Nichtehelichkeit als Normalität. Ledige badische Mütter in Basel im 19. Jahrhundert [1. ed.] 9783835352346, 9783835349063


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German Pages 336 [337] Year 2022

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Table of contents :
Umschlag
Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Teil 1: Baden
1. Ausgangsbedingungen
a. Alter und Herkunft der ledigen badischen Mütter
b. Das badische Heimatrecht
c. Das badische Eherecht
2. Fallstudien
a. »viel günstiger als in den Waldgemeinden […]« – Partielle Nichtehelichkeit in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland
b. »Die unehelichen Kinder sind eine förmliche Brut.« Nichtehelichkeit im oberen Hotzenwald und im Klosterwald
3. Wege nach Basel. Fernstraßen und Eisenbahnstrecken als notwendige Infrastruktur
Teil 2: Basel
4. Strukturen der »Illegitimität« in Basel
5. Nichtehelichkeit in Basel
a. »Männerbekanntschaften« und »Beyschlaf«
b. Verheimlichte Schwangerschaft und Geburt, Schwangerschaftsabbruch, »Kindsaussetzung« und »Kindsmord«
c. Gebären im Bürgerspital
6. »Badische« (Familien-)Verhältnisse in Basel
Schlussbetrachtung
Dank
Abkürzungen
Quellen und Literatur
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Nichtehelichkeit als Normalität. Ledige badische Mütter in Basel im 19. Jahrhundert [1. ed.]
 9783835352346, 9783835349063

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Karin Orth Nichtehelichkeit als Normalität

Karin Orth

Nichtehelichkeit als Normalität Ledige badische Mütter in Basel im 19. Jahrhundert

WALLSTEIN VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2022 Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Unter Verwendung von: Staatsarchiv Basel-Stadt, Bildersammlung, BILD 3, 1431. Lithografien: SchwabScantechnik, Göttingen ISBN (Print) 978-3-8353-5234-6 ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4906-3

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1: Baden 1. Ausgangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a. Alter und Herkunft der ledigen badischen Mütter . . .

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b. Das badische Heimatrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

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c. Das badische Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a. »viel günstiger als in den Waldgemeinden […]«. Partielle Nichtehelichkeit in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland . . . . . . .

37

b. »Die unehelichen Kinder sind eine förmliche Brut.« Nichtehelichkeit im oberen Hotzenwald und im Klosterwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Wege nach Basel. Fernstraßen und Eisenbahnstrecken als notwendige Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2: Basel 4. Strukturen der »Illegitimität« in Basel . . . . . . . . . . . . . 106 5. Nichtehelichkeit in Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a. »Männerbekanntschaften« und »Beyschlaf« . . . . . . 141 b. Verheimlichte Schwangerschaft und Geburt, Schwangerschaftsabbruch, »Kindsaussetzung« und »Kindsmord« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c. Gebären im Bürgerspital . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 6. »Badische« (Familien-)Verhältnisse in Basel . . . . . . . . . . 258 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland werden seit der Jahrtausendwende etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Kinder von Frauen geboren, die nicht verheiratet sind.1 Diese Zahlen geben freilich schon lange keinen Anlass mehr für eine aufgeregte Berichterstattung. Vor 50, 100 und 200 Jahren war dies anders. Der Anstieg der im 18. und 19. Jahrhundert so genannten Unehelichkeit wurde registriert, vielfach kommentiert und von bürgerlicher wie kirchlicher Seite häufig als bedrohlich empfunden. Zu den auffälligsten demografischen Veränderungen im Europa des 19.  Jahrhunderts gehörte in der Tat die wachsende Zahl von Kindern, die außerhalb der Ehe zur Welt kamen. Dies war jahrhundertelang die große Ausnahme gewesen. In der Frühen Neuzeit lagen die »Unehelichkeitsraten«, d.h. der Anteil der »unehelich« geborenen an allen geborenen Kindern, in der Regel bei 3 bis 4%.2 Dann jedoch setzte in Nord-, Mittel- und Westeuropa33  – als Zentren erwiesen sich Gebiete in Skandinavien, in Österreich sowie in Süd- und Mitteldeutschland – ein starker Anstieg ein, zum Teil auf über 20%. Blickt man auf die regionale Ebene, so zeigen sich noch deutlich höhere Werte: An der Spitze des europäischen Rankings lagen der Bezirk St. Veit in Unterkärnten sowie der Schwarzwälder Bezirk Waldkirch mit jeweils rund 68%.4

1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung, S.2. 2 Zu den hier und im Folgenden genannten Zahlen vgl. z.B. Knodel: Demographic behavior, S.192-197 und 209-244; Lee: Bastardy; ders.: Population growth; Mitterauer: Mütter, v.a. S.23-30; Laslett u.a. (Hg.): Bastardy; Joris/Witzig: Frauen, S.49-55. Der Höhepunkt der Raten wurde überwiegend zur Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht, um seit dem letzten Drittel des Jahrhunderts allmählich zu sinken. Der zeitliche Verlauf gestaltete sich unterschiedlich: In England etwa stieg die Rate bereits Ende des 17. Jahrhunderts an, in Deutschland im späten 18. Jahrhundert, in Ost- und Südeuropa erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum setzte etwa in Deutschland schon wieder der Rückgang ein. 3 Die ältere Forschung hat für das dort vorherrschende Heiratsmuster den Begriff »European Marriage Pattern« (John Hajnal) geprägt. Inzwischen wird nach »Strategien der Eheschließung« oder »Politiken der Verwandtschaft« gefragt, vgl. z.B. Duhamelle/Schlumbohm (Hg.): Eheschließungen, Lanzinger/Sauer (Hg.): Politiken; oder Gehrmann: Heiratsverhalten. 4 Zu Österreich vgl. Mitterauer: Familienformen, S.123f.; Haslinger: Geburten, S.5-7 und 18-30. Zu Baden vgl. Heunisch: Großherzogthum, S.256, ders: Kinder, S.8 und 20-27; Lange: Geburten, Anhang, Tabelle 12.

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Die historische Forschung hat sich lange Zeit mit der Frage beschäftigt, wie es zum Anstieg der Raten kam. Den frühen Publikationen aus den 1970er-Jahren lag meist ein mehr oder weniger einseitiger Interpretationsversuch zugrunde.5 Sie erklären den Anstieg entweder als Folge eines hohen Heiratsalters oder von obrigkeitlichen Heiratsbeschränkungen oder von Industrialisierung und Urbanisierung oder als Folge einer »sexuellen Revolution«. Letztere führte Edward Shorter ins Feld, dessen Buch »The Making of the Modern Family« großes Aufsehen erregte und eine Forschungskontroverse auslöste, die die frühen 1980erJahre prägte.6 Die monokausalen Ansätze der frühen Forschung wurden bald abgelöst durch multifaktorielle Erklärungsmodelle, die durch die detaillierte Untersuchung einzelner Regionen gewonnen werden konnten. Als wegweisend erwiesen sich Michael Mitterauers Studie zu Kärnten bzw. dem gesamten Ostalpenraum oder Carola Lipps Untersuchung des württembergischen Dorfes Kiebingen.7 Sie arbeiteten heraus, dass für die (ehelichen oder nichtehelichen) Formen der Familiengründung folgende Faktoren in ihrem Zusammenspiel bzw. Ineinandergreifen eine zentrale Rolle spielten: das Heirats- bzw. Eherecht, das Erbrecht, die vorherrschenden ökonomischen Strukturen, die obrigkeitliche Haltung gegenüber Ehe bzw. nichtehelichen Verbindungen, die Nähe bzw. Distanz der ländlichen Bevölkerung zu den kirchlichen Lehren sowie die dörflichen Familientraditionen.8 Lipp und Mitterauer arbeiteten für den ländlichen Raum ein wirtschafts- und strukturgeschichtliches Gefüge heraus, das »Unehelich5 Zu den Positionen vgl. Kraus: Ehesegen, S.206-209. 6 Vgl. Shorter: Geburt. Die Gegenposition vertraten v.a. Tilly/Scott/Cohen: Work. Zur Debatte vgl. zudem Mitterauer: Familienformen, S.131-135; Breit: »Leichtfertigkeit«, S.289-293; Sutter: Illegitimität, S.14-16. 7 Vgl. Mitterauer: Familienformen; ders.: Mütter (sowie nahezu identisch ders.: Illegitimität); sowie Kaschuba/Lipp: Überleben, S.288-598. Auch andere Studien  – etwa von Knodel, Lee, Laslett oder Sutter  – wären zu nennen. Sutter (Sutter: Illegitimität) untersucht für Zürich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen »Illegitimität« und Rechtsordnung; anders als im Ostalpenraum oder Kiebingen traten im Kanton und der Stadt Zürich allerdings nur geringe Raten auf. 8 In Kärnten ist von einer regelrechten Entkirchlichung der dörflichen Gesellschaft auszugehen. So wurden etwa in den abgelegenen Gebirgsregionen Kärntens sowohl der Religionsunterricht als auch die Beichtpraxis seit dem 18. Jahrhundert so stark vernachlässigt, dass die Normen kirchlicher Morallehre der Bevölkerung hier vielfach gar nicht bewusst gewesen sein dürften. Auch in Kiebingen wechselten die Pfarrer seit Anfang der 1840er-Jahre häufig, wohnten zum Teil nicht im Ort; es ist eine gewisse Kirchenfeindlichkeit nachweisbar, die in eine regelrechte Krise des Glaubens bzw. der Moral mündete.

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keit« (meist, aber nicht nur in der unterbäuerlichen Schicht9) begünstigte, wenn nicht bedingte. Und in der Stadt? Auch dort stiegen die Raten im 19. Jahrhundert zum Teil stark an. Warum dies so war, ist weniger gut untersucht. Doch offenbar spielten Migration, Urbanisierung und Mobilität eine wichtige Rolle.10 So steht die Vermutung im Raum, dass sich, so etwa Louise Tilly, Joan W. Scott und Miriam Cohen, im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung die traditionelle Bedeutung von vorehelichen sexuellen Beziehungen geändert habe – mit weitreichenden Folgen für die im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung in die Stadt strömenden Menschen, vor allem für die Frauen.11 Mehrere Lokalstudien griffen diesen Erklärungsansatz auf. Verena Pawlowsky argumentierte im Zusammenhang mit ihrer Studie über das Wiener Gebär- und Findelhaus, dass die große Zahl der städtischen »unehelichen« Geburten »eher der Beibehaltung als dem Wandel von Einstellungen zuzuschreiben« sei. Die vom Land kommenden Frauen aus den unterbäuerlichen Schichten hätten in den Städten »Sexualbeziehungen auf herkömmliche Weise und in Erwartung einer Ehe« geknüpft – Hoffnungen, die sich dort jedoch offenbar nicht erfüllten.12 Ganz ähnlich auch meine eigene Interpretation der Tatsache, dass sich unter den ledigen Müttern im Berlin des Kaiserreichs überproportional viele vom Land stammende Dienstmädchen befanden.13 Eine empirische Prüfung dieser These, dass die neuen ökonomischen Möglichkeiten und Zwänge zur Erschütterung des ländlichen Systems der Eheanbahnung geführt hätten, stand freilich bislang aus. Hier setzt das vorliegende Buch ein. Im Zentrum der Studie stehen Strukturen und Formen der Nichtehelichkeit14 in den unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schich  9 Mitterauers Studien zu Kärnten zeigen ja, dass »Unehelichkeit« durchaus auch bei den Bauern vorkam. 10 Vgl. z.B. Tilly/Scott/Cohen: Work; Phayer: Liberation, S.106f.; Pawlowsky: Mutter, S.86; Orth: Besuch, S.101-110; Kaschuba/Lipp: Überleben, S.426. 11 Vgl. Tilly/Scott/Cohen: Work, S.463-470; Wierling: Mädchen, S.226-228. Für das Züricher Oberland zudem Joris/Witzig: Frauen; für Basel Sarasin: Stadt, S.42f. 12 Pawlowsky: Mutter, S.86. 13 Vgl. Orth: Besuch, S.101-110. 14 Die Begriffe Nichtehelichkeit bzw. nichtehelich sind explizit gewählt, um zu verdeutlichen, dass es um geschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen und Männer handelte, die lediglich aus der Sicht der Obrigkeit als »illegitim« galten. Die Begriffe »Illegitimität« bzw. »unehelich« werden daher in Anführungszeichen gesetzt, da sie die Normen der Obrigkeit reproduzieren. Dies hat Goody schon früh konstatiert, vgl. Goody: Production, S.44.

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ten des 19. Jahrhunderts.15 Einem mikrohistorischen Ansatz folgend, wird eine Region, die Stadt und Land umfasst, exemplarisch analysiert: der Südwesten des Großherzogtums Baden samt der Schweizer Stadt Basel. Dass Baden ein interessantes Untersuchungsgebiet ist, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass es sich um ein Zentrum der europäischen »Illegitimität« mit hohen bis sehr hohen »Unehelichkeitsraten« handelte. Für das gesamte Großherzogtum lag die Rate, so ermittelte der badische Ministerialbeamte Adam Ignaz Heunisch, der die Zahlen von allen Amtsbezirken zusammengetragen hatte, zwischen 1833 und 1853 im Durchschnitt bei rund 15%, zwischen 1852 und 1910, so das Ergebniss der sozialwissenschaftlichen Dissertation von Auguste Lange aus dem Jahr 1912, bei etwa 10%.16 Aussagekräftiger als die Durchschnittsziffer ist die regionale Verteilung. Eine auf der Grundlage der verfügbaren zeitgenössischen Statistiken beruhende Auswertung zeigte,17 dass die höchsten Raten im Südwesten des Großherzogtums auftraten – der Bezirk Waldkirch mit rund 68% wurde oben schon erwähnt.18 Beim badischen Südwesten handelte sich um eine bis weit ins 19. Jahrhundert hinein überwiegend ländlich geprägte Region. Die im 19. Jahrhundert immer wieder auftretenden Agrarund Wirtschaftskrisen führten dort wie im ganzen Großherzogtum zu Verarmung und Verelendung großer Bevölkerungsschichten.19 Um 15 Zu nichtehelichen Beziehungen im Adel und im Bürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel Göttingens vgl. Schlumbohm: Liebe. 16 Zahlen 1833 bis 1853 nach: Heunisch: Großherzogthum, S.255, und ders.: Kinder, S.6-8. Zahlen 1852 bis 1910 nach: eigene Auswertung der Tabellen 2-44 von Lange: Geburten, Anhang. Lange untersuchte 39 Amtsbezirke. 17 Die Auswertung (herangezogen wurden: Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Großherzogthums Baden; Heunisch: Großherzogtum; ders.: Erdball; ders.: Kinder; Lange: Geburten) beruht v.a. auf Statistiken des badischen großherzoglichen Landesamtes und sind daher gemessen an den Standards der Zeit (nicht den heutigen) als vergleichsweise zuverlässig anzusehen. Zu bedenken ist freilich, dass flächendeckende Erhebungen und Volkszählungen erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts üblich wurden und dass sich die Verwaltungsgliederung des Großherzogtums im Laufe des 19.  Jahrhunderts mehrfach veränderte. Doch liegt für einige Bezirke und die Jahre 1833-1837 sowie 1852-1910 eine einigermaßen einheitliche Datengrundlage vor, die Vergleichbarkeit ermöglicht. Gleichwohl: Es soll keine Exaktheit suggeriert, sondern Tendenzen und Trends beschrieben werden. 18 Ein zweite Region bestand am Bodensee mit den Ämtern Pfullendorf, Überlingen, Salem und Heiligenberg. Eine Vergleichbarkeit mit anderen Ämtern und anderen Zeitphasen ist allerdings durch die frühe Auflösung der Ämter Salem und Heiligenberg schwierig. 19 Vgl. Matz: Pauperismus, S.56-63; Hug: Geschichte, S.109-111; Engehausen:

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Not und Perspektivlosigkeit zu entgehen, verließen viele Menschen ihre Heimat, nicht wenige wanderten nach Amerika aus, andere gingen in die nahe Schweiz. Der badische Staat versuchte auf verschiedene Weise, den Pauperismus einzudämmen, wobei die Beschränkung der Heiratsmöglichkeiten als das zentrale Instrument erschien. Von 1851 bis 1870 galt in Baden ein restriktives Verehelichungsrecht, das sich gegen die Armen und Landlosen richtete.20 Diese knappen Ausführungen mögen verdeutlichen, dass der badische Südwesten ein interessantes Untersuchungsgebiet darstellt, über das zudem im Hinblick auf die »Unehelichkeit« bislang nicht geforscht wurde. Auch die Forschung zu den Wanderungsbewegungen aus dem badischen Südwesten in die Schweiz bzw. nach Basel steht erst am Anfang21 – ganz zu schweigen von der Frage, ob die Migration aus Baden zu einer Veränderung der traditionell niedrigen »Illegitimitätsrate« in Basel führte. Basel erwies sich im 19. Jahrhundert als die aufstrebende Stadt des deutsch-französisch-schweizerischen Dreiländerecks.22 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand der Kanton Basel aus der Stadt Basel und dem weiteren Umland, 1833 kam es zur Trennung der beiden Gebiete in die beiden eigenständigen Kantone Basel-Stadt und Basel-Land(schaft). Im Kanton Basel-Stadt, der die Stadt selbst sowie die nördlich des Rheins gelegenen Landgemeinden Riehen, Bettingen und Kleinhüningen umfasste, entstand eine in sich geschlossene Stadtrepublik, die in den folgenden Jahrzehnten in hohem Maße von Urbanisierung, Industrialisierung und Migration geprägt war. 1859 dynamisierte sich dieser Prozess durch die Entscheidung, die seit dem Mittelalter bestehenden Mauern der Stadt einzureißen. Das Areal der Stadt vergrößerte sich auf das Doppelte und die Bevölkerungszahl stieg erheblich an. 1833 lebten in Basel etwa 20.000 Menschen, um 1900 waren es bereits rund 100.000,23 wobei ein Großteil der Einwohner zugewandert war: aus anderen Schweizer Kantonen,24 aus dem Elsass, aus Württemberg und

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Geschichte, S.87-89; Weller: Sozialgeschichte, S.147-154. Zur Geschichte Badens allgemein zudem Ullmann: Baden; Fenske: Baden. Vgl. Kap. 1. Die Geschichte Basels wird zurzeit umfassend untersucht, vgl. https://www. stadtgeschichtebasel.ch [Zugriff 8.4.2020]. Zum Folgenden und zur Geschichte Basels im 19. Jahrhunderts vgl. v.a. Wecker: Anfang; Berner u.a.: Geschichte, S.161-205; Schaffner: Arbeiterbevölkerung; Sarasin: Stadt; Schwarz: Spannungsfeld, S.147-151. Zur Migration in der Schweiz im 19.  Jahrhundert Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.149-164. Zahlen nach: Lorenceau: Migration, S.13-15. Vgl. Wecker: Anfang, S.198f. Eine wichtige Rolle spielte dabei die in der Bundesverfassung 1848

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vor allem aus Baden. Meist handelte es sich um Angehörige aus den untereren sozialen Schichten, die sich im häuslichen Dienst, in der Basler Heimindustrie und den nach der Jahrhundertmitte sich rasch entwickelnden Fabriken zu verdingen suchten; sie lebten meist in bedrängten, sehr bescheidenen Verhältnissen. Die städtische Obrigkeit versuchte, den Zustrom zu kontrollieren, und nutzte dafür die sogenannte Einwohnerkontrolle:25 Registriert wurden alle Personen, die sich in Basel aufhielten oder niederlassen wollten. Ein separates Verzeichnis erfasste sogar die in der Stadt geborenen bzw. dort lebenden »unehelichen« Kinder und ihre Mütter.26 Für den Zeitraum von 1856 bis 1880 registrierten die Basler Behörden 876 »uneheliche« Kinder bzw. ledige Mütter, 230 (26%) von ihnen stammten aus dem Großherzogtum Baden. Der Fund des Registers »Uneheliche Kinder-Kontrolle«27 und die geografische Auszählung wirkten wie eine Initialzündung, fand sich hier doch erstmals ein Beleg für den vermuteten Zusammenhang von Stadt und Land bei der »Illegitimität«. Sehr schnell stellte sich zudem heraus, dass im Staatsarchiv Basel-Stadt für das hier diskutierte Thema eine ausgesprochen gute – und hervorragend aufbereitete28 – Quellenlage existiert. So füllte die weitere Archivrecherche im Laufe der Zeit eine Datenbank mit Informationen zu schließlich 835 vor allem im Basel der 1860er- und 1870er-Jahre »unehelich« geborenen Kindern und ihren badischen Müttern.29 Alle ledigen Frauen stammten aus dem Großherzogtum, wanderten seit der Jahrhundertmitte arbeitssuchend nach Basel und verdingten sich dort für kürzere oder längere Zeit meist als Magd oder Fabrikarbeiterin. An

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kerte Niederlassungsfreiheit für alle Schweizer Männer innerhalb des Bundesstaates. Vgl. Kap. 4. Sie bestand aus verschiedenen Registern, v.a. aus der Bürger-, Niederlassungs- und Aufenthaltskontrolle. Vgl., auch zum Folgenden, Lorenceau: Migration, S.22-25. Die Akten befinden sich im Staatsarchiv Basel-Stadt (StABS), Älteres Hauptarchiv (ÄHA), Niederlassung, H 6a, Uneheliche Kinder-Kontrolle (18461977). Einige der dort eingetragenen Kinder wurden nicht in Basel geboren, sondern von ihren ledigen Müttern mit in die Stadt gebracht. Ich danke Esther Baur, Gerhard Hotz und Hermann Wichers sehr herzlich, die mich nahezu zeitgleich auf diese Quelle hinwiesen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des StABS. In den 1860er- und 1870er-Jahren fanden über 84% der in der Datenbank verzeichneten 835 nichtehelichen Geburten statt. Die Gesamtzahl der Mütter ist geringer als 835, da einige Frauen in Basel mehr als ein »uneheliches« Kind gebaren.

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ihrem Beispiel wird das Phänomen der massenhaften »Unehelichkeit« in seinem Zusammenspiel von Stadt und Land untersucht. Im ersten Teil der Studie geht es um die Ausgangssituation in Baden. Zunächst ist das Recht zu betrachten. Das im Großherzogtum Baden geltende Ehe- und Bürgerrecht machte die Hochzeit zu einem Privileg der Begüterten – ganz ähnlich wie in anderen Regionen Europas.30 Gefragt wird zudem, aus welchen Amtsbezirken die in Basel als ledige Mutter registrierten Badenerinnen stammten. Die Auswertung der Basler Daten zeigte, dass zwei Gebiete einen Schwerpunkt bildeten: das Markgräflerland und der Hotzen- bzw. Klosterwald. Diese stehen daher im Zentrum zweier Fallstudien, die das strukturelle Gefüge der Familiengründung in den unteren sozialen Schichten untersuchen, um so herauszuarbeiten, mit welchen Mustern der – ehelichen oder nichtehelichen – Familiengründung diejenigen Badenerinnen aufwuchsen, die später in Basel mit einem »unehelichen« Kind niederkamen. Dabei zeigte sich, dass es unerlässlich ist, zeitlich weiter zurückzugehen. Die beiden Fallstudien setzen zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein und untersuchen jene Faktoren, die die Forschung als wesentliche Ursachen für das Entstehen von »Illegitimität« herausgearbeitet hat: naturräumliche Gliederung und Klima, Ehe- und Vererbungsrecht, vorherrschende Wirtschaftsweise, Infrastruktur und Mobilität, staatliche wie kirchliche Normen von Ehe und Familie sowie dörfliche Formen der nichtehelichen Familiengründung. In diesem Zusammenhang ist insbesondere nach der Annäherung der ledigen jungen Männer und Frauen zu fragen. Wie kam diese zustande und mit welcher Absicht kam es zum nichtehelichen »Beyschlaf«?31 Zum Verständnis hilft ein Blick auf die frühneuzeitlichen Sexualnormen. Die Ehe war bis ins 19. Jahrhundert hinein Gegenstand des Kirchenrechts, sodass das Monopol auf Eheschließung und auf Schlichtung von Ehestreitigkeiten in den Händen der Kirche lag. Diese 30 Das österreichische Hofdekret von 1820 etwa gestand den Gemeinden einen erheblichen Spielraum in der Frage zu, wer heiraten durfte. Und die Dorfobrigkeit entschied im Wesentlichen nach Besitz und Status  – und damit in sehr vielen Fällen gegen die heiratswilligen Unterschichten. Elisabeth Mantl nannte dies prägnant: »Heirat als Privileg«, Mantl: Heirat. So lag der Anteil der zeitlebens ledigen Personen örtlich bei bis zu 30% (wobei von einer großen Spannweite und einer großen regionalen Varianz auszugehen ist). Bei den unterbäuerlichen Schichten scheiterten die Heiratspläne deshalb besonders häufig, weil sie weder über Erbe noch über ein passendes Heiratsgut verfügten. 31 Im Folgenden werden statt der heute üblichen Begriffe wie Sexualität, Geschlechtsverkehr usw. die zeitgenössischen wie »Beyschlaf«, sich »fleischlich vereinigen« usw. benutzt.

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stellte grundlegende Normen und Sanktionen auf, um vor- und außereheliche Sexualität zu unterbinden, um eine aus ihrer Sicht illegitime Fortpflanzung zu verhindern. Nach diesem Leitbild durfte Sexualität erst nach der Hochzeit stattfinden, die Ehe allein durch die kirchliche Zeremonie geschlossen werden. Wer diese Regeln nicht achtete, dem drohten empfindliche Strafen.32 Die kirchlichen Normen entsprachen jedoch nicht immer den dörflichen Traditionen. In vielen ländlichen Regionen Europas bestand vielmehr ein weit zurückreichendes Gewohnheitsrecht, das nicht die kirchliche Trauung, sondern das Eheversprechen als gesellschaftliche Legitimation zur Zeugung von Kindern ansah. In diesem Zusammenhang hat Rainer Beck am Beispiel des bayerischen Dorfes Unterfinnung herausgearbeitet, wie sich die beiden Partner näherten.33 Auf dem Dorf herrschte, so Beck, ein erotisches Leben, das bestimmt war von gesellschaftlichen Bedingungen, »die sich grundlegend von unseren unterschieden und die der Freisetzung einer rein körperlichen Orientierung wenig Raum ließen«.34 Die Partner warben umeinander und pflegten eine (unter Umständen langjährige) »Bekanntschaft«, ohne dass sie sich jedoch zwangsläufig – wie es zeitgenössisch hieß – »vollständig fleischlich vereinigten«.35 Gleichwohl bedeutete die Enthaltsamkeit nicht, dass voreheliche Erotik und Sexualität fehlten. Die unverheirateten jungen Männer und Frauen lebten diese vielmehr in einer anderen Art und Weise aus, die ich eine »Kultur der erotischen Annäherung« nennen möchte. Diese erschien zwar den Außenstehenden, zum Beispiel dem Pfarrer, als »unsittlich«, doch sie waren weit entfernt von dem, was man heute als sexuelle Intimität beschreiben würde. Vielmehr unterlag das Zusammentreffen der heiratswilligen Frauen und Männer verbindlichen, wenn auch unausgesprochenen Regeln des Dorfes. So fanden ihre Zusammenkünfte beispielsweise in der Regel öffentlich statt, jedenfalls in dem sich selbst kontrollierenden Kollektiv der Unverheirateten, zudem zu besonderen Zeiten, etwa an den Feier- und Festtagen, und an spezifischen Orten, etwa in den sogenannten Licht-, Kunkel- oder Spinnstuben der Frauen oder vor bzw. in den Kammern der Mädchen. Der Zweck der Treffen lag darin, sich einem »Spiel zu widmen, das

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Vgl. z.B. Beck: Illegitimität, S.126-130. Vgl. Beck: Illegitimität. Beck: Illegitimität, S.120. Nur so ist es in Anbetracht der Tatsache, dass wirksame Verhütungsmittel nicht zur Verfügung standen, auch zu erklären, dass sich die mitunter langjährigen Beziehungen nicht in hohen »Illegitimitätsraten« niederschlugen.

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die Begegnung der Geschlechter bedeutete«:36 Es ging um ein »Spiel der Geschicklichkeit im Wechsel der Worte, in Herausforderung und Entgegnung; eine Prüfung des Verhaltens in Form von Aufforderung und Verweigerung«, nicht zuletzt um einen »Wettkampf in der Verteilung von Erfolg und Ansehen innerhalb des Kollektivs der dörflichen Jugend«.37 Zur »Kultur der erotischen Annäherung« gehörte auch der Besuch der unverheirateten jungen Männer in den Kammern der Mädchen. Doch auch hier kam es nicht zwangsläufig zum »Beyschlaf«. Beim »Fensterln«, »Kiltgang« oder »Bettfreien« handelte es sich vielmehr, so hat Karl Robert Wikman für einzelne Regionen in Schweden herausgearbeitet, um ein kollektiv ausgehandeltes, mehr oder weniger keusches nächtliches Zusammenliegen der jungen Männer und Frauen, das einem ritualisierten Ablauf folgte und an die Einhaltung von Anstandsregeln gebunden blieb. Eine »fleischliche Vereinigung« fand in der Regel nicht statt, vielmehr ist von einer »Nicht-Identität von Bett und Geschlechtsverkehr« auszugehen.38 Die Zurückhaltung wurde meist so lange gewahrt, bis ein Verlöbnis zustande kam. Erst wenn sich das Verhältnis in Form eines Eheversprechens festigte und darüber hinaus die strukturellen Bedingungen passten, sodass einer Heirat nichts mehr im Wege zu stehen schien, erst dann kam es zur Aufnahme des »Beyschlafs«. Und im 19. Jahrhundert? Sind die hohen »Illegitimitätsraten« im Südwesten des Großherzogtums Baden ein Ausdruck dafür, dass die zuvor gelebte »Kultur der erotischen Annäherung« nicht mehr fortbestand? Traten andere Sexualnormen und Muster nichtehelicher Familiengründung an ihre Stelle, die zu den hohen Raten führten? Und nicht zuletzt: Nahmen die hier betrachteten Badenerinnen, die in jenen Traditionen aufwuchsen, diese gleichsam mit nach Basel? Kam es – zugespitzt formuliert – zu einem Transfer der (gehäuften) Nichtehelichkeit aus Baden nach Basel – in eine Stadt mit traditionell niedrigen »Unehelichkeitsraten«? Um diese Fragen geht es im zweiten Teil des Buches. Nach einem knappen Übergangskapitel, das beschreibt, auf welchen Wegen die Zuwanderung nach Basel erfolgte, wird zunächst auch für Basel das Bedingungsgefüge der »Unehelichkeit« herausgearbeitet. Im Zentrum stehen dabei die 1860er- und 1870er-Jahre, in denen die große Mehrzahl der hier betrachteten 835 »unehelichen« Kinder mit badischer Mutter zur Welt kam. Welchen Beschäftigungen gingen 36 Beck: Illegitimität, S.140. 37 Beck: Illegitimität, S.140. 38 Beck: Illegitimität, S.142 (Wikman: Einleitung, paraphrasierend).

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die Badenerinnen in Basel nach, wo fanden sie Unterkunft? Zudem: Welchen Rechtsstatus hatten sie inne und welches Eherecht bestand in Basel? Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Basler Behörden vergleichsweise niedrige »Illegitimitätsraten« registriert. Zu klären wird sein, warum die Raten stark anstiegen, wer diese »verursachte,« und nicht zuletzt, wie die Basler Obrigkeit auf den Anstieg reagierte. Vor allem aber wird zu beschreiben sein, wie die hier betrachteten Badenerinnen Nichtehelichkeit lebten. Wo, wie und zu welchen Männern knüpften sie eine »Bekanntschaft«? Wie gestaltete sich die Annäherung? Bestand die auf dem Dorf in früheren Zeiten gelebte »Kultur der erotischen Annäherung« fort oder trat anderes an ihre Stelle? In diesem Zusammenhang ist auch danach zu fragen, ob die ledigen Badenerinnen in Basel mit ihrem »Bekannten« zusammenlebten. Karin Gröwer hat am Beispiel von drei norddeutschen Städten gezeigt,39 dass sich dort im Laufe des 19. Jahrhunderts in den »handarbeitenden Klassen« eine spezifische, neuartige Form der massenhaften »Unehelichkeit« herausbildete, die die bürgerliche Oberschicht mit Argwohn betrachtete und mit städtischer Bevölkerungspolitik und polizeilicher Repression einzudämmen versuchte. So lebte eine erhebliche Zahl von Paaren aus den »handarbeitenden Klassen« zusammen, ohne verheiratet zu sein, in einer – wie es bereits zeitgenössisch hieß – »wilden Ehe«. Die aus den »wilden Ehen« stammenden Kinder galten aus der Sicht der kirchlichen wie städtischen Obrigkeit als »unehelich« und wurden sowohl in der zeitgenössischen Statistik als auch in der historischen Forschung als solche gezählt. Betrachtet man aber den sozialen Kontext, in dem sie heranwuchsen, so ist festzuhalten, dass sich ihre Lebensverhältnisse kaum von denjenigen der städtischen Unterschichtkinder unterschieden, deren Eltern einen Trauschein besaßen. Bestand auch in Basel der 1860er- und 1870er-Jahre die Lebensform der »wilden Ehe« bzw. darauf gründende Familienverhältnisse? Darüber hinaus ist nach Schwangerschaft und Geburt zu fragen. Wo brachten die ledigen Badenerinnen ihr Kind zur Welt? Um die Veränderungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Geburtsvorgang stattfanden, verstehen zu können, ist ebenfalls ein Blick auf frühere Zeiten hilfreich. Eva Labouvie hat für das Dorf der Vormoderne eine Art Idealtypus herausgearbeitet:40 Dem39 Vgl. Gröwer: Ehen. 40 Die folgende Passage stützt sich v.a. auf Labouvie: Umstände, S.103-133. Vgl. zudem Seidel: Medikalisierung; Felder: Entwicklung; Shorter: Körper, S.53-86; Schlumbohm u.a. (Hg.): Rituale; aus historisch-anthropologischer

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nach war dort die Niederkunft nicht eine private Angelegenheit, sondern ein öffentliches Ereignis, an dem nur Frauen teilhatten. Neben der Gebärenden waren dies die Hebamme, die den Geburtsvorgang anleitete, sowie drei bis fünf verheiratete oder verwitwete weibliche Familienmitglieder und/oder Nachbarinnen, die bereits selbst geboren hatten. Die Frauen hatten die Schwangere zuvor längere Zeit regelmäßig besucht und standen ihr dann bei der Niederkunft bei, die in der Regel in der Kammer der Gebärenden stattfand.41 Männer wurden nur in Ausnahmefällen hinzugezogen, und wenn, dann beratend oder als Helfer – etwa sofern Komplikationen auftraten, bei deren Überwindung große Körperkraft nötig war. Auch dann blieb die Hebamme jedoch die entscheidende Instanz.42 Ihr Vermögen, zwischen »guten« und »falschen« Wehen unterscheiden zu können, war nach Meinung der beteiligten Frauen (und auch der zeitgenössischen Ärzte) der Schlüssel zu einer glücklich verlaufenden Niederkunft. Geburtshilfliche Instrumente lehnten Hebammen und Helferinnen ab.43 Gleichwohl half das Erfahrungswissen nicht immer. Das Risiko, Sicht Gélis: Geburt, v.a. S.152-279; aus ethnografischer und medizinischer Sicht Kuntner: Gebärhaltung. 41 Während des Geburtsvorgangs stand die Gebärende oder saß auf einem einfachen Stuhl. Die Geburt in einem besonderen Geburtsstuhl mit Lehne fand erst allmählich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und zunächst in den Städten Verbreitung. Vgl. Meyer: Volksleben, S.389f. Zu den Gebärhaltungen in verschiedenen Epochen und Kulturen vgl. Kuntner: Gebärhaltung, S.85-187. 42 Bei dieser handelte es sich in der Regel um eine ältere verheiratete Frau, die bereits selbst geboren hatte. Sie wurde von den verheirateten und verwitweten Frauen des Dorfes gewählt und bezog ihr Wissen aus der Erfahrung, nicht aber aus einer formalisierten Ausbildung oder Schriften. Gleichwohl gab es durchaus Hebammenordnungen, die u.a. festlegten, wann die Hebamme einen Arzt oder Chirurgen zu holen hatte. Im 18. Jahrhundert nutzte die Obrigkeit die Hebammen- und Medizinalordnungen zunehmend, um die Tätigkeit der Hebammen durch genaue Vorschriften zu reglementieren bzw. um sie und die Versammlung der unterstützenden Helferinnen zu kontrollieren. Doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieb das Erfahrungswissen der Hebamme handlungsanweisend. 43 Auch bei schwierigen Geburten griffen die Dorffrauen auf ihr traditionelles Wissen zurück, sie ließen sich während der Geburt durch ihre Sinneseindrücke, durch Augen, Ohren und Hände leiten und berieten sich untereinander. Auch kannten die Hebammen offenbar, und zwar noch vor dem beginnenden professionellen Unterricht der Landhebammen durch Ärzte oder Chirurgen, die bei einer unnatürlichen Lage des Kindes erforderlichen Handgriffe und Wendungen. So geht Labouvie von einer besonderen Ethik der Geburtshilfe aus, die es nicht erlaubte, der Gebärenden körperliche oder seelische Qualen zuzufügen  – insbesondere durch unnötiges Betasten, gewaltsame Eingriffe

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bei der Niederkunft zu sterben oder dauerhaft krank und/oder unfruchtbar zu sein, war hoch. Gelang die Geburt, so begann mit dem Austritt des Kindes aus dem Leib der Mutter eine weitere Phase des Geburtsprozesses.44 Die Dorffrauen blieben noch eine Zeit lang im Haus der Wöchnerin, um Mutter und Kind zu versorgen. Das sich anschließende Fest der an der Geburt beteiligten Dorffrauen markierte das Ende einer vom Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt dauernden Schwellen- und Übergangszeit und nahm Erstgebärende gleich einem Initiationsritus in den Kreis der verheirateten Dorffrauen und Mütter auf. So lässt sich mit Labouvie die Geburtshilfe auf dem Land bis ins 19. Jahrhundert hinein als gegenseitige Hilfe in der »WeiberNoth« verstehen, als Dienst der verheirateten und verwitweten Frauen für die Gebärende, der – vielleicht etwas positiv überzeichnet – alle Möglichkeiten der Hilfeleistung und Betreuung einschloss und bis zum guten oder schlechten Ende einer Niederkunft andauerte.45 Doch nicht alle Schwangeren brachten ihr Kind im Dorf zur Welt, vor allem nicht die ledigen Mägde. Viele verließen vielmehr ihre Stelle für wenige Tage, um in einer nahe gelegenen Stadt niederzukommen. Für Österreich ist dies gut erforscht. Dort ließ Joseph II. Ende des 18. Jahrhunderts Gebär- und Findelhäuser einrichten, die dem aufklärerisch-bevölkerungspolitischen Ziel dienen sollten, die Mütter- und Kindersterblichkeit zu verringern. Hinzu kam die Vorstellung, auf diese Weise auch die steigenden »Unehelichkeitsraten« eindämmen zu können. Die vorliegenden Studien arbeiteten jedoch heraus, dass nicht nur die staatliche Obrigkeit als Akteur auftrat. Die Anstalten dienten oder öffentliches Bekunden von Gefahr oder Ratlosigkeit. Die Resignation, das Einstellen der Hilfe in schwierigen Situationen, wurde vielmehr als verantwortungsloses Handeln gegenüber eines auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesenen, hilflosen Mitglieds der Frauengruppe abgelehnt. Wichtiger als die Verabreichung wehentreibender oder anderer Mittel war, so Labouvie, vielmehr das gemeinsame Ritual und der persönliche Einsatz der Beteiligten. 44 Die Dorffrauen legten das Kind auf den Bauch der Mutter und durchtrennten die Nabelschnur mit einer Schere. In den Städten wurde das Kind zunehmend erst gewaschen und gesäubert, bevor es zur Mutter kam. Dieses Verfahren setzte sich auf dem Lande erst im 19.  Jahrhundert durch. Zur Versorgung des Kindes nach der Geburt vgl. Gélis: Geburt, S.263-271. 45 Labouvie fasste es so zusammen: Die Geburtshilfe diente »der Unterstützung der aktiv gebärenden werdenden Mutter, in deren ›Natur‹ es lag, ihr Kind mit eigener Kraft ›zur von Gott bestimmten Zeit‹ auf die Welt zu bringen. Nur im Notfall war sie ›Entbindung‹ einer von der Geburtsarbeit überanstrengten Frau«, Labouvie: Umstände, S.121. Es handele sich also um einen »weibliche[n] Dienst der Nächstenliebe«.

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vielmehr auch, wenn nicht in erster Linie, der Professionalisierung der sich in diesem Zeitraum etablierenden Disziplin der akademischmedizinischen Geburtshilfe.46 Unabhängig von den Ursachen für Errichtung und Betrieb waren die Gebär- und Findelhäuser jedenfalls eng mit dem Phänomen »Unehelichkeit« verbunden. So kamen in den Anstalten nahezu ausschließlich ledige Frauen nieder, unter denen die ländlichen und städtischen Dienstbotinnen mit rund zwei Dritteln die größte Gruppe stellten.47 Dass die – kostenlos aufgenommenen – Frauen überwiegend aus der Unterschicht stammten, erwies sich auch insofern als wichtig, als die in den Anstalten tätigen Ärzte und Studenten die Schwangeren umso leichter als praktisches Anschauungsund Studienmaterial benutzen konnten.48 Vor diesem Hintergrund wird für Basel zu untersuchen sein, wo und wie die hier betrachteten Badenerinnen ihr nichteheliches Kind zur Welt brachten. Fand die Niederkunft in ihrer Unterkunft statt und standen der Gebärenden andere Frauen und eine Hebamme bei? Bestand also »die gegenseitige Hilfe in der ›Weiber-Noth‹« (Eva Labouvie) im Basel der 1860er- und 1870er-Jahre fort? Oder suchten auch die schwangeren Badenerinnen zur Niederkunft das städtische Spital auf? Was widerfuhr ihnen dort? Dienten auch sie den Ärzten und Studenten als »lebendige Phantome« (Jürgen Schlumbohm)? Schließlich ist nach dem Verbleib der nichtehelich geborenen badischen Kinder zu fragen. Wie viele von ihnen starben bald nach der Geburt? Kam es zu ähnlichen Todesraten wie in der Wiener Gebäranstalt? Dort erlebten, ganz im Gegensatz zur verkündeten aufklärerischen Absicht, die Mortalitätsrate zu senken, rund zwei Drittel 46 Vgl. etwa Preußler: Türen; Metz-Becker: Körper; Pawlowsky: Mutter; Hilber: Geburt; Schlumbohm: Phantome; Stadlober-Degwerth: Niederkunften. 47 Vgl. Pawlowsky: Mutter, S.77. Ähnlich verhielt es sich in Berlin, vgl. Orth: Besuch, S.97f. Hammer: Kindsmord, S.161, wies freilich darauf hin, dass vielen Frauen auf dem Lande die Existenz der Gebär- und Findelhäuser nicht bekannt war. 48 Dies war auch in Deutschland ähnlich. Dort bestanden freilich keine Findelhäuser, sondern mit den Accouchieranstalten reine Entbindungshäuser oder -stationen. Das Findelhaus in Kassel blieb eine Ausnahme, vgl. Metz-Becker: Körper, S.258f. Zur Entstehung der Geburtskliniken in Deutschland vgl. ausführlich Schlumbohm/Wiesemann (Hg.): Entstehung. Ähnlich wie in den österreichischen Gebär- und Findelhäusern brachten auch in den deutschen Anstalten nahezu ausschließlich ledige Schwangere aus den unteren sozialen Schichten, viele von ihnen auf dem Land aufgewachsen, ihr Kind zur Welt. Vgl. zu München Preußler: Türen, S.108-121; zu Göttingen Schlumbohm: Phantome, S.279-282; zu Marburg Metz-Becker: Körper, S.149-159.

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der Kinder das vierte Lebensjahr nicht, knapp 30% starben noch im Gebärhaus.49 War die Sterblichkeit im Basler Spital ähnlich hoch? Die Forschung betont, dass das Überleben von Kleinkindern im 19. Jahrhundert entscheidend vom Familienstand der Mutter abhing. Die Säuglingssterblichkeit der nichtehelich geborenen Kinder lag deutlich über der der »ehelich« geborenen: in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Teil bis zu 50%.50 Für einen nicht unerheblichen Teil der im 19. Jahrhundert nichtehelich geborenen Kinder begann »das Leben mit dem Tod«.51 Diese Aussagen und die Zahlen sollen nicht bestritten werden. Gleichwohl müssen die Angaben weiter differenziert werden, vor allem im Hinblick auf den sozialen Kontext der »Unehelichkeit«. So werden sicherlich einerseits Verhältnisse zu beschreiben sein, die zu hohen Todesraten führten. Andererseits deutet die Lebensform der »wilden Ehen« darauf hin, dass es Umstände gab, in denen sich die Überlebenswahrscheinlichkeit der nichtehelich geborenen Kinder wohl kaum von denen der »ehelich« geborenen unterschieden haben dürfte. Nicht zuletzt: Was geschah mit den nichtehelich geborenen Kindern, die nicht bei den in »wilder Ehe« lebenden Eltern bzw. der ledigen Mutter blieben? Für Wien ist dies eindrucksvoll gezeigt worden. Die dort im Gebär- und Findelhaus zur Welt gebrachten »unehelichen« Kinder wurden kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt und als »Findelkind« in die »Außenpflege« abgegeben.52 Dahinter verbarg sich eine Art Gewerbe, das man als dichtes Geflecht von Marktbeziehungen und Machenschaften, aber auch Eigensinn beschreiben kann. Nur einige Aspekte seien hier genannt: Als Pflegefrauen wollte die Anstalt nur verheiratete katholische Frauen zulassen, die ein Sittlichkeitszeugnis vorlegen und ihre »Stillfähigkeit« nachweisen konnten; freilich sollten sie am »Findelkind« auch emotional interessiert sein. De facto jedoch bestimmte die Höhe des gezahlten »Kostgeldes« die Rekrutierung der Pflegefrauen und das Ausmaß und die Qualität der Pflegeplätze. Die Pflegefrauen lebten nahezu immer auf dem Land, 49 Zu den Todesraten der Wiener »Findlinge« vgl. ausführlich Pawlowsky: Mutter, S.199-203. 50 Vgl. z.B. Ehmer: Bevölkerungsgeschichte, S.97. 51 Vögele: Leben. Vgl. zudem Mitterauer: Illegitimität, S.562; für Basel Mitteilungen des Statistischen Amtes des Kantons Basel-Stadt: Säuglingssterblichkeit, S.8; sowie allgemein Spree: Ungleichheit; Gehrmann: Säuglingssterblichkeit; Kloke: Säuglingssterblichkeit; Morel: Care. Zum Verhältnis der Sterblichkeitsraten von ehelich und »unehelich« geborenen Säuglingen in Baden nach der Jahrhundertwende vgl. auch die zeitgenössische Studie von Franke: Beitrag. 52 Zum Folgenden vgl. Pawlowsky: Mutter, S.151-187.

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und das »Kostgeld« erwies sich in einigen ländlichen Regionen als dringend benötigte Erwerbsquelle der pauperisierten Häuslerinnen und Tagelöhnerinnen. Im ersten Lebenjahr war ein Findelkind am lukrativsten, weil das höchste »Kostgeld« gezahlt wurde. Dies führte jedoch dazu, so klagten die zur Überwachung der »Außenpflege« eingesetzten Wiener Anstaltsinspektoren, dass sich die Pflegefrauen nicht besonders um das Überleben der Säuglinge kümmerten, weil sie das tote durch ein anderes Kind »austauschen« konnten. Andere Pflegefrauen nutzten die für die »Findelkinder« kostenfreien Arzneimittel für ihre eigenen Kinder oder verschwiegen den Tod des »Findlings«, bezogen aber weiter das »Kostgeld«. Weitere Personen profitierten, wie einige Pfarrer, die illegal Gebühren für ein Sittlichkeitszeugnis oder die Bestattung eines toten »Findlings« verlangten, oder Zwischenhändler, die unberechtigterweise auf der lokalen Ebene agierten. Sie gaben etwa Vorschüsse auf zu erwartendes »Kostgeld« oder organisierten den Transport der »Findlinge« und die Verteilung auf die Dörfer. Existierte ein derartiges Geflecht auch zwischen Basel und (Südwest-)Baden? Entwickelten sich zwischen dem Großherzogtum und Basel ähnliche Strukturen wie zwischen Österreich und Wien? Hinweise gibt es: Die meisten ledigen badischen Mütter trennten sich bald nach der Geburt von ihrem Kind, die Basler »Kostkinder« scheinen unter ähnlich elenden Bedingungen wie die Wiener »Findlinge« »gehalten« worden zu sein, und im Schwarzwald kam es zu regelrechten »Versteigerungen« von nichtehelichen Kindern.53 Zeitgenossen berichteten zudem, dass die Schwarzwälder Bauern nichtehelich geborene Kinder aus – nicht näher bezeichneten – »Anstalten« zu sich holten, »denn sie wollen sie als Hirtenbuben u.s.w. verwenden«.54 War damit die in der Stadt Waldkirch bestehende »Kleinkinderbewahranstalt« gemeint55 – oder das Spital in Basel? Das vorliegende Buch geht empirisch vor und stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen. Gleichsam als Grundgerüst diente die erwähnte Datenbank der Badenerinnen, in die Informationen aus zahlreichen Quellenbeständen einflossen, die vor allem im Staatsarchiv Basel-Stadt lagern. Aus dem sogenannten Älteren Hauptarchiv sind insbeson-

53 Als Überblick zu Basel vgl. Häsler: Lebensumstände, S.53-64. Zum Schwarzwald vgl. Wehrle: Armut, S.65. Die Versteigerungen wurden im Amtsblatt ausgeschrieben. 54 Schupp: Hofgüterwesen, S.58. Vgl. ähnlich auch Emminghaus: Hofgüter, S.20. 55 Rambach: Waldkirch, S.222.

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dere Sammlungen aus den Bereichen »Bürgerrecht«,56 »Civilstand«,57 »Niederlassung«,58 »Justiz«,59 »Kleiner Rat«,60 »Sanität«61 sowie »Straf und Polizei«62 zu nennen, aus den sogenannten Älteren Nebenarchiven das »Gerichtsarchiv«63 und das »Spitalarchiv«.64 Hinzu kommt aus 56 Vgl. StABS, Älteres Hauptarchiv (ÄHA), Bürgerrecht, F Stadt, Einzelne Bürgerrechtssachen von Männern, F 2.15, F 2. 21; Bürgerrecht, H Stadt, Einzelne Bürgerrechtssachen von Männern und Frauen, H 1.6–H 1.41. 57 Vgl. StABS, ÄHA, Civilstand, A 4, Eintragung unehelicher Kinder überhaupt (1800-1915); Cilvilstand, H, Geburtsregister, H 1-16 (1870-1875); Civilstand, Ha, Geburtsregister, Ha 1-10, 1826-1869 (alle Geburtsregister werden zitiert als: Geburtsregister). 58 Vgl. StABS, ÄHA, Niederlassung, H 5.1, Kostkinder überhaupt (1850-1936); Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910); Niederlassung, H 6a, Uneheliche Kinder-Kontrolle, 1846-1977 (zitiert als: Niederlassung H6a); Niederlassung, H 7, Stiefkinder hiesiger Niedergelassener (1856-1874). 59 Vgl. StABS, ÄHA, Justiz, F 1, Dienstbotenwesen, Gesindeordnung (1685-1923). 60 Vgl. StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874). 61 Vgl. StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28, Geburtshilflich-gynäkologische Abteilung: Krankengeschichten, 1868-1887 (zitiert als: Sanität, Frauenspital, X 28/Band, Fallnummer). Hinzu kommt die Sammlung von Dr. med. Neand Pavic, die in einem späteren Kapitel vorgestellt wird (vgl. Kap. 5.c.). Die in der Sammlung verwendeten Fallnummern und Jahreszahlen stimmten mit denen der Krankenakten des Spital/Spitalarchivs überein und werden wie folgt zitiert: Sammlung Pavic: Fallnummer/Jahreszahl. 62 Vgl. StABS, ÄHA, Straf und Polizei, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung (1634-1942), Bde. 2 und 3 (1830-1896). 63 Vgl. StABS, Ältere Nebenarchive (ÄNA), Gerichtsarchiv, CC 23-30, OberKriminalgericht: Protokolle (1798-1875); Gerichtsarchiv, DD, Korrectionelles Gericht: Protokolle (1825-1875); Gerichtsarchiv, HH 2, Kriminalgerichtsakten, 1-454; Gerichtsarchiv, KK 1, Appellationsgerichtsakten, Bde. 1-73; Gerichtsarchiv, U, Ehegericht: Protokolle (1529-1875), Bde. 159-162, 1868-1875 (zitiert als: Gerichtsarchiv, Ehegericht, U Band); Gerichtsarchiv, Uc Ehegericht, Ehegerichtsprotoktolle, Minuten- oder Manualprotokolle des Ehegerichtspräsidenten (1838-1924), Bde. 14-16, 1867-1878 (zitiert als: Gerichtsarchiv, Uc Band); Gerichtsarchiv, Y 4-7, Dienstbotenrichter: Protokolle (1804-1875). 64 Vgl. StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 1.2, Taufregister Spital (1755-1842); Spitalarchiv, AA 1.4, Geburts- und Taufregister (1842-1876); Spitalarchiv, AA 1.5, Geburts- und Taufregister, 1877-1890 (zitiert als: Spitalarchiv, Taufregister 1755-1842, 1842-1876 bzw. 1877-1890); Spitalarchiv, AA 2.2, Sterbe- und Beerdigungsregister (1842-1864); Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister (1864-1877); Spitalarchiv, AA 2.3b, Sterbe- und Beerdigungsregister, 1877-1899 (zitiert als: Sterbe- und Beerdigungsregister 1842-1864, 1864-1877 bzw. 1877-1899); Spitalarchiv, AA 2.3c, Register zu AA 2.3b; Spitalarchiv, AA 2.4, Sterberegister, Verzeichnis der im Spital Verstorbenen und aus dem Spital Beerdigten (1845-1874); Spitalarchiv, D 3, Jahresberichte der

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den sogenannten Neueren Nebenarchiven das »Pfarramtliche Register der Römisch-Katholischen Kirche«.65 Auf der badischen Seite konnten Daten aus den »Badischen Standesbüchern«66 und den »Evangelischen Kirchenbüchern Deutschlands«67 sowie aus diversen Ortsfamilienbüchern68 ergänzt werden. Die Quellendichte variiert: Zum Teil stehen ausgesprochen viele Informationen über eine einzelne Badenerin zur Verfügung, zum Teil nur wenige. Die Basler Behörden erfassten von allen Personen, die sich in der Stadt aufhalten oder niederlassen wollten, eine Reihe von personenbezogenen Angaben; nahezu immer wurde festgehalten, woher diese stammten. Das Wissen um die Herkunft war für die Behörden äußerst bedeutsam, war doch nach dem Heimatrecht, dem sowohl in der Schweiz als auch in Baden im 19. Jahrhundert geltenden Rechtsprinzip, die Heimatgemeinde für die Unterstützung ihrer verarmten Ge-

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chirurgischen Abteilung (1842-1870, 1872-1874); Spitalarchiv, D 12, Ärztliche Jahresberichte der verschiedenen Spitalabteilungen (1875-1899); Spitalarchiv, D 13, Ärztliche Jahresberichte, Kopierbuch (1868-1878); Spitalarchiv, V 24, Einzelne Kindbetterinnen und Kinder (1632-1882); Spitalarchiv, V 29.3, Freibetten. Ein- und Austritt, Geburtshilfliche-Gynaekologische Abteilung, 1875-1891 (zitiert als: V 29.3, Freibetten); Spitalarchiv, V 30, Krankengeschichten der Medizinischen Abteilung (Tagebuch im Krankenhaus zu Basel): Männer und Frauen (Bde. 1851, 1857, 1858, 1862, 1863, 1865); Spitalarchiv, V 34, Chirurgische Abteilung: Krankengeschichten Männer und Frauen 1861-1867 (zitiert als: V 30 bzw. 34, Jahr, Fallnummer); Spitalarchiv, V 40, Geburtstabellen, 1868-1883 (zitiert als: Spitalarchiv, V 40, Jahrgang, Nr.). Vgl. StABS, Neuere Nebenarchive (NNA), ÖR-REG Körperschaften öffentlichen Rechts, ÖR-REG 4 Römisch-Katholische Kirche (RKK) (bis 1973 Römisch-Katholische Gemeinde (RKG)) (1768-2007), ÖR-REG 4b Pfarramtliche Register der Römisch-Katholischen Kirche (RKK) (1768-1976), 2-2 Taufregister der Pfarrei St. Clara, 2-2-1 Alphabetisches Taufregister, 2-2-2 Chronologisches Taufregister (zitiert als: Kath. Taufbuch). Vgl. Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg (StA Freiburg), L 10, Badische Standesbücher (Geburts-, Ehe- und Sterbeeinträge); Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe: 390, Standesbücher 1775-1875. Vgl. Archion: Evangelische Kirchenbücher Deutschlands (https://www.archion.de/). Vgl. Faller: Albbruck; ders. Ibach; Laufenburg/Rhina; Harpolingen/Rippolingen; Säckingen; Wallbach; Obersäckingen; Rickenbach; Görwihl; Luttingen/Grunholz/Hauenstein/Stadenhausen; Murg; Dachsberg; Herrischried; Hänner/Oberdorf; Hochsal/Binzgen/Rotzel; Niederhof; Todtmoos; Gemeinde Buggingen (Hg.): Ortsfamilienbuch; Geschichtsverein Markgräflerland e.V. (Hg.): Müllheim; Heinzmann: Nimburg; Köbele: Haltingen; Köbele: Binzen/Rümmingen; Richter: Grenzach; Werner u.a.: Inzlingen; Werner: Mundingen/Niederemmendingen.

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meindemitglieder zuständig. Waren etwa die Eltern oder die Mutter eines ehelichen oder nichtehelichen Kindes nicht imstande, dieses zu versorgen, so hatte deren Heimatgemeinde einzuspringen. Es lag daher im Interesse der Basler Obrigkeit, die Heimatberechtigung der ledigen badischen Mütter genau zu klären, um Gelder einzufordern oder um Kind und Mutter ggf. in die badische Heimat »wegweisen« zu können. Bei den Einträgen ist jedoch zu bedenken: Die Angaben über die persönlichen Verhältnisse – wie Namen, Familienstand, Herkunft, Beschäftigung oder Alter – beruhen, da es noch keine Ausweisdokumente wie etwa einen Personalausweis gab, in der Regel auf der mündlichen Mitteilung der betreffenden Person, die ein Basler Behördenschreiber handschriftlich zu Papier brachte bzw. in ein Formular eintrug.69 Auch wenn bewusste Falschaussagen nicht auszuschließen sind, wird man bei den persönlichen Angaben im Allgemeinen von einer vergleichsweise großen Ehrlichkeit ausgehen können. Doch kamen Ungenauigkeiten vor, wenn zum Beispiel eine Person bei der Frage nach der Herkunft nicht den heimatlichen Zinken oder Weiler nannte, sondern die nächstgrößere Ortschaft oder die Gemeinde, die sie für bekannter hielt als das Heimatdorf. In manchen Akten fehlt auch die Information, zu welchem badischen Amtsbezirk jenes gehörte. Vor allem aber ist es in Rechnung zu stellen, dass der behördliche Schreiber das Gesagte nach Gehör notierte, sodass sich häufig Fehler einschlichen, nicht zuletzt, da die Beteiligten unterschiedliche Sprachen bzw. Dialekte sprachen. Auch Schreibfehler und verschiedene, von Schreiber zu Schreiber oder je nach Zeitphase differierende Schreibweisen von ein- und demselben Namen70 oder Begriff tauchen nicht selten auf.71 Fast immer konnten Unstimmigkeiten geklärt werden.72 69 Typisch sind Einträge wie etwa »Caroline Baumgartner 26 J.[ahre] a.[lt] Fabr[ik]. Arb.[eiterin] von Strittberg Amt St. Blasien« oder »Vater v.[on/aus] Zunzingen, A.[mt] Müllheim, Baden«. 70 Gelegentlich variiert auch die Schreibweise des Vor- und/oder Familiennamens. Im Text werden die Varianten kenntlich gemacht, z.B. Ottilie/Ottilia Grambach oder Elisabeth Spani/Spahri. Dies mag zwar den Lesefluss gelegentlich stören, erinnert aber daran, dass es auch bei den Namen keine hundertprozentige Eindeutigkeit gibt. 71 Für die Auswertung wurden die Fehler korrigiert und die Schreibweise vereinheitlicht. Im Fließtext hingegen werden, um die Problematik nicht aus den Augen zu verlieren, meist ursprüngliche und heute übliche Schreibweisen notiert. 72 Fehlende Ämterangaben konnten in der Regel geklärt und eindeutig bestimmt werden. Gelegentlich kam es vor, dass ein Ort einem Amt zugewiesen wurde, das kurz zuvor aufgelöst worden war (z.B. Jestetten oder Gerlachsheim),

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Die Frauen selbst oder der Basler Behördenschreiber ordneten den Herkunftsort bei der Nennung meist zugleich einem badischen (Bezirks-)Amt zu,73 orientierten sich also an der Verwaltungsgliederung des Großherzogtums.74 Diese veränderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrfach: In den ersten Jahren nach der Gründung des Großherzogtums kam es zu mehreren, teils provisorischen und oft nur kurzlebigen Reformen. Von 1809 bis 1832 bestand eine recht stabile Struktur mit zunächst zehn, zuletzt sechs übergeordneten Verwaltungskreisen. Zu weiteren Konsolidierungen kam es 1832 und 1864.75 Der im 19. Jahrhundert stattfindende Konzentrationsprozess umfasste jedoch nicht alle Ämter: 39 Bezirksämter veränderten sich territorial zwischen 1833 und 1837 sowie zwischen 1852 und 1910 kaum, sodass für diese Ämter und diese Zeitspannen eine Vergleichbarkeit sozialstruktureller Daten zumindest ansatzweise gewährleistet ist. Unabhängig davon ist generell zu betonen, dass die in dieser Studie gelegentlich angeführten Zahlen keine Exaktheit im Sinne statistischer Daten suggerieren sollen, sondern eher Tendenzen und Trends beschreiben. Alles andere wäre im vorstatistischen Zeitalter unredlich.

ten wurde Ort und Amt verwechselt. Alle Herkunftsangaben wurden zudem anhand diverser Nachschlagwerke geprüft. Zu nennen sind insbesondere das Portal www.leo-bw.de sowie die folgenden Nachschlagwerke: Badische Historische Kommission (Hg.): Wörterbuch; Kolb (Hg.): Lexicon; Charte über das Grossherzogthum Baden; Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Atlas. Vieles konnte auch Fritz Häsler (Birsfelden), Mitarbeiter des Bürgerforschungsprojekt Basel-Spitalfriedhof (BBS), klären, dem ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte. 73 Die Begriffe Amt und Bezirksamt werden im Text synonym verwendet. 74 Zum Folgenden vgl. Redecker/Schöntag: Verwaltungsgliederung; Charte über das Grossherzogthum Baden; Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Atlas; Lange; Geburten, S.4f.; Eibach: Staat, S.31f., 53f. und 226-230; Haselier: Geschichte, S.78-83. 75 Im Zusammenhang mit der 1832 in Kraft tretenden Gemeindeordnung schufen die Behörden vier Kreise (Seekreis mit Regierungssitz in Konstanz, Oberrheinkreis mit Freiburg, Mittelrheinkreis mit Rastatt bzw. seit 1847 Karlsruhe, Unterrheinkreis mit Mannheim) mit 81 Bezirksämtern (von denen aber nicht alle langfristig bestanden). Ab 1864 hießen die Kreise Landeskommissärbezirke, und die Zahl der Bezirksämter sank auf 59, von denen wiederum einige 1872 aufgelöst bzw. mit anderen zusammengelegt wurden. Meist gingen kleine Ämter in benachbarten Ämtern auf. Dies betraf etwa folgende in den Quellen genannte Ämter: Gengenbach kam 1872 zu Offenburg; Gerlachsheim 1864 zu Tauberbischofsheim; Gernsbach 1872 zu Rastatt; Jestetten 1872 zu Waldshut; Philippsburg 1864 zu Bruchsal; Radolfzell 1872 zu Konstanz; Walldürn 1872 zu Wertheim.

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Sexualität und Familiengründung werden in dieser Studie nicht als immer gleiche, gleichsam universell gültige oder anthropologische Grundkonstante verstanden. Auch sie – die gelebten Formen der Sexualität und der Familiengründung – müssen historisiert, untersucht und in ihrem vermuteten Wandel beschrieben werden. Zugespitzt könnte man sagen, es geht darum, doing illegitimacy als Untersuchungsgegenstand zu etablieren.76 Nicht die politischen, kirchlichen, medizinischen oder gesellschaftlichen Debatten und Diskurse über die »Illegitimität« stehen daher im Zentrum der Untersuchung. Vielmehr werden zum einen die Strukturen herausgearbeitet, die Nichtehelichkeit im Südwesten Badens bzw. in Basel im 19. Jahrhundert begünstigten, wenn nicht bedingten. So geht es etwa um die rechtlichen Einschränkungen der Eheschließung und um die ökonomischen Zwänge, in denen die hier betrachteten Badenerinnen lebten, und nicht zuletzt um die Versuche sowohl der badischen wie der Basler Obrigkeit, die nicht gewünschte, nichteheliche Sexualität ihrer Untertanen zu verhindern oder einzuhegen. Ohne die Analyse von Strukturen ist es nicht möglich, das Phänomen der Nichtehelichkeit zu verstehen. Vor dem Hintergrund des strukturellen Bedingungsgefüges wird dann zum anderen zu beschreiben sein, was es für die Badenerinnen bedeutete, Nichtehelichkeit zu leben.77 Im Sinne eines akteurzentrierten Ansatzes sollen sie selbst zu Wort kommen, um – wie vermittelt auch immer – ihre Perspektive nachzuzeichnen. Idealerweise stehen dafür Ego-Dokumente zur Verfügung. Doch die hier betrachteten Badenerinnen schrieben nur selten Persönliches nieder, noch fanden derartige Schriftstücke, wenn sie denn überhaupt existierten, den Weg in die Archive. Dort finden sich in erster Linie Berichte der Obrigkeit, etwa von Richtern, Pfarrern, Bezirksamtsleitern, Fabrikherren oder Ärzten, über die Badenerinnen und ihre Sexualität. Es handelt sich um knappe, von einem offiziellen Schreiber in der Sprache der jeweiligen Institution festgehaltene Zusammenfassungen des Geschehens im Hinblick auf den die Obrigkeit interessierenden Sachverhalt, seien es die »sittlichen Verhältnisse« in einer (Kirchen-)Gemeinde oder der 76 Vgl. ähnlich auch das in der Schweiz seit einiger Zeit betriebene Forschungsvorhaben »Doing House and Family. Material Culture, Social Space, and Knowledge in Transition (1700-1850)«. Zur Historisierung von Sexualität vgl. zudem Mildenberger: Sexualgeschichte, sowie die Konferenz »Sexuality in History«, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8967 [Zugriff 11.6.2021]. 77 Diese Forderung hat Mitterauer bereits 1983 gestellt, vgl. Mitterauer: Mütter, S.20; ders.: Illegitimität, S.562.

einleitung

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Fabrikarbeiterschaft, ein Vaterschaftsprozess oder die Geburt eines nichtehelichen Kindes. Diese Aussagen werden nicht dazu herangezogen, um zum Beispiel das Kennenlernen der Paare oder den Verlauf der Niederkunft gleichsam wahrheitsgetreu zu rekonstruieren oder die Frage nach der Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes juristisch klären zu wollen. Vielmehr werden Bruchstücke der Berichte genutzt, um sich dem Geschehen möglichst präzise und quellennah, sozusagen im Sinne einer »dichten Beschreibung« anzunähern. Die Pfarrer, Richter, Bezirksamtsleiter, Fabrikherren oder Ärzte fragten in der Regel nicht nach dem Erleben der Badenerinnen. Gleichwohl sind in den überlieferten Schriftstücken eher zufällig einzelne Facetten ihrer Perspektive konserviert, die in den Fokus gerückt werden sollen, um sie gleichsam wie unter einem Vergrößerungsglas zu betrachten. Die Miniaturen verstehen sich als eine Art Momentaufnahmen, die einzelne Elemente der gelebten Nichtehelichkeit beleuchten. Im besten Fall verbinden sich die Momentaufnahmen am Ende zu einem einheitlichen Bild. An den von den Basler Behörden als ledige Mutter registrierten rund 800 Badenerinnen lässt sich das Phänomen der gehäuften »Illegitimität« in seiner Verschränkung von Stadt und Land jedenfalls besonders gut analysieren und beschreiben. Von diesen Frauen, von ihrer Geschichte – vielmehr ihren Geschichten – handelt das vorliegende Buch.

Teil 1: Baden

1. Ausgangsbedingungen a. Alter und Herkunft der ledigen badischen Mütter Von 780 der hier betrachteten Badenerinnen ist der Heimatort bekannt. Ein Großteil dieser Frauen kam aus dem ländlichen Südwesten des Großherzogtums, ziemlich genau die Hälfte aus den fünf nahe der Schweizer Grenze liegenden Bezirksämtern Müllheim, Lörrach, Waldshut, Säckingen und St. Blasien.1 Im Grunde handelte es sich lediglich um zwei Regionen: das Markgräflerland (Ämter Müllheim und Lörrach) einerseits, der Hotzen- und Klosterwald (Ämter Waldshut, Säckingen und St. Blasien) andererseits. So stehen diese beiden Regionen im Zentrum der nachfolgenden Fallstudien – an ihrem Beispiel wird exemplarisch die Herkunft derjenigen Badenerinnen untersucht, die später in Basel als ledige Mutter registriert wurden. Von 368 der rund 800 Badenerinnen ist zudem das Geburtsjahr bekannt. Mehr als die Hälfte von ihnen kam in den 1840er-Jahren zur Welt, rund 95% zwischen 1830 und 1859. Betrachtet man nur die Badenerinnen aus den beiden Kernregionen Markgräflerland sowie Hotzen- und Klosterwald, so ändert sich der Befund nicht. Die Frage nach der sozialen Herkunft ist weniger einfach zu beantworten, da nicht viele Quellen zur Verfügung stehen. Meist wird eine einzige Kategorie herangezogen, nämlich die Beschäftigung des Vaters. Wertet man für die hier betrachteten Badenerinnen die (freilich nicht flächendeckend) überlieferten Angaben aus, so ist zu sehen, dass bei etwa 10% der Väter ein auf einer längeren formalen Ausbildung beruhender Beruf eingetragen ist, der dem Bürgertum zugerechnet werden kann: So finden sich etwa zwei (Ober-)Lehrer, ein Tierarzt und ein Gerichtsvollzieher. In rund 10% der Fälle wird der Vater als Bauer oder Landwirt bezeichnet, etwa 25% waren als Landarbeiter oder ländlicher Tagelöhner und über die Hälfte im Landhandwerk oder 1 Die genauen Zahlen: Müllheim (90), Lörrach (82), Waldshut (80), Säckingen (79) und St. Blasien (58). Die Heimatbezirke der anderen Frauen verteilen sich recht gleichmäßig und mit geringen, unter 5% liegenden Anteilen über das gesamte Großherzogtum. Aus 23 Ämtern kamen lediglich fünf oder weniger Frauen, aus 14 Ämtern nur zwei oder eine. Am weitesten von der Schweizer Grenze entfernt lagen zwei Bezirke ganz im Nordosten des Großherzogtums, nämlich Gerlachsheim/Tauberbischofsheim (von dort kamen zwei Frauen) und Walldürn/Wertheim (von dort kam eine Frau).

ausgangsbedingungen

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Heimgewerbe beschäftigt. Die formalen Kategorie allein reicht jedoch zur Bestimmung der Schichtzugehörigkeit nicht aus. Es muss vielmehr gefragt werden, was es im 19. Jahrhundert bedeutete, etwa Handwerker oder Landwirt zu sein.2 Denn Kategorien wie »Selbstständigkeit« und »Beruf« allein beschreiben die Lebenswirklichkeit der ländlichen Familien im 19. Jahrhundert nicht zutreffend. Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Franz Rehbein schildert in seiner bekannten Autobiografie »Das Leben eines Landarbeiters« die verarmten Verhältnisse, in denen er seine Kindheit verbrachte. Trotz der Erfahrung des Mangels an Nahrung und finanziellen Mitteln hielt sein Vater, ein Schneider, an der – formalen – Zugehörigkeit zum Handwerk fest. Er »hörte es nicht ungern, wenn er ›Meister‹ tituliert wurde«.3 Zudem wurde in Rehbeins Familie morgens Kaffee getrunken. Denn – so der Vater – »als Handwerker können wir doch nicht Mehlsuppe essen, wie die Tagelöhner«. Dass allerdings 14 Tassen Kaffee aus 13 Bohnen hergestellt wurden, durfte niemand wissen. Auch wenn also die reale Lebenssituation identisch war mit der der sozial tiefer stehenden Schicht, so zeigten sich im Alltag Versuche, Status und Image eines Handwerkers oder eines Bauern aufrechtzuerhalten. Diese Überlegungen sowie die Angaben zur Beschäftigung der Väter einbeziehend, kann abschließend festgehalten werden, dass die Mehrzahl der hier betrachteten Badenerinnen aus dem unterbäuerlichen Milieu stammte.4 Es zeichnete sich durch Knappheit der Mittel, Einbeziehen aller Familienmitglieder in die Erwerbsarbeit, Unsicherheit der materiellen Existenz und Fehlen einer speziellen Ausbildung aus. Nicht zuletzt ist auffällig, dass in den Quellen nicht selten ein Eintrag zum Vater fehlt. Offenbar stammten nicht wenige der hier betrachteten Badenerinnen aus einer nichtehelichen Verbindung, hatten eine ledige Frau zur Mutter.5 Diese interessante Beobachtung wird in den Fallstudien zu untersuchen sein.

2 Vgl. Wierling: Mädchen, S.27-29. 3 Rehbein: Leben, S.5. Das folgende Zitat ebd., S.7. 4 Dieses Ergebnis entspricht auch ganz der vorliegenden Forschungsliteratur über die soziale Herkunft der ledigen Mütter. 5 Manchmal war auch die Beschäftigung der ledigen Mütter eingetragen, meist verdingten diese sich offenbar als Magd oder Tagelöhnerin.

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teil 1: baden

b. Das badische Heimatrecht Die entscheidenden Rechtsgrundlagen des badischen Heimatrechts, das eng mit der Frage der Eheschließung verbunden war, bildeten das VI. Konstitutionsedikt vom 4.  Juni 1808 und das »Gesetz über die Rechte der Gemeindebürger und die Erwerbung des Bürgerrechts im Großherzogtum Baden« vom 31. Dezember 1831. Diese unterschieden drei Personengruppen: Orts- oder Gemeindebürger, Schutzbürger und bloße Staatsbürger oder Einsassen.6 Die Gemeindeangehörigkeit verpflichtete einerseits zu Gehorsam gegenüber der Gemeinde und zum Tragen der öffentlichen Lasten, berechtigte andererseits zur Niederlassung in der Gemeinde und zur Eheschließung, zudem dazu, ein Gewerbe zu treiben, Grundstücke zu erwerben und am Allmendbesitz teilzuhaben.7 Sie umfasste nicht zuletzt den Anspruch, im Falle der Hilfsbedürftigkeit die Unterstützung der Gemeinde in Anspruch nehmen zu können; Letzteres galt auch bei längerer Abwesenheit von der Gemeinde.8 Die Gemeinden hatten jedenfalls ein großes Interesse daran, den Kreis der Gemeindebürger möglichst klein zu halten. Ihr Anteil von allen Bewohnern lag zur Mitte des 19. Jahrhunderts in einigen Dörfern im Südwesten des Großherzogtums tatsächlich lediglich zwischen 10% und 18% (vgl. Tabelle 1). Die Gemeinde wachte darüber, dass sich der Kreis der Bürger nicht vergrößerte, und insofern auch darüber, wie die Gemeindezugehörigkeit erlangt werden konnte. Letzteres geschah durch Geburt (ein ehelich geborenes Kind erhielt Heimatrecht in der Gemeinde des Vaters, ein »uneheliches« in der Gemeinde der Mutter), Eheschließung (Frauen bekamen durch die Heirat 6 Vgl. Gesetz über die Rechte der Gemeindebürger vom 31.12.1831, und VI. Konstitutionsedikt vom 4.6.1808, abgedruckt in: Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918, Dokument 198. Ich danke Herrn Prof. Dr. Dieter Hein (Frankfurt) sehr herzlich für seine Erläuterungen zum badischen Heimat- und Bürgerrecht. 7 Vgl., auch zum Folgenden, Matz: Pauperismus, S.37-49, Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.455-457; Weller: Sozialgeschichte, S.133-135; sowie zur Tradition der Bürgergemeinde in Baden allgemein Zoche: Gemeinde. 8 So klagte beispielsweise die Gemeinde Todtmoos im Amtsbezirk St. Blasien Mitte der 1850er-Jahre über die enorm hohen Ausgaben für unterstützungsbedürftige Arme. Dies liege u.a. daran, dass »sich stets eine große Anzahl Angehöriger der Gemeinde auswärts aufhält, wo dann bei eintretenden Krankheits-, Unglücks- oder Todesfällen jedesmal bedeutende Kostenzettel von aussen [hier] einlaufen«, Ortsbereisungen Todtmoos, 1856, StA Freiburg, B 735/1, 1472.

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ausgangsbedingungen

Heimatrecht in der Gemeinde ihres Ehemannes) oder Erwerb. In allen Fällen musste bei Antritt ein Erwerbs- und Vermögensnachweis erbracht und eine erhebliche Summe entrichtet werden. Diese lag beim Antritt des von den Eltern ererbten Bürgerrechts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bei über 30 Gulden, bei der Eheschließung mit einer Gemeindefremden hatte der Bräutigam zudem ein Aufnahmegeld für seine künftige Frau zu zahlen. Für den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit musste zusätzlich ein Antrag auf Neuaufnahme gestellt und eine nicht unerhebliche Gebühr entrichtet werden. Hinzu kamen die Abzugsgelder, die zu entrichten waren, wollte jemand in einen anderen Gerichtsbezirk ziehen.9 Die Vermögensregelungen benachteiligten also Fremde sowie generell die vielen Landarmen oder gänzlich Landlosen, die arbeitssuchend umherzogen und fern von ihrer Heimatgemeinde eine Familie gründen wollten. Dorf Albert

Einwohner

Davon Bürger

Einwohner/ Bürger

390

71

18,21%

Schachen

552

84

15,22%

Hochsal

435

70

16,09%

Rotzel

770

107

13,90%

Hartschwand

290

37

12,76%

Niederwihl

700

70

10,00%

Oberwihl

641

107

16,69%

Rüßwihl

352

57

16,19%

Segeten

460

72

15,65%

Tiefenstein

170

18

10,59%

Tabelle 1: Anteil an Gemeindebürgern im Südwesten des Großherzogtums Baden. Die Angaben stammen aus den im Staatsarchiv Freiburg aufbewahrten Ortsbereisungen. Zu diesen vgl. ausführlich Kap. 2.

Schon im Konstitutionsedikt von 1808 findet sich allerdings eine gegenläufige Tendenz, dass nämlich der Staatsbürger- oder Einwohnerstatus nicht besonders erworben werden musste, sondern an jedem Ort bestand, wo »jeder Staats-Bürger jeder Classe, auch jeder SchuzGe-

9 Vgl. Danner: Reformen, S.52.

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teil 1: baden

nosse oder Einsaße […] auf kurz oder lang Wohnung nimmt«.10 Hier scheinen die vom Staat favorisierten und der starken Tradition der badischen Bürgergemeinde entgegenstehenden Prinzipien von Freizügigkeit und der Einwohnergemeinde auf, nach denen das Bürgerrecht bereits durch die Niederlassung und den Aufenthalt im Gemeindegebiet erworben wurde, und zwar ohne besondere und ausdrückliche (sowie kostenintensive) Aufnahme in den Gemeindeverband. Diese Tendenz bekam allerdings erst 1862 mit dem »Gesetz zur Gewerbefreiheit und Freizügigkeit« mehr Gewicht. 1869 folgte eine weitere Liberalisierung durch die juristische Entkopplung von Bürgerrecht, Anspruch auf Armenfürsorge und Heiratsbefugnis  – erst jetzt galt de jure Niederlassungsfreiheit.11 Für die Jahrzehnte bis Anfang der 1870er-Jahre lässt sich hingegen festhalten, dass die Angehörigen der unteren sozialen Schichten, wenn sie an einen anderen Ort zogen, in der Regel noch für längere Zeit an ihre Herkunftsgemeinde gebunden blieben und diesen Status durch einen Heimatschein nachweisen konnten. In der Regel war dies die Geburtsgemeinde, denn solange niemand ihren Status bestritt, gab es von staatlicher Seite keinen Grund, jemanden einer anderen Gemeinde zuzuweisen. Allerdings konnte es sein, 10 §11, VI. Konstitutionsedikt, 4.6.1808, abgedruckt in: Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918, Dokument 198. Diesen Rechtsgrundsatz unterstrich das Bürgerrechtsgesetz von 1831, das, so Matz: Pauperismus, S.43, den »historisch begründeten Unterschied zwischen Orts- und Schutzbürgern [beseitigte] und […] das Gemeindebürgerrecht wesentlich« verbreiterte. Auch verpflichtete das Gesetz die Gemeinden nun zur Unterstützung der armen Bürger, auch derjenigen, die (noch) kein Bürgerrecht in der Gemeinde besaßen. So definierte §72 das Einsassenrecht als die »Befugniß einen jeden erlaubten Nahrungszweig, nach Vorschrift der Gesetze, in der Gemeinde zu treiben, die öffentlichen Gemeindeanstalten zu benutzen, und endlich den Anspruch an die Gemeinde auf Unterstützung in Fällen der Dürftigkeit, ausgenommen, wo der Staat die Verbindlichkeit der Unterstützung hat« (Gesetz über die Rechte der Gemeindebürger vom 31.12.1831, §72). Unter diese Klausel fielen nach §70 potenziell alle badischen Staatsangehörigen, die nicht dem Adel angehören, als Beamte o.Ä. einen eigenen Rechtsstatus innehatten oder ohnehin Gemeindebürger waren. Die folgenden Paragrafen und Unterparagrafen legten genau fest, nach welchen Grundsätzen Einsassen oder Heimatlose einer Gemeinde zugewiesen werden konnten. Zwei Punkte waren dabei zentral, nämlich dass eine Gemeinde letztendlich die in ihrer Gemarkung Geborenen als Einsassen aufnehmen musste (§73, Ziff. 5) sowie dass der Einsassenstatus durch mehrjährigen oder zumindest längeren Aufenthalt in einer Gemeinde erlangt werden konnte (§73, Ziff. 2-4). Auch konnte die Gemeinde einen Einsassen oder Heimatlosen freiwillig aufnehmen – was de facto wohl eher selten vorgekommen sein dürfte. 11 Vgl. Matz: Pauperismus, S.152f.

ausgangsbedingungen

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dass Heimatgemeinde und Geburtsort nicht zusammenfielen, etwa in den Fällen, in denen eine ledige Frau ihr Kind nicht in ihrer Heimatgemeinde zur Welt brachte und aufzog, sondern am Arbeitsplatz, der in einer anderen Gemeinde lag. Gleichwohl erhielt das Kind Heimatrecht in der Gemeinde der Mutter  – ohne diese jemals betreten zu haben. Die stichprobenartige Überprüfung der in der Datenbank verzeichneten Badenerinnen ergab freilich, dass eine große Mehrzahl von über 80% an dem Ort geboren waren, den sie später bei den Basler Behörden als Heimatgemeinde benannten.12

c. Das badische Eherecht Das Großherzogtum Baden knüpfte das Recht auf Heirat und Familiengründung an das Bürgerrecht und an den Nachweis von Vermögen. Die Eheordnung von 1807 zeichnete sich zwar durch eine gewisse Liberalisierung und Säkularisierung aus, doch legte bereits sie fest, dass die Heiratswilligen über ein ausreichendes Vermögen verfügen mussten, um heiraten zu können.13 In den folgenden Jahren mehrten sich die Stimmen, die eine weitere Einschränkung der Ehefreiheit forderten, um so die aus bürgerlicher Sicht zunehmend um sich greifende »Unsittlichkeit« einzudämmen und insbesondere die wachsende Zahl der Armen. Im Vormärz erschien die Forderung nach Einschränkung der Ehefreiheit dann als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Bekämpfung des Pauperismus.14 So rückten die im Hinblick auf das Eherecht vergleichsweise liberalen Bestimmungen des badischen Bürgerrechtsgesetzes von 1831 mehr und mehr ins Zentrum der Kritik, und zahlreiche Gemeinden richteten entsprechende Petitionen an Regierung und Landtag. Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 hatten diese Vorstöße Erfolg: Ende des Jahres 1850 stimmten beide Kammern des badischen Landtags einem Gesetzentwurf zu, der die Freiheit der Verehelichung stark beschnitt. Von 1851 an galt ein restriktives Verehelichungsrecht. Mussten heiratswillige Männer schon seit 1833 12 Die stichprobenartige Prüfung ergab, dass von 156 Müttern, deren Geburtsdaten bekannt sind, in 130 Fällen Übereinstimmung bestand zwischen Geburtsort und dem in Basel angegebenen Heimatort. Lediglich in 26 Fällen konnte – aus welchen Gründen auch immer – kein Nachweis erbracht werden. Zu einer ähnlichen Schätzung gelangte auch Lorenceau: Migration, S.31. 13 Vgl. Ehe-Ordnung, §16. 14 Vgl. Matz: Pauperismus, S.84-93. Zum Folgenden ebd., S.148-153; Metz: Landeskunde, S.337; Faller: Herrischried, Bd.2, S.6.

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teil 1: baden

1.120 Gulden Vermögen besitzen (und ihren Militärdienst abgeleistet haben, Handwerker zudem nachweisen, dass sie den Meistertitel trugen), erhöhte sich nun das Mindestvermögen, zudem das Heiratsalter von 21 auf 25 Jahre; auch musste ein guter Leumund nachgewiesen werden. Dies sollte vor allem land- und besitzlose Personen, die einer abhängigen Beschäftigung nachgingen, etwa als Tagelöhner oder im Gesindedienst ihren Lebensunterhalt zu verdienen suchten, von Ehe und Familiengründung abhalten. Doch die Maßnahmen zeitigten nicht den gewünschten Effekt, wie die vor allem in Südwestbaden recht parallel zur strengeren Ehegesetzgebung steigenden Zahlen »unehelicher« Geburten zeigen. Erst das Gesetz zur Gewerbefreiheit und Freizügigkeit von 1862 baute einige Hürden ab. Für die Ortsgebürtigen in den Gemeinden entfielen das bis dahin übliche Einkaufsgeld und der Vermögensnachweis als Voraussetzung für das Bürgerrecht sowie auch der generelle Vermögensnachweis bei der Eheschließung. Nicht eine bestimme Geldsumme war nunmehr nachzuweisen, gleichwohl jedoch die Fähigkeit, sich und die Kinder ernähren zu können. Lebte der Bräutigam weniger als drei Jahre in der Gemeinde und kam die Braut von auswärts, so musste nach wie vor eine Bürgeraufnahmegebühr gezahlt werden und ein Vermögen von 150 Gulden vorhanden sein. 1869 erfolgte eine weitere Liberalisierung durch die juristische Entkopplung von Bürgerrecht, Anspruch auf Armenfürsorge sowie Heiratsbefugnis und 1870 entfielen schließlich alle Beschränkungen. Am 5. Mai verkündete das Großherzogtum die Verehelichungsfreiheit.

2. Fallstudien Vor dem Hintergrund des badischen Heimatrechts und des badischen Eherechts, die im gesamten Großherzogtum galten, werden im Folgenden die beiden ermittelten Kernregionen, aus denen rund die Hälfte der hier betrachteten Badenerinnen stammte, untersucht. Im Zentrum der Fallstudien stehen diejenigen Faktoren, die – neben dem Recht – als zentral für die (ehelichen oder nichtehelichen) Formen der Familiengründung anzusehen sind: die demografische Entwicklung, die vorherrschenden Wirtschafts- und Sozialstrukturen, das geltende Erbrecht, die religiösen Traditionen sowie die obrigkeitliche Haltung gegenüber der Ehe bzw. nichtehelichen Verbindungen.

a. »viel günstiger als in den Waldgemeinden […]« – Partielle Nichtehelichkeit in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland Im Fokus stehen zunächst die Amtsbezirke Müllheim und Lörrach, aus denen 172 der hier betrachteten Badenerinnen stammten.1 Die beiden Ämter umfassten große Teile des Markgräflerlandes,2 das im Mittelalter zu verschiedenen Herrschaften – Badenweiler, Sausenburg und Rötteln – gehört hatte, und bildeten den Südwesten der 1771 wiedervereinigten Markgrafschaft Baden, die ihrerseits das Kernland des späteren Großherzogtums Baden darstellte.3 Sehr verbreitet waren Realteilung4 als Erbrecht und der Protestantismus. Bereits 1556 hatte Markgraf Karl II. mit einer neuen Kirchenordnung nach württembergischem Muster die Reformation eingeführt.55 Nur in einigen wenigen 1 90 Frauen kamen aus dem Amtsbezirk Müllheim, 82 aus dem Amtsbezirk Lörrach. 2 Zur Definition des Begriffs vgl. Merk: Markgräflerland [Zugriff 29.9.2020]; Beck: Entwicklung, S.3-6; Geschichtsverein Markgräflerland e.V. (Hg.): Müllheim, S.4. 3 Zur Geschichte der Markgrafschaft vgl. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.177-179; sowie die entsprechenden Passagen bei Weller: Sozialgeschichte. 4 Vgl. Danner: Reformen, S.57; Bertelmann: Anfänge, S.188; aus zeitgenössischer Sicht auch Meyer: Volkleben, S.2. Allerdings galt in Teilen des Berglandes auch das Anerbenrecht, vgl. Fecht: Müllheim, S.20f. 5 Vgl. z.B. Stiefel: Baden, S.623-627; Schülin: Haltingen, S.174f. und 622f.;

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Dörfern mit katholischer Grundherrschaft oder in den vorderösterreichischen Enklaven wie etwa Inzlingen, Stetten oder Wyhlen blieb das katholische Bekenntnis bestehen. Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts litt die gesamte Region unter den Erbfolgekriegen, Plünderungen und Zerstörung durch vor allem schwedische und französische Truppen sowie unter Hunger und Seuchen.6 Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beruhigte sich die Lage, und die Regentschaft des Markgrafen Carl Friedrich (1728-1811) prägte die politische und wirtschaftliche Verfasstheit der Region. Carl Friedrich, ein Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, hatte den Wiederaufbau des durch lange Kriege zerrütteten Baden-Durchlachs durch wirtschafts- und sozialpolitische Reformen vorangebracht und setzte dies auch nach der Vereinigung Baden-Durchlachs mit der Markgrafschaft Baden-Baden zur Markgrafschaft Baden 1771 fort. Unter ihm und seinen Räten entwickelte sich die Markgrafschaft zum »Muster eines absolutistischen Wohlfahrtsstaates«.7 Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Region erneut von politischen Unruhen und Krieg erschüttert, dieses Mal infolge der französischen Revolution und vor allem durch die Verwicklung in die napoleonischen Kriege bzw. Koalitionskriege. Die Kriegswirren am Oberrhein begannen 1792 mit dem Einmarsch der französischen Revolutionsarmeen und endeten erst 1815 mit der Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress. Die Nähe zu Frankreich und Napoleon hatte freilich dazu geführt, dass Baden zu Beginn des 19.  Jahrhunderts erhebliche Gebietszuwächse verzeichnete und 1803 in den Rang eines Kurfürstentums erhoben wurde, aus dem 1806 das Großherzogtum Baden mit Carl Friedrich an der Spitze hervorging. Im Zug der territorial-administrativen Gestal-

Küchlin: Chronik, S.56-58; Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.192-199; Schellenberger: Kirchencensur, S.113-115. Zur Region um Lörrach zudem Rothmund: Streiflichter, S.216-220. Aus zeitgenössischer Sicht zudem Fecht: Amts-Bezirke, S.283; ders.: Müllheim, S.40-42. 6 Eine Karte, die die Zerstörungen zeigt, findet sich z.B. in: Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Atlas, Karte VI 12. Zur Geschichte eines Markgräfler Dorfes in jener Zeit vgl. z.B. Schülin: Haltingen, S.183-204. 7 Gerteis: Carl Friedrich [Zugriff 14.9.2020]. Zur Biografie und zur Politik Carl Friedrichs vgl. auch Bertelmann: Anfänge, S.194-196; Schülin: Umbruch, S.18f.; Stiefel: Baden, S.1556-1566; Windelband: Verwaltung, S.2242; Ulbrich: Kirchen-Censur, S.239-243; Weller: Sozialgeschichte, S.99-104.

fallstudien

Abb.1: Amtsbezirke Müllheim und Lörrach mit Überlagerung der Naturräume. Karte nach: Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.): Atlas, Karten II 1., II 2 und II 4. Geobasisdaten © LGL, www.lgl-bw.de

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tung des Großherzogtums wurden im Südwesten 1809 bzw. 1819 die Amtsbezirke Müllheim und Lörrach gebildet.8 Beide Amtsbezirke wiesen, naturräumlich betrachtet, eine Zweiteilung auf, reichten vom Ufer des Rheins über das Vorbergland bis hinauf in die Höhenlagen des Schwarzwaldes – am markantesten der Blauen im Amt Müllheim mit 1.165 Metern über dem Meer.9 Die Zweiteilung in Niederung und Höhenlagen ist im Hinblick auf die Herkunftsorte der aus den Ämtern Lörrach und Müllheim stammenden Frauen, die später in Basel ledig ein Kind gebaren, interessant. Für beide Amtsbezirke zeigte sich nämlich, dass nur wenige Frauen aus den Höhenlagen kamen, die meisten waren vielmehr in der Rheinebene oder dem Vorbergland aufgewachsen. Innerhalb der Markgräfler Rheinebene bzw. dem Hügelland gab es nur wenige Ballungen, etwa Buggingen (elf Frauen) oder die Städte Müllheim (zehn Frauen) und Lörrach (sechs Frauen). Ansonsten verteilten sich die Herkunftsorte recht gleichmäßig, fast flächendeckend in der ganzen Markgräfler Rheinebene bzw. dem ganzen Markgräfler Hügelland.

Wirtschaftliche Entwicklung im 18. Jahrhundert Die Markgräfler Rheinebene und das Markgräfler Hügelland besaßen eine weitgehend kleinbäuerliche, durch Realteilung parzellierte Dorfstruktur mit wenigen kleinen Städten. Lange Zeit ernährte sich die Bevölkerung am Rhein vom Fischfang, im Hügelland von Obst- sowie Weinanbau. Nach Osten hin nahm der Ackerbau zu,10 große Viehhöfe   8 1809 gingen aus dem Oberamt Rötteln zunächst die drei Amtsbezirke Lörrach, Schopfheim und Kandern hervor, wobei Letzteres nur bis 1819 bestand. Die zugehörigen Orte wurden dann den Ämtern Müllheim, Lörrach und Schopfheim zugewiesen. Vgl. ausführlich Landesarchivdirektion BadenWürttemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.446-450. Zu den Grenzziehungen 1812 vgl. zudem die »Charte über das Grossherzogthum Baden«.   9 Zur naturräumlichen Beschreibung des Amtsbezirks Lörrach vgl. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.29-40. 10 Vgl. Fischer: Dorf, S.83. In den Schwarzwaldhöhen dominierte Holz- und Waldwirtschaft, zum Teil auch der Abbau von Rohstoffen. So wurde etwa in der Gegend um Hauingen und Steinen Baumaterial für Häuser und Straßen, später für die Eisenbahnstrecken gewonnen, in Kandern hatte der Bergbau oder in Liel die Bohnerzgewinnung erhebliche Bedeutung, vgl. Wittmann: Bohnerzbergbau.

fallstudien

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mit ausgeprägter Gesindehaltung  – wie etwa im Ostalpenraum oder in Teilen des Schwarzwalds – gab es kaum. Die im Allgemeinen recht ertragreiche Agrarproduktion beruhte im Wesentlichen auf fruchtbaren Böden und auf dem milden und gemäßigten Klima.11 Die Dörfer am Rheinufer hatten freilich lange Zeit mit Hochwasser zu kämpfen, lagen sie doch an oder in den Rheinauen, die sich durch zahlreiche, ihren Lauf rasch wechselnde und durch Sandbänke getrennte Flussarme, durch eine typische Auwaldvegetation und nicht zuletzt durch häufige Überflutungen auszeichneten. Erst im Zuge der zwischen 1817 und 1882 betriebenen Rheinbegradigung wurden die Auen zur Gewinnung von Ackerflächen und Grünlandnutzung mehr und mehr aufgefüllt. Bis dahin waren die den Naturgewalten ausgelieferten Uferdörfer tendenziell ärmlich, die Dörfer auf der Niederterrasse der Vorbergzone wirtschaftlich eher privilegiert.12 Bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb die Landwirtschaft weitgehend unspezialisiert und am eigenen Bedarf orientiert,13 und die Oberämter und Vogteien griffen nur gelegentlich mit Anordnungen, etwa zur Schädlingsbekämpfung, in den Acker-, Wiesen- und Rebbau ein.14 Erst Markgraf Carl Friedrich versuchte durch Reformen, die Wirtschaftserträge gezielt zu steigern.15 Dies betraf sowohl die Landwirtschaft als auch das Gewerbe. Im Verlauf des späteren 18. Jahrhunderts kam es im Zuge dieser Maßnahmen zu einer räumlichen Differenzierung des Markgräflerlandes: Der Norden spe-

11 Zu Klima und Bodenbeschaffenheit im Amtsbezirk Lörrach vgl. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.48-70; Mair: Nutzungswandel, S.15-20. 12 Vgl. Schülin: Umbruch, S.4-6. Zum Folgenden ebd., S.12-20. 13 Obst und Wein wurden auf den nahen Märkten verkauft, zudem nach Basel und teils bis nach Holland. 14 Vgl. z.B. Schülin: Haltingen, S.493. 15 Die von Carl Friedrich intendierte »materielle und geistige Hebung seiner Untertanen« (Windelband: Verwaltung, S.29.) sollte durch drei Zielsetzungen erreicht werden: Aus ökonomischen Gründen erschien die Ersetzung von importierten Gütern durch im Land selbst hergestellte Waren und deren Verkauf ins Ausland als bedeutsam, um so die Finanzkraft Badens (vor allem gegenüber der Schweiz) zu stärken. Zudem sollten die Manufakturen neue Erwerbsquellen für die stark anwachsende und zunehmend verarmende Landbevölkerung bieten, ohne freilich die Landwirtschaft ganz zu ersetzen. Hinzu kam die aufklärerische und volkserzieherische Absicht, die Untertanen vom Müßiggang abzuhalten und sie durch Arbeit zur Sittlichkeit zu erziehen. Dafür erschien die Textil(heim)industrie als besonders geeignet, da dort, so die Überlegung, auch Frauen und Kinder beschäftigt werden könnten.

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zialisierte sich mehr und mehr auf Obst- und vor allem Weinanbau, im Süden entwickelte sich die Textilindustrie.16 Als entscheidend für die Entwicklung der Textilindustrie erwiesen sich die Maßnahmen zur Ansiedlung von Manufakturen. Gezielt warb man – die Vorteile des Lörracher Raums preisend – um Investoren und Arbeiter aus dem Ausland, vor allem aus der nahen Schweiz, indem Baden die Befreiung von Frondiensten und bestimmten Abgabepflichten sowie das Recht auf freie Religionsausübung in Aussicht stellte – sofern die Zugezogenen im Sinne Badens »nützliche«, und das hieß wohl gewinnbringende und exportsteigernde, Manufakturen ansiedelten. Die Region zwischen Lörrach und dem Wiesental bot gute Voraussetzungen: So gab es im 18. Jahrhundert kaum Zunftschranken, zwischen der Schweiz und Baden kaum Zölle, und die Gewerbesteuern waren äußerst gering. Die Bestätigung der Stadtrechte 1756 gewährte den Bürgern Lörrachs sowie ausländischen Investoren zudem bürgerliche Freiheiten und beseitigte die Leibeigenschaft. Hinzu kamen die günstige Lage und Infrastruktur: der als Transportweg dienende Rhein, die Nähe zu Basel, die großen Wasser- und Waldbestände, die Energie für den Fabrikbetrieb bereitstellten, und nicht zuletzt das große Reservoir an Arbeitskräften, die mit der Baumwollspinnerei durch die im Schwarzwald verbreitete Heimarbeit vertraut waren und vereinzelt schon Ende des 17. Jahrhunderts im Nebenerwerb für Schweizer Fabrikanten gearbeitet hatten. Die Bemühungen führten tatsächlich zu Gründungen verschiedener Gewerbe, von denen sich die meisten nicht lange halten konnten. Ein Betrieb hatte langfristig Erfolg, und zwar die 1753 in Lörrach errichtete Manufaktur zum »Wolle spinnen, Tuch weben, Bleichen ect.« des Berner Indienne-Fabrikanten Johann Friedrich Küpfer.17 Küpfer brachte eigenes Fachpersonal mit, beschäftigte bald aber auch einheimische Arbeiter. Zwar dominierte in der Manufaktur noch die Handarbeit, doch handelte es sich nicht um einen einfachen Handwerkbetrieb, sondern vielmehr um eine Frühform der Fabrik. 1808/09 erfolgte der Verkauf an das Basler Handelshaus Merian sowie die Elsässer Fabrikantenfamilie Koechlin, die den Firmensitz nach Mulhouse verlegte. Nach den Krisenzeiten setzte in den 1820er-Jahren mit der zunehmenden Mechanisierung und Motorisierung ein Aufschwung des seit 1856 »Kommanditgesellschaft Koechlin, 16 Vgl. Fischer: Lage, S.3 und 11; Danner: Reformen, S.49. 17 Schreiben Küpfer an die badische Regierung, 7.7.1753, zit. nach: Bertelmann: Anfänge, S.198. Zum Folgenden vgl. ebd., S.197-199; Neisen: Entstehung, S.35-40.

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Baumgartner & Cie (KBC)« genannten Unternehmens ein.18 So war die Lörracher Stoffdruckerei bald »Teil bzw. Filiale eines riesigen konzernähnlichen Komplexes von Spinnereien, Webereien, Bleichereien und Druckereien«.19 Im nahe gelegenen Wiesental besaß das Textilgewerbe eine weit zurückreichende Tradition, wurde schon lange zum Teil als Nebenerwerb in Heimarbeit, zum Teil als protoindustrielle Manufaktur betrieben. Der Beginn des 19. Jahrhunderts markierte auch dort den Beginn einer neuen Phase der Industrialisierung, die sich durch die Mechanisierung und Motorisierung des Textilgewerbes auszeichnete. Seit den späteren 1830er-Jahren kam es zu zahlreichen Neugründungen, vor allem zur verstärkten Ansiedlung von Schweizer Fabriken.20 Diese profitierten von den billigen Arbeitskräften, fehlten doch in den abgelegenen Höhenlagen andere Erwerbsmöglichkeiten. Nicht wenige verkauften ihre kleinen und kleinsten Parzellen an die Schweizer Unternehmer, nahmen anschließend in den dort errichteten Fabriken eine Lohnarbeit auf. Viele Arbeitskräfte waren durch die markgräflichen Reformen des 18. Jahrhunderts mit Weben und Spinnen ebenso vertraut wie mit fremdorganisierter (Lohn-)Arbeit. So entstand seit Mitte des 18. Jahrhunderts zwischen Lörrach und Todtnau ein frühindustrielles, von Schweizer Unternehmern dominiertes Zentrum der Textilherstellung, das sich zunehmend mechanisierte. Der Wirtschaftsraum wuchs zusammen und avancierte zu einem der führenden Gebiete der Textilfertigung.21 Carl Friedrichs Reformeifer betraf jedoch nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Landwirtschaft.22 Ein Bündel von Anordnungen

18 Das Unternehmen besteht bis heute, vgl. www.kbc.de [Zugriff 1.10.2020]. 19 Bertelmann: Anfänge, S.206. Vgl. Ott: Weg, S.289f. 20 Dies ist unmittelbar auf die Gründung des Zollvereins zurückzuführen, dem sich Baden 1835 anschloss: Als der Zollverein die Schweizer Waren mit einem protektionistischen Zoll belegte, verlegten viele Schweizer Textilfabrikanten, um jenen zu umgehen, ihre Betriebe samt des Fachpersonals kurzerhand ins nahe gelegene badische Rhein- und Wiesental. Zum Hintergrund vgl. Stiefel: Baden, S.841f. 21 Vgl. Stiefel: Baden, S.1588f.; Bertelmann: Anfänge, S.212-214; Ott: Weg, S.289-291; Neisen: Entstehung, S.41-45; ders.: Unternehmer, S.113-117; Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.359-361; Metz: Landeskunde, S.624f. 22 Er ließ sich dabei von der Physiokratie leiten, einem von dem französischen Chirurgen und Ökonomen François Quesnay im Zeitalter der Aufklärung begründeten neuen Wirtschaftsdenken, das eine »natürliche Ordnung der Wirtschaft« forderte, Schülin: Umbruch, S.19. Zur Physiokratie allgemein vgl. Holub: Einführung.

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sollte die Missstände beseitigen.23 Auch der Weinbau geriet ins Visier.24 Von einer Reise nach Burgund und Genf brachte der Markgraf nicht nur eine neue Rebsorte mit ins Markgräflerland, den Gutedel, der bald zum Inbegriff des Markgräfler Weins avancierte,25 sondern auch die im Süden schon länger betriebenen rationelleren Anbaumethoden. Mehr und mehr traten so Ackerbau und Viehzucht hinter dem ertragreichen Obst- und Weinanbau zurück, schließlich auch der Obsthinter dem Weinbau. Der Amtsbezirk Müllheim galt schließlich »als typischer Bezirk des Markgräfler Weinbaues«.26 Eine erste Blütezeit erlebten die Markgräfler Weine Ende des 18. Jahrhunderts, sie erzielten hohe Preise und genossen einen guten Ruf auf den Weinmärkten. Die angeführten Beispiele zeigen, dass viele Maßnahmen Carl Friedrichs Erfolge zeitigten und die Erträge steigerten. Insgesamt war das Markgräflerland zum Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts vergleichsweise wohlhabend,27 und die Bevölkerung galt als gebildet, zufrieden und aktiv, nicht zuletzt aufgrund des dort stark verankerten Protestantismus, der für Ordnung, Fleiß und Wohlstand sorge. Doch nicht nur dies zeichnete die Region aus, sondern auch – so die Wahrnehmung der Zeitgenossen – ein hohes Maß an »Sittlichkeit«.

23 Es ging v.a. um effizientere Bewirtschaftungsmethoden, vgl. Holub: Einführung, S.79; Schülin: Umbruch, S.19-30; Danner: Reformen, S.57f.; Stiefel: Baden, S.1556-1566; Weller: Sozialgeschichte, S.91f.; Holenstein: »Gute Policey«, S.311f. 24 Zum Folgenden vgl. Schruft: Markgräflerland, v.a. S.124-126; Stiefel: Baden, S.1734-1736; Beck: Entwicklung, S.10-15. Eine Karte der Reborte im Markgräflerland befindet sich bei Schülin: Haltingen, S.506. 25 Vgl. Beck: Entwicklung, S.3; Stiefel: Baden, S.1563. Schruft: Markgräflerland, S.14, weist allerdings darauf hin, dass in Ebringen bereits zuvor Gutedel angebaut wurde. 26 Fischer: Lage, S.7. Die »Pflege der Reben« nimmt, so hieß es in einer zeitgenössischen Beschreibung, »so viel Interesse in Anspruch, daß für das Obst wenig übrig bleibt«, Sievert: Geschichte, S.263. 27 Vgl. Stiefel: Baden, S.1566; Danner: Reformen, S.58; Beck: Entwicklung, S.14; Weller: Sozialgeschichte, S.91f. und 94; Küchlin: Chronik, S.65f.; Gemeinde Buggingen (Hg.): Festschrift, S.75.

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Sozialdisziplinierung und gemeindliche Kirchenzucht im 18. Jahrhundert Die Obrigkeit versuchte nicht nur, auf die (land-)wirtschaftliche Entwicklung einzuwirken, sondern auch auf den »sittlichen« Zustand ihrer Untertanen. Wie die obrigkeitliche Aufsicht über die markgräflichen Dörfer seit der Reformation funktionierte, haben André Holenstein und Michael Schellenberger mittels der Konzepte von Sozialdisziplinierung und gemeindlicher Kirchenzucht analysiert.28 Beide Wirkmechanismen bestimmten den Dorfalltag maßgeblich. Die Sozialdisziplinierung im Sinne der »sozialgeschichtlichen Version von Absolutismus« (Winfried Schulze) integrierte, so Holensteins Definition, die aus den »Policey«-, Sitten- und Kirchenordnungen erwachsenen Institutionen und Maßnahmen und verband zugleich kirchliche und weltliche Herrschaft eng. Im Zentrum standen die Versuche, die Lebensführung der Untertanen an christliche Moralvorstellungen anzupassen, ihre Arbeitsweise gesteigerten Effizienzkriterien zu unterwerfen und sie zur Verinnerlichung eines Tugendkanons zu erziehen, »der Fleiss und Nützlichkeit, Pflichterfüllung und Gehorsam, Zucht und Ordnung zentral stellte bzw. Müssiggang, Verschwendung und ›Liederlichkeit‹ sowie überhaupt abweichendes Verhalten« nicht nur sanktionierte, sondern auch »kulpabilisierte«.29 Bei der Kirchenzucht oder -zensur lag der Fokus noch stärker auf der Gemeinde selbst, ging es doch um die »Durchsetzung der Führung eines gottgefälligen Lebens«, um die Kontrolle der »Einhaltung aller [kirchlichen] Vorschriften […] sowie das Verhalten dem Pfarrer und den kirchlichen Amtsträgern gegenüber« innerhalb des Dorfes.30 Beide Konzepte machen deutlich, dass und wie sehr die Herrschaft auf die Kooperation mit der lokalen Ebene – mit den Vorgesetzten und Amtsträgern vor Ort, aber auch mit den einfachen Untertanen  – angewiesen war. Denn Herrschaftsausübung gelang nur, sofern die lokalen Amtsträger und die Einwohner bereit waren, ihr Wissen um die dörflichen Verhältnisse an die Vertreter der Obrigkeit weiterzugeben.31 Sozialdisziplinierung bzw. gemeindliche Kirchenzucht können also nicht nur als Zwangs-

28 Vgl., auch zum Folgenden, Holenstein: »Gute Policey«; Schellenberger: Kirchencensur; sowie Ulbrich: Kirchen-Censur, S.203-332; Stiefel: Baden, S.635 und 640f. 29 Holenstein: Sozialdisziplinierung [Zugriff 6.10.2020]. 30 Schellenberger: Kirchencensur, S.2 und 17. 31 Vgl. ausführlich Holenstein: »Gute Policey«, S.305-402.

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maßnahmen der Herrschaft gegen die Untertanen verstanden werden, sondern auch als Mechanismen, an denen jene selbst mitwirkten. Nach den Kriegs- und Krisenzeiten des 17. Jahrhunderts nahmen im Markgräflerland im 18. Jahrhundert Sozialdisziplinierung und Kirchenzucht wieder zu.32 Die Landes- und Kirchenvisitationen fanden nun wieder häufiger statt, wobei sich Letztere bald zu einer Kirchenund Schulvisitation ausweitete.33 Ein Katalog von 119 Themen fragte nach Amtsführung und Lebenswandel von Pfarrer und Schulmeister, nach dem baulichen Zustand der Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser und insbesondere nach den religiösen, moralischen und »sittlichen« Verhältnissen in der Gemeinde.34 Es ging um die Einschränkung und Reglementierung von Wirtshausbesuchen, Karten- und Würfelspiel oder Tanzveranstaltungen sowie um die Durchsetzung von Verboten, etwa für Diebstahl, Trunksucht, Betteln, Schwören und Fluchen oder »unsittliches« Verhalten – dazu gehörte insbesondere jede Form von vor- und außerehelicher Sexualität. Auch das Kirchenzensurgericht sollte der »Hebung der Sittenzucht« dienen.35 Es handelte sich um ein geistliches und weltliches Ortsgericht, dem alle Gemeindemitglieder unterworfen waren und das der Ortsvorstand und der Pfarrer gemeinsam ausübten, wobei Letzterer den Vorsitz führte. Die Kirchenzensur zielte auf »die Aufsicht über das Betragen der Kirchspielsmitglieder und die Zurechtweisung und Anwendung nachdrücklicher Correktionsmittel gegen Fehlende«, insbesondere »bei sittenwidrigen Ausbrüchen der Sinnlichkeit«, vor allem bei »Unsittlichkeit, die noch nicht zur Untersuchung und Bestrafung angenommen und reif gefunden« wurde.36 Wie die Rüge32 Vgl. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.196f.; Holenstein: »Gute Policey«, S.319; zu Buggingen auch Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.66-70. 33 Vgl. Holenstein: »Gute Policey«, S.334-336. 34 Vgl. Instruction zur Kirchenvisitation, 9.3.1796, Landeskirchliches Archiv Karlsruhe (LkA KA), SpA, Nr.12859. Alle Fragen mussten schriftlich beantwortet und an die übergeordnete Kirchenbehörde geschickt werden, die wiederum einen Generalbericht verfasste. Auf der Grundlage der Spezialprotokolle und des Generalberichts erließ der Kirchenrat dann Anordnungen und Bescheide, deren Befolgung und Umsetzung in den Pfarreien bei der nächsten Visitation überprüft wurde, vgl. Holenstein: »Gute Policey«, S.314. 35 Rescriptum Serenissimi ad Constitorium dd. 29. May 1799, KRN. 647 (Die Einführung der Kirchencensur in der Residenzstadt Carlsruhe betreffend) / Carl Friedrich Marggrav zu Baden und Hochberg, https://digital.blb-karlsruhe.de/id/168944 [Zugriff 6.10.2020]. 36 Kirchencensurordnung, 1793, zit. nach: Stiefel: Baden, S.640.

