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German Pages 19 [20] Year 1928
Sitzungsberichte d e r H e i d e l b e r g e r A k a d e m i e d e r Wissenschaften Mathematisch - naturwissenschaftliche Klasse — Jahrgang 1928. 13. Abhandlung.
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Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums Von
Adolf Mayer in Heidelberg
Berlin
und L e i p z i g
1928
W a l t e r de G r u y t e r & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Gattentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.
Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums. Sollte es wirklich so etwas geben oder anzustreben sein, wie es die gewählte Überschrift besagt? — Wird die Naturwissenschaft nicht des Vorwitzes beschuldigt werden, wenn sie sich auf einem ihr so weit abliegenden Felde betätigt und wohl gar auf einem mit dem Nimbus der Heiligkeit umgebenen? — Bein theoretisch muß diese Frage vielleicht verneint werden, aber vom Standpunkt der augenblicklichen historischen Lage darf sie es gewiß nicht. Im Gegenteile, da ist sie von äußerster Dringlichkeit. — Denn, was ist der Fall in dem Augenblicke, darin wir stehen ? — Die Naturwissenschaft erscheint in demselben als die geschworene Feindin aller Religion. Ein starkes Wort, aber es ist leicht, dasselbe hundertfach zu belegen. Als nach der Reformation die römische Kirche sich völlig von der Naturwissenschaft abgewendet, in einem gewissen Sinne geradezu abgekapselt hatte und die reformierte dann (in den Zeiten der sogenannten Aufklärung) ihren leidlichen Frieden gemacht hatte mit allen Wissenschaften einschließlich denen, die sich mit den Erscheinungen der von der Kultur noch unberührten Dinge beschäftigten, trat im Laufe des vorigen Jahrhunderts nach dem Ausklingen der Romantik genau schritthaltend mit dem schnellen Wachstum der Erkenntnis des natürlichen Geschehens, eine wachsende Entfremdung zwischen Kirche und Wissenschaft ein, die im neuen Jahrhundert so weit ging, daß der echte Naturforscher beinahe seinen guten wissenschaftlichen Ruf zu verlieren fürchten mußte, wenn er positiv zu einem kirchlichen Bekenntnisse sich zu äußern den Mut fand. Ja, man hatte Mühe zu beweisen, daß beide Dinge sich vereinigen ließen, was aber meist nur durch Aufzählung einiger berühmter Namen, wie Louis PASTEUR, SECCHI oder MENDEL geschah, von denen man dann wohl sagte, daß die Ausnahmen die Regel bestätigen, oder wie es eigentlich in solchem Falle heißen sollte, daß sie die Regel deutlich ins Licht setzen. — Und in Übereinstimmung hiermit, wenn heute eine neue Universität gegründet wird, es geschieht dies regelmäßig mit Ausschaltung derjenigen Fakultät, die einst die prima inter pares gewesen war, während doch gerade um der Apologie des Christentums willen vor einem halben Jahrtausend die Hochschulen gegründet worden waren, wenigstens hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich. I*
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ADOLF MAYER :
Und nicht allein zu einer Entfremdung, sogar zu Anfeindungen zwischen den beiden Geistesrichtungen und den sich aus diesen ergebenden Weltanschauungen ist es gekommen, überwiegend freilich von seiten der naturwissenschaftlichen gegen die kirchliche, während die letztere, zu Anfang wenigstens, den beschreibenden ganz wohlgesinnt waren; und mancher besinnliche Landpfarrer hat zu diesen hübsche Beiträge liebevoller Beobachtung geliefert. Ich erinnere hier zur Bestätigung dieses Satzes nur an die bekannten Beispiele der Rede des Chemikers ALBERT LADENBTTRG auf der Naturforscherversafhmlung z u Kassel i m
Jahre 1902 und an das weltbekannte Buch des Zoologen HAECKEL, die Welträtsel, das namentlich auch in sozialdemokratischen Kreisen weite Verbreitung fand, und die Kluft, die sich aufgetan, erheblich erweiterte. Nun ist es keineswegs die Absicht dieser Veröffentlichung, in diesen Streit, der sich im wesentlichen um die wissenschaftliche Wahrheit der religiösen Dogmen handelt, einzugreifen. Dogmen sind meines Erachtens keine wissenschaftlichen Wahrheiten, die sich beweisen oder widerlegen lassen, und auch auf das viel umstrittene, als Zuflucht für die wissenschaftliche Bedrängnis dienende Gebiet des „inneren Erlebnisses" religiöser Wahrheit möchte ich mich nicht begeben, dafür scheint mir der Weg der wissenschaftlichen Psychologie, der hier betreten werden müßte, noch nicht gangbar genug. Der Verfasser kommt auf dieses Gebiet von der Volkswirtschaftslehre und der Soziologie her (die dem Naturwissenschaftler näher liegen), wie ja aus früheren Mitteilungen1) an die Akademie zu ersehen ist. Nicht ob wahr oder unwahr, sondern ob gut oder böse, dem Volkswohle dienlich oder schädlich, ist ihm die Grundfrage bei einem Dogma, das also mitnichten einem Naturgesetze gleicht, sondern viel eher einer Theorie in der Methodik der Wissenschaft. Eine Theorie, oder der erste Wurf zu einer solchen, eine Hypothese, ist ja auch nicht wahr oder unwahr, sondern nützlich oder unbrauchbar. Das ist ihr Wahrzeichen. Sie werden angenommen oder verworfen, je nachdem. Und sollte, daß es sich hier um eine Nützlichkeit für die weitere Forschung, die endlich zu Naturgesetzen führt, dort um die Volksmoral und endlich das Volkswohl handelt, sollte das einen so großen Unterschied machen? — Im Gegenteile, das soziale Wohl ist von noch größerem Werte als der Fortschritt der Disziplin, weil es eine der Voraussetzungen ist zur wissenschaftlichen Entwickelung des menschlichen Geistes überhaupt. Hierbei ist noch die Tatsache besonders beachtenswert, daß auch zwei wissenschaftliche Theorien miteinander in Widerspruch stehen ') Jahrgang 1927, 6. und namentlich die 7. Abhandlung.
Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums.
