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German Pages 360 Year 2019
Rainer Dombois / Peter Imbusch Hans-Joachim Lauth / Peter Thiery (Hrsg.) Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika
Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde • Hamburg Band 46
Rainer Dombois / Peter Imbusch Hans-Joachim Lauth / Peter Thiery (Hrsg.)
Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1997
Institut für Iberoamerika-Kunde • Hamburg
Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut
Das Institut für Iberoamerika-Kunde bildet zusammen mit dem Institut für Allgemeine Überseeforschung, dem Institut für Asienkunde, dem Institut für Afrika-Kunde und dem Deutschen Orient-Institut den Verbund der Stiftung Deutsches Übersee-Institut in Hamburg. Aufgabe des Instituts für Iberoamerika-Kunde ist die gegenwartsbezogene Beobachtung und wissenschaftliche Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Lateinamerika. Das Institut für Iberoamerika-Kunde ist bemüht, in seinen Publikationen verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die jedoch grundsätzlich die Auffassung des jeweiligen Autors und nicht unbedingt die des Instituts darstellen.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika / [Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg ; Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut], Rainer Dombois... (Hrsg.). - Frankfurt am Main : Vervuert, 1997 (Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg ; Bd. 46) ISBN 3-89354-246-9
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1997 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany: Rosch-Buch, Scheßlitz
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung Rainer Dombois, Peter Imbusch Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika. Einführende Bemerkungen
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II. Übersichtsartikel Dirk Messner Wirtschaftsreformen und gesellschaftliche Neuorientierung in Lateinamerika: Die Grenzen des neoliberalen Projekts
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Urs Müller-Plantenberg Theorie und Praxis des Neoliberalismus
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Klaus Bodemer Die Globalisierung der Finanzmärkte, der lateinamerikanische financierism und die Krise des Beschäftigungssystems
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Jörg Meyer-Stamer Entwicklungschancen und -risiken Lateinamerikas im Zeichen globaler und regionaler Märkte
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Enrique de la Garza Toledo Lateinamerika: Neoliberalismus und neue Produktions- und Arbeitsparadigmen
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Peter Birle Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika - Traditionslinien, Reformen und Perspektiven
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Rainer Dombois Globalisierung, regionale Integration und internationale Regulierung der Arbeit. Zur Problematik internationaler Sozialstandards am Beispiel der NAFTA
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III. Länderstudien Ana Maria Catalano/Marta Novick Wirtschaftliche Modernisierung und gewerkschaftliche Strategien in Argentinien: Erneuerung oder taktische Anpassung?
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Arnold Spitta Was ist noch peronistisch an der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung Menem?
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Gilberte Calcagnotto Wirtschaftsreformen, Globalisierung und Gewerkschaften in Brasilien 177 Marlene Catarina de Oliveira Lopes Melo, Allan Claudius Queiroz Barbosa, Antonio Moreira de Carvalho Neto Kollektive Arbeitsregelungen zwischen Korporatismus und autonomer Tarifpolitik in Brasilien 201 Kjeld A. Jacobsen Brasilien: Neoliberalismus "sophisticated"
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Peter Imbusch Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Chile: Die Erfahrungen mit der Pinochet-Diktatur
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Peter Thiery Der Wandel der Arbeitsbeziehungen im demokratischen Chile (1990-1996)
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Dieter Boris Ökonomische Hintergründe der Arbeitsbeziehungen und Politikmuster in Mexiko (1982-1994)
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Ilän Bizberg Die Transformation des Modells der Arbeitsbeziehungen in Mexiko
288
Hans-Joachim Lauth Neokorporatismus en vogue? Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Mexiko 302 IV. Fazit: Ludger Pries Industrielle Beziehungen und wirtschaftlicher Transformationsprozeß Brasilien, Kolumbien und Mexiko im Vergleich 321 Hans-Joachim Lauth, Peter Thiery Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika in Zeiten des Neoliberalismus Zwischen korporatistischen Arrangements und Deregulierung
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Autorenverzeichnis
