben nachzusehen, etwas einzukaufen oder zu kochen) und die zugleich vertraut sind, kann eine lebenswichtige Hilfe für die zurückgebliebene Familie sein. Eine pauschale Antwort, ob die Entscheidung, zurück zu den eigenen Eltern zu ziehen, richtig oder falsch ist, gibt es natürlich nicht. Ob ein solches neues Zusammenleben gelingt und von allen Beteiligten als positiv empfunden wird, hängt von den individuellen Lebensbedingen, den Beziehungen und deren Gestaltung ab. Hinweise: Wesentlich scheint mir, wenn es zu einem solchen neuen Zusammenleben kommt, darauf zu achten, dass die Beteiligten nicht in alte Rollen verfallen, sprich in frühere ElternKind-Rollen. Selbstbestimmung und die Akzeptanz unterschiedlicher Bedürfnisse und Lebensvorstellungen sollten von beiden Seiten auf Augenhöhe möglich sein. Sicherlich wird es für Eltern schwer und quälend sein, ihr zurückgekehrtes »Kind« leiden zu sehen. Für Eltern/Elternteile kann es eine große Herausforderung sein, den Schmerz der Tochter auszuhalten. Vorsicht ist geboten vor gutgemeinten Verhaltensweisen, die aus der Verzweiflung der Eltern entstehen können, etwa dem »trauernden Kind«, der betroffenen trauernden Tochter alles abnehmen zu wollen, um zu trösten und zu entlasten. Es wird notwendig sein, eine Balance im Zusammenleben mit der trauernden Tochter und möglicherweise auch mit den Enkeln zu entwickeln, die Fürsorge, Freiräume zu trauern und die Einforderung von Eigenverantwortung der »trauernden Tochter« sowie die Selbstfürsorge der Eltern/Großeltern einschließt. Hilfreich in solchen Situationen kann eine systemische Trauerbegleitung für die Hauptbetroffenen (Frau und Kinder) sowie für die Eltern/Großeltern sein.
1.10 Zärtlichkeit und Sex Das Thema »Zärtlichkeit und Sex« wird von meinen Klientinnen in den Begleitungen häufig angesprochen. Für viele trauernde Frauen gibt es kaum Möglichkeiten, dazu Fragen zu stellen oder sich mit jemandem auszutauschen. Zärtlichkeit und Sex
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Nie wieder Sexualität Sexualität war ein Aspekt der Beziehung zu Ihrem Mann. Deshalb befassen Sie sich unweigerlich auch mit dem, was Sie in der Beziehung verloren oder vermisst haben und wie Sie Ihr Frausein in Zukunft gestalten möchten. Einige Frauen berichten, dass sie sich für Zärtlichkeit und Sex nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr interessieren, manchmal auch nach Jahren nicht. Das Thema scheint mit dem Tod des Partners abgeschlossen. Manche Frauen sind deshalb beunruhigt. Durch den Tod des Partners können eng mit ihm verknüpfte, sexuelle Bedürfnisse aufhören, weil es unvorstellbar ist, diese intime Nähe mit jemand anderem zu teilen. Vielleicht ist das Gefühl, höchst mögliche Erfüllung mit dem verstorbenen Partner erfahren zu haben, auch im Nachhinein so befriedigend, dass kein Verlangen nach neuer Körperlichkeit entsteht. Zudem können Imaginationen des erlebten Liebeslebens mit Ihrem Mann ausreichend und der Grund dafür sein, dass Sie keine Sehnsucht nach gelebter Sexualität mit einem anderen Menschen empfinden. Ich glaube, dass es viele gute Gründe gibt, warum Sexualität Sie erst einmal nicht mehr berührt. Machen Sie sich keine zu großen Sorgen, denn solange Sie nicht leiden, weil Sie andere Bedürfnisse spüren, ist es gut. Außerdem verändert sich das Leben und Sie wissen nicht, was in ein paar Jahren sein wird. Verwirrende Gefühle Andere Frauen erzählen, dass Bedürfnisse nach Zärtlichkeit und Sex in der ersten Zeit der Trauer in den Hintergrund getreten und später wieder aufgetaucht sind. Es ist möglich, dass das Verlangen nach Sexualität direkt nach dem Tod Ihres Mannes da ist, mitunter sogar intensiver als zu Lebzeiten des verstorbenen Mannes. Es kann sehr irritierend sein, um den verstorbenen Mann zu trauern und zugleich Lust auf Sex zu fühlen. Sie sehen: Jede Frau reagiert sehr individuell und es gibt kein »richtiges« oder »falsches« Empfinden. Ungeachtet, wie Ihre Beziehung zu Ihrem Mann bis zu seinem Tod in sexueller Hinsicht war (erfüllt, weniger erfüllt, schon lange unbefriedigend, wie auch immer), kann es sein, dass Sie in der Zeit der Trauer bei sich sexuelle Fantasien wahrnehmen und Bedürfnisse nach Zärtlichkeit und Sex 40
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bemerken. Trauernde Frauen schämen sich, wenn sie solche Bedürfnisse spüren, und glauben, dass dies in der Trauer nicht sein darf. Manchmal ist dieses Begehren auch mit konkreten Personen verbunden. Mit jemandem darüber aus dem Familien- oder Freundeskreis zu sprechen, ist den meisten Frauen zu peinlich, und so bleiben sie mit ihren verwirrenden Gedanken und Gefühlen allein. Aus meinen Begleitungen weiß ich, dass solche Bedürfnisse und Sehnsüchte nicht selten sind. Gefühle von Verrat oder Betrug am verstorbenen Partner, ein schlechtes Gewissen und Selbstverurteilung treten in diesem Zusammenhang dann leider häufig auch auf. Dabei sind Bedürfnisse nach körperlicher Nähe, nach Zärtlichkeit, Zuneigung und Sex in der Trauer völlig normal und vielleicht gerade dann besonders intensiv, weil Sie sich so allein fühlen. Mit dem Tod des Lebenspartners müssen sexuelle Bedürfnisse nicht aufhören. In der Trauer haben Menschen oft das Gefühl, sich körperlich aufzulösen. Körperlichkeit spielt darum in Trauerprozessen eine wichtige Rolle. Das Bedürfnis, sich zu spüren, und die Sehnsucht nach Halt, Geborgenheit, Wärme und Sicherheit in einer Zeit der Unsicherheit, der Verwirrtheit und des Schmerzes sind daher nur zu verständlich. Möglicherweise ist der Wunsch nach Sexualität mit einem anderen Mann unbewusst auch ein »Sich auflehnen gegen den Tod« und/oder Sie möchten sich gerade jetzt lebendig fühlen. Zudem können lange unterdrückte Sehnsüchte nach Körperlichkeit und Sex, die in Ihrer Beziehung vielleicht nicht erfüllt wurden, aufbrechen. Sie sehen, es gibt auch hier sehr viele gute Gründe und sicherlich auch noch mehr als hier beschrieben, warum es sein kann, dass Sie sich auch in der Trauer mit dem Thema »Zärtlichkeit und Sex« befassen. Hinweis: Zärtlichkeit und den Sex, wie Sie sie mit Ihrem Mann gelebt oder nicht gelebt haben, wird es so nicht mehr geben. Das mag in dieser Endgültigkeit für Sie sehr hart und schmerzhaft sein. Je nachdem, wie Ihre sexuelle Beziehung aussah, kann es jedoch auch bedeuten, dass sich neue Möglichkeiten der Erfüllung für Sie eröffnen.
Zärtlichkeit und Sex
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Lust zu leben Es kann sein, dass Sie sich schnell in eine neue Beziehung begeben, um dem Trauerschmerz zu entgehen, um nicht allein zu sein, um Körperlichkeit und Halt zu erfahren. Dabei geht es gar nicht so sehr um den Mann (oder auch die Frau) an sich, auf den (oder die) Sie sich einlassen. Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, dass dies die Gründe sind, warum Sie sich nach kurzer Zeit in eine neue Beziehung begeben oder sich mit verschiedenen Männern (Frauen) treffen. Vielleicht glauben Sie, eine neue Liebe gefunden zu haben. Möglicherweise ist es auch so. Das können nur Sie selbst herausfinden. Bitte nehmen Sie sich diese Zeit, um das zu erspüren. Verurteilen Sie sich bitte nicht. Sie sind kein schlechter Mensch, weil Sie Zuneigung, Bestätigung und Halt bei jemandem suchen, der Ihnen gerade guttut und Ihnen momentan hilft, zu überleben. Sie sollten dem Anderen/ der Anderen gegenüber fair sein und diesen Menschen selbst entscheiden lassen, worauf er/sie sich einlässt. Verschweigen Sie daher nicht, dass Ihr Partner gestorben ist, und/oder halten Sie bewusst nichts zurück, was dem Anderen die eigene Entscheidung verwehren würde. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist aus meiner Sicht, dass Ihnen bewusst sein sollte, dass Sie Ihren Partner nicht ersetzen können. Das wird dauerhaft nicht funktionieren. Sie können Ihr altes Leben nicht zurückhaben. Es geht darum, den Tod Ihres Mannes mit allen Konsequenzen zu akzeptieren. Sie können sich nur so ein anderes, auch erfülltes Leben neu aufbauen. Frau sein Durch den Tod des Partners fällt häufig die durch den Partner erfahrene Selbstbestätigung als Frau weg. Zudem fehlt körperliche Zuwendung. Frauen fragen sich, ob sie überhaupt noch attraktiv sind, fühlen sich gerade durch die Trauer nicht mehr anziehend und möchten dennoch als Frau wahrgenommen und begehrt werden. Vielleicht entstehen sexuelle Bedürfnisse auch aus diesen Gefühlen heraus oder weil Sie sich viel zu jung fühlen, um bis an den Rest des Lebens ohne Liebesleben zu bleiben. Ihr Kinderwunsch, den Sie mit Ihrem Mann nicht erfüllen konnten, kann ebenso ein wichtiger Aspekt für Ihre Sehnsüchte sein. Aus den Erfahrungen meiner Begleitungen kann ich außerdem sagen, dass die Partnerschaft auf sexueller Ebene bei 42
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manchen Frauen zuvor schon nicht mehr sehr erfüllend war. Der Zusammenhalt des Paares war dann eher auf anderen Ebenen stärker. Gerade aus solch einer Situation vor dem Tod des Partners kann es als Betrug im Nachhinein empfunden werden, wenn sexuelle Fantasien oder Wünsche in der Trauer auftreten. Andere Frauen schämen sich dafür, weil sie Erleichterung verspüren: nicht darüber, dass ihr Mann gestorben ist, den sie auf den anderen engen Beziehungsebenen sehr vermissen, sondern darüber, dass sie ihre sexuellen Wünschen nun ausleben können. Möglicherweise geht es Ihnen ähnlich. Vielleicht haben Sie schon viele Jahre auf Bedürfnisse in Bezug auf Körperlichkeit und Sexualität in Ihrer Beziehung verzichten müssen. Was genau Sie dazu bewegt, nach dem Tod Ihres Mannes sexuelle Wünsche zu spüren und/oder ihnen nachzugehen, können nur Sie herausfinden. Von Bedeutung ist, dass Sie sich mit Ihren Bedürfnissen oder Nichtbedürfnissen wohlfühlen und sich nicht selbst verurteilen. Lust auf Sex – und die Trauer ist weg Gehen Frauen aus gesellschaftlicher Sicht »relativ schnell« wieder eine Beziehung ein, wird das vom sozialen Umfeld meist so gedeutet, dass die Trauer beendet ist. Das ist in den meisten Fällen nicht so. Auch wenn Frauen um ihren Mann stark trauern, kann es möglich sein, dass sie sich zugleich auf eine andere Beziehung einlassen und hier wichtige Nähe und Körperlichkeit erfahren. Eine neue Beziehung kann ein Versuch sein, sich an das neue Leben anzupassen. Die Trauer um den verstorbenen Mann kann dennoch heftig weiterempfunden werden. Das kann für eine neue Beziehung belastend sein. Ramona (29) hat ihren Partner Ben (32), mit dem sie in jeder Hinsicht eine sehr erfüllte Beziehung gelebt hat, durch einen plötzlichen Unfall verloren. Sie fühlte sich nach seinem Tod selbst wie tot. Alle Zukunftspläne, der Traum von einem gemeinsamen Leben: aus! Die intensive Sexualität, die sie mit Ben erlebt hatte, fehlte ihr auch dabei, den Tod mit seinen Konsequenzen überhaupt auszuhalten. Schon immer war gelebte Sexualität für Ramona eine wesentliche Kraftquelle, um mit Belastungen zurechtzukommen. Anfangs versuchte Ramona, »enthaltsam« zu leben, weil sie Ben nicht im Nachhinein »betrügen« wollte. Der Zärtlichkeit und Sex
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Wunsch nach Körperlichkeit, um das Erlebte überhaupt zu ertragen, wurde dann jedoch so stark, dass sie mehrfach mit verschiedenen Männern schlief. Das Zusammensein mit den Männern tat ihr gut, sie fühlte sich zeitweise entlastet und besser. Das quälende, schlechte Gewissen Ben gegenüber blieb jedoch. Sie reflektierte ihr Verhalten in der Begleitung, konnte sich selbst entschulden, die innige Beziehung zu Ben klären und ihm einen ehrenden, würdigen Platz geben. Berrit (32) versuchte sich nach dem Tod ihres Mannes Chris (33) von ihrer Trauer und ihrem Schmerz durch intensive Sexualität mit einem neuen Partner abzulenken. Sie räumte sich keine Trauerzeit ein und der neue Partner übernahm zu großen Teilen die Rolle von Chris. Das funktionierte eine Zeit lang gut, bis der neue Partner spürte, dass er ein »Ersatz« und eine »Übergangslösung« war. Es kam häufiger zu Konflikten. Berrit erkannte in der Begleitung, dass sie Zeiten braucht, in welchen sie die Trauer um Chris zulassen kann, und dass sie neuen Halt und Sicherheit in sich selber finden und lernen muss, ihren Alltag selbst zu gestalten, um einem anderen Menschen Raum zu geben und eine neue Partnerschaft auf Augenhöhe aufzubauen.
1.11 Urlaub und Ausgehen Urlaub machen? »Eigentlich möchte ich mal raus! Wie und wo soll ich denn jetzt Urlaub machen? Soll ich zu unserem Lieblingsort in Italien fahren, wo wir seit fünf Jahren immer wieder waren? Soll ich einen der anderen Orte aufsuchen, die wir gemeinsam entdeckt haben? Soll ich die Reise nach Namibia wagen, die wir eigentlich gemeinsam machen wollten? Oder soll ich etwas ganz Neues für mich wählen? Schaffe ich es, allein zu fahren? Wem kann ich mich in meinem Zustand zumuten? Will ich überhaupt vom Grab weg? Wen könnte ich mitnehmen? Was raten Sie mir?«, fragte mich Alexandra (31), deren Mann Marius (30) plötzlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Eine Antwort kann ich auf solch eine Frage nicht geben.
Liebe Leserinnen, es gibt keine pauschale Antwort, die für jeden Trauernden passt, nicht einmal innerhalb einer Familie, wo alle um 44
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den gleichen Verstorbenen trauern. Jeder muss für sich für sich selbst mit dieser oder mit Fragen, wie Weihnachten, der Geburtstag oder andere besondere Zeiten gestaltet werden sollen, auseinandersetzen. Es wird nie wieder so sein wie früher. Gewohnte und vertraute Rituale, stillschweigende Übereinkommen, ähnliche Interessen, seine liebenswerten Macken: Dies oder anderes wird Ihnen auch im Urlaub fehlen. Es kann gerade jetzt der richtige Augenblick sein, um Orte zu besuchen, die Sie mit Ihrem Mann entdeckt haben, um schöne Erinnerungen aufzufrischen. Genauso kann es zu schmerzhaft sein, dorthin zurückzukehren. Das bedeutet nicht, dass Sie nie wieder dorthin möchten. Vielleicht ist nur jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Hinweise: Wesentlich ist es, möglichst offen zu sein für neue Erfahrungen sowie mutig auszuprobieren und zu suchen, was jetzt passen könnte. Probieren Sie aus, und wenn es sich danach wie eine falsche Entscheidung anfühlt, nutzen Sie diese Erfahrung und lernen Sie daraus. Tasten Sie sich Stück für Stück heran an das Leben ohne Ihren verstorbenen Mann. Stellen Sie sich darauf ein, dass sich Ihre Bedürfnisse immer wieder verändern werden und dass es Schritte vorwärts und zurück geben wird. Wenn Sie für sich geklärt haben, dass Sie Urlaub machen möchten, aber Bedenken spüren, dann überlegen Sie, was helfen könnte, um diese Unsicherheiten möglichst auszuräumen. Gabi (46) möchte eigentlich in den Urlaub fahren, verreisen. Sonne, Wärme und eine andere Umgebung, glaubt sie, würden ihr nach dem Tod ihres Mannes Johannes vor vier Monaten guttun. Zudem steht der Geburtstag von Johannes an. Eigentlich hatten sie für dieses Jahr eine große Feier geplant. Gabi kann sich nicht vorstellen, zu diesem Zeitpunkt zu Hause zu sein. Was sie noch unschlüssig sein lässt, ist der Umstand, dass sie Johannes’ Grab an seinem Geburtstag nicht versorgen könnte. In der Begleitung bearbeitet Gabi diese Sorge. Sie bittet ihre Freundin, ein Herz, welches Gabi zuvor selbst gestaltet hat, zum Grab zu bringen und eine Kerze anzuzünden. Zudem wird die Freundin Fotos vom Grab senden. Außerdem hat Gabi so gebucht, dass sie ihren Flug kostenfrei umbuchen kann, um spontan nach Hause reisen zu Urlaub und Ausgehen
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können. Mit diesen Sicherheiten fliegt sie in den Urlaub nach Mallorca zu engen Freunden und verbringt dort eine erholsame Zeit. Sie hat den schmerzhaften Geburtstag und den ersten Urlaub ohne Johannes bestmöglich für sich gestaltet.
Urlaub mit anderen Sie möchten nicht allein Urlaub machen, fürchten sich aber vor Ihrem eigenen, wechselnden Befinden sowie vor ganz fremden Menschen und deren Fragen (»Sind Sie Single?«, »Darf ich Sie einladen?«, »Konnte Ihr Mann nicht mitreisen?«). Freunden möchten Sie sich nicht zumuten. Oder Sie haben die Sorge, als allein reisende Frau bedrängt zu werden, oder noch ganz andere Befürchtungen. Mit anderen, nicht betroffenen Menschen in den Urlaub zu fahren kann problematisch sein. Sie als Trauernde sind empfindsam und dünnhäutig. Wechselnde Gefühlslagen kosten Kraft und es ist schwer, sich zurechtzufinden, weil Sie selbst noch nicht wissen, was Ihnen im Urlaub guttut und was nicht. Die anderen nehmen vielleicht Rücksicht auf Sie oder aber haben kein Verständnis. Sie möchten deren wohlverdienten Urlaub nicht belasten und halten Ihre Trauer zurück. Das klingt alles ziemlich anstrengend, finden Sie nicht? Schaffen Sie darum möglichst Voraussetzungen, die Ihnen helfen, wenigstens etwas Erholung zu finden. Wenn Sie nicht allein in den Urlaub fahren möchten und aus Ihrem Familien- oder Freundeskreis niemand infrage kommt, von dem Sie sich vorstellen können, in Ihrer aktuellen Lebenssituation begleitet zu werden, können Sie auf der Internetseite www.verwitwet. de unter der Kontaktbörse »Urlaubsbegleitungen« finden. Die Kontaktbörse wird hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich, von jung verwitweten Menschen genutzt. Eine andere Variante kann sein, über eine Trauergruppe oder Trauerbegleiterin Kontakt zu einer anderen Trauernden zu finden, um gemeinsam Urlaub zu machen. Aus der Arbeit mit meinen Klientinnen kann ich berichten, dass einige Frauen hier schon sehr gute Erfahrungen machen konnten. Zudem gibt es Reiseanbieter mit unterschiedlichen Konzepten speziell für Trauernde. Neben dem großen Reiseanbieter TUI (www.hochtourreisen.com) können Sie sich auf folgenden Internetseiten über Reisen für Trauernde informieren: 46
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Links: www.care-and-sail.de | www.re-bo-reisen.de | www. traudich.reisen.de | www.wendepunkte-trauerreisen.eu Die Reiseangebote sind auf die Bedürfnisse von Trauernden abgestimmt. Der Vorteil bei solchen Angeboten ist, dass Sie sich nicht erklären müssen, denn Sie reisen mit Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist. Sie müssen sich zum Beispiel keine Gedanken darum machen, ob es verstanden wird, wenn Sie auch einmal für sich sein möchten. Solche Reisen bieten zudem die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen, mit anderen trauernden Menschen in den Austausch kommen, sich bei Bedarf mit der Trauer und ihren Folgen zu befassen und zugleich Neues zu entdecken. Möchten Sie lieber ganz für sich sein? Freunde haben vielleicht einen Tipp, oder Sie selbst kennen einen Ort, von dem Sie glauben, dass er sich eignet. Möchten Sie sich spirituell erfahren? Hier stehen Ihnen viele Angebote zu Aufenthalten zum Beispiel in einem Kloster oder buddhistischen Zentrum zur Verfügung. Dafür müssen Sie nicht unbedingt gläubig sein oder der Glaubensgemeinschaft angehören und Sie werden dort auch nicht bekehrt. Links: www.benediktushof-holzkirchen.de | www.abtei-muensterschwarzach.de | www.kloster-arenberg.de | www.wurmsbach.ch | www.dhamma-stiftung.de | www.yoga-vidya.de Ausgehen Wann Frauen nach dem Tod ihres Partners erstmalig wieder ein Fest oder eine Veranstaltung besuchen oder sich zum Essen oder Kino verabreden, ist ganz unterschiedlich. Die meisten trauernden Frauen machen sich viele Gedanken und wägen ab, bis sie sich nach dem Tod des Partners erstmals entschließen, einer größeren Einladung zu folgen oder eine Veranstaltung zu besuchen. Viele Frauen befürchten, dass sie ihre Emotionen nicht kontrollieren können und diesen dann vor anderen, vielleicht auch fremden Menschen hilflos ausgeliefert sind. Andere fühlen sich nicht gesellschaftsfähig und können sich nicht vorstellen, sich zu stylen oder »Small Talk« zu halten. Wieder andere möchten das fröhliche Fest nicht mit eigenen Empfindungen oder ihrem bloßen Erscheinen, welches unweigerlich (bei GäsUrlaub und Ausgehen
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ten, die um den Tod des Partners wissen) mit dem Tod des Partners assoziiert wird, »versauen«. Vielleicht fürchten Sie, im Rahmen der Feier oder Veranstaltung erstmals Menschen zu begegnen, denen Sie nach dem Verlust noch nicht begegnet sind, sodass Sie lieber zu Hause bleiben möchten. Möglicherweise empfinden Sie solche Veranstaltungen inzwischen als viel zu oberflächlich nach dem, was Sie erlebt haben und was Sie jetzt beschäftigt. Gestehen Sie sich solche normalen Gedanken und Gefühle zu. Es ist ganz natürlich, dass innere Hürden und heftige Ängste überwunden werden müssen, um den Mut zu fassen, einer Einladung zu folgen. Hinweise: Viele Klientinnen, die die ersten Male ohne den Partner auf eine Party oder zu einer Feier gegangen sind, berichten davon, dass sie sich trotz der Menschenmenge einsam und fehl am Platz gefühlt oder manchmal auch plötzlich ganz allein dagestanden haben. Wenn Sie sich entschließen, einer Einladung zu folgen, kann es hilfreich sein, eine vertraute Person mitzunehmen. Fragen Sie die Gastgeber, ob Sie jemanden mitbringen dürfen, damit Sie sich in der Gästeschar nicht allein fühlen. Einladende haben meist nichts dagegen. Im Gegenteil: Häufig sind Gastgeber erleichtert, weil sie dann wissen, dass Sie in Ihrer neuen Situation gut begleitet und sie selbst entlastet sind. Noch ein Tipp: Lassen Sie sich selbst offen, wie lange Sie auf dem Fest, der Einladung oder der Veranstaltung bleiben. Erlauben Sie sich, situativ zu entscheiden. Bestenfalls informieren Sie den Gastgeber vorher darüber, dass er sich nicht wundern möge, wenn Sie das Fest vorzeitig verlassen. Erklären Sie, dass Sie noch nicht wissen, wie Sie sich fühlen werden ohne Ihren Mann, der Sie nie wieder wird begleiten können. Bitten Sie darum, sich ausprobieren zu dürfen in Ihrer neuen Rolle. Lehnen Sie bitte zukünftige Einladungen nicht kategorisch ab, nur weil Sie beim ersten Versuch eher negative Erfahrungen gemacht haben (nur kurz bleiben konnten und/oder weinen mussten …). Gestehen Sie sich Ihre Tränen und aufgewühlten Gefühle zu. Manchmal hilft eine kurze »Auszeit« auf der Toilette oder vor der Tür. Ihre Reaktionen sind normal. Vielen anderen Frauen geht es ähnlich. Aus der Begleitung meiner Klientinnen kann ich sagen, dass viele betroffene Frauen einen Austausch zu solchen Ängsten und Erfahrungen mit anderen Frauen als hilfreich empfinden (Kapitel 8). 48
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2 Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
2.1 Leben ohne dich – Dominique erzählt Dominique (62) verlor ihren sonst »so gesunden Mann« (68), so die Ärzte, innerhalb von fünf Wochen an einer akuten Leukämie. Nach über 40 wunderbaren Jahren war plötzlich alles vorbei. »Wir hatten ein wunderschönes Weihnachtsfest verbracht, unsere Kinder waren aus Frankreich und München mit ihren Familien gekommen. Es hatte geschneit. Es war einfach schön und gemütlich. Mir war schon aufgefallen, dass mein Mann sehr müde war. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, denn das Jahresende war in der Firma immer anstrengend. Die Kinder fuhren wieder weg. Mein Mann war erkältet und ziemlich fertig. Am 31. Dezember morgens stand er als Erster auf und ich fragte ihn, wie es ihm gehe. Die Antwort war: ›Ich sehe doppelt auf einem Auge.‹ Ich sprang aus dem Bett und sagte: ›Wir fahren sofort ins Krankenhaus!‹ Ich dachte an einen Schlaganfall. Im Krankenhaus wurde er immer wieder von einem anderen Arzt untersucht. Zum Schluss hat man ihn auf die Intensivstation gebracht mit Verdacht auf Schlaganfall. Mein Sohn kam und versuchte, mich zu beruhigen, aber ich hatte so ein schlimmes Gefühl, schwer zu beschreiben. Der Verdacht auf Schlaganfall hatte sich nicht bestätigt. Deshalb wurde mein Mann auf die neurologische Station gebracht und es wurde weiter gesucht. Mittlerweile war das Auge ganz zugegangen. Am 3. Januar hieß es, irgendetwas sei mit dem Blut nicht in Ordnung. Also weitersuchen in alle Richtungen. Eine Knochenbiopsie wurde auch gemacht. Nach einer Woche wurde mein Mann vom Internist mit den Worten nach Hause entlassen: ›Sie können nach Hause, es ist bestimmt nichts Lebensgefährliches.‹ Ich dachte nur: ›Wir haben aber das Ergebnis von der Biopsie noch nicht.‹ Ich hatte so ein ungutes Gefühl. Abends machten wir eine kleine Runde mit dem Hund und als wir zurückkamen, blinkte der Anrufbeantworter. Mein Mann hörte ihn ab und es hieß, man solle die Pathologie anrufen. Mein Mann rief 49
an und ich hörte ihn sagen: ›Akute Leukämie, ja wir sind morgen um acht Uhr da.‹ Danach brach unsere Welt zusammen. Ich versuchte, ihn zu beruhigen. Wir kannten Fälle, wo es gutgegangen war. Ich war so wütend auf diesen Pathologen und überhaupt. Unser Sohn kam – nichts ahnend! Er verstand sofort, dass etwas Schreckliches passiert war. Wir gingen ins Bett, das letzte Mal zusammen, natürlich hat keiner von uns geschlafen und um acht waren wir im Krankenhaus. Der Internist sagte uns, er habe schon alles in die Wege geleitet, man erwarte uns in der Uniklinik, man dürfe keine Zeit verlieren. Unser Sohn war da und so fuhren wir sofort los. Man hat uns alles erklärt, also welche Therapie, Chemotherapie etc. Es war alles so unwirklich. Mein Mann rief sofort den Notar an, telefonierte mit seiner Firma und gab Anweisungen, aber wie es in uns aussah, konnten wir nicht besprechen. Ab da war es nur ein Abwarten auf Ergebnisse, die nicht gut waren. Ich saß den ganzen Tag bei ihm, bis mein Sohn abends kam. Unsere Töchter kamen abwechselnd am Wochenende. Der Zustand verschlechterte sich zusehends. Der Professor sagte irgendwann, die letzten Ergebnisse wären extrem schlecht. Das müsse er ihm sagen, ob mein Mann es verstände? Ja, wir hatten verstanden, konnten aber nicht darüber sprechen. Irgendwann sagte mir mein Mann, wo er beerdigt werden wollte und in welcher Kirche die Trauerfeier sein sollte, sonst nichts. Er versuchte, seine Kraft auf diesen Kampf zu konzentrieren. Ich versuchte, ihm auch Kraft zu geben. Ich war innerlich wie versteinert, hätte am liebsten geweint und vor Wut geschrien! Aber es ging nicht. Nach circa fünf Wochen rief mein Mann mich Sonntag früh an und sagte mir: ›Der Durchfall hat aufgehört, nach zwei Wochen, ein Wunder, komm, ich brauche dich.‹ Das hatte er noch nie getan und ich wusste sofort, es ist schlimm. Ich fuhr los und es ging ihm immer schlechter. Unsere Tochter, die da war, fuhr nicht zurück nach München. Mein Sohn kam und als mein Mann auf die Intensivstation verlegt wurde, riefen wir unsere Tochter in Frankreich an, sie solle kommen. Ganz am Anfang der Krankheit hatte mein Mann scherzend gesagt: ›Na ja, wenn alle vier da sind, dann weiß man, dass es das Ende ist!‹ Der diensthabende Arzt hatte die Anweisung, einen bestimmten Zugang zu legen. Ich war dabei und es war sehr schwierig und wohl sehr schmerzhaft. Mein Mann drückte mir die Hand mit einer Kraft, die man hätte 50
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nicht vermuten können. Es war wohl sein Abschied. Meine Tochter kam. Mein Mann war noch bei Bewusstsein. Er hatte Durst und wollte ein Pils! Das hatte er früher selten getrunken. Er sollte natürlich kein Bier trinken. Da meinte er mit ganz schwacher Stimme: ›Den Professor fragen.‹ Er hat die Kraft noch aufgebracht, uns irgendwie zum Schmunzeln zu bringen. Er wusste, dass er sterben muss. Wir waren alle da. In der Nacht fiel er ins Koma. Unsere Töchter blieben über Nacht. Mein Sohn und ich waren tagsüber da. Wir wechselten uns ab, bis am nächsten frühen Morgen. Es ging zu Ende. Ich habe meine Kinder in die Cafeteria geschickt. In der Zeit habe ich mich von meinem wunderbaren Mann verabschiedet. Ich habe ihm gesagt, wie wunderbar diese über 40 Jahre mit ihm waren und wie glücklich er mich gemacht hat. Er solle ›von da oben‹ auf uns aufpassen. Ich habe ihm gesagt, wie sehr ich ihn liebe. Die Kinder haben dann nacheinander Abschied genommen und alles war vorbei. Kurz nach der Beerdigung sind meine Kinder nach Hause zurückgekehrt. Plötzlich saß ich allein zu Hause mit meinem Hund. Bis dahin hatte ich irgendwie funktioniert, aber jetzt … Ich war leer und verzweifelt. Ich hatte das Gefühl, wir hätten uns doch nicht verabschiedet. Es ging mir schlecht, aber nach einem halben Jahr kam meine Tochter aus Frankreich und zog mit ihrer Familie zurück nach Deutschland, um die Firma zu übernehmen. Sie wohnten über ein Jahr bei mir, bis ihr Haus fertig war. Ich versuchte, weiter zu funktionieren, und dann sind sie umgezogen. Ich war wieder allein. Es war schrecklich. Ich fühlte mich völlig verloren. Ich wurde einfach nicht mehr gebraucht. Irgendwann habe ich Antidepressiva genommen. Es half ein bisschen. Aber auf Dauer auch nicht. Ich habe mein Haus renoviert, habe neue Möbel gekauft, bin verreist etc. – kurz, ich habe versucht, mich abzulenken, und habe verdrängt. Ich sagte mir: ›Du hattest den besten Mann, den man sich wünschen kann, du hast tolle Kinder, süße Enkelkinder, keine finanziellen Probleme, nette Freundinnen – es muss dir bald besser gehen.‹ Tat es aber nicht. Es ging mir auch gesundheitlich immer schlechter, bis ich eine Bekannte traf, die mir sagte, ich solle mir helfen lassen. Sie nannte mir dann Frau Witt-Loers. Es waren schon viereinhalb Jahre vergangen. Ich habe Frau Witt-Loers getroffen und habe mit der Trauerarbeit angefangen. Es tat so gut, endlich alles sagen zu können, was ich so Leben ohne dich – Dominique erzählt
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fühlte. Ich habe es zuerst nicht für möglich gehalten. Nach und nach sind mir Dinge bewusst geworden, unter anderem, dass ich immer für die anderen da war: für die Kinder und für meinen Mann, den ich so geliebt habe. Ich hatte auch eine ehrenamtliche Tätigkeit, aber eben immer für andere. Ich hatte das Gefühl, dass ich mehr durch andere gelebt habe als für mich. Ich musste lernen, einfach für mich zu leben und für mich Kraft zu finden. Das Erste war, wieder körperlich gesund zu werden. Ich wollte und will noch reisen, so viel und solange es geht. Das haben wir zusammen nie gemacht. Ich will noch mehr tun, auch wenn ich noch nicht so genau weiß, was. Ich schaffe es jetzt wieder, Dinge zu genießen, die ich gar nicht mehr wahrgenommen habe. Ich genieße meine Unabhängigkeit und will einfach LEBEN. Es ist nicht immer einfach, aber ich weiß jetzt, dass, wenn es mir nicht gutgeht, es auch anders werden kann, und ich versuche, mich anzuspornen. Manchmal muss ich selber über mich lachen! Ich denke jeden Tag an meinen Mann! Ich rede mit ihm, aber es tut nicht oder nicht mehr so weh. Ich bin dankbar für all das, was mir das Leben geschenkt hat. Es sind jetzt sechs Jahre. Ich glaube, ich kann sagen, Frau Witt-Loers hat mich gerettet. Ich könnte sagen, hätte ich das früher gewusst, hätte ich nicht so lange gewartet, aber für alles gibt es seine Zeit. Ich bin davon überzeugt, dass es keinen Zufall gibt, aber Bestimmung. Die Kraft finden wir in uns. Aber dazu braucht man manchmal Hilfe.«
2.2 Wie war unsere Beziehung? Was habe ich verloren? Wie war die Beziehung zu meinem Mann? Für den Umgang mit Ihrer Trauer ist eine wesentliche Frage, wie Ihre Beziehung zu Ihrem Mann war. Die Antworten können Ihnen dabei helfen, zu verstehen, was Sie konkret verloren haben, wo der Verlust Sie besonders schwächt und was Ihre zukünftigen Bedürfnisse sein können. Was war schön, was hat Ihnen in der Beziehung besonders gefallen? Was hätten Sie sich anders gewünscht? Bedenken Sie, dass es wahrscheinlich nicht nur Schwarz oder Weiß gibt! Waren die wesentlichen Bedürfnisse (Nähe, Zärtlichkeit, Gefühlsaustausch, Kommunikation) meist erfüllt? 52
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Wo und wie haben Sie sich gut aufgehoben gefühlt? In welchen Lebensbereichen fühlten Sie sich eher weniger gut aufgehoben? Wo wurde Ihr Selbstbewusstsein gestärkt, wo geschwächt? Haben Sie sich überwiegend glücklich gefühlt? Haben Sie sich überwiegend einsam gefühlt? Wie würden Sie die Kommunikation miteinander bewerten? Welche eigenen Interessen hatten Sie in Ihrer Beziehung (z. B. Hobbys, Freunde)? Welche gemeinsamen Interessen hatten Sie? Wie war die emotionale Bindung an Ihren Partner? Gab/gibt es andere enge Bezugspersonen für Sie? Was haben Sie an Ihrem Mann besonders geschätzt? Gab es dauerhafte Konflikte und Belastungen in Ihrer Beziehung? Was mochten Sie an Ihrem Mann gar nicht? Welche Wünsche sind in Ihrer Beziehung offen geblieben? Haben Sie einen Seelenverwandten verloren?
Du, mein Seelenverwandter Den Partner zu verlieren bedeutet nicht selten, einen »Seelenverwandten« zu verlieren. Immer wieder erzählen Frauen, die ihren Partner verloren haben, davon, dass sie sich mit niemand sonst so eng verbunden gefühlt haben wie mit ihrem geliebten Mann. Eben darum ist der Schmerz so groß und übermächtig. Einen Seelenverwandten zu verlieren bedeutet, eine unendlich schmerzhafte Zeit zu erleben und selbst zu überleben. Manchmal sagen betroffene Frauen, dass sie es bedauern, sich dem Partner so geöffnet und hingegeben zu haben. Hätten sie dies nicht getan, dann wäre der Schmerz jetzt nicht so groß. Vielleicht geht es Ihnen auch so. Das Argument stimmt sicherlich. Trotzdem frage ich Sie: Wie viel hätten Sie dann an Lebensfreude, Liebe und erlebtem Vertrauen verpasst? Sie hätten möglicherweise nie gewusst, dass es eine solche tiefe Liebe zu einem Seelenverwandten überhaupt für Sie geben kann. Vielleicht hätten Sie dies nie erfahren, so wie andere Menschen, die eine solche Seelenverwandtschaft niemals in ihrem Leben kennenlernen. Ihre Erfahrung der Seelenverwandtschaft kann ein sehr kostbares Geschenk sein, auch nach dem Tod Wie war unsere Beziehung?
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Ihres Partners. Sie kann Sie weiter begleiten und stärken in der dunklen Lebenszeit auf dem Weg in ein anderes Leben. Nie wieder wird Ihr geliebter Mann zurückkehren. Eine furchtbare Erkenntnis, die Sie als Betroffene immer wieder neu schmerzhaft verstehen. Im Alltag, der keiner mehr ist, tun sich immerzu neue, riesengroße Lücken auf, die quälend auf das Fehlen des Partners hinweisen. Das gesamte Leben ist wie aus einem Rahmen gefallen. Haltlos, ohne Grenzen, ohne Perspektiven. Keine gemeinsame Zukunft mehr, niemand mehr, mit dem Sie so nah Ihren Alltag, Ihre Freuden und Ihr Leid teilen können. Niemand, der Ihnen so nahe war und der auf Ihre ganz persönlichen Bedürfnisse und Schwächen eingehen kann. Nicht immer alles top in der Beziehung Dennoch wissen wir, dass nicht alle Zeiten in einer Beziehung immer »goldene Zeiten« waren und wir nicht alle Charaktereigenschaften an dem Mann liebten, mit dem wir unser Leben geteilt haben. Erlauben Sie sich auch eine kritische Sicht auf Ihren verstorbenen Mann. Was vermissen Sie eigentlich nicht? Und was hat Ihnen in Ihrer Beziehung gefehlt? Was hat Sie geärgert? Vielleicht war es gerade der zugewandte Gesprächspartner oder der Mann, der Lust hatte, auch mal mit Ihnen ins Theater oder über den Weihnachtsmarkt zu gehen, dem Ihre neue Frisur auffiel …, der Ihnen schon zu seinen Lebzeiten fehlte? Vielleicht haben Sie sich geärgert, weil er den Hochzeits- oder Kennenlerntag regelmäßig vergessen, auf Partys mit anderen Frauen geflirtet, öfter mal zu viel getrunken oder alles Mögliche verwahrt hat. Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, den Partner im Nachhinein schlecht zu machen, sondern darum, wahrzunehmen, dass Sie einen Menschen verloren haben, der Ihnen sehr viel bedeutet, auch mit seinen persönlichen Macken. Solch eine »Analyse« bzw. ehrliche Sicht auf die Beziehung und den Partner können in der Trauer hilfreich sein, um den Verstorbenen im Nachhinein nicht zu idealisieren, den Trauerschmerz nicht zu verstärken und sich auch die Chance auf eine neue Beziehung nicht zu versperren.
Hinweis: Achten Sie deshalb darauf, Ihren Mann nicht zu idealisieren und die Beziehung nicht zu überhöhen. Jeder von uns hat seine Sonnen- und Schattenseiten. Sie dürfen auch nach dem 54
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Tod benannt werden, ohne dass dadurch die Beziehung entwertet oder der Verstorbene entwürdigt wird.
2.3 Trauer verstehen Der Tod Ihres Partners hat Sie aus Ihrer bisherigen Lebensbahn geworfen. Vielleicht haben Sie das Gefühl, die Kontrolle über Ihr Leben verloren zu haben. Wahrscheinlich haben Sie sich selten zuvor so empfindlich, unsicher und wund gefühlt wie nach diesem tiefen Lebenseinschnitt. Trauer überflutet uns mit intensiven, oft bisher nicht gekannten Gefühlen, Gedanken und Fragen. Das kann sehr verwirrend sein und Sie daran hindern, für Ihr eigenes Überleben zu sorgen. Hinzu kommen die veränderten Lebensumstände, an die Sie sich anpassen müssen. Sie müssen Lebensplanungen und Gewohnheiten aufgeben und neue Perspektiven erst entwickeln. Sie erleben sich in einer extremen Ausnahmesituation. Fragen und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Trauer sind normal. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es häufig schon hilft, etwas über Trauer reaktionen sowie den vielschichtigen, langen und dennoch sehr individuellen Prozess der Trauer zu erfahren, um neue Sicherheit und wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Auch Außenstehende haben es schwer, Sie in Ihrer neuen Situation zu verstehen. Deshalb kann Wissen Verständnis schaffen, und unangemessene, nicht Ihren Bedürfnissen entsprechende Forderungen, wie Sie trauern sollten, können vermieden werden. Trauer ist Teil unseres Lebens Alle Menschen machen zwangsläufig Verlusterfahrungen. Unser Lebensweg ist geprägt von kleinen und großen Abschieden. Wenn Sie Ihren Mann geliebt haben, ist sein Tod ein einschneidendes und sehr schmerzvolles Lebensereignis. Ihre Trauer ist eine natürliche Reaktion auf seinen Tod, ein sehr komplexer Prozess. Sie ist die Antwort auf Ihr verändertes Leben. Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie den Wandel Ihrer Trauer erleben und lernen, ohne Ihren Mann zu leben. Trauer ist nicht Ihr Feind. Sie wird Ihnen dabei helfen, den Verlust zu akzeptieren, ihn in Ihr Leben zu integrieren, an Körper und Seele zu heilen und sich auf neue Beziehungen einTrauer verstehen
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zulassen. Trauer verändert das Verständnis, das wir von uns selbst, von unserer Umwelt sowie gegenüber bestimmten Werten, Normen und Lebensentwürfen haben. Vieles wird hinterfragt und neu definiert werden. Das kostet Kraft und braucht Zeit. Aber: Trauer ermöglicht ebenso, zu einem neuen Selbstverständnis und Lebenskonzept zu finden. Sie müssen nicht, auch wenn es Ihnen zunächst so erscheinen mag, an Ihrer Trauer zerbrechen. Trauerprozesse müssen durchlebt werden und sind von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Manchmal können frühere Verluste oder alte Lebensthemen im aktuellen Trauerprozess wieder auftauchen. Wir reagieren als ganzer Mensch, mit unserer Seele, unserem Körper und unserem Verhalten auf den Verlust. Ist der Tod absehbar, zum Beispiel durch eine unheilbare Krankheit, setzt der Trauerprozess schon vor dem Tod ein. Die Dauer der Beziehung ist unwesentlich Die Dauer der Beziehung zu Ihrem Mann ist kein Maßstab für die Intensität Ihrer Trauer. Es ist normal, dass Sie intensiv und schmerzvoll trauern, auch wenn Sie ihn noch nicht lange gekannt haben. Wesentlich ist Ihre innere Verbundenheit zu Ihrem Mann.
Hinweis: Lassen Sie sich darum nicht von Ihrem Umfeld durch unbedachte Kommentare, wie »Du kanntest ihn doch noch nicht so lange, da kann es doch nicht so schlimm sein!«, verunsichern. Sie haben das Recht, um einen geliebten Menschen intensiv zu trauern. Den Schmerz um Ihren Mann kann Ihnen so oder so niemand abnehmen. Trauer braucht Zeit und Raum Menschen wünschen sich die Trauerzeit begrenzt, um dann ganz damit abschließen zu können. »Geht es mir in einem Monat wieder besser?«, »Wann ist die Trauer endlich zu Ende?« Trauerprozesse brauchen Zeit. Trauer um einen geliebten Menschen wird immer ein Teil unseres Lebens sein. Sie hört nie ganz auf und ist nie wirklich abgeschlossen. Es kann immer wieder Augenblicke und Zeiten in Ihrem Leben geben, in denen Sie die Sehnsucht nach Ihrem geliebten Mann schmerzlich spüren und in denen Sie darum trau56
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
ern, was Sie nicht mit ihm erleben konnten oder dass er Ihre Kinder nicht aufwachsen sehen kann. Das ist nichts, was Sie beunruhigen muss, und kann selbst dann der Fall sein, wenn Sie glücklich in einer neuen Partnerschaft leben. Im Alltag stehen aus verschiedenen Gründen meist nicht genügend Raum und Zeit für Trauernde zur Verfügung. In den ersten Wochen hat das private und berufliche Umfeld meist Verständnis für die besondere Lebenssituation, die nach dem Tod des Partners entstanden ist. Nach einigen Wochen wird jedoch größtenteils erwartet, dass trauernde Frauen ihren beruflichen und privaten Pflichten wieder uneingeschränkt nachkommen. Gerade junge Frauen sind zumeist in ihrem Beruf sehr eingebunden und auf dem Weg, sich beruflich zu etablieren, oder sie bekleiden eine Position, die sie absolut fordert. Beruflicher Druck und Konkurrenz sowie die Tatsache, dass die meisten Frauen auf ihren Verdienst angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, führen dazu, dass sie sich ihre Trauer nicht offen »erlauben« können. Auch durch die Fürsorge um Kinder bleibt oft kaum Raum für die Bearbeitung der Trauer. Trauerräume schaffen Trauerreaktionen bahnen sich manchmal gerade dann Wege, wenn wir es überhaupt nicht brauchen und wir sie schwer kontrollieren können. Sich Räume zu schaffen, um sich den Reaktionen der Trauer »hinzugeben«, entlastet erfahrungsgemäß. Zugleich können wir lernen, einen Umgang mit intensiven Gefühlen zu finden, und üben, sie zu steuern. Jutta (31) hat ihren Mann Jens (32) (nicht verheiratet – also gesellschaftlich bewertet »nur« der Freund) vor zwei Monaten durch einen plötzlichen Tod verloren. Die ersten zwei Wochen nach Jens’ Tod bleibt Jutta zu Hause. Dann empfindet Jutta starken beruflichen Druck. Sie möchte ihre Position in einer Werbeagentur, die sie sich gerade erarbeitet hat, nicht wieder verlieren. Zudem möchte sie ihre Kunden nicht an andere Personen abgeben müssen. Andeutungen ihres Chefs diesbezüglich führen dazu, dass Jutta sich gezwungen sieht, ihre berufliche Position wieder voll auszufüllen, obwohl sie sich innerlich Trauer verstehen
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nicht stark genug fühlt. Acht Wochen nach Jens’ Tod soll Jutta einem wichtigen Kunden ein neues Konzept präsentieren. Sie weiß, dass wichtige Entscheidungen davon abhängen werden, wie überzeugend sie sein wird. Sie hat sich deshalb gut und intensiv vorbereitet. Als während der Präsentation ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Martinshorn am Haus vorbeifährt, kann Jutta nicht mehr weitersprechen und muss den Raum ohne Erklärung verlassen. Sie weint heftig, kann ihre Fassung nicht zurückgewinnen und muss nach Hause gehen. Ihr Hausarzt schreibt sie krank. Jutta beschließt, sich Unterstützung für die Bearbeitung ihrer Trauer zu suchen. Sie spürt, dass sie Raum und Zeit braucht, um sich mit der Trauer und ihren Konsequenzen zu befassen, damit sie längerfristig ihrem Beruf nachgehen und ihre Existenz sichern kann.
Der Umgang mit dem Tod des Partners wird unter anderem mitbestimmt von Erfahrungen, die wir bisher mit anderen Verlusten gemacht haben. Nutzen Sie bewusst Erkenntnisse aus vorherigen Verlusten (z. B. Krankheit, Umzug, Tod eines Haustieres, Ende einer Beziehung, Tod einer nahen Person). Was war da hilfreich, was eher nicht? Was haben Sie sich gewünscht? Was können Sie jetzt verbessern, was lehnen Sie ab? Trauerprozesse verlaufen bei jedem Menschen anders Es gibt so viele verschiedene Trauerwege wie Menschen. Jeder hat andere Bedürfnisse und Sorgen in seiner Trauer. Das liegt daran, dass der Trauerprozess von vielen unterschiedlichen Faktoren bestimmt wird. Wer, wie Sie, einen nahestehenden Menschen verloren hat, zu dem er eine enge Bindung hatte, wird eine intensive Trauer erleben. Je enger wir uns mit dem Menschen verbunden fühlten, umso schmerzhafter ist die Trauer darüber, dass dieser Mensch nie wiederkommen wird. Neben der Bindung zu einem Menschen beeinflussen die Todesumstände, wie der geliebte Mensch gestorben ist, den Trauerprozess. Der plötzliche Tod Ihres Mannes wird es schwer machen, die neue, traurige Lebenswirklichkeit zu begreifen. Starb Ihr Mann an einer Krankheit, hatten Sie möglicherweise die Gelegenheit, sich darauf einstellen, dass er sterben wird. Vielleicht konnten Sie sich noch verabschieden und letzte Dinge klären, 58
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
vielleicht mussten Sie aber auch sein qualvolles Leiden miterleben und aushalten. Weitere individuelle Aspekte, die auf Ihren Trauerprozess Einfluss nehmen können, sind zum Beispiel Informationen und Vorerfahrungen zum Themenkomplex, innere Ressourcen, wie Selbstwertgefühl, Bewältigungsstrategien und Selbstwirksamkeit, oder äußere Ressourcen, wie soziales Netz, finanzielle Sicherheit, Familiensituation, eigene Gesundheit sowie Kultur, Religion, Geschlecht und vieles mehr. So oder so trifft der Tod Ihres geliebten Mannes Sie hart. Buchtipps: Berndt, C. (2015). Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out. München: Deutscher Taschenbuchverlag. | Harvey, G. (2008). Bewusst trauern für Dummies. Weinheim: Wiley-VCH. | Kachler, R. (2011). Was bei Trauer gut tut. Hilfen für schwere Stunden. Freiburg: Kreuz. | Kalbheim, E. (2016). Resilienz für Dummies. Weinheim: Wiley-VCH. | Witt-Loers, S. (2010). Trauernde begleiten. Eine Orientierungshilfe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Gehäufte Verluste und unsichere Zeiten Manchmal gibt es Zeiten, in denen sich persönliche Verluste häufen (z. B. andere Todesfälle, Verlust der Arbeitsstelle, Tod des Haustieres, eigene Krankheit) und Sie den Eindruck haben, dass nichts mehr sicher ist in Ihrem Lebensumfeld. Meine Erfahrung mit Trauernden zeigt zudem, dass die gehäuften Terroranschläge in Europa und die furchtbaren Kriege mit den für uns spürbaren Folgen dazu beigetragen haben, dass das persönliche Lebensumfeld als gefährlich empfunden wird. Orte und Zeiten, die früher eher als Ressourcen in der Trauer genutzt werden konnten (z. B. größere Veranstaltungen und Menschenmengen wie Konzerte, Karneval, Kirmes, Theater, Märkte, Städtereisen, der Besuch von Clubs usw.), werden als unsicher und bedrohlich empfunden. Viele Menschen haben Angst davor, dass außerhalb der eigenen vier Wände jederzeit etwas Schlimmes passieren könnte, und meiden daher größere Menschenansammlungen und damit Angebote, die zuvor als kraftgebende Quellen im Trauer prozess gedient haben. Trauer verstehen
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Hinweis: Wenn Sie solche Ängste in sich spüren und wissen, dass Tanzen, Ausgehen und sich mit positiven Dingen abzulenken hilft, schauen Sie, ob Sie einen anderen Umgang mit Ihren Ängsten und/oder alternative Orte und Angebote finden können. Schwingen zwischen Trauer und Hinwendung zum Leben Es ist nicht leicht, ein Pendeln, wie die Trauerforscher Margaret Stroebe und Henk Schut es nennen, zwischen der Bearbeitung des Verlusts und den damit verbundenen Gedanken, Gefühlen und Konsequenzen und der Hinwendung zum Leben und zu einem neuen Lebensentwurf zu finden. Manchmal empfinden Betroffene es als zu schwer und können sich nicht von den Anstrengungen, die das Trauern mit sich bringt, erholen. Andere haben den Eindruck, kaum Raum für ihre Trauer zu haben, und fühlen sich unter Druck gesetzt, funktionieren zu müssen. Extreme Neigungen zu einer der beiden Seiten können problematisch sein.
