Nicht-epische Strukturen des romantischen Romans 9783111655154, 9783111271064


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German Pages 189 [192] Year 1975

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Table of contents :
Einleitung: Friedrich Schlegels Grundlegung
I. Die Theorie des nicht-epischen Romans
1.1 Die Epentheorie der Frühschriften
1.2 Form- und Stilelemente des epischen Grundtypus
1.3 Das Ideal des romantischen Romans
II. Friedrich Schlegels Lucinde
2.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Dialektik des
2.2 Thematische Struktur
2.3 Nicht-epische Elemente
III. E. T. A. Hoffmans: Kater Murr
3.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Die musikalische Form und ihr Gegenspiel
3.2 Thematische Struktur: Variationen des Konflikts
3.3 Nicht-epische Elemente
IV. Joseph von Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen
4.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Spiel und Theater
4.2 Die Thematik der Figuren
4.3 Nicht-epische Elemente
V. Schlussbetrachtung
5.1 Befunde
5.2 Ausblicke
Literatur- und Quellenverzeichnis
Index
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Nicht-epische Strukturen des romantischen Romans
 9783111655154, 9783111271064

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DE PROPRIETATIBUS LITTERARUM edenda curat C. H. VAN SCHOONEVELD Indiana University

Series Practica, 101

NICHT-EPISCHE STRUKTUREN DES ROMANTISCHEN ROMANS von ESTHER HUDGINS

1975

MOUTON THE H A G U E · PARIS

Copyright 1975 in The Netherlands Mouton & Co. N.V., Publishers, The Hague No part of this book may be translated or reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the publishers

LIBRARY OF CONGRESS CATALOG CARD NUMBER: 74-78920

Printed in The Netherlands by Mouton & Co., The Hague

EINLEITUNG FRIEDRICH SCHLEGELS GRUNDLEGUNG

Die Problemstellung der folgenden Arbeit erwuchs aus der Inkongruenz, daß der romantische deutsche Roman nicht in die Weltliteratur eingegangen ist, dagegen seine Theorien bei Erwägungen des modernen Romans zunehmende Beachtung finden.1 Die Frage nach den Akzenten des romantischen Romans in Theorie und Praxis ist damit gegeben. Die Dichtungstheorie hat sich daran gewöhnt, den Roman als epische Erzählform zu klassifizieren, aber Fritz Martini hat bereits erwogen, ob Epos und Roman nicht „strukturell aus sehr verschiedenen Existensbedingungen heraus leben".2 Es eröffnet sich somit die Möglichkeit, durch eine Untersuchung des romantischen Romans auf Grund der Strukturen, die vom Grundtypus des klassischen Epos abweichen, zu einem besseren Verständnis zu gelangen. Der theoretische Ansatz wird sich auf Schriften Friedrich Schlegels beschränken. Die im Hinblick auf eine einheitliche romantische Poetik Schlegels so oft beklagte Wendung von einer einseitigen Bevorzugung der Antike während der Periode seiner gräzistischen Frühschriften zu einer positiven Beurteilung der nachklassischen und zeitgenössischen Literatur, die in der Vorrede zu seinem Aufsatz „Über das Studium der griechischen Poesie"8 ihren Niederschlag gefunden hat, ist für den Zweck dieser Untersuchung zu begrüßen. Es ergibt sich hier die Möglichkeit, innerhalb der Schriften des maßgeblichen Theoretikers der Frühromantik eine Theorie des Epos, die mit der klassischen Ästhetik 1

Vergl. dazu: Reinhold Grimm, „Romane des Phänotyp", Akzente, IX (1962), 463-479; Κ. K. Polheim, „Spätzeiten als Friihzeiten", WW, XI (1961), 74-82; Hans Mayer, „Fragen der Romantikforschung", in Zur deutschen Klassik und Romantik (Pfullingen, 1963), 281; Beda Allemann, Ironie und Dichtung (Pfullingen, 1956). 2 „Drama und Roman im neunzehnten Jahrhundert: Perspektiven auf ein Thema der Formengeschichte", in Gestaltprobleme der Dichtung, Festschrift für Günther Müller, hrsg. von R. Alewyn, H. S. Hass, C. Heselhaus (Bonn, 1957), 207-238. 3 Friedrich Schlegel: 1794-1802: Seine prosaischen Jugendschriften, hrsg. von J. Minor (Wien, 1882), 77-178. (Hinweise zu den Jugendschriften werden im Text durch Seitenzahl in Parenthese unter dem Sigle Μ gekennzeichnet.)

6

EINLEITUNG

in Übereinstimmung steht, mit dem Ideal des romantischen Romans zu vergleichen, um die spezifischen Elemente der neuen Weltdarstellung und der neuen Form herauszustellen. Der Vergleich beschränkt sich daher einerseits auf Schlegels Darstellung des homerischen Epos, das er, in Ubereinstimmung mit den Altphilologen seiner Zeit, als das klassische Beispiel der Epik erkannte, andererseits auf die Schriften der Athenäumsperiode (1798-1801); denn nur in diesen Jahren sah er so ausschließlich im Roman die ideale Kunstform, die als Ausdrucksform der modernen Kulturepoche die „progressive Universalpoesie"4 verwirklichen sollte. Es ist gleichzeitig die Periode, in der Friedrich durch seine persönlichen Kontakte die größte Wirksamkeit ausübte. Trotzdem ist dieser spezifisch auf Friedrich Schlegel bezogene theoretische Ansatz nicht wirkungsgeschichtlich zu verstehen, sondern als symptomatischer Ausdruck der frühen literarischen Bestrebungen der Gründergeneration der deutschen Romantik, einer Generation, für die „das Erbe der Aufklärung selbstverständlich war", deren „geistige Bildung im Zeichen der kulturellen Vielfalt gestanden" hatte,6 für die, unter anderem, die Schriften Winckelmanns und Herders, wie die Philosophie von Hemsterhuis, Kant und Fichte zum gemeinsamen Bildungsgut gehörten. Über die Schlüsselstellung Friedrich Schlegels besteht in der neueren Kritik, die sich auf die unermüdliche philologische Sammlertätigkeit Josef Körners stützen konnte,® kein Zweifel. Aber bereits Rudolf Haym, der ihn häufiger negativ als positiv beurteilte, sagte: Der mystisch-epigrammatische Friedrich ist derjenige, der es am besten versteht, das Fertige und Unfertige des romantischen Wesens zu formulieren. In dem Gespräch über die Poesie . . . spiegelt sich wirklich das ganze Quodlibet der damaligen romantischen Tendenzen.7

Er gab Schlegels Ästhetik den Vorzug vor der Schellings auf Grund des „reicheren Details".8 Josef Körner erkannte in Schlegel den Begründer einer „auf breiteste theoretische wie empirische Grundlage 4

Vergl. Athenäums-Fragment 116, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. von E. Behler unter Mitw. von J.-J. Anstett und Hans Eichner (München, Paderborn, Wien, 1967), II, 182-183. (Im Text fortlaufend zitiert unter dem Sigle KSA; folgende Abkürzungen werden gebraucht: L-F = Lyceums-Fragment, A-F = Athenäums-Fragment, I = Ideen.) 5 Mayer, „Fragen der Romantikforschung", 305. » Ernst Behler, „Der Stand der Friedrich Schlegel-Forschung", JDSG, I (1957), 253-289, passim. 7 Die romantische Schule, 5. Aufl. (Berlin, 1928), 758. 8 Haym, 907. Vergl. I. Rouge, Frederic Schlegel et la genese du romantisme allemand, 1791-1797 (Paris, 1904), 311.

EINLEITUNG

7

9

gestellten" Geistesgeschichte; Paul Kluckhohn präzisierte diese Feststellung, indem er Schlegels Leistung als „Verbindung von Herders Geschichtsschau" mit „Kants strenger Begrifflichkeit"10 bezeichnete. Für die neuere Schlegel-Forschung darf Ernst Behler sprechen, der ihn als „den geistreichen Kritiker und Theoretiker, den eigentlichen Philosophen der romantischen Schule"11 kennzeichnet. Von der gesamteuropäischen Wirkimg aus urteilend, sagt Ren6 Wellek: The early writings of Friedrich Schlegel, however, are of the greatest significance both f o r the history of romanticism and a general history of criticism. In close proximity to S c h i l l e r . . . Friedrich renewed the debate on ancients and modern and developed f r o m it the theory of the romantic which in his brother's version spread literally around the world. 12

® „Friedrich Schlegels philosophische Lehrjahre", in Friedrich Schlegel: Neue philosophische Schriften, hrsg. von Josef Körner (Frankfurt/Main, 1935), 355. 10 Die Botschaft der deutschen Romantik an Europa (Augsburg, 1929), 1. 11 „Die Geschichte einer Zeitschrift", Nachschrift zu Athenäum (Stuttgart, photomech. Nachdr. 1960), 10. 1! Rene Wellek, The Romantic Age, Bd. II, seiner A History of Modern Criticism: 1750-1950, 5. Aufl. (New Haven u. London, 1965), 5 ff.

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung: Friedrich Schlegels Grundlegung

5

I. Die Theorie des nicht-epischen Romans

13

1.1 Die Epentheorie der Frühschriften

13

1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4

Das Mannigfaltige Ausklammerungen Mythologie Naturpoesie

14 16 17 18

.

1.2 Form- und Stilelemente des epischen Grundtypus 1.3 Das Ideal des romantischen Romans

.

.

.

.

.

1.3.1 Das Weltbild des romantischen Romans . 1.3.1.1 Moderne Universalität . . . . 1.3.1.2 Moderne Mythologie . . . . . 1.3.1.3 Natur- und Kunstpoesie . . . . 1.3.2 Die Erscheinungsformen des romantischen Ideals 1.3.2.1 Arabeske 1.3.2.2 Die witzige Mischung . . . . 1.3.2.3 Reflexion und Progression . . . 1.3.3 Endergebnis: Nicht-epische Elemente . . . II. Friedrich Schlegels Lucinde 2.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Dialektik des Männlichen und Weiblichen 2.1.1 Drei Beispiele 2.1.2 Reflexion und Progression 2.1.3 Zweideutigkeit . . . . . . . .

19 22 25 28 29 31 34 34 37 38 41 44 46 50 52 55

10

INHALTSVERZEICHNIS

2.2 Thematische Struktur 2.2.1 Die Dialektik der Themen 2.2.2 Männlich plus weiblich 2.2.3 Idylle und Satire 2.2.4 Motive und Symbole. 2.3 Nicht-epische Elemente 2.3.1 Das Bekenntnishafte in abstracto . 2.3.2 Poesie und Wissenschaft 2.3.3 Die neue Mythologie 2.3.4 Form als Aussage 2.3.5 Die Arabeske 2.3.6 Die poetologische Reflexion . 2.3.7 Der kombinatorische Witz

59 60 64 65 68 .

.

.

.

.

III. Ε. Τ. A. Hoffmans: Kater Murr

72 72 75 77 79 86 88 88 90

3.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Die musikalische Form und ihr Gegenspiel 3.1.1 Die Korrelation von musikalischer und poetischer Gestaltung 3.1.2 Die Horizontale 3.1.3 Die Vertikale 3.1.4 Kontrapunktik

93 95 101 104

3.2 Thematische Struktur: Variationen des Konflikts 3.2.1 Thematik der einzelnen Teile . . 3.2.2 Gegenthema: Künstler und Gesellschaft . 3.2.3 Die Motive der Thematik

109 110 112 116

. .

90

3.3 Nicht-epische Elemente 3.3.1 Form als Aussage 3.3.2 Modulationen des Bekenntnishaften 3.3.3 Die neue Mythologie 3.3.4 Poesie und Wissenschaft 3.3.5 Die humoristische Arabeske 3.3.6 Die poetologische Reflexion 3.3.7 Der kombinatorische Witz

120 121 123 126 127 128 129 131

IV. Joseph von Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen

134

4.1 Die Eigengesetzlichkeit des Werkes: Spiel und Theater 4.1.1 Das Malerische

134 138

INHALTSVERZEICHNIS

4.1.2 Das Singspielhafte 4.1.3 Der Festspielcharakter

11

142 149

4.2 Die Thematik der Figuren

152

4.3 Nicht-epische Elemente 4.3.1 Das Bekenntnishafte in poetischer Form . . 4.3.2 Die Verbindung von Poesie und Wissenschaft . 4.3.3 Die neue Mythologie 4.3.4 Die Arabeske 4.3.5 Die poetologische Reflexion 4.3.6 Der kombinatorische Witz

159 159 161 163 164 165 167

V. Schlussbetrachtung

170

5.1 Befunde

170

5.2 Ausblicke

173

Literatur- und Quellenverzeichnis

176

Index

186

I DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

1.1 DIE EPENTHEORIE DER FRÜHSCHRIFTEN

Die Hauptquelle für Schlegels vorromantische Epentheorie ist sein Aufsatz „Über die Homerische Poesie" (1796), der später in leicht veränderter Form in die Geschichte der Poesie der Griechen und Römer (1798) aufgenommen wurde (Μ I, 215-362). Die Forschung hat zu der frühen Epentheorie selten Stellung genommen. Rudolf Haym bezeichnete sie „ganz unvergleichlich, trotz einzelner allzuschroffer Striche", fand sie treu „dem Sachverhalt entsprechend" und unterstrich besonders die „Verbindung Herderscher Feinfühligkeit und philologischer Schärfe".1 Der junge Friedrich Schlegel hat bei seiner Charakteristik des griechisen Epos kritische Grundsätze verfolgt, die für seine Zeit überraschend modern erscheinen. Er ordnete einmal die Gattung* in ihren entwicklungsgeschichtlich bedingten Raum ein (Μ I, 218 ff.); darüber hinausgehend, erklärte er das Werk in seiner organischen Eigengesetzlichkeit (Μ I, 222 ff.) und differenzierte das Epische vom 1

Romantische Schule, 220 ff. Oskar Walzel nennt die griechische Literaturgeschichte das reifste Werk der Jugendarbeiten. „Die strengwissenschaftliche Philologie entbehrte der ästhetischen Schulung, Schiller und Forster fehlten die Kenntnisse, Humboldt die Fähigkeit energischen Zusammenfassens, um Gleiches zu leisten . . . Es hat auch auf die Dichtung anregend gewirkt und die Untersuchungen Goethes und Schillers über das Wesen epischer Dichtung wesentlich gefördert — Einleitung", August Wilhelm und Friedrich Schlegel (= Deutsche NationalLiteratur, Bd. 143) (Stuttgart, oJ.), xvii. Vergl. auch Erika Voerster, Märchen und Novellen im klassisch-romantischen Roman (Bonn, 1964), 76-80; Walter Bausch, Theorien des epischen Erzählens in der deutschen Frühromantik (Bonn, 1964), passim; Κ. Κ. Polheim, Die Arabeske: Ansichten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik (München, Paderborn, Wien, 1966), 206-210. 2 Polheims Hinweis, daß F. Schlegels Begriffe „Gattung", „Dichtart", „Dichtungsart" sich überschneiden, ist beizustimmen. Nur ist dabei zu bedenken, daß durch Schlegels schon früh gefaßte Leitidee einer historisch fundierten Literaturwissenschaft jeder Gattungsbegriff bei Schlegel als bestimmte Ausprägung einer Kulturepoche gesehen werden muß. Arabeske, S. 234, Anm. 1.

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DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

Dramatischen und Lyrischen. Er nahm dabei ständig Stellung zu den klassischen Kritikern. Seine Beurteilung beruht auf genauer Sachkenntnis. Schlegel erklärte die methodischen Grundsätze selbst: Die angedeutete Erklärung der epischen Dichtart ist nicht ein aus unvollständiger Erfahrung willkürlich abgezogner, sondern ein reiner Begriff, dessen ursprüngliche Herleitung aus den notwendigen Gesetzen des menschlichen Geistes sich aufs strengste rechtfertigen läßt. (Μ I, 224) Es kommt ferner der Epentheorie zugute, daß Schlegels griechische Studien mit der Absicht verbunden sind, Herders Ruf nach einem „Winckelmann in Absicht der Dichter" zu entsprechen. Die analytische Vorarbeit diente daher immer dem Zweck, zu ästhetischen Grundsätzen und zur Erkenntis der kulturgeschichtlichen Zusammenhänge zu kommen. 1.1.1

Das Mannigfaltige

Der Überbegriff, der Friedrichs frühe Beurteilung der gesamten griechischen Literatur leitet, ist der der Objektivität. Er betont aber ausdrücklich, daß damit nicht ein Anspruch auf Realität gemeint ist, sondern das Streben „nach einem Spiel, das so würdig sei, als der heiligste Ernst, nach einem Schein, der so allgemeingültig und gesetzgebend sei, als die unbedingteste Wahrheit" (Μ I, 81).3 Wenn also in der folgenden Beschreibung gelegentlich der Eindruck entsteht, daß das Ziel die genaue Schilderung ist, so ist festzuhalten, daß das Einzelne nur der Versinnlichung des Allgemeinen dienen soll. Das Werk des epischen Dichters gibt „eine vollständige Ansicht der ganzen umgebenden Welt" (Μ I, 223), zwar noch „keine systematische Enzyklopädie, aber doch eine sehr umfassende und reichhaltige Ansicht" (Μ I, 242). Dieser Begriff der Enzyklopädie 4 erscheint später im Zusammenhang mit der Theorie des romantischen Romans, und unterstreicht die Idee der Universalität der epischen Weltsicht. Aber innerhalb dieses weitgefaßten Rahmens, sind es vornehmlich die Ereig8

Nach Bruno Markwardts Definition: „Gesetzmäßiges Verhältnis des Allgemeinen und des Einzelnen in der freien Darstellung." Klassik und Romantik, Bd. III, seiner Geschichte der deutschen Poetik (Berlin, 1958), 157. Schlegels eigene Kritik seiner frühen Objektivitätswut ist bekannt; vergl. L-F 7, 66, KSA II, 147, 155. 4 Zu dem von Diderot übernommenen Begriff der „Enzyklopädie", der nach Schlegels grundsätzlicher Umbildung zu einem Zentralbegriff seiner Kulturphilosophie wurde, vergl. E. Behler, „Kommentar", KSA XI, 273-274.

DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

15

nisse und Dinge des Lebens, die durch den gestaltenden Bericht des Sängers vermittelt werden. Daher erscheint es Schlegel berechtigt, wenn das Homerische Epos mit seiner „Genauigkeit, Umständlichkeit und Richtigkeit der historischen und geographischen Angaben" als Quelle der Altertumslehre diente (Μ I, 278, 303). „Die homerische Poesie dünkt sich nicht zu vornehm, alles Natürliche darzustellen" (Μ I, 263), gerade in ihrer „Menschlichkeit" erkennt Schlegel ihre Anziehungskraft. Noch in den Pariser Vorlesungen von 1803-04 betont er „die genaue Charakteristik des menschlichen Heldenlebens bis in die kleinsten Züge", die eingehende Beschreibung der „Sitten und Eigentümlichkeiten des Menschen von damals bis in die kleinsten Besonderheiten des gewöhnlichen Lebens" (KSA XI, 35). Wenn daneben auch „das Wunderbare" als ein „wesentlicher Bestandteil der epischen Dichtart" (Μ I, 224) angeführt wird, so liegt darin kein Widerspruch zu der grundsätzlichen Weltbezogenheit des Epos, da es ausdrücklich von der willkürlichen Erfindung abgesetzt und als das, was „reizendes Erstaunen" (Μ I, 292) erzeugt, bestimmt wird. Eine ähnliche Entgrenzung des epischen Weltbildes ergibt sich aus der Einbeziehung des bereits überlieferten Bildungsgutes durch „Beziehungen auf andere Sänger, auf ältere Lieder . . . auf schon bekannte Sagen" (Μ I, 256). Schlegel führt die Worte der Dichtung an, daß „vieles zu wissen, besonders aus der Vorzeit... ein großer Vorzug" sei (Μ I, 270). Aus dieser Vielseitigkeit der verknüpften Stoffeinheiten ergibt sich folgerichtig, daß der Hauptheld und die Haupthandlung nur in sofern bestimmend wirken, als sich analog zu der Anordnung „in einem schöngeordneten Gemälde die Nebengruppen um eine Hauptfigur gruppieren müssen", nur mit dem Unterschied, daß in dem „fließenden Gemälde, dem epischen Gedicht, die Gruppen wechseln" (Μ I, 222). Da der Held nicht die Entwicklung des Ganzen bestimmt, ist, nach Schlegels Ansicht, das Wort „Handlung" zur Erläuterung des Epos ungeeignet. Unter „Handlung" versteht Schlegel die „Wirkung einer freien Willensäußerung" oder die „notwendige Fügung des Schicksals", die mit einer vollendeten Ausführung dieser Handlung abschließen müsse, wie sie nur die Tragödie erreiche (Μ I, 288 ff.). Dagegen sieht Schlegel als Keimzelle des Geschehnisablaufs die „zufällige Begebenheit", die als „Glied einer endlosen Reihe, die Folge früherer, und der Keim künftiger Begebenheiten" sei (Μ I, 289). Der Bericht kann dabei Vergangenes, scheinbar Gegenwärtiges oder Zukünftiges oder die „Darstellungen der Unterwelt" (Μ I, 292) einbeziehen.

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DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

Aus dieser Charakterisierung des epischen Weltbildes als einer Vielheit von Einzelbegebenheiten, die durch den Zufall des Lebens bedingt erscheinen und sich notwendig auf den verschiedensten Schauplätzen abspielen, lassen sich die Kategorien von Zeit und Raum für die Entwicklung des epischen Geschehens als wesentlich erkennen. 1.1.2

Ausklammerungen

Von der Universalität des epischen Weltbildes werden zwei Aspekte ausdrücklich ausgeschlossen: das Lyrische und der Verweis auf etwas außerhalb der sinnlich erfaßbaren Welt Liegendes. Bedingt durch Schlegels vorromantisches Ideal der „schönen Objektivität" und der „grenzenlosen Allgemeinheit" mußte die persönliche Einmischung des Dichters in jeder Form als störend erscheinen. D a sich nun jede auch noch so episch behandelte und ausgeführte persönliche Äußerung des Dichters d e m Lyrischen nähert: s o ist es eine große Vortrefflichkeit des Epos, wenn das Werk auch nicht eine Spur v o n seinem Urheber enthält . . . ( M I , 294)

Der Ausschluß des Lyrischen wird durch die Erwägung belegt, daß der epische Sänger berichtet oder beschreibt, während erst einer späteren Entwicklungsstufe die lyrische Selbstentfaltung eigentümlich ist. „Der Dichter muß so wenig wie möglich reden", sagt Schlegel, „denn sofern er das tut, ist er nicht Nachahmer" (Μ I, 294). So wird die Vollkommenheit der Gesänge Homers nicht zuletzt auf die „gänzliche Reinheit von persönlichen und lyrischen Zusätzen" zurückgeführt, während Virgils Λneide „kein reines, ächtes Epos" ist, denn „die lyrischen Stellen bieten sich auch sichtbar und zahlreich genug dar" (Μ I, 302). Weiterhin sieht Schlegel in der Einbeziehung des Lyrischen eine Unterbrechung der natürlichen Zeitverhältnisse; „es entsteht dadurch ein Widerstreit in der epischen Darstellung, die kleinste lyrische Beymischung versetzt die Hörer in die G e g e n w a r t . . ( Μ I, 294). Für den „reinen Begriff" des klassischen Epos muß daher die „Äußerung eigner Empfindungen oder eigenthümlicher Beziehungen des Dichters" als nichtepisch angesehen werden.5 Schlegel vollzieht eine weitere Eingrenzung des epischen G r m ^ 5

Walter Bausch, der mit Beziehung auf F. Schlegels „frühere Ideen feststellt, daß von seiner Theorie des Epos eine direkte Verbindungslinie zur Theorie der Gattungsmischung" führt, schließt das Lyrische dabei nicht aus. Allerdings erwähnt er keine der oben angegebenen Belege. Vergl. Theorien des epischen Erzählens, 74-75.

DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

17

typus, wenn er betont: „kein Kenner der homerischen Poesie wird behaupten, er habe das Unendliche dargestellt, oder das Streben nach dem Unendlichen sei in ihm zum Bewußtsein gekommen" (Μ I, 223). Noch genauer sagt er: Selbst in denjenigen homerischen Stellen, wo die Deutung auf einen Gedanken in bildlicher Hülle am nächsten zu liegen scheint, findet sich nirgends auch nur die entfernteste Hindeutung auf eine alles erzeugende, alles erhaltende Urkraft. (Μ I, 242) Innerhalb der „Naturgeschichte" der griechischen Poesie erreichte erst das Sophokleische Drama das Ideal der Ganzheit, „das Höchste der Kunst", den „Schein des Unbedingten und Unendlichen in Stoff und Gestalt im Dargestellten und in der Darstellung . . . " (Μ I, 308). Daher unterscheidet Schlegel die epische Harmonie von der dramatischen Vollständigkeit (Μ I, 222). So weit bleibt für die Darstellung des Weltbildes im Grundtypus des homerischen Epos festzuhalten: die Universalität des Epischen bezieht sich auf die episodische Mannigfaltigkeit der Darstellung, auf Einbeziehung der Sagen und des Wissens, soweit es allgemein geglaubtes oder ererbtes Bildungsgut ist, oder auf der Erfahrung des Sängers beruht. Die Beschreibung des natürlichen Lebens, des sinnlich Faßbaren hat den Vorrang; dabei dient die Darstellung des Einzelnen aber dem Allgemeingültigen. Die Einheit ist nicht vornehmlich von der Problematik oder Handlung eines Haupthelden abhängig, sondern eine Fülle von Ereignissen wird vom epischen Sänger mit ruhiger Besonnenheit als Vergangenes berichtet. Daher sind die Kategorien von Zeit und Raum bestimmend. 1.1.3

Mythologie

Für die Einheit der Weltsicht der gesamten antiken Poesie wird die enge Verknüpfung mit der Mythologie als grundlegend erkannt. Dieser Begriff, der in Schlegels romantischen Theorien eine ungeheure Erweiterung erfahren sollte, ist bereits in der Epentheorie von Bedeutung. In seinem Aufsatz „Über das Studium der Griechischen Poesie" (17951796) heißt es: „Poesie und der Mythus war der Keim und Quell der ganzen antiken Bildung; die Epopöe war die eigentliche Blüthe der mythischen" (Μ I, 160). Die für das Epos wesentliche Funktion dieser Verschmelzung von Tradition, Nationalcharakter, dem Geglaubten und Gewußten, liegt gerade in der verallgemeinernden Tendenz der Mythologie. Durch sie wird die Poesie über den Zustand, „bloß Äußerung des eigenthümlichen Zustandes eines Einzelnen" (Μ I, 293) zu sein,

18

DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

hinausgehoben und allgemeinverbindlich. Schon bei der ersten Beschäftigung mit der Bedeutung des Mythos für die Poesie kommt Schlegel auf die beiden überlieferten Ansichten zu sprechen. Nach Aristoteles mache die „Erfindung und Gestaltung" der Fabel den Dichter, während „nach einer allgemein herrschenden . . . Meinung des platonischen Sokrates" der Mythos „das Wesen der Poesie" sei (Μ I, 293). Schlegel fügt dieser Feststellung hinzu, daß die so häuftige Verwechslung des geschichtlichen und des künstlerischen Begriffes des Mythos in der antiken Dichtung darin begründet sei, daß „ihr Gegenstand hier in der Tat nur ein und derselbe war: alle Sagen wurden poetisiert, und alle poetischen Erdichtungen gingen aus der Sage hervor". Die Funktion der antiken Mythologie gibt die spätere „Rede über die Mythologie" (1800) (KSA II, 311-323).« Die antike Mythologie wird jetzt definiert als „die erste Blüte jugendlicher Fantasie, sich unmittelbar anschließend und anbildend an das Nächste, Lebendigste der sinnlichen Welt" (KSA II, 312). Im Folgenden wird sie als „ein Kunstwerk der Natur" bezeichnet, in dem alles „Beziehung und Verwandlung" ist (KSA II, 318). Durch den Anschluß an die allgemein verbindliche Überlieferung wurde das Einzelwerk als organischer Teil des Schaffens einer Kulturepoche aufgenommen und erfuhr in reziproker Wirkung wiederum die Allgemeinverbindlichkeit, durch die der schöpferischen Leistung Wirkung und Bestand zuteil wurde. Es ist festzuhalten, daß Schlegel die antike Mythologie als ein aus der Tradition erwachsenes Kunstwerk der „Natur" ansah. Ihre Entstehimg erkannte er als früheste Leistung der menschlichen Phantasie. Die Methode der Mythologie bezeichnete er als die Fähigkeit des Anund Umbildens, das In-Beziehungsetzen der überlieferten Sagen mit der umgebenden Natur und der Sphäre der Götterwelt. Ihre Funktion beschrieb er als die Fähigkeit, die Einzelleistung in das organische Ganze des Weltverständnisses einer Kulturepoche aufzunehmen. 1.1.4

Naturpoesie

Die Dichotomie von Natur- und Kunstpoesie wird für den romantischen Roman wichtig. Herders Ansicht von der Poesie als „Muttersprache des Menschengeschlechts" muß als verbindlich vorausgesetzt werden, obwohl die Frühromantiker diese Idee noch bedeutend erweitern sollten.7 Wichtig ist für die Bestimmung des Epos innerhalb der •

Vergl. auch H. Eichner, „Einleitung", KSA II, xcl ff. Vergl. Marie Joachimi, Die Weltanschauung der deutschen Romantik (Jena u. Leipzig, 1905), 127 ff.; Η. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. III, Frühromantik,

7

DIE THEORIE DES NICHT-EPISCHEN ROMANS

19

Frühschriften der Begriff der Naturpoesie mit seinen verschiedenen Bedeutungserweiterungen. Einmal wird „Naturpoesie" als Sammelbegriff für die gesamte antike Dichtung angesetzt, weil sie nicht „als ein Werk der Kirnst erscheint, dessen Bewegungen nach der Richtung der Vernunft zweckmäßig bestimmt" sind, sondern „als Erzeugniss der Natur, welches sich, den Gesetzen aller lebendigen Kräfte gemäß" entwickelte, wuchs, blühte und sich wieder auflöste (Μ I, 313-314). Insbesondere wird in einer frühen Notizbucheintragung das Epos als griechische Naturpoesie bezeichnet.8 Hier erscheint also der Begriff der Naturpoesie in Beziehung zu einer bestimmten Dichtart. Schlegels Unterscheidung von Drama und Epos der Antike trägt zur Differenzierung der Kriterien bei. Das Drama erscheint Schlegel, weil es bereits unter dem Formzwang entsteht, „wie völlig losgerissen von der wirklichen Welt", es verdankt seine „innere Ganzheit selbstständiger Hervorbringung aus blossem reinem Schein" (MI, 311) und wird auf Grund dieser ästhetischen Autonomie als „poetische Kunst" bezeichnet. Obwohl der Sänger des Epos „schon unter dem aufgefaßten Stoff wählen,... frei mischen, ordnen und schmücken" (Μ I, 220) kann, unterliegt das epische Gedicht keinen strengen Gesetzen bewußter Formgestaltung, sondern zeichnet sich durch Anschluß an die Wirklichkeit aus, denn die Naturpoesie verrät „bis in die feinsten Adern durch Gestalt und Farbe den Boden, wo sie entsprungen ist" (Μ I, 265). Es bleibt festzuhalten, daß die „Naturpoesie" innerhalb der Schlegelschen Frühschriften einmal als Sammelbegriff für die antike Dichtung als organisches Ganzes erscheint. Spezifisch auf das Epos bezogen, ermöglicht er genauere Differenzierung. Die Naturpoesie schließt die bis ins Einzelne gehende bewußte künstlerische Gestaltung aus und ist daher nicht verstandesbestimmt. Die Naturpoesie ist nicht nach Vorbildern entworfen. Es eignet der Naturpoesie, daß sie ihre historische und geographische Abhängigkeit verrät.

1.2 FORM- UND STILELEMENTE DES EPISCHEN GRUNDTYPUS

Es ergibt sich folgerichtig aus der Charakterisierung des homerischen Epos als Naturpoesie, daß die Bestimmung der epischen Form eng mit 6. Aufl. (Leipzig, 1964), 271 ff.; die weitere Stellungnahme zu Schlegels Poesiebegriff ist durch das Sachregister zu Κ. K. Polheims Arabeske jetzt leicht zu erschließen. 8 Friedrich Schlegel: Literary Notebooks 1797-1801, hrsg. von H. Eichner (London, 1957), Nr. 884.

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der Darstellung des Weltbildes verwoben ist, und sich beides häuftig überschneidet. Bei seiner Auseinandersetzung mit der Epentheorie des Aristoteles und den Urteilen anderer Kritiker der Antike findet Schlegel sich in Ubereinstimmung mit vielen der bereits klassisch geworden Bestimmungen (Μ I, 225 ff., 314 ff.); er stellt aber auch heraus, wo er, von anderen Voraussetzungen der Kunstkritik ausgehend (Schlegel bemüht sich „den Grund der Kunsteintheilung... in der Natur des menschlichen Geistes selbst" (Μ I, 300) zu suchen),9 zu abweichenden Urteilen kommt (Μ I, 299). Er stimmt Aristoteles bei, der bereits die „epische Grenzenlosigkeit", die „Verschiedenheit des epischen Bildes und Gleichnisses vom lyrischen und tragischen" bestimmt habe, so wie zu treffenden Andeutungen über „Sprache, Rhythmus und Harmonie des epischen Gedichts" gekommen sei (Μ I, 225). Schon die hellenischen Kritiker hätten erkannt, daß das Epos in der Mitte beginnt. Schlegel möchte hinzufügen, daß es auch in der Mitte endigt (Μ I, 286). Wenn Schlegel seine eigenen Gedankengänge entwickelt, betont er die Einfachheit der Dichtart. „Sie ordnet eine unbegrenzte Vielheit möglicher, äußerer, durch ursächliche Verknüpfung verbundener Gegenstände durch Gleichartigkeit des Stoffes und Abrundung der Umrisse zu einer bloß sinnlichen Einheit" (Μ I, 222). Der lose Zusammenhang wird auch damit begründet, daß „hier jene Herleitung aller Fäden des Werkes aus einem Anfangspunkte, die Hinleitung auf einen Endpunkt fehlt" (Μ I, 287). Schlegel beschreibt die offene Form, wenn er feststellt, daß die Ilias und Odyssee „nur aufhören, nicht eigentlich schließen", und hinzufügt, daß in ihnen „die Fäden der Erzählung nie gänzlich abgeschnitten" seien (Μ I, 286). Schon im ersten Homeraufsatz formulierte er das Primat des Erzählinhalts, wenn er sagte: „Gebt dem epischen Dichter Raum und Zeit; er wird nicht eher enden, als bis er seinen Stoff erschöpft" hat (Μ I, 223, 290). Der Grundtypus der epischen Form ist daher der „epische Strom", der überall „zugleich Anspannung und Befriedigung" zeigt (Μ I, 223). In einer genauem Bestimmung fügt er hinzu: es werden „Erwartungen erregt und befriedigt, Knoten geschürzt und gelöst, Zwecke ausgeführt und Begebenheiten vollendet; es [das Epos] enthält Verwicklungen und Entwicklungen, ein sich entsprechendes Steigen und Sinken, Hervortreten und Zurücktreten, Vereinigungen und Gegensätze der wechselnden Gestalten im reichen fließenden Gemälde" (Μ I, 287). Das Postulat der epischen Harmonie, dem in Weltdarstellung und • Vergl. auch „Die Grundlage aller ästhetischen Wissenschaften ist die . . . Anthropologie ..." (Neue philosophische Schriften, 351-352).

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Form durch „Mannigfaltigkeit und Einheit" (Μ I, 134-135) entsprochen wird, findet sich auch im Stil bestätigt. Schlegel bezieht sich wiederum zum Teil bei seiner Beurteilung auf das epische Gedicht als Selbstaussage. „Sinn für A n m u t . . . für Harmonie der Rede und Erzählung", Anschaulichkeit, Bildlichkeit der Sprache und „schickliche und reizende Ordnung", Scheu vor allem Übermaß werden als Stilideale aus der Dichtung selbst aufgestellt (Μ I, 270). Die stilistische Harmonie der homerischen Epik wird außerdem mit dem ausgleichenden Rhythmus der Entwicklung begründet, wo „heitere und reine Darstellung . . . hinreißende Gewalt mit inniger Ruhe, die schärfste Bestimmtheit mit der weichsten Zartheit der Umrisse" vereinigt sind (Μ I, 127). Auch entsprechen die reiche Ausschmückung durch Beiwörter und Gleichnisse der epischen Fülle und Allgemeinheit. Durch die betonte Buntheit und Unterschiedlichkeit der Schilderung wird das Einzelne in ein vielgestaltiges Ganzes eingebettet. Demselben Prinzip entspricht es, daß sich der lyrische Dichter unter den gebildeten Mundarten für eine bestimmte entscheiden mußte, während es dem epischen Sänger, der „nicht schöne Eigentümlichkeit sondern unbestimmte Fülle darstellen" sollte, nicht gestattet war. Der Hexameter wird aus ähnlichen Gründen als das passendste Versmaß erkannt: „Seine Bewegung ist weder steigend noch sinkend, weder überspringend noch überfließend, weder männlich noch weiblich, weder gebunden noch zügellos. Eben so unbestimmt wie seine Richtung, ist auch sein Verhältnis der Kraft und Schnelligkeit" (Μ I, 226). Noch in der zusammenfassenden Rückschau der Pariser Vorlesungen betonte Schlegel die „Einheit und Einerleiheit" des epischen Stils im Vergleich zur Lyrik, und gab als Begründung, daß die epischen Sänger „alles erzählend und aus dem bloßen Gedächtnis" berichteten, während die Lyriker „ihre Gefühle musikalisch vortrugen" (KSA XI, 36). An Form- und Stilelementen bleibt festzuhalten: die betonte Einfachheit der Form beruht auf der ursächlichen Verknüpfung der Episoden zu loser, sinnlicher Einheit. Die Form ist offen, und da die Entwicklung nicht zielstrebig angelegt ist, wird die episodische Reihung nur durch das Erzählmaterial begrenzt. Als Grundtypus der Form ergibt sich der epische Strom, mit seiner zwar vielseitigen aber eindimensionalen Ausdehnung. Der Stil unterstützt das Prinzip von Mannigfaltigkeit und Einheit; das Übermaß der bunten, sinnlichen Beschreibung bedingt eine ausgleichende Allgemeinheit. Der Erzählrhythmus ist be10

Über Schlegels ästhetische Begriffe „Vielheit, Einheit, Allheit", vergl. Neue philosophische Schriften, 352-355.

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dingt durch den ursprünglichen Vortrag aus dem Gedächtnis, der ebenfalls dazu beiträgt, das Vielseitige einzuebnen.

1.3

D A S IDEAL D E S ROMANTISCHEN ROMANS

Bei dem Versuch, die Elemente der Weltdarstellung und der Form des von Friedrich Schlegel konzipierten Ideals des romantischen Romans von denen des epischen Grundtypus abzusetzen, zwingt die Fülle des vorhandenen Materials zur Vereinfachung durch Beschränkung auf die charakteristischen Belege.11 Das erscheint berechtigt, da das Ziel dieses Teils der Untersuchung nicht die Schlegelsche Ästhetik ist, sondern der Nachweis von spezifichsen Elementen des romantischen Romans, die als entwicklungsgeschichtlich bedingte Abweichungen vom Grundtypus des Epos auf das besondere Anliegen des Romans der Periode verweisen sollten. Es erscheint angebracht, hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der Entwicklung in Schlegels ästhetischen Ansichten vorauszuschicken, da sie zum Verständnis der frühromantischen Romantheorie und der damit verbundenen eigenwilligen Terminologie beitragen. Wie aus der vorausgehenden Epentheorie ersichtlich wurde, vertrat Schlegel in seiner Frühzeit ein ästhetisches Ideal der klassischen Objektivität, in teilweiser Anlehnung an Kants Begriff von der Kunst, die in Schlegels Terminologie als „freies Spiel ohne bestimmten Zweck" (Μ I, 103)12 erscheint. Schlegels zunehmende Beschäftigung mit der nachklassischen Literatur, d.h. besonders der Literatur von Dante bis Shakespeare, so wie der zeitgenössischen Literatur und Philosophie, führten zu seiner „Antithese der modernen ,interessanten' und der an11

Ausführliche Studien zu den frühromantischen Romantheorien liegen vor in Wolfgang Meinhardt, „Die Romantheorie der älteren Romantik unter besonderer Berücksichtigung Friedrich Schlegels" (Diss., Göttingen, 1955); H. Eichner, „Friedrich Schlegel's Theory of Romantic Poetry", PMLA, LXXI (1956), 10181041 (künftig: Eichner, „Theory"); Κ. Κ. Polheim, Arabeske·, W. Bausch, Theorien des epischen Erzählens·, Helmut Schanze, „Friedrich Schlegels Theorie des Romans", in Deutsche Romantheorien: Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland, hrsg. und eingel. von R. Grimm (Frankfurt/Main, 1968), 61-80. 12 Damit soll nicht gesagt sein, Schlegel sei Kantianer gewesen; schon Marie Joachimi bemerkte, daß Schlegel von den philosophischen Systemen verwertete was „seiner progressiven Vernunft zu bestimmten Zeiten seines Werdegangs entsprach". Hauptsächlich sei er Idealist gewesen (Weltanschauung, 9). Vergl. auch Carl Enders, Friedrich Schlegel: Die Quellen seines Wesens und Werdens (Leipzig, 1913), passim; Neue philosophische Schriften, 9-23.

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tiken ,objektiven' Poesie". Die Künstlichkeit der modernen Epoche war nach Schlegels damaliger Ansicht die Folge der zunehmenden Herrschaft des analysierenden Verstandes, der das vereinzelnde Interesse am Individuellen und Charakteristischen bewirkte (Μ I, 101114). Bekanntlich beschäftigte sich Schiller zur selben Zeit mit ganz ähnlichen Gedankengängen; das Thema lag seit der Quereile des andern et des modernes für alle ästhetisch interessierten Denker nahe.14 Schlegels positive Bewertung der modernen Dichtung konnte erst erfolgen, als er das ästhetische Ideal einer im Kunstwerk vollzogenen Synthese von Ideal und Wirklichkeit, die das „interesselose Wohlgefallen" bedingte, mit der Kunst als Hindeutung und progressiver Annäherung an das Ideal, das Unbedingte, ersetzte.15 Die Genealogie der Theorie wurde von Hans Eichner auf der Basis der von ihm edierten Notizhefte „Fragmente zur Litteratur und Poesie", „Ideen zu Gedichten" und „Fragmente zur Poesie und Litteratur II und Ideen zu Gedichten" (1797-1801)16 nachgezeichnet.17 Das Wesentliche dieser Untersuchung ist der chronologisch genaue, wie auch theoretisch exakte Beweis, daß für die Zeit der Athenäumsfragmente und Schlegels „Gespräch über die Poesie" die Begriffe „romantische Poesie" und „Romanpoesie", wie auch „Roman", praktisch identisch sind. Daraus ergibt sich die Folgerung, daß zur genaueren Bestimmung der Idealform des romantischen Romans das programmatische 116. Athenäums-Fragment herangezogen werden kann.18 In dieser Beziehung ist festzuhalten, daß Schlegels Benutzung des Wortes „romantisch" oft zweideutig ist. Besonders in der Periode der allmählichen Entwicklung der früh-romantischen Theorien erscheint das Adjektiv sowohl in chronologischer Bedeutung (besonders für die i» Vergl. Josef Körner, Romantiker und Klassiker: Die Brüder Schlegel in ihren Beziehungen zu Schiller und Goethe (Berlin, 1924), 31-32. 14 Die beste Zusammenfassung des Schiller-Schlegel Verhältnisses mit ausführlichem Literaturverzeichnis jetzt in H. Eichner, „Einleitung", KSA II, x-xvii, Ausführlich, Körner, Romantiker und Klassiker, passim. 15 Die Ansätze dazu lassen sich bereits in der nachträglich, und unter dem Eindruck von Schillers Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung" geschriebenen „Vorrede" zum Studiumaufsatz erkennen. Vergl. etwa Μ I, 82. 16 Η. Eichner sagt in seiner Einleitung zu diesen von ihm edierten Notizheften: „These notebooks provide us with our only record of the development of the theory of the Roman which Schlegel proclaimed in the Athenäum as the gospel of romantische Poesie, and contain the original versions of many of his published Fragmente" (Literary Notebooks, 6). 17 Eichner, „Theory". Vergl. jetzt auch Helmut Schanzes Essay, der auf F. Schlegels spätere Abwendung von dem Roman als wichtigster Gattung der Moderne eingeht: „Theorie des Romans", 61-80. 18 Eichner, „Theory", 1034.

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Periode von Dante bis Shakespeare), wie auch in Bezug auf dichtungstheoretische Aspekte. Damit vermischen sich die bereits durch die Überlieferung übernommenen Bedeutungen.19 Für den Umkreis dieser Untersuchung ist es wichtig, daß „romantisch" im Zusammenhang mit „romantische Poesie" als Synonym für „Romanpoesie" und „Roman" als Ingrediens die Bedeutung von „romanartig" enthält.20 Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „modern" (KSA II, 335). Die so bezeichnete Dichtung hat, nach Schlegel, die Charakteristika des modernen Kulturzyklus: sie ist ausdrücklich verstandesbetont kritisch, und hat das Interesse am Charakteristischen, Vereinzelten; im besten Fall aber auch „Tendenzen" zur romantischen Poesie im idealen Sinne. In der Theorie der Idealform des romantischen Romans wie sie im „Brief über den Roman" und im 116. Athenäums-Fragment als Resultat der in den Notizheften festgehaltenen Entwicklung erscheint, konzentrieren sich wie in einem Prisma bedeutende literatur- wie auch kulturgeschichtliche Einflüsse des letzten Drittels des achtzehnten Jahrhunderts: (1) Herders bedeutende Anregungen der von Schlegel rezensierten 7. und 8. Abteilung der „Humanitätsbriefe" (KSA II, 47-54). (2) Das Interesse für die gesamte europäische Literatur, das durch eine ständig zunehmende Übersetzungstätigkeit, an der die Frühromantiker selbst so aktiv beteiligt waren, das Vorbild von Dante, Ariost, Boccaccio, Tasso, Cervantes und Shakespeare fruchtbar machte. (3) Die durch die Verbesserung des Druckereiwesens stark angewachsene Trivial- und Unterhaltungslektüre, die bei Schlegel — wie bereits bei Goethe und Schiller — zu dem Bemühen führte, dieser Entwicklung entgegen zu wirken und den Roman zum Rang des Kunstwerks zu erheben.41 " Die beste Zusammenfassung der Entwicklung und Bedeutung von „romantisch" mit ausführlichen Literaturangaben jetzt Eichner, „Einleitung", KSA II, lii-lviii. Für die gesamt-europäische Entwicklung der Terminologie vergl. Ren6 Wellek, „The Concept of Romanticism in Literary History", PMLA, X X I X (1924), 229-253. 20 Vergl. Eichner, „Theory", 1040. 11 Ein genaues Bild von dem ungeheuren Anwachsen der Unterhaltungslektüre gibt Marion Beaujean, Der Trivialroman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Bonn, 1964), 178. Schlegels Ablehnung der bloßen Unterhaltungsromane geht aus seiner Bestimmung der „sogenannten Romane" hervor. Auch Wolfgang Preisendanz sieht in Schlegels Betrachtung des Humors als Formprinzip, wie er im Vorbild des englischen Romans längst vorlag, eine Abwehr gegen die Gefahr der Überwindung der Phantasie durch die „Eigenbewegung" und „Eigengesetzlichkeit" des Stoffes, mit dem Resultat, daß die Kunst „als solche annihiliert . . . in empirischen Materialismus" versinken könne. Humor als dichterische Einbildungskraft: Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus (München, 1963), 28.

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(4) Goethes Wilhelm Meister. (5) Die seit Kants Kritik der Urteilskraft ungemein aktive Beschäftigung mit der Ästhetik. (6) Die gegen den Empirismus und den beginnenden Materialismus gerichtete Philosophie des Idealismus. Der Roman, wie er Friedrich Schlegel vorschwebte, hatte kulturphilosophische Zwecke, die in der Überbrückung aller isolierenden Tendenzen des modernen Zeitalters gipfelten. Er geht darauf aus, „die geistige, sittliche und gesellschaftliche Bildung wieder mit der künstlerischen zu vereinen" (KSA II, 80). Obwohl diese Absichten für das Verständnis der Theorie von Bedeutung sind, können sie hier nicht berücksichtigt werden. 1.3.1

Das Weltbild des Romantischen Romans

Die Theorie des romantischen Romans bezieht sich nicht, wie die des Epos, auf ein tatsächlich bestehendes literarisches Werk, sondern ist Desiderat der „produktiven Kritik" und Aufgabe für die Zukunft.22 Das Ideal des romantischen Romans war das Ergebnis von zwei Denkansätzen: einmal Herders Einsicht, daß im Mischgedicht des Prosaromans die für den Zyklus der modernen Kulturepoche typische Ausdrucksform gegeben sei;23 zum anderen, daß die als vorbildlich erkannte Dichtung, nämlich die romantische, sich auf Werke der italienischen Renaissance, z.B. Ariost, Boccaccio, sowie auf Cervantes und Shakespeare bezog.24 Demzufolge entsprechen die Kriterien der Weltdarstellung ebenfalls diesen beiden Ansätzen. Das Wesensmerkmal 22 Vergl. dazu „Eine Kritik, die nicht, sowohl der Commentar einer schon vorhandnen, vollendeten, verblühten, sondern vielmehr das Organon einer noch zu vollendenden, zu bildenden, ja anzufangenden Litteratur wäre. Ein Organon der Litteratur, also eine Kritik, die nicht blos erklärend und erhaltend, sondern die selbst producirend wäre, wenigstens indirekt durch Lenkung, Anordnung, Erregung" (F. Schlegel, „Einleitung" zu Lessings Geist aus seinen Schriften [Leipzig, 1804], Π, 10-11). 25 Vergl. „Keine Gattung der Poesie ist von weiterem Umfange als der Roman; unter allen ist er auch der verschiedensten Bearbeitung fähig: denn er enthält oder kann enthalten nicht etwa nur Geschichte und Geographie, Philosophie und die Theorie fast aller Künste, sondern auch die Poesie aller Gattungen und Arten — in Prose. Was irgend den menschlichen Verstand und das Herz intereßiret, Leidenschaft und Charakter, Gestalt und Gegend, Kunst und Weisheit, was möglich und denkbar ist, ja das Unmögliche selbst kann und darf in einem Roman gebracht werden, sobald es unseren Verstand oder unser Herz intereßiret. Die größesten Disparaten läßt diese Dichtungsart zu: denn sie ist Poesie in Prose" (Herder, Sämmtliche Werke, hrsg. von B. Suphan [Berlin, 1883], XVIII, 109-110). 24 Vergl. Eichner, „Theory", 1022.

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des Modernen, so hieß es bereits im Studiumaufsatz, ist das „Ubergewicht des Individuellen, Charakteristischen und Philosophischen . . (Μ I, 103). Dem Charakteristischen entspricht das realistische Detail. So betont Schlegel im „Brief über den Roman", daß der romantischen Poesie „wahre Geschichte zum Grunde" liegt, und fügt hinzu, daß sie im Historischen begründet sei.25 Und selbst die „sogenannten Romane", d.h. die vom Kunstwerk zu unterscheidende Unterhaltungslektüre, wird noch nach der „Masse von eigener Anschauung und dargestelltem Leben" bewertet (KSA II 337).2e Das ebenfalls der modernen Epoche zugehörige „Individuelle" hat an der Weltdarstellung im romantischen Roman bedeutenden Anteil. „Individualität" ist für Schlegel „innrer lebendiger Zusammenhang", „der eigentliche Wert" des Menschen (KSA II, 320). Zu Beginn des „Gesprächs über die Poesie" heißt es in diesem Zusammenhang, „daß kein Mensch schlechthin nur Mensch ist, sondern zugleich auch die ganze Menschheit wirklich und in Wahrheit sein kann und soll" (KSA II, 286). Schlegel meint damit eine Ergänzung und Bereicherung der eigenen Anlagen durch einen ständigen Austausch mit andern geistigen Wesen (KSA II, 286). So erklärt sich auch der hohe Wert, den Schlegel dem Bekenntnis innerhalb des Romans zumißt (KSA II, 337; L-F 78, KSA II, 156), wie auch die Feststellung, daß es überflüssig sei, mehr als einen Roman zu schreiben, wenn der Künstler nicht etwa ein neuer Mensch geworden" sei (L-F 89, KSA II, 158). Im „Brief" tritt schließlich der Anspruch auf „wahre Geschichte als Fundament aller romantischen Dichtung" in Beziehung zu der Darstellung der Eigentümlichkeit des Dichters, wenn es heißt „das Beste in den besten Romanen [sei] nichts anders... als ein mehr oder minder verhülltes Selbstbekenntnis des Verfassers, der Ertrag seiner Erfahrung, die Quintessenz seiner Eigentümlichkeit" (KSA II, 337). Neben dem großen Anteil, den Schlegels Theorie der künstlerischen Selbstdarstellung beimißt, betont die bekannte Definition des „Briefes", daß das Romantische durch einen „sentimentalen Stoff in fantastischer Form" (KSA II, 333) gekennzeichnet ist. Das Sentimentale zählt zu den Begriffen Schlegels, die nicht nur von der modernen Bedeutung abweichen, sondern eigenwillige Prägungen darstellen, die aus dem Zusammenhang erschlossen werden müssen. Was das Verständnis zusätzlich erschwert, ist, daß derselbe Begriff oft ohne Erklärung im gleichen M

Vergl. KSA II, 334, 337; Literary Notebooks, Nr. 491. Vergl. auch Victor Lange, „Friedrich Schlegel's Literary Criticism", CL, VII (1955), 299.

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Text in unterschiedlicher Bedeutung angewendet wird. Im „Brief" unterscheidet Schlegel „sentimental" als Benennung dessen, „was auf eine platte Weise rührend und tränenreich ist" (KSA II, 333), von dem Begriff des Sentimentalen, den er in seiner spezifisch romantischen Bedeutung zu klären bemüht ist.27 Er umschreibt den Begriff als „das was uns anspricht, wo das Gefühl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar, sichtbar schweben" (KSA II, 333-334). Vorausgehend wurde das Sentimentale mit der Musik in Beziehung gesetzt; im Folgenden wird dieser Gedanke weitergeführt, als der „heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berührt". Die Musik als noch ganz unmittelbarer Ausdruck des Gefühls ist das erklärende Bindeglied. Die wahre Dichtung, sagt Schlegel, sollte sich bemühen, auf ähnliche Weise dieses „unendliche Wesen" zu gestalten.28 Die Vielfalt der konkreten Welt hat sich also verflüchtigt und ist nun die Funktion der „Hindeutung auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphe der Einen, ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur" (KSA II, 334).29 Inhalt ist zur symbolischen Form geworden, wie wir später sehen werden, daß Form zum Inhalt wird. Ernst Behler sagt: Das Eigentümliche dieser symbolistischen Weltbetrachtung ist, daß in ihr ein Bild des von der „Kausalität der Liebe" durchpulsten Organismus der Welt entsteht. Alles, die ganze Welt wird Bild, Darstellung, Ikone des U n endlichen. Gott erscheint als Künstler, das Universum als sein Kunstwerk, und der Universalpoet als derjenige, der sich in die poetischen Gedanken 27

Vergl. Körner, Romantiker und Klassiker, 80-81. H. Eichner weist die wesentlichen Ideen nach, die für die Übernahme und Umdeutung des Schillerschen Begriffs vom „Sentimentalischen" für Schlegel wichtig sind („Theory", 1025). Vergl. auch Eichner, „The supposed Influence of Schiller's .Über naive u. sentimentalische Dichtung' on Friedrich Schlegel's .Über das Studium der griechischen Poesie'", GR, XXX (1955), 260-264. Darauf aufbauend, Bausch, Theorien des epischen Erzählens, 99 ff. 28 Wolfgang Meinhardt schließt aus der vorausgehenden Beziehung auf die Musik, daß Schlegels „sentimentale Dichtung" mit einem „Verzicht auf Erweckung von gegenständlichem oder stofflichem Interesse" verbunden sei („Romantheorie", 150). Carl Enders hatte bereits darauf hingewiesen, daß unter den vielen Anregungen, die Schlegel aus Hemsterhuis' Philosophie übernahm, die Idee der Beziehung zwischen Musik und unmittelbarer Ausdruckskunst von besonderer Bedeutung war. Vergl. F. S.: Die Quellen, 238. Auch der Einfluß von Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, die Schlegel schätzte, spielt bei seiner Auffassung des Sentimentalen sicherlich mit. Vergl. Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hrsg. von Oskar Walzel (Berlin, 1890), 385 (künftig: Walzel, Briefe). » Vergl. auch Oskar Walzel, Romantisches (Bonn, 1934), 106 ff.

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Gottes hineinversetzt und in den Symbolen der Natur die unbegreifliche Unendlichkeit erahnt.80 Soweit ist bei der Weltdarstellung des romantischen Romans festzuhalten: die Dinge der Welt erscheinen nicht als Eigenwert, sondern als Funktion des Verweises auf ein Höheres. Das Individuelle, besonders in der Form des Bekenntnis, steht im Vordergrund. Die Weltdarstellung ist eine durch die Selbstenfaltung des Dichters gefilterte Sicht. Das „Sentimentale" des Romanstoffes erwies sich durch die Analogie zur Musik als Umsetzung von Inhalt in Form. 1.3.1.1

Moderne Universalität

Durch die Forderung der „Universalität" wird die Weltdarstellung des Romans ins Unendliche erweitert. Dieser Begriff, wie der ähnlich umfassende Terminus der „Enzyklopädie", verweist auf die Bestrebungen, alle modernen Lebensäußerungen im Kunstwerk des Romans zu vereinen. In einer seiner Notizen beschreibt Schlegel den Roman als „Vereinigung zweier Absoluten, der absoluten Individualität und der absoluten Universalität".81 Die Ansätze dazu glaubte Friedrich in Wilhelm Meisters Lehrjahre zu erkennen (KSA II, 134). Die Belege zur Universalität in Friedrichs romantheoretischen Schriften greifen in jedes Wissensgebiet über. Zur Absetzung vom Epos, das er als „eine sehr umfassende und reichhaltige Ansicht der hellenischen Welt" bezeichnet hatte (Μ I, 242), helfen einmal die Hinweise auf Shakespeares Universalität (A-F 247, KSA II, 206), zum anderen die Zusammenfassungen des 116. Athenäums-Fragments. Bereits in der Meisterrezension wurde Shakespeare als Beispiel eines Dichters herangezogen, der das Elementarste der Poesie mit dem Zustand höchster Vergeistigung vereinen konnte (KSA II, 139). Das Athenäums Fragment 253 betont die „vollständigste Individualität und die vielseitigste, alle Stufen der Poesie von der sinnlichsten Nachahmung bis zur geistigsten Charakteristik vereinigende Darstellung" (KSA II, 208). Die zunehmende Verlagerung vom Konkreten zum Abstrakten zeigt sich schon hier. Im AthenäumsFragment 116 erscheint als das neue Element des Begriffs der Universalität ebenfalls die Betonung der geistigen Gehalte, besonders die Vereinigung von „Poesie und Philosophie", „Genialität und Kritik", sowie die Einbeziehung von „gediegenem Bildungsstoff" (KSA II, 182). Da 80

Ernst Behler, „Friedrich Schlegels Theorie der Universalpoesie", JDSG, (1957), 223 (künftig: Behler, „Universalpoesie"). al Literary Notebooks, Nr. 434.