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I. Einleitung
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Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen in Lateinamerika Einführende Bemerkungen Seit Mitte der 70er Jahre durchläuft Lateinamerika einen tiefgreifenden politisch-ökonomischen Transformationsprozeß. Nach und nach wurde hier ein herkömmliches Entwicklungsmodell aufgegeben, das sich seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre in ganz Lateinamerika durchgesetzt hatte. Zu seinen wesentlichen Elementen gehörten: die zentrale Rolle des "Entwicklungsstaates" bei der Regulierung von wirtschaftlichen und sozialen Prozessen, die forcierte binnenorientierte "importsubstituierende" Industrialisierung und die soziale Modernisierung durch den Aufbau einer wenigstens rudimentären sozialstaatlichen Versorgung. Der globale Siegeszug des Neoliberalismus, wie er sich in Europa zunächst im Gefolge der Wirtschaftskrise Anfang der 70er Jahre mit dem Übergang zu orthodoxen Wirtschaftskonzepten andeutete - und in Großbritannien im Thatcherism als Neo-Konservatismus, in den USA unter Reagan als supply-sideeconomics paradigmatisch verkörperte - , ist also auch an Lateinamerika nicht vorbeigegangen. Während in Europa vor allem die Krise keynesianischer Politik für den erneuten Aufstieg liberalen Denkens sorgte, kann in Lateinamerika die Wirtschafts- und Verschuldungskrise Anfang der 80er Jahre als ein kritischer Wendepunkt der Entwicklung gesehen werden - auch wenn einige Staaten bereits früher neoliberale Rezepturen anwendeten und andere erst gegen Mitte bzw. Ende der 80er Jahre eine neoliberale Politik betrieben (Smith/ Acuna/Gamarra 1994a, 1994b; Gustafson 1994). Die "verlorene Dekade" markiert in Lateinamerika gleichermaßen die Krise dieses herkömmlichen Entwicklungsmodells wie den Übergang zu einem neuen Modell. Die Militärdiktaturen des Cono Sur waren nur die Vorreiter eines Umbruchs, der inzwischen fast alle lateinamerikanischen Länder erfaßt hat und in der Durchsetzung neoliberaler Prinzipien besteht, welche auf die Öffnung der Ökonomien zum Weltmarkt und die Rücknahme staatlicher Regulierungs- und
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Umverteilungsfunktionen zugunsten marktförmiger Regelungen setzen. Die Veränderungen drücken sich nicht nur in Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken, sondern auch in weitreichenden institutionellen Restrukturierungen aus und zeigen sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen (Green 1995). Egal ob es sich um die Liberalisierung der Märkte und den Abbau protektionistischen Schutzes einheimischer Produktion, um die Reduzierung staatlicher Ausgaben (darunter auch Sozialausgaben) und Subventionen oder um die Privatisierung von Staatsunternehmen handelt - das alles verändert nicht nur die Spielregeln der Ökonomie, sondern auch - direkt oder indirekt - Lebensverhältnisse, soziale Situationen und Beziehungen der Menschen untereinander. Von Beginn an war die neoliberale Wende in Lateinamerika Thema heftiger und kontroverser Diskussionen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie und ob neoliberale Politiken eine tragfahige Entwicklung der in den Weltmarkt integrierten Ökonomien zu fordern in der Lage sind (Sunkel/Zuleta 1990; Eßer 1994). Von nicht minderer Bedeutung ist auch die Frage nach den sozialen Auswirkungen: Wie verändern sich die Lebensbedingungen der Menschen, ihre Erwerbs- und Einkommenschancen sowie ihre Versorgung mit 'Kollektivgütern' (wie Bildung, Gesundheit); wie verändern sich Strukturen der sozialen Ungleichheit sowie soziale und politische Partizipationschancen? Zu diesen Fragen will der vorliegende Band einen Beitrag leisten. Im Mittelpunkt stehen die Veränderungen der Arbeitsbeziehungen, die Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse und ihre kollektiven Regelungsformen. Sie wurden als exemplarischer Bereich der Analyse nicht nur deshalb ausgewählt, weil Erwerbsarbeit die materiellen und sozialen Existenzbedingungen der Menschen prägt. Auch spricht für diese Wahl, daß bei der Analyse von Arbeitsbeziehungen jene gesellschaftlichen Institutionen in den Blick geraten, die wesentlich deren Gestaltung prägen - vor allem die kollektiven Regelungsformen (wie arbeits- und sozialrechtliche Normen oder Tarifverträge); in den Veränderungen der politisch-institutionellen Regelungsmuster kommen gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zum Ausdruck, die sich ansonsten nur selten in derartiger Offenheit zeigen. Die Analyse der Arbeitsbeziehungen kann also Auskunft über einen komplexen gesellschaftlichen Bereich geben. Anzunehmen ist, daß gerade dieser Bereich im Zuge der neoliberalen Wende unter massiven Veränderungsdruck geraten ist. Erstens dürften neoliberale Politiken der Strukturanpassung und der Öffnung zur Weltwirtschaft sich auf die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und auf das Erwerbssystem insgesamt auswirken. Zweitens dürften sie die Spielregeln für Unternehmen verändern und die Entwicklung von neuen Strategien für Märkte und Produktion nahelegen, die auch Arbeitsprozesse und -bedingungen betreffen. Drittens dürften bisherige institutionelle Regelungsformen der Arbeit unter Druck geraten, die sich in vielfaltiger Weise gegen die 'neuen Verhältnisse' zu sperren, die Flexibilität des Marktes einzuschnüren und die Umstrukturierung des Produktionsapparates zu behindern scheinen. Viertens dürften auch die bisherigen Muster der Beziehungen zwischen den Akteuren in