Hinweise: Ich möchte Sie daher dazu anregen, bewusst ein »Pendeln« zu versuchen. Planen Sie einerseits Zeiten und Räume ein, in denen trauern möglich ist, und nehmen Sie sich andererseits Dinge vor, die Ihnen guttun und Sie stärken. Fragen Sie sich, was Sie mit Ihrem weiteren Leben anfangen möchten. Seien Sie mutig und schauen Sie auf verschüttete Träume und Visionen. Das Schlimmste ist bereits geschehen. Sie haben nichts zu verlieren. Probieren Sie sich neu aus. Sie dürfen sich mit Dingen befassen, die in der Partnerschaft zuvor vielleicht nicht möglich waren. Sie dürfen neue Vorlieben, Hobbys und Wünsche entwickeln. Sie dürfen leben. Ihr Leben ist noch nicht vorbei, aber es ist begrenzt. Deshalb möchte ich Sie ermutigen, sich Ihr Leben zu gönnen! Wenn der Balanceakt zwischen der Beschäftigung mit der Trauer und der Hinwendung zum Leben nicht sofort gelingt, lassen Sie sich bitte nicht entmutigen. Sie brauchen Zeit und müssen sich in vielen Dingen neu ausprobieren, um nach dem Verlust zu einem anderen Leben zu finden. Überlegen Sie, ob Ihnen professionelle Unterstützung helfen würde.
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Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Nicht hilflos ausgeliefert Die heutige Trauerforschung geht davon aus, dass Trauernde ihrer Trauer nicht hilflos ausgeliefert sind. Trauerprozesse sind keine starren Abfolgen von festgelegten Schemata, die Trauernde zu bewältigen haben. Dann wären Sie tatsächlich ausgeliefert und müssten diesen Abläufen folgen. Sie hätten keine Möglichkeit, den eigenen Trauerprozess zu beeinflussen. Sie sind dem Geschehen, dem Orkan, jedoch nicht hilflos ausgeliefert, auch wenn es Ihnen auf den ersten Blick so scheinen mag. Sie können sich mit dem Geschehen auseinandersetzen, es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und eigene Formen des Umgangs mit dem Verlust finden. Dies ist weit mehr als ein ohnmächtiges Ausgeliefertsein. Insofern kann diese Erkenntnis den eigenen Trauerprozess unterstützen. Sie können Ihrer Hilflosigkeit begegnen. Vielleicht kann allein dieses Wissen Sie schon ein Stück weit ermutigen, ebenso wie die Tatsache, dass alles im Prozess der Wandlung und Veränderung steht. Das bedeutet auch, dass die intensiven Gefühle, der Schmerz, der Kummer, die Angst und quälende Gedanken auf Dauer nicht so bleiben, wie Sie sie zu Beginn des Trauerprozesses erleben. Verschobene Trauerprozesse und temporäres Verdrängen Vielleicht ist es schon einige Jahre her, dass Ihr Mann gestorben ist. Es kann sein, dass Sie den Eindruck hatten, Ihr Trauerprozess sei abgeschlossen und jetzt erschrocken sind, dass Sie sich mit Ihrer Trauer befassen. Trauerprozesse werden manchmal zugunsten von Überlebensstrategien verschoben. Solche Verschiebungen können entstehen, weil die Trauerarbeit den Betroffenen zum Zeitpunkt des Verlusts überfordert hätte. Das Funktionieren im Alltag kann dann erst einmal notwendiger sein, um die eigene Existenz und die der Familie zu sichern. Verschobene Trauer kann also durchaus sinnvoll und gesund sein. Das soziale Umfeld und die Betroffenen selbst verstehen häufig nicht, dass die zunächst verschobene Auseinandersetzung mit dem Verlust später nachgeholt wird. Ein temporäres, gesundes Verdrängen, um neue Kraft für den anstrengenden Prozess des Trauerns zu sammeln, ist immer wieder notwendig. Vermeidungsstrategien (z. B. permanente Ablenkung, Betäubung durch Alkohol oder Medikamente), die die Auseinandersetzung mit dem Verlust Trauer verstehen
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und den daraus entstandenen Konsequenzen permanent verhindern sollen, können dauerhaft körperlich und seelisch krank machen. Änderung des Trauerausdrucks Bitte erschrecken Sie nicht, wenn Sie feststellen, dass sich im Laufe der Zeit die Art und Weise, wie Sie Ihre Trauer ausdrücken, verändert. Meggi (44) kam eines Tages sehr bestürzt über sich selbst zur Trauerbegleitung. »Stellen Sie sich vor, ich habe das Foto von Marc gestern in die Schublade geräumt. Das geht doch gar nicht! Wie konnte ich das nur tun? Ich habe es auch heute früh wieder aufgestellt.«
Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Sie bemerken, dass sich der Ausdruck Ihrer Trauer verändert hat. Das ist eine normale und gesunde Entwicklung im Trauerprozess. Wenn Ihr Mann noch leben würde, hätte sich die Beziehung zu ihm auch verändert. Sie wäre inniger geworden, Sie hätten sich voneinander entfernt, wieder angenähert oder getrennt – wie auch immer. Mit dem Tod ist die Beziehung zu Ihrem Mann nicht beendet. Sie führen sie auf andere Art fort. Vielleicht stellen Sie fest, dass Sie weniger an Ihren Mann denken, das Grab nicht mehr so oft besuchen, aufgehört haben, an ihn zu schreiben, oder andere Dinge nicht mehr tun, die zuvor wichtige Elemente in Ihrer Trauer darstellten. Nehmen Sie diese Veränderungen als positives Zeichen der Bewegung in Ihrem Trauerprozess wahr. Akzeptieren Sie, dass sich alles in unserem Leben verändert. Vielleicht können Sie auch die Chance darin erkennen, mit dem Verlust leben zu lernen. Bitte befürchten Sie nicht, dass Sie Ihren Mann ganz vergessen oder ihn nicht genügend würdigen. Es ist normal, dass sich der Ausdruck der Trauer und die innere Verbundenheit mit dem Verstorbenen verändern. Viele Frauen berichten, dass der innere Platz, den der Verstorbene in ihrer Seele einnimmt, wichtiger geworden ist als der äußere Ausdruck, der anfangs mehr Raum verlangt hat. Zudem kann der innere Platz ebenfalls in den Hintergrund treten, weil Beziehungen im aktuellen Leben bedeutender geworden sind. Erlauben Sie sich auch diese Veränderungen. Rechnen Sie damit, dass es dennoch Tage oder Zeiten geben kann, an denen die Beziehung zu Ihrem Mann wieder in den Vordergrund 62
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
rückt. Das können beispielsweise Todestage, besondere Tage (z. B. Weihnachten, Geburtstage, Schuleintritt oder -abschluss des Kindes) oder Zeiten sein, in denen das Leben für Sie besonders schwer ist und Ihr Mann Ihnen fehlt.
2.4 Trauerreaktionen und Trauerthemen Sie werden sich auf Ihre ganz persönliche Art und mit Ihren individuellen Fähigkeiten mit den Aufgaben, die die Trauer mit sich bringt, befassen. Wann, wie lange und wie oft Sie sich mit den einzelnen Themen beschäftigen, welche Hürden Sie dabei bewältigen müssen und welche Unterstützung Sie dabei benötigen, lässt sich pauschal nicht sagen. Es kann hilfreich sein, einen Überblick über diese in immer neuen Abwandlungen auftretenden Themen zu haben. Der amerikanische Trauerforscher William Worden (2010) unterscheidet vier Themen bzw. Aufgaben der Trauer, die von Chris Paul ergänzt sowie mit Themen von Dennis Klaas und Robert Neimeyer erweitert wurden. Die Themen der Trauer können wiederholt auftauchen und unter anderen Aspekten und Sichtweisen angegangen werden. Der Verlust wird so immer wieder neu in die eigene Lebensbiografie eingeordnet. Ich möchte Ihnen diese Themen in einer von mir abgewandelten und ergänzten Form kurz vorstellen. Eine Klientin sprach in diesem Zusammenhang einmal von dem Bild »der bunten Weihnachtskugeln«, das ihr geholfen habe, sich selbst besser zu verstehen. Ich verwende gern das Bild einer Art Balljonglage. Es geht darum, die Kugeln (Themen der Trauer), die sich dem »Spieler« stellen, zu bewegen und dabei darauf zu achten, dass die Kugel in der Mitte (Ich/Kinder, der Spieler, die Existenz, das Überleben) erhalten bleibt. Ist eine Kugel scheinbar aus dem Weg geräumt, kann sie später an anderer Stelle wieder auftauchen. Um eine oder mehrere Kugeln gleichzeitig zu bearbeiten, brauchen Sie das notwendige Rüstzeug (z. B. Wissen, Unterstützung, Zeit, Raum). Jonglieren bedeutet, sich zu bewegen, etwas zu bewegen, zu steuern, eine neue Sicht einzunehmen, Reihenfolgen und Muster zu verändern, zu kombinieren, leichte und weniger leichte Muster zu wählen, sich zu üben, in eine Balance zu finden, und vieles mehr. Fakt ist, dass Anfänger in der Balljonglage tatsächlich nur Stunden oder Trauerreaktionen und Trauerthemen
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allenfalls einige Tage brauchen, um drei Bälle jonglieren zu lernen. Mit vier Bällen dauert der Lernprozess Wochen bis Monate und mit fünf bis sechs Bällen Monate bis Jahre, während derer sich durch Übung die Sinne für das Fangen und Werfen immer mehr verfeinern. Schauen wir uns an, welche Bälle Sie erwarten.
Verlust begreifen und als neue Realität akzeptieren Trauergefühle und Gedanken wahrnehmen, ausdrücken und bearbeiten
Lebenswille, Lebensfreude, Lebenssinn
Überleben, Funktionieren, Existenz sichern Eine neue Verbindung zum Verstorbenen und Neuorientierung finden
Ressourcen aufdecken und aktivieren Sich an die Welt ohne die verstorbene Person anpassen
Abbildung 1: Jonglieren mit den Themen der Trauer
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Verlust begreifen und als neue Realität akzeptieren
»Als eine Bekannte vor drei Jahren ihren Mann verloren hat, habe ich mir, ehrlich gesagt, nicht so viele Gedanken darum gemacht, was das alles für sie bedeutet. Es tat mir schon leid, aber richtig verstanden habe ich das nicht. Ich habe auch nicht besonders gut reagiert, glaube ich. Das tut mir heute leid. Als mein Mann vor einem Jahr plötzlich gestorben ist, wollte ich es zuerst nicht wahrhaben. Es war wie ein schrecklicher
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Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Traum. Ich konnte es lange nicht glauben, dass er nie wieder durch diese Tür hier kommen würde.« Judith (42)
Sie erinnern sich an den Beginn des Buchs, an Ihre ersten Reaktionen auf den Tod. Es kann dauern, bis Sie verstanden haben, dass Ihr Mann nicht wiederkommt. Und wenn Sie glauben, es verstanden zu haben, kann es ein, dass Sie plötzlich wieder auf die erneute Frage zurückgeworfen werden, ob er tatsächlich nicht wiederkommen wird. Das, was Judith (Zitat oben) und Miriam (Zitat unten) beschreiben, erzählen einige Klientinnen. Falls es Ihnen ähnlich geht, wissen Sie jetzt, dass Sie nicht allein sind mit derartigen Erlebnissen. Es dauert eben, wieder in die eigene Balance zu finden. Nutzen Sie dabei alles, was sinnlich und haptisch dabei hilft, zu verstehen, zu begreifen und zu hören, dass Ihr Mann tot ist und bleibt. »Ich wusste, dass Alex tot ist. Es hat mir geholfen, ihn tot zu sehen, ihn anzufassen und zu spüren, dass sein Körper kalt war. Es hat geholfen, zu hören, dass meine Freundin mir ohne Umschweife gesagt hat: ›Alex ist tot, er kommt nicht wieder.‹ Das habe ich dann irgendwie mit der Zeit verstanden. Als dann der erste Todestag kam, habe ich insgeheim gedacht, dass er heute doch wiederkommt. Schließlich reicht ein Jahr Abwesenheit. Zugleich wusste ich genau, dass das nicht sein kann. Ich habe mich nur getraut, im Rahmen der Begleitung darüber zu sprechen.« Miriam (38)
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Trauergefühle und Gedanken wahrnehmen, ausdrücken und bearbeiten
Intensive, widersprüchliche, verstörende Gefühle
In Ihrer Trauer können Sie vielen unterschiedlichen, sehr intensiven und oft widersprüchlichen oder verstörenden Gefühlen, wie Schmerz, Weinen, Lachen, Kummer, Nicht-wahrhaben-Wollen, Verzweiflung, Liebe, Neid, Ohnmacht, Wut, Scham, Panik, Freudlosigkeit, Angst, Trauer, Sehnsucht und Dankbarkeit, erleben. Das Erfahren dieser gewaltigen, gegensätzlichen Gefühle kann verwirrend und beängstigend sein. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, auch Wut, Schuld, Neid, Erleichterung und Hass. Starke Wünsche nach SicherTrauerreaktionen und Trauerthemen
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heit, Nähe, Hoffnung und Zuversicht können die Gedanken und Gefühle des Trauernden bestimmen. »Ich kann andere Paare nicht mehr ertragen. Einladungen bei Freunden sage ich ab, weil ich so starke Wut und Neid empfinde, weil die anderen Frauen ihren Mann noch haben. Andererseits weiß ich, dass sie es gut mit mir meinen.« Nadine (48)
Schmerz
Trauer ist die Antwort auf schmerzhafte Veränderung. Trauer und Leid sind notwendig, um mit den Konsequenzen des Verlusts zurechtzukommen, neue Lebensperspektiven zu entwickeln und eine andere Verbundenheit zu Ihrem verstorbenen Mann zu finden. Der Schmerz zwingt uns in Veränderungsprozesse. Wir möchten ihn loswerden. Das regt uns an, in Bewegung zu kommen, uns neu auszurichten, unsere Sichtweisen und unser Verhalten zu verändern und uns neue Fähigkeiten zuzutrauen. So kann ein schwerer Verlust überlebt werden. Wenn wir unseren Schmerz nicht dauerhaft verdrängen, kann er uns Chancen auf ein anderes, verändertes Leben eröffnen. »Bin ich eigentlich noch normal?«
Diese Frage höre ich von betroffenen Frauen immer wieder. Anfangs kann es sein, dass Sie sich unendlich verzweifelt, hilflos und ohnmächtig fühlen. Trauern bedeutet leiden. Trauerprozesse kosten unendlich viel Kraft und können an seelische und körperliche Grenzen führen. Vielleicht fällt Ihnen alles schwer, alles ist Ihnen egal oder Sie vergessen zu essen und zu trinken. Es kann sein, dass Sie keinen Wert mehr auf Ihre Kleidung legen oder darauf, sich zu pflegen oder zu schminken, weil Ihnen all das zu banal und sinnlos vorkommt. Emotionale und körperliche Sicherheiten können verlorengehen. Ihr Körper kann Ihnen fremd und nutzlos erscheinen. Es kann sogar sein, dass Sie ihn gar nicht mehr richtig spüren. Gewohntes und Vertrautes ist weggebrochen. Vieles zeigt sich plötzlich aus einem anderen Blickwinkel und erschüttert das Selbst- und Weltbild bis ins Tiefste. Selbstsicherheit und das Vertrauen in das Gute, das Positive in der Welt sind häufig verloren. Weil sich durch den Tod so vieles geändert hat, entstehen oft Gefühle von Überforderung und Resigna66
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
tion. Manche Frauen ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück, weisen Freunde ab oder geben Hobbys und Lebensträume auf. Einfache Dinge, wie einen Kaffee zu kochen oder die Waschmaschine zu bedienen, können plötzlich zum Problem werden. Sie haben Ihre Stabilität verloren, Ihr gemeinsames Zuhause, Ihre gemeinsame Zukunft. Möglicherweise fühlen Sie sich leer, amputiert, nicht mehr als Mensch und nicht mehr als Frau. Vielleicht mögen Sie niemanden sehen und dennoch wollen Sie nicht allein sein. Es kann sein, dass Sie nicht wissen, was Sie brauchen, was Sie wollen und wer Sie sind. Wut
Sie dürfen wütend sein auf Ihren Mann, obwohl er gestorben ist. Ich erlebe immer wieder Frauen, die unendlich wütend sind auf ihren verstorbenen Mann (weil er sich einfach »aus dem Staub« macht und sie allein lässt, weil er ein unglaubliches Chaos hinterlässt, weil er nie das Passwort für seinen PC genannt hat, weil er einfach so ohne Vorwarnung gestorben ist, weil er so besonders war und es deshalb jetzt so schwer ist, weil er schon immer jemand war, der Krankheiten nicht ernst genommen hat, weil er zu lange gezögert hat mit der Familienplanung oder Heirat). Sie dürfen wütend sein, dass Sie Ihr Leben nicht mehr so leben können, wie Sie es wollten. Wut aktiviert Kräfte, um die bestehende Situation zu verändern. Leider schämen sich viele Frauen, weil sie Wut empfinden, und unterdrücken sie. Das kostet viel Kraft. Sie haben die Sorge, den Partner in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, und sie fürchten, dass die Wut die Liebe zu ihm entwertet oder andere den Eindruck haben könnten, sie hätten eine schlechte Beziehung geführt. Hinweis: Bitte ermöglichen Sie sich auch den Ausdruck von Wut. Richten Sie Ihre Wut nicht nach innen. Sie dürfen mit Ihrem Mann schimpfen, weil er unvorsichtig war, Sie allein gelassen hat oder Probleme hinterlassen hat, die Sie jetzt lösen müssen. Sie dürfen laut sein und etwas zerstören, weil das Schicksal ungerecht und schmerzhaft ist. Ihre Wut ändert nichts daran, dass es auch weiterhin liebende Gefühle zu Ihrem Mann gibt. Sie kann Sie jedoch anregen, Veränderungen anzugehen, um die belastende Situation erträglicher zu machen. Trauerreaktionen und Trauerthemen
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Verwirrende, verstörende und quälende Gedanken und Grübelschleifen
Neben den verstörenden, intensiven Gefühlen können verwirrende, verstörende und quälende Gedanken oder Grübelschleifen Begleiter in der Trauer sein. Wir haben uns im ersten Kapitel schon damit befasst und auch überlegt, welche Möglichkeiten des Umgangs es geben kann. Jetzt möchte ich mit Ihnen einen Blick auf Schuld gedanken werfen. Schuldgedanken Vielleicht quälen Sie Schuldgedanken, wie zum Beispiel »Warum habe ich ihn nicht noch zum Arzt geschickt?«, »Warum habe ich nicht früher bemerkt, dass er …?«, »Wären wir nicht verabredet gewesen, hätte er nicht …!«. Möglicherweise glauben Sie, für nicht genug Sicherheit gesorgt und durch Versäumnisse oder eigenes Verhalten zum Tod Ihres Mannes beigetragen zu haben. Vielleicht fühlen sie sich auch schuldig, weil Sie selbst noch leben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Schuldgedanken im Trauerprozess auftauchen, obwohl rein faktisch gesehen keine Schuld besteht. Schuld kann dort eine Erklärung geben, wo andere Argumente nicht mehr greifen. Schuldgedanken können aus dem Bedürfnis entstehen, den Tod erklären und Ursachen für ihn finden zu wollen, und tauchen oft da auf, wo Todesumstände rätselhaft sind. »Der Arzt trägt die Schuld. Er hätte den Tod durch schnelleres, gezieltes Handeln verhindern können.« So machen wir wenigstens die quälende Frage nach dem Warum erträglicher und bezichtigen andere oder uns selbst, für den Tod verantwortlich zu sein. Manchmal entlasten wir mit Schuld gedanken mögliches Fehlverhalten des Verstorbenen. »Er hätte diesen Unfall nicht verursacht, wenn er nicht durch den Streit auf der Arbeit abgelenkt gewesen wäre.« Der Tod, den wir nicht verhindern konnten, erzeugt Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Schuld macht uns wieder handlungsfähig. Sie erklärt uns, dass der Tod doch hätte besiegt und umgangen werden können, wir also nicht ganz hilflos sind. Zudem kann die Suche nach Schuldigen uns davon ablenken, unser Leid und unseren Schmerz in ganzer Härte zu fühlen. So helfen uns mögliche gedankliche Hilfskonstruktionen und Hypothesen zu Schuld, unser Leid erträglicher zu machen. Deshalb ist es nicht 68
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
immer notwendig, dass Sie gegen Ihre Schuldgedanken ankämpfen. Meist lösen sie sich auf, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Hinweis: Im Zusammenhang mit Suizid tauchen Schuldgedanken verbunden mit Gefühlen von Scham häufig auf. Für Betroffene, die sich schuldig fühlen, sei es wichtig, so der Trauerforscher W. Worden, sich mit sich selbst auszusöhnen. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Schuld real oder irreal sei (2010, S. 94).Vermeiden Sie es, das Leben anderer durch Beschuldigungen (siehe Kapitel 4.6 und 4.7) zu zerstören. Wenn Sie sich für eigene Schuld bestrafen (Selbstverletzung, ernsthafte Suizidgedanken), ist zudem eine Grenze überschritten. Sie sollten sich in beiden Fällen ganz dringend professionelle Unterstützung holen. Körperliche Reaktionen
Ihr Körper kann mit Unruhe, Gereiztheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Erschöpfung, Herzschmerzen, Herzrasen, Übelkeit, Magenschmerzen, Essstörungen, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen und vielem mehr reagieren. Intensive Träume können ebenfalls eine Reaktion auf einen schweren Verlust sein und wichtige Hinweise für die Trauerarbeit geben. Hinweise: Wundern Sie sich bitte auch nicht, wenn Sie häufiger als früher unter Infekten leiden. Die Trauerarbeit kostet seelische und körperliche Energie. Daher kommt es nach einem Verlust häufiger zu Erkrankungen. Zudem ist es in der ersten Zeit für die meisten Trauernden schwer, ausreichend und gesund zu essen und zu trinken. Wenn Sie nicht sicher sind, ob es sich um normale Reaktionen der Trauer handelt, oder wenn Sie Sorge haben, ernsthaft erkrankt zu sein, lassen Sie die Symptome ärztlich abklären. Erlauben Sie sich Ihre Gefühle, Ihren Seelenzustand. Sie dürfen untröstlich und verzweifelt sein und sich verlassen fühlen, denn Sie haben den Menschen verloren, der Ihnen am meisten bedeutet hat. Wechseljahre
Bedenken Sie, dass, je nachdem, wie alt Sie sind, die Wechseljahre sich ankündigen können. Trauerreaktionen können sich dann mit Trauerreaktionen und Trauerthemen
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den biologischen Veränderungen Ihres Körpers und Ihrer Seele vermischen und/oder sie verstärken. Das kann es zusätzlich schwermachen, sich selbst zu verstehen. Lassen Sie zu Ihrer Beruhigung vielleicht ärztlich abklären, ob bereits hormonelle Umstellungen in Gang sind. Hinweise: Nehmen Sie Ihre Reaktionen auf den Verlust wahr. Prüfen Sie, ob es sich um Reaktionen handelt, die Ihr Leben (und/oder das Ihrer Kinder) gefährden. Lassen Sie Ihren Reaktionen Raum und einen Ausdruck, der weder Sie selbst noch andere oder deren Eigentum gefährdet. Überlegen Sie, welche möglichen individuellen Entlastungen Ihnen helfen können, um mit den Reaktionen auf Ihren Verlust, die Sie am meisten belasten, umzugehen (z. B. bei Wut: im Auto brüllen, Ihre Mülltonne treten; bei Erschöpfung: Schlaf, gesundes Essen; bei Grübelschleifen: Entspannungsmassagen, Imaginationen; bei Unsicherheit: Begleitung, WhatsApp-Kontakte). Nutzen Sie bitte zu Ihnen passende Rituale, kreative Möglichkeiten, Bewegung, Entspannung, geistige Beschäftigung und so weiter. Mit der Zeit können Sie lernen, Ihre belastenden Gedanken und Gefühle zu steuern und sie als Ausdruck von Gefühlen nach einer einschneidenden Lebenserfahrung zu akzeptieren.
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Überleben, Funktionieren, Existenz sichern
Der Verlust kann existenzielle Folgen haben. Es geht deshalb darum, nach dem Tod Ihres Mannes dafür zu sorgen, dass Sie und Ihre Kinder körperlich und psychisch überleben. Das bedeutet, für die Versorgung mit Essen und Trinken, Wärme, Schlaf, Sicherheit, Zuwendung und Zuneigung zu sorgen und somit zunächst die Grundbedürfnisse des Überlebens zu gewährleisten. Eine Überlebensstrategie kann sein, die Beschäftigung mit dem Verlust aufzuschieben. Deshalb funktionieren Menschen in einer solchen Belastungssituation automatisch und fokussieren sich auf die wesentlichsten Elemente, die die weitere Existenz sichern. Nicht immer können betroffene Frauen sich allein um ihr eigenes Überleben und das ihrer Kinder kümmern. Es ist wichtig, alles, was das Überleben unterstützt, zu nutzen und für notwendige und hilfreiche
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Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Unterstützung zu sorgen. Neben Familie, Freunden und Nachbarn kann therapeutische Unterstützung und/oder Hilfe vom Jugendamt oder andere fachliche Hilfe wichtig sein. Überlegen Sie bitte: Was und wer kann Ihnen helfen, zu überleben? Hinweise: Ihre Existenz dauerhaft zu sichern, bedeutet, neben der körperlichen und psychischen Existenz eine wirtschaftliche Lebensgrundlage zu schaffen. Im Kapitel 3.5 gab es dazu schon Hinweise. Manchmal sind Trauerreaktionen so anstrengend, dass es Ihnen nicht gelingt, den Alltag aufrechtzuerhalten. Das kann bedeuten, sich krankschreiben zu lassen. Bitte sprechen Sie mit einem Arzt Ihres Vertrauens. Immer wieder erlebe ich, dass Frauen ein schlechtes Gewissen haben, sich krankschreiben zu lassen. Sie empfinden sich als Heuchlerinnen, weil sie sich nicht im herkömmlichen Sinn krank fühlen, sondern Zeit brauchen, um neue Kraft zu sammeln und sich mit dem Verlust und den daraus entstanden Folgen zu befassen. Es ist verantwortlich, sich diese »Auszeiten« präventiv zu gewähren, um nicht ernsthaft an Körper und Seele zu erkranken. Es kann zudem erforderlich sein, dass Sie sich in ärztliche Behandlung begeben, um Ursachen körperlicher oder psychischer Symptome zu klären. Gehen Sie lieber einmal mehr zum Arzt, wenn Sie unsicher sind, und nehmen Sie professionelle Hilfe in Anspruch
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Ressourcen aufdecken und aktivieren
Sie brauchen, um nicht an Ihrem Trauerprozess zu zerbrechen, seelische und körperliche Kraft. Das bedeutet: Alles, was Sie jetzt stärken, ein wenig erfreuen oder Ihnen Mut und Zuversicht schenken kann, sollten Sie wahrnehmen und nutzen. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Ressourcenregal mit vielen ganz unterschiedlichen Gläsern und Dosen gefüllt ist, die Sie je nach Situation und nach Bedarf nutzen können. Im Kapitel 5 werden wir uns mit möglichen Aspekten befassen, die Ihnen bei der Suche nach Ihren ganz persönlichen Ressourcen helfen können. Zudem finden Sie im Buch fortlaufend Hinweise zu potenziellen Kraftquellen.
Trauerreaktionen und Trauerthemen
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Sich an die Welt ohne die verstorbene Person anpassen
Vieles, worauf Sie Ihr Leben aufgebaut haben, ist mit dem Tod Ihres Mannes zerbrochen. Persönliche Werte, Maßstäbe und Lebensregeln wurden durcheinandergebracht und verlieren zum Teil ihre Gültigkeit. In der Zeit der Veränderung sind Sie jetzt gezwungen, neue Wege zu gehen. Sie müssen sich auf die Suche nach Handlungsweisen, neuen Lebensentwürfen und Perspektiven machen. Zwangsläufig hat dies zur Folge, dass Sie lernen müssen, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen. Sie müssen sich mit Ihrer neuen Identität als Trauernde, Witwe, Alleinerziehende und Alleinstehende im sozialen Umfeld zurechtfinden. Innerhalb Ihres Lebenssystems müssen Rollen und Aufgaben neu verteilt und gewohnte Positionen aufgegeben werden. Mit dem Tod Ihres geliebten Mannes kann es für Sie zu einem Identitätsverlust als Frau kommen. »Wie soll ich mein Frausein jetzt begreifen? Wie sehen die anderen mich?« Ihre soziale und gesellschaftliche Rolle hat sich verändert und damit das Verhalten der anderen Ihnen gegenüber. Neue, ungewohnte Rollen bringen neue Anforderungen an Sie mit sich. Sie müssen sich neu definieren und sich Gedanken über eine andere Lebensplanung machen. Worden (2010) hat drei wesentliche Bereiche herausgestellt, die eine Anpassung verlangen. Er spricht erstens von der »externen Anpassung« im Alltag und meint damit, dass die Aufgaben des Alltags neu verteilt, erlernt und bewältigt werden müssen. Zweitens müssen trauernde Menschen für eine »interne Anpassung« sorgen. Das heißt, sie müssen lernen, mit ihrem eigenen Empfinden und dem Wegfall an Bestätigung, Zuneigung und Schutz (durch den Verstorbenen sowie durch die Veränderung der restlichen Familienmitglieder) zurechtzukommen. Und drittens ist es nötig, eigene Wertvorstellungen, das persönliche Weltbild, den Glauben und die bisherigen Lebensperspektiven zu überprüfen und der neuen Lebenssituation anzupassen. Betrachten wir die Vielfalt der soeben genannten Bereiche, in denen Anpassungen stattfinden müssen, wird deutlich, wie anstrengend und vielfältig der Prozess der Trauer ist. Im Kapitel 3 befassen wir uns darum mit gesellschaftlichen und familiären Aspekten der Anpassung. 72
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
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Eine neue Verbindung zum Verstorbenen und Neuorientierung finden
Menschen, die Ihnen nahestehen, sterben. Das können Sie nicht verhindern. Es ist Ihre Entscheidung, Ihre Trauer und Ihr Schicksal anzunehmen und belastende Bilder loszulassen. Es liegt in Ihrem Ermessen, Lebensentwürfe neu zu gestalten und neue Beziehungen zu knüpfen. Dabei müssen Sie Ihren Mann nicht loslassen. Sie können sich weiter mit ihm verbunden fühlen. Sie dürfen Ihrem Mann einen neuen Platz in Ihrem Leben geben, der Sie nicht belastet und Ihnen die Möglichkeit offen lässt, sich ein anderes Leben aufzubauen. Mehr zur Neugestaltung der Beziehung finden Sie im Kapitel 2.6.
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Lebenswille, Lebensfreude, Lebenssinn
Die Suche nach einem anderen Lebenskonzept beinhaltet häufig die Beschäftigung mit Themen wie Lebenswille, Lebenssinn und Lebensfreude. Dabei müssen individuelle Antworten auf Fragen, wie »Warum sollte ich weiterleben?«, »Wer bin ich?«, »Was will ich?«, »Was ist mir wichtig?«, »Was gibt meinem Sein einen Sinn?«, »Wer möchte ich sein?«, gefunden und in neue Lebensperspektiven eingebunden werden. Prüfen Sie, welche realistischen Möglichkeiten Ihnen zur Verfügung stehen und welche Sie nutzbar machen können. Bitte trauen Sie sich, vielleicht zunächst undenkbare Perspektiven mit einzubeziehen. Schauen Sie Ihr bisheriges Leben, Ihre Erfahrungen und Beziehungen an. Fragen Sie sich, wie Sie leben möchten, was Sie sich für Ihre Zukunft wünschen, wer Sie sein möchten und welche Menschen Ihnen jetzt wichtig sind. Welche neuen und wesentlichen persönlichen Werte und Lebenssätze sind aus der Verlusterfahrung Ihres Mannes entstanden? Knüpfen Sie an Ihre Träume und Wünsche an, um zu einem zukünftigen, erfüllten Leben zu finden.
2.5 Todestage und andere besondere Tage Wie Sie besondere Tage und Zeiten, also Jahrestage, wie zum Beispiel Geburts-, Hochzeits- oder Todestage, Festtage, wie Weihnachten oder Silvester, sowie Tage, die im gemeinsamen Leben eine Rolle gespielt Todestage und andere besondere Tage
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haben (z. B. Kennenlerntag, erste gemeinsame Reise, die Geburt des Kindes) oder gespielt hätten (z. B. geplante Hochzeit, Reise, Umzug, Schulanfang Ihres Kindes), bestmöglich gestalten, müssen Sie selbst entscheiden. An diesen Tagen und/oder um diese Tage herum kann es sein, dass Sie den Verlust meist noch einmal besonders nah, intensiv und schmerzlich erleben. Vielleicht haben Sie auch den Eindruck, dass sich an Ihrer Trauer noch nichts verändert hat, und/oder Sie haben Sorge, die heftige Zeit der Gefühle könne wieder von vorn beginnen. Möglicherweise empfinden Sie das als beängstigend und verunsichernd. Veränderungen der Trauer selbst wahrzunehmen ist häufig schwer. Daher kann der Eindruck entstehen, nicht von der Stelle zu kommen. Ich möchte Sie deshalb darüber informieren, dass dies ein normaler Aspekt im Trauerprozess ist. Hinweis: Erfahrungsgemäß kann es nützlich sein, sich zurückzuerinnern, wie die Trauer sich zu Anfang angefühlt und geäußert hat. Filtern Sie Unterschiede zu heute heraus. Eine andere Methode, sich den Wandel bewusst zu machen, ist das Aufschreiben von kurzen Notizen (Buchstaben oder Smileys) zu Gefühlen, die den Tag begleiten. Diese Notizen können Sie dann in regelmäßigen Abständen vergleichen. Bereiten Sie sich auf besondere Tage vor Sylvia (35) fühlte sich am ersten Hochzeitstag ohne ihren Mann unendlich allein. »Niemand außer mir hat an diesen Tag gedacht. Da habe ich André noch mehr als sonst vermisst. Ich war so allein und wollte am liebsten nicht mehr leben. Die Kinder konnten die Bedeutung dieses Tages für mich nicht verstehen. Sie sind ja auch noch so jung. Ich habe mir dann Hilfe gesucht. Mit meiner Trauerbegleiterin habe ich den zweiten Hochzeitstag vorbereitet. Ich habe an dem Tag etwas unternommen. Die Kinder habe ich zu meiner Schwiegermutter gebracht, sodass ich den Tag für mich hatte. Ich war in der kleinen Kapelle, wo wir geheiratet haben. Da habe ich eine besondere Kerze aufgestellt und bin dann dort ein Stück spazieren gegangen und habe mich an den wunderschönen und glücklichen Tag damals erinnert. Ich habe auch geweint. Das war alles gut so und da wollte ich auch allein sein. Später habe ich mich mit einer Freundin getroffen und wir sind in ein 74
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ganz besonders schönes Thermalbad gegangen. Haben uns entspannt und massieren lassen. Am frühen Abend war ich dann mit den Kindern zu Hause. Wir haben Pizza bestellt und ich habe ihnen die Fotos von unserer Hochzeit gezeigt. Das war nochmal traurig und doch schön gleichzeitig. Jedenfalls war es so viel besser für mich als im Jahr vorher.«
Hinweise: Erfahrungsgemäß ist es hilfreich, sich im Vorhinein mit bevorstehenden besonderen Tagen zu befassen. Überlegen Sie, was helfen könnte, die schwierige Zeit bestmöglich zu überstehen. Manche Frauen sind lieber allein, andere fahren weg, wieder andere möchten einen normalen Alltag mit den dazugehörigen Verpflichtungen, andere am liebsten eine Mischung von allem. Was erscheint Ihnen momentan besonders schwierig an solch einem Tag oder in dieser Zeit? Was würden Sie sich wünschen? Soll es ein bestimmtes Ritual geben? Wie gestalten Sie Ihren Arbeitstag? Sammeln Sie Ihre Eindrücke. Schauen Sie, was sich davon realisieren und mit anderen Familienmitgliedern und Freunden, die vielleicht von solch einem Tag auch betroffen sind, vereinbaren lässt. Haben Sie schon Erfahrungen mit Jahrestagen? Dann sortieren Sie, was beim letzten besonders negativ, was besonders positiv war. Versuchen Sie, die weniger guten Aspekte zu meiden, und fördern Sie die Dinge, die hilfreich waren. Entwickeln Sie Ihre eigenen Rituale Sie können Ihrem inneren Empfinden (z. B. Schmerz, Hoffnung, Dankbarkeit, Liebe, Trauer) mit einem Ritual einen sichtbaren Ausdruck geben. Es kann Ihnen helfen, das Unfassbare begreiflich zu machen und den Verlust zu realisieren. Rituale können durch das eigene Aktivwerden (z. B. eine Kerze anzünden, singen, einen Text sprechen, etwas gestalten) ein wichtiges Gegengewicht zu Gefühlen wie Ohnmacht und Hilflosigkeit sein. Zudem bieten sie Halt und Orientierung in einer unsicheren Zeit.
Hinweise: Ich möchte Sie ermutigen eigene, passende und tröstliche Rituale für sich zu finden. Orientieren Sie sich dabei bitte an Ihren persönlichen Bedürfnissen und nicht an gesellschaftlichen Normen. Rituale müssen gar nicht spektakulär, sondern für Todestage und andere besondere Tage
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Sie stimmig sein. Eine Kerze für den Verstorbenen anzuzünden kann als ein sehr tröstliches Ritual empfunden werden. Halten Sie bitte nicht an Ritualen fest, wenn Sie sich damit nicht mehr wohlfühlen. Rituale dürfen sich im Laufe des Trauerprozesses verändern, an Wichtigkeit abnehmen oder aufgegeben werden. Werden Sie, weil die Familie es nicht zulässt, an offiziellen Ritualen nicht beteiligt (z. B. Trauerfeier), schaffen Sie eigene, stimmige Rituale für sich und eventuell zusammen mit einem Freundeskreis. Gerade wenn Sie ausgeschlossen werden oder Ihr Umfeld Ihren Verlust nicht anerkennt oder ihm keine Beachtung mehr schenkt, können Rituale für Sie als besonders heilsam empfunden werden. Wenn Sie Kinder haben, die um ihren Vater trauern, können Sie Ihre Kinder ebenfalls ermutigen, ein Bild zu malen oder einen Brief an den Papa zu schreiben. Zudem sollten Kinder eigene Rituale entwickeln dürfen, altersentsprechend in bestehende Rituale einbezogen oder an der Entwicklung von »Familienritualen« beteiligt werden. Besondere Tage mit besonderen Ritualen begehen Rituale eigenen sich zudem zur Gestaltung besonderer Tage. Sie geben den schweren Tagen Halt, verbinden Sie mit Ihrem Mann und geben ihm einen neuen, anderen Platz in Ihrem Leben. Annika (29) kocht zum zweiten Mal zum Geburtstag ihres verstorbenen Mannes Jannis (33) ein spezielles Rosenkohlrezept, weil Jannis das so sehr mochte. Sie geht zwar tagsüber wie immer zur Arbeit, nimmt sich dort jedoch ein kleineres Arbeitspensum vor und lädt am Abend Freunde ein. Sie stellt ein Foto von Jannis auf und lässt seine Lieblingsmusik laufen. Es wird über Jannis erzählt, sich an gemeinsame Erlebnisse erinnert, gelacht, geweint und auch über ganz anderes gesprochen. Annika empfindet dieses Ritual als tröstlich. Es tut ihr gut, dass Jannis an diesem Tag nicht vergessen wird und sie am Abend nicht allein ist.
Gibt es noch etwas zu klären? Vielleicht sind Sie zurückgeblieben mit offenen Fragen, Enttäuschung, Verletzung, Wut oder Gedanken von Schuld. Unerledigtes, 76
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Unausgesprochenes und Ungeklärtes können sehr belastend sein und den Trauerprozess erschweren. Eine heilsame Erinnerung zu finden ist dann schwierig. Möglicherweise erkennen Sie erst jetzt, nach dem Tod Ihres Mannes, wie wichtig und wertvoll er für Sie war, und bereuen, ihm nicht gesagt zu haben, dass Sie ihn lieben oder was Sie an ihm schätzen. Rituale bieten sich an, um Dinge zu klären oder symbolisch nachzuholen, die offen geblieben sind. Vielleicht ist es sinnvoll, Ihrem Mann noch einen letzten Brief zu schreiben. Darin können Sie all die Dinge aufnehmen, die Sie noch gern gesagt hätten oder die unausgesprochen geblieben sind. Sie können Ihrem Mann danken, ihm verzeihen, sich verabschieden, sich entschuldigen, mit ihm schimpfen, etwas beichten und/oder ihm etwas wünschen. Viele Frauen empfinden es als befreiend, sich diese ungesagten Worte im wahrsten Sinne des Wortes von der Seele zu schreiben. Ist Ihr Mann noch nicht bestattet, kann der Brief mit ins Grab oder in die Urne gegeben werden. Schreiben Sie den Brief erst später, können Sie ihn aufbewahren oder verbrennen und die Asche zum Beispiel in einem Fluss, im Wald, im Garten oder auf dem Grab Ihres Mannes verstreuen. Stefanie (33) machte eine Reise, die sie eigentlich gemeinsam mit Moritz (33) geplant hatte. Sie schrieb dem verstorbenen Moritz jeden Tag eine Art Reisetagebuch. Am Ende der Reise verbrannte sie das Buch und streute die Asche auf Moritz’ Grab. Stefanie hatte so das Gefühl, ein Stück mit Moritz zu reisen und ihn am Erlebten teilhaben zu lassen. Das hat ihr geholfen, sich überhaupt auf diese Reise zu begeben. Nadine (35) hat ein schlechtes Gewissen. Sie hatte gegen den Willen ihres Mannes Felix (32) Geld für ein Motorrad angezahlt. Sie wollte es Felix eigentlich in den nächsten Tagen erzählen. Dann starb Felix plötzlich durch einen Arbeitsunfall. Nachdem Nadine Felix von ihrem Alleingang geschrieben und sich entschuldigt hat, fühlt sie sich besser.
Buchtipp: Rechenberg-Winter, P. (2015). Leid kreativ wandeln. Biografisches Schreiben in Krisenzeiten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Todestage und andere besondere Tage
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2.6 Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen Sich tröstlich erinnern und verbunden bleiben Claudia (36) erzählt: »Ich habe mich gefragt, wie ich das Furchtbare, diese Hölle durchstehen soll. Der Tod meines Ehemannes hat mir das Herz zerrissen. Ich dachte, ich würde auch sterben. Aber das hätte Dario nicht gewollt. Ich habe nie gedacht, dass ich das überlebe. Mein Leben ist weitergegangen und ich empfinde es heute wieder als ein kostbares Geschenk.«
Wie das Leben ohne Ihren Mann weitergehen kann, haben Sie sich sicherlich auch gefragt, und das höchstwahrscheinlich nicht nur einmal. Ich glaube, das Durchleben des Trauerprozesses ist die Antwort. Darin verborgen sind viele kleine, tröstende und hilfreiche Anker und Rettungsringe, die es ermöglichen, den Tod des geliebten Menschen zu überleben. Vielleicht sind die Hindernisse auf diesem Weg zunächst offensichtlicher. Darum müssen wir uns ebenfalls kümmern. Ein wichtiger Anker im Trauerprozess kann die Nähe zu Ihrem verstorbenen Mann sein. Die Beziehung zu ihm ist nicht gestorben, sondern anders und muss neu gestaltet werden. Sie können eine neue Nähe zu ihm finden, obwohl er tot ist. Brücken bauen von dir zu mir Das ist nicht verrückt und krank. Es geht auch nicht darum, in einer anderen Welt zu leben oder Ihrem Mann zu folgen, ihn zu verherrlichen, nur seine Schattenseiten wahrzunehmen oder sich von letzten schrecklichen Bildern seiner Krankheit oder seines Sterbens bestimmen zu lassen. Es geht darum, die Beziehung zu Ihrem verstorbenen Mann so fortzusetzen, dass sie Ihnen ein hilfreicher Anker und Rettungsring sein kann auf dem Weg in Ihr anderes Leben. Fortgesetzte Beziehungen sind ganz individuell und geprägt von Erlebnissen mit Ihrem Mann. Sie können entscheiden, was Sie nah bei sich behalten möchten und was Sie lösen und lieber treiben lassen wollen.
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Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Du darfst weiter da sein Bitte lassen Sie sich nicht von Menschen aus Ihrem Lebensumfeld verunsichern, wenn Sie dazu aufgefordert werden, Ihren Mann zu vergessen oder ihn loszulassen. Das würde Ihren Schmerz wahrscheinlich eher verschlimmern und viel Energie rauben. In der modernen Trauerforschung wird dazu ermutigt, dem Verstorbenen einen neuen Platz im eigenen Leben zuzuweisen und die Beziehung zu ihm in anderer Weise fortzusetzen. Die gemeinsame Vergangenheit mit einem bedeutsamen Menschen, die das aktuelle Leben zwangsläufig mitbestimmt, kann nicht ausgeblendet werden. Was Sie mit Ihrem Mann gelebt haben, dürfen Sie weiter würdigen und erinnern. Das, was Ihnen an Ihrem Mann wichtig war, können Sie bereichernd und stärkend mit auf Ihren weiteren Lebensweg nehmen. Es ist eine wesentliche Kraftquelle in Ihrem Trauerprozess. Welche Plätze kann Ihr Mann jetzt in Ihrem Inneren einnehmen (z. B. Begleiter, Ratgeber, Humorvoller, Beistand, innere Kraftquelle, Vorbild)? Schauen Sie auch darauf, was Sie lösen möchten und Ihnen nicht mehr wichtig ist. Deine Liebe weiter spüren Rufen Sie bewusst immer wieder Begebenheiten und Situationen mit Ihrem Mann auf, die mit angenehmen Gefühlen verbunden sind, wenn es Ihnen sehr schlecht geht. Möglicherweise spüren Sie zugleich den Schmerz, weil die Erinnerung auch deutlich macht, wie sehr Ihr Mann Ihnen fehlt. Versuchen Sie dennoch, das wohltuende Gefühl wahrzunehmen. Sie dürfen sich weiter geborgen fühlen unter dem warmen Mantel der Liebe, die Sie von Ihrem Mann erfahren haben. Symbolisch können Sie ihn immer anziehen, wenn Sie Geborgenheit und Nähe brauchen. Manche Frauen tragen wirklich zeitweise Kleidungsstücke ihres Mannes und fühlen sich dadurch gestärkt in ihrem Gefühl, geschützt und »ummantelt« zu sein. Welchen Schutz wünschen Sie sich? Woran erinnern Sie sich gern? Was haben Sie Schönes mit Ihrem Mann erlebt? Welche Erlebnisse und Zeiten waren besonders beeindruckend? Wo und wie fühlten Sie sich besonders intensiv von Ihrem Mann geliebt?
Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen
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In meinen Begleitungen frage ich meine Klientinnen Ähnliches. Ich darf dabei beobachten und zurückmelden, dass die meisten von ihnen, während sie erzählen, lächeln und funkelnde Augen bekommen und dass ihr Körper sich merklich entspannt. Sie selbst vermuten solche Reaktionen bei sich gar nicht und nehmen sie nicht wahr. Sie sind überrascht und erfreut, ihre eigenen Reaktionen gespiegelt zu bekommen und sie als neue Ressource aktiv nutzen zu können. Ich denke, dass Sie ähnlich positiv auf einen bewussten Rückgriff in Ihre »Erinnerungsschatzkiste« reagieren werden. Vielleicht kommen auch Zeiten, da brauchen Sie die Rückerinnerung nicht mehr oder nicht mehr in dem Maße, weil es viele neue positive Aspekte in Ihrem aktuellen Leben gibt. Wer bist du jetzt für mich? Antworten finden und mit dir sprechen Vielleicht sind Sie jetzt noch verzweifelt und ratlos und wissen nicht, was Sie tun sollen, weil Ihr Mann Ihnen nicht nur als Liebender und Beschützer, sondern auch unendlich als Berater, liebevoller Kritiker, Ermutiger, oder in welcher Rolle er für Sie von wichtiger Bedeutung war, fehlt. Gehen Sie mit Ihrem Mann in Zwiesprache. Fragen Sie Ihren Mann laut oder leise: »Was hättest du mir geraten? Was soll ich tun? Soll ich mich das trauen? Kann ich das fragen?« Vielleicht fragen Sie jetzt: »Sie meinen, ich soll mit einem Toten sprechen?« Ja, warum denn nicht? Sprechen Sie mit Ihrem Mann und erzählen Sie ihm von Ihren Erlebnissen, Ängsten und allem, was Sie beschäftigt. Sie brauchen keine Bedenken zu haben, deshalb verrückt zu sein oder es zu werden. Es ist völlig in Ordnung, mit Ihrem Mann Zwiesprache zu halten. Sie werden sehen, wenn Sie mit ihm in Zwiesprache gehen, werden Sie Antworten finden. Das ist keine Zauberei, sondern möglich, weil Sie Ihren Partner gut kennen, sich in seine Person versetzen können und aus seiner Perspektive zu anderen Antworten finden als die, die Sie sich selbst gegeben hätten. Die Zwiesprache ist eine Form der fortgeführten Verbindung. Sie kann Nähe zu Ihrem Mann herstellen, helfen, auf Fragen Antworten zu finden, und als tröstend und stärkend empfunden werden. Daher ist sie in der heutigen Trauerforschung als wichtige Ressource im Trauerprozess anerkannt. Vielleicht erzählen 80
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Sie Ihrem Mann auch, wie Sie in das Leben ohne ihn hineinwachsen, welche Entwicklungen Sie (und die Kinder) machen und/oder welche neuen Lebenspläne Sie gefunden haben. Klientinnen, die eine neue Partnerschaft eingehen, berichten, dass sie es als wohltuend empfinden, sich ihrem verstorbenen Mann mitteilen zu können und ihn ganz natürlich, ohne schlechtes Gewissen, an ihrem neuen Glück teilhaben zu lassen, weil die veränderte Beziehung zu ihm eine solche neue Ebene zulässt. Schwierige Aspekte der Beziehung klären Hilfreich kann es sein, in Zwiesprache mit Ihrem Mann zu gehen, weil Ungeklärtes zurückgeblieben ist, was zu Lebzeiten nicht ausgeräumt werden konnte. Schwierige Aspekte in Beziehungen können so auch im Nachhinein noch Klärung und Aussöhnung erfahren. Wenn Sie nicht mit Ihrem Mann sprechen können, nutzen Sie vielleicht das Schreiben oder eine Trauerbegleitung als mögliche Varianten, um die belastenden Aspekte aufzulösen. Belastende letzte Bilder und Erlebnisse Eine professionelle Unterstützung (Traumatherapeut, Psychologe oder Trauerbegleiter) würde ich Ihnen empfehlen, wenn Sie sich mit belastenden letzten Bildern quälen, die um die Krankheit, das Sterben oder das Auffinden Ihres Mannes kreisen. Manchmal nehmen solche Bilder zu viel Raum ein und hindern daran, eine tröstende Jenseitsvorstellung und eine positive Bindung zu Ihrem Mann zu entwickeln (vergleichen Sie dazu Kapitel 4.1). Du bist da Fabienne (38) erzählt: »Ich bin sicher, dass Siggi, mein verstorbener Mann, mir den Mann geschickt hat, als ich in der Kälte, total allein auf einer einsamen Landstraße einen Platten hatte. Zuvor ist mir rein niemand begegnet und ich dachte noch, wenn mir hier etwas passiert, dann bin ich aufgeschmissen. Als dann der Reifen platzte, war ich total verzweifelt. Ich hatte nicht mal eine Taschenlampe. Vor dem Typ, der dann anhielt, hatte ich erst auch noch Angst, aber er war total nett, hatte Kaffee dabei und hat mir den Reifen ganz schnell gewechselt.« Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen
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Klientinnen berichten von dem Gefühl, ihr verstorbener Mann sei auf eine besondere Art bei ihnen, um ihnen beizustehen, sie zu trösten oder ihnen in schweren Lebenssituationen von irgendwoher zu helfen. Jutta ist sicher, dass Georg ihr geholfen hat, eine neue Stelle zu finden, und andere Frauen sind davon überzeugt, dass der verstorbene Mann dafür verantwortlich ist, dass sie einen neuen Partner getroffen haben. Derartige, mit dem verstorbenen Mann verbundene Erlebnisse und Gefühle haben viele Frauen. Sie sind ganz normal und können als stärkende und tröstende Funktion Teil des Trauerprozesses sein. Hinweise: Darum entwerten Sie solche Erlebnisse nicht und lassen Sie nicht zu, dass Menschen aus Ihrem Umfeld dies tun, wenn Sie ihnen davon erzählen. Grämen Sie sich nicht, wenn Sie solche Erfahrungen nicht von sich kennen. Sie sind nicht obligat, um den Verlust zu überleben. Bestimmte Trigger können der Anlass dazu sein, zum Beispiel ein Geräusch, ein Geruch, ein bestimmtes Aussehen, eine Bewegung oder Kleidung, die an Ihren Mann erinnern, sodass Sie tatsächlich glauben, Ihren Mann zu sehen, ihn zu hören oder zu riechen. Erlebnisse dieser Art sind ebenfalls normal, können jedoch verunsichern. Deine Vermächtnisse nutzen Hiermit meine ich nicht materielle Vermächtnisse, sondern das, was Sie als stärkende und bereichernde Erinnerung oder als besonderen Wesenszug Ihres Mannes mit auf Ihren weiteren Lebensweg nehmen können. »Andy war ein ziemlich lebenslustiger und neugieriger Mensch, immer gut gelaunt, lustig. Ich bin da eher anders. Er hat es immer geschafft, mich aus der Reserve zu locken und mich mitzunehmen auf eine spannende Reise oder auf eine tolle Party. Hinterher hat es mir auch immer gut gefallen und ich war froh, dabei gewesen zu sein. Eigentlich habe ich gedacht, dass ich ohne ihn gar keinen Antrieb mehr habe. Das war anfangs auch so. Seitdem ich mir vorstelle, was Andy zu mir gesagt hätte, wenn es eine Einladung zu einer coolen Fete oder es Ferien gegeben hätte, schaffe ich es selbst, mich aufzuraffen. Dadurch habe ich auch neue nette Kontakte knüpfen können. Andy wäre ziemlich 82
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erstaunt und stolz, glaube ich. Irgendwie hilft mir seine besondere Art jetzt so im Nachhinein noch immer in vielen Situationen und im Umgang mit meiner Trauer jetzt auch.« Rosi (50) »Immer, wenn ich das Gefühl hatte, es geht nicht weiter, ich bin in einer Sackgasse, dann hat mein Mann mich beruhigt und gesagt ›Das kriegen wir schon hin‹. Gerade das fehlt mir jetzt so sehr. Trotzdem hilft es mir, wenn ich mir vorstelle, er würde da stehen, mir zuzwinkern und lächelnd sagen: ›Das kriegen wir schon hin‹. Dann habe ich das Gefühl, es geht doch vorwärts und ich bin nicht allein.« Monika (39) »Benni hat die Natur geliebt. Er war ein begeisterter Wanderer. Jede Kleinigkeit hat er am Wegesrand gesehen, mir vieles erklärt. Immer, wenn ich jetzt traurig bin, gehe ich raus, schaue mich genau um und stelle mir vor, was er alles entdeckt hätte. Dann fühle ich mich ihm ganz nah und es tut mir gut, draußen zu sein, mich zu bewegen.« Lydia (31)
Vom Umgang mit deinen Erinnerungsgegenständen »Was soll ich behalten von meinem Mann? Wann soll ich seine Kleider und Schuhe entsorgen? Was meinen Sie, was ist da richtig?« Josi (51) »Ich habe mir eigentlich bis jetzt ziemlich viele Sachen von Detlef aufgehoben. Ich verbinde damit so viele schöne Erinnerungen. Jetzt muss ich umziehen und kann nicht alles mitnehmen. Es fällt mir schwer, mich von etwas zu trennen, aber ich weiß ja, dass ich nicht alles behalten kann.« Marion (35) »Seit ich die Sachen von Robert weggetan habe, geht es mir viel besser. Ich glaube, ich konnte dadurch besser begreifen, dass sich mein Leben tatsächlich geändert hat und er nicht wiederkommen wird. Und um Robert in Erinnerung zu behalten, brauche ich seine ganzen Sachen nicht, er ist eh in meinem Herzen.« Carin (42)
Mit der Frage, was mit den Kleidungsstücken und persönlichen Gegenständen des verstorbenen Mannes geschehen soll, befasst sich jede trauernde Frau im Laufe ihres Trauerprozesses. Die Antworten darauf sind und dürfen unterschiedlich sein. Wesentlich ist, dass es Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen
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sich für Sie selbst (und wenn Sie Kinder haben, auch für diese) stimmig anfühlt. Die Sprache macht einen Umgang mit den Gegenständen des verstorbenen Mannes nicht leichter. Wenn Klientinnen sich entschlossen haben, sich von Dingen Ihres Mannes zu trennen, ringen viele mit Begriffen und Methoden um die Würde des Abschieds. Entsorgen, in die Altkleidersammlung geben, verkaufen oder in den Müll werfen passt vielleicht nicht, um diese letzten Dinge des geliebten Menschen, Dokumente seines gelebten Lebens, angemessen zu verabschieden. Hinweise: Suchen Sie darum für sich passende Lösungen. Vielleicht freuen Sie sich, wenn noch jemand gern die Kleidung Ihres Mannes trägt, vielleicht ist Ihnen gerade diese Vorstellung unerträglich. Vielleicht möchten Sie seine Sachen verbrennen, aus seinem Lieblingspulli noch ein Kuschelkissen nähen oder seinem Freund ein Hemd überlassen. Entscheiden Sie, was für Sie kostbares Andenken, schmerzliche Erinnerung oder unbedeutende Gegenstände sind und wie Sie damit umgehen möchten. Ich möchte Ihnen vorschlagen, sich nicht vorschnell endgültig von Dingen zu trennen. Überlegen Sie wenn möglich in Ruhe und lassen Sie sich Zeit mit Entscheidungen, die später nicht rückgängig zu machen sind. Erinnerungsorte Trost spendend gestalten und die Beziehung fortführen »Meine Freundin hat gesagt, ich soll den Altar mal endlich wegräumen, das Foto, die Kerze und die Muscheln, die wir aus Neuseeland mitgebracht haben, das tue mir nicht gut. Ich habe aber das Gefühl, das gehört so.« Birgit (36)
Wir haben erfahren, dass es für Sie tröstlich und stärkend sein kann, die Beziehung zu Ihrem Mann auf andere Art fortzuführen. Neben der inneren Verbundenheit drückt sich die neue Beziehung zu Ihrem Mann auch über äußere Orte und Zeichen aus. Eine Verbindung zu Ihrem Mann kann somit über eine emotional geprägte, innere Beziehung und durch äußere Orte erhalten werden. Äußere Orte, real aussuchbare Orte, müssen sich für Sie stimmig anfühlen und zu Ihnen und Ihrem Mann und zu Ihrer Beziehung passen (nicht zu 84
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Ihrer Freundin – siehe oben!). Solch äußere, oft neue, extra für den Verstorbenen angelegte, ausfindig gemachte, eingerichtete oder auf andere Weise geschaffene Orte verbinden mit dem Verstorbenen und werden als Orte des Trosts erfahren. Vielleicht haben Sie auch gespürt, dass es Ihnen an diesen Orten leichter fällt, innere Zwiesprache mit Ihrem Mann zu halten. Zugleich dokumentieren diese Orte ein Stück gemeinsames Leben und dass Ihr Mann nicht vergessen ist. Wie Sie Ihre Erinnerungsorte oder den neuen Platz für Ihren Mann in Ihrem Leben (z. B. zu Hause, auf dem Friedhof, an der Unfallstelle, an Ihrem Körper) gestalten, ist grundsätzlich Ihre persönliche Entscheidung. Heute können Trauernde vielerorts mehr oder weniger legal schöpferisch Trauerorte gestalten (z. B. eine Gedenkstätte am Straßenrand arrangieren, ein Tattoo stechen lassen, einen Baum pflanzen, einen virtuellen Platz im Internet einrichten, einen Stern nach dem Verstorbenen benennen, ein Gedenkschloss an einer Brücke aufhängen, Schmuck mit dem Schriftzug des Verstorbenen, mit seinem Fingerabdruck, seinen Haarsträhnen, seinen Fingernägeln oder seiner Asche anfertigen lassen). Andere wählen besondere, dem Verstorbenen entsprechende Bestattungsorte (z. B. das Meer, die Berge) oder bewahren die Urne mit der Asche ihres Mannes bei sich im Haus auf. Ich staune immer wieder über die Vielfältigkeit der möglichen Verbindungen, die Klientinnen zu ihrem verstorbenen Mann finden, und möchte Sie, liebe Leserin, ermutigen, Ihrer ganz individuellen Verbindung zu Ihrem Mann nachzugehen, auch wenn diese vielleicht nicht in gängige Klischees passt. Erinnerungsorte und Lebensgemeinschaften Bitte respektieren Sie, dass jeder andere, der um Ihren Mann trauert, für sich seinen persönlichen Ort der Verbundenheit mit ihm findet und finden darf! Bitte erwarten Sie nicht, dass sich jeder zum gleichen Ort hingezogen fühlt wie Sie selbst. Wo bzw. womit fühlen Sie sich mit dem Verstorbenen verbunden (z. B. Friedhof, Foto, Garten, bestimmtes Musikstück, Natur)? Verlangen Sie nicht von sich oder anderen, dass sie zum Friedhof gehen, wenn das nicht ihr Ort ist! Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass Orte der Verbundenheit sich verändern werden. Respektieren Sie diesen Wandel bei sich und anderen. Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen
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Die Gestaltung von Erinnerungsorten ist nicht allein Ihre Entscheidung, wenn Sie in einer Lebensgemeinschaft leben, auf die Sie Rücksicht nehmen sollten. An gemeinschaftlich genutzten Orten sollten Sie mit Erinnerungsgegenständen, Kerzen und Fotos so umgehen, dass jeder aus der Familie damit gut leben kann. Bei unterschiedlichen Bedürfnissen sollten sie Kompromisse suchen, denen alle Familienmitglieder zustimmen können. Zudem sollte jeder eigene Erinnerungsgegenstände bekommen und die Möglichkeit, einen Ort so zu gestalten, wie er es sich wünscht. Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber, fragen Sie, welche Erinnerungsgegenstände ihnen wichtig sind, und beziehen Sie sie auch in Ihre Überlegungen zum Umgang mit Erinnerungsgegenständen und Orten ein. Sind Kinder noch sehr jung, sollten Sie unbedingt Erinnerungsgegenstände vom Vater aufbewahren, damit die Kinder, wenn sie älter sind, etwas aus diesen »Lebensdokumenten« aussuchen können. Kinder werden sich später, wenn ihnen entsprechende emotionale und kognitive Fähigkeiten zur Verfügung stehen, mit dem Verlust ihres Vaters auseinandersetzen und können um die nicht gelebte Beziehung zu ihrem Vater trauern. Weitere Orientierungshilfen zum Umgang mit Trauer in der Familie finden Sie in meinen Büchern (»Trauernde Jugendliche in der Familie«, 2014, und »Wie Kinder Verlust erleben«, 2016) sowie im Kapitel 6. Erinnerungen an dich teilen »Meine Familie und meine Freunde waren für mich schon eine echte Unterstützung. Sie haben mir viel geholfen. Aber ganz oft hatte ich das Gefühl, dass ich in ihrer Gegenwart nicht über Ralf sprechen sollte. Es gab ein betretenes Schweigen oder schnell ein Ablenken auf ein anderes Thema. Das hat mich sehr verletzt. Ich fühlte mich dann ziemlich allein. Ich hatte das Gefühl, dass Ralf ganz verschwinden soll. Mit seinem besten Freund konnte ich offen über Ralf reden. Das tat immer gut. Wir haben uns dann zum Beispiel an seine typische Art erinnert, wie er getanzt hat oder was wir sonst so zusammen erlebt haben. Ich finde es auch heute noch nach fünf Jahren schön, wenn Leute erzählen, was sie an Ralf gemocht haben. Das zeigt mir, dass er ein besonderer Mensch war, der nicht vergessen ist, und das ist bei allem Traurigen auch tröstend.« Bettina (48) 86
Trauer verstehen: Reaktionen und Prozesse
Sichtbare Spuren, die Ihr Mann hinterlassen hat, können Erinnerungsgegenstände und Erinnerungsorte sein. Andere Spuren bleiben in Ihrem Inneren zurück. Wenn Sie sich an Ihren verstorbenen Mann erinnern, kann das einerseits sehr schmerzlich sein, weil deutlich wird, dass die gemeinsame Zeit vorbei ist und Ihnen nur noch die Erinnerung bleibt. Andererseits können schöne Erinnerungen positive Gefühle hervorrufen, die Sie stärkend auf Ihrem weiteren Lebensweg begleiten. Hinweise: Pflegen Sie schöne Erinnerungen wie kostbare Schätze. Sich zu erinnern fördert darüber hinaus die Auseinandersetzung mit dem neuen Platz Ihres Mannes in Ihrer aktuellen Lebenssituation. Binden Sie da, wo Sie es möchten, Gespräche über Ihren Mann in den Alltag ein, nennen Sie seinen Namen, erzählen Sie von ihm und gestalten Sie auch so Ihre fortgesetzte Verbindung. Ermutigen Sie andere, mit Ihnen über Ihren Mann zu sprechen. Manchmal haben andere Menschen die Sorge, Sie mit Gesprächen, in denen Ihr Mann eine Rolle spielt, zusätzlich zu belasten. Es kann sein, dass Gespräche über Ihren Mann von Familie und Freunden gemieden werden, weil sie selbst mit dem Thema überfordert sind. Schauen Sie dann nach Alternativen, nach Menschen, mit denen Sie über Ihren Mann sprechen können, wenn Sie sich das selbst auch wünschen. Wo bist du jetzt eigentlich – gibt es ein Leben nach dem Tod? Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich zu diesen Fragen auch schon Gedanken gemacht haben. Vielleicht haben Sie für sich eine Antwort gefunden. Auch wenn Sie den Eindruck haben, Ihre Antwort sei infantil, und Sie sich nicht trauen, mit anderen Menschen über Ihre Vorstellung zu sprechen: Machen Sie sich keine Sorgen, solange es Ihnen mit Ihrer Vorstellung und Ihrem Mann da, wo Sie ihn vermuten, gutgeht. Möglicherweise sind Sie noch auf der Suche nach einer für Sie stimmigen, spirituellen Vorstellung. Oder Sie glauben: Tot ist tot und beendet. Auch gut – denn nicht jeder kann sich vorstellen, dass der Verstorbene auf irgendeine Art weiterexistiert. Wir wissen alle nicht, ob es eine Existenz in anderer Form tatsächlich gibt oder nicht. Alle Jenseitsvorstellungen sind eine Sache des ganz persönlichen Fortgesetzte Beziehung, Vermächtnisse und Erinnerungen
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Glaubens. Jede dieser Glaubensauffassungen verdient daher Respekt. Wesentlich ist, dass sie nicht beängstigen, sondern trösten. Hinweis: Im Verlauf des Trauerprozesses werden sich äußere, innere und spirituelle Verbindungen zu Ihrem Mann wandeln. Richten Sie sich darauf ein und erschrecken Sie deshalb nicht. Untröstliche, problematische Verbindung auch nach dem Tod Manche Verbindungen zum Verstorbenen fühlen sich nicht gut an. Sie sind eher negativ geprägt, weil die Beziehung zum Verstorbenen zwiespältig war. Der neue Platz, den der Verstorbene einnimmt, kann dann entweder stark idealisiert oder einseitig negativ (z. B. bedrohlich, beängstigend, entwürdigend) besetzt sein, sodass im einen wie im anderen Fall keine tröstliche und friedvolle Vorstellung gefunden werden kann. Wenn Sie spüren, dass Sie sich vorwiegend negativ mit Ihrem Mann verbunden fühlen (z. B. ihn verherrlichen, er immer noch neben Ihnen steht und Ihnen sagt, was Sie alles falsch machen, er Ihnen »verbietet«, neue Beziehungen einzugehen), empfehle ich Ihnen professionelle Unterstützung. Fortgesetzte Verbindungen sind dann eine zusätzliche Belastung. Unbewusst kann die Idealisierung Ihres verstorbenen Mannes beispielsweise dazu führen, dass Sie anderen Menschen keine Fehler und Schwächen zugestehen oder Sie sie immer mit Ihrem »unsterblichen Helden« vergleichen. Damit haben neue Beziehungen in Ihrem Leben keine Chance.
Hinweise: Ich möchte Ihnen, um belastende Verbindungen zu vermeiden, vorschlagen, auch die Schattenseiten Ihres Mannes, also das, was im Zusammenleben mit ihm schwer zu ertragen und zu akzeptieren war, weiterhin wahrzunehmen und als zu ihm gehörig zu akzeptieren. Vielleicht können Sie zudem schauen, was nach dem Tod Ihres Mannes an Angst und Sorgen weggefallen ist und/oder welche Lebenspläne jetzt möglich sind, die zuvor undenkbar gewesen wären. Das bedeutet umgekehrt jedoch nicht, dass Sie Ihren Mann entwerten sollen. Realistisch mit »Sonnen- und Schattenseiten« umzugehen, kann die Entwicklung neuer Lebenspläne begünstigen und richtungsweisend für das sein, was Sie sich für Ihre persönliche Zukunft wünschen. 88
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3 Gesellschaft und Familie
3.1 Familie und Freunde Vorweg eines an dieser Stelle: Haben Sie bitte im Folgenden nicht den Eindruck, dass Begegnungen und Kontakte mit Nichtbetroffenen im privaten wie im beruflichen Bereich hauptsächlich negativ verlaufen müssen. Ich bin froh, dass ich viele Klientinnen begleiten darf, die in ihrem beruflichen Umfeld sehr wohl wahrgenommen werden und die Unterstützung und Respekt in umfassender, liebevoller Weise erhalten. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen auch so geht. Der Tod Ihres Mannes verändert Beziehungen in der Familie, zu Freunden und in anderen Bereichen des sozialen Lebens. Sie werden anders wahrgenommen und Ihre Rollen verändern sich. Beziehungen brauchen von beiden Seiten sensible Wahrnehmung, Geduld und Verständnis füreinander, besonders jetzt, nach dem Tod. Getragen von einem Netz aus Familie, Freunden, Nachbarn, Bekannten und Kollegen Hilfreich ist es, ein zuverlässiges, belastbares soziales Netz nach einem Verlust um sich zu haben. Fehlt Ihnen dies, sollten Sie sich ein solches Netz knüpfen. Nach dem Verlust gibt es sicherlich Menschen, die Ihnen ihre ehrliche Hilfe anbieten. Möglicherweise sind dies Menschen, die Ihnen bisher nicht so nahe gestanden haben und von denen Sie vielleicht ein Unterstützungsangebot gar nicht erwartet hätten. Nehmen Sie die Hilfe, die Sie benötigen, an. Das ist auch eine Möglichkeit, neue Beziehungen aufzubauen oder bereits bestehende Beziehungen zu vertiefen. Freundschaften zerbrechen Erfahrungsgemäß ist es so, dass viele Menschen nicht nur den Verlust des Verstorbenen, sondern auch den Verlust von Freundschaften betrauern müssen, die die Trauerzeit nicht überstanden haben. 89
Glauben Sie deshalb bitte nicht, dass es Ihnen allein so geht. Häufig müssen trauernde Frauen erleben, dass Freunde unverständlich reagieren, sich zurückziehen und nicht wie erwartet unterstützend zur Seite stehen. Vielfach fühlt sich das soziale Umfeld mit dem Tod und den entstandenen Konsequenzen überfordert und reagiert mit Hilflosigkeit, Ignoranz und/oder Ablehnung. Es kann auch passieren, dass Sie Angebote, Gespräche und Fragen aus Ihrem Umfeld als völlig unpassend oder verletzend empfinden. Marita (38) erinnert sich, dass sie es besonders schön fand, dass sie eine Freundin (Gabi, 42) hatte, die, auch als für die anderen der Alltag wieder eingekehrt war, immer wieder nachfragte, einfach da war, Anteil genommen hat. Und so erzählt Marita: »Sie hat mich so genommen, wie es mir gerade ging. Andere waren anfangs da, aber irgendwann blieben sie mehr und mehr weg, vergaßen sogar den Geburtstag von Thomas.« Dabei war Gabi vorher gar keine enge Freundin gewesen, sondern eher eine entfernte Bekannte. Inzwischen sind die beiden beste Freundinnen. »Das ist ein ganz kostbares Geschenk. Dafür bin ich unendlich dankbar.«
Hinweise: Richten Sie sich innerlich darauf ein, dass manche Freundschaften die neue Lebenssituation nicht überstehen. Versuchen Sie nicht, es allen recht zu machen, um Kontakte nicht zu verlieren. Dauerhaft wird es zu anstrengend sein, sich anderen anzupassen und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Versuchen Sie, herauszufinden, was Sie brauchen. Allein dies ist eine schwierige Aufgabe, denn Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse in der Trauer sind schwankend und häufig wissen Sie selbst nicht, was Ihnen jetzt guttun könnte. Verzweifeln Sie darüber nicht, denn auch dies ist eine normale Reaktion auf einen schweren Verlust. Am besten ist es, dies den Menschen mitzuteilen, die Sie ehrlich unterstützen möchten und deren Hilfe Sie annehmen möchten. Sagen Sie, dass Sie manchmal selbst nicht wissen, was Ihnen guttut, oder dass Ihre Bedürfnisse wechselhaft sind und eine Ablehnung von lieb gemeinten Angeboten nicht generell als Rückzug verstanden werden soll. Für alle ist es darum am leichtesten, wenn mit Gedanken und Gefühlen offen umgegangen wird. Sie und auch Ihr Umfeld dürfen Hilflosigkeit 90
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zugeben. Das schafft eine tragende, ehrliche Basis für den Umgang miteinander. Auseinandersetzungen und Streit Aus meiner Erfahrung mit meinen Klienten weiß ich, dass es nach dem Tod eines nahestehenden Menschen wohl häufiger, als Sie vielleicht glauben, Auseinandersetzungen um den letzten Willen, Bestattungskosten, Erbe, Vermächtnisse oder Schulden gibt. Vielfach tauchen solche Streitigkeiten unvermutet und überraschend auf. Streit nach dem Tod des Partners kann zusätzliches schweres Leid auslösen. Während der meist als würdelos und unangemessen empfundenen Konflikte bleibt oft kein Raum mehr für die eigentliche Trauer. Die Auseinandersetzungen können so weit gehen, dass die eigene Existenz gefährdet ist, nicht nur finanziell, sondern auch körperlich und psychisch. Streit, Neid, Missgunst, Missverständnisse und falsche Vermutungen können letzte Kräfte rauben, zu tiefen Verletzungen und unüberbrückbaren Hürden führen und Familien und Freunde spalten. Die menschlich nicht vermutete, bittere Enttäuschung kann tiefe Wunden reißen. Das ist etwas, was niemand nach dem Tod eines geliebten Menschen gut verkraften kann. Gerade wenn Paare unverheiratet zusammenleben, nach Trennungen von anderen Partnern zusammenfinden oder es Kinder aus vorherigen Beziehungen gibt, treten solche Streitigkeiten auf, die enttäuschend und kräftezehrend sind. Unter Umständen kann es zudem teuer werden, weil Anwälte eingeschaltet werden müssen. Monika (39) lebt unverheiratet seit acht Jahren mit Sven (42) zusammen. Als Sven plötzlich nach einen schweren Unfall stirbt, bestimmen die Kinder aus Svens erster Ehe und Svens Eltern den Rahmen der Bestattung. Monika wird außen vorgehalten, darf keine Traueranzeige aufgeben und Trauerkarten werden ausschließlich der Familie vorbehalten. Nach dem Begräbnis kommt Svens Familie, um aus der Wohnung von Monika und Sven die persönlichen Gegenstände sowie die von Sven angeschafften Möbel abzuholen. Hier kommt es zum Streit um die gemeinsam angeschaffte Küche, um Elektrogeräte und Erinnerungsgegenstände. Monika bricht unter den Belastungen zusammen. Familie und Freunde
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Schwer ist es, wenn Ihnen aufgrund der Umstände persönliche Erinnerungsstücke vorenthalten werden. Wenn die Familie Ihnen hier nichts überlassen möchte, fragen Sie bitte Freunde nach möglichen Gegenständen oder Fotos Ihres Partners. Diese können für Sie eine wichtige und tröstliche Verbindung zu Ihrem verstorbenen Mann sein. Rechtlich nicht anerkannt Normalerweise sorgen gesellschaftlich festgelegte Regeln dafür, dass der Nachlass formalrechtlich geregelt wird. Bei rechtlich nicht anerkannten Beziehungen kommt es nach dem Tod des Partners immer wieder zu Auseinandersetzungen. Frauen erleben, dass ihr Leid weniger akzeptiert wird, weil die Beziehung nicht dokumentiert war. Bestehen keine formalrechtlichen Bindungen, kann es sein, dass sie ohne Anrecht auf die Mitgestaltung der Bestattung und/oder ohne materiellen Nachlass zurückbleiben. Leider sind mir in meiner Zeit als Trauerbegleiterin schon einige Varianten von Konflikten um »Nachlässe« jeglicher Art begegnet, die die Lebenssituation der zurückbleibenden Frauen zusätzlich enorm belastet haben. Der letzte mündliche Wille des Mannes kann von der Familie Ihres Mannes ignoriert werden. Es kann sein, dass Ihnen sogar aberkannt wird, den letzten Willen wirklich zu kennen, oder es »verschwinden« die Dokumente, die diesen letzten Willen belegt haben. Solche Kämpfe können ihren Ursprung in Macht, Gier oder Vergeltung haben. Oft reicht die Kraft, um sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, nicht mehr aus. Andere Frauen ertragen die Situation bekümmert, weil sie glauben, dass ein Streit nach dem Tod des Mannes nicht sein dürfe. Fragen Sie sich bitte, ob es im Sinne Ihres Mannes wäre, dass Sie wehrlos Kontakte und Angriffe aushalten, die Ihnen gar nicht guttun.
Hinweise: Sind Sie in einer ähnlichen Situation, möchte ich Ihnen empfehlen, auf verschiedenen Ebenen Unterstützung anzunehmen, denn derartige Konflikte können Sie auf vielfältige Weise an die eigene Existenzgrenze bringen. Wichtige Ressourcen können zerstört und die Beziehung zu Ihrem verstorbenen Partner kann im Nachhinein unnötig belastet werden. Sie sollten sich Beistand im persönlichen Lebensumfeld von Menschen holen, denen Sie vertrauen und die Ihnen wohlgesonnen sind. 92
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Zudem können Sie sich professionelle Hilfe holen. Eine neutrale, fachwissende Person (Trauerbegleiter, Psychologe) kann für Sie jetzt hilfreich sein. Zudem kann es notwendig sein, einen Fachanwalt einzuschalten, der Sie über Ihre Rechte informiert und/oder für einen rechtlichen und/oder persönlichen Schutz sorgen kann. Schieben Sie notwendige Hilfe bitte nicht auf, weil Sie sich schämen, dass es nach dem Tod Ihres Partners zu solchen Auseinandersetzungen kommt. Besser ist es, sachlich neutral Schlimmeres zu verhindern und sich selbst zu schützen.
3.2 Gesellschaftliche Konsequenzen Die Erwartungen des Lebensumfelds an Frauen nach dem Tod des Partners unterscheiden sich häufig von denen, die an Männer, die um ihre Frau trauern, gestellt werden. Bis heute sind überwiegend Frauen diejenigen, die für das soziale Leben, Beziehungen und Kontakte zuständig sind. Dementsprechend wird von ihnen meist erwartet, dass sie allein besser zurechtkommen als ein Mann nach dem Tod seiner Partnerin. Meine Eindrücke aus den Begleitungen sind, dass das soziale Umfeld häufig eher auf trauernde Männer zugeht, um ihnen auch längerfristig Hilfe anzubieten, als auf trauernde Frauen. Daher suchen Frauen vielleicht eher Unterstützung. Zudem fällt es ihnen möglicherweise auch leichter, Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie in der Erziehung auf emotionaler Ebene häufig mehr gefördert wurden, Gefühle zu verbalisieren und damit umzugehen. Zugleich ist es für Männer häufig schwieriger, ihren Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck zu geben, weil in der Erziehung vielfach die Unterdrückung von Gefühlen belohnt, ihr Ausdruck weniger gefordert und Strategien zur Bewältigung kaum entwickelt wurden. Diese gesellschaftssoziologischen, unterschiedlichen Geschlechterperspektiven erklären, weshalb Männer und Frauen unterschiedliche Unterstützung benötigen. Formalrechtliche Normen sollen den Nachlass regeln, soziale Normen die Art, wie zu trauern ist. Beides hat seine Vorteile, denn solche Regeln sorgen dafür, dass ein Zusammenleben in unserer Gesellschaft funktionieren kann. Auch wie Trauernde sich nach dem Tod eines Menschen angemessen verhalten sollen, ist gesellschaftlich Gesellschaftliche Konsequenzen
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geregelt (z. B. im Bestattungsrecht, im Gesundheitsrecht, im Arbeitsrecht, im allgemeinen sozialen Leben). Soziale Verhaltensnormen bezüglich wie lange, wie intensiv und in welcher Form getrauert werden kann, dürfen nicht dazu führen, dass für individuelle Trauerwege kein Raum und keine Akzeptanz mehr bestehen und Trauernde unter den gesellschaftlichen Forderungen, wie zu trauern sei, zusätzlich leiden. In Ihrem sozialen Umfeld werden Sie als trauernde Frau anders wahrgenommen. Damit verbunden sind neue Rollenerwartungen. Menschen begegnen Ihnen anders, Sie werden anders beobachtet und eingeschätzt. Ihr Umfeld sieht Sie zum Beispiel als Witwe, Hilflose, Bemitleidenswerte, Starke, Alleinstehende, Nichtbelastbare oder Freiwild. Hinweis: Nehmen Sie die veränderten Rollenerwartungen wahr und überprüfen Sie für sich, wie Sie mit den Erwartungen, die an Sie gestellt werden, zurechtkommen. Was möchten Sie annehmen, was lehnen Sie ab? Anfangs kann es sein, dass Sie starke Anteilnahme spüren. Das Umfeld räumt Ihnen eine gewisse »Schonfrist« ein, um mit dem Schmerz und der neuen Lebenssituation zurechtzukommen. Erfahrungsgemäß ebben diese Rücksichtnahme und das Verständnis nach einiger Zeit wieder ab. Rollen, wie Arbeitnehmerin oder Mutter, sollen wieder erfüllt werden. Viele Betroffene fühlen sich gerade dann sehr einsam. Der Schmerz ist für sie selbst noch immer sehr intensiv. Besonders, wenn es etwas ruhiger wird, nach all den formalen Aufgaben, die erledigt werden müssen (z. B. Trauerfeier, Rente), wird die Lücke, die der Partner hinterlässt, in der großen Dimension deutlich spürbar, etwa an den Abenden, die jetzt allein verbracht werden müssen, oder an den Wochenenden, an denen andere weiterhin als Paar die Zeit miteinander teilen. Hobbys und Vorlieben, die Sie zuvor gemeinsam gelebt haben, schmerzen und machen allein vielleicht gar keine Freude mehr. In den Ferien, wenn Paare und Familien vereisen und Sie nicht wissen, wie und wo Sie diese Zeiten aushalten sollen, spüren Sie den Verlust möglicherweise sehr schmerzhaft. Die Gesellschaft stellt an Trauernde viele Anforderungen, die von Betroffenen zunächst als solche gar nicht wahrgenommen werden. 94
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Häufig können Trauernde nicht formulieren, was sie so belastet und was sie als so anstrengend empfinden im Umgang mit anderen Menschen, auch mit Menschen, die Ihnen bisher sehr vertraut waren und die als enge Freunde galten. Gutgemeinte Ratschläge Gerade weil unsere Seele nach einem derart tiefgreifenden Verlust schwer verletzt und wie eine tiefe, schmerzende Wunde ist, ist es häufig erst einmal unmöglich, zu spüren, was uns in dieser Situation hilft. Dann nehmen wir gern auch den Rat anderer an. Diese Anderen meinen es meist gut mit uns, und wir glauben vielleicht, dass sie es gerade jetzt auch besser wissen als wir selbst, weil sie einen Blick von außen auf uns werfen. Manchmal ist das so, häufig aber auch nicht. Vielfach bekommen Trauernde gutgemeinte Ratschläge und Hinweise, wie sie sich verhalten sollen, was ihnen guttun könnte und wie sie ihre Zukunft gestalten sollen. Diese Hinweise entstehen meist aus der eigenen Betroffenheit heraus, denn es ist schwer, einen Menschen aus dem nächsten Lebensumfeld leiden zu sehen. Leid nicht aushalten können Dieses Leiden soll möglichst schnell beendet sein. Deshalb heißt es oft: »Du musst nach vorne schauen. Lerne mal neue Männer kennen, du bist doch noch jung und hast noch so viele andere Möglichkeiten.« Unsere Gesellschaft ist in meinen Augen nicht mehr sehr »leidensfähig«. Das hat zur Folge, dass Trauernde, die einen schweren Verlust erlebt haben, sich gesellschaftliche Lücken suchen müssen, um ihren Verlust angemessen betrauern zu können. Immer wieder müssen Trauernde ihre Trauer verstecken, sie anders benennen und sollen möglichst schnell wieder funktionieren.
Hinweis: Prüfen Sie für sich, welche gesellschaftlichen Normen Ihnen das Trauern erleichtern und welche es erschweren. Was können Sie für sich bei negativen gesellschaftlichen Beeinflussungen zu Ihren Gunsten verändern? Wo brauchen Sie Unterstützung? Welche Unterstützung kann das konkret sein?
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In der Trauer den Blick für andere verlieren In der eigenen Trauer kann es passieren, dass Sie den Blick für andere, die ebenfalls um Ihren Mann trauern, verlieren. Menschen, die um ihren Papa, ihren Sohn, ihren Bruder, ihren Freund, ihren Arbeitskollegen oder Nachbarn trauern. Menschen, die der Tod in nächster Umgebung verängstigt, weil durch den Tod Ihres Mannes deutlich wird, dass das eigene Leben endlich ist, dass sie morgen selbst sterben könnten oder sie um einen Menschen trauern müssen, der ihnen viel bedeutet.
Hinweise: Es kann sein, dass Sie die Trauer der anderen (z. B. Kinder oder Eltern, Geschwister Ihres Mannes) über Ihre eigene Trauer stellen und die persönliche Auseinandersetzung mit dem Verlust zugunsten der anderen verschieben. Versuchen Sie, wahrzunehmen, ob es einseitige Fokussierungen gibt und ob diese verschoben werden können. Sorgen Sie gut für sich selbst. So können Sie auch für andere Trauernde hilfreich da sein. Stellen Sie fest, dass Sie sich mit der eigenen oder/und der Trauer von Kindern oder anderen Trauernden überfordert fühlen, kann es sinnvoll sein, professionelle Unterstützung anzunehmen (Hinweise dazu in Kapitel 6.1 und 6.2). Wie geht es dir denn so? Nach einiger Zeit werden Sie sicherlich gefragt werden, wie es Ihnen denn jetzt so gehe. Dann kann es sein, dass Sie nicht recht wissen, wie Sie antworten sollen. Viele Menschen aus Ihrem Umfeld können auf einen stabilen Alltag zurückgreifen. Alles ist beim Alten, während sich für Sie die ganze Welt verändert hat und nichts mehr so ist, wie es war. Wie soll da eine Antwort auf »Na, wie geht’s?« ausfallen? Vielleicht spüren Sie die Erwartungshaltung des Fragenden, der gern hören möchte, dass es schon besser sei, oder der vermutlich gar keine ehrliche Antwort hören will oder aushalten kann. Entscheiden Sie bei Ihrer Antwort spontan nach Ihrem Bauchgefühl. Das kann von Tag zu Tag anders sein. Möglicherweise fühlen Sie sich an einem Tag stark genug, um ehrlich zu sagen, wie es Ihnen geht, ohne Rücksicht auf die Erwartungshaltung des Fragenden. An einem anderen Tag können Sie vielleicht kaum antworten, weil die Frage einen Kloß in Ihrem Hals verursacht. In anderen Situationen kann die Frage Wut 96
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in Ihnen hervorrufen und Sie können vielleicht mit der bewährten Gegenfrage antworten: »Mein Mann ist noch immer tot, wie soll es mir da gehen?« Was können wir für dich tun? Melde dich, wenn du was brauchst! Kati (44) erzählt: »Ich war oft sauer auf meine Freundinnen. Ich glaube, sie meinten es zwar gut, aber irgendwie reichte das nicht. Sie haben Sachen angeboten und gemeint, ich soll mich melden, wenn ich etwas brauche: einkaufen gehen, ausgehen oder so. Mich melden, das habe ich gar nicht geschafft. Ich konnte manchmal ja gar nicht aufstehen oder ans Handy gehen. Ich hätte es besser gefunden, wenn die anderen sich immer mal wieder gemeldet hätten. Das wäre einfacher gewesen.«
Es ist möglich, dass Sie sich umgeben fühlen von Menschen, die Ihnen zuvor vertraut und nahe erschienen sind. Jetzt, nach dem Tod Ihres Mannes, haben Sie vielleicht das Gefühl, dass die anderen Ihnen fremd geworden sind. Sie haben den Eindruck, dass sich niemand von Ihren Freunden und Verwandten vorstellen kann, wie es sich anfühlt, den geliebten Menschen zu verlieren, und was nach dem Tod Ihres Mannes in Ihnen vorgeht. Sie fühlen sich einsam und allein gelassen. Sie selbst wissen nicht immer, was Sie brauchen und was Ihnen guttut. Deshalb können Sie sich auch nicht »melden«. Das verunsichert Ihr Umfeld. Oftmals ziehen sich Freunde zurück, werden ungeduldig mit Ihnen, möchten Sie aus Ihrem »Trauerloch« herausholen oder geben Ihnen Ratschläge, wie Sie am besten mit dem Erlebten umgehen sollen. Sie wünschen sich Ihren Mann und Ihr altes Leben zurück. Unfreiwillig mussten Sie beides hergeben. Niemand kann es Ihnen zurückgeben. Vieles um Sie herum erscheint Ihnen unwichtig, frühere Sorgen oder Probleme banal und das, was andere aktuell als Belastung empfinden, würden Sie gern annehmen, wenn dafür Ihr Mann wiederkäme. Entfremdung, sich nicht verstanden zu fühlen und nicht in der Trauer angenommen zu sein, Überforderung und Enttäuschung können Gefühle sein, die dann überhand nehmen und es Ihnen noch schwerer machen, mit dem Tod Ihres Mannes zurechtzukommen. Gesellschaftliche Konsequenzen
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Beziehungsebenen klären Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass gerade jetzt, wo Sie Ihre Freunde am dringendsten brauchen, sie nicht da sind. Solche Empfindungen und das Ganze weitere Spektrum an Gedanken und Gefühlen sowie Ihre veränderte Lebenssicht, die der Tod ausgelöst hat, machen den noch übrig gebliebenen Kontakt komplizierter und können dazu führen, dass unüberwindliche Mauern entstehen, Sie oder die anderen sich mehr und mehr zurückziehen oder Kontakte ganz abbrechen. Vielleicht ist es deshalb für Sie als Betroffene wichtig, zu hören, dass nicht immer hinter einer Flucht, einer Abweisung oder Schroffheit eine Bösartigkeit steckt. Häufig sind die Ursachen Hilflosigkeit und Angst oder Unachtsamkeit.
Hinweise: Entschuldigung, hier kommt wieder Ihre liebevolle, kritische Stimme. Brechen Sie nicht gleich den Kontakt ab, weil Sie sich verletzt fühlen. Vielleicht müssen Beziehungsebenen geklärt werden. Wie ordnen Sie und wie die anderen Ihre Beziehung ein (z. B. beste Freunde, Freundschaften, Bekanntschaften)? Welche Erwartungen haben Sie, welche die anderen? Schauen Sie, ob Beziehungsebenen »schief« hängen und deshalb Erwartungen nicht kongruent sind. Prüfen Sie, wie wichtig Ihnen die Kontakte auf welcher Ebene sind. Überlegen Sie, ob ein klärendes Gespräch Ihnen helfen würde und ob Sie die Initiative dazu ergreifen möchten. Häufig entspannt die Einordnung der Beziehung und führt zu weniger Enttäuschung und Verletzung. Fragen Sie sich, ob Sie von Ihren Kontaktpartnern zu viel erwarten. Keiner kann alle Bedürfnisebenen erfüllen. Vielleicht gibt es Menschen, denen Sie Ihre Seele öffnen können, mit denen Sie gern etwas unternehmen oder mit denen Sie ein Hobby ausüben. Das können jeweils verschiedene Menschen sein. Manchmal kann es auch wichtig sein, auf Distanz zu gehen und/oder Beziehungen tatsächlich abzubrechen, um sich selbst zu schützen und keine weitere kostbare Energie in Beziehungen zu setzen, die Sie als nicht tragend erleben. Und bitte halten Sie belastende Beziehungen nicht aufrecht, weil Sie Sorge haben, ansonsten allein dazustehen. Die Erfahrung und einige Berichte der Frauen, die in diesem Buch über ihr Erleben nach dem Tod ihres Mannes schreiben, bestätigen, dass sich neue Beziehungen zu anderen Menschen entwickeln, die häufig von Beginn an tiefer sind. 98
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Neue Konkurrentin oder Spielverderberin Bestimmte neue Rollen, in denen Sie als trauernde Frau gesehen werden, mögen Ihnen zunächst gar nicht so bewusst sein. Viele Klientinnen sind enttäuscht und verletzt darüber, dass sie sich bei Einladungen zu Festen oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen ausgegrenzt, einsam und nicht willkommen fühlen oder erst gar nicht mehr eingeladen werden. Dahinter können Rollen stecken, die ihnen ohne ihr Wissen zugeschrieben werden (z. B. Rivalin, Konkurrentin): »Die sucht sich jetzt bestimmt wieder einen neuen Partner«, »Nicht, dass sie auf die Idee kommt, sich an meinen Mann heranzumachen«, »Ich hatte schon vorher den Eindruck, dass sie meinen Mann sehr gut leiden kann«, »Sie ist zu attraktiv, daher ist es sicherer, den Kontakt mit ihr zu meiden«, »Nicht, dass sie mir die Männer wegschnappt, die ich gern hätte.« Sie selbst sind hingegen nur mit Ihren eigenen Sorgen und Belastungen beschäftigt und empfinden daher die Folgen solcher Ängste und Befürchtungen, die aus neuen Rollenerwartungen rühren, als sehr verletzend. Plötzlich nicht mehr dazugehören Das soziale Lebensumfeld mit seinen Reaktionen kann für Betroffene manchmal brutal sein. Für viele Klientinnen ist es eine zusätzliche Verletzung, ausgeschlossen zu werden von Festen, Treffen und Ausflügen, zu denen sie zuvor selbstverständlich eingeladen waren, sowie aus ganzen Freundeskreisen und Mailverteilern. Es ist zudem verletzend, zum Geburtstag oder zu Weihnachten keine Nachrichten mehr zu bekommen. Gelten Einladungen doch noch, verstummen nicht selten die Gespräche, wenn betroffene Frauen eintreten. Die Frauen begegnen Sprachlosigkeit oder müssen erleben, dass sie gemieden werden, und zwar oftmals von Menschen, von denen sie Nähe und Zuwendung erwartet hätten. Gerade weil es meist viel Mut und Überwindung kostet, einen solchen Schritt in das gesellschaftliche Leben zu wagen, sind die Enttäuschung und Verletzung, wenn ihnen solche Reaktionen widerfahren, häufig sehr groß. Manchmal führt diese Erfahrung dazu, dass trauernde Frauen nachfolgende Einladungen von vornherein ablehnen, bis sie irgendwann gar nicht mehr eingeladen werden. Die Befürchtungen, die trauernde Frauen haben, ein Gesellschaftliche Konsequenzen
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Fest mit freudigem Anlass zu stören, sind häufig gleichzeitig Sorgen der Gastgeber oder anderen Gäste. »Wenn Sandra auch kommt, dann gehe ich lieber. Ich kann ihr nach dem furchtbaren Tod von Mike einfach nicht begegnen, schon gar nicht auf einer fröhlichen Party.« »Gabi wird sicher weinen, wenn sie kommt, dann ist die Fete hinüber. Besser, wir laden sie erst gar nicht ein.« »Monika erinnert mich daran, dass mir das hätte genauso passieren können. Ich stelle mir dann vor, Markus wäre tot. Deshalb kann ich ihren Anblick überhaupt nicht ertragen.«
Letztendlich können Frauen, die ihren Lebenspartner verloren haben, es nicht allen Menschen aus ihrem Lebensumfeld recht machen. Trauern sie lange und heftig und ziehen sie sich zurück in ihrer Trauer, wird womöglich die Forderung laut, doch nach vorn zu schauen, sich eine neue Beziehung aufzubauen, sich nicht zurückzuziehen, sondern auszugehen und sich dem Leben zuzuwenden. Andere Frauen, die gerade dies tun, werden beschuldigt, den Verstorbenen nicht wirklich geliebt zu haben, ihn zu vergessen und ihn aus dem Leben zu verdrängen. »Du solltest mal wieder rausgehen, was Schönes machen, lachen.« »Die Kinder brauchen dich doch, du musst Vorbild sein, das Leben geht weiter!« »Wie? Ist es immer noch nicht besser? Langsam solltest du aber mal nach vorn schauen!« »Das ging aber doch arg schnell mit einer neuen Liebe!«
Was ist Ihr soziales Netz? Diesen Kapitelteil möchte ich nochmals mit dem Blick auf Ihr soziales Netz abschließen. Schauen Sie bitte auch darauf, welche Menschen in Ihrem Umfeld zuverlässig für Sie da sind. Erwarten Sie von anderen nicht alles auf einmal. Knüpfen Sie sich ein Netz aus Menschen mit deren jeweiligen Kompetenzen und Fähigkeiten. Überlegen Sie, wer Ihnen zuhört, wer Sie in den Arm nimmt, wer praktisch unterstützen kann (z. B. Kochen, Computer, Garten, Auto, Finanzen, 100
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handwerklich, medizinisch), mit wem Sie sich ablenken können (z. B. Sport, Ausgehen, Theater, Kino, Reisen), wer hilfreiche Ideen hat, wer Ihr Fürsprecher sein kann, wer Vertrauliches für sich behalten kann und so weiter.
3.3 Beruf in der Trauer: Ressource oder Belastung? Der erlebte Verlust beeinflusst Ihr berufliches Leben ebenfalls. Meist ist die Ausübung eines Berufs, gerade wenn Frauen noch jung sind, schon allein aus rein wirtschaftlichen Gründen notwendig. Daher ist es hilfreich, sich mit den Konsequenzen des Verlusts auch für diesen Lebensbereich zu beschäftigen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft stehen Raum und Zeit, die viele Trauernde für sich benötigen, nicht selbstverständlich zur Verfügung. Meist wird erwartet, dass Trauernde nach ein paar Wochen wieder ganz normal ihrer Arbeit nachgehen, ihre Aufgaben erledigen und sich in den gewohnten Arbeitsablauf einfügen. Das ist für viele Trauernde sehr anstrengend, selbst dann, wenn sie ihre Arbeit zuvor gern getan haben. Voll belastungsfähig sein müssen Die Erwartungen an Berufstätige, ob sie angestellt sind oder selbstständig, sind heutzutage sehr hoch. Es wird höchster Einsatz auf inhaltlicher und zeitlicher Ebene gefordert. Konkurrenzverhalten bestimmt häufig die Atmosphäre am Arbeitsplatz. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um Selbstwert und Macht. Viele Frauen fürchten sich davor, nach dem Tod des Partners wieder zur Arbeit zurückzukehren. Nicht immer begegnen ihnen in ihrem beruflichen Umfeld Menschen, die Verständnis für ihre neue Situation haben und die geduldig und nachsichtig mit ihnen umgehen. Kollegen, Vorgesetzten und Kunden zu begegnen kann sehr anstrengend sein. Viele Frauen haben Angst vor diesen ersten Begegnungen und vor den Arbeitsanforderungen. Das bisher übliche Pensum zu erledigen kann zunächst unerfüllbar und bedrohlich erscheinen. Normale Reaktionen nach einem schweren Verlust, wie Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Dünnhäutigkeit und schnelles Weinen, können die Leistungsfähigkeit einschränBeruf in der Trauer: Ressource oder Belastung?
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ken und Gründe zur Sorge sein, sodass Frauen sich nicht trauen, zur Arbeit zu gehen. Hinzu kommt die Furcht vor anstrengenden Fragen, vor mitleidigen Blicken der Kollegen oder vor der Ignoranz des Umfeldes. Rein wirtschaftlich gesehen ist der größte Teil der Frauen im berufstätigen Alter auf die eigene Erwerbsfähigkeit angewiesen. Dieses Wissen kann zusätzlichen Druck ausüben und zu Existenzängsten führen. Es geht deshalb darum, Ihre berufliche Tätigkeit bestmöglich zu gestalten. Das kann auch bedeuten, dass Sie unter Umständen neue berufliche Wege gehen sollten, um gesund zu bleiben und/oder Ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Rückkehr an den Arbeitsplatz vorbereiten Ich möchte Ihnen empfehlen, sich auf die Rückkehr an Ihren Arbeitsplatz vorzubereiten. Hilfreich können hier gute Freunde oder professionelle Hilfe von Trauerbegleitern oder Psychologen sein. Da es kein Patentrezept dafür gibt, was für Sie hilfreich und stützend sein kann, müssen Sie herausfinden, was Ihnen guttun könnte. Versuchen Sie sich deshalb mit möglichen Situationen am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen und erlauben Sie es sich, sich dennoch ganz anders als geplant zu verhalten. Grundsätzlich ist ein offener Umgang mit persönlichen Bedürfnissen empfehlenswert. Ist Ihr berufliches Umfeld über Ihre familiäre neue Lebenssituation informiert, können Sie mit Verständnis und Unterstützung rechnen. Überlegen Sie sich, wie Sie reagieren könnten, ohne sich zu verbiegen und ohne Dinge preiszugeben, die Sie für sich behalten oder nur bestimmten Menschen mitteilen möchten. Wie können Sie es einrichten, dass Sie sich bestmöglich fühlen? Möchten Sie auf den Tod Ihres Mannes angesprochen werden? Möchten Sie erzählen, was passiert ist? Mit wem möchten Sie darüber sprechen und mit wem eher nicht? Was antworten Sie, wenn Sie jemand nach Ihrem Mann fragt, der noch nicht weiß, dass Ihr Mann tot ist? Wie reagieren Sie, wenn Sie durch Trigger (z. B. ein heulendes Martinshorn erinnert Sie an den Unfall und damit verbundene Bilder tauchen plötzlich auf) an Ihren Mann, den Tod und/ oder die Todesumstände erinnert und belastende Bilder ausgelöst werden? Wo und wie können Sie sich Auszeiten schaffen, um mit solchen unerwarteten Situationen zurechtzukommen? Möchten Sie 102
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Ihren Mann nah bei sich haben? Möchten und dürfen Sie ein Foto an Ihrem Arbeitsplatz von Ihrem Mann aufstellen oder lieber nicht? Würde es Ihnen guttun, seinen Schal oder seinen Ring zu tragen? Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte vorbereiten Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn Kollegen, Mitarbeiter oder Vorgesetzte auf Ihre Rückkehr vorbereitet werden. Eine vertraute Person aus Ihrem beruflichen Umfeld könnte wichtige Informationen dazu weitergeben, oder Sie könnten eine Mail verfassen, wenn Sie im Vorfeld nicht selbst mit jemandem sprechen möchten. Inhaltlich könnten Sie, je nachdem, wie Sie es sich bestmöglich vorstellen können, den Umgang miteinander ansprechen (siehe Fragen oben), um Pausen oder Arbeitsreduzierung in der ersten Zeit bitten oder sachliche Informationen zur Todesursache und so weiter weitergeben. Rechnen Sie grundsätzlich damit, dass Sie anfangs möglicherweise nicht so leistungsfähig sein werden wie gewohnt. Erfahrungsgemäß wird das mit der Zeit besser, wenn Sie gut für sich sorgen, sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzten und immer wieder neu schauen, welche Bedürfnisse Sie im Laufe des Trauerprozesses haben.
Hinweis: Vom Umgang mit »Trauer am Arbeitsplatz« handelt die Broschüre des Bundesverbandes Verwaiste Eltern, zu bestellen unter: www.veid.de. Berufstätige, Mutter und Trauernde sein Dies sind »nur« drei der Rollen, die Frauen gleichzeitig ausfüllen. Frauen mit jüngeren Kindern sind am Arbeitsplatz vielfältig belastet. Sie müssen mit der Trauer und ihren Folgen zurechtkommen und machen sich zugleich Gedanken, ob die Kinder gut aufgehoben sind und wie sie den Tod des Vaters verkraften. Zudem müssen sie immer Plan B in der Tasche haben, falls die Tagesmutter oder das Kind krank werden, der Kindergarten geschlossen hat oder andere unvorhergesehene Situationen eintreten. Es kostet viel Kraft, dauerhaft weiter zu funktionieren und den beruflichen wie privaten Alltag aufrechtzuerhalten. Manchmal bleibt dann kaum eine Möglichkeit, sich der Trauer zuzuwenden, obwohl das Bedürfnis danach vorhanden ist. Möglicherweise geht es Ihnen ähnlich. Beruf in der Trauer: Ressource oder Belastung?