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können und dennoch nützlich, ja unentbehrlich sein für den Fortschritt der Wissenschaft. Bei der Äthertheorie und den sich an den Namen EINSTEIN anknüpfenden Neuerungen auf dem Gebiete der theoretischen Physik ist das z. B . entschieden der Fall. (Erklärlich sind solche Widersprüche bekanntlich durch Verdunkelung von Tatsachen durch bis dahin noch unbekannte Umstände, so wie z. B. die DALTON sehe Atomtheorie noch durch die ihrem Entdecker unbekannte Isotopie vieler chemischen Elemente mit nicht unbedeutenden Ausnahmen belastet erschien). Auch ob eine wissenschaftliche Theorie zulässig ist, darüber entscheidet nur die über die Wahrscheinlichkeit hinausgehende Mehrheit der Fälle. Dieser Grund für die Milderung logischer Strenge sollte also mit Fug und Recht auch den Dogmen zugebilligt werden. Dogmen können also in ihrem Wahrheitsgehalte nicht wissenschaftlich erwiesen oder widerlegt werden. Sie sind keine Gesetze im Sinne von Naturgesetzen oder Einzelfälle solcher Gesetzmäßigkeiten, sondern sie stehen in dieser Beziehung ungefähr auf der Stufe von wissenschaftlichen Theorien nur mit dem allerdings tiefgreifenden Unterschiede, daß es sich bei ihnen nicht mehr um wissenschaftliche Zwecke, sondern um Angelegenheiten des praktischen Lebens handelt, dieses oder des Lebens jenseits des Todes, welcher Unterschied nun aber auch große wissenschaftliche Folgen nach sich zieht. Zur Auffindung einer wissenschaftlichen Theorie gehört auch wohl etwas künstlerische (nicht bloß schürfende, sondern aufbauende) Genialität. Zur Aufstellung eines neuen weltbewegenden Dogmas gehört aber noch dazu eine große Persönlichkeit, bei der neben der Einsicht auch der aufopfernde Wille ein ganz ungewöhnlicher ist. Die Religion rückt dadurch weit ab von der Wissenschaft, für die im wesentlichen nur die intellektuelle Begabimg entscheidet und wird zur Kunst, zur höchsten Kunst, da es sich bei den Geschehnissen, auf die sie wirkt, um die wichtigsten Dinge handelt. Über die Brauchbarkeit einer Theorie entscheidet der Vertreter derselben Wissenschaft, in deren Reihen auch der Erfinder dieses Hilfsmittels der Forschung angetroffen wird. Das Dogma muß aber wegen seiner universalen Bedeutung und seiner ganz direkten Wirkung auch von Außenstehenden geprüft werden, die vielleicht von jener Genialität der Erfinder, die man in diesem Falle „Propheten" oder in der späteren Folge solcher plötzlichen Erscheinungen „Erweckte" nennt, wenig in sich haben, aber gerade durch diese Nüchternheit (vom religiösen Geiste) zu dieser nun rein wissenschaftlichen Tätigkeit sich am besten eignen. Die Religion, die selbst nicht Wissenschaft ist, erscheint in dieser Hinsicht einer wissenschaftlichen Prüfung zugänglich, die man Apologetik nennt;
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Adolf Mayer:
und zu dieser Apologetik ist auch der Naturwissenschaftler wegen des neuen Umfangs seiner ihm eigentümlichen Erfahrungen auf allerlei den Kulturwissenschaften wenig zugänglichen Gebieten, sowie durch seine schärferen Forschungsmethoden, wenn diese auch nicht (ebensowenig wie bei der naturwissenschaftlichen Ästhetik) bis zu den höchsten Problemen hinanreichen, ganz besonders geeignet, wäre es auch nur, um den Streit um diese Dinge von etwas Phrasenhaftigkeit, deren sich die mehr philosophisch gebildeten Geister in solchen Fällen häufig schuldig machen, zu reinigen. Und um so mehr ist die Naturwissenschaft zu solcher Hilfeleistung verpflichtet, weil sie bei der Religion in einem schweren Schuld-Konto steht. Ist sie ja doch die Urheberin nicht bloß einer Masse von schönen Entdeckungen, die das Leben des modernen Kulturmenschen verschönern und erleichtern, sondern zugleich auch einer sehr Übeln wirtschaftlichen Erscheinung, die gewöhnlich als Industrialismus bezeichnet wird; hat sie ja auch zur Abkehr von aller Religion in großen Kreisen sehr wesentlich beigetragen, zwei Punkte, die beide einer näheren Ausführung bedürftig sind. *
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Was die Entdeckungen und Erfindungen anlangt, so sollte man meinen (da man z. B. nun auf dem Acker mit Hilfe der neuen Düngungsund Samenveredelungsmethoden und mit den neu entdeckten Maschinerien das Vierfache hervorbringt als vor hundert Jahren), daß es nun der Mensch um so viel besser und bequemer haben müsse. Aber das ist keineswegs der Fall. Auch die B e d ü r f n i s s e sind dementsprechend a n g e w a c h s e n , und das Leben mit so viel mehr Bedürfnissen ist keineswegs entsprechend glücklicher, weil die Gewohnheit den Reiz der Genüsse abstumpft und bald zum Selbstverständlichen macht, was zu Anfang als eine große Erweiterung des Empfindungslebens galt. Wäre das nicht so, so müßten ja die Menschen heutigen Tages ganz unbändig glücklich sein, da sie doch in früheren Zeiten das Leben schon recht „des Lebens wert" empfanden. Dazu kommt die s c h l e c h t e G ü t e r v e r t e i l u n g , die durch den Industrialismus sehr verschlimmert wurde, weil nun in diesem der Gewinnanteil, den sich der Unternehmer vorbehält, sich mit der großen Zahl von Arbeitern, die in e i n e m Unternehmen beschäftigt werden, nach Maßgabe dieser Zahl vervielfältigt; und die E n t w i c k l u n g der G r o ß i n d u s t r i e folgte im wesentlichen der E n t w i c k l u n g der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n , weil erst didse in den Stand setzten, menschliche Arbeitskraft entbehrlich zu machen, die entsprechenden Einrichtungen