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Frage gestellt werden, die an der Regelung - Setzung oder Aushandlung - von Arbeitsverhältnissen beteiligt sind, also Staat, Unternehmer und Gewerkschaften. In welcher Weise diese Veränderungen stattfanden, wie tiefgreifend und weitreichend sie waren, welche „Institutionen" des Arbeitsmarktes (Rodgers 1993) sie betrafen und welche Folgen mit ihnen einhergingen - das sind einige der zentralen Fragen, die die Autoren dieses Bandes mit seiner Konzentration auf vier unterschiedliche Länderfalle beantworten wollen. Hinter diesen konkreten Fallanalysen steht aber die generelle Frage nach den kausalen und nachweisbaren Beziehungen zwischen Neoliberalismus und Arbeitsbeziehungen sowie den jeweiligen Determinationsmustern. Nicht jede Veränderung im Bereich der Arbeitsbeziehungen muß ja eine Folge neoliberaler Politik sein, sondern kann sich beispielsweise auch aus globalen Umbrüchen in den Produktionsstrukturen und -ablaufen, aus generellen Trends der Sozialstruktur- und Arbeitsmarktentwicklung oder aus dem Wechsel des politischen Systems ergeben. Diesbezüglich wären auch gängige Vorurteile und vorschnelle Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen, die für eine angemessene Auseinandersetzung mit der Thematik wenig nützlich sind (vgl. z.B. LateinamerikaNachrichten 1996). Dies muß auch im Hinblick auf die aktuelle und mit dem Neoliberalismus eng zusammenhängende - wesentlich polemisch geführte Debatte um Globalisierung, Weltmarktkonkurrenz und Standortvorteile betont werden, die in der Regel auf wenige Aspekte verkürzt wird und insgesamt zu undifferenziert erscheint (Colclough/Manor 1991). Im folgenden sollen zunächst einige Umrisse des Neoliberalismus in der gebotenen Differenzierung skizziert und anschließend die Thematik der Arbeitsbeziehungen erschlossen werden, damit die Facetten und Zusammenhänge in bezug auf die übergeordnete Fragestellung deutlich werden. Um die Reichweite und Bedeutung der aktuellen neoliberalen Politik in Lateinamerika zu verstehen, sind zudem wenigstens einige kurze Anmerkungen zur vorangegangenen Wirtschaftspolitik vonnöten.
I. Neoliberalismus 1. Der Neoliberalismus in Lateinamerika Die 'klassische Epoche' des Liberalismus mit dem Import-Export-System und der Einbindung der Staaten Lateinamerikas in den Weltmarkt endete mit der Weltwirtschaftskrise von 1929/30. Allein schon durch die starke Kontraktion des Welthandels und den nachfolgenden Übergang zu stärker protektionistischen Politiken erschien das damalige Freihandelssystem nicht weiter gangbar, so daß sich in Lateinamerika langsam ein neues Wirtschaftsmodell durchsetzte, welches auf eine Stärkung des endogenen Entwicklungspotentials setzte und in der Folgezeit als 'importsubstituierende Industrialisierung' berühmt werden soll-
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te. Das sozialökonomische Gesicht des Kontinents veränderte sich schnell mit der staatlich geförderten oder von Staatsseite initiierten Industrialisierung (aktiver Staatsinterventionismus), der Abschottung des Binnenmarktes gegen ausländische Konkurrenz über eine Reihe tarifärer und nicht-tarifarer Handelshemmnisse (Protektionismus) und einer zum Teil rapiden Entwicklung der heimischen Märkte unter Beteiligung ausländischen Kapitals sowie der Integration der Mittelschichten und der Arbeiterbewegung in das politische System (Hirschman 1987; Fishlow 1985). Diese Strategie führte aber aufgrund ihrer inhärenten Schwächen und immer häufiger auftretenden Krisen (externe Engpässe und Zahlungsbilanzkrisen) sowie einer sich erschöpfenden Dynamik spätestens in den 70er Jahren in die Krise (Williamson 1991). Im Rahmen sogenannter 'bürokratisch-autoritärer Regime' und Diktaturen fanden im Cono Sur die ersten umfassenden Experimente mit neoliberaler Handlungsanleitung statt (Chile 1975-1990, Argentinien 1976-1983, Uruguay 1973 ff.) (O'Donnell 1973; Sheahan 1987). Die 'Diagnose' der lateinamerikanischen Übel durch die Vertreter des Neoliberalismus war simpel, machten sie doch für die Krise die von ihnen als vollkommen verfehlt eingestufte Entwicklungsstrategie verantwortlich: zu viel Staat, zu viel Regulierung, zu viele Regierungsausgaben, zu geringe Berücksichtigung des Privatsektors und der Privatinitiative, zu wenig Markt, Vernachlässigung des