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und Frevelgerichte verhandelten die Kirchenzensurgerichte also keine schwerwiegenden Fälle oder Verbrechen (für die vielmehr das Oberamt zuständig war), sondern es ging um die Aufdeckung und Ahndung von Übertretungen der »Policeyordnungen«, die der eigens eingesetzte Kirchenrüger37 oder andere Gemeindemitglieder anzeigten. Die Bandbreite der möglichen Sanktionen reichte von der Ermahnung und dem Ausschluss vom Abendmahl über Geld- und Leibesstrafen bis zur Freiheitsstrafe auf zweimal 24 Stunden bei Wasser und Brot im »Thurm« oder »Thurmb« oder der örtlichen Arrestzelle.38 Am Beispiel des Kirchenzensurgerichts in Weil am Rhein kann veranschaulicht werden, was das Dorf als Regelverstoß ansah. So zeigten die Weiler Kirchenrüger im Dezember 1755 Georg Wälterlins Knecht an, weil dieser »nicht nach publicirten Ordnung in den angewiesenen [Kirchen-]Stuhl gestanden« habe.39 Der Wirt des Gasthofes »Stuben«, Jacob Enckerlin, musste vor Gericht erscheinen, weil er »am Feyer-Tag den Gottesdienst versäumt« hatte,40 einige ledige Mägde und Knechte, »weil sie des Nachmittags nicht in der Kinderlehr, wohl aber bey einer cathol. Kirch Weyhe gewesen« seien.41 Auch die Sonntagsarbeit galt als sträflich. So standen sechs Weiler Bürger vor dem Zensurgericht, weil sie an Maria Verkündung »in den Basler Reben

37 Die Aufgabe der Kirchenrüger bestand darin, in der Kirche »recht auf die Anwesenden acht[zu]geben und die Fehlenden dem Pfarrer an[zu]zeigen«, zudem außerhalb des Gotteshauses darauf zu achten, »ob nichts ungebührliches im flecken fohrgeht«, und ggf. Anzeige zu erstatten, »Das Amt des Kirchenrügers«, 1773, zit. nach: Himmelheber: Geschichte, S.121. Insbesondere sollten die Kirchenrüger herausfinden, wer während des Gottesdienstes im Wirtshaus saß oder zu Hause bzw. auf dem Feld arbeitete. Freilich zeigte sich, dass die Kontrolle nicht reibungslos funktionierte. Denn die Kirchenrüger wurden reihum aus der Gruppe der Gemeindebürger bestimmt, waren also Teil der dörflichen Gesellschaft. Viele empfanden das Amt als lästige Pflicht, andere agierten nicht im Sinne der markgräflichen Herrschaft oder der lokalen Obrigkeit. Vgl. ausführlich Holenstein: »Gute Policey«, S.364372; Schellenberger: Kirchencensur, S.166-174; Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.197; Widmann: Opfingen, S.7 [Zugriff 6.10.2020]; Schülin: Haltingen, S.444; Ulbrich: Kirchen-Censur, S.224-226. 38 Vgl. Stiefel: Baden, S.641. 39 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 11.12.1755, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.99. 40 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 9.11.1755, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.92. 41 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 5.6.1748, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.52.

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gearbeitet hatten«,42 der Metzger musste 24 Kreuzer Strafe zahlen, weil er an dem »allgemeinen Buß-Beth- und Fasttag, Charfreytag«, zwei Gottesdienste versäumt und gearbeitet habe, da er »nach Basel gegangen, allda ein Stück Vieh gekauft und herausgetrieben« hatte.43 Ins Visier gerieten auch die Durchführung von bzw. die Teilnahme an nicht gestatteten »Tanzbelustigungen«, übermäßiges oder unzeitgemäßes Trinken oder Kartenspielen, Beschimpfungen und Beleidigungen. So schien nicht tolerabel, dass einige ledige Frauen sich am »Heil. Ostertag nach Riehen sich zum Tantz begeben«,44 andere sich, »da eben hier Kirchenvisitation gehalten worden, nach Stätten [Stetten] auf die Kirchweyh gegangen und theils gar getantzt« hatten.45 Vor Gericht zu erscheinen hatten auch »Michael Glattacker der Maurer u Balthasar Schwerer der niedere, beede wegen Saufen u Fluchen, sie wurden nach vorhegeg. Verweiß u Zuspruch mit dem Burger Häußlein abgestraft«,46 oder Friedle Mehlin, weil er an einem Buß- und Bettag »mit seiner Frauen offentlich auf der Gaß Händel angefangen und ziemlich geflucht. Weilen er aber […] nicht erschienen, sondern nach Basel gegangen, so wurde er des wegen einen Taglang in das Häußlein condemniret.«47 Ein weites Feld der Beobachtung und der Regelverstöße stellten, wie bereits das letzte Zitat zeigt, Ehestreitigkeiten dar. So lud das Weiler Kirchenzensurgericht im März 1795 den Weber Friedrich Huß vor, »den seine Frau bey dem Pfarr-Amt anklagte, daß er immer mit ihr händle, sie Luder und Hur nenne […] und mit einem Strick stark geschlagen« habe,48 und im September 1799 Joh. Sütterlin, weil seine Frau klagte, dass »sie von ihrem Mann u ihrer Magd, die von Hauingen gebürtig ist, gemishandelt werde«.49 Auch vor- und 42 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 8.4.1801, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.186. 43 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 19.4.1745, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.43, Hervorhebung im Original. 44 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 6.4.1741, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.30. 45 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 16.91742, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.34. 46 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 30.7.1754, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.66. 47 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 23.5.1752, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.63. 48 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 15.3.1795, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.175. 49 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 17.9.1799, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.182. Bei angezeigten schwerwiegenden Misshandlungen schaltete man das Oberamt ein, vgl. ebd., S.288-290. Wie sich die verhandelten

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außereheliche Sexualität gerieten ins Visier. Das Landrecht bestrafte »Unzucht« mit Turm-, Gefängnis- oder Geldstrafen,50 ahndete und unterband das Zusammenleben ohne Trauschein.51

»Unzucht« und »Unsittlichkeit« im 18. Jahrhundert Die Ehe war nur mit herrschaftlicher Erlaubnis gestattet und diese hing im Wesentlichen davon ab, ob die Brautleute das Bürgerrecht und ein gewisses Vermögen besaßen. Heiratswillige, die arm und/oder nicht sesshaft waren, erhielten sie nur selten. Nach den herrschaftlichen Verständnissen ging der Ehe das Verlöbnis voraus. Wie jedoch ein ordnungsgemäßes Eheversprechen auszusehen hatte, beurteilten die Herrschaften unterschiedlich. So hielt das Oberamt Lörrach 1775 eines, das durch den »Brautkauf«, in diesem Fall die Übergabe von zwölf Batzen, besiegelt worden war, für rechtmäßig, während diese Sitte in der Herrschaft Heitersheim als ein zu ahndendes »Winkelversprechen« galt.52 Überall aber hatte der »Verspruch« mit Willen der Eltern zu geschehen.53 Willigten diese nicht ein, so konnte die Angelegenheit vor das Zensurgericht kommen. Als sich in Weil im Sommer 1742 ein Paar verlobte, die Eltern der Braut aber nicht zustimmten, holte das Zensurgericht alle Beteiligten zusammen. Die Vermittlung gelang, sodass sich die Brautleute Anfang September »auf des Pfarrers Stuben, in Gegenwart ihrer beyder Väter mit Mund Hand einander auf das neue und ordentlich genommen«.54 1757 hingegen verwies das Gericht ans Oberamt, da eine Mutter bei ihrer Ablehnung blieb: »Allein sie beharrete mit vieler hartnäckigkeit darauf, daß Sie ihren Willen

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»Delikte« auf die verschiedenen Bereiche verteilten und welche Strafen die Zensurgerichte verhängten, zeigt eine Auswertung der vor den badischen Kirchenzensurgerichten Berghausen, Weil am Rhein und Rußheim zwischen 1721 und 1809 verhandelten (658) Fälle, vgl. Schellenberger: Kirchencensur, S.301-305. Vgl. Land-Recht, Dritter Theil [Zugriff 13.10.2020]. In Wollbach spannte man »liederliche« Frauen »in den Karren«, »in wiederholten Fällen« drohte Zuchthaus, Männer mussten 15 Gulden Strafe zahlen oder wurden für jeden Gulden einen Tag »in den Thurmb« gesperrt, Himmelheber: Geschichte, S.128. Vgl. z.B. Protokolle Kirchen-Censur-Gericht Weil, 1750 und 1799, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.58 und 181f. Vgl. Müller: Heimatlosigkeit, S.171. Kirchenordnungsentwurf, 1728, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, Fn. 124, S.284. Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 5.9.1742, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.34.

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nicht darzu gebe.«55 Da eine »ordentliche« Verlobung als verbindlich galt, drohten Strafen auch denjenigen, die jene »leichtsinnig« auflösten. Meist jedoch verhinderten nicht die Eltern der Brautleute oder einer der Partner die Eheschließung, sondern die materiellen und finanziellen Umstände.56 Die weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten verboten zudem voreheliche sexuelle Beziehungen, insbesondere das »Einsteigen in die Cammern, Beyschlaf und andere verdächtige Zusammenschlupfungen«.57 Denn das »z’Liechtgehen« führe »zu Schwängerungen und damit zu Bastarden, die dann die Gemeinde zu verhalten« hätte.58 Auch war es den Hirten verboten, »Weibsbilder mit auf die Weide zu nehmen«. Das traditionell der Eheanbahnung dienende »Nachtschwärmen« sollte daher angezeigt und mit Geldstrafen, öffentlich vollstreckten Stockschlägen oder – für alle sichtbar zu verrichtender – Arbeit geahndet werden.59 So mussten drei ledige junge Männer aus Weil je drei Batzen in die Almosenkasse zahlen, »weil sie in der Himmelfarth Nacht im Dorf herum geschwärmet und zum Theil gefluchet« hatten.60 Brautpaare, die sich vor der Hochzeit »vergangen« hatten, mussten in Wollbach acht Gulden und 48 Kreuzer Strafe zahlen, in Weil 24 Kreuzer ins Almosen.61 Einige Paare meldeten sich, vielleicht um der Strafe zu entgehen, selbst beim Zensurgericht. Fridlin Frei und Barbara Marxin aus Weil etwa, »gestunden [vor Gericht] die Unzucht ein, u baten, daß man ihnen zur Heirat behülflich seyn solte«.62 Das Zensurgericht überwies 55 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 31.7.1757, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.121. 56 So berichtete der Eichstettener Landwirt und Winzer Johann Jakob Eselgroth in seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen 1806: »Hab mich versprochen, mit Maria Catharina Hißin. Weil wir nun gerne, und mit willen unsrer beidseitigen Eltern, ein Freitiges [freudiges] Hichzeit=Fest hielten, so musten wir, wegen Krigs Umständen, und Trauer=Fällen, […] dasselbige verschieben, Biß den 28.ten October.« Eselgroth, Johann Jakob (1782-1869): Aufzeichnungen über die Jahre 1788-1826, Deutsches Tagebucharchiv (DTA), Reg. 613, S.13. 57 Vgl. Land-Recht, Dritter Theil [Zugriff 13.10.2020]. 58 Markgräfliche Verordnung, 1738, zit. nach: Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.69. Das folgende Zitat ebd. 59 Vgl. badisch-durlachische Policeygesetzgebung, 1770, Holenstein: »Gute Policey«, S.354. 60 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 17.5.1747, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.49. 61 Vgl. z.B. Protokolle Kirchen-Censur-Gericht Weil, 1799, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.181f. 62 Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 27.5.1804, zit. nach: Ulbrich:

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den Fall jedoch ans Oberamt, da Fridlin Frei zu jung zum Heiraten sei. Eine Überweisung an die höhere Instanz erfolgte auch dann, wenn eine voreheliche Schwangerschaft vorlag. Gemäß der badisch-durlachischen »Policeygesetzgebung« waren »Dirnen«, die man einer »unehelichen« Schwangerschaft verdächtigte, anzuzeigen. Zu den anzeigepflichtigen Personen gehörten die Dienstherrschaft bzw. andere Vorgesetzte, die Eltern, die Schwangere selbst sowie der »Schwängerer«.63 Auch hatte der Pfarrer vierteljährlich ein »Verzeichnis der Bastarde und unehelichen Kinder« vorzulegen.64 Das Oberamt versuchte, sofern keine Heirat zustande kam, die Vaterschaft festzustellen, und legte ggf. die Höhe der Alimente fest. Selbst werdende Eltern, die sich noch vor der Geburt trauen ließen, mussten mit handfesten oder symbolischen Sanktionen rechnen. So waren das Saitenspiel und das Tanzen nur bei »ehrlichen Hochzeiten« erlaubt,65 die zudem ausschließlich an bestimmten Wochentagen stattfanden. In Haltingen legte der Pfarrer die Trauung der »Sünderpaare« auf den Donnerstag, während »ehrliche Hochzeiter« – wie auch in Grißheim – am Montag oder Dienstag heirateten.66 In Nimburg, das zur Markgrafschaft Hachberg, seit 1809 zum Bezirksamt Emmendingen gehörte, durften schwangere Bräute ebenfalls nicht am Dienstag heiraten, dem Wochentag für obrigkeitlich »legitimierte« Trauungen, sondern nur donnerstags oder freitags. Zum Teil hielt der Pfarrer gar keinen Traugottesdienst ab und trug in den Kirchenbüchern Kommentare ein wie »wegen Unzucht ohne Kranz« oder »wegen Unzucht ohne hochzeitliches Gepränge [Prunk]«, in den Taufregistern Bemerkungen wie »aus Unzucht« oder »Bastard«.67 In Haltingen fand zwar auch für »unzüchtige« Brautleute eine Zeremonie statt, doch legte der Pfarrer sie ebenfalls auf einen Donnerstag und verbot der »sündigen« Braut bei der Trauung einen Kranz zu tragen. Hielt sich die Braut nicht daran, so – dies ist aus Wollbach überliefert – rissen ihr die ledigen Frauen des Dorfes jenen beim Kirchgang chen-Censur, S.193. 63 Badisch-durlachische Policeygesetzgebung, 1716, 1781, 1785, zit. nach: Holenstein: »Gute Policey«, S.348. 64 Anordnung für die Pfarrer, 1757, zit. nach: Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.70. 65 Markgräfliche Verordnung, 1700, zit. nach: Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.66. 66 Vgl. Schülin, Haltingen, S.442f.; Himmelheber: Geschichte, S.124. Zu Grißheim vgl. Badisches Landesmuseum, Außenstelle Südbaden (BLAS), Fragebogen zur Sammlung der Volksüberlieferungen von 1894/1895, FB 138 Grißheim [Zugriff 16.11.2020]. 67 Kirchenbucheinträge, zit. nach: Fleischmann: Muster, S.65.

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vom Kopf.68 So wird man zusammenfassend für das 18. Jahrhundert wohl sagen können, dass die Moralvorstellungen der protestantischen Kirche und der weltlichen Herrschaft das Markgräflerland stark prägten und dass Sozialdisziplinierung und gemeindliche Kirchenzucht die Dörfer in hohem Maße und nachhaltig durchdrangen – auch und gerade, wenn es um Sexualität ging.

Politische und wirtschaftliche Entwicklungen im 19. Jahrhundert Bei der politischen Neuordnung zu Beginn des 19.  Jahrhunderts erwies sich das Markgräflerland als Kernland des neu errichteten Großherzogtums. Doch die politischen Unruhen und Kriegswirren beendeten zugleich die vielfältigen ökonomischen Entwicklungen, die Carl Friedrich in die Wege geleitet hatte. Hinzu kam ein anderer Faktor, der die (Land-)Wirtschaft im Markgräflerland erheblich prägte: die Zunahme der Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer ohnehin schon sehr dicht besiedelten Region.69 Dies erwies sich zunehmend als Problem, da die fruchtbaren Bewirtschaftungsflächen durch die seit langer Zeit praktizierte Realteilung sehr klein waren und immer weiter schrumpften. Die im Vergleich zu anderen Bezirken ohnehin große Einwohnerzahl erhöhte sich durch den Zuzug Arbeitssuchender aus dem Schwarzwald und dem oberen Wiesental erheblich, die sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft, in den Berg- und Eisenwerken von Hausen oder Kandern oder in den Fabriken des Rheintals zu verdingen suchten.70 So ging die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln mit einem großen Angebot an Arbeitskräften einher, die Schere zwischen steigenden Getreidepreisen und sinkenden Löhnen öffnete sich weit; auch die Weinbauern klagten über fehlenden Gewinn.71 Hatte schon das Kriegsjahr 1813/14 die Preise weiter nach 68 Der Pfarrer von Haltingen nutzte die Zeremonie zudem, um das »Vergehen« nochmals anzuprangern, etwa durch ein entsprechendes Bibelzitat, vgl. Schülin: Haltingen, S.443. 69 Baden gehörte zu einer der bevölkerungsreichsten Regionen Europas. Vgl., auch zum Folgenden, Weller: Sozialgeschichte, S.105f. und 149-151; Eibach: Staat, S.28. Zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert allgemein vgl. z.B. Ehmer: Bevölkerungsgeschichte, S.6-9 und 34-41. 70 Vgl. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.205 und 251-255. 71 Vgl. Schruft: Markgräflerland, S.125. Andere Winzer hingegen, etwa diejenigen, die weiter im Norden lebten, waren offenbar ganz zufrieden. So hielt der Landwirt und Winzer Johann Jakob Eselgroth aus Eichstetten im

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oben getrieben, so verursachte der Ausbruch des auf einer kleinen indonesischen Insel gelegenen Vulkans Tambora auch in Südwestbaden sehr schlechte Ernten, die in das Krisen- und Hungerjahr 1816/17 und zu einem Höhepunkt der Preise für Lebensmittel mündeten. In den folgenden Jahren verkehrte sich die Situation dann nahezu ins Gegenteil: Die zwischen 1818 und 1830 sehr günstige Witterung sowie das Greifen der landwirtschaftlichen Reformmaßnahmen brachten eine immense Steigerung der Agrarproduktion mit sich, sodass die Preise »ins Bodenlose« fielen.72 Trotz guter Ernten verschuldeten sich viele Landwirte, andere mussten einen Nebenerwerb aufnehmen bzw. diesen intensivieren oder ihren Betrieb ganz aufgeben.73 Mit der Verarmung der ohnehin vergleichsweise elenden Gebiete des oberen Wiesentals und Schwarzwaldes durch den Niedergang der Heimindustrie und dem großen Bedarf an Arbeitskräften beim Bau der Rheintalbahn und dem Ausbau der Industrien entlang des Rheins und der unteren Wiese nahm im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts die Migration in das untere Wiesen- bzw. Rheintal und in die dort bestehenden Fabriken weiter zu.74 Doch auch dort stagnierte die Entwicklung. Die Textilindustrie litt durch die Baumwollkrise infolge des amerikanischen Bürgerkriegs und die Rohstoffgewinnung etwa in Hausen oder Kandern an der Konkurrenz aus dem Ruhrgebiet, die schließlich zum Niedergang der badischen Eisenhütten führte. So war die Fabrikarbeit nicht nur von schlechten Arbeitsbedingungen, geringen Löhnen, überlangen Arbeitszeiten und fehlender Absicherung geprägt, sondern auch von großer Unsicherheit, reagierten die Unternehmen doch auf Amtsbezirk Emmendingen im Dezember 1811 in seinen Aufzeichnungen fest: »Daß vergangene Jahr ist ein gutes Jahr. Es gibt mittelmässig Frucht. Zimlich und guten Wein. […] Opst keines.« Eselgroth, Johann Jakob (17821869): Aufzeichnungen über die Jahre 1788-1826, DTA, Reg. 613, S.25. 72 Danner: Reformen, S.58. 73 Die Markgräfler Weinbauern bekamen zudem, vor allem nach dem Beitritt Badens zum Zollverein, zunehmend Konkurrenz aus anderen Weinregionen, etwa der Pfalz, die preiswerteren Wein anboten, vgl. Schruft: Markgräflerland, S.126f. Auch waren nicht alle Jahrgänge beliebt, etwa bei den Soldaten. So berichtete der Militärmusiker Johann Ludwig Bergdolt, mit seinem Truppenteil 1829 in einem Lager im Wiesental stationiert, der »1828er Wein [habe] keine bedeutende Rolle« gespielt. Hingegen blieb ihm das Jahr 1834 »so lange ich lebe im Gedächtnis […] wegen dem guten Wein den es geliefert hat«, Johann Ludwig Bergdolt (1806-1863): Aufzeichnungen aus meinem Leben, DTA, 647, I, S.4f. 74 Allmählich breiteten sich die Fabriken dann auch in jenen Gebieten aus, die zuvor agrarisch geprägt waren und aus denen aus wirtschaftlichen Gründen die Abwanderung ins Rheintal erfolgt war.

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Flauten kurzerhand mit Entlassung der Arbeitskräfte. Alternative Erwerbsmöglichkeiten gab es kaum, zumal einige wenige große Schweizer Fabrikanten fast eine Monopolstellung innehatten. Nicht zuletzt ist auf die politischen Verhältnisse zu verweisen, auf die Ereignisse des Vormärz und der Restaurationszeit,75 schließlich auf die Revolution von 1848/49, die im badischen Südwesten viele Anhänger und einen ihrer Hauptschauplätze besaß. So avancierte Lörrach im September 1848 kurzfristig zur Hauptstadt der revolutionären Bewegung.76 All dies erschütterte die (Land-)Wirtschaft schwer und verstärkte die Neigung vieler, der Armut zu entfliehen und auszuwandern, sei es in die nahe Schweiz oder nach Amerika. Die von der großherzoglichen Regierung forcierte Massenauswanderung »nach Amerika« erreichte zur Mitte des 19. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt.77 Für viele derjenigen, die im Markgräflerland blieben, bedeutete die wirtschaftliche Misere, dass ihre Heiratsabsichten fehlschlugen, da sie keinen Nachweis für einen »gesicherten Nahrungsstand« beibringen konnten. Die materielle Grundlage für eine obrigkeitlich »legitimierte« Eheschließung fehlte, die Geburtenrate sank insgesamt,78 zudem stiegen die »Unehelichkeitsraten« an.

Sozialdisziplinatorische Instrumente Die Obrigkeit registrierte den Anstieg der »Illegitimitätsraten« sehr genau. Um den Zustand der »Sittlichkeit« in den markgräflichen Gemeinden zu bemessen und Verstöße gegen die herrschende Norm zu sanktionieren, standen der großherzoglich-badischen Obrigkeit mit 75 Vgl. Weller: Sozialgeschichte, S.149; Eichfuss: Mitteilungen, S.55. 76 Vgl. Weller: Sozialgeschichte, S.169-171; Stiefel: Baden, S.279-286. Zu Lörrach vgl. Moehring: Lörrach, S.24f.; Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Lörrach (Hg.): Landkreis, Bd.1, S.432-434; Ott: Weg, S.292-298. Zu anderen Orten vgl. zudem: Schülin: Haltingen, S.225-236 (Haltingen); Küchlin: Chronik, S.73-76 (Hügelheim); Gemeinde Buggingen (Hg.): Festschrift, S.75 (Buggingen); Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.132-139 (Buggingen); Fischer: Dorf, S.158-161 (Vögisheim). 77 Zu den ersten beiden »Auswanderungswellen« der 1840er- und 1850er-Jahre aus Baden vgl. z.B. Fies: Auswanderung, S.69-87; Weller: Sozialgeschichte, S.152f. 78 In Baden wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts jährlich etwa 68.000 Kinder geboren, zu Mitte des 19.  Jahrhunderts waren es jährlich durchschnittlich weniger als 47.000 Geburten, vgl. Eichfuss: Mitteilungen, S.55.

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den Rüge- und Frevelgerichten sowie den Kirchen- und Schulvisitationen des 18. Jahrhunderts zwei etablierte und fest in der dörflichen Struktur verankerte Instrumente zur Verfügung. Beide Verfahren wurden fortgeführt, wenn auch in modifizierter, den vielfältigen, im 19. Jahrhundert statthabenden Veränderungen angepasster Form. Die Kirchenzensurgerichte wurden mit der Einführung der Union der lutherischen und der reformierten Kirche in Baden 1821 zwar aufgelöst,79 doch blieb das Moment der Sozialreglementierung bestehen.80 An die Stelle der Kirchenzensurgerichte traten die Kirchengemeinderäte, die aus dem Pfarrer und den (von den volljährigen männlichen Bürgern gewählten) Kirchenältesten bestanden.81 Weiterhin konnte der Pfarrer Gemeindemitglieder wegen »Unsittlichkeit«, Trunksucht, Fluchen, Beleidigungen oder Sonntagsentheiligung vor den Kirchengemeinderat laden, der auch weiterhin die Höhe der Strafen festlegte. Allerdings lag die Vollstreckung nun in leichteren Fällen beim Vogtamt, in schweren Fällen nach wie vor bei der übergeordneten Behörde, nun dem Bezirksamt. Ein zweites Instrument blieb nahezu unverändert erhalten: die Kirchen- und Schulvisitation. Die Kirchenleitung modifizierte den entsprechenden Fragenkatalog nur leicht und ließ die Visitationen regelmäßig und im Abstand von nur wenigen Jahren durchführen.82 Auch der Staat griff auf die etablierten Instrumente der Sozialdisziplinierung zurück und passte sie den neuen

79 Vgl. Stiefel: Baden, S.685-688; Kuhlemann: Bürgerlichkeit, S.67-73. Bereits durch den Code Napoleon bzw. ein Edikt vom 26. November 1809 war den Pfarrämtern die Strafgewalt entzogen worden. Zwar bestand das Zensurgericht weiter, bestimmte auch weiterhin die Strafen, doch deren Ausführung lag nun allein bei der weltlichen Obrigkeit. 80 Vgl. Ulbrich: Kirchen-Censur, S.241. Auf die große Bedeutung von Religion und Kirche für das 19. Jahrhundert hat Olaf Blaschke hingewiesen, vgl. Blaschke: Jahrhundert. Zu Brüchen und Kontinuitätslinien zum 18.  Jahrhundert vgl. ebd., S.41, zur sozialdisziplinatorischen Macht der Kirchen im 19. Jahrhundert ebd., S.62f. 81 So hieß es in der Kirchengemeindeordnung von 1821: »Dem Kirchengemeinderath ist die Sorge für das sittliche, religiöse und kirchliche Wohl der Gemeinde anvertraut, und er hat als solcher […] insbesondere über die Sittlichkeit [der Gemeindemitglieder] zu wachen«, §1 der Kirchengemeindeordnung, 1821, zit. nach: Schellenberger: Kirchencensur, S.200. Zu den evangelischen Pfarrern in Baden im 19.  Jahrhundert allgemein vgl. Kuhlemann: Bürgerlichkeit. 82 In Müllheim z.B. fanden 1842, 1861, 1864, 1870, 1872, 1875, 1878, 1881, 1885, 1889, 1893, 1897 und 1899 Kirchenvisitationen statt, vgl. LkA KA, 043. Müllheim, 494. Vgl. zudem Kuhlemann: Bürgerlichkeit, S.261-263.

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Verwaltungsstrukturen an.83 So erklärte das Organisationsreskript vom November 1809 die Abhaltung der Rüge- und Vogt-Gerichte zur Angelegenheit der neu eingerichteten Bezirksämter.84 Erneut nahm die Visitation vor Ort eine bedeutende Rolle ein, und von Beginn an war klar, dass sich der zuständige Amtmann, nun in Person des Bezirksamtsleiters, mit den als sachkundig erachteten Personen aus dem Dorf zu besprechen hatte, um seine Aufgabe zu erfüllen. In erster Linie waren dies der Pfarrer und der Ortsvorstand.85 Wie zuvor, so brachte auch im 19. Jahrhundert der Amtmann (oder sein Amtsschreiber) alles das, was die – nun Ortsbereisung genannte – Lokaluntersuchung an Wichtigem ergab, zu Protokoll, das dann mit seinen Vorschlägen zur Abhilfe an die übergeordnete Behörde ging. So fanden die älteren Frevelgerichte des Ancien Régimes ihre Fortsetzung in den Ortsbereisungen. Sie spielten im Großherzogtum Baden im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle in der staatlichen Aufsicht über die Kommunalverwaltung, stellten den Versuch einer »durchdringende[n] Erfassung der Gemeindeverhältnisse« dar.86 Für die Zentralverwaltung waren viele Regionen zunächst einmal unbekanntes Terrain, das durch die Ortsbereisung erstmalig erschlos83 Vgl., auch zum Folgenden, Eibach: Staat, S.31-34; Holenstein: »Gute Policey«, S.519-533. 84 Die detaillierte Verordnung des badischen Innenministeriums vom Oktober 1811 zeigt freilich die große Kontinuität zu den »Policeyfragen« des 18. Jahrhunderts, vgl. die Gegenüberstellung bei Holenstein: »Gute Policey«, S.522525; sowie auch Eibach: Staat, S.139f. 85 Bis 1835 hatte der von der Obrigkeit eingesetzte Vogt die Position des Ortsvorgesetzten inne, danach der von der privilegierten Minderheit der Ortsbürger gewählte Bürgermeister. Hinzu kamen der Ratsschreiber und die nun ebenfalls gewählten Gemeinderäte, die gemeinsam sozusagen den Ortsvorstand bildeten, auf den der Bezirksamtsleiter zur Erfüllung seiner Pflicht primär angewiesen war, vgl. Eibach: Staat, S.66-69; Faller: Hänner/Oberhof, S.11. 86 Eibach: Staat, S.143. Eibach hat am Beispiel Badens untersucht, wie sich Staatlichkeit im 19. Jahrhundert vor Ort manifestierte. Er zeigt auch, dass die Ortsbereisungen  – unabhängig von den regionalen Unterschieden und anders als 1811 vorgeschrieben – lange Zeit nicht turnusmäßig und flächendeckend stattfanden, schon allein weil ein entsprechender Verwaltungsapparat vielerorts noch fehlte und das Amt häufig nur aus einer einzigen Person, dem Amtmann selbst, bestand. Erst mit der zunehmenden Etablierung der Verwaltung in den 1830er- und 1840er-Jahren kehrte eine gewisse Konstanz ein; die Ära der Reaktion auf die Revolution von 1848/49 brachte eine merkliche Veränderung, nicht zuletzt, da die Ortsbereisungen nun verstärkt auch dem Zweck dienen sollten, die Provinz zu kontrollieren und weiteren politischen Unruhen vorzubeugen, vgl. ebd., S.142f.

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sen werden sollte. Dies galt freilich kaum für die Markgrafschaft, die ja das badische Kernland darstellte. Dort waren die Verwaltungsstrukturen bereits vergleichsweise gut etabliert und die entsprechenden Stellen personell gut besetzt.87 Die Amtmänner nutzten die Ortsbereisungen als Anlass, anfangs eher individuell-paternalistische, dann zunehmend staatliche Macht zu demonstrieren.88 Sie reisten persönlich in die Gemeinden – ihre soziale Überlegenheit durch Kutsche samt Kutscher, Uniform und Hochdeutsch zur Schau stellend – und machten sich in ein, zwei Tagen ein Bild von den Verhältnissen. Sie erfassten Angaben zu Zahl und Konfession der Einwohner, zur Gemarkung und zum Vermögen des Dorfes, beurteilten die Eignung der örtlichen Amtsinhaber und begutachteten ganz allgemein die aktuelle Lage. Auch die Familien- und »Sittenverhältnisse« gerieten ins Visier.89 So eignen sich die Protokolle der Ortsbereisungen90 sowie die Niederschriften der Kirchenvisitationen gut, um das Thema »Unehelichkeit« näher zu beleuchten, können einzelne Passagen der Berichte doch wie Sonden genutzt werden, die mitten hinein in die Familien- und Reproduktionsverhältnisse der dörflichen Bevölkerung leuchten.91

87 Vgl. Eibach: Staat, S.22. Auf rund 7.000 Einwohner kam dort schon um 1800 ein Amtmann. 88 Zum Sozialprofil, Alltag und Auftreten der Amtmänner vgl. ausführlich Eiber: Staat, S.35-47. 89 Wie bei den Frevelgerichten des 18. Jahrhunderts hatte die Bevölkerung die Möglichkeit, Beschwerden vorzutragen und um Abhilfe zu bitten. Trotz der anders lautenden Verordnung wurden weiterhin auch private Angelegenheiten verhandelt, vgl. Eibach: Staat, S.143; Holenstein: »Gute Policey«, S.526528. 90 Die (heute im Staatsarchiv Freiburg aufbewahrten) Protokolle der Ortsbereisungen umfassen meist 50 bis 60 handschriftlich angefertigte Seiten. Zunächst ging es um die ökonomische, wirtschaftliche und politische Situation der Gemeinde, um den Zustand der öffentlichen Gebäude und Wege sowie der Bücher und Registraturen, der Wasserversorgung und Feuerwehr, der Feld- und Waldhüterdienste. Dann folgten Berichte über die Polizei und das Armenwesen, die Schule und die »Sittenverhältnisse«. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme wurden detailliert protokolliert, vieles kommentiert und mit Anweisungen zur Abstellung der festgestellten Missstände versehen. Die Ortsvorstände waren gehalten, in den folgenden Wochen über die angeordneten Maßnahmen Rapport zu erstatten; freilich ist auch zu sehen, dass sie vieles nur unzureichend oder gar nicht befolgten. 91 Auch andere Themen (wie etwa Herrschaftsausübung vor Ort oder Religionsausübung bzw. Glaubensvorstellungen) könnten mit diesen Quellen gut untersuchen werden; das soll hier aber nicht geschehen.

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»Sittenreinheit« im Markgräflerland Die »sittlichen Verhältnisse« der Gemeinde bzw. Pfarrei wurden in den Kirchenvisitationen und Ortsbereisungen fast immer thematisiert. Dabei ist auffällig, dass die Visitatoren in den Dörfern der Rheinebene und des Markgräfler Hügellandes wenig über die »Unsittlichkeit« klagten. Sie fragten zwar nach »unehelich« geborenen Kindern und notierten deren Zahl, enthielten sich aber weitgehend einer moralischen Bewertung. So stellte der Müllheimer Amtsleiter C. Winter im November 1855 bei der Ortsbereisung der 414 Einwohner zählenden und »ziemlich wohlhabend[en]« Gemeinde Vögisheim, aus der zwei Frauen stammten, die später in Basel als ledige Mutter registriert wurden, fest, dass das örtliche Armenhaus »von einem gewissen Nussbaumer, einem noch jungen Mann und sechs kleinen Kindern, einem alten kranken Mann namens H. Schumacher und einer leichtsinnigen jungen Weibsperson namens Louise Graf mit einem unehelichen Kind« bewohnt würde. Dies kommentierte Winter nicht weiter, monierte hingegen: »Dieses Armenhaus sollte reinlicher gehalten sein und gehört ausgeweiselt.«92 Zwei Jahre später zählte er in Vögisheim 17 »uneheliche« Kinder unter 14 Jahren. Allerdings werde über diese »gehörige Aufsicht geführt […]. Der größere Teil der unehelichen Kinder befindet sich bei den Großeltern.«93 Über die Gemeinde Müllheim urteilte der »Evangelische Ober-Kirchenrath« auf der Grundlage der vorliegenden Einzelvisitationen zusammenfassend, sie sei im Allgemeinen »eine fleißige betriebsame, ordnungsliebende und zuverlässige, der es nicht an religiösem Sinn fehle, während der Sinn für das eigentlich kirchliche zurücktrete.«94 Letzteres zeige sich insbesondere in der Vernachlässigung des Kirchenbesuchs. Den Zustand der »Sittlichkeit« hingegen rügte die Kirchenleitung nicht. Ein weiteres Beispiel: Die Visitation in Auggen ergab 1823, dass im Dorf zehn »uneheliche« Kinder lebten, die, da sich ihre Mütter anderswo verdingten, von »Pflegern« versorgt würden. Weder sie noch andere Kinder würden zu »Wirthshausgelagen« oder »nächtl. Tänzen gelaßen«. Generell werde zu »verbotenen Zeiten« nicht getanzt und bei den gestatteten »Tanzlustbarkeiten […] die gehörige Aufsicht über die jungen Leute getragen«. Auch »unsittliche nächtliche Zusammen92 Ortsbereisung Vögisheim, 1855, zit. nach: Fischer: Dorf, S.132. 93 Ortsbereisung Vögisheim, 1857, zit. nach: Fischer: Dorf, S.128. 94 Schreiben Evangelischer Ober-Kirchenrath die Kirchenvisitation in Müllheim betr., 1870, LkA KA, 043. Müllheim, 494.

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künfte werden nicht geduldet«.95 Der Oberkirchenrat nahm die Berichte »mit Vergnügen« zur Kenntnis und folgerte, dass der Zustand des »Kirchenwesens« gut und »wohlgeordnet« sei. Pfarrer und Lehrer bescheinigte man »pflichtgetreue« bzw. »fortdauernde gute Amtsführung«, dem Kirchengemeinderat »treue Mitwirkung«.96 Ähnlich auch die Situation in Haltingen. Der Leiter des Bezirksamtes Lörrach rügte dort in den 1830er-Jahren etwa die unreinlichen Straßen,97 in den späten 1840er-Jahren die »vielleicht nur zu lebendige[…] Teilnahme an den sogenannten freiheitlichen Bestrebungen der letzten Jahre, welche vielfach wohl über die Grenzen gesetzlich und verfassungstreuer Gesinnung hinausgegangen« seien.98 1852 hatten sich die politischen Verhältnisse wieder beruhigt, zumindest äußerte sich der Amtmann wieder positiv (die Haltinger seien »sehr intelligent und fleißig«99). An den »sittlichen Zuständen« im Dorf fand er in all den Jahren wenig auszusetzen. Ähnlich auch die Wahrnehmung der geistlichen Obrigkeit. 1837 schloss die Kirchenleitung ihren Bericht über Haltingen mit den Worten: »Im Übrigen ist nichts zu bemerken, als das, daß es erfreulich ist, wie sehr die Gemeinde mit dem Pfarrer zufrieden erscheint.«100 Und im Sommer 1868 urteilte der »Evangelische OberKirchenrath« über die Gemeinde: »Im Allgemeinen ist kirchlicher Sinn und Achtung guter Sitte in ihr herrschend.«101 Dies galt offenbar auch für andere Gemeinden im Lörracher Bezirk. So hielt der Bezirksamtsleiter 1854 zusammenfassend fest: Die »Sittenreinheit hat sich vielleicht in keinem Theile des Landes bis in die neuere Zeit so sehr erhalten, wie bei unserem Markgräfler«.102 Derartige Einschätzungen waren nicht zuletzt durch den Vergleich mit den Gemeinden in den Höhenlagen, den so genannten Waldorten, bedingt, die etwa die Leiter der Ämter Mülllheim und Lörrach oder auch Waldshut und Säckingen aus eigener Anschauung kannten, umfassten ihre Bezirke doch Ge  95 Visitations-Protocoll Kirchenvisitation Auggen, 1823, LkA KA, 043. Müllheim, 329. Ähnlich die Situation in Weil vgl. Pfarrei Weil, Beantwortung der Kirchenvisitations-Fragen, 1852-1868, LkA KA, SpA, Nr.12859.   96 Schreiben Evangelischer Ober-Kirchenrath die Kirchenvisitation in Auggen betr., 1841 und 1845, LkA KA, 043. Müllheim, 330.   97 Vgl. Ortsbereisung Haltingen, 1839, zit. nach: Schülin: Haltingen, S.360.   98 Ortsbereisung Haltingen, 1848, zit. nach: Schülin: Haltingen, S.236.   99 Ortsbereisung Haltingen, 1852, zit. nach: Schülin: Haltingen, S.333. 100 Beschluß Evangelische Kirchen Section, Ministerium des Inneren, 1837, LkA KA, 043. Lörrach, Nr.66. 101 Schreiben Evangelischer Ober-Kirchenrath die Kirchenvisitation in Haltingen betr., 1868, LkA KA, 043. Lörrach, Nr.66. 102 Ortsbereisung Lörrach, 1854, zit. nach: Ott: Weg, S.297.

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biete in der Rheinebene wie im Gebirge. Sie wiesen auf den Kontrast zwischen den Dörfern in der Ebene und den Walddörfern hinsichtlich der »Unehelichkeit« mehrfach hin. Einer von ihnen hielt pointiert fest: »Die Zahl der unehelichen Kinder gegenüber den ehelichen gestaltet sich hier wie überhaupt in den Gemeinden der Rheinebene viel günstiger als in den Waldgemeinden.«103 Auch die publizierenden bürgerlichen Zeitgenossen betonten den Kontrast zwischen Höhenlagen und Ebene. »In der Rheinebene und den vorderen Thälern leben die Einwohner im Allgemeinen gut« – so urteilte der in Lahr und Durchlach tätige Gymnasialprofessor und Historiker Carl Gustav Fecht, der umfangreiche »Specialgeschichten, inkl. Statistik, Handel & Gewerbe« über die Amtsbezirke Müllheim, Waldshut, Säckingen, Lörrach und Schopfheim veröffentlichte.104 Insbesondere pries er die Müllheimer Weinorte. Die rund 1.300 Einwohner Auggens etwa, acht der hier betrachteten Badenerinnen stammten von dort, seien »ziemlich wohlhabend«,105 ebenso die Bevölkerung in Hügelheim, das etwas weiter nördlich lag und aus dem vier der Badenerinnen kamen, die in Basel als ledige Mutter registriert wurden.106 Nicht zuletzt hob Fecht die große Diskrepanz zwischen den Orten in der Rheinebene einerseits und den Dörfern der Höhenlagen andererseits hervor: »Der Menschenschlag [im unteren Wiesental] ist durchweg ein körperlich gesunder und kräftiger, die Tracht […] zeigt sich im Allgemeinen auf dem Walde weniger ansprechend und freundlich als in dem Amtsbezirk Lörrach. […] Dem Charakter nach gleichen die vorderen Thalleute, namentlich die des Hauptthales, ziemlich den Bewohnern des westlichen Nachbarbezirkes, deren allemannisches Gepräge und gut markgräfliche Gesinnung unser Hebel [trefflich beschrieben hat]. Fleiß, Intelligenz und damit verbundener Wohlstand begegnet uns auch hier vielfach in Stadt und Land.« In den »Waldorten« hingegen, »deren Boden kaum noch Gerste, Hafer und Kartoffeln hervorbringt, und deren Bewohner sich vorzugsweise mit 103 Bereisung der Gemeinde Stadenhausen durch den Amtsvorstand, 1862, StA Freiburg, B 750/14, 9589. 104 Fecht: Müllheim, S.19. Vgl. ders.: Amts-Bezirke, S.292. Ähnlich auch die Darstellung über Müllheim bei Schneider: Oberland, S.57-59. Pfarrer Schneider war seit 1819 in verschiedenen Gemeinden der Amtsbezirke Müllheim und Lörrach tätig. 105 Fecht: Müllheim, S.53. 106 Die Einwohner seien insgesamt »wohlhabend[…]«, das Pfarrdorf betreibe »Feld-, Wiesen- und Weinbau und Viehzucht« und der »Wein gehört zu den besseren der Gegend.« Fecht: Müllheim, S.139.

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Kohlenbrennen, Tagelöhnen, Holzhauen und theilweise mit vagabundirendem Bettel ernähren, [zeigen sich] Unsittlichkeit, Arbeitsscheu, Rohheit«.107 Fecht und andere Zeitgenossen betonten den großen Unterschied zwischen dem protestantischen Markgräflerland und den katholischen Höhenlagen des oberen Wiesentals und des Schwarzwaldes, zeichneten ein zweigeteiltes Bild entlang der Topoi Armut versus Wohlstand, Bildung versus Rohheit, Müßiggang versus Fleiß, Sittlichkeit versus Unzucht, und kamen zu dem Schluss: Aus »der strengen Zucht der Markgräfler blühten mehr Ordnung, Fleiß und Wohlstand hervor als im heiteren Lebensgenuß der katholischen Orte«.108 Insgesamt ergibt sich aus den überlieferten Quellen ein (fast) makelloses Bild des Markgräflerlands. Dies mag seinen Grund auch darin haben, dass es sich bei den Berichterstattern zum weitaus größten Teil um Männer handelte, die von dort stammten und dem protestantischen Bildungsbürgertum angehörten. Die lokalen Pfarrer, Lehrer oder Bürgermeister hatten in den Dörfern nicht nur die Diskurshoheit über Leumund und Sitte inne, sondern verfassten vielfach auch Dorfchroniken oder Ortsbeschreibungen. So stammt die Mehrzahl der überlieferten Quellen zum sozialen Leben der Dörfer im 18. und 19. Jahrhundert aus der Feder der lokalen Honoratioren. Was die Normen von Sittlichkeit, Ehe und Familie betraf, so teilten sie mit den weltlichen und geistlichen Visitatoren eine ähnliche Überzeugung. Das Selbstbild dieser Männer bestimmte auch ihre Wahrnehmung: Es konnte gleichsam gar nicht sein, dass in ihrer eigenen Heimat – im protestantischen, badischen Kernland – »Unsittlichkeit« herrschte. Zudem ließ sich vor dem Zerrbild »der Katholiken« die eigene Mustergültigkeit um so deutlicher hervorheben.109

»Illegitimitätsraten« im Markgräflerland Unabhängig von derartigen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern ist festzustellen, dass die Zahl der nichtehelich geborenen Kinder im Markgräflerland tatsächlich niedriger war als in anderen Regionen des 107 Fecht: Amts-Bezirke, S.453f. Außer Fecht könnten auch andere Autoren zitiert werden, vgl. etwa Meyer: Volkleben, S.2; Heunisch: Kinder, S.16; Kappes: Großherzogtum, S.647. 108 Bader, Joseph: Spaziergang durch das Oberland, 1844, zit. nach: Schülin: Haltingen, S.440. 109 Zum Antikatholizismus der evangelischen Pfarrer in Baden vgl. auch Kuhlemann: Bürgerlichkeit, S.290-307.

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Großherzogtums. Die Raten lagen von den 1830er- bis in die späten 1840er-Jahre bei rund 15%, stiegen zu Anfang/Mitte der 1850er-Jahre auf etwa 20% und fielen Ende der 1860er-/Anfang der 1870er-Jahre auf rund 10%. Sie gehörten stets zu den niedrigsten im Großherzogtum.110 Bedenkt man die naturräumliche Gliederung der beiden Amtsbezirke Lörrach und Müllheim und den mehrfach angesprochenen Unterschied zwischen den Waldgebieten und dem Rheintal hinsichtlich der »Unehelichkeit«, so können die angegebenen Werte nicht zuletzt als Durchschnitt zwischen den tendenziell hohen Werten in den Höhenlagen und den eher niedrigen in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland interpretiert werden. Das Beispiel der Pfarrei Weil untermauert diese Überlegung. So berichtete der Pfarrer den Kirchenvisitatoren in den 1850er-Jahren, dass sich unter den rund 1.400 Einwohnern lediglich 30 »uneheliche« Kinder befänden. Mitte der 1860er-Jahre lag die »Unehelichkeitsrate« bei unter 2%,111 also deutlich niedriger als der Durchschnittswert des gesamten Amtsbezirks von rund 15%. Auch die jüngst durchgeführten Studien zur »Unehelichkeit« im Markgräflerland zeigen, dass weitere Differenzierungen nötig sind, um die historische Realität angemessen zu beschreiben. Sandra Fleischmann und Fiona Pahlke haben neun ausgewählte Orte in den Amtsbezirken Lörrach bzw. Müllheim im Hinblick auf Muster der nichtehelichen Familiengründungen untersucht.112 Im Fokus stand die Frage, ob es typische Formen der nichtehelichen Familiengründung gab und ob sich jene im Laufe der Zeit veränderten. Dafür wurden für den Zeitraum von Mitte des 18. bis Mitte des 19.  Jahrhunderts über 2.800 Lebensläufe rekonstruiert. Deutlich wird, dass bei der »Illegitimität« im Markgräflerland von einer großen Varianz auszugehen ist. Hohe Raten verzeichneten nur zwei der untersuchten Dörfer, nämlich die beiden katholischen Enklaven Liel und Inzlin110 Vgl. die Zahlen bei: Heunisch, Kinder, S.25; sowie die entsprechenden Tabellen bei Lange: Geburten, Anhang. 111 Pfarrei Weil, Beantwortung der Kirchenvisitations-Fragen, 1852-1868, LkA KA, SpA, Nr.12859. 043. Auch 1858 hieß es, der kirchliche Zustand der Gemeinde werde bei den Kirchenvisitationen »als im Ganzen befriedigend geschildert«, zudem werde die »Dienstbefließenheit sowohl des Pfarrers […] als des Kirchengemeinderaths« anerkannt, Bericht Evangelischer Ober-Kirchenrath die Kirchenvisitation in Weil betr., 1858, LkA KA, 043. Lörrach, Nr.131. 112 Vgl. Fleischmann: Transfer; Pahlke: »Unehelichkeit«. Im Amt Müllheim wurden die Orte Buggingen, Britzingen, Liel und Müllheim (Stadt) untersucht, im Amt Lörrach die Orte Binzen, Grenzach, Haltingen, Inzlingen und Rümmingen.

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gen. In den anderen Ortschaften, die in vielerlei Hinsicht typischer für das Markgräflerland sind als Liel und Inzlingen, traten hingegen vergleichsweise niedrige »Unehelichkeitsraten« auf, die unter den badischen Durchschnittswerten lagen. Zudem: Wenn »Illegitimität« in diesen Dörfern auftrat, dann interessanterweise nicht etwa gleichmäßig über alle Bewohner verteilt, sondern eher in bestimmten Familien. Der zuletzt genannte Faktor verdient besondere Aufmerksamkeit, da dieses Phänomen in der Forschung bislang nicht beschrieben wurde. Zusammenfassend ist jedenfalls festzuhalten, dass in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland im 19.  Jahrhundert kein ausgeprägtes Milieu von »Unehelichkeit« bestand. »Unehelichkeit« war dort kein Massenphänomen. Gleichwohl kam sie vor. Die meisten bürgerlichen Zeitgenossen, die über das Markgräflerland schrieben, führten als Erklärung für das Auftreten von »Unehelichkeit« die Verhältnisse in der Industrie an. Sie nahmen die Fabrik als Keimzelle von »Unzucht« und »Unsittlichkeit« wahr, den Zuzug aus den Höhenlagen als Bedrohung. Der Wohlstand des Amtes Lörrach sei, so etwa Fecht, in Gefahr, da »fremder Sitten Gift […] allmälig selbst in das Innere unserer Thäler einzudringen versucht«. Fecht meinte damit die »rasch anwachsende Fabrikbevölkerung«, die »in mancher Hinsicht daran arbeitet, die naturwüchsige Einfachheit des Lebens und der Sitten umzugestalten«.113 Auch Eduard Kaiser, ein aus Lörrach stammender Arzt und Abgeordneter der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung, empfand die Veränderung Lörrachs durch die zunehmende Industrialisierung seit Beitritt Badens zum Zollverein als beängstigend, die zuziehenden Arbeiter als Bedrohung der althergebrachten Tradition: »Neue Fabriken, Maschinen, Kapitalien, Berufsarten, Menschen und Arbeiten überfluten das Tal, verändern die Lebensweise der Bevölkerung […]. Der Ackerbau trat zurück, die Dörfer an der Wiese vergrößerten sich, eine unbekannte, unberechenbare Bevölkerung von Schweizern und armen Schwarzwäldern drängten herein […]. Polizei und Bürgermeisterämter bekamen zehnfach Arbeit«.114 Ähnlich Pfarrer Johann Jacob Schneider 1840: »Wie gefährlich aber diese Massen von Arbeitern sind, wenn nicht ein religiöser Geist, ein moralischer Wille sie belebt, davon gibt hauptsächlich England Zeugniß. […] Die arbeitende Klasse steht der Mehrzahl nach selten auf dem Standpunkt der Mäßigung und Ordnung […]; an boshaften und äusserst verdorbenen Subjekten fehlt 113 Fecht: Amts-Bezirke, S.285f. 114 Kaiser: Lebenserinnerungen, S.179.

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es nicht, die die Schwäche des Schwachen benutzen, um ihn mit in die Abgründe eines zucht- und sittenlosen Wesens hinabzuziehen«.115 Auch trage die Fabrikarbeiterschaft zum Anstieg der »Unehelichkeitsraten« bei, wie der Amtsvorstand bei der Gemeinde Segeten bei einer Ortsbereisung feststellte: »Allein das Jahr 1866 hat einen schlimmen Anfang genommen, indem bis 13ten September schon 6 uneheliche Kinder geboren wurden, von Frauenspersonen, die in auswärtigen Fabriken arbeiten.«116 Vielen Autoren wie den meisten bürgerlichen Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts galt die Fabrik als Keimzelle des moralischen Verfalls, die von der Höhe zuziehenden Fabrikarbeiter als Träger von »Unzucht« und »Unsittlichkeit«. Der von den publizierenden Zeitgenossen vermutete Transfer der »Unehelichkeit« aus dem oberen Wald in die Ebene fand jedoch nicht in den von Fleischmann und Pahlke untersuchten Familien statt. Vielmehr waren diese meistens lange im Markgräflerland ansässig und suchten auch die (Ehe-)Partner entweder im Ort selbst oder in der näheren Umgebung. So zeigt die Untersuchung der Dörfer Haltingen, Binzen und Rümmingen (Amt Lörrach), dass vielfältige familiäre Verbindungen zu anderen Orten am Rhein wie etwa Märkt, Öltingen, Fischingen oder Lörrach bestanden. Die Familien in diesen Orten waren offenbar recht mobil und knüpften Beziehungen nicht nur im eigenen Dorf. Vereinzelt kamen die (Ehe-)Partner auch von weiter her, aus Lahr, Kadelburg, Steinen, Waldshut oder Säckingen. Ähnliche Muster fanden sich auch im Amtsbezirk Müllheim.117 Nicht alle »Bekanntschaften« führen jedoch in eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe; vielmehr trat »Unehelichkeit« in einzelnen Familien gehäuft auf. Doch jene ernährten sich nicht – wie die publizierenden Zeitgenossen und die Visitatoren vermuteten – von Fabrikarbeit, noch stammten sie vom oberen Wald. Unter ihnen befanden sich hingegen viele derjenigen Markgräflerinnen, die die Basler Behörden später als ledige Mutter registrierten. Zwei Beispiele sollen veranschaulichen, welche Formen der Familiengründung für jene Familien typisch waren.

115 Schneider: Oberland, S.138f. 116 Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1866, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 117 Vgl. Pahlke: »Unehelichkeit«, S.29.

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Nichtehelichkeit im Markgräflerland Familie Hässler/Häslin lebte in Müllheim.118 Die Zahl der überwiegend evangelischen Einwohner Müllheims nahm seit 1810 um 70% zu, auf über 2.100 im Jahre 1861. Sie seien, so Fecht, »im Ganzen wohlhabend, zum Theil sehr reich, die eigentlichen Edelbauern des Markgräflerlandes«.119 Zu diesen gehörte Familie Hässler nicht, vielmehr handelte es sich ausweislich der (wenigen) Einträge in den Kirchenbüchern um Angehörige der unterbäuerlichen Schicht. Gleichwohl gehörten die Hässlers zu den alteingesessenen Müllheimer Familien:120 Der um 1610 geborene Jakob Hässler (um 1610-1692) verheiratete sich vor 1649 mit Katharina Waldner121 (um 1620-1663), und alle vier Kinder wurden im Sinne der obrigkeitlichen Normen »ehelich« geboren. Sohn Johannes Hässler (1663-1729) allerdings ging als junger Mann »Bekanntschaften« zu mehreren Frauen ein, sodass ihn der Pfarrer im Kirchenbuch als »Hurensack«, »Rotzbub« oder »rechten Hurenbub« bezeichnete; erst 1687 heiratete er.122 Seine beiden Brüder, Jakob Hässler (1653–?) und Sebastian Hässler (1657-1733), gründeten 1688 bzw. 1698 mit kirchlichem Einverständnis eine eigene Familie, aus der jeweils acht »ehelich« geborene Kinder hervorgingen. Der älteste Sohn von Sebastian Hässler, Hans Jakob Hässler (1699-1754), heiratete 1724 ein zweites Mal, nachdem seine erste Frau »im Kindbett« gestorben war. In seiner Generation findet sich auch eine Angabe zur Beschäftigung: Hans Jakob Hässler verdingte sich demnach als Tagelöhner. Nur eines seiner Kinder aus den beiden Ehen überlebte die Kindheit, nämlich sein 118 Der Ort, der äußerst verkehrsgünstig in der Rheintalebene, am westlichen Fuß der Vorberge des Blauen lag und vom Weinbau lebte, erhielt 1810 Stadtrechte und entwickelte sich zu einem wichtigen Verwaltungszentrum, vgl. Fecht: Müllheim, S.167. 119 Fecht: Müllheim, S.169. 120 Der erste Eintrag zur Familie geht auf das frühe 17.  Jahrhundert zurück, und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kamen alle Familienmitglieder aus dem Markgräflerland, die meisten aus Müllheim selbst. Vgl. Geschichtsverein Markgräflerland e.V. (Hg.): Müllheim, S.285-296. Die folgenden Zitate aus den Kirchenbüchern finden sich bei den entsprechenden Personeneinträgen, ebd. 121 Im Folgenden werden stets, auch bei späterer Erwähnung die Geburtsnamen der Frauen genannt, um Verwechslungen zu vermeiden. 122 Ein Jahr später gebar die ledige, aus dem Schweizerischen Rünenberg stammende Anna Baumann in Müllheim ein Mädchen und gab an, der Vater sei ein gewisser Philipp Hässler. Näheres zum Vater und seinem Verwandtschaftsverhältnis zur Familie Hässler ließ sich weder zeitgenössisch noch später klären.

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1727 geborener Sohn Johannes Hässler (1727-1799), der sein Auskommen später ebenfalls als Tagelöhner und Zehntknecht fand. Zusammen mit seiner Frau Elisabetha Brunner (1722-1778) hatte Johannes Hässler acht »ehelich« geborene Kinder, von denen drei noch im Kindesalter starben. Von den fünf Kindern, die erwachsen wurden, führte nur eines ein im Sinne der Obrigkeit »sittliches« Leben. Die anderen vier Kinder von Johannes Hässler und Elisabetha Brunner zeugten ihre eigenen Kinder vor der Ehe, zwei dieser Kinder wurden »unehelich« geboren, später aber »legitimiert«. Einer ihrer Söhne, Tobias Hässler (17581821), verdiente seinen Lebensunterhalt wie seine Vorfahren ebenfalls als Tagelöhner. Wie die anderen Tagelöhner in der Familie gelang es auch ihm, die Mittel für eine Hochzeit aufzubringen. Dies war für die Markgräfler Reborte nicht ungewöhnlich. Viele Tagelöhner verfügten dort im Gegensatz zu anderen Regionen über ein vergleichsweise gutes Auskommen. Sie besaßen meist ein wenig eigenes Land und gehörten daher eher zu den Parzellen- oder Kleinbauern,123 zudem zu den gesuchten Arbeitskräften, sei es als Hilfskraft in der Forstwirtschaft, sei es als Zuarbeiter im spezialisierten Rebbau. Durch die Kombination aus beidem, Taglohn und eigenes Land, konnten die Markgräfler Tagelöhner anders als die reinen Weinbauern wohl auch flexibler auf Ernteausfälle durch Schädlingsbefall oder Witterung reagieren und so ihren Lebensunterhalt sichern. Tobias Hässler und seine Braut Maria Barbara Breitenstein (1765-1814) konnten 1792 jedenfalls heiraten. Zum Zeitpunkt der Hochzeit war ihr erstes gemeinsames Kind allerdings bereits drei Monate alt; es folgten sechs weitere, die »ehelich« gezeugt und geboren wurden. In dieser Generation sind nicht nur die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit auffällig,124 sondern auch, dass der materielle Spielraum offenbar keine obrigkeitlich »legitimierte« – und damit kostspielige  – Hochzeit mehr zuließ. Alle Kinder von Tobias Hässler und Maria Barbara Breitenstein, die erwachsen wurden, blieben dauerhaft ledig  – ihre Tochter Maria Katharina Hässler (17941831) auch nach Geburt ihres Sohnes. Sie hatte  – dem Beispiel ihrer Eltern folgend  – als junge Frau eine »Bekanntschaft« angeknüpft125 und bekam, 24-jährig und ledig, ein Kind. Anders als ihre Eltern heiratete sie nicht. Ihr »unehelich« geborener Sohn Johannes (1818-1855) 123 Vgl. Fischer: Lage, S.71. Zum Folgenden ebd., S.70, sowie Pahlke: »Unehelichkeit«, S.29-33. 124 Drei von sieben Kindern von Tobias Hässler und Maria Barbara Breitenstein starben bald nach der Geburt, in der Familie seines Bruders, Johannes Hässler, überlebte nur eines von neun Kindern die ersten Jahre. 125 Der Name ihres Partners ist in den Kirchenbüchern nicht verzeichnet.

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behielt den Namen der Mutter, nun allerdings in der Schreibweise Häslin. Er erlernte das Schuhmacherhandwerk und siedelte später in das Schweizerische Liestal über, blieb aber in Müllheim heimatberechtigt. In Liestal folgte auch er der Familientradition der Nichtehelichkeit und verband sich vorehelich mit der aus dem elsässischen Vondenheim zugezogenen Anna Elisabeth Gräber/Gruber (1827–?). Aus ihrer Verbindung stammten fünf Kinder, von denen die ersten drei »unehelich« geboren, das vierte vorehelich gezeugt und lediglich das fünfte »ehelich« gezeugt und geboren wurde. Johannes Häslin und Anna Elisabeth Gräber/Gruber heirateten erst im März 1850126 und »legitimierten« damit ihre gemeinsamen Kinder. Zwei Töchter, Stephanie Häslin (1844–?) und Sophie Häslin (1850–?), wurden später selbst ledig Mutter, und zwar in Basel. Auf ihre Situation dort wird später einzugehen sein. Betrachtet man die Geschichte der Familie Hässler/Häslin bis hierhin, so ist festzuhalten, dass mehrfach und über mehrere Generationen hinweg immer wieder »Bekanntschaften« und Familiengründungen auftraten, die nicht den Vorstellungen der Obrigkeit entsprachen. Vielfach mündeten die »Bekanntschaften« mehr oder weniger lange nach vorehelicher Zeugung oder »unehelicher« Geburt in die »Legitimation« des Kindes oder der Kinder. Zunehmend aber wurde diese Form der Familiengründung abgelöst von einem neuen Muster, dass nämlich die Paare nicht mehr heirateten und die Mütter oder Väter (dauerhaft) ledig blieben. Am Beispiel der Familie Sütterlin aus Buggingen kann gezeigt werden, dass im Hinblick auf nichteheliche Familiengründungen im Markgräflerland auch andere Traditionen bestanden. Familie Sütterlin gehörte ebenfalls zu den Alteingesessenen des Dorfes, der erste Kirchenbucheintrag zur Familie datiert auf Mitte des 15. Jahrhundert,127 und die meisten Männer übten handwerkliche Tätigkeiten aus. So finden sich in den Kirchenbüchern Angaben wie Weber-, Schneider-, Schuhmacher-, Bäcker-, Maurer- und Wagnermeister, gelegentlich auch der Eintrag Bauer oder Wirt. Einige Familienmitglieder nahmen zudem im Dorf ein Amt als Richter, Stabhalter, Ratschreiber oder Bürgermeister wahr.128 Im 19. Jahrhundert verzeichneten die Kir126 Die Hochzeit fand in Liestal statt. 127 Vgl. Weber: Familien. Zum Folgenden vgl. Gemeinde Buggingen (Hg.): Ortsfamilienbuch, S.282-307. Die folgenden Zitate stammen, sofern nicht anders angegeben, aus den dort zu den entsprechenden Personen notierten Kirchenbucheinträgen. 128 Bekannt ist auch, dass »die Ehefrau des Johannes Sütterlin« in der 1768 errichteten örtlichen Spinn-, Strick- und Nähschule als Lehrerin tätig war;

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chenbücher in der Familie Sütterlin gelegentlich einen Tagelöhner oder Waldhüter, zudem einen Grenadier, einen Fabrikarbeiter, einen Heizer und einen Eisenbahnwart. In der männlichen Linie der Familie sind zwischen Mitte des 17. und Ende des 18. Jahrhunderts 139 Verbindungen in den Kirchenbüchern nachweisbar, und lange Zeit kamen voreheliche Zeugungen oder »uneheliche« Geburten so gut wie nicht vor.129 Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich dies. Nun nahmen auch in der Familie Sütterlin die Fälle von vorehelicher Zeugung und von »unehelichen« Geburten, bei denen der Vater im Kirchenbuch nicht namentlich eingetragen ist und keine Hochzeit erfolgte, ebenso plötzlich wie erheblich zu. So verzeichneten die Kirchenbücher im Zeitraum von 1792 bis 1871 in der Familie 65 Verbindungen, von denen gut die Hälfte nicht den Normen der Obrigkeit entsprach: 18 Kinder wurden vorehelich gezeugt, sodass die Hochzeit der Eltern »wegen frühem Beyschlaf ohne Kranz« oder »ohne Gepränge [Prunk] wegen frühem Beyschlaf« stattfand. Weitere 17 Kinder wurden nichtehelich geboren, ohne später »legitimiert« zu werden. Einige ledige Mütter hatten zudem mehrere Kinder (wobei nicht ersichtlich ist, ob es sich um einen Vater handelte oder um mehrere Väter). Die Tradition der nichtehelichen Familiengründung setzten auch die beiden Cousinen Regina Barbara und Karoline Sütterlin fort, die 1864 bzw. 1874 und 1878 mit einem »unehelichen« Kind niederkamen, und zwar in Basel. Auch auf ihre Geschichte wird noch einmal zurückzukommen sein. Die beiden Familien repräsentieren zwei verschiedene Muster der nichtehelichen Familiengründung, die Pahlke als horizontale und vertikale Häufung von Nichtehelichkeit bezeichnet hat.130 Das Muster der horizontalen Häufung, für das Familie Sütterlin steht, beschreibt das Phänomen, dass »Unehelichkeit« nahezu nur in einer Generation auftrat, also sozusagen »plötzlich«, während die Familiengründungen in den Generationen zuvor in der überwiegenden Mehrzahl von der vermutlich handelte es sich um Maria Catharina Huntziger (1726-1795), vgl. Gemeinde Buggingen (Hg.): Buggingen, S.73. 129 Zwei Ausnahmen gab es: Fritz Sütterlin (1658-1728), der 1684 als Vorsteher des örtlichen Almosenfonds fungierte, trat mit seiner »Bekanntschaft«, Margaretha Mayer (?–?), nicht vor den Traualtar. Über ihr Kind hielt das Kirchenbuch fest: »ist in Unzucht gezeugt«. Auch das erste Kind von Matthias Sütterlin (1720-1783) und Barbara Frey (1731-1805) aus Hügelheim stammte »aus frühem Beyschlaf« und kam vier Monate nach der Hochzeit des Paares am 17. September 1753 zur Welt. 130 Vgl. Pahlke: »Unehelichkeit«.

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Obrigkeit »legitimiert« waren. Das gehäufte Auftreten von Nichtehelichkeit seit Anfang des 19. Jahrhunderts korrespondierte mit den politischen, durch die Revolutionen oder Kriege ausgelösten Unruhen und/oder mit wirtschaftlichen Krisen, die das Markgräflerland im 19. Jahrhundert mehrfach durchzogen. Das Muster der vertikalen Häufung, das an Familie Hässler/Häslin verdeutlicht wurde, kennzeichnet Familien, in denen Nichtehelichkeit in mehreren Generationen, häufig sogar in direkter Folge auftrat, und zwar in Ausprägungen, die vom Nachtschwärmen und vorehelichen »Beyschlaf« oder »Bekanntschaften« mit mehreren Personen über »uneheliche« Geburten mit nachträglicher »Legitimation« bis zur dauerhaften ledigen Mutter- bzw. Elternschaft reichten. Für diesen Typus ist nicht zuletzt charakteristisch, dass das Muster meist in der weiblichen Linie fortlief: Häufig brachten Töchter von ledigen Mütter ihrerseits ein nichteheliches Kind zur Welt. Carola Lipp hat dies ganz ähnlich für Kiebingen beschrieben und von »repetitiver Unehelichkeit« bzw. »Ketten der Illegitimität« gesprochen.131 Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland keine Strukturen bestanden, die das Aufkommen von Nichtehelichkeit begünstigten, im Gegenteil. Die vom milden Klima geprägte Region war geologisch und geografisch nicht abgeschieden, sondern schon lange mit den benachbarten Gebieten verflochten. In den meisten Dörfern war die Not, obwohl als Erbrecht überwiegend Realteilung vorherrschte, nicht so groß wie in anderen Regionen Badens.132 Auch große Bauernhöfe mit intensiver Viehwirtschaft wie in Kärnten oder in Teilen des Schwarzwaldes, die viel (lediges) Gesinde erforderte, waren nicht verbreitet. Hinzu kamen insbesondere die strenge Sozialdisziplinierung und Kirchenzucht, die die Gemeinden schon früh und recht wirksam durchdrangen. In vielerlei Hinsicht war das Markgräflerland ein »Musterland«, zumindest das Kernland des ersten badischen Großherzogs. Vor diesem Hintergrund ist es zu erklären, dass die registrierten »Illegitimitätsraten« in den Ämtern Lörrach und Müllheim niedriger lagen als in anderen badischen Bezirken. Nichtehelichkeit trat in der Markgräfler Rheinebene und im Markgräfler Hügelland nicht massenhaft und nicht flächendeckend auf. Vielmehr wurde »Unehelichkeit« partiell oder punktuell prakti131 Kaschuba/Lipp: Überleben, S.394 und 435. Vgl. zudem die Ausführungen dazu ebd., S.394-396 und 429-448. 132 Aus einigen Dörfern (etwa Binzen, Fischingen oder Märkt) wird freilich von großem Elend berichtet.

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ziert, gehäuft offenbar nur in einigen wenigen Dörfern oder – so das Ergebnis der Mikrostudien von Fleischmann zu Lörrach und Pahlke zu Müllheim – in bestimmten Familien. Unter diesen fanden sich auch die Familien einiger derjenigen Markgräflerlinnen, die später in Basel als ledige Mutter registriert wurden.

b. »Die unehelichen Kinder sind eine förmliche Brut.« Nichtehelichkeit im oberen Hotzenwald und im Klosterwald Politische und wirtschaftliche Entwicklungen im Hotzen- und Klosterwald Die zweite große Gruppe der hier betrachteten Badenerinnen stammte aus den Amtsbezirken Waldshut, Säckingen und St. Blasien, 159 Frauen kamen aus dem Hotzenwald (Waldshut, Säckingen), 58 aus dem Klosterwald (St. Blasien).133 Beide Gebiete hatten vor 1806 zu Vorderösterreich gehört.134 Der Hotzenwald, der im Westen durch den Fluss Wehra, im Norden durch den Oberlauf der Alb bei St. Blasien, im Osten durch den Bergrücken zwischen Alb und Schlücht sowie im Süden durch den Hochrhein begrenzt wird, war in weiten Teilen identisch mit dem Gebiet der Grafschaft Hauenstein. Der Klosterwald,135 der sich nördlich des Hotzenwaldes bis etwa zum Feldberg bzw. Schluchsee hinzog, hatte seit 1328 als »Zwing und Bann« einen rechtlichen Sonderstatus als Immunitätsbezirk des Klosters St. Blasien inne.

133 Die meisten waren in Dörfern des oberen Hotzenwalds aufgewachsen, nur einige wenige kamen aus der Rheinebene. 134 Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf Heunisch: Großherzogthum; Metz: Landeskunde; Kolb (Hg.): Lexicon; Baum: Klosterwald; Baur: Jahr; Fischer: Staat; Beck: Chronik; Haselier: Geschichte; Döbele: Hotzenwald (1929); ders.: Hotzenwald (1968); ders.: Hausindustrie; Ebner: Unteralpfen; ders.: Hochsal; Matt: Geschichte; Hirz: Beschreibung. 135 Der Begriff meint im engeren Sinn den Waldbesitz der Benediktinerabtei St. Blasien, das Klostergut, und umfasste hauptsächlich die Gebiete rund um die Ortschaften Bernau, Menzenschwand, Ibach, St. Blasien, Blasiwald, Häusern und Höchenschwand, vgl. Baum: Klosterwald, S.9. Hier jedoch wird der Begriff im weiteren Sinn gebraucht, nämlich als das gesamte Gebiet nördlich des Hotzenwalds bis zur Grenze zwischen den Amtsbezirken St. Blasien und Neustadt.

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Abb.2: Abdruck aus Metz: Landeskunde, Bd.2, Faltkarte 3

Geografisch und geologisch bildet die Region als südliche Abdachung des Schwarzwaldes eine Einheit.136 Im oberen Wald gab es lange Zeit keine Städte und nur wenige größere Dörfer mit geschlossenem Ortskern, vielmehr – je weiter nach Norden und je höher hinauf, umso verbreiteter – nur Wegedörfer, Streusiedlungen, Zinken, Wohnplätze oder Einzelhöfe.137 Der obere Hotzen- und Klosterwald zeichnete sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zudem durch eine ebenso abgeschlossene wie abgeschnittene Lage aus. Lange bestanden keine Land- oder Handelsstraßen von überregionaler Bedeutung, sondern nur Feldwege, Fußpfade, Karrenwege oder Ackerfluren. Viele Weiler waren im Winter monatelang völlig abgeschnitten. Zwar entstanden im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Brücken über die Wutach, Steina und Schlücht, auch einige Wege um das Kloster St. Blasien, doch galten die Höhenlagen bis ins 19. Jahrhundert hinein als 136 Vgl. Döbele: Hotzenwald (1929), S.1; Metz: Landeskunde, S.127f. 137 Vgl. Döbele: Hotzenwald (1968), S.55; Metz: Landeskunde, S.178-181.

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unwegsam und gefährlich, sodass Postkutschen gar nicht verkehrten und Reisende ein eigenes Gefährt organisieren mussten.138 Zur geografischen Abgeschnittenheit kam die über Jahrhunderte währende politische Zugehörigkeit zum Hause Habsburg.139 Geprägt war diese durch Leibeigenschaft (Leibherren waren das Kloster St. Blasien für die Grafschaft Hauenstein oder das Stift Säckingen), Katholizismus, hohe Abgabenlast an das Kloster St. Blasien und zudem eine für den süddeutschen Raum einmalige Rechtsstellung, die in der Grafschaft Hauenstein Hörigkeit ebenso umfasste wie einen fast teilautonom zu nennenden Status, die sogenannte Einung. Bereits im 14. Jahrhundert hatten sich je 12 bis 15 Siedlungen des Hotzenwaldes unabhängig von ihrer niedergerichtlichen, grundherrlichen und kirchlichen Zugehörigkeit zu insgesamt acht Einungen zusammengeschlossen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert zu einer Art Selbstverwaltungsorganisation unter landesherrlicher Aufsicht ohne militärische Aufgaben entwickelten.140 Versuche, die Selbstständigkeit zu bewahren, sich aus den feudalen Abhängigkeiten zu befreien und nicht zuletzt sozialer Protest brachen sich in den sogenannten Salpetererunruhen Bahn, die den Hotzenwald zwischen 1728 und 1755 in eine Art Bürgerkrieg verstrickten. Die Unterdrückung der Unruhen umfasste auch Maßnahmen gegen die Aufständischen, die von Geldstrafen über Deportation in das Temescher Banat, eine Kron- und Kammerdomäne der Habsburgermonarchie, bis zur Hinrichtung reichten.141 Unter Joseph II. beruhigte sich die Lage ein wenig. Doch die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege brachten der Region nicht nur erneut durchziehende Soldaten und Verwüstungen, sondern läuteten vor allem das Ende der österreichischen Herrschaft ein. Im Frieden von Pressburg ging die Grafschaft Hauenstein nach einem kurzen württembergischen Intermezzo sowie Zwing und Bann von St. Blasien an den badischen Kurfürsten Karl Friedrich und das Großherzogtum Baden über.142 Die Übergabe erfolgte im Sommer 1806. 138 Vgl. Metz: Landeskunde, S.586-588; Baur: Jahr, S.28f. 139 Zum Folgenden vgl. Metz: Landeskunde, S.283-333; Haselier: Geschichte, S.34-57; Weller: Sozialgeschichte, S.92f. 140 Die acht Einungen wurden nach den Hauptorten – Dogern, Birndorf, Wolpadingen, Höchenschwand, Görwihl, Rickenbach, Hochsal und Murg  – benannt. Zu ihrer Geschichte und Organisation vgl. ausführlich Metz: Landeskunde, S.206-216; Matt: Geschichte, S.7f.; Wernet: Häusern, S.37-40; Ebner: Unteralpfen, S.81-91; Weller: Sozialgeschichte, S.92f. 141 Vgl. Matt: Geschichte, S.15-27; Metz: Landeskunde, S.286-333; Ebner: Unteralpfen, S.71-75. 142 Vgl. Sutter: Aufhebung, S.303-305.

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Die überwiegende Mehrzahl der Bewohner lebte zu diesem Zeitpunkt in bedrückten Verhältnissen. Die – vor allem auf dem oberen Hotzen- und im Klosterwald verbreitete – Armut war durch den Zusammenfall der klimatischen und geologischen Bedingungen mit Realteilung als Erbrecht bedingt. Während im Hoch- und mittleren Schwarzwald das dort vorherrschende Anerbenrecht zumindest einen Teil der Bauernhöfe groß und einigermaßen rentabel erhielt – die meisten der sogenannten geschlossenen Hofgüter lagen dort143 –, breitete sich im Südschwarzwald schon im 16. Jahrhundert Realteilung aus,144 was zu einer starken Güterzersplitterung führte. Auch die Häuser wurden aufgeteilt, sodass im oberen Hotzen- und im Klosterwald anders als in den meisten zentraleuropäischen Gebieten mehrere Familien unter einem Dach lebten. Die Grafschaft Hauenstein, so hieß es 1746, sei »dergestalt an Volk überhäuft«, dass an »vielen Orten nicht nur die Höfe gänzlich verstückelt, sondern sogar manche Bauernhütte 5 bis 6 Partien zugehören und jede ihren eigentümlichen Anteil an der Küche, an der Stube, ja sogar an dem Ofen für sich haben«.145 Zu Beginn der badischen Herrschaft hatten sich diese Verhältnisse weiter verschlimmert, da die Bevölkerungszahl seit Beginn des 19. Jahrhunderts anstieg.146 Angebaut wurden seit dem 18. Jahrhundert vor allem Kartoffeln, die bald das Hauptnahrungsmittel bildeten, und Viehfutter, wobei dieses minderwertig blieb und nur geringe Milcherträge erbrachte, die, wenn überhaupt, nur den Eigenbedarf deckten. Wohlhabende Bauern, die große, mit Gesindehaltung verbundene Viehhöfe besaßen, gab es so gut wie nicht, vielmehr war ein Großteil der Bevölkerung auf einen Nebenerwerb angewiesen. Dies galt auch für die allermeisten Dorfhandwerker in den Gewerken des täglichen Bedarfs (wie Müller, Schneider oder Schmied). Als typisch erwies sich eine Kombination von dürfti143 Zu diesen vgl. aus zeitgenössischer Sicht Emminghaus: Hofgüter; Helmle: Darstellung; Koch: Hofgüter; Schupp: Hofgüterwesen; Vogelmann: Hofgüter; sowie Röhm: Vererbung, S.39-42. Zu Hinterzarten zudem Höfert: Hofgüter; Liehl: Hofgüter. 144 Vgl., auch zu den Gründen für diese Entwicklung, Röhm: Vererbung, S.43-45. 145 Bericht Tiroler Regimentsrat Stanislaus Aloysius von Vintler über die Grafschaft Hauenstein, 1746, zit. nach: Metz: Landeskunde, S.183. Zu den Häusern und der Aufteilung im Inneren vgl ebd., S.611; Morath: Blasiwald, S.65-80; Wernet: Häusern, S.172-175. 146 Vgl. Statistische Notizen, Bereisung der Gemeinden Rüßwihl, Oberwihl, Segten, Rotzel, Schachen und Niederwihl durch den Amtsvorstand, meist 1850 oder 1851, StA Freiburg, B 750/14, 9604, 9597, 9532, 9598, 9531 und 9595. Vgl. Metz: Landeskunde, S.667; Mayer/Ehlert: Chronik, S.85; Döbele: Hotzenwald (1929), S.3.

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ger, der Selbstversorgung dienender Landwirtschaft mit einem Nebenerwerb. Nur wenige fanden diesen in der Waldwirtschaft, zumal weite Gebiete nur wenig Wald aufwiesen,147 nutzten die vorderösterreichische Herrschaften bzw. das Kloster St. Blasien das Holz doch als einträgliche Einnahmequelle bzw. als gut ausbeutbaren Rohstoff.148 Auch andere Wirtschaftszweige besaßen im Gegensatz zu anderen Teilen des Schwarzwalds keine oder kaum eine (überregionale) Bedeutung, etwa der Bergbau,149 die Glashütten,150 die Erzgräberei oder der Abbau bzw. die Verarbeitung von Steinen oder anderen Rohstoffen.151 So übten die Bewohner andere Tätigkeiten aus, die neben die kärgliche Landwirtschaft traten. Typisch waren das Schnefeln, das Nagelschmieden sowie die Textilverarbeitung. Die Schneflerei,152 das Schnitzen von verschiedenen Gebrauchsgegenständen (etwa Kochlöffel, Krauthobel, Holzgefäße, Spankörbe, Schindeln oder auch Uhrengehäuse), wurde vor allem im Klosterwald betrieben, und zwar als ganzjährige, nur von den Männern ausgeübte, wenig ertragreiche Heimarbeit. Die galt auch für das Nagelschmieden, die Herstellung von Nägeln aller Art für Handwerk, Landwirtschaft, Gewerbe und Militär aus Holzkohleneisen, das überall im Hotzenund Klosterwald ausgeübt wurde,153 genauso wie der wohl typischste Nebenerwerb, die Textilarbeit in Form der Baumwollhausspinnerei.154 Es handelte sich um eine relativ einfache, reine Handarbeit, an der sich alle Familienmitglieder, auch die Kinder, beteiligten. Meist stand keine Werkstatt als Arbeitsraum zur Verfügung, sondern nur die Stube oder der Schlafraum. Die Webstühle stellten die sogenannten Fabrikanten, 147 Vgl. Döbele: Hotzenwald (1929), S.14-16. In den waldreichen Teilen war der Wald meist in staatlichem Besitz, der Allmendbesitz der Gemeinden daher bedeutungslos. 148 Das Holz wurde vor allem in den Eisenhüttenwerken verbraucht, vgl. Metz: Landeskunde, S.605; Morath: Blasiwald, S.387; Baum: Klosterwald, S.153167. 149 Vgl. Metz: Landeskunde, S.347-351. 150 Vgl. Metz: Landeskunde, S.608f.; Baum: Klosterwald, S.76-86; zu den frühen Glashütten in Blasiwald Morath: Blasiwald, S.271-286. 151 Zwar gab es Ansätze, doch diese blieben wirtschaftlich bedeutungslos, vgl. Metz: Landeskunde, S.545-570. Lediglich bei einigen Eisenschmelzen und Hammerwerken handelte es sich um größere Gewerbebetriebe. 152 Zu dieser Tätigkeit vgl. Dieffenbacher: Schneflerei; Metz: Landeskunde, S.666f.; Baum: Klosterwald, S.118-125; Morath: Blasiwald, S.387f.; Ebner: Unteralpfen, S.49. 153 Zu den Nagelschmieden vgl. Metz: Landeskunde, S.540f. 154 Vgl. zum Folgenden Döbele: Hotzenwald (1968), S.50-54; ders.: Hotzenwald (1929), S.21-38; ders.: Hausindustrie; Metz: Landeskunde, S.619f.

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die jene meist gegen Standgeld vergaben, das die Heimarbeiter erst bei Rückgabe zurückerhielten. Die Baumwollhausspinnerei erlebte zwischen 1780 und 1790 mit rund 9.000 Heimarbeitern am Hochrhein, auf dem Hotzenwald und im benachbarten Wiesental einen wirtschaftlichen Aufschwung, kam jedoch in den folgenden Kriegen nahezu gänzlich zum Erliegen. So lebte die Bevölkerung des oberen Hotzen- und Klosterwaldes zu Beginn des 19. Jahrhunderts in großer Not. »Die Armut ist«, so hieß es in einem Bericht über den Amtsbezirk St. Blasien 1812, »so groß, daß hundert Familien ohne Brot sind und kaum vermögen, das Salz zu ihren Erdäpfeln aufzubringen.«155

»Ächte Wäldercharaktere« – Der obere Hotzen- und der Klosterwald aus der Sicht des Großherzogtums Aus Karlsruher Perspektive erschienen der obere Hotzen- und der Klosterwald als ebenso arm wie politisch unzuverlässig. Die Region galt als »öde […] Moos- und Waldgegend«,156 die »Hauensteinischen Waldungen« als »die mißhandeltsten im ganzen Land«,157 der Klosterwald befinde sich im »elendsten Zustand«.158 Selbst oder gerade die Benediktinerabtei St. Blasien erwies sich als äußerst schwierige Erbschaft. Im 18.  Jahrhundert ein religiös-kulturelles Zentrum,159 stand das gewaltige Bauwerk nach dem Wegzug der Mönche leer und drohte zu verwittern.160 Die Bewohner des Kloster- und oberen Hotzenwalds galten aus Sicht der badischen Zentralverwaltung als »starrsinnig und heimtückisch – ächte Wäldercharaktere«,161 dem Wesen nach »im allgemeinen heimtückisch und widerspenstig sowie prozeßsüchtig«.162 155 Bericht über den Amtsbezirk, 11.7.1812, zit. nach: Baur: Jahr, S.16. 156 Amtliche Landesbeschreibung, Beginn des 19. Jahrhunderts, zit. nach: Metz: Landeskunde, S.141. 157 So Landesoberjägermeister von Ketterer im badischen Landtag, 1821, zit. nach: Metz: Landeskunde, S.607. 158 Bericht badisches Oberforstamt St. Blasien an das großherzogliche Finanzministerium, 1809, zit. nach Baum: Klosterwald, S.207. 159 Über das Kloster und seine Blüte im 18. Jahrhundert liegen viele Studien vor. Vgl. z.B. Heidegger/Ott (Hg.): St. Blasien: Krieg: Studien; Baum: Klosterwald, S.231; Metz: Landeskunde, S.639-649; Wernet: Häusern, S.33f. 160 Vgl. Fischer: Staat, S.209f. 161 Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9531. 162 Bereisung der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9626. Vgl. auch Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit

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Sie würden »mit Zähigkeit an ihren alten Gebräuchen und Sitten« hängen,163 es walte »ein auffallender Geist des Widerspruchs und des Ungehorsams gegen alle höheren Verfügungen«.164 Von kirchlicher Seite wurde zudem moniert, dass es »an der Ehrfurcht vor den Heiligen, an Gottesfurcht und an Gewißenhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Ehrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Redlichkeit, Zucht und Ehrbarkeit, Mäßigkeit, Achtung vor den Gesetzen und Obrigkeiten« mangele.165 Die weltliche wie die kirchliche Obrigkeit zeigten sich entsprechend bestrebt, die alten Strukturen durch neue zu ersetzen. Ein erster Schritt dazu bestand in der Zerschlagung der bestehenden Verwaltungseinheiten, die durch die seit 1819 geografisch nicht mehr veränderten Bezirksämter Säckingen, Waldshut und St. Blasien ersetzt wurden.166 Bis Ende der 1840er-Jahre erfolgte zudem die Beseitigung der alten Dienstbarkeiten, Fronpflichten und Zehnten, auch rekrutierte das Großherzogtum junge Männer als Soldaten für die napoleonischen Kriege,167 verbot traditionelle Rechte168 und erhob bislang unbekannte Steuern. Zu den kirchlichen Neuerungen zählte, dass der Freiburger Erzbischof 1827 an die Stelle des bislang zuständigen Konstanzer Bischofs trat, der schon einige Jahre zuvor die meisten Apostelfeiertage aufgehoben hatte, »weil diese zur Verschlechterung der Sitten und zur

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Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9604. Dort hieß es: »Die Bewohner zeigen im allgemeinen den den sog. Wäldern eigenthümlichen Charakter – heimtückisch und mißtrauisch.« Bereisung der Gemeinde Hochsal durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9588. Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9531. Kirchenvisitation Pfarrei Hoechenschwand, 1838, Erzbischöfliches Archiv Freiburg (EAF), B 4-4951. Dies geschah über einige Umwege, vgl. etwa die Karten, in denen die Grenzen der Verwaltungsbezirke eingetragen sind, bei Haselier: Geschichte, S.78-83; Metz: Landeskunde, S.344. Zu den drei Amtsbezirken allgemein vgl. die entsprechenden Einträge in leo-bw; Kolb (Hg.): Lexicon; Badische Historische Kommission (Hg.): Wörterbuch; Universal-Lexikon vom Großherzogthum Baden, zum Amtsbezirk St. Blasien zudem Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (Hg.): Land, S.1008-1021; Heunisch: Geographie, S.74; ders.: Großherzogthum S.696f.; Marmor: St. Blasien. Zu den Städten zudem die entsprechenden Einträge in Keyser (Hg.): Städtebuch. Vgl. z.B. Ruf, Josef: Todtmoos, S.77; Morath: Blasiwald, S.337. Vor allem die Versuche, das Jagdrecht einzuschränken bzw. zu verbieten, stieß auf Widerwillen, vgl. ausführlich Metz: Landeskunde, S.252-254. Zum Umgang mit der Jagd und den Jagdrechten bis ins 18. Jahrhundert vgl. Baum: Klosterwald, S.168-182.

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Verarmung der Nation« führten.169 All dies trug bei der katholischen Bevölkerung zur Ablehnung des – als protestantisch wahrgenommenen – Großherzogtums bei; viele Maßnahmen stießen auf Misstrauen oder gar Widerstand. Einige der politisch Aktiven erkannten den badischen Staat generell nicht an und proklamierten 1815: Die Salpeterer würden »keinen Herrn anerkennen, der Kaiser von Österreich sei bloß ihr Schutzherr; sie seien nicht schuldig, Abgabe zu zahlen, ein kleines Schutzgeld an Österreich ausgenommen. Auch brauchten sie keine Rekruten zu stellen«.170 Eine Massenbewegung kam zwar nicht zustande,171 doch mischte sich das widerständische Potenzial mit sozialem Prostest, der nach den Hungersnöten 1845 und 1846 ausbrach. Ursachen waren die vorangegangenen äußerst nassen Sommer, die zu Missernten führten vor allem bei den Kartoffeln, sodass »beyna die Hälfte den Menschen und Landmann im Keller verfault sind«.172 So wundert es nicht, dass die Revolution 1848/49 im Hotzen- und Klosterwald Anhänger fand, insbesondere als der »Heckerzug« dort Station machte. Da der Weg über Donaueschingen versperrt war, gingen die Freischärler über Bonndorf und Lenzkirch nach Menzenschwand und Bernau. Während die Übernachtung in Menzenschwand für den dortigen Pfarrer einen »großen Schrecken« bedeutete, »weil Gerüchte von Mord und Brand vorausgegangen waren«,173 sympathisierten andere Einwohner des Dorfes bzw. der gesamten Region mit den republikanischen Ideen und schlossen sich ihnen an oder bildeten – wie am Hochrhein – bewaffnete Volkswehren.174 Das Bild, das sich die badische Obrigkeit vom Hotzen- und Klosterwald machte, wurde jedoch nicht nur von den dort immer wieder aufflammenden Protesten geprägt, sondern auch von Besuchen der Statthalter vor Ort, den Ortsbereisungen der weltlichen und den Vi169 So die Begründung des Generalvikars des Bistums Konstanz Freiherr Ignaz Heinrich von Wessenberg, zit nach: Metz: Landeskunde, S.323. 170 Bericht Amt Waldshut an Kreisdirektorium Lörrach, 3.3.1815, zit. nach: Ebner: Salpeterer, S.11. 171 Zu den Salpetererunruhen im 19.  Jahrhundert vgl. detailliert Ebner: Salpeterer; Haselier: Geschichte, S.64f.; Döbele: Hotzenwald (1968), S.47; Metz: Landeskunde, S.324-327; Wernet: Häusern, S.183f.; Weller: Sozialgeschichte, S.92f. 172 Chronik des Dominikus Mayer aus Menzenschwand, zit. nach: Mayer/Ehlert: Chronik, S.123. 173 Bericht Valentin Singer, 1848, zit. nach: Mayer/Ehlert: Chronik, S.126. 174 Vgl. Ott: Weg, S.292-296; Steinert: St. Blasien, S.320-322; Mayer/Ehlert: Chronik, S.123-128; Ruf, Josef: Todtmoos, S.72f.; Beck: Chronik, S.138f.; Morath: Blasiwald, S.338f.; Wernet: Häusern, S.84-86.

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sitationen der kirchlichen Instanz,175 die zum Zweck der Bestandsaufnahme und der Normenkontrolle stattfanden. Das, was die badischen Amtsvorsteher bzw. Ordinariatsgeistlichen in vielen Familien des oberen Hotzen- und des Klosterwaldes wahrnahmen, erschien wie ein Gegenentwurf zu ihrer eigenen Idealvorstellung von Familie, »Sittlichkeit« und Tugendhaftigkeit.

Die »sittlichen Verhältnisse« aus der Sicht der Visitatoren Während die staatlichen und kirchlichen Visitatoren im Markgräflerland wenig zu beanstanden fanden, erschienen ihnen die familiären Zustände im oberen Hotzen- und Klosterwald als Inbegriff der »Unsittlichkeit«. Sie maßen diese am Vorkommen von »Exzessen«, »Raufhändel« und »Schlägereien«, am Ausmaß der »Genuss- und Trunksucht« sowie vor allem der »Unzucht«. Häufig stellten sie die »Unsittlichkeit« in einen engen Zusammenhang mit politischer Unzuverlässigkeit oder Widerspenstigkeit der Bewohner gegen jegliche Form von staatlicher Autorität. Über die Pfarrei Hochsal hieß es beispielsweise: »Übrigens ist der Schlag Mensch roh und ungeschliffen. […] Die Bewohner der Grafschaft Hauenstein scheinen noch immer den Ruf der besten und allzeit rüstigen Schläger behaupten zu wollen.«176 Und das im Zentrum des Hotzenwaldes gelegene Görwihl galt als eine »durch ihre Exzesse berüchtigte[…] Gemeinde«,177 deren Bewohner von einem »unbegrenzten Mißtrauen gegen jede höhere Verfügung befangen« seien, sodass »ein wahres Studium« erforderlich sei, »wie dem passiven Widerstand seiner Bewohner beizukommen ist«.178 Die jun175 Grundlage waren 50 schriftlich zu beantwortetende Fragen, vgl. Visitations-Fragen, 24.2.1937, EAF, B 2-16/8. 176 Bericht Pfarrer Jakob Dietz zur Kirchenvisitation, 7.11.1812, zit. nach: Ebner: Hochsal, S.64f. Ähnlich auch der Bericht über das ganz in der Nähe liegende Wegedorf Albert. Es galt aus der Sicht des Waldshuter Amtsvorstandes als »berüchtigt für den vorherrschenden Hang zum Trunke, zu Streit und Händel und zur Unsittlichkeit«, Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 603. 177 Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1863, StA Freiburg, B 750/14, 9610. Vgl. ähnlich Ortsbereisung Wilfingen, 1865, StA Freiburg, B 735/1, 324. Dort hieß es, die »Exzesse« gingen nicht von den Bewohnern aus, sondern würden »an Sonntagen von Burschen aus den Nachbargemeinden verübt«. 178 Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9610.

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gen Leuten hätten zudem, so urteilte der Kirchenvisitator, einen »Hang zur Trunkenheit, Fluchen und Schwören, wie auch zur Unzucht«.179 Als zentrale Messlatte der »Unsittlichkeit« galten den kirchlichen wie regierungsamtlichen Visitatoren die »unehelich« geborenen Kinder sowie die bestehenden »wilden Ehen«. Sie fragten gezielt danach und notierten die Zahl der »unehelichen« Kinder akribisch.180 Charakteristisch für die obrigkeitlichen Berichte ist zudem die moralische Bewertung, die mit den Beobachtungen einherging. Typisch sind Notizen wie die folgenden: »Die Sittlichkeit scheint mit Rücksicht auf die sehr bedeutende Zahl unehelicher Kindern, in einem traurigen Zustand zu sein.«181; »Die Sittlichkeit ist nicht zu loben – 50 uneheliche Kinder – Schulversäumnisse sind häufig.«182; Engelschwand sei »noch in einem Zustand der Verwilderung, der Armuth, Prozeßsucht in einem betrübendem Grade. […] In den Jahren 1852 bis 1861 kommen auf 78 eheliche nicht weniger als 45 uneheliche Kinder!«183 Kurzum: »Uneheliche« Kinder waren im oberen Hotzen- und Klosterwald nicht nur an der »Tagesordnung«,184 sondern aus der Sicht der Visitatoren auch ein 179 Kirchenvisitation Görwihl, 1839, EAF, B 4-3605. Vgl. ähnlich auch Bereisungen der Gemeinde Rotzingen durch den Amtsvorstand, 1863, StA Freiburg, B 750/14, 9601; Bereisung der Gemeinde Oberwihl durch den Amtsvorstand, 1863, StA Freiburg, B 750/14, 9597; Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1866, StA Freiburg, B 750/14, 9604; Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1867, StA Freiburg, B 750/14, 9531; Kirchenvisitation Unteralpfen, 1839, EAF, B 4-12382; Kirchenvisitation St. Blasien, 1838, EAF, B4-10615; Kirchenvisitation Waldkirch, 1839, EAF, B 4-12875. 180 Vgl. z.B. die entsprechenden Listen: Pfarrei Todtmoos, Auszug aus dem Geburts- und Taufbuch der in den letzten zehn Jahren geborenen unehelichen Kinder, EAF, B4-12123; Anhang zur Kirchenvisitation St. Blasien, 1838, EAF, B4-10615. Zu Todtmoos vgl. zudem die Angaben bei Faller: Todtmoos, S.336. 181 Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9531. Vgl. ähnlich auch Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1864, StA Freiburg, B 750/14, 9609. 182 Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1851, StA Freiburg, B 750/14, 9604. 183 Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1862, StA Freiburg, B 750/14, 9609. Vgl. ähnlich auch Kirchenvisitation Unteralpfen, 1839, EAF, B 4-12382; Ortsbereisung Wittenschwand, 1850, StA Freiburg, B 735/1, 326; Bereisung der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9598; Bereisung der Gemeinde Hochsal durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9588; Bereisung der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1864, StA Freiburg, B 750/14, 9598. 184 Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1854, StA

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»wahrer Krebsschaden«,185 eine »Plage«,186 das »Grundübel«,187 eine »förmliche Brut«.188 Die »unehelichen« Kinder entstammten, so hielt die Obrigkeit weiter fest, entweder dem »unzüchtigen« Handeln der jungen Leute oder »wilden Ehen«. Ersteres stand, so ihre Beobachtung, in einem engen Zusammenhang mit den »Tanzbelustigungen«: »Gelegenheit zur Unzucht sind mancherlei, unter anderem auch die bald jeden Sonntag bald da, bald dort, erlaubten Tänze.«189 Daher sei das »sittliche Verhalten der ledigen Leute […] fortwährend streng zu überwachen und namentlich nicht zu dulden, daß solche, die noch Sonntagsschul- und christenlehrpflichtig sind, die Tanzböden besuchen«.190 Im Amtsbezirk St. Blasien benannten die Kirchenvisitatoren zudem die alljährliche Wallfahrt nach Todtmoos, die »Arbeitsscheu, Vergnügungssucht, Hang zum Spiel und Trunk« erzeuge,191 und den »Sonntagswochenmarkt in St. Blasien«, als »Ursachen [des] Verfalles«, und zwar »weil er unserem Volke namentlich der Jugend Veranlaßung giebt, den Gottesdienst zu versäumen, wodurch dasselbe in seiner religiösen Unwißenheit nothwendig erhalten und in seiner Gleichgültigkeit gegen die letzten Pflichten der Religion fortwährend genährt werden burg, B 750/14, 9531. 185 Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1861, StA Freiburg, B 750/14, 9531. 186 Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1856, StA Freiburg, B 750/14, 9609. 187 Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1856, StA Freiburg, B 750/14, 9609. 188 Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9532. Vgl. ähnlich auch Ortsbereisung Wolpadingen, 1857, StA Freiburg, B 735/1, 328; Ortsbereisung Wittenschwand, 1855, StA Freiburg, B 735/1, 326. 189 Bericht Pfarrer Jakob Dietz zur Kirchenvisitation, 7.11.1812, zit. nach: Ebner: Hochsal, S.64. Vgl. ähnlich auch Meyer: Volksleben, S.171. 190 Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9604. Vgl. ähnlich auch Kirchenvisitation Unteralpfen, 1839, EAF, B 4-12382. Bereits die Habsburger hatten gelegentlich versucht, die »Tanzbelustigungen« zu verbieten. Vgl. z.B. Gesuch Johann Trötschler, Wirt der Realgastwirtschaft »Kranz« in Todtmoos-Mättle an das Bezirksamt St. Blasien, 15.1.1825, die 1804 ausgesprochene »Untersagung, Tanzmusik in seiner Tavernenwirtschaft halten zu dürfen, wieder aufzuheben«, zit. nach: Faller: Todtmoos, S.341. 191 Kirchenvisitation Todtmoos, 1837, EAF, B4-12123. Zur traditionsreichen Todtmooser Wallfahrt vgl. Müller: Geschichte; Metz: Landeskunde, S.203 und 634; Ruf, Joseph: Todtmoos, S.15f., Ruf, Josef: Todtmoos, S.35; Faller: Todtmoos, S.337.

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muß.«192 Hinzu kam das überall beobachtete Nachtschwärmen, im oberen Hotzenwald teilweise auch »Waidgang« genannt: »Diese üble Sitte herrscht vorwiegend in den Orten Herrischried, Giersbach u. Grossherrischwand.«193 Und der Kirchenvisitator befand 1838, dass viele Bernauer »ziemlich verwahrlost [sind]; der Unmäßigkeit […], Nachtschwärmerei, Dieberei, der Unzucht, dem Fluchen u. Lästern ergeben«.194 Die Visitatoren notierten zudem, dass »Unehelichkeit« vor allem in den unterbäuerlichen Schichten des oberen Hotzen- und des Klosterwaldes auftrat, in einigen Familien zudem gehäuft und über Generationen hinweg. So hieß es über Segeten: »Am schwersten lasten auf der Gemeinde die vielen unehelichen Kinder. […] Die Bürgerstöchter und Söhne enthalten sich im Ganzen von solchem ausschweifenden Leben. Die unehelichen Kinder gehören größtentheils wieder unehelichen Personen, deren einzelne eine förmliche Brut bilden.«195 Und über Rüßwihl: »Die Gemeinde hat etwa 50 uneheliche Kinder […]. Sie rühren meistens von etwa 10 leichtsinnigen, ledigen Weibsleuten her.«196 Neben lebenslanger lediger Mutterschaft fanden die Inspektoren auch Konsensehen vor, also Paare, die ohne obrigkeitliche »Legitimation« zusammenlebten. So protokollierten sie etwa über Rotzingen: »Mehrere Personen leben im Konkubinat.«197 Und über Görwihl: »[D]ie wilden Ehen [sind] kaum auszurotten und werden 192 Kirchenvisitation Hoechenschwand, 1838, EAF, B4-4951. 193 Bereisung der Gemeinde Herrischried durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 733/1, 3590. Vgl. ähnlich auch Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9531; Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1862, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 194 Kirchenvisitation Bernau, 1838, EAF, B 4-786. 195 Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 196 Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1851, StA Freiburg, B 750/14, 9604. Vgl. z.B. auch Kirchenvisitation Görwihl, 1839, EAF, B 4-3605; Orsbereisung Ibach, StA Freiburg, 1855, B 735/1, 280. Dort hieß es: »In Oberibach sind seit 6 Jahren 5 uneheliche Kinder geboren worden. […] Johann Gg. [Georg] Kaiser von St. Blasien soll mit Johanna Kaiser (oder Zumkeller) fortgesetzt ein unsittliches Leben führen, die Person hat uneheliche Kinder, die bereits auch wieder solche haben. Johann Gg. Kaiser ist sogleich aus dem Ort auszuweisen u. im Falle er sich wieder in Ibach sehen läßt, sogleich zu verhaften u. zur Bestrafung dem Amt vorzuführen.« Ähnlich auch Ortsbereisung Wolpadingen, 1851, StA Freiburg, B 735/1, 328. Dort hieß es: »Die Zahl der unehelichen Kinder ist ziemlich bedeutend, namentlich sind Mädchen da, die deren 4-5 haben.« 197 Bereisung der Gemeinde Rotzingen durch den Amtsvorstand, 1861, StA Freiburg, B 750/14, 9601.

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dieses Jahr in der Gemeinde 8 uneheliche Kinder geboren.«198 Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.199

Nichtehelichkeit als dörfliche Normalität Die vorliegenden Quellen zeichnen das Bild einer dörflichen Gesellschaft, in der (z.T. langjährige) Konsensehen und »unehelich« geborene Kinder in den unterbäuerlichen Schichten ebenso weit verbreitet200 wie akzeptiert waren. Stichprobenartige Familienrekonstruktionen zeigen zudem, dass Nichtehelichkeit in einigen Familien tatsächlich – wie die Visitatoren berichteten – gehäuft vorkam. Diese Form der Familiengründung wurde gleichsam von einer Generation in die nächste weitergetragen, hatte sich zu einem regelrechten Muster (der vertikalen Häufung von Nichtehelichkeit) entwickelt. Auffällig ist nicht zuletzt, dass die Ortsvorsteher und auch die Geistlichen vor Ort nicht gegen die (gehäufte) Nichtehelichkeit vorgingen, diese vielmehr duldeten. Vielleicht blieb ihnen ob der schieren Zahl der ledigen Paare und nichtehelich geborenen Kinder bzw. aufgrund der anscheinend nicht zu ändernden Lebensumstände der Unterschichten auch keine andere Wahl. Sie schritten jedenfalls weder gegen die Sexualnormen der Jugendlichen, das Nachtschwärmen, noch gegen ledige Mutterschaft oder Konsensehen ein. In Bernau antwortete der Kirchenvisi198 Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9610. 199 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1864, StA Freiburg, B 750/14, 9532; Bereisung der Gemeinde Oberhof durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 733/1, 3199; Bereisung der Gemeinde Hänner durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 733/1, 3563. 200 Die Protokolle der Ortsbereisungen und der Kirchenvisitationen bestätigen im Großen und Ganzen die vorliegenden amtlichen und zeitgenössischen wissenschaftlichen Statistiken zur »Illegitimität« in jener Region. Nach diesen lag die »Unehelichkeitsrate« im Amtsbezirk Waldshut in den 1830erJahren durchschnittlich bei 16,4%, zwischen 1852 und 1870 bei 17,8%, im Amtsbezirk Säckingen in den 1830er-Jahren durchschnittlich bei 17,8%, zwischen 1852 und 1870 bei 16,2% und im Amtsbezirk St. Blasien in den 1830er-Jahren bei 23,8%, zwischen 1852 und 1870 bei 24,5%. Die höchsten Werte wurden Mitte der 1850er-Jahre mit 21,4% (Waldshut), 22,0% (Säckingen) bzw. 31,6% (St. Blasien) registriert. Zahlen nach: Heunisch: Kinder, S.6-8, und ders., Großherzogthum, S.255; sowie die entsprechenden Tabellen bei Lange: Geburten, Anhang. Mit ähnlichen Angaben auch Döbele: Hotzenwald (1929), S.9f.; zu Unteralpfen Ebner: Unteralpfen, S.129; zu Bernau Dieffenbacher: Schneflerei, S.48f.

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tator auf die Frage, ob »öffentliche Ärgernisse« bestünden: »Wenn dieses nicht als öffentliches Ärgerniß zu betrachten ist  – daß zwei ledige Personen beyderlei Geschlechts beysammen in einem Hause wohnen, ihr Haus wie geehelichte miteinander besorgen. Ferner, daß ledige Mädchen ihre Liebhaber, seyen solche fremde oder einheimische, zu allen Zeiten bey sich haben dürfen, u. ein Kind nach dem anderen erzeugen, u. ungeahndet bleiben, obgleich die Polizeibehörde solches […] versieht  – Wenn dieses nicht als öffentliches Ärgerniß zu betrachten ist? So besteht hier keines.« Der Grund für das große Ausmaß der »Unsittlichkeit« liege »in der schlechten Ausübung der Polizei-Gesetze von Seite des bisherigen Ortsvorstehers (der aber nun entlassen worden ist). Derselbst ein Säufer ist – schläfrig u. nachläßig in Geschäften  – heimtückisch gegen jeden Pfarrer  – heuchlerisch u. gleichgültig gegen Religion – unwahrhaft in seinen Reden u. gehemmt durch eigene Lebensweise, die Verordnungen kräftig in Vollzug zusetzen u. zubringen.«201 Nichtobrigkeitlich »legitimierte« Sexualität und Partnerschaft der unterbäuerlichen Schichten wurden im oberen Hotzen- und Klosterwald lange Zeit geduldet, gehörten zur dörflichen Normalität. Mit dieser Normalität wuchsen die rund 220 dort geborenen Badenerinnen auf, die später in Basel als ledige Mutter mit »unehelichem« Kind registriert wurden. Doch mit dem Auftreten der obrigkeitlichen Visitatoren änderte sich die Wahrnehmung bzw. das Verhalten der Ortsvorsteher und Gemeindebürger. Sie nahmen die Visitatoren als Statthalter einer ebenso fernen wie unerwünschten Herrschaft wahr. So beschrieb der Waldshuter Amtsvorstand bei seinem Besuch in Rotzel, dass ihm die Bewohner »keine Aufrichtigkeit und kein Vertrauen« entgegenbrächten. Er komme »sich vor wie der Vertreter einer fremden Macht, der den Leuten allerlei Zumuthung zum Nutzen dieser fremden Macht machen muß, gegen welche die Gemeinde im Zustand des passiven Widerstandes sich befindet und sich berechtigt glaubt, durch Ausreden, unrichtige Angaben und Verschweigungen sich zu entziehen«.202

201 Kirchenvisitation Bernau, 1838, EAF, B 4-786, Hervorhebung im Original. Vgl. ähnlich auch Ortsbereisung Wolpadingen, 1851, StA Freiburg, B 735/1, 328; Ortsbereisung Urberg, 1855, StA Freiburg, B 735/1, 323. 202 Bereisung der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1877, StA Freiburg, B 750/14, 9598. Schon sein Amtsvorgänger Schilling hatte 1823 über die 65 Ortsvorsteher seines Bezirks geklagt: »Welche Ortsvorstände! […] Wie viele Fragen, Zweifel, mündliche und schriftliche Belehrungen und wie viel Zeit nur zur Dechiffrierung und zum Verständnis ihrer meisten von der

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Die Visitatoren und ihre Fragen forderten moralische Standards und Normen ein, die der über viele Jahrzehnte gelebten Dorfrealität nicht entsprachen, riefen die bürgerlichen bzw. katholischen Moralvorstellungen in Erinnerung und stellten klar, dass die in der Gemeinde bislang geduldeten Formen von Sexualität und Familiengründung nicht hinzunehmen seien. Die Ortsvorstände fühlten sich daher bemüßigt, sich vor dem Amtsvorstand zu rechtfertigen, versuchten zu erklären, warum sie gleichsam gezwungen (gewesen) waren, die »unsittlichen« Zustände zu tolerieren. So brachte der Bürgermeister von Rotzel, vom Waldshuter Amtsvorstand zur Rede gestellt, warum er weder »gegen den Bettel, noch gegen die Unsittlichkeit, [noch] gegen Müßiggang u. Schulversäumnisse« vorgegangen sei, als »Entschuldigung« vor, »daß man das liederliche Gesindel fürchten müsse. Es wäre im Stande, einem das Haus anzuzünden.«203 Und der Bürgermeister von Görwihl rechtfertigte sich dem Amtsvorstand gegenüber mit der Erklärung, »daß ihm von Weibspersonen, die nicht gerade bekommen, was sie wollen, schon damit gedroht worden sei, daß sie der Gemeinde wieder einen Bankert hinsetzen.«204 Doch es blieb nicht bei den Rechtfertigungen. Vielmehr begannen die Gemeindebürger, insbesondere die Bürgermeister und Gemeinderäte, der örtliche Pfarrer oder Pfarrverweser nun von sich aus, die »unsittlichen« Zustände in den Unterschichten anzuprangern und sich von diesen abzugrenzen. Diese Verhältnisse wolle man – so die Versicherung der Pfarrer, Gemeinderäte und Bürgermeister dem Amtsvorstand gegenüber – nicht mehr länger dulden, sondern vielmehr unterbinden und bestrafen. Zudem gaben die Gemeindebürger die Namen der ihnen aufgrund der geringen Einwohnerzahl der Dörfer wohlbekannten »unsittlichen« Paare bzw. »liederlichen Weibspersonen« der Obrigkeit preis. Erst dadurch war es dieser überhaupt nur möglich, Sanktionen zu verhängen. Diese reichten von Ermahnungen über gerichtliche Anzeigen205 bis hin zur Verbringung

Unwissenheit, dem Eigennutz, der Rohheit, dem Starrsinn, der Engherzigkeit diktierten und entstellten Schreibereien.« Schilling an Hofgericht, 1823, zit. nach: Eibach: Staat, S.68f. 203 Bereisung der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9598. 204 Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9610. 205 Vgl. z.B. Ortsbereisung Todtmoos, 1852, StA Freiburg, B 735/1, 1472; Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 603; Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1862, StA Freiburg, B 750/14, 9609.