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aber nur im Großbetriebe nutzbringend getroffen werden konnten. Hierdurch gelangte viel Geld in wenige Hände, aber doch nicht in so wenige, daß deren Unterhaltungskosten (wie einst zur Zeit der Fürsten) für das Ganze noch tragbar gewesen wäre. Die S p a n n u n g zwischen der L e b e n s f ü h r u n g der B e s i t z e n d e n und B e s i t z l o s e n wurde g r ö ß e r und g r ö ß e r , während sie bei dem nun auch viel größeren Besitzstande der Gesamtheit bei guten Gesetzen sehr wohl hätte kleiner werden können. Dies sind in kurzen Worten die bekannten wirtschaftlichen Folgen des Industrialismus und des mit ihm verschwisterten Kapitalismus, gegen die sich als natürliche Reaktion der Sozialismus richtete, und an ihm sind die Naturwissenschaften wohl nicht eigentlich schuld, aber zu ihm sind sie wenigstens die offenbare Veranlassung. Auch an der unseligen Zuspitzung der A r b e i t s t e i l u n g , die den Industrialismus kennzeichnet, die die Arbeit ihres Lohnes in sich selbst beraubt und sie anstatt zu einem Segen für das Gemüt des Menschen zu einem Lastposten stempelt, hat dieses Verhältnis Teil, also daß einem sozial denkenden Naturwissenschaftler schon aus diesem Grunde darum zu tun sein muß, diesen Lastposten tilgen zu helfen. Schwerer noch wiegt und gibt den Durchschlag zu dem Entschlüsse, einer solchen Bemühung mit noch größerer Anstrengung sich zu unterziehen, die Tatsache der fortgesetzten und folgenschweren A n g r i f f e von der gleichen Seite aus gegen K i r c h e und sogar gegen das C h r i s t e n t u m selber. Die Naturwissenschaftler, und nicht bloß seichte Schönredner und Schönschreiber, sondern auch führende Geister, berühmte Entdecker mit hohen Titeln und in einflußreichen Stellungen bekannten sich öffentlich und leidenschaftlich zu einer Weltanschauung, zu denen die Einseitigkeit ihrer Studien sie verleitete und die der christlichen feindlich, ja geradezu entgegengesetzt war. Nicht das Geistige war nunmehr das Wesentliche, der Stoff und dessen Atome war die Quelle des Seins, und, als der Stoff unter den Händen der Experimentierenden zerrann, die Atome sich spalteten, da waren es die Energien und deren Kraftzentren (was merkwürdigerweise von mehreren als Überwindung des Materialismus gefeiert wurde und doch nur eine Neuauflage desselben war), eine voreilige, nur dem bloßen naturwissenschaftlichen Verstände annehmbare Hypothese, die große Gebiete menschlichen Wissens und Empfindens ganz unberührt ließ. Auch hier zeigt sich die schon berührte unliebsame Folge einer zu weit zugespitzten Arbeitsteilung, die unsere heutige Kultur so schwer belastet, und die so weit geht, daß selbst Gelehrte einer und derselben Fakultät einander nicht mehr begreifen und deshalb, rücksichtslos für
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ADOLF
MAYER:
dieses mangelnde Verständnis, aneinander vorbeireden und vorbeidenken, während die Wissenschaft doch (schon begrifflich) nur e i n e sein kann. Aber man ist schon so gewöhnt an diese Erscheinung, daß man sie als selbstverständlich mit in den Kauf nimmt. Es ist die alte Geschichte von den Männern vom Leder und Männern der Feder, nur jetzt noch weiter und weiter differenziert, und in dieser Weiterentwicklung wenig besprochen, weil man sich beim Antupfen dieser Dinge die Finger verbrennen kann. Bei dem Juristen ist in der einseitigen Ausbildung der menschlichen Forschungsfähigkeiten der Scharfsinn besonders entwickelt, bei den Theologen und Philosophen der Tiefsinn, bei den Naturforschern der Spürsinn, und die meisten Gelehrten sind so stark in ihrer besonderen Richtimg durch Neigung und Erziehung differenziert und potenziert, daß ihre Geschicktheit zu anderem Denken Schaden genommen hat. Spürhunde hat uns allesamt NIETZSCHE genannt, da er sich selbst einen Jäger wähnte. Am meisten Schaden aber haben auf dem gemeinsamen Gebiete menschlicher Interessen in unserer Zeit die Naturforscher angerichtet, da sie durch die wunderbaren Erfolge ihrer besonderen Tätigkeit übermütig geworden waren. Und so ist es billig, daß sie die Zeche zahlen und gutzumachen suchen, was noch gut zu machen ist. Die Hauptpunkte des A u s e i n a n d e r k l a f f e n s der beiden Weltans c h a u u n g e n : der c h r i s t l i c h e n und der n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h materialistischen aber sind, daß die Naturwissenschaftler den Menschen im Grunde als ein höheres Tier einschätzen. Homo sapiens, -primus inter pares, Damit ist alles gesagt. Die Menschenseele ist ihnen nur eine physiologische Erscheinung, wie Speichelabsonderung, Atmung und Verdauung, auf das Spiel der chemischen Moleküle und der Elektronen zurückzuführen. Damit wird das ganze Menschendasein zu einer periodischen Erscheinung mit Aufgang, Maximum und Niedergang fatalistisch festgelegt. Von zeitlosem transzendentalem Leben, von einer Fortentwicklung der Seele im Leiden bis zum Lebensende, ja über den leiblichen Tod hinaus ist nicht mehr die Rede. Das wird nun alles ins Gebiet der Autosuggestion geworfen und somit als Lebensinhalt verworfen. Dies ist einer der Hauptpunkte, bei dessen Feststellung wir es einstweilen belassen wollen, weil er die tiefe trennende Kluft genügend kennzeichnet. Aber streiten wollen wir darüber nicht. Wir würden damit ein Gebiet betreten, auf dem „wir nichts wissen können", das deshalb u. E. ganz außerhalb des Wissenschaftlichen liegt, und von dem auch in den Mitteilungen einer wissenschaftlichen Akademie nicht die Rede sein darf. Nur zu viel ist auf diesem Gebiete, das uns erkenntnistheoretisch verschlossen ist, gestritten worden, oft mit sophistischen Argumenten auf beiden Seiten und natürlich bei diesem Stande der Dinge ohne bleibendes Ergebnis.