I

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in der Antike Kunst und Wissenschaft getrennte Gebiete waren, da Schlegel ferner glaubte, daß die Möglichkeiten für sie als Einzeldisziplinen erschöpft seien (I 108, KSA II, 267), sah er in ihrer Verbindung eine der wichtigsten Aufgaben für den Roman.32 Das über den epischen Grundtypus Hinausgehende ist, daß der Roman die ständig wachsenden Ergebnisse des konzeptionellen Denkens in die Darstellung aufnehmen sollte. Dazu kommt als das Resultat der im Werk verwirklichten Verbindung von Poesie und Wissenschaft die Betonung von besonnener Gestaltung und Kritikfähigkeit. Umgekehrt erschien es Schlegel, daß nur durch die sinnliche Gestaltung der Poesie die neuen Ergebnisse des menschlichen Denkens wiederum auf den Menschen in seiner ungeteilten Ganzheit wirken könnten (KSA XI, 10-11). Unter anderen hatten besonders die Vorbilder von Don Quijote und Wilhelm Meister als Anregungen gedient. Schon im Ly-

ceums-Fragment 120 sagte Schlegel: „Wer Goethes Meister gehörig charakterisierte, der hätte damit wohl eigentlich gesagt, was es jetzt an der Zeit ist in der Poesie" (KSA II, 162). Die neue Dimension, die nach Schlegels Sicht mit diesen Vorbildern für den romantischen Roman eröffnet wird, ist die einer im Werk selbst dargestellten Kunstkritik. Wenn der Dichter, wie Goethe in seiner Hamlet-Rezension des Meisters die Kritik darstellend poetisiert, ist das Resultat „Poesie der Poesie".83 Eine weitere Möglichkeit der Potenzierung eröffnet sich, wenn der Roman sich in der Form der Selbstreflektion, wie ζ. B. Don Quijote, auf sich selbst als Kunstwerk zurückbezieht. Durch die Forderung der Verschmelzung von Poesie und Wissenschaft im romantischen Roman wird demnach die Weltdarstellung von der ursprünglichen Darstellung des Geschauten, Erlebten, Überlieferten und Erfahrenen auf die Darstellung der Ergebnisse der menschlichen Denktätigkeit hin erweitert. Als neue Themenkreise ergaben sich Kritik, Theorie und künstlerische Selbstreflexion. 1.3.1.2

Moderne

Mythologie

Bei der Charakterisierung des homerischen Epos in Schlegels Frühschriften hatte der enge Zusammenhang zwischen Mythos und Epos eine wichtige Rolle gespielt. Mit zunehmender Einsicht in die moderne Kulturepoche, wurde das Fehlen der allgemeinverbindlichen Welt32

Die reichhaltige Literatur zum Thema der Verbindung von Kunst und Wissenschaft verzeichnet Polheim in seinen Anmerkungen (Arabeske, 72-84). 33 Vergl. Eichner, „Theory", 1024 und Anm. 15.

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schau als wesentlicher Grund der Zersplitterung der Literatur erkannt. Da Friedrich Schlegel in den Jahren von 1797 bis 1801 dem Roman die kulturpädagogische Aufgabe der Überwindung aller vereinzelnden Tendenzen der modernen Epoche zuwies,34 wurde auch die Wiederbelebung und Neugestaltung einer Mythologie zur Forderung für den romantischen Roman.35 Schlegels Theorien gehen auf literarhistorische Erkenntnis zurück, die sich durch Vorbilder belegen lassen. So sah er die Tendenzen zur erneuerten Mythologie ζ. B. in Boccaccio und besonders in Dante (KSA II, 327). Im Boccaccio Aufsatz (KSA II, 373-396) sagt er bei der Besprechung des Filopono als Romanvorläufer, es zeige sich eine „Neigung widerstrebende Dinge zu vereinigen" und ein Versuch, „die katholische Ansicht in der Sprache der alten Mythologie auszudrücken" (KSA II, 380). Besonders aufschlußreich ist der Zusatz, den der Aufsatz in der späteren Umarbeitung erfuhr.36 Dort heißt es: Denn eben diese Idee liegt auch seiner Poesie zum Grunde; wie sich dieses teils in mancher nicht vollkommen gelungenen Anwendung der alten Göttersymbole und Fabeln zeigt, noch mehr aber in dem Streben, welches er mit mehreren Dichtern jener älteren Schule t e i l t e , . . . auf dem Wege der Allegorie aus dem romantischen Stoff seiner Zeit, eine neue und eigne Art von Mythologie hervor zu gestalten. (KSA II, 388, Anm. 4)

Das entscheidende Beispiel einer für seine eigene Zeit verbindlichen Mythologie gab ihm Dante. So läßt er Andrea im „Gespräch über die Poesie" sagen: „Gewiß ist Dante der einzige, d e r . . . eine Art von Mythologie wie sie damals möglich war, erfunden und gebildet hat" (KSA II, 327). Als Tendenz der eigenen Epoche, aus der er auf eine Regeneration einer allgemein verbindlichen symbolischen Weltauffassung schloß, sah er das „Phänomen des Zeitalters", den Idealismus (KSA II, 313, Anm. 17). Zu dem Prinzip der Verstandestätigkeit in der Form der idealistischen Philosophie als These sollte der Spinozismus, als „Vermögen der Naturanschauung" (KSA II, 313-315) als Antithese stehen, um zur Synthese eines „neuen Realismus" zu führen. Dieser neue Realismus sollte in der Poesie verkörpert werden; daß er dabei den 34

Behler, „Universalpoesie", 211-214. Vergl. Literary Notebooks, Nr. 1565,1771. Für die umfassendste Stellungnahme zu Schlegels „Rede über die Mythologie", vergl. Walzel, Grenzen der Poesie und Unpoesie (Frankfurt/Main, 1937), 126-136. Literaturnachweis siehe Polheim, Arabeske, 126, Anm. 124. 36 F. Schlegel, Sämmtliche Werke, Bd. X (Wien, 1825), 3-36; jetzt als Varianten in KSA II, 373-396. 35

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Roman im Sinne hatte, geht aus der Form der Arabeske hervor, die sowohl für die Mythologie, wie auch für den Roman maßgeblich wird. Diese optimistische Spekulation der neuen Mythologie, die alle Zeiterscheinungen synthetisieren sollte, nannte Schlegel das „künstlichste aller Kunstwerke"; ihm sollte die Aufgabe zufallen, „ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime aller anderen Gedichte verhüllt" (KSA II, 312) zu werden. Für die Methode der Darstellung dieser neuen Mythologie verweist Schlegel auf die Ähnlichkeit mit „jenem großen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Einfällen, sondern in der Konstruktion des Ganzen sich zeigt..." (KSA II, 318). Er erwähnt die „künstlich geordnete Verwirrung", „Symmetrie von Widersprüchen", den „Wechsel von Enthusiasmus und Ironie", und endet schließlich die Beschreibung der Organisation der neuen Mythologie mit dem Hinweis auf die Arabeske (KSA II, 318-319). Hier sind bereits alle so paradox erscheinenden Schlüsselbegriffe des romantischen Romans zusammengetragen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, daß es sich in jedem Beispiel um eine Kombination von bewußten und instinktiven Gemütskräften handelt, die in einen scheinbar spielerischen, regellosen Zusammenhang gebracht werden sollen. Die Funktion der neuen Mythologie ist im Wesentlichen: die Totalität des modernen Weltverständnisses nicht zu erklären, sondern „sinnlich geistig" zur Anschauung zu bringen. Die ererbten Bildungswerte sollten verjüngt, und die neuen „poetisiert" werden. Das Neue an dieser Idee der modernen Mythologie ist der bewußte Einschluß der zeitgenössischen Denksysteme und wissenschaftlichen Erkenntnisse, so wie die Absicht, eine Symbolik des Weltverständnisse durch die Poesie zu schaffen. 1.3.1.3

Natur- und Kunstpoesie

Es war eine Grundansicht der Frühromantiker, daß vor der Poesie als besonderer Ausdrucksweise des Menschen die Poesie bereits als unbewußtes schöpferisches Element die Natur durchflutete (KSA II, 285).87 Neben diesem nicth-literarischen Begriff steht die Naturpoesie, wie sie als charakteristisch für das Epos definiert wurde. Hier wurden 87

Vergl. dazu Ernst Behler: „Hier ist alles als Poesie verstanden. Beide Brennpunkte der Ellipse, in denen die idealistische Philosophie das Sein erfaßte, die Natur sowohl als das Ich, durchpulst unbewußtes geniales Schöpfertum, bei dem die Natur als großes Gedicht und Kunstwerk der Gottheit, das Ich als weltendichtende Phantasie erscheint" 0»Universalpoesie", 215).

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als Charakteristika (1) die instinktive Gestaltung, (2) die Unabhängigkeit von Kunstregeln, (3) das vorbildsfreie Schaffen und (4) die enge Verbundenheit mit der geschichtlichen Zeit und dem geographischen Raum festgehalten. Darüber hinausgehend fordert das 116. Athenäums-Fragment für den romantischen Roman Mischung und Verschmelzung von Natur- und Kunstpoesie.38 So werden die antonymen Funktionen der Naturpoesie erschlossen und erweitert. An den großen Vorbildern des romantischen Romans wird ohne Ausnahme die besonnene künstlerische Gestaltungskraft hervorgehoben. „Da man schon anfängt, den Shakespeare39 nicht mehr für einen rasend tollen Sturm- und Drangdichter, sondern für einen der absichtsvollsten Künstler zu halten", sagt Schlegel in den Notizen des Athenäums, „so ist Hoffnung, daß man sich entschließen werde, auch den großen Cervantes nicht bloß für einen Spaßmacher zu nehmen, da er, was die verborgene Absichtlichkeit betrifft, wohl ebenso schlau und arglistig sein möchte, wie jener.. ."(KSA II, 282-283).40 Bei der Besprechung von Boccaccios Decamerone wird das Werk als „mit Verstand ersonnen und verständig ausgeführt" bezeichnet, und hinzugefügt: „Wo sich solcher Verstand vereinigt zeigt mit der instinktmäßigen Gewalt über das Mechanische, die wohl schon allein aber mit Unrecht Genie genannt wird, da und nur da kann die Erscheinung hervorgehen, die wir Kunst nennen" (KSA II, 373). Als Beispiele der Naturpoesie des verstandesbetonten Zeitalters nennt Schlegel im „Brief" den „Humor eines Swift, eines Sterne" (KSA II, 331), der für de moderne Epoche als natürlicher Ausdruck der „gelehrten Stände" angesehen werden kann. Für die romantische Poesie als Synthese der Natur- und Kunstpoesie gilt, daß sie „als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür41 des Dichters kein Gesetz über sich leide".42 Daraus darf 38

Vergl. Eichner, „Einleitung", KSA Π, lx. " Ausführlich zu Shakespeare als Vorbild für die Romantik und der damit verbundenen Vorstellung des Romanbegriffs, wie sie im achtzehnten Jahrhundert weit verbreitet war, siehe Eichner, „Einleitung", KSA II, lvii. 40 Vergl. auch S. 22; schon 1796 spricht Schlegel hier in Bezug auf Shakespeares Tempest von „selbstständiger Darstellung einer durch die Schöpferkraft des Dichters hervorgezauberten Welt". 41 Oskar Walzel hatte bereits nachgewiesen, daß die Frühromantik häufig das Wort „Willkür" im Sinne von Kants „arbitrium liberum" anwendete, also als freie sittliche Selbstbestimmung verstand. Die neuere Schlegelkritik zeigt hier Übereinstimmung. Verg. Literaturnachweis Polheim, Arabeske, 114-115, Anm. 104. 48 Vergl. auch Schlegel in Beziehung zur Tragödie: „Eine freie Handlung fängt an mit einem Machtspruch der Willkür, der, wenn er auf äußere Zufälligkeiten gerichtet ist, Absicht genannt wird, und sie schließt mit der vollendeten Ausführung dieser Absicht" (Μ I, 289).

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man nicht auf eine Proklamation der Regellosigkeit schließen. Schlegel meint hier lediglich eine Freiheit von dogmatischen Kunstregeln. Schon in den Frühschriften wurde der Naturpoesie des Epos, als Produkt einer früheren Kulturstufe, das vollendete Kunstwerk der Sophokleischen Tragödie gegenübergestellt; da sie keine Erwartung errege, die sie nicht befriedige, da in ihr „Erfindung und Ausführung, schaffende Einbildung und ordnendes Urteil gleichmäßig vereint" seien (Μ I, 301). Bereits hier wurde der Wert vollkommener Gestaltung gegenüber dem instinktiven künstlerischen Ausdruck betont. Der Unterschied zum idealen Kunstwerk der Romantik liegt nur darin, daß die ordnende Einheit nun nicht mehr vom Stoff ausgeht, sondern in die individuelle Sicht des Dichters verlegt ist. Goethe diente wiederum — ob berechtigt oder unberechtigt — als Vorbild. Schlegel sagt, „so wie Goethe dichtet, heißt nach Ideen dichten, in demselben Sinne, wie Plato fordert [sie], daß man nach Ideen leben soll." (KSA II, 344) In anderen Worten, der Dichter soll dem Urbild des Ideals folgen. Seine individuelle, daher notwendig begrenzte, Darstellung im Werk kann aber das Ideal nie erreichen, sondern nur darauf verweisen. (Das Bewußtsein dieser Diskrepanz zwischen „Bedingtem und Unbedingtem" ist die Grundlage für Schlegels Ironiebegriff.)43 Auch über die Kunstpoesie gibt Goethes Meister, „an dem alle Künstler ewig zu studieren haben werden", genauere Hinweise, da dieser Roman von Schlegel „der materiellen Entstehimg nach [als] ein Studium nach Romanen" angesehen wird. Dabei wird der Charakter einer wahren Nachbildung als Voraussetzung des Kunstwerkes darin gesehen, daß das Vorbild „nur Reiz und Mittel [ist], den Gedanken von dem was er bilden will, individueller zu gestalten" (KSA II, 344). In dieser Verjüngung literarischer Vorbilder liegt eine wesentliche Erweiterung des epischen Grundtypus, der als vorbildsfreie, natürliche Gestaltungsform des Sängers galt. Die Forderung, daß die Naturpoesie ihre historische und geographische Entstehungsart verrate, sollte auch für die Idealform des romantischen Romans Gültigkeit haben, sofern sie „ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters" sein will (KSA II, 182). Doch wird durch die grundsätzliche Verlegung der Gestaltung 43

Zu dem Spezialthema der romantischen Ironie siehe besonders R. Immerwahr, „The Subjectivity or Objectivity of Friedrich Schlegel's Poetic Irony", GR, XXIV (1951), 173 ff.; Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung (Tübingen, 1960); Ernst Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel", HegelStudien, II (1963), 216 ff.; Oskar Walzel, „Methode?: Ironie bei Friedrich Schlegel und bei Solger", Helicon, I (1938), 33-50; Bernhard Heimrich, Fiktion und Faktionsironie in Theorie und Dichtung der deutschen Romantik (Tübingen, 1968).

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von einer weltbezogenen zu einer individuellen Sicht, auch diese Forderung der persönlichen Perspektive untergeordnet. Durch die Vereinigung von Natur- und Kunstpoesie im romantischen Roman erscheinen als neue Tendenzen: die Verbindung von instinktiver und besonnener künstlerischer Gestaltung mit besonderer Betonung der bewußten Konstruktion; die Begründung der Einheit des Werkes durch die individuelle Sicht des Dichters, der nach „Ideen" gestaltet, d. h. nach seinem Verständnis des Ideals; die Verjüngung literarischer Vorbilder, die als Anregung dienen. Zu der bereits festgestellten Betonung geistiger Gehalte für die Weltdarstellung des romantischen Romans kommt also noch die Assimilierung des literarischen Bildungsgutes. Zunehmend zeichnet sich das Synthesestreben ab. 1.3.2 1.3.2.1

Die Erscheinungsformen des romantischen Romans

Arabeske

Als formales Equivalent für das universale, transzendentale und progressive Weltbild, dessen Darstellung der romantische Roman verwirklichen sollte, übernahm Schlegel den Begriff der Arabeske. 44 Auf dessen Bedeutung für die Schlegelsche Poetik ist die Kritik verschiedentlich eingegangen; zuletzt, und absolut erschöpfend, durch Κ. K. Polheim, auf dessen umfassende Studie hier ausdrücklich verwiesen wird.45 Es sollen daher nur die Wesenszüge zusammengetragen werden, die zur Absetzung der Romanform vom Grundtypus des Epos wesentlich sind.48 Dabei müssen zwei Erwägungen vorausgesetzt werden. Einmal, 44 Oskar Walzel hat als erster darauf hingewiesen, daß Goethes Aufsatz „Von Arabesken", der nach seiner Rückkehr aus Italien im Teutschen Merkur (1798) erschien, der Romantik den Begriff vermittelte. Goethe, der den Begriff auf die bildende Kunst anwandte, änderte bereits den Begriff der „Grotesken", die etwas „Künstlerisches" bezeichneten, zu dem der „Arabesken", da der Begriff „Groteske" eine Bedeutungsverschlechterung erfahren hatte. Goethe hatte bereits die Arabesken als ,Ausdruck der Fröhlichkeit und der Lust am Schmuck" bezeichnet. Walzel führte weiter aus, daß Schlegels Umsetzung des Begriffs für die Literatur, und die Verbindung mit „witzige Spielgemälde" auf Goethes Aufsatz zurückzuführen sei, daß Schlegel aber durch die Verbindung mit seiner Romantheorie den Begriff zu etwas Werthaltigem erweiterte. Grenzen von Poesie und Unpoesie, 142146. 45 Arabeske. Einzelabschnitte aus Kapitel III und VII des 1966 erschienenen Buches bereits in „Studien zu Friedrich Schlegels poetischen Begriffen", DVLG. X X X V (1961), 363-398. 44 Es erscheint berechtigt, sich dabei auf den „Brief über den Roman" zu beschränken, da dieser Aufsatz als zusammenhängendes Dokument sowohl die Hauptquelle für die Romantheorie, wie für den Begriff der Arabeske in seiner Beziehung zum Roman ist.

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daß Schlegels Bemühungen um die Idealform des romantischen Romans gleichzeitig die Negierung der überhand nehmenden Trivialliteratur einschloß; und zum anderen, daß der Roman das auf der idealistischen Philosophie basierende kulturpädagogische Programm in künstlerischer Form verkörpern sollte.47 Diese Ideen waren von Bedeutung für die Wahl der Vorbilder, wie auch mitbestimmend für die Form, die dem realistischen Erzähltypus so grundsätzlich entgegengesetzt ist. Hieraus erklärt sich ferner, daß zwischen dem „bunten Allerlei von kränklichem Witz" Jean Pauls und dem noch unerfüllten Ideal der „wahren Arabeske" eine große Bedeutungsdifferenz besteht.48 Man muß bei Schlegel bereit sein, der Leser zu werden, der dynamisch „entgegenwirkend" mitgeht, mit dem, was der „synthetische Schriftsteller vor ihm stufenweise werden" läßt (L-F 112, KSA II, 161). Es sei hier zusammengefaßt, wie sich der Arabeskensbegriff im „Brief" graduell entwickelt. Aus einer Stellungnahme gegen die „sogenannten Romane", die nur die niederen Instinkte des Lesers ansprechen, erwächst die Definition der Arabeske als „eine ganz bestimmte und wesentliche Form oder Äußerungsart der Poesie". Auf die konstitutiven Strukturen dieser Form darf aus den vorausgeschickten Gedankenentwicklungen geschlossen werden. Einführend wurden die „Grotesken und Bekenntnisse" Jean Pauls in Schutz genommen als „ die einzigen romantischen Erzeugnisse" des Zeitalters. Das „Groteske" — hier ohne Bedeutungsverschlechterung — deutet auf die „rein willfür· liehe oder rein zufällige Verknüpfung von Form und Materie".49 Dieser Gedanke wird weiterentwickelt mit dem Hinweis auf Sternes Humor als „eben keine idealisch schöne", so doch eine „geistreiche Form", deren Wert darin erkannt wird, daß sie die Phantasie anregt und so der „inneren Bildung" dienlich ist. So entwickelt sich aus der Ablehnung der Trivialliteratur die Betonung eines Romantypus, der durch Ansätze einer bewußten Formgebung eine, wenn auch geringe, doch immerhin 47

Ernst Behler, der den Wert dieser Absicht Schlegels für die „Bedeutung des Romans und seine einzigartige Stellung im modernen Geistesleben" nicht unterschätzt, hielt ihn jedoch für einen Versuch, mit dem der Denker Schlegel sich überforderte; er fügt aber hinzu, daß dabei trotzdem „glänzende Fragmente über das Wesen und die Arten der Kunstform entstanden" („Universalpoesie", 214). 48 Κ. K. Polheim unterscheidet die Verschiedenartigkeit der Bedeutung als die der „real-praktischen Wirklichkeit" und die der „ideal-theoretischen Möglichkeit" (Arabeske, 141). Walter Benjamin nennt Schlegels Art des Denkens „begrifflich". Er beruft sich dabei auf Schlegels Aussage, die die Reflexion als den intentionalen Akt absoluter Erfassung, und den Begriff als die Ausdrucksform dieses Aktes sah (Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik [Bern, 1920], 39). « Vergl. A-F 389, KSA Π, 238, und A-F 305, KSA Π, 217.

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ästhetische Wirkung erzielt. In der Verbindung von Diderots Jacques le jataliste mit dem Arabeskenbegriff wird erwähnt, das Werk sei „mit Verstand angelegt"; wie aus der Gegenüberstellung von Natur- und Kunstpoesie klar wurde, ist das eine Tendenz zum Kunstwerk, wenn auch noch keine „hohe Dichtung". Daher wird der Roman als „bloße" Arabeske angesehen. Soweit erscheint die Arabeskenform als eine Gestaltung, in der durch willkürliche und durch zufällige, also dem freien Verstandesakt, wie auch der Eingebung der Phantasie folgende Verbindung von Form und Stoff eine ästhetische Wirkung erzielt wird. Die Entwicklung des Arabeskenbegriffs im „Brief" erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Selbstdarstellung als die „wahre Arabeske" bezeichnet wird. Über die Formbestimmungen der modernen, verstandesbetonten Epoche hinausgehend, wird nun die Arabeske der spezifisch romantischen Idealform nahegebracht. „Eine solche Theorie des Romans würde selbst ein Roman sein müssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergäbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte" (KSA II, 337). Schon bei der Definition der Arabeske aus der „Rede über die Mythologie" wird die Ähnlichkeit der Mythologie mit dem „großen Witz der romantischen Poesie" durch eine Reihe antithetischer Gegenüberstellungen bekräftigt. Alles deutet auf einen Versuch, auch das Gegensätzlichste zu umfassen. Die Ausführungen über Tiecks Sternbald als Arabeske (A-F 418, KSA II, 245) stimmen hierin überein; zusätzlich wird hier die „fantastische Fülle" betont. Auffällig sind in jedem Falle die eigentümlichen Zusammenfassungen wie „Chaos",60 „fantastische Fülle", „künstlich geordnete Verwirrung". Es läßt sich in Übereinstimmung mit Κ. K. Polheim feststellen: „Arabesk ist jene durch die Dichtungskraft (oder durch die Einbildungskraft oder den Witz) hervorgebrachte Form, in der sich die unendliche Fülle ahnungsweise manifestiert."51 Die Aufgabe des idealen Kunstwerkes ist somit, durch die in ihm dargestellte Mannigfaltigkeit auf die für den Menschen immer unfaßbar bleibende unendliche Fülle zu verweisen. Im Gegensatz zum Epos, dessen Form die Gestaltung der sinnlich erfaßbaren Welt war, ist die Idealform des romantischen Romans die

50

Bei Schlegel erscheint der Begriff des Chaos sowohl im gebräuchlichen Sinne der Verworrenheit, hauptsächlich aber im Zusammenhang mit der romantischen Poetik als „fruchtbares Chaos", aus dem, wie bei Plato, der Eros den Kosmos zieht. Vergl. I 18: „Den Geist des sittlichen Menschen muß Religion überall umfließen, wie sein Element, und dieses lichte Chaos von göttlichen Gedanken und Gefühlen nennen wir Enthusiasmus" (KSA II, 258). 51 Arabeske, 57.

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Allegorie, d. h. symbolische Verweisung. Hiermit verbindet sich die Forderung für das wahrhaft Romantische als das, „was uns einen sentimentalen Stoff in einer fantastischen Form darstellt" (KSA II, 333). Aus diesem symbolischen Verweisungscharakter erklären sich die spezifischen Strukturen des romantischen Romans. Eine Voraussetzung für die Darstellung der Fülle und Mannigfaltigkeit ist die Gattungsmischung. Als Verknüpfungsmethode des Heterogenen erklärt sich die „witzige Konstruktion", und als Modus der Verweisung auf das Unendliche erscheint die transzendierende Reflexion, so wie gewisse Aspekte der Ironie. 1.3.2.2

Die witzige

Mischung

Ansätze zur Gattungsmischung53 waren bereits im Grundtypus des homerischen Epos durch die Verbindung von Bericht und Dialog vorhanden, obwohl Schlegel in den Frühschriften mit der Absicht der Charakterisierung der reinen Formen, gerade das Differenzierende der Gattungen unterstrich. Aber die Einbeziehung des Lyrischen wurde ausdrücklich als wesensfremd betont, oder als Verfallserscheinung des späten Epos betrachtet. Auch im „Brief" heißt es: Es ist dem epischen Stil nichts entgegengesetzter als wenn die Einflüsse der eigenen Stimmung im geringsten sichtbar werden; geschweige denn, daß er sich seinem Humor so überlassen, so mit ihm spielen dürfte, wie es in den vortrefflichsten Romanen geschieht. (KSA II, 336)

Neue Elemente sind der Einschluß des Lyrischen und die damit verbundene Möglichkeit, daß die Erzählhaltung des Berichtens zu der einer Gestaltung der eigenen Gefühls- und Verstandeswelt übergeht. Darüber hinaus, ist die Idealform des Romans in Analogie mit der Idee der unendlichen Fülle die faßbare Erscheinung des „Kontinuums der Formen"64 und demzufolge auch eine Mischung der historisch entwickelten Einzelformen wie, ζ. B., Legende, Romanze und Novelle.55 Wo eine derartige Mischung nicht vorhanden ist, handelt es sich, nach Schlegel, bereits um eine Abweichung vom Ideal (KSA II, 336). 52

In den Frühschriften unterschied Schlegel noch nicht zwischen Allegorie und Symbol. Vergl. Doris Starr, Über den Begriff des Symbols in der deutschen Klassik und Romantik: Unter besonderer Berücksichtigung von Friedrich Schlegel (Reutlingen, 1964), 48. Vergl. auch 63. 55 Gattung ist hier im Sinne der Grundformen des Epischen, Dramatischen und Lyrischen verstanden. 54 Vergl. W. Benjamin, Kunstkritik, 89. 55 Vergl. etwa Literary Notebooks, Nr. 2047.

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An Stelle der kausalen Verknüpfung des antiken Epos tritt im arabesken romantischen Roman die auf den Enthusiasmus der Phantasie beruhende „witzige Konstruktion".56 Der zugrundeliegende Begriff des Witzes hat, ähnlich wie das „Sentimentale" oder die „Arabeske", ein weites Bedeutungsfeld, und muß daher jeweils aus dem Zusammenhang bestimmt werden. Dabei ist der heute übliche Sinn der verstandesmäßigen Äußerung scherzhafter Einfälle nur selten zutreffend. Auch die im achtzehnten Jahrhundert weitaus gebräuchliche Bedeutung des Witzes als Verstand oder Klugheit, ist nur vereinzelt in der Zeit der Formulierungen der romantischen Romantheorie anzutreffen. Dagegen greift Schlegel häufig auf die Bedeutung des Witzes als „eines menschlichen Erkenntnisvermögens, und zwar als eines der höchsten geistigen Organe",87 zurück. In diesem Sinne bedeutet „Witz" das Vermögen der Phantasie, blitzartig Zusammenhänge des scheinbar Verschiedenartigen und oft Widersprüchlichen aufzuweisen.59 Aus diesem kombinatorischen Vermögen des Witzes läßt sich die Verknüpfung des arabesken Romans erschließen.59 Werner Brüggemann erläutert den Witz der Cervantischen Romanform, die der Frühromantik als das wesentliche Vorbild galt: „Durch die verwirrende Vielfalt formaler Mittel wird die Wirklichkeit durch die Kunst neu geordnet und in Beziehung gesetzt zu einem Bereich, der selbst nicht mehr sichtbar und greifbar ist."90 Aus der witzigen Konstruktion erklärt sich die Verbindung des Ungleichen, oft geradezu Widersprüchlichen, wie Scherz und Ernst, Komik und Tragik.« 1.3.2.3

Reflexion und Progression

Gleichsam als Antithese zu der auf der Phantasie beruhenden divinatorischen Erkenntnis der Zusammenhänge, steht die aus dem bewußten Denkvorgang hervorgehende Reflexion.62 Die Reflexion geht zurück s« Vergl. Literary Notebooks, Nr. 407. « Vergl. Behler, „Kommentar", KSA XI, Anm. 192, S. 301 ff. 58 Vergl. I 26, KSA II, 258; A-F 37, KSA Π, 171. 59 Vergl. Literary Notebooks, Nr. 1709. ·· Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik (München, 1958), 82. 81 Vergl. Brüggemann, Cervantes, 52-53. 82 Vergl. „In dem edleren und ursprünglichen Sinne des Worts Korrekt, da es absichtliche Durchbildung und Nebenausbildung des Innersten und Kleinsten im Werke nach dem Geist des Ganzen, praktische Reflexion des Künstlers, bedeutet ..." (A-F 253, KSA II, 208). Die grundlegende Studie zu der Bedeutung der Reflexion innerhalb der frühromantischen Kunsttheorie hat W. Benjamin gegeben

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es

auf die Methode, die, wie Schlegel noch 1803 sagte, „das freie Selbstdenken zu einer Kunst organisiert hat",64 d. h., auf Fichtes philosophische Reflexion, die von ihm in den Schriften zur Wissenschaftslehre entwickelt wurde.65 Grundlegend ist die Idee des Aktes der Intelligenz, die sich selbst zum Bewußtsein erhebt und sich so zum Objekt wird; auf der zweiten Stufe des reflektiven Vorgangs entsteht das Denken des Denkens, und damit die Methode einer progressiven Denktätigkeit,66 die ins Unendliche fortgesetzt werden kann.67 In der Umsetzung dieser progressiven Denktätigkeit auf die Darstellung, die sich innerhalb des Kunstwerkes reflektierend auf sich selbst zurückbezieht und auch diesen Rückbezug darstellend verwirklichen kann, entsteht die poetische Reflexion. In der Forderung dieser konstitutiven Struktur für das Ideal der Romanpoesie liegt vielleicht die entwicklungsgeschichtlich bedeutendste Abweichung vom epischen Grundtypus.88 Im Athenäums-Fragment 116 heißt es: U n d doch kann auch sie [die romantische Poesie] am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen (Kunstkritik). Vergl. auch Erika Voerster, die aus dem Reflexionsbegriff die „Einlage" des romantischen Romans ableitet (Märchen und Novellen, 83-119). Besonders aufschlußreich durch die Absetzung des Ironiebegriffs innerhalb der Reflexion und durch Stellungnahme zu den wichtigsten Auseinandersetzungen mit dem viel diskutierten Begriff der romantischen Ironie ist B. Heimlich, Fiktion und Fiktionsironie, 44-67, 135-139. M Josef Körner weist darauf hin, daß in dem Einleitungsaufsatz der Zeitschrift Europa, dem dieses Zitat entnommen ist, Schlegel ausdrücklich Fichtes Methode lobt, während er sich von der Philosophie Fichtes längst abgewandt hatte (Neue philosohische Schriften, 15-16). Zur Unterscheidung von Fichtes und Schlegels Reflexionsbegriff vergl. Benjamin, Kunstkritik, 27-28. ·« Europa: Eine Zeitschrift, hrsg. von F. Schlegel, Bd. I, II (Frankfurt, 1803-1805); Neudr. hrsg. von E. Behler (Darmstadt, 1963). Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 1794; Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, 1795; Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, 1797. · · Vergl. J. G. Fichte, Sämtliche Werke, hrsg. von I. H. Fichte (Berlin, 1845-1846), I, 71 ff., 366. 67 Walter Benjamin hat bereits darauf hingewiesen, daß es sich bei Schlegels Umsetzung der progressiven Reflexion in die Idee des „ewigen Werdens" nicht um einen Vorläufer der Ideologie des „Fortschritts" handelt, sondern um ein qualitatives Werden eines „unendlichen Erfüllungsprozesses" (Kunstkritik, 81-82). 68 In Beziehung auf den Einfluß von Fichtes Philosophie sagte Rudolf Haym bereits: „Wir lernen mit ihr ein allerwichtigstes Moment nicht bloß der Bildung Friedrich Schlegels, sondern der Wendung unserer Literatur vom Klassizismus zur Romantik kennen" (Romantische Schule, 248). Der Bereich der poetischen Reflexion berührt sich mit dem der romantischen Ironie, da die Reflexion häufig—jedoch nicht ausschließlich—die Verwirklichung des ästhetischen Prinzips der Ironie übernimmt. Die neuere Schlegelforschung hat

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Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren u n d wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. (KSA II, 182-183)

In den Funktionen der poetischen Reflexion eröffnet sich die Möglichkeit, die Hauptideen der neuen Kunstanschauung im Roman zu verwirklichen. Durch die ihr eigentümliche Bewegung, die Progression, läßt sich die kunstphilosophische Idee des Hinweises auf das Absolute89 im Kunstwerk objektivieren. Schlegel sagte dazu: I n der antiken K u n s t erscheint das in sich harmonische Leben als in der Wirklichkeit erfülltes, ihr Geist ist realistisch; in der romantischen Kunst ist das Leben in seinem begeisterten Triebe dargestellt, sich mit d e m höchsten Elemente zu vermählen, d u r c h welches ihm erst die Vollendung zuteil werden kann; ihr Geist ist dualistisch u n d idealistisch. I n jener herrscht d a s Sein, in dieser das Werden. 7 0

In engem Zusammenhang hierzu steht die Idee der symbolischen Form, die im Endlichen der Gestaltung auf das Unendliche allegorisch verweisen soll (KSA II, 414). Die poetische Reflexion ermöglicht weiterhin die Verwirklichung der Transzendentalpoesie, die „in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein" soll (A-F 238, KSA II, 204).71 Durch dieses Transzendieren des Kunstwerkes über sich selbst kann die Einbeziehung von Kritik und Theorie vollzogen werden. Da die reflexive Entfaltung „in immer neuen Betrachtungen jede gegebene Bewußtseinsstufe von einem höheren Standort"72 zurückspiegelt, scheint damit ein zunehmend vertieftes Verständnis der Zusammenhänge potenzierend ermöglicht. „Das Romangedicht kann so oft potenziert werden als man will.. ,"73 sich ausführlich mit der Richtigstellung dieses grundlegenden Begriffs der romantischen Ästhetik befaßt. Ingrid Strohschneider-Kohrs referiert in ihrer umfassenden Darstellung die vorausgehende Kritik (Romantische Ironie). Bernhard Heimrich grenzt sowohl Ironie und Reflexion, wie auch die Konvention der Ironie, die spezifische romantische Abwandlung und die „Fiktionsironie" überzeugend ab (Fiktion und Fiktionsironie). Da die poetische Reflexion in der Darstellung nachweisbar ist, beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf diesen Aspekt. Sofern die literarische Konvention des ironischen Spiels mit der eigenen Erzählweise gemeint ist, wird Heimrichs Ausdruck „Fiktionsironie" übernommen. ·» Vergl. Heimrich, 52-55. 70 „Zu Jean Pauls Vorschule der Ästhetik", Wiener Allgemeine Literatur-Zeitung (Juli 1814), Nachdr. NRs, LX (1957), 661. 71 Vergl. dazu Neue philosophische Schriften, 357. I. Strohschneider-Kohrs behandelt die poetische Reflexion vom Gesichtspunkt der romantischen Ironie; zu A-F 116 und 238 vergl. Romantische Ironie, 47-50. 72 W. Benjamin, Kunstkritik, 87. 71 Literary Notebooks, Nr. 814.

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Gleichviel ob die Reflexion als entfaltender Gedankengang oder als bereits in Darstellung absorbierte Spiegelung erscheint, in jedem Falle muß sie eine Auflösung der Dimension des epischen Flusses ins Multidimensionale bewirken. Trotz der im „Brief über den Roman" betont hohen Einschätzung des Realen, Wirklichen, Bekenntnishaften ist die Folge der aus diesem Stoff des Lebens hervorgehenden poetischen Reflexionen notwendig eine zunehmende Abstraktion. Das ist ganz besonders der Fall, wenn sich die Reflexion des Werkes auf sich selbst als Darstellung bezieht und somit Form zum Inhalt wird.74

1.3.3

Endergebnis: Nicht-epische

Elemente

Bei der Abwandlung des epischen Grundtypus zur romantischen Romantheorie ergab sich, daß sich die Themenkreise überschneiden und die Ergebnisse in einigen wichtigen Veränderungen zusammenfallen: betonter Einschluß des Wissens, des Bekenntnishaften und Individuellen; statt bloßer Weltvermittlung, Entfaltung einer Idee des persönlichen Weltverständnisses; Idee einer künstlichen Mythologie durch Verjüngimg des Kulturgutes; Form als Selbstaussage; statt des epischen Flusses die Arabeske als symbolische Form. Als spezifisch nicht-epische Verknüpfungsmethoden ergaben sich der kombinatorische Witz und die Reflexion mit den darin enthaltenen Momenten der romantischen Ironie, die eine bewußte Darstellung der Kunst als Kunst befördern. Es erscheint angebracht, in Anlehnung an Schlegels eigene Methode der Verbindung von Geschichte und Theorie, noch aufzuweisen, wo diese vom epischen Grundtypus abweichenden Züge der romantischen Romantheorie sich mit kultur- und literaturgeschichtlichen Strömungen überkreuzen. Seit Herders Briefen zur Beförderung der Humanität war die Erkenntnis, daß im nachklassischen Kulturzyklus die Verstandestätigkeit bei der literarischen Schöpfung eine wesentliche Rolle spielt, eine verbreitete These.75 Damit traf sich von der Romantheorie ausgehend die Forderung nach Einschluß des Gedankenguts, ζ. B., naturwissenschaftlicher, ästhetisch-poetologischer oder philosophischer Art. Der im achtzehnten Jahrhundert zunehmend höheren Bewertung des Individuums, die in der Französischen Revolution ihre politische Aus74

Bernhard Heimlich sieht in dieser „Tendenz hin zur,reinen' Form" die Anfänge der modernen Ästhetik (Fiktion und Fiktionsironie, 139). 75 Herder, Sämmtliche Werke, XVIII, 59 ff.

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Wirkung erlebte, entsprach in der Theorie die Betonung der persönlichen Perspektive, wie auch der Einschluß des Lyrischen. Sofern sich auch hier das Verstandesbetonte dem instinktiven Ausdruck überordnete, verschob sich der Erlebnis- oder Geschehnisbericht zu der bewußten Gestaltung des persönlichen Weltverständnisses. In den Rahmen der idealistischen Philosophie, als Reaktion auf den aufkeimenden Materialismus, fügt sich die Idee der künstlichen Mythologie. Diese im Roman zu verwirklichende Assimilierung und Verjüngung des Bildungsgutes kann als Ausdruck des frühromantischen Strebens betrachtet werden, die „Sachwelt durch die wertschaffende Persönlichkeitswelt" zu ersetzen.76 Das seit der Aufklärung wache Interesse an der Ästhetik,77 das durch Kants Kritik der Urteilskraft noch verstärkt wurde, trifft sich mit dem Bestreben der Romantheorie, den Prosaroman zur vollgültigen Kunstform zu erheben.78 Das Abwerten des Stoffes und die Betonung der formalen Aspekte erscheinen als natürliche Folgen dieser Bestrebung. In Analogie zur Transzendentalphilosophie erscheint Schlegels Auffassung der Kunst als Andeutung des Unendlichen.79 Dem entspricht in der Romantheorie die Forderung der symbolischen Form der Arabeske mit ihren Strukturen der Reflexion und des kombinatorischen Witzes, als allegorischer Verweis auf das Universum. In der vom Epischen so stark abweichenden eigenwilligen Konzeption des romantischen Romans erschließt sich die optimistische Absicht, durch die Kunst das „Leben zu poetisieren".80 Sowohl in dieser idealen Absicht und in dem Ideenreichtum des theoretischen Ansatzes, wie in der scheinbaren Unfähigkeit, die Wirklichkeit gestaltend zu bewältigen, hat der deutsche romantische Roman eine eigentümliche Ähnlichkeit mit seinem literarischen Vorbild, Don Quijote. Soweit der romantische Roman in der Praxis die neuen Tendenzen völlig oder teilweise verwirklichte, müssen Interpretationen, die vom 78

Erwin Kircher, Die Philosophie der Romantik (Jena, 1906), 57. Carl Enders Forschungen über die literarische Betätigung der Schlegelschen Vorfahren zeichnet ein treffendes Bild {Friedrich Schlegel, 16 ff.). 78 Bekanntlich sah Schiller noch den Romanschriftsteller als „Halbbruder" des Dichters (Schiller, Werke [Frankfurt, 1966], IV, 331). 79 Bernhard Heimlich nennt als weitere Beispiele für das „Motiv des Transzendentalen" in der Kunstauffassung der Romantik „die frühromantische KunstReligiosität überhaupt", „Schellings Bestimmung der Kunst als .Darstellung des Absoluten im Besonderen'" und „Solgers Verständnis der Kunst als ,wirkliche Erscheinung der Idee'" (Fiktion und Fiktionsironie, 47). 80 „Vereinigung der Schönheit, Wahrheit, Sittlichkeit, Gesellschaftlichkeit — durch den Roman" (Literary Notebooks, Nr. 188). 77

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Epischen ausgehen, notwendig zu negativen Beurteilungen führen und können dem neuen Formwillen nicht gerecht werden. Die folgenden Interpretationen romantischer Romane werden daher, jeweils von Analysen der Eigengesetzlichkeit, der Form und der Struktur der Themen ausgehend, versuchen aufzuweisen, wie weit im einzelnen Werk die spezifisch romantischen Elemente, besonders die nicht-epischen Elemente, verwirklicht sind.

II FRIEDRICH SCHLEGELS LUCINDE1

Neben der angeblichen Unsittlichkeit der Lucinde,2 war es vor allem die Form des Werkes, die bei Freund und Feind Anstoß erregte. August Wilhelm sprach von dem „Unroman",3 Wilhelm Dilthey nannte die Lucinde „ästhetisch betrachtet ein kleines Ungeheuer",4 und August Korff, der den Roman wegen seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung als „dichterische Verklärung der Ehe" würdigte, stellte fest, daß sich Schlegel durch die Form „um den Ruhm gebracht" habe; 5 ähnlich heißt es in Η. H. Borcherdts Der Roman der Goethezeit, daß der Wert des Werkes, dieser „Mischung von Poesie und Unpoesie", nicht in der künstlerischen Formung sondern „in der Eigenart der hier vorgetragenen Gedankenwelt" ruhe.9 Die grundsätzliche Ablehnung der Form beruht zum Teil auf der Tatsache, daß ein Werk, das sich zur Gattung „Roman" zugehörig bekennt, ganz selbstverständlich als epische Darstellungsform beurteilt wird. Der Lucinde fehlt aber gerade das Wesentliche des Epischen, das Gerüst einer fortschreitenden, „von einer Strebekraft durchwirkten Handlung".7 Erst durch die analogen Experi1 Für die Interpretation wurde der von Hans Eichner besorgte Bd. V der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe (München, Paderborn, Wien, 1962) benutzt. Der informativen und schönen Einleitung dieses Bandes verdankt diese Arbeit viele Anregungen und Hinweise. Die Ausgabe wird unter dem Sigel KSA zitiert; Zitate werden durch Seitenzahl in Parenthese fortlaufend im Text gekennzeichnet. 2 Das Urteil der meistens empörten Zeitgenossen hat Paul Kluckhohn referiert. Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik (Halle, 1922), 414. ' Caroline: Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die Familie Gotter, F. Schlegel, J. Schelling u. a., hrsg. von G. Waitz (Leipzig, 1871), 244. * Leben Schleiermachers (Berlin, 1870), 492. 5 Geist der Goethezeit (Leipzig, 1964), III, 90-97. » (Urach, Stuttgart, 1949), 430. 7 Eberhard Lämmert, Bauformen des Erzählens (Stuttgart, 1955), 21. Vergl. Emil Ermatinger, Das dichterische Kunstwerk: Grundbegriffe der Urteilbildung in der Literaturgeschichte (Berlin, 1921), 172; Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik (Zürich, 1946), 115; Paul Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung (Hamburg, 1965), I, 62.

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mente des nach neuen Darstellungsmöglichkeiten suchenden modernen Romans, wie sie ζ. B. in den Werken von James Joyce, Virginia Woolf, Robert Musil oder Hermann Broch vorliegen, wird die Form der Lucinde als früher „Typenentwurf"8 eines sowohl anti-prosaischen wie anti-sentimentalen Romans interessant. Die Form der Lucinde ist, in Ubereinstimmung mit dem Postulat der Arabeske als Idealform des romantischen Romans, eine Mischung aller Dichtarten.® Die „Lehrjahre", sowie ein Teil der Briefe, können als Beispiele epischen Berichtens angesehen werden, die allegorischen Komödien und der Dialog „Treue und Scherz" als die dramatischen Elemente, während der Dialog „Sehnsucht und Ruhe", der zum großen Teil im jambischen Rhythmus verfaßt ist, sowie die Metaphorik der „Metamorphosen", den lyrischen Beitrag liefern. Natürlich haben eine ganze Anzahl von Romanen, vorzüglich der große Anreger Wilhelm Meister, lyrische oder dramatische Einlagen. Das Neue der Form der Lucinde muß also darin gesehen werden, daß die nicht-epischen Abschnitte nicht in das Handlungsgerüst integriert erscheinen, sondern ein absolutes Eigenleben führen. Sie werden nur durch den Bezug auf die Idee, auf den „geistigen Zentralpunkt".10 dem Werkcharacter des Ganzen eingeordnet. Das epische Geschehen erscheint hier nicht mehr als Bindeglied, sondern als Einzelteil unter vielen Einzelteilen; im Falle der „Lehrjahre" noch dazu durch den Wechsel zur Er-Form, betont isoliert. Durch diese auf weite Strecken bewußte Aufhebung der geschichtlichen Entwicklung wird für die Gestaltung Orientierung durch Zeit und Raum entwertet. Η. H. Borcherdt bemerkte, daß Schlegel auf „formalen und intellektuellem Wege" dasselbe gelang, was „Novalis durch Einbeziehung der Märchenwelt erreicht hat".11 8

Dieser von Franz K. Stanzel geprägte Begriff erscheint für Schlegels Lucinde besonders zutreffend. Stanzel erläutert: „Solche meist nur skizzenhaft ausgeführte Typenentwürfe sind bezeichnenderweise fast immer dualistisch oder antithetisch angelegt. Man konstituiert einen Anti-Typus als Gegenbild, von dem dann durch Kontrast und Vergleich der Prototypus, . . . herausgearbeitet wird. Ein typologisches Verfahren dieser Art war den Autoren aller Epochen der Geschichte des Romans vertraut. Es erklärt die wiederkehrenden Gegenüberstellungen von history und romance bei Fielding, von novel und romance bei Congreve, Clara Reeve und Hawthorne, von ,romantisch-dramatischer' Form des Romans bei Jean Paul, von .Roman des Neben-einander' und ,Roman des Nacheinander' bei Gutzkow, ebenso wie die Konfrontierung eines .Antiromans', wie ihn Jean-Paul Sartre in den Werken Nathalie Sarrautes verwirklicht sieht, oder eines ,Romans des Phänotyp' (Gottfried Benn) mit der Form des konventionellen oder bürgerlichen Romans" (Typische Formen des Romans [Göttingen, 1965], 70). • KSA II, 336. »» Ibid. 11 Der Roman der Goethezeit, 431.

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In dieser Zeitaufhebung liegt eine praktische Entsprechung zu Schlegels Theorie der symbolischen Form, die er als besondere Aufgabe der Kunst gegen den „profanen Sinn" der Zeit sah.12 Franz Mennemeier erläutert dieses Ideal als „eine dem Wandel des Inhalts überlegene Form, die als Form das Gute im jeweiligen geschichtlichen Augenblick sinnlich organisiert und symbolisiert; Form, an der und kraft derer das Gute stets neu erscheint".13 Das Gute, das in der Lucinde werdend erscheinen soll, ist die Liebe als Totalität geistiger und sinnlicher Schöpfungskraft. Als Leitbild der symbolischen Form erscheint Schlegel die Figur der Parabel.14 In der Lucinde ist daher das Phänomen der gestaltenden Kraft der Liebe im persönlichen Leben des Julius als der im Realen liegende Punkt zu denken, während das andere Zentrum, die göttliche Liebe, in der Unendlichkeit liegt. Die Idee der symbolischen Form hat den zusätzlichen Aspekt der Verbindung aller Gegensätze;16 nicht zuletzt, der Verbindung von Scherz und Ernst. In diesem Sinne erweist sich auch die Gestalt der Lucinde als witzige Kombination des Einzelnen zu einer „Hieroglyphe", die — wie Schlegel selbst bereits 1800 in seinem Aufsatz „Über die Unverständlichkeit" bekennt — „die Natur der Liebe" „naiv und nackt" darstellt.1® Sechs episodische Einzelteile als „weibliche", d. h. solche unbestimmter Struktur, stehen vor den chronologischen „Lehrjahren", als „mänlicher", d. h. bestimmter Struktur. Diesen folgen nochmals sechs Episoden „weiblicher" Struktur. So ergibt sich aus der Anordnung der umrahmenden Episoden im Verhältnis zu den „Lehrjahren" die „witzige Form" der „unendlichen Umarmung".17 „Auch in dieser Symmetrie offenbart sich der unglaubliche Humor, mit dem die konsequente Natur ihre allgemeinste und einfachste Antithese durchführt" (73). 2.1 D I E EIGENGESETZLICHKEIT DES WERKES: DIALEKTIK DES M Ä N N L I C H E N U N D WEIBLICHEN

Friedrich Schlegels eigener Romanversuch, Lucinde, erscheint durch 12

„Litteratur", Europa, hrsg. von F. Schlegel (Frankfurt/Main, 1803); photomech. Nachdruck (Darmstadt, 1964), 54. ls „Unendliche Fortschreitung und absolutes Gesetz: Das Schöne und das Häßliche in der Kunstauffassung des jungen Friedrich Schlegel", WW, XVII (1967), 397. 14 Vergl. Hans Eichner, „Einleitung", KSA II, ciii-civ. 15 Vergl. dazu über die symbolische Form der Mythologie, KSA II, 318-319. 18 KSA II, 964. 17 „Das Ganze hat eine witzige Form und Construktion", schrieb Friedrich im März 1799 (Caroline, 247).

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seine „zielstrebige Abkehr von der epischen Gestaltungsweise" als geeigneter Ansatz der praktischen Untersuchung. Die Frage nach dem Prinzip, das die Erschließung des Romans als ein integriertes Ganzes ermöglicht, wendet sich zuerst der Form zu. Die ungewöhnliche Gestalt des Werks, die auch ohne Schlegels ausdrücklichen Hinweis („Lucinde — Naturarabeske")1® einen Vergleich mit den „witzigen Spielgemälden" anregen könnte, bietet sich dabei als Ausgangspunkt an. Formell gesehen, ist die Arabeske eine Mischung von „Chaos und System", von „Fülle und Einheit".20 In dieser Antithese eröffnet sich ein erster Denkansatz. Eine Bemerkung des über die Gestaltung reflektierenden IchErzählers führt weiter; er plant, sich das Recht des Künstlers zur „absichtlichen Verwirrung" zu nehmen, um die „unerträgliche Einheit und Einerleiheit" zu vermeiden, die ein getreuer Bericht der geradezu naturgesetzlichen Regelmäßigkeit der Entwicklung zur Folge haben würde (9). Die Selbstaussage bekennt sich dazu, den Stoff des Lebens als Material zu einer künstlerischen oder zumindest künstlichen Konstruktion zu verwenden, die Anspruch auf Eigengesetzlichkeit erhebt und deren Anlage nicht thematisch ausgerichtet ist. In der Dialektik: Chaos-Einheit-Ganzheit, die der Form zugrunde liegt, wiederholt sich im dichterischen Versuch ein Denkschema, das sich bereits in Schlegels theoretischen Schriften als grundlegend herausgestellt hatte, und dessen Bedeutung vielleicht am eindeutigsten in dem Fragment erscheint: „Jeder Satz, jedes Buch, das sich nicht selbst widerspricht, ist unvollständig."21 Die notwendige Folge jeder Dialektik ist die Auf-Hebung auf eine höhere Ebene, also eine Progression, die damit als weiteres Strukturprinzip des Romans erscheint. Auch die Arabeske wurde ja von Schlegel als eine der symbolischen Formen bezeichnet, die sich zur Aufgabe machten, vom Endlichen auf das Unendliche zu verweisen.22 Durch diese Forderung wird eine Zweideutigkeit im wörtlichen Sinne des Begriffs bedingt. Da außerdem vorausgesetzt werden darf, daß Schlegel mit seiner Lucinde ein Beispiel der Transzendentalpoesie zu geben beabsichtigte, wird die Notwendigkeit 18

Erika Voerster, Märchen und Novellen im klassisch-romantischen Roman (Bonn, 1964), 196. " „Ideen zu Gedichten", zitiert nach Josef Körner, „Neues vom Dichter der LucindePreuß. Jb. CLXXXIII (1921), 318. 20 F. Schlegel, Literary Notebooks 1797-1801, hrsg., eingel. u. komment. von H. Eichner (London, 1975), Nr. 1356, 2071. Vergl. KSA Π, 245; Κ. K. Polheim, Die Arabeske: Ansichten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik (München, Paderborn, Wien, 1966), 122-125; H. Eichner, „Einleitung", KSA V, xxxvii-xxxviii. 21 KSA XVIII, 83. 22 KSA Π, 318-319.

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der doppelten Bedeutung auch von dieser Seite aus bestimmt. Denn die Transzendentalpoesie hatte zur Aufgabe „in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darfzulstellen".23 So erscheint neben der Dialektik und der Progression die Zweideutigkeit als dritte strukturelle Funktion, die aus Form und Thema abzuleiten ist. Daß dem scheinbaren Chaos der Lucinde zumindest eine gewisse äußere Systematik zugrunde liegt, wurde von der Schlegel-Forschung nur ganz vereinzelt festgestellt. Erst Κ. K. Polheim hat, indem er sich auf die Ansätze bei Wolfgang Paulsen stützt, nachdrücklich auf den vorsichtig strukturierten Aufbau des Werks verwiesen.24 Wieweit die „Unform" in Wirklichkeit ein System höherer Potenz darstellt, muß nun eine eingehendere Betrachtung erschließen. Das Werk setzt sich aus zwei unterschiedlichen Darstellungsformen zusammen: den „Lehrjahren der Männlichkeit" und den nur assoziativ zusammenhängenden Briefen, Reflexionen, Dialogen. In den „Lehrjahren" liegt ein Rückgriff auf vergangenes Erleben vor, der aus einheitlicher Perspektive, in chronologischer Folge, in der Er-Form, also distanzierend erzählt wird. Dagegen stellen die je sechs Einzelteile der Umrahmung eine betont künstliche Kombination des Heterogenen dar, wo sowohl zeitlicher Ablauf, wie Perspektive, wie Erzählhaltung dauerndem Wechsel unterworfen sind. Es lässt sich hier bereits eine Unterscheidung zwischen dem bestimmten, d. h. männlichen Prinzip der „Lehrjahre" und dem unbestimmten, oder weiblichen Prinzip der episodischen Einzelteile feststellen. Die Anordnung der Einzelteile zeigt eine Erweiterung dieser Antithetik. Gestaltungen der Beziehung zu der Geliebten, ob in Traum, Erleben oder in Briefen, sind Versuche, die Fülle des Lebens nachzu23

Athenäums-Fragment 238, KSA II, 204-205. " „Nachwort", F. Schlegel, Lucinde (Stuttgart, 1963), Reclams UniversalBibliothek Nr. 320/320a. Vergl. Wolfgang Paulsen, „Friedrich Schlegels Lucinde als Roman", GR, XXI (1946), 173-190. Paula Scheidweiler, die in ihrer strukturellen Untersuchung des romantischen Romans von dem Gegensatz der plastischen und der musikalischen Gestaltung ausgeht, hat den systematischen Aufbau der Lucinde nicht erkannt. Der Roman der deutschen Romantik (Leipzig, Berlin, 1916), 15-22. Auch Walter Bausch wird dem Aufbau der Lucinde nicht gerecht. Er spricht im Anschluß an seine Ausführungen über musikalische Gestaltungsweisen (für die die Lucinde viele Beweise liefern könnte) nur von „einigen Ansätzen, Zügen des Arabeskenhaften, des Artistischen, Witzigen . . . " Theorien des epischen Erzählens in der deutschen Frühromantik (Bonn, 1964), 161-164. Treffend scheint daher Josef Körners frühe Beobachtung, daß die Kritik häufig durch die „binomische Gleichung zwischen dem hybriden Liebesroman und Friedrich Schlegels Leben" verleitet wurde, den „idealen Formwillen, der nach Ausdruck ringt" zu übersehen. „Neues vom Dichter der Lucinde309.

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zeichnen; dagegen bleiben die Gestaltungen von Männerfreundschaften betont einseitig. In „Zwei Briefe" (61-73) wird in einer Fülle kleinerer und größerer Abschnitte die ganze Skala des Lebens, von der Geburt bis zum Tod, mit Erziehungsfragen, Zukunftsplänen und Lebensansichten durchgespielt. In dem Gegenstück, den Briefen von „Julius an Antonio", wird in krasser Abstraktheit Streit und Versöhnung behandelt. Die Kritik hat hier grundsätzlich von dem völligen „Auseinanderfall" des ohnehin nur lose zusammenhängende Werks gesprochen. Sogar Wolfgang Paulsen, der Ansätze der antithetischen Struktur erkannte, sieht in den Briefen an Antonio nur den schwachen Versuch „den Roman in Gang zu halten".25 Die Folgerichtigkeit der Gegenüberstellung der Briefgruppen von harmonischer Fülle einerseits, und ideell begründetem Streit andererseits, scheint jedoch der Theorie des bloßen Auffüllens zu widersprechen. Natürlich wird der unbestrittene Mangel künstlerischer Gestaltungskraft, unter dem das ganze Werk leidet, an Stellen dieser Art, wo lediglich die Mechanik eines antithetischen Strukturprinzips befriedigt wird, deutlich spürbar. Die Antithetik der Briefe hat eine Entsprechung innerhalb der „Lehrjahre", wo den zwar unbefriedigenden aber doch auf die „wahre Liebe" vorbereitenden Beziehungen zum weiblichen Geschlecht, die in ihrer Einseitigkeit unfruchtbar bleibenden Beziehungen zum eigenen Geschlecht gegenübergestellt sind. Es waren große Gegenstände, nach denen sie mit Ernst strebten. Indessen blieb es bei hohen Worten und vortrefflichen Wünschen. Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht und er bildete nichts. (46) Aus der Themenstellung der Einzelteile läßt sich ebenfalls eine bewußte polare Gegensätzlichkeit erschließen. Dem einleitenden Brief, der die Absicht entwickelt „den rohen Zufall zum Zwecke zu gestalten", folgt die „Dithyrambische Fantasie über die schönste Situation", auf Verstandesmoment, Betonung der Phantasieschöpfung. Auf die „Allegorie von der Frechheit" folgt die „Idylle über den Müßiggang", auf Bedeutungsvermittlung, vollzogene Synthese von Realität und Idealität. Dem dramatischen Dialog „Treue und Scherz" des Einleitungskomplexes steht der lyrische Dialog „Sehnsucht und Ruhe" des Schlußteils gegenüber, dem Prinzip der Bewegung, das Prinzip des Zustande. Auf die bildliche Darstellung der allegorischen Berufung zum „Streit für Liebe und Wahrheit" folgt die gedankliche Reflexion, eine essayistische Theorie der Erotik. 25

„Lucinde als Roman", 184.