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in die »polizeiliche Verwahrungsanstalt«206 oder ins Gefängnis. So hieß es in den Protokollen etwa über Strittmatt: »Peter Frommherz lebt mit der Theresia Sibold in wilder Ehe und haben diese beiden schon 3 Kinder.« Die wilde Ehe sei ihnen sofort zu untersagen; »wenn sie nicht augenblicklich Folge leisten, sind beide zu verhaften und hierher einzuliefern«.207 Über Ibach: »Schmied Ferdinand Zipfel von Segalen lebt mit der Rosina Albiez im Konkubinat, indem diese schon zwei Kinder von ihm hat. Er hat bei ihr die Kost u. hielt sich häufig bei ihr auf. Der Bürgermeister hat den Zipfel aus der Gemeinde zu verweisen u. diese offenbar unsittlichen Zuwandel nicht zu dulden.«208 Auch diese Beispiele lassen sich beliebig fortführen.209 Darüber hinaus sorgten Bürgermeister, Gemeinderäte und der Polizeidiener dafür, dass die ledigen Mütter der vom Amtsvorstand ausgesprochenen Vorladung Folge leisteten. In Strittmatt etwa bestellte dieser während der Ortsbereisung 1857 diejenigen 22 ledigen »Weiber« ein, »welche bereits 46 uneheliche Kinder geboren haben […], von denen noch 32 am Leben sind. Eine dieser Personen hatte schon 8, eine andere schon 6, eine andere 5 und eine andere schon 3 uneheliche Kinder. [... Die] Personen mit der größten Anzahl Kinder [sehen] alt, schmutzig und verwahrlost aus«.210 In Rüßwihl hatten sich zwei Jahre später zwölf Frauen aus diesem Dorf bzw. dem zugehörigen Tiefenstein einzufinden. Es kamen u.a. »Wilhelmine Schupp von Tiefenstein mit ihrem 7ten und die Josefa Berger von Rüßwihl mit dem 10ten unehelichen Kinde. Eine gewisse Creszentia Leutner von Tiefenstein war dabei, welche seit der Ortsbereisung vom Oktober 1857 nicht weniger als drei uneheliche Kinder auf die Welt gesetzt hat, nachdem sie vorher schon 4 solche geboren hatte. Von allen sieben leben nur noch zwei. Die Person ist 38 Jahre alt. Sieht vor augenfälliger Lüderlichkeit 206 Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 207 Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9537. 208 Ortsbereisung Ibach, StA Freiburg, 1852, B 735/1, 280. 209 Vgl. z.B. Ortsbereisung Ibach, StA Freiburg, 1855, B 735/1, 280; Ortsbereisung Ibach, StA Freiburg, 1868, B 735/1, 280; Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 603; Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9610; Bereisungen der Gemeinde Oberwihl durch den Amtsvorstand, 1851, 1861, 1863, StA Freiburg, B 750/14, 9597; Kirchenvisitation Unteralpfen, 1839, EAF, B 4-12382. 210 Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 9537.

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und Noth wie abgestanden aus und soll ihrer Leidenschaft in der benachbarten Schweiz förmlich nachlaufen.«211 In diesen Beschreibungen spiegelt sich einmal mehr die abwertende Sicht eines bürgerlichen Mannes auf Frauen der Unterschicht, die eine Sexualität lebten, die dem eigenen Moralkodex nicht entsprach. Viele ledige Mütter ließen die Ermahnungen offenbar schweigend über sich ergehen. Einige hingegen zeigten sich nicht reuevoll oder unterwürfig, nahmen nicht hin, dass ihr Verhalten nun als Normenverstoß gelten sollte. In Albert etwa standen sechs Frauen vor dem Amtsvorstand, darunter die 29-jährige Katharina Kramer, die kurz zuvor ihr viertes Kind geboren hatte. »Statt ein Wort der Reue oder Entschuldigung hören zu lassen, machte sie dem Amtsvorstande wiederholt unziemliche Bemerkungen, wobei sie patzig hervorhob, daß nur eines ihrer Kinder am Leben sei und dieses von seinem Vater 250 Gulden Vermögen bekommen habe.« Nicht (nur) die vier »unehelichen« Kinder entrüsteten den Amtsvorstand, sondern vor allem das unziemliche, selbstbewusste Auftreten von Katharina Kramer. Sie sei unter den ledigen »Weibspersonen« die »frechste und verkommenste«.212 So traute man ihr auch zu, dass sie einige in der Nähe beschäftigte italienische Eisenbahnarbeiter bei sich beherbergte. »Man spricht sogar davon, daß hier kürzlich nackt getanzt worden sei. Die strengste Nachforschung hierüber ist im Laufe.«213 Ob dem wirklich so war, sei dahingestellt. Vermutlich handelte es sich um eine bürgerliche Männerphantasie, zumindest erbrachten die »strengsten Nachforschungen« kein – in den Quellen dokumentiertes – Ergebnis.214 Auch in Hochsal,215 Tiefenstein und Rüßwihl traf der Amtsvorstand auf widerspenstige Frauen. In Rüßwihl waren elf ledige Mütter (»Mädchen«) vorgeladen. »An ihrer Spitze steht die 37 Jahre alte Josefa Berger, welche vor 5 Wochen mit 211 Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1859, StA Freiburg, B 750/14, 9604. 212 Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 603. 213 Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 603. 214 Ähnlich auch ein Bericht aus Strittmatt. Dort machte »der Pfarrverweser von Görwihl darauf aufmerksam, daß ledige Weibspersonen auswärtige Wirtshäuser besuchen und dort oder auf dem Heimwege mit bestellten Burschen zusammentreffen, was nichts anderes als eine besondere Gelegenheit zur Unzucht« sei. Allerdings konnte niemand eine konkrete Person benennen, Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1855, StA Freiburg, B 750/14, 9537. 215 Vgl. Faller: Hochsal, S.380.

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dem neunten Kind unehelich niedergekommen war. Dieses Kind ist mittlerweile gestorben. Die Josefa Berger benahm sich auf schamlose Weise, indem sie z.B. ganz frech bemerkte, sie seien auch Menschen und keine Böcke, sie habe doch noch kein Kind umgebracht u. dergl.« Ihr Widerspruchsgeist wurde mit drei Tagen Gefängnis bestraft, »den zweiten bei Hungerkost und den dritten bei Dunkelarrest«.216 Die Bestrafung bewirkte jedoch offenbar keine Verhaltensänderung. Zumindest gebar Josefa Berger ein Jahr später ein weiteres »uneheliches« Kind.217 Anders verlief das weitere Schicksal von Katharina Kramer. Aus den Quellen geht hervor, dass sie sich kurz nach der Ortsbereisung das Leben nahm, nicht jedoch, aus welchem Grund. Die Rekonstruktion der Familiengeschichte ergab nur, dass sie aus einer Familie kam, in der Nichtehelichkeit nicht verbreitet war.218

Die Versorgung der »unehelichen« Kinder Aus Albert berichtete der Amtsvorstand 1852, dass die 30 dort lebenden »unehelichen« Kinder »keinen Ernährungsbeitrag aus öffentlichen Mitteln [empfangen], sondern […] von ihren Müttern und Großeltern erhalten« würden,219 und aus Niederwihl, dass von den acht gezählten »unehelichen« Kindern »nur eins aus Staats- und Gemeindemitteln unterstützt wird; die übrigen werden von ihren Müttern erhalten«.220 Einige ledige Mütter verdingten sich, so hieß es, »auswärts«, und das meinte in der Regel als Dienstmagd oder Fabrikarbeiterin in den größeren Gemeinden des Rheintals, und trugen so zur Versorgung ihrer Kinder bei. Typisch war zudem der »Bettel«. Die »unehelichen« Kinder von Görwihl etwa (»wenigstens 60«), so stellte der Waldshuter Amtsvorstand bei einer seiner Ortsbereisungen fest, »erhalten keine Unterstützung aus öffentlichen Kassen, sondern werden theils von ih-

216 Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 9604. 217 Vgl. Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1859, StA Freiburg, B 750/14, 9604. 218 Im Ortsfamilienbuch ist folgender Eintrag notiert: Kramer, Katharina; ledig; geb. am 3.8.1828 in Albert; »hat sich bei Waldshut in den Rhein gestürzt 19.6.1857«. 219 Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 603. 220 Bereisung der Gemeinde Niederwihl durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9595.

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ren Müttern, theils durch Bettel erhalten«.221 Ebenso verhielt es sich in Segeten: »Uneheliche Kinder unter 14 Jahren befinden sich etwa 60 hier. Die meisten erhalten sich durch Bettel. Ihre Mütter ziehen häufig arbeitsscheu umher.«222 Lebte in einer Gemeinde niemand, der Unterstützung gewähren konnte, so zogen die Bedürftigen in die benachbarten wohlhabenderen Dörfer, um dort zu betteln.223 Nahm die Not zu, so vergrößerte sich auch die Gruppe der Bettler. Zu Beginn der 1850er-Jahre hieß es aus Niederwihl, der »Bettel« sei »häufig, die Bettler werden aber [nicht bestraft, sondern] nur ausgewiesen«,224 aus Hartschwand, der »Bettel wurde nicht bestraft, weil in dieser Gemeinde seit letztem Frühjahr abermals große Noth herrscht und der Ortsvorstand die arbeitsunfähigen Erwachsenen und Kinder betteln lassen mußte, wenn sie nicht verhungern sollten.«225 So war der Bettel den Bürgermeistern so etwas wie »ein natürlicher Nahrungszweig«,226 über den die Gemeinde ein eigenes »Bettelbuch« führte.227 Hinzu kam der häufig erwähnte Holz-, Wald- oder Feldfrevel, Diebstähle, die fast gewerbsmäßig betrieben wurden.228 Auch (nichteheliche) Kinder beteiligten sich daran.229 Sobald die Kinder ein gewisses Lebensalter erreicht hatten, wurden sie zur Arbeit herangezogen, sei es in 221 Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9610. Vgl. Bereisung der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1868, StA Freiburg, B 750/14, 9610. 222 Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 223 Vgl. z.B. Ortsbereisung Urberg, 1852, StA Freiburg, B 735/1, 323. Vgl. ähnlich auch Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1850, StA Freiburg, B 750/14, 9609. 224 Bereisung der Gemeinde Niederwihl durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9595. 225 Bereisung der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9626. Vgl. ähnlich auch Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9532. 226 Bereisung der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9626. 227 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1854, StA Freiburg, B 750/14, 9626; Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1856, StA Freiburg, B 750/14, 9609; Bereisung der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9598; Ortsbereisung Todtmoos, 1854, StA Freiburg, B 735/1, 1472. 228 Vgl. z.B. Ortsbereisung Ibach, StA Freiburg, 1854, B 735/1, 280. 229 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1861, StA Freiburg, B 750/14, 603; Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1852, StA Freiburg, B 750/14, 9604; Kirchenvisitation Urberg, 1853, EAF, B4-12602.

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der Heimindustrie oder zur Fabrikarbeit.230 Bei den (nichtehelichen) Kleinkindern und Säuglingen ist zudem auf die hohe Sterblichkeit zu verweisen,231 die zum Teil aus mangelnder Pflege resultierte und insofern als (bewusste oder unbewusste) Strategie der (ledigen) Mütter oder der (nichtobrigkeitlich »legitimierten«) Paare verstanden werden kann, die Kinderzahl zu regulieren. Die Gemeinden ihrerseits versuchten, die Versorgung der nichtehelichen Kinder zu umgehen bzw., wenn irgend möglich, die Mütter zu beteiligen.232 Ob dies geschah, kontrollierten die Gemeindebürger genau. So hieß es aus Rotzingen, mehrere Bürger hätten sich beschwert, »daß einige arbeitsfähige liederliche Dirnen, wie Theres u. Anna Rüde u. Anna König von der Gemeinde unterstützt werden, während sie sich selbst ihren Unterhalt verdienen könnten.« Am Rande des Protokolls steht der Vermerk: »Die Unterstützungen wurden eingestellt.«233 Die Haltung der Gemeinden mag vor allem durch die allgemeine Armut bedingt gewesen sein, beinhaltete aber womöglich auch Elemente der gezielten Diskriminierung der ledigen Mütter. Doch nicht immer war die Versorgung der »unehelichen« Kinder durch die Gemeinde zu umgehen, zumal in solchen Fällen, in denen die Mutter einfach verschwand und ihr(e) Kind(er) dem Dorf überließ.234 So kamen die »unehelichen« Kinder entweder in die Obhut des Pfarrers,235 eines »braven Mann[es]«,236 »in Kost«237 bzw. »Hauspflege«238 zu anderen 230 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9537. 231 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1859, StA Freiburg, B 750/14, 9604; Bereisung der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1857, StA Freiburg, B 750/14, 9604; Faller: Laufenburg/Rhina, S.14; ders.: Görwihl, S.451; ders.: Hänner/Oberhof, S.9. 232 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Oberwihl durch den Amtsvorstand, 1868, StA Freiburg, B 750/14, 9597. 233 Bereisung der Gemeinde Rotzingen durch den Amtsvorstand, 1866, StA Freiburg, B 750/14, 9601. Vgl. ähnlich auch Ortsbereisung Wolpadingen, 1851, StA Freiburg, B 735/1, 328; Ortsbereisung Urberg, 1855, StA Freiburg, B 735/1, 323; Brief Gemeinde Todtmoos an Großhzg. Bez.Amt St. Blasien, 11.11.1856, die Ortsbereisung betr., Ortsbereisung Todtmoos, 1856, StA Freiburg, B 735/1, 1472. 234 Vgl. z.B. Bereisung der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1868, StA Freiburg, B 750/14, 9609. 235 Vgl. z.B. Ortsbereisung Todtmoos, 1852, StA Freiburg, B 735/1, 1472. 236 Ortsbereisung Todtmoos, 1855, StA Freiburg, B 735/1, 1472. 237 Zu dieser Praxis vgl. Faller: Görwihl, S.394. 238 Bereisung der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1876, StA

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Familien (zu »guten Leuten«239), die dafür von der Gemeinde Geld erhielten, oder auf/in »die Kehr«. Mit dieser Bezeichnung ist ein Verfahren umschrieben, nach dem alle Gemeindebürger reihum einmal einen Armen, einen Hilfsbedürftigen, ein »uneheliches« Kind zu verköstigen hatten, ohne dafür eigens entlohnt zu werden.240 Eine Kontrolle über die Art der Versorgung fand freilich nicht statt. Schließlich wurde das eine oder andere »unehelich« geborene Kind in eine »Anstalt« verbracht, etwa das »Armenhaus« in Bernau-Innerlehen,241 in die »Rettungs-Anstalt zu Blumenfeld«242 oder das Haus des in Gurtweil ansässigen »Vereins zur Rettung sittlich verwahrloster Kinder«.243 Auch die »Auswanderung nach Amerika«, die seit den 1840er-Jahren in Baden immer größeren Umfang annahm, erschien den Gemeinden des Hotzen- und Klosterwaldes als eine Möglichkeit, arme und missliebige Dorfbewohner, darunter auch ledige Mütter und ihre Kinder, loszuwerden: »Zur Zeit sind in der Gemeinde Hänner 120 Personen, die ganz arm und herberglos sind und von der Gemeinde verpflegt werden müssen. Die Gemeinde hat nun beschlossen, 40 bis 50 von ihnen, wovon viele unehelich sind, nach USA transportieren zu lassen.«244 In Herrischried kam es Anfang der 1850er-Jahre zu einer regelrechten »Auswanderungs-Aktion«, die die Gemeinde, der örtliche Pfarrer sowie der badische Staat gemeinsam betrieben und die fast 500 Männer, Frauen und (nichteheliche) Kinder betraf.245

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Freiburg, B 750/14, 9531. Vgl. ähnlich auch Bereisung der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1866, StA Freiburg, B 750/14, 603. Ortsbereisung Todtmoos, 1852, StA Freiburg, B 735/1, 1472. Zu dieser Praxis vgl. Faller: Görwihl, S.404f.; Beck: Chronik, S.142; Wernet: Häusern, S.89f. Ortsbereisung Bernau, 1868, StA Freiburg, B 735/1, 1469. Zu dieser vgl. Faller: Hänner/Oberhof, S.302. Zu diesem vgl. Haselier: Geschichte, S.66. Brief des Pfarrherrn an das Innenministerium, 17.4.1851, zit. nach: Faller: Hänner/Oberhof, S.9. Die »Auswanderung nach Amerika« wurde auch in anderen Dörfern betrieben. Vgl. z.B. Faller: Görwihl, S.430f.; Morath: Blasiwald, S.404f.; Wernet: Häusern, S.90f.; Ebner: Unteralpfen, S.79. Die »Auswanderungs-Aktion« ist Gegenstand eines Forschungsvorhabens, an dem ich zurzeit arbeite.

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Die Fabrik St. Blasien und die »Werkskolonie« Albbruck – Wirtschaftliche Entwicklung bis zur Jahrhundertmitte Die badische Regierung ergriff zahlreiche Maßnahmen, um die wirtschaftlichen Missstände im oberen Hotzen- und im Klosterwald zu beseitigen. Doch die Lebensumstände der allermeisten Familien veränderten sich nicht grundlegend, da die Heimarbeit sich immer weniger rentierte bzw. einen stabilen Nebenerwerb garantierte. Dies betraf sowohl die Schneflerei246 als auch das Nagelschmieden247 oder die Textilheimarbeit.248 Auch die Industrie bot keine Alternative. Während diese sich in den Talorten im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer weiter ausbreitete, blieb für den oberen Hotzen- und den Klosterwald der Mangel an Standorten charakteristisch. Die seit den 1860er-Jahren langsam entstehenden Fabriken blieben insgesamt marginal und reichten nicht aus, um die durch den starken Rückgang der Heimarbeit verlorenen Verdienstmöglichkeiten zu ersetzen.249 Zwei Vorhaben der badischen 246 Um die Not der Nagelschmiede zu beheben, schlug das Bezirksamt etwa vor, auch andere Gegenstände herzustellen, was die meisten Schnefler jedoch ablehnten. Zudem richtete man eine Fortbildungsschule in Bernau ein, in der neben Handfertigkeiten und Zeichnen auch kaufmännische Grundlagen unterrichtet wurden und deren Besuch obligatorisch für alle Absolventen der Volksschule sein sollte. Doch viele Jugendliche kamen selten oder gar nicht, weil die Wege weit und/oder sie zu Hause eingespannt waren. In den 1870erJahren verschlechterte sich die Lage weiter, da die Preise für Lebensmittel und Holz stiegen, später kam der Verlust des Schweizer Absatzgebietes durch Schutzzölle hinzu. Vgl. Dieffenbacher: Schneflerei, S.49 und 58-64. 247 Das Nagelschmieden, das zur Jahrhundertmitte nochmals eine gewisse Blüte erlebt hatte, konnte sich gegen die Fabrikkonkurrenz nicht durchsetzen, vgl. Haselier: Geschichte, S.63; Metz: Landeskunde, S.540-542. 248 Die Textilheimarbeit durchlief wechselhafte Phasen, und es kam durchaus zu einer (von der badischen Regierung vorangetriebenen) Differenzierung. Doch von den insgesamt rund 20 verschiedenen Varianten der im oberen Hotzen- und Klosterwald betriebenen Heimarbeit erwies sich lediglich die Seidenband- und Seidenstoffhausweberei als einigermaßen stabiler Nebenerwerb. Vgl. Döbele: Hausindustrie, S.3, 27 und 35-39; Metz: Landeskunde, S.619-623; Ruf, Josef: Todtmoos, S.164f.; Beck: Chronik, S.385f. 249 Langfristig erwies sich nicht die Industrialisierung als wichtiger Erwerbszweig, sondern der Ausbau der Dörfer zu Luftkurorten bzw. die Errichtung von Sanatorien. Allmählich entstand und entwickelte sich in diesem Zusammenhang auch der Fremdenverkehr, der seit den 1890er-Jahren einen großen Aufschwung nahm. Zur Entwicklung in St. Blasien vgl. z.B. Baur: Jahr, S.44182; Steinert: St. Blasien, S.323-325. Zu Todtmoos vgl. aus zeitgenössischer Sicht Brief Bezirksamt St. Blasien an Gemeinderath Todtmoos, 18.9.1896, sowie Bericht vom 26.9.1896, StA Freiburg, B 735/1, 1476, Bl.154; Ruf, Joseph: Todtmoos, S.40; Wätzel (Hg.): Höhenluftkurorte, S.98-100. Zudem:

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Regierung, mittels derer die Industrialisierung der Provinz vorangetrieben und der Pauperismus bekämpft werden sollte, verdienen es jedoch, ausführlicher beschrieben zu werden, da sie einen interessanten Einblick in das hier diskutierte Thema der »Unehelichkeit« erlauben. Nach der Übergabe des Klosterwaldes an das Großherzogtum schlug der Leiter des staatlichen Bauwesens, Baudirektor Friedrich Weinbrenner, vor, die Benediktinerabtei St. Blasien, jenes von der Welt abgeschnittene, gewaltige »Monument mönchischer Kulturarbeit«,250 das nach der Übersiedlung der Mönche ins Kloster St. Paul im Lavanttal in Kärnten251 seit 1807 leer stand und zu verfallen drohte, als Baudenkmal zu erhalten, zugleich aber die Unterhaltskosten zu senken und für die Bevölkerung neue Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. Die örtliche Obrigkeit begrüßte diesen Vorschlag, da, so begründete sie, die drückende Armut »unaufhaltbar […] zur Unsittlichkeit« führe.252 Beidem könne eine Fabrik Einhalt gebieten. Den Zuschlag erhielt der erst 23 Jahre alte Schweizer Mechaniker und Erfinder Johann Georg Bodmer mit seinem Plan, in St. Blasien Spinnereimaschinen nach seinem eigenen Patent sowie Gewehre herzustellen. 1809 lief die Produktion mit 74 Arbeitern an. Die nötigen Gelder stellte der Karlsruher Bankier und Industrielle David Seligmann (seit 1814 Freiherr David von Eichthal), und das Großherzogtum sicherte bis 1820 die kostenlose Nutzung des Klosters zu. So entstand eine der ersten Maschinenfabriken Badens. Sie galt phasenweise als eine der bedeutendsten industriellen Standorte des Großherzogtums und eine der modernsten mechanischen Spinnereien des Kontinents. Aufgrund der Abgeschiedenheit führten Bodmer und Eichthal die Fabrik von Beginn an als einen sich selbst versorgenden Betrieb, der eigene Versorgungseinrichtungen unterhielt und der Arbeiterschaft Kost und Logis bot. Die

Ruf, Josef: Todtmoos, S.142, 186 und 195. Zu Höchenschwand vgl. Beck: Chronik, S.22f. und 142. Zur Entwicklung des Tourismus im Schwarzwald allgemein vgl. Hitz: Entstehung. 250 Fischer: Staat, S.210. 251 1806 lebten 112 Mönche im Kloster. Der Abt und die Mehrzahl der Mönche gingen nach Kärnten, ein kleiner Teil wurde in nahe gelegenen Pfarreien, z.B. in Menzenschwand und Bernau, untergebracht. Vgl. Sutter: Aufhebung, S.305-313; Heunisch: Geographie, S.74; Wernet: Häusern, S.75. Zum Hintergrund der Aufhebung der Klöster im Breisgau durch Joseph II. vgl. Geier: Durchführung, S.155-160. 252 GLA 391/26776, zit. nach: Fischer: Staat, S.210. Zum Folgenden vgl. Fischer: Staat; Gemmert: Schicksale; Baur: Jahr, S.16-24; Steinert: St. Blasien; Weller: Sozialgeschichte, S.147f.

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Zahl der Einwohner St. Blasiens253 stieg rasant an. Bereits 1809 zählte man rund 1.000 Personen, von denen allerdings nur rund 200 zum Ort gehörten. Die anderen 800 arbeiteten in der Fabrik. Unter ihnen befanden sich – wie Bodmer der Regierung zugesagt hatte – viele Kloster- und Hotzenwälder, aber auch Arbeiter aus Bayern, Württemberg, Preußen, Sachsen, Frankreich und der Schweiz. 1821 bestand der Fabrikkomplex aus diversen Abteilungen: der Maschinen- und der Gewehrfabrik, einem Eisen-, Hammer- und Schmelzwerk, einer im Aufbau befindlichen Baumwollspinnerei, einer chemischen Kunstbleiche sowie diversen Nebenbetrieben, darunter eine Sägemühle, der Fuhrpark sowie Gärtnerei und Landwirtschaft. Die Löhne galten als überdurchschnittlich hoch. Selbst die »Fabrikkinder« verdienten, so hieß es, mehr als »viele erwachsene Handspinner aus dem Hotzenwald«.254 Die rund 200 bis 300 »Fabrikkinder« wurden hauptsächlich zum Betrieb der Spindeln in der mechanischen Spinnerei herangezogen; ihr Arbeitstag betrug in der Regel zwölf Stunden. Sie kamen zum Teil aus den umliegenden, zum Teil aus weit entfernt liegenden Weilern oder Höfen, und viele von ihnen dürften »unehelich« geboren und zur Versorgung ihrer selbst oder der Familie in die Fabrik geschickt worden sein. Aus der Sicht dieser Familien erwies sich die Fabrik in St. Blasien also durchaus als Gewinn und willkommene Erweiterung ihrer Versorgungsstrategien. Die Kinder erhielten in der Fabrik ein Bett (sie schliefen innerhalb der Klostermauern in nach Geschlechtern getrennten Schlafsälen255), Mahlzeiten und einen Geldlohn, der zum Familieneinkommen beitrug.256 Interessant ist zudem, dass die im Hotzen- und Klosterwald traditionell gelebten Formen der Nichtehelichkeit im Fabrikkomplex ihre Fortsetzung fanden. So hoben die Kirchenvisitatoren hervor, dass »der sittliche Zustand der eigentlichen Bürger [St. Blasiens] befriedigend« sei – ganz im Gegensatz zu dem in der Fabrikgemeinde.257 Dort würden zwar viele Personen – »der Pfarrer, die Lehrer, der Fabrikinhaber 253 Zur Entwicklung der Stadt St. Blasien vgl. Keyser (Hg.): Städtebuch, S.189191. 254 Bericht, o.J., zit. nach: Metz: Landeskunde, S.652. Die allermeisten Beschäftigten arbeiteten in der Maschinen- und der Gewehrfabrik, rund einhundert in den Landwirtschafts- bzw. Handwerksbetrieben und knapp zehn in den Büros. 255 Bericht, 1821, zit. nach: Gemmert: Schicksale, S.70. 256 Vgl. z.B. die Liste der »unehelichen« Kindern aus Häusern, die in der Fabrik St. Blasien arbeiteten, Anhang zur Kirchenvisitation St. Blasien, 1838, EAF, B4-10615. 257 Kirchenvisitation St. Blasien, 1853, EAF, B4-10615.

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und dessen Substitut und andere, namentlich ihre Vorsteher bei der Arbeit und auch sonst« – über »die Sittlichkeit wachen […]. Allein dessen ungeachtet hört man doch immer von vielfältigen nächtlichen Zusammenkünften in den Gewölben der Fabrik und an andern Örtern, selbst von Mädchen und Knaben, die kaum der Schule entlassen sind. Viele von den größeren Knaben und Mädchen laufen an Sonnund Feiertagen mit einander in die benachbarten Orte aus, betrinken sich gewöhnlich, nicht selten sogar die Mädchen bis zum Erbrechen, und betragen sich zügellos, weil die meisten von Kindheit an schlecht in die Schule geschickt und noch schlechter erzogen worden sind.«258 Es mangelte nicht an Versuchen, das Leben und die Sexualität der Arbeiterschaft zu reglementieren.259 Vieles am Aufbau, der Organisation und der Verfasstheit des Fabrikkomplexes erinnert eher an eine kasernierte Anstalt im Sinne der totalen Institution (Erving Goffman) als an einen modernen Industriebetrieb. Eichthal agierte als Fabrikherr und Patriarch, vor allem nachdem Bodmer nach Meinungsverschiedenheiten St. Blasien verlassen hatte und er die Fabrik allein führte. »Den geringsten Lärm im Haus oder Frevel in Garten oder Feld habe er eigenhändig mit dem langen Rohr seine Tabakspfeife, die er stets bei sich getragen, bestraft«.260 Zum Strafen in der Fabrik war Eichthal behördlich befugt, da er gegenüber der Arbeiterschaft die Polizeiaufsicht führte. Bürgerliche Rechte besaßen die Fabrikarbeiter nicht in St. Blasien, sondern in der 1827 mit eigenem Rechtsstatus versehenen Fabrik.261 Allerdings gab es unter der Belegschaft nur vier Personen, die 258 Kirchenvisitation St. Blasien, 1838, EAF, B4-10615. 259 So waren die ledigen Arbeiterinnen und Arbeiter etwa in nach Geschlechter getrennten Schlafsälen untergebracht. »Im Knabensaal schläft ein besonderer Saalaufseher, im Mädchensaal eine […] zur Aufsicht über die Mädchen bestimmte Frau; zwei Personen haben ein gemeinschaftliches Bett«. Jedes »Vergehen« werde »mit Strenge bestraft«, Kommissionsbericht, 20.11.1816, GAL 391/5701, zit. nach: Fischer: Staat, S.248. 260 Oberamtmann Weiß, Geschichte St. Blasiens, 1874, GLA 65 Nr.494, Bd.I, S.202f., zit. nach: Fischer: Staat, S.259f. Im Zuge der patriarchalischen Fürsorge richtete er eine Schule, eine Apotheke und eine Gastwirtschaft ein, um so die verbreiteten »Exzesse« und »Raufhändel« in »Privathäusern« zu unterbinden. All dies sollte dem Zweck dienen, »der bisher herrschenden Rohheit der Sitten auf unserem wilden Schwarzwald« entgegenzuwirken, Kommissionsbericht, 20.11.1816, GAL 391/5701, zit. nach: ebd., S.251. 261 Als Fabrikgemeinde besaß die Fabrik den rechtlichen und politischen Status einer badischen Gemeinde. Vorausgegangen waren Erörterungen der zuständigen Regierungskommission, in denen es vor allem um die Frage ging, ob eine evangelische Kirche errichtet werden könne, »damit strebsame junge Leute aus anderen Teilen des Großherzogtums, die vorübergehend

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den Status von Gemeindebürgern hatten – alle vier wählten Eichthal 1836 zum Bürgermeister der Fabrikgemeinde.262 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Fabrik ihren wirtschaftlichen Zenit bereits überschritten. Der Weggang Bodmers sowie das Auslaufen der staatlichen Förderung läuteten den wirtschaftlichen Niedergang ein. Nachdem die Versuche der 1830er-Jahre, die Produktivität zu steigern, fehlgeschlagen waren, suchte Eichthal Ende 1844 um ein staatliches Darlehen nach, das die Regierung des Oberrheinkreises befürwortete, da »mit Bestehen oder Fallen dieser großartigen Anstalt der Nahrungsstand eines ausgedehnten Bezirks in Frage« stehe.263 Das Bezirksamt in St. Blasien ergänzte: »Auch in sittlicher Beziehung dürfte, was vielleicht auf den ersten Blick rätselhaft erscheint, aus dem Aufhören der Fabrik nur Nachteil zu erwarten sein. Die Kinder der armen Leute würden nämlich voraussichtlich dem Bettel nachziehen, während sie hier unter einer strengen, guten Aufsicht stehen und eine sehr gute Fabrikschule besuchen müssen«.264 Im September 1845 übergab Eichthal die Fabrik an seinen Schwiegersohn. Doch die Lage verschlechterte sich zunehmend, nicht zuletzt durch den Frankfurt-Karlsruher Bankenkrach 1847/48 und die Revolution, sodass die Fabrik 1850 schließlich Konkurs anmelden musste. Der Kirchenvisitator bewertete die Fabrikschließung jedoch als positiv, führe sie doch zu einen Rückgang der »Unehelichkeit«: »In neuerer Zeit hat sich die Geburt der unehelichen [Kinder] nicht vermehrt, sondern eher vermindert, was von der Einstellung der Fabrik in St. Blasien ziemlich herrühren mag.«265

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dort arbeiten wollen, nicht auf ihre Religionsausübung verzichten müssen«, Fischer: Staat, S.261 (den Bericht der Regierungskommission, GLA 391/5702, paraphrasierend). Einwohner ohne Gemeindebürgerrecht galten als Staatsbürger und standen unter Kontrolle der Ortspolizei. Bericht Regierung des Oberrheinkreises, 14.1.1845, zit. nach: Gemmert: Schicksale, S.72. Bericht Bezirksamt, 27.1.1845, GLA 373/Zug. 1908 Nr.25 Fasc. 228 a, zit. nach: Fischer: Staat, S.263. Kirchenvisitation Hoechenschwand, 1852, 1852, EAF, B4-4951. Vgl. Ortsbereisung St. Blasien, 1853, StA Freiburg, B 735/1, 998. Als Ausblick sei erwähnt, wie es mit der Fabrik weiterging: 1852 kauften sie der Schopfheimer Textilfabrikant Carl Wilhelm Grether und der Augsburger Bankier Obermaier, und Grethers Schwiegersohn Ernst Friedrich Krafft richtete im Kloster eine Baumwollspinnerei ein, die 1869 wieder fast 300 Arbeiter beschäftigte und damit erneut zu einer der großen Fabriken Badens zählte. Doch ein Brand richtete 1874 enorme Schäden an, zerstörte die Fabrik, das Konventsgebäude, Chor und Rotunde der Kirche (vgl. z.B. die bei Morath: Blasiwald, S.155, abgedruckte Fotografie). Die Produktion ruhte erneut

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Im Hotzenwald erwarb das Großherzogtum die Eisenwerke Tiefenstein266 und Albbruck.267 Letzteres erlebte unter badischer Regie einen Aufschwung und entwickelte sich zum größten Eisenwerk in Baden; freilich konnte es der Konkurrenz des Ruhrgebiets268 nicht standhalten und musste 1866/67 den Betrieb einstellen.269 Interessant ist das Albbrucker Beispiel aber vor allem im Hinblick auf das hier diskutierte Thema. Ähnlich wie die Fabrik in St. Blasien gehörte das Albbrucker Werk nicht zur lokalen Gemeinde, sondern besaß als »Werkskolonie« einen eigenen Rechtstatus. Nach diesem galten die dort – ehelich oder nichtehelich – geborenen Kinder als Heimatlose ohne Bürgerrecht, die im Erwachsenenalter keine Heiratsbewilligung erhielten. Der größte Teil der Arbeitschaft (1834 bestand diese aus 76 Männern, 86 Frauen und 106 Kinder) stammte aus dem oberen Hotzenwald. 1835 legte der Verwalter einen Bericht über die Lebensverhältnisse in der Kolonie vor. Demnach übte nur ein Bruchteil der Bewohner, lediglich Männer, eine anspruchsvollere Tätigkeit aus. Sie und ihre Familien lebten in gesonderten Wohnungen, während die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter »in 4 Wohnhäuser eingepfropft« wurden. Unter ihnen befanden sich viele »Invalide, Witwen, Weiber und Kinder«. Es handele sich um eine »Klasse, die keine bürgerlichen Rechte genießen, z.B. nicht heiraten dürfen, aber dem Vaterland doch ihre Söhne unter das Gewehr stellen müssen. […] Die Existenz dieser Menschen ist eine große Last für das hiesige Eisenwerk […]. Besonders drückend ist aber das Verhältnis dieser Klasse darum, weil deren Söhne und Töchter solcher Arbeiter unter sich nicht heiraten dürfen, da sie nirgends bürgerliche Rechte genießen. Dadurch entsteht der Nachteil, daß die ledigen Arbeiter sich Weiber in den benachbarten

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einige Jahre, bis sowohl die Fabrik als auch die Kirchengebäude wieder aufgebaut waren. Vgl. Metz: Landeskunde, S.522f. Zu dessen Vorgeschichte vgl. ebd., S.519522. Das Filialwerk Kutterau wurde 1848 als unrentabel aufgegeben, zu dessen Vorgeschichte vgl. ebd., S.523f. Zu diesem und zum Folgenden vgl. ausführlich Metz: Landeskunde, S.502519. Das Ruhrgebiet produzierte hochwertigeres Eisenerz, da dort die Hochöfen statt mit Holz- mit Steinkohle betrieben wurden und daher eine höhere Brenntemperatur erreicht werden konnte. Nach der Jahrhundertmitte kam es in allen badischen Eisenhütten zur Drosselung der Produktion. Auch das Werk in Tiefenstein musste 1866/67 den Betrieb einstellen. Auf dem Gelände des Eisenwerks Albbruck richtete der Schweizer Unternehmer Nicolaus Kaiser in den frühen 1880er-Jahren eine Papierfabrik ein.

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Gemeinden suchen, um daselbst bürgerlich aufgenommen zu werden und heiraten zu können. Die hiesigen Weibsbilder müssen ledig bleiben, bekommen […] Kinder, und die Sittlichkeit, welche schon durch das enge Zusammenleben außerordentlich leidet, wird im höchsten Grade verdorben.«270 Offenbar hielten die Arbeiterinnen und Arbeiter, die ja aus dem oberen Hotzen- oder Klosterwald stammten, auch in den Fabrikkomplexen von St. Blasien oder Albbruck an den ihnen vertrauten Formen von Sexualität und Familiengründung fest. Freilich hatten sich auch ihre Lebensverhältnisse kaum verändert. Diese waren nach wie vor geprägt von Armut, überlangen Arbeitszeiten, die den Gottesdienstbesuch hemmten, bedrängten Wohnverhältnissen, rechtlichen Ehebeschränkungen sowie dem Zusammenarbeiten und -leben von (ledigen) Männern und Frauen. All dies bedingte Formen von Sexualität und Familienverhältnisse, die ohne obrigkeitliche »Legitimation« auskamen – in den Weilern und Einzelhöfen im oberen Hotzen- und im Klosterwald wie in der Fabrikgemeinde St. Blasien oder der Werkskolonie Albbruck. Mit Blick auf die Formen und Muster der Nichtehelichkeit im Südwesten des Großherzogtums Baden ist abschließend festzuhalten, dass diese in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den unterbäuerlichen Schichten im oberen Hotzen- und Klosterwald als Normalität, im Markgräflerland als Ausnahme, wohl aber gehäuft in bestimmten Dörfern bzw. Familien gelebt wurde. In beiden Regionen eigneten sich die betrachteten Frauen und Männer bzw. ganze Familien die Nichtehelichkeit als Lebensform an, um unter den bestehenden Bedingungen und unter den sie einschränkenden rechtlichen, politischen und ökonomischen Zwängen Sexualität leben und Kinder haben, eine Familie gründen zu können. Sie prägten dafür eigene Formen und Muster aus, die in ihren (engeren oder weiteren) sozialen Bezügen als legitim galten und an die nachfolgenden Generationen gleichsam als Tradition weitergegeben wurden. Nichtehelichkeit kam also in den Familien bzw. Kontexten, in denen die betrachteten knapp 400 Badenerinnen aus den Amtsbezirken Waldshut, St. Blasien, Säckingen, Müllheim und Lörrach, die später in Basel als ledige Mutter registriert wurden, aufwuchsen, mehr oder weniger ausgeprägt vor. Nahmen die Töchter diese Tradition mit, als sie nach Basel gingen?

270 Bericht Hüttenverwalter von Helbing über die Verhältnisse in der Werkskolonie, 1835, zit. nach: Metz: Landeskunde, S.518f.

3. Wege nach Basel Fernstraßen und Eisenbahnstrecken als notwendige Infrastruktur

Der obere Hotzen- und der Klosterwald war wie beschrieben bis weit ins 19.  Jahrhundert hinein eine weitgehend abgeschnittene Region.1 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm die Abwanderung aus dem oberen Wald in das Rheintal deutlich zu, boten sich dort doch die dringend benötigten Arbeitsstellen und Verdienstmöglichkeiten. So häufen sich in den Ortsbereisungen der 1850er-Jahre Bemerkungen wie die folgenden: Wer von Ackerbau und Nebenerwerb nicht leben könne, der suche seinen Unterhalt »auswärts in Fabriken [... oder] auswärts als Dienstbote oder Taglöhner«; viele Bewohner des oberen Hotzenwaldes seien »auswärts in Stellung im Rheintal oder der nahen Schweiz als Dienstboten, Knechte, Lehrlinge, Gesellen usw.«,2 die des unteren Hotzenwaldes fanden Arbeit in den Textilbetrieben, etwa in Rheinfelden, Säckingen, Murg oder Waldshut.3 Einige ledige Mütter nutzten den Lohn, um ihre Kinder zu versorgen, zum Teil trugen diese selbst zum Familieneinkommen bei. So berichtete der Amtsvorsteher 1 Gelegentliche Kontakte in die Rheinebene bestanden durch die Verleger, die Rohwaren in den Wald brachten, bzw. die Gängler, die die fertigen Produkte abholten, durch den landwirtschaftlichen Vertrieb oder den Hausierhandel. In Zeiten großer Not gingen zudem einzelne Frauen und Kinder bis nach Basel, um dort Beeren zu verkaufen. So hieß es 1855 aus Segeten, die Armut im Dorf sei sehr groß: »Diesen Sommer […] nährte sich ein großer Theil der Einwohner ungefähr 3 Monate lang von den Heidel- und Steinbeeren, indem sie dieselben theils selbst aßen, theils bis nach Basel den Korb um 2 fr. verkauften.« Bereisung der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1855, StA Freiburg, B 750/14, 9532. Daraus entwickelte sich in den folgenden Jahren ein regelrechtes Geschäft. Ersatz für den geringen Verdienst in Strittmatt böte der »für Frauen und Kinder in Aufnahme gekommene Handel mit Heidelbeeren insbesondere nach Basel; es haben sich d.J. in Basel eigene Unterhändler niedergelassen, welche die Ergebnisse der Sammlung zum weiteren Vertrieb übernehmen.« Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1871, StA Freiburg, B 750/14, 9537. Der Straßen- und Hausierhandel spielte für die Lebensmittelversorgung in Basel im 19. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle, vgl. Keller: Speziererinnen, S.32-34. 2 Bereisungen der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1850/52, StA Freiburg, B 750/14, 9626. Vgl. ähnlich Bereisungen der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1855, ebd., B 750/14, 9532. 3 Vgl. Döbele: Hotzenwald (1929), S.44.

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1853 aus Strittmatt, dass viele der dort »unehelich« geborenen Kinder gemeinsam »mit ihren Müttern in auswärtigen Fabriken« arbeiteten.4 Die massive Abwanderung aus dem oberen Wald seit Mitte des 19.  Jahrhunderts führte dort zum Rückgang der Bevölkerungszahl.5 Erleichtert wurde die Wanderschaft durch neu gebaute Straßen. Die Verbesserung der Infrastruktur, d.h. vor allem die Anbindung an die wichtigen Verkehrswege im Rheintal, gehörte zum Bündel der Maßnahmen, das die badische Regierung ergriff, um die aus ihrer Sicht bestehenden (wirtschaftlichen) Missstände im oberen Hotzen- und im Klosterwald zu beseitigen. So konnte die Wehratalstraße nach langjährigen Bauarbeiten 1852 fertiggestellt werden und 1859 die erste Straße durch das schluchtenreiche Albtal.6 Die Straße von Höchenschwand nach Albbruck führe, so ein Zeitgenosse 1862, durch »Tiefen in schauerlicher Weise […]. Die Kunst hat sich Bahn gebrochen durch Wegsprengen von Felsenmassen hart am Albfluß, der sich hier und namentlich in Tiefenstein in starker Beengung umgeben von mächtigen und steilen Felswänden seine schäumenden Fluten vorüberwälzt.«7 Die Landstraße diente hauptsächlich dem schnelleren Holztransport zu dem neu errichteten Bahnhof in Albbruck am Hochrhein, aber auch der Personenverkehr nahm zu. Seit 1872 verkehrte regelmäßig eine Postkutsche durch das Albtal, sodass auch höher gelegene Orte wie Todtmoos, Höchenschwand, Häusern und St. Blasien besseren Anschluss an das Rheintal erhielten.8 Die Postverbindungen erleichterten  – so eine Zeitgenosse  – »den Verkehr ungemein«, da für die

4 Bereisung der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1853, StA Freiburg, B 750/14, 9537. 5 Am Beispiel von Görwihl kann veranschaulicht werden, wohin die Zuwanderung erfolgte. Von den 280 Personen, die Görwihl zwischen 1820 und 1900 verließen, gingen 60% nach Amerika, 25% in die Schweiz, 9% in andere deutsche Staaten (vor allem nach Bayern), 5% nach Frankreich (vor allem in die Gegend um Mulhouse) und 1% nach Österreich, vgl. Faller: Görwihl, S.14. 6 Vgl. Ruf, Josef: Todtmoos, S.221-227. 7 Werber: Schwarzwald, S.13. 8 St. Blasien blieb der einzige badische Amtsbezirk ohne direkten Eisenbahnanschluss. Ende des 19./zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zwar Pläne diskutiert, eine Bahnstrecke nach St. Blasien zu bauen. So sollte im Rahmen des Baus der Dreiseenbahn ein Ausbau von Seebrugg nach St. Blasien und weiter durch das Murgtal oder aber das Albtal zum Hochrhein realisiert werden. Die sogenannte Hotzenwaldbahn kam aber nicht zustande, vgl. Metz: Landeskunde, S.590-593; Kuntzemüller: Eisenbahnen, S.186f.; http://www. vergessene-bahnen.de/StBlasien.htm [Zugriff 4.8.2020].

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Strecke von Waldshut nach St. Blasien nur noch lediglich vier Stunden benötigt würden.9 Anders stellte sich die Situation in der Rheinebene dar. Die DreiLänder-Region am Oberrhein, die das Elsass, die Nordwestschweiz und das Markgräflerland umfasste, war durch die naturräumlichen und klimatischen Begebenheiten sowie durch Wirtschaftsstrukturen und Wissensräume,10 die die Grenzen überspannten, schon lange eng verflochten. Am Hochrhein bildeten die Gebiete auf beiden Seiten des Rheins sogar zeitweise eine politische Einheit, gehörten sie doch beide zum vorderösterreichischen Hoheitsgebiet. So bestanden vielfach enge Verbindungen über den Fluss hinweg.11 Erst seit der Abtrennung des Frickgaus von Vorderösterreich und die Bildung des Schweizer Kantons Aargau 1803 bildete der Rhein die Staatsgrenze. Im Dreiländereck erwies sich der Rhein als wichtiger und viel benützter Verkehrsweg, und Brücken sowie vor allem Fähren – am Hochrhein etwa bei Koblenz, Waldshut, Dogern, Albbruck, Hauenstein, Stadenhausen, Luttingen und Murg – verbanden die Ortschaften beiderseits des Flusses.12 Seit Mitte der 1860er-Jahre ersetzten, wie etwa in Neuenburg, Murg oder Wallbach, mehr und mehr Drahtseilfähren die Fährboote.13 Die Markgräfler Rheinebene und das Markgräfler Hügelland waren zudem durch Land- und Fernstraßen gut erschlossen, was die Wanderungsbewegungen erheblich erleichterte. Im Amt Lörrach arbeiteten etwa ab den 1840er-Jahren ausländische Fachkräfte in den Fabriken, meist Schweizer und Franzosen,14 und in beiden Amtsbezirken viele Italiener an den Eisenbahnstrecken.15 Hinzu kam die Binnenmigration aus den Walddörfern des oberen   9 Mamor: St. Blasien, S.III. Zum Ausbau der Postverbindung seit Mitte des 19.  Jahrhunderts nach Todtmoos vgl. Ruf, Josef: Todtmoos, S.130; nach Höchenschwand Beck: Chronik, S.98-101; nach Häusern Wernet: Häusern, S.165. 10 Am Beispiel der deutsch-französischen Tabakforschung hat dies kürzlich Alexander van Wickeren gezeigt, vgl. Wickeren: Wissensräume. 11 Vgl. z.B. Faller: Laufenburg/Rhina: S.4-7. 12 Zur Schiffahrt auf dem Hochrhein vgl. Metz: Landeskunde, S.593-597. 13 Vgl. Keyser (Hg.): Städtebuch, S.326; Faller: Murg, S.380; Faller: Wallbach, S.149. 14 Viele von ihnen waren bei Basler Betrieben angestellt, arbeiteten aber im Lörracher Umland in den Filialen. 15 Italienischen Facharbeiter wurden v.a. beim Tunnelbau hinzugezogen (vgl. Hippel u.a. (Hg.): Eisenbahn-Fieber, S.286f.), während man beim Bau der ersten Bahnstrecken plante, ausschließlich Männer aus den umliegenden Dörfern zu beschäftigen (vgl. ebd., S.109f.).

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Wiesentals in die Rheinebene sowie eine kontinuierliche Arbeitsmigration nach Basel, die im frühen 18. Jahrhundert begann und Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich an Dynamik gewann. Die krisenhafte Entwicklung im badischen Südwesten fiel mit dem Wirtschaftsboom in Basel zusammen. Abwanderung aus Baden und Zuwanderung in Basel erwiesen sich daher gleichsam als zwei Seiten einer Medaille. In Kandern etwa schwanden seit den späten 1850er-Jahren die Verdienstmöglichkeiten, weil die Rohstoffgewinnung zum Erliegen kam. Demgegenüber versprach Basel, so brachte es Maria Mehlin,16 die aus Kandern stammte und die 1871 und 1875 in Basel zwei »uneheliche« Kinder gebar, auf den Punkt, »bessern Verdienst«. Eine wesentliche Voraussetzung für die großen Wanderungsbewegungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts war nicht zuletzt die Eisenbahn. Innerhalb von rund 30 Jahren entstand im Dreiländereck durch den Bau diverser Eisenbahnstrecken, für den Tausende von ortsfremden Arbeitern benötigt wurden, eine neuartige verkehrsmäßige Infrastruktur, die Transport in bislang unbekanntem Ausmaß und in bislang unbekannter Schnelligkeit – zunächst von Personen, dann zunehmend auch von Gütern – überhaupt erst ermöglichte.17 Den Anfang machte die Bahnstrecke Straßburg/Basel, die auf private Initiative der erwähnten Textilfabrikantenfamilie Koechlin zurückging.18 Im Oktober 1840 begannen die Bauarbeiten, und nach den Teilstücken Mulhouse/St. Louis sowie Straßburg/Mulhouse wurde im Juni 1844 der letzte Abschnitt zwischen St. Louis und Basel fertiggestellt. Es handelte sich um die erste Eisenbahnverbindung der Welt, die die Grenze von zwei Nationalstaaten überschritt. Allerdings bestanden in Basel lange Zeit 16 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.481; Gerichtsarchiv; Ehegericht, U 160, Bl.755f. (das folgende Zitat: Protokoll, 18.12.1871, ebd., Bl.756); Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.266-268. So wie Mehlin gehören alle im Folgenden mit Namen genannten Badenerinnen der Untersuchungsgruppe der rund 800 Badenerinnen, die in Basel mit einem nichtehelichen Kind niederkamen, an. Bei der jeweils ersten Erwähnung werden diejenigen Quellen genannt, die in der erwähnten Datenbank gesammelt wurden und die zur Beschreibung der Lebensstationen und Lebensumstände in Basel zur Verfügung stehen. 17 Zum Folgenden vgl. Hippel u.a. (Hg.): Eisenbahn-Fieber; Neisen: Entstehung, S.51-59; Hansing: Eisenbahnen, S.5-32 und 47-71; Stiefel: Baden, S.1513-1542; Baur: Jahr, S.40-42; Kuntzemüller: Eisenbahnen, S.3-81; Landesarchiv Baden-Württemberg (Hg.): Jahre. 18 Die Familie unterhielt in Masevaux größere Textilfabriken, sodass sie als erstes die Eisenbahnstrecke von Thann nach Mulhouse bauen ließ; diese wurde 1839 eröffnet.

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erhebliche Bedenken gegen den Anschluss, viele befürchteten, durch den Bau der Bahn werde der Zustrom von Migranten, insbesondere von Katholiken, weiter zunehmen. So errichtete man ein regelrechtes Festungswerk, das »Eisenbahn-Thor«, durch das die Bahn in die Stadt gelassen wurde und das nachts verschlossen war.19 Auf der badischen Seite ließ das Großherzogtum nahezu zeitgleich die zunächst »Hauptbahn« genannte Strecke Mannheim/Basel bauen:20 1840 war Heidelberg erreicht, 1843 Karlsruhe, 1844 Offenburg und 1845 Freiburg. Zehn Jahre später wurde das letzte Teilstück von Efringen nach Basel fertiggestellt, das wenige Kilometer hinter Haltingen mittels einer Eisenbahnbrücke, die damals als ein Meisterwerk der Technik galt, den Fluss Wiese überquerte und am neu gebauten Badischen Bahnhof endete, dessen Bau und Betrieb ein Staatsvertrag zwischen dem Großherzogtum und der Eidgenossenschaft regelte. So erhielt das Markgräflerland eine direkte und schnelle Verbindung mit der Schweizer Metropole, auch wenn zunächst nur wenige Ortschaften (im Amtsbezirk Müllheim etwa Müllheim und Schliengen) einen »Haltepunkt« zugesprochen bekamen.21 Zeitgleich zur Fertigstellung der Rheintalstrecke begann die Erschließung des Hochrheintals.22 Der Abschnitt Basel/Säckingen konnte 1856 eröffnet werden, 1859 die Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Waldshut23 und 1862 das letzte Streckenstück bis Konstanz.24 Und schließlich ist die Wiesentalbahn zu nennen: Auch ihr lag eine private Initiative zugrunde, und zwar die des Basler Textilfabrikanten Wilhelm Geigy-Lichtenhahn, der in Steinen ein Werk betrieb, und der das Vorhaben zusammen mit weiteren 19 Vgl. Wecker: Anfang, S.196; Gantner: Probleme, S.101. 20 Landesarchiv Baden-Württemberg (Hg.): Jahre, S.51. Übersichtskarten über das badische Streckennetz in den Jahren 1840, 1850, 1860 und 1870 sind ebd., S.51-55, abgedruckt. 21 Im Sommer 1847 wurden die Stationen Leutersberg, Bad Krozingen, Müllheim und Schliengen eröffnet, vgl. Deutsche Reichsbahn (Hg.): Handbuch, S.20. Hügelheim erhielt erst 1890 eine Station, vgl. Küchlin: Chronik, S.8284. 1878 wurde zudem die Strecke Müllheim/Mülhausen eröffnet. Planungen dazu gab es seit 1865/77, als mehrere Gemeinden des Markgräflerlandes Petitionen an das Großherzogtum richteten, den Bau der Strecke zu prüfen; zeitgleich bestanden auch Pläne in Frankreich. Die Bauarbeiten begannen freilich erst nach dem Krieg, Ende 1876. 22 Zur Verkehrsentwicklung dort vgl. Bocks (Hg.): Bahn. 23 Ein Foto des Baus ist abgedruckt in: Landesarchiv Baden-Württemberg (Hg.): Jahre, S.61. 24 Der Bau der »Höllentalbahn« (zu dieser vgl. Freese/Gottwaldt: Eisenbahn; Scharf/Wollny: Höllentalbahn) von Freiburg in den Schwarzwald begann 1882.

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badischen und Schweizer Textilindustriellen sowie der Unterstützung des Direktors der Lörracher Kreishypothekenbank realisierte.25 Die Strecke führte von Basel über Lörrach und Steinen nach Schopfheim (Fertigstellung 1862) und von dort, nun von der Schopfheim-Zeller Eisenbahn-Gesellschaft als »Hintere Wiesenthalbahn« betrieben, weiter nach Zell.26 1873 schließlich schloss eine Verbindungsbahn den Badischen Bahnhof an den Schweizer Zentralbahn-Bahnhof an. Dies machte Basel endgültig zum zentralen Verkehrsdreieck, das drei nationale Teilregionen miteinander verband. Der Ausbau der Infrastruktur seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erleichterte den hier betrachteten Badenerinnen die Wanderung nach Basel. Auf welche Strukturen der ehelichen oder nichtehelichen Familiengründung trafen sie dort? Welche »Illegitimitätsraten« registrierten die Basler Behörden im 19. Jahrhundert und welchen Anteil hatten die hier betrachteten Badenerinnen daran? Und nicht zuletzt: Was bedeutete es für sie, in Basel ein »uneheliches« Kind zur Welt zu bringen? Um diese Fragen geht es im zweiten Teil des Buchs.

25 Auch das Baugewerbe erhielt durch Bau der Wiesentalbahn nach Zell Auftrieb. Zudem ermöglichte die Eisenbahn eine zuverlässige Energieversorgung mittels der nach Zell transportierten Kohle, während man zuvor auf die Wasserkraft der Wiese als Energieträger angewiesen war. Vgl. Wittmann: Geschichte, S.305f. 26 Zell wurde 176 erreicht, 1889 erfolgte die Eingliederung in die Großherzoglich Badische Staatseisenbahn.

Teil 2: Basel

4. Strukturen der »Illegitimität« in Basel »Verursacherinnen« der »Unehelichkeitsraten« Die Schweiz gehörte zu den europäischen Ländern, die im 19.  Jahrhundert niedrige »Illegitimitätsraten« aufwiesen.1 Dies galt bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus auch für Basel: Zwischen 1833 und 1860 lag die Rate im Durchschnitt bei 4,1%, der Maximalwert betrug 1833 7,5%, der Minimalwert 1858 2,0%. Dann stiegen die Zahlen von 5,2% 1861 auf einen Maximalwert von 14,2% im Jahr 1874. Der erste drastische Sprung erfolgte von den 1850er-Jahren zu den 1860erJahren: von knapp 3% auf über 8%. Und von 1860 bis 1864 registrierten die Behörden eine Verdreifachung.2 In der folgenden Tabelle sind die Zahlen noch einmal zusammengestellt. Sie informiert über die Zahl aller Geburten in Basel, die Zahl der »unehelichen« Geburten sowie die »Illegitimitätsrate« in den Jahren 1833 bis 1879 (Tabelle 2).3 Eine zweite Tabelle macht deutlich, wie viele der nichtehelichen Geburten auf die hier betrachteten Badenerinnen entfielen (Tabelle 3).4

1 Vgl. Sutter: Illegitimität, S.38; Höpflinger: Bevölkerungswandel, S.38-47. 2 Eigene Berechnungen nach: Historische Statistik der Schweiz, https://hsso. ch/, C 16: Gesamtzahl der Geborenen (inkl. Totgeborene) nach Kantonen 1801-2006; C 21: Erfasste aussereheliche Geburten nach Kantonen 18011870; C 23: Erfasste aussereheliche Geburten nach Kantonen 1867-1995 [Zugriff 2.4.2020]. Zur Entwicklung der Geburtenrate in Basel allgemein vgl. Wecker: Anfang, S.199. 3 Eigene Berechnungen nach: Historische Statistik der Schweiz, https://hsso. ch/, C 16: Gesamtzahl der Geborenen (inkl. Totgeborene) nach Kantonen 1801-2006; C 21: Erfasste aussereheliche Geburten nach Kantonen 1801-1870; C 23: Erfasste aussereheliche Geburten nach Kantonen 1867-1995 [Zugriff 2.4.2020]. In der Erläuterung zu den Tabellen wird hervorgehoben, dass die Daten etwa ab der Jahrhundertmitte die historische Realität »einigermassen korrekt« abbilden, davor handelt es sich um mehr oder weniger zuverlässige Schätzungen. Ich bedanke mich für das erläuternde Schreiben der Universität Zürich, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, vom 2.4.2020. 4 Die Datenbank umfasst, wie oben ausgeführt, 835 Geburtseinträge, von denen lediglich 17 auf die Jahre vor 1830 oder nach 1879 entfallen, für drei Geburten sind keine Daten bekannt.

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strukturen der »illegitimität« in basel

Zeitspanne

Alle

Nichteheliche

»Unehelichkeitsrate« (%)

1833-1839

3839

176

4,58

1840-1849

6368

327

5,14

1850-1859

8418

252

2,99

1860-1869

13161

1088

8,27

1870-1879

19015

2144

11,28

Zeitspanne

Alle nichtehelichen Geburten in Basel

Davon: hier betrachtete Badenerinnen (abs.)

Davon: hier betrachtete Badenerinnen (%)

1830-1839

176

14

7,95

1840-1849

327

43

13,15

1850-1859

252

54

21,43

1860-1869

1088

349

32,08

1870-1879

2144

355

16,56

Summe

3987

815

20,44

Tabelle 2: Geburten in Basel, 1833 bis 1879

Tabelle 3: Anteil der Badenerinnen an nichtehelichen Geburten in Basel, 18301879

Die hier betrachteten Badenerinnen verursachten im Zeitraum von Anfang der 1830er- bis Ende der 1870er-Jahre mehr als ein Fünftel der nichtehelichen Geburten in Basel; besonders hoch war der Anteil mit fast einem Drittel in den 1860er-Jahren. Sie stellten also einen signifikanten Anteil der von der Basler Obrigkeit registrierten ledigen Mütter und brachten – rein statistisch betrachtet und überspitzt formuliert – die Nichtehelichkeit als Lebensform mit nach Basel.5 Doch: War der Transfer der Familientradition der Nichtehelichkeit aus dem Badischen nach Basel der einzige Grund für das Ansteigen der »Illegi-

5 Interessant wäre es, die soziale Lage verschiedenere Teilgruppen zu vergleichen. Wie veränderten die »Migrationswellen« etwa die Situation der aus Basel stammenden Unterschicht? Unter welchen »sittlichen« Bedingungen lebte sie und wurde die »importierte Unehelichkeit« auch für sie relevant? Aus arbeitsökonomischen Gründen musste jedoch darauf verzichtet werden, diesen Fragen weiter nachzugehen.

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timitätsraten« in der Stadt? Oder lagen in Basel auch andere, strukturelle Ursachen vor, die Nichtehelichkeit begünstigten?

Aufenthalterinnen – Der Rechtsstatus der Badenerinnen in Basel Nach der Jahrhundertmitte erreichten »large streams of migrants« Basel.6 Sie kamen aus anderen Schweizer Kantonen, aus dem Elsass, Württemberg und Baden. Aus dem Badischen wanderten viele Personen direkt aus dem ländlichen Raum zu, andere hatten bereits in kleineren Städten – für den Hochrhein sind etwa Murg, Rheinfelden oder Laufenburg zu nennen – oder auch in größeren Städten wie etwa Freiburg gearbeitet. Mehr als die Hälfte der Einwanderer war weiblich, fanden Frauen doch in ihrer Heimat seltener als Männer eine Verdienstmöglichkeit. So kam es in Basel zwischen 1860 und 1870 zu einer Zunahme der weiblichen Wohnbevölkerung um 27,6%, der männlichen um lediglich 8,4%.7 Der Zustrom von Frauen verstärkte die »ohnehin ungleiche Geschlechterproportion« in Basel.8 Dies lag zum einen an der etwas längeren Lebenserwartung von Frauen, vor allem aber daran, dass in der Stadt schon lange mehr Frauen als Männer lebten.9 Bereits im 17.  Jahrhundert hatte Basel, wie andere Schweizer Städte auch, entschieden, Gewerbe und protoindustrielle Manufakturen vor allem in der ländlichen Umgebung anzusiedeln, nicht jedoch im Stadtgebiet selbst. Zudem schränkte man den Zuzug von männlichen Arbeitskräften ein, um so für die städtischen Zünfte keine Konkurrenz entstehen zu lassen. Anders verhielten sich die Städte gegenüber den weiblichen Arbeitskräften. Da diese lange Zeit nur im häuslichen Dienst tätig sein durften, bestanden keine Zuwanderungsbeschränkungen. Vor allem in den in der Deutsch-Schweiz gelegenen Städten mit ihren restriktiven Immigrationsbeschränkungen für männliche Arbeitskräfte lebten daher seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich mehr Frauen als Männer. Der Frauen-

6 Head-König: Force, S.78. Vgl. Wecker: Anfang, S.198-202. Zur Massenwanderung in die Schweizer Städte vgl. zudem Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.160-163; Höpflinger: Bevölkerungswandel, S.97f. und 108f.; zur Schweizer Binnenwanderung ebd., S.113-115 und 123-126; zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz allgemein ebd, S.4-17. 7 Zahlen nach: Kinkelin: Bevölkerung, S.19. 8 Wecker: Anfang, S.202. 9 Zum Folgenden vgl. Head-König: Force, S.79f.

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überschuss schwächte sich erst im zweiten Drittel des 19.  Jahrhunderts durch die Expansion der städtischen Industrie und ihren großen Arbeitskräftebedarf langsam ab. Doch noch 1875 kamen in Basel in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen auf 100 ledige Männer 124 unverheiratete Frauen, in der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen 111 und in der in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen 149.10 Für die Badenerinnen war es also schon rein statistisch nicht einfach, in Basel einen Ehemann zu finden. Basel verhielt sich der Migration gegenüber ambivalent.11 Einerseits angewiesen auf die billigen auswärtigen Arbeitskräfte, versuchte die Stadt bis Mitte des 19. Jahrhunderts andererseits, den Zuzug zu reglementieren und einen dauerhaften Aufenthalt oder die Einbürgerung der Migrantinnen und Migranten zu verhindern. Die Zuzügler wurden in der Stadt und insbesondere von der dort die Regierung stellenden Oberschicht als äußerst fremd wahrgenommen, kamen sie doch – etwa die hier betrachteten Badenerinnen – meist vom Land, gehörten der Unterschicht an, sprachen einen anderen Dialekt,12 kleideten sich anders und lebten andere Traditionen. Nicht zuletzt gehörte die Mehrzahl der katholischen Religion an: Von den 503 Badenerinnen, deren Religionszugehörigkeit bekannt ist, waren dies rund 75%.13 So veränderte sich die Konfessionsverteilung in Basel: 1837 waren 84,4% der Wohnbevölkerung protestantisch, 1888 nur noch 67,9%.14

10 Zahlen nach Head-König: Force, S.80. Bei den Älteren nahm die Disproportion weiter zu. In der Altergruppe der 35- bis 39-Jährigen waren es 190 ledige Frauen auf 100 ledige Männer, in der Altergruppe der 40- bis 49-Jährigen sogar 243. Vgl. auch Kinkelin: Bevölkerung, S.15f., 19-21 und 28-33. 11 Zum Folgenden vgl. Lorenceau: Migration, S.14-22; Wecker: Anfang, S.201f.; Pfister: Einbürgerung, S.24-41; Berner u.a. (Hg.): Geschichte, S.161-205; Häsler: Lebensumstände, S.49-53; Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.149-164. Zur (zahlenmäßig geringen) Flucht- und Bildungsmigration (z.T. aus Baden) nach Basel und in die Schweiz vgl. ebd., S.167-175; sowie Berner u.a. (Hg.): Geschichte, S.178f.; Höpflinger: Bevölkerungswandel, S.97f. und 108f.; Keller: Speziererinnen, S.21-25. 12 Zu den Problemen, die sich aus den unterschiedlichen Sprachen/Dialekten u.a. im kirchlichen Bereich ergaben, vgl. Gantner: Probleme, S.116f. 13 Zahlen nach: Auswertung Datenbank der Badenerinnen. 14 Zahlen nach: Wecker: Anfang, S.201. Vgl. Head-König: Force, S.78; Kinkelin: Bevölkerung, S.33-38. Zu den Schwierigkeiten, die sich aus dem Anwachsen des katholischen Bevölkerungsanteils ergaben, vgl. Gantner: Probleme, S.9-11.

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Die Basler Oberschicht schuf zwar seit den 1830er-Jahren zahlreiche wohltätige und sozialkaritative Einrichtungen für die Zuzügler, stand dem Wandel der Stadt jedoch insgesamt skeptisch bis ablehnend gegenüber, empfand ihn wohl eher als Niedergang. So reagierten Regierung und Verwaltung der Stadt auf die Zuwanderung bis zur Jahrhundertmitte vor allem durch Abschottung. Bis 1848 galten alle Personen, die in Basel kein Bürgerrecht besaßen, als Ausländer, also auch Schweizer aus anderen Kantonen. Alle Ausländer, die in der Stadt leben wollten, benötigten eine Aufenthaltsbewilligung, und für diejenigen, die sich einbürgern lassen wollten, bestanden hohe Hürden, nicht zuletzt fiel eine nicht unerhebliche Gebühr an.15 Die mit der Gründung des Schweizer Bundesstaates einhergehende Bundesverfassung von 1848 brachte erhebliche Veränderungen, insbesondere durch die sogenannte Inländergleichstellung, d.h. die Niederlassungsfreiheit für alle Schweizer Männer christlichen Glaubens innerhalb des Bundesstaates.16 Zudem sank nun die Einbürgerungsgebühr auf 1.200 Fran15 Generell konnten nur Männer einen Antrag auf Einbürgerung stellen, und als Voraussetzungen galten die wirtschaftliche Absicherung (d.h. der Nachweis, dass der Neubürger sich und seine Familie würde unterhalten können), ein guter Leumund (der im Grunde signalisierte, dass sich der Neubürger den Basler Sitten angepasst hatte) sowie bis 1838 die reformierte, bis 1848 die protestantische Konfession. Vgl., auch zu den Debatten, die der Erweiterung vorausgingen, Gantner: Probleme, S.140-142. Seit 1866 konnten auch NichtChristen eingebürgert werden. Zur rechtlichen Situation der Schweizer Juden vgl. Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.154-156. 16 Hinzu kamen die politischen Rechte des Bundes, nach zwei Jahren Aufenthalt am neuen Wohnort die kantonalen politischen Rechte sowie die Religionsfreiheit, solange es sich um eine christliche Religion handelte. Die politische Integration der Männer ging freilich mit der Ausgrenzung, staatsbürgerlichen sowie zivilrechtlichen Diskriminierung von Frauen einher: Alle Frauen waren von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen, und alle verheirateten Frauen standen unter der Vormundschaft ihres Ehemannes, hatten keine Verfügungsmacht über ihr eingebrachtes oder das gemeinsame Vermögen und über ihre Einkünfte; sie waren in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. Volljährige ledige, verwitwete und geschiedene Frauen standen unter der sogenannten Geschlechtsvormundschaft eines Vogtes (eines männlichen Verwandten oder eines behördlich eingesetzten Fremden), die einige Schweizer Kantone bis ins späte 19.  Jahrhundert aufrechterhielten. Erst 1881 wurde die Geschlechtsvormundschaft auf Bundesebene durch ein Bundesgesetz beseitigt (einige Kantone hatten diese schon früher getan, der Kanton Basel-Stadt z.B. 1876), sodass nichtverheiratete Frauen die volle Rechts- und Handlungsfähigkeit erlangten; die Vormundschaft des Ehemannes über die Ehefrau blieb weiterhin bestehen. Vgl. Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.157-159; sowie Ryter: Geschlechtsvormundschaft; dies.: Weibsbild.

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ken für Ausländer bzw. 900 Franken für Schweizer, wobei die Gebühr nicht immer in voller Höhe entrichtet werden musste.17 Damit gab es für die Basler Regierung kaum noch eine Möglichkeit, den Zuzug aus anderen Kantonen zu verhindern. Doch bestanden in der Stadt selbst nach wie vor drei unterschiedliche Rechtsgruppen: Bürger mit vollen Rechten, Niedergelassene mit eingeschränkten und Aufenthalter mit geringen Rechten.18 Nicht-Bürger wurden generell nur dann in der Stadt geduldet, wenn sie dort arbeiteten, zudem mussten sie eine Kaution von 1.200 Schweizer Franken hinterlegen. Da für Basel jedoch Arbeitskräfte attraktiv waren, die über kein Vermögen verfügten und daher auch geringe Löhne akzeptierten, handelte die Regierung mit den Nachbarstaaten Frankreich, Baden und Württemberg ein Abkommen aus, nach dem die Kaution für Personen aus diesen Ländern wegfiel. So kamen viele Arme aus den Nachbarstaaten in die Stadt, die auch gering bezahlte Arbeitsstellen annahmen – als solche waren sie willkommen. Ob die Zuziehenden eine Niederlassungs- oder lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, hing von der Art der Beschäftigung ab. Qualifizierte Berufsgruppen (etwa Kaufleute oder Lehrer) erhielten auf Antrag die Niederlassungsbewilligung, die sich auf einen Zeitraum von einem bis vier Jahren erstreckte. Die große Mehrzahl der Zuwanderer musste um die weniger privilegierte Aufenthaltsbewilligung nachsuchen, die diejenigen erhielten, die ledig waren und einer einfachen Beschäftigung (etwa als Magd oder Tagelöhner) nachgingen. Ihr Aufenthalt in der Stadt war auf die Dauer des Arbeitsbzw. Dienstvertrags beschränkt, und bei jedem Wechsel mussten sie einen neuen Antrag stellen. Zu dieser Gruppe gehörten auch nahezu alle der in dieser Studie betrachteten Baderinnen; sie mussten sich in Basel in dem prekären Status der Aufenthalterin einrichten. Nach der Öffnung Basels 1859 gewann die Zuwanderung erheblich an Dynamik: Durch das Einreißen der Stadtmauern verdoppelte sich das Wohnareal, und die Bevölkerung wuchs in den Jahren zwischen 1847 und 1860 jährlich um 3,25%. Die höchsten Wachstumsraten lagen in den Jahrzehnten 1850 bis 1870 und 1880 bis 1900. Gleichzeitig sank der Anteil der Bürger unter der Basler Wohnbevölkerung von Mitte der 1830er-Jahre rund 43% auf 1870 rund 30% und 1900 etwa 17 Bis 1848 fiel eine hohe Einbürgerungsgebühr an: Für Ausländer betrug diese 1.500, für Schweizer 1.000 Franken. Zu weiteren Erleichterungen nach 1848 vgl. Pfister: Einbürgerung, S.27. 18 Hinzu kamen Personen mit ungültigen Papieren, die maximal sechs Monate, und Personen ohne Papiere, die maximal 30 Tage in der Stadt geduldet wurden.

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25%.19 Der Zuwanderungsschub nach 1859 spiegelt sich auch in den Wanderungsbewegungen der hier betrachteten rund 800 Badenerinnen wider, die in Basel ein nichteheliches Kind bekamen, 84% von ihnen in den 1860er- und 1870er-Jahren. Die Bürgerrechtsgesetze von 1866 und 1879 trugen den Einwanderungswellen Rechnung sowie auch der Tatsache, dass seit der Bundesverfassung 1848 mit ihren grundsätzlichen Erleichterungen beim Niederlassungs-, Handels- und Gewerberecht20 das Basler Bürgerrecht an Attraktivität verloren hatte.21 Daher wollte man »die Annahme neuer Bürger […] erleichtern«,22 gestattete etwa nun auch männlichen Nicht-Christen die Einbürgerung,23 senkte die Gebühr und schloss Angehörige in die Aufnahme ein. Das Bürgerrechtsgesetz von 1879 schrieb die Liberalisierung fort, sprach von einem Recht auf Einbürgerung, vereinfachte die Aufnahmeformalitäten und reduzierte erneut die Aufnahmegebühr.24 Für die Personen mit Aufenthaltsbewilligung änderte sich freilich nicht viel: weder 1866 noch 1879 noch bei der letzten entsprechenden Reform des 19. Jahrhunderts im Jahre 1884.25

19 Zahlen nach: Lorenceau: Migration, S.15; Wecker: Anfang, S.199. 20 Zur Handels- und Gewerbefreiheit in Basel im 19. Jahrhundert vgl. Keller: Speziererinnen, S.43-51. 21 »Der bloss Niedergelassene sei«, so die Einschätzung der Regierung 1866, »der bürgerlichen Pflichten und Lasten oder Ehrenpflichten enthoben und in mancher Beziehung besser gestellt als die Bürger.« Pfister: Einbürgerung, S.27f., den Ratschlag der Regierung vom 1.10.1866 paraphrasierend. 22 Bürgerrechtsgesetz, 11.12.1866, zit. nach: Pfister: Einbürgerung, S.28. 23 Basler Bürgerinnen verloren bei der Heirat mit einem Nicht-Basler ihr Bürgerrecht. 24 Für Männer unter 25 Jahren entfiel sie ganz, Einbürgerungswillige, die bereits länger als acht Jahre in der Stadt wohnten, mussten ein Viertel weniger zahlen. Seit 1902 konnten Zuwanderer, die sich 15 Jahre in der Stadt aufgehalten hatten, das Bürgerrecht ohne weitere Kosten erhalten. Die Stadt forderte die Betreffenden sogar zur Einbürgerung auf, doch nicht alle kamen der Aufforderung nach. Zur Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg vgl. Lorenceau: Migration, S.17; Pfister: Einbürgerung, S.28-30; für die 1930er-, 1950er- und 1960er-Jahre zudem Montanari: Einbürgerungspraxis. 25 Nach 1884 konnten Männer, die mit Ehefrau und Familie nach Basel kamen, direkt um Niederlassung nachsuchen. Als Voraussetzung für die Bewilligung galt nun lediglich der Nachweis einer auskömmlichen beruflichen Tätigkeit oder eines (etwa durch Immobilienbesitz belegbaren) existenzsichernden Vermögens bzw. einer entsprechende Bürgschaft. De jure gab es keine zeitliche Beschränkung mehr, de facto musste die Niederlassungsbewilligung alle vier oder fünf Jahre erneuert werden. Der Status der Ledigen (oder der der

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Schon allein aufgrund der rechtlichen Bestimmungen war für die Gruppe der Aufenthalterinnen und Aufenthalter eine hohe Fluktuation charakteristisch. An ihr wird deutlich, dass Basel im 19. Jahrhundert und vor allem nach 1859 nicht nur durch Zuwachs geprägt war, sondern auch durch eine sehr hohe Mobilität. Die meisten Zuzügler – auch die hier betrachteten Badenerinnen – gehörten zur Gruppe der hochmobilen Personen, die sich meist nur vorübergehend in der Stadt aufhielten, mehrmals zu-, weg- und wieder hinzogen.26 Rein rechtlich konnte eine Person mit Aufenthaltsbewilligung, die sich ein Jahr ohne Unterbrechung in der Stadt aufgehalten hatte, zwar ein Gesuch auf Niederlassung stellen. De facto kam der Wechsel in den Status der Niedergelassenen aber selten vor: weil die Zuziehenden diese Regelung nicht kannten (bzw. die Behörden sie verschwiegen) und weil ihnen die materiellen Voraussetzungen fehlten – oder vielleicht auch, weil sie sich mit dem Status des Aufenthalters gut arrangieren konnten. Im gesamten 19. Jahrhundert verlief in Basel jedenfalls eine Grenze zwischen den etablierten Bürgern und privilegierten Niedergelassenen einerseits, den Aufenthaltern andererseits. Die Aufenthalter und Aufenthalterinnen kamen von wenigen Ausnahmen abgesehen allein und ledig in die Stadt, führten dort keinen eigenen Haushalt, hatten zudem keinen Beruf, der eine Investition voraussetzte, sondern allein ihre Arbeitskraft anzubieten. Die aus Baden zuwandernden Frauen sind hierfür ein gutes Beispiel.

Fabrikarbeit und Dienst als Magd – Beschäftigungen der Badenerinnen Von rund 70% der hier betrachteten Badenerinnen ist bekannt, welcher Beschäftigung sie in Basel nachgingen.27

Verheirateten, die allein nach Basel kamen) hingegen blieb prekär. Kantonale Rechte wurden weiterhin nicht eingeräumt, auch durften keine Immobilien erworben werden und es galt weiterhin eine zeitliche Aufenthaltsbeschränkung von einem Jahr, dann musste ein neuer Antrag gestellt werden. 26 Vgl. Wecker: Anfang, S.199; Lorenceau: Migration, S.37-47. Zur Situation Ende der 1890er-Jahre zudem: Bücher: Wohnungs-Enquête, S.181-197. 27 Von 211 Frauen ist keine Angabe zur Beschäftigung überliefert, zwei gaben an, beschäftigungslos, und drei, Witwen zu sein; vier Frauen saßen im Gefängnis.

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Abs. (607)

%

Fabrikarbeiterin

299

49,26

Dienstmagd/Magd sowie Dienstmädchen

161

26,52

Näh(t)erin, Schneiderin, Wäscherin u.ä.

83

13,67

2 oder 3 verschiedene Beschäftigungen

34

5,60

Tagelöhnerin

18

2,97

Kellnerin

4

0,66

Kostgeberin

2

0,33

Modistin

2

0,33

Schauspielerin

2

0,33

Tabelle 4: Beschäftigungen der Badenerinnen in Basel

Nahezu jede zweite Badenerin, von denen eine Beschäftigung bekannt ist, verdingte sich in der Fabrik, rund 26% als Dienstbotin, weitere fast 14% als Wäscherin, Schneiderin o.Ä. Wollte man die zuletzt genannten Bereiche zu einer Kategorie »Persönliche Dienste« zusammenfassen, dann ergäbe sich eine Gruppe, die mit etwa 40% zahlenmäßig nahe an die Fabrikarbeiterinnen heranreichte. Interessant ist, dass von einer kleinen Gruppe (5,6%) von Frauen bekannt ist, dass sie in Basel in zwei oder drei verschiedenen Beschäftigungsfeldern arbeite, meist in der Kombination Fabrikarbeiterin/Magd. Hinzu kamen Beschäftigungen, die (wie Tagelöhnerin oder Kellnerin) typisch für Frauen mit geringem Ausbildungsgrad waren, und Berufe, die (wie Kostgeberin, Schauspielerin oder Modistin) eher an die Zugehörigkeit zur Mittelschicht denken lassen. Freilich können auf der Grundlage häufig nur einer einzigen Quelle keine Schlussfolgerungen über die soziale Lage, die Schichtzugehörigkeit oder den Ausbildungsgang der Betreffenden gezogen werden. Generell ist zu bedenken, dass es sich bei den Angaben um Momentaufnahmen handelt, um Aussagen zum Zeitpunkt des Behördenkontakts, aus dem ein Eintrag in ein später archiviertes Dokument resultierte. Da die Badenerinnen zu den hochmobilen Aufenthalterinnen gehörten und die meisten sich (nachweisbar oder höchstwahrscheinlich) mehrmals in der Stadt aufhielten, kann es also durchaus ein, dass sie im Laufe der Zeit verschiedene Tätigkeiten ausübten – für 34 Badenerinnen ist dies durch die Quellen belegt. Die in der Tabelle zusammengetragenen Angaben stellen also nur eine Annäherung an typische Tätigkeitsfelder der badischen Migrantinnen dar.28 28 Dass die große Mehrzahl in Basel eine Beschäftigung als Fabrikarbeiterin

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Die vorliegende Forschung hat bislang betont, dass die Entscheidung für einen städtischen Arbeitsplatz für die meisten jungen Frauen vom Land im 19. Jahrhundert in den Dienstmädchenberuf mündete.29 Die Fabrikarbeit hingegen galt im ländlichen Kontext als Gefahr für die Sittlichkeit der jungen Frauen. Um den befürchteten sozialen Abstieg zu vermeiden und trotzdem an den Versprechungen der städtischen Erwerbsarbeit teilzuhaben, bot sich die Tätigkeit als Dienstmädchen als scheinbar ideale Lösung. Die Töchter verließen zwar die Herkunftsfamilie, wurden aber – so die Vorstellung – erneut in eine Familienstruktur integriert. Probleme wie Wohnungssuche oder soziale Kontakte, die sich mit dem Ortswechsel zwangsläufig ergaben, wurden damit gelöst. Zentral für die Entscheidungsfindung war jedoch die Überzeugung, dass die jungen Frauen eine »anständige« Erwerbsarbeit aufnahmen. Für einen Teil der Badenerinnen stellte sich die Situation jedoch offenbar anders dar. Viele von ihnen gingen in Basel in die Fabrik, und zwar nicht erst, nachdem sie eine Zeit lang als Dienstbotin gearbeitet hatten. Dies lag zum einen in der Wirtschaftsstruktur der Stadt Basel begründet, in der die Textilindustrie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eines der größten Arbeitsfelder darstellte, zum anderen in der Wirtschaftsstruktur auf der badischen Seite. Dass im oberen Hotzen- und Klosterwald vielfach Textilverarbeitung als Heimarbeit betrieben wurde und in der Region um Lörrach und im Wiesental ein Zentrum der Textil(proto)industrie bestand, wurde oben ausgeführt. Die aus diesen Gebieten nach Basel immigrierenden Badenerinnen waren daher von Kindheit an in der einen oder anderen Form mit dem Textilhandwerk und/oder der textilen Fabrikarbeit vertraut, viele waren zur elterlichen Textilheimarbeit herangezogen worden oder hatten erste eigene Erfahrungen in einem Textilbetrieb gemacht. Die Vorbildung oder Vorerfahrungen der Badenerinnen aus jenen Regionen und die Nachfrage der Basler Textilindustrie passten ausgesprochen gut zueinander.30

und/oder Dienstbotin fand, entspricht auch der allgemeinen Verteilung der weiblichen Arbeitskräfte in Basel, vgl. Head-König: Force, S.81f. 29 Vgl., auch zum Folgenden, Head-König: Force, S.81-83; Orth: Besuch, S.21f.; Walser: Dienstmädchen, S.125; Bejschowetz-Iserhoht: Dienstboten, S.168; Bochsler/Gisiger: Dienen, S.30-44. 30 Auch Pesenti: Beruf, S.29, weist darauf hin, dass die Fabrikarbeiterinnen in der Schweizer Textilindustrie nicht ungelernte, »sondern durch die Heimarbeit sehr geübte, mit der Textilfaser durch Generationen vertraute Arbeitkräfte« waren.

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Bereits vor der Kantonstrennung bestand das Hauptgewerbe Basels in der Seidenbandfabrikation,31 zunächst nahezu ausschließlich als Heimindustrie und, um dem städtischen Zunftzwang zu entgehen, in der Landschaft betrieben. Nach der Kantonstrennung 1833 erschien es den dem alten städtischen Bürgertum angehörenden Basler Fabrikanten sicherer, in der Stadt zu investieren. Sie verlegten die Produktion von der Landschaft in die Stadt, was dort zum beschleunigten Wachstum führte. Zehn Jahre später beschäftigten die (noch mechanisch betriebenen) Bandfabriken rund 1.500 Arbeiter und Arbeiterinnen, bei der ersten Fabrikzählung 1870 waren es bereits rund 5.000. Nicht nur der hohe Anteil der Seidenbandfabrikarbeiter von allen in der Stadt tätigen Fabrikarbeitern, nämlich rund 83%,32 ist bemerkenswert, sondern auch der hohe Frauenanteil unter den Beschäftigten. Die an die Frauen gezahlten niedrigen Löhne erwiesen sich als wesentlicher Faktor in der Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Textilindustrie, die auf diese Weise ihre Standortnachteile (wie fehlende Rohstoffe oder die große Entfernung zu den Weltmeeren) kompensierte. Die Fabrikzählungen von 1870, 1880 und 1882 wiesen einen Frauenanteil von bis zu 57%, in der Seidenindustrie sogar bis zu 70% (1870) aus. Dies änderte sich erst, als die Textilindustrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber der Maschinenindustrie und der chemischen Industrie, in denen der Anteil von männlichen Arbeitskräften wesentlich höher lag, an Bedeutung verlor. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken waren durch lange Arbeitszeiten, monotone Tätigkeit, fehlende Absicherung, autoritäre Strukturen, Krisenanfälligkeit und Ausbeutung gekennzeichnet. Die niedrigen Löhne, in der Bandindustrie meist Akkordlohn, reichten kaum zum Überleben. Um den Lebensunterhalt einer Familie zu sichern, mussten alle Mitglieder, auch die Kinder, beitragen, und selbst dann gelang es häufig nicht, die Lebenshaltungskosten zu decken. Wenn Kleinkinder zu versorgen waren, die noch nicht in die Fabrik gehen konnten, war zum Teil nicht einmal eine ausreichende Ernährung gewährleistet. So hieß es in einem Brief von 20 Arbeitern, den die Zeitung »Basler Volksfreund« 1868 abdruckte: Wir bringen es »bei

31 Vgl., auch zum Folgenden, Schaffner: Arbeiterbevölkerung; Wecker: Anfang S.203-205; Pesenti: Beruf; Berner u.a.: Geschichte, S.191-202. 32 Ingesamt wurden weitere rund 1.000 Fabrikarbeiter gezählt, die sich auf die bestehenden vier Baumwollmanufakturen, acht Papiermühlen und fünf Tabakmanufakturen verteilten.

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allem Fleiss und Sparsamkeit doch nicht weiter, als wie man zu sagen pflegt, von der Hand ins Maul«.33 Der Gesindedienst stellte das zweite große Beschäftigungsfeld der Badenerinnen in Basel dar. Wie in anderen Ländern nahm zwar auch in der Schweiz der Anteil des Gesindes an allen Erwerbstätigen im Laufe des 19. Jahrhunderts ab, doch ist auch dort eine Verlagerung vom Land in die Städte festzustellen, wo eine große Nachfrage bestand. In Basel etwa stieg der Anteil von Haushalten mit Dienstboten von 3.583 im Jahr 1860 auf 5.709 im Jahr 1910. Mit dem Zuzug des Gesindes in die (großen) Städte ging – in der Schweiz wie auch in den Nachbarstaaten – die Feminisierung des Berufes einher: 1837 waren in der gesamten Schweiz 81,6% des Gesindes weiblich, Ende des 19. Jahrhunderts 98%.34 Schließlich ist typisch, dass im städtischen häuslichen Dienst eine Ersetzung von Stadtfrauen durch Landfrauen stattfand. So kamen in Basel 1837 nur 3,9% der insgesamt 2.452 Dienstbotinnen aus der Stadt selbst und 1,4% aus dem ländlichen Hinterland, hingegen 41,1% aus anderen Schweizer Kantonen und 53,1% aus dem Ausland, meist aus Deutschland.35 Dieser Trend setzte sich bis ins 20. Jahrhundert hinein fort. Die hier betrachteten Badenerinnen, die sich in Basel als Magd oder Dienstmädchen verdingten, fügen sich in das Gesamtbild

33 Schweizer Volksfreund, 27.11.1868, zit. nach: Schaffner: Arbeiterbevölkerung, S.34. Das Departement des Inneren stellte noch 1885 fest: »Durchschnittlich sind die Löhne keine hohen und kaum ausreichend zum Lebensunterhalt.« Brief Departement des Inneren an den Regierungsrat, 1.5.1885, zit. nach: ebd., S.35. Lange Zeit begehrte die Arbeiterschaft gegen die Verhältnisse nicht auf. Erst im Zuge bzw. vor dem Hintergrund der europäischen Streikwelle des Frühjahrs 1868 erhielt die 1866 gegründete Baseler Sektion des Internationalen Arbeitervereins, die auch eine »Weibersektion« umfasste, größeren Zulauf, kam es zu Streiks in mehreren Seidenbandfabriken und Färbereien. Um die Lage zu beruhigen, erließ die Stadt 1869 ein Fabrikgesetz, das zwar hinter den Forderungen der Arbeitern zurückblieb, aber zumindest den Zwölf-Stunden-Tag, ein Nachtarbeitsverbot für Frauen und Kinder, ein Verbot der Fabrikarbeit für schulpflichtige Kinder, einen Wöchnerinnenschutz sowie die 14-tägige Kündigungsfrist festschrieb. Eine Gewerkschaftsbewegung im engeren Sinne entwickelte sich erst seit Mitte/Ende der 1880er-Jahre, vgl. ausführlich Pesenti: Beruf, S.157-211. 34 Zur ähnlich verlaufenden Entwicklung in Deutschland vgl. Orth: Besuch, S.13f. 35 Die restlichen Frauen hatten den Status der Heimatlosen inne. Zahlen nach: Head-König: Force, S.84. Zur Verteilung der Dienstboten auf Haushalte in Gross- und Kleinbasel 1870 vgl. Kinkelin: Bevölkerung, S.32.

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dieser Zahlen gut ein, sind ein gutes Beispiel für die allgemeinen Veränderungen des Berufsbildes, die sich im 19. Jahrhundert abzeichneten.36 Ähnlich wie bei der Fabrikarbeit entsprachen sich auch im Bereich des häuslichen Dienstes Angebot und Nachfrage. Dass in der Schweiz und in Basel ein großer Bedarf an Gesinde bestand, war selbst im oberen Hotzenwald bekannt. In der Schweiz böten sich, so glaubte man in Görwihl zu wissen, gute Verdienstmöglichkeiten im häuslichen Dienst etwa als Kutscher oder Köchin in Zürich und vor allem im nahe gelegenen Basel.37 Tatsächlich bevorzugten die Basler Bürger – obwohl sie die Zuwanderung mit Argwohn betrachteten – beim Gesinde junge Frauen vom Land, insbesondere aus Baden oder Württemberg, da diese als anspruchslos(er) galten, sich offenbar besser als Städterinnen oder gar Baslerinnen mit den Verhältnissen arrangierten, jedenfalls gegen das Dienstverhältnis und/oder die dort herrschenden Arbeitsbedingungen nicht – mit der für die Dienstmädchen typischen Form der Widersetzlichkeit, der individuellen List – aufbegehrten.38 Dies kam eher selten vor: So schickte die Basler Bürgerin Frau SprengHeusler ihre Magd Magdalena Bader39 aus Schuttertal im Bezirk Lahr nicht nur deshalb fort, weil diese eine »leichtsinnige Person« sei. Was »mir aber hauptsächlich an ihr zuwieder war, das ist ihre Aufschneiterei, das Horchen an den Thüren; das Visitieren aller Schubladen & cetera«. Und der Basler Bürger Eisenlohr beschwerte sich über seine Dienstbotin Magdalena Kübler,40 die aus Grenzach im Amtsbezirk Lörrach stammte, sie habe »darauf gedrungen spazieren zu gehen & 36 Zur Geschichte der Dienstbotinnen liegt umfangreiche Literatur vor. Neben den frühen Arbeiten von Engelsing, Sproll und Tenfelde sind zu nennen: Wierling: Mädchen; Müller: Geister; Schulte: Dienstmädchen; Müller-Staats: Klagen; Bejschowetz-Iserhoht: Dienstboten; Dürr: Dienstbote; König: Dienstmädchen; Orth: Besuch; Wetzorke: Dienstmädchen; Ottmüller: Dienstbotenfrage; Pierenkemper: »Dienstbotenfrage«; Zull: Bild; Tichy: Alltag; Walser: Dienstmädchen; Wehner-Franco: Dienstmädchen. Zu Basel vgl. zudem Tanner: Patrioten, S.83-89 und 341-368; Meyer: Diebstahl; dies.: Klischee; Doerfel/Heizmann: Protokolle; Heizmann: Lohn; Scheuerbrandt: Dienstbotinnen. Zu den Schweizer Dienstmädchen im 20.  Jahrhundert vgl. zudem Bochsler/Gisiger: Dienen. 37 Vgl. Faller: Görwihl, S.14. 38 Die Forschung hat gezeigt, dass sich das Aufbegehren der Dienstmädchen nicht in gewerkschaftlich organisierten Protesten äußerte, sondern auf individuelle, aber kollektiv ausgeübte Weise, vgl. z.B. Orth: Besuch, S.113f. 39 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Y 4, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.480. Das folgende Zitat: Protokoll, 4.8.1847, ebd. 40 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung

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wirk[lich] ohne Erlaubniß gegangen war«. Doch insgesamt klagten das Schweizer und Basler Bürgertum später als etwa die Berliner Herrschaften über die »Dienstbotennoth« – ein Ausdruck, hinter dem sich die Klage über einen Mangel an billigen und genügsamen Dienstmädchen verbarg. Über die Dienstbotenfrage wurde in der Schweiz und in Basel bis Ende des 19. Jahrhunderts weniger als anderswo gesprochen und geschrieben, da der Bedarf an anspruchslosen jungen Dienstbotinnen durch die Nachbarstaaten, durch die Frauen aus Baden und Württemberg, gedeckt war. So fasste Emma Steiger, die »Das Dienstbotenverhältnis im schweizerischen Privatrecht« in ihrer Dissertation untersuchte, 1919 pointiert zusammen: »Solange die deutschen Mädchen […] kamen«, war die Dienstbotenfrage »nicht brennend genug […], um die Gemüter zu erhitzen«.41 Nur ein kleiner Teil der hier betrachteten 161 Badenerinnen, die in Basel in Stellung waren, arbeitete in einem Haushalt, der mehrere Dienstmädchen in spezialisierten Funktionen beschäftigte; meist handelte es sich um Köchinnen oder Kindermädchen. Beispiele sind Agnes Bürgermeister42 aus Nenzingen im Amt Stockach, die 1857 bei dem Basler Bürger Dr. Sigmund diente und fünf Jahre später mit nichtehelichen Zwillingen niederkam, oder Anna Maria Lenis43 aus dem Amt Emmendingen, die Anfang des Jahres 1861 zunächst im Haushalt von Prof. Gustav Heinrich Wiedemann in Diensten stand, dann ein nichteheliches Kind zur Welt brachte und anschließend als Köchin zu Dr. Ecklin wechselte (die Hausherrin befand jedoch, dass sie »den Anforderungen, die allgemein an eine Köchin gestellt werden, keineswegs entsprach«). Für die Mehrzahl der in Basel als Dienstbotinnen tätigen Badenerinnen findet sich in den Quellen hingegen die Bezeichnung Magd oder Dienstmagd. Dies verweist auf eher kleinbürgerliche Haushalte, vor allem auf Dienstgeber, die dem gewerblichen Mittelstand zuzurechnen sind. In einem Großteil dieser Haushalte – etwa im Lebensmittelhandwerk, das in Basel noch bis zum Ersten H6a; Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.295. Das folgende Zitat: Protokoll, 16.7.1856, ebd. 41 Steiger: Dienstbotenverhältnis, Fn. 1, S.15. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert intensivierte sich die Diskussion, vgl. Pesenti: Beruf, 127-132. Zur »Dienstbotenfrage« in Deutschland vgl. Wierling: Mädchen; S.183-222; Orth: Besuch, S.111-122. 42 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.311. 43 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.474f. Das folgende Zitat: Protokoll, 30.12.1861, ebd.

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Weltkrieg einen nicht unerheblichen Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung stellte44 – waren Familien- und Erwerbssphäre noch nicht (vollständig) voneinander getrennt, die Erwerbsarbeit noch immer mit körperlicher Arbeit verbunden. Bei unterschiedlichem Einkommen der Familien hatte die Repräsentation in keinem Fall den gleichen Stellenwert wie in den groß- oder mittelbürgerlichen Schichten. Die im Haus anfallenden Arbeiten wurden dem Dienstmädchen überlassen, das jedoch, wenn es die Erwerbssphäre nötig machte, auch dort zum Einsatz kam: »Arbeit zum Erwerb und Arbeit für die Familie ergänzten sich.«45 Da kein Bereich einer Person ausschließlich zugeordnet war, wurden viele Dienstmädchen de facto als gewerbliche Arbeiterinnen eingesetzt, ohne allerdings rechtlich deren Status zu besitzen, etwa unter das Basler Fabrikgesetz zu fallen.46 Auch die gewerblichen Haushalte profitierten von den arbeitssuchend in die Stadt kommenden Ausländerinnen, die sich mit geringen Löhnen zufrieden gaben. Eine Magd erhielt in den 1860er- und 1870er-Jahren rund drei Franken pro Woche.47 Noch an der Wende zum 20. Jahrhundert kamen in den Basler Bäckereien und Metzgereien rund 50%, im Spezier- und Kolonialwarenhandel rund 28% der Beschäftigten aus Deutschland.48 Einige Badenerinnen waren zudem, dies eine Besonderheit Basels, als Magd bei Fabrikarbeitern beschäftigt. So zählte die Stadt im Jahr 1870 2.036 »Dienstboten und Arbeiter« in »nichtbürgerlichen« Haushaltungen und 100 Dienstboten in Bandarbeiterfamilien.49 In der Arbeiterschaft mussten – wie erwähnt – alle Familienmitglieder dazu beitragen, den Lebensunterhalt zu sichern; viele Ehefrauen gingen daher kurz nach der Geburt (wieder) in die Fabrik. Solange die Kinder noch zu klein waren, um ebenfalls Geld zu verdienen, rechnete sich die 44 Vgl. Keller: Speziererinnen, S.83-95. 45 Walser: Dienstmädchen, S.23. Arbeitsalltag und Lebensrealität von Mägden im gewerblichen Haushalt sind bislang wenig erforscht, weil die Quellenlage meist schlecht ist. Vgl. jedoch Heizmann: Lohn. 46 Zum Rechtsstatus der Dienstboten und Dienstbotinnen im 19. Jahrhundert vgl. Dürr: Gesinderecht. 47 Dieser Betrag wurde in den Protokollen des Dienstbotenrichters häufig genannt, vgl. z.B. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.489; Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.302f.; Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.18. In den Jahrzehnten zuvor wurde in der Regel ein Franken pro Woche gezahlt, vgl. Heizmann: Lohn, S.45; Scheuerbrandt: Dienstbotinnen, S.33. 48 Zahlen nach: Keller: Speziererinnen, S.183-186. 49 Zahlen nach: Kinkelin: Bevölkerung, S.32 und 46. Vgl. zudem Head-König: Force, S.87; Schaffner: Arbeiterbevölkerung, S.86.

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Beschäftigung einer Magd, die die Arbeiten im Haushalt verrichtete und die Kinder im Blick hatte, da der Lohn der Dienstbotin noch geringer war als der (niedrige) Lohn der Ehefrau.50 Eine der badischen Mägde, die sich bei einem Fabrikarbeiter verdingte, war etwa Rosine Leimenstol/Leimenstoll51 aus Vörstetten im Amt Emmendingen. Im Frühjahr 1850 trat sie als Magd in den Haushalt des Fabrikarbeiters Heinrich Meyer ein. Schon nach wenigen Wochen gab es Streit, sodass Leimenstol/Leimenstoll das Dienstverhältnis aufkündigte. Als sich Meyer weigerte, den Lohn auszuzahlen, sie vielmehr »zum Teufel« jagte, klagte sie. Der Dienstbotenrichter52 gab ihr zwar Recht, allerdings werde sich »die Magd den Abzug von 10 Batzen gefallen laßen« müssen, da sie die vereinbarte Aufkündigungsfrist nicht eingehalten habe.53 Einige Jahre später war Leimenstol/Leimenstoll immer noch (oder erneut) in Basel, dieses Mal aber arbeitete sie selbst in der Fabrik und kam mit »unehelichen« Zwillingen nieder, deren Vater, ein als Maschinist tätiger Fabrikarbeiter, von Nottwyl im Kanton Luzern stammte. 1868 schließlich ging sie wieder in Stellung und klagte erneut gegen ihren Dienstgeber, einen »Herr[n] Lipp, Buchbinder an der weißen Gasse«.54 Das Verfahren endete mit einem Vergleich.

Die Basler Arbeiterquartiere Trotz des massiven Zuzuges infolge der 1848 geltenden Niederlassungsfreiheit für alle Schweizer entstand in Basel kaum neuer Wohnraum.55 So verdoppelte sich in der Innenstadt binnen kurzer Zeit die Zahl der Bewohner pro Haus, die Wohnsituation und insbesondere die sanitären Verhältnisse verschlechterten sich erheblich. Eine 1855 50 Andere Eltern gaben die Kinder zu sogenannten Kostfrauen, vgl. Kap. 6. 51 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.80; Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.238f. 52 Das Amt des Dienstbotenrichters wurde 1804 geschaffen, um Streitfälle zwischen Dienstboten und Herrschaften zu schlichten. Die Protokolle der Verfahren sind von 1804 bis 1875 überliefert, vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y, Dienstbotenrichter: Protokolle. 53 Protokoll, 5.7.1850, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.80. Zehn Batzen entsprachen einem Franken. 54 Protokoll, 12.2.1868, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.238f. 55 Zum Folgenden vgl. Wecker: Anfang, S.196-198 und 206-210; Trevisan: Wohnungselend; Berner u.a.: Geschichte, S.189f.

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in der Stadt wütende, durch Verunreinigung des Trinkwassers hervorgerufene Choleraepidemie – die Zahl der Toten stieg derart, dass das Spital ein eigenes Verzeichnis der Cholera-Toten der auf dem Spitalfriedhof beerdigten Personen anlegte56  – machte die Gefährdung durch die engen Wohnverhältnisse, die fehlende Wasserversorgung und vor allem die unzureichende Kanalisation überdeutlich. Vor diesem Hintergrund beschloss die Basler Regierung, der Kleine Rat, 1859 die Stadtmauern einzureißen. Durch die rege Bautätigkeit der folgenden Jahre und Jahrzehnte vergrößerte sich das Wohnareal um mehr als das Doppelte.57 Anschließend an den ehemaligen Mauerring entstanden neue Wohnviertel und vor allem Arbeiterquartiere. Mehr als 50% der Migranten und Migrantinnen aus Baden lebten 1850 bzw. 1860 in sechs Quartieren Großbasels, in Aeschen, Spahlen, St. Alban, St. Johann, Steinen und der Innenstadt. Ihr Anteil an der Wohnbevölkerung dieser Viertel lag 1850 bei etwas mehr als 10%, zehn Jahr später bei fast 15% (vgl. Tabelle 5).

Quartier

Davon Gesamt- Davon Davon GesamtDavon Badenerzahl Badener- Badenerzahl Badenerinnen 1850 innen abs. innen % 1860 innen % abs.

Aeschen

3013

346

11,48

3708

486

13,11

Spahlen

3605

317

8,79

4784

594

12,42

St. Johann

3224

338

10,48

4350

612

14,07

St. Alban

3119

326

10,45

3413

474

13,89

Steinen

3643

319

8,76

4315

559

12,95

Innenstadt

2492

303

12,16

3080

409

13,28

Summe

19096

1949

10,21

23650

3134

13,25

Tabelle 5: Anteil an Badenerinnen an verschiedenen Baseler Quartieren. Berechnungen auf Grundlage: BBS, Volkszählung Basel-Stadt 1850 und 1860.

Auch auf der anderen Seite des Rheins ballten sich die Zuwanderer, sodass Kleinbasel als das »klassische[…] Zuwanderungs- und Arbei56 Vgl. Sterberegister, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 2.4, Sterberegister (Verzeichnis der im Spital Verstorbenen und aus dem Spital Beerdigten, 18451874). Zur Cholera-Epidemie vgl. Vogt: Cholera-Epidemie. 57 Vgl. Kinkelin: Bevölkerung, S.10-13. Bei Berner u.a. (Hg.): Geschichte, S.162f., sind drei Karten aus den Jahren 1850, 1900 und 1958 abgedruckt, die das Wachstum der Stadt eindrücklich zeigen.

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terviertel der Stadt« bezeichnet wird.58 Wie überall in den Zuwanderervierteln stieg auch dort der Anteil der Katholiken stark an (in den 1860er-Jahren waren es rund 10.000), sodass die Stadt die gottesdienstliche Infrastruktur Ende der 1850er-Jahre erweiterte. Die Clarakirche wurde ausgebaut und den Katholiken zum alleinigen Gebrauch überlassen, ein Pfarrhaus mit Hauskapelle und Schulhaus am nahe gelegenen Lindenberg zur Verfügung gestellt.59 Die genannten Quartiere zeichneten sich seit den 1850er-Jahren durch einen hohen Anteil von Zuwanderern, durch Enge und Überfüllung sowie durch die problematische Wasserversorgung und vor allem -entsorgung aus. So behielt das Wohn- und Handwerkerquartier rund um die Freie Straße noch lange seine auf das Mittelalter zurückgehende Häuserstruktur, und das Flüsschen Birsig, das parallel zur Freien Straße floss, diente nicht nur als Wasserlieferant, sondern auch zur Aufnahme von Abwässern und Unrat aller Art. Dass es sich um einen gefährlichen Seuchenherd handelte, war der Stadtverwaltung zwar bewusst, doch erst 1885 bzw. 1899 ließ man die Birsig überdecken.60 Im gleichen Zeitraum stellte das Baudepartement bei einer Inspektion fest, dass noch immer 35% der untersuchten Liegenschaften »mangelhafte und sanitätswidrige Zustände« aufwiesen,61 die meisten Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, Tagelöhner und Tagelöhnerinnen sowie Dienstbotinnen über weniger als 20 qm Wohnraum verfügten und ihr Zimmer meist mit mindestens einer weiteren Person teilten. Nur 62% aller Basler Haushalte bestanden ausschließlich aus Familienangehörigen. Die Aufnahme von Kost- und Schlafgängern, Dienstboten oder Handwerksgesellen war weit verbreitet.62

58 Holenstein u.a.: Migrationsgeschichte, S.164. 59 Zahlen nach: Gantner: Probleme, S.126. Vgl. ebd., S.102-104 und 112. Die Erweiterung fiel mit dem Wechsel des Pfarrers zusammen. Auf Pfarrer Sebastian von Büren, der Ende 1857 starb, folgte im Januar 1858 Pfarrer Burkart Just, der dieses Amt bis Juli 1900 ausübte, vgl. ebd., S.111f. Zur Situation der Pfarrer und zur katholischen »Diaspora« in Basel in den 1860er- und 1870er-Jahren insgesamt vgl. ausführlich ebd., S.111-158. 60 Ein erstes Kanalisationsgesetz von 1876 scheiterte am Widerstand der Hausbesitzer, vgl. Wecker: Anfang, S.207f. Eine Aufnahme vor der Überdeckung ist ebd., S.207, abgedruckt. Vgl. auch Berner u.a. (Hg.): Geschichte, S.183; Trevisan: Wohnungselend, S.57f. 61 Bücher: Wohnungs-Enquête, S.231. Die folgenden Angaben nach: ebd., S.226f. Vgl. auch Häsler: Lebensumstände, S.53; Trevisan: Wohnungselend, S.50-83. 62 Vgl. Trevisan: Wohnungselend, S.84-93.

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Viele Fabrikanten nutzen so wie die im St.-Alban-Tal63 ansässigen Papierwerke Oser & Thurneysen die nicht für die Produktion benötigen Gebäude als Arbeiterunterkünfte,64 um so die Belegschaft an den Betrieb zu binden und zugleich zeitlich flexibel über sie zu verfügen. Doch nicht nur die Fabrikherren profitierten von den angeschlossenen Arbeiterheimen. Gerade für die neu oder erstmals nach Basel Zuziehenden bot sich so eine Möglichkeit, nicht nur Arbeit zu finden, sondern zugleich auch eine nahe gelegene Unterkunft, was Zeit und Kosten für eine tägliche Anfahrt sparte. In den genannten Quartieren wohnten und arbeiteten die Aufenthalter und Aufenthalterinnen dichtgedrängt auf engem Raum zusammen, einige von ihnen aus derselben Region, derselben Ortschaft oder derselben Familie stammend – so ließen sich die Zuwanderer aus dem Amt Emmendingen in Basel auffällig häufig im St.-Alban-Tal oder in der Rheingasse in Kleinbasel nieder.65 Einige Zuzügler richteten sich zum Teil längerfristig ein, zogen auch weitere Familienmitglieder nach, diese in Arbeitsstellen und Unterkunft vermittelnd; es kam zu einer Art Kettenwanderung. Auch einige der hier betrachteten Badenerinnen kamen nicht allein nach Basel, sondern mit ihren Eltern und Geschwistern, sozusagen im Rahmen einer Familienmigration. In den Quartieren lebten Personen aus unterschiedlichen Beschäftigungsfeldern zusammen: Angehörige der Fabrikarbeitschaft, kleine Handwerker und Lebensmittelhändlerinnen,66 Gewerbetreibende sowie Mägde. Die wenigsten Dienstbotinnen hatten ja eine Stellung bei groß63 Bis Mitte des 19.  Jahrhunderts war das St.-Alban-Tal von vorindustriellen Manufakturen geprägt, dann von Seidenband- und Papierfabriken. Vgl., auch zum Folgenden, Baur/Nagel: St. Alban-Tal, S.16-19. 64 Ein Foto von einem Arbeiterwohnhaus aus dem Jahr 1849/50 (Aufnahme 1985) ist abgedruckt in: Baur/Nagel: St. Alban-Tal, S.57. Zu den Wohnheimen für Arbeiterinnen in der Schweiz nach 1890 vgl. zudem Pesenti: Beruf, S.82-89. Später kam der Bau von Arbeiterhäusern durch private Unternehmer wie De Bary, Ryhiner, Vischer-Sarasin, Geigy oder Hans Franz und Rudolf Sarasin, vgl. Bücher: Wohnungs-Enquête, S.299-305; Trevisan: Wohnungselend, S.29-32. 65 Vgl. Fleischmann: Muster, S.75-79. Beschrieben wird das Beispiel der Familie Kämpf/Kempf, die in mehreren Häusern in der Rheingasse lebte. Katharina/Catharina Barbara Kämpf/Kempf (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 18421876.), die in Basel als Zettlerin beschäftigt war, knüpfte dort eine »Bekanntschaft« zu einem »Zettlermeister« aus Württemberg und kam im Mai 1861 mit einem »unehelichen« Sohn nieder. Als Paten fungierten zwei Verwandte aus Emmendingen. 66 Häufig waren die Ehemänner im Handwerk, teilweise auch als Arbeiter

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oder mittelbürgerlichen Haushalten inne und lebten dort, in den bürgerlichen Stadtvierteln. Die meisten arbeiteten vielmehr in den Familien des gewerblichen Mittelstandes, zum Teil auch der Fabrikarbeiterschaft, und wohnten daher dort, wo jene lebten. Dies musste allerdings nicht zwangsläufig die Wohnung des Dienstgebers sein.67 Für die Mehrzahl der Zuwandernden, auch für die hier betrachteten Badenerinnen, war typisch, dass sie sich in den Arbeiterquartieren in einer privaten Kostund Schlafstelle, in einem Schlafsaal oder in einer Arbeiterunterkunft einmieteten; andere kamen in einer Dienstbotenkammer unter. Alle Unterkünfte zeichneten sich durch Enge und Überfüllung aus.68 Die allerwenigsten Aufenthalterinnen verfügten über ein eigenes Zimmer (oder gar einen eigenen Haushalt), viele teilten mit einer anderen Frau oder mehreren Personen ein Bett. Der knappe Wohnraum ließ keinen Platz für eine Privatsphäre. Vielmehr waren die Mit-Bewohner und Mit-Bewohnerinnen des Bettes, der Kammer bzw. der Wohnung über nahezu alles, was dort passierte, in der Regel gut informiert. Auch die Nachbarschaft – im Haus, in der Straße, in den Lebensmittelläden,69 im Quartier – wusste viel voneinander. Aufgrund der räumlichen Enge kannte man die Besuch abstattende Verwandtschaft, Freundinnen oder Kolleginnen und ebenso etwaige »Bekanntschaften«, hörte Streitigkeiten und Versprechungen, lauschte, beobachtete, teilte Informationen oder streute Gerüchte. Das enge Zusammenleben barg sowohl die Möglichkeit zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung als auch zur sozialen Kontrolle und gegenseitigen Überwachung. Dies spielte nicht zuletzt im Zusammenhang von Sexualität und (ehelicher

schäftigt, die Ehefrauen betrieben einen Einzelhandel mit Obst, Gemüse, Viktualien und Spezereiwaren, vgl. Keller: Speziererinnen, S.129-134. 67 Die Basler Dienstbotenordnung von 1851 ließ vielmehr verschiedene Varianten zu. Ein Dienstbote sei, so hieß es, diejenige Person, »welche sich auf gegenseitige Aufkündung hin zu häuslichen oder wirthschaftlichen Dienstleistungen um einen bestimmten Lohn verdingt, geschehe dieß mit oder ohne Wohnung und Kost, mit oder ohne Haftgeld, auf bestimmte oder unbestimmte Zeit«, Gesetz über die Gerichtsbarkeit in Dienstbotenverhältnissen, 26.4.1851, §2, Kantons-Blatt, S.169-173, hier S.170, Hervorhebung d.V. 68 Vgl., auch zum Folgenden, Ryter: Abtreibung (1983), S.101-106; Bücher: Wohnungs-Enquête, S.154-180; Trevisan: Wohnungselend, S.71-93. Zur Wohnsituation von Arbeiterfamilien allgemein vgl. Rosenbaum: Formen der Familie, S.419. 69 Zu deren Bedeutung als Treffpunkte und Nachbarschaftszentren vgl. Keller: Speziererinnen, S.155-163.