Naturwissenschaftliche A p o l o g e t i k des Christentums
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Aber ich möchte vorschlagen, die Sache von einer ganz anderen Seite her anzupacken, von einer mehr praktischen und die dennoch, wie ich hoffe, als streng wissenschaftliche anerkannt werden wird. *
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Wir haben soeben von der E i n s e i t i g k e i t des m o d e r n e n W i s s e n s c h a f t s b e t r i e b s gesprochen, von der einseitigen Ausbildung, des Tiefsinns bei den Theologen, des Spürsinns bei den Naturwissenschaftlern, eineFolge der zugespitzten Arbeitsteilung auch auf geistigem Gebiete. Diese Einseitigkeit, eine historische Tatsache, ist z. T. als ein Segen, z. T. als ein Fluch zu betrachten und nur bis zu einem gewissen Grade eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Tatsache selber ist allgemein bekannt aber lange nicht genug in ihren Folgen gewürdigt und gewertet, und nur von ganz wenigen wird geahnt, wie tief diese Differenzierung geht. Der Theologe, Psychologe, auch der Jurist und der Sozialwissenschaftler kennt die Falten des Menschenherzens und der M e n s c h e n s e e l e . Das ist ihr Beruf. — Er kennt auch bis zum menschenmöglichen Grade sich selber, weil die Vergleichung des eigenen Seelenlebens andere seelische Objekte besser verstehen lehrt. Dagegen der Naturforscher, ihm ist die Bewegung der Himmelskörper, der tote Stein, die Pflanze, das Tier und höchstens noch der Menschenkörper O b j e k t der freilich auch aufs äußerste geschärften Beobachtimg; alles Subjektive wird er getraint „als persönlichen Fehler" auszuschalten; es ist der naturwissenschaftlichen Wissenschaftlichkeit verdächtig. Der Forscher lernt die Menschenseele nur sehr unvollkommen kennen, in ihren wirklichen Eigenschaften, ihrer Not, ihren Bedürfnissen, in einem notdürftigen papierenen Abklatsch vielleicht, nicht aus reicher persönlicher Erfahrung. Schon Faustens trockener Famulus empfindet dieses Zukurz und spricht es aus in den Worten: Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist, Und sieht die Welt kaum einen Feiertag, Kaum durch ein Fernglas, nur vom weiten, Wie soll man sie durch Überredung leiten. Und damit wird noch der mittelalterliche Zustand der Gelahrtheit angedeutet. Seitdem hat die Differenzierung des menschlichen Erkenntnisvermögens einen früher nie geahnten Grad erreicht; natürlich nicht des Naturforschers allein. Aber von dem besonderen Züchtungsresultat dieses ist jetzt die Rede. Über den bis ins Unglaubliche vervielfachten Korallen-, Medusen- und Quallenforschungen auf einzig diesen Zwecken gewidmeten Reisen wie im Laboratorium, bei der liebevollen Wiedergabe dieser Objekte
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ADOLF
MATES:
mit Stift und Pinsel vergaß der Zoologe HAECKEL die seelischen Eigenschaften seiner Mitmenschen kennenzulernen, deren Wünsche, Begierden und Laster, deren Hoffnungen und Tugenden zu studieren, so daß er der Kenntnis des Seelenlebens nicht viel anders wie ein Kind gegenüberstand. Aus dieser trüben Quelle stammt der bekannte Radikalismus der Naturforscher und der ihnen geistig so nahestehenden Mathematiker in politischen, sozialen und kirchlichen Dingen und ein großer Teil der viel verrufenen Professorenweisheit, die eben die Weisheit von auf Detailforschung gezüchteter spezifischer Talente und nicht mehr von vielseitig entwickelten Menschen ist. Die logische Folge, welche darzulegen wir zustreben, liegt nun klar auf der Hand. N o t w e n d i g e E i n s e i t i g k e i t n a t u r w i s s e n s c h a f t licher Weltanschauung, Vorherrschen der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n in u n s e r e r h e u t i g e n K u l t u r b l ü t e , A n b e t u n g d i e s e r E r f o l g e ; also muß diese unsere Kultur die Spuren solcher Einseitigkeit an sich tragen, die auch der Kirche feindlich ist, weil die religiösen Dogmen in ihrer dermaligen Gestaltung der herrschenden Weltanschauung unannehmbar sind. *
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Und nun zur praktischen Bedeutung des Christentums, über die von der in dieser Beziehung blödsichtigen Naturwissenschaft hinweggesehen wird. Alle Religionhat ihre zwei Seiten: P f l i c h t e n u n d R e c h t e . Hätte sie die ersten allein, sie würde keine Bekenner haben, hätte sie nur Rechte, sie würde keine Widersacher haben. Die Pflichten sind die Befolgung der Gebote: „Du sollst nicht usw.". Die Rechte sind die Tröstungen im Unglück und im Leiden. Die ersten sind in der Jugend oft schwer zu tragen. Diese muß zu ihnen genötigt, zur Moral erzogen werden. Die Rechte sind die Früchte, die man im Leiden und im Alter genießt. Merkwürdig ist dabei, aber natürlich von der Naturwissenschaft meist geleugnet, die Übereinstimmung der Moralgesetze, wie sie von den anscheinend so ganz verschiedenen Weltreligionen aufgestellt und gefordert werden. Die Moral des Konfuzius in die gleiche Sprache übersetzt, deckt sich beinahe mit dem christlichen Codex, mit der einzigen Ausnahme, daß in den östlichen Religionen die Wohlanständigkeit, die mehr westlichen (westliche gibt es ja nicht) die Tapferkeit zum Moralgesetze erhoben wird. Dann fällt höchstens noch auf, wie gering im Buddhismus die A r b e i t eingeschätzt wird, die im höchst potenzierten, paulinischen Christentume neben dem Verkehr mit Gott, dem Beten, in einer Linie steht. Sonst kehren immer die gleichen Lebensregeln, positiv oder negativ ausgestaltet, wieder.