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Die geradezu ermüdende Systematik dieses Strukturprinzips läßt sich bis zum Satzbau, oft bis zur Wortkombination verfolgen. Als Beispiel kann der das Ganze des Werks vorschattende Einleitungsbrief herangezogen werden. Der Brief ist zweiteilig. Der erste Teil zentriert sich um einen Wachtraum als Andeutung der empfundenen Harmonie der Liebe. Sensuelle Vorstellungen der Schönheit des Daseins wechseln mit vielfältigen Bildern der Geliebten, gehen dann zu konzeptionellem Denken über und enden in Selbstbeobachtung. Dem Bild folgt der Gedanke, der instinktiven Phantasie folgt der selbsttätige Verstand (7). Dieser Versuch, Phantasie und Bewußtsein gestaltend zu vereinen, wird besonders deutlich gegen Ende des ersten Briefteiles. Also ich stand am Fenster und sah ins Freie; der Morgen verdient allerdings schön genannt zu werden, die Luft ist still und warm genug, auch ist das Grün hier vor mir ganz frisch, und wie sich die weite Ebne bald hebt bald senket, so windet sich der ruhige, breite silberhelle Strom in großen Schwüngen und Bogen, bis er und die Fantasie des Liebenden, die sich gleich dem Schwane auf ihm wiegte, in die Ferne hinziehen und sich in das Unermeßliche langsam verlieren. (8) Darauf folgt eine betont nüchtern psychologische Erklärung des eigenen Gemütszustandes. In diesem Beispielsatz läßt sich genau feststellen, wo die Wirklichkeit in die Phantasie übergeht. Die betont einfachen, rationalen Beschreibungen der Situation, für die Adjektive wie „schön", „warm", „grün" ausreichend sind, verfließen innerhalb des dem Strom beigeordneten Adjektivs „silberhell" mit Vorstellungen der Phantasie, so daß der eingangs wirklich existierende Strom zur Metapher wird, mit dem sich nun die anschließenden metaphorischen Darstellungen sinngemäß vereinen lassen. Die folgende psychologische Selbsterkenntnis soll dann als Synthese der Dialektik von Ratio und Phantasie, als ein neues Stadium künstlerischer Bewußtheit erscheinen. 2.1.1

Drei Beispiele

Spielerische Variationen dieser Grundformel lassen sich im ganzen Werk nachweisen. Im Folgenden wird daher je ein Beispiel für die Ebene der menschlichen Liebe, für die poetologische Schicht, und für die ins Metaphysische weisende Entwicklung gegeben. Zu Beginn der „Dithyrambischen Fantasie über die schönste Situation" heißt es: Wie treu und wie einfach hast du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinem liebsten und geheimsten Vorhaben. In dir ist er groß

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geworden und in diesem Spiegel scheue ich mich nicht, mich selbst zu bewundern und zu lieben. Nur hier sehe ich mich ganz und harmonisch, oder vielmehr die volle ganze Menschheit in mir und dir. (10). Weißt du noch, wie der erste Keim dieses Gedankens vor Dir in meiner Seele aufsproßte und auch gleich in der deinigen Wurzel faßte? (12)

Mit der Genauigkeit einer mathematischen Formel erscheint hier wiederum als Mikrokosmos des Einzelteils die Struktur, die das Werk als Makrokosmos zu verwirklichen sucht. Die schöpferische Idee als aktives Prinzip entsteht in und durch die Gegenwart der Geliebten; in ihr hat sie sich organisch entwickelt — passives Prinzip — , Lucinde zeichnet seine Idee auf, im Wiederlesen wird sich Julius bewußt, durch den geistigen Austausch mit der Geliebten eine höhere Stufe der menschlichen Entwicklung erreicht zu haben. In Analogie zu dieser geistigen Auf-Hebung der Gegensätze endet daher als sinnliche Entsprechung völlig logisch die „Dithyrambische Fantasie" im Rollentausch des Liebesspiels als „Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit" (13). Auf der poetologischen Ebene läßt sich das entsprechende Beispiel aus der „Idylle über den Müßiggang" anführen. Nachdem die bildliche Darstellung der Selbstparodie des Erzählers in der Gestalt des Narcissus zur Reflexion übergegangen ist, heißt es: Erst nachdem die Kraft der angespannten Vernunft an der Unerreichbarkeit des Ideals brach und erschlaffte, überließ ich mich dem Strome der Gedanken, und hörte willig alle die bunten Märchen an, mit denen Begierde und Einbildung, unwiderstehliche Sirenen in meiner eigenen Brust, meine Sinne bezauberten. Die zarte Musik der Fantasie schien die Lücken der Sehnsucht auszufüllen. Dankbar nahm ich das wahr und beschloß, was das hohe Glück mir diesmal gegeben, auch künftig durch eigne Erfindsamkeit für uns beide zu wiederholen, und dir dieses Gedicht der Wahrheit zu beginnen. (12)

Aus der Antithese der passiven Empfängnis der Phantasie zu dem aktiven bewußten Streben nach dem Ideal realisiert sich das Werk als neue Ganzheit. Auf der Ebene der metaphysischen Verweisung läßt sich das dialektische Gestaltungsprinzip im Abschnitt „Metamorphosen" nachweisen. „Wenn der Strahl des Glücks [aktiv, männliches Prinzip] sich in der letzten Träne der Sehnsucht bricht [weibliches Prinzip], schmückt Iris schon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens" [neue Schöpfung] (60). Die Sprache ist hier offen alle-

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gorisch, was für Schlegels Jugendschriften gleichbedeutend mit „symbolisch" ist.26 Nur „durch Allegorie, durch Symbole, durch die an die Stelle der Täuschung die Bedeutung tritt", heißt es im Lessing Aufsatz, kann „der Schein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen in Beeziehung gesetzt" werden.27 Die Zahl der Beispiele ließe sich beträchtlich vermehren. Doch erscheinen die angegebenen Belege ausreichend als Beweis, daß die Struktur der Lucinde alles andere als chaotisch ist. Otto Mann sah Friedrich Schlegels Romanversuch als „den fortströmenden Erlebnisquell einer erotisch-romantischen Philosophie".28 Es bliebe hinzuzufügen, daß dieses Fortströmen nicht in horizontaler Richtung verläuft und als Ausdehnung in Zeit und Raum umgesetzt wurde, sondern als Entwicklung vom Realen auf das Ideal zu. 2.1.2

Reflexion und Progression

Als Medium der Progression erscheint in der Lucinde die Reflexion, und zwar in zwei verschiedenen Formen. Einmal in ihrer ursprünlichen Bedeutung als assoziative Gedankenentwicklung, zum anderen als poetologische Reflexion29 als ein bestimmtes sich selbst spiegelndes Verhalten des Werkes. In ihrer ersten Form entwickelt die Reflexion in diskursiver oder lyrischer Sprache zentrale Themen des Romans. Im Anschluß an die „Allegorie der Frechheit" wird mit der Frage „An wen sollte also wohl die Rhetorik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unschuld richten . . . ?" (20) eine Reflexion eingeschaltet, die in essayistischer Form entwickelt, was in Szenen, Andeutungen, Allegorien vereinzelt im Werk zu diesem Thema erscheint. Dieselbe Funktion erfüllt eine Reflexion innerhalb der „Idylle über den Müßiggang", die die Frage „was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt?" mit einer gegen den Utilitarismus gerichteten Gedankenentwicklung beantwortet (26-27). Im zweiten Brief von Julius an Antonio wird eine Theorie der Freundschaft entwickelt(77-78);die „Meta2« Vergl. Doris Starr, Über den Begriff des Symbols in der deutschen Klassik und Romantik: Unter besonderer Berücksichtigung von Friedrich Schlegel (Reutlingen, 1964), 47-48; Begt A . S0rensen, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik (Kopenhagen, 1963), 230-233. 27 K S A I I , 414. 28 Der junge Friedrich Schlegel: Eine Analyse von Existenz und Werden (Berlin, 1932), 192. 28 Für die Interpretationen wird an Stelle des Begriffs „poetische Reflexion", wie

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morphosen" behandeln das Schöpfungsgeheimnis in lyrisch-allegorischer Einkleidung, und "Eine Reflexion" reflektiert doppeldeutig über das Verhältnis des Bestimmten zum Unbestimmten. In jedem Falle bewirkt die eingeflochtene Gedankenkette eine fortschreitende Aufklärung der tieferen Bedeutung hinter der Vielfalt der Vereinzelungen, eine Progression auf einen überpersönlichen Standpunkt. Von besonderem Interesse für den strukturellen Zusammenhang des Werks ist die poetologische Reflexion, die in der Lucinde selbst die Konzeption, den Plan, die Idee und das Werden des Werks darstellt. Die Empfängnis des ersten schöpferischen Gedankens geschieht in der „Idylle über den Müßiggang" (26). Der Roman bekennt sich zu der Idee der Kunst, als höchster zweckbefreiter Tätigkeit des Menschen. In Übereinstimmung mit dieser Idee des gleichsam in Freiheit entsprossenen „Gewächses" ist der Entschluß, es „üppig wachsen und verwildern" zu lassen, eine Anspielung auf die arabeske Form. Genaues über den Plan der Ausführung berichtet der Ich-Erzähler bereits im Nachtrag des Einleitungsbriefes (9). Eine allegorische Darstellung der Berufung, gegen die Vorurteile und „für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen", tritt auf in Form der Selbstparodie in der „Allegorie von der Frechheit". Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurteilen wie mit Waffen wüten, zu stürzen. Ich öffnete den Mund,... aber ich besann mich, daß meine Lippen die Kunst nicht gelernt hätten, die Gesänge des Geistes nachzubilden. (20) In der „Charakteristik der kleinen Wilhelmine" verbirgt sich einenur wenig verhüllte Selbstdarstellung des Werks. Sie ist ein kleines Individuum, das „innere Vollendung" und „heitere Selbstzufriedenheit" besitzt; sie hat „viel Sinn für Bouffonerie". Der Erzähler berichtet von seinem Verhältnis zu diesem ungewöhnlichen Kinde: „Mache ich ihre Gebärden nach, so macht sie mir gleich wieder mein Nachmachen nach; und so haben wir uns eine mimische Sprache gebildet und verständigen uns in den Hieroglyphen der darstellenden Kunst" (14). Wilhelmine reimt alles durcheinander „in romantischer Verwirrung, so viel Worte so viel Bilder; und das ohne alle Nebenbestimmungen und künstliche Ubergänge", sie ist frei von „Prüderie" und von „Vorurteilen (14-15). Die entsprechenden Züge der Lucinde sind offensichter für die Schlegelsche Theorie gebräuchlich ist, „poetologische Reflexion" eingesetzt, da die Praxis der verschiedenen Dichter oft nur annährend die Präzision des theoretischen Begriffs erreicht.

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lieh. Schließlich wird selbst die Absicht der symbolischen Verweisung, die der Roman zu erfüllen versucht, im Werk selbst zur Sprache gebracht. Der echte Buchstabe ist allmächtig und der eigentliche Zauberstab. Er ist es, mit dem die unwiderstehliche Willkür der hohen Zauberin Fantasie das erhabene Chaos der vollen Natur berührt, und das unendliche Wort ans Licht ruft, welches ein Ebenbild und Spiegel des göttlichen Geistes ist, und welches die Sterblichen Universum nennen. (20)

In dieser „Poesie der Poesie" schließt das Werk gleichsam seine eigene Selbstbewußtwerdung ein; das ist eine weitere Form der Progression: zunehmende Erläuterung der Sinnzusammenhänge des scheinbar Heterogenen. Der Progression sind außer der zentralen Struktur der Reflexion noch einige weitere Aufbauprinzipien einzuorden. Die Charaktere der Lucinde sind, der Abstraktion des Ganzen entsprechend, zum großen Teil Figuren, die eine Funktion in der Konstruktion erfüllen. Die weiblichen Gestalten der „Lehrjahre", das junge Mädchen, die Dame der Gesellschaft, das öffentliche Mädchen, stellen Einzelzüge der Weiblichkeit dar; ihre positiven Seiten finden sich vereinigt in der idealen Geliebten.80 Die bewußte Gestaltung der Progression wird ferner intensiviert durch leitmotivisch wiederkehrende Motive und Topoi, die ein Bewegungsmoment verkörpern. Das Motiv des Stroms erscheint als Leitbild der fließenden Gestaltung, des ewigen Ablaufs der Zeit, der flutenden Phantasie und des Gefühls (8, 17, 19-20, 25, 51, 81). Das Motiv des organischen Wachsens erscheint sowohl im Bereich der Liebe, der Weiblichkeit, der harmonischen Ausbildung des Menschen, wie auch im Zusammenhang mit dem Wachsen des Werkes selbst (12, 23, 26, 27, 56, 58, 60, 74). Als Topoi der sieht selbst reflektierenden Darstellung erscheinen „Spiegel" (10, 20, 25, 60), „Echo" (12, 59, 60) und „Narzissus" (25, 56, 60). Durch die verschiedenen Gestaltungsformen, die sich in das Strukturprinzip der Progression einordnen lassen, wird die Tendenz des Werkes offenbar, durch die innere Bewegtheit der Struktur das ewige Werden des Universums anzudeuten.

>o Genaue Hinweise auf die entsprechenden Ereignisse in Schlegels Leben, sowie auf literarische Vorbilder gibt I. Rouge, Erläuterungen zu Friedrich Schlegels „Lucinde" (Halle, 1905). In meiner Arbeit wird der biographische Aspekt absichtlich ausgeschaltet.

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2.1.3

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Zweideutigkeit

In seinem Aufsatz, „Über die Unverständlichkeit", sagt Schlegel: Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial, und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können. 81

Dieses Zitat könnte über die gesamten Jugendschriften gesetzt werden; es erklärt zusätzlich ein wesentliches Strukturprinzip der Lucinde: die bewußte Zweideutigkeit. Obwohl ihm der Romanversuch nicht gelungen ist, zeigt doch die ganze Anlage durchaus, daß ihm sein Ideal des Romans als eines „romantischen Buches" als Leitidee vor Augen stand. Die Lucinde ist als „Werk" geplant, dessen „Komposition auf eine höhere Einheit als die des ,Buchstabens' zielt".82 Der „geistige Zentralpunkt", zu dem die ganze Komposition in Beziehung steht, ist die Idee der Liebe als universelles Schöpfungsprinzip. Die Zweideutigkeit der Struktur erschließt aber vorwiegend die scherzhaften Aspekte der Lucinde. Das literarische Vorbild gab Cervantes, dessen Fähigkeit durch den „Scherz des Vordergrundes auf das Innere und den ernsten Hintergrund" zu verweisen, dessen "Kunst der indirekten Charakteristik" Schlegel am Don Quijote nachgewiesen hatte.88 Da die Lucinde sich grundsätzlich selbst referiert, wird auch die Zweideutigkeit im Text verteidigt und ausdrücklich von dem gröberen „Spaß" unterschieden (35). Bruno Markwardt hat darauf hingewiesen, daß der Scherz-Begriff des Rokoko mit der Bedeutung des „geistigen Spiels" noch in der Literatur der Jahrhundertwende nachwirkte.84 Ganz ähnlich wird in der Lucinde dem Scherz als Ferment der Gesellschaft, als Moment idealer Geselligkeit, eine wichtige Funktion zugeschrieben (35). Hier scheinen Gedanken anzuklingen, die Schlegel bereits in seinem Aufsatz "Vom ästhetischen Werthe der Griechischen Komödie" geäußert hatte: „Die Griechen hielten die Freude för heilig, wie die Lebenskraft; nach ihrem Glauben liebten auch die Götter den Scherz."35 An der griechischen Komödie hatte Schlegel aber auch die Fähigkeit bewundert, die Sprache des Volkes zu sprechen, und eine künstlerische Kommunika31

KSA II, 366. KSA II, 336. 33 Werner Briiggemann, Cervantes und die Figur des Don Quijote in der Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik (Münster, 1958), 243. 34 „Kunstanschauung und Literaturphilosophie der Romantik", in seiner Geschichte der deutschen Poetik, ΠΙ (Berlin, 1958), 238. 35 Friedrich Schlegel: 1794-1802: Seine prosaischen Jugendschriften, hrsg. und eingel. von Jakob Minor (Wien, 1882), 1, 11 (künftig: Minor). "

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tion zu ermöglichen, die über die Standesgrenzen hinausgriff. Da er Freude und Schönheit ausdrücklich nicht als „Privilegium der Gelehrten, der Adeligen und der Reichen", sondern als „heiliges Eigenthum der Menschheit"36 ansah, liegt es nahe, daß er mit seinem „leichtfertigen Roman Lucinde"87 für seine als prosaisch angesehene Zeit eine kulturelle Brücke schlagen wollte. Da aber Schlegels Fähigkeiten als Dichter nicht denen des Kritikers und Kulturphilosophen ebenbürtig waren, wurde gerade die Zweideutigkeit sehr oft zum anstößigen Spaß.88 Trotzdem erweist sich die Untersuchung des Strukturprinzips der Zweideutigkeit als aufschlußreich, da sich wiederum sowohl in ernsthafter wie scherzhafter Form der Versuch offenbart, durch Formelemente ein Mehr auszudrücken. Als Medien der Zweideutigkeit erscheinen in der Lucinde die Allegorie (hier in dem engeren Sinne der sinnbildlichen Darstellung eines Begriffes oder Gedankengangs), die Parodie und das Wortspiel. Unter den Medien der verschlüsselnden Funktionen erscheint die Allegorie als die naivste Form der Zweideutigkeit. Auf die „Charakteristik der kleinen Wilhelmine" als allegorische Selbstcharakterisierung des Werkes wurde bereits hingewiesen. Dem Aufbau des Romans entsprechend, enthält die „Allegorie der Frechheit", die komödienhaft erweiterte Selbstdarstellung des Werks, ein allegorisches Spiel in zweiter Potenz, „einige Jünglinge am Scheidewege", das als ein gemeinsames Erzeugnis des personifizierten Witzes und der Phantasie vorgestellt wird, und eine Charakterisierung der „echten Romane" der Zukunft darstellt;8» darunter befindet sich auch — hier in dritter Potenz — die Lucinde als der „leichtfertige Roman". Damit verbunden wird ein kaum verhüllter Angriff auf die von der öffentlichen Meinung beherrschte Gegenwartsliteratur durch die Demaskierung der Scheintugenden (16-20). Die „Idylle über den Müßiggang" schließt ebenfalls eine als Wachtraum ausgegebene allegorische Komödie ein, die als Satire auf die Nützlichkeitsphilosophie der extremen Aufklärer erscheint. Ein gefesselter Prometheus, hier als der Erfinder der Arbeit gekennzeichnet, muß in 36

Minor 1,14. Friedrich Schlegel und Novalis: Biographie einer Romantikerfreundschaft in ihren Briefen, hrsg. von Max Preitz (Darmstadt, 1957), 130 (künftig: Preitz, Schlegel u. Novalis). 88 Paul Kluckhohn begründet das gelegentlich Frivole und Peinliche der Darstellung durch Schlegels Zurückgriff auf „wesensfremde Literatur", z.B. Manon Lescaut, Le Paysan perverti. Auffassung der Liebe, 366. 39 I. Rouge hat bereits bemerkt, daß diese „echten Romane", die in ihrer Charakterisierung so unbestimmt bleiben, Romanpläne Schlegels darstellen sollen, die er in einem an Caroline gerichteten Brief erwähnt (Erläuterungen, 77-78). 37

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pausenloser Tätigkeit aus Kulissenmaterial stereotype Menschen verfertigen. Als Gegenbild erscheint Herkules, der Held der natürlichen Zeugung, dem der Eingang in den Olymp gesichert ist, da trotz seines Heroentums der „edle Müßiggang das Ziel seiner Laufbahn" war (29). Schleiermacher verteidigte diese Art der Polemik als „Scherz mit den Elementen der Unvernunft".40 Vom strukturellen Standpunkt aus beurteilt, reihen sich diese Auseinandersetzungen mit Problemen der Zeit wieder in das Schema ein, nachdem der Stoff des Lebens nicht episch berichtend integriert wird, sondern durch Stilisierung, Umformung, sozusagen in ein „Kunstding" verwandelt erscheint. Die scherzhafte Zweideutigkeit wird durch die Parodie intensiviert, und zwar vornehmlich in Form der Selbstparodie des Erzählers.41 Bereits im Prolog erscheint die Frage: „ Was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe?"42 Er beschreibt sich als „des Witzes lieber Sohn", der im Eifer der Begeisterung vergißt, daß ihm das Talent fehlt (20), und sieht sich schließlich in der Rolle des Narzissus „wie ein nachdenkliches Mädchen in einer gedanklosen Romanze am Bach". Die Selbstparodie mit einer Anspielung auf Winckelmann verbindend heißt es: Gleich einem Weisen des Orients war ich ganz versunken in ein heiliges Hinbrüten und ruhiges Anschauen der ewigen Substanzen, vorzüglich der deinigen und der meinigen. Größe in Ruhe, sagen die Meister, sei der höchste Gegenstand der bildenden Kunst;... (26) Indem der Ich-Erzähler auf diese Weise zu sich selbst eine doppelte Perspektive gestaltet, kann er sich zum stilisierten Objekt machen, dieses parodierte Ich in die künstlerische Konstruktion einordnen, und damit wiederum bewußt vom realen Leben entfernen. Wortspiel und Paradoxon sind ebenfalls in die Struktur der Zweideutigkeit der Lucinde einzuordnen. Das Paradoxon erscheint, wo vom persönlichen Liebeserlebnis auf das höhere Prinzip der Liebe verwiesen werden soll: „Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fühlen" (61). „Die heil'ge Ruhe fand ich nur in jenem Sehnen, Freundin." „Und ich in dieser schönen Ruhe jene heil'ge Sehnsucht" (79). Das rein mechanische Wortspiel, das durch Wieder40

Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels ,£ucinde" (Frankfurt/Main, 1964) (Insel-Bücherei, Nr. 759), 99. 41 Vergl. Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hrsg. von Oskar F. Watzel (Berlin, 1890), 26 (künftig: Briefe, Walzel). 42 Es ist bekannt, daß Schlegel hier Carolines Urteil über den Roman verwendet. Vergl. Caroline, 244.

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holungen und leichte Bedeutungsverschiebung oder Umkehrung seinen Effekt erzielt, verweist durch die gewaltsame Sprachstauung auf die Bedeutung, die spielerisch eingekreist wird: „Die wunderbare Gleichheit zog den Jüngling bald in ihre Nähe, er bemerkte, daß auch sie diese Gleichheit fühle, und beide nahmen es gewahr, daß sie sich nicht gleichgültig wären" (53). Es ist anzunehmen, daß auf diese Weise das Finden der sich geheimnisvoll vorbestimmten Liebenden sprachlich gestaltet werden sollte. Bei scherzhafter Betonung der Zweckfreiheit der Kunst erscheint das Wortspiel mit größerer Berechtigung: Absichten haben, nach Absichten handeln, und Absichten mit Absichten zu neuer Absicht künstlich verweben; diese Unart ist so tief in die närrische Natur des gottähnlichen Menschen eingewurzelt, daß er sich's nun ordentlich vorsetzen und zur Absicht machen muß, wenn er sich einmal ohne alle Absicht, auf dem innern Strom ewig fließender BUder und Gefühle frei bewegen will. (81)

Die Zweideutigkeit des Wortspiels als Hinweis auf die sinnliche Seite der Liebe gelingt nur selten ohne peinlich zu wirken. Als Höhepunkt der Struktur der Zweideutigkeit durch das Wortspiel kann der Abschnitt „Eine Reflexion" (72-73) angesehen werden. Vorbereitet durch die Häufung der Dialektik des männlichen und weiblichen Prinzips in analogen Gegensatzpaaren und durch die bewußte Spielerei mit der Sprache, erscheint die „Reflexion" mit ihren Entwicklungen über die „Namenlosigkeit", das Kräftespiel zwischen dem „Unbestimmten und dem Bestimmten" als recht eindeutige Anspielung auf physiologische Vorgänge, die sich in der Natur „im ewigen Kreislauf immer neuer Versuche" wiederholen. Selbst Paul Kluckhohn wurde zu der Bemerkung veranlaßt: „Eine künstlerische Geschmacklosigkeit, über die sich kein Wort zu verlieren verlohnt."43 Und doch hat J. J. Anstett gerade an diesem Abschnitt der Lucinde mit einer Textinterpretation, die auf die genauen Entsprechungen bestimmter Sätze der Fichteschen Wissenschaftslehre hinweist, nahegelegt, daß es Schlegel in „Eine Reflexion" eventuell primär um eine etwas pikante Deutung des Fichteschen Idealismus ging.44 Daß auch diese Interpretation wissenschaftlich begründet ist, geht auch aus einem Abschnitt in Schlegels Vorlesung über „Transcendentalphilosophie" hervor: Das Bekannte Element des Unendlichen ist das Unbestimmte, hieraus ergiebt sich durch den Gegensatz das 2te Element, das Bestimmte. Das Un43 44

Auffassung der Liebe, 367. „Lucinde: Eine Reflexion, Essai d'interprötation", EG, ΙΠ (1948), 245-249.

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endliche besteht also aus dem Unbestimmten und Bestimmten. Das Unbestimmte geht aus sich selbst heraus, und bestimmt sich. Das Bestimmte bestimmt sich immer mehr, bis es sich zum Unbestimmten und ins Unbestimmte bestimmt; d.h. mit andern Worten, das Bewustseyn ist eine Geschichte des Organismus bis zu dem höchsten Gipfel der menschlichen Besonnenheit, des Verstandest

Als intellektuelles Spiel gesehen, ist hier die Gestaltung wirklicher Zweideutigkeit, die Synkretisierung der Ideen durch ein Wortspiel, gelungen. Die Struktur der Lucinde erweist sich so als ein sehr bewußt angelegtes System von Variationen, Parallelen, Wiederholungen einiger Denkschemata, die der übergeordneten Idee entsprechen. Durch ein Formelles — die Bewegung der strukturellen Dialektik und der Progression — wird eine Bedeutungserweiterung erstrebt. Darin darf ein Neuansatz der Prosagestaltung gesehen werden. Auf der anderen Seite unterstützt die Vorrangstellung abstrakter Prinzipien die Auflösung der Geschehnisstruktur und setzt sich der nachschaffenden Integration durch den Leser entgegen. Sowohl Identifikation wie rein gefühlsmäßige Aufnahme wird damit bewußt unterbunden.4·

2.2

THEMATISCHE STRUKTUR

Das dialektische Denken zeigt sich bereits bei einem ersten Durchgang durch die Lucinde auch als bestimmend für die thematische Struktur. Die zentrale Idee des Romans, „die Liebe als positives Prinzip aller Entwicklung", erscheint als Antithese des Männlichen und des Weiblichen, und soll zur Synthese des „ganzen wahren Menschen" gebracht werden.47 Als Energie der persönlichen wie auch der universalen Entwicklung erscheint der Eros, dessen Dynamik aus der Spannung des Entgegengesetzten gedeutet wird. Als Basis ergibt sich demnach das 45

Friedrich Schlegel, Neue philosophische Schriften, hrsg. von Josef Körner (Frankfurt/Main, 1935), 141. 46 Die Bemerkung im Text: „Und frei wie es entsprossen ist, . . . soll es auch üppig wachsen und verwildern . . . " (26) mag Paul Kluckhohns Urteil beeinflußt haben, daß es Schlegel bei der Gestaltung daran gelegen habe, das „Erlebnis unmittelbar, möglichst unberührt von der auswählenden und ordnenden Formung" wiederzugeben. Nach Einsicht in den Uberaus manipulierten Aufbau ist dem nicht beizupflichten (Auffassung der Liebe, 394). 47 Vergl. „Über die Philosophie. An Dorothea", Minor Π, 321. Dieser gleichzeitig mit der Lucinde entstandene Aufsatz überschneidet sich vielfach mit der Thematik des Romans und ermöglicht wertvolle Einsichten in dessen Ideengehalt.

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Gegensatzpaar "männlich-weiblich". In Analogie dazu lassen sich aus der Gesamtstruktur des Romans weitere Gegensatzpaare aufstellen, die der jeweiligen Ebene des persönlichen Erlebens, des Theoretisch-Poetologischen oder des Metaphysischen entsprechen. Als Beispiele seien folgende Begriffspaare angeführt: männlich weiblich aktiv passiv Bewegung Ruhe Verstand Phantasie Bewußtheit Wesen Geist Seele Reflexion Bild Allegorie (Bedeutungsverweis) Idylle (Ausgleich zwischen Realem und Idealem) System fruchtbares Chaos Tag Nacht das Bestimmte das Unbestimmte Daß eine solche analogische Gleichsetzung Berechtigung hat, läßt sich durch die verschiedenartigsten Aussagen Schlegels belegen. So finden sich ζ. B. in den Aufzeichnungen für die Fortsetzung der Lucinde Eintragungen wie I Männlich — Feuer, Zorn, Begeisterung II Weiblich — Tod, Wehmut, Ironie III Kindlich — Scherz, Wollust, Harmonie48 In I Form und Materie männlich, in II weiblich, I der männliche Teil des Buches, II der weibliche (machen erst ein ganzes Buch).49

Es ergibt sich somit die Möglichkeit als strukturelles Grundprinzip des Romans die folgende Gleichung zu setzen: wie im Leben erst durch die Wechselbeziehung von Mann und Frau das Ziel der geläuterten Menschlichkeit erreicht wird, wird das Kunstwerk erst durch die Wechselbeziehung von Verstand und Phantasie ermöglicht. Wie zeigt sich das in der Lucinde? 2.2.1

Die Dialektik der Themen

Auch in der thematischen Struktur des Werkes wird die Absicht erKörner, „Neues vom Dichter der Lucinde", Preuß. Jb. CLXXXIV (1921), 47. Preuß. Jb., CLXXXni (1921), 325. Vergl. auch Friedrich Schlegel: Literary Notebooks, Nr. 1478,1480. 48

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kenntlich, aus dem Stoff der empirischen Wirklichkeit eine bewußt konstruierte Kunstgestalt zu formen, den bekenntnishaften Keim des Lebens durch zunehmende Abstraktion in allegorisch-symbolischer Bedeutsamkeit erscheinen zu lassen. Friedrich Schlegels übliches Denkschema: Analyse—Synthese—Analogie ist auch für die Entfaltung der Thematik grundlegend. Dementsprechend, läßt sich das zentrale Thema der Liebe auflösen in (1) die Selbstanalyse des Mannes, (2) die Analyse der Frau; (3) die Synthese des „wahren Menschen". Die schöpferische Kraft der Liebe zeigt sich progressiv als Dynamik des persönlichen Lebens, des gesellschaftlichen Lebens und schließlich als Mysterium des Universums. Bereits an Goöthes Meister hatte Schlegel als besonderen Vorzug des Romans erkannt, „daß das eine unteilbare Werk in gewissem Sinn doch zugleich ein zweifaches, doppeltes" sei, da das ursprünglich als Künstlerroman konzipierte Werk „von der Tendenz seiner Gattung" überrascht, zu einer „Bildungslehre der Lebenskunst" erweitert wurde.60 Ähnlich läßt sich an der Lucinde nachweisen, daß das Werk die Tendenz des Romans als „romantisches Buch" in sich aufnimmt, und als Parallelthema den sich selbst reflektierenden Roman des Romans entwickelt. In diesem Nebenthema wird die Form sich selbst zum Inhalt. Schlegels „Idee 83", „Nur durch die Liebe und durch das Bewußtsein der Liebe wird der Mensch zum Menschen,"51 könnte als thematische Zusammenfassung der Lucinde angesehen werden.52 Der Bildungsprozeß ist also zweisträngig, Erlebnis und Gefühl müssen durch die Reflexion, das instinktive Empfangen durch geistige Selbsttätigkeit ergänzt werden, um eine sittliche Entwicklung zu ermöglichen. Damit ist die Aufgabe der Selbstanalyse gestellt. Diese will aber gleichnishaft als ein allgemein menschliches Erlebnis verstanden sein, denn Schlegel war — angeregt durch Schleiermachers Individualitätsprinzip'53 — der Uberzeugung, daß jeder Mensch „zugleich auch die ganze Menschheit wirklich und in Wahrheit sein kann und soll".54 Die Selbstanalyse erscheint in Gestalt eines Rückblicks auf die Entwicklungsjahre, bei dem die Stadien vom "zerrissenen romantischen Jüngling" bis zum harmonischen „wahren Menschen" ausschließlich aus der Perspektive der Liebes- und Freundschaftsbeziehungen gesehen so 5!

K S A Ü , 346. KSA II, 264. 58 Zum Liebesthema sei grundsätzlich auf Paul Kluckhohns erschöpfende Behandlung hingewiesen. Auffassung der Liebe, 345-424. 58 Auffassung der Liebe, 424-426. 5 « KSA II, 286.

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werden. Der gereifte Julius, aus den episodischen Einleitungsteilen als Ich-Erzähler bekannt, übernimmt die Rolle des auktorialen Erzählers,55 der die Erlebnisse des „Ungeschickten" kommentierend berichtet. Der Wechsel zur Er-Form ermöglicht den kritischen Abstand und damit die zur Analyse notwendige Bewußtseinshaltung. Auf diese Weise entsteht eine interessante Doppelperspektive. Der Erzähler macht den Jüngling zum Untersuchungsobjekt; er berichtet einmal aus der Perspektive des Ungereiften dessen Erlebnisse, aber auch seine damit verbundenen übersteigerten Gefühle oder egozentrischen Reflexionen, nimmt aber dazu aus der Perspektive des Gereiften eine kritische Stellung ein. Er wußte wohl, daß mancher seiner Freunde, der noch weniger an weibliche Tugend glaubte wie er, sein Benehmen ungeschickt und lächerlich finden würde. Er war beinah selbst dieser Meinung, da er wieder mit Kälte zu überlegen anfing. Indessen hielt er seine Dummheit doch für ausgezeichnet und interessant. Es wandelte ihn beinah eine Art von Verachtung an, zu der er doch so wenig berechtigt war. (38-39) In der allmählichen Verringerung dieser Kritik, die mit der völligen Verschmelzung der Gesichtspunkte des Julius der „Lehrjahre" und der des auktorialen Erzählers endet, zeichnet sich die graduelle Entwicklung bis zu dem Punkt ab, wo der Erzähler sein alter ego akzeptieren kann. Auf dieser Bewußtseinsebene wird in der Ich-Form erzählt. Doch bleibt auch bei der Selbstanalyse die Absicht, aus dem Stoff des Lebens ein künstlerisches Gleichnis zu gestalten, gewahrt. Die Stufen der Entwicklung vom jugendlichen Chaos — "Sein ganzes Dasein war in seiner Fantasie eine Masse von Bruchstücken ohne Zusammenhang" (37) — bis zur Harmonie — „Leicht und melodisch flössen ihnen die Jahre vorüber" (57) — folgen einer sehr systematischen Anordnung. Auf diese Weise wird auch in der Entfaltung des Themas auf formellem Wege die Idee sichtbar, daß hinter dem scheinbar sinnlosen Leben ein sinnvoller Zusammenhang waltet. Um seiner jugendlichen Triebhaftigkeit zu entfliehen, macht Julius verschiedene Versuche, sein Wesen und Leben durch Liebeserlebnisse zu bereichern. Drei Experimente führen zu negativem Resultat, da der Antrieb einseitig der Suche sinnlicher Befriedigung entspringt. Trotzdem erschließen sich dem Jüngling aus diesen Erlebnissen Seiten der weiblichen Natur; sie werden ihm aller55

Franz K. Stanzeis Unterscheidung von auktorialer, personaler und IchErzählsituation erleichtert hier die Klärung des Erzählerwechsels. 5« Vergl. H. Eichner: „Schlegels Thema war ja keine lAebesgeschichte, sondern ein Zustand, zu dessen Wesen die Unwandelbarkeit gehört . . . " („Einleitung", KSA V, xxxvi).

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dings erst im Zustand der Reife in ihrem Zusammenhang deutlich. Das junge Mädchen enthüllt edle Gesinnung, Liebenswürdigkeit und Anlage zu tiefem Gefühl (37), die Dame der Gesellschaft zeigt Koketterie, das „beinahe öffentliche Mädchen" überrascht ihn durch „naiven Witz, tüchtigen Verstand und ihr konsequentes Betragen" (41). Die Experimente der Sinnlichkeit enden mit der Verschuldung in dem melodramatischen Ende der Lisettenepisode.57 Als Gegenstück zu seinem Rückzug in die Einseitigkeit von Männerfreundschaften erscheint das Zusammentreffen mit der Frau, „die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf" (47). Durch den Einfluß ihres Wesens, das alle idealen Züge der Weiblichkeit verbindet, durch die „Größe der Seele", wird sich Julius zum erstenmal seiner eigenen vollen Menschlichkeit bewußt, und ist jetzt fähig „den Wert des Lebens" zu fühlen. Obwohl er dieser Frau entsagen muß, ist der Wendepunkt seiner eigenen Entwicklung erreicht. In genauer Umkehrung der sinnlichen Experimente, die zum Tiefpunkt führten, bereiten eine Reihe von Liebes- und Freundschaftserlebnissen, die auf seelischer oder geistiger Anziehung beruhen, Julius auf die wahre Liebe vor.58 Durch diese stufenweise Erweckung, durch das Herausgehen des Ich in das Du, reift Julius zur vollen Männlichkeit, die sich dann durch sinnlichen und geistigen Austausch mit der Geliebten zur „wahren Menschlichkeit" entwickelt. Der „wahre Mensch" im Sinne des Lucindeideals ist eine durch die Wechselbeziehung der Liebe zur vollen Entfaltung aller individuellen Anlagen entwickelte Persönlichkeit.59 Dabei ist das Ideal nicht die Aufgabe der Identität der Partner; die schöpferische Kraft wird gerade in der Spannung von Harmonie und Gegensätzlichkeit gesehen. Nichts zog ihn anfangs so sehr an, und hatte ihn so mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von ähnlichem ja gleichem Sinn und Geist mit ihm selbst war, und nun mußte er von Tage zu Tage neue Verschiedenheiten entdecken. Zwar gründete sich selbst diese nur auf eine tiefere Gleichheit, und je reicher ihr Wesen sich entwickelte, je vielseitiger und inniger ward ihre Verbindung. Er hatte es nicht geahndet, daß ihre Originalität so 57

Über Vorbilder in der französischen Literatur siehe Kluckhohn, Auffassung der Liebe, 347. 58 Schleiermacher erläutert diesen Entwicklungsgang damit, daß Liebe wie „alles Geistige im Menschen ebenfalls von einem instinktartigen, unbestimmten innern Treiben anfängt, und sich erst nach und nach durch Selbsttätigkeit und Übung zu einem bestimmten Wollen und Bewußtsein und zu einer in sich vollendeten Tat" herausarbeitet (Vertraute Briefe, 135). st Bereits in dem Aufsatz „Über die Diotima" (1795) klingen diese Gedanken an. Vergl. Minor I, 56, 59.

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unerschöpflich war wie ihre Liebe. (56)

Die Selbstanalyse, sowie die Analyse der Partner in den verschiedenen Freundschafts- und Liebesverhältnissen stellt den Akt der erlebnishaften Erfahrung menschlicher Entwicklung durch die Beziehung der Geschlechter dar. Erst im reflektierenden und urteilenden Nacherzählen wird für Julius das Leben „zu einer gebildeten Geschichte" (53). Erst aus der Dialektik von Erlebnis und Reflexion ergibt sich die neue Bewußtseinsstufe. 2.2.2

Männlich

plus

Weiblich

In den episodischen Teilen, den Briefen und Dialogen, wird die Analyse des Männlichen und Weiblichen durch die Erweiterung von der persönlichen zur allgemeingültigen Sicht zunehmend begrifflich. Als natürliche Anlage der Frau wird „Einheit des Wesens" erkannt, da „Leben und Lieben" für sie gleichbedeutend seien (11); im Gegensatz zum Mann, der „von Natur bloß heiß oder kalt" sei und zur Ausgeglichenheit der Wärme erst gebildet werden müsse, wird die Frau als „sinnlich und geistig warm" gesehen (22). Als Grundprinzip des Mannes wird die Selbsttätigkeit erkannt — in den „Ideen" spricht Schlegel von „Genie"81 — als Grundprinzip der Frau, eine mehr passive Wesenhaftigkeit; Frauen sind die „Naturmenschen" (55) der Gesellschaft. Der Gegensatz der Geschlechter wird besonders an ihrem Vermögen der Liebe oder Freundschaft nachgewiesen. „Die Liebe", so erkennt Julius, ist „für die weibliche Seele ein unteilbares durchaus einfaches Gefühl", dagegen für den Mann „nur ein Wechsel und eine Mischung von Leidenschaft, von Freundschaft und von Sinnlichkeit" (56). Den Frauen wird durch ihre charakteristische Art alles zu lieben, gleich ob es Mann, Kind oder Schwester ist, die Fähigkeit zur Freundschaft abgesprochen. Die Freundschaft ist für euch zu vielseitig und einseitig. Sie muß ganz geistig sein und durchaus bestimmte Grenzen haben. Diese Absonderung würde euer Wesen nur auf eine feinere Art eben so vollkommen zerstören wie bloße Sinnlichkeit ohne Liebe. (34)

Mit dieser Analyse des männlichen und weiblichen Wesens wurde «o Vergl. „Uber die Philosophie": „Der eigne Sinn, die eigne Kraft und der eigne Wille eines Menschen ist das Menschlichste, das Ursprünglichste, das Heiligste in ihm. Ob er zu dieser oder jener Gattung gehöre, das ist unbedeutender und zufälliger ..." (Minor Π, 321). " Ideen 19, 116, KSA Π, 258, 267.

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gleichzeitig die Liebe als Dynamik des persönlichen Lebens erschlossen. Ihre schöpferische Kraft bewies sich in der Fähigkeit, Geist und Körper zur harmonischen Einheit zu verbinden und somit dem Menschen zur Entwicklung und Wirksamkeit der in ihm ruhenden Kräfte zu verhelfen. Das Geheimnis der Liebe enthüllte sich in der Spannung der Gegensätzlichkeit der Geschlechter bei Ubereinstimmung der allgemein menschlichen Qualitäten. Paul Kluckhohn hat auf das 87. AthenäumsFragment als „schönste Verteidigung der Lucinde" verwiesen;62 es erscheint auch als Ergänzung ihrer Liebestheorie angebracht. Das erste in der Liebe ist der Sinn für einander, und das Höchste ist der Glaube an einander. Hingebung ist der Ausdruck des Glaubens, und Genuß kann den Sinn beleben und schärfen, wenn auch nicht hervorbringen, wie die gemeine Meinung ist. Darum kann die Sinnlichkeit schlechte Menschen auf eine kurze Zeit täuschen, als könnten sie sich lieben."3 Wie sich bereits bei der Formanalyse die geheime Systematik der Lucinde als ein Wechsel von Analyse, Synthese und Progression erschloß, so beginnt sich auch in der Entfaltung der Thematik eine ähnliche Tendenz der Schematisierung abzuzeichnen. Der Liebe als Dynamik des persönlichen wird die Liebe als Dynamik des gesellschaftlichen Lebens progressiv übergeordnet, um mit der Liebe als universelles Prinzip die höchste Stufe zu erreichen. 2.2.3

Idylle und Satire

Die Erweiterung des Themas auf den gesellschaftlichen Bereich trennt sich antithetisch in Idylle und Satire. Der Idylle der idealen romantischen Ehe und deren Wirkung auf einen größeren Kreis steht die Satire auf die zeitgenössischen Begriffe der Sittlichkeit, die „der jungen Generation überlebt und starr geworden" schienen, gegenüber.64 „Idylle" ist hier mit der Einschränkung zu verstehen, daß — wie grundsätzlich in der Lucinde — die Verwirklichung nur im Gesagten oder Geplanten, nicht in der gelungenen Darstellung erscheint. Dem durch die Liebe gebildeten Julius gelingen seine Werke; auch sein Leben wird ihm zum „Kunstwerk". Um das Paar bildet sich eine „freie Gesellschaft, oder vielmehr eine große Familie" (58-59). Das ästhetische Dasein dieses Kreises erscheint als Ideal einer neuen Lebensgestaltung: „Sie lebten ein gebildetes Leben, auch ihre Umgebung w

Auffassung

der Liebe, 374.

«» KSAII, 178. 64

Dilthey, Leben Schleiermachers,

251.

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ward harmonisch" (57). Doch wäre es ungerecht, hierin das einzige Ziel der in dem Roman proklamierten neuen Sittlichkeit zu sehen. Aus den Briefen ist zu entnehmen, daß Lucinde in Erwartung ist, Mutter zu werden. Julius beschließt in seiner neuen Rolle, sich seine „Stelle in dieser schönen Welt" zu verdienen, sich anzubauen und „für die Zukunft und die Gegenwart zu säen und zu ernten". Da er durch die Ehe „das Bürgerrecht im Stande der Natur" erworben hat, gefällt er sich in „der freundlichen Beschränkung" und sieht „das Nützliche in einem neuen Lichte" (61-62). Diese stichwortartige Charakteristik der Ehe hat in der Kritik zu sehr unterschiedlicher Beurteilung geführt. S0ren Kierkegaard sieht sie als „Verneinung der Sittlichkeit";65 Wolfgang Paulsen erkennt einen Mangel an sozialem Verannwortungsgefühl;ββ dagegen sieht Η. H. Borcherdt den Versuch einer neuen „Eigenform der romantischen Ethik", und Paul Kluckhohn die Absicht, die „den ganzen Menschen ergreifende Liebe" als Grundlage einer wirklichen Ehe darzustellen, die „durch Elternschaft Vollendung erfährt, und sowohl auf die eigene Persönlichkeit wie auf das Gemeinschaftsleben einwirkt".87 August Korff betont, daß die Eheidee „nicht mehr christlich, sondern humanistisch" gesehen wird, daß an die Stelle der „Pflichtgemeinschaft die Idee der Glücksgemeinschaft" getreten ist.68 Der aus der Perspektive der sozialistischen Literaturkritik urteilende Eugeniusz Klin erkennt es als Schlegels Verdienst, daß er die „radikal sinnliche und die seelisch-schwärmerische Auffassung" der Ehe vereinigt und „durch das Band der Elternschaft gesellschaftlichen Aufgaben zugänglich" gemacht habe.69 Aus der Einsicht in das strukturelle Prinzip der Progression, aus Julius' skizzierter Entwicklung vom Liebenden zum Künstler, zum Ehepartner, zum Vater, zum Bürger, muß der positiven Beurteilung zugestimmt werden. Trotz der Dürftigkeit der Gestaltung läßt sich die Absicht erkennen, die auf wahre Liebe gegründete Ehe als Keim einer gesellschaftlichen Erneuerung darzustellen.70 Im Gegensatz zu der progressiven Annäherung von Realem und 85

Über den Begriff der Ironie: Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, in Gesammelte Werke, übers, von E. Hirsch und R. Hirsch (Düsseldorf, Köln, 1961), 31. Abt., 306. M „Lucinde als Roman", 184. 87 Auffassung der Liebe, 375. «8 Geist der Goethezeit, III, 88-92. "» „Das Problem der Emanzipation in Friedrich Schlegels Lucinde", WB, IX (1963), 87. 70 Vergl. Idee 152: „Willst du die Menschheit vollständig erblicken, so suche eine Familie" (KSA II, 272).

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Idealem durch die Liebe, steht die absichtliche satirische Zersetzung alles dessen, was von der bestehenden Gesellschaftsordnung diesem Streben widerspricht. Denn nach Schlegels Auffassung ist die „Wahrheit nicht gegeben, sondern aufgegeben; sie entsteht durch Vernichtung des Irrtums".71 Als Medien der Satire erscheinen die rhetorische Ironie — nicht mit der romantischen Ironie zu verwechseln72 — die offene Polemik und die Komik der Ubertreibung. Gegen die Lehren einer sogenannten guten Lebensart, wie sie im wirklichen Leben um die Jahrhundertwende von dem Freiherrn v. Knigge und dem „Musterschriftsteller" Engel vertreten wurden,73 die Schlegel als Versklavung der Individualität und damit der „wahren Menschlichkeit" erschienen, richtet sich in der Lucinde die Satire. In ironischer Umkehrung wird Lisette mit einer beträchtlichen Anzahl menschlicher Qualitäten gezeichnet, während der von der Gesellschaft geachteten und bewunderten Dame alle Tugenden abgesprochen werden (44). Ähnlich wird Julius gerade während des Tiefpunktes seiner Entwicklung von der Gesellschaft für „vernünftig" und sogar für „angenehm" gehalten. Gegen den Utilitarismus richtet sich das Lob des Müßiggangs als wahre schöpferische Stimmung. Da die Liebestheorie der Lucinde zusammenhängt mit Schlegels Grundstreben, „ die Zwiespältigkeit der Kultur und Lebensauffassung seiner Zeit zu überwinden",74 ist die darin enthaltene Proklamation der Einheit von Körper und Geist logisch. So richtet sich die Polemik besonders gegen die falsche Scham und Prüderie als „unechte Delikatesse" (15, 23, 52). Damit verbunden ist gleichzeitig der Angriff auf die Ehe als bloßer Gesellschaftsvertrag, da sie keine Entfaltungsmöglichkeiten für die „wahre Menschlichkeit" zu bieten schien. „Da liebt der Mann in der Frau nur die Gattung, die Frau im Mann nur den Grad seiner natürlichen Qualitäten und seiner bürgerlichen Existenz, und beide in den Kindern nur ihr Machwerk und ihr Eigentum" (33). Als letzte Potenzierung des Themas erscheint der Versuch, von dem zunehmend ins Bewußtsein gehobenen Prinzip der Liebe als schöpferischer Kraft des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens auf ein analoges Prinzip im Metaphysischen zu verweisen. Damit hat der Hin71

Neue philosophische Schriften, 64. Lyceums-Fragment 42: „Freilich gibts auch eine rhetorische Ironie, welche sparsam gebraucht vortreffliche Wirkung tut, besonders im Polemischen; doch ist sie gegen die erhabne Urbanität der sokratischen Muse, was die Pracht der glänzendsten Kunstrede gegen eine alte Tragödie in hohem Styl" (KSA II, 152). 73 Dilthey, Leben Schleiermachers, 251 ff. 74 Kluckhohn, Auffassung der Liebe, 400. 7i

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weis auf die ideale Sphäre, der der ganzen Entwicklung zugrunde liegt, den Höhepunkt erreicht. Es handelt sich nun nicht mehr um Darstellung eines Bewußtseinszustandes, der durch Reflexion des Erlebten oder Erfahrenen zu erreichen ist, sondern um die Andeutimg einer Ahnung; nicht um Identität des Endlichen und Unendlichen, sondern um bedeutungsvolle Verweisimg. „Alle Schönheit ist Allegorie. Das Höchste kann man eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen",75 heißt es im „Gespräch über die Poesie". 2.2.4

Motive und Symbole

Auf der Ebene der ahnenden Verweisung wird das Persönliche zum Universellen, das Zeitliche zum Zeitlosen, Geschehen zum Zustand. Abarten des Traums werden die symbolisch bedeutsame Darstellungsform. Im Wachtraum und in der Vision vermittelt der Ich-Erzähler durch seine Phantasievorstellungen das Erlebnis der Ganzheit des Daseins, das ihm durch die Liebe erschlossen wird. Die Wirklichkeit und Lebendigkeit des Ideals wird durch Traumbilder erzeugt, die eine Sensation von Farbe, Wärme und Bewegung hervorrufen. Durch ihre Vielgestaltigkeit deutet die Geliebte auf die immer neuen Erscheinungen der einen Liebe (7). Als Parallele zu dieser Glücksvision erscheint später der Angsttraum, als Reaktion auf die Krankheit der Geliebten.7® Die Vorstellung ihres Todes beschwört die Bilder eines Daseins aus Pflicht, in dem die Ideale aus Mangel an Enthusiasmus unerreicht bleiben. Durch die Sehnsucht wird die unzerstörbare Zusammengehörigkeit der liebenden Seelen verwirklicht; damit wird die Geliebte zur Vermittlerin zwischen der realen und der idealen Welt. Das Motiv der Erinnerung steht in engem Zusammenhang mit dem Traum. Die Freuden der Liebe erscheinen als „wundersames Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten" (9). Die Ver7

«

KSA II, 324. Daß Friedrich Schlegel bei der Todesvision auf das Erlebnis des Freundes Hardenberg zurückgreift, das später in den „Hymnen an die Nacht" künstlerische Verwirklichung fand, ist bekannt. Interessante Einblicke in die Schlegelsche Denkweise gewährt der Briefwechsel der Freunde. So übersandte Friedrich dem Freunde August Wilhelms Ubersetzung von Romeo und Julia, um Hardenberg über den Verlust Sophie Kühns zu trösten mit der Bemerkung: „An den Antithesen dieses Stücks, die vom Größten bis zum Kleinsten gehn, bis zu den spitzen Reden und Reimen und dem Auftritte gleich nach Juliens Todestraum, wirst D u kein Ärgernis nehmen. Das ist so die Art der Liebe, des Geistes und der Tragödie — das Werk ist die reine Antithetik des jugendlichen Herzens" (Preitz, Schlegel und Novalis, 86). 76

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bundenheit mit der Geliebten erzeugt den Gedanken, daß „Hoffnung" eigentlich „Erinnerung" sei. Julius wird durch den „Strahl von Verlangen und Erinnerung" auf den Bildungsweg der Liebe gebracht (37). Die Erscheinung der Frau, die ihm sein eigenes Wesen erschließt, empfindet er als etwas, das er „lange dunkel erwartet hatte" (48). Obwohl sich Julius bewußt ist, daß er die Bestimmung alles Lebenden teilt, „zu blühen, zu reifen und zu welken", bleibt er doch durch die Sehnsucht nach der ewigen Liebe im Zusammenhang mit einer unsterblichen Welt. Im Gleichnis der Venus, die "mit zarter Wehmut" sich des toten Adonis erinnert, wird dieses persönliche Empfinden in den überzeitlichen Bezug gestellt. Die Variationen des Motives deuten auf das Mysterium einer Fügung. Der durch den Glauben an das Gute, durch dunkle Erinnerung Geleitete, verwirklicht durch die Kraft der Liebe das Ideal. Wiederum erhält durch die Spiegelung am zeitlosen Beispiel (der antiken Mythologie) das vereinzelte, dem zeitlichen Ablauf unterworfene Erlebnis eine gleichnishafte Bedeutungserhöhung. In süßer Ruhe schlummert der kindliche Geist und der Kuß der liebenden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Rose der Scham färbt seine Wange, er lächelt und scheint die Lippen zu öffnen, aber er erwacht nicht, und er weiß nicht was in ihm vorgeht. Erst nachdem der Reiz des äußern Lebens, durch ein innres Echo vervielfältigt und verstärkt, sein ganzes Wesen überall durchdrungen hat, schlägt er das Auge auf, frohlockend über die Sonne, und erinnert sich jetzt an die Zauberwelt die er im Schimmer des blassen Mondes sah. Dieser Augenblick, der Kuß des Amor und der Psyche, ist die Rose des Lebens. (59-60)

Die Liebe erschien als Kraft, die aus der Spannung des Entgegengesetzten neue Harmonien bildet. In dem lyrischen Dialog „Sehnsucht und Ruhe" wird versucht, auf das Geheimnis dieses schöpferischen Vorgangs durch Sprachgestaltung zu verweisen. Die zwei auf einander bezogenen Begriffspaare „Tag und Nacht" und „Sehnsucht und Ruhe" werden zu immer neuen antithetischen Konstellationen verwendet. Der Dialog begleitet das Aufsteigen der Sonne; es ist der Zeitpunkt zwischen Tag und Nacht. Die Morgendämmerung entspricht dem gesteigerten Bewußtsein der Liebenden, die symbolisch das Glied zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit herstellen. Die Nacht ist das umfassendere Symbol; sie gehört in den Bereich der Allheit. Alles Differenzierte ist ihr daher unterstellt, sie kann es sich einordnen: „Nur in der Ruhe der Nacht, sagte Lucinde, glüht und glänzt die Sehnsucht und die Liebe hell und voll wie diese herrliche Sonne" (78). Dagegen ist der Tag das

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Symbol für die Sphäre der Erscheinungen und des Lebens, somit eine Verminderung im Vergleich zum All; hier „schimmert das Glück der Liebe blaß". Ruhe und Sehnsucht stehen in einem ähnlichen Verhältnis zu einander. Die Ruhe gehört in das Wortfeld der Nacht. Die Sehnsucht ist das Streben nach der Wiedervereinigung mit der Ganzheit, die in der Sehnsucht des Liebenden das auf die Wirklichkeit beschränkte Equivalent hat. Im Wechselgespräch wird durch die spielerische Antinomie auf die Spannung der Gegensätze verwiesen, denn „Nicht der Haß, wie die Weisen sagen, sondern die Liebe trennt die Wesen und bildet die Welt" (61). Diese Idee wird nochmals gesteigert wenn Julius-Zeilen, die auf den Kontrast von Tag und Nacht aufgebaut sind und gesuchte Verbindungen wie „der ernsten Augen lichtes Schwarz" verwenden, auffälig auf Lucinde-Zeilen stoßen, die durch synästhetische Wortgruppen auf die große Synthese verweisen: „der laute Morgen blendet", „der Vögel buntes Lied" (79). Auch die Personen werden zu Figurenkomplexen, da sie die früher Geliebten wesenhaft in sich vereinen.77 Die Geliebte wird mythologisiert zur „Priesterin der Nacht". Das Gedicht endet im Tristan-Erlebnis der großen Liebesnacht.78 Obwohl das Ganze in der Rhetorik stecken bleibt, ist doch der Gestaltungsversuch interessant. Wie im Innern des Dialogs die Gegensätze zu Synthesen übergehen, so stellt er als ein Wort-und Ideengefüge einen kleinen Kosmos dar, der durch die Spannungen der Liebe geschaffen wurde, und deutet so noch einmal auf das geahnte Geheimnis einer universellen Liebe. Die Selbstdarstellung des Romans, die parallel zu dem Liebesthema verläußt, sich mit diesem vermischt oder es spiegelt, ist eine Thematisierung der Form, deckt sich daher mit den Befunden, die bereits in der Strukturanalyse besprochen wurden. Es bleibt nur hinzuzfügen, daß in der abschliessenden Reflexion, „Tändeleien der Fantasie", eine sowohl verweisende wie konzentrierte Gestaltung der zentralen Idee vorliegt, ähnlich wie sie im lyrischen Dialog für das Liebesthema nachgewiesen wurde. Spielerisch werden die Analyse der Gestaltungskomponenten, Verstand und Phantasie, hier als „Seele" erscheinend, ineinander gewirkt. Schon durch die Form der witzigen Darstellung wird noch einmal auf die Zweckfreiheit der künstlerischen Schöpfung verwiesen. Während 77

Vergl. Rouge, Erläuterungen, 126. H. Eichner hat daraufhingewiesen, daß Thomas Mann beim Lesen der Lucinde neben die Worte des Julius „O ewige Sehnsucht!" das Wort „Tristan" schrieb. „Einleitung", KSA V, xlv.