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oder nichtobrigkeitlich »legitimierter«) Familiengründung eine wichtige Rolle. Darauf wird zurückzukommen sein.70

Ehegericht und Ehegerichtsordnung – Das Basler Eherecht Die zentrale Rechtsinstanz für alle obrigkeitlichen Normen, die Sexualität und Ehelichkeit betrafen, stellte das 1529 im Zuge der Reformation eingerichtete Basler Ehegericht dar.71 Im 19.  Jahrhundert bestand es aus einem vom Großen Rat der Stadt gewählten Präsidenten und zehn Laienrichtern, darunter zwei Pfarrer.72 Grundlage ihrer Tätigkeit war die am 27.  Oktober 1533 in Kraft getretene und 1717, 1747 und 183773 reformierte Ehegerichtsordnung.74 Diese legte fest, 70 Vgl. Kap. 5.a. und Kap. 5.b. 71 Zum Entstehungszusammenhang vgl. Staehelin: Sittenzucht; Jost: Recht. Das Ehegericht (zu seiner Geschichte vgl. Burghartz: Zeiten; Simon: Untertanenverhalten, S.97-151; Markees: Recht; Grütter: Schwangerschaft, S.51f. und 107f.; Schaffner: Arbeiterbevölkerung, S.58-61; Zellweger: Ochs, S.109-112) ist als ein Instrument der Versuche der weltlichen wie der geistlichen Obrigkeit anzusehen, die Sitten der Basler Bevölkerung zu überwachen und »Sittenzucht« durchzusetzen. Zudem diente das Ehegericht als Instanz der ehelichen Konfliktlösung, indem es als Klageinstanz bei einem Ehestreit fungierte. Die Richter entschieden über die Rechtmäßigkeit von Eheversprechen und Scheidungsklagen sowie Vaterschaftsstreitigkeiten. Burghartz hat eindrücklich gezeigt, dass die erste Funktion des Basler Ehegerichts seit dem späten 16. Jahrhundert in den Vordergrund trat, da die Obrigkeit sich zunehmend für Sitten, Moral und (nichteheliche) Sexualität ihrer Untertanen interessierte. Das Ehegericht wurde so zu einer zentralen Sanktionsinstanz in »Sittenfragen«, zu einem Ort, »der nun praktisch ausschließlich der Verurteilung von Unzucht und nicht mehr der Stiftung bzw. Durchsetzung neuer Ehen diente«, Burghartz: Zeiten, S.276. Dies blieb bis ins 19. Jahrhundert so: Die exemplarische Auswertung eines Bandes der Protokolle der Ehegerichtsurteile aus den späten 1860er-Jahren zeigt beispielsweise, dass nur 17% der verhandelten Fälle auf Ehestreitigkeiten (meist Scheidungsklagen) entfielen, 83% hingegen auf »Sittlichkeitsdelikte«. Die Auswertung umfasst den Zeitraum November 1868 bis März 1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159. 72 Das Vorschlagsrecht lag beim Kleinen Rat, der kantonalen Exekutivbehörde, vgl. Schaffner: Arbeiterbevölkerung, S.59. Zuvor hatte das Ehegericht aus sieben Richtern bestanden: drei Mitgliedern des Kleinen Rates, zwei Geistlichen und zwei Großräten, vgl. Burghartz: Zeiten, S.107. 73 Die folgenden Ausführungen und die Angabe der entsprechenden Paragrafen/Seitenzahlen beziehen sich auf die Ehegerichtsordnung in der Fassung von 1837, vgl. Sammlung der Gesetze, S.92-143. 74 Zur Vorgeschichte der Revision 1837 vgl. Münch, Peter: Geschichte, S.127f.; Münch, Willy: Ehehindernisse, S.75-79. Zum Basler Eherecht im 18. 

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unter welchen Voraussetzungen ein Basler Bürger eine Ehe schließen konnte,75 welche Rechte und Pflichten sich aus dieser für ihn und seine Frau bzw. die gemeinsamen Kinder ergaben und unter welchen Umständen die Ehe wieder aufgelöst werden konnte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es zu einigen Liberalisierungen: So entfiel 1818 das Verbot gemischt konfessioneller Ehen,76 1838 der für »auswärtige Bräute« geltende Nachweis eines Mindestvermögens und 1866 auch die sogenannte Brauteinzugsgebühr, die im Falle der Hochzeit einer Nicht-Baslerin mit einem Basler Bürger anfiel. Für den hier diskutierten Zusammenhang sind jedoch weniger die Bestimmungen der Ehegerichtsordnung hinsichtlich einer »gültigen Ehe« wichtig als vielmehr die Ausführungen zur »Unehelichkeit«, sollte doch die Kontrolle der Sexualität Lediger nicht zuletzt mittels der Ehegerichtsordnung und des Ehegerichts durchgesetzt werden. Die staatliche Obrigkeit verhielt sich, ihre Argumente der Kirche entlehnend, vor- und außerehelicher Sexualität gegenüber ablehnend. So war beispielsweise jede Form von Prostitution verboten77 und ebenso auch das Zusammenleben unverheirateter Paare: »Jede andere Geschlechtshundert vgl. ausführlich Simon: Untertanenverhalten, S.97-151; zu den Entwürfen Anfang des 19. Jahrhunderts zudem Zellweger: Ochs, S.113-120. 75 Als Voraussetzung der Ehe galt zum einen die freie Einwilligung beider Partner sowie zum zweiten das für den Protestantismus und in der ländlichen Tradition der Familiengründung so wichtige »Verlöbnis«, vgl. Münch, Peter: Geschichte, S.121-127. Zu Luthers Eheverständnis insgesamt vgl. Witt: Reformation, S.305-328. Für den Kanton Basel im 18. Jahrhundert Simon: Untersuchungen, S.18-19; im 16. und 17. Jahrhundert Burghartz: Zeiten, S.74-85. Die Verlobung begründete für beide Parteien den rechtlichen Anspruch auf Einlösung des Eheversprechens. Zum »förmlichen Eheverlöbnis« gehörte nach dem Willen der Obrigkeit auch, dass die Eltern beider Seiten (oder, waren diese bereits verstorben, die Großeltern oder Vögte) der Ehe zustimmen mussten (§22, S.98). Schließlich musste die Hochzeit von der Kanzel sowohl in der heimatlichen Kirche des Bräutigams als auch in der der Braut rechtzeitig verkündet werden (§34, S.102). Die Trauung selbst hatte »öffentlich«, d.h. in der Kirche durch »beiderseitige feierliche Einwilligung und pfarramtliche Einsegnung in Gegenwart wenigstens zweier gültiger Zeugen« stattzufinden (§40, S.104). 76 1818 trat Basel dem Konkordat »betreffend die Ehen zwischen Catholiken und Reformirten« bei, nach dem gemischt konfessionelle Ehen nicht mehr wie zuvor von Kantonen verboten bzw. mit dem Verlust des Bürger- und Heimatrechts bestraft werden durften, vgl. Münch, Peter: Geschichte, S.42f. Zum Folgenden vgl. ebd., sowie Markees: Recht, S.86f., 89-91 und 97. 77 Vgl. Zumkehr: Prostitution, S.11-16. Gleichwohl kam Prostitution vor; so dienten häufig etwa Zigarren- und Tabakläden als Deckmantel für Bordelle und Kuppelei, vgl. ebd., S.36-41; sowie Keller: Speziererinnen, S.136. Zur Prostitution in Basel im späten 19. Jahrhundert allgemein vgl. Zumkehr: Prostitution.

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verbindung [als die Ehe] ist unerlaubt«.78 Auch unterlag »fortbedauerndes uneheliches Zusammenleben, bei dem kein Ehebruch stattfand« (also beide Partner ledig waren) der Bestrafung. Personen, die keine Kantonsbürger waren, konnten zudem »ausgeschafft«, d.h. aus Basel ausgewiesen werden. Dies macht deutlich, dass die Eherechtgerichtsordnung für alle Personen galt, die sich in Basel aufhielten, auch wenn sie dort nur vorübergehend wohnten; insofern waren auch die hier betrachteten Badenerinnen betroffen.79 Der Unzuchtsdiskurs betraf zwar beide Geschlechter, doch lässt sich bereits im späten 16. Jahrhundert eine Verschiebung zuungunsten der Frauen feststellen. Im Zentrum von »Abschreckung, Überwachung und Bestrafung zum Zwecke einer ›Besserung‹« standen die ledigen Frauen, zu ihren Lasten ging die »›Policirung‹ der vorehelichen Sexualität« hauptsächlich.80 So musste etwa jede schwangere Frau, die in Basel ihren Wohnsitz hatte (also auch die hier untersuchten ledigen Badenerinnen), bis zu Beginn des sechsten Monats ihrer Schwangerschaft dem Präsidenten des Ehegerichts »entweder unmittelbar oder vermittels ihres Ortsgeistlichen genau anzeigen, daß sie, von wem sie, und von welchem Zeitpunkt an sie sich schwanger befinde« (§96, S.124). Die Meldung über die nichteheliche Schwangerschaft bzw. Geburt hatte schriftlich zu erfolgen und auch dann, wenn die Betreffende gar nicht in Basel wohnte. So zeigte etwa die 24-jährige Christine Schellinger81 aus Keppenbach im Amtsbezirk Emmendingen ihre nichteheliche Niederkunft 1872 vor dem Ehegericht an, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt in Egringen im Amt Lörrach lebte, wo sie sich als Magd verdingte. Doch sie kam, auf der Fahrt zu Verwandten, wo vermutlich die Geburt stattfinden sollte, von der Niederkunft »überrascht« in einem »Hausgang in Kl[ein] B[asel]« nieder. Dafür bestrafte das Ehegericht sie mit fünf Franken. Darüber hinaus musste die ledige Schwangere während der Schwangerschaft oder in den ersten drei Monaten nach der Geburt eine Va-

78 Ehegerichtsordnung, 1837, §1, S.92. 79 Wollten zwei Personen heiraten, die beide kein Bürgerrecht in Basel besaßen (also z.B. eine Badenerin und ein Württemberger oder ein Aargauer), galt das Eherecht der Heimatgemeinde des Bräutigams. Die Braut verlor bei der Hochzeit das Bürgerrecht ihrer Heimatgemeinde und wurde in das Bürgerecht ihres Ehemannes aufgenommen. 80 Simon: Untertanenverhalten, S.104. Vgl. Burghartz: Zeiten, S.127-131; Zellweger: Ochs, S.143-145. 81 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.505; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.102f.; die folgenden Zitate ebd.

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terschaftsklage erheben (§96, S.125).82 Bei Unterlassung drohte eine Strafe, die zudem härter ausfiel, hatte die Ledige vor der Niederkunft ihre »uneheliche« Schwangerschaft nicht gemeldet.83 Eine ledige Schwangere konnte sich also allein durch die Selbstanzeige ihren Anspruch auf Erstattung der Kindbettkosten bzw. auf Klagerecht gegen den Vater erhalten. Dass die Klage erging, lag im Interesse des Staates bzw. der Heimatgemeinde der Mutter, der bzw. die im Zweifelfall für den Unterhalt des Kindes aufzukommen hatte. Im Hinblick auf die Rechte eines nichtehelich gezeugten bzw. geborenen Kindes legte die Ehegerichtsordnung Folgendes fest: Ein vor der Trauung gezeugtes Kind, »welches nach dem Ablauf des 210ten Tages, von der eingegangenen Ehe an« zur Welt kam, war als ehelich anzusehen und hatte alle entsprechende Rechte. Dies galt auch für Kinder, die nachträglich von ihrem biologischen Vater oder einem anderen Ehemann ihrer Mutter »legitimiert« wurden.84 Fand keine obrigkeitliche »Legitimierung« statt, so erhielt das »unehelich« geborene Kind die staats- und gemeindebürgerlichen Rechte der Heimatgemeinde der Mutter. Im Sinne des Maternitätsprinzips unterstand das nichtehelich geborene Kind der Obhut der Mutter und war in der mütterlichen Linie erbberechtigt. Heimat- und erbrechtlich bestand zwischen Vater und Kind keine Verbindung.85 Nichtsdestotrotz versuchte das Gericht, den biologischen 82 Die Anzeige der »unehelichen« Schwangerschaft hatte zu erfolgen, um eine Vaterschaftsklage einreichen zu können. Ob diese erging, stand freilich nicht im Ermessen der Schwangeren, denn nach der Ehegerichtsordnung waren ja (nahezu) alle ledigen Mütter dazu verpflichtet. Keinen Anspruch auf Vaterschaftsklage hatten nur jene Frauen, die eine sexuelle Beziehung zu mehreren Männern unterhielten bzw. dies als Prostituierte gewerbsmäßig taten (§97, S.125). Vgl. ähnlich für den Kanton Basel (Stadt und Land) im 18. Jahrhundert Simon: Untertanenverhalten, S.102-104; ders.: Untersuchungen, S.20. 83 Die »Verheimlichung« der Schwangerschaft war seit 1747 ein strafbares Delikt, vgl. Simon: Untertanenverhalten, S.104. 84 Auch für den Sonderfall einer Scheidung gab es eine Regelung: Bei einem Kind, das 300 Tage nach einer Scheidung zur Welt kam, war ärztlich zu prüfen, ob es in »unreifem« Zustand geboren worden war. Stelle der Arzt eine »zeitgemäße« Entwicklung fest, galt der ehemalige Ehemann als Vater. Allerdings war der (ehemalige) Ehemann berechtigt, die Vaterschaft mit einer Frist von drei Monaten nach der Geburt des Kindes anzuzweifeln, etwa dann, wenn durch ärztliches Gutachten nachgewiesen werden konnte, dass es zum fraglichen Zeitpunkt der Zeugung »fortdauern […] unmöglich gewesen sei, seiner Frau beizuwohnen« (§47, S.106f.). 85 Bei »unehelichen« Kindern hatten die Gerichte »die Vater- oder Mutterschaft und die damit in Verbindung stehenden Rechte der Heimath, des Namens, der väterlichen Gewalt, der Unterhaltungspflicht, so wie als Folge davon, die Erbrechte der unehelichen Kinder zu bestimmen«, Weber: Recht,

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Vater zur Rechenschaft zu ziehen. Konnte es den Vater ermitteln, so hatte dieser »der Mutter eine Entschädigung für die Kindbettkosten von wenigstens 12 Franken und überdieß eine angemessene Alimentation für das Kind bis zum vollendeten sechzehnten Jahre zu entrichten. Der Betrag der Entschädigung für die Kindbettkosten und der Alimentation hängt von der Entscheidung des Ehegerichts ab, so wie auch, wem die Alimentationsgelder zuzustellen seyen« (§92, S.123). War der Vater ermittelt, aber nicht in der Stadt anwesend, so sollten Mutter und Kind aus dessen Vermögen versorgt werden. Verfügte er nicht über ein solches, so sollte seine Heimatgemeinde einspringen (§93, S.123). Sofern ein Mann die Vaterschaft leugnete, jener aber verdächtig war, musste das Gericht auf der Grundlage der Aussagen beider Partner entscheiden.86 Brachte die Einvernahme keine Klarheit, so war die Klage abzuweisen.87 Keinen Anspruch auf Vaterschaftsklage hatten schließlich nach dem Gesetzestext Frauen, die eine sexuelle Beziehung zu mehreren Männern unterhielten (§97, S.125). Unabhängig von der Vaterschaftsklage mussten die Ledigen mit einer Bestrafung für ihre »unzüchtige« Lebensweise rechnen. Das Ehegericht konnte für die erste »uneheliche« Schwangerschaft eine »Geldbuße von Fr.[anken] 1 bis 12 oder 1 bis 5 Tage Einsperrungsoder Gefängnißstrafe« (§116, S.131) verhängen, für die zweite eine Geldbuße von 2 bis 24 Franken oder 3 bis 10 Tage Haft (§116, S.131). Den ledigen Badenerinnen drohte wie allen kantonsfremden Frauen zudem eine ein- bis vierjährige Verweisung aus der Stadt. Dies war den Ausländerinnen, auch den hier untersuchten Badenerinnen, offenbar S.131. Zum Wandel der Rechtsstellung von nichtehelichen Kindern in Basel vom Mittelalter bis Ende des 19. Jahrhunderts vgl. Zellweger: Stellung. 86 In Paragraf 23 hieß es: »Wenn […] eine unbescholtene Weibsperson behauptet, unter einem nicht förmlichen Eheversprechen geschwängert worden zu sein, und außer dem Beweis der Schwängerung oder dem Geständniß derselben von Seite des Angeschuldigten, für das Eheversprechen Ehepfänder, oder nur einen gültigen Zeugen, oder schriftliche Bescheinigung, oder ähnlich starke Vermuthungsgründe vorbringen sollte, so ist dem Richter überlassen, entweder der Klägerin den Erfüllungseid, oder dem Beklagten den Reinigungseid aufzuerlegen, oder auch ohne auferlegten Eid über die Klage zu entscheiden.« (§23, S.98f.) 87 Bekam eine Ledige ein »uneheliches« Kind von einem verheirateten Mann, so hatte sie nur dann Anspruch auf Kindbett- und Alimentationskosten, wenn ihr der Familienstand des Mannes nicht bekannt war und sie einen unbescholtenen Ruf genoss. Traf Letzteres nicht zu (etwa weil bereits ein weiteres nichteheliches Kind vorhanden war), hatte sie nur Anspruch auf Unterhaltszahlung an das Kind  – und auch das nur, wenn sie kein eigenes Vermögen oder Einkommen besaß.

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durchaus bewusst: So antwortete etwa Veronika/Veronica Thoma,88 die aus Wittenschwand im Amtsbezirk St. Blasien stammte, sich in Basel als Fabrikarbeiterin verdingte und 1855 dort eine »Bekanntschaft« knüpfte, aus der eine »uneheliche« Schwangerschaft resultierte, auf die Frage, warum sie jene nicht angezeigt habe: »Weil ich fürchtete, aus der Stadt entfernt zu werden«. Die Ehegerichtsordnung sah auch Strafen für Männer vor – sofern die Vaterschaft als nachgewiesen galt. Ein »ausgemittelter Schwängerer« konnte mit »1 Fr.[anken] bis 12 oder 1 bis 10 Tag Einsperrung oder Gefängnis«, im Wiederholungsfalle mit bis zu 40 Franken oder 20 Tagen Haft (§117, S.131f.) bestraft werden, kantonsfremden Männern drohte ebenfalls die Verweisung aus der Stadt für 1 bis 4 Jahre. Wiederholte sich das »Vergehen« ein weiteres Mal, kam der Fall vor die nächsthöhere Gerichtsinstanz, das »correctionelle« Gericht,89 das eine Freiheitsstrafe von zwei bis zwölf Monaten aussprechen konnte. Christine/Christiane Ehret90 etwa hatte mit Franz Lock zwei nichteheliche Kinder. Sie, ebenfalls Tochter einer ledigen Mutter, stammte aus Mundigen im badischen Amtsbezirk Emmendingen,91 er aus dem württembergischen Neckarsulm. Kennengelernt hatten sie sich Anfang der 1860er-Jahre in Basel, wo Ehret als Fabrikarbeiterin tätig war, Lock als Schuhmacher. Beide nichtehelichen Schwangerschaften bzw. Geburten wurden 1863 und 1865 vor dem Ehegericht verhandelt.92 Das dritte Kind, 1868 geboren, stammte nicht von Lock, sondern, so gab Ehret an, von einem Schuhmacher namens Joh. Georg Lanz, der 88 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.58f.; Gerichtsarchiv, HH 2, 370; das folgende Zitat ebd., Bl.34f. 89 Die Basler Gerichtsbarkeit unterschied mehrere Ebenen: Über dem Dienstbotenrichter oder dem Ehegericht stand das korrektionelle Gericht, das leichtere Vergehen behandelte, darüber das Kriminalgericht, das schwere Vergehen und Verbrechen beurteilte. 90 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, DD 36, Bl.464; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.350; Gerichtsarchiv, Ehegericht, Uc 14, Bl.350; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.51f. Auch Franziska Wissler/Wiesler (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, DD 36, Bl.136-138; das folgende Zitat: Protokoll, 18.3.1868, ebd., Bl.136.) aus Breisach wurde im Frühjahr 1868 dem »löbl. Polizeidirektor zur Ausschaffung empfohlen«, da sie in Basel drei nichteheliche Kinder geboren hatte. 91 Vgl. Werner: Ortsfamilienbuch, S.110. Zu den Familiengründungsmustern der Familie Ehret vgl. Fleischmann: Muster, S.31f. und Stammbaum 1 im Anhang. 92 Die Urteile datieren auf 7.9.1863 und 22.5.1865.

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von Basel aus nach Olten gegangen sei. Am 11. Dezember verwies das Ehegericht an den »correctionellen« Richter, der Christine/Christiane Ehret einen Tag vor Weihnachten unter Anrechnung einer viertägigen Untersuchungshaft »zur zweimonatlichen Freiheitsstrafe und zur Bezahlung der Prozeßkosten« verurteilte.93 Doch nicht nur für die Schwangeren bestand Anzeigepflicht. Auch Ärzte, Hebammen und das Spital,94 Polizisten, Pfarrer und Familienangehörige, Arbeit- bzw. Dienstgeber, Vermieter oder Kostgeber mussten eine nichteheliche Schwangerschaft bzw. Geburt melden. Aufgrund der beschriebenen beengten Wohn- und Arbeitsverhältnisse, in denen die Unterschichten in Basel lebten, blieb eine (nichteheliche) Schwangerschaft meist nicht verborgen. Da sich die meisten Dienstmägde oder die zur Untermiete lebenden Arbeiterinnen mit (mindestens einer) anderen Frau eine Schlafkammer oder ein Bett teilten, fielen körperliche Veränderungen schnell auf. Wurde die Wäsche gemeinsam gewaschen, so bemerkte die Hausfrau, eine Magd oder die Wäscherin, ob die monatliche Regelblutung stattgefunden hatte oder über einen längeren Zeitraum ausblieb.95 Schnell wurde zum Gesprächsthema, dass jemand bzw. wer schwanger sei. Und nicht selten erging Anzeige. In den 1850er-Jahren verhandelte das Basler Ehegericht jährlich durchschnittlich 70 Fälle einer angezeigten »unehelichen« Schwangerschaft, in den folgenden Jahren stieg die Zahl – korrespondierend mit dem Anstieg der »Illegitimitätsraten« in Basel – deutlich an.96 1851 kamen 35% der Anzeigen von den betroffenen Frauen selbst, 65% von ande93 Protokoll, 23.12.1868, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, DD, Bd.36, Korrectionelles Gericht: Protokolle, Bl.463f. Zu den Strafen im 18. Jahrhundert vgl. Simon: Untertanenverhalten, S.100-102. Ehret heiratete einige Zeit später, und zwar am 9.10.1871 in Grenzach, vgl. Werner: Ortsfamilienbuch, S.110 und 282. Im Kirchenbuch ist als ihr Ehemann Max Georg Lang eingetragen, Schuhmacher in Liestal und aus Oberweiler im Amt Müllheim stammend, zudem ein gemeinsames Kind, Johann Georg, geboren am 20.9.1868. Vermutlich ist der Name des Vaters in einer der Quellen falsch geschrieben, sodass es sich bei Max Georg Lang bzw. Joh. Georg Lanz um ein und denselben Mann handelt. 94 Zur Meldepflicht des Spitals vgl. StABS, ÄNA, Spitalarchiv, Spital A3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945, Ordnungen des Bürger Spitals der Stadt Basel 1871, S.6, vgl. Bönzli, S.26. 95 Binden oder Tampons waren noch nicht verbreitet, sodass die Frauen in erster Linie in ihre Kleider menstruierten, vgl. auch Hammer: Kindsmord, S.152f. 96 Zu den Zahlen der 1850er-Jahren vgl. Weber: Recht, S.218-222; zu den Zahlen der Folgejahre vgl. Schaffner: Arbeiterbevölkerung, S.61-63. Entsprechend verhandelte das Ehegericht im 16. und 17. Jahrhundert nur wenige »Illegitimitätsfälle«, vgl. Burghartz: Zeiten, S.163.

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ren Personen, Ende der 1860er-/Anfang der 1870er-Jahre stieg der Anteil der Selbstanzeigen auf über 55%, bei den Badenerinnen sogar auf 65%. Mehr als die Hälfte der »Fremdanzeigen« ging auf das Konto der Polizei. Recht häufig meldete auch der Vater des Kindes die Schwangerschaft und in fast 10% der Fälle die Eltern bzw. ein Elternteil. Nur selten hingegen zeigten Fabrik- oder Dienstherren eine Schwangere an, noch seltener die Hebammen.97 Darüber hinaus ist interessant, wer vor das Ehegericht trat. Betrachtet man alle Fälle, so ist zu sehen, dass in fast 90% der Fälle beide Partner vor Gericht standen. Wenn sich nur eine Person zu verantworten hatte, dann waren es nahezu ausnahmslos die Frauen. Bei den Badenerinnen hingegen sank der Prozentsatz: Nur in 68% der Verfahren erschien eine Badenerin mit ihrem »Bekannten« vor dem Ehegericht, in 32% der Fälle kam sie allein. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Beziehungen der ledigen Badenerinnen weniger tragfähig waren als die der ledigen Schweizerinnen oder Baslerinnen; zumindest standen sie häufiger als jene allein vor dem Ehegericht, während sich der Kindsvater dort nicht verantwortete. Jahrhundertelang war das Ehegericht im Hinblick auf die Meldung bzw. Bestrafung einer nichtehelichen Schwangerschaft sowie die Austragung von Ehekonflikten bzw. Entscheidung über Vaterschaftsklagen die zentrale Instanz. Erst in den 1870er-Jahren kam es zu einer Zäsur: Am 1. Januar 1873 traten ein neues Strafgesetz und ein neues Polizeistrafgesetz für den Kanton Basel-Stadt in Kraft, die die Bestrafung der außerehelichen Schwangerschaft und das Delikt der heimlichen Niederkunft nicht mehr kannten. Das Zivilstandsgesetz vom 6. November 1871 führte die obligatorische Zivilehe ein,98 und Artikel 54 der Schweizer Bundesverfassung vom Mai 1874 hielt dann grundsätzlich fest, dass das Recht auf Ehe »weder aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichten noch wegen bisherigen Verhaltens oder aus anderen polizeilichen Gründen beschränkt« werden dürfe.99 Im Zuge der Neuordnung des Familienrechts und mit dem Gesetz über 97 Zahlen für 1851 nach: Grütter: Schwangerschaft, S.111 (vgl. ähnlich für den Kanton Basel im 18.  Jahrhundert Simon: Untertanenverhalten, S.98f.). Die anderen Angaben beruhen auf von mir durchgeführten Auswertungen: Nov. 1868–März 1870: StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159 (alle Fälle); Okt.1868–Juni 1875: U 159 bis U 162 (nur Badenerinnen der Datenbank). 98 Vgl. Markees: Recht, S.110f. Nun waren nicht länger mehr die Geistlichen »die durch staatliche Ermächtigung legitimierten und verpflichteten Vollzugsorgane des Trauungsaktes«, sondern weltliche Beamte, ebd. S.110. 99 Artikel 54, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 29.5.1874, www.verfassungen.ch/verf74-i.htm [Zugriff 3.9.2019].

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die Gerichtsorganisation, das die Spezialgerichte abschaffte, wurde das Ehegericht im Sommer 1875 schließlich aufgelöst.100

Die Basler Obrigkeit und die ledigen Mütter Nicht nur das Eherecht zeigt, dass die Basler Obrigkeit nicht bereit war, »Unehelichkeit« zu dulden, und dass sie »Unzucht« ahndete. Auch die Kirchen verhielten sich ähnlich. Der katholische Pfarrer etwa – die Kinder der katholischen Badenerinnen wurden in der Regel in der katholischen Kirche St. Clara in Kleinbasel getauft101 – trug im Taufbuch stets ein, wenn es sich um ein »uneheliches« Kind handelte, und markierte damit die »Illegitimität« demonstrativ. Die evangelischreformierte Kirche tat dies ebenfalls, ließ aber darüber hinaus nicht einmal zu, dass die Taufe von »Unehelichen« im Gotteshaus stattfand. Vielmehr wurden diese bis Ende der 1860er-Jahre vom Pfarrer des städtischen Spitals getauft. Er taufte also nicht nur die im Spital geborenen evangelischen »unehelichen« Kinder, sondern auch diejenigen, die in der Wohnung der Mutter zur Welt gekommen waren. Zum Teil brachten die Mütter ihr Kind zur Taufe ins Spital, zum Teil kam der Spitalpfarrer in die mütterliche Unterkunft. In jedem Fall aber fand das Ritual nicht im Gotteshaus statt. Die Gemeinden versuchten auf diese Weise, die »Illegitimität« aus dem Gottesdienst und der eigenen Kirche herauszuhalten. Ende der 1860er-Jahre endete diese Praxis, auch dies eine Reaktion auf den starken Anstieg der »Unehelichkeitsraten« in der Stadt bzw. unter den Ausländerinnen. So stellte Spitalpfarrer R. Anstein 1868 aufs »Dringlichste« den Antrag, es sollten »von nun an alle im Spital geborenen Kinder durch das Spitalpfarramt, alle außerhalb des Spitals geborenen unehelichen von den betreffenden Gemeindegeistlichen getauft werden«.102 Gleichwohl sollten alle »wie bisher im Taufregister des Spitals eingeschrieben werden«. Der Grund? »Bei dieser Vereinfachung u. Verbeßerung bleibt der Hauptzweck der bisherigen Einteilung, alle unehelichen Kinder in 100 Fortan bestand ein einheitliches Zivilgericht, vgl. Münch, Peter: Geschichte, S.9. Zur (langen) Vorgeschichte vgl. Markees: Recht, S.97-100. 101 Dies geschah auch, wenn das Kind im Bürgerspital zur Welt kam. Nur gelegentlich fand die Taufe eines katholischen Kindes dort statt; die katholische Religion wurde dann im Taufbuch explizit vermerkt. 102 Pfarramtlicher Jahresbericht, 1868, StABS, ÄNA, Spital D 13, ärztliche Jahresberichte, Kopierbuch 1868-1878, fol. 27f. Die folgenden Zitate ebd., Hervorhebung im Original.

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einem Archiv beieinander zu haben«. Doch es ging nicht nur um die zentrale Erfassung der »unehelich« geborenen Kinder, sondern auch um die Reduktion des Arbeitsaufwandes, den der Spitalspfarrer mit diesen hatte. Durch die Neuregelung würde, so hieß es weiter, »das Spital von nun an durch Störungen von außen nicht mehr behelligt u. wird das Pfarramt erleichtert. (Denn oft müßte der Spitalpfarrer um einer solchen Taufe willen, die in der mütterl. Wohnung sollte stattfinden, am Sonntag, wo er ohnehin reichlich zu thun hat, noch in das St. Albanthal u.s.w. gehen! – Gerade diese Leuthe können oft um der Pathen willen nicht anders, als am Sonntag taufen zu laßen.)« Dem Antrag wurde stattgegeben.103 Auch die städtischen Behörden versuchten, die »Unehelichkeit« aus der Stadt zu verbannen. Zwar nahm die Verwaltung gegenüber der Migration im Großen und Ganzen eine pragmatische Haltung ein, eben weil sie wusste, dass die Wirtschaft und die Stadt von der Zuwanderung profitierten.104 Doch diese Position hatte ihre Grenzen, wenn es um die Sittlichkeit ging. Bereits der Zustrom von jungen, ledigen Frauen aus dem Schweizer Umland und insbesondere aus dem (katholischen) Ausland wurde als Gefahr für die Sittlichkeit in der Stadt gesehen. So schrieb der aus einer Familie aus Lindau im Bodensee stammende, in Bern geborene und 1867 nach Basel eingebürgerte Mathematikprofessor Hermann Kinkelin, der als Freisinniger dem Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt angehörte, 1872 in seinem Bericht über die »Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt am 1. Dezember 1870« an den Kleinen Rat: »Man darf sich ferner nicht verhehlen, dass das Auftreten einer grösseren Zahl von weiblichen Personen, die keiner am Ort wohnenden Familie angehören, Gefahren 103 1868/69 erfolgte die »Uebertragung der Taufen der außerhalb der Klinik geborenen unehelichen Kinder auf die Geistlichen der betreffenden Gemeinden«, während die Registratur nach wie vor beim Spitalpfarramt blieb. Pfarramtlicher Jahresbericht, 1869, StABS, ÄNA, Spital D 13, ärztliche Jahresberichte, Kopierbuch 1868-1878, fol. 38. Vgl. auch Pfarramtlicher Jahresbericht, 1870, ebd., fol. 44. Dort hieß es: Endlich seien »die Taufen der in anderen Stadtgemeinden geborenen unehelichen Kinder weggefallen u. dieselben den Geistlichen der betreffenden Gemeinden zugewiesen«. Vgl. ähnlich auch Pfarramtlicher Jahresbericht, 1872, ebd., fol. 97; Pfarramtlicher Jahresbericht, 1873, ebd., fol. 116; Pfarramtlicher Jahresbericht, 1875, ebd., fol. 294; Pfarramtlicher Jahresbericht, 1877, ebd., fol. 336. 1878 wurde ein sogenannter Patenverein gegründet, der Paten für die Taufe von »unehelichen« Kinder sowie für die Taufe »ehelicher« Kinder armer Familien vermittelte, vgl. Mandler: Bischoff, S.17. 104 Vgl. Berner u.a.: Geschichte, S.190f.

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für die öffentliche Sittlichkeit in sich schliesst, welche nicht unterschätzt werden dürfen, sondern volle Aufmerksamkeit verdienen.«105 Tatsächlich beobachteten Regierung und Verwaltung genau, wie sich die »sittlichen« Zustände in Basel durch den Zuzug junger Frauen aus dem Um- oder Ausland veränderten. Auch sie bemaßen dies – ähnlich wie die Amtsvorstände im Badischen – an der Zahl der »unehelich« geborenen Kinder. Den starken Anstieg der »Illegitimitätsraten« seit Beginn der 1860er-Jahre nahmen sie mit großer Sorge zur Kenntnis. Im Frühjahr 1868 veranlassten sie eine Bestandsaufnahme über die in der Stadt befindlichen »unehelichen« Kinder, um hiervon ausgehend Maßnahmen zu beraten, wie die Zahl und der »Zufluß« von ledigen Müttern und ihren Kindern »abzuwehren« sei.106 Die Initiative ging im April 1868 vom Staatskollegium aus, das die Niederlassungskontrolle, die »Policei-Direction«, den Bürgermeister, das Ehegericht und das »Paß-Bureau« um Auskunft über die sich in der Stadt aufhaltenden »unehelichen« Kinder ersuchte. Der Schriftwechsel der Beteiligten erlaubt nicht nur Einblicke in die Praxis der Behörden zwischen 1840 und 1868, sondern auch in die generelle Haltung der staatlichen Obrigkeit gegenüber der »Unehelichkeit«. Deutlich zu sehen ist, dass die von ihnen favorisierten Maßnahmen zu ihrer Eindämmung nicht auf alle ledigen Mütter zielten, sondern im Grunde nur auf die aus dem Ausland stammenden, die in Basel als Aufenthalterinnen lebten und unter denen die hier betrachteten Badenerinnen eine nicht unerhebliche Gruppe darstellten. So unterschieden die beteiligten behördlichen Akteure genau zwischen Schweizern und ausländischen ledigen Müttern, zwischen solchen mit Niederlassungsund solchen mit Aufenthaltsstatus. Das städtische Niederlassungskollegium berichtete, dass es zu Beginn seiner Tätigkeit im Jahre 1840 »Aufenthaltsbegehren für uneheliche Kinder« in der Regel »abgewie-

105 Kinkelin: Bevölkerung, S.19. 106 Brief Präsident Niederlassungskollegium, 1.5.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Die Verwaltung nutzte für die Bestandsaufnahme zwei Registraturen, die sie über die in der Stadt befindlichen »unehelichen« Kindern angelegt hatte. Ein Verzeichnis nennt 152 »uneheliche« Kinder (darunter 58 »Badenser«), die unter der auf dem »Paß-Bureau« geführten »Kostkinder Controlle« standen. Es befindet sich in: Brief Chef des Paß-Bureaus, 16.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (18681910). Bei dem zweiten Verzeichnis handelt es sich um das in der Einleitung erwähnte Register »Uneheliche Kinder-Kontrolle«, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6a.

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sen« habe.107 Ausnahmen habe man »indeß häufig« zugelassen, »namentlich in solchen Fällen, wo die betreffenden Verhältnisse Gewähr boten, daß das Kind gut versorgt u. ein uneheliches Zusammenleben der Eltern nicht zu befürchten war«. Das Ehegericht ergänzte, dass »früher« die Niederkunft in Basel »nur denjenig. [ledigen] Frauenspersonen« gestattet worden sei, »welche eine Zusicherung des Heimathraths vorher beibringen« konnten.108 Alle anderen seien, wenn irgend möglich, für den Zeitraum der Geburt aus Basel ausgewiesen worden. Im Falle der Wegweisung gingen zahlreiche ledige Schwangere offenbar nach Freiburg (mutmaßlich vor allem die Badenerinnen), um ihr Kind in der dortigen »Geburts-Anstalt«109 zur Welt zu bringen.110 Nach der Niederkunft durften die Frauen zwar nach Basel zurückkehren, ihr Kind aber nicht mitbringen. Durch das Verfahren der »Fortweisung über die Niederkunft« gelang es der Basler Obrigkeit, die »Unehelichkeitsrate« in Basel selbst niedrig zu halten, die (öffentlich sichtbaren Folgen der) »Unsittlichkeit« gleichsam vor die Mauern und Tore der Stadt zu verbannen. Als Arbeitskräfte hingegen waren die Aufenthalterinnen vor und nach der Geburt willkommen. 107 Brief Niederlassungs-Collegium, 2.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Das folgende Zitat ebd. 108 Brief Ehegericht, 12.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). 109 Die Entbindungsanstalt in Freiburg nahm  – wie auch das Basler Bürgerspital und viele andere Gebäranstalten – ledige Schwangere meist kostenlos auf, vgl. Unterrichtung des Bezirksamtes Lahr über die Möglichkeit der unentgeltlichen Aufnahme von Schwangeren in der Universitätsfrauenklinik Freiburg, StA Freiburg, B 717/2, Nr.6503. Zur kostenlosen Aufnahme der (ledigen) Schwangeren allgemein vgl. ausführlich Kap. 5.c. Die Anfänge der Freiburger »Gebäranstalt« gehen auf das dortige Bürger-, Pfründer- und Armenspital zurück, das ebenfalls bereits Schwangere und Gebärende aufgenommen hatte. In den frühen 1820er-Jahren kamen Überlegungen auf, das Spital zu einem »Klinischen Hospital« zu erweitern. Schließlich kam es zu einem Neubau, der im Herbst 1829 bezogen wurde. Im nun so genannten Klinischen Hospital befand sich auch eine »geburtshilfliche Abteilung«, die zur »Abteilung für Chirurgie und Hebammenkunst« gehörte. Aus ihr ging 1868 die »Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde« hervor, die später Universitätsfrauenklinik hieß, vgl. Kupetz: Säuglingssterblichkeit, S.22-24; Witte: Geburt, S.14f. 110 Brief Chef des Paß-Bureaus, 16.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Aus dem Schreiben geht nicht hervor, ob ausschließlich Badenerinnen gemeint waren oder ob auch ledige Schwangere aus Württemberg oder aus anderen Schweizer Kantonen, die in Basel arbeiteten, nach Freiburg gingen, um zu gebären.

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In Anbetracht von Migration und zunehmender Mobilität seit der Jahrhundertmitte gelang es den Behörden nicht mehr, diese Praxis aufrechtzuerhalten. Im Frühjahr 1868 verfügten jedenfalls weder das Ehegericht noch die Polizeidirektion »Fortweisungen über die Niederkunft«, sodass die meisten ledigen Schwangeren ihr Kind in Basel zur Welt brachten, viele von ihnen im städtischen Spital. Dazu benötigten sie rein rechtlich eine »Präsidial Bewilligung« oder eine »besondere Einwilligung der Policei-Direction«.111 Der Umgang mit der Geburt ausländischer »unehelicher« Kinder hatte sich behördlicherseits also nach der Jahrhundertmitte verändert, wobei kaum zu unterscheiden sein dürfte, was dem zugrunde lag: die Rücksichtnahme auf den großen Bedarf der Fabriken an billigen, weiblichen Arbeitskräften, die Kapitulation vor der Realität, d.h. die Unmöglichkeit, in Anbetracht der großen Zahl, der Lebensverhältnisse sowie der großen Mobilität der betroffenen Frauen die Wegweisung für den Zeitraum der Geburt überhaupt durchsetzen zu können, oder vielleicht sogar humanitäre Motive. Keine Veränderung gab es hinsichtlich der Frage, ob die in der Stadt geborenen »unehelichen« Kinder das Recht besitzen sollten, in jener zu bleiben. Hier unterschied die Obrigkeit weiterhin nach dem Rechtsstatus der Mutter. Der Chef des »Paß-Bureaus« berichtete, dass »in der Regel nur schweizerischen unehelichen Kindern der Aufenthalt gestattet« werde, ausländischen hingegen nur nach Prüfung der Verhältnisse durch die Policei-Direction und nur dann, wenn »Verwandte oder Paten in der Stadt« lebten.112 Damit waren offenbar die Niedergelassenen gemeint. So ergänzte die Niederlassungskommission, dass es seine frühere Praxis, das »Aufenthaltsbegehren für uneheliche Kinder« in der Regel abzuweisen, »immer mehr aufgegeben« habe, so »daß zuletzt jedem unehelichen Kind der Aufenthalt gestattet wurde, sofern nicht besondere und wichtige Gründe zur Verweigerung vorlagen«.113 Das Niederlassungskollegium begründete sein Verfahren damit, dass ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Niedergelassenen und Aufenthalterinnen bestünde: »Niedergelassene Mütter von unehelichen 111 Brief Ehegericht, 12.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Vgl. ähnlich auch Brief Chef des Paß-Bureaus, 16.4.1868, ebd. Zur Geburt im Spital vgl. ausführlich Kap. 5.c. 112 Brief Chef des Paß-Bureaus, 16.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). 113 Brief Niederlassungs-Collegium, 2.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Zu den Gründen für die veränderte Praxis vgl. Brief Präsident Niederlassungskollegium, 1.5.1868, ebd.

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Kindern leben dann doch in ganz andren Verhältnissen als solche Mütter, die sich in bloßer Dienststellung hier aufhalten und weder eigene Haushaltung, noch Familie hier haben.«114 Die Behörden gestatteten also den Basler, den Schweizer und den niedergelassenen ledigen Müttern in der Regel, ihr Kind nach der Geburt bei sich zu behalten. Die Aufenthalterinnen unter den ledigen Wöchnerinnen wies man hingegen an, ihr in Basel geborenes Kind »auswärts zu versorgen«.115 Die Bestandsaufnahme des Frühjahrs 1868 diente als Grundlage, um weitere Maßnahmen zu beraten, »wie der großen Anzahl und der Zunahme fremder unehelicher Kinder in hiesiger Stadt zu steuern sein möge […]. Solche uneheliche Kinder sind ihren Familienverhältnißen nach in einer Stadt vielfacher Verwahrlosung ausgesetzt. Sie tragen überdieß bei zu der übermäßigen Jnanspruchnahme unserer Schulen.«116 Die Basler Obrigkeit betrachtete »uneheliche Kinder und deren Mütter« generell als »zweifelhaften Bevölkerungstheil[…]«,117 insbesondere jedoch die Aufenthalterinnen und ihre nichtehelichen Kinder, also etwa die hier betrachteten Badenerinnen, die ja den Anstieg der »Illegitimitätsraten« seit Beginn der 1860er-Jahre wesentlich mitverursachten. Die Obrigkeit sah es als ihre Pflicht an, »mit allen Mitteln« darauf hinzuwirken, dass diese »schlechte[n] und zweifelhafte[n] Elemente ferngehalten werden«. Auf diese könne auch deshalb verzichtet werden, weil in der Stadt kein Arbeitskräftemangel herrsche; die »hiesige[n] Industriezweige« würden daher »keine Schädigung erleiden«. Nicht zuletzt ging man davon aus, »daß das uneheliche Kind, familienlos, verwahrlost, viel leichter als Andere den Behörden später wieder zu thun gibt und daß die Mutter das Prädikat guter Leumund verscherzt hat«. In der Begründung mischten sich moralische Argumente, die Inrechnungstellung der Interessen der Industrie und die Befürchtung, die Verwaltung werde durch die »zweifelhaften 114 Brief Präsident Niederlassungskollegium, 1.5.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). 115 Brief Chef des Paß-Bureaus, 16.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Vgl. auch Brief Policei-Direction, 4./5.6.1868, ebd. 116 Brief Staatskollegium, 23.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910), Hervorhebung d.V. 117 Brief Vorstand des Staats-Collegiums, 9.6.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910); die folgenden Zitate ebd. Vgl. ähnlich auch Besprechung, o.D. (vor 4.6.1868), StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). Dort heißt es, es gehe um »eine strengere Fernhaltung dieses unerfreulichen Theils der flottanten Bevölkerung«.

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Bevölkerungstheile« belastet. So kamen die staatlichen Akteure zu dem Schluss, es sei »im Interesse der öffentlichen Ordnung und der Gesamtbevölkerung, daß auswärts geborene Uneheliche nicht hieher gelaßen werden und daß bei hier vorkommenden Schwängerungen Mutter und Kind möglichst von hier entfernt werden«. Kurzum: Die »Entfernung Unehelicher [sollte] Regel, die Hierbelaßung Ausnahme sein«.118 Doch dieses Ziel wurde – wie die steigenden »Illegitimitätsraten« zeigen – ganz offenbar nicht erreicht. Die hier betrachteten Badenerinnen richteten sich vielmehr in Basel ein und lebten dort die Muster und Formen der Nichtehelichkeit, mit denen ein Großteil von ihnen aufgewachsen war.

118 Brief Vorstand des Staats-Collegiums, 9.6.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910), Hervorhebung im Original. Weiter hieß es dort: Das avisierte strenge »Einschreiten gegen Liederlichkeit und Leichtsinn« werde nicht zuletzt »gute Wirkung […] gegenüber der zahlreichen, namentlich weiblichen, Arbeiterbevölkerung« zeitigen »und auch vom Gesichtspunkt der Humanität aus mehr Gutes stiften, als nachträgliche Milde und Duldung«.

5. Nichtehelichkeit in Basel a. »Männerbekanntschaften« und »Beyschlaf« Vor dem Hintergrund des strukturellen Bedingungsgefüges der »Unehelichkeit« in Basel ist nun zu beschreiben, wie die Badenerinnen dort in den 1860er- und 1870er-Jahren Nichtehelichkeit lebten. Zunächst wird nach den Männern gefragt, mit denen sie eine »Bekanntschaft« eingingen.

Die Väter Für rund 40 Prozent der hier betrachteten 835 nichtehelichen Kinder mit badischer Mutter sind auch Informationen über den Vater überliefert. 333 Namen sind bekannt, zum Teil auch Informationen zum Herkunftsort, zum Alter oder zur Beschäftigung.1 Angaben zur Herkunft finden sich zu 286 Männern. Auffällig ist, dass ein erheblicher Teil von ihnen, nämlich 125 (43,7%), ebenfalls aus Baden stammte. Die nächstgrößere Gruppe (27,3%) bildeten 78 Männer, die Heimatrecht in einem der Schweizer Kantone besaßen, davon 20 im Kanton Aargau, zwölf im Kanton Baselland. Eine mit 15,4% ebenfalls noch große Gruppe kam aus Württemberg, und neun Männer (3,1%) waren Basler Bürger.2 Betrachtet man die Herkunft der 125 Väter aus Baden, so fällt die weitflächige Verteilung auf das Großherzogtum auf. 39 Bezirke wurden in den Quellen genannt, wobei – wie bei den Badenerinnen  – eine gewisse Häufung im Markgräflerland und im Hotzenwald festzustellen ist. Zwar kam nicht (wie bei den Badenerinnen) die Hälfte von dort, doch immerhin 34,4% der Väter: 19 Männer stammten aus dem Markgräflerland (acht aus dem Amt Lörrach, elf aus dem Amt Müllheim), 24 aus dem Hotzenwald (zehn aus dem Amt Waldshut, 14 aus dem Amt Säckingen) und einer aus dem Klosterwald. Dass nur wenige Männer aus einem Bezirk stammten, ist typisch für 1 Angaben zur Religionsangehörigkeit sind nur selten überliefert, sodass auf eine Auswertung verzichtet wird. 2 Weitere 7% der Väter stammten aus anderen deutschen Staaten (etwa Hessen, Bayern, Preußen u.a.), neun Männer (3,1%) aus Frankreich (inkl. Elsass) und einer aus Österreich.

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die Gesamtgruppe der 125 (namentlich bekannten) badischen Väter. Schwerpunkte bilden neben dem Markgräflerland bzw. Hotzenwald nur noch die Bezirke Schopfheim (sieben Männer/5,6%), Freiburg (sechs Männer/4,8%) und Emmendingen (fünf Männer/4,0%). Die Herkunftsorte der anderen badischen Väter verteilten sich mit sehr geringen Prozentsätzen auf die anderen badischen Amtsbezirke, aus 23 Bezirken kamen nur ein oder zwei Männer.3 Einige nichteheliche badische Kinder hatten sowohl eine badische Mutter als auch einen badischen Vater. Aus demselben Bezirk stammten 25 Elternpaare, davon fünf aus dem Amt Säckingen, je drei aus den Bezirken Donaueschingen, Lörrach und Müllheim und zwei aus dem Bezirk Emmendingen. Gelegentlich war auch der Herkunftsort identisch,4 sodass vermutet werden kann, dass das jeweilige Paar einander von dort kannte, oder zumindest, dass das Wissen, aus dem selben Ort zu stammen, die »Bekanntschaft« schuf oder festigte. Bei den Angaben zur Beschäftigung – diese liegt für 257 Väter vor – ist auf die quellenkritischen Überlegungen hinzuweisen, die bereits oben angestellt wurden, als es um diese Frage bei den Badenerinnen ging.5 Diese in Rechnung stellend, lassen sich gleichwohl mehrere große Felder identifizieren: das Handwerk, die Fabrikarbeit, moderne städtische Berufe sowie Berufsfelder, die in den Bereich von Mobilität und Infrastruktur fallen. Über die Hälfte der 257 Väter mit Beschäftigungsangabe (53,3%) nannte einen handwerklichen Beruf, etwa Bäcker, Metzger, Küfer oder Töpfer, vor allem aber Schuhmacher, Schneider, Maurer, Schlosser, Schmied oder Zimmermann. Unklar bleibt aber meist, in welchem Kontext die Ausübung stattfand. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verteilung der männlichen Arbeitskräfte in Basel ist anzunehmen, dass vermutlich viele Männer in einer Fabrik arbeiteten. Explizit als Fabrikarbeiter bezeichneten sich 36, die damit die zweitgrößte Gruppe der 257 Vätern stellten (14,0%). 10,8% nannten einen modernen, auf das städtische Umfeld verweisenden Beruf wie Büroangestellter, Buchhalter, Coiffeur, Lithograph oder Photograph. 15 Väter (5,8%) waren in Stellung, einige von ihnen verdingten sich offenbar als einfacher Knecht, andere hatten eine 3 Am weitesten von Basel entfernt lag im Osten der Bezirk Konstanz (zwei Männer/1,60%), im Norden die Ämter Gerlachsheim und Wertheim (je ein Mann/0,80%). Von acht badischen Vätern (6,4%) weiß man lediglich, dass sie aus dem Großherzogtum kamen, aber nicht, aus welchem Bezirk. 4 Dies kann zumindest dann vermutet werden, wenn es sich um kleine Ortschaften oder Dörfer handelt. 5 Vgl. Kap. 4.

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qualifiziertere Position in einem der wenigen Basler Haushalte inne, die mehrere Dienstboten beschäftigten. Ähnlich groß (4,2%) war die Gruppe der Väter, die bei der Eisenbahn ihr Auskommen fand, wobei die Spanne der Berufe vom »Conducteur bei der Centralbahn« bis hin zum »Ausläufer auf den Badischen Bahnen« reichte.6 So wird man wohl sagen können, dass die Männer im Großen und Ganzen in Feldern beschäftigt waren, die tendenziell für die Unterschicht oder die untere Mittelschicht typisch waren – ähnlich also wie ihre Partnerinnen. Auch die Alterstruktur verweist auf Homogenität. In 125 Fällen sind Angaben von den Vätern überliefert: Diese Männer kamen zwischen 1810 und 1855 zur Welt, davon 94,4% zwischen 1830 und 1859 (bei den Badenerinnen waren es, wie ausgeführt, 95,3%).7 Auch bei der Geburt des Kindes waren beide ähnlich alt: Die Alterspanne reichte bei den Frauen von 15 bis 47, bei den Männern von 18 bis 50 Jahren. Die Mehrzahl der Paare stand zum Zeitpunkt der Geburt in einem Lebensalter von 20 bis 29, fast ein Viertel zwischen 30 und 39 Jahren. Die Paare mit nichtehelichem Kind waren bei dessen Geburt also nicht signifikant jünger oder älter als Paare, deren Kind obrigkeitlich »legitimiert« zur Welt kam.8 Bei rund 65% der Paare, von denen Angaben zum Geburtsjahr beider Partner vorliegen, war zudem der Altersunterschied gering, die Spanne betrug maximal vier Jahre. In mehr als einem Drittel der Fälle betrug die Differenz jedoch fünf oder mehr Jahre, wobei meist die Männer älter waren als ihre »Bekannte«.9 6 Hinzu kamen acht Kutscher (3,1%), die zum Teil bei Basler Unternehmern mit Droschkenkonzession arbeiteten, zum Teil bei Privatpersonen. Sechs oder weniger Väter nannten Beschäftigungen wie Tagelöhner (sechs Männer/2,3%), Landmann (fünf Männer/1,9%) oder Straßenarbeiter (drei Männer/1,1%). Drei Väter verdienten ihren Lebensunterhalt bei der Polizei als Landjäger oder Polizeiangestellter. Die im Bürgertum weit verbreitete Annahme, die Väter »unehelicher« Kinder seien Soldaten, fand in den Quellen keine Entsprechung; nur auf zwei Väter traf dies zu. Zur »geradezu sprichwörtlichen« Vorliebe der Dienstmädchen für das Militär (Müller: Geister, S.218) und der realen Partnerwahl vgl. Orth: Besuch, S.94-97. 7 Bei den 1830er- und 1840er-Jahren zeigen sich große Ähnlichkeiten: 63,2% der Väter und 59,7% der badischen Mütter wurde in den 1840er-Jahren geboren, 22,4% bzw. 23,6% in den 1830er-Jahren. In den 1850er-Jahren kam es zu Abweichungen: 8,8% der Väter gehörten zu diesen Geburtsjahrgängen, bei den Frauen hingegen 22,7%. 8 Vgl. Head-König: Force, S.89-92. Sie kommt zu einem ähnlich Befund für das Alter der Paare zum Zeitpunkt der Hochzeit. 9 Für 121 Paare lässt sich die Altersdifferenz berechnen. 31 Männer waren deutlich älter als ihre »Bekannte«, sieben von ihnen um mehr als zehn Jahre. Seltener war es umgekehrt: Zwölf Frauen waren um fünf oder mehr Jahre

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Insgesamt zeigt der statistische Blick bei allen drei Parametern also nicht Unterschiedliches, sondern eher Homogenität. Und jenseits der Statistik? Was bedeutete es, Nichtehelichkeit zu leben?

Ehegerichtsprotokolle als Quelle Zur Beantwortung dieser Frage stehen so gut wie keine Ego-Dokumente der Badenerinnen oder ihrer »Bekannten« zur Verfügung. Doch die Protokolle der Verhandlungen vor dem Ehegericht, vor dem sich jede Frau verantworten musste, die in Basel nichtehelich schwanger und Mutter wurde, erlauben zumindest einen Einblick in das Geschehen.10 Die Gerichtsprotokolle, einige nur wenige Zeilen, andere mehrere Seiten lang, folgten einem einheitlichen Muster. Zunächst wurde festgehalten, wer die nichteheliche Schwangerschaft und/oder Geburt zur Anzeige brachte und wer vor dem Ehegericht erschien, dann folgten Angaben zu Alter, Herkunft, Personenstand und Beschäftigung. Im Zentrum stand die mehr oder weniger ausführliche Beschreibung des Sachverhalts, gelegentlich ergänzt um Ausschnitte aus dem Verhör der Angeklagten, zum Teil auch der Befragung von Zeugen. Die Niederschrift schloss mit dem Urteil und Angaben zur Höhe des Strafmaßes.11 Hin und wieder finden sich also eigene Aussagen der betroffenen Männer und Frauen, die zum Teil sogar als Zitat gekennzeichnet sind. Grundsätzlich ist gleichwohl zu bedenken, dass das Protokoll ein Dokument der Obrigkeit darstellt. Der Gerichtsschreiber fasste in der Sprache des Justizwesens den Tathergang kurz zusammen, interpretiert und bewertet im Hinblick auf das juristisch Relevante.12 Auch die Aussagen der betroffenen Frauen und Männer sind nicht zu trennen von ihren Strategien vor Gericht – etwa sich vom »Tatvorwurf« der älter als ihr »Bekannter«, davon vier über zehn Jahre. Der größte Altersunterschied bestand mit 13 Jahren zwischen einem Paar, bei dem sie 37 Jahre, der Vater des Kindes 24 Jahre alt war bzw. mit 23 Jahren zwischen einem Paar, bei dem die Mutter 24 Jahre, er 47 Jahre alt war. Weiter unten wird auf diese Fälle noch einmal zurückzukommen sein. 10 Die Protokollbände der Jahre 1868 bis 1875 (Laufzeit 26.10.1868 bis 21.6.1875) wurden exemplarisch ausgewertet, wobei nur die 120 Fälle herangezogen wurden, in denen die hier betrachteten Badenerinnen vor Gericht standen. Die Akten sind archiviert in: StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U159 bis U162. 11 Für die Gefängnisstrafen ist zum Teil dort, zum Teil in einem später verfassten Protokoll notiert, wann die Verurteilte(n) die Haft antrat(en). 12 Zu quellenkritischen Einordnung vgl. zudem Simon: Untersuchungen, S.10-17.

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Vaterschaft zu entlasten oder den Unterhalt für das Kind zu erstreiten. In den Vernehmungen sind die nachträgliche Wahrnehmung des Geschehens, ihre Verbalisierung sowie die Verteidigungsstrategien vor Gericht untrennbar verwoben. So geht es im Folgenden nicht darum, die Frage nach der Vaterschaft im Sinn eines Wahrheitsanspruchs klären zu wollen. Vielmehr sollen – wie in der Einleitung beschrieben – die in den Protokollen festgehaltenen Schilderungen des Geschehens als Grundlage für eine Miniatur genutzt werden, die die Annäherung und den näheren Umgang der Paare miteinander detailliert und nah an den Quellen beschreibt. Sie rücken einzelne Elemente der gelebten Nichtehelichkeit in den Mittelpunkt  – etwa der Ort des Kennenlernens oder wie es zum »Beyschlaf« kam und wo dieser stattfand.

Orte und Anlässe der Annäherung Einige Badenerinnen kannten ihren »Bekannten« bereits, als sie in Basel eintrafen. Die 1845 geborene Sophie Herr13 etwa war in Schuttern im Amtsbezirk Lahr aufgewachsen und hatte eine Zeit lang im Württembergischen gearbeitet. In Vaihingen a. d. Enz lernte sie den von dort stammenden Karl Kümmerlin kennen. Dieser habe, so berichtete Herr später dem Basler Eherichter, »noch nichts für die Heirath thun können«. Aber Kümmerlin war Herr nachgefolgt, als diese nach Basel wechselte. Beide verdingten sich in der Stadt in einer Tabakfabrik, und zumindest Herr wohnte in der St. Johannvorstadt, zudem hielten sie an ihrer Verbindung fest. Im Winter 1869/70 wurde sie schwanger, im Februar 1870 zeigten sie diese »gemeinschaft.[lich]« dem Ehegericht an. Als Sohn Karl Wilhelm am 3. Juni 1870 zur Welt kam, hatte noch keine obrigkeitliche Trauung stattgefunden, aber womöglich lebten seine Eltern (weiterhin?) zusammen. Ähnlich der Fall von Ottilie Zimmermann14 aus Altenschwand im westlichen Hotzenwald: Sie ging arbeitssuchend zunächst ins schweizerische Arisdorf, nicht zuletzt, um ihr erstes, in der badischen Heimat nichtehelich geborenes und dort lebendes Kind zu versorgen. In Arisdorf lernte sie den Metzger Emil Suhrer kennen, der ihr, so bezeugte sie vor dem Richter, 13 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.636. Das folgende Zitat: Protokoll, 14.2.1870, ebd. 14 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.456; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.372f. Das folgende Zitat: Protokoll, 27.3.1871, ebd.

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»die Ehe versprochen« habe. Als sie 1871 nach Basel ging, endete die »Bekanntschaft« nicht. Vielmehr »hat [er] mich hier besucht, wo ich von ihm schwanger geword[en] bin«. Suhrer entzog sich nicht, trat vielmehr »freiwillig« mit vor das Ehegericht, wo er erklärte, »die Ehe werde bald zu Stande kommen, da seine Eltern u. seine Gemeinde einverstanden seien«. In den zur Verfügung stehenden Basler Quellen ist nicht eingetragen, ob sie sich trauen ließen; vielleicht fand die Hochzeit in Arisdorf statt. In Basel bot das oben beschriebene enge Zusammenleben in den Quartieren der »handarbeitenden Klassen« viele Orte, sich zu begegnen und »Bekanntschaften« zu schließen bzw. zu pflegen. So hob Stadtmissionar Andreas Ludwig in seinem Bericht vom Januar 1865 den Kostgeber Hanser in der Breiten Straße lobend hervor, weil bei diesem »christliche Zucht u. Ordnung« herrsche, insbesondere gestatte er den bei ihm wohnenden »Fabrikmädchen« nicht, »ihren Liebsten noch spät Abends auf ihrem Zimmer zu empfangen«.15 Offenbar wurde diese Praxis von anderen Kostgebern durchaus toleriert. So traf auch Euphrosine Gehr16 ihren »Bekannten« Carl Kienzig, der bei den »Badischen Bahnen« als »Ausläufer« diente, im häuslichen Umfeld. Sie und ihre Eltern kamen aus Segeten im Hotzenwald und hatten in der Kleinbasler Rheingasse Unterkunft gefunden,17 Euphrosine Gehr eine Beschäftigung als Glättnerin. Vor dem Ehegericht erklärte sie, Kienzig »habe im Hause ihrer Eltern ein Zimmer gehabt und daher komme die Bekanntschaft«. Sohn Karl kam im Mai 1872 in der Rheingasse zur Welt. Maria Katharina Mehlin18 kam ebenfalls mit ihren Eltern nach Basel, die Familie stammte aus Weil im Amt Lörrach, und als ihr Vater starb, unterhielt ihre Mutter die Familie durch Aufnahme von Schlafgängern. So kam die »Bekanntschaft« der jungen Frau mit dem aus Müllheim stammenden Robert Eurich zustande, einem Küfer und Bierbrauer, der bis Jahresende 1868 15 Bericht Ludwig, 8.–14.1.1865, StABS, Privatarchive, PA 771a, Evangelische Gesellschaft für Stadtmission in Basel (1859-1971), A, Berichte der Stadtmissionare, Nr.11 Ludwig, Andreas (1865-1873). Vgl. Head-König: Force, S.87f. 16 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.499; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.56f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 9.2.1872, ebd. 17 Sie ist zugleich ein gutes Beispiel für den nicht seltenen Umstand, dass einige der betrachteten Badenerinnen nicht allein nach Basel zuwanderten, sondern im Rahmen einer Familienmigration, vgl. Kap. 4. 18 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.373; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.295. Das folgende Zitat: Protokoll, 17.5.1869, ebd. Es handelt sich nicht um die bereits erwähnte Maria Mehlin aus Kandern.

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bei Mehlins »an der Kost« war. Als ihr gemeinsames Kind im Sommer 1869 zur Welt kam, hielt er sich jedoch bereits in Freiburg auf. Elisabeth Schlotter19 schließlich, in Ötigheim (Amt Rastatt) heimatberechtigt, lernte ihren »Bekannten« Joseph Meier/Meyer, der im elsässischen Rixheim geboren und in Basel als Schreinermeister bei der Maschinenfabrik Burckhardt beschäftigt war, in der unmittelbaren Nachbarschaft kennen. Sie wohnte Anfang der 1870er-Jahre in der Wallstrasse 4, Meier/Meyer in der Wallstrasse 6. Im Februar 1874 traten beide, Schlotter im fünften Monat schwanger, vor das Ehegericht. Meier/Meyer anerkannte »Bekanntschaft u. Vaterschaft des Kindes«, im Hinblick auf ein Eheversprechen bestritt er jedoch »irgend welche Verpflichtung«. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, und die gemeinsame Tochter Elisabetha kam am 8. April mit Unterstützung einer Hebamme in der Wallstrasse 4 »unehelich« zur Welt.20 Zwei Hotzenwälderinnen, Victoria Lauber21 aus Hochsal, in Basel in einer Fabrik tätig, und Nathalie Wasmer/Wassmer22 aus Höchenschwand, in Basel als Dienstmagd beschäftigt, lernten den Vater ihres Kindes durch gemeinsame Bekannte bzw. Verwandte kennen, »durch ein anderes Mädch[en]« bzw. die »Schwester«. Beide heirateten ihren »Bekannten« nicht und ihren Aussagen vor Gericht zufolge scheint es auch recht unwahrscheinlich, dass sie mit ihm nichtehelich verbunden blieben. Andere Badenerinnen knüpften Kontakte bei der Arbeit. Elise/Elisabeth Zeller23 aus Riedöschingen im Amt Donaueschingen kam Anfang der 1870er-Jahre nach Basel und fand in St. Alban eine Stelle als Magd. Der Haushalt beschäftigte auch männliches Gesinde, darunter Friedrich Schuhmann aus dem Württembergischen Plieningen. Aus der »Bekanntschaft« der beiden erwuchs ein Kind, das unter sehr 19 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 15, Bl.578; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 162, Bl.40f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 23.2.1874, ebd. 20 Auf die Verbindung der Eltern wird nochmals einzugehen sein, vgl. Kap. 6. 21 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.439; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.215f. Das folgende Zitat: Protokoll, 12.12.1870, ebd. 22 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.393; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.579f. Das übernächste Zitat: Protokoll, 27.12.1869, ebd. 23 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.528; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.405f.; Sammlung Pavic: 87/1873; Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877; Kath. Taufbuch; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 87.

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schwierigen Umständen im städtischen Spital zur Welt kam.24 Zu diesem Zeitpunkt hatte Schuhmann bereits den Dienstgeber und die Stadt gewechselt, war nach Bern gegangen. Ganz ähnlich die Konstellation bei der 22-jährigen Theodora Leber25 aus Wehr im Amt Schopfheim, in Basel als Magd beschäftigt, und dem 23-jährigen Martin Ochsner, ein Schuhmacher von Oberhallau im Kanton Schaffhausen. Ochsner erklärte vor dem Ehegericht, »er habe bei ihrem Dienstherrn gearbeitet, daher die Bekanntschaft«, freilich auch, dass er »jetzt […] noch nicht heirath[en könne], später vielleicht«. Der Eherichter sprach Theodora Leber 40 Franken Kindbettkosten und Alimente für das Kind zu und verurteilte beide zu zwei Tagen Gefängnis. Theodora Lebers Geschichte kann über das Urteil hinaus noch ein wenig weiter geschrieben werden. So lässt sich rekonstruieren, dass sie nicht nur eine Strafe für ihr aus der Sicht der Obrigkeit »unzüchtiges« Verhalten erhielt, sondern auch ihre Dienststelle verlor. Ihre Dienstherrin beschloss kurze Zeit nach dem Urteil, eben weil Leber »in der Hoffnung war, eine andre Magd neben ihr [zu] halten«,26 dann endete das Dienstverhältnis im Streit, den Leber einen Monat nach der Geburt des Kindes vor den Dienstbotenrichter brachte. So erhielt sie zwar nicht Stellung und Auskommen zurück, aber immerhin den von ihr eingeklagten Restlohn von sechs Franken.27 Auch das Wirtshaus als Dienst- und Arbeitsstätte bot Möglichkeiten, eine »Bekanntschaft« anzuknüpfen. Caroline Weiner28 etwa, sie stammte aus Sexau im Bezirk Emmendingen und ging Anfang der 1870er-Jahre arbeitssuchend nach Basel, 24 Vgl. Kap. 5.c. 25 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.373; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U159, Bl.278f. (das folgende Zitat: Protokoll, 10.5.1869, ebd.) und 314; Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.105 und 463; Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.112; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 111. 26 Protokoll, 15.12.1869, Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.463. 27 Ein weiteres Beispiel: Die 23-jährige Christine Wittmeier (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 15, Bl.561f.; Gerichtsarchiv, Ehegericht U 161, Bl.617.; die folgenden Zitate: Protokoll, 15.9.1873, ebd.) aus Stein im Amt Bretten diente beim »Prinzipalen« ihres »Bekannten«, des Uhrmachers Karl Stählin, der in Lachen im Kanton Schwyz Heimatberechtigung besaß. Im September 1873 belangte sie ihn mit einer »Schwängerungs-Klage«. Da jener erst 18 Jahre alt war, erschien er mit seinem »Oheim« vor Gericht, der Christine Wittmeier statt der Hochzeit eine »Entschädigung« von 300 Franken anbot, die sie annahm. 28 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister;

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um ihr zu Hause lebendes nichteheliches Kind zu unterhalten, zeigte im Frühjahr 1871 dem Ehegericht ihre nichteheliche Schwangerschaft an und benannte als Vater Heinrich Gerig, einen Schriftgießer von Walenstadt im Kanton St. Gallen, der in Basel gearbeitet hatte, sich nun aber in Bern befände. Sie kannten einander aus einem Wirtshaus, in dem sie diente und in dem »Gerig öfters einkehrte«. Nicht nur die Arbeitsstätten, sondern auch die in Basel zahlreich vorhandenen Orte des Vergnügens und der Zerstreuung boten Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Die Fabrikarbeiterin Sophie Greiner29 etwa, die aus Glashütte in der Gemeinde Hasel (Amt Schopfheim) stammte, kannte ihren »Bekannten«, den Schreinergesellen Ludwig Mahr/Mohr aus Traisa bei Darmstadt, »vom Theater her«. Trotz Schwangerschaft kam keine obrigkeitlich »legitimierte« Eheschließung zustande, sodass Greiner im Sommer 1870 vor dem Ehegericht Alimente einklagte. Dieses verpflichtete Mahr/Mohr, 40 Franken Kindbettkosten an sie zu zahlen sowie für das im September 1870 geborene Kind »einen wöchent[lichen] Kostg[elds] Beitrag von 2 ½ f., bis dasselbe 16 J. alt ist«. Auch hatte er die »eheg[erichtlichen] Kosten« zu tragen. Auch die Basler Fasnacht bot Anlass, eine »Bekanntschaft« aufzunehmen. Dort lernten sich Anna Maria Groß30 und Wilhelm Düringer 1874 kennen, die beide aus Baden kamen, sie aus Kadelburg im Amt Waldshut, er aus Kiechlinsbergen im Amt Breisach, sie war in Basel in der Aeschenvorstadt als Magd, er dort als Maurer beschäftigt. Düringer berichtete vor dem Ehegericht: »Umgang hatte ich mit ihr an der Fassnacht u. bis gegen Ostern. Am Ostermontag hatte sie mich bestellt, um mit ihr zum Tanz zu gehen«. Dem »Umgang« ging offenbar kein Eheversprechen voraus. Der »Verspruch« folgte erst, als Groß schwanger war. Zumindest gab sie diese Version zu Protokoll: »Die Ehe versprach er mir nach dem ich ihm gesagt, daß ich von ihm schwanger sei; er bemerkte mir, wenns so sei, werde schon zu helfen sein«. Düringer hingegen berichtete dem Richter anderes: »Nachdem sie mir gesagt, sie sei in der Hoffnung, blieb ich aus.« Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.456; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.393f. (das folgende Zitat: Protokoll, 3.4.1871, ebd.) und 416. 29 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 83; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.420; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.768f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 14.6.1870, ebd. 30 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 162, Bl.268-271. Die folgenden Zitate: Protokoll, 18.8.1874, ebd.

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»Beyschlaf« Die 25-jährige Louise Lang31 aus Bellingen beschrieb vor Gericht, ihr »Bekannter« Andreas Gschwend/Geschwind sei seit »Johanni […] alle Nacht gekommen, er frug mich um Bekanntschaft und sagte, er verlaße mich nicht, er heirathe mich, wenn es zu dem komme; er hat versprochen mich auf Weihnachten zu heirath(en)«. Nicht immer, so kam am Rande zur Sprache, fand der »Umgang« in ihrer Unterkunft statt, sondern gelegentlich auch »unterm Nußbaum«.32 Auch im Falle von Barbara Bihlmann33 und Arnold Börli/Beerli fand der »Umgang« nicht (nur) in der Unterkunft statt. Bihlmann, 1850 in Binzen im Amt Lörrach geboren, ging in Basel verschiedenen Beschäftigungen nach, arbeitete zeitweise in einer Fabrik, zeitweise als Kellnerin, unter anderem Anfang des Jahres 1870 in einer Kantine des Polizeipostens im Klingental in Kleinbasel. Dort lernte sie den Landjäger Börli/Beerli von Mammern im Kanton Thurgau kennen. Er habe ihr gesagt, so Bihlmann vor dem Eherichter, »er wolle mich heirathen, wenn seine Zeit aus sei; wir wollten nach Amerika gehen […]; der Umgang hat bei ihm auf dem Posten statt gefunden«. Sie brachte ihr Kind im Spital zur Welt, obwohl sie kaum finanzielle Rücklagen besaß.34 Maria/Marie Kaiser35 schließlich, 1842 in Bernau-Kaiserhaus im Amtsbezirk St. Blasien geboren, verdingte sich von Mai 1864 bis August 1866 und erneut seit Mai 1870 in einer Basler Fabrik. An Ostern 1871 lernte sie den drei Jahre älteren Hermann Blum von Coblenz im Kanton Aargau, der in Basel als Droschkenkutscher bei Wirth Jäggi arbeitete, beim »Tanz in der Krone zu Kl[ein]Hüning[en] kennen«. Sie »habe 31 Sie arbeitete in Basel in einer Fabrik, um sich und ihr zu Hause aufwachsendes nichteheliches Kind zu unterhalten; auch sie hatte ihren »Bekannten« beim Tanzen getroffen. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.530; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.419f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 9.12.1872, ebd. 32 Das Eheversprechen auf Weihnachten, an das sich zumindest Lang erinnerte, löste Gschwend/Geschwind nicht ein. Als Sohn Wilhelm im April 1873 zur Welt kam, hatte noch keine Hochzeit stattgefunden. 33 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 99/1870; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 99; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.416; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.752-756 und 761. Das folgende Zitat: Protokoll, 23.5.1870, ebd., Bl.753. 34 Warum das Spital sie trotzdem aufnahm, wird noch auszuführen sein, vgl. Kap. 5.c. 35 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.562-564 und 591f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 21.8.1871, ebd., Bl.563.

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damals und am Sonntag darauf mit ihm zu thun gehabt, das zweitemal in der Droschke«. Im August zeigte sie ihre nichteheliche Schwangerschaft beim Ehegericht an. Orte des »geschlechtlichen Umgangs« wie die geschilderten scheinen eher untypisch gewesen zu sein. Viel häufiger kamen sich die Paare im gemeinsamen Dienst und der angeschlossenen Unterkunft näher, wie etwa Amalie Herrmann36 und Joh. Sam. Hug. Herrmann stammte aus Nimburg im Amtsbezirk Emmendingen, war verwitwet und ging, um ihre drei dort lebenden Kinder zu unterhalten, Anfang der 1870er-Jahre nach Basel, wo sie 1871 eine Stelle als »Kaffe-Köchin« im Basler Grand Hotel »Drei König« antrat. Als »Unter-Portier« diente dort Joh. Sam. Hug von Buchillion im Kanton Waadt. Amalie Herrmann berichtete vor dem Ehegericht, sie habe zehn Monate lang »neben ihm in 3 König gedient u. bin dort von ihm schwanger worden«. Auch bei diesem Paar blieb unklar, von wem die Initiative zum »Beyschlaf« ausging. Herrmann schilderte dem Richter, dass Hug um sie geworben habe: Er »hat mir gar flattirt, ist zu mir ins Bett gekommen, alle 14 Tage u. sonst, vom Mai an«. Hug hingegen beteuerte, nicht er habe sie, sondern sie habe ihn »verleitet«, sei dabei »immer betrunken gewesen; […] ich mußte sie früh am Morgen wecken u. nach etwa 6 Wochen saß sie bereits auf dem Bett u. wir hatten Umgang, seither haben wir öfters Umgang gehabt«. Doch anders als bei andere Paaren entzog sich nicht Hug der Beziehung, sondern Hermann wechselte die Stelle, ohne Hug über ihre Schwangerschaft zu informieren. Offenbar endete mit dem gemeinsamen Dienst, der die Annäherung erleichterte, auch die »Bekanntschaft«. Auch Maria Hercher37 und Martin Heuberger, sie kam aus Hartheim im Amt Staufen und er aus Tegernau im Amt Schopfheim, dienten seit Sommer 1869 in Basel »neben einander«, und zwar bei Herrn Oeschger, dem Wirt zum »Roten Löwen«. Nicht Oeschger jedoch zeigte ihre »Bekanntschaft« bzw. Herchers Schwangerschaft beim Ehegericht an, sondern ein Polizist. Das Ehegericht bestellte das Paar sowie auch den Wirt am 27. Februar 1870 ein; wenige Tage zuvor hatte die Geburt, wie später zu beschreiben sein wird, unter nicht einfachen Umständen stattgefunden.38 Während Heuberger generell bestritt, 36 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.499f.; Gerichtsarchiv, Ehegericht U 161, Bl.70f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 12.2.1872, ebd.) und 94. 37 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.449; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.292-295 (die folgenden Zitate: Protokoll, 13.2.1871, ebd.) und 310. 38 Vgl. Kap. 5.b.

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mit Hercher eine »Bekanntschaft« und »Umgang« zu haben, berichtete diese, sie sei »seit Fastnacht mit ihm bekannt« und er habe ihr »während der Bekanntschaft die Ehe versprochen«. Der »Umgang« habe stattgefunden, »wenn ich sein Zimmer machte«, zudem sei er zu ihr »ins Zimmer gekommen«. Dies könne Oeschger bezeugen, der sie beide nämlich »deswegen fortgeschickt« habe. Dies wies Oeschger zurück. Er sagte aus: »Ich habe kein Verhältniß zwischen ihnen bemerkt«, doch habe Heuberger »zu ihr in die Kammer geh[en] können, weil der Weg ihn dort vorbeiführte; ich weiß nicht, daß sie leichtfertig war, ich habe sie auch nie mit einem andern Knecht gesehen«. Entlassen habe er beide deshalb, weil ein »Geschwätz« entstanden sei – offenbar hatte er also doch, zumindest aber die Nachbarschaft ein »Verhältniß« zwischen Hercher und Heuberger bemerkt bzw. vermutet. Das Gericht kam nach längerer Verhandlung zu der Einschätzung, dass Heuberger »trotz seinem Leugnen der Vaterschaft überführt« sei, wies aber Herchers Vaterschaftsklage wegen eines Formfehlers zurück und verurteilte schließlich beide zu zwei bzw. fünf Tagen Gefängnis. Nicht nur der gemeinsame Dienst, sondern auch das Zusammenleben in den Quartieren ermöglichte den »Umgang«. Luise Sollinger/Solinger39 und Eduard Pfeifer/Pfeiffer wohnten im Winter 1868/69 in Basel »im gleichen Haus«, sie war 23 Jahre alt und in Basel als Magd, er 20 Jahre alt und in Basel als »Giesser bei Wahl und Aemmer« beschäftigt, beide kamen aus Baden, sie aus Kirchen, er aus Höllstein im Wiesental im Amt Lörrach. Wer die Initiative zum näheren Zusammensein ergriff, blieb vor dem Ehegericht einmal mehr unklar. Eduard Pfeifer/Pfeiffer sagte, »sie ist zu mir ins Zimmer gekommen«, was Luise Sollinger/Solingers nicht leugnete. Sie habe das aber nur getan, so ihre Begründung, weil er »ihr keine Ruhe gelassen« und zudem versprochen habe, »ich heirathe dich, ich verlasse dich nicht mehr«. Im Januar 1869 standen sie gemeinsam vor dem Ehegericht, im Juli kam ihr Sohn im Spital zur Welt, wo auch die Taufe stattfand. Das Kind erhielt den Vornamen des Vaters, doch offenbar festigte sich die Verbindung der Eltern nicht. Pfeifer/Pfeiffer nahm jedenfalls an der Taufe nicht teil, und der Taufpate kam nicht aus seiner Familie. Sohn Eduard erhielt vielmehr in Kirchen Heimatrecht und den Landwirt Johannes Solinger zum Paten. 39 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 76; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.355; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.126f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 18.1.1869, ebd.

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Dass die »Bekanntschaft« zwischen Hercher und Heuberger sowie zwischen Sollinger/Solinger und Pfeifer/Pfeiffer zustande kam, hatte möglicherweise nicht nur mit der gemeinsamen Unterkunft zu tun, sondern auch mit der gemeinsamen Herkunft bzw. der sich in den Arbeiterquartieren Basels ausprägenden katholischen40 bzw. badischen Subkultur. Theodosia Häslin/Häsli41 sprach diesen Zusammenhang im Februar 1870 vor dem Ehegericht explizit aus: Sie sei mit Heinrich Gross seit einem halben Jahr »bekannt; wir sind als Landsleute bekannt [ge]worden«. Sie kam aus Oberwolfach (Bezirk Wolfach), er aus dem rund 15 Kilometer entfernt liegenden Rippoldsau, sie diente in Basel bei Metzger Eschbach, er als Maurer bei Baumeister Frey. In der Vernehmung vor dem Ehegericht schilderte Gross eher nebenbei, wie die Annäherung zustande kam und wo der »Beyschlaf« stattfand. Demnach sei Häslin/Häsli auf die Baustelle, wo er arbeitete, »gekommen u. ich habe Umgang mit ihr gehabt«. Offenbar gab auch bei ihnen nicht ein Eheversprechen den Ausschlag dazu, doch stellte, so berichtete zumindest Häslin/Häsli, auch Gross die Hochzeit für den Fall in Aussicht, dass eine Schwangerschaft eintrete. Dies leugnete Gross. Er versuchte das Ehegericht mit zwei Argumenten davon zu überzeugen, dass er die Wahrheit sprach. Er müsse bereits für ein anderes nichteheliches Kind Alimente zahlen (»ich habe schon eine der ich 2f. zahlen muß«), zudem habe ihn der Alkohol unzurechnungsfähig gemacht: »Ich bin später auch einige mal hingegangen u. wenn man betrunken ist, so kann man Alles mit Einem anfangen«. Tatsächlich war Gross vier Jahre zuvor Vater eines »unehelich« geborenen Kindes geworden und lebte mit diesem und der Mutter, Maria Elisabeth Hölstein,42 die aus dem Weindorf Auggen im Markgräflerland stammte und ebenfalls zur Gruppe der hier betrachteten Badenerinnen gehört, zusammen, ohne jedoch, wie Stadtmissionar Ludwig monierte, »getraut zu sein«.43 So befürchtete Gross vielleicht, bei der zweiten von ihm mitverursachten nichtehe40 Zur diasporaähnlichen Situation der Katholiken und Katholikinnen sowie zu den institutionellen Angeboten der katholischen Kirche im Basel der 1860erund 1870er-Jahre vgl. ausführlich Gantner: Probleme, S.117-158, zu den Festen ebd., S.155f. 41 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Kath. Taufbuch; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 20 und Fol. 64; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.398f.; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U159, Bl.639f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 14.2.1870, ebd.) und 656; Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.18. 42 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 43 Bericht Ludwig, 24.–29.4.1865, StABS, Privatarchive, PA 771a, Evangelische

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lichen Schwangerschaft aus der Stadt verwiesen zu werden.44 Jedenfalls schien er die entsprechenden Paragrafen der Ehegerichtsordnung zu kennen und nutzte sie, um Häslin/Häsli von der Selbstanzeige beim Ehegericht abzuhalten. Er habe, so gab Häslin/Häsli zu Protokoll, zu ihr »gesagt, ich soll schweigen, sonst müße ich zur Stadt hinaus«. Doch der Richter verwies weder Gross noch Häslin/Häsli aus Basel, bestrafte beide vielmehr mit zwei Tagen Gefängnis, verurteilte ihn zudem zur Zahlung von »40f. Kindbettkost[en] u. einen wöchent[lichen] Kostgelds Beitrag von 1 fr. bis d. Kind 16 J. alt ist«. Auch Häslins/Häslis Lebensweg lässt sich noch weiter verfolgen. Offenbar versuchte sie, kurze Zeit nachdem das Urteil verkündet war, ihre Schwangerschaft abzubrechen.45 Doch dies misslang, und sie verletzte sich so schwer, dass sie das städtische Spital aufsuchte. Sie wurde dort bis Juni 1870 behandelt, dann entlassen und zwei Monate später erneut aufgenommen, dieses Mal zur Niederkunft. Sohn Reinhard kam am 8. August zur Welt. Als Häslin/Häsli Ende August das Spital verließ, behielt sie ihn bei sich. Dies war deshalb möglich, weil sie eine Stelle als Magd bei der städtischen Hebamme Schmidt fand, die den Säugling im Haus duldete, Mutter samt Kind »in Kost« nahm. Nach kurzer Zeit jedoch starb der kleine Junge.46 In den Quellen findet sich kein Hinweis, dass Gross nach dem Gerichtsurteil Anteil am Schicksal seiner »Bekannten« und seines Sohnes genommen hätte. In allen drei zuletzt geschilderten Fällen bildeten also weder die gemeinsame Herkunft noch das gemeinsame Kind eine Basis für eine gemeinsamen Zukunft.

Asymmetrische Verbindungen In den meisten geschilderten Fällen handelte es sich um Konstellationen, in denen die beiden Partner einen ähnlichen Hintergrund teilten: Sie standen in einem ähnlichen Lebensalter, waren ledig, kamen aus einer ähnlichen sozialen Schicht, gingen ähnlichen Beschäftigungen nach, lebten in prekären Umständen. Für die hier betrachteten Badenerinnen war dieser Kontext im Großen und Ganzen typisch. Freilich gab es auch asymmetrische Verbindungen, wie die folgenden Gesellschaft für Stadtmission in Basel (1859-1971), A, Berichte der Stadtmissionare, Nr.11 Ludwig, Andreas (1865-1873). 44 Vgl. Kap. 4. 45 Zu den Schwangerschaftsunterbrechungen vgl. Kap. 5.b. 46 Vgl. Protokoll, 7.1.1871, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.18.

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Beispiele zeigen. Die aus Lehengericht im Amt Wolfach stammende Anna Barbara Bühler47 etwa gebar im Mai 1870 im Basler Spital ein »uneheliches« Kind. Als Vater benannte sie vor dem Eherichter mit dem Buchbinder Daniel Herzog einen Basler Bürger. Sie beschrieb das Kennenlernen und ihre »Bekanntschaft« wie folgt: »Ich bin seit März od. eigentlich seit Mai mit ihm bekannt; ich half in der Wirthschaft zu Saffran nach, wohin die Buchbinder immer an den Samstagen kommen; er frug mich gleich um Bekanntschaft, seine Mutter gab ihre Zustimmung u. ich bin den ganzen Sommer mit ihm gegangen. Den Umgang habe ich auf dem Spalenthor wo seine Leute wohnen und bei Frau Strübin-Rodaner, wo ich eine Zeitlang diente gehabt, ich war auch 14 Tage bei seiner Mutter.« Ihre Darstellung betont, dass die Initiative von Herzog ausging, dass seine Annäherung schnell zur »Bekanntschaft« und zum »Umgang« führte und, nicht zuletzt, dass sowohl ihre Dienstgeberin als auch seine Verwandten davon wussten, dass Herzogs Mutter dem »Verspruch« sogar, wie von der Ehegerichtsordnung gefordert, zustimmte. Herzog hingegen schilderte eine andere Version. Nach dieser war es Bühler, die sich ihm näherte, ohne dass er selbst ernsthafte Absichten verfolgte: »Ich habe sie zu Safran kennen gelernt u. Spaß mit ihr gemacht, nach 14 Tagen setzte sie sich mir auf den Schoß u. ich hatte Umgang mit ihr auf der Stege; sie konnte sich ebenso gut mit jedem Andern abgeben.« Auch Maria Schupp,48 die im Hotzenwald aufgewachsen war, nutzte ihr Arbeitsumfeld, um Kontakt zu einem Basler Bürger anzuknüpfen. Sie übte in Basel verschiedene Beschäftigungen aus, arbeitete als Zettlerin und Schneiderin, zum Teil auch als Kellnerin. Von Dezember 1868 bis Juli 1869 diente sie als solche »bei Stössel«, einem Wirtshaus, das viele »Conducteurs« der Schweizer Centralbahn besuchten, unter anderem Samuel Lehr, der in Basel Bürgerrecht besaß. Mit ihm habe sie, so Schupp vor dem Ehegericht, »Umgang gehabt, seit 4 ½ M. bin ich schwanger; wir hatten seit April Bekanntschaft, er sprach nicht gerade von Heirathen«. Lehr bestätigte dies, ergänzte: »Ich glaube nicht daß es von mir ist, ich kann aber nicht beweisen, daß sie mit Andern zu thun gehabt hat, es sind eben viel Conducteurs hingekommen; ich kann nicht sagen, daß sie eine leichtfert[ige] Person ist aber sie ist mir mehr nachgelaufen 47 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.395; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.610-612 (die folgenden Zitate: Protokoll, 10.1.1870, ebd.) und 633. 48 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.384; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.429f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 27.9.1869, ebd.

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als ich ihr.« Anders als Anna Barbara Bühler führte Maria Schupp vor Gericht kein Eheversprechen als Begründung für ihre »Bekanntschaft« an. Doch beide Frauen hatten möglicherweise deshalb die Annäherung geduldet oder aktiv betrieben, weil sie auf eine obrigkeitlich »legitimierte« Hochzeit mit einem Basler Bürger hofften, die ihnen in vielerlei Hinsicht attraktiv erschienen sein mochte, auch wenn oder gerade weil die Chance, einen Basler Bürger zu heiraten, für eine badische Aufenthalterin so ausgesprochen gering war. Von den über 330 – namentlich bekannten – Vätern der 835 badischen nichtehelichen Kinder besaßen, wie erwähnt, nur neun das Basler Bürgerrecht. In anderen Fällen lag die Asymmetrie nicht im Rechtsstatus begründet, sondern in einem großen Altersunterschied. Wilhelmine Braun49 etwa, in Grenzach im Bezirk Lörrach aufgewachsen, siedelte mit Anfang 20 ins nahe gelegene Basel über. Seit 1867 diente sie dort als Magd bei »Lehrm.[eister]« Blattner und lernte so auch den 47-Jährigen Anton Baumeter/Baumeler von Schüpfheim im Kanton Luzern kennen, der schon seit 15 Jahren als Knecht bei Blattner in Diensten stand. Als sie ihre Stellung antrat, so berichtete Braun dem Eherichter im Februar 1869, habe Baumeter/Baumeler »gleich Bekanntschaft angefangen, hat andauernd Umgang mit mir gehabt«. Braun vertraute nicht zuletzt deshalb auf sein Eheversprechen, weil er ihr einen Ring schenkte und ihren Vater in Grenzach besuchte. Diesem erzählte Baumeter/Baumeler, er habe »auf Ostern aufgekündet u. wolle etwas Eignes anfangen«. Vor dem Eherichter stritt Baumeter/Baumeler »Umgang«, Geschenk und Besuch nicht ab, wohl aber das Eheversprechen: Die »Ringe haben wir gewechselt u. ich habe das ihrem Vater gesagt, aber das war nur so Liebschaft, die Ehe habe ich ihr nicht versprochen, ich heirathe sie nicht«. Als Grund führte er an, Braun sei bei »ihres Bruders Hochzeit mit dem Brechbühl herumgefahren«, er wolle »keine, die von einem andern herumgeschleift« worden sei. Das Gericht glaubte, nachdem es mehrere Zeugen gehört hatte, seinen Vorwürfen nicht und verurteilte ihn »zu einer Entschädigung von 300 fr. für nicht gehaltenes Eheversprechen, ferner zu 40f. Kindbettkosten u. einem wöchent[lichen] Beitrag von 2f. bis nach vollendetem 16. Lebens Jahr des Kindes u. zu 8 täg. Gefängnißstrafe«. Braun kam ohne Strafe davon, das Kind »in die Kost« und die Ringe, die »beiderseitigen Ehepfänder«, wurden »zu H[än]d[en]des Staats confiscirt«. 49 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.358; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.157-160. Die folgenden Zitate: Protokoll, 3.2.1869, ebd.

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Bei Anastasia Flum50 bedingte nicht nur der Altersunterschied zu ihrem »Bekannten« die Asymmetrie. Flum wanderte vom oberen Hotzenwald nach Basel und ging dort zum Teil in Stellung, zum Teil in die Fabrik. Im Frühjahr 1871 arbeitete die 21-Jährige als Magd im Wirtshaus Löwen, in dem zu diesem Zeitpunkt ein neuer Ofen gesetzt wurde. Ofenfabrikant Tschan und einer seiner Arbeiter führten den Auftrag aus. Letzterer, so sagte Flum im Oktober 1871 vor dem Ehegericht aus, »sei ihr immer nachgestrichen, u. habe sich für ledig, 26 J. alt ausgegeben, seinen Namen habe er nicht genannt, am Grünen Donnerstag habe sie zum erstenmal mit ihm Umgang gehabt, u. dann noch einigemal«. Die gerichtlichen Ermittlungen ergaben, dass es sich bei dem Arbeiter um den 32 Jahre alten Maurer Barnabas Schmitt von Mittenheim im Elsass handelte, der sich seit September 1868 als Niedergelassener in Basel aufhielt. Ein halbes Jahr später, so geht aus einer anderen Quelle hervor, hatte er sich dort mit Philomene Juen, die ebenfalls aus dem Elsass stammte, verheiratet und fünf Monate später war Sohn Alois zur Welt gekommen.51 Im Oktober 1871 bestellte ihn das Ehegericht wegen Flums Vaterschaftsklage ein. Schmitt-Juen bestritt den »Umgang« mit Flum, gab »nur zu, Spaß mit ihr gemacht zu haben, wie Tschan auch«. Der als Zeuge geladene Tschan bestätigte diese Version, vielleicht aber nur aus männerbündischer Kameraderie mit seinem Kollegen, der »schon seit 8 J. bei uns [arbeitet] und recht« sei. Dass beide Männer gut miteinander auskamen, ist auch daran zu sehen, dass Tschan Schmitt-Juen auch 16 Jahre später noch beschäftigte.52Auf die Frage des Richters im Oktober 1871, welchen »Spaß« die Männer mit Flum getrieben hätten, antwortete Schmitt-Juen: »Grobheiten, ich würde mich schämen, mich mit so einem Thier abzugeben, da ich verheirathet bin.« Um Flums Leumund weiter zu beschädigen, führte er an, diese habe bereits ein »uneheliches« Kind, implizierend, sie führe ein »unzüchtiges« Leben. Flum bestätigte, ein Jahr zuvor »daheim« ein Kind geboren zu haben, das ihre Eltern aufzogen. Die »illegitime« Geburt gab den Ausschlag, dass der Richter letztendlich darauf verzichtete, Flum beeiden zu lassen, dass ihre Version der Wahrheit entsprach. Beim sogenannten 50 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.483; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.654f. (die folgenden Zitate, sofern nicht anders angegeben: Protokoll, 16.10.1871, ebd.) und 690f. 51 Vgl. Einbürgerungsakte Schmitt-Juen, 1888, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.26, Nr.104. 52 Vgl. Einbürgerungsakte Schmitt-Juen, 1888, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.26, Nr.104.

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Erfüllungseid hatte die Mutter des nichtehelichen Kindes vor Gericht zu beschwören, dass der von ihr angeklagte Mann der Vater des Kindes war sowie dass sie »zur Zeit der angegebenen Schwängerung mit keiner anderen Mannsperson fleischlichen Umgang gepflogen« habe.53 Diese Möglichkeit räumte der Eherichter Flum nicht ein. Bei »dem Zweifelhaften Ruf der Klägerin u. dem ehe[lichen] Stand des Bek[lagten]« erschien dem Eherichter die »Auferlegung eines Eides« als »unthunlich«. Das Gericht schenkte dem niedergelassenen, in einem soliden Arbeitsverhältnis stehenden 32-jährigen Ehemann und Vater mehr Glauben als einer jungen ledigen Mutter mit zwei »unehelichen« Kindern, die in Basel keine feste Arbeit hatte, lediglich Aufenthaltsstatus besaß und mit zwei verschiedenen Männern »fleischlichen Umgang gepflogen« hatte. Die Asymmetrie ihrer »Bekanntschaft« wirkte sich also auch vor Gericht zuungunsten von Flum aus. Dieses wies ihre Vaterschaftsklage ab, verurteilte sie zudem zu zwei Tagen Gefängnis und zur Zahlung der Gerichtskosten. Im November 1871 trat sie die Strafe an und am 15. Dezember kam ihr Kind im Basler Spital zur Welt. Beziehungen zu einem verheirateten Mann zählten unzweifelhaft zu den untypischen, asymmetrischen Konstellationen. Nicht immer verliefen die »Bekanntschaften« jedoch so wie im gerade beschriebenen Fall. Caroline/Karolina Herbster54 kam aus dem Markgräflerland, aus Hügelheim, wo ihr Vater Friedrich Herbster als »Bannwarth« den Lebensunterhalt der Familie bestritt.55 Sie selbst ging als junge Frau zu Beginn der 1860er-Jahre erstmals nach Basel und gehörte dort zu denjenigen Badenerinnen, die zwischen den Beschäftigungsfeldern wechselten, zum Teil als Fabrikarbeiterin, zum Teil als Magd Arbeit fanden. Im Frühjahr 1862 diente Herbster bei Herrn Steinmann in der Spalenvorstadt als Magd, trat jedoch nach drei Wochen im Streit aus, da dieser sie, so ihre Aussage vor dem Dienstbotenrichter, »Ver53 Weber: Recht, S.178. Zum Eid als Beweismittel im Schweizer Recht vgl. ausführlich ebd., S.178-190. 54 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.489; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 89; Spitalarchiv, V 40, 1874, Nr.281; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.434 und 499; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.142f., 146 und 211; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.84-88 und 184. 55 Die Familie war schon lange in Hügelheim ansässig, und 1820 sind im »Verzeichnis der Hausbesitzer nach der Ordnung der Gaßen« mehrere männliche Familienmitglieder eingezeichnet, u.a. Fritz Herbster. Möglicherweise ist damit Caroline/Karolina Herbsters Vater Friedrich gemeint, vgl. Küchlin: Chronik, S.189 und 200-202.

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läumderin« genannt habe.56 Acht Jahre später findet sich in den Basler Quellen ein weiterer Eintrag zu ihrer Person. Aus dem Taufbuch des städtischen Spitals geht hervor, dass sie dort, inzwischen in Basel als Köchin beschäftigt, am 4. Oktober 1870 ein »uneheliches« Kind zur Welt brachte. Es handelte sich um ihr erste Niederkunft, doch starb ihre auf den Namen Elisabeth getaufte Tochter bereits am 19. Oktober »an Schwäche«. Die Vaterschaft blieb im Dunkeln. Einen Namen gab Herbster nicht an und als Paten benannte sie mit August und Pauline Herbster Angehörige der eigenen Familie. Die Spitaldirektion zeigte die »uneheliche« Geburt weisungsgemäß an, sodass Herbster am Tag ihrer Entlassung aus dem Spital und fünf Tage nach dem Tod des Kindes vor das Ehegericht treten musste.57 Herbster gab dort an, sie sei von Fritz Breier schwanger gewesen, einem in Constanz lebenden badischen Frisör, der sie »von dort aus mehrmals besucht hat u. mit dem ich öfters spazieren gegangen bin«. Das Gericht glaubte ihr nicht. Denn es lagen von ihr geschriebene Briefe vom Frühjahr 1870 vor, adressiert an Johann Fischer von Tennwil im Kanton Aargau, ein Briefträger, verheiratet und Vater eines Sohnes. Aus den Briefen, die Fischers Ehefrau eingereicht hatte, schloss das Ehegericht, dass Herbster, die im Mai 1870 in Tennwil in Stellung gewesen war, und Fischer eine »Bekanntschaft« hatten. Zudem war bekannt, dass die Tennwiler Polizei beiden Anfang Juni eine »Ermahnung« hatte zugehen lassen, jene zu beenden. Mit diesem Sachverhalt konfrontiert, versuchte Herbster gleichwohl, dem Ehegericht ihre Version des Geschehens plausibel zu machen. Der benannte Fritz Breier sei Soldat und habe ihr die Ehe versprochen, dann aber »in den Krieg müßen«. Die Briefe an Fischer habe sie zwar geschrieben, doch sei von ihm die Annäherung ausgegangen (er habe mit ihr »anbinden wollen«). Sie sei nicht darauf eingegangen, da »ich wußte, daß er verheirathet sei«, es sei nicht zu einer »Bekanntschaft« gekommen (»ich habe aber gewiß auf andre Art nicht mit ihm zu thun gehabt«). Vielmehr habe sie, um seinen Annäherungen zu entgehen, die Stelle gewechselt (»wegen ihm habe ich den frühern Platz verlassen«), Tennwil verlassen und jeglichen Kontakt abgebrochen (»ich habe seither kein Wort mit ihm geredet«). So nutzte Herbster in ihrer Verteidigung bewusst oder unbewusst ein Klischee über nichteheliche Verbindungen, das in der Ob56 Protokoll, 22.4.1862, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 5, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.489. 57 Zum Folgenden vgl. Protokoll, 24.10.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.142f. Die folgenden Zitate ebd.

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rigkeit vorherrschte (der Soldat als Vater eines »unehelichen« Kindes), betonte die Rechtmäßigkeit ihres Handelns (Breiers Eheversprechen als Voraussetzung für den »Umgang« miteinander), dass allein höhere Gewalt (der »Krieg«) die Hochzeit verhindert habe, zudem, die Typologie der Geschlechtscharaktere nutzend, dass nicht von ihr die Annäherung zu Fischer ausgegangen sei, sondern dieser sie bedrängt habe, und nicht zuletzt, dass die Konstellation zwischen dem verheirateten Fischer und ihr derart asymmetrisch sei, dass eine »Bekanntschaft« gar nicht infrage kommen könne. Das Gericht ließ sich jedoch nicht überzeugen und verurteilte sie zu drei Tagen Gefängnis und zur Übernahme der Gerichtskosten.58 Die Miniatur lässt sich fortschreiben. Anders als Schmitt-Juen hielt Fischer nicht an seiner Ehe fest, sondern an der Verbindung zu Herbster. Dies geht aus der Scheidungsklage hervor, die Fischers Ehefrau im Februar 1872 einreichte.59 Fischer und Herbster hatten, so wurde offenbar, seit Winter 1870 ihre »Bekanntschaft« fortgeführt, Fischer war Herbster sogar zu ihren Arbeitsstellen nach Hügelheim, Mülhausen und Basel gefolgt. Dort lebten sie seit Dezember zusammen (in »wilder Ehe«) und hatten zudem ein weiteres gemeinsames Kind. Fischer versuchte, den Lebensunterhalt der kleinen Familie durch Austragen des »Basler Volksfreundes» zu bestreiten. Dies reichte nicht zum Überleben, sodass Fischer und Herbster in ihrer Unterkunft einem Nebenerwerb nachgehen mussten, sie »rupft[en]« dort Seide. Das Geld reichte gleichwohl nur zur Anmietung eines einzigen Zimmers, das sie zudem mit den beiden Kinder der Vermieterin teilen mussten. Weder die Kostgeberin noch die Nachbarschaft an der Hammerstraße meldeten die »wilde« Ehe, weil, so nahm Fischer sie in Schutz, »die Leute meinten, ich sei geschied(en) u. laßen es gehen«. Erst die Scheidungsklage beendete das Zusammenleben. Am 8. Februar 1872 verhaftete ein Landjäger Herbster, und zehn Tage später verurteilte das Ehegericht sie »zu zweijähriger Verweisung aus der Schweiz« und zu sechs Wochen, Fischer zu acht Wochen Freiheitsstrafe. Beide traten ihre Strafe Anfang Mai an. Aus den Quellen ist weder ersichtlich, ob sie ihre nichteheliche Verbindung nach Verbüßung der Haft wiederaufnahmen,60 noch wo und wie ihr (zweites) 58 Herbster versuchte zwar, sich zu entziehen, und verschwand aus Basel, wurde jedoch schnell wieder aufgegriffen und im November 1870 ins Gefängnis gebracht, vgl. Protokoll, 7.11.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.146, und Protokoll, 12.12.1870, ebd., Bl.211. 59 Zum Folgenden vgl. Protokoll, 19.2.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.84-88 (die folgenden Zitate ebd), 94 und 184. 60 Eine obrigkeitlich »legitimierte« Verbindung wäre, wie in Kap. 4 ausgeführt,

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gemeinsames Kind aufwuchs, ob es überhaupt überlebte. Rekonstruieren aber lässt sich, dass sich Caroline/Karolina Herbster spätestens im Dezember 1874 wieder in Basel aufhielt. Dieses Mal arbeitete sie in einer Fabrik und erneut gebar sie ein »uneheliches« Kind – ob es Johann Fischer zum Vater hatte, ist aus den Quellen nicht ersichtlich.

Strategien vor Gericht Die Beispiele zeigen, dass die Aussagen der beteiligten Männer und Frauen über das Geschehen nicht von ihren Strategien vor Gericht zu trennen sind, die Strafe zu minimieren und Unterhaltszahlungen für das Kind zu erwirken bzw. zu vermeiden. Der bereits erwähnte, 1871 im Basler Grand Hotel »Drei König« als »Unter-Portier« beschäftigte Joh. Sam. Hug etwa sagte vor dem Ehegericht nicht nur aus, die neben ihm dienende »Kaffe-Köchin« Amalie Hermann habe ihn »verleitet« und sei dem Alkohol ergeben, sondern auch, sie habe sich »mit Andern eingelaßen«. Auf diese Weise versuchte er, zumindest nicht zur Unterhaltszahlung für das Kind verurteilt zu werden. Der Richter befand jedoch, es handele sich »um ein lange fortgesetztes Unzuchts Verhältniß«, bei dem zwar »die größere Schuld auf die Klägerin« falle, doch kein Grund vorliege, Hug »seiner Beitragspflicht zu entheben«. Er hatte Kindbettkosten, die Gerichtskosten und den Unterhalt für das Kind zu zahlen, mit dem sich Hermann im achten Monat schwanger befand. Wilhelm Bender/Beuker und Pauline Eckert/Ekert61 hingegen einigten sich auf einen Vergleich – zumindest zunächst. Er stammte von Diessenhofen im Kanton Thurgau, sie aus Kandern im Amt Lörrach, er arbeitete in Basel als Mechaniker, sie als Näh(t)erin. Beide traten im März 1874 vor das Ehegericht, einig sowohl im Beschluss, ihre Verbindung nicht obrigkeitlich »legitimieren« zu wollen, als auch, dass Bender/Beuker die Kindbettkosten und Alimente für ihr gemeinsames Kind übernehme. Sechs Wochen später jedoch trat Bender/Beuker erneut an das Gericht heran und bat um Revision. Als Begründung führte er an, »er habe allerlei Ungünstiges über sie [Eckert/Ekert] vernommen und wolle nicht für Andere zalen«. Nach »längerer Verhandlung u. Unterredung« gab das de jure nicht möglich gewesen, untersagte die Ehegerichtsordnung es doch Personen, die miteinander »Ehebruch« begangen hatten, zu einem späteren Zeitpunkt zu heiraten. 61 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 15, Bl.587; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 162, Bl.110f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 16.3.1874, ebd.) und 168.

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Gericht dem Antrag statt. Ähnlich argumentierte der bereits erwähnte Andreas Gschwend/Geschwind. Er gestand vor dem Ehegericht zwar ein, er habe »am Johanni Montag in Binning[en] mit ihr [Louise Lang] Umgang gehabt«, später auch »unterm Nußbaum«, fügte aber sogleich hinzu: »Andere auch, ich will nicht für Andere einstehen […]. Sie ist ein Mait[li] das mit Jedem Umgang hat«. Die Aussage entpuppte sich im Laufe der Verhandlung als reine Unterstellung. Das Ehegericht bezog sie allerdings bei der Urteilfindung insofern mit ein, als es folgerte, Lang könne zwar der »Verkehr mit Andern« nicht nachgewiesen werden, sie führe aber »ein leichtfertiges Leben«. Doch wie Hug musste auch Gschwend/Geschwind die Kindbettkosten, die Gerichtsgebühr und Alimente zahlen, und beide erhielten eine 24-stündige Gefängnisstrafe. August Rebischung, ein Mechaniker von St. Amarin im Elsass, hingegen stellte keine pauschalen Behauptungen auf, sondern schilderte eine konkrete Beobachtung. Vor dem Ehegericht ging es Anfang des Jahres 1871 darum, die Vaterschaft des Kindes zu klären, mit dem die in Rickenbach im Bezirk Säckingen aufgewachsene Magdalena Ebner62 schwanger ging. Sie arbeitete seit Herbst 1867 als Näh(t)erin in Basel und begann dort eine, aus ihrer Sicht durch Eheversprechen und eine Uhr als Pfand abgesicherte, »Bekanntschaft« mit Sebastian Würgler von Schmiedrued im Kanton Aargau. Auch die Nachbarschaft wusste von dieser. So berichtete Ebners Wirtin Thedora Stacher, sie habe Ebner ein Zimmer vermietet, in dem jene zum Teil arbeitete, zum Teil nähte sie »auch in Kundenhäusern«. Zudem: »[D]er Sebastian war ihr Liebster, sie hat es mir selbst gesagt, […] der Sebastian kam zu weilen zu ihr ins Zimmer; was sie gemacht haben, weiß ich nicht.« Die »Bekanntschaft« bestand fort, auch als Ebner die Unterkunft wechselte und zu Frau Gschwend nach Kleinbasel zog. Doch im Sommer 1870 sei es, so berichtete Ebner dem Gericht, zum Streit gekommen, sodass sie die »Bekanntschaft« beendet habe. Kurze Zeit knüpfte sie eine neue, und zwar zu August Rebischung. Im Herbst wurde Ebner schwanger und geriet zudem zusammen mit Sebastian Würgler wegen Münzfälschung in Haft. Aus dem Lohnhof heraus zeigt sie im Januar 1871 dem Ehegericht an, sie sei von Rebischung nichtehelich schwanger. So kam es zur Verhandlung. Der einbestellte Rebischung bestritt den »Umgang« nicht, wohl aber, dass er damit eine nichteheliche Familiengründung einleiten wollte. Nicht er sei der Vater des Kindes, sondern 62 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.443; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.303-305. Die folgenden Zitate: Protokoll, 30.2.1871, ebd.