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Dies steht ganz im Gegensatze zu der naturwissenschaftlichen Anschauung, die infolge ihrer guten aber kurzsichtigen Logik die Moral als eine Funktion des Nutzens und aus dieser Einsicht die Variabilität der Moral also diese je nach den Umständen als g r u n d v e r s c h i e d e n erklärt, anders in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern. Wenn sie am letzten Ende mit dieser Behauptung (worüber wir nicht urteilen) nun auch vielleicht recht haben mag, so liegt doch der praktische Fehler, der sich unter Umständen bis zum Verbrechen steigern kann, darin, daß die weite Perspektive von Aeonen und Weltenräumen, die sich den Naturforschern bei ihren wundervollen Untersuchungen über die Geschichte der Entstehung von Pflanzenarten und Tiergeschlechtern, über geologische Umwälzungen und Sternenwelten, und nun auch neuerdings über das Altern der chemischen Massenteilchen, aufgetan hat, die Augen des Beobachtenden mehr oder weniger ungeschickt macht für gute Wahrnehmungen im Getriebe der Menschen auf dem Markte des täglichen Lebens. Man kann weder mit dem Fernrohre noch mit dem Mikroskope sehen, was auf diesem vorgeht. Die Augen und deren optischen Hilfsmittel müssen erst auf die Dimensionen des Alltäglichen und uns zunächst Interessierenden eingestellt sein. Und daraus ergibt sich nun die Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Nicht die F l u c h t aus der einen Kategorie der Wissenschaften in die andere. Nicht ein Erheben der einen ü b e r die andere. Sondern eine Annäherung der einen zu den andern. Die Geistes- oder Kulturwissenschaften haben vor den Naturwissenschaften das voraus, daß sie h ö h e r e Zwecke verfolgen, und namentlich die Theologie hat nicht willkürlich und nur aus „pfäffischer Überhebimg" lange für die erste der Fakultäten gegolten. Es ist in der Tat wichtiger, daß der Mensch gut sei, und daß eine gute Rechtsordnung den Sieg des Guten verbürge, als daß der Mensch neue und immer wieder neue Bedürfnisse befriedigen kann und gleichsam „auf den Flügeln der Morgenröte" die neue Welt besuchen kann. Denn mit g u t oder böse w e c h s e l t , m a t h e m a t i s c h g e s p r o c h e n , d a s Vorzeichen der b l o ß e n T ü c h t i g k e i t , und der brave Soldat wird dadurch zum Straßenräuber, während die bloße Tüchtigkeit nur der Menge nach die Lebensmöglichkeiten steigert ohne deren Sicherung ob ins Positive oder Negative. Dem steht aber von seiten der Naturwissenschaft gegenüber die bessere Forschungsmethode, das höher gesteigerte Training, das die viel größere Sicherheit z u v e r l ä s s i g e r E r g e b n i s s e verbürgt. Das kommt nicht daher, daß die Naturwissenschaft die besseren Köpfe unter ihren Adepten zählt. Symbolisch steht hier das Brüderpaar H u m b o l d t vor den Pforten der hohen Schule unserer Reichshauptstadt. Es ist so, weil
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ADOLF
MAYER:
sich die Naturwissenschaft mit l e i c h t e r zu b e h a n d e l n d e n P r o b l e m e n beschäftigt, für die einfachere mathematische Methoden bereits gefunden sind. Auf jedes Exempel wird die Probe gemacht, die meisten Ergebnisse werden experimentell geprüft. Immerhin ist der Erfolg ein klareres Denken mit weniger phantastischen Seitensprüngen, sowie eine Bändigung des hinreißenden Phrasenschwalles. Wie schon weiter oben gesagt: Jede Bildimg ist zugleich auch Verbildung, und namentlich Unbegabte werden durch das Anlernen vom äußerlich Erfaßten, für das sie keine genügende Kapazität haben, noch beschränkter als zuvor. Ich möchte hier noch auf eine besondere Eigenschaft des menschlichen Geistes bei dieser Spezifizierung, der er sich als Fachgelehrter zu unterwerfen hat, aufmerksam machen, da dieser Gesichtspukt bisher nur wenig beachtet zu sein scheint. Jeder Gelehrte muß auf seinem Wissensgebiete zu Hause sein, natürlich. Ein großer Teil des Trainings, das er durchzumachen sich entschließen muß, ist G e d ä c h t n i s s a c h e . Aber das Wesentliche der Wissenschaftlichkeit ist keineswegs Gedächtnissache. Das Wesentliche ist U r t e i l , zu dem die gewußten Tatsachen nur das Material liefern. Nun stehen alle unsere verschiedenen Geistesgaben in d e m Verhältnisse zu einander, daß die eine nicht die andere fördert, sondern eher hemmt, weil sie z. T. aus denselben Kräften unseres Organismus, die in jedem Individuum beschränkt sind, fließen. Der große Wisser ist nicht leicht ein scharfer Urteiler und umgekehrt. Wir nennen den ersteren ein „wandelndes Konversationslexikon", den Zweiten einen (im Deutschen fehlt der Ausdruck dafür, also wähle ich einen holländischen) „Durchschläger". Nur ganz seltene Menschen (Genies) vereinigen beides. Es wiederholt sich also hier ganz dasselbe, was schon für die Arbeitsteilung überhaupt gilt auch für die besonderen Eigenschaften der gelehrten Berufe. Für einige wird das Gedächtnis mehr geübt, für andere das Urteil, und wo man innerhalb eines Berufes das eine mehr bevorzugt als seiner fruchtbaren Ausübung entspricht, werden große, auch erzieherische Fehler gemacht, z. B. gilt dies in bezug auf „Gedächtniskram" insbesondere für das deutsche Schulwesen. Die Naturwissenschaften sind aber verhältnismäßig am freiesten davon und lassen das Buch verrichten, was der Geist nicht kann. Dies zur Erläuterung meines Ausdrucks von der „besseren Methode", womit nun freilich lange nicht Alles gesagt ist. — Das eine Wissen verstopft das andere. Das ist der Fluch der Fachgelehrsamkeit und gilt für alle Disziplinen, ein Fluch, dem man erst im Ruhestand entflieht. Meine Forderung i s t n u n e i n f a c h d i e , a u c h f ü r d i e h ö h e r e n Z w e c k e der K u l t u r w i s s e n s c h a f t e n v o n der b e s s e r e n M e t h o d e ihrer jüngeren Geschwister G e b r a u c h zu machen. Natürlich weiß ich, daß
Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums.