Außenhandels und der Exporte etc. Wirtschaftliche Programme monetaristischer Provenienz waren dabei zu diesem Zeitpunkt keineswegs unbekannt in Lateinamerika, weil sie im Rahmen von Anpassungsprozessen seit den 50er Jahren immer wieder zur Anwendung kamen: in Chile 1956-58, in Argentinien 1959-62, in Bolivien 1956, in Peru 1959, in Uruguay 1959-62. Diese Politiken folgten jeweils einem strikt orthodoxen Schema: Kontraktion der Geldmenge und Verknappung des Kreditangebots, Verringerung der öffentlichen Ausgaben, Lohnsenkung, Abwertung der Währung, Eliminierung von Preiskontrollen und Subventionen, Erhöhung und Umverteilung der Gewinne (Romo 1994: 912). Die kurzfristigen Resultate dieser Politiken waren äußerst negativ. Zwar konnte die Inflationsrate während einer kurzen Periode gesenkt werden, gleichzeitig verringerte sich aber die Produktion, die Arbeitslosigkeit stieg rapide an und der Anteil der Löhne am Volkseinkommen nahm ab. Mittelund langfristig waren diese Politiken in der Regel wirkungslos, weil sie nach kurzer Zeit wieder durch andere wirtschaftliche Prioritäten ersetzt wurden (Remmer 1986). Der Unterschied zwischen dieser frühzeitigen monetaristischen Politik und den Politiken der Diktaturen der 70er Jahre bestand vor allem darin, daß die Militärregime mit einem umfassenderen politischen Projekt antraten, in dessen Rahmen die neoliberale Strategie eine bedeutende Rolle spielte, wohingegen orthodoxe Politiken in den oben genannten Zeiten als nützliche temporäre Anpassungsmuster an zumeist außenwirtschaftliche Ungleichgewichte betrachtet wurden. Von den Experimenten in den 70er Jahren ist nur das chilenische stringent durchgehalten und einigermaßen kohärent umgesetzt worden (Fernández
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Jilberto 1993; Ramos 1986). Nicht zufällig waren es in den 70er Jahren Militärdiktaturen, die eine neoliberale Umstrukturierung oder wenigstens Anpassung beförderten, können doch zentrale Ursachen bzw. Anlässe für die Einfuhrung neoliberaler Politiken nicht nur in der Erschöpfung der Importsubstitution, sondern auch in profunden politischen Krisen (Unidad Popular in Chile, 'zweiter Peronismus' in Argentinien, Auftreten einer Stadtguerilla in Uruguay) und der Notwendigkeit der Suche nach einem neuen Entwicklungsmodell gesehen werden. Eine zweite identifizierbare Ländergruppe, die sich dem Neoliberalismus zuwandte, tat dies v.a. im Gefolge der Wirtschafts- und Verschuldungskrise Anfang der 80er Jahre. Die Einsichten in die strukturellen Ursachen dieser Krise im Verbund mit Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank führten in Mexiko, Costa Rica und Bolivien Mitte der 80er Jahre zu einer entsprechenden Umorientierung ihrer Wirtschaftspolitik (Melier 1991), allerdings - das wäre an dieser Stelle schon zu betonen - mit einem sehr unterschiedlichen policy-mix und entsprechend unterschiedlichen Resultaten. Eine weitere Welle der Hinwendung zu neoliberalen Politiken hat es schließlich Ende der 80er Jahre im Rahmen demokratisch gewählter Regierungen gegeben, die zum Teil mit einem explizit populistischen, antineoliberalen Programm an die Macht gelangt sind (Müller-Plantenberg 1992, 1991; Levine 1992). Es handelt sich um Argentinien, Venezuela, Nikaragua (seit 1989), Ekuador, Peru und Kolumbien (seit 1990). Hier waren es vor allem die langjährigen Krisenerfahrungen und -tendenzen sowie das wiederholte Scheitern heterodoxer Anpassungsprogramme, die ursächlich für den Übergang verantwortlich gemacht werden können (Nelson 1990; Haggard/Kaufman 1992; Pensamiento Iberoamericano 1992). Daneben gibt es eine Reihe von weniger klar strukturierten Fällen, die zwar einerseits neoliberale Wirtschaftselemente in der Politik zum Tragen brachten, in denen sich aber andererseits diese Elemente an einem starken staatlichen Engagement brachen und neoliberale Politik in sich widersprüchlich und wechselhaft blieb. Dies trifft etwa auf Brasilien und Uruguay zu. Diese Länder hatten zwar in früheren Zeiten neoliberale Politiken partiell umgesetzt (Brasilien 1964ff., Uruguay 1973ff.), aber immer eine starke staatliche Regulation beibehalten und nur eine selektive Öffnungspolitik gegenüber dem Weltmarkt betrieben. Hier waren es weniger Wirtschaftskrisen (aber zum Teil das Scheitern heterodoxer Pläne) als vielmehr entwicklungsstrategische Kalküle und Überlegungen, die neoliberale Politikelemente geboten erscheinen ließen. In dem einen Fall ließ ein riesiger Binnenmarkt diese Öffnung als nicht so vordringlich erscheinen, im anderen Fall die mit der Kleinheit einhergehende verringerte Nutzbarkeit von economies of scale um die Konkurrenzfähigkeit fürchten. Sowohl der Zeitpunkt der Umsetzung wie auch die Beantwortung der Frage nach den eigentlichen Ursachen bzw. Anlässen für den Übergang zu neoliberalen Wirtschaftspolitiken hatte beträchtliche Konsequenzen für die Ausgestaltung der neoliberalen Politiken (Hojman 1994).