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der Verstand Absichten künstlich verwebt und „an die Stelle der heiligen Kinderspiele nur Erinnerung an ehemalige Zwecke oder Aussichten auf künftige" schiebt, überläßt sich die Seele dem Fluß der Bilder, „Musik der Liebe träumend" (81). Diese Bilder spiegeln die in der Lucinde angeschlagenen Themen. Ausklingend geht die Reflexion wieder in sich zurück, und bezeichnet diese Schöpfung von Verstand und Phantasie als „Romanze von den schönen Geheimnissen der kindlichen Götterwelt". Dieses romantischen Kind, die Lucinde, ist aber dasselbe, das im Prolog des Verfassers als „Sohn seines Geistes", als „so arm an Poesie . . . als reich an Liebe" eingeführt wird, und damit sowohl geschlechtlich wie charakterlich in direktem Widerspruch zu sich selbst steht. Damit löst sich der letzte Scherz dieses hermetischen Spiels auf; das Werk, das sich zwischen Prolog und Selbstanschaung entfaltet, gibt sich noch einmal als Schöpfung aus der Spannung des männlichen und des weiblichen Prinzips zu erkennen. „Der angeborne Trieb des durchaus organisierten und organisierenden Werks, sich zu einem Ganzen zu bilden", sagt Schlegel über Wilhelm Meister, „äußert sich in den größeren wie in den kleineren Massen".79 Das ließe sich mit gleicher Berechtigung von der Lucinde sagen. Aus dem Zusammenspiel von Thematik und Aufbau erschließt sich das Werk als eine eigengesetzliche, hermetische Welt, in der mit auffallender Absichtlichkeit der in der Wirklichkeit herrschende Zwang von Zeit und Zufall in eine künstliche Gesetzmäßigkeit umgesetzt wird. Durch den gesteigerten Abstraktions- und Fügeprozess, durch die „witzige Form" entsteht der Roman als eine Kunstfigur mit kalkulierbarer Architektonik. In dem an Dorothea gerichteten „Brief über die Philosophie" heißt es: In Künsten und Wissenschaften ist der Gang des menschlichen Geistes bestimmt und festen Gesetzen unterworfen. Hier ist alles in beständigem Fortschreiten und nichts kann verloren gehen. Aber eben darum muß man auch den Augenblick ergreifen; was er giebt für die Ewigkeit bilden, und Tugend und Liebe, wo sie erscheinen in Kunst und Wissenschaft verwandeln. Nur dadurch ist es möglich, dem einzigen was Werth hat, Sicherheit und Dauer zu geben, so weit es in unsrer Macht ist.80

Die Lucinde ist ein Versuch dieser Verwandlung. Es war Schlegel versagt, seine Ideen künstlerisch „lebendig" werden zu lassen. Aber indem er den „Halbbruder" der Kunst, den Prosaroman, als Ausdrucksform der Moderne für sein Experiment wählte, indem er versuchte, ihn zur 7» KSAII, 131. β» Minor II, 331.

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vollgültigen Kunstform zu erheben, wies er der Gattung neue Möglichkeiten der Gestaltung.

2.3

NICHT-EPISCHE ELEMENTE

Die vorausgegangene Analyse der formalen und thematischen Struktur der Lucinde gibt die Basis für die nähere Bestimmung der Elemente, die vom epischen Grundtypus auffällig abweichen. Ich hoffe zu zeigen, daß gerade diese Elemente, die am Aufbau und Sinnzusammenhang der Lucinde überwiegenden Anteil haben, Einsicht in die neue Aufgabe der künstlerischen Gestaltung gewähren, die sich der Roman der Frühromantik stellte. 2.3.1

Das Bekenntnishafte in abstracto

Die Idee des Romans als Selbstbekenntnis scheint eine Tradition fortzusetzen, die im Werther ihr Musterbeispiel hatte. Es wird sich aber zeigen, daß auch hier ein Bruch mit der Tradition vorliegt, da das Bekenntishafte in der Lucinde auf völlig neue Art und mit neuer Absicht integriert ist. Da die Lucinde in Übereinstimmung mit der Romantheorie ihre eigene Kritik und Theorie einschließt, kann die Selbstaussage zu Gestaltungsfragen herangezogen werden. Zum Bekenntnishaften äußert sich der Ich-Erzähler im Einleitungsbrief; er betont dabei ausdrücklich, daß er die natürliche Ordnung umzustoßen gedenkt, um „den rohen Zufall zu bilden und ihn zum Zwecke" zu gestalten (9). Vergleicht man damit die spätere Aussage des personifizierten Witzes in Bezug auf die Darstellung, so zeigt sich, daß hier der Akzent ausdrücklich auf Verwandlung und Verrätselung hegt. „Bilde, erfinde, verwandle und erhalte die Welt und ihre ewigen Gestalten im steten Wechsel neuer Trennungen und Vermählungen. Verhülle und binde den Geist im Buchstaben" (20). Schlegel selbst hat die Lucinde als „eines der künstlichsten Kunstwerkchen",81 als eine „complicierte Idee" 82 bezeichnet. Somit erscheint sowohl nach der Selbstaussage des Werks, wie auch nach dem Urteil des Autors, die Bewußtheit und Absichtlichkeit der Konstruktion als dominierendes Gestaltungsprinzip. Das Inhaltliche ist abgewertet und 81

Caroline, 244. Aus Schleiermachers (Berlin, 1861), III, 193. 82

Leben: In Briefen, hrsg. von L. Jonas und W. Dilthey

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subsumiert. Damit wird das Bekenntnishafte von seiner engen Beziehung zum Erzähler gelöst und gewinnt neue Bedeutung als Material der bewußten Gestaltung. Folglich kann man der Lucinde nicht gerecht werden, wenn man sie — wie das so oft in der Kritik geschah — nur als Bekenntnis interpretiert. Sie ist zuerst und hauptsächlich eine systematisch konstruierte Kunstform. Es soll nun im einzelnen nachgewiesen werden, wie der Stoff des Lebens in Komponenten der künstlerischen Konstellation verwandelt wird. Abstraktion, Stilisierung und Unterdrückung des Zeitgefühls stehen dabei im Vordergrund. Die Systematik der Methode gibt die Berechtigung, die Abstraktion als durchgehaltenes Prinzip anzuerkennen. So haben, ζ. B., die Nebenfiguren der „Lehrjahre" kaum individuelle Züge, sie werden nicht in ihrer Körperlichkeit oder als Personen mit eigenem Innenleben lebendig. Sie werden auf charakteristische Wesenszüge, auf ihre gesellschaftliche Stellung, oder auf ihren Typ reduziert; also auf das, was innerhalb des Geflechts der Beziehungen ihre Aussagefunktion ist. Selbst die Hauptfigur, der Julius der Dialoge und der Lehrjahre, der mit dem Ich-Erzähler — wie sich aus dem Hinweis im Text ergibt — identisch ist, wird der Einfügung in die Konstellation unterworfen und nicht von der Gestalt aus durchgehend motiviert. Das zeigt sich deutlich an dem Wechsel der Erzählperspektive. Da beide Dialoge des Textes unvorbereitet eingeschlossen werden, wirkt die Erscheinung des Ich-Erzählers in der Rolle des Julius verfremdend. Dieser Effekt ist bei dem Mittelstück der „Lehrjahre" noch deutlicher, da hier die Perspektive des Ich-Erzählers zu der des allwissenden Erzählers wechselt, der sich selbst in der Figur des Julius beschreibt. Die bewußte Aufhebung der logischen Entwicklung ist durch die Absicht der willkürlichen Gestaltung erklärt. Diese Tendenz, dem Leser immer wieder vor Augen zu führen, daß es sich bei diesem Roman um ein künstlich Geschaffenes, nicht um Widerspiegelung des Lebens als solches handelt, wird durch die bis zur Übertreibung stilisierten Darstellungsformen der Allegorie, der Rollenlyrik und der Reflexion (des Werkes über sich selbst) in den „Tändeleien der Fantasie" bekräftigt. Weiterhin gibt die Gestaltung des Raumes einen zusätzlichen Beweis für die Verwandlung, die das empirisch Erlebte erfährt. Wo er als Landschaft, Wohnraum oder Inneneinrichtung erscheint, bleibt er als Schauplatz des Geschehens völlig unwichtig. In den wenigen stark ab-

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strahierten Beschreibungen sind deutlich Symbole erkennbar, die das Charakteristische einer Figur, eine Stimmung, oder auch ein Gestaltungsprinzip veranschaulichen. So ist ζ. B. der Gartenpavillon als Gebäude, in dem Natur- und Gesellschafsraum gleichsam zusammentreffen, die typische Umgebung für Lucinde, die in ihrem Wesen beide Sphären harmonisch verbindet. Auch die Einrichtung von Lisettes Wohnung reflektiert deren Persönlichkeit — beide exzessive sinnlich. Ganz ähnlich heißt es, daß Julius in der Entwicklungsstufe des inneren Kampfes „rauhe Felsen" aufsucht und es liebt, „am Gestade des einsamen Meeres" zu sinnen. Und wenn schließlich das erwartete Kind die Liebenden in Partner der idealen romantischen Ehe verwandelt, dann erscheint das Landgut als Symbol einer neuen, natürlichen Lebensform. Schließlich ist bei der Verwandlung des Bekenntnishaften zur bewußt konstruierten Kunstform die Negierung des Zeitgerüsts von Bedeutung. Auch hier weist die Selbstaussage des Werkes wieder offen, wenn auch ironisch, auf die beabsichtigte Methode: „denn mit den andern Regeln der Vernunft und der Sittlichkeit", gesteht der Erzähler, „ist auch die Zeitrechnung dabei ganz von mir vergessen worden" (8). Das Buch scheint in gut epischer Tradition in der Mitte, mit einem Brief an die Geliebte, anzufangen. Die Zeitbestimmung wird aber sofort schwankend, da die als Erinnerung erscheinende Verbindung mit der Geliebten plötzlich als „schöner Traum", der noch in der Zukunft zu realisieren ist, bezeichnet wird. Da in der erklärenden Nachschrift zu dem einleitenden „Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten" die Berichtform zum Präsens übergeht, erscheint hier die Erzählgegenwart erreicht. Zu Beginn des zweiten Teils des Eingangskapitels wird diese Bestimmung aber wieder unsicher, da der Erzähler den vorausgegangenen Briefteil als ein unterbrochenes Selbstgespräch bestimmt, dessen Fortsetzung den genauen Plan zur Geschichte bereits einschloß. Es muß sich, demnach, im Widerspruch zu der Einleitung, doch um einen Rückblick handeln. Natürlich läßt sich auch dieser Widerspruch erklären. Der erste Teil des Kapitels stellt den Anfang des ursprünglich chronologisch geplanten Werks dar; der Abschnitt in der Präsensform ist also eine fiktive Erzählgegenwart des ersten Versuchs. Die Auflösung des Rätsels ist aber unwichtig; denn die Absicht ist offenbar: durch diese komplizierte Verwirrung die Zeitorientierung des Lesers unmöglich zu machen. Die „Dithyrambische Fantasie" enthält einen ganz ähnlichen Versuch, das Berichtete in einer unwirklichen Schwebezeit erscheinen zu lassen.

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Eigenheiten des Aufbaus unterstützen diesen Effekt. Hierher gehören die offensichtlichen Unterbrechungen des zeitlichen Ablaufs durch Charakterisierung, Allegorisierung und Reflexion; und, nicht zuletzt, die dem humoristischen Roman entliehene Formel der fiktiven Entstehung durch das Zurückgreifen auf bereits früher verfaßte Blätter (9). Im chronologischen Teil der „Lehrjahre" wird die Zeitbestimmung zumindest unterdrückt. Die Wirklichkeit kommt dem noch unreifen Julius wie „eine Masse von Bruckstücken ohne Zusammenhang" vor (37). Dazu bleiben die wenigen direkten Zeitangaben, wie „so lebte er viele Jahre", oder „leicht und melodisch flössen ihnen die Jahre vorüber", sehr vage. Die einzige genaue Bestimmung der Periode der erlebten, aber noch nicht ins Bewußtsein aufgenommenen wahren Liebe, „mehr als zwei Jahre", hat eine strukturelle Bedeutung, auf die später zurückzukommen ist. Am deutlichsten wird der Versuch, die chronologische Zeit als etwas Unwirkliches erscheinen zu lassen, an dem Beispiel der Angstvision, die Julius in wenigen Augenblicken ein ganzes Menschenleben durchlaufen läßt (69-71). Das Erlebnis wird ausdrücklich mit einem Fingerzeig eingeleitet: „Jeder einzelne Atom der ewigen Zeit kann eine Welt von Freude fassen, aber sich auch zu einem unermeßlichen Abgrund von Leiden und Schrecken öffnen" (68). In dem „Brief über die Philosophie" spricht Schlegel seine Uberzeugung aus, daß das Heiligste im Leben, vergänglich und dem Zufall unterworfen wie der Mensch, an den es gebunden ist, nur in der zeitlosen Eigengesetzlichkeit der Kunst und der Wissenschaft aufbewahrt werden kann.83 In Übereinstimmung mit diesem Gedanken sucht der Verfasser der Lucinde das Bekenntnishafte durch Abstraktion, Stilisierung oder Zeitaufhebung aus dem Bereich des Empirischen in den Bereich der Kunst zu heben. Es wird sich im Folgenden zeigen, daß auch die weiteren nichtepischen Elemente diesem grundlegenden Prinzip einzuordnen sind. 2.3.2

Poesie und Wissenschaft

Die Theorie forderte für den Idealtyp des romantischen Romans die Verbindung von Kunst und Wissenschaft. „Wissenschaft" ist hier natürlich nicht im Sinne der verschiedene akademischen Disziplinen zu verstehen, sondern mehr als „Philosophie", als Sammelbegriff für die Vielfalt der geistigen Bestrebungen. Tatsächlich sind auch in der Lum

Minor Π, 330-331.

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cinde Versuche nachweisbar, die geistigen Anliegen der Zeit mit dem Stoff der Dichtung zu synthetisieren. Die Ideen des Fichteschen Idealismus und der Naturphilosophie werden im Abschnitt „Eine Reflexion" berührt. Die Liebe als kosmogonisches Prinzip ist sowohl Thema der „Metamorphosen" wie auch vielfach gestalteter Sinnzusammenhang des Werkganzen.84 Die Psychologie erscheint in Form der Analysen des männlichen und des weiblichen Wesens in Liebes- und Freundschaftsverhältnissen.85 In einer Stellungnahme zu zeitgenössischen Gesellschaftsproblemen setzt sich die Lucinde mit der Bedeutung der Liebe für die Ehe und die Familie auseinander. Wilhelm Dilthey erkannte Schlegels Bemühungen; er sah sie als Versuch „den neuen Roman und die neue Moral mit einem Griff zu begründen".86 Daß das Werk das hochgesteckte Ziel auch nicht annähernd erreichte, dessen war sich der Verfasser selbst sehr wohl bewußt.87 Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß er auch hier Neuland betreten hat. Besonders interessant ist die neue Sicht der Frau, da hier die Trennung zwischen platonischer und körperlicher Liebe zum erstenmal überwunden ist. Mit Lucinde stellt Schlegel ein Frauenideal auf, das sich von dem der Aufklärung, aber auch von dem der Klassik absetzt; sie ist die ideale Geliebte und Seelenfreundin in einer Person; sie ist aber auch selbständige Frau und Künstlerin. Schlegel scheint außerdem ihre ökonomische Gleichberechtigung zu befürworten, denn es ist Lucinde, die den Kauf des Landguts tätigt.88 Hans Eichner hat in seiner ausführlichen Einleitung Schlegels Beitrag zur Überwindung der Vorurteile eines ganzen Jahrhunderts gewürdigt.89 Ferner muß zu der in der Lucinde integrierten Auseinandersetzung mit der Gegenwartsproblematik der Angriff auf den Utilitarismus, wie er von den Popularphilosophen der Zeit gepredigt wurde, gerechnet werden. Natürlich traf er mit der „Idylle über den Müßiggang" auf taube Ohren. 84

Ernst Behler, „Friedrich Schlegels geistige Gestalt", in Schriften und Fragmente: Ein Gesamtbild seines Geistes, hrsg. von Ε. B. (Kröners Taschenausgabe, Bd. 246) (Stuttgart, 1956), xxv. 85 H. Eichner beschreibt in seiner Einleitung zu Bd. V der KSA den Anhang an die „Allegorie von der Frechheit" als „mit das Beste . . . was im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland über die Psychologie des Geschlechts und der Geschlechter geschrieben worden ist" (xl). 86 Leben Schleiermachers, 488. « Minor Π, 387. 88 Vergl. E. Klin, „Das Problem der Emanzipation", 92. 8 » KSA V, xxii-xxxv.

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Da sich der Roman die Aufgabe stellte, die eigene Kritik und Theorie einzuschließen, können die vielen Reflexionen über die eigene Gestaltung, wie sie ζ. B. in den Aussagen des personifizierten Witzes, der Satanisken, oder der „Charakteristik der kleinen Wilhelmine" vorliegen, als Versuche gesehen werden, Probleme der Ästhetik in das Werk zu bauen. Damit haben wir ein weiteres Beispiel für die Verbindung von Poesie und Wissenschaft. Die Einfügung des vielseitigen Gedankenmaterials ist sehr unterschiedlich. Von epischer Integration kann selbst da nicht die Rede sein, wo das Thema als Gesprächsstoff der Liebenden erscheint, denn das Handlungsgerüst ist auf weite Strecken nicht als tragende Schicht wirksam. Es liegt also nahe anzunehmen, daß die Einfügung des Wissensstoffes ebenfalls von der Pseudo-Organik der Kunstform abhängig ist. Tatsächlich ist die Integration, wenn auch nicht episch, so doch sinnvoll, wenn die Einzelthemen als individualisierte Einzelreflexionen zu der Idee des Werks — der Liebe als ein allumfassendes Prinzip des sich zunehmend besser verstehenden Universums — gesehen werden. Da diese Idee wiederum in die Dynamik der Form übersetzt wurde, müssen auch die Einzelreflexionen als RückSpiegelungen auf das Formprinzip des Ganzen gesehen werden. Wiederum zeigt sich das Bestreben, den Stoff des Lebens — hier also die geistigen Anliegen und die Problematik der Zeit — in ein zeitentbundenes Kunstsymbol umzusetzen. Daß bei der Kompliziertheit der Idee, der Vordergründigkeit der „skandalösen Geschichte" und dem Mangel an künstlerischens Talent die geniale Absicht nicht erkannt wurde — Fichte und Schleiermacher sind die Ausnahmen90 — ist kaum verwunderlich. 2.3.3 Die neue Mythologie Als nächstes wendet sich die Untersuchung der Frage zu, wie weit Lucinde der Aufgabe, eine neue, bewußte Mythologie zu schaffen, entspricht. Fritz Strich kam in seiner grundlegenden Untersuchung zu dem Schluß, Schlegels Werk sei ein „eigentümlicher Versuch", Schleirmachers „Religion der Liebe" in Form der neuen Mythologie zu verkünden.91 Soweit unter „Religion" hier die individuelle religiöse Sicht des Universums verstanden ist, hat diese Beurteilung gewiß Berechtigung. Das 90 Fichte nannte die Lucinde in einem Brief an seine Frau „eines der größten Genieprodukte", die er kenne. Fichtes Briefwechsel, hrsg. von H. Schulz (Hildesheim, 1967), 158. 91 Die Mythologie in der deutschen Literatur von Klopstock bis Wagner (Halle, 1910), Π, 43.

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Werk ist der Versuch, die persönliche Erfahrung der Liebe als eine aus Gegensätzen Neues schaffende Kraft, in ein allgemeinverbindliches Kunstsymbol umzusetzen. Und da nach Schlegels Auffassung jedes Kunstwerk, das diesen Namen verdient, den Hinweis auf das Unendliche zu leisten hatte, fiel auch der Lucinde diese Aufgabe zu. Dabei ist aber immer zu bedenken, daß Schlegel in jedem Einzelwerk nur den persönlichen Beitrag eines Individuums zum Ganzen der Kunst sah. „Nur derjenige kann ein Künstler sein", heißt es in den „Ideen", „welcher eine eigne Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat."98 Und etwas später fügt er hinzu: „Aber Zeit ist es, daß alle Künstler zusammentreten als Eidgenossen zu ewigem Bündnis."93 Als weitere, für die literarische Gestaltung wichtiger Aspekt der neuen Mythologie, ist die auf Herders Anregung zurückgreifende Idee einer dichterischen Gestaltung der Totalität des modernen Weltverständnisses im Kunstwerk zu sehen. Die Verwirklichung sollte durch die Verjüngung des ererbten Bildungsgutes und durch die Symbolierung der Ideen der Gegenwart ermöglicht werden. Und besonders dieser Aufgabe versuchte Schlegel in seiner Lucinde gerecht zu werden. Der mit seinen Gedanken vertraute Schleiermacher sagt daher auch in den Vertrauten Briefen: „Überall gehen wir ja darauf aus, die Ideen, welche aus der neuen Entwicklung der Menschheit hervorgegangen sind, mit demjenigen zu verbinden, was das Werk der Früheren war; dies ist die Fortschreitung, die uns aufgegeben ist."94 Die neue, bewußte Mythologie in der Lucinde ist also zuerst einmal diese evolutionistische Form der literarischen Gestaltung, und wird als eine Symbolisierung des Zeitgenössischen im Geiste der Uberlieferung angesehen. Bereits der Prolog kann als Hinweis auf diese Absicht gelten. Nach einem passenden Gleichnis suchend, gedenkt der Verfasser der Vorworte, die Petrarca, Boccaccio und Cervantes ihren Romanen mitgaben. Er stellt damit das eigene Werk in Beziehung zu den Vorbildern der romantischen Romandichtung. Der Titel des Mittelstückes, „Lehrjahre der Männlichkeit", mit seiner Anlehnimg an Wilhelm Meisters Lehrjahre, verweist auf das Vorbild der Gegenwart. Auch für die sprachliche Gestaltung des Liebesthemas versucht der Verfasser Beziehungen zur Überlieferung anzudeuten. Die Sprache der Liebe soll, so heißt es am Ende der „Idylle", „nicht züchtiger wie die römische Elegie . . . nicht vernünftiger wie der große Plato und die heilige Sappho" « μ M

Idee 13, K S A Π, 257. Idee 32, KSA II, 259. S. 138.

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sein (25). Im Kapitel „Metamorphosen" wird durch die Anspielung auf Ovids Repertorium der Mythologie ein versteckter theoretischer Verweis auf die Methode gegeben, die den Anschluß an die abendländische Mythenüberlieferung vollzieht. Die persönliche Erfahrung der schöpferischen Kraft des liebenden Gemütes wird durch die angedeuteten Gleichnisse aus der antiken Mythologie allegorisiert. Amor und Psyche, Narcissus, Pygmalion, Proteus, Echo, Iris und andere werden aufgerufen, um die vielgestaltigen Manifestationen dieser alles umfassenden Liebe anzudeuten.95 Zu den Versuchen das Persönliche zu symbolisierten gehört die Tendenz, die Geliebte als Ideal der Weiblichkeit zu zeichnen; sie erscheint als „Priesterin der Freude", „Priesterin der Nacht", als Vermittlerin zwischen Leben und Unendlichkeit. Der Versuch der Wiederbelebung der Überlieferung ist Schlegel nicht gelungen. Man kann nicht übersehen, daß es in der Lucinde beim bloßen Namennennen blieb. Für ein gelungenes zeitgenössisches Beispiel für das, was Schlegel vorschwebte, muß man sich Goethes Faust zuwenden. Auf dem Gebiet des Romans blieb es der Moderne vorbehalten, die Verjüngung des Kulturgutes zu verwirklichen. Schlegel war, wie so oft, der Anreger; und doch hat er auch einen persönlichen Beitrag geleistet. Die Ubertragung seiner Idee der Liebe als kosmogonisches Prinzip in eine symbolische Form weist auf die Versuche der modernen Ästhetik voraus. Dieser Wille zur totalen Abstraktion, der Versuch durch An-oder Zuordnung der konstitutiven Teile ein sinnvermittelndes Symbol zu schaffen, darf wohl als sein persönlicher Anteil an der neuen Mythologie gesehen werden. 2.3.4

Form als

Aussage

Bei dem Vergleich der Theorie des epischen Grundtypus mit der des romantischen Romans ließ sich eine Tendenz nachweisen, die Sprache auf eine Art zu gebrauchen, die erheblich über die Vermittlung semantischer Bedeutungen hinausgeht. „Form als Aussage" wurde als nichtepisches Element für das Romanideal der Frühromantik erkannt. Es ist nun nachzuweisen, wie sich diese Tendenz in der Praxis auswirkte. Die Lucinde ist nicht primär auf die Darstellung einer Begebenheit hin angelegt, sondern nähert sich mit ihren Reflexionen, Träumen und allegorischen Darstellungen oft der Beschreibung eines Bewußtseinszustandes. Auch Otto Mann beschrieb den Gehalt als „die Bildung der »s Vergl. Literary Notebooks, Nr. 1496 und Anm. p. 274.

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Geschlechter aneinander zum romantischen Bewußtsein".96 Das Zuständliche, d. h. das gedankliche, räumliche und zeitliche Verharren, ist aber das eigentliche Wesen der Lyrik.·7 Es wird sich zeigen, daß sich die Darstellung auch tatsächlich dem Lyrischen nähert. Damit ist allerdings nicht eine Lyrisierung im Sinne einer gefühlsbetonten, subjektiven Aussage gemeint, denn in der Lucinde wird nie, nicht einmal im Dialog „Sehnsucht und Ruhe", die Haltung des nur allzu Bewußten aufgegeben. Doch scheint es berechtigt, mit „lyrischer Gestaltung" den besonderen Gebrauch des Materials der Sprache zu bezeichnen, der sich bemüht, ein inhaltliches „Mehr" auszusagen. Aber im Unterschied zur wirklichen Lyrik, drückt dieses „Mehr" in der Lucinde ein Gedachtes, nicht ein Gefühltes aus. Zu dieser Art der Sprachgestaltung kann einmal die eigentümliche Symmetrie des Aufbaus gerechnet werden, wie sie die Strukturanalyse nachwies. Das Verhältnis der Einzelteile zu einander zeigte sich dort als eine äußere Statik bei innerer Dynamik: das Seiende als Werdendes. Nicht zuletzt, ist die Negierung des Zeitgexüsts zugunsten der Eigengesetzlichkeit des künstlich erzeugten Organismus hier einzuordnen. Zu der Annäherung an die Lyrik läßt sich weiter eine gewisse Wiederholung der Formen rechnen. Auffällig ist, ζ. B., in der Lucinde eine geheimnisvolle Wiederkehr und Verbindimg von Zahlenverhältnissen. Im ersten Abschnitt des Kapitels „Zwei Briefe" mit seinen auffälligen Unterteilungen wiederholt sich noch einmal die Anordnung in dreizehn Einzelteile, die das Ganze des Werks auszeichnet. Im Makrokosmos schließt sich auf diese Weise ein Mikrokosmos ein, eine Arabeske in der Arabeske. In den scheinbar nur dahinplaudernden Brieffetzen wird die Thematik der Lucinde genau reflektiert. Selbst das Prinzip der „Poesie der Poesie" wiederholt sich in der gewollt naiven Bemerkung des Verfassers, sein Brief sei ein Gemisch von „Verwirrung und Freude" (65). Die Anlehnung an „Chaos und Geist" und die dazugehörenden Begriffspaare ist deutlich. Auf diese Weise entsteht durch eine Reflexion der Formen noch einmal der Eindruck der geheimen Ordnung im scheinbar Zufälligen. Als Gegenstück zu der naiven Sprache des Briefes wiederholt „Eine Reflexion" dasselbe Prinzip in der Sprache des Denkers. In den dreizehn — diesmal nicht deutlich unterbrochenen — Einzelabschnitten spiegelt sich nicht nur, wie Η. H. Borcherdt annahm, „eine Philosophie »· •7

Der junge Friedrich Schlegel, 189. Emil Ermatinger, Das dichterische Kunstwerk

(Berlin, 1921), 168.

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der Erotik", nicht nur, wie die schöne Interpretation von J. J. Anstett nachwies, der Übergang von Fichte zu Schellings Gedankenwelt,M sondern zusätzlich die genaue Form der reflexiven Entfaltung der Lucinde als versteckter Hinweis auf die Struktur des Werkes in seinem Wechselspiel zwischen Chaos und Geist. Das Bestimmte und das Unbestimmte und die ganze Fülle ihrer bestimmten und unbestimmten Beziehungen; das ist das Eine und Ganze, das ist das Wunderlichste und doch das Einfachste, das Einfachste und doch das Höchste. Das Universum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten und das wirkliche Bestimmen des Bestimmbaren ist eine allegorische Miniatur auf das Leben und Weben der ewig strömenden Schöpfung. (73)

Auf ein ähnliches Spiel mit verrätselten Wiederholungen und Variationen in dem Abschnitt „Charakteristik der kleinen Wilhelmine" wurde bereits hingewiesen. Diese „kleine Person" soll zwei Jahre alt sein. Hier klingt die genaue Zeitangabe der „Lehrjahre" an. Es ist die Periode, in der Julius durch das wahre Erlebnis der Liebe sein Selbst findet. Es ist aber auch gleichzeitig die Zeitspanne in der die angeblich schon vorher geschriebenen Blätter, die der Verfasser zusammenzufügen vorgibt, entstanden sein müssen. Es handelt sich also hier um einen versteckten Hinweis auf die Entstehung des Werkes. Dieses eigentümliche Anklingen von halb geahnten Zusammenhängen verlangt von dem Leser eine Betrachtung des Werkes, die sich der Entfaltung eines Gedichtes nähert. Mit gleicher Berechtigung könnte man allerdings bei den vorausgehenden Beispielen von einer musikalischen Gestaltung sprechen. Schlegel selbst scheint das nahezulegen, da er in Briefen an den Bruder die Einleitung des Werks als „Ouvertüre" bezeichnet oder den Dialog als das „erste Stück was nicht mehr Sinfonie ist".100 Paula Scheidweiier hat zu der Lucinde als musikalischem Roman Stellung genommen. Da sie aber ihre Definitiion der musikalischen Gestaltung auf vage Begriffe wie den „umfassenden, lebendigen Rhythmus", oder „Innerlichkeit" basiert, ohne die Systematik der musikalischen Komposition ins Auge zu fassen, kommt sie zu dem Urteil, daß für die Lucinde „die Tatsache des musikalischen Romans geleugnet werden muß", obwohl sie dem Theoretiker Schlegel den „Willen zur musikalischen Gestaltung" zuerkennt.101 Noch Wilhelm Bausch kommt eigentümlicherweise zu einer •8 Roman der Goethezeit, 432. »» Vergl. Anm. 44. t»o Briefe, Walzel, 401-402. 101 Roman der deutschen Romantik,

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ähnlichen Beurteilung, obwohl er nach einer Untersuchung der Schlegelschen Terminologie der musikalischen Gestaltung gerade die Technik beschreibt, die in der Lucinde nachweisbar ist.102 Wenn wir trotz der vielen Hinweise in Schlegels theoretischen Schriften, die auf eine Übertragung der musikalischen Gestaltungsmethoden für die Literatur verweisen,103 hier die Bezeichnung „lyrische Aufbauformen" vorziehen, so geschieht dies mit der Einräumung, daß diese in der Lucinde nicht als das wichtigste organisierende Prinzip wirken. Dem bei der Lucinde nachweislichen Prinzip der Synthese der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen soll daher nicht widersprochen werden. Bei der Besprechung der lyrischen Aufbauformen muß sich die Betrachtung noch einmal den Motiven zuwenden. Wolfgang Kaysers Unterscheidung der epischen, d. h. die Handlung vorantreibenden, und der lyrischen, oder der sinnvertiefenden Motive,104 verhilft zu der Einsicht, daß der Traum, das Strömen des Flusses, das Grab, die Nacht, der Erschließung des Bedeutungszusammenhangs, nicht der Handlungsführung dienen. Auch die bereits erwähnte Wiederkehr gewisser Leitmotive fügt durch ein Formelles etwas hinzu, was nicht ausdrücklich mit Worten gesagt wird. Von besonderem Interesse ist das Motiv der Pflanze, da es Ideengehalt und Gestaltung verbindet. Es wird vom Prolog bis zu den „Tändeleien der Fantasie" auf die verschiedenste Art in den Text verwoben und nähert sich somit einem wirklichen Symbol. Im Vorwort erscheint das Wort „Pflanze" in deutlicher Beziehung zu der arabesken Gestalt. Später wird in leichter Abänderung von dem Buch als „den wundersamen Gewächs von Willkür und Liebe" gesprochen (26). Das Motiv bezieht sich hier bereits auf Gestaltungsart und Thematik. Wenn es in Beziehung zu den erotischen Anspielungen steht, wird nicht mehr von der Pflanze gesprochen, sondern von dem „Blumenstrauß", der nicht nur die sittsamen Blüten enthält (74). In den Briefen von Julius an Lucinde taucht das Motiv noch einmal in Beziehung auf das Werk auf, diesmal in der Einkleidung einer scheinbar konkreten „Weinrebe". Wenn das Pflanzenmotiv in Bezug zum Menschen steht, erscheint es in ganz anderer Nuancierung. Es wird zu einem mystischen Gewächs

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Theorien des epischen Erzählens, 162-164. Die Meister-Rezension ist das beste Beispiel. Vergl. auch z.B. Literary Notebooks, Nr. 1359, 1629, 516, 1392. im Das sprachliche Kunstwerk (Bern, München, 1964), 63. 1W

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erweitert, um den Hinweis auf die Prädestination der wahren Liebe zu leisten: Wir beiden werden noch einst in Einem Geiste anschauen, daß wir Blüten Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume sind, und mit Lächeln werden wir dann wissen, daß was wir jetzt nur Hoffnung nennen, eigentlich Erinnerung war. 7 Vieldeutige Welt: Studien zur Struktur der Erzählungen Ε. T. A. Hoffmanns und zur Entwicklung seines Werkes (Tübingen, 1966), 42. 8 „Immermanns Münchhausen und der Roman der Romantik", in Formenwandel, Festschr. für Paul Böckmann (Hamburg, 1964), 366. » „Zitierkunst in Ε. T. A. Hoffmanns Kater Murr", in Deutsche Erzählungen von Wieland bis Kafka: Interpretationen (Frankfurt, 1966), IV, 194-195. 10 E. Leipold, „Romantische Polyphonie der Bilder und Klänge: Kontrapunkte in der Sprache bei Ε. T. A. Hoffmann und Eichendorff', Das Musikleben, VIII, H. 5 (1955), 171-174; V. Terras, „E. T. A. Hoffmanns polyphonische Erzählkunst", G ß , XXXIX (1966), 549-569. 11 H. von Müller, Das künstlerische Schaffen Ε. T. A. Hoffmanns in Umrissen

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daß zu Hoffmanns Talenten auch das des Zeichners, besonders des Karikaturisten, zu zählen ist, denn die ungewöhnliche Gestalt erschließt sich als sinnvoll, wenn sie als die Übersetzung einer komplizierten Künstlerpsyche auf die ihr eigenen Ausdrucksformen gesehen wird. Einzelzüge dieser Künstlerpsyche werden teils zur Karikatur, teils zu Charakterzeichnungen übersteigert und als Kater Murr, Meister Abraham, Kreisler und Prinzessin Hedwiga verselbständigt, um in der Gesamtkomposition die Hauptstimmen zu übernehmen. Variiert werden die Themen des Konflikts zwischen Künstler und Mensch und zwischen dem Künstler und der Welt. Daß Hoffmann in der Vermischung der Künste einen Weg zur höheren Synthese sah, geht aus vielen Bemerkungen hervor. „Dichter und Musiker" sind für ihn „die innigst verwandten Glieder einer Kirche".18 „Ja, ich glaube, kein guter Vers könne in meinem Innern erwachen, ohne in Sang und Klang hervorzugehen", sagt Ferdinand in Der Dichter und der Komponist.1S In Ein Brief des Kapellmeisters Johannes Kreisler heißt es: „Der Ton ist in der Musik ganz und gar dasselbe, was in der Malerei die Farben". 14 Auch Hoffmanns Briefwechsel kann als beredtes Zeugnis seiner Neigung, die Ausdrucksformen des Musikers, Schriftstellers und Zeichners zu verbinden herangezogen werden.15 Auch den Aufbau seines Romans, Die Elixiere des Teufels, beschrieb der Dichter mit der Terminologie der Musik.16 Von Kßter Murr spricht er allerdings nur als von dem „schwürig angelegten Buche".17 Da aber die Kreislergestalt alle bedeutenden Beziehungen des Lebens musikalisch empfindet, ist es künstlerisch befriedigend, daß aus Gestalt und Rhythangedeutet (Leipzig, 1926), 1-15; P. Greeff, Ε. Τ. A. Hoff mann als Musiker und Musikschriftsteller (Köln, 1948). 11 „Der Dichter und der Komponist", in Ε. T. A. Hoffmann, Gesammelte Werke, hrsg. von Nino Επιέ (Hamburg, 1964), V, 517. " „Der Dichter und der Komponist", 524. 14 „Der Dichter und der Komponist", 119. 15 Über eine Bemerkung des Freundes und Verlegers Kunz schrieb Hoffmann: „Der letzte Brief enthielt witzige Variationen über das Thema: Theurer Freund! — Z.B. ja! Sie sind wirklich ein Teurer Freund, denn Sie kommen mir theuer zi* stehen" (Ε. T, A. Hoffmanns Briefwechsel, hrsg. von F. Schnapp [München, 1968], II, 247). 1β Hoffmann schrieb im März 1814 an Kunz: „Um mich musikalisch auszudrücken, fängt der Roman mit einem Grave sostenisto an — mein Held wird im Kloster zur heiligen Linde in Ostpreußen geboren, seine Geburt sühnt den verbrecherischen Vater — Joseph und das Christuskind erscheinen pp — dann tritt ein Andante sost. e piano ein — das Leben im Kloster, wo er eingekleidet wird — aus dem Kloster tritt er in die bunt-bunteste Welt — hier hebt ein Allegro forte an" (Briefwechsel, I, 454). " Briefwechsel, II, 312.

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mus seiner Biographie dieser Hauptzug seines Wesens, das Musikalische, hervorgeht. Kreislers Selbstbeurteilung lautet: "Im Kopf trag' ich nichts als Noten, und im Gemüt und Herzen die Klänge dazu" (III, 345). Er sieht in seinem Widersacher, Prinz Hektor, einen „verdammten Quart-Quinten-Akkord, der aufgelöst werden muß" (III, 308). Die geliebte Julia wird in seiner Vorstellung zur Melodie; er fragt sich, „ob es möglich sei, daß ein Ton dunkelblaue Augen haben könne", und bestätigt, "daß der Ton eigentlich auch ein Blick sei, der aus einer Lichtwelt durch zerrissene Wolkenschleier hinabstrahlet" (III, 344). Im Gespräch mit der Gräfin Benzon ruft Kreisler ironisch aus: „O wundervoller Kapellmeister . . . der solcher Dissonanzen mächtig!" (III, 182). Darin mag zusätzlich einer der vielen versteckten Verweise des Werkes auf die eigene Struktur liegen. Schließlich wird Kreisler als „lebende Musik" statt der Partituren von Pater Hilarius mit ins Kloster genommen. Anders steht es mit Murr. Da der Kater die Züge des Schriftstellers, zur Karikatur gesteigert, verkörpert, fällt in seiner Biographie die Identifizierung der Lebensbeziehungen mit der Musik fort. Wo sich die Form der Erzählung an musikalische Prinzipien anlehnt, unterstützt sie — ebenfalls karikierend — die humoristische Zeichnung des romantischen Pseudoliteraten. 3.1.1

Die Korrelation

von musikalischer

und poetischer

Gestaltung

Da in der Musik Inhalt und Form nicht unterscheidbare Kategorien sind, wird als Grundprinzip des musikalischen Aufbaus Wiederholung, Variation und Kontrast mit den auf ihnen aufgebauten Formen wichtig. Dazu kommen Rhythmus und Arten des Zusammenklangs, wie Harmonie und Dissonanz.18 Die Wiederholung des Gleichen unterscheidet in allen künstlerischen Ausdrucksformen das Kunstwerk vom Werk des Zufalls, während der Kontrast zur Vermeidung der Gleichförmigkeit notwendig ist. Da diese weitgefaßten Prinzipien aber ganz allgemeine Grundsätze der Ästhetik und daher in allen Kunstformen zu finden sind,19 muß sich die Untersuchung bemühen aufzuweisen, wo die Betonung von musikalischen Formen, wie ζ. B. Thema und Variation, der dichterischen Gestaltung wirklich ein besonderes Gepräge gibt, und wie sie zur Gesamtaussage des Werks beiträgt. 18

Brown, Music and Literature, 111. Friedrich Schlegel sagte z.B.: „Das S c h ö n e ist die Erscheinung einer endlichen Mannigfaltigkeit in einer bedingten Einheit" (Friedrich Schlegel: 1794-1802, Seine prosaischen Jugendschriften, hrsg. von Jakob Minor (Wien, 1882), 149. 18

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Bereits in den vier verschiedenen Teilen des Vorworts: (1) Vorwort des Herausgebers, gezeichnet Ε. T. A. Hoffmann, (2) Vorrede des Autors, gezeichnet Murr (Etudiant en belies lettres), (3) Vorwort Unterdrücktes des Autors, gezeichnet Murr (Homme de lettres tres renomme), (4) N.S., gezeichnet d. H., in denen die fiktive Entstehungsgeschichte des Romans erhellt wird, läßt sich die Synthetik der literarischen und der musikalischen Form erkennen. Die Vorwort-Serie dient der Einführung in die humoristische Form in ihrer Zusammensetzung aus chronologischen Teilen der Autobiographie des literarisch begabten Katers und den Makulaturblättern der Kreislerbiographie, die Murr als Schreibunterlage und Löschpapier benutzt zu haben vorgibt. Sie ist ein vorbereitender Hinweise auf die charakterliche, und daher erzählerische, Unzuverlässigkeit des Katers, der so schnell bereit ist, sein Übermaß an Selbstbewußtsein hinter der Maske der Servilität zu verbergen, um dem Publikumsgeschmack entgegenzukommen. Die vom Herausgeber zum Kater, und von diesem wieder zum Herausgeber zurückpendelnden Vorbemerkungen, die sich deutlich in Ton und Stimmlage unterscheiden, sind aber auch als humoristische Anlehnung an ein musikalisches Prelude erkenntlich. Thema und Variation pendeln von der Dominante des Herausgebers zur Tonika des Katers und wieder zurück. Hier wird im Kleinen ein Prinzip deutlich, das sich der Kreisform, als der typischen Form musikalischer Gestaltung bedient. Setzung des Themas, Variationen, Rückkehr zum Thema werden, besonders in der „durch ein Mißgeschick" gestörten Handlungsfolge der Musikerbiographie, wichtiger als die oft undurchsichtigen Gesetze der Kausalität. Durch die doppelte Fiktion der zufällig eingefügten Makulaturblätter, die „Fragmente von Fragmenten",20 wird der Wechsel von zeitbestimmter und zeitloser Gestaltung mit der darin ausgedrückten Unterscheidung von historischer und „musikalischer" Zeit, als Synthese von Literatur- und Musikerbiographie zu einer sinnvollen Komposition. Diese Art der strukturellen Synthetik läßt sich weiter verfolgen. Es ist dabei angebracht, in jeder der zwei Biographien die Horizontale von der Vertikalen zu unterscheiden. Unter der Horizontalen wird die Melodielinie verstanden als eine Linie von sinnvoller Gliederung, die sich zu einem abgeschlossen Organismus entwickelt,21 unter der Verti-

20 H. von Müller sah dieses Spiel mit der Fiktion als „Zeichen des technischen Dilettantismus" an („Vorwort", Das Kreislerbuch, xliii). « Η. I. Moser, Musik Lexikon (Hamburg, 1955), Π, 758.

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kalen, der ausschließlich für die Musik typische Zusammenklang bei Unterscheidbarkeit.22 3.1.2

Die

Horizontale

Auf der Murrseite folgt die Melodielinie dem natürlichen Ablauf des Katerlebens. Auf der Kreislerseite entsteht durch die Unterdrückung der Zeitfolge und die damit verbundene Hervorhebung formaler Beziehungen, wie, ζ. B. der Themenassoziation, Wiederholungen von Konfliktsituationen und Lösungsversuchen, dissonanten Konstellationen und deren Auflösung, allmählich das Bild der Kreislerproblematik mit der ständig drohenden Selbstentfremdung und seinem Konflikt mit der zumeist verständnislosen Welt. Die Verbindung der beiden Melodielinien zu einer Komposition wird durch kontrapunktisches Anklingen des einen im anderen erreicht. Der chronologische Ablauf des Katerlebens beherrscht mit gespielter Wichtigkeit die Form des Ganzen. Als mehrmals wiederkehrende, variierte Grundstruktur läßt sich, wenn auch zum Teil durch längere Abschweifungen verdeckt, eine bestimmte Folge von Geschehnis und Reaktion erkennen, die einem musikalischen Thema entspricht, das Ausgangspunkt einer Variationskette sein soll.23 Murr stößt ins Unbekannte des Lebens vor, macht schmerzhafte Erfahrungen, registriert diese, paßt seine Lebenshaltung entsprechend an, um sich das gemütliche Dasein zu erhalten. Auf seinen ersten Zusammenstoß mit der Welt — in der Form von Meister Abrahams Hand, die das vergessene Kätzchen aus der Rocktasche zieht — reagiert dieses instinktiv mit seinen Krallen. Murr erhält Schläge, registriert die Erfahrung und paßt sich an. Er lernt die Krallen einzuziehen; später wurde er „Samtpfötchen" genannt. Die ersprießlichen Folgen dieses Verhaltens sind warme Milch und ein weiches Kissen zum Schlafen. In dem Ablauf seines kurzen, aber, mit pragmatischem Maßstab gemessenen, erfolgreichen Lebens, macht sich die Anpassung an die Formen der Gesellschaft immer wieder bezahlt. Murr macht einen Vorstoß in den „Zauberkreis" des Schreibtisches und wird Literat. Vom Freunde Ponto 22

Calvin Brown weist darauf hin, daß die gleichzeitige Hervorbringung verschiedener Töne im eigentliche Sinne in der Literatur nicht existiert. Es kann sich in der Literatur also nur um Annäherungen handeln (Music and Literature, 39 ff.). 23 H. J. Moser erklärt „Thema" als einen (meist aus mehreren Motiven zu organischer Einheit zusammengewachsenen) musikalischen Gedanken, der als Ausgangspunkt und Kraftquelle alles Weiteren im Stück ein „Gesicht" besitzen, eine ausgeprägte Individualität darstellen muß (Musik Lexikon, II, 1284).

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und dessen Herrn als angehender Dichter entlarvt und in der genießerischen Lebensweise bedroht, übt er scheinheilige Verstellung und zerreißt, scheinbar spielend, sein eigenes Manuskript (III, 197). Der Verrat am eigenen Werk macht sich bezahlt, die gemütliche Existenz ist wieder gesichert. Etwas später macht Murr einen unfreiwilligen Vorstoß in die Welt, wenn er durch den plötzlich abfahrenden Kutschkasten, in dem er sich zu schlafen angewöhnt hatte, aus der Geborgenheit gerissen wird. In der neuen Welt wird er bedroht, geprügelt und gejagt. In leichter Abwandlung des Themas, ist es der als Retter erscheinende Pudel Ponto, der Notwendigkeit und Vorteil scheinheiliger Anpassung an die bestehende Ordnung der Menschen vorexerziert. Wieder zu Hause, überläßt sich Murr erneut der Atmosphäre von Milchbrei, Kissen und Versemachen. Durch Freund Muzius in die Katzburschenschaft eingeführt, setzt sich Murr noch einmal den Gefahren der Verfolgung aus. Dem Freund kosten sie das Leben. Murr registriert die Erfahrung und paßt sich wieder dem Philisterleben an. Auch der letzte Vorstoß des Katers in die vornehme Gesellschaft der Hofhunde endet mit der Erfahrung, daß die Welt ein Ort der Verfolgung, Gefahren und Beleidigungen ist. Er zieht sich zurück zu Kissen und Kunst. Murrs Leitmotiv ist das Katzenpuckelmachen. Darin liegt offenbar mehr als ein bloßes Zugeständnis zu seiner Katernatur. Bei der horizontalen Melodieführung der Katerbiographie erscheint die Variation des Themas der Anpassung zur Selbsterhaltung als humorvolle Vereinfachung — ein Zug der Karikatur — die aber nicht wesentlich über die normale literarische Gestaltung hinausgeht. In der Kreislerbiographie beginnt die Horizontale mit der Beschreibung des von Meister Abraham geleiteten Hoffestes. Hier wird bereits die Antinomie von wirklicher Kunst und popularisierter Unterhaltungskunst deutlich, denn die nur für die Eingeweihten vernehmliche Musik Kreislers spielt im Hintergrund, während im Vordergrund das mit großem Aufwand von Maschinen und Vorrichtungen betriebene Spektakel abläuft. Damit wird ein Gestaltungsprinzip der Kreislerbiographie vorausgenommen; im Vordergrund spielen sich die Ereignisse der Hofintrigen und Familienverwicklungen ab wie eine Darstellung des Marionettentheaters, dessen Fäden von Meister Abraham oder der Rätin Benzon gezogen werden. Der tiefere Inhalt der großen Vorstellung ist dagegen, wie Meister Abraham bekennt, die Seelengeschichte Kreislers (III, 139-140). Der Antinomie von wahrer Kunst und Scheinkunst entspricht die Gegensätzlichkeit von aufrichtigem und marionettenhaftem Menschentum, aus dem sich die Dissonanzen zwischen Künstler und

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Gesellschaft entwickeln. Dabei wird die fürstlich Irenäische Hofgesellschaft vom Karikaturisten in übertriebener Skurillität gezeichnet, während die verschiedenen Arten künstlerischer Typen, Meister Abraham, Kreisler, Julia, Prinzessin Hedwiga, verschiedene Aspekte der Künstlerthematik variieren. Für die menschlichen Marionetten ist Kunst eine Quelle seichter Vergnügungen, Mittel zur Dekoration des Lebens. Für Kreisler ist wirkliche Kunst das „Wunder im Gemüt des Menschen".24 In Kreislers Zusammenstößen mit der Welt klingt, trotz grundsätzlicher Wesensverschiedenheiten der beiden Hauptfiguren, auch das Katerthema mit an. Aber für Kreisler enden die Konfrontationen mit dem Leben nicht mit Anpassung, sondern mit Flucht und künstlerischer Selbstbewahrung. Der Zufall des großen politischen Sturms bringt ihn an den herzoglichen Hof. Mit der Flucht vor der Anpassung, die eine pflichtgemäße Ausübung des Kapellmeisterberufs und damit die Profanierung der wahren Kunst bedeuten würde, beginnt die Reihe der Themenvariationen. Der zweite Zusammenstoß mit der Gesellschaft spielt in der Erzählgegenwart. Dem Rufe des väterlichen Freundes folgend, erscheint Kreisler im Park von Sieghartsweiler. Auch hier wird sehr bald deutlich, daß Kreisler ein Fremdling in der Gesellschaft bleiben muß. Der Zusammenstoß mit der Welt des Irenäischen Hofes führt zu Verstrickung in die Intrige, Bedrohung, Schuld und Flucht. Die Dissonanz, die die eben erst erwachende Harmonie der Künstlerliebe unterbricht, erscheint in Prinz Hektor, der schön, stark, und böse, als extremer Repräsentant des grausamen Lebens auf den extremen Typ des Künstlers stößt. Die Flucht Kreislers nach dem heimtückischen Überfall auf ihn, durch den er im Versuch der Selbstverteidung zum Mörder wird, erscheint als reiner Akt der Selbsterhaltung. Doch stände seiner späteren Rückkehr in den Kreis, wo das Leben mit seinen Auseinandersetzungen, wo Freundschaft und Liebe auf ihn warten, nichts im Wege. Der wahre Grund seines Fernbleibens ist wieder künstlerische Selbstbewahrung, denn schon am Morgen nach dem Überfall hat er die Trennung ästhetisiert: „Das Gestern trat auf mich ein, aber als sei es eine längst vergangene Zeit, aus der mir nichts geblieben als die Wehmut der Erinnerung an das ewig Verlorne, die in demselben Augenblick die Brust zerreißt und mit süßer Wonne erfüllt" (III, 344). Das24

„ , . . . die herrlichsten göttlichsten Wunder geschehen in dem innersten Gemüt des Menschen selbst, und diese Wunder soll er laut verkünden, wie er es nur vermag, in Wort, Ton oder Farbe.' Kreisler fühlte sich von des Abts Worten gar seltsam erregt; so wie es selten geschehen, trat der volle Glaube an seine innere schöpferische Kraft lebendig hervor, und ihn durchbebte ein seliges Wohlbehagen" (HI, 422).

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selbe gilt für Kreislers Vorstoß in den Bereich der Liebe. Er nimmt nur die Künstlerliebe, das Gefühl als Quelle der Inspiration, in Anspruch. Er flieht damit wieder vor der Gefahr der Profanierung eines Lebens, das ganz der Kunstausübung gewidmet sein will.25 Selbst wenn in dem nicht mehr ausgeführten dritten Teil des Romans die vordergründige Hofintrige so gelöst würde, daß Julia für Kreisler frei würde, wäre ein „happy end" bei Kreislers scharfer Unterscheidung zwischen „guten Leuten" und „eigentlichen Musikanten" unmöglich. Es begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis, schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren, aus dem Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der Geist aus in brünstigem Verlangen und umnetzt die, die er geschaut, und hat sie und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt: — Und sie, sie selbst ist es, die Herrliche, die zum Leben gestaltete Ahnung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet, als Gesang — Bild — Gedicht! (III, 263)

Die Variation des Themas von dem Zusammenstoß des Künstlers mit der Welt und seiner Flucht vor der Verketterung wird in der Klosterepisode besonders deutlich. Zuerst einmal ist die Klostergemeinschaft eine ins Positive gehende Abwandlung des Motivs der Gesellschaft. Statt des dilettantischen Irenäus regiert hier der kunstverständige Abt; statt der Hofkunst, die der Verzierung des Lebens dient, ist die Klosterkunst, besonders in der Form der Kirchenmusik, Schöpferlob. Aber auch hier gibt es bedenkliche Symptome, denn auch im Kloster findet die Intrige Einlaß, auch hier ist das oberste Gebot die Erhaltung der Gemeinschaft, der, wenn nötig, auch die Kunst geopfert wird (III, 485). Die Entwicklung des Themas folgt genau dem vorausgegangenen Zusammenstoß zwischen Kreisler und der Hofgesellschaft. Der scherzhafternsten Unterhaltung Kreislers mit der Guitarre im Sieghartsweiler Park entspricht die Unterhaltung Kreisler mit Pater Hilarius, der einleitenden Harmonie durch Julias „Erweckung des Wohllautes" entspricht die Harmonie der Kompositionen von Kirchenmusik, der Gipfelung des Themas im Musikabend bei der Rätin Benzon, und dem mit Julia gesungenen Duett entspricht die Gipfelung in der durch die Traumerscheinung der Geliebten gelungenen Komposition. Dem Ein25

Vergl. Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik, 603.

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bruch der Dissonanz durch Prinz Hektor entspricht die Störung durch seinen Bruder, den Fanatiker Cyprian, dem Attentat auf Kreisler entspricht der Uberfall durch den Zigeunerburschen. Kreislers Flucht aus der Bindung an die Gemeinschaft des Klosters ist nicht mehr ausgeführt, aber sie geht aus dem ersten Makulaturblatt hervor. Die Beweggründe der Familien- und Hofintrige bleiben bei Abbruch des Romanfragments ungeklärt. Da in über zwei Dritteln des Werks die geheimnisvollen Zusammenhänge nicht klar werden, muß die wirkungsästhetische Intention des Dichters darin erkannt werden, daß, wie bei der Musik, die künstlerische Befriedigung immer gegenwärtig ist, weil durch Wiederkehr und Variation des Gleichen neue Konstellationen entstehen, in denen sowohl das Vergangene wie auch die Erwartung auf die Auflösung mitanklingen. Die Variationen des Künstlerthemas mit den Phrasen von Zusammenstoß, Bedrohung und Flucht, verleihen dabei der Melodie die innere Logik. Die Kreislerbiographie enthält außerdem einen fugierten Teil in der Beantwortung der Kreislerschicksale durch die Rückblicke auf Meister Abrahams Leben. Die Ideen bleiben dabei konstant, während die Ausführung des Einzelteils variiert wird. Beide, sowohl Abraham wie Kreisler, sind Sonderwesen und stehen außerhalb der Menge. Beide werden durch eine falsche Erziehung zu einem Bruch in ihrer Persönlichkeit gebracht, da die geistige Seite ihrer Natur, die sich nach schöpferischer Tätigkeit als der Beziehung zum „Lichtreich" (Metapher für den Bereich des Idealen) sehnt, durch die zum Broterwerb dienende Tätigkeit bis ins Mannesalter hinein unterdrückt wird. Kreisler wird durch die falsche Erziehung des O-Weh-Onkels und das Leitbild des in hohem Ansehen stehenden Verwandten zum Legationsrat (III, 213 ff.) und damit zu einer seiner Anlage widersprechenden Tätigkeit verdammt. Meister Abraham wird durch des Vaters Betonung der Mechanik um die künstlerische Seite des Orgelbaus gebracht (III, 350 ff.). Erst als Erwachsene werden beide aus diesem Kreis, in den sie der Zufall des Lebens gestellt hat, herausgerissen. Kreisler durch den „großen Sturm" der politischen Ereignisse, Meister Abraham durch die Wanderjahre der Gesellenzeit. Beide erleben im Kloster das „Wunder des Wohllauts" als einen Höhepunkt des Lebens (III 396, 351), beide werden durch die Liebe zu einem Wesen, das durch ein Talent in Beziehung zum idealen Bereich steht,26 zu neuer, schöpferischer Tätigkeit 59

Daß auch Chiaras Hellsichtigkeit sie mit dem idealen Bereich verbindet und nicht als Jahrmarktskunststückchen verstanden werden soll, geht einmal aus Meister Abrahams Beschreibung des Wunderbaren in der Natur hervor: „Eben

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befähigt. Durch das Julia-Erlebnis inspiriert, gelingen Kreisler schöne Kompositionen geistlicher Musik; die Kunst als „Wunder im menschlichen Gemüt" verwirklicht sich für ihn, wenn Julia in seinem Traum das Agnus dei singt, das er erwachend niederschreibt (III, 396). Meister Abraham tritt durch Chiaras mediale Begabung in Beziehung zu dem geheimnisvollen Bereich der Natur, die als Offenbarung des Göttlichen zu verstehen ist. Das Orakel der Glaskugel variiert das Wunder der Komposition, da in beiden, die Stimme der Geliebten die Vermittlung herstellt. Meister Abraham und Kreisler fühlen sich der Marionettenwelt überlegen, aber leiden unter gesellschaftlicher Unterlegenheit. Hier setzt der Kontrast ein, denn Meister Abraham benutzt seine Fähigkeit um — wenn auch in guter Absicht — Einfluß über seine Umgebung auszuüben.27 Er wird in den Augen der Welt zum „Hexenmeister", zum „Magier". Kreisler, dagegen, will niemand beherrschen oder beeinflussen, er lebt mit der ewigen Sehnsucht, das Wunder des Lichtreiches zu verkünden. Meister Abrahams Reaktion auf den Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit ist Spott und Hohn (III, 226), er findet einen Ausgleich im Manipulieren der Existenzen. Kreisler reagiert mit Narrenpossen, die die Form grotesker Skurillität oder rhetorischer Ironie annehmen (III, 174, 259); er strebt nach dem alle Dissonanzen versöhnenden Humor. Die Kater- und die Kreislermelodielinie entwickeln eine Folge von absichtlichen oder zufälligen Konfrontationen des Individuums mit der Gesellschaft. In jedem Fall erfolgt eine Bedrohung durch das „böse Prinzip", das ist im Kreislerteil die Metapher für alles was die Harmonie, d. h. das schöpferische Leben, bedroht, ζ. B. Sensualität, Eifersucht, krasses Unverständnis oder grosse Ungerechtigkeit. Bei Murr ist das „böse Prinzip" durch alle Kräfte vertreten, die das gemütliche Dasein bedrohen, alles was prügelt oder schreckt; menschliche oder tierische Verfolger, die „Krankheit" der Liebe, und besonders, der Tod.

dieses Kunststück — es ist wohl mehr als das — würde Euch bewiesen haben, daß die gemeinste, am leichtesten zu berechnende Mechanik oft mit den geheimnisvollsten Wundern der Natur in Beziehung treten und dann Wirkungen hervorbringen kann, die unerklärlich, — selbst dies Wort im gewöhnlichen Sinn genommen, bleiben müssen" (ΙΠ, 272). Vergl. auch den Orakelspruch Chiaras (ΠΙ, 453, 454). 27 Eine Übertonung der Gleichung Abraham gleich Lindhorst gleich „weise alte Meister", die sich häufig in der Kritik findet (z.B. Kenneth Negus, Ε. Τ. A. Hoffmann's Other World: The Romantic Author and his ,JVew Mythology" [Philadelphia, 1965], 162), scheint nicht berechtigt. Er ist eine dualistische Natur, wie die meisten der Figuren.