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dabei allerhand Gefahren lauern, namentlich die, den Wissensstoff der Disziplin, an die man sich heranwagt, nur sehr unvollständig zu beherrschen, was von der zünftigen Gelehrtheit so übel vermerkt und mit dem spöttischen Epitheton: -„nicht von einem Ubermaß von Wissen angekränkelt" dem kecken Eindringling angekreidet wird. — Dagegen ist zu sagen: Wenn man über unbekannte Steine stolpert, hat man persönlichen Schaden davon, aber der Weg ist gezeigt und wird fortgesetzt von Kundigeren, die sich an dem Aufschrei des Gefallenen zurechtfinden. Es ist damit wie im Kriege, aus dem es auch keine Schande ist, Wunden mit nach Hause zu bringen. Ja ich glaube, man könnte dem akademischen Wahlspruche A u d e s a p e r e ! mit einigem Rechte den scheinbar entgegengesetzten: A u d e n e s c i r e (seil, multa), der schon lange die geheime Losung eines großen Kulturvolkes ist, entgegensetzen. *
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Was nun aber insbesondere meine naturwissenschaftlichenVersuche in der Richtimg einer Apolegetik angeht, so möchte ich die in diesem Punkte noch kurzsichtigen (oder besser gesagt, übersichtigen) Naturwissenschaftler, die zur Zeit die Religion so gering einschätzen, darauf weisen, daß die von ihnen so wenig studierte Weltgeschichte schon jetzt einige Regeln aufweist, die ihre Anschauung dieser Dinge gründlich widerlegen. Freilich lernt man ja auf den Schulen bei deren dermaligem Betriebe, oder wenigstens, wie sie beim Heranwachsen der jetzt an maßgebender Stelle stehenden Geschlechtes betrieben wurden, nicht viel mehr als das äußere Gerippe der Weltgeschichte: Jahreszahlen, Schlachtendaten und dergleichen, aus Gründen, die hier zu verfolgen zu weit führen würde, und der studierende junge Naturforscher kümmerte sich meist wenig um diese Dinge und hatte später in seinem Berufe keine Zeit für sie übrig, und auch die Historiker vom Fach fanden sich meist wenig dazu berufen, den Gesetzen des h i s t o r i s c h e n Geschehens auf eine Weise nachzuspüren, wie man in der Erforschung der Natur zu allgemeinen Gesetzen gekommen war. Die Spuren des radikalen englischen Forschers BUCKLE mit seinen mißglückten Induktionen waren hier allerdings geeignet zu schrecken und abzuschrekken, und glücklichere Versuche wie die von GOBINEATJ , von CHAMBEHLAEN (dem Wahldeutschen) und SPENGLER waren selten und sind auch heute, wie ich glaube, noch nicht tonangebend. Vielfach deduzierte man noch aus einflußreichen Systemen der Idealphilosophie. So gelangte man nur zu ganz wenig feststehenden Sätzen und Kulturgesetzen, wie die, daß politischer Erfolg Reichtum erzeugt, dieser Üppigkeit und in logischer Folge Verfall oder, daß die Wirtschaft eines Volkes abhängig ist von der
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ADOLF MAYER:
politischen Macht seines Staates (Dietrich Schäfer). Meist blieb es bei der Quellenforschung, die nur Material sicherte für weitere Forschung und bei der künstlerisch-rethorischen Verwertung des Stoffes zu vaterländischen Zwecken (Treitschke): Gelehrtheit und Kunst, aber wenig systematische Wissenschaft. Ich weise auf diese mir vor Augen schwimmenden, wenn auch vielleicht nicht ganz sicher feststehenden Tatsachen, um die Naturwissenschaft bis zu einem gewissen Grade zu entschuldigen, wenn sie so auffallende, wenn auch nicht deutlich entwickelte Gesetzmäßigkeiten des historischen Geschehens übersehen konnte und heute in ihrer überwältigenden Mehrheit so geringschätzig urteilt über Religion und Kirche, als ob es sich dabei um überwundene Kinderkrankheiten der jetzt erst erwachsenen Menschheit handelte, wie es bei den Führern der Geistesrichtung und Agitation, die sich Monismus nennt, der Fall ist (HAECKEL und OSTWALD), oder höchstens nur die subjektiv erbauliche Seite der Religion achselzuckend gelten läßt („Religion ist Privatsache" der Sozialdemokratie). Während doch die ganze Weltgeschichte, die Politik aller Staaten aufs deutlichste beweist, daß die Religion und deren organisatorische Verkörperung in der Kirche in allererster Linie eine ausschlaggebende soziale Angelegenheit und also auch eine solche des Staates ist. Kirche und Staat, Staat und Kirche, die Bedingung und die Stütze des einen durch den anderen, Kampf der beiden miteinander, Unterdrückung des einen durch der* anderen ist ja doch Zettel und Einschlag beinahe der ganzen Weltgeschichte. „Die Kirche eine mittelalterliche Erscheinung" ist dagegen ein Satz der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung. (Bei den Naturwissenschaften erstreckt sich das Mittelalter bekanntlich bis zu LAVOISIER, dem Begründer der quantitativen Chemie.) Die Zeugnisse dagegen sind Legio, nur eben, dem Entwicklungsstande der Geschichtswissenschaft entsprechend, nicht zum Gebrauche der weniger Einsichtigen zu klaren greifbaren Kulturgesetzen gestaltet. Religion nur ein Phänomen des menschlichen Geistes, im höchsten Falle eine Blüte, keine Frucht, die Samen liefert, für neue soziale Erscheinungen 1 Das ist in der Tat die stille Herzensmeinung der allermeisten modernen Naturwissenschaftler, und wenn einer in der Senatssitzimg oder in der Akademie dem Kollegen Theologen die Hand drückt, so schmunzelt er, wie dereinst die römischen Auguren und denkt wohl, es wird nicht mehr lange dauern. Demgegenüber gilt es m. E. ein Beispiel zu geben, und eines genügt, wenh es nur ausschlaggebend ist. Ich wähle das folgende. MAX W E B E R , einer der tiefschürfendsten Gelehrten seiner Zeit, dazu seiner Geistes-
Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums.