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2. Theoretische Aspekte neoliberaler Politik Spätestens an dieser Stelle muß nun ein Blick auf die inhaltlichen Dimensionen neoliberaler Politik geworfen werden (Imbusch 1994; Denis 1991). Die Traditionslinien des Neoliberalismus reichen zurück bis zur klassischen politischen Ökonomie, die mit Namen wie Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill und Thomas Malthus verknüpft ist. Diese Ökonomen sahen wesentliche Mechanismen für wirtschaftliches Wachstum im freien Spiel der Marktkräfte liegen. Das Bild der 'unsichtbaren Hand', die das Marktgeschehen zum Wohle aller und jedes Einzelnen koordiniert, ist geschichtsmächtig geworden, so daß jede Intervention in das Marktgeschehen seitens Dritter (z.B. des Staates) weitgehend abgelehnt wird. Ricardo hat diese Idee später auch auf Handelsbeziehungen zwischen Nationen weiter entwickelt. Der Liberalismus unterstellt dabei auf der Basis individueller und utilitaristischer Nutzenkonzeptionen die Existenz abstrakter Freiheitskategorien und rationalen Verhaltens der Marktteilnehmer seien diese Produzenten oder Konsumenten - , deren ganz normales Verhalten die Effizienz des Wirtschafts-, aber auch des Gesellschaftssystems sichert. Eine Einschränkung der Wahlfreiheiten des Einzelnen - insbesondere durch den Staat - fuhrt immer zu suboptimalen Marktergebnissen. In wirtschaftstheoretischer Hinsicht werden nun zunächst einmal alle liberalen Denkströmungen, die auf den klassischen Liberalismus folgten bzw. an diesen anknüpften, als Neoliberalismus bezeichnet. Zur Charakterisierung einzelner Doktrinen und Positionen sind denn auch weitere Differenzierungen dieses Oberbegriffs notwendig. Im 20. Jahrhundert sind vor allem drei Strömungen bedeutsam geworden, denen das Vertrauen in die Mechanismen des Marktes und seinen positiven Wirkungen sowie eine ausgeprägte Planungs- und Interventionsphobie gemein sind. Zentrale Elemente neoliberaler Politik werden in dem von Eucken, Röpke, Müller-Armack und Hayek begründeten Ordoliberalismus wesentlich weltanschaulich begründet. Sie strebten nach den Irrungen und Wirrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine offene, rechtsstaatlich verfaßte Gesellschaft auf der Basis einer wettbewerblich organisierten Marktwirtschaft an, in der der Staat die Wettbewerbsordnung garantiert und seine grundlegenden Funktionsmechanismen (Privateigentum, Konkurrenz, Monopolkontrolle etc.) gewährleistet. Über eine funktionierende Marktwirtschaft (bedingende Annahme: Vollständige Konkurrenz) stelle sich nicht nur eine gerechte Einkommensverteilung ein, sondern es komme auch zu nur unbedeutenden und geringfügigen Konzentrationsprozessen. Interventionen in den Wirtschaftsprozeß erübrigen sich in der Regel; wenn sie trotzdem ausnahmsweise nötig sein sollten, dürften sie nur mit marktkonformen Mitteln durchgeführt werden. Damit ist zugleich der Rahmen für eine 'aktive' Wirtschafts- und Sozialpolitik umrissen (Hayek 1991; Eucken 1990; Peukert 1992; Haselbach 1991). Eine zweite, ebenso wichtige Strömung des Neoliberalismus ist der Monetarismus, dessen zentrale Doktrin einen engen Nexus zwischen Geldmenge und
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Preisniveau einer Gesellschaft herstellt. Eine Veränderung im Geldangebot soll zu einer entsprechenden Veränderung des allgemeinen Preisniveaus fuhren und dabei das Produktions- und Beschäftigungsniveau nicht in Mitleidenschaft ziehen. Die Geldmenge ist damit eine zentrale Größe, ihrer strikten Kontrolle kommt fur die Stabilisierung der Ökonomie zentrale Bedeutung zu.1 Der aus dieser Erkenntnis abgeleitete sogenannte monetary approach to the balance of payments war bis in die 80er Jahre hinein die theoretische Basis beinahe aller IWF-Programme (IMF 1977; Whitman 1975). Die Monetaristen bauen in methodischer Hinsicht ihre Aussagen auf simplen Theoremen auf, weshalb sie auch im Ruf von „terrible simplificateurs" stehen. Sie betrachten den Markt per se als stabil, effizient und überlegen, das Privateigentum ist