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Würgler. Er habe Ebner eher zufällig kennengelernt (»Ich kann nicht viel sagen, ich habe sie Nachts ½ 11 U. angetroffen u. ihr helfen ihre Ceinture suchen und bin dann mit ihr heimgegang[en].«) und ihr die Ehe nicht versprochen, zumal sie schon in einer »Bekanntschaft« lebte (»der Andere war immer bei ihr«). Im Grunde hätten sie eine geschäftliche Beziehung unterhalten: »ich habe auch bei ihr nähen lassen [...]; ich habe ihr immer bezahlt, was sie verlangt hat, z.B. einmal fr. 2.77. sie hat es mit dem Nähen zusammengerechnet.« Ebner bestritt, als Prostituierte zu arbeiten: »er hat mich für das nicht bezahlt, sondern für Arbeit«. Der Prostitutionsvorwurf fiel im Verfahren eher am Rande, der Richter griff ihn nicht auf, befragte dazu weder die drei Beteiligten noch andere Zeugen. Auch im Urteil fand er keinen Niederschlag. Dieses zeigt jedoch, dass das Gericht letztendlich nicht zu entscheiden vermochte, wer der Vater des im April 1871 geborenen Knaben war. Es sah zwar als erwiesen an, dass Ebner »zur Zeit der Schwängerung ihr früheres Liebesverhältniß mit Seb. Würgler fortgesetzt hat«, ging aber davon aus, »sie habe sich gleich zeitig zweien hingegeben«. Daher wies man ihre Vaterschaftsklage gegen Rebischung ab, bestrafte ihn aber wegen »Unzucht«. Die Unsicherheit, die Vaterschaft bestimmen zu können, kam im letzten Satz des Urteils zum Ausdruck, in dem es um die Gerichtsgebühren ging: »Die Kost[en] werden solidarisch von R.u. W. getragen«. In den folgenden Beispielen stand der Prostitutionsvorwurf im Zentrum der Verteidigungsstrategie. Die oben erwähnte Maria/Marie Kaiser aus Bernau etwa, die mit Droschkenkutscher Hermann Blum »das zweitemal in der Droschke […] zu thun« hatte, führte vor Gericht weiter aus, dass sie ihm das dritte Mal »entlaufen« sei. So stand im Raum, dass Blum Kaiser vergewaltigt hatte. Zumindest der Richter verstand dies so und fragte, ob »er Sie mit Gewalt gebraucht« habe. Sie gab darauf – zumindest laut Protokoll – keine direkte Antwort. Blum bestritt den »Umgang« nicht (»Am OsterMontag und am Sonntag darauf […] habe ich sie gebraucht, das erste mal in Kl[ein]Hün[ingen] das zweitemal in der Droschke.«), setzte aber dem Vergewaltigungsverdacht die Behauptung entgegen, Kaiser sei »eine Hure«. Er habe sie an Ostern »Nachts 10 Uhr mit einer Kamerädin als Huren auf der Allee getroffen, sie sind mit uns zu [der Wirtschaft] Held gegangen, wo ich Wein bezahlt habe. […]. Sie ist auch sonst im Neubad und an andern Orten am Tanz herumgefahren.« Auch andere Kutscher hätten sie »herumziehen sehen und selbst herumgerißen«. Das Gericht lud Zeugen vor, um den Sachverhalt zu klären. Blums Kollegen berichteten, Kaiser sei »auch in Groß Hüning[en] [gewesen], man hat sie auf allen

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böden gesehen«, in Hünningen sei sie auch »mit preuß. Soldaten […] gewesen u. habe sich herumreißen lassen«. Aus naheliegenden Gründen schilderte keiner, ebenfalls mit Kaiser »Umgang« gehabt zu haben. Für Maria/Marie Kaiser sagten eine Arbeitskollegin sowie einige Kostgeberinnen aus, bei denen sie bis August 1871 gewohnt hatte; die letzte Kostgeberin hatte ihr wegen der Schwangerschaft aufgekündigt. Alle Frauen bezeugten, sie hätten nichts Unrechtes bemerkt. Dies mag freilich auch dem eigenen Schutz gedient haben, hätten sie doch »Unzucht« bzw. »Hurerei« und die »uneheliche« Schwangerschaft zur Anzeige bringen müssen. Maria/Marie Kaiser selbst kam während der Gerichtsverhandlung – zumindest laut Protokoll – nicht mehr auf den Verdacht der Vergewaltigung zurück. Als der Richter sie explizit danach fragte, antwortete sie nur, sie »könne einen Eid darauf thun, daß ich nur mit ihm [Blum] u. mit keinem Andern Umgang gehabt habe«. Blums Glaubwürdigkeit verlor im Laufe der Verhandlung insofern an Substanz, als sich herausstellte, dass er bereits zwei Jahre zuvor vor dem Ehegericht wegen »Unzucht« verurteilt worden war und aktuell in »wilder« Ehe lebte. So befand das Gericht »nach Zeugenaussagen u. Erkundigung[en]« letztendlich, dass ein »sehr leichtfertiges Verhältniß zwischen den Parteien« vorliege. Auch wenn die Klägerin »keinen guten Ruf genießt«, könne ihr jedoch der »gleichzeitige Umgang mit Andern oder die Eigenschaft einer öffent[lichen] Dirne« nicht nachgewiesen werden. Blum musste daher Kindbettkosten, Alimente und die Gerichtskosten zahlen. Beide wurden zudem mit vier Tagen Gefängnis bestraft. Anfang November ging Kaiser ins städtische Spital, um ihr Kind zur Welt zu bringen – auf die Ereignisse bei der Geburt wird noch einmal zurückzukommen sein.63 Ganz ähnlich reagierte der Schreiner Fridolin Blessing vor dem Ehegericht auf die Aussagen von Maria Gallmann.64 Sie war 1840 in Altenschwand (Amt Säckingen) zur Welt gekommen, er im selben Jahr in Langenbach (Amt Villingen). Gallmann hatte 1867 »daheim« im Hotzenwald ein nichteheliches Kind geboren, das dort aufwuchs, während sie selbst in Basel Geld verdiente. Auch sie wechselte die Beschäftigungsfelder, verdingte sich zum Teil als Magd,65 zum Teil 63 Vgl. Kap. 6. 64 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.431; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.528; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.382-384 (die folgenden Zitate: Protokoll, 11.11.1872, ebd.) und 405. 65 Am 29.9.1869 klagte sie vor dem Dienstbotenrichter gegen ihren Dienstherrn, den Feilenhauer Fritschi-Wäffler. Dieser verweigerte nach der

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als Fabrikarbeiterin. Im Herbst 1872 zeigte Gallmann dem Ehegericht an, sie sei zum zweiten Mal außerehelich schwanger, und zwar von Blessing. Ihre Annäherung beschrieb sie folgendermaßen: »seit 16 W. bin ich von ihm schwanger, 5 od. 6 Wochen vorher habe ich seine Bekanntschaft gemacht; er hat mich auf der Straße angeredet, wir haben mit einander eine Flasche getrunken und sind dann zu mir in meine Wohnung, wo er Umgang mit mir gehabt hat; so oft er gekommen ist, hat er das verlangt 4 od. 5 mal, er hat mich nie bezahlt; jetzt kommt er nicht mehr; ich habe ihm die Schwangerschaft angezeigt, seitdem ich es gewiß wußte.« Blessing, von dem das Ehegericht wusste, dass er sich einige Jahre zuvor einer Vaterschaftsklage entzogen hatte, indem er Basel Richtung Baden verließ, bestritt nicht den außerehelichen »Umgang« mit Gallmann und anderen Frauen, auch nicht, möglicherweise der Vater des Kindes zu sein, konterte aber mit zwei Argumenten. Er behauptete, in einer Partnerschaft zu leben (»ich habe eine rechte Bekanntschaft und brauche sie [Gallmann] nicht«), suggerierte zudem, Gallmann sei liederlich, im Grunde eine Prostituierte. Von der »Gaße weg hat sie mich angeredet, ich habe eine Flasche bezahlt u. bin mit ihr heim, dann bin ich noch zweimal zu ihr gegangen. Wenn die von mir schwanger ist so könnten noch viele kommen und sagen, sie seien schwanger […]; ich habe ihr auch einmal ½ fr bezahlt, weil ich keinen ganzen hatte; dann habe ich auch Wein und Wurst bezahlt; […] ich bin kein Lumpenkerl; was sie mit Andern gehabt hat, weiß ich nicht, einmal ist ein junger Kerl gekommen und ich habe gehört, wie sie ihm 2f. gefordert hat.« Gallmann wies den Prostitutionsvorwurf zurück: »Er hat mich angeredet, und mir nichts bezahlt; 4-5 mal haben wir Umgang gehabt, sonst mit keinem«. Das Gericht glaubte ihr letztendlich: Es könne ihr »weder gewerbsmäßige Liederlichkeit noch auch gleichzeitigen Verkehr mit Andern« nachgewiesen werden. Daher hielt man Blessing für den Vater und verurteilte ihn zur Zahlung der Kindbettkosten und der Alimente. Da das Verhältnis aber nicht nur von ihm aus, sondern auch von Gallmann aus »nur auf Unzucht gerichtet« gewesen sei, erhielten beide eine Gefängnisstrafe von zwei Tagen, auch die Gerichtskosten mussten sie sich teilen. Kurz nachdem Maria Gallmann ihre Gefängnisstrafe verbüßt hatte, brachte sie kündigung des Dienstes die Herausgabe ihres Koffers, da sie gestohlen habe. Der Beklagte erschien nicht vor Gericht und wurde in Abwesenheit zur »Herausgabe des Koffers und zu den Kosten verfällt«. Es bleibe ihm freilich »unbenommen wegen angeblichen Diebstahls Klage bei der Polizei zu führen«, Protokoll, 29.9.1869, StABS, ÄNA Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.431.

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in ihrer Unterkunft im Rippoldshof ein Mädchen zur Welt. Die zur Geburt hinzugerufene Hebamme Schnäbelin meldete dem städtischen Geburtsregister, das Kind habe eine halbe Stunde gelebt. Während die meisten hier zitierten Badenerinnen gegenüber dem Prostitutionsvorwurf ihre Anständigkeit herausstellten, verfolgte die bereits erwähnte Maria Mehlin aus Kandern, die sich in Basel »bessern Verdienst« erhoffte,66 eine etwas andere Strategie. 1846 geboren, ging Mehlin Mitte der 1860er-Jahre als Magd nach Basel. Im Herbst 1866 begann sie dort eine »Bekanntschaft« mit dem fünf Jahre älteren Rudolf Toggwiler von Bonstetten im Kanton Zürich, der in Basel als Schreiner arbeitete. Die Beziehung hielt gut zwei Jahre, endete aber mit Mehlins Schwangerschaft. Einige Wochen vor der Geburt kündigte sie ihren Dienst bei Bäcker Hoch auf und ging zurück nach Kandern, wo am 9. März 1869 im Haus ihrer Mutter Tochter Elise/Elisabeth zur Welt kam. Sechs Wochen später kehrte Mehlin nach Basel zurück und erhob vor dem Ehegericht Vaterschaftsklage gegen Toggwiler. Die Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung versuchte sie mit mehreren Argumenten zu belegen: etwa mit der langen Dauer der »Bekanntschaft«, zudem habe Toggwiler »ihr wiederhohlt von Heirath gesprochen, sie auch noch [vor der Geburt] daheim besucht«. Als sie ihm von der Schwangerschaft erzählte, habe er beteuert, »wir werden das Kind schon durchbringen, er lasse sie nicht im Stich, wolle mit ihr nach Amerika gehen«. All dies könne sie beweisen (»Sie habe viel Briefe von ihm und seine Photographie«). Toggwiler leugnete weder »Umgang« noch die Heiratsabsicht noch die Briefe. Er habe geglaubt und gehofft, »daß sie [Mehlin] mir treu sei« – allein dann habe er »von der Nebenmagd erfahren, daß sie mit ihrem Dienstherrn Bäcker Hoch u. mit dessen Kostgängern sich eingelassen habe […]; ich wollte sie heirathen, aber als ich hörte, dass ihr Dienstherr sie herumgerißen u. Umgang mit ihr gehabt habe, habe ich abgebrochen«. Wie andere Badenerinnen, denen man vorwarf, »liederlich« zu sein, bestritt auch Mehlin, mit mehreren Männern »Umgang« gehabt zu haben. Darüber hinaus aber nutzte sie selbst die gleiche Strategie, die Toggwiler verfolgte: Als sie nach der Geburt nach Basel zurückkehrte, habe sie, so Mehlin vor Gericht, erfahren, »dass er [Toggwiler] eine andere geschwängert habe u. mit einer dritten verlobt sei«. Sie habe die »Person« sogar im Spital getroffen, wo sie den kranken Toggwiler besuchte. Der »Umgang« Toggwilers mit mehreren Frauen sei der Grund, weshalb 66 Vgl. Kap. 3. Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv; Ehegericht, U 159, Bl.266-268. Die folgenden Zitate: Protokoll, 21.4.1869, ebd.

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er ihr jetzt »nichts geben« wolle, weshalb sie nun »müße klagen«. Mehlins Versuch, Toggwiler »Liederlichkeit« nachzuweisen, lief jedoch ins Leere. Das Gericht ging darauf nicht ein, wies vielmehr ihre Vaterschaftsklage ab, da sie ihre außereheliche Schwangerschaft nicht angezeigt hatte, sondern erst die Niederkunft. Sie musste zudem acht Franken Buße zahlen, er die ehegerichtlichen Kosten und zudem eine achttägige Gefängnisstrafe absitzen. Die Quellen erlauben auch in diesem Fall, die Geschichte weiterzuschreiben. Zweieinhalb Jahre später stand Mehlin erneut vor dem Ehegericht,67 wieder hatte sie kurz zuvor ein nichteheliches Kind, Sohn Karl, zur Welt gebracht, dieses Mal aber nicht in Kandern, sondern im Basler Spital. Ganz nach den behördlichen Vorgaben meldete die Spitaldirektion die »uneheliche« Geburt, und die Polizei verwies Mutter und Sohn aus der Stadt. Mehlin aber kehrte zurück. Als sie bei ihrer Rückkehr um Aufenthalt nachsuchte, hätte sie de jure »fern gehalten« werden müssen, doch stattdessen schickte man sie direkt vor das Ehegericht. Im Protokoll wurde der Grund für dieses Vorgehen klar benannt: »weil es einfacher sei, sie wegen zweiter Schwangerschaft zu bestrafen und sie dann in gewohnter Weise für einige Zeit wegzuweisen«. Dies geschah auch.68 Aus dem Ehegerichtsprotokoll ist zudem zu erfahren, wie sich Mehlin seit dem Frühjahr 1869 durchgeschlagen hatte. Sie hatte seither, zum Teil in Basel, zum Teil in Binningen, verschiedene Beschäftigungen ausgeübt, etwa als Fabrikarbeiterin oder als Magd »in der Bad. Anstalt« oder bei Seidenfärber Häring, nicht zuletzt um ihre Tochter Elise/Elisabeth zu »erhalten«. Diese wuchs nicht bei ihr auf, sondern zunächst in Baden (bei ihrer Mutter in Kandern?), dann in einer Schweizer Pflegestelle (sie habe das Kind »erst im Badischen gehabt, jetzt aber nach Allschwil gebracht«). Von Toggwiler jedenfalls habe »sie nichts erhalten«. Offenbar bestand im Winter 1870/71 keine »Bekanntschaft« mehr zu ihm. Als Vater ihres Sohnes Karl benannte Mehlin jedenfalls einen »Ludwig Kiefer von Aarau 24 J.a. der jetzt in Berlin sei; sie habe ihn hier kennen gelernt, wisse aber nichts von ihm«. Die »Bekanntschaft« schien also weniger Substanz gehabt zu haben als die zu Toggwiler. Noch weniger ist über den Vater von Mehlins drittem Kind bekannt, das sie im Januar 1875 in ihrer Unterkunft in der Basler Riehentorstraße zur Welt brachte. Der Meldung der Geburt durch Hebamme 67 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv; Ehegericht, U 160, Bl.755f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 18.12.1871, ebd. 68 Mehlin wurde »wegen Wiederhohlung zu einjähriger Wegweisung und zu den eheg[erichtlichen] Kosten verfällt«.

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Völlmy ist zu entnehmen, dass Mehlin keinen Vater benannte und zudem, dass sie selbst Tochter einer ledigen Mutter war.69 Maria Mehlin führte also, wie andere hier betrachtete Badenerinnen, in Basel die Tradition der Nichtehelichkeit fort, in der sie selbst aufgewachsen war.

Heiratsabsichten? Einige Paare sprachen vor dem Ehegericht explizit aus, dass ihre »Bekanntschaft« nicht in eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe münden sollte. Dabei ist nicht ersichtlich, ob sie gleichwohl planten, auch ohne Zustimmung der Obrigkeit verbunden zu bleiben, gar zusammenzuleben. Elisabeth Spani/Spahri70 etwa kam aus Herten im Bezirk Lörrach und aus einer Familie von »Korbflechtersleute[n]«, die Nichtehelichkeit lebte. So blieb ihre Mutter bis an ihr Lebensende ledig, und auch Spani/Spahri selbst brachte sieben Kinder zur Welt, die die Kirche und staatliche Behörden als »illegitim« klassifizierten. Im Herbst 1873 ging die 38-Jährige, die ihre ersten fünf Kinder zu Hause zur Welt gebracht hatte, erstmals zu einer Niederkunft in ein Spital. Sie arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Fabrikarbeiterin in Basel, wohnte in der Riehentorstraße, hatte zumindest eines ihrer Kinder bei einer Witwe Huber in Riehen untergebracht und eine neue »Bekanntschaft« angeknüpft, und zwar zu dem 50-jährigen Hafner Ulrich Roppel von Benken im Kanton Baselland. Beide traten im Sommer 1873 vor das Ehegericht, vor dem Roppel »Bekanntschaft u. Vaterschaft« anerkannte und zusagte, Kindbettkosten und Alimente zu zahlen. Beide erklärten zudem übereinstimmend, »von Heirathen sei einstweilen zwischen ihnen noch keine Rede gewesen«. Ob Spani/Spahri und Roppel sich nach dem Gerichtsverfahren trennten oder ob sie ihre nichtobrigkeitlich »legitimierte« Verbindung fortführten, ist aus den Quellen nicht zu erkennen. Als Spani/Spahri zwei Jahre später erneut das Basler Spital aufsuchte, übernahm weder Roppel noch sonst jemand die Kindbettkosten.71

69 Ihre Mutter Sophia Mehlin ging später eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe ein, und ihr Ehemann adoptierte Maria Mehlin. 70 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Niederlassung H6a; Sammlung Pavic: 203/1873 und 172/1875; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 172 und X 28/6, Fol. 203; Spitalarchiv, V 40, 1875, Nr.172; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.556; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.592. Die folgenden Zitate: Protokoll, 21.7.1873, ebd. 71 Es wird darauf zurückzukommen sein, wieso das Spital Spani/Spahri – sowie

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Ähnlich einvernehmlich verlief auch der im Sommer 1870 vor dem Ehegericht verhandelte Fall von Wilhelmine Würtemberger72 und Hermann Eitel. Die 18-Jährige aus Bechtersbohl (Bezirk Waldshut) verdingte sich in Basel als Fabrikarbeiterin, der 25-Jährige, der aus dem württembergischen Esslingen stammte, als Metzger. Beide erschienen vor dem Eherichter, und Würtemberger schilderte, wie ihre »Bekanntschaft« begann und verlief: »Seit 14 Tagen vor Fastnacht kenne ich ihn und bin seit Ostern von ihm schwanger, die Ehe hat er mir nicht versprochen.« Eitel erkannte die Vaterschaft an und bestätigte ebenfalls, dass ihre »Bekanntschaft« nicht auf »Legitimierung« zielte (»heirathen wolle er sie nicht«). Er versprach aber, die Kindbettkosten und ein wöchentliches Kostgeld für das Kind zu bezahlen, bis jenes 16 Jahre alt war.73 Den zweiten Teil seines Versprechens musste er nicht einlösen, da das Kind die Geburt nicht überlebte. Nicht bekannt ist, ob die Eltern ihre Verbindung aufrechterhielten.74 In anderen Fällen waren es nicht die beiden Partner, sondern nur die Frauen, die vor Gericht explizit betonten, nicht heiraten zu wollen. Gelegentlich nannten sie einen Grund, gelegentlich blieb die Motivation unklar. Maria König75 aus Hänner im Bezirk Säckingen

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auch zahlreiche andere Badenerinnen, die keine »Hinterlage von Fr.[anken] 40« entrichten konnten – gleichwohl aufnahm, vgl. Kap. 5.c. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.47f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 11.7.1870, ebd.) und 49. Eitel wurde zudem zu zwölf Franken Buße und zur Übernahme der Gerichtskosten, Würtemberger zu zwei Tagen Gefängnis verurteilt, die sie am 11. Juli antrat. Die Niederkunft fand am 28.12.1870 im Spital statt. Auf einen Vergleich in gleicher Höhe einigten sich auch die 26-jährige Rosa Saumer (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.556; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.591.; die folgenden Zitate: Protokoll, 21.7.1873, ebd.), die aus Herdern bei Freiburg stammte und Anfang der 1870er-Jahre in einer Basler Fabrik Arbeit und im Lohnhofgässlein Unterkunft fand, und der 25-jährige Franz Gerber, der aus Damm nahe Aschaffenburg kam und als Schlosser am Bau der »neuen Eisenbahnbrücke« mithalf. Sie traten im Sommer 1873 zusammen vor den Eherichter und berichteten von ihrer »mehrjäh[rigen]«, durch ein Eheversprechen besiegelten »Bekanntschaft«, aus der nun ein Kind erwuchs, das im Dezember 1873 im Spital zur Welt kam. Auch in diesem Fall bleibt unklar, ob die Eltern später vor den Traualtar traten, ob sie (weiterhin? künftig?) in »wilder« Ehe lebten oder ihre Verbindung nach der Geburt von Tochter Rosa Hermina lösten. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Sammlung Pavic: 85/1870 und 187/1873; Spitalarchiv, V 40, 1873, Nr.187; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sanität, Frauenspital, X 28/3,

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etwa, auch sie Tochter einer ledigen Mutter, auch sie in Basel in verschiedenen Beschäftigungsfeldern tätig und in einem der typischen Arbeiterquartiere lebend, versuchte erst gar nicht, Alimente für ihren im Dezember 1870 im Spital geborenen Sohn Otto einzuklagen. Weisungsgemäß zeigte die Spitaldirektion die »uneheliche« Geburt dem städtischen Geburtsregister an und die Polizei Maria König beim Ehegericht. Sie gab dort als Vater Joseph Vögtlin, einen Schuhmacher von Allschwil im Kanton Baselland, an. Dieser habe sich ihr gegenüber »als einen Franzosen« ausgegeben und »nichts mehr von sich […] hören lassen«. Vögtlin habe ihr die Ehe nicht versprochen und sie habe zudem gewusst, er habe »auch noch eine andere gehabt«. Von der Vaterschaftsklage sah sie deshalb ab, »weil sie gewußt habe, daß sie doch nichts bekomme, auch habe sie sich vor Strafe gefürchtet«. Die Furcht bestand zu Recht: Das Gericht bestrafte sie mit zwei Tagen Gefängnis und zur Zahlung der Gerichtskosten. Auch ihre Geschichte lässt sich ein wenig weiterschreiben. König behielt das Muster der Nichtehelichkeit bei und gebar 1873 und 1874 zwei weitere »uneheliche« Kinder in Basel. 1873, das Kind starb zwei Tage nach der Geburt, benannte König keinen Vater, 1874 einen Mann namens Karl Helstein, der tatsächlich aus Frankreich stammte. Auch ihn heiratete sie nicht. Karolina/Carolina Höferlin76 verzichtete ebenfalls auf eine Vaterschaftsklage, zeigte aber im Dezember 1872 ihre außereheliche Schwangerschaft dem Gericht an. Sie lebte zusammen mit ihren Eltern und ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Emilia/Emilie77 in der Isteinerstraße, der Vater war in Basel als Zimmermann beschäftigt, die beiden Töchter als Fabrikarbeiterinnen. Heimatberechtigung bestand für alle Familienmitglieder in Bellingen im Amtsbezirk Müllheim. In dieser Familie trat Nichtehelichkeit erstmals in Basel auf. Während die Eltern Höferlin obrigkeitlich getraut waren, brachten die beiden Töchter je ein nichteheliches Kind zur Welt, beide in der Isteinerstraße. Emilia/Emilie Höferlin benannte keinen Vater, Karolina/Carolina einen »Joh. Hofer 27 J.a. von Darmstadt, Eisenbahn-Conducteur«. Sie sei seit Ostern 1872 mit ihm »bekannt«, er sei »zuweilen mit den Zügen hiehergekommen« und habe ihr die Ehe versprochen. Doch Fol. 85 und X 28/6, Fol. 187; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.441; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.263 (die folgenden Zitate: Protokoll, 23.1.1871, ebd.) und 286. 76 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.417f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 9.12.1872, ebd. 77 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister.

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»seit 6 Wochen wiße sie nichts mehr von ihm«. So verzichtete sie auf die Einlösung des Eheversprechens und auf die Vaterschaftsklage, da er schon jetzt »den Schlechten mache«. Karolina/Caroline Vogel78 gab einen anderen Grund an, Theodor Vordenbacher, den Vater ihrer in ihrer Unterkunft in der Basler Münchensteinerstraße geborenen Tochter Paulina, nicht heiraten zu wollen. Die Aushilfsarbeiterin aus Lörrach, die dort 1861 bereit ein erstes nichteheliches Kind geboren hatte, berichtete dem Eherichter, dass Vordenbacher »dem Trunk ergeben sei, so wolle sie nichts von ihm wißen«.79 Josephine Burth80 schließlich begründete im September 1872 vor dem Ehegericht gar nicht, warum sie Lorenz Müller »nicht heirathen« wolle. Beide stammten aus dem Bezirk Lörrach, sie aus Degerfelden, er aus Herten, sie arbeitete in Basel als Wäscherin, er als Dienstknecht. Viel mehr als das gab Burth, als sie ihre nichteheliche Schwangerschaft meldete, über ihren »Bekannten« nicht an – aus welchen Gründen auch immer. Von »Lorenz Müller wiße sie nichts, er sei nicht in Herthen, sie wolle ihn nicht heirathen«.81

»Bekanntschaft« und »Umgang« – Das Sprechen über nichteheliche Sexualität vor Gericht Die angeführten Beschreibungen sind einem juristischen Kontext entnommen. Vor dem Gericht fand das Sprechen über die Annäherung der Partner und den »Beyschlaf« in nahezu stereotypen Redewendungen statt. Alle Beteiligten  – die beschuldigte(n) Person(en), Richter, Gerichtsschreiber und Zeugen – benutzten, um die Beziehung des Paares 78 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.748 (die folgenden Zitate: Protokoll, 23.5.1870, ebd.) und 761. 79 Auch sie wurde zu zwei Tagen Haft und zur Zahlung der Gerichtskosten verurteilt. 80 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Sanität, Frauenspital, X 28/11, Fol. 210; Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.522f.; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.311. Die folgenden Zitate: Protokoll, 9.9.1872, ebd. 81 Burth wurde zu einem Tag Haft und zur Bezahlung der Gerichtsgebühren verurteilt. Ihre Tochter Hermine brachte sie im Spital zur Welt, ebenso wie ihr zweite, 1878 geborene Tochter Emma. Burth gab Emma kurz nach der Geburt erst zu einem Johannes Fischer-Mehli nach Riehen, dann nach Lörrach in Pflege, während sie selbst in Basel in einer Fabrik den Lebensunterhalt für sich und ihre Töchter verdiente.

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zu benennen, die gleichen Worte: »Bekanntschaft« und »Umgang«.82 Die Formulierung »habe sie/Sie gebraucht« fand sich nur in einem Fall und verweist auf einen Gewaltkontext, der sicherlich häufiger vorkam als in den Protokollen notiert. Maria/Marie Kaiser jedenfalls deutete die Vergewaltigung an, die Droschkenkutscher Blum bestritt. Der Begriff »geschlechtlicher Verkehr«, der ebenfalls selten auftaucht, gehörte zum Repertoire der Justiz, nicht zum Wortschatz der angeklagten Männer und Frauen. Sie benutzten vielmehr die Codewörter »Bekanntschaft« und »Umgang« (»wir hatten seit April Bekanntschaft«; »wir wurden beim Tanz bekannt«; er hat »gleich Bekanntschaft angefangen, hat andauernd Umgang mit mir gehabt«; »Umgang hatte ich mit ihr an der Fassnacht«; »der Umgang hat bei ihm auf dem Posten statt gefunden«). Der Bedeutungsgehalt von »Bekanntschaft« changierte und konnte das Kennenlernen, eine punktuell gelebte Sexualität oder auch eine langfristige Verbindung bezeichnen, umfasste insofern alle potenziell möglichen, zum Teil fließend ineinander übergehenden Stadien der Paarbeziehung, die vom ersten Kontakt über die sexuelle Verbindung bis hin zur nichtehelichen Lebensform der »wilden Ehe« reichen konnten. Den Begriff »Umgang« hingegen dechiffrierten die Zeitgenossen eindeutig als Geschlechtsverkehr. Ein weiterer Leitbegriff war das Eheversprechen. Die meisten Badenerinnen bezeugten vor dem Ehegericht, die »Bekanntschaft« sei mit einem »Verspruch« einhergegangen oder zumindest erfolgt, als die Schwangerschaft eintrat. Sie wussten wohl um den juristischen Zusammenhang, dass nämlich im Basler Eherecht allein die Verlobung den rechtlichen Anspruch auf Einlösung des Eheversprechens und damit auf Alimentation des Kindes begründete, sofern keine obrigkeitlich »legitimierte« Hochzeit zustande kam.83 Diejenigen Badenerinnen, die vor Gericht gingen, um eine Vaterschaftsklage einzureichen, stellten das gegebene Eheversprechen ins Zentrum ihrer Strategie. Einige verwiesen zusätzlich auf ein Ehepfand (auf den Ring, Briefe, Photographien, den Elternbesuch), das die Verlobung untermauert habe. Nur höchst selten kam es vor, dass Frauen vor Gericht offenlegten, dass sie wussten, dass der »Bekannte« das Eheversprechen instrumentalisierte, um den »Umgang« herbeizuführen: Im Januar 1872 zeigte die

82 Die Begriffe fanden sich interessanterweise im Badischen (zu Ende des 19.  Jahrhunderts) nicht (mehr?). In der erwähnten Untersuchung über das »Badische Volksleben« wurden jedenfalls anderen Worte genannt, vgl. Meyer: Volksleben, S.163. 83 Vgl. Kap. 4.

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32-jährige Magdalena Gastiger84 dem Ehegericht ihre außereheliche Schwangerschaft an und erhob Vaterschaftsklage gegen Gustav Blum. Gastiger war Witwe und unterhielt zum Teil als Näh(t)erin, zum Teil als Fabrikarbeiterin drei Kinder.85 Blum sei, so Gastiger vor Gericht, ein 26-jähriger Wagner aus Walldorf im Amt Heidelberg, der in Kleinhünningen beschäftigt gewesen sei. Er habe ihr die Ehe versprochen, sei dann aber verschwunden. Bis hierhin schreibt das Protokoll eine typische Geschichte. Der nächste Halbsatz jedoch weicht ab. Gastiger sprach nämlich offen aus, dass sie glaubte, Blum habe sie täuschen wollen. Er habe sie »mit Heiraths Projekten angeschwindelt«.86 Ähnlich auch Karolina/Caroline Rupperts87 Aussage: Im Herbst 1872 trat die 28-Jährige, die aus Hainstadt im Amtsbezirk Buchen kam und in Basel in einer Fabrik arbeitete, wegen ihrer außerehelichen Schwangerschaft vor das Ehegericht. Das Kind stamme von dem ebenfalls 28-jährigen Schuhmacher Johann Schick, der vom Schweighof im Amt Müllheim nach Basel zugewandert war. Sie habe „¼ Ja(hr) lang Bekanntschaft mit ihm gehabt, er sei dann nach Weil gegangen, aber vor 14 Tag[en] auch von dort fortgegangen, sie wiße nichts von seinem Aufenthalt«. Sie sei die »Bekanntschaft« deshalb eingegangen, weil er »ihr die Ehe versprochen, wenn sie schwanger sei, habe ihr Vermögen vorgeschwätzt u. d[er]gl[eichen]«.88 Es kam also durchaus vor, dass 84 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.491; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U161, Bl.4f. (das folgende Zitat: Protokoll, 15.1.1872, ebd.) und 19. 85 Ihr Mann Anselm Gastiger, der aus Obermünstertal im Amt Staufen kam, wo auch sie und die gemeinsamen Kinder Heimatberechtigung erhielten, war als Eisenbahnarbeiter beschäftigt gewesen und vermutlich in diesem Zusammenhang mit der Familie nach Basel übersiedelt. Im Januar 1869 starb er. 86 Gastiger berichtete weiter, Blum »sei im August fort u. erschoßen worden«. Zunächst lag die Vermutung nahe, sie habe die Geschichte erzählt, um Blum (oder einen ganz anderen Mann?) vor Bestrafung und der Unterhaltszahlung zu bewahren. Das Gericht ließ daher Erkundigungen anstellen und fand heraus, dass Blum tatsächlich in der ersten Hälfte des Jahres 1871 in Kleinhünningen gearbeitet hatte, allerdings »ohne Schriften«, und im August fortgegangen war. Er »soll zu 6 Monat Einsperrung verurtheilt word(en) sein, weil er sich an einem Offizier vergriffen« habe. Näheres ließ sich nicht herausfinden, sodass Gastiger letztendlich keinen Unterhalt für ihren im April in ihrer Unterkunft in der Wiesenschanze geborenen Sohn Karl erhielt, der nach ihrem Geburtsnamen den Nachnamen Zimmermann trug. 87 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.526; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.350f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 21.10.1872, ebd.) und 361f. 88 Das Gericht bestrafte Ruppert mit fünf Franken Buße und zur Übernahme der Gerichtskosten, wies aber die Vaterschaftklage nicht ab und führte

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das Eheversprechen lediglich eine Lüge der Männer darstellte, um die Frauen zum »Beyschlaf« zu überreden. Einige Männer sprachen vor Gericht explizit aus, dass es ihnen allein um den »Spaß« gegangen sei. Diejenigen, die keine ernsthafte, auf eine obrigkeitliche Trauung oder eine (langfristige) nichteheliche Verbindung zielende Absicht verfolgten, bestritten im Fall der Schwangerschaft meist kurzerhand, der Vater des Kindes zu sein. Im Zentrum ihrer Verteidigungsstrategie stand fast immer die Behauptung, ihre »Bekannte« habe sich auch mit anderen Männern »eingelassen«. Einige stellten nur die Möglichkeit in den Raum (»sie konnte sich ebenso gut mit jedem Andern abgeben«), verwiesen auf Gerüchte (»er habe allerlei Ungünstiges über sie vernommen«) oder Zutragungen von Dritten (er habe »von der Nebenmagd erfahren, daß sie mit ihrem Dienstherrn […] u. mit dessen Kostgängern sich eingelassen habe«), andere stellten die Behauptung als Fakt dar (sie hat sich »mit Andern eingelaßen«; sie hat »mit Anderen zu thun gehabt«; sie ist »ein Mait[li] das mit Jedem Umgang hat«) oder verleumdeten gezielt (sie sei an anderen Orten »herumgefahren«; sie sei »von einem andern herumgeschleift« worden; auch andere hätten sie »herumgerißen«; »Grobheiten, ich würde mich schämen, mich mit so einem Thier abzugeben.«). Sie formulierten den Vorwurf also höchst unterschiedlich, eher nebensächlich und subtil oder unmittelbar und diffamierend. Immer aber beinhaltete er einen grundsätzlichen Angriff auf die weibliche Geschlechtsehre, stand doch im Raum, die Partnerin sei liederlich oder gar eine gewerbsmäßig agierende Prostituierte.89 Nicht immer ging das Kalkül auf, manchmal glaubten die Richter den Männern nicht,90 ließen vielmehr Nachforschungen anstellen, zumal die Frauen die Beschuldigung immer zurückwiesen und betonten, »Umgang« nur mit dem »Schwängerer« gehabt zu haben und dass die »Bekanntschaft« mit einem Eheversprechen besiegelt worden sei. dem weitere Ermittlungen. Diese ergaben, dass Schick in Lörrach arbeitete. Als er ein Jahr später wieder in Basel auftauchte (er wohnte in Birsfelden), wurde das Verfahren wiederaufgenommen. Schick erkannte die Vaterschaft an und sagte zu, Kindbettkosten und Unterhalt zu zahlen. Das Kind war am 13.2.1873 im Spital zur Welt gekommen. 89 Vgl. zu derartigen Strategien für den Kanton Basel im 18.  Jahrhundert Simon: Untertanenverhalten, S.106f., für das Züricher Oberland zur Mitte des 19. Jahrhunderts Joris/Witzig: Frauen, S.50f. 90 Es wäre interessant, die Ehegerichtsprotokolle einmal systematisch daraufhin durchzuschauen, in welchen Fällen die Eherichter den Männern nicht glaubten und das Urteil zugunsten der Frauen erging. Letzteres ist ja in einer tendenziell misogynen Männergesellschaft doch erstaunlich.

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Wer die Initiative zur Annäherung ergriff, auch das schilderten die Beteiligten vor Gericht häufig unterschiedlich, wobei die Frauen das Geschlechterstereotyp in den Mittelpunkt rückten, das den Männern den aktiven Part zuschrieb (er »hat mich angeredet«; »er frug mich um Bekanntschaft«; er »hat mir gar flattirt, ist zu mir ins Bett gekommen«; er habe »ihr keine Ruhe gelassen«; »er frug mich gleich um Bekanntschaft«; er »sei ihr immer nachgestrichen«). Auch die Männer knüpften an die Geschlechterklischees an, indem sie die Frauen als »Verführerin« hinstellten (sie habe ihn »verleitet«; »sie ist zu mir ins Zimmer gekommen«; sie »setzte sich mir auf den Schoß«). Auch diese Formulierungen können als Teil der Verteidigungsstrategie vor Gericht gelesen werden, den eigenen Anteil am Geschehen minimieren oder negieren zu wollen. Sie verweisen zugleich aber auch darauf, dass in der Annäherung auch erotische Anziehung, Werbung und Begehren eine Rolle spielen konnte – ganz unabhängig davon, wer von beiden den ersten Schritt wagte. Ob die Paare während des »Umgangs« versuchten, eine Schwangerschaft zu verhindern, ist aus den Quellen nicht zu ergründen. Relativ sichere Verhütungsmittel wie Kondome aus Gummi oder Pessare gab es noch nicht. Diese konnten erst seit Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt werden, zeitverzögert setzten erst dann allmählich Verkauf und Vertrieb ein.91 So standen mit dem Coitus interruptus, Kondomen aus Tierhäuten oder Ausspülungen mit Tinkturen meist zweifelhafter Herkunft und zum Teil gesundheitsgefährdender Wirkung lediglich Praktiken zur Verhütung, die eine Schwangerschaft nicht (sicher) ausschlossen.92 91 Erst an der Wende zum 20.  Jahrhundert gelang es, nahtlose Gummikondome zu fertigen, die vergleichsweise sicher waren. Zuvor waren Kondome aus Tierdärmen hergestellt worden, meist nutzte man den Blinddarm von Schafen, Ziegen oder Kälbern (zur Herstellung und Vertrieb von (Gummi-) Kondomen vgl. König: Kondom). Zudem setzten Kondome und Pessare eine gewisse Kenntnis über den eigenen Körper voraus und waren teuer, vgl. Bergmann: Frauen, S.86; Ryter: Abtreibung (1983), S.107. Interessant ist zudem, dass das Wissen um Verhütung bzw. Verhütungsmittel offenbar in den Städten und den oberen sozialen Schichten weiter verbreitet war als auf dem Land und den unteren sozialen Schichten, vgl. Orth: Besuch, S.104-110; Behren: Geschichte, S.72 und 74f. 92 Zur Geschichte der Verhütung vgl. Bergmann: Sexualität; Dienel: Kinderzahl; Jütte: Lust; König: Geburtenkontrolle; Metz-Becker: Gretchentragödien, S.186-189; Behren: Geschichte, S.72-77; Ryter: Abtreibung (1983), S.107-109. Zu Basel des 16. und 17. Jahrhunderts zudem Burghartz: Zeiten, S.245-251.

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b. Verheimlichte Schwangerschaft und Geburt, Schwangerschaftsabbruch, »Kindsaussetzung« und »Kindsmord« Verheimlichte Schwangerschaft Versuchte eine Schwangere, Schwangerschaft und Geburt geheim zu halten, so machte sie sich strafbar. Nach §105 des Basler Kriminalgesetzes galten »verheimlichte Schwangerschaft und Niederkunft« als zu bestrafendes Delikt.93 Gleichwohl schwiegen viele. Einige Frauen waren unsicher, ob sie schwanger waren, und scheuten sich daher, andere Personen einzuweihen. Die erwähnte Amalie Herrmann,94 die im Basler Grand Hotel »Drei König« »Bekanntschaft« mit Joh. Sam. Hug begonnen hatte, wechselte im Dezember 1871 die Stelle. Und »da ich noch nicht gewiß war, so habe ich ihm nichts von der Schwangerschaft gesagt«. Andere Badenerinnen sprachen deshalb nicht über ihre Schwangerschaft, weil es niemanden gab, dem sie sich hätten anvertrauen können. So etwa Magdalena Frommherz95 aus Hartschwand im Hotzenwald, die sich in Basel als Dienstmagd verdingte und 1849 nichtehelich schwanger wurde: »Ich sagte Niemand etwas [von der Schwangerschaft], ich habe ja niemand auf der Welt.«96 Nicht wenige Badenerinnen versuchten, die Schwangerschaft gänzlich geheim zu halten. So stellte die in Sulzburg (Bezirk Müllheim) heimatberechtigte, in Basel als Magd dienende Auguste/Augusta Allinger/Alinger97 ihren »Bekannten« Ferdinand Müller, einen Mechaniker von Mülhausen im Elsass, zwar ihren Eltern vor, die ihr erstes, ebenfalls nichtehelich geborenes Kind aufzogen, erzählte aber nichts von der zweiten Schwangerschaft. »[M]eine Eltern wißen um das Verlöbniß aber nichts 93 §105 Criminalgesetz legte fest, dass dies einer »korrektionellen Strafe unterworfen« war, §106 regelte das Strafmaß für die Fälle, in denen das Kind bei oder kurz nach der Geburt zu Tode kam. 94 Vgl. Kap. 5.a. Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht U 161, Bl.70f. (das folgende Zitat: Protokoll, 12.2.1872, ebd.) und 94. 95 Zu ihrer Biografie vgl. Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.254 und 264; Spitalarchiv, AA 2.3b, Sterbe- und Beerdigungsregister 1877-1899. 96 Verhör Frommherz, zit. nach: Grütter: Schwangerschaft, S.53. 97 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.43; das folgende Zitat: Protokoll, 29.1.1872, ebd. Zur Verheimlichung der Schwangerschaft allgemein vgl. auch Hammer: Kindsmord, S.149-155.

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von der Schwangerschaft, wir sind mit einander daheim gewesen«. Andere verleugneten, sofern jemand sie darauf ansprach, in anderen Umständen zu sein. Anna Maria Suter98 etwa, in Niederweiler heimatberechtigt und in Basel zeitweise als Magd, zeitweise als Fabrikarbeiterin beschäftigt, hatte im Oktober 1861 ein nichteheliches Kind geboren. Bereits im April des Folgejahres war sie erneut schwanger, was ihrem direkten Umfeld auffiel. Ihren Zustand leugnete sie »jedoch trotz vielfacher Zuredetstellung jedermann […] mit Ausnahme ihres angeblichen Schwängerers u. einer Hebamme in Lörrach von der sie sich untersuchen ließ«. Auch die aus Weil am Rhein stammende Sophie Fidel,99 die in Kleinbasel in einer St. Antonierhof genannten Unterkunft als Näh(t)erin beschäftigt und im Herbst 1849 nichtehelich schwanger geworden war, »verheimlichte« ihre Schwangerschaft »während der ganzen Zeit behaarlich« und stellte diese »selbst ihrer Mutter gegenüber in Abrede«. Sie und andere Schwangere versuchten, die äußeren Zeichen der Schwangerschaft möglichst nicht sehen zu lassen, trugen extra weite Kleidung oder schnürten, wie die bereits erwähnte, aus Wittenschwand im Amtsbezirk St. Blasien stammende Fabrikarbeiterin Veronika/Veronica Thoma, ihren Körper ein, um so »die Aufwallung des Bauches zu verbergen«.100 Doch nicht alle Personen im Umfeld ließen sich täuschen. So berichtete Posamenter Johann Heinrich Kündig im September 1856 über die in Oppenau im Amtsbezirk Oberkirch heimatberechtigte Sophie/Sophia Haberstroh,101 die er »im Juni als Magd gedungen« hatte: Diese »Person schien mir seit mehreren Wochen wohl beleibt, was mich schließen ließ, sie werde schwanger seyn; ich stellte sie mehrere Mal deßhalb zur Rede; sie läugnete aber«. Der Grund für die versuchte Geheimhaltung lag darin, dass die als Dienstmagd oder Fabrikarbeiterin beschäftigten Frauen fürchten mussten, ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Nach der Dienstbotenordnung des Jahres 1851 konnte die Herrschaft im Fall einer Schwanger  98 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 26, Bl.106-122; das folgende Zitat ebd., Bl.118.   99 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.311, 319, 324, 325-331, 349 (die folgende Zitate ebd., Bl.327) und Gerichtsarchiv, KK 1, 55. 100 Zeugenaussage, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, Bl.10. Zum Verbergen der Schwangerschaft durch die Kleidung vgl. auch Hammer: Kindsmord, S.150. 101 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.110f., und Gerichtsarchiv, HH 2, 368; die folgenden Zitate ebd., Bl.3.

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schaft die Kündigung aussprechen. Unter den Gründen, »warum eine Herrschaft ein bestehendes Dienstverhältnis aufheben kann«, stand an dritter Stelle explizit: »wenn eine dienende Weibsperson schwanger ist«.102 So stellte eine Schwangerschaft für viele ledige Frauen, und insbesondere für die ledigen Badenerinnen, die in Basel eher selten über ein lange gewachsenes, tragfähiges soziales Netz von Familie und Verwandtschaft verfügten, eine große Bürde dar. Durch die nichteheliche Schwangerschaft gerieten Arbeitsstelle und ggf. das Logis in Gefahr, sodass sich eine existenzielle Notlage abzeichnete, hingen doch die überlebenswichtigen Einkünfte vom Erhalt der Arbeitsstelle und der Arbeitskraft ab.103 Viele Schwangere fürchteten zudem, dass die zuständige Heimatgemeinde oder die Verwandten sie nicht aufnehmen würden. So beschrieb die erwähnte Magdalena Frommherz: »(Weinend) Ich wusste nicht wohin, denn wenn ich auch heimgekommen wäre, so hätte ich auch erst um ein Nachtlager herumbitten müssen, da dachte ich, ich wolle lieber bei Schwander [ihrem Dienstgeber] bleiben so lange es geht.«104 Nicht zuletzt drohten, wie ausgeführt, bei nichtehelicher Schwangerschaft die nicht unerheblichen Strafen des Ehegerichts.105 Nicht wenige der hier betrachteten Badenerinnen dürften das ungeborene Kind daher als Last empfunden haben.106 Nicht selten kam es zum Versuch, die Schwangerschaft abzubrechen.

102 Dienstboten-Ordnung, 16.4.1851, §22, 3., Kantonsblatt Basel-Stadt, Basel 1851, S.173-193, hier S.185. Die Dienstbotenordnung des Jahres 1851 war lange Zeit Gegenstand von intensiven Debatten; zahlreiche Entwürfe sind überliefert, vgl. StABS, ÄHA, Justiz, F 1, Dienstbotenwesen, Gesindeordnung (1685-1923). Am 2.12.1850 erging dann ein Gesetz, nach dem die bisher geltende Ordnung aus dem Jahre 1769 durch eine neue abgelöst wurde. 103 Ulbricht (Kindsmord, S.125) wies darauf hin, dass eine Kündigung u.U. auch eine Chance bot, wusste doch beim nächsten Dienstantritt in der fremden Umgebung niemand von der Schwangerschaft bzw. vom Gerücht um diese, auch konnte der Körperumfang nicht mit einem früheren Zustand verglichen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass es überhaupt gelang, eine neue Stelle anzutreten. Im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft war die Wahrscheinlichkeit groß, dass der avisierte neue Arbeits- oder Dienstgeber diese bemerkte und die Schwangere erst gar nicht in Dienst nahm. 104 Verhör Frommherz, zit. nach: Grütter: Schwangerschaft, S.53. 105 Vgl. Kap. 4. 106 Vgl. z.B. für Basel im späten 18. Jahrhundert ähnlich Simon: Untertanenverhalten, S.107; für Luzern im 18. und frühen 19. Jahrhundert Burri: Bevölkerung, S.97; für Österreich im 19. Jahrhundert Hammer: Kindsmord, S.140. Für den Umgang mit ungewollten Kindern in der Vormoderne vgl. zudem Harrington: Child.

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»Abtreibung« Exakte Angaben über die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im 19. Jahrhundert liegen nicht vor. Für das frühe 20. Jahrhundert gibt es Schätzungen, nach denen etwa im Deutschen Reich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg jährlich rund 100.000 oder gar 600.000 Schwangerschaftsunterbrechungen stattfanden.107 Das deutsche Strafgesetzbuch mit seinen Paragraphen 218 bis 220 drohte im Fall einer versuchten oder durchgeführten Schwangerschaftsunterbrechung hohe Strafen an, und zwar sowohl den Frauen selbst als auch ihren Helfern oder Helferinnen. Ganz ähnlich die Situation in der Schweiz: Auch dort ist von vielen Aborten auszugehen, ohne dass exakte Zahlen anzugeben wären. Wie in Deutschland handelte es sich um ein strafbares Delikt, das in Basel als »Verbrechen gegen das Leben« in die Kompetenz des Kriminalgerichts fiel, der obersten Gerichtsinstanz.108 Das Kriminalgesetz des Jahres 1821 bestrafte die »Abtreibung« mit mehrjährigen Zuchthausstrafen und das Strafgesetz vom 17. Juni 1872 hielt in seinen Paragrafen 104 und 105 fest, dass eine Schwangere, »welche durch äussere oder innere Mittel ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet«, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen sei.109 Diese Strafe drohte auch denjenigen, die anstelle der Schwangeren die Interruptio vornahmen. Es kam dabei nicht auf die Dauer der Schwangerschaft an; der Abbruch wurde vom ersten Schwangerschaftstag an bestraft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verhandelte das Baseler Strafgericht lediglich zwei bis drei »Abtreibungsfälle« pro Jahr, konnte die Handlung doch in der Regel kaum nachgewiesen werden.110 107 Zahlen nach: Bergmann: Frauen, S.89; Seidler: Jahrhundert, S.135; Behren: Geschichte, S.54. Vgl. auch Shorter: Körper, S.218-220; Hammer: Kindsmord, S.163. 108 Vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.10; zur Rechtslage in Basel im 18. Jahrhundert vgl. Simon: Untersuchungen, S.35f. Zum Strafrecht in Deutschland vgl. Stukenbrock: Zeitalter, S.94-96; Seidler: Jahrhundert, S.125-127; zur Geschichte des §218 im deutschen Recht zudem Behren: Geschichte. 109 §104, Strafgesetz für den Kanton Basel-Stadt, 17.6.1872, Gesamtausgabe der Basler Gesetzessammlung. Für 1821 vgl. die §§107-109 des Kriminalgesetzes. 110 Auf ein wegen »Abtreibung« durchgeführtes Gerichtsverfahren kämen wohl, so die Mutmaßung des Großen Rats 1919 über die Dunkelziffer, zehn oder gar 1.000 tatsächlich durchgeführte Schwangerschaftsunterbrechungen, vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.16. Ähnliche Angaben sind für Preußen und Württemberg überliefert, vgl. Seidler: Jahrhundert, S.128f.; für das Deutsche Reich (1882-1901) Behren: Geschichte, S.48-55; sowie für die Zeit der Aufklärung Stukenbrock: Zeitalter, S.97f.

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Trotz der hohen Dunkelziffer ist die Geschichte der Schwangerschaftsunterbrechungen im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts recht gut erforscht, zumindest was die Maßnahmen und Verfahren anbelangt. Mit der Studie von Annemaria Ryter über Schwangerschaftsabbrüche in Basel liegt eine profunde Untersuchung für das frühe 20. Jahrhundert vor,111 während der Forschungsstand und die Quellenlage für die Jahrzehnte zuvor dürftig sind.112 Nicht alle Ergebnisse aus Ryters Studie und anderen vorliegenden Untersuchungen lassen sich auf jenen Zeitraum übertragen, da sich vieles ab Ende des 19. Jahrhunderts veränderte. Anderes hingegen beschreibt auch die Situation der 1860er- und 1870er-Jahre zutreffend.113 Zahlreiche auf den Abbruch der Schwangerschaft zielende Methoden etwa blieben jahrhundertelang gleich. Nicht selten versuchten die Schwangeren, sich der – wie es zeitgenössisch hieß – »Leibesfrucht« selbst zu entle111 Vgl. Ryter: Abtreibung (1983; 1984); dies.: Mutter; dies.: Überlegungen; dies: Weibsbild. Ich danke Annemarie Ryter sehr herzlich für unser Gespräch am 26.7.2018 in Basel und für die Überlassung eines Exemplars ihrer Abschlussarbeit aus dem Jahre 1983. Diese erlaubt nicht nur einen Einblick in die bei den Aborten angewandten Methoden, sondern auch in die Sozialstruktur, soziale Lage und Motive der Beteiligten. Ihre Analyse umfasst 28 Frauen, die sich um die Jahrhundertwende vor dem Baseler Strafgericht in 20 Gerichtsverfahren wegen eines Aborts zu verantworten hatten (einige waren mehrfach angeklagt). Die überwiegende Mehrzahl der Angeklagten kam aus den Unterschichten: Sie fanden als Dienstmädchen (11), Fabrikarbeiterin (6) , Glätterin (4) oder Kellnerin (3) ihr Auskommen, die anderen gehörten zur unteren Mittelschicht und arbeiteten als Verkäuferin. Fast alle waren ledig und zum Zeitpunkt der Anklage zwischen 20 und 30 Jahre alt (vier unter 20, fünf über 30). Nur drei waren in Basel aufgewachsen, zwei in einer anderen Stadt, die anderen 23 auf dem Land – allein 16 Frauen stammten aus ländlichen Regionen Badens. Auch in Ryters Sample stellten die Badenerinnen also die größte Gruppe. 112 Zwischen 1845 und 1875 fanden insgesamt nur sieben Gerichtsverfahren wegen Abtreibung statt. Zahlen für 1845-1862 (3 Fälle) nach: Grütter: Schwangerschaft, S.7; für 1862-1987 (4 Fälle): eigene Auswertung der entsprechenden Protokolle des Kriminalgerichts, vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ober-Kriminalgericht: Protokolle (1798-1875), CC 25-30. Hinweise auf Abtreibungen finden sich zudem in StABS, ÄHA, Straf und Polizei, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung (1634-1942). Da in diesen Fällen kein Strafverfahren stattfand, sind jedoch keine weiteren aussagekräftigen Quellen entstanden. 113 Vgl., auch zum Folgenden, Shorter: Körper; Jütte (Hg.): Geschichte; Seidler: Jahrhundert; Stukenbrock: Zeitalter; Behren: Geschichte, S.66-71; Hammer: Kindsmord, S.163-165. Zu Praktiken und Diskursen über Verhütung und Abtreibung im Basel des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Burghartz: Zeiten, S.245-251.

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digen. Sie nahmen heiße Sitz- oder Fußbäder (manchmal mit Senfpulver angereichert), tranken verschiedene Aufgüsse, Tees oder Alkohol, schluckten Pflanzenextrakte oder Gewürze. Zum Einsatz kamen beispielsweise Fingerhut, Safran oder Absinth, ein Aufguss aus Blättern des (auch Gift-Wacholder genannten) Sadebaums, Extrakte von Petersilie, Sellerie (»Apiol«), Lilien (»Alon«) oder »Hirtentäschel«. Häufig war der Übergang zwischen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch fließend: So wurden Mutterkorn, Gartenraute und Rainfarnöl aufgekocht und sowohl für postkoitale Vaginalspülungen genutzt als auch als abtreibender Sud getrunken.114 Viele dieser Mittel wirkten, wie bereits die Zeitgenossinnen wussten, wehenerregend. Sie gehörten daher bei den professionellen Hebammen zum Repertoire, um eine Geburt einzuleiten. In den ersten Monaten der Schwangerschaft reichte die Wirkung allerdings meist nicht aus, um einen Abort herbeizuführen. So versuchten die Schwangeren anderes. Eine in Basel wegen »Abtreibung der Leibesfrucht« vor Gericht stehende Frau beschrieb, sie habe »viele körperliche Anstrengungen gemacht, habe absichtlich bei der Wäsche schwere Zuber gehoben«.115 Ein »Kindsvater« berichtete, seine »Bekannte« habe sich »bei der Arbeit überanstrengt u. es sei so zu einer Fehlgeburt gekommen«.116 Ein häufig angewandtes Verfahren bestand zudem in Einspritzungen oder Spülungen, die meist nicht die Schwangere selbst, sondern eine andere Person durchführte.117 Dies konnte eine Verwandte, Freundin oder Kollegin sein (»Eine Kollegin hat mir ein Pulver in die Gebärmutter eingeblasen.«118) oder eine gleichsam gewerblich agierende »Fremdabtreiberin«, manchmal auch ein Quacksalber oder ein Arzt.119 Als Flüssigkeiten nutzten diese Lysol, Jod, Kamillesud, verdünnten Holzessig, Karbolsäure, Sodawasser oder Seifenwasser.120 Nicht immer 114 115 116 117

Vgl. ausführlich Shorter, Körper, S.208-214; Grütter: Schwangerschaft, S.51. Zit. nach: Ryter: Abtreibung (1983), S.41. Zit. nach: Ryter: Abtreibung (1983), S.92. Zu den im Folgenden beschriebenen Techniken der »instrumentellen Abtreibung« vgl. ausführlich Shorter: Körper, S.225-237. 118 Zit. nach: Marcuse: Präventivverkehr, S.189. 119 Zur ärztlichen Sicht vgl. Seidler: Jahrhundert, S.129-132; Behren: Geschichte, S.77-85. 120 Gegen Ende des 19.  Jahrhunderts kamen Einspritzungen mithilfe von Instrumenten hinzu, wie etwa Irrigatoren oder Gummispülspritzen, »Mutterspritze« genannt. Es handelte sich dabei um ein 15 bis 20 cm langes Glasröhrchen mit einem kleinem Loch an der Spitze, das an einem Gummischlauch hing, durch den die Flüssigkeit in die Gebärmutter gepumpt wurde. Das Verfahren fand allerdings erst dann Verbreitung, als aufgrund der

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wirkten die Abortiva. Caroline Arnold121 aus Buggingen etwa brachte in Basel, dort als Dienstmagd beschäftigt, zwei nichteheliche Kinder zur Welt. Bei der dritten nichtehelichen Schwangerschaft suchte sie »Abtreibungsmittel zu erhalten«. Aus den Akten geht nicht hervor, welche sie erhielt, ob überhaupt. Sicher ist nur, dass sie mit dieser Absicht sowohl einen Arzt als auch die Basler Hebamme Schmidt-Furrer und zudem einen Kräuterhändler in Binningen konsultierte und dass sie im November 1870 eine Frühgeburt erlitt. Das vier bis sechs Monate alte Kind überlebte nicht. Auch Caroline Wunsch,122 aus Gernsbach stammend und seit Ostern 1861 in Basel in Stellung, versuchte vergeblich, ihre Schwangerschaft zu beenden, und nutzte dazu einen »Thee« oder vielleicht auch, so gab ihre Dienstherrin zu Protokoll, nicht näher definierte »bläßliche Abtreibungsmittel«.123 Andere Frauen griffen zu spitzen Gegenständen, die die Fruchtblase zerstechen sollten, zweckentfremdeten dabei Gerätschaften, die sie im Alltag zur Hand hatten, etwa Strick- und Haarnadeln, Gänsefederkiele oder Küchenutensilien: »Habe mit dem Quirl ein bißchen herumgestochert, bis Blut kam.«;124 »Ich bin mit dem Mutterrohr zu tief hineingeraten.«125 Auch sogenannte Frauenpillen kursierten, die meist Arsen, Chinin, Quecksilber oder Phosphor enthielten.126 Unter den Fabrikarbeiterinnen sprach sich zudem herum, dass bei Schwangeren, die in Fabriken mit Blei arbeiteten, häufiger Fehlgeburten auftraten. So gerieten auch Bleitabletten in das Arsenal der Abortiva. Derartige Substanzen führten freilich häufig zu Vergiftungen oder sogar zum Tod der Schwangeren. Dies traf auch auf die Ausschabung der Gebärmutter zu, an der sich vor allem Ärzte

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ten Materialien und Produktionstechniken Spritzen massenhaft hergestellt werden konnten. Bald gehörten sie zur handelsüblichen Ware in Sanitätsgeschäften. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 29, Bl.101-104 (das folgende Zitat ebd., Bl.103), und Gerichtsarchiv, HH 2, 432, Nr.351. Arnold kam aus einer Familie, die, so ergab die Rekonstruktion, für das Muster der horizontalen Häufung von Nichtehelichkeit steht, vgl. Gemeinde Buggingen (Hg.): Ortsfamilienbuch, S.3-13. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.587 und 591f.; Gerichtsarchiv, HH 2, 389. Wunsch gab zu Protokoll, einen »Thee« getrunken zu haben, die als Zeugin vernommene Dienstherrin berichtete, sie habe nach dem Austritt der Magd »bläßliche Abtreibungsmittel« gefunden, Verhör Wunsch, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.67, und Zeugenvernehmung, ebd., Bl.65a. Zit. nach: Marcuse: Präventivverkehr, S.191. Zit. nach: Marcuse: Präventivverkehr, S.191. Zu den »anorganischen Präparaten« vgl. ausführlich Shorter: Körper, S.241255.

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versuchten. Das Risiko, innere Organe zu verletzen, war sehr hoch, ebenso die Gefahr einer Infektion. Insgesamt – und unabhängig vom angewandten Verfahren – ist festzuhalten, dass viele Eingriffe tödlich verliefen.127

»Fremdabtreiberinnen« Viele Schwangere nahmen den Eingriff nicht selbst vor, sondern wandten sich an eine der in Basel gegen Entlohnung tätigen »Fremdabtreiberinnen«. Unter diesen befanden sich offenbar kaum Hebammen; dies zumindest Ryters Ergebnis für das frühe 20. Jahrhundert.128 Für die 1860er- und 1870er-Jahre ist dies schwieriger zu beurteilen. Die erwähnte Hebamme Schmidt-Furrer etwa bestritt 1870 vor Gericht vehement, Caroline Arnold abtreibende Mittel gegeben zu haben, obwohl sich diese mehrfach mit dem immer gleichen Anliegen an sie gewandt und Entlohnung angeboten habe (sie versprach »mir Geschenke, ihr bestes Kleid, ein anderes Mal ihren Regenschirm etc. […]; auch wolle sie täglich einige Vaterunser für mich beten u.s.f.«129). Sie habe jedoch nicht eingegriffen. Dies mag nicht den Tatsachen entsprochen haben, da Schmidt-Furrer wohl befürchtete, selbst angeklagt zu werden. Entgegen der behördlichen Weisung zeigte sie allerdings weder Arnolds Ansinnen noch deren nichteheliche Schwangerschaft an  – zumindest zunächst nicht. Auch bei der Auswertung der Ehegerichtsurteile gegen die hier betrachteten Badenerinnen zeigte sich, dass nur ein einziges Mal überhaupt eine Hebamme erwähnt wird. In jenem Fall wollte der Eherichter untersuchen lassen, ob es sich bei der gemeldeten Frühgeburt tatsächlich um eine solche handelte, und befragte dazu die Hebamme Kleinwitz. Diese ging von einer »Abtreibung« aus  – laut Protokoll fragte niemand, ob eine Hebamme diese herbeigeführt hatte.130 Bei den in Basel tätigen »Fremdabtreiberinnen« 127 Nach Schätzungen der 1920er-Jahre starben im Deutschen Reich jährlich 10.000 Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen oder -versuchen, vgl. Bergmann: Frauen, S.89. Auch vier der von Ryter betrachteten 28 Frauen starben an den Folgen des Eingriffs, vgl. Ryter: Abtreibung (1984), S.435. Vgl. zudem Shorter: Körper, S.221-223. 128 Vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.81. 129 Zeugenvernehmung Schmidt-Furrer, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 432, Nr.351, Bl.2. 130 Vgl. Protokoll, 9.6.1869, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.316. Vor Gericht stand Emma Berger von Gelterkinden (Kanton Baselland), die als Vater den aus Ottersweier/Amtsbezirk Bühl stammenden

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handelte es sich also vermutlich nicht um Hebammen, sondern eher um medizinisch nicht vor- oder ausgebildete Laien. Ryter konnte für das frühe 20. Jahrhundert elf ausfindig machen, alle standen in höherem Lebensalter, waren verheiratet und Basler Bürgerinnen, alle verfügten über Erfahrung mit dem Eingriff am eigenen Körper, hatten an sich selbst Einspritzungen oder Ausspülungen vorgenommen.131 Eine berichtete vor Gericht: »Ich selbst habe, nachdem ich die ersten Jahre meiner Ehe regelmässig ein Kind geboren hatte, seither immer wenn die Periode fünf statt vier Wochen ausblieb die gleiche Ausspülung mit Erfolg vorgenommen, ohne je Missbehagen zu empfinden.«132 Die letzten Worte sind wohl der Gerichtssituation geschuldet und fügten sich ein in die Strategie dieser Frau zu betonen, sie habe nicht unrecht gehandelt, weder an sich noch an den anderen. Möglicherweise entsprach die Aussage aber auch ihrem Wissen. Noch im 19. Jahrhundert war die Vorstellung verbreitet, Leben entstehe nicht bei der Zeugung, sondern erst, sobald das Kind durch Bewegungen seine Existenz ankündige.133 Vor Gericht mischte sich diese Überzeugung mit einer Verteidigungsstrategie, wussten die meisten angeklagten Frauen doch um die Strafbarkeit ihres Handelns: »Ich wußte zwar, daß Abtreiben strafbar ist, glaubte aber, daß dies nicht der Fall sei, wenn dies so früh geschehe wie das bei mir der Fall war.«;»[Wie] ich das auch schon von vielen Frauen meiner Umgebung gehört habe, [war ich] damals der Ansicht […], wenn die Periode nur einmal ausgeblieben sei, so sei es nicht strafbar, die Schwangerschaft zu unterbrechen, dies sei erst der Fall, wenn sie einmal acht Wochen alt sei.«; »Ich glaubte, es sei nur verboten, die Frucht wegzumachen, wenn sie eigene Bewegungen macht, also anfange zu leben.«134 Namen und Adresse der »Fremdabtreiberinnen« erfuhren die Schwangeren durch das in den Basler Arbeiterquartieren bestehende Kommunikationsnetz.135 Dieses bot den Rat suchenden Frauen einerseits

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Schuhmacher Carl Dürr benannte. Dieser stand im gleichen Zeitraum noch mit einer anderen Frau, Amalia Strub von Trimbach/Solothurn, vor dem Ehegericht, mit der er zwei ebenfalls nichtehelich geborene Kinder hatte. Von den elf Frauen hatten zwei eine Ausbildung als Hebamme absolviert, ohne jedoch den Beruf später auszuüben, vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.11 und 81. Zit. nach: Ryter: Abtreibung (1983), S.64. Vgl. Stukenbrock: Zeitalter, S.91, Behren: Geschichte, S.60-62; Seidler: Jahrhundert, S.121-125. Alle Zitate nach: Ryter: Abtreibung (1983), S.63. Im frühen 20.  Jahrhundert sprachen die Frauen offenbar auch über Verhütung, Schwangerschaft und auch über eine Schwangerschaftsunterbrechung,

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Hilfe und Unterstützung, andererseits bestand die Gefahr, dass die nichteheliche Schwangerschaft bzw. die Schwangerschaftsunterbrechung entdeckt wurde(n). Fand der Abbruch in der Kammer, im angemieteten Bett der Schwangeren statt, so fiel der Besuch einer im Haus oder Quartier fremden Frau auf (vielleicht war auch – zumindest gerüchtsweise – bekannt, dass es sich bei der Besucherin um eine der »Fremdabtreiberinnen« handelte), Verdacht erregten Schmerzensäußerungen oder Blut. Daher kamen, wie auch bei der Meldung einer nichtehelichen Schwangerschaft, viele Anzeigen über »Abtreibungen« aus dem unmittelbaren beruflichen oder privaten Umfeld der Schwangeren, von Arbeitskolleginnen oder aus der Nachbarschaft.136 Vor Gericht gaben die angeklagten Frauen als Grund für den Abbruch häufig die wirtschaftliche Misere an, in der sie steckten oder durch ein (weiteres) Kind geraten würden.137 So erklärte die erwähnte Sophie Fidel 1850 kurzerhand: »Ich musste eben meinem Verdienst nachgehen«.138 Vor allem denjenigen, die bereits ein nichteheliches Kind hatten (oder mehrere), schien ein weiteres nicht zu verkraften zu sein, da der eigene Verdienst nicht ausreichte, alle Kinder zu ernähren, oder die Möglichkeiten bzw. die Bereitschaft der Verwandten, noch ein weiteres durchzubringen, Grenzen hatten. Die meisten Frauen wussten wohl, dass ein Schwangerschaftsabbruch (oder das, was sie darunter vgl. ausführlich Ryter: Abtreibung (1983), S.112-119. So berichtete eine Zeugin, dass ihre vor Gericht stehende Arbeitskollegin den Abbruch angekündigt habe: »Ende Juni gestand mir die N., sie sei von H. in anderen Umständen. Sie sagte dann, nach den Ferien sei sie wieder ein anderer Kerl« (zit. nach: ebd., S.111). Eine andere Angeklagte zeigte ihrer Nachbarin nach dem Schwangerschaftsabbruch sogar den toten Embryo. Ganz offenbar kam Derartiges aber nur im Kreis der eng miteinander vertrauten Frauen vor. Andere Frauen  – oder Männer generell  – wurden nicht eingeweiht, erhielten im Zweifelsfall falsche Informationen. Eine der Angeklagten etwa schickte einen der Hausbewohner ins Sanitätsgeschäft, um ihr eine Spritze zu besorgen. Als Begründung führte sie ihm gegenüber freilich an, sie brauche sie gegen Leibschmerzen. 136 Ryter versteht die Fremdanzeigen in erster Linie als Ausdruck eines persönlichen Konflikts zwischen Nachbarinnen oder Arbeitskolleginnen, der auf diese Weise ausgetragen oder fortgesetzt wurde, und interpretiert, die Perspektive der beteiligten Frauen in den Fokus stellend, den Schwangerschaftsabbruch im Milieu der Basler Arbeiterquartiere zusammenfassend, »als nachbarschaftliche und kollegiale Hilfe in Notlagen des Alltags«, eine Hilfe, »die aber immer in irgend einer Weise der Fremdarbeiterin vergolten wurde«, Ryter: Abtreibung (1983), S.120. 137 Vgl. Grütter: Schwangerschaft, S.52-54; für das Kaiserreicht ähnlich auch Behren: Geschichte, S.59f. 138 Vernehmung Fidel, 1850, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, Bl.59.

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verstanden) unter Strafe stand, doch empfanden sie ihr Tun wohl nicht als moralisch verwerflich.139 Aus ihrer Perspektive galt die Schwangerschaftsunterbrechung nicht als Verbrechen, konnte in Zeiten der wirtschaftlichen Not sogar geboten sein. Auch ist zu vermuten, dass viele Schwangere gar nicht erst einen Abort herbeiführen mussten. Durch die hohe körperliche Belastung, gingen sie doch bis unmittelbar vor der Geburt ihren körperlich höchst anstrengenden Beschäftigungen nach, und die Versuche, die Schwangerschaft durch das Einschnüren des Körpers durch Kleidung oder ein Korsett zu verbergen, wurden viele Kinder (ob beabsichtigt oder nicht) zu früh (und damit ohne Überlebenschance) oder tot geboren. Die Übergänge zwischen Familienplanung bzw. Verhütung, zwischen Fehlgeburt und Schwangerschaftsabbruch waren auch im 19. Jahrhundert noch fließend.140

Geburt in der eigenen Kammer Heutzutage wird in Deutschland wie auch in der Schweiz die überwiegende Mehrzahl aller Kinder im Krankenhaus geboren – nicht so im 19.  Jahrhundert. Die meisten der in Basel lebenden Schwangeren gingen zur Niederkunft nicht ins Spital. Der Anteil der Spitalgeburten von allen Geburten im Kanton Basel lag 1868 lediglich bei 5% und selbst 1886 erst bei 19%.141 Bis zum Ende des 19.  Jahrhunderts war die Spitalgeburt also nicht der Regelfall. Auch die meisten der hier betrachteten Badenerinnen kamen in der eigenen Unterkunft nieder, die wie beschrieben meist lediglich aus einer Kammer bestand oder einem angemieteten Bett, das sie zum Teil mit einer anderen Frau teilten.142 So war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Kostgeber bzw. die Dienstherrschaft und/oder die anderen Schlafgängerinnen bzw. Dienstmägde die Schwangerschaft bemerkten und ggf. die Geburt miterlebten. 139 Vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.120f.; Seidler: Jahrhundert, S.135; Behren: Geschichte, S.63. 140 Für das 18. Jahrhundert hält Burghartz fest, dass die »schlechte Versorgung der Kindbetterin, vor allem aber des Neugeborenen […] durchaus eine intendierte oder unbewußte Form postnataler Geburtenkontrolle sein« konnte, Burghartz: Zeiten, S.269. Vgl. Michalik: Kindsmord, S.26; zur hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit in der Vormoderne allgemein zudem Marten: History, S.36f. 141 Vgl. Pavic: Praxis, S.10 und Diagramm 3. Zur Spitalgeburt vgl. ausführlich Kap. 5.c. 142 Vgl. Kap. 4.

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Die Basler Obrigkeit erwartete, dass jede Schwangere zur Geburt hilfsfähige Personen und/oder eine Hebamme hinzuzog, und drohte bei Geheimhaltung Strafe an.143 Die Auswertung der Basler Geburtregister zeigt, dass die meisten Schwangeren (auch die hier betrachteten Badenerinnen), die in ihrer eigenen Unterkunft niederkamen, tatsächlich eine städtische Hebamme zuzogen.144 An wen hätten sich gerade die Aufenthalterinnen auch sonst wenden können? Im Unterschied zum Dorf, in dem sie aufgewachsen waren, konnten sie in Basel nicht auf ein stabiles Netz vertrauter und/oder verwandter Frauen zugreifen, die die Geburt hätten begleiten können. Die große Mobilität der (badischen) Aufenthalterinnen verhinderte in der Regel den Aufbau langfristiger solidarischer Beziehungen, die die Gebärende in der »Weiber-Noth« hätten stützen können. Der Kontakt zu den städtischen Hebammen ließ sich aber offenbar leicht herstellen. Selbst Männer kannten die Adressen. So lief der Magazinarbeiter Stiefel in der Nacht des 11. Januar 1856 los, um die in der Nachbarschaft wohnende Hebamme zu holen, die einer seiner Kostgängerinnen, der erwähnten Veronika/Veronica Thoma, beistehen sollte, die kurz zuvor geboren hatte. Nachdem er die Hebamme nicht antroffen hatte, ging er zu einer zweiten Adresse, ebenfalls vergeblich. Erst am nächsten Morgen versorgte eine Wehemutter Thoma.145 Und Büchsenmacher Caspar Hess, Arbeiter im Basler Zeughause, fand seine Magd, die erwähnte Maria Hercher,146 eines Morgens »bereits an der Niederkunft«, holte eine Hebamme herbei und »spedirte« Mutter und Kind ins Spital.147 Der Säugling überlebte nicht. Es gibt so gut wie keine Quellen, die über die Tätigkeit der Hebammen Auskunft geben. Doch zeigen die Hebammenordnungen zumindest, was die Behörden von ihnen erwarteten. Die Basler Hebammenordnung des 19. Jahrhunderts, 1814 erlassen und 1869 überarbeitet,148 143 »Verheimlichte Schwangerschaft und Niederkunft« galten als zu bestrafendes Delikt; §105 Criminalgesetz legte fest, dass dies einer »korrektionellen Strafe unterworfen« war, §106 regelte das Strafmaß für die Fälle, in denen das Kind bei oder kurz nach der Geburt zu Tode kam. 144 Dies zeigen die Einträge im städtischen Geburtsregister, vgl. StABS, ÄHA, Cilvilstand, H, Geburtsregister, H 1-16 (1870-1875) und Ha, Geburtsregister, Ha 1-10, 1826-1869. 145 Vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, Bl.5. 146 Vgl. Kap. 5.a. Hercher hatte zuvor beim Wirt des »Roten Löwen«, Oeschger, gedient, der als Zeuge vor dem Eherichter aussagte. 147 Zeugenaussage Hess, Protokoll, 13.2.1871, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.294. 148 Auch 1851 und 1896 fand eine (leichte) Überarbeitung statt, vgl.

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legte zunächst ihre Einbindung in das Medizinalwesen fest, genauer ihre Unterstellung unter den Bezirksarzt.149 Als geeignet für die Tätigkeit erschienen nur Ehefrauen oder Witwen, die zudem »in dem Rufe einer rechtschaffenen, ehrbaren, verschwiegenen, nüchternen Frau stehen und sich immer bestreben diesen guten Ruf zu erhalten«; sie sollten darüber hinaus über eine gesunde »Leibesconstitution«, Lese- und Schreibkenntnisse sowie einen guten Leumund verfügen.150 Während 1814 nur sieben Hebammen in der Stadt zugelassen waren, entfiel seit 1869 jegliche Beschränkung. Darin spiegelt sich das städtische Bevölkerungswachstum, das zu einem Anstieg der Zahl der (ehelichen wie nichtehelichen) Geburten führte. In der Neufassung der Hebammenordnung des Jahres 1869 waren zudem die Anklänge an die vormoderne Solidargemeinschaft in der »Weiber-Noth«, die sich in der Ordnung von 1814 noch finden lassen,151 einer Versachlichung und Professionalisierung gewichen. Während die Hebamme 1814 noch als »erste und nordnung 1814, 1851, 1869 und 1896, Dokumentationsstelle der Gemeinde Riehen (DGR), 400.1 Gesundheitswesen, b Hebammendienst (1814-1964). Zum Folgenden vgl., sofern nicht anders angegeben, Hebammenordnung 1814 bzw. 1869; dort auch die folgenden Zitate. 149 Die Ärzte bzw. in späteren Jahren das Sanitätskollegium sollten auch dafür sorgen, dass »die Hebammenkunst von keinen unberufenen Weibern oder nicht patentirten Geburtshelfern verrichtet« werde. Jene sollten vielmehr angezeigt werden. 150 Über all dies hatten Pfarrer und Gemeinderat Zeugnis abzulegen. »[Ü]belgewachsene und mit organischen Bildungsfehlern, oder mit gar zu starken Händen behaftete« sowie wie auch zu alte Frauen ließ man nicht zu. Schließlich sollte sich die »Weh(e)mutter« der »Wichtigkeit ihres Berufs« bewusst sein, ihre »Amtsgeschäfte« immer »fleißig und unverdrossen« ausüben und sich dabei der »Redlichkeit und Billigkeit in allen ihren Forderungen, wie auch der Ordnung und Reinlichkeit befleißigen«. Im Zentrum der Erwartungen standen also Eifer, Bereitwilligkeit, Fleiß, Geschicklichkeit und pflichtgemäßes Betragen. 151 So sollte die Hebamme beim »ersten Ruf« der Schwangeren zu dieser »eilen«, um sich einen Eindruck von der Lage zu machen und alles Nötige bereitzulegen. Befand sich die Schwangere in »Kindsnöthen«, so sollte die Hebamme »bis zur Niederkunft beständig bei ihr aushaaren«, ihr »in jeder Hinsicht freundlich, liebreich und zuvorkommend begegnen [und] derselben Geduld, Trost und Muth zusprechen, und sie zu beruhigen und aufzuheitern suchen«. Zudem sollten »wenigstens zwei vernünftige und stille Personen zu ihrer Beihilfe gegenwärtig« sein, die »die Gebärende [nicht] mehr verlassen«. Mit der geglückten Trennung von Mutter und Kind endete der Geburtsvorgang – wie in der Vormoderne – nicht. Zwar erwähnte die Hebammenordung kein Fest der anwesenden Frauen, wohl aber tägliche Besuche der Hebamme bei Mutter und Kind über einen Zeitraum von zwei Wochen. Bei diesen sollten Kind und Mutter versorgt, Letztere zudem über

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nächste Rathgeberin der Schwangeren und Gebärenden« galt, die bei ihr »in ihren Angelegenheiten Trost und Hülfe« suchten, hieß es 1869 prosaischer: »Die Hebammen sind verpflichtet, den Gebärenden ohne Ansehen der Person nach bestem Wissen und Gewissen beizustehen und zu helfen.« Die Ordnung von 1869 kannte zudem eine nach Aufwand gestaffelte Gebührenliste.152 Unangetastet blieb das Verständnis, dass die Hebamme in die Geburt nicht eingriff, sondern vielmehr einen Vorgang begleitete, den gleichsam die Natur vorgab. Ihr Beruf umfasse, so hieß es knapp, »das ganze Geschäft der natürlichen regelmäßigen Geburt«.153 Entsprechend legte die Hebammenordnung fest, was die Wehemütter nicht durften: Bei allen »schweren und unnatürlichen Geburten«, bei wichtigen oder zweifelhaften Fällen – darunter fielen insbesondere ein »fehlerhaftes« Becken, Blutstürze, der Mangel an Wehen, Entkräftung der Mutter oder eine »widernatürliche« Lage des Kindes bzw. der Nabelschnur – sollte sie nicht selbst eingreifen oder Hilfsinstrumente benutzen, sondern vielmehr den »gesetzmäßigen Arzt oder Geburtshelfer frühzeitig zu Hülfe rufen«.154 Bestand Lebensgefahr für Mutter oder Kind, so sei bei den Katholikinnen auch der Pfarrer zu verständigen. Gegenüber dem Arzt sollte sich die Hebamme »mit Bescheidenheit« betragen und seinen Anweisungen folgen. Deutlich wird hier die Trennung zwischen »natürlichen« Geburten einerseits, die zur Sphäre der Hebammen gehörten, und »schweren und unnatürlichen Geburten« andererseits, die in den Bereich der ärztlichen »Kunst« und männlicher Fachexperten fielen.155

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»Diät und Lebensart«, auch über die Notwendigkeit der »Impfung der Schutzblattern« belehrt werden. Für Geburt oder Frühgeburt fielen 75 Franken an, für eine Zwillingsgeburt 84 Franken und für eine Fehlgeburt 24 Franken. Der Betrag umfasste auch die Besuche während der ersten 14 Tage im Wochenbett. Zuvor hatten die Gebärenden außer »Speise und Trank« zwei bis acht Franken zu zahlen, konnten auch eine freiwillige Zulage geben. Stand die Hebamme einer armen Frau bei, erhielt sie vom »löbl. Deputatenamt eine Art Wartgeld an Früchten und an Münze«, nämlich 15 Batzen aus dem »Armenseckel«. Zu den Beträgen in Basel Ende des 19.  Jahrhunderts vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.75 und Endnote 91, Anhang S.13. Vgl. auch Felder: Entwicklung, S.90f. Nie sollten sie hingegen versuchen, die Niederkunft »zu befördern«, überhaupt »nie etwas Gewagtes unternehmen«, beispielsweise ein totes Kind »durch Handanlegung« oder »treibende Mittel auszuführen suchen«. Auch sollten sie sich »in allen Stücken des Aberglaubens« sowie auch des »Arznens enthalten und nur in Nothfällen allgemein bekannte Hausmittel an die Hand geben«. Darauf wird noch ausführlich zurückzukommen sein, vgl. Kap. 5.c.

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Interessant ist nicht zuletzt, wie sich die Hebammen aus behördlicher Sicht gegenüber jenen Gebärenden verhalten sollten, die nicht den sittlichen Normen der Obrigkeit entsprachen. 1869 hieß es kurz und bündig: Die Hebammen seien verpflichtet, dem Physikus Anzeige zu erstatten von »unehelichen« Geburten, von »verheimlichter« Schwangerschaft und Niederkunft sowie von »offenbarer Verwahrlosung der Leibesfrucht«, von versuchter oder erfolgter »Fruchtabtreibung« sowie generell bei begründetem Verdacht dieser »Vergehen«. Inwiefern die Hebammen der Anzeigepflicht nachkamen, ist kaum zu sagen. Für 1850 ist etwa bekannt, dass 38 der 67 Anzeigen wegen »unehelicher Schwangerschaft« von den betroffenen Frauen selbst stammten, 20 von Polizisten und neun von Hebammen. Ähnlich 1855: Auf 33 Selbstanzeigen kamen 15 Meldungen von Polizisten und sieben von Hebammen.156 Auch die Auswertung für den Zeitraum November 1868 bis März 1870 zeigt ein ähnliches Bild: Nur ein einziges Mal hatte eine Hebamme das »Delikt« gemeldet.157

156 Zahlen nach: Grütter: Schwangerschaft, S.111 und Fn. 113, S.135. 157 Dies ergab die Durchsicht der Protokolle, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159. Ryter geht für das frühe 20. Jahrhundert davon aus, dass die Basler Hebammen wohl von den Abbrüchen wussten, ihrer Anzeigepflicht aber nicht nachkamen. Sie fand jedenfalls nur einen einzigen Fall, wobei allerdings ein Polizist der Hebamme gedroht hatte, sie der Beihilfe anzuklagen, sollte sie keine Anzeige erstatten, vgl. Ryter: Abtreibung (1983), S.81. Im Gegensatz zu der nicht oder nicht immer erfüllten Anzeigepflicht bei den strafbaren Delikten kamen die Hebammen einer anderen Verpflichtung, die ihnen die Hebammenordnung von 1869 auferlegte, weisungsgemäß nach: der Meldung der Geburten bei der »Civilstandsbehörde«, die seit 1870 die städtischen Geburtsregister führte. Wie »uneheliche« Kinder (von ledigen, verwitweten oder geschiedenen Müttern) in das Civilstandsregister einzutragen waren, wurde genau festgelegt, vgl. den Briefwechsel der beteiligten Verwaltungsstellen, 1874-1879, StABS, ÄHA, Civilstand, A 4, Eintragung unehelicher Kinder überhaupt (1800-1915). Seit 1870 findet sich im Civilstandsregister auch ein Eintrag, wer – ob die Spitaldirektion oder eine bzw. welche Hebamme – die Geburt meldete, und auch, ob es sich um ein »uneheliches« Kind handelte. Vgl. die Einträge, StABS, ÄHA, Cilvilstand, H, Geburtsregister, H 1-16. In den Jahren zuvor (vgl. ebd., Ha, Geburtsregister, Ha 1-10) war nicht verzeichnet worden, von wem die Meldung stammte. Handelt es sich um ein nichteheliches Kind, so waren Angaben zur Mutter eingetragen worden sowie die Bemerkung »unehelich«. Auch die Spitalordnung schrieb vor, dass jede Geburt gemeldet werden musste, vgl. Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abteilung, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945, Ordnungen des Bürgerspitals der Stadt Basel, 31.5.1871, §4.

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»Verheimlichte Niederkunft« Nicht alle (ledigen) Schwangeren entbanden mit Unterstützung einer Hebamme. Einige brachten das Kind vielmehr allein und »ganz ohne Hülfe« zur Welt. Dass niemand die Geburt begleitete, war in Basel nach §105 des Kriminalgesetzes strafbar und erregte in hohem Maße misstrauische Aufmerksamkeit. Kam das Kind während oder kurz nach der Geburt zu Tode, so stand schnell der Verdacht im Raum, die Mutter habe ihr eigenes Kind getötet.158 Die 23-jährige, aus Pfullendorf stammende Catharina Vollmer/Vollmar159 etwa, in Basel als Dienstmagd beschäftigt, brachte dort in der Nacht des 7./8.  August 1874 ihr zweites nichteheliches Kind zur Welt und kam wenig später ins Basler Spital. Die Ärzte protokollierten: Am »7. August 74 nach dem Mittagessen ›Magenweh‹. Abends 1/4 vor 7 Uhr fühlte Pat. angeblich Stuhldrang, gieng nach dem Abtritt. Daselbst soll etwa um 7 Uhr ohne viel Drängen Wasser u. Kind abgegangen u. in das Abtrittrohr gefallen sein. Das Rohr hatte eine Länge von etwa 3 Fuss u. mündete in eine Kloake. Das Kind wurde von einer anderen Frau heraufgeholt. Placenta musste nach 4 Stunden von der Hebamme geholt werden.« Irgendjemand (die Hebamme?, eine Nachbarin?, die Frau, die das Kind gefunden hatte?) kümmerte sich um das Neugeborene. In der Krankenakte hieß es: »Kind schon gebadet, gekleidet, schreit, säugt beim ersten Anlegen. Nabelschnur rein abgeschnitten, mit Baumwollfaden u. einem Bändchen unterbunden.« Darüber hinaus meldete die Hebamme die stattgehabte Geburt der städtischen »Civilstandsbehörde« und wohl auch der Polizei. Zumindest erschien diese noch in der Nacht und brachte Catharina Vollmer/Vollmar und das aus dem Abwasser gerettete Kind ins Spital. Der Knabe lebte nur wenige Stunden: »Athmen aussetzend. Zahlreiche Rasselgeräusche auf den Lungen. Herzschlag noch regelmässig, 120. Bei künstl. Respiration (nach Schulz) werden grosse Massen schaumiger, brauner Flüssigkeit herausgeschleudert. Athmung hört um 1/2 6 Uhr auf.« In Anbetracht der Vorgeschichte brachten die Ärzte die Kinderleiche zur 158 §105 Criminalgesetz legte fest, dass »verheimlichte Geburt und Niederkunft« einer »korrektionellen Strafe unterworfen« war; §106 legte das Strafmaß für die Fälle fest, in denen das Kind bei oder kurz nach der Geburt zu Tode kam. 159 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 174/1874; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/7, Fol. 174 (dort auch die folgenden Zitate); Gerichtsarchiv, CC 30, Bl.353-358; HH 2, 452, Nr.273.

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Obduktion und Catharina Vollmer/Vollmar in den Lohnhof, d.h. ins Untersuchungsgefängnis. Nicht immer wurde das Neugeborene entdeckt. Bei der 28-jährigen Lina Stöck160 etwa, auch sie eine Badenerin, die in Basel als Fabrikarbeiterin tätig und seit Anfang des Jahres 1879 nichtehelich schwanger war, setzten am 24. September frühmorgens um 5 Uhr die Wehen ein. Gleichwohl ging sie »aus in die langen Erlen, Wehen immer stärker, 9 1/2 Geburt im Walde in hockender Stellung ohne grosse Mühe; Kind lebte, schrie stark, Nabelschnur zerrissen. Pat. lief mit d. Plac.[enta] noch 10 Minuten unter beständigen ziemlich heftigen Blutungen, bis d. Plac.[enta] während d. Gehens abging und von der Pat. auf einen Wagen geworfen wurde. Kind schreit immerfort, wird ausgesetzt.« Zwei Tage später betrat Lina Stöck das Spital: »geht, ohne Mühe, kein Blutabgang. Pat. zeigt alle Zeichen einer frisch überstandenen Geburt, auffallenderweise keine Verletzungen«. Nach einigen Tagen holten Polizisten sie ab; das Kind blieb verschwunden. Auch die 31-jährige ledige Badenerin Agathe Silberer,161 in Basel als Fabrikarbeiterin beschäftigt, ging erst nach der Niederkunft ins städtische Spital – in den Händen hielt sie ihr gerade geborenes, totes Kind. Den Ärzten erzählte sie, sie habe bereits ein zweijähriges Kind, das ohne Probleme zur Welt gekommen sei, auch die aktuelle Schwangerschaft sei ohne Beschwerden verlaufen. Vor zwei Tagen habe sie Wehen bekommen, früh am Morgen ein lebendes Kind geboren. Die Ärzte notierten weiter: Eine »Hebamme war nicht bei d. Geburt, angeblich weil Pat. allein gewesen u. es zu spät gewesen sei; die Nabelschnur wurde von ihr selbst entbunden«. Die sogleich anberaumte Obduktion des Kindes ergab jedoch nichts, woraus auf einen gewaltsamen Tod hätte geschlossen werden können.162 160 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 335/1879; Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 335; dort auch die folgenden Zitate. 161 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 109/1879; Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 109; dort auch die folgenden Zitate. 162 Am 14. März 1879 verließ Agathe Silberer das Spital »wohl«. Ein weiteres Beispiel: Maria Kehrer (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 190/1875; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 190; die folgenden Zitate ebd.), auch sie in Basel als Magd in Stellung, wurde am 10. Juli 1875 von Polizisten ins Spital gebracht. Sie berichtete, sie habe am frühen Morgen ganz allein ein Kind geboren, dass jedoch tot gewesen sei. Die Skepsis der Ärzte schlug sich in der Krankenakte nieder. Das Kind, so hieß es dort, »soll kein Lebenszeichen gegeben haben. Will viel Blut

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»Kindsaussetzung« und »Findlinge«163 In den beschriebenen Fällen verzichteten die Schwangeren – aus welchen Gründen auch immer  – darauf, eine Hebamme zur Geburt zu holen, brachten das Kind allein zur Welt. Sie verließen sich vielleicht auf die eigenen, aus einer früheren Niederkunft resultierenden Erfahrungen oder vielleicht auch darauf, dass andere helfen würden. Gelegentlich geschah dies auch. So wurde Anfang August 1847 »vor dem Hause des Herrn Weinsticher Segiser am Spitalsprung ein circa 8 Tage altes Kind männlichen Geschlechts in einem Armkorbe ausgesetzt gefunden«164 und zu einer in der Nähe wohnenden verheirateten Frau namens Häfelfinger gebracht. Diese berichtete dem nach der Mutter fahndenden Landjäger Korporal Fürst später, »es sey an dem Kind die Nabelschnur sehr nahe, d.h. ungewöhnlich, am Körper abgeschnitten worden, und [sie] vermuthe daher, es sey die Mutter des Kindes nicht durch eine geübte Hebamme, viel eher durch eine andre Person, insofern jemand dabei gewesen sey, vielleicht nur durch die Mutter selbst, entbunden worden.  – Bei den Effekten des Kindes fand sich ein Zeddel vor, worauf geschrieben steht: ›Wenn die Baslern Herren (wollen)… Kinder machen, so sollen sie auch erhalten.‹«165 Das Kind, ein kleiner Junge, erhielt später nach dem Fundort den Namen Karl Spitalsprung.166 Auch im Falle eines im Herbst 1853 ausgesetzten Kindes hatte jemand (die Mutter?) das Neugeborene zumindest notdürftig versorgt. Es war am 8. November 1853 »abends halb 9 Uhr im vordern Gundeldingen, auf den Staffeln der Hausthür« entdeckt worden. »Nach dem Bericht des Physikus mußte es am gleichen Abend frühestens tags vorher geboren worden sein«, worauf die »noch blu-

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loren haben.« Doch einen Beleg für eine »Kindstöthung« fand man auch im Falle von Maria Kehrer nicht. Zur Geschichte der Basler »Findelkinder« und ihrem Rechtsstatus vgl. Pfister: Einbürgerung, S.45-53; sowie Fass: »Findelkinder«. Brief Polizei Direction des Kantons Basel-Stadt an den Bürgermeister, 10.9.1847, StABS, ÄHA, »Straf und Polizei«, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung, 1830-1850, zit. nach: ZulaufSemmler: Findelkinder. Ich danke Marina Zulauf-Semmler sehr herzlich, dass sie mir ein Exemplar ihrer Ausarbeitung zur Verfügung gestellt hat. Rapport Landjäger Korporal Fürst, 8.9.1847, StABS, ÄHA, Straf und Polizei, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung, 1830-1850, zit. nach: Zulauf-Semmler: Findelkinder; Durchstreichung im Original. Vgl. den entsprechende Eintrag, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 1.4, Geburts- und Taufregister 1842-1876.

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tende […] Nabelschnur« hindeutete.167 Gewickelt war der Knabe in ein »grosses weiss baumwollenes altes Halstuch, Façon Shawl, mit brodiertem Rand und Fransen und in den Ecken grössere Broderien [Blumen], ganz nach der Art, wie die Markgräfler Weibspersonen zu tragen pflegen; an demselben finden sich mehrere Blutspuren vor«.168 Das später (ebenfalls nach dem Fundort) Gottfried Staffel genannte Kind kam, da seine Mutter nicht ermittelt werden konnte, in die Verpflegungsanstalt des Waisenhauses. Dort starb es drei Monate später an »Stickfluss«, also an einem Lungenödem.169 Nicht alle »Findelkinder« teilten dieses Schicksal; einige überlebten durch die Hilfe anderer Frauen. So fand Rosina Jselin, die Ehefrau eines Basler Gutsbesitzers, die aus dem badischen Schlatt stammte, am Abend des 17. Januar 1853 »an unserm Portal, ein wenig seitwärts ein Kind. Es war nur in ein grünes Tuch, mit dunkeln Strichen, von Halbwolle, eingewickelt; das Kind war noch warm, sodaß ich glaube annehmen zu können, die Mutter desselbigen müßte es vielleicht keine halbe Viertelstunde vorher verlaßen, oder vielmehr da ausgesetzt haben.«170 Sie nahm das kleine Mädchen, am 17. April 1853 auf den Namen Maria Salome Stein getauft,171 zu sich, wenn auch nicht dauerhaft.172 Bei Josephine Rank schließlich handelte es sich ebenfalls um ein am 7. Juli 1874 ausgesetztes »Findelkind«, das Passanten notdürftig versorgten – gefunden hatten sie es »in einem Roggenfeld in der Nähe des Rankhofes an der Grenzacherstrasse«, wo augenscheinlich auch die Niederkunft stattgefunden hatte.173 167 Eintrag, StABS, ÄHA, Civilstand, Ha, Geburtsregister, Ha 5. 168 Rapport Wachtmeister Löffler über einen Besuch im Waisenhaus, StABS, ÄHA, Straf und Polizei, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung, 1851-1896, zit. nach: Zulauf-Semmler: Findelkinder. 169 Eintrag, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 1.4, Geburts- und Taufregister 18421876. 170 Actum Dienstags den 18.1.1853 betr. einem Protokoll der Rosina Jselin von Schlatt, G. Baden, des Gutsbesitzers, No. 159 vor dem Steinenthor an der obern Binningerstrasse, zit. nach: Zulauf-Semmler: Findelkinder. 171 Vgl. den entsprechenden Eintrag, StABS, ÄHA, Civilstand, Ha, Geburtsregister, Ha 5. 172 Ähnlich auch das Schicksal eines Knaben, den seine Mutter Anfang August 1850 aussetzte: »Heute früh um halb 5 Uhr ist an einem Gebäude der Husler’schen Bleiche vor dem Albanthor ein Kind, männlichen Geschlechts ausgesetzt gefunden, und durch die dortigen Mägde einstweilen aufgenommen worden.« Schreiben an den Stadtrath Bloch, Präsident Löbl. Almosenamt Basel von der Polizeidirektion Hr. Mechel, 6.8.1850, Almosen J7, Protokoll, S.71, zit. nach: Zulauf-Semmler: Findelkinder. Der weitere Lebensweg des Kindes ist nicht bekannt. 173 Pfister: Einbürgerung, S.51, Hervorhebung im Original. Später adoptierten

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Allein die genannten Geburtsorte geben einen Hinweis auf die Notlage, in der sich die Gebärenden befunden haben müssen, die meisten wohl ganz auf sich allein gestellt. Die Frauen brachten das Kind in ihrer Schlafkammer, ihrem Bett oder auf dem Abtritt zur Welt. Andere gebaren (ohne Hilfe?) in der Eisenbahn kurz vor Basel, in einer Basler Droschke,174 in einem »Hausgang in Kl[ein] B[asel]« (so die bereits erwähnte Christine Schellinger, die auf der Durchreise in Basel von der Niederkunft »überrascht« wurde175), in einem Hotel (so Maria/Maria Verena Hoffmann176 aus Raitbach im badischen Amt Schopfheim, die im Basler Hotel Schieder in der Bahnhofstraße niederkam), im Dienst (so die erwähnte Maria Hercher, die sich bei der Geburt im Hause des Büchsenmachers Hess befand) oder im Freien – auf der Straße (so der Fall eines am 24. September 1879 geborenen Kindes, das Passanten einen Tag später »mit abgerissener Nabelschnur« ins Spital brachten177), auf dem Feld (so Josephine Ranks Mutter) oder »im Walde« (Lina Stöck). Bei den »Findlingen« (etwa Karl Spitalsprung, Maria Salome Stein oder bei dem in eine Markgräfler Tracht gewickelten Kind) ist in der Regel nicht zu rekonstruieren, wo sie das Licht der Welt erblickten und ob jemand der Mutter beigestanden hatte.

»Kindsmord« Kam bei einer »verheimlichten Niederkunft« das Kind zu Tode, so lag für die Zeitgenossen die Vermutung nahe, die Mutter habe es getötet. Kaum ein anderes Vergehen löste im 18. und 19.  Jahrhundert so viel

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der Basler Kaufmann und Regierungsrat Philippi und seine Frau das Kind, vgl. ebd. Zum Rechtsstatus der »Findelkinder« in der Schweiz vgl. Weber: Recht, S.26f. So ein von Pavic (Praxis, S.103) beschriebener Fall. Protokoll, 13.3.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.102f. Vgl. Kap. 4. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister. Krankenakte, StABS, Sanität 28/12, Fol. 336. Die »Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abtheilung« legte fest, dass dieser, sollten der Abteilung »Findelkinder zugebracht werden«, zu begutachten hatte, »ob deren Gesundheitszustand eine längere Verpflegung auf der Abtheilung erfordere«; falls nicht, so kam das Kind ins Waisenhaus. Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abteilung, 31.5.1871, §7, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945.

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Abscheu und Irritation aus wie der »Kindsmord«.178 Verstanden wurde darunter die vorsätzliche, mit Gewaltanwendung einhergehende Tötung eines gerade geborenen Säuglings durch die eigene Mutter. Vor Gericht standen fast ausnahmslos ledige Frauen, sodass die Zeitgenossen mit dem Begriff »Kindsmörderin« eine ledige Mutter assoziierten.179 In Anbetracht der vollkommenen Unschuld und der gänzlichen Hilflosigkeit des Säuglings und insbesondere vor dem Hintergrund der als Naturgesetz gedachten Mutterliebe erschien die Tat nicht nur als »unchristlich« und »grausam«, sondern auch als »vollkommene Verkehrung« der »natürlichen« Mutterliebe in ihr Gegenteil.180 Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein galt die »Kindsmörderin« daher als eine Frau, die sich gegen die Grundlagen der Gesetze Gottes und der Natur versündigt hatte, als »unzüchtige Weibsperson«, die aus individueller Bosheit und vom Teufel zum Verbrechen verführt tötete, um mit dem Kind die Folgen ihres »leichtfertigen« und »unzüchtigen« Handelns aus dem Weg zu schaffen und so ihre Sünde zu vertuschen. Nach diesem Verständnis lag das Motiv für die Tat in der Furcht vor der Schande begründet  – und in der Angst vor den drakonischen Strafen. Diese reichten von der öffentlichen Kirchenbuße und/oder staatlichen Unzuchtstrafen bis hin zur Todesstrafe durch Ertränken, Pfählen, lebendiges Begraben, Reißen mit glühenden Zangen oder Enthauptung.181 178 Zum Kindsmord vgl. Schulte: Kindsmörderinnen; Michalik: Kindsmord; Jackson (Hg.): Infanticide; Metz-Becker (Hg.): Kindsmord; dies.: Kindsmord; dies.: Gretchentragödien; Grütter: Schwangerschaft; Häßler/Deutsch (Hg.): Kindstod; Maisch: Illegitimität; Hammer: Kindsmord. 179 Dies fand auch im Strafrecht (und in der Forschung) seinen Niederschlag: Die Tötung eines älteren Kindes galt nicht als »Kindsmord« und als Täter bzw. Täterin gerieten in der Regel weder eine verheiratete Frau noch der Vater, andere Verwandte oder Fremde ins Visier. 180 Ulbricht: Kindmord, S.21. Vgl. ähnlich auch Hammer: Kindsmord, S.193. Ulbricht hat den Wandel in der Wahrnehmung der Tat und der Täterin durch die Aufklärung grundlegend untersucht. Zum Folgenden vgl. ebd., S.259-265, sowie Michalik: Kindsmord, S.210-352. 181 Der historische Rückblick zeigt einen bemerkenswerten Wandel in der strafrechtlichen Bewertung der Handlung: Die Tötung von Nachkommen wurde in der Antike weder bestraft noch moralisch verurteilt. Unter dem Einfluss des Christentums stufte das Mittelalter mit der Peinlichen Gerichtsordnung (Carolina) von 1532 die Tat als ein besonderes schwerwiegendes Verbrechen ein, da »dem Kind die Taufe vorenthalten und damit der Weg zur ewigen Glückseligkeit versperrt wurde«, auf das die Todesstrafe stand. Eine Verschiebung hin zur Privilegierung als Sondertatbestand setzte im späten 18./frühen 19.  Jahrhundert ein: Auf die nun zunehmend »Kindstötung« genannte Tat stand nicht mehr die Todes-, sondern lediglich eine Haftstrafe. Während sich die Gerichte im 18. Jahrhundert noch auf den

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Im Zuge der Aufklärung setzte eine intensive Debatte über den »Kindsmord« ein, an der sich viele Zeitgenossen – Philosophen, Theologen, Juristen, Pädagogen, Beamte, Mediziner und Ärzte – beteiligten. Auch in der Belletristik fand das Thema seinen Niederschlag, es avancierte geradezu zum »Schlüsseldelikt des Sturm und Drang«.182 Der »Kindsmord« erschien den Aufklärern als Symbol »einer veralteten Gesellschaftsordnung, die auf einem der Abschreckung verschriebenen grausamen Rechtssystem und strikten, den Menschen in seiner Freiheit und Individualität begrenzenden, Moralvorstellungen beruhte«183 – und zugleich als beständiger Stachel. Denn solange die Tat vorkam, solange konnte das Zeitalter nicht als aufgeklärt betrachtet werden. Die Gegner der Aufklärung hingegen verstanden den »Kindsmord« weiterhin als Folge von »Leichtfertigkeit« und »Unzucht«, als »Alarmsignal für den zunehmenden Sittenverfall innerhalb der Gesellschaft, gegen den es anzukämpfen galt«.184 Im Zentrum der intensiv geführten Debatten standen nicht nur philosophische Überlegungen, sondern auch konkrete Vorschläge, wie der »Kindsmord« verhindert werden könnte – etwa durch die Abschaffung der öffentliche Kirchenbuße, der staatlichen Unzuchtstrafen und der sozialen Diskriminierung lediger Mütter und ihrer Kinder oder durch die Einrichtung von wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Gebär- und Findelanstalten. Langfristig erwies sich als zentral, dass der Diskurs zu einer grundlegend neuen Interpretation der Tat und der Täterin führten, die die vormoderne Wahrnehmung ablöste. Die aufklärerische Sichtweise »machte aus schändlichen Huren unglückliche Verführte, aus grausamen Rabenmüttern solche, die ihre Mutterliebe den sozialen Normen und staatlichen Vorschriften opferten, setzte an die Stelle des negativ bewerteten Versuchs, der Schande zu entrinnen, das positiv bewertete Motiv der Rettung der Geschlechtsehre, machte aus der Geburt eine Krankheit und aus der Geburtssituation den Höhepunkt eines psychischen Leidens«.185 Durch die Aufklärung entstand das Bild der

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Verbrechenshergang konzentrierten, ging es nun zunehmend um die Erforschung der Hintergründe der Tat und die Motive der Täterin. Das Strafrecht des späten 20. Jahrhunderts schließlich schaffte den gesonderten Tatbestand vollständig ab. Vgl. Dertinger: Mutter, S.173-179, für das preußische Strafrecht im 19. Jahrhundert ausführlich Michalik: Kindsmord, S.353-392. Dertinger: Mutter, S.179. Vgl. ebd, S.187-189; Weber: Kindsmörderin; Peters: Kindsmord; Metz-Becker: Gretchentragödien, S.11-19. Dertinger: Mutter, S.189. Vgl. Ulbricht: Kindsmord, S.251. Dertinger: Mutter, S.189. Ulbricht: Kindsmord, S.259.

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»Kindsmörderin« als einer unglücklichen, verführten Frau, ein Opfer menschlicher Fehler, insbesondere weiblicher Schwachheit und männlicher Aggressivität. Und neben die traditionelle Erklärung der Tat als Furcht vor Schande trat ein zweites Argument: die Kindsmörderin erschien nun als Opfer der Umstände, Armut erklärte ihr Handeln.186 Otto Ulbricht und Kerstin Michalik haben in ihren empirischen Studien über die Herzogtümer Schleswig und Holstein in der Aufklärung bzw. über Preußen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zum einen zwischen strukturellen Ursachen und individuellen Motiven differenziert und zum zweiten ein komplexes Bedingungsgefüge herausgearbeitet. Demnach war das Verhalten der Kindsmörderinnen, »so unterschiedlich die Tatmotive im einzelnen auch ausfielen, in komplexe sozio-ökonomische, kulturelle und mentale Zusammenhänge eingebunden und nicht primär individualpsychologisch«, sondern »vor allem sozial bestimmt«.187 Einige Historikerinnen und Historiker haben darüber hinaus gezeigt, dass die Zahl der faktischen Kindstötungen deutlich höher lag als die Zahl der wegen »Kindsmord« durchgeführten Gerichtsverfahren.188 So kann die Kindstötung als Teil der mütterlichen bzw. elterlichen Strategie zur Regulierung der Kinderzahl verstanden werden: Schwangerschaftsunterbrechung und Kindstötung konnten sich in Zeiten der ohnehin knappen Ressourcen und der ökonomischen Not als mütterliche bzw. elterliche Praktik zur Steuerung der Familiengröße erweisen, die das eigene Überleben bzw. das der Familie sicherte. Dabei kam die direkte Tötung eines Neugeborenen vermutlich eher selten vor. Vielmehr kamen die Säuglinge durch mehr oder weniger bewusste Vernachlässigung oder fahrlässige Unfälle wie Erdrücken 186 Diese Wahrnehmungs- und Erklärungsversuche wirken bis heute nach. So finden sich in der Forschungsliteratur zu den »Kindmörderinnen« im 19. Jahrhundert einerseits Studien, die individuelle Erklärungen in den Fokus rücken und psychologisierende Deutungen favorisieren, anderseits Untersuchungen, die die Tat der Mutter als unmittelbare Reaktion auf ihre eigene sozioökonomische Notsituation werten. Vgl. die Diskussion der Positionen bei Michalik: Kindsmord, S.53f. und 156-160. 187 Michalik: Kindsmord, S.174. 188 Vgl. zum Folgenden Michalik: Kindsmord, S.22-54; Schulte: Kindsmörderinnen, S.132f.; Metz-Becker: Kindsmord, S.49, Stukenbrock: Zeitalter, S.98; Simon: Untertanenverhalten, S.107. Ähnlich auch außerhalb Europas, vgl. Marten: History, S.36. Hammer: Kindsmord, S.375, hingegen geht für die meisten der von ihr untersuchten dörflichen Regionen sowohl von einer geringen Zahl von Verbrechen als auch von einer geringen Dunkelziffer aus, und Meumann: Findelkinder, S.103f., vertritt für die Frühe Neuzeit die These, dass sich obrigkeitliche und dörfliche Moral deckten.

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oder Ersticken im Bett der Mutter bzw. der Eltern ums Leben. Insgesamt jedenfalls erwies sich die Kindstötung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als »ein mehr oder weniger vertrautes Phänomen«.189 Auch darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass sich die Zeit durch eine ohnehin hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit auszeichnete. Die Tat stand jedenfalls nicht außerhalb der kollektiven Einstellungen und Praktiken, die den Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern bestimmten, war weniger »individuelle Untat«, sondern Teil der alltäglichen Erfahrung.190 Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb wurde nur ein Bruchteil der Kindestötungen vor Gericht gebracht. Wie es dazu kam, dass von den vielen »Täterinnen« (oder »Tätern«) letztendlich nur wenige vor Gericht standen, haben Regina Schulte, Kerstin Michalik und Marita Metz-Becker für das ländliche Milieu herausgearbeitet.191 Offenbar griff dort ein sozialer Auslesemechanismus: Das sich im »Gerücht«, dem »Gerede« verdichtende (Halb-) Wissen des Dorfes um verheimlichte Schwangerschaft und Niederkunft sowie die Kindestötung führte am ehesten dann zur Meldung bei der Obrigkeit und ggf. zur Anklage, wenn eine Kinderleiche gefunden wurde und die verdächtigte Mutter erstens ledig war sowie zweitens als soziale Außenseiterin bzw. ihr Sexualverhalten als »unsittlich« galt. Und in der Stadt? Lassen sich diese Befunde auf die städtischen Verhältnisse, auf Basel im 19. Jahrhundert192 übertragen?