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Angela (33) hat zwei Kinder, Robin (4) und Sina (3). Ihr Mann Ben (39) ist nach kurzer Krankheit vor drei Monaten gestorben. Seitdem versucht Angela, die komplizierten bürokratischen Aufgaben abzuwickeln, die sich durch Bens Tod ergeben haben (z. B. Steuer, Halbwaisenrente, Ummeldung des Autos, Auflösung von Versicherungen, Umfinanzierung des gerade gekauften Hauses, eine neue Arbeitsstelle finden, eine Möglichkeit der Unterbringung für die Kinder finden). Dabei muss der normale Alltag weiterlaufen (z. B. Kinder versorgen, den Haushalt führen, arbeiten gehen). Die Aufgaben, die Angela erledigen muss, scheinen nach der Bestattung, die ihr ebenfalls schon viele Entscheidungen und Organisation abverlangt habt, nicht aufzuhören. Angela fühlt sich kraftlos, erschöpft, hilflos und überfordert. Sie hat den Eindruck, die Anforderungen nehmen kein Ende. Immer wieder hat sie das Bedürfnis, sich einfach ins Bett zu legen, zu weinen und einen ganzen Tag nichts anderes zu tun.
Hinweis: Angela braucht Raum für ihren Trauerschmerz. Vielleicht kennen Sie diese Situation selbst. Es ist wichtig, eigene Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen. Bevor Sie unter den Belastungen zusammenbrechen, sollten Sie für Unterstützung auf mehreren Ebenen von außen sorgen. Das kann praktische Hilfe sein (z. B. eine Person, die einkaufen geht, die die Kinder stundenweise betreut, damit Sie Zeit für sich haben, die einmal pro Woche kocht) und/ oder eine Trauerbegleitung und/oder psychologische Hilfe oder auch das Jugendamt, das mit Hilfen für Familien unterstützt. Eine Auszeit vom Beruf nehmen Marita (38) verlor ihren Mann Guido (39) plötzlich durch einen Betriebsunfall. Sie blieb mit der kleinen Tochter Linda (6) zurück. Bisher hat Marita vormittags in einer Apotheke gearbeitet. Sie ist sehr gern zur Arbeit gegangen. Die Begegnung mit den Kunden und die Zusammenarbeit mit den Kollegen haben ihr viel Freude gemacht. Nach dem Tod ihres Mannes ist Marita gezwungen, mehr zu arbeiten, um den Lebensunterhalt für sich und Linda zu finanzieren. Sie ist froh, dass ihre Arbeitgeberin ihr die Möglichkeit gibt, sofort aufzustocken. Der Kontakt mit den Kunden macht Marita jetzt keine Freude mehr, sondern belastet sie. Sie muss sich sehr zusammennehmen, um nicht unvermittelt zu weinen. Das kostet sie unglaublich viel Kraft. Zugleich ist sie 104
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sehr beunruhigt und nervös, weil die bezahlbare und gerade verfügbare Tagesmutter, die sich jetzt um Linda kümmert, ihr gar nicht gefällt. Insgesamt hat Marita das Gefühl, die Sorgen erdrücken sie. Sie kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen und bekommt schlecht Luft. Sie spürt nur den furchtbaren Schmerz, gleichzeitig eine unendliche Leere, eine tiefe Erschöpfung und Zukunftsangst. Ihr Hausarzt hat sie erst einmal krankgeschrieben und ihr dringend eine Kur empfohlen.
Wenn Sie merken, dass Sie an Ihre persönlichen Grenzen stoßen, warten Sie bitte nicht, sondern fordern Sie sofort Hilfe ein. Sie müssen nicht erst komplett zusammenbrechen. Überlegen Sie mit Ihrem Hausarzt, ob eine Zeit der Krankschreibung reicht, ob Sie eine Kur in Anspruch nehmen und/oder ob Sie langsam und stufenweise mit reduzierten Arbeitszeiten, dem sogenannten Hamburger Modell, wieder einsteigen. Vielleicht kann eine Kur eine Möglichkeit sein, die Ihnen hilft, neue Kraft zu finden und mit dem Verlust zurechtzukommen. Lassen Sie sich hier von Ihrem Arzt beraten. Es gibt zudem spezielle Kliniken, die ihr Angebot auf Trauernde ausgerichtet haben. Mehr zu Mutter-Kind-Kuren finden Sie im Kapitel 6.1. Beruf als Ressource In der Trauer kann der Beruf eine wichtige Ressource sein, die hilft, den Verlust zu überstehen. Die berufliche Tätigkeit und der Kontakt zu anderen Menschen können ein wichtiger Ausgleich zu Ihrem privaten Leben sein, das sich radikal verändert hat. Die Zeit am Arbeitsplatz kann eine Zeit sein, in der Sie als Betroffene abgelenkt sind von dem, was passiert ist, und von dem, was zu Hause alles nicht mehr ist wie zuvor. Das kann als wohltuende Pause vom anstrengenden Trauerprozess empfunden werden. Am Arbeitsplatz und im Kontakt mit Kollegen und/oder Kunden kann es wichtig sein, zu spüren, dass nicht alles verloren ist, dass sich nicht alles geändert hat, dass es noch immer Menschen, Dinge und Abläufe gibt, die erhalten geblieben sind, und dass es einen »normalen Alltag« in Ihrem Leben auch noch geben kann. Dieses Erleben kann Kraft und neue Energie geben für den anstrengenden Trauerprozess. Zugleich kann es schwer sein, die Trauer den ganzen Tag auszublenden und sich in den restlichen Zeiten doch noch mit der eigenen Trauer zu beschäftigen. Beruf in der Trauer: Ressource oder Belastung?
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Besonders schwer ist dies für trauernde Mütter, die noch mit der Versorgung von Kindern befasst sind. Meist bleibt keine Zeit, um persönliche Trauerarbeit zu leisten. Mitunter ist die Angst, sich in diesen kurzen möglichen Zeiträumen mit der eigenen Trauer auseinanderzusetzen, auch zu groß. Die Sorge, dass die Gefühle so überwältigend und unkontrollierbar werden könnten und sie nicht mehr in den »Arbeits- und Funktionsmodus« zurückfinden, veranlasst sie, die Trauer lieber zu verdrängen und auszublenden. Hinweis: Weil diese Mechanismen häufig unbewusst ablaufen, glauben Betroffene manchmal, dass der Trauerprozess abgeschlossen ist, und sind schockiert, wenn sich nach längerer Zeit starke Trauerreaktionen Bahn brechen. Erschrecken Sie also nicht, wenn Sie zunächst in Ihren sozialen Rollen (z. B. Frau, die ihren Mann bestatten muss, Mutter, Schwiegertochter, Arbeitnehmerin/ Selbstständige) funktionieren und intensive Trauerreaktionen vielleicht erst später auftreten. Beruf als Belastung Es ist möglich, dass trauernde Frauen ihren Beruf weniger als Ressource, sondern eher als zusätzliche Belastung empfinden. Wenn Sie Ihre Arbeit schon vor dem Tod Ihres Mannes als stressig und wenig erfüllend empfunden haben, kann es jetzt sein, dass Sie nicht in der Lage sind, arbeiten zu gehen. Auch ob Sie sich im Kreis Ihrer Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzen oder Kunden hauptsächlich wohlgefühlt haben, bestimmt mit darüber, wie Sie sich nach dem Tod in Ihrem beruflichen Kontext zurechtfinden. Zudem spielt es eine Rolle, ob Sie Ihre Tätigkeit als sinnvoll und erfüllend empfinden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen nach einem einschneidenden Verlust mit ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit nicht mehr identifizieren können, weil ihnen diese unnütz, oberflächlich oder sinnlos erscheint. Es kann deshalb durchaus sein, dass Sie sich neu orientieren möchten.
Hinweise: Wenn der Trauerprozess zusätzlich durch die berufliche Situation belastet ist, sollten Sie langfristig darüber nachdenken, sich zu verändern. Seien Sie mutig und trauen Sie sich zu, diese Herausforderung anzunehmen. Schauen Sie auf das zurück, 106
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was Sie bisher schon geschafft haben. Hätten Sie sich all dies vor einiger Zeit zugetraut? Aus meiner Erfahrung in der Begleitung kann ich sagen, dass die veränderte private Lebenssituation für viele Frauen eine Chance war, sich beruflich zu verändern und neu zu qualifizieren. Die Strategien im Umgang mit den Verlusterfahrungen wurden meist als neue, zusätzliche Kompetenz im Beruf positiv genutzt. Arbeit suchen Vielleicht müssen Sie sich jetzt eine bezahlte Tätigkeit suchen, um den Unterhalt für sich und die Kinder aufzubringen, für den bisher Ihr Mann gesorgt hat. Dann stehen neue Herausforderungen für Sie an, denen Sie sich trotz des erlittenen Verlusts stellen müssen. Möglicherweise finden Sie nicht gleich die passende Arbeitsstelle, müssen Ihre Qualifikationen erweitern oder sich beruflich ganz neu orientieren. Verzweifeln Sie daran bitte nicht. Auch wenn es sich seltsam anhört: Mit dem Verlust haben Sie Erfahrungen gemacht und Kompetenzen entwickelt, die Ihnen dabei helfen werden, die neuen Aufgaben zu meistern. Suchen Sie sich private und/ oder professionelle Unterstützungen von Menschen, denen Sie vertrauen und die Ihnen helfen können, sich auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten. Schauen Sie, ob es dafür an anderen Stellen Entlastung durch Familie, Freunde, Kita, Offene Ganztagsschulen oder auch durch das Jugendamt geben kann. Wesentlich ist erst einmal, dass Sie und Ihre Kinder den Verlust körperlich und psychisch überleben. Wenn nicht eine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, zu arbeiten, setzen Sie sich mit möglichen Vor- und Nachteilen einer beruflichen Tätigkeit und den Konsequenzen für Ihr Privatleben auseinander. Überlegen Sie, welche Vorzüge eine berufliche Tätigkeit haben und was zu Ihnen passen könnte. »Warum möchten Sie nach Ihrer Auszeit wieder arbeiten?«, »Was wünschen Sie sich von einer beruflichen Tätigkeit?«
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3.4 Nachlass, Ämter und Renten Verbunden mit dem Tod Ihres Lebenspartners sind nicht nur die Konsequenzen, die Sie in Ihrem Inneren betreffen, sondern oft auch organisatorische, rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten. Sie müssen schauen, was Ihnen zusteht, wie Sie finanziell zurechtkommen und bürokratische Aufgaben erledigen, die für Sie neu sein können. Haben Sie zum Beispiel minderjährige Kinder und gibt es beim Todesfall Ihres Ehemannes kein Testament, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Das bedeutet, dass Sie mit den minderjährigen Kindern eine Erbengemeinschaft bilden. Zu welchen Anteilen Sie und die Kinder erben, hängt von der Anzahl der Kinder und dem ehelichen Güterstand ab. Komplexer wird die Situation in anderen Lebensgemeinschaften. Es kann unter Umständen zu einem anstrengenden Ringen mit Formularen, Ämtern und Gesetzen kommen. Hinweis: Häufig ist die Unterstützung von Fachleuten unverzichtbar. Wohlfahrtsverbände oder Verbraucherzentralen vermitteln Kontakte zu Rechtsanwälten, die für ein erstes kostenloses Orientierungsgespräch zur Verfügung stehen. Infos zum Nachlesen unter: www.erbrechtsforum.de. Wenn möglich sollten Sie in der ersten Zeit nicht über gravierende Lebensveränderungen entscheiden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind (z. B. Hausverkauf, Umzug, Kündigung). Manchmal werden zu Anfang spontan folgenschwere Entscheidungen getroffen, die zu einem späteren Zeitpunkt bereut und nicht umgekehrt werden können. Formulare zur Beantragung von Sterbegeld, Sterbevierteljahr, Witwenrente, Lebensversicherung sowie Vertragsänderungen bei Krankenkasse, Telekomunikation, Banken und Versicherungen und so weiter können Angst machen. Dennoch lassen sich Formulare und Telefonate nicht verhindern und sind notwendig, um an wichtige Informationen oder Gelder zu kommen. Menschen, die Ihnen in diesem Zusammenhang begegnen, werden hier nicht immer hilfreich, freundlich und verständnisvoll mit Ihnen umgehen. Viele Frauen finden sich nach dem Tod ihres Mannes in einem riesengroßen Chaos von Verträgen und Anträgen wieder. 108
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Hinweis: Greifen Sie zu »Rettungsringen«, wenn Sie sich einem Berg von Bürokratie gegenübersehen, von dem Sie glauben, ihn nicht bewältigen zu können. Hilfen bieten beispielsweise Bestatter und Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände. Hilfreiche Mailverteiler für alle Anliegen einrichten Nach dem Tod Ihres Mannes gab es vermutlich Angebote von Nachbarn, Freunden, Kollegen und Bekannten, die gern helfen wollten. Greifen Sie auch auf diese Angebote zurück, selbst wenn es Ihnen vielleicht schwerfällt, um Unterstützung zu bitten. In der Praxis hat es sich bewährt, einen Mailverteiler einzurichten und darüber und/oder (falls Sie dabei sind) über Facebook konkrete Anfragen zu stellen. Menschen, die zu Ihrem Bekannten- und Freundeskreis zählen, können über hilfreiche Kompetenzen oder Kontakte verfügen und Ihnen unterstützend zur Seite stehen. Es kann sehr schwer, anstrengend und mit belastenden Bildern verbunden sein, die eigene Geschichte am Telefon, auf Formularen oder im direkten Gespräch sachlich zu schildern oder sie immer wiederholen zu müssen.
Hinweise: Lassen Sie sich bitte nicht von der Amtssprache oder unsensiblem Verhalten von Amtsträgern abschrecken und holen Sie sich gegebenenfalls Beistand. Das können Menschen sein, die Sie beraten und begleiten, die beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen helfen, die am Telefon Gespräche übernehmen oder einfach neben Ihnen sitzen. Möglicherweise empfinden Sie die Amtssprache im Verhältnis zu dem, was Ihnen zugestoßen ist, als unangemessen. Rechnen Sie vor einem Gespräch mit Behördenträgern und Versicherungen damit, dass diese aus Ihrer Sicht völlig unpassend oder sogar verletzend auf Ihre Schilderungen oder Anfragen reagieren können. Den meisten Menschen ist das Ausmaß Ihres persönlichen Leids gar nicht klar, oder sie haben selbst aus verschiedensten Gründen mit dem Themenkomplex Schwierigkeiten.
Nachlass, Ämter und Renten
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3.5 Finanzielle Not Für viele Frauen, die ihren Mann früh verlieren, kann der Verlust mit seinen Konsequenzen in ein finanzielles Tief führen. Finanzielle Verbindlichkeiten können nicht mehr so erfüllt werden wie zuvor. Dadurch entsteht ein enormer Druck. Dies ist meist der Fall, wenn noch Kinder versorgt werden müssen. Frauen müssen allein für die Erziehung, den Haushalt und die finanziellen Mittel der Familie sorgen. Das Haus ist vielleicht noch nicht abbezahlt und allein können Frauen häufig nicht dafür aufkommen. Manchmal sind Verkauf und Umzug nicht zu vermeiden. Zum Tod des Partners und dem Verlust von Lebensentwürfen kommt der Verlust des Zuhauses mit allen weiteren Konsequenzen hinzu. Das persönliche Umfeld ist sich häufig nicht darüber klar, was es alles zu betrauern gibt. Unterstützung kommt daher manchmal zu spät. Hinweis: Ich möchte Sie deshalb ermutigen, über Ihre Situation zu sprechen, damit Menschen um Sie herum auch tatsächlich hilfreich unterstützen können. Es ist verständlich, dass es schwer und mit Scham verbunden sein kann, von der Notlage zu erzählen. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass es wahrscheinlich viel mehr Frauen aus allen sozialen und Bildungsschichten gibt, denen es so geht, als Sie vielleicht annehmen. Haben Sie bitte den Mut, sich in Ihrer Situation Hilfe von außen zu suchen. Ein schnelles und rechtzeitiges Handeln ist sinnvoll, um größere Krisen zu vermeiden. Geld oder zweckgebundene Hilfen Die Witwen- und Waisenrente (Info-Broschüre »Hinterbliebenenrente: Hilfe in schweren Zeiten« der Deutschen Rentenversicherung oder Dossier zur Hinterbliebenenrente der Bundeszentrale für politische Bildung), Kindergeld, eventuell Mutterschaftsgeld sowie Steuererleichterungen sind die bekanntesten finanziellen Hilfen des Staates für Frauen und ihre Familien nach dem Tod des Mannes. Daneben gibt es für Sie noch weitere Möglichkeiten, um in besonderen Notlagen an dringend benötigtes Geld zu kommen. Neben den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden (Caritas, 110
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Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz) sind zahlreiche Stiftungen, die Familien in finanzieller Not helfen, wichtige Ansprechpartner. Sozialberatungsstellen der Wohlfahrtsverbände, die Schuldnerberatung sowie Job-Center, Sozial-, Jugend- oder Landratsämter können Ihnen bei Antragstellungen helfen und Sie zudem an eine Stiftung weitervermitteln, die Ihr Anliegen auch unterstützen könnte. Unterstützt werden zweckgebundene finanzielle Hilfen, wie zum Beispiel Betreuungskosten (Tagesmutter, Kindergarten), Medikamente und Heilbehandlungen. Es wird für Ersatz von wichtigen Haushaltsgeräten gesorgt (z. B. Herd, Kühlschrank, Waschmaschine). Außerdem werden Kosten für Klassenfahrten (zudem meist auch möglich über Fördervereine der Schulen), Schulmaterial oder für die gemeinsame Freizeitgestaltung in der Familie übernommen. Die Anfrage einer zweckgebundenen Hilfe sollte vor der finanziellen Ausgabe erfolgen, denn im Nachhinein können Kosten schwer erstattet werden. Sie können außerdem beim Jugend- oder Sozialamt oder der Kirchengemeinde anfragen, ob es städtische, private oder kirchliche Hilfsfonds gibt, aus denen Unterstützung angefordert werden könnte. Bei der Stadt können Sie zudem einen Zuschuss zur Miete erhalten. Wie hoch dieser sein kann, ist davon abhängig, wie viele Personen zum Haushalt gehören, wie hoch die Miete ist und über welches Einkommen Sie verfügen. Einen sogenannten Wohngeldantrag müssen Sie mit den erforderlichen Nachweisen bei der Gemeinde- bzw. Stadtverwaltung einreichen. Hinweise: Die oben genannten Hinweise, auch bezogen auf Ihren regionalen Standpunkt, können Sie im Rahmen einer Trauerbegleitung erfahren. Hier geht es nicht nur um das innere Überstehen, sondern auch um das äußere Überleben nach einem schweren Verlust. Ich als Trauerbegleiterin bin gut vernetzt und kann meinen Klientinnen regionale Ansprechpartner nennen oder den Kontakt zu ihnen herstellen. Zudem unterstütze ich bei Telefonaten oder begleite Gespräche vor Ort. Fast durchweg habe ich mit betroffenen Frauen positive Erfahrungen, was eine Unterstützung angeht, machen können.
Finanzielle Not
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Hinweise zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten und Stiftungen finden Sie unter: www.bildungsserver.de/FinanzielleHilfen-fuer-Alleinerziehende-6971.html | www.stiftungen.org | www.stiftunghilfe.de | www.nicolaidis-youngwings.de/engagement/ foerderverein/unsere-hilfe.html | www.leben-helfen.de | www. familien-wegweiser.de | www.hans-rosenthal-stiftung.de | www. ernst-prost-stiftung.de Privatinsolvenz Manchmal lässt sich eine Privatinsolvenz nicht umgehen. Selbst wenn dies bei Ihnen der Fall sein sollte: Bitte verzweifeln Sie nicht, und fühlen Sie sich nicht als Versagerin. Ich kenne genügend Beispiele aus meiner Praxis, wo Frauen durch den Tod des Partners in eine private Insolvenz gerutscht sind und auch wieder herausgefunden haben. Hinweise zur Insolvenzverordnung finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Holen Sie sich auf verschiedenen Ebenen Unterstützung. Sie müssen nicht allein durch diese schwere Zeit gehen.
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4 Todesumstände und Trauer
Die Todesumstände bestimmen mit darüber, wie Menschen mit dem erlittenen Verlust zurechtkommen. Kam der Tod plötzlich und unvorhersehbar? Haben Sie den Unfall miterlebt? Haben Sie Ihren Mann gefunden? War Ihr Mann zuvor krank? Mussten Sie erleben, wie Ihr Mann körperlich und seelisch abgebaut hat und wie er Schmerzen und psychische Qual ertragen musste? Konnten Sie mit ihm über seine Erkrankung und die Folgen sprechen? War es möglich, noch Dinge zu klären? Konnten Sie sich auf den bevorstehenden Tod vorbereiten? Haben Sie Unterstützung erfahren oder sich allein gefühlt? Wie haben Sie die Mitteilung der Todesnachricht erlebt? Hat sich Ihr Mann das Leben genommen?
4.1 Plötzlich warst du tot Wenn Sie Ihren Mann plötzlich durch einen Unfall oder eine Krankheit verloren haben, fällt es erst einmal ungeheuer schwer, das Unfassbare überhaupt zu begreifen – selbst dann, wenn Sie dabei gewesen sind, als Ihr Mann starb. Das furchtbare Ereignis, die schreckliche Nachricht trifft Sie völlig unvorbereitet, ohne Vorwarnung. Sie können es als besonders schmerzlich empfinden, wenn Sie keine Zeit hatten zum Abschiednehmen, keine Gelegenheit für letzte Worte des Dankes, der Verzeihung oder der Versöhnung und keine Möglichkeit, letzte Wünsche und Dinge zu regeln. Häufig reagieren Menschen, die einen plötzlichen Tod erleben, mit einem Schock, mit tiefem Entsetzen oder Gelähmtheit. Andere sind traumatisiert, wieder andere kommen mit dem Erlebten den Umständen entsprechend gut zurecht. Fokus auf das richten, was dennoch gut war Vielleicht mutet es Ihnen etwas seltsam an, aber ich möchte Sie bitten, bewusst nach dem zu suchen, was Sie im Zusammenhang mit dem 113
Sterben Ihres Mannes als positiv erlebt haben. Wir haben zunächst selten im Blick, was trotz des Schrecklichen auch gut gewesen ist (z. B. er hat nicht leiden müssen, er hat immer gesagt, dass er schnell sterben wollte, er hat vorher noch seinen Traum von einem neuen Motorrad erfüllt, aber ebenso auch die verständnisvolle Krankenschwester, der Notarzt, der schnell da war, oder die Nachbarin, die sich sofort um die Kinder kümmern konnte). Gerade diese scheinbar geringen oder bisweilen merkwürdig anmutenden Begebenheiten sind wichtig, um die Herrschaft nicht nur dem Entsetzlichen zu überlassen. Wenn es im Schlimmsten, was wir uns vorstellen können, doch noch kleine »Schimmer« von etwas Positivem gibt, hilft das zu neuer Zuversicht und Sicherheit. Hinweise: Generell sind Trauerprozesse, wie Sie schon erfahren haben, höchst individuell und komplex. Viele unterschiedliche Faktoren beeinflussen diesen Prozess. Daher ist es gerade bei Trauerprozessen, die in der Prognose als erschwert eingeordnet werden (z. B. nach einem Suizid oder einem plötzlichen oder gewaltsamen Tod des Verstorbenen) und sich zu komplizierten Prozessen entwickeln können, wichtig, die beeinflussenden, individuellen Faktoren (z. B. persönliche und äußere Ressourcen, Todesumstände, Symptome) einzubeziehen, um entsprechend hilfreich unterstützen zu können. Ein Buch kann dies so komplex nicht leisten, deshalb empfehle ich Ihnen professionelle Unterstützung. Verstehen Nach einen plötzlichen Tod zu verstehen, dass Ihr Mann tot ist, und die neue Realität anzuerkennen und zu begreifen, braucht Zeit. Das Erleben eines plötzlichen Todes – dazu gehören auch Suizid und Tod durch Verbrechen oder durch Naturkatastrophen – kann Sie mit erschreckenden Bildern und Fantasien um die letzten Stunden und um das Sterben belasten. Erinnerungen an die gemeinsame Lebenszeit und/oder an den Partner, wie er vor dem Tod ausgesehen hat, sind möglicherweise verschüttet. In der Trauerarbeit müssen sie manchmal erst mühsam wieder ausgegraben werden.
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Wie ist er gestorben? Möglicherweise nehmen quälende Fragen nach dem Warum und Wie so viel Raum ein, dass Sie sich um die eigentliche Trauer noch nicht kümmern können. Bei einem plötzlichen Tod bleiben häufig viele Fragen offen. Das Puzzlebild »Wie ist mein Mann gestorben?« hat meist viele freie Puzzleteile, die Sie möglicherweise mit Ihrer Fantasie belastend füllen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es sich lohnt, sich auf die Suche zu begeben und leere Stellen mit Gewissheiten zu füllen. Es kann deshalb hilfreich sein, im Nachhinein noch einmal mit dem Notarzt, dem Sanitäter, Zeugen oder den Polizisten zu sprechen. Manchmal kann es entlastend sein, generell einen Arzt dazu zu befragen, wie das Sterben empfunden worden sein kann. In anderen Fällen habe ich erlebt, dass die Einsichtnahme in die Akten nach der Beantragung beim Staatsanwalt für Entlastung sorgen konnte. Für einige meiner Klientinnen konnten in der Begleitung so auch in Nachhinein noch wichtige Fragen geklärt werden. Es macht einen Unterschied, sich mit einem schrecklichen Bild auseinanderzusetzen oder mit vielen anderen, möglichen, schlimmen Vorstellungen. Die anderen Möglichkeiten und Fantasien durch Fakten ausschließen zu können, macht Energie frei, die zuvor für die Auseinandersetzung mit all den furchtbaren Bildern und Vorstellungen aufgebracht werden musste. Drei weitere Aspekte möchte ich noch erwähnen: Erstens kann ich aus eigener und der Erfahrung meiner Klientinnen sagen, dass es häufig so ist, dass der Verstorbene selbst nach einem gewaltsamen Tod in der eigenen Fantasie schlimmer aussieht als auf »Beweisfotos«. Zweitens kann es auch sein, dass Außenstehende den Anblick des Verstorbenen als schrecklicher empfinden, als Sie selbst es tun würden, weil Sie Ihren geliebten Mann ganz anders wahrnehmen. Vielfach können Dritte auch nicht verstehen und einordnen, welche Bedeutung es für Sie hat, noch Fakten zu erfahren. Drittens: Wenn es Ihnen möglich ist und Sie entscheiden können, ob Sie Ihren verstorbenen Mann sehen und gern persönlich von ihm Abschied nehmen möchten, lassen Sie sich nicht gleich durch Äußerungen von Polizei und Bestattern abschrecken, weil gesagt wird, dass dies nicht möglich sei, so wie Ihr Mann aussehe. Oft gibt Plötzlich warst du tot
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es noch gute Chancen, zumindest ein unversehrtes Körperteil zu sehen und tröstlich Abschied zu nehmen. Zudem konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass Bestatter, die über eine zusätzliche Ausbildung der sog. Thanatopraxis verfügen, in der Lage sind, auch größere Verletzungen wieder so herzurichten, dass ein Abschied möglich ist. Entscheiden Sie, welche Version des Geschehens für Sie tröstlich ist Sie können den Tod nicht verhindern, nicht bei Ihrem Mann und auch zukünftig nicht. Wenn die Zeit des Sterbens da ist, sterben Menschen, ob wir wollen oder nicht. Sie haben die Freiheit, eigene Antworten auf offene, nicht mehr zu klärende Fragen zu geben. Sie dürfen bestimmen, welche tröstenden, heilenden Antworten Sie auf Ihre ungeklärten Fragen für sich finden. Nehmen Sie sich die Freiheit, zu entscheiden, welche Version des Geschehens Sie als tröstlich empfinden. Es kann auch sein, dass Sie sich dazu entscheiden, zu lernen, mit offenen Fragen zu leben. Ich war dabei, ich habe ihn gefunden Vielleicht mussten Sie miterleben, wie Ihr Partner starb, oder Sie haben ihn tot in einer von Gewalt bestimmten Situation gefunden. Die damit verknüpften Bilder, Geräusche und Gerüche können Sie jetzt quälen. Möglicherweise mussten Sie sogar hilflos zusehen, wie Ihr Partner starb. Selbstvorwürfe, den Tod nicht verhindert zu haben, können Sie plagen. Die Todesumstände und wie Sie sich dabei gefühlt haben bestimmen mit darüber, wie Sie mit dem Erlebten zurechtkommen. Waren Sie dem Geschehen schutzlos ausgeliefert oder konnten Sie noch etwas tun? Sind Sie handlungsfähig geblieben und wie haben Sie reagiert? Bitte suchen Sie sich, auch wenn das Geschehen vielleicht schon länger zurückliegt, fachliche Hilfe. Es bestehen gute Chancen, dass Sie mit professioneller Unterstützung mit dem Geschehenen zurechtkommen, auch dann, wenn die Situation traumatisch war.
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Trauma Möglicherweise hat der Tod Ihres Mannes ein Trauma ausgelöst und Sie erleben die Verarbeitung des Ereignisses als Überforderung. Wann ein schweres, belastendes Ereignis traumatisierend wirkt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zu den Symptomen, die auf eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hinweisen können, gehören drei Gruppen: ȤȤ Wiedererleben (Intrusionen): Ständiges Wiedererleben schrecklicher, bedrohlicher und beängstigender Erinnerungen oder Bilder; diese sind meist mit dem Sterben (auch Unfall) oder der Zeit der Erkrankung davor verknüpft. ȤȤ Vermeidung (Avoidance): Vermeiden von Gesprächen über den Verstorbenen oder von Orten und Dingen, die an den Verstorbenen erinnern, da sie zu Angst führen und mit dem Tod oder den Todesumständen zusammenhängen, nicht aber mit dem verstorbenen Menschen. ȤȤ Übererregung (Hyperarousal).
Hinweise: Weitere Anzeichen eines Traumas können somatische Beschwerden, Albträume, verändertes Sozialverhalten, Schlaf- oder Essstörungen, anhaltende Regressionen, tiefe Hoffnungslosigkeit, selbstverletzendes Verhalten, starke Ängste oder Schuldgefühle sein. Menschen, die traumatisiert sind, müssen nach einem Trauma zunächst äußere Sicherheit erfahren und informiert und stabilisiert werden. Erst danach kann mit der Bearbeitung des Traumas begonnen werden. Die Aufforderung, von Erinnerungen im Zusammenhang mit dem erlebten Verlust zu erzählen, schadet in diesem Fall. Bei einem Trauma sollte professionelle Unterstützung durch Psychotherapeuten oder Traumatherapeuten in Anspruch genommen werden. Den Sterbeort friedlich gestalten Ich möchte Ihnen noch einen Hinweis geben, der Ihnen helfen könnte. Wenn Ihr Mann an einem Ort gestorben ist, der Ihnen als Sterbeort sehr unpassend erscheint und/oder wenn Sie ein gewaltsames Bild mit diesem Ort verknüpfen, möchte ich Ihnen vorschlagen, diesem Ort die Gewalt und die Kälte zu nehmen. Gestalten Sie Plötzlich warst du tot
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den Ort tröstlich und friedlich. Blumen, eine Kerze oder persönliche Gegenstände können dem Ort das Bedrohliche und Gewaltsame nehmen. Schließen Sie bitte zuvor mit fachlicher Unterstützung aus, dass Sie traumatisiert sind. Hinweis: Bitte schützen Sie sich, vor der in Zusammenhang mit plötzlichen Toden häufig aufkommenden taktlosen Neugierde anderer Menschen, die sich weniger aus Anteilnahme nach den Todesumständen bei Ihnen erkundigen als aus Sensationslust. Sie müssen niemandem etwas erzählen, wenn Sie das nicht möchten. Lassen Sie sich durch Fragen oder dramatische Schilderungen des Geschehens anderer nicht zusätzlich belasten. Geben Sie, wenn möglich, nicht viel um eventuelle Gerüchte und Spekulationen, die ebenfalls schnell entstehen, wenn Todesumstände undurchsichtig sind oder die Todesursache nicht eindeutig geklärt werden konnte.
4.2 Aus unserem Leben gerissen – Stefanie erzählt Stefanie (33) verlor ihren Mann Markus (damals 35) vor eineinhalb Jahren bei einem Motorradunfall im Ausland. Er verstarb noch an der Unfallstelle. Sie haben eine gemeinsame, mittlerweile dreijährige Tochter. »Ich erinnere mich noch genau an den Anruf, der mir mitteilte, was ich schon einen Tag zuvor geahnt hatte, aber nicht wahrhaben wollte. Mein Mann hatte einen tödlichen Verkehrsunfall. Mit diesem Moment brach meine Welt zusammen und die Zeitrechnung begann erneut von vorn. Früher bezog sich ›danach‹ auf die Zeit ab der Geburt unserer Tochter. Nach diesem Anruf war es nun die Zeit, seitdem mein Mann gestorben war. Wieder alles auf Anfang. Der Boden unter meinen Füßen existierte quasi nicht mehr. Tagelang war kein einziger Schritt möglich, ohne gestützt zu werden, kein Bissen, der mir nicht in den Mund geschoben wurde, keine Sekunde, in der ich nicht in Gedanken bei meinem Mann war. Wie in Trance existierte ich weiter. ›Leben‹ konnte man das nicht nennen. Ich fühlte mich wie auf offenem Meer, in dem ich unentwegt strampeln musste, um nicht unterzugehen. Es dauerte vier Monate, bis 118
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ich wieder einen Tag allein mit meiner Tochter verbringen konnte. Bis dahin musste jeden Tag jemand zu uns kommen, oder wir haben uns irgendwo verabredet. Das Gefühl der Einsamkeit konnte ich schlichtweg nicht ertragen. Und auch heute, fast eineinhalb Jahre später, fällt es mir manchmal immer noch schwer. Die Tatsache, dass unsere Familie jetzt nur noch aus meiner Tochter und mir besteht, kann ich nur sehr schwer annehmen. Wenn ich heute jemanden scherzhaft sagen höre ›Ich bin alleinerziehend, mit Mann‹, dann macht mich das total wütend. Als mein Mann starb, war ich nicht nur in tiefer Trauer, sondern es war auch genau derjenige weg, an dessen Schulter ich mich angelehnt und Trost gesucht habe, wenn es mir sonst schlecht ging. Und nun war ich allein. Allein mit meinen Sorgen, aber auch denen meiner Tochter, der Verantwortung für unser Kind, den finanziellen Herausforderungen, dem emotionalen Schmerz und der psychischen und physischen Belastung, alles ohne Partner hinbekommen zu müssen. Aber auch allein mit der Freude, wenn unsere Tochter etwas Neues gelernt oder gesagt hat. Das hat mich innerlich zerrissen. Nur sehr langsam habe ich wieder ins Leben gefunden. Ich musste lernen, mich neu zu organisieren, meinen Alltag anders zu gestalten, Kind, Beruf, Freunde und Haushalt unter einen Hut zu kriegen und vor allem nach Hilfe zu fragen bzw. sie anzunehmen, wenn mir Freunde und Familie Unterstützung angeboten haben. Mittlerweile habe ich kleine Auszeiten für mich eingebaut, in denen meine Tochter Zeit mit Großeltern, ihrer Patentante oder auch engen Freunden genießt. So habe ich ab und an ein paar Stunden für mich. Diese Auszeiten vom Alltag nutze ich, um Kraft zu tanken, denn zusammenzubrechen ist allein schon wegen meiner Tochter keine Alternative. Der Satz ›Das Leben geht weiter‹ stimmt zwar, aber ich musste erst meinen neuen Platz darin finden und begreifen, dass, auch wenn mein Partner gestorben ist, ich noch lebe. Leider heilt die Zeit meine Wunden nicht, aber der Schmerz lässt nach und beherrscht mich nun nicht mehr. Ich versuche, meiner Tochter (sie war knapp zwei, als ihr Papa starb) so viele Erinnerungen wie möglich weiterzugeben bzw. zu erhalten. Wenn ich das mache, tut es teilweise weh, aber ich kann auch wieder lachen, wenn mir alte Geschichten einfallen und wir zusammen Fotos anschauen. Und dann zwinkere ich zum Himmel hinauf und weiß, dass mein Mann in gewisser Weise immer bei uns sein wird.« Aus unserem Leben gerissen – Stefanie erzählt
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4.3 Schwer krank – bald bist du tot Sie haben vor dem Tod schon einen ganz individuellen Weg der Trauer und des Abschieds von Ihrem Mann erlebt. Womöglich hatten Sie schon eine längere Belastungszeit hinter sich, bevor Ihr Mann gestorben ist. Vielleicht mussten Sie sich auch die schwerwiegende Frage stellen, wie Sie mit der Gewissheit leben können, dass Ihr Lebenspartner in absehbarer Zeit sterben wird. Wie Sie die nur noch begrenzte gemeinsame Lebenszeit, die zur Verfügung steht, gestalten. Neben der inneren Zerrissenheit, dem Ringen mit der Akzeptanz dieser harten Realität und den neuen, durch die Erkrankung entstandenen Lebensumständen mussten Sie wahrscheinlich zusätzliche Verantwortungen übernehmen und Kompetenzen entwickeln. Möglicherweise kam die Erkenntnis, dass es tatsächlich keine Heilung mehr gibt, auch erst sehr spät. Viele Klientinnen berichten, dass sie es als sehr anstrengend empfunden haben, die eigene Hilflosigkeit gegenüber der Krankheit zu akzeptieren, oder dass sie bis zuletzt nicht daran geglaubt haben, dass ihr Mann sterben würde. Möglicherweise ist es Ihnen, liebe Leserin, wie anderen Klientinnen ergangen, die immer wieder zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Angst und Erschöpfung in einem ewigen Auf und Ab von intensiven Gefühlen hin- und hergerissen waren. Vielleicht mussten Sie schmerzlich miterleben, wie Ihr Mann sich quälte, unter seinem körperlichen und/oder psychischen Verfall litt, sich schämte oder nicht wahrhaben wollte, dass er sterben musste. Vielleicht haben Sie ihn auch als jemanden erlebt, der sein Schicksal angenommen und noch viele Dinge geklärt hat. Wenn Sie in dieser Zeit berufstätig waren, wird die belastende Situation mit der Krankheit Ihres Mannes Sie in Ihrem beruflichen Alltag auch schon beeinflusst haben. Vielleicht durften Sie hier Unterstützung und Akzeptanz in Ihrer Ausnahmesituation erfahren, vielleicht mussten Sie jedoch erleben, dass es wenig Verständnis und Rücksicht Ihnen gegenüber gab. Zudem kann die Zeit der Erkrankung Ihres Mannes Sie selbst körperlich und psychisch geschwächt haben. Vielleicht haben Sie eigene Bedürfnisse stark zurückstellen müssen. 120
Todesumstände und Trauer
Alle individuellen Faktoren des Erlebens dieser Ausnahmezeit spielen jetzt in Ihrem Trauerprozess um Ihren verstorbenen Mann eine Rolle. Sich vor dem Tod mit den Themen der Trauer befassen Im Nachhinein kann es ein wichtiger Hinweis für Sie sein, dass Trauerprozesse häufig schon mit der Diagnose, also vor dem bevorstehenden Tod eines nahestehenden Menschen beginnen. Es kann entlastend sein, zu wissen, dass Teile der Trauerarbeit schon abgearbeitet waren, als Ihr Mann gestorben ist, und deshalb möglicherweise heftige, erwartete Trauerreaktionen ausblieben. Möglicherweise haben Sie schon während der Krankheit mit dem Schicksal gehadert, wollten zunächst nicht wahr haben, dass Ihr Mann sterben würde, und haben um die Realität des bevorstehenden Verlusts gerungen mit einhergehenden, intensiven, widersprüchlichen Gefühlen und Gedanken. Zudem kann es Sie erleichtern, zu hören, dass Gedanken darum, wie Sie sich Ihr Leben ohne Ihren Mann einrichten könnten, die Sie vielleicht schon beschäftigt haben, obwohl Ihr Mann noch lebte, normale und wichtige Teile der Trauerarbeit sind. Solche Auseinandersetzungen helfen, sich an das bevorstehende Leben ohne den Partner anzupassen. Gerade weil Sie eigene Bedürfnisse in dieser Zeit zurückgestellt haben, kann das Verlangen, diese nach dem Tod Ihres Mannes zu erfüllen, sehr stark sein. Sie können Erleichterung empfinden, endlich einmal wieder ohne Störung zu schlafen, endlich wieder ins Kino gehen zu können oder das zu tun, was auch immer Ihnen gefehlt hat. Haben Sie deshalb bitte kein schlechtes Gewissen. Vielleicht haben Sie und Ihr Mann sich auch schon mit der Bestattung und dem Ort seiner Bestattung befasst und in Gesprächen äußere Plätze, vielleicht auch schon innere (»Du wirst mich auch weiter beschützen und bei mir sein!«) und spirituelle Plätze (»Wo werde ich nach dem Tod sein?«) festgelegt. Wie dem auch sei, Sie haben auf Ihre ganz persönliche Art, mit Ihren Möglichkeiten und Ihrer individuellen Situation entsprechend bereits an Ihrem eigenen Trauerprozess gearbeitet.
Schwer krank – bald bist du tot
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Neue Nähe zueinander gefunden oder eher Distanz entwickelt Die Zeit der Erkrankung Ihres Mannes kann dazu geführt haben, dass Sie eine neue intensive Nähe und Offenheit zueinander entwickelt haben. Es kann genauso gut sein, dass Sie sich voneinander entfernt und entfremdet haben, weil sich jeder für einen anderen Umgang mit dem Schicksal entschieden hat. Trauer um die Distanz, die Sie nicht überwinden konnten, kann Sie jetzt begleiten. Die Art des Abschieds bestimmt mit über Ihre Trauer Klientinnen berichten davon, dass sie sich Vorwürfe machen, im Moment des Sterbens doch nicht dagewesen zu sein, oder dass sie sich Vorwürfe machen, vielleicht nicht genug für ihren Mann getan zu haben. Sie berichten von Wut auf ihren Mann, weil er sich bis zuletzt gegen jede Hilfe, die sie ihm angeboten haben, gesperrt hat. Sie erzählen mit schlechtem Gewissen von ihrer Ungeduld ihrem Mann gegenüber, weil er sich in ihren Augen hat hängen lassen. Sie erzählen von Trauer, weil ihr Mann sie nicht hat teilhaben lassen an seinen Gefühlen und Sorgen und vielen anderen Hindernissen, die den Abschied von ihrem Mann erschwert haben. Abschiede sind nicht immer harmonisch. Es kann Ihre Aufgabe sein, sich im Nachhinein mit dem, was war, auszusöhnen oder Abschied in anderer Form nachzuholen. Vielleicht konnte dafür die Trauerfeier als stimmig empfunden werden. Friedvolle, einträchtige Abschiede geben Trost in der schweren Zeit nach dem Tod. Dennoch fragen Menschen auch hier schuldbewusst, ob sie denn von einem »schönen Abschied« in diesem Zusammenhang überhaupt sprechen dürfen. Ja, das dürfen Sie, wenn Sie es so empfunden haben, denn das ist ein kostbares Geschenk.