ihnen heilig, der ökonomische Einfluß des Staates grundsätzlich schädlich. Aufgrund seiner Zielsetzungen begünstigt der Monetarismus eine ideologische Interpretation in der politischen Auseinandersetzung (Pickel 1995). Stärker als bei den Ordoliberalen werden Interventionen in den Wirtschaftsprozeß gänzlich abgelehnt, eine antizyklische Krisenpolitik kann es aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der Geldpolitik nicht geben und eine aktive Stabilisierungspolitik à la Keynes wird im Prinzip als sinnlos betrachtet. In außenwirtschaftlicher Hinsicht wird ein möglichst vollständiger Abbau von Handelsrestriktionen für unerläßlich erachtet. Eine dritte Richtung des Neoliberalismus, die sich sowohl vom Ordoliberalismus als auch vom Monetarismus abhebt und ursprünglich eine politische Doktrin war, ist die Angebotsökonomie (supply-side-economics) von George Gilder und Irving Kristol (Kromphardt 1991: 180-209). Sie ist in den USA zu Zeiten Reagans offizielle Wirtschaftsdoktrin gewesen. Für diese Doktrin sind drei Zusammenhänge bedeutsam: - Die Inflation läßt sich ausschließlich über eine restriktive Geldpolitik bekämpfen. - Der Spielraum des öffentlichen Sektors soll zugunsten der Privatinitiative eingeschränkt werden, und zwar über die Senkung von Steuern und Abgaben für Besserverdienende und Unternehmer, über den Abbau von Sozialleistungen, um Leistungsanreize zu schaffen, über eine allgemeine Beschneidung der Staatsausgaben und über die Verringerung bzw. Beseitigung der öffentlichen Defizite. - Die Handlungsspielräume der Unternehmer müssen gegenüber den Gewerkschaften erweitert und gestärkt werden, um die Investitionstätigkeit zu erhöhen.
Die Grundlage für diese Annahme lieferte erstmals Irving Fisher mit seiner Quantitätstheorie des Geldes (Geldmenge x Geldumlaufgeschwindigkeit = Handelsvolumen x Preisniveau), die später von Milton Friedman und Karl Brunner wiederentdeckt wurde (Friedman 1973; Brunner 1973). Friedman stellte einen engen Konnex zwischen Geld und Preisen her und behauptete, daß Inflation immer und Uberall ein monetäres Phänomen sei.
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Durch die auf diese Weise erhofften zusätzlichen Produktions- und Investitionstätigkeiten würden die kurzfristig negativen Effekte der Geldpolitik mehr als kompensiert. Obwohl die drei skizzierten Richtungen des Neoliberalismus einige Differenzen en détail aufweisen, konvergieren sie doch in zentralen Punkten und teilen allesamt liberale Grundannahmen, die sich auch in den Standardpolitiken des lateinamerikanischen Neoliberalismus wiederfinden lassen. Die idealtypischen Politiken, die in unterschiedlichem Umfang sowohl bei den Vorreitern (Chile) wie auch bei den Nachzüglern (Argentinien und Venezuela) Bestandteile neoliberaler Politik in Lateinamerika waren, gleichen sich zunächst einmal: - in finanz- und fiskalpolitischer Hinsicht: restriktive Geldpolitik mit dem Primat der Inflationsbekämpfung; Abbau und Eliminierung von Preiskontrollen; Steuerreformen u.a. mit dem Ziel der Stärkung der Privatinitiative; Reorganisierung des Finanzsektors; - in wirtschaftspolitischer Hinsicht: Deregulierung und Liberalisierung der Binnenmärkte; Privatisierung von Staatsbetrieben; 'Rationalisierung' des öffentlichen Sektors; Etablierung eines freien Wechselkurses; Liberalisierung des Außenhandels und Einbindung in den Weltmarkt; Rückzug des Staates als ökonomischer Akteur aus der Ökonomie; Abbau bzw. 'Umbau' des 'Sozialstaates' - in gesellschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbeziehungen; Stärkung des Individualismus durch Schwächung der gesellschaftlich-kollektiven Gegenkräfte (Valenzuela Feijoo 1991). Die aufgeführten Maßnahmen zielen dabei in drei Richtungen: Mit Blick auf den Staat v.a. auf die Reduktion seiner ökonomischen Interventionsmöglichkeiten; mit Blick auf die Gesellschaft v.a. auf die zunehmende Aufweichung kollektiver Identitätsbildungen, um wesentlich marktvergesellschaftete Individuen zu produzieren; mit Blick auf den Markt auf dessen Etablierung als zentrale Instanz der 'Vergesellschaftung'. 