»Kindsmord« vor dem Basler Kriminalgericht Alle »Verbrechen gegen das Leben« fielen in Basel in die Zuständigkeit der obersten Gerichtsinstanz, des Kriminalgerichts. Die rechtliche Grundlage der Strafverfahren wegen »verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft« bzw. »Kindermord« formulierte das Kriminalgesetz aus dem Jahre 1821.193 Es wertete »verheimlichte Schwangerschaft und Niederkunft« als (korrektionell zu bestrafendes) Delikt und definierte 189 Michalik: Kindsmord, S.174. 190 Michalik: Kindsmord, S.47. 191 Zum Folgenden vgl. Michalik: Kindsmord, S.148-154; Schulte: Kindsmörderinnen, S.136-142; Metz-Becker: Gretchentragödien, S.216-219; Hammer: Kindsmord, S.252f. und 259-261. 192 Zum »Kindsmord« in Basel im 18. Jahrhundert vgl. Simon: Untertanenverhalten, S.110-112; zum »Kindsmord« in Luzern im 18. Jahrhundert Burri: Bevölkerung, S.97. 193 Zum Folgenden vgl. Grütter: Schwangerschaft, S.21f.

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den »Kindermord« als die Handlung einer Mutter, die »bei oder nach der Geburt, etwas vorsetzlich unternimmt, oder geflissentlich unterläßt, was den Tod des neugeborenen Kindes nothwendig nach sich zieht«.194 Das Gesetz differenzierte also nicht zwischen der gewaltsamen Herbeiführung des Todes oder absichtlicher Vernachlässigung. Jahrhundertelang war das Delikt mit der Todesstrafe geahndet worden. Dies änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das letzte Todesurteil gegen eine »Kindsmörderin« in Basel-Stadt wurde im Sommer 1801 vollstreckt.195 Das Gericht verhängte zwar zehn Jahre später nochmals ein Todesurteil gegen eine »Kindsmörderin«, und zwar gegen die aus Karlruhe stammende Margreth Bauz/Margaretha Bautz, wandelte die Strafe aber noch im gleichen Jahr in eine 25-jährige Zuchthausstrafe um.196 1825 erlangte diese Praxis Gesetzeskraft. Den »Kindsmörderinnen« drohte nun nicht mehr die Todesstrafe, sondern zwischen zwei und 24 Jahre Zuchthaus. Länge und Umstände der Haft hingen davon ab, wann und wie das Neugeborene den Tod fand. So konnte das Gericht beim nachgewiesenen gewaltsamen Tod des Kindes oder beharrlicher Leugnung der Tat zehn bis 24 Jahre Kettenstrafe I. Grades verhängen. Was dies bedeutete, führte §21 des Kriminalgesetzes aus: Die Verurteilte hatte »bei Tag und bei Nacht, an Händen und Füssen, schwere Ketten und ein Halseisen« zu tragen und sollte in einem »besonderen Raume verwahrt« werden, dort »an eine schwere eiserne Kugel« gekettet. Zudem hatte sie »strenge […] Arbeit« zu verrichten und ihre »Nahrung beschränkt sich in gesunden Tagen auf warme Suppe und Wasser und Brot«.197 Die vom Kriminalgericht Verurteilten verbüßten ihre Haft in der Basler Zuchtanstalt im Predigerkloster,198 dem ehemaligen Schellenhaus, einige auch im Lohnhof, einem ehemaligen Chorherrenstift am Kohlenberg, das seit 1821 nicht nur als Polizeizentrale und Untersu194 §100 Criminalgesetz. §105 legte fest, dass »verheimlichte Geburt und Niederkunft« einer »korrektionellen Strafe unterworfen« war, und §106 regelte das Strafmaß für die Fälle, in denen das Kind bei oder kurz nach der Geburt zu Tode kam. 195 Vgl. Schrepper: death penalty [Zugriff 23.12.2019]. In den anderen Schweizer Kantonen wurden bis 1827 20 weitere Frauen wegen »Kindsmord« zum Tode verurteilt, ebd. 196 Vgl. Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (15871874), 180 (1811), Bl.320. 197 §21 Criminalgesetz. Zur Realität des Strafvollzugs (in Österreich) vgl. Hammer: Kindsmord, S.312-316. 198 Zur Strafanstalt insgesamt und zum Folgenden vgl. Keller: Bewährung (die folgenden Angaben ebd., S.44f. und 155); Brassel: Schloss (die Angabe zu den Insassen ebd., S.75 und 85); Schulthess: Basel-Stadt.

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chungsgefängnis diente, sondern auch als Haftanstalt. 1864 wurde eine neue zentrale Zuchtanstalt eröffnet, die die Basler Bevölkerung Schällemätteli nannte.199 Mit dem Umzug dorthin schaffte der Grosse Rat 1864 die Kettenstrafe ab,200 und das neue Strafgesetz des Jahres 1873 gestand schließlich bei »Kindsmord« der Mutter eine verminderte Schuldfähigkeit zu und stufte damit die Kindstötung, wie dies in einigen anderen Ländern schon lange üblich war, als privilegiertes Verbrechen ein.201 Die Basler Rechtspraxis hat Karin Grütter für die Jahre 1828 bis 1862 grundlegend untersucht.202 Meine eigenen Recherchen ergänzen ihre Studie für den Zeitraum bis zur Neuregelung des Strafrechts Anfang/Mitte der 1870er-Jahre. So lässt sich rekonstruieren, dass zwischen 1828 und 1875 51 Frauen203 wegen »verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft« mit einem toten Kind bzw. »Kindermord« vor dem Basler Kriminalgericht standen. Die Zahl der faktischen Kindestötungen war deutlich höher. So geht Grütter davon aus, dass in der Stadt im 19. Jahrhundert pro Jahr etwa einhundert Säuglinge getötet wurden.204 Zwischen 1828 und 1875 fanden jedoch nur 51 entsprechende Strafverfahren statt, also durchschnittlich nicht einmal ein Prozess pro Jahr. 35 Verfahren aus den Jahren 1845 bis 1875 sind von Karin Grütter bzw. mir genauer untersucht.205 Unter den 35 Ange-

199 Dort waren meist zwischen rund 90 und etwa 160 Menschen (davon ein Drittel Frauen) für kürzere oder längere Zeit in Haft, wobei über die Realität des Strafvollzugs wenig bekannt ist. Doch allein das Anstaltsreglement, die mehrfach revidierten sogenannten Hausordnungen, verweist auf strenge Haftbedingungen und Arbeitszwang, mit denen die aus bürgerlicher Sicht »Fehlbaren« durch ein zweistufiges Strafsystem gebessert werden sollten. Die Anstalt verzeichnete jährlich mindestens einen Todesfall. 200 Grundlage war das am 6.12.1864 ratifizierte Gesetz betr. Abschaffung der Kettenstrafe und Einführung der Einzelhaft bei der Bestrafung von Verbrechen vom 3.10.1864, vgl. Gesetzessammlung des Kantons Basel-Stadt, Bd.16. 201 Vgl. Grütter: Schwangerschaft, Fn. 81, S.130. Zum (liberaleren) Strafrecht bei »Kindmord« in Österreich im 19.  Jahrhundert vgl. Hammer: Kindsmord, S.35-55. 202 Vgl. Grütter: Schwangerschaft. Eine Zusammenfassung der Arbeit liegt ebenfalls vor, vgl. dies.: Kindstoetung. Als Fallstudie zum Kanton Aargau vgl. Restaino Strickler: Kindsmörderinnen. 203 In einem Verfahren wurde ein (nichtverheiratetes) Paar gemeinsam angeklagt und verurteilt. 204 Zahlen nach: Grütter: Schwangerschaft, Fn 12, S.121, und Fn. 9, S.120. 205 Die Akten befinden sich in: StABS, Ältere Nebenarchive, Gerichtsarchiv, CC 26-30, Ober-Kriminalgericht: Protokolle (1798-1875) sowie HH 2, Kriminalgerichtsakten, 1-454.

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klagten206 befanden sich acht der untersuchten Badenerinnen – alle wurden im Laufe dieses Kapitels bereits erwähnt.207

(Das Verfahren gegen) Magdalena Frommherz Am Nachmittag des 20. oder 21. Oktober 1849 wurde im Riehenteich, dem Basler Gewerbekanal, eine tote »weibliche Neugeburt« gefunden.208 Das Kind befand sich, in ein »schwarzes baumwollenes Hals206 Über das Sozialprofil der Angeklagten lässt sich Folgendes festhalten: Mit Ausnahme zweier Witwen waren alle Frauen ledig. Die Altersspanne der 35 Angeklagten reichte von 19 bis 42, wobei 80% zum Zeitpunkt des Urteils zwischen 20 und 29 Jahre alt waren (unter 20: 1; 20-24: 11; 25-29: 12; 30-34: 6; 35-40: 3; über 40: 2). Zwei Frauen stammten aus Basel, 18 aus anderen Schweizer Kantonen und 15 aus dem Ausland. Nur drei (die beiden Baslerinnen sowie eine Angeklagte aus Zürich) waren im städtischen Milieu aufgewachsen, alle anderen Frauen auf dem Land. Die allermeisten von ihnen kamen aus einer unterbäuerlichen Schicht, ihre Väter bzw. Eltern verdienten (sofern sie noch lebten) den Lebensunterhalt mit Heimarbeit oder mit handwerklicher Beschäftigung. Die meisten vom Dorf stammenden Angeklagten hielten sich zum Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht lange, erst ein oder zwei Jahre in Basel auf. Blickt man auf die Beschäftigungen, der die 35 Angeklagten in Basel nachgingen, so ist festzustellen, dass 14 als Magd arbeiteten, elf in der Fabrik, sieben im häuslichen Dienstgewerbe (vier Näherinnen, zwei Schneiderinnen, eine Glätterin) und drei als Tagelöhnerin. Interessant ist nicht zuletzt, dass zwei Drittel der Angeklagten bereits ein oder mehrere Kinder hatten, die – bis auf die Kinder der beiden Witwen – ebenfalls nichtehelich geboren worden waren. Nur eine kleine Zahl der Angeklagten wurde wegen vorsätzlicher Kindestötung verurteilt, die meisten wegen verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft mit Todesfolge. Die Strafen reichten von einem bis acht Jahre Zuchthaus (häufig verbunden mit Verweisung aus der Stadt), in drei Fällen verhängte das Gericht eine 14- bzw. 18-jährige Kettenhaft I. Grades. Zudem mussten die Verurteilten die Prozesskosten bezahlen. Drei Verfahren überwies das Gericht an die nächstniedrigere Instanz, das korrektionelle Gericht, und zwei Angeklagte sprach es von den Vorwürfen frei. Zur Urteilspraxis in Österreich vgl. Hammer: Kindsmord, S.293-312. Dort wurden 5% der 771 Angeklagten freigesprochen vgl., ebd. S.375. 207 Im Folgenden stehen nicht das Gerichtsverfahren bzw. die Haltung des Richters im Fokus (vgl. dazu Grütter: Schwangerschaft, S.23f. und 71-93). Wollte man die Strafverfahren untersuchen, so müssten die unterschiedlichen Verfahrensschritte (polizeiliche Voruntersuchung, Überweisungsverfahren an den Kleinen Rat, fiskalische Hauptuntersuchung und gerichtliches Schlussverfahren) unterschieden werden. Hier jedoch wird – diese Differenzierung bewusst außen vor lassend – pauschal von dem »Gericht« gesprochen. 208 Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 218 (1849), Bl.361; das folgende Zitat ebd. Zum Folgenden vgl. ebd., Bl.361, 388 und

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tuch« gewickelt, in einem Korb und lag bereits einige Tage im Wasser. Der Verdacht fiel schnell  – aus Gründen, die im Urteil nicht näher erläutert wurden  – auf die in der Nähe des Fundorts lebende Magd Magdalena Frommherz, die bei »Taglöhner Schwander an der Schorenbrücke« in Diensten stand.209 Sie wurde einen Tag später verhaftet. Die Ermittlungen ergaben, dass Frommherz, 1814 in Hartschwand im Hotzenwald geboren, in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 1849 in ihrer Kammer, in der sie allein schlief, einen Knaben geboren hatte, der laut gerichtsmedizinischem Bericht210 voll entwickelt und lebensfähig gewesen war. Er sei nach der Geburt unter ein Kissen gelegt worden, dann nach einigen Stunden in einen Stoff gewickelt und ins Wasser geworfen worden. Im Verhör211 gab Magdalena Frommherz zunächst nur zu, dass sie ihre Schwangerschaft verleugnet hatte. Es habe sich freilich auch niemand für diese interessiert: »Ich sagte Niemand etwas [von der Schwangerschaft], ich habe ja niemand auf der Welt.«212 Offenbar war ihre (alte) Heimat kein Ort, an den sie hätte gehen können. Danach gefragt, antwortete sie: »(Weinend) Ich wusste nicht wohin, denn wenn ich auch heimgekommen wäre, so hätte ich auch erst um ein Nachtlager herumbitten müssen, da dachte ich, ich wolle lieber bei Schwander bleiben so lange es geht.«213 Das Gericht sah es schließlich als erwiesen an, dass sie Schwangerschaft und Ge-

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425; sowie Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.254 und 264. Die Verfahrensunterlagen selbst konnten nicht eingesehen werden, da sie sich während der Recherche beim Restaurieren befanden. Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 218 (1849), Bl.388. Das Strafverfahren sah folgende Schritte der gerichtsmedizinischen Untersuchung vor: Zunächst erfolgte eine äußere Untersuchung der Kinderleiche, die der Stadtphysikus leitete, dann obduzierte die sogenannte Wundschau die Leiche. Der abschließend verfasste Bericht stellte eine wichtige Grundlage für die Entscheidung des Gerichts im Hinblick auf die Fragen dar, ob das Kind zum Zeitpunkt der Geburt voll ausgetragen und damit lebensfähig war, ob es geatmet hatte (hierzu wurde die sogenannte Lungenschwimmprobe durchgeführt) und nicht zuletzt, ob bzw. welche Verletzungen zum Tode geführt hatten. Zur Obduktion der Kinderleiche vgl. Hammer: Kindsmord, S.272-280. Die Verhöre fanden im Rahmen der fiskalischen Hauptuntersuchung statt. Die Verhörkommission bestand aus dem Fiskal (dieser hatte als »Anwalt des Staates, des Gesetzes und des öffentlichen Wesens« zu fungieren), dem Gerichtsbeisitzer und dem Gerichtsschreiber, vgl. Grütter: Schwangerschaft, S.23. Zur Verhörsituation vgl. zudem auch Hammer: Kindsmord, S.289293. Verhör Frommherz, zit. nach: Grütter: Schwangerschaft, S.53. Verhör Frommherz, zit. nach: Grütter: Schwangerschaft, S.53.

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burt verbergen und die Kinderleiche den Ermittlungen habe entziehen wollen, und verurteilte sie am 15.  Dezember 1849 wegen verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft zu fünf Jahren Zuchthaus sowie zur Bezahlung der Prozesskosten. Hinzu kamen acht Jahre Verweisung aus der Stadt. Offenbar kehrte Magdalena Frommherz aber nach Basel zurück. Sie starb am 29.  September 1879 an einem »Carcinoma uteri« im Spital der Stadt und fand in Basel auch ihre letzte Ruhestätte.214

(Das Verfahren gegen) Caroline Arnold Auch Caroline Arnold erschien ihr Kind als Last. Sie stammte aus Buggingen im Markgräflerland und aus einer Familie, die partiell Nichtehelichkeit praktizierte, und versuchte sich in Basel als Dienstmagd zu verdingen. Zum Jahreswechsel 1870/71 stand sie, nun ohne Beschäftigung, vor dem Kriminalgericht.215 Bis Mitte der 1860er-Jahre hatte sie bei ihrem Vater, einem  – so ihre Angaben vor Gericht  – Schlosser und Gemeinderat, und ihrer Stiefmutter in Buggingen gelebt und die Schule besucht. Anschließend trat sie in Dienst, zunächst in der Nähe von Buggingen, dann ging sie nach Schopfheim, im Winter 1869 nach Mulhouse. Dort »machte« sie »die Bekanntschaft eines Taglöhners […], kam von ihm in die Hoffnung und gebar 8 Tage nach Neujahr ein Kind«.216 Nach der Entbindung erkrankt, blieb sie einige Zeit bei ihrem Vater und dessen Frau, kehrte im Frühjahr 1870 nach Mulhouse zurück und ging im Sommer desselben Jahres nach Basel.217 Der Versuch, dort als Magd dauerhaft unterzukommen, misslang. Nach mehreren kurzen Diensten blieb sie im Herbst 1870 ohne Beschäftigung. Im gleichen Zeitraum wurde sie erneut schwanger und versuchte mehrfach, die Schwangerschaft abzubrechen. Im Verhör gestand sie dies nach langem Leugnen schließlich, gab zudem zu, so214 Eintrag, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 2.3b, Sterbe- und Beerdigungsregister 1877-1899. 215 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 29, Bl.101-104, und Gerichtsarchiv, HH 2, 432, Nr.351. 216 Verhör Arnold, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 432, Nr.351, Bl.14f. Das folgende Zitat ebd., Bl.15. 217 Für den Wechsel von Mulhouse in die Schweiz nannte sie im Verhör, dass ihr Vater sie »von Anfang an nicht gern an diesen Ort gelassen und befahl mir nach einiger Zeit bestimmt, von dort fortzugehen. So kam ich am 3. Juni nach Basel.«

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wohl einen Arzt als auch einen Quacksalber, einen »Kräuterhändler« und nicht zuletzt die Hebamme Schmidt-Furrer um Hilfe gebeten zu haben. Diese suchte sie nach einer Unterbrechung von mehreren Wochen Anfang/Mitte November 1870 erneut auf und bat wieder um Mittel für eine Interruptio. Zwei Dinge gaben offenbar den Ausschlag, dass Schmidt-Furrer, die Arnold bisher nicht bei den Behörden gemeldet hatte (obwohl sie dazu nach Hebammenordnung verpflichtet war), nun handelte: zum einen das nun recht weit fortgeschrittene Stadium der Schwangerschaft, zum anderen die Vehemenz, mit der Arnold einen Abort herbeiführen wollte – mittels der verlangten Mittel, aber auch, indem sie in Gegenwart der Hebamme gegen ihren eigenen Leib einschlug. Jedenfalls informierte Schmidt-Furrer nun den Physikus Dr. De Wette, der Arnold noch am selben Tag bei der Polizei anzeigte. Nun kam ein Verfahren in Gang, in dem Arnold zunächst der »Abtreibung der Leibesfrucht« beschuldigt wurde.218 Die vom Untersuchungsrichter beauftragte ärztliche Untersuchung ergab, dass Arnold, die behauptete, weder eine »Bekanntschaft« zu haben noch schwanger zu sein, an Syphilis litt und vor allem, dass sie vor Kurzem geboren haben musste. So lautet die Anklage nun auf »verheimlichte Schwangerschaft und Geburt«. Obwohl das Gericht in den nächsten Wochen angestrengt versuchte, die Geschehnisse zu rekonstruieren, diverse Zeugen einvernahm und Caroline Arnold mehrfach verhörte, konnte letztendlich nicht geklärt werden, wann und wo die Geburt stattgefunden hatte. Sicher schien nur der ungefähre Zeitpunkt (»in der letzten Hälfte des November« 1870) und dass es sich um eine »vier bis sechs Monate getragene Leibesfrucht« gehandelt haben müsse.219 Was die Frühgeburt letztendlich ausgelöst hatte  – Abortiva, die sie sich selbst besorgt oder von einem Arzt, dem Kräuterhändler oder Schmidt-Furrer bekommen hatte, oder ein (selbst herbeigeführter?) Sturz mit einer Kohlenkiste, den Arnold detailliert beschrieb –, blieb bis zum Ende des Verfahrens unklar. Erschwerend für die Beweisführung kam hinzu, dass – anders als im Fall von Magdalena Frommherz  – die Kinderleiche nicht gefunden wurde. Doch das Gericht argumentierte ähnlich wie bei jener und hielt Caroline Arnold »der verheimlichten Schwangerschaft und verheimlichten Niederkunft mit einer noch nicht 30 Wochen alten Leibesfrucht schuldig, welche der ordnungsmäßigen Untersuchung der Sachverständigen durch Weg-

218 Verhaftbefehl, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 432, Nr.351, Bl.6. 219 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 29, Bl.103.

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schaffung […] entzogen wurde«. Ihre Strafe bestand in einem Jahr Zuchthaus; auch sie musste die Prozesskosten bezahlen.

(Das Verfahren gegen) Sophie Fidel In Sophie Fidels Fall wurde das (tote) Kind entdeckt. So fanden Arbeiter am 21. Juni 1850 beim Leeren des Abtritts des St. Antonierhofs in Kleinbasel eine in ein schwarzes Tuch gehüllte Kinderleiche.220 Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass das kleine Mädchen zum Zeitpunkt der Geburt voll ausgetragen war. Da sich die Leiche aber im Zustand der weit fortgeschrittenen Zersetzung befand, konnten die Ärzte nicht feststellen, ob es bei der Geburt gelebt hatte. Bei der Suche nach der Mutter geriet sehr bald Fidel ins Visier. Sie wohnte erst wenige Wochen im Antonierhof und die Nachbarn hatten beobachtet, dass sie »ziemlich dick war, als sie ins Haus kam, dasselbe aber mager u. flach verließ«.221 Zudem hatte sie an einem Mittwochmorgen Ende Mai über Unwohlsein geklagt und wenige Stunden später bemerkten Dienstherrin und Nachbarinnen große Blutflecken in ihrer Kammer und auf dem Abtritt. Fidel habe, von ihnen befragt, erklärt, sie leide an »unregelmäßigen Geblüt« und ihr sei unwohl.222 So machte man ihr einen »Kamillenthee« und wischte das Blut auf.223 Erst der Fund der Kinderleiche und die Nachforschungen des Wachtmeisters einen Monat später führten dazu, dass die Frauen ihr (Halb-)Wissen um Sophie Fidels Schwangerschaft und Niederkunft preisgaben. So geriet sie in Haft und Folgendes ans Tageslicht: Die 25-Jährige, im badischen Weil aufgewachsen, war im Mai 1850 in den Antonierhof gezogen, da sie dort Arbeit als Näh(t)erin und auch eine Kammer fand. An den Wochenenden fuhr sie zu ihren Eltern nach Weil, die ihr erstes, zweieinhalb Jahre zuvor geborenes Kind aufzogen. Ihr Vater verdiente den Lebensunterhalt der Familie als Schuster, zudem gab es zwei Brüder, von denen einer bei den Soldaten diente. Als Vater ihres ersten Kindes bezeichnete Sophie Fidel einen Jakob Friedrich von Constanz, der seinerzeit als »Aufseher bei der Eisenbahn in Effringen« gearbeitet

220 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.311, 319, 324, 325-331, 349; Gerichtsarchiv, KK 1, 55, und Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 219 (1850), Bl.230 und 395. 221 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.326. 222 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.327. 223 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No. 1c.

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habe und gelegentlich mit Kollegen nach Weil gekommen sei.224 Aber gerade als das Kind zur Welt kam, habe er eine andere Frau geheiratet. Wer der Vater des zweiten Kindes war, ließ sich im Sommer 1850 nicht klären. Sophie Fidel nannte einen »flüchtigen Soldaten namens Schröter aus der Umgegend von Rastatt gebürtig«,225 den sie schon länger gekannt habe, während eine der Nachbarinnen aussagte, dass »die Fidel, wie man sage, nur zu viele [Bekanntschaften] gehabt [habe], namentlich auch einen Ehemann von der Leopoldshöhe, weshalb sie sich dann daselbst nicht mehr habe dürfen blicken lassen«.226 Obschon Sophie Fidel häufig zu ihren Eltern fuhr, glaubte sie weder, dass diese ihr zweites Kind aufziehen würden, noch dass sie es zu Hause zur Welt bringen könnte. Ihre Mutter habe, so bezeugten die Nachbarinnen später vor Gericht, ihre Tochter gewarnt, »sie könne unter keinen Umständen im Haus kindbetten, sie wisse wie der Vater sei, der würde sie todtschlagen und sie würde ihm noch helfen dazu«.227 So »verheimlichte« Fidel ihre Schwangerschaft »während der ganzen Zeit behaarlich«, stellte diese »selbst ihrer Mutter gegenüber in Abrede«228 und die Geburt fand nicht in Weil statt, sondern in Basel. Zunächst gab Fidel an, sie sei auf dem Weg von Weil nach Basel in einem Gebüsch bei einer Wiese niedergekommen, das Kind sei tot gewesen und sie habe es »in einem hohlen Baum versteckt«.229 Doch Fidel hatte nicht »im Freien« geboren, sondern, so gestand sie schließlich, in der Nacht vom 21. auf den 22. Mai auf dem Abtritt des Antonierhofs. Sie habe, so ihre Aussage, zwar Hilfe gesucht, auf dem Weg zum Abtritt bei einer Nachbarin geklopft, die sie aber nicht gehört habe. Auf dem Abtritt sei sie dann – »in den heftigsten Krämpfen fast des Bewußtseins beraubt«230 – sehr schnell niedergekommen, das Kind sei dabei in die Kloake gefallen. Sie wisse nicht, »ob es lebend oder todt gewesen sei« und habe es nicht finden können.231 Sie sei dann in ihr Zimmer zurückgekehrt. Das Gericht glaubte ihren Ausführungen und gestand ihr – ganz im Sinne des postaufklärerischen Diskurses – zu, durch die Geburt in einen psychischen Ausnahmezustand geraten zu sein. Dieser sei auch 224 225 226 227 228 229 230 231

Verhör Fidel, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No. 1d. Verhör Fidel, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No. 6. Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No 1e. Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No. 10c. Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.327. Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.327. Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.327. Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 23, Bl.327.

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für ihre wirren Aussagen während der späteren Verhöre verantwortlich. Sie leide an »Wahnsinn u. Hallucinati«, wobei das »Irresein […] durch die verheimlichte Niederkunft, Mangel an Pflege u. Ruhe nach derselben, durch Gewissensbisse u. Furcht vor Strafe« veranlasst sei.232 So wurde Fidel vorübergehend in die »Irrenanstalt« überwiesen, aus der sie nach zwei Wochen mit »freiem Bewußtsein« zurückkehrte. Das Gericht verurteilte sie am 31. August 1850 wegen »verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft« zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe und zur Bezahlung der Prozesskosten. Als eine der wenigen angeklagten Frauen legte Fidel Rekurs ein. Doch sie erreichte nichts. Am 7. November des gleichen Jahres fügte das Appellationsgericht der Strafe vielmehr noch eine sechsjährige Landesverweisung hinzu.

(Das Verfahren gegen) Sophie/Sophia Haberstroh Ganz ähnlich verliefen die im Folgenden dargestellten Fälle. Die 28-jährige Sophie/Sophia Haberstroh aus Oppenau im Amtsbezirk Oberkirch, Tochter eines Schusters, war 1853 als Magd nach Basel gekommen und hatte dort mehrere Dienststellungen durchlaufen.233 Im Juni 1856 wechselte sie zu dem als Posamenter beschäftigten Kündig ins Haus No. 351 im Schnidergässli. Dieser bemerkte den sich verändernden Körperumfang seiner Magd sehr wohl: Sie »schien mir seit mehreren Wochen wohl beleibt, was mich schließen ließ, sie werde schwanger seyn; ich stellte sie mehrere Mal deßhalb zur Rede; sie läugnete aber«.234 Erst als die Situation am 1.  September 1856 eskalierte, ging Kündig zur Polizei. Er berichtete dort, Haberstroh habe sich früh am Morgen »unwohl« gemeldet, aber betont, er und seine Frau könnten »auf die Fabrik gehen«. Dort sei um acht Uhr wie jeden Tag der Knabe erschienen, der »uns den Caffe [brachte], u. sagte, die Sophie (unsere Magd) sei [vom] Sessel gefallen«. Seine Frau sei daraufhin nach Hause gegangen und habe in Haberstrohs Kammer sowie auf dem Abtritt Blutlachen vorgefunden, die eine andere Magd gerade aufwusch. Sie hätten dann zu mehreren Haberstroh zur Rede gestellt und diese habe nach längerem Drängen schließlich, so Kündig weiter, 232 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, KK 1, 55, No. 6; die folgenden Zitate ebd. 233 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.110f.; Gerichtsarchiv, HH 2, 368, und Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 225 (1856), S.250 und 276. 234 Anzeige Kündig bei der Polizei, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 368, Bl.3; die folgenden Zitate ebd.

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erklärt, »sie habe seit 18 Wochen ihre monatliche Reinigung nicht mehr gehabt, und diese letzte Nacht sei etwas von ihr gegangen, sie wisse aber nicht was. Diese Sophie Haberstroh liegt nun noch in ihrer Kammer im Bette, u. ich überlaße nun das Weitere der Behörde«. Die Polizei verhaftete Haberstroh noch am gleichen Tag und die ärztliche Untersuchung ergab, dass sie gerade geboren hatte. Schnell fand man auf dem Abtritt auch das tote Neugeborene. Nun gestand Haberstroh, dass sie den kleinen Jungen nachts gegen zwei Uhr in ihrer Kammer »innerhalb einer Viertelstunde« geboren hatte, und zwar »im Nachthafen« vor ihrem Bett.235 Sie habe den Nachttopf dann auf den Abtritt gebracht und ausgeleert. »Dann bin ich wieder hinein ins Zimmer u. bin wieder eingeschlafen. Morgens stand ich auf und machte den Café, dann wurde mir übel u. die Frau kam nach Hause u schickte mich ins Bett.« Laut gerichtsmedizinischem Bericht hatte das Kind »gelebt und geathmet, und sey in der Gülle verstickt«.236 Wie Fidel und Frommherz so konnte auch Haberstroh nicht auf ihre Herkunftsfamilie zählen. Zwar lebten ihre Eltern noch, sie unterstützte sogar ihren kranken Vater mit Geld, doch wie Fidel glaubte sie, nicht ein zweites Mal mit einem nichtehelichen Kind nach Hause kommen zu können. Ihr erstes Kind, ein Mädchen, hatte sie im Sommer 1854 mit Unterstützung einer Hebamme zu Hause zur Welt gebracht; nach sieben Wochen war es an Krämpfen (an den »Gichtern«) gestorben. Zwei Jahre später schloss sie aus, in der Heimat zu gebären. Eine solche schien für sie nicht mehr zu existieren. Zumindest sagte sie im Verhör: »Man ist halt unglücklich, wenn man Niemand mehr auf der Welt hat; ich habe Niemand mehr als einen Bruder u. der ist droben in der Schwiez.«237 Auch der Vater des Kindes (ein – so Haberstroh – badischer Maurer namens »Joh. Gottlieb o. Joh. Adam Kraus«) half nicht. Haberstroh hatte mit ihm während ihres Basler Aufenthalts eine »Bekanntschaft« angeknüpft, »pflog mit ihm mehrfach geschlechtlichen Umgang u. wurde in Folge dessen schwanger, den genauen Zeitpunkt des Anfangs der Schwangerschaft behauptet sie nicht angeben zu können«.238 Doch als sie Gewissheit hatte, 235 Verhör Haberstroh, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 368, Bl.8; die folgenden Zitate ebd., Bl.8 und 10. 236 Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 225 (1856), S.250. 237 Verhör Haberstroh, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 368, Bl.10; das folgende Zitat ebd. 238 Antrag des Fiskal, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 368, Bl.70; das folgende Zitat ebd.

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machte sie einer Freundin »hiervon Mittheilung, ebenso dem Liebsten, der sich auf diese Mittheilung von hier entfernt haben soll«. Auch die Behörden konnten seinen Aufenthalt nicht ermitteln. So brachte Sophie/Sophia Haberstroh das Kind allein auf die Welt und zugleich ums Leben. Das Gericht erkannte keine mildernden Umstände und verurteilte sie am 24. September 1856 wegen vorsätzlicher Tötung ihres Kindes zu 18 Jahren Kettenhaft I. Grades und Bezahlung der Prozesskosten. Sophie/Sophia Haberstroh saß zwölf Jahre im Zuchthaus und suchte dann um Begnadigung nach. Der Grosse Rat gab dem Gesuch statt, sodass sie am 5. Oktober 1868 freikam.

(Das Verfahren gegen) Catharina Vollmer/Vollmar Auch Catharina Vollmers/Vollmars Kind kam auf dem Abtritt zur Welt und ums Leben.239 Catharina Vollmer/Vollmar war 1850 in Pfullendorf als Tochter eines Spitalverwalters, der später als Landmann beschäftigt war,240 zur Welt gekommen und mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Im Alter von 14 Jahren verließ sie die Schule und verdingte sich seitdem als Magd, zunächst in Pfullendorf, dann teils in Stockach, teils in Ravensburg. Aus der »Bekanntschaft« mit einem Knecht resultierte ein erstes nichteheliches Kind, das sie im Mai 1872 bei ihrer Tante zur Welt brachte; acht Wochen nach der Geburt starb es, so sagte Vollmer/Vollmar 1874 im Verhör aus, an einem »Kopfgeschwulst, das es schon mit auf die Welt gebracht hatte«.241 Im November 1873 kam sie »abermals in die Hoffnung«,242 dieses Mal war, so Vollmer/Vollmar, ein 24-jähriger Müllergeselle namens Heinrich Gulde aus Sigmaringen der Vater, der, über die Schwangerschaft informiert, versprochen habe, sie »in 1-2 Jahren zu heirathen«.243 Doch dies geschah erst einmal nicht. Vielmehr wechselte sie an Fasnacht 1874 nach Basel, und zwar zu den Eheleuten Braun, die sie von früher 239 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 30, Bl.353-358, und Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273. 240 Im Taufregister wird der Beruf mit Spitalverwalter angegeben, im Verfahren mit Landmann. 241 Verhör Vollmer/Vollmar, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.63. 242 Verhör Vollmer/Vollmar, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.6. 243 Verhör Vollmer/Vollmar, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.64.

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kannten und nun als Magd in ihrer Wirtschaft in der Sattelgasse 18 beschäftigten. Gulde habe sie dort besucht und versicherte, er wolle sie nicht verlassen. Zudem hatte sie dort noch einen zweiten »Liebsten, […] der mehreremale zu ihr kam«,244 den Maurerpolier Gustav Adolf Kuss. Dieser bestritt nicht, eine »Bekanntschaft« zu ihr zu haben, wohl aber, bemerkt zu haben, dass sie schwanger war. »Sie machte mir auch keine Mittheilung davon.«245 Im Verlauf der Ermittlungen fand man in Vollmers/Vollmars Habseligkeiten schließlich noch Briefe an einen weiteren Mann, aus denen hervorzugehen schien, dass sie auch mit jenem »sehr intim« stand.246 Im Sommer 1874 vertraute Vollmer/Vollmar der Dienstherrin an, sie sei schwanger und wolle in Gottmadingen kindbetten. Am 11. Juli 1874 verließ sie den Dienst, um, so teilte sie den Wirtsleuten mit, zu einer auswärts wohnenden Verwandten (zu ihrer Schwester?, ihrer Tante?) zu gehen. De facto aber blieb sie in dem Basler Gasthof Ochsen und fand dann, als ihr das Geld ausging, ganz in der Nähe der Brauns, nämlich in der Wirtschaft Bolliger in der Sattelgasse 3, Unterkunft. Als Gegenleistung half sie dort aus. Für das Arrangement schien die Schwangerschaft – weder für sie noch die Wirtsleute Bolliger – ein Hinderungsgrund gewesen zu sein, vielleicht weil Vollmer/Vollmar angab, die Niederkunft stünde erst in drei Monaten bevor. Doch das Kind kam in der Nacht des 7./8. August zur Welt. Catharina Vollmer/Vollmar berichtete im Verhör: Sie habe in der Nacht plötzlich auf den Abtritt müssen, »habe einen harten Stuhlgang und musste stark drücken; plötzlich fuhr alles heraus, so dass ich keine Zeit mehr hatte, aufzustehen. Ich hätte das Kind gern gehalten, […] sah etwas in der Dohle [im Abtrittrohr] liegen […], wollte hinunterlangen, um es zu holen, konnte aber nichts machen und sah dann das Kind nicht mehr.«247 Die ebenfalls im Haus wohnende Witwe Sophie Bitterlin, die kurze Zeit später auf den Abtritt ging, hörte die Schreie des Neugeborenen. Sie sprach Vollmer/Vollmar, der sie begegnete, darauf an, doch jene gab zur Antwort, »es schreie ein Kind im oberen 244 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.38. 245 Zeugenvernehmung Kuss, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.46. 246 Bericht, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.52. 247 Verhör Vollmer/Vollmar, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.67f. Das Gericht beschäftigte sich lange mit der Frage, wohin genau das Kind fiel (vgl. die Zeichnungen ebd., Bl.31f.). Offenbar fand man das Kind auf dem Abtrittrohr, das in den Prozessunterlagen als »Dohle« bezeichnet wird, der schweizerdeutsch/schwäbische Begriff für ein Einlaufgitter/Gully.

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Stockwerk«.248 Die andere glaubte dies nicht, rief vielmehr die Wirtin und weitere Personen herbei, die Suche begann. Der Lehrling des benachbarten Zuckerbäckers stieg in den Abtritt hinunter, fand das Kind auf der nur wenig Wasser und Kot enthaltenden Dohle und »zog es lebend u. unversehrt heraus«. Frau Bitterlin nahm es in Empfang, wickelte es in eine Schürze, brachte es in ihre Wohnung und dann zu einer ihr bekannten Wöchnerin. Diese »legte es an die Brust, worauf es sogleich anfing zu saugen«.249 Vollmer/Vollmar, die in die Wirtschaft zurückgekehrt war, stimmte dort – so hielt es zumindest der Gerichtsschreiber fest – »in die Entrüstung der Gäste über die noch unentdeckte Thäterin lebhaft ein. Erst nach und nach lenkte sich der Verdacht gegen sie«.250 Nun holte jemand (der im Hause wohnende Trödler Hauser?) den Landjäger Gottlob Frei und die Hebamme Susanna Knecht herbei, die Vollmer/Vollmar untersuchte. Knecht stellte »trotz ihrem Leugnen [fest], daß sie unmittelbar vorher geboren hatte«. So ließ der Landjäger Vollmer/Vollmar zusammen mit dem Neugeborenen mit einer Droschke ins Spital bringen. Dort starb der – noch eilig auf den Namen Karl getaufte – kleine Junge nach wenigen Stunden an einem Lungenödem. Die Spitalärzte protokollierten: »Athmen aussetzend. Zahlreiche Rasselgeräusche auf den Lungen. Herzschlag noch regelmässig, 120. Bei künstl. Respiration (nach Schulz) werden grosse Massen schaumiger, brauner Flüssigkeit herausgeschleudert. Athmung hört um 1/2 6 Uhr auf.«251 Die Gerichtsmediziner hielten e, für »möglich, ja sogar wahrscheinlich […] daß das Lungenödem durch den Sturz und den Aufenthalt in der Dohle herbeigeführt« worden sei.252 Zweifelsfrei könne dies aber nicht bewiesen werden. So verurteilte das Gericht Vollmer/Vollmar am 10. Oktober 1874 nicht wegen vorsätzlicher, sondern lediglich wegen versuchter Kindestötung. Die Strafe bestand in fünf Jahren Zuchthaus und Bezahlung der Prozesskosten.

248 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 30, Bl.356; die folgenden Zitate ebd., Bl.356 und 357. 249 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.24. 250 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 30, Bl.357; das folgende Zitat ebd. 251 Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/7, Fol. 174. 252 Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 30, Bl.357.

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(Das Verfahren gegen) Caroline Wunsch Am Montag, den 22. Juli 1861, wurde im Keller des Hauses No. 774 in der Steinen in einer Kiste die Leiche eines gerade geborenen kleinen Mädchens gefunden und kurz darauf verhaftete die Polizei zwei Mägde des im Hause wohnenden Ehepaars Bürger: Caroline Wunsch aus Gernsbach im Amtsbezirk Rastatt wegen verheimlichter Niederkunft mit einem toten Kind und Barbara Popp aus Lindau in RheinBayern wegen Mitwisserschaft.253 Die Nachforschungen ergaben, dass sich Wunsch, Jahrgang 1836 und eine von fünf Töchtern eines bereits verstorbenen Schreiners, seit ihrer Schulentlassung in Stellung befand. Über verschiedene Stationen in der unmittelbaren Nähe ihres Heimatortes kam sie Ende der 1850er-Jahre nach Baden-Baden, wo sie bei einem Goldarbeiter Kammerer und einem Bierbrauer Hofmann diente. Im Winter 1860 wurde sie schwanger. Wunsch berichtete im Verhör, ihr »Bekannter« sei ein Soldat namens Emil (oder vielleicht auch Adolf) Krämer aus Gernsbach, der sonntags aus Karlsruhe nach Baden-Baden gekommen sei. Eine Hochzeit fand trotz der Schwangerschaft nicht statt. Vielmehr verließ Wunsch Baden-Baden an Ostern 1861 Richtung Basel. Dort verdingte sie sich sieben Wochen bei einem Schreiner Latscha (dort kam es zu dem erwähnten Versuch der Schwangerschaftsunterbrechung mittels »Thee« bzw. »bläßlicher Abtreibungsmittel«), wechselte dann zu J. Georg Bürger, einem Handelsagenten, und seiner Frau Agnes. Für den Haushalt und die vier Kinder beschäftigte das Ehepaar drei Dienstmädchen: die Köchin Barbara Popp, das Kindermädchen Colombe Louise Küng/Jhüng und Wunsch als Magd für die groben Arbeiten. Letztere gab zu Protokoll, dass sie die Herrschaft über ihre Schwangerschaft informiert habe. In der Nacht vom 21. auf den 22.  Juli 1861 kam dann das kleine Mädchen auf dem Abtritt zur Welt. Wie es dazu kam, dass die Niederkunft im Hause der Dienstherrschaft stattfand, berichteten alle Beteiligten sehr ähnlich. Georg Bürger sagte aus, er habe Wunsch am Samstag vor der Geburt wegen ihrer Schwangerschaft entlassen, sie sei aber »wahrscheinlich mit Hilfe der anderen Mägde« im Haus geblieben und habe dort auch übernachtet.254 Das Kindermädchen, Colombe Louise Küng/Jhüng von Genf, wies vor Gericht jede Mitwisserschaft 253 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.587 und 591f.; StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, und Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 230 (1861), S.201 und 230. 254 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.3; das folgende Zitat ebd., Bl.28.

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oder Mithilfe zurück. Sie »verstehe kein Baseldeutsch u. konnte daher mit der Caroline gar nicht sprechen«, sie habe »überhaupt nichts mit ihr zu thun« gehabt, nur vier Wochen mit ihr zusammen gedient. Barbara Popp hingegen, die Köchin, die an jenem Samstag ihren Dienst bei Bürgers erst antrat, berichtete offen darüber, der Schwangeren geholfen zu haben. Wunsch habe das ganze Wochenende im Haus zugebracht, beim Abendessen am Sonntag gesagt, es sei ihr »zu spät in einen Gasthof zu gehen, wir haben ein breites Bett u. da könne sie wohl bei mir schlafen. Aus Mitleid nahm ich sie zu mir, da sie mir überdies versprochen hatte, Morgen zu verreisen«.255 Popp wies zudem darauf hin, dass auch »die Frau Bürgerin« gewusst habe, dass sich Wunsch noch im Hause aufhalte. Um halb elf in der Nacht zum Montag kehrte Popp von ihrem Dienst in die Mädchenkammer auf dem Dachboden zurück, »da traf ich die Karolin dort auf einem Stuhl sitzend; ich wollte sie fortschicken, um nicht mit Herrn Bürger in Verlegenheit zu kommen, sie aber sagte, es sei jetzt zu spät u. sie habe starke Magenschmerzen, worauf ich mich niederlegt u. sie auf ihrem Stuhl sitzen ließ. Ich gab ihr aber noch ein Kissen. Nach einiger Zeit, ich war noch nicht eingeschlafen, ging sie fort, ich nahm an, auf den Abtritt. Als sie lange ausblieb, sagte die Kindsmagd, sie wolle sehen, wo sie geblieben sei, sie ging weg u. kam aber auf der Stelle mit der Karolin wieder zurück; die Kindsmagd ging zu Bette u. die Karolin setzte sich wieder auf den Stuhl.« Morgens machte sie ihr, der es offenbar sehr schlecht ging, einen Tee, und die Kindsmagd wischte das Blut in der Waschküche auf. Auch Wunsch selbst gab keine andere Version der Vorkommnisse zu Protokoll.256 Zur Rolle des Ehepaars Bürger befragt, gab sie an, dass diese nicht nur von der Schwangerschaft gewusst, sondern dass die Dienstgeber sie regelrecht daran gehindert hätten, rechtzeitig vor der Geburt nach Hause zu gehen. Schon eine Woche vor der Niederkunft habe sie »fort« wollen, »man ließ mich aber nicht gehen, weil man keine Magd hatte u hielt mich auf. In den letzten Tagen mußte ich schwer arbeiten, sonst wäre ich nicht in den Fall gekommen.«257 Mit anderen Worten: Hätte die Herrschaft sie gehen lassen, sie zudem 255 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.14; die folgende Zitate ebd., Bl.14f. 256 Freilich betonte sie, nicht sie, sondern die Köchin habe gesagt, es sei zu spät, in den Gasthof zu gehen, und ihr angeboten, bei ihr zu schlafen. 257 Verhör Wunsch, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.34. An anderer Stelle (ebd., Bl.21) sagte sie: »[H]ier habe ich aufgekündigt u. habe schon 8 Tage fortgewollt; sie haben aber kein Mädchen, darum mußte ich

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nicht mit schwerer Arbeit überlastet, dann wäre das Kind in der badischen Heimat zur Welt und nicht ums Leben gekommen. Ob Wunsch tatsächlich Vorkehrungen für die Geburt (in ihrer Heimat) getroffen hatte, konnte das Gericht nicht klären. Wunsch selbst betonte mehrfach, sie »wäre um niederzukommen nach Hause gegangen, hätte dann das Kind meiner Schwester übergeben u. wäre hierauf wieder in einen Dienst getreten«.258 Ihrer verheirateten Schwester habe sie »schon vor längerer Zeit geschrieben, dass ich in der Hoffnung sei u daß ich deswegen heim kommen werde. […] Meine Schwester hätte schon für das Kind gesorgt u. ich habe in Baden-Baden erspartes Geld, aus dem ich schon das Nöthigste für das Kind hätte anschaffen können.« Die Nachforschungen in Gernsbach ergaben, dass dort tatsächlich eine kleine Liegenschaft und etwas Geld vorhanden war. Doch ob Wunsch eine der Schwestern informiert hatte und zur Geburt nach Hause gegangen wäre, bezweifelte das Gericht, zumal der Verdacht bestand, dass sie versucht hatte, das Kind abzutreiben. Ihre erste Basler Dienstherrin, die Frau des Schreiners Latscha, bezeugte zumindest, sie habe nach Wunschs Weggang »bläßliche[…] Abtreibungsmitteln« vorgefunden, »u. da sie vorher u. nachher keine Magd hatte, so können sie nur von ihr herkommen. Man hat sie in Verdacht der Schwangerschaft gehabt, aber nicht darüber befragt.«259 Auch dies erneut ein Hinweis auf das (Halb-)Wissen des unmittelbaren Umfeldes, das deshalb nicht virulent wurde, weil kein unmittelbarer Anlass bestand, da die Magd den Dienst verließ. Ausschlaggebend für das Urteil gegen Wunsch260 waren schließlich die Berichte der Gerichtsmedizin. Nach diesen war das bei der Geburt lebende und lebensfähige Kind durch äußere Gewaltanwendung am Kopf getötet worden. Wunsch bestritt dies, versuchte, die Verletzungen damit zu erklären, dass sie »das lebende Kind an den in dem Waschhaus befindlich Brunnen [habe] waschen wollen u. sei mit demselben an den Brunnentrog angestossen«.261 Später berichtigte sie, das Kind »sei ihr beim Wasser pumpen auf den Boden gefallen, habe hernach zu Mund u. Nase aus geblutet u da habe sie dasselbe in

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bleiben bis Samstags; am Samstag habe ich noch geputzt u. gewaschen u. die Betten aufgeschlagen.« Verhör Wunsch, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.20; das folgende Zitat ebd., Bl.21. Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.65a. Popp wurde nicht verurteilt. Urteil, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.591.

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die Kiste versteckt«.262 Mit den gerichtsmedizinischen Berichten konfrontiert, gestand sie schließlich, sie seit mit dem Kind »an den Stein gestoßen, es geschah nicht mit Fleiß, sondern aus Angst u. Schrecken«. Auf die Frage, woran »Angst und Schrecken« zu erkennen sei, sagte sie: »Ich zitterte an Leib und Seele.« Das Gericht erkannte jedoch anders als bei Fidel keine mildernden Umstände und verurteilte Caroline Wunsch ebenso wie Sophie/Sophia Haberstroh wegen vorsätzlicher Kindestötung zu 18 Jahre Kettenhaft I. Grades und Bezahlung der Kosten. Auch sie wurde nach zwölf Jahren begnadigt.

(Das Verfahren gegen) Anna Maria Suter Abschließend sollen noch zwei Fälle beschrieben werden, die sich weniger in den Umständen der Geburt bzw. des Todes unterscheiden als durch die Sichtweise des Gerichts. Die 24-jährige Anna Maria Suter aus Niederweiler im Amt Müllheim, die in Basel sowohl als Fabrikarbeiterin als auch als Dienstmagd ihr Auskommen fand, war im Oktober 1861 zum ersten Mal ledig Mutter geworden und seit April 1862 erneut schwanger.263 Wie in den anderen Fällen nahm auch ihr unmittelbares Umfeld die Schwangerschaft mehr oder weniger bewusst wahr. Die später befragten Zeuginnen und Zeugen berichteten, sie hätten sie danach gefragt, aber keine Antwort erhalten. Möglicherweise handelte es sich aber um eine Schutzbehauptung, um nicht für mitschuldig gehalten zu werden. Unabhängig davon hatte Suter offenbar den Vater des Kinds informiert und vor allem eine Hebamme in Lörrach aufgesucht, von der sie sich untersuchen ließ. Sie sprach auch darüber, dass das Kind im Gebärhaus in Freiburg (vermutlich war die dortige Entbindungsanstalt gemeint264) zur Welt kommen sollte, und hatte dann »2 Tage vor der Niederkunft einer Nebenarbeiterin vom Fortgehen gesprochen«. Die Geburt fand jedoch nicht in Freiburg statt, sondern am 8.  Dezember 1862 in Basel. Suter verließ an diesem Tag schon morgens ihre Arbeitsstelle in der Fabrik, da ihr »unwohl« war, ging zurück in ihre Kammer, »woselbst suchte sie die Leibschmerzen, die sie hatte, durch Branntweintinktur zu vertreiben«. Gegen elf Uhr 262 Verhör Wunsch, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 389, Bl.25; die beiden folgenden Zitate ebd., Bl, 25 und 67. 263 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 26, Bl.106-122; die folgenden Zitate ebd. Die Verfahrensunterlagen sind, wie eine Nachprüfung im StABS ergab, nicht überliefert. 264 Zu dieser vgl. Kupetz: Säuglingssterblichkeit, S.22-24.

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gingen auf dem Abtritt »zur gleichen Zeit Wasser u. Kind« von ihr ab. Ähnlich wie im Fall von Vollmer/Vollmar hörte eine Nachbarin das Schreien des Kindes. Auch diese Frau reagierte sofort, informierte den Hauseigentümer, der eine Untersuchung veranlasste. Schnell fand man ein stark verletztes Neugeborenes und der Fund aktivierte – wie in den anderen Fällen  – das (Halb-)Wissen der Nachbarinnen und Nachbarn. Sie gingen jedenfalls ganz gezielt zu Suter und befragten sie. Nach anfänglichem Leugnen schilderte diese, was passiert war, betonte aber, sie habe noch nicht mit der Geburt gerechnet, die Leibschmerzen nicht für Wehen gehalten, dem Kind nichts tun wollen. Sie »habe erst im Augenblick als das Kind von ihr ging und in den Abtritt fiel, gemerkt daß die Geburt da sei; sie habe hierauf geglaubt, das Kind sei jedenfalls todt gefallen u. sie deshalb ohne Hülfe herbeizurufen in ihr Zimmer zurückgekehrt«. Wie in Vollmers/Vollmars Fall brachten die Nachbarinnen das Kind ins Spital, wo es, am 14. Dezember auf den Namen Gotthilf Christian getauft,265 am ersten Weihnachtstag starb. Anders aber als bei Vollmer/Vollmar, Haberstroh, Wunsch oder Fidel hielt das Gericht Suters Schilderung, von der Geburt »überrascht« worden zu sein, für glaubhaft. Sie habe, so das Urteil, nicht »in feindseliger Absicht gegen das Leben des Kindes gehandelt«, sodass ihre Strafe mit acht Monaten Einsperrung und Bezahlung der Prozesskosten vergleichweise milde ausfiel.

(Das Verfahren gegen) Veronika/Veronica Thoma Ganz ähnlich der Fall von Veronika/Veronica Thoma.266 Die 1826 in Wittenschwand im Klosterwald geborene Thoma kam 1847 nach Basel, wo sie in einer Fabrik Arbeit fand. Anders als viele andere Fabrikarbeiterinnen wechselte sie ihre Unterkunft nicht häufig. So war sie Anfang des Jahres 1856 bereits seit zwei Jahren bei dem Magazinarbeiter Heinrich Stiefel und seiner Frau in der Hutgasse in Kost. Dort brachte sie in der Nacht des 11. Januar 1856 ihr Kind zur Welt. Alle Beteiligten  – Thoma, die anderen Kostgängerinnen und das Ehepaar Stiefel  – schilderten das Geschehen ähnlich. Demnach fand die Ge265 Vgl. den entsprechenden Eintrag im städtischen Geburtsregister. 266 Zum Folgenden vgl. StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, CC 24, Bl.58f.; StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, und Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 225 (1856), Bl.16 und 32. Bei Faller: Dachsberg, S.440, ist eine Veronika Thoma verzeichnet, deren Eltern aus Wittenschwand stammten. Als Geburtsdatum ist jedoch 21.8.1824 angegeben.

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burt in der Kammer der Kostgängerinnen statt, doch versuchte Thoma nicht, diese zu verbergen. Vielmehr machte sie sich bemerkbar und bat um Hilfe. Nach der Geburt war sie zunächst auf den Abtritt gegangen und musste dabei das Zimmer der Stiefels durchqueren. Sie weckte auf dem Rückweg die Kostgeberin auf, bat darum, Licht zu machen, und sagte ihr, es sei etwas passiert, sie sei niedergekommen. In der Mädchenkammer fanden Frau Stiefel und die anderen Kostgängerinnen das Neugeborene; der kleine Junge lag tot im Nachtgeschirr. Die Aufregung war groß: »Frau Stiefel, die schon 4 mal ehelich geboren, hatte total den Kopf verloren.«267 Gleichwohl kümmerte sie sich um Thoma, legte diese in ihr eigenes Bett, und ihr Mann lief los, um eine Hebamme zu holen. Zudem ging er zu Thomas »Bekanntem«, dem Schreinergesellen Joseph Georg Moosmann. Dieser war im Hause der Stiefels bekannt, denn er galt als Thomas »Liebhaber, der sie, wie natürlich, besuchte«.268 Beide waren seit Anfang der 1850er-Jahre miteinander »bekannt« und hatten bereits ein gemeinsames Kind, das bei Thomas verheirateter Schwester in St. Blasien zur Welt gekommen, aber vier Wochen nach der Geburt gestorben war. Die zweite Schwangerschaft hielt Moosmann, der kränklich war, für ein »Unglück […], indessen fügte er sich in die Sache und sagte, wenn das Kind zur Welt komme, so müsse man halt sehen wie man’s mache.« Ähnlich wie in Suters Fall glaubte das Gericht Thoma, Vorkehrungen für die Geburt getroffen zu haben und von dieser tatsächlich »überrascht« worden zu sei. Nach dieser Lesart hatte Thoma ihre Stelle am 5. Januar auf den 12. aufgekündigt und wollte das Kind in Freiburg (in der Entbindungsanstalt?) zur Welt bringen. Auch habe sie am Abend vor der Geburt mit den Hausleuten und den anderen Kostgängerinnen »noch vergnügt zusammen« gesessen und sei dann »wie gewöhnlich« zu Bett gegangen.269 Ausschlaggebend für das Gericht war schließlich, dass Thoma sofort nach der Geburt Frau Stiefel um Hilfe gebeten hatte und dass zudem die Gerichtsmediziner bezeugten, dass das Kind bereits nach acht Monaten der Schwangerschaft zur Welt gekommen und nicht gewaltsam zu Tode gebracht worden sei. Es habe »bei der Geburt selbst gelebt«, sei dann jedoch »sofort, an Blutüberfüllung im Kopf gestorben«.270 So kam es zu einem Freispruch für Veronika/Ve267 Antrag des Fiskal, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, Bl.61. 268 Zeugenvernehmung, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, Bl.3; das folgende Zitat ebd., Bl.34. 269 Antrag des Fiskal, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 370, Bl.60. 270 Protokoll, StABS, ÄHA, Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874), 225 (1856), Bl.16.

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ronica Thoma – ein höchst ungewöhnlicher Prozessausgang. Außer Thoma sprach das Basler Kriminalgericht zwischen 1828 und 1875 nur noch eine weitere der angeklagten Frauen frei. Alle anderen hielt es für schuldig, Schwangerschaft und Niederkunft »verheimlicht« bzw. ihr Kind getötet zu haben.

Hilfe in der »Weiber-Noth«? – Die badischen »Kindsmörderinnen« im Milieu der Basler Arbeiterquartiere Keine der hier beschriebenen Frauen rechnete mit der Unterstützung ihres »Bekannten«. Der jeweilige Vater entzog sich der Verantwortung.271 Auch die badische Heimat stellte keinen Zufluchtsort dar. Weder die Eltern, sofern sie nicht schon verstorben waren, noch die Geschwister konnten, so zumindest die Wahrnehmung der meisten Angeklagten, um Hilfe gebeten werden, dies um so weniger, wenn die Verwandten bereits ihr erstes nichteheliches Kind versorgten. Keine der Frauen gab zudem an, darüber nachgedacht zu haben, zur Geburt ins Basler Spital zu gehen, vielleicht weil ihnen diese Versorgungseinrichtung nicht bekannt war. So fand die Geburt (willentlich? zwangsläufig?) ohne fremde »Hülfe« statt. Die meisten Angeklagten berichteten im Verhör, von der Geburt »überrascht« worden zu sein, die »plötzlich«, »innerhalb einer Viertelstunde« oder »sehr schnell« vonstatten gegangen sei. Es handelt sich dabei wohl um eine Verteidigungsstrategie vor Gericht, da rasch ablaufende sogenannte Sturzgeburten eher selten sind/waren und von einem mehrstündigen Geburtsvorgang auszugehen ist.272 Doch wenn die Angeklagte das Gericht davon überzeugen konnte, von der Geburt »überrascht« worden zu sein, erschien es glaubhaft(er), dass es unmöglich gewesen war, jemanden um Hilfe zu bitten. Anders als viele »Kindsmörderinnen« auf dem Land brachten die hier beschriebenen Frauen ihr Kind nicht im Freien oder bei der Arbeit zur Welt und ums Leben, sondern im häuslichen Umfeld. Auffällig ist die Häufung des Abtritts als Geburts- und Todesort. Frommherz, Haberstroh und Thoma gebaren in ihrer Kammer, wobei die beiden Letzteren unmittelbar danach zum Abtritt gingen. Dort kamen auch die Kinder von Fidel, Vollmer/Vollmar, Wunsch und Suter zur Welt und zu Tode. Legt man die Ermittlungen und Schlussfolgerungen des Ge271 Vgl. ähnlich auch Hammer: Kindsmord, S.160; Metz-Becker: Gretchentragödien, S.189-195. 272 Vgl. Shorter: Körper, S.93.

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richts zugrunde, so wandte nur Wunsch »rohe Gewalt« an, während Frommherz ihr Kind unter einem Kissen erstickte, die anderen Frauen das Neugeborene seinem Schicksal, dem Tod, überließen, indem sie es in Abwasser und Kot warfen bzw. es nicht vor der Erstickung in der Gülle bewahrten.273 Regina Schulte hat Ähnliches für die bayerischen »Kindsmörderinnen« beschrieben, die die Geburt ebenfalls als Kotabgang beschrieben.274 Sie interpretiert dies zusammen mit dem beharrlichen Leugnen von Schwangerschaft und Geburt als Strategie der Frauen, das Neugeborene nicht als lebendiges Wesen wahrnehmen zu müssen, sondern als »ein Stück geschichtsloser Natur«, um so zu vermeiden, eine Beziehung zu diesem herzustellen. Nicht das eigene Kind wurde getötet, sondern eine »Körperausscheidung« entsorgt. Doch dass die Frauen nicht wahrnahmen, dass sie gerade gebaren, und dass es ihr Kind war, dass in den Abtritt fiel, ist wenig wahrscheinlich, zumal bei denen, die schon früher ein Kind zur Welt gebracht und es dann versorgt hatten. Auch dass eine Nachbarin, die zufällig ebenfalls auf den Abtritt ging, am Schreien sofort erkannte, dass dort ein lebendes, hilfloses Wesen lag, spricht dagegen. So dienten derartige Aussagen wohl eher als Verteidigungsstrategie vor Gericht – und sicherlich auch der eigenen psychischen Entlastung.275 Die Entdeckung der Kinderleiche oder das Schreien des Neugeborenen aktivierte – ähnlich wie im dörflichen Kontext – das (Halb-) Wissen des sozialen Umfeldes (der Dienstgeber, der Nachbarschaft, der anderen Mägde oder Kostgängerinnen) um die »verheimlichte Schwangerschaft und Niederkunft«. Bei den allermeisten Fällen transformierte erst der Fund der Kinderleiche bzw. das Schreien des ster273 Auch die »Kindsmörderinnen« des ländlichen Raums führten den Tod weniger aktiv herbei, sondern töteten durch Unterlassung, vgl. für Bayern Schulte: Kindsmörderinnen, S.127f.; für Innerösterreich z.B. Hammer: Kindsmord, S.190-202. Typisch war zudem, dass sie die Leiche vergruben (43%), womöglich eine Art Bestattung nachahmend (ebd., S.208-212, vgl. ähnlich Ulbricht: Kindsmord, S.157f.), in einem Wirtschaftsgebäude versteckten (14%) oder in ein stehendes oder fließendes Gewässer warfen (13%). 5% nutzten die Senkgrube des Abtritts, einige wenige gaben die Leiche den Schweinen zum Fraß, vgl. ebd., S.203-212. 274 Vgl. Schulte: Kindsmörderinnen, S.127-130, das folgende Zitat ebd., S.128. Ähnlich auch Metz-Becker: Kindsmord, S.47f. 275 Erinnert sei daran, dass es ausgesprochen schwierig ist, die Perspektive der betroffenen Frauen zu rekonstruieren, da außer den Verhörprotokollen vor Gericht keine Ego-Dokumente von ihnen vorliegen. In den gerichtlichen Vernehmungen jedoch mischen sich untrennbar die nachträgliche Wahrnehmung des Geschehens, ihre Verbalisierung (und Protokollierung durch den Gerichtsschreiber) sowie die Verteidigungsstrategie vor Gericht.

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benden Säuglings »das Gerede« (Regina Schulter) und die »wissende Passivität« (Otto Ulbricht), in der das soziale Umfeld bis dahin verharrt hatte, in gezielte Aktivität. Jemand holte die Polizei herbei, die Suche nach der »Thäterin« begann und die meisten gaben nun ihr (Halb-)Wissen preis – vielleicht auch aus Angst, wegen Mitwisserschaft beschuldigt und bestraft zu werden. Doch auch vor Gericht enthielten sich die Zeuginnen und Zeugen einer moralischen Verurteilung der »Kindsmörderinnen«.276 Für die betroffenen Frauen jedenfalls bestand nun kein Schutz mehr vor der lokalen Autorität. Dies lag auch daran, dass es sich bei den hier betrachteten Angeklagten um soziale Außenseiterinnen handelte. Als Ausländerinnen waren die Badenerinnen per se Fremde, und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch im Milieu der Basler »handarbeitenden Klassen«. Sie hatten als auf dem Land oder in der Kleinstadt aufgewachsene Badenerinnen einen anderen kulturellen Hintergrund, sprachen einen anderen Dialekt, viele waren Katholikinnen und alle stellten eine Konkurrenz für die in Basel ansässigen Unterschichtsfrauen dar – nicht so sehr auf dem Arbeitsmarkt als vielmehr auf dem Heiratsmarkt, der sich durch ein Überangebot an jungen, ledigen Frauen auszeichnete. Die Badenerinnen fielen im Mehrheitsmilieu also ohnehin auf, sodass Abweichungen von der Alltagsroutine bei ihnen eher oder verstärkt beobachtet wurden: der zunehmende Bauchumfang, der plötzlich wieder verschwand, eine ungewöhnliche Krankmeldung, Blutlachen in der Kammer oder das elende Aussehen, das auf solche Indizien folgte. Zudem registrierten die Nachbarn, Dienstherrschaften und die anderen Mägde oder Kostgängerinnen einen »unsittlichen« Lebenswandel. Sie machten diesen nicht an einer nichtehelichen »Bekanntschaft« und dem nichtehelichen »Umgang« fest, war dies doch im Quartier mehr oder weniger üblich. Als »unsittlich« galt vielmehr – wie etwa bei Vollmer/Vollmar – die (vermutete oder faktische) »Bekanntschaft« mit mehreren Männern oder – wie bei Fidel – die (vermutete oder faktische) sexuelle Beziehung mit einem verheirateten Mann. Diejenigen Badenerinnen, die sich wie Fidel, Haberstroh, Vollmer/Vollmar, Arnold oder Wunsch erst sehr kurz in der Stadt aufhielten, hatten zudem allein aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer keine Möglichkeit, sich in das Milieu der Basler »handarbeitenden Klassen« einzuleben. Doch dies konnte durchaus gelingen – sofern sich der Aufenthalt in Basel über einen 276 Vgl. für die dörflichen Verhältnisse ähnlich Hammer: Kindsmord, S.254f.; Schulte: Kindsmörderinnen, S.142.

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längeren Zeitraum erstreckte. Dass die Integration auch Schutz vor der staatlichen Macht bot, zeigt das Beispiel (des Freispruchs) von Veronika/Veronica Thoma.

c. Gebären im Bürgerspital Nicht alle Badenerinnen gebaren ihr Kind in der eigenen Unterkunft und/oder in den zuletzt geschilderten Zwangslagen; viele suchten vielmehr das städtische Spital auf. Dass, wie und warum die Zahl der Spitalgeburten in ganz Zentraleuropa seit dem späten 19. Jahrhundert kontinuierlich zunahm, ist gut erforscht und durch das Konzept der Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt beschrieben worden.277 Am Ende jenes Prozesses, der im 18. Jahrhundert einsetzte und sich im 19. Jahrhundert voll entfaltete, hatte sich Geburtshilfe als akademische Disziplin durchgesetzt, sodass seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Zentraleuropa Kinder mehrheitlich im Krankenhaus und unter ärztlicher Ägide zur Welt kommen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Geschichte der Gebärabteilung des Basler Bürgerspitals.278 277 Die Gebäranstalten und der Wandel der Geburtshilfe ab dem späten 18.  Jahrhundert wurden in der Historiografie sehr unterschiedlich interpretiert. Die frühe Medizingeschichte etwa betonte den Kampf der Ärzte in den Gebäranstalten gegen die Säuglings- und Müttersterblichkeit durch Errungenschaften wie Geburtszange oder Antisepsis. Die auf Michel Foucaults Werk »Die Geburt der Klinik« zurückgehende Medikalisierungsthese warf den Ärzten vor, das kranke Individuum zum bloßen Forschungsobjekt zu degradieren, und medizinkritische und/oder feministische Ansätze schließlich nahmen die Gebärenden als vermeintliche Objekte jenes Forschungsinteresses in den Blick sowie die aus dem medizinischen Professionalisierungsprozess ausgeschlossenen Hebammen. Zu den Positionen vgl. die Einleitung der Hg. in: Schlumbohm u.a. (Hg.): Rituale, S.11-14; Loetz: Patienten, S.43-56, die Medikalisierung nicht mehr als Mechanismus der Unterdrückung und Verdrängung betrachtet, sondern vielmehr mit dem von ihr entwickelten Konzept der »Medikalen Kultur« prüft, »von wem Medikalisierung auf welche Weise aus welchen Gründen und mit welchen Wirkungen betrieben oder verhindert worden ist«, ebd. S.56. Zur Geschichte des Gebärens als Körpergeschichte vgl. Duden: Geschichte; dies u.a. (Hg.): Geschichte. Zum Zusammenhang zwischen publizierten Fallgeschichten und der Etablierung der akademisch-universitären Geburtshilfe vgl. nun auch Aschauer: Gebärende. 278 Die Geschichte der Geburtsabteilung des Basler Bürgerspitals lässt sich gut rekonstruieren, da zahlreiche Quellen vorliegen, vgl. StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, bzw. StABS, ÄNA, Spitalarchiv. Die Jahresberichte des Vorstandes 1868-1875 befinden sich in: StABS, ÄNA, Spitalarchiv, D 13, Ärztliche Jahresberichte, Kopierbuch 1868-1878; die Berichte 1875-1899 befinden

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Das Basler Spital blickte zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf eine lange Geschichte zurück.279 In Anbetracht der nun stark wachsenden Einwohnerzahl erschien das seit 1256 bestehende Armenspital als zu eng und zu unzweckmäßig, sodass der Stadtrat in den 1830er-Jahren eine Verlegung samt Erweiterung beschloss, die 1842 stattfand. Das neue Spital in der Hebelstrasse, nun Bürgerspital genannt, umfasste neben dem Verwaltungsgebäude ein Pfrund-, ein Kranken- und ein »Irren«-Haus sowie eine »Herberge für arme Durchreisende«.280 Gebärende brachte man in der chirurgischen Abteilung unter.281 Zuständig war der Chirurg, doch zog man zu den Geburten auch die sich: ebd., D 12, Ärztliche Jahresberichte der verschiedenen Spitalabteilungen 1875-1899 (sie werden zitiert als: Jahresbericht Bischoff Jahreszahl). Für die Zeit vor 1868 vgl. zudem die Jahresberichte der chirurgischen Abteilung, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, D 3, Jahresberichte der chirurgischen Abteilung, 1842-1870. Hinzu kommen einige neuere Forschungsarbeiten. Hervorzuheben ist insbesondere die medizinische Dissertation von Neand Pavic aus dem Jahr 1997, die sämtliche 4.487 Krankenakten der Gebärenden auswertet (1868-1886, ohne 1877, da für jenes Jahr aus unbekannten Gründen keine Akte überliefert sind). Sein Material (die dort verwandten Fallnummern und Jahreszahlen stimmten mit denen der Krankenakten des Spital/Spitalarchivs überein) wird im Folgenden wie folgt zitiert: Sammlung Pavic: Fallnummer/Jahreszahl. Ich danke Herrn Dr. Pavic sehr herzlich für die Zurverfügungstellung seiner im Rahmen der Studie angefertigten Auswertungsbögen, die neben statistischen Angaben und den medizinischen Abläufen häufig auch Transkriptionen aus den Krankenakten enthalten. Zu nennen sind zudem: Bönzli, Schwangere; Sabados: Einführung; Müller: Praxis (die Studie wertet die 1.719 überlieferten gynäkologischen Krankenakten aus); sowie die älteren Arbeiten, etwa Koller u.a. (Hg.): Jahre; Bürgerspital Basel (Hg.): Jahre. 279 1265 erstmalig urkundlich erwähnt, war das städtische, zwischen Barfüsserkirche und der Freien Strasse gelegene »Spital an den Schwellen« in erster Linie ein Zufluchtsort für kranke, alte und vor allem arme Basler Bürger und Hintersassen, also Personen aus der Basler Landschaft, die keine politischen Rechte in Basel besaßen und jährlich ihre Niederlassungsberechtigung nachweisen mussten. Auch einige wenige Kinder kamen dort zur Welt. 280 Für die Kranken standen zunächst 169 Räume mit 340 Betten zur Verfügung. Die Spitalstatuten formulierten einleitend: »Das Krankenhaus dient zu Aufnahme und Verpflegung solcher Personen, welche mit körperlichem Leiden behaftet sind. Dasselbe zerfällt in die medicinische und die chirurgische Abtheilung. […] Jn sämmtlichen Abtheilungen ist der rechte Flügel des Hauses den männlichen, und der linke Flügel den weiblichen Kranken angewiesen.« Spitalstatuten, 1842, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 4, Statutenbuch, Bl.26. Zum Um- und Neubau vgl. Bürgerspital Basel (Hg.): Jahre, S.28-33. 281 Laut Spitalplan standen zwei Gebärzimmer mit je drei Betten und zwei Krankenzimmer mit je sechs Betten zur Verfügung, vgl. Bönzli: Schwangere, S.31; mit leicht abweichenden Angaben Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.24.

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städtischen Hebammen hinzu. Insgesamt blieb die Zahl der Spitalgeburten freilich gering: Jährlich kamen nur zwischen zehn und 20 Frauen, ausnahmslos ledige, im Bürgerspital nieder.282 Eine weitere Expansion erfolgte in den 1860er-Jahren.283 Durch den Klinikvertrag vom 13. März 1865 avancierte das Bürgerspital zu einer der Universität eng verbundenen Einrichtung:284 Es diente nun auch der klinischen Grundausbildung der Medizinstudenten, die dort praktische Erfahrungen sammeln sollten.285 Festgelegt wurde zudem, dass die Geburtshilfe aus der chirurgischen Abteilung herausgelöst und in eine eigenständige Abteilung überführt werden sollte. Dies trat mit der Fertigstellung eines Neubaus bzw. dem Bezug des – nach dem Stifter benannten – Merianflügels im Frühjahr 1868 in Kraft. Die neu eingerichtete »Geburtshülfliche Abteilung« erhielt sechs Räume (ein Gebärzimmer mit drei Betten und fünf Wöchnerinnenzimmer mit 22 Betten) und eigenes Personal. Zum ersten Vorstand ernannte man Johann Jacob Bischoff.286 Bischoff hatte sich im September 1865 in Basel habilitiert, und zwar – dies noch immer höchst selten – über Geburtshilfe. Anschließend reiste er in jene Städte, die seinerzeit in der Geburtshilfe und in der Gynäkologie als führend galten: Wien, Straß282 Vgl. Pavic: Praxis, S.7; Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.24. 283 Die finanzielle Unterstützung von Christoph Merian-Buckhardt, ein wohlhabender Basler Bürger und Philanthrop, ermöglichte einen Neubau, der in zwei Etappen (1857 bis 1860 und 1864 bis 1868) am St.-Johanns-Graben (heute Petersgraben) bzw. auf dem Gelände der (dann verlegten bzw. neu gebauten) Strafanstalt entstand, vgl. Keller: Bewährung, S.159f. Zu Christoph Merian vgl. Berner u.a. (Hg.): Geschichte, S.180. 284 Zum Klinikvertrag vgl. Bürgerspital Basel (Hg.): Jahre, S.52-56. 285 Die Geburtshilfe spielte im Lehrplan lange Zeit keine oder höchstens eine marginale Rolle; auch gab es lange Zeit keinen Lehrstuhl für Geburtshilfe. So war zwischen 1818 und 1835 nur eine Professur der »Chirurgie, Anatomie und Entbindungskunst« gewidmet. 1835 schuf das neue Universitätsgesetz Professuren für Anatomie, Physiologie und Pathologie, Botanik und Chirurgie. 286 Johann Jacob Bischoff stammte aus einer angesehenen und vermögenden Basler Familie. Sein Vater, ein Fabrikant, lebte eine Zeit lang in Heidelberg, sodass Bischoff am 1.8.1841 dort zur Welt kam. In Heidelberg und Basel studierte er Medizin. Seine 1864 dort abgeschlossene Dissertation befasste sich mit der »Amputation im Tibio-Tarsal-Gelenk«. Nach Abschluss des Medizinstudiums und einer Studienreise arbeitete er seit Mai 1865 als Assistenzarzt des Chirurgen und Geburtshelfers August Socin im Basler Spital und überwachte in der chirurgischen Abteilung die Geburten und die Wöchnerinnen. Zu Bischoffs Biografie vgl. Mandler: Bischoff; Friedli: Bischoff [Zugriff 25.2.2019]; Sabados: Einführung, S.31-33; Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.31-34 und 76-111; Pavic: Praxis, S.7; Müller: Praxis, S.13-17.

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burg und vor allem London, Glasgow, Edinburgh und Dublin. Vor allem die englischen und irischen Spitäler galten aufgrund der dort erprobten Verfahren als »Mekka« für die chirurgisch-geburtshilflichen Heilmethoden.287 Am wichtigsten für seine spätere Tätigkeit erwies sich der Kontakt zu bzw. die Zusammenarbeit mit Joseph Lister in Glasgow, der bis heute als Wegbereiter der antiseptischen Chirurgie gilt.288 1868 avancierte Bischoff zum Vorstand der neu geschaffenen »Geburtshülflichen Abteilung« des Basler Bürgerspitals;289 er versah sein Amt nahezu zwei Jahrzehnte.

Schwangere und Wöchnerinnen im Spital290 Betrachtet man die geografische Herkunft aller Schwangeren und Wöchnerinnen der Geburtsabteilung,291 so zeigt sich, dass die Basler Bürgerinnen lediglich eine kleine Minderzahl stellten: Ihr Anteil lag 287 Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.77. Bischoff hielt seine Eindrücke in einer Art Tagebuch fest, vgl. Bischoff: Tagebuch-Notizen. 288 Lister experimentierte in den 1860er-Jahren in der Chirurgie und der Wundmedizin mit Phenol (zeitgenössisch: Karbolsäure), versorgte als erster Wunden mit in darin getränkten Verbänden und nutzte die antiseptische Wirkung auch bei Operationen. Hinzu kam der Einsatz von Phenol in der Krankenhaushygiene: So verordnete Lister Ärzten und Pflegepersonal das Händewaschen mit Phenollösung und ließ sie die eingesetzten Instrumente desinfizieren. Die Sterblichkeitsraten im Spital gingen merklich zurück. 289 Formal wählte das Pflegeamt des Bürgerspitals in Absprache mit dem Erziehungsdepartement und der Universität Basel den Vorstand. Die Stelle blieb zunächst für den nicht klinischen Teil vom Pflegeamt, für den klinischen Teil vom Staate unterstützt, vgl. Mandler: Bischoff, S.14. Bischoff befand sich zum Zeitpunkt der Ernennung in Paris, der letzten Station seiner Reise. 1868 wurde er zum Extraordinarius der Geburtshilfe ernannt (und heiratete), 1872 zum ordentlichen Professor; 1873 und 1883 wirkte er als Dekan der medizinischen Fakultät. Neben seiner Kliniktätigkeit unterhielt Bischoff eine eigene Privatpraxis, vgl. Müller: Praxis, S.15 und 68. Zu Bischoffs wissenschaftlichem Werk zudem Friedli: Bischoff [Zugriff 25.2.2019]; Mandler: Bischoff, S.S.31-33, zu seinen Schülern ebd., S.33-35. 290 In Bischoffs Amtszeit expandierte die Geburtsabteilung stetig: 1868 wurden 88 Aufnahmen verzeichnet, 1886 über 600. Bald schickte man auch Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen, zeitgenössisch »Frauenkranke« genannt, dorthin. Insgesamt nahm die Gebärabteilung zwischen 1868 und 1886 über 7.000 Frauen auf. Zahlen nach: Spitalarchiv, D 12, Ärztliche Jahresberichte; D 13, Ärztliche Jahresberichte; Spitalarchiv, V 40, Geburtstabellen. 291 Die Zahl der Spitalgeburten stieg stetig an: von 75 (1868) auf 413 (1886). In 90% aller Fälle handelte es sich um Geburten, die im Spital stattfanden. In 10% der Fälle fand eine Aufnahme ins Spital statt, nicht aber die Geburt

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zwischen 2% (1874) und 12% (1881 und 1886).292 Rund die Hälfte aller Schwangeren stammte aus anderen Schweizer Kantonen (insbesondere Aargau und Baselland293) und ein beachtlicher Teil (zwischen 36% bis 50%) aus dem Ausland.294 Unter den Ausländerinnen dominierten die Badenerinnen: Sie stellten einen Anteil von 52% bis 62%, im Durchschnitt der Jahre 1868 bis 1886 von 56%.295 Im Hinblick auf den

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selbst (vgl. ausführlich Pavic: Praxis, Anhang 3, S.101-105): So wurden einige wenige »Findelkinder« ins Spital gebracht, zudem Frauen vor der Geburt aufgenommen und wieder entlassen. So hieß es in der Krankenakte von Hedwig Böhler, einer 28-jährigen ledigen Magd aus Baden: »Da Pat. Ausländerin ist u. im Ausland wohnt, wird sie, da die Geburt erst in ca. 6 Wochen in Aussicht steht, wieder entlassen.« Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/16, Fol. 119. Zudem kamen einige Frauen erst kurz nach der Geburt ins Spital. Ottilie/Ottilia Grambach etwa (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 200/1873; Geburtsregister; Spitalarchiv, V 40, 1873, Nr.200; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 200; das folgende Zitat ebd.), eine 27-jährige Magd aus (Unter-) Prechtal im Amtsbezirk Waldkirch, gebar ihr erstes Kind am 16.10.1873 »in der Stadt«, jedoch mithilfe der Hebamme Knecht, ging dann aber sofort mit dem Neugeborenen ins Bürgerspital. Dort blieben sie drei Wochen. Ähnlich auch der Fall der 29-jährigen, in Frohnschwand/St. Blasien heimatberechtigten und in Basel als Näh(t)erin beschäftigten Klara Kaiser (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.347; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.13; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 70; das folgende Zitat ebd.), die ihr Kind am 28.6.1869 in den Langen Erlen gebar und am gleichen Tag ins Spital ging; das Kind starb einen Tag später »an Schwäche«. Kaiser heiratete, wie noch auszuführen sein wird, den Vater des Kindes nicht, vgl. Kap. 6. Vgl. Pavic: Praxis, S.11 und Diagramme 13-15; eigene Auswertung nach: Jahresberichte Bischoff; Spitalarchiv, V 40, Geburtstabellen. Auch unter den »Frauenkranken« war der Anteil der Baslerinnen gering. Diese Befunde bestätigen ganz die Ergebnisse der Forschungsliteratur zur geografischen Herkunft der Kranken im Basler Bürgerspital: Der Anteil der Basler Bürger und Bürgerinnen von allen Spitalspatientinnen und -patienten war im 19. Jahrhundert äußert gering, vgl. Pavel: Krankengeschichten. Vgl. ausführlich Bönzli: Schwangere, S.53-56. Vgl. Pavic: Praxis, S.11 und Diagramme 13-15. Bei den »Frauenkranken« lag der Anteil der Baslerinnen bei 5-15%, der der Ausländerinnen bei 1540%, vgl. Müller: Praxis, S.20f. Ähnlich ist die Verteilung, wenn alle aufgenommenen Frauen (Gebärende und »Frauenkranke«) betrachtet werden. Ebenfalls stammte mehr als die Hälfte aus anderen Schweizer Kantonen und ein großer Teil aus dem Ausland, vor allem aus Baden. Zwischen 1868 und 1886 wurden 1.550 Badenerinnen behandelt, im Durchschnitt 86 pro Jahr. Dies ergab die Auswertung der Zahlen in: Jahresberichte Bischoff; Spitalarchiv, V 40, Geburtstabellen. Von allen aufgenommenen Frauen, also inklusive der Schweizerinnen,

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Familienstand der Schwangeren unterschied sich die geburtshilfliche Abteilung des Basler Bürgerspitals nicht von anderen europäischen Gebärhäusern: Die allermeisten der behandelten Frauen waren ledig. Im Zuge der Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt nahm der Anteil der Ledigen langsam ab, während der Anteil der verheirateten Frauen entsprechend anstieg.296 So auch in Basel: In Bischoffs Amtszeit nahm die Zahl der »unehelichen« Geburten von 69% auf 27% ab und die der ehelichen entsprechend zu.297 Die überwiegende Mehrzahl der Schwangeren stand in einem Lebensalter von Mitte 20298 und gehörte den unterbürgerlichen Schichten an. Diese Befunde decken sich ganz mit den Ergebnissen, die zu den Gebärhäusern in Wien, Innsbruck, München oder Göttingen vorliegen. Eine Abweichung springt jedoch ins Auge: In Basel suchten auffällig viele Schwangere aus der Arbeiterschaft die Geburtsabteilung auf.299 Dies war der Erwerbsstruktur der Stadt bzw. der Wirtschaftsstruktur der Herkunftsregionen zumindest eines Teils der Badenerinnen geschuldet. Bildet man aus dem skizzierten Sozialprofil eine Art Idealtypus, so könnte man sagen: Wenn eine Frau typisch für die Gebärabteilung des Bürgerspitals in der Ära Bischoff war, dann eine ledige Gebärende, die aus der Unterschicht stammte, als Magd oder Fabrikarbeiterin ein kärgliches Auskommen fand und aus den Kantonen Baselland oder Aargau

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ten sie einen Prozentsatz von 17% bis 27%, im Durchschnitt aller Jahre von 21%. Der Anteil der verwitweten Frauen ist so klein, dass er vernachlässigt werden kann. Bei den »Frauenkranken« war der Anteil lediger Frauen nicht signifikant hoch, sondern entsprach der normalen Bevölkerungsverteilung, vgl. Müller: Praxis, S.19f. Vgl. Pavic: Praxis, S.10 und Diagramm 8, sowie mit ähnlichen Zahlen Bönzli: Schwangere, S.48. Das Durchschnittsalter der Gebärenden stieg in der Ära Bischoff leicht an, von rund 26 auf rund 28 Jahre, vgl. Pavic: Praxis, S.10 und Diagramm 7. Zur Altersverteilung der »Frauenkranken« vgl. Müller: Praxis, S.18f. In der Göttinger Anstalt etwa war der Anteil der Fabrikarbeiterinnen minimal, im Innsbrucker Gebärhaus lag er bei rund 10%, in Basel hingegen dominierten die Fabrikarbeiterinnen mit 60% (1863) bis 37% (1883) der Geburten. Erst dann folgten die Mägde, deren Anteil in anderen europäischen Geburtshäusern so überaus hoch lag (daher spricht Hilber: Geburt, S.249f., vom »Dienstmädchenschicksal«. Vgl. ähnlich auch Schlumbohm: Phantome, S.281), mit 24% (1863) bis 32% (1883). Andere häufig genannte Berufe waren die der Näh(t)erin, Schneiderin, Köchin, Glättnerin oder Wäscherin. Vgl. Bönzli: Schwangere, S.51-53; Pavic: Praxis, S.12 und Diagramm 12. In den Akten ist die Beschäftigung meist genannt, bei verheirateten Frauen wurde »Frau«, »Ehefrau« oder »Witwe« eingetragen.

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stammte – oder aus Baden. Die hier betrachteten Badenerinnen fügen sich gut in dieses Bild, das zudem einen Erklärungsansatz für die Frage bietet, wie der vergleichsweise hohe Prozentsatz ihrer Spitalgeburten, der bei rund einem Viertel lag, zu erklären ist: Die Durchschnittsangabe – von allen Basler Geburten entfielen lediglich zwischen 5% (1868) und 19% (1886) aufs Spital300 – muss nach der geografischen Herkunft der Gebärenden differenziert betrachtet werden. Die ausländischen Aufenthalterinnen, vor allem die (hier betrachteten) Badenerinnen, gingen häufiger als schwangere Basler Bürgerinnen oder schwangere Niedergelassene ins Bürgerspital, da sie in der Stadt bzw. in ihrer angemieteten Unterkunft – der Kammer, dem Schlafsaal, dem (geteilten) Bett – keinen sicheren oder gar keinen Ort fanden, um zu gebären. Doch wie konnten sie sich bei ihrem meist geringen Einkommen den Aufenthalt in der Gebärabteilung überhaupt leisten?

»Freibetten« Die Spitalstatuten des Jahres 1842 legten fest, dass das Bürgerspital in erster Linie den Basler Bürgern und Bürgerinnen dienen sollte.301 Personen ohne Basler Bürgerrecht fanden lediglich dann Aufnahme, sofern sie als »Gehülfen, Handwerksgesellen, Dienstboten, Fabrik- oder andere Arbeiter«, bei »hiesigen Bürgern oder Einsaßen in Dienst oder Lohn« standen. Doch auch dann gewährte das Spital ihnen nur »gegen Kostgeld« Zugang.302 Dieses betrug in der geburtshilflichen Abteilung zunächst 30 Batzen,303 später mussten die Schwangeren eine »Hinterlage« von 40 Franken entrichten.304 Für Frauen der Unterschicht war dies ein erheblicher Betrag, den sie in der Regel selbst aufzubringen hatten, da eine Krankenversicherung bis Ende des 19.  Jahrhunderts nicht oder nur in Ansätzen bestand. Doch seit 1865 bot sich eine Al300 Zahlen nach: Pavic: Praxis, S.10 und Diagramm 3. 301 Unentgeltliche Aufnahme sollten diejenigen kranken Basler Bürger und Bürgerinnen finden, die »durch Armuth oder Hülflosigkeit außer Stand sich befinden, für ihre Verpflegung selbst zu sorgen«, Spitalstatuten, 1842, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 4, Statutenbuch, Bl.26. 302 Spitalstatuten, 1842, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 4, Statutenbuch, Bl.27. 303 Zehn Batzen entsprachen einem Schweizer Franken. 304 Vgl. Mitteilung Ehegericht an den Basler Bürgermeister, 12.4.1868, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (18681910). Vgl. auch Schreiben Chef des Paß-Bureaus an den Bürgermeister, 16.4.1868, ebd. Dass einige Frauen den Betrag tatsächlich entrichteten, geht aus den Einträgen im Kranken- und Pfründeregister hervor.

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ternative, die sich die Badenerinnen offenbar aneigneten. Das Spital stellte seit 1865 kostenlos Betten zur Verfügung, die sogenannten Freibetten, verlangte freilich eine Gegenleistung: Die Kranken in den Freibetten mussten für die praktische Ausbildung der Medizinstudenten zur Verfügung stehen. Wer ein Freibett bekam, darüber entschied der Vorstand der Gebärstation. Die »Amtsordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abtheilung« vom 18. Mai 1868 gestand diesem zu, sofern es räumlich möglich war und die Bedürfnisse der Klinik es verlangten [!], Schwangere und Wöchnerinnen »nach seinem eigenen freien Ermessen ohne Rücksicht auf Heimath und Zahlungsfähigkeit« unentgeltlich aufnehmen. Die Kosten wurden »aus dem vom Staate bewilligten Kredite für klinische Freibetten bestritten«.305 Bischoff konnte also ganz unabhängig von der geografischen Herkunft und dem Einkommen auch Frauen aufnehmen, denen die Spitalstatuten den Zugang zu verwehren suchten, die ihn aber aus ärztlicher Sicht interessierten.306 Womöglich berücksichtigte er sie auch aus rein humanitären Gründen. Bischoff betonte zumindest anlässlich der Einrichtung der Geburtsabteilung die »echt humane Gesinnung unserer Behörden, die sich über engherzige Vorurtheile hinaussetzen und nur bedacht sind, dem Unglück und der Noth, mögen diese selbst verschuldet sein oder nicht, thunlichst zusteuern. Nicht leicht wird die Wohlthat einer Spitalaufnahme tiefer empfunden werden, als von einer der Niederkunft entgegengehenden unbemittelten, verlaßenen, oft verstoßenen Arbeiterin, die sonst für ihre schweren Stunden vielleicht kein Obdach, keine Hülfe, keinen Trost, keine Pflege gehabt hätte.«307 1869 vergab Bischoff erstmals »Freibetten« und seit 1875 ließ er eine entsprechende Statistik führen. Diese dokumentierte unter anderem, ob die »Freibetten« mit »Einwohnerinnen« oder »Fremden« (darunter die Badenerinnen) belegt waren.308 Ingesamt stieg die Zahl der 305 Amts-Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abtheilung, 18.5.1868, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945. Vgl. ähnlich auch Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abteilung, 31.5.1871, ebd. 306 Vgl. Bürgerspital Basel (Hg.): Jahre, S.52f. 307 Jahresbericht Bischoff 1868. Die Abweisung von Patientinnen aus Platzmangel habe ihm, so Bischoff in seinem letzten Bericht 1886, »vom humanen Standpunkt aus betrachtet« leidgetan, »da die Vortheile eines Wochenbetts im Spital durchgemacht ja auf der Hand liegen«, Jahresbericht Bischoff 1886. 308 Neben den »Gratis-Freibett« gab es auch einige wenige »Freibetten«, in denen ein »Kostgeld« zu entrichten war. Der Anteil der »Gratis-Freibetten« von allen »Freibetten« lag zwischen 1875 und 1881 bei rund 80%.

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»Freibetten« von 30 im Jahr 1869 auf 127 im Jahr 1886 an. Ihr Anteil an allen in der Geburtsabteilung zur Verfügung stehenden Betten betrug minimal 15% (1886) und maximal 42% (1876), im Durchschnitt der Jahre 18%.309 Einen Teil der »Freibetten« vergab Bischoff an »Fremde«. Ihr Anteil wuchs von 4% im Jahr 1875 auf 44% zehn Jahre später; im Durchschnitt aller Jahre, zu denen Zahlen vorliegen, lag er bei fast einem Viertel (23%).310 Die stichprobenartige Durchsicht der »Freibetten«-Statistik zeigt zudem, dass sich unter den »Fremden« sehr viele Badenerinnen befanden.311 Durch die Einrichtung bzw. Gewährung der »Gratis-Freibetten« konnten also auch die (hier betrachteten) Badenerinnen das Bürgerspital in Anspruch nehmen – obwohl sie kein Basler Bürgerrecht besaßen und obwohl die allermeisten nur über geringes Einkommen verfügten. Das Wissen um die »GratisFreibetten« kursierte offenbar im Kommunikationsnetz der Aufenthalterinnen. So fragte etwa Mathilde Brütsch, die im Sommer 1874 bei den Wirtsleuten Bolliger in Diensten stand, auch sie eine Badenerin, ihre hochschwangere Nebenmagd Catharina Vollmer/Vollmar, »ob sie nicht ins Spital wolle, man müsse ja nichts bezahlen«.312 Doch Vollmer/Vollmar blieb – wie beschrieben – im Haus ihres Dienstgebers und brachte ihr Kind dort zur Welt und ums Leben.313 309 Diese und die folgenden Zahlen nach: eigene Berechnung auf der Grundlage von Jahresberichte Bischoff (1869-1874) bzw. V 29. 3, Freibetten (18751891). Die meisten »Freibetten« standen von Mitte der 1870er- bis Mitte der 1880er-Jahre zur Verfügung. 310 Bei den »Freibetten«, die Bischoff gegen Bezahlung vergab, lag der Anteil der »Fremden« durchgängig bei 100%. 311 1877 etwa kamen von 39 »Fremden« 22 aus Baden, vgl. V 29.3, Freibetten. 312 Zeugenvernehmung Brütsch, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, HH 2, 452, Nr.273, Bl.39. 313 Ein zweites Beispiel: Die Schwestern Stephanie Häslin (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876) und Sophie Häslin (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.484; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.663f. und Bl.696), deren Familie im Markgräflerland die Tradition der gehäuften (vertikalen) Nichtehelichkeit lebte und bereits vorgestellt wurde (vgl. Kap. 2.a.), hielten sich seit Ende der 1860er-Jahre als Fabrikarbeiterinnen in Basel auf. Sophie Häslin knüpfte mit dem Tapezierer Edmund Amman von Gottlieben im Kanton Thurgau eine »Bekanntschaft« an und gebar Ende Oktober 1868 ihre Tochter Bertha Marie/Maria außerhalb des Spitals. Die (evangelische) Taufe fand aber aus den beschriebenen Gründen im Spital statt. Spätestens jetzt erfuhr die Familie von der Möglichkeit, im Spital zu gebären. Jedenfalls kehrte Stephanie Häslin einen Monat später dorthin zurück, um ihr zweites nichteheliches Kind Karl zur Welt zu

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Die Badenerinnen als Studienobjekte Die ledigen Schwangeren mussten bei der Aufnahme ins Bürgerspital eine Meldung bei der Obrigkeit in Kauf nehmen. Die Niederkunft im Spital war nur nach behördlicher Genehmigung – durch »eine Präsidial Bewilligung (bewilligt auch die Pol. Dir.)« – gestattet,314 zudem hatte die »geburtshülfliche Abtheilung« bei der Aufnahme »unverheiratheter Weibspersonen«, so hieß es in der Spitalordnung 1871, »in allen Fällen Anzeige« zu erstatten.315 Und dem Vorteil, für ein »Freibett« nichts bezahlen zu müssen bzw. »ohne Rücksicht auf Heimath« überhaupt aufgenommen zu werden, stand der Nachteil gegenüber, als Studien- und Untersuchungsobjekt der Ärzte316 und Studenten zur Verfügung stehen zu müssen.317 Für die Untersuchungen durften keine Baslerinnen, weder verheiratete noch ledige, herangezogen werden, und keine Ehefrauen – unabhängig von ihrer Herkunft. Mit anderen Worten: Untersucht wurden ausnahmslos ledige Frauen, die aus anderen Schweizer Kantonen oder aus dem Ausland stammten. Da

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gen, das den Bierbrauer Eberhard Beuter aus dem württembergischen Balingen zum Vater hatte und seine Tante Sophie zur Patin erhielt, vgl. StABS, Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Geschichtsverein Markgräflerland e.V. (Hg.): Müllheim, S.632. Ihr erster Sohn Julius wurde am 11.6.1865 in der Entbindungsanstalt Freiburg geboren und am 6.7.1865 im Schweizerischen Seltisberg getauft, wo er nach 25 Tagen starb, vgl. ebd., S.285. Mitteilung Ehegericht an den Basler Bürgermeister, 12.4.1868, StABS, ÄNA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (18681910). Vgl. auch Schreiben Chef des »Paß-Bureaus« an den Bürgermeister, 16.4.1868, ebd. Vgl. Ordnungen des Bürger Spitals der Stadt Basel 1871, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, Spital A3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945, Bl.6. Seit 1874 wurde Bischoff von einem Assistenten unterstützt. Die Assistenten wechselten in den ersten Jahren häufig, was Klinikdirektor Hoch als »höchst auffallend« beschrieb. Keiner »der Herren hat die vorgeschriebene Amtsdauer von zwei Jahren ausgehalten«, Bericht Spitaldirektor Hoch, 1876, zit. nach: Mandler: Bischoff, S.17. Die Laufbahn als Ordinarius der Geburtshilfe war wohl noch immer wenig attraktiv. So ermächtigte die »Amtsordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abtheilung« den Vorstand, »unter gebührender Rücksicht klinischen Unterricht zu ertheilen; es sollen aber hiesige Bürgerinnen und verheirathete Frauen nicht ohne Einwilligung dazu verwendet werden«, Amts-Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abtheilung, 18.5.1868, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945. 1871 kam ein Zusatz hinzu: Es solle für die Untersuchung der »hiesigen Bürgerinnen« und der Ehefrauen »stets wenigstens ein Zimmer reservirt werden, welches den Studirenden unzugänglich ist«, Ordnung für den Arzt der geburtshülflichen Abteilung, 31.5.1871, §8, ebd.

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die meisten ledigen Frauen aus der Unterschicht stammten und nur über ein kärgliches Einkommen verfügten, mussten sie aus purer Not, aufgrund mangelnder sozialer Unterstützung oder mangels häuslicher Rückzugsmöglichkeiten zur Geburt ins Bürgerspital gehen318 bzw. dort auf ein »Freibett« hoffen  – und die Untersuchungen über sich ergehen lassen. Aus Bischoffs Jahresberichten geht hervor, dass er zunächst viermal, später dreimal pro Woche »Klinik hielt«, d.h. die Schwangeren und Wöchnerinnen zu Unterrichtszwecken vorführte bzw. von den Studenten untersuchen ließ. Deren Zahl stieg im Laufe der Zeit von acht (1868) über 14 (1872) auf 24 (1884). In den Krankenakten sind diese Untersuchungen meist nur lapidar vermerkt. So finden sich in der Krankenakte der bereits erwähnten Barbara Bihlmann319, die ihren »Bekannten«, den Landjäger Arnold Börli/Beerli in der Kantine des Polizeipostens im Klingental in Kleinbasel kennengelernt hatte, nur ein kurzer Hinweis darauf, dass am 27. August 1870 eine ambulante Untersuchung stattfand. Im November kehrte sie in die Gebärabteilung zurück, erhielt ein unentgeltliches »Freibett« und gebar am 10. November einen Knaben. Elisabeth/a App320, die aus Bauerbach im Bezirksamt Bretten kam und in Basel in einer Fabrik arbeitete, untersuchten die Studenten am 18. April 1874. Einen guten Monat später trat sie in das Bürgerspital ein und gebar dort ihr zweites Kind, ihren Sohn Johannes (während ihr erstes Kind, ein Mädchen namens Sibille Benedicte, zwei Jahre zuvor außerhalb des Spitals zur Welt gekommen war). Die 23-jährige Helena Weissenbacher321 schließlich, ebenfalls eine ledige Fabrikarbeiterin, vermutlich aus Renchen im Bezirksamt Oberkirch stammend, suchte das Bürgerspital am 7. Dezember 1874 auf, wurde untersucht und erhielt zwei Wochen später ein »Gratis-Freibett«. Ihre Tochter kam einen Tag später zur Welt, wurde wenig später in der ka318 Vgl. ähnlich auch Bönzli: Schwangere, S.72-79; Schlumbohm: Phantome, S.315-325. 319 Vgl. Kap. 5.a. Ihr Sohn kam am 10.11.1870 zur Welt, zehn Tage später fand die Taufe statt. Eine Patin, die Magd Elisabeth Bihlmann aus Binzen, stammte offenbar aus der Familie der Mutter. 320 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Niederlassung H6a; Sammlung Pavic: 122/1874; Spitalarchiv, V 40, 1874, Nr.122. 321 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 3/1875; Niederlassung H6a; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 3. Bekannt ist auch, dass sich das Kind im Oktober 1879 in Basel befand, und zwar bei G. Gisin, Schnabelgässchen 12, vermutlich eine Pflegeperson.

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tholischen Kirche auf den Namen Helena getauft.322 Auch bei den Geburten und Operationen wurde, so berichtete Bischoff, »jedesmal ein Theil der Herren Klinisten durch den Portier beigerufen«. Damit sei, so Bischoff weiter, der Klinik ein großer Dienst geleistet, »da ohne dieselben die meisten Geburten dem Unterricht verlorengehen würden«.323 Offenbar erduldeten die meisten Schwangeren und Patientinnen die Untersuchung, ohne zu rebellieren oder vernehmlich zu protestieren – was sie dabei empfanden, lässt sich kaum sagen, da von ihnen selbst keine Quellen überliefert sind. Gleichwohl ist unbestritten, dass die Entblößung vor einem fremden Mann und vor allem die (innere) Untersuchung durch den Arzt und die Studenten einen Tabubruch darstellte. Zudem finden sich in den Berichten Bischoffs bzw. den Krankenakten einige Hinweise, dass die Schwangeren die Untersuchung fürchteten und einige sich wehrten. So dauerte es eine geraume Zeit, bis die Schwangeren die Gebärabteilungen oder -anstalten überhaupt aufsuchten. Auch Bischoff nahm dies wahr, verwies geradezu stereotyp darauf, dass die »Furcht vor klinischer Vorstellung« abnehme,324 der »Zudrang zu den Freibetten […] ganz bedeutend« steige325 und dass keinerlei »Klagen von Seiten der klinisch Vorgestellten« zu hören seien.326 Aber diese kamen doch vor. So machte Bischoff einigen ledigen Schwangeren, die sich offenbar beklagten, die »Zusage […], sie womögl. von der klinischen Vorstellung auszunehmen«.327 So lassen Bischoffs Äußerungen zum einen Rückschlüsse darauf zu, dass die Gebärenden die Untersuchungen fürchteten und zu meiden trachteten, zum anderen verweisen sie auf seine Selbstwahrnehmung. Er verstand sich als Arzt, der heilte und half, nicht aber Leid zufügte und drangsalierte, seine Behandlung sollte Erleichterung bringen, nicht Klage provozieren. Dies musste er nicht zuletzt gegenüber der Klinikleitung demonstrieren, an die seine Berichte ja adressiert waren. Sein Selbstverständnis als Arzt ließ vermutlich weder den Gedanken zu, dass die Schwangeren und Kranken sein Handeln als Zumutung 322 323 324 325 326

Auf das Schicksal des Kindes wird noch einzugehen sein, vgl. Kap. 6. Jahresbericht Bischoff 1868, zit. nach: Mandler: Bischoff, S.22. Jahresbericht Bischoff 1875. Jahresbericht Bischoff 1874. Jahresbericht Bischoff 1869. Ähnlich auch 1875: »Daß die Furcht vor klinischer Vorstellung, die ja stets mit aller Schonung stattfindet, fast gänzlich geschwunden ist, beweist am besten der immer steigende Zudrang verheiratheter Frauen zu den Freibetten […] sowie die Wiederanmeldung solcher, die früher schon einmal in Freibetten aufgenommen waren.« Jahresbericht Bischoff 1875. 327 Jahresbericht Bischoff 1870.

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empfinden könnten, noch mag ihn ihr Erleben überhaupt interessiert haben. Auch die Krankenakten, die über komplikationslose wie schwierige Geburten, über den Einsatz von geburtshilflichen Instrumente oder über Operationen und nicht selten auch über das Sterben berichten, geben nahezu ausschließlich die Perspektive der männlichen Ärzte wieder. Gelegentlich finden sich dort abfällige Bemerkungen über die Schwangeren:328 »Stinkt nach Schnaps«; »Die Angaben des höchst scheusslichen Frauenzimmers sind mit Vorsicht aufzunehmen, sie jammert chronisch«; »Patientin dumm und verschlagen«. Aus den Krankenakten ist aber auch zu schließen, dass sich einige Frauen der Untersuchung oder Behandlung widersetzten (was die Ärzte sogleich sanktionierten):329 »Da übrigens die Patientin nicht nur erbärmlich dumm, sondern auch vorzüglich mundfaul und störrisch ist, wird auf die Erhebung einer weiteren Anamnese verzichtet«; »Patientin führt sich dumm auf, muss chloroformiert werden«; »Wird wegen Widersetzlichkeit gegen die Hausordnung entlassen«; »Wird wegen unanständigem Benehmen aus dem Spital gewiesen«. Andere Frauen entzogen sich dem Zugriff der Ärzte und Studenten aktiv: »Patientin verweigert Vaginaluntersuchung«; »Patientin will nichts von der vorgeschlagenen Fisteloperation wissen«; »Tritt aus auf eigene Faust trotz dem Verbot«; »Will trotz aller Gegenrede nach Hause und wird deshalb entlassen«; »Tritt (a.p.) [vor der Geburt] wegen Unzufriedenheit aus«.

»Kindbettfieber« Lange Zeit war unbekannt, was das Kindbettfieber auslöste, und viele Ärzte, auch Bischoff, versuchten, ein wirksames Gegenmittel zu finden  – allen voran und letztendlich erfolgreich Ignaz Semmelweis.330 Bischoffs in der Basler Gebärabteilung entwickelte Methoden orientierten sich an dem, was er als junger Arzt in Glasgow bei Joseph Lister kennengelernt hatte. Im Wesentlichen übertrug er dessen Lehren von 328 Die folgenden Zitate stammen aus den Krankenakten, zit. nach: Pavic: Praxis, S.43f. Es handelt sich nicht um Krankenakten von Badenerinnen. 329 Die folgenden Zitate stammen aus den Krankenakten, zit. nach: Pavic: Praxis, S.43f. Es handelt sich nicht um Krankenakten von Badenerinnen. 330 Zum Kindbettfieber im 19.  Jahrhundert, Bischoffs Maßnahmen und zur Einschätzung seines Handelns aus der Sicht eines Arztes 1960 vgl. Mandler: Bischoff, S.23-31. Statistiken zur Mortalität und Morbidität finden sich ebd., S.29.

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der Chirurgie auf die Geburtshilfe, d.h. er nutzte Karbolsäure prophylaktisch, um damit das Kindbettfieber einzudämmen. Er betrachtete das Puerperalfieber offenbar als eine Art Wundkrankheit und nahm an, dass »die reichliche Verwendung von verdünnter Karbolsäure in die Vagina und die äusseren Genitalien einigen Schutz bieten« könne.331 1875 berichtete er in einem Vortrag mit dem programmatischen Titel »Zur Prophylaxis des Puerperalfiebers« über das von ihm etablierte Verfahren. Er verordne beim Einsetzen der Wehen stets ein »laues Vollbad« und »eine lauwarme Vaginalinjektion mit 2% wässriger Carbolsäurelösung«. Entsprechende Einspritzungen erfolgten auch bei Komplikationen, »ebenso bei allen klinischen Geburten«. Zudem ließ er  – wie Lister  – Phenol zur Reinigung der Instrumente nutzen und wies auch die Ärzte entsprechend an: Vor »jedem Touchieren und besonders vor jeder geburtshilflichen Operation waschen wir uns mit 3%wässriger Carbollösung […]. Musste in den Uterus eingegangen werden […], so wird sofort nach der Geburt eine Injection von 2-3% Carbollösung in die Uterushöhle gemacht und solche Injectionen auch im Wochenbett […] fortgesetzt«. Nach der Geburt wurden, so Bischoff weiter, alle wunden Stellen und Risse mit 10% Karbolöl betupft.332 Bischoff gilt aufgrund der von ihm angeordneten Maßnahmen bis heute als Begründer der Antiseptik in Basel und über die Stadt hinaus.333 Bischoff selbst war davon überzeugt, dass das Kindbettfieber auf diese Weise verhindert werden könne – sofern das Personal seine Anweisungen nur konsequent genug anwenden würde. Dies zielte vor allem auf die Hebammen. Bei jedem Besuch einer Wöchnerin sollten sie, so seine Anweisung, deren äußere Genitalien und Innenflächen der Oberschenkel mit lauwarmer Karbollösung abwaschen. Bischoff vermutete jedoch, dass dies nicht immer geschehe: »Oft hat man mir […] vor meiner Visite […] eine Flasche Karbolsäure in den Zimmern ausgegossen, um mich glauben zu machen, dass die verordneten Injectionen in die Scheide gemacht und die Bedeckung der Rima mit in Car331 Vortrag Bischoff: Zur Prophylaxis des Puerperalfiebers, 1875, zit. nach: Mandler: Bischoff, S.26. Die folgenden Zitate sowie weitere Einzelheiten, ebd., S.27. Vgl. zudem Müller: Praxis, S.17 und 76; Sanitätscollegium: Prophylaxe. 332 Neben Karbol wurde im Bürgerspital auch reichlich Alkohol verbraucht, 1885 etwa 1.200 Liter. 1893 hieß es: »Der Löwentheil des Cognacverbrauches […] kommt auf die Geburtshilfliche-gynäkologische Abtheilung«, Bericht Spitalapotheker Grundler 1893, zit. nach: Mandler: Bischoff, S.21. Vgl. auch Müller: Praxis, S.36. 333 Vgl. Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.87-92; Handschin: Mortalität, S.35f.; Bürgerspital Basel (Hg.): Jahre, S.64.