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Im Murrteil werden die Dissonanzen durch Anpassung aufgelöst bis der unerwartete Tod die Melodie abbricht. Im Kreislerteil folgt jeder Dissonanz die Flucht in die Selbstbewahrung des Künstlers. Die beiden Stimmen entsprechen sich nicht in eigentlicher Parallelität, sondern sie sind aufeinander abgestimmt. Das allzu-menschliche Verhalten des Katers ironisiert Schwächen verschiedener Figuren des Kreislerteils, das Künstlertum Kreislers ironisiert das ohnehin bereits karikierte Pseudoliteratentum Murrs. Der Ton von Meister Abraham, die Mittelstimme, die in beiden Teilen erscheint, ist ein Verbindungsglied zwischen den Horizontalen. 3.1.3

Die Vertikale

Die Funktion, die in der Musik durch die Möglichkeit des Zusammenklangs bei Unterscheidung der einzelnen Töne erreicht wird, kann bei der Übertragung auf die Literatur nur auf die Art erscheinen, daß etwas im Text Angeführtes automatisch unterscheidbare Doppeldeutigkeit oder doppelte Assoziation hervorruft. Formen solcher Verdoppelung sind in Kater Murr sehr häufig. Damit soll wiederum nicht gesagt sein, daß der Dichter absichtlich musikalisch „komponierte". Es scheint aber nahezuliegen, daß Hoffmann, der von Jugend auf im musikalischen Satz geübt war, auch in seiner Dichtung, und besonders bei der Gestaltung der Musikerbiographie, Formen des Ausdrucks verwendete, die ein Zusammenklingen ermöglichen. Im Murrteil mit seiner stärker betonten humoristischen Form wird der Zusammenklang durch vornehmlich humoristische Methoden, wie Parodie und Travestie, erzeugt. In beiden Teilen des Buchs kommt dazu der häufige Gebrauch von Zitaten und Anspielungen auf Literatur und Kunst. Bei jeder dieser literarischen Techniken besteht die Möglichkeit, zwei unterscheidbare Ideen gleichzeitig hervorzurufen, da mit dem Wortlaut des vorliegenden Textes gleichzeitig das in der Erinnerung anklingende Original bewußt wird. „Parodie" wird als die „verspottende, verzerrende oder übertreibende Nachahmung eines schon vorhandenen ernstgemeinten Werkes oder einzelner Teile daraus unter Beibehaltung der äußeren Form doch mit anderem, nicht dazu passendem Inhalt", verstanden.28 Murrs Autobiographie ist eine Parodie der Kreislerbiographie, ohne daß die Katergestalt als direktes parodistisches Gegenteil der Kapellmeistergestalt zu sehen ist, denn Murrs Geschichte ist vor allem eine Parodie des Bil28

Gero von Wilpert, Sachwörterbuch

der Literatur

(Stuttgart, 1964), 494.

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dungsromans per se. Der Kater berichtet in ironischer Selbstgefälligkeit über seine Erziehung, die Erfahrungen seiner Lümmeljahre, über sein Liebeserlebnis, über seine literarischen Erfolge und die eklektische Aneignung eines zweifelhaften Bildungsgutes. Bei Kreisler ist es umgekehrt gerade die falsche Erziehung und der Einfluß der Gesellschaft, die die Entfaltung seines Talentes hindern. In diesem Unterschied liegt die parodistische Entsprechung. Die musikalische Wirkung wird durch das überraschende Wiederanklingen bestimmter Wörter, oder auch Wortgruppen, erreicht, die manchmal in Verbindung mit Leitmotiven sinnvertiefende Wirkung haben, aber häufig einfach die Wiederholung eines bekannten Klangs erzeugen. Hierin liegt eine Bestätigung von Richard v. Schaukais Beobachtung, daß bei Hoffmann „die Worte nicht so sehr intellektuell zu begreifende Zeichen für Mitzuteilendes sind, als vielmehr konventionelle Notenschrift, deren Musik hinter ihnen tönt".2» Eine ähnliche Möglichkeit humoristischer Gestaltung des vertikalen Zusammenklangs ergibt sich aus der Travestie. Diese dient, „ähnlich der Parodie, der satirischen Verspottung einer ernsten Dichtung, doch im Gegensatz zu dieser durch Beibehaltung des Inhalts und dessen Wiedergabe in einer anderen, unpassenden und durch die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt lächerlich wirkenden Gestalt".30 Murrs Verse, die als Solo-einlagen die Katerkomposition durchziehen, sind größtenteils Travestien auf bekannte Gedichte, ζ. B. ist seine „Glosse", „Liebe schwärmt auf allen Wegen" (III, 195-199), Goethes Singspiel Claudine von Villabella entnommen.31 Da Hoffmann Goethes Singspiel selbst vertont hat, ist kaum anzunehmen, daß sich die Verspottung gegen das entlehnte Gedicht richtet, vielmehr ist Herman Meyers Interpretation der von Murr entlehnten Zitate als „Literatursatire von eminent kulturkritischer Bedeutung", die sich gegen „das seichte Zerreden" des Dichterwortes richtet, auch auf die Travestien und Parodien wertvoller Dichtungen auszudehnen.32 Was zusätzlich durch Murrs Wahllosigkeit bestätigt wird, denn er travestiert neben Goethes Gedichten Studenten- und Trinklieder. Der Zusammenklang von Original und banalisierter Umdichtung vertieft den Eindruck des Pseudoliteratenl

»

E.T.A. Hoff mann: Sein Werk aus seinem Leben dargestellt (Wien, 1923), 127. Wilpert, Sachwörterbuch, 738. 31 Für das Verzeichnis der Quellen, auf die sich Hoffmann bezieht, siehe die von Georg Ellinger zusammengetragenen Anmerkungen zu dem Roman, in seiner Ausgabe, Ε. T. A. Hoffmann, Werke in fünfzehn Teilen (Berlin, o.D.), XV. T.I., 283-295. 31 „Zitierkunst", 192-193.

30

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turns, das sich unterschiedslos fremdes Geistesgut zunutze macht. Eine weitere Möglichkeit des humoristischen Zusammenklangs ergibt sich aus der Verwendung unzähliger, meistens verstümmelt erscheinender Zitate, und den Anspielungen auf Literatur und Musik. Für den heutigen Leser ist die volle Wirkung dieses Mitklingens der Originale bereits stark vermindert, da die Wirkung der Anspielungen auf die zeitgenössische Gelegenheitsliteratur fortfällt. Die Klassikerzitate vermitteln jedoch noch einen Begriff dieser Wirkung. Shakespeare, der durch die Schlegel-Tieck Übersetzung eine Popularisierung erlebte, wird am häufigsten zitiert. Murr ruft, ζ. B., beim Verschlucken des Heringskopfes, der für die Mutter bestimmt war: „O Appetit, dein Name ist Kater" (III, 165), und später: "O Schwachheit, dein Name ist Katz". In jedem Falle klingt Hamlets „Schwachheit, dein Name ist Weib" (Hamlet I. ii) mit an und steigert durch die Inkongruenz der Situationen die Komik. Wenn die entlehnten Zitate oder Anspielungen auf Literatur und Kunst im Zusammenhang mit den Hauptfiguren des Kreislerteils erscheinen, vertieft der Zusammenklang von Romantextstelle und Original die Charakteristik. Wenn Kreisler, ζ. B., auf Meister Abrahams Bericht von der Errettung des Kätzchens erwidert: „O du empfindsamer Just" (III, 146), so klingt gleichzeitig das aus Minna von Barnhelm übernommene Motiv der Treue an, und weist auf das Freundschaftsverhältnis zwischen Meister Abraham und Kreisler vertiefend zurück. An diesem Literaturverweis läßt sich weiter die überaus dichte thematische und motivische Verflechtung innerhalb des Romans zeigen, die ebenfalls an die musikalische Gestaltungsform erinnert. Meister Abraham entgegnet auf Kreislers Bemerkung: Erlaube, mein Johannes, mit dem Just magst du mich kaum vergleichen. Ich Öabe den Just überjustet. Er rettete einen Pudel, ein Tier, das jeder gern um sich dultet, von dem sogar angenehme Dienstleistungen zu erwarten, mittels Apportieren, Handschuhe-, Tabaksbeutel- und Pfeife-Nachtragen . . . (III, 147)

Die von Kreisler eingeführte Anspielung wird von Meister Abraham aufgenommen und ausgesponnen. Im Verweis auf das Apportieren und Handschuhe-Nachtragen, liegt bereits eine Vorausdeutung auf Ereignisse vor, die in Pudel Pontos Lebensbericht bedeutsam werden (III, 440 ff.). So entsteht ein dauerndes Mitklingen durch Wiederholung und Variation des einmal Ausgesprochenen. Zu den besten Beispielen vertikaler Doppelklänge durch literarische Verweise gehören die Anspielungen auf Shakespeares Wie es euch gefällt (III, 170 ff.). Julia, die

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Kreisler instinktiv versteht, vergleicht ihn zuerst mit dem melancholischen Jacques und glaubt auch Probsteins Philosophie in Kreislers Worten zu erkennen. In Shakespeares Komödie ist es M. Jacques, der sich nach dem buntfarbigen Kostüm des Narren, das ihm unter der komischen Maske die Wahrheit zu sagen erlaubt, sehnt (Wie es euch gefällt II. vii). Mit diesem kurzen Verweis erfährt Kreisler eine Charakterisierung, der er selbst voll zustimmt, da sie seinem Dualismus von ernstem Musiker und ironischem Spaßmacher entspricht. Die Erweiterung dieses Dualismus zu einem Rückverweis des Werks auf sich selbst liegt nahe, da es ebenfalls Scherz und Ernst verbindend die Wahrheit sagen will. Der Doppelton dieses Literaturverweises schwingt im Folgenden in der Art eines Leitmotivs noch mehrmals mit und wird weiter auf das Motiv des italienischen Buffo ausgedehnt (III, 247), das ganz ähnlich die Problematik der Figur vertieft und gleichzeitig einen strukturellen Verweis einschließt. Eine besondere Art der Mehrstimmigkeit ergibt sich aus der Unterhaltung zwischen Kreisler, dem kleinen geheimen Rat und Meister Abraham (III, 201 ff.). Gedrängt durch die Fragen des Freundes, berichtet Kreisler, zuerst in der Form eines Scherzos, über seine Geburt, und dann, ernst werdend, über Erlebnisse seiner Jugend. Zu der jeweiligen Episode, die Kreisler aus der Erinnerung hervorholt, wirft der vielseitig begabte Meister Abraham mit Hilfe von schnell verfertigten Scherenschnitten, Schattenbilder an die Wand, die als eine Art „basso ostinato" das Erzählte begleiten. Bei Kreislers Bericht von dem tiefen Eindruck, den die jungverstorbene Tante auf ihn machte, die er im Kloster wiederzuerkennen glaubte, erscheint im Schattenspiel eine Reihe von Nonnen; die Erzählungen vom O-Weh-Onkel werden durch dessen Konterfei begleitet. Auf diese Weise erhält die Melodiestimme Kreislers durch die vorstellbare optische Erweiterung eine harmonisierende und variierende Begleitung.

3.1.4

Kontrapunktik

Herman Meyer schließt seine Interpretation der Eingangszitate des Kater Murr mit der Beobachtung: „Der Dichter, der diese beiden ZitatThemen kontrapunktisch ineinanderklingen ließ, war ein echter „Musikant'!" 83 Die kontrapunktische Beziehung der beiden Biographien zeigt am deutlichsten, daß musikalische Gestaltungsformen an der Struktur "

„Zitierkunst", 194-195.

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des Romans bedeutsam mitwirken. Daraus erklärt sich vielleicht die Schwierigkeit, von der rein literarischen Perspektive ausgehend, eine sinnvolle Parallelität nachzuweisen. Kenneth Negus stellte ζ. Β. in seiner Untersuchung, „Thematic Structures in Three Major Works of Ε. Τ. A. Hoffmann" fest: . . . Miesmies is the counterpart of Julia (and sometimes of Hedwiga), Ponto of Meister Abraham, and Murr's three-colored duelling opponent of Hektor. It must be emphasized, however, that these are only general parallels, for there are many specific details that do not fit into the pattern. Hoffmann exploited the very fruitful possibilities of the double narrative technique wherever he found them, without necessarily limiting himself to the primary aspects of the parallels.31

Die scheinbare Systemlosigkeit der Beziehungen klärt sich auf, wenn man von der Perspektive der Synthetik von literarischer und musikalischer Gestaltung ausgeht und „Parallelität" durch kontrapunktische Technik" ersetzt. Damit will gesagt sein: „Die Stimmen werden sinnvoll gegeneinander, zwar gleichzeitig und in künstlerisch befriedigendem Zusammenklang, trotzdem aber jede in sich selbständig und melodisch vollwertig geführt." 35 „Gleichzeitigkeit" kann allerdings im sprachlichen Kunstwerk nur annähernd erreicht werden, insofern als Ereignisse, Wortgruppen, Motive, rhythmische Besonderheiten noch erinnerlich sind, wenn sie in der ergänzenden Melodie wieder anklingen. Diese Wirkung wird besonders durch die so oft beobachtete „Formelhaftigkeit" von Hoffmanns Sprache unterstützt.86 Neben den wirklichen Entsprechungen, die sich in den beiden Biographien nachweisen lassen,37 fällt die vielfältige Wiederaufnahme von Einzelheiten des einen Lebensberichtes im anderen auf. Oft tritt ζ. B. ein Leitmotiv in einem Teil mit dynamischer Funktion auf, d. h., es steht in Zusammenhang und fördert die Entwicklung der Handlung oder des Charakters, kommt aber in der ergänzenden Melodieführung nur in statischer Funktion vor. So ist im Katerteil die Tatsache, daß Murrs erste Erfahrung darauf beruht, daß instinktives Krallenbenutzen zu Prügeln führt, ein wichtiges dynamisches Motiv für seine konsequente Anpassung an die bestehende Gesellschaftsordnung. Dagegen ist im ersten Makulaturblatt die Erwähnung des Prügeins durch Fürst Irenäus ein statisches Motiv. Dieser erwähnt beiläufig, daß er als Kommandeur 34 35 38

Diss., Princeton, 1947, 283-284. Η. J. Moser, über „Kontrapunkt" (Musik Lexikon, I, 645).

Helmut Müller, Untersuchungen

zum Problem

Ε. T. A. Hoffmann (Bern, 1964), 32. 37 Siehe Negus, „Thematic Structure", 192 ff.

der Formelhaftigkeit

bei

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seiner Truppen „wöchentlich einmal sämtliche Junkers durchfuchteln" ließ, während das „Prügeln der gemeinen Leute" den Leutnants überlassen blieb, um alle außer der „eingeprügelten Moralität ans Geschlagenwerden überhaupt" zu gewöhnen (III, 138). Im Kreislerteil karikiert das Motiv die Fürstenpersönlichkeit und richtet sich als Zeitsatire gegen degradierende Zustände. Kontrapunktisch ist durch das Prügelmotiv die eine Stimmführung gegen die andere abgestimmt, ohne daß eine eigentliche Parallelität deutlich wird. Die im Folgenden wiederkehrenden Beispiele des Prügelmotivs zeigen eine ganz ähnliche Entsprechung. Im zweiten Katerteil erwähnt Murr noch einmal ausführlich die Erziehung durch das Birkenreis, das ihn lehrte, sich „in gewisse Normalprinzipien" zu fügen, die für die Erhaltung der Gesellschaft als „herrschende Macht auf dieser Erde" unbedingt notwendig sind (III, 150-151). In der kontrapunktischen Entsprechung des zweiten Makulaturblattes wird in den Bericht der fürstlichen Familiengeschichte die nebensächliche Tatsache eingeflochten, daß die Ehrfurcht des Fürsten vor Meister Abraham auf eine von diesem in der Kindheit bezogene Ohrfeige zurückzuführen ist (III, 162). Murr macht ähnliche Erfahrungen beim Vordringen in den „Zauberkreis" des Schreibtisches. Das Prügelmotiv taucht immer wieder auf der Murrseite dynamisch, auf der Kreislerseite statisch auf (ζ. B. III, 210, 361, 444 ff.). Beim Kater ist es Vorbedingung für dessen Weltverständnis, daß die Differenziertheit der Kreaturen nicht tiefgeht, denn alle "essen, trinken, schlafen usw., und es tut ihnen weh, wenn sie geprügelt werden" (III, 474). Umgekehrt erscheinen Motive in der Kreislerbiographie mit dynamischer Funktion und klingen im Murrteil nur in statischer an. Dem schönen Ton des Gesanges, der im Lebensbericht des Kapellmeisters als Beweis der Seelenverwandtschaft und der Beziehung zum idealen Bereich auftritt, entsprechen auf der Katerseite nur parodistische Anklänge, die für die Entwicklung der Gestalt unwichtig sind. Der kleine Johannes wird durch die frühverstorbene Tante zum Wohlklang geweckt und damit zu seiner eigentlichen Berufung. Das kontrastierende Verhältnis Kreislers zu Julia und Hedwiga, die Polarität von Künstlerliebe und Leidenschaft, wird mit Hilfe des Gesangsmotivs entwickelt. Die Höhepunkte sind: Julias Gesang im Park als Beginn der Anziehung, kontrastierend dazu, Hedwigas Erschrecken; der Konzertabend bei Rätin Benzon mit dem von Kreisler und Julia gesungenen Duett, wiederum kontrastierend Hedwigas mißglückter Gesangsunterricht; die verhütete Verführung Julias durch Kreislers Aufforderung zu gemein-

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samem Gesang; Kreislers Kompositionen der Kirchenmusik und schließlich die Reaktion der beiden Mädchen auf Kreislers Musik: Julias „er kommt zurück", und Hedwigas „nimmermehr". Auf der Murr-Seite mitklingend, sind die folgenden Entsprechungen von geringer Bedeutung für die Entwicklung: (1) Minas Gesang, durch den Murr mit seiner Mutter bekannt wird, (2) des Katers Versuch, sich durch Ovids Ratschlag, die Geliebte singen zu lassen, von der unbequemen Verstrickung in die Liebesleidenschaft zu befreien, (3) das Duett der beiden verliebten Katzen, (4) die Gesänge der Katzburschen und der Beerdigungsgesellschaft. Diese Art der kontrapunktischen Entsprechung wird durch zahlreiche Motive verstärkt. Sie lassen sich in zwei Themenbereiche gliedern: den der menschlichen Existenz und den der Kunst. In den ersteren gehören die Motive der Angst, des Doppelgängers, des Gejagtseins, des Hasenfußes, Katzenpuckelmachens und, wie schon als Beispiel herangezogen, des Geprügeltwerdens. In den Bereich der Kunst gehören die Motive des Feuers, des Mirakels, des Lichts, des zauberhaften Tons. Das Motiv des Kreises gehört zu beiden Bereichen. Neben den Motiven erscheinen außerdem eine große Anzahl von einfach wiederklingenden Wörtern und Wortverbindungen, die auch für das kontrapunktische Anklingen des einen im anderen verwendet werden. Hierher gehören die blitzenden Augen Murrs, der Friedrichsblick des Fürsten, der Kutschkasten, Schlafrock, das bedrohliche Messer, die Krallen, die in das Herz greifen und viele mehr. Es entsteht auf diese Weise eine eigentümliche Verschränkung von Klang und Sinn, die sich mit der fortwährenden Aufhebung des Ernstes durch die Übertragung auf das humoristische Gegenbild verbindet. Das führt zu der Frage, was ist der Sinn dieser Wortmusik? Was sagt der Roman als Ganzes aus? In dieser kontrapunktischen Phantasie entsteht eine künstlerische, und zwar humoristische, Aufhebung der Dissonanzen einer durch Anlage, Erziehung und den Zufall des Lebens gespaltenen Künstlerpsyche und ihrer Welt. Die Dissonanzen, die durch Satire, Karikatur und Ironie aufgezeigt werden, werden durch die musikalische Struktur — ästhetisch — wieder aufgelöst. Auffällig ist, ζ. B., daß sich trotz ursprünglich zeitlicher Unvereinbarkeit (in ein logisches Zeitgerüst eingegliedert, folgt Murrs Lebensbericht dem letzten Makulaturblatt und geht dem ersten voraus), trotz scheinbarer Gegensätzlichkeit der beiden symbolischen Hauptfiguren, die beiden Melodielinien gegen Ende des zweiten Teiles erstaunlich annähern. Murrs Plagiate, auf die der Herausgeber in fiktionsironischer Unterbrechung aufmerksam macht (III, 360,418), das Handlungsplagiat, das den Fenster-

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sprung aus dem Figaro imitiert (III, 456, 460), erscheinen als strukturelle Vorbereitung auf das größte Plagiat Murrs, der Kreislers tiefste Gedanken über das Verhältnis des Künstlers zu seiner Welt wiederholt: Wie kommt es, daß große Dichter, große Philosophen, sonst geistreich, lebensweise, sich im sozialen Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehülflich zeigen? Sie stehen jederzeit da, wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören, sie sprechen, wenn sie gerade schweigen sollten, und schweigen umgekehrt, da, wo gerade Worte nötig, sie stoßen in der Form der Gesellschaft, wie sie sich nun eben gestaltet hat, entgegengesetztem Streben überall an und verletzten sich selbst und andere; genug, sie gleichen dem, der wenn eben eine ganze Reihe muntrer Spaziergänger einträchtig hinauswandelt, sich allein zum Tore hineindrängt und nun, mit Ungestüm seinen Weg verfolgend, diese ganze Reihe verstört. Jede Stimme darf nur eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen, aber des Dichters Ton dissoniert und ist, kann er unter andern Umständen auch ein sehr guter sein, dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton, weil er nicht zum Ganzen paßt. — Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der Unterlassung alles Ungehörigen. Nun meine ich ferner, daß der Unmut, der sich aus dem widersprechenden Gefühl der Überlegenheit und der ungehörigen Erscheinung bildet, den in dieser sozialen Welt unerfahrnen Dichter oder Philosophen hindert, das Ganze zu erkennen und darüber zu schweben. Es ist nötig, daß er in dem Augenblick seine innere geistige Überlegenheit nicht zu hoch anschlage, und unterläßt er dies, so wird er auch die sogenannte höhere gesellschaftliche Kultur, die auf nichts anders hinausläuft als auf das Bemühen, alle Ecken, Spitzen wegzuhobeln, alle Physiognomien zu einer einzigen zu gestalten, die eben deshalb aufhört eine zu sein, nicht zu hoch anschlagen. Dann wird er, verlassen von jenem Unmut, unbefangen, das innerste Wesen dieser Kultur und die armseligen Prämissen, worauf sie beruhet, leicht erkennen und schon durch die Erkenntnis sich einbürgern in die seltsame Welt, welche eben diese Kultur als unerläßlich fordert. (III, 472-473) Indem sich Murr mit Kreislers Gedanken über das Thema des Künstlers als Fremdling in der Gesellschaft, über sein Wesen als Künstler, und über die künstlerische Gestaltung identifiziert, fallen beide Figuren und beide Stimmen zusammen. Nur im ersten Makulaturblatt erschienen die Figuren von Kater und Kapellmeister zusammen. Dieser rein körperlichen Gemeinschaft entspricht die geistige Gemeinsamkeit der Auflösung. Musikalisch beurteilt, erscheint das Murr-Plagiat als eine Engführung, als straffende Steigerung der Polyphonie durch gegenseitig mehr genäherte Stimmeneinsätze.38 Auf diese Weise entsteht, trotz des Fragmentcharakters des Romans, eine, allerdings nur ästhetisch befriedigende Gipfelung. 38

Moser,

Musik Lexikon,

II, 319.

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Da der Herausgeber, im Gegensatz zu Murr, als zuverlässiger Erzähler angesehen werden muß, kann vorausgesetzt werden, daß es sich bei dem Plagiat wirklich um Kreislers Gedankengänge handelt. Demnach endet die Kreislerbiographie mit Gedanken, die einen Ausgleich für den Konflikt des Künstlers mit der Gesellschaft erwägen. Wenn die Kreislerbiographie mit der Ouverture der Festbeschreibung, die alle Motive enthält, beginnt, dann das Thema des Künstlers als Fremdling in der Welt entwickelt, dieses Thema variiert und am Ende wieder zu dem Fest zurückkehrt, so läßt sich — trotz des fehlenden dritten Buches — in dem Vorschluß bereits die typische Kreisform der musikalischen Gestaltung erkennen. Da Kreisler Komponist, also Musiker ist, entspricht die Form seiner eigenen künstlerischen Ausdrucksform. Die in der Zeit fortlaufende Lebensgeschichte Murrs hat dagegen die lineare Form der erzählenden Literatur. Murr ist Pseudo-Dichter, die Form entspricht also auch seiner künstlerischen Ausdrucksweise. In der Kombination der musikalischen und der literarischen Grundformen liegt das Geheimnis des Doppelromans.

3.2

THEMATISCHE STRUKTUR: VARIATIONEN DES KONFLIKTS

Die Gegenstellung von Kunst und Leben liegt der thematischen Struktur des Romans zugrunde. Der Künstler erlebt diesen Konflikt einerseits in sich, andererseits aber auch im Zusammenstoß mit der Welt. Bei der Entwicklung des Themas in Kater Murr zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zu den Romanen der Frühromantik, ζ. B. Lucinde oder Heinrich von Ofterdingen, sogar zu Hoffmanns eigenen Märchen. In den frühen Romanen war die Antithese Vorstufe einer Dialektik, die auf eine Lösung im Idealen verwies. In Kater Murr entfalten sich aus dem Grundkonflikt Reihen weiterer Konflikte, die das Dasein als eine Konstellation von Spannungen erscheinen lassen, denen sowohl der künstlerische Mensch wie auch die Kreatur unausweichlich ausgesetzt ist. Zwar läßt sich durch die Vermittlung von Sehnsucht und Musik die Existenz eines fernen „Lichtreiches" ahnen; aber dem Menschen steht der Durchbruch zu diesem idealen Bereich nicht mehr offen. Der Konflikt von Kunst und Leben wird innerhalb der Kausalität der vom Dichter geschaffenen Welten gesucht, und auf dieser Ebene erlitten. Hinter dem Spiel der sich immer weiter verzweigenden Divergenzen stehen die Fragen: wie kann der Mensch, besonders der Künst-

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ler, mit seinem inneren Zwiespalt von Kreatur und Idealist, die innere Mitte finden, die ihm eine künstlerische Existenz ermöglicht? Wie kann er zu einer Welt, die er als kunstfeindlich und profan erlebt, die Bindung herstellen, die die Bedingung wahrer Kunst ist? Im Zusammenhang mit diesen Fragen ist Hermann Granzow zuzustimmen, der in Hoffmanns Kater Murr den ersten Roman der Goethezeit sieht, der die Lösung des Konflikts zwischen Dichter und unzulänglicher Wirklichkeit innerhalb der Realität suchte.39 3.2.1

Thematik der einzelnen Teile

Der Zwiespalt der künstlerischen Psyche wird in diesem Roman Hoffmanns in den symbolischen Figuren Murr und Kreisler objektiviert. In der Darstellung des Menschen unter der Maske des Tieres folgte Hoffmann dem Vorbild Tiecks, dessen Gestiefelter Kater mehrfach von Murr als Ahnherr angegeben wird. Tieck und Hoffmann gehen aber zurück auf das für die ganze deutsche Romantik so bedeutsame Vorbild von Cervantes. Werner Brüggemann hat darauf hingewiesen, daß das Verhältnis von Kater und Kapellmeister eine Beziehung verwirklicht, wie sie ähnlich zwischen Sancho und Don Quijote besteht, da hier ebenfalls eine Figur den prosaischen, die andere den poetischen Bereich verkörpert.40 Die Figuren werden weiter bereichert, da sie nicht nur die verschiedenen Bereiche der Welt oder deren Karikaturen darstellen, sondern gleichzeitig Züge des eigenen Wesens spiegeln. Der Autor hält in ihnen nicht nur der Welt, sondern auch sich selbst den Spiegel vor. Im Kater ist das wesentlich Kreatürliche unter einer dünnen Patina des romantischen Idealisten, in Kreisler ist das Verhältnis der Anteile umgekehrt. Was in Murr als negativ angegriffen wird, ist die unausgesetzte Sorge um die Daseinserhaltung verbunden mit der auf die Lüge angewiesenen Selbstbestätigung. Schon in „Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza" hatte Hoffmann den Dichter angegriffen, der sein Talent vergeudet, und „bei der angebornen Schwächlichkeit, bei dem Kleben an den Alltäglichkeiten des gemeinen Lebens" seinen Beruf allmählich verleugnet (I, 125). Murr wird als Dichter aus seinem übertriebenen Selbsterhaltungstrieb ein immer rezeptives Gefäß für die Gesellschaft in ihren utilitaristischen 3

» „Künstler und Gesellschaft im Roman der Goethezeit", Diss., Bonn, 1960, 167-168. 40 Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik (Münster, 1958), 219-226.

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Forderungen und Attitüden. Nicht umsonst fällt ihm gerade der „Knigge" zu Beginn seines Bildungsganges in die Hände. Der Titel seiner Werke, z.B. „Von Mausefallen und deren Einfluß auf . . . " , bezeugt diese Haltung. Da Murr immer bemüht ist, der Norm der sogenannten guten Gesellschaft gerecht zu werden, geht er auf jede Anregung lernbegierig und kritiklos ein, ganz gleich, ob sie von Meister Abraham, Ponto oder Muzius stammt. Da ihm die eigene Mitte, die allein die Individualität und deren Redlichkeit garantiert, fehlt, lügt und heuchelt er ohne große Gewissenbisse. Das Motiv der Unehrlichkeit des nur auf Erfolg zielenden Schriftstellers wird bereits in den widersprechenden Vorworten Murrs angeschlagen. Der Kater ist nicht eigentlich schlecht, er wird von seinem Dichter auf eine Weise gezeichnet, die ihm bei aller verdienten Kritik auch einen Rest des Verständnisses nicht versagt. Denn er, der als blindes Kätzchen, eine tabula rasa, auf dem Plan der Welt erscheint, ist als Jüngling genau das, was Gesellschaft und Umwelt als Schulmeister aus ihm gemacht haben. Was er tut, ist zum großen Teil auf die Erfahrung des Birkenreises zurückzuführen, des wichtigsten Instruments gesellschaftlicher Einordnung. Was er denkt, stimmt überein mit dem Gedankengut, das die eifrigen Bücherschreiber seiner Zeit in dicken Bänden veröffentlichen. Dem Zufall und der Ungewißheit des Lebens ausgesetzt, teilt er mit allem Kreatürlichen das Grunderlebnis der Angst. Es ist auffallend, daß das Epitheton „Hasenfuß" sowohl für den Kater, wie auch für Kreisler erscheint. Es kann auch nicht übersehen werden, daß Murr zumindest lernbegierig ist, daß ihn sein eigener Impuls in den Zauberkreis des Schreibtisches gezogen hat, und daß er, im Vergleich zu seinem lebensklugen Freund Ponto, der mit Stolz das Halsband trägt, einen Rest der Überzeugung bewahrt, daß Servilität und Selbstachtung sich nicht vertragen. Murr zeigt Anflüge zunehmender Weisheit, wenn er gegen Ende des Fragments zu der Überzeugung kommt: „ . . . und weder Katzbursch noch kultivierter Elegant, fühlte ich lebhaft, daß man beides nicht sein dürfe, um sich gerade so zu gestalten, wie es die tieferen und besseren Ansprüche des Lebens erfordern (III, 480). Kreisler, als Gegenfigur, stellt den idealistischen Künstler dar, der der Gesellschaft kompromißlos gegenübersteht, und dort, wo er durch Erziehung oder Lebensumstände vorübergehend nachgibt, von tiefen Selbstzweifeln gepeinigt wird. Auch er hat den Konflikt in der eigenen Persönlichkeit, denn auch er hat Anteil am Kreatürlichen mit seinen Einschränkungen. Kreislers Selbstentzweiung ist, wie die Konfliktlosigkeit seines Gegenübers, auf den Zufall des Lebens zurückzuführen,

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der ihn als Kind in Kreise versetzte, die seiner natürlichen Anlage widersprachen. Während ihm die Auffassung der Kunst als einer bloßen Verzierung des Lebens anerzogen wurde, schlummert in ihm das wahre Kunstverständnis, das durch die Tante geweckt worden war, und in der „Brust des Knaben mit tausend Adern verwuchs" (III, 222). In ihm streiten der Drang nach Ausdruck des Idealen, der "Geist der Tonkunst", um den er als einer der Eingeweihten weiß, mit den Anforderungen des oft banalen Lebens und der Gewohnheit der falschen Kunstausübung. Dieser Zwiespalt wiederholt sich mit Variationen auf verschiedenen Stufen von Kreislers Dasein. Der Wechsel vom Legationsrat zum Kapellmeister am fürstlichen Hof ist keine Lösung. Im Dienstverhältnis, abhängig von einer kunstunverständigen Gesellschaft, ist er nicht Schöpfer, sondern maitre de plaisir und muß die Kunstausübung in den Dienst der Menge stellen. Sein Verhalten erscheint ihm als Verrat an der wahren Kunst, für den er sich mit Selbstverachtung straft (III, 189). Das Bewußtsein der zu lange geduldeten künstlerischen Spielerei läßt ihn in den eigenen Augen als „Hasenfuß" erscheinen. Im Sieghartsweiler Park erlösen die harmonischen Töne von Julias Stimme Kreisler aus der Dämonie der selbstquälerischen Befangenheit. Während des Musikabends bei der Benzon, bricht der Konflikt aufs neue aus. Solange das Konzert, die Duette der beiden wirklichen Künstler, Kreisler und Julia, einzig der wahren Kunst gewidmet sind, herrscht Harmonie in Kreislers Innern, doch sobald — auf Veranlassung der Prinzessin — die Kunst in den Dienst seichter Unterhaltung tritt, wird der Streit des Idealen und des Lebens in Kreisler wach und führt zu bizarren Ausbrüchen.

3.2.2

Künstler und Gesellschaft

Als Gegenthema zu der Spannung von Kunst und Leben wird der Widerspruch von geistiger und körperlicher Liebe entwickelt und zu einer Reihe von Konflikten erweitert. Wie in der Frühromantik wird auch hier die Geliebte Vermittlerin der Ahnung von einem höheren Sein. Im schroffen Gegensatz zu den früheren Werken enthält aber die Liebe nicht mehr die Möglichkeit der Überbrückung des chronischen Dualismus (der Krankheit der Moderne), sondern sie vertieft ihn. Körperliche und seelische Liebe sind bei Hoffmann nicht mehr gleichwertige Äußerungen derselben Empfindung. Die körperliche Liebe hat nicht teil am idealen Bereich. Damit vertieft sich die Dissonanz, die durch die Welt geht. Der Künstler braucht den Austausch mit dem Leben,

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wird aber als Mensch durch seine Sensualität, die negativ gesehen ist, bedroht. „Eine Ehe mit der im tiefsten Grunde der Seele geliebten Frau wäre für den Künstler ein Herabziehen des Ideals." 41 Nur im Werk, das durch die Liebe (die Bindung an das Du) inspiriert ist, wird der Zwiespalt für einen kurzen Moment aufgehoben. In der Künstlerliebe wird die Bindung an die Welt durch das Ideelle seines Wesens möglich, und damit die Freiheit von der Ichbezogenheit ohne Preisgabe an die Leidenschaft. Für einen Moment tritt — im Gelingen des Werks — „der volle Glauben an seine innere schöpferische Kraft lebendig hervor", für einen Moment durchbebt ihn „ein seliges Wohlbehagen" (III, 422). Dieses Gefühl des Glaubens an die eigene Schöpferkraft ist für Kreisler so kurz, wie Murrs Selbstüberzeugung lang ist. Hoffmann bekennt sich hier zu der Uberzeugung, daß der Künstler sich in jeder Situation erneut bewähren muß. Gemütliche Dauer ist nur dem Philister vergönnt. Mit dem Geschehen um Meister Abraham wird der Künstlerkonflikt ein drittes Mal durchgespielt. Auch in ihm teilen sich Kreatur und Idealist, aber in gemäßigterer Mischung. Meister Abraham ist weniger auf die Forderungen des Lebens bedacht als der Kater, aber auch weniger einseitiger Idealist als Kreisler. Ein Mann der Mischung ist er schon äußerlich durch sein „schneeweißes Haupthaar" und seine „rabenschwarzen Augenbrauen" (III, 136) gezeichnet. Er ist Orgelbauer und Zauberkünstler in einer Person. Der Konflikt zwischen Kunst und Leben wird bei ihm dadurch bedingt, daß die Musik, deren Ausübung als Orgelbauer die Verbindung mit dem Bereich des Idealen herstellen könnte, durch die mechanische Schulung unterdrückt wurde, und auf der anderen Seite, seine Kunstfertigkeit als Magier, durch seine Vertrautheit mit Gesetzen des Naturgeheimnisses erworben, eine reine Unterhaltungs- und Publikumskunst ist. Die Beziehung zum geheimnisreichen, noch unverständlichen Bereich der Natur (der Erscheinungsform einer höheren Welt) wird für Meister Abraham durch die mediale Veranlagung Chiaras eröffnet. Er mißbraucht diese Verbindung, indem er Schicksal spielt, und damit einer Hybris anheimfällt (III, 146), denn er maßt sich die Beherrschung über seine Umgebung an, die keinem Menschen zukommt. Die Unstimmigkeit von Kunst und Leben wird in den Schiksalen der drei Hauptfiguren durchgespielt und eröffnet drei verschiedene Möglichkeiten der Co-Existenz mit der Welt: die Rolle des Pseudoliteraten, der zum Sprecher der Gesellschaft wird, weil er sich deren Niveau un41

Kluckhohn, Die Auffassung

der Liebe, 603.

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ausgesetzt angleicht; die Rolle des Magiers, der sich an der Marionettenwelt rächt, indem er sie durch seine Kunstfertigkeit beherrscht; und schließlich die Rolle des wahren, wenn auch nicht vollkommenen Künstlers, der für das Gelingen des Werks Leiden und Fremdsein auf sich nehmen muß. Die Mädchengestalten sind sowohl durch das Kunstthema wie durch das Liebesthema mit der Konfliktsituation verbunden. Julia wird als „Engel des Lichts", also als Verkörperung des Geistes der Tonkunst gesehen. Sie ist die einzige Figur, die fast keinen Zwiespalt des Wesens kennt. Ihre unvergleichliche Stimme ist der Ausdruck eines harmonischen Wesens, das auf die ganze Umwelt veredelnd wirkt. Julias Liebesfähigkeit dehnt sich selbst auf den schwachsinnigen Ignatius aus. Trotzdem ist sie keine Wiederaufnahme der „schönen Seele", denn auch sie kann bedroht werden. Die Inkongruenz von Kunst und Leben erfährt im Zusammenhang mit Julia eine neue Variation — der „Engel des Lichts" wird durch das dämonische, durch das rücksichtslose und starke Leben, durch die Sensualität des Prinzen Hektor gefährdet. Die Auflösung dieses Konflikts ist am Ende des Buchs noch ungeklärt. Hedwiga, die Hoffmanns zweites Talent, das des Zeichnens, in den Roman einführt, ist wie Kreisler eine zerrissene Natur. Als Gegenbild Julias ist in ihrem Wesen die dämonische Seite der Natur beteiligt. Eine magnetische Kraft ist an ihr bemerkbar; Kreisler empfindet in ihrer Nähe geradezu einen elektrischen Schlag; außerdem hat sie mediale Veranlagung. Auch ihr Verhältnis zur Kunst unterscheidet sich von dem Julias. Statt nach der freien Natur zu zeichnen, zieht sie die künstliche Anordnung vor (III, 167); statt des Gesangs, der das Gefühl erschüttert, bevorzugt sie seichte Gesellschaftslieder; statt von der Sensualität des italienischen Prinzen angezogen zu sein, sehnt sie sich nach der Künstlerliebe Kreislers. Auch die Lösung ihres Lebenskonflikts ist bei Abbruch des Werkes noch ungeklärt. Durch die Wiederkehr der Konfliktkonstellation im Liebesthema mit der Variation von seelischer Anziehung und Abwehr zwischen den Figuren, bekommen die menschlichen Beziehungen, trotz aller Anschaulichkeit der Einzelzüge, etwas Schematisches. Beide Mädchen lieben Kreisler — Julia platonisch, Hedwiga leidenschaftlich — beide fühlen sich von Hektor bedroht. Beide Männer lieben Julia — Kreisler platonisch, Hektor leidenschaftlich — beide fühlen sich von Hedwiga beunruhig. Den zwei Mädchengestalten, die Engel und Dämon verkörpern, stehen die beiden Männergestalten gegenüber, die Künstler und Dämon vertreten. Die Künstlerliebe Kreislers findet in Hektors sensueller

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Leidenschaft ihr absolutes Gegenteil. Die ungebrochene Julia soll dem im negativen Sinne ebenfalls ungebrochenen, d.h. durch Schwachsinnigkeit konfliktlosen Ignatius vermählt werden. In dieser geplanten Ehe wird die Widersinnigkeit der Verbindung von höchstem Menschentum einer wahren künstlerischen Seele mit dem seelenlosen Animalischen symbolisiert und aufs Äußerste übersteigert. Alle Beziehungen werden als Erweiterungen des Gegenspiels von Kunst und Leben, als Harmonie und Dissonanz, gut und böse, schwarz und weiß gezeichnet; sie wirken daher konstruiert. Auf der anderen Seite wird die dämonische Kraft, der zwischen Kreisler und Hedwiga bestehenden mysteriösen Verbindung durch körperliche Zustände charakterisiert. Hedwiga verfällt in dem Augenblick des Mordanschlags auf Kreisler in einen unerklärlichen Starrkrampf. Die Beziehung Meister Abrahams zu Chiara, der Mignongestalt des Romans, ist noch einmal ein Versuch des Ausgleichs dieser strengen Polarisierung. Die Anziehung zwischen den beiden erwächst ursprünglich aus Caritas — einem Gefühl der Menschlichkeit. Diese mündet in eine Ehe, die auf einer Gemeinsamkeit des Gemüts beruht, die selbst der Einbruch des Schicksalhaften, d. h. die Entführung Chiaras durch die Hofintrige, nicht zerstört. Das Symbol dieser trotz körperlicher Trennung bestehenden Verbindung ist das magische Orakel der Glaskugel. Nicht erfaßt der bleiche Tod, Die im Herzen Liebe tragen. Dem glänzt noch das Abendrot Der am Morgen wollt' verzagen! (III, 454)

Hier scheint ein versöhnlicher Ausgang der Liebeskonflikte versprochen zu sein. Die ironische Spiegelung des Liebeskonfliktes wird in den Erlebnissen von Murr und Miesmies gestaltet. Alles was in der Verbindung zwischen Kreisler und Julia als Zeichen einer im Leben erscheinenden „Lichtwelt" dargestellt wird, wird in der Katerbiographie verspottet. Kreisler wurde durch Julias Gesang angezogen, Murr durch das Nießen von Miesmies, Kreisler und Julia singen das Duett von der Trennung der Liebenden, Miesmies und Murr eins vom glücklichen Beisammensein, Kreisler wird von Julia zu einem Werk der geistlichen Musik inspiriert, Murr dediziert der langweilig gewordenen Miesmies noch ein dickes Buch. Ist diese Ironisierung künstlerische Selbstzerstörung, oder kann sie gerechtfertigt werden? Als romantischer Roman schließt Kater Murr seine eigene Theorie in selbstreflektierenden Andeu-

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tungen ein. Die Rechtfertigung von Kreislers „springendem Humor" spricht Prinzessin Hedwige aus: „Nur in dem Zwiespalt der verschiedensten Empfindungen, der feindlichsten Gefühle geht das höhere Leben auf" (III, 248). Kreisler selbst setzt die Erklärung seines Humors in engste Verbindung mit seiner Lebensproblematik: des Gefühls, einem Dasein, das von undurchsichtigen Mächten determiniert ist, hoffnungslos ausgeliefert zu sein. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler, und wohl mag es sein, daß er oft, ermüdet von den Sprüngen des St. Veits-Tanzes zu dem er gezwungen, rechtend mit der dunklen unerforschlichen Macht, die jene Kreise umschrieb, . . . sich hinaussehnt ins Freie. Und der tiefe Schmerz dieser Sehnsucht mag nun wieder eben jene Ironie sein, die Sie, Verehrte, so bitter tadeln, nicht beachtend, daß die kräftige Mutter einen Sohn gebar, der in das Leben eintritt wie ein gebietender König. Ich meine den Humor, der nichts gemein hat mit seinem ungeratenen Stiefbruder, dem Spott! (III, 183)

Offenbar versucht Hoffmann eine im Theoretischen aufgehende Lösung. Während die ironische Spiegelung der vom Gefühl getragenen Darstellung diese in Frage stellt und im einzelnen zerstört, soll im Spiel der durch die Phantasie geschaffenen Gestalten, auf der Ebene des Humors, neues künstlerisches Leben entstehen. Wolfgang Preisendanz hat Hoffmanns Überwindung der Ironie durch den Humor als eine Übertragung des „kollektiven romantischen Vorstellungskomplexes" von der Reflexion des Denkens auf seine eigene Tätigkeit und der Aufhebung durch die produktive Einbildungskraft überzeugend nachgewiesen. Er stellte fest, Hoffmanns Poetik sei dadurch gekennzeichnet, daß er „den Humor zum eigentlichen Fundament der Transzendentalpoesie" gemacht habe.42 Aber Hoffmanns Lachen kommt, wie Preisendanz ebenfalls zugibt, oft nahe an das satanische Lachen des Nihilismus. Die Konflikte von Kunst und Leben, seelischer und körperlicher Liebe, Künstler und Gesellschaft, werden auf der Ebene der Handlung manchmal verschärft und manchmal gemildert; aber wenn das Buch abbricht, ist eine Lösung noch nicht erkenntlich. Sie kann nur theoretisch verstanden werden, wenn durch die willkürliche Verbindung von Handlungsebene und Gestaltungsebene das Werk selbst als humoristische Figur erscheint. 3.2.3

Die Motive der Thematik

Die thematische Struktur des Werks wird durch die Verflechtung verwandter Motive befestigt. Das umfassendste Motiv der Darstellung ist 48

Humor

als dichterische

Einbildungskraft:

schen Realismus (München, 1963), 60 ff.

Studien

zur Erzählkunst

des

poeti-

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das der Angst. Alle Figuren des Romans — mit Ausnahme des schwachsinnigen Ignatius — haben daran teil. Das Motiv der Angst verbindet Künstler und Marionettenwelt, sowie die Hauptfiguren der Murrhandlung. Selbst die Figuren, die sich konsequent vom Ideal entfernen und sich die Regeln der Gesellschaft, wie sie ist, zunutze machen, sind in diese Situation der Angst einbezogen. Die Rätin Benzon, obwohl sie als eine der Mächtigen die Fäden des Marionettenspiels zieht, befürchtet den Einbruch des Unberechenbaren durch die unkonventionelle Persönlichkeit Kreislers. Sie bangt um ihre Position der Macht. Auch Irenaus fürchtet trotz seiner ironischen Beteuerung: „ein fürstliches Herz ist frei", die Schatten der Vergangenheit, denn eine Aufdeckung seiner Jugendsünden würde seine Kulissenwelt des anachronistischen Hoflebens bedrohen (III, 333, 457). Selbst Hektor und Angelo, die Vertreter des ruchlosen Lebens, fühlen sich bedroht von der Entdeckung der Taten ihrer ungezügelten Leidenschaft (III, 312, 467). Diese Angst ist der Schatten, der aus der Vergangenheit über die Gegenwart fällt. Selbst die Idealgestalt der Julia teilt die Angst, denn sie fühlt sich der Sensualität des Prinzen nicht gewachsen. Am vielseitigsten ist die Angst der Mittelgestalten, die bewußt an dem „chronischen Dualismus" leiden. Prinzessin Hedwiga fürchtet das Dämonische im Bereich der Natur, mit der sie auf eine unerklärliche und geheimnisvolle Weise verbunden ist. Die Angst konkretisiert sich für sie in der Furcht vor dem Wahnsinn, die auf das traumatische Kindheitserlebnis, die Bedrohung durch den wahnsinnigen Maler Ettlinger zurückzuführen ist. Meister Abraham, obwohl er durch Klugheit und „Magie" die Gestalten des Hofes dirigiert, ist gerade durch seine überdurchschnittliche Intelligenz geängstigt. Er entsetzt sich vor seinen eigenen Gestalten und vor seiner „Einmischung in das Spiel, das das dunkle Verhängnis begonnen". Er fürchtet sich vor der Nemesis seiner eigenen Anmaßung. In einer langen fiktionsironischen Unterbrechung des Biographen berichtet dieser von Meister Abrahams eigentümlicher Angst vor dem Ungewissen der Zukunft, die sich in Scheu vor dem Briefeöffnen ausdrückt (III, 341). Am deutlichsten ist das Angstmotiv in den Hauptfiguren, Murr und Kreisler, durchgeführt, oft mit ironischer Beziehung auf einander. Murrs erste deutliche Empfindung ist die der Angst, sich in dem engen Behälter — Meister Abrahams Tasche — zu finden, sowie die Angst, die ihn in dem Moment ergreift, in dem der Schleier vor seinen jungen Augen zerreißt (III, 134, 136). Von diesem Augenblick an bis zu seinem letzten Bericht ist die Laufbahn des Katers von der Angst vor

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Prügel, Angst vor der Entdeckung als Schriftsteller, Angst vor dem Pudel Skaramuz, Angst selbst vor dem Freunde Ponto (III, 215, 218, 232, 436) bestimmt. Die Angst, die er während des Feuers in den Korb eingepackt erlebt, verdunkelt alle Überlegung und verzerrt völlig die Beurteilung. Seine Einbildung täuscht ihm vor, der Ästhetikprofessor trachte ihm nach dem Leben; und selbst der ihm immer gut gesinnte Meister Abraham wird ein Opfer seines schäbigen Verdachtes (III, 253). Kreisler erlebt die Angst als Mensch und als Künstler. Mit allen teilt er die Angst, die auf dem Bewußtwerden beruht, d.h. die Trennung von Anschauung und Anschauen. Er vergleicht diesen Schreck des Sich-selbst-Innewerdens mit dem Erwachen aus bewußtlosem Schlaf (III, 204). Mit allen Menschen teilt er ferner die Angst vor dem Einbruch des Unerwarteten, ζ. B. den Tod der geliebten Tante, der Kreisler als Kind beunruhigte (III, 204-206). Aber er kennt auch die Angst vor der Verstrickung in das Böse, die den Ahnungslosen zum Mörder werden läßt (III, 343) oder ihn in eine zerstörende Leidenschaft hineinreißen kann (III, 376). In der von Hoffmann gezeichneten Welt gibt es wieder das Böse, den Teufel, der hier und da "zu seiner Lust eine ganz besondere Hetzjagd" anstellt (III, 496). Da Kreisler aber als Künstler zu denen gehört, die Fremdlinge auf Erden bleiben, weil sie „einem höheren Sein angehören und die Ansprüche dieses Seins für die Bedingungen des Lebens halten" (III, 372), kennt er die Angst vor dem Wahnsinn, der den Bindungslosen bedroht, dessen rege Phantasie ihm Doppelgänger des Ichs vorzaubert (III, 262, 270). Als Künstler erlebt Kreisler besonders die Angst vor der Unfruchtbarkeit des Berufenen. Der „Geist des Wohllauts", der gefesselt in seiner Brust wohnt, wird zum Dämon der Angst (III, 173, 189), vor allem vor diesen zwei Möglichkeiten, dem Verrat an die Gesellschaft, oder der Unfähigkeit, die „Verkündung der ewigen Liebe durch die Musik, durch das Wort oder das Gedicht" zu schaffen. Aus der Erschließung des Angstmotivs wird deutlich, warum sowohl für Murr wie auch für Kreisler das Epitheton des „Hasenfußes" auftaucht. Der Kater ist in den Augen Pontos und dessen Onkel Skaramuz ein Feigling, Kreisler ist es in seinen eigenen Augen (III, 221, 232, 169, 170, 227, 267). Die Wortassoziation von Haselant und Hase führt weitere Motive in den Zusammenhang der Hauptideen. Kreisler ist als Hase das Objekt einer Jagd, die die Gesellschaft auf den Heimatlosen anstellt; die Mächtigen stellen dabei die Jäger, der Künstler das Freiwild dar (III, 186); Prinz Hektor macht aus dem Hinterhalt auf Kreisler Jagd. Bis ins Groteske übersteigert und in der häßlichen Grausamkeit auf den

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Expressionismus vorausweisend, wird dieses Motiv noch einmal wiederholt, wenn der schwachsinnige Prinz, als Vertreter des Adels den Hänfling, den Künstler der Natur, mit Spielzeugkanone und Federmesser umbringt (III, 353 ff.). Eine spielerische Assoziation führt zu dem Begriff des Haselanten, der oft in Verbindung mit Kreisler erscheint, wenn dieser mit seinen skurrilen Späßen die Welt verlacht. „Haselant" wurde von Hoffmanns Zeitgenossen als satirische Bezeichnung für einen Schalk verwendet.48 Damit wird wieder auf das Motiv des Narren verwiesen, unter dessen Maske Kreisler seiner Umgebung, aber auch Hoffmann seinen Lesern, die Wahrheit sagt. In denselben Umkreis gehört das leitmotivisch wiedererscheinende skurile „Lächeln", als das objektivierte Bewußtsein von der Inkongruenz von Ideal und Wirklichkeit. Kreisler verfällt in dieses „toll verzerrte Lächeln", wenn immer die Ansichten und Konventionen der Marionettenwelt mit der instinktiv empfundenen natürlichen Ordnung in Konflikt geraten: wenn eine sechzehnjährige Prinzessin vor einem Künstler den falschen Stolz des Standesbewußtseins geltend macht (III, 173), wenn die Aufführung eines musikalischen Werkes sein eigenes Kunstverständnis beunruhigt (III, 187, 188), wenn er die Bedeutung seines Namens als Hinweis auf die Gefangenschaft in den Kreisen des zufälligen Daseins erklärt (III, 182), oder wenn er die Verführungsversuche des Prinzen durch seine gewollt oberflächliche Unterhaltung vereitelt (III, 311). Das ironische Vibrieren der Gesichtzüge ist aber nicht nur auf ihn beschränkt; Prinzessin Hedwiga, deren Leiden an dem „chronischen Dualismus" ebenfalls bis ins Extreme gesteigert ist, zeigt auch dieses bedenkliche Muskelspiel, das mit dem „Wirbel zu vergleichen auf der Oberfläche des Wassers, wenn sich in der Tiefe etwas Bedrohliches rührt" (III, 168). Die motivische Entwicklung bleibt bei dem ironischen Lächeln stehen. Um dem Gestaltungsprinzip, der Aufhebung der Ironie durch den Humor zu entsprechen, müßte im letzten, leider nicht vollendeten Teil, dieses Motiv des verzerrten Lächelns in das des befreienden Lachens einmünden. In Hoffmanns Prinzessin Brambilla, dem Werk, das zwischen dem ersten und dem zweiten Buch des Katerromans entstand, steht dieses Lachen, das am Ende des Mythos von der Urdarquelle die Erlösung durch den Humor symbolisiert. Hoffmann entwickelt dort als Poesie der Poesie die Theorie des Humors.

«

Grimms Wörterbuch, IV, Abt. 2, Spalte 526.

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E.T.A. HOFFMANNS 'KATER MURR' 3.3

DIE NICHT-EPISCHEN ELEMENTE

Auch in Hoffmanns Roman zeigt sich deutlich die Bemühung des romantischen Romandichters mit der Sprache als Material etwas auszudrücken, was über die Inhaltsvermittlung weit hinausgeht. Die Analyse des Romans als Individualform bewies, daß durch Darstellungsprinzipien, die sich am sinnvollsten als musikalisch erklären ließen — Thema und Variation, Kontrapunktik, Ideenverbindung durch Leitmotive — der Roman als eine Komposition zu erschließen ist, in der aus Gegensätzlichem eine Einheit entsteht. Herbert Singer spricht von der „Kontrastharmonie" des Romans.44 Durch das Gegeneinander von Murr und Kreislerfragmenten wird die Zerrissenheit der Künstlerpsyche auch formell ausgedrückt. Die Verbindung von linearer Literatenbiographie und kreisförmiger Musikerbiographie deutet bereits auf den Versuch einer Lösung auf der ästhetischen und nicht auf der Ebene der Ideen. Hiermit wird Hermann Granzows Befund bestätigt, der von der Entwicklung des Künstlerproblems ausgehend, die Lösung des Romans in Kreislers Bekenntnis zum unabhängig gestalteten Werk sieht, das dem Publikum, ob es danach fragt oder nicht, geschenkt wird.45 Der Zusammenfall der Kater- und der Kreislerstimme im Plagiat Murrs verweist auf Annäherung der extremen Züge derselben Künstlerpsyche durch das „Streben nach dem Höheren". Denn auch Murr hat, trotz seiner nicht zu bezweifelnden Philisternatur, diese Sehnsucht und zeigt gegen Ende seiner Jugend, daß Hoffnung auf eine gewisse Verfeinerung der animalischen Natur besteht. Er verspürt, daß ihm die vornehme Gesellschaft nichts bieten konnte als „eine Schale ohne Kern", daß er weder Katzbursch noch Elegant sein dürfe, "um sich gerade so zu gestalten, wie es die tieferen und bessern Ansprüche des Lebens erfordern" (III, 480). Daß der lernbegierige Murr, der allen Einflüssen des Lebens offen entgegenkommt, beim Zusammenleben mit dem wirklichen Künstler, Kreisler, veredelnd beeinflußt wird, ist sicher. Leider blieben aber die bei Murrs Tod angeblich noch existierenden Reflexionen des Katers, die ja aus der Zeit des Zusammenlebens mit Kreisler stammen müßten, durch die Unvollständigkeit des Werks ungestaltet.