3. Theorie und Praxis Nun wird selten reine Theorie in die Praxis umgesetzt - zumal ökonomische, die sich ja an besonders abstrakter Modellbildung orientiert - , und selbst der oben genannte Maßnahmenkatalog bietet noch eine Fülle von Möglichkeiten der Umsetzung - sei es in bezug auf die Reichweite der Umsetzung der einzelnen Punkte wie auch deren Kombination. Obwohl in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern ein ähnliches oder gleiches neoliberales Umstrukturierungsprogramm vorfindbar ist, so sind sowohl die Ergebnisse als auch die konkrete Ausgestaltung neoliberaler Politiken doch sehr unterschiedlich ausgefallen. Diese Unterschiede ergeben sich hauptsächlich aus der Art der Umsetzung neoliberaler Politiken, die wiederum abhängig sein kann von folgenden Variablen:
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der Festigkeit oder Starrheit der etablierten sozialen Kräfteverhältnisse in einem Land; - der wirtschaftlichen Struktur und der Art und dem Grad der Einbindung in den Weltmarkt; - der sozialökonomischen Performance vor der neoliberalen Wende und der Krisendiagnose; - dem Typus von politischem System mit seinen korporativen bzw. weniger korporativen Einbindungen gesellschaftlicher Gruppen; - dem Regimetypus und der eher demokratischen oder autoritären Verfaßtheit eines Landes; - generell auch der politischen Kultur eines Landes (v.a. im Hinblick auf die Standards sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit). Neben diesen eher strukturellen Momenten sind die Effekte neoliberaler Politik darüber hinaus von weiteren, für das Gelingen der Umstrukturierung zentralen Punkten abhängig: - der Effizienz der Restrukturierungspolitik des Staates (hier kommt etwa das 'neoliberale Paradox' voll zum Tragen);2 - der Stabilität der neuen Funktionsprinzipien; - der Kohärenz der Wirtschaftspolitik und der Übereinstimmung der kurz- und langfristigen Zielsetzungen; - nicht zuletzt auch der Unterstützungbasis für die initiierte Politik und die Stärke der Opposition. In bezug auf den letzten Punkt müssen v.a. die sozialstrukturellen Träger neoliberaler Politik identifiziert werden (Tironi/Lagos 1991; Betz 1995; Frieden 1991; Ormsby 1990). Von ihren möglichen Interessen her kommen hier v.a. Teile der politischen Eliten mit ausgeprägt technokratischen Einstellungen und einer politischen Vision, weltmarktorientierte oligopolistisch strukturierte Unternehmenssegmente in Landwirtschaft und Industrie sowie Händler und Banker in Frage. Unterstützung erhalten diese Segmente durch liberal gesinnte Teile der Mittelschichten (zumeist Selbständige). Über ihre Interessen ließe sich auch die Opposition gegen neoliberale Politiken identifizieren: Weite Teile der 2
Norbert Lechner folgend läßt sich festhalten: "Als Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum Staat in Lateinamerika mag das neoliberale Paradox dienen: die neoliberale Strukturpolitik, die explizit den Abbau des Staates als vorrangiges Ziel verfolgte, war schließlich nur dort erfolgreich, w o sie mittels einer starken politischen Intervention vorangetrieben wurde. D i e neoliberale Strategie setzt bekannterweise an der Diagnose an, daß ein ausgewucherter und übermächtiger Staat die schöpferische Entfaltung der Zivilgesellschaft hindert und mithin das Entwicklungspotential erdrosselt. Diesem Befund entspricht das Rezept, mittels Privatisierung der staatlichen Unternehmen und Dienstleistungen, Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung und einer drastischen Öffnung aller Märkte der privaten Initiative die fuhrende Rolle in der sozialen Entwicklung zu übertragen. Neoliberal strictu sensu sind die vielfältigen Strukturreformen insofern sie ausdrücklich darauf ausgerichtet sind, den Staat durch den Markt als privilegierte Koordinationsinstanz des sozialen Lebens zu ersetzen. D i e Maßnahmen haben jedoch nur dort eine effektive Neuordnung der Gesellschaft eingeleitet, w o eine mächtige politische Autorität den Prozeß durchzusetzen vermag." (Lechner 1996: 3).