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bollösung getauchten Compressen gehörig erneuert worden seien«.334 Bischoff folgerte, dass es durch die Missachtung seiner Anordnungen zu Todesfällen durch Kindbettfieber kam, stellte sogar einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem seit 1868 jährlich im Spital stattfindenden Hebammenkurs335 und der Müttersterblichkeit her.336 Den Hebammenschülerinnen die Todesfälle durch Kindbettfieber anzulasten, passte ganz in seine Strategie, die professionellen Hebammen, die sich der ärztlichen Dominanz nicht beugten, abzuqualifizieren, um sie so aus der klinischen Geburtshilfe auszuschließen. Dies kann auch an seinem Umgang mit der Spitalhebamme gezeigt werden. Mit der Verselbstständigung der Gebärabteilung 1868 war die Bestellung einer Spitalhebamme einhergegangen.337 Sie sollte »unter Leitung des Arztes« die Geburten betreuen, bei der Pflege der Wöchnerinnen helfen, den Arzt bei den Krankenbesuchen begleiten und bei Neuaufnahmen »erste Vorkehrungen« treffen.338 Die Position wurde 1868 mit der 334 Vortrag Bischoff: Zur Prophylaxis des Puerperalfiebers, 1875, zit. nach: Mandler: Bischoff, S.28. 335 An diesem Kurs, den die revidierte Hebammenordnung des Jahres 1869 als verbindliche Ausbildung für die Basler Hebammen vorschrieb (vgl. Hebammenordnung für den Kanton Basel-Stadt, 27.2.1869, DGR, 400.1 Gesundheitswesen, b Hebammendienst, 1814-1964), nahmen jährlich zwischen zwei und zwölf Frauen teil. Er dauerte anfänglich sechs Wochen, dann vier Monate. Der Unterricht unterschied sich in Umfang, Art und Inhalt deutlich von der Ausbildung der Studenten, auch wenn gelegentlich dasselbe Unterrichtsmaterial Verwendung fand (vgl. Mandler: Bischoff, S.22). Dass Bischoff den Kurs insgesamt als wenig wichtig erachtete, zeigt sich auch daran, dass er den Unterricht meist an seinen Assistenzarzt delegierte (obgleich die Hebammenordnung den Vorstand der Gebärabteilung zum Abhalten des Kurses verpflichtete). 336 Alle Todesfälle an Puerperalfieber 1877 hätten sich, so Bischoff, »seit dem 19. März und dem 8. Juni somit während des Hebammenkurses« ereignet, Jahresbericht Bischoff 1877. Ähnlich argumentierte Handschin: Mortalität, S.25 und 36. 1883 beklagte Bischoff den Tod von drei Wöchnerinnen, von denen allerdings zwei »schwer erkrankt und als rettungslos verloren zu betrachten von auswärts eingebracht« worden seien. Keine sei »an auf der Abteilung entstandendem Puerperalfieber« gestorben. Dies liege vor allem daran, dass erstmals kein Hebammenkurs stattfand, »während wir sonst jedes Jahr gerade in der Zeit des Hebammenkurses die meisten Erkrankungs- und auch Todesfälle von Woechnerinnen beobachten mussten«, Jahresbericht Bischoff 1883. 337 Bis 1868 war zu den Spitalgeburten eine der städtischen Hebammen herbeigeholt worden. Zur Geschichte der Basler Hebammen bis 1868 vgl. Morgenthaler: Medici, S.94f. Zum Folgenden vgl. Bönzli: Schwangere, S.37-40. 338 Ordnung für die Hebamme des Spitals, 31.5.1871, §5, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945. Die eigenständige

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Basler Hebamme Mesmer besetzt, die offenbar ganz selbstständig agierte339 und den Gebärenden entgegen den Vorschriften gelegentlich allein beistand, insbesondere wenn die Geburt rasch oder nachts vonstattenging, der Arzt zu spät eintraf. Mesmer hingegen konnte schnell handeln, da sie – im Gegensatz zu Bischoff – im Spital wohnte.340 Mesmer habe sich, so urteilte Bischoff 1872 über sie, »nicht nur volle Geschäftskenntniß erworben«, sondern habe auch, mit »viel Lern- u. Wissenstrieb begabt, Erfahrungen gesammelt und diese wieder weitergegeben […], wie wir es nur von Aerzten, nicht aber von Hebammen zu erwarten gewohnt sind«.341 Nichtsdestotrotz – oder vielmehr gerade deshalb – betrieb er ihre Ablösung.342 Bischoff ersetzte sie und die Wärterinnen 1873 durch Diakonissinnen des Mutterhauses Riehen, obwohl – oder gerade weil – diese keinerlei Vorkenntnisse in der Geburtshilfe mitbrachten. Die ärztliche Vorrangstellung wurde von nun an nicht mehr durch das (Erfahrungs-)Wissen und die Eigenständigkeit der professionellen Hebamme infrage gestellt. Es lassen sich also auch für die Gebärabteilung des Bürgerspitals Basel einige Belege finden für den vielfach beschriebenen, im 19. Jahrhundert stattfindenden Prozess der Zurückdrängung der Hebammen aus der klinischakademischen Geburtshilfe und ihre Ersetzung durch eine männlich dominierte, universitär ausgebildete Ärzteschaft.343

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Anleitung einer Geburt war ebenso untersagt wie operative Eingriffe und Medikamentengabe. Aus Bischoffs Jahresberichten geht hervor, dass sich Mesmer nahezu an allen Spitalgeburten beteiligte, gelegentlich von einer zweiten Hebamme unterstützt. Mesmer beaufsichtigte zudem nicht nur die Wöchnerinnen und Kinder, sondern auch die in der Abteilungen tätigen Wärterinnen und die Mägde. Sie erhielt freie Kost und Logis sowie einen Jahreslohn von 400 Franken, der bei Zufriedenheit auf bis zu 600 Franken erhöht werden konnte. Außerhalb des Spitals dufte sie nicht tätig sein, vgl. Ordnung für die Hebamme des Spitals, 31.5.1871, §§4 und 9, StABS, ÄNA, Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten 1843-1945. Jahresbericht Bischoff 1872. Er begründete Mesmers Ablösung damit, dass es ihr an der »völlige[n] Hingabe an ihre Thätigkeit« gemangelt habe. Jahresbericht Bischoff 1873. Durch diese aber zeichneten sich, so Bischoff, die Diakonissinnen aus, vgl. Jahresbericht Bischoff 1879. Vgl. z.B. Stadlober-Degwerth: Niederkunften; Metz-Becker: Körper; Stukenbrock: Zeitalter, S.99f. Dass eine genaue Betrachtung zu Differenzierungen führt, zeigen die Beispiele Göttingen oder München. Dort hatten die Hebammenschülerinnen sogar mehr praktischen Unterricht als die Studenten, waren bei den »normalen« Geburten häufiger als diese anwesend. Vgl. Schlumbohm: Phantome, S.168-172 und 180-195; Preußler: Türen, S.99-103; Hilber: Geburt, S.224-239. Zudem darf nicht vergessen werden,

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Komplikationslose Geburten Elise/Elisabeth Schwegler,344 am 1.  Januar 1853 in Leipferdingen im Amt Engen geboren und spätestens seit Mitte der 1870er-Jahre in Basel als Fabrikarbeiterin beschäftigt, betrat am 25.  Januar 1875 erstmals das Bürgerspital. Sie ließ in der Gebärabteilung eine studentische Untersuchung über sich ergehen, die ihr ein unentgeltliches »Freibett« verschaffte, das sie am 22.  Februar bezog. Die Geburtshelfer hielten fest: »Immer gesund  – menstruiert im 16. J., regelm., 4-wöchentl., stark, keine Schmerzen. Häufig Kopfweh und Herzklopfen. Letzte Mens 10.  Mai, Coitus Ende Mai. Schwangerschaft: Übelkeit, sonst 0 Mol. Stuhl regelm. Kindsbewegg. Anf. Oct. Rechnet auf Ende Febr.« Die Geburt erfolgte am 24. Februar ohne Schwierigkeiten. Der Fall von Elise Schwegler ist typisch für viele Geburten, die in der Basler Gebärabteilung stattfanden.345 Nicht selten finden sich in der Anamnese Hinweise, dass sich die Schwangere in einem elenden körperlichen bzw. gesundheitlichen Zustand befand, der Körper gezeichnet von Hunger, Armut und Krankheiten, zum Teil auch von Unfällen oder Misshandlungen.346 Gleichwohl verliefen 65% der Geburten bzw. Wochenbetten in der Ära Bischoff »mütterlicherseits bland und komplikationslos«.347 Dies traf etwa auf die Niederkunft der 21-jährigen Marie Kramer348 zu, Fabrikarbeiterin, ursprünglich aus Haltingen im Amt Lörrach, die im Spital ein »Freibett« erhielt. Auch Katharina Behringer349 gebar ohne Probleme. Die 25-Jährige,

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dass die Hebammen auf dem Land sowie auch bei den Hausgeburten in der Stadt weiterhin eine zentrale Rolle spielten. Vgl. ähnlich auch Gross: Entwicklung. Auch Mesmer blieb nach der Entlassung als Spitalhebamme weiter in ihrem Beruf tätig; ihr Name taucht im Geburtsregister der Stadt seit 1873 wieder häufiger auf. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 73/1875; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 73. Insgesamt kamen zwischen 1868 und 1886 rund 4.500 Kinder im Bürgerspital zur Welt. Die Gesamtzahl lässt sich nicht genau angeben. Bischoffs Übersicht von 1886 ergibt 4.564 Geburten, während er selbst die Zahl 4.596 nannte – dies offenbar ein Rechenfehler. Pavic geht von 4.487 Geburten aus, allerdings ohne die Geburten des Jahres 1877, da für jenes Jahr die Akten aus nicht bekannten Gründen fehlen. Vgl. Pavic: Praxis, S.42f. Pavic: Praxis, S.36. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 76/1870; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 76; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.113f. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.:

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heimatberechtigt in dem kleinen Dorf Luchle in der Gemeinde Schlageten im Hotzenwald, hatte bereits ein nichteheliches Kind von sechs Jahren, als sie 1870 in Basel, dort arbeitete sie in einer Fabrik, erneut schwanger wurde. Sie gab an, ihre »Bekanntschaft« mit dem Vater des Kindes, Joseph Vögelin, ein 24-jähriger Schuhmacher aus Freudenberg im Amt Wertheim, bestünde bereits zwei Jahre und die Heirat habe lediglich aus von ihnen nicht zu verantwortenden Gründen350 noch nicht stattgefunden. So kam Sohn Ludwig am 8. November 1870 im Bürgerspital »unehelich« zur Welt, und zwar ohne größere Schwierigkeiten. Als sie Fieber bekam, verordnete Bischoff Chinin, und bei ihrem Austritt am 23.  November hieß es: »M. und K. wohl«. Katharina Lütti/y,351 30 Jahre alt und aus Rippolingen im Bezirksamt Säckingen stammend, hatte ebenfalls bereits ein nichteheliches Kind. Sie habe es, so gab sie im Bürgerspital an, mit 21 Jahren »ohne Hülfe« geboren. Das zweite, ein Knabe, wenig später auf den Namen Johann Carl getauft, kam am 2. Oktober 1868 zur Welt, und zwar komplikationslos (»spontan, gleich gekommen«), auch wenn Katharina Lütti/y bis einen Tag vor der Geburt in der Fabrik gearbeitet hatte. Aber auch sie hatte nach der Geburt einige Tage Fieber. Die 25-jährige Marie Katharina Kinndorf/Kindorf352 schließlich, in Marzell im Bezirksamt Müllheim zu Hause und in Basel in Stellung, berichtete bei der studentischen Untersuchung ebenfalls, ihr erstes Kind »leicht geboren« zu haben. Dieses kam offenbar nicht in einem Spital zur Welt, wohl aber ihr zweites Kind, ein »Knäblein«. Am 23. Januar 1870 geboren, wurde es am 6. Februar getauft, als seine Mutter bereits wieder fieberfrei war. Sie nannte ihren Sohn Karl Friedrich und gab als Vater Pius Zipfel an, einen Kutscher aus Rotzingen im Amtsbezirk Waldshut. Beim Austritt am 1. Februar war Marie Katharina Kinndorf/Kindorf »gesund«, »wohl« und hatte vor, »als Amme [zu] gehen«.353 Auch

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chiv, Ehegericht, U 160, Bl.76; Sammlung Pavic: 95/1870; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 95. Das folgende Zitat ebd. Vgl. Kap. 6. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 58/1868; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1868; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.76; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/1, Fol. 58. Die folgenden Zitate ebd. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 13/1870; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.362, 381-383, 396f.; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.383; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.146; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 13. Die folgenden Zitate ebd. Ähnlich der Fall von Catharina/Katharina Holderer (zu ihrer Person vgl.

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andere Badenerinnen nutzten, wie noch auszuführen sein wird, diese Beschäftigungsperspektive.354

Komplizierte Geburten Rund ein Drittel der Geburten verlief mit mehr oder weniger großen Komplikationen.355 Die 26-jährige Emilie Wiedensohler/Widensohler356 aus Gündlingen im Amtsbezirk Breisach etwa, die in Basel eine Stelle als Magd357 und in der Spalenvorstadt eine Unterkunft fand, hatte bereits zwei nichteheliche, außerhalb des Spitals geborene Kinder. Als die dritte Geburt bevorstand, wandte sie sich im Sommer 1874 an das Bürgerspital. Nach der studentischen Untersuchung erhielt sie ein unentgeltliches »Freibett« und gebar am 8. August Tochter Emilie Luise. Nach der Geburt setzten Blutungen ein, die kaum zu stoppen waren. Bei Ida Biller,358 einer 28-jährigen Magd aus Hartheim/Hardheim im Amt Wertheim, war nach der Geburt ihres ersten Kindes am 30. März 1875 eine Dammnaht nötig, auch Fieber trat auf. Fridolina/e Stritt-

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die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 78/1870; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.139; Sanität, Frauenspital X 28/3, Fol. 78; das folgende Zitat ebd.), die aus Mahlberg im Bezirk Ettenheim kam und in Basel als Magd arbeitete. Sie verließ das Spital 42 Tage nach der Geburt ihres Sohnes. Die Krankenakte endete mit dem Satz: »Geht als Amme.« Vgl. Kap. 6. Ob im Basler Spital das aus anderen Gebäranstalten bekannte Verfahren der »Säugamme« praktiziert wurde, ist unklar. Einige Hinweise darauf gibt es: So hieß es in der Krankenakte der 21-jährigen Christine/a Ratzel (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 48/1868; Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 18421876; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1868; Sanität, Frauenspital, X 28/1, Fol. 48) aus Eggenstein in der Nähe von Karlsruhe, in Basel als Fabrikarbeiterin beschäftigt, die am 21. Juli 1868 niederkam: »Säugt 2 Kinder.« Weitere Hinweise finden sich bei Pavic: Praxis, S.41. Vgl. Pavic: Praxis, S.36. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 10/1874; Geburtsregister; Niederlassung H6a; Spitalarchiv, V 40, 1874, Nr.170; Gerichtsarchiv, Uc 15, Bl.590; Gerichtsarchiv Ehegericht, U 162, Bl.219; Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.207f. Am 5.4.1877 befand sich das Kind bei Dr. P. Schneider, Steinengraben 31, Basel, die Mutter in Kork, Baden. Auch sie klagte vor dem Dienstbotenrichter gegen ihre Dienstherrin, die ihr beim Austritt Lohn schuldig geblieben sei, vgl. Protokoll, 8.2.1873, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.207f. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 99; Niederlassung H6a; Spitalarchiv, V 40, 1875, Nr.99.

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matter359 aus Unteralpfen im Hotzenwald, die seit 1862 in Basel lebte, sich dort zunächst als Magd, dann als Fabrikarbeiterin durchschlug, war im März 1865 zehn Tage im Bürgerspital wegen Pocken behandelt worden. Am 9. Oktober 1868 kehrte sie zurück, um ihren Sohn Heinrich zur Welt zu bringen. Nach 25 Spitaltagen wurden beide »gesund« entlassen, während bei der Geburt selbst Gefahr für das Kind bestanden hatte. Die Geburtshelfer konnten die Herztöne kaum mehr hören und entschieden dann, »weil d. Herztöne gz. schwach wurden Forceps […] in der Narcose«. Es kam zum Dammriss, doch konnte der Knabe gerettet werden. Auch der Sohn von Jakobine Heiser/Haeuser360 überlebte: Die 20-Jährige, aus dem dem Bezirk Bruchsal zugeordneten Untererisheim stammend und in Basel als Fabrikarbeiterin beschäftigt, erhielt beim Eintritt ins Spital am 14. Januar 1870 ein »Gratis-Freibett«, vier Tage später setzten die Wehen ein. Nach einer Dammruptur und heftigen Blutungen blieben die Herztöne des Kindes aus, doch kam dieses, ein Knabe, schließlich lebend zur Welt. Bischoff verordnete Bleiwasserumschläge und gegen das aufgetretene Fieber Chinin. Ende des Monats konnte Jakobine Heiser/Haeuser an der Spitaltaufe ihres Sohnes teilnehmen, dem sie nach seinem Vater, Adolf Gror, einem aus Bayern stammenden Korbmacher, den Namen Adolf Karl gab. Bei der oben erwähnten Maria König, die 1870 vor dem Eherichter den Schuhmacher Joseph Vögtlin benannt hatte, der sich als Franzose ausgegeben und »nichts mehr von sich habe hören lassen«,361 glückte es nicht, das Kind am Leben zu erhalten. 1873 wurde ihre Tochter »in I. Steisslage extrahirt«;362 sie wog nur 1.420 Gramm und starb einen Tag nach der Geburt. Das Fieber der Mutter therapierte Bischoff mit Chinin, zudem verordnete er »Carbolinj.« Die aus Schiltach im Bezirk Wolfach gebürtige 21-jährige Elise Vogt363 schließlich, die in Basel in der Freien 359 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 64/1868; Kath. Taufbuch; Geburtsregister; Spitalarchiv, V 30, 1865, Fol. 285; Sanität Frauenspital, X 28/1, Fol. 64. Die folgenden Zitate ebd., Hervorhebung im Original. 360 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 11/1870; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 11. 361 Vgl. Kap. 5.a. Der Sohn der beiden lebte 1873 noch. 362 Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 187. Das folgende Zitat ebd. 363 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sammlung Pavic: 217/1874; Geburtsregister; Spitalarchiv, V 40, 1874, Nr.217; Niederlassung H6a. Am 28.8.1878 hielt sich das Kind bei J. Schweiter-Hiestand, Jmbergässlein 10, Basel, auf.

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Strasse gemeldet und als Näh(t)erin beschäftigt war, musste nach der Geburt am 10.  Oktober 1874 mehrfach genäht werden. Ihr Sohn litt an Blennorrhoe, einer eitrigen Schleimhautabsonderung, besonders der Augen, die die Ärzte schon damals mit Gonorrhoe (Tripper) in Verbindung brachten. Ihr zweites Kind, ebenfalls ein Knabe, brachte Elise Vogt knapp vier Jahre später außerhalb des Spitals zur Welt.

»Forceps« Im Unterschied zur Geburt in der vormodernen Zeit kamen in den Gebäranstalten des 19. Jahrhunderts geburtshilfliche Instrumente – in erster Linie die »Forceps«, die Geburtszange  – häufig zum Einsatz. Unter Bischoff wurden 5,1% aller Geburten mit der Zange beendet, bei den Erstgebärenden kam diese in nahezu 10% der Fälle zum Einsatz, 1870 und 1873 lag die Rate bei den Erstgebärenden sogar bei 22%. Dies war im Vergleich zur Göttinger Gebäranstalt (40%) ein geringer, im Vergleich zum Wiener Gebär- und Findelhaus (0,4%) hingegen hoher Wert.364 Die Zange wurde im 19. Jahrhundert meist nicht wie in späteren Jahrzehnten als Zuginstrument eingesetzt, sondern dazu, den hoch stehenden Kopf des Kindes »in den Beckeneingang hineinzuziehen, den Kopf zur bessere Formübereinstimmung zu komprimieren und erweiternd auf die Gebärwege der Mutter einzuwirken«.365 So wundert es nicht, dass es häufig zu Verletzungen der Mutter und/ oder des Kindes kam. Die Basler Geburtshelfer etwa nahmen in 40% der Zangengeburten eine Damminzision vor. Die bereits erwähnte Magd Elisabeth Zeller etwa, deren »Bekannter« Friedrich Schuhmann im selben Haushalt diente, bald aber nach Bern wechselte,366 betrat die Gebärabteilung am 8. April 1873. Bischoff stellte Typhus fest und dass sich die 27-Jährige erst in der 37. Schwangerschaftswoche befand. Einen Tag später begannen die Wehen, die sich über zwei Tage hinzogen. Aufgrund der Schlaffheit des Uterus stockte der Geburtsvorgang, sodass am Abend des 10.  Aprils am »Kopf Zange angelegt [wird] in

364 Vgl. Pavic: Praxis, S.22. Zahlen zu Göttingen und Wien nach Schlumbohm: Blick, S.183. 365 Kuhn, Walter/Tröhler, Ulrich (Hg.): Armamentarium obstetricium Gottingense. Eine historische Sammlung zur Geburtsmedizin, Göttingen 1987, S.78, zit. nach: Metz-Becker: Körper, S.205. Vgl. auch die ausführlichen Beschreibungen bei Pavic: Praxis, S.22f. Die folgenden Angaben ebd., S.22. 366 Vgl. Kap. 5.a.

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der Narkose. […] Extraction«.367 So wurde ein fast drei Kilo schweres Mädchen in die Welt befördert, das wenig später den Taufnamen Adelheid Rosalie erhielt. In den folgenden Tagen bekam Elisabeth Zeller Fieber und auch das Neugeborene entwickelte sich nicht gut, nahm nicht zu, sondern ab, war insgesamt »sehr elend«. Am 26. April wog es nur noch knapp zwei Kilo, die Geburtshelfer notierten: »moribund, stirbt um 10 Uhr. […] M. wohl. Tritt aus«. Der Säugling wurde zwei Tage später beerdigt. Im Falle von Wilhelmine Räuber/Rauber,368 auch sie eine Erstgebärende, die in Hausen im Amt Schopfheim als nichteheliches Kind aufgewachsen war und in Basel als Magd ihr Auskommen fand, entschied Bischoff auf »Forceps wegen sehr schwacher Wehen und Herztöne«. Trotz der Gefahr für das Kind kam der Knabe lebend zur Welt, wurde später im Spital auf den Namen Carl getauft und bald »in Kost« gegeben.369 Auch bei der aus Rippoldsau im Bezirksamt Wolfach stammenden Elise/Elisabeth Schoch370 diagnostizierte Bischoff (sein Assistent oder die Studenten) 1879 Atonie des Uterus und verordnete, als die Wehen einsetzten, zunächst »Bad und Injection«, nach 2,5 Stunden griff man zur Zange. Mutter und Kind überlebten und wurden nach 14 Spitaltage »wohl« entlassen.371 Anders der Fall von Rosine/a Ehret.372 Am 13. Mai trat sie in die Gebärabteilung ein, da sie aufgrund von Kreuz- und Leibschmerzen »ihren Dienst [als Magd] nicht mehr versehen kann«. In den folgenden Tagen fanden mehrere (studentische) Untersuchungen statt. Erst nach mehr als vier Wochen, in denen die Schwangere von Schmerzen geplagt war, setzten schließlich am 18. Juni »kräftige Wehen« ein. 24 Stunden später hieß es: »den ganzen Tag Wehen […] Mmd. langsam eröffnend.« 367 Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 87. Die folgenden Zitate ebd., Hervorhebung im Original. 368 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 195/1873; Geburtsregister; Niederlassung H6a; Spitalarchiv, V 40, 1873, Nr.195; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 195. Das folgende Zitat ebd., Hervorhebung im Original. Am 29.1.1878 befand sich das Kind bei Eduard Leubin, Wilhelmine Räuber/Rauber ging am 8.5.1878 nach Pratteln. 369 Vgl. Kap. 6. 370 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 59/1877 und 190/1879; Niederlassung H6a; Spitalarchiv, V 40, 1883. Elise/Elisabeth Schoch bekam im Spital drei Kinder (1877, 1879, 1883). 371 Auch sie lebten nicht lange zusammen, vgl. Kap. 6. 372 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 33/1868; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1868; Sanität, Frauenspital, X 28/1, Fol. 33. Die folgenden Zitate ebd., Hervorhebung im Original. Vgl. Bönzli: Schwangere, S.63.

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20. Juni: »Die ganze Nacht Wehen, nicht geschlafen.« Weiterhin untersuchte man den Muttermund, überprüfte die Herztöne des Kindes. Diese »werden um 9 schwächer, die Wehen ebenso. Um 10 1/4 keine Herztöne; fast keine Wehen. […] Zange um 10 1/4. […] Sehr schwierige Extraction. […]. 1x Umschlingung der Nabelschnur um den Hals. Gelöst. Extrahirt. Knabe 2.970 gr.« Die starken Blutungen der Mutter versuchte man mit »kalte Injec., Frottieren des Uterus« zu stoppen. Wenig später hieß es über das Kind: »Tod. Nicht zu beleben.« Rosine/a Ehret erholte sich nur langsam. Erst Ende Juli konnte sie wieder aufstehen und am 3. August trat sie »geheilt aus«.

»Perforation« und Kaiserschnitt Im Gegensatz zu den Geburten in der mütterlichen Unterkunft zeichnete sich die Geburtshilfe im Spital nicht nur durch den Einsatz der »Forceps« aus, sondern auch durch chirurgische Eingriffe. In Bischoffs Ära fanden insgesamt 755 derartige Operationen statt,373 durchschnittlich knapp 40 jährlich. Die Spanne reichte von 11 (1868) bis 64 (1881), ohne dass die Verteilung darauf hindeutet, dass die Ärzte im Laufe der Jahre zunehmend häufiger operierten.374 Gelang etwa bei einer extremen Beckenverengung375 die Niederkunft trotz Geburtszange nicht, so gab es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nur eine Möglichkeit, zumindest das Leben der Mutter zur retten: die »Perforation« – ein operativer Eingriff, bei dem die Geburtshelfer das Kind im Mutterleib zerstückelten. Die Ärzte unterschieden zwischen der Öffnung des kindlichen Kopfes (Kraniotomie) oder Zerstücklung des gesamten kindlichen Körpers (Embryotomie). Eine solche »Perforation« wurde 1879 in der Krankenakte der 23-jährigen Rosine Bächli,376 die aus Baden stammte und in Basel in einer 373 Vgl. Pavic: Praxis, S.22 und Jahresbericht Bischoff 1886. Bischoff nutzte seinen letzten Bericht als eine Art Resümee seiner fast zwanzigjährigen Tätigkeit als Vorstand der Geburtsabteilung. Dort findet sich u.a. eine Tabelle mit Angaben zu den Geburten, den Operationen und den Todesfällen. 374 Dies ist bei den gynäkologischen Operationen anders, die hier jedoch nicht betrachtet werden, vgl. ausführlich Müller: Praxis, S.32-34 und 47-64; Mandler: Bischoff, S.19f.; Koller u.a. (Hg.): Jahre, S.92f., 99-106, 331f. und 335-342. 375 Im 19.  Jahrhundert war diese häufig durch Rachitis bedingt. Als Handlungsanweisung für Hebammen in derartigen Fällen vgl. Lange: Lehrbuch, S.289-302. 376 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung

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Fabrik arbeitete, eher am Rande erwähnt. Die Anamnese hielt fest: kyphotisches (trichterartig verengtes) Becken, Syphilis, 34. Schwangerschaftswoche. Zu ihrer ersten Geburt, die ebenfalls im Bürgerspital stattgefunden hatte, hieß es: »Zangenversuch. Perforat. des lebenden Kindes, Extract. mit d. Zange. […] Dammriss.« Bei der nun anstehenden zweiten Geburt verordnete Bischoff zunächst täglich »2 heiße Inj. und Bad«, leitete dann eine künstliche Frühgeburt ein. Ein Mädchen kam mit 2.700 Gramm lebend zur Welt, »schreit sofort«. 14 Tage später aber starb es an »Adynamie«. Bischoff verlegte die syphiliskranke Mutter wenig später auf die medizinische Abteilung. Die hier nur lapidar erwähnte »Perforation am lebenden Kind«, die Rosine Bächli bei ihrer ersten Schwangerschaft durchstanden und überlebt hatte, wandten die Ärzte auch bei der 22-jährigen Fabrikarbeiterin Anna Blattmann,377 die am 10. August 1875 in die Gebärabteilung eintrat, an. Auch bei ihr diagnostizierten die Studenten und/oder Ärzte »Rhachit. gradverengtes Becken […]. Lernte erst im 12. Lebensjahr gehen wegen Rhachitis. Später ganz gesund. […] Kleines, missgestaltetes Individuum«. Nach einem Blasensprung verordnete Bischoff »Carbolinj.« und entschied dann, da das Herz des Kindes sehr unregelmäßig schlug und der Geburtsvorgang stoppte, »Operation. Perforation«. Diese wurde wie folgt beschrieben: »Zug mit dem Entenschnabel ohne Erfolg. […] nach sehr anhaltendem kräftigen Zuge rückt der Kopf mit einem Ruck tiefer. Indessen haben die Herztöne trotz der Entfernung des Hirns noch immer geschlagen; die weitere Extraction leicht. Keine Verletzung nachweisbar […]. Dauer de Operation 35 min, M[ädchen] 2.300 gr (ohne Hirn), 47 cm«. Die Mutter verließ das Spital – nach Dammnaht und »Druckverband« zum Abstillen – am 26. August und 16 Spitaltagen, »wohl«. Nicht immer überlebte die Mutter die »Perforation« des Kindes, wie das Beispiel von Marie Dold378 zeigt. Die 25-Jährige wird in der Krankenakte folgendermaßen vorgestellt: »Wittwe, herumziehend, Vaterland Baden. […] Pat. lernte erst mit 5 Jahren laufen, hatte als Kind die ›engl. Krankheit‹. […] Sehr kleine etw. magere, aber gut aussehende Person. […] verengtes, rhach. plattes Becken; Körperlänge 135 cm.« 1880 habe eine erste Niederkunft stattgefunden: »schwere Zangengeburt, vic: 68/1879; Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 68. Die folgenden Zitate ebd. 377 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 222/1875; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 222. Die folgenden Zitate ebd. 378 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 150/1883; Sanität, Frauenspital, X 28/16, Fol. 150. Das folgende Zitat ebd.

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reifes Kind todt zur Welt«. Über die zweite Geburt Ende März 1883, die sehr bald stockte, notierten die Geburtshelfer: »keine Hzt. [Herztöne] zu hören. Innere Untersuchung […] Kopf quer, Pfeilnaht zieml. weit nach hinten. […] In Narcose wird mit dem geraden Perforatorium das vorliegende Scheitelbein angebohrt, dann das macerirte Gehirn zerstört. Cephalotomie mit d. Entenschnabelpincette. Die Kopfknochen einzeln entfernt. Extraction an der Haut des Schädels. Das Gesicht tritt nach hinten u. etw. rechts durch. […] Rumpf braucht noch einigen Zug. Placenta nach 5 Min. geholt. […] Injection in den Uterus, da das Fruchtwasser sehr stinkend u. missfarbig war, kein Blut. In der hinteren Vaginalwand 2 Risse, re.5 fr. [Franken] gr., li. kleiner. [Zudem] ein kleiner Schleimhautriss. Gleich nach der Extraction des Kindes Aetzen der Stellen mit conc. Carbolsäure; nach Entfernung der Placenta Auswaschen der Vagina mit 5% Carbollösung. […] Gewicht des Kindes: 2.200 gr. […] Abds. 7 Uhr Schüttelfrost, 40°, Injection in d. Uterus mit 4% Carbolösung. Jodoformtampon.« In den nächsten Tagen wich der Schüttelfrost nicht; Marie Dold hatte starke Schmerzen, ihr Leib war stark »aufgetrieben« und manchmal »druckempfindlich«. Bischoff ließ weiterhin Karbolsäure injizieren. Drei Tage nach der Geburt hieß es: »Leib sehr stark aufgetrieben, nicht besonders druckempfindlich, viel dünne Stühle, bricht viel. Puls klein u. unregelm., Ausfluss riecht.« Und einen Tag später: »Leib mehr aufgetrieben, zieml. druckempfindlich. Pat. will nur auf der Seite liegen, Puls etwas kräftiger. Gesichtsausdruck etw. zerfallen. Mittags: Inj. in Uterus mit 5% Carbollösg. Der Finger hat Mühe den Muttermund zu erreichen, da die Vagina gleichmässig von einem Exsudat ausgefüllt ist. Bläuliche Verfärbung der Schleimhaut am Introitus; heftige Dyspnoe. Puls abds. 6 1/2 Uhr: 156, fadenförmig. Abends 7.15 Uhr Tod.«379 Die geschilderten Fälle waren nicht die einzigen Operationen dieser Art, die im Bürgerspital stattfanden. In Bischoffs Amtszeit wurden vielmehr 44 »Perforationen« durchgeführt, in der Hälfte der Fälle am noch lebenden Kind.380 In 84% der Fälle hatte die Untersuchung der Schwangeren eine Beckenanomalie ergeben, die so ausgeprägt war, dass eine normale Geburt unmöglich erschien. Durch den Tod des Kindes und seine Zerstückelung konnte die überwiegende Mehrzahl der Frauen überleben: Nur fünf der 44 Gebärenden, an denen Bischoff eine »Perforation« durchführte bzw. durchführen ließ, starben bei oder un379 Es findet sich kein Eintrag zu ihrem Tod, vgl. StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 2.3b, Sterbe- und Beerdigungsregister 1877-1899. 380 Vgl. Pavic: Praxis, S.20. Zum Folgenden vgl. ebd., S.20f., sowie S.64-78.

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mittelbar nach der Operation. Bei 20 Gebärenden verlief der Eingriff offenbar sogar ohne größere Komplikationen. Anders stellte sich die Situation dar, wenn die Ärzte einen Kaiserschnitt ansetzten. Lange Zeit bedeutete dies ein nahezu sicheres Todesurteil für die Gebärende.381 Im Basler Bürgerspital fand der erste Kaiserschnitt an einer Lebenden im Dezember 1865 statt, also noch vor der Verselbstständigung der Geburtsabteilung. Betroffen war Anna Barbara (»Babette«) Saxer,382 eine 1839 geborene ledige Baslerin, kleinwüchsig, geistig zurückgeblieben und vermutlich nach einer Vergewaltigung schwanger. Babette Saxer überlebte den Kaiserschnitt nicht, wohl aber ihr Kind. Erst 1879 wurde die Operation wiederholt, und zwar zweimal. Bischoff und sein Assistenzarzt Alfred Gönner wandten den Kaiserschnitt bei der 41-jährigen badischen Ehefrau Rosine Braun383 an, die am 13. Dezember zu ihrer achten Geburt in die Gebärabteilung kam. Auch in diesem Fall starb die Mutter und das Kind überlebte. Im zweiten Fall des Jahres 1879 wurde der Kaiserschnitt anberaumt, als die Mutter plötzlich kollabierte. Die 40-jährige, aus Schopfheim stammende Marie Elisabeth Reif trat am 27. April 1879 in die Gebärabteilung ein, einige Tage später untersuchten sie die Studenten. Sie hielten fest: »Pat. ist blödsinnig und daher nicht zu befragen«, sie besitze ein enges Becken und habe eine erste Niederkunft vor zehn Jahren gehabt (»Wendung und Extraction«), sei nun in der 33. Schwangerschaftswoche, das Kind befinde sich in Schieflage.384 Einen Tag später brach die Schwangere zusammen: »Nacht 10 1/2 plötzliche Pulslosigkeit, Athmen stetrorös, röchelnd, unregelmäßig, keine Zuckungen, Extremitäten kalt, nach 10 Min. steht Puls und Athmung still, Pupillen starr, weit. […] Kindliche Herztöne gut hörbar, 96. Sofortige Eröffnung d. Bauchhöhle mittels ca. 20 cm langen, mediaen Schnittes […] Durchtrennung der vord. Uteruswand, wobei d. Messer auf d. knirschende Gewebe eines schwach apfelgr. Myoms […] stößt. Extraction d. in I. Querlage befindlichen Kindes an d. Füßen. Der Kopf macht etwas Schwierig381 Zur Geschichte des Kaiserschnitts vgl. Schäfer: Geburt; Lehmann: Schnitt; Scholz: Operation; sowie die Fallstudie von Metz-Becker: Kaisergeburt. Zum Kaiserschnitt im Basler Bürgerspital vgl. Sabados: Einführung. 382 Vgl. Sabados: Einführung, S.49-51. Saxer gehört, da sie Basler Bürgerin war, nicht zur Untersuchungsgruppe der Badenerinnen. 383 Vgl. Sammlung Pavic: 429/1879; Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 429. Braun gehört, da sie verheiratet war, nicht zur Untersuchungsgruppe der Badenerinnen. 384 Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 171. Die folgenden Zitate ebd. Vgl. auch Sabados: Einführung, S.69. Reif gehört, da sie verheiratet war, nicht zur Untersuchungsgruppe der Badenerinnen.

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keiten beim Entwickeln. Kd. noch deutlicher Herzschlag, sofort 3/4 Std. fortgesetzte künstl. Respiration, die in Verbindung mit aeusserer Excitation (kalter Strahl im Bade, schlagen usw.) mehrmals tiefe Athmungsbewegungen auslöst. Nach 1 Stunde wird d. Herzschlag langsamer und hört bald ganz auf.« Weder Mutter noch Kind hatten den Kaiserschnitt überlebt.385 Bis zum Ende von Bischoffs Amtszeit blieb der Kaiserschnitt ein selten angewandter, drastischer Eingriff, der die beteiligten Geburtshelfer in hohem Maße beschäftigte. Sie verfügten lange über keine Möglichkeit, um bei einer extremen Beckenverengung, einer unnatürlichen Lage des Kindes oder anderen schwerwiegenden Komplikationen vor oder während der Geburt das Überleben sowohl der Mutter als auch des Kindes zu sichern. Die Ärzte befanden sich in einer Zwangslage. Letztendlich kamen nur Kraniotomie bzw. Embryotomie oder Kaiserschnitt infrage, um so wenigstens ein Menschenleben zu retten. Der Kaiserschnitt, so wussten die Ärzte, führte zum Tod der Mutter, rettete womöglich aber das Kind, die kindszerkleinernde »Perforation« tötete das Kind, bot aber der Gebärenden eine Chance zu überleben.386 Erst in den folgenden Jahren stellte sich die Frage im praktischen Spitalalltag seltener und auch die Debatte ebbte ab, eben weil die Müttersterblichkeit beim Kaiserschnitt deutlich sank – vor 385 Es findet sich kein Eintrag zu ihrem Tod, vgl. StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877. 386 Die akademischen Geburtshelfer des 19.  Jahrhunderts diskutierten die Frage, wie zu entscheiden sei, zugunsten der Mutter oder zugunsten des Kindes, ebenso intensiv wie kontrovers. Über den an Rosine Braun durchgeführten Kaiserschnitt berichtete Alfred Gönner in der »Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie« (vgl. Gönner: Therapie, S.8-10), über den an Babette Saxer Adam Zagórski, Socins Hilfsassistent, in der »Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten« 1868 (vgl. Zagórski: Beiträge, S.15-22) und Bischoff selbst in einem Vortrag Anfang des Jahres 1866 vor der Basler »Medizinischen Gesellschaft«. In der sich anschließenden Erörterung stand genau jene Frage im Raum: Hätte statt des Kindes auch Babette Saxer gerettet werden können? Socin beantwortete sie eindeutig, formulierte den »Grundsatz […], dass ein lebendes Kind unter keinen Umständen darf perforiert werden«. So die Aussage Socins nach dem Vortrag Bischoffs, Protokoll der 3. Sitzung der Medizinischen Gesellschaft, 4.1.1866 (vermutlich 4.2.1866), StABS, Privatarchive, Archiv der Medizinischen Gesellschaft Basel, PA 973a C 2, Protokolle der Geschäftssitzungen 1860-1870, Bl.155. Bischoff und seine Assistenzärzte hielten sich jedoch offenbar nicht an diese Maxime und führten »Perforationen am lebenden Kind« durch. Zu den medizinischen Debatten über das »Ungeborene« und die Schwangerschaft, die von verschiedenen Diskursen, darunter theologische, juristische und staatspolitische, geprägt wurden, vgl. Duden u.a. (Hg.): Geschichte.

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allem aufgrund verbesserter Operationstechniken und der Einführung der Asepsis. Im Basler Bürgerspital endeten erstmals 1886 Kaiserschnittentbindungen mit dem Überleben von Mutter und Kind.387

Sterblichkeit der badischen Neugeborenen Nicht immer waren die Begleitumstände des Todes so dramatisch wie in den gerade beschriebenen Fällen. Bei den Gründen für den Tod der Kinder, die bei oder kurz nach der Geburt starben, dominierten (extreme) Frühgeburten, bei denen das Kind weniger als 1.000 Gramm wog, »Gichtern« (Krämpfe) und »(Lebens)Schwäche«. Auch kamen Frauen mit einem bereits verstorbenen Kind im Leib in die Gebärabteilung. Der erwähnten Maria/Marie Kaiser,388 schwanger von Droschkenkutscher Blum, widerfuhr dies zweimal. Am 6. November 1871 betrat sie erstmals das Spital, doch ihr Kind lebte nicht mehr. So wurde sie von einem  – wie es zeitgenössisch hieß  – »faultodten« Mädchen entbunden, das gerade einmal 840 Gramm wog. Als sie zwei Jahre später, nun in Kleinhüningen arbeitend, erneut das Bürgerspital aufsuchte, berichteten sie bei der Untersuchung, sie habe seit einem Monat keine Kindsbewegungen mehr gespürt. Die Ärzte gingen von der 26. Schwangerschaftswoche aus. Noch am gleichen Abend setzten Wehen ein und einige Stunden später wurde Maria/Marie Kaiser von einem »faultodten«, 1.030 Gramm leichten Knaben entbunden. Eine gute Woche fiebrig, trat sie am 26. Mai 1873 »gz. [ganz] wohl« aus. Auch bei Rosine Meier/Meyer389 ging man von der 26. Schwan387 Zwei Techniken kamen zum Einsatz: In einem Fall operierten die Ärzte nach der Methode des italienischen Geburtshelfers Edoardo Pòrro, bei der beim Kaiserschnitt auch Gebärmutter und Eierstöcke entfernt wurden, in einem zweiten Fall nach der Technik von Ferdinand Adolf Kehrer, der erstmals beim Kaiserschnitt Bauchdecke und Gebärmutter nicht wie bisher üblich von oben nach unten, sondern quer aufgeschnitten und die Gebärmutter anschließend mit dem Bauchfellüberzug vernäht hatte. Diese Technik fand im Bürgerspital von nun an meist Verwendung. Sabados: Einführung, S.70-73, konnte zwischen 1865 und 1918 124 derartige Operationen ermitteln, von denen die große Mehrzahl (96) nach 1904 stattfand. Vgl. zudem Pavic: Praxis, S.53; Müller: Praxis, S.70f. 388 Vgl. Kap. 5.a. Zum Folgenden vgl. Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 104. Die folgenden Zitate ebd. 389 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 48/1870; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877 (das übernächste Zitat ebd.); Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 48. Das folgende Zitat ebd.

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gerschaftswoche aus. Als die 23-jährige Badenerin, die sich in Basel als Magd verdingte, am 16. Mai 1870 das Spital betrat, hatte die Geburt allerdings bereits stattgefunden. Bischoff nahm Meier dennoch auf und verordnete »Carbolinj. in den Uterus«. Zum Kind vermerkte das Sterbe- und Beerdigungsregister lapidar: »zu früh geborenes, nicht lebensfähiges Kind«. Gleichwohl taufte es der Spitalpfarrer und trug als Vater Georg Schüsseli ein, einen Badener, der möglicherweise aus Gundelfingen bei Freiburg stammte. Am 16. Mai fand die Beerdigung des Kindes statt. Mathilde Ziegler,390 auch sie eine 23-jährige badische Magd, die als »uneheliches« Kind in Zizingen im Bezirksamt Stockach aufgewachsen war und zu Beginn der 1870er-Jahre in Basel Unterkunft in der Freien Straße gefunden hatte, kam am 23. April 1873 in der 24. Schwangerschaftswoche ins Bürgerspital. Sie gab bei der Untersuchung an, seit 14 Tagen gehe »blutiger Schleim ab«. Noch am gleichen Abend setzten »beständige« Wehen ein und früh am Morgen wurde wegen »Atonie« das Kind »extrahirt« – ein »unreifer«, 1.040 Gramm leichter, toter Knabe. Auch das Kind der 21-jährigen Caroline/Karoline Ziegelmeier,391 die Renchen als ihre Heimat angab, in einer Basler Fabrik beschäftigt und von einem 22-jährigen Schuhmacher namens Josef Winter von Kaisten im Kanton Aargau schwanger war, wog bei der Geburt am 22.  Juli 1870 nicht einmal 1.500 Gramm. Wenige Tage später starb es »an Schwäche«. Die 27-jährige Fabrikarbeiterin Verene/Verena Rüdin/Rudin,392 die vom Hotzenwald nach Basel gegangen und im Herbst 1869/70 eine »Bekanntschaft« mit dem in Stuttgart geborenen Bäcker Georg Wagner eingegangen war, brachte am 12. August 1870 einen Sohn zur Welt – doch er trank nicht und litt an Krämpfen. Zwei Wochen nach der Geburt starb er, inzwischen auf den Namen August getauft, an »Convulsionen«. Das Sterberegister hielt fest: »zu Spital geboren und gestorben«.393 Gelegentlich machten 390 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 93/1873; Gerichtsarchiv, Ehegericht U 159, Bl.762; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 93. Die folgenden Zitate ebd. 391 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 62/1870; Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 18641877; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.418; Gerichtsarchiv, U 159, Bl.762; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 62. Das folgende Zitat ebd. 392 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Gerichtsarchiv, Ehegericht U 159, Bl.743 und 761; AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877; Kath. Taufbuch; Sammlung Pavic: 69/1870; Sanität, Frauenspital, X 28/3, Fol. 69. Das folgende Zitat ebd. 393 StABS, ÄNA, Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 18641877.

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die Geburtshelfer das Verhalten der Mutter für den Tod des Kindes verantwortlich, so etwa im Falle der 18-jährigen badischen Magd Karoline Kepler.394 Die Geburt am 20. März 1875 verlief, so protokolliert es die Krankenakte, rasch, allerdings mit einem Dammriss. Anschließend bekam die Mutter Fieber. Zudem sorgte sie sich nicht so, wie dies die Ärzte erwarteten, um ihren Sohn. Am 7. April hielten sie fest: »Kd. wurde der M. zum Stillen gereicht, trank ordentlich. M. soll roh mit ihrem Kd. umgegangen sein, so daß es jetzt (8 Uhr) moribund ist«. Am Nachmittag starb es. Von den hier betrachteten 835 nichtehelichen badischen Kindern lebten mindestens 95 nur sehr kurze Zeit;395 sie starben bei der Geburt, als Säugling oder als Kleinkind in Basel.

Sterblichkeit der badischen Mütter Auch die meisten mütterlichen Todesfälle waren weniger aufsehenerregend als die oben geschilderten Fälle. Die 21-jährige Sophie Kolb396 etwa, die Gernsbach als ihre Heimat angab und in Basel bei »Herrn Direktor Preiswerk« als Fabrikarbeiterin beschäftigt war, trat gegen eine »Hinterlage von Fr. 40.-« am 7. Oktober 1866 in die Gebärabteilung ein. Sie sei, so urteilten Geburtshelfer, ein »[w]ohlgenährtes gesund aussehendes Individuum« und nach ihrer Angabe, früher »immer gesund gewesen«, nun erstmals schwanger. Die Schwangerschaft verlaufe »ohne die mindesten Beschwerden«. Noch am gleichen Abend begannen die Wehen. Diese waren kurz und, so das Protokoll, »wenig schmerzhaft«. Dann jedoch kam es zu Komplikationen: »Abends 5 Uhr 50 Minuten, da der Kopf seit 4 Stunden im Einschneiden ist u. die Wehenthätigkeit mehr u. mehr aufhört gr x Secale [Mutterkorn]. – Nach 25 Minuten (Abends 6 ¼ Uhr) während welcher Zeit die Herztöne kräftig geblieben wird der Kopf sehr cyanotisch geboren. Nur unter Hülfe von Zug an den Schultern folgt der Rumpf. Das ganze Kind cyanotisch, hat viel Schleim im Mund u. in den Großen Bron394 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 92/1875; Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 92. Das folgende Zitat ebd. 395 Diese Angabe ist nicht als Ergebnis einer systematischen Recherche anzusehen. 396 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; V 34.5, 1866, Fol. 345 (Transkription der Krankenakte: Helena Vogler, BBS). Die folgenden Zitate ebd., Hervorhebung im Original.

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chen; daher rasselndes Athmen.« Sophie Kolb bekam in der Nacht hohes Fieber, hatte starke Schmerzen in der rechten Unterbauchgegend, während das Kind an einem »ziemlich starken Bronchialkatarrh« litt. »Abends 6 erhält die Mutter Calomel gr  x Jalapp. gr  v um 8 Uhr die Dosis zur Hälfte noch einmal. […] Das Kind hat noch nicht getrunken.« Der Zustand der Mutter besserte sich nicht. »Noch 2 Stühle, in der Nacht Vermehrung des Ergusses. Bauch gespannt, viel schmerzhafter. Abds. 39.5. Schmerz gesteigert. Kein Stuhl. In der Nacht Alles Genossne erbrochen, Schlaf unterbrochen. Erguss gleich hoch, Athmen erschwert. Viel Schmerz. […] Das Kind hat etwas Nahrung zu sich genommen. Schläft viel, athmet leicht. Kein Stuhl. Beständig Erbrechen. Temp. sinkt. Puls klein, frequent. […] Bauch auf’s Höxte gespannt. Große Schmerzen. Dyspnoe. Gefühl von großer Schwäche. – Abds 6 Uhr Umnebel(un)g des Bewusstseins. Um 10 Uhr Tod als allmäliges Auslöschen.« Nur das Kind überlebte. Zwei Tage nach dem Tod der Mutter wurde es auf den Namen Karl/Carl Maximilian getauft. Bei der Taufe waren drei Taufpaten und der Vater anwesend, Gotthilf Konrad Gruninger/Grüninger, ein Lithograph aus Reutlingen in Württemberg, der seinen Sohn jedoch (zumindest zunächst) nicht zu sich nahm. Aus dem einen Tag später ausgefertigten Erbschaftsinventar397 geht vielmehr hervor, dass Sophie Kolbs Hinterlassenschaften an ihren kleinen Sohn sowie ihre in Basel wohnende Mutter gingen, »welche auch das Kind ihrer verstorbenen Tochter bei sich hat«. Neben 49 Franken Ersparnissen vererbte sie noch ein paar Kleidungsstücke, genauer: »1 Winterhut, 2 (S)chawl, 3 Rock, 3 Junten, 8 Hemden, 4 Schürzen, 8 Nastücher, 10 Paar Strümpf, 1 Paar Pantoffeln, 1 Paar Schuh, 1 baumw. Regenschirm, 2 Schlutti«. Der Wert der Kleidung wurde auf 67,60 Franken geschätzt. Nach Abzug von 0,60 Franken »Inventargebühr der Gerichtsschreiber« blieben 116,00 Franken »reines Vermögen«. Die 25-jährige Anna Kleinhans398 schließlich, die in Oberbaldingen im Bezirksamt Donaueschingen zu Hause war und in Basel als »Magd bei Lipps« diente, suchte im November 1868 wegen eines heftigen Katarrhs das Bürgerspital auf. Zwei Wochen nach der Entlassung trat sie erneut ein und hinterlegte 40 Franken, um in der Gebärabteilung 397 Erbschaftsinventar, BBS, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, PP 1.195, Nr.493, 1866 (Transkription: Marina Zulauf-Semmler, BBS). Die folgenden Zitate ebd. 398 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 70/1868; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/1, Fol. 70; BSS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1868; AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877.

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niederkommen zu können. Am 7. Dezember gebar sie ihren Sohn Ernst ohne größere Komplikationen. Anna Kleinhanns hingegen bekam Fieber, das mit Chinin behandelt wurde. Bald stellte sich eine Thrombose ein und sie verstarb am 22. Dezember. An Heiligabend fand die Beerdigung statt.399 Wie viele der hier betrachteten Badenerinnen während oder infolge der Spitalgeburt starben, ist nicht exakt zu ermitteln. Bekannt ist jedoch die Gesamtsterblichkeit unter allen Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen: Sie lag in der Ära Bischoff bei 2,5%, schwankte freilich zwischen 0% und 8,3%.400 Differenziert man die Gesamtsterblichkeitsrate nach Todesursachen, so zeigt sich, dass 0,9% der mütterlichen Todesfälle auf diverse Todesursachen, 1,6% hingegen auf Kindbettfieber entfielen.401 Zeitliche Schwerpunkte bildeten die Jahre 1869, 1874 und 1880.402 Die Leichen der Verstorbenen wurden – wie die aller im Spital gestorbenen Patientinnen und Patienten – zu Forschungszwecken obduziert, schwere pathologische Fälle in der 399 Ähnlich der Fall der 19-jährigen in Hornberg (Triberg) heimatberechtigten Magd Christine Koch (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 305/1879; Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister 1864-1877; Sanität, Frauenspital, X 28/12, Fol. 305; das folgende Zitat ebd.), die bei ihrem Eintritt am 20. August 1879 ein kostenloses »Freibett« erhielt. Drei Tage später setzten die Wehen ein, doch die Geburt verlief mit Komplikationen. Die Gebärende bekam noch während der Geburt Fieber, das Kind, ein Mädchen, starb. Das Fieber der Mutter bekämpfte Bischoff mit »Chinin, Carbolinj.«, doch der Tod an Kindbettfieber ließ sich nicht vermeiden. Zwei Tage später wurde sie beerdigt. 400 Vgl. Pavic: Praxis, S . 36-38 und Diagramme 41-47. 401 Vgl. Pavic: Praxis, S.36-38 und Diagramme 41-47. Bischoff: Jahresbericht 1886, gibt die Zahl von 83 verstorbenen Wöchnerinnen an. Die Zahl ist jedoch höher, da einige an Kindbettfieber erkrankte Wöchnerinnen in die medizinische Abteilung verlegt wurden und dort starben, ohne dass sie in der Todesfallstatistik der Geburtsabteilung auftauchten, vgl. Pavic: Praxis, S.38 (der damit Handschin: Mortalität, S.17, korrigiert). Handschin legte 1888 die erste wissenschaftliche Studie zum »Puerperalfieber an der Geburtshilflichen Klinik zu Basel« (1868-1886) vor; er selbst hatte als Assistenzarzt unter Fehling gearbeitet. In seiner Dissertation, S.27-35, beschreibt er die Todesfälle durch Kindbettfieber im einzelnen. Statistiken zur Mortalität und Morbidität des Puerperalfiebers finden sich ebd. S.19, 21 und im Anhang; sowie bei Mandler: Bischoff, S.29. Zum Kindbettfieber als Folge der Hospitalisierung vgl. auch Metz-Becker: Körper, S.220-229. 402 Auf einen direkten Einfluss der Hebammenkurse auf die Sterblichkeit, Bischoff vermutete ja einen solchen, kann aufgrund dieser Daten nicht geschlossen werden. Zur Debatte, ob die Entbindungsanstalten reine »Mördergruben« waren vgl. Schlumbohm: Phantome, S.452-454.

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Anatomie der Universität seziert. Bischoffs Abteilung erwies sich dabei als »Hauptlieferant von Untersuchungs-Objekten«.403 Für die Jahre 1870 bis 1886 liegen Statistiken vor, die einen Vergleich der Müttersterblichkeit zwischen Spital und dem Kanton Basel erlauben.404 In diesem Zeitraum lag die Müttersterblichkeit im Kanton (ohne Spital) bei 0,6% (Schwankung: 0,4-0,9%), im Spital hingegen bei 1,9% (Schwankung: 0-4%). Die Gesamtsterblichkeit war im Spital also beinahe dreimal höher als im Kanton. Die Zahlen für Todesfälle durch Kindbettfieber (Zeitspanne 1874 bis 1886) weisen in die gleiche Richtung: Im Kanton (ohne Spital) lag der Wert im Mittel bei 0,5% (0,3-0,9%), im Spital bei 1,2% (0-23%). Das Risiko, an Puerperalfieber zu sterben, war im Spital also 2,2-mal so hoch wie in der Stadt. Bei den anderen Todesursachen war das Mortalitätsrisiko im Spital fast dreimal höher. Möglicherweise lag dies daran, dass kranke Schwangere ins Spital kamen oder solche, die eine schwierige Geburt befürchteten.405 Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die Sterberate der Mütter in der Gebärabteilung des Basler Bürgerspitals zwar höher lag als in der Stadt, zugleich aber auch deutlich niedriger als etwa im Wiener Gebär- und Findelhaus. Ähnliches kann für die Sterberate unter den Neugeborenen festgestellt werden. Insgesamt kamen von allen im Bürgerspital zwischen 1868 und 1886 geborenen Kindern 358 ums Leben, davon 150 während oder kurz nach der Geburt, 107 in der ersten Lebenswoche und 101 nach der ersten Lebenswoche noch im Spital. Mit anderen Worten: Fast 90% aller in der Gebärabteilung zur Welt gekommenen Kinder verließen das Spital lebend.406 Ganz anders in Wien: Von den 403 Trinkler: Geschichte, S.51. Vgl. ebd., S.46; Hotz/Scholz: Geschichte, S.55. Ähnlich wurde in Göttingen (vgl. Schlumbohm: Phantome, S.454-461) oder Wien verfahren. In Wien erstreckte sich das Nützlichkeitsdenken zum einen auf die lebenden Säuglinge, die als Impfstofflieferanten für die Pockenimpfung dienten (1801 wurde ein Schutzpockenhauptinstitut als Bestandteil des Findelhauses eingerichtet; zum Impfvorgang selbst vgl. Flamm/Vutuc: Geschichte), die Kinderleichen wurden für die Aus- und Fortbildung der Ärzte in der Pathologie und Anatomie genutzt, vgl. Pawlowsky: Mutter, S.142-145. 404 Die folgenden Zahlen nach: Pavic: Praxis, S . 36-38 und Diagramme 41-47. 405 Bischoff bestritt dies, indem er herausstellte, dass es sich bei diesen Fällen um Ausnahmen handelte. So schrieb er 1878, dass »sogar gegen unsere sonstige Haltung eine Wöchnerin mit schwerem Kindbettfieber aus der Stadt« aufgenommen worden sei, und 1879, dass die »Aufnahme in der Stadt erkrankter Wöchnerinnen« nicht immer habe verhindert werden können, Jahresbericht Bischoff 1878 und 1879. 406 Vgl. Pavic: Praxis, S.31-36 und Diagramme 32-40. Insgesamt ist zu sehen, dass die Säuglingssterblichkeit in der Stadt in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts langsam zurückging. Dies lag weniger am Ausbau der

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zwischen 1784 und 1910 im dortigen Gebär- und Findelhaus geborenen Kindern starben rund 30% noch im Gebärhaus.407 Der Unterschied sowohl in der kindlichen wie auch in der mütterlichen Sterberate zwischen Wien und Basel ist frappant und mag nicht zuletzt damit erklärt werden können,408 dass das Wiener Gebär- und Findelhaus sehr viel früher eingerichtet wurde und dass dort so viel mehr Kinder (rund 730.000) als im Basler Spital (etwa 4.500) zur Welt kamen.

Die Wahl des Geburtsortes Mutmaßlich wussten die in Basel gebärenden Frauen in jener Zeit nicht, dass im Spital ein höheres Todesrisiko bestand als in der Stadt. Zumindest findet sich in den Quellen kein Hinweis darauf, dass es im Basler Milieu der »handarbeitenden Klassen« eine Ahnung davon gab oder Gerüchte kursierten. Die hier betrachteten Badenerinnen, die die Gebärabteilung des Bürgerspitals ja häufiger als andere Schwangere in Anspruch nahmen, taten dies wohl deshalb, weil es ihnen in Anbetracht der Aussicht, das Kind in der eigenen bedrängten Unterkunft und ohne die Anwesenheit vertrauter Frauen, die in der »Weiber-Noth« Beistand geboten hätten, zur Welt zu bringen, als die bessere Alternative erschien  – trotz der Kosten. Allerdings war die zu entrichtende »Hinterlage« von 40 Franken noch immer deutlich günstiger als der Lohn einer städtischen Hebamme, die für die Betreuung einer normalen Geburt 75 Franken berechnete, und vielleicht alles in allem auch günstiger als die Fahrt in die badische Heimat (sofern medizinischen Versorgung als vielmehr an der Schaffung einer städtischen Infrastruktur, die u.a. für eine Versorgung mit sauberem Wasser und eine einigermaßen funktionierende Kanalisation sorgte, an der sich langsam verbessernden Ernährung größerer Bevölkerungsgruppen und der allmählichen Durchsetzung von Hygienevorschriften (vgl. Wecker: Anfang, S.199; Höpflinger: Bevölkerungswandel, S.132f.; zur Geburtenentwicklung in der Schweiz allgemein vgl. ebd. S.54-76). Gleichwohl starben im Kanton Basel in den 1870er-Jahren noch rund 30% der Kinder im ersten Lebensjahr, vgl. Pavic: Praxis, S.15. Zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Basel nach 1870 und vor allem nach 1900 vgl. Mitteilungen des Statistischen Amtes des Kantons Basel-Stadt: Säuglingssterblichkeit. 407 Zahlen nach Pawlowsky: Mutter, S.200, 210 und 216. Weitere nahezu 40% starben in den ersten Lebensjahren; zu weiteren Differenzierungen vgl. ebd., S.199-251. Zu Göttingen vgl. Schlumbohm: Phantome, S.435f. 408 Um die Gründe für die so unterschiedlichen Raten zu untersuchen, müsste eine eigene Studie durchgeführt werden.

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dort überhaupt Verwandte bereit oder in der Lage waren zu helfen). Nicht wenige dürften auf ein »Freibett« spekuliert haben, andere in Rechnung gezogen haben, dass sie nach der Niederkunft einige Zeit im Spital bzw. im Bett bleiben konnten und beköstigt wurden. Eine derartige Schonung nach der Geburt war für die hart arbeitenden Frauen aus den unterbürgerlichen Schichten höchst ungewöhnlich; die in ihrer Unterkunft gebärenden Wöchnerinnen gingen meist unmittelbar nach der Niederkunft zurück zur Arbeit. Für die Aufnahme in die Gebärabteilung des Bürgerspitals nahmen die Badenerinnen jedenfalls in Kauf, von den Ärzten und Studenten als »lebendige Phantome« (Jürgen Schlumbohm) benutzt zu werden. Insgesamt betrachtet war die Gebärabteilung aber nur eine unter mehreren Optionen. Die bereits erwähnte Elisabeth Spani/Spahri etwa, die im Sommer 1873 zusammen mit ihrem »Bekannten« Ulrich Roppel dem Eherichter erklärt hatte, dass »von Heirathen […] einstweilen zwischen ihnen noch keine Rede gewesen« sei,409 brachte insgesamt sieben nichteheliche Kinder zur Welt, die ersten fünf in der eigenen Unterkunft, zwei im Spital.410 Auch Katharina Breiler/Breuler411 aus Ahausen im Amtsbezirk Überlingen stammend und in Basel zeitweise als Magd und zeitweise als Fabrikarbeiterin beschäftigt, war mehrfache Mutter. Ihr erstes Kind hatte sie außerhalb des Spitals geboren; es starb mit vier Monaten an »Gichtern«. Das zweite Kind kam am 7. April 1870 in der Gebärabteilung zur Welt, wo Bischoff ein unentgeltliches »Freibett« gewährte. Drei Jahre später kehrte sie – mit Zwillingen in der 33. Woche schwanger – dorthin zurück. Die Überlebenswahrscheinlichkeit für Zwillinge war nicht sehr hoch: 42% der in Bischoffs Ära geborenen Zwillinge starben, 22% während der Geburt.412 Katharinas Breulers Zwillinge jedoch überlebten (zumindest die ersten, im Spital verbrachten Wochen). Die Geburt verlief vergleichsweise komplikationslos, sodass Mutter und Kinder am 10. Februar 1873 entlassen werden konnten.413 Weitere Beispiele, die zeigen, dass die hier betrachte409 Vgl. Kap. 5.a. 410 Die Spitalgeburten fanden 1873 und 1875 statt. In beiden Fällen verlief die Niederkunft ohne größere Probleme und beide Male traten Mutter und Kind »wohl« aus. Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/8, Fol. 172. Das 1873 geborene Kind starb zehn Wochen später, weil Spani/Spahri es – so vermuteten die Ärzte 1875 – nicht gestillt hatte. 411 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Kath. Taufbuch; Sammlung Pavic: 29/1870 und 32/1873; Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 32, und X 28/3, Fol. 29. Das folgende Zitat ebd. 412 Vgl. Pavic: Praxis, S.30f. 413 Im Falle von Josefine/Josepha Müller (zu ihrer Person vgl. die Datenbank

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ten Badenerinnen, die in Basel mehrfach (nichtehelich) niederkamen, verschiedene Orte wählten, um zu gebären, wurden oben angeführt.414 Manchmal erschienen ihnen wohl die (nicht nur materiellen) Kosten im Bürgerspital eher zu verkraften als die der Niederkunft in der eigenen Unterkunft, manchmal war es umgekehrt. Es zeichnet sich jedenfalls kein Muster ab, etwa dergestalt, dass die hier betrachteten Badenerinnen stets ins Spital gingen. Einige taten dies, andere nicht.415 An welchem Ort die Geburt stattfinden sollte, entschieden sie offenbar situativ und ganz pragmatisch.

der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister), sie kam aus Hohenthengen (Waldshut) und verdiente ihren Lebensunterhalt in Basel als Fabrikarbeiterin, überlebte nur eines der Zwillingskinder, die sie 26.8.1873 im Bürgerspital zur Welt brachte. 414 Vgl. oben im Text. Zwei weitere Beispiele seien hier noch erwähnt: Anna Maria Ruf (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 47/1871; Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.439; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.232.), die aus Wiesleth/Wieslet im Amtsbezirk Schopfheim kam und in Basel in Stellung war, brachte nur eines ihrer drei Kinder, einen Sohn, am 25.3.1871 im Spital zur Welt. Ähnlich die Fabrikarbeiterin Rosa Bauer/Baur (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Sammlung Pavic: 68/1873 und 149/1871; Sanität, Frauenspital, X 28/6, Fol. 68; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.486; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.699f.) aus Bernau Innerlehen: Sie gebar zwei ihrer drei Kinder in einem unentgeltlichen »Freibett« des Spitals, das erste außerhalb. Die ersten beiden Kinder starben, das dritte Kind überlebte (zumindest die ersten Wochen im Spital). 415 Seit 1871 erfasste die Gebärabteilung häufiger (wohl aber nicht systematisch), wenn Frauen erneut eintraten. Ihre Zahl nahm im Laufe der Zeit zu, vgl. Pavic: Praxis, S.14 und Diagramm 24.

6. »Badische« (Familien-)Verhältnisse in Basel Nicht alle Badenerinnen blieben nach der Geburt ihres Kindes in Basel. Denn sie gehörten ja zur hochmobilen Bevölkerungsgruppe der Basler Aufenthalterinnen, die ihre Arbeitsstelle häufig wechselten, dorthin gingen, wo sich eine bessere Beschäftigungsmöglichkeit bot. In Anbetracht der potenziell möglichen Aufenthaltsorte lässt sich eine systematische Untersuchung der weiteren Lebenswege aller Badenerinnen nicht durchführen. Im Folgenden stehen daher nur diejenigen Badenerinnen im Fokus, die sich nach der Geburt noch eine Zeit lang in Basel aufhielten. Dabei wird eine erstaunliche Vielfalt von familiären Konstellationen offenbar, in denen diese Frauen lebten – und die hier etwas flapsig als »›badische‹ (Familien-)Verhältnisse« bezeichnet werden. Sie reichten vom zuvor vielfach beschriebenen kurzfristigen »Umgang«, aus dem ein Kind erwuchs, über längere, zum Teil mehrjährige nichteheliche Verbundenheit mit einem Partner bis zur Hochzeit mit einem Basler Bürger. So gab es familiäre Konstellationen, die ganz den bürgerlichen Vorstellungen der Familie entsprachen, solche, in denen lediglich die »Legitimation« der Obrigkeit fehlte, sowie Verhältnisse, für die der Begriff der Familie nur bedingt zutrifft, etwa wenn nur Mutter und Kind zusammen wohnten, oder gar nicht, etwa wenn alle drei – Vater, Mutter und Kind – separat lebten.

Obrigkeitlich »legitimierte« Ehen von Badenerinnen Einige der hier betrachteten Badenerinnen schlossen eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe (die ja erlaubt war  – sofern die Bedingungen der Obrigkeit erfüllt waren1). Sie heirateten ihren »Bekannten« und Vater ihres nichtehelich geborenen Kindes oder einen anderen Mann, der jenes anerkannte, ohne der leibliche Vater zu sein. Mindestens 86 Frauen traten in Basel vor den Traualtar.2 Die Zahl der obrigkeitlich »legitimierten« Hochzeiten liegt vermutlich höher, da zum einen die Daten 1 Zum Eherecht in Baden vgl. Kap. 1, zum Eherecht in Basel Kap. 4. 2 Head-König betont, dass viele ausländische, katholische Dienstbotinnen, die in Basel heirateten, einen Kompromiss bei der Religionszugehörigkeit eingingen, indem sie einen protestantischen Mann ehelichten, vgl. Head-König: Force, S.92. Tatsächlich stieg die Zahl der zeitgenössisch sogenannten

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auch für Basel nicht systematisch erhoben wurden und da zum anderen für die mobilen Badenerinnen ein doppelter bzw. mehrfacher Heiratsmarkt existierte.3 Insgesamt jedoch ging nur eine Minderzahl der hier betrachteten Badenerinnen eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe ein. Höchst ungewöhnlich war in diesem Zusammenhang, dass eine Ehe mit einem Basler Bürger zustande kam. Schon eine solche »Bekanntschaft« gehörte zu den beschriebenen atypischen und asymmetrischen Beziehungen. Von den über 330  – namentlich bekannten  – Vätern besaßen wie erwähnt nur neun das Basler Bürgerrecht. In zwei Fällen mündete die »Bekanntschaft« gleichwohl in eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe: Wilhelmine Wehrli/Wöhrli und Barbara Tscherdter gelang es so, in den Status der Basler Bürgerin zu wechseln.4 Bei Wilhelmine Wehrli/Wöhrli5 gestaltete sich die »Annäherung« zunächst ganz ähnlich wie in den anderen beschriebenen Beispielen. Die 22-Jährige aus Schiltach (Amtsbezirk Wolfach) hatte Anfang des Jahres 1867 eine Stellung als Magd im Haushalt der Basler Familie Burger angetreten, in der auch der ebenfalls 22-jährige Sohn Adolf lebte. Nach einem halben Jahr sei sie, so gab Wehrli/Wöhrli im November 1869 vor dem Ehegericht an, »mit ihm bekannt« geworden, er habe ihr »von Anfang an« die Ehe versprochen. Anders als die erwähnten Basler Bürger Samuel Lehr und Daniel Herzog stritt Adolf Burger dies vor Gericht nicht ab, gab aber kund, »er habe noch nichts für die Heirath gethan«. Zudem stellte sich heraus, dass er bereits zuvor als »Schwängerer« vor dem Ehegericht gestanden hatte. Als Wehrlis/Wöhrlis Tochter Wilhelmine im Oktober 1869 im Spital »unehelich« zur Welt kam,6 bezahlte Lehr die Kindbettkosten und bot Unterhalt für das Kind an. Unabhängig davon wurden beide, »er wegen Wiederhohlung zu 4täg. sie zu 2-täg. Gefängnißstrafe« verurteilt, Burger musste zudem die Ge-

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ehen in Basel seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an, vgl. Gantner: Probleme, S.115. Head-König schätzt, dass zu den 1875 in Basel heiratenden Dienstbotinnen noch rund 38% hinzuzählen sind, die auf dem Land eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe schlossen, vgl. Head-König: Force, S.88. Nach dem Eherecht erhielten, wie oben ausgeführt, die Ehefrauen Heimatrecht in der Gemeinde ihres Ehepartners. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 107 und Fol. 112; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.391; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.542f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 29.11.1869, ebd.) und Bl.575. Wehrli/Wöhrli und ihr Kind hielten sich dort bis 10.11.1869 auf; wenige Tage später kehrte die Mutter zurück, da Blutungen auftraten. Vgl. Krankenakte, StABS, ÄHA, Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 107 und Fol. 112.

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richtskosten zahlen. So schien dieser Fall ähnlich zu verlaufen wie der von Maria Schupp und Samuel Lehr oder von Anna Barbara Bühler und Daniel Herzog. Doch anders als jene »Bekanntschaften« mit einem Basler Bürger mündete die Verbindung von Wehrli/Wöhrli und Burger in eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe. Am 9. Juni 1870 ließen sie sich in der Basler St. Martinskirche trauen, und das Geburtsregister vermerkte: »Kind legitimiert durch Verehelichung der Eltern.«7 Im Fall von Barbara Tscherdter8 und Hermann Uecker/Uicker stellte sich die Situation etwas anders da, denn Uecker/Uicker besaß zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit das Basler Bürgerrecht noch nicht lange.9 Er war 1852 in Niedergebisbach (Amt Säckingen) geboren worden und mit seinen Eltern nach Basel gekommen, denen es gelang, dort in den Status der Niedergelassenen zu wechseln. Sie lebten in Binningen und schickten ihren Sohn in die Innenstadt zur Realschule. Nach dem Schulabschluss trat er in die »Florettspinnerei des Herrn Theophil Vischer« ein und stieg dort innerhalb weniger Jahre zum Fabrikaufseher auf. Anfang des Jahres 1871 bewarb sich Uecker/Uicker um das Basler Stadtbürgerrecht, um so dem Militärdienst in Baden zu entgehen. Er erfüllte alle Voraussetzungen, befand sich in einer wirtschaftlich abgesicherten Position, besaß einen von Fabrikant Vischer und »Rector Frey« bescheinigten guten Leumund und gehörte der reformierten Konfession an. So wurde Uecker/Uicker im Mai 1871 eingebürgert. Im gleichen Jahr lernte er die 20-jährige Barbara Tscherdter kennen, die aus dem Wiesental stammte und sich in Basel als Arbeiterin in einer Fabrik (möglicherweise Vischers) verdingte. Anders als Uecker/Uicker hielt sie sich in Basel allein auf, hatte lediglich den Aufenthaltsstatus inne und stammte zudem aus einer nichtehelichen Verbindung. Barbara Tscherdter setzte die Tradition der Nichtehelichkeit in Basel fort, indem sie eine »Bekanntschaft« zu Uecker/Uicker knüpfte. Als sie schwanger wurde, zeigte nicht sie selbst, sondern Uecker/Uicker dies dem Ehegericht an. Beide erschienen am 15. Januar 1872 dort, beide bestätigten, dass ein Eheversprechen vorlag, und Uecker/Uicker sagte zu, Kindbettkosten und Alimente zu zahlen. Eine Hochzeit sei, so ergänzte er, deshalb nicht möglich, da es »ihm einstweilen noch an Geld«

7 Geburtsregister, StABS, ÄHA. 8 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.491; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.4. 9 Zum Folgenden vgl. Einbürgerungsakte Uecker/Uicker, 1871, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.9, Nr.24. Die folgenden Zitate ebd.

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fehle.10 Anfang Mai kam das Kind in Tscherdters Unterkunft im Hinteren Mattweg und mit Unterstützung einer Hebamme zur Welt. Nach einem Jahr ließen sich die beiden aber tatsächlich kirchlich trauen. Von Ueckers/Uickers Seite aus kann dies so interpretiert werden, dass er so einen weiteren Nachweis erbringen wollte, dass er sich den Basler Sitten angepasst hatte, zu denen das abgesicherte Einkommen, das reformierte Bekenntnis und eben auch eine Familiengründung im obrigkeitlichen Sinne gehörte. Eine »Bekanntschaft« und vor allem ein »uneheliches« Kind passten nicht in dieses Bild. Jedenfalls bekräftigte Uecker/Uicker vor dem Eherichter nicht nur, dass er heiraten wolle, es ihm nur »noch an Geld« für die Hochzeit fehle, sondern setzte hinzu, »seit ½ Jahr sei er Bürger von Basel« – so als wolle er daran erinnern, dass er sich den Basler Normen verpflichtet fühlte, nicht den »badischen«.11 Andere Badenerinnen heirateten ebenfalls den Vater ihres »unehelich« geborenen Kindes, auch wenn dies nicht gleichzeitig die Aufnahme in das Basler Bürgerrecht garantierte. Erstaunlich viele Männer aber hielten sich schon länger in Basel auf und hatten den Status des privilegierten Niedergelassenen inne.12 Als Erklärung für dieses Phänomen ist jedoch weniger eine Strategie der Badenerinnen zu vermuten, als vielmehr die Quellengrundlage anzuführen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Niedergelassener in den Basler Quellen auftaucht, liegt deutlich höher als bei einer hochmobilen Person mit Aufenthaltsstatus. Die bereits erwähnte Elisabeth Schlotter13 jedenfalls heiratete ihren »Bekannten«, den in Basel niedergelassenen Joseph Meier/Meyer, auch wenn dieser vor dem Eherichter ein Eheversprechen bestritten hatte. Im Februar 1875, ein Jahr nach dem Urteil (sie hatten sich auf einen Vergleich geeinigt) und zehn Monate nach der Geburt von Tochter Elisabetha, ließen sie sich trauen. Viele Jahre später beantragte Meier/Meyer für sich und seine Familie das Basler Bürgerrecht.14 Aus den Einbürgerungsakten geht hervor, dass er zusammen mit Schlotter drei weitere 1877, 1882 und 1887 »ehelich« 10 Protokoll, 15.1.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.4. Die folgenden Zitate ebd. 11 Das Paar zog zu einem unbekannten Zeitpunkt nach St. Amarin im Elsass, wo Uecker/Uicker 1892 starb. Tscherter heiratete dort ein Jahr später erneut. 12 Zur Rechtssituation der Migranten vgl. Kap. 4. Einige dieser Männer bzw. Familien ließen sich später einbürgern. Dies gelang, wie beschrieben, den Niedergelassenen leichter als den Personen mit Aufenthaltsstatus, zumal sich seit den 1880er-Jahren die Einbürgerungspolitik weiter liberalisierte. 13 Vgl. Kap. 5.a. 14 Zum Folgenden vgl. Einbürgerungsakte Meier/Meyer, 1898, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.36, Nr.9.

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geborene Kinder hatte. Nach Schlotters Tod (oder einer Scheidung?) heiratete Meier/Meyer 1894 erneut. Mit seiner zweiten Frau und dem 1895 geborenen Sohn ließ er sich 1898 einbürgern, seine Kinder aus der Ehe mit Schlotter überließ er hingegen der Obhut des Waisenhauses. Die »unehelich« geborene Tochter Elisabetha taucht in der gesamten Akte nicht auf; wahrscheinlich lebte sie nicht mehr. Im Falle von Katharina Gräslin/Grässling15 kam ebenfalls eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe zustande, und zwar nachdem das gemeinsame nichteheliche Kind gestorben war. Gräslin/Grässling stammte aus Vogelbach (Amt Müllheim) und war in Basel in einer Fabrik beschäftigt, ihr aus Geisslingen im Amt Jestetten (später Waldshut) gebürtiger »Bekannter« Sebastian Bercher als Schneider. Vor dem Eherichter sagten sie im April 1874 aus, sie wollten gern heiraten, auch die Eltern seien einverstanden, doch sie hätten »kein Vermögen«. Sie wurden zu je zehn Franken Buße verurteilt, und das Kind kam einen Monat später in der St. Johannvorstadt zur Welt, überlebte aber nicht. Doch die Verbindung der Eltern bestand fort: Sie heirateten im Januar 1872 und hatten später noch drei, nun »ehelich« geborene Kinder, darunter Zwillinge. Auch diese Familie erhielt im Herbst 1889 Basler Bürgerrecht.16 15 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.462f.; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.419. Das folgende Zitat: Protokoll, 24.4.1871, ebd. 16 Vgl. Einbürgerungsakte Bercher, 1889, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.27, Nr.141. Auch die »Bekanntschaft« von Fridoline Mettenberger (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.469; Gerichtsarchiv, Ehegericht U 160, Bl.477f.; die folgenden Zitate: Protokoll, 19.6.1871, ebd.) und Siegfried Riedin/Rüede besaß dauerhaften Charakter und mündete in eine obrigkeitliche »Legitimierung«. Mettenberger stammte aus Hottingen im Amt Säckingen, Riedin/Rüede von Sulz im Kanton Aargau, sie war Anfang der 1870er-Jahre in Basel in einer Fabrik beschäftigt, er als Arbeiter bei der Eisenbahn. Im Mai 1871 kam ihre Tochter in Mettenbergers Unterkunft in der Ochsengasse mit Unterstützung einer Hebamme zur Welt. Einen Monat später standen die Eltern nach einer polizeilichen Anzeige vor dem Ehegericht. Riedin/Rüede berichtete, er habe die Kindbettkosten bereits bezahlt, und bestätigte Mettenbergers Aussagen. Demnach waren sie »seit langem mit einander bekannt«, und Riedin/Rüede habe »vor 10 Wochen schon […] wegen den Schriften geschrieben, er hat Alles bezahlt u. wir sind bereits vor 4 Wochen verkündet worden«. Möglicherweise wohnten sie auch zusammen. Mettenberger sprach dies freilich nicht explizit aus, sagte vielmehr: »seit einigen Woch[en] wohnt er, da er sein bisheriges Logis aufgekündet hat, im gleichen Hause wie ich, aber bei seinen Bekannten«. Jedenfalls fand die Trauung statt, sodass das »unehelich« geborene Kind »durch nachträgliche Verehelichung der Eltern legitimiert« wurde.

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Nicht immer war der Ehemann auch der leibliche Vater des zuvor nichtehelich geborenen Kindes. So brachte Elisabeth Maria Fröhlin17 aus Buggingen im Markgräflerland ihre Tochter Elisabeth Barbara im Mai 1865 im Spital nichtehelich zur Welt und benannte als Vater Moriz Bouckner, einen Färber aus dem preußischen Lübba in der Provinz Posen. Dass die »Bekanntschaft« nicht mehr fortbestand, mag daran abzulesen sein, dass Bouckner nicht an der im Spital stattfindenden Taufe teilnahm. Elisabeth Maria Fröhlin ging zudem eine neue Verbindung ein, dieses Mal mit dem Badener Matthias Oehler, der aus Nordrach im Amt Gengenbach (später Offenburg) stammte und seit 1859 in Basel lebte. Er arbeitete zunächst als Schneider, und auch ihm gelang es, den Status des Niedergelassenen zu erhalten. Im Herbst 1866 ließen sie sich im Münster zu Basel trauen, und Oehler nahm Fröhlins »uneheliche« Tochter an Kindes statt an, die seither auch seinen Namen trug. Nach der Hochzeit kamen noch vier weitere, »ehelich« geborene Kinder zur Welt. Anfang der 1880er-Jahre wohnte die Familie in der Hegenheimerstrasse und betrieb eine Wirtschaft. Alle Familiemitglieder, auch die nichtehelich geborene Tochter Elisabeth Barbara, erlangten im Herbst 1881 auf Oehlers Antrag hin das Bürgerrecht in Basel.18 Elisabeth Maria Fröhlin setzte also in Basel zunächst die Familientradition der Nichtehelichkeit fort, in der sie im Markgräflerland aufgewachsen war,19 um dann mit ihr zu brechen. Letztendlich übernahm sie die Normen der Obrigkeit. Ähnlich verhielten sich die Cousinen Regina Barbara20 und Karoline Sütterlin.21 Sie stammten aus der vorgestellten Markgräfler Familie, in der Nichtehelichkeit gehäuft erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auftrat.22 Beide waren in Basel als Näh(t)erin beschäftigt, beide knüpften dort eine nichteheliche »Bekanntschaft« und beide kamen »unehelich« nieder, Regina Barbara Sütterlin im September 1864 mit einem Sohn im Bürgerspital, Karoline Sütterlin im Februar 1874 in ihrer Unterkunft in der Oberen Rebgasse mit einer Tochter und mit Unterstützung von Hebamme Schnäbelin. Beide ließen sich später ob17 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 18 Vgl. Einbürgerungsakte Oehler, 1881, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.19, Nr.358. 19 Die Familie steht, so ergab die Rekonstruktion, ebenfalls für das Muster der vertikalen Häufung von Nichtehelichkeit. Vgl. Gemeinde Buggingen (Hg.): Ortsfamilienbuch, S.74-82. 20 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 21 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister. 22 Vgl. Kap. 2.a.

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rigkeitlich trauen, wobei Regina Barbara Sütterlin nicht den Vater ihres Sohnes heiratete, sondern Christian Ammann, einen Büchsenmacher von Neukirch, vermutlich im Kanton Graubünden, der Sütterlins Sohn annahm. Karoline Sütterlin heiratete, ebenfalls in Basel, den Fabrikarbeiter Wilhelm Thudium, der vermutlich aus Reichenbach in Württemberg stammte und möglicherweise der leibliche Vater ihrer Tochter war.23 So lebten die beiden Cousinen zunächst die in ihrer Generation häufig auftretende nichteheliche Familiengründung, um dann zum obrigkeitlich »legitimierten« Ritual der Hochzeit zurückzukehren, das in der Familie Sütterlin in den Generationen zuvor nahezu immer praktiziert worden war. Das letzte hier angeführte Beispiel24 betrifft die 1831 in Buggingen geborene Maria Katharina Böhringer,25 in deren 23 Vgl. Gemeinde Buggingen (Hg.): Ortsfamilienbuch, S.308, Nr.2150. Dort ist auch ein weiteres Kind von Karoline Sütterlin eingetragen, das am 13.12.1878 (möglicherweise in Basel) geboren wurde und am 12.1.1879 in Buggingen starb. 24 Andere Fälle ließen sich ebenfalls beschreiben: So heiratete auch die bereits erwähnte Elisabeth/a App (vgl. Kap. 5.c.) mit Josef Thalmann einen Niedergelassenen. Sie hatte zum Zeitpunkt der Trauung zwei nichteheliche Kinder: Tochter Sibille Benedicte, die 1872 außerhalb des Spitals »unehelich« zur Welt gekommen und zunächst in einer Pflegestelle in der Basler Riehenstrasse untergebracht war, sowie Sohn Johannes, den sie 1874 im Spital gebar. In den Akten ist Thalmann erstmals 1878 als Stiefvater von Sibille Benedicte genannt, während Johannes nicht erwähnt ist; wahrscheinlich lebte er nicht mehr. Ähnlich auch die Situation von Maria Fritz (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv Taufregister 1842-1876): Sie stammte aus Kandern, arbeitete in Basel als Glättnerin und hatte dort zusammen mit dem Metzger Adolf Klingel eine nichteheliche Tochter, die am 24.1.1867 außerhalb des Spitals geboren, aber dort getauft wurde. Fritz schloss jedoch nicht mit Klingel eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe, sondern mit Leopold Hauser, einem in Basel niedergelassenen Schuhmacher aus Ettlingen, der Fritzens Tochter als Stiefkind anerkannte, vgl. den entsprechenden Eintrag in: StABS, ÄHA, Niederlassung, H 7, Stiefkinder hiesiger Niedergelassener (1856-1874). 25 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv Taufregister 1842-1876. Ihre um sechs Jahre jüngere Schwester Anna Maria Böhringer (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv Taufregister 1842-1876; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1865; das folgende Zitat ebd.) setzte die Tradition der Nichtehelichkeit ebenfalls fort – auch sie zumindest zunächst. Ihr Sohn kam im März 1865 in Basel, wo sie in einer Fabrik arbeitete, »unehelich« und in ihrer Unterkunft zur Welt. Offenbar verlief die Geburt nicht ohne Komplikationen, denn Anna Maria Böhringer ging zwei Tage später ins Bürgerspital, hinterlegte dort »Fr. 40.-- nebst Kind«. Bei der Taufe ihres Sohnes nannte Böhringer dem Pfarrer als Vater Friedrich Kling, einen Schreiner aus Flacht im württembergischen Oberamt Leonberg. Die »

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Familie bereits im Markgräflerland häufiger »illegitime« Verbindungen aufgetreten waren (und die für das Muster der »horizontalen« Nichtehelichkeit stehen könnte). Maria Katharina Böhringer fand in Basel als Näh(t)erin ihr Auskommen und kam dort im Herbst 1864 mit den Zwillingen Maria und August nieder. Die Kinder sowie wie Mutter überlebten die Geburt. Einen Vater gab Maria Katharina Böhringer nicht mit Namen an, sondern nur, dass dieser ein Müller aus Efrizweiler im Amt Konstanz sei. Im Februar 1867 trat sie mit Franz Xaver Knoblauch, der in Inzlingen (Amt Lörrach) Heimat- und in Basel Niederlassungsrecht besaß, vor den Traualtar. Als sie sieben Jahre später starb, kümmerte sich Knoblauch weiter um die Zwillinge.26 Einige Paare heirateten, als das gemeinsame, »unehelich« geborene Kind schon (fast) erwachsen war. Die 1845 in Hänner (Amt Säckingen) geborene Veronika/Veronica Hierholzer27 etwa verdingte sich Ende der 1860er-Jahre als Fabrikarbeiterin in Basel und ging eine »Bekanntschaft« mit dem zehn Jahre jüngeren Valentin Dietler von Kleinlützel im Kanton Solothurn ein, der in Basel als Schlosser arbeitete. Ihre nichteheliche Schwangerschaft zeigte sie dem Ehegericht an, vor dem beide im Oktober 1869 erschienen. Hierholzer berichtete, zwischen ihnen sei die Ehe beschlossen, »aber seine Mutter will nicht«. Dietler bestritt ihre Version nicht, bestätigte sie vielmehr und fügte zudem an, seine Mutter werde »wohl nachgeben«. Auch wolle er die Kindbettkosten übernehmen und Unterhalt für das Kind zahlen.28 Dieses kam am 24. November im Spital zur Welt. Anders als in vielen anderen Fällen endete ihre »Bekanntschaft« aber nicht. Vielmehr fand letztendlich

kanntschaft« mit ihm endete aber offenbar, und Böhringer gab ihren Sohn in Pflege in die Basler Steinenvorstadt. Ob es zehn Jahre später noch lebte, als sie in Basel den in Dällikon im Kanton Zürich heimatberechtigten Zimmermann Rud. Huber heiratete, geht aus den Quellen nicht hervor. 26 Vgl. den entsprechenden Eintrag in: StABS, ÄHA, Niederlassung, H 7, Stiefkinder hiesiger Niedergelassener (1856-1874). 1919 veranlasste er, dass sie seinen Familiennamen tragen konnten. Zu diesem Zeitpunkt lebte Maria als Ordensschwester im Württembergischen Untermarchtal, August als Fabrikarbeiter in Neustadt; beide erklärten sich mit der Namensänderung einverstanden. Vgl. die Unterschriften in: StABS, ÄHA, Civilstand, Ha, Geburtsregister, Ha 8, 1863-1866. 27 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 115; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.387; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.462f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 11.10.1869, ebd. 28 Beide wurden bestraft. Dietler musste acht Franken und die Gerichtskosten, Hierholzer zehn Franken zahlen.

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eine von der Basler Obrigkeit »legitimierte« Hochzeit statt – 14 Jahre nach der Geburt des Kindes.29

Ehehindernisse Die Mehrzahl der Badenerinnen schloss keine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe. Es bestanden viele Hürden, die sie nicht nehmen konnten oder wollten. Zum Teil nutzte einer der Partner (meist der männliche) das von außen gesetzte Hindernis als Argument in der Strategie, sich der Verbindung zu entziehen. So zählten etwa die umständlichen bürokratischen Heiratsverfahren zu den am häufigsten genannten Gründen, warum eine Hochzeit trotz Eheversprechen nicht zustande komme. Caroline Grünfelder30 aus Breisach und Dominic Hottinger aus Bergalingen im Amt Säckingen gaben zu Protokoll, »wir werden [vom heimatlichen Gemeinderat] hingehalten«, Rosina Meier/Meyer31 und Hermann Hottinger, beide aus Rütte im Amt Säckingen, die Gemeinde verweigere »die Zustimmung wegen seines Alters«, Emma

29 Noch länger dauerte es, bis Wilhelmine Seidel (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.446; Gerichtarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.288f.; die folgenden Zitate: Protokoll, 13.2.1871, ebd.) den Vater ihres nichtehelich geborenen Kindes (in Basel) heiratete. Sie selbst war 1844 in Wiechs (Bezirk Schopfheim) zur Welt gekommen und Anfang der 1870er-Jahre in einer Basler Fabrik als Bandaufzieherin beschäftigt, ihr »Bekannter« Jacob Beck, Jahrgang 1836, kam aus dem württembergischen Baltsmannsweiler (Amt Schorndorf) und fand in Basel sein Auskommen als Erdarbeiter. Ihre Tochter wurde im Januar 1871 in der Ochsengasse und mit Unterstützung einer Hebamme geboren. Beck ging zum Ehegericht, meldete die »uneheliche« Geburt und dass er die Hebamme bereits bezahlt habe, stellte auch Alimente in Aussicht. Seidel ergänzte, »wir sind seit 6 J. mit einander bekannt, er hat mir die Ehe versprochen; wir haben keine Anzeige gemacht, weil wir auf Heirath hofften, auch ist das Kind 7 Wochen zu früh gekommen«. Beck erläuterte zudem, er sei »schon im August daheim gewesen«, und legte als Beweis für seine Heiratsabsicht die »ausführ[liche] pfarramts Korrespondenz bezüglich der Verkündung vor«. Tatsächlich traten sie vor den Traualter – allerdings erst 1895, 24 Jahre nach der Geburt ihrer Tochter. 30 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.523; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.312f. Das folgende Zitat: Protokoll, 9.9.1872, ebd. 31 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.398; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.625. Das folgende Zitat: Protokoll, 24.1.1870, ebd.

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Strub32 aus Wettelbrunn im Amt Staufen und Joh. Murbach von Gächlingen im Kanton Schaffhausen gaben an, »der Heirathsbogen« sei »fortgeschickt«, aber nicht zurückgekommen. Sie seien daher »daheim […] gewesen, u. der Amts Revisor hat gesagt, er wolle Alles besorgen, hat aber nichts gethan«. Martin Tanner von Bargen im Kanton Schaffhausen schließlich, der mit Pauline/Paulina Heinemann33 aus Kirchhofen im Amt Staufen vor dem Eherichter stand, berichtete, er habe »auch schon wegen den Schriften geschrieben, aber man verlangt in seiner Gemeinde, daß ich 800f. Vermögen nachweisen und 223f. Einkaufs Gebühr bezahlen soll. Er […] wolle sich jetzt an einen Gelehrten wenden«. Tanner beklagte also nicht nur die lediglich für einen Studierten durchschaubare Bürokratie, sondern benannte einen weiteren Grund, der bei vielen Paaren – vorgeblich oder tatsächlich – die Hochzeit vereitelte: die nachzuweisende finanzielle Absicherung sowie die hohen Kosten, die mit einer Trauung einhergingen. Peter Itzel/Itzen aus Frankfurt a.M., der mit Pauline Winkler34 aus Hauenstein im Amt Waldshut eine nichteheliche »Bekanntschaft« unterhielt, erklärte dem Eherichter, »er habe noch keine sichere Existenz«,35 Johann Seemann aus Auggen im Amt Mülleim, er könne seine »Bekannte« Wilhelmine Hummel36 aus Schliengen (Bezirk Müllheim) »noch nicht heirath[en], mein Vater hat das mütter[liche] Vermögen noch«, Wilhelm Bruder aus Gaienhofen im Bezirk Radolfzell, der mit der erwähnten Klara Kaiser aus Frohnschwand im Amt St. Blasien »Bekanntschaft« hatte, »ich verdiene 6-8 fr. p[ro] Woche, meine Verhaltniße gestatten mir nicht zu heirathen«.37 Johann Tencki von Alpnacht im Kanton Unter-

32 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.488; Gerichtarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.42f. (die folgenden Zitate: Protokoll, 29.1.1872, ebd.) und Bl.420f. 33 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.530f. Das folgende Zitat: Protokoll, 3.7.1871, ebd. 34 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.502; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.103f. Das folgende Zitat: Protokoll, 13.3.1872, ebd. 35 Er setzte hinzu: Die Heirat sei jetzt »nicht mehr so nothwendig«, da das Kind am 22.2.1872 tot zur Welt gekommen sei. 36 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.426; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.51. Das folgende Zitat: Protokoll, 1.8.1870, ebd. 37 Protokoll, 9.11.1868, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.13. Ihr Kind kam in den Langen Erlen zur Welt und starb einen Tag nach der Geburt im Bürgerspital, vgl. Kap. 5.c.

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walden, der Genofeva Kern38 aus Biberach im Amt Gengenbach die Ehe versprochen hatte, stellte in Anbetracht der hohen Kosten eine einfache Rechnung auf: Er »könne nicht heirathen weil die Gemeinde 1000f. Vermögen u. 250f. Einkaufs Geld in die Armenkasse verlange, während es nur 25f. koste, wenn er eine aus dem Kanton heirathe«. Im Falle von Rosina Strittmatter39 aus Rotzingen im Bezirk Waldshut und Heinrich Wiesendanger von Kurzdorf im Kanton Thurgau spielten ebenfalls die fehlenden materiellen Grundlagen eine Rolle. Wiesendanger erklärte dem Eherichter zumindest, »daß es ihm bei Mangel an Vermögen und Ersparnißen schwerlich möglich sein werde, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen«. Erschwerend kam hinzu, dass er sich wegen Diebstahlsverdachts in Untersuchungshaft befand.40 Gelegentlich führten die unterschiedlichen Konfessionen zu Schwierigkeiten (so berichtete Anna Maria Lehmann41 aus Burgberg im Amt Villingen dem Eherichter, sie sei mit ihrem »Bekannten« Aloys Mösch aus dem württembergischen Horb »jetzt […] uneinig, weil er nicht mehr zugeben will, daß das Kind protestantisch getauft werde«42), oder das jugendliche Alter des »Bekannten« (so begründete Wilhelm Jacob aus Ihringen im Amt Breisach gegenüber dem Basler Eherichter, er könne seine »Bekannte« Barbara Muffler43 aus Zizenhausen im Amt 38 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.381f. Das folgende Zitat: Protokoll, 11.11.1872, ebd. Auch Clementine Maier/Meier (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.377; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.336; das folgende Zitat: Protokoll, 12.7.1869, ebd.) aus Herrischried im Amt Säckingen und Johannes Heusermann/Hausermann von Egliswyl im Kanton Aargau bezeugten, es fehle »am Vermög[en] zur Heirath«. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anfügen. 39 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a; Spitalarchiv Taufregister 1842-1876; Spitalarchiv, V 40, 1874, Nr.34 und V 40, 1880; Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 15, Bl.564; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.637f. Das folgende Zitat: Protokoll, 29.9.1873, ebd. 40 Auch der erwähnte Ausläufer bei den »Badischen Bahnen« Carl Kienzig, der mit Euphrosine Gehr einen nichtehelich geborenen Sohn hatte (vgl. Kap. 5.a.), gab vor dem Eherichter zu, er habe »ungefähr 800f. unterschlagen u. aus dem Geld auch seine Eltern unterstützt«. Für eine Hochzeit bliebe daher keines. Protokoll, 9.2.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.56f. 41 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.506; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U161, Bl.133f. Das folgende Zitat: Protokoll, 22.3.1872, ebd. 42 Zur Problematik der sogenannten Mischehen in Basel vgl. Gantner: Probleme, S.115. 43 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.:

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Stockach nicht heiraten, »weil er noch zu jung sei«). Bei einigen Paaren versuchten – vorgeblich oder tatsächlich – die Eltern eine Hochzeit zu verhindern. Adolf Thomann von Meiringen im Kanton Bern erklärte, »sein Vater wolle die Einwilligung nicht geben«, dass er seine »Bekannte« Emma Kern44 aus Riegel im Bezirk Kenzingen heirate, im Fall von Carolina Geisel/Geißel45 und Ferd. Schneider, beide aus Mühlhausen im Amt Pforzheim, waren es ihre Eltern, die Einspruch erhoben. Zu den vorgebrachten oder realen Ehehindernissen gehörte auch die (beschäftigungsbedingte) Mobilität. Ausschließlich Frauen gebrauchten es als Argument, um so dem Eherichter zu erläutern, warum sie allein vor das Gericht traten. Fridolina Kalt46 berichtete, ihr »Bekannter« sei »seit 5 Monaten fort [sei], jetzt vermuthlich in Hanau«,47 Maria Schlemmer48 aus Dietenbach bei Freiburg, deren »Bekannter« Rudolf Bigler von Bolligen im Kanton Bern sich in Basel zum Teil als Tagelöhner, zum Teil als Knecht verdingte, dieser sei inzwischen in Amerika, Caroline Höferlin, dass sie von ihrem »Bekannten«, dem »Eisenbahn-Conducteur« Joh. Hofer aus Darmstadt, »seit 6 Wochen […] nichts mehr [... wiße]«49 und Karolina/Carlina Baumgartner50 aus Amrigschwand Amt St. Blasien, dass ihr »Bekannter« Cornel Arns aus Kirrlach im Amt Bruchsal, »nach Schopfheim u. nach Freiburg gegangen [sei]; wo er jetzt ist, weiß ich nicht.« Einige argumentierten, »der

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gister; Niederlassung H6a; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.491; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.5. Das folgende Zitat: Protokoll, 15.1.1872, ebd. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.455; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.354f. Das vorangegangene Zitat: Protokoll, 22.3.1871, ebd. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Niederlassung H6a; Kath. Taufbuch; Sanität, Frauenspital, X 28/2, Fol. 91; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.379; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.346f. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.498; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.42. Protokoll, 29.1.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.42. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.405 und 445; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.671 und Bl.686; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.260f. Protokoll, 9.12.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U161, Bl.417f. Zu ihrer »Bekanntschaft« vgl. Kap. 5.a. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.452; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.327 (das folgende Zitat: Protokoll, 8.3.1871, ebd.) und 354.

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Krieg« habe die Hochzeit verhindert:51 Katharina Behringer berichtete, ihr langjähriger »Bekannter« Joseph Vögelin aus Freudenberg im Amt Wertheim habe »bereits heimgeschrieben, nach dem Kriege werde es wohl vorangehen«,52 Victoria Lauber begründete, ihr »Bekannter« Joh. Schmid aus Stuttgart habe »in den Krieg müßen u. seither weiß ich nichts mehr von ihm«,53 und Rosa Bauer/Baur beschrieb, die Ehe mit ihrem »Bekannten« Adolf Mahler habe »wegen dem Krieg« nicht stattfinden können.54 Chatharina/Katharina Holderer schließlich gab an, ihr aus Frankreich stammender »Bekannter« Henri Chéctian habe gewünscht, sie solle »nach Paris kommen, wenn Friede sei«.55 Die Basler wie die badische Obrigkeit hatten viele Hürden errichtet, um land- und besitzlose Personen von Ehe und Familiengründung abzuhalten. So betrafen die angeführten oder realen Gründe die undurchschaubaren und langwierigen bürokratischen Verfahren oder die nicht vorhandenen materiellen Ressourcen. Hinzu kamen Verwandte, die (aus welchen Gründen auch immer) Einspruch erhoben, religiöse Unvereinbarkeiten oder das jugendliche Alter. Anderes ergab sich aus den Lebens- und Zeitumständen der betroffenen Männer und Frauen: eine Krankheit, die sich länger hinzog, ein Ortswechsel oder – »der Krieg«. Damit konnte ein realer Krieg (etwa der Deutsch-Französische 1870/71) gemeint sein. Vielleicht ist der Begriff aber auch als Chiffre zu lesen – für die unsäglichen Umstände, gegen die der/die Einzelne in der Gestaltung der privaten Lebensverhältnisse machtlos erschien. Nicht selten wurden die Ehehindernisse schließlich als Argument in der Strategie der Männer benutzt, sich dem Eheversprechen zu entziehen. Es handelte sich dann schlichtweg um das Kaschieren der Tatsache, dass sie einfach verschwanden.

»Wilde Ehen« In den von Überfüllung und Wohnungsnot geprägten Arbeitervierteln lebten Männer und Frauen eng beieinander, zum Teil als Kost- oder Schlafgänger in einer Wohnung. Nicht selten wurde wohl auf diese Weise eine »wilde Ehe« kaschiert. Dass die Kohabitation in Basel un51 Alle im Folgenden zitierten Badenerinnen wurden bereits in einem der vorangegangenen Kapitel vorgestellt. 52 Protokoll, 5.9.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.76. 53 Protokoll, 12.12.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.215f. 54 Protokoll, 13.11.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U160, Bl.699f. 55 Protokoll, 24.10.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U160, Bl.139.

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ter Strafe stand, wurde erwähnt, und dass die Basler Obrigkeit gegen das Zusammenleben unverheirateter Paare tatsächlich vorging, kann am Beispiel von Marie Ursula Hagen56 und Fridrich/Friedrich Abt gezeigt werden. Beide waren Anfang 20, als sie in Basel ihre »Bekanntschaft« begannen. Hagen kam aus Jestetten im Amt Waldshut, Abt von Wintersingen im Kanton Baselland, sie war in Basel als Fabrikarbeiterin, er als Töpfer beschäftigt. Im April 1871 zeigten sie dem Eherichter Hagens nichteheliche Schwangerschaft an und beteuerten, sie hätten gehofft, »vor der Niederkunft heiraten zu können«. Ihre Pläne seien aber, so Hagen weiter, zerschlagen worden, da sie der Stadt verwiesen worden sei. Der Grund: »weil er bei mir übernachtet hat«. Abt präzisierte: »er habe Aussichten sie zu heirathen weil sie recht sei u. er mit ihr lebe«. Das Gericht ging auf ihr Zusammenleben – zumindest laut Protokoll – nicht weiter ein, verhängte lediglich das übliche Strafmaß.57 Auch Sophie Burger58 lebte eine Zeitlang mit ihrem »Bekannten« zusammen. Im Herbst 1870 stand die 36-jährige Fabrikarbeiterin, die in Oberbiederbach im Amt Waldkirch heimatberechtigt war, mit dem 48-jährigen Witwer Aloys Wildenthaler, der aus Tunsel (Bezirk Staufen) kam, vor dem Basler Ehegericht. Wie in vielen anderen Fällen bestätigte auch Wildenthaler, der Vater des Kindes zu sein, mit dem sich Burger schwanger befand, und beide bezeugten ein Eheversprechen. Interessanter ist jedoch, dass im Verlauf der Verhandlung deutlich wurde, dass beide in einem Haushalt lebten. Wildenthaler verdingte sich in Basel als Kutscher und hatte drei noch kleine Kinder, die er nach dem Tod seiner Frau nicht allein versorgen konnte. So zog vorübergehend seine Schwester zu ihm, dann Burger, mit der 56 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Niederlassung H6a; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.461; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.409 (die folgenden Zitate: Protokoll, 17.4.1871, ebd.) und 416. 57 Hagen brachte ihre Tochter fünf Monate später zur Welt, und zwar nicht, wie von der Basler Obrigkeit intendiert, außerhalb der Stadt, sondern in ihrer (mit Abt geteilten?) Unterkunft im Münzgässlein. Allerdings wuchs das Kind nicht bei den (in »wilder Ehe« lebenden?) Eltern auf, sondern befand sich zwei Jahre später in einer Pflegestelle in Riehen. Und ob Abt der Vater von Hagens zweitem, im August 1873 geborenen Kind war, ob sie mit diesem zusammen in der Obere Rheingasse lebte, wo das Kind zur Welt kam, ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Hagen verschwieg den Namen des Vaters sowohl gegenüber der Hebamme als auch gegenüber dem katholischen Pfarrer. 58 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.437; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.162-164. Die folgenden Zitate: Protokoll, 14.11.1870, ebd.

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schon länger eine »Bekanntschaft« bestand. In Burgers Worten: »Seine Schwester ging von ihm fort, und er mußte Jemand haben, u. da die Heirath ganz sicher schien, so ging ich zu ihm.« Das Zusammenleben währte zwei Monate, gestaltete sich aber schwierig. Burger jedenfalls berichtete, sie habe in jener Zeit »gesehen, daß ich böse Tage haben würde«; auch mit seinen Kindern sei »es nicht gut gegangen«. Kurz vor der geplanten Hochzeit sei er dann plötzlich eines Morgens von der Arbeit zurückgekommen, machte »Spektakel […] und sagte, er habe mich satt wie einen dreckigen Löffel, wir wollen das Versprechen auflösen«. Burger zog aus und Wildenthalers hochbetagte Mutter ein. Doch als Burger ihm von der Schwangerschaft erzählte, »wollte er wieder anbinden«, vielleicht aber auch nur deshalb, weil ihm bewusst geworden war, dass er für seinen Haushalt langfristig eine weibliche, preiswerte Arbeitskraft benötigte. In seinen Worten: »Wenn meine alte Mutter stirbt, die 73 J. alt ist, so muß ich Jemand haben, und ich kann nicht viel geben«. Sophie Burger ließ sich darauf aber nicht ein. Sie wolle lieber, so sagte sie vor Gericht, »das Kind an mir selbst haben […] und es ist mir auch nicht recht, wenn ich nicht mehr in die Fabrik gehen kann«. Sie benötigte aus materiellen Gründen keinen Ehemann, da sie sich in einer finanziell abgesicherten Lebenslage befand. Sie verfügte über Rücklagen (über ein »Büch[lein] bei der Ersparnißkasse mit f. 1500–«) und verdiente vergleichweise gut (»in 14 T. 20f.«). So festigte sie die Bindungen zu ihrer eigenen Familie, gab ihrem im April 1871 im Bürgerspital geborenen Sohn mit Jakob und Ludovica Burger zwei Verwandte als Paten59 und blieb, zumindest soweit sich dies anhand der Quellen sagen lässt, ledig. Auch andere, bereits erwähnte Paare lebten für kürzere oder längere Zeit zusammen.60 Insgesamt jedoch blieben die »wilden Ehen« 59 Das Gericht verurteilte Wildenthaler zur Zahlung von Kindbett- und Gerichtskosten sowie zu Unterhaltszahlungen. Das »Verhältniß« zwischen beiden wurde als »fortdauerndes uneheliches Beisammenleben« eingestuft, die bevorstehende Hochzeit allerdings »mildernd« berücksichtigt. Beide mussten 15 Franken Buße zahlen. 60 So etwa Caroline/Karolina Herbster und der verheiratete Briefträger Johann Fischer von Tennwil, deren Zusammenleben die Basler Nachbarschaft tolerierte (»die Leute meinten, ich sei geschied(en) u. laßen es gehen«), oder  – wie August Rebischung bezeugte – Magdalena Ebner und Sebastian Würgler (»der Andere war immer bei ihr«) oder Maria Elisabeth Hölstein und Heinrich Gross (der zudem auch mit Theodosia Häslin »Umgang« hatte) oder Kutscher Blum, der zwar nicht mit Maria/Marie Kaiser (die er in der Droschke, vielleicht mit Gewalt, »gebrauchte«) zusammenlebte, aber mit einer anderen Frau.

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Einzelfälle; sie bildeten im subkulturellen Milieu der Basler »handarbeitenden Klassen« kein strukturelles Element.61

Nicht obrigkeitlich »legitimierte« Verbundenheit Andere Paare bekräftigten ihre Verbundenheit auf andere Weise – so etwa, indem sie vor dem Eherichter ihr Eheversprechen bestätigten, nachdem das gemeinsame Kind geboren war.62 Einige konnten diese Absicht mit Fakten untermauern. Adam Spahn etwa wies nach, dass er »223 fr.« nach Herblingen im Kanton Schaffhausen, wo er herstammte, »heimgeschickt« hatte, sodass nun »kein Hinderniß mehr« bestehe, seine langjährige »Bekannte« Wilhelmine Maier63 aus Hasel im Amt Schopfheim und Mutter seines gerade geborenen Kindes zu heiraten. Ihn störte nicht, dass sie ein nichteheliches Kind von einem anderen Mann mit in die Ehe bringen würde. Dies traf auch auf den Schlosser Joh. Waltersberger aus Hecklingen (Amt Kenzingen) zu. Seine »Bekannte«, die Fabrikarbeiterin Elisabeth Spitz,64 die aus Todtmoosau im Bezirk St. Blasien kam, hatte bereits ein Kind aus einer früheren nichtehelichen Verbindung, als sie im März 1871 Walterbergers Sohn zur Welt brachte. Einige Wochen später erklärte sie dem Eherichter, »seit ½ Jahr sind wir an den Schriften, aber es hat immer etwas gefehlt«. Nun aber habe ihre Mutter »die Sache besorgt und jetzt die Schriften gebracht. Wir sind schon am 13. März hier verkündet word[en]«. Andere 61 Auch in den Berichten des Stadtmissionars Andreas Ludwig finden sich nur selten Hinweise auf »wilde Ehen«, vgl. Bericht Ludwig, StABS, Privatarchive, PA 771a, Evangelische Gesellschaft für Stadtmission in Basel (1859-1971), A, Berichte der Stadtmissionare, Nr.11 Ludwig, Andreas (1865-1873). 62 Dies taten beispielsweise Sophie Ebner (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 162, Bl.382), die aus dem Hotzenwald und einer Familie von Nagelschmieden stammte, und ihr »Bekannter« Johann Friedrich Sutter von Hemmiken im Kanton Baselland oder Auguste Gütmann/Gutmann (zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 162, Bl.37f.) und Andreas Meier, die beide in Baden Heimatrecht besaßen, sie in Untermünstertal (Amt Staufen), er in Hasel (Amt Schopfheim). 63 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.202f. Die vorangegangenen Zitate: Protokoll, 28.11.1870, ebd. 64 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.409f. Die folgenden Zitate: Protokoll, 17.4.1871, ebd.

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Paare wirtschafteten zusammen, so etwa Carolina/Karolina Gross65 aus Kadelburg im Bezirk Waldshut und ihr »Bekannter«.66 Dies bezeugte zumindest Zimmermann Degen, bei dem Gross zu Beginn der 1870er-Jahre als Magd in Diensten stand: Sie verdiente auf diese Weise, so Degen, den Lebensunterhalt für sich und »für ihren Liebsten«.67 Einige Paare hatten mehrere gemeinsame, »unehelich« geborene Kinder – auch dies zeigt, dass es längerfristige Verbundenheit ohne obrigkeitlichen Trauschein durchaus gab. Zwei Kinder mit einem Mann bekamen etwa die vom Schweighof im Amt Müllheim stammende Emilie Schwald68 (ihr »Bekannter« Richard Bartholomae war vom Hotzenwald nach Basel gegangen), Katharina/Maria Katharina Martin69 (sie und ihr »Bekannter« Ludwig Roth kamen Anfang der 1860er-Jahre aus dem Amt Emmendingen nach Basel), die vom Bennarhof im Klosterwald kommende Philippine/Philippina Bregger70 (der Steinhauer Anton Ortmann/Ortwein, ihr »Bekannter« , kam aus Steinsfurt im Bezirk Sinsheim), Ursula/Maria Ursula Zimmermann71 (die ihren »Bekannten« Pilipp Straub möglichweise aus dem gemeinsa65 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 66 Möglicherweise handelte es sich um Friedrich Müller von Diegten im Kanton Baselland, mit dem Gross eine nichteheliche Tochter hatte, die im Januar 1868 geboren und am 9.2.1868 im Spital getauft wurde. 67 Aussage Degen, 25.9.1872, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 7, Dienstbotenrichter: Protokolle (1804-1875), Bl.181. Gross und Degen trennten sich im Streit, der vor dem Dienstbotenrichter ausgetragen wurde (zum Folgenden vgl. ebd.). Gross gab an, Degen sei ihr Geld schuldig, Degen hingegen beschuldigte sie, sein Kind vernachlässigt zu haben, sodass es gestorben sei. Dies wiederum bestritt Gross. Der Dienstbotenrichter wies Degen letztendlich an, Gross einen Teil des Geldes auszuzahlen. Unabhängig davon ging Degen dem Vorwurf der Vernachlässigung des Kindes mit Todesfolge offenbar nicht weiter nach. Zumindest findet sich kein Hinweis, dass es zu einer Untersuchung/Verfahren gegen Gross gekommen wäre; dies ergab die Durchsicht der entsprechenden Register, DD 39 und DD 40, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, DD, Korrectionelles Gericht: Protokolle (1825-1875). 68 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Gerichtsarchiv, Uc 14, Bl.385 und 532; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.429; Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 161, Bl.436f. 69 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 70 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1860 und 1863; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 71 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Kath. Taufbuch; Niederlassung H6a.