4.4 Unser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt Susanne (49) verlor im Juni 2016 ihren Mann durch Krankheit. Nach eineinhalb Jahren Therapie starb er im Alter von 57 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung. Der gemeinsame Sohn Sven war damals sechs Jahre alt. 122
Todesumstände und Trauer
»Es war ein Tag vor Heiligabend 2014, als mein Mann mit starken Schmerzen, Übelkeit und Schweißausbrüchen zum Arzt musste. Die Untersuchung ergab eine Diagnose, die ich niemals vergessen werde: eine nicht klar diagnostizierbare Gewebsstrukturveränderung an der Leber. Von dem Augenblick an veränderte sich unser Leben. Das Leben, das wir geplant und uns gewünscht hatten, brach wie ein Kartenhaus zusammen und lag in Scherben zu unseren Füßen. Ich brachte ihn direkt ins Krankenhaus, wo dann eine Woche später durch ein CT festgestellt wurde, dass es Darmkrebs mit Metastasen in der Leber war. Die Woche zwischen der Einlieferung ins Krankenhaus und der Diagnose war für uns die Hölle. Ich schwankte zwischen Zuversicht und der Angst, was ich ohne meinen Mann bloß machen sollte. Ich wechselte zwischen dem Gedanken, dass es ja vielleicht etwas ganz Harmloses sein könnte, und der Vorstellung, dass die Ärzte mir sagen würden, dass er nur noch ein paar Monate zu leben hätte. Zu der Angst um das Leben meines Mannes kam die Angst, wie unser Sohn Sven (er war damals gerade viereinhalb Jahre alt) das verkraften soll und was wir ihm sagen sollen und was besser nicht. Ganz zu schweigen von der Angst, wie es finanziell weitergehen würde. Wie muss es da erst meinem Mann gegangen sein? Würde er sein Kind groß werden sehen oder nicht? Allein der Gedanke daran war für mich schon entsetzlich. Wie geht es da erst dem Betroffenen? Mein Mann war gelernter Krankenpfleger mit Fachweiterbildung Anästhesie- und Intensivmedizin. Dazu kamen noch die Ausbildung zum Rettungsassistenten und die Berufserfahrung aus 30 Jahren Rettungsdienst auf Notarztwagen, Rettungswagen und Rettungshubschrauber. Er wusste also ganz genau, wie es um ihn steht und was auf ihn zukommen könnte. In diesem Augenblick wurde sein großes medizinisches Fachwissen zum Fluch. Mit dem Befund setzte bei mir aber dennoch eine Ruhe ein, die ich nie erwartet hätte. Ich hatte endlich etwas Greifbares, mit dem ich arbeiten und mich auseinandersetzen konnte. Ich war von da an zuversichtlich, dass wir es schaffen würden. Aber auch immer gleichzeitig so realistisch, mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, was wäre, wenn mein Mann es nicht schaffen sollte. Bei allen Entscheidungen, die ich ab da treffen musste, habe ich diese immer so getroffen, dass ich es auch allein umsetzen konnte. Am Anfang habe ich mich dafür schlecht gefühlt, als würde ich die Hoffnung auf Genesung meines Mannes aufgeben und Unser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt
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sie dadurch vielleicht verhindern oder ihn verraten. Andererseits fühlte ich mich unserem Sohn gegenüber verpflichtet, alles auch aus diesem Blickwinkel zu betrachten und mit der Möglichkeit auch zu rechnen. Ich hatte von Anfang an die Möglichkeit, mich mit der Onkopsychologin unseres Krankenhauses zu treffen. Nach einigen Wochen habe ich dies dann auch getan, ziemlich am Ende meiner Nerven, da ich mich immer wieder so schuldig fühlte, zu überlegen, wie es ohne meinen Mann wohl gehen würde. Dieses Gespräch hat mir dann die Sicherheit gegeben, dass diese Gedanken nicht nur richtig, sondern auch wichtig sind. Vor vielen Jahren, als mein Vater im Sterben lag, hatte mein Mann mir etwas sehr Wichtiges gesagt: ›Überlege dir die möglichen Wege, wie du mit der Situation jetzt und auch mit dem Tod deines Vaters umgehen könntest. Denn wenn die Situation eintritt, hast du nicht mehr die Kraft dazu. Dann funktioniert man nur noch und kann nur noch reagieren, aber nicht mehr überlegen und denken.‹ Wie wichtig diese Worte meines Mannes waren, habe ich dann, als mein Vater tatsächlich starb, begriffen. Und mit der Krankheit meines Mannes wurde dies noch viel wichtiger als damals. In den ersten ein oder zwei Wochen habe ich mit dem Schicksal gehadert und konnte nicht verstehen, warum ein Mensch, dessen ganzes Leben darin bestand, andere Menschen zu retten, diese Krankheit bekommt und eventuell so früh sterben muss. Und warum muss ein Kind mit viereinhalb Jahren Gefahr laufen, seinen Vater zu verlieren? Nach und nach wurde mir aber dann bewusst, dass mir genau diese Gedanken meine Kraft raubten, die ich für den Kampf gegen die Krankheit brauchte. Ich weiß nicht, woher diese Ruhe und die Kraft kamen, aber ich habe es einfach dankbar angenommen und nicht hinterfragt. Ich habe gesehen, mit welch großer Ruhe mein Mann die Krankheit angenommen hat, und habe dadurch auch selber gelernt, sie anzunehmen. Von diesem Augenblick an haben mein Mann und ich jeden Schritt im Kampf gegen die Krankheit gemeinsam gemacht. Hatte er früher nie darüber gesprochen, wenn er krank war oder es ihm nicht gutging, so wollte er nun, was diese Krankheit anging, keinen Schritt mehr ohne mich tun. Wir sind in den nächsten Monaten noch viel enger zusammengewachsen, als wir es sowieso schon waren. Er hat sich mir gegenüber das erste Mal wirklich geöffnet. Aufgrund seiner Kindheit war ihm dies bis dahin nicht möglich. Er hatte durch das Verhalten 124
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seiner Eltern nie lernen können, was Vertrauen ist. Er hat nur gelernt, dass man sich nur auf sich selbst verlassen kann. Ich habe von Beginn der Krankheit an versucht, immer nur einen Schritt nach dem anderen zu machen und mir nie den ganzen Berg anzusehen, der noch vor uns lag. Das wäre wahrscheinlich so viel gewesen, dass ich von Beginn an gesagt hätte: Das schaffen wir nie. Aber so ging es immer eins nach dem anderen und war so irgendwie auch immer zu schaffen. Zuerst kam die Darm-OP, in der zwei Tumore entfernt wurden und ein vorrübergehender künstlicher Darmausgang gelegt wurde. Es war erschreckend, zu erleben, wie eine einzige Operation meinen Mann schwächen konnte. War er vorher noch kräftig, so ging er nach der OP am Rollator zur Toilette. Nach knapp sechs Wochen begann dann die Therapie: alle 14 Tage eine Chemotherapie in Kombination mit einer Immuntherapie. Das hieß, jeden zweiten Dienstagmorgen in die Onkologische Ambulanz des Krankenhauses und dort fünf Stunden Therapie. Nach diesen Stunden kam der nächste Teil der Chemo in Form einer Infusion, die über eine kleine Pumpe funktionierte und bis Donnerstagnachmittag lief. Das Ganze fand immer ambulant statt. Zum Abnehmen der Infusion fuhren wir dann wieder ins Krankenhaus. Die Dienstage dazwischen fuhren wir morgens ins Krankenhaus für Labor und Arztgespräch. Dazu kam alle zwei Tage die Versorgung des künstlichen Darmausgangs. Für meinen Mann war dieser Ileostoma eine enorme psychische Belastung. Für mich war es einerseits schwer zu ertragen, zu sehen, wie sehr mein Mann darunter litt, sich immer mehr zurückzog und – außer ins Krankenhaus und ganz selten mal zu meiner Familie – nicht mehr vor die Tür ging. Andererseits gab es mir die Möglichkeit, auch etwas Greifbares für meinen Mann zu tun. Ich habe, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, alle zwei Tage die Versorgung des Stomas übernommen. Mein Mann war ein Mensch, der niemanden belasten wollte, und so hätte er mich nie darum gebeten, dies zu tun. Aber als er mir im Krankenhaus die Frage stellte, ob ich mal sehen wollte, wie diese Versorgung (die er sonst zu Hause hätte selber machen müssen) gemacht wird, habe ich ihm gesagt, dass ich sie gern machen würde, und er war total erleichtert. Nach der dritten Chemotherapie begannen die Probleme. Durch den künstlichen Darmausgang verlor mein Mann eine große Menge Flüssigkeit und als durch die Therapie noch Durchfall dazukam, musste Unser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt
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er zwischen den Therapien Infusionen zum Ausgleich der fehlenden Flüssigkeit bekommen. Durch den Flüssigkeitsmangel kam es bei ihm zu Bewusstseinseintrübungen und so ging es immer wieder entweder mit dem Rettungswagen oder mit unserem Auto entweder in die Onko-Ambulanz oder zur Notaufnahme. Für mich war es beim ersten Mal erschreckend, wie mein Mann sich dadurch veränderte, bis die Infusion für Abhilfe sorgte. Erschreckend war auch, zu erleben, dass ich in der Notaufnahme dafür sorgen und kämpfen musste, dass er diese auch wirklich bekam. Dann kam der Tag, an dem klar wurde, dass es nur eine Erhaltungstherapie sein würde. Die Metastasen in der Leber waren trotz aller Erfolge der Therapie inoperabel. Das war der Augenblick, in dem mein Mann zu mir sagte: ›Küken, ich habe Angst davor, ewig dahinzuvegetieren‹. Und er wusste genau, dass genau dies passieren würde. Ich werde diesen Augenblick niemals vergessen und auch meine Antwort darauf nicht: ›Meister, ich möchte, dass du weißt, dass du nicht eine Sekunde für mich oder auch für Sven leiden sollst. Wenn du an dem Punkt bist, wo du es für dich nicht mehr lebenswert ist, dann werden wir einen anderen Weg finden. Aber wenn du für uns leidest, dann werden wir alle darunter leiden. Nur du kannst und darfst darüber entscheiden und ich werde diese Entscheidung respektieren und mittragen.‹ Auch in der Erhaltungstherapie wurden die Therapien alle vierzehn Tage durchgeführt, aber im Krankenhaus waren es nur noch drei Stunden, der Rest blieb gleich. Die Laborwerte waren immer alle im Normalbereich mit Ausnahme des Tumormarkers. Aber auch dieser war sehr niedrig. Nach der dreißigsten Therapie hörte ich dann auf zu zählen. An dem Tag, als mein Mann starb, musste ich morgens früher zur Arbeit als gewöhnlich. Es ging ihm wie immer und kurz bevor ich losfuhr, habe ich ihn nochmal gefragt, ob es okay sei, dass ich fahre und er mit Sven allein wäre. Unser Sohn konnte an diesem Tag nicht in den Kindergarten gehen, da ich so früh fahren musste, dass der Kindergarten noch nicht geöffnet hatte. Mein Mann sagte daraufhin: Es ist alles in Ordnung, mir geht es gut. Du kannst ganz beruhigt fahren. Als ich nachmittags wieder auf dem Heimweg war, habe ich wie jeden Tag während der Rückfahrt zu Hause angerufen. Er hörte sich an, als bekäme er schlechter Luft und das Sprechen für ihn anstrengend wäre. Plötzlich bekam ich Angst. Als ich zu Hause ankam, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas 126
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mit ihm nicht in Ordnung sei. Nachdem ich seine Temperatur gemessen hatte, sah ich, dass sie 41 °C betrug. Das und die Atmung machten mir Angst und ich fragte ihn, ob ich nicht einen Arzt holen solle. Er verneinte dies und ich habe es akzeptiert. Ich hatte hohes Fieber während der Chemotherapie bereits erlebt und am nächsten Tag sollten wir ja auch wieder zur Chemo ins Krankenhaus. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er an diesem Tag noch ins Krankenhaus käme. Er ging dann früh ins Bett, stand aber gegen 20 Uhr nochmal auf, um zur Toilette zu gehen. Auf dem Weg dorthin brach er vor Schwäche zusammen und ich konnte ihn noch gerade auffangen, sodass er sich keine Verletzungen zuzog. In dem Moment war für mich klar, dass ich nun den Rettungswagen rufen würde. Als ich ihn wieder ins Bett gebracht hatte, wollte er, dass ich den Rettungswagen wieder abbestelle. Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht tun würde, da es für mich wichtig sei, dass sie kommen und mal nach ihm schauen. Die Entscheidung, ob er mit ins Krankenhaus fahren würde oder nicht, wäre dann ganz allein seine Entscheidung und ich würde sie mittragen, egal wie sie ausfallen würde. Er hat dann abgelehnt, ins Krankenhaus mitzufahren. Die Rettungssanitäter haben diese Entscheidung gleich akzeptiert und sind dann wieder weggefahren. Ich war zuerst erschrocken, dass Sven den Zusammenbruch seines Vaters miterlebt hat. Aber er hat, während ich den Notruf getätigt habe, ohne dass ihn einer darum gebeten hat, auf seinen Vater aufgepasst und sich, als die Rettungssanitäter ankamen, ins Wohnzimmer auf das Sofa gesetzt, damit er keinem im Weg wäre. Im Nachhinein war ich dankbar dafür, da er so mitbekommen hat, dass es seinem Vater plötzlich viel schlechter ging. Gegen 23 Uhr drehte sich mein Mann im Bett neben mir auf den Rücken. Als ich daraufhin zu ihm sah, nahm er meine Hand und sagte mir: ›Alles in Ordnung.‹ Zwei oder drei Minuten später hörte er auf zu atmen. Ich rief den Rettungswagen und den Notarzt. Bis sie vor Ort waren, habe ich eine Herzmassage versucht, was aber im Bett durch die Matratze natürlich nicht funktionieren konnte. Aber ich hatte nicht untätig herumgestanden. Doch auch die anderen konnten nicht mehr helfen. Ich spürte, dass genau das der Weg war, durch den mein Mann friedlich und selbstbestimmt sterben konnte. Keine Maschinen, kein künstliches Verlängern seines Leidens, was bestimmt eingetreten wäre. Ihm wurde genau das erspart, wovor er so große Angst gehabt hatte: ewig dahinvegetieren zu müssen. Er durfte Unser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt
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zu Hause bei seiner Familie sterben. Wer darf das heute noch? Für mich kam es trotz des Wissens um die Krankheit in dem Augenblick völlig überraschend. Aber ich war und bin dankbar, dass er so friedlich sterben durfte und ich dabei sein durfte. Ich hatte Sven von Anfang an immer die Wahrheit gesagt. An dem Tag, an dem mein Mann ins Krankenhaus kam, habe ich erstmal nur gesagt, dass sein Vater krank sei. Als dann die Diagnose kam, habe ich ihm erklärt, dass sein Vater sehr krank sei und er regelmäßig Medizin bekommen müsse. Auch den künstlichen Darmausgang habe ich ihm mit einfachen Worten erklärt und dass er eine Weile bleiben würde, damit Papas Bauch nach der Operation wieder heilen könne. Er hat mir von Anfang an bei der Versorgung des Stomas geholfen, indem er mich alle zwei Tage darin erinnert hat. Oft hat er auch zugeschaut und für ihn war das nachher alles ganz normal und zu keiner Zeit beängstigend. Als dann später klar war, dass mein Mann nicht mehr gesund werden würde, habe ich Sven auch das erklärt. Ich habe ihm gesagt, dass sein Vater so schwer krank sei, dass er nicht mehr gesund werden könne, aber die Medizin ihm helfen würde, dass es erstmal nicht schlimmer würde. Ich hatte jedes Mal Angst davor, ihm die Situation zu erklären, und war immer unsicher, ob ich auch wirklich das Richtige tue und die richtigen Worte finden würde. Aber ich war mir immer sicher, dass es auf jeden Fall falsch wäre, es ihm nicht zu sagen. Damit hätte ich ihm die Möglichkeit genommen, sich damit auseinanderzusetzen und seinen Weg zu finden, es anzunehmen. Am Morgen nach dem Tod meines Mannes hatte ich wieder Angst, nicht die richtigen Worte zu finden oder dass Sven zusammenbrechen würde. Aber beides trat nicht ein. Die Worte kamen einfach wie von selbst und Sven war zwar entsetzt und geschockt, aber er war nicht unvorbereitet. Wir haben dann in den nächsten Tagen die Urne zusammen bemalt und den Blumenschmuck hat er selber ausgesucht. Das Herz, das vor die Urne kam, haben wir einen Tag vor der Beerdigung im Blumengeschäft gemeinsam gesteckt. Dadurch war für uns die Urne nicht unbekannt und erschreckend, sondern sie war uns vertraut. Und wir konnten beide etwas für unseren Verstorbenen tun, das für uns greifbar und begreifbar war. Für mich waren die letzten zwei Jahre sehr schwer und auch sehr anstrengend, sowohl psychisch als auch physisch. Aber es waren auch 128
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zwei Jahre, in denen ich sehr viel gelernt und auch viel Positives erfahren habe. Ich konnte jeden Schritt durch die Krankheit mit meinem Mann gemeinsam machen. Ich habe erfahren, dass ich viel mehr ertragen kann, als ich jemals geglaubt habe oder mir zugetraut hätte. Ich weiß heute, wie stark ich wirklich sein kann, wenn es sein muss. Ich habe durch die Krankheit gelernt, dass es Situationen im Leben eines Menschen gibt, die man nicht ändern kann, sondern die man annehmen muss. Sich dagegen zu wehren oder damit zu hadern hilft nicht, sondern es macht alles nur noch schwerer und raubt einem die Kraft, die für andere Dinge in dieser Zeit viel wichtiger ist. Es gab immer wieder Augenblicke, wo ich am Zweifeln war, wie ich das noch weiter schaffen soll. Ich habe für mich aus meinem Glauben Kraft schöpfen können. Aber es gab in den Augenblicken der Verzweiflung auch immer wieder positive Ereignisse, die mir weiter geholfen haben. Meine Familie war in dieser Zeit immer für uns da und wir sind alle noch mehr zusammengerückt, als es vorher schon war. Und ich habe viele wunderbare Menschen kennen gelernt: die Kameraden meines Mannes vom Rettungshubschrauber, die mit ihm bis 2002 zusammen dort Dienst hatten. Sie waren von der ersten Minute bis heute immer für mich und meinen Sohn da, obwohl die meisten mich bis dahin gar nicht kannten. Für sie gibt es nicht nur die Kameradschaft untereinander, sie sind bedingungslos füreinander da und einer kann sich blind auf den anderen verlassen. Und genauso sind sie auch für die Familie ihrer Kameraden da. Vor ein paar Wochen habe ich von meinem Sohn erfahren, dass mein Mann ihm am Tag seines Todes erklärt hat, dass er noch gern viele Jahre bei uns wäre, aber so krank sei, dass er in den nächsten Tagen sterben müsse. Er hat genau die richtigen Worte getroffen, denn unser Sohn hat keine Angst bekommen, sondern war auch auf dieses schreckliche Erlebnis vorbereitet. Dafür bin ich meinem Mann sehr dankbar. Er war bis zum Schluss immer für seine Familie da und hat alles für uns getan, was ihm möglich war. Ich habe mich in dieser Zeit sehr verändert und mir ist bewusst, dass ich nie mehr so sein werde wie vorher. Aber ich habe mich positiv verändert. Ich bin stärker und selbstbewusster geworden, gleichzeitig aber auch verletzlicher im Sinne von einfühlsamer. Ich bin empfindsamer geworden, nehme mein Umgebung bewusster war. Vor allen Dingen habe ich aber gelernt, dass ich schwierige Situationen nur dann überUnser Weg seit Beginn seiner Krankheit – Susanne erzählt
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stehen kann, wenn ich immer bemüht bin, dass darin auch vorhandene Positive zu erkennen und für mich als Quelle für Kraft und Stärke zu nutzen. Wenn ich das nicht schaffe, werde ich daran zerbrechen. Ich muss dazu bereit sein, Situationen in meinem Leben, die ich nicht ändern kann, zu erkennen und dann anzunehmen. Nur so schaffe ich es, die Möglichkeit zu finden, wie ich damit umgehen kann, und so den Weg zu finden, wie ich damit leben kann. Es wird in den nächsten Jahren bestimmt immer wieder Augenblicke geben, wo ich hinfallen werde, aber ich weiß jetzt, dass ich immer wieder die Kraft finden werde, aufzustehen und wieder weiterzugehen.«
4.5 Fremdgegangen und andere Geheimnisse Wer bist du gewesen? Fast jede zweite Ehe in Deutschland wird geschieden (vgl. Wikipedia-Artikel »Scheidungsrate«). Das bedeutet, dass recht viel Disharmonie in Beziehungen besteht und somit viele Ehen mit dem Tod eines Partners nicht unbedingt harmonisch enden. Vielleicht gab es immer wieder Streit und/oder Überlegungen, sich zu trennen. Meine Erfahrungen mit Klientinnen zeigen zudem immer wieder, dass es im Nachhinein noch »ungeahnte, böse Überraschungen« geben kann. Betroffene Frauen müssen bitter erfahren, dass der geliebte Mann unbekannte Seiten hatte und heimlich noch ein anderes Leben geführt hat und dass es verborgene dunkle Flecken in der Vergangenheit ihres Partners gab, von denen sie bisher nichts gewusst haben. Es kann deshalb sein, dass der Schmerz und die Wut darüber, belogen und betrogen worden zu sein, viel größer sind als die Trauer um den Verlust des Partners. Es geht um Seitensprünge, heimliche Beziehungen, unbekannte Kinder, sexuelle Neigungen, ein Doppelleben, um Geld, Schulden, Sucht oder auch Kriminalität. Manchmal kommt diese unbekannte Seite erst kurz vor dem Tod, wenn es eine längere Krankheit gab, oder nach dem Tod des Partners zutage. Das ist für Sie als Hinterbliebene besonders schmerzhaft. Quälende Gedanken, unendliche Verletztheit und Selbstentwertung gehen dann einher mit Wut, Liebe, Trauer und Hass – so gesehen eigentlich normale Trauerreaktionen, aber durch das Geheimnis bleiben betroffene Frauen allein. Das Schlimmste dabei ist, dass Sie dem Mann, der 130
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Ihnen das Leid zugefügt hat, nicht mehr zur Rede stellen und ihm Ihre Wut und Verletzung nicht entgegenschleudern können. »Er hat sich fein aus dem Staub gemacht, dieses miese Schwein! Mein Mann war im Skiurlaub mit seiner Geliebten und ist dort an einem Herzinfarkt gestorben. Ich glaubte ihn mit seinem besten Freund dort, während ich mich um unsere Kinder kümmerte, damit er sich mal eine Auszeit vom anstrengenden Job gönnen konnte. Die Entwürdigung, nicht nur vom eigenen Mann, sondern auch zugleich von unserem gemeinsamen Freund betrogen worden zu sein, riss mir den Boden unter den Füßen ganz weg.« Nora (45) Anette (38) war tief verletzt, weil ihr todkranker Mann und Vater ihres Kindes nach seiner Diagnose ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin begann, von dem sie nichts geahnt hatte. »Er hat mich jahrelang betrogen. Ich habe nichts bemerkt und ihm immer blind vertraut. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass er eine Spielsucht hatte und unser gesamtes Vermögen verspielt hat. Jetzt stehe ich mit den Kindern existenziell vor dem Nichts.« Sabine (39) »Ich habe meinen Mann über alles geliebt. Er war immer zuvorkommend, liebevoll, verlässlich. Ich habe immer geglaubt, dass wir ein echtes Traumpaar sind, und war dankbar für mein Lebensglück. Jetzt kann ich mich selbst kaum im Spiegel betrachten, muss mich übergeben, wenn ich meinen Körper berühre. Wie dumm und naiv war ich, dass ich all die Jahre nicht bemerkt habe, dass er eine Beziehung zu einer anderen Frau hatte? Ich kann meinen Gefühlen nicht mehr trauen, weil ich so auf ihn hereingefallen bin. Ich kann nie wieder einem anderen Menschen mein tiefes Vertrauen schenken. Ich habe meinen Mann und meine Erinnerungen an unser gemeinsames, glückliches Leben verloren.« Nadine (41) »Mit wem hat er sich ohne mein Wissen getroffen?« »Wie konnte er mir verheimlichen, dass er eine andere Beziehung hatte?« »Warum hat er mir das angetan?« »War unser gemeinsames Leben ihm nichts wert?« Fremdgegangen und andere Geheimnisse
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»Habe ich ihm nichts bedeutet?«
Quälende Fragen, Selbstzweifel, Selbstentwertung sowie viele intensive, ambivalente Gefühle und offene Fragen, die nur der Verstorbene beantworten könnte, behindern den Trauerprozess und erschweren es betroffenen Frauen, sich an die Lebenssituation anzupassen und neue Lebensperspektiven zu entfalten. Hinweise: Es ist eine schlimme Erkenntnis für Sie, im Nachhinein zu erfahren, dass Sie Ihren geliebten Mann nicht wirklich gekannt haben und er nicht immer ehrlich zu Ihnen war. Dies ist umso schwerer, wenn Kinder zurückbleiben, die um ihren Vater trauern. Kinder, die ein anderes Bild und eine andere Bindung zum Verstorbenen haben als Sie selbst. Meist ist es schwer, mit dem Umfeld über diese Hintergründe zu sprechen, und vielleicht möchten Sie auch nicht, dass jeder um diese Begebenheiten weiß. Achten Sie darauf, dass Sie nicht allein bleiben mit Ihren Gefühlen und Gedanken. Zugleich ist es wichtig, dass Ihre Kinder um ihren Vater trauern können, auch wenn Sie selbst unendliche Wut auf ihn haben. Sie dürfen wütend sein und haben das Recht, sich betrogen zu fühlen. Diese Gefühle benötigen Raum. Vielleicht darf ich Ihnen auch diesen Hinweis geben. Sie spüren sicherlich unendliche Verletzung und Kränkung und sehen die gesamte Vergangenheit zu Recht in einem anderen Licht. Ziehen Sie dennoch, auch wenn das sicherlich sehr schwerfällt, in Betracht, dass möglicherweise nicht alles gelogen war und dass Ihr Mann nicht umsonst freiwillig sein Leben – wenn auch nur in Teilen – mit Ihnen verbracht hat. Ambivalenz gehört zu unserem Leben, es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Ich halte es für möglich, dass Ihr Mann Sie auf seine Art und Weise dennoch geliebt hat und nicht alles, was er gesagt oder getan hat, eine Lüge war. Ich würde Ihnen zudem sehr empfehlen, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Ich hatte heimlich einen (anderen) Mann Vielleicht befassen Sie sich jetzt damit, dass Sie selbst an einen Seitensprung gedacht, ihn gewünscht, geplant oder gelebt haben. Es kann Sie belasten, dass Sie Ihrem Mann das verschwiegen haben und nicht ehrlich zu ihm waren. Vielleicht hatten Sie vor, mit ihm zu 132
Todesumstände und Trauer
sprechen, aber es kam nicht mehr dazu. Klientinnen berichten, dass sie sich deshalb sehr schämen. Weil es meist schwer ist, mit Freunden darüber zu sprechen, bleiben viele Frauen mit ihren Schuld- und Schamgefühlen allein. Das Gleiche gilt, wenn Sie um Ihren Geliebten trauern. Vielleicht trauern Sie um Ihren Mann, der zugleich nicht Ihr Mann war. Trauer um einen verheirateten Mann, zu dem Sie eine Beziehung hatten, erfährt keine Anerkennung. Betroffene Frauen haben keinen Raum für ihre Trauer, weil die Beziehung geheim war. Zudem belasten Scham, Schuld und Angst vor Stigmatisierung den Trauer prozess. Hinweis: Bitte suchen Sie sich, wenn es Ihnen ähnlich geht, Unterstützung. Trauerbegleitung unterliegt der Schweigepflicht. Daher kann dies eine Möglichkeit für Sie sein, Ihre belastenden Gedanken und Gefühle zu bearbeiten. In der Begleitung geht es nicht um Bewertung oder Verurteilung, sondern um Sie als trauernden Menschen.
4.6 Suizid – mein Mann hat sich das Leben genommen Männer nehmen sich häufiger das Leben Vielleicht hat sich Ihr Mann das Leben genommen? Circa 75 Prozent der Suizidverstorbenen in Deutschland und weltweit sind Männer. Sie wählen häufig »harte«, sichere Methoden, um ihr Leben zu beenden (z. B. sich erhängen, erschießen, ertränken, vergiften mithilfe von Gas, Grill, Autogas, aus großer Höhe springen oder sich überfahren lassen). Sie sterben an außergewöhnlichen Orten oder auch an Alltagsorten, die anschließend von Angehörigen als sehr belastend empfunden werden (z. B. im Flur, Ehebett, Wohnzimmer, Auto, Garage, Keller, Garten). Manchmal kommt für Angehörige erschwerend hinzu, dass der Suizid an einem besonderen Tag oder Zeitpunkt (z. B. Weihnachten, Geburtstag) stattgefunden hat. Seit wann sich der Verstorbene mit Suizidgedanken beschäftigt hat, bleibt oft im Dunkel. Nur etwa 50 Prozent aller Menschen, die sich suizidieren, sprechen zuvor darüber. Circa 60 Prozent aller Suizidenten waren depressiv erkrankt. Suizid – mein Mann hat sich das Leben genommen
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Erschwerte, komplizierte Trauerprozesse und heftige Trauerreaktionen Die Todesursache Suizid hat starke Auswirkungen auf den Verlauf und die Inhalte des Trauerprozesses. Trauerreaktionen sind nach dem Tod durch Suizid meist extremer und ausgeprägter. Das kann Folgen für Ihren Körper, Ihre Psyche und Ihr Verhalten haben. Besonders ausgeprägt können Reaktionen sein, wie zum Beispiel Schockzustand, Entsetzen, Ungläubigkeit, Fassungslosigkeit, Spekulationen, Grübelschleifen, Albträume, starke Kontrolliertheit oder Unkontrolliertheit von Gefühlen und Verhalten, Verlust von Selbstwert, stark belastende Gedanken von Schuld, tiefste Zweifel an der eigenen Person, das eigene Selbstbild sowie persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen werden infrage gestellt, das persönliche Urteilsvermögen wird stark angezweifelt und so weiter. Vielleicht kennen Sie solche Reaktionen von sich und haben den Suizid Ihres Mannes ebenfalls als gewalt- und grausam erlebt. Möglicherweise können Sie sich selbst nicht mehr liebenswert finden, haben das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, und/oder es fällt Ihnen schwer, neues Selbstvertrauen finden. Es kann sein, dass Sie meinen, nichts mehr richtig zu können und sich nichts mehr zutrauen. Fragen, warum Sie nichts bemerkt haben oder verhindern konnten, können Sie quälend begleiten. Zugleich können Sie starke Wut auf Ihren Mann empfinden und sich betrogen und verraten fühlen. Vielleicht stellen Sie alles, was Sie mit Ihrem Mann erlebt haben, infrage und können frühere Liebesbekundungen nicht mehr glauben. Es kann schwer für Sie sein, heilsame Erinnerungen und eine positive Verbindung zu Ihrem Mann zu fühlen. Zusätzliche Belastungen durch Ihr Lebensumfeld Nach einem Suizid bleiben meist viele (Warum-)Fragen offen, die Raum geben für Spekulationen. Häufig wird Ihr Mann nicht mehr insgesamt als Mensch gesehen, sondern es geht nur noch um die Aspekte seiner Todesursache. Menschen aus dem nahen Lebensumfeld Ihres Mannes können sich mitschuldig, provoziert und verantwortlich für seinen Tod fühlen. Es kann zu für Sie verletzenden Verurteilungen Ihres Mannes (»Wenn er dich geliebt hätte, hätte 134
Todesumstände und Trauer
er dir das nicht angetan«, »Es war egoistisch, wenigstens hätte er Rücksicht darauf nehmen müssen, dass niemand ihn so zugerichtet sehen muss«) und/oder zu Verdächtigungen und Gerüchten kommen. Zudem kann es sein, dass Sie sich neben starken Selbstvorwürfen mit schlimmen Schuldzuweisungen aus Ihrem Lebensumfeld auseinandersetzen müssen. Scham und Gefühle, versagt oder etwas versäumt zu haben, können dadurch verstärkt werden. Der Suizid eines nahestehenden Menschen kann neben der Trauer um den Verstorbenen für Hinterbliebene noch heute ein zusätzliches Stigma bedeuten. Aus Scham und Angst wird die Todesursache darum häufig verschwiegen. Hinweise: Menschen, die sich das Leben nehmen, sehen ihren eigenen Tod als die letzte Möglichkeit, sich von ihrem Leid zu erlösen. Andere Lösungen konnten von ihnen nicht mehr wahrgenommen werden. Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie nicht allein bleiben mit ihren Gefühlen, Gedanken und Fragen. Trauer nach Suizid braucht wie jede andere Trauer tröstende Erinnerungen. Erinnern Sie sich bitte immer wieder bewusst an schöne Zeiten mit Ihrem Mann, damit nicht nur schreckliche Bilder, die mit dem Suizid zusammenhängen, auf Sie einwirken. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gelingt, im Rückblick anzuerkennen, dass Äußerungen und Pläne Ihres Mannes zum damaligen Zeitpunkt trotzdem ehrlich gewesen sein können und Sie für sich versöhnliche Antworten auf offene Fragen finden. Der Tod eines nahestehenden Menschen durch Suizid kann zu einem komplizierten Trauerprozess führen. Deshalb möchte ich Ihnen unbedingt empfehlen, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Verstehen Vielleicht hilft es Ihnen, zu hören, dass Menschen, die sich entschieden haben, sich das Leben zu nehmen, in der Zeit von der Entscheidung bis zur Durchführung nach außen hin oft sehr positiv wirken. Sie wissen, dass sie bald erlöst sind, und fühlen sich daher entlastet. Das macht es oft schwer, zu verstehen, warum sich der Mensch gerade jetzt, wo es ihm so gutging, das Leben genommen hat. Auf Suizid – mein Mann hat sich das Leben genommen
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der Suche nach Antworten kann es zudem hilfreich sein, zu wissen, dass sich in Deutschland circa 10.000 Menschen jährlich das Leben nehmen, also circa alle 45 Minuten. Das wiederum bedeutet, dass viele Menschen nach dem Tod durch Suizid um einen nahestehenden Menschen trauern. Gefährdet sind zum Beispiel Menschen nach Suizidversuchen oder suizidalen Krisen sowie junge, ältere, körperlich schwerkranke oder traumatisierte Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen (z. B. Depression, Suchterkrankungen, Angststörungen, Schizophrenie), Menschen in Veränderungskrisen (z. B. in Beziehungs- und Finanzkrisen, nach schwerem Verlust, in Identitätskrisen, bei Kriminalität) sowie Menschen, die sich nicht an veränderte Lebensumstände anpassen und keine Unterstützung einfordern/annehmen können, die über keine ausreichenden Ressourcen verfügen oder die sich durch belastende Lebenssituationen überfordert fühlen. Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit Suizid können wichtige Funktionen haben. Sie können zum Beispiel das Unerklärliche erklären, eine Verbindung zum Verstorbenen sichern oder ihn von Schuld entlasten. Das übliche, behördliche Vorgehen nach einem Suizid, die Untersuchungen der Polizei, um ein Verbrechen auszuschließen, die Beschlagnahmung von Beweismitteln und die Amtssprache mit ihren Begriffen, wie zum Beispiel »Leiche«, »Beweise«, »ermitteln« oder »Obduktion«, lassen den Eindruck eines tatsächlichen Verbrechens mit Schuldigen entstehen. Menschen um Sie herum können sich deshalb bestätigt sehen in ihren Vermutungen und Beschuldigungen. Kindern die Wahrheit sagen? Es kann sein, dass Sie ratlos sind, wie Sie Ihren Kindern den Suizid des Vaters erklären sollen. Möglicherweise tendieren Sie dazu, die Todesursache zu verschweigen oder nur Bruchstücke mitzuteilen. Ihre Kinder werden das spüren und/oder über andere etwas erfahren. Möglicherweise verlieren Sie das Vertrauen zu Ihnen und erhalten keine sachlichen und wertfreien Informationen, sondern hören Anschuldigungen, Verurteilungen und Gerüchte. Sie können sich professionell beraten lassen, wenn Sie sich unsicher fühlen.
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Todesumstände und Trauer
Hinweis: Eine Bitte habe ich an Sie. Achten Sie, wenn möglich, auf einen einfühlsamen Sprachgebrauch und verwenden Sie keine abwertenden oder verurteilenden Begriffe wie »Selbstmord«, »Selbstmörder« oder »hat sich umgebracht«. Formulierungen wie »Suizid«, »Selbsttötung« oder »er hat sich das Leben genommen« sind neutraler. Hinweis: Zahlreiche hilfreiche Broschüren und Adressen für Angehörige nach Suizid sind zu beziehen bei [email protected] oder unter der Internetadresse www.agus-selbsthilfe. de/wir-bieten-an/themenbroschueren/. Buchtipps: Rinder, N., Rauch, F. (2016). Damit aus Trauma Trauer wird. Weiterleben nach dem Suizid eines nahestehenden Menschen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. | Schenk, M. (2014). Suizid, Suizidalität und Trauer. Gewaltsamer Tod und Nachsterbewunsch in der Begleitung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
4.7 Warum hast du uns das angetan? – Christina erzählt Christina war 20 Jahre, als Michael sich mit 21 Jahren das Leben nahm. Die gemeinsame Tochter war gerade sechs Monate alt. Der Erfahrungsbericht von Christina ist am Ende ein Brief an ihren verstorbenen Mann geworden. Das Schreiben hat Christina geholfen, zu verstehen, zu sortieren und Worte an ihren Mann zu finden. »Ich schaute dich an und wusste, dass es Schicksal ist. Du bist damals mein erster Freund gewesen und gleichzeitig meine erste große Liebe. Wer hätte je gedacht, dass wir sogar zusammen ein Kind bekommen würden? Für mich war klar, dass wir füreinander geschaffen waren. Du, ich und unser kleiner Sonnenschein: eine perfekte Familie. Ich war sehr zufrieden mit all dem, was wir erreicht haben damals. Ich hatte meine schulische Ausbildung absolviert und mein Fachabitur bestanden. Auf dich war ich ebenfalls sehr stolz. Du hattest deine Ausbildung zum Schreiner gut abgeschlossen. Das hast du wirklich super gemacht. Mit meiner rosaroten Brille habe ich leider nicht erkannt, dass unser Familienglück zum Scheitern verurteilt war. Gespürt habe ich es schon länger, Warum hast du uns das angetan? – Christina erzählt
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dass irgendetwas mit dir nicht stimmte. Als ich schwanger war, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, hast du viel geraucht und immer wieder zu viel getrunken. Du mochtest nicht viel sprechen und deine Stimmung war oft sehr trüb. Ich habe gehofft, dass es dir wieder besser geht, wenn unsere kleine Tochter da sein würde. Für mich war diese Zeit sehr schwer, denn du hast nie darüber gesprochen, was dich so bedrückt. Ich durfte an deinem Kummer nicht teilhaben und du hast keine Lösung für Dinge gefunden, von denen ich nichts gewusst habe. Als unser kleiner Sonnenschein dann geboren war, warst du ein stolzer Vater. Du hast die Kleine oft geknuddelt, bist gern mit ihr spazieren gegangen und hast sie sehr geliebt. Du hättest dich selbst dabei sehen sollen. Dein Leben ist in meinen Augen perfekt gewesen: eine Arbeit, eine liebevolle Familie und ein süßes, gesundes Kind. Ich frage mich, ob du diese positiven Dinge überhaupt wahrnahmst und in deinem Herzen spüren konntest. Ich glaube eher nicht. Juli 2008: Es war ein heißer Sommer. Unser Kind genoss das schöne Wetter und beobachtete die saftig grünen Blätter an den Bäumen. Dein Alkoholkonsum war an jenem Wochenende gestiegen. Nebenbei bemerkte ich, dass deine Stimmung immer trauriger und depressiver wurde. Ich wollte dir so gern helfen. Du hast mir leider nie den Grund deiner Traurigkeit genannt. Das fand ich sehr schade. Vielleicht kanntest du ihn selbst nicht. Während ich mit unserer Tochter auf Spielplätzen war, beobachtete ich andere glückliche Familien. Mein Wunsch nach Harmonie und Liebe wuchs dadurch. Ich wollte auch einen Vater für unser Kind, der lachen und das Leben genießen konnte. Du hast stattdessen traurige Musik gehört, geraucht, Alkohol getrunken und irgendetwas in dich hineingefressen. Du bist immer mehr in deine Traurigkeit gesunken. Ich war sauer, dass du dagegen nicht angekämpft hast. Meine Hilfe wolltest du nicht annehmen. Es gab noch Möglichkeiten, die du nicht sehen wolltest. Ende Juli 2008: Wir trafen uns an einem heißen Sommertag auf dem Spielplatz. Du warst wieder einmal betrübt und genervt. Wieder war ich sauer und hilflos, weil du meine Hilfe nicht annehmen wolltest. Ich glaubte, dass du wieder mit deinen Jungs trinken gehen wolltest. Du warst nur kurz bei uns. Irgendwie war es ein kalter und trauriger Abschied. Ein Abschied, den ich so von dir nicht kannte. Du hast die kleine Maus aus dem Kinderwagen gehoben, ihr dabei tief in die Augen 138
Todesumstände und Trauer
geschaut und ihr einen Kuss gegeben. Du machtest auf mich so einen traurigen Eindruck. Als ich noch einmal gefragt habe, ob alles okay sei, bestätigtest du. Ich konnte es trotzdem nicht glauben. Am Abend telefonierte ich mit dir, bevor ich der Kleinen die Windeln wechselte. Du warst bei deinen Eltern. Ich war sauer auf dich und habe dir nochmals am Telefon gesagt, dass ich mit deinem Alkoholismus und deinen depressiven Stimmungen nicht klarkomme. Deine negative Lebensstimmung und dein depressiver Lebensstil sei Gift für unsere kleine Familie, sagte ich dir. Du wolltest das nicht hören, aber mir war es wichtig, über diese Probleme zu sprechen und Lösungen zu suchen. Ich glaubte, dass es eine Lösung geben könnte. Du wolltest, dass wir dich am nächsten Tag besuchen kommen und wir noch einmal über alles sprechen sollten. Ich habe mich über dein Angebot gefreut und nahm es gern an. Als wir gegen 21.15 Uhr das Telefonat beendet haben, hast du mich einige Sekunden später nochmals angerufen. Du sagtest mir: ›Ich liebe dich.‹ Es war so schön, dass du noch einmal angerufen hast. Ich sagte dir, dass ich dich auch liebte. Ich bin an diesem Abend spät schlafen gegangen. Ich hatte dich auch noch einmal angerufen, aber du bist nicht ans Telefon gegangen. Ich wartete auf deinen Rückruf und schlief darüber ein. Auch am Morgen hörte ich nichts von dir. Meine Schwester kam um 9 Uhr und gab mir den Telefonhörer. Deine Schwester war dran. Sie weinte und sagte, dass du mit einer Plastiktüte auf dem Kopf eingeschlafen und jetzt tot seist. Ich fragte mich, wie man mit einer Tüte auf dem Kopf einschlafen könne und wie ein Mensch daran sterben könne. Als ich begriff, dass es zu spät war, um dich zu retten, zerschmetterte mein Herz in tausend Stücke. Du bist tot, du hast dir das Leben genommen! Der Satz dröhnte in meinem Kopf. Ich schrie, rief deinen Namen, rannte durch die Wohnung und war außer mir. Ich klingelte unsere Nachbarin heraus und bat sie, mich zu dir zu bringen. Auf der Fahrt zu dir hoffte ich, dass du wieder leben würdest und man dir helfen könnte. Als ich deine Eltern sah, ihre unerträglich traurigen Gesichter, wusste ich, dass es zu spät war. Deine Eltern haben mir so leidgetan. Ich wollte zu dir, aber die Polizei war mit ihren Ermittlungen noch nicht fertig. Ich durfte nicht zu dir. Die Seelsorgerin fragte, wie ich mich fühle. Du hast dich deiner Verantwortung als Vater entzogen. Ich war unglaublich wütend auf dich. Ich sagte, dass die Trauer bei mir keinen Platz habe und dass ich andere Probleme habe. Zugegeben, es Warum hast du uns das angetan? – Christina erzählt
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war der falsche Ort und die falsche Zeit, um das zu sagen, und man nahm mir das auch übel. Verweint, fassungslos und noch immer im Schlafanzug fuhren wir nach Hause. Später hatte ich meine erste Panikattacke. Ich hatte große Angst, dich zu sehen. Noch nie hatte ich einen toten Menschen gesehen. Es war eine Horrorvorstellung, dass du bald unter der Erde lägst und dein Körper langsam zerfiele. Aus Angst entsorgte ich alle deine Sachen und hoffte dadurch, nicht an dich denken zu müssen. Ich glaubte, so weiteren Panikattacken entkommen zu können. Da die meisten mir die Schuld an deinem Tod gaben, wusste ich, mir würde niemand helfen, wenn ich an deinem Sarg eine Panikattacke bekommen würde. Ich hörte Vorwürfe, dass mein Telefonat der Auslöser für deinen Tod war oder dass es dazu gekommen sei, einfach weil ich deine Freundin war. In deinem Zimmer schwebte ein komischer Geruch. Ich traue mich zuerst nicht, dich anzusehen. Beim zweiten Mal klappte es. Mir wurde schlecht, als ich dich in deinem Sarg sah. Du warst blass, deine Lippen waren dunkel gefärbt und deine Augen leicht geöffnet. Du hättest dich sehen sollen. War es wirklich das, was du wolltest? Du solltest dich schämen. Dein Anblick machte mich wütend. Manchmal stand ich nur still bei dir. Irgendwann sagte ich mir, dass du psychisch krank gewesen bist. Die meisten nahmen mir das übel. Als der Bestatter dich in seinen Wagen packte und wegfuhr, rannte ich ihm hinterher. Ich konnte dich nicht wieder zurückholen ins Leben. Ich versuchte, alles loszuwerden und zu entwerten, was mich an dich erinnerte. Sogar die Trauerkleidung vom Tag deiner Beerdigung warf ich in den Müll. Ich wollte nicht mehr an dich denken. Ich wollte nur, dass es unserem Kind gutging. Warum hast du uns das angetan? Nach der Beerdigung begann es richtig schlimm. Alle versuchten, herauszufinden, wer Schuld an deiner tragischen Entscheidung hatte. Weil ich die Letzte war, die mit dir gesprochen hatte, war der Sündenbock schnell gefunden. Diese schrecklichen Vorwürfe wanderten und hämmerten in meinem Kopf. Es wurde mir vorgeworfen, dass es ohne mein Telefonat oder mich als deine Partnerin nicht zu deinem Suizid gekommen wäre. Diese schrecklichen Vorwürfe wanderten pausenlos durch meinen Kopf. Ich fühlte mich innerlich zerrissen und litt unter starken Schuldgefühlen. Sie waren tatsächlich alle der Meinung, dass ich an allem schuld sei und mit meinen letzten Worten das Fass zum 140
Todesumstände und Trauer
Überlaufen gebracht hätte. Es war grauenvoll. Nachbarn begannen, mich zu hassen und zeigten mit Fingern auf mich. Im Internet wurden ebensolche Beschuldigungen gegen mich verbreitet. Ich war schockiert und fassungslos. Das alles hat mir unglaublich wehgetan. Ich musste deinen freiwilligen Tod ausbaden! Irgendwann aß und trank ich nicht mehr, weil ich inzwischen glaubte, dass ich wirklich die Schuld an deinem Tod trug. So bestrafte ich mich dafür. Ich verdiente kein Mitleid, denn du bist ja wegen mir gestorben. Meine eigene Familie war wegen mir auch total überfordert und nur wenige Freunde waren für mich da und wollten mir meine Schuldgedanken nehmen. Für Trauer gab es nirgendwo Platz. Ich war allein mit meiner Trauer, meiner Tochter und mir. Meine Eltern erkannten, dass ich dringend Hilfe brauchte. Ich fand eine Therapeutin, die ich anrief und um einen Therapieplatz bat, weil mein Partner wegen mir Suizid begangen habe. Sie reagierte schockiert und fragte, wer mir so einen unverantwortlichen Unsinn eingeredet habe. Ich weinte und zitterte, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass sie Recht hatte. Sie war Balsam für meine zerstörte Seele. Die Therapie half mir, zu überleben. Heute fühle ich mich zwar noch immer unwohl, wenn ich mit unserer Tochter zu deinen Eltern in dein Zuhause komme. Es ist, als ob die Zeit dort stehengeblieben wäre und als ob du noch immer leblos auf deinem Bett, in deinem Zimmer mit einer Tüte auf dem Kopf liegen würdest. Vielleicht wird irgendwann etwas anderes aus deinem Zimmer, etwas, wo Leben herrscht anstatt Stille und Tod. Schließlich kann dein Zimmer für deine Tat nichts. Seither sind viele Jahre vergangen und meine Angst vor Plastiktüten und Schnürsenkeln, mit denen du dir damals die Luft genommen hast, ist verschwunden. Alles, was ich noch von dir habe, sind Fotos von dir, eine Kette, der Brief, den ich dir nach deinem Tod geschrieben habe, und unsere lebhafte und wunderbare Tochter, die ich über alles liebe. Es macht mich noch immer traurig, dass du sie nicht heranwachsen sehen kannst. Hätte dich das abgehalten, dir dein Leben zu nehmen? Inzwischen habe ich akzeptiert, dass du ein psychisch kranker Mensch warst. Auch meine Therapeutin bestätigte, dass die meisten Menschen, die sich das Leben nehmen, unter starken Depressionen leiden. Die Lücke, die du hinterlassen hast, wird sich nie schließen. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, denen es ähnlich geht wie dir, Hilfe suchen und annehmen können, denn Hinterbliebene leiden lebenslänglich.« Warum hast du uns das angetan? – Christina erzählt
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5 Mein Leben weiterleben
5.1 Was hilft mir, weiterzuleben? Sie leben. »Ja, noch!«, denken Sie vielleicht jetzt! In Krisenzeiten fällt es unglaublich schwer, eigene Fähigkeiten wahrzunehmen und Dinge zu erkennen, die uns dabei helfen können, diese schwierigen Zeiten zu überleben. Damit Sie nicht untergehen und in eine Abwärtsspirale geraten, wollen wir einen Blick darauf werfen, welche Anker und Rettungsringe Ihnen bereits zur Verfügung stehen und welche Sie noch ergreifen können! Normalerweise können Sie im Wasser Ihres Lebens schwimmen. Je nach Wetterlage und eigener Befindlichkeit ist es anstrengender oder leichter. Ein paar schwierige Stürme haben Sie sicher auch schon überstanden. Da brauchten Sie ab und zu mal einen oder auch mehrere Rettungsringe und/oder Anker. Der Tod Ihres Mannes ist aber kein normaler Sturm oder ein Unwetter, wie Sie es bisher kannten. Sie sind in einen heftigen Orkan hineingeraten, der Sie gleichzeitig vor so viele Herausforderungen und Lebensveränderungen stellt, dass Sie das Gefühl haben, dass Sie nichts mehr über Wasser halten kann. Sie sehen vielleicht ein oder zwei Rettungsringe, aber die sind in weiter Ferne. Bis dahin schaffen Sie es aus eigener Kraft nicht. Also untergehen? Vielleicht hilft es, erst einmal nicht gegen den Orkan anzukämpfen, sondern sich treiben zu lassen, um Kraft zu schöpfen und nicht unterzugehen. Es hilft zudem, auch die möglichen Anker und Rettungsringe wahrzunehmen, die doch noch in der Nähe sind, die Sie aber bisher nicht sehen konnten, weil die Wellen sie verdeckt haben – und dann zu entscheiden! Aus der Resilienzforschung wissen wir, dass Menschen, die sich zutrauen, Anforderungen, die an sie gestellt werden, zu meistern, diese auch tatsächlich besser bewältigen können. Geben Sie sich deshalb bitte nicht gleich auf und fällen Sie kein negatives Urteil 142
über sich und Ihre Fähigkeiten. Immer wieder darf ich erleben, dass Frauen über sich hinauswachsen, kreativ werden in ihrer neuen Lebensplanung und einen anderen Weg zu einem erfüllten Leben finden, auch wenn sie zuvor daran gezweifelt haben. Dass dieser Weg nicht einfach und immer sehr individuell ist, dass er Zeit und Geduld braucht und dass er vor allem nicht schmerzlos ist, bleibt dabei außer Frage. Ihr Leben ist noch nicht zu Ende. Seien Sie mutig in Ihren Entscheidungen, wie Sie Ihr Leben gestalten möchten. Entdecken und glauben Sie an Ihre eigenen Möglichkeiten. Glauben Sie daran, dass Sie diesen Orkan überleben und sich auch wieder erholen und freuen können. »Erst als ich nach dem Tod meines Mannes wieder bereit war, mich zu öffnen, habe ich ganz langsam wieder Freude an meinem Leben gefunden. Ich konnte mir neue Ziele stecken, auch beruflich. Und ich habe mich darauf vorbereitet, dass die Kinder ja auch bald aus dem Haus gehen werden. Das war ganz viel schwerer Abschied für mich. Ich erinnere mich, dass es mir sehr lange sehr schwerfiel, in den Alltag zurückzufinden. Ich musste Geld verdienen und mich um den Haushalt und um die Kinder kümmern — das war alles ziemlich heftig und manchmal wundere ich mich, wo ich all die Kraft herhatte, um das zu schaffen. Ich habe es geschafft und heute geht es mir wieder richtig gut.« Sonja (42)
5.2 Welche Anker und Rettungsringe gibt es? Sie finden im Folgenden, zusätzlich zu den bereits in den anderen Kapiteln vorgestellten Hinweisen, eine Zusammenstellung von Vorschlägen, Handlungs- und Verhaltensweisen, die darüber hinaus dazu beitragen können, dass es Ihnen besser geht. Wir richten den Blick zudem auf verschiedene Aspekte, die zur Ressourcenaktivierung beitragen können, sowie auf mögliche Ressourcen. Schauen Sie, wo Sie sich wiederfinden, wer Sie sein möchten und wohin es gehen soll. Welche Rettungsringe und Anker haben Sie schon gesehen und welche sind noch verdeckt? Für welche Anker entscheiden Sie sich und welche wählen Sie nicht?
Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Ich entscheide mich dafür, zu leben Der Tod Ihres Mannes kann Sie verstört, ängstlich, unsicher, verzweifelt, unglaublich traurig und und und gemacht haben. Alles ist zu viel und tut zu weh! Sie fühlen sich unendlich einsam und die anstehenden Aufgabenberge überfordern Sie. Vielleicht muss Ihr erster Satz jetzt lauten, dass Sie sich dennoch dafür entscheiden, Ihr Leben nicht aufzugeben. Das würde Ihr Mann sich sicherlich auch wünschen. Sie haben die Chance, etwas anderes daraus zu machen. Entscheiden Sie sich für Ihr Leben: trotz allem! Ich bin stolz auf mich selbst In der Runde der trauernden jungen Frauen war mehrfach Thema, dass »frau« sich selbst zu wenig lobt für das, was sie schon geschafft hat. Bei allen Belastungen und Aufgaben nehmen Frauen gar nicht wahr oder erkennen wertschätzend an, dass sie nach dem Tod ihres Mannes schon Unvorstellbares bearbeitet haben. Viel zu oft wird dies zudem vom sozialen Umfeld fast selbstverständlich erwartet. Gibt es doch in Deutschland genug alleinerziehende Frauen, die Ähnliches leisten müssen. So geraten trauernde Frauen ganz schnell unter einen persönlichen und gesellschaftlichen Druck, der sehr belastend sein kann. Das »Überleben« nach dem Tod des Mannes wird, so mein persönlicher Eindruck, häufig nicht so wertgeschätzt wie das »Überleben« eines Mannes nach dem Tod seiner Frau. Von Frauen wird aus gesellschaftlicher Sicht eher erwartet, dass sie es schaffen, den Spagat zwischen Trauer, Familie und Beruf ohne große Hilfe zu bewältigen. Dabei hilft die Wertschätzung von außen, zum Beispiel durch Familie, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn, das Selbstbewusstsein wieder zu stärken. Die Selbsterkenntnis und wichtige Ressource im Trauerprozess »Was habe ich doch schon alles geschafft, auch wenn es noch viele Baustellen zu bearbeiten gibt?« kann durch die eigene Wahrnehmung und die Anerkennung aus dem sozialen Umfeld positiv angeregt werden. Ich vergleiche mich nicht mit anderen und lasse mich nicht vergleichen »Warum kommt Frau XY viel besser mit dem Tod ihres Mannes zurecht?«, »Warum schaffe ich so einfache Sachen, wie ›allein in ein 144
Mein Leben weiterleben
Café zu gehen‹, nicht?« »Warum habe ich nicht vorher gelernt, …«, »Wie kann es sein, dass andere schon nach sechs Monaten einen neuen Partner haben?« Solche Vergleiche (selbst gemacht oder auch aus dem sozialen Umfeld kommend, wie zum Beispiel »Du musst mal rausgehen und neue Leute kennenlernen; die XY hat das doch auch geschafft; die hat ihr Leben wieder im Griff und einen neuen Mann«) fördern letztendlich immer die eigenen Selbstzweifel. Es entstehen »schiefe Bilder«, denn warum jeder in einer solchen Lebenssituation anders reagiert und was den persönlichen Trauerprozess beeinflusst und individuelles Handeln ausmacht, wird dabei nicht berücksichtigt. Selbstzweifel wiederum erschweren es, eigene Wege zu finden und gefundenen Impulsen nachzugehen. Sich Individualität in der Trauer zu erlauben und den Verlust in das persönliche Leben zu integrieren, wird dadurch schwerer. Ich informiere mich Informationen zu den Themen »Trauer und Tod« schaffen Verständnis für sich selbst als Trauernde, aber auch für den Umgang mit anderen Trauernden und mit deren Trauer. Indem Sie dieses Buch lesen, informieren Sie sich bereits. Damit haben Sie schon einen sehr wichtigen Schritt getan. Vielleicht spüren Sie dadurch schon eine Entlastung in bestimmten Bereichen. Hilfreich kann auch sein, sich Unterstützung außerhalb des sozialen Netzes zu suchen. Meine Erfahrung ist, dass junge Frauen und ihre Familien meist davon profitieren, wenn das Familiensystem sowie jeder Einzelne neben der Hilfe aus dem sozialen Netz durch fachliche Begleitung unterstützt werden.
Hinweis: Informieren Sie sich zu möglichen Unterstützungsangeboten in Ihrer Nähe (z. B. Selbsthilfegruppen, Trauergruppen, Trauercafé, Seelsorger, Trauerbegleiter, Psychotherapie). Links zu Seiten, die Unterstützung und Information anbieten, habe ich für Sie am Ende des Buchs zusammengestellt, ebenso hilfreiche Literaturhinweise. Ich mache mir meine persönlichen Fähigkeiten bewusst Leider ist gerade in Krisen unser Bewusstsein für das, was wir gut können, verschüttet von all den Anforderungen, die die neue SituWelche Anker und Rettungsringe gibt es?