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richtung nach ein unverdächtiger Zeuge in dieser Angelegenheit, hat bekanntlich historisch nachgewiesen, daß der moderne K a p i t a l i s m u s , die große wirtschaftliche Erscheinung der Kultur des Westens, in deutlich kausalem Zusammenhange steht mit dem Bekenntnis des C a l v i n i s m u s . Dieser proklamierte im Gegensätze zum Katholizismus und zum Luthertum wirtschaftliche Arbeit um Gottes willen und zugleich puritanische Einschränkung des Genusses der erarbeiteten Güter, ergo U b e r s c h u ß an diesem: K a p i t a l . —Eine zwingende und daher allgemein anerkannte Schlußfolgerung, ein Kulturgesetz oder wenigstens eine Regel, die feststeht. Wie man sich zum Kapitale stellt, ist dabei einerlei. Wir treiben hier keine praktische Politik, sondern suchen nur Wissenschaft. Es zeigt sich also unzweifelhaft, wie in hundert anderen noch nicht so deutlich herausgearbeiteten Fällen, daß R e l i g i o n mehr ist als Symptom eines Kulturstandes, sie ist auch Ursache, sie ist F r u c h t und S a m e n zugleich. Daß es auch schlechte Religionen gibt, natürlich. Es gibt auch schlechte Früchte. Von den einzelnen historisch beglaubigten Fällen: Fettischdienst, Molochdienst, spanischer Inquisition, brauchen wir nicht im besonderen zu reden, ebensowenig wie von den Leopardenmenschen von Mittelafrika, die auch von einem unerklärlichen fatalistischen Drange aus ihre Schandtaten verüben und in einem gewissen Sinne religiös begeistert sind. Aber das ist kein Grund, die religiösen Erscheinungen in ihrer Ursächlichkeit zu verläugnen. Das ist nur ein Grund, nach den besten auszuschauen, die natürlichen Zuchten zu veredeln, edle Zuchten, die durch den üblichen Schlendrian der Menschen zur Seite geworfen sind, zur Geltung zu bringen. — Züchtung der Religionen ? — J a , es gibt so etwas: natürliche und künstliche, gewaltsame, die letztere u.a. im Schulunterricht, und auch historisch z. B. in den Gegenreformationen. Diese Erwägungen über die soziale Bedeutung der Religionen und des guten Einflusses der besseren unter ihnen sollen nun aber keineswegs dazu führen, Bekenntnisse zu empfehlen und mit den Lippen anzunehmen, von deren wissenschaftlicher Unwahrheit und Unmöglichkeit man im Herzen überzeugt ist. Das wäre Jesuitenmoral, der wir nicht das Wort reden möchten. Sie sollen nur dienen, die U n t e r s u c h u n g auf deren W a h r h e i t s g e h a l t mit d e m s e l b e n E r n s t e und der g a n z e n H a r t n ä c k i g k e i t , die man auf die eigene Fachwissenschaft zu verwenden für selbstredend erachtet, durchzuführen. Nur der Wille z u m G l a u b e n soll erweckt werden, und man soll nicht Hals über Kqpf in diesen hineinstürzen. — Und dabei soll man beachten, daß die Dogmen, die als äußere Stützen für ein Bekenntnis dienen, formal so ausgestaltet sein müssen, daß sie dem Verständnis der breiten Masse zugänglich sind. Denn die Kirche
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ABOLF M A Y E « :
ist eine soziale Einrichtung, die der Teilnahme vieler in ihrem Urteil ungleich Befähigter zu ihrer Wirksamkeit verlangt. Was dem Ungebildeten eine wissenschaftliche Tatsache ist, ist dem Hochgebildeten ein liebes Symbol, das darum doch als von hohem W a h r h e i t s g e h a l t e ebensosehr gewürdigt werden kann. Man denke z. B. an die symbolische Auferstehung, die, richtig gewertet, auch die frohe Hoffnung der in diesen Dingen Aufgeklärten ist. Aber sollte selbst Begünstigung einer sozial höchst notwendigen Einrichtung auch ohne einen festen Glauben an seine logische Begründung ein Unrecht sein? Beten doch auch so manche Gläubigen ihr altes: „Errette mich vom Unglauben", weil eben in ihnen noch der Glaube nicht zum festen Bestände des Seelenlebens geworden ist. Viel eher meine ich, daß es die Scham ist, die auf diesem Wege so viele zurückhält, die Scham, sich als Wissenschaftler bloßzustellen. Aber diese Scham müßte eben durch die Gewissenhaftigkeit überwunden werden. Natürlich kann eine wissenschaftliche Apologetik des Christentums nicht so weit gehen, die Richtigkeit irgendeines religiösen Dogmas nachweisen zu wollen, wie es sich seinerzeit die Philosophie (von den Zeiten der Scholastik bis auf HEGEL und darüber hinaus) zur Aufgabe stellte. Dagegen erscheint es mir möglich, nachzuweisen, daß die rein wissenschaftliche Begründung der Moral, die Utilitarismus genannt wird, nicht durchsichtig genug war, um der „großen Masse" zu einer glücklichen Lebensführung zu verhelfen. Und in bezug auf diesen Punkt ist keine Besserung möglich, nicht allein wegen der unzureichenden Begabung dieser großen Masse, sondern der wirtschaftlich notwendigen Arbeitsteilung wegen, die eine allgemeine Höherzüchtung nicht erlaubt. Da müssen die {leichter faßlichen) Dogmen an die Stelle treten, die aber keine Täuschungen sind, weil sie wirklichen Wahrheitsgehalt besitzen. Und ebenso läßt sich historisch und wirtschaftlich beweisen, daß den christlichen Dogmen unter den Dogmen der übrigen Weltreligionen die Palme gebührt, natürlich nicht in wenigen Zeilen. In den vielen nachstehend angeführten Veröffentlichungen habe ich versucht, zu dieser möglichen Beweisführung einige Beiträge zu liefern. *
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Anschließend an diese Einleitung gebe ich ein Verzeichnis meiner zerstreuten Veröffentlichungen, die Bezug auf diesen Gegenstand haben. 1. Eine zusammenfassende Darstellung des ganzen Gegenstandes, aber schon vor längerer Zeit geschrieben und daher noch ohne die später hinzukommenden Ausblicke, in meinem Buche:
Naturwissenschaftliche Apologetik des Christentums.
Los vom Materialismus.
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Heidelberg 1906.
In der Zeitschrift „Glauben und Wissen" erschien sodann 1907 S. 127: 2. H E I N R I C H H E I N E als Verwüster der s i t t l i c h e n E n e r g i e und ebenda 1908 S. 283 3. MULTATUIJS
Philosophie
und in den Beiheften dieser Zeitschrift: „Christentum und Zeitgeist" Serie II. Heft 2: 4 . NIETZSCHE als Denker, D i c h t e r und — Verderber. Stuttgart 1907 und dazu Übermensch und P a r a l y t i k e r , Wartburg. 1909. Nr. 29. 5 . E B N S T H A E C K E L in der Zeitschrift „Wartburg". 1 9 0 8 . S . 2 8 7 . Uber den gleichen in dem Kampf um die Weltanschauung so hervorragenden Forscher wurde von seiten von K. Haus er ein kleines Buch herausgegeben, in welchem 2 der 4 Abschnitte von mir bearbeitet sind: 6. E. H. sein L e b e n , sein W i r k e n und seine Bedeutung für den Geisteskampf der Gegenwart. Detmold 1920. 7. Religion als Waffe im K a m p f ums Völkerdasein. burg 1909. Nr. 3. Vgl. a. ebenda Nr. 18.