44

„Hoffmann: Kater Murr", in Der deutsche Roman vom Barock bis zur Gegenwart: Struktur und Geschichte, hrsg. von B. v. Wiese (Düsseldorf, 1963), 310. 45 Künstler und Gesellschaft, 162-165.

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3.3.1

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Form als Aussage

Als Beispiel der Tendenz zum lyrischen Gebrauch der Sprache kann das Spiel mit akustischen Vorstellung verfolgt werden. Gegen Ende des Festberichts, den Meister Abraham dem Freunde gibt, heißt es: Ich zündete die Girandola an, und wie zischend und prasselnd die Raketen in die Höhe fuhren, brach das Wetter los mit glutroten Blitzen, mit krachenden Donnern, von denen Wald und Gebürge erdröhnten. Und der Orkan brauste hinein in den Park und störte auf den tausendstimmig heulenden Jammer im tiefsten Gebüsch. Ich riß einem fliehenden Trompeter das Instrument aus der Hand und blies lustig jauchzend darin, während die Artilleriesalven der Feuertöpfe, der Kanonenschläge, der Böller wacker dem rollenden Donner entgegenknallten. (III, 145) In diesem Crescendo von Worten wird die vorausgegangene Spannung von Kunst und Unkunst aufgelöst. Weiter fällt auf, daß an den wenigen Stellen, die sich um Naturschilderung bemühen, diese immer so gestaltet werden, daß akustische Eindrücke vorherrschen. Düstere Wolken zogen daher und warfen breite Schatten über das Gebürge, über den Wald, wie schwarze Schleier. Ein dumpfer Donner dröhnte im Morgen, stärker sauste der Nachtwind, rauschten die Bäche, und dazwischen schlugen einzelne Töne der Wetterharfe an, wie ferne Orgelklänge, aufgescheucht, erhob sich das Geflügel der Nacht und schweifte kreischend durch das Dickicht. (III, 269) Der Höhepunkt synthetischer Vermittlung von Sinneseindrücken als Ausdruck einer Seelenlage wird in Julias Traumerlebnis gestaltet, das als thematische Antwort auf Kreislers traumempfangene Komposition zu verstehen ist. ,Mir war's', sprach Julie weiter, ,mir war's, ioh wandle in einem herrlichen Garten, in dem unter dichtem dunklem Gebüsch Nachtviolen und Rosen durcheinander blüheten und ihr süßes Aroma in die Lüfte streuten. Ein wunderbarer Schimmer, wie Mondesglanz, ging auf in Ton und Gesang, und wie er die Bäume, die Blumen mit goldnem Strahl berührte, bebten sie vor Entzücken, und die Büsche säuselten, und die Quellen flüsterten in leisen sehnsüchtigen Seufzern. Da gewahrte ich aber, daß ich selbst der Gesang sei, der durch den Garten ziehe, doch so wie der Glanz der Töne verbleiche, müsse ich auch vergehen in schmerzlicher Wehmut!' (III, 296) Anscheinend soll hier die Synästhesie das Gefühl des künstlerischen Erlebnisses der schöpferischen Annäherung an den idealen Bereich gestalten. Da Julias Traum gleichzeitig mit Kreislers Schöpfertraum zu verstehen ist, bestätigt dieses Echo des Idealen in beiden Figuren die „Künstlerliebe". Die Sprache soll dabei diese Gipfelung des Geschehens

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sozusagen ohne Erklärung verdeutlichen. Wie in der Musik, soll Inhalt und Form zur unzertrennlichen Kategorie werden. Auch der Versuch rhythmisch eine Gefühlslage wiederzugeben, oder das Motiv eines Einzelteils zu unterstreichen, gehört zu dem Spiel mit der Sprache, das über die Inhaltsvermittlung hinausgehen soll. Das dritte Makulaturblatt setzt, ζ. B., mit der behäbigen Stimme des Biographen ein, der langatmig die Abgerissenheit des Berichts entschuldigt. Nach einem kurzen Ubergang, der die Harmonie der Parklandschaft in Ton und Bild beschreibt, folgt das Gespräch zwischen Prinzessin Hedwiga und Julia über die Malerei. Der mit seiner enharmonischen Guitarre redende Kreisler unterbricht die Unterhaltung; man hört das Stakkato des Rhythmus, der auf Kreislers Zerrissenheit deutet: „Die Guitarre wurde gestimmt — dann wieder Akkorde — dann wieder abgebrochen und gestimmt — dann heftige wie im Zorne ausgesprochene Worte — dann Melodien — dann aufs Neue gestimmt — . . . " (III, 168). Der Erzähler ahmt in seiner Beschreibung, die auf logische Syntax verzichtet, ein musikalisches Tempo nach. Die Unterhaltung zwischen Kreisler und seiner Guitarre steigert sich vom freundschaftlichen Ton bis zum Ausbruch der Verzweiflung. In Kreisler und in seinem sehr alten Instrument ist der Geist des Wohlklangs verborgen, in beiden kann er nur durch ein Wunder geweckt werden. Die sich ständig steigernde Spannung zwischen Wissen und der Unmöglichkeit des Gestaltens wird durch Julia gelöst. Sie rettet das im Zorn fortgeworfene Instrument und entlockt ihm, und damit gleichzeitig Kreisler, neue Harmonien. In Kreislers Begegnung mit den beiden Mädchen wiederholt sich noch einmal der Dualismus von Harmonie und Dissonanz, der auch dem Erzählrhythmus zu entnehmen ist. Julias Reaktion auf Kreislers Exzentrik ist freundliches Verstehen; Hedwigas Reaktion ist Entsetzen. Kreislers Verhalten entspricht dem der Mädchen. Auf Julias „Himmelstöne" antwortet er mit „weicher sanfter Stimme", auf Hedwigas, mit einem grotesken Ausbruch kreischender Dissonanz, in abgebrochenen Ausrufen: „Gnädigste Prinzessin, hier ist der und der! — Aber nun! Che far, che dir! — Gnade — Gnade, ο Prinzessin, ο Damen! — ο Herren! . . . Ah pietä, pietä, Signora!" (III, 175) Auf ähnliche Art ist das Scherzo der Begegnung zwischen Kreisler und Pater Hilarius gestaltet. Durch das Küchenlatein des Paters und den oft wiederholten Refrain „ergo bibamus" wird die Spannung des Attentats und der Flucht aufgelöst und auf die heitere Lebensart im Kloster Kranzheim hingewiesen: „Pump, da liegt's, und die-die-diedel diedel greift Bruder Jakob in die Orgeltasten! — ad patibulum cum illis

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— Ich durfte also — doch bibamus!" (III, 345-348). Im ersten Makulaturblatt wird durch Meister Abrahams immer wiederkehrendes „Aber du fehltest, du fehltest", das die Abwesenheit des Freundes beklagt, ein wichtiges Motiv der Kreislerhandlung rhythmisch hervorgehoben. Victor Terras hat bei seiner Besprechung von Hoffmanns „polyphonischem Stil" nachgewiesen, daß der Dichter gern seinen Stoff von verschiedenen Seiten beleuchtet, indem er vielerlei Stimmen zu demselben Ereignis zu Wort kommen läßt.49 Dem ist zuzustimmen; ζ. B. wird der Gesang Julias von Kreisler in so „ausschweifender" Manier gelobt, daß sich der Biograph darüber beschwert. Aber auch „ungemein solide Leute", so hört man, reagieren „absonderlich", und sogar der völlig kunstunverständige Irenaus erscheint sichtlich betroffen. In der alles zusammenfassenden auktorialen Nachbemerkung heißt es schließlich: „Julia, einer vollen metallreichen, glockenreinen Stimme mächtig, sang mit dem Gefühl, mit der Begeisterung, die aus dem im Innersten bewegten Gemüt hervorströmt, und darin mochte wohl der wunderbare unwiderstehliche Zauber liegen.. ." (III, 242-243). Auf diese Art wird der Eindruck des Gesangs fünffach variiert. 3.3.2

Modulationen des

Bekenntnishaften

Die Parallele von Hoffmanns Leben zu seinem Werk ist häufig gezogen worden. Zuletzt ist Wulf Segebrecht der Verwandlung der Wahrheit in die Dichtung nachgegangen.47 Besonders wurde Jean F. A. Ricci dem Künstler und Menschen Hoffmann gerecht, ohne dabei das Werk in seiner Eigenständigkeit zu vernachlässigen.48 Den Konflikt, dem der Roman Gestalt und Inhalt verdankt, hat Hans Mayer umrissen, wenn er die drei wichtigen Momente herausstellt: (1) Hoffmans Uberzeugung, daß er als Musiker gescheitert sei, weil er nicht frühzeitig und ausschließlich genug der Berufung des Komponisten folgte; (2) sein Schwanken zwischen irdischer und ,himmlischer' Musik; und (3) die Tatsache, daß Hoffmann seinen Erfolg als Unterhaltungsschriftsteller nicht als Erfüllung, sondern bestenfalls als Notlösung empfand.49 Die Autonomie des humoristischen Romans beruht gerade auf der Spannung, die durch den Anteil des Bekenntnishaften einerseits und der Künstlichkeit der Gestaltung andrerseits entsteht. Sie wird beson"

„Hoffmanns polyphonische Erzählkunst", 554-555. Autobiographie und Dichtung, 206-215. 48 E.T.A. Hoff mann: L'Homme et l'aeuvre (Paris, 1947), 445-472. 49 „Die Wirklichkeit Ε. T. A. Hoffmanns", in Von Lessing bis Thomas Mann: Wandlungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland (Pfullingen, 1959), 217. 47

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ders durch die Gestaltungselemente erreicht, die dem Grundtypus des epischen Erzählens zuwiderlaufen. Die Methoden des humoristischen Romans, das Spiel mit der Erzählerfiktion und die Tiersatire sind natürlich nicht auf den romantischen Roman beschränkt. Dagegen ist die Konzentration vieler nicht-epischer Elemente, die aus dem Lebensbericht ein Kunstspiel machen, Eigentümlichkeit des romantischen Romans. Die angebliche Entstehungsgeschichte des Buches, die die fiktiven Erzähler einführt und die eigentümliche Form erklärt, stellt von Anfang an ein Beziehungssystem her, das sich zwischen Dichter und Werk schiebt. Die Benutzung der Katermaske in einer durch realistisches Detail glaubhaft dargestellten Welt, erzeugt außerdem eine humoristische Verfremdung. Die Negierung der historischen Zeit beginnt mit den „versehentlichen" Unterbrechungen des Katerberichts. Dieser muß mit seiner chronologischen Geschehnisfolge, vom ersten Bewußtseinseindruck Murrs als Zögling Meister Abrahams bis zu seiner Ubergabe an Kreisler, die Basis einer verläßlichen Koordination sein. Aber durch die erzwunge Simultaneität des logisch nicht dazugehörenden Kreislergeschehens wird das Zeitempfinden schwankend. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, da die abgebrochenen Sätze der Kreislerbiographie, im Gegensatz zu den Teilen der Murrgeschichte, sich nicht verbinden lassen; es fehlen die Zusammenhänge. Dazu kommen absichtlich unklare Zeitangaben der Romanfiguren selbst, wie ζ. B. die Bemerkung des Herausgebers, daß wieder etwas im Text fehle, was der Kater ausgelassen habe (III, 454). Auch die Zerstörung der Erzähllogik durch die Einmischung des Kreislerbiographen hat eine ähnliche Wirkung. Dieser erwähnt einmal, daß Meister Abraham Kreislers Brief ungelesen in den Schreibtisch geschlossen habe, der Leser aber trotzdem den Text sogleich erfahren solle. Wenn dem Leser mitgeteilt wird, daß eine Unterhaltung „brühwarm" wiedergegeben werde, so ist das ein Paradox, da ja diese vorgetäuschte Aktualität durch das Wissen um des Katers willkürliches Verfahren mit der Kreislerbiographie von vorherein negiert wird. Erst rückschauend läßt sich erschließen, daß Murrs Leben bei Meister Abraham am Abend des verhängnisvollen Festes beginnt.50 50

Wenn Bernhard Heimrich sagt: „Die Murr-Geschichte schließt mit dem Zeitpunkt, an dem die Kreisler-Geschichte in der ersten Makulatur beginnt ...", und darauf seine Koordination der Teile aufbaut, so scheint er zu übersehen, daß die Festbeschreibung des ersten Makulaturblatts, in eine logische Zeitabfolge gesetzt, nach einer, dem letzten Makulaturblatt folgenden Geschehnispause an letzter Stelle der Kreislerhandlung stehen müßte, denn das am Abend des Festes gerettete

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Die Nichtigkeit der historischen Zeit wird weiter betont, wenn die ganze vordergründige Katerlebensgeschichte in dem Bericht Meister Abrahams, der der Übergabe Murrs an Kreisler vorausgeht, auf wenige Sätze zusammenschrumpft (III, 147). Der chronologische Teil verschwindet damit als minimaler Anteil in der Kreislerbiographie, für die die historische Zeit kein zuverlässiges Strukturelement ist. Die Bedeutung des Raumes ist ebenfalls weniger wichtig für die Einordnung in ein Wirklichkeitsverhältnis, als für die symbolische Deutung der Handlung. Der Murrteil enthält dafür einige parodistische Hinweise. Da der Kater über seinen wirklichen Geburtsort im Dunkeln ist, entscheidet er sich, seiner „Sehnsucht nach dem Höheren entsprechend", kurzerhand für den Speicher (III, 137); auch der „magische Kreis" des Schreibtisches und das „weiche Behältnis", der „schnöde Flanell" deuten hauptsächlich auf Murrs Lebensinteressen, seine Vielschreiberei, und seine körperliche Bequemlichkeit. Kreislers Bewegungen im Raum sind symbolische Verweise auf Stationen des künstlerischen Entwicklungsganges. Er taucht im Park zu Sieghartsweiler auf, wie einer, der sich im „Irrgarten des Lebens" verlaufen hat. In seinen zwei Vorstößen in verschiedene Bereiche der Gesellschaft begibt sich Kreisler in diametral entgegengesetzte Sphären, Hof und Kloster, die der Entwicklung des Künstlers von der irdischen zur „himmlischen" Kunst entsprechen. Die Tendenz zur Abstraktion fällt bei der Brechung der Künstlerproblematik in ihre verschiedenen Aspekte auf. Die Figuren, die die himmlische und die dämonische Seite der Kunst in gegenseitiger Anziehung oder Ablehnung durchspielen, haben etwas Schematisches, da sie auf dieses Beziehungssystem hin entworfen sind. Von Bedeutung ist weiter die bewußte Ausnützung der Möglichkeiten der Erzählfunktion, die Spaltung in den Ich-Erzähler Murr, den angeblichen Biographen Kreislers, die lose durch den Herausgeber, einen fiktiven Ε. T. A. Hoffmann, zusammengehalten werden. Das Gegeneinander von Ich- und Er-Erzählung unterstreicht die Spaltung der Künstlerpsyche. Die Haltung des erwachsenen Schriftstellers Murr Kätzchen ist ja bei der Übergabe an Kreisler ein ansehnlicher Kater. Kater Murr könnte außerdem nicht das Manuskript der Kreislerbiographie als Schreibunterlage benutzen, wenn diese Handlung nicht bereits abgeschlossen vorläge. Auch die Bemerkung, die Episoden seien jeweils in „subjektiver und objektiver Perspektive" erzählt, erscheint als eine nicht berechtigte Vereinfachung. D i e Beziehung der beiden Teile zueinander ist nicht erzähltechnisch logisch, sondern erhellt sich erst durch die Perspektive der musikalischen Komposition (Fiktion und Fiktionsironie in Theorie und Dichtung der deutschen Romantik [Tübingen, 1968], 116 ff.).

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seinem jüngeren Ich gegenüber ist äußerst wohlwollend und beinahe kritiklos. Er läßt häufig Reflexionen einfließen, die satirische Seitenhiebe auf den Typ des empfindsamen, von sich eingenommenen Literaten sind. Diesem ironisierenden Spiel des Murrerzählers steht auf der Kreislerseite das ebenfalls ironische Spiel des angeblichen Biographen gegenüber. Dieser läßt gelegentlich in auktioralen Bemerkungen seinen eigenen Standpunkt, d. h. den des etwas betulichen Biedermannes, durchscheinen. Er fühlt sich, ζ. B. „leider genötigt, seinen Helden,.. . als einen extravaganten Menschen darzustellen", dem er „ausschweifende Redensarten" nachschreiben muß (III, 241). An anderer Stelle hält er Kreislers Urteil über Julia für nicht „von sonderlichem Wert (III, 242). Das Experimentieren mit der Erzählfunktion, das bereits auf den modernen Roman vorausweist, ist nicht immer geglückt. Der häufige Perspektivenwechsel, wie auch die gelegentliche Allwissenheit ist von einem Erzähler, der nach eigener Angabe zum Erlebnisbereich der Kreislerhandlung gehört, nicht erklärlich. Gelegentlich tritt der Erzähler völlig hinter das Geschehen und vermittelt Unterhaltungen in direkter Rede, ohne durch Ableitungsverben die Vermittlung durch die Person des Biographen anzudeuten (III, 182). Dann wieder geht die Erzählung unvermutet zu Naturbeschreibungen über, die nur als persönliche Eindrücke Kreislers verständlich sind (III, 269). Durch diesen Mangel an Erzähllogik wird die Wirkung des Gegenspiels stark vermindert. Es wird auch in diesem Beispiel des romantischen Romans deutlich, daß die bewußte Umsetzung des Bekenntnishaften in eine vom Dichter „prästabilierte Welt" 51 durch die Negierung der wichtigsten Koordinaten des epischen Erzählens, Zeit und Raum, durch die Neigung der Sprache zur lyrischen Ausdrucksform und zur Abstraktion, sowie durch das Spiel mit der Erzählfunktion erreicht wird. 3.3.3

Die neue Mythologie

Wie Fritz Strich in seiner Interpretation von Hoffmanns Märchen Der Goldene Topf nachwies, versuchte der Dichter hier in der Nachfolge von Jakob Böhme und Novalis eine Mythologie der Elementargeister, der der Konflikt der bildenden und zerstörenden Kräfte und die Hoffnung auf die Rückkehr einer Urheimat zugrunde liegt.52 Darauf auf51

Herbert Singer, „ H o f f m a n n : Kater Murr", 327. Die Mythologie in der deutschen Literatur von Klopstock 1910), II, 302 ff. 53 Ε. T. A. Hoffmann's Other World. 52

bis Wagner (Halle,

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bauend, entwickelte Kenneth Negus die Zusammenhänge dieses Mythos in Hoffmanns Werk.53 Für Kater Murr muß aber der Versuch einer Analogie zu diesem „Urquell" der Hoffmann-Dichtung fehlschlagen, da die humoristische Form einer ernsten Symbolisierung zuwiderläuft. 3.4.4

Poesie und Wissenschaft

Auch unter der humoristischen Maske dieses Romans zeigt sich der Versuch, durch Verbindung von „Poesie und Wissenschaft" einen möglichst vollkommenen Querschnitt des geistigen Anliegens der Zeit in künstlerischer Form zu geben. Der Darstellung entsprechend, tritt die Auseinandersetzung mit der Gegenwartsproblematik zumeist in Form der Karikatur auf und dient der Satire. Im Gegensatz zum Roman der Frühromantik, wird aber die Philosophie als Diskussionsstoff unwichtig. (Ausnahmen dazu sind satirische Bemerkungen wie Murrs Erwähnung von Kants „Kategorischem Imperativ" [III, 232].) Die Hauptthemen sind Gesellschafts- und Kulturkritik, die Kunst, sowie zeittypische pseudo-wissenschaftliche Erfahrungen.54 In beiden Teilen des Romans richtet sich die Gesellschaftkritik gegen bestimmte Zustände der Restaurationszeit. Deutlich wird das in der Schilderung des anachronistischen Hofes, des in Wirklichkeit nicht mehr existenzberechtigten Fürstentums, in den hybriden Existenzen von Adel und gehobenem Bürgertum, wie in Karikaturen eines Alzibiades von Wipp oder des Ästhetikprofessors. Die Schablonenhaftigkeit menschlicher Beziehungen, die oft nur aus kramphaft aufrechterhaltener Etiquette bestehen, wird immer wieder das Ziel der Satire, des Angriffs auf die sogenannte „höhere Kultur". Gegen den Utilitarismus richten sich Murrs wiederholte Lobpreisungen der edlen Wissenschaft, die als Hausmittel gegen alle Leiden erscheint; „In den Wissenschaften fand ich Trost und Beruhigung... Dank, glühender Dank dem edlen Mann, der sie erfunden. — Wie viel herrlicher, wie viel nützlicher ist diese Erfindung als . . . " (III, 176). Murrs eigener Bildungsweg ist eine Satire auf viele erstarrte Wertvorstellungen der Zeit. Erziehungsmethoden und -ziele werden zum Gesprächsthema zwischen Meister Abraham und dem Ästhetikprofessor. Die Katzburschenepisode nimmt auf das politische Geschehen der Zeit Bezug, in das Hoffmann als Jurist gegen seinen Willen verwickelt wurde. Der Chauvinismus bestimmter Kreise wird aufs Korn genommen (III, 137). Die Katersatire richtet 54

Vergl. H. G. Werner, Ε. T. A. Hoffmann: Darstellung und Deutung der Wirklichkeit im dichterischen Werk (Weimar, 1962), 7.

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sich auch gegen die Profanierung der Kunst, gegen das ästhetisierende Treiben der Salons (III, 165). Gegen die Auffassung der Kunst als Zeitvertreib und den Künstler als „Angestellten" (III, 188) richtet sich die Kreislergeschichte. Hoffmann erkannte hellsichtig „bestimmte Auswirkungen der Abhängigkeit vom Publikum", stellt H.-G. Werner fest.55 Das Kunstthema wird auch als ästhetisches Problem eingeführt, so ζ. B. in der Beschreibung des Klosters, bei Kreislers Verteidigung der Kirchenmusik und besonders in dem langen Kunstgespräch zwischen Kreisler und dem Abt (III, 420 ff.). A. W. Schlegels „Gemäldegespräche", die im Athenäum, erschienen waren, hatten das Interesse für diese Art der Kunstvermittlung eingeleitet. Bei Hoffmann schimmert bei der Gegenüberstellung von alter, d. h. christlicher, und moderner, säkularisierter Kunst, immer die Frage durch, ob die Kunst in der modernen Zeit noch berechtigt ist (III, 423 ff.). Das durch Mesmers Entdeckungen angeregte Interesse am „animalischen Magnetismus", einem Sammelbegriff für vielerlei legitime und illegitime Erscheinungen wie Somnambulismus, Hellsichtigkeit, Hypnose, wird in Hedwigas verschiedenen krankhaften Zuständen, ihren Starrkrampf, der Behandlung durch Hypnose, der medialen Veranlagung Chiaras, der geheimnisvollen Verbindung zwischen Kreisler und Hedwiga gestaltet.56 Endlich enthält der Roman eine große Zahl von Anspielungen auf wertvolle wie auch auf belanglose Literatur, die als Hinweis auf das zeitgenössische Bildungsgut in die Gestaltung aufgehen. Unter der humoristischen Maske erfüllt Hoffmann die Forderung des romantischen Romans, das geistige Anliegen der Zeit und der Individualität des Dichters in Poesie aufzuheben. 3.3.5

Die humoristische Arabeske

Hoffmanns Kater Murr erfüllt die Bedingungen der Arabeske als einer Dichtungsart, die andere Gattungen in sich vereint. Im Kater-Teil sind ζ. B. eine Glosse, ein Sonnett, der Rundgesang, Murrs Gedicht in Stanzen, die Trauerrede Hinzemanns und Pontos Geschichte von den falschen Freunden eingeschlossen. Dazu kommen die verschiedenen enzyklopädischen Einlagen, wie ζ. B. die Beschreibung des altertümlichen Instruments (III, 207), oder die Erörterung medizinischer Behandlungsmethoden. Im Kreisler-Teil sind die arabesken Einschal5t

Werner, 66. · Über Benutzung der Quellen und der Methode der Übernahme, P. Sucher, Les Sources du merveilleux chez Ε. T. A. Hoffmann (Paris, 1912), 5

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tungen weniger häuftg, sie bestehen lediglich aus den Briefen zwischen Meister Abraham und Kreisler, aus den Weissagungsversen der gläsernen Kugel und dem Entschuldigungsvers Prinz Hektars. Die Einlagen sind jeweils mit der Handlung verknüpft. Der Unterschied zu Friedrich Schlegels Auffassung von der Arabeske, deren wichtigste Funktion der Verweis auf das Unendliche sein sollte, beruht auf der humoristischen Abwandlung der Form. Die Potenzierung der Reflexionen verweist daher nicht auf die Aufhebung der Gegensätze in einer metaphysisch begriffenen All-Einheit, sondern verweist auf die Überwindung der Dissonanzen, die durch die Gegensätze von Idealismus und empirischem Sein in der Wirklichkeit entstehen. Diese Aufhebung versucht der Künstler durch den Humor zu leisten. Als Formkräfte der Synthetik können wiederum die Begriffe der poetologischen Reflexion und des kombinatorischen Witzes, als blitzartige Zusammenfassung des Heterogenen angewendet werden. 3.3.6

Die poetologische

Reflexion

Die poetologische Reflexion verbindet, wie bei den meisten romantischen Romanen, die Ebene des Geschehens mit der Ebene der Gestaltung. Schon in Hoffmanns Märchen wurde, wie Ingrid Strohschneider Kohrs bewies, die reflektierende Spiegelung der Dichtung als solche gerade durch das bewußte Verweisen auf das Spiel mit der Fiktion hervorgerufen.57 In Kater Murr wird die einmal geschaffene Illusion nicht offen durchbrochen.88 Der Herausgeber bleibt in der angenommenen Rolle; das gilt auch für Murr and für den Biographen Kreislers. Die Handlungs- und die Gestaltungsebene gehen nebeneinander her. Die besondere Funktion der Reflexion, die auf die eigene Darstellung verweist, wird in Kater Murr nicht offen, sondern im doppeldeutigen Sprechen der Figuren ermöglicht. Diese doppeldeutigen Verweise sind sehr häufig. Murrs Buch, „Gedanke und Ahnung oder Kater und Hund", in dem er nachzuweisen vorgibt, daß beide Wesen nur wie „diverse Strahlen aus einem Prisma geworfen" sind (III, 179), ist eine deutliche Anspielung auf die Kater und Kreisler Fiktion. Murrs Bemerkung, daß ihm sein eigenes Wesen und seine Werke ein Lieblingsthema sind (III, 181), gibt einen Fingerzeig für die autobiographische Tendenz des Buches. Murr erwähnt zweimal das Zerreißen eines Manuskripts; einmal ist es ein fremdes, das er aus „wissenschaftlichem Heißhunger" 67 58

Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung (Tübingen, 1960), 350-352. Vergl. Heimlich, Fiktion und Fiktionsironie, 112-113.

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zerfetzt (III, 152), später ist es sein eigenes Manuskript, das er heuchlerisch in Stücke reißt, um den Verdacht von sich abzulenken, daß er ein Dichter sei (III, 197). Bei dieser Gelegenheit ist Meister Abrahams Bemerkung: „Welcher Dichter würde sein Manuskript handhaben auf diese Weise?" ein ironischer Rückverweis auf die eigene absichtliche „Formzerstörung", der damit die Kritik bereits vorwegnimmt. Wenn Murr sich beklagt, daß man ihm seiner „Krallen halber keine amüsante Schreibart zutraut" (III, 253), so reflektiert er damit die satirische Absicht des Buches. Ähnlich wirkt die Bemerkung des Ästhetikprofessors, Meister Abraham habe den Kater in der Absicht der „Verspottung der vortrefflichsten Gelehrten und Dichter" zum Literaten erzogen. Die Absicht dieser Art der Potenzierung wird besonders deutlich, wenn Ponto nach seinem Bericht über die untreue Professorenfrau hinzufügt, die Geschichte solle „mehr Zelebrität erhalten" und Murr dann ermahnt, etwas darüber zu schreiben (III, 448). Schließlich ist Meister Abrahams Bemerkung aufschlußreich: Ihr oder ein anderer Schalk hat sich den Spass gemacht, im Geiste eines Katers, der nun gerade mein guter Murr sein soll, Verse zu machen . . . Der Spaß ist übrigens nicht übel und wird vorzüglich dem Kreisler sehr wohl gefallen, der wohl nicht unterlassen dürfte, damit eine kleine Parforcejagd anzustellen, in der Ihr am Ende selbst ein gehetztes Wild sein könntet. (III, 195) Damit wird sowohl auf die Tiersatire, wie auf die humoristische Darstellung, wie auch auf Kreisler als Schöpfer des Ganzen verwiesen. Der Kreislerteil zeigt dieselbe Tendenz. Kreisler fühlt sich bei dem Bericht über Kindheit und Jugend wie „ein Leichnam, ausgestreckt auf der Tafel liegend, bereit zur biographischen Sektion" (III, 208) und gibt damit den Hinweis auf den Erkenntnischarakter des Buches. Der Verweis auf die Form wird in Kreislers Unterhaltung mit der Prinzessin deutlich, die er als Duett beschreibt, „in dem jede Stimme ihrem eigentümlichen Charakter treu bleiben muß". Während die Prinzessin, wie er sagt, im wehmütigen Adagio beharrt und nur hie und da einen Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzüglicher Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten parlando dazwischengefahren, so daß er, da das Ganze ein wahres Meisterstück der Komposition und der Ausführung zu nennen, nichts weiter gewünscht als der Prinzessin und sich selbst zuhören zu können . . . (III, 265) Bei der Doppelbödigkeit des Gesamtenwurfs fällt es nicht weiter schwer, von dieser Beurteilung des Gesprächs, auch auf das größere Duett Kreislers und Murrs, d. h. den Roman selbst, zu schließen. In-

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teressant ist dabei besonders die Reflexion der Reflexion, die in Kreislers Wunsch nach Selbstbeobachtung ausgedrückt ist. Indem der Dichter das eigene Erleben in der bewußten Gestaltung von sich absetzt, kann er Anschauung und Reflexion verbinden. Das wird besonders deutlich bei der Reflexion der Theorie des Humors im Roman. Die Rätin Benzon nennt Kreislers Humor den „Wechselbalg einer ausschweifenden, grillenhaften Fantasie ohne Gestalt, ohne F a r b e . . . " (III, 183), der kleine geheime Rat sieht ihn ebenfalls als etwas Negatives (III, 202). Eine indirekte Definition der positiven Seite des Humors wird in Beziehung auf Meister Abraham gestaltet, dem diese Qualität zwar abgesprochen wird, der aber den jungen Kreisler positiv beeinflußt haben soll. Es heißt, daß dessen angeblicher Humor „nicht jene wunderbare Stimmung des Gemüts [ist], die aus der tieferen Anschauung des Lebens in all seinen Bedingnissen, aus dem Kampf der feindlichsten Principe" hervorgeht (III, 226). Kreisler selbst nennt den Humor den „Sohn der Ironie, der als gebietender König in das Leben eintritt" (III, 183). 3.3.7

Der kombinatorische

Witz

In Murrs langem Plagiat wird schließlich die Form als Ausdruck der Idee reflektiert. Wenn Murr, Kreislers Gedanken wiederholend, überlegt, wieso der Künstler immer gerade dort steht und spricht, wo er nicht hingehört, und damit dem ähnlich ist, der „allein zum Tor hineindrängt", wenn die Menge hinauswandelt, liegt darin ein deutlicher Verweis auf die Doppelstruktur. Die Murrteile stehen stellvertretend für die Meinung der großen Menge, sie werden durch die KreislerAbschnitte, die sich immer gerade am Unrechten Platze dazwischendrängen, unterbrochen. Damit wird durch die Form gleichzeitig das Künstlerproblem, wie Hoffmann es sieht, gestaltet. Der Künstler ist der Außenseiter, der den gemütlichen Ablauf der Philisterwelt störend unterbricht. Die besondere Form des Zusammendrängens von Gegensätzen in ein Kunstsymbol wird im Kater Murr durch die Anlehnung an die musikalische Gestaltung erreicht. Die Motiwerflechtung erlaubt die Analogie der widersprechenden Lebensläufe, das Zusammenklingen von dynamischen und statischen Motiven erzeugt selbst dort, wo sich die Ideen widersprechen, noch eine akustische Vorstellung des Zusammenklangs. Dazu kommt die häufige Wiederholung nebensächlicher Einzelheiten, die nur dem musikalischen Prinzip der Variation

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entsprechen. Z.B. schwebt bei dem Hoffest ein Cherubin mit brennender Fackel über der Gesellschaft und tropft, nachdem die Machinerie verunglückt, Wachs auf die Höflinge. Als Entsprechung dazu entsteht, ohne jede kausale Notwendigkeit, später das Bild des Pater Hilarius, der nachts zur Beisetzung gerufen, verschlafen seine Kerze nach unten hält und heißes Wachs heruntertröpfeln läßt. Noch einmal wird die Verbindung von pausbäckiger Heiligenfigur, Verwirrung und wachströpfelnder Kerze gestaltet (III, 480-481). Auch die verschiedenen Künstlerfiguren sind Variationen des Künstlerproblems. Hoffmann schrieb in sein Tagebuch: „Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas — alle Gestalten die sich um mich herum bewegen sind Ichs u. ich ärgere mich über ihr Thun und Lassen".59 Ähnlich erscheinen die Figuren in Kater Murr als Träger gewisser Züge, die in stärkerem oder schwächerem Maße Anteil an der gestaltenden Künstlerpsyche haben, die sich in diesen Figuren Doppelgänger zur Spiegelung schafft. Im Text gibt es vielerlei Hinweise auf diese prismatische Brechung. Kater und Kreisler fallen zusammen, wenn Murr dessen „tiefste Gedanken" über den Künstler und sein Verhältnis zur Gesellschaft als seine eigenen ausgibt. Kreisler und Hedwiga geben sich als geheimnisvoll verbunden aus; wenn Kreisler in Lebensgefahr ist, fällt Hedwiga in einen Trancezustand, sie spricht dabei Gedanken aus, die mit denen Kreislers identisch sind (III, 388). Kreisler und Julia, der „Engel des Lichtreiches", werden durch das von ihr inspirierte, durch ihn komponierte Werk verbunden. Auf die Entsprechung zwischen dem alten Freund und Kreisler wird hingewiesen, wenn dieser sagt: „Daran erkenne ich meinen Meister Abraham, mit dem ich ein Herz bin und eine Seele". Und schließlich wird auch auf die Einheit von Meister Abraham und den Herausgeber hingewiesen, denn dieser betont mit denselben Worten: „Besagter Herausgeber hat einen Freund, mit dem er ein Herz und Seele ist, den er ebenso gut kennt als sich selbst" (III, 129). Da dieser Freund sich um den Druck von Murrs Lebensansichten bemüht, kann es nach der Logik der Fiktion nur Meister Abraham sein. Der Dichter, der das Dämonische seiner Natur in Hedwiga, das zum Mechanischen Neigende in Meister Abraham, das Ideelle in Julia, das zur Pseudokunst Neigende in Murr verwirklicht, ist im Grunde identisch mit dem Herausgeber, der sich als Ε. T. A. Hoffmann vorstellt. Das Thema, das mit Hilfe dieser Figuren entwickelt wird, ist das des Kontrasts zwischen wahrer und falscher Kunst, der Kunst als 5

· Ε. T. A. Hoffmanns Tagebücher und literarische Entwürfe, hrsg. von Hans von Müller (Berlin, 1915), 71.

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„Wunder des Gemüts" einerseits und einer Kunst, die etwas vom Komödiantentum an sich hat andrerseits. In der Ausführung befriedigt dieses Kunstspiel nicht immer, besonders, da es durch Verwendung von Motiven des Trivial- und Schauerromans gelegentlich ins Groteske verfällt.00 Durch die genialische kompositorische Zusammendrängung entsteht daher mehr eine Synthetik als eine Synthese. Auch in dem Roman der Hochromantik konnten die nicht-epischen Elemente als wesentliche Gestaltungsfaktoren nachgewiesen werden. Im Unterschied zum Roman der Frühromantik fehlt bei Hoffmann das durch die Idealistische Philosophie bedingte Moment der Reflexion der Kunstform als Hinweis auf die Unendlichkeit. Wegen der humoristischen Form fehlt der Versuch einer ernsten Symbolisierung des geschichtlichen Augenblicks im Sinne der Überlieferung. Dagegen verweist Hoffmanns Roman auf eine Entwicklung der Moderne, das nicht mehr zu bewältigende Lebensproblem so zu gestalten, daß nur auf der ästhetischen Ebene, durch die Verwandlung von Geschehen in Form eine Lösung entsteht. Im Kater Murr wurde diese Lösung durch die musikalische Struktur und durch die humoristische Form angestrebt.

60

Wolfgang Kayser glaubte, daß bei Hoffmanns Werken gewöhnlich „vom Ende her eine Minderung des Grotesken eintrat". D a Kater Murr ein Fragment blieb, muß für diesen Roman die Frage offen bleiben (Das Groteske: Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung [Oldenburg, 1957], 76).

IV JOSEPH VON EICHENDORFFS DICHTER UND IHRE GESELLEN

4.1

DIE EIGENGESETZLICHKEIT DES WERKES: SPIEL U N D THEATER

Als weiteres Beispiel zur Untersuchung des romantischen Romans auf Grund seiner nicht-epischen Strukturen bietet sich Eichendorffs Dichter und ihre Gesellen an. Der Roman erschien 1834, am Ende der romantischen Periode. In ihm wird noch einmal das Problem des Dichters wach, und damit die Frage nach der Berechtigung eines Lebens, das der Kunst gewidmet ist. Wieder muß als Eingang in die Individualstruktur des Werkes die Frage gestellt werden, was war des Dichters Hauptanliegen, was ist demzufolge die tragende Kraft, das movens der Gestaltung? Die Frage ist bei Eichendorff leicht zu beantworten. Aus dem Gesamtwerk des Dichters von der Frühzeit bis zu den späten literarhistorischen Schriften geht ohne Zweifel hervor, daß ihm, wie Gerhart Möbus feststellt, das Ernsteste „sein Christsein" ist.1 In seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands beantwortet Eichendorff die Frage naoh der Poesie mit: „das Diesseits an ein Jenseits anzuknüpfen, Vergangenheit und Gegenwart beständig mit der geheimnisvollen Zukunft" vermitteln.2 Da er in dieser Vermittlungsaufgabe zuerst aber das Grundwesen der Religion erkennt, kommt er zu dem Schluß, daß die Poesie „in ihrem Kern selbst religiös ist" (IV, 25). Es stimmt mit der Auffassung des gereiften Literaturhistorikers überein, wenn sich die Hauptfiguren seiner beiden Romane, Graf Friedrich im Frühwerk Ahnung und Gegenwart (1811) und Graf Victor in Dichter und ihre Gesellen (1834) für die Lebensform des katholischen Geist1

Der andere Eichendorff: Zur Deutung der Dichtung Joseph von Eichendorffs (Osnabrück, 1960), 30. * Eichendorff, Neue Gesamtausgabe der Werke und Schriften in vier Bänden, hrsg. von G. Baumann in Verbindg. mit S. Grosse (Stuttgart, 1958), IV, 24-25. Nach dieser Ausgabe wird, wenn nicht anders vermerkt, zitiert; einfache Seitenangaben beziehen sich immer auf Bd. II.

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liehen entscheiden. Hier zeigt sich, daß Eichendorff im Gegensatz zu den Frühromantikern, deren ästhetisierende Religiosität er verwarf, seine Aufgabe als Dichter in den Dienst des überlieferten Glaubens stellte. Somit ist Dichter und ihre Gesellen gleichzeitig der Ausdruck einer Entwicklungsphase der Romantik, die als geistige Gegenbewegung gegen die reine Verstandesbezogenheit der Aufklärung in ihrer Wiederbetonung der Religion mit der pantheistischen naturphilosophischen Religiosität anfing und mit der Wiederbelebung der überlieferten Religionen endete. Eichendorff betont, daß die Poesie nicht etwa „eine unmittelbare Darstellung der übersinnlichen Welt unternehmen" solle. Über die besondere Aufgabe der Dichtung sagt er: „Die Poesie ist demnach vielmehr nur die indirekte, d. h. sinnliche Darstellung des Ewigen und immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist, das verhüllt das Irdische durchschimmert" (IV, 26). Das heißt, Eichendorff bemühte sich um eine Darstellung, die vom Leben ausgehend, die Idee durchscheinen läßt. Ob ihm das in seiner Prosadichtung gelang, ist eine Frage. Als frühen Vorläufer für den Roman der „neueren Romantik", der Literaturbewegung, die mit Schlegel, Novalis und Tieck erneut „das ganze Leben religiös heiligen" wollte (IV, 272), erkannte Eichendorff das mittelhochdeutsche Epos, das er als den „alten Roman", als Glied des Überganges „vom poetischen Epos zur idealen Seelenschilderung (IV, 653), bezeichnet. Als Hauptzüge des „alten Romans" gelten ihm: „Vorherrschen des Gefühls vor der Handlung, der innern Motivierung vor dem Faktischen, geistiges Übersiedeln der sagenhaften Vergangenheit in die lebendige Gegenwart, durchgehende Verklärung dieser Gegenwart durch den Glauben an eine göttliche Leitung in irdischen Dingen, und endlich der Widerschein der himmlischen Liebe in einer idealisierten irdischen Liebe, die nun als ritterlicher Frauendienst überall in den Vordergrund tritt" (IV, 654). Daß Eichendorff hierin, und insbesondere in Wolfram von Eschenbachs Parzival, ein Leitbild für das eigene Romanschaffen fand, wird klar, wenn man seine Zusammenfassung des mittelhochdeutschen Werks zu den wesentlichen Stationen der Entwicklung der Hauptfiguren in seinem Spätroman in Beziehung setzt: In Waldeinsamkeit fromm und sehnsüchtig aufgewachsen wird Parzival durch den Glanz eines vorüberziehenden Ritterhäufleins in die Welt verlockt und kommt nach mancherlei Abenteuern an den Artus Hof. Doch unbefriedigt von den äußern Erfolgen, vielfach bitter getäuscht und gedemütigt, verzweifelt er an Gott und stürzt sich trotzig in neue Abenteuer. Aber mitten

136

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in dieser Verwilderung treibt ihn der geheime Zug seiner edlern Natur zur Fahrt nach dem heiligen Gral. So kommt er zu dem Einsiedler Trevrizent, von dem er endlich das Irdische heldenhaft dem Göttlichen unterzuordnen lernt. Sein Bruder und seine frühern Gefährten ringen nun weltlich um dasselbe Z i e l . . . (IV, 651)

Auch Victor-Lothario ist fern der Welt in Hohenstein aufgewachsen; die vorüberziehenden Ritter finden in den reisenden Komödianten ihre Parallele; der Artushof hat im fürstlichen Hof seine Entsprechung; Täuschung und Demütigung erfährt er in dem Juanna-Erlebnis, wo er dem Elementaren verfällt und an ihrem Tod mitschuldig wird. VictorLothario verschwindet aus dem Blickfeld, taucht später bei dem Einsiedler wieder auf und wird nach seiner Läuterimg „Vitalis", der Streiter für das belebende Wort Gottes. In Otto, der ähnliche Stationen durchläuft, aber den Leidenschaften verfällt, ist ihm eine negative Parzival-Gestalt zugeordnet. Diese Analogie des sogenannten Romans der „alten Romantik" mit dem Werk der „neuen Romantik" läßt Dichter und ihre Gesellen als eine Art symbolischer Dichtung mit geistlicher Tendenz erschließen. Neben Eichendorffs Katholizismus muß noch auf seine starke Heimatverbundenheit und die Eindrücke der glücklichen Jugend auf Schloß Lubowitz als gestaltender Impuls hingewiesen werden. Die Tagebücher enthalten Notizen über das heiter gesellige Leben, über die Theaterbesuche des Schülers am Breslauer Konvikt, über Opernbesuche, zu denen alle Mozartopern gehörten. Noch 1810 vermerkt Eichendorff Besuche beim Wiener Kasperl (III, 7-317). Die Schlösser, Gärten, Parks der Dichtung und besonders der oft spielerische Charakter der Handlung, sind auf diese Eindrücke zurückzuführen. Helmut Rehder sieht daher in der Auswahl der von Eichendorff bevorzugten Situationen die „Perspektive höfischer Kultur" und die „Stimmung des Festlichen oder Heroischen".8 Auch die Vorliebe für volkstümliche Komik und das Singspielartige des Romans kann aus der heimatlichen Tradition abgeleitet werden.4 Schließlich steht Eichendorff durch seine schlesische Abkunft der Kultur des Barock nahe. Wenn daher Dichter und ihre Gesellen, strukturell gesehen, an ein erzähltes symbolisches Spiel, an ein ins Epische gewandtes Calderon Festspiel anklingt, so kann das wohl auf die starke ' „Ursprünge dichterischer Emblematik in Eichendorffs Prosawerken", JEGP, LVI (1957), 530. 4 Paul Stöcklein hat auf das lustspielhaft Mozartische des Taugenichts hingewiesen. „Joseph von Eichendorff", in Die Großen Deutschen, ΠΙ, 112. Dazu auch M. Enzinger, „Eichendorff und Wien", Aurora, XVII (1957), 63-85.

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Glaubensgebundenheit in Verbindung mit den Impulsen von Heimat und Tradition zurückgeführt werden. Zusätzlich ist der Feststellung von Gerhard Möbus zuzustimmen, der Eichendorffs Abneigung gegen die Nützlichkeitsphilosophie, die seit der Aufklärung zunehmend Einfluß gewann, erkannte. Er sieht Eichendorffs Werk als „Gegenbild zur Welt der Arbeit". 6 Der Roman gibt das Geheimnis seiner Form preis in dem Lied Dryanders, des ewig fahrenden Poeten. In dieser „Poesie der Poesie" spiegelt sich das Werkganze noch einmal im Einzelteil der Dichtung: Mich brennts an meinen Reiseschuhn, Fort mit der Zeit zu schreiten — Was wollen wir agieren nun Vor so viel klugen Leuten? Es hebt das Dach sich von dem Haus, Und die Kulissen rühren Und strecken sich zum Himmel raus, Strom, Wälder musizieren! Und aus den Wolken langt es sacht, Stellt alles durcheinander, Wie sich's kein Autor hat gedacht, Volk, Fürsten und Dryander. Da gehn die einen müde fort, Die andern nahn behende, Das alte Stück, man spielt's so fort Und kriegt es nie zu Ende. Und keiner kennt den letzten Akt Von allen die da spielen, Nur der da droben schlägt den Takt, Weiß, wo das hin will zielen. (552-553) Aus diesem lyrischen Verweis auf den Spielcharakter des Romans ist abzuleiten, daß der Raum, Landschaft und Kulturlandschaft, kulissenhaft mitspielen, daß die Handlung musikalisch konzipiert ist, daß die Figuren und ihre Bewegungen, wie im barocken Theater, eine gleichnishafte Funktion haben, die auf den göttlichen Plan des Ganzen verweist. Damit erklärt sich gleichzeitig die Tendenz, im Erzählwerk alle Künste zu assimilieren und sich dem Gesamtkunstwerk zu nähern. Die Struktur verbindet somit das Malerische der bildenden Kunst, das Musikalische des Singspiels und die Bühnenhaftigkeit der mimischen Kunst, um im Festspielcharakter des Ganzen die Verbindung des Sichtbaren mit dem Ewigen zu leisten. 5

Der andere Eichendorff,

178.

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4.1.1

Das Malerische

Vom „Denken in Bildern" ausgehend, erschließt sich die Struktur dieses in so vieler Beziehung unbefriedigenden Romans am ehesten. Das Bildlich-Räumliche kann als tragende Schicht der Dichtung erschlossen werden. Damit scheint sie sich der Kategorie des „Raumromans" zu nähern, für die Wolfgang Kayser „die rasche Abfolge und fehlende Kausalität der Szenen bzw. Tableaus" als Strukturmerkmale herausstellt.· Dagegen spricht aber, daß in Dichter und ihre Gesellen Raum und Landschaft oft eine Art „Seelenlandschaft" für die Figuren darstellen. Die Betonung liegt daher mehr auf dem Symbolisch-Bildhaften. Eichendorffs Werk erinnert an die Darstellungsform von P. O. Runges symbolischen Bildern, die „Tageszeiten", die Joseph Görres in seinen Heidelberger Ästhetikvorlesungen als „Hieroglyphik der Kunst, plastische Symbolik" erläuterte.7 Eichendorff, der Görres sehr verehrte, schrieb damals in sein Tagebuch: „Zeigte uns Görres in der ästhetischen Stunde die 4 himmlischen Kupferstiche von Runge, die diesmal den Preis in Weimar erhalten. Arabesken. Unendliche Deutung" (III, 195). Die Dichterfiguren Victor, Fortunat und Otto bewegen sich von der Heimat in die Fremde und wieder zurück in die Heimat. Die Orte haben dabei für die Figuren, ihrem Charakter entsprechend, verschiedene Bedeutung. Der Begriff der Heimat verändert sich in der bildlichen Darstellung, von Vorstellungen der Kinderheimat ausgehend, zu einer Symbolisierung der seelischen Bewußtheit, die der Christ von der himmlischen Heimat hat. Das Wandern ist dann die Sichtbarmachung des inneren Werdegangs. Drei Sphären, in denen sich die Einzelstufen entwickeln, zeichnen sich ab: der heimatliche Norden Deutschlands als Ausgangspunkt ist der Ort der unbefragten Traditionsverbundenheit. Ein hier Verharren bedeutet den Entschluß in der Philisterwelt zu bleiben, d. h. in der Welt des Materiellen und der Arbeit fürs tägliche Brot. Walter ist der Daheimbleibende. Seine Umgebung ist das Stübchen, das Städtchen, das Haus. Eichendorff malt mit Worten ein Spitzwegidyll: „Walter saß im Schlafrock am Schreibtisch neben großen Aktenstößen, Tabaksbüchse, Kaffeekanne, und eine halbgeleerte Tasse vor sich" (505). Die Ferne ist der Ort der Bewährung oder des Verfallens. Alle Dichtergestalten wandern, denn sie sind offen •

Das sprachliche Kunstwerk (Bern, 1964), 363-365. „Die Zeiten: Vier Blätter nach Zeichnungen von Ph. O. Runge", in Kunstanschauung der jüngeren Romantik, bearb. von Andreas Müller (Leipzig, 1934), 189. 7

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für die Frage nach ihrer wahren Existenz. Victor war als junger Offizier in der Ferne, wo er mit der deutsch-englischen Legion in Spanien kämpfte. Diese Ferne bricht für ihn in der Gestalt der spanischen Gräfin Juanna in den heimatlichen Bezirk ein. Für Fortunat und Otto ist die Ferne, d. h., der Ort der Existenzbewährung, wie oft in Eichendorffs Dichtung, Italien.8 Die Dämonisierung der Landschaft durch Juanna steht in Verbindung mit ihrer Diananatur. Wer ihr folgt, begibt sich auf schwindelnde Höhen, oder an gefährliche Abgründe. Für Fortunat erscheint das Italienerlebnis als Bild des Parks, in dem das Alte dem Neuen begegnet: „Arglos zwischen den nackten Götterbildern stand Fiametta, die vierzehnjährige Tochter des Marchese" (614). Für Otto wird die Fremde gefährlich, er rettet nicht das Alte in das Neue hinüber, für ihn erscheint in Italien die Heimat als „dumpfe Enge". Seiner Schilderung des grauen Gebirgsstädtchens steht die Schilderung der betörenden südlichen Landschaft gegenüber (633-634). Die dritte Sphäre ist wiederum der heimatliche Boden, der aber nun eine geläuterte seelische Lage der Hauptfiguren symbolisiert. Der verfallene Otto erlebt den Moment des Hinscheidens mit dem Blick auf das heimatliche Tal und mit der Vision der „anderen Roma", d. h. einer Existenz, die das Wissen um das Ewige einschließt (694-695). Für Fortunat und Victor, die durch die Berührung mit der Ferne zu sich selbst finden, entsteht als Objektivierung das Bild auf der Zinne der Berge. Die Einzelbilder lassen die malerische Struktur noch deutlicher werden. Victors Ausgangspunkt ist, ζ. B., der heimatliche Park, dessen „buchsbaumene Kindlichkeit" er von Jahr zu Jahr erhalten läßt. In dem mit Worten gemalten Bild erscheinen „architektonische Formen altmodischer Gänge, hohe, feierliche Buchenalleen, Springbrunnen und künstliche Blumenbeete..., von denen dunkelglühende Päonien und prächtige Kaiserkronen glänzten" (517). Dieser Park ist ein Bild veralteter Klassizität. Für Fortunat, den fröhlichen, frommen Dichter, erscheint das Bild der Heimat als ein durchwandertes Panorama in Wald und Feld, als die „grüne Höhe" oberhalb des Städtchens, oder als der Wald im Mondenschein, der ihn beheimatet, während er den Freund und Philister, Walter, ängstigt (512-513). Der Bereich der dämonischen Juanna ist die klippenreiche Felsenlandschaft mit schwindelnden Höhen und schroffen Abhängen (555, 585, 595, 607). Die nächtliche Felsenlandschaft ist überhaupt das Bild des bedrohlichen Chaos. Der Einfluß der romantischen Landschaftsmalerei wird deutlich in Beschreibungen, 8

Vergl. Paul Requadt, Die Bildersprache der deutschen Italiendichtung: von Goethe bis Benn {Bern, 1962), 107-125.

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wie: " . . . so stand sie in der entsetzlichen Einsamkeit wie einer, der nachts zwischen den Zacken und Steinbildern eines unbekannten Münsters vergessen worden" (607). Das Gegenbild dazu ist die Landschaft, die, vom Regenbogen überspannt, eine Ahnung der himmlischen Heimat wachruft, oder die, von der Morgensonne überstrahlt, die Hoffnung auf eine neue Zeit weckt. Als sich Fortunat entschließt Fiametta zu suchen, und durch den Kauf ihres Schlosses in Italien bekundet, daß er das Überlieferte in die neue Bindung hineinträgt, heißt es: „Und als er nun endlich tief aufatmend draußen in den prächtigen Abend hineinfuhr, blühten alle Gärten und ein Regenbogen stand über der Gegend, als müßte nun alles, alles wieder gut werden" (647). Auch wenn er seine anima wiederfindet, zeichnet sich das Bild der gehobenen Existenz in der Landschaft ab: „ . . . über die wogenden Kornfelder schössen ihnen die ersten Sonnenstrahlen blitzend entgegen — so ritten sie fröhlich in den prächtigen Morgen hinein" (683). Besonders auffällig wird die bildliche Perspektive im Gebrauch der Beschreibungen von Park, Garten und Schloss. Bilder veralteter Parkanlagen mit üppiger Vegetation, mit Springbrunnen und Marmorstatuen verweisen auf ein Verharren in der Bindung an ein Vergangenes, oder auf ein Nachgeben auf die Verlockung unvergeistigter Sensualität. Das kann ein erotisches Erlebnis sein, aber auch das schöne Spiel der Kunst ohne religiöse Bindung. Victor befreit sich endgültig, wenn er im nächtlichen Park der verkleideten Fürstin in der Maske der Juanna und dem wie zu einer Statue erstarrten, wahnsinnigen Fürsten begegnet (654-655). Otto verfällt seinem Marmorbilderlebnis (685 ff.). Die Bilder der Gärten und Parks vertiefen aber auch die Bedeutung auf andere Weise. Der verwilderte Garten, in dem die Ziegen weiden, ist, ζ. B. ein Hinweis auf den langsam herabsinkenden Adel. Trudchens heimatliches Milieu ist dafür ein gutes Beispiel (573). In Parallele dazu steht der Park des bankrotten Marchese, wo Ziegen weiden und Wäsche trocknet (646). Dagegen ist der Park ein Bild des Neubeginns, wenn Fiametta als Bild der Jugend ihren Fuß auf die umgefallene Statue Apollos setzt (614). Derartig vereinfachende Bildformeln wiederholen sich häufig und haben in der Eichendorff-Kritik zum Vorwurf der Stereotypität geführt. 9 In diesem Roman läßt sich der wiederholte Gebrauch symbolischer oder allegorischer Bilder, die durch sinnverän» Die beste Auseinandersetzung zum Thema der Formelhaftigkeit hat Werner Kohlschmidt gegeben. Er wies darauf hin, daß die stete assoziative Verwendbarkeit den Symbolcharakter trübt, und das Symbol zum „allegorischen Attribut" verfestigen kann, kommt aber in der Analyse der Eichendorffschen Dichtung zum

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dernde Abwandelungen die Aussage erweitern, noch dadurch rechtfertigen, daß — nach Dryanders Aussage — das Ganze als Spiel zu verstehen ist, bei dem die Kulissen beteiligt sind. Die Entwicklung jeder Hauptfigur kann als eine Reihe von romantischen Bildern gesehen werden, in denen „der Erlebnisgehalt geradezu von der Landschaft selbst" ausgeht.10 In dem gestellt wirkenden Schlußbild auf der Bergeszinne finden diese Bildreihen ihre tendenziös wirkende Zusammenfassung." Fortunat und Fiametta erscheinen jung vermählt als idealisiertes Dichterpaar und fassen den Entschluß, wieder nach Italien, das nun die gehobene Existenz andeutet, zu ziehen. Manfred, der Philister des Adels, der etwas deus-ex-machina-artig auftaucht, um entfernten Verwandten zu helfen, ist auch auf diesem Gipfel und will nun dem Ruf in den Staatsdienst folgen. Victor, die Parzivalfigur, schickt sich nach der Juanna-Verschuldung und einer nicht ganz überzeugenden Selbstsuche an, als miles dei auf dem „alten, schwülen, staubigen Markt von Europa" zu streiten. Im Hof der Klosterruine ist das frische Grab Ottos. Unten im Tale zieht Dryander, der ewig das Publikum ergötzende Spielman, mit den Komödianten weiter. Das Schlußbild erinnert in Konzeption und Gestaltung an die Werke der deutschen Maler der Romantik, die sich in der darstellenden Kunst gegen den internationalen Klassizismus richteten und sich somit um „gedichtete Schöpfungen" bemühten, in denen die moralische Idee das Kunstwerk beherrschte.12 Das Malerische erscheint in Dichter und ihre Gesellen somit als die Funktion, die das symbolische Geschehen mit der Spielebene verbindet, etwa in loser Anlehnung an die „Hieroglyphen" der „plastischen Symbolik", um Görres' Terminologie zu benutzen. Das Bildliche verleiht aber auch den Eindruck der Kulisse. Es trägt durch Stilisierung und Wiederholung zum Effekt der Bühnenhaftigkeit bei. Die Figuren treffen sich — nicht eben sehr episch — auf dieser Bühne der romantischen Bilder immer wieder. Schluß, daß die symbolische Formel hier ein „Ausdruck des romantischen Einverständnisses, der Tendenz zu einer gemeinschaftlich erfaßten Welt" ist („Die symbolische Formelhaftigkeit von Eichendorffs Prosastil", Orbis Litterarum, VIII [1950], 322-354). le Werner Deusch, Malerei der deutschen Romantik und ihrer Zeitgenossen (Berlin, 1937), 7-9. 11 Oskar Seidlin spricht von der „Landschaft als sichtbare Theologie" (Versuche über Eichendorff [Göttingen, 1965], 33-34). 12 Deusch, Malerei, 7-9. Vergl. die Bilder der Nazarener. Eine Art „Arabeske" liegt in M. v. Schwinds „Die Symphonie" vor.