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ation an uns stellt. Schaffen Sie deshalb Freiraum für Ihre Fähigkeiten und Talente. Schauen Sie auf Ihre eigenen Stärken und Begabungen. Beginnen Sie bei dem, was Sie noch alles können. Das können Dinge sein, die Sie vielleicht für »normal« halten (z. B. trinken, gehen, schreiben, lesen, telefonieren), die jedoch durchaus nicht selbstverständlich sind. Beziehen Sie zudem konkrete Situationen und Herausforderungen aus der Zeit vor dem Verlust mit ein, die Sie gut gemeistert haben. Schauen Sie auf eine Lebensphase, eine Krise und auf das private und/oder berufliche Umfeld (vielleicht sind Sie eine gute Organisatorin, eine gute Diplomatin, eine gute Zuhörerin, können warten, sind kontaktfreudig, vielleicht haben Sie kreative und besondere Ideen, vielleicht wissen Sie aus anderen Krisen, wie Sie sich selbst beruhigen können). Ich bin sicher, wenn Sie gut in sich hineinhören, werden Sie eine ganze Liste anfertigen können mit persönlichen Fähigkeiten, die Ihnen jetzt in der schweren Lebenssituation helfen können. Machen Sie sich ganz bewusst, was Sie gut konnten, und setzen Sie diese Fähigkeiten gezielt ein. Es gibt Sicherheit und Kraft, daran zu glauben: »Ich kann das, ich schaffe das!« Ich verändere meine Perspektive Konzentrieren Sie sich nicht nur auf das, was Sie noch nicht erledigt haben, sondern schauen Sie darauf, was Sie schon erreicht haben. Machen Sie sich die Dinge bewusst, die Sie in Ihrem Leben und jetzt bereits erreicht haben. Versuchen Sie bitte zudem, Ihren Fokus immer wieder darauf zu richten, was nach dem Verlust noch erhalten geblieben ist. Vielleicht hilft es, sich dies tatsächlich sichtbar zu machen. Schreiben Sie auf, was und wer noch da ist und wofür Sie dankbar sind. Notieren Sie Dinge, die gut gelaufen sind und die Sie schon geschafft haben in Bezug auf Ihr Leben (z. B. Schule, Hobby, Freunde, Ausbildung) und in Bezug auf den Verlust (z. B. Abschied, Trauerfeier, Familie, Finanzen, Formalitäten, erste Begegnungen, erste Zeiten allein, Reaktionen von Kollegen). Vielleicht ist Ihnen gar nicht klar, was Sie schon alles erledigt haben. Wahrscheinlich haben Sie Dinge ausgeführt und ausgehalten, von denen Sie geglaubt haben, dass Sie diese nie würden verkraften oder erledigen können. Sie werden sehen, dass Sie Ihre Liste ständig erweitern können. Wenn Sie merken, dass Sie neben dem Schmerz um Ihren verstorbenen Mann 146
Mein Leben weiterleben
nur noch negative Dinge um sich herum wahrnehmen, bemühen Sie sich, Ihre Aufmerksamkeit ebenfalls auf positive Aspekte zu fokussieren. Schauen Sie vielleicht auch darauf zurück, welche Krisen und Verluste Sie bereits überlebt haben. Im Rückblick können Sie sehen, wie Sie aus der damals schweren Lebenssituation herausgefunden haben und welche neuen und heute wichtigen persönlichen Werte und Lebenssätze daraus entstanden sind. Ich mache Aufgabenberge überschaubar Große Aufgabenberge, die jetzt vielleicht vor Ihnen liegen, können Sie schnell zur Verzweiflung bringen und panisch machen. Schauen Sie sich daher Ihre neuen Aufgaben in kleinen Abschnitten an. Seien Sie geduldig mit sich, denn alle Herausforderungen können nicht gleichzeitig bearbeitet werden. Wenn Sie sich zugestehen, »scheibchenweise« vorzugehen, werden die Aufgaben überschaubarer. Gehen Sie in kleinen Schritten und Stück für Stück vor. Nehmen Sie sich kleine, realistische Ziele vor, die für Sie in der akuten Trauersituation mit Ihren Kräften und Möglichkeiten auch erreichbar sind. Das Erreichen dieser kleineren Ziele wird Ihren Glauben an sich selbst stärken und Ihnen neue Kraft im Umgang mit den Folgen des Verlusts geben. Sie werden sehen, dass Sie so Schritt für Schritt in Ihr Leben nach dem Verlust hineinwachsen. Vielleicht kann Ihr Satz auch lauten: »Ich traue mir etwas zu!«? Ich gebe dem Chaos Struktur Aus der Arbeit mit meinen Klientinnen weiß ich, dass es hilfreich ist, sich selbst einen Rahmen zu gestalten, um sich nicht im Chaos zu verlieren und nicht in der Trauer zu versinken. Stärken Sie alles, was Ihnen hilft, Stabilität zu spüren (z. B. feste Tagesabläufe, Rituale, ein soziales Netz). Sie können die riesigen Aufgabenberge durch hilfreiche Strukturen entzerren. Gehen Sie die notwendigen Aufgaben pragmatisch an. Schreiben Sie sich eine Arbeits- und Unterstützerliste. Sammeln Sie zunächst, welche notwendigen Aufgaben anstehen. Notieren Sie dann neu, nach Rangfolge, was am dringlichsten ist und was noch warten kann. Mit Ihrer fertigen Prioritätenliste können Sie weiterarbeiten. Überprüfen Sie die Liste hinsichtlich Ihres persönlichen Wertesystems. Möglicherweise müssen Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Sie neue Maßstäbe setzen und zuvor Selbstverständliches in den Hintergrund stellen oder ganz aufgeben, um nicht unterzugehen (z. B. ein perfekter Haushalt, immer frisch gekochtes Essen, keine Bügelwäscheberge). In welchem Zeitraum müssen/sollen die Aufgaben erledigt werden? Wer kann Sie bei welcher Aufgabe kompetent und zuverlässig unterstützen oder hat wiederum hilfreiche Kontakte, die vermittelt werden könnten? Wer könnte Ihnen wichtige Informationen zur Abwicklung bestimmter Aufgaben besorgen? Richten Sie einen Mailverteiler mit Helfern ein (z. B. nach Arbeits- und Kompetenzgebieten geordnet), den Sie bei der Suche nach Unterstützung aktivieren können. Vielleicht hilft zudem eine Liste mit Ansprechpartnern und Kontaktdaten bei Behörden, Banken und Versicherungen. Hinweise: Finden Sie heraus, was Ihnen wichtig ist und was erhalten geblieben ist. Schauen Sie auf die Lebensbereiche, die Ihr Leben bisher ausgemacht haben. Was ist stabil geblieben? Was möchten Sie verändern und welche Bereiche neu gestalten? Was müssen Sie konkret klären? Wie ist es mit Ihrem Beruf? Gibt es Wünsche? Möchten Sie sich weiterbilden oder wechseln? Möchten Sie Ihrem Beruf mehr Sinn geben? Mehr leben, statt arbeiten? Was möchten Sie finanziell erreichen? Was ist Ihnen wichtig, was ist machbar? Wie möchten Sie Ihre Freizeit gestalten? Welche Hobbys könnten Sie interessieren? Wie möchten Sie mit Ihrem Körper und Ihrer Gesundheit umgehen? Hier beeinflussen die Erfahrungen des Verlusts sicherlich Ihre mögliche Sichtweise. Wie möchten Sie familiäre Beziehungen gestalten? Möchten Sie neue Prioritäten setzen? Welche Gedanken haben Sie zu Freundschaften? Gibt es hier andere Maßstäbe als zuvor? In welchen Bereichen möchten Sie für sich lernen, Neues erfahren und besondere Fähigkeiten entwickeln? Und dann später kommt vielleicht die Frage nach einer anderen Partnerschaft. Darum kümmern wir uns im Kapitel 7. 148
Mein Leben weiterleben
Ich bin flexibel Sie werden feststellen und es wahrscheinlich als wohltuend erleben, dass manche Menschen aus Ihrem Umfeld flexibel und einfühlsam auf Sie eingehen können. Die Arbeit mit meinen Klientinnen zeigt, dass auch eine eigene grundsätzliche Flexibilität nach einem schweren Verlust hilfreich ist. Stellen Sie sich innerlich darauf ein, dass Sie gerade erstellte Pläne und Konzepte vielleicht wieder verwerfen und nach neuen Wegen und Möglichkeiten suchen müssen. Spielen Sie verschiedene Lösungswege durch und halten Sie nicht an einer einzigen Option fest. Hauptpriorität ist, dass Sie zunächst überleben. Ist dies gesichert, können Sie nach und nach weitere Entscheidungen angehen und diesen bestimmte Richtungen geben. Ich erlaube mir Fehler Jeder hat seine Fehler und Schwächen. Gestehen Sie sich und anderen diese Fehler zu und setzen Sie sich nicht unter Druck, wenn nicht alles so verläuft, wie Sie es sich vorstellen. Wenn Sie meinen, einen Fehler gemacht zu haben, sehen Sie dies nicht als Katastrophe an. Vielleicht hilft Ihnen die Gewissheit, dass wir zwar das Vergangene nicht rückgängig machen können, aber trotzdem immer die Chance haben, Fehler zu korrigieren (»Es tut mir leid, was ich gesagt habe«, »Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich war«, »Es war nicht richtig, das von dir zu verlangen«, »Ich habe es gutgemeint, ich war überzeugt, es wäre besser so für dich«). Gerade weil die Trauer empfindlich, dünnhäutig, ungehalten und reizbar machen kann, kommt es schnell zu Verletzungen. Zudem wissen Sie ja selbst manchmal nicht, was im Augenblick das Richtige für Sie wäre. Wie sollen es andere dann wissen? Bitte stellen Sie nicht solche Erwartungen an sich, die Sie nicht erfüllen können. Das frustriert, anstatt zu motivieren. Ich nehme Lob und Anerkennung von außen an, wenn sie mir guttun Sagen Sie nicht: »Das ist doch nichts Besonderes, es bleibt mir ja auch nichts anderes übrig.« Nehmen Sie stattdessen bewusst wahr, dass Sie in dieser ungewöhnlichen, nicht »normalen« Lebens situation überhaupt überleben und sehr wohl Besonderes geschafft haben. Achten Sie bitte darauf, sich nicht abhängig zu machen von Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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den Meinungen anderer Menschen. Wesentlich ist, dass Sie sich selbst akzeptieren, auch in dieser neuen Lebenssituation mit allen unterschiedlichen Facetten. Vorsicht ist geboten bei Lob von außen, das Sie ermutigt, weiter zu funktionieren. Das kann dazu führen, dass Sie die Trauerarbeit zurückstellen, weil sie keine Anerkennung findet. Ich stelle mich auf unvorhergesehene Fragen und Begegnungen ein Es wird ab jetzt immer wieder vorkommen, dass andere Menschen (z. B. Freunde, Nachbarn, Bekannte oder sogar Fremde) Sie auf Ihren Mann ansprechen. Sie möchten etwas wissen (z. B. Warum ist er gestorben? Wie? Wann? Wie geht es Ihnen?), Ihnen gutgemeinte Ratschläge geben oder vielleicht ihr eigenes Schicksal erzählen. Einige Menschen fragen aus Mitgefühl und Anteilnahme, andere aus ängstlicher Neugierde (dahinter steht die Angst vor dem Tod in nächster Nähe: »Wenn ihr das passiert ist, kann mir das womöglich auch bald drohen«; Menschen erkundigen sich unbewusst, um festzustellen, dass diese Todesumstände nicht auf ihre eigene Lebenssituation passen, oder um sich bzw. ihre Angehörigen vor Bedrohung zu schützen), wieder andere erkundigen sich eher aus einem voyeuristischen Hintergrund heraus. Bereiten Sie sich auf solche Fragen und Begegnungen vor. Spielen Sie in Gedanken Ihre möglichen Antworten einmal durch. Sie werden Tage und Menschen erleben, da möchten und können Sie antworten. Sie werden auch Zeiten erleben, in denen es Ihnen schwerfällt oder Sie spüren, dass Sie mit diesem Menschen nicht so persönliche Dinge besprechen mögen. Entscheiden Sie, wann und wem Sie antworten möchten. Gerade in Situationen, in denen wir dünnhäutig und schwach sind, ist es schwer, sich abzugrenzen. Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl. Packen Sie sich schon im Vorfeld in eine imaginäre Kiste verschiedene »Neins« für den Fall, dass Sie nicht konkret antworten möchten. Freundliche, sanfte, bestimmte, ablehnende oder wütende Neins! Legen Sie sich mögliche Worte für eine solche Situation zurecht (z. B. »Es ist nett, dass Sie fragen. Ich möchte hier und jetzt nicht darüber sprechen«). Sie können immer wieder in Ihre »Neinkiste« greifen, wenn es notwendig ist! 150
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Es gibt Sicherheit, sich im Vorfeld mit diesen Fragen zu befassen, denn sie werden auftauchen. Häufig, so die Rückmeldungen in den Begleitungen, sind Frauen im Nachhinein unzufrieden mit der eigenen Reaktion auf solche Fragen und hätten sich von sich selbst eine andere Verhaltensweise gewünscht. Wenn Sie innerlich vorbereitet sind, hilft dies, dass Sie in konkreten Situationen nur das von sich preisgeben, was Sie wirklich möchten. Dies wiederum wird Ihr Selbstbewusstsein stärken und Sie werden sich nicht der Willkür anderer ausgeliefert fühlen. Sie haben ein Stück Kontrolle über sich und Ihr Leben wiedergewonnen. Ich bin geduldig und liebevoll mit mir Ihnen ist etwas Schlimmes zugestoßen. Da ist es ganz natürlich, dass Sie nicht so belastbar sind und nicht wie immer funktionieren. Es braucht Zeit, um sich in der neuen Lebenssituation mit den hinzugekommenen, ungewohnten Aufgaben, zurechtzufinden. In einer Situation, in der Selbstvertrauen und Zuversicht durch den Tod Ihres Partners verloren gegangen sind, ist es besonders schwer, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Seien Sie daher nachsichtig mit sich und erwarten Sie nicht, dass Ihnen sofort alles gelingt. Ihr Körper und Ihre Seele haben durch den Verlust eine schwere Zeit. Gehen Sie bitte deshalb liebevoll mit sich um. Selbst wenn es für Sie merkwürdig klingt: Es ist möglich, dass Sie wieder zu einem erfüllten und auch glücklichen Leben finden können. Das bedeutet nicht, dass Ihr verstorbener Partner keine Rolle mehr für Sie spielt oder dass der Verlust Sie niemals mehr schmerzt. Ich umgebe mich mit Menschen, die mir guttun, und pflege Kontakte Pflegen Sie Kontakte zu den Menschen, bei denen Sie sich gut aufgehoben fühlen. Durch den Verlust verändert sich Ihr Freundeskreis möglicherweise. Es ist wichtig, sich jetzt ein Umfeld zu schaffen mit Menschen, die Sie unterstützen und die Ihnen helfen, so wie Sie es brauchen. Sie benötigen all Ihre Kräfte, um das Geschehen zu überleben und in ein anderes Leben zu finden. Deshalb müssen Sie sich nicht zusätzlich damit belasten, Kontakte zu pflegen, die Ihnen nur Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Energie rauben. Es gibt keinen Grund, jetzt Menschen auszuhalten, die Ihnen nicht guttun. Sie dürfen Menschen aus Ihrem Leben streichen oder den Kontakt auf das Nötigste reduzieren, wenn die Begegnungen mit diesen Menschen für Sie nicht hilfreich sind. Wenn Ihnen aus der gemeinsamen Vergangenheit heraus noch etwas an jemandem liegt und Sie genug Kraft dafür haben, können Sie die Person einmal ehrlich und offen auf das Problem ansprechen. Vielleicht können Verletzungen und Missverständnisse noch ausgeräumt werden. Zudem ist die Prüfung der Beziehungsebene nützlich. Hilfreich kann es auch sein, wenn es sich aus bestimmten Umständen heraus (z. B. Kollege, Arbeitgeber, Nachbar) nicht vermeiden lässt, äußere Distanz aufzubauen und sich eine innere Distanz, einen Schutzmantel zuzulegen. Lassen Sie Meinungen anderer nicht an sich heran, wenn Sie das nicht möchten. Meinungen sind persönliche Standpunkte und keine Fakten. Sie dürfen sich für eine ganz andere Sichtweise und Lebensart entscheiden. Diese Freiheit ist Ihnen geblieben, auch wenn Sie den Tod Ihres Mannes nicht verhindern konnten! Ich nehme Angebote an und lehne Angebote ab Trauen Sie sich bitte, Hilfen, die tatsächlich nützlich sind, anzunehmen. Genauso sollten Sie »Nein« sagen (erinnern Sie sich an Ihre »Neinkiste«!) zu Angeboten, die Ihnen nicht weiterhelfen oder Sie sogar zusätzlich belasten. Sie müssen nicht wahllos Hilfe annehmen. Suchen Sie sich die Menschen aus, bei denen es Ihnen leicht fällt, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Wählen Sie bewusst Ihre Gesprächspartner aus. Mit wem möchten Sie über Ihre Sorgen, Ihren Schmerz und Ihren Mann sprechen und mit wem nicht? Ich teile mich mit Es ist natürlich, dass Sie sich Verständnis aus Ihrem Umfeld wünschen. Sicherlich wird es Menschen geben, die Sie gern unterstützen und die an Ihrer Seite sein möchten. Viele von ihnen sind jedoch verunsichert und wissen nicht, wie sie hilfreich für Sie da sein können. Sie möchten Sie nicht zusätzlich verletzen und ziehen sich, um nichts falsch zu machen, dann eher abwartend zurück. Damit Sie die Hilfe bekommen, die Sie sich wünschen, ist es wichtig, sich mitzuteilen. Oft wissen Sie selbst nicht, was Sie jetzt brauchen. Sagen 152
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Sie auch dies. Kommunizieren Sie mit den Menschen um Sie herum. Wenn Sie es nicht schaffen, zu sprechen, nutzen Sie bitte die anderen zahlreich zur Verfügung stehen Kommunikationsmittel (z. B. Mail, Facebook, WhatsApp). Ich weiß von vielen Frauen, dass naheliegende Hilfe aus falscher Scham zunächst nicht angenommen wird. Hinweise: Zugleich bedeutet mitteilen – und hier spreche ich wieder als Ihre liebevolle Kritikerin zu Ihnen: Bitte äußern Sie Ihre Bedürfnisse ehrlich und klar. Die anderen können Ihnen nicht ansehen, was Sie brauchen. Und wenn Sie »Nein« sagen und doch »Ja« meinen, machen Sie es den anderen, ehrlich gesagt, auch nicht leicht, Sie hilfreich zu unterstützen. Sie können sagen: »Ich würde mich freuen, wenn du mich noch ein Stück begleiten würdest«, anstatt: »Nein, ist nicht nötig«. Und anstatt: »Du hättest da auch mal für mich da sein können«, lieber: »Ich würde mir deine Hilfe wünschen«. Achten Sie bitte, wenn es geht, auf Ich-Botschaften. Das trägt zu einer konstruktiven Kommunikation bei und lässt bei Ihrem Gegenüber nicht das Gefühl eines Vorwurfs entstehen, auf den er mit Gegenwehr reagiert. Äußern Sie es bitte, wenn Sie darunter leiden, dass die Kommunikation sich hauptsächlich auf WhatsApp beschränkt. Sagen Sie, wenn Sie sich anderen Kontakt wünschen, um mitzuteilen, wie es Ihnen geht oder was Sie sich wünschen. Sie brauchen Menschen um sich herum, die gern bereit sind, sich Zeit für Sie zu nehmen, wenn es erforderlich ist. Ich erlaube mir zu leben und Träume zu verwirklichen Möglicherweise haben Sie das Gefühl, dass Sie sich jetzt, wo Ihr Mann tot ist, nichts mehr gönnen dürfen, erst recht nicht Dinge, die zuvor in der Beziehung nicht möglich waren. Vielleicht haben Sie gemeinsam gespart und sich nur wenige Extras gegönnt, um eine Wohnung, ein Haus oder ein Auto zu kaufen. Vielleicht bereuen Sie das jetzt sogar. Möglicherweise haben Sie auf eine weite Reise, ein neues Rad oder den Schritt in eine neue berufliche Richtung Ihrem Mann zuliebe verzichtet. Egal, was es ist und was nicht gelebt werden konnte: Lassen Sie Ihre Wünsche jetzt lebendig werden! Wenn der Partner schon längere Zeit krank war und gepflegt werden musste, konnten sicherlich viele schöne Seiten des Lebens nicht Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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mehr gelebt werden (z. B. Kino, Urlaub, Feiern gehen, Freunde besuchen). Selbst wenn es Ihnen zunächst sicherlich schwerfallen wird, gehen Sie bewusst diesen verlorenen schönen Dingen des Lebens nach. Das wird Ihnen neue Kraft für die schweren Gedanken und Gefühle geben, die die Trauer mit sich bringt. Hinweis: Erstellen Sie eine Liste mit Dingen, die Sie während Ihrer Beziehung gern gemacht hätten, die aber nicht möglich waren. Schauen Sie danach darauf, was sich jetzt möglicherweise davon verwirklichen lässt. Schaffen Sie sich neue Ziele und Träume. Warum sollten Sie damit warten, Ihre Lebensträume zu realisieren? Sie haben gerade erfahren, dass das Leben schneller vorbei sein kann als erwartet. Ich gestalte meine Freizeit neu Viele Frauen haben den größten Teil ihrer freien Zeit mit dem Partner verbracht. Nach dem Tod des Mannes kann es schwer sein, nicht mehr als Paar aufzutreten oder bestimmte Aktivitäten (z. B. Tennis, Tanzen) nicht mehr ausüben zu können, weil der Partner fehlt. Manche Frauen stellen im Nachhinein fest, dass sie eigene Interessen oder Freundschaften vernachlässigt haben, und müssen sich zusätzlich zur Trauer um einen Freundeskreis und neue Hobbys bemühen. Ich weiß, dass das schwer ist – versuchen Sie es bitte dennoch. Holen Sie sich dazu jede mögliche Unterstützung. Es lohnt sich, das eigene Leben neu zu gestalten und sich und die Umwelt neu zu entdecken. Ich folge meinen inneren Impulsen Niemand kennt Sie so gut wie Sie sich selbst. Ihr innerer Begleiter wird Ihnen immer wieder Hinweise geben, was Ihnen in der schweren Situation jetzt guttäte und helfen würde. Ich möchte Sie bitten, auf diese Ihre innere Stimme und Ihr Bauchgefühl zu hören. Lassen Sie sich nicht durch gutgemeinte Ratschläge oder gar Forderungen von Familie, Freunden oder Kollegen verunsichern. Auch gesellschaftliche Normen und Klischees sollten nicht der Maßstab Ihres Handels sein, wenn Sie innerlich ganz anders fühlen. Versuchen Sie nicht, die Erwartungen und Ziele anderer Menschen zu erfül154
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len, denn das wird Ihnen nicht guttun. Erlauben Sie sich vielmehr in einer Ausnahmesituation auch außergewöhnliche Handlungen (z. B.: Ziehen Sie sich zurück, wenn Ihnen danach ist. Tragen Sie das Sweatshirt Ihres Mannes, wenn es Ihnen guttut und sich wie ein Schutzmantel anfühlt. Verstreuen Sie seine Asche an einem Ort, den Sie schon immer gemeinsam besuchen wollten. Malen Sie, schreien Sie, gehen Sie zur Massage, tanzen oder spazieren). Sie dürfen und sollten entscheiden, was Ihnen nach dem Verlust Ihres Mannes hilft, zu überleben, und Sie dürfen Erwartungen an sich selbst haben. Ich entscheide selbst Auch wenn Sie nicht verhindern konnten, dass Ihr Mann sterben musste, bedeutet dies nicht, dass es keine wesentlichen Fragen mehr gibt, bei denen Sie sehr wohl entscheiden können, welche Richtung Sie einschlagen möchten. Sie sind noch handlungsfähig, können selbstständig denken und dürfen sich zutrauen, für sich selbst zu entscheiden, wie Sie Ihr Leben ohne Ihren Mann weiter gestalten möchten. Nutzen Sie Ihr Denken und die Möglichkeiten, verschiedene Optionen und mögliche Lösungen vorab durchzuspielen, dabei zu reflektieren und Vor- und Nachteile aufzudecken, Denkmuster zu verändern und neu zu entscheiden. Beeinflussen Sie Ihr Denken positiv mit persönlichen Affirmationen. Ich nehmen neue Herausforderungen an – ich bin mutig Mit dem Verlust kommen neue Aufgaben auf Sie zu. Häufig müssen andere Fähigkeiten erlernt werden. Lassen Sie sich darauf ein, Neues zu lernen. Aus der Erfahrung mit vielen Klientinnen kann ich sagen, dass Sie an sich selbst Seiten entdecken und auch schätzen lernen werden, von denen Sie nicht vermutet hätten, dass Sie diese in sich tragen. Ermutigen Sie sich, sich den neuen Aufgaben zu stellen. Erinnern Sie sich bitte an Situationen, in denen Sie mutig Herausforderungen angenommen haben, vor denen Sie sich vielleicht gefürchtet haben und die Sie am Ende weitergebracht haben. Das müssen gar keine spektakulären Dinge sein. Außerdem, was kann Ihnen schon passieren? Das Schlimmste ist schon passiert. Sie haben nichts zu verlieren, außer Ihr eigenes Leben. Leben Sie es! Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Ich muss mich nicht immer nach anderen richten Häufig sind wir gerade in einer unsicheren Situation dankbar, wenn uns jemand sagt, wo es jetzt lang gehen kann. Wichtig ist, dass wir noch einmal genau in uns hineinhören, ob die vorgeschlagenen Mittel und Wege tatsächlich zu uns und unserer Lebenssituation passen. Grundsätzlich kann es hilfreich sein, zu hören, wie andere Menschen mit Krisen umgehen, um zu schauen, was wir selbst in der persönlichen Situation davon nutzen können. Es sollte aber nicht darum gehen, die Erwartungen anderer zu befriedigen. Die Forderungen und das Lob aus dem sozialen Umfeld können es Ihnen als trauernde Frau schwer machen, Ihre eigenen Wege in dieser Situation zu finden und zu gehen. Richten Sie sich darum nicht nach den anderen und deren oft gutgemeinten »Vorgaben und Forderungen« (»Langsam könntest du mal wieder etwas unternehmen«, »Jetzt mach, dass du mal wieder einen anderen Mann kennenlernst«, »Stell dich jetzt nicht so an, deine Ehe war doch gar nicht so toll, dass du jetzt so trauern musst«), sondern gehen Sie eigenen Zielen, Träumen und Erwartungen nach. Gestalten Sie Ihren Trauerweg so, wie es Ihnen guttut – notfalls gegen Normen und Konventionen. Lob aus dem Umfeld kann nicht nur positiv sein – »Du kommst ja doch ganz gut damit zurecht«, so oder in ähnlicher Form kann es dazu führen, dass Sie andere Anteile Ihrer Gefühle nicht mehr zulassen, sie nicht zeigen oder sogar glauben, sie seien falsch. Achten Sie darum auf sich und Ihr Inneres. Es ist nicht falsch, was Sie empfinden, und der Mensch, der am besten weiß, was jetzt richtig für Sie selbst ist, das sind Sie. Ich tue Dinge, die mir Freude machen Der Verlust wird möglicherweise Ihre persönlichen Wertvorstellungen und Ihr »Lebensmotto« verändern. Gestehen Sie sich Veränderungen nach diesem einschneidenden Ereignis zu und machen Sie möglichst oft das, was Ihnen guttut. Vielleicht wissen Sie momentan noch nicht genau, was das jetzt sein kann. Geben Sie sich die Zeit und den Raum, um es herauszufinden. Probieren Sie verschiedene Dinge aus. Sicherlich kommt dann häufig an erster Stelle der Gedanke, dass das, was Sie am liebsten tun würden, etwas wäre, was Sie mit Ihrem Mann unternehmen möchten. Die Lücke, die Ihr Mann hinterlässt, ist schmerzhaft spürbar. Nehmen Sie die Lücke an 156
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und suchen Sie zugleich nach Möglichkeiten, Ihre körperlichen und seelischen Kräfte aufzufüllen. Ich sorge gut für mich und nehme meine Bedürfnisse wahr Schauen Sie, dass Sie in gutem Kontakt mit sich sind, um Ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Bitte kümmern Sie sich deshalb um Ihre Gesundheit, Ihre Stabilität und um Ihre Ressourcen. Nehmen Sie Unterstützung aus Ihrem Lebensumfeld oder fachliche Unterstützung in Anspruch. Achten Sie darauf, einen Tagesrhythmus zu finden und einzuhalten. Dazu gehört, sich zu pflegen und den eigenen Körper liebevoll zu behandeln (z. B. durch ein entspannendes Bad, einen schönen Duft, ein angenehmes Öl und gesunde, regelmäßige Mahlzeiten). Wenn Sie auch nicht viel essen können, versuchen Sie trotzdem, Ihren Körper so zu versorgen, dass er bei Kräften bleiben kann. Vernachlässigen Sie Ihren Körper bitte nicht. Sorgen Sie deshalb auch für genügend Flüssigkeitszufuhr. Wer trauert, braucht nicht nur seelische, sondern auch körperliche Kraft. Wenn es Ihnen zu viel ist, die Mahlzeiten zuzubereiten, lassen Sie sich bekochen oder essen Sie mit Freunden. Es gibt sicher Menschen, die gern etwas für Sie tun würden. Sorgen Sie zudem für körperliche Bewegung und bewusste körperliche Entspannung (z. B. Entspannungsübungen, Meditation). Versuchen Sie, zu schlafen. Der Körper braucht auseichend Schlaf, um sich zu erholen. Es ist eine normale Trauerreaktion, wenn es zu Schlafstörungen kommt. Legen Sie sich trotzdem zu den Schlafenszeiten hin und versuchen Sie, sich selbst zu beruhigen und in den Schlaf zu finden. Menschen, die über eine längere Zeit das Bedürfnis haben, nur noch schlafen zu müssen, sollten bewusst aufstehen und sich einen Tagesplan (z. B. essen, Kontakte zu anderen Menschen, Haushalt, Einkauf, Friedhof besuchen, für Bewegung sorgen) machen, an den sie sich halten, bevor sie sich wieder hinlegen dürfen. In der anstrengenden Zeit der Trauer ist es noch notwendiger als sonst, auf den Schutz Ihrer Gesundheit zu achten.
Hinweis: Gelingt es Ihnen bei körperlicher Erschöpfung nicht, die körperliche Situation durch einen Tagesplan zu verbessern und dem Gefühl, dass Ihr Körper ausgelaugt sei und dass Sie nur noch schlafen müssten, entgegenzuwirken, suchen Sie bitte einen Arzt auf. Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Ich erlaube mir Fantasie Persönliche Träume und Fantasien können wichtige Kraftquellen sein, um dem anstrengenden Alltag etwas Positives entgegenzusetzen. Dementsprechend wirken auch die schon vorgestellten Imaginationsübungen aus Kapitel 1.7 und 1.8. Setzen Sie Ihre persönlichen Ideen und Impulse auch im Zusammenhang mit dem Tod Ihres Mannes um. Viele Klientinnen trauen sich zunächst nicht, ihre Ideen, was die Gestaltung eines persönlichen Trauerortes oder Jahrestages angeht, zu verwirklichen oder ihre individuellen tröstlichen Jenseitsvorstellungen zuzulassen. Dabei kann es heilsam sein, die Fantasien und Vorstellungen, die sie für sich als wohltuend erleben, zu nutzen. Ich komme in Bewegung Ich möchte Ihnen vorschlagen, kleine Schritte auf dem neuen Weg zu gehen. Um das zu tun, brauchen Sie nur im wortwörtlichen Sinne ein paar Schritte zu laufen. Vielleicht erscheint Ihnen das zunächst zu simpel. Tatsächlich aber kann körperliche Bewegung unsere Seele und unseren Geist in Gang bringen. Ein kurzer Spaziergang oder eine kleinere Wanderung können körperliche Erfahrungen vermitteln, die uns innerlich stärken und unser Denken aktivieren. Körperliche Bewegung löst aus der Starre, entlastet und lässt uns Boden unter den Füßen spüren. Wir sind selbst aktiv und können feststellen, dass wir uns von der Stelle und in eine von uns bestimmte Richtung bewegen können, anstatt still unser Leid zu erdulden. Kleine Schritte, mit denen wir uns körperlich vorwärts bewegen, helfen uns, unseren persönlichen Fähigkeiten insgesamt zu vertrauen, Zuversicht zu finden und mit Herausforderungen umzugehen. Im übertragenen Sinne sollten wir deshalb im Alltag in anderen Bereichen kleine Schritte gehen, ohne uns gleich zu überfordern. Sie können sich zudem auf anderen Ebenen als aktiv und Ihr Leben selbstbestimmend erleben. Das kann ganz einfach zum Beispiel durch die Arbeit im Garten, das Aufräumen eines Schranks oder Zimmers, Kochen, Musikmachen, Sport, Singen, Segeln, Meditieren, Malen oder kreatives Gestalten sein. Ich stärke mich selbst Im Kapitel 1.7 und 1.8 haben wir schon Imaginationsübungen kennengelernt, um quälende Gedankenspiralen zu durchbrechen oder 158
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mehr Sicherheit zu gewinnen. Ähnlich funktioniert die Übung des »Inneren Gartens«. Diese Imaginationsübung zur Aktivierung persönlicher Ressourcen (z. B. Geborgenheit, Kraft, Zukunftsperspektiven, Trost) hat sich bewährt. Vielleicht kann diese Übung Ihnen auch helfen, neue Kraft zu finden. Hilfreich können der entsprechende Übungstext und die CD von Michaela Huber zum »Inneren Garten« sein. Imaginationsübung: Stellen Sie sich einen Garten nach Ihrem Geschmack vor. Der Garten soll ein Raum der Ruhe und der Entspannung sein. Hier haben Sie Zeit zum Verweilen bei schönen Erinnerungen und Träumen. Gartenarbeiten können Sie erledigen, wenn Sie das möchten, ansonsten lassen Sie diese von anderen erledigen. Richten Sie es sich schön ein in Ihrem Garten. Was wünschen Sie sich? (Beispiele: einen angenehmen Duft, Musik, etwas zu trinken, zu lesen, möchten Sie liegen, massiert werden, ausruhen?; vielleicht sitzt auch Ihr Mann still bei Ihnen und Sie können seine Nähe, Liebe und Wärme spüren) Medientipp: Huber, M. (2010). Der innere Garten. Ein achtsamer Weg zur persönlichen Veränderung. Übungen mit CD. Paderborn: Junfermann. Vielleicht finden Sie für sich ganz andere Möglichkeiten, um zu neuer Kraft zu kommen, die besser zu Ihnen passen. Finden, aktivieren und nutzen Sie Ihre persönlichen Kraftquellen. Ich gehe vorsichtig mit Medikamenten und Alkohol um Immer wieder berichten Klientinnen davon, dass sie, um den Schmerz und die Einsamkeit nach dem Tod des Partners nicht ständig spüren zu müssen, zu Alkohol oder Medikamenten greifen. Oftmals verselbstständigt sich der Konsum und gerät außer Kontrolle. Schnell kommt dann zur Trauer ein weiteres Problem, welches sich auf das soziale, berufliche Leben und die Gesundheit auswirkt und zu zusätzlichen Schwierigkeiten führen kann. Bitte seien Sie ehrlich zu sich selbst und gestehen Sie sich ein, wenn Sie zu viel Alkohol oder Medikamente zu sich nehmen. Bitte suchen Sie sich unbeWelche Anker und Rettungsringe gibt es?
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dingt frühzeitig professionelle Hilfe, damit sich Ihre Lage nicht weiter verschlechtert. Schämen Sie sich bitte nicht, um Unterstützung zu bitten. Anderen Frauen geht es, wie gesagt, ähnlich, und wenn Sie allein bleiben mit Ihren Sorgen, ist es viel schwerer, aus der Misere wieder herauszukommen. Ich gebe meiner Trauer Ausdruck Trauernde Menschen brauchen die Möglichkeit, die mit dem Verlust verbundenen Gefühle, Gedanken und Sorgen verbal oder nonverbal auszudrücken. Das hilft zudem, zu begreifen, was passiert ist, und zu einer neuen Lebensordnung zu finden. Der Ausdruck, den Menschen für ihre persönliche Trauer finden, ist vielfältig und verdient Respekt. Erlauben Sie sich Ihre persönliche Kreativität im Ausdruck Ihrer Trauergedanken und Gefühle. Schreiben kann ein wichtiges Hilfsmittel zur Bearbeitung Ihrer Trauer sein. Es kann dabei unterstützen, Gedanken zu ordnen und neue Perspektiven zu eröffnen. Die Frauen, die einen Beitrag zu diesem Buch verfasst haben, können dies bestätigen, auch wenn es für manche anfänglich ungewohnt war, sich dieser Ausdrucksform zu bedienen. Zudem kann das Aufschreiben von Gefühlen entlastend wirken und es erleichtern, eigene Bedürfnisse zu erkennen. Sie können außerdem Ihrem Alltag durch das Schreiben Struktur und Halt geben und eher Veränderungen im Umgang mit der Trauer wahrnehmen. Nicht für jeden ist Schreiben eine geeignete Form der Trauerbearbeitung. Probieren Sie aus, was zu Ihnen passt, und bleiben Sie offen und flexibel, wenn sich Ihre Bedürfnisse, der Trauer Ausdruck zu verleihen, verändern.
Hinweise: Erlauben Sie sich, andere Ausdrucksweisen auszuprobieren (z. B. malen, Musik machen, eine neue Bewegungsart), und nutzen Sie auch verschiedene Möglichkeiten nebeneinander. Vielleicht tun Sie etwas, was Sie mit Ihrem Mann verbindet. Das kann etwas sein, was er gern unternommen hat und Ihnen ebenfalls Freude macht, oder Sie führen ein gemeinsames Hobby in Erinnerung an die schöne gemeinsame Zeit fort. Viele Trauernde entdecken in der Trauer neue Kraftquellen (z. B. malen, wandern, meditieren, einen Garten anlegen, Collagen und Fotobücher erstellen, 160
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anstreichen, tanzen, Rad fahren, kreative Arbeiten, berufliche Veränderung, Weiterbildung). Andere greifen auf Altbewährtes zurück (z. B. Kino, Theaterbesuch, reisen, essen gehen, kochen, Konzert besuchen, Musik machen, Massagen, fotografieren, Naturerfahrungen). Schauen Sie, was jetzt zu Ihnen passt. Erlauben Sie sich auch hier im Laufe der Zeit Veränderungen. Ich nehme meine Ängste wahr Versuchen Sie, Ihre Ängste und Befürchtungen wahrzunehmen und zu benennen: Wovor genau haben Sie Angst? Welche Befürchtungen tauchen auf? Zum Beispiel: »Ich habe Angst davor, die finanziellen Dinge nicht regeln zu können«, »Ich habe Angst, allein auf den Geburtstag zu gehen«, »Ich habe Angst, allein mit den Kindern in Urlaub zu fahren«, »Ich habe Angst, meinen Mann zu vergessen«. Unsere Ängste bedrohen uns nicht nur, sondern können uns auch nützen. Wenn wir uns mit ihnen vertraut machen, können sie gute Wegweiser dafür sein, was uns in einer schweren Situation weiterhilft. Bitte nutzen Sie diese Wegweiser für sich. Ich nutze meine Erfahrungen Ihr Notfallkoffer in dieser stürmischen Lebenszeit ist sicher nicht leer. Es befinden sich schon mehrere Rettungsringe und Anker darin, wie Sie bestimmt schon festgestellt haben. Ein weiterer ist in diesem Zusammenhang »frühere Erfahrungen mit Krisen und deren Bewältigung zu nutzen«. Besinnen Sie sich auf solche Erfahrungen zurück und nehmen Sie wahr, was Ihnen nützlich war, um eine Krise zu überstehen. Vielleicht können Sie das, was damals hilfreich war, auch heute nutzen und das, was nicht hilfreich war, vermeiden. Dennoch werden Sie diese Erfahrungen nicht vor dem Schmerz um Ihren verstorbenen Mann schützen. Ich erinnere mich heilsam Wenn negative Erinnerungen und Bilder Sie quälen, lenken Sie Ihre Gedanken bitte immer wieder auf positive Aspekte, etwa auf wohltuende Bilder, Erinnerungen und Erfahrungen mit Ihrem Mann. Machen Sie sich zudem die positiven Anteile der Trauer, wie zum Beispiel Dankbarkeit und Liebe, bewusst. Das hilft, den TrauerproWelche Anker und Rettungsringe gibt es?
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zess zu durchleben, mit den Aufgaben des Alltags, der ja weitergeht, zurechtzukommen und eine Neuorientierung in einem Leben ohne Ihren Mann zu finden. Ich erlaube mir Optimismus und Humor Häufig glauben Menschen, dass in der Trauer Humor nichts verloren hat oder nicht auftaucht. Dabei stellt Humor eine wichtige Kraftquelle als Gegenpol zur Schwere der Trauer dar. Humor macht das Leid erträglicher und aushaltbarer, sorgt für Leichtigkeit und drückt Lebenslust aus. Damit ist keine Komik im Sinn von Ironie oder Lächerlichkeit gemeint. Sie dürfen lachen! Ich möchte Sie sogar dazu auffordern. Denken Sie an heitere Situationen mit Ihrem Mann, an humorvolle Begebenheiten, selbst solche, die Sie in der Zeit der Krankheit oder im Rahmen der Bestattung erlebt haben. Vielleicht sind Sie ein grundsätzlich optimistischer Mensch. Bewahren Sie diese Haltung, die Ihnen helfen kann, die schwere Zeit zu überstehen. Vielleicht war Ihr Mann ein humorvoller, optimistischer Mensch. Nutzen Sie sein Vermächtnis und denken Sie an ihn und wie er sich verhalten hätte, wenn Sie sich nach Lebensmut sehnen. Ich bin gut aufgehoben Haben Sie das Gefühl, dass Sie trotz des Geschehens in einem größeren Zusammenhang gut aufgehoben sind und dass es etwas gibt, was Sie jetzt stärkt, trägt und beschützt? Überlegen Sie bitte, ob es noch andere persönliche Werte und Überzeugungen gibt, die durch die Verlusterfahrung nicht an Gültigkeit verloren haben. (Ich bin geliebt!) Es kann möglich sein, dass Sie sich wohltuend religiös in Glauben und Spiritualität oder andere übergeordnete Zusammenhänge eingebunden fühlen. Das kann eine wichtige Ressource sein und zudem eine positiv empfundene Jenseitsvorstellung, die den spirituellen Platz (»Wo ist mein Mann jetzt?«) fördern kann (»Ich glaube, dass mein Mann gut aufgehoben ist«).
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Mögliche Anker und Rettungsringe in der Familie, im Freundeskreis und im Beruf Vielleicht können Sie in diesen Lebensbereichen ebenfalls Ressourcen wahrnehmen, die grundlegend positiv sind. Welche Ressourcen das sein können, ist sehr individuell. Ich möchte Ihnen ein paar Vorschläge dazu machen: Vielleicht gibt es in der Familie oder im Freundeskreis Beziehungen, die getragen sind von einer grundsätzlichen Haltung aus Liebe, Fürsorge, Respekt, Wertschätzung und Ehrlichkeit. Haben Sie in Ihrem Leben positive Bindungserfahrungen machen können? Vielleicht gibt es einen oder mehrere Menschen, mit denen Sie einen engen Zusammenhalt und eine tiefe Verbundenheit spüren. Gibt es jemanden, mit dem Sie offen über Gefühle und Sorgen sprechen können? Haben Sie jemanden an Ihrer Seite, der Ihre Trauer und Ihren Schmerz aushalten kann? Gibt es einen Menschen, der zuverlässig für Sie da ist? Verfügen Sie womöglich über ein stabiles, soziales Netz (z. B. Freunde, Verwandte, Nachbarn, Kollegen, Verein)? Haben Sie einen sicheren Arbeitsplatz und/oder einen verständnisvollen Arbeitgeber und/oder mitfühlende Kollegen? Macht Ihr Beruf Ihnen grundsätzlich Freude? Empfinden Sie Ihre Arbeit oder ein Ehrenamt als eine sinnvolle Tätigkeit? Haben Sie ein sicheres Einkommen? Können Sie Ihre Hobbys weiterführen und/oder andere individuelle Freiräume erhalten? Können Sie frei entscheiden, ob Sie dort wohnen bleiben möchten, wo Sie jetzt leben? Gibt es Menschen, mit denen Sie Schönes unternehmen oder sich an Ihren Mann erinnern können? Gibt es Rituale, die Sie mit anderen verbinden? Gibt es jemanden, der Ihnen Nähe und Körperkontakt schenkt? Ich habe Ihnen hier nur eine kleine Auswahl an möglichen wichtigen Ankern und Rettungsringen vorgestellt, die Sie in der schweren Zeit tragen und hilfreich begleiten können. Ich bin sicher, dass Sie die eine oder andere Ressource gefunden haben. Dass nicht alle diese möglichen Kraftquellen auf Sie zutreffen können, ist normal. Pflegen Sie Ihre Ressourcen sorgsam. Sie benötigen sie, um mit dem Schmerz der Trauer umzugehen, sich an ein Leben ohne Ihren Mann anzupassen und das Geschehen in Ihr Leben einzubetten. Spüren Sie nach, ob Sie weitere mögliche Kraftquellen und persönliche Fähigkeiten entdecken können. Lassen Sie neue, bisher vielleicht nie in Erwägung gezogene Ideen und Möglichkeiten zu. Welche Anker und Rettungsringe gibt es?
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Nutzen Sie persönliche Affirmationen Schreiben Sie sich selbst hilfreiche Affirmationen für Ihre persönliche Lebenssituation (z. B. »Ich werde überleben!«, »Ich bin tolerant!«, »Ich suche nach Lösungen!«, »Ich hole meinen Abschied nach!«, »Ich traue mir zu …«). Sie können sich Ihre wichtigen Sätze auch an den Spiegel hängen oder als Kärtchen in die Tasche stecken und sich selbst so täglich stärkend begleiten und Ihr Denken und Handeln positiv beeinflussen.
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6 Alleinerziehend und trauernd
6.1 Alleinstehend und alleinerziehend Ihr Mann ist tot. Jetzt sind Sie allein für Ihre Kinder verantwortlich. Sie sind nicht nur alleinstehend, sondern auch alleinerziehend. Vielleicht haben Sie eher das Gefühl, unter der plötzlichen Last an Aufgaben allein zusammenzubrechen als alleinzustehen. Sie wurden wider Willen alleinerziehender und alleinstehender Elternteil. Sie sehen sich jetzt mit einer großen Verantwortung, vielen neuen Aufgaben und Ihrer Trauer konfrontiert. Zudem erleben Sie sich in einem Spannungsfeld zwischen der eigenen Trauer als Frau und der Verantwortung als Mutter. Das kann große Verzweiflung angesichts dieser unglaublichen Herausforderungen und das Gefühl von Überforderung auslösen, wenn es darum geht, mit dem eigenen Leid zurechtzukommen und für die Kinder da zu sein. Gesellschaftliche Anerkennung Die doppelte Belastung, alleinerziehend mit der gesamten Verantwortung für die Kinder und alleinstehend durch den Verlust des Partners mit seinen Konsequenzen zu sein, wird gesellschaftlich nicht gewürdigt. Betroffene Frauen erfahren meist viel zu wenig akute und dauerhafte institutionelle und gesellschaftliche Unterstützung in ihrer extremen Belastungssituation. Nicht selten hören trauernde junge Mütter den völlig unangemessenen Satz: »Es gibt doch so viele andere alleinerziehende Frauen! Schau mal, wie viele Frauen geschieden sind und auch klarkommen!« Ja, die gibt es, und viele dieser Frauen erleben in diesem Zusammenhang sicherlich ebenfalls schwere Lebenssituationen. Allerdings macht es einen großen Unterschied, dass Ihr Partner tot ist. Mein Eindruck aus den Begleitungen meiner Klientinnen ist, dass es dringend notwendig ist, Mütter, besonders mit jungen Kindern, als alleinerziehende und Trauernde wahrzunehmen und sie dementsprechend konkret und hilfreich zu unterstützen. 165
Totale Überforderung – Grenzen annehmen Alles, was zu regeln, zu lernen und neu zu ordnen ist, kann Sie neben dem Schmerz um den Verlust Ihres Mannes emotional und körperlich überfordern. Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass es Ihnen niemals gelingen wird, den Alltag mit den anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Ihr Mann fehlt Ihnen als wichtiger Gesprächspartner jetzt vielleicht ganz besonders. Gleichzeitig möchten Sie Ihren Kindern weiterhin Chancen und Möglichkeiten für eine gute Entwicklung bieten. Zeit und Raum, um sich auszuruhen und um Ihren Mann und das, was mit ihm als Partner verlorengegangen ist, zu betrauern, fehlt häufig. Wenn Sie andauernd das Gefühl haben »Nichts geht mehr«, »Ich kann nicht mehr«, »Ich will nicht mehr«, ist es wichtig, Grenzen zu erkennen. Überprüfen Sie bitte kritisch Verpflichtungen und Ihre eigenen Ansprüche.
Hinweise: Ich möchte Sie bitten, gut auf sich zu achten und Ihre Gesundheit nicht zu riskieren. Fragen Sie sich bitte: Was ist wirklich wesentlich? Was kann warten? Fühle ich mich an Stellen verpflichtet, die niemand erwartet? Geben Sie sich die Erlaubnis, eigene Werte und Lebensregeln zu verändern. Versuchen Sie, eingefahrene Lebensmuster, die ihren Sinn verloren haben, zu erkennen und aufzugeben. Sie können nur für Ihre Kinder da sein, wenn Sie selbst gut für sich sorgen. Sie dürfen Dinge lassen oder abgeben. Erklären Sie Ihren Kindern, dass der Tod Ihres Mannes Sie verändert hat und es wieder andere Zeiten geben wird. Vielleicht hilft es Ihnen, mit jemandem über Ihre Sorgen zu sprechen. Suchen Sie sich Menschen aus Ihrem Freundeskreis, bei denen Sie sich aufgehoben fühlen und das Gefühl haben, offen über Ihre Belastungen sprechen zu können. Eine ganze Schar von Helfern und Fürsprechern an der Seite haben Sie, liebe Leserin, möchte ich an dieser Stelle sehr ermutigen, sich Unterstützer an Ihre Seite zu holen, die Ihnen helfen, bestmöglich mit Ihren Kindern durch diese schwierige Zeit zu kommen. Es ist wichtig, eine ganze Schar von Helfern um sich zu spüren. Überlegen Sie, was Sie entlasten könnte. Aktivieren Sie Ihren Freundeskreis und vergeben Sie Aufgaben (z. B. Kinderbetreuung, 166
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Fahrdienst, Einkäufe, Gartenarbeit, Autoreparatur). Scheuen Sie sich bitte nicht, wenn Sie nicht mehr weiter wissen, das Jugendamt anzusprechen. Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass hier oft wichtige Unterstützung für junge trauernde Mütter auf den Weg gebracht werden konnte. Sie sind deshalb keine schlechte Mutter und man nimmt Ihnen dort auch nicht Ihre Kinder weg. Ich arbeite seit Jahren in vielen Fällen gut mit den umliegenden Jugendämtern zusammen. Trauerbegleiter unterstützen Familien in diesen Bereichen, die das erste Überleben sichern. Sprechen Sie zudem Ihren Hausarzt und/oder kirchliche Stellen an. Lassen Sie sich von unterschiedlichen Seiten darüber beraten, welche Möglichkeiten der Unterstützung Sie haben. Vielleicht überfordert es Sie, sich allein darum zu kümmern, Ansprechpartner ausfindig zu machen, Telefonate zu führen, Termine zu vereinbaren, immer wieder Ihre Geschichte erzählen zu müssen etc. Dann ist es notwendig, Fürsprecher (z. B. Freundin, Familie, Trauerbegleiter, Seelsorger) zu wählen, die Ihre Anliegen formulieren und diese an die entsprechenden Stellen weitergeben, die Sie zu Gesprächen mit Ämtern begleiten oder die Ihnen helfen, entsprechende Formulare auszufüllen. Sorgen Sie für Ihre Seele mit professioneller Hilfe durch Trauerbegleitung und/ oder Psychologen. Gemeinsam können in der Begleitung Möglichkeiten entdeckt werden, mit dem Verlust und seinen Folgen umzugehen, die Sie für sich im Augenblick vielleicht gar nicht sehen. Es wird Sie entlasten, wenn Sie wissen, dass Ihre Kinder gut aufgehoben sind. Überlegen Sie darum gemeinsam, ob hier fachlicher Beistand hilfreich sein kann. Sich Zeit lassen und eigene Ansprüche verändern Lassen Sie sich bitte Zeit, in die neuen Rollen und Aufgaben der Alleinerziehenden und Trauernden hineinzuwachsen! Rechnen Sie bitte damit, dass Sie für viele Lebenssituationen zunächst mit Notoder Übergangslösungen zurechtkommen müssen. Vieles kann einfach nicht so funktionieren wie bisher. Zuvor waren, wie in vielen anderen Familien, die Alltagsaufgaben (z. B. Kinder, Finanzen, Beruf, Haushalt, Garten) verteilt. Zwei Menschen waren für das zuständig und verantwortlich, wo jetzt nur noch einer ist. Sie können weder zeitlich noch praktisch den Alltag so aufrechterhalten, wie er früher Alleinstehend und alleinerziehend
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war. Es wird den Kindern nicht schaden, wenn nicht alles perfekt ist. Ihre Kinder sind froh, dass Sie noch da sind, und haben eher Sorge, dass Ihnen auch noch etwas zustößt. Anfänglich werden Ihnen möglicherweise Informationen und Fähigkeiten fehlen, die Sie für die praktischen Dinge im Alltagsleben benötigen. Holen Sie sich deshalb Unterstützung, Informationen und Beratung. Scheuen Sie sich nicht, Frauen, Männer und Alleinerziehende aus Ihrem Lebensumfeld zu fragen (die anderen können auch nicht alles und sind meist froh, helfen zu können), oder holen Sie sich im Internet bei YouTube und MyHammer Hilfen und Anleitungen. Ihr Mann musste sich ebenso im Laufe der Zeit Informationen und Fähigkeiten aneignen, um mit den Anforderungen zurechtzukommen. Überforderung entgegenwirken Erwarten Sie in Ihrer neuen Rolle mit den vielfältigen Aufgaben nicht zu viel von sich selbst. Sie können den Kindern den Vater nicht ersetzen und Sie können die anderen Aufgaben Ihres verstorbenen Mannes nicht so erledigen wie er. Sie sind ein anderer Mensch mit anderen Fähigkeiten und Prioritäten, und das ist gut so. Sie haben vielleicht zuvor schon anders organisiert, Erziehungsaufgaben anders gelöst oder andere Akzente im Leben gesetzt. Dies diskreditiert nicht die Art, wie Ihr Mann seine Alltagsaufgaben gelöst und welche Wertmaßstäbe er für sich gesetzt hat. Es gab auch zuvor Unterschiede. Nutzen Sie Ihre eigenen Begabungen und setzen Sie sich nicht unter Druck. Lassen Sie sich Zeit, die neuen, zusätzlichen Aufgaben kennenzulernen und diese auf Ihre Art zu lösen. Gestehen Sie sich zu, dass Sie nicht immer sofort passende Strategien und Lösungen entwickeln müssen. Sie dürfen ausprobieren, was in der neuen Lebenssituation am besten passt und funktioniert. Es kann wichtig sein, Dinge auszuprobieren und sie wieder zu verwerfen. Die Anpassung an die neuen Lebensumstände ist ein Entwicklungsprozess. Daher gehören Veränderungen ganz natürlich dazu. Bedenken Sie, dass zunächst die Aufgaben gelöst werden müssen, die Ihr Überleben und das Ihrer Kinder sichern. Der eigentliche Trauerprozess wird daher aus gutem Grund zunächst zurückgestellt. Sie müssen also nicht alles gleichzeitig bearbeiten und lösen.