Wart-
8. S c h o l a s t e n t u m : „ G r e n z b o t e n " 1909. S. 156 u. 255, ein Aufsatz, der wenigstens indirekt für unseren Gegenstand in Betracht kommt. „Der Wille zum G l a u b e n " , Wartburg 1 9 0 8 . Nr. 4 8 . 10. Das V e r s t a n d e s p r o t z e n t u m in „Glauben und Wissen" 1909. S. 321. 11. A l l t ä g l i c h e S c h n i t z e r in der p r a k t i s c h e n Logik. Annalen der Naturphilosophie 8. S. 63. 9. WILLIAM JAMES
12. Über das Leid der W e l t in „Der Geisteskampf der Gegenwart" 1909. S. 100. 13. Die Unzulänglichkeit d e r B i o l o g i e in d e n l e t z t e n L e b e n s fragen, ebenda 1912. S. 377. 14. Das böse Gewissen, ebenda S. 56. 15. Unwillkürliche Glaubensbekenntnisse von hervorragenden Ungläubigen: „Glauben und Wissen" 1909. S. 9. 16. Die Teilung der Atome in Geisteskampf der Gegenwart 1910. S. 4. 17. Aus der Z e i t s c h r i f t „Der Monismus", in „Unsere Welt" 1910. S. 475.
1§
ADOLF MAYEÖ:
18. ABRAHAM KÜYPEK, der h o l l ä n d i s c h e G e g e n r e f o r m a t o r , in „Studierstube" 1910. S. 395. 19. E r b s ü n d e u n d E r z i e h u n g im L i c h t e der Biologie „Deutsche Revue" 1910. S. 1.
modernen
20. F i k t i o n in „Studierstube" 1910. S. 263. 21. R e l i g i o n , e i n e g u t e W a f f e i m K a m p f u m s D a s e i n , ^ „ G l a u ben und Wissen" 1910. S. 243. 22. U n s t e r b l i c h k e i t , in „Religion und Geisteskultur" 1910. III. 30. 23. W a r u m es noch P r o t e s t a n t e n geben m u ß , in „Deutschevangelische Monatsblätter usw." 1910. S. 104. 24. CHAMBERLAIN 16.
u n d NORDATJ in „Der Volkserzieher"
1912.
189.
25. R e l i g i o n und w i s s e n s c h a f t l i c h e W a h r h e i t in „Unsere Welt", 1913. S. 859. 26. Das P r o b l e m des A l t r u i s m u s in „Zeitschrift f. Religionspsychologie", 1911. 4. S. 353. 27. Das R e c h t zu g l a u b e n : „Religion u. Geisteskultur" 1912. 5, S. 159. 28. WILHELM OSTWALD: „Preuß. J a h r b . " 1912.
148.
S. 415.
29. Des h e u t i g e n Monismus K a r d i n a l i r r t u m in der Zeitschrift „Unsere Welt" 1912. S. 169. 30. Wissen u n d G l a u b e n , ebenda S. 105. 31. E g o i s m u s , die einzige T r i e b f e d e r , ebenda S. 722. 32. K a n n Wissen s c h a d e n ? ebenda. 33. Der lieben E l t e r n H e i l i g e n s c h e i n in „Zeitschr. f. Jugenderziehung", 1910. S. 139. 34. Der Zweifel in „Zeitschrift für Religionsphilosophie" 1912. S. 28. 35. D. F. S t r a u ß u n d Ch. K i n g s l e y s , zwei T h e o l o g e n , in der Zeitschrift „Die Studierstube" 11. 1913. S. 328. 36. S t ä r k e a u s S c h w ä c h e , T u g e n d a u s S ü n d e , ebenda 1912. S. 402. 37. Ein n e u e s E v a n g e l i u m ? in „Religion und Geisteskultur" 1912, II. S. 261. 38. R e l i g i o n als K u n s t , ebenda 1913, III. S. 282.
Naturwissenschaftliche Agologetik des Christentums.
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39. Die Bedeutung des Wissens vom Tode für die Genealogie der Religion. Ebenda 1914. IV. S. 267. 40. Keuschheit und Christentum, in „Studierstube" 1913. S. 115. 41. Das Paradoxe im Christentum, ebenda S. 118. 42. Die dualistische Weltanschauung, eine Konsequenz dererfahrungsgemäßenpersönlichen Seelenidentität, in „Unsere Welt" 1914. S. 130. 43. Gnadenwahl, in „Studierstube" 1913. S. 369. 44. Arbeitsteilung in der Moral, ebenda 1914. S. 156. 45. Ist das Mystische der Wissenschaft unbedingt feindlich? In „Unsere Welt" 1917. S. 1. 46. Nochmals „Willensfreiheit", in „Studierstube" 1918. 16. S. 385. 47. D i e U m w e l t u n d d i e w i r k l i c h e W e l t , ebenda 1917. 15. S. 289. 48. Zufall, ebenda 1920. 18. S. 49. 49. Gnade und Gerechtigkeit, ebenda 1921. 19. S. 224. 50. Gott Vater und Gott, der Richter, ebenda 1922. 20. S. 33. 51. Gemüt in '„Unsere Welt" 1926. S. 355. 52. Eine größere Schrift „Die Sünde" ist noch ungedruckt in Händen der apologetischen Zentrale in Karlsruhe. Alle diese Veröffentlichungen verfolgen das doppelte Ziel einer Annäherung der beiden großen Gruppen von Wissenschaften. Die wichtigen K u l t u r w i s s e n s c h a f t e n haben von den Naturwissenschaften zu lernen: die bessere Methode, die von dieser auf kleinerem Felde geübt worden ist. Diese von jenen die Achtung vor der größeren Wichtigkeit der Probleme jener, deren Tragweite erst gründlich gekannt sein will, ehe man sich ohne Übermut des in eigener Sache Geleisteten an die Lösung derselben heranmacht. Im Grunde gibt es doch nur eine Wissenschaft von allen für den Menschen wichtigen Sachen, und es ist betrüblich zu sehen, wenn innerhalb der Truppen eines und desselben Heeres die eine der anderen Waffe die Achtung versagt. Wie der anzustrebende Zustand erreicht werden soll, das ist natürlich kein rein wissenschaftlicher Gegenstand mehr, sondern einer der praktischen Politik, wozu in diesem Sinne auch die Pädagogik gehört, die ich bisher nur gestreift habe.