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men Herkunftsort Schachen kannte), Benedikte/Benedikta Kern72 aus Riedern im Bezirk Bonndorf (Vater ihrer beiden 1864 und 1866 im Spital geborenen Töchter war Christian Wagner aus dem württembergischen Nagold) oder die erwähnte Maria Schlemmer aus Dietenbach bei Freiburg (deren »Bekannter« Rudolf Bigler nach Amerika ging). Letztere war als 18-Jährige in Birsfelden zu einer Frau Schmitz als »Aushülfe« in Dienst getreten und nach drei Jahren mit ihr ins St. Albanthal nach Basel übergesiedelt.73 Dort lernte sie Bilger kennen, mit dem sie innerhalb kurzer Zeit zwei Kinder hatte; zwischen den Geburten lagen nur zehn Monate.74 In fast allen anderen bekannten Fällen, in denen die Badenerinnen mit ihrem »Bekannten« zwei Kinder hatten, lag der Abstand zwischen den Geburten bei rund zwei Jahren. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass sich die Verbundenheit auch in symbolischen Akten äußerte. Die Taufe des nichtehelich geborenen Kindes ist dafür ein gutes Beispiel. So findet sich im Taufbuch des Bürgerspitals gelegentlich der Hinweis, dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater an der Taufe teilnahm, die in der Regel sonntags in einem der größeren Zimmer der Gebärabteilung stattfand.75 Interessant sind zudem die Angaben zu den Paten des Kindes, die sich sowohl im Spitaltaufbuch wie im Taufbuch der Katholischen Kirche St. Clara finden lassen. Zu sehen ist, dass einige Eltern für ihr nichtehelich geborenes Kind Paten aus beiden Familien wählten. Ein Pate aus der väterlichen Familie kann als Indiz nicht nur dafür gewertet werden, dass sich der Vater der Verantwortung nicht entziehen wollte (oder konnte), sondern auch dafür, dass seine Familie über die »Bekanntschaft« und die Geburt des nichtehelichen Kindes informiert war, die nichteheliche Familiengründung tolerierte bzw. aktiv unterstützte oder als Normalität empfand. Für 137 der hier betrachteten Badenerinnen liegen Angaben darüber vor, wen sie zum Paten für ihr nichteheliches Kind wählten. In 72 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 73 Protokoll, 19.12.1866, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Y 6, Dienstbotenrichter: Protokolle, Bl.190f. Das vorangegangene Zitat ebd., Bl.191. 74 Das erste Kind starb zehn Tage nach der Geburt. 75 In den Quellen findet sich kein Hinweis, dass – wie aus anderen Regionen bekannt – der Pfarrer festlegte, welchen Namen das nichtehelich geborene Kind bekam. Im Amtsbezirk Waldkirch etwa war es noch um 1900 üblich, »unehelich« geborene Kinder nicht wie die »ehelich« geborenen in der Kirche zu taufen, sondern im Glockenhaus. Zudem war es der Mutter versagt, den Taufnamen des Kindes selbst zu wählen. Das tat an ihrer Stelle der Pfarrer »und dieser wählte oft die ausgefallensten Namen, wie sie gerade am Tauftag im Kirchenkalender standen«, Rambach: Waldkirch, S.91.

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fast 20% dieser Fälle stammte mindestens einer der Paten aus der Familie des Vaters.76 Maria Katharina Guggenbühler77 aus Liel im Bezirk Müllheim und Abraham Nußbauer von Densbüren im Kanton Aargau etwa benannten für ihre am 18. Juli 1860 außerhalb des Spitals geborene Tochter Mina drei Paten: zwei aus seiner, einen aus ihrer Familie. Der Spitalpfarrer trug im Taufbuch zudem ein, die Eltern seien verlobt. Tatsächlich ließen sie ihre Verbindung einen Monat nach der Geburt des Kindes auch von der Obrigkeit »legitimieren«. Ob dies auch der Schuhmacher Heinrich Michel aus dem hessischen Niedererlenbach bei Frankfurt und die Fabrikarbeiterin Elisabeth Götz78 aus Bickensohl im Amt Breisach taten, ist unbekannt. Aus den Basler Akten geht aber hervor, dass ihre im Januar 1864 im Spital geborene und getaufte Tochter Karolina Sophie Elisabeth je einen Paten aus beiden Familien bekam: zum einen Großvater Karl Michel, einen Gärtner, zum anderen die Magd Lina Götz. Andere Paare benannten nur einen Paten aus der Familie des Vaters. So wurde Reinhard Herter, ein Tagelöhner, aus Hügelheim (Amt Müllheim) zum Paten für die im Oktober 1866 im Bürgerspital geborene und getaufte Maria Rosina Emilie. Ihre Eltern waren Friedrich Herter, ein Zimmermann aus Hügelheim, und die Näh(t)erin Rosina Kappeler79 aus Uehlingen (Bonndorf). Auch die im Juli 1868 in der Unterkunft ihrer Mutter geborene Wilhelmine Stoll, die wenige Wochen später im Bürgerspital getauft wurde, bekam mit Albrecht Bürgi, einem Landarbeiter von Rothenfluh im Kanton Baselland, einen Paten aus der Familie ihres Vaters, Johann Jakob Bürgi. Dieser wie auch ihre Mutter Wilhelmine Stoll80 aus Herrischried im Bezirk Säckingen arbeiteten in Basel in einer Fabrik. Und die erwähnte Fabrikarbeiterin Rosa Bauer/Baur,81 die aus Bernau Innerlehen im Klosterwald kam und in Basel mindestens zwei nichteheliche »Bekanntschaften« und drei nichteheliche Kinder hatte, suchte zusammen mit dem Schuhmacher Wilhelm Bender aus dem badischen Steinbach für ihren gemeinsamen Sohn Wilhelm Friedrich (der im März 1873 vom evangelischen Spital76 Davon wurde ausgegangen, sofern Nachname und Herkunftsangabe des/der Paten mit denen des Vaters übereinstimmten. 77 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 78 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876; BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, 1864. 79 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 80 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842-1876. 81 Vgl. Kap. 5.c.

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pfarrer getauft wurde, obwohl er katholisch war) einen Paten aus der väterlichen Familie aus, nämlich Josef Bender, ebenfalls ein Schuhmacher.

Verbleib der badischen Kinder Die meisten Badenerinnen blieben dauerhaft ledig und nur selten behielten sie ihr Kind nach der Geburt bei sich. Oben wurde der Fall von Theodosia Häslin/Häsli aus Oberwolfach im Amt Wolfach ausgeführt, die nach dem vergeblichen Versuch, die nichteheliche Schwangerschaft zu beenden, ihren Sohn im Basler Bürgerspital gebar und mit diesem anschließend bei der Hebamme Schmidt unterkam, die Häslin/Häsli samt Kind »in Kost« nahm.82 Das Zusammenleben von Mutter und Kleinkind war jedoch eine Ausnahme; vielmehr trennten sich die meisten Mütter bald nach der Niederkunft von ihrem Kind. Dies war kein Spezifikum der Nichtehelichkeit, sondern vielmehr bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht unüblich für Familien der unterbäuerlichen oder -bürgerlichen Schichten. Die Mütter gingen möglichst bald zurück in den Dienst oder die Fabrik, um sich, das neugeborene Kind und ggf. weitere Kinder zu unterhalten. Einige nutzten dabei den Umstand, ein Kind mit ihrer Milch nähren zu können. Sie verdingten sich als Amme und konnten damit in der Gesindehierarchie von der Position der einfachen Magd in eine besser bezahlte Stellung aufsteigen.83 So bekundeten die erwähnten Marie Katharina Kinndorf/Kindorf und Chatharina/Katharina Holderer beim Austritt aus dem Bürgerspital, eine Stellung als Amme suchen zu wollen.84 Zumindest Holderer war damit erfolgreich; dies geht aus ihrer Aussage vor dem Eherichter hervor. Deutlich wurde darin auch, dass ihr eigenes Kind zwar lebte, aber nicht bei ihr.85 So wie Holderer und Kinndorf/Kindorf kehrten die meisten ledigen Mütter bald nach der Geburt zurück in ein Arbeitsverhältnis. Für rund 200 Badenerinnen lässt sich rekonstruieren, was dann mit 82 Vgl. Kap. 5.b. 83 Vgl. Orth: Besuch, S.47. 84 Vgl. Kap. 5.c. Zu weiteren Beispielen von ledigen Frauen, die das Bürgerspital verließen, um Amme zu werden, vgl. Pavic: Praxis, S.41. In den Krankenakten hieß es etwa: »Empfehlung als Amme mitgegeben«; »Mutter ging als Säugamme, ihr eigenes Kind stillte sie nicht«; »Stillte ihr eigenes Kind nicht, war 6 Monate Amme«; »Stillte 2 Monate ihr Kind, dann noch 3 Monate als Amme. Milch durch Tod ihres Kindes 1/2-jährig verloren«; »Entschliesst sich nach dem Tod ihres Kindes (am 2. Tag nach der Geburt) Amme zu werden«, Krankenakten, zit. nach: ebd. 85 Vgl. Protokoll, 24.10.1870, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, U 160, Bl.139.

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dem Neugeborenen geschah.86 Acht der Kinder verbrachten die ersten Lebensjahre in einer städtischen Institution, und zwar in der »Kath. Waisenanstalt«87 oder der »Kath. Schule«,88 einmal wurde auch die »Taubstummen-Anstalt in Riehen« genannt. Weitere 36 Kinder lebten (zumindest einige Zeit) in der in Basel sich aufhaltenden Herkunftsfamilie der Mutter (höchst selten in der des Vaters), zumindest lässt der identische Nachname der angegebenen Pflegeperson darauf schließen. Im Basler Stadtgebiet wohnten 32 dieser Familien (häufiger genannt wurden die Ammerbach- und die Hammerstrasse sowie die Webergasse), vier in den Basler Landgemeinden Riehen (drei) bzw. Bettingen (eine). Ob die ledige Mutter ebenfalls dort wohnte, ist aus den Quellen nicht zu erkennen. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass auch die Verwandten ein »Kostgeld« für das Kind erwarteten. Die erwähnte Klara Kaiser89 und ihr »Bekannter« Wilhelm Bruder etwa erklärten dem Eherichter im Herbst 1868, sie hätten vereinbart, dass sie das Kind »verkostgelden« wollten, und zwar bei seinen Eltern in Radolfzell (»für 100f. nehmen es meine Eltern«90). Doch dazu kam es nicht, da ihr Kind, das im Sommer 1869 in den Langen Erlen zur Welt kam, noch im Bürgerspital, wohin Kaiser unmittelbar nach der Geburt gegangen war, starb. Im Falle der erwähnten Markgräfler Schwestern Sophie und Stephanie Häslin zog die Mutter Elisabeth Häslin-Gräber/Gruber, die inzwischen in Basel lebte, während Vater Johannes Häslin bereits verstorben war, das nichteheliche Kind von Sophie auf, die im Herbst 1868 im Spital getaufte Bertha Marie/Maria Häslin. Als Sophie im Herbst 1871 das zweite Mal nichtehelich schwanger wurde, zeigte Elisabeth Häslin-Gräber/Gruber dies an und erklärte vor dem Eherichter: »das erste Kind sei am Leben, der Schwänge86 Blickt man auf den Aufenthaltsort der Frauen, so ist zu sehen, dass jede zweite der rund 200 Badenerinnen sich weiterhin in Basel aufhielt. 25 hatten die Stadt verlassen, die meisten von ihnen nach Baden, zwei »nach Amerika«. Für etwa 60 der 200 Frauen liegen keine oder nur unklare Angabe vor, zwölf waren verstorben. 87 1866 wurde eine (katholische) Pfrund- und Waisenanstalt im Hattstätterhof gegründet, in der seither auch vereinzelt Kranke und Waisenkinder aufgenommen wurden, vgl. Gantner: Probleme, S.136f. Das sogenannte Bürgerliche Waisenhaus nahm laut Statuten nur Kinder mit Basler Bürgerrecht auf, vgl. Bürgergemeinde der Stadt Basel (Hg.): Zuhause auf Zeit, S.63. Zur Geschichte der Einrichtung im 19. Jahrhundert vgl. ebd., S.61-75. 88 Zur (privaten) katholischen Schule vgl. Gantner: Probleme, Fn. 419, S.99, S.137-139 und S.143. 89 Vgl. Kap. 5.c. sowie oben im Text. 90 Protokoll, 9.11.1868, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 159, Bl.13.

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rer Amman [der Vater von Bertha Marie/Maria Häslin] zahle regelmäßig das Kostgeld, sie könne aber jetzt das zweite Kind nicht auch noch annehmen«, zumal sie ihre 71-jährige Mutter zu erhalten habe.91 Offenbar war Sophie nicht in der Lage, »Kostgeld« zu zahlen, auch schien es unwahrscheinlich, dass der Vater für den Unterhalt sorgen werde. Jener, Christian Hemminger, ein Bäcker aus Poppenweiler im württembergischen Oberamt Ludwigsburg, habe ihr zwar die Ehe versprochen, sei aber, »vor 2 od[er] 3 Monaten von hier fort, sie habe weder Briefe noch Geschenke von ihm«.92

»Kostkinderhaltung« Die überwiegende Mehrzahl der rund 200 badischen Kleinkinder lebte nicht in der Herkunftsfamilie der Mutter, sondern in einem anderen Haushalt.93 Die Unterbringung von »unehelich« geborenen (Findel-)Kindern in fremden Haushaltungen wurde in einigen Regionen Europas systematisch organisiert.94 In den überlieferten Basler Quellen finden sich keine Hinweise, dass das Bürgerspital ein ähnliches Gewerbe initiiert oder betrieben hätte wie etwa das Wiener Gebär- und Findelhaus. Es gab in Basel offenbar keine an das Bürgerspital oder an sonst eine städtische Einrichtung angebundene Vermittlung von »unehelich« geborenen Säuglingen an Pflegefrauen oder -familien, wie dies für Wien belegt ist.95 Dass jedoch auch in Basel zahlreiche Personen durch die Aufnahme von (»unehelichen«) Säuglingen und Kleinkindern ihren Lebensunterhalt (oder einen Teil davon) bestritten, hat Mirjam Häsler gezeigt.96 Das Phänomen der – so der zeitgenössische 91 Protokoll, 30.10.1871, StABS, ÄNA, Gerichtsarchiv, Ehegericht, U 160, Bl.664. Das folgende Zitat ebd. 92 Aus den Quellen ist weder ersichtlich, ob Schwester Stephanie aushalf, noch, ob das Kind (die Geburt) überlebte. Die beiden Schwestern heiraten ausweislich der überlieferten Quellen nicht, setzten die Familientradition der Nichtehelichkeit also fort. Ihr Bruder Karl/Carl Häslin, der 1853 »ehelich« geboren wurde, hingegen heiratete im Februar 1874 in Basel; kurz zuvor war er eingebürgert worden. Vgl. Pfister: Einbürgerung, S.218, Nr.1078. 93 Vor allem in der Schweizer Historiografie wird diese Praxis mit dem Begriff der »Fremdplatzierung« umschrieben. 94 Das Wiener Gebär- und Findelhauses ist dafür, wie in der Einleitung ausgeführt, ein gutes Beispiel. 95 Vgl. Pawlowsky: Mutter, S.151-187. 96 Vgl., auch zum Folgenden, Häsler: Lebensumstände, S.53-64, sowie dies.: Franken [Zugriff 13.3.2021].

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Begriff – »Kostkinderhaltung« existierte also auch in Basel, wenn auch nicht in einer institutionell verankerten Form. Die ledigen (badischen) Mütter fanden die Pflegepersonen daher nicht über eine behördliche Instanz, sondern nutzten einmal mehr das in den Arbeiterquartieren bestehende Kommunikationsnetz. So kamen (mindestens) rund 160 der hier betrachteten badischen Kinder in Basel zu einer fremden Personen »in Kost«. Die Aufnahme von Schlaf- und Kostgängern, Zimmermietern, Mägden und Handwerksgesellen in den Haushalten der unteren sozialen Schichten war wie erwähnt im Basel der 1860er- und 1870er-Jahre nichts Ungewöhnliches, sondern allgemein üblich. Für das »Halten von Kost- und Schlafgängern« bestand bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Anzeige-, aber keine Bewilligungspflicht, sodass sich die »Kostgeber« lediglich behördlich registrieren lassen mussten.97 Auch die Aufnahme familienfremder Kleinkinder in den Haushalt erwies sich als gängige Praxis, für die ein nicht unerhebliches Entgelt anfiel. Anfang der 1870er-Jahre betrug das sogenannte Kostgeld in der Regel zwischen zwei und sechs Franken (vermutlich wöchentlich) pro Kind, wobei kleine Kinder teurer waren als ältere.98 Die meisten Basler »Kostkinder« hatten eine ledige Mutter, die meist aus einem der benachbarten Schweizer Kantone, aus Südbaden oder dem Elsass stammte99 und häufig den Unterhalt für das Kind allein aufbringen musste. Die hier betrachteten Badenerinnen entsprachen also ganz diesem Sozialprofil. Mindestens 160 von ihnen gaben ihr Kind für kürzere oder längere Zeit in eine Pflegestelle,100 meist im Basler Stadtgebiet gelegen. 128   97 Rechtliche Grundlage bildeten die Verordnung vom 15.9.1860 über »das Halten von Kost- und Schlafgängern« (abgedruckt in: Häsler: Lebensumstände, S.153f.) sowie das Gesetz betreffend »das Niederlassungs-, Aufenthalts- und Kontrollwesen« vom 10.11.1884, vgl. dazu ebd., S.53 und 55.   98 Sofern die Mutter oder die Eltern das Geld nicht aufbringen konnte(n), musste die Gemeinde einspringen. Häsler berichtete von einem Fall, in dem die Gemeinde Riehen zwei Franken an eine »Koststelle« zahlte, in der drei »eheliche« Kostkinder von neun und zehn und 21 Jahren lebten. Vermutlich handelte es sich bei Letzterem um ein Kind mit Behinderung. Die leiblichen Eltern waren vermutlich verstorben oder mittellos, besaßen aber Bürgerrecht in Riehen, sodass die Gemeinde die Kinder zu versorgen hatte. Dies ging freilich nicht mit einer wie auch immer gearteten Kontrolle der Gemeinde einher; offenbar war es den Behörden nur wichtig, die Kosten möglichst gering zu halten.   99 Vgl. Häsler: Lebensumstände, S.54. 100 Knapp 30 von ihnen kamen innerhalb kürzerer Zeit in mehreren Pflegestellen unter, darunter fünf, die zunächst in der Herkunftsfamilie der Mutter untergebracht waren, dann »in die Kost« kamen.

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Adressen sind bekannt, von denen einige gehäuft in den folgenden Straßen lagen: Ammerbachstrasse, Bläsiring, Claragraben, Greifengasse, Grenzacherstrasse, Hammerstrasse, Horburgstrasse, Klybeckstrasse, Mattweg, Ochsengasse, Rebgasse, Riehenteichweg, Schafgässlein, St. Johann, Webergasse und Weissegasse. 23 »Koststellen« lagen in Riehen, fünf in Bettingen und zwei in Kleinhünningen. Unter den kostgebenden Personen befanden sich nicht wenige Männer, mehrheitlich aber handelte es um Frauen, einige wenige ledig, die meisten von ihnen verheiratet, einige verwitwet. Unter ihnen befand sich auch die »Wittwe Schluep-Bertschmann«, zu der etwa Sophie Grieshaber,101 die aus Niederemmendingen (Bezirk Emmendingen) stammte und in Basel die Tradition der Nichtehelichkeit, in der sie aufgewachsen war, fortsetzte, ihre nichtehelich geborene Tochter gab. Von einigen »Kostgebern« bzw. »Kostgeberinnen« ist bekannt, welchen Beruf sie (zusätzlich? früher?) ausübten. Genannt wurden etwa Landarbeiter, Hebamme, Brauknecht, Bauer, Tagelöhner, Arbeiter, Weißnäherin, Schreiner, Tapezierer oder Geschäftsagent. Trotz aller Vorbehalte gegen eine Klassifikation anhand einer singulären Angabe lässt sich vermuten, dass die meisten Pflegepersonen der städtischen Unterschicht oder vielleicht der unteren Mittelschicht angehörten. Sie lebten jedenfalls in mehr oder weniger ärmlichen Verhältnissen und waren auf das »Kostgeld« angewiesen, das als einzige oder weitere Erwerbsquelle diente, als Grundlage oder Aufbesserung eines meist kärglichen Einkommens. Welche Verhältnisse in den Pflegestellen herrschten, in denen die badischen Kinder unterkamen, dokumentiert eine im Dezember 1872 durchgeführte Visitation. Angestoßen wurde sie von Georg Ludwig Courvoisier, einem Arzt, der im 1871 eingeweihten Riehener Diakonissenspital arbeitete und zudem eine Dorf- und Landarztpraxis in Riehen und Umgebung betrieb.102 So kam er mit der »Kostkinder-

101 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a. 102 Courvoisier (1843-1918) hielt zudem populäre medizinische Vorträge (u.a. zur Säuglingsernährung) in Riehen und Umgebung, verfasste über jene Region von 1872 bis 1882 als Statthalter des Basler Physikus Physikatsberichte, habilitierte sich 1882 an der Basler Universität und spezialisierte sich anschließend auf die Chirurgie der Galle. Seit 1884 betrieb er zusätzlich zur Lehrtätigkeit als Privatdozent eine Privatpraxis in Basel. Politisch war er als Vertreter Riehens im Basler Grossen Rat (1887-1890) aktiv, als Mitglied der Sanitätskommission (1899-1916) sowie als Mitglied des Erziehungsrates (1891-1918). Zu seiner Person vgl. Häsler-Kristmann: Franken [Zugriff 13.3.2021]; Rintelen: Courvoisier.

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haltung« in Berührung,103 beklage die aus seiner Sicht bestehenden Missstände und wandte sich schließlich an den Riehener Gemeinderat. »Es kann bei uns vorkommn«, so schrieb dieser an das Basel Sanitätskollegium, »dass Leute Kostkinder aufnehmen, da man sich fragen muss wie es auch möglich sei dass sie dieselben ordentlich pflegen & nähren können, während man weiss, dass es ihnen für sich selbst am allernötigsten gebricht, ihr eigen Haus nicht besorgen und versorgen können, und überhaupt für die Erziehung und Pflege von Kindern nicht geschickt oder geeignet sind«.104 Das Sanitätskollegium beschloss daraufhin, Courvoisier mit einer Untersuchung der Verhältnisse zu beauftragen. Dieser stellte einen Fragenkatalog zusammen und visierte im Dezember 1872 zwölf »Kosthaeuser«, davon fünf in Bettingen und sieben in Riehen;105 dorthin hatten auch einige der hier betrachteten Badenerinnen ihr Kind gebracht. Jede zweite »Koststelle«, die Courvoisier besuchte, versorgte mehrere Kleinkinder, die Pflegepersonen betrieben die »Kostkinderhaltung« gewerbsmäßig. Zwei von ihnen taten das seit langer Zeit, etwa die in Riehen lebenden »Jungfrauen Wenk«, die über drei Jahrzehnte regelmäßig drei bis zehn Kleinkinder verpflegten (die meisten »von Basel & Baselland, auch Baden«) und offenbar ausschließlich davon lebten. Bei ihnen brachte auch die erwähnte Carolina Geisel/Geißel,106 deren Eltern – vorgeblich oder tatsächlich – eine obrigkeitlich »legitimierte« Trauung zu verhindern suchten, ihre im Sommer 1869 im 103 Möglicherweise fungierte Courvoisier auch selbst als »Kostgeber«. Beim Aufenthaltsort der ledigen Magd Christina/Christine Frank aus dem württembergischen Aalen ist zumindest eingetragen: »nebst ihrem Kind verkostgeldet von G. Courvoisier«, StABS, ÄHA, Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910). 104 Schreiben Gemeinderat von Riehen an den baselstädtischen Ratsherrn und Präsidenten des Sanitätskollegiums Müller, 1872, zit. nach: Häsler-Kristmann: Franken [Zugriff 13.3.2021]. 105 Zum Folgenden vgl. Courvoisiers mehrseitigen und undatierten Bericht, StABS, ÄHA, Niederlassung H 5.1, Kostkinder überhaupt 1850-1936 (alle Zitate ebd.) sowie Häsler: Lebensumstände, S.56-61. Auch Stadtmissionar Ludwig berichtete gelegentlich über »Kostkinder«, vgl. z.B. Bericht Ludwig, 8.–13.5.1865, Privatarchive, PA 771a, Evangelische Gesellschaft für Stadtmission in Basel (1859-1971), A, Berichte der Stadtmissionare, Nr.11 Ludwig, Andreas (1865-1873). Weitere Archivalien zu den »Kostkindern«, die im StABS liegen, betreffen die Zeit nach der Wende zum 20. Jahrhundert, vgl. StABS, ÄHA, Niederlassung H 5.2, Aufenthaltskontrolle über Kostkinder (1907-1915), sowie ebd., Niederlassung, H 5.4, PflegekinderKartothek (alphabetisch). 106 Vgl. oben im Text.

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Bürgerspital geborene Tochter Luise/Maria Louise unter. Courvoisier bewertete die »Koststelle« der »Jungfrauen Wenk«, bei denen es sich um »brave, achtbare Leute, offenbar besorgt um ihre Pfleglinge« handele, als eine von vier Haushaltungen, »wo die Kinder eine gute Aufnahme erfahren & gewissenhaft gepflegt werden«. Dazu gehörte auch die gewerbsmäßige Riehener »Koststelle« des Ehepaares SchmiedSchwob107 (»Mann Bauer«), zu der vier der Badenerinnen ihr Kind brachten. Auch diese seien, so urteilte Courvoisier, »[a]chtbare Leute, aufmerksam, reinlich, freundlich; consultieren den Arzt haeufig für ihre Kostkinder.« Als »eine sehr rechtschaffene, gewissenhafte Person«, die ebenfalls »den Arzt öfters für die Kostkinder in Anspruch« nehme, beschrieb er auch die erwähnte Witwe Schluep-Bertschmann in Riehen, die Sophie Grieshabers Tochter betreute. Sieben »Koststellen« beurteilte Courvoisier als »ungünstig«. Den elenden Zustand vieler der dort untergebrachten Pflegekinder führte er insbesondere auf die schlechten hygienischen Umstände zurück. Ein in Bettingen untergebrachtes Kleinkind beschrieb er als »blass, voll Impetigo am Kopf & Gesicht« und »mehrmals an Dypepsie & chron. Cat. Pulm.« erkrankt, ein anderes als »rhachitisch & scrufuloes im höchsten Grad«.108 Auch die häufig schlechte Ernährung trage zu den miserablen Lebensverhältnissen bei. Courvoisier berichtete von einer verabreichten Tinktur aus Ziegen- und Kuhmilch, einem »Brotsüppchen« und einem nicht näher definierten Brei. Ältere Kinder erhielten Brot, »Griesspflutten« und Kartoffeln, je nach Pflegestelle sehr selten oder gelegentlich Fleisch. Auch bei der Unterbringung lag vieles im Argen. Das Bettzeug in einer Haushaltung bezeichnete Courvoisier als »gering, theilweise wahrhaft lumpig & ekelhaft«, eine der gewerbsmäßigen »Koststellen«, betrieben von dem Ehepaar Meyerhofer (»Mann Tagloehner«), das mit zwei eigenen Kindern in einer Mietwohnung im Riehener Oberdorf lebte, brachte die »Pfleglinge«, meist zwei oder drei Kinder im Alter von wenigen Tagen bis zwei, drei Jahren, in einer »feucht[en] Kammern zu »›ebner Erde‹, d.h. tiefer als der Erdboden«, unter.109 Unter den »Pfleglingen« befand sich auch das Kind der er107 Die Schreibweise des Namens ist unterschiedlich (Schmied oder Schmid, Schwob, Schwab oder Schwarb). 108 Die Schreibweisen entsprechen dem Original. Impetigo ist eine Grindflechte, bei Dyspepsie handelt es sich um eine Erkrankung des Magen-Darm-Traktes und unter »chron. Cat. pulm.« ist wohl ein Katarrh zu verstehen, vgl. Häsler: Lebensumstände, S.59. 109 Zum Zeitpunkt von Courvoisiers Visite lebten je ein Kostkind aus Basel und eines aus Riehen in der Familie, das Riehener Kind allerdings nur

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wähnten Maria Ursula Hagen110 und Fridrich/Friedrich Abt. Im Hause Meyerhofers sei das »Bettwerk«, so Courvoisier weiter, »unreinl., alt, schlecht: Spreusäcke & Lumpen«, die Kinder schliefen in einem »kleinen elenden Bett und [einem] Kinderwägelein von gebrechl. Bau«. Eines der Pflegekinder habe sieben Wochen unter Durchfall gelitten, bevor man ihn benachrichtigte, ein anderes, das »uneheliche« Kind einer Fabrikarbeiterin, sei einen Tag vor seiner Visite gestorben. Courvoisier fasste zusammen: »Höchst armselige Haushaltung, in welcher die Kostkinder wesentl. zur Erhaltung der Kosteltern beitragen«.111 Diese »Koststelle« und vier weitere in Bettingen seien »schmutzige, elende Haushaltung[en]«, in denen »Armuth & Unreinlichkeit« herrschten, es handele sich geradezu um »›Engelmacher-Höhlen‹«, in die »der Augenzeuge […] nur mit Grauen eintritt«. Die Sterblichkeit unter den »Pfleglingen« war hoch.112 Auch von den badischen Kindern starben mindestens 16 in Basel bzw. Riehen,113 davon zwei in der »Kath. Waisenanstalt« und 14 »in der Kost«. Interessant ist dabei das Todesalter: Im Waisenhaus starb Maria Magdalena Eckert, nichtehelich geborene Tochter der Hotzenwälderin Stefania Eckert,114 im Alter von elf Jahren, Louise Dapp, nichtehelich geborene Tochter der Magalena Dapp,115 auch sie aus dem Hotzenwald stammend, mit 17 Jahren. Die »Kostkinder« hingegen starben viel früher, mit zwei oder drei Jahren, neun überlebten nicht einmal die ersten sechs Monate:116 Nur wenige Wochen alt wurde etwa die im Sommer

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über. Seine Mutter bezahlte dafür dreieinhalb Franken; für das andere Kind wurden fünf Franken verlangt. Vgl. oben im Text. Ähnlich beschrieb Courvoisier auch eine Pflegestelle, die die Gemeinde Riehen bezahlte. Die Wohnung grenze an einen Misthaufen und die Schlafkammer sei ein »langgestrecktes Verliess, dunkel, da nur in [e]iner Ecke gegen Süden ein kleines Fenster mit Vorfenster, feucht & kalt«. Die Betten seien »baufällig«, das »Bettwerk« bestehe aus »geringen, abgenutzten Stücken, unreinlich«, die ganze »Koststelle« sei »elend, armselig, eher unreinlich«. Noch 1907 ging das Basler Sanitätskollegium von einer hohen Sterblichkeit unter den »Kostkindern« aus. Zudem starben zwei Kinder in der Herkunftsfamilie der Mutter. Insgesamt ist die Todesrate wahrscheinlich höher, doch konnten, wie erläutert, nicht alle Lebenswege systematisch rekonstruiert werden. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a. Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Niederlassung H6a. Ein Kind starb mit vier Jahren, zwei weitere mit zwei Jahren und einmal ist nur der Tod, nicht aber das Sterbedatum bekannt.

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1873 nichtehelich geborene Tochter der aus Ebringen bei Freiburg stammenden Theresia Schwendemann,117 die ihr Kind wenige Tage nach der Geburt zu einer Frau Matzinger nach St. Johann »in Kost« gegeben hatte. Das unterschiedliche Sterbealter verweist darauf, dass die »Kath. Waisenanstalt« wohl bessere Lebensumstände bereitstellen konnte als die »Kostgeber«. Wovon die Qualität der »Koststellen« letztendlich abhing, lässt sich schwer sagen. Ausschlaggebend für die Lebensverhältnisse der »Pfleglinge« war sicherlich in erster Linie die Höhe des zur Verfügung stehenden »Kostgeldes«, zudem aber auch die Entscheidung der jeweiligen Pflegeperson, dieses tatsächlich für jene einzusetzen.118 Unabhängig davon jedoch dürften die Verhältnisse in vielen oder den meisten »Koststellen« erbärmlich gewesen sein.

Ausblick: Schicksal als Verding-, Hüte- und Fabrikkind Für die »Kostgeber« war der (zusätzliche) Verdienst durch das »Kostgeld« von Interesse und nicht die Arbeitskraft des »Pfleglings« – diese waren meist schlichtweg zu klein für irgendeine Art von Tätigkeit. Die »Kostkinder« blieben in der Regel bis zu einem Lebensalter von sechs, sieben Jahren »in der Kost«, um dann in eine Arbeitsstelle geschickt zu werden. So konnten sie ihren Unterhalt selbst finanzieren bzw. zumindest einen Teil dazu beitragen. Nur höchst selten verblieben sie im Haushalt der »Kostgeber«.119 Mirjam Häsler geht davon aus, dass die ehemaligen »Kostkinder« vielmehr entweder »in ihre angestammten Familien« zurückkehrten120 oder andernorts zur Arbeit geschickt, zum 117 Zu ihrer Person vgl. die Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Geburtsregister; Kath. Taufbuch; Niederlassung H6a. 118 Auch Courvoisier führte als Grund für qualitätsvolle Pflege v.a. die Persönlichkeit der Pflegepersonen an. Zur unmittelbaren Reaktion auf bzw. zu den langfristigen Folgen von Courvoisiers Bericht vgl. Häsler: Lebensumstände, S.62f. Demnach legte der Kanton Basel-Stadt 1907 ein, die »Kostkinderhaltung« betreffendes Reglement fest, nach dem alle Personen und Familien, die ein fremdes Kind bei sich aufnahmen, beim Sanitätsdepartement eine Bewilligung einholen mussten. 119 Ein solcher Fall kam bei den »Jungfrauen Wenk« vor. Sie beherbergten zum Zeitpunkt von Courvoisiers Visite u.a. einen zwölfjährigen Jungen, den sie längere Zeit »in Kost« gehabt hatten. Als die Mutter keinen Unterhalt mehr bezahlte, zogen sie ihn zu Arbeiten im Haushalt heran. So verdiente er sich Kost und Logis selbst. 120 Häsler: Lebensumstände, S.61. Das folgende Zitat dies.: Franken [Zugriff 2.3.2021]. Zur Situation im Züricher Oberland vgl. Joris/Witzig: Frauen, S.58f.

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Beispiel »auf Bauernhöfen auf dem Land verdingt wurden«. Genaueres lässt sich für 128 badische Kinder angeben – zumindest der Ort, wohin man sie brachte, ist bekannt. Elf von ihnen blieben nach dem Ausscheiden aus der »Kost« in Basel, davon sieben im Haushalt ihrer Mutter, die zwischenzeitlich geheiratet hatte. Die überwiegende Mehrzahl wurde nach der »Kostzeit« aus der Stadt verbracht: drei nach »Amerika« (zumindest eines ging zusammen mit der Mutter), ebenfalls drei ins Elsass und 25 in andere Schweizer Orte. Die größte Gruppe, 77 Kinder, kehrte von Basel aus ins Großherzogtum Baden zurück. 44 von ihnen wurden, so hieß es in den Quellen, »nach Hause« gebracht, die anderen 33 in badische Orte, in denen sie keine Heimatberechtigung hatten. Für weitere acht Kinder trugen die Basler Behörden nur ein einziges Wort ein, nämlich: »fort«, und für eines: »in Arbeit«. Obwohl nur einmal genannt, dürfte diese Formulierung  – »in Arbeit«  – den Sachverhalt präzise beschreiben. Sobald die Kinder mit sechs, sieben Jahren »der Kost« entwachsen waren, galten sie als arbeitsfähig und hatten ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten oder zumindest einen Teil davon. Sie fanden – im Elsass, in der Schweiz oder in Baden – als »Verdingkind« Verwendung, sei es als »Hütekind« auf einem Bauernhof oder als preiswerte Arbeitskraft in der Fabrik.121 Auch bei dieser Vermittlung schaltete sich keine Institution ein, vielmehr suchten und fanden die Badenerinnen wohl selbst eine Arbeitsstelle für ihr Kind. Die individuellen Strategien der Vermittlung als »Verdingkind« machen allerdings zugleich die Rekonstruktion ausgesprochen schwierig, erfordern  – nicht nur aus diesem Grund – eine eigenständige Untersuchung.

121 In den Quellen finden sich kein Hinweis darauf, dass es zu einer saisonalen Arbeitsmigration der Kinder gekommen ist, wie dies aus anderen Regionen unter dem Begriff der »Schwabengänger« oder »Schwabenkinder« bekannt ist. Zu diesen vgl. z.B. Aicher: Knechte; Seglias: Schwabengänger; Uhlig: Schwabenkinder; Ulmer: Schwabenkinder. Aus zeitgenössischer Sicht zudem: Lampert: Schwabengängerin.; Märk: Schwabenkinder; Bereuter: Schwabenkinder.

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Schlussbetrachtung Die Miniaturen, die die Perspektive der Badenerinnen festhalten, fügen sich am Ende zu einem Gesamtbild. Die hier vorgestellten Frauen hielten für ihre Familiengründung eine obrigkeitliche »Legitimierung« für nicht erforderlich: Sie lebten in Basel Nichtehelichkeit als Normalität. In den sozialen Schichten und Regionen bzw. Familien, in denen sie aufwuchsen, war die nichteheliche Familiengründung keineswegs unüblich. Im oberen Hotzen- und im Klosterwald bildete Nichtehelichkeit lange Zeit die dörfliche Norm, im Markgräflerland trat sie zwar eher als Ausnahme auf, dafür aber gehäuft in einzelnen Dörfern oder in bestimmten Familien. Auffällig ist daneben das weite Spektrum von Formen der Sexualität und der Familiengründung, die in eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe münden konnten, aber nicht zwangsläufig führen mussten. Vielfach folgte auf die voreheliche Zeugung eines Kindes im Rahmen der Eheanbahnung noch vor oder relativ bald nach der Geburt die Hochzeit der Partner – wobei die Kirche in diesen Fällen symbolisch markierte, dass ein Verstoß gegen ihre Regeln vorlag. Zudem bestanden – vor allem im oberen Hotzen- und Klosterwald – längerfristige, zum Teil mehrjährige voreheliche »Bekanntschaften«, in denen ein oder mehrere Kind(er) außerhalb der obrigkeitlichen Normen zur Welt kam(en). Die Partner lebten dabei nicht immer zusammen, wohl aber bestand zwischen ihnen offenbar eine Verbundenheit in dem Sinne, dass sie sich einander zugehörig fühlten und gemeinsame Kinder haben wollten. Zumindest kann dies aufgrund der Dauer der Partnerschaft vermutet werden. Quellen, die Auskunft über den Grad und die Qualität der Emotionalität zwischen den Partnern geben könnten, sind nicht überliefert. In der Regel lässt sich aus den Quellen auch nicht herauslesen, ob eine (nichteheliche oder eheliche) Beziehung mit einem sexuellen Gewaltverhältnis, mit Nötigung oder Vergewaltigung der Frau einherging.1 1 Wie schwierig die Beurteilung ist, kann an einem Beispiel gezeigt werden: Babara Hütterin aus Weil musste im Mai 1806 vor dem Kirchen-CensurGericht erscheinen, weil sie »zum 3tn mahl unehelich schwanger ist […]. Sie wurde nach dem Schwängerer gefragt; sie antwortete, sie sei von einem Herrn in den Basel Erlen angefallen, und zur Unzucht gezwungen worden; und von diesem sei sie schwanger. Man sezte, da man jemand anders in Verdacht hatte, ernstlich in sie, den wahren Vater anzugeben. Allein sie blieb hartnäckig bei ihrer Aussage.« Protokoll Kirchen-Censur-Gericht Weil, 18.5.1806, zit. nach: Ulbrich: Kirchen-Censur, S.196f., Hervorhebung im Original. Entsprach ihre Aussage der Realität? Oder nutzte Barbara Hütterin sie als Strategie, um ihren wiederholten Verstoß gegen die obrigkeitlichen Normen zu kaschieren

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schlussbetrachtung

Einige Paare traten nach vergleichsweise langer Zeit noch vor den Traualtar. Darunter befanden sich solche, die mehrere gemeinsame, »unehelich« geborene Kinder hatten, oder solche, in denen ein Partner ein oder mehrere Kind(er) mit in die Ehe brachte, das bzw. die aus einer anderen nichtehelichen oder obrigkeitlich »legitimierten« Verbindung stammte(n). Wenn eine kirchliche Hochzeit (meist aus ökonomischen Gründen) nicht zustande kam, lebten die Partner in einer Konsensehe, von der Obrigkeit als »wilde Ehe« tituliert. Fälle, in denen eine längerfristige Beziehung zwischen einer ledigen und einer verheirateten Person bestand, lassen sich in den Quellen hingegen so gut wie keine finden. Nicht zuletzt sind diejenigen ledigen Mütter zu nennen, die nach der Geburt eines Kindes langfristig ohne Partner lebten. Diese Form der Nichtehelichkeit, die dauerhafte ledige Mutterschaft, war im oberen Hotzen- und im Klosterwald ebenfalls verbreitet, während sie im Markgräflerland erst im Laufe des 19. Jahrhunderts häufiger auftrat, vor allem in Familien der unterbäuerlichen Schichten. Mit diesen Mustern der nichtehelichen Familiengründung wuchs ein Großteil der hier vorgestellten Badenerinnen auf. So sozialisiert gingen sie als junge ledige Frauen arbeitssuchend in die aufstrebende Schweizer Metropole Basel, meist nach der Jahrhundertmitte, als dort die Abschottung gegen die Zuwanderung bröckelte, die Stadtmauern fielen und der nun massiv vorangetriebene Ausbau der Verkehrswege auf Schweizer, französischer wie auf badischer Seite den Zuzug erleichterte. Migration, Urbanisierung und Mobilität sind in der vorliegenden Forschung als wichtige Gründe für das Auftreten von »Unehelichkeit« im 19. Jahrhundert, vor allem im städtischen Kontext bzw. im Zusammenspiel von Land und Stadt, benannt worden. Auch Basel war spätestens seit 1859 in hohem Maße von Zuwanderung und Verstädterung geprägt, von der großen Zahl junger, lediger Männer und Frauen, die zum größten Teil aus anderen Schweizer Kantonen und dem Ausland kamen und der ländlichen Unterschicht angehörten. Der Motor für die Migration nach Basel war, so fasste Regina Wecker treffend zusammen, für die meisten Zuzügler und Zuzüglerinnen »die Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse«.2 Die Erwartungen erfüllten sich meist jedoch nicht. Die soziale Lage der Fabrikarbeiterschaft und des Gesindes in Basel nach der Jahrhundertmitte war vielmehr in aller Regel schwierig. Die meisten Migrantinnen fanden eine Beschäftigung in den aufstreund/oder um ihren Partner nicht zu verraten? Vielleicht, weil sie wusste, dass er keine Alimente werde zahlen können? Oder weil er sie bedrohte? 2 Wecker: Anfang, S.211.

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benden Basler Textilfabriken oder eine Dienststellung im gewerblichen Mittelstand, einige wechselten zwischen beiden Bereichen hin und her. Die Rahmenbedingungen in den Fabriken und/oder im häuslichen Dienst zeichneten sich durch unabgesicherte sowie konjunkturabhängige Beschäftigungen, lange Arbeitszeiten, körperlich anstrengende (und in den Fabriken monotone) Tätigkeiten, durch große Abhängigkeit von Fabrik- oder Dienstherren sowie vor allem durch niedrige Löhne aus. So erwies sich Armut als weiterer wichtiger Faktor, der Nichtehelichkeit begünstigte oder gar bedingte. Die meisten der hier betrachteteten Badenerinnen konnten oder wollten sich eine Hochzeit im obrigkeitlich »legitimierten« Rahmen finanziell nicht leisten – weder im Badischen noch in Basel. Zudem besaßen die in den Arbeitervierteln lebenden Menschen mehrheitlich kein längerfristiges Bleiberecht, sondern mussten sich mit dem prekären Rechtsstatus als Aufenthalterinnen und Aufenthalter zufriedengeben. Armut und Rechtsstatus machten sie zu einer äußerst mobilen Bevölkerungsgruppe, die sich über die Stadt- und Ländergrenze hin- und her bewegte. Nicht zuletzt ist die in Basel bestehende zahlenmäßige Disproportion zwischen Männern und Frauen anzuführen. Die große Zahl der nach Basel strömenden jungen, ledigen Frauen festigte den in der Stadt aus den beschriebenen Gründen vorherrschenden Frauenüberschuss. Für die Badenerinnen war es also schon rein statistisch schwierig, einen Ehepartner zu finden. Auch erleichterte das Basler Eherecht eine obrigkeitlich »legitimierte« Familiengründung nicht, kriminalisierte und pönalisierte zudem vorund außereheliche Sexualität. Die beschriebenen Faktoren begünstigten »Unehelichkeit« also in nicht unerheblichem Maße, bildeten das Bedingungsgefüge der Nichtehelichkeit in Basel in den 1860er- und 1870er-Jahren. In der Tat stiegen die »Illegitimitätsraten« seit Anfang der 1860er-Jahre stark an, wobei die hier betrachteten Badenerinnen daran einen nicht unerheblichen Anteil hatten. Sie – wie die ledigen Mütter aus dem Ausland insgesamt – standen daher im Fokus der Basler Obrigkeit und der zuständigen Behörden, die den Zustrom der jungen Frauen nach Basel genau beobachteten und registrierten. Die Basler Obrigkeit identifizierte die sich in der Stadt aufhaltenden »fremden« ledigen Mütter und ihre »unehelichen« Kinder als »zweifelhaften Bevölkerungstheil«, den es »abzuwehren« galt. So kam es zu der beschriebenen Bestandsaufnahme in der ersten Hälfte des Jahres 1868, aus der die Prämisse resultierte, »diesen unerfreulichen Theil der flottanten Bevölkerung« – die Ausländerinnen, die in der Stadt nichtobrigkeitlich »legitimiert« schwanger wurden, ebenso wie ihre »unehelichen« Kinder – fernzuhalten. Die stetig anhaltende Zuwanderung junger lediger

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schlussbetrachtung

Frauen aus dem Ausland und die steigenden »Illegitimitätsraten« zeigen freilich, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Vielmehr richteten sich die Badenerinnen wie andere Aufenthalterinnen in Basel ein und arrangierten sich auf ihre Weise mit den obrigkeitlichen Normen und den Strukturen, die sie in der Stadt vorfanden. Nicht zuletzt waren ja viele Badenerinnen in der Familientradition der Nichtehelichkeit aufgewachsen, hatten Nichtehelichkeit als Normalität erlebt und brachten diese Vorerfahrung mit nach Basel. Diese Familientradition und das in Basel vorhandene Strukturgefüge der Nichtehelichkeit griffen wie zwei Puzzleteile ineinander. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Badenerinnen in Basel in der Regel keine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe schlossen. Sie, auch diejenigen unter ihnen, die nicht in der Familientradition der »Unehelichkeit« aufgewachsen waren, lebten vielmehr Sexualität und Familiengründung, die ohne den Segen der Kirche und des Staates auskamen. So wurden die 835 badischen Kinder »unehelich« geboren. Nichtehelichkeit fand in Basel in den 1860er- und 1870er-Jahren in den Quartieren der »handarbeitenden Klassen« (Karin Gröwer) statt, in denen Personen mit unterschiedlichem Status zusammenlebten und arbeiteten: die etablierten Basler Bürger und Bürgerinnen, die einigermaßen abgesicherten Niedergelassenen sowie die Aufenthalter und Aufenthalterinnen, die, allesamt jung, ledig und arm, vielfach zu-, fort- und wieder zuzogen. Die im Quartier dicht gedrängt zusammenlebenden Männer und Frauen prägten das beschriebene subkulturelle Milieu aus, das seine äußere Dynamik aus der städtischen Zuwanderungspolitik gegenüber den Zuzüglern und deren beschäftigungsbedingter Mobilität bezog. Im Hinblick auf die Familiengründung hatten Dynamik und Mobilität Nachteile, aber auch einige Vorteile. Für die Badenerinnen bedeutete es etwa, das sich das Spektrum derjenigen Männer, die potenziell als (Ehe-)Partner infrage kamen, deutlich erweiterte. Im Gegensatz zu ihrem Heimatdorf kamen sie in Basel durch ihren Alltag ganz unkompliziert in Kontakt nicht nur zu einer vergleichsweise großen Zahl von Männern, sondern auch zu solchen, die aus anderen Regionen und Ländern stammten, die einer anderen Konfession oder Schicht angehörten, oder zu solchen, die mit dem Basler Bürgerrecht einen äußerst attraktiven Status innehatten, der rechtliche Stabilität und materiellen Wohlstand verhieß. Die Stadt bot deutlich mehr Möglichkeiten als das Dorf, Männer zu treffen und eine »Bekanntschaft« anzuknüpfen: Neben den überfüllten Wohnquartieren und den Arbeitsstellen, beide häufig gewechselt und insofern mit je neuer Belegschaft, boten sich zudem die Zeiten und Stätten des

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Vergnügens und der Zerstreuung als Orte der Annäherung an. Bestand im subkulturellen Milieu der Basler »handarbeitenden Klassen« in den 1860er- und 1870er-Jahren die »Kultur der erotischen Annäherung« fort, die Rainer Beck am Beispiel des bayerischen Dorfes Unterfinnung herausgearbeitet hat?3 Das wird man wohl kaum sagen können. Einerseits erleichterte das Milieu das Kennenlernen und die Annäherung der jungen Leute. Als Kost- oder Schlafgängerinnen wohnten die Badenerinnen zum Teil mit ledigen jungen Männern zusammen in derselben Wohnung, trafen jene im selben Haus, in der Nachbarschaft, auf der Straße, im Viertel oder bei der Arbeit, die Katholischen unter ihnen zudem bei Festen der katholischen Gemeinde oder im Gottesdienst in St. Clara. Die Dienst- und Arbeitsstellen, die Unterkünfte, die Stätten des Vergnügens oder eher ungewöhnliche Orte wie der Polizeiposten, die Droschke oder eine Baustelle eröffneten den Raum, sich einander zu nähern und nichteheliche Sexualität zu leben. Während sich im Dorf die Zeit zwischen Kennenlernen und »vollständiger fleischlicher Vereinigung« lange hinziehen konnte, dominierten in der Stadt offenbar schnellere Rhythmen. In den Schilderungen vor dem Ehegericht blitzte an der einen oder anderen Stelle auf, dass die Annäherung erotische Anziehung, Werbung umeinander, Rivalität mit einem Nebenbuhler (seltener mit einer Nebenbuhlerin), Lust, Ausschweifung und Rausch, aber auch Gewalt umfassen konnte. Wie auf dem Dorf so geschah die Annäherung der Partner nicht im Geheimen, vielmehr nahm das Umfeld im Quartier sie mehr oder weniger bewusst wahr. Es kam zu »Geschwätz«, Gerüchten und »Zutragungen«. Im Allgemeinen herrschte Duldung vor, das (Halb-)Wissen blieb jedenfalls im Viertel; meist wandte sich niemand an die Polizei oder das Ehegericht, um Anzeige zu erstatten. Es gab freilich – wie an den »Kindsmörderinnen« gezeigt werden konnte – Grenzen der Toleranz. Andererseits bestanden grundsätzliche Unterschiede zum Dorf. Durch die große Zahl der Menschen und ihre hohe Mobilität wies das städtische Arbeitermilieu des späteren 19. Jahrhunderts keine Beständigkeit auf. Anders als im Dorf oder im Basel der Vormoderne kam es dort daher nicht zur Herausbildung eines sich selbst kontrollierenden Kollektivs der Unverheirateten, das Annäherung und »Bekanntschaften« überwacht hätte. Das Zusammentreffen der jungen, ledigen Aufenthalter und Aufenthalterinnen unterlag im Basel der 1860er- und 1870er-Jahre keinen verbindlichen Regeln, und die »Bekanntschaft« 3 Burghartz: Zeiten, S.238, spricht für Basel im 16./17.  Jahrhundert von einer »Kultur des Sichkennenlernens«. Zur Beschreibung dieser vgl. ebd., S.237-251.

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folgte ganz offenbar nicht einem abgestuften, ritualisierten Schema. Eine »Kultur der erotischen Annäherung« bestand im Basler Milieu der »handarbeitenden Klassen« in den 1860er- und 1870er-Jahren jedenfalls nicht mehr. Sie wurde abgelöst durch andere Formen der Annäherung, die nicht nur schneller und unkontrollierter verliefen, sondern auch individueller, direkter und körperlicher. Während das Milieu die Annäherung der jungen Leute, die »Bekanntschaften« und den »Umgang« tolerierte, schritt die städtische und kirchliche Obrigkeit in der Person des Polizisten, des Eherichters, des Pfarrers oder Stadtmissionars missbilligend und/oder strafend ein. Blickt man auf die Intention, mit der die Badenerinnen eine »Bekanntschaft« begannen und führten, so ist zu sehen, dass es manchmal rein um den »Spaß« ging, gelegentlich verbanden sie den »Beyschlaf« mit einem kommerziellen Interesse und sicherlich häufiger als in den Quellen genannt sahen sie sich mit nötigender sexueller Gewalt konfrontiert. Die Badenerinnen gingen in der Regel mit Männern eine »Bekanntschaft« ein, die für eine Familiengründung infrage kamen. Rein statistisch betrachtet dominierte Homogenität. Mütter wie Väter standen in einem ähnlichen Lebensalter, beide arbeiteten in Basel in Berufsfeldern, die am ehesten der sozialen Unterschicht zuzuordnen sind, wobei die Männer etwas häufiger einen modernen städtischen Beruf nannten, vielleicht auch ausübten. Schließlich besaßen auch die Väter – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – kein Bürgerrecht in Basel, sondern waren ebenfalls in die Stadt zugewandert, sehr viele ebenfalls aus dem Großherzogtum. Die gemeinsame badische Herkunft erwies sich in Basel manchmal als Basis zumindest für das Anknüpfen der »Bekanntschaft«, wenn auch nicht unbedingt für das dauerhafte gemeinsame Leben. In der Regel hielten sich beide Partner für kürzere oder längere Zeit im Basler Milieu der »handarbeitenden Klassen« auf, fast immer waren beide ledig. Nur selten ging eine Badenerin eine »Bekanntschaft« mit einem verheirateten Mann ein. Häufig bedrohte die nichteheliche Schwangerschaft die ohnehin prekäre Lage, in der sich die Badenerinnen in Basel befanden. Sie mussten nun fürchten, ihrer Lebensgrundlage beraubt zu werden, drohte doch der Verlust des Arbeitsplatzes und für eine (mehr oder weniger) kurze Zeit der Arbeitsfähigkeit. Zudem hatten sie mit Geldbzw. Haftstrafen oder der »Wegweisung« aus Basel zu rechnen. Nicht wenige versuchten daher, ihre Schwangerschaft zu »verheimlichen«, sprachen nicht über diese, bestritten bei Nachfragen, schwanger zu sein, oder bemühten sich, den anschwellenden Leib durch weite oder sehr enge Kleidung zu verbergen. Andere versuchten, ihre

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gerschaft zu beenden. Auch dabei erwies sich das subkulturelle Milieu der Basler Arbeiterquartiere als hilfreich, kursierten dort doch die Adressen der »Fremdabtreiberinnen«, Quacksalber, »Kräuterhändler«, Hebammen oder Ärzte, die eine Schwangerschaftsunterbrechung (gegen Bezahlung) vornahmen, und auch Informationen, wie diese selbst bewerkstelligt werden konnte. Nicht selten führten die Maßnahmen nicht nur zum Tod des Kindes, sondern auch der Schwangeren. Zur Realität der Nichtehelichkeit im Basel der 1860er- und 1870erJahre gehörten auch die aus heutiger Sicht unsäglichen Umstände, unter denen die Badenerinnen ihr Kind zur Welt brachten. Die meisten gebaren in ihrer eigenen Unterkunft, in einer Schlafkammer, einem Schlafsaal oder einem (mit einer anderen Frau geteilten) Bett, und zogen eine der städtischen Hebammen hinzu, andere wichen, gewollt oder durch die Umstände gezwungen, auf andere Orte aus und kamen »gänzlich ohne Hilfe« nieder – etwa auf dem Abtritt, in einem Eisenbahnwaggon oder einer Droschke, einem Hauseingang, auf der Straße oder auf dem freien Feld. Die Mehrzahl der Badenerinnen gebar jedenfalls nicht inmitten der »weiblichen Not- und Hilfsgemeinschaft« (Eva Labouvie). Eine ritualisierte, sich über den langen Zeitraum der Schwangerschaft erstreckende Unterstützung der Schwangeren und Gebärenden durch die Gemeinschaft von Frauen, die selbst Erfahrung mit der Niederkunft besaßen, existierte für sie in Basel nicht. Auch die städtischen Hebammen hatten, wie bereits die Basler Hebammenordnung des Jahres 1869 dokumentiert, einen Professionalisierungsprozess durchlaufen, boten die Unterstützung der Gebärenden nun als Gewerbe mit festen Kostensätzen an. Doch gegen die pauschale Aussage, dass die vormoderne, dörfliche Hilfe in der »Weiber-Noth« in der Stadt des 19. Jahrhunderts nicht fortbestand, sprechen die Spuren weiblicher Solidarität, die sich etwa am Beispiel der badischen »Kindsmörderinnen« finden lassen. Die Hausherrin holte die Magd, die gerade geboren hatte, in ihr eigenes Bett, die anderen Kostgängerinnen kochten der Gebärenden Tee und wischten die verdächtigen Blutlachen auf. Auch schwiegen sie, selbst wenn die Niederkunft direkt neben ihnen (in derselben Kammer, im selben Bett) stattfand, zumindest solange, bis sie vor Gericht aussagen mussten. Und auch dort findet sich vonseiten der einvernommenen Zeugen und Zeuginnen keine moralische Verurteilung der »Kindsmörderinnen«. Nicht zuletzt sei die große Humanität des sozialen Umfeldes gegenüber dem Säugling oder den »Findlingen« betont, das sich etwa im Handeln der Nachbarinnen und Nachbarn ausdrückte. Das Beispiel der badischen »Kindsmörderinnen« zeigte jedoch auch die Grenzen der Toleranz des Basler Milieus der »handarbeitenden

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Klassen«. Fand die Nachbarschaft, meist zufällig, einen sterbenden Säugling oder eine Kinderleiche, so alarmierte sie die Polizei und gab nun dieser gegenüber ihr (Halb-)Wissen über die Mutter und deren »Bekanntschaft(en)«, über die »verheimlichte« Schwangerschaft und Geburt preis – und sei es nur aus Furcht, selbst belangt zu werden. Wichtig ist dabei, dass es sich bei den badischen »Kindsmörderinnen« um Aufenthalterinnen aus dem Ausland handelte, die (noch) nicht in das Quartier integriert waren, dort (noch) als Außenseiterinnen galten. So gerieten acht der Badenerinnen wegen »Kindsmord« vor das Basler Kriminalgericht, und nahezu alle erhielten hohe Strafen. Auffällig viele Badenerinnen nahmen Geburtsorte und -umstände wie die genannten nicht in Kauf, sondern suchten, wenn die eigene Unterkunft nicht infrage kam, nach einer Alternative. Sie fanden eine solche, erneut vom Wissen anderer im Quartier lebender Aufenthalterinnen profitierend, in der »Geburtshülflichen Abteilung« des städtischen Bürgerspitals. Doch auch sie hatten einen (hohen) Preis zu zahlen. Damit ist weniger die zu entrichtende »Hinterlage« von 40 Franken gemeint, die niedriger lag als die Gebühr, die die Hebamme verlangte, und die viele von ihnen umgingen, indem sie um ein »Gratis-Freibett« nachsuchten, als vielmehr der Umstand, dass sie Bischoff und seinen Assistenzärzten sowie den Studenten als »lebendige Phantome« (Jürgen Schlumbohm) zur Verfügung stehen mussten. Die meisten Geburten der im Spital niederkommenden Badenerinnen verliefen ohne größere Schwierigkeiten, doch es gab auch Geburten mit nicht enden wollenden Wehen, mit Dammriss und -naht, mit Fieber und kaum zu stoppenden Blutungen, mit erheblichen, das Leben von Mutter und/oder Kind bedrohenden Komplikationen. Nicht diese Begleitumstände unterschieden die Spitalgeburt wesentlich von den vormodernen Zeiten und der Niederkunft in der eigenen Kammer, sondern die Durchführung »geburtshülflicher« Operationen und der Einsatz von »geburtshülflichen« Instrumenten. Dies gehörte nicht zum Repertoire der Basler Hebammen, wohl aber zu dem der Spitalärzte. Insgesamt war die Gefahr, bei der Niederkunft zu sterben, in den 1860er- und 1870er-Jahren auch in Basel groß – ganz unabhängig davon, wo die Badenerinnen ihr nichteheliches Kind zur Welt brachten. Auch die Kinder überlebten die Geburt oder das erste Lebensjahr häufig nicht. Gegenüber den extremen Todesraten im Wiener Gebär- und Findelhaus sticht gleichwohl die geringe Rate im Basler Bürgerspital hervor: Fast 90% der dort geborenen Säuglinge verließen es lebend. Ob sie erwachsen wurden, ist damit freilich nicht gesagt.

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Überlebten Mutter und Kind die Geburt, so entstanden erstaunlich vielfältige Formen von (Familien-)Verhältnissen, die sich für Basel, wo die Quellenlage es erlaubt, rekonstruieren lassen. Selbst obrigkeitlich »legitimierte« Eheschließungen kamen vor, wenn auch nur höchst selten zwischen einer Badenerin und einem Basler Bürger. Schon etwas häufiger trat eine Badenerin mit einem Niedergelassenen vor den Traualter, vermutlich noch häufiger mit einem Aufenthalter oder einem Partner, den sie auf einem anderen Heiratsmarkt traf. Die Hochzeit fand dann nicht in Basel statt, sondern dort, wo der künftige Ehemann Heimatrecht besaß. Insgesamt blieben die »ehelichen« Verbindungen, d.h. solche, die den Normen der Obrigkeit entsprachen, in der Minderzahl. Es bestanden zu viele Hürden, die die Badenerinnen nicht nehmen konnten oder wollten. Manchmal war ein »Bekannter« in ein Strafverfahren verwickelt, gelegentlich führten die unterschiedlichen Konfessionen zu Schwierigkeiten oder das jugendliche Alter des »Bekannten«, auch erhoben Verwandte Einspruch. Am häufigsten behinderten die umständlichen und langwierigen bürokratischen Verfahren die Hochzeit oder die zu hohen Kosten, die nachzuweisende finanzielle Absicherung sowie die hohen Gebühren, die mit einer Trauung einhergingen. Und nicht wenige Männer nutzten diese Umstände als Argument in ihrer Strategie, sich dem – zumindest vor dem Eherichter aus nachvollziehbaren Gründen geradezu stereotyp behaupteten – Eheversprechen zu entziehen. Anders als in anderen großen Städten und anders als im oberen Hotzen- und im Klosterwald lebten die hier betrachteten Badenerinnen in Basel mit ihrem »Bekannten« nur selten in einer »wilden Ehe«. Im Milieu der Arbeiterquartiere war jene aufgrund der städtischen Aufsicht und aufgrund der hohen Mobilität der Aufenthalterinnen und Aufenthalter untypisch und kein strukturelles Element. Was sich hingegen häufiger finden ließ, waren Hinweise auf Formen der nichtehelichen Verbundenheit zwischen den Partnern, die sich beispielsweise in der Auswahl von Paten aus beiden Familien für das gemeinsame Kind oder durch mehrere gemeinsame (nichteheliche) Kinder äußerte. Die meisten der Badenerinnen aber blieben über längere Zeit oder dauerhaft ledig. Die Väter konnten sich, sofern sie es wollten, der Verantwortung leicht entziehen, da die ebenso aufmerksame wie kontrollierende »Kultur der erotischen Annäherung«, die den Frauen in der Vormoderne Schutz geboten hatten, im Basel der 1860er- und 1870er-Jahre nicht mehr bestand. Der häufige Wechsel in den Basler Arbeiterquartieren verhinderte zudem, dass das Umfeld im Fall einer Schwangerschaft den Vater eindeutig hätte bestimmen können oder wollen. Aufgrund der hohen Mobilität und anders als in der Vormoderne gab es im Basel der

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1860er- und 1870er-Jahre kein »soziales Wissen um Vaterschaft« mehr,4 das (Halb-)Wissen und die Gerüchte verdichteten sich meist nicht zum sozial gesicherten Wissen über den Vater eines nichtehelichen Kindes. Dies ebnete zudem den Weg für die Strategie der Männer vor Gericht, den Frauen »Umgang« mit anderen zu unterstellen.5 So gelang es den betroffenen Badenerinnen häufig nicht, Alimente einzuklagen – sie blieben mit der nicht nur materiellen Last der Schwangerschaft, der Geburt sowie auch der Versorgung des Kindes allein zurück. Nur selten behielten die Badenerinnen ihr Kind nach der Geburt bei sich. Typischerweise trennten sie sich bald nach der Niederkunft von ihm, mussten sie doch den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind (oder ihre Kinder) allein verdienen. Einige verdingten sich, die vorhandene Muttermilch nutzend, eine Zeit lang »als Amme«, um ein fremdes Kind zu nähren, erlangten damit eine besser bezahlte Stelle und stiegen in der Hierarchie des Gesindes auf, andere gingen (wieder) als einfache Magd in Stellung, (zurück) in die Basler Fabrik oder verließen die Stadt, um anderswo, häufig in Baden und selbst »in Amerika«, eine Arbeitsstelle zu suchen. Ihr Kind brachten sie in einer »Koststelle« unter, wobei in Basel anders als in Wien keine institutionelle Vermittlung »in die Außenpflege« existierte. Die Badenerinnen suchten vielmehr selbst nach einer Pflegeperson. Infrage kamen neben den eigenen Verwandten, die das Kind (in der Regel ebenfalls gegen Bezahlung) zu sich nahmen, einige wenige Institutionen (wie vor allem die Basler »Kath. Waisenanstalt«), vor allem aber fremde Personen, die Säuglinge und Kleinkinder gegen »Kostgeld« aufnahmen, damit zum Teil ein regelrechtes Gewerbe betrieben. In Basel ließen sich Pflegestellen im Basler Stadtgebiet sowie in Riehen, Bettingen und Kleinhünningen finden, wobei die Badenerinnen einmal mehr das Kommunikationsnetz der »handarbeitenden Klassen« in den Basler Arbeiterquartieren nutzten, um an die entsprechenden Adressen heranzukommen. Die Bedingungen in den »Koststellen« erwiesen sich nicht immer, aber häufig als erbärmlich. Die »Kostkinderhaltung« endete, sobald die Kinder alt genug erschienen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen oder zumindest einen Teil davon. So gaben die Mütter, auch die Badenerinnen, ihr Kind 4 Burghartz: Zeiten, S.273. 5 Anders in der Vormoderne: Burghartz betont, dass das »soziale Wissen« um die Vaterschaft meist verhinderte, dass der Prostitutionsvorwurf vor Gericht erfolgreich war. Denn im Allgemeinen war der »Klärung der Vaterschaft vor dem Ehegericht bereits eine Klärung durch Nachbarschaft, Verwandtschaft und Gemeinde vorausgegangen, so daß in dieser Frage nur sozial gesichertes Wissen vor das Ehegericht kam«, Burghartz: Zeiten, S.273.

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mit sechs oder sieben Jahren »in Arbeit«, »verdingten« es als »Hütekind« auf einem Bauernhof oder als preiswerte Arbeitskraft in der Fabrik. Offenbar suchten die Mütter selbst eine entsprechende Stelle für ihr Kind, zumindest finden sich in den Quellen keine Hinweise darauf, dass eine städtische bzw. staatliche Instanz oder ein privates Gewerbe die Vermittlung organisiert hätte. In einem institutionellen Sinne bestanden zwischen dem Großherzogtum und Basel also keine Strukturen, wie Verena Pawlowsky sie für Österreich und Wien beim Geschäft mit den nichtehelichen »Findelkindern« herausgearbeitet hat. Andererseits lässt sich zeigen, dass auch die meisten der hier betrachteten badischen Kinder aus Basel »fort»gebracht wurden – wenige kamen ins Elsass, einige ins Schweizer Umland, die meisten in die badische Heimat ihrer Mutter. Damit schließt sich der Kreis – und ein weiteres Buch an: Das Schicksal der in Basel nichtehelich geborenen Kinder in der badischen Heimat ihrer Mütter zu untersuchen, wäre eine eigene Studie wert. Die Geschichten der Badenerinnen lassen Raum für zwei Interpretationen. Beide haben ihre Berechtigung, da sie beide einen Teil der Erklärung für die Lebenssituation der Badenerinnen in Basel bieten. Zum einen lässt sich feststellen, dass es die Frauen waren, die in erster Linie unter den gesetzten Strukturen zu leiden hatten – sie mussten nicht nur die häufig äußerst schwierigen Umstände von Schwangerschaft und Geburt allein ertragen, sondern meist auch das Kind ohne irgendeine Form von Unterstützung versorgen. Die Frauen waren Opfer der Strukturen – und der sich entziehenden Männer. Eine andere Sichtweise hingegen wird den »Eigen-Sinn« (Alf Lüdtke) oder die agency der Badenerinnen in den Mittelpunkt rücken, ihre Fähigkeit betonen, sich mit den Verhältnissen in Basel zu arrangieren und in diese aktiv einzugreifen. So unterliefen sie das Basler Eherecht, das alle vor- und außerehelichen »Geschlechtsverbindungen« verbot und unter Strafe stellte, indem sie nichtehelichen »Umgang« pflegten, sie suchten und fanden Möglichkeiten, eine die eigene Lage existenziell bedrohende Schwangerschaft – ebenfalls wider das Gesetz – zu unterbrechen. Wenn dies nicht gelang oder sie das Kind zur Welt bringen wollten, so konterkarierten sie das Ziel der Basler Behörden, ausländische Schwangere »über die Niederkunft wegzuweisen«, und gebaren stattdessen in ihrer Unterkunft (zum Teil allein und ohne die vorgeschriebene Anwesenheit einer Hebamme) oder nutzten gezielt die preiwertere oder kostenlose Alternative der Gebärabteilung des Bürgerspitals. So wandten die Badenerinnen einerseits die aus der badischen Heimat bekannten Strategien an, modifizierten sie andererseits, wo die Stadt neue Herausforderungen stellte. Sie blieben

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denfalls (meist) handlungsfähig und handlungsmächtig. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass sie für die gelebte Nichtehelichkeit und/oder dauerhafte ledige Mutterschaft einen hohen Preis zu zahlen hatten. Führten Industrialisierung und Urbanisierung, die neuen ökonomischen Möglichkeiten und Zwänge also zur Erschütterung des ländlichen Systems der Eheanbahnung – mit weitreichenden Folgen für die in die Stadt strömenden Menschen, vor allem die Frauen? Knüpften die vom Land kommenden Frauen in der Stadt weiterhin »Sexualbeziehungen auf herkömmliche Weise und in Erwartung einer Ehe« an,6 Hoffnungen, die sich dort nicht erfüllten? Das wird man für die hier untersuchten Badenerinnen wohl kaum sagen können. Bemerkenswert ist ja vielmehr der Befund aus den Fallstudien, dass Nichtehelichkeit bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus in den unterbäuerlichen Schichten des oberen Hotzen- und des Klosterwalds bzw. in einzelnen Dörfer oder einzelnen Familien im Markgräflerland gehäuft vorkam. Für viele Badenerinnen waren nichteheliche Familiengründung und nichteheliche Familienverhältnisse durch das Herkunftsdorf und/oder die eigene Familientradition vertraut, sodass sie bereits über entsprechende Erfahrungen verfügten, als sie nach Basel kamen. Sie transferierten das Muster der nichtehelichen Familiengründung nach Basel, wo es sich in das bestehende, »Unehelichkeit« begünstigende Strukturgefüge gut einfügte. Der von den Behörden mit Sorge registrierte Anstieg der »Illegitimitätsraten« seit den 1860er-Jahren, wesentlich mitverursacht von den hier vorgestellten Badenerinnen, erscheint daher nicht als Bruch mit einer vom Dorf bekannten Lebensform, sondern als deren Fortsetzung. Doch wird man die gehäufte Nichtehelichkeit in Basel weder als »Freiheitsstreben« der Badenerinnen, als frühe sexuelle Befreiung der Frauen in einer kaum vermuteten Gesellschaftsschicht, verstehen können noch als Widersetzlichkeit oder gar Widerstand gegen die bürgerlichen und kirchlichen Vorstellungen einer »legitimen« Sexualität, als gezielten, gleichsam programmatischen Gegenentwurf zu einer wie auch immer gearteten Normalität von Sexualität und Familiengründung. Diese Annahmen verweisen eher auf zeittypische Konstrukte der sich mit dem Thema beschäftigenden Historikerinnen und Historiker. Die Badenerinnen orientierten sich vielmehr in erstaunlich geringem Maße an den bäuerlichen, kirchlichen oder bürgerlichen Sexualnormen, sondern übernahmen die ihres sozialen Umfeldes. Sie eigneten sich die Nichtehelichkeit en passant an, war diese doch in ihren 6 Pawlowsky: Mutter, S.86.

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jeweiligen sozialen Kontexten eine gleichsam habituelle Gewohnheit. Freilich blieb ihnen auch kaum eine andere Wahl. Die rechtlichen und sozialen Strukturen benachteiligten sie in vielerlei Hinsicht, selbst und gerade in intimen Lebensbereichen. Doch sie entwickelten innerhalb des engen Handlungsspielraums ihre eigenen Strategien, Sexualität zu leben und Kinder zu haben. So kann das Phänomen der gehäuften Nichtehelichkeit im Südwesten Badens und im Basel des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die vorgegebenen obrigkeitlichen Strukturen und als Aneignung einer Lebenform zugleich verstanden werden. Einige Aspekte fallen dabei besonders auf. Da ist zum einen die Vielfalt der »badischen« (Familien-)Verhältnisse. Aus der Sicht der Badenerinnen musste eine »Bekanntschaft« nicht zwangsläufig in eine obrigkeitlich »legitimierte« Eheschließung münden. Diese stand nicht im Zentrum ihres Bestrebens, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Lebensumstände nach einer Hochzeit kaum verändert hätten, musste doch die weit überwiegende Mehrzahl der Frauen aus den »handarbeitenden Klassen« auch als Ehefrau einer Lohnarbeit nachgehen. Die obrigkeitlich »legitimierte« Ehe erschien daher nicht als Ausweg, um einer prekären Lebenssituation zu entgehen, sondern hätte diese durch die hohen Kosten mit einer zusätzlichen finanziellen Bürde beschwert. Das Idealbild des bürgerlichen Haushaltes mit der von jeglicher Arbeit freigesetzten Ehefrau war jedenfalls unerreichbar – oder unbekannt. Dabei lehnten die Baderinnen die obrigkeitlich »legitimierte« Ehe nicht aus Prinzip ab. Diese erwies sich vielmehr als willkommene Ergänzung des ihnen vertrauten Repertoires der Familiengründung, eine Variante, die zum Einsatz kam, wenn es sich ergab und zu den Lebensumständen passte oder diese – etwa im Fall der Hochzeit mit einem Basler Bürger oder einem Niedergelassenen – wesentlich verbesserte. Die obrigkeitlich »legitimierte« Ehe stellte lediglich eine von vielen anderen Ausformungen der »badischen« (Familien-)Verhältnisse dar. Darüber hinaus fällt der große Pragmatismus auf, mit dem die Badenerinnen ihr Leben angingen, wenn nicht meisterten. So nahmen sie (nichteheliche) Schwangerschaft und Geburt wohl nicht als etwas Außergewöhnliches wahr, sondern als gleichsam unausweichliches Schicksal, als Teil der weiblichen Lebensrealität. Zu dieser gehörte auch, dass ein Kind eine unerwünschte Last oder gar eine Bedrohung des eigenen Lebens darstellen konnte. In einer existenziellen Notlage, zu der die fehlende Unterstützung vonseiten des Kindsvaters, der Familienangehörigen oder staatlicher bzw. kirchlicher Institutionen beitrug, konnte es als ebenso unumgänglich wie geboten erscheinen, die Schwangerschaft abzubrechen oder das Kind bei der Geburt nicht

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am Leben zu erhalten. Zur Normalität des Lebens gehörte nicht zuletzt die meist frühe Trennung vom Kind kurz nach der Niederkunft. All dies war in dem Milieu, in dem die Badenerinnen sich bewegten, gängig. Weder sie selbst noch sonst jemand in ihrem Umfeld sahen diese Praktiken als unüblich oder moralisch verwerflich an. Anders urteilte freilich die Obrigkeit. Doch deren Wertekanon erwies sich im Leben und den sozialen Kontexten der Badenerinnen als wenig handlungsrelevant, in der badischen Heimat ebenso wenig wie in den Basler Quartieren der »handarbeitenden Klassen«. Ein dritter auffälliger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Art, wie die Frauen mit sich selbst und mit dem jeweils anderen umgingen, vor allem mit den Neugeborenen und den kleinen Kindern. Diese wurden zum Teil im Nachtgeschirr oder auf dem Abtritt entbunden, als »Körperausscheidung« in die Kloake »entsorgt«, einige aktiv getötet. Überlebten die Säuglinge, so entfernten die Mütter sie schnell aus dem eigenen Gesichtsfeld, gaben sie in »Koststellen« und vermittelten sie mit sechs oder sieben Jahren als »Verdingkinder« in eine Arbeitsstelle. So ist man geneigt, ihr Handeln als roh und grausam zu bezeichnen und zu argwöhnen, es sei ihnen gleichgültig gewesen, was mit ihrem Kind geschah. Doch was in den Frauen wirklich vorging, wissen wir schlichtweg nicht. Es liegen keine Quellen vor, die Auskunft über ihr Empfinden geben könnten. Verstehen und erklären lassen sich derartige Praktiken wohl am ehesten mit der elenden Lebenslage der Badenerinnen in Basel, der »Ökonomie des Notbehelfs« (Olwen Hufton), in der sie sich stets befanden, der insgesamt so misslichen Lebensrealität der unterbäuerlichen bzw. unterbürgerlichen Schichten des 19. Jahrhunderts. Aber auch die Quellenlage und die eigene Wahrnehmung sind zu bedenken: So sind zum einen nicht die Fälle, in denen die Niederkunft ohne Komplikationen verlief und die Mutter ihr Kind in die eigenen (nichtehelichen oder obrigkeitlich »legitimierten«) Familienverhältnisse integrierte, gut dokumentiert, sondern die drastischen Lebenslagen: die schwierigen Geburten etwa, in denen die Mutter, das Kind oder beide starben, und vor allem die »Kindsmorde«. Diese Fälle bleiben zudem im Kopf, eben weil sie – vor dem Hintergrund der eigenen Vorstellung, wie mit einem (kleinen) Kind umzugehen ist – so unfassbar erscheinen. Der Wandel der Bewertungen hin zu den heutigen Maßstäben und auch die Veränderung im faktischen Umgang mit Säuglingen und (kleinen) Kindern in weiten Teilen der Gesellschaft setzte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein, spätestens als das »Jahrhundert des Kindes« begann. Im gleichen Zeitraum fand zudem in den unterbäuerlichen bzw. unterbürgerlichen

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ten ein Übergang statt von den Formen und Mustern der Nichtehelichkeit zu den bürgerlichen Sexual- und Heiratsnormen.7 Sowohl im badischen Südwesten als auch in Basel entfielen die restriktiven, gegen die heiratswilligen Armen gerichteten Ehegesetzgebungen, auch war die Hochzeit nicht mehr länger an Vermögen und Bürgerrecht gebunden. Zudem drangen die Werte des Bürgertums mehr und mehr in die untereren sozialen Schichten der Gesellschaft vor. Das »Jahrhundert des Kindes« begann und das Modell der »bürgerlichen Kernfamilie« setzte sich allmählich auch in den unterbäuerlichen und unterbürgerlichen Schichten der Gesellschaft durch.8 Dazu gehörte ganz grundlegend die obrigkeitliche »Legitimierung« der Familiengründung. Als die Kinder der hier betrachteten rund 800 Badenerinnen erwachsen waren und selbst eine Familie gründeten, taten sie dies jedenfalls in der Regel mit der »Legitimation« der Obrigkeit.9 Die Zeiten, in de7 So wird auch (für den deutschen Kontext) der Beginn eines »Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung« auf das späte 19. Jahrhundert datiert, genauer auf das Jahr 1872 (in dem das nun in Kraft tretende Reichsstrafgesetzbuch u.a. sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte), vgl. die entsprechenden Forschungsvorhaben bzw. die Tagungsankündigung https://www. hsozkult.de/event/id/event-98814 [Zugriff 13.7.2021]. 8 Vgl. für Deutschland, die Zeitphase vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung umfassend, zuletzt Pine (Hg.): Family. Auch die internationale Konferenz »Mother, Father, Child, Health – the History of Reproduction« nimmt nahezu ausschließlich den Zeitraum ab dem späten 19.  Jahrhundert in den Blick, vgl. http://cbh.pan.pl/pl/wydarzenia/online-conference-mother-fatherchild-health-history-reproduction [Zugriff 12.5.2021]. Als Detailstudie zum Braunschweiger Arbeitermilieu vgl. zudem Bajohr: Bengels. Für Basel um die Jahrhundertwende sind nicht zuletzt die Studien von Ryter zur Schwangerschaftsunterbrechung anzuführen, die die Unterschiede zu den Jahrzehnten zuvor deutlich machen. 9 Aus den genannten Gründen wurden nicht alle weiteren Lebenswege der 835 badischen Kinder rekonstruiert, vielmehr böte sich eine weitere Untersuchung an. Einige exemplarisch durchgeführte Recherchen zeigen jedoch, dass die in Basel verbleibenden Kinder später mit obrigkeitlicher »Legitimierung« heirateten. Zwei Beispiele: Johann Wilhelm Leonhardt wurde am 8.4.1864 nichtehelich im Basler Bürgerspital geboren. Seine Mutter, die Magd Maria Barbara Leonhardt aus Endenburg im Amt Schopfheim (zu ihrer Biografie vgl. Datenbank der Badenerinnen, insbes.: Spitalarchiv, Taufregister 1842–1876; Niederlassung H6a), benannte als Vater den Seiler Johann Wern aus Stuttgart. Beide Elternteile nahmen jedoch offenbar keinen Anteil am Schicksal ihres Kindes. Unmittelbar nach der Geburt kam Johann Wilhelm Leonhardt »in die Kost«, durchlief mehrere »Koststellen« (etwa im Gerbergässlein, am Spalenberg und im Rheinweg), während seine Mutter als »unbekannt abwesend« galt (über seinen Vater schweigen die Quelle ganz). Mit zehn Jahren verließ Leonhardt die »Kost« und hielt sich fünf Jahre außerhalb Basels auf, vermutlich als »

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nen Nichtehelichkeit gehäuft, in den unterbäuerlichen Schichten und/ oder bestimmten Familien Südwestbadens bzw. im Milieu der »handarbeitenden Klassen« Basels als Normalität gelebt wurde, waren nun offensichtlich vorbei.10

kind«. 1879 kehrte er in die Stadt zurück und hatte mit Anfang 20 den Aufstieg geschafft: Er arbeitete als Vergolder bei der Firma Sting-Gossweiler in der Bäumleingasse, erhielt das Basler Bürgerrecht und schloss eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe (vgl. Einbürgerungsakte Leonhardt, 1885, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.23, Nr. 90; Pfister: Einbürgerung, S. 276, Nr. 1742). Karl Gehr, dessen Eltern sich in der Kleinbasler Rheingasse kennengelernt hatten, wo seine Mutter, die erwähnte Glättnerin Euphrosine Gehr (vgl. Kap. 5.a.) und seine Großeltern lebten, die seinem Vater, dem bei den »Badischen Bahnen« als Ausläufer beschäftigten Carl Kienzig, Kost und Logis boten. 1872 geboren, wuchs Karl Gehr im Verständnis der Obrigkeit als »illegitimes« Kind auf (möglicherweise lebte er einige Zeit im Waisenhaus), doch gelang auch ihm ganz im Sinne einer bürgerlichen Weltsicht der soziale Aufstieg. Er schloss in Basel die Schule ab, begann eine Lehre als Feger bei der Seidenfabrik Vischer & Cie im Rheinsprung, erlangte als junger Mann die Aufnahme in das Bürgerrecht der Stadt Basel und schloss 1897 eine obrigkeitlich »legitimierte« Ehe mit der Basler Bürgerin Maria Lina Heiz (vgl. Einbürgerungsakte Gehr, 1889, StABS, ÄHA, Bürgerrecht, H Stadt, H 1.27, Nr. 47; Pfister: Einbürgerung, S. 196, Nr. 824). Zahlreiche andere Beispiele ließen sich anfügen. 10 Zur Lage lediger Mütter zu Beginn des 20.  Jahrhunderts vgl. für Zürich Alt/Sutter: Situation; für die Schweizer Stadt Freiburg Stöckli: Mütter. Zur »Unehelichkeit« in Deutschland im 20. Jahrhundert vgl. zudem Buske: Fräulein Mutter; zum weiteren Rahmen zudem Steinbach: Sex

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Dank Auch dieses Buch, das dankenswerterweise durch die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft realisiert werden konnte, profitierte von den klugen Ratschlägen zahlreicher Kolleginnen und Kollegen, die die Konzeption der Studie mit mir diskutierten, während der Archivrecherche mit wertvollen Tipps weiterhalfen und/oder erste Textentwürfe gelesen und mit hilfreichen Kommentaren versehen haben. Dafür danke ich Esther Baur, Wolfgang U. Eckart (†), Karin Grütter, Heiko Haumann, Dieter Hein, Ulrich Herbert, Hartmut Kaelble, Patrick Kury, Sylvia Paletschek, Nenad Pavic, Annamarie Ryter, Margit Szöllösi-Janze, Regina Wecker und Hermann Wichers sehr herzlich. Gerhard Hotz hat mir den Zugang zu den Basler Quellenschätzen überhaupt erst eröffnet – ganz herzlichen Dank! Bei den freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des von ihm geleiteten Projekts »Bürgerforschung Basel«, die die Kunst der Transkription meisterhaft beherrschen, möchte ich mich für die Unterstützung meiner Studierenden beim Enträtseln der Kurrentschrift sehr bedanken – stellvertretend seien Waldemar Braun, Saskia Ernst, Verena Fiebig-Ebneter, Fritz Häsler, Christof Meissburger, Beat Meyer, Jürgen Rauber, Felicitas Ruch, Helena Vogler und Marina Zulauf-Semmler genannt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Hauptseminare zu den Gebäranstalten, zum städtischen Gesinde, zum »Kindsmord« und zur »Unehelichkeit« im 19. Jahrhundert, die ich seit Winter 2018/19 am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (zum Teil zusammen mit Gerhard Hotz) durchgeführt habe, danke ich für ihre engagierte Mitarbeit und die interessanten Diskussionen. Ein herzliches Dankeschön geht auch an meine beiden Wissenschaftlichen Hilfskräfte Sandra Fleischmann und Fiona Pahlke, die in ihren B.A.-Arbeiten zur »Unehelichkeit« Neuland betreten und den Forschungsstand zum Thema auf ein neues Niveau gehoben haben. Günther Klugermann, auch er ein Meister der Transkription, danke ich für die präzise Übertragung zahlreicher Dokumente. Zudem bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliotheken und Archive, in denen ich gearbeitet habe, insbesondere der Universitätsbibliothek Freiburg, des Staatsarchivs Basel-Stadt, des Staatsarchivs Freiburg und des Erzbischöflichen Archivs Freiburg, die stets kompetent und freundlich weiterhalfen  – auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in denen diese Untersuchung entstand. Volker Ilgen, Peter Köhler und Monika Kortenjann haben das Manuskript

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dank

ebenso sachkundig wie souverän lektoriert bzw. Korrektur gelesen und Jan Philipp Bothe sowie der gesamte Wallstein Verlag haben dafür gesorgt, dass aus dem Manuskript ein so schönes Buch geworden ist – ihnen allen gilt mein Dank. Nicht zuletzt möchte ich mich bei Heike Bernhardt, Cornelia Brink, Christoph Dieckmann, Hilke Kuhlmann, Christoph Röckelein, Beate Rosenzweig, Helge Roxin, Georg Schlegel und Heike Stienkemeier-Tisch für ihre Freundschaft bedanken. Und meinem Mann Dominik Reßing danke ich nicht nur für die Gespräche über den Kirchenrüger. Gewidmet ist dieses Buch meiner Familie, insbesondere meinen beiden Großmüttern Johanna Elisabeth Lehr, geb. Haarhaus, und Eva Orth, geb. Wiffler.

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insbes. Kap. kath. KPR

LkA KA NNA StABS StA Freiburg

Älteres Hauptarchiv Ältere Nebenarchive Bürgerforschungsprojekt Basel-Spitalfriedhof Band/Bände Badisches Landesmuseum, Außenstelle Südbaden Dokumentationsstelle der Gemeinde Riehen Deutsches Tagebucharchiv Erzbischöfliches Archiv Freiburg Fragebogen Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe insbesondere Kapitel katholisch Kranken- und Pfründeregister Landeskirchliches Archiv Karlsruhe Neuere Nebenarchive Staatsarchiv Basel-Stadt Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg

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Quellen und Literatur 1. Unveröffentlichte Quellen Archive Archion Evangelische Kirchenbücher Deutschlands (https://www.archion.de/)

Badisches Landesmuseum, Außenstelle Südbaden (BLAS) Nachlassarchiv Fragebogenerhebung 1894/95, online z.T. https://www.leo-bw. de, z.T. https://www.ub.uni-freiburg.de/recherche/digitale-bibliothek/freiburger-historische-bestaende/badische-volkskunde (zitiert als: Fragebogen zur Sammlung der Volksüberlieferungen von 1894/1895, FB Band Ortsname [Zugriff Datum])

Deutsches Tagebucharchiv (DTA) Tagebücher und Erinnerungen: Reg. 2; 86; 613; 647, I; 720; 773; 805/IV, 10; 829, I+II; 1058, II, 2; 1376, 2; 1838.

Dokumentationsstelle der Gemeinde Riehen (DGR) 400.1, Gesundheitswesen, b Hebammendienst (1814-1964)

Erzbischöfliches Archiv Freiburg (EAF) B2-48-1, Sittlichkeit/Anordnungen über Wahrung der öffentlichen Sittlichkeit, 1828-1944 B2-48-2, Sittlichkeit/Bescheide über Fragen der öffentlichen Sittlichkeit, Bd.1, 1829-1859 B2-48-3, Sittlichkeit/Bescheide über Fragen der öffentlichen Sittlichkeit, Bd.2, 1860-1917 B2-48-7, Sittlichkeit/Das 6. Gebot, 1851-1926 B2-16/8, Anordnung über Kirchenvisitationen, 1805-1879 B 4-786, Bernau, Kirchenvisitationen, 1813-1944 B 4-10615, St. Blasien, Kirchenvisitationen, 1838-1948 B 4-12123, Todtmoos, Kirchenvisitationen, 1838-1943 B 4-4951, Höchenschwand, Kirchenvisitationen, 1813-1943 B 4-10934, Schlageten, Kirchenvisitationen, 1890-1944 B 4-12602, Urberg, Kirchenvisitationen, 1838-1942 B 4-155, Albbruck, Kirchenvisitationen, 1922-1941 B 4-11859, Strittmatt, Kirchenvisitationen, 1932-1943 B 4-3605, Görwihl, Kirchenvisitationen, 1812-1943 B 4-5600, Kadelburg, Kirchenvisitationen, 1837-1943 B 4-12382, Unteralpfen, Kirchenvisitationen, 1839-1943 B 4-12875, Waldkirch, Kirchenvisitationen, 1839-1944

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unveröffentlichte quellen

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Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) 390, Standesbücher (1775-1875)

Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg (StA Freiburg) B 35/1 Amtsgericht St. Blasien, 1811-1851 Nr.4: Hug Josef/Huber Genovefa wg. Kindesanerkennung u Erbeinsetzung, 1811 Nr.7: Wiesler Anton/Gutmann Rosina wg. Kindesanerkennung, 1841 Nr.8: Ganther Eyprian, Schmidt Maria, Eheleute/Ganter Bernhard wg. Übergabevertrag, 1841. Nr.23: Müller Fidel/Wild Franziska wg. Verpflegungsvertrag, 1845 B 733/1 Landratsamt Säckingen B 733/1, 350: Bereisungen der Gemeinde Wallbach durch den Amtsvorstand, 1882-1894 B 733/1, 793: Bereisungen der Gemeinde Murg durch den Amtsvorstand, 1882-1895 B 733/1, 798: Bereisungen der Gemeinde Niederhof durch den Amtsvorstand, 1882-1895 B 733/1, 2020: Bereisungen der Gemeinde Hänner durch den Amtsvorstand, 1882-1895 B 733/1, 2037: Bereisungen der Gemeinde Herrischried durch den Amtsvorstand, 1881-1895 B 733/1, 2041: Bereisungen der Gemeinde Oberhof durch den Amtsvorstand,1882-1894 B 733/1, 3199: Bereisungen der Gemeinde Oberhof durch den Amtsvorstand,1850-1851 B 733/1, 3563: Bereisungen der Gemeinde Hänner durch den Amtsvorstand, 1850-1880 B 733/1, 3590: Bereisungen der Gemeinde Herrischried durch den Amtsvorstand, 1850-1881 B 733/1, 3642: Bereisungen der Gemeinde Wallbach durch den Amtsvorstand, 1850-1881 B 733/1, 3681: Bereisungen der Gemeinde Murg durch den Amtsvorstand, 18501880 B 733/1, 3712: Bereisungen der Gemeinde Niederhof durch den Amtsvorstand, 1850-1882 B 735/1, Bezirksamt St. Blasien B 735/1, 66: Ortsbereisungen Höchenschwand, 1864-1889 B 735/1, 157: Festsetzung des Bürgereinkaufsgeldes in Bernau, 1841-1887 B 735/1, 175: Festsetzung des Einkaufsgeldes in den Bürgergenuss in Todtmoos, 1852-1877 B 735/1, 176: Festsetzung des Einkaufsgeldes in den Bürgergenuss in Hintertodtmoos, 1879-1925 B 735/1, 178: Berechnung des Einkaufsgeldes in den Bürgergenuss in Vordertodtmoos, 1879-1925 B 735/1, 179: Berechnung des Bürgereinkaufsgeldes in Todtmoos, 1852-1925 B 735/1, 187: Regulierung des Bürgergenusses in Todtmoos-Weg, 1857-1933

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quellen und literatur

B 735/1, 188: Regulierung des Bürgergenusses in Todtmoos-Au, 1879-1925 B 735/1, 280: Ortsbereisungen Ibach, 1850-1886 B 735/1, 281: Ortsbereisungen Ibach, 1886-1897 B 735/1, 282: Ortsbereisungen Unteribach, 1858-1881 B 735/1, 283: Ortsbereisungen Oberibach, 1858-1881 B 735/1, 323: Ortsbereisungen Urberg, 1850-1893 B 735/1, 324: Ortsbereisungen Wilfingen, 1858-1887 B 735/1, 325: Ortsbereisungen Wilfingen, 1887-1904 B 735/1, 326: Ortsbereisungen Wittenschwand, 1850-1881 B 735/1, 327: Ortsbereisungen Wittenschwand, 1881-1898 B 735/1, 328: Ortsbereisungen Wolpadingen, 1851-1863 B 735/1, 329: Ortsbereisungen Wolpadingen, 1861-1892 B 735/1, 864: Ortsbereisungen St. Blasien, 1890-1910 B 735/1, 932: Bürgerliche Aufnahme der Katharina Wehrle aus Wagensteig in Bernau zwecks Verehelichung mit dem Gemeindebürger Alois Köpfer, 1865-1866 B 735/1, 936: Beschwerde des Lorenz Köpfer aus Riggenbach gegen den Gemeindert Bernau wegen Verweigerung des Bürgerrechts in Bernaudorf, 1859 B 735/1, 973: Forderung des Schulbrotfonds Bernau an die Eheleute Lorenz Böhler, 1850-1860 B 735/1, 974: Errichtung einer Stiftung für die armen Schulkinder in Innerlehen, 1841-1842 B 735/1, 998: Ortsbereisungen St. Blasien, 1853-1889 B 735/1, 1354: Bestellung, Dienst und Besoldung der Industrielehrerinnen an den Schulen zu Innertal und Außertal, 1858-1906 B 735/1, 1469: Ortsbereisungen Bernau, 1858-1887 B 735/1, 1470: Ortsbereisungen Bernau, 1887-1896 B 735/1, 1472: Ortsbereisungen Todtmoos, 1850-1873 B 735/1, 1473: Ortsbereisungen Todtmoos, 1858-1885 B 735/1, 1474: Ortsbereisungen Todtmoos, 1884-1893 B 750/14, Landratsamt Waldshut B 750/14, 603: Bereisungen der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1851-1873 B 750/14, 2361: Bereisungen der Gemeinde Albert durch den Amtsvorstand, 1881-1899 B 750/14, 2517: Bereisungen der Gemeinde Engelschwand durch den Amtsvorstand, 1881-1927 B 750/14, 2537: Bereisungen der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1882-1901 B 750/14, 2648: Bereisungen der Gemeinde Ibach durch den Amtsvorstand, 1898-1929 B 750/14, 2884: Brand in der Gemeinde Schachen am 4. September 1877, 18771881 B 750/14, 4003: Bereisungen der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1881-1930 B 750/14, 4091: Bereisungen der Gemeinde Stadenhausen durch den Amtsvorstand, 1882-1904 B 750/14, 9531: Bereisungen der Gemeinde Schachen durch den Amtsvorstand, 1851-1904

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unveröffentlichte quellen

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B 750/14, 9532: Bereisungen der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1852-1882 B 750/14, 9537: Bereisungen der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1850-1882 B 750/14, 9538: Bereisungen der Gemeinde Strittmatt durch den Amtsvorstand, 1883-1900 B 750/14, 9588: Bereisungen der Gemeinde Hochsal durch den Amtsvorstand, 1850-1901 B 750/14, 9589: Bereisungen der Gemeinde Stadenhausen durch den Amtsvorstand, 1852-1881 B 750/14, 9595: Bereisungen der Gemeinde Niederwihl durch den Amtsvorstand, 1851-1881 B 750/14, 9596: Bereisungen der Gemeinde Niederwihl durch den Amtsvorstand, 1882-1902 B 750/14, 9597: Bereisungen der Gemeinde Oberwihl durch den Amtsvorstand, 1851-1882 B 750/14, 9598: Bereisungen der Gemeinde Rotzel durch den Amtsvorstand, 1851-1881 B 750/14, 9601: Bereisungen der Gemeinde Rotzingen durch den Amtsvorstand, 1850-1882 B 750/14, 9602: Bereisungen der Gemeinde Rotzingen durch den Amtsvorstand, 1882-1901 B 750/14, 9604: Bereisungen der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1851-1882 B 750/14, 9605: Bereisungen der Gemeinde Rüßwihl mit Tiefenstein durch den Amtsvorstand, 1882-1900 B 750/14, 9610: Bereisungen der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1850-1882 B 750/14, 2537: Bereisungen der Gemeinde Görwihl durch den Amtsvorstand, 1882-1901 B 750/14, 9626: Bereisungen der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1852-1881 B 750/14, 9627: Bereisungen der Gemeinde Hartschwand durch den Amtsvorstand, 1883-1901 B 750/14, 9885: Bereisungen der Gemeinde Urberg durch den Amtsvorstand, 1894-1926 B 750/14, 9967: Bereisungen der Gemeinde Oberwihl durch den Amtsvorstand, 1882-1930 B 750/14, 10007: Bereisungen der Gemeinde Segeten durch den Amtsvorstand, 1883-1928 L 10, Badische Standesbücher (Geburts-, Ehe- und Sterbeeinträge)

Landeskirchliches Archiv Karlsruhe (LkA KA) Kirchenvisitationen, 043. Müllheim und Lörrach

Staatsarchiv Basel-Stadt (StABS) Älteres Hauptarchiv (ÄHA): Bürgerrecht, F Stadt, Einzelne Bürgerrechtssachen von Männern, F 2.15, F 2. 21

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quellen und literatur

Bürgerrecht, H Stadt, Einzelne Bürgerrechtssachen von Männern und Frauen, H 1.6 – H 1.41 Civilstand, A 4, Eintragung unehelicher Kinder überhaupt (1800-1915) Cilvilstand, H, Geburtsregister, H 1-16 (1870-1875) Civilstand, Ha, Geburtsregister, Ha 1-10 (1826-1869) Niederlassung, H 5.1, Kostkinder überhaupt (1850-1936) Niederlassung, H 5.2, Aufenthaltskontrolle über Kostkinder (1907-1915) Niederlassung, H 5.4, Pflegekinder-Kartothek (alphabetisch) Niederlassung, H 6, Aufenthalt unehelicher Kinder überhaupt (1868-1910) Niederlassung, H 6a, Uneheliche Kinder-Kontrolle (1846-1977) Niederlassung, H 7, Stiefkinder hiesiger Niedergelassener (1856-1874) Justiz, F 1, Dienstbotenwesen, Gesindeordnung (1685-1923) Protokolle, Protokolle Kleiner Rat (1587-1874) Sanität, Frauenspital, X 28, Geburtshilflich-gynäkologische Abteilung: Krankengeschichten (1868-1887) Straf und Polizei, C 20, Kindestötung, Abtreibung, verheimlichte Niederkunft, Aussetzung (1634-1942), Bde. 2 und 3 (1830-1896)

Ältere Nebenarchive (ÄNA): – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – –

Gerichtsarchiv, CC 23-30, Ober-Kriminalgericht: Protokolle (1798-1875) Gerichtsarchiv, DD, Korrectionelles Gericht: Protokolle (1825-1875) Gerichtsarchiv, HH 2, Kriminalgerichtsakten, 1-454 Gerichtsarchiv, KK 1, Appellationsgerichtsakten, Bde. 1-73 Gerichtsarchiv, U, Ehegericht: Protokolle (1529-1875), Bde. 159 bis 162 (1868-1875) Gerichtsarchiv, Uc Ehegericht, Ehegerichtsprotoktolle, Minuten- oder Manualprotokolle des Ehegerichtspräsidenten (1838-1924), Bde. 14 bis 16 (18671878) Gerichtsarchiv, Y 4-7, Dienstbotenrichter: Protokolle (1804-1875) Spitalarchiv, A 3b, Ordnungen und Statuten (16. Jh.–1945) Spitalarchiv, A 4, Statutenbuch (1842-1871) Spitalarchiv, AA 1.2, Taufregister Spital (1755-1842) Spitalarchiv, AA 1.4, Geburts- und Taufregister (1842-1876) Spitalarchiv, AA 1.5, Geburts- und Taufregister (1877-1890) Spitalarchiv, AA 2.2, Sterbe- und Beerdigungsregister (1842-1864) Spitalarchiv, AA 2.3a, Sterbe- und Beerdigungsregister (1864-1877) Spitalarchiv, AA 2.3b, Sterbe- und Beerdigungsregister (1877-1899) Spitalarchiv, AA 2.3c, Register zu AA 2.3b Spitalarchiv, AA 2.4, Sterberegister, Verzeichnis der im Spital Verstorbenen und aus dem Spital Beerdigten (1845-1874) Spitalarchiv, D 3, Jahresberichte der chirurgischen Abteilung (1842-1870, 1872-1874) Spitalarchiv, D 12, Ärztliche Jahresberichte der verschiedenen Spitalabteilungen (1875-1899) Spitalarchiv, D 13, Ärztliche Jahresberichte, Kopierbuch (1868-1878) Spitalarchiv, V 24, Einzelne Kindbetterinnen und Kinder (1632-1882) Spitalarchiv, V 29.3, Freibetten. Ein- und Austritt, Geburtshilfliche-Gynaekologische Abteilung (1875-1891) Spitalarchiv, V 30, Krankengeschichten der Medizinischen Abteilung (

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unveröffentlichte quellen

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buch im Krankenhaus zu Basel): Männer und Frauen (Bde. 1851, 1857, 1858, 1862, 1863, 1865) – Spitalarchiv, V 34, Chirurgische Abteilung: Krankengeschichten Männer und Frauen (1861-1867) – Spitalarchiv, V 40, Geburtstabellen (1868-1883)

Neuere Nebenarchive (NNA): ÖR-REG Körperschaften öffentlichen Rechts, ÖR-REG 4 Römisch-Katholische Kirche (RKK) (bis 1973 Römisch-Katholische Gemeinde (RKG)) (17682007), ÖR-REG 4b Pfarramtliche Register der Römisch-Katholischen Kirche (RKK) (1768-1976), 2-2 Taufregister der Pfarrei St. Clara, 2-2-1 Alphabeti-

sches Taufregister, 2-2-2 Chronologisches Taufregister

Privatarchive (PA): PA 771a, Evangelische Gesellschaft für Stadtmission in Basel (1859-1971), A,

Berichte der Stadtmissionare, Nr.11 Ludwig, Andreas (1865-1873) Archiv der Medizinischen Gesellschaft Basel, PA 973a C 2, Protokolle der Geschäftssitzungen (1860-1870)

Dokumente und Sammlungen in Privatbesitz Bürgerforschungsprojekt Basel (BBS) unter Leitung von Dr. Gerhard Hotz: Transkript des Bestandes Staatsarchiv Basel-Stadt, Ältere Nebenarchive, Spitalarchiv, V 10, Kranken- und Pfründeregister: Ein- und Austritte, 1845-1868 (zitiert als: BBS, Spitalarchiv, V 10, KPR, Jahreszahl); Transkript des Bestandes Staatsarchiv Basel-Stadt, Ältere Nebenarchive, Gerichtsarchiv, PP, Erbschaftsamt: Erb-Inventare, PP 1 Erb-Inventare (1796-1925) sowie digitale Erfassung der Volkszählung Basel-Stadt 1850 und 1860 (Volkszählung G und Volkszählung H)

Sammlung Dr. med. Neand Pavic (Basel): Auswertungsbögen der Krankengeschichten der Geburtsabteilung des Basler Bürgerspitals, 1868-1886 (zitiert als: Sammlung Pavic: Fallnummer/Jahreszahl) Zulauf-Semmler, Alexandra Marina: Findelkinder und Findelinge in Basel 18401878, Dokumentation und Transkriptionen (zitiert als: Zulauf-Semmler: Findelkinder)

2. Internet-Quellen Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 29.5.1874: https:// www.verfassungen.ch/verf74-i.htm Historisches Lexikon der Schweiz: https://hls-dhs-dss.ch Historische Statistik der Schweiz Online: https://hsso.ch

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quellen und literatur

Landeskunde Baden-Württemberg: https://www.leo-bw.de Nicht realisierte Bahnstrecken in Deutschland: http://www.vergessene-bahnen.de

3. Gedruckte Quellen Adressbuch der Stadt Basel, Basel 1811ff. Bächtold, Hanns: Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz. Eine vergleichend volkskundliche Studie, Basel/Straßburg 1914. Bader, Joseph: Eine Schwarzwaldwanderung, in: Badenia, 2.  Bd., Heidelberg 1862, S.234-356. Badische Historische Kommission (Hg.): Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, bearb. von Albert Krieger, Heidelberg 1898. Badische Historische Kommission (Hg.): Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, bearb. von Albert Krieger, 2 Bde., Heidelberg 1904 und 1905. Beck, Karl: Die Chronik vom Höchenschwander Berg. 2. Aufl., Eggingen 1990. Behringer, Leo: Aus der Geschichte des Bernauer Hochtales Gurtweil bei Tiengen, o.O. Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Großherzogthums Baden, hg. von dem Ministerium des Inneren, 9 Bde., Karlsruhe 1855-1859. Bereuter, Elmar: Die Schwabenkinder. Die Geschichte des Kaspanaze, München/Zürich 2002. Bischoff, Johann Jacob: Tagebuch-Notizen. Studienreise nach Wien, London, Glasgow, Edinburgh und Dublin während der Jahre 1867/1868, hg. von Oscar Beuttner, in: Gynaecologia Helvetica, Bd.4 (1904), S.353-385. Bücher, Karl: Die Wohnungs-Enquête in der Stadt Basel vom 1.–19.  Februar 1889, Basel1891. Buisson, August: St. Blasien in topographischer und geschichtlicher Beziehung sowie als Luftkurort, Freiburg 1883. Buisson, August: Spaziergänge und Ausflüge von St. Blasien im südl. bad. Schwarzwald, Freiburg 1893. Buisson, August: St. Blasien im Schwarzwald. Mit einem geschichtlichen Anhang, 4., vollst. neubearb. Aufl., Freiburg 1899. Charte über das Grossherzogthum Baden, 1812. Criminalgesetzbuch für den Kanton Baselstadt, Basel 1821. Deutsche Reichsbahn (Hg.): Handbuch der deutschen Eisenbahnstrecken. Eröffnungsdaten 1835-1935, Nachdruck Mainz 1984. Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen von Michael Kotulla, Berlin/Heidelberg 2016. Ehe-Ordnung für das Großherzogthum Baden, Carlsruhe 1807. Eheordnung für das Großherzogtum Baden, erläutert und herausgegeben von Amtmann Seng, Karlsruhe/Freiburg 1829. Ehlert, Michael: Familiengeschichte des Schwarzwalddorfes Menzenschwand, St. Blasien 1998. Emminghaus, A.: Die geschlossenen Hofgüter im Großherzogthum Baden, Berlin 1871.

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gedruckte quellen

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Faller, Helmut: Gemeinde Albbruck. Familiengeschichte von Albert und Schachen, Bad Säckingen [1991]. Faller, Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Ibach Kreis Waldshut, [Bad Säckingen] 1993. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Laufenburg und Rhina/Stadt Laufenburg, [Bad Säckingen] [1993]. Faller, Helmut: Familienchronik der Ortsteile Harpolingen und Rippolingen, 2 Bde., Bad Säckingen 1997 und 2000. Faller, Helmut: Familienchronik der Stadt Säckingen, 2 Bde., Bad Säckingen 2000. Faller, Helmut: Familienchronik vom Ortsteil Wallbach, Bad Säckingen 2000. Faller, Helmut: Familienchronik von dem Ortsteil Obersäckingen, 3. verbesserte und ergänzte Aufl. mit sämtl. Querverbindungen zu allen übrigen 19 Familienbüchern einschl. von Säckingen, Bad Säckingen 2001. Faller: Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Rickenbach, 2 Bde., völlig überholte und erg. Aufl., [Bad Säckingen] 2001. Faller, Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Görwihl, 2 Bde., 8., erg. Aufl., [Bad Säckingen] 2002. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Luttingen, Grunholz, Hauenstein und Stadenhausen  / Stadt Laufenburg, Kirchspiel Luttingen, 6. Aufl. erg. mit Querverbindungen zu allen bisher veröff. Büchern, Bad Säckingen 2002. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Murg, 5., erg. Aufl., [Bad Säckingen] 2002. Faller, Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Dachsberg, 7., erg. Aufl., [Bad Säckingen] 2003. Faller, Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Herrischried, 2 Bde., 3. Aufl. ergänzt mit Bezug zu allen übrigen Büchern, Bad Säckingen 2003. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Hänner und Oberdorf. Mit Querverbindungen zu allen Familiengeschichten und Übersicht der ausgewanderten Familien/Gemeinde Murg, 6. verbesserte und ergänzte Aufl., Bad Säckingen 2003. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Hochsal, Binzgen und Rotzel. Mit Querverbindungen zu allen bisher erschienenen Büchern und mit den neuesten Daten ergänzt, [Bad Säckingen] 2003. Faller, Helmut: Familiengeschichte von Niederhof / Gemeinde Murg, 4. verbesserte und ergänzte Aufl., Bad Säckingen [2003]. Faller, Helmut: Familiengeschichte der Gemeinde Todtmoos. Kreis Waldshut 2. ergänzte Aufl., [Bad Säckingen] [2004]. Fecht, Carl Gustav: Die Großherzogl. Badischen Amts-Bezirke Waldshut, Säckingen, Lörrach, Schopfheim. Deren Statistik, Handel & Gewerbe, Specialgeschichte, Lörrach/Waldshut 1859. Fecht, Carl Gustav: Der Großh. Badische Amtsbezirk Müllheim. Dessen Statistik, Handel & Gewerbe, Specialgeschichte, Lörrach 1861. Fischer, Friedrich Christoph Jonathan: Ueber die Probenächte der teutschen Bauernmädchen. Wortgetreuer Abdr. d. Orig.-Ausg. Berlin und Leipzig 1780, Leipzig 1898. Fischer, Fritz: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Markgräfler Weinbauernschaft, dargestellt am Amtsbezirk Müllheim in Baden, Überlingen [1929]. Franke, Gustav: Beitrag zur Statistik der Sterblichkeits-Verhältnisse unehelicher Kinder im Großherzogtum Baden, Leipzig 1913.

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quellen und literatur

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