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Sorge um die Kinder Vielleicht machen Sie sich Sorgen, weil Sie Ihren Kindern jetzt nicht so viel bieten können wie zuvor. Der Vater fehlt, Zeit fehlt und häufig auch Geld. Das kann Sie zusätzlich traurig machen, weil Sie etwas anderes für Ihre Kinder angestrebt und gewünscht haben. Bitte machen Sie sich nicht zu viele belastende Gedanken. Ihre Kinder werden spüren, dass Sie sie lieben, und Ihre Liebe können Sie Ihren Kindern geben. Geliebt zu werden ist die wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung. Ihren Kindern stehen durch die neue Lebenssituation tatsächlich manche Möglichkeiten nicht mehr zur Verfügung, dafür eröffnen sich andere Chancen und neue Wege der Entwicklung, die nicht schlechter sein müssen. Vielleicht beruhigt es Sie, zu hören, dass ich im Laufe meiner Zeit als Trauerbegleiterin immer wieder Kinder begleitet habe, die ein oder beide Elternteile verloren haben und denen es heute sehr gutgeht – Kinder, die ihre Schule beenden konnten, eine Berufsausbildung oder ein Studium absolviert haben, auf eigenen Beinen stehen, eine Beziehung führen und glücklich und zufrieden sind mit ihrem Leben, auch wenn es weiterhin Situationen gibt, in denen Vater und/oder Mutter schmerzhaft fehlen. Nicht nur meine Erfahrung als Trauerbegleiterin, sondern auch die Trauer- und Resilienzforschung bestätigt, dass schwere Krisen auch Chancen bieten, besondere und neue Fähigkeiten zu entwickeln, die das weitere Leben richtungsweisend beeinflussen und positiv bereichern. Wenn mir/dir auch etwas passiert Sie und Ihre Kinder machen sich vielleicht nach dem Tod Ihres Mannes große Sorgen um die Existenz der Familie, und zwar nicht nur im Hinblick auf die finanzielle Situation, sondern auch in Bezug auf Ihre Gesundheit. Vielleicht haben Sie sich schon mit großer Sorge gefragt, was geschehen würde, wenn Ihnen ebenfalls etwas zustößt. Ihre Kinder befassen sich mit Sicherheit ebenfalls mit dieser Frage, das kann ich Ihnen aus meinen Begleitungserfahrungen mit trauernden Kindern versichern. Kinder wissen, dass sie abhängig sind von Ihnen als letzte enge Bezugsperson, und haben Angst, ihre eigene Existenzgrundlage zu verlieren. Zudem mussten Sie alle erfahren, dass Ihnen das Schlimmste, Unvorstellbare zugestoßen Alleinstehend und alleinerziehend
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ist. Die gefühlte Wahrscheinlichkeit, dass noch einmal ein solches Schicksal Sie treffen könnte, rückt aus Ihrer und der Sicht Ihrer Kinder näher. Das Leben insgesamt erscheint höchst unsicher. Natürlich möchten wir solche Horrorszenarien lieber verdrängen. Es wirkt jedoch beruhigender, zu wissen, dass für den tatsächlichen Fall vorgesorgt wäre. Sie entlasten Ihre Kinder also höchstwahrscheinlich, wenn Sie mit ihnen darüber sprechen, welche Lösungen und Optionen es gäbe, und wenn Sie diese schriftlich niederlegen. Fragen Sie Ihre Kinder, was sie sich wünschen, und besprechen Sie gemeinsam, was realisierbar wäre. Zugleich ist es wichtig, zu versichern (und es zu tun!), dass Sie so gut wie möglich für sich sorgen, damit Ihnen nichts passiert. Hinweise: Der erlebte Tod des Vaters kann bei Ihren Kindern zu einer übersteigerten Sorge um Sie führen. Richten Sie darum bitte den Fokus immer wieder darauf, was gutgegangen ist, und sorgen Sie für so viel Sicherheit und kleine Stützen im Alltag wie möglich (z. B. behalten Sie Rituale und Tagesabläufe bei, informieren Sie Ihre Kinder, wenn Sie sich verspäten, und senden Sie eine kurze Nachricht, dass Sie gut angekommen sind, lassen Sie sich regelmäßig ärztlich untersuchen). Mit der Zeit wird die Angst vor neuen Verlusten wieder abnehmen. Streit und Verletzungen gehören weiter dazu Enttäuschungen, Streit und Verletzungen werden weiterhin zum Familienleben gehören, auch nach dem Tod des Vaters bzw. Mannes, denn nie passen alle Bedürfnisse und Wünsche zusammen und können erfüllt werden. Vielleicht haben Sie nach dem Tod Ihres Mannes den Eindruck, dass es häufiger zu Streit oder Verletzungen kommt als vorher. Vergessen Sie nicht, dass die meisten Menschen in ihrer Trauer, ob groß oder klein, verletzlicher und empfindlicher sind. Gerade weil wir in der Trauer oft selbst nicht so genau wissen, was wir uns wünschen, und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse so verwirrend sind, kann es schneller zu Streit und Verletzungen kommen. Zudem sind Streit und Auseinandersetzung ein Zeichen für Lebendigkeit. Es ist wichtig, sich für persönliche Anliegen einzusetzen, besonders nach einem schweren Verlust. Versuchen Sie, 170
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Konflikte deshalb als positives Zeichen dafür zu sehen, dass Ihre Kinder sich dazu entschieden haben, selbst weiterzuleben. Rücklagen für den Führerschein oder die Ausbildung der Kinder In meinen Begleitungen gebe ich betroffenen Frauen immer wieder den Hinweis, schon im Voraus an die kommenden Jahre zu denken. Anfangs werden Sie aus Ihrem Umfeld meist immer wieder gefragt, was man denn für Sie tun könne. Oft wissen Sie es zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht genau. Später geraten der Verlust und die für Sie und Ihre Kinder noch immer spürbaren Konsequenzen bei Freunden, Nachbarn und Familie häufig aus deren Wahrnehmung. Gerade anfangs, wenn das Umfeld noch sensibel reagiert, können Sie wichtige Hilfen auf den Weg bringen. Regen Sie an, dass ein Konto für den Führerschein oder die Ausbildung der Kinder angelegt wird. Erfahrungsgemäß sind Frauen später dankbar, auf dieses Depot zurückgreifen zu können. Da Sie nicht für sich selbst fragen, kann es leichter sein, diese Unterstützung für die Kinder anzuregen. Mutter-Kind-Kuren Die vielfältigen Belastungen nach dem Tod des Partners führen bei vielen Frauen häufig dazu, dass ihnen die Kraftreserven ausgehen. Kinder, Haushalt, Beruf und die Trauer um den Verstorbenen sowie weitere mögliche Belastungen tragen dazu bei, dass viele Frauen einfach nicht mehr können. Eine Mutter-Kind-Kur kann Ihnen neben der Behandlung von eventuellen körperlichen Beschwerden neue Kraft für den anstrengenden Alltag geben. Es gibt Angebote, die sich auf Trauernde spezialisiert haben. Erkundigen Sie sich hierfür bei Ihrer Krankenkasse und bei Ihrem Trauerbegleiter. Die Kur muss von den Krankenkassen bezahlt werden und ist gesetzlich möglich, wenn die ambulante Behandlung »nicht ausreicht, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern«. Neben den Folgen von Fehlernährung, Übergewicht oder Bewegungsmangel gehören behandlungsbedürftige Befindlichkeitsstörungen (z. B. depressive Verstimmung, schwere Belastungen durch Trauer), chronische Erkrankungen (z. B. Neurodermitis, Schuppenflechte, Asthma), Alleinstehend und alleinerziehend
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Rücken- oder Magen-Darm-Beschwerden, Migräne und andere zum Katalog der genehmigungsfähigen Kuren. Vielen Frauen stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Verbleib ihrer Kinder. Sie können als gesunde Begleitpersonen (Altersgrenze von 12 bis 14 Jahren) mit zur Kur, oder sie werden mitbehandelt. Erkrankungen des Atmungssystems, der Haut und des Bewegungsapparates, aber auch erhöhte Infektanfälligkeit, Verhaltensstörungen und so weiter werden dann zum Beispiel therapiert. Der Kinderarzt (notfalls Haus- oder Facharzt) stellt dem Kind ein Attest aus. Bei der Antragstellung helfen die Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände. Hier habe ich mit vielen trauernden Frauen sehr gute Erfahrung machen können. Hinweis: Beratungsstellen finden Sie über die Online-Suche des Müttergenesungswerks oder am Info-Telefon des Müttergenesungswerks (Tel.: 030/33002929), beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie, der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt. Normalerweise haben Sie alle vier Jahre Anspruch auf eine Kur, in Ausnahmefällen auch häufiger. Sollten Sie zunächst einen ablehnenden Bescheid von der Krankenkasse oder keinen Platz in Ihrer Wunschklinik bekommen, wenden Sie sich bitte immer an eine Beratungsstelle. Meine Erfahrung ist, dass es sinnvoll ist, noch einmal nachzufragen. Meist ist ein Widerspruch erfolgreich (bei circa 65 Prozent) oder es wird doch noch kurzfristig ein Platz in der gewünschten Klinik frei. Hinweis: Infos zur erfolgreichen Antragstellung für eine MutterKind-Kur: www.kur.org Am Ende war es nicht mehr so gut mit uns Nicht immer war beim Tod oder der lebensverkürzenden Diagnose des Mannes die Beziehung noch erfüllt. Gerade in Beziehungen mit kleinen Kindern und den vielfältigen Alltagsanforderungen bleibt für die Partnerschaft häufig zu wenig Zeit. Liebe, Aufmerksamkeit und Verständnis füreinander bleiben manchmal auf der Strecke. Ich 172
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möchte diesen Punkt hier ansprechen, denn in den Begleitungen meiner Klientinnen kommt es vor, dass Frauen vor dem Tod ihres Mannes über eine Trennung nachgedacht haben, sie schon auf den Weg gebracht war und/oder sie bereits eine andere Beziehung eingegangen sind. Die Verstrickung der meist nicht gelösten Beziehungsprobleme mit dem (bevorstehenden) Tod des Mannes und den daraus entstehenden Konsequenzen kann zu schweren Konflikten mit sich und/oder dem Lebensumfeld führen. Es kann schwer sein, für sich selbst einen würdigen Abschied und einen heilsamen Umgang mit dem Geschehen zu finden. Neue Lebensentwürfe und Partnerschaften können von vornherein belastet sein. Zudem kann Kindern der Trauerprozess erschwert werden, selbst dann, wenn Sie noch nicht über die Konflikte gesprochen haben. Kinder werden spüren, dass nicht alles so war, wie Sie vorgeben, und möglicherweise das Vertrauen zu Ihnen, ihrer Hauptbezugsperson, verlieren. Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Eine neutrale Fachperson und ein geschützter Raum bieten die Möglichkeit, um beispielsweise Themen, wie Schuld, Entwertung, Aussöhnung mit sich und dem Verstorbenen, neue Lebenskonzepte und Partnerschaft, zu bearbeiten.
6.2 Blick auf die Kinder »Lara (12) zieht sich immer mehr zurück. Über ihren Vater will sie mit mir gar nicht sprechen. Sie will neuerdings wissen, wo ich bin und wann ich wiederkomme, und ruft mich sogar auf der Arbeit an. Das geht gar nicht. Ich habe unglaubliche Angst, etwas falsch zu machen. Luis (6) ist da ganz anders. Er geht irgendwie unbeschwerter mit der Sache um. Er fragt viel und erzählt von seinem Papa, wenn es ihm gerade einfällt.« Ute (38)
Das Wichtigste vorweg, bevor Sie sich zu viele Sorgen und Gedanken machen! Es ist normal, dass Sie mit Ihrem eigenen Schmerz und den zusätzlichen Belastungen so beschäftigt sind, dass Sie die feinen Signale, die Ihre trauernden Kinder senden, und deren Bedürfnisse womöglich nicht wahrnehmen können. Ihre Kinder werden Ihre Liebe dennoch spüren. Das ist die wichtigste und größte Kraftquelle, Blick auf die Kinder
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die Sie Ihren Kindern nach dem Tod ihres Vaters mitgeben können. Vielleicht können Sie Ihren Kindern das Angebot einer Trauerbegleitung machen. Kinder und Jugendliche trauern Selbst wenn Sie es sich wünschen, können Sie Ihre Kinder nicht vor den vielfältigen Auswirkungen, die aus dem Tod Ihres Mannes resultieren, schützen. Sie konnten den Tod nicht verhindern, aber Sie können mit dafür sorgen, die Situation für alle bestmöglich zu gestalten. Ihre Kinder, egal, wie alt sie sind, werden den Tod ihres Vaters spüren. Sind die Kinder noch sehr jung, werden sie sein Fehlen, Ihr ungewohntes Verhalten und die veränderten Lebensumstände wahrnehmen. Sie reagieren auf den Verlust mit ihrem Verhalten (z. B. Weinen, Ess- oder Schlafstörungen), weil verbale Fähigkeiten, abstraktes Denken und Zeitgefühl noch nicht entwickelt sind. Versuchen Sie, auch wenn Sie trauern und mit vielen Alltagsaufgaben beschäftigt sind, Ihr Kind sensibel wahrzunehmen und ihm so viel Zuwendung, Sicherheit und Liebe zu geben, wie möglich. Beziehen Sie, wenn möglich, nicht zu viele verschiedene Personen in die Betreuung der Kinder ein, sondern sorgen Sie möglichst für Stabilität. Erst später verstehen Kinder alle Aspekte des Todesbegriffs (z. B. der Tod ist endgültig, alle Lebewesen sterben einmal, der Tod hat biologische Ursachen). Mit zunehmendem Alter werden sich Ihre Kinder entsprechend ihrer fortschreitenden emotionalen und kognitiven Entwicklung immer wieder neu mit dem Verlust ihres Vaters auseinandersetzen.
Hinweis: Rechnen Sie also damit, dass die Auseinandersetzung und die Trauer um den verstorbenen Vater und das nicht gelebte Leben mit ihm für Ihre Kinder in den unterschiedlichen Altersphasen immer wieder relevant sein werden. Sie werden den Tod mit seinen Konsequenzen unter veränderten Fragestellungen und Sichtweisen immer wieder neu bearbeiten und in ihre persönliche Lebensbiografie einordnen. Bitte haben Sie keine Sorge: Ihre Kinder werden trotzdem spielen und Freude am Leben haben.
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Informieren über das, was passiert ist Vielleicht glauben Sie, es sei besser, mit Ihren Kindern nicht über den Tod des Vaters, die Todesursache und die Todesumstände zu sprechen. Ihre sicher gutgemeinte Rücksichtnahme verursacht eher Angst sowie Gefühle des Ausgeschlossenseins und der Einsamkeit, weil Ihre Kinder mehr wahrnehmen, als Sie annehmen. Unter Umständen verlieren Ihre Kinder das Vertrauen zu Ihnen, wissen nicht mehr, was sie Ihnen noch glauben sollen, und sind verunsichert. Sie trauen sich dann nicht mehr, andere wichtige Fragen zu stellen. Erklären Sie sachlich und altersentsprechend, was passiert ist und was weiter passieren wird. Es kann sein, dass es Ihnen zu schwerfällt, mit Ihren Kindern über das Geschehene zu sprechen. Dann können Sie sich Unterstützung bei Freunden, in der Familie und/oder von professioneller Seite holen. Je nach Alter entwickeln Kinder, wenn sie nicht informiert werden, eigene Erklärungen und Fantasien, die oft beängstigender sind als die Realität selbst. Kinder und Jugendliche sind angewiesen auf Informationen, um ein realistisches Weltbild zu entwickeln, um Zusammenhänge und sich selbst zu verstehen und um den Verlust in ihre eigene Lebensgeschichte zu integrieren. Für ältere Kinder und Jugendliche kann es deshalb sehr wertvoll sein, Informationen zu Trauerprozessen und Trauerreaktionen zu erhalten. Zu hören, dass beängstigende Reaktionen normal sind und wieder verschwinden werden, wirkt auf sie beruhigend. Wie reagieren trauernde Kinder und Jugendliche? Kinder und Jugendliche zeigen häufig Trauerreaktionen, die für Bezugspersonen unverständlich und verwirrend sein können und manchmal sogar Verärgerung und Wut auslösen. Deshalb ist sachliches Wissen zu Trauerreaktionen und Trauerprozessen hilfreich. Denn statt Bestrafung und Ablehnung brauchen Kinder in dieser Situation unbedingt liebevolle Zuwendung und Verständnis. Kinder zeigen ihre Trauer mehr über ihr Verhalten als über verbale Äußerungen. Sie verwenden Bilder und zeigen durch ihr Spiel, wie sie sich fühlen. Manchmal ist der Übergang zwischen den Gefühlen unerwartet schnell und sehr abrupt. Länger anhaltende Trauerreaktionen würden das Kind zu diesem Zeitpunkt überforBlick auf die Kinder
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dern. Jugendliche ziehen sich in ihrer Trauer häufig zurück und zeigen ihre Gefühle nicht. Trauer zeigt sich auch bei Kindern und Jugendlichen in körperlichen, psychischen und sozialen Reaktionen. Kinder und Jugendliche sind vielen unterschiedlichen, sehr intensiven und oft widersprüchlichen Gefühlen, wie Schmerz, Albernheit, Verzweiflung, Liebe, Ohnmacht, Wut, Scham, Panik, Aggression, Freudlosigkeit, Angst, Trauer und Dankbarkeit, ausgesetzt. Zudem können starke Trennungsängste, Angst um andere Familienangehörige, Unsicherheit, die Unfähigkeit, neue Beziehungen einzugehen, sowie Schwierigkeiten mit der Selbstkontrolle oder dem Selbstwert auftreten. Andere Reaktionen können Magenschmerzen, Frieren, Schwitzen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, Schlafprobleme oder motorische Unruhe sein. Darüber hinaus können sich Reaktionen zeigen, wie Existenzsorgen, Zähneknirschen, Nägelkauen, intensive Träume, Hilflosigkeit, Überreiztheit, Erleichterung, Enttäuschung, Todesangst, Schuldgefühle, Scham, Selbstvorwürfe oder Erschöpfung. Kinder und Jugendliche äußern möglicherweise den Wunsch, Hobbys aufgeben zu wollen. Sie reagieren mit Auffälligkeiten oder großer Angepasstheit in der Kita oder Schule. Es ist gut möglich, dass sie sich für andere Angehörige verantwortlich fühlen. Sie übernehmen dann Aufgaben, die ihnen nicht entsprechen, und/oder stellen ihre eigene Trauer aus Rücksicht auf Bezugspersonen zurück, um diese nicht zusätzlich zu belasten. Regression Kinder und Jugendliche können zudem mit Rückschritten in der Entwicklung reagieren. Möglicherweise nässen sie wieder ein, beginnen in Babysprache zu sprechen oder können nicht mehr so gut ausmalen wie zuvor. Sie möchten wieder bei Ihnen im Bett, bei Licht oder offener Tür schlafen und suchen auch am Tag stärker Ihre Nähe oder können sich schlechter von Ihnen trennen. Häufig haben sie ein starkes Bedürfnis nach Trost und Körperkontakt und wirken zugleich oft unleidlich und abweisend oder weinen schneller als sonst. All dies sind Signale, dass Kinder und Jugendliche sich Unterstützung und Hilfe wünschen.
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Trauer in Ihrer Familie um den Vater und den Mann Ihre Kinder müssen mit zusätzlichen Belastungen und Veränderungen im gewohnten Alltag und mit Ihrem veränderten Verhalten zurechtkommen. Kinder sorgen sich um die Finanzen oder die tägliche Versorgung und nehmen Ihr Befinden sensibel wahr. Die Trauerreaktionen auf den Tod Ihres Mannes werden sich bei jedem Familienmitglied unterschiedlich äußern. Das liegt daran, dass der Verstorbene für jeden aus der Familie eine andere Bedeutung und Rolle hatte. Das macht ein gegenseitiges Verständnis oft schwer. Bedenken Sie bitte, dass es Zeit und Geduld braucht, bis in Ihrer Familie Rollen neu verteilt, Rollen aufgegeben oder neue Fähigkeiten erlernt werden. Ihre Kinder müssen ebenso wie Sie vieles neu erlernen und sich in der veränderten Lebenssituation zurechtfinden. Söhne hören nach dem Tod des Vaters häufig: »Jetzt bist du der Mann im Haus!« Diese Rolle wird Ihr Kind überfordern und es ihm schwermachen, zu einer eigenen Identität zu finden. Hier braucht Ihr Kind Ihre Rückmeldung und Entlastung, dass es den Vater nicht ersetzen muss. Was können Sie tun? Formen der Kommunikation, Rituale und Strategien in der Familie zum Umgang mit dem Verlust müssen sich erst entwickeln und später wieder verändert werden dürfen. Grundlegend sind gegenseitiges Verständnis, Respekt und Ehrlichkeit. Gehen Sie bitte immer davon aus, dass Ihre Kinder trauern, auch wenn es für Sie nach außen vielleicht nicht den Anschein hat. Stellen Sie bitte keine Forderungen an Ihre Kinder, wie zu trauern sei, und vermeiden Sie Wertungen über die Art, wie Ihre Kinder trauern, denn das führt eher dazu, dass Kinder und Jugendliche sich einsam und unverstanden fühlen. Zwingen Sie Ihre Kinder bitte nicht, sich zu öffnen oder zu sprechen, wenn sie nicht reden wollen. Sie sollten Ihre Kinder in ihrer persönlichen Art, zu trauern, respektieren. Unterstützung von außen Bieten Sie Ihren Kindern, wenn Sie sich um sie sorgen, neutrale Unterstützung von außen in einem geschützten Rahmen an. Eine Kinder- oder Jugendtrauergruppe, Einzelbegleitung, Trauerchats für Blick auf die Kinder
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Jugendliche und junge Erwachsene oder psychologische Hilfe können hilfreich sein. In einem geschützten Raum von ihren Sorgen und Gefühlen zu erzählen, sich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, ihrer Trauer Ausdruck geben zu dürfen oder sich auf kreative und körperliche Art mit dem Tod des Vaters zu befassen, kann Ihrem Kind guttun. Sie selbst können sich im Rahmen einer Trauerbegleitung oder Beratung zu möglichen Trauerreaktionen Ihrer Kinder und Jugendlichen informieren und erfahren, wie Sie mit ihnen umgehen können. Gerade weil jeder anders trauert und sehr mit sich befasst ist, können Informationen und Gespräche helfen, individuelle Trauerprozesse und Trauerreaktionen in der Familie zu fördern, zu würdigen und zu akzeptieren. Trauerchats: www.doch-etwas-bleibt.de | www.youngwings.de | www.klartext-trauer.de Gut für sich sorgen, Zuversicht vermitteln Sie sollten wissen, dass Sie Ihre Kinder wesentlich unterstützen und ihnen ein Vorbild sind, wenn Sie in Ihrer eigenen Trauer gut für sich selbst sorgen. Das heißt, sich um die eigene Gesundheit, Stabilität und Ressourcen zu kümmern oder Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ihre Kinder können sich eher auf ihren eigenen Trauerprozess einlassen, wenn sie sich keine existenziellen Sorgen um Sie machen müssen und sie nicht das Gefühl haben, Sie mit ihrer eigenen Trauer verschonen zu müssen. Trauen Sie sich selbst grundsätzlich zu, mit der neuen Lebenssituation zurechtzukommen und die anfallenden Problemen lösen zu können, vermittelt dies Ihren Kindern Hoffnung auf ein lebenswertes Leben und bestärkt sie, eigene Wege und Möglichkeiten im Umgang mit dem Tod des Vaters zu finden. Offen und ehrlich sprechen Sprechen Sie offen und ehrlich mit Ihren Kindern. Ermutigen Sie sie, Fragen zu stellen, und geben Sie altersgerechte, sachliche Informationen, die ihnen bei der Neuorientierung helfen. Sie sollten Ihre Kinder in einer klaren, eindeutigen Sprache ansprechen und immer wieder Ihre Gesprächsbereitschaft signalisieren. Schaffen Sie Zeiten und 178
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Möglichkeiten für Fragen und Gespräche. Eine deutliche sprachliche Benennung (z. B. »Er ist gestorben«, »Er ist tot«) hilft, das Geschehen sachlich zu verstehen und den Tod als Realität zu begreifen. Sie müssen nicht auf alle Fragen eine Antwort parat haben (z. B. »Wo ist Papa jetzt?«). Ihre Kinder werden lernen, auch mit unbeantworteten Fragen zu leben. Sie werden ihre eigenen tröstenden Vorstellungen finden, die sie im Laufe der Entwicklung wieder verändern. Zudem werden sie Ihre Ehrlichkeit schätzen und wissen, dass sie sich an Sie wenden und sich Ihnen anvertrauen können. Bitte achten Sie darauf, Ihre Kinder nicht mit Informationen zu überschütten oder belastende Bilder zu erzeugen (z. B. »Er hat schrecklich ausgesehen«). Möchten Ihre Kinder mehr wissen, manchmal auch erst nach einiger Zeit, werden sie wieder nachfragen. Ein Mangel an Information hingegen kann dazu führen, dass sich Ihre Kinder übergangen fühlen oder dass sie sich die Schuld an dem geben, was geschehen ist. Geben Sie deshalb Ihren Kindern immer wieder die Bestätigung, dass sie nicht verantwortlich für den Tod des Vaters sind und keine Schuld tragen. Ausdruck zulassen Ihre Kinder brauchen Möglichkeiten, ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen auszudrücken. Auch Wut und Aggression brauchen ihren Ausdruck, dürfen aber niemand anderen verletzen. Für Sie gilt es, wenn möglich, diese Gefühle und Gedanken auszuhalten. Zeigen Sie Verständnis und unterstützen Sie Ihr Kind dabei, einen Ausdruck für die belastenden Gefühle zu finden. Setzen Sie dennoch liebevoll Grenzen. Andere Lebewesen oder die Gegenstände anderer dürfen nicht angegriffen werden. Ermöglichen Sie Ihren Kindern auch zu Hause, ihre Gedanken und Gefühle nonverbal auszudrücken. Fördern Sie und machen Sie Angebote zu kreativen Tätigkeiten und Bewegung. Achten Sie auf gemeinsame Zeiten. Sie brauchen Zeit, um sich als Familie neu zusammenzufinden. Geborgenheit und Struktur Den Schmerz um den Verlust können Sie Ihren Kindern nicht abnehmen, aber Sie können Ihren Kindern beistehen, indem Sie ihnen Geborgenheit und Zuneigung schenken. Verlässliche Abläufe Blick auf die Kinder
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und Alltagsrituale sowie konstante Bezugspersonen signalisieren Ihren Kindern, dass nicht alles verloren und unsicher geworden ist, sondern dass noch Dinge erhalten und vertraut geblieben sind. Kinder in ihrer gewohnten Umgebung zu lassen – vorausgesetzt, sie haben sich dort aufgehoben gefühlt –, kann eine ebenso wichtige Unterstützung sein. Sich an Papa erinnern Sie machen nichts falsch, wenn Sie über Ihren Mann sprechen, sich an gemeinsame Erlebnisse erinnern und seinen Namen nennen, denn es ermöglicht Ihnen und Ihren Kindern, dem Mann und dem Vater einen neuen Platz im jetzigen Leben zu geben und die Beziehung zu ihm fortzuführen. Ihre Kinder brauchen deshalb ihre eigenen Erinnerungsgegenstände und Fotos. Lassen Sie Ihre Kinder wählen, welcher Erinnerungsgegenstand vom verstorbenen Papa ihnen wichtig ist. Für Ihre Kinder kann es zudem von Bedeutung sein, im Laufe ihrer Entwicklung noch etwas über ihren Vater zu erfahren. Für Julia war es zum Beispiel wichtig, zu hören, dass ihr verstorbener Vater gut malen konnte und sie dieses Talent von ihm geerbt hat. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihren Kindern, wie »besondere Tage oder Ereignisse« verbracht werden sollen, auch wenn es manchmal schwer ist, einen »gemeinsamen Nenner« für die Gestaltung dieser Tage zu finden. Spielen, lachen, feiern, ausgehen und trauern Fragen Sie Ihre Kinder, wie es ihnen mit ihrer Trauer geht, welche Erfahrungen sie mit anderen Menschen (z. B. mit Freunden oder in der Schule) machen, was ihnen helfen würde und was ihnen fehlt. So fühlen sich Ihre Kinder von Ihnen wahrgenommen und für Sie ist es leichter, konkrete Unterstützung anzubieten. Sie dürfen auch von eigenen Erfahrungen berichten, denn das verbindet miteinander. Trauern und die Anpassung an die neue Lebenssituation ist für Ihre Kinder psychisch und körperlich anstrengend. Wie Sie selbst, so brauchen auch Ihre Kinder Zeiten und Räume, in denen Kraft gesammelt werden kann und wo sie sich mit Dingen beschäftigen können, die außerhalb der Trauer liegen und den Kontakt zum sozialen Umfeld erhalten. 180
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Es kann sein, dass Ihre Kinder ein »schlechtes Gewissen« haben, wenn sie Dinge tun, die ihnen Freude machen, wenn sie zum Beispiel spielen, ausgehen, Freunde treffen oder ihre Hobbys weiter ausüben. Leider behindern Wertungen aus dem sozialen Umfeld, wie »Du trauerst wohl nicht richtig um deinen Papa!«, »Dass du dich nicht schämst, jetzt an deinen Sport zu denken!«, Wege, um Kraft zu finden und mit der Trauer umzugehen. Bitte bestätigen Sie Ihren Kindern immer wieder ausdrücklich, dass »Kraft zu tanken und Freude zu erleben« wichtige Aspekte der »Trauerarbeit« sind, die nichts damit zu tun haben, dass der Papa vergessen, verleugnet oder nicht geliebt wird. Soziales Umfeld informieren Neben Ihrer Fürsorge und Liebe brauchen Ihre Kinder ein verständnisvolles Umfeld, das sie in ihrer Trauer unterstützt. Deshalb sollten nahestehende Verwandte, Freunde, Erzieher, Lehrer und so weiter über den Tod und die damit verbundenen Folgen für Ihr Kind informiert werden. Sind Menschen des sozialen Umfelds für die Situation sensibilisiert, können sie mehr Verständnis, Zuwendung und wichtige Unterstützung geben. Wenn Sie selbst nicht in der Lage sind, diese Information weiterzugeben, können Sie außenstehende Menschen um Unterstützung bitten. Informationen an das soziale Umfeld sollten bei älteren Kindern und Jugendlichen unbedingt nur in Absprache mit diesen erfolgen.
Sie unterstützen Ihre Kinder, indem Sie ȤȤ Gefühle und Konsequenzen aus Krisen und Verlusten offen kommunizieren, ȤȤ gut für sich selbst sorgen (z. B. Gesundheit, Bedürfnisse, Kontakt, Ausdruck von Gefühlen, Ressourcen aktivieren, Unterstützung in Anspruch nehmen, zukunftsorientierte Perspektiven entwickeln), ȤȤ sich informieren über Entwicklungs- und Trauerprozesse, Trauerreaktionen und Unterstützungsmöglichkeiten, ȤȤ Ihr Kind als Trauernden wahrnehmen, den Verlust für das Kind anerkennen, die Art, wie Ihr Kind trauert, sowie Wünsche nach Nähe und Distanz respektieren, Blick auf die Kinder
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ȤȤ Ihr Kind seiner Entwicklung angemessen über Tod, Trauer sowie bevorstehende Veränderungen informieren und in diese einbeziehen, ȤȤ eine klare und wertfreie Sprache wählen und ehrlich auf Fragen antworten, ȤȤ eigene Trauer zeigen und mit Ihrem Kind über Trauerreaktionen sprechen, ȤȤ Ihr Kind unterstützen, den Verlust zu begreifen, ȤȤ Sorgen des Kindes ernst nehmen, thematisieren und für mögliche Entlastung sorgen, ȤȤ Ihrem Kind Möglichkeiten geben, Abschied zu nehmen und diesen aktiv mitzugestalten, ȤȤ Ihr Kind nicht zu etwas zwingen: Angebote müssen Angebote bleiben, ȤȤ Ihrem Kindern versichern, dass es keine Schuld am Tod hat, ȤȤ die Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen, ȤȤ Ihr Kind ermutigen, einen eigenen Trauerweg zu gehen, ȤȤ dafür sorgen, dass das soziale Umfeld (Kita/Schule/Freunde) informiert ist, und je nach Alter das Einverständnis des Kindes einholen, ȤȤ Raum und Zeit geben für den Ausdruck von Gefühlen, Sorgen, Bedürfnissen und Gedanken, ȤȤ Ihrem Kind bewusst machen, was trotz des Verlusts erhalten geblieben ist, ȤȤ darauf achten, dass das Kind keine Rolle oder Verantwortung übernimmt, die ihm nicht entspricht, ȤȤ Ressourcen wahrnehmen und fördern (z. B. Selbstwert, Lebensfreude, Sicherheit, stabile Beziehungen, kreativer Ausdruck, kraftgebende Tätigkeiten, gewohnte Umgebung), ȤȤ dafür sorgen, dass verlässliche, belastbare Bezugspersonen für das Kind da sind, ȤȤ zusätzliche Verluste (z. B. Zuhause, soziales Umfeld, Hobbys) beachten, ȤȤ so viel Struktur, Stabilität und Kontinuität wie möglich im Alltag erhalten, ȤȤ heilsame Erinnerungen zulassen und sich austauschen, ȤȤ vorher bestehende Probleme (z. B. mit Körper, Psyche, Familie, sozialem Umfeld) berücksichtigen, 182
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ȤȤ eine »fortgesetzte Bindung« zum Verstorbenen ermöglichen und darauf achten, dass diese nicht beängstigend ist, ȤȤ emotionale Zuwendung, Fürsorge, Geborgenheit und Liebe geben, ȤȤ Ihrem Kind die Möglichkeit geben und die Zeit lassen, sich immer wieder neu und den eigenen Fähigkeiten entsprechend mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Auszüge aus: Witt-Loers, S. (2014). Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen und begleiten? In F. Röseberg, M., Müller (Hrsg.), Handbuch Kindertrauer. Die Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien (S. 273–284). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Weitere Buchtipps: Witt-Loers, S. (2014). Trauernde Jugendliche in der Familie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. | WittLoers, S. (2016). Wie Kinder Verlust erleben … und wie wir hilfreich begleiten können. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
6.3 Wir sind noch immer eine Familie – Iris erzählt Iris war 42 Jahre, als sie ihren Mann durch einen Tumor in der Lunge verlor. Die Kinder waren damals 14 und elf Jahre alt. Nach zehn Wochen Krankheit verstarb ihr Mann im Alter von 47 Jahren im Krankenhaus. »Mein Name ist Iris. Heute bin ich 46 Jahre, mein Sohn ist 18 Jahre und meine Tochter ist 15 Jahre – zwei tolle Kinder, auf die ich total stolz bin und die ich über alles liebe! Mein Mann Werner ist am 30. Dezember 2012 mit 47 Jahren nach knapp zehn Wochen Krankheit an einem Lungentumor gestorben. Wir waren sehr unvorbereitet, weil uns nie jemand gesagt hat, dass die Krankheit nicht heilbar ist. Auch die Hoffnung ist uns nicht genommen worden. Heute denke ich, vielleicht war es gut so, sonst hätte von uns keiner mehr nur ein bisschen Schlaf bekommen. Die Zeit danach war für uns sehr schwer, obwohl ich sehr liebe Verwandte und Freunde habe, die uns sehr geholfen haben. Aber vor allem war und ist meine liebe Mama und Oma für uns da! Meine Kinder sind durch die Schule doch etwas leichter wieder in den Alltag gekommen, während ich die ersten Wochen und Monate Wir sind noch immer eine Familie – Iris erzählt
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mit dem ganzen Papierkram sehr beschäftigt war. Dadurch hatte ich erst abends Zeit, zu trauern und zu weinen. Das Essen fiel mir auch schwer, ich hatte einfach keinen Hunger. Dazu kam noch die Angst, ob ich das alles überhaupt schaffen kann, und die Sorge, ob wir alle gesund bleiben. Bei allem habe ich immer versucht, unseren Alltag so zu gestalten, wie es auch mit meinem Mann war. Dabei kam auch eine Zeit, in der ich mir selber leid getan und auch viel geweint habe. Später kam die Zeit der Wut, in der ich mich immer wieder gefragt habe, warum meine Kinder und ich allein gelassen werden. Ja, dieses schreckliche Gefühl hatte ich! Einfach ganz allein mit den Kinder dazusitzen! Irgendwann kommt einfach der Tag, an dem kein Besuch mehr kommt. Für die anderen ist der Alltag wieder da, während wir mit den vielen Veränderungen und neuen Anforderungen klarkommen müssen. Mit all den Problemen allein dazustehen ist wirklich nicht einfach. Leider wurden die Kinder in der Schule auch noch zur Zielscheibe. Mitschüler können sehr gemein sein. Robin wurde in der Umkleide fotografiert. Er konnte die Sache allein regeln. Natalia wurde über ihr Handy so beleidigt, dass wir die Polizei eingeschaltet haben und dort sehr nette Unterstützung bekamen, die uns sehr half. Mit der Zeit ging im Haus auch mal was kaputt, sodass ich es neu angeschafft habe. Das musste dann auch sein. Leider merkte ich, dass sich nicht jeder mit uns freute, weil wir etwas Neues hatten. Zwar wurde es mir nicht direkt gesagt, aber Gesichter können auch viele Worte sprechen. Es gibt aber auch schöne Dinge, die wir erfahren haben. Wir konnten, Gott sei Dank, in unserer Wohnung wohnen bleiben. Wir haben eine tolle Vermieterin. Menschen, mit denen wir zuvor nicht sehr viel Kontakt hatten oder die wir nicht gut kannten, kamen auf mich zu und hatten immer ein nettes und tröstendes Wort für mich. Allerdings macht es mich auch sehr traurig, dass der Name meines Mannes in meiner Gegenwart im Freundeskreis eigentlich nicht fällt und nicht über ihn gesprochen wird – und das, obwohl mir gesagt wurde, dass die Männer ein Bier auf ihn trinken, wenn sie sich treffen. Ab und zu sage ich mal seinen Namen, wenn die Situation danach ist. Aber es kommt leider keine wirkliche Reaktion! 184
Alleinerziehend und trauernd
Ich habe noch heute immer wieder meine Tiefpunkte. Gerade wenn die dunkle Jahreszeit anfängt. Ich bin immer froh, wenn es von Tag zu Tag ein bisschen heller wird. Den Kindern versuche ich immer, Mut zu machen und sie zu stärken. Und ich glaube, das gelingt mir schon ganz gut. Dabei merke ich aber auch, dass mir ein Partner an meiner Seite guttun würde. Seit mehreren Monaten bin ich an einem Punkt, wo ich gern wieder jemanden kennenlernen würde. Nur, allein ist es schwierig, auszugehen. Die Paare gehen meistens zusammen. Es scheint, als habe man plötzlich einen völlig anderen Stellenwert in der Gesellschaft, wenn man ohne Partner ist. Als wäre ich nur noch die Hälfte wert. Zu Geburtstagen ist es kein Problem, da vermischen sich die Eingeladenen. Aber ich habe gelernt, dass alles mit der Zeit kommt. Und diese Hoffnung gebe ich nicht auf! Wichtig ist für mich, dass wir als Familie zusammenhalten! Und das tun wir drei!«
Wir sind noch immer eine Familie – Iris erzählt
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7 Leben ohne dich und leben mit dir
7.1 Neuer Kontakt, aber wie? Sophias (36) Mann ist vor zwei Jahren nach einem plötzlichen Herzinfarkt gestorben. Sophia brauchte Zeit, um für sich und ihre Tochter eine Lebensbasis zu schaffen und den Tod ihres geliebten Mannes zu betrauern. Als sie sich besser fühlt und sich nach neuen Kontakten sehnt, ist aufgrund der Alltagsanforderungen und der finanziellen Situation nicht daran zu denken, auszugehen oder ein Hobby auszuüben. Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes ergibt sich die Möglichkeit und sie kann zum ersten Mal wieder ausgehen. Einerseits freut Sophia sich unglaublich, andererseits ist sie sehr verunsichert. Sie fragt sich, wie sie sich kleiden soll und wie es heutzutage »draußen« eigentlich so zugeht. Letztendlich nimmt sie ihren Mut zusammen und erlebt einen wunderbaren Abend. Zu tanzen, zu lachen und unbeschwert zu sein haben ihr neue Lebensfreude gegeben. Sie wird wieder ausgehen und ist bereit, sich auf ein anderes Leben einzulassen. An diesem Abend hat Sophia keinen Mann kennengelernt, aber sie weiß jetzt, dass sie es möchte.
Die meisten der jungen Frauen, die ich begleite, möchten nach einiger Zeit wieder Kontakt zu Männern finden. Berufstätigkeit, Kinder und andere Lebensumstände machen es oft schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Das berufliche Umfeld, der Kindergarten oder die Schule sind meist keine Orte, um leicht neue Kontakte aufzunehmen. Zeit und/oder Geld für Hobbys fehlen häufig. Ein zuverlässiger Babysitter ebenfalls. Rückt ein erstes Ausgehen dann in greifbare Nähe, ist ein Kind krank oder der Babysitter sagt in letzter Minute ab (oder das Geld fehlt). War es längere Zeit nicht möglich, auszugehen, fühlen Sie sich vielleicht verunsichert oder es fehlt Ihnen der Mut, sich doch einmal aufzuraffen. Es kann sein, dass Sie einerseits Kontakt wünschen und andererseits eine so große Angst spüren, die 186
Sie hindert, erste Schritte zu unternehmen, um jemanden kennenzulernen. Manchmal scheint es somit unmöglich, mit Männern in Kontakt zu kommen. Abschiede verschiedenster Art werden leider auch nach dem schmerzhaften Geschehen weiter zu Ihrem Leben gehören. Nach einem schweren Verlust kann es sein, dass Sie Sorge haben, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, weil Sie befürchten, erneut mit einem Abschied konfrontiert und/oder enttäuscht zu werden. Natürlich gehen wir, wenn wir uns einem Menschen nähern, das Risiko ein, verletzt und verlassen zu werden. Zugleich haben wir die Chance, geliebt zu werden und einem Menschen zu begegnen, dem wir vertrauen können. Sie können selbst entscheiden, was Sie mit Ihrem weiteren Leben anfangen möchten. Niemand sieht Ihnen an, was Sie sich wünschen Signalisieren Sie Ihrem Umfeld, dass Sie sich wünschen, auszugehen, unter Menschen zu sein und Neues zu entdecken. Ihr Lebensumfeld kann nicht wissen, wann Sie sich bereit fühlen, auszugehen, und meidet manchmal die Frage danach, um Sie nicht zu verletzen oder unter Druck zu setzen. Manchmal denken die Menschen um Sie herum ganz einfach auch nicht mehr dran, dass Sie Ihre Rolle verändern möchten. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es ist, wie es ist. Warten Sie deshalb nicht ab! Nutzen Sie bestehende Kontakte! Erzählen Sie Freundinnen, Kollegen oder Nachbarn, dass Sie gern einmal wieder rauskommen und sich freuen würden, zur nächsten Party, Wanderung, einem Museumsbesuch oder wohin auch immer mitzugehen.
Hinweise: Sie können eingeschlafene frühere Kontakte aufnehmen, alte Hobbys aktivieren, neue Hobbys entdecken, sich einen Verein suchen, Kurse buchen, ein Ehrenamt übernehmen und vieles mehr. Schauen Sie, woran Sie grundsätzlich Freude haben. Sie werden dort in jedem Fall Menschen kennenlernen, die dieses Interesse schon einmal mit Ihnen teilen. Wenn Sie allein nicht den Mut finden, erste Schritte zu machen, bitten Sie eine Freundin oder jemand anderen, den Sie mögen, Sie zu unterstützen.
Neuer Kontakt, aber wie?
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Netz und Apps Kontakten ist nicht immer einfach. Deshalb nutzen viele Frauen das Netz oder bestimmte Apps, um Männer kennenzulernen. Im Lebensumfeld sprechen sie nicht darüber, weil ihnen das peinlich ist. Trauen Sie sich ruhig, solche Möglichkeiten auszuschöpfen, um jemanden kennenzulernen, wenn Sie das Bedürfnis nach Kontakt spüren. Seien Sie dennoch achtsam, mit wem Sie sich einlassen, und prüfen Sie die Kontaktbörsen, die Sie nutzen möchten, auf Ihr persönliches Ziel. Es gibt Vermittlungsbörsen, die auf Seitensprünge oder Sexdates ausgerichtet sind, andere kontakten mit der Absicht, eine neue Lebenspartnerschaft zu vermitteln. Im Netz finden Sie unter www.datingtestsieger.de eine geprüfte Auswahl von Anbietern mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Zudem finden Sie auf der schon erwähnten Seite www.verwitwet. de eine kostenfreie Kontaktbörse. Hier können Sie Freundschaften knüpfen oder einen neuen Partner kennenlernen.
7.2 Neue Beziehungen – neuer Lebenspartner Verliebt und trauernd? Es kann sein, dass Sie sich neu verlieben, obwohl Sie sich gerade dies zunächst gar nicht vorstellen konnten. Trauernd und zugleich frisch verliebt zu sein, das ist sehr verwirrend für viele Frauen. Sie berichten, dass es sich einerseits gut anfühlt, nicht allein zu sein, gehalten zu werden und Liebe zu spüren. Diese Gefühle bestätigen ihnen, dass sie selbst noch leben und sogar, was sie selbst nicht vermutet hätten, positiv empfinden können. Andererseits erzählen Klientinnen davon, dass sich diese angenehmen Emotionen abwechseln mit unangenehmen, belastenden Gefühlen und Gedanken. Manche Frauen haben das Gefühl, ihren verstorbenen Mann zu betrügen, ihn zu verraten, die Beziehung zu ihm zu entwerten oder ihm untreu zu sein, und fühlen sich schuldig. Zugleich empfinden sie Angst vor einem neuen Verlust und sind hin- und hergerissen zwischen »sich ganz einlassen wollen auf eine neue Beziehung« und Ablehnung. Vielleicht wissen Sie selbst noch nicht, was Sie möchten. Es können quälende Fragen auftauchen, wie »Was mache ich da überhaupt?«, »Wo soll das hinführen?«, »Bin ich dazu überhaupt bereit?«, »Was ist, wenn er mich 188
Leben ohne dich und leben mit dir
verlässt?« oder »Was, wenn ihm auch etwas zustößt?«. Sie können verwirrt und unsicher sein. Dies wiederum kann zu ambivalentem Verhalten führen und es dem neu in Ihr Leben getretenen Menschen schwer machen. Es braucht von beiden Seiten viel Geduld, Behutsamkeit und Verständnis, um der neuen Liebe eine Chance zu geben. Hinweise: Vielleicht möchten Sie sich von der eigenen Trauer ablenken, nicht allein sein, aus Rollen, wie Trauernde, Witwe, Mutter, Kollegin oder Nachbarin, herauskommen und sich wieder in der Rolle einer begehrenswerten Frau und Partnerin erleben. Wie auch immer, was Ihnen jetzt guttut, ist erlaubt. Bitte achten und respektieren Sie die Bedürfnisse des anderen Menschen, dem Sie begegnen. Machen Sie bitte keine Hoffnungen, von denen Sie selbst nicht überzeugt sind. Bleiben Sie ehrlich, wenn Sie unsicher sind, und instrumentalisieren Sie niemanden gegen seinen Willen. Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn Sie sich verliebt haben. Nehmen Sie es als positives Zeichen, dass Sie sich noch spüren können. Hätte Ihr verstorbener Mann sich gewünscht, dass Sie unglücklich allein bleiben? Was meinen Sie? Möglicherweise ist er sogar froh, dass es jemanden gibt, der sich jetzt liebevoll um Sie kümmert. Verbunden bleiben und dennoch einen anderen lieben Mit dem Verstorbenen verbunden zu bleiben, schließt neue Bindungen und Beziehungen nicht aus. Sie müssen damit zurechtkommen, dass Ihr Mann nicht wiederkommen wird. Sie dürfen ihm verbunden bleiben und dennoch andere Zukunftsentwürfe entwickeln. Sie müssen das vergangene Leben mit Ihrem Mann nicht leugnen, um sich einem anderen Menschen zu öffnen. Sie entwürdigen die Beziehung zu Ihrem verstorbenen Mann nicht, wenn Sie eine andere Beziehung eingehen. Er wird und darf auch dann einen wichtigen Platz behalten. Dafür können und dürfen Sie sorgen. Zugleich dürfen und sollten Sie dem neuen Menschen seinen Platz in Ihrem Leben einräumen. Erlauben Sie sich deshalb gleichzeitig die Auseinandersetzung mit Ihrer Trauer und den damit verbundenen Aufgaben sowie mit der neuen Beziehung. Vielleicht führt gerade die Nähe von Leben und Tod zu einer neuen, zunächst befremdlichen Lebensintensität, weil Ihnen bewusst Neue Beziehungen – neuer Lebenspartner
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wird, dass Ihr eigenes Leben nicht unendlich dauern wird. Gerade diese Erkenntnis kann dazu führen, dass Sie das Gefühl haben, Ihr Leben jetzt intensiv leben zu wollen und – so meine Erfahrung – auch mutiger sind, Ihre Wünsche zu realisieren – sei es, mit einem Mann zusammen zu sein, sich den Traum einer besonderen Reise zu erfüllen, eine lang ersehnte Renovierung durchzuführen oder sich den Wunsch eines ausgefallenen Schmuckstücks, eines teuren Konzerts oder etwas anderes zu gönnen. Neue Lebenspartnerschaft, neue Liebe oder was? Eine neue Beziehung ist nicht nur mit Freude, sondern auch mit vielen Fragen und Ängsten verbunden. Möchten Sie einen neuen Lebenspartner oder möchten Sie einen Liebhaber? Fragen Sie sich kritisch, ob dieser Mann aktuell eher einen funktionellen Platz in Ihrem Leben einnimmt (z. B. jemanden zum Reden, der zuhört, dem Sie schreiben können, der Sie in den Arm nimmt, der sexuelle Bedürfnisse erfüllt). Oder geht es um mehr? Sehen Sie eine ernsthafte Chance, eine neue Beziehung aufzubauen? Wollen Sie das? Wie weit darf der Mann in Ihr Leben treten? Worauf möchten Sie sich einzulassen? Was wünschen Sie sich grundsätzlich? Wie reagieren die Kinder? Wie können Sie sie bestmöglich begleiten? Wie reagieren Ihre Freunde? Was soll anders sein als in Ihrer Beziehung zu Ihrem verstorbenen Mann? Welche Werte sind Ihnen jetzt wichtig in einer Beziehung? Was hat sich zu früher verändert? Wie würden Sie sich ein gemeinsames Leben wünschen? Sicher wird es nicht einfach sein, all diesen Fragen nachzugehen. Antworten können Sie nur finden, wenn Sie bereit sind, sich auf das Wagnis einzulassen, diesen Menschen besser kennenzulernen. Sie müssen ihn deshalb nicht gleich in der Familie und bei Freunden einführen und ihn heiraten. Wenn Sie mehr als einen Flirt möchten, muss es allerdings eine realistische Chance von beiden Seiten für ein Kennenlernen geben.
Hinweis: Liebe Leserin, ich möchte Sie bitten, sich diesen Fragen zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen. Je ehrlicher Sie mit sich, den Kindern und dem Mann umgehen, der neu in Ihr Leben getreten ist, umso unkomplizierter wird letztendlich 190
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der Umgang miteinander werden. Unterschiedliche Bedürfnisse können frühzeitig aufgedeckt und so Enttäuschungen und Verletzungen vermieden werden. Das bin ich und wer bist du? Wenn Sie für sich geklärt haben, ob Sie sich grundsätzlich eine neue Lebenspartnerschaft wünschen, kommen Sie nicht darum herum, sich tiefer auf den anderen Menschen einzulassen. Sich zu öffnen birgt natürlich immer die Gefahr, verletzt und enttäuscht zu werden. Das gilt jedoch für beide Seiten. Nur wenn Sie beide bereit sind, diesen Schritt zu wagen, haben Sie die Chance auf ein anderes »Wir«. Erlauben Sie sich darum, sich gegenseitig zu entdecken, den Anderen kennenzulernen mit seinen Stärken und Schwächen und eine gemeinsame Basis für eine neue Partnerschaft zu schaffen.