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4.1.2

Das Singspielhafte

Mit dem Malerischen als handlungstragende Ebene verbindet sich der Singspielcharakter des Werkes. Unter „Singspiel" verstehen wir ein „kleines heiteres Theaterstück mit gesprochenem Dialog, Gesang und Musikeinlagen, eine bewegte Zwischenform von Oper und Lustspiel".13 In Dichter und ihre Gesellen sind es besonders zahlreiche Gedichteinlagen, die als gesungene oder überhörte Lieder in die szenenartige Handlung eingefügt sind, sowie opernhafte und komische Szenen, die diesen Eindruck hervorrufen.14 Dreißig Gedichte oder Versstrophen sind in den Text des Romans verwoben. Von diesen werden nur drei als gelesene oder geschriebene Gedichte eingeführt: Ottos Wehmutsgedichte: „Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden" (637), „Mein Weib das schwärmt beständig" (638), und das von Dryander beim Grafen Manfred zurückgelassene Gedicht vom irren Spielmann (664-665). Alle anderen Gedichte werden so in die Handlung verwoben, daß der Leser sich die Worte zu einer Melodie gesungen vorstellen muß. Die Lieder sind in Qualität, Form und Funktion unterschiedlich. Einige der schönsten und strukturell wichtigsten werden nicht von den Dichtern des Buchs gesungen15 sondern von Dilettanten.16 Fiametta singt ζ. B. „Es schienen so golden die Sterne", und Dryander, der fahrende Popularliterat, hat "Mir brennt's an meinen Reiseschuhn", komponiert, und damit gerade das Lied, das dem ganzen Roman als Leitgedanke unterliegt. Der Bewegtheit der Figuren entsprechend, ist das Wanderlied die am häufigsten vertretene Gedichtform. Fortunat singt bei der Rückkehr ins Amtsmannshaus zu Hohenstein lustige Ständchen des Wanderburschen und setzt damit die fröhliche Stimmung der Situation ins Lyrische um. Er fördert gleichzeitig eine akustische Vorstellung. Die Lieder beziehen sich direkt auf die Handlung und werden zum Teil in den Dialog eingefügt (515). Eine ähnliche Funktion der Erhöhung der Stimmung und der Konzentration der Handlung wird durch zwei weitere Gedichte erfüllt, die ebenfalls in der Gedichtsammlung unter „Wanderlieder" er13

Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur (Stuttgart, 1964), 646. Vergl. zu diesem Thema Ursula Wendler, Eichedorff und das musikalische Theater (= Abhandlungerl zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 75) (Bonn: Bouvier, 1969). 15 Ich stimme mit Ursula Wendlers Kritik an Paul Neuburgers Behauptung über die Austauschbarkeit der Gedichte in Eichendorffs Erzählwerk überein (Das musikalische Theater, 35). i« August Korff, Geist der Goethezeit (Leipzig, 1964), IV, 201.

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scheinen: Kordelchens „Zigeunerlied" und Dryanders „Zur Hochzeit" (721).17 Dagegen hat das Lied des Malers Guido, der singend, bei der Arbeit an einem Fresco eingeführt wird, eine tiefer in die Struktur wie auch in die Symbolik des Werkes eingreifende Funktion. In diesem Gedicht wird Gott als himmlischer Maler gepriesen, der der Natur „Kontur und Form", und durch „Aurora" Licht und Farbe gibt. Das Gedicht verbindet damit das symbolische Hauptthema — der göttlichen Fügung alles Lebens — mit der spezifischen Situation der Malerszene; darüber hinausgehend aber auch mit der Gestaltungsweise des Buches, das sich auf diese Art selbst reflektiert. Wenn das AuroraMotiv in Verbindung mit der Malerei erscheint, ist das ein deutlicher Verweis auf Runges „plastische Symbolik" der „Tageszeiten". Diese Hinweise werden im folgenden Erzähltext noch deutlicher. Es heißt von dem Maler, daß er auf seinem Gerüst, „in dieser stillen, kühlen Einsamkeit, zwischen den von oben einfallenden Morgenlichtern und den halb vollendeten, betenden Gestalten mit ihren weichen, leuchtenden Gewändern wie in dem Kelch einer wunderbaren Blume schwebte" (557). Die Anspielung auf Runges „Aurora", wo ebenfalls in dem Kelch der Lilie die menschlichen Figuren schweben, wird hier deutlich. So wird auf bildlicher und gesanglicher Ebene Thema, Motiv und Struktur, zuerst im Malerlied und dann durch Verwebung im erzählten Text, eine erstaunliche Konzentration erreicht. Wanderlieder werden gelegentlich als Wechselgesänge in das Geschehen eingefügt. So ζ. B., wenn Otto sich in Rom der Wohnung seiner deutschen Freunde mit einem Lied: „Jetzt wandr' ich erst gern!" nähert, und Kordelchen ihm mit einer Gegenstrophe antwortet: Ich höre, mein Lieb, Beim wechselnden Scheine Verläßt er die Seine Und kommt wie ein Dieb. Es hallt von den Steinen, Die Wipfel wehn sacht Und sagen's den Deinen — Ja hüt' dich! bei Nacht: (620-621) Damit wird das Motiv der Untreue, die Handlung vorschattend, angeschlagen, und Ottos Entgegnungsstrophe führt diese Funktion weiter. Hier erscheint das Lied also mit der zusätzlichen Aufgabe des Vorausweisens auf die Handlung. Diese entwickelt im folgenden Kapitel sowohl die Untreue der Annidi, der Italienerin, die Otto heiratet, wie 17

Die Titel der Gedichte erscheinen nicht im Romantext.

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auch seine eigene Untreue. Viele der Lieder haben ausgesprochenen Volksliedcharakter. Die kleine Strophe: Es sang ein Vöglein hier jedes Jahr: Wie schön das Kränzlein im dunklen Haar! Heuer ist's Vöglein nicht wiederkommen; Wer hat dir das schöne Kränzlein genommen? (634) trifft in seiner schlichten Art genau die Gefühlssituation der jungen Liebe und des Verlustes, während die epische Gestaltung der AnnidiEpisode, durch die in Eichendorffs Erzählstil einfach fehlende Gestaltung des Innenlebens, sehr unbefriedigend bleibt. Bei dieser Erzähltechnik, die nur die äußere Handlung berichtet, von der der Leser auf die inneren Vorgänge schließen muß, übernimmt die Lyrik verschiedentlich die Funktion der Erhellung der psychologischen Vorgänge, ohne jedoch dabei die Form der Lyrik zu negieren, die, wie Ursula Wendler feststellt, "das Besondere ins Allgemeingültige transponiert".18 Sowohl die Handlung vorausschattend, wie auch die Stimmung vertiefend, wirken die beiden Gedichte, die unter „Romanzen" in die Gedichtsammlung aufgenommen wurden: das von Lothario am Eingang des dreizehnten Kapitels gesungene Lied "Der Kühne" (605) und das von Fiametta gesungene Lied „Sie stand wohl am Fensterbogen / Und flocht sich traurig ihr Haar" (674). Lotharios Lied ist eine Variation des Lorelei Motivs und verweist auf die Juanna Episode. Doch ist die letzte Strophe: Der Jäger schaut nach dem Schlosse: Die droben, das ist mein Lieb! — Er sprang von scheuenden Rosse, Weiß keiner, wo er blieb. (605) eine genaue Umkehrung der kommenden Ereignisse, denn es ist Juanna, die sich der Entführung entzieht, indem sie sich mit ihrem Pferd in den Strom stürzt. Das Kapitel einleitend, schafft das Gedicht die geheimnisvolle, sagenhafte Stimmimg, läßt die Motive anklingen, aber beläßt den Ausgang durch absichtliche Verrätselung im Ungewissen. In der Romanze vom Jägerliebchen, die Fiametta, als Jägerbursche verkleidet, auf dem Donauschiff singt, wird das Motiv vom verlassenen Mädchen angeschlagen. Damit wird auf Fiamettas Situation nach Fortunats Fortgang verwiesen. Auch die zweite Strophe bezieht sich auf die Romanhandlung. Die weiteren drei Strophen verbinden volkstüm16

Das musikalische

Theater,

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liehe Jägermotive mit dem Thema des wartenden, liebenden Mädchens. Das Gedicht erhebt also wieder Handlung in Stimmung, das Geschehen ins Lyrische. Es ist aber auch der Übergang zu einer der vielen operettenhaften Szenen des Werkes, die den Singspielcharakter des Romans unterstützen. Denn auf Fiamettas Gesang antwortet der als Pilger verkleidete, zufällig auf demselben Schiff reisende Dryander. Er wird von dem jungen Mädchen in einer weiteren lustigen Antwortstrophe, die die Zeile enthält: „Du bist mir zu kurz und zu rund!" in eine Situation hineinmanövriert, die sich zu einer Lustspielszene mit witzigem Dialog und derber Komik ausweitet. Eichendorff mag sie ähnlich auf dem Wiener Volkstheater, das er oft und gern besuchte, gesehen haben.19 Ähnliche Lustspielszenen sind: der Empfang Ottos im Amtmannshaus, bei dem der tolle Förster als Gebirgsgeist erscheint (520), Florentines Streich in der Wassergrotte (525), die Zigeunerposse, die die Schauspieler aufführen (569) und die Szene zwischen Dryander und dem Einsiedler in der Eremitage (667). In weiteren Gedichten werden die wichtigsten Themen der Handlung „potenziert". Fortunats Lied „Rückblick", in der Gedichtsammlung unter „Sängerleben" eingeordnet, setzt sich mit der Antithese von Kunst und Leben auseinander. Einleitend berichtet der Erzähler von Fortunats vergeblichem Bemühen „zwischen hohen Blumen, die weite Landschaft unter sich", zu dichten. „Dann", so heißt es, „stimmen die Wipfel ihr uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt, die Waldvögel singen ganz fremde Noten dazwischen und Wolken fliegen über das Land und rufen ihm zu: Menschenkind, sei doch kein Narr!" (527). Ähnlich ist die Funktion der geistlichen Lieder „Waldeinsamkeit" (694), „Hier steh' ich wie auf treuer Wacht" (717) und „Nächtlich macht der Herr die Rund' " (725), die aus der Zeitgebundenheit des Epischen in die Zeitlosigkeit der Form tendieren. Eichendorff hat diese Art der Gestaltung an Grimmelshausen bewundert.20 Schließlich erfüllen die Lieder die wichtige Funktion, die Hauptfiguren zu charakterisieren. Die Philister, Walter, Graf Manfred und Mitglieder der Amtmannsfamilie, singen grundsätzlich nicht. Die Dichter dagegen, ob 19

Zum Einfluß des Wiener Lustspiels auf Eichendorffs Werk, Moritz Enzinger, Eichendorff und das alte Österreich (Würzburg, 1958), 46. 20 „Ein tief religiöses und spezifisch katholisches Gefühl schlingt sich durch diese wilde Welt, ja man könnte gleichwie Golos Lied in der Genoveva, hier das schöne Lied des Einsiedlers: ,Komm Trost der Nacht, ο Nachtigall!' als den Grundakkord betrachten, der durch das Ganze tönt, bis endlich Simplicissimus aus dem Schiffbruch der Welt, wie aus einem Traum, in dem er Zeit und Tugend verloren, sich als Einsiedler auf eine wüste Insel rettet" (IV, 697).

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sie zu den positiv gesehenen Gestalten wie Victor und Fortunat oder zu den zweideutigen Existenzen wie Otto und Dryander zählen, öffnen durch ihren Gesang einen Einblick in ihre jeweilige innere Haltung und in ihre Gedankenwelt. Fortunat, der von vornherein durch seinen Glauben gesicherte Dichter, singt Wanderlieder, bringt Ständchen und äußert sich zum Dichterleben. Er ist der auserwählte, schöne Mensch, der beinahe problemlos durchs Leben zieht. Seine kindlich fromme Geisteshaltung drückt sich bereits in seinem ersten Lied aus. Er ist von der unfreiwilligen Übernachtung im Walde im Gegensatz zu seinem Philisterfreund, nicht im Geringsten geängstigt. Das Lied klingt aus mit den Worten: Schon rührt sich's in den Bäumen, Die Lerche weckt sie bald — So will ich treu verträumen Die Nacht im stillen Wald. (513) Die Möglichkeit der Gefährdung, die Eichendorffs Helden durch den Einbruch der Dämonie erfahren, die ihnen als ungezügelte Sensualität, als Anruf der unvergeistigten Natur, oder im Nur-Schönen oder im Heidentum entgegentritt, erfährt Fortunat nur sehr schwach. Nur momentan tauchen in seinem Lied „Schöne Fremde" (614), das er bei der Ankunft in Rom singt, die Motive auf, die in der Lyrik den Einbruch des Dämonischen anzeigen: schauernde Wipfel, halbversunkene Mauern, das Sprechen der Nacht, „wirr, wie in Träumen". Schon in der dritten Strophe geht Fortunats Blick wieder zum Himmel; wenn er singt „Es funkeln auf mich alle Sterne", scheint damit der Bann gebrochen, und die Gewißheit des Behütetseins kehrt zurück. Ganz anders, dagegen, erhellen Ottos Gedichte seine Charakteranlage, die ebenfalls von vornherein sein Schicksal besiegelt. Im Gegensatz zu Fortunat, der, scheinbar ziellos wandernd, sich der Führung seiner Seele anvertraut, ist Otto der passive, weltoffene Dichter, der gerade durch diese Offenheit gefährdet wird. Das ist in der Gestaltung so ausgedrückt, daß Otto selten selbst singt; er hört die meisten Lieder, die ihn im Schlechten oder Guten beeinflussen. Das Verführungslied fügt in der zweiten Strophe wieder die bekannten Motive zusammen, die Eichendorff für die Gefahr der Bindungslosigkeit einsetzt. Kennst du noch die irren Lieder Aus der alten schönen Zeit? Sie erwachten alle wieder Nachts in Waldeseinsamkeit,

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Wenn die Bäume träumend lauschen Und der Flieder duftet schwül, Und im Fluß die Nixen rauschen Komm herab, hier ist's so kühl. (572) „Irre Lieder" entstehen dort, wo der Dichter sich dem Verharren im Alten, dem Schwelgen in der unerlösten, d. h. nicht vergeistigten Natur, oder dem Anruf der Lorelei, der Nixen und Waldfrauen, also unbeseelten Wesen, anheimgibt. Drückt das bloße Zuhören oder das Nachgeben auf die zauberischen Melodien bereits Ottos ethische Passivität aus, so zeigt sich sein allen Impressionen offenes Wesen auch darin, daß die einzigen Lieder, die er selbst singt, Strophen von Wechselgesängen sind, die mehr Reaktion als Aktion verwirklichen (620-621, 640). Die Gedichte, die seine enttäuschte Liebe objektivieren, gehören zu den wenigen, die „aufgeschrieben" werden, also keine akustische Vorstellung hervorrufen sollen. In seiner Todesstunde wird Otto wieder zum Zuhörer, wenn die märchenhafte Gestalt des Kindes das Lied „Der Umkehrende" singt, das in ein Marienlied ausklingt (694). Lothario-Victor, als Zentralgestalt, erlebt die unterschiedlichsten Entwicklungsstufen. Sie werden aber nur skizziert. Von der jugendlichen Bindungslosigkeit des Genies entwickelt er sich durch Verfall und Buße zum verantwortungsbewußten Menschen. Seine Lieder zeigen dementsprechend die größte Variation in Stil und Thema. Auf die zugrunde liegende Stetigkeit seines Charakters wird in der zweiten Strophe eines kurzen Wanderliedes hingewiesen. Denn mein Aug' kann nichts entdecken, Wenn der Blitz auch grausam glüht, Was im Wandeln könnt' erschrecken Ein zufriedenes Gemüt. (539) Obwohl er sich nicht vor dem Leben bewahrt, ist auch Lothario-Victor, wie schon Fortunat, durch Festigkeit des Charakters so ungefährdet, daß auch dieser Gestalt das Uberzeugende fehlt. Die Gefahr der Verlockung durch die dämonische Dianagestalt der Juanna wird in drei Liedern ins Lyrische umgesetzt: „Wetterleuchten fern im Dunkeln" (596), „Und wo noch kein Wandrer gegangen" (605), und „Lieder schweigen jetzt und klagen" (649-651). Schuld und Schwermut, die auf das Juannaerlebnis folgen müßten, um die Wandlung des Charakters glaubhaft zu machen, werden erzählerisch nicht gestaltet. LotharioVictor verschwindet ganz einfach von der Bühne des Geschehens. Dagegen spiegelt Lotharios lange Romanze „Verlorene Liebe" die Seelen-

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läge des zerrissenen romantischen Sängers. Es fehlt in der Gedichtfolge Victors ein Lied, das ein Annehmen der Schuld, eine innere Wendung objektiviert. Die nächsten Gedichte des Helden sind sofort geistliche Lieder des selbstüberzeugten Christen: „Hier steh' ich wie auf treuer Wacht" (717), und „Nächtlich macht der Herr die Rund' " (725). Etwas an dieser nicht sichtbar gewordenen Wandlung bleibt unbefriedigend. Eine der interessantesten Gestalten des Buches, wohl weil so viele Fragen über ihn offen bleiben, ist der schillernde, faszinierende, dann wieder durchtriebene, komische oder tiefsinnige Dryander. Seine Lieder zeigen in ihrer Vielseitigkeit dieselbe Ambivalenz, die dem Charakter eignet. Sie linterscheiden sich in ihrer Funktion, Thematik und Qualität. In Diyanders Lied vom irren Spielmann wird gerade durch die Figur, die sich proteusartig, dem Geschmack des Publikums und der Situation entsprechend, verändert, ein Zentralmotiv des Romans gestaltet. Eichendorff läßt die Dryanderfigur völlig im Zwielicht des Urteils. Zweimal folgt auf ein Gedicht, das — nach seiner eigenen Aussage befragt — als Objektivierung eines ernsten Erlebnisses verstanden sein will, eine abfällige, die Wirkung zerstörende Aussage einer Romanfigur. Nachdem Graf Manfred das von Dryander zurückgelassene Spielmannslied gelesen hat, sagt er: „Sollte man nicht wirklich denken, er sei durch und durch verzweifelt... und ich wette, da hat er in der Zerstreuung alles wieder rein vergessen, was wir gestern verabredet" (665). Und auf das Lied „Zur Hochzeit" folgt des Einsiedlers Bemerkung: „Ach, das ist eine dumme Geschichte mit seiner Amour,... tut mir den Gefallen und bedauert ihn nicht lange,... sonst macht er noch immer mehr Flausen davon" (721). Der Dichter läßt es offen, wem zu glauben ist, der lyrischen Aussage, oder den nüchternen Beurteilern. Auch ist es wieder Dryander, dem die Zeilen in den Mund gelegt werden: „Ich aber muß wandern und suchen / wo der ewige Frühling sei." Da gerade hier die Hauptaufgabe, die Eichendorff seinen Helden stellt, das unermüdliche Wandern und Suchen, die Wanderschaft der Seele nach einer höheren Existenz, ausgedrückt wird, ist die Ambivalenz der Wertung auffällig. Auch in dem späteren Wanderlied: „Wir zogen manchen Wald entlang / Viel fröhliche Gesellen" (720), fällt wieder gerade Dryander die Aufgabe zu, das Geschehen der Handlung im Lied zu potenzieren. Eichendorff verweist durch Fiamettas Bemerkung: „Da kriegen wir alle was ab", ausdrücklich auf diese Funktion. Dazu kommt, daß gerade Dryanders Reiselied der „Grundakkord" des Werkes ist. Alle Hinweise

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auf Struktur und Inhalt werden in diesem Gedicht wie in einem Spiegel aufgefangen.21 Neben dem Wandermotiv liegt die Betonung auf dem „Agieren", also auf der Spielstruktur des Romans. Weiter erscheint im Lied der Hinweis, daß die Kulissen sich zum Himmel hinaufstrecken, d. h., daß die Symbolik zum Ewigen verweisen soll, und endlich, daß die Figuren, „Volk, Fürsten und Dryander", in Wirklichkeit auf der Bühne des Lebens durch Gott als großen Spielleiter geleitet werden. 4.1.3

Der Festspielcharakter

Damit geht die Diskussion der Struktur zu einer Eigentümlichkeit des Werkes über, die das Malerische und das Singspielhafte subsumiert. Der Roman strebt, wie alle Erzählwerke Eichendorffs, vom Besonderen der Erscheinungen und Situationen zum Allgemeinen einer religiösen Weltsicht. Die Bemühung um diese Aussage trägt zu dem auffällig Stilisierten der Figuren, ihrer Welt und ihren Handlungen bei. Oskar Seidlin fragt, ob nicht der wirkliche Grund der ständigen Transponierung derselben Figuren und Figurationen von einem Werk zum anderen darin zu sehen sei, daß alle Einzelwerke Teile eines Themas das „Geschicks der creatura Dei" seien und damit eine Variante eines einheitlichen Gesamtenwurfs,... eines Gran Teatro del Mondo.22 Die Frage ist zu bejahen, zumal Eichendorff sich hiermit einem Gedanken Friedrich Schlegels anschließt: „Offenbar gehören nicht selten alle Romane eines Autors zusammen, und sind gewissermaßen nur ein Roman." 28 Diese innere Zusammengehörigkeit und die religiöse Zielsetzung, sowie die Typenhaftigkeit der Figuren und Figurationen, gibt dem Roman den barocken Anstrich.24 Dazu kommt, daß Eichendorffs Dichtung „als Gegenbild gegen die Nützlichkeitsphilosophie und das Unbefriedigende der Arbeitswelt der beginnenden Moderne gerichtet ist",25 und daher den festlichen Spielcharakter der Dichtung unterstreicht. Die Ausgangsstellung der Gesellschaftsordnung, die Eichendorff in Dichter und ihre Gesellen entwirft, entspricht noch einer barocken Pyramide. Fürst 21

Oskar Seidlin zieht den Vergleich zwischen dem Gedicht „Dryander mit der Komödienbande" und dem „Argumentum" eines Barockdramatikers, der damit den Schlüssel zum Werk gibt (Versuche, 259). 22 Versuche, 259. μ Lyceums Fragment 89, Kritische Schlegel Ausgabe, Π, 158. 84 Richard Benz sagt über Eichendorff: „In ihm wird noch einmal die letzte .gebundene Kultur des Spätbarock' wach" („Eichendorff", in Eichendorff heute: Stimmen der Forschung, mit einer Bibliographie, hrsg. von P. Stöcklein [München, 1966], 52). 25 Friedrich Heer, „Die Botschaft eines Lebenden", in Eichendorff heute, 102.

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und Fürstin erscheinen als Vertreter des ritterlichen Adels, Graf von A. und seine Tochter Gertrud als Vertreter des Landadels. Aus der Reihe der Bürgerlichen kommen die Mehrzahl der Philistertypen (Walter, die Amtmannsfamilie, die italienische Familie und Gründling), die nicht den Anruf ihrer Seele hören und in Sorgen um die täglichen Pflichten ihr Leben verbringen. Auf der untersten Stufe der Pyramide sind die Komödianten. Die Figuren sind typenhaft: Dichter, Maler, Schauspieler, mit Namen, die ebenfalls häufig auf eine Rolle verweisen. Fortunat ist der Begnadete; Lothario-Victor-Vitalis, der allmählich zur Zinne des Lebens Aufsteigende in der Erkenntnis des Selbst; Dryander, der sich stetig Wandelnde. Die Frauenfiguren spielen ähnlich einseitig überbetonte Rollen, die die Antithetik von gut und böse unterstreicht: Fiametta ist die kindliche Geliebte. Juanna, die Spanierin mit einer sagenhaft anmutenden Vergangenheit, ist durch ihre Wildheit und Schönheit zur Verführerin vorbestimmt. Sie vertritt durch ihre Bindungslosigkeit die gefährliche Dämonie des Elementaren. Florentine ist das mütterliche Bürgermädchen; Kordelchen die reizvolle, aber eben doch außerhalb der Ordnung stehende Schauspielerin. Das Geschehen besteht vielfach aus Verrätselung und Aufklärung des, wie sich später herausstellt, vorgezeichneten göttlichen Plans. So hat ζ. B. Manfred für Fortunat um Fiametta geworben, während die beiden noch ein völlig unnötiges Entführungs- und Verkleidungsspiel aufführen; Fortunat wird am fürstlichen Hof für den inkognito bleibenden Victor gehalten und erst ein Jahr später in seiner wahren Identität von der Fürstin erkannt; die Schauspieler erscheinen als Zigeuner und Fortunat glaubt in der verkleideten Zofe seiner Fiametta einen Nebenbuhler zu sehen. Die Konstruktion wird durch diese gewaltsame Verrätselung und Aufklärung oft so unübersichtlich — der Leser erfährt immer nur das, was sich im Moment sozusagen abspielt — daß Eichendorff selbst immer wieder lange auktoriale Erklärungen einfügen muß, um durch Erfindung einiger unglaublicher Zufälle die Zusammenhänge wieder herzustellen. Das Leben ist wieder ein barockes Labyrinth; nur der Spielleiter — Gott — kennt die Lösungen. Der Autor weist — wie immer im romantischen Roman — auf die eigene Absicht und Gestaltung: „So hatte also Fortunat sein Liebchen vor sich selber entführt und ein jeder vor lauter Klugheit die möglichst größte Konfusion angerichtet, der liebe Gott aber unversehens alles wieder gescheiter gemacht" (719). Viele lustspielartige Einlagen haben kaum eine andere Aufgabe als die, den Kontrast zum eigentlichen Ernst des Geschehens sichtbar zu machen. Das Komische wird oft in Verbindung

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mit der wohl an Grimmelhausens „Baldanders" angelehnten Dryanderfigur eingeführt. Über Lustigkeit sagt Eichendorff in Zur Geschichte des Dramas, daß sie sich mutwillig wohl auch daran ergötzt, die Kehrseite des gewöhnlichen Lebens aufzudecken. Das Komische geht daher überall dem verborgenen und sorgfältig gehüteten Narren der vernünftigen Leute zu Leibe, der sich einst in unserm Hanswurst verkörpert hatte, und den wir nun, seit wir den Hanswurst so schnöde und vornehm abgetan, immer wieder von neuem konstruieren müssen, welche verzweifelte Anstrengung aber natürlicherweise so häuftig mißglückt, daß in manchem unserer modernen Lustspiele eigentlich nichts komisch ist als der Dichter selbst. (IV, 637-638)

Dryander erscheint oft in dieser konstruierten Hanswurst-Funktion: ζ. B. wenn Lothario den zu sehr von sich selbst Eingenommenen, zu einer Art Hofratsstellung Avancierten zum Tanzen zwingt, wenn Kordelchen den Leichtbeeinflußbaren in einer „Sommernachtstraum-Verwirrung" von Illusion zu Illusion jagt (597-599), oder wenn Dryander in der Einsiedlerklause dem verblüfften Manfred einen Eremiten vorspielt (666-667). Es scheint sich hier zu bestätigen, was Robert Mühlher am Taugenichts nachwies, daß Eichendorff die künstlerische Vermittlung von Volkstheater (hanswurstische Erbschaft) und Bildungsliteratur gelungen sei.28 Mit der Barocktradition stimmt ferner die Memento-mori-Haltung überein, die sich besonders gegen Ende des Romans durch die Einführung des Eremiten und die Wandlung Victors zu „Vitalis" bemerkbar macht. Victors Lied „Hier steh' ich wie auf treuer Wacht" (717), das Fortunat den Weg weist, den er im Dunkel der Nacht verloren glaubte, endet mit der Zeile „Du schöne Welt, nimm dich in acht!" Eine Kontrafaktur dieser Strophe, diesmal vom Einsiedler gesungen, beschließt außerdem das Werk mit demselben Motiv: Wir ziehen treulich auf die Wacht, Wie bald kommt nicht die ew'ge Nacht Und löschet aus der Länder Pracht, D u schöne Welt, nimm dich in acht! (728)

Bevor sich aber das Labyrinth des Lebens in das Tableau auf der Zinne verwandelt, das die letzten Rätsel auflöst, verweist Lothario noch einmal ausdrücklich auf den Festspielcharakter des Ganzen mit seiner Bemerkung "Ich spiele den letzten A k t , . . . Gräber, Hoch28

„Die künstlerische Aufgabe und iher Lösung in Eichendorffs Erzählung, Aus dem Leben eines Taugenichts·. Ein Beitrag zum Verständnis des Poetischen", Aurora, XXII (1962), 16.

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zeit, Gottes grüne Zinnen und die aufgehende Sonne als Schlußdekoration" (717). Dieses Schlußbild vereinigt alle Elemente des Romans in seiner Struktur als erzähltes Festspiel mit barocken Anklängen, es verbindet den malerisch-bildlichen mit dem Singspielcharakter des Werkes, es bringt Enträtselung als göttliche Lösungen dargestellt und enthält als Kontrast zu der ernst-religiösen Intention, das Komödienhafte des ewigen Spielmanns. Das Neue an diesem Bild ist aber, daß sich die barocke Pyramide der Stände nun zu einer Ordnung gegliedert hat, die der Idee vom geistigen Adel entspricht. An der Spitze steht der religiöse Streiter, dem folgt der wahre Dichter, Fortunat. Auch Manfred, zwar den Anforderungen des täglichen Lebens zugewendet, ist doch über eine Philistergestalt hinausgewachsen, denn er entscheidet sich zum Staatsdienst. Die Komödianten ziehen, wie im Anfang, im Tale weiter.

4.2 DIE THEMATIK DER FIGUREN

An den verschiedenen Dichterfiguren entwickelt das Werk die Dichotomie von Kunst und Leben. Durch Figuren, die die verschiedenen Möglichkeiten eines der Dichtung gewidmeten Lebens erproben, weist Eichendorff in diesem Spätwerk der Romantik der Kunst eine dienende Rolle zu, und kennzeichnet sie, wo sie sich als Selbstzweck manifestiert, als selbstzerstörend. Fortunat verkörpert das Dichtertum, das in einer zunehmend vom Materialismus bestimmten Welt, die Aufgabe des Individuums zur Selbstkritik im christlichen Sinne erfüllt. Dem alten Studienfreunde und Philister, dem es zunehmend unmöglich wird, seinen „Geschäften zu entsagen", entgegnet er: Aber in welchem greulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei! Keiner hat Zeit zu lesen, zu denken, zu beten. Das nennt man Pflichttreue; als hätte der Mensch nicht auch die höhere Pflicht, sich auf Erden auszumausern und die schäbigen Flügel zu putzen zum letzten, großen Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht wie ein Wirtshaus an der breiten Landstraße liegt, sondern treu und ernstlich und mit ganzer, ungeteilter Seele erstürmt sein will (508).

Das Berufsleben sieht Fortunat als Verlockung, "fast alle Stunden etwas Rundes fertig zu machen, während die Kunst und die Wissenschaften auf Erden niemals fertig werden." Fortunat sieht demnach bereits zu Beginn der Handlung ein Leben

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für die Kunst als ein Offensein und eine immerwährende Annäherung an die Transzendenz. Sein Reisen, Wandern und Singen ist nicht als eine Flucht vor der Verantwortung in ein bindungsloses Leben, sondern eine Verwirklichung der höheren Lebensaufgabe zu sehen; „Wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen. Auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt" (509). Fortunats wirkliche Heimat ist das Himmelreich, das „mit ganz ungeteilter Seele erstürmt sein will". Daher ist er auch von den Schauspielern, die das Reiseleben „zum förmlichen Metier" machen, unbehaglich überrascht (553). Die Gefahr für diesen Dichtertypus liegt darin, als „Zuschauer des Lebens" beiseite zu stehen. Zu Lothario, der die Erregung der Leidenschaft am fürstlichen Hof durch die Gräfin Juanna beobachtet, kann Fortunat sagen: „ . . . was mich betrifft, so kümmert's mich wenig, wie sie sind, das Ganze zusammen macht sich doch schön, und mehr verlang' ich nicht von ihnen" (565). Auch die Liebe, die er durch die kindliche Fiametta erfährt, bringt zuerst noch keine Erweckung aus dem naiven ästhetischen Gleichmut. „In seiner poetischen Behaglichkeit hatte er sich alles aus dem Sinn geschlagen und machte überhaupt aus seiner Liebe gar nichts, als ein langes Gedicht in vielen Gesängen und verschiedenen Silbenmassen" (645). Die von ihm erdichtete Gestalt der Italienerin und die noch unbewußt geliebte Fiametta werden im Traum in der Gestalt der Nixe, die in „irren Tönen" wehmütig klagt, verbunden. Erst hier erfährt Fortunat seine Erweckung durch das Sensuelle. Man kann vielleicht daraus schließen, daß die sofortige Abwendung von der Traumwelt, die Suche nach der wirklichen Geliebten, die endgültige Wendung Fortunats von dem nur ästhetischen zum wirklichen Erleben andeutet. Die befriedigende Gestaltung dieser Wende ist wohl kaum gelungen. Wenn es bei der Rückkunft der beiden nach Hohenstein heißt: „Auf einmal waren sie aus dem dunklen Laub, wie Bergleute aus einem Schacht ins Freie hinaus", so muß man wohl an der bekannten romantischen Formel die Tatsache der wiederhergestellten Einheit des Erlebten und Geahnten ablesen. An dem Kindermärchen vom „Kasperl und Annerl", das Fortunat seiner Fiametta erzählt, in dem sich ebenfalls zwei kindlich Liebende verlieren und finden, wird das Erlebnis noch einmal potenziert. Im Märchen soll sich die einfache Volkspoesie mit der Kunstpoesie zur höheren Synthese vereinen. Eichendorff bewunderte das an Brentanos Märchen, über die er sagte:

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Aber alle diese, an sich leidenden und untereinander feindlichen Kräfte sind zu heiterer, harmloser Schönheit bewältigt durch eine gewaltige Kraft, durch eben jenes religiöse Grundgefühl, das nirgends sich wortreich aufdrängend, wie die unsichtbare Hand eines Sonntagsmorgens das Ganze durchweht und von einem Unterschied zwischen dem Diesseits und Jenseits nicht mehr weiß;... (IV, 335) Otto als Verkörperung des negativen, nicht zur Ausübung seines Talentes gelangenden, romantischen Dichters, kommt von entgegengesetzten Voraussetzungen zur Kunstausübung. Folgte Fortunat dem Gebot des Gemüts, so flieht Otto aus der Eintönigkeit des bürgerlichen Lebens in die Kunst. Er sagt: „Lieber Schweine h ü t e n . . . , als so zeitlebens auf der Treckschuite gemeiner Glückseligkeit vom Buttermarkt zum Käsemarkt fahren. Der liebe Gott schafft noch täglich Edelleute und Pöbel, gleichviel ob sie Adelsdiplome haben oder nicht" (530). Da für Otto die Kunst als ein Weg erscheint, sein Leben zu poetisieren, verfällt er seinen eigenen Illusionen und taumelt von Enttäuschung zu Enttäuschung. Alle Verführungsmotive der Eichendorffschen Dichtung wiederholen sich in der Gestaltung von Ottos Schicksal. Er kennt die Verlockung des zauberischen Spielmanns, der aus dem Venusberge kommt mit neuen, wunderbaren Liedern und die Seelen verlockt, von dem in schwüler Mittagsstunde der einsame Vogelsang schallt, von dem die Ströme und Quellen verworren rauschen im Mondschein, und die badenden Nixen wie im Traume singen durch die stille goldne Nacht (532). Das Aufrufen dieser bekannten Eichendorffschen Verführungsformeln verweist bereits eingehend, daß in Otto ein Gegenentwurf zu dem wach und munter wandernden Fortunat entwickelt wird. War Fortunats Italienerlebnis eine Erweckung durch die Liebe in Gestalt der vierzehnjährigen Fiametta, die „arglos zwischen den nackten Götterbildern" stand, so ist Ottos Italienerlebnis in Gestalt der Annidi eine Verführung durch die Sensualität der Venus, die Eichendorff noch bei der Besprechung des Romans der mittelalterlichen Dichtung scharf ablehnt. In seiner Abhandlung, Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum, teilt er geradezu die „alten Romane" nach der Art der Liebesdarstellung in zwei Kategorien. Er unterscheidet sie auf Grund der idealen Liebe oder der Liebe als „Emanzipation der Leidenschaft". Die letztere habe, sagt er, späterhin „insbesondere den Roman jämmerlich zugrunde gerichtet" (IV, 655-657). In die Heimat zurückgekehrt, verfällt Otto noch einmal der Illusion

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einer Liebe. In seinem Melusinenerlebnis wiederholen sich die aus der Novelle Das Marmorbild bekannten Verführungsmotive (685 ff.). Wie Victor, erlebt er in dieser Situation eine Selbstbegegnung mit der eigenen Dichtung. Aber für ihn bedeutet sie den Verfall in die völlige Subjektivität. Danach kommt der endgültige Abstieg, der mißglückte Versuch des Einsiedlerlebens. In der Sterbeszene klingt, wie beim Ausgang der Fortunatentwicklung, noch einmal das Italienmotiv an. Diesmal aber bei beiden Gestalten in erweiterter Bedeutung. War das erste Italienerlebnis mit Palästen, Statuen, Blüten und Gärten, das Symbol der Liebeserweckung im positiven und negativen Sinne, so ist das zweite, nur geahnte Italien, Ahnung einer himmlischen Heimat. Für Fortunat, der sich sclhon früh dessen bewußt ist, ist das Versprechen mit Fiametta wieder nach Italien zu ziehen, eine Fortsetzung seiner immer währenden Wanderung der wahren Heimat entgegen. Für Otto, der auch schon in seiner Kindheit „der fernen Roma Glocken schallen" hörte, war das Leitbild der ewigen Heimat nicht stark genug. Für ihn verbinden sich erst in der Todesvision die Symbole der Heimat, der „anderen Roma" und der kindlichen Geborgenheit (694-695). In Ahnung und Gegenwart macht Faber den Unterschied zwischen „poetisch sein" und „Poet sein". Fortunat wird zum Beispiel eines Dichters, dem es gelingt, Kunst und Leben harmonisch zu verbinden, indem er poetisch ist, d. h. nach Eichendorffs Auffassung, daß er das Diesseits zu dem Ewigen in Verbindung setzt. Otto dagegen will Poet sein, d. h. das Dichten zur Profession machen und das Leben poetisieren; damit verfehlt er beides. Die Zentralgestalt des Romans ist Victor von Hohenstein, der sich in triadischer Entwicklung zum Streiter für die Sache Gottes entwickelt. Die Selbstübersteigerung eines jungen Genies hat er bereits als Lothario, unter welchem Namen er als Literat mit einer Schauspielergruppe reist, überwunden. Denn der unerkannt bleibende Cicerone erklärt Fortunat mit deutlicher Ironie die jugendlichen Parkentwürfte Victors: Ich betrete diesen Ort nie ohne Ehrfurcht vor dem seltenen Genius dieses Dichtergrafen — oder sagen wir es nur lieber grad heraus Dichterkönigs! Besonders muß ich Sie hier auf jene leicht geschwungenen Brücken aufmerksam machen. Sie führen, wie Sie sehen, über die Wipfel der Bäume hinweg nach einzeln stehenden, hohen, abgerissenen Felsen hinüber,. .. Diesen Einfall hat der liebenswürdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er legte diese hängenden Gärten an; das waren die Blocksberge seiner Phantasie (518).

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Er ist offensichtlich ein Mensch, der den kritischen Abstand zu sich selbst nicht verloren hat; auch wenn er als Cicerone den Grafen Victor — also sich selbst — wegen seiner „Anstellung als Genie" bedauert (519), ist seine geistige Haltung sich selbst gegenüber „wach und munter". Besonders auffällig wird das bei seiner Bemerkung: „Zuweilen spielt ihm seine kaum halbfertige gedichtete Geliebte den fatalen Streich und blickt ihn plötzlich aus den Augen irgend einer albernen Dame an." Victor zeigt sich von seiner eigenen Bemerkung überrascht. Der Leser bleibt über die vorausdeutende Funktion dieser Bemerkung im Unklaren, da erst im neunzehnten Kapitel die Zusammenhänge von Victors Juanna-Faszination und dem von ihm geschriebenen Theaterstück klar werden. Die so in Zweifel gestellte Existenz des Dichters wird von Victor in seiner Lothario-Phase ins Extrem des poetisierten Lebens gekehrt. Er lehnt es ab, „auf der ästhetischen Bärenhaut" zu liegen, er will „auch schön leben, und selber so verliebt sein wie Romeo und so tapfer wie Götz, und so tiefsinnig wie Don Quichote" (565-566). Der Versuch der Identifizierung von Poesie und Leben endet mit Victors mißglückter Entführung der nixenhaften Juanna. Victor erscheint nach einem Jahr wieder in der Residenz. Er versucht zu dichten, aber ihm ist als sehe ihm der Teufel „beim Schreiben über die Schulter und flüsterte zu ihm: Nur zu, nur zu! die unschuldige Welt mit vornehmen Worten belogen und verführt, ich will dich dafür auf die Zinnen des Ruhms stellen, und die Welt soll dir huldigen!" (649). Am selben Abend wird er zufällig mit seinem eigenen Juanna-Schauspiel konfrontiert. Aber „ein seltsames Grausen vor dem hohlen Sturm des Beifalls" erfaßt ihn (652). In dieser Gegenüberstellung mit dem eigenen Werk macht Victor die entscheidende Wendung von der Kirnst zum Leben und damit zum wahren religiösen Bewußtsein. Wenn er später als Vitalis und Streiter für die Sache Gottes auftaucht, so bestätigt das nur, die Handlung abschließend, die bereits vollzogene Wendung. In Victor-LotharioVitalis entwickelt Eichendorff in loser Anlehnung an die mittelalterliche Dichtung seine Parzivalfigur. Eichendorff scheint sich die erste von christlichen Idealen getragene deutsche Dichtungs zum Vorbild zu nehmen. Die Romantiker sahen in ihr eine Verbindung der naturhaften, elementaren germanischen Tradition und der „heidnischen" Klassik, die durch die Religion zur höheren Synthese der christlichen Ritterdichtung gebracht wurde. Ähnlich versucht Eichendorff im eigenen Werk eine Erneuerung: die Aufhebung der naturmystisch in die Immanenz verfallenen Dichtung einerseits, und der humanistischen Klassik

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andererseits zu einer neuen christlichen, zur Transzendenz verweisenden Dichtung. Daher müssen die Helden immer wieder die Versuchung der Dämonie einer unvergeistigten Natur, der Nixengestalten und des irren Spielmanns einerseits und der wieder zum Leben erweckten Marmorbilder andererseits überwinden, um fromm wie die Kinder in den Morgen einer neuen Literatur- und Geistesepoche einzugehen. Für diese ist „Aurora" das Symbol des neuen Morgens. Dryander ist der extreme Gegensatz zu dem Dichter, dessen Werk sich als Hinweis auf die Transzendenz versteht. Er macht sich vom Zeitgeschmack des Publikums abhängig. Daher wird ihm die eigene Dichtung oft zur Gefährdung. Er wird als Geiger eingeführt, dessen Augen „mit unverkennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten", und der mit „wahrem Virtuosenwahnsinn die Töne, wie einen Kreisel, immer schneller und dichter" spielt (510). Fortunats erstes Urteil über ihn ist: „Ein herrlicher Narr!" (511). Auch Lothario nennt ihn später „Fortunas Hofnarr" (593). Er steht als Variation einer Kasperlfigur mit der in ihm verkörperten Verbindung von Scherz und Ernst im Gegensatz zu den drei anderen Dichtergestalten und dient diesen damit zur Folie. Seine Lieder erscheinen oft tiefempfunden, aber die Situationen, in die er verstrickt wird, widersprechen durch ihre theatralische Komik, wie auch durch die immer wieder zum Vorschein kommende Selbstliebe einer ernsten inneren Haltung. Lothario zwingt den Eitlen zu einem Menuet mit ihm, wenn Dryander dem jungen Talent statt wirklicher Hilfe schöne Redensarten anbietet (593). Wenn er in der von Kordelchen inszenierten spukhaften Sommernacht Trudehen für eine Vision der heiligen Jungfrau hält und sie anfleht: „Beschütze mich vor der wilden Jagd — ich selber Hund und Wild — erlöse mich von der inneren Lüge!" (598-599) so klingt das wie der ehrliche Hilferuf eines sich selbst erkennenden Menschen; wenn er sich gleich darauf jedoch in ein geträumtes Idyll, das der Flucht nach Ägypten gleicht, versetzt, so zerstört das sofort jede Illusion der Wahrhaftigkeit. Bei ihrem ersten Auftritt singt Trudehen einfache, überlieferte Lieder. Sie erscheint als ein Hinweis auf die Volkspoesie. Die Heirat und das komödienhafte Herumziehen mit Dryander wirken wie eine parodierende Reflexion der Fortunat-Fiametta Liebe und Wanderschaft. Wenn Trudehen Dryander verläßt und sich mit einem Husaren „einläßt", so mag darin ein Hinweis auf die Änderung des Volkslieds zum kriegerischen Lied der Freiheitskämpfe liegen. Dryander versucht sich schließlich für kurze Zeit im Kostüm des Einsiedlers, besonders will er „einige von den Nachtliedern des Eremiten" abschreiben (673). Aber er entsetzt sich,

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wenn er von der Höhe in das „dunkle Chaos" blickt, so daß der Eremit ihn ermahnen muß: „Ist dir wohl, so bleibe unten, arbeite und lobe Gott und laß allen Vorwitz!" (672). Am Ende der Entwicklung zieht Dryander wieder mit der Komödienbande weiter. Die Ambivalenz der Gestalt ist von der Perspektive der Doppelbödigkeit des Romans besser zu verstehen. Neben ihrer eigentlichen Aussage als Romanfiguren haben die Charaktere eine zusätzliche Funktion. Manchmal deutlicher, manchmal verhüllter geben sie einen rückblickenden Kommentar auf die Dichtung der romantischen Periode. In Fortunat tritt der Idealtyp des romantischen Dichters auf, den Eichendorff selbst anstrebte und den er in Novalis zu erkennen glaubte, von dem er sagte: Gleichwie das Christentum die Gegenwart nur als eine Himmelsleiter und Pilgerfahrt nach dem Reiche Gottes, das diesseitige Leben nur als eine Aufgabe betrachtet, so ist auch Novalis' Poesie durchaus eine weissagende, eine Poesie der Zukunft und der Sehnsucht, und seine geistlichen Lieder sind eben durch ihr herzliches Heimweh so unvergänglich schön (IV, 255).

Otto verkörpert den gefährdeten Typ, wie Eichendorff ihn in Brentano erkannte (Vergl. IV, 328-329). Victor nähert sich dem Bild von Männern wie Görres (Verg. IV, 278 ff.) oder dem männlichen Arnim, von dem Eichendorff sagt, daß er . . . die Romantik am reinsten und gesündesten repräsentiert, nicht als ob er der schulgerechteste unter ihnen gewesen . . . sondern durch den Grundton, den er in allen seinen Dichtungen eingeschlagen; wir meinen die Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung, die ihn weit über die andern erhebt. Männlich schön, von edlem hohem Wüchse,... war Arnim in der Tat, was andere durch mittelalterlichen Aufputz gern scheinen wollten: Eine ritterliche Erscheinung im besten Sinne (IV, 282).

Dryander füllt die Funktion, auf alles das hinzuweisen, was an der romantischen Bewegung zur Modesache wurde. Daher kann er oft gerade die Hauptanliegen der literarischen Epoche ausdrücken, wenn er sich über seine eigene „verfluchte Doppelgängerei" beschwert, sich als „tragischer wahnsinniger König und ein Hanswurst" in einer Person erkennt (663), wenn er von der Selbstverführung des Ästhetischen weiß, da er sich als verführerischer Spielmann, als „Hund und Wild" zugleich sieht; daher kann er einmal sagen: „Ich reise eben auf Volkslieder" (659), und dann als Einsiedler kostümiert, einige Lieder abschreiben. Er gehört zu den facilen Talenten, die dem Zeitgeschmack entsprechend „Poesie machen", die aber nicht das eigentliche Prinzip der Romantik bejahen. Nach Eichendorff wollte die Romantik „Kunst,

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Wissenschaft und Leben durch den positiven Inhalt der Religion restaurieren" (IV, 281). Einige der Nebenfiguren haben ihre Funktion ebenfalls in dieser doppelten Ebene. Die Philister verkörpern die „prosaische Versunkenheit" (IV, 245) der Zeit, der Maler Albert, der sich in das „Schwert vom großen Kriegsjahre dreizehn" stürzt, die Deutschtümelei; Trudehen erscheint als Volkspoesie, Juanna als ungebundene Phantasie, die durch Verlockung des Elementaren alles Wilde und Ungebändigte im Dichter heraufbeschwört. Die kindliche Fiametta verweist als Aurora des Märchens auf die kommende Zeit.

4.3 NICHT-EPISCHE ELEMENTE

4.3.1

Das Bekenntnsihafte in poetischer Form

Wie die vorausgegangenen Beispiele der Früh- und Hochromantik, ist Eichendorffs Spätwerk, Dichter und ihre Gesellen, wesentlich auf dem Element des Selbstbekenntnisses aufgebaut. Hermann Ganzow kommt bei seiner Analyse der Künstlerfrage in Eichendorffs Romanen zu dem Schluß, der Dichter habe „ein poetisches Gleichnis seiner eigenen Existenz" geben wollen.87 Der Roman ist eine Auseinandersetzung mit den Anfechtungen, Möglichkeiten und Aufgaben des Dichters, der sich zwischen der Klassik und der Moderne um den Ausdruck des allgemeinen Anliegens in poetischer Form bemühte und dabei von der Überzeugung ausging, daß die Dichtung über sich selbst hinaus auf das Ewige verweisen solle. Eichendorffs ganz persönliche Haltung, das was ihn von den anderen romantischen Erzählern absetzt, ist sein unbedingter Katholizismus. Was er mit ihnen gemein hat, ist die Vorstellung vom Roman als einem Prosagedicht, also einem Anti-Typus zum Trivialroman, wie er, „im platten Lande der bürgerlichen Häuslichkeit in tausend matten Romanbächen, die am besten mit dem Geschlechtsnamen Lafontaine zu bezeichnen sind", grassierten (IV, 719). Von dieser Einstellung gegenüber der Dichtung ausgehend, sagt Eichendorff: „Der Stoff wird daher in der Dichtung jederzeit das Untergeordnete, die Form, d. i., die Schönheit der Erscheinung, die Hauptsache sein; . . . " (IV, 716). Er bestätigt damit noch 1851 in seiner Abhandlung über den Roman, was er in dem um Jahrzehnte vorausgegangenen 27 „Künstler und Gesellschaft im Roman der Goethezeit", Diss., Bonn, 1964, p. 139.

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Prosawerk gestaltend erwiesen hatte. Was daher auch in diesem Beispiel des romantischen Romans auffällt, ist die Negierung der Hauptfunktionen des Epischen: des tragenden Gerüsts von Zeit und Raum und des motivierten Handlungsverlaufs zugunsten von Funktionen, die die Form betonen, d.h. durch Formelemente ein „Mehr" der Aussage beabsichtigen. Die Annäherung an die lyrische Form kann ferner unter diesem Aspekt gesehen werden, wie auch die Neigung zur Abstraktion, die Typisierung der Personen und die oft etwas angestrengte Symbolik. Hierher darf ferner das Besondere der Dichtung gezählt werden, daß sich der Roman immer wieder im dargestellten Bild der romantischen Malerei nähert. Die Zeitstruktur bleibt durch die märchenhafte Irrealität von vornherein schwach. Dieser Eindruck wird noch erhöht, wenn gelegentlich Hinweise auf den Zeitablauf geradezu auf die Unwahrscheinlichkeit des Berichteten in einer gewissen Zeitspanne aufmerksam machen. Z.B. beginnt das neunzehnte Kapitel mit der Bemerkung, daß „im vorigen Jahr" alles anders war. Da sich der Leser erinnet, daß Juannas Tod, mit dem der Erzählabschnitt des Vorjahres abschloß, gegen Ende des Sommers eintrat, weiß er, daß weniger als zwölf Monate vergangen sind. Es muß ihm daher unwirklich erscheinen, daß inzwischen der Fürst „lange verwildert" ist, da er sich durch Verführungen und „das ferne Wetterleuchten der Religion" verirrt hat, daß er schließlich lange krank war und wahnsinnig wurde (684). Von Otto wird für dieselbe Zeitspanne berichtet, daß er in Italien geheiratet hat und zuerst sehr glücklich war, dann aber enttäuscht wurde und nun bereits in ziemlich verkommenem Zustand wieder in der deutschen Residenzstadt aufgetaucht ist (654-656). Die Fülle der Ereignisse und Entwicklungen, die für die Hauptfiguren in diese Zeitspanne zusammengedrängt wird, bleibt mit dieser selbst unvereinbar. Weiter wird die Zeitstruktur durch lange Digressionen unterbrochen. So erzählt der scheinbar nur für diesen Zweck eingeführte englische Lord die sagenhafte Vorgeschichte Juannas. Der ebenfalls am Rande des Geschehens bleibende Gründling trägt, unter dem Vorwand seine Lebensgeschichte zu erzählen, die Parodie eines pikarischen Romans vor, und Fortunat erzählt seiner Braut das Märchen von Kasperl und Annerl. Auch der Raum wird durch die Doppelbödigkeit der Gestaltung zu einer Kulisse, die sich zum Himmel streckt, wie es in Dryanders Lied heißt. Park, Landschaft, Schloß und Italien sind weniger Schauplätze des Geschehens als bildliche Objektivierungen eines Entwicklungsstadiums der Helden. Die Romanfiguren selbst bleiben typenhaft, da sie in das

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Schema der symbolischen Aussage mit ganz bestimmter Funktion eingefügt sind. Bei der Unterscheidung von Symbolik und Allegorik in Epos und Roman sagte Eichendorff später, das Christentum habe „die Poesie immer mehr von der äußeren Welt nach der innern Welt, vom Realen zu Gemütszuständen, von Handlungen zu Charakteren, . . . vom plastischen Epos zur idealen Seelenschilderung" überführt. Er sah in dieser Seelenschilderung gerade das Eigentümliche des modernen Romans (IV, 653). Auch in seinem eigenen Werk verwirklicht er diese ideale Seelenschilderung in symbolisch-allegorischer Form. 4.3.2

Die Verbindung von Poesie und Wissenschaft

Oskar Seidlin sieht Eichendorffs Werke, die vor 1835 geschrieben wurden, als „nicht geschichtlich festgelegt".28 Die märchenhafte, spielartige Form von Dichter und ihre Gesellen scheint das zu bestätigen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, daß sich der Dichter bemühte, die geistigen Ströme der Zeit in poetischer Form festzuhaltßen. Später sagt er: „In Deutschland ist daher nur der Roman der einzig zuverlässige poetische Ausdruck der geistigen Zustände" (IV, 648). In Dichter und ihre Gesellen liegt, dem Thema entsprechend, das Hauptgewicht auf Fragen der Literatur. Ζ. B. richtet sich der Roman kritisch gegen den Ungeist der Zeit. In parodistischer Form wird die Trivialliteratur lächerlich gemacht, wenn Fortunat auf den von einer Schauspielerin schmachtend ausgesprochenen Namen „Tiedge!" erwidert: Ο Gott, wahrhaftig! . . . da schwebt er dahin als ein Veilchenduft, die Sterne scheinen ihm durch den Leib — ο hören Sie nichts? — Nun lispelt er mit jemand, wie gedämpfte Musik der Sphären, es ist Lafontaine, mit dem er kos't,... Sehen Sie die bärtige Wolke d o r t . . . da kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen . . . (543)

An anderer Stelle wird über den in Norddeutschland noch immer vertretenen ästhetischen Übereifer gegen den von Eichendorff geschätzten Kasperl des Volkstheaters gespottet (559). Daß sich hier eine Überzeugung des Dichters selbst äußert, geht aus einer Bemerkung in seiner Geschichte des Dramas hervor: Wenn aber, dieser Ungunst zum Trotz, der Hanswurst dort auf der leopoldstädtischen Bühne in mannigfachen Verwandlungen, als Kasperl, als Staberl etc., sich bis zu unsern Tagen erhalten hat, so zeugt dies nicht nur von einem gewissen poetischen Bildungstrieb dieses reinkatholischen Volks, sondern auch von der Unsterblichkeit des deutschen Hanswursts, und es steht zu befürchten, daß er, einmal von den Brettern verbannt, außerhalb des »

Versuche,

265.

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Theaters noch manche verwunderliche und ungelegene Gastrolle geben wird. (IV, 577)

Auch in Victors Worten für eine Theaterreform ist die Stimme des Dichters zum Drama der eigenen Zeit zu hören: Das Publikum ist so dumm gerade nicht, wie es aussieht. Ist es erst im Buch an die ursprüngliche Schönheit wieder gewöhnt, so wird es auch die Bühnen schon zwingen, sich zu akkomodieren. Aus der alten, guten Poesie kann sich ein neues Theater bilden, nimmermehr aber eine neue Poesie aus den kranken Gelüsten des Publikums und der Pedanterie der Theatermaschinisten. (592)

Hatte Friedrich Schlegel sich in der Lucinde ausschließlich gegen die Auswüchse der Aufklärungsliteratur gewendet, die einseitig einer Nützlichkeitstheorie huldigten, so ist in Eichendorffs Spätwerk eine Kritik an den Auswüchsen der romantischen Literatur bemerkbar. So sagt Dryander einmal: Das kam mir auf einmal ganz spanisch vor mit dem Balkone, ich redete sie erst zierlich in Assonanzen a n , . . . Ich wurde immer verliebter, die Reime flössen mir wie Lavendelwasser, ich sprach von des Mondes Zaubermacht, der das Lieben hat erdacht, von einer süßvalenzsohen Nacht, vom Kosen und vom Flüstern sacht, bis daß die erste Lerche erwacht! (662)

Auch an anderen Exzessen der Zeit wird Kritik geübt. In der Figur des Malers Albert wird eine ganze Reihe von extremen Auswüchsen der Kunst wie der übertriebenen Patriotismus verlacht. Albert malt „Historienstücke aus der antiken Heroenzeit von sehr zusammengesetzter, studierter und nicht leicht faßlicher Komposition"; in Italien wird er als Revolutionär verfolgt und stürzt sich in die „Eisenbraut" vom Jahre dreizehn. Er spricht gern vom „ernsten Norden" mit seinen „edlen Eichen höherer Bildung" und gehört obendrein zu einem Geheim,bund (559-562). In der übertriebenen Geschichte des Kantianers Gründling wird die Jesuitenverfolgung aber auch das falsche Konvertitentum verspottet (624-626). Wenn Eichendorff schließlich den Adel als dekadent darstellt, als unfähig eine beispielgebende Rolle in der Gesellschaft zu spielen, und statt dessen für einen neuen Geistesadel zur Aufrechterhaltung der Ideale wirbt, so kann darin ebenfalls eine Stellungsnahme zur Zeitsituation gesehen werden. Sein Aufsatz „Der Adel und die Revolution" (1022-1044) führt diese Gedanken in diskursiver Sprache aus. Es ist zu bedauern, daß die Romanfiguren wie auch die Handlung so schemenhaft bleiben, daß der Entwurf zwar erkennbar, aber die Gestaltung nicht überzeugend ist.