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Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften, bestimmte Segmente der Mittelschichten, aber auch Teile der Unternehmerschaft, die in je unterschiedlichen Koalitionsbildungen zusammenkommen können. Befürworter und Ablehner marktradikaler Politiken sind aber letztlich genau wie die Art und Weise der Umsetzung und die Reichweite jeweils konkret und länderspezifisch zu bestimmen. Schaut man sich nun die Länderfalle insgesamt nach den obigen Kriterien an, so lassen sich wiederum drei Typen in bezug auf den Neoliberalismus erkennen. Diese Typenbildung ist gewonnen aus der Kombination von Reinheit (Umsetzung möglichst purer Lehrbuchweisheiten oder nicht), Abruptheit der Einfuhrung (Schockpolitik versus graduelle Strategie) und schließlich der Reichweite (Schwerpunkte der neoliberalen Restrukturierung in der Ökonomie, zusätzlich im politischen Bereich oder sogar explizit im sozialen Bereich; kurz-, mittel- oder langfristige Anlage der angestrebten Maßnahmen) der neoliberalen Politik. a) Zunächst wäre ein reiner, orthodoxer Neoliberalismus zu differenzieren, der ohne größere Kompromisse abrupt umgesetzt wird, kurzfristig angelegt ist und weit über die ökonomische Sphäre ausstrahlt, sich also eigentlich als umfassendes Projekt für die Gesellschaft versteht. Bestes Beispiel für diese Richtung ist das Pinochet-Regime der 70er Jahre in Chile und Argentinien in den 90er Jahren. b) Des weiteren läßt sich ein pragmatischer Neoliberalismus unterscheiden. Er ist viel weniger dogmatisch angelegt als die erste Variante, geht in der Umsetzung mehr oder weniger starke Kompromisse ein und ist im Prinzip mittelfristig angelegt. Sein Schwerpunkt liegt zwar im ökonomischen Bereich, einzelne Maßnahmen haben aber beträchtliche Konsequenzen für den politischen und sozialen Bereich. Hier findet sich die Mehrheit der Fälle. c) Eine dritte Variante ist vielleicht das, was sich sozialpolitisch flankierter Neoliberalismus nennen ließe. Die neoliberale Politik ist dabei am wenigsten orthodox angelegt, mittelfristig und v.a stabilitätsorientiert ausgerichtet und beschränkt sich weitgehend auf den ökonomischen Bereich. Im sozialpolitischen Bereich werden dagegen explizit Maßnahmen z.B. zur Abfederung der sozialen Kosten sowie kompensatorische Maßnahmen über die Steuergesetzgebung eingeleitet. Kennzeichen dieser Variante ist ihre insgesamt gradualistische Ausrichtung und die Vielzahl von kompensatorischen Maßnahmen. Als Beispiel kann hier etwa Costa Rica in den 80er Jahren gelten. Diese dritte Variante greift eigentlich stärker nützliche Einzelmaßnahmen aus dem neoliberalen Katalog heraus, als daß sie versuchen würde, eine kohärente neoliberale Politik zu betreiben - wie die Variante des pragmatischen Neoliberalismus. Neoliberal bleibt sie aber durch die übergeordnete Zielorientierung der Politik. Bereits dieser kurze Überblick über einzelne Facetten neoliberaler Politik und intervenierender Variablen im Prozeß der Umsetzung zeigt, daß es nicht den Neoliberalismus gibt, sondern daß die Ausrichtung des Neoliberalismus von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, die zwar in zentralen Aspekten
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konvergieren, aber ansonsten sehr unterschiedlich ausfallen können. Insgesamt zeigt sich, daß die ökonomische, d.h. wirtschaftstheoretische Konzeption des Neoliberalismus sich an einer Vielzahl von Faktoren der gesellschaftlichen Realität bricht, ohne deshalb aufzuhören, neoliberal zu sein. Wenig verwunderlich ist es entsprechend, daß trotz einer in vielen Fällen gleichgerichteten Politik deren Resultate in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausfallen. Erst jenseits der in concretu untersuchten Länderfälle sind wieder Verallgemeinerungen abstrakteren Charakters möglich. Die Befürworter neoliberal orientierter Wirtschaftsmaßnahmen weisen auf folgende mögliche positive Ergebnisse hin: - erfolgreiche Eindämmung und Bekämpfung der Inflation; - Produktivitätssteigerungen durch Entstaatlichung und damit Effizienz- und Qualitätsgewinne; - Umstrukturierung der Wirtschaft zu Lasten der nicht- bzw. weniger produktiven Teile; - Entflechtung korporativ-autoritärer Strukturen und Abbau übertriebener Regelungsdichte seitens des Staates; - Abbau von Haushaltsdefiziten; - Etablierung und Aufrechterhaltung stabiler und angemessener Wechselkursrelationen; - Integration in den Weltmarkt mittels einer weniger ungünstigen Exportpalette (Erhöhung des Anteils von verarbeiteten Gütern gegenüber Primärgüterexporten); - Exportsteigerung durch die Abwertung der Währung; - im Rahmen der industriellen Beziehungen v.a. die Autonomie der Tarifparteien und Verhandlungspartner. Diesen möglichen Erfolgen bzw. positiven Ergebnissen stehen allerdings eine Reihe von problematischen Entwicklungen gegenüber, die aber gemeinhin der sogenannten 'Anpassungsphase' neoliberaler Politik zugerechnet werden, die gewisse unvermeidliche, langfristig aber für überwindbar gehaltene Kosten und Krisen mit sich bringt. Diese sollen in der darauffolgenden 'Stabilisierungsphase' und vor allem in der angestrebten 'exportorientierten Entwicklung' schließlich überwunden sein und einem sich selbst tragenden Wirtschaftswachstum Platz machen. Im einzelnen ließen sich hier erwähnen: - eine scharfe Restriktion der Nachfrage mit der Folge einer schweren Rezession; - eine Restriktion und Senkung der Löhne (mit der Folge der späteren Differenzierung der Lohnstrukturen); - ein zunächst starker Anstieg der Arbeitslosigkeit durch Maßnahmen der Strukturanpassung;
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