Hinweis: Wesentlich ist es für beide, so meine ich, ehrlich und offen miteinander zu sprechen, Befürchtungen zu benennen und nicht leichtfertig mit den Gefühlen des Anderen umzugehen. Klären Sie darum Ihre Wünsche und Bedürfnisse. Fragen Sie Ihren neuen Partner zum Beispiel: Welche Vorstellung hat er von Beziehung? Wie wünscht er sich eine neue Partnerschaft? Wie tief möchte er sich auf eine neue Beziehung einlassen? Welche prägenden Erfahrungen hat er gemacht? Trauern um den einen und leben mit dem anderen Mann in Einklang bringen Sprechen Sie mit dem neuen Partner darüber, wie Sie gemeinsam mit Ihrer Trauer um Ihren Mann, die nicht ganz beendet sein wird, und seinen inneren und äußeren Vermächtnissen umgehen können. Fragen Sie ihn, was ihm in diesem Zusammenhang besonders schwerfällt, und suchen Sie nach gemeinsamen Lösungen. Für den neuen Partner kann es zum Beispiel schwer sein, wenn überall Fotos in der Wohnung von Ihrem verstorbenen Mann hängen, aber keines von ihm, oder zu wissen, dass Sie sich unfreiwillig getrennt haben. Er kann sich unsicher fühlen, weil er nicht weiß, ob er bei Ihnen jetzt die »Nummer 1« ist oder ob dies noch immer Ihr verstorbener Mann ist. Vermeiden Sie deshalb bitte Vergleiche oder Aussagen, Neue Beziehungen – neuer Lebenspartner
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die zu Rivalitäten führen könnten (z. B. »Bei Michael war es aber nie eine Frage, dass …«, »Er hat immer dafür gesorgt, dass …«, »Er konnte aber immer Ordnung halten …«), sonst geraten Ihr verstorbener und der jetzige Partner schnell in eine Konkurrenzsituation, die schwer aufzulösen ist. Ihr verstorbener Mann sollte nicht zwischen Ihnen stehen. Für Sie ist es sicher nicht immer einfach, auf sensible Worte und Gesten zu achten. Wenn Sie merken, dass Sie doch verglichen haben, können Sie Ihre Aussagen auch wieder zurücknehmen. Das ist besser, als sie unkommentiert stehen zu lassen. Zudem ist es ein Signal an Ihren Partner, dass Ihnen die Beziehung wichtig ist und Sie eine gute Kommunikation miteinander finden möchten. Jeder der beiden wird seine »Sonnen- und Schattenseiten« haben. Idealisieren Sie Ihren verstorbenen Mann darum nicht, denn Ihr neuer Partner kann nicht gegen einen »unsterblichen Helden« ankommen. Die neue Beziehung kann so keine realistische Chance haben. Hinweise: Benennen Sie darum bitte beide ehrlich Ihre Ängste und Befürchtungen und sprechen Sie über Ihre Wünsche und Träume. Tauschen Sie sich aus über Ihre Vergangenheiten und räumen Sie diesen würdige Plätze ein, denn es sind wichtige Teile Ihres bereits gelebten Lebens. Lassen Sie zugleich Raum für Neues, damit Ihre Beziehung wachsen und sich entwickeln kann. Ungleiche Bedürfnisse Bedenken Sie bitte, dass nicht nur Sie unsicher sein können, was die Gestaltung einer Beziehung angeht. Vielleicht sind Sie auf einen Menschen getroffen, dem es schwerfällt, eine enge Bindung einzugehen. Es kann sein, dass Sie anfangs beide damit zufrieden sind, die Beziehung auf einem nicht zu tief gehenden Niveau zu halten. Problematisch wird es, wenn einer von beiden die Beziehung neu definieren möchte und mehr Nähe oder mehr Distanz wünscht. Dann kann es zu anstrengenden Konflikten, Verletzungen und zur Trennung kommen. Simone (35), zwei Kinder, geht nach dem Tod ihres Mannes eine neue Beziehung mit Jan (45), einem geschiedenen Mann, ein, der in einer 192
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300 Kilometer entfernten Stadt wohnt. Anfangs sind beide damit zufrieden, eine Wochenendbeziehung zu führen. Jan kommt meist zu Simone, weil es für sie schwierig ist, die Kinder unterzubringen. Jan ist mit dieser Gestaltung der Beziehung zufrieden. Simone wünscht sich nach sieben Monaten jedoch mehr innere und auch räumliche Nähe. Die beiden ringen um den Erhalt der Beziehung, suchen nach einer gemeinsamen Basis, verstricken sich in Konflikte und trennen sich nach einem Jahr wieder. Für beide und für die Kinder ist diese Trennung schmerzhaft.
Reaktionen des Lebensumfelds auf eine neue Beziehung Junge Frauen, die ihren Mann verloren haben und eine neue Beziehung eingehen, verurteilen häufig nicht nur sich selbst, sondern werden auch von ihrem Umfeld ungünstig bewertet (»Das habe ich mir gedacht, dass die ganz schnell wieder einen Neuen hat«, »Da hätte sie ja auch mal anstandshalber etwas warten können!«, »Das hat der Nick nicht verdient, dass er so schnell ersetzt wird!«, »Die hat es wohl nötig, dass sie gleich einen Anderen haben muss«). Solche verletzenden Kommentare bekommen betroffene Frauen direkt oder über Umwege zu hören. Dadurch kann die Situation für sie noch komplizierter werden, als sie es ohnehin schon ist. Ich habe Klientinnen begleitet, die sich in einen Freund ihres Mannes verliebt haben. Das kann vorkommen und ist nicht verwerflich. Gerade die gemeinsame Trauer um einen lieben Menschen kann dazu führen, dass eine neue, besondere Nähe entsteht, die sich zu einer tieferen Liebe entwickelt.
Hinweise: In welcher Situation auch immer Sie sich befinden: Ich möchte Sie ermutigen, auf sich und Ihr Bauchgefühl und nicht auf die bewertenden Stimmen von außen zu hören. Es ist sicherlich schon schwierig genug, die eigene innere Stimme zu hören. Geben Sie sich und dem Menschen in Ihrem Leben Zeit und eine ehrliche Chance. Gehen Sie bitte achtsam mit dem Menschen um, der neu in Ihr Leben getreten ist. Stehen Sie zu dem, was Sie tun. Wenn Sie sich eine neue Lebenspartnerschaft wünschen, verheimlichen Sie es dem Partner nicht. Lassen Sie ihn teilhaben an Ihrem Leben und an dem, was Ihnen darin wichtig ist. Neue Beziehungen – neuer Lebenspartner
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Und die Kinder? Zunächst: Eine neue Partnerschaft kann auch Ihrem Kind guttun. Sie nehmen Ihrem Kind nicht den Vater, weil Sie ein Leben als Frau führen möchten und sich auf eine neue Partnerschaft einlassen. Ihr Partner kann eine wesentliche Bezugsperson und ein wichtiger, vertrauter Mensch für Ihr Kind werden. Wenn Sie glücklich sind, wird sich dies positiv auf Ihr Kind auswirken. Viele Kinder fühlen sich zudem von Verantwortung für ihre trauernden Mütter entbunden, wenn diese wieder einen Mann haben. Simon (7) sagt: »Endlich kann ich wieder spielen, wann ich möchte, und muss nicht mehr auf die traurige Mama aufpassen. Das macht jetzt der Ralf.« Einige Kinder fordern und fördern sogar neue Beziehungen. »Mama, wann suchst du dir endlich einen neuen Mann?«, fragt Linda (8), und Hendrik (6) hat seinen Lehrer gefragt, ob er nicht seine Mama (31) heiraten möchte. Nicht immer erzählen Frauen ihren Kindern, dass sie eine Beziehung haben, weil sie sich schämen und/oder ihre Kinder vor neuen möglichen Verlusten schützen möchten. Meist spüren Kinder dennoch, dass ihnen etwas verheimlicht wird. Deshalb sollten Sie mit Ihren Kindern über eine neue mögliche Partnerschaft sprechen und sie altersgerecht vorbereiten und informieren. Fragen Sie nach möglichen Befürchtungen. Manche Kinder/Jugendliche stehen einer neuen Bindung negativ gegenüber. Sie haben Sorge, der verstorbene Elternteil könne vergessen werden, dürfe seinen Platz in der Gegenwart nicht behalten oder solle ersetzt werden. Diese Befürchtungen und Ängste lösen Widerstände gegen Veränderungen aus. Wenn gleichzeitig vieles im Geheimen stattfindet, führt dies dazu, dass Kinder sich alleingelassen und betrogen fühlen. Sie können mit Rückzug oder Aggression reagieren. Ein neuer Partner kann den Vater nicht ersetzen, auch wenn er eine wichtige Bezugsperson werden kann. Kinder müssen die Möglichkeit haben, sich ein eigenes Bild von ihrem Vater zu machen. Darum sollten Sie dafür sorgen, dass Erinnerungsgegenstände, Fotos und Gespräche über den Verstorbenen weiterhin zu ihrem Alltag gehören dürfen. Kinder müssen Fragen zum Verstorbenen stellen und ihre Bindung zum Vater in Ritualen, Gesprächen, an Erinnerungsorten etc. ausdrücken dürfen.
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Hinweis: Bitte prüfen Sie kritisch Ihre Ambitionen hinsichtlich der neuen Partnerschaft im Hinblick auf die Kinder. Glauben Sie, den Kindern einen neuen Vater oder eine »heile Familie« bieten zu müssen? Haben Sie zu große Angst vor den Aufgaben und Belastungen als alleinerziehende Mutter und wünschen Sie sich hauptsächlich deshalb einen Partner? Bereiten Sie Ihre Kinder altersgerecht auf die erste Begegnung mit dem neuen Partner vor und lassen Sie genügend Zeit und Raum, damit Ihre Kinder sich an die neue Lebenssituation gewöhnen können. Zwingen Sie Ihr Kind bitte nicht, den neuen Partner mit »Vater/ Papa« anzusprechen, denn das könnte Ihrem Kind wie ein Verrat am Verstorbenen erscheinen und schwere Schuldgefühle hervorrufen. Gemeinsame Zukunft mit dem neuen Partner Vielleicht hilft es Ihnen, zu hören, dass ich immer wieder erleben durfte, dass Frauen, die ihren Mann verloren haben, sich dennoch an die neuen Lebensumstände anpassen und zu einem erfüllten Leben finden konnten – Frauen, die heute in einer anderen glücklichen Beziehung leben. Eine dieser jungen Frauen hat über ihre Erfahrungen und ihre neue Partnerschaft geschrieben. Ich bin dankbar, dass ich mit diesem hoffnungsvollen Ausblick auf eine lebenswerte Zukunft zum Ende des Buchs kommen darf, und möchte Ihnen von Herzen wünschen, dass Sie sich für Ihr Leben entscheiden und Wege finden können, es erfüllt zu leben – wie auch immer Sie Ihr Leben gestalten möchten.
7.3 Augenblicklich war die Zukunft weg – Silke erzählt Silke (37) verlor ihren jahrelangen Lebensgefährten Holger vor drei Jahren durch einen unverschuldeten Absturz beim Klettern. Er verstarb noch an der Unfallstelle, die 400 Kilometer weit weg war. »Ich stand gerade in einem Geschäft an der Kasse, als mich der Anruf erreichte. Ein Freund war am Telefon und informierte mich aufgeregt, dass meinem Lebensgefährten Holger etwas zugestoßen sei. Er wusste auch keine Details, aber ich sollte dringend Holgers Begleiter anrufen. Holger war übers Wochenende mit etwa zehn Freunden zu einer Wandertour aufgebrochen und ich war in der Heimat geblieben. Die Augenblicklich war die Zukunft weg – Silke erzählt
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Wanderroute beinhaltet eine Klettersteigpassage. Als erfahrener Bergführer hatte Holger bereits alle gut über den Klettersteig geführt, als einer der Letzten der Gruppe plötzlich hinter sich ein leises Aufstöhnen hörte. Als er sich umdrehte, war Holger nicht mehr zu sehen. Mit seinem schweren Rucksack auf dem Rücken, in dem er die gesamte Ausrüstung zur Sicherung trug, war er anscheinend an einer Steigung abgerutscht und circa 15 Meter tief gefallen. Der Notarzt sagte mir am Telefon, dass er direkt tot gewesen sei und nichts mehr mitbekommen habe. Die ersten Tage nach dem Unfall liefen wie ein Film an mir vorbei. Es drehte sich alles um die Beerdigung und das Abschiednehmen, dabei war die Information, dass ich Holger nie mehr wieder sehen sollte, noch gar nicht in meinem Kopf angekommen. Wie sollte ich mich von jemandem verabschieden, mit dem ich mein Leben und meine Zukunft teilte? Wir waren seit vier Jahren zusammen und suchten gerade nach einer gemeinsamen Wohnung. Endlich wollten wir den nächsten Schritt gehen und eine Familie werden. Holger war damals 38 und ich 32. Wir wollten gemeinsam alt werden und unsere ganze Zukunft lag noch vor uns. Doch auf einmal war alles anders und der Mensch, den ich in dieser Situation am meisten gebraucht hätte, war nicht mehr da. Die Zeit war stehengeblieben für mich und gleichzeitig ging sie für alle anderen um mich herum weiter. Das war nicht richtig und konnte nicht so sein. Ich passte nicht mehr in diese Welt und fühlte mich überall fehl am Platz und furchtbar allein. Daher bin ich auch bereits in der ersten Nacht zu meinen Eltern zurückgezogen, wo ich auch für die nächsten drei Monate geblieben bin. In meine alte Wohnung zurück, wo mich alles an Holger erinnerte, konnte ich nicht. Auch arbeiten war die ersten Wochen nicht mehr möglich. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren und alles erschien mir völlig unwichtig und nichtig. Am liebsten wollte ich nur noch aus dem Fenster starren und alles vergessen. Es gab nur einen Moment am Tag, der gut war, und das waren die ersten zehn Sekunden nach dem Aufwachen – solange, bis die Gedanken an alles, was passiert war, wieder da waren. Jeden Tag aufs Neue. Ich weiß bis heute nicht alle Details des Unfalls und vieles wird wahrscheinlich auch für immer ungeklärt bleiben, da es keiner wirk196
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lich gesehen hat. Dies war lange Zeit unerträglich für mich. Immer und immer wieder spielte ich gedanklich die letzten Tage vor dem Unfall und den Unfalltag selbst mit meiner Familie durch. Alle meine Gedanken kreisten um die Frage ›Warum?‹ – eine der Fragen, auf die ich heute immer noch keine Antwort habe. Aber ich brauche sie heute auch nicht mehr. Das Warum ist nicht mehr entscheidend. Wichtiger ist es, dass ich einen guten Platz für Holger gefunden habe, wo es ihm gutgeht und an dem ich gedanklich immer wieder mit ihm in Kontakt treten kann. Die Gedanken an diesen Ort und den inneren Dialog, den ich dort mit Holger führen kann, geben mir heute Kraft und Zuversicht. Wir haben immer schon viel Sport gemacht und so habe ich gleich in den ersten Tagen nach dem Unfall angefangen, noch mehr als sonst zu joggen. Dort im Wald, ganz allein, hatte ich das Gefühl, Holger ganz nahe zu sein. Ich konnte mich auspowern und das andauernde Gedankenkarussell kam zumindest einmal kurzfristig zur Ruhe. Durch meine Trauerbegleiterin, die mich die ersten Monate nach dem Unfall unterstützt hat, habe ich gelernt, mich auf schwierige Situationen, die mich emotional überwältigen, gut vorzubereiten und Mechanismen bzw. Routinen zu entwickeln, die mir in diesen Situationen helfen. So schrieb ich Holger unzählige Briefe, bastelte für ihn und erzählte mit meiner Familie und meinen Freunden über ihn, unsere Reisen und gemeinsame Anekdoten. Seine Familie und ich stellten an der Unfallstelle eine Bank mit einer persönlichen Widmung auf und wir pflanzten einen Baum für ihn. Ich tat Dinge, die mich ihm möglichst nah brachten und mir das Gefühl gaben, etwas tun zu können. Zudem konzentrierte ich mich auf das Wesentliche im Leben: meine Familie und Freunde. Auch habe ich durch die Trauerbegleitung weitere Menschen kennengelernt, die ebenfalls einen schlimmen Verlust erlebt hatten und sich bisweilen ähnlich verzweifelt fühlten. Zu wissen, dass man nicht allein auf der Welt ist und dass auch für andere die Zeit stehengeblieben war, hat mich sehr beruhigt. Durch die Gespräche merkte ich, dass sie ähnliche Fragen und Gedanken umtrieben wie mich. Ich lernte, dass ich nicht verrückt war, sondern viele Dinge sehr natürlich nach so einem Verlust waren. So fand ich Schritt für Schritt zurück ins Leben und lernte, wieder allein zu sein und Pläne für mich selbst zu schmieden. Einer von HolAugenblicklich war die Zukunft weg – Silke erzählt
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gers und meinen Plänen war eine große Reise durch die USA, was ich circa eineinhalb Jahre nach dem Unfall für uns beide umgesetzt habe. Ich bin mit einer Freundin, die ich ebenfalls durch die Trauerbegleitung kennen und lieben gelernt habe, gereist, und Holger und ihr Freund waren unsere stillen Begleiter. Überall, wo ich hinkam, hinterließ ich ein kleines Steinmännchen als Zeichen, dass Holger mit mir da war. Diese Tradition führe ich bis heute fort. Die Reise und diese Erlebnisse haben mich gestärkt und mich zu mir selbst zurückgeführt. Ich habe begonnen, mich und mein Leben wieder zu mögen. Mit dieser inneren Ruhe bin ich nach Hause zurückgekehrt und einige Tage später ganz unvoreingenommen auf eine Feier einer Freundin gegangen. Endlich quälten mich nicht mehr die Gedanken, dass ich auf der Feier allein unter Paaren war und dass mich alle mitleidig anschauten. Es war okay, so wie es war. An dem Abend traf ich nach 20 Jahren einen sehr alten Freund von mir wieder und wir unterhielten uns lange und ungezwungen über alte Zeiten. Er wusste nichts von meinem Schicksal – zumindest dachte ich das an dem Abend. Wir begannen zu schreiben und zu telefonieren und nach einigen Wochen verabredeten wir uns. Die Treffen taten mir gut und ich konnte lachen und ich selbst sein. Immer wieder fragte ich mich, was Holger wohl zu ihm sagen würde, und ich wusste, dass er ihn mögen würde. Und so merkte ich von Treffen zu Treffen, dass ich mich neu verliebte. Daniel war für mich da, hatte Verständnis und ließ mir meinen nötigen Freiraum, wenn ich ihn brauchte. Heute, knapp vier Jahre nach dem Unglück, habe ich geheiratet und bin wieder glücklich. Hätte mich vor vier Jahren jemand gefragt, ob das möglich ist, hätte ich deutlich ›Nein‹‚ gesagt – und dennoch ist es so gekommen. Ich vergleiche diese beiden Lebensabschnitte und Partner nicht miteinander, vielmehr gehören sie beide zu 100 Prozent zu mir und machen mich aus. Alles, was ich denke und tue, wird von ihnen in großen Teilen mitgeleitet. Unzählige Male habe ich aufmunternde Kommentare gehört, wie ›Die Zeit heilt alle Wunden‹ und ›Das Leben geht weiter‹. Sie erschienen mir alle banal und konnten mir in den schlimmsten Momenten, ehrlich gesagt, gestohlen bleiben. Ich würde sagen, die Zeit heilt sicherlich nicht alle Wunden, aber mit der Zeit lernt man, mit den Wunden zu leben, und kann im besten Fall Kraft aus dem bewussten Umgang mit den Erlebnissen ziehen. 198
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Ich bin jeden Tag einfach unglaublich dankbar für die Zeit mit Holger und für das, was ich mit ihm erleben durfte. Außerdem bin ich dankbar dafür, dass ich ein weiteres Mal einen so wertvollen Menschen habe treffen dürfen. Diese tiefe Dankbarkeit gibt mir häufig Kraft. Ich erlebe es als großes Glück, das ich sehr schätze, mehr vielleicht als Menschen, die nicht so etwas Schreckliches erleben mussten, und deshalb werde ich es, so gut ich kann, hegen und pflegen. Denn eins habe ich durch Holger und das Unglück gelernt: Warte nicht, sondern greif zu.«
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8 Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungs angebote
So verschiedenartig, wie sich Trauer bei jedem Menschen zeigt, so unterschiedlich kann der Wunsch und die Notwendigkeit nach Unterstützung sein. Neben Literatur, Filmen und Angeboten im Internet gibt es, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit zur professionellen Trauerbegleitung oder Psychotherapie. Zudem werden vielerorts Trauergruppen, Trauercafés, Selbsthilfegruppen, Trauerseminare, Trauerwanderungen und Trauerreisen angeboten. Leider fehlt es bisher oft noch an Angeboten speziell für junge trauernde Frauen nach dem Tod des Partners. Institutionen, wie Hospize, Kirchen, Bestatter und selbstständige Trauerbegleiter, bieten ehrenamtliche oder professionelle, qualifizierte Trauerbegleitung oder andere Angebote für Trauernde an. Anbieter sollten mit anderen Fachbereichen und Institutionen, wie Ärzten, Seelsorgern, Pflegediensten, Hospizen, Traumazentren etc., eng vernetzt sein, denn nicht immer reicht eine Trauerbegleitung aus. Dann ist zusätzliche oder andere Unterstützung notwendig. Bei Inanspruchnahme eines Angebots sollten Sie darauf achten, dass Trauerbegleiter fachlich qualifiziert sind (siehe Standards des Bundesverbandes Trauerbegleitung). Neben fachlicher Unterstützung in Bezug auf die Trauer selbst können Beratungen in anderen Bereichen hilfreich sein (z. B. Finanz- oder Schuldnerberatung, Suchtberatungen, Steuerberatung, Rechtsanwälte, Jugendämter). Einzelbegleitung und eine Gruppe speziell für trauernde junge Frauen nach dem Tod des Partners Seit einigen Jahren biete ich neben den Einzelbegleitungen für Trauernde eine Gruppe für junge Frauen an, deren Partner gestorben ist. Der sehr offene und intensive Gedanken- und Erfahrungsaustausch innerhalb der Frauengruppe gibt Impulse für den Umgang mit der neuen Lebenssituation. Zudem kann es entlastend sein, zu hören, dass es anderen betroffenen Frauen ähnlich geht. In der Gruppe 200
erlebe ich immer wieder, wie die betroffenen Frauen sich gegenseitig stützen und ermutigen. Die Frauen wissen, wovon sie sprechen, wenn sie aus ihrem anstrengenden Alltag mit Beruf, Kindern und Trauer erzählen. Sie geben sich Tipps im Umgang mit Ämtern, Kuren, Geldsorgen oder zusätzlichen Problemen, die bewältigt werden müssen (z. B. ein kaputtes Auto, das dringend benötigt wird, um den Spagat zwischen Kindern und Job zeitlich zu schaffen, die alleinige Verantwortung für die Kinder, eine kranke Mutter, eine neuer unsensibler Chef, ein Wasserschaden). Gemeinsam darauf zu schauen, was jetzt hilfreich sein kann, der gegenseitige Respekt, die absolute Verschwiegenheit der Gruppe, das Weinen, Lachen und Träume-haben-Dürfen, sich fallen lassen können, Entlastung vom schlechten Gewissen spüren, wenn andere Frauen sich auch ein Liebesabenteuer wünschen oder darauf eingegangen sind, und so weiter. Der Austausch mit den anderen betroffenen Frauen gibt Einblick in deren Strategien im Umgang mit dem Verlust. Der Besuch der Gruppe kann deshalb dazu beitragen, selbst wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, den Alltag zu stemmen und das eigene Überleben sowie das der Familie zu sichern. Eigene Gruppe gründen Sie sollten prüfen, ob Angebote von Trauergruppen oder Trauercafés Ihrer Altersgruppe und Ihren Bedürfnissen entsprechen. Es wäre schade, wenn Sie enttäuscht wären und keine Unterstützung mehr in Anspruch nehmen würden, weil das Angebot nicht zu Ihnen passt. Viele Gruppenangebote sind auf ältere Trauernde mit anderen Sorgen und Lebenssituationen ausgerichtet. Es lohnt sich, nach einer Gruppe zu suchen, an der vorwiegend jüngere Trauernde mit ähnlichen Fragen und Bedürfnissen teilnehmen. Gibt es in Ihrer Gegend eine solche »Gruppe junger trauernder Frauen« nicht, können Sie selbst eine solche Trauer- oder Selbsthilfegruppe auf den Weg bringen. Im Netz unter www.verwitwet.de oder bei www.nicolaidis-youngwings.de könnten Sie zum Beispiel erste Kontakte knüpfen. Ich kann Ihnen versichern, dass sich bestimmt Frauen finden werden, die ebenfalls dankbar für ein solches Angebot wären. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es ratsam ist, das Angebot mit einer kostenfreien Kinderbetreuung zu koppeln, damit junge Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungsangebote
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Mütter die Möglichkeit haben, ohne großen Aufwand teilzunehmen. Zudem sollte eine ausgebildete Trauerbegleiterin die Gruppe leiten. Kritisch prüfen Prüfen Sie immer kritisch, ob der Therapeut, der Trauerbegleiter oder die Gruppe zu Ihnen passen. Wie sind Ihre Erwartungen an einen Therapeuten, Trauerbegleiter oder eine Gruppe? Was möchten Sie erreichen? Sind Ihre Ziele realistisch im Rahmen des Angebots zu verwirklichen? Nutzen Sie Erstgespräche und probatorische Sitzungen zur Orientierung. Falls Sie nicht gleich die passende Unterstützung finden, suchen Sie bitte weiter und geben Sie nicht gleich auf. Tipps für das soziale Umfeld zur Begleitung Trauernder Ein informiertes Lebensumfeld kann eher hilfreich unterstützen und ein zusätzlich belastendes Verhalten für Trauernde vermeiden. Daher hier noch ein wichtiger Hinweis zum Schluss für Ihre Familie, Ihre Freunde und alle, die Sie gern unterstützen möchten: Sie alle können wichtigen Halt und Unterstützung in der schweren Lebenssituation geben. Vielleicht sind sie der Trauernden gegenüber unsicher und wissen nicht, wie sie sich ihr und/oder den Kindern gegenüber verhalten sollen. Das kann ich gut verstehen. Es ist schwer, eine junge Frau, die ihren Mann, und Kinder, die ihren Papa verloren haben, hilfreich zu unterstützen. Was sollten sie wissen, um Sie in Ihrer Trauer einfühlsam zu begleiten? (Hinweise dazu finden Sie in meinen Büchern »Trauernde begleiten« und »Trauernde Jugendliche in der Familie«.) Beenden möchte ich das Buch mit einer kurzen, humorvollen Geschichte zum Thema Trauer, die eine junge trauernde Frau mitbrachte.
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Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungsangebote
9 Kurzgeschichte: Der ungebetene Gast
Die Trauer ist ein unerwarteter Gast. Eines schönen Tages klopft sie an deine Tür und fragt nicht erst, ob sie hereinkommen darf, sondern sie setzt sich mitten in dein Wohnzimmer und macht es sich bequem und gemütlich. Am Anfang denkt man sich »Nun gut, irgendwo muss sie ja sein« und bleibt gastfreundlich. Dann kommt der Punkt, wo man sich denkt »Nun könnte sie aber mal langsam wieder gehen« und versucht, mit allerlei diplomatischen und weniger diplomatischen Mitteln sie dazu zu bringen, aufzustehen und sich zu verabschieden, weil man gern mal wieder für sich sein möchte. Aber nein, sie hockt da, stumm und unversöhnlich und bewegt sich kein bisschen vom Fleck. Du versuchst, sie rauszuzerren, rauszuekeln – aber sie sitzt da einfach. Jeden Tag versuchst du es wieder, doch wie ein Sack nasser Zement thront sie auf deinem Sofa und schaut dir die ganze Zeit über die Schulter. Du fühlst dich beobachtet und unwohl – aber sie sitzt da einfach. Und schweigt. Und wartet. Und du weißt nicht mal worauf, geschweige denn wie lang. Und noch ein Tag und noch ein Versuch, sie zum Gehen zu bewegen. Herrgott, in unserer modernen Welt muss es doch möglich sein, der Lage Herr zu werden! Aber nein, dieses Ding hockt da wie eine Spinne im Netz und wartet. Okay, raus will sie nicht. In deinem Wohnzimmer ist zu wenig Platz. Also fängst du an, dich an sie zu gewöhnen. Stellst den Tisch ein bisschen weiter da und den Stuhl ein bisschen weiter dort – und nun sitzt sie zwar noch immer da, aber nicht mehr in der Mitte. Aha! – denkst du dir! Ich kann sie nicht zum Gehen bewegen – aber ich kann mich um sie herum bewegen. 203
Ein bisschen Möbel umstellen, ein bisschen Perspektive wechseln, und schon sieht sie nicht mehr so bedrohlich aus. Tatsächlich kannst du sogar um sie herumgehen und sie von hinten anschauen – unspektakulär. Weitere Tage vergehen und sie setzt schon langsam ein bisschen Staub an, bis sie sich plötzlich wieder mal schüttelt, eine Trauer-Staubwolke aufsteigt und dich einhüllt. Hust. Du stellst den Tisch noch ein bisschen mehr dort und den Stuhl noch ein bisschen mehr da und auf einmal ist sie nur noch der Rand deines Wohnzimmers und nicht mehr das Zentrum. Aber sie sitzt noch immer da. Manchmal wirft sie dir einen vorwurfsvollen Blick zu und du fühlst dich versucht, sie wieder in die Mitte auszurichten. Manchmal schüttelt sie sich und hüllt dich in eine Staubwolke … Aber irgendwann ist sie so eins geworden mit deinem Wohnzimmer, dass du sie nicht mal mehr siehst, außer wenn sie sich grad schüttelt. Und das wird sie immer wieder tun. Doch so hast du aus der Not eine Tugend gemacht und dank dem ungebetenen Gast, der nicht mehr gehen wollte, eine ganz neue Perspektive in dein Leben gebracht. Und würde man nun die Trauer aus deinem Wohnzimmer entfernen – so würde ein hässlicher, kahler Fleck bleiben … (Verfasser unbekannt)
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Kurzgeschichte: Der ungebetene Gast
10 Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
Bücher Daiker, A. (2013). Es wird wieder schön, aber anders. Ein Buch für verwitwete Frauen. Ostfildern: Patmos. Aus ihrer Sicht als Trauerbegleiterin nimmt Angelika Daiker behutsam die Erfahrungen verwitweter Frauen auf. Sie macht Mut, die unterschiedlichen Gefühle und Ausdrucksformen der Trauer vor dem Hintergrund der eigenen Biografie zu verstehen und wertzuschätzen. Eine einfühlsame Begleitung für verwitwete Frauen, die Perspektiven eröffnet, wie das Leben mit der Trauer weitergehen kann: Es wird anders, aber vielleicht auch wieder schön.
Engelhardt, U. (2012). Jung verwitwet. Weiterleben, wenn der Partner früh stirbt. Frankfurt a. M.: Fischer Krüger. Hilfe und Beistand für alle, die in jungen Jahren ihren Lebenspartner verlieren. Dieses Buch steht Menschen, die ihren Partner verlieren, unterstützend und wegweisend zur Seite, indem es einfühlsam durch den Trauerprozess führt und eine sehr praktisch orientierte Hilfestellung beim Umgang mit einem so großen, einschneidenden Verlust darstellt.
Gerstberger, B. (2004). Keine Zeit zum Abschiednehmen. Weiter leben nach seinem Tod. Berlin: Ullstein. Als ihr Freund, der »Stern«-Reporter Gabriel Grüner, erschossen wurde, war sie im sechsten Monat schwanger. Beatrix Gerstberger beschreibt, wie sie das Unfassbare überstand – wie es ihr gelang, die plötzliche Zerstörung ihrer Welt und ihrer Zukunftspläne zu bewältigen. Und sie erzählt von anderen jungen Frauen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten.
Keirse, M. (2013). Die andere Seite der Liebe. Was in der Trauer guttut. Ostfildern: Patmos. Dies ist kein Buch über den Tod. Es ist ein Buch über das Leben – über das Leben von jenen, die den Verlust eines geliebten Menschen überlebt haben.
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Lauckner, A. (2015). Schwarz steht mir einfach nicht. Mein Leben ohne Kai. Ein Buch über die Liebe und den Tod. München: Ludwig. Anja Lauckner wird 1980 in Wernesgrün im Vogtland geboren. Nach dem Schulabschluss zieht sie für eine Ausbildung zur Werbekauffrau nach Oberfranken, ihre Jugendliebe Kai folgt ihr. Mit der Geburt von Nils im August 2005 scheint das Glück der kleinen Familie perfekt. Als Ärzte bei Kai 2009 ein Magenkarzinom diagnostizieren, beginnt für Anja eine ebenso herausfordernde wie prägende Zeit, die sie in ihrem Blog »Lebensbilder – Tage wie diese« verarbeitet. Ermutigt vom Feedback tausender Leser erzählt sie nun die ganze Geschichte eines Kampfes gegen den Krebs, den sie verloren und dennoch gewonnen hat.
Laudert-Ruhm, G., Oberndörfer, S. (2005). Und das Leben bekommt mich zurück. Ein Lesebuch (nicht nur) für Verwitwete. Freiburg: Kreuz. Jedes Jahr verlieren tausende Menschen in jüngeren Jahren ihren Lebenspartner. Oft stürzt dieses Ereignis vor allem jene in eine finanzielle Notlage, bei denen neben dem zurückbleibenden Partner auch die Kinder zu versorgen sind. Dieses Lesebuch, das vor allem Texte Betroffener enthält, zeigt anschaulich das Denken und Fühlen von Menschen, die in jungen Jahren ihren Lebenspartner verloren haben und die nun lernen müssen, mit ihrer Trauer und all den übrigen Problemen zu leben, die sich aus ihrem unfreiwilligen Alleinsein ergeben.
Lewe, I., Gräf, G. (2013). Wo bitte geht’s denn hier zum Leben? Wie aus Trauer Liebe wurde. Hamburg: Tredition. Diese autobiografische Liebesgeschichte ist erfrischend anders, denn sie wird aus zwei Perspektiven erzählt. Unabhängig voneinander schildern die beiden verwitweten Autoren von Kapitel zu Kapitel den schwierigen, aber zuweilen auch amüsanten Weg ihrer vorsichtigen Annäherung, die sich nach dem tragischen Verlust der langjährigen Ehepartner alles andere als einfach gestaltet. Ein Buch mit einer Geschichte, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann.
Lieser, I. (2015). Bis auf den letzten Schritt. Wie wir lebten, als wir wussten, dass uns nur noch ein Jahr bleibt. Asslar: Adeo. Als der Arzt Peter Lieser mit 38 Jahren die Diagnose »Darmkrebs« gestellt bekommt, wissen er und seine Frau Iris gleich, was dies bedeutet. Ihnen ist bald klar: »Uns bleibt nur noch ein Jahr.« Denn der bösartige Tumor hat bereits gestreut, im gesamten Körper finden sich Tochterzellen, eine OP ist unmöglich und die Chemotherapie höchstens ein Spiel auf Zeit. Der Alltag der Familie mit drei kleinen Kindern ändert sich schlagartig. Was ist jetzt wichtig? Und vor allem stellt sich ihnen die Frage: Wie wollen wir die letzte Wegstrecke miteinander gehen? Mit großem Einfühlungsvermögen und in bewegenden
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Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
Worten schildert die Autorin die letzten Monate – Momente des Hoffens und der Freude, aber auch die innere Zerrissenheit. In ihren Gesprächen und bei gemeinsamen Erlebnissen findet das Paar eine bis dahin nicht gekannte Nähe. Das Leben wird intensiv und kostbar. Sie gehen den Weg gemeinsam – bis auf den letzten Schritt.
Lohner, M. (1997). Plötzlich allein. Frauen nach dem Tod des Partners. Frankfurt a. M.: Fischer. Das persönliche Schicksal der Autorin ist Ausgangspunkt dieses Buchs. 1975 starb ihr Mann, mit dem sie eine überaus glückliche Ehe geführt hatte. In ihrer Trauer und Auflehnung gegen die unfassbare, plötzliche, endgültige Trennung stieß sie oft auf verständnislose Reaktionen, selbst bei Menschen, die ihr nahestanden. Hilfe fand sie am ehesten bei Frauen, die Ähnliches erlebt hatten. Aus dieser Erfahrung entstand der Gedanke, Gespräche mit solchen Frauen festzuhalten. Acht Interviews sowie der eigene Bericht der Autorin sind in diesem Buch aufgezeichnet. Es erzählen Frauen verschiedenen Alters und ganz unterschiedlicher Herkunft.
Mikutta, P. (2015). Sie werden lachen. Mein Mann ist tot. Ein Überlebensbuch. München: Knaus. Ein Mann stirbt, plötzlich und unerwartet, stürzt an einem Ostersonntag vom Fahrrad und die Welt endet. Petra Mikutta erzählt diese Geschichte von ihrer Liebe und ihrem Verlust auf einzigartige Weise. In einem Buch, das keiner, der es gelesen hat, vergessen wird: Denn der jederzeit mögliche Tod und alles Schmerzliche, das die Autorin beschreibt, wird überstrahlt vom hellen, schönen Leuchten unserer Verbindungen zu denen, die wir lieben.
Pachl-Eberhart, B. (2012). Vier minus drei. Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand. München: Integral. Barbara Pachl-Eberhart verliert durch einen Unfall ihren Mann und ihre zwei kleinen Kinder. Sie berichtet von ihrem Verlust und der Zeit danach. Ein Buch über die Trauer und das Weiterleben. Ein sehr mutiges Buch.
Pletz, M. (2004). Wege der Trauer. Hildesheim: Gerstenberg. Unaufdringlich und mit sensiblem Gespür für die richtigen Fragen lässt Markus Pletz Trauernde von ihrem persönlichen Umgang mit dem Verlust erzählen. In zwölf Gesprächen und vielen Fotos porträtiert er Menschen, die ihren Lebenspartner verloren haben. Das Buch zeigt die unterschiedlichen Wege der Trauer und die schmerzlichen, oft verzweifelten Prozesse des Abschiednehmens. Es dokumentiert aber auch die entschlossene Lebensbejahung derer, die gerade durch die Trauer ins Leben zurückgefunden haben. Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
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Rasmussen, C. (2014). Lebe – lache – liebe. Neustart ins Leben nach einem schmerzlichen Verlust. München: Droemer-Knaur. Christina Rasmussen ist Mitte 30, glücklich verheiratet, Mutter von zwei Kindern und frisch promovierte Psychologin, als die Tragödie passiert. Sie verliert ihren Ehemann an Krebs. Aus eigener Betroffenheit entwickelt die junge Frau einen Fünf-Stufen-Plan, der ihr hilft, Schritt für Schritt ins Leben zurückzukehren und sich selbst neu zu erfinden. In ihrem Buch ermutigt die Therapeutin ihre Leser, zu handeln, anstatt in der Trauer zu erstarren. Mit viel Verständnis und sehr einfühlsamer Sprache setzt sie praktische Übungen und eigene Lebenserfahrungen ein, um die Betroffenen auf ihrer »Rückkehr ins Leben« zu begleiten.
Reddemann, L. (2016). Imagination als heilsame Kraft. Ressourcen und Mitgefühl in der Behandlung von Traumafolgen. Stuttgart: Klett-Cotta. Reuther, H. (2008). Stärker als je zuvor. Berlin: Ullstein. Zwölf Frauen mit unterschiedlichem Schicksal und Erfahrungshintergrund berichten, wie sie damit zurechtkommen mussten, plötzlich wieder allein zu sein. Sie erzählen, wie sie mit der Trennung oder dem Tod des Partners umgegangen sind, welche Tiefs sie durchlebt haben, wo sie Hilfe suchten und wie sie wieder zu sich selbst gefunden haben.
Schlegel-Holzmann, U. (2004). Kein Abend mehr zu zweit. Familienstand: Witwe. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Uta Schlegel-Holzmann ist erst 48 Jahre alt, als sie ihren Mann verliert. Offen spricht sie in diesem Buch über die schwere Zeit nach seinem Tod, über die hilflosen Reaktionen von Freunden und Bekannten und über ihre tiefe und schmerzvolle Einsamkeit. Nach und nach lernt sie, den Tod ihres Mannes als einen Teil ihres Lebens anzunehmen, und schöpft neuen Mut, um ihr Leben wieder selbstständig und optimistisch zu gestalten. Dieses Buch ist eine echte Hilfe für alle, die einen schlimmen Verlust erlitten haben und wieder einen Weg zurück ins Leben finden möchten.
Schneider, R. (2014). Paul ist tot. Witwengeschichten. Hamburg: Osburg. Für die anderen geht das Leben weiter, der Alltag der Witwe hingegen verändert sich schlagartig: allein einschlafen, allein wach werden, allein joggen, allein zum Elternabend gehen, als Single auf Paar-Events, einsame Weihnachtstage, an denen der Schmerz aufflammt. Aber es gibt auch neue Freiheiten: laut fluchen, den Hund mit ins Bett nehmen, die Fingernägel grün lackieren, »Bauer sucht Frau« gucken. Manche stürzen sich in Abenteuer, andere suchen klösterliche Einsamkeit. Regine Schneider lässt Frauen aller Altersschichten zu Wort kommen. Sie schreibt erfrischend ehrlich, manchmal komisch, immer ungeniert. Das etwas andere Trostbuch zum Lachen und Weinen.
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Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
Weiterführende Literatur Kachler, R. (2005). Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit. Stuttgart: Kreuz. Müller, M., Brathuhn, S., Schnegg, M. (2013). Handbuch Trauerbegegnung und -begleitung. Theorie und Praxis in Hospizarbeit und Palliative Care. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Paul, C. (2010). Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung. Hintergründe und Erfahrungsberichte für die Praxis. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Stroebe, M. S., Schut, H. (1999). The Dual Process Model of Coping with Bereavement: Rationale and Description. Death Studies, 23, 197–224. Witt-Loers, S. (2010). Trauernde begleiten. Eine Orientierungshilfe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Witt-Loers, S. (2013). Trauernde Jugendliche in der Schule. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Witt-Loers, S. (2014). Trauernde Jugendliche in der Familie. Göttingen: Vanden hoeck & Ruprecht. Witt-Loers, S. (2014). Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen und begleiten? In F. Röseberg, M. Müller (Hrsg.), Handbuch Kindertrauer. Die Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien (S. 273–284). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Witt-Loers, S. (2016). Wie Kinder Verlust erleben … und wie wir hilfreich begleiten können. Vandenhoeck & Ruprecht. Worden, W. J. (2010). Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch. Bern: Huber. Znoj, H. (2004). Komplizierte Trauer. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe. Znoj, H. (2012). Trauer und Trauerbewältigung. Psychologische Konzepte im Wandel. Stuttgart: Kohlhammer.
Artikel Bayer-Eynck, L. (2012). Disko statt Friedhof. Zeit Online vom 30.07.2012. www. zeit.de/gesellschaft/familie/2012-07/trauer-familie-tod (Zugriff am 07.03.2017) Wenn in einer jungen Familie ein Elternteil stirbt, trauern Partner und Kinder oft unterschiedlich. Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen – und Ablenkung.
Broschüren »Ohne Dich. Weiterleben, wenn der Partner stirbt.« VIDU – Selbsthilfe für Verwitwete. Flyer. www.verein-verwitwet.de/sites/default/files/2016-11/VIDU_ Flyer.pdf (Zugriff am 07.03.2017)
Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
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Internetadressen www.nicolaidis-youngwings.de ȤȤ Die »Nicolaidis YoungWings Stiftung« ist die bundesweite Anlaufstelle für trauernde Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zum Alter von 49 Jahren. ȤȤ Sie begleitet: •• Erwachsene, deren Lebenspartner verstorben ist •• Kinder und Jugendliche nach dem Tod eines Elternteils
www.verwitwet.de ȤȤ Verein: jung verwitwet e. V. ȤȤ Erstes Ziel und Basis der Arbeit des Vereins »jung verwitwet« ist der Erhalt und Ausbau des Internetportals »verwitwet.de« in seiner Funktion als Beratungs- und Austauschstelle. Des Weiteren gilt das Interesse des Vereins dem Aufbau und Erhalt von Trauergruppen vor Ort sowie dem Angebot von professionell begleiteten Veranstaltungen und Seminaren rund ums Thema. ȤȤ Hauptzielgruppe des Vereins sind Menschen, die bereits im mittleren Lebensabschnitt ihren Lebenspartner durch Tod verloren haben – also früh bzw. jung Verwitwete – sowie ihre Kinder.
www.il-tina.de ȤȤ Eine Seite für Freunde und Angehörige von jung Verwitweten ȤȤ Diese Seite ist entstanden, weil wir selbst in jungen Jahren unsere Partner verloren haben und erfahren mussten, dass viele Menschen mit unserer Situation überfordert oder unsicher waren und uns manchmal auch auf unangenehme Art und Weise begegnet sind. ȤȤ Auf den folgenden Seiten erzählen wir von uns, unseren Erfahrungen, unserer Lebenswelt, unseren Empfindungen. Wir haben den Wunsch, mit unseren Seiten die Menschen ein wenig für die Lebenswelt von Verwitweten zu sensibilisieren. Ihnen vielleicht zu erklären, wie man in den ersten Krisenzeiten tickt und was man vielleicht brauchen könnte. Aber auch, was man als Freund und Angehöriger besser vermeiden sollte …
www.psychotipps.com/junge-witwen.html www.verein-verwitwet.de ȤȤ Auf der Homepage von VIDU (lateinisch für »verwitwet«) treffen sich Menschen, die wie du ihren Partner/ihre Partnerin viel zu früh verloren haben. Wie du müssen wir lernen, unser Leben mit seinen vielen Verpflichtungen ohne die Unterstützung des geliebten Menschen zu bewältigen. Wir wollen
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Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
den Gefühlen von Leere, Ohnmacht, Resignation und Zukunftsangst etwas entgegensetzen. Wir bieten die Möglichkeit zur Selbsthilfe mittels Forum und Chat auf unserer Homepage. Außerdem unterstützen wir Selbsthilfegruppen, bieten Trauerbegleitung an und informieren über Aktuelles zum Thema »Tod und Trauer«.
www.hinterbliebene-ev.de ȤȤ Wir wollen jungen Müttern und Vätern, die früh ihre (Ehe-)Partnerin oder ihren (Ehe-)Partner verloren haben, und deren Kindern dabei helfen, ihre Trauer wieder in Zuversicht und Lebensfreude zu verwandeln. Für diese Menschen wollen wir Raum und Ort von Begegnungen, des Miteinanders, des Verstehens, des Helfens und Unterstützens in jeder Hinsicht sein. Dazu führen wir Treffen, Veranstaltungen, Workshops, Seminare und themenbezogene Freizeiten durch, um einen Austausch zu ermöglichen. Diese werden von unseren fachlich kompetenten Trauerbegleitern unterstützt. Wir engagieren uns für den Auf- und Ausbau regionaler Selbsthilfegruppen.
www.schon-mal-an-selbsthilfegruppen-gedacht.de ȤȤ Auch in schwierigen Lebenssituationen tun sich Leute mit anderen zusammen, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Und ja – viele von ihnen sind in deinem Alter. Und nein – sie sitzen nicht nur im Kreis rum und labern! Sie helfen und stärken sich gegenseitig und werden zusammen aktiv.
www.selbsthilfenetz.de www.verwitwet-forum.de ȤȤ Privates Selbsthilfeforum für Verwitwete, Waisen/Halbwaisen und trauernde Angehörige – wir alle haben einen lieben Menschen, ob Partner, Angehörigen oder Freund verloren. In Gesprächen im Chat oder in Beiträgen im Forum geben wir Trauernden den Raum und die Zeit, über ihre Trauer, ihre Wut, ihre Ängste, ihre Gefühle, ihre Hilfs- und Hoffnungslosigkeit zu sprechen und zu schreiben.
www.allesistanders.de ȤȤ Diese Homepage ist ein Angebot für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die um einen nahestehenden Menschen trauern.
www.dellanima.de ȤȤ Seite der Autorin (unter anderem Gruppe für Frauen, die ihren Partner verloren haben)
www.trauernetz.de Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
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Telefonnummern für den Notfall ȤȤ Telefonseelsorge Deutschland, Telefon: 0800/1110111 oder 0800/1110222 ȤȤ Nummer gegen Kummer, Telefonseelsorge für Kinder und Jugendliche, Telefon: 0800/1110333 ȤȤ Telefonseelsorge für Muslime, Telefon: 030/443509821, Internetadresse: www.mutes.de ȤȤ Telefonseelsorge Österreich, Telefon: 142 ȤȤ Telefonseelsorge Schweiz – Die dargebotene Hand, Telefon: 143 Kennenlern-App: www.datingtestsieger.de
Kontaktstellen In fast jeder großen Stadt finden Sie Frauenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen. Hier exemplarisch ein paar Beispiele:
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VIDU Selbsthilfe für Verwitwete Blaues Kreuz Köln e. V. ȤȤ Piussstr. 101 50823 Köln ȤȤ Internetpräsenz: www.verein-verwitwet.de/wir-sind-vidu ȤȤ Ansprechpartner: Ellen Peiffer E-Mail: [email protected] Sabine Lübben E-Mail: [email protected] ȤȤ Wir sind eine Gruppe von Menschen mit und ohne Kinder, die ihre Partnerin, ihren Partner verloren haben, und treffen uns regelmäßig zum gemeinsamen Frühstück.
Selbsthilfe-Kontaktstelle Bonn ȤȤ Lotharstr. 95 53115 Bonn ȤȤ Ansprechpartner: Ursula Mager (usmabo) Telefon: 0163/7694448 E-Mail: [email protected] ȤȤ Sonntagsfrühstück in Bonn für Verwitwete mit und ohne Kinder und alle interessierten Betroffenen
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Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln ȤȤ Marsilstein 4–6 50676 Köln ȤȤ Internetpräsenz: www.selbsthilfekoeln.de ȤȤ Telefon: 0221/9515 4216 ȤȤ E-Mail: [email protected]
Selbsthilfe-Büro Leverkusen (Selbsthilfe-Kontaktstelle Bergisches Land) ȤȤ Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Bergisches Land ist in Bergisch Gladbach (für den Rheinisch-Bergischen Kreis), in Gummersbach (für den Oberbergischen Kreis) und in Leverkusen (für die Stadt Leverkusen) mit je einem Selbsthilfe-Büro vertreten. Außerdem arbeitet sie mit der Koordinationsstelle für Selbsthilfe am Evangelischen Krankenhaus, Bergisch Gladbach zusammen. ȤȤ Internetpräsenz: www.selbsthilfe-bergisches-land.de ȤȤ Ansprechpartner Leverkusen: Birgit Seehausen Goetheplatz 4 51379 Leverkusen Telefon: 02171/949495 E-Mail: [email protected] ȤȤ Wir sind eine Gruppe von jüngeren Witwen und Witwern, die sich einmal monatlich treffen, um sich auszutauschen (z. B. Probleme bzgl. Kinder, Leben mit der neuen Situation etc.) und Planung von gemeinsamen Freizeitaktivitäten. ȤȤ Ansprechpartner Gummersbach/Trauercafé »Lichtblick«, Waldbröl: Info und Anmeldung beim Hospizdienst unter 02291/9265387 CBT-Wohnheim St. Michael Dechant-Wolter-Str. 11 51545 Waldbröl E-Mail: [email protected]
dellanima – Institut der Autorin ȤȤ Institut für Trauerbegleitung – Beratung – Fortbildungen – Vorträge St.-Antonius-Str. 10 51429 Bergisch Gladbach ȤȤ Internetpräsenz: www.dellanima.de ȤȤ E-Mail: [email protected]
Literatur, Internetlinks und Kontaktstellen
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Dank
Mein Dank und mein Respekt gilt zuerst Ihnen, liebe Leserinnen. Sicherlich war es manchmal schmerzhaft, sich auf das Buch einzulassen. Sie haben sich Ihr Leben anders gewünscht, als es geworden ist. Vielleicht konnte die Lektüre dazu beitragen, sich selbst zu verstehen, Ihnen neue Blickwinkel zu eröffnen und Mut zu machen, Ihre eigenen Wege zu gehen und Träume zu verwirklichen. Möge es immer, auch in scheinbar aussichtslosen Situationen, ein hoffnungsvolles Licht für Sie geben. Ihr Leben ist noch nicht vorbei. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie es so gestalten können, dass es erfüllt und auch wieder freudvoll sein kann und dass Sie es als Ihr Leben annehmen und lieben können. Danken möchte ich ganz besonders den Frauen, die ich begleiten durfte und die mich zu diesem Buch inspiriert haben. Ihr Vertrauen und Ihre Ehrlichkeit haben dieses Buch erst ermöglicht. Jede Frau hat durch ihre ganz persönliche Lebensgeschichte dazu beigetragen. Von ganzem Herzen möchte ich mich bei den mutigen Frauen, die mit so großer Offenheit von ihrem Leben geschrieben und andere an ihren sehr persönlichen, intimen Erfahrungen haben teilhaben lassen, bedanken. Ich bin sicher, dass Sie, liebe Leserinnen, aus den Schilderungen der Lebenswege dieser Frauen und deren Umgang mit dem Tod ihres Mannes Hilfe und Unterstützung für Ihr eigenes Schicksal erfahren können. Mein Dank geht an meine sehr geschätzte, liebe Freundin und gute Beraterin Romy Kohler, die als Fachwissende, engagierte Initiatorin und Leiterin des Trauerchats für Jugendliche und Betroffene meine Manuskripte liest und mir wichtige Hinweise gibt. Danke an Professor Joachim Windolph, meinen Mentor und liebevollen Kritiker, der mich bei meiner Arbeit seit Jahren begleitet. Danke für die wertvollen, hilfreichen, manchmal schmerzhaften Stunden und die hartnäckigen Fragen. Danken möchte ich all den anderen Menschen 214
an meiner Seite: meiner ganzen Familie und meinen lieben Freunden. Ein großer Dank geht an meinen Mann Werner und unsere Kinder Teresa, Elena und Ruben, an meine Eltern und besonders an meinen Vater in dieser Zeit der schweren Erkrankung. Danke von Herzen für die Lebenszeit mit euch. Danke für all die guten Dinge an Leib und Seele. Danke für die Kraft, Zuversicht, Fürsorge, Zuverlässigkeit und vor allem für eure uneingeschränkte, bedingungslose Liebe. Danke für diese wertvollen Lebensgeschenke. Schließlich möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Verlag bedanken. Seit vielen Jahren arbeite ich bei Vandenhoeck & Ruprecht mit unterschiedlichen Menschen zusammen und fühle mich mit meinen Anliegen fachlich wie persönlich immer wieder gut aufgehoben und betreut. Danke für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Stephanie Witt-Loers Gern können Sie mit mir Kontakt aufnehmen. Ich freue mich, von Ihnen zu hören: Stephanie Witt-Loers, Institut Dellanima: Trauerbegleitung, Trauerberatung, Trauergruppen, Seminare, Fortbildungen, Vorträge; Homepage: www.dellanima.de; E-Mail: [email protected].
Dank
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