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4.3.3

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Die neue Mythologie

Das Bemühen der Romantiker um die symbolische Gestaltung des persönlichen und zeitgenössischen Erlebens im Geiste der Überlieferung wird auch in Dichter und ihre Gesellen deutlich. Eichendorff sieht den jungen Dichter seiner Zeit bedroht durch geistige Strömungen, die als Folge des Rationalismus den positiven Glauben unterminierten. Die Bedrohung konnte einmal auf der Ebene des Ästhetischen eintreten. Die Hellenistik der Klassik, die Idee einer ästhetischen Erziehung erschien Eichendorff als eine Art von modernem Heidentum, den Menschen vergöttlichend. Das Dämonische konnte auch im Bereich der Natur auftreten, denn durch die unvergeistigte Natur droht dem, der nicht „wach und munter" ist, die Sinnesverlockung. Besonders deutlich wird das in der von Eichendorff als „Monstreliebe" bezeichneten Emanzipation der Leidenschaft (Vergl. IV, 657 ff.). Eichendorff baut daher in seiner Dichtung einen Katalog von Bildern der Bedrohung und Verführung und von Gegenbildern des frommen, gläubigen Lebens auf, die auch in diesem Roman Verwendung finden. Auf der Seite der Gefahr durch das Heidnische stehen ζ. B. die Marmorbilderlebnisse. Ästhetik und Sinnesverführung werden meistens durch die doppelte Bedeutung der Romanfigur verbunden. Otto tritt diese Bedrohung in der Melusine, die sich als Opernsängerin entpuppt, entgegen. Wie häufig, beginnt das Erlebnis mit der Illusion einer Statue, die sich in eine verführerische Frau verwandelt. Der folgende Verfall des jungen Dichters wird vom Erzähler kommentiert: „Da befiel ihn eine tiefe Angst, er dichtete hastig oft ganze Nächte hindurch, er wollte mit Poesie sich selbst überflügeln — als wäre das Talent ein Ding für sich ohne den ganzen Menschen!" (689). Warnungen werden oft durch klangliche Eindrücke gestaltet, entweder durch ein frommes Lied oder eine Glocke. Hier erklingt erst das Posthorn in der Ferne und dann „das Glöcklein des Einsiedlers". In denselben Bereich der Verführung gehört die symbolische Gestalt des „irren Spielmanns", der alljährlich aus dem Venusberg kommend, den jungen Dichter verlockt. Otto und Dryander sind dieser Gefahr ausgesetzt; Dryander ist sich allerdings dabei bewußt, Verführer und Verführter in einer Person zu sein. Eine Variation des Marmorbilderlebnisses ist die Gestalt der Italienerin Annidi, Ottos Frau, die ihm im Traum als Venus erscheint. Im Augenblick des Erwachens verwandelt sich Venus in die Wirklichkeit der betrügerischen Frau. Eine weitere Variation des Marmorbildkomplexes wird durch die Gestalt des wahnsinnig gewordenen Fürsten eingeführt.

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Hier ist der Sinnesverfall bereits vollzogen, daher erscheint der Fürst im nächtlichen Park am Brunnen sitzend und im Traume singend wie ein unheimliches steinernes Bildnis. „Irres Singen", Traumversunkenheit, Wahnsinn, Mittagshitze und Schwüle, alle Gegensätze der Situation des „wach und munter Seins", gehören in den Bereich der Verfallenheit. Die Bedrohung des Ethischen und Moralischen in Leben oder Kunst wird oft durch Nixen, Nymphen oder Loreleifiguren gestaltet. Hier fallen die Vorstellungen mit denen der Verlockung durch die noch ungebändigten Naturkräfte zusammen. Juanna ist die Verkörperung dieser dämonischen Naturgewalt. Sie ist nicht schlecht, denn sie ist es ja, die den Fürsten zu seiner verlassenen Jugendliebe führt; sie steht einfach außerhalb der Bindungen des gesellschaftlichen Lebens. Wer einer Nixengestalt verfällt, begibt sich in die Verantwortungslosigkeit. Für Eichendorff droht im Bereich der Religion der Transzendenzverlust durch den Pantheismus und durch Vorstellungen und Erklärungen des Weltgeheimnisses, die zum Teil auf der romantischen Naturphilosophie beruhen, zum Teil auf pseudowissenschaftlichen, auf die Entdeckung des Magnetismus zurückzuführenden Ideen. Eichendorff stellt diesen chaotischen, wirren, unerlösten Kräften, die als die dämonische Seite der Natur innewohnend gestaltet werden, die Bilder des Kindes, des jungen Menschen, des neuen Morgens, des Regenbogens, der „anderen Roma", entgegen. Hierher gehören weiter der Eremit und der geistliche Ritter. Eberhard Lämmert erkennt in Eichendorffs Gedichten einen „Kanon wiederkehrender Leitwörter, Klänge und Reime, die durch Wiederholung des Immergleichen neuerlich zu ungefragter, mythischer Wahrheit" erhoben werden.29 Die formelhaft wiederholten Bilder und Gegenbilder und deren Erweiterungen auf klangliche Eindrücke, die der Dichter für den Komplex der dämonischen Bedrohung und deren Abwehr einsetzt, rufen einen ähnlichen Effekt für die erzählende Dichtung hervor. 4.3.4

Die

Arabeske

Die Form des Romans als ein Kunstsymbol, in dem das Persönliche sowie die Zeitströmungen aufgehoben sind, um auf das Ewige zu verM

„Eichendorffs Wandel unter den Deutschen: Überlegungen zur Wirkungsgeschichte seiner Dichtung", in Die deutsche Romantik: Poetik, Formen und Motive, hrsg. von H. Steffen (Göttingen, 1967), 231.

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weisen, wurde von dem jungen Friedrich Schlegel als Arabeske bezeichnet. Dichter und ihre Gesellen erfüllt die Kriterien dieses Begriffs. Der Roman ist ein heterogenes Mischgedicht. Er umfaßt Lyrik in verschiedenen Formen, Dramatik — besonders in den lustspielartigen Szenen — und verschiedene Kleinformen der erzählenden Dichtung: in des erzählte Geschehen als gelungen, d.h., die Form erweiternd und Die Integration der Einlagen kann nur in der Verwebung der Lieder in des erzählte Geschehen als gelungen, d.h., die Form erweiternd und doch erhaltend, angesehen werden. Die Lieder erfüllen verschiedene Funktionen, sie können die Handlung vorschatten, vertiefen, die Stimmung erhöhen, die Gemütslage der Romanfiguren erhellen. Die dramatischen und epischen Einlagen dagegen erscheinen oft als so gewaltsame Erweiterungen, daß ihre Einbeziehung nur verständlich ist, wenn man sich der Absicht der Romantiker erinnert, Naturpoesie und Kunstpoesie zu neuer Form zu vereinen. Die ursprüngliche Form des Märchens, der Sage, der einfachen Erzählung sind naivere überlieferte Formen, die, nach Ansicht der Romantiker, der natürlichen Poesie des Volkes näher stehen. Durch die Verwandlung ihrer Motive und Formen in die Kunstpoesie soll eine neue Synthese entstehen, die sowohl die Buntheit des Lebens, wie den ordnenden Verstand des Dichters in sich vereint. Auf diese Weise soll auch dieses Werk in der Gestalt das „ewige Werden" wiederspiegeln. Im Vergleich zur Frühromantik verweist hier die Form auf die fortschreitend zu erlösende Natur im christlichen Sinne. Was der Dichter über Heinrich von Ojterdingen sagt, macht auch seine eigene gestaltende Absicht deutlich: Halb Märchen, halb Roman, sucht diese Dichtung mit jenem universalen poetischen Lichte, und alles Sinnliche an das Unsichtbare knüpfend, das gesamte Leben mit allen seinen weltlichen Beziehungen... in seiner ursprünglichen höheren Bedeutung und verhüllten Schönheit zu erfassen.... (IV, 254-255) 4.3.5

Die poetologische

Reflexion

Die wichtigste Funktion der Sichtbarmachung des Werdens durch dynamische Verweisung innerhalb der Arabeske fällt wieder der poetologischen Reflexion zu. Die Reflexionen reiner Gedankengänge, die in Schlegels Roman auffielen, sind bei Eichendorff, dem dichterische Gestaltung natürlicher ist, nicht vorhanden. Die Reflexion findet sich auch hier auf verschiedenen Stufen, von der Spiegelung verschiedener Komponenten der Gestaltung bis zur Darstellung, die sich selbst reflek-

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tiert. Die Figuren und ihre Handlungen ergänzen sich in ihrer Gegenüberstellung. Ottos Versinken in die Illusion der eigenen Dichtung (687) steht, ζ. B., Victors Selbsterkenntis angesichts der eigenen Dichtung entgegen (652). Die Ehe und Wanderschaft von Dryander und Trudehen ist eine ins Komische umgestaltete Reflexion der Seelenliebe zwischen Fortunat und Fiametta. An anderer Stelle wird die Problematik durch die Unterhaltung der Hauptfiguren reflektiert. Nach der Ankunft auf dem fürstlichen Jagdschloß sagt Lothario: „Der F ü r s t . . . ist ein erstaunlicher Virtuos, er spielt die schwierigste Romantik vom Blatte weg, ohne eben selbst zu komponieren. Die Fürstin ist ganz und gar sinniger Roman...". In seiner Entgegnung zeigt Fortunat seine Neigung, das Leben nur von der ästhetischen Seite zu sehen; Lothario enthüllt sich als ein Mensch der Gefahr läuft, das Leben zu romantisieren (565 ff.). Das Problem des Dichters wird auf diese Weise durch die Figuren selbst potenziert. Eine andere Art der Reflexion läßt sich an der Juanna-Gestalt erkennen. Sie erscheint einmal als handelnde Figur auf derselben Ebene wie die Hauptcharaktere. Sie ist aber auch bereits eine poetische Figur, denn der Lord berichtet ihre sagenhaft anmutende Geschichte, die ihm wiederum von einem französischen Offizier erzählt wurde. Nach ihrem kurzen Auftritt, der mit ihrem Tod endet, erscheint sie indirekt noch zweimal, wenn sich zuerst Kordelchen und später die Fürstin unter ihrer Maske zeigen. Sie wird schließlich zur poetischen Figur, da Victor ein Schauspiel über sie schreibt, das er selbst im Theater sieht. Wie die personifizierte Volkssage kommt sie aus der Überlieferung, findet in historischen bewegten Zeiten neue Verwirklichung und geht von da aus in die Kunstpoesie ein. Damit zeigt sich gleichzeitig die gestaltende Absicht des Buches selbst, das aus Erinnerung, Überlieferung und Erzählung etwas in der Wirklichkeit der Handlung lebendig macht, um es dann durch Poesie der Poesie zur Darstellung, die sich gleichzeitig selbst darstellt, zu erheben. Leider bleibt auch hier die wirkliche Gestaltung weit hinter der erkennbaren Absicht zurück. Das Ganze wirkt oft fabriziert, besonders da der Dichter sich immer wieder gezwungen sieht, durch lange Erklärungen die ungestaltet gebliebenen Zusammenhänge nachträglich aufzuzeigen (Siehe ζ. B. 652-653). Der Roman enthält ferner in Gründlings parodierender Geschichte seinen eigenen Anti-Typus; in Fortunats Märchen eine rückblickende Spiegelung der Fiametta-Liebe. Eine Reflexion, die nicht Aufhebung auf eine neue künstlerische Ebene bedeutet, sondern statt dessen ein

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spielerisches Bewußtmachen der Dichtung als Dichtung bewirkt, entsteht durch Fortunats Bemerkung: Ich wollte, die Romantik wäre lieber gar nicht erfunden worden! Solche romantische Verliebte... die machen zusammen an einem Morgen mehr dumme Streiche, als ein gesetzter Autor im letzten Kapitel jemals wieder gutmachen kann! (706)

Obwohl hier erzähltechnisch die Illusion nicht wirklich durchbrochen wird, nähert sich doch diese Reflexion der Art der Darstellung, die, wenn sie zum Manierismus wird, die negative Seite der romantischen Ironie repräsentiert. Wenn dagegen Victor sagt: „Ich spiele den letzten A k t , . . . Gräber, Hochzeit, Gottes grüne Zinnen und die aufgehende Sonne als Schlußdekoration" (717), so bleibt die Ebene der Illusion durch Beibehaltung von Victors charakteristischem Ton und seiner typischen Haltung gewahrt. Trotzdem liegt in den Worten ein offener Verweis auf die Form der Darstellung. Damit wird das Kunstwerk durch die Reflexion als etwas von der Wirklichkeit absichtlich Abgesetztes betont. 4.3.6

Der kombinatorische Witz

In Eichendorffs Roman läßt sich noch eine weitere Gestaltungsart nachweisen, die bemüht ist, das Auseinanderstreben der Digressionen wieder aufzufangen. Friedrich Schlegel nannte diese Funktion den „kombinatorischen Witz". Er verstand darunter das blitzartige Zusammenfassen des Vielen zu einer neuen Einheit. In Übereinstimmung mit dem Festspielcharakter des Romans, in dem viele Gestaltungsweisen vereint sind, haben diese Zusammenfassungen ganz verschiedenen Charakter. Deutlich ist diese Konzentration von Thema und Form in nuce an Dryanders Reiselied abzulesen, in dem außerdem noch die Absicht des Dichters klar wird, mit dem Werk einen religiösen Verweis zu geben. Am Ende des Romans ergänzt eine Art von Singspielszene, die in einem lebenden Bild endet, 30 was im Lied nur ahnungsweise angedeutet wurde. Die Szene wird eingeleitet durch Victors Lied, „Nächtlich macht der Herr die Rund", das mit dem Bekenntnis zu der Lebensaufgabe schließt: an die Tore will ich schlagen, an Palast und Hütten: Auf! Flammend schon die Gipfel ragen, Wachet auf, wacht auf, wacht auf! (725) so Vergl. Eichendorffs Schilderung des Mysterienspiels (IV, 503).

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Der Eindruck des mit Worten gemalten symbolischen Bildes nimmt deutlich zu: Jetzt standen sie auf einem Abhang, von dem verschiedene Pfade auseinandergingen. Hier hielt Victor plötzlich an, sein Weg führte ihn noch weiter über den Gebirgskamm nach der Stadt, wo die neuen Gefährten seiner harrten. Er schien tief bewegt. — „Wie's da unten nebelhaft sich durcheinanderschlingt" - sagte er, in die Täler schauend — „man hört schon Stimmen da und dort verworren aus dem Grund, Kommandoruf und Trompetenklänge durch die stille Luft und Morgenglocken dazwischen und den Gesang verirrter Wanderer. Und wo die Nebel auf einen Augenblick sich teilen, sieht man Engel ernst mit blanken Schwertern auf den Bergen stehen, und unten weite Geschwader still kampfbereit aufblitzend, und der Teufel in funkelndem Rittersohmuck reitet die Reihen entlang und zeigt den Völkern durch den Wolkenriß die Herrlichkeit der Länder und ruft ihnen zu: Seid frei, und alles ist euer! — Ο Freunde, das ist eine Zeit! glücklich, wer drin geboren ward, sie auszufechten!" (727) Wenig später wird das Bild durch den Ausschnitt um Fortunat und Fiametta ergänzt. Die beiden reiten in den Morgen hinein, Fiametta fragt: „Weißt du noch dein Märchen im Baum? . . . nun bin ich wirklich Aurora." Hier fällt die Märchensymbolik der Kindergeschichte der Reise von Luna zu Aurora mit der Symbolik des Hauptstrangs des Erzählten zusammen. Fiametta, die kindliche Geliebte, die die Ahnung von der Liebe in Fortunats eigener Seele erfüllt, wird identifiziert mit der märchenhaften Aurora, der Gestalt des neuen Morgens. Das Aurora-Symbol hat in Eichendorffs Dichtung weitreichende Bedeutung; schon in Ahnung und Gegenwart sagte Friedrich: Der Dichter hat einsam die schönen Augen offen; mit Demut und Freudigkeit betrachtet er, selber erstaunt, Himmel und Erde, und das Herz geht ihm auf bei der überschwenglichen Aussicht, und so besingt er die Welt, die wie Memnons Bild, voll stummer Bedeutung, nur dann durch und durch erklingt, wenn sie die Aurora eines dichterischen Gemütes mit ihren verwandten Strahlen berührt. (32) Die letzte Konzentration verdichtet somit alles noch einmal in dem Aurora-Symbol. Es verbindet sowohl auf der Ebene der Romanhandlung die Idee des neuen Morgens als Beginn einer gehobenen Existenz, der Fortunat mit seiner anima verbunden entgegenwandert, mit der Idee des Morgens als Beginn einer neuen Zeit, für die der geistliche Ritter die Menschheit wachrufen will. Das Buch selbst erscheint schließlich, wie das darin eingeschlossene Märchen, als Objektivierung der „Aurora" des dichterischen Gemüts, das die Ahnung eines neuen Morgens erklingen lassen möchte.

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In Dichter und ihre Gesellen steht damit am Ende der Romantik ein Romangedicht, in dem die nicht-epischen Elemente, das Bekenntnishafte in poetischer Form, die Verbindung von Poesie und Wissenschaft, d. h., die Aufhebung des Zeitlichen in die Form, die neue Mythologie, also die symbolische Gestaltung des Persönlichen und des Zeitgeschehens im Geiste der Uberlieferung, wesentlichen Anteil an der Romangestaltung haben. Die Form erschien in Übereinstimmung mit dem Begriff der Arabeske, wie sie der junge Friedrich Schlegel als Möglichkeit eines Prosamischgedichtes mit symbolischer Aussagefunktion der Form als Ausdrucksform der Romantik zu erkennen glaubte. Die wesentliche Funktion der zunehmend konzentrierenden Spiegelung die den Gehalt in Form umsetzt, oder zum Symbol aufhebt, und damit dem Verfall an das Zeitliche entzieht, fiel wieder der poetischen Reflexion zu. In der Gestaltung zeigte sich eine Annäherung an andere Kunstformen, einmal durch Affinität mit der symbolischen Malerei der Romantik, aber auch durch den Singspielcharakter und das Festspielartige.

ν SCHLUSSBETRACHTUNG

5.1

BEFUNDE

Der Vergleich der Schlegelschen Epen- und Romantheorie stellte für Inhalt und Form des erstrebten „Universalgedichts", des romantischen Romans, die Elemente heraus, die über den Grundtypus des Epischen hinausgehen. Es zeigte sich dabei, daß diese, von dem Theoretiker der Frühromantik betonten Züge, gleichzeitig ein Kontinuum romantischer Ideen und deren Übertragung auf die Form sind. So betonte die romantische Vorstellung der Universalität den Einschluß der intellektuellen Anliegen der Zeit, der Ergebnisse der Denktätigkeit und der persönlichen Weltsicht. Die Absicht, einer zunehmenden Vereinzelung der Moderne entgegenzuwirken, kulminierte in den Bemühungen um eine neue Mythologie als einer Symbolisierung, die das ererbte Kulturgut mit dem zeitgenössischen Erleben vereinen sollte. Die Verbindung von Natur- und Kunstpoesie zielte auf die Synthese von instinktmäßigen und besonnenen schöpferischen Kräften. In struktureller Hinsicht, führten diese Gedankengänge zu der Konzeption der „symbolischen Form", der Arabeske, die den epischen Fluß ersetzen sollte. War dieser in hohem Maße vom Stoff aus bestimmt, so sollte die Ordnung der Teile in der symbolischen Form durch die Idee bestimmt werden. Dass Schlegel als Terminus für die symbolische Form den Begriff der Arabeske aus der Malerei auf die Dichtung übertrug, ist ein bezeichnender Teil der Ideen der Romantiker; das Bemühen um die Annäherung der Künste führt zur Übertragung der verschiedenen Gestaltungsmethoden. Der Musik kommt dabei besondere Bedeutung zu, da durch den Zusammenfall der Kategorien von Form und Gehalt der höchste Grad der Entstofflichung erreicht wird, und damit, dem triadischen Denken der Romantiker entsprechend, die künstlerische Zwischenstufe zwischen dem Realen und dem Ideal. Die konstitutiven Strukturen der Arabeske, nämlich, die poetische Reflexion und der kombinatorische Witz, suchen

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im Medium des Wortes musik-ähnliche Funktionen. Die poetische Reflexion ermöglicht durch wiederholte Rückbeziehung des Werkes auf sich selbst eine zunehmende Abstraktion. Der kombinatorische Witz ist eine Schlegelsche Formel für die Assoziation des Verschiedensten, bis zur Zusammendrängung in ein Symbol. Die Interpretationen der Beispielsromane (je ein Werk der Früh-, der Hoch- und der Spätromantik) zeigten das Streben nach Verwirklichung dieser Ideen bei sehr unterschiedlicher persönlicher Gestaltungsweise. Die Analyse der Romane ging von der Eigengesetzlichkeit des Werkes aus und zielte auf die nicht-epischen Elemente. In Schlegels Lucinde führt das individuelle Erlebnis der Liebe als schöpferischer Stimulus zu einer nach dieser Idee konstruierten Form. Eine Vielfalt von Einzelreflexionen entwickelt sich aus der Liebe, reduziert zu der Formel „Liebe = (m -f- w)x, männlich plus weiblich mit einem imbekannten — oder unendlichen — Exponenten. Die neue Gestalt ist das Resultat der Antithese und Synthese des männlichen und weiblichen Prinzips. Die Formel wird vom persönlichen, zum gesellschaftlichen, zum universellen Prinzip gesteigert und entspricht damit der Idee der Universalität. Durch Mangel an Gestaltungskraft bleibt der Versuch einer Symbolisierung des Uberlieferten und Gegenwärtigen bei bloßer Benennung und Erwähnung antiker Symbole. Statt der epischen Integration entscheidet die Logik der Anordnung. In Analogie zu Goethes „Metamorphose der Pflanzen" entwickelt sich jeweils aus der Urzelle der Formel der Liebe eine neue Individuation. Diese Reflexionen werden assoziativ zusammengefaßt, bis in der Gestalt des Romans das Neue als Synthese der künstlerischen und der wirklichen Liebe entsteht. Das Symbol der Form der Lucinde, die Umrahmung der Lehrjahre der Männlichkeit durch die „weiblichen" Reflexionen, entspricht der „ewigen Umarmung". Hoffmanns Lebensansichten des Katers Murr zeigten sich als humoristische Abwandlung der symbolischen Form. Das Persönliche, das mit dem Allgemeinen in Verbindung gesetzt wird, ist die Selbstinterpretation des Dichters als eines Komponisten und Literaten; sein Leiden an diesem Dualismus einerseits und an einer kunstunverständigen Gesellschaft andererseits. Das Hauptthema wird in weiteren Entgegensetzungen wie in der von Kunst und Unkunst, von künstlerischer und dämonischer Liebe variiert. Die Form kombiniert die Gestaltungsweise der Musik (Kreisform) mit der erzählenden Dichtung (lineare Form) zu einer neuen Komposition in Worten. Statt epischer Integration überwiegt die Logik musikalischer Gestaltung (Wiederholung mit Variati-

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onen, Auflösung von Dissonanzen in Harmonien, Analogien zu Kontrapunkt und Fugierung, allmähliche Annäherung zweier Motivketten, Benutzung der Sprache auf Grund ihrer klanglichen Wirkung). Damit wird auch in diesem Roman versucht, durch Formales Bedeutung zu vermitteln. Die Forderung der Symbolisierung im Sinne der neuen Mythologie wird durch die humoristische Konzeption verhindert. In Eichendorffs Dichter und ihre Gesellen wird das individuelle Erlebnis des jungen romantischen Dichters in seiner Begegnung mit der Dämonie (die Versuchung durch die unvergeistigte Natur, das Sensuelle, die heidnisch gesehene Antike, das Nur-Schöne) und seine Selbstberufung zum geistigen Rittertum gestaltet. Das Persönliche wird zum Allgemeinen in Beziehung gesetzt, indem die Figuren die Umgebung und das Geschehen märchenhaft stilisiert werden. Die Symbolisierung des Überlieferten und des Gegenwärtigen erscheint hier durch die Verbindung von Natur- und Kunstpoesie (in der Spätromantik, mit mehr nationaler Ausrichtung, ist das die Verbindung der mehr instinktmäßigen Formen der Volksdichtung, Lied, Legende, Sage, Märchen mit der künstlichen Gestalt des romantischen Romans). Durch Anlehnung an die Methoden der Maler der deutschen Romantik und durch die lyrische Gestaltung innerer Vorgänge, entsteht eine Arabeske, die sich mit einem erzählten symbolischen Spiel vergleichen läßt. Anstelle der Assoziation bis zur völligen Abstraktion in ein Formsymbol, wie sie in der ewigen Umarmung der Lucinde und der Komposition von Kreis und Linie bei Kater Murr vorlag, steht bei Eichendorffs Roman eine allmähliche Hinführung zu einem Finale, das in Form eines barocken Tableaus erscheint. Es symbolisiert die Idee einer neuen Gesellschaftsordnung unter der Führung des geistigen Adels. In jedem der drei Romane zeigte sich, daß die scheinbar so extreme offene Form ein geschlossenes System ist. Die Koordination der Einzelteile wird in diesen Konstruktionen nicht mehr von Gesichtspunkten des Epischen bestimmt, sondern von einer Systematik, die auf einer bestimmten symbolischen Aussage beruht. An die Stelle der epischen Integration tritt im romantischen Roman der strukturelle Synkretismus. Der Hauptteil der Annäherung von Gehalt und Form wird durch Anlehnung an Methoden anderer Künste geleistet. Die Sprache wird in zweifacher Weise verwendet, einmal als Träger von Bedeutung, daneben aber mit gleichwertigem Anteil an der Gestaltung als Kunstmaterial, das durch seine Anordnung und durch seine rhythmisch, klangliche Wirkung unmittelbare Bedeutung an die Sinne vermitteln soll. Das Experiment der Romantiker, auf diese Weise den Bruch zwischen

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dem Verstand und den Sinnen zu überwinden, und durch das Kunstwerk den ganzen Menschen nicht nur anzusprechen, sondern auch zu erneuern — die Welt zu poetisieren — ist nicht geglückt. Trotz schöner Einzelheiten bleiben die Werke zu sehr konstruiert und eröffnen sich in ihrer wahren Absicht doch nur dem mühsam nachforschenden Verstände.

5.2

AUSBLICKE

Die Untersuchung der Beispielsromane bestätigt, daß die zeitbedingte Eigentümlichkeit des deutschen romantischen Romans zum großen Teil auf die nicht-epischen Elemente, wie sie aus Friedrich Schlegels Theorie als Abweichungen vom epischen Grundtypus herausgestellt wurden, zurückzuführen ist. Es fällt dabei auf, daß diese Elemente in den Romanen der Früh- und auch noch der Spätromantik den Hauptteil der Gestaltung tragen, obwohl sich die Weltanschauung der Dichter entscheidend verändert. Ζ. B. steht das „Unendliche" als das Verweisungsziel der symbolischen Form der Arabeske für die Frühromantik mit den Vorstellungen der Naturphilosophie in engem Zusammenhang; das „Unendliche", auf das die arabesken Romane der zweiten Generation der Romantik verweisen, beruht dagegen auf Vorstellungen des überlieferten Glaubens. Die nicht-epischen Elemente bleiben gestaltbestimmend trotz großer individueller Unterschiede. Bei den drei unterschiedlichen Beispielromanen zeigte sich, daß das Geheimnis der sogenannten „Unform" des romantischen Romans in der Umwandlung des epischen Stromes in ein autarkes Kunstsymbol zu sehen ist. Die Bindung an das Zeitliche wird durch die nicht-epischen Elemente weithin aufgehoben. Das Resultat ist eine Kunstform mit ästhetischer Eigengesetzlichkeit. Die Aufhebung von der zeitlichen auf die ästhetische Ebene wird in den Beispielromanen durch Annäherung der poetischen Gestaltung an die Methoden der anderen Künste erzielt. Die Neigung zur Abstraktion des persönlichen und des zeitlichen Gehalts ist in allen romantischen Romanen nachzuweisen. So entspricht in Heinrich von Ofterdingen die stufenweise Umsetzung der vom Dichter geschaffenen Welt in ein symbolisches Gefüge dem „Bekenntnis in abstracto". Mit gleicher Gestaltungsabsicht — wenn auch ganz anderer Ausführung — wird in Brentanos Godwi alles ursprünglich Entworfene im zweiten Teil des Romans systematisch zurückgenommen und damit als bewußte Gestaltung in die Darstellung selbst

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aufgenommen. Die romantischen Romanciers wollten, wie Dichter anderer Perioden, mit dem Roman ein künstlerisches Bild ihres Weltverständnisses geben. Dem heutigen Leser wird allerdings nur nach eingehender Analyse klar, daß ein Roman wie Eichendorffs Ahnung und Gegenwart als Zeitroman verstanden sein will. Am deutlichsten wird der Versuch „Wissenschaft und Poesie" zu verbinden, das zeitgeschichtlich Wissenswerte in die Gestaltung aufzuheben, in Bezug auf das künstlerische Bemühen der Zeit. Von Tiecks Sternbald, über Brentanos Godwi zu Kater Murr erscheinen immer wieder Auseinandersetzungen mit der Malerei. Dazu kommt die offene Kritik — meistens in Satire oder Parodie — an rationalistischen oder utilitaristischen Auswüchsen in Literatur, Kunst, Erziehung und Gesellschaftsgestaltung. Jeder der drei Beispielromane wendet sich innerhalb der eigenen Darstellung gegen das bloße Literatentum und den überhandnehmenden Trivialroman. Damit trägt der arabeske romantische Roman gleichsam den Grund für die eigene extreme Gestalt, die zuerst und vornehmlich „Kunst" sein will, in sich selbst. Er kann als Versuch einer künstlerischen Antwort auf eine Zeitentwicklung angesehen werden, die von den Romantikern als eine Nivellierung des Menschlichen verstanden wurde. Versuche eine neue Mythologie zu gestalten, d. h. eine Symbolisierung des Zeitgebundenen im Sinne der Uberlieferung zu verwirklichen, zeichnen sich am deutlichsten in dem „Märchen von Atlantis" des Oferdingen ab. Von der jüngeren Generation der Romantiker wurde die Aufholung der Naturpoesie (die einfachen volkstümlichen Formen des Liedes, Volksbuches, Märchens, der Ballade, der Sage) und ihre Hinführung zur sogenannten Kunstpoesie des universalen Mischgedichtes versucht. Die Romane Eichendorffs, Brentanos und Arnims zeigen diese Entwicklung. Das umfassendste Beispiel ist Arnims Gräfin Dolores. In der Form von Hollis Liebesleben wird hier ein ganzer Roman im Roman integriert. Arnims Roman ist daher auch das typischste Beispiel einer Arabeske, die durch die poetologische Reflexion und den kombinatorischen Witz, durch die innere Bewegung, die Poesie der Poesie, auf das ewige Werden der Schöpfung verweisen will. Durch die meistens gewaltsam erzwungene Synthetik, das Übergewicht des Formellen, wird aber nie eine Ökonomie der Kunst möglich, die durch Ausgewogenheit von Inhalt und Form ein ästhetisches Erlebnis verwirklicht. Dagegen kann ein Werk der Periode, Goethes Wahlverwandschaften (1809), als Beispiel des nicht-epischen Romans herangezogen werden,

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in dem die Aufhebung des Zeitlichen in ein Kunstsymbol gelungen ist. Hier wird die wissenschaftliche Entdeckung der Gegenwart von der Anziehungskraft chemischer Substanzen mit ethischen Fragen der Gesellschaft — Ehe und Liebe — in Verbindung gesetzt. Die ζ. T. sehr stark stilisierten Figuren in ihren Beziehungen der Anziehung und Entfremdung, die symbolische Bedeutsamkeit der Landschaft und der Dinge des täglichen Lebens, lassen zunehmend eine Konzentration erkennen; Gehalt wird progressiv der Form angenähert. Fragen der Gesellschaftsordnung, der Kunst, der Erziehung werden gestaltend synthetisiert. Das Anliegen der Zeit wird im Sinne der Uberlieferung symbolisiert. Die Bindung der Ehe bleibt erhalten, die Liebe, in Analogie zu der geheimnisvoll bleibenden Naturkraft, wird in die Symbolik des christlichen Glaubens gekleidet. Ottilie erscheint im Tode geradezu als Heilige. Die Arabeske schließt eine Novelle, das Tagebuch Ottiliens und Briefe ein. Die Digressionen werden zum Schluß im Bildsymbol zusammengefaßt, wenn Ottilies engelhafte Züge im Fresko der Kapelle erscheinen. Auch die äußere Form des Romans unterstreicht mit der Spannung zwischen extremer Symmetrie und innerer Fülle die Idee der Spannung zwischen Chaos und Kosmos. Die Hoffung des jungen Friedrich Schlegel, durch eine Art von Gesamtkunstwerk, durch den romantischen Roman, einen kulturerneuernden Einfluß zu gewinnen, hat sich in der Praxis nicht bewahrheitet. Die ins Neue vorstoßenden Experimente der Prosagestaltung, die in den nicht-epischen Elementen vorliegen, konnten erst voll ausgewertet werden, nachdem die Meister des realistischen Romans die Prosa als Ausdrucksmittel epischer Gestaltung künstlerisch zur Vollendung gebracht hatten.

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

WERKAUSGABEN UND DOKUMENTE Eichendorff, J. von, Neue Gesamtausgabe der Werke und Schriften in vier Bänden, hrsg. von G. Baumann in Verbdg. mit S. Grosse (Stuttgart: Cotta, 1957-1958). Briefe von Freiherrn Joseph von Eichendorff, hrsg. von W. Kosch. Sämtliche Werke, Bd. XII. Hist.-krit. Ausg. In Verbdg. mit P. A. Becker, hrsg. von W. Kosch (Regensburg: Habbel, 1910). Fichte, J. G., Sämmtliche Werke, Bd. I, hrsg. von I. H. Fichte (Berlin: Veit, 1846). —, Briefwechsel, hrsg. von H. Schulz, Bd. I-II (Hildesheim: Olms, 1967). Herder, J. G. von, Sämmtliche Werke, Bd. XVIII, hrsg. von B. Suphan (Berlin: Weidmann, 1883). , Gesammelte Werke, hrsg. von N. Ern6, Bd. I-IV (Hamburg: Standard-Verlag, 1964). Hoffmann, Ε. Τ. Α., Werke in fünfzehn Teilen, auf Grund d. Hempelschen Ausg. neu hrsg., mit Einl. u. Anm. vers, von G. Ellinger (Berlin: Bong, 1912). , Lebens-Ansichten des Katers Murr, hrsg. von H. von Müller (Leipzig: Insel, 1916). , Werke, hrsg. von H. Kraft u. M. Wacker, Bd. I-IV (Frankfurt/Main: Insel, 1967). E.T.A. Hoffmanns Briefwechsel, gesammelt u. erl. von H. v. Müller u. F. Schnapp, hrsg. von F. Schnapp, Bd. I-II (München: Winkler, 1968). Ε. T. A. Hoffmanns Tagebücher und literarische Entwürfe, mit Erl. u ausführt. Verzeichn., hrsg. von H. von Müller (Berlin: Paetel, 1915- [nur ein Bd. erschienen]). Das Kreislerbuch: Texte, Compositionen und Bilder, zusammengest. von H. von Müller (Leipzig: Insel, 1903). Schiller, F., Werke, I-IV (Frankfurt: Insel, 1966). Schlegel, F., „Zu Jean Pauls Vorschule der Ästhetik", Wiener Allgemeine LiteraturZeitung, Juli, 1814. Abgedr. in NRs, LXVIII (1957), 654-672. Friedrich Schlegel, 1794-1802: Seine prosaischen Jugendschriften, I-II, hrsg. u. eingel. von J. Minor (Wien: Konegen, 1882). Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hrsg. von O. F. Walzel (Berlin: Speyer u. Peters, 1890). Friedrich Schlegel: Neue philosophische Schriften, hrsg. u. eingel. von J. Körner (Frankfurt/Main: Schulte-Bulmke, 1935). Friedrich Schlegel, Schriften und Fragmente: Ein Gesamtbild seines Geistes, aus den Werken u. dem handschr. Nachlaß zusamengest. u. eingel. von E. Behler (Kröners Taschenausgabe Bd. 246) (Stuttgart: Kröner, 1956).

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INDEX

Allegorie, allegorisch 37, 40, 42, 45, 5152, 53, 56, 60, 61, 68, 73, 75, 79, 87, 88, 140 (Note 9), 161 Allemann, Beda 5 (Note 1) Anstett, J. J. 58, 81 Arabeske 31, 34, 35, 38, 41, 42, 45, 47, 80, 84, 86, 87, 89, 128, 129, 138, 141 (Note 12), 164, 165, 169, 170, 172, 173, 174, 175 Ariost 24, 25 Aristoteles 18, 20 Arnim, Achim v. 158, 174 Barock 135, 136 Bausch, Walter 13 (Note 1), 16 (Note 5), 22 (Note 11), 27 (Note 27), 48 (Note 24), 81 Beaujean, Marion 24 (Note 21) Behler, Ernst 6 (Note 6), 7,14 O^ote 4), 27, 28 (Note 30), 30 (Note 34), 31 (Note 37), 33 (Note 43), 35 (Note 47), 38 (Note 57), 39 (Note 64), 76 (Note 84) Bekenntnis 28, 35, 41, 47, 61, 72-75, 86, 120, 123, 126, 159, 167, 169 Benjamin, Walter 35 (Note 48), 37 (Note 54), 38 (Note 62), 39 (Note 63), (Note 67), 40 (Note 72) Benn, Gottfr. 45 (Note 8) Benz, Richard 149 (Note 24) Bild, bildlich (Tableau) 138-143, 151, 152, 160, 163, 167, 168, 172, 174 Boccaccio 24, 25, 30, 33, 79 Böckmann, Paul 44 (Note 7), 91 (Note 8) Böhme, Jakob 126 Borcherdt, Η. H. 44, 45, 66, 80 Brentano, Clemens 153, 158, 173, 174 Broch, Hermann 45 Brown, Calvin S. 90 (Note 2), 93 (Note

18), 95 (Note 22) Brüggemann, W. 38 (Note 61), 55 (Note 33), 110 Calderon 136 Caroline 44 (Note 3), 56 (Note 39), 57 (Note 42), 72 (Note 81), 84 (Note 107) Cervantes 24, 25, 29, 32, 38 (Note 60), (Note 61), 42, 55 (Note 33), 78, 110 Congreve 45 (Note 8) Dante 22, 24, 30 Deusch, Werner 141 (Note 10), (Note 12) Diderot 14 (Note 4), 36 Dilthey, W. 44, 65 (Note 64), 67 (Note 73), 76 Dorothea 71 Eichendorff, Jos. v. 91 (Note 10), 172, 174 Dichter und ihre Gesellen 134-169 Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands 133 Eichner, Hans 18 (Note 6), 22 (Note 11), 23 (Note 14), (Note 16), (Note 17), (Note 18), 24 (Note 19), (Note 20), 25 (Note 24), 27 (Note 27), 29 (Note 33), 32 (Note 38), (Note 39), 44 (Note 1), 46 (Note 14), 47 (Note 20), 62 (Note 56), 70 (Note 78), 76 (Note 85) Ellinger, Georg 102 (Note 31) Enders, Carl 22 (Note 11), 27 (Note 28), 42 (Note 77) Enzinger, M. 136 (Note 4), 145 (Note 19) Enzyklopädie 14, 28, 128 Episch, das Epische, Epos 5-7, 13-14, 17, 20, 22, 28, 29, 31, 33, 34, 36, 39, 41, 43, 44, 72, 77, 79, 82, 123, 141,

INDEX 144,145, 160, 161,165,170,171, 172, 173, 175 Ermatinger, Ε. 44 (Note 7), 80 (Note 97) Erzähler 57, 62, 68, 72, 73, 74,109,123, 124, 125, 126, 163, 171 Fichte, Joh. Gottl. 6, 39 (Note 63), (Note 66), (Note 68), 58, 76, 77 (Note 90), 81 Fielding 45 (Note 8) Frühschriften (Jugendschriften), 5, 19, 29, 33, 37, 55 Görres, Jos. 138, 158 Goethe 13 (Note 1), 24, 25, 28, 29, 33, 34 (Note 44), 45, 61, 71, 72, 78, 79, 84, 85 (Note 108), 102, 174 Granzow, Hermann 110, 120,159 Greeff, Paul 91, 92 (Note 11) Grimm, Reinhold 5 (Note 1) Gutzkow, Karl 45 (Note 8) Harich, Walther 90 Hawthorne 45 (Note 8) Haym, Rudolf 6 (Note 8), 13, 39 (Note 68) Heer, Friedrich 149 (Note 25) Hegel, Gg. Wilh. Frdr. 33 (Note 43) Heimrich, B. 33 (Note 43), 39 (Note 62), 40 (Note 68), (Note 69), 41 (Note 74), 42 (Note 79), 124 (Note 50), 129 (Note 58) Hemsterhuis, Franciscus 6, 27 (Note 28) Herder, Joh. Gottfr. 6, 7, 14,18, 24, 25, 41 (Note 75), 78 Hieroglyphe 46, 53, 87, 138, 141 Hoffmann, Ε. Τ. A. Lebensansichten des Katers Murr... 90-133 „Der Dichter u. der Komponist" 92 (Note 12), (Note 13), (Note 14) „Ein Brief des Kapellmeisters Johannes Kreisler" 92 Die Elixiere des Teufels 92 Ε. T. A. Hoffmanns Briefwechsel 92 (Note 15) „Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza" 110 Prinzessin Brambilla 119 Homer, homerisch 15, 16, 19, 20, 21, 29, 37, 38

187

Humboldt, Wilh. v. 13 (Note 1) Humor, humoristisch 46, 119, 123, 124, 127, 128, 129, 130, 131, 133, 171, 172 Idealistische Philosophie 30, 35, 42, 58, 76, 89, 90, 133, 164, 174 Immerwahr, R. 33 (Note 43) Ironie, ironisch 33 (Note 43), 37, 41, 60, 67, 100, 101, 102, 104, 107, 115, 116, 117, 119, 126, 131, 167 Jean Paul (Richter) 35, 40 (Note 70), 45 (Note 8) Joachimi, Marie 18 (Note 7), 22 (Note 12) Joyce, J. 45 Kafka, Franz 91 (Note 9) Kant, Immanuel 6, 22, 25, 32 (Note 41), 42, 127 Karikatur, -ist, istisch 92, 93, 96, 97, 101, 110, 127 Katholik, katholisch 134, 136 Kayser, Wolfg. 82, 133 (Note 60), 138 Kierkegaard, S. 66 Kircher, Erwin 42 (Note 76) Klassik, klassisch, Klassizität, Klassizismus 139, 141, 156, 159, 163 Klin, E. 66, 76 (Note 88) Klopstock, Frdr. Gottl. 77 (Note 91), 126 (Note 52) Kluckhohn, Paul 7, 44 (Note 2), 56 (Note 38), 58, 59 (Note 46), 61 (Note 52), 63 (Note 57), 65, 66, 67 (Note 74), 98 (Note 25), 113 (Note 41) Knigge 67 Köhn, Lothar 91 Körner, Josef 6, 23 (Note 13), 23 (Note 14), 27 (Note 27), 39 (Note 63), 47 (Note 19), 48 (Note 24), 60 (Note 48), 84 (Note 106) Kohlschmidt, W. 140 (Note 9) Kontrapunkt 104, 105, 106, 107, 120 Korff, Η. A. 18 (Note 7), 44, 66, 142 (Note 16) Kotzebue, A. v. 161 Kunstpoesie 18, 31, 32, 36, 153, 165, 170, 172, 174 Lämmert, E. 44 (Note 7), 164 Lange, Victor 26 (Note 26) Leipold, Eugen 91 (Note 10) Lessing, Gotth. Ephr. 52,103,123 (Note 49)

188

INDEX

Lewalter, Ernst 88 Lied 142-149, 154, 156, 158, 163, 165, 167, 172 Loevenich, H. 91 Lyrisch, Das Lyrische, Lyriker 16, 21, 37, 42, 45, 53, 73, 80, 82, 121, 126, 137, 142-149, 153, 160, 165, 172 Maler, malerisch 138,139,141,142,143, 149, 152, 160, 162, 169, 170, 172, 174 Mann, Otto 52, 79 Mann, Thomas 70 (Note 78), 123 (Note 49) Marquardt, Bruno 14 (Note 3), 55 Martini, Fritz 5 Mayer, Hans 5 (Note 1), 6 (Note 5), 123 Meinhardt, W. 22 (Note 11), 27 (Note 28)

Mennemeier, Franz 46 Meyer, Herman 91, 102, 104 Möbus, Gerhard 134, 137 Moser, H. J. 94, 95 (Note 23), 105 (Note 35), 108 (Note 38) Mozart 136 Mülher, Robert 151 Müller, Günther 5 (Note 2) Müller, Hans v. 91 (Note 4), (Note 11), 94 (Note 20) Müller, Helmut 105 (Note 36) Musikalische Form 81, 82, 90, 91, 92, 93, 94, 131, 133, 137, 170, 171 Musil, Robert 45 Mythisch, Mythos, Mythologie 17, 18, 29, 30, 31, 36, 41, 42, 69, 77, 78, 79, 126, 162, 164, 169, 170, 172, 174 Naturpoesie 18, 19, 31, 32, 33, 36, 165, 170, 172, 174 Negus, Kenneth 100 (Note 27), 105 (Note 37), 126 Neuburger, P. 142 (Note 15) Nicht-episch 41-45, 72, 85, 89, 90, 120, 124, 133, 134, 169, 171, 173, 175 Novalis (Hardenberg), 45, 56 (Note 37), 68 (Note 76), 109, 126, 135, 158, 173, 174 Ovid 79, 106 Paradox 54, 56, 57, 124 Parodie 56, 57, 101, 102, 106, 125, 157, 160, 161, 165, 166, 174 Paulsen, W. 48 (Note 24), 49, 66

Petrarch, 78 Plagiat 107, 108, 109, 120, 131 Plato 33, 36 (Note 50), 78, 83 (Note 105) Poesie der Poesie 29, 40, 54, 80, 119, 137, 166, 174 Polheim, Κ. K. 5 (Note 1), 13 (Note 1), (Note 2), 19 (Note 7), 22 (Note 11), 29 (Note 32), 30 (Note 35), 32 (Note 41), 34 (Note 48), 35, 36, 47 (Note 20), 48, 86, 88 Preisendanz, Wolfg. 24 (Note 21), 116 Preitz, M. 68 (Note 76) Progression, progressiv 38, 39, 40, 47, 48, 52, 53, 54, 59, 65, 66 Reeve, Clara 45 (Note 8) Reflexion 37-42, 49-62, 64, 68, 70-80, 85, 87, 88, 89, 115, 116,120, 125,129, 131-133, 143, 157, 165-171, 174 Rehder, H. 136 Religion, religiös 134, 140, 149, 152, 153, 156, 159, 160, 161, 164, 175 Requardt, Paul 139 (Note 8) Ricci, J. F. A. 123 Romanpoesie 24, 27, 31, 32, 36, 39 Romantisch, das Romantische 23, 24, 26, 37, 61,139,141 (Note 9), 148,154, 158, 162 Romantischer Roman 22-45, 55, 75, 78, 79, 115, 124, 126, 128, 134, 150, 160, 170-175 Rouge, I. 6 (Note 8), 55 (Note 30), 56 (Note 39), 70 (Note 77) Runge, P. O. 138 (Note 7), 143 Sappho 78 Sarraute, N. 45 (Note 8) Sartre, J. P. 45 (Note 8) Satire 65, 67, 87,102,106,107,119,123, 125, 127, 130, 174 Schanze, Helmut 22 (Note 11) Schaukai, Richard v. 102 Scheidweiler, Paula 48 (Note 24), 81 Schelling, Frdr. Wilh. 6, 42 (Note 79), 44 (Note 3), 81 Schiller, Frdr. 7, 13 (Note 1), 23 (Note 15), 24, 27 (Note 27), 42 (Note 78) Schlegel, A. W. 13 (Note 1), 44, 57 (Note 41), 68 (Note 76), 81, 83 (Note 105), 128 Schlegel, Friedrich 5 (Note 3), 5-7, 1343, 109, 129, 135, 149, 162, 165, 167, 169, 170, 171, 173, 175

INDEX Athenäum 6, 23, 24, 28, 32, 39, 65 Aufsatz über die Unverständlichkeit 46, 54 Brie/ ü i e r die Philosophie 71, 75 Brief über den Roman 24, 26, 27, 32, 35, 37, 41 Geschichte der Poesie der Griechen u. Römer 13 Gespräch über die Poesie 6, 24, 26, 30, 68 Ideen 78 Lessing Aufsatz Lucinde 44-89 Lyceums Fragmente 29, 67 (Note 72) Rede über die Mythologie 18, 36 Uber das Studium der griechischen Poesie 17 Schleiermacher, F. E. D. 44 (Note 4), 57, 61, 63 (Note 58), 65 (Note 64), 67 (Note 73), 72 (Note 82), 76, 77 Schwind, M. 141 Segebrecht, Wulf 91 (Note 5), 123 Seidlin, Oskar 141 (Note 11), 149 (Note 21), 161

Sentimental, das Sentimentale 26, 27 (Note 27), 28, 37, 38 Shakespeare 22, 24, 25, 28, 32 (Note 39), (Note 40), 103, 104 Singer, H. 120, 126 (Note 51) Sokrates 17, 66 (Note 65) Solger 33 (Note 43), 42 (Note 79) Sophokleisches Drama 17, 33 S0rensen, Β. A. 52 (Note 26) Singspiel, -artig 136, 137, 141, 142, 145, 149, 150, 151, 152, 161, 165, 167, 169 Staiger, E. 44 (Note 7) Stanzel, F. K. 45 (Note 8), 62 (Note 55), 89 Starr, Doris 37 (Note 52), 52 (Note 26) Sterne, L. 32, 35 Stöcklein, P. 136 (Note 4) Strich, Fritz 77, 126 Strohschneider-Kohrs, I. 33 (Note 43), 40 (Note 68), (Note 71), 128 Struktur, -eil 53-60, 65, 70-75, 80-95, 104, 107, 108, 109, 116, 125, 133-149, 152, 160, 167, 168, 170, 172 Sucher, P. 128 (Note 56)

189

Swift, J. 32 Symbol, -isch, -ische Form 40, 41, 42, 45, 46, 47, 52, 53, 61, 68, 69, 70, 74, 77, 78, 79, 82, 86, 87, 88, 91,107, 115, 119, 125, 131, 133, 136, 138, 139, 140 (Note 9), 141, 143,149, 155, 157, 160, 161, 163, 164, 168, 169, 170-175 Tasso 24 Terras, Victor 91 (Note 10), 123 Tieck, Ludwig 36, 110, 135, 174 Transzendentalpoesie 40, 47, 48, 116, 153, 157 Travestie 101, 102 Universell, Universalität (Mannigfaltigkeit) 14, 16, 17, 21, 28, 36, 37, 42, 65, 68, 171, 174 Utilitarismus 52, 56, 57, 67, 87, 110, 127, 137, 149, 162, 174 Virgil 16 Voerster, E. 13 (Note 1), 39 (Note 62), 47 (Note 18) Wackenroder 27 (Note 28) Wagner, Richard 77 (Note 91), 126 (Note 52) Walzel, Oskar 13 (Note 1), 27 (Note 28), (Note 29), 30 (Note 35), 32 (Note 41), 33 (Note 43), 34 (Note 44), 81 (Note 100), 83 (Note 105), 86 (Note 110) Wellek, Ren6 7 (Note 12), 24 (Note 19) Wendler, Ursula 142 (Note 14), (Note 15), 144 Werner, H. G. 127 (Note 54), 128 (Note 55) Wieland, Chph. M. 91 (Note 9) Wiese, Benno v. 91 Winckelmann, J. J. 6, 14, 57 Witz, -ig 31, 35, 36, 37, 38, 41, 42, 46, 47, 56, 57, 63, 70, 71, 72, 77, 86, 88, 89, 129, 131, 145, 167, 170, 171, 174 Wolfram v. Eschenbach 135 Woolf, Virginia 45 Zweideutigkeit 48, 55, 56, 57, 58, 59

de proprietatibus litterarum Series Minor 1 Eaton, T.: The Semantics of Literature Koch, W.A.: Recurrence and a Three-Modal 2 Approach to Poetry 3 Sullivan, N.: Perspective and the Poetic Process .4 LoCicero, D.: Novellentheorie Uehling, T.E. Jr.: The Notion of Form in Kant's 5 'Critique of Aesthetic Judgment' 6 Waldrop, R.: Against Language? Shibles, W.A.: An Analysis of Metaphor in the 7 Light of W.M.Urban's Theories 8 Lengyel, C.s The Creative Self Will, F.: The Knife in the Stone 9 11 Eaton, T.: Theoretical Semics 12 Champigny, R.: Ontology of the Narrative 13 Prince, G.: A Grammar of Stories Series Maior 1 Hester M.B.': The Meaning of Poetic Metaphor 2 Delasanta, R.: The Epic Voice Gray, B.: Style 3 5 Belgardt, R.: Romantische Poesie 6 Sexton, R.J.: The Complex of Yvor Winters' Criticism Wood, T.E.: The Word "Sublime" and its 7 Context 1650-1760 8 Thompson, E.M.: Russian Formalism and AngloAmerican New Criticism 9 Hale, D.G.: The Body Politic 10 Gallo, Ε.: The Poetria Nova and its Sources in Early Rhetorical Doctrine 11 Miller, D.M.: The Net of Hephaestus 12 Ryding, W.W.: Structure in Medieval Narrative 13 Shmiefsky, M.: Sense at War with Soul 14 Raffel, Β.: The Forked Tongue 15 Levitt, P.M.: A Structural Approach to.the Analysis of Drama 16 Hagiwara, M.P.: French Epic Poetry in the Sixteenth Century 17 Braun, J.Τ.: The Apostrophic Gesture 18 Guggenheimer, E.H.: Rhyme Effects and Rhyming Figures 19 Ingram, F.L.: Representative Short Story Cycles "of the Twentieth Century 20 Barasch, F.K.: The Grotesque 22 Nichols, J.W.: Insinuation 23 Brockett, O.G. (ed.): Studies in Theatre and Drama 25 Schludermann, Β. et al (eds.): Deutung und Bedeutung 26 Benoit, R.: Single Nature's Double Name

Dfl. 12,10,10,16,18,18,18,18,22,20,18,20,-

40,22,23,45,88,40,30,28,44,32,34,30,32,22,40,32,42,42,36,24,64,98,30,-

de proprietatibus litterarum Series Practica 1 Cohn, R.G.: MallarmS's Masterpiece 2 Hieatt, C.B. :< The Realism of Dream Vision 3 Mogan, J.J.: Chaucer and the Theme of Mutability Nusser, P.: Muslis Romantheorie 4 5 Perloff, Μ.r Rhyme and Meaning in the Poetry of Yeats 6 Cusac, M.H. Narrative Structure in the Novels of Sir Walter Scott 7 Newton, R.P. : Form in the 'Menschheitsdämmerung1 8 Wortley, H.V.: Tallemant des R£aux Swanson, D.R.: Three Conquerors 9 10 Gopnik, I.: A Theory of Style and Richardson s Clarissa

12 13 14 15 17 19 20 21 22 23 24 26 27 28 29 30 32 33 34 35 36 '38 40 41 43 45 47 48

Feldman, S.D.: The Morality-Patterned Comedy of the Renaissance' Mitchell, G.: The Art Theme in Joyce Cary's First Trilogy • Ebner, D.: Autobiography in SeventeenthCentury England Ball, D.L.: Samuel Richardson's Theory of Fiction Raymond, M.B.: Swinburne's Poetics Powers,' D.C.: English Formal Satire Schick, E.B.: Metaphorical Organicism in Herder s Early Works Wood, H.: The Histories of Herodotus Magner, J.E.: John Crowe Ransom Laar, E.Th.M.van de: The Inner Structure of

Dfl. 24,18,30,22,48,24,34,24,24,22,18,18,22,36,36,30,25,32,18,"

Wuthering Heights 40,Einbond, B.L.: Samuel Johnson's Allegory 18,Harder, W.T.: A Certain Order 28,Vernier, R. : 'Poesie ininterrompue' et la po£tique de Paul Eluard 39 FF/ 25,Hennedy, H.L.: Unity in Barsetshire 28,McLean, S.K.: The "B'ankelsang" and the Work of Bertold Brecht 54,Inniss, Κ.: D.H.Lawrence's Bestiary 28,George, Ε.Ε.: Hölderlin's "Ars Poetica" 96,Sampson, H.G.: The Anglican Tradition in Eighteenth-Century Verse 48,Blake, R.E.: The "Essays de meditations 49 FF/ 32,po^tiques" of Fröre Zacharie de Vitre Jakobson, R. and L.G.Jones: Shakespeare's 10,Verbal Art in Th'Expence of Spirit Silverman, E.B.: Poetic Synthesis in 20,Shelley's "Adonais" Dougherty, Α.: A Study of Rhytmic Structure 38,in the Verse of William Butler Yeats 40,Eustis, Α.: Moliere as Ironic Contemplator •18,Champigny, R.: Humanism and Human Racism Kopman, H.: Rencontres with the Inanimate 31 FF/ 20,in Proust's Recherche Hillen, G. : Andreas Gryphius' Cardenio und 22,Ce linde Ewton, R.W.: The Literary Theories of August 22,Wilhelm Schlegel Todd, J.Ε.: Emily Dickinson's Use of the 22,*· Persona

de proprietatibus litterarum Series Practica 50 Metcalf, A.A.: Poetic Diction in the old English Meters of Boethius 51 Knowlton, Μ.Α.: The Influence of Richard Rolle and of Julian of Norwich on the Middle English Lyrics 52 Richmond, H.M.: Renaissance Landscapes 54 Celler, M.M.: Giraudoux et la mStaphore 34 55 Fletcher, R.M.: The Stylistic Development of Edgar Allan Poe 57 Nelson, T.A.: Shakespeare's Comic Theory 59 Dugan, J.R.: Illusion and Reality 61 Couchman, G.W.: This our Caesar 6 3 Schulz, Η.-J.: This Hell of Stories .69 Godshalk, W.L.: Patterning in Shakespearean Drama 71 Kostis, N. : The Exorcism of Sex and Death in Julien Green's Novels 72 Woshinsky, B.R.: La Princesse de Cleves 49 75 Hewitt, W. : Through Those Living Pillars 49 78 Ferrante, J.M.: The Conflict of Love and 49 Honor· 83 Jones, L.E.: Poetic Fantasy and Fiction Series Dldactlca 1 Swaim, K.M.: A Reading of Gulliver's Travels

Dfl. 28,28,28,FF/ 22,34,18,26,32,20,50,22,FF/ 32,FF/ 32,FF/ 32,20,-

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